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Klinikleitfaden
Gynäkologie
Geburtshilfe
8. Auflage
Herausgeber:
Dr. med. Kay Goerke, Schwetzingen
Dr. med. Joachim Steller MBA, Titisee-Neustadt
Dr. med. Axel Valet, Herborn/Dillenburg
Weitere Autoren: Prof. Dr. med. Arno J. Dormann, Köln; Dr. med. Volker Duda, Marburg;
Prof. Dr. med. Gisela Enders, Stuttgart; Dr. med. Jan-Bernd Jürgens, Titisee-Neustadt;
Dr. med. Franz Koettnitz, Delfzijl, Niederlande; Prof. Dr. med. Marcus Krüger, Freiburg/
Breisgau; PD Dr. med. Michael Löttge, Magdeburg; Prof. Dr. med. Uwe Wagner, Marburg
Zuschriften an:
Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Hackerbrücke 6, 80335 München
E-Mail medizin@elsevier.de
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb
der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und
strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die
Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatika-
lisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer
gemeint.
unseren Autoren für das damit verbundene große Engagement. Nicht zuletzt be-
danken wir uns bei allen Lesern recht herzlich, die mit ihren Rückmeldungen und
ihrer Kritik ganz wesentlich zur Aktualisierung des Buchs und zur Berücksichti-
gung der Nutzerinteressen beigetragen haben.
Danksagung
Für die hilfreiche Kritik und die zahlreichen Anregungen bei der Realisierung des
Klinikleitfaden Gynäkologie Geburtshilfe bedanken wir uns bei:
• Frau Prof. Dr. med. Gisela Enders, Institut für Virologie, Infektiologie und
Epidemiologie Prof. G. Enders & Partner, Stuttgart, für ihre stets kompetente
und fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Kapitels „Infektionen in
graviditate“ sowie für ihre erneute umfangreiche Neubearbeitung des Kapitels
• Herrn Oberarzt Dr. Jan Jürgens, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshil-
fe, HELIOS Klinik Titisee-Neustadt, für die Bearbeitung des Kapitels „Fetale
Herzrhythmusstörungen“
• Herrn Dr. Alexander Benner, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, HELIOS
Klinik Titisee-Neustadt, für seine Ratschläge im Bereich der Intensivmedizin
• Herrn Oberarzt Prof. Dr. med. Marcus Krüger, Zentrum für Kinderheilkunde
und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, für die umfassende
Überarbeitung des Kapitels „Neonatologie“
• Herrn PD Dr. med. Dr. h.c. Michael Löttge, Chefarzt der Klinik für Frauen-
heilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Magdeburg, für die fachlich kompe-
tente Bearbeitung der Urogynäkologie
• Herrn Prof. Dr. Peyman Hadji, Leiter des Schwerpunkts Gynäkologische En-
dokrinologie, Reproduktionsmedizin und Osteologie, Klinik für Gynäkologie,
Endokrinologie und Onkologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg,
Standort Marburg, für die Unterstützung bei allen Fragen zum Thema Osteo-
porose.
Für die kompetente Mitarbeit bedanken wir uns weiterhin bei Herrn Prof. Dr.
med. Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik, DRK Klinikum Berlin, bei
Frau Dr. Friederike Siedentopf, Berlin, bei Herrn Dr. Thomas Beerboom, Her-
born, sowie bei allen Mitautorinnen und Mitautoren.
Außerdem danken wir Frau Karin Beifuss für die kompetente Redaktion und Frau
Petra Schwarz, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München, für das Lekto-
rat und die konstruktive Zusammenarbeit.
Ganz herzlich bedanken möchten wir uns für die hilfsbereite Unterstützung durch
unsere Partnerinnen Gabriele Schmitz-Ziegler, Christina Steller und Regina Schula.
unseren Autoren für das damit verbundene große Engagement. Nicht zuletzt be-
danken wir uns bei allen Lesern recht herzlich, die mit ihren Rückmeldungen und
ihrer Kritik ganz wesentlich zur Aktualisierung des Buchs und zur Berücksichti-
gung der Nutzerinteressen beigetragen haben.
Danksagung
Für die hilfreiche Kritik und die zahlreichen Anregungen bei der Realisierung des
Klinikleitfaden Gynäkologie Geburtshilfe bedanken wir uns bei:
• Frau Prof. Dr. med. Gisela Enders, Institut für Virologie, Infektiologie und
Epidemiologie Prof. G. Enders & Partner, Stuttgart, für ihre stets kompetente
und fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Kapitels „Infektionen in
graviditate“ sowie für ihre erneute umfangreiche Neubearbeitung des Kapitels
• Herrn Oberarzt Dr. Jan Jürgens, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshil-
fe, HELIOS Klinik Titisee-Neustadt, für die Bearbeitung des Kapitels „Fetale
Herzrhythmusstörungen“
• Herrn Dr. Alexander Benner, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, HELIOS
Klinik Titisee-Neustadt, für seine Ratschläge im Bereich der Intensivmedizin
• Herrn Oberarzt Prof. Dr. med. Marcus Krüger, Zentrum für Kinderheilkunde
und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Freiburg, für die umfassende
Überarbeitung des Kapitels „Neonatologie“
• Herrn PD Dr. med. Dr. h.c. Michael Löttge, Chefarzt der Klinik für Frauen-
heilkunde und Geburtshilfe, Klinikum Magdeburg, für die fachlich kompe-
tente Bearbeitung der Urogynäkologie
• Herrn Prof. Dr. Peyman Hadji, Leiter des Schwerpunkts Gynäkologische En-
dokrinologie, Reproduktionsmedizin und Osteologie, Klinik für Gynäkologie,
Endokrinologie und Onkologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg,
Standort Marburg, für die Unterstützung bei allen Fragen zum Thema Osteo-
porose.
Für die kompetente Mitarbeit bedanken wir uns weiterhin bei Herrn Prof. Dr.
med. Heribert Kentenich, Chefarzt der Frauenklinik, DRK Klinikum Berlin, bei
Frau Dr. Friederike Siedentopf, Berlin, bei Herrn Dr. Thomas Beerboom, Her-
born, sowie bei allen Mitautorinnen und Mitautoren.
Außerdem danken wir Frau Karin Beifuss für die kompetente Redaktion und Frau
Petra Schwarz, Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, München, für das Lekto-
rat und die konstruktive Zusammenarbeit.
Ganz herzlich bedanken möchten wir uns für die hilfsbereite Unterstützung durch
unsere Partnerinnen Gabriele Schmitz-Ziegler, Christina Steller und Regina Schula.
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im
Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern. Alle nicht besonders
gekennzeichneten Grafiken und Abbildungen © Elsevier GmbH, München.
Abbildungsnachweis
Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im
Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern. Alle nicht besonders
gekennzeichneten Grafiken und Abbildungen © Elsevier GmbH, München.
Warnhinweise
CT Computertomogramm F
CTG Kardiotokografie
CVS chorionic villi sampling F Frauen, Faktor
(Chorionzottenbiopsie) Fe Ferrum, Eisen
FFP Fresh Frozen Plasma
D FG Frühgeborenes
FHF fetale Herzfrequenz
d die; Tag FL Femurdiaphysenlänge
DD Differenzialdiagnose FP Follikelphase
DEGUM Deutsche Gesellschaft für FOD frontookzipitaler
Ultraschall in der Medizin Durchmesser
desc. descendens FTA Fluoreszenz-Treponemen-
d. h. das heißt Antikörper-Test
DHEA-S Dehydroepiandrosteron- 5-FU 5-Fluorouracil
Sulfat FW Fruchtwasser
Diab. mell. Diabetes mellitus
Diagn. Diagnostik, Diagnose G
DIP Dezeleration, Absinken der
fetalen Herzfrequenz G1–3 Grading (Einteilung der
DK Dauerkatheter histologischen Differenzie-
DNA Desoxyribonukleinsäure rung eines Tumors)
Drg. Dragee/-s Gew. Gewicht
GFR glomeruläre Filtrationsrate
E GG Geburtsgewicht
ggf. gegebenenfalls
E2 Estradiol GHD Gesamtherddosis
E3 Estriol GIT Gastrointestinaltrakt
EBV Epstein-Barr-Virus GKV gesetzliche Krankenversiche-
Echo Echokardiografie rung
EE Ethinylestradiol GN Glomerulonephritis
EGT errechneter Geburtstermin GnRH Gonadotropin-Releasing-
EIA Enzymimmunoassay Hormon
E’lyte Elektrolyte GOT Glutamat-Oxalacetat-Transa-
EK Erythrozytenkonzentrat minase
EKG Elektrokardiogramm GPT Glutamat-Pyruvat-Transami-
EP Eröffnungsperiode nase
E’phorese Elektrophorese Grav. Gravidität
EPH Edema + Proteinurie + GSG Gesundheitsstrukturgesetz
Hypertonie GV Geschlechtsverkehr
ER Östrogenrezeptor Gy Gray (Radiother.)
Erkr. Erkrankung gyn. gynäkologisch
Erw. Erwachsene/r γ-GT Gamma-Glutamyl-
Ery Erythrozyten(-konzentrati- Transferase
on)
ET Embryotransfer H
EUG Extrauteringravidität
evtl. eventuell h hora; Stunde
EZ Ernährungszustand HAH Hämagglutinationshemmtest
Hb Hämoglobin
HbF fetales Hämoglobin
Abkürzungen XI
1.1 atientenaufnahme 3
P 1.6 Sterben und Tod einer
1.1.1 Spezielle gynäkologische atientin 24
P
Anamnese 3 1.6.1 Die sterbende Patientin 24
1.1.2 Spezielle geburtshilfliche 1.6.2 Totenbescheinigung
Anamnese 3 (Leichenschauschein) 24
1.1.3 Weiteres Vorgehen 4 1.6.3 Totgeburt 25
1.2 Untersuchungen 6 1.6.4 Obduktion 25
1.2.1 Allgemeine körperliche 1.7 Die Problempatientin 26
Untersuchung 6 1.7.1 Alkoholabhängigkeit
1.2.2 Gynäkologische Unter und Entzugsdelir 26
suchung 9 1.7.2 Die suizidgefährdete
1.2.3 Perkussion und Auskultation Patientin 28
von Herz und Lunge 11 1.7.3 Die verwirrte Patientin 29
1.2.4 Neurologische Unter 1.8 Meldepflichtige Infektions-
suchung 13 krankheiten 29
1.2.5 Verhalten in Krisensituationen 1.8.1 Deutschland 29
des Arzt-Patient-Verhältnisses 1.8.2 Österreich 30
in Klinik und Praxis 15 1.8.3 Schweiz 30
1.3 Rezeptausstellung 17 1.9 Multiresistente Erreger
1.3.1 Betäubungsmittelver (MRE) 31
ordnung 17 1.10 Prophylaxe nach beruflicher
1.4 Arzneimitteleinnahme vor HIV- oder Hepatitis-
geplanten Operationen 19 Exposition 33
1.5 Die Entlassung der 1.10.1 Vorgehen nach
Patientin 21 HIV-Exposition 33
1.5.1 Die Entlassung 21 1.10.2 Vorgehen nach
1.5.2 Der gynäkologische HBV-Exposition 34
Arztbrief 22 1.10.3 Hepatitis C 35
1.5.3 Der geburtshilfliche
Arztbrief 23
1.5.4 Poststationäre Angebote 23
1.11 Abrechnungsmodalitäten 35
1.11.1 Wichtigste gynäkologisch-
geburtshilfliche ICD-10-
Ziffern 35
1.11.2 DRG-relevante Neben
diagnosen: Hitliste 48
1.1 Patientenaufnahme 3
1.1 Patientenaufnahme
Bei der Anamneseerhebung ist zu beachten, dass gynäkologische Probleme in
ganz besonderem Maße die Intimsphäre tangieren. Für die gynäkologische Ana-
1
mnese bedarf es eines vertraulichen Verhältnisses zwischen Arzt und Pat. Im Ide-
alfall ist der Untersucher bei der Anamnese mit der Pat. allein.
1.1.3 Weiteres Vorgehen
Nach der Aufnahmeuntersuchung (▶ 1.2) muss entschieden werden über:
Bettruhe
• Absolute Bettruhe: z. B. bei Blutungen in der Schwangerschaft, vorzeitiger
Wehentätigkeit, Lungenembolie.
• Keine Ind.: Thrombophlebitis, Pneumonie, alte Pat., tiefe Beinvenenthrom-
bose, entgleister Diab. mell.
Nahrungskarenz
Nahrungskarenz, solange dringender op. Eingriff nicht ausgeschlossen ist (z. B.
bei EUG-Verdacht) oder geburtshilflicher Eingriff unmittelbar ansteht.
Diät
Eine besondere Diät ist indiziert bei Diab. mell. (Standard = 14 BE; Diabetes in
grav. ▶ 3.4), Hypertonie, Niereninsuff., Fettstoffwechselstörungen, Gicht, Pankre-
atitis.
• Diät bei Adipositas: Behandlungspflichtig sind die mittelschwere und schwe-
re Adipositas. Body-Mass-Index: kg KG/(Körpergröße in m)2, Normal F: 18–
25. Zur Einleitung der Gewichtsreduktion 300–1.000 kcal Diät als ballaststoff-
reiche Mischkost, ggf. mit Vit.-Supplement. Strenge Ind.-Stellung für Null-
Diät, da KO-reich. Ideal ist kontinuierliche, schonende Gewichtsabnahme.
Keine Extremdiäten, z. B. nur Eiweiß. Langfristig tolerierbar ist faserreiche,
vitaminreiche Reduktionskost mit mind. 50 g Eiweiß und 100 g Kohlenhydra-
ten pro Tag (keine Gewichtsreduktion in der Grav.; Ernährung in der
Schwangerschaft ▶ 5.3.2).
• Schonkost: Ein Großteil der früher üblichen „Schonkosten“ bei gastrointesti-
nalen Erkr. ist obsolet.
Parenterale Ernährung ▶ 2.7.
Thromboseprophylaxe
Zur Thromboseprophylaxe in der Klinik haben sich heute allg. die niedermoleku-
laren Heparine (NMH) durchgesetzt (▶ Tab. 1.1). Sie werden auch in der Schwan-
gerschaft gut vertragen und rufen nur selten NW hervor. Heparin ist nicht plazen-
tagängig. Hinweise auf teratogene oder embryotoxische Risiken liegen nicht vor.
Normale Schwangerschaft ist keine Kontraindikation. Strenge Ind.-Stellung bei
Abortus imminens. NMH geht in geringem Maße in die Muttermilch über. Ein
gerinnungshemmender Effekt auf den Säugling ist nicht wahrscheinlich. Dauer
und Dosierung der Prophylaxe richten sich nach individuellem Risiko, hereditä-
rer oder erworbener Thromboseneigung. Bei Schwangeren mit mittlerem Risiko
sollte die Anwendung von NMH 10–12 h vor der Geburt, vor Weheninduktion
1.1 Patientenaufnahme 5
Psychopharmaka, Antiepileptika
▶ 5.21.21 und ▶ 5.21.8.
Abführmittel
Der Wahl im Krankenhaus sind z. B.
6 1 Tipps für die Stationsarbeit
2–4 h.
• Laxanzien in Schwangerschaft und Stillperiode ▶ 5.21.18.
Ist die Pat. blind oder schwerhörig, Personal informieren, sich immer vor-
stellen, deutlich artikulieren.
3. Stufe
Starke Opioide
2. Stufe plus/minus
nicht-opiathaltige Analgetika
Nicht-Opioide
1. Stufe plus • Morphin (z.B. MST,
„schwache” Opioide Sevredol®)
Nicht-Opioide initial ab 10 mg austitrieren
• Tramadol (z.B. Tramal®) retardierte Dosis alle 8 h
50–100 mg/4 h • Hydromorphon (z.B.
retardiert: 100–200 mg/8 h Palladon®)
• Tilidin+Naloxon (z.B. ab 4 mg/8–12 h
• Ibuprofen (z.B. Imbun®) Valoron®) • Buprenorphin(Transtec)-
4–6 x 400 mg 50–100 mg/4 h Pflaster
• Metamizol (z.B. retardiert: 100–200 mg/8 h 35–70 ug/h, Wechsel alle
Novalgin®) • Dihydrocodein ret. (z.B. 48–72 h
4–6 x 500–1000 mg DHC®) • Buprenorphin Sublingualtbl.
• Paracetamol (z.B. PCM®) 60–180 mg/8–12 h initial ab 0,2–0,4 mg/6–8 h
4–6 x 1000 mg • Buprenorphin • Fentanyl (Durogesic)-
• Flupirtin (z.B. Katadolon®) (Transtec)-Pflaster Pflaster
3 x 100–200 mg 35–70 ug/h, Wechsel alle 25–400 ug/h, Wechsel alle
48–72 h 48–72 h
Abb. 1.1 Stufenschema der WHO für Tumorschmerz (auch anwendbar für nicht
maligne Schmerzen): Bei Akutschmerz Bedarfsmedikation rektal, i. v. oder oral.
Bei chron. Schmerz fest nach Zeitschema, Dosierungsintervalle nach Pharmakoki
netik. Applikation rektal oder oral, nur ausnahmsweise parenteral, i. m. Injektion
möglichst vermeiden [L157]
1.2 Untersuchungen
1.2.1 Allgemeine körperliche Untersuchung
Allgemeines
• Allgemein-(AZ) und Ernährungszustand (EZ): jeweils gut, reduziert oder
stark reduziert.
• Bewusstseinslage, Konzentrationsfähigkeit: Orientierung zu Raum, Zeit und
Person (Verwirrtheit ▶ 1.7.3), Kontaktfähigkeit, Körperhaltung. Diagn. und
Vorgehen bei Koma und Präkoma ▶ 3.6.
Hände
• Trommelschlägelfinger und Uhrglasnägel sprechen für chron. Hypoxämie.
• Ölfleck-, Tüpfel- und Krümelnägel bei Psoriasis.
• Braunfärbung an Endgliedern von D2 und D3 bei Raucherinnen.
• Palmarerythem (bei Lebererkr.).
• Dupuytren-Kontraktur: idiopathisch, Leberzirrhose, Alkoholismus, Epilepsie.
• Schwellungen im proximalen Interphalangealgelenk sprechen für rheumati-
sche Arthritis (meist mit Morgensteifigkeit und Ulnardeviation).
• Seitlich der distalen Interphalangealgelenke liegende Knötchen sprechen für
Arthrose (Heberden-Knötchen).
• Tremor bei chron. Alkoholismus, Hyperthyreose, Parkinsonismus, Leberaus-
fallkoma (Flapping Tremor ▶ 1.7.1, ▶ 3.6).
Thorax
Thoraxform (Fassthorax, Trichterbrust, Kyphoskoliose), Mammae und regionale
1 Lk inspizieren und palpieren (▶ 10.2.1), Lungenuntersuchung ▶ 1.2.3.
Abdomen
Inspektion
• Zeichen der Lebererkr.: „Abdominalglatze“, Venenzeichnung.
• Aufgetriebener Bauch: Faustregel zur DD „Fett, Fetus, Fäzes, Flatus (Luft),
Flüssigkeit (Aszites) und Tumor“.
• Pulsationen.
Palpation
• Im schmerzarmen Bereich beginnen. Druckschmerz, Resistenzen mit Ver-
schieblichkeit, Schmerz, Größe.
• Bauchdecken weich oder Abwehrspannung, Loslassschmerz, Bruchpforten.
• Leberpalpation: Größe, Konsistenz, Leberpulsation (Trikuspidalinsuff.),
Courvoisier-Zeichen (pralle, tastbare Gallenblase); hepatojugulärer Reflux
bei Leberpalpation, Lebermetastasen.
• Milzpalpation: wenn tastbar, bereits vergrößert, z. B. bei CML, Osteomyelo
sklerose, Speicherkrankheiten, hämolytischer Anämie, Inf.
Perkussion
• Lebergrenzen mit Kratzauskultation bestimmen.
• Klopfschall über Abdomen (tympanitisch, gedämpft).
• Ggf. Aszitesausdehnung abschätzen (Perkussion und Palpation der fortgelei-
teten Flüssigkeitswelle; Aszites).
Auskultation Darmgeräusche (DG) mit „Totenstille“ bei paralytischem Ileus
und gesteigerten, hoch gestellten, spritzenden, metallisch klingenden DG bei me-
chanischem Ileus.
Rektale Untersuchung Pat. in Linksseiten- oder Rückenlage, Beine angewinkelt.
Während Pat. presst, Zeigefinger in Handschuh oder Fingerling mit Gleitmittel
(z. B. Vaseline) unter leichter Drehung in Analkanal einführen.
1.2 Untersuchungen 9
Wirbelsäule
Angabe von Stauch- oder Klopfschmerz, Form (Kyphose, Lordose, Skoliose, Gib-
bus), Muskelverspannung, Beweglichkeit.
Extremitäten
Beweglichkeit (Spastik, Rigor, Zahnradphänomen), Gelenke (Rötung, Bewe-
gungsschmerz), trophische Störungen (z. B. Purpura jaune d‘ocre an den unteren
Extremitäten bei chron. venöser Insuff.), Temperatur und Umfang (im Seitenver-
gleich!), Ödeme, Varikosis (Gefäßerkr. ▶ 31.5).
Lymphknoten
Aurikulär, submandibulär, nuchal, zervikal, supra- und infraklavikulär, axillär,
inguinal, kubital, popliteal nach Lk tasten. Angaben über Lage, Form, Größe,
Oberfläche, Abgrenzbarkeit, Konsistenz, Verschieblichkeit, Schmerzhaftigkeit.
1.2.2 Gynäkologische Untersuchung
Vorbereitung
Untersuchung aus psychologischen, technischen und forensischen Gründen nur in
Anwesenheit einer weiblichen Hilfsperson (Krankenschwester, Arzthelferin). Vor der
Untersuchung sollte die Pat. die Blase entleeren, Urin für evtl. Diagn. zurückstellen.
Der Untersuchungsstuhl sollte mit einem Wandschirm teilweise abgedeckt sein (Dis-
kretion). Nach Entkleidung der Genitalregion (Ablegen von Slip und ggf. Hüfthalter,
erst später Entkleiden des Oberkörpers) Lagerung der Pat. auf dem Untersuchungs-
stuhl in Steinschnittlage. Schutz des Untersuchers und ggf. der Hilfsperson durch un-
durchlässige Einmalhandschuhe (bei Pat. mit Latexallergie latexfreie Handschuhe).
Inspektion
Bereits während der Anamnese auf äußere Besonderheiten achten (z. B. vermehr-
te Behaarung des Gesichts, Haaransatz am Kopf, Akne, Stimmmodulation).
10 1 Tipps für die Stationsarbeit
Abdomen Straff oder schlaff, adipös oder schlank, eingesunken oder aufgetrie-
ben, Hernien, Narben.
1 Äußeres Genitale
• Normaler und infantiler Status ▶ 18.2.
• Behaarungstypus: Begrenzung der Schambehaarung zum Nabel hin, Über-
greifen auf die Oberschenkel (Nomenklatur nach Tanner ▶ 18.3). Verminder-
te oder fehlende Behaarung.
• Weitere Virilisierungszeichen, Größe von Klitoris und kleinen Labien (▶ 17.5).
• Vulva: entzündliche Veränderungen wie Vulvitis, Bartholinitis, Kondylome,
Herpes genitalis, parasitäre Erkr. (▶ 11.3.7), Ulzera, Leukoplakien, Lichen
sclerosus (▶ 11.5), Vulvakarzinom (▶ 11.8), Narben, Verletzungen, Hämato-
me, Fehlbildungen, Bisexualität (▶ 18.7.6).
• Hymen intakt, Introitus klaffend, Hymenalatresie (▶ 18.7.1).
• Nach Spreizen der kleinen Labien lässt man die Pat. nach unten pressen: Her-
vortreten der vorderen oder hinteren Vaginalwand bei Zystozele oder Rekto-
zele, Prolaps des Uterus, Harninkontinenz (▶ 12.2).
Inneres Genitale Auswählen des Spekulums nach Introitusweite, schräges Ein-
führen des benetzten hinteren Rinnenspekulums bei 4:00 Uhr, anschließend Dre-
hung nach hinten um ca. 45°. Dann Einführen des vorderen Blattes. Selbsthalte-
spekula ebenfalls schräg einführen (schwieriger zu platzieren).
• Vaginalwände: Entzündungen, Ulzera, Tumoren (▶ 11.8, ▶ 11.9), Vaginalsep-
tum.
• Portio: Muttermundbeschaffenheit, vermehrte Absonderung, entzündliche
Reizung, Polypen, Erythroplakie, Leukoplakie, klinisches Ca (Exophyt, Ulkus,
Krater; ▶ 13.2.1).
Kolposkopie ▶ 13.2.2, Nativpräparat ▶ 12.2.3, Zytologie ▶ 13.2.3, spezielle Ab-
strichdiagn. ▶ 13.2.4, Schiller-Jodprobe ▶ 11.2.2.
Palpation
Nach Spreizen der Labien Einführen
des behandschuhten, angefeuchteten
Zeigefingers, bei ausreichend weiter
Vagina auch des Mittelfingers, mit
leichtem Druck in Richtung Damm.
Die äußere Hand liegt oberhalb der
Symphyse flach auf und drückt die
Bauchwand mit den Fingerbeeren des
2., 3. und 4. Fingers sanft gegen den zu
palpierenden Uterus bzw. gegen die
Adnexe (▶ Abb. 1.2).
• Vagina: mobil oder immobil, evtl.
Länge, Stenosen, Narbenspangen.
• Portio: Stand hoch oder tief, vorne
oder hinten, re oder li, Gestalt klo-
big oder zapfenförmig, Emmet-
Riss, Exophyt, Krater, Portioschie-
be- oder Elevationsschmerz
(▶ 14.1.1). Abb. 1.2 Bimanuelle Tastuntersuchung
zur Beurteilung der Adnexregion [L157]
1.2 Untersuchungen 11
Geburtshilfliche Untersuchung
Äußere Untersuchung ▶ 5.1.1, innere Untersuchung ▶ 5.1.2, Beckenmaße ▶ 5.1.3.
1. HT 2. HT
MÖT *
Mitralstenose
3. HT
Mitralinsuffizienz
4. HT
Aortenstenose
Aorteninsuffizienz
* = Mitralöffnungston
1.2.4 Neurologische Untersuchung
Muskeleigenreflexe
Monosynaptisch; Auslösung nach dem Alles-oder-nichts-Prinzip; keine Ermü-
dung. Bahnung (d. h. erleichterte Auslösung) durch Jendrassik-Handgriff (Finger-
hakeln mit sich selbst für die Beinreflexe bzw. Aufeinanderbeißen der Zähne für
die Armreflexe).
• Ein Reflex gilt nur als fehlend, wenn die Bahnung erfolglos war.
• Funktionsstörungen der Pyramidenbahnen führen zur Steigerung, peri-
phere Nervenschädigungen zur Abschwächung der Eigenreflexe.
• Patellarsehnenreflex (PSR, L2–L4): Schlag gegen das Lig. patellae 1 cm unter-
halb der Kniescheibe → Kontraktion des M. quadriceps femoris.
• Achillessehnenreflex (ASR, S1–S2): Schlag auf die Achillessehne, am besten
bei dorsalflektiertem Fuß → Plantarflexion des Fußes. Ausfall oft als erstes
Zeichen einer Polyneuropathie oder beim Bandscheibenvorfall.
14 1 Tipps für die Stationsarbeit
Fremdreflexe
Polysynaptisch; Lebhaftigkeit ist abhängig von Reizstärke; ermüdbar.
Der Verlust der Fremdreflexe ist ein feiner Indikator für eine Pyramiden-
bahnschädigung.
Pathologische Reflexe
Segment 1–2 (S) 3–4 (L) 5–6 (C) 5–6 (C) 7–8 (C)
* Ansteigende Folge der Segmentzahlen, wenn Reflexe am Körper von unten nach
oben getestet werden
Sensibilität
Allgemein: „-algesie“ = Schmerz, „-ästhesie“ = Empfindung. Pat. soll Reize mit
geschlossenen Augen erkennen.
1.2 Untersuchungen 15
Befunde
• Schmerzen.
• Parästhesie: Missempfindung, Kribbeln, Ameisenlaufen, Brennen, Taubheits-
gefühl.
• Dysästhesie: Empfindung einer falschen Modalität, z. B. Kälte als Schmerz.
• Anästhesie: fehlende Empfindung.
• Hyperästhesie: Überempfindlichkeit.
Nervendehnungsschmerz
• Lasègue: Gestrecktes Bein aus Rückenlage senkrecht anheben. Schmerzen bei
Wurzelirritation L5–S1 oder Meningitis.
• Kernig: Pat. liegt mit im Hüft- und Kniegelenk um 90° gebeugtem Bein auf
dem Rücken. Schmerzen beim Strecken des Beins senkrecht nach oben. Hin-
weis auf Wurzelirritation L5–S1 oder Meningitis.
• Umgekehrter Lasègue: Prüfung wie Lasègue, nur in Bauchlage. Wurzelrei-
zung L3–L4.
• Brudzinski: Bei passiver Kopfbewegung nach vorn kommt es bei meningea-
ler Reizung zu einem reflektorischen Anziehen der Beine.
• Lhermitte-Nackenbeugezeichen: Ruckartiges Beugen des Kopfes nach vorn
führt zu Dysästhesien in Armen und Rücken. Bei multipler Sklerose, HWS-
Trauma und Halsmarktumoren.
esprächs mit der Pat. über die Gründe für das Begehren. Bei Kenntnis
G
einer Schadensklage sofortige Information an die Haftpflichtversicherung.
• Konfrontation mit Schuldzuweisungen an andere Ärzte: 1
Häufigste Krisensituation, denen nachbehandelnde Ärzte gegenüberstehen.
Sensibilität ist gefragt. Es empfiehlt sich, ein neutrales Verhalten zu bewah-
ren, insb. bei Kenntnis über laufende Schadensklagen.
1.3 Rezeptausstellung
Die Verschreibung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln muss enthalten:
• Name, Berufsbezeichnung und Anschrift des Arztes/Tierarztes/Zahnarztes.
• Datum der Ausstellung.
• Name und Geburtsdatum der Pat.
• Bezeichnung des Fertigarzneimittels bzw. Wirkstoffs einschl. der Stärke.
– Bei Rezepturen die Zusammensetzung, bei Teilmengen die Bezeichnung
des Fertigarzneimittels.
• Darreichungsform.
• Abzugebende Menge.
• Gebrauchsanweisung bei Rezepturen, die in der Apotheke hergestellt werden.
• Gültigkeitsdauer der Verschreibung (Privatrezepte gelten ohne Angaben
3 Mon., Kassenrezepte sollten i. d. R. innerhalb von 4 Wo. eingelöst werden).
• Eigenhändige Unterschrift des Arztes/Tierarztes/Zahnarztes.
1.3.1 Betäubungsmittelverordnung
Die Novelle der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) hat die
Rezeptur von Betäubungsmitteln erheblich vereinfacht. Der Arzt (sowie Zahn-
und Tierarzt) darf für eine Pat. an einem Tag ein Betäubungsmittel bis zu der an-
gegebenen Höchstmenge (www.gesetze-im-internet.de/btmvv_1998/__2.html)
verordnen. Im Rahmen der festgesetzten Höchstmenge darf nur der Bedarf von
bis zu 30 Tagen, je Tag nicht mehr als 1⁄10 der Höchstmenge, verschrieben werden.
In Einzelfällen kann mehr als ein Betäubungsmittel verordnet, die jeweiligen
Höchstmengen und der Bedarf über 30 Tage hinaus überschritten werden (diese
Verordnung ist innerhalb von 30 Tagen der jeweiligen Länderbehörde schriftlich
anzuzeigen). BtM-Rezepte müssen innerhalb von 1 Wo. eingelöst werden. Substi-
tutionsmittel dürfen ab dem 1.7.2002 nur noch mit der Fachkunde „Suchtmedizi-
nische Grundversorgung“ verordnet werden.
Betäubungsmittelrezept
Die dreiteiligen amtlichen BtM-Rezepte (▶ Abb. 1.6; Blatt 1 und 3 zur Vorlage bei
der Apotheke, Blatt 2 muss vom ausstellenden Arzt 3 J. aufbewahrt werden) kön-
18 1 Tipps für die Stationsarbeit
techn. Datum
Betäubungsmittelanforderungsschein
Für den Stationsbedarf dürfen weiterhin alle Betäubungsmittel ohne Höchst-
mengen von den Abteilungsleitern und ihren Vertretern auf dem Betäubungsmit-
telanforderungsschein rezeptiert werden. Der Verbleib des BtM ist auf Karteikar-
ten oder in BtM-Büchern nachzuweisen (Bezugsquelle: Bundesinstitut für Arznei-
mittel und Medizinprodukte), die vom Arzt (z. B. Stationsarzt) mindestens 1×
monatlich überprüft werden müssen. Die Unterlagen sind 3 J. aufzubewahren.
Eine Verschreibung auf einem BtM-Anforderungsschein (▶ Abb. 1.7) muss fol-
gende Angaben enthalten (§ 11 Abs. 1):
1.4 Arzneimitteleinnahme vor geplanten Operationen 19
Absender (Briefkopf)
Anschrift
Testfrau, Kerstin, geb. 1.9.1962, Mühlenstr. 20, 79104 Freiburg
Absender (Briefkopf) 1
Anschrift
1.5.4 Poststationäre Angebote
• Gemeindeschwester und ambulante Krankenpflegeeinrichtungen: besucht die
Pat. für Verbandswechsel, Insulinspritze, Stoma- oder Ulkuspflege. Kosten
werden bei medizinischer Notwendigkeit i. d. R. von den Krankenkassen
übernommen.
• Essen auf Rädern: bietet auch Diäten an (z. B. Diabetes-Diät, cholesterinarme
Diät).
• Heimkrankenpflege.
• Wohlfahrtsverbände (Diakon. Werk, Caritas, Malteser Hilfswerk, ASB u. a.)
bieten in „Pflegestationen“ Hilfsmittel an (verstellbares Bett, Toilettenstuhl,
Rollstuhl).
• Sozialpsychiatrischer Dienst übernimmt Nachsorge z. B. bei Drogenabhän-
gigkeit oder psychotischen Erkr. Kann bei Rückfall-, Suizidgefährdung oder
erneutem Psychoseschub die Klinikeinweisung veranlassen.
• Selbsthilfegruppen bieten der Pat. die Möglichkeit der Konfliktbearbeitung.
• Tumorzentren: „Brückenschwestern“ v. a. übernehmen z. B. die Heimkran-
kenpflege schwerst tumorkranker Pat., evtl. Aufnahme im Hospiz.
24 1 Tipps für die Stationsarbeit
Der Tod einer Pat. darf nicht mit ärztlichem Versagen gleichgesetzt werden.
Liegt eine Pat. im Sterben, sollte der Arzt folgende Fragen prüfen:
• Können Sorgen der Pat. erleichtert werden (z. B. der Wunsch, ein Testament
zu schreiben, ihre Kinder noch einmal zu sehen, zu Hause zu sterben)?
• Ist die Pat. schmerzfrei?
• Können für die Pat. quälende Diagn. und Therapieformen (Bestrahlung, Che-
mother., parenterale Ernährung, Blutentnahmen) abgesetzt werden?
• Ist ggf. dafür gesorgt, dass keine Reanimation vorgenommen wird (Hinweis
an den diensthabenden Arzt, ggf. schriftliche Festlegung in der Krankenakte
oder am Bett)?
• Sind die Angehörigen und ggf. der Hausarzt informiert?
• Hat die Pat. noch Fragen, oder wünscht sie Beistand durch einen Seelsorger?
• Ist alles getan, dass die Pat. in Ruhe (Einzelzimmer) und würdevoll sterben kann?
Diagnosekriterien des klinischen Todes
• Pulslosigkeit, Atemstillstand, Bewusstlosigkeit, weite reaktionslose Pupil-
len.
• Sichere Todeszeichen: Totenflecken (nach 0–4 h, rotviolette Flecken v. a.
in abhängigen Körperpartien, die nach spätestens 24 h nicht mehr weg-
drückbar sind), Leichenstarre (nach 2–6 h, schreitet vom Kopf zur Peri-
pherie hin fort und löst sich nach 2–3 Tagen).
1.6.2 Totenbescheinigung (Leichenschauschein)
Landesrechtliches Dokument, das von dem Arzt ausgefüllt wird, der die Leichen-
schau (möglichst innerhalb von 24 h nach dem Tod) vornimmt. Es besteht meist
aus einem offenen Teil für amtliche Zwecke und einem vertraulichen mit medizi-
nischen Angaben zur Todesursache (Grundlage der amtlichen Todesursachensta-
tistik). Eingetragen werden müssen:
• Personalien der Toten, Todesfeststellung, Todeszeitpunkt.
• Todesart (erfordert Kenntnisse der Vorgeschichte):
1.6 Sterben und Tod einer Patientin 25
1.6.3 Totgeburt
Ist ein Kind tot geboren oder unter der Geburt verstorben, muss dies spätestens
am folgenden Werktag dem Standesamt mitgeteilt werden (§ 24 Personenstands-
gesetz).
• Totgeburt: Unmittelbar p. p. hat weder das Herz geschlagen, noch die Nabel-
schnur pulsiert, noch die natürliche Lungenatmung eingesetzt, und das Ge-
wicht des Neugeborenen (NG) beträgt mind. 500 g. Es erfolgt eine standes-
amtliche Registrierung. Bis zu einem Gewicht von 1.000 g besteht nicht in al-
len Bundesländern Bestattungspflicht.
• Lebendgeburt: Hat sich auch nur eines der genannten Lebensmerkmale ge-
zeigt, gilt das Kind nicht als tot geboren, sondern als Lebendgeborenes, auch
wenn sein Gewicht unter 500 g liegt. Auch hier erfolgt die standesamtliche
Registrierung.
• Fehlgeburt: Wenn sich keines der genannten Lebensmerkmale gezeigt hat
und das Gewicht des Embryos oder Fetus unter 500 g liegt, besteht eine Fehl-
geburt. Sie wird in den Personenstandsbüchern nicht beurkundet. Eine Be-
stattung von Fehlgeburten ist in den meisten Bundesländern nicht vorgese-
hen, dennoch möglich (Bestattungsanspruch). Für die Bestattung reicht eine
formlose ärztliche Bescheinigung zur Vorlage beim Friedhofsamt, eine To-
desbescheinigung ist nicht erforderlich. Werden fehlgeborene Kinder nicht
bestattet, dann sind Kliniken verpflichtet, für die „hygienisch einwandfreie
und dem sittlichen Empfinden entsprechende Beseitigung“ zu sorgen (Besei-
tigungspflicht). Viele Kliniken organisieren hierzu anonyme Sammelbestat-
tungen.
Für tot geborene Kinder < 500 g sowie für Fehlgeburten besteht ein Bestat-
tungsrecht, ab einem Gewicht > 500 g bzw. 1.000 g sowie für alle Lebendge-
borenen besteht Bestattungspflicht. Die Bestattungskosten müssen die El-
tern tragen.
1.6.4 Obduktion
Eine Obduktion erfolgt i. d. R. nach Einwilligung der Angehörigen, evtl. auch nach
Ablauf einer 24-h-Frist, innerhalb der die Angehörigen Einspruch erheben kön-
nen. Näheres regelt der Krankenhausbehandlungsvertrag zwischen Pat. und
26 1 Tipps für die Stationsarbeit
1.7 Die Problempatientin
1.7.1 Alkoholabhängigkeit und Entzugsdelir
Alkoholiker ist, wer länger als 1 J. große Mengen Alkohol konsumiert, die
Kontrolle über den Alkoholkonsum verloren hat und dadurch körperlich,
psychisch und in seiner sozialen Stellung geschädigt ist.
Das Anerkennen der Diagn. durch die Pat. ist Voraussetzung für eine erfolg-
reiche Behandlung. Daher ist bei gesicherter Diagn. eine offene Aussprache
notwendig. Auch dem Arzt muss dabei klar sein: „Weniger trinken“ kann
nicht funktionieren!
Klinik
Alkoholfötor, verschlechterte Konzentrationsfähigkeit, Störung der motori-
schen Koordination, übersteigertes Selbstbewusstsein, verlangsamte Reaktions-
zeit, Amnesie. Periphere Gefäßerweiterung (gerötetes Gesicht), erhöhte Wär-
meabgabe, gehemmte Thermoregulation mit Folge der Unterkühlung. Erbre-
chen, Polyurie (gehemmte ADH-Sekretion). Hypoglykämie, Azidose. Bewusst-
losigkeit, Areflexie, Atemdepression, RR-Abfall. Cave: Auf Begleiterkr. (s. u.)
achten!
Initialtherapie
• Stabile Seitenlage, bei Bewusstlosigkeit Intubation und Beatmung.
• Schockbehandlung (▶ 3.5).
• Thiamin (Vit. B1) 100 mg/d i. v. vor Glukosegabe.
• Glukose 20 % 50 ml i. v. bei V. a. Hypoglykämie (häufig!).
• Glukose 5 % oder 10 % 500 ml i. v. bei Volumenmangel.
• Natriumbikarbonat 8,4 % (ml Lsg. = neg. BE × kg KG × 0,3) bei Azidose.
! An andere Komaursachen denken, z. B. Meningitis bei alkoholinduzierter
Abwehrschwäche, Drogenintoxikation, SHT, zerebrale Blutung, Apoplex,
thyreotoxische Krise, diabetisches Koma, akute oder chron. Leberinsuff.
1.7 Die Problempatientin 27
Weiterbehandlung
Sedativa
Indikation Unruhe und Angst. 1
Dosierung Clorazepat 25–100 mg/d i. v. (z. B. Tranxilium®) oder Diazepam
2–6 × 10 mg i. v. (z. B. Valium®). Dosisanpassung nach Wirkung.
Haloperidol
Indikation Psychotische Symptome (Angst, Halluzinationen, Wahn).
Dosierung 5 mg langsam i. v. (z. B. 1 Amp. Haldol®), Dosisanpassung nach Wir-
kung, max. 40 mg/d.
Clomethiazol (Distraneurin®)
Dosierung Initial 4–5 × 1–2 Kps. (= 192–384 mg) Distraneurin® bzw. 4–6 ×
5–10 ml (= 157,5–315 mg) Distraneurin® Mixtur tägl. oder Distraneurin® 0,8 %
500–1.500 ml/d i. v. Intensivüberwachung obligat.
Nebenwirkungen Atemdepression, Bronchospasmus, gesteigerte Bronchialse-
kretion (evtl. Atropin 1–2 × 0,25 mg/d).
Kontraindikationen Pneumonie, Thoraxverletzung, respiratorische Insuff.
Vermeidbare Fehler
• Alkoholgabe ist obsolet.
• Fehlende Überwachung einer desorientierten Pat.
• Distraneurinüberdosierung. Erschwerte Verlaufsbeobachtung durch zu
hohe Dosierung.
28 1 Tipps für die Stationsarbeit
Alkoholassoziierte Erkrankungen
• GIT: chron. Gastroduodenitis, chron. rezid. Pankreatitis, Alkoholhepatitis
1 • (Fieber, Ikterus, Erbrechen), Fettleber, Leberzirrhose.
ZNS: hirnorganisches Psychosy., akute Psychose, Korsakow-Sy. (Störung des
Kurzzeitgedächtnisses, Desorientiertheit, Konfabulation), Wernicke-Enzepha-
lopathie (zerebelläre Ataxie, Augenmuskellähmung, Areflexie, Bewusstseins-
störungen), zerebrale Krampfanfälle (v. a. im Alkoholentzug), Polyneuropathie.
• Blut: makrozytäre Anämie (MCV oft > 100 nl). γ-GT ist bei chron. Alkohol
abusus meist erhöht → empfindlichster Laborparameter!
• Herz: oft dilatative Kardiomyopathie, Arrhythmien.
• Stoffwechsel: Diab. mell., Neigung zu Hypoglykämien.
Alkoholentzugsdelir
• Prädelir: dauert Tage bis Wochen. Pat. zeitlich und örtlich meist orientiert,
keine illusionären Verkennungen, Tremor der Hände v. a. morgens, quälende
Unruhe, zunehmende Reizbarkeit, Schweißausbrüche, Erbrechen (Gastritis).
• Delir: dauert Tage; Beginn akut, meist nachts:
– Psychotische Symptome: örtliche und zeitliche Desorientierung, szenen-
hafte visuelle Halluzinationen („kleine Tiere“), hochgradige psychomoto-
rische Unruhe, nestelnde, fahrige Bewegungen, grobschlägiger Tremor,
Schlaflosigkeit, erhaltene autopsychische Orientiertheit, Mischung von
Angst und Euphorie.
– Körperlicher Befund: Körpertemperatur ↑, profuse Schweißausbrüche,
Exsikkose, Erbrechen, Diarrhö, Tachypnoe, Tachykardie, Hypotonie, epi-
leptiforme Anfälle mit Zungenbiss, Ataxie, Gleichgewichtsstörungen.
1.8 Meldepflichtige Infektionskrankheiten
1.8.1 Deutschland
Die aktuellen Vorgaben für die Meldepflicht können beim Robert Koch-Institut
(www.rki.de) abgefragt werden. Oft meldet bereits das Labor.
30 1 Tipps für die Stationsarbeit
1.8.2 Österreich
1.8.3 Schweiz
Meldepflicht für Ärzte
• Innerhalb von 1 Tag: Anthrax, Pocken, Diphtherie, SARS, Epiglottitis, Tular-
ämie, Meningokokkenerkr., hämorrhagisches Fieber, Botulismus, Gelbfieber,
Poliomyelitis, Tollwut.
• Innerhalb von 1 Woche: AIDS, Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, Malaria, Ma-
sern.
Meldepflicht für Labors
• Innerhalb von 1 Tag: Bacillus anthracis, Clostridium botulinum, Corynebac-
terium diphtheriae, Francisella tularensis, Haemophilus influenzae, hämor-
rhagische Fieberviren.
• Innerhalb von 1 Wo.: Campylobacter, Mycobacterium tuberculosis, Chlamy-
dia trachomatis, Neisseria gonorrhoeae, enterohämorrhagische E. coli, Plas-
1.9 Multiresistente Erreger (MRE) 31
MRSA
Aufgrund der besonderen klinischen und epidemiologischen Relevanz müssen
entsprechende Daten monatlich gesondert erfasst werden → eindeutige Zuord-
nung der Zahl der betroffenen Pat. pro Einrichtungseinheit (z. B. Station). Ne-
ben dem unkritischen Einsatz von Antibiotika gelten insuffiziente prophylak-
tische Hygienemaßnahmen und unzureichende Schulung des medizinischen
Personals mit als Grund für den starken Anstieg der MRE-Besiedlung in Kran-
kenhäusern sowie in Alten- und Pflegeheimen. MRE-Inf. verlängern die Ver-
weildauer von Pat. und erhöhen deren Morbidität und Mortalität (ca.
19.000 Todesfälle in den USA jährlich). Ab dem 1.1.2011 gilt z. B. in Baden-
Württemberg eine neue Hygieneverordnung für Kliniken, Vorsorge- und Re-
habilitationseinrichtungen, um die Anzahl der Klinikinf. einzudämmen und
um eine landeseinheitliche Grundlage für die Infektionsprävention zu schaf-
fen.
Eigenschaften
• Im Vergleich zu anderen Bakterienarten unempfindlich gegen Austrocknung,
können auf trockenen Oberflächen/Gegenständen lange überleben.
32 1 Tipps für die Stationsarbeit
Klinik
• Wichtigster Erreger nosokomialer Inf.: schwere Wundinf., Pneumonien und
Septitiden.
• Zunehmend ambulant erworbene sog. cMRSA: multiple Hautabszesse, ne
krotisierende Pneumonie, nekrotisierende Fasziitis.
Diagnostik
• Erregernachweis z. B. im Trachealsekret, Wundabstrich, Katheterspitze.
• Nachweis bei Personal zunächst im Nasenabstrich; ist dieser pos., Hautab-
klatsch. Ist auch dieser pos. → kein Pat.-Kontakt, Sanierung. Wird MSSA
(methicillinsensibler Staph. aur.) nachgewiesen (10–20 % der Bevölkerung),
keine Ther. notwendig.
Das Robert Koch-Institut (RKI) empfiehlt Screeningabstriche:
• Bei Pat. mit chron. Pflegebedürftigkeit, liegenden Kathetern, chron. Wunden
etc.
• Beim Krankenhauspersonal bei gehäuftem Nachweis von MRSA bei mehr als
zwei Pat. bei räumlichem und zeitlichem Zusammenhang und bei nachgewie-
sener klonaler Identität des MRSA.
Therapie
• Kolonisation: MRSA-Nachweis ohne Inf. → Isolierung, keine Antibiose, Ver-
such der Sanierung mit lokalen Desinfizienzien, z. B. Waschen mit Chlorhe-
xidinseife, Gurgeln (Chlorhexidin). Mupirocin intranasal (z. B. Turixin®-
Salbe).
• Isolierung: im Einzelzimmer oder Kohortenisolierung; Schutzkittel, Hand-
schuhe und eine chirurgische Maske bei allen Tätigkeiten am Pat. Besucher
benötigen routinemäßig keine Schutzkittel (sorgfältige Händedesinfektion ist
i. d. R. ausreichend: vor und nach dem Pat.-Kontakt und nach Verlassen des
Pat.-Zimmers). Pflegeutensilien patientenbezogen einsetzen, im Zimmer be-
lassen. Andere Kliniken oder Pflegeheime informieren (z. B. vor Verlegung).
Pat. möglichst nicht transportieren. Alle Kontaktpersonen (möglichst wenige,
aber Pat. nicht zusätzlich sozial isolieren!), auch Reinigungsdienst, Kranken-
gymnasten, Angehörige informieren und aufklären! Entsorgung von Abfällen
und Wäsche im Zimmer oder in der Schleuse in Spezialbehältern. Bei Verle-
gung oder Entlassung Scheuerwisch-Desinfektion.
• Infektion: antibakterielle Ther. Reserveantibiotika wie Vancomycin und
Daptomycin, Tigecyclin oder Quinupristin/Dalfopristin (auch gegen vanco-
mycinresistente Staph. aur. wirksam). Tigecyclin und Daptomycin gelten ne-
ben Vancomycin als Mittel der Wahl.
1.10 Prophylaxe nach beruflicher HIV- oder Hepatitis-Exposition 33
• Wegen hoher Persistenz von MRSA ist ein früher MRSA-pos. Pat. bei
Wiederaufnahme bis zum Beweis des Gegenteils weiterhin als koloni-
siert anzusehen. 1
• Keine Antibiose bei bloßer Kolonisation ohne Inf., eine Sanierung ist
fast nie zu erreichen.
• Regelmäßige Schulung des Personals.
Ausnahme, falls Indexpat. AIDS oder eine hohe HI-Viruskonz. hat Empfehlen
Kontakt von intakter Haut mit Blut (auch bei hoher Viruskonz.) Nicht empfehlen
Standardprophylaxe
• Medikamente:
– Truvada® (Viread®, Tenofovir 300 mg + Emtriva®, Emtricitabin
200 mg) oder
– Combivir® (Retrovir®, AZT 2 × 300 mg + Epivir®, Lamivudin 2 ×
150 mg) und
– Kaletra Tbl.® (Lopinavir/r, 2 × 400/100 mg) oder
– Sustiva® (Efavirenz 600 mg).
• Vorgehensweise:
– Beginn der HIV-Prophylaxe möglichst schnell.
– Dauer der HIV-Prophylaxe 4 Wo.
– Die besten Ergebnisse sind bei einem Prophylaxebeginn innerhalb von
24 h, besser noch innerhalb von 2 h zu erwarten. Liegen bereits mehr
als 72 h zwischen der Exposition und dem möglichen Prophylaxebe-
ginn, so kann nach derzeitigem Kenntnisstand eine Prophylaxe nicht
mehr empfohlen werden
Impfung > 100 IE/l) und die letzte Impfung weniger als 10 J. zurückliegt, keine
spezielle Maßnahmen erforderlich.
Falls die erfolgreiche Grundimmunisierung mehr als 10 J. zurückliegt, sind eben-
falls keine speziellen Maßnahmen bzgl. Hepatitis B erforderlich, wenn:
1
a. ein aktueller Anti-HBs-Titer von > 100 IE/l vorliegt oder
b. bei der letzten betriebsärztlichen Untersuchung (die nicht länger als 3 J.
zurückliegt) ein ausreichender Schutz gegen Hepatitis B festgestellt wurde.
Wenn weder a) noch b) zutrifft, sofortige Bestimmung des Anti-HBs-Titers. Wei-
teres Vorgehen je nach aktuellem Anti-HBs-Titer: bei Anti-HBs-Titer > 100 IE/l
keine speziellen Maßnahmen bzgl. Hepatitis B erforderlich, bei Anti-HBs-Titern
< 100 IE/l Booster-Impfung mit Aktiv-Impfstoff.
1.10.3 Hepatitis C
Gegen Hepatitis C gibt es keine Impfung. Der Betroffene sollte jeweils 2–4, 12
und 24 Wo. nach Exposition untersucht werden (Serostatus bzw. HCV-RNA-
Test). Bei Nachweis einer akuten Inf. sollte bei Anstieg der Transaminasen und
bei Nachweis von Anti-HCV-Ak eine Interferon-Monother. zur Vermeidung ei-
ner Chronifizierung eingeleitet werden.
1.11 Abrechnungsmodalitäten
1.11.1 Wichtigste gynäkologisch-geburtshilfliche ICD-10-Ziffern
Abszess N61
Agalaktie O92.3
Fibroadenose N60.2
Fibroadenom D24
Galaktorrhö O92.6
Gynäkomastie N62
Mammahypoplasie Q83.8
Mammakarzinom C50.9
• In situ: DCIS (duktales Karzinom in situ) D05.1
• In situ: CLIS (lobuläres Karzinom in situ) D05.9
Thoraxwandrezidiv C79.88
Mastitis N61
• Puerperalis O91.20
Mastodynie N64.4
Mastopathie N64.9
Metastasen C79.8
• Gehirn C79.3
• Knochen C79.5
• Leber C78.7
• Lymphknoten C77
• Lunge C78.0
• Pleurakarzinose C78.2
• Peritonealkarzinose C78.6
Milchstau O92.7
Uterus
Totalprolaps N81.3
Redeszensus N99.3
Enterozele N81.5
1.11 Abrechnungsmodalitäten 37
Harninkontinenz N39.3
• Stress N39.42
• Drang
Harnverhalt R33
Myom D21.9
Stuhlinkontinenz R15
Corpus uteri
Endometritis
• N. n. bez. N71.9
• Chron. N71.1
• Akut N71.0
• Endometritis puerperalis O85
Endomyometritis N71.9
Endometrium-Ca C54.1
• In situ D07.0
Hämatometra N85.7
Lochiometra O90.8
Pyometra N71.9
Korpus-Ca N84.8
Korpuspolyp N84.0
Myometritis N71.9
38 1 Tipps für die Stationsarbeit
Cervix uteri
Ca in situ D06.
Dysplasie N87.9
Ektopie N88.9
Leukoplakie N88.0
Striktur/Stenose N88.2
Zervix-(Kollum-)Ca C53.0
• In situ D06.
Zervixverschlussinsuffizienz O34.9
Zervizitis
• Akut, chron., nicht venerisch N72
• Senil, atroph N72
• Gonokokken N54.0
• Chlamydien A56.0
• Herpes A60.0
• Trichomonaden A59.0
Zervixpolyp N84.1
Bartholini-Zyste N75.0
Hymenalatresie Q52.3
1.11 Abrechnungsmodalitäten 39
Kolpitis
• Akut N76.0
• Chron. N76.1
• Candida B37.3
• Chlamydien A56.0
• Herpes A60.0
• Trichomonaden A59.0
Kondylom A63.0
Vaginal-Ca C52
• In situ D07.2
Vaginalpolyp N84.2
Vulva-Ca C51.9
• In situ D07.1
Vulvatumor D39.7
Vulvazyste N90.7
Vulvitis N76.2
• Condylomata ac. A63.0
• Kandidose B37.3
• Trichomonaden A59.0
Adnexe
Endometriose N80.9
Zystadenom D36.9
Pyovar N70.9
Sterilität N97.9
Tubenkarzinom C57.0
• In situ D07.3
Tuboovarialabszess N70.9
Verwachsungen (Adhäsionen)
• Bei Frauen im Becken N73.6
• Nach med. Maßnahmen bzw. postop. in Becken, Peritoneum N99.4
• Peritoneum, Darm K66.0
• Periovariell, tuboovariell N73.6
• Uterus (zur Beckenwand) N73.6
• Uterus (im Inneren) N85.6
• Zervix N88.1
Sterilisationswunsch Z30.2
Fehlgeburt
Blasenmole O01.9
Extrauteringrav. O00.9
Interruptio O04.-
Komplikation
• Nach Abort O06.8
• Im Anschluss an A. imminens O03.-
Tubarabort O00.1
Risikograv. Z35.–
1.11 Abrechnungsmodalitäten 41
Beckenendlage
• Als KO O32.1
• Als Hindernis O64.1
Beckenringlockerung M53.28
Diabetes in grav.
• Vor Grav. bestehend O24.3
• Gestationsbedingt O24.4
EPH-Gestose O14.9
• Albuminurie O12.1
• Mit Hypertonus (= Präeklampsie) O14.9
• Mit Ödem O12.2
Extrauteringrav. O00.9
• Tubar O00.1
• Abdominell O00.0
• Ovariell O00.2
Geburtsstillstand O75.9
HELLP-Syndrom O14.2
Hyperemesis O21.1
• Schwer O21.0
• Leicht
Hirnblutung des NG P52.9
Beckenendlage
• Als KO O64.1
• Entbindung aus O83.1
Querlage
• Als KO O32.2
• Als Hindernis O64.8
Gesichts-/Stirnlage
• Als KO O32.3
• Als Geburtshindernis O64.3
Lochiometra/Lochialstau O90.8
Mehrlingsgrav. O30.9
• Zwillingsschwangerschaft O30.0
• Drillingsschwangerschaft O30.1
Nabelschnurkomplikation O69.9
Nabelschnurvorfall O69.0
Nabelschnurumschlingung O69.1
Oligohydramnie O41.0
Ovarialvenenthrombose N94.8
Plazentainsuffizienz O36.5
Placenta praevia
• Mit Blutung O44.1
• Ohne Blutung O44.0
Polyhydramnie O40
Wochenbettkomplikationen O90.9
1.11 Abrechnungsmodalitäten 43
Querlage
• Als KO O32.2
• Als Hindernis O64.4
Schulterdystokie
• Geburtshindernis durch großen Feten O66.2
• Geburtshindernis durch Lageanomalie O64.9
Übertragung O48
Wachstumsrestriktion P05.9
Wehenschwäche
• Prim. O62.0
• Sek. O62.1
• N. n. bez. O62.2
Wochenbettdepression F53.0
Wochenbettpsychose F53.1
Blutungsstörungen
Amenorrhö N91.2
Dysmenorrhö N94.6
Hypo-/Oligomenorrhö N91.5
Menometrorrhagie N92.1
Menorrhagie N92.0
Metrorrhagie N92.1
Hypermenorrhö N92.0
44 1 Tipps für die Stationsarbeit
Polymenorrhö N92.0
Postmenopausenblutung N95.0
Menstruationsstörung N92.6
Menstruationsbeschwerden N94.9
Genitale Infektionen
Amnioninfektionssy. O41.1
Gonorrhö A54.9
Harnwegsinfekt N39.0
Kolpitis
• Akut N76.0
• Chron. N76.1
• Candida B37.3
• Chlamydien A56.0
• Herpes A60.0
• Trichomonaden A59.0
Lues A53.9
Puerperalfieber O85
Sepsis A41.9
Toxoplasmose B58.9
• Der Mutter mit Schädigung des Feten P00.2
Infertilität
Sterilität N97.9
• Ovarielle Sterilität E28.9
• Tubare Sterilität N97.1
• Uterine Sterilität N97.2
• Verwachsungssitus N73.6
• Zervikale Sterilität N97.3
• Asthenospermie R86.9
• OAT-Sy. N46
• Faktoren des Partners N97.4
• Angeborene Uterusanomalie N97.2
Überstimulationssy. N98.1
Sterilisation Z30.2
1.11 Abrechnungsmodalitäten 45
Asthma bronchiale
• Allergisch o. n. A. J45.0
• Nichtallergisch J45.1
Bronchopneumonie J18.0
Cholezystolithiasis K80.2
Digitalisintoxikation T46.0
Extrasystolie I49.4
Gastritis K29.7
Gastroenteritis
• Nichtinfektiös K52.9
• Infektiös A09.9
Hämorrhoidalvenenthrombose/Analvenenthrombose I84.3
Herzinsuff. I50.9
Herzrhythmusstörungen I49.9
Hirnblutung I61.9
Hyperthyreose E05.9
Hypothyreose E03.9
Hypotonie I95.9
Kolon-Ca C18.9
Kreislaufbeschwerden I99
Kreislaufkollaps R57.9
Lungenembolie I26.9
Nikotinabusus F17.1
Pneumonie
• Viral J12.9
• Bakteriell J15.9
• Broncho- J18.0
• Lobär- J18.1
Pneumothorax J93.9
Pyelonephritis N12
Rektum-Ca C20
Sigmadivertikulitis K57.32
Sigmadivertikel K57.30
Struma E04.9
Subarachnoidalblutung I60.9
Thrombophlebitis I80.9
Thrombophlebitis im Wochenbett
• Tiefe O87.1
• Oberflächliche O87.0
Vorhofflimmern I48
Varikosis I I83.9
Sonstige
Abdominalschmerz R10.4
Adipositas E66.9
• Lokalisiert (z. B. Fettschürze) E65
Alkoholabusus F10.1
Anämie D64.9
Angstneurose F41.1
Bauchdeckenabszess L02.2
Behinderung
• Geistige F79.9
• Körperliche R62.8
Blasenentleerungsstörung R39.1
Depression F32.9
Dyspareunie N94.1
Empfängnisregelung Z30.9
Epilepsie G40.9
Erschöpfungsreaktion F32.9
• Durch Gravidität O26.88
Erysipel A46
Grand-Mal-Anfall G40.6
Hirnblutung I61.9
Ileus
• Paralytisch K56.0
• Mechanisch K56.6
• Subileus K56.7
Karzinophobie F45.2
Kontrazeption Z30.0
• Kontrolle IUP Z30.1
• Disloziertes IUP T83.3
• Definitive Kontrazeption Z30.9
Leistenhernie K40.9
Lumboischialgie M54.4
48 1 Tipps für die Stationsarbeit
Migräne G43.9
Mobbing Z56
Nachblutung T81.0
Pelveoperitonitis N73.5
Psychose F29
Schlafstörung G47.9
Tumornachsorge Z09.9
Tumorschmerzen R52.1
Wundheilungsstörung T79.9
Internistische Begleiterkrankungen
B60.8 Protozoenerkr. 2 2
Onkologie
Neurologisch/Psychiatrische Begleiterkrankungen
OP/Post-OP
M62.9 Muskeldiastase 2 2
Gynäkologie allg.
N76.4w Vulvaabszess 2 2
Abort
Schwangerschaft
O14.2w HELLP-Syndrom 2 2
O85w Puerperalfieber 2 2
O88.1w FW-Embolie 2 2
Neugeborenes
Sterile Tupfer aus Packungen mit 2–6 Stück oder Steriltrommeln entneh-
men. Sterilisierte = „einfache“ Tupfer befinden sich in Spendern.
EDTA Hämatologie
KO: Hämolyse durch zu schnelles Aspirieren des Bluts oder Einspritzen des
Bluts in die Röhrchen ohne vorherige Entfernung der Kanüle. Gerinnung bei
langwieriger Venenpunktion.
2.2 Diagnostische und therapeutische Punktionen 57
Durchfluss ml/Min.
Material 2–3 Braunülen verschiedener Größe (Standard beim Erw. für wässrige
Infusionen 17 G/Gelb oder 18 G/Grün), Pflasterverband, ggf. Lokalanästhetikum
mit 25-G-Kanüle und 2-ml-Spritze, bei gleichzeitiger Blutabnahme 20-ml-Spritze
und Blutröhrchen, 5 ml physiologische NaCl-Heparin-Lsg. zum Durchspülen der
Braunüle, Verschluss mit Stöpsel oder Mandrin, unsterile Latexhandschuhe.
Durchführung ▶ Abb. 2.1. Desinfektion Kategorie II (▶ 2.1), Handschuhe anzie-
hen. LA bei empfindlichen Pat. und großen Braunülen (> 17 G). Dabei genügen
0,1 ml 1-prozentiges Lidocain, was die Haut bei i. c. Applikation nur weißlich er-
scheinen lässt und keine Quaddel bildet. Vene stauen, möglichst proximal einer
Y-Vereinigung. Haut fixieren. Im 1. Schritt (▶ Abb. 2.1 li) Haut rasch durchste-
chen (ca. 45° zur Hautoberfläche) und Vene flach punktieren. Wenn Blut am
transparenten Kanülenansatz einströmt, Braunüle ca. 5 mm im Venenlumen vor-
schieben, Punktionsnadel zurückziehen und gleichzeitig Plastikkanüle vorschie-
ben (▶ Abb. 2.1 re); Stauschlauch lösen; Nadel entfernen, dabei mit einem Finger
die Vene proximal der Kanülenspitze abdrücken, Braunüle mit Stopfen oder
Mandrin verschließen. Fixieren und ggf. regelmäßig durchspülen.
Komplikationen
• Vene „platzt“: evtl. zu steil punktiert und Hinterwand durchstochen oder
„bindegewebsschwache“ Gefäße (z. B. nach Glukokortikoiden). Hilfe: So-
fort nach Punktion Stauschlauch lösen oder Punktionsversuch ohne Stau-
ung.
• Schmerzhafte Punktion: Hautpunktion zu flach oder Punktion durch „Desin-
fektionsmittelpfütze“.
• „Paralaufen“ der Infusion oder Thrombophlebitis: Braunüle entfernen! Je-
2 de an der Punktionsstelle dolente Braunüle sofort entfernen: „Die Pat. hat
immer Recht, auch wenn man nichts sieht“. Je nach Schwere der Reizung
Arm hochlagern und ruhigstellen, Alkoholumschläge, ggf. Heparinsalbe,
lokal oder systemisch Antiphlogistika, evtl. niedermolekulares Heparin
(▶ 1.1.3).
• Hindernis: Kunststoffkanüle lässt sich nicht vorschieben, obwohl sie im Lu-
men liegt, z. B. bei störenden Venenklappen. Mit NaCl durchspülen und
gleichzeitig vorschieben.
2.2.2 Pleurapunktion
Indikationen Diagn. oder ther. Punktion eines Ergusses, Zytostatika-Instillati-
on, Pleuraempyem, Pneumothorax.
Kontraindikation Blutungsanomalien (z. B. Hämophilie, Marcumar®-Ther.).
Material Entweder Punktions-Set mit Rotanda-Spritze oder 50-ml-Spritze mit
Dreiwegehahn und sterilen Verbindungsschläuchen, 2 Punktionskanülen (z. B.
Abbocath®) 16 G – Grau oder 17 G – Gelb, vorzugsweise ventilgesichert (z. B. Fre-
kasafe®). 10 ml Lidocain 1 % mit 1 Kanüle (z. B. 21 G – Grün). 4–5 Proberöhrchen,
Blutkulturflaschen (aerob/anaerob), großes Gefäß. 2 Paar sterile Handschuhe,
Desinfektions-Lsg., braunes Pflaster, sterile Tupfer.
Komplikationen Pneumothorax, Hämatothorax, Inf., Verletzung der Interkos-
talgefäße, Lungenödem (e vacuo) bei zu schneller Punktion durch Unterdruck,
Verletzung intraabdomineller Organe.
Durchführung
• Evtl. Prämedikation mit Antitussivum, z. B. Paracetamol 1 g p. o. und Codein
50 mg p. o.
• Pat. mit angehobenem Arm bequem sitzend platzieren (Pat. im Bett: Arm auf
Nachttisch mit Kissen. Pat. auf Stuhl: Arm auf Stuhllehne oder Pat. Hand auf
die Schulter der Gegenseite legen lassen ▶ Abb. 2.2).
• Pleuraerguss perkutieren, auskultieren und mit dem Rö-Bild vergleichen.
Markierung der Punktionsstelle dorsolateral in der hinteren Axillarlinie oder
Skapularlinie im ICR unterhalb des Ergussdämpfungsrands, aber nicht tiefer
als 6.–7. ICR (cave: Leber und Milz). Evtl. Sonokontrolle. Hautdesinfektion
Kategorie II (▶ 2.1).
• Zunächst mit 1-prozentigem Lidocain am „Oberrand der Unterrippe“ LA-
Depot setzen. Dann tiefer liegendes Gewebe bis auf die Pleura parietalis infil
trieren. Durch Probepunktion die notwendige Eindringtiefe für die Punkti-
onskanüle erkunden.
2.2 Diagnostische und therapeutische Punktionen 59
Für die Gewinnung von geringen Mengen Pleuraflüssigkeit (z. B. für Zytolo-
gie) genügt Punktion mit einer 20-ml-Spritze mit aufgesetzter Kanüle (21 G/
Grün).
2.2.3 Peritonealpunktion (Aszitespunktion)
Indikationen Bakteriologische, zytologische und enzymatische Aszitesdiagn.,
Entlastungspunktion bei massivem Aszites, Drainage bei Peritonitis oder Abszess.
Kontraindikationen Große Ovarialzysten, Hydronephrose, Schwangerschaft.
Vorsicht bei hämorrhagischer Diathese, Cumarinther. und hepatischem Präko-
ma.
Punktionsorte Übergang vom äußeren zum mittleren Drittel der Linie vom Na-
bel zur Spina iliaca ant. sup. li (weniger Verwachsungen) oder re sowie in der
Medianlinie zwischen Nabel und Symphyse. Epigastrische Gefäße beachten
(▶ Abb. 2.3).
60 2 Ärztliche Arbeitstechniken
2
A. epigastrica
inferior
Blase
2.2.4 Zystoskopie
Indikationen V. a. Genitalkarzinom zum Ausschluss einer Blaseninfiltration, bei
Hämaturie und bei Nierenaufstau, Urge-Inkontinenz etc.
Durchführung
• Zystoskop bereitlegen und Funktion prüfen (einmal zusammenbauen), Licht-
quelle (Kaltlicht) prüfen.
• Infusion (500 ml Ringer oder NaCl 0,9 %) zum Auffüllen der Blase anwärmen
und mit Infusionssystem bereitstellen. 2
• Lagerung auf gynäkologischem Stuhl.
• Desinfektion der Vulva (z. B. mit Octenisept®), Desinfektion des Orificium
urethrae externum (▶ 2.4.1).
• Lokalanästhetikum (z. B. Instillagel®) intraurethral applizieren und Wir-
kungseintritt (nach ca. 1 Min.) abwarten.
• Zystoskop mit Mandrin einführen, korrekte Lage durch auslaufenden Urin
überprüfen.
• Blase über Zystoskop vollständig entleeren.
• Mandrin entfernen, Optik einführen, Lichtquelle anschließen.
• Korrekte intrazystische Lage optisch überprüfen.
• Blase mit angewärmter Ringer-Lsg. oder NaCl 0,9 % auffüllen (250–400 ml).
• Inspektion der gesamten Blasenschleimhaut, Orientierungshilfe: Luftblase am
Blasendach.
• Achten auf: Impression oder Infiltration, Schleimhautveränderungen.
• Path. Befunde lokalisieren („bei … Uhr, Vorder-/Seiten-/Hinterwand“).
• Aufsuchen beider Ureterostien (Trigonumbereich, meist auf einer Schleim-
hautfalte).
• Urin sollte klar und schwallartig fließen (evtl. Nierenlager durch Hilfsperson
massieren lassen).
• Evtl. Methylenblau 1–2 ml i. v. und Furosemid 20 mg i. v. (z. B. Lasix®) geben,
um die Ureterostien zu identifizieren (Chromo-Zystoskopie).
• Blase über Zystoskop entleeren, dann Zystoskop entfernen.
• Evtl. Pat. und Pflegepersonal über zu erwartenden „blauen Urin“ informie-
ren, Pat. erhobene Befunde mitteilen.
2.2.5 Rektoskopie
Indikationen Bei V. a. Ovarial- oder anderes Genitalkarzinom zum Ausschluss
einer Rektuminfiltration (alternativ: Sigmoidoskopie, Koloskopie), bei auffälligem
rektalem Palpationsbefund (z. B. V. a. Polyp). Bei blutigem Stuhl besser Kolosko-
pie.
Durchführung Pat. abführen (Klysma), Lagerung auf gynäkologischem Stuhl.
Lichtquelle (Kaltlicht) prüfen, Rektoskop mit Vaseline präparieren. Pat. wie
„zum Stuhlgang“ pressen lassen (Lösen des Sphinkterverschlusses). Rektoskop
nach li hinten einführen. Mandrin entfernen, Optik aufsetzen. Unter Luftinsuf-
flation und Sicht vorschieben. Beurteilung der Schleimhaut (Farbe rosig, zarte
Fältelung, keine Infiltration). Path. Befunde in Zentimeter Entfernung vom
Anus und Uhrzeit angeben. Bei Schmerzen oder Passagebehinderung durch Kot
Eingriff beenden. Rektoskop zurückziehen. Pat. über erhobene Befunde infor-
mieren.
62 2 Ärztliche Arbeitstechniken
2.3.2 Urin
Mittelstrahlurin (M-Urin)
Indikationen Standardmethode; geeignet ist v. a. Morgenurin (hohe Keim-
Konz.). Cave: Keine Infusionsther. (Verdünnungseffekt); stets Uringewinnung
vor Beginn der Chemother.
Gewinnung Hände sorgfältig waschen, mit Einweghandtuch trocknen. Genitale
mit in sauberes Wasser getauchten Tupfern reinigen, dann mit weiteren in glei-
cher Weise nachreinigen. Erste Urinportion (ca. 50 ml) in die Toilette oder ein
Gefäß entleeren, dann – ohne den Harnstrahl zu unterbrechen – etwa 5 ml Harn
in Transportröhrchen auffangen. Verschluss sofort aufsetzen und Probe bis zur
Weiterleitung in das Labor in den Kühlschrank stellen.
Katheterurin
Indikationen Einwandfreie Gewinnung von M-Urin nicht möglich, Blasen-
punktion nicht erwünscht.
Durchführung Siehe ▶ 2.4.1.
Grundsätzlich Einwegkatheter verwenden (dennoch Risiko der Keimeinschlep-
pung). Vorher Genitale sorgfältig reinigen (s. o.). Bei Dauerkatheter Urin nie aus
dem Beutel entnehmen, sondern nach sorgfältiger Desinfektion den proximalen
Katheterabschnitt punktieren.
Blasenpunktionsurin
Nur bei gefüllter Blase. Aussagekräftigste Methode (Ausnahme: Urethritis).
Indikationen Kein einwandfreier M- oder K-Urin gewinnbar. Wiederholt un-
terschiedliche oder fragwürdige bakteriologische und zelluläre Befunde, vor allem
bei Mischinf.
2.3 Entnahme von Material für bakteriologische Untersuchungen 63
2.3.3 Stuhl
• Untersuchung auf pathogene Darmkeime (Salmonellen, Shigellen, Typhus, 2
Paratyphus, Yersinien, Campylobacter jejuni) an 3 aufeinanderfolgenden
Tagen. Nach Stuhlentleerung in sauberes Gefäß ca. doppelt bohnengroßes
Stück in Stuhlröhrchen einbringen. Bei dünnflüssigem Stuhl 0,5–1 ml ein-
senden.
• Schneller Transport (schnelles Absterben empfindlicher Keime).
• Bei V. a. Typhus und Paratyphus in der ersten Krankheitswo. parallel Blutkul-
turen anlegen.
• Ist kein Stuhl zu gewinnen, kann auch ein Rektalabstrich entnommen werden
(nur geringe Ausbeute).
2.3.4 Abstriche
Mit Abstrichtupfer nur Material unter Sicht von verdächtigen Stellen ent-
nehmen und in Transportröhrchen einbringen. Tupfer nie trocken einsen-
den, da Anzucht anspruchsvoller Keime nicht mehr gelingt. Lagerung und
Transport bei Raumtemperatur.
Harnröhrenabstrich
Durchführung Möglichst morgens vor dem ersten Wasserlassen; sonst nicht vor
Ablauf 1 h nach dem Wasserlassen. Vor Entnahme des Abstrichs Transportmedi-
um auf Raumtemperatur bringen. Abstrich sofort oder innerhalb von höchstens
6 h an das Labor weiterleiten. Harnröhrenausfluss, falls vorhanden, mit Tupfer
aufnehmen und in Transportmedium einbringen; bei fehlendem Ausfluss Tupfer
mit dünnem Stiel ca. 2 cm drehend in die Urethra einführen (Genitale vorher säu-
bern!). Bei V. a. Chlamydien-Inf. Zellabstrich (intrazellulärer Nachweis), nur Flu-
orabstrich ist zum Keimnachweis ungeeignet.
Zervixabstrich ▶ 13.2.4.
2.4 Drainagen
2.4.1 Blasenkatheter
Indikationen
Harnretention (postop., neurogen, Harnröhrenstriktur), Gewinnung von Blasen-
urin (▶ 2.3.2), Harninkontinenz oder Überlaufblase, OP-Vorbereitung, Messung
der Urinmenge/Zeiteinheit, Restharnbestimmung (falls nicht sonografisch mög-
lich), differenzierte Nierenfunktionsproben, Flüssigkeitsbilanz, Spül- bzw. Instil-
lationsbehandlung.
Katheterarten
Einmalkatheter (vorwiegend diagn. Anwendung), Verweilkatheter (ther. Anwen-
dung) ein- oder zweiläufig mit Blockballon, Spülkatheter zwei- oder dreiläufig mit
Dreiwegehahn, einem Eingangs- und Ausgangskanal sowie Blockballon.
Transurethrale Katheterisation
Material Katheter (14, 16 oder 18 Ch.), steriles Katheterset mit ein oder zwei
Nierenschalen, Urinbeutel, sechs Tupfer, sterile Handschuhe, Unterlage und
Lochtuch, steriles Röhrchen, Desinfektionsmittel.
Durchführung Pat. auf Rücken lagern, Fersen zusammengestellt, Knie nach au-
ßen geneigt. Lochtuch so platzieren, dass die Harnröhrenöffnung sichtbar ist.
Zuerst Vulva von ventral nach dorsal desinfizieren. Dann mit li Hand (sterile
Handschuhe) Labien spreizen und kleine Schamlippen dreimal desinfizieren.
Am Schluss Harnröhrenöffnung desinfizieren. Der letzte Tupfer wird in den Va-
ginaleingang gebracht. Desinfektionstupfer mit Pinzette halten, nur einmal be-
nutzen. Mit neuer Pinzette Katheter in die Harnröhre einführen. Bei Dauerka-
thetern Blockballon mit 5 oder 10 ml Aqua dest. füllen. Vorsichtig zurückziehen,
2.4 Drainagen 65
bis man einen federnden Widerstand spürt. Tupfer aus dem Vaginaleingang ent-
fernen.
Komplikationen HWI durch Keimverschleppung und aufsteigende Inf. (Risiko
bei Dauerkatheter 5 % pro Tag) und nachfolgende Urosepsis, deshalb Durchfüh-
rung nur unter strikter Asepsis und Antisepsis.
Katheterwechsel Mind. alle 2 Wo. (Ausnahme: Silastik-Langzeitkatheter alle
3 Mon.). Bei trübem Urin, Hinweis auf Inkrustierung oder Infektion sofort Kathe-
ter wechseln. 2
Suprapubischer Blasenkatheter
Indikationen Peri- und postop. Urinableitung, Urethralstrikturen und -verlet-
zungen, akuter Harnverhalt. Heute deutlich rückläufige Bedeutung.
Kontraindikationen Unterbauchtumor, v. a. Blasenkarzinom.
Material Zystotomie-Set (z. B. Cystofix®), Malecot-Katheter 20 G oder 24 G,
10 ml Lidocain 1 % mit Kanüle (22 G/0,7) Skalpell, sterile Tücher und sterile
Handschuhe, Einmalrasierer.
Durchführung Gefüllte Blase palpieren und perkutieren; ist Blase nicht gefüllt,
500–1.000 ml Tee geben, oder bei schon liegendem transurethralem Katheter re
trograde Füllung. Rasur und Desinfektion der Haut, Infiltrationsanästhesie, etwa
2–3 cm über der Symphyse in der Medianlinie. Zur Lokalisationshilfe mit noch
liegender Anästhesienadel Punktionsversuch. Stichinzision der Haut mit Ein-
malskalpell. Punktionsbesteck in die Blase einführen und Katheter vorschieben,
danach Punktionskanüle zurückziehen und entfernen (Kanüle an Perforations-
stelle aufklappbar). Katheter je nach Typ mit Ballon blocken oder mit Naht fixie-
ren, steriler Verband.
Komplikationen Peritonitis bei Via falsa, Blutung.
Katheterwechsel Mind. alle 2 Mon., Blase 2 × pro Wo. mit steriler Kochsalz-Lsg.
spülen.
Intraabdominelle Robinson-Drainage
Intraabdominelle Robinson-Drainage z. B. bei ausgedehnter laparoskopischer OP
zur Überwachung einer evtl. Nachblutung. Ablauf ohne Sog in einen Drainage-
beutel. Kann auch Spülflüssigkeit aufnehmen. Entfernung nach 24–48 h postop.;
Fadenfixierung.
66 2 Ärztliche Arbeitstechniken
2.5 Transfusionen
2.5.1 Transfusionsgesetz
Administrative Voraussetzungen
Nach dem neuen Transfusionsgesetz muss jedes Krankenhaus, das Blutübertra-
gungen durchführt, einen Transfusionsverantwortlichen für die gesamte Klinik
2 benennen. Er hat für die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen zu sorgen und
ein Qualitätssicherungssystem einzuführen bzw. weiterzuentwickeln. Jede trans-
fusionsmedizinisch tätige Krankenhausabteilung benennt einen Transfusionsbe-
auftragten. Er stellt die Durchführung der gesetzlichen Maßnahmen in der jewei-
ligen Krankenhausabteilung sicher.
In Krankenhäusern der Akut- und Maximalversorgung ist eine transfusionsme-
dizinische Kommission einzurichten. Diese setzt sich aus dem Transfusionsver-
antwortlichen, den Transfusionsbeauftragten, dem Krankenhausapotheker, ei-
nem Vertreter der Krankenpflegeleitung sowie der leitenden MTA zusammen.
Sie erarbeiten Richt- und Leitlinien zur Umsetzung von Gesetzen und Regelun-
gen zur Transfusionsmedizin und erstellen somit ein internes Qualitätssiche-
rungssystem.
Ebenfalls gesetzlich geregelt ist der blutgruppenserologische Untersuchungsum-
fang:
• AB0-Eigenschaften.
• Rh-Faktor D.
• Antikörpersuchtest.
• Kreuzprobe.
• Ggf. weitere Merkmale und deren Ak (bei pos. Ak-Suchtest).
Jedes blutgruppenserologisch tätige Labor muss interne und externe Qualitäts-
kontrollen gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer durchführen.
Fresh Frozen Ca. 200 ml durch Zitrat ungerinn- Kein Volumenersatz! Erwor-
Plasma (FFP) bares Plasma eines Spenders, bene Gerinnungsstörungen,
Plasmaproteine und Gerinnungs- z. B. Leberinsuff., Verbrauchs-
faktoren in physiologischer Kon- koagulopathie, massiver
zentration. 1 J. haltbar bei –30 °C. Blutverlust. Faustregel bei
Auftauen im speziellen Gerät Massivtransfusionen ab ca. 5.
oder im handwarmen Wasser- EK je 1 FFP auf 2 EK.
bad und sofortige Transfusion
2.5.3 Eigenblutspende
Bei allen planbaren Eingriffen, bei denen eine Transfusion in ≥ 10 % der Fälle er-
forderlich wird, muss die Pat. laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts auf die
Möglichkeit zur Eigenblutspende hingewiesen und diese organisiert werden. Bei
op. Eingriffen mit der Wahrscheinlichkeit einer Transfusion in ≥ 1 % der Fälle ist
die Pat. über die Risiken einer heterologen Transfusion aufzuklären (Inf., Trans-
fusionsreaktion etc.).
In der Gynäkologie wird die Eigenblutspende fast gar nicht mehr angewandt.
Eigenblutpräparate
• Unmittelbar präop. kann eine Eigenblutentnahme als Vollblutkonserve erfol-
gen und alsbald retransfundiert werden.
• Bei gelagertem Eigenblut ist eine Komponententrennung obligat, wodurch ei-
ne Retransfusion überalterter inaktiver Gerinnungsfaktoren und v. a. von
Leukozytendetritus, freigesetzten Enzymen und sauren Stoffwechselproduk-
ten im „Vollblut“ vermieden wird.
Vorteile
• Transfusion von Fremdblut kann vermieden oder verringert werden.
• Vermeidung von Inf. (Hepatitis, Lues, Zytomegalie, HIV).
• Boosterung bei bestehender Immunisierung wird vermieden (auch wenn die-
se nicht nachweisbar war).
• Durch präop. Blutspende wird die Hämatopoese angeregt → bessere postop.
Kompensation des intraop. Blutverlusts.
2.5 Transfusionen 69
Voraussetzungen
• Hb > 11,5 g/dl, Hkt > 33 %.
• Alter i. d. R. zwischen 14 und 75 J.
• Kreislaufstabilität: anamnestisch keine Synkopen, keine manifeste Herzin-
suff., keine generalisierte Sklerose.
• Kein Anhalt für hämatogen streuenden Infektherd oder vergleichbare Sys
temerkr. (z. B. Karzinom).
• OP-Termin in frühestens 8 Tagen.
• OP-Termin muss möglichst genau feststehen, Lagerung der EK nur bis max. 2
7 Wo. möglich.
Indikationen (nach Dt. Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe)
• Reduktionsplastik und Reduktionsmastektomie der Mamma.
• Chirurgie bei ausgedehnter Endometriosis externa oder extragenitalis.
