Klinikleitfaden
Gynäkologie
Geburtshilfe
8. Auflage
Herausgeber:
Dr. med. Kay Goerke, Schwetzingen
Dr. med. Joachim Steller MBA, Titisee-Neustadt
Dr. med. Axel Valet, Herborn/Dillenburg
Weitere Autoren: Prof. Dr. med. Arno J. Dormann, Köln; Dr. med. Volker Duda, Marburg;
Prof. Dr. med. Gisela Enders, Stuttgart; Dr. med. Jan-Bernd Jürgens, Titisee-Neustadt;
Dr. med. Franz Koettnitz, Delfzijl, Niederlande; Prof. Dr. med. Marcus Krüger, Freiburg/
Breisgau; PD Dr. med. Michael Löttge, Magdeburg; Prof. Dr. med. Uwe Wagner, Marburg
Zuschriften an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Hackerbrücke 6, 80335 München
E-Mail medizin@elsevier.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb
der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und
strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatika-
lisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer
gemeint.
unseren Autoren für das damit verbundene große Engagement. Nicht zuletzt be-
danken wir uns bei allen Lesern recht herzlich, die mit ihren Rückmeldungen und
ihrer Kritik ganz wesentlich zur Aktualisierung des Buchs und zur Berücksichti-
gung der Nutzerinteressen beigetragen haben.
Danksagung
Für die hilfreiche Kritik und die zahlreichen Anregungen bei der Realisierung des
Klinikleitfaden Gynäkologie Geburtshilfe bedanken wir uns bei:
• Frau Prof. Dr. med. Gisela Enders, Institut für Virologie, Infektiologie und
Epidemiologie Prof. G. Enders & Partner, Stuttgart, für ihre stets kompetente
und fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Kapitels „Infektionen in
graviditate“ sowie für ihre erneute umfangreiche Neubearbeitung des Kapitels
• Herrn Oberarzt Dr. Jan Jürgens, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshil-
fe, HELIOS Klinik Titisee-Neustadt, für die Bearbeitung des Kapitels „Fetale
Herzrhythmusstörungen“
• Herrn Dr. Alexander Benner, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, HELIOS
Klinik Titisee-Neustadt, für seine Ratschläge im Bereich der Intensivmedizin
• Herrn Oberarzt Prof. Dr. med. Marcus Krüger, Zentrum für Kinderheilkunde
und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, für die umfassende
Überarbeitung des Kapitels „Neonatologie“
• Herrn PD Dr. med. Dr. h.c. Michael Löttge, Chefarzt der Klinik für Frauen-
heilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Magdeburg, für die fachlich kompe-
tente Bearbeitung der Urogynäkologie
• Herrn Prof. Dr. Peyman Hadji, Leiter des Schwerpunkts Gynäkologische En-
dokrinologie, Reproduktionsmedizin und Osteologie, Klinik für Gynäkologie,
Endokrinologie und Onkologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg,
Standort Marburg, für die Unterstützung bei allen Fragen zum Thema Osteo-
porose.
Für die kompetente Mitarbeit bedanken wir uns weiterhin bei Herrn Prof. Dr.
med. Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik, DRK Klinikum Berlin, bei
Frau Dr. Friederike Siedentopf, Berlin, bei Herrn Dr. Thomas Beerboom, Her-
born, sowie bei allen Mitautorinnen und Mitautoren.
Außerdem danken wir Frau Karin Beifuss für die kompetente Redaktion und Frau
Petra Schwarz, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München, für das Lekto-
rat und die konstruktive Zusammenarbeit.
Ganz herzlich bedanken möchten wir uns für die hilfsbereite Unterstützung durch
unsere Partnerinnen Gabriele Schmitz-Ziegler, Christina Steller und Regina Schula.
unseren Autoren für das damit verbundene große Engagement. Nicht zuletzt be-
danken wir uns bei allen Lesern recht herzlich, die mit ihren Rückmeldungen und
ihrer Kritik ganz wesentlich zur Aktualisierung des Buchs und zur Berücksichti-
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Danksagung
Für die hilfreiche Kritik und die zahlreichen Anregungen bei der Realisierung des
Klinikleitfaden Gynäkologie Geburtshilfe bedanken wir uns bei:
• Frau Prof. Dr. med. Gisela Enders, Institut für Virologie, Infektiologie und
Epidemiologie Prof. G. Enders & Partner, Stuttgart, für ihre stets kompetente
und fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Kapitels „Infektionen in
graviditate“ sowie für ihre erneute umfangreiche Neubearbeitung des Kapitels
• Herrn Oberarzt Dr. Jan Jürgens, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshil-
fe, HELIOS Klinik Titisee-Neustadt, für die Bearbeitung des Kapitels „Fetale
Herzrhythmusstörungen“
• Herrn Dr. Alexander Benner, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, HELIOS
Klinik Titisee-Neustadt, für seine Ratschläge im Bereich der Intensivmedizin
• Herrn Oberarzt Prof. Dr. med. Marcus Krüger, Zentrum für Kinderheilkunde
und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, für die umfassende
Überarbeitung des Kapitels „Neonatologie“
• Herrn PD Dr. med. Dr. h.c. Michael Löttge, Chefarzt der Klinik für Frauen-
heilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Magdeburg, für die fachlich kompe-
tente Bearbeitung der Urogynäkologie
• Herrn Prof. Dr. Peyman Hadji, Leiter des Schwerpunkts Gynäkologische En-
dokrinologie, Reproduktionsmedizin und Osteologie, Klinik für Gynäkologie,
Endokrinologie und Onkologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg,
Standort Marburg, für die Unterstützung bei allen Fragen zum Thema Osteo-
porose.
Für die kompetente Mitarbeit bedanken wir uns weiterhin bei Herrn Prof. Dr.
med. Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik, DRK Klinikum Berlin, bei
Frau Dr. Friederike Siedentopf, Berlin, bei Herrn Dr. Thomas Beerboom, Her-
born, sowie bei allen Mitautorinnen und Mitautoren.
Außerdem danken wir Frau Karin Beifuss für die kompetente Redaktion und Frau
Petra Schwarz, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München, für das Lekto-
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Ganz herzlich bedanken möchten wir uns für die hilfsbereite Unterstützung durch
unsere Partnerinnen Gabriele Schmitz-Ziegler, Christina Steller und Regina Schula.
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im
Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern. Alle nicht besonders
gekennzeichneten Grafiken und Abbildungen © Elsevier GmbH, München.
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im
Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern. Alle nicht besonders
gekennzeichneten Grafiken und Abbildungen © Elsevier GmbH, München.
Warnhinweise
CT Computertomogramm F
CTG Kardiotokografie
CVS chorionic villi sampling F Frauen, Faktor
(Chorionzottenbiopsie) Fe Ferrum, Eisen
FFP Fresh Frozen Plasma
D FG Frühgeborenes
FHF fetale Herzfrequenz
d die; Tag FL Femurdiaphysenlänge
DD Differenzialdiagnose FP Follikelphase
DEGUM Deutsche Gesellschaft für FOD frontookzipitaler
Ultraschall in der Medizin Durchmesser
desc. descendens FTA Fluoreszenz-Treponemen-
d. h. das heißt Antikörper-Test
DHEA-S Dehydroepiandrosteron- 5-FU 5-Fluorouracil
Sulfat FW Fruchtwasser
Diab. mell. Diabetes mellitus
Diagn. Diagnostik, Diagnose G
DIP Dezeleration, Absinken der
fetalen Herzfrequenz G1–3 Grading (Einteilung der
DK Dauerkatheter histologischen Differenzie-
DNA Desoxyribonukleinsäure rung eines Tumors)
Drg. Dragee/-s Gew. Gewicht
GFR glomeruläre Filtrationsrate
E GG Geburtsgewicht
ggf. gegebenenfalls
E2 Estradiol GHD Gesamtherddosis
E3 Estriol GIT Gastrointestinaltrakt
EBV Epstein-Barr-Virus GKV gesetzliche Krankenversiche-
Echo Echokardiografie rung
EE Ethinylestradiol GN Glomerulonephritis
EGT errechneter Geburtstermin GnRH Gonadotropin-Releasing-
EIA Enzymimmunoassay Hormon
E’lyte Elektrolyte GOT Glutamat-Oxalacetat-Transa-
EK Erythrozytenkonzentrat minase
EKG Elektrokardiogramm GPT Glutamat-Pyruvat-Transami-
EP Eröffnungsperiode nase
E’phorese Elektrophorese Grav. Gravidität
EPH Edema + Proteinurie + GSG Gesundheitsstrukturgesetz
Hypertonie GV Geschlechtsverkehr
ER Östrogenrezeptor Gy Gray (Radiother.)
Erkr. Erkrankung gyn. gynäkologisch
Erw. Erwachsene/r γ-GT Gamma-Glutamyl-
Ery Erythrozyten(-konzentrati- Transferase
on)
ET Embryotransfer H
EUG Extrauteringravidität
evtl. eventuell h hora; Stunde
EZ Ernährungszustand HAH Hämagglutinationshemmtest
Hb Hämoglobin
HbF fetales Hämoglobin
Abkürzungen XI
1.1 atientenaufnahme 3
P 1.6 Sterben und Tod einer
1.1.1 Spezielle gynäkologische atientin 24
P
Anamnese 3 1.6.1 Die sterbende Patientin 24
1.1.2 Spezielle geburtshilfliche 1.6.2 Totenbescheinigung
Anamnese 3 (Leichenschauschein) 24
1.1.3 Weiteres Vorgehen 4 1.6.3 Totgeburt 25
1.2 Untersuchungen 6 1.6.4 Obduktion 25
1.2.1 Allgemeine körperliche 1.7 Die Problempatientin 26
Untersuchung 6 1.7.1 Alkoholabhängigkeit
1.2.2 Gynäkologische Unter und Entzugsdelir 26
suchung 9 1.7.2 Die suizidgefährdete
1.2.3 Perkussion und Auskultation Patientin 28
von Herz und Lunge 11 1.7.3 Die verwirrte Patientin 29
1.2.4 Neurologische Unter 1.8 Meldepflichtige Infektions-
suchung 13 krankheiten 29
1.2.5 Verhalten in Krisensituationen 1.8.1 Deutschland 29
des Arzt-Patient-Verhältnisses 1.8.2 Österreich 30
in Klinik und Praxis 15 1.8.3 Schweiz 30
1.3 Rezeptausstellung 17 1.9 Multiresistente Erreger
1.3.1 Betäubungsmittelver (MRE) 31
ordnung 17 1.10 Prophylaxe nach beruflicher
1.4 Arzneimitteleinnahme vor HIV- oder Hepatitis-
geplanten Operationen 19 Exposition 33
1.5 Die Entlassung der 1.10.1 Vorgehen nach
Patientin 21 HIV-Exposition 33
1.5.1 Die Entlassung 21 1.10.2 Vorgehen nach
1.5.2 Der gynäkologische HBV-Exposition 34
Arztbrief 22 1.10.3 Hepatitis C 35
1.5.3 Der geburtshilfliche
Arztbrief 23
1.5.4 Poststationäre Angebote 23
1.11 Abrechnungsmodalitäten 35
1.11.1 Wichtigste gynäkologisch-
geburtshilfliche ICD-10-
Ziffern 35
1.11.2 DRG-relevante Neben
diagnosen: Hitliste 48
1.1 Patientenaufnahme 3
1.1 Patientenaufnahme
Bei der Anamneseerhebung ist zu beachten, dass gynäkologische Probleme in
ganz besonderem Maße die Intimsphäre tangieren. Für die gynäkologische Ana-
1
mnese bedarf es eines vertraulichen Verhältnisses zwischen Arzt und Pat. Im Ide-
alfall ist der Untersucher bei der Anamnese mit der Pat. allein.
1.1.3 Weiteres Vorgehen
Nach der Aufnahmeuntersuchung (▶ 1.2) muss entschieden werden über:
Bettruhe
• Absolute Bettruhe: z. B. bei Blutungen in der Schwangerschaft, vorzeitiger
Wehentätigkeit, Lungenembolie.
• Keine Ind.: Thrombophlebitis, Pneumonie, alte Pat., tiefe Beinvenenthrom-
bose, entgleister Diab. mell.
Nahrungskarenz
Nahrungskarenz, solange dringender op. Eingriff nicht ausgeschlossen ist (z. B.
bei EUG-Verdacht) oder geburtshilflicher Eingriff unmittelbar ansteht.
Diät
Eine besondere Diät ist indiziert bei Diab. mell. (Standard = 14 BE; Diabetes in
grav. ▶ 3.4), Hypertonie, Niereninsuff., Fettstoffwechselstörungen, Gicht, Pankre-
atitis.
• Diät bei Adipositas: Behandlungspflichtig sind die mittelschwere und schwe-
re Adipositas. Body-Mass-Index: kg KG/(Körpergröße in m)2, Normal F: 18–
25. Zur Einleitung der Gewichtsreduktion 300–1.000 kcal Diät als ballaststoff-
reiche Mischkost, ggf. mit Vit.-Supplement. Strenge Ind.-Stellung für Null-
Diät, da KO-reich. Ideal ist kontinuierliche, schonende Gewichtsabnahme.
Keine Extremdiäten, z. B. nur Eiweiß. Langfristig tolerierbar ist faserreiche,
vitaminreiche Reduktionskost mit mind. 50 g Eiweiß und 100 g Kohlenhydra-
ten pro Tag (keine Gewichtsreduktion in der Grav.; Ernährung in der
Schwangerschaft ▶ 5.3.2).
• Schonkost: Ein Großteil der früher üblichen „Schonkosten“ bei gastrointesti-
nalen Erkr. ist obsolet.
Parenterale Ernährung ▶ 2.7.
Thromboseprophylaxe
Zur Thromboseprophylaxe in der Klinik haben sich heute allg. die niedermoleku-
laren Heparine (NMH) durchgesetzt (▶ Tab. 1.1). Sie werden auch in der Schwan-
gerschaft gut vertragen und rufen nur selten NW hervor. Heparin ist nicht plazen-
tagängig. Hinweise auf teratogene oder embryotoxische Risiken liegen nicht vor.
Normale Schwangerschaft ist keine Kontraindikation. Strenge Ind.-Stellung bei
Abortus imminens. NMH geht in geringem Maße in die Muttermilch über. Ein
gerinnungshemmender Effekt auf den Säugling ist nicht wahrscheinlich. Dauer
und Dosierung der Prophylaxe richten sich nach individuellem Risiko, hereditä-
rer oder erworbener Thromboseneigung. Bei Schwangeren mit mittlerem Risiko
sollte die Anwendung von NMH 10–12 h vor der Geburt, vor Weheninduktion
1.1 Patientenaufnahme 5
Psychopharmaka, Antiepileptika
▶ 5.21.21 und ▶ 5.21.8.
Abführmittel
Der Wahl im Krankenhaus sind z. B.
6 1 Tipps für die Stationsarbeit
2–4 h.
• Laxanzien in Schwangerschaft und Stillperiode ▶ 5.21.18.
Ist die Pat. blind oder schwerhörig, Personal informieren, sich immer vor-
stellen, deutlich artikulieren.
3. Stufe
Starke Opioide
2. Stufe plus/minus
nicht-opiathaltige Analgetika
Nicht-Opioide
1. Stufe plus • Morphin (z.B. MST,
„schwache” Opioide Sevredol®)
Nicht-Opioide initial ab 10 mg austitrieren
• Tramadol (z.B. Tramal®) retardierte Dosis alle 8 h
50–100 mg/4 h • Hydromorphon (z.B.
retardiert: 100–200 mg/8 h Palladon®)
• Tilidin+Naloxon (z.B. ab 4 mg/8–12 h
• Ibuprofen (z.B. Imbun®) Valoron®) • Buprenorphin(Transtec)-
4–6 x 400 mg 50–100 mg/4 h Pflaster
• Metamizol (z.B. retardiert: 100–200 mg/8 h 35–70 ug/h, Wechsel alle
Novalgin®) • Dihydrocodein ret. (z.B. 48–72 h
4–6 x 500–1000 mg DHC®) • Buprenorphin Sublingualtbl.
• Paracetamol (z.B. PCM®) 60–180 mg/8–12 h initial ab 0,2–0,4 mg/6–8 h
4–6 x 1000 mg • Buprenorphin • Fentanyl (Durogesic)-
• Flupirtin (z.B. Katadolon®) (Transtec)-Pflaster Pflaster
3 x 100–200 mg 35–70 ug/h, Wechsel alle 25–400 ug/h, Wechsel alle
48–72 h 48–72 h
Abb. 1.1 Stufenschema der WHO für Tumorschmerz (auch anwendbar für nicht
maligne Schmerzen): Bei Akutschmerz Bedarfsmedikation rektal, i. v. oder oral.
Bei chron. Schmerz fest nach Zeitschema, Dosierungsintervalle nach Pharmakoki
netik. Applikation rektal oder oral, nur ausnahmsweise parenteral, i. m. Injektion
möglichst vermeiden [L157]
1.2 Untersuchungen
1.2.1 Allgemeine körperliche Untersuchung
Allgemeines
• Allgemein-(AZ) und Ernährungszustand (EZ): jeweils gut, reduziert oder
stark reduziert.
• Bewusstseinslage, Konzentrationsfähigkeit: Orientierung zu Raum, Zeit und
Person (Verwirrtheit ▶ 1.7.3), Kontaktfähigkeit, Körperhaltung. Diagn. und
Vorgehen bei Koma und Präkoma ▶ 3.6.
Hände
• Trommelschlägelfinger und Uhrglasnägel sprechen für chron. Hypoxämie.
• Ölfleck-, Tüpfel- und Krümelnägel bei Psoriasis.
• Braunfärbung an Endgliedern von D2 und D3 bei Raucherinnen.
• Palmarerythem (bei Lebererkr.).
• Dupuytren-Kontraktur: idiopathisch, Leberzirrhose, Alkoholismus, Epilepsie.
• Schwellungen im proximalen Interphalangealgelenk sprechen für rheumati-
sche Arthritis (meist mit Morgensteifigkeit und Ulnardeviation).
• Seitlich der distalen Interphalangealgelenke liegende Knötchen sprechen für
Arthrose (Heberden-Knötchen).
• Tremor bei chron. Alkoholismus, Hyperthyreose, Parkinsonismus, Leberaus-
fallkoma (Flapping Tremor ▶ 1.7.1, ▶ 3.6).
Thorax
Thoraxform (Fassthorax, Trichterbrust, Kyphoskoliose), Mammae und regionale
1 Lk inspizieren und palpieren (▶ 10.2.1), Lungenuntersuchung ▶ 1.2.3.
Abdomen
Inspektion
• Zeichen der Lebererkr.: „Abdominalglatze“, Venenzeichnung.
• Aufgetriebener Bauch: Faustregel zur DD „Fett, Fetus, Fäzes, Flatus (Luft),
Flüssigkeit (Aszites) und Tumor“.
• Pulsationen.
Palpation
• Im schmerzarmen Bereich beginnen. Druckschmerz, Resistenzen mit Ver-
schieblichkeit, Schmerz, Größe.
• Bauchdecken weich oder Abwehrspannung, Loslassschmerz, Bruchpforten.
• Leberpalpation: Größe, Konsistenz, Leberpulsation (Trikuspidalinsuff.),
Courvoisier-Zeichen (pralle, tastbare Gallenblase); hepatojugulärer Reflux
bei Leberpalpation, Lebermetastasen.
• Milzpalpation: wenn tastbar, bereits vergrößert, z. B. bei CML, Osteomyelo
sklerose, Speicherkrankheiten, hämolytischer Anämie, Inf.
Perkussion
• Lebergrenzen mit Kratzauskultation bestimmen.
• Klopfschall über Abdomen (tympanitisch, gedämpft).
• Ggf. Aszitesausdehnung abschätzen (Perkussion und Palpation der fortgelei-
teten Flüssigkeitswelle; Aszites).
Auskultation Darmgeräusche (DG) mit „Totenstille“ bei paralytischem Ileus
und gesteigerten, hoch gestellten, spritzenden, metallisch klingenden DG bei me-
chanischem Ileus.
Rektale Untersuchung Pat. in Linksseiten- oder Rückenlage, Beine angewinkelt.
Während Pat. presst, Zeigefinger in Handschuh oder Fingerling mit Gleitmittel
(z. B. Vaseline) unter leichter Drehung in Analkanal einführen.
1.2 Untersuchungen 9
Wirbelsäule
Angabe von Stauch- oder Klopfschmerz, Form (Kyphose, Lordose, Skoliose, Gib-
bus), Muskelverspannung, Beweglichkeit.
Extremitäten
Beweglichkeit (Spastik, Rigor, Zahnradphänomen), Gelenke (Rötung, Bewe-
gungsschmerz), trophische Störungen (z. B. Purpura jaune d‘ocre an den unteren
Extremitäten bei chron. venöser Insuff.), Temperatur und Umfang (im Seitenver-
gleich!), Ödeme, Varikosis (Gefäßerkr. ▶ 31.5).
Lymphknoten
Aurikulär, submandibulär, nuchal, zervikal, supra- und infraklavikulär, axillär,
inguinal, kubital, popliteal nach Lk tasten. Angaben über Lage, Form, Größe,
Oberfläche, Abgrenzbarkeit, Konsistenz, Verschieblichkeit, Schmerzhaftigkeit.
1.2.2 Gynäkologische Untersuchung
Vorbereitung
Untersuchung aus psychologischen, technischen und forensischen Gründen nur in
Anwesenheit einer weiblichen Hilfsperson (Krankenschwester, Arzthelferin). Vor der
Untersuchung sollte die Pat. die Blase entleeren, Urin für evtl. Diagn. zurückstellen.
Der Untersuchungsstuhl sollte mit einem Wandschirm teilweise abgedeckt sein (Dis-
kretion). Nach Entkleidung der Genitalregion (Ablegen von Slip und ggf. Hüfthalter,
erst später Entkleiden des Oberkörpers) Lagerung der Pat. auf dem Untersuchungs-
stuhl in Steinschnittlage. Schutz des Untersuchers und ggf. der Hilfsperson durch un-
durchlässige Einmalhandschuhe (bei Pat. mit Latexallergie latexfreie Handschuhe).
Inspektion
Bereits während der Anamnese auf äußere Besonderheiten achten (z. B. vermehr-
te Behaarung des Gesichts, Haaransatz am Kopf, Akne, Stimmmodulation).
10 1 Tipps für die Stationsarbeit
Abdomen Straff oder schlaff, adipös oder schlank, eingesunken oder aufgetrie-
ben, Hernien, Narben.
1 Äußeres Genitale
• Normaler und infantiler Status ▶ 18.2.
• Behaarungstypus: Begrenzung der Schambehaarung zum Nabel hin, Über-
greifen auf die Oberschenkel (Nomenklatur nach Tanner ▶ 18.3). Verminder-
te oder fehlende Behaarung.
• Weitere Virilisierungszeichen, Größe von Klitoris und kleinen Labien (▶ 17.5).
• Vulva: entzündliche Veränderungen wie Vulvitis, Bartholinitis, Kondylome,
Herpes genitalis, parasitäre Erkr. (▶ 11.3.7), Ulzera, Leukoplakien, Lichen
sclerosus (▶ 11.5), Vulvakarzinom (▶ 11.8), Narben, Verletzungen, Hämato-
me, Fehlbildungen, Bisexualität (▶ 18.7.6).
• Hymen intakt, Introitus klaffend, Hymenalatresie (▶ 18.7.1).
• Nach Spreizen der kleinen Labien lässt man die Pat. nach unten pressen: Her-
vortreten der vorderen oder hinteren Vaginalwand bei Zystozele oder Rekto-
zele, Prolaps des Uterus, Harninkontinenz (▶ 12.2).
Inneres Genitale Auswählen des Spekulums nach Introitusweite, schräges Ein-
führen des benetzten hinteren Rinnenspekulums bei 4:00 Uhr, anschließend Dre-
hung nach hinten um ca. 45°. Dann Einführen des vorderen Blattes. Selbsthalte-
spekula ebenfalls schräg einführen (schwieriger zu platzieren).
• Vaginalwände: Entzündungen, Ulzera, Tumoren (▶ 11.8, ▶ 11.9), Vaginalsep-
tum.
• Portio: Muttermundbeschaffenheit, vermehrte Absonderung, entzündliche
Reizung, Polypen, Erythroplakie, Leukoplakie, klinisches Ca (Exophyt, Ulkus,
Krater; ▶ 13.2.1).
Kolposkopie ▶ 13.2.2, Nativpräparat ▶ 12.2.3, Zytologie ▶ 13.2.3, spezielle Ab-
strichdiagn. ▶ 13.2.4, Schiller-Jodprobe ▶ 11.2.2.
Palpation
Nach Spreizen der Labien Einführen
des behandschuhten, angefeuchteten
Zeigefingers, bei ausreichend weiter
Vagina auch des Mittelfingers, mit
leichtem Druck in Richtung Damm.
Die äußere Hand liegt oberhalb der
Symphyse flach auf und drückt die
Bauchwand mit den Fingerbeeren des
2., 3. und 4. Fingers sanft gegen den zu
palpierenden Uterus bzw. gegen die
Adnexe (▶ Abb. 1.2).
• Vagina: mobil oder immobil, evtl.
Länge, Stenosen, Narbenspangen.
• Portio: Stand hoch oder tief, vorne
oder hinten, re oder li, Gestalt klo-
big oder zapfenförmig, Emmet-
Riss, Exophyt, Krater, Portioschie-
be- oder Elevationsschmerz
(▶ 14.1.1). Abb. 1.2 Bimanuelle Tastuntersuchung
zur Beurteilung der Adnexregion [L157]
1.2 Untersuchungen 11
Geburtshilfliche Untersuchung
Äußere Untersuchung ▶ 5.1.1, innere Untersuchung ▶ 5.1.2, Beckenmaße ▶ 5.1.3.
1. HT 2. HT
MÖT *
Mitralstenose
3. HT
Mitralinsuffizienz
4. HT
Aortenstenose
Aorteninsuffizienz
* = Mitralöffnungston
1.2.4 Neurologische Untersuchung
Muskeleigenreflexe
Monosynaptisch; Auslösung nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip; keine Ermü-
dung. Bahnung (d. h. erleichterte Auslösung) durch Jendrassik-Handgriff (Finger-
hakeln mit sich selbst für die Beinreflexe bzw. Aufeinanderbeißen der Zähne für
die Armreflexe).
• Ein Reflex gilt nur als fehlend, wenn die Bahnung erfolglos war.
• Funktionsstörungen der Pyramidenbahnen führen zur Steigerung, peri-
phere Nervenschädigungen zur Abschwächung der Eigenreflexe.
• Patellarsehnenreflex (PSR, L2–L4): Schlag gegen das Lig. patellae 1 cm unter-
halb der Kniescheibe → Kontraktion des M. quadriceps femoris.
• Achillessehnenreflex (ASR, S1–S2): Schlag auf die Achillessehne, am besten
bei dorsalflektiertem Fuß → Plantarflexion des Fußes. Ausfall oft als erstes
Zeichen einer Polyneuropathie oder beim Bandscheibenvorfall.
14 1 Tipps für die Stationsarbeit
Fremdreflexe
Polysynaptisch; Lebhaftigkeit ist abhängig von Reizstärke; ermüdbar.
Der Verlust der Fremdreflexe ist ein feiner Indikator für eine Pyramiden-
bahnschädigung.
Pathologische Reflexe
Segment 1–2 (S) 3–4 (L) 5–6 (C) 5–6 (C) 7–8 (C)
* Ansteigende Folge der Segmentzahlen, wenn Reflexe am Körper von unten nach
oben getestet werden
Sensibilität
Allgemein: „-algesie“ = Schmerz, „-ästhesie“ = Empfindung. Pat. soll Reize mit
geschlossenen Augen erkennen.
1.2 Untersuchungen 15
Befunde
• Schmerzen.
• Parästhesie: Missempfindung, Kribbeln, Ameisenlaufen, Brennen, Taubheits-
gefühl.
• Dysästhesie: Empfindung einer falschen Modalität, z. B. Kälte als Schmerz.
• Anästhesie: fehlende Empfindung.
• Hyperästhesie: Überempfindlichkeit.
Nervendehnungsschmerz
• Lasègue: Gestrecktes Bein aus Rückenlage senkrecht anheben. Schmerzen bei
Wurzelirritation L5–S1 oder Meningitis.
• Kernig: Pat. liegt mit im Hüft- und Kniegelenk um 90° gebeugtem Bein auf
dem Rücken. Schmerzen beim Strecken des Beins senkrecht nach oben. Hin-
weis auf Wurzelirritation L5–S1 oder Meningitis.
• Umgekehrter Lasègue: Prüfung wie Lasègue, nur in Bauchlage. Wurzelrei-
zung L3–L4.
• Brudzinski: Bei passiver Kopfbewegung nach vorn kommt es bei meningea-
ler Reizung zu einem reflektorischen Anziehen der Beine.
• Lhermitte-Nackenbeugezeichen: Ruckartiges Beugen des Kopfes nach vorn
führt zu Dysästhesien in Armen und Rücken. Bei multipler Sklerose, HWS-
Trauma und Halsmarktumoren.
esprächs mit der Pat. über die Gründe für das Begehren. Bei Kenntnis
G
einer Schadensklage sofortige Information an die Haftpflichtversicherung.
• Konfrontation mit Schuldzuweisungen an andere Ärzte: 1
Häufigste Krisensituation, denen nachbehandelnde Ärzte gegenüberstehen.
Sensibilität ist gefragt. Es empfiehlt sich, ein neutrales Verhalten zu bewah-
ren, insb. bei Kenntnis über laufende Schadensklagen.
1.3 Rezeptausstellung
Die Verschreibung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln muss enthalten:
• Name, Berufsbezeichnung und Anschrift des Arztes/Tierarztes/Zahnarztes.
• Datum der Ausstellung.
• Name und Geburtsdatum der Pat.
• Bezeichnung des Fertigarzneimittels bzw. Wirkstoffs einschl. der Stärke.
– Bei Rezepturen die Zusammensetzung, bei Teilmengen die Bezeichnung
des Fertigarzneimittels.
• Darreichungsform.
• Abzugebende Menge.
• Gebrauchsanweisung bei Rezepturen, die in der Apotheke hergestellt werden.
• Gültigkeitsdauer der Verschreibung (Privatrezepte gelten ohne Angaben
3 Mon., Kassenrezepte sollten i. d. R. innerhalb von 4 Wo. eingelöst werden).
• Eigenhändige Unterschrift des Arztes/Tierarztes/Zahnarztes.
1.3.1 Betäubungsmittelverordnung
Die Novelle der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) hat die
Rezeptur von Betäubungsmitteln erheblich vereinfacht. Der Arzt (sowie Zahn-
und Tierarzt) darf für eine Pat. an einem Tag ein Betäubungsmittel bis zu der an-
gegebenen Höchstmenge (www.gesetze-im-internet.de/btmvv_1998/__2.html)
verordnen. Im Rahmen der festgesetzten Höchstmenge darf nur der Bedarf von
bis zu 30 Tagen, je Tag nicht mehr als 1⁄10 der Höchstmenge, verschrieben werden.
In Einzelfällen kann mehr als ein Betäubungsmittel verordnet, die jeweiligen
Höchstmengen und der Bedarf über 30 Tage hinaus überschritten werden (diese
Verordnung ist innerhalb von 30 Tagen der jeweiligen Länderbehörde schriftlich
anzuzeigen). BtM-Rezepte müssen innerhalb von 1 Wo. eingelöst werden. Substi-
tutionsmittel dürfen ab dem 1.7.2002 nur noch mit der Fachkunde „Suchtmedizi-
nische Grundversorgung“ verordnet werden.
Betäubungsmittelrezept
Die dreiteiligen amtlichen BtM-Rezepte (▶ Abb. 1.6; Blatt 1 und 3 zur Vorlage bei
der Apotheke, Blatt 2 muss vom ausstellenden Arzt 3 J. aufbewahrt werden) kön-
18 1 Tipps für die Stationsarbeit
techn. Datum
Betäubungsmittelanforderungsschein
Für den Stationsbedarf dürfen weiterhin alle Betäubungsmittel ohne Höchst-
mengen von den Abteilungsleitern und ihren Vertretern auf dem Betäubungsmit-
telanforderungsschein rezeptiert werden. Der Verbleib des BtM ist auf Karteikar-
ten oder in BtM-Büchern nachzuweisen (Bezugsquelle: Bundesinstitut für Arznei-
mittel und Medizinprodukte), die vom Arzt (z. B. Stationsarzt) mindestens 1×
monatlich überprüft werden müssen. Die Unterlagen sind 3 J. aufzubewahren.
Eine Verschreibung auf einem BtM-Anforderungsschein (▶ Abb. 1.7) muss fol-
gende Angaben enthalten (§ 11 Abs. 1):
1.4 Arzneimitteleinnahme vor geplanten Operationen 19
Absender (Briefkopf)
Anschrift
Testfrau, Kerstin, geb. 1.9.1962, Mühlenstr. 20, 79104 Freiburg
Absender (Briefkopf) 1
Anschrift
1.5.4 Poststationäre Angebote
• Gemeindeschwester und ambulante Krankenpflegeeinrichtungen: besucht die
Pat. für Verbandswechsel, Insulinspritze, Stoma- oder Ulkuspflege. Kosten
werden bei medizinischer Notwendigkeit i. d. R. von den Krankenkassen
übernommen.
• Essen auf Rädern: bietet auch Diäten an (z. B. Diabetes-Diät, cholesterinarme
Diät).
• Heimkrankenpflege.
• Wohlfahrtsverbände (Diakon. Werk, Caritas, Malteser Hilfswerk, ASB u. a.)
bieten in „Pflegestationen“ Hilfsmittel an (verstellbares Bett, Toilettenstuhl,
Rollstuhl).
• Sozialpsychiatrischer Dienst übernimmt Nachsorge z. B. bei Drogenabhän-
gigkeit oder psychotischen Erkr. Kann bei Rückfall-, Suizidgefährdung oder
erneutem Psychoseschub die Klinikeinweisung veranlassen.
• Selbsthilfegruppen bieten der Pat. die Möglichkeit der Konfliktbearbeitung.
• Tumorzentren: „Brückenschwestern“ v. a. übernehmen z. B. die Heimkran-
kenpflege schwerst tumorkranker Pat., evtl. Aufnahme im Hospiz.
24 1 Tipps für die Stationsarbeit
Der Tod einer Pat. darf nicht mit ärztlichem Versagen gleichgesetzt werden.
Liegt eine Pat. im Sterben, sollte der Arzt folgende Fragen prüfen:
• Können Sorgen der Pat. erleichtert werden (z. B. der Wunsch, ein Testament
zu schreiben, ihre Kinder noch einmal zu sehen, zu Hause zu sterben)?
• Ist die Pat. schmerzfrei?
• Können für die Pat. quälende Diagn. und Therapieformen (Bestrahlung, Che-
mother., parenterale Ernährung, Blutentnahmen) abgesetzt werden?
• Ist ggf. dafür gesorgt, dass keine Reanimation vorgenommen wird (Hinweis
an den diensthabenden Arzt, ggf. schriftliche Festlegung in der Krankenakte
oder am Bett)?
• Sind die Angehörigen und ggf. der Hausarzt informiert?
• Hat die Pat. noch Fragen, oder wünscht sie Beistand durch einen Seelsorger?
• Ist alles getan, dass die Pat. in Ruhe (Einzelzimmer) und würdevoll sterben kann?
Diagnosekriterien des klinischen Todes
• Pulslosigkeit, Atemstillstand, Bewusstlosigkeit, weite reaktionslose Pupil-
len.
• Sichere Todeszeichen: Totenflecken (nach 0–4 h, rotviolette Flecken v. a.
in abhängigen Körperpartien, die nach spätestens 24 h nicht mehr weg-
drückbar sind), Leichenstarre (nach 2–6 h, schreitet vom Kopf zur Peri-
pherie hin fort und löst sich nach 2–3 Tagen).
1.6.2 Totenbescheinigung (Leichenschauschein)
Landesrechtliches Dokument, das von dem Arzt ausgefüllt wird, der die Leichen-
schau (möglichst innerhalb von 24 h nach dem Tod) vornimmt. Es besteht meist
aus einem offenen Teil für amtliche Zwecke und einem vertraulichen mit medizi-
nischen Angaben zur Todesursache (Grundlage der amtlichen Todesursachensta-
tistik). Eingetragen werden müssen:
• Personalien der Toten, Todesfeststellung, Todeszeitpunkt.
• Todesart (erfordert Kenntnisse der Vorgeschichte):
1.6 Sterben und Tod einer Patientin 25
1.6.3 Totgeburt
Ist ein Kind tot geboren oder unter der Geburt verstorben, muss dies spätestens
am folgenden Werktag dem Standesamt mitgeteilt werden (§ 24 Personenstands-
gesetz).
• Totgeburt: Unmittelbar p. p. hat weder das Herz geschlagen, noch die Nabel-
schnur pulsiert, noch die natürliche Lungenatmung eingesetzt, und das Ge-
wicht des Neugeborenen (NG) beträgt mind. 500 g. Es erfolgt eine standes-
amtliche Registrierung. Bis zu einem Gewicht von 1.000 g besteht nicht in al-
len Bundesländern Bestattungspflicht.
• Lebendgeburt: Hat sich auch nur eines der genannten Lebensmerkmale ge-
zeigt, gilt das Kind nicht als tot geboren, sondern als Lebendgeborenes, auch
wenn sein Gewicht unter 500 g liegt. Auch hier erfolgt die standesamtliche
Registrierung.
• Fehlgeburt: Wenn sich keines der genannten Lebensmerkmale gezeigt hat
und das Gewicht des Embryos oder Fetus unter 500 g liegt, besteht eine Fehl-
geburt. Sie wird in den Personenstandsbüchern nicht beurkundet. Eine Be-
stattung von Fehlgeburten ist in den meisten Bundesländern nicht vorgese-
hen, dennoch möglich (Bestattungsanspruch). Für die Bestattung reicht eine
formlose ärztliche Bescheinigung zur Vorlage beim Friedhofsamt, eine To-
desbescheinigung ist nicht erforderlich. Werden fehlgeborene Kinder nicht
bestattet, dann sind Kliniken verpflichtet, für die „hygienisch einwandfreie
und dem sittlichen Empfinden entsprechende Beseitigung“ zu sorgen (Besei-
tigungspflicht). Viele Kliniken organisieren hierzu anonyme Sammelbestat-
tungen.
Für tot geborene Kinder < 500 g sowie für Fehlgeburten besteht ein Bestat-
tungsrecht, ab einem Gewicht > 500 g bzw. 1.000 g sowie für alle Lebendge-
borenen besteht Bestattungspflicht. Die Bestattungskosten müssen die El-
tern tragen.
1.6.4 Obduktion
Eine Obduktion erfolgt i. d. R. nach Einwilligung der Angehörigen, evtl. auch nach
Ablauf einer 24-h-Frist, innerhalb der die Angehörigen Einspruch erheben kön-
nen. Näheres regelt der Krankenhausbehandlungsvertrag zwischen Pat. und
26 1 Tipps für die Stationsarbeit
1.7 Die Problempatientin
1.7.1 Alkoholabhängigkeit und Entzugsdelir
Alkoholiker ist, wer länger als 1 J. große Mengen Alkohol konsumiert, die
Kontrolle über den Alkoholkonsum verloren hat und dadurch körperlich,
psychisch und in seiner sozialen Stellung geschädigt ist.
Das Anerkennen der Diagn. durch die Pat. ist Voraussetzung für eine erfolg-
reiche Behandlung. Daher ist bei gesicherter Diagn. eine offene Aussprache
notwendig. Auch dem Arzt muss dabei klar sein: „Weniger trinken“ kann
nicht funktionieren!
Klinik
Alkoholfötor, verschlechterte Konzentrationsfähigkeit, Störung der motori-
schen Koordination, übersteigertes Selbstbewusstsein, verlangsamte Reaktions-
zeit, Amnesie. Periphere Gefäßerweiterung (gerötetes Gesicht), erhöhte Wär-
meabgabe, gehemmte Thermoregulation mit Folge der Unterkühlung. Erbre-
chen, Polyurie (gehemmte ADH-Sekretion). Hypoglykämie, Azidose. Bewusst-
losigkeit, Areflexie, Atemdepression, RR-Abfall. Cave: Auf Begleiterkr. (s. u.)
achten!
Initialtherapie
• Stabile Seitenlage, bei Bewusstlosigkeit Intubation und Beatmung.
• Schockbehandlung (▶ 3.5).
• Thiamin (Vit. B1) 100 mg/d i. v. vor Glukosegabe.
• Glukose 20 % 50 ml i. v. bei V. a. Hypoglykämie (häufig!).
• Glukose 5 % oder 10 % 500 ml i. v. bei Volumenmangel.
• Natriumbikarbonat 8,4 % (ml Lsg. = neg. BE × kg KG × 0,3) bei Azidose.
! An andere Komaursachen denken, z. B. Meningitis bei alkoholinduzierter
Abwehrschwäche, Drogenintoxikation, SHT, zerebrale Blutung, Apoplex,
thyreotoxische Krise, diabetisches Koma, akute oder chron. Leberinsuff.
1.7 Die Problempatientin 27
Weiterbehandlung
Sedativa
Indikation Unruhe und Angst. 1
Dosierung Clorazepat 25–100 mg/d i. v. (z. B. Tranxilium®) oder Diazepam
2–6 × 10 mg i. v. (z. B. Valium®). Dosisanpassung nach Wirkung.
Haloperidol
Indikation Psychotische Symptome (Angst, Halluzinationen, Wahn).
Dosierung 5 mg langsam i. v. (z. B. 1 Amp. Haldol®), Dosisanpassung nach Wir-
kung, max. 40 mg/d.
Clomethiazol (Distraneurin®)
Dosierung Initial 4–5 × 1–2 Kps. (= 192–384 mg) Distraneurin® bzw. 4–6 ×
5–10 ml (= 157,5–315 mg) Distraneurin® Mixtur tägl. oder Distraneurin® 0,8 %
500–1.500 ml/d i. v. Intensivüberwachung obligat.
Nebenwirkungen Atemdepression, Bronchospasmus, gesteigerte Bronchialse-
kretion (evtl. Atropin 1–2 × 0,25 mg/d).
Kontraindikationen Pneumonie, Thoraxverletzung, respiratorische Insuff.
Vermeidbare Fehler
• Alkoholgabe ist obsolet.
• Fehlende Überwachung einer desorientierten Pat.
• Distraneurinüberdosierung. Erschwerte Verlaufsbeobachtung durch zu
hohe Dosierung.
28 1 Tipps für die Stationsarbeit
Alkoholassoziierte Erkrankungen
• GIT: chron. Gastroduodenitis, chron. rezid. Pankreatitis, Alkoholhepatitis
1 • (Fieber, Ikterus, Erbrechen), Fettleber, Leberzirrhose.
ZNS: hirnorganisches Psychosy., akute Psychose, Korsakow-Sy. (Störung des
Kurzzeitgedächtnisses, Desorientiertheit, Konfabulation), Wernicke-Enzepha-
lopathie (zerebelläre Ataxie, Augenmuskellähmung, Areflexie, Bewusstseins-
störungen), zerebrale Krampfanfälle (v. a. im Alkoholentzug), Polyneuropathie.
• Blut: makrozytäre Anämie (MCV oft > 100 nl). γ-GT ist bei chron. Alkohol
abusus meist erhöht → empfindlichster Laborparameter!
• Herz: oft dilatative Kardiomyopathie, Arrhythmien.
• Stoffwechsel: Diab. mell., Neigung zu Hypoglykämien.
Alkoholentzugsdelir
• Prädelir: dauert Tage bis Wochen. Pat. zeitlich und örtlich meist orientiert,
keine illusionären Verkennungen, Tremor der Hände v. a. morgens, quälende
Unruhe, zunehmende Reizbarkeit, Schweißausbrüche, Erbrechen (Gastritis).
• Delir: dauert Tage; Beginn akut, meist nachts:
– Psychotische Symptome: örtliche und zeitliche Desorientierung, szenen-
hafte visuelle Halluzinationen („kleine Tiere“), hochgradige psychomoto-
rische Unruhe, nestelnde, fahrige Bewegungen, grobschlägiger Tremor,
Schlaflosigkeit, erhaltene autopsychische Orientiertheit, Mischung von
Angst und Euphorie.
– Körperlicher Befund: Körpertemperatur ↑, profuse Schweißausbrüche,
Exsikkose, Erbrechen, Diarrhö, Tachypnoe, Tachykardie, Hypotonie, epi-
leptiforme Anfälle mit Zungenbiss, Ataxie, Gleichgewichtsstörungen.
1.8 Meldepflichtige Infektionskrankheiten
1.8.1 Deutschland
Die aktuellen Vorgaben für die Meldepflicht können beim Robert Koch-Institut
(www.rki.de) abgefragt werden. Oft meldet bereits das Labor.
30 1 Tipps für die Stationsarbeit
1.8.2 Österreich
1.8.3 Schweiz
Meldepflicht für Ärzte
• Innerhalb von 1 Tag: Anthrax, Pocken, Diphtherie, SARS, Epiglottitis, Tular-
ämie, Meningokokkenerkr., hämorrhagisches Fieber, Botulismus, Gelbfieber,
Poliomyelitis, Tollwut.
• Innerhalb von 1 Woche: AIDS, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Malaria, Ma-
sern.
Meldepflicht für Labors
• Innerhalb von 1 Tag: Bacillus anthracis, Clostridium botulinum, Corynebac-
terium diphtheriae, Francisella tularensis, Haemophilus influenzae, hämor-
rhagische Fieberviren.
• Innerhalb von 1 Wo.: Campylobacter, Mycobacterium tuberculosis, Chlamy-
dia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, enterohämorrhagische E. coli, Plas-
1.9 Multiresistente Erreger (MRE) 31
MRSA
Aufgrund der besonderen klinischen und epidemiologischen Relevanz müssen
entsprechende Daten monatlich gesondert erfasst werden → eindeutige Zuord-
nung der Zahl der betroffenen Pat. pro Einrichtungseinheit (z. B. Station). Ne-
ben dem unkritischen Einsatz von Antibiotika gelten insuffiziente prophylak-
tische Hygienemaßnahmen und unzureichende Schulung des medizinischen
Personals mit als Grund für den starken Anstieg der MRE-Besiedlung in Kran-
kenhäusern sowie in Alten- und Pflegeheimen. MRE-Inf. verlängern die Ver-
weildauer von Pat. und erhöhen deren Morbidität und Mortalität (ca.
19.000 Todesfälle in den USA jährlich). Ab dem 1.1.2011 gilt z. B. in Baden-
Württemberg eine neue Hygieneverordnung für Kliniken, Vorsorge- und Re-
habilitationseinrichtungen, um die Anzahl der Klinikinf. einzudämmen und
um eine landeseinheitliche Grundlage für die Infektionsprävention zu schaf-
fen.
Eigenschaften
• Im Vergleich zu anderen Bakterienarten unempfindlich gegen Austrocknung,
können auf trockenen Oberflächen/Gegenständen lange überleben.
32 1 Tipps für die Stationsarbeit
Klinik
• Wichtigster Erreger nosokomialer Inf.: schwere Wundinf., Pneumonien und
Septitiden.
• Zunehmend ambulant erworbene sog. cMRSA: multiple Hautabszesse, ne
krotisierende Pneumonie, nekrotisierende Fasziitis.
Diagnostik
• Erregernachweis z. B. im Trachealsekret, Wundabstrich, Katheterspitze.
• Nachweis bei Personal zunächst im Nasenabstrich; ist dieser pos., Hautab-
klatsch. Ist auch dieser pos. → kein Pat.-Kontakt, Sanierung. Wird MSSA
(methicillinsensibler Staph. aur.) nachgewiesen (10–20 % der Bevölkerung),
keine Ther. notwendig.
Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt Screeningabstriche:
• Bei Pat. mit chron. Pflegebedürftigkeit, liegenden Kathetern, chron. Wunden
etc.
• Beim Krankenhauspersonal bei gehäuftem Nachweis von MRSA bei mehr als
zwei Pat. bei räumlichem und zeitlichem Zusammenhang und bei nachgewie-
sener klonaler Identität des MRSA.
Therapie
• Kolonisation: MRSA-Nachweis ohne Inf. → Isolierung, keine Antibiose, Ver-
such der Sanierung mit lokalen Desinfizienzien, z. B. Waschen mit Chlorhe-
xidinseife, Gurgeln (Chlorhexidin). Mupirocin intranasal (z. B. Turixin®-
Salbe).
• Isolierung: im Einzelzimmer oder Kohortenisolierung; Schutzkittel, Hand-
schuhe und eine chirurgische Maske bei allen Tätigkeiten am Pat. Besucher
benötigen routinemäßig keine Schutzkittel (sorgfältige Händedesinfektion ist
i. d. R. ausreichend: vor und nach dem Pat.-Kontakt und nach Verlassen des
Pat.-Zimmers). Pflegeutensilien patientenbezogen einsetzen, im Zimmer be-
lassen. Andere Kliniken oder Pflegeheime informieren (z. B. vor Verlegung).
Pat. möglichst nicht transportieren. Alle Kontaktpersonen (möglichst wenige,
aber Pat. nicht zusätzlich sozial isolieren!), auch Reinigungsdienst, Kranken-
gymnasten, Angehörige informieren und aufklären! Entsorgung von Abfällen
und Wäsche im Zimmer oder in der Schleuse in Spezialbehältern. Bei Verle-
gung oder Entlassung Scheuerwisch-Desinfektion.
• Infektion: antibakterielle Ther. Reserveantibiotika wie Vancomycin und
Daptomycin, Tigecyclin oder Quinupristin/Dalfopristin (auch gegen vanco-
mycinresistente Staph. aur. wirksam). Tigecyclin und Daptomycin gelten ne-
ben Vancomycin als Mittel der Wahl.
1.10 Prophylaxe nach beruflicher HIV- oder Hepatitis-Exposition 33
• Wegen hoher Persistenz von MRSA ist ein früher MRSA-pos. Pat. bei
Wiederaufnahme bis zum Beweis des Gegenteils weiterhin als koloni-
siert anzusehen. 1
• Keine Antibiose bei bloßer Kolonisation ohne Inf., eine Sanierung ist
fast nie zu erreichen.
• Regelmäßige Schulung des Personals.
Ausnahme, falls Indexpat. AIDS oder eine hohe HI-Viruskonz. hat Empfehlen
Kontakt von intakter Haut mit Blut (auch bei hoher Viruskonz.) Nicht empfehlen
Standardprophylaxe
• Medikamente:
– Truvada® (Viread®, Tenofovir 300 mg + Emtriva®, Emtricitabin
200 mg) oder
– Combivir® (Retrovir®, AZT 2 × 300 mg + Epivir®, Lamivudin 2 ×
150 mg) und
– Kaletra Tbl.® (Lopinavir/r, 2 × 400/100 mg) oder
– Sustiva® (Efavirenz 600 mg).
• Vorgehensweise:
– Beginn der HIV-Prophylaxe möglichst schnell.
– Dauer der HIV-Prophylaxe 4 Wo.
– Die besten Ergebnisse sind bei einem Prophylaxebeginn innerhalb von
24 h, besser noch innerhalb von 2 h zu erwarten. Liegen bereits mehr
als 72 h zwischen der Exposition und dem möglichen Prophylaxebe-
ginn, so kann nach derzeitigem Kenntnisstand eine Prophylaxe nicht
mehr empfohlen werden
Impfung > 100 IE/l) und die letzte Impfung weniger als 10 J. zurückliegt, keine
spezielle Maßnahmen erforderlich.
Falls die erfolgreiche Grundimmunisierung mehr als 10 J. zurückliegt, sind eben-
falls keine speziellen Maßnahmen bzgl. Hepatitis B erforderlich, wenn:
1
a. ein aktueller Anti-HBs-Titer von > 100 IE/l vorliegt oder
b. bei der letzten betriebsärztlichen Untersuchung (die nicht länger als 3 J.
zurückliegt) ein ausreichender Schutz gegen Hepatitis B festgestellt wurde.
Wenn weder a) noch b) zutrifft, sofortige Bestimmung des Anti-HBs-Titers. Wei-
teres Vorgehen je nach aktuellem Anti-HBs-Titer: bei Anti-HBs-Titer > 100 IE/l
keine speziellen Maßnahmen bzgl. Hepatitis B erforderlich, bei Anti-HBs-Titern
< 100 IE/l Booster-Impfung mit Aktiv-Impfstoff.
1.10.3 Hepatitis C
Gegen Hepatitis C gibt es keine Impfung. Der Betroffene sollte jeweils 2–4, 12
und 24 Wo. nach Exposition untersucht werden (Serostatus bzw. HCV-RNA-
Test). Bei Nachweis einer akuten Inf. sollte bei Anstieg der Transaminasen und
bei Nachweis von Anti-HCV-Ak eine Interferon-Monother. zur Vermeidung ei-
ner Chronifizierung eingeleitet werden.
1.11 Abrechnungsmodalitäten
1.11.1 Wichtigste gynäkologisch-geburtshilfliche ICD-10-Ziffern
Abszess N61
Agalaktie O92.3
Fibroadenose N60.2
Fibroadenom D24
Galaktorrhö O92.6
Gynäkomastie N62
Mammahypoplasie Q83.8
Mammakarzinom C50.9
• In situ: DCIS (duktales Karzinom in situ) D05.1
• In situ: CLIS (lobuläres Karzinom in situ) D05.9
Thoraxwandrezidiv C79.88
Mastitis N61
• Puerperalis O91.20
Mastodynie N64.4
Mastopathie N64.9
Metastasen C79.8
• Gehirn C79.3
• Knochen C79.5
• Leber C78.7
• Lymphknoten C77
• Lunge C78.0
• Pleurakarzinose C78.2
• Peritonealkarzinose C78.6
Milchstau O92.7
Uterus
Totalprolaps N81.3
Redeszensus N99.3
Enterozele N81.5
1.11 Abrechnungsmodalitäten 37
Harninkontinenz N39.3
• Stress N39.42
• Drang
Harnverhalt R33
Myom D21.9
Stuhlinkontinenz R15
Corpus uteri
Endometritis
• N. n. bez. N71.9
• Chron. N71.1
• Akut N71.0
• Endometritis puerperalis O85
Endomyometritis N71.9
Endometrium-Ca C54.1
• In situ D07.0
Hämatometra N85.7
Lochiometra O90.8
Pyometra N71.9
Korpus-Ca N84.8
Korpuspolyp N84.0
Myometritis N71.9
38 1 Tipps für die Stationsarbeit
Cervix uteri
Ca in situ D06.
Dysplasie N87.9
Ektopie N88.9
Leukoplakie N88.0
Striktur/Stenose N88.2
Zervix-(Kollum-)Ca C53.0
• In situ D06.
Zervixverschlussinsuffizienz O34.9
Zervizitis
• Akut, chron., nicht venerisch N72
• Senil, atroph N72
• Gonokokken N54.0
• Chlamydien A56.0
• Herpes A60.0
• Trichomonaden A59.0
Zervixpolyp N84.1
Bartholini-Zyste N75.0
Hymenalatresie Q52.3
1.11 Abrechnungsmodalitäten 39
Kolpitis
• Akut N76.0
• Chron. N76.1
• Candida B37.3
• Chlamydien A56.0
• Herpes A60.0
• Trichomonaden A59.0
Kondylom A63.0
Vaginal-Ca C52
• In situ D07.2
Vaginalpolyp N84.2
Vulva-Ca C51.9
• In situ D07.1
Vulvatumor D39.7
Vulvazyste N90.7
Vulvitis N76.2
• Condylomata ac. A63.0
• Kandidose B37.3
• Trichomonaden A59.0
Adnexe
Endometriose N80.9
Zystadenom D36.9
Pyovar N70.9
Sterilität N97.9
Tubenkarzinom C57.0
• In situ D07.3
Tuboovarialabszess N70.9
Verwachsungen (Adhäsionen)
• Bei Frauen im Becken N73.6
• Nach med. Maßnahmen bzw. postop. in Becken, Peritoneum N99.4
• Peritoneum, Darm K66.0
• Periovariell, tuboovariell N73.6
• Uterus (zur Beckenwand) N73.6
• Uterus (im Inneren) N85.6
• Zervix N88.1
Sterilisationswunsch Z30.2
Fehlgeburt
Blasenmole O01.9
Extrauteringrav. O00.9
Interruptio O04.-
Komplikation
• Nach Abort O06.8
• Im Anschluss an A. imminens O03.-
Tubarabort O00.1
Risikograv. Z35.–
1.11 Abrechnungsmodalitäten 41
Beckenendlage
• Als KO O32.1
• Als Hindernis O64.1
Beckenringlockerung M53.28
Diabetes in grav.