• Myomenukleation bei organerhaltender Ther. des großen Uterus myomatosus.
• Radikale Hysterektomie mit Lymphonodektomie nach Wertheim-Meigs, so-
fern aus der Eigenblutspende kein relevanter, nicht vertretbarer Aufschub der
OP resultiert. (Eine Zirkulation metastasierender Tumorzellen ist beim Zer-
vix- und Endometrium-Ca sehr unwahrscheinlich, dennoch muss das Blut
über Leukozyteninfiltration und/oder Bestrahlung vor Retransfusion von po-
tenziellen Tumorzellen befreit werden; Aufklärungspflicht!).
• Klinische Befundkonstellation, die einen erhöhten Blutverlust erwarten lässt.
• Wunsch der Pat. nach Aufklärung.
Schwangerschaft
• Auch während der Grav. sind Eigenblutspenden möglich, sind aber der
Ausnahmefall. Cave: Der Hb sollte nicht unter 11,5 mg/dl absinken. Ge-
fahr der vorzeitigen Wehentätigkeit und erhöhte Rate an Frühgeburten;
empfohlen wird deshalb die Spende unter CTG-Kontrolle.
• Da die Auswirkungen der Eigenblutspende auf die fetoplazentare Einheit
nicht mit letzter Sicherheit abschätzbar sind, sollte in der Geburtshilfe die
Ind. zur Eigenblutspende stets streng und nur individuell gestellt werden.
Bei starken geburtshilflichen Blutungen werden zudem meist mehr als
2–3 EK benötigt. Selbst bei Pat. mit Placenta praevia, bei denen eine Sectio
elektiv geplant ist, verbietet sich die Eigenblutspende oft durch den er-
niedrigten Hb-Wert infolge präpartaler Blutungen.
Vorgehen
• Bei normalem Ausgangs-Hb (> 12,5 g/dl) nach zweiter Spende Hb-Kontrolle.
• Bei 2 benötigten EK:
– 1. Spende 8–10 Tage vor OP.
– 2. Spende 3–5 Tage vor OP.
• Bei 3 benötigten EK:
– 1. Spende 13–16 Tage vor OP.
– 2. Spende 8–10 Tage vor OP.
– 3. Spende 3–5 Tage vor OP.
• Bei 4 benötigten EK:
– 1. Spende 18–24 Tage vor OP.
– 2. Spende 13–16 Tage vor OP.
70 2 Ärztliche Arbeitstechniken
Retransfusion
• Sollte erfolgen, wenn Hkt unter 30 % sinkt.
• Intraop.: genaue EKG-Kontrolle, da klinische Symptome der Ischämie (RR-
Abfall, Tachykardie) häufig fehlen.
• Zuletzt abgenommenes (jüngstes) Blut zuerst geben.
• Unbedingt Bedside-Test zur Identifikation von Pat. und Konserve!
0 0, A, B, AB 0
A A, AB A, O
B B, AB B, O
AB AB AB, A, B, O
Rhesus-System
Ein Rh-neg. Empfänger muss Rh-neg. Erys erhalten Ein Rh-pos. Empfänger kann
sowohl Rh-pos. als auch Rh-neg. Erys erhalten.
2.5.6 Thrombozytentransfusion
Indikationen
• Thrombopenie: Dringend bei Thrombos < 10.000/μl; unter bzw. unmittelbar
vor der Geburt < 50.000/μl → akute (Spontan-)Blutungsgefahr!
• Bildungsstörungen: z. B. Leukämie, Chemother., Thrombos < 20.000/μl (pro-
phylaktisch) oder bei Thrombopenie mit klinisch manifester Blutungsneigung
(ther.). Großzügige Ind. bei Risikofaktoren (Alter > 60 J., septische Tempera-
turen, Blutungsanamnese). Vor Beckenkammpunktionen bei Thrombos
< 30.000/μl.
• Akuter Blutverlust oder Verbrauchskoagulopathie: ab Thrombos < 50.000/μl,
erst nach Stabilisierung des Inhibitorpotenzials (ggf. AT III) und Low-Dose-
Heparinisierung.
• HELLP-Sy. ▶ 5.8.3.
Durchführung HLA-Typisierung bei allen chron. zu substituierenden Pat. vor
der ersten Transfusion (10–20 ml heparinisiertes Blut bei Raumtemperatur).
2.5 Transfusionen 73
2.5.7 Rechtliche Fragen
Aufklärung
Muss durch einen Arzt erfolgen über Art der Transfusion (auch Möglichkeit der 2
Eigenblutspende, ▶ 2.5.3), Notwendigkeit und Risiken: Möglichkeit einer Immu-
nisierung oder Unverträglichkeit, v. a. bei Wiederholungstransfusionen; mögliche
Übertragung einer Syphilis, Hepatitis oder von HIV insb. bei Transfusionen von
Präparaten ohne Kontrolluntersuchungen (Frischblut). Möglichst schriftliche
Einverständniserklärung.
2.5.8 Transfusionsreaktionen
Transfusionsreaktionen
Ätiologie Am häufigsten als Folge von antileukozytären Ak (HLA-Ak) des
Empfängers, wenn leuko- oder thrombozytenhaltige Konserven transfundiert
wurden (febrile nichthämolytische Transfusionsreaktion).
Klinik Als Sofort- oder Frühreaktionen während oder als Spätreaktion noch Ta-
ge nach der Transfusion Unwohlsein, Fieber, Hitze- und Beklemmungsgefühl,
Übelkeit, Schüttelfrost, Tachykardie, Juckreiz, nur selten Blutdruckabfall bis zum
Schock und Atemnot (Bronchospasmus).
Hämolytische Zwischenfälle
Ätiologie Durch antierythrozytäre Ak (z. B. AB0-Unverträglichkeit).
Klinik Allgemeinsymptome mit Mikrozirkulationsstörungen in allen Organen
(Schmerzen in der Lendengegend, hinter dem Sternum und den langen Röhren-
knochen), Schock (RR ↓, Tachykardie, blasse, kalte Akren, evtl. Übelkeit, Erbre-
chen; ▶ 3.5), Verbrauchskoagulopathie und ANV. Letalität 6–20 %.
Differenzialdiagnose Schwierige DD zur vorgenannten Transfusionsreaktion.
74 2 Ärztliche Arbeitstechniken
Plasmabestandteile
Für die Gewinnung von Plasmafraktionen werden große Mengen von Plasma aus
Einzelblutspenden gepoolt (gemischt). Serologische Untersuchung (s. o.) vor der
Poolung, da sonst die Sensitivität durch den Verdünnungseffekt vermindert wird.
Theoretisch erhöht sich das Infektiositätsrisiko solcher gepoolten Präparate auf-
grund der Spenderzahl (sorgfältige Spenderauswahl – zzt. 70 % Importplasma,
korrekte serologische Untersuchung).
Je nach Hersteller (Patentrecht) verschiedene virusinaktivierende Verfahren (z. B.
Alkoholfraktionierung nach Cohn, Pasteurisierungsverfahren). Restinfektionsri-
siko ist nicht auszuschließen. HBV und HCV sind sehr viel resistenter gegenüber
Virusinaktivierungsverfahren als HIV!
Dokumentationspflicht
Dokumentation von Präparatenamen, pharmazeutischem Unternehmen,
Chargenbezeichnung für zellhaltige Blutkonserven, Gerinnungsfaktoren (z. B.
FFP, Antithrombin III, F VII, VIII, IX, XIII, Prothrombinkomplex-Präparate,
Prothrombinkomplex mit Faktor-VIII-Inhibitor-Bypass-Aktivität, Fibrino-
gen), Gewebekleber (Fibrin), Proteinase-Inhibitoren (α1-Antitrypsin).
Aminosäuren (AS)
Indikationen Minderung der Katabolie. Energiegehalt 4 kcal/g.
• Bei Leberinsuff.: angereichterte AS-Lsgn. mit verzweigtkettigen AS Valin, Leucin
und Isoleucin, Reduktion von Methionin, Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan.
• Bei Niereninsuff.: angereicherte bzw. solitäre AS-Lsgn. mit essenziellen AS
und L-Histidin zur Reduktion der Harnstoffsynthese.
Dosierung Max. 2 g/kg KG/d (gilt nicht bei Leber- oder Niereninsuff.), Mindest-
bedarf nach OP und Traumen 1 g/kg KG.
Fette
• Hohes Energieangebot (34 kJ/g = 9 kcal/g) in kleinen Flüssigkeitsvolumina.
• Einsatz erst nach der akuten Phase des Postaggressionssy.
Kontraindikationen Hypertriglyzeridämie (> 350 mg/dl = 4,0 mmol/l), diabeti-
sche Ketoazidose, akute nekrotisierende Pankreatitis, akuter Myokardinfarkt,
akute Thrombembolie. Vorsicht bei Gerinnungsstörungen und floriden Inf.
Dosierung Initial 0,5 g/kg KG, unter regelmäßigem Monitoring (2 ×/Wo. Trigly-
zeridspiegel) und kontinuierlicher Gabe über 24 h Steigerung auf max. 2 g/kg
KG/d, bei Niereninsuff. max. 1 g/kg KG/d. Periphervenös applizierbar, jedoch se-
parater Zugang nötig, nicht mit anderen Substanzen mischen. Bei mehrwöchiger
parenteraler Ernährung mindestens 0,2 g/kg KG/d applizieren.
E‘lyte
• Natrium 1–1,4 mmol 2–3 mmol 3–4 mmol
• Kalium 0,7–0,9 mmol 2 mmol 3–4 mmol
• Kalzium 0,1 mmol 0,15 mmol 0,2 mmol
2.6 Infusions- und Ernährungstherapie 77
Applikation
• Je nach Bedarf bis max. 2–3 l/d; Applikation als Bolus: 100–300 ml innerhalb
weniger Min. mit Pausen von ca. 1–2 h.
• Vor jeder Nahrungsgabe aspirieren; wenn mehr als 100 ml zu aspirieren sind,
mit der nächsten Gabe warten.
• Zwischen den Applikationen Sonde abklemmen oder Beutel hoch hängen,
um einen Reflux zu vermeiden.
• Magensonde etwa 30 Min. vor Applikation öffnen.
• Mit ca. 20 ml H2O oder Tee nachspülen: verhindert Verstopfen der Sonde.
• Bei Duodenalsonden empfiehlt sich die kontinuierliche Applikation über eine
Ernährungspumpe, da im Dünndarm ein Reservoir fehlt; sonst allenfalls Bo-
lusgaben von 50 ml.
• Verbindungsschläuche und Beutel alle 24 h erneuern, um eine bakterielle
Kontamination zu vermeiden.
• Bei Pat. mit erhaltenem Bewusstsein Nachtpause einhalten.
• Allmählicher Übergang zu oraler Ernährung.
Monitoring in der Aufbauphase BZ-Tagesprofil. Alle 2 Tage E’lyte und Krea, 1 ×
wöchentl. Leberwerte, Bili, Triglyzeride, Albumin und Phosphat.
Komplikationen
• Abdominalschmerzen, Erbrechen.
• Dumping-Sy.
• Bei Diarrhö abklären, ob Sondenkost zu kalt war, zu schnell eingelaufen
ist, die Sonde zu tief liegt, die Menge zu groß war, eine bakterielle Konta-
mination oder eine osmotische Diarrhö besteht.
• Hyperosmolares, hyperglykämisches Koma (Tube-Feeding-Sy.).
• Aspiration.
• Bei Gastrostomie oder Jejunostomie Peritonititsgefahr.
3 Internistische Probleme
Arno Dormann
3.1.2 Akute Dyspnoe
Vorgehen bei akuter Dyspnoe
• R R, Puls (z. B. Schock, hypertensive Krise), Fieber.
• A uskultation: ohrnahe RG (Pneumonie), feuchte RG (Lungenödem), Spastik,
verlängertes Exspirium (Asthma, exazerbierte chron. Bronchitis).
• H ochlagerung des Oberkörpers.
• B GA, ggf. O2-Gabe (z. B. 2 l/Min.).
• E KG: Herzinfarkt, Lungenembolie (▶ 3.1.6), Arrhythmie.
• V enenverweilkanüle legen und Blut (BB, Troponin T, CK, CK-MB, GOT) ab-
nehmen.
3.1.3 Akutes Koronarsyndrom
Einteilung
3
• Instabile Angina pectoris: neu aufgetretene oder verstärkte Brustschmerzen
mit EKG-Veränderungen.
• M yokardinfarkt ohne ST-Elevation (NSTEMI): instabile Angina pectoris plus
Troponinerhöhung.
• S T-Elevations-Myokardinfarkt (STEMI): Troponinerhöhung plus ST-Stre-
ckenhebung oder neu aufgetretener Linksschenkelblock.
Klinik Herzinfarktverdacht bei Angina pectoris > 20 Min., Vernichtungsgefühl,
Todesangst, Übelkeit, Dyspnoe. Schmerzausstrahlung in li und re Arm, Hals, Un-
terkiefer, Epigastrium. Fehlender Effekt von Nitroglyzerin. Prodromale Angina
pectoris in 60 %. Cave: Bei ca. 20–30 % der Pat. „stummer“, d. h. schmerzloser In-
farkt (gehäuft bei Diabetikern).
Diagnostik
• B efund: kaltschweißige Haut, Tachykardie, Hypotonie, evtl. Schock.
! D D des retrosternalen Schmerzes ▶ 3.1.1.
• B ei Vorliegen von zwei der drei folgenden Kriterien ist von einem Infarkt
auszugehen:
– Typische Klinik (fehlt bei 30 %).
– Infarkttypisches EKG (fehlt bei 30 %).
– Infarkttypischer Enzymverlauf (fehlt bei 30 %).
Erstmaßnahmen
• S ofortige Verlegung auf Intensivstation einleiten, Pat. nicht allein lassen.
• I. v. Zugang, keine i. m. Injektionen (verfälscht Enzymdiagn., Blutungs-
probleme bei Lyse!).
• L abor: Troponin, CK, GOT.
• E KG.
• B eatmung: O2 über Nasensonde, z. B. 2–6 l/Min.
• B ei V. a. Myokardinfarkt: ASS 250–500 mg i. v. (z. B. Aspisol®) oder p. o.
(cave: ASS-Allergie), hoch dosiertes Heparin.
• S edierung: z. B. Diazepam 5–10 mg i. v. (Valium®), bei Übelkeit ® Aliza
prid 50–150 mg i. v. (Vergentan®).
• A nalgetika: Opiate, z. B. Morphin 10–20 mg i. v.
• N itroglyzerin 2 Sprühstöße (0,8 mg) s. l., danach über Perfusor 2–4 mg/h
(= 2–4 ml/h) unter RR-Kontrolle. KI: RRsystol < 100 mmHg, Schock.
84 3 Internistische Probleme
3.1.4 Arterielle Hypertonie
3
Hypertonie in der Schwangerschaft ▶ 5.8.
Ätiologie
• P rim. (essenzielle) Hypertonie: zu über 90 %, gehäuft vergesellschaftet mit
Adipositas, Typ-2-Diab. mell. oder pathologische Glukosetoleranz, Hyperli-
poproteinämie (Triglyzeride ↑, HDL ↓) und Hyperurikämie als metaboli-
sches Sy.
• ymptomatische (sek.) Hypertonie: selten.
S
• chwangerschaftsinduziert (SIH): I. isolierte SIH, II. SIH mit Proteinurie +
S
evtl. Ödemen = Präeklampsie = EHP-Gestose (▶ 5.8.1)
– Renal bis 5 %: renoparenchymatös, renovaskulär.
– Obstruktives Schlafapnoe-Sy.: Schnarchen, nächtliche Atempausen, impe-
rativer Schlafdrang, Adipositas.
– Vaskulär: Aortenisthmusstenose.
– Endokrin bis 5 %: prim. Hyperaldosteronismus, Hyperthyreose, Cushing-
Sy., Conn-Sy., Phäochromozytom, Akromegalie.
– Medikamentös: OH, Glukokortikoide, Sympathomimetika (auch Augen-
und Nasentropfen), Psychopharmaka, Schilddrüsenhormone.
– Neurogen: Hirndruck, erhöhter Sympathikotonus, Sklerose der Karotissi-
nus.
– Sonstige: SIH (▶ 5.8), Fieber, Hypervolämie.
3.1 Kardiopulmonale Störungen und Gefäßerkrankungen 85
Diagnostik
• L abor: BSG, K+, Na+, BZ, BB (z. B. Polyglobulie, Anämie), Krea, Harnsäure,
Gesamteiweiß, Cholesterin und Triglyzeride, Urinstatus.
• KG: z. B. Hypertrophie- oder Ischämiezeichen.
E
• R: immer an beiden Armen messen.
R
• cho: z. B. Hypertrophie.
E
• berbauchsono, Farbdoppler der Nieren (Nieren, Nebennierentumor), Rö-
O
Thorax.
oder Kalziumantagonist
oder Betablocker
Therapieprinzipien
! B ei V. a. sek. Hypertonie → Konsil Innere.
• In der Schwangerschaft prim. Ther. mit kardioselektiven β1-
Rezeptorblockern, α-Methyldopa, Dihydralazin.
• S alzrestriktion, Gewichtsreduktion; Hyperlipoproteinämie, Hyperurikämie
und Diab. mell. behandeln, Nikotinverzicht.
• R egelmäßiges Ausdauertraining, kein Krafttraining (RR ↑).
• R R-Selbstmessung.
• Z um Ausschluss unerwünschter RR-Spitzen RR-Tagesprofil (z. B. 7, 11, 15
und 22 h), RR-Messung nach Belastung oder 24-h-RR-Messung.
Kardioselektive β1-Rezeptorblocker
Indikationen V. a. für junge Pat.
Kontraindikationen Dekompensierte Herzinsuff., AV-Block II–III, Bradykardie,
bifaszikulärer Block, pAVK (III–IV), Asthma bronchiale, COPD.
Präparate und Dosierung
• A
tenolol 1 × 50–200 mg/d p. o. (z. B. Tenormin®).
• M
etoprolol 2 × 50–100 mg/d p. o. (z. B. Beloc®).
86 3 Internistische Probleme
Methyldopa
Zentral wirksamer Alphablocker.
Indikationen Mittel der Wahl zur langfristigen Therapie der Schwangerschafts-
hypertonie.
Kontraindikationen Depression, hämolytische Anämie.
3 Präparate und Dosierungen Methyldopa (z. B. Presinol®) 2–3 × 250–500 mg/d
p. o., langsam aufdosieren.
Dihydralazin
Indikationen Mittel der 1. Wahl bei hypertensiver Krise in der Schwangerschaft.
Kontraindikationen Bewirkt reflektorische Tachykardie, NaCl-Restriktion.
Präparate und Dosierungen Dihydralazin (z. B. Nepresol®) 3 × 12,5–50 mg/d p. o.
Kalziumantagonisten
Indikationen V. a. für ältere Pat. Bei leichter oder labiler Hypertonie, bei KI ge-
gen Betablocker.
Kontraindikation 1. Trimenon der Schwangerschaft.
Präparate und Dosierungen z. B. Amlodipin 1 × 5–10 mg tägl. p.o. (z. B. Nor
vasc®).
Nebenwirkungen Tachykardie, Ödeme, Kopfschmerzen, Flush.
ACE-Hemmer
Indikationen Essenzielle Hypertonie, geringe Herzinsuff. (NYHA II/III).
Kontraindikationen Grav., Stillzeit, Niereninsuff. (Krea > 1,5 mg/dl), Nierenar-
terienstenose bds., Transplantatniere, gleichzeitige Ther. mit kalziumsparendem
Diuretikum, Hyperkaliämie, immunsuppressive Ther., Leberinsuff.
Präparate und Dosierungen z. B. Enalapril 1 × 2,5–5 mg/d p. o. (z. B. Xanef®).
Nebenwirkungen Chron. Reizhusten (in 10 %), Hyperkaliämie, Krea-Anstieg,
Hypotonie, Proteinurie, Leukopenie, Geschmacksstörungen, Exantheme.
AT1-Rezeptorblocker
Kontraindikationen Schwangerschaft.
Präparate z. B. Telmisartan 1 × 20–80 mg/d (Micaordis®).
α1-Blocker
Werden meist erst bei Tripelther. verwendet.
3.1 Kardiopulmonale Störungen und Gefäßerkrankungen 87
3.1.5 Tiefe Beinvenenthrombose
Klinik Schmerz, Schweregefühl, Ödem (Umfangsdifferenz beider Beine > 2 cm),
livide Verfärbung, prominente Venen über Tibiakante, Überwärmung, leichtes
Fieber, Puls ↑.
Fußsohlendruckschmerz, Wadenschmerz bei Dorsalflexion des Fußes bei ge-
strecktem Bein.
KO: Lungenembolie (▶ 3.1.6), chron. venöse Insuff.
Diagnostik D-Dimere im Blut. Das Fehlen von D-Dimeren macht eine TVT
sehr unwahrscheinlich (cave: postop. erhöht) Doppler- oder Farbdoppler-Sono.
Ggf. Thrombophiliediagn. bei Pat. < 45 J.
Differenzialdiagnosen Thrombophlebitis, art. Verschluss, Erysipel, Lymphangi-
tis, Wadenkrampf, Wurzelreizung.
3.1.6 Lungenembolie
3 Ätiologie Meist Thrombembolie nach (postop., postpartaler) Thrombose der tie-
fen Bein- oder Beckenvenen.
Klinik Dyspnoe, Tachypnoe, atemabhängiger Schmerz, Husten, Hämoptyse,
Symptome der tiefen Beinvenenthrombose. Bei massiver Embolie ängstliche Pat.
mit hochgradiger Dyspnoe.
Diagnostik Klinisch! Unterstützend:
• L abor: D-Dimere pos.; ein Fehlen von D-Dimeren macht eine TVT sehr un-
wahrscheinlich (cave: postop. erhöht).
• E KG: SIQIII, neg. T in V1–3, S bis V6, Vergleich mit Vor-EKG entscheidend!
• B GA: pO2 ↓, pCO2 ↓, pH ↑.
• F arbdoppler der Beinvenen (Thrombose), alternativ Phlebografie.
• R ö: selten pathol. verändert. Rechtsherzvergrößerung.
• A usschluss: Ventilations- und Perfusionsszintigramm, Nachweis: Pulmona-
lis-DSA.
Differenzialdiagnosen Herzinfarkt, akutes Rechtsherzversagen, Atemwegsob
struktion, Herzbeuteltamponade (→ Sono), Pneumothorax, Schock anderer Ge-
nese (▶ 3.5).
3.1.7 Asthma bronchiale
Definition Anfallsweise Atemnot infolge Entzündungen und bronchialer Hy-
perreaktivität. Allergisches Asthma (exogen-allergische Form), nichtallergische
3.1 Kardiopulmonale Störungen und Gefäßerkrankungen 89
Ther. in der Schwangerschaft auf jeden Fall fortsetzen, da für den Embryo/
Fetus von einer Asphyxie im Asthmaanfall größte Gefahr ausgeht.
3.1.8 Pneumonie
Diagnostik
• R ö: bei „atypischen“ Pneumonien oft Diskrepanz zwischen deutlichem Rö-
Befund und neg. Auskultationsbefund.
• L abor: Leukozytose mit Linksverschiebung, BSG ↑, CRP ↑↑ v. a. bei bakteri-
ellen Pneumonien; bei Mykoplasmen oft Kälteagglutinine nachweisbar.
• E rregernachweis in Blut, Pleurapunktat, Bronchialsekret, bronchoalveolärer
Lavage; Sputumuntersuchung nicht sinnvoll.
• B GA: schlechte Prognose bei respiratorischer Globalinsuff.
Therapie Ausreichend Flüssigkeit (Fieber), bei hohem Fieber Bettruhe und
Thrombembolieprophylaxe, Antipyretika, z. B. Paracetamol 3 × 1 g/d p. o. (z. B.
ben-u-ron®). Antibiose ▶ 22.6. In der Grav. prim. Amoxicillin/Clavulansäure 3 ×
3 625–1.250 mg/d p. o. (Augmentan®), alternativ bei Penicillinallergie Clarithromy-
cin 2 × 500 mg/d p. o. (z. B. Klacid®).
3.1.9 Pleuraerguss
Ätiologie In etwa 50 % durch maligne Tumoren verursacht, z. B. Bronchial-Ca,
Pleuramesotheliom, Mamma-Ca, Hypernephrom, malignes Lymphom, metasta-
sierendes Ovarial-Ca (Ovarial-Fibrom: Meigs-Sy.).
Klinik Oft asymptomatisch. Dyspnoe, atemabhängige Schmerzen; Klopfschall-
dämpfung, abgeschwächtes Atemgeräusch basal (DD: Zwerchfellhochstand).
Diagnostik
• Jeder Pleuraerguss erfordert eine diagn. Klärung durch Punktion.
• S ono, Rö-Thorax in Seitenlage (betroffene Seite unten), um freies Abfließen
(und damit Punktionsmöglichkeit) beurteilen zu können.
Differenzialdiagnosen Tbc, Pneumonie, Rechtsherzinsuff.; Hypoalbuminämie,
subphrenischer Abszess (Fieber, Zwerchfellhochstand), Pankreatitis (linksseitiger
Pleuraerguss).
Punktion
• D iagn. Punktion: oft über Kanüle möglich. Röhrchen für Hämatologie
(Zellzählung und Differenzierung), klinische Chemie (Protein, spez. Ge-
wicht, Cholesterin; ggf. zusätzlich LDH, Laktat, Glukose, α-Amylase), Mikro-
biologie (Erreger und Resistenz, Tbc-Kultur) und Zytologie (z. B. maligne
Zellen, Entzündung). Eiweiß > 3 g/dl und Cholesterin > 50 mg/dl sprechen
für malignen Erguss, beweisend ist die Zytologie, ggf. mehrmals wiederholen.
• T herapeutische Punktion: (z. B. mit Pleurocath®). Auch wiederholt v. a.
bei Dyspnoe. Cave: Nicht mehr als 1–2 l/d ablassen (Gefahr des Lungen-
ödems e vacuo); Gerinnung überprüfen. Ggf. Drainage einlegen.
• A
temstillstand oder Schnappatmung (bei prim. Kreislaufstillstand nach 15–
40 Sek.).
• W eite, lichtstarre Pupillen (nach 30–90 Sek.).
• F ehlender Herzschlag bei Herzauskultation (nicht zu viel Zeit verwenden!).
• G rau-zyanotische Hautfarbe (unsicheres Zeichen).
Diagnostik Anhand der klinischen Symptomatik. Weitere diagn. Maßnahmen
(EKG, BGA, Labor) erst nach der Elementarther. Präkordialen Faustschlag nur
bei beobachtetem Eintreten des Kreislaufstillstands, nur einmal anwenden.
ABCDEF-Regel
Atemwege freimachen Fremdkörper aus Mund-Rachen-Bereich entfernen, Kopf
überstrecken und Unterkiefer nach vorn und oben ziehen (= Esmarch-Handgriff
▶ Abb. 3.1). 3
Abb. 3.1 Esmarch-Handgriff und Maskenbeatmung (Maske mit Daumen und Zei
gefinger über Mund und Nasenöffnung pressen, mit den restlichen Fingern Kopf
in reklinierter Stellung fixieren) [L106]
Beatmung
• M und-zu-Nase, Mund-zu-Mund, Mund-zu-Tubus (Safar-Tubus, Guedel-Tu-
bus), Maskenbeatmung (Ambu-Beutel, Methode der Wahl für im Intubieren
Ungeübte! ▶ Abb. 3.1) mit 100 % O2.
• Intubation: zuverlässigste Methode. Benötigte Materialien: Laryngoskop, En-
dotrachealtubus mit Führungsdraht, 10-ml-Spritze zum Blocken des Tubus,
Klemme, Absauggerät. Tubus-Ø bei F 7,0–7,5 = 30–32 Ch, bei Kindern Alter
(J.) + 18 = Ch. Bei Sgl. 3,5 = 15 Ch (▶ 9.2.2).
• N otfallkoniotomie: Wenn Beatmung bzw. Intubation nicht möglich ist (z. B.
bei Glottisödem), ggf. Notfalltrachealpunktion mit 3–5 dicken (z. B. 12 G)
Venenverweilkanülen zwischen Schild- und Ringknorpel.
Herzmassage und Beatmung im Wechsel: 30 : 2, Drucktiefe beim Erw. etwa
4–5 cm, Kompressionsfrequenz 100/Min. (kardiopulmonale Reanimation bei NG
▶ 9.2.1).
Circulation Bei jedem Herzstillstand sollte nach erfolglosem initialem Beat-
mungsversuch sofort mit der Herzdruckmassage (HDM, ▶ Abb. 3.2) begonnen
werden. Extrathorakale Herzmassage (flache Lagerung auf harter Unterlage,
92 3 Internistische Probleme
3
Ballen der Hand auf Ballen der anderen
die Mitte des Brustkorbs Hand darauf, Finger verschränken
Basisreanimation
ABCD
Defibrillator
Puls vorhanden anschließen
3
Intensivtherapie
Puls nicht vorhanden
Rhythmus
prüfen
Kammertachykardie/-flimmern
(VT/VF) refraktär:
• Adrenalin 1 mg i.v. 1:10 verdünnt geben,
alle 3–5 Min. wiederholen; alternativ
Vasopressin 40 IE als Einmalgabe
(noch nicht in Deutschland im Handel)
• Amiodaron 300 mg i.v.
1x
Defibrill. Patient ohne VT/VF:
150–360 J Adrenalin 1 mg i.v. alle 3–5 Min.
biphasisch
oder 360 J Erwägen:
mono- • Antiarrhythmika, z.B. Magnesium 4–8 mol,
phasisch Ajmalin (Gilurytmal®) 1 Amp. = 50 mg,
Atropin 1–3 mg als Bolus, Bicarbonat
(initial 1 mmol/kg KG)
• Schrittmacher
Abb. 3.3 Maßnahmen bei Kammerflimmern, Asystolie und EMD (CPR = Herz
druckmassage) [L157]
94 3 Internistische Probleme
• A
tropin bei Bradykardie 1 mg i. v., nicht intrakardial injizieren!
• V
olumenersatz: initial durch Beinhochlage (Ausnahme Lungenödem), da-
nach großzügige Gabe von kristalloiden oder kolloidalen Lsgn.
• N
atriumbikarbonat 8,4 % (1 ml = 1 mmol), frühestens 10 Min. nach Beginn
des Herzkreislaufstillstands (Ausnahme: Hyperkaliämie, metabol. Azidose →
sofortige Gabe) mit 0,5–1 ml/kg KG; möglichst frühzeitig Korrektur nach
BGA: Bedarf an NaHCO3 in mmol = neg. BE × kg KG × 0,3.
• M
agnesium: 8 mmol Mg2+ bei v. a. Hypomagnesiämie.
EKG Zur DD der Rhythmusstörung (Kammerflimmern, Asystolie, elektrome-
chanische Entkopplung, ▶ Abb. 3.3) und zur Ther.-Kontrolle.
Flüssigkeit Kristalloide und/oder kolloide Infusionslsgn.
3
3.2 Magen-Darm-Trakt
3.2.1 Akutes Abdomen
▶ 14.1.1.
3.2.2 Akute Appendizitis
• A ppetitlosigkeit.
• Z unächst ziehende, oft kolikartige Schmerzen periumbilikal oder im Epigast-
rium; belegte Zunge.
• Ü
belkeit und Erbrechen.
• N
ach einigen Stunden Schmerzverlagerung in den re Unterbauch. Jetzt Dau-
erschmerz mit Verstärkung beim Gehen. Beugung des re Beins bringt Entlas-
tung.
• L eichtes Fieber mit rektal-axillärer Differenz > 0,8 °C.
! K O: Perforation (meist am 2. Tag). Bei gedeckter Perforation zunächst Bil-
dung eines perityphlitischen Infiltrats: palpabler Tumor 3–5 Tage nach
Symptombeginn. Bei eitriger Einschmelzung Abszessbildung.
Befund
• L okale Abwehrspannung.
• D ruck- und Klopfempfindlichkeit im re Unterbauch, bei atypischer Lage
(z. B. im kleinen Becken, unter der Leber) atypische Schmerzlokalisation.
• D ruckpunkte: McBurney (Mitte zwischen Nabel und Spina iliaca ant. sup.)
und Lanz (re Drittel zwischen den beiden Spinae).
• O ft (aber nicht immer!) ipsi- und kontralateraler Loslassschmerz.
• R ektale Untersuchung (obligat): Druckschmerz (bei Beckenlage der Appen-
dix oft einziges Symptom). Douglas-Abszess: fluktuierende Vorwölbung.
Diagnostik
• L abor-Mindestprogramm: BB mit Thrombos, E‘lyte, Krea, BZ, α-Amylase,
Kreuzblut. Leukos > 17.000/μl sprechen für Perforation.
• U rinsediment: Mikrohämaturie bei Nierenkolik, manchmal aber auch bei re
trozökaler Appendix. Leukozyturie und Bakteriurie bei Pyelonephritis.
3.3 Niere 95
3.3 Niere
3.3.1 Infektion der ableitenden Harnwege (Zystitis)
Epidemiologie Bei Frauen die häufigste Infektionskrankheit überhaupt. Wird
begünstigt in der Grav. (▶ 5.13.14), durch postpartalen Harnverhalt, nach vag.-op.
Entbindungen (▶ 7.2.2 und ▶ 7.2.3).
Ätiologie Erreger nichtnosokomialer HWI sind in 90 % Enterobacteriaceae (da-
von 80 % E. coli, seltener Proteus und Klebsiellen), in ca. 5 % Pseudomonas aeru-
ginosa und Staphylokokken. Nosokomial erworbene HWI sind häufig durch
„Problemkeime“ wie z. B. multiresistente Staphylokokken verursacht, auch E.-co-
li-Inf. zeigen häufig Resistenzen → Antibiogramm.
Klinik Pollakisurie-Dysurie-Sy., meist kein Fieber.
Voraussetzung für Ther. ist die Unterscheidung des HWI in symptomatisch/
asymptomatisch, akut/chron., prim. (idiopathisch, häufig nach GV:
„Honeymoon“-Zystitis) oder sek. (z. B. iatrogen, nosokomial), obstruktiv (mit
Harnaufstau) oder nichtobstruktiv und distal/proximal.
Diagnostik
• S ediment: Leukozyturie, Bakteriurie; Nitrit meist pos., evtl. Mikrohämaturie.
• U rinkultur aus M-Urin mit Antibiogramm. 106 Keime/ml sind signifikant,
bei Symptomen, Leukozyturie oder Immunsuppression auch schon 105/ml.
96 3 Internistische Probleme
Therapie
• A symptomatische Bakteriurie (ca. 5 % der Frauen im Erw.-Alter): keine Ther.,
Ausnahme: Grav. (s. u.), Diab. mell., Immunsuppression → häufig entwickeln
sich symptomatische HWI.
• A kute bakterielle Zystitis < 7 Tage und ohne Fieber: Einzeitther. mit Fosfo-
mycin 1 × 3 g p. o. (z. B. Monuril® 3000) oder Amoxicillin 1 × 3 g p. o. (z. B.
Clamoxyl®) oder Co-trimoxazol 1 × 2.880 mg (z. B. Eusaprim forte®) KI:
Schwangerschaft und Stillzeit. Kontroll-Urinkultur nach 5 Tagen. Wirkt bei
80 % der Pat. Bessere Ergebnisse bei Ther. über 3 Tage. Rezid. bakterielle Zys-
titis: erneute Einzeitther. oder Antibiose über 7 Tage.
• Z ystitis bei Grav.: Jede Zystitis in der Schwangerschaft ist therapiepflichtig.
Konservativ: Antibiose (auch bei nichtsignifikanter Keimzahl < 105), z. B.
über 7 Tage Amoxicillin 3 × 750 mg/d oder Oral-Cephalosporin (z. B. Orelox®
3 2 × 200 mg/d). Stationäre Ther. bei fieberhaftem und therapieresistentem
Verlauf. Kontrolluntersuchungen bis zum Wochenbett.
• D iab. mell.: über 7 Tage Amoxicillin oder Oral-Cephalosporin oder Chinolon
(z. B. Ciprofloxacin 2 × 250 mg p. o.). Kontroll-Urinkultur nach 5 Tagen und
6 Wo.
• N ichtgonorrhoische Urethritis: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. über mind.
1–2 Wo. (z. B. Doxy-CT®); bei Versagen Erythromycin 3 × 500 mg/d p. o.
über 1–2 Wo. (z. B. Erythrocin®). Wurden Enterokokken nachgewiesen, Co-
trimoxazol oder Amoxicillin über 7 Tage.
3.3.2 Pyelonephritis
Klinik Fieber > 38 °C, Flankenschmerz. Klopfschmerzhaftes Nierenlager (re
> li). Pollakisurie und Dysurie können fehlen! Potenziell lebensbedrohliche Erkr.,
da sich jederzeit eine Pyonephrose oder Urosepsis entwickeln kann!
Diagnostik
• L abor: Sediment, Urin-Kultur (nach 5 Tagen Wiederholung), Blutkultur, BB
(Leukozytose), BSG ↑, CRP ↑↑. Tägl. Krea, um Nierenfunktionsverschlech-
terung frühzeitig zu erfassen. Gerinnungsparameter, Ein- und Ausfuhr.
• S ono (obligat): Niere vergrößert, Narben, Nierensteine, Harnaufstau.
• G gf. CT, nach der Akutphase i. v. Urogramm zur Ursachenklärung.
Stationäre Therapie
• B ettruhe, regelmäßige Temperaturkontrollen.
• A usfuhr soll > 1.500 ml/d betragen.
• B ei auswärts erworbener Pyelonephritis (PN): Amoxicillin 3 × 2 g/d i. v. (z. B.
Amoxicillin-CT®) oder Cephalosporin z. B. Cefotaxim 2 × 2 g/d i. v. oder Chi-
nolon (cave: steigende Resistenzraten), z. B. Ciprofloxacin 2 × 500 mg/d p. o.
• B ei im Krankenhaus erworbener PN Kombination von Cephalosporin und
Aminoglykosid z. B. Gentamicin 1 × 3–5 mg/kg KG/d (z. B. Refobacin®) als
Kurzinfusion über 30 Min. Spiegelkontrolle, Nierenwerte kontrollieren!
• I. v. Ther. ca. 10 Tage, Aminoglykoside können meist nach Entfieberung ab-
gesetzt werden. Nach i. v. Ther. Amoxicillin oder Co-trimoxazol p. o. über ca.
2 Wo. fortführen.
3.3 Niere 97
3.3.3 Urosepsis
Definition Gramneg. Sepsis v. a. nach akuter Pyelonephritis, bei Dauerkatheter,
Instrumentation (z. B. Ureteroskopie) und Harnaufstau.
Klinik Hohes Fieber, Schüttelfrost, septischer Schock (Letalität ca. 60 %), evtl.
Verbrauchskoagulopathie.
Diagnostik Urinkultur, Blutkultur. Sono zum Ausschluss von Abflusshindernis
und Abszess obligat! Labor.
Therapie
• I. v. Kombinationsbehandlung mit Cephalosporin z. B. Cefotaxim 2–4 × 2 g/d
i. v. (z. B. Claforan®) und Aminoglykosid z. B. Gentamycin 1 × 3–5 mg/kg
KG/d (z. B. Refobacin®), Spiegelkontrolle, Nierenwerte kontrollieren!
• B ei Harnaufstau oder Pyonephrose perkutane Nierenfistelung. 3
• L ow-Dose-Heparinisierung.
3.3.4 Nierensteine, Nierenkolik
Klinik Solange die Steine sich nicht bewegen, häufig symptomlos.
• N ierenkolik: kolikartige Schmerzen im Rücken oder seitlichen Unterbauch,
bei tief sitzendem Ureterstein Ausstrahlung in Schamlippen. Evtl. Übelkeit,
Erbrechen, reflektorischer Subileus.
• H ämaturie: in 70 % Mikrohämaturie, in 30 % Makrohämaturie.
Diagnostik
! D D: alle Ursachen eines akuten Abdomens (▶ 3.2.1).
• U rin: Sediment (Hämaturie, Kristallanalyse), pH (↑ bei Phosphat- und In-
fektsteinen), Bakterien (ggf. Kultur).
• S erum: E’lyte, Phosphat (< 0,9 mmol/l bei Hyperparathyreoidismus), Harn-
säure, Krea, Bikarbonat (bei tubulärer Azidose ↓).
• C hemische oder spektroskopische Analyse abgegangener Steine (Urin sieben).
• R ö: Abdomenübersichtsaufnahme (80 % aller Steine sind rö-dicht. Ausnahme
Urat- und Xanthinsteine). DD der konkrementverdächtigen Schatten: Gal-
lensteine, verkalkte Mesenterial-Lk, Pankreasverkalkungen, verkalkte Rip-
penknorpel, Phlebolithen, Kompaktainseln im Becken.
• I. v. Pyelografie: Aufstau, KM-Aussparungen (DD: Blutkoagel, Tumor).
• S ono: Steinschatten (auch bei nicht rö-dichten Steinen, mäßige Sensitivität
und Spezifität!), Harnaufstau.
Prophylaxe
• R ezidivhäufigkeit 60 %!
• P rophylaxe je nach Steinzusammensetzung: reichliche Flüssigkeitszufuhr, ei-
weißarme Diät, ggf. oxalat- bzw. purinarm (z. B. vegetarisch). Urin ansäuern
bei Phosphat- und Infektsteinen (z. B. Mixtura Solvens-Lsg.), alkalisieren bei
Harnsäure- und Zystinsteinen (Uralyt U®). Thiaziddiuretika (senken renale
Kalziumausscheidung). Konsequente Infektbekämpfung, bei obstruktiver
Uropathie op. Korrektur.
3
3.4 Schock
Klinik
• L ebensbedrohliches Kreislaufversagen mit kritischer Verminderung der Or-
gandurchblutung und nachfolgender hypoxisch-metabolischer Schädigung
der Zellfunktion.
• V eränderte Bewusstseinslage, Unruhe, Angst, Apathie, Somnolenz, Koma.
• T achykardie (cave: keine Betablocker!), erniedrigte RR-Amplitude (Pulsus
celer et parvus).
• R Rsystol < 90 mmHg. Cave: bei vorbestehender Hypertonie evtl. „normaler“
RR.
• S chockindex: Puls/RRsystol > 1,0 (normal 0,5). Cave: unzuverlässiger Wert!
• K alte, feuchte, blassgraue Extremitäten (Ausnahme: septischer Schock in der
Frühphase).
• P eriphere Zyanose.
• H yperventilation, Dyspnoe bei metabolischer Azidose.
• O ligurie (< 20 ml/h).
Diagnostik
• K linische Untersuchung: Haut, Halsvenenfüllung, Herz und Lungen auskul-
tieren, Bewusstseinszustand prüfen; RR, Herz- und Atemfrequenz, Körper-
temperatur. Urinausscheidung (wichtiger Parameter zur Verlaufskontrolle).
• E KG: z. B. Herzinfarkt, Rhythmusstörungen.
• Z VD: bei Linksherzversagen und Lungenembolie ↑, bei Volumenmangel ↓.
• R ö-Thorax: z. B. Aneurysma dissecans, Pneumothorax, Hämatothorax.
• R ö-Abdomen: z. B. freie Luft.
• O berbauch-US (z. B. Aortenaneurysma, Herzbeuteltamponade), ggf. Echo
(Kontraktilität, Klappenbeweglichkeit).
• L abor: BB, Gerinnung mit Fibrinogen(-spaltprodukten), AT III, Blutgruppe
und Kreuzprobe, Krea und E‘lyte, BZ, CK, CK-MB, GOT, LDH, HBDH,
α-Amylase, Lipase, Laktat, ggf. Alkohol; BGA.
Management
• K linische Untersuchung: Haut, Halsvenenfüllung, Herz und Lungen
auskultieren, Bewusstseinszustand prüfen; RR, HF, Atemfrequenz,
3.4 Schock 99
3.4.1 Hypovolämischer Schock
Der hämorrhagische Schock ist für den überwiegenden Teil der periop. Mor-
bidität und Mortalität verantwortlich. Ursache sind akute Blutverluste durch
Verletzungen großer Gefäße oder durch diffuse Blutungen aus großen
Wundflächen, arrodierten Tumoren oder Verletzungen von Venengeflech-
ten im kleinen Becken. Entscheidend ist die sofortige Lokalisation der Blu-
tungsquelle mit Blutstillung, ggf. durch Tamponade oder Ligatur der A. iliaca
interna.
3 Management
Basismaßnahmen ▶ 3.2.1.
Blutverlust einschätzen (▶ Tab. 3.5), bestimmt weiteres Vorgehen.
Therapie bei Verlust von < 30 % des Blutvolumens:
• 5 00–1.500 ml kolloidale Plasmaersatz-Lsg., z. B. Hydroxyethylstärke.
• K ristalloide Lsgn. (z. B. Ringer, NaCl 0,9 %), wenn neben Blutverlust ei-
ne Dehydratation oder Störung im E‘lyt-Haushalt vorliegt.
Therapie bei Verlust von > 30 % des Blutvolumens:
• Z usätzlich Blut ersetzen (auf 2–3 EK 1 FFP, ▶ 2.6).
• V olumenersatz, möglichst unter ZVD-Kontrolle.
• S auerstoffgabe, ggf. Intubation und Beatmung.
• B ei Hypotonie immer erst Flüssigkeitssubstitution.
• B ei Hypotonie trotz Volumenausgleich Dobutaminperfusor: 250 mg auf
50 ml NaCl 0,9 % über Perfusor 2–10 ml/h.
3.4.2 Septischer Schock
Definition Schock durch frei werdende Bakterientoxine → kapilläre Gefäßweit-
stellung → relative Hypovolämie. In der Gynäkologie und Geburtshilfe sind auf-
steigende genitale Inf., Bakteriämie und septischer Schock vergleichsweise selten,
aber dennoch die häufigste infektiöse Todesursache der jungen Frau.
Prädisponierende Faktoren Chorioamnionitis, septischer Abort, postpartale En-
domyometritis, aufsteigende HWI, lokale Inf. nach Hysterektomie, Pelvic In-
flammatory Disease (PID) einschl. Tuboovarialabszess.
Klinik Meist hohes Fieber mit Schüttelfrost und Hyperventilation. Zu Beginn
warme, gut durchblutete, trockene Haut: Pat. wirkt gesünder, als sie ist! Haut spä-
ter kalt, zyanotisch; evtl. Hautblutungen. Bewusstsein meist eingeschränkt. ZVD
anfangs normal!
Diagnostik
! Th
erapiebeginn nicht verzögern!
• L abor: Leukozytose oder -penie, Thrombopenie, Zeichen der Verbrauchsko-
agulopathie. CRP ↑↑. BGA: Hypoxie, Azidose, Blut- und Urinkultur, Liquor:
Ausstrich und Kultur ▶ 2.4.
• S ono: Vag.-Sono, Sono Abdomen.
3.4 Schock 101
• G gf. CT.
• R ö-Thorax: z. B. Pneumonie, Abszess, Schocklungen-Sy.
• C hirurgisches Konsil zum Ausschluss einer Appendizitis, Divertikulitis,
Darmperforation, Durchwanderungsperitonitis o. Ä.
Therapie
• A llg. Schockther. ▶ 3.5.
• B ei ZVD ↓ Volumensubstitution mit kristalloiden und kolloidalen Lsgn.
• B ei ZVD ↑ Dopamin oder Dobutamin über Perfusor.
• A zidosekorrektur nach BGA.
• A mpicillin 4 × 2 g/d i. v. (z. B. Ampicillin-CT®) plus Aminogykosid, wie Gen-
tamycin 1 × 3–5 mg/kg KG/d als Kurzinfusion (z. B. Refobacin®; Cave: Nie-
renfunktion) plus Clindamycin 3 × 600 mg/d als Kurzinfusion (z. B. Sobelin®).
3
• B ei Tuboovarialabszess ist eine antibiotische Behandlung über 72–96 h
zulässig, bei Misserfolg chirurgische Intervention. Therapiedauer mind.
10 Tage (▶ 14.5).
• nmittelbare Laparotomie bei Abszessruptur mit septischem Schock!
U
3.4.3 Anaphylaktischer Schock
Ätiologie Allergische Reaktion auf:
• M edikamente: oft Antibiotika (v. a. Sulfonamide und Penicillin), Rö-KM, Lo-
kalanästhetika, Iodide, Pyrazolone, ASS, Dextran- und Gelatinepräparate.
• F remdeiweiße und Polysaccharide: Insekten- und Schlangengifte, Vakzine,
Organextrakte, Allergene bei Hyposensibilisierungen.
Klinik Sek. oder min. nach Allergenzufuhr → Unruhe, Juckreiz, Niesen. Dann
Schwindel, Fieber mit Schüttelfrost, Angstgefühl, Übelkeit und Erbrechen, Durch-
fall, Dyspnoe mit Bronchospasmus, Larynxödem, RR-Abfall und Tachykardie.
Evtl. Krampfanfälle, Bewusstseinsverlust, Kreislaufstillstand.
3.4.4 Hypoglykämischer Schock
Ursachen
Typ 1: BE in der Nahrung zu hoch eingeschätzt, zu langer Spritz-Ess-Abstand
(Insulin gespritzt und schlafen gelegt), nach Absetzen von Medikamenten (Pille,
Kortikoide), körperlicher Belastung, Alkoholgenuss, Inf.
Typ 2: Überdosierung von Sulfonylharnstoffen, zusätzliche Medikamentenein-
nahme (Cumarine, Phenylbutazon, Sulfonamide, Betablocker), Reisen und ver-
minderte Nahrungsaufnahme, Inf.
Leichte Hypoglykämie: Schweißausbruch, Blässe, Unruhe, Tremor, RR-Anstieg,
periorales Missempfinden, Verhaltensauffälligkeiten (z. B. Euphorie).
Schwere Hypoglykämie: Bewusstseinstrübung, neurologische Ausfälle, Koma mit
zerebralen Krampfanfällen.
3
Therapie der Hypoglykämie
• L eichte Hypoglykämie:
– Bei ersten Anzeichen sofort 10–20 g Traubenzucker oder 4–8 Stück
Würfelzucker oder 1 Glas Saft mit Traubenzucker, dann 1–2 BE
langsam resorbierbare Kohlenhydrate (z. B. Brot).
– Bei Bewusstlosigkeit oder Eintrübung Glukagon-Fertigspritze i. m.
Cave: keine Wirkung bei alkoholinduzierter Hypoglykämie. KI:
Grav.!
• S chwere Hypoglykämie:
– Mind. 20–50 ml 40-prozentige Glukose im Nebenschluss zur laufen-
den Infusion (Ringer-Lsg.), bis zum Aufwachen ggf. wiederholen.
– Bei Sulfonylharnstoffhypoglykämie Gefahr der protrahierten Hypo-
glykämie mit erneutem Schock → nach Aufklaren 10-prozentige Glu-
koseinfusion, 24-h-Überwachung mit BZ-Kontrollen alle 2 h.
– Bei drohender Überwässerung alle 4 h Dexamethason 4–8 mg i. v.
oder i. m. (z. B. Fortecortin®).
3.5 Gynäkologische Notfälle
Die meisten gynäkologischen und geburtshilflichen Notfälle sind unter den ent-
sprechenden Organkapiteln mit den entsprechenden Ther. ausführlich beschrie-
ben. Nachfolgend wird deshalb nur kurz auf einzelne Erkr. eingegangen.
3.5.1 Genitale Blutung
Ätiologie
• V erletzungen von Vulva oder Vagina, Abort, Uterus myomatosus (v. a. sub-
muköses Myom), Endometriumhyperplasie, Endometriumpolyp, Zervix-Ca,
Endometrium-Ca.
• E xtragenitale Ursachen: Makrohämaturie, Hämorrhoidalblutung.
Klinik Deutlich überperiodenstarke, meist hellrote Blutung, bei entsprechen-
dem Blutverlust: Zeichen des hypovolämischen Schocks (▶ 3.5.1).
3.5 Gynäkologische Notfälle 103
Diagnostik
• A namnese: Zyklus, Vorerkr., Voroperationen, letzte Früherkennungsunter-
suchung.
• Inspektion des äußeren Genitale (▶ 11.2.1), Spiegeleinstellung.
• P alpation einschl. rektaler Untersuchung.
• U ltraschall (▶ 22), Urinstatus.
Therapie (je nach Ursache)
• V enösen Zugang legen, Blutentnahme für BB, E‘lyte, Gerinnung, HCG, Blut-
gruppe, Kreuzblut, Schockther. (▶ 3.5).
• V erletzungen: op. Versorgung, ggf. in Narkose.
• A bort: stationäre Aufnahme, je nach Abortform Bettruhe und evtl. Tokolyse
oder op. Nachräumung (▶ 5.5).
• U terus myomatosus: Kürettage, diagn. oder op. Hysteroskopie ggf. mit hyste-
roskopischer Resektion eines submukösen Myoms oder hysteroskopischer 3
Endometriumablation. Im Extremfall Hysterektomie (▶ 13.4.1).
• Z ervix-Ca: bei Spiegeleinstellung PE zur histologischen Sicherung, feste
Scheidentamponade, ggf. Notfallbestrahlung (▶ 13.8).
• E ndometrium-Ca: histologische Sicherung durch Hysteroskopie und Abrasio,
dann stadiengerechte Ther. (▶ 13.9).
3.5.2 Akute Unterbauchschmerzen
▶ 14.1.1.
Klinik Leitsymptome eines „akuten Abdomens“ als häufige Einweisungsdiagn.
sind:
• S tarke abdominelle Schmerzen.
• A bwehrspannung.
• G estörte Peristaltik.
Differenzialdiagnose
• A kut einsetzend, Amenorrhö, pos. HCG → V. a. EUG (▶ 14.3).
• Z unehmende Schmerzen, meist postmenstruell, vag. Fluor, Entzündungszei-
chen → V. a. Adnexitis (▶ 14.4).
• A kute, meist einseitige Schmerzen, nach heftigen Bewegungen auftretend
(Tanzen, Sport) → V. a. stielgedrehten Ovarialtumor (▶ 14.7).
• In Zyklusmitte auftretender Schmerz → V. a. Ovulationsschmerz, rupturierte
Ovarialzyste.
• E xtragenitale Ursachen: Appendizitis, Zystitis, Harnleiterstein, Leistenhernie,
Divertikulitis.
Diagnostik
• A namnese: Schmerz, Zyklus, Vorerkr., Voroperationen, Kontrazeption.
• U ntersuchung: Spiegeleinstellung und Palpation.
• L abor: BB, CRP, HCG, E‘lyte, Gerinnung, Blutgruppe, Kreuzblut, Leber- und
Nierenwerte, Urinstatus.
• U ltraschall (▶ 22), ggf. diagn. oder op. Laparoskopie.
• H äufige Diagn. in der Vier-Quadranten-Einteilung (▶ Abb. 3.4).
Therapie
• G gf. Schockther. (▶ 3.5).
• E UG: op. Laparoskopie (▶ 14.3).
104 3 Internistische Probleme
Appendizitis Divertikulitis
3 Urolithiasis
Adnexitis
Urolithiasis
Adnexitis
Enteritis terminalis Stielgedrehte Ovarialzyste
Stielgedrehte Ova- Tubargravidität
rialzyste Perforiertes Aorten-
Tubargravidität aneurysma
3.5.3 Überstimulationssyndrom
Ätiopathologie Durch Gabe von Gonadotropinen im Rahmen der Sterilitätsther.
kann es zur ovariellen Überstimulation mit dem Heranreifen mehrerer Follikel
und entsprechend hoher Östrogenproduktion kommen, durch die große Flüssig-
keitsmengen in den Extravasalraum verschoben werden. Auftreten meist 3–8 Ta-
ge nach der Ovulationsauslösung (HCG-Gabe ▶ 15.4.2).
Klinik Übelkeit, Erbrechen durch Aszites, Atembeschwerden bei Hydrothorax,
Unterbauchschmerzen bei Ovarialzysten > 5 cm, Hämokonzentration mit Throm-
boseneigung, E‘lytverschiebung. KO: akutes Nierenversagen, Atemnotsy., Throm-
bembolie, Stieldrehung und Zystenruptur.
Stadieneinteilung
• L eicht: abdominelles Spannungsgefühl, Übelkeit/Erbrechen und/oder Diar-
rhö.
• M ittel: zusätzlich sonografischer Nachweis eines Aszites.
• S chwer: zusätzlich Hydrothorax, Dyspnoe, Hämokonzentration, Gerinnungs-
störung, eingeschränkte Nierenfunktion.
Diagnostik Anamnese (Sterilitätsther.), Ultraschall (Aszites, Ovarialzysten,
Pleuraergüsse), Labor mit Hb ↑, Hkt ↑, E‘lyte, Gerinnung.
Stationäre Diagnostik
• T ägl. Untersuchungen:
– Klinische Untersuchung mit Beurteilung der Vitalfunktionen.
– Kleines BB (Hb, Hkt, Leukozyten, Thrombozyten), E‘lyte (Na+, K+), Krea.
– Gewichtsbestimmung und Bauchumfangmessung, Flüssigkeitsbilanzie-
rung (Einfuhr/Ausfuhr).
3.6 Geburtshilfliche Notfälle 105
3.6 Geburtshilfliche Notfälle 3
Tab. 3.6 Differenzialdiagnosen geburtshilflicher Notfälle mit Querverweisen
Symptom Differenzialdiagnose Kapitel
4.1 Genetische Beratung
4.1.1 Ziele der genetischen Beratung
• A uskunft über Risiken für ein Kind mit geschädigten (Erb-)Anlagen.
• Informationen über die Möglichkeiten der Diagn., Ther. und Prognose ent-
sprechender Erkr.
• E ntscheidungshilfe für bzw. gegen das Austragen einer bestehenden Schwan-
gerschaft oder den vollständigen Verzicht auf eigene Nachkommen.
• V
erpflichtung nach dem Gendiagnostikgesetz u. a. für genetische Untersu-
chung in der Schwangerschaft, Ersttrimester-Screening, Faktor-V-Leiden-
Untersuchung bei familiär gehäuften Thrombosen (Ausführungsbestimmun-
gen für die gesetzliche Beratung stehen noch aus).
Embryopathie Bis 8. Wo. p.c. (Ge- Während der Organogenese: komplexe Or-
nitalentwicklung ganfehlbildungen, schwere morphologische
bis 10. Wo. p.c.) Defekte durch:
• virale Infekte (Röteln)
• Medikamente (Thalidomid)
• Strahlen (natürliche, Rö-Strahlen)
4.2 Untersuchungsmethoden 109
4.2 Untersuchungsmethoden
4.2.1 Pränatale Diagnostik
Normwerte in FW und Serum ▶ 5.1.6.
• S creeninguntersuchungen im Serum: Ersttrimester-Screening (▶ 4.2.4; Triso-
mie 21 ▶ 4.2.3), AFP-Wert (Neuralrohrdefekte ▶ 4.6, ▶ 5.1.6).
• S onografische Fehlbildungsdiagn.: in der 9.–14. SSW ▶ 4.2.4.
• P ränatale Chromosomenanalyse des Kindes: Chorionzottenbiopsie ab
10. SSW (▶ 4.2.6) oder Amniozentese ab 15. SSW (▶ 4.2.5), Früh-Amniozen-
tese 12.–14. SSW.
• N ackenfalte (sog. NT-Screening). 11 + 4. bis 13 + 4. SSW bzw. SSL > 45 mm:
bei Nackenfalte ≥ 4 mm Risiko chromosomaler Fehlbildungen, Herzvitien,
Neuralrohrdefekte ca. 5–60 %.
• F W-Untersuchungen: AFP quantitativ (Neuralrohrdefekte) und Cholineste-
rase (nur qualitativ, Neuralrohrdefekte).
• C hordozentese (Nabelschnurpunktion): ab der 17. SSW.
Präimplantationsdiagnostik
Im Rahmen der In-vitro-Fertilisation mögliche molekulargenetische Diagn. an
einzelnen, dem Embryo entnommenen Zellen. In Deutschland vom Grundsatz
her verboten, aber zulässig, wenn aufgrund der Veranlagung der Eltern eine
schwere genetische Erkr. des Kindes wahrscheinlich ist. In anderen europä
ischen Ländern erlaubt und praktiziert (z. B. GB, B, NL).
110 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
4.2.2 Karyotypisierung
Indikation Familienanamnestische Hinweise auf erbliche Erkr., insb. chromoso-
male Schädigungen.
Material 5 ml EDTA-Blut zur Aufarbeitung in humangenetischem Institut.
Auswertung Anhand der Kultur können Neumutationen gegen Erbgutschädi-
gungen der Eltern abgegrenzt werden, die sich aufgrund von balancierten Trans-
lokationen oder Konduktorenstatus bei diesen selbst nicht in einem pathologi-
schen Phänotyp manifestieren.
4.2.3 Tripeldiagnostik
Indikation Screening für Risikoschwangere, um eine Trisomie 21 oder eine
Chromosomenaberration aufzudecken. Ein generelles Screening ist umstritten, da
häufig falsch pos. Resultate und hohe Kosten. Bestätigungsdiagn. eines auffälligen
Testergebnisses muss durch Amniozentese erfolgen. Cave: Schwangere über Risi-
ken einer Amniozentese informieren, Bereitschaft zur Interruptio bei pos. Triso-
miediagn. klären. Keine Leistung der GKV. Die Tripeldiagn. ist zugunsten des
4 Ersttrimester-Screenings obsolet.
Material Entnahme von 10 ml mütterlichem Serum am besten in der 15. SSW.
Bestimmung von HCG, AFP und E3.
Auswertung und Ergebnisse Computergestützte Berechnung des relativen Risikos
für Trisomie 21, die u. a. Alter und Gewicht der Mutter sowie das genaue Schwan-
gerschaftsalter in Korrelation zu den Labordaten berücksichtigt (gravierende
Schwankungen z. B. bei Angabe in abgeschlossenen versus angefangenen SSW).
• B ei einem unauffälligen Triple-Test verringert sich das Risiko der Geburt ei-
nes Kindes mit Trisomie 21 (Risiko der Geburt eines Kindes mit Down-Sy.
für alle Schwangeren unabhängig vom Alter der Mutter ca. 1 : 650, für
Schwangere < 35 J. bei ca. 1 : 1.000).
• B ei auffälligem Triple-Test ist das Risiko für ein Down-Sy. entsprechend er-
höht → Amniozentese und Chromosomenanalyse können eine genauere Aus-
sage liefern.
Nachteile Der Triple-Test kann nicht zwischen gesunden und kranken Kindern
unterscheiden, sondern nur Wahrscheinlichkeiten für das Vorliegen solcher Stö-
rungen geben. Die Aufdeckungsrate von Chromosomenstörungen liegt bei 75 %.
Etwa 7,5 % der Triple-Tests bei Frauen < 35 J. sind auffällig, ohne dass eine Chro-
mosomenstörung oder ein Neuralrohrdefekt vorliegt.
Kosten Die Durchführung des Triple-Tests inkl. Beratung, genauer US-Bestim-
mung des Schwangerschaftsalters, Blutentnahme und Auswertung im Labor sind
sog. individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) → keine Übernahme durch GKV.
4.2.4 Ersttrimester-Screening
Ziel Zur Risikoabschätzung chromosomaler Störungen (Trisomie 13, 18 und
21) setzt sich zunehmend das frühe Screening im ersten Trimenon der Schwan-
gerschaft durch. Die Durchführung kann zwischen der 11 + 4. und 13 + 6. SSW
(= Scheitel-Steiß-Länge 45–84 mm) erfolgen.
4.2 Untersuchungsmethoden 111
Durchführung Seit dem 1.2.2010 ist nach dem Gendiagnostikgesetz auch beim
Ersttrimester-Screening die Einwilligungserklärung der Pat. erforderlich.
Bei dem von der Fetal Medicine Foundation (FMF) zertifizierten Verfahren muss
der Untersucher im Besitz der entsprechenden Zertifizierung sein.
• U ltraschalluntersuchung:
– Messung der Nackenfalte oder Nackentransparenz (sog. NT-Screening).
– Fehlbildungsultraschall (fakultativ).
– Messung des fetalen Nasenbeins (fakultativ).
• L aboruntersuchung:
– freies β-HCG.
– PAPP-A (Pregnancy-associated Protein A).
Auswertung Aus NT und Laborparametern, mütterlichem Alter und der genau-
en SSW wird ein individuelles Risiko für eine chromosomale Störung (s. o.) be-
rechnet:
• R isiko < 1 : 300: Amniozentese (▶ 4.2.5) zur Chromosomenanalyse.
Aktuelle Vorstellungen der FMF, London:
• R isiko > 1 : 100: immer Amniozentese.
• R isiko < 1 : 1.000: keine invasive Diagn.
• D azwischen genauere Abklärung: Sono Nasenbein, Trikuspidalklappe (Re- 4
gurgitation), Ductus-venosus-Doppler.
Sensitivität NT 90 %, mit Nasenbein-Messung 97 %, mütterliches Alter (> 35 J.)
allein 50 %.
www.fmf-deutschland.info
www.fetalmedicine.com
4.2.5 Amniozentese
Definition Transabdominale Punktion der Amnionhöhle möglichst an einer
plazentafreien Stelle (cave: Blutung, möglicherweise falsche Aussage bei blutigem
FW) zur FW-Entnahme.
Indikationen Zytogenetische Untersuchung bei Schwangeren > 35 J. bzw.
Kindsvater > 40–50 J., kindlichen Fehlbildungen in der Eigen- oder Familienana-
mnese (▶ 4.1), pathologischem Tripel-Test, Nackenödem in der 12.–14. SSW
(▶ 4.2.4).
Durchführung Je nach Ind. ab der 15. SSW Standard-Amniozentese. Cave: Die
„Früh-Amniozentese“ sollte nicht mehr erfolgen, da das Risiko von Amnionbän-
dern erhöht ist, mit der Folge fetaler Schädigung.
Unter permanenter sonografischer Kontrolle transabdominale Punktion der Am-
nionhöhle mit einer 20G-(0,9 mm → 9 cm lange)Aspirationskanüle (Gelb) an pla-
zentafreier Stelle nach Alkoholdesinfektion (▶ 2.1, Kategorie III, sterile Hand-
112 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
schuhe). Entnahme z. B. von ≤ 20 ml FW für die genetische Untersuchung. Nach
Punktion 2 h Bettruhe. Bei Rh-neg. Pat. Rh-Prophylaxe z. B. mit 1 Amp. Partobu-
lin SDF® i. m.
Die Untersuchung sollte dem geübten Pränataldiagnostiker vorbehalten bleiben. Am
Folgetag unbedingt Sono zur Kontrolle der Vitalitätszeichen und der FW-Menge.
Komplikationen Abort, vorzeitiger Blasensprung, Inf. Abortrate < 1 %.
Auswertung Trisomien (21, 13, 18, XXY, XXX) pränatal nachweisbar, ebenso
X-chromosomale Leiden (Muskeldystrophie Duchenne, Lesch-Nyhan-Sy., Hä-
mophilie, X-chromosomal vererbter Hydrozephalus), weiterhin etwa 50 erbliche
Stoffwechselstörungen einschl. der Mukoviszidose als häufigster angeborener
Stoffwechselerkr.
• F ISH (Fluoreszin-in-situ-Hybridisierung): 24-h-Schnelltest für numerische
Chromosomenaberrationen (Chromosomen 13, 18, 21, X, Y) an unkultivier-
ten FW-Zellen. Als parallel durchführbares Verfahren nach genetischer Bera-
tung bei gegebener Ind. zeitliche Vorteile, ersetzt nicht die konventionellen
Chromosomenanalysen (cave: keine GKV-Leistung).
• B ili-, AFP- und Insulinbestimmung im FW (▶ Abb. 5.5) = GKV-Leistung.
• A cetylcholinesterase-(AChE-)Bestimmung im FW ergänzend zur AFP-Be-
4 stimmung; pos. bei Neuralrohr-, Brust- und Bauchwanddefekten, Turner-Sy.
GKV-Leistung.
4.2.6 Chorionzottenbiopsie
Vorteil ist ggf. die frühzeitigere Schwangerschaftsbeendigung bei einer geneti-
schen Störung durch frühere Diagnosestellung gegenüber Amniozentese (diese
erst ab ca. 15. SSW durchführbar ▶ 4.2.5). Dadurch wird eine mögliche Interrup-
tio wesentlich komplikationsärmer, außerdem ist sie für die Schwangere psy-
chisch leichter zu verarbeiten als in einem späteren Schwangerschaftsalter.
Indikationen Zur genetischen Untersuchung in der Frühschwangerschaft
(10. SSW). Schwangere > 35 J., kindliche Fehlbildungen in der Eigen- oder Fami-
lienanamnese.
Transzervikale Chorionzottenbiopsie
Kontraindikationen Abortbestreben, vag. Inf.
Durchführung Nach Desinfektion von Vulva und Scheide Aspirationskatheter
unter Ultraschallsicht transzervikal einführen. Entnahme der Chorionzottenpro-
be in ein vorab mit Heparin (z. B. Liquemin®) und Humanalbumin gespültes, mit
Medium gefülltes Reagenzgefäß. Sofortige mikroskopische Kontrolle auf richtige
Entnahme. Aufarbeitung in der Humangenetik. Nach Punktion strenge Bettruhe
für 2 h, bei Rh-neg. Pat. Rh-Prophylaxe z. B. mit 1 Amp. Partobulin SDF® i. m.
Nebenwirkungen Abortrate liegt mit 1–5 % etwas höher als bei der Amniozentese.
Transabdominale Chorionzottenbiopsie
Analoge Punktion des Trophoblasten von abdominal mit 1,2 mm → Aspirations-
nadel (Rosa). Diese Untersuchung sollte dem erfahrenen Pränataldiagnostiker
vorbehalten bleiben. Am Folgetag unbedingt Sono zur Kontrolle der Vitalitätszei-
chen beim Embryo und der FW-Menge.
4.3 Pränatale Schädigungen 113
<3 3 4 5 6 7 8 12 16 20-36 38
Zentralnervensystem
gegenüber Teratogen
Fruchttod oder Unempfindlichkeit
Herz
Ohr
Arme
Augen
Beine
Zähne
Gaumen
äußeres Genitale
4.4 Chromosomenanomalien
Die diploide Körperzelle des Menschen enthält 46 Chromosomen: 22 Autoso-
menpaare und 2 Gonosomen (= Geschlechtschromosomen), XX bei weibli-
chem, XY bei männlichem Geschlecht. Durch Konjugation zweier Gameten
bilden sich im Normalfall neu kombinierte diploide Chromosomensätze. Stö-
rungen im Ablauf der Meiose können zu verschiedenen Chromosomenano-
malien führen.
Numerische Chromosomenaberrationen
Folge einer Nondisjunction (Nichtauseinanderweichen) eines Chromosomen-
paars während der Meiose. Durch Vervielfachung eines kompletten, haploiden
Chromosomensatzes entstehen Polyploidien. Zahlenmäßige Veränderungen ein-
4 zelner Chromosomen innerhalb des haploiden Satzes führen zu Aneuploidien,
den Mono- oder Trisomien.
• G
onosomale Mono- oder Trisomien sind normalerweise mit dem Leben ver-
einbar. Ausnahme: Y0 ist Letalfaktor.
• A
utosomale Monosomien wirken i. d. R. als Letalfaktoren (Ausnahmen: z. B.
partielle Monosomie Cri-du-chat).
• A
utosomale Trisomien sind z. T. lebensfähig und zeigen schwere phänotypi-
sche Auswirkungen. Bei gemeinsamer Grundsymptomatik finden sich variab-
le Begleiterkr. wie Hirnanomalien mit Störungen der geistigen Entwicklung,
multiple Organfehlbildungen, v. a. Herzfehler, kraniofaziale Dysmorphien.
Strukturelle Chromosomenaberrationen
Auslösung durch Translokation, Deletion, Duplikation oder Inversion sowie
Ring- oder Isochromosomen.
4.4.1 Autosomale Chromosomenanomalien
Down-Syndrom Turner-Syndrom
Sphinxgesicht
„Vierfingerfurche”,
kurzer Hals mit
kurzes Mittelglied Pterygium colli
des 5. Fingers
breiter
Mamillenabstand
Cubitus valgus
„Sandalenfurche“
zwischen
1. und 2. Zehe
Pigmentnävi
Kleinwuchs
4.4.2 Gonosomale Chromosomenanomalien
Gesichtsanomalien
• ongoloide Lidachsenstellung: Down-Sy. (▶ 4.4.1).
M
• ntimongoloide Lidachsenstellung: Cri-du-chat-Sy. (▶ 4.4.1).
A
• eiter Augenabstand: Potter-Sequenz.
W
• nger Augenabstand: maternale PKU, Pätau-Sy.
E
• urze Lidspalten: Alkoholembryofetopathie, Edwards-Sy.
K
• akroglossie: Down-Sy. (▶ 4.4.1), angeborene Hypothyreose, Mukopolysac-
M
charidosen.
• erstrichenes Philtrum: Alkoholembryofetopathie.
V
• anges Philtrum: (s. o.), Valproat, maternale PKU.
L
4.5 Stoffwechselerkrankungen 117
Extremitätenfehlbildungen
• olydaktylie: Pätau-Sy. (▶ 4.4.1).
P
• yndaktylie: Cri-du-chat-Sy. (▶ 4.4.1).
S
• andalenlücke: Down-Sy.
S
• ierfingerfurche: Down-Sy.
V
• xtremitätenhypoplasie: Varizellenembryofetopathie, Amnionbänder.
E
• elenkkontrakturen: Potter-Sequenz.
G
• adiusaplasie: Edwards-Sy. (▶ 4.4.1).
R
Kleinwuchs
• D
ysproportioniert:
– A chondroplasie: autosomal dominant, Makrozephalus, Lendenlordose, 4
im Säuglingsalter Muskelhypotonie.
– Knorpel-Haar-Hypoplasie: autosomal rezessiv, überstreckbare Gelenke;
feines, spärliches Haar, Immundefekt.
• roportioniert: Down-Sy., Turner-Sy.
P
• ochwuchs: Marfan-Sy., Klinefelter-Sy.
H
• dipositas (▶ 4.4.2), Turner-Sy., Down-Sy., Klinefelter-Sy. (▶ 4.4.2).
A
Innere Fehlbildungen
• N
ierenfehlbildungen: Embryopathia diabetica, Edward-Sy., Turner-Sy.
• Ö
sophagusatresie: Edwards-Sy.
Neurologische Auffälligkeiten
• E rlernte Fähigkeiten ↓: Speicherkrankheiten.
• G eistige Behinderung: s. o.; Mikrozephalus.
• K rampfanfälle: Stoffwechselerkr. (Naevus flammeus im Trigeminusbereich),
tuberöse Hirnsklerose (White Spots und Angiofibrome), Neurofibromatose
von Recklinghausen (Café-au-Lait-Flecken und Neurofibrome).
• ikrozephalus: angeborene Inf., Alkoholembryofetopathie, maternale PKU,
M
Pätau-Sy., Edwards-Sy.
• uskelhypotonie: Muskeldystrophie, Down-Sy.
M
• yelomeningozele: Valproatembryopathie, Edwards-Sy.
M
4.5 Stoffwechselerkrankungen
4.5.1 Pränatale Diagnostik
Bei den meisten Stoffwechseleerkr. pränatale Diagnose möglich. Allerdings ist ei-
ne pränatale Diagn. nur in Fällen sinnvoll, in denen eine familiäre Belastung vor-
118 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
4.5.2 Erweitertes Neugeborenenscreening
Hörscreening ▶ 9.3.4
Indikationen Das NG-Screening soll frühzeitig Stoffwechselerkr. aufdecken, die
unerkannt und unbehandelt zu ZNS-Schäden führen.
Durchführung Blutentnahme aus der Ferse meist am 3. LT, frühestens ab der
36. Lebensstunde. Umfasst neben Hypothyreose, Phenylketonurie, Galaktosämie
und Biotinidasemangel (▶ Tab. 4.6) auch weitere, seltenere Störungen.
Zeitpunkt des Evtl. 1. Lm Mit 6 Mon. Evtl. Ende Evtl. mit 2 Wo.
Auftretens ers 1. Lw
ter Symptome
4.6 Neuralrohrdefekte
4.6.1 Übersicht
Epidemiologie Häufigkeit 1 : 1.000, Wiederholungsrisiko ca. 6,5 %.
Ätiologie Ursächlich kommen neben genetischen auch Umweltfaktoren in Be-
tracht. Folsäuremangel oder ein genetisch bedingter Block im Folsäurestoffwech-
sel stören durch bislang nicht geklärte Mechanismen die fetale Neuralrohrent-
wicklung.
Pathogenese Durch Entwicklungshemmung der Neuralanlage in der frühen
Embryonalperiode kommt es zu Schlussstörungen des Nervensystems. Erste An-
lage des ZNS ist eine Verdickung des Ektoderms in der dorsalen Mittellinie, die
sog. Neuralplatte. Diese wird durch Absenkung zur Neuralrinne und durch
Schluss und Verlagerung ins Körperinnere zum Neuralrohr. Abhängig vom Aus-
maß der Schlussstörung unterscheidet man:
• T otale Rachischisis: Schluss bleibt in ganzer Länge aus.
• S pina bifida aperta: Schluss bleibt nur kaudal unvollständig.
• C ranium bifidum, in der Extremform ein Anenzephalus: Schluss bleibt nur 4
kranial unvollständig.
Therapie Die Ther. der Dysrhaphien erfolgt operativ. Bei überhäuteten Menin-
gozelen ist sie elektiv möglich, offene Meningozelen erfordern eine sofortige OP
innerhalb der ersten 6–12 Lebensstunden wegen der Gefahr der Rückenmarkinf.
mit Untergang weiteren Nervengewebes (▶ 9.7.4). Formen der Dysrhaphien
▶ 9.7.4.
Prophylaxe In prospektiven randomisierten Studien wurde die Wirksamkeit ei-
ner prophylaktischen Folsäuregabe in der Frühschwangerschaft bewiesen, ideal ist
der bereits präkonzeptionelle Beginn.
Dosierung von Folsäure (z. B. Lafol®):
• B ei Pat. ohne Risikoanamnese: Folsäure 0,4 mg/d p. o.
• B ei Pat. mit Neuralrohrdefekt-Anamnese in vorausgegangener Schwanger-
schaft: 4 mg/d.
• B ei antikonvulsiver Ther. (Phenobarbital, Phenytoin, Primidon): ≤ 0,5 mg/d
p. o. wegen Gefahr der verminderten antikonvulsiven Wirkung.
4.6.2 Hydrozephalus
Formen Man unterscheidet:
• H
ydrocephalus internus: Erweiterung der Hirnkammern.
• H
ydrocephalus externus: Erweiterung von Hirnkammern und/oder Sub-
arachnoidalraum.
Der Hydrozephalus kann hypertensiv oder normoton sein, mit oder ohne Makro-
zephalus auftreten, isoliert oder mit anderen Strukturanomalien des ZNS einher-
gehen. Zeitpunkt des Auftretens: prä-, peri- oder postnatal.
Epidemiologie Häufigkeit ca. 1 : 900, davon 40 % mit Spina bifida interna, 20 %
als unkomplizierter, kongenitaler Hydrozephalus (Wiederholungsrisiko 1–2 %)
und 15 % X-chromosomal mit Aquäduktstenose.
120 4 Genetik, Pränataldiagnostik, Entwicklungsstörungen
4.7.2 Allgemeine Strahlenbelastung
Die mittlere jährliche Strahlenbelastung der deutschen Bevölkerung beträgt ca.
3,5 mSv. Davon entfallen:
• 6 0 % (ca. 2,0 mSv) auf natürliche Strahlenquellen wie terrestrische, kosmische
und Strahlung radioaktiver Zerfallsprodukte aus dem tägl. Umgang, etwa
Baumaterialien, Inkorporation natürlicher radioaktiver Stoffe (z. B. 14C).
• 4 0 % (ca. 1,5 mSv) auf künstliche Bestrahlung, i. Wesentl. bei medizinischer
Diagn. und Ther., aber auch Strahlung infolge von Forschung, kerntechni-
schen Anlagen, radioaktiven Fallouts und Flugreisen.
4.7 Strahlenexposition in der Gravidität 121
Tab. 4.7 Geschätzte mittlere Strahlendosis für das Ungeborene bei Röntgen
diagnostik in der Gravidität
Aufnahmetechnik/Untersuchte Körper Strahlendosis (mSv)*
region der Mutter
Konventionelles Rö
HWS 0,02
Schädel 0,04
Thorax 0,08
BWS 0,09
Gallenblase 2,0
4
LWS 2,8
Abdomen-Übersicht 2,9
Hüfte 3,0
Becken-Übersicht 4,4
Kontrastmitteluntersuchungen
Computertomografie
Schädel 2,0
Thorax 6–10
Abdomen 10–25
Magnetresonanztomografie
Da nur wenige Erfahrungen vorliegen, sollte die Ind. insb. in den ersten 3 Mon.
der Grav. sehr streng gestellt werden. Untersuchungen mit geringstmöglicher
Feldstärke und Expositionsdauer durchführen.
• D
eutlich höhere Belastungen werden bei Durchleuchtungen erreicht,
z. B. bei Polytraumen oder im Rahmen von Angiografien.
• B ei nachträglich festgestellter Grav. Messstimulation zur genauen Er-
mittlung der Dosisbelastung durchführen.
4.7.4 Strahlenbedingtes Risiko
Definitionen
• L age: Beziehung von Längsachse des Kindes zur Längsachse der Mutter
(Längslage – Querlage – Schräglage).
• S tellung: Position des Kindrückens in Beziehung zur Gebärmutter. Bei
den Längslagen gilt:
– I Rücken li seitlich.
– Ia Rücken li vorn.
– Ib Rücken li hinten.
– II für re Seite entsprechend (z. B. IIa = Rücken re vorn).
• E instellung: Beziehung des vorangehenden Teils zum Geburtskanal, z. B.
bei Schädellagen Hinterhaupt (kleine Fontanelle) oder Vorderhaupt (gro-
ße Fontanelle).
• H altung: Beziehung der Kindsteile zueinander, besonders wichtig für den
Kopf (pathologisch z. B. gestreckter oder deflektierter Kopf) ▶ 6.5.3.
1. Leopold-Handgriff
Indikationen Feststellung von Fundusstand (▶ Abb. 5.1) und Lage des Kindes.
Durchführung Untersuchung der Schwangeren im Liegen. Die ulnaren Kanten
beider Hände umfassen den Fundus.
2. Leopold-Handgriff
Indikationen Ermittlung der Stellung des kindlichen Rückens:
• 1. Lage: kindlicher Rücken li.
• 2.Lage: kindlicher Rücken re.
! (Merkspruch: Rücken rechts = 2-mal „R“ = 2. Lage).
Durchführung Beide Hände liegen seitlich dem Uterus flach an, der Rücken tas-
tet sich als lange glatte Struktur, die kleinen Teile (Arme, Beine) erscheinen unre-
gelmäßig und beweglich.
5.1 Diagnostische Methoden 127
3. Leopold-Handgriff
Indikationen Unterscheidung zwischen Schädel- und Steißlagen bei noch nicht
in das Becken eingetretenem vorangehendem Teil, außerdem Bestimmung des
Höhenstands.
Durchführung Im Bereich des unteren Uterinsegments wird der vorangehende
5
Teil mit Daumen und abgespreizten Fingern der re Hand erfasst. Der Kopf ist
hart, kugelig, ballotiert (Beweglichkeit gegenüber dem Rumpf), der Steiß ist
schmaler, weicher, weniger beweglich.
4. Leopold-Handgriff
Indikationen Ermittelt von außen den Höhenstand des vorangehenden Teils,
sofern dieser ins Becken eingetreten ist.
Durchführung Die Hände werden von kranial mit den ulnaren Kanten seitlich
dem Uterus angelegt und oberhalb der Leistenbeuge in die Tiefe vorgeschoben.
5. Leopold-Handgriff (= Zangemeister-Handgriff)
Indikationen Versuch, ein Missverhältnis zwischen Becken und vorangehen-
dem Teil festzustellen.
Durchführung Von der Seite aus wird eine Handfläche auf die Symphyse, die
andere flach auf den vorangehenden Teil gelegt.
Bewertung
• K opf überragt Symphyse nicht: kein Missverhältnis, Zangemeister neg.
• K opf überragt Symphyse gering: mäßig verengtes Becken.
• K opf überragt Symphyse deutlich: Missverhältnis, Zangemeister pos.
Der Zangemeister-Handgriff ist nur bei vollständig eröffnetem Muttermund
und gesprungener Fruchtblase sowie bei Palpation in der Wehe aussagekräftig!
128 5 Schwangerschaft
1. Leopold-Handgriff 2. Leopold-Handgriff
5
3. Leopold-Handgriff 4. Leopold-Handgriff
Michaelisraute
Indikationen Zur Abschätzung von Beckenform und -größe.
Durchführung Im Stehen unter Anspannung der Gesäßmuskulatur stellen sich,
am besten bei seitlicher Beleuchtung, im Sakralbereich vier Grübchen dar. Eines
5.1 Diagnostische Methoden 129
unterhalb des Dornfortsatzes des LWK4, eines am oberen Rand der Analfurche,
zwei jeweils seitlich über den Spinae iliacae posteriores superiores.
Bewertung ▶ Abb. 5.3.
5.1.3 Beckenmaße
Die Bestimmung der Beckenmaße vor der Geburt hat heute allenfalls noch histo-
rische Bedeutung. Der Versuch, von den äußeren auf die inneren Beckenmaße
schließen zu wollen, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Weitere Methoden (Ultra-
schall, CT, MRT etc.) sind mit Fehlern behaftet oder für die Geburtsplanung
kaum tauglich.
Aus forensischen Gründen empfiehlt sich stets die genaue Dokumentation des ge-
burtshilflichen Befunds (Lage, Stellung, Einstellung, Höhe des vorangehenden
Teils, Beckenaustastung, erreichbares Promontorium, Geburtsverlauf, ermitteltes
Kindsgewicht etc.). Im Rahmen einer Sectio caesarea können die inneren Becken-
maße (Conjugata vera) leicht ermittelt werden.
Innere Beckenmaße
• C onjugata vera (obstetrica): Verbindungslinie vom Promontorium zum
am weitesten vorspringenden Punkt der Symphyse. Nur bei der Sectio
caesarea mit dem Beckenzirkel oder radiologisch zu messen. Normal bei
11 cm.
• Q uerer Durchmesser: im (querovalen) Beckeneingang 13 cm.
• B eckenmitte: nahezu kreisförmiger Raum, alle Durchmesser etwa 12 cm.
• G erader Durchmesser: am Beckenausgang 11–12 cm.
• Q uerer Durchmesser: im (längsovalen) Beckenausgang 11 cm.
250
IE/ml
95. Perzentile
200
150
100 Medianwerte
50
5. Perzentile
0
5 10 15 20 25
Schwangerschaftswoche
5.1.6 Amniozentese
Vergleich Chorionzottenbiopsie und Amniozentese ▶ 4.2.5.
Indikationen Pränatale Diagn. chromosomaler Defekte, FW-Diagn. bei Morbus
haemolyticus fetalis.
Durchführung ▶ 4.2.5.
Bilirubinbestimmung Beim Hydrops fetalis ist die intravaskuläre Transfusion
(Nabelschnurpunktion) unter sonografischer Kontrolle erfolgreicher als die intra-
peritoneale Transfusion und bereits ab 17 + 0 SSW möglich. Daher müssen die
vorbereitenden Untersuchungen wie Bestimmung von Bili, Hb und Hkt im feta-
len Blut sowie Bili-Konz. im FW zu diesem Zeitpunkt vorliegen.
5.1.7 Antikörpersuchtest
• S onografische Überwachung des Fetus zur Erkennung von Aszites oder eines
Hydrops fetalis.
• B ei V. a. Anämie Nabelschnurpunktion zur direkten fetalen Zustandsbeurtei-
lung (Blutgruppe, Hb, Bili).
• G
gf. intrauterine Transfusion gewaschener Erys der Blutgruppe 0-Rh-neg.
(Chordozentese, nur in wenigen Zentren möglich).
• V
orzeitige Schwangerschaftsbeendigung ab einem geschätzten Kindsgewicht
> 1.500 g nach Risikoabwägung möglich.
Eine frühere Gabe von Rh-Ak kann ggf. zu einer Augmentation führen (Ri-
siko der Sensibilisierung sub partu steigt).
Screeningablauf
• Im Zeitraum zwischen 24 + 0 und 27 + 6 SSW Bestimmung der Plasma-
glukosekonz. 1 h nach oraler Gabe von 50 g Glukose-Lsg. unabhängig
vom Zeitpunkt der letzten Mahlzeit, nicht nüchtern (50 g Glukose in
200 ml Wasser innerhalb von 5 Min. langsam trinken lassen). Einmalige
BZ-Bestimmung nach 1 h im Venenblut. 5
• S chwangere mit BZ-Werten ≥ 7,5 mmol/l (= 135 mg/dl) und
≤ 11,1 mmol/l (= 200 mg/dl) erhalten zeitnah einen oralen Glukosetole-
ranztest (oGTT) mit 75 g Glukoselsg. nach Einhaltung von mindestens
8 h Nahrungskarenz (s. diagn. oGTT-Durchführung).
• G
lukosurie in der Frühschwangerschaft oder zu einem späteren Zeitpunkt
Neuauftreten einer Glukosurie und/oder diabetesspezifischer Symptome
(Durst, Polyurie, Gewichtsabnahme unklarer Ursache) → diagn. oGTT, wenn
letzter Test > 4 Wo. zurückliegt.
• rstmalig festgestellte Makrosomie.
E
Liegt der Nüchtern-BZ bereits > 110 mg/dl, soll kein oGTT mehr durchge-
führt werden.
Diagnostischer oGTT
Durchführung
• P at. kommt morgens nüchtern. 75 g Glukose in 300 ml Wasser auflösen und
innerhalb von 5 Min. langsam trinken lassen.
• B Z-Werte nüchtern, 1 und 2 h nach Einnahme.
Auswertung Ein Gestationsdiab. liegt vor, wenn einer der in ▶ Tab. 5.1 genann-
ten Grenzwerte im venösen Plasma erreicht oder überschritten wird.
5.2.1 Schwangerschaftszeichen
• U
nsicher: Ausbleiben der Menstruation, Übelkeit, Erbrechen, Mastodynie,
Hyperpigmentation der Areolae und der Linea fusca (▶ 5.1.1), livide Verfär-
bung von Introitus und Vagina, Zunahme des Bauchumfangs.
• ahrscheinlich: sek. Amenorrhö, Uterusvergrößerung mit Konsistenzwech-
W
sel (Kontraktionen), einseitige, aufgelockerte Vorwölbung des Uterus (Pis-
kacek-Zeichen), leichte Komprimierbarkeit des unteren Uterinsegments (He-
gar-Zeichen), pos. HCG (DD: Blasenmole, Chorionepitheliom, Ovarialtumor
▶ 5.1.4), erhöhte Basaltemperatur.
• icher: in der Sono fetale Herzaktion (ab 5.–6. SSW ▶ 21.2.2), Registrierung
S
der fetalen Herztöne (mit sensitiver Technik ab 12. SSW), Fühlen von Kinds-
teilen (ab 18. SSW), Fühlen der Kindsbewegungen (ab 20. SSW).
5.2 Initialsymptome und erste Maßnahmen 135
4 % der Kinder kommen am berechneten Termin zur Welt, innerhalb von
7 Tagen um den EGT 26 % und innerhalb von 3 Wo. um den EGT 66 %.
Körperliche Untersuchung
• A uskultation von Herz und Lunge.
• R R-Messung.
• F eststellung des KG.
136 5 Schwangerschaft
• U
ntersuchung des M-Urins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, ggf. bakterio-
logische Untersuchungen (z. B. bei auffälliger Anamnese, RR-Erhöhung, Sedi-
mentbefund).
• H b-Bestimmung, bei < 11,2 g pro 100 ml (= 70 % Hb) Zählung der Erys.
Nachfolgende Untersuchungen unabhängig von der Behandlung von Beschwer-
den und Krankheitserscheinungen im Abstand von 4 Wo.:
• G ewichtskontrolle.
• R R-Messung.
• U ntersuchung des M-Urins auf Eiweiß, Zucker und Sediment, ggf. bakterio-
logische Untersuchungen (z. B. bei auffälliger Anamnese, Blutdruckerhöhung,
Sedimentbefund).
• H b-Bestimmung im Regelfall ab 6. Mon., falls bei Erstuntersuchung normal;
wenn < 11,2 g je 100 ml (= 70 % Hb) Zählung der Erys.
• K ontrolle des Gebärmutterstands.
• K ontrolle der kindlichen Herzaktionen.
• F eststellung der Lage des Kindes.
In den letzten zwei Schwangerschaftsmon. je zwei Untersuchungen.
Ultraschall Im Verlauf der Schwangerschaft soll ein Ultraschallscreening mittels
B-Mode-Verfahren durchgeführt werden:
• V on Beginn der 9. bis zum Ende der 12. SSW (1. Screening).
• V on Beginn der 19. bis zum Ende der 22. SSW (2. Screening).
• V on Beginn der 29. bis zum Ende der 32. SSW (3. Screening).
Ziele: Bestimmung des Gestationsalters, Kontrolle der somatischen Entwicklung
5 des Fetus, Suche nach auffälligen fetalen Merkmalen, frühzeitiges Erkennen von
Mehrlingsschwangerschaften. Ggf. Ersttrimester-Screening (▶ 4.2.4).
Gynäkologische Untersuchung Inspektion und Palpation der Mammae ▶ 10.2.1,
vag. Untersuchung (▶ 5.1.2) mit Spiegeleinstellung, zytologischem Abstrich, Kol-
poskopie (▶ 13.2.2), Chlamydienabstrich in der Frühschwangerschaft.
Labordiagnostik Entsprechend den Mutterschaftsrichtlinien:
• H b, Bestimmung der Blutgruppe und des Rh-Faktors, Ak-Suchtest (▶ 5.1.7),
2. Ak-Suchtest 24.–27. SSW.
• M öglichst früh: Lues-Suchreaktion (TPHA; ▶ 5.13.11), Röteln-Hämaggluti-
nationshemmtest (pos. > 1 : 16; ▶ 5.13.1). HIV-Screening nur mit schriftli-
chem Einverständnis der Frau. HBsAg bei allen Schwangeren nach der
32. SSW möglichst nahe am Geburtstermin (▶ 5.13.7), bei begründetem Ver-
dacht auf akute Toxoplasmose Serologie (IgM und IgG; ▶ 5.13.10).
5.3 Schwangerenvorsorge
Kay Goerke
5.3.1 Planung
Gemäß Mutterschaftsrichtlinien:
• U ntersuchungen: alle 4 Wo., in den letzten 2 Mon. alle 2 Wo., ab EGT alle
2 Tage, ab 10 Tagen über EGT stationäre Einweisung.
• B ei jeder Untersuchung: RR, Körpergewicht, Stand der Gebärmutter, kindli-
che Herzaktion, Lage des Kindes, MM-Befund.
• L abor: M-Urin (Eiweiß, Zucker, Sediment), evtl. Bakteriologie. Hb (wenn bei
Erstuntersuchung normal: ab 6. Mon.).
• C hlamydiennachweis: bei jeder Schwangeren möglichst früh Chlamydien-
nachweis aus Urin.
• S erologische Untersuchungen auf Inf.:
– z. B. Röteln bei Schwangeren ohne dokumentierte zweimalige Impfung,
Lues, Hepatitis B.
– bei begründetem Verdacht: auf Toxoplasmose und andere Inf.
138 5 Schwangerschaft
5.3.2 Beratung
Arzneimittel
Ind. in der Grav. so streng wie möglich stellen (▶ 5.21).
Ernährung
Schwangerschaft heißt nicht „Essen für zwei“! Übergewicht vermeiden, aber auch
keine Abmagerungskur in der Schwangerschaft. Im Verlauf der Schwangerschaft
steigt v. a. der Vit.- und Mineralstoffbedarf erheblich an, während der Energiebe-
5.3 Schwangerenvorsorge 139
darf nur geringfügig erhöht ist. Dies macht eine sorgfältige Lebensmittelauswahl
notwendig; ballaststoffreiche Kost (z. B. Brot, Getreideflocken, Reis, Nudeln, Hül-
senfrüchte, Gemüse, Salat, Obst) ist zu empfehlen. Die sicherste Grundlage bildet
eine vollwertige Ernährung durch abwechslungsreiche Mischkost, die reichlich
pflanzliche und mäßig tierische Lebensmittel enthält.
Dem häufig auftretenden Heißhunger auf bestimmte Speisen („saure Gurken“)
kann nachgegeben werden, sofern hieraus keine einseitige Ernährung resultiert.
Energiebedarf
• 1 9–25 J.: 2.200 kcal/d, ab 4. Mon. 2.500 kcal/d.
• 2 6–45 J.: 2.000 kcal/d, ab 4. Mon. 2.300 kcal/d.
Mahlzeitenhäufigkeit
5–6 kleine Mahlzeiten tägl., davon eine warme Mahlzeit mit Kartoffeln, Gemüse
oder Salat und Fleisch (3 × pro Wo.), Fisch (2 × pro Wo.) oder Vollkorngetreide
bzw. Hülsenfrüchte.
Iod und Fluor
Zwei Seefischmahlzeiten pro Wo., jodiertes und fluoriertes Speisesalz verwenden.
Substitution von 200 μg/d Jodid.
Folsäure
Zur Vermeidung von Neuralrohrdefekten wird die Gabe von Folsäure 0,4 mg/d
p. o. (z. B. Folsan®), am besten schon vor der Konzeption beginnend, empfohlen.
Cave: Auf Privatrezept verordnen.
Kochsalz 5
10 g/d, meist durch verstecktes Kochsalz in Nahrung schon erreicht.
Flüssigkeit
Mind. 1–1,5 l/d, kalorienreiche Getränke (z. B. Cola) meiden, besser Mineralwas-
ser, ungesüßte Kräuter- und Früchtetees.
Vegetarische Ernährung
Mit Milch, Milchprodukten und Eiern bei sorgfältiger Lebensmittelauswahl mög-
lich. Streng vegetarische Ernährung ist ungeeignet.
Spezielle Hinweise
• M ilch und Milchprodukte: 450 ml/d, Austausch gegen Käse und Joghurt
möglich (Quark ist relativ kalziumarm!).
• F leisch und Wurst: 90 g/d, magere Wurst- und Fleischwaren von Schwein,
Rind und Geflügel bevorzugen (magerer Bratenaufschnitt, gekochter Schin-
ken, Corned Beef, Geflügelwurst). Fleisch unpaniert zubereiten. Kein Verzehr
von rohem Fleisch (Tatar), Rohwurst (Salami, Mett- und Teewurst) oder Le-
ber. Cave: Toxoplasmose, Salmonellose.
• S eefisch: 1× pro Wo. etwa 200 g mageren (Seelachs, Kabeljau, Schellfisch) und
1× pro Wo. fetten (Hering, Makrele) Fisch zubereiten.
• E ier: 2–3 Eier pro Wo., wegen Salmonellengefahr nur erhitzte Eierspeisen mit
festem Dotter.
• F ette: 30 g/d, Pflanzenfette mit mehrfach ungesättigten Fettsäuren bevorzu-
gen (Soja-, Sonnenblumen-, Maiskeim- und Distelöl). Auf versteckte Fette in
Wurst, Käse, frittierten Speisen, Kuchen und Süßigkeiten achten.
140 5 Schwangerschaft
Geburtsvorbereitung
▶ 6.3.8.
Entspannungsübungen durchbrechen den Teufelskreis Spannung-Schmerz-
Angst-Spannung. Geburtsvorbereitungskurse werden ab der 28.–32. SSW unter
Anleitung einer Hebamme oder Krankengymnastin empfohlen.
5
Genuss-/Suchtmittel
Generelle Verbote können zu Schuldgefühlen oder Ablehnungsreaktionen gegen-
über dem Ungeborenen führen.
• K offein (Kaffee, Tee, Cola): Nicht mehr als 5 Tassen am Tag, da sonst mit er-
höhter Rate fetaler Mangelentwicklungen zu rechnen ist. Pro 100 mg Koffein
tägl. (= 1 Tasse Kaffee oder 2 Dosen Cola) steigt außerdem das Risiko für eine
Fehlgeburt um etwa 20 %.
• A lkohol: Das Abort- und Fehlbildungsrisiko steigt ab 60 g Alkohol/Wo. (das
sind etwa 100 ml Wein tägl. oder 200 ml Bier tägl.) deutlich an. Auch in gerin-
geren Dosen Alkoholtoxizität (fetales Alkoholsyndrom, FAS).
• N ikotin (auch Passivrauchen): Durch Gefäßkontraktion Mangelentwicklung
des Kindes. Kinder können bei Geburt Symptome des Nikotinentzugs aufwei-
sen. Rauchen in der Familie fördert p. p. die Allergie- und Asthmaneigung
des Kindes sowie akute und chron. Entzündungen der Atemwege.
• Drogenabhängigkeit (Opiate): Ein Entzug in der Schwangerschaft stellt für
das Kind ein höheres Risiko dar als die weitere Drogeneinnahme. Auf Me-
thadon übergehen, wenn die Kooperation der Pat. gewährleistet ist
(Schwangerschaft, Geburt sowie die Zeit bis 6 Wo. p.p. stellt eine Verord-
nungsind. für Methadon dar, kann vom behandelnden Gynäkologen mit
Fachkunde „Suchtmedizinische Grundversorgung“ auf BtM-Rezept verord-
net werden).
5.3 Schwangerenvorsorge 141
Geschlechtsverkehr
▶ 19.2.4.
Gegen GV ist bei normalem Graviditätsverlauf nichts einzuwenden. Bei Blutun-
gen in der Schwangerschaft, vorzeitiger Wehentätigkeit, Zervixinsuff., Uterusfehl-
bildungen, Placenta praevia oder habituellen Aborten → sexuelle Karenz (bei Or-
gasmus Uteruskontraktion, Ejakulat ist prostaglandinhaltig).
Gewicht
Die physiologische Gewichtszunahme in der Schwangerschaft beträgt bei schlan-
ken Frauen 12,5–18 kg. Schwangere im mittleren Gewichtsbereich sollten 11,5–
16 kg zunehmen, übergewichtige Frauen 7–11,5 kg. Übergewichtige Frauen soll-
ten in der Schwangerschaft nicht abnehmen. Die Zunahme verteilt sich auf die
Schwangerschaftsdauer wie folgt:
• 1 .–3. Mon.: keine wesentliche Zunahme.
• 4 .–6. Mon.: 200–250 g/Wo.
• 7 .–10. Mon.: 400–500 g/Wo.
Bei Gewichtsabnahme in der Frühschwangerschaft an Hyperemesis (▶ 5.7.2), bei
übermäßiger Gewichtszunahme im letzten Trimenon an SIH (▶ 5.8) denken.
Impfungen
Aktive Impfungen sind, abgesehen von Tetanus und Poliomyelitis, in der Schwan-
gerschaft kontraindiziert. Bei passiven Impfungen treten nur IgG-Ak (z. B. Poly-
globuline bei Hepatitis A, Masern) diaplazentar auf den Fetus über. Spezifische 5
Immunglobuline sollten möglichst direkt nach Exposition verabreicht werden
und stehen für Hepatitis B, Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), Mumps,
Röteln, Tollwut und Varizellen zur Verfügung (▶ 5.13).
Während der Schwangerschaft mögliche Impfungen
• D iphtherie: Impfung vorzugsweise im 2. oder 3. Trimenon, sofern kein aus-
reichender Impfschutz (v. a. bei Reisen in Endemieländer, V. a. Exposition).
• T etanus: Grundimmunisierung zu Beginn der 2. Schwangerschaftshälfte
durchführen. Bei Verletzungen Auffrischung bzw. Simultanimpfung abhän-
gig vom Impfstatus möglich.
• P oliomyelitis: Für den parenteralen Impfstoff ist die Schwangerschaft keine KI.
• H epatitis A: nur bei eindeutiger Ind.
• H epatitis B: nur bei eindeutiger Ind., bei NG HBsAg-pos. Mütter Simultan-
prophylaxe.
• I nfluenza: aktive Impfung mit Spaltvakzine oder Subunit möglich.
Während der Schwangerschaft kontraindizierte Impfungen
• M asern: bei Masernkontakt humanes Masern-Ig, wenn keine Immunität.
Schwangerschaftsausschluss vor einer Impfung, nach Impfung für 3 Mon. zu-
verlässige Kontrazeption.
• M umps: Masern.
• R öteln: bei Rötelnkontakt Prophylaxe mit Röteln-Ig bis 7 Tage nach Exposi-
tion.
• V arizellen: passive Immunprophylaxe möglich. NG, deren Mütter 7 Tage vor
bis 2 Tage nach der Entbindung erkrankt sind, werden passiv immunisiert.
142 5 Schwangerschaft
Ramadan
Muslimischer Fastenmon., durch eigenen Kalender in jedem Jahr zu einem ande-
ren Zeitpunkt. Das Fasten einer Schwangeren ist nach dem Koran „Sünde“, dieses
ist aber den Frauen meist nicht bekannt. Einige wichtige Probleme sind:
• B ei Emesis gravidarum Verstärkung der Beschwerden möglich.
• V erschlechterung einer SIH wegen ungenügender Eiweißzufuhr.
• B eschwerden durch E’lytverschiebungen wie Kaliummangel.
• F älle von Thrombopenie wurden beschrieben (HELLP-Sy. ▶ 5.8.3, Thrombo-
zytopenie in der Schwangerschaft ▶ 5.15).
• H b-Erniedrigung durch Eisenmangel.
Reisen
Zusätzlich zu den Reiseanstrengungen belasten Milieu- und Klimawechsel sowie
ein evtl. Arztbesuch in fremder Umgebung die Schwangere. Vorsicht vor Tropen-
reisen (Infektionsgefahr, notwendige Lebendimpfungen, große Hitze). Abzuraten
ist von längeren Autofahrten (▶ Abb. 5.5). Tragen schwerer Koffer und Höhen-
aufenthalte > 2.500 m sind zu meiden, gegen Seilbahnfahrten bestehen keine gene-
rellen Bedenken. Ggf. bei der Krankenkasse Behandlungsschein fürs Ausland be-
sorgen. Cave: Schwangerschaftserkr. sind bei Reiserückholversicherungen von
der Leistungspflicht meist ausgeschlossen!
Falsch Richtig
Die beste Zeit für Reisen in der Schwangerschaft liegt zwischen der 14. und
28. SSW. Im 1. Trimenon besteht ein erhöhtes Fehlgeburtsrisiko, gegen Ende
der Schwangerschaft wird Reisen beschwerlicher und Unfall- und Erkran-
kungsrisiken nehmen zu.
• . n. SIH.
Z
• lazentaanomalien.
P
• ehrlingsschwangerschaft.
M
• . n. Sterilitätsbehandlung.
Z
• rstgebärende > 35 J. oder < 15 J.
E
• eisen in große Höhen (> 4.500 m).
R
• eisen in Gebiete, in denen gehäuft Inf. durch Insekten oder Nahrungsmittel
R
übertragen werden.
• eisen in Malariagebiete, in denen Erreger gegen Chloroquin (z. B. Resochin)
R
resistent sind.
• eisen in Regionen, für die Impfungen mit Lebendimpfstoffen (z. B. Gelbfie-
R
ber) erforderlich sind.
Fliegen
Für die Schwangerschaft birgt das Fliegen in modernen Verkehrsflugzeugen keine
wesentlichen Risiken. Die zusätzliche geringe kosmische Strahlenbelastung stellt
keine KI zur Flugreise dar. Wegen der großen Variation des Geburtstermins sollte
in den letzten 4 Wo. der Schwangerschaft nur auf Kurzstrecken geflogen werden.
Wegen der Schichtdienstbelastung ist die berufliche Tätigkeit an Bord für
Schwangere nicht zulässig.
Sport
Zu vermeiden sind Kraftsportarten, Leistungssport und Sportarten, die mit star-
ker Erschütterung einhergehen (Reiten, Tennis!). Außerdem Vorsicht bei Sport-
arten, die nicht spontan unterbrochen werden können (Segeln, Bergsteigen). Ideal
sind Schwimmen, Radfahren, Wandern, leichte Gymnastik.
Sodbrennen
▶ 5.7.3.
Häufiger Befund in der Schwangerschaft bedingt durch Weitstellung der Hohlor-
gane, Druck auf den Magen durch den Uterus. Nicht durch Hyperazidität. Ther.:
fünf kleine Mahlzeiten, nach dem Essen nicht flach liegen, Milch trinken.
Stillvorbereitung
Abhärten der Brustwarze durch Massieren der Brust zur Areola hin, frische Luft,
Sonneneinstrahlung, Brust abbrausen, frottieren, keinen BH tragen (Mamille
scheuert an der Kleidung). KI: drohende Frühgeburt (Oxytocin-Ausschüttung).
144 5 Schwangerschaft
Elterngeld
Ab 2007 ist das Elterngeld an die Stelle des Erziehungsgeldes getreten. Es wird für
12–14 Mon. unmittelbar nach der Geburt des Kindes gewährt. Die Höhe richtet
sich nach dem elterlichen Einkommen. Nicht erwerbstätige erhalten ein Mindest
elterngeld.
• H öhe des Elterngeldes: Normal- und Gutverdiener 67 % des letzten Nettoein-
kommens minus Werbungskostenpauschale, Besserverdienende max.
1.800 Euro/Mon., Geringverdiener oberhalb von 67 % liegende Summe. Ohne
vorheriges Einkommen Mindestelterngeld von 300 Euro (wird nicht auf Sozi-
alleistungen oder ALG angerechnet).
• D auer: bis zu 12 Mon., Verlängerung um 2 Partnermon., wenn auch der
zweite Partner für diese Mon. Elterngeld beansprucht. Alleinerziehende kön-
nen Partnermon. für sich beanspruchen. Doppelt so lange Zahlung bei hälfti-
ger Inanspruchnahme.
• T eilzeitarbeit für bis zu 30 h/Wo. möglich.
5
5.4 Schwangerschaftsabbruch (Interruptio,
Abruptio)
Kay Goerke
Beratung
Die Schwangere muss in einer durch Ärztekammern oder Regierungspräsidien
anerkannten Beratungsstelle beraten werden. Das Beratungsgespräch muss min-
destens 3 volle Tage vor dem Beginn der Interruptio erfolgt sein (z. B. Beratung
Montag 14:00 Uhr, Wartetage Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, frühester Beginn
der Einleitung der Interruptio Freitag um 0:00 Uhr).
Die Beratung sollte einerseits ergebnisoffen, andererseits aber auch im Sinne der
Schwangerschaftserhaltung durchgeführt werden. Umfang der Beratung:
• V
onseiten der Schwangeren Darlegung der Gründe für den Abbruch (in Bayern
wird auch die Erfassung und Meldung der Gründe gefordert!).
146 5 Schwangerschaft
Kostenübernahme
Die Kosten für Abbrüche aus medizinischer und kriminologischer Ind. werden
von den Krankenkassen übernommen, die Kosten für Abbrüche auf Wunsch der
Frau können bei niedrigem Einkommen auf Antrag von der Krankenkasse erstat-
tet werden.
Operativer Schwangerschaftsabbruch
Gravidität < 12. SSW
• P riming 3–6 h vor Eingriff mit Gemeprost 1 mg (z. B. Cergem®) ins hintere
Scheidengewölbe.
• A llgemeinanästhesie oder Leitungsanästhesie (z. B. PDA, Parazervikalblock).
• V ag. Untersuchung (Größe des Uterus, Konsistenz, Öffnung des CK).
• D ilatation des CK mit Hegarstiften bis Größe 12, Kürettage des Cavums mit
stumpfer Kürette oder Saugkürettage, bis kein Material mehr gewonnen wer-
den kann.
• Z ur Uteruskontraktion Oxytocin 3 IE i. v. (z. B. Syntocinon®).
• N achkürettage der Tubenwinkel mit kleinerer Kürette.
• B ei Blutung Methylergometrin 0,1–0,2 mg i. v. (z. B. Methergin®). Cave: kar-
diovaskuläre KO.
Gravidität > 12. SSW
• A bortinduktion ▶ 5.5. Cave: Bei pulmonaler Hypertonie oder Bronchospas-
men. Überwachung von RR, Puls.
• N ach Eröffnung des MM (vag. Untersuchung) evtl. Durchtrittsnarkose einlei-
ten.
• G gf. Entwicklung des Fetus.
• Z ur Uteruskontraktion Oxytocin 3 IE i. v. (z. B. Syntocinon®).
• M anuelle Lösung der Plazenta, wenn nicht bereits spontan ausgestoßen.
• N achkürettage des Cavums mit großer, stumpfer Kürette, bis kein Material
mehr gewonnen werden kann, Nachkürettage der Tubenwinkel mit kleinerer
Kürette.
• M ethylergometrin 0,1–0,2 mg i. v. (z. B. Methergin®). Cave: kardiovaskuläre 5
KO.
Postoperatives Vorgehen
• A lle Pat.: Überwachung von RR, Puls, Blutung ex utero nicht über Perioden-
stärke (= etwa 6 Vorlagen/d), Temperatur, Material zur histologischen Unter-
suchung weiterleiten.
• B ei Rh-neg. Pat.: Rh-Prophylaxe, z. B. 1 Amp. Rhesogam® i. m. (▶ 9.4.3).
• B ei Grav. > 16. SSW: Milcheinschuss mit Bromocriptin 2 × 2,5 mg/d p. o. für
10 Tage (z. B. Pravidel®) oder einmalig Cabergolin 1 mg p. o. innerhalb von
24 h (z. B. Dostinex®) verhindern.
• B ei V. a. unvollständige Kürettage (periodenstarke Nachblutung, Fieber, gro-
ßer und weicher Uterus) Ultraschall, HCG-Verläufe, evtl. Nachkürettage un-
ter Antibiotikaschutz, z. B. Cefuroxim 3 × 1,5 g/d i. v. (Zinacef®).
! A nonyme Meldung aller Schwangerschaftsabbrüche an das Statistische Bun-
desamt Wiesbaden auf Formblatt oder online.
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch
• N
ur bis zur 7. SSW möglich (49. Tag der Schwangerschaft).
• G
ilt als schonende Alternative zum chirurgischen Eingriff.
• M
ifegyne darf nur in Einrichtungen im Sinne des § 13 des Schwangerschafts-
konfliktgesetzes und nur auf Verschreibung eines dort behandelnden Arztes
eingenommen werden.
Durchführung Das Anti-Gestagen (z. B. RU 486®, Mifegyne®) wird oral einge-
nommen und bewirkt ein Absterben der Schwangerschaft. Am Folgetag kommt es
148 5 Schwangerschaft
5
Abb. 5.6 Abortstadien: Links: Abortus imminens (MM geschlossen, Schwanger-
schaft intakt, leichte Blutung). Mitte: Abortus incipiens (MM öffnet sich, fehlen-
de Vitalitätszeichen, stärkere Blutung). Rechts: Missed Abortion (MM geschlos-
sen, Schwangerschaft nicht intakt, keine Blutung) [L157]
Diagnostik
• U terus klein, derb, CK geschlossen.
• S onografisch keine Vitalitätszeichen (▶ 21.2.2).
• K eine Temperaturerhöhung, Infektparameter (Leukozyten, CRP) neg.
• H CG erniedrigt (▶ 5.1.4), Gerinnung im Normbereich.
Therapie
• U nter ausreichend Analgetika z. B. Pethidin (Dolantin®) oder Spasmolytika z. B.
N-Butylscopolamin (z. B. Buscopan®) i. m. oder supp. Abortinduktion ▶ 5.19.
• K ürettage ggf. nach Zervixdilatation.
• A nschließend evtl. Oxytocin 3 IE i. v. (z. B. Syntocinon®) oder Methylergome-
trin (z. B. Methergin®) 0,1–0,2 mg i. v./i. m. unter oder nach Kürettage. Cave:
kardiovaskuläre KO.
• A nti-D-Prophylaxe bei Rh-neg. Frauen (▶ 9.4.4).
Ätiologie
Als mögliche Ursachen werden diskutiert:
• G enetisch: Häufigkeit genetischer Defekte nimmt mit dem Alter der Mutter
zu. Aborte im 1. Trimenon in 50–60 % durch genetische Defekte bedingt, v. a.
Trisomie, X-Monosomie und Polyploidie. Chromosomale Defekte bei 4 % der
Aborte (0,2 % der Normalbevölkerung).
• A natomisch: bei bis zu 25 % der WSA-Pat. angeborene uterine Anomalien.
Deutlich erhöhtes Abortrisiko bei Uterusseptum, Uterus bicornis, Uterus du-
plex und submukösen Myomen.
• M ikrobiologisch: V. a. Ureaplasma urealyticum und Chlamydia trachomatis.
Rezid. Spätaborte im 2. Trimenon vermutlich vermehrt bei bakterieller Vagi-
nose (▶ 5.13.19).
• E ndokrin: Hyper- und insb. Hypothyreose (Senkung der Abortrate von
5 71,4 % auf 9,5 % durch Ther. der Hypothyreose), PCO-Sy., metabolisches Sy.
• P sychisch: emotionaler Stress bei jeder Fehlgeburt kann kumulativ mit De-
pression einhergehen.
• I mmunologisch:
– Alloimmunologisch: Verschiebung des immunologischen Gleichgewichts
zugunsten einer TH1-Immunantwort mit erhöhter NK-Zell-Aktivität (na-
türliche Killerzellen). Bei WSA + hoher peripherer NK-Zellzahl 3,5-fach
erhöhtes Abortrisiko. Cave: Ausschlussdiagn.
– Autoimmunologisch (Antiphospholipid-Sy.): Prävalenz pos. Antikardioli-
pin-Ak. bei WSA 5–50 %, für Lupus-Antikoagulanz 0–20 %. Unbehandel-
te Frauen mit wiederholt pos. Antikardiolipin-Ak oder Lupus-Antikoagu-
lanz Risiko von bis zu 90 % für Abort oder schwere Schwangerschafts-KO.
• Th
rombophilie: Häufig Faktor-V-Leiden-Mutation, Prothrombin-Mutation
und Protein-S-Mangel bei WSA-Frauen.
0 11–15
1 12–24
2 19–35
3 25–46
5.5 Abort (Fehlgeburt) 153
Diagnostik
• S orgfältiger gynäkologischer Status, ggf. Sono, Hysteroskopie.
• A bklärung angeborener thrombophiler Faktoren: Faktor-V-Leiden-Mutation,
Prothrombin-Mutation und Protein-C- und -S-, PAI-Polymorphismus.
• A
bklärung autoimmunologischer Probleme: Antiphospholipid-Ak.
• A
usschluss endokriner Ursachen: TSH, Androgene, evtl. oGTT mit Insulin-
bestimmung.
• A
usschluss genetischer Ursachen: genetische Beratung der Eltern und Chro-
mosomenanalyse beider Partner, Karyotypisierung des Abortmaterials.
Weitere fakultative Diagnostik
• B asaltemperatur messen (▶ 15.2.3).
• Z ervixabstrich: insb. Ureaplasmen, Chlamydien, Mykoplasmen.
• S erum-Ak: Listerien, Toxoplasma, Chlamydien, ZMV, Treponema pallidum,
Rötelnvirus.
• F ollikelphasendiagn.: Einschließlich Gonadotropine, Androgene, Prolaktin;
TSH basal zu Zyklusbeginn ▶ 15.2.4.
• L utealphasendiagn. zum Ausschluss einer ovariellen Dysfunktion (▶ 15.2.4,
▶ 15.4.2) ggf. einschließlich Endometriumbiopsie (▶ 15.2.10).
• A bklärung einer Uterusmalformation z. B. durch Sono, Hysteroskopie, Chro-
molaparoskopie (▶ 15.2.11); bei etwa 10 % der Frauen mit Gebärmutterfehl-
bildungen bestehen gleichzeitig Nierenmalformationen (i. v. Pyelogramm).
Therapie
• B ei angeborener Thrombophilie niedermolekulares Heparin, z. B. Dalteparin 5
2.500 IE/d s. c. (z. B. Fragmin P®).
• B ei Antiphospholipid-Sy. unfraktioniertes Heparin, z. B. Heparin-Na
2 × 5.000 IE/d s. c. oder niedermolekulares Heparin plus Acetylsalicylsäure
100 mg/d bis ca. 36. SSW.
• rühzeitige Hospitalisierung, evtl. Progesteron 100 mg/d als Vaginalsupp.
F
oder 3–4 × 100 mg/d p. o. (z. B. Utrogest® Drg.).
• vtl. Amniozentese zur Chromosomenanalyse in der Frühschwangerschaft
E
(▶ 4.2.5).
• ehandlung einer vorbestehenden mütterlichen Erkr. z. B. Hypo- oder Hy-
B
perthyreose oder eines Diab. mell. (▶ 3.4).
• yperprolaktinämie: Dopaminagonisten oder Prolaktinhemmer (▶ 15.4.2).
H
• yperandrogenämie: Dexamethason z. B. 0,5 mg/d abends p. o. bei 75 kg KG
H
(z. B. Fortecortin®).
• utealphasendefekt: Stimulationsbehandlung, z. B. mit Clomifen und HCG
L
(▶ 15.4.2), evtl. Progesteronsubstitution (s. o.).
• terusmalformation: evtl. Septumresektion, Myomenukleation (▶ 18.7.4).
U
• rneuter Abort: Karyogramm, evtl. Blutgruppe des Fetus.
E
• iederholte Spätaborte: Nach Abklärung von Uterusfehlbildungen oder Ute-
W
rusmyomen, ggf. prophylaktische Cerclage (▶ 5.10.2) in der 14.–16. SSW oder
kompletter MM-Verschluss.
• sychosomatisch orientierte Ther.: Frauen leiden häufig unter massiven
P
Schuldgefühlen und Gefühl der Insuff. Betreuung im Sinne von „tender lo-
ving care“ (fester Ansprechpartner in spezialisiertem Institut, Besprechung
aktueller Probleme, engmaschige Betreuung im 1. Trimenon einschl. US-
Diagn., Beruhigung bei Problemen, pos. Einstellung des Teams).
154 5 Schwangerschaft
5.6 Trophoblasterkrankungen
Joachim Steller
5.6.1 Blasenmole
Epidemiologie Häufigkeit: 1 : 3.000 Schwangerschaften.
Pathophysiologie Hydropische Degeneration des Zottenstromas sowie Prolife-
ration der Trophoblastepithelien (Synzytium und Langhans-Zellen) mit trauben-
artig geordneten hydropischen Bläschen bis Bohnengröße. Ätiologie ist weitge-
hend unbekannt, frühzeitige Entwicklungsstörung der Frucht.
Klinik Uterine Blutung, ziehende wehenartige Unterbauchschmerzen. Verein-
zelt Abgang von „Bläschen“ aus dem CK, auffällig intensiv wachsender Uterus,
fehlende Vitalitätszeichen, häufig Hyperemesis gravidarum (▶ 5.7.2).
* Gültig für Blasenmole, invasive Mole, Chorionkarzinom, PSTT und ETT. N-Katego-
rie nicht vorgesehen. Quelle: Interdisziplinäre kurzgefasste aktuelle Leitlinien der
DGGG, DKG und AGO zu Trophoblasttumoren, gestationellen und nichtgestatio-
nellen Trophoblasterkr. (www.ago-online.de)
0 1 2 4
5
Alter (Jahre) ≤ 39 > 39 – –
Ermittlung des Score-Werts durch Addition der Punktwerte: 0–6 Punkte: Low-Risk-
Gruppe. Quelle: Interdisziplinäre kurzgefasste aktuelle Leitlinien der DGGG, DKG
und AGO zu Trophoblasttumoren; gestationellen und nichtgestationellen Tropho-
blasterkr. (www.ago-online.de)
• M
TX-Monother.: Methotrexat 50 mg/d i. m. an Tag 1, 3, 5, 7 plus Calciumfo-
linat 7,5 (15) mg/d p. o. (z. B. Leucovorin®), beginnend 30 h nach MTX-Gabe.
• A
ctinomycin-D-Monother.: Actinomycin D 10 μg/kg/d i. v. an Tag 1–5. Wie-
derholung nach mind. 7 Tagen Pause.
• E MA/CO:
– T ag 1: Etoposid 100 mg/m2 i. v. über 30 Min., Methotrexat 300 mg/m2 i. v.
über 12 h, Actinomycin D 0,5 mg i. v. als Bolus.
– Tag 2: Etoposid 100 mg/m2 i. v. über 30 Min., Actinomycin D 0,5 mg i. v.
als Bolus, Calciumfolinat 2 × 15 mg p. o. (beginnend 24 h nach MTX).
– Tag 3: Calciumfolinat 2 × 15 mg p. o.
– Tag 4: Vincristin 1,4 mg/m2 i. v. (max. 2 mg) als Bolus, Cyclophosphamid
600 mg/m2 i. v. über 30 Min.
– Wiederholung nach 6 Tagen Pause.
• usätzlich bei Hirnmetastasen: Methotrexat 1 g/m2 i. v. über 24 h an Tag 1,
Z
Calciumfolinat 3 × 30 mg/d i. v. (beginnend 32 h nach MTX) an Tag 2–4, Me-
thotrexat 12,5 mg intrathekal an Tag 8.
• EP: Bleomycin 30 mg i. v. als Bolus an Tag 1 und 8, Etoposid 100 mg/m2 i. v.
B
über 30 Min. und Cisplatin 20 mg/m2 i. v. über 1 h (cave: Hydratation) an
Tag 1–5. Wiederholung an Tag 22.
• P/EMA: Etoposid 150 mg/m2 i. v. über 30 Min. und Cisplatin 75 mg/m2 i. v.
E
(3 × 25 mg über jeweils 4 h) an Tag 1 Etoposid 100 mg/m2 i. v. über 30 Min.,
Methotrexat 300 mg/m2 i. v. über 12 h und Actinomycin D 0,5 mg i. v. als Bo-
lus an Tag 8 Calciumfolinat 4 × 15 mg p. o. (alle 12 h, Beginn 24 h nach MTX)
an Tag 9–10 Wiederholung nach 4 Tagen Pause.
5
• V
or jedem Zyklus werden (Differenzial-)BB, Thrombos, HCG, Leber-
und Nierenwerte kontrolliert, während des Zyklus täglich BB und
Thrombos, 2-tägliche Kontrolle der Leber- und Nierenwerte!
• ach etwa 2-jähriger Rezidivfreiheit sind erneute Schwangerschaften
N
diskutabel.
• ntidot bei toxischen Reaktionen auf Methotrexat ist Folinsäure
A
3–6 mg/d i. m. (Leucovorin®).
5.7 Frühgestosen
Joachim Steller
Durch die Schwangerschaft ursächlich bedingte Systemerkr. der Mutter.
• M
etoclopramid 4 × 10 mg/d p. o. (z. B. Paspertin®) zur Verbesserung der gast-
rointestinalen Motilität.
• V
itamin B6 (Pyridoxin) 3 × 10–25 mg/d, mit niedriger Dosis beginnen.
• D
imenhydrinat 2 × 62 mg/d i. v. oder 3–4 × 50 mg/d p. o. oder 3 × 1 Supp.
tägl. (z. B. Vomex A®-Supp.) oder:
• eclozin 2–4 × 25–100 mg/d p. o. (z. B. Postadoxin®-Tbl.) oder:
M
• ndansetron 2–4 mg i. v. (Zofran®) oder 4 mg oral (Zofran zydis®) alle 6–8 h.
O
• romethazin 12,5–25 mg i. v./p. o. (z. B. Atosil®), bis zu 6 × tägl.
P
• arenterale Ernährung: 2.500–3.000 ml 3-prozentige Aminosäure-Lsg. mit
P
Kohlenhydraten und E’lyten (900–1.000 kcal) sowie 2 Amp. Multibionta®,
evtl. 500 ml Intralipid® 10 % (550 kcal), evtl. Humanalbumin 20 % 2–3 ×
50 ml.
• orrektur des E’lytdefizits (▶ 2.7.2).
K
5.7.3 Sodbrennen
Definition Tritt bei 40–80 % aller Schwangeren auf, Beschwerden nehmen im
Lauf der Schwangerschaft häufig zu und verschwinden oft erst nach der Entbin-
dung.
Klinik Hinter dem Brustbein lokalisiertes brennendes Gefühl, teils schmerzhaft,
5 teils krampfartig, das vom mittleren Oberbauch bis in die Halsgrube aufsteigt. Der
Schmerz kann spontan oder mit der Nahrungsaufnahme auftreten. Bei länger an-
haltenden Beschwerden kann eine Refluxösophagitis entstehen. Saures Aufsto-
ßen, Völlegefühl.
Diagnostik Bei über Wo. anhaltendem tägl. Sodbrennen: Gastroduodenoskopie
(insb. bei zusätzlichen Schluckbeschwerden, Bluterbrechen, Teerstuhl).
Therapie
• A
llgemeinmaßnahmen:
– Meiden von fetten Speisen, Süßigkeiten, Pfefferminze, Kaffee, kohlensäu-
rehaltigen Getränken, Säften.
– Nahrungsaufnahme auf 4–6 kleine Mahlzeiten verteilen.
– Meiden später Abendmahlzeiten (> 3 h vor dem Zubettgehen).
– Kopfende des Bettes 20 cm höher stellen.
• M
edikamente:
– A ntazida: Magnesium- und Aluminiumhydroxid, z. B. Maaloxan® 3–4 ×
1 Btl. oder Kau-Tbl. tägl. puffern die Magensäure gut, werden nur in Spu-
ren resorbiert, trotzdem strenge Ind.-Stellung im 1. Trimenon. Cave: Nat-
riumbikarbonat sollte nicht mehr eingesetzt werden → führt zu metaboli-
scher Azidose mit mütterlicher und fetaler Ödemneigung.
– H 2-Rezeptorenblocker, falls keine Besserung eintritt, z. B. Cimetidin (Ta-
gamet®). Cimetidin passiert zwar die Plazentaschranke, in zahlreichen Be-
richten ist jedoch gut dokumentiert, dass keine unerwünschten Effekte auf
den Fetus oder Fehlbildungen auftreten.
5.7 Frühgestosen 161
Komplikationen
• U
lzera können zu narbigen Strikturen am Ösophagus führen.
• U
mwandlung des Plattenepithels des Ösophagus in ein spezialisiertes Zylin-
derepithel (Barrett-Mukosa). Selten kann bei weiter bestehender Symptoma-
tik nach Jahren bis Jahrzehnten ein Barrett-Karzinom entstehen.
Klinik
III Zeichen der kardialen Dekompensation bei leichter körperlicher Belastung vor
der Schwangerschaft
Vorgehen
Evtl. kardiologische Betreuung, vor geplanter Grav. EKG, Belastungs-EKG, Echo-
kardiogramm. Die Klinikaufnahme sollte 2–3 Wo. vor EGT erfolgen.
• Stadium I–II: kein erhöhtes Risiko bei sorgfältiger ärztlicher Betreuung. Eine
vag. Entbindung ist anzustreben, dabei sind PDA sowie VE oder Forzepsent-
bindung großzügig zu indizieren (Erleichterung der Eröffnungs- und Austrei-
bungsperiode).
• S tadium III–IV: bei optimaler Überwachung Schwangerschaft möglich. Kli-
nikeinweisung ab der 30.–34. SSW (Ind. zur Sectio großzügiger stellen), bei
Vitien mit re/li Shunt, z. B. M. Fallot, ist die Ind. zum Schwangerschaftsab-
5 bruch vor der 14. SSW gegeben.
Kritische Perioden
• 2 8.–34. SSW: Anpassung an erhöhtes HMV.
• G eburtsperiode.
• P . p. erhöhtes Risiko der kardialen Dekompensation durch plötzliche Umstel-
lung der Hämodynamik.
Abdomen
Zwerchfellhochstand (insb. letztes Trimenon) mit konsekutiver Refluxösophagitis
(ggf. Antazida oder Prokinetika). Nausea oder Emesis gravidarum ▶ 5.7.2. Obsti-
pation durch relaxierenden Einfluss des Progesterons und mechanische Einflüsse
(ggf. Laxanzien).
Ileus e graviditate
• P aralytischer Ileus durch Tonusverlust, fließender Übergang zu Obstipation.
• M echanischer Ileus (▶ 3.2.1) v. a. in der 16.–20. SSW, wenn der Uterus aus
dem kleinen Becken in den Bauchraum tritt und in der 32.–36. SSW, wenn
der kindliche Kopf in das kleine Becken tritt. Vor allem Adhäsionsileus und
Volvulus.
Vorgehen
• S ofortige OP bei Strangulation, Mesenterialinfarkt, Dickdarmileus mit
Gefahr der Gangrän.
• M agen- und/oder Dünndarmsonden (Dennissonden).
• F lüssigkeits- und E’lytsubstitution: ZVD zwischen 4 und 8 cmH2O.
• A ntibiotika: z. B. Cefotaxim 3 × 2 g/d i. v. (Claforan®), bei septischem Ver-
lauf in Kombination mit Gentamicin 1 × 3–5 mg/kg KG tägl. i.v. (z. B. Re-
fobacin®, Spiegelkontrolle, Dosisanpassung bei Niereninsuff.) und/oder
Metronidazol 3 × 500 mg/d i. v. (z. B. Clont®).
• B ei paralytischem Ileus hohe Einläufe und Darmstimulation mit Metoclo-
pramid, Bepanthen und Neostigmin (z. B. 6 Amp. Paspertin® + 6 Amp.
Dexpanthenol® + 6 Amp. Prostigmin® in 500 ml Ringer-Lsg. mit 40– 5
80 ml/h).
Nierenaufstau
Bei den meisten Schwangeren ist ein Aufstau des Nierenbeckens (meist re) bis
max. 2,5 cm (sonografisch) normal. Ther. erst bei Beschwerden mit Spasmoly-
tika (z. B. Buscopan® supp.) oder mit Analgetika (z. B. Paracetamol-CT®) oder
bei gleichzeitigem HWI (▶ 3.3.1). Selten auch Anlage eines Doppel-J-Kathe-
ters.
Pyelonephritis gravidarum
Tritt bei ca. 2 % aller Graviden auf, re > li
Anamnese Latente (asymptomatische) Bakteriurie, Fehlbildungen der ableiten-
den Harnwege (tonogene Dilatation der Ureteren), HWI vor der Grav., Steinlei-
den.
Klinik, Erreger, Therapie ▶ 3.3.2.
Langzeitther. für ca. 4 Wo. und postpartale Urinkontrollen, ggf. auch der ablei-
tenden Harnwege.
Akutes Nierenversagen
Ätiologie Akutes Kreislaufversagen (Schock, Blutverlust, Trauma), Hämolyse
(artifizieller Abort, Blutgruppenunverträglichkeit), E’lytdysbalancen (Hypereme-
sis), Inf. mit Sepsis (septischer Abort, Urosepsis), EPH-Gestose und Eklampsie.
Klinik Initiale Oligo-, Anurie, im Verlauf Polyurie mit Restitutio. In der Phase
der Oligo-, Anurie Gefahr der Hyperhydratation, Hyperkaliämie und Urämie
(Stickstoff ↑ mit Übelkeit, Erbrechen, Somnolenz, Koma), toxische Herzschädi- 5
gung.
Therapie Bei prärenalem ANV (Schock, Volumenverluste, Herz- und Kreislauf-
versagen) adäquate Kreislaufstabilisation. Bei intrarenalem ANV Entlastung der
Niere von Entgiftungsfunktion, prospektives Handeln, frühe Verlegung zur Dia-
lyse.
Vorbestehende Nierenerkrankungen
• G
lomerulonephritis: Verlauf der GN vom Typ-IgA/Minimalchange-GN ge-
ring beeinflusst, bei anderen GN-Formen kann eine rasche Progredienz ein-
setzen (engmaschiges Monitoring). GN als Erstmanifestation ist eine seltene
KO, Gefahr der Spätgestose (Pfropfgestose ca. 70 % ▶ 6.8.2).
• ongenitale Zystennieren: günstiger Grav.-Verlauf mit schlechter Prognose
K
für Mutter und Kind bei beginnender arterieller Hypertonie. Cave: zuneh-
mende Nierenfunktionsstörung.
• ialysepat.: Meist im fertilen Alter amenorrhoisch, bei Grav. hohe fetale
D
Mortalität, evtl. bei zunehmender Anämie Erythropoietin-Ther. einleiten
oder ergänzen.
Nierentransplantierte
Risiken in der Schwangerschaft
• A
bstoßungsreaktion des Transplantats während der Schwangerschaft eher
selten, gehäuft aber in der Postpartalperiode.
• V
erschlechterung der Nierenfunktion (etwa 20 % der Pat.).
166 5 Schwangerschaft
5.8 Spätgestosen
Joachim Steller
• D
rohende Eklampsie: Zusätzlich ZNS-Symptome (Kopfschmerzen, Ohren-
sausen, Augenflimmern, Sehstörungen, Somnolenz, Übelkeit, Erbrechen, Hy-
perreflexie, motorische Unruhe), begleitet von Hämokonz., Oligurie 5
(< 400 ml/d), evtl. Thrombozytenabfall.
• klampsie: Infolge einer Spastik der Hirngefäße tonisch-klonische Krämpfe
E
mit Zungenbiss, Zyanose, Bewusstlosigkeit, im Anschluss Koma. Die Folgen
sind Mikrozirkulationsstörungen mit Kapillarschäden, Hämorrhagien in
ZNS, Leber und Nebennieren, Gewebsnekrosen evtl. mit Amaurose, Nieren-
und Herzversagen. Müttersterblichkeit bei einem Anfall 5 %, bei mehr als fünf
Anfällen > 38 %. Perinatale Letalität 8–27 %.
Auswertung: 1–3 Punkte: leicht; 4–6 Punkte: mittelschwer; 7–9 Punkte: schwer
168 5 Schwangerschaft
Geeignet
Bedingt geeignet
Nicht geeignet
Angiotensin-AT1- Lorzaar®
Antagonisten, z. B.
Losartan
Besondere Risiken
Entwicklung eines Status mit neurologischen Spätschäden, Nierenversagen,
intraabdominale oder intrakranielle Blutungen, akute Schwangerschaftsfett-
leber, Lungenödem, vorzeitige Plazentalösung, intrauterine Asphyxie, intra-
uteriner Fruchttod.
5.8 Spätgestosen 171
5.8.2 Pfropfgestose
Ursache sind präexistente Organerkr. (Nephropathie, Diab. mell., Hypertonie).
Symptome treten meistens bereits vor der 24. SSW auf, häufig schwerer Verlauf.
Betroffen sind ältere und mehrgebärende Frauen. Therapie ▶ 5.8.1.
5.8.3 HELLP-Syndrom
Definition Sonderform des SIH mit Hämolyse (H), erhöhten Leberenzymen
(EL) und niedrigen Plättchenzahlen (LP). Häufigkeit etwa 1 : 300 Geburten.
Klinik Schmerzen im re Oberbauch bzw. im Epigastrium, teilweise begleitet von
Übelkeit und/oder Erbrechen, ggf. in Verbindung mit starken Kopfschmerzen
und Sehstörungen als Hinweis auf eine drohende Eklampsie.
Diagnostik
• L abor: Hämolysezeichen (Hb ↓, Bili und LDH ↑, Haptoglobin ↓, Bili-Spalt-
produkte im Urin), Leberenzymerhöhung (Transaminasen, γ-GT und evtl.
AP), Thrombozytenabfall < 100.000/mm3, Thrombinzeit ↓, D-Dimere ↑, Hkt
≥ 38 %. Evtl. Harnsäureanstieg auf > 5,0 mg%, Krea-Anstieg als Zeichen der
Niereninsuff. und Proteinurie im Rahmen der Gestosesymptomatik.
• E vtl. Blutdruckanstieg > 140/90 mmHg.
Differenzialdiagnosen Akute Hepatitis, Cholezystolithiasis, Medikamentenin-
tox., idiopathisch-thrombozytopenische Purpura, idiopathischer Schwanger-
schaftsikterus, akute Schwangerschaftsfettleber.
Therapie Intensivther. ▶ 5.8.1. 5
rombozytenkonzentrat (TK, ▶ 2.6.6), zum Zeitpunkt der Geburt sollte die
• Th
Thrombozytenzahl > 50.000/mm3 liegen, bei Thrombozytenzahlen < 20.000/
mm3 besteht die Gefahr einer spontanen Blutung.
• V or der 32. SSW konservativer Behandlungsversuch (z. B. RDS-Prophylaxe)
unter Intensivmonitoring nur bei stabilem Zustand von Mutter und Kind. Bei
Thrombozytenzahl < 50.000/mm3 abhängig von subaqualer Blutungszeit TK-
Gabe vor operativen Eingriffen erwägen. Bei Fibrinogen < 100 mg/dl Gabe
von Gefrierplasma.
• S chwangerschaftsbeendigung: meist rasch erforderlich (perinatale Letalität
in schweren Fällen > 10 %, mütterliche Letalität ca. 3,5 %). Bei erheblicher
Frühgeburtlichkeit wird derzeit ein konservatives Vorgehen unter engma-
schigem maternalem und fetalem Monitoring im Perinatalzentrum diskutiert.
KO: Postop. intraabdominale, subfasziale sowie atonische Blutung, die in
Einzelfällen zur puerperalen Hysterektomie zwingen kann. Gelegentlich wur-
den mütterliche Leberrupturen mit massiven intraabdominalen Blutungen
beobachtet.
Mahlzeit < 140 mg/dl und 2 h nach Beginn der Mahlzeit < 120 mg/dl. Bei In-
sulinther. präprandial > 60 mg/dl.
• erzicht auf Süßstoff Cyclamat.
V
Geburtshilfliches Management
• B ei unkomplizierten Fällen und guter Diabeteseinstellung: Werte immer
< 120 mg/dl; ggf. Abwarten bis zum Termin, ggf. Geburtseinleitung (▶ 6.13)
in Terminnähe.
• B ei KO und unbefriedigender Einstellung: stationäre Aufnahme ab
32. SSW, ggf. vorzeitige Geburtsbeendigung (möglichst bei Lungenreife;
▶ 5.10.3). Evtl. Amniozentese → Lezithin und Insulin im FW (▶ 5.1.7). Cave:
Partusisten® und Glukokortikoide sind diabetogen.
• B ei geplanter Geburt:
– Am Vorabend normale Insulindosis, normale Mahlzeit.
– Um 8:00 Uhr halbe oder keine Insulindosis, Pat. kann trinken und i. d. R.
essen.
– Evtl. bis zur Geburt 10 % Glukose-Lsg. i. v. mit 80 ml/h (= 8 g Glukose/h).
– Insulinperfusor mit üblicher Gesamttagesdosis auf 24 h einstellen.
– BZ-Monitoring alle 2 h, angestrebte Werte 80–120 mg/dl. 5
– Bei BZ < 80 mg/dl Insulinperfusor um 0,5 IE/h reduzieren.
– Bei BZ > 120 mg/dl Insulinperfusor um 1 IE/h erhöhen.
• B ei geplanter Sectio caesarea:
– Am Vorabend normale Insulindosis, normale Mahlzeit.
– 30 Min. vor Sectio keine oder halbe übliche Insulindosis s. c.
– BZ-Monitoring alle 2 h, angestrebte Werte 80–120 mg/dl.
– Evtl. Insulinperfusor und Glukose i. v. wie bei Geburt.
• P ostpartal: Dosis am Insulinperfusor halbieren, i. v. Glukose und Insulinper-
fusor bis zur ersten Mahlzeit, bei Mahlzeit höchstens ½ der üblichen Insulin-
dosis.
• B ei Gestationsdiabetes: p. p. meist kein Insulin mehr nötig.
Neugeborenes
• U nmittelbar p. p. BZ-Bestimmung.
• W enn keine weiteren Risikofaktoren (z. B. Makrosomie, SGA) vorliegen,
kann das Kind bei BZ > 40 mg/dl in der Geburtsklinik verbleiben.
• H äufige kleine Mahlzeiten und BZ-Kontrollen nach 2, 4, 8, 12, 24, 36 und
48 h.
• B ei Werten < 40 mg/dl Verlegung in eine neonatologische Intensiveinheit, da
Gefahr für Hypoglykämie, Atemnotsy., Hyperbilirubinämie, Störungen des
E’lyt- und Wasserhaushalts, innere Fehlbildungen, Herzvitien.
174 5 Schwangerschaft
Ätiologie
• M ütterliche Ursachen:
– Früh- und Fehlgeburten in der Vorgeschichte.
– Aufsteigende vag. Inf. und HWI.
– Körperliche und psychische Überforderung.
– Psychosomatische Störungen.
– Schlechte soziale und wirtschaftliche Bedingungen.
– Schwere Erkr. der Mutter, wenn ein Fortbestand der Schwangerschaft das
Leben der Mutter gefährden würde, z. B. HELLP-Sy.
– Rauchen, Alkohol- und Drogenmissbrauch.
– Endokrine Störungen.
– Z. n. Sterilitätsbehandlung.
• U rsachen seitens der Gebärmutter:
– Anatomische Beeinträchtigung der Zervix, z. B. nach Konisation.
– Anatomische Beeinträchtigung des Uterus, z. B. Myome.
– Uterine Blutungen, z. B. bei Placenta praevia oder bei vorzeitiger Lösung.
– Polyhydramnion.
5 – Z. n. mehreren Schwangerschaftsabbrüchen.
• K indliche Faktoren:
– Schwerwiegende intrauterine Mangelversorgung, fetaler Distress.
– Kindliche Fehlbildungen oder schwerwiegende Erkr. des Kindes.
– Mehrlingsschwangerschaft.
Kriterien für therapiebedürftige Uterusaktivität
• K ontraktionsfrequenz > 6 Kontraktionen/h mit einer Dauer von etwa 30 Sek.
mit oder ohne Zervixwirksamkeit.
• P rogrediente Verkürzung oder Eröffnung der Zervix auch ohne Nachweis ei-
ner vorzeitigen Wehentätigkeit (ggf. sonogr. trichterförmige Eröffnung des
inneren MM).
Diagnostik
• A namnese, s. o.
• S icherung des Gestationsalters (EGT, Frühultraschall), CTG (Wehen, fetaler
Zustand; ▶ 6.1.1).
• Z ervixlänge sonografisch (Normwert bis zur 36. SSW: 4,8 cm ± 1 cm) und
palpatorisch, Konsistenz der Zervix (weich, derb), MM-Weite (Bishop-Score,
▶ 5.17).
• F etometrie ▶ 21.2.4.
• E vtl. Doppler-Sono.
• Z ervixabstrich zum Ausschluss einer Inf. (▶ 13.2.4, ▶ 12.3), Vaginal-pH (al-
kal. Werte korrelieren nach Saling mit erhöhter FG-Rate).
• U rinstatus.
• Infektparameter (Leukozyten, CRP).
5.10 Vorzeitige Wehen, Zervixinsuffizienz 175
26.–28. SSW 3 Kontraktionen/h
29. SSW 4 Kontraktionen/h
30.–32. SSW 5 Kontraktionen/h
33. SSW 4 Kontraktionen/h
34.–37. SSW 5 Kontraktionen/h
Therapie
• B ettruhe, bei kindlicher Unreife Klinikeinweisung, Koitusverbot ggf. bis ab-
geschlossene 37. SSW.
• B ehandlung von mütterlichen Begleiterkr., z. B. HWI, Schilddrüsenfunktions-
störungen.
• L aktobazillus-Vaginal-Supp. (z. B. Vagiflor®) bei alkalischem Vaginal-pH.
• L okale Ther. (z. B. Sobelin® Vag-Creme) bei path. Vaginalabstrich.
• A ntibiose, z. B. mit Cefotaxim 3 × 2 g/d i. v. (Claforan®) bei V. a. Inf. des unte-
ren Eipols (pos. Infektparameter, path. Zervixabstrich). Inf. mit
β-hämolysierenden Strept. ▶ 9.6.1.
• T okolytika ▶ 5.10.1.
• R DS-Prophylaxe ▶ 5.10.3. 5
• G gf. Cerclage oder Cerclage-Pessar (▶ 5.10.2). Cave: Infektionsrisiko, Kolpitis.
• P rozedere bei vorzeitigem Blasensprung ▶ 6.7.
5.10.1 Tokolyse
Epidemiologie
Frühgeburten haben mit über 70 % einen großen Anteil an der perinatalen Sterblich-
keit sowie an der dadurch bedingten Schädigung des NG. Zahl der sehr kleinen oder
frühen Frühgeburten hat in den letzten Jahren zugenommen. Neben hoher Mortalität
besteht bei sehr frühen Frühgeburten das Risiko schwerwiegender Langzeitschäden.
Indikationen
• S pontane vorzeitige Wehentätigkeit zwischen der 24 + 0 und 34 + 0 SSW
(schmerzhafte, palpable, länger als 30 Sek. andauernde Kontraktionen, die
häufiger als 3 × pro 30 Min. auftreten).
• erkürzung der funktionelle Zervixlänge (transvag. Messung).
V
• M-Erweiterung.
M
Kontraindikationen
• Intrauterine Inf.
• N icht überlebensfähiger Fetus oder intrauteriner Fruchttod.
• M ütterliche oder kindliche Ind. zur Schwangerschaftsbeendigung.
• < 24. SSW: Vor 24 + 0 SSW ist medikamentöse Tokolyse i. d. R. nicht indi-
ziert. Individuelle Ausnahmen können bestehen.
176 5 Schwangerschaft
Durchführung
Verfügbare Substanzen Zur Tokolyse eingesetzt werden v. a. Betamimetika, Oxy-
tocin-Rezeptorantagonisten, Kalziumantagonisten, Magnesium, Prostaglandin-
synthesehemmer und NO-Donatoren:
• In Deutschland sind Fenoterol (Partusisten®), Atosiban (Tractocile®) und Ma-
gnesiumsulfat zugelassen. Fenoterol ist nur in Deutschland zur Tokolyse zuge-
lassen.
• A tosiban wurde in Europa von der European Agency for the Evaluation of
Medical Products als Tokolytikum zugelassen.
• F ür Magnesiumsulfat fehlt ein eindeutiger Wirkungsnachweis in der Hem-
mung vorzeitiger Wehen und ist mit einer Erhöhung der kindlichen Mortali-
tät assoziiert, wenn sehr hohe Dosen angewendet wurden (Loading-Dose
4–6 g Magnesiumsulfat, Erhaltungsdosis 2–4 g/h über mehr als 24 h).
5 Für Nifedipin, NO-Donatoren und Indometacin wurde die Zulassung als Tokoly-
tikum weltweit von den Herstellern nicht beantragt. Nicht zugelassene Tokolytika
sollten nur nach ausführlicher Information der Pat. und Einholen des Einver-
ständnisses für die Anwendung außerhalb der Zulassung angewendet werden. Es
bleibt dabei dem einzelnen Arzt überlassen, das Medikament in eigener Verant-
wortung und mit dem Risiko der Haftung für entstehende Gesundheitsschäden
außerhalb des Anwendungsgebiets zu verwenden (Off-Label-Use!).
Substanzwahl
• A tosiban, Betamimetika und Nifedipin sind äquieffektiv in der Hemmung
vorzeitiger Wehen.
• A tosiban ist die nebenwirkungsärmste Substanz. Nifedipin hat ebenfalls we-
nige NW, Fenoterol hat die meisten NW. Dennoch kann die Bolustokolyse
mit Fenoterol die Rate subjektiver NW senken.
• A tosiban ist teuer.
• N ifedipin ist für die Behandlung in der Schwangerschaft nicht zugelassen,
kann aber oral verabreicht werden, während Fenoterol und Atosiban parente-
ral verabreicht werden.
Vorgehen
• E s besteht derzeit keine Evidenz, dass eine Dauertokolyse effektiver ist als die
kurzfristige Tokolyse über 48 h. Dauertokolyse daher nur in Einzelfällen (z. B.
symptomatische Placenta praevia und frühes Schwangerschaftsalter).
• F ür orale Tokolyse mit Betamimetika und/oder Magnesium fehlt der Wir-
kungsnachweis.
5
®
Fenoterol (Partusisten ) I. v. über Perfusor/Infusomat: initial 2 μg/Min.; Steigerung
um 0,8 μg alle 20 Min. (4 μg/Min. maximal)
Perfusor-Bolustokolyse: Beginn: 3–5 μg alle 3 Min.
5.10.2 Cerclage
Definition Zervixschlingung mit dem Ziel des op. Verschlusses des CK. Die Er-
folge einer prophylaktischen oder „therapeutischen“ Cerclage sind fraglich. Daher
strenge Ind.-Stellung.
• P rophylaktisch ab der 14.–16. SSW z. B. bei Mehrlingsgrav., Z. n. rezid. Spät
aborten.
• Th
erapeutisch max. bis 28. SSW bei drohender oder vorzeitiger MM-Eröff-
nung.
• E chte isthmozervikale Insuff. ist einzig akzeptierte Ind. der Cerclage (Häufig-
keit 1–2 %).
Voraussetzungen
• B estimmung des Reinheitsgrades (max. II) ▶ 13.2.4.
• B akteriologischer CK-Abstrich (keine pathogenen Keime).
• S cheidendesinfektion (z. B. mit Octenisept® oder Fluomycin®N Vaginalsupp.).
• N eg. Infektlabor (CRP, Leukos).
• C erclage spätestens in der 36. SSW lösen, bei zervixwirksamer Wehentätigkeit
sofort.
• E vtl. antibiotische Behandlung über 8–10 Tage z. B. mit Amoxi-Clavulan® 3 ×
1,5 g/d i. v.
Durchführung
• M cDonald: Legen einer Tabaksbeutelnaht mit nicht resorbierbarem Material
um die Zervix (▶ Abb. 5.7, re).
5 • S hirodkar: Durchziehen eines Kunststoffbandes von einer queren vorderen
und hinteren Kolpotomie aus, ggf. nach Abpräparation der Harnblase
(▶ Abb. 5.7, li).
Shirodkar McDonald
Abb. 5.7 Cerclage nach Shirodkar (li) und nach McDonald (re) [L157]
– F rüher TMMV nach vollendeter 12. SSW und vor der 16. SSW bei belasteter
geburtshilflicher Anamnese, später TMMV jenseits der 16. SSW oder bei
schwerer Zervixinsuff. mit Eröffnung des CK und insb. Fruchtblasenprolaps.
– Nach Desepithelialisierung der Endozervix Verschluss des CK mit zwei
zirkulären resorbierbaren Endonähten. Querriegelverschluss auf dem Ni-
veau der Ektozervix mit vertikalen Einzelknopfnähten. Danach fortlau-
fende, MM-adaptierende und -abdichtende Naht der Zervixhaut.
• erclage-Pessar nach Arabin: MMV durch konvex geformte Silikonschale
C
mit zentraler Öffnung. NW: häufige Kolpitis, vorzeitige Wehen.
5.11 Mehrlingsgravidität
Joachim Steller
• D
izygote Zwillinge sind immer dichorial – diamnial (zwei befruchtete
Eizellen, gleich- oder verschiedengeschlechtlich, genetisch immer unter-
schiedlich).
• onozygote Zwillinge können diese Plazentation aufweisen, wenn die
M
Teilung bis zum Erreichen des Morulastadiums erfolgt ist. Die Kinder
sind dann gleichgeschlechtlich und genetisch identisch.
Diagnostik
• U terus größer, als es dem Schwangerschaftsalter entspricht (▶ Abb. 5.1).
• B auchumfang am Geburtstermin > 100 cm.
• F ühlen von vielen kleinen Teilen (▶ Abb. 5.2).
• S onografischer Nachweis mehrerer Feten (▶ 21.2).
! D D: großes Kind (z. B. diabetische Mutter), Polyhydramnion, hochstehender
Fundus bei engem Becken oder Placenta praevia.
Komplikationen Infolge der mechanischen und funktionellen Mehrbelastung
kommt es bei Mehrlingsschwangeren in sehr viel höherem Maße zu Schwanger-
schaftsbeschwerden und -KO:
5.11 Mehrlingsgravidität 181
λ
a b
Viren
Viren
Protozoen/Bakterien
Die einzelnen Inf. werden entsprechend ihrer Reihenfolge in den Tabellen abge-
handelt. Die an anderer Stelle des Leitfadens beschriebenen Inf. sind durch Quer-
verweise gekennzeichnet.
Epidemiologie
Von allen Inf. in der Schwangerschaft sind die Röteln wegen ihrer hohen Fehlbil-
dungsrate (Rötelnembryopathie, RE) am meisten gefürchtet. Die gegen Röteln
188 5 Schwangerschaft
Klinik
Schwangere Die Rötelninf. verläuft bei Kindern zu 50 %, bei Jugendlichen und
Erw. zu 20–30 % uncharakteristisch ohne das rötelntypische Exanthem. Arthralgi-
en und rheumatische Beschwerden treten vorwiegend bei 35–60 % der jungen
Frauen auf.
Fetus Sonografische Marker aufgrund des meist frühen Schwangerschaftsab-
bruchs nicht dokumentiert.
Neugeborenes
• K onnatale Rötelninf. mit Voll-/Teilsymptomatik der RE (Rötelnsy.) oder
asymptomatisch.
• G esamtletalität: 13–25 % bei Vollbild der RE.
5.13 Infektionen in graviditate 189
Diagnostik
Schwangere Seit 1971 obligater Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien. Ände-
rung 8/2011: Bei Nachweis von 2 dokumentierten Röteln-Impfungen wird Immu-
nität angenommen, d. h. keine Röteln-Ak-Bestimmung erforderlich.
• S erologie (falls keine oder nur 1 Impfung dokumentiert ist): Hämagglutinati-
onshemmtest (HAH) oder seit 08/2011 auch andere Testmethoden wie z. B.
IgG-Immunassays zur Bestimmung der Immunitätslage; Vorgabe eines
Grenzwerts für Immunität (früher HAH ≥ 1 : 32) ist weggefallen; Interpreta-
tion damit abhängig von Testhersteller/Labor; z. B.:
– HAH-Titer < 1 : 8 und/oder IgG-Ak < 10 IE/ml = keine Immunität; → Ak-
Kontrolle bis zur 20. SSW sinnvoll.
– HAH-Titer 1 : 8 = Immunität fraglich; bei pos. IgG-Test (z. B. ELISA) und
5
Nachweis von moderatem/hohem IgG-Aviditätsindex ist Immunität an-
zunehmen.
– HAH-Titer 1 : 16 = Immunität ist anzunehmen bei Bestätigung durch
IgG-Test (z. B. ELISA).
– HAH-Titer ≥ 1 : 32 und/oder IgG-Ak > 10 IE/ml bzw. ≥ 15 IE/ml (je nach
Testhersteller) = Immunität ist anzunehmen, falls kein Hinweis auf kürz-
lichen Rötelnkontakt oder rötelnverdächtige Symptome.
Bei V. a. akute Inf. (rötelnverdächtige Symptome oder Kontakt) HAH, IgG- und
IgM-Ak-Teste und ggf. Zusatzteste durchführen, Nachweis einer Primärinf.
durch Serokonversion bzw. signifikanten HAH-Titer/IgG-Ak-Anstieg und hohe
IgM-Werte 1–2 Wo. nach Infektionsbeginn. IgM-Ak persistieren i. d. R. etwa
6–8 Wo. in mittleren Werten.
Lange persistierende IgM-Ak sind bei 2–3 % der gesunden Schwangeren oft
mehrere Jahre nach früherer Inf. oder Impfung nachweisbar, deshalb pos.
IgM-Befunde durch Zusatzteste abklären.
• Z usatzteste:
– E ingrenzung des Infektionszeitpunkts in der Frühschwangerschaft mit
IgG-Aviditäts- (Aviditätsindex AI) und IgG-Immunoblot-Test (E2-
Bande):
– Hoher AI mit Nachweis der E2-Bande schließt kürzliche Primärinf. (in
den letzten 3 Mon.) mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.
190 5 Schwangerschaft
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe kaum möglich.
• P assive Prophylaxe: Röteln-Ig-Gabe bei Kontakt nicht mehr empfohlen,
hochtitriges Röteln-Ig nicht mehr verfügbar und Nutzen außerdem nie erwie-
sen.
• ktive Prophylaxe: generelle Kinderimpfung 2 × mit MMR oder MMR-Vari-
A
zellen; im gebärfähigen Alter: ungeimpfte Frauen oder Frauen mit unklarem
Impfstatus 2 ×, einmal geimpfte Frauen 1 × impfen, bei entsprechender Ind.
mit MMR. Beachte: Niedrige Titer können durch weitere Impfungen gegen
Röteln nicht geboostert werden.
• ötelnimpfung in Schwangerschaft: wegen theoretischen RE-Risikos Röteln-
R
impfung innerhalb von 4 Wo. vor und in Schwangerschaft vermeiden, bei
versehentlicher Impfung in diesem Zeitraum keine Ind. für pränatale Diagn.
oder Schwangerschaftsabbruch; bisher kein RE-Fall nachgewiesen; Risiko ca.
2–4 % für fetale Inf., aber ohne RE-Symptomatik bei Geburt.
• mpfehlung: Beschäftigungsverbot von seroneg. schwangeren Angestellten
E
v. a. in der vorschulischen Kinderbetreuung bis zur 20. SSW (in NRW und
Niedersachsen auch für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen mit Kindern bis
18 J.).
5.13 Infektionen in graviditate 191
Meldepflicht
Konnatale Röteln (RE und asymptomatische infizierte NG; nichtnamentlich;
direkter oder indirekter Nachweis); Dunkelziffer vorhanden, da z. B. Hörde-
fekte oft lange unbemerkt bleiben; voraussichtlich 2012 Einführung einer
bundesweiten Meldepflicht für postnatale Röteln. ▶ 1.10.1.
Verbleibende Probleme
• M MR-Durchimpfungsraten für die 2. Impfung (15–23. Lm) noch nicht
optimal.
• F rage der langfristigen Immunität bei niedrigen Röteln-Ak-Werten und
rückläufiger Wildviruszirkulation.
• R isiko akute Röteln/RE-Fälle durch importierte mütterliche Röteln und
für Infektketten bei Impfverweigerern.
5.13.2 Zytomegalie
Erreger ist das Zytomegalievirus (CMV), ein β-Herpesvirus.
Epidemiologie
Häufigste kongenitale Inf. mit kindlicher Schädigung bei Geburt und später. Welt-
weit sind 0,2–2 % aller NG mit dem Virus infiziert (in Deutschland ca. 0,2 %) und
etwa 13 % sind bei Geburt symptomatisch (CID-Sy.: Congenital Inclusion Disease).
Die CMV-Seronegativrate im gebärfähigen Alter beträgt in Deutschland ca. 57 %, 5
jährlich infizieren sich ca. 1,1 % der seroneg. Schwangeren erstmals mit CMV.
Klinik
Schwangere Schwangere mit CMV-Primärinf. haben in ca. 17 % eine relativ un-
charakteristische und nur in ca. 7 % CMV-charakteristische Symptomatik (z. B. He-
patitis, hohe Leberwerte). Rekurrierende Inf. verlaufen klinisch immer inapparent.
Fetus Bei fetaler Inf. sind die Hauptauffälligkeiten im Ultraschall: Ventrikeler-
weiterung im ZNS, Mikrozephalie, Höhlenergüsse (z. B. Aszites), Wachstumsre-
tardierung, hyperechogener Darm!
Neugeborenes
• 8 7 % der kongenital infizierten NG sind bei Geburt asymptomatisch.
• 1 3 % der NG weisen unterschiedlich schwere Symptomatik auf – von systemi-
schen Manifestationen (z. B. Frühgeburtlichkeit, geringes Geburtsgewicht, pe-
techiale Blutungen, Ikterus und Thrombozytopenie) bis zu ZNS-Symptomen
(z. B. Mikrozephalie und intrakranielle Verkalkungen, Hördefekte, Lethargie
und Krämpfe). Die Mortalitätsrate in den ersten Lw wurde früher mit ca.
10 % angegeben, heute mit 4 %.
Kind
• B ei den bei Geburt symptomatischen Kindern sind bleibende, zumeist multi-
ple Schäden, v. a. Innenohrschwerhörigkeit (41–58 %), Mikrozephalie (52 %),
ein sehr niedriger IQ von < 70 (55 %) sowie Sprach- (27 %) und Sehstörungen
(22 %) zu erwarten.
• B ei den bei Geburt asymptomatischen Kindern kommt es in 13,5 % zu Spät-
manifestationen wie Innenohrschwerhörigkeit (7 %), kognitiven Störungen
oder neurologischen Beeinträchtigungen (6,5 %).
5
Diagnostik
Schwangere CMV-Screening wird gegenwärtig selektiv – z. T. als IGeL – vor und
in der Schwangerschaft durchgeführt.
• S erologie: Feststellung des Immunitätsstatus vorrangig durch IgG-Ak-Be-
stimmung.
– Neg. IgG-Ak-Befund: Kontrolle im 2./3. Trimenon mit Hinweis auf Expo-
sitionsprophylaxe (s. u.).
– Nachweis einer Primärinf. durch IgG-Serokonversion bzw. signifikanten
Anstieg der IgG-Ak und hohe IgM-Ak-Werte bei niedrigem IgG-Avidi-
tätsindex. Bei pos. IgM-Befund: Eingrenzung des Infektionszeitpunkts mit
Zusatztesten (IgG-Avidität, Immunoblot).
– Rekurrierende Inf. serologisch schwer zu charakterisieren; z. T. erhöhte
IgG-Ak- und schwach pos. IgM-Ak-Werte bei moderatem bis hohem
IgG-Aviditätsindex.
• E rregernachweis: CMV-DNA-Nachweis quantitativ mit der Real-Time-PCR
im Blut zum Nachweis einer virämischen Phase.
Pränatale Diagnostik
• B ei serologisch bestätigter Primärinf. Ultraschallkontrollen DEGUM 2/3 ab
19. SSW, evtl. zusätzlich fetales MRT (> 25. SSW).
• F W-Entnahme ab der 21. SSW (mind. ≥ 7–8 Wo. nach möglichem Infektions-
zeitpunkt) zum Erregernachweis (PCR, Schnell-Zellkulturtest) und evtl. Fetal-
blutentnahme ab der 23. SSW zum IgM-Ak- und Erregernachweis. Pos. Be-
funde bestätigen fetale Inf. Bei gleichzeitig das ZNS betreffenden Ultraschall
auffälligkeiten ist die Geburt eines schwer geschädigten Kindes zu erwarten.
5.13 Infektionen in graviditate 193
Therapie
Schwangere
• D ie i. v. Ganciclovirther. in der Schwangerschaft wird zurzeit nicht empfoh-
len.
• A ls Heilversuch könnte bei nachgewiesener fetaler Inf. und auffälligem Ultra-
schall in Einzelfällen die Gabe von CMV-Hyperimmunglobulin intravasal in
die Nabelvene erwogen werden (Off-Label-Anwendung).
• B ei nachgewiesener fetaler Inf. und schwerwiegenden Ultraschallauffälligkei-
ten steht ein Schwangerschaftsabbruch zur Diskussion.
Neugeborenes
• B ei symptomatisch infizierten NG, v. a. bei ZNS-Symptomatik und Hörstö-
rungen: Ganciclovir i. v. (Cymeven®) initial für 3–6 Wo., heute dann meist
Erhaltungsther. mit Valganciclovir (Valcyte®) für bis zu 3 Mon.
• B isher keine offiziellen Leitlinien zum Behandlungsschema. Hauptziel ist die
Verbesserung bzw. Erhaltung des Hörvermögens.
Prophylaxe
5
Wichtigste derzeitige prophylaktische Möglichkeiten sind hygienische Maß-
nahmen.
Keine Meldepflicht.
194 5 Schwangerschaft
Epidemiologie
Einziges natürliches Reservoir ist der Mensch. In Deutschland sind 3–4 % der
Frauen im gebärfähigen Alter seroneg. und somit ist nur ein geringer Prozentsatz
für eine Varizelleninf. in der Schwangerschaft gefährdet.
Varizellen
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• A nsteckung durch Tröpfcheninf. über Rachensekret, Direktkontakt über
Bläschenflüssigkeit.
• A usscheidung über den Rachen bereits 2–3 Tage vor Exanthemausbruch.
• D as Virus ist hoch kontagiös, die Infektionsrate liegt bei über 90 %. IKZ: 14–
16 Tage (Bereich: 8–21 Tage).
• B ei Varizellen in der Schwangerschaft besteht für die Mutter ein gewisses Ri-
siko einer VZV-Pneumonie.
• B ei mütterlicher Inf. in den ersten 20 SSW (selten bis zur 28. SSW): Risiko für
fetales bzw. kongenitales Varizellen-Sy. (CVS) ca. 1,4 %.
• B ei Kind von Mutter mit Varizellen im 2./3. Trimenon gelegentlich (1,1 %)
frühpostnataler Zoster in den ersten 2 Lj.
5 • B ei mütterlichen Varizellen um den Geburtstermin Risiko neonataler schwer
verlaufender Varizellen (8 %).
Klinik
Schwangere Krankheitsverlauf nicht schwerer als bei nichtschwangeren Frauen
im gebärfähigen Alter oder Männern. Wichtigste KO ist VZV-Pneumonie (~10 %
bei Erw.) v. a. im 2./3. Trimenon, mit Letalität von 20–40 % ohne i. v. Aciclo-
virther. und ohne Intensivmaßnahmen.
Fetus Bei kongenitalem Varizellensy. im Ultraschall Stufe II/III charakteristi-
sche Stigmata wie Gliedmaßenhypoplasie und skarifizierte Hautläsionen früher
nachweisbar als zerebrale, okulare und sonstige Abnormitäten, die meist später
und nur mit Zusatzuntersuchungen wie MRT nachweisbar sind.
Neugeborenes
• K ongenitales Varizellensy.: Charakteristische Symptome sind Hautskarifi-
zierung, Ulzerationen, Narben, Gliedmaßenhypoplasien, Paralysen und Mus-
kelatrophien, Katarakt und Augendefekte, Krampfanfälle, psychomotorische
Retardierung und Hirnatrophie.
• N eonatale Varizellen (erste 10–12 LT): Hauptrisiko für schweren Verlauf bei
mütterlichen Varizellen 5 Tage vor bis 2 Tage nach der Geburt und v. a. bei
FG. Bei mütterlicher Inf. > 5 Tage vor Geburt meist guter Verlauf.
• F rühpostnataler Zoster (1.–2. Lj): typische Effloreszenzen in Dermatomen
im Thoraxbereich, leichter Verlauf, Rekurrenzen selten.
5.13 Infektionen in graviditate 195
Diagnostik
Schwangere
• S erologie:
– Feststellung der Immunitätslage bei Kontakt durch IgG-(IgM-)Ak-Be-
stimmung nur bei neg. Anamnese bezüglich Windpockenerkr. Bei
schwach pos. bis mittleren IgG-Werten Bestätigung der Immunität durch
Nachweis eines hohen Aviditätsindex.
– Bei Windpocken klinische Diagn. vorrangig; serologische Bestätigung
3–5 Tage nach Exanthembeginn durch Nachweis von IgM-, (IgA-) und
IgG-Ak mit signifikantem Anstieg innerhalb von 14 Tagen. IgM- und
IgA-Ak-Persistenz für 2–3 Mon., IgG-Ak sind nach Abfall der erhöhten
Titer lebenslang nachweisbar. Niedrige IgG-Titer werden bei VZV-Kon-
takt i. Allg. asymptomatisch geboostert.
• E rregernachweis: Virusanzucht in Zellkultur nur bei freiem Virus (Bläschen-
inhalt) erfolgreich. Daher heute weitgehend nur DNA-Nachweis durch PCR
bei Varizellen-KO (Pneumonie, Enzephalitis) und in Bläscheninhalt zur Dif-
ferenzierung Zoster/Herpes simplex.
Pränatale Diagnostik Bei Varizellen bis 21. (28.) SSW invasive pränatale Diagn.
nicht generell empfohlen, jedoch Ultraschallkontrollen Stufe 2/3. Bei auffälligem
Ultraschall FW-Entnahme und evtl. auch Fetalblutentnahme frühestens 6 Wo. 5
nach Exanthembeginn und nicht vor 21. SSW (vorher mütterliche Virämie aus-
schließen). VZV-DNA-Nachweis mittels PCR im FW und evtl. Fetalblut; IgM-
Nachweis im Fetalblut nicht erfolgreich.