• Vor Grav. bestehend O24.3
• Gestationsbedingt O24.4
EPH-Gestose O14.9
• Albuminurie O12.1
• Mit Hypertonus (= Präeklampsie) O14.9
• Mit Ödem O12.2
Extrauteringrav. O00.9
• Tubar O00.1
• Abdominell O00.0
• Ovariell O00.2
Geburtsstillstand O75.9
HELLP-Syndrom O14.2
Hyperemesis O21.1
• Schwer O21.0
• Leicht
Hirnblutung des NG P52.9
Beckenendlage
• Als KO O64.1
• Entbindung aus O83.1
Querlage
• Als KO O32.2
• Als Hindernis O64.8
Gesichts-/Stirnlage
• Als KO O32.3
• Als Geburtshindernis O64.3
Lochiometra/Lochialstau O90.8
Mehrlingsgrav. O30.9
• Zwillingsschwangerschaft O30.0
• Drillingsschwangerschaft O30.1
Nabelschnurkomplikation O69.9
Nabelschnurvorfall O69.0
Nabelschnurumschlingung O69.1
Oligohydramnie O41.0
Ovarialvenenthrombose N94.8
Plazentainsuffizienz O36.5
Placenta praevia
• Mit Blutung O44.1
• Ohne Blutung O44.0
Polyhydramnie O40
Wochenbettkomplikationen O90.9
1.11 Abrechnungsmodalitäten 43
Querlage
• Als KO O32.2
• Als Hindernis O64.4
Schulterdystokie
• Geburtshindernis durch großen Feten O66.2
• Geburtshindernis durch Lageanomalie O64.9
Übertragung O48
Wachstumsrestriktion P05.9
Wehenschwäche
• Prim. O62.0
• Sek. O62.1
• N. n. bez. O62.2
Wochenbettdepression F53.0
Wochenbettpsychose F53.1
Blutungsstörungen
Amenorrhö N91.2
Dysmenorrhö N94.6
Hypo-/Oligomenorrhö N91.5
Menometrorrhagie N92.1
Menorrhagie N92.0
Metrorrhagie N92.1
Hypermenorrhö N92.0
44 1 Tipps für die Stationsarbeit
Polymenorrhö N92.0
Postmenopausenblutung N95.0
Menstruationsstörung N92.6
Menstruationsbeschwerden N94.9
Genitale Infektionen
Amnioninfektionssy. O41.1
Gonorrhö A54.9
Harnwegsinfekt N39.0
Kolpitis
• Akut N76.0
• Chron. N76.1
• Candida B37.3
• Chlamydien A56.0
• Herpes A60.0
• Trichomonaden A59.0
Lues A53.9
Puerperalfieber O85
Sepsis A41.9
Toxoplasmose B58.9
• Der Mutter mit Schädigung des Feten P00.2
Infertilität
Sterilität N97.9
• Ovarielle Sterilität E28.9
• Tubare Sterilität N97.1
• Uterine Sterilität N97.2
• Verwachsungssitus N73.6
• Zervikale Sterilität N97.3
• Asthenospermie R86.9
• OAT-Sy. N46
• Faktoren des Partners N97.4
• Angeborene Uterusanomalie N97.2
Überstimulationssy. N98.1
Sterilisation Z30.2
1.11 Abrechnungsmodalitäten 45
Asthma bronchiale
• Allergisch o. n. A. J45.0
• Nichtallergisch J45.1
Bronchopneumonie J18.0
Cholezystolithiasis K80.2
Digitalisintoxikation T46.0
Extrasystolie I49.4
Gastritis K29.7
Gastroenteritis
• Nichtinfektiös K52.9
• Infektiös A09.9
Hämorrhoidalvenenthrombose/Analvenenthrombose I84.3
Herzinsuff. I50.9
Herzrhythmusstörungen I49.9
Hirnblutung I61.9
Hyperthyreose E05.9
Hypothyreose E03.9
Hypotonie I95.9
Kolon-Ca C18.9
Kreislaufbeschwerden I99
Kreislaufkollaps R57.9
Lungenembolie I26.9
Nikotinabusus F17.1
Pneumonie
• Viral J12.9
• Bakteriell J15.9
• Broncho- J18.0
• Lobär- J18.1
Pneumothorax J93.9
Pyelonephritis N12
Rektum-Ca C20
Sigmadivertikulitis K57.32
Sigmadivertikel K57.30
Struma E04.9
Subarachnoidalblutung I60.9
Thrombophlebitis I80.9
Thrombophlebitis im Wochenbett
• Tiefe O87.1
• Oberflächliche O87.0
Vorhofflimmern I48
Varikosis I I83.9
Sonstige
Abdominalschmerz R10.4
Adipositas E66.9
• Lokalisiert (z. B. Fettschürze) E65
Alkoholabusus F10.1
Anämie D64.9
Angstneurose F41.1
Bauchdeckenabszess L02.2
Behinderung
• Geistige F79.9
• Körperliche R62.8
Blasenentleerungsstörung R39.1
Depression F32.9
Dyspareunie N94.1
Empfängnisregelung Z30.9
Epilepsie G40.9
Erschöpfungsreaktion F32.9
• Durch Gravidität O26.88
Erysipel A46
Grand-Mal-Anfall G40.6
Hirnblutung I61.9
Ileus
• Paralytisch K56.0
• Mechanisch K56.6
• Subileus K56.7
Karzinophobie F45.2
Kontrazeption Z30.0
• Kontrolle IUP Z30.1
• Disloziertes IUP T83.3
• Definitive Kontrazeption Z30.9
Leistenhernie K40.9
Lumboischialgie M54.4
48 1 Tipps für die Stationsarbeit
Migräne G43.9
Mobbing Z56
Nachblutung T81.0
Pelveoperitonitis N73.5
Psychose F29
Schlafstörung G47.9
Tumornachsorge Z09.9
Tumorschmerzen R52.1
Wundheilungsstörung T79.9
Internistische Begleiterkrankungen
B60.8 Protozoenerkr. 2 2
Onkologie
Neurologisch/Psychiatrische Begleiterkrankungen
OP/Post-OP
M62.9 Muskeldiastase 2 2
Gynäkologie allg.
N76.4w Vulvaabszess 2 2
Abort
Schwangerschaft
O14.2w HELLP-Syndrom 2 2
O85w Puerperalfieber 2 2
O88.1w FW-Embolie 2 2
Neugeborenes
Sterile Tupfer aus Packungen mit 2–6 Stück oder Steriltrommeln entneh-
men. Sterilisierte = „einfache“ Tupfer befinden sich in Spendern.
EDTA Hämatologie
KO: Hämolyse durch zu schnelles Aspirieren des Bluts oder Einspritzen des
Bluts in die Röhrchen ohne vorherige Entfernung der Kanüle. Gerinnung bei
langwieriger Venenpunktion.
2.2 Diagnostische und therapeutische Punktionen 57
Durchfluss ml/Min.
Material 2–3 Braunülen verschiedener Größe (Standard beim Erw. für wässrige
Infusionen 17 G/Gelb oder 18 G/Grün), Pflasterverband, ggf. Lokalanästhetikum
mit 25-G-Kanüle und 2-ml-Spritze, bei gleichzeitiger Blutabnahme 20-ml-Spritze
und Blutröhrchen, 5 ml physiologische NaCl-Heparin-Lsg. zum Durchspülen der
Braunüle, Verschluss mit Stöpsel oder Mandrin, unsterile Latexhandschuhe.
Durchführung ▶ Abb. 2.1. Desinfektion Kategorie II (▶ 2.1), Handschuhe anzie-
hen. LA bei empfindlichen Pat. und großen Braunülen (> 17 G). Dabei genügen
0,1 ml 1-prozentiges Lidocain, was die Haut bei i. c. Applikation nur weißlich er-
scheinen lässt und keine Quaddel bildet. Vene stauen, möglichst proximal einer
Y-Vereinigung. Haut fixieren. Im 1. Schritt (▶ Abb. 2.1 li) Haut rasch durchste-
chen (ca. 45° zur Hautoberfläche) und Vene flach punktieren. Wenn Blut am
transparenten Kanülenansatz einströmt, Braunüle ca. 5 mm im Venenlumen vor-
schieben, Punktionsnadel zurückziehen und gleichzeitig Plastikkanüle vorschie-
ben (▶ Abb. 2.1 re); Stauschlauch lösen; Nadel entfernen, dabei mit einem Finger
die Vene proximal der Kanülenspitze abdrücken, Braunüle mit Stopfen oder
Mandrin verschließen. Fixieren und ggf. regelmäßig durchspülen.
Komplikationen
• Vene „platzt“: evtl. zu steil punktiert und Hinterwand durchstochen oder
„bindegewebsschwache“ Gefäße (z. B. nach Glukokortikoiden). Hilfe: So-
fort nach Punktion Stauschlauch lösen oder Punktionsversuch ohne Stau-
ung.
• Schmerzhafte Punktion: Hautpunktion zu flach oder Punktion durch „Desin-
fektionsmittelpfütze“.
• „Paralaufen“ der Infusion oder Thrombophlebitis: Braunüle entfernen! Je-
2 de an der Punktionsstelle dolente Braunüle sofort entfernen: „Die Pat. hat
immer Recht, auch wenn man nichts sieht“. Je nach Schwere der Reizung
Arm hochlagern und ruhigstellen, Alkoholumschläge, ggf. Heparinsalbe,
lokal oder systemisch Antiphlogistika, evtl. niedermolekulares Heparin
(▶ 1.1.3).
• Hindernis: Kunststoffkanüle lässt sich nicht vorschieben, obwohl sie im Lu-
men liegt, z. B. bei störenden Venenklappen. Mit NaCl durchspülen und
gleichzeitig vorschieben.
2.2.2 Pleurapunktion
Indikationen Diagn. oder ther. Punktion eines Ergusses, Zytostatika-Instillati-
on, Pleuraempyem, Pneumothorax.
Kontraindikation Blutungsanomalien (z. B. Hämophilie, Marcumar®-Ther.).
Material Entweder Punktions-Set mit Rotanda-Spritze oder 50-ml-Spritze mit
Dreiwegehahn und sterilen Verbindungsschläuchen, 2 Punktionskanülen (z. B.
Abbocath®) 16 G – Grau oder 17 G – Gelb, vorzugsweise ventilgesichert (z. B. Fre-
kasafe®). 10 ml Lidocain 1 % mit 1 Kanüle (z. B. 21 G – Grün). 4–5 Proberöhrchen,
Blutkulturflaschen (aerob/anaerob), großes Gefäß. 2 Paar sterile Handschuhe,
Desinfektions-Lsg., braunes Pflaster, sterile Tupfer.
Komplikationen Pneumothorax, Hämatothorax, Inf., Verletzung der Interkos-
talgefäße, Lungenödem (e vacuo) bei zu schneller Punktion durch Unterdruck,
Verletzung intraabdomineller Organe.
Durchführung
• Evtl. Prämedikation mit Antitussivum, z. B. Paracetamol 1 g p. o. und Codein
50 mg p. o.
• Pat. mit angehobenem Arm bequem sitzend platzieren (Pat. im Bett: Arm auf
Nachttisch mit Kissen. Pat. auf Stuhl: Arm auf Stuhllehne oder Pat. Hand auf
die Schulter der Gegenseite legen lassen ▶ Abb. 2.2).
• Pleuraerguss perkutieren, auskultieren und mit dem Rö-Bild vergleichen.
Markierung der Punktionsstelle dorsolateral in der hinteren Axillarlinie oder
Skapularlinie im ICR unterhalb des Ergussdämpfungsrands, aber nicht tiefer
als 6.–7. ICR (cave: Leber und Milz). Evtl. Sonokontrolle. Hautdesinfektion
Kategorie II (▶ 2.1).
• Zunächst mit 1-prozentigem Lidocain am „Oberrand der Unterrippe“ LA-
Depot setzen. Dann tiefer liegendes Gewebe bis auf die Pleura parietalis infil
trieren. Durch Probepunktion die notwendige Eindringtiefe für die Punkti-
onskanüle erkunden.
2.2 Diagnostische und therapeutische Punktionen 59
Für die Gewinnung von geringen Mengen Pleuraflüssigkeit (z. B. für Zytolo-
gie) genügt Punktion mit einer 20-ml-Spritze mit aufgesetzter Kanüle (21 G/
Grün).
2.2.3 Peritonealpunktion (Aszitespunktion)
Indikationen Bakteriologische, zytologische und enzymatische Aszitesdiagn.,
Entlastungspunktion bei massivem Aszites, Drainage bei Peritonitis oder Abszess.
Kontraindikationen Große Ovarialzysten, Hydronephrose, Schwangerschaft.
Vorsicht bei hämorrhagischer Diathese, Cumarinther. und hepatischem Präko-
ma.
Punktionsorte Übergang vom äußeren zum mittleren Drittel der Linie vom Na-
bel zur Spina iliaca ant. sup. li (weniger Verwachsungen) oder re sowie in der
Medianlinie zwischen Nabel und Symphyse. Epigastrische Gefäße beachten
(▶ Abb. 2.3).
60 2 Ärztliche Arbeitstechniken
2
A. epigastrica
inferior
Blase
2.2.4 Zystoskopie
Indikationen V. a. Genitalkarzinom zum Ausschluss einer Blaseninfiltration, bei
Hämaturie und bei Nierenaufstau, Urge-Inkontinenz etc.
Durchführung
• Zystoskop bereitlegen und Funktion prüfen (einmal zusammenbauen), Licht-
quelle (Kaltlicht) prüfen.
• Infusion (500 ml Ringer oder NaCl 0,9 %) zum Auffüllen der Blase anwärmen
und mit Infusionssystem bereitstellen. 2
• Lagerung auf gynäkologischem Stuhl.
• Desinfektion der Vulva (z. B. mit Octenisept®), Desinfektion des Orificium
urethrae externum (▶ 2.4.1).
• Lokalanästhetikum (z. B. Instillagel®) intraurethral applizieren und Wir-
kungseintritt (nach ca. 1 Min.) abwarten.
• Zystoskop mit Mandrin einführen, korrekte Lage durch auslaufenden Urin
überprüfen.
• Blase über Zystoskop vollständig entleeren.
• Mandrin entfernen, Optik einführen, Lichtquelle anschließen.
• Korrekte intrazystische Lage optisch überprüfen.
• Blase mit angewärmter Ringer-Lsg. oder NaCl 0,9 % auffüllen (250–400 ml).
• Inspektion der gesamten Blasenschleimhaut, Orientierungshilfe: Luftblase am
Blasendach.
• Achten auf: Impression oder Infiltration, Schleimhautveränderungen.
• Path. Befunde lokalisieren („bei … Uhr, Vorder-/Seiten-/Hinterwand“).
• Aufsuchen beider Ureterostien (Trigonumbereich, meist auf einer Schleim-
hautfalte).
• Urin sollte klar und schwallartig fließen (evtl. Nierenlager durch Hilfsperson
massieren lassen).
• Evtl. Methylenblau 1–2 ml i. v. und Furosemid 20 mg i. v. (z. B. Lasix®) geben,
um die Ureterostien zu identifizieren (Chromo-Zystoskopie).
• Blase über Zystoskop entleeren, dann Zystoskop entfernen.
• Evtl. Pat. und Pflegepersonal über zu erwartenden „blauen Urin“ informie-
ren, Pat. erhobene Befunde mitteilen.
2.2.5 Rektoskopie
Indikationen Bei V. a. Ovarial- oder anderes Genitalkarzinom zum Ausschluss
einer Rektuminfiltration (alternativ: Sigmoidoskopie, Koloskopie), bei auffälligem
rektalem Palpationsbefund (z. B. V. a. Polyp). Bei blutigem Stuhl besser Kolosko-
pie.
Durchführung Pat. abführen (Klysma), Lagerung auf gynäkologischem Stuhl.
Lichtquelle (Kaltlicht) prüfen, Rektoskop mit Vaseline präparieren. Pat. wie
„zum Stuhlgang“ pressen lassen (Lösen des Sphinkterverschlusses). Rektoskop
nach li hinten einführen. Mandrin entfernen, Optik aufsetzen. Unter Luftinsuf-
flation und Sicht vorschieben. Beurteilung der Schleimhaut (Farbe rosig, zarte
Fältelung, keine Infiltration). Path. Befunde in Zentimeter Entfernung vom
Anus und Uhrzeit angeben. Bei Schmerzen oder Passagebehinderung durch Kot
Eingriff beenden. Rektoskop zurückziehen. Pat. über erhobene Befunde infor-
mieren.
62 2 Ärztliche Arbeitstechniken
2.3.2 Urin
Mittelstrahlurin (M-Urin)
Indikationen Standardmethode; geeignet ist v. a. Morgenurin (hohe Keim-
Konz.). Cave: Keine Infusionsther. (Verdünnungseffekt); stets Uringewinnung
vor Beginn der Chemother.
Gewinnung Hände sorgfältig waschen, mit Einweghandtuch trocknen. Genitale
mit in sauberes Wasser getauchten Tupfern reinigen, dann mit weiteren in glei-
cher Weise nachreinigen. Erste Urinportion (ca. 50 ml) in die Toilette oder ein
Gefäß entleeren, dann – ohne den Harnstrahl zu unterbrechen – etwa 5 ml Harn
in Transportröhrchen auffangen. Verschluss sofort aufsetzen und Probe bis zur
Weiterleitung in das Labor in den Kühlschrank stellen.
Katheterurin
Indikationen Einwandfreie Gewinnung von M-Urin nicht möglich, Blasen-
punktion nicht erwünscht.
Durchführung Siehe ▶ 2.4.1.
Grundsätzlich Einwegkatheter verwenden (dennoch Risiko der Keimeinschlep-
pung). Vorher Genitale sorgfältig reinigen (s. o.). Bei Dauerkatheter Urin nie aus
dem Beutel entnehmen, sondern nach sorgfältiger Desinfektion den proximalen
Katheterabschnitt punktieren.
Blasenpunktionsurin
Nur bei gefüllter Blase. Aussagekräftigste Methode (Ausnahme: Urethritis).
Indikationen Kein einwandfreier M- oder K-Urin gewinnbar. Wiederholt un-
terschiedliche oder fragwürdige bakteriologische und zelluläre Befunde, vor allem
bei Mischinf.
2.3 Entnahme von Material für bakteriologische Untersuchungen 63
2.3.3 Stuhl
• Untersuchung auf pathogene Darmkeime (Salmonellen, Shigellen, Typhus, 2
Paratyphus, Yersinien, Campylobacter jejuni) an 3 aufeinanderfolgenden
Tagen. Nach Stuhlentleerung in sauberes Gefäß ca. doppelt bohnengroßes
Stück in Stuhlröhrchen einbringen. Bei dünnflüssigem Stuhl 0,5–1 ml ein-
senden.
• Schneller Transport (schnelles Absterben empfindlicher Keime).
• Bei V. a. Typhus und Paratyphus in der ersten Krankheitswo. parallel Blutkul-
turen anlegen.
• Ist kein Stuhl zu gewinnen, kann auch ein Rektalabstrich entnommen werden
(nur geringe Ausbeute).
2.3.4 Abstriche
Mit Abstrichtupfer nur Material unter Sicht von verdächtigen Stellen ent-
nehmen und in Transportröhrchen einbringen. Tupfer nie trocken einsen-
den, da Anzucht anspruchsvoller Keime nicht mehr gelingt. Lagerung und
Transport bei Raumtemperatur.
Harnröhrenabstrich
Durchführung Möglichst morgens vor dem ersten Wasserlassen; sonst nicht vor
Ablauf 1 h nach dem Wasserlassen. Vor Entnahme des Abstrichs Transportmedi-
um auf Raumtemperatur bringen. Abstrich sofort oder innerhalb von höchstens
6 h an das Labor weiterleiten. Harnröhrenausfluss, falls vorhanden, mit Tupfer
aufnehmen und in Transportmedium einbringen; bei fehlendem Ausfluss Tupfer
mit dünnem Stiel ca. 2 cm drehend in die Urethra einführen (Genitale vorher säu-
bern!). Bei V. a. Chlamydien-Inf. Zellabstrich (intrazellulärer Nachweis), nur Flu-
orabstrich ist zum Keimnachweis ungeeignet.
Zervixabstrich ▶ 13.2.4.
2.4 Drainagen
2.4.1 Blasenkatheter
Indikationen
Harnretention (postop., neurogen, Harnröhrenstriktur), Gewinnung von Blasen-
urin (▶ 2.3.2), Harninkontinenz oder Überlaufblase, OP-Vorbereitung, Messung
der Urinmenge/Zeiteinheit, Restharnbestimmung (falls nicht sonografisch mög-
lich), differenzierte Nierenfunktionsproben, Flüssigkeitsbilanz, Spül- bzw. Instil-
lationsbehandlung.
Katheterarten
Einmalkatheter (vorwiegend diagn. Anwendung), Verweilkatheter (ther. Anwen-
dung) ein- oder zweiläufig mit Blockballon, Spülkatheter zwei- oder dreiläufig mit
Dreiwegehahn, einem Eingangs- und Ausgangskanal sowie Blockballon.
Transurethrale Katheterisation
Material Katheter (14, 16 oder 18 Ch.), steriles Katheterset mit ein oder zwei
Nierenschalen, Urinbeutel, sechs Tupfer, sterile Handschuhe, Unterlage und
Lochtuch, steriles Röhrchen, Desinfektionsmittel.
Durchführung Pat. auf Rücken lagern, Fersen zusammengestellt, Knie nach au-
ßen geneigt. Lochtuch so platzieren, dass die Harnröhrenöffnung sichtbar ist.
Zuerst Vulva von ventral nach dorsal desinfizieren. Dann mit li Hand (sterile
Handschuhe) Labien spreizen und kleine Schamlippen dreimal desinfizieren.
Am Schluss Harnröhrenöffnung desinfizieren. Der letzte Tupfer wird in den Va-
ginaleingang gebracht. Desinfektionstupfer mit Pinzette halten, nur einmal be-
nutzen. Mit neuer Pinzette Katheter in die Harnröhre einführen. Bei Dauerka-
thetern Blockballon mit 5 oder 10 ml Aqua dest. füllen. Vorsichtig zurückziehen,
2.4 Drainagen 65
bis man einen federnden Widerstand spürt. Tupfer aus dem Vaginaleingang ent-
fernen.
Komplikationen HWI durch Keimverschleppung und aufsteigende Inf. (Risiko
bei Dauerkatheter 5 % pro Tag) und nachfolgende Urosepsis, deshalb Durchfüh-
rung nur unter strikter Asepsis und Antisepsis.
Katheterwechsel Mind. alle 2 Wo. (Ausnahme: Silastik-Langzeitkatheter alle
3 Mon.). Bei trübem Urin, Hinweis auf Inkrustierung oder Infektion sofort Kathe-
ter wechseln. 2
Suprapubischer Blasenkatheter
Indikationen Peri- und postop. Urinableitung, Urethralstrikturen und -verlet-
zungen, akuter Harnverhalt. Heute deutlich rückläufige Bedeutung.
Kontraindikationen Unterbauchtumor, v. a. Blasenkarzinom.
Material Zystotomie-Set (z. B. Cystofix®), Malecot-Katheter 20 G oder 24 G,
10 ml Lidocain 1 % mit Kanüle (22 G/0,7) Skalpell, sterile Tücher und sterile
Handschuhe, Einmalrasierer.
Durchführung Gefüllte Blase palpieren und perkutieren; ist Blase nicht gefüllt,
500–1.000 ml Tee geben, oder bei schon liegendem transurethralem Katheter re
trograde Füllung. Rasur und Desinfektion der Haut, Infiltrationsanästhesie, etwa
2–3 cm über der Symphyse in der Medianlinie. Zur Lokalisationshilfe mit noch
liegender Anästhesienadel Punktionsversuch. Stichinzision der Haut mit Ein-
malskalpell. Punktionsbesteck in die Blase einführen und Katheter vorschieben,
danach Punktionskanüle zurückziehen und entfernen (Kanüle an Perforations-
stelle aufklappbar). Katheter je nach Typ mit Ballon blocken oder mit Naht fixie-
ren, steriler Verband.
Komplikationen Peritonitis bei Via falsa, Blutung.
Katheterwechsel Mind. alle 2 Mon., Blase 2 × pro Wo. mit steriler Kochsalz-Lsg.
spülen.
Intraabdominelle Robinson-Drainage
Intraabdominelle Robinson-Drainage z. B. bei ausgedehnter laparoskopischer OP
zur Überwachung einer evtl. Nachblutung. Ablauf ohne Sog in einen Drainage-
beutel. Kann auch Spülflüssigkeit aufnehmen. Entfernung nach 24–48 h postop.;
Fadenfixierung.
66 2 Ärztliche Arbeitstechniken
2.5 Transfusionen
2.5.1 Transfusionsgesetz
Administrative Voraussetzungen
Nach dem neuen Transfusionsgesetz muss jedes Krankenhaus, das Blutübertra-
gungen durchführt, einen Transfusionsverantwortlichen für die gesamte Klinik
2 benennen. Er hat für die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zu sorgen und
ein Qualitätssicherungssystem einzuführen bzw. weiterzuentwickeln. Jede trans-
fusionsmedizinisch tätige Krankenhausabteilung benennt einen Transfusionsbe-
auftragten. Er stellt die Durchführung der gesetzlichen Maßnahmen in der jewei-
ligen Krankenhausabteilung sicher.
In Krankenhäusern der Akut- und Maximalversorgung ist eine transfusionsme-
dizinische Kommission einzurichten. Diese setzt sich aus dem Transfusionsver-
antwortlichen, den Transfusionsbeauftragten, dem Krankenhausapotheker, ei-
nem Vertreter der Krankenpflegeleitung sowie der leitenden MTA zusammen.
Sie erarbeiten Richt- und Leitlinien zur Umsetzung von Gesetzen und Regelun-
gen zur Transfusionsmedizin und erstellen somit ein internes Qualitätssiche-
rungssystem.
Ebenfalls gesetzlich geregelt ist der blutgruppenserologische Untersuchungsum-
fang:
• AB0-Eigenschaften.
• Rh-Faktor D.
• Antikörpersuchtest.
• Kreuzprobe.
• Ggf. weitere Merkmale und deren Ak (bei pos. Ak-Suchtest).
Jedes blutgruppenserologisch tätige Labor muss interne und externe Qualitäts-
kontrollen gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer durchführen.
Fresh Frozen Ca. 200 ml durch Zitrat ungerinn- Kein Volumenersatz! Erwor-
Plasma (FFP) bares Plasma eines Spenders, bene Gerinnungsstörungen,
Plasmaproteine und Gerinnungs- z. B. Leberinsuff., Verbrauchs-
faktoren in physiologischer Kon- koagulopathie, massiver
zentration. 1 J. haltbar bei –30 °C. Blutverlust. Faustregel bei
Auftauen im speziellen Gerät Massivtransfusionen ab ca. 5.
oder im handwarmen Wasser- EK je 1 FFP auf 2 EK.
bad und sofortige Transfusion
2.5.3 Eigenblutspende
Bei allen planbaren Eingriffen, bei denen eine Transfusion in ≥ 10 % der Fälle er-
forderlich wird, muss die Pat. laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die
Möglichkeit zur Eigenblutspende hingewiesen und diese organisiert werden. Bei
op. Eingriffen mit der Wahrscheinlichkeit einer Transfusion in ≥ 1 % der Fälle ist
die Pat. über die Risiken einer heterologen Transfusion aufzuklären (Inf., Trans-
fusionsreaktion etc.).
In der Gynäkologie wird die Eigenblutspende fast gar nicht mehr angewandt.
Eigenblutpräparate
• Unmittelbar präop. kann eine Eigenblutentnahme als Vollblutkonserve erfol-
gen und alsbald retransfundiert werden.
• Bei gelagertem Eigenblut ist eine Komponententrennung obligat, wodurch ei-
ne Retransfusion überalterter inaktiver Gerinnungsfaktoren und v. a. von
Leukozytendetritus, freigesetzten Enzymen und sauren Stoffwechselproduk-
ten im „Vollblut“ vermieden wird.
Vorteile
• Transfusion von Fremdblut kann vermieden oder verringert werden.
• Vermeidung von Inf. (Hepatitis, Lues, Zytomegalie, HIV).
• Boosterung bei bestehender Immunisierung wird vermieden (auch wenn die-
se nicht nachweisbar war).
• Durch präop. Blutspende wird die Hämatopoese angeregt → bessere postop.
Kompensation des intraop. Blutverlusts.
2.5 Transfusionen 69
Voraussetzungen
• Hb > 11,5 g/dl, Hkt > 33 %.
• Alter i. d. R. zwischen 14 und 75 J.
• Kreislaufstabilität: anamnestisch keine Synkopen, keine manifeste Herzin-
suff., keine generalisierte Sklerose.
• Kein Anhalt für hämatogen streuenden Infektherd oder vergleichbare Sys
temerkr. (z. B. Karzinom).
• OP-Termin in frühestens 8 Tagen.
• OP-Termin muss möglichst genau feststehen, Lagerung der EK nur bis max. 2
7 Wo. möglich.
Indikationen (nach Dt. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe)
• Reduktionsplastik und Reduktionsmastektomie der Mamma.
• Chirurgie bei ausgedehnter Endometriosis externa oder extragenitalis.
• Myomenukleation bei organerhaltender Ther. des großen Uterus myomatosus.
• Radikale Hysterektomie mit Lymphonodektomie nach Wertheim-Meigs, so-
fern aus der Eigenblutspende kein relevanter, nicht vertretbarer Aufschub der
OP resultiert. (Eine Zirkulation metastasierender Tumorzellen ist beim Zer-
vix- und Endometrium-Ca sehr unwahrscheinlich, dennoch muss das Blut
über Leukozyteninfiltration und/oder Bestrahlung vor Retransfusion von po-
tenziellen Tumorzellen befreit werden; Aufklärungspflicht!).
• Klinische Befundkonstellation, die einen erhöhten Blutverlust erwarten lässt.
• Wunsch der Pat. nach Aufklärung.
Schwangerschaft
• Auch während der Grav. sind Eigenblutspenden möglich, sind aber der
Ausnahmefall. Cave: Der Hb sollte nicht unter 11,5 mg/dl absinken. Ge-
fahr der vorzeitigen Wehentätigkeit und erhöhte Rate an Frühgeburten;
empfohlen wird deshalb die Spende unter CTG-Kontrolle.
• Da die Auswirkungen der Eigenblutspende auf die fetoplazentare Einheit
nicht mit letzter Sicherheit abschätzbar sind, sollte in der Geburtshilfe die
Ind. zur Eigenblutspende stets streng und nur individuell gestellt werden.
Bei starken geburtshilflichen Blutungen werden zudem meist mehr als
2–3 EK benötigt. Selbst bei Pat. mit Placenta praevia, bei denen eine Sectio
elektiv geplant ist, verbietet sich die Eigenblutspende oft durch den er-
niedrigten Hb-Wert infolge präpartaler Blutungen.
Vorgehen
• Bei normalem Ausgangs-Hb (> 12,5 g/dl) nach zweiter Spende Hb-Kontrolle.
• Bei 2 benötigten EK:
– 1. Spende 8–10 Tage vor OP.
– 2. Spende 3–5 Tage vor OP.
• Bei 3 benötigten EK:
– 1. Spende 13–16 Tage vor OP.
– 2. Spende 8–10 Tage vor OP.
– 3. Spende 3–5 Tage vor OP.
• Bei 4 benötigten EK:
– 1. Spende 18–24 Tage vor OP.
– 2. Spende 13–16 Tage vor OP.
70 2 Ärztliche Arbeitstechniken
Retransfusion
• Sollte erfolgen, wenn Hkt unter 30 % sinkt.
• Intraop.: genaue EKG-Kontrolle, da klinische Symptome der Ischämie (RR-
Abfall, Tachykardie) häufig fehlen.
• Zuletzt abgenommenes (jüngstes) Blut zuerst geben.
• Unbedingt Bedside-Test zur Identifikation von Pat. und Konserve!
0 0, A, B, AB 0
A A, AB A, O
B B, AB B, O
AB AB AB, A, B, O
Rhesus-System
Ein Rh-neg. Empfänger muss Rh-neg. Erys erhalten Ein Rh-pos. Empfänger kann
sowohl Rh-pos. als auch Rh-neg. Erys erhalten.
2.5.6 Thrombozytentransfusion
Indikationen
• Thrombopenie: Dringend bei Thrombos < 10.000/μl; unter bzw. unmittelbar
vor der Geburt < 50.000/μl → akute (Spontan-)Blutungsgefahr!
• Bildungsstörungen: z. B. Leukämie, Chemother., Thrombos < 20.000/μl (pro-
phylaktisch) oder bei Thrombopenie mit klinisch manifester Blutungsneigung
(ther.). Großzügige Ind. bei Risikofaktoren (Alter > 60 J., septische Tempera-
turen, Blutungsanamnese). Vor Beckenkammpunktionen bei Thrombos
< 30.000/μl.
• Akuter Blutverlust oder Verbrauchskoagulopathie: ab Thrombos < 50.000/μl,
erst nach Stabilisierung des Inhibitorpotenzials (ggf. AT III) und Low-Dose-
Heparinisierung.
• HELLP-Sy. ▶ 5.8.3.
Durchführung HLA-Typisierung bei allen chron. zu substituierenden Pat. vor
der ersten Transfusion (10–20 ml heparinisiertes Blut bei Raumtemperatur).
2.5 Transfusionen 73
2.5.7 Rechtliche Fragen
Aufklärung
Muss durch einen Arzt erfolgen über Art der Transfusion (auch Möglichkeit der 2
Eigenblutspende, ▶ 2.5.3), Notwendigkeit und Risiken: Möglichkeit einer Immu-
nisierung oder Unverträglichkeit, v. a. bei Wiederholungstransfusionen; mögliche
Übertragung einer Syphilis, Hepatitis oder von HIV insb. bei Transfusionen von
Präparaten ohne Kontrolluntersuchungen (Frischblut). Möglichst schriftliche
Einverständniserklärung.
2.5.8 Transfusionsreaktionen
Transfusionsreaktionen
Ätiologie Am häufigsten als Folge von antileukozytären Ak (HLA-Ak) des
Empfängers, wenn leuko- oder thrombozytenhaltige Konserven transfundiert
wurden (febrile nichthämolytische Transfusionsreaktion).
Klinik Als Sofort- oder Frühreaktionen während oder als Spätreaktion noch Ta-
ge nach der Transfusion Unwohlsein, Fieber, Hitze- und Beklemmungsgefühl,
Übelkeit, Schüttelfrost, Tachykardie, Juckreiz, nur selten Blutdruckabfall bis zum
Schock und Atemnot (Bronchospasmus).
Hämolytische Zwischenfälle
Ätiologie Durch antierythrozytäre Ak (z. B. AB0-Unverträglichkeit).
Klinik Allgemeinsymptome mit Mikrozirkulationsstörungen in allen Organen
(Schmerzen in der Lendengegend, hinter dem Sternum und den langen Röhren-
knochen), Schock (RR ↓, Tachykardie, blasse, kalte Akren, evtl. Übelkeit, Erbre-
chen; ▶ 3.5), Verbrauchskoagulopathie und ANV. Letalität 6–20 %.
Differenzialdiagnose Schwierige DD zur vorgenannten Transfusionsreaktion.
74 2 Ärztliche Arbeitstechniken
Plasmabestandteile
Für die Gewinnung von Plasmafraktionen werden große Mengen von Plasma aus
Einzelblutspenden gepoolt (gemischt). Serologische Untersuchung (s. o.) vor der
Poolung, da sonst die Sensitivität durch den Verdünnungseffekt vermindert wird.
Theoretisch erhöht sich das Infektiositätsrisiko solcher gepoolten Präparate auf-
grund der Spenderzahl (sorgfältige Spenderauswahl – zzt. 70 % Importplasma,
korrekte serologische Untersuchung).
Je nach Hersteller (Patentrecht) verschiedene virusinaktivierende Verfahren (z. B.
Alkoholfraktionierung nach Cohn, Pasteurisierungsverfahren). Restinfektionsri-
siko ist nicht auszuschließen. HBV und HCV sind sehr viel resistenter gegenüber
Virusinaktivierungsverfahren als HIV!
Dokumentationspflicht
Dokumentation von Präparatenamen, pharmazeutischem Unternehmen,
Chargenbezeichnung für zellhaltige Blutkonserven, Gerinnungsfaktoren (z. B.
FFP, Antithrombin III, F VII, VIII, IX, XIII, Prothrombinkomplex-Präparate,
Prothrombinkomplex mit Faktor-VIII-Inhibitor-Bypass-Aktivität, Fibrino-
gen), Gewebekleber (Fibrin), Proteinase-Inhibitoren (α1-Antitrypsin).
Aminosäuren (AS)
Indikationen Minderung der Katabolie. Energiegehalt 4 kcal/g.
• Bei Leberinsuff.: angereichterte AS-Lsgn. mit verzweigtkettigen AS Valin, Leucin
und Isoleucin, Reduktion von Methionin, Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan.
• Bei Niereninsuff.: angereicherte bzw. solitäre AS-Lsgn. mit essenziellen AS
und L-Histidin zur Reduktion der Harnstoffsynthese.
Dosierung Max. 2 g/kg KG/d (gilt nicht bei Leber- oder Niereninsuff.), Mindest-
bedarf nach OP und Traumen 1 g/kg KG.
Fette
• Hohes Energieangebot (34 kJ/g = 9 kcal/g) in kleinen Flüssigkeitsvolumina.
• Einsatz erst nach der akuten Phase des Postaggressionssy.
Kontraindikationen Hypertriglyzeridämie (> 350 mg/dl = 4,0 mmol/l), diabeti-
sche Ketoazidose, akute nekrotisierende Pankreatitis, akuter Myokardinfarkt,
akute Thrombembolie. Vorsicht bei Gerinnungsstörungen und floriden Inf.
Dosierung Initial 0,5 g/kg KG, unter regelmäßigem Monitoring (2 ×/Wo. Trigly-
zeridspiegel) und kontinuierlicher Gabe über 24 h Steigerung auf max. 2 g/kg
KG/d, bei Niereninsuff. max. 1 g/kg KG/d. Periphervenös applizierbar, jedoch se-
parater Zugang nötig, nicht mit anderen Substanzen mischen. Bei mehrwöchiger
parenteraler Ernährung mindestens 0,2 g/kg KG/d applizieren.
E‘lyte
• Natrium 1–1,4 mmol 2–3 mmol 3–4 mmol
• Kalium 0,7–0,9 mmol 2 mmol 3–4 mmol
• Kalzium 0,1 mmol 0,15 mmol 0,2 mmol
2.6 Infusions- und Ernährungstherapie 77
Applikation
• Je nach Bedarf bis max. 2–3 l/d; Applikation als Bolus: 100–300 ml innerhalb
weniger Min. mit Pausen von ca. 1–2 h.
• Vor jeder Nahrungsgabe aspirieren; wenn mehr als 100 ml zu aspirieren sind,
mit der nächsten Gabe warten.
• Zwischen den Applikationen Sonde abklemmen oder Beutel hoch hängen,
um einen Reflux zu vermeiden.
• Magensonde etwa 30 Min. vor Applikation öffnen.
• Mit ca. 20 ml H2O oder Tee nachspülen: verhindert Verstopfen der Sonde.
• Bei Duodenalsonden empfiehlt sich die kontinuierliche Applikation über eine
Ernährungspumpe, da im Dünndarm ein Reservoir fehlt; sonst allenfalls Bo-
lusgaben von 50 ml.
• Verbindungsschläuche und Beutel alle 24 h erneuern, um eine bakterielle
Kontamination zu vermeiden.
• Bei Pat. mit erhaltenem Bewusstsein Nachtpause einhalten.
• Allmählicher Übergang zu oraler Ernährung.
Monitoring in der Aufbauphase BZ-Tagesprofil. Alle 2 Tage E’lyte und Krea, 1 ×
wöchentl. Leberwerte, Bili, Triglyzeride, Albumin und Phosphat.
Komplikationen
• Abdominalschmerzen, Erbrechen.
• Dumping-Sy.
• Bei Diarrhö abklären, ob Sondenkost zu kalt war, zu schnell eingelaufen
ist, die Sonde zu tief liegt, die Menge zu groß war, eine bakterielle Konta-
mination oder eine osmotische Diarrhö besteht.
• Hyperosmolares, hyperglykämisches Koma (Tube-Feeding-Sy.).
• Aspiration.
• Bei Gastrostomie oder Jejunostomie Peritonititsgefahr.
3 Internistische Probleme
Arno Dormann
3.1.2 Akute Dyspnoe
Vorgehen bei akuter Dyspnoe
• R R, Puls (z. B. Schock, hypertensive Krise), Fieber.
• A uskultation: ohrnahe RG (Pneumonie), feuchte RG (Lungenödem), Spastik,
verlängertes Exspirium (Asthma, exazerbierte chron. Bronchitis).
• H ochlagerung des Oberkörpers.
• B GA, ggf. O2-Gabe (z. B. 2 l/Min.).
• E KG: Herzinfarkt, Lungenembolie (▶ 3.1.6), Arrhythmie.
• V enenverweilkanüle legen und Blut (BB, Troponin T, CK, CK-MB, GOT) ab-
nehmen.
3.1.3 Akutes Koronarsyndrom
Einteilung
3
• Instabile Angina pectoris: neu aufgetretene oder verstärkte Brustschmerzen
mit EKG-Veränderungen.
• M yokardinfarkt ohne ST-Elevation (NSTEMI): instabile Angina pectoris plus
Troponinerhöhung.
• S T-Elevations-Myokardinfarkt (STEMI): Troponinerhöhung plus ST-Stre-
ckenhebung oder neu aufgetretener Linksschenkelblock.
Klinik Herzinfarktverdacht bei Angina pectoris > 20 Min., Vernichtungsgefühl,
Todesangst, Übelkeit, Dyspnoe. Schmerzausstrahlung in li und re Arm, Hals, Un-
terkiefer, Epigastrium. Fehlender Effekt von Nitroglyzerin. Prodromale Angina
pectoris in 60 %. Cave: Bei ca. 20–30 % der Pat. „stummer“, d. h. schmerzloser In-
farkt (gehäuft bei Diabetikern).
Diagnostik
• B efund: kaltschweißige Haut, Tachykardie, Hypotonie, evtl. Schock.
! D D des retrosternalen Schmerzes ▶ 3.1.1.
• B ei Vorliegen von zwei der drei folgenden Kriterien ist von einem Infarkt
auszugehen:
– Typische Klinik (fehlt bei 30 %).
– Infarkttypisches EKG (fehlt bei 30 %).
– Infarkttypischer Enzymverlauf (fehlt bei 30 %).
Erstmaßnahmen
• S ofortige Verlegung auf Intensivstation einleiten, Pat. nicht allein lassen.
• I. v. Zugang, keine i. m. Injektionen (verfälscht Enzymdiagn., Blutungs-
probleme bei Lyse!).
• L abor: Troponin, CK, GOT.
• E KG.
• B eatmung: O2 über Nasensonde, z. B. 2–6 l/Min.
• B ei V. a. Myokardinfarkt: ASS 250–500 mg i. v. (z. B. Aspisol®) oder p. o.
(cave: ASS-Allergie), hoch dosiertes Heparin.
• S edierung: z. B. Diazepam 5–10 mg i. v. (Valium®), bei Übelkeit ® Aliza
prid 50–150 mg i. v. (Vergentan®).
• A nalgetika: Opiate, z. B. Morphin 10–20 mg i. v.
• N itroglyzerin 2 Sprühstöße (0,8 mg) s. l., danach über Perfusor 2–4 mg/h
(= 2–4 ml/h) unter RR-Kontrolle. KI: RRsystol < 100 mmHg, Schock.
84 3 Internistische Probleme
3.1.4 Arterielle Hypertonie
3
Hypertonie in der Schwangerschaft ▶ 5.8.
Ätiologie
• P rim. (essenzielle) Hypertonie: zu über 90 %, gehäuft vergesellschaftet mit
Adipositas, Typ-2-Diab. mell. oder pathologische Glukosetoleranz, Hyperli-
poproteinämie (Triglyzeride ↑, HDL ↓) und Hyperurikämie als metaboli-
sches Sy.
• ymptomatische (sek.) Hypertonie: selten.
S
• chwangerschaftsinduziert (SIH): I. isolierte SIH, II. SIH mit Proteinurie +
S
evtl. Ödemen = Präeklampsie = EHP-Gestose (▶ 5.8.1)
– Renal bis 5 %: renoparenchymatös, renovaskulär.
– Obstruktives Schlafapnoe-Sy.: Schnarchen, nächtliche Atempausen, impe-
rativer Schlafdrang, Adipositas.
– Vaskulär: Aortenisthmusstenose.
– Endokrin bis 5 %: prim. Hyperaldosteronismus, Hyperthyreose, Cushing-
Sy., Conn-Sy., Phäochromozytom, Akromegalie.
– Medikamentös: OH, Glukokortikoide, Sympathomimetika (auch Augen-
und Nasentropfen), Psychopharmaka, Schilddrüsenhormone.
– Neurogen: Hirndruck, erhöhter Sympathikotonus, Sklerose der Karotissi-
nus.
– Sonstige: SIH (▶ 5.8), Fieber, Hypervolämie.
3.1 Kardiopulmonale Störungen und Gefäßerkrankungen 85
Diagnostik
• L abor: BSG, K+, Na+, BZ, BB (z. B. Polyglobulie, Anämie), Krea, Harnsäure,
Gesamteiweiß, Cholesterin und Triglyzeride, Urinstatus.
• KG: z. B. Hypertrophie- oder Ischämiezeichen.
E
• R: immer an beiden Armen messen.
R
• cho: z. B. Hypertrophie.
E
• berbauchsono, Farbdoppler der Nieren (Nieren, Nebennierentumor), Rö-
O
Thorax.
oder Kalziumantagonist
oder Betablocker
Therapieprinzipien
! B ei V. a. sek. Hypertonie → Konsil Innere.
• In der Schwangerschaft prim. Ther. mit kardioselektiven β1-
Rezeptorblockern, α-Methyldopa, Dihydralazin.
• S alzrestriktion, Gewichtsreduktion; Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie
und Diab. mell. behandeln, Nikotinverzicht.
• R egelmäßiges Ausdauertraining, kein Krafttraining (RR ↑).
• R R-Selbstmessung.
• Z um Ausschluss unerwünschter RR-Spitzen RR-Tagesprofil (z. B. 7, 11, 15
und 22 h), RR-Messung nach Belastung oder 24-h-RR-Messung.
Kardioselektive β1-Rezeptorblocker
Indikationen V. a. für junge Pat.
Kontraindikationen Dekompensierte Herzinsuff., AV-Block II–III, Bradykardie,
bifaszikulärer Block, pAVK (III–IV), Asthma bronchiale, COPD.
Präparate und Dosierung
• A
tenolol 1 × 50–200 mg/d p. o. (z. B. Tenormin®).
• M
etoprolol 2 × 50–100 mg/d p. o. (z. B. Beloc®).
86 3 Internistische Probleme
Methyldopa
Zentral wirksamer Alphablocker.
Indikationen Mittel der Wahl zur langfristigen Therapie der Schwangerschafts-
hypertonie.
Kontraindikationen Depression, hämolytische Anämie.
3 Präparate und Dosierungen Methyldopa (z. B. Presinol®) 2–3 × 250–500 mg/d
p. o., langsam aufdosieren.
Dihydralazin
Indikationen Mittel der 1. Wahl bei hypertensiver Krise in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen Bewirkt reflektorische Tachykardie, NaCl-Restriktion.
Präparate und Dosierungen Dihydralazin (z. B. Nepresol®) 3 × 12,5–50 mg/d p. o.
Kalziumantagonisten
Indikationen V. a. für ältere Pat. Bei leichter oder labiler Hypertonie, bei KI ge-
gen Betablocker.
Kontraindikation 1. Trimenon der Schwangerschaft.
Präparate und Dosierungen z. B. Amlodipin 1 × 5–10 mg tägl. p.o. (z. B. Nor
vasc®).
Nebenwirkungen Tachykardie, Ödeme, Kopfschmerzen, Flush.
ACE-Hemmer
Indikationen Essenzielle Hypertonie, geringe Herzinsuff. (NYHA II/III).
Kontraindikationen Grav., Stillzeit, Niereninsuff. (Krea > 1,5 mg/dl), Nierenar-
terienstenose bds., Transplantatniere, gleichzeitige Ther. mit kalziumsparendem
Diuretikum, Hyperkaliämie, immunsuppressive Ther., Leberinsuff.
Präparate und Dosierungen z. B. Enalapril 1 × 2,5–5 mg/d p. o. (z. B. Xanef®).
Nebenwirkungen Chron. Reizhusten (in 10 %), Hyperkaliämie, Krea-Anstieg,
Hypotonie, Proteinurie, Leukopenie, Geschmacksstörungen, Exantheme.
AT1-Rezeptorblocker
Kontraindikationen Schwangerschaft.
Präparate z. B. Telmisartan 1 × 20–80 mg/d (Micaordis®).
α1-Blocker
Werden meist erst bei Tripelther. verwendet.
3.1 Kardiopulmonale Störungen und Gefäßerkrankungen 87
3.1.5 Tiefe Beinvenenthrombose
Klinik Schmerz, Schweregefühl, Ödem (Umfangsdifferenz beider Beine > 2 cm),
livide Verfärbung, prominente Venen über Tibiakante, Überwärmung, leichtes
Fieber, Puls ↑.
Fußsohlendruckschmerz, Wadenschmerz bei Dorsalflexion des Fußes bei ge-
strecktem Bein.
KO: Lungenembolie (▶ 3.1.6), chron. venöse Insuff.
Diagnostik D-Dimere im Blut. Das Fehlen von D-Dimeren macht eine TVT
sehr unwahrscheinlich (cave: postop. erhöht) Doppler- oder Farbdoppler-Sono.
Ggf. Thrombophiliediagn. bei Pat. < 45 J.
Differenzialdiagnosen Thrombophlebitis, art. Verschluss, Erysipel, Lymphangi-
tis, Wadenkrampf, Wurzelreizung.
3.1.6 Lungenembolie
3 Ätiologie Meist Thrombembolie nach (postop., postpartaler) Thrombose der tie-
fen Bein- oder Beckenvenen.
Klinik Dyspnoe, Tachypnoe, atemabhängiger Schmerz, Husten, Hämoptyse,
Symptome der tiefen Beinvenenthrombose. Bei massiver Embolie ängstliche Pat.
mit hochgradiger Dyspnoe.
Diagnostik Klinisch! Unterstützend:
• L abor: D-Dimere pos.; ein Fehlen von D-Dimeren macht eine TVT sehr un-
wahrscheinlich (cave: postop. erhöht).
• E KG: SIQIII, neg. T in V1–3, S bis V6, Vergleich mit Vor-EKG entscheidend!
• B GA: pO2 ↓, pCO2 ↓, pH ↑.
• F arbdoppler der Beinvenen (Thrombose), alternativ Phlebografie.
• R ö: selten pathol. verändert. Rechtsherzvergrößerung.
• A usschluss: Ventilations- und Perfusionsszintigramm, Nachweis: Pulmona-
lis-DSA.
Differenzialdiagnosen Herzinfarkt, akutes Rechtsherzversagen, Atemwegsob
struktion, Herzbeuteltamponade (→ Sono), Pneumothorax, Schock anderer Ge-
nese (▶ 3.5).
3.1.7 Asthma bronchiale
Definition Anfallsweise Atemnot infolge Entzündungen und bronchialer Hy-
perreaktivität. Allergisches Asthma (exogen-allergische Form), nichtallergische
3.1 Kardiopulmonale Störungen und Gefäßerkrankungen 89
Ther. in der Schwangerschaft auf jeden Fall fortsetzen, da für den Embryo/
Fetus von einer Asphyxie im Asthmaanfall größte Gefahr ausgeht.
3.1.8 Pneumonie
Diagnostik
• R ö: bei „atypischen“ Pneumonien oft Diskrepanz zwischen deutlichem Rö-
Befund und neg. Auskultationsbefund.
• L abor: Leukozytose mit Linksverschiebung, BSG ↑, CRP ↑↑ v. a. bei bakteri-
ellen Pneumonien; bei Mykoplasmen oft Kälteagglutinine nachweisbar.
• E rregernachweis in Blut, Pleurapunktat, Bronchialsekret, bronchoalveolärer
Lavage; Sputumuntersuchung nicht sinnvoll.
• B GA: schlechte Prognose bei respiratorischer Globalinsuff.
Therapie Ausreichend Flüssigkeit (Fieber), bei hohem Fieber Bettruhe und
Thrombembolieprophylaxe, Antipyretika, z. B. Paracetamol 3 × 1 g/d p. o. (z. B.
ben-u-ron®). Antibiose ▶ 22.6. In der Grav. prim. Amoxicillin/Clavulansäure 3 ×
3 625–1.250 mg/d p. o. (Augmentan®), alternativ bei Penicillinallergie Clarithromy-
cin 2 × 500 mg/d p. o. (z. B. Klacid®).
3.1.9 Pleuraerguss
Ätiologie In etwa 50 % durch maligne Tumoren verursacht, z. B. Bronchial-Ca,
Pleuramesotheliom, Mamma-Ca, Hypernephrom, malignes Lymphom, metasta-
sierendes Ovarial-Ca (Ovarial-Fibrom: Meigs-Sy.).
Klinik Oft asymptomatisch. Dyspnoe, atemabhängige Schmerzen; Klopfschall-
dämpfung, abgeschwächtes Atemgeräusch basal (DD: Zwerchfellhochstand).
Diagnostik
• Jeder Pleuraerguss erfordert eine diagn. Klärung durch Punktion.
• S ono, Rö-Thorax in Seitenlage (betroffene Seite unten), um freies Abfließen
(und damit Punktionsmöglichkeit) beurteilen zu können.
Differenzialdiagnosen Tbc, Pneumonie, Rechtsherzinsuff.; Hypoalbuminämie,
subphrenischer Abszess (Fieber, Zwerchfellhochstand), Pankreatitis (linksseitiger
Pleuraerguss).
Punktion
• D iagn. Punktion: oft über Kanüle möglich. Röhrchen für Hämatologie
(Zellzählung und Differenzierung), klinische Chemie (Protein, spez. Ge-
wicht, Cholesterin; ggf. zusätzlich LDH, Laktat, Glukose, α-Amylase), Mikro-
biologie (Erreger und Resistenz, Tbc-Kultur) und Zytologie (z. B. maligne
Zellen, Entzündung). Eiweiß > 3 g/dl und Cholesterin > 50 mg/dl sprechen
für malignen Erguss, beweisend ist die Zytologie, ggf. mehrmals wiederholen.
• T herapeutische Punktion: (z. B. mit Pleurocath®). Auch wiederholt v. a.
bei Dyspnoe. Cave: Nicht mehr als 1–2 l/d ablassen (Gefahr des Lungen-
ödems e vacuo); Gerinnung überprüfen. Ggf. Drainage einlegen.
• A
temstillstand oder Schnappatmung (bei prim. Kreislaufstillstand nach 15–
40 Sek.).
• W eite, lichtstarre Pupillen (nach 30–90 Sek.).
• F ehlender Herzschlag bei Herzauskultation (nicht zu viel Zeit verwenden!).
• G rau-zyanotische Hautfarbe (unsicheres Zeichen).
Diagnostik Anhand der klinischen Symptomatik. Weitere diagn. Maßnahmen
(EKG, BGA, Labor) erst nach der Elementarther. Präkordialen Faustschlag nur
bei beobachtetem Eintreten des Kreislaufstillstands, nur einmal anwenden.
ABCDEF-Regel
Atemwege freimachen Fremdkörper aus Mund-Rachen-Bereich entfernen, Kopf
überstrecken und Unterkiefer nach vorn und oben ziehen (= Esmarch-Handgriff
▶ Abb. 3.1). 3
Abb. 3.1 Esmarch-Handgriff und Maskenbeatmung (Maske mit Daumen und Zei
gefinger über Mund und Nasenöffnung pressen, mit den restlichen Fingern Kopf
in reklinierter Stellung fixieren) [L106]
Beatmung
• M und-zu-Nase, Mund-zu-Mund, Mund-zu-Tubus (Safar-Tubus, Guedel-Tu-
bus), Maskenbeatmung (Ambu-Beutel, Methode der Wahl für im Intubieren
Ungeübte! ▶ Abb. 3.1) mit 100 % O2.
• Intubation: zuverlässigste Methode. Benötigte Materialien: Laryngoskop, En-
dotrachealtubus mit Führungsdraht, 10-ml-Spritze zum Blocken des Tubus,
Klemme, Absauggerät. Tubus-Ø bei F 7,0–7,5 = 30–32 Ch, bei Kindern Alter
(J.) + 18 = Ch. Bei Sgl. 3,5 = 15 Ch (▶ 9.2.2).
• N otfallkoniotomie: Wenn Beatmung bzw. Intubation nicht möglich ist (z. B.
bei Glottisödem), ggf. Notfalltrachealpunktion mit 3–5 dicken (z. B. 12 G)
Venenverweilkanülen zwischen Schild- und Ringknorpel.
Herzmassage und Beatmung im Wechsel: 30 : 2, Drucktiefe beim Erw. etwa
4–5 cm, Kompressionsfrequenz 100/Min. (kardiopulmonale Reanimation bei NG
▶ 9.2.1).
Circulation Bei jedem Herzstillstand sollte nach erfolglosem initialem Beat-
mungsversuch sofort mit der Herzdruckmassage (HDM, ▶ Abb. 3.2) begonnen
werden. Extrathorakale Herzmassage (flache Lagerung auf harter Unterlage,
92 3 Internistische Probleme
3
Ballen der Hand auf Ballen der anderen
die Mitte des Brustkorbs Hand darauf, Finger verschränken
Basisreanimation
ABCD
Defibrillator
Puls vorhanden anschließen
3
Intensivtherapie
Puls nicht vorhanden
Rhythmus
prüfen
Kammertachykardie/-flimmern
(VT/VF) refraktär:
• Adrenalin 1 mg i.v. 1:10 verdünnt geben,
alle 3–5 Min. wiederholen; alternativ
Vasopressin 40 IE als Einmalgabe
(noch nicht in Deutschland im Handel)
• Amiodaron 300 mg i.v.
1x
Defibrill. Patient ohne VT/VF:
150–360 J Adrenalin 1 mg i.v. alle 3–5 Min.
biphasisch
oder 360 J Erwägen:
mono- • Antiarrhythmika, z.B. Magnesium 4–8 mol,
phasisch Ajmalin (Gilurytmal®) 1 Amp. = 50 mg,
Atropin 1–3 mg als Bolus, Bicarbonat
(initial 1 mmol/kg KG)
• Schrittmacher
Abb. 3.3 Maßnahmen bei Kammerflimmern, Asystolie und EMD (CPR = Herz
druckmassage) [L157]
94 3 Internistische Probleme
• A
tropin bei Bradykardie 1 mg i. v., nicht intrakardial injizieren!
• V
olumenersatz: initial durch Beinhochlage (Ausnahme Lungenödem), da-
nach großzügige Gabe von kristalloiden oder kolloidalen Lsgn.
• N
atriumbikarbonat 8,4 % (1 ml = 1 mmol), frühestens 10 Min. nach Beginn
des Herzkreislaufstillstands (Ausnahme: Hyperkaliämie, metabol. Azidose →
sofortige Gabe) mit 0,5–1 ml/kg KG; möglichst frühzeitig Korrektur nach
BGA: Bedarf an NaHCO3 in mmol = neg. BE × kg KG × 0,3.
• M
agnesium: 8 mmol Mg2+ bei v. a. Hypomagnesiämie.
EKG Zur DD der Rhythmusstörung (Kammerflimmern, Asystolie, elektrome-
chanische Entkopplung, ▶ Abb. 3.3) und zur Ther.-Kontrolle.
Flüssigkeit Kristalloide und/oder kolloide Infusionslsgn.
3
3.2 Magen-Darm-Trakt
3.2.1 Akutes Abdomen
▶ 14.1.1.
3.2.2 Akute Appendizitis
• A ppetitlosigkeit.
• Z unächst ziehende, oft kolikartige Schmerzen periumbilikal oder im Epigast-
rium; belegte Zunge.
• Ü
belkeit und Erbrechen.
• N
ach einigen Stunden Schmerzverlagerung in den re Unterbauch. Jetzt Dau-
erschmerz mit Verstärkung beim Gehen. Beugung des re Beins bringt Entlas-
tung.
• L eichtes Fieber mit rektal-axillärer Differenz > 0,8 °C.
! K O: Perforation (meist am 2. Tag). Bei gedeckter Perforation zunächst Bil-
dung eines perityphlitischen Infiltrats: palpabler Tumor 3–5 Tage nach
Symptombeginn. Bei eitriger Einschmelzung Abszessbildung.
Befund
• L okale Abwehrspannung.
• D ruck- und Klopfempfindlichkeit im re Unterbauch, bei atypischer Lage
(z. B. im kleinen Becken, unter der Leber) atypische Schmerzlokalisation.
• D ruckpunkte: McBurney (Mitte zwischen Nabel und Spina iliaca ant. sup.)
und Lanz (re Drittel zwischen den beiden Spinae).
• O ft (aber nicht immer!) ipsi- und kontralateraler Loslassschmerz.
• R ektale Untersuchung (obligat): Druckschmerz (bei Beckenlage der Appen-
dix oft einziges Symptom). Douglas-Abszess: fluktuierende Vorwölbung.
Diagnostik
• L abor-Mindestprogramm: BB mit Thrombos, E‘lyte, Krea, BZ, α-Amylase,
Kreuzblut. Leukos > 17.000/μl sprechen für Perforation.
• U rinsediment: Mikrohämaturie bei Nierenkolik, manchmal aber auch bei re
trozökaler Appendix. Leukozyturie und Bakteriurie bei Pyelonephritis.
3.3 Niere 95
3.3 Niere
3.3.1 Infektion der ableitenden Harnwege (Zystitis)
Epidemiologie Bei Frauen die häufigste Infektionskrankheit überhaupt. Wird
begünstigt in der Grav. (▶ 5.13.14), durch postpartalen Harnverhalt, nach vag.-op.
Entbindungen (▶ 7.2.2 und ▶ 7.2.3).
Ätiologie Erreger nichtnosokomialer HWI sind in 90 % Enterobacteriaceae (da-
von 80 % E. coli, seltener Proteus und Klebsiellen), in ca. 5 % Pseudomonas aeru-
ginosa und Staphylokokken. Nosokomial erworbene HWI sind häufig durch
„Problemkeime“ wie z. B. multiresistente Staphylokokken verursacht, auch E.-co-
li-Inf. zeigen häufig Resistenzen → Antibiogramm.
Klinik Pollakisurie-Dysurie-Sy., meist kein Fieber.
Voraussetzung für Ther. ist die Unterscheidung des HWI in symptomatisch/
asymptomatisch, akut/chron., prim. (idiopathisch, häufig nach GV:
„Honeymoon“-Zystitis) oder sek. (z. B. iatrogen, nosokomial), obstruktiv (mit
Harnaufstau) oder nichtobstruktiv und distal/proximal.
Diagnostik
• S ediment: Leukozyturie, Bakteriurie; Nitrit meist pos., evtl. Mikrohämaturie.
• U rinkultur aus M-Urin mit Antibiogramm. 106 Keime/ml sind signifikant,
bei Symptomen, Leukozyturie oder Immunsuppression auch schon 105/ml.
96 3 Internistische Probleme
Therapie
• A symptomatische Bakteriurie (ca. 5 % der Frauen im Erw.-Alter): keine Ther.,
Ausnahme: Grav. (s. u.), Diab. mell., Immunsuppression → häufig entwickeln
sich symptomatische HWI.
• A kute bakterielle Zystitis < 7 Tage und ohne Fieber: Einzeitther. mit Fosfo-
mycin 1 × 3 g p. o. (z. B. Monuril® 3000) oder Amoxicillin 1 × 3 g p. o. (z. B.
Clamoxyl®) oder Co-trimoxazol 1 × 2.880 mg (z. B. Eusaprim forte®) KI:
Schwangerschaft und Stillzeit. Kontroll-Urinkultur nach 5 Tagen. Wirkt bei
80 % der Pat. Bessere Ergebnisse bei Ther. über 3 Tage. Rezid. bakterielle Zys-
titis: erneute Einzeitther. oder Antibiose über 7 Tage.
• Z ystitis bei Grav.: Jede Zystitis in der Schwangerschaft ist therapiepflichtig.
Konservativ: Antibiose (auch bei nichtsignifikanter Keimzahl < 105), z. B.
über 7 Tage Amoxicillin 3 × 750 mg/d oder Oral-Cephalosporin (z. B. Orelox®
3 2 × 200 mg/d). Stationäre Ther. bei fieberhaftem und therapieresistentem
Verlauf. Kontrolluntersuchungen bis zum Wochenbett.
• D iab. mell.: über 7 Tage Amoxicillin oder Oral-Cephalosporin oder Chinolon
(z. B. Ciprofloxacin 2 × 250 mg p. o.). Kontroll-Urinkultur nach 5 Tagen und
6 Wo.
• N ichtgonorrhoische Urethritis: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. über mind.
1–2 Wo. (z. B. Doxy-CT®); bei Versagen Erythromycin 3 × 500 mg/d p. o.
über 1–2 Wo. (z. B. Erythrocin®). Wurden Enterokokken nachgewiesen, Co-
trimoxazol oder Amoxicillin über 7 Tage.
3.3.2 Pyelonephritis
Klinik Fieber > 38 °C, Flankenschmerz. Klopfschmerzhaftes Nierenlager (re
> li). Pollakisurie und Dysurie können fehlen! Potenziell lebensbedrohliche Erkr.,
da sich jederzeit eine Pyonephrose oder Urosepsis entwickeln kann!
Diagnostik
• L abor: Sediment, Urin-Kultur (nach 5 Tagen Wiederholung), Blutkultur, BB
(Leukozytose), BSG ↑, CRP ↑↑. Tägl. Krea, um Nierenfunktionsverschlech-
terung frühzeitig zu erfassen. Gerinnungsparameter, Ein- und Ausfuhr.
• S ono (obligat): Niere vergrößert, Narben, Nierensteine, Harnaufstau.
• G gf. CT, nach der Akutphase i. v. Urogramm zur Ursachenklärung.
Stationäre Therapie
• B ettruhe, regelmäßige Temperaturkontrollen.
• A usfuhr soll > 1.500 ml/d betragen.
• B ei auswärts erworbener Pyelonephritis (PN): Amoxicillin 3 × 2 g/d i. v. (z. B.
Amoxicillin-CT®) oder Cephalosporin z. B. Cefotaxim 2 × 2 g/d i. v. oder Chi-
nolon (cave: steigende Resistenzraten), z. B. Ciprofloxacin 2 × 500 mg/d p. o.
• B ei im Krankenhaus erworbener PN Kombination von Cephalosporin und
Aminoglykosid z. B. Gentamicin 1 × 3–5 mg/kg KG/d (z. B. Refobacin®) als
Kurzinfusion über 30 Min. Spiegelkontrolle, Nierenwerte kontrollieren!
• I. v. Ther. ca. 10 Tage, Aminoglykoside können meist nach Entfieberung ab-
gesetzt werden. Nach i. v. Ther. Amoxicillin oder Co-trimoxazol p. o. über ca.
2 Wo. fortführen.
3.3 Niere 97
3.3.3 Urosepsis
Definition Gramneg. Sepsis v. a. nach akuter Pyelonephritis, bei Dauerkatheter,
Instrumentation (z. B. Ureteroskopie) und Harnaufstau.
Klinik Hohes Fieber, Schüttelfrost, septischer Schock (Letalität ca. 60 %), evtl.
Verbrauchskoagulopathie.
Diagnostik Urinkultur, Blutkultur. Sono zum Ausschluss von Abflusshindernis
und Abszess obligat! Labor.
Therapie
• I. v. Kombinationsbehandlung mit Cephalosporin z. B. Cefotaxim 2–4 × 2 g/d
i. v. (z. B. Claforan®) und Aminoglykosid z. B. Gentamycin 1 × 3–5 mg/kg
KG/d (z. B. Refobacin®), Spiegelkontrolle, Nierenwerte kontrollieren!
• B ei Harnaufstau oder Pyonephrose perkutane Nierenfistelung. 3
• L ow-Dose-Heparinisierung.
3.3.4 Nierensteine, Nierenkolik
Klinik Solange die Steine sich nicht bewegen, häufig symptomlos.
• N ierenkolik: kolikartige Schmerzen im Rücken oder seitlichen Unterbauch,
bei tief sitzendem Ureterstein Ausstrahlung in Schamlippen. Evtl. Übelkeit,
Erbrechen, reflektorischer Subileus.
• H ämaturie: in 70 % Mikrohämaturie, in 30 % Makrohämaturie.
Diagnostik
! D D: alle Ursachen eines akuten Abdomens (▶ 3.2.1).
• U rin: Sediment (Hämaturie, Kristallanalyse), pH (↑ bei Phosphat- und In-
fektsteinen), Bakterien (ggf. Kultur).
• S erum: E’lyte, Phosphat (< 0,9 mmol/l bei Hyperparathyreoidismus), Harn-
säure, Krea, Bikarbonat (bei tubulärer Azidose ↓).
• C hemische oder spektroskopische Analyse abgegangener Steine (Urin sieben).
• R ö: Abdomenübersichtsaufnahme (80 % aller Steine sind rö-dicht. Ausnahme
Urat- und Xanthinsteine). DD der konkrementverdächtigen Schatten: Gal-
lensteine, verkalkte Mesenterial-Lk, Pankreasverkalkungen, verkalkte Rip-
penknorpel, Phlebolithen, Kompaktainseln im Becken.
• I. v. Pyelografie: Aufstau, KM-Aussparungen (DD: Blutkoagel, Tumor).
• S ono: Steinschatten (auch bei nicht rö-dichten Steinen, mäßige Sensitivität
und Spezifität!), Harnaufstau.
Prophylaxe
• R ezidivhäufigkeit 60 %!
• P rophylaxe je nach Steinzusammensetzung: reichliche Flüssigkeitszufuhr, ei-
weißarme Diät, ggf. oxalat- bzw. purinarm (z. B. vegetarisch). Urin ansäuern
bei Phosphat- und Infektsteinen (z. B. Mixtura Solvens-Lsg.), alkalisieren bei
Harnsäure- und Zystinsteinen (Uralyt U®). Thiaziddiuretika (senken renale
Kalziumausscheidung). Konsequente Infektbekämpfung, bei obstruktiver
Uropathie op. Korrektur.
3
3.4 Schock
Klinik
• L ebensbedrohliches Kreislaufversagen mit kritischer Verminderung der Or-
gandurchblutung und nachfolgender hypoxisch-metabolischer Schädigung
der Zellfunktion.
• V eränderte Bewusstseinslage, Unruhe, Angst, Apathie, Somnolenz, Koma.
• T achykardie (cave: keine Betablocker!), erniedrigte RR-Amplitude (Pulsus
celer et parvus).
• R Rsystol < 90 mmHg. Cave: bei vorbestehender Hypertonie evtl. „normaler“
RR.
• S chockindex: Puls/RRsystol > 1,0 (normal 0,5). Cave: unzuverlässiger Wert!
• K alte, feuchte, blassgraue Extremitäten (Ausnahme: septischer Schock in der
Frühphase).
• P eriphere Zyanose.
• H yperventilation, Dyspnoe bei metabolischer Azidose.
• O ligurie (< 20 ml/h).
Diagnostik
• K linische Untersuchung: Haut, Halsvenenfüllung, Herz und Lungen auskul-
tieren, Bewusstseinszustand prüfen; RR, Herz- und Atemfrequenz, Körper-
temperatur. Urinausscheidung (wichtiger Parameter zur Verlaufskontrolle).
• E KG: z. B. Herzinfarkt, Rhythmusstörungen.
• Z VD: bei Linksherzversagen und Lungenembolie ↑, bei Volumenmangel ↓.
• R ö-Thorax: z. B. Aneurysma dissecans, Pneumothorax, Hämatothorax.
• R ö-Abdomen: z. B. freie Luft.
• O berbauch-US (z. B. Aortenaneurysma, Herzbeuteltamponade), ggf. Echo
(Kontraktilität, Klappenbeweglichkeit).
• L abor: BB, Gerinnung mit Fibrinogen(-spaltprodukten), AT III, Blutgruppe
und Kreuzprobe, Krea und E‘lyte, BZ, CK, CK-MB, GOT, LDH, HBDH,
α-Amylase, Lipase, Laktat, ggf. Alkohol; BGA.
Management
• K linische Untersuchung: Haut, Halsvenenfüllung, Herz und Lungen
auskultieren, Bewusstseinszustand prüfen; RR, HF, Atemfrequenz,
3.4 Schock 99
3.4.1 Hypovolämischer Schock
Der hämorrhagische Schock ist für den überwiegenden Teil der periop. Mor-
bidität und Mortalität verantwortlich. Ursache sind akute Blutverluste durch
Verletzungen großer Gefäße oder durch diffuse Blutungen aus großen
Wundflächen, arrodierten Tumoren oder Verletzungen von Venengeflech-
ten im kleinen Becken. Entscheidend ist die sofortige Lokalisation der Blu-
tungsquelle mit Blutstillung, ggf. durch Tamponade oder Ligatur der A. iliaca
interna.
3 Management
Basismaßnahmen ▶ 3.2.1.
Blutverlust einschätzen (▶ Tab. 3.5), bestimmt weiteres Vorgehen.
Therapie bei Verlust von < 30 % des Blutvolumens:
• 5 00–1.500 ml kolloidale Plasmaersatz-Lsg., z. B. Hydroxyethylstärke.
• K ristalloide Lsgn. (z. B. Ringer, NaCl 0,9 %), wenn neben Blutverlust ei-
ne Dehydratation oder Störung im E‘lyt-Haushalt vorliegt.
Therapie bei Verlust von > 30 % des Blutvolumens:
• Z usätzlich Blut ersetzen (auf 2–3 EK 1 FFP, ▶ 2.6).
• V olumenersatz, möglichst unter ZVD-Kontrolle.
• S auerstoffgabe, ggf. Intubation und Beatmung.
• B ei Hypotonie immer erst Flüssigkeitssubstitution.
• B ei Hypotonie trotz Volumenausgleich Dobutaminperfusor: 250 mg auf
50 ml NaCl 0,9 % über Perfusor 2–10 ml/h.
3.4.2 Septischer Schock
Definition Schock durch frei werdende Bakterientoxine → kapilläre Gefäßweit-
stellung → relative Hypovolämie. In der Gynäkologie und Geburtshilfe sind auf-
steigende genitale Inf., Bakteriämie und septischer Schock vergleichsweise selten,
aber dennoch die häufigste infektiöse Todesursache der jungen Frau.
Prädisponierende Faktoren Chorioamnionitis, septischer Abort, postpartale En-
domyometritis, aufsteigende HWI, lokale Inf. nach Hysterektomie, Pelvic In-
flammatory Disease (PID) einschl. Tuboovarialabszess.
Klinik Meist hohes Fieber mit Schüttelfrost und Hyperventilation. Zu Beginn
warme, gut durchblutete, trockene Haut: Pat. wirkt gesünder, als sie ist! Haut spä-
ter kalt, zyanotisch; evtl. Hautblutungen. Bewusstsein meist eingeschränkt. ZVD
anfangs normal!
Diagnostik
! Th
erapiebeginn nicht verzögern!
• L abor: Leukozytose oder -penie, Thrombopenie, Zeichen der Verbrauchsko-
agulopathie. CRP ↑↑. BGA: Hypoxie, Azidose, Blut- und Urinkultur, Liquor:
Ausstrich und Kultur ▶ 2.4.
• S ono: Vag.-Sono, Sono Abdomen.
3.4 Schock 101
• G gf. CT.
• R ö-Thorax: z. B. Pneumonie, Abszess, Schocklungen-Sy.
• C hirurgisches Konsil zum Ausschluss einer Appendizitis, Divertikulitis,
Darmperforation, Durchwanderungsperitonitis o. Ä.
Therapie
• A llg. Schockther. ▶ 3.5.
• B ei ZVD ↓ Volumensubstitution mit kristalloiden und kolloidalen Lsgn.
• B ei ZVD ↑ Dopamin oder Dobutamin über Perfusor.
• A zidosekorrektur nach BGA.
• A mpicillin 4 × 2 g/d i. v. (z. B. Ampicillin-CT®) plus Aminogykosid, wie Gen-
tamycin 1 × 3–5 mg/kg KG/d als Kurzinfusion (z. B. Refobacin®; Cave: Nie-
renfunktion) plus Clindamycin 3 × 600 mg/d als Kurzinfusion (z. B. Sobelin®).
3
• B ei Tuboovarialabszess ist eine antibiotische Behandlung über 72–96 h
zulässig, bei Misserfolg chirurgische Intervention. Therapiedauer mind.
10 Tage (▶ 14.5).
• nmittelbare Laparotomie bei Abszessruptur mit septischem Schock!
U
3.4.3 Anaphylaktischer Schock
Ätiologie Allergische Reaktion auf:
• M edikamente: oft Antibiotika (v. a. Sulfonamide und Penicillin), Rö-KM, Lo-
kalanästhetika, Iodide, Pyrazolone, ASS, Dextran- und Gelatinepräparate.
• F remdeiweiße und Polysaccharide: Insekten- und Schlangengifte, Vakzine,
Organextrakte, Allergene bei Hyposensibilisierungen.
Klinik Sek. oder min. nach Allergenzufuhr → Unruhe, Juckreiz, Niesen. Dann
Schwindel, Fieber mit Schüttelfrost, Angstgefühl, Übelkeit und Erbrechen, Durch-
fall, Dyspnoe mit Bronchospasmus, Larynxödem, RR-Abfall und Tachykardie.
Evtl. Krampfanfälle, Bewusstseinsverlust, Kreislaufstillstand.
3.4.4 Hypoglykämischer Schock
Ursachen
Typ 1: BE in der Nahrung zu hoch eingeschätzt, zu langer Spritz-Ess-Abstand
(Insulin gespritzt und schlafen gelegt), nach Absetzen von Medikamenten (Pille,
Kortikoide), körperlicher Belastung, Alkoholgenuss, Inf.
Typ 2: Überdosierung von Sulfonylharnstoffen, zusätzliche Medikamentenein-
nahme (Cumarine, Phenylbutazon, Sulfonamide, Betablocker), Reisen und ver-
minderte Nahrungsaufnahme, Inf.
Leichte Hypoglykämie: Schweißausbruch, Blässe, Unruhe, Tremor, RR-Anstieg,
periorales Missempfinden, Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Euphorie).
Schwere Hypoglykämie: Bewusstseinstrübung, neurologische Ausfälle, Koma mit
zerebralen Krampfanfällen.
3
Therapie der Hypoglykämie
• L eichte Hypoglykämie:
– Bei ersten Anzeichen sofort 10–20 g Traubenzucker oder 4–8 Stück
Würfelzucker oder 1 Glas Saft mit Traubenzucker, dann 1–2 BE
langsam resorbierbare Kohlenhydrate (z. B. Brot).
– Bei Bewusstlosigkeit oder Eintrübung Glukagon-Fertigspritze i. m.
Cave: keine Wirkung bei alkoholinduzierter Hypoglykämie. KI:
Grav.!
• S chwere Hypoglykämie:
– Mind. 20–50 ml 40-prozentige Glukose im Nebenschluss zur laufen-
den Infusion (Ringer-Lsg.), bis zum Aufwachen ggf. wiederholen.
– Bei Sulfonylharnstoffhypoglykämie Gefahr der protrahierten Hypo-
glykämie mit erneutem Schock → nach Aufklaren 10-prozentige Glu-
koseinfusion, 24-h-Überwachung mit BZ-Kontrollen alle 2 h.
– Bei drohender Überwässerung alle 4 h Dexamethason 4–8 mg i. v.
oder i. m. (z. B. Fortecortin®).
3.5 Gynäkologische Notfälle
Die meisten gynäkologischen und geburtshilflichen Notfälle sind unter den ent-
sprechenden Organkapiteln mit den entsprechenden Ther. ausführlich beschrie-
ben. Nachfolgend wird deshalb nur kurz auf einzelne Erkr. eingegangen.
3.5.1 Genitale Blutung
Ätiologie
• V erletzungen von Vulva oder Vagina, Abort, Uterus myomatosus (v. a. sub-
muköses Myom), Endometriumhyperplasie, Endometriumpolyp, Zervix-Ca,
Endometrium-Ca.
• E xtragenitale Ursachen: Makrohämaturie, Hämorrhoidalblutung.
Klinik Deutlich überperiodenstarke, meist hellrote Blutung, bei entsprechen-
dem Blutverlust: Zeichen des hypovolämischen Schocks (▶ 3.5.1).
3.5 Gynäkologische Notfälle 103
Diagnostik
• A namnese: Zyklus, Vorerkr., Voroperationen, letzte Früherkennungsunter-
suchung.
• Inspektion des äußeren Genitale (▶ 11.2.1), Spiegeleinstellung.
• P alpation einschl. rektaler Untersuchung.
• U ltraschall (▶ 22), Urinstatus.
Therapie (je nach Ursache)
• V enösen Zugang legen, Blutentnahme für BB, E‘lyte, Gerinnung, HCG, Blut-
gruppe, Kreuzblut, Schockther. (▶ 3.5).
• V erletzungen: op. Versorgung, ggf. in Narkose.
• A bort: stationäre Aufnahme, je nach Abortform Bettruhe und evtl. Tokolyse
oder op. Nachräumung (▶ 5.5).
• U terus myomatosus: Kürettage, diagn. oder op. Hysteroskopie ggf. mit hyste-
roskopischer Resektion eines submukösen Myoms oder hysteroskopischer 3
Endometriumablation. Im Extremfall Hysterektomie (▶ 13.4.1).
• Z ervix-Ca: bei Spiegeleinstellung PE zur histologischen Sicherung, feste
Scheidentamponade, ggf. Notfallbestrahlung (▶ 13.8).
• E ndometrium-Ca: histologische Sicherung durch Hysteroskopie und Abrasio,
dann stadiengerechte Ther. (▶ 13.9).
3.5.2 Akute Unterbauchschmerzen
▶ 14.1.1.
Klinik Leitsymptome eines „akuten Abdomens“ als häufige Einweisungsdiagn.
sind:
• S tarke abdominelle Schmerzen.
• A bwehrspannung.
• G estörte Peristaltik.
Differenzialdiagnose
• A kut einsetzend, Amenorrhö, pos. HCG → V. a. EUG (▶ 14.3).
• Z unehmende Schmerzen, meist postmenstruell, vag. Fluor, Entzündungszei-
chen → V. a. Adnexitis (▶ 14.4).
• A kute, meist einseitige Schmerzen, nach heftigen Bewegungen auftretend
(Tanzen, Sport) → V. a. stielgedrehten Ovarialtumor (▶ 14.7).
• In Zyklusmitte auftretender Schmerz → V. a. Ovulationsschmerz, rupturierte
Ovarialzyste.
• E xtragenitale Ursachen: Appendizitis, Zystitis, Harnleiterstein, Leistenhernie,
Divertikulitis.
Diagnostik
• A namnese: Schmerz, Zyklus, Vorerkr., Voroperationen, Kontrazeption.
• U ntersuchung: Spiegeleinstellung und Palpation.
• L abor: BB, CRP, HCG, E‘lyte, Gerinnung, Blutgruppe, Kreuzblut, Leber- und
Nierenwerte, Urinstatus.
• U ltraschall (▶ 22), ggf. diagn. oder op. Laparoskopie.
• H äufige Diagn. in der Vier-Quadranten-Einteilung (▶ Abb. 3.4).
Therapie
• G gf. Schockther. (▶ 3.5).
• E UG: op. Laparoskopie (▶ 14.3).
104 3 Internistische Probleme
Appendizitis Divertikulitis
3 Urolithiasis
Adnexitis
Urolithiasis
Adnexitis
Enteritis terminalis Stielgedrehte Ovarialzyste
Stielgedrehte Ova- Tubargravidität
rialzyste Perforiertes Aorten-
Tubargravidität aneurysma
3.5.3 Überstimulationssyndrom
Ätiopathologie Durch Gabe von Gonadotropinen im Rahmen der Sterilitätsther.
kann es zur ovariellen Überstimulation mit dem Heranreifen mehrerer Follikel
und entsprechend hoher Östrogenproduktion kommen, durch die große Flüssig-
keitsmengen in den Extravasalraum verschoben werden. Auftreten meist 3–8 Ta-
ge nach der Ovulationsauslösung (HCG-Gabe ▶ 15.4.2).
Klinik Übelkeit, Erbrechen durch Aszites, Atembeschwerden bei Hydrothorax,
Unterbauchschmerzen bei Ovarialzysten > 5 cm, Hämokonzentration mit Throm-
boseneigung, E‘lytverschiebung. KO: akutes Nierenversagen, Atemnotsy., Throm-
bembolie, Stieldrehung und Zystenruptur.
Stadieneinteilung
• L eicht: abdominelles Spannungsgefühl, Übelkeit/Erbrechen und/oder Diar-
rhö.
• M ittel: zusätzlich sonografischer Nachweis eines Aszites.
• S chwer: zusätzlich Hydrothorax, Dyspnoe, Hämokonzentration, Gerinnungs-
störung, eingeschränkte Nierenfunktion.
Diagnostik Anamnese (Sterilitätsther.), Ultraschall (Aszites, Ovarialzysten,
Pleuraergüsse), Labor mit Hb ↑, Hkt ↑, E‘lyte, Gerinnung.
Stationäre Diagnostik
• T ägl. Untersuchungen:
– Klinische Untersuchung mit Beurteilung der Vitalfunktionen.
– Kleines BB (Hb, Hkt, Leukozyten, Thrombozyten), E‘lyte (Na+, K+), Krea.
– Gewichtsbestimmung und Bauchumfangmessung, Flüssigkeitsbilanzie-
rung (Einfuhr/Ausfuhr).
3.6 Geburtshilfliche Notfälle 105
3.6 Geburtshilfliche Notfälle 3
Tab. 3.6 Differenzialdiagnosen geburtshilflicher Notfälle mit Querverweisen
Symptom Differenzialdiagnose Kapitel
4.1 Genetische Beratung
4.1.1 Ziele der genetischen Beratung
• A uskunft über Risiken für ein Kind mit geschädigten (Erb-)Anlagen.
• Informationen über die Möglichkeiten der Diagn., Ther. und Prognose ent-
sprechender Erkr.
• E ntscheidungshilfe für bzw. gegen das Austragen einer bestehenden Schwan-
gerschaft oder den vollständigen Verzicht auf eigene Nachkommen.
• V
erpflichtung nach dem Gendiagnostikgesetz u. a. für genetische Untersu-
chung in der Schwangerschaft, Ersttrimester-Screening, Faktor-V-Leiden-
Untersuchung bei familiär gehäuften Thrombosen (Ausführungsbestimmun-
gen für die gesetzliche Beratung stehen noch aus).
Embryopathie Bis 8. Wo. p.c. (Ge- Während der Organogenese: komplexe Or-
nitalentwicklung ganfehlbildungen, schwere morphologische
bis 10. Wo. p.c.) Defekte durch:
• virale Infekte (Röteln)
• Medikamente (Thalidomid)
• Strahlen (natürliche, Rö-Strahlen)
4.2 Untersuchungsmethoden 109
4.2 Untersuchungsmethoden
4.2.1 Pränatale Diagnostik
Normwerte in FW und Serum ▶ 5.1.6.
• S creeninguntersuchungen im Serum: Ersttrimester-Screening (▶ 4.2.4; Triso-
mie 21 ▶ 4.2.3), AFP-Wert (Neuralrohrdefekte ▶ 4.6, ▶ 5.1.6).
• S onografische Fehlbildungsdiagn.: in der 9.–14. SSW ▶ 4.2.4.
• P ränatale Chromosomenanalyse des Kindes: Chorionzottenbiopsie ab
10. SSW (▶ 4.2.6) oder Amniozentese ab 15. SSW (▶ 4.2.5), Früh-Amniozen-
tese 12.–14. SSW.
• N ackenfalte (sog. NT-Screening). 11 + 4. bis 13 + 4. SSW bzw. SSL > 45 mm:
bei Nackenfalte ≥ 4 mm Risiko chromosomaler Fehlbildungen, Herzvitien,
Neuralrohrdefekte ca. 5–60 %.
• F W-Untersuchungen: AFP quantitativ (Neuralrohrdefekte) und Cholineste-
rase (nur qualitativ, Neuralrohrdefekte).
• C hordozentese (Nabelschnurpunktion): ab der 17. SSW.
Präimplantationsdiagnostik
Im Rahmen der In-vitro-Fertilisation mögliche molekulargenetische Diagn. an
einzelnen, dem Embryo entnommenen Zellen. In Deutschland vom Grundsatz
her verboten, aber zulässig, wenn aufgrund der Veranlagung der Eltern eine
schwere genetische Erkr. des Kindes wahrscheinlich ist. In anderen europä
ischen Ländern erlaubt und praktiziert (z. B. GB, B, NL).
110 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
4.2.2 Karyotypisierung
Indikation Familienanamnestische Hinweise auf erbliche Erkr., insb. chromoso-
male Schädigungen.
Material 5 ml EDTA-Blut zur Aufarbeitung in humangenetischem Institut.
Auswertung Anhand der Kultur können Neumutationen gegen Erbgutschädi-
gungen der Eltern abgegrenzt werden, die sich aufgrund von balancierten Trans-
lokationen oder Konduktorenstatus bei diesen selbst nicht in einem pathologi-
schen Phänotyp manifestieren.
4.2.3 Tripeldiagnostik
Indikation Screening für Risikoschwangere, um eine Trisomie 21 oder eine
Chromosomenaberration aufzudecken. Ein generelles Screening ist umstritten, da
häufig falsch pos. Resultate und hohe Kosten. Bestätigungsdiagn. eines auffälligen
Testergebnisses muss durch Amniozentese erfolgen. Cave: Schwangere über Risi-
ken einer Amniozentese informieren, Bereitschaft zur Interruptio bei pos. Triso-
miediagn. klären. Keine Leistung der GKV. Die Tripeldiagn. ist zugunsten des
4 Ersttrimester-Screenings obsolet.
Material Entnahme von 10 ml mütterlichem Serum am besten in der 15. SSW.
Bestimmung von HCG, AFP und E3.
Auswertung und Ergebnisse Computergestützte Berechnung des relativen Risikos
für Trisomie 21, die u. a. Alter und Gewicht der Mutter sowie das genaue Schwan-
gerschaftsalter in Korrelation zu den Labordaten berücksichtigt (gravierende
Schwankungen z. B. bei Angabe in abgeschlossenen versus angefangenen SSW).
• B ei einem unauffälligen Triple-Test verringert sich das Risiko der Geburt ei-
nes Kindes mit Trisomie 21 (Risiko der Geburt eines Kindes mit Down-Sy.
für alle Schwangeren unabhängig vom Alter der Mutter ca. 1 : 650, für
Schwangere < 35 J. bei ca. 1 : 1.000).
• B ei auffälligem Triple-Test ist das Risiko für ein Down-Sy. entsprechend er-
höht → Amniozentese und Chromosomenanalyse können eine genauere Aus-
sage liefern.
Nachteile Der Triple-Test kann nicht zwischen gesunden und kranken Kindern
unterscheiden, sondern nur Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen solcher Stö-
rungen geben. Die Aufdeckungsrate von Chromosomenstörungen liegt bei 75 %.
Etwa 7,5 % der Triple-Tests bei Frauen < 35 J. sind auffällig, ohne dass eine Chro-
mosomenstörung oder ein Neuralrohrdefekt vorliegt.
Kosten Die Durchführung des Triple-Tests inkl. Beratung, genauer US-Bestim-
mung des Schwangerschaftsalters, Blutentnahme und Auswertung im Labor sind
sog. individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) → keine Übernahme durch GKV.
4.2.4 Ersttrimester-Screening
Ziel Zur Risikoabschätzung chromosomaler Störungen (Trisomie 13, 18 und
21) setzt sich zunehmend das frühe Screening im ersten Trimenon der Schwan-
gerschaft durch. Die Durchführung kann zwischen der 11 + 4. und 13 + 6. SSW
(= Scheitel-Steiß-Länge 45–84 mm) erfolgen.
4.2 Untersuchungsmethoden 111
Durchführung Seit dem 1.2.2010 ist nach dem Gendiagnostikgesetz auch beim
Ersttrimester-Screening die Einwilligungserklärung der Pat. erforderlich.
Bei dem von der Fetal Medicine Foundation (FMF) zertifizierten Verfahren muss
der Untersucher im Besitz der entsprechenden Zertifizierung sein.
• U ltraschalluntersuchung:
– Messung der Nackenfalte oder Nackentransparenz (sog. NT-Screening).
– Fehlbildungsultraschall (fakultativ).
– Messung des fetalen Nasenbeins (fakultativ).
• L aboruntersuchung:
– freies β-HCG.
– PAPP-A (Pregnancy-associated Protein A).
Auswertung Aus NT und Laborparametern, mütterlichem Alter und der genau-
en SSW wird ein individuelles Risiko für eine chromosomale Störung (s. o.) be-
rechnet:
• R isiko < 1 : 300: Amniozentese (▶ 4.2.5) zur Chromosomenanalyse.
Aktuelle Vorstellungen der FMF, London:
• R isiko > 1 : 100: immer Amniozentese.
• R isiko < 1 : 1.000: keine invasive Diagn.
• D azwischen genauere Abklärung: Sono Nasenbein, Trikuspidalklappe (Re- 4
gurgitation), Ductus-venosus-Doppler.
Sensitivität NT 90 %, mit Nasenbein-Messung 97 %, mütterliches Alter (> 35 J.)
allein 50 %.
www.fmf-deutschland.info
www.fetalmedicine.com
4.2.5 Amniozentese
Definition Transabdominale Punktion der Amnionhöhle möglichst an einer
plazentafreien Stelle (cave: Blutung, möglicherweise falsche Aussage bei blutigem
FW) zur FW-Entnahme.
Indikationen Zytogenetische Untersuchung bei Schwangeren > 35 J. bzw.
Kindsvater > 40–50 J., kindlichen Fehlbildungen in der Eigen- oder Familienana-
mnese (▶ 4.1), pathologischem Tripel-Test, Nackenödem in der 12.–14. SSW
(▶ 4.2.4).
Durchführung Je nach Ind. ab der 15. SSW Standard-Amniozentese. Cave: Die
„Früh-Amniozentese“ sollte nicht mehr erfolgen, da das Risiko von Amnionbän-
dern erhöht ist, mit der Folge fetaler Schädigung.
Unter permanenter sonografischer Kontrolle transabdominale Punktion der Am-
nionhöhle mit einer 20G-(0,9 mm → 9 cm lange)Aspirationskanüle (Gelb) an pla-
zentafreier Stelle nach Alkoholdesinfektion (▶ 2.1, Kategorie III, sterile Hand-
112 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
schuhe). Entnahme z. B. von ≤ 20 ml FW für die genetische Untersuchung. Nach
Punktion 2 h Bettruhe. Bei Rh-neg. Pat. Rh-Prophylaxe z. B. mit 1 Amp. Partobu-
lin SDF® i. m.
Die Untersuchung sollte dem geübten Pränataldiagnostiker vorbehalten bleiben. Am
Folgetag unbedingt Sono zur Kontrolle der Vitalitätszeichen und der FW-Menge.
Komplikationen Abort, vorzeitiger Blasensprung, Inf. Abortrate < 1 %.
Auswertung Trisomien (21, 13, 18, XXY, XXX) pränatal nachweisbar, ebenso
X-chromosomale Leiden (Muskeldystrophie Duchenne, Lesch-Nyhan-Sy., Hä-
mophilie, X-chromosomal vererbter Hydrozephalus), weiterhin etwa 50 erbliche
Stoffwechselstörungen einschl. der Mukoviszidose als häufigster angeborener
Stoffwechselerkr.
• F ISH (Fluoreszin-in-situ-Hybridisierung): 24-h-Schnelltest für numerische
Chromosomenaberrationen (Chromosomen 13, 18, 21, X, Y) an unkultivier-
ten FW-Zellen. Als parallel durchführbares Verfahren nach genetischer Bera-
tung bei gegebener Ind. zeitliche Vorteile, ersetzt nicht die konventionellen
Chromosomenanalysen (cave: keine GKV-Leistung).
• B ili-, AFP- und Insulinbestimmung im FW (▶ Abb. 5.5) = GKV-Leistung.
• A cetylcholinesterase-(AChE-)Bestimmung im FW ergänzend zur AFP-Be-
4 stimmung; pos. bei Neuralrohr-, Brust- und Bauchwanddefekten, Turner-Sy.
GKV-Leistung.
4.2.6 Chorionzottenbiopsie
Vorteil ist ggf. die frühzeitigere Schwangerschaftsbeendigung bei einer geneti-
schen Störung durch frühere Diagnosestellung gegenüber Amniozentese (diese
erst ab ca. 15. SSW durchführbar ▶ 4.2.5). Dadurch wird eine mögliche Interrup-
tio wesentlich komplikationsärmer, außerdem ist sie für die Schwangere psy-
chisch leichter zu verarbeiten als in einem späteren Schwangerschaftsalter.
Indikationen Zur genetischen Untersuchung in der Frühschwangerschaft
(10. SSW). Schwangere > 35 J., kindliche Fehlbildungen in der Eigen- oder Fami-
lienanamnese.
Transzervikale Chorionzottenbiopsie
Kontraindikationen Abortbestreben, vag. Inf.
Durchführung Nach Desinfektion von Vulva und Scheide Aspirationskatheter
unter Ultraschallsicht transzervikal einführen. Entnahme der Chorionzottenpro-
be in ein vorab mit Heparin (z. B. Liquemin®) und Humanalbumin gespültes, mit
Medium gefülltes Reagenzgefäß. Sofortige mikroskopische Kontrolle auf richtige
Entnahme. Aufarbeitung in der Humangenetik. Nach Punktion strenge Bettruhe
für 2 h, bei Rh-neg. Pat. Rh-Prophylaxe z. B. mit 1 Amp. Partobulin SDF® i. m.
Nebenwirkungen Abortrate liegt mit 1–5 % etwas höher als bei der Amniozentese.
Transabdominale Chorionzottenbiopsie
Analoge Punktion des Trophoblasten von abdominal mit 1,2 mm → Aspirations-
nadel (Rosa). Diese Untersuchung sollte dem erfahrenen Pränataldiagnostiker
vorbehalten bleiben. Am Folgetag unbedingt Sono zur Kontrolle der Vitalitätszei-
chen beim Embryo und der FW-Menge.
4.3 Pränatale Schädigungen 113
<3 3 4 5 6 7 8 12 16 20-36 38
Zentralnervensystem
gegenüber Teratogen
Fruchttod oder Unempfindlichkeit
Herz
Ohr
Arme
Augen
Beine
Zähne
Gaumen
äußeres Genitale
4.4 Chromosomenanomalien
Die diploide Körperzelle des Menschen enthält 46 Chromosomen: 22 Autoso-
menpaare und 2 Gonosomen (= Geschlechtschromosomen), XX bei weibli-
chem, XY bei männlichem Geschlecht. Durch Konjugation zweier Gameten
bilden sich im Normalfall neu kombinierte diploide Chromosomensätze. Stö-
rungen im Ablauf der Meiose können zu verschiedenen Chromosomenano-
malien führen.
Numerische Chromosomenaberrationen
Folge einer Nondisjunction (Nichtauseinanderweichen) eines Chromosomen-
paars während der Meiose. Durch Vervielfachung eines kompletten, haploiden
Chromosomensatzes entstehen Polyploidien. Zahlenmäßige Veränderungen ein-
4 zelner Chromosomen innerhalb des haploiden Satzes führen zu Aneuploidien,
den Mono- oder Trisomien.
• G
onosomale Mono- oder Trisomien sind normalerweise mit dem Leben ver-
einbar. Ausnahme: Y0 ist Letalfaktor.
• A
utosomale Monosomien wirken i. d. R. als Letalfaktoren (Ausnahmen: z. B.
partielle Monosomie Cri-du-chat).
• A
utosomale Trisomien sind z. T. lebensfähig und zeigen schwere phänotypi-
sche Auswirkungen. Bei gemeinsamer Grundsymptomatik finden sich variab-
le Begleiterkr. wie Hirnanomalien mit Störungen der geistigen Entwicklung,
multiple Organfehlbildungen, v. a. Herzfehler, kraniofaziale Dysmorphien.
Strukturelle Chromosomenaberrationen
Auslösung durch Translokation, Deletion, Duplikation oder Inversion sowie
Ring- oder Isochromosomen.
4.4.1 Autosomale Chromosomenanomalien
Down-Syndrom Turner-Syndrom
Sphinxgesicht
„Vierfingerfurche”,
kurzer Hals mit
kurzes Mittelglied Pterygium colli
des 5. Fingers
breiter
Mamillenabstand
Cubitus valgus
„Sandalenfurche“
zwischen
1. und 2. Zehe
Pigmentnävi
Kleinwuchs
4.4.2 Gonosomale Chromosomenanomalien
Gesichtsanomalien
• ongoloide Lidachsenstellung: Down-Sy. (▶ 4.4.1).
M
• ntimongoloide Lidachsenstellung: Cri-du-chat-Sy. (▶ 4.4.1).
A
• eiter Augenabstand: Potter-Sequenz.
W
• nger Augenabstand: maternale PKU, Pätau-Sy.
E
• urze Lidspalten: Alkoholembryofetopathie, Edwards-Sy.
K
• akroglossie: Down-Sy. (▶ 4.4.1), angeborene Hypothyreose, Mukopolysac-
M
charidosen.
• erstrichenes Philtrum: Alkoholembryofetopathie.
V
• anges Philtrum: (s. o.), Valproat, maternale PKU.
L
4.5 Stoffwechselerkrankungen 117
Extremitätenfehlbildungen
• olydaktylie: Pätau-Sy. (▶ 4.4.1).
P
• yndaktylie: Cri-du-chat-Sy. (▶ 4.4.1).
S
• andalenlücke: Down-Sy.
S
• ierfingerfurche: Down-Sy.
V
• xtremitätenhypoplasie: Varizellenembryofetopathie, Amnionbänder.
E
• elenkkontrakturen: Potter-Sequenz.
G
• adiusaplasie: Edwards-Sy. (▶ 4.4.1).
R
Kleinwuchs
• D
ysproportioniert:
– A chondroplasie: autosomal dominant, Makrozephalus, Lendenlordose, 4
im Säuglingsalter Muskelhypotonie.
– Knorpel-Haar-Hypoplasie: autosomal rezessiv, überstreckbare Gelenke;
feines, spärliches Haar, Immundefekt.
• roportioniert: Down-Sy., Turner-Sy.
P
• ochwuchs: Marfan-Sy., Klinefelter-Sy.
H
• dipositas (▶ 4.4.2), Turner-Sy., Down-Sy., Klinefelter-Sy. (▶ 4.4.2).
A
Innere Fehlbildungen
• N
ierenfehlbildungen: Embryopathia diabetica, Edward-Sy., Turner-Sy.
• Ö
sophagusatresie: Edwards-Sy.
Neurologische Auffälligkeiten
• E rlernte Fähigkeiten ↓: Speicherkrankheiten.
• G eistige Behinderung: s. o.; Mikrozephalus.
• K rampfanfälle: Stoffwechselerkr. (Naevus flammeus im Trigeminusbereich),
tuberöse Hirnsklerose (White Spots und Angiofibrome), Neurofibromatose
von Recklinghausen (Café-au-Lait-Flecken und Neurofibrome).
• ikrozephalus: angeborene Inf., Alkoholembryofetopathie, maternale PKU,
M
Pätau-Sy., Edwards-Sy.
• uskelhypotonie: Muskeldystrophie, Down-Sy.
M
• yelomeningozele: Valproatembryopathie, Edwards-Sy.
M
4.5 Stoffwechselerkrankungen
4.5.1 Pränatale Diagnostik
Bei den meisten Stoffwechseleerkr. pränatale Diagnose möglich. Allerdings ist ei-
ne pränatale Diagn. nur in Fällen sinnvoll, in denen eine familiäre Belastung vor-
118 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
4.5.2 Erweitertes Neugeborenenscreening
Hörscreening ▶ 9.3.4
Indikationen Das NG-Screening soll frühzeitig Stoffwechselerkr. aufdecken, die
unerkannt und unbehandelt zu ZNS-Schäden führen.
Durchführung Blutentnahme aus der Ferse meist am 3. LT, frühestens ab der
36. Lebensstunde. Umfasst neben Hypothyreose, Phenylketonurie, Galaktosämie
und Biotinidasemangel (▶ Tab. 4.6) auch weitere, seltenere Störungen.
Zeitpunkt des Evtl. 1. Lm Mit 6 Mon. Evtl. Ende Evtl. mit 2 Wo.
Auftretens ers 1. Lw
ter Symptome
4.6 Neuralrohrdefekte
4.6.1 Übersicht
Epidemiologie Häufigkeit 1 : 1.000, Wiederholungsrisiko ca. 6,5 %.
Ätiologie Ursächlich kommen neben genetischen auch Umweltfaktoren in Be-
tracht. Folsäuremangel oder ein genetisch bedingter Block im Folsäurestoffwech-
sel stören durch bislang nicht geklärte Mechanismen die fetale Neuralrohrent-
wicklung.
Pathogenese Durch Entwicklungshemmung der Neuralanlage in der frühen
Embryonalperiode kommt es zu Schlussstörungen des Nervensystems. Erste An-
lage des ZNS ist eine Verdickung des Ektoderms in der dorsalen Mittellinie, die
sog. Neuralplatte. Diese wird durch Absenkung zur Neuralrinne und durch
Schluss und Verlagerung ins Körperinnere zum Neuralrohr. Abhängig vom Aus-
maß der Schlussstörung unterscheidet man:
• T otale Rachischisis: Schluss bleibt in ganzer Länge aus.
• S pina bifida aperta: Schluss bleibt nur kaudal unvollständig.
• C ranium bifidum, in der Extremform ein Anenzephalus: Schluss bleibt nur 4
kranial unvollständig.
Therapie Die Ther. der Dysrhaphien erfolgt operativ. Bei überhäuteten Menin-
gozelen ist sie elektiv möglich, offene Meningozelen erfordern eine sofortige OP
innerhalb der ersten 6–12 Lebensstunden wegen der Gefahr der Rückenmarkinf.
mit Untergang weiteren Nervengewebes (▶ 9.7.4). Formen der Dysrhaphien
▶ 9.7.4.
Prophylaxe In prospektiven randomisierten Studien wurde die Wirksamkeit ei-
ner prophylaktischen Folsäuregabe in der Frühschwangerschaft bewiesen, ideal ist
der bereits präkonzeptionelle Beginn.
Dosierung von Folsäure (z. B. Lafol®):
• B ei Pat. ohne Risikoanamnese: Folsäure 0,4 mg/d p. o.
• B ei Pat. mit Neuralrohrdefekt-Anamnese in vorausgegangener Schwanger-
schaft: 4 mg/d.
• B ei antikonvulsiver Ther. (Phenobarbital, Phenytoin, Primidon): ≤ 0,5 mg/d
p. o. wegen Gefahr der verminderten antikonvulsiven Wirkung.
4.6.2 Hydrozephalus
Formen Man unterscheidet:
• H
ydrocephalus internus: Erweiterung der Hirnkammern.
• H
ydrocephalus externus: Erweiterung von Hirnkammern und/oder Sub-
arachnoidalraum.
Der Hydrozephalus kann hypertensiv oder normoton sein, mit oder ohne Makro-
zephalus auftreten, isoliert oder mit anderen Strukturanomalien des ZNS einher-
gehen. Zeitpunkt des Auftretens: prä-, peri- oder postnatal.
Epidemiologie Häufigkeit ca. 1 : 900, davon 40 % mit Spina bifida interna, 20 %
als unkomplizierter, kongenitaler Hydrozephalus (Wiederholungsrisiko 1–2 %)
und 15 % X-chromosomal mit Aquäduktstenose.
120 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
4.7.2 Allgemeine Strahlenbelastung
Die mittlere jährliche Strahlenbelastung der deutschen Bevölkerung beträgt ca.
3,5 mSv. Davon entfallen:
• 6 0 % (ca. 2,0 mSv) auf natürliche Strahlenquellen wie terrestrische, kosmische
und Strahlung radioaktiver Zerfallsprodukte aus dem tägl. Umgang, etwa
Baumaterialien, Inkorporation natürlicher radioaktiver Stoffe (z. B. 14C).
• 4 0 % (ca. 1,5 mSv) auf künstliche Bestrahlung, i. Wesentl. bei medizinischer
Diagn. und Ther., aber auch Strahlung infolge von Forschung, kerntechni-
schen Anlagen, radioaktiven Fallouts und Flugreisen.
4.7 Strahlenexposition in der Gravidität 121
Tab. 4.7 Geschätzte mittlere Strahlendosis für das Ungeborene bei Röntgen
diagnostik in der Gravidität
Aufnahmetechnik/Untersuchte Körper Strahlendosis (mSv)*
region der Mutter
Konventionelles Rö
HWS 0,02
Schädel 0,04
Thorax 0,08
BWS 0,09
Gallenblase 2,0
4
LWS 2,8
Abdomen-Übersicht 2,9
Hüfte 3,0
Becken-Übersicht 4,4
Kontrastmitteluntersuchungen
Computertomografie
Schädel 2,0
Thorax 6–10
Abdomen 10–25
Magnetresonanztomografie
Da nur wenige Erfahrungen vorliegen, sollte die Ind. insb. in den ersten 3 Mon.
der Grav. sehr streng gestellt werden. Untersuchungen mit geringstmöglicher
Feldstärke und Expositionsdauer durchführen.
• D
eutlich höhere Belastungen werden bei Durchleuchtungen erreicht,
z. B. bei Polytraumen oder im Rahmen von Angiografien.
• B ei nachträglich festgestellter Grav. Messstimulation zur genauen Er-
mittlung der Dosisbelastung durchführen.
4.7.4 Strahlenbedingtes Risiko
Definitionen
• L age: Beziehung von Längsachse des Kindes zur Längsachse der Mutter
(Längslage – Querlage – Schräglage).
• S tellung: Position des Kindrückens in Beziehung zur Gebärmutter. Bei
den Längslagen gilt:
– I Rücken li seitlich.
– Ia Rücken li vorn.
– Ib Rücken li hinten.
– II für re Seite entsprechend (z. B. IIa = Rücken re vorn).
• E instellung: Beziehung des vorangehenden Teils zum Geburtskanal, z. B.
bei Schädellagen Hinterhaupt (kleine Fontanelle) oder Vorderhaupt (gro-
ße Fontanelle).
• H altung: Beziehung der Kindsteile zueinander, besonders wichtig für den
Kopf (pathologisch z. B. gestreckter oder deflektierter Kopf) ▶ 6.5.3.
1. Leopold-Handgriff
Indikationen Feststellung von Fundusstand (▶ Abb. 5.1) und Lage des Kindes.
Durchführung Untersuchung der Schwangeren im Liegen. Die ulnaren Kanten
beider Hände umfassen den Fundus.
2. Leopold-Handgriff
Indikationen Ermittlung der Stellung des kindlichen Rückens:
• 1. Lage: kindlicher Rücken li.
• 2.Lage: kindlicher Rücken re.
! (Merkspruch: Rücken rechts = 2-mal „R“ = 2. Lage).
Durchführung Beide Hände liegen seitlich dem Uterus flach an, der Rücken tas-
tet sich als lange glatte Struktur, die kleinen Teile (Arme, Beine) erscheinen unre-
gelmäßig und beweglich.
5.1 Diagnostische Methoden 127
3. Leopold-Handgriff
Indikationen Unterscheidung zwischen Schädel- und Steißlagen bei noch nicht
in das Becken eingetretenem vorangehendem Teil, außerdem Bestimmung des
Höhenstands.
Durchführung Im Bereich des unteren Uterinsegments wird der vorangehende
5
Teil mit Daumen und abgespreizten Fingern der re Hand erfasst. Der Kopf ist
hart, kugelig, ballotiert (Beweglichkeit gegenüber dem Rumpf), der Steiß ist
schmaler, weicher, weniger beweglich.
4. Leopold-Handgriff
Indikationen Ermittelt von außen den Höhenstand des vorangehenden Teils,
sofern dieser ins Becken eingetreten ist.