Neugeborenes/Kind
• U nauffälliges NG von Mutter mit akuten Varizellen in Schwangerschaft (bis
36. SSW): Nabelschnurblut IgG-pos., IgM-neg. → passive Ak.
• K ind mit kongenitalem Varizellensy. von Mutter mit Varizellen in Schwan-
gerschaft (bis 28. SSW): VZV-DNA-Nachweis in Abstrichen von Hautläsio-
nen und in Gewebebiopsien; IgM im Serum nicht nachweisbar, aber lange
persistierende IgG > 8. Lm; Nachweis der zellulären Immunität.
• K ind von Mutter mit Varizellen um Geburtstermin: klinisch bis 12. LT über-
wachen. Bei V. a. neonatale Varizellen mit z. T. schwer verlaufender Klinik:
serologisch signifikante IgG- und IgM-Ak-Titeranstiege; VZV-DNA-Nach-
weis in Bläscheninhalt, Liquor, Blut und Rachensekret.
Therapie
Schwangere
• E vtl. nach 16. SSW: orale Aciclovirther. (ACV) 24 h nach Exanthembeginn
5 × 800 mg/d für 7–10 Tage. Alternativ wird i. v. Gabe von 3 × 10 mg/kg/d
über ca. 7 Tage erwogen, aber bisher nicht in der Schwangerschaft erprobt.
• V arizellenpneumonie: sofort i. v. Aciclovirther. (3 × 10 mg/kg/d über 10 Tage)
und intensivmedizinische Betreuung.
• A kute Varizellen um dem Geburtstermin ▶ Tab. 5.18.
196 5 Schwangerschaft
Herpes zoster
Reaktivierte VZV-Inf.: Häufigkeit ca. 2/1.000 Schwangerschaften.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
KO: selten disseminierter Zoster; bei mütterlichem Herpes zoster im 1.–3. Trime-
non: Kein Risiko für ein kongenitales Varizellen-Sy. oder eine perinatale Inf. 5
Infektionsrisiko des NG bei mütterlichen Zosterläsionen um Entbindung: Bei Ab-
deckung der Läsionen unwahrscheinlich.
Diagnostik
Schneller Anstieg der VZV-IgG-, -IgA- und auch -IgM-Ak-Titer.
Therapie
Schwangere Bei schwerer Manifestation im (1.), 2., 3. Trimenon Aciclovir i. v.
bzw. Brivudin (Zostex®) oder Famciclovir (Famvir®) beide oral und bessere Bio-
verfügbarkeit als ACV oral. Cave: Keines von diesen Präparaten ist offiziell für die
Schwangerschaft zugelassen.
Bei Beginn von mütterlichem Zoster innerhalb von 4 Tagen vor Entbindung:
• N eugeborenes kein VZIG.
• Schwangere evtl. ACV; Läsionen bei der Mutter dann abdecken.
Bei Beginn von mütterlichem Zoster bis zu 4 Tage nach Entbindung: Neugebore-
nes VZIG 0,5 ml/kg KG i. m.
Management des Neugeborenen
• Isolierung Mutter-Kind: nein.
• S tillen: ja, wenn keine Effloreszenzen im Brustbereich; sonst Muttermilch ab-
pumpen.
Epidemiologie
Reaktivierung von HSV Typ 2 mind. doppelt so häufig wie mit Typ 1. In Deutsch-
land und in westeuropäischen Ländern ist Herpes neonatorum relativ selten
(1 : 15.000–40.000 Lebendgeburten), in den USA zwei Fälle von Herpes neonato-
rum auf 10.000 Lebendgeburten (davon 45 % durch Typ 1).
Klinik
Alle Genitalinf. verlaufen häufig asymptomatisch und können zur spätintrauteri-
nen oder perinatalen Inf. des Kindes führen und den Herpes neonatorum früher
vorwiegend mit Typ 2, heute zunehmend mit Typ 1 verursachen.
Schwangere
• P rim. HSV-Inf. sind bei Entbindung in 50 % asymptomatisch, bei HSV-Re-
kurrenz ist dies in 70–80 % der Fall.
• P rimärinf.: ausgedehnte multiple Ulzerationen, Brennen, Schmerzen, Fluor,
Dysurie, Dyspareunie, gelegentlich Temperaturerhöhung, vergrößerte
schmerzhafte Lk in der Leiste. Cave: klinisch keine sichere Unterscheidung
von Primärinf. und Rezidiv.
Neugeborenes Hauptmanifestationen des Herpes neonatorum:
• D isseminiert (ZNS, Lunge, Leber, Nebenniere, lokalisiert/SEM: Haut, Auge,
Mund). Symptombeginn 6–12 Tage nach Geburt, Letalität ohne Ther. > 80 %,
mit Ther. > 50 %.
• Z NS-Symptomatik (Enzephalitis, Meningitis in 37–48 % ohne SEM) mit Sym-
ptombeginn 16–18 Tage nach Geburt, Letalität ohne Ther. > 50 %, mit Ther.
15 %, in > 50 % neurologische und ophthalmologische Schäden sowie rekur-
rierende Hautbläschen.
5.13 Infektionen in graviditate 199
Diagnostik
Schwangere Das HSV-Screening ist keine Untersuchung der Mutterschaftsvor-
sorge.
• S erologie:
– Gesamt-Ak gegen Typ 1 und 2 mittels EIA, pos. Befund ≥ 3–5 Wo. post
infectionem (p. i.) zu erwarten.
– Ak mittels Immunoblot mit typenspezifischem Antigen, pos. IgG-Befund
Typ 1 > 3 Wo. p.i., Typ 2 > 5 Wo. p.i.; IgM-Titerbestimmung unzuverläs-
sig.
• E rregernachweis:
– Aus Bläscheninhalt, Mund-/Genitalabstrich.
– Goldstandard: Anzucht in Zellkultur, Typ 1 für ca. 2 Tage, Typ 2 für
4–5 Tage (im Schnellkulturverfahren 18 h) oder mit typenspezfischer PCR
(Dauer 1–2 h). Bei Nachweis einer geringen Zahl von Genomäquivalenten
fragliche Korrelation mit Infektiosität, daher Sectio eher nein.
• V orgehen:
– In Frühschwangerschaft auch Herpes-genitalis-Anamnese des Partners
erfragen. Inspektion des Zervikogenitaltrakts: bei verdächtigen Efflores-
zenzen Abstrich für Viruskultur/PCR.
– Bestimmung typenspez. HSV-Ak in Frühschwangerschaft. Bei neg. HSV1- 5
oder HSV2-Befund: Kontrolle Ende der Schwangerschaft zur Feststellung
einer Serokonversion, falls nachweisbar: Aciclovir bei Symptomen oder
ggf. prophylaktisch.
– Vor/bei Wehenbeginn: Herpes-genitalis-Inf. des Partners erfragen. In
spektion des Zervikogenitaltrakts: Bei sichtbaren Läsionen (auch ohne Vi-
rusnachweis) sowie bei Serokonversion für HSV 1, 2 (auch ohne genitale
Symptomatik) immer Sectio vor Ruptur der Eihäute bzw. innerhalb von
4–6 h danach.
Pränatale Diagnostik Nicht indiziert, da Übertragung hauptsächlich intra par-
tum.
Neugeborenes/Kind
• B ei symptomatischen und asymptomatischen NG Erregernachweis (PCR,
Zellkultur) aus Rachensekret, Augenabstrich, EDTA-Blut.
• B ei symptomatischen NG zusätzlich Erregernachweis aus Liquor.
• A bnahme innerhalb von 24–48 h nach Geburt, virologische (vorrangig) und
serologische Überwachung in den ersten 4 Lw, bei klinischem Verdacht so-
fortige Kinderklinikeinweisung und Hochdosisther.
Therapie
Die Ther. mit Aciclovir (ACV) oral ist wegen geringerer Bioverfügbarkeit weniger
wirksam als mit i. v. ACV. Im Vergleich zu ACV oral hat Valaciclovir Val-ACV
oral eine 3- bis 5-fach höhere Bioverfügbarkeit.
200 5 Schwangerschaft
Aciclovir ACV und Val-ACV sind offiziell weder für die Schwangere noch für das
NG zugelassen, jedoch werden beide Präparate sowohl in der Schwangerschaft als
auch für das NG eingesetzt, da bei ACV-Applikation in der Schwangerschaft kei-
ne erhöhte Fehlbildung im Vergleich zur Normalpopulation beobachtet wurde.
Schwangere
• P rim. orofazialer Herpes (Stomatitis) und prim. Erstepisode von Genitalher-
pes: ACV 3 × 400 mg/d p. o. für 7–10 Tage oder 5 × 200 mg/d p. o. für
7–10 Tage.
• S eltene disseminierte Erkr. (Enzephalitis, Hepatitis, Pneumonie): Im 1.–
3. Trimenon ACV 10 mg/kg KG i. v. alle 8 h für 14 Tage.
• R ezid. Genitalherpes (bei ausgeprägter Symptomatik): > 20. SSW ACV 3 ×
400 mg/d p. o. für 5 Tage oder 5 × 200 mg/d für 5 Tage.
• A CV-Prophylaxe bei rekurrierendem Genitalherpes oder Z. n. Genitalherpes-
Erstepisode ab 36. SSW bis zur Entbindung zur Senkung der Sectiorate (Nut-
zen wird kontrovers diskutiert): ACV 2–3 × 400 mg/d p. o. oder Val-ACV 2 ×
500 mg/d p. o. (bisher nur begrenzte Erfahrungen).
Neugeborenes
• M it Herpes neonatorum:
– ACV 20 mg/kg KG i. v. alle 8 h für 14–21 Tage; Hochdosistherapie!
• A symptomatisch:
– Mit hohem Infektionsrisiko: Prophylaktisch ACV i. v. 20 mg/kg KG alle
8 h für 14 Tage.
– Mit geringem Infektionsrisiko: klinische und virologische Kontrollen in
5 den ersten 4–6 Lw, bei klinischem Verdacht sofort stationäre Einweisung
und Einleitung einer Hochdosisther.
Prophylaxe
• S ectio bei sichtbaren Effloreszenzen im Geburtskanal, bei Serokonversion
auch ohne Symptomatik. Daten USA: Fälle von Herpes neonatorum nach
Sectio 1,2 %, nach vag. Entbindung 7,7 %.
• Isolierung Mutter/NG bei V. a. prim. Genitalherpes bis zur Abklärung. Bei
prim. Herpes labialis bis zur Abheilung der Läsionen. Keine Isolierung bei re-
kurrierendem Genital- und orofazialen Herpes (Herpes labialis), sondern hy-
gienische Maßnahmen.
• S tillen bei Herpes labialis nur bei perfektem Mundschutz.
• M ed. Personal und Besucher mit akut rekurrierendem HSV-1-Herpes labia-
lis, -Pharyngitis, -Stomatitis, HSV-2-Nagelbettgeschwür (Whitlow): Keine
Betreuung bzw. Besuch. Personal darf bei floridem Herpes labialis nicht auf
Entbindungs-/NG-Station arbeiten! Vorzugsweise immer Mundschutz tra-
gen!
• Z urzeit kein brauchbarer Impfstoff in Sicht.
Keine Meldepflicht!
Klinik
Schwangere
• V erlauf im Erwachsenenalter in etwa 30 % ohne das girlandenförmige Exan-
them. In 30–40 % erhöhte Temperaturen, uncharakteristisches Exanthem und
Lk-Schwellungen. Oft Polyarthralgien der kleinen Gelenke einzige Manifesta-
tion.
• G elegentlich persistieren Gelenkbeschwerden über mehrere Mon. 5
Fetus Etwa 95 % der fetalen KO werden in den ersten 10–12 Wo. nach mütterli-
cher Inf. beobachtet, in Einzelfällen bis zu 20 Wo.
• F etale KO überwiegend durch Hemmung der fetalen Erythropoese und da-
durch bedingte Anämie (Hauptzielzellen im Fetus: erythropoide Vorläufer-
zellen, Pronormoblasten der fetalen Leber).
• H ydrops fetalis wird hauptsächlich durch Herzinsuff. bei schwerer und an-
haltender Anämie verursacht.
• B 19-assoziierte Myokarditis kann zur Entstehung der Herzinsuff. beitragen.
• S chwere Hypoxämie bzw. Anoxie beeinträchtigt kardiale Pumpfunktion und
kann zu konsekutivem kapillärem Leck führen.
• Im Farbdoppler/Ultraschall nachweisbar: fetale Anämie, Hautödem, Hydrops
fetalis, Höhlenergüsse.
Bisher gibt es keine Hinweise auf kongenitale Symptomatik oder teratogene Effek-
te, die bei tierischen Parvoviren bekannt sind (z. B. zerebrale Hypoplasie bei Kat-
ze, Myokarditis bei Kaninchen, Schwein).
Neugeborenes Bisher keine Fälle von Fehlbildungen beschrieben, einige Fälle
von kongenitaler Anämie, Mekoniumperitonitis, Enzephalopathie und kongeni-
taler Myokarditis wurden mit der mütterlichen Parvovirus-B19-Inf. in Zusam-
menhang gebracht.
Diagnostik
Schwangere Das Parvovirus-B19-Screening ist keine Untersuchung der Mutter-
schaftsvorsorge.
202 5 Schwangerschaft
• S erologie:
– B ei Kontakt oder verdächtigen Symptomen in der Schwangerschaft IgG-
und IgM-Ak-Bestimmung im EIA.
– Zusatztest: IgG-Line-Assay (epitopspezifisch) zur Eingrenzung des Infek-
tionszeitpunkts. Einsatz nur in Schwangerschaft.
– Interpretation der serologischen Ergebnisse:
– IgG pos., IgM neg. → frühere Inf., Schutz ist anzunehmen. Cave bei
auffälligem US/Doppler, da IgM-Ak evtl. schon unter der Nachweis-
grenze.
– IgM pos., IgG neg. bis schwach pos. → akute Inf., Vorgehen s. „Präna-
tale Diagnostik“.
– IgG und IgM neg. → bisher keine Inf., Kontrolle in 2(–3) Wo.
Die Verlustrate bei schwerem Hydrops fetalis beträgt ohne Transfusion ca.
90 %, mit Transfusion 30–40 % (M. und G. Enders, unveröffentlicht).
Therapie
• A
ntivirale Substanzen nicht verfügbar; fetale Ther. durch intrauterine Trans-
fusion s. Abschnitt „Pränatale Diagnostik“.
• A
kute Inf. in Schwangerschaft ist keine Ind. für einen Schwangerschaftsab-
bruch.
5.13 Infektionen in graviditate 203
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe kaum erfolgreich.
• P ostexpositionsprophylaxe (PEP): kein spezifisches B19-Hyperimmunglobu-
lin (IG) verfügbar. Präexpositionelle Prophylaxe mit IG (i. v.) z. B. bei noso-
komialen Ausbrüchen sehr gut wirksam. PEP mit Immunglobulinen auf-
grund fehlender Evidenz nicht empfohlen.
• ktive Impfung steht nicht zur Verfügung.
A
• eschäftigungsverbot für seroneg. Schwangere: in den meisten Bundeslän-
B
dern in vorschulischen Einrichtungen bis zur vollendeten 20. SSW.
Keine Meldepflicht.
5.13.6 HIV-Infektion
Erreger sind die Retroviren HIV-1 und HIV-2. Sie sind die Ursache der Immun-
schwäche AIDS.
Epidemiologie
Im Jahr 2010 waren nach Angaben der WHO weltweit ca. 35 Mio. Menschen mit
HIV infiziert, auf Deutschland (D) entfielen davon ca. 70.000 Menschen. Der An-
teil der Frauen an den HIV-Infizierten und AIDS-Pat. ist wie in allen Industrie-
staaten deutlich geringer als derjenige der Männer. In D liegt der Anteil der infi-
zierten Frauen an allen HIV-Infizierten bei 20 %.
5
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• In D sind die wichtigsten Infektionsrisiken bei Frauen, die nicht aus Hoch-
prävalenzländern stammen, heterosexuelle Kontakte und i. v. Drogenge-
brauch.
• M utter-Kind-Übertragung erfolgt meist intrapartal (Muttermilch in Entwick-
lungsländern). Im Jahr 2010 wurden 20 Mutter-Kind-Transmissionen neu
diagnostiziert: 11 dieser Kinder wurden in D geboren, 9 Kinder waren bereits
infiziert eingereist.
Klinik
Schwangere HIV-Inf. können jahrelang klinisch unauffällig verlaufen und füh-
ren im Spätstadium zu AIDS. Bei der prim. HIV-Inf. ähneln die Symptome einem
grippalen Infekt.
Neugeborenes Ohne die heute zur Verfügung stehende Ther. kam es früher bei
ca. 25 % der infizierten NG innerhalb des 1. Lj zu AIDS, 25 % waren auch noch im
Jugendalter asymptomatisch. Heute kann die Inf. des NG durch antiretrovirale
mütterliche und kindliche Ther., Sectio und Stillverzicht weitgehend (< 2 %) ver-
hindert werden. Ein erhöhtes Risiko für kindliche Fehlbildungen aufgrund einer
mütterlichen HIV-Inf. besteht nicht.
Diagnostik
Schwangere
• H
IV-Test: Der HIV-Test soll im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge (seit
1987) jeder Schwangeren empfohlen werden. Die Beratung zum HIV-Test ist
204 5 Schwangerschaft
Therapie
Schwangere Antiretrovirale Ther. der Schwangeren entsprechend dem individu-
5 ellen Risiko. Aus kindlicher Ind. Zidovudin-Monother. (Retrovir®) oder Kombi-
nationsther. in Spätschwangerschaft (ab 32. SSW) entsprechend den Leitlinien
(deutsch-österreichische Empfehlungen zur HIV-Ther. in der Schwangerschaft
und bei HIV-exponierten NG, Stand September 2008, RKI). Bei sehr niedriger
Viruslast der Schwangeren trägt eine Sectio vermutlich wenig zu einer weiteren
Verminderung des Transmissionsrisikos bei. Bei geburtsmedizinischen HIV-
Transmissionsrisiken ist die HIV-Transmissionsprophylaxe risikoadaptiert zu
steigern.
Eine HIV-Inf. der Schwangeren ist keine Ind. für einen Schwangerschaftsab-
bruch.
Prophylaxe
Postpartale Zidovudin-Prophylaxe des NG i. v. oder oral entsprechend oben zi-
tierter Leitlinie.
Meldepflicht
Anonyme Meldepflicht des Labors beim Robert Koch-Institut in Berlin bei
erstmaligem Nachweis einer HIV-Inf.
5.13 Infektionen in graviditate 205
5.13.7 Virushepatitis
Hepatitis A
Erreger ist das Hepatitis-A-Virus, ein kleines unbehülltes RNA-Virus der Familie
Picornaviridae, Genus Hepatovirus.
Epidemiologie
In Ländern mit hohem Hygienestandard ist die Erkrankungshäufigkeit rückläufig.
2010 wurden dem RKI 783 Fälle gemeldet, das entspricht einer Inzidenz von ca.
1 : 100.000. Die Hepatitis A ist jedoch weiterhin als Reiseinf. (40–50 % aller in
Deutschland gemeldeten Fälle) wichtig. Epidemiologische Daten, die speziell die
Schwangerschaft betreffen, sind nicht verfügbar, da Inf. in der Schwangerschaft
weltweit selten vorkommen.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• In der Regel fäkal-orale Übertragung (kontaminierte Lebensmittel, Trinkwas-
ser, Schmierinf.). Inf. durch Blut, Blutprodukte und sexuelle Kontakte sind
ebenfalls möglich. 5
• IKZ: 2–6 Wo., Infektiosität besteht bei Erkrankten meist im Zeitraum von
1–2 Wo. vor bis 1 Wo. nach Auftreten des Ikterus bzw. der Transaminasener-
höhung, selten protrahierte Inf.
• T ransmissionen während der Geburt (durch Exposition zu mütterlichen Fä-
zes) und durch das Stillen (daher nicht kontraindiziert) sind Ausnahmen.
• Infizierte NG und Sgl. können das Virus wochenlang über den Stuhl ausschei-
den und stellen somit eine Infektionsquelle für nichtimmunes Personal dar.
Klinik
Schwangere Krankheitsverlauf nicht schwerer als bei Nichtschwangeren. In re
trospektiven Studien wird aber auf ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Wehen,
Frühgeburtlichkeit und einige andere geburtshilfliche KO hingewiesen.
Neugeborenes Kindliche Fehlbildungen nach Inf. in der Schwangerschaft sind nicht
bekannt. Bei Sgl. verläuft die Inf. meist milder als bei Erw. und häufig anikterisch.
Diagnostik
Schwangere Das Hepatitis-A-Screening ist keine Untersuchung der Mutter-
schaftsvorsorge.
• S erologie: Als serologischer Suchtest kann der Anti-HAV-Gesamtantikörper-
EIA verwendet werden. Wenn dieser Test pos. ausfällt, sollte Anti-HAV-IgM
bestimmt werden.
• K linische und klinisch-chemische Untersuchungen: Oberbauchsono, Be-
stimmung von Transaminasen (GPT > GOT), Bili im Serum, Bili und Urobi-
linogen im Urin sowie Quick-Wert als Syntheseparameter.
206 5 Schwangerschaft
• E rregernachweis: Während der akuten Erkr. erfolgt der Nachweis der Hepa-
titis-A-RNA durch PCR zuerst im Stuhl und dann auch im EDTA-Blut. Da-
durch können unklare IgM-Befunde häufig unterstützt und die Infektiosität
abgeschätzt werden.
Pränatale Diagnostik Nicht indiziert.
Neugeborenes RNA-Nachweis durch PCR in Stuhl und EDTA-Blut, Bestim-
mung von Anti-HAV-IgM.
Therapie
Keine spezifische Ther. verfügbar.
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe: effektive Hygienemaßnahmen (s. diesbezügliche Hy-
gienemaßnahmen).
• P assive Immunisierung: mit dem schnell und gut wirksamen Standard-Im-
munglobulin (mit hohem HAV-Ak-Gehalt); ist jedoch heute weitgehend
durch die aktive Impfung ersetzt oder wird bei Kontaktpersonen i. d. R. mit-
tels Simultanprophylaxe (aktiv/passiv) durchgeführt. Bei NG von Müttern
mit akuter Hepatitis A kurz vor oder um den Geburtstermin erfolgt die Pas-
sivprophylaxe mit Standard-Ig (0,02–0,06 ml/kg KG i. m.).
• A ktive Hepatitis-A-Impfung: in erster Linie bei Reisen in Gebiete mit hoher
Hepatitis-A-Prävalenz, aber auch bei beruflich gefährdeten Personen indiziert
und kann auch in der Schwangerschaft durchgeführt werden, da es sich um
einen inaktivierten Impfstoff handelt.
5 In Hessen, Nordrhein-Westfalen und im Saarland besteht beim Auftreten von
Hepatitis A ein Beschäftigungsverbot für seroneg. Schwangere in vorschulischer
Tagesbetreuung (Wiederzulassung 51. Tag nach letztem Erkrankungsfall).
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
Hepatitis B
Erreger ist das Hepatitis-B-Virus, ein DNA-Virus der Familie Hepadnaviridae.
Epidemiologie
Die Hepatitis B ist weltweit eine der häufigsten Infektionskrankheiten. Man geht
davon aus, dass ca. 2 Mrd. Menschen die Inf. durchgemacht haben und etwa 300–
400 Mio. chron. infiziert sind. In Deutschland tragen 6–8 % der Bevölkerung An-
ti-HBc-IgG als Seroprävalenzmarker, ca. 0,6 % sind Virusträger. Seit 1995 wird
von der Ständigen Impfkommission (STIKO) die Impfung aller Kinder gegen He-
patitis B empfohlen. In ca. 20 J. ist zu erwarten, dass die chron. Hepatitis B in der
Schwangerschaft seltener wird.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• D er sexuelle Infektionsweg ist in Deutschland am häufigsten geworden.
• IKZ: 2–6 Mon.
• A ufgrund der hohen Infektiosität einiger chron. Infizierter ist auch eine
Übertragung durch Haushaltskontakte (z. B. gemeinsame Verwendung von
Zahnbürsten) möglich.
5.13 Infektionen in graviditate 207
Therapie
Die verfügbaren antiviralen Substanzen (Interferon-alpha, pegyliertes Interferon-
alpha, Lamivudin, Adefovir, Entecavir, Tenofovir, Telbivudine) sind während der
Schwangerschaft nicht zugelassen. Gemäß Leitlinie besteht die Möglichkeit, insb.
bei hoher Viruslast, zur Reduktion des Transmissionsrisikos eine Ther. auch in
der Schwangerschaft zu beginnen. Hierzu scheint sich trotz fehlender Zulassung
am ehesten Tenofovir zu eignen.
Prophylaxe
• E xpositionsprophylaxe: Personen mit wechselnden Sexualpartnern → Ge-
brauch von Kondomen, bei i. v. Drogenabhängigen → keine gemeinsamen
Nadeln, innerhalb der Familie → übliche Hygiene.
• A ktive Prophylaxe: Kinderimpfung und Indikationsimpfung s. STIKO-Emp-
fehlungen. Die Impfung kann auch in der Schwangerschaft durchgeführt
werden (vorzugsweise im 2. und 3. Trimenon, da inaktivierter Impfstoff).
• N eugeborenenprophylaxe:
– Neugeborene von HBsAg- und Anti-HBc-pos. oder HBV-DNA-pos. Müt-
tern werden sofort p. p. bzw. innerhalb von 12 h p. p. simultan mit HBIG
(z. B. Hepatect® 20 IE = 0,4 ml/kg KG i. v.) und dem aktiven Hepatitis-B-
5.13 Infektionen in graviditate 209
Impfstoff (z. B. HBVAX PRO® 0,5 ml i. m.) geimpft. Die 2. und 3. Impfung
erfolgt in der 4. Lw und im 6. Lm.
– Bei NG von Müttern mit unbekanntem HBsAg-Status, bei denen noch
vor bzw. sofort nach der Geburt keine serologische Kontrolle möglich
war, wird unmittelbar p. p. mit der Grundimmunisierung mit dem Hepa-
titis-B-Impfstoff begonnen.
– Bei nachträglicher Feststellung einer HBsAg-Positivität der Mutter kann
beim NG innerhalb von 7 Tagen postnatal die passive Immunisierung
nachgeholt werden. Durch die Simultanimpfung wird eine Inf. des NG in
> 95 % vermieden. Unter dieser Voraussetzung kann gestillt werden.
Sectio wird nicht generell empfohlen, nur bei akuter Inf. in der Spätschwanger-
schaft mit hoher HBV-DNA-Viruslast und bei Koinf. mit HIV.
Beschäftigungsverbot für seroneg. Schwangere: z. B. in Bayern, NRW bei Tätig-
keiten in Behindertenkindergärten, Betreuung behinderter Jugendlicher.
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
Hepatitis C
Erreger ist das Hepatitis-C-Virus, ein RNA-Virus der Familie Flaviviridae, Genus
Hepacivirus mit 6 Genotypen und > 70 Subtypen.
Epidemiologie
Etwa 3 % der Weltbevölkerung sind chron. mit HCV infiziert. In Europa findet 5
man hohe Ak-Prävalenzen v. a. bei i. v. Drogenabhängigen. In Deutschland liegt
die Prävalenz von HCV-Ak in der Bevölkerung bei 0,4–0,7 %. Weder die HCV-
Inf. der Frau noch des Partners sind eine KI für eine Schwangerschaft.
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• Ü berwiegend parenterale Übertragung, selten durch Sexualkontakt. In etwa
30 % der Fälle ist der Übertragungsmodus weiterhin nicht klar erkennbar.
• IKZ: 2–24 Wo.
• T ransmission meist perinatal durch Kontakt mit mütterlichem Blut, selten
spät-intrauterin. Die vertikale Transmissionsrate von der infizierten Mutter
auf das Kind beträgt 4–10 %. Bei Koinf. mit HIV erhöht sich die Transmissi-
onsrate auf 14–22 %.
Klinik
Schwangere Der Verlauf ist zunächst bei > 75 % aller HCV-Inf. subklinisch, bei
weniger als ¼ tritt initial eine klinisch manifeste akute Hepatitis auf. Mehr als 50 %
der Inf. gehen in chron. Formen über, langfristig entwickelt sich bei 20 % der
chron. Infizierten eine Leberzirrhose mit hohem Risiko für ein hepatozelluläres
Ca.
Neugeborenes Die meisten infizierten NG sind ebenfalls asymptomatisch. In ei-
nigen Fällen treten milde und vorübergehende Symptome wie z. B. Hepatomega-
lie oder abdominelle Beschwerden auf. Die meisten perinatal infizierten Kinder
weisen zumindest in den ersten beiden Lj intermittierend oder persistierend er-
höhte Transaminasen auf.
210 5 Schwangerschaft
Diagnostik
Schwangere Das HCV-Screening ist keine Untersuchung der Mutterschaftsvor-
sorge.
• S erologie: Als Suchtest wird der Ak-Nachweis mittels ELISA eingesetzt. Bei
kürzlichem Risikokontakt ist zu beachten, dass die Ak-Bildung mehrere
(meist 6–8) Wo., in einzelnen Fällen auch mehrere Mon. in Anspruch neh-
men kann.
• E rregernachweis: Zum Ausschluss bzw. zur Bestätigung einer Virämie ist bei
pos. Ak-Nachweis eine quantitative RNA-Bestimmung mit der RT-PCR sinn-
voll. Diese sollte bevorzugt im 3. Trimenon durchgeführt werden, da die Vi-
ruslast fluktuieren und das Transmissionsrisiko so am genauesten einge-
schätzt werden kann.
Pränatale Diagnostik Nicht angezeigt, da überwiegend peripartale Übertragung,
bei Ind. aus genetischen Gründen ist iatrogenes Risiko bei der Amniozentese
nicht ganz auszuschließen.
Neugeborenes HCV-RNA-Nachweis ab 2.–4. Lw, HCV-Antikörpertest prim.
nicht sinnvoll, da mütterliche Ak bis zum Alter von 18 Mon. nachweisbar bleiben
können, Verlaufskontrollen in Abständen von 3 Mon. bis zum Alter von 1½ J.
Therapie
Die verfügbaren antiviralen Substanzen (Interferon-alpha, pegyliertes Interferon-
alpha, Ribavirin, DAAs wie Protease-Inhibitoren) sind während der Schwanger-
schaft kontraindiziert. Eine Hepatitis-C-Inf. mit pos. RNA-Befund in der Schwan-
gerschaft ist keine Ind. für einen Schwangerschaftsabbruch.
5
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: Hygienemaßnahmen, Vermeidung von Nadelstichverlet-
zungen.
Bei chron. Inf. wird keine Sectio empfohlen, evtl. aber bei Primärinf. mit hoher
Viruslast gegen Ende der Schwangerschaft. Vom Stillen wird nicht abgeraten,
Vorsicht bei Verletzungen ist jedoch geboten. Beim NG außer den üblichen Hygi-
enevorschriften keine besonderen Maßnahmen (keine Isolierung).
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
Hepatitis E
Erreger ist das Hepatitis-E-Virus, ein nicht umhülltes RNA-Virus der Familie der
Hepeviridae mit 4 Genotypen.
Epidemiologie
Sporadische und epidemische Ausbrüche in Subtropen und Tropen. Betroffen
sind hauptsächlich junge Erw.
Sporadische Inf. in Industrieländern, Zoonose (Reservoir Schweine/Wildschwei-
ne etc.).
Infektionsrisiko in der Schwangerschaft
• Ü
bertragung ähnlich dem Hepatitis-A-Virus fäkal-oral (kontaminiertes
Trinkwasser), meist in fernöstlichen Ländern.
5.13 Infektionen in graviditate 211
• IKZ: 15–60 Tage.
• Inzidenz in der Schwangerschaft 9 × höher als bei nichtschwangeren Frauen
und bei Männern.
• T ransmission: intrauterin; auch eine vertikale Transmission wird diskutiert.
Klinik
Akute Hepatitis ähnlich der Hepatitis A, aber in der Schwangerschaft schwerer
Verlauf mit einer Letalität von ca. 20 % sowie hoher Abortrate und hoher Rate von
intrauterinem Fruchttod.
In Einzelfällen chron. Verläufe bei Immunsupprimierten.
Diagnostik
Ak im IgG-/IgM-ELISA und Virus-RNA-Nachweis im Stuhl (PCR).
Therapie
Keine antiviralen Substanzen verfügbar.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe: Hygienemaßnahmen.
Meldepflicht
Namentlich (direkter und/oder indirekter Infektionsnachweis).
5.13.8 Enteroviren
5
Erreger sind die Polioviren 1–3, die Coxsackie-A- und -B-Viren, Echoviren und En-
teroviren. Nach neuer Nomenklatur Einteilung in 4 Spezies: humanes Enterovirus
A, B, C, D. Beispiel: Poliovirus Typ 1–3 gehört zur Spezies humanes Enterovirus C.
Epidemiologie
• N
atürliche Inf. mit Polioviren spielen in Europa keine Rolle mehr. Es wurde
von der WHO 2002 als poliofrei zertifiziert.
• In gemäßigten Klimazonen saisonale Häufung von Enterovirusinf. im Spät-
sommer und Herbst.
Klinik
• H
äufig asymptomatischer Verlauf, aseptische Meningitis, Herpangina, Hand-
Fuß-Mund-Krankheit, hämorrhagische Konjunktivitis, Atemwegserkr., Peri-
karditis, Myokarditis etc. möglich.
212 5 Schwangerschaft
• B ei NG von Müttern mit akuter Inf. kurz vor der Entbindung schwere neona-
tale Erkr. möglich: Sepsis, Meningoenzephalitis, Myokarditis, Hepatitis, Ko-
agulopathie. Bei früh-postpartaler Inf., z. B. durch Besucherkontakt oder auf
der NG-Station, weniger schwere Symptomatik.
Diagnostik
• E rregernachweis in Stuhl, Liquor, EDTA-Blut, FW vorrangig. Heute am er-
folgreichsten durch RNA-Nachweis mittels PCR. Für Typenbestimmung wei-
terhin konventionelle Virusisolierung in Zellkultur notwendig.
• S erologie zweitrangig; Neutralisationstest: aufwendig, ELISA wenig treffsi-
cher.
Therapie
Symptomatisch, eine spezifische antivirale Ther. ist nicht verfügbar.
Prophylaxe
Die wichtigsten prophylaktischen Maßnahmen: gründliches Händewaschen, Ver-
zehr von gekochten Speisen, geschältem Obst, Meidung größerer Menschenan-
sammlungen.
Epidemiologie
Natürliches Reservoir sind hauptsächlich Nagetiere (Mäuse, Hamster – auch als
Haustiere). Die i. d. R. asymptomatisch chron. infizierten Tiere scheiden das Virus
über Urin und Fäzes aus. Selten Virusübertragung nach Organtransplantation
(Leber, Lunge, Niere).
Klinik
Die Inf. bei Erw. verläuft mild und unspezifisch, in seltenen Fällen als Meningitis
oder Meningoenzephalitis.
Diagnostik
IgG-/IgM-Ak-Bestimmung im IFL, ELISA bzw. durch den Nachweis neutralisie-
render Ak, RNA-Nachweis in der PCR, Erregernachweis in Zellkultur.
5.13 Infektionen in graviditate 213
Therapie
Keine antivirale Ther. verfügbar.
Prophylaxe
Schwangere sollten den direkten Kontakt mit Hamstern und Mäusen sowie deren
Exkrementen meiden.
5.13.10 Toxoplasmose
Erreger ist das Protozoon Toxoplasma gondii.
Epidemiologie
Bis zu 1⁄3 der Weltbevölkerung ist infiziert. Seropositivrate bei Frauen im gebärfä-
higen Alter in Mitteleuropa und in Deutschland 20 bis > 45 %.
Klinik
Schwangere Bei Erstinf. in < 10 % uncharakteristische grippale Symptome (Fie-
ber, Abgeschlagenheit), Lymphozytose, zervikale oder generalisierte Lk-Schwel-
lungen.
Fetus Hydrozephalus, Retinochorioiditis, intrakranielle Verkalkungen.
Neugeborenes Etwa 90 % der Kinder asymptomatisch und 10 % symptomatisch
infiziert. Bei Letzteren Generalisation in inneren Organen (Leber, Milz, Lymph-
knoten, Lunge, Herz), Bildung von Gewebszysten v. a. in ZNS, Auge, Muskel. Et-
wa 10 % der infizierten Feten zeigen bei Geburt klinische Zeichen einer floriden
Entzündung (z. B. Fieber, Splenomegalie, Hepatomegalie). Bei ca. 1 % klassische
Trias mit Hydrozephalus, Retinochorioiditis und intrazerebralen Verkalkungen.
Kind Spätmanifestationen: Bei 22–26 % der asymptomatischen NG im Wesent-
lichen Entwicklung und Reaktivierung retinochorioidaler Herde.
Diagnostik
Schwangere Das Toxoplasmose-Screening ist trotz langjähriger Diskussion kei-
ne Untersuchung der Mutterschaftsvorsorge und nur bei begründetem Verdacht
Kassenleistung.
214 5 Schwangerschaft
Durch den meist asymptomatischen Verlauf (≥ 90 %) ist eine Inf. oft nur
durch Nachfragen des Frauenarztes und Durchführung der Serologie er-
kennbar.
Pränatale Diagnostik Bei serologischem V. a. akute oder kürzliche Erstinf. oder
auffälligem Ultraschall:
• H inweis auf DNA-Nachweis in der PCR im FW ab der 19. SSW.
5 • U ltraschall DEGUM Stufe 2/3.
Bei auffälligem Ultraschall nach der 22./23. SSW und zuvor neg. Ergebnis im FW
→ Toxoplasma-DNA-Nachweis und IgM-Ak-Nachweis im fetalen Blut.
Neugeborenes
• E IA IgG pos., IgM neg., IgA neg., Immunoblot Mutter/Kind Profil neg. →
passive mütterliche Ak.
• E IA IgG pos., IgM und/oder IgA bzw. Immunoblot Mutter/Kind Profil pos. →
eigene kindliche Immunantwort – kongenitale Inf.
• T oxoplasma-DNA-Nachweis PCR im Blut, Liquor, Plazenta.
Kind Serologische Verlaufskontrollen mit Abfall der passiven mütterlichen IgG-
Ak unter die Nachweisgrenze bis zum Ende des 1. Lj.
Therapie
Schwangere
• M
edikamentöse Therapie:
– Bis SSW 14+6: Spiramycin 6 × 1,5 Mio. IE/d p. o. = 9 Mio. IE/d (z. B. Ro-
vamycine® 1,5 Mio. IE).
– Ab SSW 15+: Pyrimethamin plus Sulfadiazin plus Ca-Folinat (Kombinati-
onsther.) über mind. 4 Wo. als Ther. der Wahl.
– Pyrimethamin 1. Tag 50 mg, ab 2. Tag 25 mg/d p. o. (Daraprim®).
– Sulfadiazin 50 mg/kg KG/d bis maximal 4 g/d p. o. in 4 Teildosen (Sulfadi-
azin-Heyl®).
– Ca-Folinat 2–3 × 5 mg/d p. o. (z. B. Lederfolat®).
– Bei pos. DNA-Nachweis im FW: Ther. bis zum Ende der Schwangerschaft.
– Frühzeitige Ther. senkt das Risiko für schwere Schädigungen bei Geburt.
5.13 Infektionen in graviditate 215
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe bei Toxoplasmose-seroneg. Schwangeren:
Vermeidung von
• R ohen oder nicht ausreichend erhitzten Fleisch- und Wurstwaren.
• K atzenkotkontaminierter Erde (Gartenarbeit, Spielen im Sandkasten).
• E rregerkontaminierten ungesäuberten Nahrungsmitteln (Salat, Gemüse, Fall-
obst).
Keine passive und aktive Prophylaxe verfügbar. 5
Meldepflicht
Nur bei konnataler Toxoplasmose nicht namentlich direkter oder indirekter
Nachweis.
Epidemiologie
Einziges Reservoir ist der Mensch. Die Zahl der bei NG bzw. Kindern diagnosti-
zierten Fälle von Lues connata liegt seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes
in Deutschland im Jahr 2001 bei 2–3 Fällen pro Jahr; die Zahl der gemeldeten Sy-
philisfälle bei Erw. liegt bundesweit im gleichen Zeitraum mit regionalen Schwan-
kungen bei ca. 3.000 Erkr.
Klinik
Schwangere ▶ 11.3.6.
Fetus Hinweis auf fetale Inf. im Ultraschall: Hepatomegalie, Aszites, Hydrops
fetalis, hydropische Plazenta.
Neugeborenes Nur 30–60 % der infizierten NG haben bei Geburt Symptome:
z. B. Hydrops fetalis, Hepatosplenomegalie, Hauteffloreszenzen, Anämie, Ikterus,
Koryza. In den ersten Lw u. a. Schleimhautulzera, Koryza syphilitica, Pemphigus
syphiliticus an Handtellern und Fußsohlen.
Kind Frühstadium: Lues connata praecox in den ersten 2 Lj, Spätstadium: Lues
connata tarda ab dem 3. Lj, z. B. Sattelnase, Hutchinson-Zähne, Säbelscheidenti-
bia, mentale Retardierung.
Diagnostik
Schwangere ▶ 11.3.6. Das Ak-Screening ist eine Untersuchung der Mutter-
5 schaftsvorsorge im 1. Trimenon.
• S erologie: In Deutschland wird die Diagn. einer Syphilis serologisch erstellt.
Derzeit Treponema-pallidum-Hämagglutinationshemmtest (TPHA) oder
Treponema-pallidum-Partikel-Assay (TPPA) als Suchreaktion. Bei pos. Be-
fund folgende Teste zur weiteren Abklärung:
– Bestätigungstest: Fluoreszenz-Treponema-pallidum-Antikörper-Absorp-
tion (FTA-Abs.), Enzymimmunassay (EIA) oder Immunoblot (IB).
– Nicht treponemenspezifische Cardiolipin-Flockungsreaktion (z. B. Vene-
ral-Disease-Research-Laboratory – VDRL-Test).
– IgM-Ak-Nachweis (IFT oder IB). Cave: Fehlende IgM-Ak schließen The-
rapiebedürftigkeit nicht aus.
Therapie
Schwangere Bei Penicillin-Allergie, Koinf. mit HIV, v. a. Neurosyphilis und tert.
Syphilis sowie bei auffälligem Ultraschall oder Erstdiagn. nach der 20. SSW sollte
das weitere Vorgehen mit einem Spezialisten abgesprochen werden. Ansonsten:
• F rühsyphilis: Benzylpenicillin-Benzathin (Tardolin®) 2,4 Mio. IE als Einmal-
gabe i. m.
• S pätsyphilis oder unbekannt: Benzylpenicillin-Benzathin (Tardolin®) 1 ×
2,4 Mio. IE/Wo. i.m. an den Tagen 1, 8 und 15.
! Jarisch-Herxheimer-Reaktion (bei ca. 40 % der Pat. mit Syphilis im Frühstadi-
um) und mögliche Folgen (vorzeitige Wehen, Dezelerationen, sehr selten
Totgeburt) beachten.
Neugeborenes
• A symptomatisch, reif, VDRL neg., Mutter in Schwangerschaft adäquate
Ther., Nachsorge gewährleistet: keine antibiotische Behandlung.
• K ongenitale Syphilis: Benzylpenicillin-Natrium i. v. 10–14 Tage, Dosis an das
Lebensalter angepasst. LT 1–7: 100.000 IE/kg KG/d in 2 Dosen; LT 8–30:
150.000 IE/kg KG/d in 3 Dosen; nach LT 30: 200.000–300.000 IE/kg KG/d in
4 Dosen.
Meldepflicht
Nicht namentlich: direkter oder indirekter Nachweis des Erregers.
5.13.12 Listeriose 5
Erreger ist das begeißelte grampos. Stäbchen Listeria monocytogenes.
Epidemiologie
Erreger ubiquitär nachweisbar. Häufigkeit der konnatalen Listeriose bei 3–4 Fäl-
len pro 100.000 Geburten.
Klinik
Schwangere
• E rkr. verläuft unauffällig, grippeähnlich oder zweiphasig, zunächst mit Fieber,
Schüttelfrost, Lk-Schwellung, Pharyngitis, Diarrhö oder HWI, nach 14 Tagen
erfolgt ein erneuter Temperaturanstieg, ggf. Zeichen eines Amnioninfektsy.,
evtl. mit Zeichen einer fetalen Hypoxie (z. B. path. CTG, grünes FW). Nach
Entbindung schnelle Besserung.
218 5 Schwangerschaft
Diagnostik
Schwangere Direkter Erregernachweis aus Vaginal-Rektal-Abstrich, Kultur von
mütterlichem Blut (pos. Befund sichert Diagn.), Urin, Stuhl, Liquor, FW oder Pla-
zentagewebe, Lochien bzw. Listeria monocytogenes DNA-Nachweis mittels PCR.
Ak-Nachweis im Serum mit KBR- und Agglutinationstest hat außer bei Titeran-
stiegen > 2 Titerstufen nur eine geringe diagnos. Bedeutung.
Neugeborenes Direkter Erregernachweis oder DNA-Nachweis mit der PCR in
Mekonium, Ohr-Rachen-Abstrich, Blut, Urin, Magensaft, Liquor.
Therapie
Schwangere Amoxicillin i. v. oder Ampicillin i. v. hoch dosiert 2,0 g i. v. alle 4 h
über 14–20 Tage. Die Ther. sollte mindestens bis 2 Wo. nach Abklingen der müt-
5 terl. Symptome und Normalisierung der Entzündungsparameter fortgeführt wer-
den. Bei Penicillin-Allergie muss im Einzelfall eine geeignete Alternativther. ge-
klärt werden.
Neugeborenes
• E arly-Onset: Ampicillin 100–150 mg/kg KG/d i. v. in 2–3 Dosen in Kombina-
tion mit Gentamicin 2–3 mg/kg KG/d i. v. Behandlung über mind. 2 Wo.
• L ate-Onset: Ampicillin 200–400 mg/kg KG/d i. v. in 4–6 Dosen in Kombinati-
on mit Gentamicin, etwa 5 mg/kg KG/d i. v. Therapiedauer richtet sich nach
klinischer Besserung, meist 10 Tage, bei langsamer Reaktion bis zu 21 Tage.
Prophylaxe
Expositionsprophylaxe:
• V
erzicht auf Genuss von rohem Fleisch, roher Milch und daraus hergestellten
Produkten (z. B. Rohmilchkäse).
• V
erpackte Lebensmittel (Wurst, Fisch, vorgeschnittener Salat) möglichst lan-
ge vor Ablauf der angegebenen Haltbarkeit verbrauchen (L. monocytogenes
vermehrt sich auch bei Kühlschranktemperaturen).
5.13 Infektionen in graviditate 219
• A
bsoluter Schutz ist aufgrund des ubiquitären Vorkommens von Listerien
nicht möglich.
• V
orsicht bei Kontakt mit Haustieren.
Meldepflicht
Direkter Erreger aus Blut, Liquor und anderen prim. sterilen Substraten, Ab-
striche von Neugeborenen.
Epidemiologie
In Deutschland beträgt die Prävalenz der genitalen C.-trachomatis-Inf. in der
Schwangerschaft bei den 20- bis 29-Jährigen 1–4 %, bei den über 30-Jährigen 0,2–
1 %, bei jungen sexuell aktiven Mädchen (15–20 J.) ca. 4–9 % und bei Risikopopu-
lationen, z. B. STD-Sprechstunde, bis zu 20–30 %.
Klinik
Schwangere Asymptomatischer Verlauf in etwa 90 %. In ca. 10 % Zervizitis,
Salpingitis, Chorioamnionitis, Endometritis und evtl. Abort oder Frühgeburt
(postpartal, postabortal). Spätfolgen wie z. B. EUG, Tubarschäden, Tubenver-
schluss und Infertilität sind zunehmend von Bedeutung. Erhöhte Frühgeburten-
rate.
Neugeborenes Nach vag. Entbindung Konjunktivitis möglich. Wird ca. 10 Tage
nach Geburt klinisch apparent, führt nie zu Erblindung oder Korneaschäden.
Atypische Pneumonien meist erst Mon. nach Geburt möglich.
Diagnostik
Schwangere Das Chlamydia-trachomatis-Screening (Erregernachweis) ist seit
1996 obligater Bestandteil der Mutterschaftsvorsorge.
• S erologie: IgG-, IgA-Ak und in der Mikroimmunfluoreszenz, EIA, Immu-
noblot. Nur angezeigt bei aszendierenden, invasiven Inf., z. B. Salpingitis, En-
dometritis, reaktiver Arthritis etc. Das Fehlen spez. IgA-Ak schließt eine be-
handlungsbedürftige C.-trachomatis-Inf. nicht aus.
220 5 Schwangerschaft
• E rregernachweis: generell vorrangig vor Serologie, bis vor Kurzem aus Ab-
strichen des Urogenitaltrakts, heute aus Urin: DNA-Nachweis mittels PCR,
bei Symptomen immer auch Partneruntersuchung!
Neugeborenes
• E rregernachweis in Augenabstrichen oder Trachealsekret mittels PCR.
• P neumonie: zusätzlich IgG-, IgM-Ak-Bestimmung.
Therapie
Schwangere
• N ach Abschluss der 14. SSW Erythromycin 4 × 500 mg/d p. o. über 7–14 Ta-
ge, bei chron. Inf. bzw. Therapieversagen Therapiedauer 21 Tage. Immer auch
Partnerbehandlung! Bei Makrolid-Unverträglichkeit Amoxicillin 3 ×
500 mg/d über 7–14 Tage.
• B ei strenger Ind.-Stellung nach dem 1. Trimenon Einmaldosis Azithromycin
1 × 1 g (Zithromax®) oder 1 × 500 mg/d p. o. über 3 Tage.
Neugeborenes Erythromycin-Sirup (Eryhexal®) oder Clarithromycin (z. B. Kla-
cid® Susp.).
Prophylaxe
Jährliches Screening von jungen nichtschwangeren Frauen < 25 J. (Urinprobe,
PCR) sowie Screening vor Schwangerschaftsabbruch zur Verhinderung postabor-
taler Endometritis.
5 Keine Meldepflicht.
Klinik
Schwangere V. a. Urethritis, Kolpitis und Bartholinitis.
Neugeborenes Bei mütterlicher Ureaplasma-urealyticum-Inf. wurden v. a. bei
FG Pneumonien, bronchopulmonale Dysplasien und Meningitiden, bei mütterli-
cher Mycoplasma-hominis-Inf. Meningitiden beschrieben.
Diagnostik
Schwangere Direkter Erregernachweis durch Anzucht auf Spezialnährboden
oder DNA-Nachweis mittels PCR aus Genitalabstrichen, FW, Douglassekret und
Plazentagewebe.
Neugeborenes Direkter Erregernachweis aus Trachealabsaugsekret und Nasen-
Rachen-Abstrich durch DNA-Nachweis mittels PCR. Ak-Nachweis im Wachs-
tumshemmtest. Spezifität der Ak nicht gewährleistet, Erregernachweis vorrangig.
Tab. 5.21 Therapie der Infektion mit Ureaplasma und Mycoplasma hominis
Schwangere Neugeborenes
5.13.15 Borreliose
Erreger ist die Spirochäte Borrelia burgdorferi sensu lato.
Epidemiologie
Die Lyme-Borreliose ist in Westeuropa und den USA die häufigste durch Zecken
übertragene Infektionskrankheit. Borrelia burgdorferi wird in Europa durch die
Schildzecke Ixodes ricinus übertragen. In Deutschland, Österreich und der
Schweiz wird eine Durchseuchungsrate, in Abhängigkeit vom Entwicklungsgrad
der Zecke (Larve, Nymphe, adulte Zecke), von 5–40 % angenommen.
Beim Stich einer adulten Zecke ist das Infektionsrisiko eher gering, wenn die
Zecke rasch (innerhalb von weniger als 24 h) entfernt wird.
Infektionsrisiko in Schwangerschaft
Je nach klinischer Symptomatik der Erstmanifestation variiert die IKZ z. B. für
Stadium I: Erythema migrans Tage bis Wo., für Stadium II: Leitsymptom Me-
ningopolyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth Wo. bis Mon. und für Stadium III:
Lyme-Arthritis und Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer Mon. bis
222 5 Schwangerschaft
Jahre. Pränatale Inf. sind möglich, aber nach aktuellem Stand sehr selten. Kindli-
che Auffälligkeiten nicht bewiesen.
Klinik
Schwangere ▶ Tab. 5.22.
Neugeborenes Pränatale Inf. bzw. kindliche Auffälligkeiten möglich, jedoch sel-
ten. Einzelfallbeobachtungen mit Fehlbildungen von Herz (VSD), ZNS und Au-
gen in neueren prospektiven Studien nicht bewiesen. In Endemiegebieten kein
erhöhtes Fehlbildungsrisiko.
5 Früh dis-
seminiert
Wo. bis
Mon.
(Lymphozy-
tom), multi-
Meningoradi-
kulitis, Fazia-
Arthral
gien,
Karditis, Au-
genbeteiligung
(Stad. II) ple Erythe- lisparese, Me- Arthritis (Hepatospleno-
me ningitis megalie)
Diagnostik
Schwangere und Neugeborenes
• S erologie: IgG-/IgM-Ak-Bestimmung; bei grenzwertigen oder pos. Befunden:
Zusatztest Immunoblot. Bei Verdacht auf Neuroborreliose wird neben einem
Liquorstatus zum Nachweis einer intrathekalen Ak-Synthese ein Liquor/Se-
rumpaar mit gleichem Abnahmedatum untersucht.
• E rreger: DNA-Nachweis mittels PCR in Hautbiopsaten, Gelenkpunktaten
eingeschränkt auch im Liquor.
Therapie
Schwangere ▶ Tab. 5.23. Keine Ind. zur Interruptio.
Neugeborenes von Mutter mit akuter Borreliose in der Schwangerschaft Übliche
klinische Untersuchungen sowie Nabelschnurblut oder kindliches Blut für IgG-/
IgM-Ak und Borreliennachweis mittels PCR. Bei Seropositivität IgG-Verlaufs-
kontrolle bis zum 7. Lm durchführen. Im Falle vom Auffälligkeiten bei Geburt
zusätzlich ein Stück Plazenta für den Erregernachweis asservieren.
5.13 Infektionen in graviditate 223
5.13.16 Q-Fieber
Erreger ist Coxiella burnetii, ein obligat intrazelluläres, gramneg. Bakterium.
Epidemiologie
Q-Fieber ist eine mit Ausnahme Neuseelands und der Antarktis weltweit verbrei-
tete Zoonose. In Deutschland Häufigkeit bei 0,2–0,3 auf 100.000 Einwohner. Die
meisten Erkr. treten im Rahmen von Häufungen auf. Natürliches Reservoir sind
Rinder, Schafe, Ziegen, Katzen, Hunde, Vögel und Zecken. Letztere sind für die
Übertragung auf den Menschen nicht bedeutsam. Bei Säugetieren hohe Ausschei-
dung während der Entbindung (Plazentitis).
• D
as Risiko für KO (Abort, Frühgeburt) ist abhängig vom Schwangerschafts-
stadium, in dem die Inf. erfolgte, und am höchsten unbehandelt im 1. Trime-
non.
Klinik
Schwangere Inf. verläuft in etwa 50 % asymptomatisch oder als grippeähnliche
Erkr. mit hohem Fieber, schwerem Krankheitsgefühl und Husten. In bis zu 40 %
Begleithepatitis. In der Schwangerschaft häufig Übergang in chron. Form durch
verminderte T-Zell-vermittelte Immunität. Bei chron. Q-Fieber Endokarditis als
Haupterkr. bei Erw., unbehandelt wird hohe Letalität angegeben! Nur in etwa
30 % ist unauffälliger Schwangerschaftsverlauf zu erwarten. Akute Inf. kann zu
Abort und Frühgeburtlichkeit führen.
Neugeborenes SGA und Frühgeburt.
Diagnostik
Schwangere und Kind
5 • S erologie: (Goldstandard: IFT): Phase-II-IgM und -IgG steigen 2–3 Wo. nach
Erkrankungsbeginn an.
– Akute Inf.: Beweisend sind die eingetretene Serokonversion oder der IgM-
Nachweis. IgA1 finden sich sowohl bei akuter als auch bei chron. Inf.,
aber nur Pat. mit Endokarditis weisen IgA2-Phase-II-Ak auf.
– Chron. Inf.: IgG Phase I ≥ 800, IgA Phase I ≥ 50.
• E rregernachweis: mit DNA-PCR und durch Anzucht möglich.
Therapie
Schwangere Trimethoprim-Sulfamethoxazol, 160/800 mg 2 Kaps./d, für die
Dauer der Schwangerschaft, auf die Entwicklung einer megaloblastären Anämie
achten! Nach der Schwangerschaft auf chron. Inf. testen (s. u.).
Nichtschwangere
• A kute Erkr.: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. über 3–4 Wo.
• C hron. Erkr.: Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. + Hydroxychloroquin 3 ×
200 mg/d p. o. (ophthalmologische Kontrollen!) über 18 Mon.
Neugeborenes Aufgrund der seltenen Inf. keine verlässlichen Daten zur Ther.
Prinzipiell kommen Doxycyclin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol und Rifampicin
in Komb. mit Makrolid infrage.
Meldepflicht
Direkter oder indirekter Nachweis des Erregers bei Hinweis auf akute Inf.
5.13 Infektionen in graviditate 225
Malaria
Erreger sind Plasmodium (P.) spp. [P. falciparum (Malaria tropica); P. ovale und
P. vivax (Malaria tertiana); P. malariae (Malaria quartana)].
Unkomplizierte Malaria und V. a. Mefloquin (Lariam®), evtl. Chininsulfat oral oh-
chloroquinresistenten P.-vivax- ne Clindamycin (Dosierungen s. u.)
Stamm (z. B. nach Aufenthalt in
Indonesien oder Pazifikregion)
Klinik
Schwangere Seltene KO ist die Verlegung der Geburtswege durch Condylomata
gigantea (Buschke-Löwenstein-Tumoren).
Neugeborenes Übertragung von HPV-Inf. unter der Geburt kann zu genitoana-
len Warzen sowie zu Larynxpapillomen führen.
Diagnostik
▶ 11.3.6.
Therapie
Kein optimaler Behandlungszeitpunkt bekannt; es erscheint sinnvoll, die Behand-
lung außerhalb der Frühgeburtlichkeit durchzuführen: Superinf. der Wundflä-
chen könnten zu einer aufsteigenden Inf. mit nachfolgender vorzeitiger Wehentä-
tigkeit oder Blasensprung führen.
• C hirurgische Ther.: Elektrokauter oder CO2-Laser/Nd-YAG-Laser als prim.
Ther. Lokalanästhesie immer erforderlich, bei ausgedehntem Befall Vollnar-
kose erwägen.
• S ectio: Eine zwingende Ind. zur prim. Sectio ist nur gegeben, wenn die Ge-
burtswege durch extensive Kondylome verlegt sind. Schon die Annahme der 5
prophylaktischen Wirkung der Sectio caesarea ist fraglich und umstritten, da
trotz prim. Sectio Larynxpapillome aufgetreten sind.
Klinik
Dünnflüssiger homogener Fluor mit Amingeruch (v. a. nach Alkalisierung mit
10 % KOH).
Diagnostik
pH-Wert der Scheide > 4,5, Nachweis von Clue Cells im Nativpräparat, Keimab-
strich.
230 5 Schwangerschaft
Therapie
• p H-Selbstkontrolle nach Saling.
• A nsäuern des Scheidenmileus mit Döderleinpräparat (z. B. Vagiflor® Vaginal-
supp.) über 7 Tage.
• L okale intravag. Behandlung mit Metronidazol 500–1.000 mg/d (z. B. Vagi-
mid®) über 5–7 Tage, alternativ nach dem 1. Trimenon 500 mg p. o.
• C lindamycin 5 g über 5–7 Tage (Sobelin® Vaginalcreme), alternativ nach dem
1. Trimenon 2–4 × 300 mg/d. p. o. (Sobelin® Kps.) über 5–7 Tage.
5.13.20 Vaginalmykose
In der Schwangerschaft ist das Wachstum von Hefepilzen in der Scheide begüns-
tigt. Erreger ist in 80 % Candida albicans. Die vag. Kolonisation findet von Mund
und After aus statt.
Epidemiologie
Häufigkeit: 10–30 %. Risiken: Etwa 10 % Kandidämien bei Frühgeborenen
< 1.000 g, 4 % Kandidämien bei Frühgeborenen < 1.500 g, 2 % Kandidose als To-
desursache von Frühgeborenen. Bei reifen NG Ursache einer Dermatitis und Be-
siedlung des GIT.
Klinik
Weißlicher vaginaler Fluor, evtl. Pruritus.
5 Diagnose
Nativ- und Keimabstrich, prophylaktischer Vaginalabstrich zur Pilzkultur ab der
34. SSW.
Therapie
Lokale Ther. mit Clotrimazol (z. B. Canesten® 6 Kombi) Ovula und Creme über
1–7 Tage.
Abb. 5.10 Doppler der Nabelschnur: Die 3. SVES zeigt sich als ventrikulärer Block.
[M454]
Therapie
• V ermeidung mütterlicher Faktoren (Koffein, Alkohol, Nikotin, Medika-
mente).
• S upraventrikuläre Extrasystolen (nicht therapiebedürftig).
• V entrikuläre Extrasystolen (selten) Zeichen einer Myokarditis oder Myokard-
dekompensation (bei Obstruktion der Ausflussbahn).
• A usschluss assoziierter Fehlbildungen.
232 5 Schwangerschaft
• Ü
berwachung von Dekompensationszeichen (Hydrops, Kammer- bzw. Vor-
hoferweiterung), erhöhter Rückfluss (A-Kurve) im Doppler der V. cava infe-
rior (VCI).
• ei fehlendem Anhalt auf
B
Herzinsuff. zunächst keine
Ther., weiterhin engmaschige
Überwachung (Ultraschall 1 ×
wöchentl.).
Pharmakologische Therapie
über die Nabelschnurpunkti-
on oder systemisch über die
Mutter bei:
• S upraventrikulärer Ta-
chykardie (führt unbe-
handelt oft innerhalb we-
niger Tage zur fetalen
Herzinsuff.): Adenosine
über Nabelschnur, im
Akutfall mit Dekompen-
sation: Digoxin (und/oder
Flecainid) als Langzeit-
ther.
5 • V entrikulärer Tachykar-
die: Lidocain über Nabel-
schnur, dann Flecainid
systemisch über die
Mutter.
• B radykardie: kein effekti-
ver Ansatz. Hoch dosierte
Abb. 5.11 3D-M-Mode: Im Freihandmodus
Steroide oder Plasmaaus-
bei fixiertem Schallkopf erhält man einen
tausch bei Immunerkr. zweidimensionalen M-Mode (zeitgleiche
der Mutter. Bei lebensfä- Registrierung der Ebene xy über die Zeit).
higem Fetus Beendigung Eine SVES (oben) lässt sich so eindeutig als
der Schwangerschaft, OP Ursache für den ventrikulären Block (unten)
des Herzfehlers, evtl. in der M-Mode-Registrierung diagnostizie-
Pacemaker. ren. [M454]
Spina bifida totalis (Rachischisis) als stärkster Grad mit Offenliegen des Rü-
ckenmarks (▶ 4.6, ▶ 9.7.4).
• G
roßes Steißteratom (0,3 %): embryonale Mischgeschwulst am Becken
ende.
• O
mphalozele: Nabelschnurbruch mit Ausstülpung der Bauchorgane, häufig
mit weiteren Fehlbildungen kombiniert.
• G
astroschisis: echter Bauchwanddefekt mit Austreten der Organe (Darm,
evtl. Leber) vor die Bauchwand.
Diagnostik Routinemäßige Ultraschalluntersuchungen dienen der frühzeitigen
Erkennung (▶ 21.2). Abklärung genetischer Fehlbildungen erfolgt durch Amnio-
zentese oder Chorionzottenbiopsie (▶ 4.2.5, ▶ 4.2.6).
Embryopathien
Erkr. der Embryonalzeit, die mit oder ohne Fehlbildungen einhergehen (▶ 4.3).
Ursächlich kommen v. a. Virusinf. (▶ 5.13), Arzneimittel (▶ 22), Chemikalien, Ge-
nussgifte (Alkohol, Nikotin etc.), stoffwechselbedingte Erkr., z. B. Diab. mell.
(▶ 3.4), und ionisierende Strahlen (▶ 4.7) infrage.
5.17 Terminüberschreitung
Kay Goerke
Einteilung
• R echnerischer Übertragung: Geburtstermin wird um mehr als 7–10 Tage 5
überschritten.
• E chte Übertragung: Überschreiten des Geburtstermins um mehr als 14 Tage.
Geht meist mit Plazentainsuff. und einer steil ansteigenden perinatalen Sterb-
lichkeit einher. Wichtigste Ursache ist mangelhafte Erregbarkeit der Uterus-
muskulatur (Rezidivneigung).
Diagnostik
• B estimmung von Fundusstand und Uterusgröße ▶ 5.1.
• S ono: Fetometrie, FW-Menge, Reifegrad der Plazenta (▶ 21.2.4 und
▶ 21.2.5).
Vor invasiver Diagn. oder Ther. unbedingt erneute Terminberechnung unter
Berücksichtigung von Zyklusanomalien, Einnahme oraler Kontrazeptiva,
Stärke der letzten Blutung, Termin der ersten Kindsbewegungen, Frühultra-
schall und Uterusgröße.
Monitoring
b Terminüberschreitung: mind. 2-tägige CTG-Kontrolle (▶ 6.1.1).
• A
• A
b dem 8. Tag nach EGT: stationäre Aufnahme anraten.
– Tägl. 2–3 CTG-Kontrollen.
– Festlegen des Zervix-Scores (Bishop-Score).
– Geburtseinleitung.
236 5 Schwangerschaft
2 cm 0
1 cm 1
½ cm 2
Verstrichen 3
Derb 0
Mittel 1
Weich 2
Sakral 0
Medio-sakral 1
Zentriert 2
Muttermund-Dilatation
Geschlossen 0
1 cm geöffnet 1
2 cm geöffnet 2
3 cm geöffnet 3
5 Leitstellen
Komplikationen
• A bortrisiko: wird in der Literatur mit 14–58 % angegeben (bei einer durch-
schnittlichen Abortrate in der Gesamtbevölkerung von etwa 10 %).
• W eitere KO: Anämien (90,5 %), abdominale Beschwerden (39,4 %), Blutungen
in der Frühschwangerschaft (20 %), vorzeitige Wehen (60–70 %), erhöhte Früh-
geburtsneigung, regelwidrige Kindslagen (23 %), chron. nutritive Plazentain-
suff. bei Insertion der Plazenta im Myombereich (45 %), vorzeitige Plazentalö-
sung und Blasensprünge, op. Entbindungen ↑, Störungen der Nachgeburtslö-
sung ↑, Placenta accreta oder inccreta, Atonien ↑, verzögerte Uterusinvolution
p. p., Myomnekrosen durch Involutionsvorgänge pp, fibrinolytische Koagulo-
pathie durch Aktivatoren im Myomgewebe ↑, Thrombembolierisiko ↑.
– Häufig kommt es zu einem deutlichen Myomwachstum in der 1. Schwan-
gerschaftshälfte, ggf. mit Erweichung, Nekrosen und anderen degenerati-
ven Veränderungen.
– Myomknoten können ein Geburtshindernis darstellen.
Diagnostik Meist sonografisch (▶ 21.1, ▶ 21.2), palpatorisch bei großen Vorder-
wandmyomen, die beim schwangeren Uterus durch die Bauchdecken zu tasten
sind.
Therapie
• V orzeitige Wehentätigkeit: Hospitalisierung und Einleitung einer tokolyti-
schen Ther. (▶ 5.10.1), ggf. RDS-Prophylaxe (▶ 5.10.3). Ind. zur Myomenu
kleation in der Schwangerschaft sehr zurückhaltend stellen, evtl. nur bei the-
rapieresistenten Beschwerden (vorübergehende myombedingte Beschwerden
sind häufig und bilden sich oft unter unspezifischer, evtl. analgetischer und 5
tokolytischer Ther. zurück).
• E ntbindungsmodus nach Myomenukleation: keine eindeutigen Regeln, Ute-
rusruptur sub partu nach Myomektomie ist selten, Sectiorate ca. 50 %. Groß-
zügige Sectioind. bei protrahiertem Geburtsverlauf.
• G
roße Myome möglichst vor geplanter Schwangerschaft operieren.
• U
terotonika bei komplikationsloser Nachgeburtsperiode sparsam ver-
wenden (cave: Myomnekrosen).
• H
ohe Rezidivrate: ca. 40 % Rezidive innerhalb der ersten 2,5 J. nach
Myomektomie. Nach Enukleation von > 3 Myomknoten liegt die Rezi-
divrate bei 60 %.
5.19 Prostaglandintherapie
Joachim Steller
Empfehlungen für die Anwendung von Prostaglandinen in der Gynäkologie und
Geburtshilfe:
Vorgehen Gemeprost 1 mg Vaginaltbl. 3–6 h präop. (z. B. Cergem®), evtl. Wie-
derholung. Bei stärkeren Blutungen:
• W
ährend des Eingriffs Sulproston 500 μg (z. B. Nalador®) auf 500 ml NaCl
0,9 % = 1,7 μg/ml, bis 8,3 μg/Min. entspricht 100–500 ml/h, max. Gesamtdosis
1.500 μg/d über Infusomaten.
• N
ach Ausräumung ggf. Sulproston 500 μg (z. B. Nalador®) auf 500 ml NaCl
0,9 % = 1,7 μg/ml, bis 8,3 μg/Min. entspricht 100–500 ml/h, max. Gesamtdosis
1.500 μg/d über Infusomaten. Cave: Glukose inaktiviert Nalador!
Trotz des recht guten Schutzes des Ungeborenen vor mechanischen Einwir-
kungen in der Fruchtblase kann es durch Unfälle (Sturz auf den Bauch, Ver- 5
kehrsunfall etc.) zu folgenden Problemen für die Schwangerschaft kommen:
• V orzeitige Plazentalösung (▶ 6.4.2).
• V orzeitiger Blasensprung.
• A uslösung von Wehen.
• Intrauteriner Fruchttod.
Diagnostik
• A namnese: gezielt auch nach Arbeitsunfall oder Wegeunfall fragen, ggf. D-
Arzt hinzuziehen.
• C TG zur Kontrolle von fetalen Herztönen und Wehentätigkeit.
• U ltraschall: Plazentahaftfläche, FW-Menge.
• S piegeleinstellung: Blutung, FW-Abgang.
• E valuation sonstiger Verletzungen (Haut, innere Organe), Rö-Untersuchung
bei V. a. Frakturen, einfache Übersichtsaufnahmen sind in der Grav. vertret-
bar (▶ 4.7.3), ggf. Konsil mit Urologen, Chirurgen, Neurologen oder Internis-
ten.
Therapie
• S tationäre Aufnahme über 24 h zur Beobachtung, CTG-Kontrolle, ggf. Sono-
kontrolle.
• B ei äußeren Verletzungen: Tetanusschutz erfragen, ggf. auffrischen (nur pas-
sive Impfung!).
• P lazentalösung: je nach SSW und Lebensfähigkeit des Kindes ggf. sofortige
Entbindung per Sectio.
240 5 Schwangerschaft
• V
orzeitiger Blasensprung: je nach SSW konservative Maßnahmen oder Ent-
bindung.
• V
orzeitige Wehentätigkeit: Tokolyse, stationäre Aufnahme.
5.21.1 Vorbemerkungen
• M
ehr als 70 % aller Schwangeren nehmen im 1. Schwangerschaftsdrittel Me-
dikamente ein.
• F ast alle Substanzen passieren die Plazenta bzw. gehen in die Muttermilch
über.
• In Schwangerschaft und Stillzeit Arzneimittel grundsätzlich nur bei strenger
Ind. unter Berücksichtigung des Risikos für Mutter und Kind verordnen.
• A
rzneimitteldosierung so niedrig wie möglich.
• M
onother. anstreben.
• V
erschiedene Substanzen, die beim Menschen Anwendung als Arzneimittel
finden, sind im Tierversuch embryotoxisch oder fetotoxisch. In vielen Fällen
ist unklar, ob diese Wirkstoffe beim Menschen die gleichen Wirkungen ent-
falten.
5 • K aum ein Medikament, in therapeutischen Dosen eingenommen, rechtfertigt
den Abbruch einer gewünschten intakten Schwangerschaft.
• Im Einzelfall können zusätzlich nicht invasive feindiagn. Maßnahmen hilf-
reich sein.
Schwangerschaft
• S alizylate: hemmen in höherer Dosis (> 500 mg) die Prostaglandinsynthese
und führen zu einer Senkung des fetalen Prostaglandinspiegels. Mögliche
Folge: vorzeitiger Verschluss des Ductus Botalli. Langzeitther. in hoher Dosis
kann eine hämorrhagische Diathese bei Mutter und Kind bedingen. Wegen
einer möglichen Wehenhemmung im letzten Schwangerschaftsdrittel in hö-
herer Dosierung kontraindiziert.
• P aracetamol: in der Schwangerschaft Mittel der Wahl. Wirkt analgetisch und
antipyretisch und ist nicht embryotoxisch.
• N ichtsteroidale Antiphlogistika (z. B. Ibuprofen): Sind bei längerer antiphlo-
gistischer Ther. zu bevorzugen. Cave: vorzeitiger Verschluss des Ductus Bo-
talli ab der 28. SSW.
• M etamizol, Phenazon, Propyphenazon und Mischpräparate: sind in der
Schwangerschaft zu meiden.
• P henylbutazon: hemmt in höherer Dosis die Prostaglandinsynthese → im
letzten Schwangerschaftsmon. meiden.
Alle stark wirksamen Analgetika können bei subpartaler Anwendung eine
Atemdepression beim NG verursachen. Längere pränatale Anwendung z. B. von
Morphin und Kodein führt zu Entzugserscheinungen bei Mutter und Kind.
Stillzeit
• A
SS: Eine gelegentliche Einnahme während der Stillzeit ist für den Sgl. unbe-
denklich.
• Paracetamol: sollte bei der stillenden Mutter wegen der herabgesetzten Le-
berfunktion des Sgl. nur gelegentlich und in niedriger Dosierung eingesetzt 5
werden.
• piate: Wiederholte Gaben von Morphin, Kodein, Pethidin und Methadon
O
können beim Sgl. rasch kumulieren.
5.21.3 Anthelminthika
Siehe auch ▶ 22.4.
• M
ebendazol: in hoher Dosierung bei der Ratte teratogen. Bei anderen Tier-
spezies und beim Menschen bisher keine Hinweise auf erhöhte Fehlbildungs-
rate.
5.21 Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit 243
5.21.4 Antiallergika 5
Antihistaminika haben sich bei der Behandlung allergischer Symptome als nicht
teratogen erwiesen. In der Schwangerschaft sind H1-Antihistaminika wie Clemas-
tin und Dimetinden neueren Präparaten vorzuziehen. Chlorphenoxamin geht in
die Muttermilch über, die Plasma-HWZ beim Sgl. liegt bei 100 h.
5.21.5 Antibiotika
Siehe auch ▶ 22.1.
Schwangerschaft
minoglykoside (▶ 22.1.5): in der Schwangerschaft kontraindiziert. Neben
• A
verschiedenen Skelettschädigungen können sie nephro- und ototoxische Wir-
kungen aufweisen.
5 • ephalosporine (▶ 22.1.2): gehören in der Schwangerschaft zu den Antibioti-
C
ka der 1. Wahl, ältere Cephalosporine sind zu bevorzugen.
• hloramphenicol (▶ 22.1.9): Reserveantibiotikum, kurz vor der Geburt abso-
C
lut kontraindiziert (Grey-Sy.).
• enicilline (▶ 22.1.1): gehören in der Schwangerschaft zu den Substanzen der
P
1. Wahl.
• incomycin und Thiamphenicol: sind in der Schwangerschaft unbedenklich,
L
embryotoxische Wirkungen sind nicht bekannt.
• etrazykline (▶ 22.1.4): lagern sich in den entwickelnden Röhrenknochen
T
und Zähnen des Fetus ab und sind in der Schwangerschaft nicht anzuwenden.
Stillzeit
Auch bei stillenden Müttern können bei einigen Antibiotika Schädigungen für
das Kind nicht ausgeschlossen werden. Neben dem Übertritt der Substanzen in
den kindlichen Organismus ist daran zu denken, dass bereits kleine Antibiotika-
mengen die Darmflora des Kindes stören, Resistenzen erzeugen und zu einer Sen-
sibilisierung führen können.
• A minoglykoside (▶ 22.1.5): kaum gefährlich für den kindlichen Organismus,
sie erscheinen nur in Spuren in der Muttermilch.
• A mpicillin, Amoxicillin (▶ 22.1.1): Sensibilisierung, auch wenn die Konz. in
der Muttermilch eher gering sind.
• C ephalosporine (▶ 22.1.2): werden in unterschiedlichen Konz. in die Mutter-
milch ausgeschieden.
5.21 Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit 245
Kontraindizierte Antibiotika
• C hloramphenicol während der Stillzeit keinesfalls geben.
• A uch Sulfonamide und Trimethoprim sollten wegen der hohen Konz. in
der Muttermilch nicht während der Stillzeit eingesetzt werden.
5.21.6 Antidiabetika
Die teratogene Wirkung oraler Antidiabetika ist zwar nur im Tierversuch bewie-
sen, trotzdem gilt es als obligat, diabetische Pat. vor Beginn der Schwangerschaft
bzw. sofort nach deren Feststellung auf Insulin umzustellen. Die Fortführung ei-
ner oralen Antidiabetikather. rechtfertigt keinen risikobegründeten Schwanger-
schaftsabbruch.
Lediglich für Tolbutamid liegen Untersuchungen der Muttermilchkonz. vor. Die-
se sind hier deutlich niedriger als im Plasma. Auswirkungen auf den Sgl. sind
nicht zu erwarten. Dennoch Kinder gut beobachten (BZ-Kontrollen).
Glimepirid Amaryl®
5.21.7 Antiemetika
Bei der Anwendung von Antiemetika in der Schwangerschaft (▶ Tab. 5.32), z. B.
bei der Behandlung der Hyperemesis gravidarum, ist generell Zurückhaltung, v. a.
im 1. Trimenon, angezeigt. Für alle Antiemetika gilt, dass beim Menschen keine
Fehlbildungen zu erwarten sind, obwohl die Substanzen im Tierversuch partiell
teratogen sind.
Metoclopramid ist während der Stillzeit nach Möglichkeit zu vermeiden, da be-
reits sehr niedrige Konz. bei Sgl. erhebliche zentralnervöse NW auslösen können.
Meclocin Agyrax®
5 5.21.8 Antiepileptika
Schwangerschaft
Stillzeit
• P henytoin, Valproinsäure: werden nicht oder in kaum messbaren Konz. in
die Muttermilch ausgeschieden. Bei Behandlungen der Mutter mit Valproin-
säure sind die Kinder in der Stillphase gut zu beobachten (Lebertoxizität, Stö-
rung des Fibrinogenstoffwechsels).
• arbamazepin, Ethosuximid, Primidon, Phenobarbital: werden in die Mut-
C
termilch ausgeschieden und können beim Sgl. zu Müdigkeit und Trinkschwä-
che führen. Serumkontrollen bei Mutter und Kind sind empfehlenswert. Ein
Stillverbot ist bei keiner dieser Substanzen indiziert.
5.21.9 Antihypertensiva
Für die meisten Antihypertonika haben sich aus Tierversuchen keine Hinweise
auf Teratogenität ergeben.
• α -Methyldopa: eignet sich für die antihypertensive Ther. leichterer Fälle in
der Schwangerschaft. Das Präparat wirkt über eine Senkung des Sympathiko-
tonus.
• A CE-Hemmer: (Captopril u. a.) in der Grav. kontraindiziert. Die Substanzen
gehen in die Muttermilch über.
• C lonidin: im Tierversuch embryoletal. Die Dosis liegt weit über dem thera-
peutischen Anwendungsbereich beim Menschen.
• D iazoxid: wegen seiner Wirkung auf den Glukosestoffwechsel für eine Dau-
erther. in der Schwangerschaft nicht geeignet. Im Tierversuch teratogen.
• H ydralazin: starker blutdrucksenkender Effekt durch Verringerung des peri-
pheren Widerstands bei Zunahme des Herzzeitvolumens. Möglicherweise
wird hierdurch die uteroplazentare Durchblutung verbessert.
• N ifedipin und andere Kalziumantagonisten: im Tierversuch embryotoxisch.
• B etablocker wie Propranolol: bei Daueranwendung evtl. Wachstumsretar-
dierung, neonatale Hypoglykämie und Verminderung der kardiovaskulären
248 5 Schwangerschaft
5.21.10 Antihypotonika
Embryotoxische Wirkungen beim Menschen sind bei den nachfolgend aufgeführ-
ten Antihypotonika nicht bekannt.
• D
ihydroergotamin: bei parenteraler Gabe stärkere uterotonische Wirkung
als bei oraler Applikation, diese ist daher in der Schwangerschaft kontraindi-
ziert. Auch bei oraler Gabe ist eine Vasokonstriktion der Uteringefäße mit
uteriner Mangeldurchblutung nicht auszuschließen.
• N
orfenefrin: hat wehensteigernden Effekt mit möglicher Plazentaminderper-
fusion und ist deshalb bei Schwangerschafts-KO nicht indiziert.
5
Tab. 5.35 Antihypotonika in Schwangerschaft und Stillzeit
Freiname Handelsname Schwangerschaft Stillzeit
(Beispiel)
Dihydro Dihydergot® Nur bei Migräne oder er- Keine Bedenken bei
ergotamin DET MS® heblicher Hypotonie, ute- niedriger Dosierung
rine Minderperfusion
nicht auszuschließen
5.21.11 Antikoagulanzien
Schwangerschaft
• K
umarine: können in der Frühschwangerschaft ein charakteristisches Fehl-
bildungssy. (Kumarinembryopathie) mit Hypoplasie der Nasenknochen,
Chondrodysplasia punctata und geistiger Retardierung hervorrufen. Störun-
gen des ZNS nach Gabe im 2. oder 3. Trimenon (wahrscheinlich durch fetale
Blutungen bedingt). Erhöhte Blutungsneigung bei NG.
• eparin: gilt als das Mittel der Wahl in der Schwangerschaft. Wegen seines
H
hohen Molekulargewichts kann es die Plazentaschranke nicht passieren und
250 5 Schwangerschaft
wirkt somit nicht teratogen. Unter Vollheparinisierung keine PDA, sub partu
nicht mehr als 15.000 IE Heparin. Niedermolekulare Heparine passieren die
Plazentaschranke ebenfalls nicht. Ihre Vorteile können in der Schwanger-
schaft genutzt werden.
Stillzeit
• K
umarine: Die Beurteilungen über die Gefährlichkeit von Kumarinderivaten
in der Stillzeit sind uneinheitlich. Ggf. Blutungsstörungen beim NG. Warfarin
und Acenocoumarol werden nicht in die Muttermilch ausgeschieden und gel-
ten in der Stillzeit als unbedenklich.
• eparin: keine Ausscheidung in die Muttermilch, niedermolekulare Hepari-
H
ne treten geringfügig in die Muttermilch über, ein gerinnungshemmender Ef-
fekt beim Sgl. ist unwahrscheinlich.
Kumarine
Heparine
Enoxaparin Clexane®
5.21.12 Antimykotika
• A
mphotericin B: soll wegen erheblich erhöhten Abort- und Frühgeburtenri-
sikos in der Grav. nur bei lebensbedrohlichen generalisierten Mykosen einge-
setzt werden.
• C lotrimazol: lokale Ther. (z. B. Vaginalmykosen).
• F lucytosin: kann teilweise zu Fluorouracil metabolisiert werden → im Tier-
versuch teratogen. Auch beim Menschen muss eine Teratogenität angenom-
men werden.
• Griseofulvin: ist im Tierversuch teratogen. In ther. Dosis scheint es beim
Menschen nicht teratogen zu wirken, eine systemische Anwendung sollte
aber vermieden werden.
5.21 Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit 251
• K
etoconazol: potenziell teratogen, Anwendung in der Schwangerschaft ver-
meiden.
• M
iconazol: wirkt in 5-facher therapeutischer Dosis embryoletal → strenge
Ind.
• N
ystatin: wirkt wegen toxischer Allgemeinreaktionen nur lokal.
Tab. 5.37 Antimykotika in Schwangerschaft und Stillzeit (Indikation und
Dosierung ▶ 22.3)
Freiname Handelsname Schwangerschaft Stillzeit
(Beispiel)
Fluconazol Diflucan® KI KI
Griseofulvin Griseo-CT® KI
®
Ketoconazol Nizoral
5.21.13 Antiphlogistika
• A
escin: ist bei Tier und Menschen nicht teratogen. Fraglich nephrotoxisch.
• D
iclofenac, Orgotein und Oxyphenbutazon: gelten ebenfalls nicht als emb-
ryotoxisch. Ebenso wie Phenylbutazon und Salizylate hemmen sie im 3. Tri-
menon die Prostaglandinsynthese → KI in höherer Dosierung.
• ichtsteroidale Antiphlogistika: z. B. Ibuprofen, Indometacin und Diclofe-
N
nac, können im 1. und 2. Trimenon eingesetzt werden.
Androgene KI KI
Cyproteron Diane® KI KI
acetat Androcur®
5.21.16 Dermatika
• A
ciclovir: Virustatikum, bislang keine teratogenen Effekte nachgewiesen.
• A
mmoidin: Bei Mensch und Tier zwar keine teratogene Wirkung, beein-
trächtigt allerdings den Zellstoffwechsel.