Durchführung Die Hände werden von kranial mit den ulnaren Kanten seitlich
dem Uterus angelegt und oberhalb der Leistenbeuge in die Tiefe vorgeschoben.
5. Leopold-Handgriff (= Zangemeister-Handgriff)
Indikationen Versuch, ein Missverhältnis zwischen Becken und vorangehen-
dem Teil festzustellen.
Durchführung Von der Seite aus wird eine Handfläche auf die Symphyse, die
andere flach auf den vorangehenden Teil gelegt.
Bewertung
• K opf überragt Symphyse nicht: kein Missverhältnis, Zangemeister neg.
• K opf überragt Symphyse gering: mäßig verengtes Becken.
• K opf überragt Symphyse deutlich: Missverhältnis, Zangemeister pos.
Der Zangemeister-Handgriff ist nur bei vollständig eröffnetem Muttermund
und gesprungener Fruchtblase sowie bei Palpation in der Wehe aussagekräftig!
128 5 Schwangerschaft
1. Leopold-Handgriff 2. Leopold-Handgriff
5
3. Leopold-Handgriff 4. Leopold-Handgriff
Michaelisraute
Indikationen Zur Abschätzung von Beckenform und -größe.
Durchführung Im Stehen unter Anspannung der Gesäßmuskulatur stellen sich,
am besten bei seitlicher Beleuchtung, im Sakralbereich vier Grübchen dar. Eines
5.1 Diagnostische Methoden 129
unterhalb des Dornfortsatzes des LWK4, eines am oberen Rand der Analfurche,
zwei jeweils seitlich über den Spinae iliacae posteriores superiores.
Bewertung ▶ Abb. 5.3.
5.1.3 Beckenmaße
Die Bestimmung der Beckenmaße vor der Geburt hat heute allenfalls noch histo-
rische Bedeutung. Der Versuch, von den äußeren auf die inneren Beckenmaße
schließen zu wollen, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Weitere Methoden (Ultra-
schall, CT, MRT etc.) sind mit Fehlern behaftet oder für die Geburtsplanung
kaum tauglich.
Aus forensischen Gründen empfiehlt sich stets die genaue Dokumentation des ge-
burtshilflichen Befunds (Lage, Stellung, Einstellung, Höhe des vorangehenden
Teils, Beckenaustastung, erreichbares Promontorium, Geburtsverlauf, ermitteltes
Kindsgewicht etc.). Im Rahmen einer Sectio caesarea können die inneren Becken-
maße (Conjugata vera) leicht ermittelt werden.
Innere Beckenmaße
• C onjugata vera (obstetrica): Verbindungslinie vom Promontorium zum
am weitesten vorspringenden Punkt der Symphyse. Nur bei der Sectio
caesarea mit dem Beckenzirkel oder radiologisch zu messen. Normal bei
11 cm.
• Q uerer Durchmesser: im (querovalen) Beckeneingang 13 cm.
• B eckenmitte: nahezu kreisförmiger Raum, alle Durchmesser etwa 12 cm.
• G erader Durchmesser: am Beckenausgang 11–12 cm.
• Q uerer Durchmesser: im (längsovalen) Beckenausgang 11 cm.
250
IE/ml
95. Perzentile
200
150
100 Medianwerte
50
5. Perzentile
0
5 10 15 20 25
Schwangerschaftswoche
5.1.6 Amniozentese
Vergleich Chorionzottenbiopsie und Amniozentese ▶ 4.2.5.
Indikationen Pränatale Diagn. chromosomaler Defekte, FW-Diagn. bei Morbus
haemolyticus fetalis.
Durchführung ▶ 4.2.5.
Bilirubinbestimmung Beim Hydrops fetalis ist die intravaskuläre Transfusion
(Nabelschnurpunktion) unter sonografischer Kontrolle erfolgreicher als die intra-
peritoneale Transfusion und bereits ab 17 + 0 SSW möglich. Daher müssen die
vorbereitenden Untersuchungen wie Bestimmung von Bili, Hb und Hkt im feta-
len Blut sowie Bili-Konz. im FW zu diesem Zeitpunkt vorliegen.
5.1.7 Antikörpersuchtest
• S onografische Überwachung des Fetus zur Erkennung von Aszites oder eines
Hydrops fetalis.
• B ei V. a. Anämie Nabelschnurpunktion zur direkten fetalen Zustandsbeurtei-
lung (Blutgruppe, Hb, Bili).
• G
gf. intrauterine Transfusion gewaschener Erys der Blutgruppe 0-Rh-neg.
(Chordozentese, nur in wenigen Zentren möglich).
• V
orzeitige Schwangerschaftsbeendigung ab einem geschätzten Kindsgewicht
> 1.500 g nach Risikoabwägung möglich.
Eine frühere Gabe von Rh-Ak kann ggf. zu einer Augmentation führen (Ri-
siko der Sensibilisierung sub partu steigt).
Screeningablauf
• Im Zeitraum zwischen 24 + 0 und 27 + 6 SSW Bestimmung der Plasma-
glukosekonz. 1 h nach oraler Gabe von 50 g Glukose-Lsg. unabhängig
vom Zeitpunkt der letzten Mahlzeit, nicht nüchtern (50 g Glukose in
200 ml Wasser innerhalb von 5 Min. langsam trinken lassen). Einmalige
BZ-Bestimmung nach 1 h im Venenblut. 5
• S chwangere mit BZ-Werten ≥ 7,5 mmol/l (= 135 mg/dl) und
≤ 11,1 mmol/l (= 200 mg/dl) erhalten zeitnah einen oralen Glukosetole-
ranztest (oGTT) mit 75 g Glukoselsg. nach Einhaltung von mindestens
8 h Nahrungskarenz (s. diagn. oGTT-Durchführung).
• G
lukosurie in der Frühschwangerschaft oder zu einem späteren Zeitpunkt
Neuauftreten einer Glukosurie und/oder diabetesspezifischer Symptome
(Durst, Polyurie, Gewichtsabnahme unklarer Ursache) → diagn. oGTT, wenn
letzter Test > 4 Wo. zurückliegt.
• rstmalig festgestellte Makrosomie.
E
Liegt der Nüchtern-BZ bereits > 110 mg/dl, soll kein oGTT mehr durchge-
führt werden.
Diagnostischer oGTT
Durchführung
• P at. kommt morgens nüchtern. 75 g Glukose in 300 ml Wasser auflösen und
innerhalb von 5 Min. langsam trinken lassen.
• B Z-Werte nüchtern, 1 und 2 h nach Einnahme.
Auswertung Ein Gestationsdiab. liegt vor, wenn einer der in ▶ Tab. 5.1 genann-
ten Grenzwerte im venösen Plasma erreicht oder überschritten wird.
5.2.1 Schwangerschaftszeichen
• U
nsicher: Ausbleiben der Menstruation, Übelkeit, Erbrechen, Mastodynie,
Hyperpigmentation der Areolae und der Linea fusca (▶ 5.1.1), livide Verfär-
bung von Introitus und Vagina, Zunahme des Bauchumfangs.
• ahrscheinlich: sek. Amenorrhö, Uterusvergrößerung mit Konsistenzwech-
W
sel (Kontraktionen), einseitige, aufgelockerte Vorwölbung des Uterus (Pis-
kacek-Zeichen), leichte Komprimierbarkeit des unteren Uterinsegments (He-
gar-Zeichen), pos. HCG (DD: Blasenmole, Chorionepitheliom, Ovarialtumor
▶ 5.1.4), erhöhte Basaltemperatur.
• icher: in der Sono fetale Herzaktion (ab 5.–6. SSW ▶ 21.2.2), Registrierung
S
der fetalen Herztöne (mit sensitiver Technik ab 12. SSW), Fühlen von Kinds-
teilen (ab 18. SSW), Fühlen der Kindsbewegungen (ab 20. SSW).
5.2 Initialsymptome und erste Maßnahmen 135
4 % der Kinder kommen am berechneten Termin zur Welt, innerhalb von
7 Tagen um den EGT 26 % und innerhalb von 3 Wo. um den EGT 66 %.
Körperliche Untersuchung
• A uskultation von Herz und Lunge.
• R R-Messung.
• F eststellung des KG.
136 5 Schwangerschaft
• U
ntersuchung des M-Urins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, ggf. bakterio-
logische Untersuchungen (z. B. bei auffälliger Anamnese, RR-Erhöhung, Sedi-
mentbefund).
• H b-Bestimmung, bei < 11,2 g pro 100 ml (= 70 % Hb) Zählung der Erys.
Nachfolgende Untersuchungen unabhängig von der Behandlung von Beschwer-
den und Krankheitserscheinungen im Abstand von 4 Wo.:
• G ewichtskontrolle.
• R R-Messung.
• U ntersuchung des M-Urins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, ggf. bakterio-
logische Untersuchungen (z. B. bei auffälliger Anamnese, Blutdruckerhöhung,
Sedimentbefund).
• H b-Bestimmung im Regelfall ab 6. Mon., falls bei Erstuntersuchung normal;
wenn < 11,2 g je 100 ml (= 70 % Hb) Zählung der Erys.
• K ontrolle des Gebärmutterstands.
• K ontrolle der kindlichen Herzaktionen.
• F eststellung der Lage des Kindes.
In den letzten zwei Schwangerschaftsmon. je zwei Untersuchungen.
Ultraschall Im Verlauf der Schwangerschaft soll ein Ultraschallscreening mittels
B-Mode-Verfahren durchgeführt werden:
• V on Beginn der 9. bis zum Ende der 12. SSW (1. Screening).
• V on Beginn der 19. bis zum Ende der 22. SSW (2. Screening).
• V on Beginn der 29. bis zum Ende der 32. SSW (3. Screening).
Ziele: Bestimmung des Gestationsalters, Kontrolle der somatischen Entwicklung
5 des Fetus, Suche nach auffälligen fetalen Merkmalen, frühzeitiges Erkennen von
Mehrlingsschwangerschaften. Ggf. Ersttrimester-Screening (▶ 4.2.4).
Gynäkologische Untersuchung Inspektion und Palpation der Mammae ▶ 10.2.1,
vag. Untersuchung (▶ 5.1.2) mit Spiegeleinstellung, zytologischem Abstrich, Kol-
poskopie (▶ 13.2.2), Chlamydienabstrich in der Frühschwangerschaft.
Labordiagnostik Entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien:
• H b, Bestimmung der Blutgruppe und des Rh-Faktors, Ak-Suchtest (▶ 5.1.7),
2. Ak-Suchtest 24.–27. SSW.
• M öglichst früh: Lues-Suchreaktion (TPHA; ▶ 5.13.11), Röteln-Hämaggluti-
nationshemmtest (pos. > 1 : 16; ▶ 5.13.1). HIV-Screening nur mit schriftli-
chem Einverständnis der Frau. HBsAg bei allen Schwangeren nach der
32. SSW möglichst nahe am Geburtstermin (▶ 5.13.7), bei begründetem Ver-
dacht auf akute Toxoplasmose Serologie (IgM und IgG; ▶ 5.13.10).
5.3 Schwangerenvorsorge
Kay Goerke
5.3.1 Planung
Gemäß Mutterschaftsrichtlinien:
• U ntersuchungen: alle 4 Wo., in den letzten 2 Mon. alle 2 Wo., ab EGT alle
2 Tage, ab 10 Tagen über EGT stationäre Einweisung.
• B ei jeder Untersuchung: RR, Körpergewicht, Stand der Gebärmutter, kindli-
che Herzaktion, Lage des Kindes, MM-Befund.
• L abor: M-Urin (Eiweiß, Zucker, Sediment), evtl. Bakteriologie. Hb (wenn bei
Erstuntersuchung normal: ab 6. Mon.).
• C hlamydiennachweis: bei jeder Schwangeren möglichst früh Chlamydien-
nachweis aus Urin.
• S erologische Untersuchungen auf Inf.:
– z. B. Röteln bei Schwangeren ohne dokumentierte zweimalige Impfung,
Lues, Hepatitis B.
– bei begründetem Verdacht: auf Toxoplasmose und andere Inf.
138 5 Schwangerschaft
5.3.2 Beratung
Arzneimittel
Ind. in der Grav. so streng wie möglich stellen (▶ 5.21).
Ernährung
Schwangerschaft heißt nicht „Essen für zwei“! Übergewicht vermeiden, aber auch
keine Abmagerungskur in der Schwangerschaft. Im Verlauf der Schwangerschaft
steigt v. a. der Vit.- und Mineralstoffbedarf erheblich an, während der Energiebe-
5.3 Schwangerenvorsorge 139
darf nur geringfügig erhöht ist. Dies macht eine sorgfältige Lebensmittelauswahl
notwendig; ballaststoffreiche Kost (z. B. Brot, Getreideflocken, Reis, Nudeln, Hül-
senfrüchte, Gemüse, Salat, Obst) ist zu empfehlen. Die sicherste Grundlage bildet
eine vollwertige Ernährung durch abwechslungsreiche Mischkost, die reichlich
pflanzliche und mäßig tierische Lebensmittel enthält.
Dem häufig auftretenden Heißhunger auf bestimmte Speisen („saure Gurken“)
kann nachgegeben werden, sofern hieraus keine einseitige Ernährung resultiert.
Energiebedarf
• 1 9–25 J.: 2.200 kcal/d, ab 4. Mon. 2.500 kcal/d.
• 2 6–45 J.: 2.000 kcal/d, ab 4. Mon. 2.300 kcal/d.
Mahlzeitenhäufigkeit
5–6 kleine Mahlzeiten tägl., davon eine warme Mahlzeit mit Kartoffeln, Gemüse
oder Salat und Fleisch (3 × pro Wo.), Fisch (2 × pro Wo.) oder Vollkorngetreide
bzw. Hülsenfrüchte.
Iod und Fluor
Zwei Seefischmahlzeiten pro Wo., jodiertes und fluoriertes Speisesalz verwenden.
Substitution von 200 μg/d Jodid.
Folsäure
Zur Vermeidung von Neuralrohrdefekten wird die Gabe von Folsäure 0,4 mg/d
p. o. (z. B. Folsan®), am besten schon vor der Konzeption beginnend, empfohlen.
Cave: Auf Privatrezept verordnen.
Kochsalz 5
10 g/d, meist durch verstecktes Kochsalz in Nahrung schon erreicht.
Flüssigkeit
Mind. 1–1,5 l/d, kalorienreiche Getränke (z. B. Cola) meiden, besser Mineralwas-
ser, ungesüßte Kräuter- und Früchtetees.
Vegetarische Ernährung
Mit Milch, Milchprodukten und Eiern bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl mög-
lich. Streng vegetarische Ernährung ist ungeeignet.
Spezielle Hinweise
• M ilch und Milchprodukte: 450 ml/d, Austausch gegen Käse und Joghurt
möglich (Quark ist relativ kalziumarm!).
• F leisch und Wurst: 90 g/d, magere Wurst- und Fleischwaren von Schwein,
Rind und Geflügel bevorzugen (magerer Bratenaufschnitt, gekochter Schin-
ken, Corned Beef, Geflügelwurst). Fleisch unpaniert zubereiten. Kein Verzehr
von rohem Fleisch (Tatar), Rohwurst (Salami, Mett- und Teewurst) oder Le-
ber. Cave: Toxoplasmose, Salmonellose.
• S eefisch: 1× pro Wo. etwa 200 g mageren (Seelachs, Kabeljau, Schellfisch) und
1× pro Wo. fetten (Hering, Makrele) Fisch zubereiten.
• E ier: 2–3 Eier pro Wo., wegen Salmonellengefahr nur erhitzte Eierspeisen mit
festem Dotter.
• F ette: 30 g/d, Pflanzenfette mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren bevorzu-
gen (Soja-, Sonnenblumen-, Maiskeim- und Distelöl). Auf versteckte Fette in
Wurst, Käse, frittierten Speisen, Kuchen und Süßigkeiten achten.
140 5 Schwangerschaft
Geburtsvorbereitung
▶ 6.3.8.
Entspannungsübungen durchbrechen den Teufelskreis Spannung-Schmerz-
Angst-Spannung. Geburtsvorbereitungskurse werden ab der 28.–32. SSW unter
Anleitung einer Hebamme oder Krankengymnastin empfohlen.
5
Genuss-/Suchtmittel
Generelle Verbote können zu Schuldgefühlen oder Ablehnungsreaktionen gegen-
über dem Ungeborenen führen.
• K offein (Kaffee, Tee, Cola): Nicht mehr als 5 Tassen am Tag, da sonst mit er-
höhter Rate fetaler Mangelentwicklungen zu rechnen ist. Pro 100 mg Koffein
tägl. (= 1 Tasse Kaffee oder 2 Dosen Cola) steigt außerdem das Risiko für eine
Fehlgeburt um etwa 20 %.
• A lkohol: Das Abort- und Fehlbildungsrisiko steigt ab 60 g Alkohol/Wo. (das
sind etwa 100 ml Wein tägl. oder 200 ml Bier tägl.) deutlich an. Auch in gerin-
geren Dosen Alkoholtoxizität (fetales Alkoholsyndrom, FAS).
• N ikotin (auch Passivrauchen): Durch Gefäßkontraktion Mangelentwicklung
des Kindes. Kinder können bei Geburt Symptome des Nikotinentzugs aufwei-
sen. Rauchen in der Familie fördert p. p. die Allergie- und Asthmaneigung
des Kindes sowie akute und chron. Entzündungen der Atemwege.
• Drogenabhängigkeit (Opiate): Ein Entzug in der Schwangerschaft stellt für
das Kind ein höheres Risiko dar als die weitere Drogeneinnahme. Auf Me-
thadon übergehen, wenn die Kooperation der Pat. gewährleistet ist
(Schwangerschaft, Geburt sowie die Zeit bis 6 Wo. p.p. stellt eine Verord-
nungsind. für Methadon dar, kann vom behandelnden Gynäkologen mit
Fachkunde „Suchtmedizinische Grundversorgung“ auf BtM-Rezept verord-
net werden).
5.3 Schwangerenvorsorge 141
Geschlechtsverkehr
▶ 19.2.4.
Gegen GV ist bei normalem Graviditätsverlauf nichts einzuwenden. Bei Blutun-
gen in der Schwangerschaft, vorzeitiger Wehentätigkeit, Zervixinsuff., Uterusfehl-
bildungen, Placenta praevia oder habituellen Aborten → sexuelle Karenz (bei Or-
gasmus Uteruskontraktion, Ejakulat ist prostaglandinhaltig).
Gewicht
Die physiologische Gewichtszunahme in der Schwangerschaft beträgt bei schlan-
ken Frauen 12,5–18 kg. Schwangere im mittleren Gewichtsbereich sollten 11,5–
16 kg zunehmen, übergewichtige Frauen 7–11,5 kg. Übergewichtige Frauen soll-
ten in der Schwangerschaft nicht abnehmen. Die Zunahme verteilt sich auf die
Schwangerschaftsdauer wie folgt:
• 1 .–3. Mon.: keine wesentliche Zunahme.
• 4 .–6. Mon.: 200–250 g/Wo.
• 7 .–10. Mon.: 400–500 g/Wo.
Bei Gewichtsabnahme in der Frühschwangerschaft an Hyperemesis (▶ 5.7.2), bei
übermäßiger Gewichtszunahme im letzten Trimenon an SIH (▶ 5.8) denken.
Impfungen
Aktive Impfungen sind, abgesehen von Tetanus und Poliomyelitis, in der Schwan-
gerschaft kontraindiziert. Bei passiven Impfungen treten nur IgG-Ak (z. B. Poly-
globuline bei Hepatitis A, Masern) diaplazentar auf den Fetus über. Spezifische 5
Immunglobuline sollten möglichst direkt nach Exposition verabreicht werden
und stehen für Hepatitis B, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Mumps,
Röteln, Tollwut und Varizellen zur Verfügung (▶ 5.13).
Während der Schwangerschaft mögliche Impfungen
• D iphtherie: Impfung vorzugsweise im 2. oder 3. Trimenon, sofern kein aus-
reichender Impfschutz (v. a. bei Reisen in Endemieländer, V. a. Exposition).
• T etanus: Grundimmunisierung zu Beginn der 2. Schwangerschaftshälfte
durchführen. Bei Verletzungen Auffrischung bzw. Simultanimpfung abhän-
gig vom Impfstatus möglich.
• P oliomyelitis: Für den parenteralen Impfstoff ist die Schwangerschaft keine KI.
• H epatitis A: nur bei eindeutiger Ind.
• H epatitis B: nur bei eindeutiger Ind., bei NG HBsAg-pos. Mütter Simultan-
prophylaxe.
• I nfluenza: aktive Impfung mit Spaltvakzine oder Subunit möglich.
Während der Schwangerschaft kontraindizierte Impfungen
• M asern: bei Masernkontakt humanes Masern-Ig, wenn keine Immunität.
Schwangerschaftsausschluss vor einer Impfung, nach Impfung für 3 Mon. zu-
verlässige Kontrazeption.
• M umps: Masern.
• R öteln: bei Rötelnkontakt Prophylaxe mit Röteln-Ig bis 7 Tage nach Exposi-
tion.
• V arizellen: passive Immunprophylaxe möglich. NG, deren Mütter 7 Tage vor
bis 2 Tage nach der Entbindung erkrankt sind, werden passiv immunisiert.
142 5 Schwangerschaft
Ramadan
Muslimischer Fastenmon., durch eigenen Kalender in jedem Jahr zu einem ande-
ren Zeitpunkt. Das Fasten einer Schwangeren ist nach dem Koran „Sünde“, dieses
ist aber den Frauen meist nicht bekannt. Einige wichtige Probleme sind:
• B ei Emesis gravidarum Verstärkung der Beschwerden möglich.
• V erschlechterung einer SIH wegen ungenügender Eiweißzufuhr.
• B eschwerden durch E’lytverschiebungen wie Kaliummangel.
• F älle von Thrombopenie wurden beschrieben (HELLP-Sy. ▶ 5.8.3, Thrombo-
zytopenie in der Schwangerschaft ▶ 5.15).
• H b-Erniedrigung durch Eisenmangel.
Reisen
Zusätzlich zu den Reiseanstrengungen belasten Milieu- und Klimawechsel sowie
ein evtl. Arztbesuch in fremder Umgebung die Schwangere. Vorsicht vor Tropen-
reisen (Infektionsgefahr, notwendige Lebendimpfungen, große Hitze). Abzuraten
ist von längeren Autofahrten (▶ Abb. 5.5). Tragen schwerer Koffer und Höhen-
aufenthalte > 2.500 m sind zu meiden, gegen Seilbahnfahrten bestehen keine gene-
rellen Bedenken. Ggf. bei der Krankenkasse Behandlungsschein fürs Ausland be-
sorgen. Cave: Schwangerschaftserkr. sind bei Reiserückholversicherungen von
der Leistungspflicht meist ausgeschlossen!
Falsch Richtig
Die beste Zeit für Reisen in der Schwangerschaft liegt zwischen der 14. und
28. SSW. Im 1. Trimenon besteht ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko, gegen Ende
der Schwangerschaft wird Reisen beschwerlicher und Unfall- und Erkran-
kungsrisiken nehmen zu.
• . n. SIH.
Z
• lazentaanomalien.
P
• ehrlingsschwangerschaft.
M
• . n. Sterilitätsbehandlung.
Z
• rstgebärende > 35 J. oder < 15 J.
E
• eisen in große Höhen (> 4.500 m).
R
• eisen in Gebiete, in denen gehäuft Inf. durch Insekten oder Nahrungsmittel
R
übertragen werden.
• eisen in Malariagebiete, in denen Erreger gegen Chloroquin (z. B. Resochin)
R
resistent sind.
• eisen in Regionen, für die Impfungen mit Lebendimpfstoffen (z. B. Gelbfie-
R
ber) erforderlich sind.
Fliegen
Für die Schwangerschaft birgt das Fliegen in modernen Verkehrsflugzeugen keine
wesentlichen Risiken. Die zusätzliche geringe kosmische Strahlenbelastung stellt
keine KI zur Flugreise dar. Wegen der großen Variation des Geburtstermins sollte
in den letzten 4 Wo. der Schwangerschaft nur auf Kurzstrecken geflogen werden.
Wegen der Schichtdienstbelastung ist die berufliche Tätigkeit an Bord für
Schwangere nicht zulässig.
Sport
Zu vermeiden sind Kraftsportarten, Leistungssport und Sportarten, die mit star-
ker Erschütterung einhergehen (Reiten, Tennis!). Außerdem Vorsicht bei Sport-
arten, die nicht spontan unterbrochen werden können (Segeln, Bergsteigen). Ideal
sind Schwimmen, Radfahren, Wandern, leichte Gymnastik.
Sodbrennen
▶ 5.7.3.
Häufiger Befund in der Schwangerschaft bedingt durch Weitstellung der Hohlor-
gane, Druck auf den Magen durch den Uterus. Nicht durch Hyperazidität. Ther.:
fünf kleine Mahlzeiten, nach dem Essen nicht flach liegen, Milch trinken.
Stillvorbereitung
Abhärten der Brustwarze durch Massieren der Brust zur Areola hin, frische Luft,
Sonneneinstrahlung, Brust abbrausen, frottieren, keinen BH tragen (Mamille
scheuert an der Kleidung). KI: drohende Frühgeburt (Oxytocin-Ausschüttung).
144 5 Schwangerschaft
Elterngeld
Ab 2007 ist das Elterngeld an die Stelle des Erziehungsgeldes getreten. Es wird für
12–14 Mon. unmittelbar nach der Geburt des Kindes gewährt. Die Höhe richtet
sich nach dem elterlichen Einkommen. Nicht erwerbstätige erhalten ein Mindest
elterngeld.
• H öhe des Elterngeldes: Normal- und Gutverdiener 67 % des letzten Nettoein-
kommens minus Werbungskostenpauschale, Besserverdienende max.
1.800 Euro/Mon., Geringverdiener oberhalb von 67 % liegende Summe. Ohne
vorheriges Einkommen Mindestelterngeld von 300 Euro (wird nicht auf Sozi-
alleistungen oder ALG angerechnet).
• D auer: bis zu 12 Mon., Verlängerung um 2 Partnermon., wenn auch der
zweite Partner für diese Mon. Elterngeld beansprucht. Alleinerziehende kön-
nen Partnermon. für sich beanspruchen. Doppelt so lange Zahlung bei hälfti-
ger Inanspruchnahme.
• T eilzeitarbeit für bis zu 30 h/Wo. möglich.
5
5.4 Schwangerschaftsabbruch (Interruptio,
Abruptio)
Kay Goerke
Beratung
Die Schwangere muss in einer durch Ärztekammern oder Regierungspräsidien
anerkannten Beratungsstelle beraten werden. Das Beratungsgespräch muss min-
destens 3 volle Tage vor dem Beginn der Interruptio erfolgt sein (z. B. Beratung
Montag 14:00 Uhr, Wartetage Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, frühester Beginn
der Einleitung der Interruptio Freitag um 0:00 Uhr).
Die Beratung sollte einerseits ergebnisoffen, andererseits aber auch im Sinne der
Schwangerschaftserhaltung durchgeführt werden. Umfang der Beratung:
• V
onseiten der Schwangeren Darlegung der Gründe für den Abbruch (in Bayern
wird auch die Erfassung und Meldung der Gründe gefordert!).
146 5 Schwangerschaft
Kostenübernahme
Die Kosten für Abbrüche aus medizinischer und kriminologischer Ind. werden
von den Krankenkassen übernommen, die Kosten für Abbrüche auf Wunsch der
Frau können bei niedrigem Einkommen auf Antrag von der Krankenkasse erstat-
tet werden.
Operativer Schwangerschaftsabbruch
Gravidität < 12. SSW
• P riming 3–6 h vor Eingriff mit Gemeprost 1 mg (z. B. Cergem®) ins hintere
Scheidengewölbe.
• A llgemeinanästhesie oder Leitungsanästhesie (z. B. PDA, Parazervikalblock).
• V ag. Untersuchung (Größe des Uterus, Konsistenz, Öffnung des CK).
• D ilatation des CK mit Hegarstiften bis Größe 12, Kürettage des Cavums mit
stumpfer Kürette oder Saugkürettage, bis kein Material mehr gewonnen wer-
den kann.
• Z ur Uteruskontraktion Oxytocin 3 IE i. v. (z. B. Syntocinon®).
• N achkürettage der Tubenwinkel mit kleinerer Kürette.
• B ei Blutung Methylergometrin 0,1–0,2 mg i. v. (z. B. Methergin®). Cave: kar-
diovaskuläre KO.
Gravidität > 12. SSW
• A bortinduktion ▶ 5.5. Cave: Bei pulmonaler Hypertonie oder Bronchospas-
men. Überwachung von RR, Puls.
• N ach Eröffnung des MM (vag. Untersuchung) evtl. Durchtrittsnarkose einlei-
ten.
• G gf. Entwicklung des Fetus.
• Z ur Uteruskontraktion Oxytocin 3 IE i. v. (z. B. Syntocinon®).
• M anuelle Lösung der Plazenta, wenn nicht bereits spontan ausgestoßen.
• N achkürettage des Cavums mit großer, stumpfer Kürette, bis kein Material
mehr gewonnen werden kann, Nachkürettage der Tubenwinkel mit kleinerer
Kürette.
• M ethylergometrin 0,1–0,2 mg i. v. (z. B. Methergin®). Cave: kardiovaskuläre 5
KO.
Postoperatives Vorgehen
• A lle Pat.: Überwachung von RR, Puls, Blutung ex utero nicht über Perioden-
stärke (= etwa 6 Vorlagen/d), Temperatur, Material zur histologischen Unter-
suchung weiterleiten.
• B ei Rh-neg. Pat.: Rh-Prophylaxe, z. B. 1 Amp. Rhesogam® i. m. (▶ 9.4.3).
• B ei Grav. > 16. SSW: Milcheinschuss mit Bromocriptin 2 × 2,5 mg/d p. o. für
10 Tage (z. B. Pravidel®) oder einmalig Cabergolin 1 mg p. o. innerhalb von
24 h (z. B. Dostinex®) verhindern.
• B ei V. a. unvollständige Kürettage (periodenstarke Nachblutung, Fieber, gro-
ßer und weicher Uterus) Ultraschall, HCG-Verläufe, evtl. Nachkürettage un-
ter Antibiotikaschutz, z. B. Cefuroxim 3 × 1,5 g/d i. v. (Zinacef®).
! A nonyme Meldung aller Schwangerschaftsabbrüche an das Statistische Bun-
desamt Wiesbaden auf Formblatt oder online.
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch
• N
ur bis zur 7. SSW möglich (49. Tag der Schwangerschaft).
• G
ilt als schonende Alternative zum chirurgischen Eingriff.
• M
ifegyne darf nur in Einrichtungen im Sinne des § 13 des Schwangerschafts-
konfliktgesetzes und nur auf Verschreibung eines dort behandelnden Arztes
eingenommen werden.
Durchführung Das Anti-Gestagen (z. B. RU 486®, Mifegyne®) wird oral einge-
nommen und bewirkt ein Absterben der Schwangerschaft. Am Folgetag kommt es
148 5 Schwangerschaft
5
Abb. 5.6 Abortstadien: Links: Abortus imminens (MM geschlossen, Schwanger-
schaft intakt, leichte Blutung). Mitte: Abortus incipiens (MM öffnet sich, fehlen-
de Vitalitätszeichen, stärkere Blutung). Rechts: Missed Abortion (MM geschlos-
sen, Schwangerschaft nicht intakt, keine Blutung) [L157]
Diagnostik
• U terus klein, derb, CK geschlossen.
• S onografisch keine Vitalitätszeichen (▶ 21.2.2).
• K eine Temperaturerhöhung, Infektparameter (Leukozyten, CRP) neg.
• H CG erniedrigt (▶ 5.1.4), Gerinnung im Normbereich.
Therapie
• U nter ausreichend Analgetika z. B. Pethidin (Dolantin®) oder Spasmolytika z. B.
N-Butylscopolamin (z. B. Buscopan®) i. m. oder supp. Abortinduktion ▶ 5.19.
• K ürettage ggf. nach Zervixdilatation.
• A nschließend evtl. Oxytocin 3 IE i. v. (z. B. Syntocinon®) oder Methylergome-
trin (z. B. Methergin®) 0,1–0,2 mg i. v./i. m. unter oder nach Kürettage. Cave:
kardiovaskuläre KO.
• A nti-D-Prophylaxe bei Rh-neg. Frauen (▶ 9.4.4).
Ätiologie
Als mögliche Ursachen werden diskutiert:
• G enetisch: Häufigkeit genetischer Defekte nimmt mit dem Alter der Mutter
zu. Aborte im 1. Trimenon in 50–60 % durch genetische Defekte bedingt, v. a.
Trisomie, X-Monosomie und Polyploidie. Chromosomale Defekte bei 4 % der
Aborte (0,2 % der Normalbevölkerung).
• A natomisch: bei bis zu 25 % der WSA-Pat. angeborene uterine Anomalien.
Deutlich erhöhtes Abortrisiko bei Uterusseptum, Uterus bicornis, Uterus du-
plex und submukösen Myomen.
• M ikrobiologisch: V. a. Ureaplasma urealyticum und Chlamydia trachomatis.
Rezid. Spätaborte im 2. Trimenon vermutlich vermehrt bei bakterieller Vagi-
nose (▶ 5.13.19).
• E ndokrin: Hyper- und insb. Hypothyreose (Senkung der Abortrate von
5 71,4 % auf 9,5 % durch Ther. der Hypothyreose), PCO-Sy., metabolisches Sy.
• P sychisch: emotionaler Stress bei jeder Fehlgeburt kann kumulativ mit De-
pression einhergehen.
• I mmunologisch:
– Alloimmunologisch: Verschiebung des immunologischen Gleichgewichts
zugunsten einer TH1-Immunantwort mit erhöhter NK-Zell-Aktivität (na-
türliche Killerzellen). Bei WSA + hoher peripherer NK-Zellzahl 3,5-fach
erhöhtes Abortrisiko. Cave: Ausschlussdiagn.
– Autoimmunologisch (Antiphospholipid-Sy.): Prävalenz pos. Antikardioli-
pin-Ak. bei WSA 5–50 %, für Lupus-Antikoagulanz 0–20 %. Unbehandel-
te Frauen mit wiederholt pos. Antikardiolipin-Ak oder Lupus-Antikoagu-
lanz Risiko von bis zu 90 % für Abort oder schwere Schwangerschafts-KO.
• Th
rombophilie: Häufig Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Mutation
und Protein-S-Mangel bei WSA-Frauen.
0 11–15
1 12–24
2 19–35
3 25–46
5.5 Abort (Fehlgeburt) 153
Diagnostik
• S orgfältiger gynäkologischer Status, ggf. Sono, Hysteroskopie.
• A bklärung angeborener thrombophiler Faktoren: Faktor-V-Leiden-Mutation,
Prothrombin-Mutation und Protein-C- und -S-, PAI-Polymorphismus.
• A
bklärung autoimmunologischer Probleme: Antiphospholipid-Ak.
• A
usschluss endokriner Ursachen: TSH, Androgene, evtl. oGTT mit Insulin-
bestimmung.
• A
usschluss genetischer Ursachen: genetische Beratung der Eltern und Chro-
mosomenanalyse beider Partner, Karyotypisierung des Abortmaterials.
Weitere fakultative Diagnostik
• B asaltemperatur messen (▶ 15.2.3).
• Z ervixabstrich: insb. Ureaplasmen, Chlamydien, Mykoplasmen.
• S erum-Ak: Listerien, Toxoplasma, Chlamydien, ZMV, Treponema pallidum,
Rötelnvirus.
• F ollikelphasendiagn.: Einschließlich Gonadotropine, Androgene, Prolaktin;
TSH basal zu Zyklusbeginn ▶ 15.2.4.
• L utealphasendiagn. zum Ausschluss einer ovariellen Dysfunktion (▶ 15.2.4,
▶ 15.4.2) ggf. einschließlich Endometriumbiopsie (▶ 15.2.10).
• A bklärung einer Uterusmalformation z. B. durch Sono, Hysteroskopie, Chro-
molaparoskopie (▶ 15.2.11); bei etwa 10 % der Frauen mit Gebärmutterfehl-
bildungen bestehen gleichzeitig Nierenmalformationen (i. v. Pyelogramm).
Therapie
• B ei angeborener Thrombophilie niedermolekulares Heparin, z. B. Dalteparin 5
2.500 IE/d s. c. (z. B. Fragmin P®).
• B ei Antiphospholipid-Sy. unfraktioniertes Heparin, z. B. Heparin-Na
2 × 5.000 IE/d s. c. oder niedermolekulares Heparin plus Acetylsalicylsäure
100 mg/d bis ca. 36. SSW.
• rühzeitige Hospitalisierung, evtl. Progesteron 100 mg/d als Vaginalsupp.
F
oder 3–4 × 100 mg/d p. o. (z. B. Utrogest® Drg.).
• vtl. Amniozentese zur Chromosomenanalyse in der Frühschwangerschaft
E
(▶ 4.2.5).
• ehandlung einer vorbestehenden mütterlichen Erkr. z. B. Hypo- oder Hy-
B
perthyreose oder eines Diab. mell. (▶ 3.4).
• yperprolaktinämie: Dopaminagonisten oder Prolaktinhemmer (▶ 15.4.2).
H
• yperandrogenämie: Dexamethason z. B. 0,5 mg/d abends p. o. bei 75 kg KG
H
(z. B. Fortecortin®).
• utealphasendefekt: Stimulationsbehandlung, z. B. mit Clomifen und HCG
L
(▶ 15.4.2), evtl. Progesteronsubstitution (s. o.).
• terusmalformation: evtl. Septumresektion, Myomenukleation (▶ 18.7.4).
U
• rneuter Abort: Karyogramm, evtl. Blutgruppe des Fetus.
E
• iederholte Spätaborte: Nach Abklärung von Uterusfehlbildungen oder Ute-
W
rusmyomen, ggf. prophylaktische Cerclage (▶ 5.10.2) in der 14.–16. SSW oder
kompletter MM-Verschluss.
• sychosomatisch orientierte Ther.: Frauen leiden häufig unter massiven
P
Schuldgefühlen und Gefühl der Insuff. Betreuung im Sinne von „tender lo-
ving care“ (fester Ansprechpartner in spezialisiertem Institut, Besprechung
aktueller Probleme, engmaschige Betreuung im 1. Trimenon einschl. US-
Diagn., Beruhigung bei Problemen, pos. Einstellung des Teams).
154 5 Schwangerschaft
5.6 Trophoblasterkrankungen
Joachim Steller
5.6.1 Blasenmole
Epidemiologie Häufigkeit: 1 : 3.000 Schwangerschaften.
Pathophysiologie Hydropische Degeneration des Zottenstromas sowie Prolife-
ration der Trophoblastepithelien (Synzytium und Langhans-Zellen) mit trauben-
artig geordneten hydropischen Bläschen bis Bohnengröße. Ätiologie ist weitge-
hend unbekannt, frühzeitige Entwicklungsstörung der Frucht.
Klinik Uterine Blutung, ziehende wehenartige Unterbauchschmerzen. Verein-
zelt Abgang von „Bläschen“ aus dem CK, auffällig intensiv wachsender Uterus,
fehlende Vitalitätszeichen, häufig Hyperemesis gravidarum (▶ 5.7.2).
* Gültig für Blasenmole, invasive Mole, Chorionkarzinom, PSTT und ETT. N-Katego-
rie nicht vorgesehen. Quelle: Interdisziplinäre kurzgefasste aktuelle Leitlinien der
DGGG, DKG und AGO zu Trophoblasttumoren, gestationellen und nichtgestatio-
nellen Trophoblasterkr. (www.ago-online.de)
0 1 2 4
5
Alter (Jahre) ≤ 39 > 39 – –
Ermittlung des Score-Werts durch Addition der Punktwerte: 0–6 Punkte: Low-Risk-
Gruppe. Quelle: Interdisziplinäre kurzgefasste aktuelle Leitlinien der DGGG, DKG
und AGO zu Trophoblasttumoren; gestationellen und nichtgestationellen Tropho-
blasterkr. (www.ago-online.de)
• M
TX-Monother.: Methotrexat 50 mg/d i. m. an Tag 1, 3, 5, 7 plus Calciumfo-
linat 7,5 (15) mg/d p. o. (z. B. Leucovorin®), beginnend 30 h nach MTX-Gabe.
• A
ctinomycin-D-Monother.: Actinomycin D 10 μg/kg/d i. v. an Tag 1–5. Wie-
derholung nach mind. 7 Tagen Pause.
• E MA/CO:
– T ag 1: Etoposid 100 mg/m2 i. v. über 30 Min., Methotrexat 300 mg/m2 i. v.
über 12 h, Actinomycin D 0,5 mg i. v. als Bolus.
– Tag 2: Etoposid 100 mg/m2 i. v. über 30 Min., Actinomycin D 0,5 mg i. v.
als Bolus, Calciumfolinat 2 × 15 mg p. o. (beginnend 24 h nach MTX).
– Tag 3: Calciumfolinat 2 × 15 mg p. o.
– Tag 4: Vincristin 1,4 mg/m2 i. v. (max. 2 mg) als Bolus, Cyclophosphamid
600 mg/m2 i. v. über 30 Min.
– Wiederholung nach 6 Tagen Pause.
• usätzlich bei Hirnmetastasen: Methotrexat 1 g/m2 i. v. über 24 h an Tag 1,
Z
Calciumfolinat 3 × 30 mg/d i. v. (beginnend 32 h nach MTX) an Tag 2–4, Me-
thotrexat 12,5 mg intrathekal an Tag 8.
• EP: Bleomycin 30 mg i. v. als Bolus an Tag 1 und 8, Etoposid 100 mg/m2 i. v.
B
über 30 Min. und Cisplatin 20 mg/m2 i. v. über 1 h (cave: Hydratation) an
Tag 1–5. Wiederholung an Tag 22.
• P/EMA: Etoposid 150 mg/m2 i. v. über 30 Min. und Cisplatin 75 mg/m2 i. v.
E
(3 × 25 mg über jeweils 4 h) an Tag 1 Etoposid 100 mg/m2 i. v. über 30 Min.,
Methotrexat 300 mg/m2 i. v. über 12 h und Actinomycin D 0,5 mg i. v. als Bo-
lus an Tag 8 Calciumfolinat 4 × 15 mg p. o. (alle 12 h, Beginn 24 h nach MTX)
an Tag 9–10 Wiederholung nach 4 Tagen Pause.
5
• V
or jedem Zyklus werden (Differenzial-)BB, Thrombos, HCG, Leber-
und Nierenwerte kontrolliert, während des Zyklus täglich BB und
Thrombos, 2-tägliche Kontrolle der Leber- und Nierenwerte!
• ach etwa 2-jähriger Rezidivfreiheit sind erneute Schwangerschaften
N
diskutabel.
• ntidot bei toxischen Reaktionen auf Methotrexat ist Folinsäure
A
3–6 mg/d i. m. (Leucovorin®).
5.7 Frühgestosen
Joachim Steller
Durch die Schwangerschaft ursächlich bedingte Systemerkr. der Mutter.
• M
etoclopramid 4 × 10 mg/d p. o. (z. B. Paspertin®) zur Verbesserung der gast-
rointestinalen Motilität.
• V
itamin B6 (Pyridoxin) 3 × 10–25 mg/d, mit niedriger Dosis beginnen.
• D
imenhydrinat 2 × 62 mg/d i. v. oder 3–4 × 50 mg/d p. o. oder 3 × 1 Supp.
tägl. (z. B. Vomex A®-Supp.) oder:
• eclozin 2–4 × 25–100 mg/d p. o. (z. B. Postadoxin®-Tbl.) oder:
M
• ndansetron 2–4 mg i. v. (Zofran®) oder 4 mg oral (Zofran zydis®) alle 6–8 h.
O
• romethazin 12,5–25 mg i. v./p. o. (z. B. Atosil®), bis zu 6 × tägl.
P
• arenterale Ernährung: 2.500–3.000 ml 3-prozentige Aminosäure-Lsg. mit
P
Kohlenhydraten und E’lyten (900–1.000 kcal) sowie 2 Amp. Multibionta®,
evtl. 500 ml Intralipid® 10 % (550 kcal), evtl. Humanalbumin 20 % 2–3 ×
50 ml.
• orrektur des E’lytdefizits (▶ 2.7.2).
K
5.7.3 Sodbrennen
Definition Tritt bei 40–80 % aller Schwangeren auf, Beschwerden nehmen im
Lauf der Schwangerschaft häufig zu und verschwinden oft erst nach der Entbin-
dung.
Klinik Hinter dem Brustbein lokalisiertes brennendes Gefühl, teils schmerzhaft,
5 teils krampfartig, das vom mittleren Oberbauch bis in die Halsgrube aufsteigt. Der
Schmerz kann spontan oder mit der Nahrungsaufnahme auftreten. Bei länger an-
haltenden Beschwerden kann eine Refluxösophagitis entstehen. Saures Aufsto-
ßen, Völlegefühl.
Diagnostik Bei über Wo. anhaltendem tägl. Sodbrennen: Gastroduodenoskopie
(insb. bei zusätzlichen Schluckbeschwerden, Bluterbrechen, Teerstuhl).
Therapie
• A
llgemeinmaßnahmen:
– Meiden von fetten Speisen, Süßigkeiten, Pfefferminze, Kaffee, kohlensäu-
rehaltigen Getränken, Säften.
– Nahrungsaufnahme auf 4–6 kleine Mahlzeiten verteilen.
– Meiden später Abendmahlzeiten (> 3 h vor dem Zubettgehen).
– Kopfende des Bettes 20 cm höher stellen.
• M
edikamente:
– A ntazida: Magnesium- und Aluminiumhydroxid, z. B. Maaloxan® 3–4 ×
1 Btl. oder Kau-Tbl. tägl. puffern die Magensäure gut, werden nur in Spu-
ren resorbiert, trotzdem strenge Ind.-Stellung im 1. Trimenon. Cave: Nat-
riumbikarbonat sollte nicht mehr eingesetzt werden → führt zu metaboli-
scher Azidose mit mütterlicher und fetaler Ödemneigung.
– H 2-Rezeptorenblocker, falls keine Besserung eintritt, z. B. Cimetidin (Ta-
gamet®). Cimetidin passiert zwar die Plazentaschranke, in zahlreichen Be-
richten ist jedoch gut dokumentiert, dass keine unerwünschten Effekte auf
den Fetus oder Fehlbildungen auftreten.
5.7 Frühgestosen 161
Komplikationen
• U
lzera können zu narbigen Strikturen am Ösophagus führen.
• U
mwandlung des Plattenepithels des Ösophagus in ein spezialisiertes Zylin-
derepithel (Barrett-Mukosa). Selten kann bei weiter bestehender Symptoma-
tik nach Jahren bis Jahrzehnten ein Barrett-Karzinom entstehen.
Klinik
III Zeichen der kardialen Dekompensation bei leichter körperlicher Belastung vor
der Schwangerschaft
Vorgehen
Evtl. kardiologische Betreuung, vor geplanter Grav. EKG, Belastungs-EKG, Echo-
kardiogramm. Die Klinikaufnahme sollte 2–3 Wo. vor EGT erfolgen.
• Stadium I–II: kein erhöhtes Risiko bei sorgfältiger ärztlicher Betreuung. Eine
vag. Entbindung ist anzustreben, dabei sind PDA sowie VE oder Forzepsent-
bindung großzügig zu indizieren (Erleichterung der Eröffnungs- und Austrei-
bungsperiode).
• S tadium III–IV: bei optimaler Überwachung Schwangerschaft möglich. Kli-
nikeinweisung ab der 30.–34. SSW (Ind. zur Sectio großzügiger stellen), bei
Vitien mit re/li Shunt, z. B. M. Fallot, ist die Ind. zum Schwangerschaftsab-
5 bruch vor der 14. SSW gegeben.
Kritische Perioden
• 2 8.–34. SSW: Anpassung an erhöhtes HMV.
• G eburtsperiode.
• P . p. erhöhtes Risiko der kardialen Dekompensation durch plötzliche Umstel-
lung der Hämodynamik.
Abdomen
Zwerchfellhochstand (insb. letztes Trimenon) mit konsekutiver Refluxösophagitis
(ggf. Antazida oder Prokinetika). Nausea oder Emesis gravidarum ▶ 5.7.2. Obsti-
pation durch relaxierenden Einfluss des Progesterons und mechanische Einflüsse
(ggf. Laxanzien).
Ileus e graviditate
• P aralytischer Ileus durch Tonusverlust, fließender Übergang zu Obstipation.
• M echanischer Ileus (▶ 3.2.1) v. a. in der 16.–20. SSW, wenn der Uterus aus
dem kleinen Becken in den Bauchraum tritt und in der 32.–36. SSW, wenn
der kindliche Kopf in das kleine Becken tritt. Vor allem Adhäsionsileus und
Volvulus.
Vorgehen
• S ofortige OP bei Strangulation, Mesenterialinfarkt, Dickdarmileus mit
Gefahr der Gangrän.
• M agen- und/oder Dünndarmsonden (Dennissonden).
• F lüssigkeits- und E’lytsubstitution: ZVD zwischen 4 und 8 cmH2O.
• A ntibiotika: z. B. Cefotaxim 3 × 2 g/d i. v. (Claforan®), bei septischem Ver-
lauf in Kombination mit Gentamicin 1 × 3–5 mg/kg KG tägl. i.v. (z. B. Re-
fobacin®, Spiegelkontrolle, Dosisanpassung bei Niereninsuff.) und/oder
Metronidazol 3 × 500 mg/d i. v. (z. B. Clont®).
• B ei paralytischem Ileus hohe Einläufe und Darmstimulation mit Metoclo-
pramid, Bepanthen und Neostigmin (z. B. 6 Amp. Paspertin® + 6 Amp.
Dexpanthenol® + 6 Amp. Prostigmin® in 500 ml Ringer-Lsg. mit 40– 5
80 ml/h).
Nierenaufstau
Bei den meisten Schwangeren ist ein Aufstau des Nierenbeckens (meist re) bis
max. 2,5 cm (sonografisch) normal. Ther. erst bei Beschwerden mit Spasmoly-
tika (z. B. Buscopan® supp.) oder mit Analgetika (z. B. Paracetamol-CT®) oder
bei gleichzeitigem HWI (▶ 3.3.1). Selten auch Anlage eines Doppel-J-Kathe-
ters.
Pyelonephritis gravidarum
Tritt bei ca. 2 % aller Graviden auf, re > li
Anamnese Latente (asymptomatische) Bakteriurie, Fehlbildungen der ableiten-
den Harnwege (tonogene Dilatation der Ureteren), HWI vor der Grav., Steinlei-
den.
Klinik, Erreger, Therapie ▶ 3.3.2.
Langzeitther. für ca. 4 Wo. und postpartale Urinkontrollen, ggf. auch der ablei-
tenden Harnwege.
Akutes Nierenversagen
Ätiologie Akutes Kreislaufversagen (Schock, Blutverlust, Trauma), Hämolyse
(artifizieller Abort, Blutgruppenunverträglichkeit), E’lytdysbalancen (Hypereme-
sis), Inf. mit Sepsis (septischer Abort, Urosepsis), EPH-Gestose und Eklampsie.
Klinik Initiale Oligo-, Anurie, im Verlauf Polyurie mit Restitutio. In der Phase
der Oligo-, Anurie Gefahr der Hyperhydratation, Hyperkaliämie und Urämie
(Stickstoff ↑ mit Übelkeit, Erbrechen, Somnolenz, Koma), toxische Herzschädi- 5
gung.
Therapie Bei prärenalem ANV (Schock, Volumenverluste, Herz- und Kreislauf-
versagen) adäquate Kreislaufstabilisation. Bei intrarenalem ANV Entlastung der
Niere von Entgiftungsfunktion, prospektives Handeln, frühe Verlegung zur Dia-
lyse.
Vorbestehende Nierenerkrankungen
• G
lomerulonephritis: Verlauf der GN vom Typ-IgA/Minimalchange-GN ge-
ring beeinflusst, bei anderen GN-Formen kann eine rasche Progredienz ein-
setzen (engmaschiges Monitoring). GN als Erstmanifestation ist eine seltene
KO, Gefahr der Spätgestose (Pfropfgestose ca. 70 % ▶ 6.8.2).
• ongenitale Zystennieren: günstiger Grav.-Verlauf mit schlechter Prognose
K
für Mutter und Kind bei beginnender arterieller Hypertonie. Cave: zuneh-
mende Nierenfunktionsstörung.
• ialysepat.: Meist im fertilen Alter amenorrhoisch, bei Grav. hohe fetale
D
Mortalität, evtl. bei zunehmender Anämie Erythropoietin-Ther. einleiten
oder ergänzen.
Nierentransplantierte
Risiken in der Schwangerschaft
• A
bstoßungsreaktion des Transplantats während der Schwangerschaft eher
selten, gehäuft aber in der Postpartalperiode.
• V
erschlechterung der Nierenfunktion (etwa 20 % der Pat.).
166 5 Schwangerschaft
5.8 Spätgestosen
Joachim Steller
• D
rohende Eklampsie: Zusätzlich ZNS-Symptome (Kopfschmerzen, Ohren-
sausen, Augenflimmern, Sehstörungen, Somnolenz, Übelkeit, Erbrechen, Hy-
perreflexie, motorische Unruhe), begleitet von Hämokonz., Oligurie 5
(< 400 ml/d), evtl. Thrombozytenabfall.
• klampsie: Infolge einer Spastik der Hirngefäße tonisch-klonische Krämpfe
E
mit Zungenbiss, Zyanose, Bewusstlosigkeit, im Anschluss Koma. Die Folgen
sind Mikrozirkulationsstörungen mit Kapillarschäden, Hämorrhagien in
ZNS, Leber und Nebennieren, Gewebsnekrosen evtl. mit Amaurose, Nieren-
und Herzversagen. Müttersterblichkeit bei einem Anfall 5 %, bei mehr als fünf
Anfällen > 38 %. Perinatale Letalität 8–27 %.
Auswertung: 1–3 Punkte: leicht; 4–6 Punkte: mittelschwer; 7–9 Punkte: schwer
168 5 Schwangerschaft
Geeignet
Bedingt geeignet
Nicht geeignet
Angiotensin-AT1- Lorzaar®
Antagonisten, z. B.
Losartan
Besondere Risiken
Entwicklung eines Status mit neurologischen Spätschäden, Nierenversagen,
intraabdominale oder intrakranielle Blutungen, akute Schwangerschaftsfett-
leber, Lungenödem, vorzeitige Plazentalösung, intrauterine Asphyxie, intra-
uteriner Fruchttod.
5.8 Spätgestosen 171
5.8.2 Pfropfgestose
Ursache sind präexistente Organerkr. (Nephropathie, Diab. mell., Hypertonie).
Symptome treten meistens bereits vor der 24. SSW auf, häufig schwerer Verlauf.
Betroffen sind ältere und mehrgebärende Frauen. Therapie ▶ 5.8.1.
5.8.3 HELLP-Syndrom
Definition Sonderform des SIH mit Hämolyse (H), erhöhten Leberenzymen
(EL) und niedrigen Plättchenzahlen (LP). Häufigkeit etwa 1 : 300 Geburten.
Klinik Schmerzen im re Oberbauch bzw. im Epigastrium, teilweise begleitet von
Übelkeit und/oder Erbrechen, ggf. in Verbindung mit starken Kopfschmerzen
und Sehstörungen als Hinweis auf eine drohende Eklampsie.
Diagnostik
• L abor: Hämolysezeichen (Hb ↓, Bili und LDH ↑, Haptoglobin ↓, Bili-Spalt-
produkte im Urin), Leberenzymerhöhung (Transaminasen, γ-GT und evtl.
AP), Thrombozytenabfall < 100.000/mm3, Thrombinzeit ↓, D-Dimere ↑, Hkt
≥ 38 %. Evtl. Harnsäureanstieg auf > 5,0 mg%, Krea-Anstieg als Zeichen der
Niereninsuff. und Proteinurie im Rahmen der Gestosesymptomatik.
• E vtl. Blutdruckanstieg > 140/90 mmHg.
Differenzialdiagnosen Akute Hepatitis, Cholezystolithiasis, Medikamentenin-
tox., idiopathisch-thrombozytopenische Purpura, idiopathischer Schwanger-
schaftsikterus, akute Schwangerschaftsfettleber.