• E tretinat: wegen des hohen Gehalts an einem Vit.-A-Derivat absolut terato-
gen → schwere Entwicklungsdefekte des Gehirns (Meningoenzephalozelen,
-myelozelen), einseitige Anophthalmie, kraniofaziale Defekte, Defekte der
Wirbelsäule und Extremitäten sowie des Ventrikelsystems. Wegen langer
HWZ Interruptio noch 2 J. nach Absetzen der Ther. indiziert.
• F usidinsäure: dermal angewandtes Antibiotikum, keine Teratogenität.
• I doxuriden, Tromantadin (Virustatika): KI in der Schwangerschaft.
• J odhaltige Präparate: sollten in der Schwangerschaft nicht bedenkenlos ver-
abreicht werden.
Ammoidin Meladinine® KI
Tromantadin Viru-Merz®
5.21.17 Diuretika
Schwangerschaft
Teratogene Wirkungen sind weder im Tierversuch noch beim Menschen be-
kannt.
! D a im Rahmen hypertensiver Erkr. in der Schwangerschaft häufig ohnehin ei-
ne Hypovolämie vorliegt, Diuretika nur unter strenger Ind.-Stellung einsetzen.
• B enzothiadiazine: passieren leicht die Plazenta und können zu
E’lytstörungen und einer neonatalen Thrombopenie führen.
• T riamteren: fetotoxisches Risiko im 2. und 3. Trimenon, Folsäuremangel
kann eine Megaloblastose begünstigen.
5
Stillzeit
• W
egen des generellen Dehydratationsrisikos für den Sgl. sind alle Diuretika
in der Stillzeit unter strenger Ind.-Stellung einzusetzen.
• A
cetazolamid, Furosemid, Hydrochlorothiazid, Spironolacton: sind für den
Sgl. wahrscheinlich unbedenklich, Möglichkeit der Laktationshemmung. Bei
Herzinsuff. in der Schwangerschaft ist Hydrochlorothiazid Mittel der Wahl.
• hlortalidon: ist zwar nur in geringen Konz. in der Muttermilch enthalten,
C
wegen der langen HWZ und der damit verbundenen Kumulationsgefahr
beim Sgl. ist aber vom Stillen abzuraten.
Amilorid Amilorid® KI KI
Spironolacton Aldactone®
256 5 Schwangerschaft
5.21.18 Laxanzien
• A
loehaltige Präparate: passieren die Plazenta. Sie erzeugen eine starke Hy-
perämie der Unterleibsorgane und können abortiv wirken.
• B isacodyl: nur geringfügige enterale Resorption, Anwendung in Schwanger-
schaft und Stillzeit ist möglich.
• N
atriumpicosulfat: im 1. Trimenon kontraindiziert, es besteht ein embryoto-
xisches und teratogenes Risiko beim Menschen.
• S ennoside, Cascaroside: enthalten Anthrachinone, die über den GIT in die
Muttermilch übertreten können. In der Stillzeit sind sie daher kontraindi-
ziert. Auch bei Kindern stillender Mütter wurden nach Einnahme von phe-
nolphthaleinhaltigen Präparaten Durchfallerscheinungen registriert. Diese
Präparate sollten in der Stillzeit nicht eingesetzt werden. Pflanzliche Quell-
mittel erscheinen in der Stillzeit als Mittel der Wahl.
Pflanzliche Laxanzien
Rizinusöl Rizinuskapseln®
Laktulose Bifiterla®
Quellmittel
Laktulose Bifiteral®
5.21.19 Magen-Darm-Mittel
Schwangerschaft
• L ithiumhaltige Antazida: in der Grav. kontraindiziert.
• L operamid: Wegen noch nicht ausreichender Erfahrung beim Menschen
wird in der Grav. zur Vorsicht geraten. Keine Hinweise auf Teratogenität.
• N eomycin: bei Darmulzera und Niereninsuff. in der Grav. ungeeignet.
• S ulfonamidhaltige Mittel: KI in den letzten Wo. der Grav.
• B romocriptin: Wegen noch unzureichender Erfahrung beim Menschen wird
in der Grav. zur Vorsicht geraten.
• A loe enthaltende Verdauungsenzymkombinationen: KI in der Grav.
• C imetidin, Ranitidin: Zwar sind keine Blutbildungsstörungen wie bei den
zuerst entwickelten H2-Antihistaminika bekannt, wegen einer vermutlich
größeren Empfindlichkeit des Embryos sollten sie in der Grav. unter strenger
Ind.-Stellung eingesetzt werden.
• etoclopramid: Mittel der Wahl bei Motilitätsstörungen des oberen GIT in
M
der Schwangerschaft. Kann beim NG und FG eine Methämoglobinbildung
bewirken.
• yridostigmin und Neostigmin: Cholinergika. Anwendung in der Schwan-
P
gerschaft nur bei postop. Atonie von Darm und Blase.
Stillzeit
• C imetidin: konnte in erheblichen Konz. in Muttermilch nachgewiesen wer-
den und sollte daher in der Stillzeit möglichst vermieden werden.
• A
tropinhaltige Präparate: sollten wegen möglicherweise toxischer NW auf 5
das Kind und möglicher Verminderung der Milchproduktion v. a. in der Still-
zeit nicht eingesetzt werden.
• etoclopramid: kann über die Muttermilchausscheidung beim Sgl. zu zent-
M
ralnervösen NW führen.
Antidiarrhoika
Antidiarrhoika
Pektin Diarrhoesan®
Tannin Tannalbin®
Antazida
Magaldrat Riopan®
5 Enzympräparate
Karminativa
Salzsäure Enzynorm®
Adstringenzien
Etherische Öle 5
Anis-, Kampfer-, Salviathymol N® Keine Bedenken Keine Bedenken
Pfefferminz-, Eu
kalyptusöl etc.
Desinfizienzien
Hexidin Hexoral®
5.21.21 Psychopharmaka
• A
mitriptylin: (trizyklisches Antidepressivum) wirkt weder bei Tier noch
Mensch teratogen. Mittel der Wahl bei der Depressionsther. in der Schwan-
gerschaft.
• ithium-Langzeitther.: im 1. Trimenon vermehrt kardiovaskuläre Fehlbil-
L
dungen (~ 10 %), ZNS-Schäden und erhöhte perinatale Morbidität. Bei Be-
handlungsnotwendigkeit in der Frühgrav. häufiger niedrige Dosen verabrei-
chen und den Serumspiegel wöchentl. kontrollieren. Die Lithium-Plasma-
konz. bei gestillten Kindern entsprechen denen der stillenden Mütter. Vom
Stillen wird abgeraten.
• aloperidol und andere Butyrophenon-Neuroleptika (Trifluperidol): sollten
H
in der Schwangerschaft nur nach strenger Ind.-Stellung verordnet werden.
260 5 Schwangerschaft
Antidepressiva
Tranquillanzien, Hypnotika
5.21.22 Rhinologika
• P henylephrin (Alpha-Sympathomimetikum): → lokal zur Abschwellung der
Nasenschleimhaut oder als Mydriatikum. Eine systemische Ther. ist möglich.
xymetazolin, Xylometazolin (Imidazolderivate): ausschließlich Affinität zu 5
• O
Alpha-Rezeptoren → nur lokale Anwendung. Keine NW in Grav. und Still-
zeit.
• imetinden: systemische Anwendung. Wichtigste NW ist zentral-dämpfen-
D
der Effekt, bei Kindern deutlich ausgeprägter als beim Erw.
Systemische Therapie
Lokale Therapie
Xylometazol Otriven®
262 5 Schwangerschaft
5.21.23 Schilddrüsentherapeutika
Klinik
• Jodmangel bzw. Hypothyreose bei Schwangeren: Verdopplung der Fehlge-
burtenrate, erhöhte Frühgeburtlichkeit und Entwicklung einer Struma.
• H yperthyreose: in Frühschwangerschaft und Postpartalzeit erhöhte Krank-
heitsaktivität. 2. und 3. Trimenon remissionsbegünstigend.
Therapie M. Basedow in der Schwangerschaft sollte thyreostatisch behandelt
werden. Hyperthyreose wirkt teratogen, nicht jedoch niedrig dosierte Thyreostati-
ka.
Mittel der Wahl Propylthiouracil und Thiamazol: Initial 10–20 mg/d, Erhaltungs-
dosis 2,5–5 mg/d, keine Komb. mit Levothyroxin, Auslassversuch im 2. Trimenon
möglich. Erhöhte Rezidivgefahr in der Laktationsphase (Überwachung notwen-
dig), niedrig dosierte Thyreostatika (Thiamazol bis 15 mg/d und Propylthiouracil
bis 150 mg/d) sind unbedenklich.
Eine prophylaktische Jodsubstitution von 200 μg/d wird in Grav. und Stillzeit
empfohlen, jodhaltige Expektoranzien, Desinfektionsmittel etc. sind in der Grav.
zu vermeiden.
Schilddrüsenhormone
5 Levothyroxin Euthyrox® Genaue Dosis- Keine Bedenken (physiologische
überwachung in Substanz)
der Schwanger-
schaft
Thyreostatika
Perchlorat Irenat® KI
®
Thiamazol Favistan Möglichst nied-
rige Dosierung
5.21.24 Virustatika
• A
ciclovir (Zovirax®): bei äußerer Anwendung unproblematisch, eine syste-
mische Gabe in der SS ist nur bei disseminierter Herpes- oder Varizellenerkr.
indiziert.
• mantadin (Amantadin-CT®): sollte in der Schwangerschaft nicht zur Ther.
A
der Influenza eingesetzt werden. Verschiedene Fehlbildungen wurden in der
Literatur beschrieben.
• idovudin ®)ist als einziges Präparat zur Prophylaxe einer HIV-Transmission
Z
in der Schwangerschaft zugelassen. Nach heutiger Kenntnis ist eine Zidovu-
din-Monother. bei niedriger Viruslast ausreichend. Bei hoher Viruslast zu-
sätzlich NNRTI (nichtnukleosidale Retrotranskriptasehemmer) oder Protein-
Inhibitoren. Eine Teratogenität ist bislang für keine der Substanzen nachge-
wiesen, allerdings wurden Frühgeburtlichkeiten und fetale Anämien be-
schrieben.
• ibavirin (Copegus®, Virazole®): in der Schwangerschaft nur bei vitaler Ind.
R
erlaubt, im Tierversuch teratogen.
• rivudin (Zostex®), Cidofovir (Vistide®), Oseltamivir (Tamiflu®), Zanami-
B
vir (Relenza®), Entacavir (Baraclude®) und Adeforvirdipiroxil (Hepsera®):
nur bei zwingender Ind. in der Grav. Ausreichende Erfahrungen beim Men-
schen liegen nicht vor.
• elbivudin (Sebivo®) ist nicht embryotoxisch.
T
Nukleosidanaloga (NRTI)
Didanosin Videx®
Abacavir Ziagen®
Proteaseinhibitoren
Saquinavir Invirase®
Darunavir Prezista®
Lopinavir Kaletra® KI
5.21.25 Zytostatika
Für alle Zytostatika gilt die Schwangerschaft als absolute KI, da in Tierversuchen
und beim Menschen starke teratogene Wirkungen festgestellt wurden. Auch
wenn manche Zytostatika nur in nichttoxischen Konz. in der Muttermilch nach-
weisbar sind, sollte nicht gestillt werden.
5
6 Geburt
Joachim Steller und Franz Koettnitz
6.1 Kreißsaalaufnahme
Indikationen
• egelmäßige Wehen alle 10 Min. oder häufiger.
R
• lasensprung (auch bei Verdacht).
B
• ag. Blutung in der Spätschwangerschaft.
V
• eplante Sectio (z. B. bei BEL).
G
6.1.1 Kardiotokografie (CTG)
Prinzip
Simultane Aufzeichnung von FHF und Uterusaktivität (CTG = Cardio-Toco-
Grafie). Bei der Messung der HF kann entweder akustisch oder sonografisch über
die Bauchdecken oder direkt am kindlichem Kopf (oder Steiß) ein elektrisches
Potenzial abgeleitet werden. Die HF wird aus der Messung der Abstände zweier
Herztöne berechnet. Die Kontraktionen des Uterus werden i. d. R. über einen me-
chanischen Druckaufnehmer über den Bauchdecken aufgezeichnet, die direkte
intrauterine Messung mit Ballonkatheter hat sich nicht durchgesetzt.
Ziel: Frühzeitige Erkennung fetaler Gefahrenzustände zur rechtzeitigen Interven-
tion.
Anlegen
• P apiervorrat vor Anlegen des CTGs prüfen; CTG-Streifen mit Datum, Uhr-
zeit, Name, Vorname, Geburtsdatum, errechnetem Termin oder SSW und
6 derzeitiger Medikation beschriften.
• indslage und Stellung bestimmen (Leopold-Handgriffe ▶ 5.1.1).
K
• at. in Linksseitenlage bringen, um Vena-cava-Kompression zu vermeiden.
P
• okografie-Aufnehmer über dem Fundus mit elastischem Gurt befestigen.
T
Bei Gummi-Allergie Textilgurte verwenden.
• aximum der kindlichen Herztöne meist über dem kindlichen Rücken.
M
• ransducer mit Ultraschallgel vorbereiten und mit Gurt fixieren.
T
• ei guter Aufzeichnung Papiervorschub anstellen (1 cm/Min.), Registrierung
B
mindestens über 30 Min.
• ei pathologischen Mustern ggf. Weckversuch, Lagewechsel (andere Seite,
B
Becken hoch) und/oder Partusisten-intrapartal® (▶ 6.10), O2-Gabe, evtl. fetale
Blutgasanalyse, Mikroblutanalyse (MBU; Ausnahme: Austreibungsperiode,
stattdessen ggf. vag.-op. Entbindung).
Kopfschwartenelektrode (KSE)
• E ingriff nur bei besonderer Ind. wie schlecht abzuleitenden Herztönen,
pathologischem CTG, Gemini.
• D urchführung: Abspülen der Vulva (z. B. mit Octenisept®), vag. Untersu-
chung (▶ 6.1.2). Einführen der Elektrode im Führungsstab (geringere
6.1 Kreißsaalaufnahme 269
Auswertung
Oszillationsfrequenz
Anzahl der Änderung der HF je Zeiteinheit. Bestimmt werden die Nulldurchgän-
ge (Kreuzen der gedachten Mittellinie)/Min. Ein anhaltender Sauerstoffmangel
führt zur fetalen Kreislaufzentralisation: Das kindliche Herz schlägt gleichförmig
bei konstantem Blutangebot. Dadurch sinkt die Oszillationsfrequenz auf < 6 Null-
durchgänge pro Min. bis hin zum silenten Oszillationstyp.
Oszillationsamplitude (= Bandbreite)
Differenz zwischen höchstem und niedrigstem Umkehrpunkt (▶ Abb. 6.3).
• S altatorische Bandbreite: > 25 SpM.
• U ndulatorische Bandbreite (Normalbefund): 10–25 SpM.
• E ingeengte Bandbreite: 5–10 SpM.
• S ilente Bandbreite: < 5 SpM.
! E in saltatorischer Oszillationstyp kann auf eine Nabelschnur-KO hinweisen
und gilt als Warnsymptom.
! E ingeschränkt undulatorische oder silente Oszillationstypen finden sich bei
Hypoxiegefährdung, treten aber auch unter zentralsedierenden Pharmaka
oder beim physiologischen Ruhezustand des Fetus auf (Verschwinden nach
Weckversuch).
160 160
140 140
120 120
100 100
80 80
Normalbefund = Eingeschränkt undulatorischer
Undulatorischer Oszillationstyp Oszillationstyp
60
Amplitude > 10-25 bpm Amplitude > 5-10 bpm
60
6
160 160
140 140
120 120
100 100
80 80
FIGO-Score
In Anlehnung an den Apgar-Score werden fünf Kriterien mit je 0–2 Punkten be-
wertet. Voraussetzungen: Registrierung über mindestens 30 Min., das jeweils un-
günstigste Kriterium wird berücksichtigt. Gilt lediglich für die antenatale, nicht
für die intrapartale CTG-Beurteilung.
6.1 Kreißsaalaufnahme 273
Beurteilung:
• 8–10 Punkte: normaler fetaler Zustand anzunehmen.
• 5–7 Punkte: Warnsignal (CTG unter Belastung angezeigt).
• ≤ 4 Punkte: bedrohliche fetale Gefährdung (Schwangerschaftsbeendigung).
* Ungünstige CTG-Zusatzkriterien: flacher Wiederanstieg, Oszillationsverlust in der
Dezeleration, Verlust der kurzen Akzeleration vor der Dezeleration, Fortbestehen
der kompensatorischen Akzeleration nach der Dezeleration, ursprüngliche Basalfre-
quenz wird nicht erreicht, gedoppelte Dezelerationen.
Kinetokardiotokografie (K−CTG)
Aufzeichnung der fetalen Körper- und Extremitätenbewegungen mithilfe des Ul-
traschalldopplers nach Anzahl und Dauer, die durch unterschiedliche Balkenlän-
gen auf einem dritten Kanal aufgezeichnet werden. Liefert als weiteres Kriterium
zur Interpretation der FHF die Einbeziehung fetaler Bewegungsprofile während
Schlaf- und Wachrhythmen. Eine Verkürzung der Dauer fetaler Kindsbewegun-
gen ist ein früher Hinweis (12–14 Tage) auf eine drohende Gefährdung.
Automatisierte CTG-Auswertung 6
Computerisierte Analyse der antenatalen FHF nach den sog. Dawes-Redman-
Kriterien mit dem Ziel einer fetalen Zustandsbeurteilung in kurzer Zeit (10 Min).
Standardisiertes optionales Programm in Fetalmonitoren.
Fetale Pulsoxymetrie
Messung der subpartalen Sauerstoffsättigung FSPO2 an der kindlichen Wange
oder am Skalp. Nach derzeitiger Datenlage nicht empfohlen.
Weitere Methoden für die fetale Zustandsbeurteilung:
• B eurteilung des FW-Volumens: jenseits des Geburtstermins empfindlichster
Parameter hinsichtlich der Vorhersage einer Geburtsazidose (verminderte
FW-Menge frühes Hinweiszeichen für beginnende Plazentainsuff. mit erhöh-
ter perinataler Morbidität. Ab 37 + 0 SSW nimmt FW-Menge um ca. 30 %
pro Woche ab (▶ 5.17).
274 6 Geburt
6.1.2 Non-Stress-Test
Durchführung
• C TG-Registrierung möglichst in Linksseitenlage (zur Vermeidung eines Ve-
na-cava-Kompressionssy.).
• W
erden keine spontanen Akzelerationen beobachtet, nach 20 Min. Weckver-
such (akustisch z. B. durch Klingeln, Rasseln oder mechanisch durch inneren
oder äußeren Reiz, z. B. durch vag. Untersuchung, Lagewechsel).
Auswertung
• P rognostisch günstig, wenn in einem Zeitraum von 20 Min. mindestens zwei
spontane Akzelerationen von 15 SpM und 15 Sek. Dauer auftreten.
• W erden zwei oder mehr Akzelerationen in den folgenden 20 Min. nach
Weckversuch beobachtet, ist Normalzustand anzunehmen.
• F alls spontan oder nach Weckversuch keine Akzelerationen zu verzeichnen
sind und ein path. CTG-Befund zu erheben ist, ist eine intrauterine Gefähr-
dung wahrscheinlich. Bei kindlicher Reife Ind. zur Schwangerschafts-/Ge-
6 burtsbeendigung stellen.
6.1.3 Oxytocin-Belastungstest (Stress-Test)
Definition Registrierung des FHF-Musters unter Belastung durch medikamen-
tös hervorgerufene Wehen zur Simulation der physiologischen Geburtsbelastung
des Feten bzw. Erprobung der plazentaren Leistungsreserve. Bei 90 % der vag. ge-
borenen Kinder mit unauffälligem Belastungs-CTG waren keine neonatalen De-
pressionen vorhanden, 70 % der Feten mit path. Belastungstest zeigten postpartale
Beeinträchtigung.
Weitere Belastungstests
• P rostaglandin-Belastungstest: Nach intrazervikal appliziertem PgE2-Gel 6
z. B. 500 μg (z. B. l Prepidil®-Gel) sind bei etwa 85 % der Pat. nach etwa
10 Min. unkoordinierte Uteruskontraktionen zu erwarten, bei 15 % eine
regelmäßige Wehentätigkeit. Ind. daher erst ab der 37. SSW oder bei
nachgewiesener Lungenreife.
• K niebeugen-Belastungstest nach Saling: Durch körperliche Belastung in
Form von 10–15 Kniebeugen kommt es zur kurzzeitigen uterinen Min-
derdurchblutung, die im Normalfall keine Änderung der FHF zur Folge
hat. Tritt infolge eingeschränkter Reservekapazität der Plazenta eine De-
zeleration auf, ist der Test als pathologisch zu werten (falsch pos. bei or-
thostatischer Dysregulation, daher evtl. Behandlung mit Effortil®).
• M amillenstimulationstest: Wegen fehlender Steuerbarkeit der körperei-
genen Oxytocinausschüttung nicht anwenden!
Vena-cava-Kompressionssyndrom
Druck des Uterus in Rückenlage auf V. cava inf. und Beckenvenen, hierdurch ver-
minderter venöser Rückfluss zum Herzen mit konsekutivem Abfall von HMV
und RR (v. a. in den letzten SSW). Bei Ablauf einer Wehe oder Presswehe kommt
es zur Aufrichtung des Uterus und Dekompression der V. cava inf., insofern ist
während der Presswehen die Rückenlage ungefährlich.
276 6 Geburt
Klinik
• M utter: Puls- und Atemfrequenz steigen, RR-Abfall, Schwindel, Übelkeit, ggf.
Bewusstseinsverlust.
• K ind: Abfall der HF, typisches CTG: Die Vena-cava-Dezeleration gleicht ei-
ner länger anhaltenden prolongierten Dezeleration (▶ 6.1.1).
• K O: vorzeitige Plazentalösung (▶ 6.4.2).
Differenzialdiagnosen Orthostatische Dysregulation, Hypotonie nach Spinal-
oder Periduralanästhesien (PDA), Volumenverlust.
Therapie Linksseitenlage, CTG in Seitenlage.
Auch bei PDA und Sectio caesarea, daher OP nur in Linksseitenlage (15°).
Basendefizit
Weiterer Parameter zur Beurteilung der Gefährdung:
• N
ormales Basendefizit, Anstieg des CO2 → respiratorische Azidose: bei
kurzfristiger Nabelschnurkompression.
• H
ohes Basendefizit, normales CO2 → metabolische Azidose: bei lang an-
haltenden Durchblutungsverminderungen.
6.2 Normaler Geburtsverlauf
Der normale Geburtsverlauf teilt sich ein in drei Phasen:
• E röffnungsperiode.
• A ustreibungsperiode.
• N achgeburtsperiode.
278 6 Geburt
Geburtsmechanik
Die Form des Beckens wird bestimmt durch den querovalen Beckeneingang, die
nahezu kreisförmige Beckenmitte und den längsovalen Beckenausgang. Da Kopf-
form sowie Schultergürtel des Kindes ebenfalls in etwa einem Oval entsprechen,
muss das Kind beim Durchtritt durch das Becken insgesamt 5 Drehbewegungen
ausführen. Um das Durchtrittsplanum zu verkleinern, kommt es zur Beugung
(Flexion) des Kopfes (wer einem Kind ein enges Kleidungsstück über den Kopf
ziehen will, weiß, dass dieses am besten vom Hinterhaupt aus gelingt!). Beim
Durchtritt des Kopfes am Beckenausgang erfolgt dann die Deflexion.
Äußere Drehung
Im Moment der Geburt des Kopfes am längsovalen Beckenausgang passen die
Schultern genau in den querovalen Beckeneingang hinein. Zur Geburt der Schul-
tern muss jetzt eine weitere Drehung um 90° während des Durchtritts durch die
Beckenhöhle erfolgen, damit diese am Beckenausgang längs stehen (5. Drehung).
In der Regel dreht sich hierbei das Kind wieder in die ursprüngliche Stellung zu-
rück (▶ Abb. 6.5e). Die Rotation des Kindes kann an der äußeren Drehung des
Kopfes verfolgt werden. Zunächst wird dann die vordere Schulter unter der Sym-
physe geboren (die hintere Schulter weicht dabei in die Kreuzbeinhöhle aus, hier
besteht keine knöcherne Begrenzung) und anschließend die hintere Schulter
(▶ Abb. 6.5f).
6.2 Normaler Geburtsverlauf 279
a b
c d
e f
6.2.1 Eröffnungsperiode
Definition
Beginnt nach anfänglich unregelmäßiger Wehentätigkeit mit den ersten Geburts-
6 wehen (regelmäßige Wehen alle 3–6 Min.) oder nachdem die Fruchtblase ge-
sprungen ist. Sie dauert bei Erstgebärenden etwa 7–10 h, bei Mehrgebärenden et-
wa 4 h und endet bei vollständig geöffnetem MM.
Bei normalem Verlauf passt sich der vorangehende Teil dem Geburtskanal an.
Zuerst stellt sich der Kopf z. B. bei vorderer Hinterhauptslage (vHHL) mit querer
Pfeilnaht im querovalen Beckeneingang ein. Im weiteren Verlauf tritt der Kopf
tiefer, beugt (Verminderung des Umfangs) und dreht sich. Am Ende der Eröff-
nung steht der Kopf mit gerader Pfeilnaht und führender kleiner Fontanelle im
längsovalen Beckenausgang.
Lagerungsregel
Man lagert die Frau stets auf die Seite der Stelle des kindlichen Kopfes, die zur
Leitstelle werden soll, z. B. I. HHL (kleine Fontanelle li vorn) → Lagerung auf
die li Seite.
Blasensprung
• V
orzeitiger Blasensprung: Fruchtblase springt vor Beginn der Eröffnungspe-
riode; → Gefahr einer aufsteigenden Inf. mit Fieber und Entwicklung eines
Amnioninfektsy. (▶ 6.7, ▶ 9.6).
6.2 Normaler Geburtsverlauf 281
Ab dem Zeitpunkt des Blasensprungs befindet sich die Schwangere unter der
Geburt, auch wenn noch keine Wehen bestehen.
6.2.2 Austreibungsperiode
Definition
Bei vollständig eröffnetem MM (MM nicht mehr tastbar), Leitstelle des vorange-
henden Teils auf Beckenboden und Pfeilnaht im geraden Durchmesser, soll die
Schwangere in max. 3–4 Presswehen/10 Min. 2–3 × pro Wehe mitpressen. Dabei
zeigt sich das „Hochsteigen“ des Kopfes durch das Klaffen des Anus und die Vor-
wölbung des Damms an. Beim „Durchschneiden“ bleibt der Kopf kurz vor dem
Austritt in der Vulva stehen.
Dammschutz
Zur Temporegulierung beim Durchschneiden des Kopfes, Verminderung von
Weichteilverletzungen. 6
Durchführung
▶ Abb. 6.6. Meist in Rückenlage bei stark gespreizten und angezogenen Beinen.
Der Geburtshelfer bzw. die Hebamme steht auf der re Seite.
Kopfentwicklung
Bei Geburt aus vHHL liegt die li Hand auf dem Hinterhaupt, die Finger halten die
Stirn zurück, bis das Hinterhaupt unter der Symphyse entwickelt ist und die Na-
ckenhaargrenze als Drehpunkt unter der Symphyse liegt. Die re Hand wird an den
Damm gelegt und führt den Kopf symphysenwärts der li Hand entgegen. Gleich-
zeitig Anus und Damm mit einem sterilen Tuch so abdecken, dass der Dammrand
noch sichtbar bleibt. Bei der Kopfentwicklung aus vHHL zeigt sich erst der Schei-
tel, dann unter Deflexion Stirn, Gesicht und Kinn. Bei verzögertem Kopfdurch-
tritt in der Pressperiode droht Gefahr für das Kind durch Hypoxie (▶ 6.10). Un-
terstützende Handgriffe bei schwieriger Kopfentwicklung oder bei path. CTG:
• R itgen-Handgriff: Rechte Hand an den Hinterdamm legen (zwischen Steiß-
beinspitze und Anus) und Kinn tasten. Mit Druck gegen das Kinn wird der
Kopf hochgedrückt.
282 6 Geburt
• K
risteller-Handgriff (Hilfsperson): Mit einer oder zwei Händen den kindli-
chen Steiß am Fundus uteri umfassen oder mit dem Unterarm am Fundus
wehensynchronen Druck in Richtung der Führungslinie ausüben. Die An-
wendung ist umstritten und gilt mancherorts als Kunstfehler.
Schulterentwicklung
Der Kopf wird mit flachen Händen gefasst und das Hinterhaupt bei der nächsten
Wehe in Richtung des Rückens gedreht (dabei darf das Kind nicht überdreht wer-
den). Die vordere Schulter unter Senkung des Kopfes bis zur Oberarmmitte ent-
wickeln, dann den Kopf ohne Zug anheben und die hintere Schulter entwickeln
(besonders auf den Damm achten; erhöhte Gefahr eines Dammrisses). Der übrige
Körper folgt dann leicht. Das Kind mit einem sterilen Absaugkatheter im Mund
6 absaugen und vorläufig abnabeln. Dabei etwa 10 cm Nabelschnur stehen lassen
und zwischen zwei Klemmen durchtrennen. Das endgültige Abnabeln erfolgt bei
der späteren Versorgung des Kindes.
Schulterdystokie ▶ 7.2.4.
6.2.3 Nachgeburtsperiode
Definition
Dauer vom Abnabeln des Kindes bis zur Ausstoßung der Plazenta.
Die Nachgeburtswehen verkleinern den Uterus und damit die Plazentahaftfläche. Es
bildet sich ein retroplazentares Hämatom, und die Plazenta wird ausgestoßen. Zur
Beschleunigung des Lösungsprozesses und damit zur Minimierung des Blutverlusts
evtl. direkt p. p. Oxytocin 3 IE in 50 ml NaCl als Kurzinfusion (z. B. Syntocinon®).
Ablösungsmodus
• M
odus nach Schultze: zentrale Lösung der Plazenta (in 80 % der Fälle); die
Mitte der Plazenta erscheint zuerst in der Vulva.
• M
odus nach Duncan: laterale Lösung am unteren Rand, die sich nach oben
fortsetzt; der untere Rand wird zuerst geboren. Dabei Blutung während der
gesamten Ablösephase (Blutverlust ist etwas größer als beim Modus Schultze).
Nachbehandlung
Nach Kontrolle der Plazenta und der Eihäute auf Vollständigkeit bei Risikokons-
tellationen wie Geminigeburt, Multiparität, Z. n. atonischer Nachblutung ggf. Ga-
be von Methylergometrin 0,1–0,2 mg i. v. (z. B. Methergin®) in 50 ml NaCl oder
i. m. oder bei verstärkter Blutung 10–20 IE Oxytocin (z. B. Sytocinon®) in mind.
50 ml NaCl und/oder 0,2–0,4 mg (max. 0,5 mg) Methylergometrin (z. B. Mether-
gin®) in mind. 50 ml NaCl oder i. m.
Der physiologische Blutverlust der Plazentalösung liegt bei 200–400 ml.
! D
ie prophylaktische Gabe von Oxytocin und Methylergometrin führt zur sig-
nifikanten Reduktion postpartaler Blutungskomplikationen. NW sind:
– Mütterliche Hypotonien und Folgereaktionen durch das Oxytocin.
– Vasokonstriktionen mit kardialer und zerebraler Dekompensation durch 6
Methylergometrin (cave: kontraindiziert bei kardialer Anamnese mit Sen-
sationen).
Pathologische Nachgeburtsperiode
• V erzögerter Plazentalösung (> 30 Min. nach Geburt des Kindes noch
nicht erfolgt) ▶ 6.14.3.
• U nvollständige Plazenta ▶ 6.14.3.
• B lutverlust > 500 ml ▶ 6.14.
6.3 Analgesie
Jede Schwangere möglichst frühzeitig über Methoden, NW und Risiken der ein-
zelnen zur Geburtserleichterung verfügbaren Analgesieformen informieren. Die
Entscheidung über deren Anwendung liegt bei der Schwangeren selbst, der Ge-
burtshelfer ist ihr Berater. Die grundsätzliche Entscheidung der Schwangeren
kann jedoch unter der Geburt jederzeit überdacht und revidiert werden. Dabei
hängt die Wahl der Analgesie von der geburtshilflichen Situation und der
284 6 Geburt
Schmerzursache ab. Meptazinol ist das gebräuchlichste Opiat, das unter der Ge-
burt zur Schmerzstillung eingesetzt wird.
Spasmolytika
Beruhigungsmittel
Diaze- Diazepam- Nur bei sehr p. o.: 5 mg Diazepam Über meh-
pam ratiopharm® unruhigen Pat. supp.: 5 mg rere Stun-
indiziert i. v.: max. Tagesdosis den, Wir-
5–10 mg sehr langsam i. v. kungsver-
stärkung
Prome- Atosil® p. o.: 25–50 mg über zu-
thazin i. v.: 100 mg sehr langsam sätzliche
i. v. Schmerz-
Max. Tagesdosis 100 mg medikation
Opiate
Anästhesie
6.3.3 Periduralanästhesie (PDA)
Indikationen Starker Geburtsschmerz (▶ Abb. 6.7); protrahierter Geburtsverlauf
bei zervikaler Dystokie und Geburtseinleitung; SIH (Verbesserung der plazenta-
ren Perfusion); Anästhesie für vag.-op. Eingriffe (Vakuumextraktion, Forzeps,
etc.) und Sectio caesarea; Risikogeburten (Gemini, Frühgeburt, BEL-Geburt).
Kontraindikationen Neurologische Erkr. (z. B. bestehende Epilepsie); Gerinnungs-
störungen; Inf. im Gebiet der Punktionsstelle; Sepsis; Allergie gegen LA; schwere
Hypotonie (RRsyst. < 80 mmHg).
286 6 Geburt
• B ei der Sectio caesarea wird eine Analgesie von Th6–S3 angestrebt, dazu
fraktioniert max. 20–25 ml Bupivacain 0,5 % injizieren.
6 • E ine weitere KO ist der Blutdruckabfall, der meist durch die Gabe von
Plasmaexpander (z. B. 250 ml HEAS-steril® 10 %) und die schnelle Infu-
sion einer Volle‘lytlsg. beherrscht werden kann.
6.3.4 Spinalanästhesie
Indikationen Regelanästhesieverfahren für die elektive Sectio caesarea.
Kontraindikationen und Vorbedingungen Wie PDA.
Durchführung Die Kreißende sitzt mit gekrümmtem Rücken. Nach Desinfekti-
on und Lokalinfiltration der Haut im Bereich der Punktionsstelle wird mit einer
Spinalkanüle zwischen 2. und 3. (L 2/L 3) oder 3. und 4. Lendenwirbel (L 3/L 4)
von hinten (median) in der Ebene der Dornfortsätze oder mit leichter seitlicher
Abweichung von 10° (paramedian) punktiert. Bei Durchtritt durch die Dura tropft
der klare Liquor cerebrospinalis aus der Nadel heraus, bei blutigem Liquor muss
ggf. neu punktiert werden. Verabreichung des Anästhetikums nach Testdosis als
Bolus. Je nach benutzter Substanz stehen für den op. Eingriff 1–2,5 h zur Verfü-
gung.
6.3 Analgesie 287
6.3.5 Pudendusblock
Prinzip Blockade des N. pudendus und seiner Verzweigungen (N. dorsalis clito-
ridis, N. perinealis, N. labialis) zur Ausschaltung des perinealen Dehnungs-
schmerzes und zur perinealen Muskelrelaxation. Dadurch Analgesie von Damm-
bereich, Vulva und unterem Vaginaldrittel ohne Beeinflussung von Wehen-
schmerz und Pressdrang.
Indikationen Schmerzausschaltung und Relaxation der Beckenbodenmuskula-
tur während der Pressperiode, vag.-op. Entbindung vom Beckenboden; frühzeiti-
ger Episiotomie (v. a. bei Frühgeburten, falls keine PDA).
Durchführung ▶ Abb. 6.8. Transvag.
Palpation der Spina ischiadica mit Zei-
ge- und Mittelfinger. Einführen der In-
jektionsnadel über eine Führungshülse
(Iowa-Trompete, Kobak-Nadel oder
Führungshülse nach Jung). Durchste-
chung der Scheidenhaut und des Liga-
mentum sacrospinale medial und 1 cm
kaudal der Spina ischiadica, in einer
Eindringtiefe von etwa 5 mm liegt hier
der ungeteilte N. pudendus. Nach Aspi-
ration zum Ausschluss einer intravasa-
len Injektion werden bds. 10 ml einer Abb. 6.8 Pudendusblock [L157]
1-prozentigen Mepivacain-Lsg. (Scan-
dicain® 1 %) injiziert. Auch bei tiefer als
auf Interspinalebene stehender Leitstelle ist bei Anwendung der Führungshülse
die gefahrlose Injektion noch möglich.
Komplikationen Systemische KO nur bei intravasaler Injektion (Aspirations-
test). In etwa 5 % partielle oder komplette Ausschaltung des N. ischiadicus (inner-
halb 24 h reversibel). Scheidenhämatome in 0,1 % durch Verletzung der pudenda- 6
len Gefäße (selten op. Revision nötig). Abszesse in der Fossa ischiorectalis nach
Durchstechung des Rektums in 0,06 % (Eröffnung und Drainage des Abszesses
nötig).
6.3.6 Spasmoanalgetika
Spasmolytika
In der Eröffnungsphase kann über die Ausschaltung von Spasmen durch z. B. Bu-
tylscopolamin supp. oder i. v. (z. B. Buscopan®), z. B. 2 Amp. = 2 ml 2 % in 500 ml
Halb-E’lytlsg. (kann wiederholt werden), eine teilweise Entspannung der Krei-
ßenden erreicht werden. Damit und mit einer guten Atemtechnik kann häufig der
Circulus vitiosus „Spasmen-Angst-Schmerzen“ durchbrochen werden.
Analgetika
▶ Tab. 6.3.
288 6 Geburt
Pethidin (Dolantin®)
Neben Meptid® das in der Geburtshilfe gebräuchlichste Opiat. Bei einer guten An-
algesie und Spasmolyse haben alle Opiate NW wie Atemdepression und Sedie-
rung bei der Mutter und evtl. beim NG (schnelle Plazentapassage).
• D
osierung: Bei guter Wehentätigkeit wird Pethidin normalerweise bis zu ei-
ner Gesamtdosis von 100 mg i. m. injiziert (evtl. in 2 Fraktionen).
• N
W: Bis zu 1 h nach Applikation sind keine neg. Wirkungen beim NG zu be-
obachten. Bei längerem Zeitabstand (am stärksten bei der Gabe von Pethidin
2–3 h vor der Geburt) muss mit einer Atemdepression und einer neurologi-
schen Beeinträchtigung des NG gerechnet werden.
• A
ntidot: Naloxon (Narcanti® Neonatal) in einer Dosierung von 0,04 mg =
2 ml. Evtl. bei Gabe von Pethidin gleich aufziehen und im Kreißsaal oder am
NG-Reanimationsplatz bereitlegen und dem Kind bei Bedarf je 1 ml pro
Oberschenkel s. c. injizieren. Weitere Antidote: Naltrexon (Nemexin®),
Nalmefen (Revex®).
Meptazinol (Meptid®)
Opioid-Analgetikum. Fällt neben Tramadol nicht unter das BtM-Gesetz. HWZ
beträgt 2,3 h.
• D
osierung: alle 2–4 h im 1. Abschnitt der Geburt 100–150 mg Meptazinol
(= 1–1,5 Durchstechfl.), max. 2 mg/kg KG i. m. oder s. c., max. Tagesdosis
400 mg.
• N
W: Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, hypotensive Kreislaufreaktionen, Bra-
dykardie.
• A
ntidot: Naloxon (s. o.), Naltrexon (Nemexin®), Nalmefen (Revex®).
Pentazocin (Fortral®)
Morphinähnliche und -antagonistische Wirkungen, gut verträglich.
• D
osierung: 50 mg i. m., nach 3–4 h Wiederholung möglich.
• N
W: Sedierung der Mutter und Atemdepression des NG sind möglich, keine
6 Übelkeit oder Erbrechen.
• A
ntidot: Naloxon (s. o.), Naltrexon (Nemexin®), Nalmefen (Revex®).
Tramadol (Tramal®)
Vollsynthetisches Analgetikum mit morphinähnlicher Wirkung.
• D
osierung: 100 mg i. m. oder s. c., max. Tagesdosis 400 mg.
• N
W: Sedierung, häufig Übelkeit, Erbrechen. Nach hoher Dosis Krampfanfälle
möglich.
• A
ntidot: Naloxon weniger wirksam!
6.3.7 Lokalanästhesie
Akupunktur hat auch in der westlichen Welt einen hohen Stellenwert bei der
Behandlung verschiedenster Erkr. erreicht. Schwangerschaft und Geburt neh-
men dabei eine Sonderposition ein, da es mithilfe von Akupunktur möglich ist,
Beschwerdebilder der Schwangerschaft, Schmerzen unter der Geburt und Be-
findlichkeitsstörungen im Wochenbett zu behandeln, ohne unerwünschte
(Neben-)Wirkungen auf das Kind in Kauf nehmen zu müssen.
Die nachgewiesenen Effekte von Akupunktur bei der Anwendung am Pat. sind
allg. Natur. Sie lassen sich nicht organ- oder wirkortspezifisch auslösen. Die
drei wissenschaftlich bewiesenen und anerkannten Wirkungen sind: Schmerz-
linderung, eine milde Sedierung und eine entzündungshemmende Wirkung.
Die Wirkungen lassen sich über die Stimulation körpereigener Mechanismen
der Schmerzlinderung (deszendierende Schmerzhemmung) und Hormonfrei-
setzung (POMC → Endorphine, ACTH) nachweisen.
Voraussetzungen
Verwendung von Einmalnadeln (0,3 mm × 30 mm). Zur Vermeidung reaktiv hy-
potoner Zustände immer im Liegen nadeln. Umherlaufen bei Schmerzbehand-
lung unter der Geburt nach Vorerfahrung in einem Vorbereitungskurs möglich. 6
Durchführung
Alle geeigneten Muskelpunkte erreichen die gleiche Wirkqualität für Schmerz-
linderung und Entzündungshemmung. Sie unterscheiden sich allerdings in Be-
zug auf die Empfindsamkeit des einzelnen Pat. für den Akupunkturreiz. Die
Wirkintensität und Quantität der Empfindung ist individuell verschieden. Mus-
kelpunkte sind frei kombinierbar. Maßstab für die Zahl der zu nadelnden Areale
ist die Reaktion des Pat. Anwendungsgrundsätze sind: von der schwachen zur
starken Stimulation, Behandlungsbeginn im freien Intervall (z. B. Migräne). Bei
bestimmten Beschwerden (z. B. Asthma, Migräne) ist prim. Behandlungsziel ist
die Verlängerung der anfallsfreien Intervalle, nicht die Behandlung des akuten
Anfalls.
Akupunktur im Wochenbett
Schmerzen post partum bei Zustand nach Sectio oder Episiotomie
Nadelung: Du 20, Di 10, Ma 36 oder Di 4, je nach Intensität der Beschwerden 1 ×
tägl. bis zum endgültigen Verschwinden der Beschwerden.
Rückbildung
Die Unterstützung der Gebärmutterrückbildung durch Akupunktur ist ebenso
wenig nachweisbar wie eine Stärkung der gedehnten Beckenbodenmuskulatur.
Die v. a. während und nach dem Stillen auftretenden Rückbildungsschmerzen
können günstig beeinflusst werden.
Nadelung: zeitgleich mit dem Beginn des Stillens Du Mai 20 und Di 4, auch bds.
Unkomplizierte Pat. können ihr Kind auch mit Nadel in der Hand stillen.
Anregung der Milchbildung
Eine physiologisch nachweisbare Wirkung ist bisher nicht belegt. Bei verspannten
Müttern kann man ½ h vor dem Stillen durch Akupunktieren einerseits Entspan-
nung, andererseits auch Schmerzlinderung erreichen (s. Rückbildung).
Nadelung: Du Mai 20, Di 10, Häufigkeit nach Bedarf, gerne auch mit der Fre-
quenz des Stillens.
Milchstau
Der Milchstau selbst ist wie die Milchbildungsanregung nicht durch Akupunktur
beeinflussbar. Schmerzlinderung und Entspannung können jedoch sehr gut tun.
Nadelung: wie bei Anregung der Milchbildung.
Mastitis
Der bakterielle Hintergrund macht eine Antibiose unverzichtbar. Man kann je-
doch auch hier zur Schmerzlinderung und begleitenden Entzündungshemmung
nadeln.
Nadelung: Du Mai 20 und sicher Di 4, wenn notwendig auch beidseits. Kann gut
tägl. 2 × durchgeführt werden. 6
Schmerzen im Wochenbett
Für alle Schmerzen und Beschwerden, die mit Akupunktur behandelt oder mit
behandelt werden sollen, gilt, dass man eine saubere Diagn. durchgeführt haben
muss.
Nadelung: gemäß der allg. Anweisung Du Mai 20, von Di 10 über Ma 36 bis hin
zu Di 4, je nach Intensität der Beschwerden. Die Nadelungshäufigkeit richtet sich
nach dem Beschwerdebild.
6.4.1 Placenta praevia
Definition Einnistung der Frucht im Bereich des unteren Uterinsegments
(▶ Abb. 6.9).
Epidemiologie 0,4 % der Grav., v. a. bei Mehrlings- und Vielgebärenden und bei
schnell aufeinanderfolgenden Schwangerschaften, seltener bei Erstgebärenden.
Ätiologie
• M ehr- und Vielgebärende.
• S chädigungen des Endometriums (z. B. Endometritis, Uterusnarben nach
Sectio caesarea oder Uterus-OP [z. B. Myomenukleation], Z. n. Kürettage).
• S elten primäre Isthmusplazenta.
Einteilung
• P lacenta praevia totalis: innerer MM völlig von der Plazenta überdeckt
(30 %).
• P lacenta praevia partialis: Innerer MM wird von der Plazenta überragt (50 %).
• P lacenta praevia marginalis: Plazentarand reicht an den MM heran, klinisch
schlecht von tief sitzender Plazenta abzugrenzen (20 %).
Klinik
• L eitsymptom: Schmerzlose intermittierende oder konstante Blutung im letz-
ten Schwangerschaftsdrittel oder sub partu ohne ersichtliche Ursache (Blu-
tung beginnt stets vor dem Blasensprung, Blutungen nach Blasensprung sind
keine Placenta-praevia-Blutungen!).
• R isiken: Schwere Blutung, Inf. bis zur Sepsis, Luftembolie, fetale Asphyxie.
Kindliche Mortalität etwa 10 %, mütterliche Mortalität erhöht, bei Ausnut-
zung aller klinischen Möglichkeiten < 1 %.
Diagnostik
• K linische Untersuchung: unauffälliger äußerer Tastbefund (weicher Uterus,
häufig Hochstand des vorangehenden Teils), evtl. Schräglage, Querlage, BEL
(vermehrt). AZ der Pat. entspricht dem äußeren Blutverlust.
• V ag. Untersuchung: nach behutsamer Spekulumeinstellung in Sectio- und
Transfusionsbereitschaft Ausschluss anderweitiger Blutungsursachen (Karzi-
nom, Varizen, Ektopie; ▶ 6.4.5). Bei geöffnetem MM ggf. Plazentagewebe
sichtbar.
• M eist keine oder geringe Wehentätigkeit.
• C TG: kindliche Herztöne meist gut, path. Herztöne erst bei erheblicher Blu-
tung oder Ablösung.
• S ono: zur Sicherung der Verdachtsdiagn. sowie zur Bestimmung von Lage
und Größe des Fetus.
– P
lacenta praevia marginalis: Vag. Entbindung anstreben. Bei bereits ge-
öffnetem MM Blasensprengung und Oxytocin-Dauerinfusion in OP-Be-
reitschaft. CTG-Dauerüberwachung, falls notwendig op. Geburtsbeendi-
gung.
6.4.2 Vorzeitige Plazentalösung
Definition Teilweise oder vollständige Ablösung der normal sitzenden Plazenta
von ihrer Haftfläche vor oder unter der Geburt. Dadurch häufig Blutungen aus
mütterlichen und kindlichen Gefäßen (▶ Abb. 6.10).
Abb. 6.10 Vorzeitige partielle Plazentalösung ohne und mit Blutung ex cervice
[L157]
6
Epidemiologie Schwere Fälle 0,4 %, leichte Fälle 0,8 % aller Geburten. Rezidivra-
te bei nachfolgender Schwangerschaft um 5 %! Ältere Schwangere und Mehrgebä-
rende bevorzugt betroffen.
Ursachen 60 % ungeklärt, EPH-Gestose bei etwa 30 %, Rest mechanische Ursa-
chen (z. B. Sturz, Stoß in den Unterbauch, äußere Wendung aus BEL, zu kurze
Nabelschnur).
Klinik
• L eitsymptom: heftiger, plötzlich auftretender Unterbauchschmerz.
• A llg. Unwohlsein mit Angst, Schwindel, Atemnot, Ohnmacht, Schocksymp-
tomatik mit Blutdruckabfall und Pulserhöhung (▶ 3.5).
• In 75 % der Fälle Blutung ex utero, selten starke Blutungen, zunächst Blutung
in den Uterus hinein.
• E vtl. Verbrauchskoagulopathie (Fibrinogen < 100 mg %, Thrombos
< 100.000/mm3).
6.4 Blutungen sub partu 295
Einteilung
• G
rad 0: keine Klinik, die Diagn. wird erst p. p. gestellt, kindliche Mortali-
tät leicht erhöht.
• G
rad I: mäßige vag. Blutung, mit oder ohne leichten Tetanus uteri, kindli-
che Mortalität deutlich erhöht.
• G
rad II: stärkere Blutung, schmerzhafter Tetanus uteri, Koagulopathie,
fehlender Schock. Häufig bereits intrauteriner Fruchttod.
• G
rad III: deutlicher Tetanus uteri, Koagulopathie, hämorrhagischer
Schock, schmerzhaftes Abdomen, Kind abgestorben.
Diagnostik
! V ag. Untersuchung nur in Sectiobereitschaft.
• K linische Untersuchung: druckempfindlicher, auffallend gespannter Uterus.
• C TG: fetale Hypoxiezeichen (▶ 6.1.1).
• S ono: retroplazentares Hämatom evtl. ohne Blutung nach außen (bei Hinter-
wandplazenta schwieriger nachweisbar). In seltenen Fällen Blutung in die
Uterusmuskulatur (Couvelaire-Sy.).
Therapie
• Intensivüberwachung: CTG, Puls, RR, Ein-, Ausfuhrkontrollen.
• A nlegen mehrerer peripherer Zugänge, Gabe von Plasmaexpander, evtl.
Schockbekämpfung (▶ 3.5), Bereitstellen von EK.
• L abor: kleines BB, Thrombos, E‘lyte, Gerinnung, Fibrinogen, Krea.
• S ofortige Sectio caesarea, wenn das Kind lebt und Überlebenschancen beste-
hen.
• B ei totem Kind oder fehlender Überlebenschance für das Kind: Vag. Entbin-
dung anstreben (Eröffnung der Fruchtblase, Oxytocin-Dauertropfinfusion,
▶ 6.13). Mütterliche Mortalität durch Schock und DIC erhöht.
Bei lebensbedrohlicher Blutung und wenig eröffnetem MM Sectio caesarea 6
auch bei bereits abgestorbenem Kind indiziert.
6.4.3 Insertio velamentosa
Definition Nabelschnur inseriert ent-
fernt vom Rand der Plazenta zwischen
den Eihäuten. Wird beim Blasensprung
oder der Amniotomie ein größeres Ge-
fäß aufgerissen, verblutet der Fetus. Die
Kompression eines großen, frei verlau-
fenden Gefäßes kann zum fetalen Sau-
erstoffmangel führen (▶ Abb. 6.11).
Epidemiologie Häufigkeit 1 %, deut-
lich erhöhte fetale Fehlbildungsrate.
6.4.4 Randsinusblutung
Definition Blutung sub partu (durch Zerreißen des Sinus circularis placentae),
die auch bei normal sitzenden Plazenten vorkommt.
Epidemiologie 1 % aller Schwangerschaften.
Klinik Diskontinuierliche, leichtere schmerz- und wehenfreie Blutung.
Diagnostik Ausschluss einer ernsteren Blutungsursache wie Placenta praevia,
6 vorzeitige Plazentalösung, Insertio velamentosa (▶ 6.4.1, ▶ 6.4.2, ▶ 6.4.3) bzw. ei-
ner sonstigen Blutungsquelle (▶ 6.4.5).
Therapie Abwartende Haltung unter klinischen Bedingungen i. d. R. gerechtfer-
tigt, vag. Entbindung in Terminnähe häufig möglich. Intensivüberwachung: CTG,
Puls, RR, Ein- und Ausfuhrkontrolle.
6.4.5 Sonstige Blutungsursachen
Sonstige Blutungsursachen sind: Uterusruptur (▶ 6.9) oder schwangerschaftsun-
abhängig Zervix-Ca (▶ 13.8), MM-Polyp (▶ 13.3.4), Portioerosion (▶ 13.3.1) oder
variköse Blutungen.
Jede stärkere Blutung sub partu bzw. jede Blutung in der Spätschwanger-
schaft ist pathologisch und muss abgeklärt werden.
6.5 Lageanomalien 297
6.5 Lageanomalien
6.5.1 Beckenendlage (BEL)
Epidemiologie
Bei 5 % aller Geburten befindet sich das Kind bei Geburtsbeginn in BEL.
Einteilung
▶ Abb. 6.12
• R eine Steißlage: am häufigsten, Hüftumfang etwa 27 cm.
• S teiß-Fußlage: selten, Hüftumfang etwa 32 cm.
• F uß- oder Knielage: vollkommen oder unvollkommen, Rumpfumfang et-
wa 24 cm.
Vollkommene Unvollkommene
Reine Steißlage Steiß-Fußlage
Fußlage Fußlage
Risiken
Fetales Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko
Bereits vor 30 J. wurde die Empfehlung zur prim. Sectio caesarea bei BEL gegeben.
Grundlage dafür waren die Ergebnisse der multizentrischen „Term Breech Trial“-
Studie, die eine signifikante Verminderung der Neugeborenenletalität und -mor-
bidität (Sectio 1,6 % vs. vag. 5,0 %) bei unwesentlich erhöhter Komplikationsrate
für die Mutter im Falle einer Sectio caesarea erbrachte. In den Nachuntersuchun-
gen fanden sich allerdings in den Fällen der geburtsbedingten respiratorischen
Azidosen kaum erhöhte Langzeitmorbiditäten oder Entwicklungsdefizite. Nach
neueren Untersuchungen wird die Sectio als der sicherere Weg für das NG be-
schrieben. Als wesentlicher Faktor für die Reduzierung der Geburtsrisiken wird
die Erfahrung und Spezialisierung der Geburtsklinik angesehen. Die Sectiofre-
quenz bei BEL liegt derzeit bei ca. 90 %.
298 6 Geburt
Geburtshilfliche Risiken
• S teiß bzw. Füße sind als Dilatator des Geburtskanals weniger geeignet als der
unnachgiebige und im Umfang größere Schädel.
• D urch den nachfolgenden Kopf wird von einem bestimmten Zeitpunkt an die
Nabelschnur komprimiert → Einschränkung der fetalen Sauerstoffversorgung
→ innerhalb von 20–60 Sek. Entwicklung des kindlichen Kopfes.
• D er Kopf muss gegen erhöhten Widerstand durch Geburtskanal entwickelt
werden → erhebliche Druck- und Zugbelastung auf Kopf, Wirbelsäule und
Hals (häufiger neurologisch auffällige Kinder als nach Schnittentbindung!).
• M it zunehmender Unreife des Kindes erhöhen sich bei vag. Entbindung die
fetale Mortalität und Morbidität.
Diagnostik
1. Leopold-Handgriff
Ballottement des großen, kugeligen und harten Kopfes im Fundus (▶ Abb. 5.2).
3. Leopold-Handgriff
Weicher vorangehender Teil über Beckeneingang (▶ Abb. 5.2).
Auskultation
Herztöne in Nabelhöhe oder darüber am besten hörbar.
Vaginale Untersuchung
Fehlen der gleichmäßigen Härte, der Schädelnähte und der Fontanellen.
• K ennzeichen der Steißlage: Cristae sacrales medianae.
• K ennzeichen der Fußlage: Fersenzeichen (winkliger Übergang von Unter-
schenkel zum Fuß), Zehenzeichen (Zehen sind gleich lang, kürzer als die Fin-
ger; Zehen stehen in Reihe, Daumen im Gegensatz zur Großzehe in oppo-
nierter Stellung).
• K ennzeichen der seltenen Knielage: bewegliche Patella.
6 Am Termin besteht in 70 % der Fälle eine reine Steißlage, in ca. 20 % eine Steiß-
Fußlage. Eine reine Fußlage entwickelt sich bei 10 % aus einer Steiß-Fußlage,
Diagn. intra partum nach Blasensprung.
Sonografie
Beweisend ▶ 22.2.4!
Geburtshilfliches Management
Für eine vag. Entbindung müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:
• Z u erwartendes Geburtsgewicht < 3.500 g.
• A usschluss einer schweren Fehlbildung durch sorgfältige Sono (erhöhte Fehl-
bildungsrate bei BEL; ▶ 22.2.4).
• A usschluss eines Missverhältnisses durch sonografische Bestimmung von
mind. zwei Schädelmaßen und dem Thoraxdurchmesser. Cave: Alle Metho-
den zur Beurteilung des mütterlichen Beckens sind ungenau; in der Literatur
ist keine eindeutige Überlegenheit radiologischer oder klinischer Methoden
beschrieben (▶ 22.2.4).
• H yperextension des Kopfes sonografisch (ggf. radiologisch) auszuschließen.
6.5 Lageanomalien 299
• Ist mit einer langwierigen vag. Geburt zu rechnen (z. B. hoch stehender Steiß
bei unreifer Zervix, mangelhaftes Tiefertreten des Steißes, vorzeitiger Blasen-
sprung o. Ä.), ist die sek. Sectio großzügig zu indizieren.
Geburtsleitung
• A ufklärung der Pat. über die vorgenannten Risiken.
• S tändige Narkose- und Sectiobereitschaft, Reanimationsbereitschaft für Kind.
• V enöser Zugang mit Dauertropfinfusion einer Basis-Lsg., z. B. Ringer.
• E xterne CTG-Dauerüberwachung unter Erhaltung der Fruchtblase in der Er-
öffnungsperiode, nach Blasensprung möglichst interne CTG-Überwachung.
• E ntleerung der Harnblase der Mutter kurz vor der Geburt durch Einmalka-
theterismus.
• A usreichende Analgesie (z. B. PDA ▶ 6.3.3).
• S yntocinon®-Tropf in der Austreibungsperiode, um das Kind rasch entwi-
ckeln zu können (▶ 6.13, ▶ 8.3).
• Z urückhalten des Steißes, bis das Kind in einer Wehe entwickelt werden kann.
In 90 % der Fälle ist die Geburt ohne zusätzliche Traktion oder Torsion möglich.
• O bligat ist eine großzügige Episiotomie (▶ 7.1).
• E ntwicklung des Kindes nach Bracht unter gleichzeitigem Druck von oben
(durch Hilfsperson; ▶ 7.3.1).
• F alls erforderlich, Lösung der Arme oder Kopfentwicklung nach Veit-Smellie
(▶ 7.3.2; ▶ 7.3.3).
• Ind. zur sek. Sectio bei Auftreten von KO auch in der Austreibungsperiode
großzügig stellen.
Indikationen zur primären Sectio bei Beckenendlage
• B eckenanomalie bzw. verengtes Becken.
• N abelschnurvorfall.
• P lacenta praevia.
• K indliche Hypertrophie ≥ 3.800 g. 6
• P rämaturität vor der 28. SSW.
• R eine Fußlage.
• D ysproportion (KU >> AU).
• Z ervikale Unreife und vorzeitiger Blasensprung.
• Z usatzrisiken wie Diab. mell., path. CTG, Plazentainsuff., fetale Dystrophie,
schwere fetale Fehlbildungen.
Äußere Wendung
In manchen Zentren wird bei BEL oder Querlage (▶ 6.5.2) die äußere Wendung
versucht. Die Erfolgsrate liegt bei etwa 50 %.
Die äußere Wendung kann ab 36+0 SSW erfolgen. Ein Aufklärungsgespräch sollte
wenigstens einen Tag vor dem Eingriff durchgeführt werden. Eine Anästhesie ist
nicht indiziert. Dabei sollte die Möglichkeit einer notfallmäßig durchzuführenden
Sectio caesarea sichergestellt sein. Eine Tokolyse ist nicht zwingend erforderlich.
Falls erforderlich Anti-D-Prophylaxe.
Kontraindikationen für die äußere Wendung sind:
• V orzeitiger Blasensprung.
• V ag. Blutung unklarer Genese.
• P lacenta praevia.
300 6 Geburt
Durchführung
Unter CTG-Kontrolle und in Sectiobe-
reitschaft wird der kindliche Steiß aus 2
dem Becken gedrückt (▶ Abb. 6.13,
Pfeil 1) und dann das Kind mit sanften,
schiebenden Bewegungen im Sinne ei-
nes „Purzelbaums“ intrauterin gedreht
(▶ Abb. 6.13, Pfeile 2 und 3).
Risiken 1
Vorzeitige Plazentalösung, Nabelschnur-
kompression und vorzeitiger Blasen- 3
sprung.
Abb. 6.13 Äußere Wendung [L157]
6.5.2 Querlage
Epidemiologie Körperhauptachse des Kindes bildet einen rechten Winkel mit
der Führungslinie des Geburtskanals. Häufigkeit: 0,7 % aller Geburten.
Ursachen Abnorm große Bewegungsmöglichkeit des Kindes wie Frühgeburt,
kleines Kind, Polyhydramnion, schlaffe Uteruswand und Bauchdecken bei Viel-
gebärenden oder Hindernisse für die normale Einstellung wie Beckenverengun-
gen, Uterusanomalien, Mehrlinge oder Placenta praevia.
Geburtshilfliche Risiken
• U nbehandelt kommt es nach Blasensprung zum Armvorfall, Einkeilen der
Schulter, Abknicken der Frucht (verschleppte Querlage).
• B ei Zunahme der Wehentätigkeit drohen Dauerkontraktionen und Uterus-
ruptur.
• D as Kind ist beim Blasensprung häufig durch einen Nabelschnurvorfall ge-
fährdet.
6 Diagnostik
• K linische Untersuchung: Fundus-
stand niedriger als erwartet, quer-
ovaler Uterus.
• L eopold-Handgriffe: kindlicher
Kopf li oder re zu palpieren.
• A uskultation: kindliche Herztöne
in der Nabelregion.
• V ag. Untersuchung: Kleines Becken
ist leer.
• S ono beweisend, Ausschluss einer
Placenta praevia!
Therapie
• Jede Querlage ist eine gebärunfähi-
ge Lage. Hospitalisierung bzw. Sec-
tioentbindung nach vollendeter
37.–38. SSW. Abb. 6.14 Verschleppte Querlage nach
• E vtl. äußere Wendung ab 36+0 Blasensprung mit Armvorfall, Abkni-
cken der Frucht und Einkeilen der Schul-
SSW (s. o.). ter [L157]
6.5 Lageanomalien 301
6.5.3 Regelwidrige Schädellagen
Definition
Bei einem kleinen Teil der Schädellagen bleibt die Beugebewegung (Flexion) des
kindlichen Kopfes aus (Haltungsanomalie). Alle Deflexionslagen verlaufen mit
nach hinten gerichtetem Rücken (Stellungsanomalie) (▶ Abb. 6.15).
32 34 35–36 34 6
Durchtrittsplanum in cm
Abb. 6.15 Flexions- und Deflexionshaltungen des Kopfes bei Eintritt ins Becken
[L157]
Vorderhauptslage (VHL)
Geringster Grad einer Streckhaltung des Kopfes. Das Durchtrittsplanum hat ei-
nen Umfang von 34 cm (bei regelrechter HHL 32 cm). Hieraus resultiert bei reifen
Kindern ein auffallend verzögerter Geburtsverlauf!
Diagnostik Bei vag. Untersuchung große Fontanelle in der Führungslinie. I.d.R.
dorsoposteriore Einstellung (kleine Fontanelle schwer zu erreichen, meistens li
oder re hinten zu tasten).
Therapie Solange es Mutter und Kind gut geht, stets konservatives Vorgehen:
• L agerung auf Seite des Hinterhaupts. Dreht sich das Hinterhaupt hierunter
nicht nach vorne, Lagerung auf der entgegengesetzten Seite.
• G roßzügige Episiotomie wegen starker Überdehnung des Damms (▶ 7.1).
• F orzepsentbindung vermeiden (Gefahr tief gehender Weichteilrisse!), bei
dringlicher Ind. (z. B. path. CTG) eher Vakuumextraktion (▶ 7.2.2).
302 6 Geburt
Stirnlage
Nach VHL nächsthöherer Grad der Streckhaltung. Aufgrund des größten Um-
fangs des Durchtrittsplanums von 35–36 cm ungünstigste aller Schädellagen.
Diagnostik Leitstelle Stirn (große Fontanelle, Augenbrauen, Nasenwurzel tast-
bar; ist das Kinn erreichbar, liegt eine Gesichtslage vor).
Therapie
• G eburtsbeendigung i. d. R. nur durch Sectio caesarea möglich.
• S pontanpartus nur bei sehr kleinem Köpfen oder sehr geräumigem Becken
(cave: nasoposteriore Stirnlage!).
! F orzepsentbindung wegen extrem schlechter Prognose obsolet.
Gesichtslage
Stärkster Grad der Streckhaltung des Kopfes. Umfang der Durchtrittsebene 34 cm.
Diagnostik Hinterhaupt oberhalb der Symphyse von außen gut tastbar, Herztö-
ne auf der Seite der kleinen Teile. Kinn, Mund, Nase, Augenbrauen bei der vag.
Untersuchung tastbar.
Therapie
• L agerung auf der Seite des Kinns.
• T ritt zu Geburtsbeginn ein Grund
zur Geburtsbeendigung auf → groß-
zügige Sectio-Ind.
• G roßzügige Episiotomie wegen
starker Überdehnung des Damms
(▶ 7.1).
• K eine Forzepsentbindung aus Be-
ckenmitte, sondern sek. Sectio cae-
sarea.
Formen
• H oher Gradstand.
• T iefer Querstand.
• D orsoposteriore Einstellung.
• H intere Scheitelbeineinstellung.
6.5 Lageanomalien 303
Hoher Gradstand
Diagnostik Der kindliche Kopf ist mit gerader Pfeilnaht dem Beckeneingang
aufgepresst, die kleine Fontanelle ist häufig hinten zu tasten (dorsoposteriore Ein-
stellung). Von außen tastet sich der Kopf auffallend schmal an, evtl. ist der 5. Leo-
pold-Handgriff (Zangemeister) pos. (▶ Abb. 5.2).
Therapie Sectio, falls bei guter Wehentätigkeit unter Wechsellagerung nach Bla-
sensprung Befundpersistenz, bei ungünstigen Tatbeständen (grünes FW, drohen-
de Uterusruptur etc.) oder path. CTG.
Tiefer Querstand
Querstehende Pfeilnaht im Beckenausgang. Ursache ist häufig eine sek. Wehen-
schwäche.
Epidemiologie Etwa 1,7 % der Schädellagengeburten.
Diagnostik Pfeilnaht des auf dem Beckenboden stehenden Kopfes verläuft quer
bei gleichzeitiger Verzögerung der Geburt. Aufgrund einer leichten Streckhaltung
häufig beide Fontanellen zu tasten. Die Spinae können nicht mehr erreicht wer-
den, da der Kopf auf dem Beckenboden steht.
Anhand der Stellung der kleinen Fontanelle unterscheidet man den I. (re, ▶ Abb.
6.17a) und den II. (li, ▶ Abb. 6.17b) Querstand.
Therapie Lagerung auf Seite des Hinterhaupts, ggf. Unterstützung der Wehentä-
tigkeit (▶ 6.13), persistiert der Befund länger als 30 Min. vag.-op. Entbindung
(Vakuumextraktion ▶ 7.2.2).
a b
Dorsoposteriore Einstellung
Der kindliche Rücken ist dabei nach hinten gerichtet, die kleine Fontanelle kreuz-
beinwärts gerichtet. Häufig mit einer Haltungsanomalie einhergehend (Vorder-
hauptslage, Stirnlage, Gesichtslage ▶ 6.5.3).
Hintere Hinterhauptslage
Keine Vergrößerung des Durchtrittsplanums, Austreibungsperiode dennoch auf-
grund der wesentlich stärkeren Reibung zwischen Geburtskanal und kindlichem
304 6 Geburt
Kopf erheblich verlängert. Ther.: Lagerung auf Seiten des Hinterhaupts, evtl. Oxy-
tocin-Tropf. Bei Erfolglosigkeit Lagerung auf die kontralaterale Seite. Tritt der
Kopf nicht tiefer, ggf. Sectioentbindung.
Hintere Vorderhauptslage
Deutliche Vergrößerung des Durchtrittsplanums, Austreibungsperiode dadurch
erheblich verlängert. Ther.: Lagerung auf Seiten des Hinterhaupts, evtl. Wechsel-
lagerung. Tritt der Kopf nicht tiefer, ggf. Sectioentbindung.
Hintere Scheitelbeineinstellung (selten)
Versuch der Anpassung des kindlichen Kopfes an den relativ engen Beckenein-
gang durch Übereinanderschieben der Scheitelbeine. Der hintere Rand des Schei-
telbeins stößt hierbei an den Hinterrand der Symphyse (als Stufe tastbar), die
nachfolgende hintere Schulter sitzt dem Promontorium auf, der Kopf weicht nach
vorne ab und überragt die Symphyse (5. Leopold-Handgriff pos. ▶ Abb. 5.2). Ge-
burtsunmögliche Einstellung (▶ Abb. 6.18). Ther.: Sectio caesarea.
6 a b
6.6 Geburtsstillstand
Verstärkter vorderer Asynklitismus Verstärkter hinterer Asynklitismus
6.6.1 In der Eröffnungsperiode
= =
verstärkte Naegel-Obliquität verstärkte Litzmann-Obliquität
Ein Geburtsstillstand in der Eröffnungsperiode über oder im Beckeneingang
bei ausreichender Wehentätigkeit bedeutet stets ein Geburtshindernis.
Ursachen
• G
ebärunfähige Lagen: Querlage, hoher Gradstand, nasoposteriore Stirnlage,
mentoposteriore Gesichtslage, hintere Scheitelbeineinstellung (▶ 6.5.2, ▶ 6.5.3).
6.7 Vorzeitiger Blasensprung 305
Ursachen
• S ek. Wehenschwäche: häufig! Ermüdung der Uterusmuskulatur.
• R egelwidrigkeiten der Kopfeinstellung oder -haltung wie tiefer Querstand,
Deflexionslagen (▶ 6.5.3, ▶ 6.5.4).
• W eichteilwiderstände: rigider Bandapparat oder Damm.
• K nochenwiderstände: vorspringendes Steißbein, verengter Beckenausgang.
Therapie
• L ückenlose CTG-Überwachung, bei V. a. fetale Hypoxie, Fetalblutanalysen
(▶ 6.1.5).
• V ag.-op. Geburtsbeendung (▶ 7.2) bei:
– Kopf steht länger als 1 h auf dem Beckenboden.
– Kopf rückt bei guter Wehentätigkeit nicht weiter.
– Bei Wehenschwäche bleibt Ther. mit Wehenmitteln erfolglos (▶ 6.13).
– Anzeichen einer fetalen Hypoxie (path. CTG oder MBU; ▶ 6.1.1, ▶ 6.1.5). 6
6.7 Vorzeitiger Blasensprung
Definition
Blasensprung mit FW-Abgang vor Beginn der Eröffnungswehen.
Epidemiologie
Bei etwa 5 % der Geburten mehr als 12 h, in etwa 12 % der Geburten weniger als
12 h vor Beginn der Wehentätigkeit. In bis zu 30 % der Fälle liegt das Geburtsge-
wicht < 2.500 g, oder es besteht eine Schwangerschaft vor der 37. SSW.
Ursache
Vorzeitige Wehentätigkeit, vorzeitige Zervixreifung, Polyhydramnion, Mehr-
lingsschwangerschaften, Inf. (bakterielle Vaginose, aszendierende Inf. ▶ 9.6), lie-
gende Zerklage, iatrogen (forcierte Untersuchung, Amniozentese, Amnioskopie).
306 6 Geburt
Diagnostik
• S ono: Kontrolle der FW-Menge (▶ 22.2).
• V ag. Untersuchung: Spiegeleinstellung des MM.
• L ackmusprobe: Blauverfärbung des roten Lackmuspapiers zeigt Abgang des
alkalischen FW an.
• E vtl. Bromthymol-Test: Blaufärbung des FW.
• E vtl. AMNICHECK: Insulin-like-Growth-Factor-binding-Protein-Test.
Cave: teuer.
• E vtl. Nachweis von Fibronektin (z. B. ROM-Check® Test).
• E vtl. Mikroskopie: Nachweis von Lanugohaaren, Vernixflocken, Hautschup-
pen oder Mekonium.
• E vtl. Amnioskopie unter möglichst sterilen Bedingungen als sicherste Nach-
weismethode (fast einzige Ind.).
• In Ausnahmefällen z. B. früher Schwangerschaftsmon. zur Diagn. transabdo-
minale Injektion von Indigokarmin in das FW (▶ 4.2.5).
Die kindliche oder mütterliche Inf. ist die gefährlichste KO beim vorzeitigen
Blasensprung. Innerhalb von 24 h nach vorzeitigem Blasensprung weisen bis
zu 4 % der Kinder eine Inf. auf. Diese Zahl steigt innerhalb von 48 h bis auf
etwa 20 % an. Erreger sind hierbei vor allem E. coli, β-hämolysierende Strept.,
Staph. sowie Str. faecalis. Bei hoch stehendem Kopf Gefahr des Nabelschnur-
vorfalls. Pat. sofort hinlegen lassen, bis zur vag. Untersuchung am besten mit
leichter Beckenhochlagerung.
In Terminnähe ist bei reifer Zervix eine zügige Entbindung anzustreben. Bei kind-
licher Unreife kann ein abwartendes Verhalten mit Induktion der fetalen Lungen-
reifung (RDS-Prophylaxe), u. U. unter Antibiotikaschutz, erforderlich sein. Bei
klinischen Zeichen für ein Amnioninfektsy. (mütterlicher Temperaturanstieg,
Leukozytose, CRP-Anstieg, Linksverschiebung im Differenzial-BB und fetale Ta-
6 chykardie) Schwangerschaft beenden.
• ruckschmerzhafter Uterus.
D
• unehmende Wehen.
Z
• bel riechendes FW.
Ü
• eukozytose (≥ 15.000/μl).
L
• RP-Erhöhung.
C
Antibiotikaprophylaxe
Bei vorzeitigem Blasensprung reduziert die prophylaktische Gabe von Mezlocil-
lin, Piperacillin, Clindamycin, Ampicillin oder Erythromycin die maternale und
fetale Morbidität und kann die Schwangerschaftsdauer verlängern. Generell in der
34+0 bis 37+0 SSW z. B. Ampicillin 2 g oder Cefotaxim 2 g (z. B.Claforan®) alle 8 h.
Bei Streptokkokennachweis Penicillin G 10 Mio. IE initial und 2,5–3 Mio. IE alle
4 h i. v.
Blasensprung < 20+0 SSW
Kein Anhalt für AIS:
• A bwarten unter Bettruhe nach Absprache mit der Schwangeren möglich.
• C RP-Kontrollen alle 6–24 h.
• R egelmäßige Kontrolle von FW-Menge und Vitalität des Kindes.
• B ei persistierendem Oligo-/Anhydramnion Aufklärung über schlechte Prog-
nose des Kindes (Lungenhypoplasie etc.) und ggf. Beendigung der Schwan-
gerschaft.
• E vtl. antibiotische Ther. (s. o.).
Bei Anhalt für AIS Abortinduktion mit Prepidil® und Cergem® (▶ 5.19).
Blasensprung ≥ 20+0 bis < 24+0 SSW
Kein Anhalt für AIS:
• A bwarten unter Bettruhe nach Absprache mit der Schwangeren möglich.
• G gf. antibiotische Ther.
• C RP-Kontrollen alle 6–24 h.
• R egelmäßige Kontrolle von FW-Menge und Vitalität des Kindes. 6
• B ei Erreichen 24+0 SSW Vorgehen wie oben.
• E vtl. antibiotische Ther. (s. o.).
Manifestes AIS ≥ 23+0 SSW: Entbindung anstreben.
Blasensprung ≥ 24+0 bis < 34+0 SSW
Kein Anhalt für AIS:
• A bwarten unter Bettruhe, Antibiotikagabe, Tokolyse und Lungenreifeinduk-
tion.
• C RP-Kontrollen alle 6–24 h.
• C TG (alle 12 h).
• R egelmäßiger Ultraschall/Doppler.
• B ei Erreichen von 34+0 SSW aktive Beendigung der Schwangerschaft nach
12–24 h (wenn kein spontaner Wehenbeginn).
• A ntibiotische Ther. wie oben.
• T okolyse (▶ 5.10.1).
• R DS Prophylaxe (s. o.).
Manifestes AIS: zügige Entbindung unter antibiotischer Ther. (s. o.).
308 6 Geburt
6 6.8 Vorfälle
6.8.1 Nabelschnurvorfall
Definition Vorfall der Nabelschnur
nach Blasensprung vor den führenden
Teil in die Vagina oder vor die Vulva
(▶ Abb. 6.19).
Epidemiologie 0,5 % aller Geburten,
am häufigsten bei Querlagen und Fuß-
lagen, Gemini, seltener bei Steiß- und
Schädellagen.
Klinik Plötzlicher Herztonabfall nach
Sprung der Fruchtblase. KO: drohende
intrauterine Asphyxie durch Nabel-
schnurkompression, v. a. bei Schädella-
gen.
Diagnostik Unmittelbare vag. Unter-
suchung (pulsierende Nabelschnur). Abb. 6.19 Nabelschnurvorfall [L157]
6.9 Uterusruptur 309
Einteilung
• V
orliegen eines Arms: Bei stehender Fruchtblase liegt der Arm vor dem
vorausgehenden Kopf.
• U
nvollkommener Armvorfall: Vorfall einer Hand bei gesprungener Blase.
• V
ollkommener Armvorfall: Hand und Teile des Unterarms liegen bei ge-
sprungener Fruchtblase tiefer als der vorausgehende Teil.
6.9 Uterusruptur
Ursache
• Ü
berdehnung der Uteruswand: Geburtsunmögliche Lage oder Einstellung
des Kindes, Missverhältnis zwischen Kopf und Becken, Hydrozephalus, Über-
dosierung von Wehenmitteln.
• W
andschädigung: St.n. Sectio, Myomenukleationen o. Ä.
• G
eburtshilfliche Eingriffe: Wendungsoperationen, traumatische Entwicklung
bei Schulterdystokie.
310 6 Geburt
Klinik
• V or der Ruptur
– Zunahme der Wehentätigkeit bis zum Wehensturm, Geburtsstillstand.
– Überdehnung und Schmerzhaftigkeit des unteren Uterinsegments (supra-
symphysär).
– Hochsteigen der Bandl-Furche: Obere Grenze des unteren Uterinseg-
ments in Nabelhöhe und darüber.
– Unruhe der Gebärenden.
• E rfolgte Ruptur
– Schlagartiges Sistieren der Wehentätigkeit (Austritt des Kindes aus dem
Uterus in die freie Bauchhöhle).
– Rupturschmerz, starke abdominale Abwehrspannung.
– Kollaps und Blässe als Folge der schweren inneren Blutung, Unruhe, zu-
nehmende Atemnot.
– Aufhören der kindlichen Herztöne und Kindsbewegungen.
– Meist vag. Blutung.
• S tille Ruptur
– Symptomarm, v. a. Narbenrupturen.
– Eine suprasymphysäre Druckschmerzhaftigkeit sub partu bei Z. n. Sectio
caesarea und weiteren prognostisch ungünstigen geburtshilflichen Para-
metern (Geburtsstillstand, protrahierte Eröffnungsperiode, hoher Stand
des Kopfes) können auf eine bereits erfolgte Ruptur hinweisen.
Jeder unklare Schockzustand intra- und post partum ist verdächtig auf eine
Uterusruptur.
Diagnostik
• A namnese des Geburtsverlaufs und der Geburtsrisiken.
• S chmerzen und Kollaps (Pulsanstieg, RR-Abfall, zunächst konstanter Hb,
6 dann Hb-Abfall bei akuter Blutung; ▶ 3.5.1).
• V ag. Untersuchung: Der vorausgehende Teil ist dem Beckeneingang aufge-
presst, große Geburtsgeschwulst, MM nicht vollständig eröffnet, dick-wulsti-
ge MM-Ränder.
• G gf. CTG-Alterationen mit Anstieg des Basaltonus.
Therapie
• I. v. Tokolyse, z. B. Fenoterol (Partusisten®).
• U mgehende Laparotomie auch bei bereits abgestorbenem Kind.
• B ei kompletter Ruptur ggf. totale Uterusexstirpation.
6.10 Fetale Azidose
Ursachen
• P räplazentar: path. Uteruskontraktionen, Vena-cava-Kompressionssy., Blu-
tungen, z. B. Placenta-praevia-Blutung (▶ 6.4.1), starke iatrogene RR-Senkung
(▶ 6.8.1), schwere mütterliche Anämie oder Herzinsuff., orthostatische Dys-
regulation.
6.10 Fetale Azidose 311
• P lazentar: path. Prozesse in der Plazenta, die mit einer Verminderung der
plazentaren Austauschfläche oder einer erschwerten Permeabilität einherge-
hen, wie Plazentainsuff. (▶ 16.12), vorzeitige Plazentalösung (▶ 6.4.2), SIH
(▶ 6.8.1), Übertragung (▶ 6.17), mütterlicher Diab. mell. (▶ 3.4).
• ostplazentar: hauptsächlich KO der Nabelschnur wie Vorliegen oder Vor-
P
fall der Nabelschnur (▶ 6.8.1), Nabelschnurumschlingung, Nabelschnurkno-
ten, intrauterine fetale Erkr., z. B. an Herz oder Gefäßen.
Diagnostik
Externes oder internes CTG (▶ 6.1.1), MBU (▶ 6.1.5), fetale Pulsoxymetrie.
Therapie
• B eckenhochlagerung, O2-Gabe.
• Intrauterine Reanimation: Notfalltokolyse: 1 ml Partusisten intrapartal® ver-
dünnt mit 4 ml NaCl, 2,5–5 ml langsam i. v. (2 ml/Min.). Einmalige Wieder-
holung möglich, ggf. anschließende kurzfristige kontinuierliche Infusion bis
4 μg/Min. Partusisten® möglich.
• eburtsbeendigung: je nach geburtshilflicher Situation, Ursachen der fetalen
G
Notsituation und jeweils zusätzlicher Parameter wie MBU und ggf. fetaler
Pulsoxymetrie.
Notsectio
Nach 15- bis 20-minütiger schwerer Azidose steigt das Risiko eines perinatal ver-
ursachten kindlichen Hirnschadens auf etwa 50 % an. Der Zeitbedarf für eine
Notsectio ist definiert als das Intervall zwischen Indikationsstellung und Geburt
des Kindes (Entschluss-Entwicklungszeit = E-E-Zeit) und sollte nach einer Stel-
lungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe 20 Min.
nicht überschreiten. In diesem Zeitrahmen sind nach Erkennung der fetalen Not-
situation und Entschluss zur Sectioentbindung folgende Maßnahmen erforderlich:
• Intrauterine Reanimation (s. o.). 6
• Informieren von Oberarzt, Anästhesist, OP-Personal, evtl. Pädiater.
• A ufklärung der Pat. und ggf. schriftliche Einwilligung zur OP.
• O P-Vorbereitung mit Blutentnahme und venösem Zugang.
• W aschen und Umkleiden des OP-Teams.
• T ransport der Pat. zum OP-Saal.
• E vtl. vag. Entbindungsversuch in OP-Bereitschaft.
• D esinfektion des Bauchs der Pat.
• N arkoseeinleitung.
• S ectio und Entwicklung des Kindes.
Auch die NG-Versorgung im unmittelbaren Anschluss an die Geburt orga-
nisieren!
• N
eurologische Symptome wie Krämpfe, Koma und Hypotonie.
• M
ultiorganversagen (laborchem. Nachweis!).
6.11 Fetale Fehlbildungen
▶ 9.7.
6.11.1 Hydrozephalus
Diagnostik
• S ono: Bestimmung des biparietalen Durchmessers sowie der Ventrikeldurch-
messer. Bei Ventrikelerweiterungen Ausschluss weiterer begleitender Fehlbil-
dungen wie Spaltbildungen der Wirbelsäule (▶ 22.2).
• V ag. Untersuchung: klaffende Nähte, weite Fontanellen, dünne weiche Schä-
delknochen, Pergamentknistern, abnorme Beweglichkeit der Knochenränder.
Geburtsleitung Prim. Sectio.
6.11.2 Anenzephalus
6.11.3 Steißteratome
Definition Am Beckenende des Kindes sitzende, dreikeimblättrige Fehlbildung,
die i. d. R. ein Geburtshindernis darstellt.
Diagnostik Sono ▶ 22.2.
Geburtsleitung Prim. abdominale Schnittentbindung.
6.12 Mehrlingsgravidität 313
6.12 Mehrlingsgravidität
Der alleinige Umstand einer Zwillingsschwangerschaft ist keine Indikation zur
Sectio caesarea. Befindet sich der erste Zwilling in Schädellage und der zweite in 6
BEL, soll die vag. Entbindung keinen Einfluss auf die kindliche Morbidität ha-
ben. Befindet sich der erste Zwilling in BEL, wird z. T. die vag. Geburt angestrebt,
überwiegend aber eine prim. Sectio caesarea empfohlen. Befinden sich beide
Zwillinge in BEL, ist die prim. Sectio caesarea indiziert, ebenso bei Vorliegen ei-
ner monochoriaten bzw. monoamnioten Geminigrav. bzw. von fetofetalen
Transfusionssy., bei verbundenen Zwillingen (conjoined twins) oder bei Ge-
wichtsinkongruenzen > 20 %. Bei höhergradigen Mehrlingen ist die prim. Sectio
caesarea Standard.