Therapie Intensivther. ▶ 5.8.1. 5
rombozytenkonzentrat (TK, ▶ 2.6.6), zum Zeitpunkt der Geburt sollte die
• Th
Thrombozytenzahl > 50.000/mm3 liegen, bei Thrombozytenzahlen < 20.000/
mm3 besteht die Gefahr einer spontanen Blutung.
• V or der 32. SSW konservativer Behandlungsversuch (z. B. RDS-Prophylaxe)
unter Intensivmonitoring nur bei stabilem Zustand von Mutter und Kind. Bei
Thrombozytenzahl < 50.000/mm3 abhängig von subaqualer Blutungszeit TK-
Gabe vor operativen Eingriffen erwägen. Bei Fibrinogen < 100 mg/dl Gabe
von Gefrierplasma.
• S chwangerschaftsbeendigung: meist rasch erforderlich (perinatale Letalität
in schweren Fällen > 10 %, mütterliche Letalität ca. 3,5 %). Bei erheblicher
Frühgeburtlichkeit wird derzeit ein konservatives Vorgehen unter engma-
schigem maternalem und fetalem Monitoring im Perinatalzentrum diskutiert.
KO: Postop. intraabdominale, subfasziale sowie atonische Blutung, die in
Einzelfällen zur puerperalen Hysterektomie zwingen kann. Gelegentlich wur-
den mütterliche Leberrupturen mit massiven intraabdominalen Blutungen
beobachtet.
Mahlzeit < 140 mg/dl und 2 h nach Beginn der Mahlzeit < 120 mg/dl. Bei In-
sulinther. präprandial > 60 mg/dl.
• erzicht auf Süßstoff Cyclamat.
V
Geburtshilfliches Management
• B ei unkomplizierten Fällen und guter Diabeteseinstellung: Werte immer
< 120 mg/dl; ggf. Abwarten bis zum Termin, ggf. Geburtseinleitung (▶ 6.13)
in Terminnähe.
• B ei KO und unbefriedigender Einstellung: stationäre Aufnahme ab
32. SSW, ggf. vorzeitige Geburtsbeendigung (möglichst bei Lungenreife;
▶ 5.10.3). Evtl. Amniozentese → Lezithin und Insulin im FW (▶ 5.1.7). Cave:
Partusisten® und Glukokortikoide sind diabetogen.
• B ei geplanter Geburt:
– Am Vorabend normale Insulindosis, normale Mahlzeit.
– Um 8:00 Uhr halbe oder keine Insulindosis, Pat. kann trinken und i. d. R.
essen.
– Evtl. bis zur Geburt 10 % Glukose-Lsg. i. v. mit 80 ml/h (= 8 g Glukose/h).
– Insulinperfusor mit üblicher Gesamttagesdosis auf 24 h einstellen.
– BZ-Monitoring alle 2 h, angestrebte Werte 80–120 mg/dl. 5
– Bei BZ < 80 mg/dl Insulinperfusor um 0,5 IE/h reduzieren.
– Bei BZ > 120 mg/dl Insulinperfusor um 1 IE/h erhöhen.
• B ei geplanter Sectio caesarea:
– Am Vorabend normale Insulindosis, normale Mahlzeit.
– 30 Min. vor Sectio keine oder halbe übliche Insulindosis s. c.
– BZ-Monitoring alle 2 h, angestrebte Werte 80–120 mg/dl.
– Evtl. Insulinperfusor und Glukose i. v. wie bei Geburt.
• P ostpartal: Dosis am Insulinperfusor halbieren, i. v. Glukose und Insulinper-
fusor bis zur ersten Mahlzeit, bei Mahlzeit höchstens ½ der üblichen Insulin-
dosis.
• B ei Gestationsdiabetes: p. p. meist kein Insulin mehr nötig.
Neugeborenes
• U nmittelbar p. p. BZ-Bestimmung.
• W enn keine weiteren Risikofaktoren (z. B. Makrosomie, SGA) vorliegen,
kann das Kind bei BZ > 40 mg/dl in der Geburtsklinik verbleiben.
• H äufige kleine Mahlzeiten und BZ-Kontrollen nach 2, 4, 8, 12, 24, 36 und
48 h.
• B ei Werten < 40 mg/dl Verlegung in eine neonatologische Intensiveinheit, da
Gefahr für Hypoglykämie, Atemnotsy., Hyperbilirubinämie, Störungen des
E’lyt- und Wasserhaushalts, innere Fehlbildungen, Herzvitien.
174 5 Schwangerschaft
Ätiologie
• M ütterliche Ursachen:
– Früh- und Fehlgeburten in der Vorgeschichte.
– Aufsteigende vag. Inf. und HWI.
– Körperliche und psychische Überforderung.
– Psychosomatische Störungen.
– Schlechte soziale und wirtschaftliche Bedingungen.
– Schwere Erkr. der Mutter, wenn ein Fortbestand der Schwangerschaft das
Leben der Mutter gefährden würde, z. B. HELLP-Sy.
– Rauchen, Alkohol- und Drogenmissbrauch.
– Endokrine Störungen.
– Z. n. Sterilitätsbehandlung.
• U rsachen seitens der Gebärmutter:
– Anatomische Beeinträchtigung der Zervix, z. B. nach Konisation.
– Anatomische Beeinträchtigung des Uterus, z. B. Myome.
– Uterine Blutungen, z. B. bei Placenta praevia oder bei vorzeitiger Lösung.
– Polyhydramnion.
5 – Z. n. mehreren Schwangerschaftsabbrüchen.
• K indliche Faktoren:
– Schwerwiegende intrauterine Mangelversorgung, fetaler Distress.
– Kindliche Fehlbildungen oder schwerwiegende Erkr. des Kindes.
– Mehrlingsschwangerschaft.
Kriterien für therapiebedürftige Uterusaktivität
• K ontraktionsfrequenz > 6 Kontraktionen/h mit einer Dauer von etwa 30 Sek.
mit oder ohne Zervixwirksamkeit.
• P rogrediente Verkürzung oder Eröffnung der Zervix auch ohne Nachweis ei-
ner vorzeitigen Wehentätigkeit (ggf. sonogr. trichterförmige Eröffnung des
inneren MM).
Diagnostik
• A namnese, s. o.
• S icherung des Gestationsalters (EGT, Frühultraschall), CTG (Wehen, fetaler
Zustand; ▶ 6.1.1).
• Z ervixlänge sonografisch (Normwert bis zur 36. SSW: 4,8 cm ± 1 cm) und
palpatorisch, Konsistenz der Zervix (weich, derb), MM-Weite (Bishop-Score,
▶ 5.17).
• F etometrie ▶ 21.2.4.
• E vtl. Doppler-Sono.
• Z ervixabstrich zum Ausschluss einer Inf. (▶ 13.2.4, ▶ 12.3), Vaginal-pH (al-
kal. Werte korrelieren nach Saling mit erhöhter FG-Rate).
• U rinstatus.
• Infektparameter (Leukozyten, CRP).
5.10 Vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz 175
26.–28. SSW 3 Kontraktionen/h
29. SSW 4 Kontraktionen/h
30.–32. SSW 5 Kontraktionen/h
33. SSW 4 Kontraktionen/h
34.–37. SSW 5 Kontraktionen/h
Therapie
• B ettruhe, bei kindlicher Unreife Klinikeinweisung, Koitusverbot ggf. bis ab-
geschlossene 37. SSW.
• B ehandlung von mütterlichen Begleiterkr., z. B. HWI, Schilddrüsenfunktions-
störungen.
• L aktobazillus-Vaginal-Supp. (z. B. Vagiflor®) bei alkalischem Vaginal-pH.
• L okale Ther. (z. B. Sobelin® Vag-Creme) bei path. Vaginalabstrich.
• A ntibiose, z. B. mit Cefotaxim 3 × 2 g/d i. v. (Claforan®) bei V. a. Inf. des unte-
ren Eipols (pos. Infektparameter, path. Zervixabstrich). Inf. mit
β-hämolysierenden Strept. ▶ 9.6.1.
• T okolytika ▶ 5.10.1.
• R DS-Prophylaxe ▶ 5.10.3. 5
• G gf. Cerclage oder Cerclage-Pessar (▶ 5.10.2). Cave: Infektionsrisiko, Kolpitis.
• P rozedere bei vorzeitigem Blasensprung ▶ 6.7.
5.10.1 Tokolyse
Epidemiologie
Frühgeburten haben mit über 70 % einen großen Anteil an der perinatalen Sterblich-
keit sowie an der dadurch bedingten Schädigung des NG. Zahl der sehr kleinen oder
frühen Frühgeburten hat in den letzten Jahren zugenommen. Neben hoher Mortalität
besteht bei sehr frühen Frühgeburten das Risiko schwerwiegender Langzeitschäden.
Indikationen
• S pontane vorzeitige Wehentätigkeit zwischen der 24 + 0 und 34 + 0 SSW
(schmerzhafte, palpable, länger als 30 Sek. andauernde Kontraktionen, die
häufiger als 3 × pro 30 Min. auftreten).
• erkürzung der funktionelle Zervixlänge (transvag. Messung).
V
• M-Erweiterung.
M
Kontraindikationen
• Intrauterine Inf.
• N icht überlebensfähiger Fetus oder intrauteriner Fruchttod.
• M ütterliche oder kindliche Ind. zur Schwangerschaftsbeendigung.
• < 24. SSW: Vor 24 + 0 SSW ist medikamentöse Tokolyse i. d. R. nicht indi-
ziert. Individuelle Ausnahmen können bestehen.
176 5 Schwangerschaft
Durchführung
Verfügbare Substanzen Zur Tokolyse eingesetzt werden v. a. Betamimetika, Oxy-
tocin-Rezeptorantagonisten, Kalziumantagonisten, Magnesium, Prostaglandin-
synthesehemmer und NO-Donatoren:
• In Deutschland sind Fenoterol (Partusisten®), Atosiban (Tractocile®) und Ma-
gnesiumsulfat zugelassen. Fenoterol ist nur in Deutschland zur Tokolyse zuge-
lassen.
• A tosiban wurde in Europa von der European Agency for the Evaluation of
Medical Products als Tokolytikum zugelassen.
• F ür Magnesiumsulfat fehlt ein eindeutiger Wirkungsnachweis in der Hem-
mung vorzeitiger Wehen und ist mit einer Erhöhung der kindlichen Mortali-
tät assoziiert, wenn sehr hohe Dosen angewendet wurden (Loading-Dose
4–6 g Magnesiumsulfat, Erhaltungsdosis 2–4 g/h über mehr als 24 h).
5 Für Nifedipin, NO-Donatoren und Indometacin wurde die Zulassung als Tokoly-
tikum weltweit von den Herstellern nicht beantragt. Nicht zugelassene Tokolytika
sollten nur nach ausführlicher Information der Pat. und Einholen des Einver-
ständnisses für die Anwendung außerhalb der Zulassung angewendet werden. Es
bleibt dabei dem einzelnen Arzt überlassen, das Medikament in eigener Verant-
wortung und mit dem Risiko der Haftung für entstehende Gesundheitsschäden
außerhalb des Anwendungsgebiets zu verwenden (Off-Label-Use!).
Substanzwahl
• A tosiban, Betamimetika und Nifedipin sind äquieffektiv in der Hemmung
vorzeitiger Wehen.
• A tosiban ist die nebenwirkungsärmste Substanz. Nifedipin hat ebenfalls we-
nige NW, Fenoterol hat die meisten NW. Dennoch kann die Bolustokolyse
mit Fenoterol die Rate subjektiver NW senken.
• A tosiban ist teuer.
• N ifedipin ist für die Behandlung in der Schwangerschaft nicht zugelassen,
kann aber oral verabreicht werden, während Fenoterol und Atosiban parente-
ral verabreicht werden.
Vorgehen
• E s besteht derzeit keine Evidenz, dass eine Dauertokolyse effektiver ist als die
kurzfristige Tokolyse über 48 h. Dauertokolyse daher nur in Einzelfällen (z. B.
symptomatische Placenta praevia und frühes Schwangerschaftsalter).
• F ür orale Tokolyse mit Betamimetika und/oder Magnesium fehlt der Wir-
kungsnachweis.
5
®
Fenoterol (Partusisten ) I. v. über Perfusor/Infusomat: initial 2 μg/Min.; Steigerung
um 0,8 μg alle 20 Min. (4 μg/Min. maximal)
Perfusor-Bolustokolyse: Beginn: 3–5 μg alle 3 Min.
5.10.2 Cerclage
Definition Zervixschlingung mit dem Ziel des op. Verschlusses des CK. Die Er-
folge einer prophylaktischen oder „therapeutischen“ Cerclage sind fraglich. Daher
strenge Ind.-Stellung.
• P rophylaktisch ab der 14.–16. SSW z. B. bei Mehrlingsgrav., Z. n. rezid. Spät
aborten.
• Th
erapeutisch max. bis 28. SSW bei drohender oder vorzeitiger MM-Eröff-
nung.
• E chte isthmozervikale Insuff. ist einzig akzeptierte Ind. der Cerclage (Häufig-
keit 1–2 %).
Voraussetzungen
• B estimmung des Reinheitsgrades (max. II) ▶ 13.2.4.
• B akteriologischer CK-Abstrich (keine pathogenen Keime).
• S cheidendesinfektion (z. B. mit Octenisept® oder Fluomycin®N Vaginalsupp.).
• N eg. Infektlabor (CRP, Leukos).
• C erclage spätestens in der 36. SSW lösen, bei zervixwirksamer Wehentätigkeit
sofort.
• E vtl. antibiotische Behandlung über 8–10 Tage z. B. mit Amoxi-Clavulan® 3 ×
1,5 g/d i. v.
Durchführung
• M cDonald: Legen einer Tabaksbeutelnaht mit nicht resorbierbarem Material
um die Zervix (▶ Abb. 5.7, re).
5 • S hirodkar: Durchziehen eines Kunststoffbandes von einer queren vorderen
und hinteren Kolpotomie aus, ggf. nach Abpräparation der Harnblase
(▶ Abb. 5.7, li).
Shirodkar McDonald
Abb. 5.7 Cerclage nach Shirodkar (li) und nach McDonald (re) [L157]
– F rüher TMMV nach vollendeter 12. SSW und vor der 16. SSW bei belasteter
geburtshilflicher Anamnese, später TMMV jenseits der 16. SSW oder bei
schwerer Zervixinsuff. mit Eröffnung des CK und insb. Fruchtblasenprolaps.
– Nach Desepithelialisierung der Endozervix Verschluss des CK mit zwei
zirkulären resorbierbaren Endonähten. Querriegelverschluss auf dem Ni-
veau der Ektozervix mit vertikalen Einzelknopfnähten. Danach fortlau-
fende, MM-adaptierende und -abdichtende Naht der Zervixhaut.
• erclage-Pessar nach Arabin: MMV durch konvex geformte Silikonschale
C
mit zentraler Öffnung. NW: häufige Kolpitis, vorzeitige Wehen.
5.11 Mehrlingsgravidität
Joachim Steller
• D
izygote Zwillinge sind immer dichorial – diamnial (zwei befruchtete
Eizellen, gleich- oder verschiedengeschlechtlich, genetisch immer unter-
schiedlich).
• onozygote Zwillinge können diese Plazentation aufweisen, wenn die
M
Teilung bis zum Erreichen des Morulastadiums erfolgt ist. Die Kinder
sind dann gleichgeschlechtlich und genetisch identisch.
Diagnostik
• U terus größer, als es dem Schwangerschaftsalter entspricht (▶ Abb. 5.1).
• B auchumfang am Geburtstermin > 100 cm.
• F ühlen von vielen kleinen Teilen (▶ Abb. 5.2).
• S onografischer Nachweis mehrerer Feten (▶ 21.2).
! D D: großes Kind (z. B. diabetische Mutter), Polyhydramnion, hochstehender
Fundus bei engem Becken oder Placenta praevia.
Komplikationen Infolge der mechanischen und funktionellen Mehrbelastung
kommt es bei Mehrlingsschwangeren in sehr viel höherem Maße zu Schwanger-
schaftsbeschwerden und -KO:
5.11 Mehrlingsgravidität 181
λ
a b
Viren
Viren
Protozoen/Bakterien
Die einzelnen Inf. werden entsprechend ihrer Reihenfolge in den Tabellen abge-
handelt. Die an anderer Stelle des Leitfadens beschriebenen Inf. sind durch Quer-
verweise gekennzeichnet.
Epidemiologie
Von allen Inf. in der Schwangerschaft sind die Röteln wegen ihrer hohen Fehlbil-
dungsrate (Rötelnembryopathie, RE) am meisten gefürchtet. Die gegen Röteln
188 5 Schwangerschaft
Klinik
Schwangere Die Rötelninf. verläuft bei Kindern zu 50 %, bei Jugendlichen und
Erw. zu 20–30 % uncharakteristisch ohne das rötelntypische Exanthem. Arthralgi-
en und rheumatische Beschwerden treten vorwiegend bei 35–60 % der jungen
Frauen auf.
Fetus Sonografische Marker aufgrund des meist frühen Schwangerschaftsab-
bruchs nicht dokumentiert.
Neugeborenes
• K onnatale Rötelninf. mit Voll-/Teilsymptomatik der RE (Rötelnsy.) oder
asymptomatisch.
• G esamtletalität: 13–25 % bei Vollbild der RE.
5.13 Infektionen in graviditate 189
Diagnostik
Schwangere Seit 1971 obligater Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien. Ände-
rung 8/2011: Bei Nachweis von 2 dokumentierten Röteln-Impfungen wird Immu-
nität angenommen, d. h. keine Röteln-Ak-Bestimmung erforderlich.
• S erologie (falls keine oder nur 1 Impfung dokumentiert ist): Hämagglutinati-
onshemmtest (HAH) oder seit 08/2011 auch andere Testmethoden wie z. B.
IgG-Immunassays zur Bestimmung der Immunitätslage; Vorgabe eines
Grenzwerts für Immunität (früher HAH ≥ 1 : 32) ist weggefallen; Interpreta-
tion damit abhängig von Testhersteller/Labor; z. B.:
– HAH-Titer < 1 : 8 und/oder IgG-Ak < 10 IE/ml = keine Immunität; → Ak-
Kontrolle bis zur 20. SSW sinnvoll.
– HAH-Titer 1 : 8 = Immunität fraglich; bei pos. IgG-Test (z. B. ELISA) und
5
Nachweis von moderatem/hohem IgG-Aviditätsindex ist Immunität an-
zunehmen.
– HAH-Titer 1 : 16 = Immunität ist anzunehmen bei Bestätigung durch
IgG-Test (z. B. ELISA).
– HAH-Titer ≥ 1 : 32 und/oder IgG-Ak > 10 IE/ml bzw. ≥ 15 IE/ml (je nach
Testhersteller) = Immunität ist anzunehmen, falls kein Hinweis auf kürz-
lichen Rötelnkontakt oder rötelnverdächtige Symptome.
Bei V. a. akute Inf. (rötelnverdächtige Symptome oder Kontakt) HAH, IgG- und
IgM-Ak-Teste und ggf. Zusatzteste durchführen, Nachweis einer Primärinf.
durch Serokonversion bzw. signifikanten HAH-Titer/IgG-Ak-Anstieg und hohe
IgM-Werte 1–2 Wo. nach Infektionsbeginn. IgM-Ak persistieren i. d. R. etwa
6–8 Wo. in mittleren Werten.
Lange persistierende IgM-Ak sind bei 2–3 % der gesunden Schwangeren oft
mehrere Jahre nach früherer Inf. oder Impfung nachweisbar, deshalb pos.
IgM-Befunde durch Zusatzteste abklären.
• Z usatzteste:
– E ingrenzung des Infektionszeitpunkts in der Frühschwangerschaft mit
IgG-Aviditäts- (Aviditätsindex AI) und IgG-Immunoblot-Test (E2-
Bande):
– Hoher AI mit Nachweis der E2-Bande schließt kürzliche Primärinf. (in
den letzten 3 Mon.) mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.
190 5 Schwangerschaft
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe kaum möglich.
• P assive Prophylaxe: Röteln-Ig-Gabe bei Kontakt nicht mehr empfohlen,
hochtitriges Röteln-Ig nicht mehr verfügbar und Nutzen außerdem nie erwie-
sen.
• ktive Prophylaxe: generelle Kinderimpfung 2 × mit MMR oder MMR-Vari-
A
zellen; im gebärfähigen Alter: ungeimpfte Frauen oder Frauen mit unklarem
Impfstatus 2 ×, einmal geimpfte Frauen 1 × impfen, bei entsprechender Ind.
mit MMR. Beachte: Niedrige Titer können durch weitere Impfungen gegen
Röteln nicht geboostert werden.
• ötelnimpfung in Schwangerschaft: wegen theoretischen RE-Risikos Röteln-
R
impfung innerhalb von 4 Wo. vor und in Schwangerschaft vermeiden, bei
versehentlicher Impfung in diesem Zeitraum keine Ind. für pränatale Diagn.
oder Schwangerschaftsabbruch; bisher kein RE-Fall nachgewiesen; Risiko ca.
2–4 % für fetale Inf., aber ohne RE-Symptomatik bei Geburt.
• mpfehlung: Beschäftigungsverbot von seroneg. schwangeren Angestellten
E
v. a. in der vorschulischen Kinderbetreuung bis zur 20. SSW (in NRW und
Niedersachsen auch für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen mit Kindern bis
18 J.).
5.13 Infektionen in graviditate 191
Meldepflicht
Konnatale Röteln (RE und asymptomatische infizierte NG; nichtnamentlich;
direkter oder indirekter Nachweis); Dunkelziffer vorhanden, da z. B. Hörde-
fekte oft lange unbemerkt bleiben; voraussichtlich 2012 Einführung einer
bundesweiten Meldepflicht für postnatale Röteln. ▶ 1.10.1.
Verbleibende Probleme
• M MR-Durchimpfungsraten für die 2. Impfung (15–23. Lm) noch nicht
optimal.
• F rage der langfristigen Immunität bei niedrigen Röteln-Ak-Werten und
rückläufiger Wildviruszirkulation.
• R isiko akute Röteln/RE-Fälle durch importierte mütterliche Röteln und
für Infektketten bei Impfverweigerern.
5.13.2 Zytomegalie
Erreger ist das Zytomegalievirus (CMV), ein β-Herpesvirus.
Epidemiologie
Häufigste kongenitale Inf. mit kindlicher Schädigung bei Geburt und später. Welt-
weit sind 0,2–2 % aller NG mit dem Virus infiziert (in Deutschland ca. 0,2 %) und
etwa 13 % sind bei Geburt symptomatisch (CID-Sy.: Congenital Inclusion Disease).
Die CMV-Seronegativrate im gebärfähigen Alter beträgt in Deutschland ca. 57 %, 5
jährlich infizieren sich ca. 1,1 % der seroneg. Schwangeren erstmals mit CMV.
Klinik
Schwangere Schwangere mit CMV-Primärinf. haben in ca. 17 % eine relativ un-
charakteristische und nur in ca. 7 % CMV-charakteristische Symptomatik (z. B. He-
patitis, hohe Leberwerte). Rekurrierende Inf. verlaufen klinisch immer inapparent.
Fetus Bei fetaler Inf. sind die Hauptauffälligkeiten im Ultraschall: Ventrikeler-
weiterung im ZNS, Mikrozephalie, Höhlenergüsse (z. B. Aszites), Wachstumsre-
tardierung, hyperechogener Darm!
Neugeborenes
• 8 7 % der kongenital infizierten NG sind bei Geburt asymptomatisch.
• 1 3 % der NG weisen unterschiedlich schwere Symptomatik auf – von systemi-
schen Manifestationen (z. B. Frühgeburtlichkeit, geringes Geburtsgewicht, pe-
techiale Blutungen, Ikterus und Thrombozytopenie) bis zu ZNS-Symptomen
(z. B. Mikrozephalie und intrakranielle Verkalkungen, Hördefekte, Lethargie
und Krämpfe). Die Mortalitätsrate in den ersten Lw wurde früher mit ca.
10 % angegeben, heute mit 4 %.
Kind
• B ei den bei Geburt symptomatischen Kindern sind bleibende, zumeist multi-
ple Schäden, v. a. Innenohrschwerhörigkeit (41–58 %), Mikrozephalie (52 %),
ein sehr niedriger IQ von < 70 (55 %) sowie Sprach- (27 %) und Sehstörungen
(22 %) zu erwarten.
• B ei den bei Geburt asymptomatischen Kindern kommt es in 13,5 % zu Spät-
manifestationen wie Innenohrschwerhörigkeit (7 %), kognitiven Störungen
oder neurologischen Beeinträchtigungen (6,5 %).
5
Diagnostik
Schwangere CMV-Screening wird gegenwärtig selektiv – z. T. als IGeL – vor und
in der Schwangerschaft durchgeführt.
• S erologie: Feststellung des Immunitätsstatus vorrangig durch IgG-Ak-Be-
stimmung.
– Neg. IgG-Ak-Befund: Kontrolle im 2./3. Trimenon mit Hinweis auf Expo-
sitionsprophylaxe (s. u.).
– Nachweis einer Primärinf. durch IgG-Serokonversion bzw. signifikanten
Anstieg der IgG-Ak und hohe IgM-Ak-Werte bei niedrigem IgG-Avidi-
tätsindex. Bei pos. IgM-Befund: Eingrenzung des Infektionszeitpunkts mit
Zusatztesten (IgG-Avidität, Immunoblot).
– Rekurrierende Inf. serologisch schwer zu charakterisieren; z. T. erhöhte
IgG-Ak- und schwach pos. IgM-Ak-Werte bei moderatem bis hohem
IgG-Aviditätsindex.
• E rregernachweis: CMV-DNA-Nachweis quantitativ mit der Real-Time-PCR
im Blut zum Nachweis einer virämischen Phase.
Pränatale Diagnostik
• B ei serologisch bestätigter Primärinf. Ultraschallkontrollen DEGUM 2/3 ab
19. SSW, evtl. zusätzlich fetales MRT (> 25. SSW).
• F W-Entnahme ab der 21. SSW (mind. ≥ 7–8 Wo. nach möglichem Infektions-
zeitpunkt) zum Erregernachweis (PCR, Schnell-Zellkulturtest) und evtl. Fetal-
blutentnahme ab der 23. SSW zum IgM-Ak- und Erregernachweis. Pos. Be-
funde bestätigen fetale Inf. Bei gleichzeitig das ZNS betreffenden Ultraschall
auffälligkeiten ist die Geburt eines schwer geschädigten Kindes zu erwarten.
5.13 Infektionen in graviditate 193
Therapie
Schwangere
• D ie i. v. Ganciclovirther. in der Schwangerschaft wird zurzeit nicht empfoh-
len.
• A ls Heilversuch könnte bei nachgewiesener fetaler Inf. und auffälligem Ultra-
schall in Einzelfällen die Gabe von CMV-Hyperimmunglobulin intravasal in
die Nabelvene erwogen werden (Off-Label-Anwendung).
• B ei nachgewiesener fetaler Inf. und schwerwiegenden Ultraschallauffälligkei-
ten steht ein Schwangerschaftsabbruch zur Diskussion.
Neugeborenes
• B ei symptomatisch infizierten NG, v. a. bei ZNS-Symptomatik und Hörstö-
rungen: Ganciclovir i. v. (Cymeven®) initial für 3–6 Wo., heute dann meist
Erhaltungsther. mit Valganciclovir (Valcyte®) für bis zu 3 Mon.
• B isher keine offiziellen Leitlinien zum Behandlungsschema. Hauptziel ist die
Verbesserung bzw. Erhaltung des Hörvermögens.
Prophylaxe
5
Wichtigste derzeitige prophylaktische Möglichkeiten sind hygienische Maß-
nahmen.
Keine Meldepflicht.
194 5 Schwangerschaft
Epidemiologie
Einziges natürliches Reservoir ist der Mensch. In Deutschland sind 3–4 % der
Frauen im gebärfähigen Alter seroneg. und somit ist nur ein geringer Prozentsatz
für eine Varizelleninf. in der Schwangerschaft gefährdet.
Varizellen
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• A nsteckung durch Tröpfcheninf. über Rachensekret, Direktkontakt über
Bläschenflüssigkeit.
• A usscheidung über den Rachen bereits 2–3 Tage vor Exanthemausbruch.
• D as Virus ist hoch kontagiös, die Infektionsrate liegt bei über 90 %. IKZ: 14–
16 Tage (Bereich: 8–21 Tage).
• B ei Varizellen in der Schwangerschaft besteht für die Mutter ein gewisses Ri-
siko einer VZV-Pneumonie.
• B ei mütterlicher Inf. in den ersten 20 SSW (selten bis zur 28. SSW): Risiko für
fetales bzw. kongenitales Varizellen-Sy. (CVS) ca. 1,4 %.
• B ei Kind von Mutter mit Varizellen im 2./3. Trimenon gelegentlich (1,1 %)
frühpostnataler Zoster in den ersten 2 Lj.
5 • B ei mütterlichen Varizellen um den Geburtstermin Risiko neonataler schwer
verlaufender Varizellen (8 %).
Klinik
Schwangere Krankheitsverlauf nicht schwerer als bei nichtschwangeren Frauen
im gebärfähigen Alter oder Männern. Wichtigste KO ist VZV-Pneumonie (~10 %
bei Erw.) v. a. im 2./3. Trimenon, mit Letalität von 20–40 % ohne i. v. Aciclo-
virther. und ohne Intensivmaßnahmen.
Fetus Bei kongenitalem Varizellensy. im Ultraschall Stufe II/III charakteristi-
sche Stigmata wie Gliedmaßenhypoplasie und skarifizierte Hautläsionen früher
nachweisbar als zerebrale, okulare und sonstige Abnormitäten, die meist später
und nur mit Zusatzuntersuchungen wie MRT nachweisbar sind.
Neugeborenes
• K ongenitales Varizellensy.: Charakteristische Symptome sind Hautskarifi-
zierung, Ulzerationen, Narben, Gliedmaßenhypoplasien, Paralysen und Mus-
kelatrophien, Katarakt und Augendefekte, Krampfanfälle, psychomotorische
Retardierung und Hirnatrophie.
• N eonatale Varizellen (erste 10–12 LT): Hauptrisiko für schweren Verlauf bei
mütterlichen Varizellen 5 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt und v. a. bei
FG. Bei mütterlicher Inf. > 5 Tage vor Geburt meist guter Verlauf.
• F rühpostnataler Zoster (1.–2. Lj): typische Effloreszenzen in Dermatomen
im Thoraxbereich, leichter Verlauf, Rekurrenzen selten.
5.13 Infektionen in graviditate 195
Diagnostik
Schwangere
• S erologie:
– Feststellung der Immunitätslage bei Kontakt durch IgG-(IgM-)Ak-Be-
stimmung nur bei neg. Anamnese bezüglich Windpockenerkr. Bei
schwach pos. bis mittleren IgG-Werten Bestätigung der Immunität durch
Nachweis eines hohen Aviditätsindex.
– Bei Windpocken klinische Diagn. vorrangig; serologische Bestätigung
3–5 Tage nach Exanthembeginn durch Nachweis von IgM-, (IgA-) und
IgG-Ak mit signifikantem Anstieg innerhalb von 14 Tagen. IgM- und
IgA-Ak-Persistenz für 2–3 Mon., IgG-Ak sind nach Abfall der erhöhten
Titer lebenslang nachweisbar. Niedrige IgG-Titer werden bei VZV-Kon-
takt i. Allg. asymptomatisch geboostert.
• E rregernachweis: Virusanzucht in Zellkultur nur bei freiem Virus (Bläschen-
inhalt) erfolgreich. Daher heute weitgehend nur DNA-Nachweis durch PCR
bei Varizellen-KO (Pneumonie, Enzephalitis) und in Bläscheninhalt zur Dif-
ferenzierung Zoster/Herpes simplex.
Pränatale Diagnostik Bei Varizellen bis 21. (28.) SSW invasive pränatale Diagn.
nicht generell empfohlen, jedoch Ultraschallkontrollen Stufe 2/3. Bei auffälligem
Ultraschall FW-Entnahme und evtl. auch Fetalblutentnahme frühestens 6 Wo. 5
nach Exanthembeginn und nicht vor 21. SSW (vorher mütterliche Virämie aus-
schließen). VZV-DNA-Nachweis mittels PCR im FW und evtl. Fetalblut; IgM-
Nachweis im Fetalblut nicht erfolgreich.
Neugeborenes/Kind
• U nauffälliges NG von Mutter mit akuten Varizellen in Schwangerschaft (bis
36. SSW): Nabelschnurblut IgG-pos., IgM-neg. → passive Ak.
• K ind mit kongenitalem Varizellensy. von Mutter mit Varizellen in Schwan-
gerschaft (bis 28. SSW): VZV-DNA-Nachweis in Abstrichen von Hautläsio-
nen und in Gewebebiopsien; IgM im Serum nicht nachweisbar, aber lange
persistierende IgG > 8. Lm; Nachweis der zellulären Immunität.
• K ind von Mutter mit Varizellen um Geburtstermin: klinisch bis 12. LT über-
wachen. Bei V. a. neonatale Varizellen mit z. T. schwer verlaufender Klinik:
serologisch signifikante IgG- und IgM-Ak-Titeranstiege; VZV-DNA-Nach-
weis in Bläscheninhalt, Liquor, Blut und Rachensekret.
Therapie
Schwangere
• E vtl. nach 16. SSW: orale Aciclovirther. (ACV) 24 h nach Exanthembeginn
5 × 800 mg/d für 7–10 Tage. Alternativ wird i. v. Gabe von 3 × 10 mg/kg/d
über ca. 7 Tage erwogen, aber bisher nicht in der Schwangerschaft erprobt.
• V arizellenpneumonie: sofort i. v. Aciclovirther. (3 × 10 mg/kg/d über 10 Tage)
und intensivmedizinische Betreuung.
• A kute Varizellen um dem Geburtstermin ▶ Tab. 5.18.
196 5 Schwangerschaft
Herpes zoster
Reaktivierte VZV-Inf.: Häufigkeit ca. 2/1.000 Schwangerschaften.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
KO: selten disseminierter Zoster; bei mütterlichem Herpes zoster im 1.–3. Trime-
non: Kein Risiko für ein kongenitales Varizellen-Sy. oder eine perinatale Inf. 5
Infektionsrisiko des NG bei mütterlichen Zosterläsionen um Entbindung: Bei Ab-
deckung der Läsionen unwahrscheinlich.
Diagnostik
Schneller Anstieg der VZV-IgG-, -IgA- und auch -IgM-Ak-Titer.
Therapie
Schwangere Bei schwerer Manifestation im (1.), 2., 3. Trimenon Aciclovir i. v.
bzw. Brivudin (Zostex®) oder Famciclovir (Famvir®) beide oral und bessere Bio-
verfügbarkeit als ACV oral. Cave: Keines von diesen Präparaten ist offiziell für die
Schwangerschaft zugelassen.
Bei Beginn von mütterlichem Zoster innerhalb von 4 Tagen vor Entbindung:
• N eugeborenes kein VZIG.
• Schwangere evtl. ACV; Läsionen bei der Mutter dann abdecken.
Bei Beginn von mütterlichem Zoster bis zu 4 Tage nach Entbindung: Neugebore-
nes VZIG 0,5 ml/kg KG i. m.
Management des Neugeborenen
• Isolierung Mutter-Kind: nein.
• S tillen: ja, wenn keine Effloreszenzen im Brustbereich; sonst Muttermilch ab-
pumpen.
Epidemiologie
Reaktivierung von HSV Typ 2 mind. doppelt so häufig wie mit Typ 1. In Deutsch-
land und in westeuropäischen Ländern ist Herpes neonatorum relativ selten
(1 : 15.000–40.000 Lebendgeburten), in den USA zwei Fälle von Herpes neonato-
rum auf 10.000 Lebendgeburten (davon 45 % durch Typ 1).
Klinik
Alle Genitalinf. verlaufen häufig asymptomatisch und können zur spätintrauteri-
nen oder perinatalen Inf. des Kindes führen und den Herpes neonatorum früher
vorwiegend mit Typ 2, heute zunehmend mit Typ 1 verursachen.
Schwangere
• P rim. HSV-Inf. sind bei Entbindung in 50 % asymptomatisch, bei HSV-Re-
kurrenz ist dies in 70–80 % der Fall.
• P rimärinf.: ausgedehnte multiple Ulzerationen, Brennen, Schmerzen, Fluor,
Dysurie, Dyspareunie, gelegentlich Temperaturerhöhung, vergrößerte
schmerzhafte Lk in der Leiste. Cave: klinisch keine sichere Unterscheidung
von Primärinf. und Rezidiv.
Neugeborenes Hauptmanifestationen des Herpes neonatorum:
• D isseminiert (ZNS, Lunge, Leber, Nebenniere, lokalisiert/SEM: Haut, Auge,
Mund). Symptombeginn 6–12 Tage nach Geburt, Letalität ohne Ther. > 80 %,
mit Ther. > 50 %.
• Z NS-Symptomatik (Enzephalitis, Meningitis in 37–48 % ohne SEM) mit Sym-
ptombeginn 16–18 Tage nach Geburt, Letalität ohne Ther. > 50 %, mit Ther.
15 %, in > 50 % neurologische und ophthalmologische Schäden sowie rekur-
rierende Hautbläschen.
5.13 Infektionen in graviditate 199
Diagnostik
Schwangere Das HSV-Screening ist keine Untersuchung der Mutterschaftsvor-
sorge.
• S erologie:
– Gesamt-Ak gegen Typ 1 und 2 mittels EIA, pos. Befund ≥ 3–5 Wo. post
infectionem (p. i.) zu erwarten.
– Ak mittels Immunoblot mit typenspezifischem Antigen, pos. IgG-Befund
Typ 1 > 3 Wo. p.i., Typ 2 > 5 Wo. p.i.; IgM-Titerbestimmung unzuverläs-
sig.
• E rregernachweis:
– Aus Bläscheninhalt, Mund-/Genitalabstrich.
– Goldstandard: Anzucht in Zellkultur, Typ 1 für ca. 2 Tage, Typ 2 für
4–5 Tage (im Schnellkulturverfahren 18 h) oder mit typenspezfischer PCR
(Dauer 1–2 h). Bei Nachweis einer geringen Zahl von Genomäquivalenten
fragliche Korrelation mit Infektiosität, daher Sectio eher nein.
• V orgehen:
– In Frühschwangerschaft auch Herpes-genitalis-Anamnese des Partners
erfragen. Inspektion des Zervikogenitaltrakts: bei verdächtigen Efflores-
zenzen Abstrich für Viruskultur/PCR.
– Bestimmung typenspez. HSV-Ak in Frühschwangerschaft. Bei neg. HSV1- 5
oder HSV2-Befund: Kontrolle Ende der Schwangerschaft zur Feststellung
einer Serokonversion, falls nachweisbar: Aciclovir bei Symptomen oder
ggf. prophylaktisch.
– Vor/bei Wehenbeginn: Herpes-genitalis-Inf. des Partners erfragen. In
spektion des Zervikogenitaltrakts: Bei sichtbaren Läsionen (auch ohne Vi-
rusnachweis) sowie bei Serokonversion für HSV 1, 2 (auch ohne genitale
Symptomatik) immer Sectio vor Ruptur der Eihäute bzw. innerhalb von
4–6 h danach.
Pränatale Diagnostik Nicht indiziert, da Übertragung hauptsächlich intra par-
tum.
Neugeborenes/Kind
• B ei symptomatischen und asymptomatischen NG Erregernachweis (PCR,
Zellkultur) aus Rachensekret, Augenabstrich, EDTA-Blut.
• B ei symptomatischen NG zusätzlich Erregernachweis aus Liquor.
• A bnahme innerhalb von 24–48 h nach Geburt, virologische (vorrangig) und
serologische Überwachung in den ersten 4 Lw, bei klinischem Verdacht so-
fortige Kinderklinikeinweisung und Hochdosisther.
Therapie
Die Ther. mit Aciclovir (ACV) oral ist wegen geringerer Bioverfügbarkeit weniger
wirksam als mit i. v. ACV. Im Vergleich zu ACV oral hat Valaciclovir Val-ACV
oral eine 3- bis 5-fach höhere Bioverfügbarkeit.
200 5 Schwangerschaft
Aciclovir ACV und Val-ACV sind offiziell weder für die Schwangere noch für das
NG zugelassen, jedoch werden beide Präparate sowohl in der Schwangerschaft als
auch für das NG eingesetzt, da bei ACV-Applikation in der Schwangerschaft kei-
ne erhöhte Fehlbildung im Vergleich zur Normalpopulation beobachtet wurde.
Schwangere
• P rim. orofazialer Herpes (Stomatitis) und prim. Erstepisode von Genitalher-
pes: ACV 3 × 400 mg/d p. o. für 7–10 Tage oder 5 × 200 mg/d p. o. für
7–10 Tage.
• S eltene disseminierte Erkr. (Enzephalitis, Hepatitis, Pneumonie): Im 1.–
3. Trimenon ACV 10 mg/kg KG i. v. alle 8 h für 14 Tage.
• R ezid. Genitalherpes (bei ausgeprägter Symptomatik): > 20. SSW ACV 3 ×
400 mg/d p. o. für 5 Tage oder 5 × 200 mg/d für 5 Tage.
• A CV-Prophylaxe bei rekurrierendem Genitalherpes oder Z. n. Genitalherpes-
Erstepisode ab 36. SSW bis zur Entbindung zur Senkung der Sectiorate (Nut-
zen wird kontrovers diskutiert): ACV 2–3 × 400 mg/d p. o. oder Val-ACV 2 ×
500 mg/d p. o. (bisher nur begrenzte Erfahrungen).
Neugeborenes
• M it Herpes neonatorum:
– ACV 20 mg/kg KG i. v. alle 8 h für 14–21 Tage; Hochdosistherapie!
• A symptomatisch:
– Mit hohem Infektionsrisiko: Prophylaktisch ACV i. v. 20 mg/kg KG alle
8 h für 14 Tage.
– Mit geringem Infektionsrisiko: klinische und virologische Kontrollen in
5 den ersten 4–6 Lw, bei klinischem Verdacht sofort stationäre Einweisung
und Einleitung einer Hochdosisther.
Prophylaxe
• S ectio bei sichtbaren Effloreszenzen im Geburtskanal, bei Serokonversion
auch ohne Symptomatik. Daten USA: Fälle von Herpes neonatorum nach
Sectio 1,2 %, nach vag. Entbindung 7,7 %.
• Isolierung Mutter/NG bei V. a. prim. Genitalherpes bis zur Abklärung. Bei
prim. Herpes labialis bis zur Abheilung der Läsionen. Keine Isolierung bei re-
kurrierendem Genital- und orofazialen Herpes (Herpes labialis), sondern hy-
gienische Maßnahmen.
• S tillen bei Herpes labialis nur bei perfektem Mundschutz.
• M ed. Personal und Besucher mit akut rekurrierendem HSV-1-Herpes labia-
lis, -Pharyngitis, -Stomatitis, HSV-2-Nagelbettgeschwür (Whitlow): Keine
Betreuung bzw. Besuch. Personal darf bei floridem Herpes labialis nicht auf
Entbindungs-/NG-Station arbeiten! Vorzugsweise immer Mundschutz tra-
gen!
• Z urzeit kein brauchbarer Impfstoff in Sicht.
Keine Meldepflicht!
Klinik
Schwangere
• V erlauf im Erwachsenenalter in etwa 30 % ohne das girlandenförmige Exan-
them. In 30–40 % erhöhte Temperaturen, uncharakteristisches Exanthem und
Lk-Schwellungen. Oft Polyarthralgien der kleinen Gelenke einzige Manifesta-
tion.
• G elegentlich persistieren Gelenkbeschwerden über mehrere Mon. 5
Fetus Etwa 95 % der fetalen KO werden in den ersten 10–12 Wo. nach mütterli-
cher Inf. beobachtet, in Einzelfällen bis zu 20 Wo.
• F etale KO überwiegend durch Hemmung der fetalen Erythropoese und da-
durch bedingte Anämie (Hauptzielzellen im Fetus: erythropoide Vorläufer-
zellen, Pronormoblasten der fetalen Leber).
• H ydrops fetalis wird hauptsächlich durch Herzinsuff. bei schwerer und an-
haltender Anämie verursacht.
• B 19-assoziierte Myokarditis kann zur Entstehung der Herzinsuff. beitragen.
• S chwere Hypoxämie bzw. Anoxie beeinträchtigt kardiale Pumpfunktion und
kann zu konsekutivem kapillärem Leck führen.
• Im Farbdoppler/Ultraschall nachweisbar: fetale Anämie, Hautödem, Hydrops
fetalis, Höhlenergüsse.
Bisher gibt es keine Hinweise auf kongenitale Symptomatik oder teratogene Effek-
te, die bei tierischen Parvoviren bekannt sind (z. B. zerebrale Hypoplasie bei Kat-
ze, Myokarditis bei Kaninchen, Schwein).
Neugeborenes Bisher keine Fälle von Fehlbildungen beschrieben, einige Fälle
von kongenitaler Anämie, Mekoniumperitonitis, Enzephalopathie und kongeni-
taler Myokarditis wurden mit der mütterlichen Parvovirus-B19-Inf. in Zusam-
menhang gebracht.
Diagnostik
Schwangere Das Parvovirus-B19-Screening ist keine Untersuchung der Mutter-
schaftsvorsorge.
202 5 Schwangerschaft
• S erologie:
– B ei Kontakt oder verdächtigen Symptomen in der Schwangerschaft IgG-
und IgM-Ak-Bestimmung im EIA.
– Zusatztest: IgG-Line-Assay (epitopspezifisch) zur Eingrenzung des Infek-
tionszeitpunkts. Einsatz nur in Schwangerschaft.
– Interpretation der serologischen Ergebnisse:
– IgG pos., IgM neg. → frühere Inf., Schutz ist anzunehmen. Cave bei
auffälligem US/Doppler, da IgM-Ak evtl. schon unter der Nachweis-
grenze.
– IgM pos., IgG neg. bis schwach pos. → akute Inf., Vorgehen s. „Präna-
tale Diagnostik“.
– IgG und IgM neg. → bisher keine Inf., Kontrolle in 2(–3) Wo.
Die Verlustrate bei schwerem Hydrops fetalis beträgt ohne Transfusion ca.
90 %, mit Transfusion 30–40 % (M. und G. Enders, unveröffentlicht).
Therapie
• A
ntivirale Substanzen nicht verfügbar; fetale Ther. durch intrauterine Trans-
fusion s. Abschnitt „Pränatale Diagnostik“.
• A
kute Inf. in Schwangerschaft ist keine Ind. für einen Schwangerschaftsab-
bruch.
5.13 Infektionen in graviditate 203
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe kaum erfolgreich.
• P ostexpositionsprophylaxe (PEP): kein spezifisches B19-Hyperimmunglobu-
lin (IG) verfügbar. Präexpositionelle Prophylaxe mit IG (i. v.) z. B. bei noso-
komialen Ausbrüchen sehr gut wirksam. PEP mit Immunglobulinen auf-
grund fehlender Evidenz nicht empfohlen.
• ktive Impfung steht nicht zur Verfügung.
A
• eschäftigungsverbot für seroneg. Schwangere: in den meisten Bundeslän-
B
dern in vorschulischen Einrichtungen bis zur vollendeten 20. SSW.
Keine Meldepflicht.
5.13.6 HIV-Infektion
Erreger sind die Retroviren HIV-1 und HIV-2. Sie sind die Ursache der Immun-
schwäche AIDS.
Epidemiologie
Im Jahr 2010 waren nach Angaben der WHO weltweit ca. 35 Mio. Menschen mit
HIV infiziert, auf Deutschland (D) entfielen davon ca. 70.000 Menschen. Der An-
teil der Frauen an den HIV-Infizierten und AIDS-Pat. ist wie in allen Industrie-
staaten deutlich geringer als derjenige der Männer. In D liegt der Anteil der infi-
zierten Frauen an allen HIV-Infizierten bei 20 %.
5
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• In D sind die wichtigsten Infektionsrisiken bei Frauen, die nicht aus Hoch-
prävalenzländern stammen, heterosexuelle Kontakte und i. v. Drogenge-
brauch.
• M utter-Kind-Übertragung erfolgt meist intrapartal (Muttermilch in Entwick-
lungsländern). Im Jahr 2010 wurden 20 Mutter-Kind-Transmissionen neu
diagnostiziert: 11 dieser Kinder wurden in D geboren, 9 Kinder waren bereits
infiziert eingereist.
Klinik
Schwangere HIV-Inf. können jahrelang klinisch unauffällig verlaufen und füh-
ren im Spätstadium zu AIDS. Bei der prim. HIV-Inf. ähneln die Symptome einem
grippalen Infekt.
Neugeborenes Ohne die heute zur Verfügung stehende Ther. kam es früher bei
ca. 25 % der infizierten NG innerhalb des 1. Lj zu AIDS, 25 % waren auch noch im
Jugendalter asymptomatisch. Heute kann die Inf. des NG durch antiretrovirale
mütterliche und kindliche Ther., Sectio und Stillverzicht weitgehend (< 2 %) ver-
hindert werden. Ein erhöhtes Risiko für kindliche Fehlbildungen aufgrund einer
mütterlichen HIV-Inf. besteht nicht.
Diagnostik
Schwangere
• H
IV-Test: Der HIV-Test soll im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (seit
1987) jeder Schwangeren empfohlen werden. Die Beratung zum HIV-Test ist
204 5 Schwangerschaft
Therapie
Schwangere Antiretrovirale Ther. der Schwangeren entsprechend dem individu-
5 ellen Risiko. Aus kindlicher Ind. Zidovudin-Monother. (Retrovir®) oder Kombi-
nationsther. in Spätschwangerschaft (ab 32. SSW) entsprechend den Leitlinien
(deutsch-österreichische Empfehlungen zur HIV-Ther. in der Schwangerschaft
und bei HIV-exponierten NG, Stand September 2008, RKI). Bei sehr niedriger
Viruslast der Schwangeren trägt eine Sectio vermutlich wenig zu einer weiteren
Verminderung des Transmissionsrisikos bei. Bei geburtsmedizinischen HIV-
Transmissionsrisiken ist die HIV-Transmissionsprophylaxe risikoadaptiert zu
steigern.
Eine HIV-Inf. der Schwangeren ist keine Ind. für einen Schwangerschaftsab-
bruch.
Prophylaxe
Postpartale Zidovudin-Prophylaxe des NG i. v. oder oral entsprechend oben zi-
tierter Leitlinie.
Meldepflicht
Anonyme Meldepflicht des Labors beim Robert Koch-Institut in Berlin bei
erstmaligem Nachweis einer HIV-Inf.
5.13 Infektionen in graviditate 205
5.13.7 Virushepatitis
Hepatitis A
Erreger ist das Hepatitis-A-Virus, ein kleines unbehülltes RNA-Virus der Familie
Picornaviridae, Genus Hepatovirus.
Epidemiologie
In Ländern mit hohem Hygienestandard ist die Erkrankungshäufigkeit rückläufig.
2010 wurden dem RKI 783 Fälle gemeldet, das entspricht einer Inzidenz von ca.
1 : 100.000. Die Hepatitis A ist jedoch weiterhin als Reiseinf. (40–50 % aller in
Deutschland gemeldeten Fälle) wichtig. Epidemiologische Daten, die speziell die
Schwangerschaft betreffen, sind nicht verfügbar, da Inf. in der Schwangerschaft
weltweit selten vorkommen.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• In der Regel fäkal-orale Übertragung (kontaminierte Lebensmittel, Trinkwas-
ser, Schmierinf.). Inf. durch Blut, Blutprodukte und sexuelle Kontakte sind
ebenfalls möglich. 5
• IKZ: 2–6 Wo., Infektiosität besteht bei Erkrankten meist im Zeitraum von
1–2 Wo. vor bis 1 Wo. nach Auftreten des Ikterus bzw. der Transaminasener-
höhung, selten protrahierte Inf.
• T ransmissionen während der Geburt (durch Exposition zu mütterlichen Fä-
zes) und durch das Stillen (daher nicht kontraindiziert) sind Ausnahmen.
• Infizierte NG und Sgl. können das Virus wochenlang über den Stuhl ausschei-
den und stellen somit eine Infektionsquelle für nichtimmunes Personal dar.
Klinik
Schwangere Krankheitsverlauf nicht schwerer als bei Nichtschwangeren. In re
trospektiven Studien wird aber auf ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Wehen,
Frühgeburtlichkeit und einige andere geburtshilfliche KO hingewiesen.
Neugeborenes Kindliche Fehlbildungen nach Inf. in der Schwangerschaft sind nicht
bekannt. Bei Sgl. verläuft die Inf. meist milder als bei Erw. und häufig anikterisch.
Diagnostik
Schwangere Das Hepatitis-A-Screening ist keine Untersuchung der Mutter-
schaftsvorsorge.
• S erologie: Als serologischer Suchtest kann der Anti-HAV-Gesamtantikörper-
EIA verwendet werden. Wenn dieser Test pos. ausfällt, sollte Anti-HAV-IgM
bestimmt werden.
• K linische und klinisch-chemische Untersuchungen: Oberbauchsono, Be-
stimmung von Transaminasen (GPT > GOT), Bili im Serum, Bili und Urobi-
linogen im Urin sowie Quick-Wert als Syntheseparameter.
206 5 Schwangerschaft
• E rregernachweis: Während der akuten Erkr. erfolgt der Nachweis der Hepa-
titis-A-RNA durch PCR zuerst im Stuhl und dann auch im EDTA-Blut. Da-
durch können unklare IgM-Befunde häufig unterstützt und die Infektiosität
abgeschätzt werden.
Pränatale Diagnostik Nicht indiziert.
Neugeborenes RNA-Nachweis durch PCR in Stuhl und EDTA-Blut, Bestim-
mung von Anti-HAV-IgM.
Therapie
Keine spezifische Ther. verfügbar.
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe: effektive Hygienemaßnahmen (s. diesbezügliche Hy-
gienemaßnahmen).
• P assive Immunisierung: mit dem schnell und gut wirksamen Standard-Im-
munglobulin (mit hohem HAV-Ak-Gehalt); ist jedoch heute weitgehend
durch die aktive Impfung ersetzt oder wird bei Kontaktpersonen i. d. R. mit-
tels Simultanprophylaxe (aktiv/passiv) durchgeführt. Bei NG von Müttern
mit akuter Hepatitis A kurz vor oder um den Geburtstermin erfolgt die Pas-
sivprophylaxe mit Standard-Ig (0,02–0,06 ml/kg KG i. m.).
• A ktive Hepatitis-A-Impfung: in erster Linie bei Reisen in Gebiete mit hoher
Hepatitis-A-Prävalenz, aber auch bei beruflich gefährdeten Personen indiziert
und kann auch in der Schwangerschaft durchgeführt werden, da es sich um
einen inaktivierten Impfstoff handelt.
5 In Hessen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland besteht beim Auftreten von
Hepatitis A ein Beschäftigungsverbot für seroneg. Schwangere in vorschulischer
Tagesbetreuung (Wiederzulassung 51. Tag nach letztem Erkrankungsfall).
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
Hepatitis B
Erreger ist das Hepatitis-B-Virus, ein DNA-Virus der Familie Hepadnaviridae.
Epidemiologie
Die Hepatitis B ist weltweit eine der häufigsten Infektionskrankheiten. Man geht
davon aus, dass ca. 2 Mrd. Menschen die Inf. durchgemacht haben und etwa 300–
400 Mio. chron. infiziert sind. In Deutschland tragen 6–8 % der Bevölkerung An-
ti-HBc-IgG als Seroprävalenzmarker, ca. 0,6 % sind Virusträger. Seit 1995 wird
von der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Impfung aller Kinder gegen He-
patitis B empfohlen. In ca. 20 J. ist zu erwarten, dass die chron. Hepatitis B in der
Schwangerschaft seltener wird.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• D er sexuelle Infektionsweg ist in Deutschland am häufigsten geworden.
• IKZ: 2–6 Mon.
• A ufgrund der hohen Infektiosität einiger chron. Infizierter ist auch eine
Übertragung durch Haushaltskontakte (z. B. gemeinsame Verwendung von
Zahnbürsten) möglich.
5.13 Infektionen in graviditate 207
Therapie
Die verfügbaren antiviralen Substanzen (Interferon-alpha, pegyliertes Interferon-
alpha, Lamivudin, Adefovir, Entecavir, Tenofovir, Telbivudine) sind während der
Schwangerschaft nicht zugelassen. Gemäß Leitlinie besteht die Möglichkeit, insb.
bei hoher Viruslast, zur Reduktion des Transmissionsrisikos eine Ther. auch in
der Schwangerschaft zu beginnen. Hierzu scheint sich trotz fehlender Zulassung
am ehesten Tenofovir zu eignen.
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe: Personen mit wechselnden Sexualpartnern → Ge-
brauch von Kondomen, bei i. v. Drogenabhängigen → keine gemeinsamen
Nadeln, innerhalb der Familie → übliche Hygiene.
• A ktive Prophylaxe: Kinderimpfung und Indikationsimpfung s. STIKO-Emp-
fehlungen. Die Impfung kann auch in der Schwangerschaft durchgeführt
werden (vorzugsweise im 2. und 3. Trimenon, da inaktivierter Impfstoff).
• N eugeborenenprophylaxe:
– Neugeborene von HBsAg- und Anti-HBc-pos. oder HBV-DNA-pos. Müt-
tern werden sofort p. p. bzw. innerhalb von 12 h p. p. simultan mit HBIG
(z. B. Hepatect® 20 IE = 0,4 ml/kg KG i. v.) und dem aktiven Hepatitis-B-
5.13 Infektionen in graviditate 209
Impfstoff (z. B. HBVAX PRO® 0,5 ml i. m.) geimpft. Die 2. und 3. Impfung
erfolgt in der 4. Lw und im 6. Lm.
– Bei NG von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status, bei denen noch
vor bzw. sofort nach der Geburt keine serologische Kontrolle möglich
war, wird unmittelbar p. p. mit der Grundimmunisierung mit dem Hepa-
titis-B-Impfstoff begonnen.
– Bei nachträglicher Feststellung einer HBsAg-Positivität der Mutter kann
beim NG innerhalb von 7 Tagen postnatal die passive Immunisierung
nachgeholt werden. Durch die Simultanimpfung wird eine Inf. des NG in
> 95 % vermieden. Unter dieser Voraussetzung kann gestillt werden.
Sectio wird nicht generell empfohlen, nur bei akuter Inf. in der Spätschwanger-
schaft mit hoher HBV-DNA-Viruslast und bei Koinf. mit HIV.
Beschäftigungsverbot für seroneg. Schwangere: z. B. in Bayern, NRW bei Tätig-
keiten in Behindertenkindergärten, Betreuung behinderter Jugendlicher.
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
Hepatitis C
Erreger ist das Hepatitis-C-Virus, ein RNA-Virus der Familie Flaviviridae, Genus
Hepacivirus mit 6 Genotypen und > 70 Subtypen.
Epidemiologie
Etwa 3 % der Weltbevölkerung sind chron. mit HCV infiziert. In Europa findet 5
man hohe Ak-Prävalenzen v. a. bei i. v. Drogenabhängigen. In Deutschland liegt
die Prävalenz von HCV-Ak in der Bevölkerung bei 0,4–0,7 %. Weder die HCV-
Inf. der Frau noch des Partners sind eine KI für eine Schwangerschaft.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• Ü berwiegend parenterale Übertragung, selten durch Sexualkontakt. In etwa
30 % der Fälle ist der Übertragungsmodus weiterhin nicht klar erkennbar.
• IKZ: 2–24 Wo.
• T ransmission meist perinatal durch Kontakt mit mütterlichem Blut, selten
spät-intrauterin. Die vertikale Transmissionsrate von der infizierten Mutter
auf das Kind beträgt 4–10 %. Bei Koinf. mit HIV erhöht sich die Transmissi-
onsrate auf 14–22 %.
Klinik
Schwangere Der Verlauf ist zunächst bei > 75 % aller HCV-Inf. subklinisch, bei
weniger als ¼ tritt initial eine klinisch manifeste akute Hepatitis auf. Mehr als 50 %
der Inf. gehen in chron. Formen über, langfristig entwickelt sich bei 20 % der
chron. Infizierten eine Leberzirrhose mit hohem Risiko für ein hepatozelluläres
Ca.
Neugeborenes Die meisten infizierten NG sind ebenfalls asymptomatisch. In ei-
nigen Fällen treten milde und vorübergehende Symptome wie z. B. Hepatomega-
lie oder abdominelle Beschwerden auf. Die meisten perinatal infizierten Kinder
weisen zumindest in den ersten beiden Lj intermittierend oder persistierend er-
höhte Transaminasen auf.
210 5 Schwangerschaft
Diagnostik
Schwangere Das HCV-Screening ist keine Untersuchung der Mutterschaftsvor-
sorge.
• S erologie: Als Suchtest wird der Ak-Nachweis mittels ELISA eingesetzt. Bei
kürzlichem Risikokontakt ist zu beachten, dass die Ak-Bildung mehrere
(meist 6–8) Wo., in einzelnen Fällen auch mehrere Mon. in Anspruch neh-
men kann.
• E rregernachweis: Zum Ausschluss bzw. zur Bestätigung einer Virämie ist bei
pos. Ak-Nachweis eine quantitative RNA-Bestimmung mit der RT-PCR sinn-
voll. Diese sollte bevorzugt im 3. Trimenon durchgeführt werden, da die Vi-
ruslast fluktuieren und das Transmissionsrisiko so am genauesten einge-
schätzt werden kann.
Pränatale Diagnostik Nicht angezeigt, da überwiegend peripartale Übertragung,
bei Ind. aus genetischen Gründen ist iatrogenes Risiko bei der Amniozentese
nicht ganz auszuschließen.
Neugeborenes HCV-RNA-Nachweis ab 2.–4. Lw, HCV-Antikörpertest prim.
nicht sinnvoll, da mütterliche Ak bis zum Alter von 18 Mon. nachweisbar bleiben
können, Verlaufskontrollen in Abständen von 3 Mon. bis zum Alter von 1½ J.
Therapie
Die verfügbaren antiviralen Substanzen (Interferon-alpha, pegyliertes Interferon-
alpha, Ribavirin, DAAs wie Protease-Inhibitoren) sind während der Schwanger-
schaft kontraindiziert. Eine Hepatitis-C-Inf. mit pos. RNA-Befund in der Schwan-
gerschaft ist keine Ind. für einen Schwangerschaftsabbruch.
5
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: Hygienemaßnahmen, Vermeidung von Nadelstichverlet-
zungen.
Bei chron. Inf. wird keine Sectio empfohlen, evtl. aber bei Primärinf. mit hoher
Viruslast gegen Ende der Schwangerschaft. Vom Stillen wird nicht abgeraten,
Vorsicht bei Verletzungen ist jedoch geboten. Beim NG außer den üblichen Hygi-
enevorschriften keine besonderen Maßnahmen (keine Isolierung).
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
Hepatitis E
Erreger ist das Hepatitis-E-Virus, ein nicht umhülltes RNA-Virus der Familie der
Hepeviridae mit 4 Genotypen.
Epidemiologie
Sporadische und epidemische Ausbrüche in Subtropen und Tropen. Betroffen
sind hauptsächlich junge Erw.
Sporadische Inf. in Industrieländern, Zoonose (Reservoir Schweine/Wildschwei-
ne etc.).
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• Ü
bertragung ähnlich dem Hepatitis-A-Virus fäkal-oral (kontaminiertes
Trinkwasser), meist in fernöstlichen Ländern.
5.13 Infektionen in graviditate 211
• IKZ: 15–60 Tage.
• Inzidenz in der Schwangerschaft 9 × höher als bei nichtschwangeren Frauen
und bei Männern.
• T ransmission: intrauterin; auch eine vertikale Transmission wird diskutiert.
Klinik
Akute Hepatitis ähnlich der Hepatitis A, aber in der Schwangerschaft schwerer
Verlauf mit einer Letalität von ca. 20 % sowie hoher Abortrate und hoher Rate von
intrauterinem Fruchttod.
In Einzelfällen chron. Verläufe bei Immunsupprimierten.
Diagnostik
Ak im IgG-/IgM-ELISA und Virus-RNA-Nachweis im Stuhl (PCR).
Therapie
Keine antiviralen Substanzen verfügbar.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: Hygienemaßnahmen.
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
5.13.8 Enteroviren
5
Erreger sind die Polioviren 1–3, die Coxsackie-A- und -B-Viren, Echoviren und En-
teroviren. Nach neuer Nomenklatur Einteilung in 4 Spezies: humanes Enterovirus
A, B, C, D. Beispiel: Poliovirus Typ 1–3 gehört zur Spezies humanes Enterovirus C.
Epidemiologie
• N
atürliche Inf. mit Polioviren spielen in Europa keine Rolle mehr. Es wurde
von der WHO 2002 als poliofrei zertifiziert.
• In gemäßigten Klimazonen saisonale Häufung von Enterovirusinf. im Spät-
sommer und Herbst.
Klinik
• H
äufig asymptomatischer Verlauf, aseptische Meningitis, Herpangina, Hand-
Fuß-Mund-Krankheit, hämorrhagische Konjunktivitis, Atemwegserkr., Peri-
karditis, Myokarditis etc. möglich.
212 5 Schwangerschaft
• B ei NG von Müttern mit akuter Inf. kurz vor der Entbindung schwere neona-
tale Erkr. möglich: Sepsis, Meningoenzephalitis, Myokarditis, Hepatitis, Ko-
agulopathie. Bei früh-postpartaler Inf., z. B. durch Besucherkontakt oder auf
der NG-Station, weniger schwere Symptomatik.
Diagnostik
• E rregernachweis in Stuhl, Liquor, EDTA-Blut, FW vorrangig. Heute am er-
folgreichsten durch RNA-Nachweis mittels PCR. Für Typenbestimmung wei-
terhin konventionelle Virusisolierung in Zellkultur notwendig.
• S erologie zweitrangig; Neutralisationstest: aufwendig, ELISA wenig treffsi-
cher.
Therapie
Symptomatisch, eine spezifische antivirale Ther. ist nicht verfügbar.
Prophylaxe
Die wichtigsten prophylaktischen Maßnahmen: gründliches Händewaschen, Ver-
zehr von gekochten Speisen, geschältem Obst, Meidung größerer Menschenan-
sammlungen.
Epidemiologie
Natürliches Reservoir sind hauptsächlich Nagetiere (Mäuse, Hamster – auch als
Haustiere). Die i. d. R. asymptomatisch chron. infizierten Tiere scheiden das Virus
über Urin und Fäzes aus. Selten Virusübertragung nach Organtransplantation
(Leber, Lunge, Niere).
Klinik
Die Inf. bei Erw. verläuft mild und unspezifisch, in seltenen Fällen als Meningitis
oder Meningoenzephalitis.
Diagnostik
IgG-/IgM-Ak-Bestimmung im IFL, ELISA bzw. durch den Nachweis neutralisie-
render Ak, RNA-Nachweis in der PCR, Erregernachweis in Zellkultur.
5.13 Infektionen in graviditate 213
Therapie
Keine antivirale Ther. verfügbar.
Prophylaxe
Schwangere sollten den direkten Kontakt mit Hamstern und Mäusen sowie deren
Exkrementen meiden.
5.13.10 Toxoplasmose
Erreger ist das Protozoon Toxoplasma gondii.
Epidemiologie
Bis zu 1⁄3 der Weltbevölkerung ist infiziert. Seropositivrate bei Frauen im gebärfä-
higen Alter in Mitteleuropa und in Deutschland 20 bis > 45 %.
Klinik
Schwangere Bei Erstinf. in < 10 % uncharakteristische grippale Symptome (Fie-
ber, Abgeschlagenheit), Lymphozytose, zervikale oder generalisierte Lk-Schwel-
lungen.
Fetus Hydrozephalus, Retinochorioiditis, intrakranielle Verkalkungen.
Neugeborenes Etwa 90 % der Kinder asymptomatisch und 10 % symptomatisch
infiziert. Bei Letzteren Generalisation in inneren Organen (Leber, Milz, Lymph-
knoten, Lunge, Herz), Bildung von Gewebszysten v. a. in ZNS, Auge, Muskel. Et-
wa 10 % der infizierten Feten zeigen bei Geburt klinische Zeichen einer floriden
Entzündung (z. B. Fieber, Splenomegalie, Hepatomegalie). Bei ca. 1 % klassische
Trias mit Hydrozephalus, Retinochorioiditis und intrazerebralen Verkalkungen.
Kind Spätmanifestationen: Bei 22–26 % der asymptomatischen NG im Wesent-
lichen Entwicklung und Reaktivierung retinochorioidaler Herde.
Diagnostik
Schwangere Das Toxoplasmose-Screening ist trotz langjähriger Diskussion kei-
ne Untersuchung der Mutterschaftsvorsorge und nur bei begründetem Verdacht
Kassenleistung.
214 5 Schwangerschaft
Durch den meist asymptomatischen Verlauf (≥ 90 %) ist eine Inf. oft nur
durch Nachfragen des Frauenarztes und Durchführung der Serologie er-
kennbar.
Pränatale Diagnostik Bei serologischem V. a. akute oder kürzliche Erstinf. oder
auffälligem Ultraschall:
• H inweis auf DNA-Nachweis in der PCR im FW ab der 19. SSW.
5 • U ltraschall DEGUM Stufe 2/3.
Bei auffälligem Ultraschall nach der 22./23. SSW und zuvor neg. Ergebnis im FW
→ Toxoplasma-DNA-Nachweis und IgM-Ak-Nachweis im fetalen Blut.
Neugeborenes
• E IA IgG pos., IgM neg., IgA neg., Immunoblot Mutter/Kind Profil neg. →
passive mütterliche Ak.
• E IA IgG pos., IgM und/oder IgA bzw. Immunoblot Mutter/Kind Profil pos. →
eigene kindliche Immunantwort – kongenitale Inf.
• T oxoplasma-DNA-Nachweis PCR im Blut, Liquor, Plazenta.
Kind Serologische Verlaufskontrollen mit Abfall der passiven mütterlichen IgG-
Ak unter die Nachweisgrenze bis zum Ende des 1. Lj.
Therapie
Schwangere
• M
edikamentöse Therapie:
– Bis SSW 14+6: Spiramycin 6 × 1,5 Mio. IE/d p. o. = 9 Mio. IE/d (z. B. Ro-
vamycine® 1,5 Mio. IE).
– Ab SSW 15+: Pyrimethamin plus Sulfadiazin plus Ca-Folinat (Kombinati-
onsther.) über mind. 4 Wo. als Ther. der Wahl.
– Pyrimethamin 1. Tag 50 mg, ab 2. Tag 25 mg/d p. o. (Daraprim®).
– Sulfadiazin 50 mg/kg KG/d bis maximal 4 g/d p. o. in 4 Teildosen (Sulfadi-
azin-Heyl®).
– Ca-Folinat 2–3 × 5 mg/d p. o. (z. B. Lederfolat®).
– Bei pos. DNA-Nachweis im FW: Ther. bis zum Ende der Schwangerschaft.
– Frühzeitige Ther. senkt das Risiko für schwere Schädigungen bei Geburt.
5.13 Infektionen in graviditate 215
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe bei Toxoplasmose-seroneg. Schwangeren:
Vermeidung von
• R ohen oder nicht ausreichend erhitzten Fleisch- und Wurstwaren.
• K atzenkotkontaminierter Erde (Gartenarbeit, Spielen im Sandkasten).
• E rregerkontaminierten ungesäuberten Nahrungsmitteln (Salat, Gemüse, Fall-
obst).
Keine passive und aktive Prophylaxe verfügbar. 5
Meldepflicht
Nur bei konnataler Toxoplasmose nicht namentlich direkter oder indirekter
Nachweis.
Epidemiologie
Einziges Reservoir ist der Mensch. Die Zahl der bei NG bzw. Kindern diagnosti-
zierten Fälle von Lues connata liegt seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes
in Deutschland im Jahr 2001 bei 2–3 Fällen pro Jahr; die Zahl der gemeldeten Sy-
philisfälle bei Erw. liegt bundesweit im gleichen Zeitraum mit regionalen Schwan-
kungen bei ca. 3.000 Erkr.
Klinik
Schwangere ▶ 11.3.6.
Fetus Hinweis auf fetale Inf. im Ultraschall: Hepatomegalie, Aszites, Hydrops
fetalis, hydropische Plazenta.
Neugeborenes Nur 30–60 % der infizierten NG haben bei Geburt Symptome:
z. B. Hydrops fetalis, Hepatosplenomegalie, Hauteffloreszenzen, Anämie, Ikterus,
Koryza. In den ersten Lw u. a. Schleimhautulzera, Koryza syphilitica, Pemphigus
syphiliticus an Handtellern und Fußsohlen.
Kind Frühstadium: Lues connata praecox in den ersten 2 Lj, Spätstadium: Lues
connata tarda ab dem 3. Lj, z. B. Sattelnase, Hutchinson-Zähne, Säbelscheidenti-
bia, mentale Retardierung.
Diagnostik
Schwangere ▶ 11.3.6. Das Ak-Screening ist eine Untersuchung der Mutter-
5 schaftsvorsorge im 1. Trimenon.
• S erologie: In Deutschland wird die Diagn. einer Syphilis serologisch erstellt.
Derzeit Treponema-pallidum-Hämagglutinationshemmtest (TPHA) oder
Treponema-pallidum-Partikel-Assay (TPPA) als Suchreaktion. Bei pos. Be-
fund folgende Teste zur weiteren Abklärung:
– Bestätigungstest: Fluoreszenz-Treponema-pallidum-Antikörper-Absorp-
tion (FTA-Abs.), Enzymimmunassay (EIA) oder Immunoblot (IB).
– Nicht treponemenspezifische Cardiolipin-Flockungsreaktion (z. B. Vene-
ral-Disease-Research-Laboratory – VDRL-Test).
– IgM-Ak-Nachweis (IFT oder IB). Cave: Fehlende IgM-Ak schließen The-
rapiebedürftigkeit nicht aus.
Therapie
Schwangere Bei Penicillin-Allergie, Koinf. mit HIV, v. a. Neurosyphilis und tert.
Syphilis sowie bei auffälligem Ultraschall oder Erstdiagn. nach der 20. SSW sollte
das weitere Vorgehen mit einem Spezialisten abgesprochen werden. Ansonsten:
• F rühsyphilis: Benzylpenicillin-Benzathin (Tardolin®) 2,4 Mio. IE als Einmal-
gabe i. m.
• S pätsyphilis oder unbekannt: Benzylpenicillin-Benzathin (Tardolin®) 1 ×
2,4 Mio. IE/Wo. i.m. an den Tagen 1, 8 und 15.
! Jarisch-Herxheimer-Reaktion (bei ca. 40 % der Pat. mit Syphilis im Frühstadi-
um) und mögliche Folgen (vorzeitige Wehen, Dezelerationen, sehr selten
Totgeburt) beachten.
Neugeborenes
• A symptomatisch, reif, VDRL neg., Mutter in Schwangerschaft adäquate
Ther., Nachsorge gewährleistet: keine antibiotische Behandlung.
• K ongenitale Syphilis: Benzylpenicillin-Natrium i. v. 10–14 Tage, Dosis an das
Lebensalter angepasst. LT 1–7: 100.000 IE/kg KG/d in 2 Dosen; LT 8–30:
150.000 IE/kg KG/d in 3 Dosen; nach LT 30: 200.000–300.000 IE/kg KG/d in
4 Dosen.
Meldepflicht
Nicht namentlich: direkter oder indirekter Nachweis des Erregers.
5.13.12 Listeriose 5
Erreger ist das begeißelte grampos. Stäbchen Listeria monocytogenes.
Epidemiologie
Erreger ubiquitär nachweisbar. Häufigkeit der konnatalen Listeriose bei 3–4 Fäl-
len pro 100.000 Geburten.
Klinik
Schwangere
• E rkr. verläuft unauffällig, grippeähnlich oder zweiphasig, zunächst mit Fieber,
Schüttelfrost, Lk-Schwellung, Pharyngitis, Diarrhö oder HWI, nach 14 Tagen
erfolgt ein erneuter Temperaturanstieg, ggf. Zeichen eines Amnioninfektsy.,
evtl. mit Zeichen einer fetalen Hypoxie (z. B. path. CTG, grünes FW). Nach
Entbindung schnelle Besserung.
218 5 Schwangerschaft
Diagnostik
Schwangere Direkter Erregernachweis aus Vaginal-Rektal-Abstrich, Kultur von
mütterlichem Blut (pos. Befund sichert Diagn.), Urin, Stuhl, Liquor, FW oder Pla-
zentagewebe, Lochien bzw. Listeria monocytogenes DNA-Nachweis mittels PCR.
Ak-Nachweis im Serum mit KBR- und Agglutinationstest hat außer bei Titeran-
stiegen > 2 Titerstufen nur eine geringe diagnos. Bedeutung.
Neugeborenes Direkter Erregernachweis oder DNA-Nachweis mit der PCR in
Mekonium, Ohr-Rachen-Abstrich, Blut, Urin, Magensaft, Liquor.
Therapie
Schwangere Amoxicillin i. v. oder Ampicillin i. v. hoch dosiert 2,0 g i. v. alle 4 h
über 14–20 Tage. Die Ther. sollte mindestens bis 2 Wo. nach Abklingen der müt-
5 terl. Symptome und Normalisierung der Entzündungsparameter fortgeführt wer-
den. Bei Penicillin-Allergie muss im Einzelfall eine geeignete Alternativther. ge-
klärt werden.
Neugeborenes
• E arly-Onset: Ampicillin 100–150 mg/kg KG/d i. v. in 2–3 Dosen in Kombina-
tion mit Gentamicin 2–3 mg/kg KG/d i. v. Behandlung über mind. 2 Wo.
• L ate-Onset: Ampicillin 200–400 mg/kg KG/d i. v. in 4–6 Dosen in Kombinati-
on mit Gentamicin, etwa 5 mg/kg KG/d i. v. Therapiedauer richtet sich nach
klinischer Besserung, meist 10 Tage, bei langsamer Reaktion bis zu 21 Tage.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe:
• V
erzicht auf Genuss von rohem Fleisch, roher Milch und daraus hergestellten
Produkten (z. B. Rohmilchkäse).
• V
erpackte Lebensmittel (Wurst, Fisch, vorgeschnittener Salat) möglichst lan-
ge vor Ablauf der angegebenen Haltbarkeit verbrauchen (L. monocytogenes
vermehrt sich auch bei Kühlschranktemperaturen).
5.13 Infektionen in graviditate 219
• A
bsoluter Schutz ist aufgrund des ubiquitären Vorkommens von Listerien
nicht möglich.
• V
orsicht bei Kontakt mit Haustieren.
Meldepflicht
Direkter Erreger aus Blut, Liquor und anderen prim. sterilen Substraten, Ab-
striche von Neugeborenen.
Epidemiologie
In Deutschland beträgt die Prävalenz der genitalen C.-trachomatis-Inf. in der
Schwangerschaft bei den 20- bis 29-Jährigen 1–4 %, bei den über 30-Jährigen 0,2–
1 %, bei jungen sexuell aktiven Mädchen (15–20 J.) ca. 4–9 % und bei Risikopopu-
lationen, z. B. STD-Sprechstunde, bis zu 20–30 %.
Klinik
Schwangere Asymptomatischer Verlauf in etwa 90 %. In ca. 10 % Zervizitis,
Salpingitis, Chorioamnionitis, Endometritis und evtl. Abort oder Frühgeburt
(postpartal, postabortal). Spätfolgen wie z. B. EUG, Tubarschäden, Tubenver-
schluss und Infertilität sind zunehmend von Bedeutung. Erhöhte Frühgeburten-
rate.
Neugeborenes Nach vag. Entbindung Konjunktivitis möglich. Wird ca. 10 Tage
nach Geburt klinisch apparent, führt nie zu Erblindung oder Korneaschäden.
Atypische Pneumonien meist erst Mon. nach Geburt möglich.
Diagnostik
Schwangere Das Chlamydia-trachomatis-Screening (Erregernachweis) ist seit
1996 obligater Bestandteil der Mutterschaftsvorsorge.
• S erologie: IgG-, IgA-Ak und in der Mikroimmunfluoreszenz, EIA, Immu-
noblot. Nur angezeigt bei aszendierenden, invasiven Inf., z. B. Salpingitis, En-
dometritis, reaktiver Arthritis etc. Das Fehlen spez. IgA-Ak schließt eine be-
handlungsbedürftige C.-trachomatis-Inf. nicht aus.
220 5 Schwangerschaft
• E rregernachweis: generell vorrangig vor Serologie, bis vor Kurzem aus Ab-
strichen des Urogenitaltrakts, heute aus Urin: DNA-Nachweis mittels PCR,
bei Symptomen immer auch Partneruntersuchung!
Neugeborenes
• E rregernachweis in Augenabstrichen oder Trachealsekret mittels PCR.
• P neumonie: zusätzlich IgG-, IgM-Ak-Bestimmung.
Therapie
Schwangere
• N ach Abschluss der 14. SSW Erythromycin 4 × 500 mg/d p. o. über 7–14 Ta-
ge, bei chron. Inf. bzw. Therapieversagen Therapiedauer 21 Tage. Immer auch
Partnerbehandlung! Bei Makrolid-Unverträglichkeit Amoxicillin 3 ×
500 mg/d über 7–14 Tage.
• B ei strenger Ind.-Stellung nach dem 1. Trimenon Einmaldosis Azithromycin
1 × 1 g (Zithromax®) oder 1 × 500 mg/d p. o. über 3 Tage.
Neugeborenes Erythromycin-Sirup (Eryhexal®) oder Clarithromycin (z. B. Kla-
cid® Susp.).
Prophylaxe
Jährliches Screening von jungen nichtschwangeren Frauen < 25 J. (Urinprobe,
PCR) sowie Screening vor Schwangerschaftsabbruch zur Verhinderung postabor-
taler Endometritis.
5 Keine Meldepflicht.
Klinik
Schwangere V. a. Urethritis, Kolpitis und Bartholinitis.
Neugeborenes Bei mütterlicher Ureaplasma-urealyticum-Inf. wurden v. a. bei
FG Pneumonien, bronchopulmonale Dysplasien und Meningitiden, bei mütterli-
cher Mycoplasma-hominis-Inf. Meningitiden beschrieben.
Diagnostik
Schwangere Direkter Erregernachweis durch Anzucht auf Spezialnährboden
oder DNA-Nachweis mittels PCR aus Genitalabstrichen, FW, Douglassekret und
Plazentagewebe.
Neugeborenes Direkter Erregernachweis aus Trachealabsaugsekret und Nasen-
Rachen-Abstrich durch DNA-Nachweis mittels PCR. Ak-Nachweis im Wachs-
tumshemmtest. Spezifität der Ak nicht gewährleistet, Erregernachweis vorrangig.
Tab. 5.21 Therapie der Infektion mit Ureaplasma und Mycoplasma hominis
Schwangere Neugeborenes
5.13.15 Borreliose
Erreger ist die Spirochäte Borrelia burgdorferi sensu lato.
Epidemiologie
Die Lyme-Borreliose ist in Westeuropa und den USA die häufigste durch Zecken
übertragene Infektionskrankheit. Borrelia burgdorferi wird in Europa durch die
Schildzecke Ixodes ricinus übertragen. In Deutschland, Österreich und der
Schweiz wird eine Durchseuchungsrate, in Abhängigkeit vom Entwicklungsgrad
der Zecke (Larve, Nymphe, adulte Zecke), von 5–40 % angenommen.
Beim Stich einer adulten Zecke ist das Infektionsrisiko eher gering, wenn die
Zecke rasch (innerhalb von weniger als 24 h) entfernt wird.
Infektionsrisiko in Schwangerschaft
Je nach klinischer Symptomatik der Erstmanifestation variiert die IKZ z. B. für
Stadium I: Erythema migrans Tage bis Wo., für Stadium II: Leitsymptom Me-
ningopolyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth Wo. bis Mon. und für Stadium III:
Lyme-Arthritis und Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer Mon. bis
222 5 Schwangerschaft
Jahre. Pränatale Inf. sind möglich, aber nach aktuellem Stand sehr selten. Kindli-
che Auffälligkeiten nicht bewiesen.
Klinik
Schwangere ▶ Tab. 5.22.
Neugeborenes Pränatale Inf. bzw. kindliche Auffälligkeiten möglich, jedoch sel-
ten. Einzelfallbeobachtungen mit Fehlbildungen von Herz (VSD), ZNS und Au-
gen in neueren prospektiven Studien nicht bewiesen. In Endemiegebieten kein
erhöhtes Fehlbildungsrisiko.
5 Früh dis-
seminiert
Wo. bis
Mon.
(Lymphozy-
tom), multi-
Meningoradi-
kulitis, Fazia-
Arthral
gien,
Karditis, Au-
genbeteiligung
(Stad. II) ple Erythe- lisparese, Me- Arthritis (Hepatospleno-
me ningitis megalie)
Diagnostik
Schwangere und Neugeborenes
• S erologie: IgG-/IgM-Ak-Bestimmung; bei grenzwertigen oder pos. Befunden:
Zusatztest Immunoblot. Bei Verdacht auf Neuroborreliose wird neben einem
Liquorstatus zum Nachweis einer intrathekalen Ak-Synthese ein Liquor/Se-
rumpaar mit gleichem Abnahmedatum untersucht.
• E rreger: DNA-Nachweis mittels PCR in Hautbiopsaten, Gelenkpunktaten
eingeschränkt auch im Liquor.
Therapie
Schwangere ▶ Tab. 5.23. Keine Ind. zur Interruptio.
Neugeborenes von Mutter mit akuter Borreliose in der Schwangerschaft Übliche
klinische Untersuchungen sowie Nabelschnurblut oder kindliches Blut für IgG-/
IgM-Ak und Borreliennachweis mittels PCR. Bei Seropositivität IgG-Verlaufs-
kontrolle bis zum 7. Lm durchführen. Im Falle vom Auffälligkeiten bei Geburt
zusätzlich ein Stück Plazenta für den Erregernachweis asservieren.
5.13 Infektionen in graviditate 223
5.13.16 Q-Fieber
Erreger ist Coxiella burnetii, ein obligat intrazelluläres, gramneg. Bakterium.
Epidemiologie
Q-Fieber ist eine mit Ausnahme Neuseelands und der Antarktis weltweit verbrei-
tete Zoonose. In Deutschland Häufigkeit bei 0,2–0,3 auf 100.000 Einwohner. Die
meisten Erkr. treten im Rahmen von Häufungen auf. Natürliches Reservoir sind
Rinder, Schafe, Ziegen, Katzen, Hunde, Vögel und Zecken. Letztere sind für die
Übertragung auf den Menschen nicht bedeutsam. Bei Säugetieren hohe Ausschei-
dung während der Entbindung (Plazentitis).
• D
as Risiko für KO (Abort, Frühgeburt) ist abhängig vom Schwangerschafts-
stadium, in dem die Inf. erfolgte, und am höchsten unbehandelt im 1. Trime-
non.
Klinik
Schwangere Inf. verläuft in etwa 50 % asymptomatisch oder als grippeähnliche
Erkr. mit hohem Fieber, schwerem Krankheitsgefühl und Husten. In bis zu 40 %
Begleithepatitis. In der Schwangerschaft häufig Übergang in chron. Form durch
verminderte T-Zell-vermittelte Immunität. Bei chron. Q-Fieber Endokarditis als
Haupterkr. bei Erw., unbehandelt wird hohe Letalität angegeben! Nur in etwa
30 % ist unauffälliger Schwangerschaftsverlauf zu erwarten. Akute Inf. kann zu
Abort und Frühgeburtlichkeit führen.
Neugeborenes SGA und Frühgeburt.
Diagnostik
Schwangere und Kind
5 • S erologie: (Goldstandard: IFT): Phase-II-IgM und -IgG steigen 2–3 Wo. nach
Erkrankungsbeginn an.
– Akute Inf.: Beweisend sind die eingetretene Serokonversion oder der IgM-
Nachweis. IgA1 finden sich sowohl bei akuter als auch bei chron. Inf.,
aber nur Pat. mit Endokarditis weisen IgA2-Phase-II-Ak auf.
– Chron. Inf.: IgG Phase I ≥ 800, IgA Phase I ≥ 50.
• E rregernachweis: mit DNA-PCR und durch Anzucht möglich.
Therapie
Schwangere Trimethoprim-Sulfamethoxazol, 160/800 mg 2 Kaps./d, für die
Dauer der Schwangerschaft, auf die Entwicklung einer megaloblastären Anämie
achten! Nach der Schwangerschaft auf chron. Inf. testen (s. u.).
Nichtschwangere
• A kute Erkr.: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. über 3–4 Wo.
• C hron. Erkr.: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. + Hydroxychloroquin 3 ×
200 mg/d p. o. (ophthalmologische Kontrollen!) über 18 Mon.
Neugeborenes Aufgrund der seltenen Inf. keine verlässlichen Daten zur Ther.
Prinzipiell kommen Doxycyclin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol und Rifampicin
in Komb. mit Makrolid infrage.
Meldepflicht
Direkter oder indirekter Nachweis des Erregers bei Hinweis auf akute Inf.
5.13 Infektionen in graviditate 225
Malaria
Erreger sind Plasmodium (P.) spp. [P. falciparum (Malaria tropica); P. ovale und
P. vivax (Malaria tertiana); P. malariae (Malaria quartana)].
Unkomplizierte Malaria und V. a. Mefloquin (Lariam®), evtl. Chininsulfat oral oh-
chloroquinresistenten P.-vivax- ne Clindamycin (Dosierungen s. u.)
Stamm (z. B. nach Aufenthalt in
Indonesien oder Pazifikregion)
Klinik
Schwangere Seltene KO ist die Verlegung der Geburtswege durch Condylomata
gigantea (Buschke-Löwenstein-Tumoren).
Neugeborenes Übertragung von HPV-Inf. unter der Geburt kann zu genitoana-
len Warzen sowie zu Larynxpapillomen führen.
Diagnostik
▶ 11.3.6.
Therapie
Kein optimaler Behandlungszeitpunkt bekannt; es erscheint sinnvoll, die Behand-
lung außerhalb der Frühgeburtlichkeit durchzuführen: Superinf. der Wundflä-
chen könnten zu einer aufsteigenden Inf. mit nachfolgender vorzeitiger Wehentä-
tigkeit oder Blasensprung führen.
• C hirurgische Ther.: Elektrokauter oder CO2-Laser/Nd-YAG-Laser als prim.
Ther. Lokalanästhesie immer erforderlich, bei ausgedehntem Befall Vollnar-
kose erwägen.
• S ectio: Eine zwingende Ind. zur prim. Sectio ist nur gegeben, wenn die Ge-
burtswege durch extensive Kondylome verlegt sind. Schon die Annahme der 5
prophylaktischen Wirkung der Sectio caesarea ist fraglich und umstritten, da
trotz prim. Sectio Larynxpapillome aufgetreten sind.
Klinik
Dünnflüssiger homogener Fluor mit Amingeruch (v. a. nach Alkalisierung mit
10 % KOH).
Diagnostik
pH-Wert der Scheide > 4,5, Nachweis von Clue Cells im Nativpräparat, Keimab-
strich.
230 5 Schwangerschaft
Therapie
• p H-Selbstkontrolle nach Saling.
• A nsäuern des Scheidenmileus mit Döderleinpräparat (z. B. Vagiflor® Vaginal-
supp.) über 7 Tage.
• L okale intravag. Behandlung mit Metronidazol 500–1.000 mg/d (z. B. Vagi-
mid®) über 5–7 Tage, alternativ nach dem 1. Trimenon 500 mg p. o.
• C lindamycin 5 g über 5–7 Tage (Sobelin® Vaginalcreme), alternativ nach dem
1. Trimenon 2–4 × 300 mg/d. p. o. (Sobelin® Kps.) über 5–7 Tage.
5.13.20 Vaginalmykose
In der Schwangerschaft ist das Wachstum von Hefepilzen in der Scheide begüns-
tigt. Erreger ist in 80 % Candida albicans. Die vag. Kolonisation findet von Mund
und After aus statt.
Epidemiologie
Häufigkeit: 10–30 %. Risiken: Etwa 10 % Kandidämien bei Frühgeborenen
< 1.000 g, 4 % Kandidämien bei Frühgeborenen < 1.500 g, 2 % Kandidose als To-
desursache von Frühgeborenen. Bei reifen NG Ursache einer Dermatitis und Be-
siedlung des GIT.
Klinik
Weißlicher vaginaler Fluor, evtl. Pruritus.
5 Diagnose
Nativ- und Keimabstrich, prophylaktischer Vaginalabstrich zur Pilzkultur ab der
34. SSW.
Therapie
Lokale Ther. mit Clotrimazol (z. B. Canesten® 6 Kombi) Ovula und Creme über
1–7 Tage.
Abb. 5.10 Doppler der Nabelschnur: Die 3. SVES zeigt sich als ventrikulärer Block.
[M454]
Therapie
• V ermeidung mütterlicher Faktoren (Koffein, Alkohol, Nikotin, Medika-
mente).
• S upraventrikuläre Extrasystolen (nicht therapiebedürftig).
• V entrikuläre Extrasystolen (selten) Zeichen einer Myokarditis oder Myokard-
dekompensation (bei Obstruktion der Ausflussbahn).
• A usschluss assoziierter Fehlbildungen.
232 5 Schwangerschaft
• Ü
berwachung von Dekompensationszeichen (Hydrops, Kammer- bzw. Vor-
hoferweiterung), erhöhter Rückfluss (A-Kurve) im Doppler der V. cava infe-
rior (VCI).
• ei fehlendem Anhalt auf
B
Herzinsuff. zunächst keine
Ther., weiterhin engmaschige
Überwachung (Ultraschall 1 ×
wöchentl.).
Pharmakologische Therapie
über die Nabelschnurpunkti-
on oder systemisch über die
Mutter bei:
• S upraventrikulärer Ta-
chykardie (führt unbe-
handelt oft innerhalb we-
niger Tage zur fetalen
Herzinsuff.): Adenosine
über Nabelschnur, im
Akutfall mit Dekompen-
sation: Digoxin (und/oder
Flecainid) als Langzeit-
ther.
5 • V entrikulärer Tachykar-
die: Lidocain über Nabel-
schnur, dann Flecainid
systemisch über die
Mutter.
• B radykardie: kein effekti-
ver Ansatz. Hoch dosierte
Abb. 5.11 3D-M-Mode: Im Freihandmodus
Steroide oder Plasmaaus-
bei fixiertem Schallkopf erhält man einen
tausch bei Immunerkr. zweidimensionalen M-Mode (zeitgleiche
der Mutter. Bei lebensfä- Registrierung der Ebene xy über die Zeit).
higem Fetus Beendigung Eine SVES (oben) lässt sich so eindeutig als
der Schwangerschaft, OP Ursache für den ventrikulären Block (unten)
des Herzfehlers, evtl. in der M-Mode-Registrierung diagnostizie-
Pacemaker. ren. [M454]
Spina bifida totalis (Rachischisis) als stärkster Grad mit Offenliegen des Rü-
ckenmarks (▶ 4.6, ▶ 9.7.4).
• G
roßes Steißteratom (0,3 %): embryonale Mischgeschwulst am Becken
ende.
• O
mphalozele: Nabelschnurbruch mit Ausstülpung der Bauchorgane, häufig
mit weiteren Fehlbildungen kombiniert.
• G
astroschisis: echter Bauchwanddefekt mit Austreten der Organe (Darm,
evtl. Leber) vor die Bauchwand.
Diagnostik Routinemäßige Ultraschalluntersuchungen dienen der frühzeitigen
Erkennung (▶ 21.2). Abklärung genetischer Fehlbildungen erfolgt durch Amnio-
zentese oder Chorionzottenbiopsie (▶ 4.2.5, ▶ 4.2.6).
Embryopathien
Erkr. der Embryonalzeit, die mit oder ohne Fehlbildungen einhergehen (▶ 4.3).
Ursächlich kommen v. a. Virusinf. (▶ 5.13), Arzneimittel (▶ 22), Chemikalien, Ge-
nussgifte (Alkohol, Nikotin etc.), stoffwechselbedingte Erkr., z. B. Diab. mell.
(▶ 3.4), und ionisierende Strahlen (▶ 4.7) infrage.
5.17 Terminüberschreitung
Kay Goerke
Einteilung
• R echnerischer Übertragung: Geburtstermin wird um mehr als 7–10 Tage 5
überschritten.
• E chte Übertragung: Überschreiten des Geburtstermins um mehr als 14 Tage.
Geht meist mit Plazentainsuff. und einer steil ansteigenden perinatalen Sterb-
lichkeit einher. Wichtigste Ursache ist mangelhafte Erregbarkeit der Uterus-
muskulatur (Rezidivneigung).
Diagnostik
• B estimmung von Fundusstand und Uterusgröße ▶ 5.1.
• S ono: Fetometrie, FW-Menge, Reifegrad der Plazenta (▶ 21.2.4 und
▶ 21.2.5).
Vor invasiver Diagn. oder Ther. unbedingt erneute Terminberechnung unter
Berücksichtigung von Zyklusanomalien, Einnahme oraler Kontrazeptiva,
Stärke der letzten Blutung, Termin der ersten Kindsbewegungen, Frühultra-
schall und Uterusgröße.
Monitoring
b Terminüberschreitung: mind. 2-tägige CTG-Kontrolle (▶ 6.1.1).
• A
• A
b dem 8. Tag nach EGT: stationäre Aufnahme anraten.
– Tägl. 2–3 CTG-Kontrollen.
– Festlegen des Zervix-Scores (Bishop-Score).
– Geburtseinleitung.
236 5 Schwangerschaft
2 cm 0
1 cm 1
½ cm 2
Verstrichen 3
Derb 0
Mittel 1
Weich 2
Sakral 0
Medio-sakral 1
Zentriert 2
Muttermund-Dilatation
Geschlossen 0
1 cm geöffnet 1
2 cm geöffnet 2
3 cm geöffnet 3
5 Leitstellen
Komplikationen
• A bortrisiko: wird in der Literatur mit 14–58 % angegeben (bei einer durch-
schnittlichen Abortrate in der Gesamtbevölkerung von etwa 10 %).
• W eitere KO: Anämien (90,5 %), abdominale Beschwerden (39,4 %), Blutungen
in der Frühschwangerschaft (20 %), vorzeitige Wehen (60–70 %), erhöhte Früh-
geburtsneigung, regelwidrige Kindslagen (23 %), chron. nutritive Plazentain-
suff. bei Insertion der Plazenta im Myombereich (45 %), vorzeitige Plazentalö-
sung und Blasensprünge, op. Entbindungen ↑, Störungen der Nachgeburtslö-
sung ↑, Placenta accreta oder inccreta, Atonien ↑, verzögerte Uterusinvolution
p. p., Myomnekrosen durch Involutionsvorgänge pp, fibrinolytische Koagulo-
pathie durch Aktivatoren im Myomgewebe ↑, Thrombembolierisiko ↑.
– Häufig kommt es zu einem deutlichen Myomwachstum in der 1. Schwan-
gerschaftshälfte, ggf. mit Erweichung, Nekrosen und anderen degenerati-
ven Veränderungen.
– Myomknoten können ein Geburtshindernis darstellen.
Diagnostik Meist sonografisch (▶ 21.1, ▶ 21.2), palpatorisch bei großen Vorder-
wandmyomen, die beim schwangeren Uterus durch die Bauchdecken zu tasten
sind.
Therapie
• V orzeitige Wehentätigkeit: Hospitalisierung und Einleitung einer tokolyti-
schen Ther. (▶ 5.10.1), ggf. RDS-Prophylaxe (▶ 5.10.3). Ind. zur Myomenu
kleation in der Schwangerschaft sehr zurückhaltend stellen, evtl. nur bei the-
rapieresistenten Beschwerden (vorübergehende myombedingte Beschwerden
sind häufig und bilden sich oft unter unspezifischer, evtl. analgetischer und 5
tokolytischer Ther. zurück).
• E ntbindungsmodus nach Myomenukleation: keine eindeutigen Regeln, Ute-
rusruptur sub partu nach Myomektomie ist selten, Sectiorate ca. 50 %. Groß-
zügige Sectioind. bei protrahiertem Geburtsverlauf.
• G
roße Myome möglichst vor geplanter Schwangerschaft operieren.
• U
terotonika bei komplikationsloser Nachgeburtsperiode sparsam ver-
wenden (cave: Myomnekrosen).
• H
ohe Rezidivrate: ca. 40 % Rezidive innerhalb der ersten 2,5 J. nach
Myomektomie. Nach Enukleation von > 3 Myomknoten liegt die Rezi-
divrate bei 60 %.
5.19 Prostaglandintherapie
Joachim Steller
Empfehlungen für die Anwendung von Prostaglandinen in der Gynäkologie und
Geburtshilfe:
Vorgehen Gemeprost 1 mg Vaginaltbl. 3–6 h präop. (z. B. Cergem®), evtl. Wie-
derholung. Bei stärkeren Blutungen:
• W
ährend des Eingriffs Sulproston 500 μg (z. B. Nalador®) auf 500 ml NaCl
0,9 % = 1,7 μg/ml, bis 8,3 μg/Min. entspricht 100–500 ml/h, max. Gesamtdosis
1.500 μg/d über Infusomaten.
• N
ach Ausräumung ggf. Sulproston 500 μg (z. B. Nalador®) auf 500 ml NaCl
0,9 % = 1,7 μg/ml, bis 8,3 μg/Min. entspricht 100–500 ml/h, max. Gesamtdosis
1.500 μg/d über Infusomaten. Cave: Glukose inaktiviert Nalador!
Trotz des recht guten Schutzes des Ungeborenen vor mechanischen Einwir-
kungen in der Fruchtblase kann es durch Unfälle (Sturz auf den Bauch, Ver- 5
kehrsunfall etc.) zu folgenden Problemen für die Schwangerschaft kommen:
• V orzeitige Plazentalösung (▶ 6.4.2).
• V orzeitiger Blasensprung.
• A uslösung von Wehen.
• Intrauteriner Fruchttod.
Diagnostik
• A namnese: gezielt auch nach Arbeitsunfall oder Wegeunfall fragen, ggf. D-
Arzt hinzuziehen.
• C TG zur Kontrolle von fetalen Herztönen und Wehentätigkeit.
• U ltraschall: Plazentahaftfläche, FW-Menge.
• S piegeleinstellung: Blutung, FW-Abgang.
• E valuation sonstiger Verletzungen (Haut, innere Organe), Rö-Untersuchung
bei V. a. Frakturen, einfache Übersichtsaufnahmen sind in der Grav. vertret-
bar (▶ 4.7.3), ggf. Konsil mit Urologen, Chirurgen, Neurologen oder Internis-
ten.
Therapie
• S tationäre Aufnahme über 24 h zur Beobachtung, CTG-Kontrolle, ggf. Sono-
kontrolle.
• B ei äußeren Verletzungen: Tetanusschutz erfragen, ggf. auffrischen (nur pas-
sive Impfung!).
• P lazentalösung: je nach SSW und Lebensfähigkeit des Kindes ggf. sofortige
Entbindung per Sectio.
240 5 Schwangerschaft
• V
orzeitiger Blasensprung: je nach SSW konservative Maßnahmen oder Ent-
bindung.
• V
orzeitige Wehentätigkeit: Tokolyse, stationäre Aufnahme.
5.21.1 Vorbemerkungen
• M
ehr als 70 % aller Schwangeren nehmen im 1. Schwangerschaftsdrittel Me-
dikamente ein.
• F ast alle Substanzen passieren die Plazenta bzw. gehen in die Muttermilch
über.
• In Schwangerschaft und Stillzeit Arzneimittel grundsätzlich nur bei strenger
Ind. unter Berücksichtigung des Risikos für Mutter und Kind verordnen.
• A
rzneimitteldosierung so niedrig wie möglich.
• M
onother. anstreben.
• V
erschiedene Substanzen, die beim Menschen Anwendung als Arzneimittel
finden, sind im Tierversuch embryotoxisch oder fetotoxisch. In vielen Fällen
ist unklar, ob diese Wirkstoffe beim Menschen die gleichen Wirkungen ent-
falten.
5 • K aum ein Medikament, in therapeutischen Dosen eingenommen, rechtfertigt
den Abbruch einer gewünschten intakten Schwangerschaft.
• Im Einzelfall können zusätzlich nicht invasive feindiagn. Maßnahmen hilf-
reich sein.
Schwangerschaft
• S alizylate: hemmen in höherer Dosis (> 500 mg) die Prostaglandinsynthese
und führen zu einer Senkung des fetalen Prostaglandinspiegels. Mögliche
Folge: vorzeitiger Verschluss des Ductus Botalli. Langzeitther. in hoher Dosis
kann eine hämorrhagische Diathese bei Mutter und Kind bedingen. Wegen
einer möglichen Wehenhemmung im letzten Schwangerschaftsdrittel in hö-
herer Dosierung kontraindiziert.
• P aracetamol: in der Schwangerschaft Mittel der Wahl. Wirkt analgetisch und
antipyretisch und ist nicht embryotoxisch.
• N ichtsteroidale Antiphlogistika (z. B. Ibuprofen): Sind bei längerer antiphlo-
gistischer Ther. zu bevorzugen. Cave: vorzeitiger Verschluss des Ductus Bo-
talli ab der 28. SSW.
• M etamizol, Phenazon, Propyphenazon und Mischpräparate: sind in der
Schwangerschaft zu meiden.
• P henylbutazon: hemmt in höherer Dosis die Prostaglandinsynthese → im
letzten Schwangerschaftsmon. meiden.
Alle stark wirksamen Analgetika können bei subpartaler Anwendung eine
Atemdepression beim NG verursachen. Längere pränatale Anwendung z. B. von
Morphin und Kodein führt zu Entzugserscheinungen bei Mutter und Kind.
Stillzeit
• A
SS: Eine gelegentliche Einnahme während der Stillzeit ist für den Sgl. unbe-
denklich.
• Paracetamol: sollte bei der stillenden Mutter wegen der herabgesetzten Le-
berfunktion des Sgl. nur gelegentlich und in niedriger Dosierung eingesetzt 5
werden.
• piate: Wiederholte Gaben von Morphin, Kodein, Pethidin und Methadon
O
können beim Sgl. rasch kumulieren.
5.21.3 Anthelminthika
Siehe auch ▶ 22.4.
• M
ebendazol: in hoher Dosierung bei der Ratte teratogen. Bei anderen Tier-
spezies und beim Menschen bisher keine Hinweise auf erhöhte Fehlbildungs-
rate.
5.21 Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit 243
5.21.4 Antiallergika 5
Antihistaminika haben sich bei der Behandlung allergischer Symptome als nicht
teratogen erwiesen. In der Schwangerschaft sind H1-Antihistaminika wie Clemas-
tin und Dimetinden neueren Präparaten vorzuziehen. Chlorphenoxamin geht in
die Muttermilch über, die Plasma-HWZ beim Sgl. liegt bei 100 h.
5.21.5 Antibiotika
Siehe auch ▶ 22.1.
Schwangerschaft
minoglykoside (▶ 22.1.5): in der Schwangerschaft kontraindiziert. Neben
• A
verschiedenen Skelettschädigungen können sie nephro- und ototoxische Wir-
kungen aufweisen.
5 • ephalosporine (▶ 22.1.2): gehören in der Schwangerschaft zu den Antibioti-
C
ka der 1. Wahl, ältere Cephalosporine sind zu bevorzugen.
• hloramphenicol (▶ 22.1.9): Reserveantibiotikum, kurz vor der Geburt abso-
C
lut kontraindiziert (Grey-Sy.).
• enicilline (▶ 22.1.1): gehören in der Schwangerschaft zu den Substanzen der
P
1. Wahl.
• incomycin und Thiamphenicol: sind in der Schwangerschaft unbedenklich,
L
embryotoxische Wirkungen sind nicht bekannt.
• etrazykline (▶ 22.1.4): lagern sich in den entwickelnden Röhrenknochen
T
und Zähnen des Fetus ab und sind in der Schwangerschaft nicht anzuwenden.
Stillzeit
Auch bei stillenden Müttern können bei einigen Antibiotika Schädigungen für
das Kind nicht ausgeschlossen werden. Neben dem Übertritt der Substanzen in
den kindlichen Organismus ist daran zu denken, dass bereits kleine Antibiotika-
mengen die Darmflora des Kindes stören, Resistenzen erzeugen und zu einer Sen-
sibilisierung führen können.
• A minoglykoside (▶ 22.1.5): kaum gefährlich für den kindlichen Organismus,
sie erscheinen nur in Spuren in der Muttermilch.
• A mpicillin, Amoxicillin (▶ 22.1.1): Sensibilisierung, auch wenn die Konz. in
der Muttermilch eher gering sind.
• C ephalosporine (▶ 22.1.2): werden in unterschiedlichen Konz. in die Mutter-
milch ausgeschieden.
5.21 Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit 245
Kontraindizierte Antibiotika
• C hloramphenicol während der Stillzeit keinesfalls geben.
• A uch Sulfonamide und Trimethoprim sollten wegen der hohen Konz. in
der Muttermilch nicht während der Stillzeit eingesetzt werden.
5.21.6 Antidiabetika
Die teratogene Wirkung oraler Antidiabetika ist zwar nur im Tierversuch bewie-
sen, trotzdem gilt es als obligat, diabetische Pat. vor Beginn der Schwangerschaft
bzw. sofort nach deren Feststellung auf Insulin umzustellen. Die Fortführung ei-
ner oralen Antidiabetikather. rechtfertigt keinen risikobegründeten Schwanger-
schaftsabbruch.
Lediglich für Tolbutamid liegen Untersuchungen der Muttermilchkonz. vor. Die-
se sind hier deutlich niedriger als im Plasma. Auswirkungen auf den Sgl. sind
nicht zu erwarten. Dennoch Kinder gut beobachten (BZ-Kontrollen).
Glimepirid Amaryl®
5.21.7 Antiemetika
Bei der Anwendung von Antiemetika in der Schwangerschaft (▶ Tab. 5.32), z. B.
bei der Behandlung der Hyperemesis gravidarum, ist generell Zurückhaltung, v. a.
im 1. Trimenon, angezeigt. Für alle Antiemetika gilt, dass beim Menschen keine
Fehlbildungen zu erwarten sind, obwohl die Substanzen im Tierversuch partiell
teratogen sind.
Metoclopramid ist während der Stillzeit nach Möglichkeit zu vermeiden, da be-
reits sehr niedrige Konz. bei Sgl. erhebliche zentralnervöse NW auslösen können.
Meclocin Agyrax®
5 5.21.8 Antiepileptika
Schwangerschaft
Stillzeit
• P henytoin, Valproinsäure: werden nicht oder in kaum messbaren Konz. in
die Muttermilch ausgeschieden. Bei Behandlungen der Mutter mit Valproin-
säure sind die Kinder in der Stillphase gut zu beobachten (Lebertoxizität, Stö-
rung des Fibrinogenstoffwechsels).
• arbamazepin, Ethosuximid, Primidon, Phenobarbital: werden in die Mut-
C
termilch ausgeschieden und können beim Sgl. zu Müdigkeit und Trinkschwä-
che führen. Serumkontrollen bei Mutter und Kind sind empfehlenswert. Ein
Stillverbot ist bei keiner dieser Substanzen indiziert.
5.21.9 Antihypertensiva
Für die meisten Antihypertonika haben sich aus Tierversuchen keine Hinweise
auf Teratogenität ergeben.
• α -Methyldopa: eignet sich für die antihypertensive Ther. leichterer Fälle in
der Schwangerschaft. Das Präparat wirkt über eine Senkung des Sympathiko-
tonus.
• A CE-Hemmer: (Captopril u. a.) in der Grav. kontraindiziert. Die Substanzen
gehen in die Muttermilch über.
• C lonidin: im Tierversuch embryoletal. Die Dosis liegt weit über dem thera-
peutischen Anwendungsbereich beim Menschen.
• D iazoxid: wegen seiner Wirkung auf den Glukosestoffwechsel für eine Dau-
erther. in der Schwangerschaft nicht geeignet. Im Tierversuch teratogen.
• H ydralazin: starker blutdrucksenkender Effekt durch Verringerung des peri-
pheren Widerstands bei Zunahme des Herzzeitvolumens. Möglicherweise
wird hierdurch die uteroplazentare Durchblutung verbessert.
• N ifedipin und andere Kalziumantagonisten: im Tierversuch embryotoxisch.
• B etablocker wie Propranolol: bei Daueranwendung evtl. Wachstumsretar-
dierung, neonatale Hypoglykämie und Verminderung der kardiovaskulären
248 5 Schwangerschaft
5.21.10 Antihypotonika
Embryotoxische Wirkungen beim Menschen sind bei den nachfolgend aufgeführ-
ten Antihypotonika nicht bekannt.