Siehe auch ▶ 5.11.
6.12.1 Geburtshilfliche Besonderheiten
Die Geburt von Mehrlingen wird durch viele Probleme kompliziert. Gehäuft tre-
ten auf:
• A bnorme Lage und Haltung der Feten (▶ 6.5).
• V erhakung der Kinder, fetofetales Transfusionssy. (▶ 5.11.2).
• S tarke Überdehnung der Gebärmutter, vorzeitiger Blasensprung, Frühgeburt
(▶ 6.7).
• E PH-Gestose (▶ 6.8), Plazentainsuff.
314 6 Geburt
• N abelschnurvorfall (▶ 6.8.1).
• P rim. Wehenschwäche.
• G efahr der vorzeitigen Plazentalösung des zweiten Zwillings nach Geburt des
ersten Zwillings (▶ 6.4.2).
• G efahr der uterinen Atonie in der Nachgeburtsperiode (▶ 6.14.1).
• B ei mehr als zwei Kindern prim. Schnittentbindung.
6.12.2 Geburtsleitung
Genaue Lagebeurteilung ante partum durch äußere Untersuchung (▶ 6.1.1) und
Sono (▶ 22.2).
• B ei > 2 Kindern prim. Schnittentbindung.
• G eburtshilfliches Prozedere bei Gemini (▶ Abb. 6.20):
– Beide Zwillinge in Schädellage: Spontangeburt möglich.
– 1. Zwilling in Schädellage, 2. Zwilling in Beckenlage: Spontangeburt mög-
lich, soweit das 2. Kind aufgrund seiner geringen Größe (< 3.000 g) und
geringer Weichteilwiderstände „leicht“ vag. entbunden werden kann.
Spontanpartus
Nur unter simultaner ständiger CTG-Kontrolle und Sectiobereitschaft.
Nach Spontangeburt des ersten Zwillings
• L agekontrolle, z. B. sonografisch (Längslage oder Querlage), HT-Kontrolle,
auf Blutung achten (vorzeitige Plazentalösung).
• A nschließend sofort Oxytocin-Dauertropfinfusion (▶ 6.13).
6.13 Geburtseinleitung 315
6.13 Geburtseinleitung
Jede Geburtseinleitung erfordert eine kritische und individuelle Risiko-Nut-
zen-Analyse. Wegen der häufig unvorhersehbaren Dauer der medikamentö-
sen Geburtseinleitung muss die strenge Indikationsstellung sowie der Zu-
stand des Kindes in utero beachtet werden. Die Dringlichkeit der Schwanger-
schaftsbeendigung bestimmt das geburtshilfliche Vorgehen (Geburtseinlei-
tung vs. Sectio caesarea).
Organisatorische Voraussetzungen
• A däquate apparative und personelle Überwachung von Mutter und Kind. 6
• T okolytika in Griffnähe (z. B. uterine Überstimulierung mit HF-Alteratio-
nen).
• M
öglichkeit der Schwangerschaftsbeendigung durch Sectio caesarea.
Kontraindikationen
• egelmäßige Wehen.
R
• lacenta praevia.
P
• orzeitige Plazentalösung.
V
• uerlage oder Mehrlinge mit vorangehendem Kind in BEL oder Querlage.
Q
• abelschnurvorliegen oder -vorfall.
N
• orausgegangene Sectio (außer mit Querschnitt im unteren Uterinsegment)
V
oder Z. n. transmuraler Uterotomie z. B. Myomektomie.
• bsolutes Kopf-Becken-Missverhältnis.
A
• gf. Allergie gegen PG-Präparate.
G
• gf. mütterlicher Status asthmaticus in der Vorgeschichte.
G
• anifestes Amnioninfektionssy.
M
316 6 Geburt
6.14 Pathologische Nachgeburtsperiode
Ursachen und Risiken für verstärkte postpartale Blutungen
• G
roße Episiotomien, Verletzung von Scheide, Zervix, Damm.
• U
terusruptur.
• U
terusatonie bei:
– Allgemeinanästhesie mit halogenisierten Kohlenwasserstoffen.
– Überdehnung des Uterus (Mehrlingsschwangerschaft, Polyhydramni-
on, Makrosomie).
– Uterusanomalien (Myome, Fehlbildungen, Z. n. Sectio).
– Protrahierte Geburt.
– Raschem Geburtsverlauf (uterine Hyperaktivität).
– Weheninduktion.
– Hoher Parität.
– Adipositas.
– Vorangegangener Uterusatonie.
– Chorioamnionitis.
– Tiefer Plazentaimplantation (Placenta praevia, Placenta accreta, incre-
ta, percreta).
• G
erinnungsstörungen.
6.14.1 Uterusatonie
Definition
Blutung p. p. aus nicht kontrahiertem Uterus nach vollständiger Ausstoßung der
Plazenta.
Ursachen 6
Vorausgegangene atonische Nachblu- Uterus tief umfassen,
tungen (▶ Abb. 6.21), Mehrlinge, Ma ausdrücken, evtl.
krosomie, Polyhydramnion, protrahier- festhalten
te Geburt.
Diagnostik
Postpartale Blutung > 500 ml, großer,
schlaffer Uterus, Z. n. vollständig ausge-
stoßener Plazenta (keine Gefäßabrisse
am Plazentarand oder in den Eihäuten,
kein zurückgebliebener Plazentarest
von mind. Bohnengröße).
Therapie
Allgemeine Maßnahmen
• E ntleerung der Harnblase. Abb. 6.21 Atonische Nachblutung nach
vollständiger Plazentaausstoßung: Der
• E isblase auf den Uterus legen. mit Blutkoageln angefüllte Uterus wird
• C redé-Handgriff: Hochziehen und mit dem Credé-Handgriff ausgedrückt
Kompression des Uterus zwischen und gehalten. [L157]
318 6 Geburt
den dorsal den Fundus umgreifenden Fingern und dem ventral aufliegenden
Daumen der externen Hand (▶ Abb. 6.21).
• H amilton-Handgriff: Hochdrücken des Uterus und bimanuelle Kompression
zwischen der internen Faust im vorderen Scheidengewölbe und der externen
Hand hinter dem Fundus.
Medikamentöse Maßnahmen
• 1 0–20 IE (bis max. 40 IE) Oxytocin (z. B. Sytocinon®) z. B. in mind. 50 ml
NaCl und/oder 0,2–0,4 mg (max. 0,5 mg) Methylergometrin (z. B. Mether-
gin®) z. B. in mind. 50 ml NaCl
oder
• P rostaglandine (PG) systemisch: PGE2-Derivat Sulproston i. v. (Nalador®)
500 μg auf 500 ml NaCl 0,9 % = 1,7 μg/ml, bis 8,3 μg/Min. entspricht 100–
500 ml/h, max. Gesamtdosis 1.500 μg/d. Cave: Glukose inaktiviert Sulproston!
Falls die Blutung nicht sistiert:
• S ulproston-Tropf kurzfristig bis auf 1.000 ml/h erhöhen.
• Ü bliche Maßnahmen wie Katheterisierung, Eisblase.
• S chockbekämpfung mit Plasmaexpandern, Humanalbumin, evtl. EK, FFP
▶ 3.5.
Blutet es weiter: Spekulumeinstellung und Versorgung eines häufig begleitend
auftretenden Zervix-Scheidenrisses, Gerinnungsdiag. (Thrombozyten, INR, PTT,
Fibrinogen, AT III), Nachtastung und Kürettage in Narkose. Wenn erfolglos:
• V orübergehende manuelle Uteruskompression, um A. uterina abzuklemmen:
Die in die Vagina eingeführte Hand komprimiert die Cervix uteri, während
die andere das schlaffe Corpus uteri umfasst.
• F alls immer noch ohne Erfolg vorübergehende Aortenkompression bis Hys-
terektomie oder vergleichbare Maßnahme durchführbar (Ligatur der Aa. ute-
rinae, der Aa. iliacae internae oder Kompressionsnaht des Fundus uteri), par-
allel zur Atoniebehandlung intensive Schockther. einleiten (▶ 3.5).
• K I wie kardiale Anamnese mit Sensationen bei Kontraktionsmittelgabe be-
6 achten. Kein Sekundenbolus!
Einteilung
• I . Grad: Hauteinriss (meist an der hinteren Kommissur) von Introitus,
Scheide und Damm ohne Verletzung der Dammmuskulatur.
6.14 Pathologische Nachgeburtsperiode 319
6.14.3 Plazentalösungsstörungen
Wichtigste Störungen sind die Retentio placentae totalis oder partialis ohne
Blutung (> 25 Min.) oder mit Blutung (> 200 ml p. p.).
Ursachen
• P lacenta adhaerens: Bei mangelhafter Kontraktionsfähigkeit des Uterus
(= funktionelle Ursache).
• P lacenta accreta: z. B. bei Z. n. energischer Kürettage oder nach fiebriger
Fehlgeburt.
6.15 Fruchtwasserembolie
Definition Seltene, mit hoher Gefährdung der Mutter einhergehende KO im
Entbindungsverlauf oder im frühen Wochenbett durch Einstrom von FW in die
mütterliche Blutbahn mit Vasokonstriktion, Verlegung der Lungenmikrostrom-
bahn und anaphylaktischem Schock. Häufigkeit 1 : 30.000–1 : 80.000 Geburten.
Ursachen Verletzung des mütterlichen Genitaltrakts (Schnittentbindung, Ute-
rusruptur, hoher Scheidenriss, Zervixriss), partielle Plazentalösung, Wehenmit-
telüberdosierung, gewaltsames Kristellern.
Klinik
• L eitsymptom: Schock ohne erkennbare Ursache etwa 2 Min. bis 4 h nach Ein-
6 strom von FW in den mütterlichen Kreislauf.
• D yspnoe, Angst und Beklemmung, evtl. Bewusstseinsverlust, Krampfanfälle,
Uterusatonie, Rechtsherzinsuff., Verbrauchskoagulopathie, Anurie.
Differenzialdiagnosen Lungenembolie, Spontanpneumothorax, eklamptischer
oder epileptischer Anfall, Uterusruptur, atonische Nachblutung oder akutes
Herzversagen anderer Genese.
Therapie
• Intensivüberwachung, Schockbekämpfung (▶ 3.5), Überdruckbeatmung, evtl.
Adrenalingabe.
• Z VK, Volumensubstitution in Abhängigkeit vom ZVD (▶ 2.7).
• H erzglykoside.
• K ortikoide, z. B. Prednisolon max. 1.000 mg i. v. (z. B. Solu-Decortin H®).
• A zidoseausgleich.
• U terotonika bei uteriner Atonie (▶ 6.14.1).
• E vtl. EK, Thrombozytenkonzentrate, FFP, Low-Dose-Heparin unter INR-,
PTT-Kontrolle.
7 Geburtshilfliche Operationen
Kay Goerke
Wie bei allen Eingriffen bedürfen auch geburtshilfliche Operationen der Auf-
klärung und des Einverständnisses. Zeichnet sich unter der Geburt die Möglich-
keit ab, dass ein op. Eingriff notwendig wird, muss der Geburtshelfer die Pat.
über alternative op. Entbindungsverfahren aufklären. Je früher dies geschieht,
umso eher ist sie noch einwilligungsfähig und eine Risikoabwägung möglich.
Bei Grenzsituationen (z. B. hoher kindlicher Kopf) umfasst die Aufklärung die
geburtshilflichen Methoden Vakuum, Zange und Sectio sowie die jeweiligen
Gefahren für Mutter und Kind. Zwischen juristischen Forderungen und ge-
burtshilflicher Realität besteht eine erhebliche Diskrepanz. Es gilt der Grund-
satz: Je dringlicher die Situation ist, umso kürzer ist die Aufklärung. Die münd-
liche Aufklärung sollte immer vor Zeugen (z. B. Hebamme) erfolgen und im
Krankenblatt dokumentiert werden. Bewährt hat sich eine Basisinformation
über vaginale und abdominelle geburtshilfliche Eingriffe, z. B. im Rahmen ei-
ner vorgeburtlichen Aufklärung.
7.1 Episiotomie (Dammschnitt)
Wie bei jedem Eingriff strenge Indikationsstellung, eine Deszensus- oder In-
kontinenzprophylaxe ist nicht bewiesen. Höhere DR-III-IV-Raten nach Epi-
siotomie!
Indikationen
• Straffe Weichteile.
• Frühgeburt (durch die Episiotomie wird der Druck auf den Kopf reduziert).
• Ungünstige Durchtrittsebene (Deflexionslagen ▶ 6.5.3).
• BEL-Entbindung (▶ 6.5.1, ▶ 7.3).
• Abkürzung der Pressperiode bei hypoxieverdächtigem CTG.
• Bei jeder vag.-op. Entbindung (▶ 7.2).
Vorbereitung Analgesie durch Pudendusblockade (▶ 6.3.4) oder Lokalinfiltration
(▶ 6.3.6). Durchführung zum Wehenhöhepunkt, da dann am wenigsten schmerz-
haft. Möglichst nur mediane Episiotomie, da weniger Beschwerden, geringere Blu-
7 tung (oder Blutverlust), bessere Heilung, weniger Spätfolgen wie z. B. Dyspareunie.
Durchführung Spaltung des Damms mit der Dammschere von der hinteren
Kommissur ausgehend in der bindegewebigen Raphe, anatomisch am günstigsten
(▶ Abb. 7.1).
Mm. transversi
perinei
M. bulbospongiosus
lateral
Mediolaterale Episiotomie
Vorteile Erweiterungsmöglichkeit zur Seite. Dammriss III. Grades kommt selte-
ner vor.
Nachteile Größerer Blutverlust (von der Seite kommende Gefäße werden durch-
schnitten). Schlechtere Wundheilung; häufiger Schmerzen (Durchtrennen von
Nerven), Hämatome und Inf. Schwierigere Naht, besonders bei zusätzlichem
Dammriss III. Grades.
Durchführung Ausgehend von der hinteren Kommissur in gerader Linie in ei-
nem Winkel von 45° nach lateral schneiden. Dabei Durchtrennen des M. bulbo
spongiosus und des M. transversus perinei superficialis. Ausgedehnt reicht die
mediolaterale Episiotomie bis in die Fossa ischiorectalis mit dadurch häufiger ein-
hergehenden Wundheilungsstörungen.
Laterale Episiotomie
Schnittführung ca. 2 cm neben der Mittellinie nach re/li obsolet! 7
7.1.2 Naht der Episiotomie
Mit der Naht (▶ Abb. 7.2 und ▶ Abb. 7.3) möglichst bald nach der Plazenta-
geburt beginnen (cave: Blutverlust; noch vorhandene Anästhesie, z. B. bei
Pudendusblockade, ausnutzen). Die Nahttechnik ist bei allen Episiotomien
ähnlich, bei der mediolateralen wegen der schräg verlaufenden und asymme-
trisch klaffenden Schnittwunde aber schwieriger.
Anästhesie
Günstig ist die Naht bei bestehender Peridural- oder Spinalanästhesie. Sonst nach
Wunddesinfektion Infiltration der Wunde mit 15–20 ml eines Lokalanästheti-
324 7 Geburtshilfliche Operationen
kums wie Mepivacain 1 % (z. B. Scandicain®, ▶ 6.3.6). Höchstdosis bis 60 ml 0,5 %
bzw. bis 30 ml 1 % bzw. bis 15 ml 2 % bei ca. 70 kg.
Nahtmaterial
Vorzugsweise synthetische, resorbierbare Fäden (z. B. Vicryl Rapid®, geringe Ge-
webereaktion). Die Wundheilung ist umso besser, je weniger Nahtmaterial ver-
wendet wird. Fadenstärke für Scheidenhaut und tiefe Dammschichten 3–0; Haut,
Rektum und M. sphincter ani externus 3–0 oder 4–0; bei Labienrissen 3–0 oder
2–0.
Vorbereitung
• Lagerung der Beine auf Beinhaltern,
Abdecken von Beinen und Anus
mit sterilen Tüchern und Desinfek-
tion des äußeren Genitales (z. B. mit
Octenisept®).
• Digitale Austastung des Rektums
auf Verletzungen. Sorgfältige Ins-
pektion der Scheide, bei V. a. Zer-
vixverletzungen (schnelle Eröff-
nungsperiode, verstärkte Nachblu-
tung, Atonie) sowie nach vag.-op.
Entbindungen Spekulumeinstellung
(▶ 6.14.2).
• Wenn Läsionen ausgeschlossen
sind, sterilen, dicken Tampon hoch
in die Scheide einführen, um aus
dem Uterus laufendes Blut aufzu-
Abb. 7.2 Naht der Episiotomie [L157]
fangen und die Scheide aufzusprei-
zen.
Naht
Scheidenhaut
Als fortlaufende überwendliche Naht oder als Einzelknopfnaht möglich. Wichtig:
7 Obersten Stich oberhalb des oberen Wundwinkels legen, um evtl. retrahierte Ge-
fäße zu unterbinden (Cave: Hämatom). Bei beiden Nahttechniken sollen die Sti-
che beidseits ca. 1 cm Scheidenhaut fassen und bis zum Wundgrund reichen (Tot
raumvermeidung), Stichabstand ca. 1 cm. Den letzten Stich ca. 1 cm vor dem Hy-
menalsaum legen.
Tiefe Dammschichten
Ebenfalls fortlaufend oder als Einzelknopfnaht. Vereinigung der tiefen Damm-
schichten mit 3–5 Stichen. Für eine symmetrische Adaptation eignet sich die un-
terschiedliche Hautpigmentierung als Markierung. Bei der fortlaufenden Naht
sollte nur eine leichte Adaptation erreicht sein. Bei der Einzelknopfnaht erfolgt
der Einstich direkt unter der Haut, um eine sorgfältige Adaptation der Wundrän-
der zu erzielen.
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 325
Haut
Bei fortlaufender Naht wird zunächst die Subkutis fortlaufend vom Hymenalsaum
ausgehend verschlossen (Fadenende ca. 10 cm lang lassen und anklemmen), beim
letzten Ausstich Mitfassen des Koriums und Rückführung der Naht intrakutan im
Korium zum Hymenalsaum. Die Fadenenden miteinander verknoten. Einzel-
knopfnähte werden bei vorher gut adaptierten Wundrändern vom Hymenalsaum
ausgehend in einem Abstand von ca. 1 cm angelegt (nicht zu fest anziehen). Bei
intrakutan versorgten Episiotomien deutlich niedrigere KO-Rate!
Am Ende der Naht den Tampon aus der Scheide entfernen, nochmalige digitale
Austastung des Rektums auf Verletzungen (Durchstechungen bei der Naht) und
Kontrolle des Fundusstands.
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 7
7.2.1 Voraussetzungen und Vorbereitung
Voraussetzungen Schädellage, MM vollständig eröffnet, Höhenstand des größ-
ten Durchmessers des Kopfes zumindest auf Interspinalebene (besser auf Becken-
boden), eröffnete Fruchtblase, Ausschluss eines Missverhältnisses zwischen Kopf
und Beckenausgang durch Tastuntersuchung, Beherrschung der gewählten Tech-
nik, Aufklärung der Pat. über alternative op. Behandlungsverfahren, ausreichende
Analgesie.
Vorbereitung
• Lagerung der Mutter im Querbett, Beine auf Beinhaltern, für Ausgleich der
Lendenlordose („Abwehrlordose“) sorgen, da sonst eine starke Krümmung
des Geburtskanals resultiert.
326 7 Geburtshilfliche Operationen
Kontraindikationen
• Unvollständige MM-Öffnung.
• Höhenstand der Leitstelle:
– über 0 bei Hinterhauptseinstellung.
– über +2 und querverlaufende Pfeilnaht.
– über +2 bei Deflexionshaltung.
• Verdacht auf zephalopelvines Missverhältnis.
• Makrosomie des Kindes bei protrahierter Geburt (4.200–4.500 g).
Prim. als schwer einzuschätzende Entbindungen aus Beckenmitte sollten bei aku-
ter fetaler Bedrohung (persistierende fetale Bradykardie) unbedingt unterbleiben.
In Grenzsituationen ist die sofortige Sectio vorzunehmen, insb. bei ungünstigen
Zusatzbedingungen (fetale Wachstumsretardierung, Plazentainsuff. usw.). Wird
7 während der Operation eine Fehlbeurteilung des Höhenstands oder der Einstel-
lung des Kopfes erkannt, müssen die organisatorischen Voraussetzungen für die
sofortige Durchführung einer Notfallsectio erfüllt sein.
7.2.2 Vakuumextraktion (Saugglocke)
Indikationen Fetale Hypoxie, Wehenschwäche, Erschöpfung der Mutter, Herz-
vitien der Mutter, Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode.
Vorbereitung ▶ 6.2.1.
Durchführung
• Spreizen der Labien zur Darstellung des Introitus vaginae.
• Auswahl der größtmöglichen Glocke (60, 50 oder 40 mm).
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 327
• Glocke schräg unter Schutz von Urethra und Klitoris einführen, dazu den
Damm nach hinten drücken, Aufsetzen der Glocke über dem Teil des Kopfes,
der sich nach vorne drehen und die Führung übernehmen soll, i. d. R. also
über der kleinen Fontanelle.
• Tastuntersuchung, ob kein mütterliches Gewebe in der Glocke miterfasst wurde.
• Erhöhen des Unterdrucks auf 2 m Wassersäule (= 0,2 kg/cm2).
• Nachtastung zur Kontrolle des korrekten Sitzes der Glocke über dem Kopf
und zum Ausschluss von mütterlichen Weichteileinklemmungen.
• Sog langsam auf 8 m Wassersäule
(= 0,8 kg/cm2) in ca. 60 Sek. erhöhen.
• Probezug zur Kontrolle, ob das Kind
dem Zug folgen kann.
• Bei exzentrisch angelegter Glocke
Korrektur der falschen Haltung durch
Traktion bis in die Führungslinie.
• Wehensynchrone Extraktion des
Kindes.
• Unterstützung der Expression durch
eine Hilfsperson durch Kristeller-
Handgriff (breitflächiger Druck auf
den Fundus mit beiden Händen oder
dem Unterarm, Richtung des Drucks
auf das Hinterhaupt des Kindes hin).
• Traktionsrichtung immer in Rich-
tung des Geburtskanals (▶ Abb. 7.4).
• Episiotomie mit Skalpell oder Schere
(▶ Abb. 7.1).
• Dammschutz beim Durchtreten des
Kopfes.
• Nach Entwicklung des Kopfes lang-
sames Ablassen des Sogs (über
30–40 Sek.) und Entfernen der
Glocke.
• Weitere Entwicklung des Kindes wie Abb. 7.4 Traktionsrichtung bei vagi-
bei Spontangeburt (▶ 6.2). nal-op. Entbindung [L157] 7
• KO ▶ 6.2.1.
Alternative Saugglocke mit Handpumpe (Einmalgerät, z. B. Kiwi®).
• Vorteile: geringerer op. Aufwand, geringere Belastung der Mutter, schnellere
Anwendung.
• Nachteile: Kosten.
• Erhöhtes Risiko der Atonie p. p. beachten (Kontrolle von Fundus und
Vorlagen ▶ 6.14.1).
• Sorgfältige Spiegeleinstellung zum Ausschluss von Zervix- und Schei-
denrissen (obligat!).
• Kopfhautödem beim Kind verschwindet nach 2 h weitgehend, nach 24 h
nahezu vollständig.
328 7 Geburtshilfliche Operationen
7.2.3 Forzepsentbindung (Zangenentbindung)
Indikationen Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode, Erschöpfung der
Mutter, fetale Hypoxie, Wehenschwäche.
Vorbereitung ▶ 6.2.1.
Durchführung
• Hinhalten der geschlossenen Zange (am weitesten verbreitet: kleine Naegele-
Zange mit Kopf- und Beckenkrümmung) vor die Vulva in der Position, in der
die Zange nachher angelegt werden soll.
• Einführen des linken Löffels (Merkspruch: links-links-links = li Zangenlöffel
– li Hand des Geburtshelfers – Zangenlöffel auf der li Seite der Pat. einfüh-
ren) unter Ausnutzung von Becken- und Kopfkrümmung. Zeige- und Mittel-
finger der re Hand schützen die Vagina (Einführen der Zange zwischen Hand
und kindlichem Kopf), der re Daumen hilft als Führungsschiene für den Zan-
genlöffel, der nie unter Gewaltanwendung eingeführt werden darf
(▶ Abb. 7.5)! Bei Schwierigkeiten Zangenlöffel entfernen und neu ansetzen.
• Einführen des rechten Löffels (rechts-rechts-rechts gilt analog). Der li Zan-
genlöffel wird vom kleinen Finger der li Hand gehalten, Zeige- und Mittelfin-
ger schützen die Weichteile.
• Schließen der Zange im Schloss ohne Kraftanwendung.
• Nachtasten, ob keine mütterlichen Weichteile mitgefasst wurden.
• Probezug, dabei liegt der Zeigefinger der vorderen re Hand am kindlichen
Kopf und kann so ein Abgleiten der Zange erkennen.
• Wehensynchrone Extraktion des Kindes, Unterstützung der Extraktion durch
eine Hilfsperson durch den Kristeller-Handgriff (breitflächiger Druck auf den
Fundus mit beiden Händen oder
dem Unterarm, Richtung des
Drucks auf das Hinterhaupt des
Kindes hin).
• Traktionsrichtung immer in Rich-
tung des Geburtskanals
(▶ Abb. 7.4).
• Episiotomie, wenn noch nicht er-
folgt (▶ 7.1).
7 • Dammschutz mit li Hand (Opera-
teur am günstigsten an li Seite der
Pat.).
• Nach Geburt des Kopfes Entfernen
der Zange, weitere Entwicklung des
Kindes wie bei Spontangeburt
(▶ 6.2).
• KO ▶ 6.2.1. Abb. 7.5 Forzepsentbindung [L157]
• Erhöhtes Risiko der Atonie p. p. beachten (Kontrolle von Fundus und
Vorlagen ▶ 6.14.1).
• Sorgfältige Spiegeleinstellung zum Ausschluss von Zervix- und Schei-
denrissen (obligat!).
7.2 Vaginal-operative Entbindungen 329
7.2.4 Schulterdystokie
Definition
Die Schulterdystokie stellt ein „Hängenbleiben“ der kindlichen Schulter hinter
der Symphyse dar (= hoher Schultergeradstand).
Epidemiologie
Die Häufigkeit beträgt insgesamt ca. 0,15 %, bei Kindsgewichten > 4.000 g 3–10 %
(also mind. 20-fach gehäuft) und bei Kindsgewichten > 4.500 g 11–22 % (ca. 80-fach
erhöhtes Risiko). Das Wiederholungsrisiko beträgt 14 %, daher ggf. prim. Sectio
empfehlen. Bei bekanntem erhöhtem Risiko möglichst antepartale schriftliche
Aufklärung der Pat. über Risiken und Alternativen zur Spontangeburt!
Prädisponierende Faktoren
• Adipositas oder Diab. mell. der Mutter, übermäßige Gewichtszunahme in der
Schwangerschaft (> 15 kg).
• Übertragung, verlängerte Austreibungsperiode, frühzeitiges „Kristellern“.
• Vag.-op. Entbindung aus Beckenmitte.
• Mehrgebärende.
Klinik
Nach Geburt des Kopfes erfolgt kein weiteres Tiefertreten des Kindes. Der Kopf
wird von den Weichteilen in der Vulva quasi „festgehalten“.
Komplikationen
Fetale Hypoxie (Letalität 2–16 %), Klavikulafrakturen, Plexusschäden, evtl. mit
Horner-Sy. und bleibenden Schäden.
Therapie
Externe Maßnahmen
• Abwechselndes Strecken und Beugen der Beine im Hüftgelenk unter gleichzeiti-
ger leichter Rotation des Beckens nach li und re (Stellungsänderung der Symphy- 7
se mit Vergrößerung der Conjugata vera um ca. 0,5 cm) = McRoberts-Manöver.
• Konstanter manueller Druck unmittelbar kranial der Symphyse („Rütteln der
vorderen Schulter“ vom geraden in den queren Durchmesser).
• Äußere Drehung des Kopfes in Abhängigkeit von der kindlichen Stellung: bei
I. Stellung (Rücken li) Kopf (Hinterhaupt) nach li drehen.
• Kein Kristeller-Handgriff, nicht am Kopf ziehen!
• Ggf. Bolustokolyse, z. B. Fenoterol 0,025 mg i. v. (z. B. Partusisten® intrapartal).
Interne Maßnahmen Bei Erfolglosigkeit nach etwa 90 Sek.:
• Die in vielen Lehrbüchern beschriebene Fraktur der Klavikula ist obsolet!
• Digitale Rotation der nicht eingekeilten hinteren Schulter durch Druck auf
die kindliche Brust in den queren Durchmesser, hierzu mit der Hand von der
Bauchseite des Kindes kommen, Drehung des kindlichen Körpers versuchen.
Analgesie erforderlich.
330 7 Geburtshilfliche Operationen
• Digitale Rotation der vorderen Schulter durch Druck auf den kindlichen Rü-
cken in den queren Durchmesser. Hierzu mit der Hand vom Rücken des Kin-
des kommen, Drehung des kindlichen Körpers versuchen. Der fetale Rücken
soll dadurch nach ventral kommen.
– Gelingt es nicht, die eingekeilte Schulter unter der Symphyse freizube-
kommen, sakralwärts mit der Hand eingehen und erst den hinteren
Arm an der Bauchseite des Kindes, anschließend den vorderen Arm lö-
sen.
– Gelingt die Entwicklung der vorderen Schulter auch dann nicht, Drehung
der hinteren, gelösten Schulter bis unter die Symphyse nach vorne (bei I.
Stellung im Uhrzeigersinn, bei II. Stellung gegen den Uhrzeigersinn). Von
der Bauchseite des Kindes her jetzt den 2. Arm lösen.
• Bei Erstpara und geschätztem Geburtsgewicht > 4.500 g sollte der Pat. pro-
phylaktische Sectio caesarea angeboten werden.
Risiken
• Nabelschnurvorfall durch mangelnde Abdichtung des Steißes im Ver-
gleich zum Kopf bei Schädellagen.
• Wehenschwäche und vorzeitige Plazentalösung durch Entleerung der Ge-
bärmutter zu etwa 70 %, bevor der größte Teil der Frucht (Kopf) geboren ist.
• Hypoxie des Kindes durch Kompression der Nabelschnur, sobald das Ab-
domen den Beckeneingang überschritten hat.
• Durch zu frühes Eingreifen des Geburtshelfers (Versuch der manuellen
7 Extraktion oder VE am Steiß) besteht die Gefahr des Hochschlagens der
Arme und damit einer bedeutenden Vergrößerung des Umfangs der
Frucht am nachfolgenden Teil.
Durchführung Beginn der Manualhilfe erst, wenn der untere Winkel des vorde-
ren Schulterblatts sichtbar ist, da sonst die Gefahr des Hochschlagens der Arme be-
steht. Deshalb auch keine Extraktion, sondern vorsichtiges Herausleiten des Kindes.
• Lagerung der Mutter im Querbett, Beine auf Beinhaltern, für Ausgleich der
Lendenlordose („Abwehrlordose“) sorgen, da sonst starke Krümmung des
Geburtskanals.
• Entleerung der Harnblase, ggf. mit Einmalkatheter.
• Händedesinfektion des Operateurs, Desinfektion der Vulva.
• Eröffnen der Fruchtblase, sobald kindlicher Steiß auf Beckenboden und Epi-
siotomie (▶ 7.1).
• Fassen des Kindes mit beiden Händen, dabei liegen die Daumen des Geburts-
helfers auf den Dorsalseiten der Oberschenkel, die restlichen Finger auf dem
Rücken des Kindes (▶ Abb. 7.6).
• Oxytocin z. B. 5 bzw. 10 IE (z. B. Syntocinon®) auf 500 ml Glukose 5 %
100–500 ml/h per infusionem.
• Kristeller-Handgriff durch Assistenz (breitflächiger Druck auf Fundus mit
beiden Händen oder dem Unterarm, Richtung des Drucks auf den Steiß hin),
wehensynchron.
• Der Rumpf wird wehensynchron mit den Daumen um die Symphyse herum
auf die Bauchdecken der Mutter geleitet (▶ Abb. 7.6).
• Dammschutz beim Durchtreten des Kopfes durch Assistenz.
Sehr gute Erfahrungen mit wenigen KO und geringem Interventionsbedarf
werden mit der Entbindung der BEL in Knie-Ellenbogen-Lage gemacht, wie
bei vielen Naturvölkern üblich. Nur vom darin erfahrenen Geburtshelfer an-
zuwenden!
7.3.2 Armlösung
Klassische Armlösung
Prinzip Zuerst wird, wie bei der Armlösung nach Bickenbach, der hintere Arm
aus der Kreuzbeinhöhle gelöst, danach wird die vordere Schulter durch „Stopfen“
in die Kreuzbeinhöhle gebracht und der Arm dort gelöst (▶ Abb. 7.7).
Durchführung
• Kind mit dem Knöchelgriff an den Füßen fassen, dabei wird die Hand be-
nutzt, die der Bauchseite des Kindes entspricht, Kind stark symphysenwärts
anheben.
• Arm aus der Kreuzbeinhöhle lösen, dabei kommt die 2. Hand vom Rücken
des Kindes, der Arm wird über die Brust des Kindes herausgeführt. Zum
Schutz vor Frakturen stützt der Daumen den Oberarm auf der Innenseite.
• Kind mit beiden Händen fassen, die Daumen liegen auf dem Rücken. Der ge-
löste Arm wird mitgehalten, die andere Hand fixiert den Schultergürtel des
noch nicht gelösten Arms.
• „Stopfen“ des Kindes mit kurzen Bewegungen in der Längsachse, dabei wird
der Rücken des Kindes unter der mütterlichen Symphyse gedreht, bis der
noch nicht gelöste Arm in die Kreuzbeinhöhle gelangt.
• Kind an den Füßen mit dem Knöchelgriff fassen, dabei wird die Hand benutzt, 7
die der Bauchseite des Kindes entspricht, Kind stark symphysenwärts anheben.
• Arm aus der Kreuzbeinhöhle lösen, dabei kommt die 2. Hand vom Rücken
des Kindes her, der Arm wird über die Brust des Kindes herausgeführt. Zum
Schutz vor Frakturen stützt der Daumen den Oberarm auf der Innenseite.
• Lösung des Kopfes nach Veit-Smellie (▶ 7.3.3).
Die Indikation zur Lösung des Kopfes ergibt sich bei protrahiertem Geburts-
verlauf, mangelnder Lösung des Kopfes beim Handgriff nach Bracht und
immer nach Armlösungen (▶ Abb. 7.8). Voraussetzung ist die dorsoanterio-
re Einstellung.
334 7 Geburtshilfliche Operationen
Durchführung
• Das Kind reitet auf dem Unterarm des Geburtshelfers, bei re BEL auf dem re,
bei li BEL auf dem li Unterarm.
• Arm vorschieben, bis der kindliche Mund erreicht werden kann, mit dem
Zeigefinger in den Mund eingehen, Daumen und Mittelfinger stützen den
Unterkiefer.
• Die andere Hand greift mit Zeige- und Mittelfinger über die Schultern des
Kindes (Hypomochlion).
• Das Kind abwärts ziehen, bis die Nackenhaargrenze unter der Symphyse
sichtbar ist.
• Anheben des Kindes, dabei unterstützt die innere Hand durch Krümmen des
Zeigefingers die Flexion des Kopfes.
• Entwicklung des Kindes auf den Bauch der Mutter.
• Ggf. Reanimation des Kindes ▶ 9.2.
7.4.3 Postoperative Überwachung
Neben den allg. Richtlinien der postop. Maßnahmen gelten nach Sectio caesarea
folgende Besonderheiten:
7 • Funduskontrolle mindestens alle 8 h, Kontrolle der Lochien.
• Bei Rh-neg. Frauen und Rh-pos. Kindern postop. Rh-Prophylaxe (z. B. 1 Amp.
Partobulin® s. c.) nicht vergessen (▶ 9.4.4).
• Kontraktionsmittel, z. B. Oxytocin 10–20 IE (Syntocinon®) in 500 ml Glukose
5 % über 12 h als Tropfinfusion oder Oxytocin 10–20 IE und Methylergome
trin 0,1–0,2 mg in 500 ml Glukose oder Carbetocin (Pabal®) 100 μg = 1 ml
(entspricht 50 IE Oxytocin) per infusionem. Cave: Anwendung z. B. bei KI
gegen Methylergometrin. Keine gesicherten Daten für Parbal über niedrigere
KO-Rate. Hohe Kosten.
• Urinkontrolle: Menge mindestens 70–100 ml/h; Cave: blutig, hämolytisch.
• Laborkontrolle postop. und nach 12–18 h (BB, E‘lyte, Gesamteiweiß).
• Ausreichende Analgesie mit Opiaten, z. B. Piritramid 15 mg i. m. (Dipido-
lor®), Tramadol 100 mg auf 500 ml Infusionslösung. i. v. (z. B. Tramal®).
• Baldiges Anlegen des Kindes unter Anleitung einer Hebamme oder Kinder-
krankenschwester.
7.4 Sectio caesarea (Kaiserschnitt) 337
• Bei jeder medikamentösen Ther. auf KI bezüglich des Stillens achten (▶ 22).
• Verbandswechsel nach ca. 24 h, Mobilisieren nach ca. 7 h.
• Low-Dose-Heparinisierung über z. B. Dalteparin 1 × 2.500 IE/d s. c. (Frag-
min® P) etc. bis zur Entlassung oder Heparin 2 × 7.500 IE/d s. c. (z. B. Lique-
min®).
• Liegende Dauerkatheter nach Mobilisierung entfernen (ca. nach 12–24 h).
• Pat. darf nach Abklingen der Narkose (etwa nach 2 h) trinken, nach 12 h es-
sen.
wird das Nähen erleichtert. Zudem lässt sich der Uterus zur Verringerung der
Blutung manuell komprimieren, und die Adnexe können beurteilt werden.
Wundverschluss Die Naht der Uterotomie soll einschichtig erfolgen, vorzugs-
weise mit einer großen Nadel. Blutkoagel werden aus der Bauchhöhle entfernt,
aber die Flüssigkeit kann zurückbleiben. Erythrozyten werden vom Peritoneum
absorbiert, das FW hat zudem bakteriostatische Eigenschaften.
• Die Bauchhöhle wird nur zweischichtig geschlossen, an Faszie und Haut. Um
die Faszie zu verschließen, werden die Faszienblätter seitlich mit je einer
Klemme gehalten, zwei weitere Klemmen werden im lateralen Drittel an die
Faszienblätter gelegt.
• Die Haut wird mit möglichst wenigen Nähten verschlossen, um eine gute
Drainage zu ermöglichen.
• Die lateralen Nähte können bereits nach 2 Tagen entfernt werden, die mittle-
ren Nähte am 5. postop. Tag. Die Mütter dürfen sofort nach der OP trinken.
Der Blasenkatheter wird spätestens am nächsten Tag entfernt.
Tab. 7.2 Auswahl der Anästhesie bei Sectio in Abhängigkeit von der
Indikation
Indikation Erläuterung Verfahren (Rangfolge)
Dringlich Drohende intrauterine Hypoxie, SPA, ITN, PDA (bei liegendem Ka-
Kindesentwicklung < 30 Min. theter)
7 7.4.6 Notfallsectio
▶ Abb. 7.9
7.4 Sectio caesarea (Kaiserschnitt) 339
Vorbereitung
4. Evtl. Rasur
Kreißsaalarzt: 5. Evtl. DK legen
1. Legt venösen Zugang 6. Transport in den OP
2. Evtl. Notfalltokolyse: (1 ml 7. CTG-Überwachung so
Partusisten® intrapartal ver- lange wie möglich
dünnt mit 4 ml NaCl) 2,5–5 ml
langsam i.v. (2 ml/Min.!)
7
8 Wochenbett
Axel Valet
Das Wochenbett beginnt mit der Plazentageburt und endet nach 6–8 Wo. In die-
ser Zeit findet die Rückbildung der meisten durch die Schwangerschaft bedingten
Veränderungen statt. Aufgaben bei der Wochenbettbetreuung: Beobachtung der
Mutter-Kind-Beziehung, Wahrnehmung psychischer Veränderungen der Mutter,
Überwachung der Rückbildungsvorgänge, Blasen- und Darmentleerung, Wo-
chenfluss, Puls und Temperatur (Inf.), der Thrombose- bzw. Thrombophlebitis-
verhütung und Beratung, z. B. beim Stillen.
Mastitis Ab 5.–6. Tag
8 8.1.2 Rückbildungsverzögerung
Physiologisch bei Sectio, Mehrgebärenden und Mehrlingsgeburten (▶ Abb. 8.1).
• Mäßige Temperaturerhöhung (37–38 °C), vermehrter Wochenfluss, leichte
Blutung → V. a. Endometritis (▶ 8.3.1).
• Temperaturerhöhung (38–40 °C), vermehrter Wochenfluss, mit deutlicher
Blutung, Druckschmerz am Uterus → V. a. Endomyometritis (▶ 8.3.2).
• Fieber (38–40 °C), reduzierter bis versiegter Wochenfluss, weicher Uterus,
keine Blutung → V. a. Lochiometra (▶ 8.3.4).
8.2 Endokrine Umstellung 343
8.1.4 Unterbauchschmerzen
• Schmerzen nach körperlicher Bewegung, Stillen oder Gabe von Kontraktions-
mitteln → V. a. Uteruskontraktionen (Ausschlussdiagn.).
• Mäßige Temperaturerhöhung, vermehrter, übel riechender Wochenfluss →
V. a. Endometritis, Endomyometritis (▶ 8.3.1, ▶ 8.3.2).
• Fieber (38–40 °C), reduzierter bis versiegter Wochenfluss, weicher Uterus,
keine Blutung, bitemporaler Kopfschmerz → V. a. Lochiometra (▶ 8.3.4).
• Temperaturerhöhung, deutliche Druckdolenz, bei vag. oder rektaler Untersu-
chung palpabler Tumor → V. a. Hämatom.
Stillende Frauen Meist tritt erst gegen Ende der Stillzeit der 1. Zyklus auf (physio
logische Laktationsamenorrhö)
Selten tritt die 1. Blutung nach 6–8 Wo. auf, noch seltener fin
8
den sich regelmäßige Zyklen unter der Laktation
8.3 Rückbildung
Physiologische Rückbildung des Uterus (Involutio; ▶ Abb. 8.1) durch Gewe-
beabbau (Degeneration und Autolyse der überflüssigen Muskelfasern) und
Kontraktion.
Kontraktionen
Teilweise als Dauerkontraktionen, z. T.
auch rhythmisch (schmerzhafte Nach-
wehen), können durch Stillen („Reiz-
wehen“), körperliche Bewegung, regel-
mäßige Darm- und Blasenentleerung,
Eisblase und Kontraktionsmittel (z. B.
Methylergometrin, Oxytocin) angeregt 1. Tag pp
werden. Durch die Kontraktionen ent-
steht eine Blutstillung nach Ablösen der
Plazenta, außerdem Verkleinerung der 5. Tag
Wundfläche und damit zugleich Infek- 10. Tag
tionsschutz.
Lochien
Durch den Gewebeabbau entsteht der
„Wochenfluss“, der immer bakteriell
besiedelt ist. Cave: Händedesinfektion Abb. 8.1 Uterusgröße [L157]
(auch der Mutter nach Lochienkon-
takt).
1. Wo. Blutig
8 Rückbildungsgymnastik
• Wichtig zur Kräftigung des Beckenbodens, Deszensusprophylaxe, auch nach
Klinikaufenthalt weiterführen.
• Rückbildung der in der Schwangerschaft vermehrten Flüssigkeitseinlagerung
im Gewebe durch vermehrte Ausscheidung im Frühwochenbett (bis zu 2–4 l
Urin tägl.).
8.3 Rückbildung 345
8.3.1 Endometritis
Definition Inf. an der Plazentahaftstelle.
Klinik
• Uterus zu groß und druckempfindlich (Kantenschmerz).
• Vermehrte, übel riechende Lochien, leichte vag. Blutung.
• Temperaturerhöhung (meist bis ca. 38 °C), Abgeschlagenheit, häufig bitem-
porale Kopfschmerzen.
Diagnostik Aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes.
• Funduskantenschmerz, vergrößerter, weicher, druckdolenter Uterus.
• Labor: Leukozytose, CRP > 10 mg/l.
• Mikrobiologischer Abstrich wegen evtl. Mischinf. und Antibiotikaschnellre-
sistenztest anfertigen (wichtig bei Therapieversagen).
Therapie
• Bettruhe, Eisblase.
• Bei Temperaturerhöhung nach dem 2. Tag p. p. sofort Kontraktionsmittel,
Methylergometrin 2–3 × 0,2–0,4 mg/d i. m. (z. B. Methergin®), ggf. in Kombi-
nation mit Oxytocin 2–3 × 2–3 Hübe als Spray (z. B. Syntocinon® Spray) oder
2–3 × 3–5 IE/d i. m. (z. B. Syntocinon®).
8.3.2 Endomyometritis
Definition Auf das Myometrium übergegangene Inf. des Endometriums (▶ 13.4.3).
Klinik Temperatur steigt (38–40 °C), viel Lochien, vermehrte uterine Blutung,
Spontanschmerz.
Therapie Endometritis, Kreislaufüberwachung (1- bis 3-stündlich RR, Puls; ca.
4-stündlich Temperatur), EK, falls Hb < 8 g/dl. Cave: Keine Abrasio wegen intra-
op. Gefahr von Keimverschleppung und Perforation.
8.3.3 Puerperalsepsis
Erreger sind A-Streptokokken (90 % der Fälle).
Klinik Zusätzlich zu den Lokalbefunden der Myometritis alle Zeichen der Sep-
sis:
• Hohes intermittierendes Fieber > 39 °C, Schüttelfröste.
• Trockene rissige Zunge, schweres Krankheitsgefühl.
• Tachykardie, Tachypnoe, Übergang zum Kreislaufversagen mit Schockzei-
chen (▶ 3.5).
Komplikationen Gerinnungsstörungen wie Thrombopenie, Mikrothrombosie-
rung in den Kapillaren, Gefahr der disseminierten intravasalen Gerinnung (▶ 3.7),
bei Verdacht Spezialisten hinzuziehen.
Diagnostik
• Klinik: Zeichen der Endometritis, Sepsis, Pat. plötzlich schwer krank.
• Labor: hohes CRP (oft 20-fach erhöht), ausgeprägte Leukozytose (20–30/nl),
starke Linksverschiebung, Anämie. Blutkultur (meistens: Strept., Staph.,
E. coli, Proteus).
BGA, kleines BB und Ge Krea, Quick, PTT, Fibrino CRP, großes BB, Laktat
rinnung gen, E‘lyte
8.4 Stillen
Frauenmilch ist sowohl von der Nährstoffzusammensetzung als auch durch
den Immunitätsschutz die beste Nahrung für den Sgl. (künstliche Ernährung 8
▶ 9.3.1).
Vorgehen
Möchte die Wöchnerin stillen, sollte das NG möglichst in der 1. Stunde p. p. im
Kreißsaal angelegt werden. Eine Vollnarkose (z. B. bei Sectio) stellt keine KI zum
frühen Stillen dar.
• Milcheinschuss: 2.–4. Tag p. p.; pralle, z. T. schmerzhafte Mammae, gelegent-
lich auftretende Temperaturerhöhung auf ca. 38 °C für 2 Tage ist harmlos.
348 8 Wochenbett
Am besten gelingt das Stillen, wenn das Kind regelmäßig dann angelegt wird,
wenn es sich „meldet“ (Feeding on Demand), lediglich auf eine Spätmahlzeit
(gegen 22:00 Uhr) ist zu achten. Gewichtskontrolle (in den ersten Wochen
1 × tägl., später 1 × wöchentl.). Postpartal nimmt das Neugeborene bis zu
10 % seines Geburtsgewichts ab, holt dies jedoch in den ersten 10–14 Tagen
wieder auf.
Abstillen
Primäres Abstillen
Stillen wird nie begonnen.
• Flüssigkeitsrestriktion, Brust kühlen, evtl. hochbinden (meist reicht straffer
BH).
• Medikamentös: Bromocriptin 2,5 mg/d p. o. über 14 Tage (z. B. Pravidel®)
oder Cabergolin 1 mg/d p. o. (z. B. Dostinex®) als Einmalgabe.
Sekundäres Abstillen
Wie prim. Abstillen, aber häufiger KO. Cave: Dostinex® ist nicht zum sek. Abstil-
len zugelassen.
Klinik
• Meistens am 8.–12. Wochenbetttag plötzliches Fieber bis 40 °C.
• Schmerzhafte Schwellung, bevorzugt am äußeren oberen Quadranten mit re-
gionaler Überwärmung (Rötung) und Druckdolenz. In 75 % einseitig.
• Verhärtung (Infiltrat) bis hin zum Abszess (Fluktuation) mit Gefahr der
Spontanperforation.
8 • Axilläre Lk-Schwellung.
! Die Unterscheidung zwischen Früh- und Spätphase der Mastitis muss dem
Erfahrenen vorbehalten bleiben (Vorstellung der Pat.). Engmaschige Kontrol-
le des Therapieerfolgs (am Folgetag) erforderlich.
Diagnostik
• Klinik (s. o.); Labor mit BB, CRP. Bei Abszessverdacht Mammasono.
• DD Milchstau: Verhärtung der Brust, keine Rötung, kein Fieber → gut leer
trinken lassen, ggf. abpumpen, ggf. Bromocriptin 1–2 × 1,25 mg (z. B. Pravi-
del®), tägl. Kontrolle.
Therapie
Frühphase der Mastitis
• Prolaktinhemmer: Bromocriptin 2–3 × 1,25 mg/d p. o. (z. B. Pravidel®).
• Gute Brustentleerung: Kind anlegen oder Brust abpumpen, dabei Brust „aus-
streichen“ → meist rascher Rückgang der Beschwerden, es kann dann weiter
gestillt werden. Tägl. Befundkontrolle.
Fortgeschrittene Mastitis
Falls mit obigen Maßnahmen keine Entfieberung nach 12–24 h:
• Zusätzlich Antibiotika, z. B. Cefalexin 3 × 1 g/d p. o. (z. B. Cefalex® 1.000) oder
Oxacillin 3 × 1 g/d i. v. für 3 Tage (z. B. Stapenor®), nach lokaler Besserung
oral möglich.
• Ruhigstellung der Brust: Hochbinden, fester BH.
• Kühlung der Brust: Eisblase, kalte Alkoholumschläge.
• Stillverbot: Staph. in der Muttermilch löst GIT-Symptome beim Kind aus.
• Flüssigkeitsrestriktion auf 1.000–1.500 ml/d.
Beginnende Einschmelzung
Zusätzlich:
• Stillverbot (Erkr. des Kindes durch die eitrige Milch!).
• Bromocriptin 5 mg/d p. o. (z. B. Pravidel®).
• Wärmeanwendung (Rotlicht) zur Förderung der Abkapselung.
• Antibiotika (s. o.).
Abszess
Meist Inzision in Hautspaltlinien, Schnitt muss über die ganze Länge des Abszes-
ses gehen. Bei größeren Abszessen muss manchmal am tiefsten Punkt eine Ge-
geninzision durchgeführt und die Wundhöhle drainiert werden (▶ Abb. 8.2).
Prophylaxe
• Händedesinfektion vor dem Stillen, insb. nach Lochienkontakt.
• Rhagadenbehandlung (Bepanthen®-Salbe, Rotasept®-Spray).
• Ggf. zur vorübergehenden Schonung der Mamillen Stillhütchen verwen-
den.
• Milchstau vermeiden, indem die Brust beim Stillen gut entleert wird. 8
• Brustwarzen an der Luft trocknen lassen (feuchte, warme Kammer vermei-
den).
• Kind anfangs nur ca. 5 Min. anlegen.
• Vorsichtiges Herausnehmen der Mamille, ohne dass das Kind gleichzeitig da-
ran saugt, indem zuvor ein Finger in den Mund des Sgl. geschoben wird, an
dem er sich dann „festsaugen“ kann.
350 8 Wochenbett
8.5.2 Ovarialvenenthrombose
Definition Heute seltene KO einer aszendierenden Endometritis, in der Vor-
Antibiotika-Ära lebensbedrohliches Krankheitsbild (Auslöser von Puerperalsep-
sis, Lungenembolie). Meist rechtsseitig wegen des vermehrten venösen uterinen
Rückstroms über die re Venen, gehäuft bei Adnexvarikosis (sonografisch darstell-
bar).
Klinik Meist ab dem 2. Tag p. p. hohes Fieber, Schmerzen im re unteren Abdo-
men (DD Appendizitis), stellenweise durch die Bauchdecken palpable, strangför-
mige, derbe Resistenz.
Therapie ▶ 8.3.3.
8 8.5.3 Beckenringlockerung
Pathogenese Vorwiegend durch den Östrogeneinfluss kommt es in der Schwan-
gerschaft zu einer geringfügigen physiologischen Symphysenlockerung. V. a. nach
komplizierter vag. Entbindung Beckenringlockerung möglich. Der „Symphysen-
schaden“ tritt häufig schon während der Schwangerschaft auf.
Klinik Kreuzschmerzen oder Schmerzen im Bereich der Symphyse. Schmerzen
beim Gehen verstärkt, v. a. beim Treppensteigen. Die liegende Pat. ist außerstan-
de, ein Bein selbstständig anzuheben.
8.6 Wundheilungsstörung 351
Diagnostik
• Sono: Messung des Symphysenspalts, path. ab ca. 12–14 mm.
• Rö: radiologische Messung des Symphysenspalts bei Diskrepanz des Sono-
Befunds zur Klinik, path. ab ca. 10-mm-Spalt oder bei Stufenbildung > 5 mm.
! DD: Retrosymphysäres Hämatom (vag. Untersuchung: retrosymphysärer,
druckdolenter, nicht sehr derber Tumor).
Therapie
• Evtl. Stützmieder, Schonung mit Bettruhe für 2 Wo., bei Beschwerdepersis-
tenz länger.
• Analgetika: z. B. Paracetamol 1.000 mg p. o. oder supp. (z. B. ben-u-ron®).
• Antiphlogistika: Diclofenac 3 × 50 mg/d p. o. (z. B. Voltaren®). Cave: letztes
Trimenon und Stillperiode.
• Bei ausgeprägter Klinik ggf. „prim.“ Schnittentbindung nach Abschluss der
37. SSW.
! Chirurgische Intervention obsolet.
8.6 Wundheilungsstörung
8.6.1 Nach Episiotomie oder Dammriss
Die KO bei (weiter gerissenen) Episiotomien und Dammrissen sind gleich (▶ 8.1).
Wundschwellung
Klinik Schwellung kann über die gesamte 1. Wo. bestehen und schmerzen.
Prophylaxe Situationsadaptierte Schnittführung (▶ 7.1), gute Nahttechnik (z. B.
Intrakutannaht) mit atraumatischem Nahtmaterial (▶ 7.1.2).
Therapie Eisblase; Antiphlogistika; Pat. soll wenig gehen und beim Stuhlgang
möglichst wenig pressen, dazu Stuhlregulierung z. B. mit Lactuveran® 1 Btl. (ent-
spricht 6 g Laktulose) am Abend des 2. Tages p. p. oder Movicol® 3 Btl./d.
Therapie
• Wundsanierung: Wunde unter lokaler Spülther. (z. B. H2O2 3 % + NaCl
8
0,9 %) vollständig eröffnen und reinigen; Granulation der Wundbasis abwar-
ten, ggf. spätere Sekundärnaht. Sollte eine Episiotomie-Inf. 24 h nach Thera-
piebeginn noch fortschreiten, ist eine Wundrevision in Vollnarkose mit voll-
ständiger Nekroseabtragung zu empfehlen.
• Antibiose: bei weiter fortschreitender Inf.:
– Cephalosporin + Piperacillin: z. B. Cefotaxim 2–3 × 2 g/d i. v. (Claforan®)
und Piperacillin 3 × 2 g/d i. v. (Pipril®) oder
352 8 Wochenbett
8.7 Wochenbettberatung
Entlassungstermin
• Bei unkompliziertem Geburts- und Wochenbettverlauf meist am 3. Tag p. p.,
nach der kindlichen U2-Untersuchung durch den Pädiater.
• Bei Z. n. Sectio ab 4. Tag p. p. bei unauffälligem klinischem Befund.
Jeder Wöchnerin steht in den ersten 10 Wochenbetttagen kostenfrei eine ambu-
lante Betreuung durch eine Hebamme zu.
Zwischen 11. Tag p. p. und 8. Wo. p. p. kann Hebammenhilfe noch 16-mal in An-
spruch genommen werden, nach der 8. Wo. p. p. bis zum Abstillen bis zu 4-mal.
Weitere Besuche sind auf ärztliche Anordnung möglich. Kassenrezept mit der Be-
merkung „5 weitere Tage der ambulanten Hebammenbetreuung im Wochen-
bett“, möglichst mit Begründung, z. B. „Status nach schwerer Entbindung mit
Forzeps bei Geburtsstillstand in der Austreibungsperiode“.
Beratungsgespräch
Spätestens bei der Entlassung aus dem stationären Bereich muss mit der Wöchne-
rin ein ausführliches Beratungsgespräch geführt werden. Dabei müssen folgende
Punkte erwähnt werden:
• Rückbildung: Auf regelmäßige Blasen- und Darmentleerung achten; sollten
die Lochien wieder blutig werden, Unterbauchschmerzen oder Fieber auftre-
ten, muss ein Arzt aufgesucht werden.
• Stillen: Mastitissymptome erläutern, damit Pat. frühzeitig Arzt aufsucht
(▶ 8.4).
8 • Bei Milchstau oder Überproduktion: Brust ruhigstellen (Kühlen, festen BH
anziehen), Flüssigkeitszufuhr einschränken (ca. 1,5 l/d), ggf. Bromocriptin
(z. B. Pravidel®).
• Ernährung: ausgewogene, vitaminreiche Kost. In den meisten deutschen Ge-
genden empfiehlt sich eine Strumaprophylaxe, z. B. mit 200 μg/d Jodid. Bei
Hb < 12 g/dl Eisensubstitution zum Auffüllen der Eisenspeicher. Keine Diät
während des Stillens ohne ärztlichen Rat.
• Beckenbodengymnastik: für mind. 6 Wo. zur Deszensusprophylaxe.
8.7 Wochenbettberatung 353
• Hygiene: Duschen ist jederzeit möglich. Solange der Lochialfluss besteht, soll-
ten jedoch keine Wannenvollbäder genommen werden.
• Sexualverkehr: Es sollte das Versiegen des Wochenflusses abgewartet werden
(ca. 4–6 Wo.), um Inf. zu vermeiden und um die Wundheilung bei Episioto-
mie oder Dammriss nicht zu stören.
• 1. Menstruation: tritt bei nicht stillenden Wöchnerinnen nach 5–10 Wo. auf,
bei Stillenden ist sie kaum vorhersagbar (evtl. erst nach Abstillen).
• Kontrazeption: Stillen stellt keinen sicheren Konzeptionsschutz dar. Kontra-
zeption kann entweder mit Barrieremethoden (Kondom), Kupfer-IUP oder
gestagenhaltigem Intrauterinsystem (z. B. Mirena®) (Einlage 6 Wo. p. p.) oder
gestagenhaltigen OH (Minipille ▶ 16.3.2) bzw. 3-Monats-Spritze (▶ 16.3.2)
durchgeführt werden. Letztere gehen in zu vernachlässigender Dosis in die
Muttermilch über, können aber, v. a. bei früher Gabe, die Milchproduktion
einschränken.
• Sterilisation: mittels laparoskopischer Tubenkoagulation; ist erst 6 Wo. p. p.
zu empfehlen (sonst hohe Rekanalisierungsrate!), falls vorher gewünscht, Mi-
nilaparotomie mit Tubenteilresektion, bzw. Tubensterilisation bei der Sectio.
• Folgeschwangerschaft: Nach Spontanpartus 6 Mon., nach Sectio 1 J. mit
nächster Schwangerschaft warten.
• Kind: Regelmäßige Früherkennungsuntersuchungen wahrnehmen (U2 am
3.–10. LT, U3 in der 4.–6. Lw).
• Nächste gynäkologische Untersuchung:
– Vag. Entbindung bei Beschwerdefreiheit: nach 6 Wo.
– Sectio: nach 4 Wo.
– Ambulante Entbindung: ärztliche Kontrolle nach 1 Wo. empfehlen.
– Psychische Probleme im Wochenbett ▶ 20.3.3.
8
9 Neonatologie
Marcus Krüger und Joachim Steller
Bewertung:
9–10 Punkte: optimal lebensfrisch
7–8 Punkte: normal lebensfrisch
5–6 Punkte: leichter Depressionszustand
3–4 Punkte: mittelgradiger Depressionszustand
0–2 Punkte: schwerer Depressionszustand
pH-Wert im Nabelarterienblut
Die Bewertung des Umbilikalarterien-pH nach Saling ergänzt die NG-Zustands-
9
diagn. nach Apgar.
358 9 Neonatologie
Der pH-Wert von NG im Nabelarterienblut liegt bei 7,21–7,31. Von einer signifi-
kanten Azidose bei NG wird ab einem pH-Wert < 7,1 bzw. < 7,0 ausgegangen.
Man unterscheidet zwischen respiratorischer und metabolischer Azidose. Zur
Unterscheidung dieser beiden Formen wird der Basenüberschuss (BE) herange-
zogen. Das Basendefizit in der Nabelschnur des gesunden NG liegt bei 4–5 mmol/l.
Für eine klinisch bedeutsame metabolische Azidose beim NG wird ein Basendefi-
zit > 12 mmol/l bzw. > 16 mmol/l veranschlagt.
Pathogenetisch ist davon auszugehen, dass bei einer Reduktion der Sauerstoffver-
sorgung im fetalen Blut der Fetus dies zunächst durch Umstellung der Perfusion
und Aktivitätsminderung kompensieren kann. Sind diese Mechanismen ausge-
schöpft, entwickelt sich eine metabolische Azidose mit möglichen irreversiblen
Schäden.
9.1.3 Neugeborenenerstuntersuchung U 1
Zeitpunkt Die klinische Untersuchung des NG, U 1, sollte in der 1. Lebensstun-
de erfolgen. Ziel ist die Erkennung von Gefährdungen oder Risiken, die umge-
hend zu behandeln sind. Die U 1 erfolgt durch Frauen- oder Kinderarzt, ggf.
durch die Hebamme. ▶ Tab. 9.4 zeigt die 50. Perzentile mitteleuropäischer Kinder
für Gewicht, Länge und Kopfumfang mit den als 10. und 90. Perzentile definierten
Normgrenzen.
Länge (cm) 50 53 56
Kopfumfang (cm) 34 36 37
Durchführung
9 • Zustand und Verhalten des NG beurteilen.
• Auskultation: Herz (▶ 1.2.3), Lunge, Atmung beurteilen.
9.1 Untersuchung des Neugeborenen 359
• Inspektion:
– Haut: Farbe, Turgor, Ödeme, Blutungen, Geburtsverletzungen (▶ 9.8),
Angiome.
– Schädel und Sinnesorgane: Symmetrie, gespannte Fontanellen, Augen,
Ohren, Mund.
– Hals, Thorax: Schilddrüse (Struma), Schlüsselbein, Einziehungen.
– Skelett: Extremitäten, Wirbelsäule, Gelenke, Fußstellung, Faltenasymmetrie.
• Palpation: Abdomen (Tumor), Leber bis 3 cm unter Rippenbogen, Milz kann
eben tastbar sein, Nabel, Genitale, Femoralispulse, Analregion.
• Neurologische Untersuchung: Muskeltonus, Haltung, Motorik, Kopfkontrol-
le, Schiefhals, Fazialisparese, Schreireflex, Primitivreflex (Such-Saugreflex,
Handgreifreflex, Mororeflex).
• Dokumentation der erhobenen Befunde im Untersuchungsheft.
• Vit.-K-Gabe (nach Einverständnis) (▶ 9.3.3).
Risiken, die bei der U1 vorrangig zu beachten sind
• Niedriges Geburtsgewicht < 2.500 g (▶ 9.1.3).
• Makrosomie > 4.500 g, z. B. bei Diab. mell. der Mutter (▶ 3.4).
• Erkennbare Fehlbildungen, die zur sofortigen Behandlung verpflichten
(▶ 9.7.7).
• Störungen der Spontanatmung (▶ 9.2) oder kardiale Störungen (▶ 9.7.6).
• Geburtstraumen (▶ 9.8), Verdacht auf Amnioninf. (▶ 9.6).
Polyglobulie
Für die Blutflusseigenschaften ist der Hämatokrit (Hkt) entscheidend. Ab einem
Hkt > 70 % (≅ Hb 23 g/dl) nimmt die Blutviskosität exponentiell zu.
Ätiologie
• Pränatal: Stimulation der Erythropoese, meist im Rahmen einer einge-
schränkten Sauerstoffversorgung des Fetus bei mütterlichen Erkr. wie
schlecht eingestelltem (Gestations-)Diab.
• Peripartal: durch späte Abnabelung oder längere Lagerung des NG unter Pla-
zentaniveau.
Klinik
• Mikroperfusionsstörungen: Atemstörungen bis zur Beatmungspflichtigkeit;
neurologische Störungen mit Lethargie bis hin zu Hirninfarkten und renale
Probleme (Nierenvenenthrombose).
• Typischerweise begleitende Thrombopenie als Zeichen der Mikrothrombosie-
rung und Hypokalzämie.
Therapie Bei Hkt > 65 % mit Symptomen und jedem Hkt > 70 % Teilaustausch-
transfusion gegen Albumin oder Voll-Elektrolytlsg.
Durchführung
Beatmung
• Atemwege frei machen (Absaugen), bei Mekoniumaspiration oder erbsbrei-
artigem FW tracheale Absaugung.
• Maskenbeatmung besonders bei Asphyxie mit Raumluft. Bei fehlendem An-
stieg der Sättigung (> 80 %) Fortsetzung mit 50 % Sauerstoff.
• Atemzugvolumen eines reifen NG nur ca. 20 ml!
• Kontrolle der Herzfrequenz und des Hautkolorits.
Kardiale Reanimation
Wenn Frequenz weiter < 60 SpM NG; < 80 SpM FG:
• Thoraxkompression mit Daumen, die Finger umfassen den Thorax.
• Kompression, bis deutlicher Widerstand. 9
• Frequenz 2/Sek. (120 SpM).
! Thoraxkompression und Beatmung im Verhältnis 3 : 1 (▶ Abb. 9.3).
362 9 Neonatologie
• Wärmezufuhr
• Bei Atemwegsobstruktion Herzfrequenz,
(Mekonium, Blut, Schleim) Spontanatmung,
Absaugen der Atemwege Muskeltonus
• Trocknen, warme Tücher
• Positionierung, Stimulation Nein Ja
• Atemhilfe
optimieren
Hilfe notwendig?
HF < 60 Überwachung
Beatmung,
Herzmassage
3 : 1, alle 30 Sek.
HF checken
Venöser Zugang,
Medikamente
Monitoring
• Pulsoxymetersättigung: SO2 > 90 % (ab 10 Min. p.p.). Akzeptable Sättigungs-
werte (obere Extremität) direkt postnatal: mit 2 Lebensmin. 60 %, mit 3 Le-
bensmin. 70 %, mit 4 Lebensmin. 80 %, mit 5 Lebensmin. 85 % und mit 10 Le-
bensmin. > 90 %.
• Beurteilung der patienteneigenen Herzaktion, unter Reanimation Pulswelle
fühlbar und ableitbar.
• Blutgase NG: pH-Wert ansteigend im Vergleich zum arteriellen Nabel-
schnur-pH, 1 h p. p. > 7,35, pCO2 30–50 mmHg, Standardbikarbonat 18–
9 22 mmol/l.
9.2 Reanimation des Neugeborenen 363
Arzneimittel/Therapie
• Adrenalin 1 : 1.000 (1 mg/ml) mit 9 ml NaCI 0,9 % verdünnen (100 μg/ml).
Davon 0,1–0,3 ml/kg KG i. v. oder endotracheal (1 ml/kg KG), unter Reani-
mation alle 3–5 Min. wiederholen.
• Atropin: 0,1 mg = 0,2 ml absolut (Atropin Braun® 0,5 mg/ml) i. v., i. m.
• Venösen Zugang legen (Nabelvenenkatheter ▶ 9.2.4), Glukose 5 % 10 ml lang-
sam i. v.
• Volumengabe:
– Initial NaCI 0,9 % 10 ml/kg KG über 10 Min.
– Bei Hydrops fetalis Humanalbumin 5 % 10 ml/kg KG über 10 Min.
– Bei schwerer Anämie EK 10 ml/kg KG über 30 Min. (Blutgruppe 0 neg.,
ungekreuzt).
• Azidosebehandlung mit Natriumhydrogenkarbonat 8,4 % (= Natriumbikarbo-
nat) ist für die Reanimation nicht empfohlen. In Ausnahmefällen (anhaltend
schwere Azidose trotz adäquater Beatmung): Berechnete Pufferung (neg.
BE × KG × 0,3 = Natriumbikarbonat 8,4 % in ml) 1 : 1 oder 1 : 2 verdünnen
i. v. über 10 Min.
• Naloxon bei Opiatüberhang: 0,01 mg/kg KG = 0,05 ml/kg KG s. c., i. m. oder i. v.
• Kühlung auf ca. 34 °C Körperkerntemperatur nach Reanimation bei post
asphyktischem Organversagen.
9.2.2 Intubation
Indikationen zur postnatalen endotrachealen Intubation
Hypoxämie, die mit Maskenbeatmung nicht beherrschbar ist (z. B. initial hoher
Eröffnungsdruck notwendig bei FW gefüllten Alveolen) oder Atemnotsy., Aspira- 9
tion, Pneumonie, anhaltende Apnoe/Hypopnoe (Frühgeburtlichkeit, ZNS-Fehl-
bildung, Opiatüberhang), Entfernung von Sekret oder Mekonium aus den zentra-
len Atemwegen. Reanimation.
364 9 Neonatologie
Intubation
Material Beutel, Maske, Sauerstoff, Absaugvorrichtung, Laryngoskop, verschie-
dene Spatel, Magill-Zange, Tuben (▶ Tab. 9.5) passende Mandrins, Mandrin im
Tubus bis an die Spitze vorschieben, Pflaster, Monitor.
Medikation
• Notfallintubation (Reanimation) ohne Medikamente.
• Elektive Intubation: Atropin 0,2 ml (= 0,1 mg) i. v., Pancuronium 0,1 mg/kg
KG (= 0,05 ml/kg KG) i. v.; Fentanyl 3 μg/kg KG langsam i. v. oder vergleich-
bares Opiat.
Nasotracheal Orotracheal
1.000 2,5 8 7
2.000 3,0 9 8
Durchführung Eine orotracheale Intubation ist nur mit harten Tuben (cave:
Verletzung) oder Silikontuben mit Mandrin möglich (Intubation rascher und für
Ungeübte „sicherer“).
• Monitoring anschließen (EKG, Sättigung).
• Kindlichen Kopf in Mittelstellung in leichte Überstreckung bringen, Schul-
tern mit Windel 2–3 cm dick unterpolstern, Unterkiefer nach ventral vorzie-
hen (▶ Abb. 9.4).
• Magen und Rachen absaugen, Absauger bereithalten.
• Medikation, soweit möglich.
• Beutel und Maskenbeatmung zum optimalen Voroxygenieren.
• Laryngoskop mit der li Hand am re Mundwinkel einführen (Mund mit re
Hand öffnen). Mit Spatel Zunge aufladen und nach li verdrängen. Rasch vor-
schieben, bis Epiglottis sichtbar. Cave: Zahnleisten nicht verletzen.
• Laryngoskop mit Daumen und Zeigefinger weiterführen, Kinn nach ventral
ziehen, mit den übrigen Fingern der li Hand Druck auf Kehlkopf. Mit Spa-
telspitze Epiglottis aufladen. Kehlkopfeingang jetzt sichtbar. Tubus mit re
Hand an Spatel entlang und in Glottis einführen. Mandrin entfernen lassen,
9 Tubus weiter vorschieben (2–3 cm), bei Widerstand leichte Drehbewegung
des Tubus oder Kopf gering beugen. Tubus gut festhalten, Laryngoskop ent-
fernen.
9.2 Reanimation des Neugeborenen 365
Nasotracheale Intubation
Tubus durch Nase (sagittal-medial) vorschieben (nicht nach kranial) bis zum Hy-
popharynx, laryngoskopische Einstellung wie oben beschrieben. Tubus mit Ma-
gill-Zange im Rachen fassen und in Glottis einführen und durch die Nase von
Hand nachschieben. Pflasterfixierung am Nasenrücken. Cave: Intubationsversuch
bei Untersättigung oder Bradykardie abbrechen und Pat. über Masken- oder Ra-
chen-Beatmung stabilisieren.
9.2.3 Beatmung
Die Beatmung am Beutel sollte mit einer Frequenz von ca. 60/Min. durchge-
führt werden. Dabei sollte sich der Thorax gerade sichtbar heben, die Sauer-
stoffsättigung sollte > 92 % liegen (ggf. Sauerstoffzufuhr). Cave: Pneumotho-
rax.
• Kontrollierte Beatmung (IPPV, Intermittent Positive Pressure Ventilation):
druck- oder volumenkontrollierte Beatmung, lässt keine Eigenatmung des
Pat. zu.
• Beatmung am Beatmungsgerät mit PEEP (Positive End-Expiratory Pressu-
re): Atemwegsdruck, der bei Beatmung in der Exspirationsphase den Druck
intratracheal pos. hält (+3 bis +6 cmH2O) und damit den exspiratorischen
Alveolarkollaps verhindert.
• Unterstützende Beatmung (Intermittent Mandatory Ventilation, IMV): ap- 9
pliziert obligate Atemhübe, erlaubt daneben eigene Atemzüge des Pat., mit
366 9 Neonatologie
9.2.4 Nabelvenenkatheter
Durchführung
• Lokale Desinfektion des Nabelstumpfs z. B. mit Alkohollösung (Kodan®), mit
Schlitztuch abdecken, Nabelschnur über Hautniveau mit Faden anschlingen
(cave: arterielle Blutung), Nabelschnurrest 1 cm vor dem Hautansatz durch-
trennen, erneute Hautdesinfektion, steriles Arbeiten.
• Nabelschnurstumpf durch zwei chirurgische Pinzetten spreizen.
• Darstellung und Spreizung der Nabelvene als größtes der drei Gefäße, i. d. R.
zwischen 11 und 2 Uhr liegend (Nabelarterie kreisrund! ▶ Abb. 9.5).
• Ggf. entfernen von Thromben mittels Pinzette. Sofern Verhältnisse nicht ein-
deutig: Darstellung des Venenverlaufs mittels Knopfsonde im Einführwinkel
von ca. 60° nach kranial gerichtet.
• Einführung eines mit NaCl 0,9 % gefüllten NVK (reife NG Ch 5, FG < 1.500 g
Ch 3,5), bis unter leichter Aspiration Blut gewonnen werden kann. Einführ-
länge: Gewicht < 1.000 g → 6 cm, 1.500–2.000 g → 8 cm, > 2.500 g → 10–12 cm
ab Hautniveau (radiologische Kontrolle der Katheterlage ist obligat!).
• Sterile Pflasterfixation.
• Sollte der Ductus venosus Arantii nicht überwunden werden, gelangt der Ka-
theter in periphere Pfortaderäste (keine Blutaspiration, federnder Wider-
stand). Hier dürfen keine Medikamente appliziert werden. Katheter zurück-
ziehen, bis frei Blut aspirierbar (reife NG ~ 5 cm ab Nabelgrund). In dieser
Lage können alle Notfallmedikamente appliziert werden.
9
9.2 Reanimation des Neugeborenen 367
9.2.5 Absaugen
Nur bei Atemwegsobstruktion durch Blut, Sekret, Mekonium wird das Frei-
machen der Atemwege p. p. durch Absaugen von Mund und Rachen, danach
von Nase und später vom Magen bei NG empfohlen.
Pharyngeales Absaugen
Durchführung Einen Zeigefinger in den Mund einführen, sterile Absaugsonde
(Ch 10) in Mund und Rachen vorschieben, unter Aspiration (max. 0,2 bar) zu-
rückziehen. Anschließend Nase absaugen, bei Dyspnoe Sondierung (Ch 6) der
Nase bis zum Magen mit dünnem, sterilem Absaugkatheter zum Ausschluss einer
Choanal- oder Ösophagusatresie. Cave: Auslösung eines vasovagalen Reflexes mit
Bradykardie und Apnoe möglich. Besonders innerhalb der ersten 15 Min. p. p.
Tracheales Absaugen
Indikationen
• Zwingend erforderlich bei Mekoniumaspiration mit deprimiertem Kind vor
Beatmung.
• Reanimation.
• Langzeitbeatmung.
Durchführung Orale oder nasale Intubation (▶ 9.2.2). Monitorüberwachung.
Nach Hyperventilation und Präoxygenierung (5–10 Atemzüge). Sterilen Absaug-
katheter ohne Sog entsprechend der Tubuslänge in den Tubus einführen, mit ein-
geschaltetem Unterdruck (0,1–0,2 bar) evtl. nach Anspülen mit 1 ml NaCl 0,9 %
unter drehender Bewegung zurückziehen. Der Vorgang sollte nicht länger als 10
Sek. dauern. Ggf. erneute Hyperventilation, Vorgehen wie beschrieben. Erneute
Lungenauskultation (Atelektase, Tubusposition unverändert), falls erforderlich, 9
Bronchiallavage mit NaCl 0,9 % (z. B. bei Mekoniumaspiration).
368 9 Neonatologie
Stillen ist die optimale Ernährung von NG und Sgl. in den ersten Lm. Eine
Zufütterung (Tee, Milch) ist beim gesunden NG und zeitgerechter Milchbil-
dung unnötig. Eine Medikation der Mutter ist in aller Regel keine KI zum
Stillen. Echte KI sind floride Tbc, HIV-Inf. oder Inf., die mit Bakteriämie
einhergehen, sowie wenige andere Medikamente.
Wenn Stillen aus mütterlicher oder kindlicher Ind. nicht möglich ist, sollte
abgepumpte Muttermilch mit Löffel oder Flasche gefüttert werden.
Präparatewahl
Für die Säuglingsernährung steht industriell hergestellte Säuglingsnahrung auf Kuh-
milchbasis zur Verfügung (sog. Formula-Nahrung). Die Selbstherstellung ist obsolet
und führt zu Fehlernährung. Bei volladaptierten Nahrungen, die als Alternative zur
Muttermilch die erste Wahl sind, wird der hohe Eiweißgehalt der Kuhmilch reduziert
und qualitativ verbessert. Die Kohlenhydratanreicherung besteht nur aus Laktose.
Bei allergischer Disposition (Eltern) bietet Muttermilch Schutz vor früher allergi-
scher Erkr. (Neurodermitis). Alternativ sollten hypoallergene Präparate (Kuh-
milchprotein-Hydrolysat) verabreicht werden.
Gewichtszunahme
Die physiologische postnatale Gewichtsabnahme beträgt 10–15 % des Geburtsge-
wichts, bei Werten > 10 % sollte die Trinkmenge (Fütterung abgepumpter Milch)
überprüft werden. Die durchschnittliche Gewichtszunahme nach Wiedererrei-
chen des Geburtsgewichts beträgt 150–250 g/Wo.
9.3.2 Vitamin-D-Prophylaxe
Vit. D3 (Cholecalciferol) ist das natürliche antirachitische Vit., das in der Haut aus
Vorstufen gebildet wird und bei Sgl. wegen des erhöhten Bedarfs zur ausreichen-
den Knochenbildung und Prophylaxe vor einer Rachitis mit der Nahrung zuge-
9 führt werden sollte. Es sollten 500 IE/d p. o. als Tbl. (z. B. Vigantoletten®) ab dem
7. LT über mind. 1 J. (mit der Nahrung) verabreicht werden. FG erhalten
1.000 IE/d. Zur Kariesprophylaxe ist die gleichzeitige Gabe von 0,25 mg Fluor als
Kombinationspräparat pädiatrisch empfohlen (Fluor-Vigantoletten®).
9.3 Ernährung, Rachitisprophylaxe und Impfungen 369
9.3.3 Vitamin-K-Prophylaxe
Die Vit.-K-Prophylaxe dient zur Prävention der Vit.-K-Mangelblutung, die schon
am ersten LT oder typischerweise im Alter von 4–8 Wo. als schwere Hirnblutung
auftritt (extrem erniedrigter Quick-Wert). Bei FG soll durch die parenterale Gabe
die „frühe“ Blutungsneigung vermieden werden. Vit. K ist nicht in der Mutter-
milch enthalten, während bei Formelmilchnahrungen Vit. K in geringer Menge
zugefügt ist. Besonders gefährdet sind NG mit teilweise auch passageren hepati-
schen oder biliären Erkr., weil dadurch die enterale Vit.-K-Resorption gestört ist,
ggf. ist dann die parenterale (s. c.; i. m.) Gabe indiziert.
U1 (sofort nach Geburt) 2 mg = je 2 Tr. p. o. 500 μg = 0,05 ml i. v., i. m. oder s. c.
Zeit. Die Versendung muss am Tag der Blutentnahme erfolgen. Die versendende
Klinik ist für die Dokumentation der Versendung (gelbes Kinder-Untersuchungs-
heft) und auch des Rücklaufs verantwortlich.
Hörscreening
Das Hörscreening soll nach den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses
bei allen NG bis zum 3. LT durchgeführt werden. Ein bis zwei von 1.000 NG wei-
sen eine Hörschädigung auf, die eine rasche Versorgung mit Hörhilfen erforder-
lich macht. Bislang wurde eine Schwerhörigkeit bei Sgl. und Kleinkindern häufig
erst erkannt, wenn das Kind durch eine verzögerte Sprachentwicklung auffällig
wurde. Kinder mit leichterer oder mittelgradiger Hörschädigung werden meist
erst im Kindergartenalter, häufig sogar erst in der Schule auffällig. Ein besonderer
Risikofaktor ist die konnatale CMV-Inf. nach prim. CMV-Inf. der Mutter in der
Schwangerschaft und bei Geburt asymptomatischen Kindern.
Diagnostik Die Untersuchung erfolgt mittels transitorisch evozierter otoakusti-
scher Emissionen (TEOAE) oder Hirnstammaudiometrie (AABR) vor Entlas-
sung des Kindes. Die Untersuchung ist mit entsprechenden Geräten schnell und
problemlos durchführbar. Bei auffälligen Befunden (häufig falsch auffällig) soll
am selben Tag spätestens bei der U 2 (in 95 % der Fälle noch in der geburtshilfli-
chen Abteilung), in Ausnahmefällen bei der U 3 eine AABR erfolgen. Bei „Risi-
kokindern“ wie FG, Kindern mit Chromosomenstörungen oder konnatalen Inf.
soll prim. eine AABR erfolgen. Die Verantwortung für die Durchführung liegt
bei dem leitenden Arzt der geburtshilflichen Abteilung. Die Dokumentation er-
folgt im gelben Untersuchungsheft, das Krankenhaus hat eine jährliche Statistik
vorzulegen.
9.3.5 Impfkalender
Um die Zahl der Injektionen möglichst gering zu halten, werden Kombinations-
impfstoffe verwendet. In ▶ Tab. 9.7 sind nicht alle verfügbaren Kombinations-
impfstoffe aufgeführt.
9
9.3 Ernährung, Rachitisprophylaxe und Impfungen 371
Tab. 9.7 Für Kinder und Jugendliche gemäß STIKO empfohlene Schutzimp-
fungen (Auszug)
Zeitpunkt Impfung Applikation Bemerkungen
9.4 Icterus neonatorum
9.4.1 Grundlagen
Definition Beim Reifgeborenen liegt der Median des maximalen Bilirubins
(physiologisches Maximum) um den 5. LT bei 7,5 mg/dl. Unkonjugiertes (indi-
rektes) Bili kann im Gegensatz zu konjugiertem direktem Bili die Blut-Hirn-
Schranke passieren und ist neurotoxisch. Die schwerste Ausprägung der Neuroto-
xizität des Bilirubins ist bedingt durch Bili-Ablagerungen v. a. in den Stammgang-
lien, der sog. Kernikterus mit schwersten motorischen und mentalen Defiziten.
Reife und gesunde NG ohne Hämolyse haben ein sehr geringes Risiko, einen
bleibenden Hirnschaden durch eine Hyperbilirubinämie zu erlangen.
Diagnostik
• Körperliche Untersuchung (Kind vital oder krank!), ggf. erweiterte Anamne-
se (z. B. Hämoglobinopathien in der Familie).
Direkter Coombs-Test (= direkter Antiglobintest) (▶ Abb. 9.6).
9 ••
Gesamt- und direkte Bili-Bestimmung.
• BB, Differenzial-BB, CRP (zum Ausschluss NG-Inf.).
• Bei Hämolyseverdacht: Retikulozyten und LDH.
9.4 Icterus neonatorum 373
Frühgeborenen-Ikterus,
Kephalhämatom,
Hypothyreose,
Crigler-Najjar-Sy.
diabetische Fetopathie
biliru- Bili > 15* Coombs- Bilirubin Hkt, normal
binämie Test Retikulo-
zyten
9.4.3 Fototherapie
Definition Die Fotother. führt über verschiedene fotochemische Prozesse zur
Aufspaltung des unkonjugierten Bilirubins in ausscheidbare und nicht neurotoxi-
sche Metaboliten. Jedes sichtbare Licht kann verwendet werden. Effektiv ist Licht
der Wellenlänge 410–530 nm (energiereich, kein UV-Licht). Die Fotother. bei
Werten unterhalb der kritischen Grenzen kann auch bei der Mutter im „Bili-Bett“
oder mit „Biliblanket“ durchgeführt werden. Die Ind. zur Ther. ergibt sich aus
▶ Tab. 9.8. Zuvor sollte die oben genannte diagn. Abklärung erfolgen. Bei einem
Icterus praecox Verlegung in eine Kinderklinik. Bei Werten nahe der Austausch-
grenze engmaschige (2–4 h) Bili-Kontrolle.