• D
ihydroergotamin: bei parenteraler Gabe stärkere uterotonische Wirkung
als bei oraler Applikation, diese ist daher in der Schwangerschaft kontraindi-
ziert. Auch bei oraler Gabe ist eine Vasokonstriktion der Uteringefäße mit
uteriner Mangeldurchblutung nicht auszuschließen.
• N
orfenefrin: hat wehensteigernden Effekt mit möglicher Plazentaminderper-
fusion und ist deshalb bei Schwangerschafts-KO nicht indiziert.
5
Tab. 5.35 Antihypotonika in Schwangerschaft und Stillzeit
Freiname Handelsname Schwangerschaft Stillzeit
(Beispiel)
Dihydro Dihydergot® Nur bei Migräne oder er- Keine Bedenken bei
ergotamin DET MS® heblicher Hypotonie, ute- niedriger Dosierung
rine Minderperfusion
nicht auszuschließen
5.21.11 Antikoagulanzien
Schwangerschaft
• K
umarine: können in der Frühschwangerschaft ein charakteristisches Fehl-
bildungssy. (Kumarinembryopathie) mit Hypoplasie der Nasenknochen,
Chondrodysplasia punctata und geistiger Retardierung hervorrufen. Störun-
gen des ZNS nach Gabe im 2. oder 3. Trimenon (wahrscheinlich durch fetale
Blutungen bedingt). Erhöhte Blutungsneigung bei NG.
• eparin: gilt als das Mittel der Wahl in der Schwangerschaft. Wegen seines
H
hohen Molekulargewichts kann es die Plazentaschranke nicht passieren und
250 5 Schwangerschaft
wirkt somit nicht teratogen. Unter Vollheparinisierung keine PDA, sub partu
nicht mehr als 15.000 IE Heparin. Niedermolekulare Heparine passieren die
Plazentaschranke ebenfalls nicht. Ihre Vorteile können in der Schwanger-
schaft genutzt werden.
Stillzeit
• K
umarine: Die Beurteilungen über die Gefährlichkeit von Kumarinderivaten
in der Stillzeit sind uneinheitlich. Ggf. Blutungsstörungen beim NG. Warfarin
und Acenocoumarol werden nicht in die Muttermilch ausgeschieden und gel-
ten in der Stillzeit als unbedenklich.
• eparin: keine Ausscheidung in die Muttermilch, niedermolekulare Hepari-
H
ne treten geringfügig in die Muttermilch über, ein gerinnungshemmender Ef-
fekt beim Sgl. ist unwahrscheinlich.
Kumarine
Heparine
Enoxaparin Clexane®
5.21.12 Antimykotika
• A
mphotericin B: soll wegen erheblich erhöhten Abort- und Frühgeburtenri-
sikos in der Grav. nur bei lebensbedrohlichen generalisierten Mykosen einge-
setzt werden.
• C lotrimazol: lokale Ther. (z. B. Vaginalmykosen).
• F lucytosin: kann teilweise zu Fluorouracil metabolisiert werden → im Tier-
versuch teratogen. Auch beim Menschen muss eine Teratogenität angenom-
men werden.
• Griseofulvin: ist im Tierversuch teratogen. In ther. Dosis scheint es beim
Menschen nicht teratogen zu wirken, eine systemische Anwendung sollte
aber vermieden werden.
5.21 Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit 251
• K
etoconazol: potenziell teratogen, Anwendung in der Schwangerschaft ver-
meiden.
• M
iconazol: wirkt in 5-facher therapeutischer Dosis embryoletal → strenge
Ind.
• N
ystatin: wirkt wegen toxischer Allgemeinreaktionen nur lokal.
Tab. 5.37 Antimykotika in Schwangerschaft und Stillzeit (Indikation und
Dosierung ▶ 22.3)
Freiname Handelsname Schwangerschaft Stillzeit
(Beispiel)
Fluconazol Diflucan® KI KI
Griseofulvin Griseo-CT® KI
®
Ketoconazol Nizoral
5.21.13 Antiphlogistika
• A
escin: ist bei Tier und Menschen nicht teratogen. Fraglich nephrotoxisch.
• D
iclofenac, Orgotein und Oxyphenbutazon: gelten ebenfalls nicht als emb-
ryotoxisch. Ebenso wie Phenylbutazon und Salizylate hemmen sie im 3. Tri-
menon die Prostaglandinsynthese → KI in höherer Dosierung.
• ichtsteroidale Antiphlogistika: z. B. Ibuprofen, Indometacin und Diclofe-
N
nac, können im 1. und 2. Trimenon eingesetzt werden.
Androgene KI KI
Cyproteron Diane® KI KI
acetat Androcur®
5.21.16 Dermatika
• A
ciclovir: Virustatikum, bislang keine teratogenen Effekte nachgewiesen.
• A
mmoidin: Bei Mensch und Tier zwar keine teratogene Wirkung, beein-
trächtigt allerdings den Zellstoffwechsel.
• E tretinat: wegen des hohen Gehalts an einem Vit.-A-Derivat absolut terato-
gen → schwere Entwicklungsdefekte des Gehirns (Meningoenzephalozelen,
-myelozelen), einseitige Anophthalmie, kraniofaziale Defekte, Defekte der
Wirbelsäule und Extremitäten sowie des Ventrikelsystems. Wegen langer
HWZ Interruptio noch 2 J. nach Absetzen der Ther. indiziert.
• F usidinsäure: dermal angewandtes Antibiotikum, keine Teratogenität.
• I doxuriden, Tromantadin (Virustatika): KI in der Schwangerschaft.
• J odhaltige Präparate: sollten in der Schwangerschaft nicht bedenkenlos ver-
abreicht werden.
Ammoidin Meladinine® KI
Tromantadin Viru-Merz®
5.21.17 Diuretika
Schwangerschaft
Teratogene Wirkungen sind weder im Tierversuch noch beim Menschen be-
kannt.
! D a im Rahmen hypertensiver Erkr. in der Schwangerschaft häufig ohnehin ei-
ne Hypovolämie vorliegt, Diuretika nur unter strenger Ind.-Stellung einsetzen.
• B enzothiadiazine: passieren leicht die Plazenta und können zu
E’lytstörungen und einer neonatalen Thrombopenie führen.
• T riamteren: fetotoxisches Risiko im 2. und 3. Trimenon, Folsäuremangel
kann eine Megaloblastose begünstigen.
5
Stillzeit
• W
egen des generellen Dehydratationsrisikos für den Sgl. sind alle Diuretika
in der Stillzeit unter strenger Ind.-Stellung einzusetzen.
• A
cetazolamid, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Spironolacton: sind für den
Sgl. wahrscheinlich unbedenklich, Möglichkeit der Laktationshemmung. Bei
Herzinsuff. in der Schwangerschaft ist Hydrochlorothiazid Mittel der Wahl.
• hlortalidon: ist zwar nur in geringen Konz. in der Muttermilch enthalten,
C
wegen der langen HWZ und der damit verbundenen Kumulationsgefahr
beim Sgl. ist aber vom Stillen abzuraten.
Amilorid Amilorid® KI KI
Spironolacton Aldactone®
256 5 Schwangerschaft
5.21.18 Laxanzien
• A
loehaltige Präparate: passieren die Plazenta. Sie erzeugen eine starke Hy-
perämie der Unterleibsorgane und können abortiv wirken.
• B isacodyl: nur geringfügige enterale Resorption, Anwendung in Schwanger-
schaft und Stillzeit ist möglich.
• N
atriumpicosulfat: im 1. Trimenon kontraindiziert, es besteht ein embryoto-
xisches und teratogenes Risiko beim Menschen.
• S ennoside, Cascaroside: enthalten Anthrachinone, die über den GIT in die
Muttermilch übertreten können. In der Stillzeit sind sie daher kontraindi-
ziert. Auch bei Kindern stillender Mütter wurden nach Einnahme von phe-
nolphthaleinhaltigen Präparaten Durchfallerscheinungen registriert. Diese
Präparate sollten in der Stillzeit nicht eingesetzt werden. Pflanzliche Quell-
mittel erscheinen in der Stillzeit als Mittel der Wahl.
Pflanzliche Laxanzien
Rizinusöl Rizinuskapseln®
Laktulose Bifiterla®
Quellmittel
Laktulose Bifiteral®
5.21.19 Magen-Darm-Mittel
Schwangerschaft
• L ithiumhaltige Antazida: in der Grav. kontraindiziert.
• L operamid: Wegen noch nicht ausreichender Erfahrung beim Menschen
wird in der Grav. zur Vorsicht geraten. Keine Hinweise auf Teratogenität.
• N eomycin: bei Darmulzera und Niereninsuff. in der Grav. ungeeignet.
• S ulfonamidhaltige Mittel: KI in den letzten Wo. der Grav.
• B romocriptin: Wegen noch unzureichender Erfahrung beim Menschen wird
in der Grav. zur Vorsicht geraten.
• A loe enthaltende Verdauungsenzymkombinationen: KI in der Grav.
• C imetidin, Ranitidin: Zwar sind keine Blutbildungsstörungen wie bei den
zuerst entwickelten H2-Antihistaminika bekannt, wegen einer vermutlich
größeren Empfindlichkeit des Embryos sollten sie in der Grav. unter strenger
Ind.-Stellung eingesetzt werden.
• etoclopramid: Mittel der Wahl bei Motilitätsstörungen des oberen GIT in
M
der Schwangerschaft. Kann beim NG und FG eine Methämoglobinbildung
bewirken.
• yridostigmin und Neostigmin: Cholinergika. Anwendung in der Schwan-
P
gerschaft nur bei postop. Atonie von Darm und Blase.
Stillzeit
• C imetidin: konnte in erheblichen Konz. in Muttermilch nachgewiesen wer-
den und sollte daher in der Stillzeit möglichst vermieden werden.
• A
tropinhaltige Präparate: sollten wegen möglicherweise toxischer NW auf 5
das Kind und möglicher Verminderung der Milchproduktion v. a. in der Still-
zeit nicht eingesetzt werden.
• etoclopramid: kann über die Muttermilchausscheidung beim Sgl. zu zent-
M
ralnervösen NW führen.
Antidiarrhoika
Antidiarrhoika
Pektin Diarrhoesan®
Tannin Tannalbin®
Antazida
Magaldrat Riopan®
5 Enzympräparate
Karminativa
Salzsäure Enzynorm®
Adstringenzien
Etherische Öle 5
Anis-, Kampfer-, Salviathymol N® Keine Bedenken Keine Bedenken
Pfefferminz-, Eu
kalyptusöl etc.
Desinfizienzien
Hexidin Hexoral®
5.21.21 Psychopharmaka
• A
mitriptylin: (trizyklisches Antidepressivum) wirkt weder bei Tier noch
Mensch teratogen. Mittel der Wahl bei der Depressionsther. in der Schwan-
gerschaft.
• ithium-Langzeitther.: im 1. Trimenon vermehrt kardiovaskuläre Fehlbil-
L
dungen (~ 10 %), ZNS-Schäden und erhöhte perinatale Morbidität. Bei Be-
handlungsnotwendigkeit in der Frühgrav. häufiger niedrige Dosen verabrei-
chen und den Serumspiegel wöchentl. kontrollieren. Die Lithium-Plasma-
konz. bei gestillten Kindern entsprechen denen der stillenden Mütter. Vom
Stillen wird abgeraten.
• aloperidol und andere Butyrophenon-Neuroleptika (Trifluperidol): sollten
H
in der Schwangerschaft nur nach strenger Ind.-Stellung verordnet werden.
260 5 Schwangerschaft
Antidepressiva
Tranquillanzien, Hypnotika
5.21.22 Rhinologika
• P henylephrin (Alpha-Sympathomimetikum): → lokal zur Abschwellung der
Nasenschleimhaut oder als Mydriatikum. Eine systemische Ther. ist möglich.
xymetazolin, Xylometazolin (Imidazolderivate): ausschließlich Affinität zu 5
• O
Alpha-Rezeptoren → nur lokale Anwendung. Keine NW in Grav. und Still-
zeit.
• imetinden: systemische Anwendung. Wichtigste NW ist zentral-dämpfen-
D
der Effekt, bei Kindern deutlich ausgeprägter als beim Erw.
Systemische Therapie
Lokale Therapie
Xylometazol Otriven®
262 5 Schwangerschaft
5.21.23 Schilddrüsentherapeutika
Klinik
• Jodmangel bzw. Hypothyreose bei Schwangeren: Verdopplung der Fehlge-
burtenrate, erhöhte Frühgeburtlichkeit und Entwicklung einer Struma.
• H yperthyreose: in Frühschwangerschaft und Postpartalzeit erhöhte Krank-
heitsaktivität. 2. und 3. Trimenon remissionsbegünstigend.
Therapie M. Basedow in der Schwangerschaft sollte thyreostatisch behandelt
werden. Hyperthyreose wirkt teratogen, nicht jedoch niedrig dosierte Thyreostati-
ka.
Mittel der Wahl Propylthiouracil und Thiamazol: Initial 10–20 mg/d, Erhaltungs-
dosis 2,5–5 mg/d, keine Komb. mit Levothyroxin, Auslassversuch im 2. Trimenon
möglich. Erhöhte Rezidivgefahr in der Laktationsphase (Überwachung notwen-
dig), niedrig dosierte Thyreostatika (Thiamazol bis 15 mg/d und Propylthiouracil
bis 150 mg/d) sind unbedenklich.
Eine prophylaktische Jodsubstitution von 200 μg/d wird in Grav. und Stillzeit
empfohlen, jodhaltige Expektoranzien, Desinfektionsmittel etc. sind in der Grav.
zu vermeiden.
Schilddrüsenhormone
5 Levothyroxin Euthyrox® Genaue Dosis- Keine Bedenken (physiologische
überwachung in Substanz)
der Schwanger-
schaft
Thyreostatika
Perchlorat Irenat® KI
®
Thiamazol Favistan Möglichst nied-
rige Dosierung
5.21.24 Virustatika
• A
ciclovir (Zovirax®): bei äußerer Anwendung unproblematisch, eine syste-
mische Gabe in der SS ist nur bei disseminierter Herpes- oder Varizellenerkr.
indiziert.
• mantadin (Amantadin-CT®): sollte in der Schwangerschaft nicht zur Ther.
A
der Influenza eingesetzt werden. Verschiedene Fehlbildungen wurden in der
Literatur beschrieben.
• idovudin ®)ist als einziges Präparat zur Prophylaxe einer HIV-Transmission
Z
in der Schwangerschaft zugelassen. Nach heutiger Kenntnis ist eine Zidovu-
din-Monother. bei niedriger Viruslast ausreichend. Bei hoher Viruslast zu-
sätzlich NNRTI (nichtnukleosidale Retrotranskriptasehemmer) oder Protein-
Inhibitoren. Eine Teratogenität ist bislang für keine der Substanzen nachge-
wiesen, allerdings wurden Frühgeburtlichkeiten und fetale Anämien be-
schrieben.
• ibavirin (Copegus®, Virazole®): in der Schwangerschaft nur bei vitaler Ind.
R
erlaubt, im Tierversuch teratogen.
• rivudin (Zostex®), Cidofovir (Vistide®), Oseltamivir (Tamiflu®), Zanami-
B
vir (Relenza®), Entacavir (Baraclude®) und Adeforvirdipiroxil (Hepsera®):
nur bei zwingender Ind. in der Grav. Ausreichende Erfahrungen beim Men-
schen liegen nicht vor.
• elbivudin (Sebivo®) ist nicht embryotoxisch.
T
Nukleosidanaloga (NRTI)
Didanosin Videx®
Abacavir Ziagen®
Proteaseinhibitoren
Saquinavir Invirase®
Darunavir Prezista®
Lopinavir Kaletra® KI
5.21.25 Zytostatika
Für alle Zytostatika gilt die Schwangerschaft als absolute KI, da in Tierversuchen
und beim Menschen starke teratogene Wirkungen festgestellt wurden. Auch
wenn manche Zytostatika nur in nichttoxischen Konz. in der Muttermilch nach-
weisbar sind, sollte nicht gestillt werden.
5
6 Geburt
Joachim Steller und Franz Koettnitz
6.1 Kreißsaalaufnahme
Indikationen
• egelmäßige Wehen alle 10 Min. oder häufiger.
R
• lasensprung (auch bei Verdacht).
B
• ag. Blutung in der Spätschwangerschaft.
V
• eplante Sectio (z. B. bei BEL).
G
6.1.1 Kardiotokografie (CTG)
Prinzip
Simultane Aufzeichnung von FHF und Uterusaktivität (CTG = Cardio-Toco-
Grafie). Bei der Messung der HF kann entweder akustisch oder sonografisch über
die Bauchdecken oder direkt am kindlichem Kopf (oder Steiß) ein elektrisches
Potenzial abgeleitet werden. Die HF wird aus der Messung der Abstände zweier
Herztöne berechnet. Die Kontraktionen des Uterus werden i. d. R. über einen me-
chanischen Druckaufnehmer über den Bauchdecken aufgezeichnet, die direkte
intrauterine Messung mit Ballonkatheter hat sich nicht durchgesetzt.
Ziel: Frühzeitige Erkennung fetaler Gefahrenzustände zur rechtzeitigen Interven-
tion.
Anlegen
• P apiervorrat vor Anlegen des CTGs prüfen; CTG-Streifen mit Datum, Uhr-
zeit, Name, Vorname, Geburtsdatum, errechnetem Termin oder SSW und
6 derzeitiger Medikation beschriften.
• indslage und Stellung bestimmen (Leopold-Handgriffe ▶ 5.1.1).
K
• at. in Linksseitenlage bringen, um Vena-cava-Kompression zu vermeiden.
P
• okografie-Aufnehmer über dem Fundus mit elastischem Gurt befestigen.
T
Bei Gummi-Allergie Textilgurte verwenden.
• aximum der kindlichen Herztöne meist über dem kindlichen Rücken.
M
• ransducer mit Ultraschallgel vorbereiten und mit Gurt fixieren.
T
• ei guter Aufzeichnung Papiervorschub anstellen (1 cm/Min.), Registrierung
B
mindestens über 30 Min.
• ei pathologischen Mustern ggf. Weckversuch, Lagewechsel (andere Seite,
B
Becken hoch) und/oder Partusisten-intrapartal® (▶ 6.10), O2-Gabe, evtl. fetale
Blutgasanalyse, Mikroblutanalyse (MBU; Ausnahme: Austreibungsperiode,
stattdessen ggf. vag.-op. Entbindung).
Kopfschwartenelektrode (KSE)
• E ingriff nur bei besonderer Ind. wie schlecht abzuleitenden Herztönen,
pathologischem CTG, Gemini.
• D urchführung: Abspülen der Vulva (z. B. mit Octenisept®), vag. Untersu-
chung (▶ 6.1.2). Einführen der Elektrode im Führungsstab (geringere
6.1 Kreißsaalaufnahme 269
Auswertung
Oszillationsfrequenz
Anzahl der Änderung der HF je Zeiteinheit. Bestimmt werden die Nulldurchgän-
ge (Kreuzen der gedachten Mittellinie)/Min. Ein anhaltender Sauerstoffmangel
führt zur fetalen Kreislaufzentralisation: Das kindliche Herz schlägt gleichförmig
bei konstantem Blutangebot. Dadurch sinkt die Oszillationsfrequenz auf < 6 Null-
durchgänge pro Min. bis hin zum silenten Oszillationstyp.
Oszillationsamplitude (= Bandbreite)
Differenz zwischen höchstem und niedrigstem Umkehrpunkt (▶ Abb. 6.3).
• S altatorische Bandbreite: > 25 SpM.
• U ndulatorische Bandbreite (Normalbefund): 10–25 SpM.
• E ingeengte Bandbreite: 5–10 SpM.
• S ilente Bandbreite: < 5 SpM.
! E in saltatorischer Oszillationstyp kann auf eine Nabelschnur-KO hinweisen
und gilt als Warnsymptom.
! E ingeschränkt undulatorische oder silente Oszillationstypen finden sich bei
Hypoxiegefährdung, treten aber auch unter zentralsedierenden Pharmaka
oder beim physiologischen Ruhezustand des Fetus auf (Verschwinden nach
Weckversuch).
160 160
140 140
120 120
100 100
80 80
Normalbefund = Eingeschränkt undulatorischer
Undulatorischer Oszillationstyp Oszillationstyp
60
Amplitude > 10-25 bpm Amplitude > 5-10 bpm
60
6
160 160
140 140
120 120
100 100
80 80
FIGO-Score
In Anlehnung an den Apgar-Score werden fünf Kriterien mit je 0–2 Punkten be-
wertet. Voraussetzungen: Registrierung über mindestens 30 Min., das jeweils un-
günstigste Kriterium wird berücksichtigt. Gilt lediglich für die antenatale, nicht
für die intrapartale CTG-Beurteilung.
6.1 Kreißsaalaufnahme 273
Beurteilung:
• 8–10 Punkte: normaler fetaler Zustand anzunehmen.
• 5–7 Punkte: Warnsignal (CTG unter Belastung angezeigt).
• ≤ 4 Punkte: bedrohliche fetale Gefährdung (Schwangerschaftsbeendigung).
* Ungünstige CTG-Zusatzkriterien: flacher Wiederanstieg, Oszillationsverlust in der
Dezeleration, Verlust der kurzen Akzeleration vor der Dezeleration, Fortbestehen
der kompensatorischen Akzeleration nach der Dezeleration, ursprüngliche Basalfre-
quenz wird nicht erreicht, gedoppelte Dezelerationen.
Kinetokardiotokografie (K−CTG)
Aufzeichnung der fetalen Körper- und Extremitätenbewegungen mithilfe des Ul-
traschalldopplers nach Anzahl und Dauer, die durch unterschiedliche Balkenlän-
gen auf einem dritten Kanal aufgezeichnet werden. Liefert als weiteres Kriterium
zur Interpretation der FHF die Einbeziehung fetaler Bewegungsprofile während
Schlaf- und Wachrhythmen. Eine Verkürzung der Dauer fetaler Kindsbewegun-
gen ist ein früher Hinweis (12–14 Tage) auf eine drohende Gefährdung.
Automatisierte CTG-Auswertung 6
Computerisierte Analyse der antenatalen FHF nach den sog. Dawes-Redman-
Kriterien mit dem Ziel einer fetalen Zustandsbeurteilung in kurzer Zeit (10 Min).
Standardisiertes optionales Programm in Fetalmonitoren.
Fetale Pulsoxymetrie
Messung der subpartalen Sauerstoffsättigung FSPO2 an der kindlichen Wange
oder am Skalp. Nach derzeitiger Datenlage nicht empfohlen.
Weitere Methoden für die fetale Zustandsbeurteilung:
• B eurteilung des FW-Volumens: jenseits des Geburtstermins empfindlichster
Parameter hinsichtlich der Vorhersage einer Geburtsazidose (verminderte
FW-Menge frühes Hinweiszeichen für beginnende Plazentainsuff. mit erhöh-
ter perinataler Morbidität. Ab 37 + 0 SSW nimmt FW-Menge um ca. 30 %
pro Woche ab (▶ 5.17).
274 6 Geburt
6.1.2 Non-Stress-Test
Durchführung
• C TG-Registrierung möglichst in Linksseitenlage (zur Vermeidung eines Ve-
na-cava-Kompressionssy.).
• W
erden keine spontanen Akzelerationen beobachtet, nach 20 Min. Weckver-
such (akustisch z. B. durch Klingeln, Rasseln oder mechanisch durch inneren
oder äußeren Reiz, z. B. durch vag. Untersuchung, Lagewechsel).
Auswertung
• P rognostisch günstig, wenn in einem Zeitraum von 20 Min. mindestens zwei
spontane Akzelerationen von 15 SpM und 15 Sek. Dauer auftreten.
• W erden zwei oder mehr Akzelerationen in den folgenden 20 Min. nach
Weckversuch beobachtet, ist Normalzustand anzunehmen.
• F alls spontan oder nach Weckversuch keine Akzelerationen zu verzeichnen
sind und ein path. CTG-Befund zu erheben ist, ist eine intrauterine Gefähr-
dung wahrscheinlich. Bei kindlicher Reife Ind. zur Schwangerschafts-/Ge-
6 burtsbeendigung stellen.
6.1.3 Oxytocin-Belastungstest (Stress-Test)
Definition Registrierung des FHF-Musters unter Belastung durch medikamen-
tös hervorgerufene Wehen zur Simulation der physiologischen Geburtsbelastung
des Feten bzw. Erprobung der plazentaren Leistungsreserve. Bei 90 % der vag. ge-
borenen Kinder mit unauffälligem Belastungs-CTG waren keine neonatalen De-
pressionen vorhanden, 70 % der Feten mit path. Belastungstest zeigten postpartale
Beeinträchtigung.
Weitere Belastungstests
• P rostaglandin-Belastungstest: Nach intrazervikal appliziertem PgE2-Gel 6
z. B. 500 μg (z. B. l Prepidil®-Gel) sind bei etwa 85 % der Pat. nach etwa
10 Min. unkoordinierte Uteruskontraktionen zu erwarten, bei 15 % eine
regelmäßige Wehentätigkeit. Ind. daher erst ab der 37. SSW oder bei
nachgewiesener Lungenreife.
• K niebeugen-Belastungstest nach Saling: Durch körperliche Belastung in
Form von 10–15 Kniebeugen kommt es zur kurzzeitigen uterinen Min-
derdurchblutung, die im Normalfall keine Änderung der FHF zur Folge
hat. Tritt infolge eingeschränkter Reservekapazität der Plazenta eine De-
zeleration auf, ist der Test als pathologisch zu werten (falsch pos. bei or-
thostatischer Dysregulation, daher evtl. Behandlung mit Effortil®).
• M amillenstimulationstest: Wegen fehlender Steuerbarkeit der körperei-
genen Oxytocinausschüttung nicht anwenden!
Vena-cava-Kompressionssyndrom
Druck des Uterus in Rückenlage auf V. cava inf. und Beckenvenen, hierdurch ver-
minderter venöser Rückfluss zum Herzen mit konsekutivem Abfall von HMV
und RR (v. a. in den letzten SSW). Bei Ablauf einer Wehe oder Presswehe kommt
es zur Aufrichtung des Uterus und Dekompression der V. cava inf., insofern ist
während der Presswehen die Rückenlage ungefährlich.
276 6 Geburt
Klinik
• M utter: Puls- und Atemfrequenz steigen, RR-Abfall, Schwindel, Übelkeit, ggf.
Bewusstseinsverlust.
• K ind: Abfall der HF, typisches CTG: Die Vena-cava-Dezeleration gleicht ei-
ner länger anhaltenden prolongierten Dezeleration (▶ 6.1.1).
• K O: vorzeitige Plazentalösung (▶ 6.4.2).
Differenzialdiagnosen Orthostatische Dysregulation, Hypotonie nach Spinal-
oder Periduralanästhesien (PDA), Volumenverlust.
Therapie Linksseitenlage, CTG in Seitenlage.
Auch bei PDA und Sectio caesarea, daher OP nur in Linksseitenlage (15°).
Basendefizit
Weiterer Parameter zur Beurteilung der Gefährdung:
• N
ormales Basendefizit, Anstieg des CO2 → respiratorische Azidose: bei
kurzfristiger Nabelschnurkompression.
• H
ohes Basendefizit, normales CO2 → metabolische Azidose: bei lang an-
haltenden Durchblutungsverminderungen.
6.2 Normaler Geburtsverlauf
Der normale Geburtsverlauf teilt sich ein in drei Phasen:
• E röffnungsperiode.
• A ustreibungsperiode.
• N achgeburtsperiode.
278 6 Geburt
Geburtsmechanik
Die Form des Beckens wird bestimmt durch den querovalen Beckeneingang, die
nahezu kreisförmige Beckenmitte und den längsovalen Beckenausgang. Da Kopf-
form sowie Schultergürtel des Kindes ebenfalls in etwa einem Oval entsprechen,
muss das Kind beim Durchtritt durch das Becken insgesamt 5 Drehbewegungen
ausführen. Um das Durchtrittsplanum zu verkleinern, kommt es zur Beugung
(Flexion) des Kopfes (wer einem Kind ein enges Kleidungsstück über den Kopf
ziehen will, weiß, dass dieses am besten vom Hinterhaupt aus gelingt!). Beim
Durchtritt des Kopfes am Beckenausgang erfolgt dann die Deflexion.
Äußere Drehung
Im Moment der Geburt des Kopfes am längsovalen Beckenausgang passen die
Schultern genau in den querovalen Beckeneingang hinein. Zur Geburt der Schul-
tern muss jetzt eine weitere Drehung um 90° während des Durchtritts durch die
Beckenhöhle erfolgen, damit diese am Beckenausgang längs stehen (5. Drehung).
In der Regel dreht sich hierbei das Kind wieder in die ursprüngliche Stellung zu-
rück (▶ Abb. 6.5e). Die Rotation des Kindes kann an der äußeren Drehung des
Kopfes verfolgt werden. Zunächst wird dann die vordere Schulter unter der Sym-
physe geboren (die hintere Schulter weicht dabei in die Kreuzbeinhöhle aus, hier
besteht keine knöcherne Begrenzung) und anschließend die hintere Schulter
(▶ Abb. 6.5f).
6.2 Normaler Geburtsverlauf 279
a b
c d
e f
6.2.1 Eröffnungsperiode
Definition
Beginnt nach anfänglich unregelmäßiger Wehentätigkeit mit den ersten Geburts-
6 wehen (regelmäßige Wehen alle 3–6 Min.) oder nachdem die Fruchtblase ge-
sprungen ist. Sie dauert bei Erstgebärenden etwa 7–10 h, bei Mehrgebärenden et-
wa 4 h und endet bei vollständig geöffnetem MM.
Bei normalem Verlauf passt sich der vorangehende Teil dem Geburtskanal an.
Zuerst stellt sich der Kopf z. B. bei vorderer Hinterhauptslage (vHHL) mit querer
Pfeilnaht im querovalen Beckeneingang ein. Im weiteren Verlauf tritt der Kopf
tiefer, beugt (Verminderung des Umfangs) und dreht sich. Am Ende der Eröff-
nung steht der Kopf mit gerader Pfeilnaht und führender kleiner Fontanelle im
längsovalen Beckenausgang.
Lagerungsregel
Man lagert die Frau stets auf die Seite der Stelle des kindlichen Kopfes, die zur
Leitstelle werden soll, z. B. I. HHL (kleine Fontanelle li vorn) → Lagerung auf
die li Seite.
Blasensprung
• V
orzeitiger Blasensprung: Fruchtblase springt vor Beginn der Eröffnungspe-
riode; → Gefahr einer aufsteigenden Inf. mit Fieber und Entwicklung eines
Amnioninfektsy. (▶ 6.7, ▶ 9.6).
6.2 Normaler Geburtsverlauf 281
Ab dem Zeitpunkt des Blasensprungs befindet sich die Schwangere unter der
Geburt, auch wenn noch keine Wehen bestehen.
6.2.2 Austreibungsperiode
Definition
Bei vollständig eröffnetem MM (MM nicht mehr tastbar), Leitstelle des vorange-
henden Teils auf Beckenboden und Pfeilnaht im geraden Durchmesser, soll die
Schwangere in max. 3–4 Presswehen/10 Min. 2–3 × pro Wehe mitpressen. Dabei
zeigt sich das „Hochsteigen“ des Kopfes durch das Klaffen des Anus und die Vor-
wölbung des Damms an. Beim „Durchschneiden“ bleibt der Kopf kurz vor dem
Austritt in der Vulva stehen.
Dammschutz
Zur Temporegulierung beim Durchschneiden des Kopfes, Verminderung von
Weichteilverletzungen. 6
Durchführung
▶ Abb. 6.6. Meist in Rückenlage bei stark gespreizten und angezogenen Beinen.
Der Geburtshelfer bzw. die Hebamme steht auf der re Seite.
Kopfentwicklung
Bei Geburt aus vHHL liegt die li Hand auf dem Hinterhaupt, die Finger halten die
Stirn zurück, bis das Hinterhaupt unter der Symphyse entwickelt ist und die Na-
ckenhaargrenze als Drehpunkt unter der Symphyse liegt. Die re Hand wird an den
Damm gelegt und führt den Kopf symphysenwärts der li Hand entgegen. Gleich-
zeitig Anus und Damm mit einem sterilen Tuch so abdecken, dass der Dammrand
noch sichtbar bleibt. Bei der Kopfentwicklung aus vHHL zeigt sich erst der Schei-
tel, dann unter Deflexion Stirn, Gesicht und Kinn. Bei verzögertem Kopfdurch-
tritt in der Pressperiode droht Gefahr für das Kind durch Hypoxie (▶ 6.10). Un-
terstützende Handgriffe bei schwieriger Kopfentwicklung oder bei path. CTG:
• R itgen-Handgriff: Rechte Hand an den Hinterdamm legen (zwischen Steiß-
beinspitze und Anus) und Kinn tasten. Mit Druck gegen das Kinn wird der
Kopf hochgedrückt.
282 6 Geburt
• K
risteller-Handgriff (Hilfsperson): Mit einer oder zwei Händen den kindli-
chen Steiß am Fundus uteri umfassen oder mit dem Unterarm am Fundus
wehensynchronen Druck in Richtung der Führungslinie ausüben. Die An-
wendung ist umstritten und gilt mancherorts als Kunstfehler.
Schulterentwicklung
Der Kopf wird mit flachen Händen gefasst und das Hinterhaupt bei der nächsten
Wehe in Richtung des Rückens gedreht (dabei darf das Kind nicht überdreht wer-
den). Die vordere Schulter unter Senkung des Kopfes bis zur Oberarmmitte ent-
wickeln, dann den Kopf ohne Zug anheben und die hintere Schulter entwickeln
(besonders auf den Damm achten; erhöhte Gefahr eines Dammrisses). Der übrige
Körper folgt dann leicht. Das Kind mit einem sterilen Absaugkatheter im Mund
6 absaugen und vorläufig abnabeln. Dabei etwa 10 cm Nabelschnur stehen lassen
und zwischen zwei Klemmen durchtrennen. Das endgültige Abnabeln erfolgt bei
der späteren Versorgung des Kindes.
Schulterdystokie ▶ 7.2.4.
6.2.3 Nachgeburtsperiode
Definition
Dauer vom Abnabeln des Kindes bis zur Ausstoßung der Plazenta.
Die Nachgeburtswehen verkleinern den Uterus und damit die Plazentahaftfläche. Es
bildet sich ein retroplazentares Hämatom, und die Plazenta wird ausgestoßen. Zur
Beschleunigung des Lösungsprozesses und damit zur Minimierung des Blutverlusts
evtl. direkt p. p. Oxytocin 3 IE in 50 ml NaCl als Kurzinfusion (z. B. Syntocinon®).
Ablösungsmodus
• M
odus nach Schultze: zentrale Lösung der Plazenta (in 80 % der Fälle); die
Mitte der Plazenta erscheint zuerst in der Vulva.
• M
odus nach Duncan: laterale Lösung am unteren Rand, die sich nach oben
fortsetzt; der untere Rand wird zuerst geboren. Dabei Blutung während der
gesamten Ablösephase (Blutverlust ist etwas größer als beim Modus Schultze).
Nachbehandlung
Nach Kontrolle der Plazenta und der Eihäute auf Vollständigkeit bei Risikokons-
tellationen wie Geminigeburt, Multiparität, Z. n. atonischer Nachblutung ggf. Ga-
be von Methylergometrin 0,1–0,2 mg i. v. (z. B. Methergin®) in 50 ml NaCl oder
i. m. oder bei verstärkter Blutung 10–20 IE Oxytocin (z. B. Sytocinon®) in mind.
50 ml NaCl und/oder 0,2–0,4 mg (max. 0,5 mg) Methylergometrin (z. B. Mether-
gin®) in mind. 50 ml NaCl oder i. m.
Der physiologische Blutverlust der Plazentalösung liegt bei 200–400 ml.
! D
ie prophylaktische Gabe von Oxytocin und Methylergometrin führt zur sig-
nifikanten Reduktion postpartaler Blutungskomplikationen. NW sind:
– Mütterliche Hypotonien und Folgereaktionen durch das Oxytocin.
– Vasokonstriktionen mit kardialer und zerebraler Dekompensation durch 6
Methylergometrin (cave: kontraindiziert bei kardialer Anamnese mit Sen-
sationen).
Pathologische Nachgeburtsperiode
• V erzögerter Plazentalösung (> 30 Min. nach Geburt des Kindes noch
nicht erfolgt) ▶ 6.14.3.
• U nvollständige Plazenta ▶ 6.14.3.
• B lutverlust > 500 ml ▶ 6.14.
6.3 Analgesie
Jede Schwangere möglichst frühzeitig über Methoden, NW und Risiken der ein-
zelnen zur Geburtserleichterung verfügbaren Analgesieformen informieren. Die
Entscheidung über deren Anwendung liegt bei der Schwangeren selbst, der Ge-
burtshelfer ist ihr Berater. Die grundsätzliche Entscheidung der Schwangeren
kann jedoch unter der Geburt jederzeit überdacht und revidiert werden. Dabei
hängt die Wahl der Analgesie von der geburtshilflichen Situation und der
284 6 Geburt
Schmerzursache ab. Meptazinol ist das gebräuchlichste Opiat, das unter der Ge-
burt zur Schmerzstillung eingesetzt wird.
Spasmolytika
Beruhigungsmittel
Diaze- Diazepam- Nur bei sehr p. o.: 5 mg Diazepam Über meh-
pam ratiopharm® unruhigen Pat. supp.: 5 mg rere Stun-
indiziert i. v.: max. Tagesdosis den, Wir-
5–10 mg sehr langsam i. v. kungsver-
stärkung
Prome- Atosil® p. o.: 25–50 mg über zu-
thazin i. v.: 100 mg sehr langsam sätzliche
i. v. Schmerz-
Max. Tagesdosis 100 mg medikation
Opiate
Anästhesie
6.3.3 Periduralanästhesie (PDA)
Indikationen Starker Geburtsschmerz (▶ Abb. 6.7); protrahierter Geburtsverlauf
bei zervikaler Dystokie und Geburtseinleitung; SIH (Verbesserung der plazenta-
ren Perfusion); Anästhesie für vag.-op. Eingriffe (Vakuumextraktion, Forzeps,
etc.) und Sectio caesarea; Risikogeburten (Gemini, Frühgeburt, BEL-Geburt).
Kontraindikationen Neurologische Erkr. (z. B. bestehende Epilepsie); Gerinnungs-
störungen; Inf. im Gebiet der Punktionsstelle; Sepsis; Allergie gegen LA; schwere
Hypotonie (RRsyst. < 80 mmHg).
286 6 Geburt
• B ei der Sectio caesarea wird eine Analgesie von Th6–S3 angestrebt, dazu
fraktioniert max. 20–25 ml Bupivacain 0,5 % injizieren.
6 • E ine weitere KO ist der Blutdruckabfall, der meist durch die Gabe von
Plasmaexpander (z. B. 250 ml HEAS-steril® 10 %) und die schnelle Infu-
sion einer Volle‘lytlsg. beherrscht werden kann.
6.3.4 Spinalanästhesie
Indikationen Regelanästhesieverfahren für die elektive Sectio caesarea.
Kontraindikationen und Vorbedingungen Wie PDA.
Durchführung Die Kreißende sitzt mit gekrümmtem Rücken. Nach Desinfekti-
on und Lokalinfiltration der Haut im Bereich der Punktionsstelle wird mit einer
Spinalkanüle zwischen 2. und 3. (L 2/L 3) oder 3. und 4. Lendenwirbel (L 3/L 4)
von hinten (median) in der Ebene der Dornfortsätze oder mit leichter seitlicher
Abweichung von 10° (paramedian) punktiert. Bei Durchtritt durch die Dura tropft
der klare Liquor cerebrospinalis aus der Nadel heraus, bei blutigem Liquor muss
ggf. neu punktiert werden. Verabreichung des Anästhetikums nach Testdosis als
Bolus. Je nach benutzter Substanz stehen für den op. Eingriff 1–2,5 h zur Verfü-
gung.
6.3 Analgesie 287
6.3.5 Pudendusblock
Prinzip Blockade des N. pudendus und seiner Verzweigungen (N. dorsalis clito-
ridis, N. perinealis, N. labialis) zur Ausschaltung des perinealen Dehnungs-
schmerzes und zur perinealen Muskelrelaxation. Dadurch Analgesie von Damm-
bereich, Vulva und unterem Vaginaldrittel ohne Beeinflussung von Wehen-
schmerz und Pressdrang.
Indikationen Schmerzausschaltung und Relaxation der Beckenbodenmuskula-
tur während der Pressperiode, vag.-op. Entbindung vom Beckenboden; frühzeiti-
ger Episiotomie (v. a. bei Frühgeburten, falls keine PDA).
Durchführung ▶ Abb. 6.8. Transvag.
Palpation der Spina ischiadica mit Zei-
ge- und Mittelfinger. Einführen der In-
jektionsnadel über eine Führungshülse
(Iowa-Trompete, Kobak-Nadel oder
Führungshülse nach Jung). Durchste-
chung der Scheidenhaut und des Liga-
mentum sacrospinale medial und 1 cm
kaudal der Spina ischiadica, in einer
Eindringtiefe von etwa 5 mm liegt hier
der ungeteilte N. pudendus. Nach Aspi-
ration zum Ausschluss einer intravasa-
len Injektion werden bds. 10 ml einer Abb. 6.8 Pudendusblock [L157]
1-prozentigen Mepivacain-Lsg. (Scan-
dicain® 1 %) injiziert. Auch bei tiefer als
auf Interspinalebene stehender Leitstelle ist bei Anwendung der Führungshülse
die gefahrlose Injektion noch möglich.
Komplikationen Systemische KO nur bei intravasaler Injektion (Aspirations-
test). In etwa 5 % partielle oder komplette Ausschaltung des N. ischiadicus (inner-
halb 24 h reversibel). Scheidenhämatome in 0,1 % durch Verletzung der pudenda- 6
len Gefäße (selten op. Revision nötig). Abszesse in der Fossa ischiorectalis nach
Durchstechung des Rektums in 0,06 % (Eröffnung und Drainage des Abszesses
nötig).
6.3.6 Spasmoanalgetika
Spasmolytika
In der Eröffnungsphase kann über die Ausschaltung von Spasmen durch z. B. Bu-
tylscopolamin supp. oder i. v. (z. B. Buscopan®), z. B. 2 Amp. = 2 ml 2 % in 500 ml
Halb-E’lytlsg. (kann wiederholt werden), eine teilweise Entspannung der Krei-
ßenden erreicht werden. Damit und mit einer guten Atemtechnik kann häufig der
Circulus vitiosus „Spasmen-Angst-Schmerzen“ durchbrochen werden.
Analgetika
▶ Tab. 6.3.
288 6 Geburt
Pethidin (Dolantin®)
Neben Meptid® das in der Geburtshilfe gebräuchlichste Opiat. Bei einer guten An-
algesie und Spasmolyse haben alle Opiate NW wie Atemdepression und Sedie-
rung bei der Mutter und evtl. beim NG (schnelle Plazentapassage).
• D
osierung: Bei guter Wehentätigkeit wird Pethidin normalerweise bis zu ei-
ner Gesamtdosis von 100 mg i. m. injiziert (evtl. in 2 Fraktionen).
• N
W: Bis zu 1 h nach Applikation sind keine neg. Wirkungen beim NG zu be-
obachten. Bei längerem Zeitabstand (am stärksten bei der Gabe von Pethidin
2–3 h vor der Geburt) muss mit einer Atemdepression und einer neurologi-
schen Beeinträchtigung des NG gerechnet werden.
• A
ntidot: Naloxon (Narcanti® Neonatal) in einer Dosierung von 0,04 mg =
2 ml. Evtl. bei Gabe von Pethidin gleich aufziehen und im Kreißsaal oder am
NG-Reanimationsplatz bereitlegen und dem Kind bei Bedarf je 1 ml pro
Oberschenkel s. c. injizieren. Weitere Antidote: Naltrexon (Nemexin®),
Nalmefen (Revex®).
Meptazinol (Meptid®)
Opioid-Analgetikum. Fällt neben Tramadol nicht unter das BtM-Gesetz. HWZ
beträgt 2,3 h.
• D
osierung: alle 2–4 h im 1. Abschnitt der Geburt 100–150 mg Meptazinol
(= 1–1,5 Durchstechfl.), max. 2 mg/kg KG i. m. oder s. c., max. Tagesdosis
400 mg.
• N
W: Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, hypotensive Kreislaufreaktionen, Bra-
dykardie.
• A
ntidot: Naloxon (s. o.), Naltrexon (Nemexin®), Nalmefen (Revex®).
Pentazocin (Fortral®)
Morphinähnliche und -antagonistische Wirkungen, gut verträglich.
• D
osierung: 50 mg i. m., nach 3–4 h Wiederholung möglich.
• N
W: Sedierung der Mutter und Atemdepression des NG sind möglich, keine
6 Übelkeit oder Erbrechen.
• A
ntidot: Naloxon (s. o.), Naltrexon (Nemexin®), Nalmefen (Revex®).
Tramadol (Tramal®)
Vollsynthetisches Analgetikum mit morphinähnlicher Wirkung.
• D
osierung: 100 mg i. m. oder s. c., max. Tagesdosis 400 mg.
• N
W: Sedierung, häufig Übelkeit, Erbrechen. Nach hoher Dosis Krampfanfälle
möglich.
• A
ntidot: Naloxon weniger wirksam!
6.3.7 Lokalanästhesie
Akupunktur hat auch in der westlichen Welt einen hohen Stellenwert bei der
Behandlung verschiedenster Erkr. erreicht. Schwangerschaft und Geburt neh-
men dabei eine Sonderposition ein, da es mithilfe von Akupunktur möglich ist,
Beschwerdebilder der Schwangerschaft, Schmerzen unter der Geburt und Be-
findlichkeitsstörungen im Wochenbett zu behandeln, ohne unerwünschte
(Neben-)Wirkungen auf das Kind in Kauf nehmen zu müssen.
Die nachgewiesenen Effekte von Akupunktur bei der Anwendung am Pat. sind
allg. Natur. Sie lassen sich nicht organ- oder wirkortspezifisch auslösen. Die
drei wissenschaftlich bewiesenen und anerkannten Wirkungen sind: Schmerz-
linderung, eine milde Sedierung und eine entzündungshemmende Wirkung.
Die Wirkungen lassen sich über die Stimulation körpereigener Mechanismen
der Schmerzlinderung (deszendierende Schmerzhemmung) und Hormonfrei-
setzung (POMC → Endorphine, ACTH) nachweisen.
Voraussetzungen
Verwendung von Einmalnadeln (0,3 mm × 30 mm). Zur Vermeidung reaktiv hy-
potoner Zustände immer im Liegen nadeln. Umherlaufen bei Schmerzbehand-
lung unter der Geburt nach Vorerfahrung in einem Vorbereitungskurs möglich. 6
Durchführung
Alle geeigneten Muskelpunkte erreichen die gleiche Wirkqualität für Schmerz-
linderung und Entzündungshemmung. Sie unterscheiden sich allerdings in Be-
zug auf die Empfindsamkeit des einzelnen Pat. für den Akupunkturreiz. Die
Wirkintensität und Quantität der Empfindung ist individuell verschieden. Mus-
kelpunkte sind frei kombinierbar. Maßstab für die Zahl der zu nadelnden Areale
ist die Reaktion des Pat. Anwendungsgrundsätze sind: von der schwachen zur
starken Stimulation, Behandlungsbeginn im freien Intervall (z. B. Migräne). Bei
bestimmten Beschwerden (z. B. Asthma, Migräne) ist prim. Behandlungsziel ist
die Verlängerung der anfallsfreien Intervalle, nicht die Behandlung des akuten
Anfalls.
Akupunktur im Wochenbett
Schmerzen post partum bei Zustand nach Sectio oder Episiotomie
Nadelung: Du 20, Di 10, Ma 36 oder Di 4, je nach Intensität der Beschwerden 1 ×
tägl. bis zum endgültigen Verschwinden der Beschwerden.
Rückbildung
Die Unterstützung der Gebärmutterrückbildung durch Akupunktur ist ebenso
wenig nachweisbar wie eine Stärkung der gedehnten Beckenbodenmuskulatur.
Die v. a. während und nach dem Stillen auftretenden Rückbildungsschmerzen
können günstig beeinflusst werden.
Nadelung: zeitgleich mit dem Beginn des Stillens Du Mai 20 und Di 4, auch bds.
Unkomplizierte Pat. können ihr Kind auch mit Nadel in der Hand stillen.
Anregung der Milchbildung
Eine physiologisch nachweisbare Wirkung ist bisher nicht belegt. Bei verspannten
Müttern kann man ½ h vor dem Stillen durch Akupunktieren einerseits Entspan-
nung, andererseits auch Schmerzlinderung erreichen (s. Rückbildung).
Nadelung: Du Mai 20, Di 10, Häufigkeit nach Bedarf, gerne auch mit der Fre-
quenz des Stillens.
Milchstau
Der Milchstau selbst ist wie die Milchbildungsanregung nicht durch Akupunktur
beeinflussbar. Schmerzlinderung und Entspannung können jedoch sehr gut tun.
Nadelung: wie bei Anregung der Milchbildung.
Mastitis
Der bakterielle Hintergrund macht eine Antibiose unverzichtbar. Man kann je-
doch auch hier zur Schmerzlinderung und begleitenden Entzündungshemmung
nadeln.
Nadelung: Du Mai 20 und sicher Di 4, wenn notwendig auch beidseits. Kann gut
tägl. 2 × durchgeführt werden. 6
Schmerzen im Wochenbett
Für alle Schmerzen und Beschwerden, die mit Akupunktur behandelt oder mit
behandelt werden sollen, gilt, dass man eine saubere Diagn. durchgeführt haben
muss.
Nadelung: gemäß der allg. Anweisung Du Mai 20, von Di 10 über Ma 36 bis hin
zu Di 4, je nach Intensität der Beschwerden. Die Nadelungshäufigkeit richtet sich
nach dem Beschwerdebild.
6.4.1 Placenta praevia
Definition Einnistung der Frucht im Bereich des unteren Uterinsegments
(▶ Abb. 6.9).
Epidemiologie 0,4 % der Grav., v. a. bei Mehrlings- und Vielgebärenden und bei
schnell aufeinanderfolgenden Schwangerschaften, seltener bei Erstgebärenden.
Ätiologie
• M ehr- und Vielgebärende.
• S chädigungen des Endometriums (z. B. Endometritis, Uterusnarben nach
Sectio caesarea oder Uterus-OP [z. B. Myomenukleation], Z. n. Kürettage).
• S elten primäre Isthmusplazenta.
Einteilung
• P lacenta praevia totalis: innerer MM völlig von der Plazenta überdeckt
(30 %).
• P lacenta praevia partialis: Innerer MM wird von der Plazenta überragt (50 %).
• P lacenta praevia marginalis: Plazentarand reicht an den MM heran, klinisch
schlecht von tief sitzender Plazenta abzugrenzen (20 %).
Klinik
• L eitsymptom: Schmerzlose intermittierende oder konstante Blutung im letz-
ten Schwangerschaftsdrittel oder sub partu ohne ersichtliche Ursache (Blu-
tung beginnt stets vor dem Blasensprung, Blutungen nach Blasensprung sind
keine Placenta-praevia-Blutungen!).
• R isiken: Schwere Blutung, Inf. bis zur Sepsis, Luftembolie, fetale Asphyxie.
Kindliche Mortalität etwa 10 %, mütterliche Mortalität erhöht, bei Ausnut-
zung aller klinischen Möglichkeiten < 1 %.
Diagnostik
• K linische Untersuchung: unauffälliger äußerer Tastbefund (weicher Uterus,
häufig Hochstand des vorangehenden Teils), evtl. Schräglage, Querlage, BEL
(vermehrt). AZ der Pat. entspricht dem äußeren Blutverlust.
• V ag. Untersuchung: nach behutsamer Spekulumeinstellung in Sectio- und
Transfusionsbereitschaft Ausschluss anderweitiger Blutungsursachen (Karzi-
nom, Varizen, Ektopie; ▶ 6.4.5). Bei geöffnetem MM ggf. Plazentagewebe
sichtbar.
• M eist keine oder geringe Wehentätigkeit.
• C TG: kindliche Herztöne meist gut, path. Herztöne erst bei erheblicher Blu-
tung oder Ablösung.
• S ono: zur Sicherung der Verdachtsdiagn. sowie zur Bestimmung von Lage
und Größe des Fetus.
– P
lacenta praevia marginalis: Vag. Entbindung anstreben. Bei bereits ge-
öffnetem MM Blasensprengung und Oxytocin-Dauerinfusion in OP-Be-
reitschaft. CTG-Dauerüberwachung, falls notwendig op. Geburtsbeendi-
gung.
6.4.2 Vorzeitige Plazentalösung
Definition Teilweise oder vollständige Ablösung der normal sitzenden Plazenta
von ihrer Haftfläche vor oder unter der Geburt. Dadurch häufig Blutungen aus
mütterlichen und kindlichen Gefäßen (▶ Abb. 6.10).
Abb. 6.10 Vorzeitige partielle Plazentalösung ohne und mit Blutung ex cervice
[L157]
6
Epidemiologie Schwere Fälle 0,4 %, leichte Fälle 0,8 % aller Geburten. Rezidivra-
te bei nachfolgender Schwangerschaft um 5 %! Ältere Schwangere und Mehrgebä-
rende bevorzugt betroffen.
Ursachen 60 % ungeklärt, EPH-Gestose bei etwa 30 %, Rest mechanische Ursa-
chen (z. B. Sturz, Stoß in den Unterbauch, äußere Wendung aus BEL, zu kurze
Nabelschnur).
Klinik
• L eitsymptom: heftiger, plötzlich auftretender Unterbauchschmerz.
• A llg. Unwohlsein mit Angst, Schwindel, Atemnot, Ohnmacht, Schocksymp-
tomatik mit Blutdruckabfall und Pulserhöhung (▶ 3.5).
• In 75 % der Fälle Blutung ex utero, selten starke Blutungen, zunächst Blutung
in den Uterus hinein.
• E vtl. Verbrauchskoagulopathie (Fibrinogen < 100 mg %, Thrombos
< 100.000/mm3).
6.4 Blutungen sub partu 295
Einteilung
• G
rad 0: keine Klinik, die Diagn. wird erst p. p. gestellt, kindliche Mortali-
tät leicht erhöht.
• G
rad I: mäßige vag. Blutung, mit oder ohne leichten Tetanus uteri, kindli-
che Mortalität deutlich erhöht.
• G
rad II: stärkere Blutung, schmerzhafter Tetanus uteri, Koagulopathie,
fehlender Schock. Häufig bereits intrauteriner Fruchttod.
• G
rad III: deutlicher Tetanus uteri, Koagulopathie, hämorrhagischer
Schock, schmerzhaftes Abdomen, Kind abgestorben.
Diagnostik
! V ag. Untersuchung nur in Sectiobereitschaft.
• K linische Untersuchung: druckempfindlicher, auffallend gespannter Uterus.
• C TG: fetale Hypoxiezeichen (▶ 6.1.1).
• S ono: retroplazentares Hämatom evtl. ohne Blutung nach außen (bei Hinter-
wandplazenta schwieriger nachweisbar). In seltenen Fällen Blutung in die
Uterusmuskulatur (Couvelaire-Sy.).
Therapie
• Intensivüberwachung: CTG, Puls, RR, Ein-, Ausfuhrkontrollen.
• A nlegen mehrerer peripherer Zugänge, Gabe von Plasmaexpander, evtl.
Schockbekämpfung (▶ 3.5), Bereitstellen von EK.
• L abor: kleines BB, Thrombos, E‘lyte, Gerinnung, Fibrinogen, Krea.
• S ofortige Sectio caesarea, wenn das Kind lebt und Überlebenschancen beste-
hen.
• B ei totem Kind oder fehlender Überlebenschance für das Kind: Vag. Entbin-
dung anstreben (Eröffnung der Fruchtblase, Oxytocin-Dauertropfinfusion,
▶ 6.13). Mütterliche Mortalität durch Schock und DIC erhöht.
Bei lebensbedrohlicher Blutung und wenig eröffnetem MM Sectio caesarea 6
auch bei bereits abgestorbenem Kind indiziert.