Vorgehen Augenmaske zum Lichtschutz der Retina, Windel entfernen, Kind
nackt unter Fotolampe (Abstand ca. 60 cm), regelmäßige Kontrolle von Hautwär-
me und -zustand, rektaler Temperatur, Vitalparametern, zum Füttern Pause so-
fern von Bili-Werten vertretbar. Regelmäßiger Lagewechsel (Bauch, Rücken).
Flüssigkeitszufuhr um 20 % erhöhen. Kontrolle bei unproblematischem Verlauf 9
nach 12 h, Fotother. für 24 h durchführen, bei im Verlauf weiter spontan fallen-
dem Wert Entlassung möglich.
374 9 Neonatologie
< 24 Jeder Icterus praecox (Bili > 7) ist pathologisch, Fotother., evtl. Aus
tausch, rasche Verlegung
9.4.4 Rhesusprophylaxe
Problemkonstellation
Mutter Rh-neg. (15 %), Vater Rh-pos. (85 %). Ein Teil der Partner Rh-neg. Mütter
sind allerdings heterozygot, somit liegt die Häufigkeit Rh-pos. Kinder aus diesen
Verbindungen bei etwa 10 %.
Pathogenese
Defekte an der Grenze zwischen mütterlichem und kindlichem Kreislauf führen
bei bestimmten Schwangerschaftsereignissen zum Übertritt fetaler Erys, wobei ca.
0,1 ml fetales Blut bereits zur Ak-Bildung führen können.
Interruptio 20 5,5
Extrauteringravidität 30 1,0
Während die Reife der FG entscheidend für die Prognose ist, erfolgt international
die Unterteilung auch nach – absolut objektivem – Geburtsgewicht. Bei einer
Mangelentwicklung (< 10. Perzentile für das Gestationsalter) entsprechend einer
fetalen IUGR sollte nach Ausschluss eindeutiger Ursachen (z. B. starker Nikotina-
busus der Mutter, mütterliche Erkr., Mehrlinge, Gestose) postnatal eine weitere
Abklärung erfolgen.
Risikofaktoren
• Vorausgegangene Geburten < 2.500 g oder vorausgegangene Totgeburt.
• Untergewicht der Mutter (BMI < 18).
• Mütterliche (inadäquat ther.) Vorerkr. wie Diabetes mellitus, Hypo- oder Hy-
perthyreose, renale Erkr.
• Uterusanomalien oder Uterus myomatosus, uterine Blutung in der jetzigen
Schwangerschaft.
• Mehrlingsschwangerschaft.
• Polyhydramnion.
• EPH-Gestose bzw. HELLP-Sy.
• Vorzeitige Wehentätigkeit oder Zervixinsuff.
• Lageanomalien.
• Inf. in der Schwangerschaft (Lues, Toxoplasmose, Röteln, Hepatitis etc.).
Versorgung von Frühgeborenen und hypotrophen Neugeborenen
p. p.
• Umgehende Übergabe an den Pädiater.
• Hypothermie vermeiden: Kind abtrocknen, dann Inkubator oder Wärme-
strahler.
• Anlegen eines venösen Zugangs zur Glukoseversorgung.
• Minimal Handling: Kind zur Verminderung von Stress- und Infektionsgefahr
wenig umlagern, vorsichtig untersuchen oder absaugen, nichtinvasive Moni-
torüberwachung, Vermeidung überflüssiger Hygienemaßnahmen.
• Ther. von Atemstörungen (▶ 9.2.2 und ▶ 9.2.3).
• Abklärung und Ther. einer perinatalen Inf. (▶ 9.6).
9 9.6 Infektionen
Nachfolgend werden die wichtigsten perinatalen Inf. behandelt, die sich i. d. R. in-
nerhalb der ersten 3 Tage p. p. manifestieren. Inf. vor oder unter der Geburt erfol-
9.6 Infektionen 377
9.6.1 Neugeborenensepsis
Klinik
• Hyper- (> 37,5 °C) oder Hypothermie (< 36,5 °C), Apathie oder Hyperexzita-
bilität, Trinkunlust.
• Blassgraues Hautkolorit, Marmorierung, kalte Extremitäten, Petechien, Purpura.
• Atemstörungen (Tachypnoe, Apnoe, Stöhnen, Einziehungen).
• Aufgetriebenes Abdomen, Erbrechen, Exsikkose.
• Hepatosplenomegalie, Ikterus.
Erreger
• Gramneg. Keime: Enterobacteriaceae (E. coli, Klebsiella-Gruppe, Proteus
mirabilis, Serratia), Pseudomonas aeruginosa, Salmonellen.
• Grampos. Keime: α- oder β-hämolysierende Strept., Enterokokken, Staph.,
Pneumokokken, Listeria monocytogenes.
• Pilze: Candida-Spezies.
• Viren: Zytomegalie, Röteln, Herpes simplex, Coxsackie, Echo, Hepatitis B.
Diagnostik Infektionsverdacht besteht bei:
• Klinischer Auffälligkeit, z. B. schlechtem Hautkolorit oder Vitalparametern:
Pulsfrequenz > 150/Min., Atemfrequenz > 60/Min. Temperatur > 37,5 °C
oder < 36,5 °C.
• Leukozyten > 30.000/μl oder < 6.000/μl, Linksverschiebung im Differenzial-
BB, Neutrophilen-Index: Stabkernige/Gesamtneutrophile > 0,2.
• Thrombozyten < 100.000/μl.
• CRP > 20 mg/l. 9
• Blutgasanalyse: BE erniedrigt (Azidose), pCO2 erhöht.
• Laktaterhöhung (> 2 mmol/l).
• Pos. Bakteriologie (Blutkultur, Abstriche, Magensekret).
378 9 Neonatologie
Atemnotsy. Hypoglykämien
Erhöhtes Infektionsrisiko
Trinkstörungen
Temperaturregulationsstörungen
9 Durchführung
• Antibiotikather.: Mit Geburtsbeginn: Ampicillin initial 2 g i. v. (z. B. Binotal®),
dann 1 g i. v. alle 4 h bis zur Geburt. Bei Penicillinallergie Clindamycin 900 mg
9.7 Fetale Fehlbildungen 379
i. v. alle 8 h (z. B. Sobelin®). Bei klinischer Symptomatik ▶ 9.6.1. Cave: Häufig
Ampicillinallergie bei Erw.
• Monitoring des NG für 72 h postpartal bei
– Müttern mit pos. vag. Abstrichergebnis von Gruppe-B-Strept. (GBS) in
der Schwangerschaft.
– Müttern, die früher bereits ein GBS-infiziertes Kind geboren haben.
– Müttern mit GBS-Bakterurie in dieser Schwangerschaft.
– Allen FG (< 37 SSW).
– Blasensprunglatenz von > 18 h.
• Monitoring erfolgt mittels Überwachungsbogen mit Dokumentation der Vi-
talparameter Atemfrequenz, Herzfrequenz (in Ruhe), Muskeltonus, Hautko-
lorit, Temperatur alle 4 h. Lückenlose postnatale Überwachung des NG. Bei
Symptomen klinische Untersuchung und ggf. Inf.-Diagn. (s. o.)
• Evtl. histologische Untersuchung von Plazenta, Eihäuten und Nabelschnur.
9.7 Fetale Fehlbildungen
Fetale Fehlbildungen gehen häufig mit Lage-, Haltungs- oder Einstellungsanoma-
lien sowie mit Polyhydramnie einher. Die Frühgeburtenrate ist erhöht. Die routi-
nemäßige Ultraschalluntersuchung in der 19.–22. SSW (▶ 22.2.3) ermöglicht die
Erkennung wesentlicher fetaler Fehlbildungen. Bestimmte Auffälligkeiten wie die
Analatresie sind der Ultraschalldiagn. nicht zugänglich. Derzeit werden ca. 50 %
der angeborenen Herzfehler pränatal erkannt. Besprochen werden hier häufige
Fehlbildungen oder solche, die unverzüglich einer adäquaten Ther. zugeführt wer-
den müssen.
9.7.1 Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten
Definition Hemmungsfehlbildungen mit Determination in der 3.–8. Embryo-
nalwo. Sie können isoliert und kombiniert, ein- und doppelseitig auftreten. Häu-
figkeit ca. 1 : 1.000.
9.7.2 Polydaktylie, Syndaktylie
• Polydaktylie: Überzählige Finger und Zehen kommen als zusätzlicher Strahl
oder nur als häutiges Anhängsel vor. Sie treten isoliert als autosomal-domi-
nantes Merkmal oder im Rahmen zahlreicher Sy. auf. Ther. sind kosmetische
und funktionell op. Maßnahmen innerhalb der ersten 2 Lj.
• Syndaktylie: Fehlende komplette oder inkomplette Trennungen mehrerer
Finger gehören zu den häufigsten Fehlbildungsformen der Hand (1 : 2.000
Geburten). Bevorzugt betroffen ist die 3. Zwischenfinger- (oder -fuß-)falte.
Sie tritt in 70 % sporadisch auf, sonst im Rahmen autosomal-dominanter Ver-
erbung oder bei zahlreichen Sy. Eine op. Trennung sollte i. d. R. vor dem 3. Lj
erfolgen.
9.7.3 Fußfehlstellungen
▶ Abb. 9.7.
• Klumpfuß (Pes equinovarus): kombinierte Fußfehlstellung aus Spitzfußstel-
lung des Gesamtfußes, Varus-(Supinations-)stellung des Hinterfußes und
Supinations-Adduktionsstellung des Vorfußes. Ther.: ab dem 1. LT manuelle
Redression und Fixierung im Gipsverband. Später op. Korrektur erforderlich.
• Sichelfuß (Pes adductus): vermehrte Vorfußadduktion mit Abspreizung der
Großzehe. Ther.: regelmäßige Redressionen während der ersten Lm, evtl. in
der 1. Lw manuelle Redression und Fixierung mit elastischem oder Gipsver-
band (Kletterfuß: im Gegensatz zum Sichelfuß ohne Vorfußadduktion).
• Hackenfuß (Pes calcaneus congenitus): hochgeschlagene Fußfehlstellung
mit der Unmöglichkeit der Plantarflexion. Ther.: ab der 1. Lw manuelle Re-
dression und Bandagieren des Fußes in Richtung Spitzfußstellung.
Spitzfuß Hackenfuß
Knickfuß Klumpfuß
Plattfuß Hohlfuß
Pränatale Diagnostik Fetale Sono mit direktem Nachweis der Zele, der fehlen-
den Wirbelsäulenkontinuität und des Hydrozephalus. Evtl. fehlende Beinbeweg-
lichkeit oder Fußfehlstellung. Bestimmung von AFP aus mütterlichem Blut oder
FW (▶ 5.1.6).
Management Entbindung an Terminnähe per Sectio (vor Einsetzen von Wehen)
reduziert das Lähmungsniveau um ein Rückenmarksegment. Sectioind. meist
auch durch Hydrozephalus gegeben. Entbindung in einem Zentrum mit kinder-
neurochirurgischem Team.
Therapie Bauchlage, sofortiges Abdecken mit sterilen feuchten Kompressen.
Klinische Beurteilung der Ausdehnung mit schlaffer Parese unterhalb der Rü-
ckenmarksunterbrechung. Fußfehlstellung, Analreflex, Harnaufstau. Unverzügli- 9
che Planung der plastischen Deckung, sek. Shuntanlage bei Hydrozephalus. Neu-
ropädiatrische, orthopädische und urologische Nachsorge essenziell.
382 9 Neonatologie
Myelon Myelon
Abb. 9.8 Myelozelen. Spina bifida occulta: Mit Haut verdeckter Wirbelspalt ohne
Hervortreten von Rückenmark oder Meningen. Myelozele: Spaltung von Haut,
Wirbelbogen, Dura, plattenförmige Vorwölbung des Myelons oder der kaudalen
Nervenwurzeln. Meningozele: Wirbelbogen und Dura gespalten, keine Ausstül
pung des Myelons oder kaudaler Nervenwurzeln. Meningomyelozele: Haut, Wir
belbogen und Dura gespalten, Nervenwurzeln oder Myelon in die Zele hernien
artig vorgewölbt. Rückenmark immer verändert. [L106]
Folsäure (400 μg/d, z. B. Folsan®) beginnend 4 Wo. vor Konzeption bis zur
abgeschlossenen 12. SSW. reduziert das Risiko einer Spina bifida deutlich.
Ebenso kann das Wiederholungsrisiko reduziert werden. Frauen, die bereits
mit einem Kind mit einem Neuralrohrdefekt schwanger waren, erhalten
5 mg/d Folsäure über den gleichen Zeitraum.
9.7.5 Ösophagusatresie
Definition Rudimentäre Anlage oder Fehlen von Teilen der Speiseröhre, in 85 %
mit Verbindungen zwischen Bronchialsystem und aboralem Anteil des Ösopha-
gus (Ösophagotrachealfistel Typ IIIb nach Vogt; ▶ Abb. 9.9). Häufigkeit: 1 : 3.800.
1 2 3a 3b 3c
9.7.6 Omphalozele
Klinik Die Omphalozele ist eine Herniation von Darmanteilen in den Ansatz
der Nabelschnur.
Diagnostik
• Pränatal bei kleinen Omphalozelen sonografisch nicht möglich.
• Postnatal können kleine Omphalozelen mit aufgetriebenen Nabelschnuran-
sätzen verwechselt werden.
Management Eilige Operation, Gefahr von Volvulus und Perfusionsschädigung.
Prognose Gastrointestinal gut, da der Darm vor FW geschützt liegt und Flüssig-
keitsverlust und Peritonitis nicht drohen. 25–40 % der Omphalozelen sind jedoch
mit Chromosomopathien assoziiert!
9.7.7 Gastroschisis
Klinik Die Gastroschisis ist ein zentral meist rechts der Nabelschnur gelegener
Defekt in der Bauchwand durch den fehlenden Verschluss der embryonal offenen
Bauchwand. Darmschlingen und evtl. weitere Bauchorgane liegen extraabdomi-
nal und haben wie auch das Peritoneum direkten Kontakt zum FW.
Diagnostik Pränatales Organscreening mit Nachweis von extraabdominal lie-
gendem Darm.
Therapie Entbindung in einem neonatologischen Zentrum per Sectio (Gefahr
der Ischämie oder Riss von Darmstrukturen). Gründliches Absaugen des Magen-
inhalts, sterile feuchte Verpackung (z. B. sterilen durchsichtigen Plastik-Darmsack
aus OP, untere Körperhälfte, einschließlich vorgefallenen Darm einschließen).
Unbedingt seitliche Lagerung, um Perfusion und venösen Abfluss des Darmpa-
kets zu gewährleisten, regelmäßige Perfusionskontrolle. Sofortige Operation mit
direktem Bauchwandverschluss oder Patchversorgung.
Prognose Die Gastroschisis ist nur selten mit anderen Fehlbildungen assoziiert. 9
Bei sehr großen Defekten mit extraabdominal gelegenen Organen (z. B. Leber) ist
384 9 Neonatologie
die Prognose ernst. Entscheidend ist die Funktion des durch den FW-Kontakt ge-
schädigten Darms.
9.7.8 Kardiovaskuläre Fehlbildungen
Einteilung
• Ventrikelseptumdefekt: häufigster angeborener Herzfehler (ca. 30 % aller
Herzfehler). Links-rechts-Shunt. Klinisch bei großem Defekt Zeichen der
Herzinsuff. Meist erst nach der ersten Lw mit Schwitzen, Dyspnoe, besonders
bei Belastung z. B. Schreien, Trinken; Gedeihstörung.
• Vorhofseptumdefekt: etwa 10–15 % aller kongenitalen Vitien. Offenes Fora-
men ovale mit Links-rechts-Shunt. Symptome meist erst im Erwachsenenalter;
bei großen Defekten Leistungseinschränkung, Gedeihstörungen und Dyspnoe.
• Aortenstenose: Hypertrophie und Drucksteigerung im li Ventrikel, Aorten-
und Koronarmitteldruck ↓, Belastungsdyspnoe, Stenokardien und Synkopen.
• Pulmonalstenose: Zyanose, Hypertrophie und Drucksteigerung im re Vent-
rikel, Belastungsdyspnoe (Leitsymptom) und Zeichen der Rechtsherzdekom-
pensation.
• Aortenisthmusstenose: Stenose im Bereich des Ductus Botalli mit Hyperto-
nie der oberen und Hypotonie der unteren Körperhälfte, Dyspnoe, Trinkpro-
blemen, Ödemen, Zyanose der unteren Körperhälfte. NG werden häufig beim
spontanen Verschluss des Ductus Botalli klinisch auffällig. Rasche klinische
Verschlechterung durch Perfusionsstillstand in der unteren Körperhälfte.
• Fallot-Tetralogie: häufigster zyanotischer Herzfehler mit Ventrikelseptum-
defekt, Pulmonalstenose, Dextroposition der Aorta und Rechtsherzhypertro-
phie. Postnatal zunächst keine Zyanose, nach dem 1. Mon. Belastungs- und
Ruhezyanose, hypoxämische Anfälle.
Direkt postnatal fallen die zyanotischen Herzfehler auf. Im Verlauf der ersten
LT dekompensieren kritische Klappenstenosen sowie die Aortenisthmusste-
nose jeweils bei Verschluss des Ductus arteriosus. Herzfehler mit Links-
rechts-Shunt führen erst jenseits der 1. Lw zur Herzinsuffizienz.
Diagnostik
• Anamnese: Trinkverhalten, Gewichtsstillstand oder -verlust, Schwitzen.
• Inspektion: Zyanose, Dys- oder Tachypnoe, präkardiale Pulsationen, Blässe,
Hinweise auf Begleitfehlbildungen.
• Palpation: Pulse an Extremitäten und Hals, Leber- und Milzgröße.
• Auskultation: Herz, Lunge; Lungenödem, RR an Extremitäten.
9 •• EKG: Rhythmus, Frequenz, Hypertrophiezeichen.
Rö-Thorax: Herzlage, -größe, -form, Lungendurchblutung. DD zur Lun-
generkr.,
• Echokardiografie.
9.8 Geburtstraumen 385
Analatresien 0,02 ?
Bauchwanddefekte 0,08 ?
9.8 Geburtstraumen
Geburtstraumen sind als Auswirkung von Druckschwankungen, Quetschungen,
Zerrungen und Abscherungen von der Schwere der Geburt bzw. den geburtshilf-
lichen Maßnahmen sowie v. a. von der Reife des NG abhängig. Mit zunehmender
Häufigkeit der Schnittentbindungen sind diese Entitäten im klinischen Alltag
deutlich seltener geworden.
9.8.1 Intrakranielle Blutungen 9
MRT-Untersuchungen des Schädels nach unauffälliger Spontangeburt konnten
zeigen, dass kleine, asymptomatische Hirnblutungen nicht selten sind. Selbst
symptomatische raumfordernde Blutungen können ohne prädisponierende Fak-
386 9 Neonatologie
toren nach unauffälliger Spontangeburt auftreten. Die Art der Blutung und der
neurologischen Folgen ist vom Reifealter und von den pathogenetischen Haupt-
faktoren, Trauma und Asphyxie, abhängig.
Formen
• Subduralblutung: typisch an der Insertion der Falx cerebri am Tentorium
und bei großen, reifen Kindern. Die Gefäßränder reißen begünstigt durch
Asphyxie und Gerinnungsstörungen oder durch Scherkräfte bei schwerer Ge-
burt ein. Diagn.: MRT, CCT, Ultraschall weniger geeignet.
• Subarachnoidalblutung: FG > reifgeborene Kinder. Traumatisch oder asphy-
xiebedingt. Meist Zufallsbefund (Schädelsono), selten symptomatisch (Über-
erregbarkeit, Krampfanfälle, gehäuft am 2. LT). Gelegentlich nachfolgend
Hydrozephalus oder Hygrome. Diagn.: Liquor makroskopisch blutig.
• Intraventrikuläre Blutung des reifen NG: Ursachen sind Traumen oder
Hypoxie/Ischämie. Blutungsquelle fast immer Plexus chorioideus, selten die
subependymale Keimschicht. Progn.: erhebliches Risiko für neurologische
Spätfolgen.
• Intraventrikuläre Hirnblutung des FG: Diese Blutungen sind überwiegend
unreifebedingt und nicht geburtstraumatisch. Neben der Lungenschädigung
Hauptkomplikation der Frühgeburtlichkeit. 85 % der Blutungen bei FG be-
ginnen in der subependymalen Keimschicht. Minimale subependymale Blu-
tungen häufig < 28. SSW. Schwere und Häufigkeit abhängig von perinatalem
Management. Durch Einbruch in die Seitenventrikel Ausbreitung in das Ven-
trikelsystem.
Diagnostik
• Kopfumfangsmessung: 2 × pro Wo.
• Sono: routinemäßig bei allen FG < 34 Wo. innerhalb der ersten 2 Tage mit
Verlaufskontrolle nach 3–5 Tagen, dabei Zunahme der Blutung in 20–40 %
der Fälle. Bei Kindern mit Blutungen weitere Kontrollen alle 5–10 Tage, um
frühzeitig die Entwicklung eines posthämorrhagischen Hydrozephalus zu er-
kennen.
Ursachen Frühgeburtlichkeit, Asphyxie, Geburt traumatisch (< 1.500 g), Sepsis
oder Atemnotsy.
Klinik
• Blässe, Schock, Zentralisation, Atemnot, Erbrechen, Temperaturinstabilität,
Muskelhypotonie.
• Vorgewölbte Fontanelle (intrakranieller Druckanstieg), Somnolenz, Überer-
regbarkeit, Apnoeanfälle, Nystagmus, Krampfanfälle (▶ 9.9).
• Verbrauchskoagulopathie, Ikterus.
• Gelegentlich auch oligosymptomatisch, langsam progredient.
Therapie und Prophylaxe
• Inkubatorpflege (Minimal Handling). Stabilisierung einer derangierten plas-
matischen Gerinnung durch parenterale Vit.-K-Gabe, Frischplasma.
• Optimierung von Beatmung, Blutdruck, Glukosehaushalt, E‘lyten.
! Bei FG keine kritischen Druckanstiege durch Kopfwachstum bei offenen
9 Schädelnähten.
• Liquorpunktion lumbal, fontanellär, Liquordrainage extern oder Rickham-
Kapsel, bei persistierendem Aufstau ventrikuloperitonealer Shunt.
9.8 Geburtstraumen 387
9.8.2 Klavikulafraktur
Klinik Halb offene Fallhand mit Pfötchenstellung bei gebeugtem Unterarm. Bei
Beteiligung des R. communicans des Sympathikus besteht gleichzeitig ein Hor-
ner-Sy. mit Ptosis, Miosis, Enophthalmus. Bei NG schwer diagnostizierbar.
Diagnostik Gelähmt sind die langen, bei Beteiligung des I. Thorakalnervs auch
die kurzen Handmuskeln.
Therapie Schienung der Hand zur Vermeidung von Fingerkontrakturen. Früh-
zeitig beginnende langfristige Bewegungsübungen. Bei unzureichender Erholung
op. Revision mit Nervennaht im Alter von ca. 4 Mon.
Prognose Meist keine vollständige Rückbildung, insb. bei Wurzelausriss oder
Plexuszerreißung.
Caput succedaneum
Teigige Anschwellung des lockeren Bindegewebes zwischen Galea und Periost
unter der Geburt (= supraperiostales Ödem bzw. Serohämatom), reicht über die
Schädelnähte hinaus. Nicht therapiebedürftig. Bildet sich innerhalb von 2–7 Ta-
gen zurück (▶ Abb. 9.11 li).
Kephalhämatom
Hämatombildung mit Abhebung des Periosts (= subperiostales Hämatom;
▶ Abb. 9.11 re). Häufigkeit ca. 0,5 % aller Geburten. Schädelnähte immer Begren-
zung des Kephalhämatoms, Entwicklung innerhalb der ersten LT, Rückbildung
innerhalb von 8–16 Wo. Evtl. verstärkter Icterus neonatorum. Keine besondere
Ther. erforderlich.
9.9 Neugeborenenkrämpfe
Häufigkeit Bei ca. 1 : 200 der NG.
• Krampfanfälle in den ersten LT und jenseits des 8. LT weisen auf eine
zerebrale Schädigung hin.
• Krampfanfälle zwischen dem 3. und 8. LT weisen auf eine evtl. auch be-
nigne metabolische Störung hin.
Ätiologie
• Hypoxisch-ischämische Schädigungen mit oder ohne sek. Hirnblutung.
• Intrakranielle Blutungen (▶ 9.8.1).
• Inf. (Sepsis, Meningitis, Enzephalitis; ▶ 9.6).
• Metabolische Störungen: Hypoglykämie, schwere Hyperbilirubinämie, Hypo-
kalzämie, Hypomagnesiämie, Drogenentzug, Pyridoxinmangel.
Klinik
• Subtile Krampfanfälle: als häufigster Krampftyp (ca. 50 %). Symptome wer-
den oft übersehen → tonische Augenzuckungen, Blinzeln, Lidflattern,
Schmatzen, Gähnen, Saugen, Speichelfluss, „Schluckauf“, Ruder-, Schwimm-,
Tretbewegungen, Zucken von Zehen oder Fingern, kurzzeitige Apnoen.
• Tonische Krampfanfälle: häufig Hinweis auf intraventrikuläre Blutung → ge-
neralisierte Streckung der Extremitäten, gelegentlich Beugen der oberen Ex
tremitäten.
• Multifokale klonische Krampfanfälle: klonische ungeordnete Extremitäten-
bewegungen, meist bei reifen NG. Typisch für die prognostisch günstigen
5-Tage-Krämpfe (3.–7. LT), verschwinden meist spontan nach 1–14 Tagen.
• Fokale klonische Krämpfe: FG seltener betroffen → klonische Zuckungen
ohne Bewusstlosigkeit.
• Myoklonische Krampfanfälle: selten, Prognose ungünstig → einzeln oder
wiederholt synchrone Zuckungen der oberen und/oder unteren Extremitäten.
Wichtige Abgrenzung zu benignen Einschlafmyoklonien.
Therapie Seitenlagerung zur Sicherung der Atemwege, genaue Beobachtung,
Überwachung von Herz-, Atemfrequenz und RR. Bei Apnoen Stimulation, Sauer-
stoffgabe, Maskenbeatmung, ggf. Intubation und kontrollierte Beatmung ▶ 9.2.2
und ▶ 9.2.3, Verlegung in eine Kinderklinik.
• Symptomatische Ther.:
– Glukose 20 % 2 ml/kg KG i. v. (= 0,4 g/kg KG) bei V. a. Hypoglykämie.
– Kalziumglukonat 10 % (1 : 1 verdünnt) 2 ml/kg KG langsam i. v.
– Pyridoxin 50 mg i. v. (z. B. Vitamin B6-ratiopharm®), wenn möglich unter
EEG-Ableitung.
– Phenobarbital 15 mg/kg KG (Lumina®) über 5–10 Min. langsam i. v. (Sät-
tigungsdosis).
– Nach Vorliegen der Laborparameter Substitution von E‘lyten, v. a. Kalzi-
um und Magnesium, sowie von Glukose.
• Bei weiter bestehenden Krampfanfällen nach 10–15 Min.: 9
– Nochmals Phenobarbital bis zu 10 mg/kg KG langsam i. v. (Luminal®).
Cave: Atemdepression! oder:
390 9 Neonatologie
– Beim reifen NG Versuch mit Diazepam 5 mg rektal (z. B. Diazepam Desi
tin® rectal tube) oder 0,4 mg/kg KG i. v. oder
– Midazolam intranasal: 0,3–0,5 mg/kg KG (aus der i. v. Amp.). Cave: Atem
insuff.
9.10 Plötzlicher Kindstod
Definition
Auch Sudden Infant Death Syndrome (SIDS), plötzlicher Tod eines Sgl., Ursache
weiterhin unklar. Häufigkeit bei 1 von 2.500 Lebendgeburten. Häufigkeitsgipfel
um 12. Lw. Vergleichbare Todesfälle werden auch in den ersten Lebensstunden
berichtet, auch beim „Bonding“.
Risikofaktoren
Mütterlicher Zigarettenkonsum, mütterliches Alter < 20 J., Multiparität, rasche
Schwangerschaftsfolge, Frühgeburt, Mehrlinge, Kinder aus sozial schwachen
Familien, Geschwister von SIDS-Kindern, hypotrophe NG, drogenabhängige
Mutter.
Das SIDS ist eine „unklare Todesursache“, daher Obduktion, evtl. auf rich-
terliche Verfügung. In ca. 25 % der Fälle findet sich dann doch eine definier-
te Todesursache.
Physiologische Veränderungen
• Schuppung: ab dem 2. LT oft stärker, gelegentlich mit blutigen Einrissen, lo-
kale Cremebehandlung.
• Milien: weißlich-gelbliche Papeln v. a. im Gesicht und am Rumpf. Entspre-
chen Talg- und Detritusansammlung, verschwinden spontan bis zur 3.–6. Lw.
• Akneiforme Talgdrüsenhyperplasie: multiple, rötlich-gelbe Papeln infolge
Stimulation durch die Schwangerschaftshormone („Neugeborenen-Akne“),
v. a. im Gesicht und am Stamm sowie an den proximalen Extremitäten.
• Vaskuläre Phänomene: wie Cutis marmorata (v. a. bei Kältereiz), Harlekin-
Phänomen und Akrozyanose durch anfänglich instabile Vasoregulation.
• „Toxisches“ NG-Exanthem: gutartiges, generalisiertes Erythem mit Papeln
und rotem Hof, bei ca. 50 % aller NG, v. a. in den ersten LT, rasch abheilend.
Bei Persistenz und Blasen- oder Pustelbildung an Candidose, Pyodermie oder
Herpes-simplex-Inf. denken!
• Ebstein-Epithelperlen: median am harten Gaumen kleine, derbe weißliche
Papeln, harmlos und selbstlimitierend.
Hautinfektionen
Impetigo oder Pyodermie: Bereits ab dem 2. LT auftretende bakterielle, meist
Staph.-Inf. (Eintrittspforte ist häufig der Nabel). Typisches Bild mit Blasen auf
teilweise gerötetem Grund, evtl. mit schweren ausgedehnten Hautablösungen.
Ther.: Bei einzelnen Pusteln lokal desinfizierende Maßnahmen, engmaschige
Überwachung. Bei rascher Zunahme, Blasen und krankem Kind Abstrich, Blut-
kultur, sofortige gegen Staph. gerichtete i. v. Antibiotikagabe.
Soorinfektion oder Candidose: häufiger; ab 3. Lw mit Mundsoor (weißliche Belä-
ge in den Wangentaschen) und/oder Windelsoor. Ther.: Nystatin-Paste, bei
Mund- und Darmbefall Nystatin-Suspension (z. B. Candio Hermal®).
Weitere wichtige konnatale Infektionen mit Hautsymptomen:
• Herpes simplex: Ende der 1. Lw ausgedehnter, vesikulöser Ausschlag, septi-
sches Kind.
• Syphilis: große makulopapulöse Herde v. a. an den distalen Extremitäten und
perioral (▶ 5.13.11). 9
392 9 Neonatologie
Diabetische Embryopathie
Risiko bei vorbestehendem Diab. Besteht zum Konzeptionszeitpunkt keine
optimale BZ-Einstellung, ist das Fehlbildungsrisiko (kardiale, renale, zerebrale
Fehlbildungen) auf das 5- bis 10-Fache erhöht.
Postnatale Komplikationen
• Durch Überproduktion an Insulin kann es zum dramatischen BZ-Abfall mit
dem Risiko von bleibenden zerebralen Störungen bei Hypoglykämie kom-
men.
• Die relative Organunreife kann zum Atemnotsy. führen.
• Durch Polyglobulie: pulmonale, zerebrale oder renale KO.
Vorgehen gemäß AWMF-Leitlinien
• Bei allen NG diab. Mütter und hypertrophen NG im Alter von 30 Min.,
60 Min., 3 h, 6 h, 12 h postnatal BZ-Bestimmung.
• Bestimmung von zwei weiteren BZ-Werten in den folgenden Tagen präpran-
dial.
• Frühestfütterung mit Dextroneonat (nach 1. BZ), häufige Trinkmengen.
• Rascher Übergang auf Milchnahrung.
• Bei BZ-Werten > 45 mg/dl Kontrollen wie oben genannt. Bei BZ-Werten 35–
45 mg/dl Fütterung und Kontrolle 1 h postprandial. Erneut in diesem Bereich,
erneut Füttern und Kontrolle 1 h postprandial. Bei BZ-Werten < 35 mg/dl
Verlegung in eine Neonatologie.
• Siehe auch www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/057–008.html.
9
10 Mamma
Kay Goerke
Jeder palpable Knoten der Mamma sollte abgeklärt werden! Histologie bei
jedem soliden Knoten (z. B. Stanzbiopsie).
Anamnese Neben dem Zeitpunkt des ersten Auftretens insb. Erfragen von Ma-
millensekretion (▶ 10.1.2), Risikofaktoren für Mamma-Ca (▶ 10.7) und Schmerz-
haftigkeit (▶ 10.1.4).
Differenzialdiagnosen
• Fester, nicht druckdolenter, solitärer Knoten, häufig unregelmäßig begrenzt,
pos. Jackson-Phänomen (▶ 10.2.1) → V. a. Mamma-Ca (▶ 10.7). Altersgipfel
40–70 J., in 55 % im oberen äußeren Quadranten.
• Stark druckschmerzhafter Knoten mit Entzündungszeichen (Rötung, Über-
wärmung), Temperaturerhöhung, axilläre Temperaturdifferenz re/li → V. a.
Mastitis (▶ 10.3), meist als Mastitis puerperalis im Wochenbett (▶ 8.4.1), bei
Fluktuation Abszess.
• Glatt begrenzter Knoten mit mäßiger Druckschmerzhaftigkeit, z. T. eindrück-
bar oder fluktuierend, Altersgipfel 45–55 J. → V. a. Zyste (▶ 10.5.1).
• Diffuse Verdichtung des Drüsenparenchyms evtl. mit zyklusabhängigen,
meist prämenstruell auftretenden Schmerzen, oft in beiden Mammae, gele-
gentlich mit Mamillensekretion → V. a. Mastopathie (▶ 10.5.4).
• Wenig druckdolenter Knoten, häufig multiple, dicht beieinanderliegende Be-
funde mit glatter Oberfläche, aber gelappter Struktur, Altersgipfel 15–30 und
40–55 J. → V. a. Fibroadenom (▶ 10.5.2).
• Subkutaner, weicher bis mittelderber Knoten, nicht druckdolent → Lipom,
Chondrom, Myxom, Fibrom oder Atherom (▶ 10.5.3).
• Mäßig bis stark druckdolenter, flächiger Knoten mit livider Hautverfärbung,
ggf. mit Trauma in der Anamnese → Hämatom.
• Spannungsgefühl beider Mammae, oft mit Überwärmung → Milcheinschuss
p. p. (▶ 8.4).
10.1.2 Mamillensekretion
• Beidseitiger klarer oder milchiger Ausfluss (= Galaktorrhö) → Hyperprolak-
tinämie (▶ 15.4.2). Meist idiopathisch, bei Hypophysenadenom oder durch
Medikamente (Psychopharmaka).
• Einseitiger oder beidseitiger milchiger Ausfluss → Mastopathie (▶ 10.5.4).
• Blutiger oder blutig-seröser Ausfluss → Milchgangspapillom (▶ 10.5.5) oder
-Ca (▶ 10.7).
10.1 Leitsymptome und ihre Differenzialdiagnose 395
10.1.4 Schmerzen
• Spannungsgefühl beider Mammae, zyklusabhängig, meist prämenstruell →
Mastodynie, V. a. Mastopathie, V. a. Corpus-luteum-Insuff. (▶ 10.4). DD:
Grav.
• Umschriebene Dolenz mit Überwärmung und Rötung → V. a. Mastitis
(▶ 10.3). DD: inflammatorisches Ca (▶ 10.7).
• Druckdolenter Knoten, gut abgrenzbar → V. a. Zyste, Fibroadenom (▶ 10.5.2).
• Schmerzhafte, gerötete Mamille → Inf., häufig im Wochenbett oder während
der Laktationsphase. Oralen Soor des Säuglings ausschließen!
• Schmerzhafte Mamille während der Stillzeit, Rhagaden → übermäßige mecha-
nische Reizung durch Stillen (Ther.: kürzere Stillzeiten, Stillposition variieren).
Die Prognose eines Mamma-Ca hängt in hohem Maße vom Stadium bei Be-
handlungsbeginn und damit von der Effektivität der Früherkennung ab. Die
mittlere Überlebensdauer von Frauen mit unbehandeltem Brustkrebs liegt
bei knapp 3 J.
Gezielte Anamnese
• Neu aufgetretene Größen-, Form-, Kontur- und Konsistenzunterschiede.
• Neu aufgetretene Einziehungen der Brustwarze.
• Neu aufgetretene Vorwölbung der Haut, „Apfelsinenhaut“.
• (Blutige) Mamillensekretion.
• Zirkumskripte einseitige (!) Schmerzen, Brennen, Kribbeln.
• Mammaschmerzen, vermehrtes Druckgefühl, Überwärmung, Größenzu-
oder -abnahme der Brust, Flüssigkeitsabsonderung aus der Brustwarze.
• Vorbestehende Mamma-Erkr. und -OP (auch Inzisionen bei Abszessen und
Mastitis puerperalis).
• Familienanamnese, v. a. Mamma-Ca (Mutter, Schwester).
• Grav. und ausgetragene Schwangerschaften, Stillzeiten.
Abb. 10.1 Selbstuntersuchung der Brust. Jede Frau sollte zur monatlichen Unter
suchung der Brust angehalten werden, am besten postmenstruell. Die Untersu
chung umfasst die Brustinspektion vor dem Spiegel sowie die Palpation im Ste
hen und Liegen einschließlich der Axillarregion. [L190]
10.2 Diagnostische Methoden 397
• Hautrötung.
• Ovarial- oder Kolon-Ca in der Vergangenheit.
• Zyklusanamnese, Menarche und Menopause. 10
• Gynäkologische OPs (Adnektomie), Bestrahlungen im Genitalbereich (Rö-
Kastration).
• Medikamenteneinnahme (Hormonpräparate).
• Knochen- oder Gelenkbeschwerden.
• Störungen von Sensibilität und Motorik.
• Letzte Selbstuntersuchung der Brust (▶ Abb. 10.1), gynäkologische Vorsorge-
untersuchung und Mammografie.
Inspektion
Durchführung Die Inspektion sollte im Stehen, in Rückenlage und bei vornüber
geneigtem Oberkörper der Pat. erfolgen. Zur besseren Beurteilung von Hautver-
änderungen ist eine passive Bewegung der Brust durch Heben und Senken der
Arme notwendig.
Befunde
• Symmetrie bezüglich Form, Größe, Mamillen. (Die beiden Mammae sind nur
sehr selten exakt gleich groß, Veränderung erfragen.)
• Akzessorische Mamillen (▶ 10.6.2).
• Mamillensekretion (Inspektion der Kleidung).
• Vorwölbungen, Einziehungen, Orangenhaut (= Peau d‘orange, feinhöckerige
Vorwölbungen durch Lymphödem der Haut über einem Malignom).
• Fixierung der Mamma auf dem M. pectoralis major.
• Umschriebene oder generalisierte Rötung, Narben.
• Farbveränderungen der Mamille, Ekzeme, sonstige Hautveränderungen, wie
vermehrte Venenzeichnung, Hämatome.
• Untersuchung in submammärer Umschlagfalte nicht vergessen!
Palpation
Durchführung Die Untersuchung sollte zunächst bei stehender Pat. mit hängen-
den und in die Hüften gestemmten Armen durchgeführt werden, danach bei lie-
gender Pat. mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. Die Palpation selbst er-
folgt bimanuell und mit einer Hand gegen die Brustwand. Zur besseren Orientie-
rung sollte jeder Quadrant einzeln von außen nach innen abgetastet werden, die
retroareolare Region nochmals extra. Abschließend wird mit beiden Händen eine
vergleichende Palpation beider Brüste sowie der lokalen Lymphabflussgebiete
durchgeführt. Um eine Sekretion von Mamillensekret zu provozieren, wird die
Brust von radiär nach zentral in jedem Quadranten mit mäßigem Druck ausge-
strichen, danach der Retromamillarraum extra leergedrückt. Evtl. auftretendes
Sekret sollte immer zytologisch, bei V. a. Mastitis auch mikrobiologisch unter-
sucht werden.
Befunde Bei path. Befunden ist zu dokumentieren:
• Größe in Zentimeter, Konsistenz, Schmerzhaftigkeit (spontan und auf
Druck).
• Verschieblichkeit des Tumors gegenüber dem restlichen Parenchym, der
Haut und der Unterlage.
398 10 Mamma
a b
Malignitätskriterien
• Sternförmige Opazitäten („Krebsfüßchen“).
• Unscharf begrenzte Opazitäten.
• Gruppierter Mikrokalk (mind. 10 polymorphe Kalkherde).
Die Lokalisation der Befunde sollte unter Angabe der „Uhrzeit“, der Zentimeter-
Entfernung von der Mamille sowie der Entfernung von der Haut angegeben wer-
den. Insb. bei nicht palpablen Befunden (z. B. Mikrokalk) ist dies für die OP-Pla-
nung wichtig.
400 10 Mamma
BI-RADS-Klassifikationssystem
10 Tab. 10.1 Einschätzung der Dignität in sechs Kategorien (BI-RADS 0–5) und
adäquates Prozedere gemäß American College of Radiology (ACR)
BI-RADS- Bewertung Prozedere Karzinomwahr-
Kategorie scheinlichkeit (%)
II Fibroglandulär Hoch
Gleisartig Arteriosklerose
10.2 Diagnostische Methoden 401
Eierschalenartig Fettgewebsnekrose
Knotig Nahtmaterial
Galaktografie
Durchführung Bei path. Milchgangsekretion (v. a. serös, braun oder blutig) wird
der betroffene Milchgang nach Abnahme eines zytologischen Abstrichs (▶ 10.2.6)
von der Mamille aus vorsichtig sondiert und dilatiert. Anschließend wird über
eine flexible Kanüle 0,2–0,5 ml wasserlösliches KM (z. B. Solutrast®) injiziert und
danach eine Rö-Kontrolle in zwei Ebenen angefertigt.
Befund Zu erkennen sind Duktektasien, Milchgangaussparungen, Milchgang-
abbrüche, Kompressionen des Milchgangs von außen.
10.2.3 Mammasonografie
Indikationen
• Bei KI für Mammografie, z. B. Schwangerschaft.
• Fehlende mammografische Erfassbarkeit eines Befunds, z. B. exzentrisch gele-
gene, axilläre oder supra- bzw. infraklavikuläre Befunde (v. a. Lokalrezidive
nach Mastektomie).
• Eingeschränkte Beurteilbarkeit der Mammografie, z. B.:
– Rö-dichte Mamma bei jungen Pat.
– Stillzeit.
– Z. n. prothetischem Brustaufbau.
– Postop. bzw. nach durchgeführter Radiatio.
– V. a. Hämatom, Serom oder Abszess.
• Kurzfristige Verlaufskontrollen nach Punktionen von Zysten, Seromen, Hä-
matomen, Abszessen, unter Antibiotika-, Hormon- oder Zytostatikather., als
Intervalluntersuchung bei bekannter zystischer Mastopathie (zwischen den
konsequent zusätzlich einzuhaltenden Mammografieterminen!).
402 10 Mamma
Randauslöschphänomen
(z.B. bei Fibroadenom)
10
Schallverstärkung Auslöschphänomen
(z.B. bei Zyste) (z.B. bei Karzinom)
10.2.4 Magnetresonanztomografie
Bedeutung Zusatzuntersuchung zu Mammografie und Sono. Muss in der 1. Zy-
klushälfte durchgeführt werden, da in der 2. Hälfte falsch pos. Anreicherungen.
Indikationen
• Mammografisch und sonografisch unklare Befunde.
• Ausschluss Multizentrizität bei unklaren Befunden.
• CUP mit axillären Lk-Metastasen.
• Nach Inlayeinlage bei auffälligen Befunden.
• Differenzierung Narbe oder Rezidiv bei Z. n. Brust erhaltender OP (BET).
• Bei nachgewiesenem invasiv lobulärem Ca zum Ausschluss weiterer Tumor-
herde.
• Bei Z. n. mammografisch und sonografisch inapparentem, im MRT nachge-
wiesenem Mamma-Ca.
10.2.5 Biopsie
Die präop. histologische Sicherung eines auffälligen Befunds gilt heute als Standard.
Stanzbiopsie
Durchführung Über ein 14-G-Koaxialnadel-System werden mithilfe einer auto-
matischen Biopsiepistole (z. B. BARD-High-Speed-Stanze®) unter Sonokontrolle
5 Stanzzylinder aus dem Tumor entfernt.
Vakuumbiopsie
Durchführung Probenentnahme aus einer Läsion (mind. 10 Zylinder), aber
auch komplette Abtragung von Befunden bis zu 1 cm (z. B. Mikrokalk) durch ste-
reotaktische Eingriffe (Mammografiekontrolle) oder in Ausnahmefällen als sono-
grafisch geführte Maßnahmen möglich (z. B. Mammotome® oder Vacora®-
404 10 Mamma
10.2.6 Labordiagnostik
Etwa 5 % der Frauen, die an Brustkrebs erkranken, sind Trägerinnen einer domi-
nanten Mutation des BRCA1-Gens (Breast Cancer Gen). Diese Pat. haben ein
Mammakarzinomrisiko von ca. 90 %. Im Rahmen der deutschen BRCA1-Genstu-
die kann die Untersuchung Pat. mit belastender Familienanamnese (mind. zwei
Mamma- oder Ovarial-Ca bei Verwandten 1. oder 2. Grades) und entsprechender
10.3 Mastitis 405
Epidemiologie
Häufig junge Frauen betroffen (60 % < 30 J.), 2. Altersgipfel 50–60 J. In 70 % Mas-
titis puerperalis (▶ 8.4.1), in 30 % Mastitis non puerperalis. Entwicklung meist bei
einer Hyperprolaktinämie mit vorausgehender Mastodynie und Galaktorrhö.
Erreger
• 40 % Staphylococcus aureus (bei Mastitis puerperalis 95 %).
• 40 % koagulaseneg. Staph.
• 10 % Anaerobier.
• 10 % Sonstige.
Klinik
• Fieber, häufig mit Schüttelfrost, axilläre Temperaturdifferenz re/li.
• Umschriebene Schmerzen, Rötung, Überwärmung, axilläre schmerzhafte Lk-
Schwellung.
• Bei Abszess Fluktuation (in 50 % der Mastitiden).
Therapie
Komplikationslose Mastitis
• Prolaktinhemmer wie Bromocriptin 5 mg/d p. o. (z. B. Pravidel®). Cave: Hy-
potonie.
• Lokale Ther. mit Kühlen, Hochbinden (straffer BH).
• Antibiotika: orales Cephalosporin, z. B. Cefaclor 3 × 500 mg/d p. o. (z. B. Cefa-
clor®). Bei Resistenz oder Unverträglichkeit parenterale Ther. mit Flucloxacil-
lin 3 × 1 g/d i. v. (Staphylex®) oder Cephalosporine, wie Cefuroxim 3 × 1,5 g/d
i. v. (Cefuroxim CT®) oder Cefotaxim 2–3 × 2 g/d i. v. (Claforan®).
• Antiphlogistika: Diclofenac 3 × 50–100 mg/d p. o. oder supp. (z. B. Voltaren®).
Abszess
• Zur Abszessreifung Rotlicht (2 × tägl. 10–15 Min.) und evtl. Zugsalbe (z. B.
Ichtholan® 20 %).
• Inzision, manchmal mit notwendiger Gegeninzision in Narkose (▶ 8.4.1), Of-
fenhalten der Wundhöhle durch Einlegen einer Drainage oder Lasche, gründ-
liche chirurgische Nekrosenabtragung, histologische Sicherung.
• Alternative zur Inzision: Abszesspunktion mit großer Kanüle, Spülen, syste-
mische Antibiose.
• Spülen mit H2O2 3 %, Rivanol® 0,5 %, Betaisodona® (cave: Hyperthyreose, au-
tonomes Schilddrüsenadenom).
• Zur Granulationsanregung nach Säuberung lokale Ther. möglich, z. B. mit
Oxoferin® oder Zucker.
406 10 Mamma
Chronische Fistelungen
Exzision des gesamten Fistelgangsystems nach Darstellung mit Methylenblau-
Lsg. Cave: Durch den großen Defekt sind häufig nur mangelhafte kosmetische
10 Ergebnisse zu erzielen → psychische Probleme.
Komplikationen
• Chron. rezid. Formen in 30 % der Fälle. Ther. mit Bromocriptin 2,5 mg/d p. o.
(z. B. Pravidel®) und/oder Beseitigung der Ursachen der Hyperprolaktinämie
(▶ 15.4.2).
• Nach Abszessspaltung Narbenbildungen mit Deformität der Brust.
• Bei Vernarbungen ist die Beurteilbarkeit der Mammografie-Kontrollen er-
schwert, da Mikroverkalkungen des Mammaparenchyms und narbige Ver-
schattungen ein neu entstandenes Ca verdecken können.
Selten kann sich hinter einer Mastitis nonpuerperalis ein Mamma-Ca verber-
gen, daher nach Abschluss der Behandlung immer Mammografie und Sono
durchführen.
10.4 Mastodynie
Klinik Bedingt durch die Größenzunahme der Brust um ca. 15–40 ml, insb. in der
2. Zyklushälfte , leiden etwa 50 % aller Frauen unter einem Spannungsgefühl beider
Mammae. Die Beschwerden treten typischerweise etwa 1 Wo. vor der Menstruation
auf und sind häufig mit Stimmungsschwankungen, Übelkeit und Kopfschmerzen im
Sinne eines prämenstruellen Sy. (PMS, ▶ 20.2.3) kombiniert. Häufig psychosomati-
sche Komponente. DD: Grav., Mamma-Ca, Thrombophlebitis der Brust, Trauma.
Therapie
• Für gut sitzenden BH sorgen.
• Lokale Progesteronapplikation (z. B. Progestogel® Gel).
• Systemische Progesterongabe, z. B. Dihydrogeston 10 mg/d p. o. (Duphaston®)
vom 16.–25. ZT.
• Bromocriptin 1,25–2,5 mg/d p. o. (z. B. Pravidel®) in der 2. Zyklushälfte.
• Pflanzliche Präparate mit Agnus castus, z. B. Mastodynon® N 2 × 30 Tr. tägl.
• Gestagenbetonte Kontrazeptiva (z. B. Marvelon®).
10.5.2 Fibroadenom
Epidemiologie Häufigste gutartige Neubildung der Mamma vor der Menopause
(ca. 30 % aller Frauen). Altersgipfel 20–24 J., danach Plateau bis 44 J. Meist solitäre
Knoten, in 10 % multipel, in 5 % bilateral. Mittlere Größe 1–2 cm, 60 % < 5 cm.
Sonderform
Cystosarcoma phylloides (proliferierendes Fibroadenoma phylloides), ca. 3 %
aller Fibroadenome. Benigner Tumor auf dem Boden eines Fibroadenoms mit
überschießendem Wachstum der Stromazellen, im Extremfall bis 30 cm →, oft
mit zungenförmigen Ausläufern ins umgebende Drüsenparenchym. Bei un-
vollständiger Exzision sehr hohe Rezidivneigung.
nen, Gangektasien und Zystenbildung. Häufigste gutartige Erkr. der Mamma (bei
40–50 % aller Frauen).
10 Vorgehen
• Bei allen verdächtigen Befunden Probeexzision und histologische Untersu-
chung.
• Bei Mastopathie mit Atypien engmaschige sonografische Kontrolle alle 6 Mon.
10.5.5 Milchgangpapillom
Definition Einzeln oder multipel (= Milchgangpapillomatose) vorkommende
Epithelproliferation der Duktuszellen. Nur bei der Papillomatose muss von einem
erhöhten Entartungsrisiko ausgegangen werden. Papillome kommen meist bei fi-
brös-zystischer Mastopathie vor, können aber auch isoliert auftreten.
Klinik Blutige oder seröse Milchgangsekretion.
Diagnostik Zytologie und Galaktografie.
Therapie Bei auffälliger Zytologie und/oder Galaktografie Exzision nach vorhe-
riger Darstellung des Gangsystems mit Methylenblau (Mamma-TE und Urban).
10.6.2 Polythelie
Definition Überzählige Brustwarze ohne darunterliegendes Parenchymgewebe
(▶ Abb. 10.7).
10.6 Angeborene Erkrankungen 409
10.6.3 Mikromastie
Definition Bilaterale Hypoplasie der
Abb. 10.7 Polythelie [L157]
Mamma.
Ätiologie Turner-Sy., Pseudoherma-
phroditismus femininus, adrenogenitales Sy., konstitutionell bedingt und Anore-
xia nervosa.
Therapie Nach Ursachenklärung (▶ 17) und ggf. deren Ther. bei psychischer Be-
lastung Augmentationsplastik mit subpektoraler oder subglandulärer Einlage ei-
ner Silikonprothese.
Einteilung
–2
17
10.7 Mammakarzinom
Definition Häufigster maligner Tumor der Frau (24 % aller Malignome), jede
9. Frau (11 %) erkrankt im Laufe ihres Lebens an einem Mamma-Ca. Die Inzi-
denzkurve steigt vom 20.–40. Lj etwa kontinuierlich an und erreicht dann ein Pla-
teau. Ein 2. Anstieg ist in der Postmenopause zu verzeichnen. Das Mamma-Ca ist
die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen 40 und 50 J.
Einteilung Histologisch häufigste Form ist mit ca. 80 % das invasiv duktale Ca.
Sonderformen:
• M. Paget oder Paget-Ca: intraduktales Ca mit Ausbreitung intraepidermal
über Mamille und Areola. Leitsymptom: Ekzem von Mamille und Areola,
blutige Sekretion.
• Inflammatorisches Ca: ausgedehnte Ausbreitung des Ca in Lymphspalten mit
Entzündungszeichen. Infauste Prognose, Überlebenszeit 1–2 J.
Diagnostik
• Klinische Untersuchung: Palpation, Inspektion, Wirbelsäulenklopfschmerz,
Wirbelsäulenbeweglichkeit, Klopfschmerz über Femur, Humerus und Schä-
delkalotte, Sensibilitätsprüfung der Extremitäten, motorische Ausfälle an den
Extremitäten, Hirnnervenausfälle, Leberpalpation, gynäkologische Untersu-
chung.
10.7 Mammakarzinom 411
Tis Carcinoma in situ (duktal oder lobulär) M. Paget der Mamille ohne wei
teren Tumor
T2 Tumor ≤ 5 cm
T3 Tumor > 5 cm
T4 Jeder Tumor mit direkter Infiltration von Brustwand oder Haut (Brustwand
→ Rippen), Interkostalmuskulatur, M. serratus ant., aber nicht M. pectoralis
M M0 Keine Fernmetastasen
* Die klinische Klassifikation beruht auf der klinischen Untersuchung, der Mammo
grafie sowie der mammografischen Ausmessung der Tumorgröße. Die postop.
histomorphologische Einteilung erfolgt nach der pTNM-Klassifikation. Rezidive
werden durch den Buchstaben R kenntlich gemacht (z. B. RT1a).
** „Klinisch erkennbar“ ist definiert als klinische Untersuchung oder makroskopisch
sichtbar oder die Verwendung bildgebender Verfahren außer der Lymphszintigrafie.
414 10 Mamma
Staging
• Staging vor Ther.-Beginn: Rö-Thorax, Mammografie der Gegenseite, Leberso-
no, Skelettszintigrafie, gynäkologische Untersuchung inkl. Ultraschall.
10 • Intraop. Staging: Klinische Beurteilung der Primärtumorausbreitung sowie
metastasenverdächtiger Lk dokumentieren. Histologische Absicherung ist
obligat!
Histologisches Grading (G) Untersucht wird der Grad der tubulären Differenzie-
rung, der Polymorphie und Anteil an Mitosen (bei 40er-Objektiv pro Gesichts-
feld). Je Einzelkriterium können 1–3 Punkte vergeben werden, die Summe der
Punkte ergibt die Einteilung des Gradings.
• 3–5 Punkte: Grading G1.
• 6–7 Punkte: Grading G2.
• 8–9 Punkte: Grading G3.
Zu unterscheiden sind zunächst von den Läppchen (Lobuli) und von den
Milchgängen (Ductuli) ausgehende Veränderungen.
Lobuläre Veränderungen
Keine obligate Präkanzerose, wird aber als Risikofaktor für die Entwicklung eines
lobulären Ca gewertet. Häufig (bis zu 50 %) bds. Sie werden heute als lobuläre in
traepitheliale Neoplasie (LIN) bezeichnet; die alte Nomenklatur ALH (atypische
lobuläre Hyperplasie) und CLIS (carcinoma lobulare in situ) sollte nicht mehr
verwendet werden.
Therapie In der Regel Exzision des Befunds. Tamoxifen als Mammakarzinom-
prophylaxe: Risikoreduktion um 50 %.
Duktale Veränderungen
Sollten nach DIN (duktale intraepitheliale Neoplasie) klassifiziert werden, die Be-
zeichnung DCIS (duktales Carcinoma in situ) ist allerdings noch weit verbreitet.
Therapie
• Op. Entfernung im Gesunden, freier Randsaum mind. 5 mm. Nach neueren
Studien ist der freie Randsaum nicht für das Auftreten von Rezidiven oder
das Gesamtüberleben entscheidend.
• Nachbestrahlung senkt bei brusterhaltender Operation einer DIN die Lokal-
rezidivrate, beeinflusst allerdings nicht das Gesamtüberleben.
• Derzeitige Ind. zur Strahlenther.: Läsion > 20 mm, Sicherheitsabstand
< 10 mm, Alter < 40 J., DIN 3.
• Die generelle Gabe von Tamoxifen zur Senkung des Rezidivrisikos wird der-
zeit diskutiert, die Risikoreduktion für invasive Ca beträgt ca. 50 %.
Lymphonodektomie
Die axillären Lk werden klinisch in drei Level eingeteilt (▶ Abb. 10.11):
• Level I: lateral des M. pectoralis minor.
• Level II: zwischen lateralem und medialem Rand des M. pectoralis minor.
• Level III: vom medialen Rand des M. pectoralis minor bis unter die Klavikula
(infraklavikuläre Lk).
Beim kurativen Therapieansatz sollten aus der Axilla mind. 10 Lk der Level I und
II präpariert werden. Kraniale Grenze der Lk-Präparation ist die V. axillaris.
klavikulär
axillär
medial des M.
pectoralis minor
interpek-
axilläre LK, torale LK
lateral von
M. pectoralis
retrosternal minor
Indikationen
Wunsch der Pat. nach einer Wiederherstellung ihres Körperbilds. Die Wahl des
10 Verfahrens muss auf jeden Fall individuell auf jede Pat. zugeschnitten sein und
mit ihr genau abgestimmt werden.
Alloplastische Rekonstruktionen
Durchführung Im Rahmen der Mastektomie oder als sek. Rekonstruktion wird
subpektoral ein Expander oder eine Prothese eingebracht. Die Füllung der Prothe-
se kann aus Silikongel, Kochsalz oder hydrokolloidalen Lösungen bestehen, der
Prothesenmantel besteht immer aus einer Silikonbasis, möglichst mit rauer Ober-
fläche (Texturierung), evtl. mit Polyurethanbeschichtung (texturierte Prothesen).
Vorteile Technisch einfachere Operation als die autologen Verfahren, keine zu-
sätzlichen Narben, auch bei älteren Pat. anwendbar.
Nachteile Meist noch zwei bis drei weitere Eingriffe zur Formoptimierung not-
wendig, Gefahr der Kapselfibrose. Bei neuen Prothesen kein routinemäßiger
Wechsel mehr erforderlich.
Autologe Rekonstruktionen
Transversaler Rektuslappen (TRAM)
Durchführung Nach Mobilisation eines Bauchhaut-Muskel-Lappens (unterer
Anteil des M. rectus abdominis) wird der Lappen entweder einstielig, doppelstie-
lig oder mit freier Gefäßanastomose im Bereich der Mastektomie eingepasst
(▶ Abb. 10.12).
Vorteile Gesundes, lebendes Gewebe, kein Fremdgewebe, niedrige KO-Rate bei
korrekter OP-Technik (z. B. intraop. Doppler zur Gefäßdarstellung, Erhalt des la-
teralen Anteils der Rektusmuskulatur), gute Symmetrie, viel Gewebe steht zur
Verfügung, simultane Bauchdeckenplastik.
Kontraindikationen Rauchen, ausgeprägte Adipositas, fortgeschrittenes Alter,
gleichzeitige Chemother., internistische Erkr. (Hypertonie, Diab. mell.), große
Narben im Bauchdeckenbereich, Strahlenschäden.
Latissimus-dorsi-Flap
Durchführung Von einem separaten Schnitt aus wird ein Haut-Muskel-Lappen
im Bereich des M. latissimus dorsi mobilisiert und als gestielter Lappen im Be-
reich der Mastektomie eingesetzt. Da hierbei im Vergleich zum TRAM-Lappen
sehr viel weniger Gewebe gewonnen werden kann, ist diese Technik häufig mit
der gleichzeitigen Einlage einer Prothese verbunden.
Vorteile Auch bei schlanker, dünner Pat. möglich, keine so ausgedehnte OP wie
bei TRAM-Lappen, auch bei Z. n. Bauchdeckenplastik oder bei Narben der
Bauchhaut, u. U. auch bei Raucherinnen und Hypertonus möglich.
Nachteile Ein zufriedenstellendes kosmetisches Ergebnis durch alleinige Latissi-
mus-Lappenplastik kann nur bei sehr kleiner Brust erreicht werden.
10.7 Mammakarzinom 419
10.7.5 Strahlentherapie
Bedeutung Beim Mamma-Ca kann die Strahlenther. sowohl prim. (bei inopera-
10 blen Befunden), adjuvant (zusätzlich zur Operation) oder palliativ (beim metasta-
sierten Ca) eingesetzt werden (▶ Abb. 10.13).
Indikationen
• Brusterhaltende OP-Verfahren: Radiatio der Brust ist obligat (Senkung des
In-Brust-Rezidivs von 30–40 % auf 5–10 %). Über den Einschluss der Lymph
abflussgebiete muss im Einzelfall je nach Tumorsitz entschieden werden.
• Mastektomie: Bestrahlung der Thoraxwand zur Senkung der Lokalrezidivrate
bei:
– Mehr als 3 befallenen axillären Lk.
– Alter < 40 J.
– Tumorgröße > 3 cm.
– Allen T4-Tumoren.
– Lymphangiosis oder Haemangiosis carcinomatosa.
– Resektion nicht im Gesunden.
• Lymphabflusswege: axilläre Radiatio bei Tumorwachstum über die Lk-Gren-
zen hinaus, oder bei Verzicht auf Axilladissektion trotz befallenem Sentinel-
Lk. Je nach Tumorsitz bzw. bei auffälliger apparativer Diagn. (US, MRT) Be-
strahlung der supraklavikulären oder parasternalen Lk.
• Intraop. Bestrahlung (IORT): Die intraop. Bestrahlung ist bis auf wenige
Ausnahmen (z. B. ältere Pat., sehr kleiner Tumor ohne umgebende Vorstufen,
keine befallenen Achsel-Lk) eine Ergänzung der externen Bestrahlung und
verkürzt die Dauer der postop. Strahlenbehandlung, ersetzt diese aber nicht.
Bei der intraop. Strahlenther. wird
die Strahlenquelle direkt in das ver-
bliebene Tumorbett gebracht. Dann
erfolgt die Bestrahlung mit einer
hohen Dosis („Boost“). Daran
schließt sich die herkömmliche Be-
strahlung der gesamten Brust an.
Behandlung der Bestrahlungsregion
• Während der Radiatio: keine Cremes
oder Öle (Hitzeabstrahlung durch
die Haut wird verhindert), Sonnen-
einstrahlung vermeiden. Bei Ery-
them Kortisoncreme (z. B. Alfason®).
• 4 Wo. nach Abschluss der Radiatio:
Baby-Öl (z. B. Penaten®-Öl), Fett-
creme (z. B. Linola®-Fett), kranken-
gymnastische Behandlung. Abb. 10.13 Bestrahlungsfelder [L157]
Palliative Radiotherapie
Haupteinsatzgebiet sind Wirbelkörpermetastasen. Beginn der Bestrahlung
erst bei Auftreten von Symptomen (Schmerzen, Nervenausfälle) oder Stabili-
tätsgefährdung (orthopädisches Konsil). In etwa 80 % ist Schmerzfreiheit zu
10.7 Mammakarzinom 421
10.7.7 Chemotherapie
Die Chemother. beim Mamma-Ca wird heute i. d. R. entweder als adjuvante oder
10 als palliative Chemother. bei symptomatischen Fernmetastasen angewendet.
Zunehmend setzt sich auch die präoperative (sog „neoadjuvante“) Chemother.
durch.
Indikationen
• Inflammatorisches Ca.
• Verkleinerung von Tumoren zur besseren Operabilität.
• In-vivo-Sensitivitätstestung [durch Beobachtung des Ansprechens auf die
Chemother. (US, Mammografie des Tumors) kann eine Aussage über deren
Wirksamkeit getroffen werden].
10.7.8 Hormontherapie
Aromatasehemmer
Medikamentöse Hemmung der Umwandlung von Androgenen in Östrogene (Ne-
benniere, Fettgewebe). Wegen spezifischer Hemmung ist im Gegensatz zu den Präpa-
raten der 1. Generation (Aminoglutethimid) keine Kortisonsubstitution notwendig.
• Substanzen: Anastrozol 1 mg/d p. o. (Arimidex®), Letrozol 2,5 mg/d p. o. (Fe-
mara®), Exemestan 25 mg/d p. o. (Aromasin®).
• NW: Gelenkbeschwerden (meist nur die ersten 6 Mon.). Tipp: Präparat
abends einnehmen. Bei Persistenz Ibuprofen 3 × 600 mg/d.
Gonadotropin-Releasing-Hormon-(GnRH-)Agonisten
Durch Gabe eines Depotpräparats oder Dauermedikation mit GnRH-Analoga sis-
tiert die pulsatile GnRH-Ausschüttung. Dadurch völlige Suppression der LH- und
FSH-Ausschüttung aus dem Hypophysenvorderlappen und Wegfall der ovariel-
len Östrogen- und Progesteronproduktion.
• Präparate: Goserelin 3,6 mg s. c. nach LA beim Mamma-Ca (Zoladex® Depot)
alle 4 Wo.; Triptorelin je 0,5 mg s. c. an Tag 1–7, 0,5 mg i. m. an Tag 8, dann
alle 4 Wo. 0,5 mg i. m. (Decapeptyl®).
• Kontrolle der Suppression anhand des Serumöstradiolwerts (E2 < 25 pg/dl).
• NW: Amenorrhö, Verstärkung von Depressionen, Schweißausbrüche.
Tamoxifen
• Dosierung: 20(–30) mg/d p. o.
• NW: Proliferation des Endometriums (regelmäßige Sono!), Kopfschmerzen,
selten Übelkeit, Thrombosen, selten Visusverschlechterung (Augenkonsil vor
Ther.!).
• WW: Kombination mit Thrombozytenaggregationshemmern wegen Gefahr
der Thrombopenie vermeiden.
10.7 Mammakarzinom 423
Fulvestrant (Faslodex®)
• Dosierung: 250 mg i. v. alle 4 Wo.
• Zugelassen zur Behandlung des metastasierten Mamma-Ca nach Versagen ei- 10
ner Tamoxifenther. Vorteil: keine Osteoporosegefahr, Komb. mit Herceptin®
möglich.
10.7.9 Antikörpertherapie
Neben Chemo- und Hormonther. besteht bei der Behandlung des Mamma-
Ca jetzt auch die Möglichkeit einer spezifischen Antikörperther. gegen Zellen
mit Überexpression des Her2/Neu-(c-erbB2-)Rezeptors (15–20 % der Mam-
ma-Ca).
Therapieschemata
Cave: Dos. in mg/kg Körpergewicht, nicht nach Körperoberfläche:
• Trastuzumab (Herceptin®) wöchentl.: 4 mg/kg KG als Initialdosis an Tag 1;
2 mg/kg KG an Tag 8.
• Trastuzumab (Herceptin®) alle 3 Wo.: 8 mg/kg KG als Initialdosis an Tag 1;
6 mg/kg KG an Tag 21.
• Lapatinib (Tyverb®) tägl. 1.250 mg in Kombination mit Capecitabin bzw.
1.500 mg in Kombination mit einem Aromatasehemmer (oral).
Nebenwirkungen
• Bei etwa 30 % der Pat. bei erster Gabe von Herceptin® grippeähnliche Symp-
tome mit leichtem Fieber und Gliederschmerzen. Dies tritt bei den Folgega-
ben nicht mehr auf.
• Kardiotoxizität (ca. 3 %) bei gleichzeitiger Gabe von Herceptin® und Anthra-
zyklinen.
• Übelkeit und Durchfall (ca. 10 %) bei Lapatinib (z. B. Tyverb®). Ther.: Loper
amid (z. B. Imodium®).
424 10 Mamma
Grad I II III IV
cm 1–2 3–6 7–10 > 10
Baumrainklinik Lympho-Opt-Fachklinik
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10.7.12 Nachsorge
Die Nachsorgeuntersuchungen sollten nicht schematisiert, sondern individuell
risikoadaptiert erfolgen. Mögliche Termine bei mittlerem Risiko sind:
• ≤ 3 J. alle 3 Mo.
• ≤ 5 J. alle 6 Mo.
• > 5 J. alle 12 Mo.
Klinische Nachsorge
Bei jeder Untersuchung
• Genaue Anamnese: Schmerzen, Nervenausfälle, Atemnot, jegliche beobachte-
te körperliche Veränderung.
• Inspektion und Palpation des OP-Gebiets und der kontralateralen Mamma,
Palpation der Lymphabflussgebiete bds.
• Umfangvergleich der Arme, Prüfung der groben Kraft beider Arme.
• Auskultation und Perkussion der Lunge, Palpation der Leber.
• Klopfschmerz über der Wirbelsäule, Thorax- und Beckenkompressions-
schmerz.
10.7 Mammakarzinom 427
Psychosoziale Nachsorge
Die Nachsorge bezieht sich nicht nur auf die Erhebung der körperlichen Befunde,
sondern sollte auch eine psychosoziale Nachsorge einschließen. Hierzu gehört
insb.:
• Information der Pat. über alle erhobenen Befunde, evtl. Aushändigung eines
Patientenordners mit wichtigen Befundunterlagen.
• Vermittlung von Selbsthilfegruppen.
• Evtl. Beantragung von Anschlussheilbehandlungen oder Rehabilitationsauf-
enthalten.
• Information über rekonstruktive Verfahren der Brust.
• Information über soziale Hilfen:
– Schwerbehindertenausweis beim Versorgungsamt beantragen (Steuervor-
teile).
• Postmenopausale Hormonsubstitution ▶ 17.1.5.
• Rezept über Mamma-Inlay oder Badeanzug mit Inlay (1-mal pro Jahr mög-
lich).
11 Äußeres Genitale und Vagina
Axel Valet, Michael Löttge und Uwe Wagner
Schmerzen
Vulvitis, Lichen sclerosus et atrophicus vulvae, Bartholini-Zyste, Bartholinitis,
11 Kolpitis, Vaginalzysten, Herpes genitalis, Condylomata acuminata, Vaginalulzera,
Vulva-Ca, Vaginal-Ca, infiltrierendes Zervix- oder Korpus-Ca.
Pruritus
Vulvitis, Lichen sclerosus et atrophicus vulvae, Kolpitis; internistische Erkr.: Le-
ber-, Nieren- und Stoffwechselerkr. z.B. Diab. mell., Behçet-Sy.; Allergien, psychi-
sche Genese.
Fluor
Bakterielle, virale, mykotische Inf.; Tumoren, v. a. Zervix- und Korpuskarzinom
mit fleischwasserfarbenem Fluor; Pessarther., Fistel, Schwangerschaft.
Leukoplakien
Lichen sclerosus et atrophicus vulvae VIN I–III, Vulvakarzinom.
Harninkontinenz
• Belastungsinkontinenz (Syn.: Stressinkontinenz): unwillkürlicher Urinab-
gang bei Steigerung des intraabdominalen Drucks durch Husten, Niesen, La-
chen und körperliche Belastung.
• Urge-Inkontinenz (Syn.: Dranginkontinenz): unwillkürlicher Urinabgang bei
plötzlichem Harndranggefühl, unabhängig von körperlicher Belastung.
• Harnwegsfisteln: permanentes Harnträufeln bei Z. n. vag. OP mit nicht be-
merkter Harnblasenverletzung, Z. n. Radiatio, Karzinominfiltration, Z. n.
schweren Entbindungen (in Entwicklungsländern häufiger).
• Überlaufinkontinenz: Blase kann nicht vollständig entleert werden, bei
„Überfülle“ wird die Blase überdehnt; wenn der Innendruck steigt, „läuft die
Blase über“.
• Reflexinkontinenz: Störung im Bereich des Miktionszentrums des Rücken-
marks, führt zur schlaffen Blasenlähmung.
11.2 Diagnostische Methoden 431
Tumoren
Bartholini-Zyste, Kondylome, Vaginalzyste, Zystozele, Rektozele, Myome (▶ 13.4.1),
Vulva- oder Vaginalkarzinom, infiltrierendes Zervix- (▶ 13.8) oder Korpuskarzi-
nom (▶ 13.9).
Ulzeration
Druckulkus (z. B. bei Pessarträgerin), Vulva- oder Vaginalkarzinom (meist tiefe
Ulzeration mit hoher Vulnerabilität), Lues (derber Randwall und verbackene,
nicht druckdolente Inguinallymphome). 11
11.2 Diagnostische Methoden
Axel Valet und Michael Löttge
Inspektion
Abdomen Gebläht, Aszites, Striae distensae, Naevi.
Inguinalregion Lymphome, Hernien.
Äußeres Genitale Behaarungstyp (Tanner-Schema ▶ 18.3), Pediculosis pubis,
trophische Hautstörungen, Entzündungen, Fisteln, Fluor, Tumor.
Inneres Genitale (Spekulumuntersuchung) Introitus: Verletzung, Entzündung,
Kondylome.
• Vagina: Fluor, Entzündung, Beläge, Fistel, Kondylome, Verletzung, Ulkus,
Tumor.
• Portio: Erythroplakie, Leukoplakie (▶ Abb. 11.1), Blutung, Fluor ex cervice,
Tumor, livide Verfärbung (unsiche-
res Schwangerschaftszeichen).
Zur weiteren Diagn. wie Krebsfrüher-
kennungsuntersuchung, Entzündungs-,
Fluor- und Hormondiagn. können Ab-
striche entnommen werden (▶ 2.4.5).
Bei der Spekulumuntersuchung sollte
zumindest bei Erstuntersuchung bzw.
bei jeder Krebsfrüherkennungsuntersu-
chung eine Lupenbetrachtung von Vul-
va, Vagina und Portio mit dem Kolpo
skop durchgeführt werden (▶ 13.2.2).
Abb. 11.1 Leukoplakie [M453]
Palpation
• Bauchdecken: weich, Abwehrspan-
nung, Resistenzen, Dolenzen.
• Inguinalregion: Lymphome, Hernien, Ulzera.
• Vagina: glattwandig, Tumoren, Druckdolenzen.
432 11 Äußeres Genitale und Vagina
Nicht nur path. Veränderungen der Portio und Vaginalwand, sondern auch
der Vulva sind kolposkopisch bei 10- bis 40-facher Vergrößerung (5-prozen-
tige Essigsäure verwenden) leichter als mit bloßem Auge erkennbar (▶ 13.2.2).
Die DD in der Kolposkopie/Vulvoskopie ist jedoch nur anhand von Fotogra-
fien sinnvoll zu erörtern (kolposkopische Atlanten, Vulvaatlanten).
Toluidinprobe (Collins-Test)
• Säuberung der Vulva.
• 1-prozentige Toluidinblau-Lsg. mit Stieltupfer auf die gesamte Vulva auftra-
gen, 2–3 Min. Einwirkzeit.
• Versuch, die blaue Farbe mit 2-prozentiger Essigsäure zu entfernen.
• Karzinomverdächtige Bezirke behalten ihre Blaufärbung oder dunkeln nach.
• Aufgrund der hohen falsch neg. Rate hat sie keinen Stellenwert mehr.
Vulva
Schamhaare Festklebende Nissen bei Pediculosis pubis (Filzlaus). Auf der Haut
erkennt man schmutzig blau-graue Flecken (Taches bleues).
Vulvahaut
• Ulzerationen, eitrige Beläge, Schwellung → V. a. bakterielle Inf., evtl. Misch
inf., z. B. bakterielle Inf. zusammen mit Candidamykose.
• Ulzerationen neben Bläschen → V. a. Herpes genitalis.
• Knoten, z. T. beetartig erhaben, papillomatös mit gleichzeitigem Juckreiz und
Fluor → V. a. Condylomata acuminata (▶ Abb. 11.6).
• Weißliche Bezirke, verdickte Haut → V. a. Vulvadystrophie mit Leukoplakie
(▶ Abb. 11.1).
• Schollige, weißliche Beläge, deutlich über dem Niveau der Vulvahaut gelegen,
schwer lösbar. Grobe Leukoplakie. Cave: Malignität.
• Schrumpfungen der Labien, dünne Vulvahaut, Stellen mit dünner Leukopla-
kie → V. a. Lichen sclerosus et atrophicus.
• Blau-bräunliche bis schwarze, etwa 0,5 cm große Knoten, evtl. ulzeriert oder
nässend → V. a. Melanom.
11.2 Diagnostische Methoden 433
Vagina
• Bläulicher Knoten, evtl. mit zentraler Blutung, meist im hinteren Scheidenge-
wölbe → V. a. Endometrioseherd (▶ Abb. 11.2).
• Glatte tumoröse Vorwölbung der Scheide, ggf. mit durchscheinenden Gefä- 11
ßen → V. a. Vaginalzyste.
• Glatte tumoröse Vorwölbung der Scheide ohne Gefäße → V. a. Zystozele.
• Ulkus, z. B. bei Pessarträgerinnen wegen Descensus uteri et vaginae.
• Leukoplakie, z. T. als Folge chron. Irritationen bei Zystozele.
• Starke Rötung, evtl. Plaquebildung,
Fluor, zarte Punktierung → V. a.
Kolpitis.
• Dicker, weißlich bröckeliger Fluor
→ V. a. Candidainf.
• Multiple kleine Blutungsherde,
sonst blasse Vaginalhaut → V. a.
Atrophie.
• Warzenförmiger Tumor, weißlich
→ V. a. Kondylom.
• Spitze, warzenförmige Tumoren,
meist an seitlicher Vaginalwand →
V. a. spitze Kondylome (Condylo-
mata acuminata; ▶ Abb. 11.6).
Abb. 11.2 Vaginaler Endometrioseherd
[M453]
11.2.3 Nativpräparat
Durchführung
• Sekretentnahme: aus dem hinteren Scheidengewölbe. Sekret mithilfe des
vorderen Spekulums vom hinteren Spekulum auf zwei Objektträger auftragen
und dünn ausstreichen (Vorteil: keine Artefakte durch Watte, ▶ Abb. 11.3).
• Aufarbeitung: 1 Tr. NaCl 0,9 % auf
den Objektträger zugeben und mit
Deckglas abdecken; 2. Abstrich mit
1 Tr. 10-prozentiger Kalilauge
(KOH), gleichzeitig Amin-Test
durchführen, Deckglas auflegen.
• Amin-Test: Entsteht beim Beträu-
feln des Objektträgers mit KOH ein
typisch fischartiger Geruch, besteht
V. a. Haemophilus-(früher Gardne-
rella-)vaginalis-Inf. („Aminkolpi-
tis“, „bakterielle Vaginose“). Abb. 11.3 Erstellen eines Nativabstrichs
[L157]
434 11 Äußeres Genitale und Vagina
Superfizialzelle
Sekretionsphase
Parabasalzelle
Intermediärzellen
Proliferationsphase
11 (Normalbefund)
große Spermium
Intermediärzelle
Ovulationsphase
Stäbchenbakterien
Sprosszellen Leptothrix
Pseudomycel bakterielle
Mischflora
Leukozyten dichter
Bakterienrasen
Streptokokken
Clue Cell
Erythrozyten
• Leptotrix: dünne Fäden, wie Haare, oft geschlängelt, i. d. R. aber nicht ver-
zweigt, keine Sporenbildung (DD: Soorkolpitis). Manche Formen können im
Nativpräparat wegen der Kürze der Fäden nicht von Döderleinflora unter-
schieden werden → bei Beschwerden (Pruritus, Fluor) Kultur anlegen.
• Trichomonaden: etwa so groß wie Leukozyten, ovaler Zell-Leib mit spindel-
förmigem Zellkern, vier Geißeln mit meist lebhafter Bewegung (zum sicheren
Nachweis müssen im frischen Na-
tivpräparat die Geißeln erkannt
werden, am besten mit Bewegung 11
der Trichomonaden gegen den
Flüssigkeitsstrom, ▶ Abb. 11.5).
Cave: Bei V. a. Trichomoniasis, z. B.
wegen grünlich schaumigem Fluor,
sollte man das Deckblatt nicht fest
aufdrücken, da sonst die Trichomo-
naden in ihrer Motilität gehemmt
werden. Abb. 11.5 Trichomonas [L190]
11.3 Infektionskrankheiten
Axel Valet und Michael Löttge
11.3.1 Vulvitis
Ursachen Vaginalinf., allg. und systemische Faktoren.
Klinik Subjektiv brennende Schmerzen, v. a. beim Gehen; Juckreiz, Miktions-
schmerzen, Kohabitationsbeschwerden (Dyspareunie).
Diagnostik
• Befund: gerötete Vulva mit verdickter Haut, Erosion, Ulkus, Berührung so-
fort schmerzhaft.
• Feine Bläschen → V. a. Herpes genitalis.
• Erhöhte, z. T. spitze, z. T. blumenkohlartige papillomatöse Tumoren → V. a.
Condylomata acuminata.
• Geröteter, relativ kleiner, derber Bezirk um ein Schamhaar gelegen → V. a.
Follikulitis.
Therapie Ggf. Kolpitisbehandlung und systemische Ther. internistischer Erkr.,
Aufklärung über äußere Faktoren. Lokalther.:
• Pilzinf.: Clotrimazol äußerlich (z. B. Canesten® Creme) und intravag. (z. B.
Canesten® Vaginaltbl.) über 2–6 Tage.
• Trichomonaden: einmalig Metronidazol 2 g p. o. (z. B. Flagyl 400®) oder Tini-
dazol 2 g p. o. (z. B. Simplotan®).
• Bakterielle Inf.: Antiseptikum intravag. (z. B. Fluomycin® Vaginal supp.). Bei
Vulvaerosionen bzw. -ulkus lokal mit Reepithelisierungsmittel wie Dexpan-
thenol (z. B. Bepanthen® Salbe) behandeln.
• Herpes genitalis ▶ 11.3.4.
• Nichtinfektiöse Vulvitis („Reizvulvitis“): Kamillesitzbäder, lokale Östrogen-
ther. (z. B. Linoladiol® Salbe), Xapro® Creme.
436 11 Äußeres Genitale und Vagina
11.3.2 Bartholinitis
Definition Inf. einer Bartholinizyste oder des Gangsystems. Infolge eines ent-
zündlichen Verschlusses des Drüsenausführungsgangs kann die Bartholinidrüse
11 zu einer bis tischtennisballgroßen Zyste anschwellen.
Klinik Bis etwa 5 cm große Zyste an der Innenseite einer kleinen Labie, die den
Introitus verlegt, mit dünner, geröteter Haut.
Differenzialdiagnosen
• Bartholinizyste ohne Entzündungszeichen. Ther.: Marsupialisation, bei rezid.
Bartholinizysten: OP. Ausschälung.
• Vaginalzyste: (cave: z. T. sehr weite Ausdehnung ins Gewebe möglich). Ther.:
op. Ausschälung.
• Vulvaabszess, Ther.: Inzision, Ausräumung, antisept. Behandlung, Sitzbäder.
Therapie
• Noch kein Abszess: Betaisodona®-Desinfektion und -Sitzbäder. Bei ausge-
prägtem Befall ohne Besserung auf Lokalther. Antibiose mit Ampicillin und
Sulbactam als Kurzinfusion 3 × 3 g/d i. v. (z. B. Unacid®) oder Cephalosporin
der 2. Generation p. o., z. B. Cefuroxim 2 × 500 mg/d (Zinnat®).
• Bei Abszess: Marsupialisation. Unter Vollnarkose etwa 2 cm Längsinzision
an der Innenseite der Labie, am hinteren Drittelpunkt mit dem Skalpell,
Unterminieren der Wundränder nach beiden Seiten, Eröffnung der Zyste
und Entleerung. Digitale Kontrolle, ob weitere Zystenkammern vorhanden
sind! Die Zystenwand wird nach außen mit dem Wundrand der Labia mi-
nora vernäht. Über eine Penrose-Drainage wird der neu gebildete „Aus-
führungsgang“ bis zur Reepithelisierung offengehalten. Nachbehandlung
mit Sitzbädern ab dem 3. postop. Tag (z. B. mit Kamille oder Kaliumper-
manganat).
11.3.3 Kondylome (Feigwarzen)
Epidemiologie Jährlich erkranken in Deutschland etwa 53.000 Frauen neu an
Kondylomen.