6.4.3 Insertio velamentosa
Definition Nabelschnur inseriert ent-
fernt vom Rand der Plazenta zwischen
den Eihäuten. Wird beim Blasensprung
oder der Amniotomie ein größeres Ge-
fäß aufgerissen, verblutet der Fetus. Die
Kompression eines großen, frei verlau-
fenden Gefäßes kann zum fetalen Sau-
erstoffmangel führen (▶ Abb. 6.11).
Epidemiologie Häufigkeit 1 %, deut-
lich erhöhte fetale Fehlbildungsrate.
6.4.4 Randsinusblutung
Definition Blutung sub partu (durch Zerreißen des Sinus circularis placentae),
die auch bei normal sitzenden Plazenten vorkommt.
Epidemiologie 1 % aller Schwangerschaften.
Klinik Diskontinuierliche, leichtere schmerz- und wehenfreie Blutung.
Diagnostik Ausschluss einer ernsteren Blutungsursache wie Placenta praevia,
6 vorzeitige Plazentalösung, Insertio velamentosa (▶ 6.4.1, ▶ 6.4.2, ▶ 6.4.3) bzw. ei-
ner sonstigen Blutungsquelle (▶ 6.4.5).
Therapie Abwartende Haltung unter klinischen Bedingungen i. d. R. gerechtfer-
tigt, vag. Entbindung in Terminnähe häufig möglich. Intensivüberwachung: CTG,
Puls, RR, Ein- und Ausfuhrkontrolle.
6.4.5 Sonstige Blutungsursachen
Sonstige Blutungsursachen sind: Uterusruptur (▶ 6.9) oder schwangerschaftsun-
abhängig Zervix-Ca (▶ 13.8), MM-Polyp (▶ 13.3.4), Portioerosion (▶ 13.3.1) oder
variköse Blutungen.
Jede stärkere Blutung sub partu bzw. jede Blutung in der Spätschwanger-
schaft ist pathologisch und muss abgeklärt werden.
6.5 Lageanomalien 297
6.5 Lageanomalien
6.5.1 Beckenendlage (BEL)
Epidemiologie
Bei 5 % aller Geburten befindet sich das Kind bei Geburtsbeginn in BEL.
Einteilung
▶ Abb. 6.12
• R eine Steißlage: am häufigsten, Hüftumfang etwa 27 cm.
• S teiß-Fußlage: selten, Hüftumfang etwa 32 cm.
• F uß- oder Knielage: vollkommen oder unvollkommen, Rumpfumfang et-
wa 24 cm.
Vollkommene Unvollkommene
Reine Steißlage Steiß-Fußlage
Fußlage Fußlage
Risiken
Fetales Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko
Bereits vor 30 J. wurde die Empfehlung zur prim. Sectio caesarea bei BEL gegeben.
Grundlage dafür waren die Ergebnisse der multizentrischen „Term Breech Trial“-
Studie, die eine signifikante Verminderung der Neugeborenenletalität und -mor-
bidität (Sectio 1,6 % vs. vag. 5,0 %) bei unwesentlich erhöhter Komplikationsrate
für die Mutter im Falle einer Sectio caesarea erbrachte. In den Nachuntersuchun-
gen fanden sich allerdings in den Fällen der geburtsbedingten respiratorischen
Azidosen kaum erhöhte Langzeitmorbiditäten oder Entwicklungsdefizite. Nach
neueren Untersuchungen wird die Sectio als der sicherere Weg für das NG be-
schrieben. Als wesentlicher Faktor für die Reduzierung der Geburtsrisiken wird
die Erfahrung und Spezialisierung der Geburtsklinik angesehen. Die Sectiofre-
quenz bei BEL liegt derzeit bei ca. 90 %.
298 6 Geburt
Geburtshilfliche Risiken
• S teiß bzw. Füße sind als Dilatator des Geburtskanals weniger geeignet als der
unnachgiebige und im Umfang größere Schädel.
• D urch den nachfolgenden Kopf wird von einem bestimmten Zeitpunkt an die
Nabelschnur komprimiert → Einschränkung der fetalen Sauerstoffversorgung
→ innerhalb von 20–60 Sek. Entwicklung des kindlichen Kopfes.
• D er Kopf muss gegen erhöhten Widerstand durch Geburtskanal entwickelt
werden → erhebliche Druck- und Zugbelastung auf Kopf, Wirbelsäule und
Hals (häufiger neurologisch auffällige Kinder als nach Schnittentbindung!).
• M it zunehmender Unreife des Kindes erhöhen sich bei vag. Entbindung die
fetale Mortalität und Morbidität.
Diagnostik
1. Leopold-Handgriff
Ballottement des großen, kugeligen und harten Kopfes im Fundus (▶ Abb. 5.2).
3. Leopold-Handgriff
Weicher vorangehender Teil über Beckeneingang (▶ Abb. 5.2).
Auskultation
Herztöne in Nabelhöhe oder darüber am besten hörbar.
Vaginale Untersuchung
Fehlen der gleichmäßigen Härte, der Schädelnähte und der Fontanellen.
• K ennzeichen der Steißlage: Cristae sacrales medianae.
• K ennzeichen der Fußlage: Fersenzeichen (winkliger Übergang von Unter-
schenkel zum Fuß), Zehenzeichen (Zehen sind gleich lang, kürzer als die Fin-
ger; Zehen stehen in Reihe, Daumen im Gegensatz zur Großzehe in oppo-
nierter Stellung).
• K ennzeichen der seltenen Knielage: bewegliche Patella.
6 Am Termin besteht in 70 % der Fälle eine reine Steißlage, in ca. 20 % eine Steiß-
Fußlage. Eine reine Fußlage entwickelt sich bei 10 % aus einer Steiß-Fußlage,
Diagn. intra partum nach Blasensprung.
Sonografie
Beweisend ▶ 22.2.4!
Geburtshilfliches Management
Für eine vag. Entbindung müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
• Z u erwartendes Geburtsgewicht < 3.500 g.
• A usschluss einer schweren Fehlbildung durch sorgfältige Sono (erhöhte Fehl-
bildungsrate bei BEL; ▶ 22.2.4).
• A usschluss eines Missverhältnisses durch sonografische Bestimmung von
mind. zwei Schädelmaßen und dem Thoraxdurchmesser. Cave: Alle Metho-
den zur Beurteilung des mütterlichen Beckens sind ungenau; in der Literatur
ist keine eindeutige Überlegenheit radiologischer oder klinischer Methoden
beschrieben (▶ 22.2.4).
• H yperextension des Kopfes sonografisch (ggf. radiologisch) auszuschließen.
6.5 Lageanomalien 299
• Ist mit einer langwierigen vag. Geburt zu rechnen (z. B. hoch stehender Steiß
bei unreifer Zervix, mangelhaftes Tiefertreten des Steißes, vorzeitiger Blasen-
sprung o. Ä.), ist die sek. Sectio großzügig zu indizieren.
Geburtsleitung
• A ufklärung der Pat. über die vorgenannten Risiken.
• S tändige Narkose- und Sectiobereitschaft, Reanimationsbereitschaft für Kind.
• V enöser Zugang mit Dauertropfinfusion einer Basis-Lsg., z. B. Ringer.
• E xterne CTG-Dauerüberwachung unter Erhaltung der Fruchtblase in der Er-
öffnungsperiode, nach Blasensprung möglichst interne CTG-Überwachung.
• E ntleerung der Harnblase der Mutter kurz vor der Geburt durch Einmalka-
theterismus.
• A usreichende Analgesie (z. B. PDA ▶ 6.3.3).
• S yntocinon®-Tropf in der Austreibungsperiode, um das Kind rasch entwi-
ckeln zu können (▶ 6.13, ▶ 8.3).
• Z urückhalten des Steißes, bis das Kind in einer Wehe entwickelt werden kann.
In 90 % der Fälle ist die Geburt ohne zusätzliche Traktion oder Torsion möglich.
• O bligat ist eine großzügige Episiotomie (▶ 7.1).
• E ntwicklung des Kindes nach Bracht unter gleichzeitigem Druck von oben
(durch Hilfsperson; ▶ 7.3.1).
• F alls erforderlich, Lösung der Arme oder Kopfentwicklung nach Veit-Smellie
(▶ 7.3.2; ▶ 7.3.3).
• Ind. zur sek. Sectio bei Auftreten von KO auch in der Austreibungsperiode
großzügig stellen.
Indikationen zur primären Sectio bei Beckenendlage
• B eckenanomalie bzw. verengtes Becken.
• N abelschnurvorfall.
• P lacenta praevia.
• K indliche Hypertrophie ≥ 3.800 g. 6
• P rämaturität vor der 28. SSW.
• R eine Fußlage.
• D ysproportion (KU >> AU).
• Z ervikale Unreife und vorzeitiger Blasensprung.
• Z usatzrisiken wie Diab. mell., path. CTG, Plazentainsuff., fetale Dystrophie,
schwere fetale Fehlbildungen.
Äußere Wendung
In manchen Zentren wird bei BEL oder Querlage (▶ 6.5.2) die äußere Wendung
versucht. Die Erfolgsrate liegt bei etwa 50 %.
Die äußere Wendung kann ab 36+0 SSW erfolgen. Ein Aufklärungsgespräch sollte
wenigstens einen Tag vor dem Eingriff durchgeführt werden. Eine Anästhesie ist
nicht indiziert. Dabei sollte die Möglichkeit einer notfallmäßig durchzuführenden
Sectio caesarea sichergestellt sein. Eine Tokolyse ist nicht zwingend erforderlich.
Falls erforderlich Anti-D-Prophylaxe.
Kontraindikationen für die äußere Wendung sind:
• V orzeitiger Blasensprung.
• V ag. Blutung unklarer Genese.
• P lacenta praevia.
300 6 Geburt
Durchführung
Unter CTG-Kontrolle und in Sectiobe-
reitschaft wird der kindliche Steiß aus 2
dem Becken gedrückt (▶ Abb. 6.13,
Pfeil 1) und dann das Kind mit sanften,
schiebenden Bewegungen im Sinne ei-
nes „Purzelbaums“ intrauterin gedreht
(▶ Abb. 6.13, Pfeile 2 und 3).
Risiken 1
Vorzeitige Plazentalösung, Nabelschnur-
kompression und vorzeitiger Blasen- 3
sprung.
Abb. 6.13 Äußere Wendung [L157]
6.5.2 Querlage
Epidemiologie Körperhauptachse des Kindes bildet einen rechten Winkel mit
der Führungslinie des Geburtskanals. Häufigkeit: 0,7 % aller Geburten.
Ursachen Abnorm große Bewegungsmöglichkeit des Kindes wie Frühgeburt,
kleines Kind, Polyhydramnion, schlaffe Uteruswand und Bauchdecken bei Viel-
gebärenden oder Hindernisse für die normale Einstellung wie Beckenverengun-
gen, Uterusanomalien, Mehrlinge oder Placenta praevia.
Geburtshilfliche Risiken
• U nbehandelt kommt es nach Blasensprung zum Armvorfall, Einkeilen der
Schulter, Abknicken der Frucht (verschleppte Querlage).
• B ei Zunahme der Wehentätigkeit drohen Dauerkontraktionen und Uterus-
ruptur.
• D as Kind ist beim Blasensprung häufig durch einen Nabelschnurvorfall ge-
fährdet.
6 Diagnostik
• K linische Untersuchung: Fundus-
stand niedriger als erwartet, quer-
ovaler Uterus.
• L eopold-Handgriffe: kindlicher
Kopf li oder re zu palpieren.
• A uskultation: kindliche Herztöne
in der Nabelregion.
• V ag. Untersuchung: Kleines Becken
ist leer.
• S ono beweisend, Ausschluss einer
Placenta praevia!
Therapie
• Jede Querlage ist eine gebärunfähi-
ge Lage. Hospitalisierung bzw. Sec-
tioentbindung nach vollendeter
37.–38. SSW. Abb. 6.14 Verschleppte Querlage nach
• E vtl. äußere Wendung ab 36+0 Blasensprung mit Armvorfall, Abkni-
cken der Frucht und Einkeilen der Schul-
SSW (s. o.). ter [L157]
6.5 Lageanomalien 301
6.5.3 Regelwidrige Schädellagen
Definition
Bei einem kleinen Teil der Schädellagen bleibt die Beugebewegung (Flexion) des
kindlichen Kopfes aus (Haltungsanomalie). Alle Deflexionslagen verlaufen mit
nach hinten gerichtetem Rücken (Stellungsanomalie) (▶ Abb. 6.15).
32 34 35–36 34 6
Durchtrittsplanum in cm
Abb. 6.15 Flexions- und Deflexionshaltungen des Kopfes bei Eintritt ins Becken
[L157]
Vorderhauptslage (VHL)
Geringster Grad einer Streckhaltung des Kopfes. Das Durchtrittsplanum hat ei-
nen Umfang von 34 cm (bei regelrechter HHL 32 cm). Hieraus resultiert bei reifen
Kindern ein auffallend verzögerter Geburtsverlauf!
Diagnostik Bei vag. Untersuchung große Fontanelle in der Führungslinie. I.d.R.
dorsoposteriore Einstellung (kleine Fontanelle schwer zu erreichen, meistens li
oder re hinten zu tasten).
Therapie Solange es Mutter und Kind gut geht, stets konservatives Vorgehen:
• L agerung auf Seite des Hinterhaupts. Dreht sich das Hinterhaupt hierunter
nicht nach vorne, Lagerung auf der entgegengesetzten Seite.
• G roßzügige Episiotomie wegen starker Überdehnung des Damms (▶ 7.1).
• F orzepsentbindung vermeiden (Gefahr tief gehender Weichteilrisse!), bei
dringlicher Ind. (z. B. path. CTG) eher Vakuumextraktion (▶ 7.2.2).
302 6 Geburt
Stirnlage
Nach VHL nächsthöherer Grad der Streckhaltung. Aufgrund des größten Um-
fangs des Durchtrittsplanums von 35–36 cm ungünstigste aller Schädellagen.
Diagnostik Leitstelle Stirn (große Fontanelle, Augenbrauen, Nasenwurzel tast-
bar; ist das Kinn erreichbar, liegt eine Gesichtslage vor).
Therapie
• G eburtsbeendigung i. d. R. nur durch Sectio caesarea möglich.
• S pontanpartus nur bei sehr kleinem Köpfen oder sehr geräumigem Becken
(cave: nasoposteriore Stirnlage!).
! F orzepsentbindung wegen extrem schlechter Prognose obsolet.
Gesichtslage
Stärkster Grad der Streckhaltung des Kopfes. Umfang der Durchtrittsebene 34 cm.
Diagnostik Hinterhaupt oberhalb der Symphyse von außen gut tastbar, Herztö-
ne auf der Seite der kleinen Teile. Kinn, Mund, Nase, Augenbrauen bei der vag.
Untersuchung tastbar.
Therapie
• L agerung auf der Seite des Kinns.
• T ritt zu Geburtsbeginn ein Grund
zur Geburtsbeendigung auf → groß-
zügige Sectio-Ind.
• G roßzügige Episiotomie wegen
starker Überdehnung des Damms
(▶ 7.1).
• K eine Forzepsentbindung aus Be-
ckenmitte, sondern sek. Sectio cae-
sarea.
Formen
• H oher Gradstand.
• T iefer Querstand.
• D orsoposteriore Einstellung.
• H intere Scheitelbeineinstellung.
6.5 Lageanomalien 303
Hoher Gradstand
Diagnostik Der kindliche Kopf ist mit gerader Pfeilnaht dem Beckeneingang
aufgepresst, die kleine Fontanelle ist häufig hinten zu tasten (dorsoposteriore Ein-
stellung). Von außen tastet sich der Kopf auffallend schmal an, evtl. ist der 5. Leo-
pold-Handgriff (Zangemeister) pos. (▶ Abb. 5.2).
Therapie Sectio, falls bei guter Wehentätigkeit unter Wechsellagerung nach Bla-
sensprung Befundpersistenz, bei ungünstigen Tatbeständen (grünes FW, drohen-
de Uterusruptur etc.) oder path. CTG.
Tiefer Querstand
Querstehende Pfeilnaht im Beckenausgang. Ursache ist häufig eine sek. Wehen-
schwäche.
Epidemiologie Etwa 1,7 % der Schädellagengeburten.
Diagnostik Pfeilnaht des auf dem Beckenboden stehenden Kopfes verläuft quer
bei gleichzeitiger Verzögerung der Geburt. Aufgrund einer leichten Streckhaltung
häufig beide Fontanellen zu tasten. Die Spinae können nicht mehr erreicht wer-
den, da der Kopf auf dem Beckenboden steht.
Anhand der Stellung der kleinen Fontanelle unterscheidet man den I. (re, ▶ Abb.
6.17a) und den II. (li, ▶ Abb. 6.17b) Querstand.
Therapie Lagerung auf Seite des Hinterhaupts, ggf. Unterstützung der Wehentä-
tigkeit (▶ 6.13), persistiert der Befund länger als 30 Min. vag.-op. Entbindung
(Vakuumextraktion ▶ 7.2.2).
a b
Dorsoposteriore Einstellung
Der kindliche Rücken ist dabei nach hinten gerichtet, die kleine Fontanelle kreuz-
beinwärts gerichtet. Häufig mit einer Haltungsanomalie einhergehend (Vorder-
hauptslage, Stirnlage, Gesichtslage ▶ 6.5.3).
Hintere Hinterhauptslage
Keine Vergrößerung des Durchtrittsplanums, Austreibungsperiode dennoch auf-
grund der wesentlich stärkeren Reibung zwischen Geburtskanal und kindlichem
304 6 Geburt
Kopf erheblich verlängert. Ther.: Lagerung auf Seiten des Hinterhaupts, evtl. Oxy-
tocin-Tropf. Bei Erfolglosigkeit Lagerung auf die kontralaterale Seite. Tritt der
Kopf nicht tiefer, ggf. Sectioentbindung.
Hintere Vorderhauptslage
Deutliche Vergrößerung des Durchtrittsplanums, Austreibungsperiode dadurch
erheblich verlängert. Ther.: Lagerung auf Seiten des Hinterhaupts, evtl. Wechsel-
lagerung. Tritt der Kopf nicht tiefer, ggf. Sectioentbindung.
Hintere Scheitelbeineinstellung (selten)
Versuch der Anpassung des kindlichen Kopfes an den relativ engen Beckenein-
gang durch Übereinanderschieben der Scheitelbeine. Der hintere Rand des Schei-
telbeins stößt hierbei an den Hinterrand der Symphyse (als Stufe tastbar), die
nachfolgende hintere Schulter sitzt dem Promontorium auf, der Kopf weicht nach
vorne ab und überragt die Symphyse (5. Leopold-Handgriff pos. ▶ Abb. 5.2). Ge-
burtsunmögliche Einstellung (▶ Abb. 6.18). Ther.: Sectio caesarea.
6 a b
6.6 Geburtsstillstand
Verstärkter vorderer Asynklitismus Verstärkter hinterer Asynklitismus
6.6.1 In der Eröffnungsperiode
= =
verstärkte Naegel-Obliquität verstärkte Litzmann-Obliquität
Ein Geburtsstillstand in der Eröffnungsperiode über oder im Beckeneingang
bei ausreichender Wehentätigkeit bedeutet stets ein Geburtshindernis.
Ursachen
• G
ebärunfähige Lagen: Querlage, hoher Gradstand, nasoposteriore Stirnlage,
mentoposteriore Gesichtslage, hintere Scheitelbeineinstellung (▶ 6.5.2, ▶ 6.5.3).
6.7 Vorzeitiger Blasensprung 305
Ursachen
• S ek. Wehenschwäche: häufig! Ermüdung der Uterusmuskulatur.
• R egelwidrigkeiten der Kopfeinstellung oder -haltung wie tiefer Querstand,
Deflexionslagen (▶ 6.5.3, ▶ 6.5.4).
• W eichteilwiderstände: rigider Bandapparat oder Damm.
• K nochenwiderstände: vorspringendes Steißbein, verengter Beckenausgang.
Therapie
• L ückenlose CTG-Überwachung, bei V. a. fetale Hypoxie, Fetalblutanalysen
(▶ 6.1.5).
• V ag.-op. Geburtsbeendung (▶ 7.2) bei:
– Kopf steht länger als 1 h auf dem Beckenboden.
– Kopf rückt bei guter Wehentätigkeit nicht weiter.
– Bei Wehenschwäche bleibt Ther. mit Wehenmitteln erfolglos (▶ 6.13).
– Anzeichen einer fetalen Hypoxie (path. CTG oder MBU; ▶ 6.1.1, ▶ 6.1.5). 6
6.7 Vorzeitiger Blasensprung
Definition
Blasensprung mit FW-Abgang vor Beginn der Eröffnungswehen.
Epidemiologie
Bei etwa 5 % der Geburten mehr als 12 h, in etwa 12 % der Geburten weniger als
12 h vor Beginn der Wehentätigkeit. In bis zu 30 % der Fälle liegt das Geburtsge-
wicht < 2.500 g, oder es besteht eine Schwangerschaft vor der 37. SSW.
Ursache
Vorzeitige Wehentätigkeit, vorzeitige Zervixreifung, Polyhydramnion, Mehr-
lingsschwangerschaften, Inf. (bakterielle Vaginose, aszendierende Inf. ▶ 9.6), lie-
gende Zerklage, iatrogen (forcierte Untersuchung, Amniozentese, Amnioskopie).
306 6 Geburt
Diagnostik
• S ono: Kontrolle der FW-Menge (▶ 22.2).
• V ag. Untersuchung: Spiegeleinstellung des MM.
• L ackmusprobe: Blauverfärbung des roten Lackmuspapiers zeigt Abgang des
alkalischen FW an.
• E vtl. Bromthymol-Test: Blaufärbung des FW.
• E vtl. AMNICHECK: Insulin-like-Growth-Factor-binding-Protein-Test.
Cave: teuer.
• E vtl. Nachweis von Fibronektin (z. B. ROM-Check® Test).
• E vtl. Mikroskopie: Nachweis von Lanugohaaren, Vernixflocken, Hautschup-
pen oder Mekonium.
• E vtl. Amnioskopie unter möglichst sterilen Bedingungen als sicherste Nach-
weismethode (fast einzige Ind.).
• In Ausnahmefällen z. B. früher Schwangerschaftsmon. zur Diagn. transabdo-
minale Injektion von Indigokarmin in das FW (▶ 4.2.5).
Die kindliche oder mütterliche Inf. ist die gefährlichste KO beim vorzeitigen
Blasensprung. Innerhalb von 24 h nach vorzeitigem Blasensprung weisen bis
zu 4 % der Kinder eine Inf. auf. Diese Zahl steigt innerhalb von 48 h bis auf
etwa 20 % an. Erreger sind hierbei vor allem E. coli, β-hämolysierende Strept.,
Staph. sowie Str. faecalis. Bei hoch stehendem Kopf Gefahr des Nabelschnur-
vorfalls. Pat. sofort hinlegen lassen, bis zur vag. Untersuchung am besten mit
leichter Beckenhochlagerung.
In Terminnähe ist bei reifer Zervix eine zügige Entbindung anzustreben. Bei kind-
licher Unreife kann ein abwartendes Verhalten mit Induktion der fetalen Lungen-
reifung (RDS-Prophylaxe), u. U. unter Antibiotikaschutz, erforderlich sein. Bei
klinischen Zeichen für ein Amnioninfektsy. (mütterlicher Temperaturanstieg,
Leukozytose, CRP-Anstieg, Linksverschiebung im Differenzial-BB und fetale Ta-
6 chykardie) Schwangerschaft beenden.
• ruckschmerzhafter Uterus.
D
• unehmende Wehen.
Z
• bel riechendes FW.
Ü
• eukozytose (≥ 15.000/μl).
L
• RP-Erhöhung.
C
Antibiotikaprophylaxe
Bei vorzeitigem Blasensprung reduziert die prophylaktische Gabe von Mezlocil-
lin, Piperacillin, Clindamycin, Ampicillin oder Erythromycin die maternale und
fetale Morbidität und kann die Schwangerschaftsdauer verlängern. Generell in der
34+0 bis 37+0 SSW z. B. Ampicillin 2 g oder Cefotaxim 2 g (z. B.Claforan®) alle 8 h.
Bei Streptokkokennachweis Penicillin G 10 Mio. IE initial und 2,5–3 Mio. IE alle
4 h i. v.
Blasensprung < 20+0 SSW
Kein Anhalt für AIS:
• A bwarten unter Bettruhe nach Absprache mit der Schwangeren möglich.
• C RP-Kontrollen alle 6–24 h.
• R egelmäßige Kontrolle von FW-Menge und Vitalität des Kindes.
• B ei persistierendem Oligo-/Anhydramnion Aufklärung über schlechte Prog-
nose des Kindes (Lungenhypoplasie etc.) und ggf. Beendigung der Schwan-
gerschaft.
• E vtl. antibiotische Ther. (s. o.).
Bei Anhalt für AIS Abortinduktion mit Prepidil® und Cergem® (▶ 5.19).
Blasensprung ≥ 20+0 bis < 24+0 SSW
Kein Anhalt für AIS:
• A bwarten unter Bettruhe nach Absprache mit der Schwangeren möglich.
• G gf. antibiotische Ther.
• C RP-Kontrollen alle 6–24 h.
• R egelmäßige Kontrolle von FW-Menge und Vitalität des Kindes. 6
• B ei Erreichen 24+0 SSW Vorgehen wie oben.
• E vtl. antibiotische Ther. (s. o.).
Manifestes AIS ≥ 23+0 SSW: Entbindung anstreben.
Blasensprung ≥ 24+0 bis < 34+0 SSW
Kein Anhalt für AIS:
• A bwarten unter Bettruhe, Antibiotikagabe, Tokolyse und Lungenreifeinduk-
tion.
• C RP-Kontrollen alle 6–24 h.
• C TG (alle 12 h).
• R egelmäßiger Ultraschall/Doppler.
• B ei Erreichen von 34+0 SSW aktive Beendigung der Schwangerschaft nach
12–24 h (wenn kein spontaner Wehenbeginn).
• A ntibiotische Ther. wie oben.
• T okolyse (▶ 5.10.1).
• R DS Prophylaxe (s. o.).
Manifestes AIS: zügige Entbindung unter antibiotischer Ther. (s. o.).
308 6 Geburt
6 6.8 Vorfälle
6.8.1 Nabelschnurvorfall
Definition Vorfall der Nabelschnur
nach Blasensprung vor den führenden
Teil in die Vagina oder vor die Vulva
(▶ Abb. 6.19).
Epidemiologie 0,5 % aller Geburten,
am häufigsten bei Querlagen und Fuß-
lagen, Gemini, seltener bei Steiß- und
Schädellagen.
Klinik Plötzlicher Herztonabfall nach
Sprung der Fruchtblase. KO: drohende
intrauterine Asphyxie durch Nabel-
schnurkompression, v. a. bei Schädella-
gen.
Diagnostik Unmittelbare vag. Unter-
suchung (pulsierende Nabelschnur). Abb. 6.19 Nabelschnurvorfall [L157]
6.9 Uterusruptur 309
Einteilung
• V
orliegen eines Arms: Bei stehender Fruchtblase liegt der Arm vor dem
vorausgehenden Kopf.
• U
nvollkommener Armvorfall: Vorfall einer Hand bei gesprungener Blase.
• V
ollkommener Armvorfall: Hand und Teile des Unterarms liegen bei ge-
sprungener Fruchtblase tiefer als der vorausgehende Teil.
6.9 Uterusruptur
Ursache
• Ü
berdehnung der Uteruswand: Geburtsunmögliche Lage oder Einstellung
des Kindes, Missverhältnis zwischen Kopf und Becken, Hydrozephalus, Über-
dosierung von Wehenmitteln.
• W
andschädigung: St.n. Sectio, Myomenukleationen o. Ä.
• G
eburtshilfliche Eingriffe: Wendungsoperationen, traumatische Entwicklung
bei Schulterdystokie.
310 6 Geburt
Klinik
• V or der Ruptur
– Zunahme der Wehentätigkeit bis zum Wehensturm, Geburtsstillstand.
– Überdehnung und Schmerzhaftigkeit des unteren Uterinsegments (supra-
symphysär).
– Hochsteigen der Bandl-Furche: Obere Grenze des unteren Uterinseg-
ments in Nabelhöhe und darüber.
– Unruhe der Gebärenden.
• E rfolgte Ruptur
– Schlagartiges Sistieren der Wehentätigkeit (Austritt des Kindes aus dem
Uterus in die freie Bauchhöhle).
– Rupturschmerz, starke abdominale Abwehrspannung.
– Kollaps und Blässe als Folge der schweren inneren Blutung, Unruhe, zu-
nehmende Atemnot.
– Aufhören der kindlichen Herztöne und Kindsbewegungen.
– Meist vag. Blutung.
• S tille Ruptur
– Symptomarm, v. a. Narbenrupturen.
– Eine suprasymphysäre Druckschmerzhaftigkeit sub partu bei Z. n. Sectio
caesarea und weiteren prognostisch ungünstigen geburtshilflichen Para-
metern (Geburtsstillstand, protrahierte Eröffnungsperiode, hoher Stand
des Kopfes) können auf eine bereits erfolgte Ruptur hinweisen.
Jeder unklare Schockzustand intra- und post partum ist verdächtig auf eine
Uterusruptur.
Diagnostik
• A namnese des Geburtsverlaufs und der Geburtsrisiken.
• S chmerzen und Kollaps (Pulsanstieg, RR-Abfall, zunächst konstanter Hb,
6 dann Hb-Abfall bei akuter Blutung; ▶ 3.5.1).
• V ag. Untersuchung: Der vorausgehende Teil ist dem Beckeneingang aufge-
presst, große Geburtsgeschwulst, MM nicht vollständig eröffnet, dick-wulsti-
ge MM-Ränder.
• G gf. CTG-Alterationen mit Anstieg des Basaltonus.
Therapie
• I. v. Tokolyse, z. B. Fenoterol (Partusisten®).
• U mgehende Laparotomie auch bei bereits abgestorbenem Kind.
• B ei kompletter Ruptur ggf. totale Uterusexstirpation.
6.10 Fetale Azidose
Ursachen
• P räplazentar: path. Uteruskontraktionen, Vena-cava-Kompressionssy., Blu-
tungen, z. B. Placenta-praevia-Blutung (▶ 6.4.1), starke iatrogene RR-Senkung
(▶ 6.8.1), schwere mütterliche Anämie oder Herzinsuff., orthostatische Dys-
regulation.
6.10 Fetale Azidose 311
• P lazentar: path. Prozesse in der Plazenta, die mit einer Verminderung der
plazentaren Austauschfläche oder einer erschwerten Permeabilität einherge-
hen, wie Plazentainsuff. (▶ 16.12), vorzeitige Plazentalösung (▶ 6.4.2), SIH
(▶ 6.8.1), Übertragung (▶ 6.17), mütterlicher Diab. mell. (▶ 3.4).
• ostplazentar: hauptsächlich KO der Nabelschnur wie Vorliegen oder Vor-
P
fall der Nabelschnur (▶ 6.8.1), Nabelschnurumschlingung, Nabelschnurkno-
ten, intrauterine fetale Erkr., z. B. an Herz oder Gefäßen.
Diagnostik
Externes oder internes CTG (▶ 6.1.1), MBU (▶ 6.1.5), fetale Pulsoxymetrie.
Therapie
• B eckenhochlagerung, O2-Gabe.
• Intrauterine Reanimation: Notfalltokolyse: 1 ml Partusisten intrapartal® ver-
dünnt mit 4 ml NaCl, 2,5–5 ml langsam i. v. (2 ml/Min.). Einmalige Wieder-
holung möglich, ggf. anschließende kurzfristige kontinuierliche Infusion bis
4 μg/Min. Partusisten® möglich.
• eburtsbeendigung: je nach geburtshilflicher Situation, Ursachen der fetalen
G
Notsituation und jeweils zusätzlicher Parameter wie MBU und ggf. fetaler
Pulsoxymetrie.
Notsectio
Nach 15- bis 20-minütiger schwerer Azidose steigt das Risiko eines perinatal ver-
ursachten kindlichen Hirnschadens auf etwa 50 % an. Der Zeitbedarf für eine
Notsectio ist definiert als das Intervall zwischen Indikationsstellung und Geburt
des Kindes (Entschluss-Entwicklungszeit = E-E-Zeit) und sollte nach einer Stel-
lungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 20 Min.
nicht überschreiten. In diesem Zeitrahmen sind nach Erkennung der fetalen Not-
situation und Entschluss zur Sectioentbindung folgende Maßnahmen erforderlich:
• Intrauterine Reanimation (s. o.). 6
• Informieren von Oberarzt, Anästhesist, OP-Personal, evtl. Pädiater.
• A ufklärung der Pat. und ggf. schriftliche Einwilligung zur OP.
• O P-Vorbereitung mit Blutentnahme und venösem Zugang.
• W aschen und Umkleiden des OP-Teams.
• T ransport der Pat. zum OP-Saal.
• E vtl. vag. Entbindungsversuch in OP-Bereitschaft.
• D esinfektion des Bauchs der Pat.
• N arkoseeinleitung.
• S ectio und Entwicklung des Kindes.
Auch die NG-Versorgung im unmittelbaren Anschluss an die Geburt orga-
nisieren!
• N
eurologische Symptome wie Krämpfe, Koma und Hypotonie.
• M
ultiorganversagen (laborchem. Nachweis!).
6.11 Fetale Fehlbildungen
▶ 9.7.
6.11.1 Hydrozephalus
Diagnostik
• S ono: Bestimmung des biparietalen Durchmessers sowie der Ventrikeldurch-
messer. Bei Ventrikelerweiterungen Ausschluss weiterer begleitender Fehlbil-
dungen wie Spaltbildungen der Wirbelsäule (▶ 22.2).
• V ag. Untersuchung: klaffende Nähte, weite Fontanellen, dünne weiche Schä-
delknochen, Pergamentknistern, abnorme Beweglichkeit der Knochenränder.
Geburtsleitung Prim. Sectio.
6.11.2 Anenzephalus
6.11.3 Steißteratome
Definition Am Beckenende des Kindes sitzende, dreikeimblättrige Fehlbildung,
die i. d. R. ein Geburtshindernis darstellt.
Diagnostik Sono ▶ 22.2.
Geburtsleitung Prim. abdominale Schnittentbindung.
6.12 Mehrlingsgravidität 313
6.12 Mehrlingsgravidität
Der alleinige Umstand einer Zwillingsschwangerschaft ist keine Indikation zur
Sectio caesarea. Befindet sich der erste Zwilling in Schädellage und der zweite in 6
BEL, soll die vag. Entbindung keinen Einfluss auf die kindliche Morbidität ha-
ben. Befindet sich der erste Zwilling in BEL, wird z. T. die vag. Geburt angestrebt,
überwiegend aber eine prim. Sectio caesarea empfohlen. Befinden sich beide
Zwillinge in BEL, ist die prim. Sectio caesarea indiziert, ebenso bei Vorliegen ei-
ner monochoriaten bzw. monoamnioten Geminigrav. bzw. von fetofetalen
Transfusionssy., bei verbundenen Zwillingen (conjoined twins) oder bei Ge-
wichtsinkongruenzen > 20 %. Bei höhergradigen Mehrlingen ist die prim. Sectio
caesarea Standard.
Siehe auch ▶ 5.11.
6.12.1 Geburtshilfliche Besonderheiten
Die Geburt von Mehrlingen wird durch viele Probleme kompliziert. Gehäuft tre-
ten auf:
• A bnorme Lage und Haltung der Feten (▶ 6.5).
• V erhakung der Kinder, fetofetales Transfusionssy. (▶ 5.11.2).
• S tarke Überdehnung der Gebärmutter, vorzeitiger Blasensprung, Frühgeburt
(▶ 6.7).
• E PH-Gestose (▶ 6.8), Plazentainsuff.
314 6 Geburt
• N abelschnurvorfall (▶ 6.8.1).
• P rim. Wehenschwäche.
• G efahr der vorzeitigen Plazentalösung des zweiten Zwillings nach Geburt des
ersten Zwillings (▶ 6.4.2).
• G efahr der uterinen Atonie in der Nachgeburtsperiode (▶ 6.14.1).
• B ei mehr als zwei Kindern prim. Schnittentbindung.
6.12.2 Geburtsleitung
Genaue Lagebeurteilung ante partum durch äußere Untersuchung (▶ 6.1.1) und
Sono (▶ 22.2).
• B ei > 2 Kindern prim. Schnittentbindung.
• G eburtshilfliches Prozedere bei Gemini (▶ Abb. 6.20):
– Beide Zwillinge in Schädellage: Spontangeburt möglich.
– 1. Zwilling in Schädellage, 2. Zwilling in Beckenlage: Spontangeburt mög-
lich, soweit das 2. Kind aufgrund seiner geringen Größe (< 3.000 g) und
geringer Weichteilwiderstände „leicht“ vag. entbunden werden kann.
Spontanpartus
Nur unter simultaner ständiger CTG-Kontrolle und Sectiobereitschaft.
Nach Spontangeburt des ersten Zwillings
• L agekontrolle, z. B. sonografisch (Längslage oder Querlage), HT-Kontrolle,
auf Blutung achten (vorzeitige Plazentalösung).
• A nschließend sofort Oxytocin-Dauertropfinfusion (▶ 6.13).
6.13 Geburtseinleitung 315
6.13 Geburtseinleitung
Jede Geburtseinleitung erfordert eine kritische und individuelle Risiko-Nut-
zen-Analyse. Wegen der häufig unvorhersehbaren Dauer der medikamentö-
sen Geburtseinleitung muss die strenge Indikationsstellung sowie der Zu-
stand des Kindes in utero beachtet werden. Die Dringlichkeit der Schwanger-
schaftsbeendigung bestimmt das geburtshilfliche Vorgehen (Geburtseinlei-
tung vs. Sectio caesarea).
Organisatorische Voraussetzungen
• A däquate apparative und personelle Überwachung von Mutter und Kind. 6
• T okolytika in Griffnähe (z. B. uterine Überstimulierung mit HF-Alteratio-
nen).
• M
öglichkeit der Schwangerschaftsbeendigung durch Sectio caesarea.
Kontraindikationen
• egelmäßige Wehen.
R
• lacenta praevia.
P
• orzeitige Plazentalösung.
V
• uerlage oder Mehrlinge mit vorangehendem Kind in BEL oder Querlage.
Q
• abelschnurvorliegen oder -vorfall.
N
• orausgegangene Sectio (außer mit Querschnitt im unteren Uterinsegment)
V
oder Z. n. transmuraler Uterotomie z. B. Myomektomie.
• bsolutes Kopf-Becken-Missverhältnis.
A
• gf. Allergie gegen PG-Präparate.
G
• gf. mütterlicher Status asthmaticus in der Vorgeschichte.
G
• anifestes Amnioninfektionssy.
M
316 6 Geburt
6.14 Pathologische Nachgeburtsperiode
Ursachen und Risiken für verstärkte postpartale Blutungen
• G
roße Episiotomien, Verletzung von Scheide, Zervix, Damm.
• U
terusruptur.
• U
terusatonie bei:
– Allgemeinanästhesie mit halogenisierten Kohlenwasserstoffen.
– Überdehnung des Uterus (Mehrlingsschwangerschaft, Polyhydramni-
on, Makrosomie).
– Uterusanomalien (Myome, Fehlbildungen, Z. n. Sectio).
– Protrahierte Geburt.
– Raschem Geburtsverlauf (uterine Hyperaktivität).
– Weheninduktion.
– Hoher Parität.
– Adipositas.
– Vorangegangener Uterusatonie.
– Chorioamnionitis.
– Tiefer Plazentaimplantation (Placenta praevia, Placenta accreta, incre-
ta, percreta).
• G
erinnungsstörungen.
6.14.1 Uterusatonie
Definition
Blutung p. p. aus nicht kontrahiertem Uterus nach vollständiger Ausstoßung der
Plazenta.
Ursachen 6
Vorausgegangene atonische Nachblu- Uterus tief umfassen,
tungen (▶ Abb. 6.21), Mehrlinge, Ma ausdrücken, evtl.
krosomie, Polyhydramnion, protrahier- festhalten
te Geburt.
Diagnostik
Postpartale Blutung > 500 ml, großer,
schlaffer Uterus, Z. n. vollständig ausge-
stoßener Plazenta (keine Gefäßabrisse
am Plazentarand oder in den Eihäuten,
kein zurückgebliebener Plazentarest
von mind. Bohnengröße).
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
• E ntleerung der Harnblase. Abb. 6.21 Atonische Nachblutung nach
vollständiger Plazentaausstoßung: Der
• E isblase auf den Uterus legen. mit Blutkoageln angefüllte Uterus wird
• C redé-Handgriff: Hochziehen und mit dem Credé-Handgriff ausgedrückt
Kompression des Uterus zwischen und gehalten. [L157]
318 6 Geburt
den dorsal den Fundus umgreifenden Fingern und dem ventral aufliegenden
Daumen der externen Hand (▶ Abb. 6.21).
• H amilton-Handgriff: Hochdrücken des Uterus und bimanuelle Kompression
zwischen der internen Faust im vorderen Scheidengewölbe und der externen
Hand hinter dem Fundus.
Medikamentöse Maßnahmen
• 1 0–20 IE (bis max. 40 IE) Oxytocin (z. B. Sytocinon®) z. B. in mind. 50 ml
NaCl und/oder 0,2–0,4 mg (max. 0,5 mg) Methylergometrin (z. B. Mether-
gin®) z. B. in mind. 50 ml NaCl
oder
• P rostaglandine (PG) systemisch: PGE2-Derivat Sulproston i. v. (Nalador®)
500 μg auf 500 ml NaCl 0,9 % = 1,7 μg/ml, bis 8,3 μg/Min. entspricht 100–
500 ml/h, max. Gesamtdosis 1.500 μg/d. Cave: Glukose inaktiviert Sulproston!
Falls die Blutung nicht sistiert:
• S ulproston-Tropf kurzfristig bis auf 1.000 ml/h erhöhen.
• Ü bliche Maßnahmen wie Katheterisierung, Eisblase.
• S chockbekämpfung mit Plasmaexpandern, Humanalbumin, evtl. EK, FFP
▶ 3.5.
Blutet es weiter: Spekulumeinstellung und Versorgung eines häufig begleitend
auftretenden Zervix-Scheidenrisses, Gerinnungsdiag. (Thrombozyten, INR, PTT,
Fibrinogen, AT III), Nachtastung und Kürettage in Narkose. Wenn erfolglos:
• V orübergehende manuelle Uteruskompression, um A. uterina abzuklemmen:
Die in die Vagina eingeführte Hand komprimiert die Cervix uteri, während
die andere das schlaffe Corpus uteri umfasst.
• F alls immer noch ohne Erfolg vorübergehende Aortenkompression bis Hys-
terektomie oder vergleichbare Maßnahme durchführbar (Ligatur der Aa. ute-
rinae, der Aa. iliacae internae oder Kompressionsnaht des Fundus uteri), par-
allel zur Atoniebehandlung intensive Schockther. einleiten (▶ 3.5).
• K I wie kardiale Anamnese mit Sensationen bei Kontraktionsmittelgabe be-
6 achten. Kein Sekundenbolus!
Einteilung
• I . Grad: Hauteinriss (meist an der hinteren Kommissur) von Introitus,
Scheide und Damm ohne Verletzung der Dammmuskulatur.
6.14 Pathologische Nachgeburtsperiode 319
6.14.3 Plazentalösungsstörungen
Wichtigste Störungen sind die Retentio placentae totalis oder partialis ohne
Blutung (> 25 Min.) oder mit Blutung (> 200 ml p. p.).
Ursachen
• P lacenta adhaerens: Bei mangelhafter Kontraktionsfähigkeit des Uterus
(= funktionelle Ursache).
• P lacenta accreta: z. B. bei Z. n. energischer Kürettage oder nach fiebriger
Fehlgeburt.
6.15 Fruchtwasserembolie
Definition Seltene, mit hoher Gefährdung der Mutter einhergehende KO im
Entbindungsverlauf oder im frühen Wochenbett durch Einstrom von FW in die
mütterliche Blutbahn mit Vasokonstriktion, Verlegung der Lungenmikrostrom-
bahn und anaphylaktischem Schock. Häufigkeit 1 : 30.000–1 : 80.000 Geburten.
Ursachen Verletzung des mütterlichen Genitaltrakts (Schnittentbindung, Ute-
rusruptur, hoher Scheidenriss, Zervixriss), partielle Plazentalösung, Wehenmit-
telüberdosierung, gewaltsames Kristellern.
Klinik
• L eitsymptom: Schock ohne erkennbare Ursache etwa 2 Min. bis 4 h nach Ein-
6 strom von FW in den mütterlichen Kreislauf.
• D yspnoe, Angst und Beklemmung, evtl. Bewusstseinsverlust, Krampfanfälle,
Uterusatonie, Rechtsherzinsuff., Verbrauchskoagulopathie, Anurie.
Differenzialdiagnosen Lungenembolie, Spontanpneumothorax, eklamptischer
oder epileptischer Anfall, Uterusruptur, atonische Nachblutung oder akutes
Herzversagen anderer Genese.
Therapie
• Intensivüberwachung, Schockbekämpfung (▶ 3.5), Überdruckbeatmung, evtl.
Adrenalingabe.
• Z VK, Volumensubstitution in Abhängigkeit vom ZVD (▶ 2.7).
• H erzglykoside.
• K ortikoide, z. B. Prednisolon max. 1.000 mg i. v. (z. B. Solu-Decortin H®).
• A zidoseausgleich.
• U terotonika bei uteriner Atonie (▶ 6.14.1).
• E vtl. EK, Thrombozytenkonzentrate, FFP, Low-Dose-Heparin unter INR-,
PTT-Kontrolle.
7 Geburtshilfliche Operationen
Kay Goerke
Wie bei allen Eingriffen bedürfen auch geburtshilfliche Operationen der Auf-
klärung und des Einverständnisses. Zeichnet sich unter der Geburt die Möglich-
keit ab, dass ein op. Eingriff notwendig wird, muss der Geburtshelfer die Pat.
über alternative op. Entbindungsverfahren aufklären. Je früher dies geschieht,
umso eher ist sie noch einwilligungsfähig und eine Risikoabwägung möglich.
Bei Grenzsituationen (z. B. hoher kindlicher Kopf) umfasst die Aufklärung die
geburtshilflichen Methoden Vakuum, Zange und Sectio sowie die jeweiligen
Gefahren für Mutter und Kind. Zwischen juristischen Forderungen und ge-
burtshilflicher Realität besteht eine erhebliche Diskrepanz. Es gilt der Grund-
satz: Je dringlicher die Situation ist, umso kürzer ist die Aufklärung. Die münd-
liche Aufklärung sollte immer vor Zeugen (z. B. Hebamme) erfolgen und im
Krankenblatt dokumentiert werden. Bewährt hat sich eine Basisinformation
über vaginale und abdominelle geburtshilfliche Eingriffe, z. B. im Rahmen ei-
ner vorgeburtlichen Aufklärung.
7.1 Episiotomie (Dammschnitt)
Wie bei jedem Eingriff strenge Indikationsstellung, eine Deszensus- oder In-
kontinenzprophylaxe ist nicht bewiesen. Höhere DR-III-IV-Raten nach Epi-
siotomie!
Indikationen
• Straffe Weichteile.
• Frühgeburt (durch die Episiotomie wird der Druck auf den Kopf reduziert).
• Ungünstige Durchtrittsebene (Deflexionslagen ▶ 6.5.3).
• BEL-Entbindung (▶ 6.5.1, ▶ 7.3).
• Abkürzung der Pressperiode bei hypoxieverdächtigem CTG.
• Bei jeder vag.-op. Entbindung (▶ 7.2).
Vorbereitung Analgesie durch Pudendusblockade (▶ 6.3.4) oder Lokalinfiltration
(▶ 6.3.6). Durchführung zum Wehenhöhepunkt, da dann am wenigsten schmerz-
haft. Möglichst nur mediane Episiotomie, da weniger Beschwerden, geringere Blu-
7 tung (oder Blutverlust), bessere Heilung, weniger Spätfolgen wie z. B. Dyspareunie.
Durchführung Spaltung des Damms mit der Dammschere von der hinteren
Kommissur ausgehend in der bindegewebigen Raphe, anatomisch am günstigsten
(▶ Abb. 7.1).
Mm. transversi
perinei
M. bulbospongiosus
lateral
Mediolaterale Episiotomie
Vorteile Erweiterungsmöglichkeit zur Seite. Dammriss III. Grades kommt selte-
ner vor.
Nachteile Größerer Blutverlust (von der Seite kommende Gefäße werden durch-
schnitten). Schlechtere Wundheilung; häufiger Schmerzen (Durchtrennen von
Nerven), Hämatome und Inf. Schwierigere Naht, besonders bei zusätzlichem
Dammriss III. Grades.
Durchführung Ausgehend von der hinteren Kommissur in gerader Linie in ei-
nem Winkel von 45° nach lateral schneiden. Dabei Durchtrennen des M. bulbo
spongiosus und des M. transversus perinei superficialis. Ausgedehnt reicht die
mediolaterale Episiotomie bis in die Fossa ischiorectalis mit dadurch häufiger ein-
hergehenden Wundheilungsstörungen.
Laterale Episiotomie
Schnittführung ca. 2 cm neben der Mittellinie nach re/li obsolet! 7
7.1.2 Naht der Episiotomie
Mit der Naht (▶ Abb. 7.2 und ▶ Abb. 7.3) möglichst bald nach der Plazenta-
geburt beginnen (cave: Blutverlust; noch vorhandene Anästhesie, z. B. bei
Pudendusblockade, ausnutzen). Die Nahttechnik ist bei allen Episiotomien
ähnlich, bei der mediolateralen wegen der schräg verlaufenden und asymme-
trisch klaffenden Schnittwunde aber schwieriger.
Anästhesie
Günstig ist die Naht bei bestehender Peridural- oder Spinalanästhesie. Sonst nach
Wunddesinfektion Infiltration der Wunde mit 15–20 ml eines Lokalanästheti-
324 7 Geburtshilfliche Operationen
kums wie Mepivacain 1 % (z. B. Scandicain®, ▶ 6.3.6). Höchstdosis bis 60 ml 0,5 %
bzw. bis 30 ml 1 % bzw. bis 15 ml 2 % bei ca. 70 kg.
Nahtmaterial
Vorzugsweise synthetische, resorbierbare Fäden (z. B. Vicryl Rapid®, geringe Ge-
webereaktion). Die Wundheilung ist umso besser, je weniger Nahtmaterial ver-
wendet wird. Fadenstärke für Scheidenhaut und tiefe Dammschichten 3–0; Haut,
Rektum und M. sphincter ani externus 3–0 oder 4–0; bei Labienrissen 3–0 oder
2–0.
Vorbereitung
• Lagerung der Beine auf Beinhaltern,
Abdecken von Beinen und Anus
mit sterilen Tüchern und Desinfek-
tion des äußeren Genitales (z. B. mit
Octenisept®).
• Digitale Austastung des Rektums
auf Verletzungen. Sorgfältige Ins-
pektion der Scheide, bei V. a. Zer-
vixverletzungen (schnelle Eröff-
nungsperiode, verstärkte Nachblu-
tung, Atonie) sowie nach vag.-op.
Entbindungen Spekulumeinstellung
(▶ 6.14.2).
• Wenn Läsionen ausgeschlossen
sind, sterilen, dicken Tampon hoch
in die Scheide einführen, um aus
dem Uterus laufendes Blut aufzu-
Abb. 7.2 Naht der Episiotomie [L157]
fangen und die Scheide aufzusprei-
zen.
Naht
Scheidenhaut
Als fortlaufende überwendliche Naht oder als Einzelknopfnaht möglich. Wichtig:
7 Obersten Stich oberhalb des oberen Wundwinkels legen, um evtl. retrahierte Ge-
fäße zu unterbinden (Cave: Hämatom). Bei beiden Nahttechniken sollen die Sti-
che beidseits ca. 1 cm Scheidenhaut fassen und bis zum Wundgrund reichen (Tot
raumvermeidung), Stichabstand ca. 1 cm. Den letzten Stich ca. 1 cm vor dem Hy-
menalsaum legen.
Tiefe Dammschichten
Ebenfalls fortlaufend oder als Einzelknopfnaht. Vereinigung der tiefen Damm-
schichten mit 3–5 Stichen. Für eine symmetrische Adaptation eignet sich die un-
terschiedliche Hautpigmentierung als Markierung. Bei der fortlaufenden Naht
sollte nur eine leichte Adaptation erreicht sein. Bei der Einzelknopfnaht erfolgt
der Einstich direkt unter der Haut, um eine sorgfältige Adaptation der Wundrän-
der zu erzielen.
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 325
Haut
Bei fortlaufender Naht wird zunächst die Subkutis fortlaufend vom Hymenalsaum
ausgehend verschlossen (Fadenende ca. 10 cm lang lassen und anklemmen), beim
letzten Ausstich Mitfassen des Koriums und Rückführung der Naht intrakutan im
Korium zum Hymenalsaum. Die Fadenenden miteinander verknoten. Einzel-
knopfnähte werden bei vorher gut adaptierten Wundrändern vom Hymenalsaum
ausgehend in einem Abstand von ca. 1 cm angelegt (nicht zu fest anziehen). Bei
intrakutan versorgten Episiotomien deutlich niedrigere KO-Rate!
Am Ende der Naht den Tampon aus der Scheide entfernen, nochmalige digitale
Austastung des Rektums auf Verletzungen (Durchstechungen bei der Naht) und
Kontrolle des Fundusstands.
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 7
7.2.1 Voraussetzungen und Vorbereitung
Voraussetzungen Schädellage, MM vollständig eröffnet, Höhenstand des größ-
ten Durchmessers des Kopfes zumindest auf Interspinalebene (besser auf Becken-
boden), eröffnete Fruchtblase, Ausschluss eines Missverhältnisses zwischen Kopf
und Beckenausgang durch Tastuntersuchung, Beherrschung der gewählten Tech-
nik, Aufklärung der Pat. über alternative op. Behandlungsverfahren, ausreichende
Analgesie.
Vorbereitung
• Lagerung der Mutter im Querbett, Beine auf Beinhaltern, für Ausgleich der
Lendenlordose („Abwehrlordose“) sorgen, da sonst eine starke Krümmung
des Geburtskanals resultiert.
326 7 Geburtshilfliche Operationen
Kontraindikationen
• Unvollständige MM-Öffnung.
• Höhenstand der Leitstelle:
– über 0 bei Hinterhauptseinstellung.
– über +2 und querverlaufende Pfeilnaht.
– über +2 bei Deflexionshaltung.
• Verdacht auf zephalopelvines Missverhältnis.
• Makrosomie des Kindes bei protrahierter Geburt (4.200–4.500 g).
Prim. als schwer einzuschätzende Entbindungen aus Beckenmitte sollten bei aku-
ter fetaler Bedrohung (persistierende fetale Bradykardie) unbedingt unterbleiben.
In Grenzsituationen ist die sofortige Sectio vorzunehmen, insb. bei ungünstigen
Zusatzbedingungen (fetale Wachstumsretardierung, Plazentainsuff. usw.). Wird
7 während der Operation eine Fehlbeurteilung des Höhenstands oder der Einstel-
lung des Kopfes erkannt, müssen die organisatorischen Voraussetzungen für die
sofortige Durchführung einer Notfallsectio erfüllt sein.
7.2.2 Vakuumextraktion (Saugglocke)
Indikationen Fetale Hypoxie, Wehenschwäche, Erschöpfung der Mutter, Herz-
vitien der Mutter, Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode.
Vorbereitung ▶ 6.2.1.
Durchführung
• Spreizen der Labien zur Darstellung des Introitus vaginae.
• Auswahl der größtmöglichen Glocke (60, 50 oder 40 mm).
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 327
• Glocke schräg unter Schutz von Urethra und Klitoris einführen, dazu den
Damm nach hinten drücken, Aufsetzen der Glocke über dem Teil des Kopfes,
der sich nach vorne drehen und die Führung übernehmen soll, i. d. R. also
über der kleinen Fontanelle.
• Tastuntersuchung, ob kein mütterliches Gewebe in der Glocke miterfasst wurde.
• Erhöhen des Unterdrucks auf 2 m Wassersäule (= 0,2 kg/cm2).
• Nachtastung zur Kontrolle des korrekten Sitzes der Glocke über dem Kopf
und zum Ausschluss von mütterlichen Weichteileinklemmungen.
• Sog langsam auf 8 m Wassersäule
(= 0,8