Spitze Kondylome (Condylomata acuminata) und breite Kondylome (Condylo-
mata lata ▶ 5.13.11, Lues) kommen im Vulva- und Vaginalbereich einschl. der
Portio uteri (v. a. Condylomata acuminata) im Analbereich bis hin zum Rektum
vor. Condylomata acuminata stellen gutartige papilläre Epitheliome dar, die
durch eine Virusinf. hervorgerufen werden (humanes Papillomavirus [HPV]
Typ 6 oder 11). HPV-Typ 16 und 18 sind an der Entstehung des Zervix- und Vul-
vakarzinoms beteiligt.
Klinik Blumenkohlartige, meist weiche Tumoren im Bereich der großen und
kleinen Labien, z. T. auch mit beetartiger Ausdehnung (v. a. an kleinen Labien;
▶ Abb. 11.6), evtl. brennender Schmerz auf Berührung.
11.3 Infektionskrankheiten 437
11
a b
Abb. 11.6 Condylomata acuminata der Vulva (a) vor und (b) nach Laserkoagula-
tion [M453]
Therapie
• Immunmodulator Imiquimod (Aldara®) als Salbe auf betroffene Stellen auf-
tragen. Cave: Bei zu ausgedehntem Auftragen kann es bei empfindlicher Haut
zu starken Reaktionen kommen; möglichst nur kleine Herde behandeln. Es
müssen nur einige Herde behandelt werden, die restlichen Herde reagieren
durch die „Immunmodulation“ mit.
• Elektrische Schlingenabtragung oder elektrische Koagulation und Abtragen
der Basis mit dem scharfen Löffel (Vollnarkose erforderlich).
• CO2-Laser-Abtragung (i. d. R. in Lokalanästhesie möglich).
438 11 Äußeres Genitale und Vagina
• Bei Schwangerschaft Ther. vor Geburt, da die HPV 6 + 11 bei vag. Ent-
11 bindung das NG infizieren können (Larynxpapillome, intrapulmonale
Papillome).
• HPV können Feten auch diaplazentar infizieren.
• Kondylome bei kleinen Mädchen sind selten durch sexuellen Miss-
brauch verursacht.
11.3.4 Herpes genitalis
Erreger DNA-Virus Herpes simplex hominis Typ 2 mit verschiedenen Stäm-
men.
Infektionsweg Wird fast ausschließlich durch Sexualkontakte übertragen. Häu-
fig Rezidive durch endogene Reaktivierung des Virus. IKZ 4–21 Tage.
Klinik Brennen, Schmerzen, Fluor, Dysurie, Dyspareunie, gelegentlich Tempe-
raturerhöhung, vergrößerte Lk in der Leiste.
Diagnostik
• Lokalbefund: an der Innenseite der kleinen Labien 2–3 mm große Bläschen
mit klarem Inhalt. Nach Ruptur der Pusteln bleiben kleine, scharf begrenzte
Ulzera mit gelblichen zentralen Belägen, rotem Randsaum oder aufgelagerten
Krusten (▶ Abb. 11.7).
• Erregernachweis: Mit trockenem
Watteträger Bläscheninhalt zur vi-
rologischen Diagn. aufnehmen (Di-
rektabstrich).
• Serodiagn.: Bei prim. Herpes geni-
talis ist ein Titeranstieg oder das
Neuauftreten von Ak nachweisbar
(IgM, IgG). Die Titeranstiege erfol-
gen langsam, durchschnittlich nach
6–8 Tagen.
Therapie
• Systemisch Aciclovir (Zovirax®), bei ausgeprägtem Befall und starken
Schmerzen Beginn der Ther. i.v. (jedoch nur ausnahmsweise erforderlich)
oder Valaciclovir oder Famciclovir.
• Bei > 6 Rezidiven/J.: Famciclovir 2 × 250 mg/d für 1 J. oder Aciclovir 3 ×
400 mg/d für 1 J.
Lokal 5 × tägl. alle 4 h auf die infizierten Stellen auftragen, etwa 5 bis max.
10 Tage
11.3.5 Kolpitiden
Ursachen Ursache der Kolpitis ist meist eine Verdrängung der physiologischen
Vaginalflora, z. B. durch Östrogenmangel, Antibiotika oder Scheidenspülungen.
Es kommt zur Beeinträchtigung der grampos. Döderleinflora (vergären unter Ös-
trogeneinfluss entstandenes Glykogen zu Milchsäure → pH 4,0). Steigt dadurch
der pH > 5, so sind die meisten Kolpitiserreger wie Pilze, E. coli, Streptokokken,
Staphylokokken und Trichomonaden vermehrungsfähig.
Klinik Vermehrter Fluor vaginalis, unangenehmer Geruch, Pruritus, brennende
Schmerzen im Bereich der Vaginalhaut, oft sek. Vulvitis.
Diagnostik
• Spekulumeinstellung: Rötung, Fluor, Schwellung und leichte Vulnerabilität
der Vaginalhaut.
• Nativpräparate mit NaCl und KOH ▶ 11.2.3.
• Amin-Probe ▶ 11.2.3.
Sollte eine Diagn. mit den oben genannten Mitteln nicht gestellt werden können
oder bei therapierefraktären Beschwerden: Erregernachweis im Scheidensekret
oder Zervixepithel, z. B. mit:
• Bakterienkultur, Pilzkultur mit Portagerm®.
• Gonokokkenkultur auf Blutagar.
• Chlamydiennachweis im ChlamyScreen®.
Soorkolpitis
Diagnostik Anhand des Nativpräparats (▶ 11.2.3). Bei rezid. Soorkolpitiden soll-
te eine Pilzkultur (z. B. mit Kimmig-Agar) angelegt werden.
Therapie
Lokales Antimykotikum: Über 3 Tage Vagina und Vulva kombiniert z. B. mit
Clotrimazol (z. B. Mykofungin®) behandeln (jeweils abends eine Vag.-Tbl. mit
Salbe). Bei Rezidiv Lokalther. für 6 Tage. Bei erneutem Rezidiv:
440 11 Äußeres Genitale und Vagina
• Fluconazol als 1.150 mg/d p. o. (z. B. Fungata®) oder bei nochmaligem Rezi-
div 50–100 mg/d p. o. (z. B. Diflucan® 50) über 7–14 Tage (wesentlich bessere
hepatische Verträglichkeit als Ketoconazol, s. u.). Wegen renaler Elimination
Vorsicht bei Niereninsuff. Dosisreduktion auf die Hälfte bei Krea-Clearance
von 20–40 ml/Min.
• Nystatin zur systemischen Zusatzther. 1,5–3 Mio. IE tägl. p.o. (z. B. Moro-
nal®) für 6 Tage, v. a. bei zusätzlicher oraler Candidose. Bei Mund- und Ra-
chenbefall Ther. mit Nystatin-Lsg. (z. B. Mykundex® Suspension 4–6 × 2 ml
11 nach den Mahlzeiten).
• Ketoconazol 400 mg/d p. o. (z. B. Nizoral) bei wiederholtem Rezidiv. Cave: In
seltenen Fällen Hepatitis möglich, daher Ther. auf 5–10 Tage beschränken.
Haemophilus-vaginalis-Kolpitis („Aminkolpitis“)
Inzidenz Bis zu 10 % der Frauen im geschlechtsreifen Alter.
Klinik Übel riechender Fluor, Pruritus, z. T. brennender Schmerz.
Diagnostik Nativpräparat und pos. Amin-Test (▶ 11.2.3), Vaginalabstrich-Kul-
tur (▶ 2.4.5).
Therapie
• Lokal Metronidazol 0,1 g/d (z. B. Clont® Vaginaltbl.) abends über 6 Tage. Bei
Beschwerdepersistenz zusätzlich Metronidazol 2 × 400 mg/d p. o. (z. B. Flagyl®
400) für 10 Tage.
• In der Schwangerschaft zunächst Ansäuern des Vaginalmilieus mit Milchsäu-
repräparaten (z. B. Symbiovag®). Falls ohne Erfolg lokal Metronidazol 0,1 g/d
(z. B. Clont® Vaginaltbl.), jedoch erst ab dem 2. Trimenon! Nach 14 Tagen
Kontrollabstrich.
Kokkenkolpitis
Häufig findet sich eine Kokkenbesiedelung, die mit einem einfachen Antisepti-
kum behandelt werden kann.
Klinik Brennender Schmerz, Pruritus; gelblicher, übel riechender Fluor.
Diagnostik Nativzytologie ▶ 11.2.3; ▶ Abb. 11.4
Therapie
• Lokales Antiseptikum, z. B. Vagi-Hex® Vaginalsupp. 1 × 1 für 6–12 Tage.
• Lokales Tetrazyklin, falls keine Besserung, z. B. Mysteclin® Vaginaltbl. Ovula
mit Zusatz von Amphotericin B (gleichzeitig antimykotischer Effekt) über
6–12 Tage.
• Systemische Tetrazykline: falls noch immer kein Therapieerfolg Doxycyclin
2 × 100 mg p. o. am 1. Tag, 1 × 100 mg/d p. o. am 2.–14. Tag (z. B. Doxycyclin
100 Stada®).
• Nach 14 Tagen Kontrollabstrich.
Mykoplasmen
Mykoplasmen treten immer häufiger als Ursache leichter Genitalinf. auf. In der
Geburtshilfe werden sie als Ursache von vorzeitigen Wehen und vorzeitigem Bla-
sensprung diskutiert.
11.3 Infektionskrankheiten 441
Trichomonadenkolpitis
Sexuell übertragene Protozoeninf., häufig mit einer Soorkolpitis vergesellschaftet
(▶ Abb. 11.5).
Klinik Grün-gelblicher, schaumiger Fluor; brennender Schmerz, Dysurie.
Diagnostik Nativpräparat ▶ 11.2.3.
Therapie Metronidazol 2 g p. o. als Einmalgabe (z. B. Arilin® 500). In der Schwan-
gerschaft: Clotrimazol (z. B. Antifungol®) oder Natamycin (z. B. Pimafucin®) lokal.
Immer Partner mitbehandeln (z. B. Arilin®-Duo).
Mischinfektion
Oft tritt eine kombinierte Inf. auf, die nach ihrer dominierenden Ursache thera-
piert werden muss. Sollte u. a. eine Trichomoniasis vorliegen, muss diese syste-
442 11 Äußeres Genitale und Vagina
misch behandelt werden, eine gleichzeitig bestehende Soorkolpitis wird lokal the-
rapiert (Clotrimazol hat gleichzeitig eine trichomonazide Wirkung). Genitaltu-
berkulose ▶ 14.4.1.
Lues (Syphilis)
Erreger Treponema pallidum (Spirochäten-Bakterium). Verläuft in mehreren
Stadien.
Klinik
• Primäraffekt: Etwa 3 Wo. nach Inf. mit Erosion bzw. Ulkus mit derbem
Randwall (Ulcus durum, „harter Schanker“), derbem Labienödem, nicht
schmerzhafter, derber Lk-Schwellung. Rückbildung innerhalb von 6 Wo.
• Sekundärstadium: Nach etwa 6–10 Wo. makulöses, später papulöses Exan-
them (Stamm, Hand- und Fußflächen), grau-weißliche Beläge und indolente
Erosionen der Mundschleimhaut (Plaques lisses), breite, nässende Papeln im
Anogenitalbereich (Condylomata lata. Cave: Hochkontagiös!). Mottenfraß-
ähnliche, reversible Alopezie. Die Effloreszenzen des Sekundärstadiums ver-
schwinden meist unbehandelt innerhalb eines Jahres, in 25 % treten frühe Re-
zidive der Lues auf.
• Tertiärstadium: Nach etwa 2–5 J., z. T. auch später papulomatöses Syphilid,
z. T. ulzeriert oder mit Krusten überzogen, mit z. T. narbiger Abheilung.
Gummen (knotige Infiltrate, später einschmelzend mit Ulkusbildung, nach
Eröffnung tritt ein zähflüssiges Sekret aus). In 10 % kardiovaskulärer Befall
mit luetischem Aortenaneurysma und Endarteriitis, in 8 % Neurolues mit Ta-
bes dorsalis (→ Ataxie) und Großhirn-„Paralyse“ mit Größenwahn.
Diagnostik
• Sek. Lues (Condylomata lata): Objektträger auf das Ulkus aufdrücken und
blutiges Sekret aufnehmen, 1 Tr. NaCl 0,9 % zugeben und im Phasenkontrast-
oder Dunkelfeldmikroskop betrachten: im pos. Fall korkenzieherartig gewun-
dene, bewegliche feine Fäden, etwa 2- bis 3-mal so groß wie Erys.
• Serologie: TPHA-Test als Suchtest, falls pos. VDRL-Test zur Klärung, ob eine
akute Inf. vorliegt.
Therapie
• Procain-Penicillin G 600.000 IE/d i. m. für 15 Tage oder einmalig Benzathin-
Penicillin G 2,4 Mio. IE i. m., je 1,2 Mio. pro Gesäßhälfte (z. B. Tardocillin®
1200).
11.3 Infektionskrankheiten 443
Falls einer der drei Tests positiv ist Kontrolle nach 14 Tagen
+ + + Behandlungsbedürftige Syphilis
11
* TPHA und FTA-Absorptions-Test: beides Suchtests, die nach etwa 3 Wo. pos. re-
agieren; in 0,2 % falsch pos. (z. B. Autoimmunerkr.: systemischer Lupus erythema-
todes [SLE], rheumatoide Arthritis [RA], infektiöse Mononukleose).
** VDRL-Test: frühestens nach 6 Wo. pos.; häufig falsch pos., z. B. bei Grav., Erkr.
mit veränderter Plasmaeiweißzusammensetzung (z. B. Plasmozytom).
Lues connata
Klinik
• Entsprechend Lues II makulopapulöses Exanthem.
• Blasen an Handtellern und Fußsohlen mit flüssigem, gelblichem Inhalt (sy-
philitische Paronychie, syphilitischer Pemphigus), plattenförmige Hautinfilt-
rate, v. a. um Körperöffnungen. Beim Schreien entstehen dadurch Risse der
Haut, die narbig verheilen. Hautentzündungen greifen auf die Schleimhäute
über; es kann z. B. Schnupfen (Coryza syphilitica) entstehen.
• Sattelnase, Hutchinson-Trias: tonnenförmige, gekerbte Schneidezähne, In-
nenohrschwerhörigkeit, Keratitis parenchymatosa.
• Hydrozephalus, Splenomegalie, Leberzirrhose, Säbelscheidentibia.
Gonorrhö („Tripper“)
Erreger Neisseria gonorrhoeae (▶ Abb. 11.8), bei Frauen häufig asymptomati-
scher Verlauf.
Klinik
• Untere Gonorrhö: Pollakisurie, Algurie, eitriger, grünlicher Fluor, geröteter
und schmerzhafter Introitus, Stuhl mit Blut- und Schleimauflagerung.
• Obere Gonorrhö: ziehende Unterbauchschmerzen, bei Tubenbefall beidseitig
ausstrahlend, leichte Temperaturerhöhung, deutliche Druckdolenz bei der
444 11 Äußeres Genitale und Vagina
Obere
Gonorrhö:
Pelveoperitonitis,
Salpingitis,
11 Endometritis
Untere Gonorrhö:
Zervizitis, Urethritis,
Bartholinitis, Proktitis
Komplikationen
• (Mon-)Arthritis, gonorrhoische Iritis, Iridozyklitis, Pleuritis, Meningitis, Pe-
ri- und Endokarditis.
• Spät-KO: Verklebung der Tuben, die zur tubaren Sterilität führt (▶ 15.4.4).
Diagnostik Abstriche von Zervix und Urethra mit intrazellulären Diplokokken
(Gonokokken in Methylenblaufärbung blau, in Gramfärbung rot). Kultur ist be-
weisend, am besten auf Blutagar (immer warm halten!).
Therapie
• WHO-Empfehlung: Ceftriaxon 250 mg einmalig i. m. (Rocephin®).
• Procain-Penicillin 4,8 Mio. IE i. m. bei schwerer Verlaufsform Procain-Peni-
cillin 2 Mio. IE i. m. für 6–10 Tage.
• Bei Penicillinunverträglichkeit: Doxycyclin 1. Tag: 2 × 100 mg p. o., nach 12 h
1 × 100 mg p. o., dann 2 × 100 mg/d p. o. für weitere 3 Tage (z. B. Vibramycin®).
Hepatitis B
Siehe auch ▶ 5.13.7.
Nach den gesetzlichen Regelungen gehört die Hepatitis B nicht zu den Geschlechts-
krankheiten. Die sexuelle Übertragung ist jedoch der Hauptinfektionsweg, sodass
Partner HBsAg-pos. Pat. unbedingt gegen Hepatitis B geimpft werden sollten.
HIV-Infektion, AIDS
Erreger
Erreger sind die humanen Immundefizienz-Viren HIV 1 und 2, keine Meldepflicht.
Klinik
Symptome treten nach ½-12 J. auf und variieren sehr stark. Sie werden nach der
auch heute noch gültigen CDC-Klassifikation in drei Stadien unterteilt.
A B C
Kategorie (Stadium) A
Akute (prim.) HIV-Inf., Lymphadenopathie-Sy. (LAS) und asymptomatische
HIV-Inf.
• Akute HIV-Inf.: bis zu 30 % der Infizierten, IKZ wenige Tage bis mehrere
Wo., meist unspezifisches, häufig mononukleoseähnliches Krankheitsbild mit
typischem makulo-papulösem Exanthem, selten Meningitis, Enzephalitis
oder Radikulitis. Labor meist o. B., seltener CD4+-Zell-Depletion, HIV-Ak
nur selten nachweisbar, direkter Virusnachweis häufig positiv! Serokonversi-
11 on etwa 1–6 Mon. nach akuter Erkr.
• Lymphadenopathie-Sy. (LAS): LAS oder persistierende generalisierte
Lymphadenopathie (PGL) mit Lk-Schwellungen > 2 cm Durchmesser an
mind. zwei extrainguinalen Lokalisationen, häufig auch konstitutionelle Sym-
ptome (Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß).
Kategorie (Stadium) B
• Inf. mit opportunistischen Erregern, keine AIDS-definierenden Krankhei-
ten oder direkt HIV-assoziierte KO.
• Direkt HIV-assoziierte Krankheitsbilder: Schädigung von Organen durch
HIV, z. B. ZNS, peripheres Nervensystem (Enzephalopathie, Meningitis, Ra-
dikulitis, Polyneuropathie, Mononeuritis multiplex) und GIT-Trakt (HIV-
Enteropathie). Direkt assoziiert mit HIV sind auch Mikroangiopathien
(MAP) an Retina und Konjunktiven, kutane Xerodermie- und mukosale Sic-
ca-Sy., selten HIV-Nephropathie oder -Myopathie. V.a. bei Kindern auch
Kardiomyopathien.
Kategorie (Stadium) C (AIDS-definierende Erkrankungen)
Meist deutlicher Immundefekt (immunologische Kategorie 3). Häufigste Krank-
heitsbilder Pneumocystis-jiroveci-Pneumonie, Candida-Ösophagitis, zerebrale
Toxoplasmose, Tbc (pulmonal oder extrapulmonal), Mycobacterium-avium-in-
tracellulare-Inf., Kaposi-Sarkom und rezid. bakterielle Pneumonien.
Virusdiagnostik
! Vor HIV-Testung muss das Einverständnis der Pat. eingeholt werden.
Antikörper
In der Regel 1–3 Mon. nach Inf. nachweisbar, selten erst nach 6–12 Mon.
• Suchtest: Anti-HIV-ELISA, sehr hohe Sensitivität und Spezifität (selten falsch
pos.).
• Bestätigungstest: Anti-HIV-Immunoblot (Western Blot). Auftrennung HIV-
spezifischer Proteine und Markierung einzelner (proteinspezifischer) Ak (sog. 11
Banden). Test hochspezifisch, jedoch aufwendiger und teurer als ELISA.
Direkter HIV-Nachweis
Indiziert in der Frühphase der Erkr. (Sensitivität methodenabhängig), in fortge-
schrittenen Stadien für Monitoring und Ther.-Kontrolle.
• HIV-p24-Antigen: Hüllprotein von HIV, das mit spezifischen ELISA nachge-
wiesen werden kann, Sensitivität wird durch vorherige Spaltung von p24-an-
tigenhaltigen Serum-Immunkomplexen erhöht.
• Viruskultur: sehr aufwendig und teuer, nur für wissenschaftliche Zwecke
sinnvoll.
• HIV Viral Load, syn. HIV-Viruslast (PCR, andere Amplifikationsmethoden):
hochsensitiv. Modernster und wahrscheinlich bester Marker zum Krankheits-
monitoring, zur Diagn. der HIV-Inf. bei unklarer Serologie und bei Kindern.
Monitoring und Therapiekontrolle in den fortgeschrittenen Stadien
Wichtigster Surrogatmarker derzeit HIV-Viruslast (s. o.), ansonsten Lymphozy-
tensubpopulationen (CD4+-Lymphozyten, CD8+-Lymphozyten, CD4/CD8-Ratio,
evtl. aktivierte T-Zellen und zytotoxische Zellen) zur Abschätzung des Immunde-
fekts und der Aktivierung des Immunsystems.
Antiretrovirale Therapie
Behandelt werden alle symptomatischen HIV-Pat. sowie asymptomatische Pat.
mit deutlichem Risiko für eine immunologische und klinische Progression (< 350
CD4+/μl Blut). Ther. wird von auf HIV spezialisiertem Arzt durchgeführt. Vorge-
hen nach Verletzung mit HIV-kontaminierter Nadel ▶ 1.13.
• Reverse-Transkriptase-(RT-)Hemmer (Nukleosidanaloga, NRTI): Hem-
men HIV-Replikation durch RT-Hemmung („falsches Nukleosid“). Immer
Kombinationsther. KI: schwere vorbestehende Myelosuppression (Hb
< 80 g/l, Leukozyten < 1/nl). Substanzen: AZT = Zidovudin (Retrovir®), DDI
= Didanosin (Videx®), D4T = Stavudin (Zerit®), 3TC = Lamivudin (Epivir®).
448 11 Äußeres Genitale und Vagina
Abacavir (BW-1592) und Adefovir neue Substanzen mit hoher antiviraler Po-
tenz.
• Nichtnukleosidale Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NNRTI): hohe anti-
virale Aktivität, jedoch schnelle Resistenzentwicklung, daher Kombinations-
ther. Efavirenz (Sustiva®).
• Proteinase-Inhibitoren (PI): wirken durch Interaktion mit der HIV-Prote-
ase. In vitro stärkste Anti-HIV-Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Präpa-
raten. Problem: hepatische Enzyminduktion (Cytochrom-P450-Oxidase-Sys-
11 tem). KO: Viele Medikamenteninteraktionen. Substanzen: Saquinavir (Invi-
rase®), Ritonavir (Norvir®, höchste antivirale Aktivität, aber auch höchstes
Potenzial an WW und NW), Nelfinavir (Viracept®).
• Kombinationsther. (2-fach, besser 3-fach) bevorzugen, da lebensverlängern-
der Effekt nachgewiesen. Wirksamkeit der Ther. frühestens nach 4 Wo., oft
erst nach 3–6 Mon. beurteilbar.
• Ein Heilmittel gegen AIDS ist bislang nicht bekannt, auch keine prophy-
laktische Impfung.
• Behandlung der Begleiterkr.
• HIV-Inf. in der Schwangerschaft ▶ 5.13.6.
• Resistenzentwicklung: Bei Ther.-Wechsel oder bei V. a. prim. resistenten
Virus ist Resistenzbestimmung möglich.
• HIV-Ther. in der Schwangerschaft: 24-h-Hotline 0178/2820282 oder
www.rki.de.
• Kürzlich ist es gelungen, eine Rekombinase zu entwickeln, die in
menschlicher Zellkultur das Erbgut des HI-Virus erkennt, aus der DNA
der befallenen Zelle „herausschneidet“ und unschädlich macht. Diese
„molekulare Schere“ gilt als vielversprechender Ansatz für eine künftige
Heilung HIV-infizierter Menschen. Ob diese gentherapeutische Option
in Zukunft nutzbar sein könnte, wird sich in den kommenden Jahren
entscheiden.
11.3.7 Ektoparasitäre Erkrankungen
Pediculosis pubis
Erreger Die Filzlaus (Phthirius inguinalis [pubis], ▶ Abb. 11.9a) befällt i. d. R.
Schamhaare, findet sich aber auch in der Achselbehaarung und im Körperhaar,
bei Kindern auch in Augenbrauen und Kopfhaar. Inkubationszeit: 3–6 Wo.
Klinik Juckreiz.
Diagnostik Papeln mit Krusten, Kratzdefekte. Nachweis der Filzläuse, kolposko-
pisch Nissen und Kotballen in den Schamhaaren. Läuse und Nissen sind nach
Alkoholfixierung im Mikroskop gut zu erkennen.
Therapie Lindan (Hexachlorcyclohexan) als Gel (Jacutin® Gel) auftragen: Nach
der Haarwäsche etwa 15 g in das noch feuchte Haar einreiben, für 3 Tage belassen
und dann erst wieder auswaschen. (Cave: Bei Kindern nach 6–8 h auswaschen!).
Alternative: Permethrin (z. B. Infectoscab® 5 %).
11.4 Lichen sclerosus 449
Scabies (Krätze)
Erreger Krätzmilben (Sarcoptes scabiei; ▶ Abb. 11.9b).
Infektionsweg Übertragung von Mensch zu Mensch, meist bei GV. Selten Inf.
durch gemeinsame Benutzung von Bettwäsche oder Aufschütteln von Betten, wo-
durch ganze Familien oder alle ein Zimmer bewohnende Personen (Kaserne, Ju-
gendherberge) infiziert werden können. IKZ 4–6 Wo.
Klinik Disseminierte Papeln in Zwi-
schenfingerräumen, Beugeseiten der 11
Handgelenke, Ellenbogen, Achselhöh-
len, Brust und Genitale, quälender
Juckreiz, v. a. abends im Bett.
Diagnostik Typische, gerötete Mil-
bengänge in der Hornhaut, wenige Mil-
limeter bis einen Zentimeter lang, häu-
fig aufgekratzt, Kratzdefekte mit sek. a
entzündlichen Veränderungen. Mikro-
skop: achtbeinige Milbe.
Therapie Lindan
(Hexachlorcyclohexan)-Emulsion (Ja-
cutin® Emulsion) an 3 aufeinanderfol-
genden Abenden am ganzen Körper
einreiben (nicht am Kopf) und mor-
gens wieder abwaschen (Cave: Bei Kin-
dern früher abwaschen!). Alternative: b
Permethrin (z. B. Infectoscab® 5 %).
Abb. 11.9 a) Filzlaus b) Milbe [L190]
11.4 Lichen sclerosus
Axel Valet und Michael Löttge
Definition Der Lichen sclerosus (früher Kraurosis vulvae) gilt als chron. Vulva
erkr. mit degenerativer Veränderung der Dermis (Atrophie und Hyperplasie), die
zu einer Schrumpfung der Vulva mit Sklerosierung des subkutanen Fettgewebes
führt. Wird neuerdings als Präkanzerose eingestuft; aufgrund der damit einherge-
henden Veränderungen können bis zu 15–20 % Karzinome entstehen.
Klinik Quälender Pruritus, häufig mit brennendem Schmerz, Kohabitationsbe-
schwerden.
Diagnostik
• Inspektion und Vulvoskopie (▶ 11.2.1 und ▶ 11.2.2): perlmuttartige, glän-
zende, mit Schrumpfung einhergehende Vulvahaut, Depigmentierungen,
Kratzdefekte, Superinf., verengter Introitus.
• Probeexzisionen zur histologischen Begutachtung: Chorionödem mit ent-
zündlichen Infiltraten, Epidermishyperplasie, Leukoplakie, Schwund der elas-
tischen Fasern, Schrumpfung, Hyperkeratose, Pigmentschwund.
Therapie Nach Ausschluss eines malignen Prozesses bei fehlenden kausalen
Therapiemöglichkeiten Einleitung einer symptomatischen Ther.:
450 11 Äußeres Genitale und Vagina
ISSVD-Nomenklatur
Die neue ISSVD-Nomenklatur aus 2004 unterscheidet nicht mehr VIN I–III,
sondern grenzt das flache Kondylom (vorher VIN I) von der VIN ab (VIN II–
III). Unterschieden wird dabei zwischen dem normalen (HPV-assoziierten),
differenzierten und unklassifizierten Typ (nach International Society for the
Study of Vulva and Vulvovaginal Disease Terminology):
• I. VIN usual type.
– a. VIN warty type.
– b. VIN basaloid type.
– c. VIN mixed type.
• II. VIN differentiated type.
• III. VIN unclassified type.
11.5 Neoplasien der Vulva 451
High-Grade VIN des warzigen (warty) und basaloiden Typs sind HPV-assozi-
iert, der differenzierte Typ nicht. VIN usual type ist häufig multifokal, basalo-
ide VIN häufiger bei älteren Frauen und gehen häufig in Vulva-Ca über.
Uns erscheint die alte VIN-Klassifikation klinisch nützlicher, weswegen wir sie
oben weiterhin erwähnen.
Klinik
• Scharf umrissene, erhabene Herde, manchmal ähnlich den Condylomata acu- 11
minata (▶ 11.2.2, ▶ 11.3.3). Häufig multizentrisch oder nur rötliche, teilweise
schuppige, psoriasisähnliche Hautveränderungen mit oberflächlichen Erosio-
nen.
• Bevorzugter Befall der unbehaarten Vulvaanteile, z. T. mit perianalen Herden.
• Juckreiz (50 % der Pat.), Hyperpigmentierung, Leukoplakie.
• Häufig Zweitkarzinome, meist Zervixkarzinom mit seinen Vorstufen.
Diagnostik Vulvoskopie mit 3-prozentiger Essigsäurelsg. (▶ 11.2.2). Biopsie an
einer repräsentativen Stelle in LA mit Skalpell (am besten Exzision im Gesunden)
oder, wenn nicht mit dem Skalpell möglich, mit einer runden Gewebestanze (z. B.
Hautstanze der Fa. Stiefel, www.biopsypunch.de). Keine Biopsie mit der Knips-
zange, da hier häufig das Gewebe nicht in allen Schichten beurteilbar ist (Frage-
stellung: Ist die Basalmembran durchsetzt?). Damit sich das Gewebe nicht ein-
rollt, sollte es auf einer kleinen Korkplatte festgesteckt und fixiert werden.
Therapie
• Lokale Exzision. Bezüglich der Breite des Resektionsrandes bei VIN 2/3, ein-
schließlich multifokalerVIN 2/3, gibt es keine ausreichende Evidenz. Bei mul-
tifokalen Veränderungen mehrere Exzisionen möglich.
• Evaporisierung durch Laser möglich (cave: keine weitere histologische Unter-
suchung möglich!), Laserexzision besser (ggf. beides kombinieren). Bei der
CO2-Laservaporisation im nicht behaarten Areal 2 mm Eindringtiefe ausrei-
chend, im behaarten Bereich samt Hautanhangsgebilden ist eine Tiefe von
4 mm erforderlich, zur sicheren Entfernung der VIN.
• Bei sehr großen Läsionen ist eine oberflächliche Vulvektomie (Skinning) u. U.
mit Hauttransplantation erforderlich.
11.5.2 Morbus Paget
Klinik
• Juckreiz mit Spannungs- und Wundgefühl, z. T. seit Jahren bestehend.
• Verhärtung und Hautverdickung.
• Scharf begrenzte, gerötete oder leukoplaktische Herde.
• Manchmal Übergang auf Oberschenkelinnenseiten, Perianalhaut, Inguinalre-
gion und Vagina.
• Häufig vergesellschaftet mit invasiven Karzinomen: Mamma-, Zervix-, GIT-
Karzinome.
452 11 Äußeres Genitale und Vagina
Diagnostik
• Vulvoskopie ▶ 11.2.2.
• Tiefe Biopsie, um ein darunterliegendes Adenokarzinom nicht zu übersehen.
• Ausschluss anderer Karzinome: gynäkologische Untersuchung inkl. Exfolia-
tivzytologie (▶ 13.2.3) sowie transvag. Sono, Mammografie und Mammasono,
Haemoccult®-Stuhltest auf okkulte Blutbeimengung und Koloskopie.
Therapie Falls möglich lokale Exzision. Wegen der flächigen Ausdehnung wird
meist die Vulvektomie mit evtl. Hautlappenplastik empfohlen, hierfür muss zur
11 Entfernung der Hautanhangsgebilde ein größerer Sicherheitssaum zur Tiefe ge-
wählt werden als beim Carcinoma in situ. Bei einfacher lokaler Exzision treten
häufig Rezidive auf.
1,5–3,0 pT3
11.7 Vulvakarzinom
Uwe Wagner
Definition
Das Vulvakarzinom ist das vierthäufigste Genitalkarzinom. Es ist ca. 5-mal selte-
ner als das Zervixkarzinom (Inzidenz 12 pro 100.000 Frauen). In D erkranken
jährlich ca. 1.600 Frauen, und ca. 620 starben an Vulvakarzinomen. Die Inzidenz
11.7 Vulvakarzinom 453
liegt bei ca. 2,5/100.000 und die Mortalität bei ca. 1,3/100.000 (RKI, 2006). Auch
hier sind zunehmend jüngere Frauen betroffen.
95 % der malignen Veränderungen der Vulva sind Plattenepithelkarzinome, die
restlichen 5 % verteilen sich auf Melanome (▶ 11.7), Sarkome und Basaliome. Al-
tersgipfel bei HPV-neg. Tumoren 77 J., bei HPV-pos. Tumoren 55 J. Lichen scle-
rosus stellt einen direkten Zwischenschritt auf dem Wege zur Entwicklung einer
differenzierten VIN und des Plattenepithelkarzinoms dar.
Klinik 11
• Chron. Juckreiz, z. T. mit jahrelan-
ger Anamnese (Juckreiz tritt auch
schon bei den Präkanzerosen auf);
Kratzdefekte, Ulzera.
• Rötliche, leicht erhabene Flecken
mit oberflächlichen, derben Bezir-
ken (▶ Abb. 11.10).
Bei fortgeschrittenem Befund
• Derber Knoten mit oberflächlichen
Blutungen. Abb. 11.10 Vulva-Ca [M453]
• Blumenkohlartig vorwachsender
Tumor.
• Breitflächige Verhärtungen mit derbem Randwall, häufig zentrale Ulzeration.
• Blutig-seröses Sekret.
• Beidseitiger Vulvabefall durch Abklatschmetastasen.
• Inguinale, nicht immer dolente Lymphome.
• Dysurie, Hämaturie bei Urethra- oder Blasenbefall.
Diagnostik
• Histologie: Biopsie eines möglichst wenig nekrotischen Tumorteils mit mög-
lichst tief greifender Stanze oder besser Skalpell, damit alle Hautschichten gut
histologisch beurteilt werden können.
• Vulvoskopie ▶ 11.2.2.
• Zystoskopie und Rektoskopie zum Ausschluss einer Infiltration oder Im-
pression von Harnblase und Rektum.
• I. v. Pyelogramm zum Ausschluss einer Hydronephrose (Harnaufstau durch
Ureterummauerung des Tumors) und präop. Darstellung des Ureterverlaufs.
Bei Jodallergie oder fraglicher Schilddrüsenfunktionsstörung wenigstens Nie-
rensono.
Stadieneinteilung
Frühzeitige lymphogene Metastasierung: inguinale Lk, danach pelvine und iliaka-
le Lk. Bei Sitz des Primärtumors im Bereich von Klitoris und hinterer Kommissur
oder Ausdehnung auf die Vagina jenseits des Hymenalsaums kann es auch zur
direkten Metastasierung in die Becken-Lk kommen. Bei doppelseitigem inguina-
lem Befall muss in 50 % mit pelvinen Lk-Metastasen gerechnet werden (cave: 30 %
falsch pos. und neg. klinische Lk-Beurteilung!).
Wichtige Prognosefaktoren zur lymphogenen Metastasierung sind Tumorgröße
(> 1–2 cm) und Invasionstiefe (> 1,5 mm), bei letzterer tritt v. a. eine Streuung zu
454 11 Äußeres Genitale und Vagina
Therapie
Ziel der OP beim Vulva-Ca ist die R0-Resektion mit 10 mm gesundem Randsaum.
Die En-bloc-Resektion (Vulvektomie mit inguinaler Lymphonodektomie mit
schmetterlingsförmigem Hautlappen, inkl. der Haut in der Leiste) ist verlassen, da
sie etwa 40 % Sekundärheilungen verursachte. Sie wird heute in der Dreischnitt-
technik mit separaten Schnitten in der Inguinalregion zur inguinofemoralen
Lymphonodektomie mit und ohne Hautresektion durchgeführt. Die gefürchteten
„Brückenmetastasen“ in der inguinalen Haut treten nicht auf.
11.7 Vulvakarzinom 455
Trotz spärlicher Daten wird eine stadienadaptierte Ther. empfohlen. Die systema-
tische inguinofemorale Lymphonodektomie ist Standard.
Eine Sentinel-Lymphonodektomie sollte nur unter strengen Qualitätsanforderun-
gen und nach intensiver Aufklärung der Pat. auch über eine möglicherweise er-
höhte Rezidivrate mit schwerwiegenden Folgen durchgeführt werden. Grundsätz-
lich kann eine Sentinel-Lymphonodektomie nur beim T1–T2-Vulvakarzinom
≤ 4 cm Durchmesser mit klinisch und sonografisch nicht suspekten Leisten-Lk
durchgeführt werden.
Die Behandlung der pelvinen Lk ist indiziert bei: 11
• Drei oder mehr pos. unilateralen Leisten-Lk.
• Kapseldurchbruch in den Leisten-Lk.
• Makrometastase > 10 mm.
Tab. 11.10 Stadiengerechte Therapie des Vulvakarzinoms
Stadium T1
Stadium T2
Besondere Tumortypen
Inoperable Patientin
Alleinige Strahlenther. mit einer Dosis des Primärtumors von 60–70 Gy GHD
und der inguinalen Lk von 50 Gy GHD bei Einzeldosen von 1,7–2 Gy. Erheb-
liche radiogene NW zwingen häufig zu einer Therapiepause. Ergebnisse deut-
lich schlechter als bei op. Sanierung.
Prognose
Inguinale Lk 45
Pelvine Lk 25
Nachsorge
In den ersten 3 J. ¼-jährlich, um Rezidive möglichst frühzeitig zu erfassen und
kurativ operieren zu können (80 % der Rezidive treten in den ersten 2 J. nach OP
auf). 3.–5. postop. Jahr Kontrollen alle 6 Mon.
• Anamnese: Allgemeinbefinden, Leistungsfähigkeit, Schmerzen.
• Befund: Gewicht, Beinödem (malignes bzw. nichtmalignes sek. Lymphödem
s. u.), gynäkologische Untersuchung.
• Nierenultraschall einmal jährlich in den ersten 5 J.
• Bei rezid. Erysipelen ist eine Penicillinprophylaxe über 6–12 Mon. empfeh-
lenswert, z. B. Benzylpenicillin 1,2 Mega alle 3–4 Wo. i.m. (z. B. Tardocillin®).
Lymphdrainage
Nach Ausschluss eines Rezidivs sollte die Einleitung einer ambulanten
Lymphdrainage bei einem hierfür speziell ausgebildeten Lymphtherapeuten
erfolgen, bei ausgeprägtem Befund, v. a. wenn schon (rezid.) Erysipele aufge-
treten sind, sollte mit einer stationären Lymphdrainage begonnen werden,
die ggf. in jährlichen Abständen wiederholt werden muss.
11.8 Vaginalkarzinom 457
11.8 Vaginalkarzinom
Uwe Wagner
Einteilung
Vaginale intraepitheliale Neoplasien:
• VaIN I: leichte Dysplasie.
• VaIN II: mäßiggradige Dysplasie.
• VaIN III: schwere Dysplasie/Carcinoma in situ.
Histologie
Zu 90 % Plattenepithelkarzinome (Durchschnittsalter 60–70 J.), die restlichen
10 % verteilen sich auf Adenokarzinome, Gartner-Gang-Karzinome (höckrig-
derb, meist mit intakter Schleimhaut), Melanome, Rhabdomyosarkome (Kindes-
alter, Altersgipfel 2.–3. Lj, vom oberen Anteil der Vaginalwand ausgehender, trau-
benförmiger Tumor, der prim. durch genitale Blutungen auffällt). Die oft erwähn-
ten Adenokarzinome jüngerer Frauen, deren Mütter in der Schwangerschaft Stil-
bestrol eingenommen hatten, spielen in Deutschland keine Rolle, da die Substanz
hier nie zugelassen war.
Risikofaktoren
Chron. Irritationen der Vaginalhaut wie durch Vaginalpessare oder Vaginalringe
oder chron. vag. Inf. sowie STD und virale Inf., v. a. Papillomavirus-Inf.
Klinik
VaIN verursachen praktisch keine Symptome.
Vaginalkarzinom
• Blutung (meist postmenopausal) oder Kohabitationsblutung.
• Exophytisch wachsender Tumor in der Scheide mit Druckgefühl und
Schmerzen, früh ulzerierend.
• Fleischwasserfarbener, oft übel riechender Fluor genitalis.
• Dysurie, Algurie, Hämaturie.
• Blutauflagerung beim Stuhlgang.
Metastasierung Meist lymphogen, bei einer Tumorgröße von 2 cm sind bereits
in 25 % der Fälle Lk befallen. Häufig ist die frühe Ausweitung ins Parakolpium
458 11 Äußeres Genitale und Vagina
und per continuitatem mit Infiltration von Blase und Rektum (Lk-Stationen: ana-
le und rektale Lk, iliakale und femorale Lk, paraaortale Lk).
Diagnostik
• Simultane rektovaginale Palpation.
• Vaginalzytologie.
• Kolposkopie: Mosaik, Punktierung und Leukoplakie (▶ 11.2.2, ▶ 13.2.2).
ave: Die meisten Läsionen sitzen an der Hinterwand und werden leicht vom
C
11 Spekulum verdeckt!
• Probeexzision per Skalpell zur histologischen Begutachtung. Zur besseren Be-
urteilung sollte das Präparat auf kleiner Korkplatte mit Nadeln fixiert werden.
• Zystoskopie, Rektoskopie und i. v. Pyelogramm zum Ausschluss einer weite-
ren pelvinen Ausbreitung, CT oder MRT.
• Fraktionierte Abrasio zum Ausschluss eines sek. Vaginalkarzinoms bei vorbe-
stehendem Zervix- oder Endometriumkarzinom (prim. Vaginalkarzinome
seltener als Scheidenmetastasen).
TNM FIGO
M1 IVb Fernmetastasen
Therapie
• VaIN I und II nur bei Persistenz und dem Wunsch der Pat. auf Ther. entfer-
nen (da hohe Rate an Spontanremission → ¼-jährliche klinische und zytologi-
sche Kontrolle).
• VaIN-III-Läsionen werden chirurgisch exzidiert (mind. 3 mm tief) oder laser
evaporisiert (Kryochirurgie und Elektrokauterresektion ebenfalls möglich).
• Beim Vaginalkarzinom wird international häufig die prim. Strahlenther. der
Operation vorgezogen.
• Partielle Vaginektomie bei fortgeschrittenen und multiplen Herden, am ehes-
ten von vaginalem Zugang. Falls Pat. noch nicht hysterektomiert wurde, soll-
te bei proximalem Sitz eine abd./vag. Hysterektomie mit Scheidenmanschette
durchgeführt werden.
• Totale Vaginektomie nur erforderlich, wenn der gesamte Introitus befallen ist
(sehr selten). Die prim. kombinierte Strahlenther. wird national und interna-
tional der OP vorgezogen. Die Heilungsraten sind ähnlich, und die Auswahl
hängt stets von der Expertise des Zentrums ab.
11.9 Vorgehen bei Notzuchtdelikten 459
Nachsorge
In den ersten 3 J. in ¼-jährlichen Abständen (Rezidiv meist in den ersten 2 J.),
danach in ½-jährlichen Intervallen. Dabei immer:
• Anamnese: Allgemeinbefinden, Leistungsfähigkeit, Schmerzen.
• Befund: Gewicht, Beinödeme, gynäkologische Untersuchung mit zytologi-
schen Abstrichkontrollen.
• Labor: BSG, BB, Krea (von zweifelhaftem Wert).
Aktuelle Leitlinien im Internet unter: www.uni-duesseldorf.de/awmf
11.9.1 Einleitendes Gespräch
Zu Beginn des Gesprächs sollte der Pat. erläutert werden, was bei diesem Arztbe-
such von der Anamnese bis zur Untersuchung auf sie zukommt und dabei der
Sinn jeder Maßnahme, im Interesse der Pat., erklärt werden. Dem Opfer sollte zur
sofortigen Anzeige geraten werden, um die Fahndung nach dem Täter möglichst
schnell einzuleiten.
Anamnese
• Tathergang inkl. Notzuchthandlung schildern lassen (Samenerguss erfolgt?
11 Vaginal? Kondom?).
• Allg. gyn. Anamnese (Zyklus, letzte Menstruation, Kontrazeption, Virgo).
• Schmerzen, Blutung.
• Kleidung verändert, hat sich Pat. gewaschen, Vaginalspülung? (Spurensiche-
rung).
Soll der behandelnde Arzt später vor Gericht als Sachverständiger aussagen,
muss er sich zuvor von der Pat. von der Schweigepflicht entbinden lassen.
Facharzt/Oberarzt hinzuziehen!
11.9.2 Befunderhebung
Inspektion
Zur exakten Beurteilung muss eine Ganzkörperuntersuchung erfolgen, zunächst
die Untersuchung des Oberkörpers, dann des Unterkörpers. Path. Befunde wie
Hämatome sollten fotografisch (möglichst Digitalkamera) mit Maßstab doku-
mentiert werden. Dies ist besonders wichtig, da bei gerichtlichen Auseinanderset-
zungen häufig nicht die Kohabitation bestritten wird, der Täter behauptet aber
oft, dass es sich um einen freiwilligen Sexualakt gehandelt habe.
Hämatome
Als Fixierungsverletzungen, v. a. an den Innenseiten von Oberarmen und Ober-
schenkeln sowie am Hals, z. T. auch bei Gegenwehr am Unterarm (ulnarseitig).
Eine ungefähre Altersschätzung der Hämatome sollte erfolgen, zumal wenn die
Pat. erst nach längerem Intervall vorstellig wird:
• Gelblicher Farbton nach etwa 4 Tagen.
• Grünlicher Farbton nach etwa 7 Tagen.
• Abblassen nach etwa 14 Tagen.
Würge- und Strangulationsmale
Schürfungen im Halsbereich, petechiale Blutungen an Konjunktiven und Augen-
lidern (verschwinden z. T. innerhalb von 24 h).
11.9 Vorgehen bei Notzuchtdelikten 461
Sturzverletzungen
Kopfplatzwunde, Nasenrückenverletzungen, Ellenbogen-, Knie- und Schulterver-
letzungen.
Doppelstriemen auf der Haut
Entstehen bei Peitschen- und Stockhieben.
Hautkratzer
Werden z. T. vom Herunterreißen der Kleidungsstücke hervorgerufen (Unter-
bauch und Brustbereich).
11
Verletzungen am äußeren Genitale
Eher selten, zu achten ist auf Rötungen und Schürfungen im Bereich von Labien
und Introitus, ebenso auf Zeichen einer frischen Defloration.
Gynäkologische Untersuchung
• Kohabitationsverletzungen oder Defloration abklären.
• Abstriche aus dem hinteren Scheidengewölbe: Es sollte ein Nativabstrich er-
folgen (▶ 11.2.3), anhand dessen schon vorab nach Spermien gesucht wird.
• Wenigstens vier Stieltupfer sollten – mit Gummistopfen versehen, damit der
Watteträger nicht die Wand des Röhrchens berührt – aus dem hinteren
Scheidengewölbe entnommen werden. Vor dem Verschließen der Röhrchen
den Watteträger trocknen lassen, wenn eine sofortige Weiterverarbeitung in
der Rechtsmedizin nicht gewährleistet ist. Anhand der Abstriche können se-
rologische Täteruntersuchungen durchgeführt werden.
• Bakterieller Vaginalabstrich (z. B. Port-a-germ®).
• Auskämmen der Schamhaare, um Haare des Täters sicherzustellen. Siche-
rung von Vergleichshaar (Kopf- und Schamhaar) der Pat.
Laboruntersuchungen
Serologische Untersuchungen auf Gonorrhö und Lues sollten durchgeführt wer-
den, ein HIV-Test ist ebenfalls empfehlenswert, außerdem ein Schwangerschafts-
test, zur Dokumentation, dass vor dem Notzuchtdelikt keine path. Befunde bzw.
eine Schwangerschaft vorgelegen haben.
Asservation
• Auf einem Begleitbrief an die Kollegen in der Rechtsmedizin sollte neben den
Personalien der Pat. und Angaben über den Zeitpunkt der Kohabitation auch
Ihre Telefonnummer für evtl. Rückfragen angegeben werden.
• Kleidung: Falls die Pat. noch nicht die Kleidung gewechselt hat, sollte diese
ebenfalls der Rechtsmedizin überstellt werden.
Therapeutische Maßnahmen
Versorgung von Verletzungen, ggf. konsiliarische Vorstellung bei einem HNO-
Arzt (Gesichtsverletzungen) oder Chirurgen, bei ausgeprägter reaktiver Depressi-
462 11 Äußeres Genitale und Vagina
12.1.2 Ätiologie
• Geburten mit großen Kindern mit Beckenbodenüberdehnung.
• Erschlaffen des Halteapparats.
12 • Erbliche Bindegewebsschwäche.
• Risikofaktoren: Adipositas, Alter, Parität, chron. Lungenkrankheit (Husten),
Rauchen, anstrengende berufliche Tätigkeit (Heben), chron. Obstipation.
12.1.3 Pathophysiologie
Durch einen Defekt der Bandstrukturen des kleinen Beckens kommt es zum
„Bruch“ und Tiefertreten des inneren Genitales. Die Portio kann im Introitus
sichtbar werden. Im fortgeschrittenen Stadium Umstülpen der Vagina vor die
Vulva und Austreten des Uterus (Subtotal- oder Totalprolaps des Uterus).
Tab. 12.1 Pelvic Organ Prolapse Quantification System (POPQ) nach ICS
Stadium 0 Kein Prolaps Aa, Ap, Ba, Bp = −3 cm und C oder D ≤ −(tvl −2) cm
Stadium II Größe distale Portioausdehnung ≤ 1 cm proximal oder distal zur Ebene
des Hymens
Stadium III Größe distale Portioausdehnung > 1 cm unter Ebene des Hymens und
≤ 2 cm weniger als totale Vaginallänge in Zentimetern
Punkte Werte
D Hinteres Scheidengewölbe
Kreuzbein
Peritoneum
C
Tube
Ovar Rektum
Uterus D
Ba Zervix
Harnblase
Portio
Symphyse
Bp 12
tvl
Urethra
Ap
Klitoris Anus
Aa
gh pb
gh
tvl pb
Abb. 12.1 Pelvic Organ Prolapse Quantification System (POPQ) nach ICS [L157]
12.1.4 Einteilung
• Descensus uteri I: Portio erreicht das mittlere Scheidendrittel, Senkung nur
bei Spekulumeinstellung sichtbar.
• Descensus uteri II: Portio erreicht beim Pressen den Hymenalsaum, Deszen-
sus bei bloßer Inspektion der Vulva erkennbar.
• Descensus uteri III: Portio tritt vor die Vulva, Prolaps des Uterus, ggf. auch
von Harnblase, Rektum sowie Douglaso- und Enterozele.
466 12 Urogenitale Erkrankungen
12.1.5 Klinik
Typische, allerdings nicht obligate Deszensusbeschwerden:
• Druckgefühl auf den Damm und ziehende Unterbauchschmerzen.
• Rückenschmerzen (DD degenerative Wirbelsäulenerkr., Osteoporose).
• Fremdkörpergefühl.
• Kohabitationsbeschwerden.
• Harnblasenentleerungsstörungen.
12 • Stuhlentleerungsstörungen.
• Blutiger Ausfluss aufgrund von Druckulzerationen.
Häufiger in Vergesellschaftung mit Harninkontinenz. Deszensus und Harninkon-
tinenz können auch unabhängig voneinander auftreten und zu therapiebedürfti-
gen Beschwerden führen. Ausgeprägte Senkung kann maskierte „larvierte“
Harninkontinenz und Harnentleerungsstörung bis zum Harnverhalt durch Ab-
knicken des Blasenhalses („Quetschhahnphänomen“) verursachen.
12.1.6 Diagnostik
• Klaffende Vulva, niedriger, evtl. narbiger Damm, tief stehende Portio, Vor-
wölbung der vorderen bzw. der hinteren Scheidenwand.
• Pulsationszystozele: zentraler Defekt der vorderen Scheidenwand mit verstri-
chenen Rugae und sog. „Glatzenbildung“.
• Traktionszystozele: erhaltene Rugae mit verstrichenen Längsfurchen und
häufiger Urethrozele bei lateralem Defekt.
• Ggf. Erosionen oder Ulzerationen der Vagina oder Portio.
• Palpatorisch elongierte Cervix uteri, gestreckter oder retroflektierter Uterus,
auseinander gewichene Levatorenschenkel.
12.1.7 Therapie
Konservative Therapie
• Lokale Östrogenther. (z. B. Ovestin® Ovula 1- bis 2-wöchentl.).
• Pessarbehandlung (Sieb- bzw. Würfelpessar, Tampon).
• Beckenbodentraining und -konditionierung.
Operative Therapie
Vorbereitung
• Im Regelfall vorab urodynamische Diagn. zum Ausschluss einer larvierten
Harninkontinenz bei ausgeprägtem Deszensus, v. a. des vorderen Komparti-
ments.
• Vor einer op. Sanierung sollte eine lokale Östrogenbehandlung (z. B. Estradiol,
Ovestin® Ovula 1–2 × wöchentl. bzw. Ovestin® Creme) über 4–6 Wo. erfolgen.
12.1 Descensus uteri et vaginae 467
12.2 Harninkontinenz
12.2.1 Epidemiologie 12
In Deutschland leiden etwa 5 Mio. Menschen an Harninkontinenz, vorrangig
Frauen. Aufgrund der demografischen Entwicklung nimmt die Zahl der älteren
Inkontinenzpat. zu.
12.2.3 Einteilung
Belastungsinkontinenz
Definition Auch Urethraverschlussinsuff., Stressharninkontinenz. Unfreiwilli-
ger Urinverlust bei körperlicher Belastung.
Pathogenese Durch eine Senkung/Lockerung des Beckenbodens kommt es zum
Herausgleiten der proximalen Urethra aus dem intraabdominalen Gleichgewicht
(▶ Abb. 12.2).
Stadieneinteilung nach Ingelmann-Sundberg
• Schweregrad 1: Harnabgang beim Husten, Niesen, Lachen.
• Schweregrad 2: Harnabgang beim Heben schwerer Lasten, beim Treppenstei-
gen oder Laufen.
• Schweregrad 3: Harnabgang beim Stehen, nicht im Liegen.
470 12 Urogenitale Erkrankungen
Normalbefund Senkung
Beckenboden
12
Urge-Inkontinenz (Dranginkontinenz)
Definition Harnverlust mit nicht unterdrückbarem Harndrang.
Pathogenese Gestörtes Gleichgewicht zwischen den Dehnungsafferenzen der
Harnblase und der zentralen Hemmung mit nachfolgender Detrusorinhibition.
Ätiologie
• Blasenbedingt: Häufigste Ursachen sind HWI, Genitalatrophie und Descen-
sus vaginae mit großer Zystozele; daneben z. B. Blasensteine, Tumoren.
• Nicht blasenbedingt: bei Kolpitis, ZNS-Erkr. wie Multiple Sklerose, Parkin-
son-Sy., Syringomyelie, senile Demenz, Alkoholismus sowie unter verschie-
denen medikamentösen Ther. (▶ Tab. 12.4).
• Idiopathische Form: oft psychosomatische Störungen.
Klinik Typische Symptome sind Pollakisurie (> 7 Miktionen pro Tag) sowie
Nykturie.
Einteilung
• Motorische Urge-Inkontinenz: unwillkürlicher Urinverlust, begleitet von im-
perativem Harndrang und urodynamischem Nachweis einer Detrusorkon-
traktion.
• Sensorische Urge-Inkontinenz: Urinverlust mit imperativem Harndrang bei
urodynamischem Nachweis einer unwillkürlichen Urethrarelaxation und
mangelnder Detrusorkontraktionen. Im Sono ggf. Trichterbildung der proxi-
malen Urethra.
Weitere Formen
• Reflexinkontinenz: Harnverlust infolge von unwillkürlichen Detrusorkon-
traktionen bei neurologischen Erkr.
• Überlaufinkontinenz: Harnverlust bei Überlaufblase infolge von infravesika-
len Obstruktionen und/oder a- oder hypokontraktilem Detrusor.
• Extraurethrale Inkontinenz: Urinverlust bei Fisteln und Fehlbildungen.
12.2 Harninkontinenz 471
12.2.4 Diagnostik
Anamnese
• Wie viel Urin geht wann unwillkürlich ab?
• Häufigkeit der Miktion.
• Dysurie (Schmerzen bei der Miktion z. B. bei urethralem Sy., am Ende der
Miktion z. B. bei Zystitis).
• Trinkmenge.
• Geburtenanamnese (Belastungsinkontinenz korreliert mit der Anzahl der Ge-
burten).
• Deszensusanamnese (Pulsationszystozelen korrelieren mit Urge-Inkontinen-
zen, Traktionszystozelen mit Belastungsinkontinenzen).
• Voroperationen (insb. gynäkologische oder urogynäkologische Eingriffe).
• Begleiterkr. (neurologische Erkr., Diabetes). 12
• Gute Differenzierung zwischen Stress- und Urge-Inkontinenz mittels Gau-
denz-Fragebogen (▶ Abb. 12.3).
• Medikamentenanamnese (▶ Tab. 12.4).
Tab. 12.4 Medikamente, die eine Harninkontinenz provozieren oder ver-
schlechtern
Substanz Wirkmechanismus Inkontinenztyp
Gynäkologische Untersuchung
• Spekulumuntersuchung zur Beurteilung der Scheidenhautverhältnisse (Ös-
trogenmangel?)
• Urethrozele: häufig im Rahmen einer Traktionszystozele, Korrelation mit der
Belastungsinkontinenz.
• Pulsationszystozele: Die Rugae sind verstrichen, sodass die Vaginalwand glatt
erscheint; zentraler Defekt des Beckenbodens. Klassische Symptomatik: Rest-
harn, HWI, Drangsymptomatik.
• Traktionszystozele: Urethra- und Vaginalhaut deszendieren gleichmäßig, die
Rugae sind erhalten. Klassische Symptomatik: Belastungsinkontinenz, im So-
no i. d. R. rotatorischer Blasenhalsdeszensus.
• Rektozele ggf. mit Douglaso- und Enterozele, mobilem Scheidenende
• Descensus uteri (▶ 12.1).
• Urinabgang beim Husten.
472 12 Urogenitale Erkrankungen
Nur gelegentlich 2
3. Das Verlieren von Urin stört mich ...
Enorm 1
Ja 1
5. Haben Sie Kinder geboren?
Nein 0
12
6. Wie häufig müssen Sie täglich Alle 3–6 Stunden 3
Wasser lassen? Alle 1–2 Stunden 2
Nie bis einmal 2
7. Müssen Sie nachts Wasser lassen? 2- bis 4-mal und häufiger 3
12
Die Sonografie der ableitenden Harnwege (Nierenaufstau?) ist vor jeder op. Ther.
obligat (schon aus forensischen Gründen).
12
Urindiagnostik
Mittels Streifenschnelltests Nachweis von roten oder weißen Blutkörperchen, Ni-
trit, Zucker, Eiweiß, ggf. mikroskopische Sedimentuntersuchung, Urikult.
Zystotonometrie
Prinzip Darstellung unwillkürlicher Detrusorkontraktionen im Differenzdruck
zwischen intravesikalem und rektalem (intraabdominalem Druck). Druckmes-
sung der Harnblase während der Füllungsphase (Abhängigkeit des Blaseninnen-
drucks in cmH2O vom Füllungsvolumen in ml).
Durchführung Im Stehen, Sitzen oder Liegen durchführbar. Kontinuierliche
Auffüllung der Harnblase mit körperwarmem, sterilem 0,9 % NaCl über den lie-
genden Katheter (Füllungsgeschwindigkeit 30–50 ml/Min.). Der 1. Tiptransducer
liegt in der Harnblase, der 2. Tiptransducer liegt in der Urethra. Gleichzeitige
Messung des intraabdominalen Drucks über einen Ballonkatheter oder einen wei-
teren Tiptransducer im Rektum. Gemessen werden: max. Blasenkapazität, effekti-
ve Blasenkapazität (max. Kapazität minus Restharn). Nachweis ungehemmter
Detrusorkontraktionen.
12.2 Harninkontinenz 475
Urethradruckprofil
Prinzip Gemessen werden der intraurethrale Druck (in cmH2O) und die Ure
thralänge (in cm). Die Registrierung des urethralen Drucks erfolgt bei verschiede-
nen Funktionszuständen: in Ruhe, unter Belastungsbedingungen beim Husten,
bei Bauchpresse oder willkürlichen Beckenbodenkontraktionen.
Durchführung
• Ruheprofil: Der Tiptransducerkatheter liegt mit beiden Sensoren in der ge-
füllten Blase (300–400 ml) und wird unter definierter Geschwindigkeit von
1 mm/Sek. (ICS) durch die Urethra zurückgezogen. Der proximale Drucksen-
sor läuft durch die Urethra, während der distale noch in der Blase verbleibt.
• Belastungsprofil: entsteht bei gleicher Untersuchungsanordnung und gleich-
zeitiger Hustenprovokation. Durch verminderte Drucktransmission auf den
Blasenhals kommt es zwischen Blasenhals und Blase zu sichtbaren Depressi-
onsdrücken im Differenzprofil → Belastungsinkontinenz. 12
Auswertung Die entstehende Druckkurve der Urethra im Ruheprofil wird in
Differenz zum Blasendruck gesetzt und entspricht dem funktionellen Urethraver-
schlussdruck (▶ Abb. 12.6). Die Zusatzinformationen durch das Druckprofil un-
ter Belastung erlauben eine Klassifikation in eine hypotone bzw. eine hyporeaktive
Urethra (wichtig für die Therapieentscheidung ▶ 12.4.2).
Der DepD (Depressionsdruck) entspricht der Druckabnahme des Urethraver-
schlussdrucks unter Belastung. Altersabhängiger Normwert: 100 minus Alter der
Pat. Die Unterschreitung des altersabhängigen Normwerts (= hypotone Urethra)
erfordert eine subtile OP-Planung, ansonsten höheres Rezidivrisiko.
Intravesikaler Druckanstieg während der Zystotonometrie > 15 cmH2O bei Bla-
senfüllung bis 300 ml, ggf. unter Hustenprovokation, spricht für eine motorische
Urge-Inkontinenz.
DepD
DepQ =
UVDR
50%
≤ 0,5 = K
0,6–0,9 = S1 50%
≥ 1,0 = S2 50%
Urometrie
Die Flowrate (Miktionsvolumen/Sek.) gibt einen Hinweis auf obstruktive Prozes-
se, hypotone Blasenschwächen und Restharnbildung. Die Aussagekraft ist bei der
Frau begrenzt.
12.2.5 Therapie
Belastungsinkontinenz
Medikamentöse Therapie
Kontinenz ist nur selten durch eine Medikation zu erreichen. Besteht bei Pat. In-
operabilität oder Operationsunwilligkeit, Kombination aus physiother. Maßnah-
men (Beckenbodengymnastik und Beckenbodenstimulation) und medikamentö-
12 ser Maßnahme:
• α-Sympathomimetika: in Deutschland nur Midodrin als Einzelsubstanz im
Handel, jedoch ohne Zulassung für die Ind. „Harninkontinenz“.
• Dulexitin (Yentreve®): kombinierter Serotonin-(5-HAT-) und Noradrenalin-
(NA-)Wiederaufnahmehemmer. Aufgrund häufiger Übelkeit mit Erbrechen
einschleichend dosieren: 1. Wo. 0–0–20 mg/d, 2. Wo. 20–0–20 mg/d, 3. Wo.
20–20–20 mg/d. Bei mangelndem Effekt Dosissteigerung bis 2 × 40 mg/d
möglich.
• Östrogene. Bei allen Formen der urogenitalen Atrophie lokale Östrogenisie-
rung (z. B. mit Estradiol, Ovestin® Ovula 1–2 × wöchentl.).
Operative Therapie
Kolposuspension nach Burch
Die bislang bis zum Anfang dieses Jh. am besten dokumentierte OP-Methode der
Stressharninkontinenz war die Kolposuspension nach Burch (▶ Abb. 12.7) mit
diversen Modifikationen (z. B. nach Cowan). Bei der heute üblichen Methode
wird das Gewebe neben dem Blasenhals mit nicht resorbierbaren Nähten am Lig.
ileopectineum fixiert, was die Urethra stützt und die Belastungsinkontinenz häu-
fig bessert.
12
Abb. 12.7 Kolposuspension nach Burch: lockere Fixierung der Scheidenfaszie mit
nicht resorbierbaren Fäden am Lig. ileopectineum (Cooper-Band) zur Anhebung
des pubourethralen Übergangs [M454/L157]
Nadelsuspensionen
Nadelsuspensionsverfahren nach Raz, Stamey-Pereyra oder Gittes mit dem op.
Prinzip, eine Elevation des Blasenhalses mit nicht resorbierbaren Fäden zu errei-
chen. Von einer suprapubischen Inzision aus werden nicht resorbierbare Fäden
retropubisch nach vag. durchgeführt. Dabei wird das Lig. urethropelvicum (Raz),
das periurethrale Gewebe (Stamey) oder die gesamte Vaginalwand (Gittes) gefasst
und in der Bauchdecke verankert. Die 5-Jahres-Kontinenzrate liegt mit ca. 40 %
deutlich unter der der Kolposuspension nach Burch oder der TVT/TO-Operati-
on.
Schlingenoperationen
Bei der klassischen pubovag. Schlingenoperation wird ein Faszienstreifen aus der
Rektusscheide oder der Fascia lata oder ein Kunststoffband von einer vag. und
retropubischen Inzision aus zügelartig um die Urethra bzw. den Blasenhals her-
umgeführt und in der Rektusfaszie verankert. Bei vergleichbaren Kontinenzraten
wie der Burch-Eingriff besteht der Nachteil in einer verlängerten Rekonvaleszenz
nach kombiniert abdominovag. Eingriff. Schlingenoperationen werden inzwi-
schen durch die TVT/TO-Plastiken abgelöst.
Kolporrhaphia anterior
Die Raffung der vorderen Vaginalwand wird zur Behandlung einer Zystozele bei
Deszensus und gleichzeitig bestehender Belastungsinkontinenz angewendet. Die
Erfolgsraten zeigen eine verbesserte Kontinenzrate von lediglich 31 % nach
12 Mon. für die alleinig durchgeführte Kolporrhaphie.
Depotinjektionen
Periurethrale Injektionen mit Kollagen, mikroverkapseltes Silikon, Teflon, Poly-
acrylamid und Fett kommen zur Anwendung. Am häufigsten wird Kollagen in
12.2 Harninkontinenz 479
Urge-Inkontinenz
Medikamentöse Behandlung steht im Vordergrund, wobei die Aktivität der Bla-
senmuskulatur gedämpft werden soll. Klassische Substanzen sind z. B. Anticho-
linergika. Auch Trink- und Miktionstraining mit Erhöhung der Miktionsinterval-
le und Reizstromther. können eine Besserung herbeiführen. Immer auch Ther. der
Grunderkr. (z. B. HWI, Blasensteine, Blasentumoren, neurologische Erkr.).
• Anticholinerg wirksame Präparate: Toltrodi 2 × 2 mg/d (Detrusitol®), nach
4 Wo. meist Reduktion auf 2 × 1 mg/d möglich, Solifenacinsuccinat 5–10 mg/d 12
(Vesikur®), Oxybutynin 3 × 5 mg/d (Dridase®), Scopolamin 3–5 × 10–20 mg/d
(Buscopan®), Trospiumchlorid 2–3 × 5 mg/d (Spasmo-Urgenin® TC), Dari
fenacin 7,5–15 mg/d (Emselex®), Propiverin 3 × 15 mg/d (Miktonorm®). Nach
6–12 Mon. Auslassversuch.
• Muskelrelaxanzien: Flavoxat 3–4 × 200 mg/d (Spasuret®).
• Kalziumantagonisten sollen bei Detrusorhyperreflexie ebenfalls den gehäuf-
ten Harndrang herabsetzen und die Blasenkapazität erhöhen, v. a. in Kombi-
nation mit Anticholinergika. Stufenweise Dosissteigerung: Nifedipin 15–
60 mg/d (z. B. Adalat®), Verapamil 120–480 mg/d (z. B. Isoptin®), Imipramin
2 × 25 mg/d (z. B. Tofranil®).
• Intravesikale Instillation von 2 × 5 mg/d Oxybutynin in Kochsalzlsg. für je-
weils 30 Min. bei Pat., die sich selbst katheterisieren.
• Bei Detrusorhyperreflexie und innerer Sphinkterdyssynergie zusätzlich Al-
pharezeptorblocker (Alfuzosin, Doxazosin, Tamsulosin und Terazosin).
• Bei allen Formen der urogenitalen Atrophie empfiehlt sich zusätzliche Östro-
genisierung (z. B. mit Estradiol, Ovestin® Ovula 1–2 × wöchentl.).
• Elektrostimulation mit Biofeedback-Gerät führt zum Aufbau der Beckenbo-
denmuskulatur und beeinflusst die Dranginkontinenz und leichte Formen
der Stressinkontinenz günstig. Erforderlich sind 2 × tägl. Anwendungen über
10 Min. oder Stimulation des Sakralnervs mit einem „Beckenbodenschrittma-
cher“, zunächst Testung über einen externen Stimulator, bei Erfolg Implanta-
tion des Schrittmachers mitsamt der Elektroden unter die Haut.
Zystitis
Bei HWI Antibiotikather. erforderlich.
• Akuter, unkomplizierter HWI: Fosfomycintrometamol (z. B. Monuril®)
3.000 mg einmalig.
480 12 Urogenitale Erkrankungen
Überlaufinkontinenz
Bei einer obstruktiven Genese der Überlaufinkontinenz ist das prim. Ziel die op.
12 Beseitigung des subvesikalen Abflusshindernisses. Bei Frauen sind tumorbedingte
Obstruktionen selten.
• Detrusoratonie ist häufig eine NW einer Pharmakother. (Detrusorkontraktili-
tät ↓, Restharnbildung ↑): Anticholinergika, Antidepressiva, Neuroleptika,
Muskelrelaxanzien, Kalziumantagonisten und Parkinsonmedikamente. Ther.:
Absetzen, Umsetzen oder Dosisreduktion.
• Medikamentöse Stimulation der Detrusorrestaktivität:
– Cholinergika oder Parasympathomimetika: Bethanechol 25-50 mg/d (z. B.
Myocholine Glenwood®).
– Cholinesterasehemmer: Distigminbromid 5 mg/d (z. B. Ubretid®). Cholin
esterasehemmer können zu einer unerwünschten Erhöhung des Abfluss-
widerstands führen. Daher gleichzeitig Alphablockade, z. B. mit Dibenzy-
ran® 2 × 5 mg/d, langsam steigern bis max. 60 mg/d.
Extraurethrale Inkontinenz
Die Fistelinkontinenz muss durch einen op. Fistelverschluss behoben, und anato-
mische Fehlbildungen müssen ggf. operativ korrigiert werden.
13 Uterus
Kay Goerke und Axel Valet
13 Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul.
Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul.
Menorrhagie Polymenorrhö
Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul. Feb. Mär. Apr. Mai Jun. Jul.
Hypermenorrhö Oligo-Hypomenorrhö
Hinweiszeichen:
• Deutlich überperiodenstarke, hellrote Blutung ohne Schmerzen → V. a. Zer-
vix-Ca (▶ 13.8).
• Kontaktblutung (nach Geschlechtsverkehr), schmerzlos, meist hellrot und ge-
ring → V. a. Ektopie (▶ 13.3.1). DD: Zervix-Ca, evtl. mikroinvasives Karzinom.
• Dunkelrote bis schwarze Blutung, oft zyklusabhängig → V. a. Endometriose
der Portio (▶ 13.5).
• Leichte hellrote Blutung verbunden mit Pruritus, Fluor und vag. Schmerzen
→ V. a. Zervizitis.
13.1 Leitsymptome und Differenzialdiagnosen 483
13.1.2 Schmerzen
• Leichter bis mäßiger Dauerschmerz, mit Pruritus und Fluor → V. a. Zervizi-
tis.
• Krampfartige Schmerzen, hellrote Blutung → V. a. Myom in statu nascendi.
• Zyklusabhängige Schmerzen, meist 1–2 Tage vor der Menstruation begin-
nend, häufig mit Einsetzen der Mensesblutung abklingend, evtl. mit dunkel-
roter bis bräunlicher Blutung → V. a. Endometriose (▶ 13.5).
• Postmenstruelle Schmerzen, pos. Entzündungswerte → V. a. Endomyometritis
(▶ 13.4.3).
• Weitere DD ▶ 14.1,▶ 14.4.
13.1.3 Dysmenorrhö
Definition Im Zusammenhang mit der Menstruation auftretende krampfartige
Unterbauchschmerzen, evtl. mit Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen bis hin
zur Migräne.
484 13 Uterus
Formen
• Prim. Dysmenorrhö: Schmerzen, die mit der Menstruation einhergehen, Be-
ginn schon bald nach der Menarche.
• Sek. Dysmenorrhö: erst später einsetzende Menstruationsschmerzen.
Ursachen
• Psychosomatische Faktoren: häufig Konflikt bei der Übernahme weiblichen
Rollenverhaltens in der Pubertät (sexualitätsverneinende Erziehung, sexuelles
Trauma, Dysmenorrhö der Mutter → die monatlichen Schmerzen werden
von der Mutter an die Tochter als Verhalten weitergegeben). Zunächst müs-
sen somatische Faktoren ausgeschlossen werden, danach sollte im Verdachts-
fall eine Vorstellung in der Psychosomatik erfolgen. Psychosomatische Fakto-
ren spielen auch bei der sek. Dysmenorrhö eine Rolle (Unzufriedenheit mit
Sexualleben, beruflicher und sozialer Stellung, Partnerkonflikte).
• Endometriose: Schmerzen beginnen sehr häufig schon 1–2 Tage prämenstru-
ell und lassen bei Einsetzen der Blutung meist langsam nach. Häufig besteht
zusätzlich eine Dyspareunie (Schmerzen bei der Kohabitation).
• Adenomyosis uteri interna: einzelne Endometrioseherde im Myometrium.
• Abflussbehinderungen: Vaginalfehlbildungen, Hymenalatresie (▶ 18.7.1).
13 • Weitere: submuköse Myome, Korpuspolypen, Uterusfehlbildungen, Zervi-
kalstenosen oder -strikturen, Varicosis pelvis, IUP, Retroflexio uteri.
Therapie
• Beseitigung der Ursache, falls möglich.
• Bei gleichzeitigem Kontrazeptionswunsch Ovulationshemmer (geringere Blu-
tung → weniger Schmerzen) oder Gestagene, z. B. Dydrogesteron 10 mg/d
p. o. (z. B. Duphaston®) vom 16.–25. ZT.
• Prostaglandinhemmer, z. B. Ibuprofen 200–400 mg p. o. nach Bedarf (z. B.
Aktren®).
13.2.2 Kolposkopie
Prinzip Untersuchung der Portio unter 6- bis 40-facher Lupenvergrößerung.
Bewährt hat sich die Einstellung der Portio mit einem Selbsthaltespekulum („En-
tenschnabel“), um eine Hand für die Bedienung des Kolposkops frei zu haben.
Gezielte Biopsie möglich (▶ 13.2.6).
Durchführung Die Untersuchung gliedert sich in drei Abschnitte:
• Nativ-Kolposkopie.
• Essigsäureprobe (3 % über mind. 30 Sek.): koaguliert den zervikalen Schleim,
der sich nun weiß darstellt; somit sind Ektopien besser abzugrenzen.
• Schiller-Jodlösung: Jod wird von den glykogenhaltigen Plattenepithelzellen
des Portioepithels gespeichert, die Zervixdrüsenzellen und andere Zellen stel-
len sich jodneg. dar.
486 13 Uterus
Zur Dokumentation ist bei allen path. oder verdächtigen Befunden insb. zur Ver-
laufsbeobachtung eine Fotodokumentation oder eine möglichst detaillierte
Zeichnung zu empfehlen.
Mögliche Befunde ▶ Abb. 13.2
• Ektopie: Zylinderepithel außerhalb der Endozervix, erkennbar an feiner Fäl-
telung. Gut nach Essig- und Jodprobe darstellbar. Bei 70 % aller Frauen wäh-
rend der Geschlechtsreife nachzuweisen.
• Umwandlungszone (= Transformationszone): Grenze zwischen Platten- und
Zylinderepithel. Prädilektionsstelle für Inf., Dysplasie und Karzinome.
• Leukoplakie: oberflächliche Verhornung, erscheint bei der Nativbetrachtung
als weißer Fleck. Kontrollbedürftig, gezielte Zytologie zu empfehlen.
• Punktierung (= Grund, Leukoplakiegrund): Nach Abstoßung der Horn-
schicht einer Leukoplakie lassen sich die darunter liegenden gefäßführenden
Papillen als feine rote Pünktelung erkennen. Häufig am Rand von malignen
Veränderungen anzutreffen. Kolposkopisch gezielte PE zu empfehlen.
• Felderung (= Mosaik): kleine helle Felder, die bienenwabenartig von einem
Netz rötlicher Kapillaren umgeben sind. Entsteht durch Vorwachsen atypi-
scher Zellen in die Tiefe oder in Drüsenausführungsgänge. Kolposkopisch ge-
13 zielte PE.
• Atypische Transformationszone: gelb-rote, glasige, leicht erhabene Verände-
rung. Gilt als verdächtiger Befund.
• Atypische Gefäße: korkenzieherartig gewundene oder gänzlich wirr verlau-
fende Gefäße. Am besten durch Vorschalten eines Grünfilters zu beurteilen.
Gilt als verdächtiger Befund.
Ektopie Punktierung
Transforma-
tionszone
Mosaik
exophytisches
Karzinom
atypische
Gefäße
Die Kolposkopie kann wie die Zytologie nur einen Hinweis auf maligne oder
prämaligne Veränderungen liefern. Bei verdächtigen Befunden ist immer
eine histologische Sicherung anzustreben.
13.2 Diagnostische Maßnahmen 487
13.2.3 Zytologie
Durch Erkennen von Vorstufen eines Karzinoms ist eine echte Tumorprä-
vention möglich. Die Methode wurde von Papanicolaou entwickelt, die Klas-
sifikation der Befunde richtet sich nach der modifizierten Münchener No-
menklatur von 1990.
normal
entzündliche
Tumor-
vorstadien
(CIN)
Tumor
13
Abb. 13.3 Zytologie [L190]
Zunehmende Bedeutung für die Prognose der Dysplasie. Insb. die Subty-
pen 16 und 18 sind für die Entstehung von Zervixkarzinomen verantwort-
lich.
Chlamydien
Durchführung Zum Nachweis von Chlamydien (intrazelluläre Parasiten; ▶ 11.3.6) 13
ist die Entnahme von Zellmaterial notwendig. Dazu wird mit einem Watteträger aus
dem CK sowie einem zweiten, kleineren Watteträger auf Draht aus der Urethra ein
Abstrich entnommen und auf einen speziellen Objektträger ausgestrichen.
Lufttrocknung und anschließende Fixierung mit jeweils 1 Tr. Aceton, bis dieser ver-
dunstet ist.
Auswertung Nachweis durch fluoreszenzmarkierte Ak.
Therapie Bei Chlamydiennachweis Tetrazykline wie Doxycyclin 1 × 200 mg/d
p. o. (z. B. Doxycyclin AL®) über 10–14 Tage. Cave: gleichzeitige Partnerbehand-
lung.
Vorbereitung
• Desinfektion von Vulva und Vagina.
• Narkoseuntersuchung (NAU): Bei den in Narkose schlaffen Bauchdecken ist
durch NAU häufig die Abgrenzung von Tumoren bzw. deren Organzugehö-
rigkeit deutlicher zu tasten.
490 13 Uterus
Hysteroskopie
Vorgehen Unter Spekulumsicht Anhaken der Portio bei 11:00 und 1:00 Uhr mit
Kugelzangen und Zug an der Portio (Deszensus?). Durch den Zug wird der Ute-
rus etwas gestreckt, sodass der Zervikalkanal leichter passiert werden kann. Ein-
führen des diagn. Hysteroskops, meist nach Dilatation bis Hegar 5 und Auffüllen
und damit Entfalten des Uteruskavums mit Flüssigkeit oder CO2-Gas.
Beurteilung des Cavum uteri Gezielte Gewebeentnahmen sind möglich, Synechi-
en- und Myomabtragungen bzw. Reduktion des Endometriums per Endometrium
ablation sind bei op. Hysteroskopie (größeres Lumen, Pumpe obligat) möglich.
Zervix-Korpus-Kürettage
• Messen der Sondenlänge.
• Abrasio der Zervix mit einer kleinen Kürette.
• Dilatieren des Zervikalkanals mit Hegarstiften bis ca. Hegar 9, bei Abort bis
12 (bei retrovertiertem Uterus in dorsaler Richtung einführen).
• Kürettage des Corpus uteri mit einer größeren Kürette, überlappend, an-
schließend werden die Tubenwinkel mit einer kleineren Kürette kürettiert.
• Entfernung des Instrumentariums. Sollte eine der angehakten Stellen noch et-
13 was bluten, Kompression mit dem Stieltupfer.
• Getrennte Materialasservierung (Zervix/Korpus) in zwei mit 4-prozentigem
Formaldehyd gefüllten Gläschen, in die Pathologie zur histologischen Begut-
achtung.
13.2.6 Konisation
Durchführung Sie sollte die gesamte Transformationszone umfassen, somit muss
die Schnittführung dem Alter der Pat. angepasst werden (▶ Abb. 13.4). Vor der
Menopause ist der Übergang zwischen Zylinder- und Plattenepithel auf der Portio
oberfläche zu finden (→ flacher Konus), im Senium liegt diese Grenze im CK
(→ steiler Konus). Die Aufarbeitung des Konus sollte komplett erfolgen (100–200
Stufenschnitte), nur so kann die Entfernung im Gesunden annähernd sicher nach-
gewiesen werden.
• Narkoseuntersuchung. Desinfektion.
Einstellen der Portio mit zwei Spekula.
• Schiller-Jodprobe. Vordere Mutter-
mundlippe mit einer Kugelfasszange
quer außerhalb des suspekten Bezirks
fassen und je einen Haltefaden an der
seitlichen Portiowand bei 3:00 Uhr le-
gen. Kugelzange entfernen.
• Konus unter Einschluss der jodneg.
Bezirke sowie eines ausreichenden
Sicherheitssaums umschneiden und
abtrennen. Konus bei 12:00 Uhr mit
einem Faden markieren.
• Kürettage des Zervikalkanals mit der
kleinen, scharfen Kürette.
• Messen der Sondenlänge. Dilatation
des Zervikalkanals bis Hegar 9. Abb. 13.4 Konisation [L157]
13.3 Gutartige Zervixveränderungen 491
13.3.2 Kondylome
Definition Wie am äußeren Genitale (▶ 11.3.3) können auch an der Portio Con-
dylomata acuminata auftreten. Meist handelt es sich hier aber nicht um typische
Feigwarzen, sondern eher um einen rasenförmigen Befall im Sinne einer kondylo-
matösen Zervizitis.
492 13 Uterus
Diagnostik Kolposkopie mit Essigsäure ist hilfreich, da sich die Kondylome es-
sigsäureweiß darstellen. Zytologisch finden sich typischerweise Koilozyten (Su-
perfizial- und Intermediärzellen mit perinukleärem Halo-Effekt). Virusdiagn.
(▶ 13.2.4) erlaubt die Differenzierung der Papillomavirus-Typen (HPV), wobei
sich in Kondylomen häufig die HPV-Typen 6 und 11 nachweisen lassen.
Therapie Oberflächenzerstörende Verfahren (Laser, Kryosation, Albothyl®)
oder Lokalther. mit 3 × wöchentl. Imiquinol (z. B. Aldara®-Creme), jeweils für
6–10 h belassen.
13.3.4 Zervixpolyp
13 Zervixpolypen entstehen als lokalisierte Hyperplasie der Zervixschleimhaut. Eine
maligne Entartung ist sehr selten. Wegen des häufig bestehenden Fluors ist eine
Abtragung (Abdrehung) mit anschließender Kürettage zu empfehlen.
In der Schwangerschaft sollten Zervixpolypen wegen der Gefahr der Inf. und
wegen des erhöhten Abortrisikos nicht abgetragen werden.
13.3.5 Myom
Myome (▶ 13.4.1) können auch intramural in der Zervixwand auftreten. Bei Be-
schwerden (Schmerzen, Sterilität, rezid. Blutungen) kommt eine op. Entfernung
in Betracht, im Einzelfall nach Vorbehandlung mit GnRH-Analoga zur Verklei-
nerung (z. B. Zoladex®-Depot alle 4 Wo. über 3 Mon., unter sonografischer Thera-
piekontrolle); auch ▶ 5.18.
Ein Myom in statu nascendi kann bei der Inspektion des CK mit einem Zervix-
Ca verwechselt werden, auch wenn die Oberfläche meist glatt und die Konsistenz
meist härter ist. Neben der op. Entfernung des Myoms ist obligat eine Kürettage
von Zervix und Corpus uteri sowie eine Hysteroskopie anzuschließen.
Klinik
• Dysmenorrhö, z. T. wehenartige Schmerzen (V. a. submuköses Myom).
• Meno-, Metrorrhagien, Hypermenorrhöen.
• Druckgefühl, z. T. Obstipation und Blasenentleerungsstörung aufgrund der
Verlagerung von Nachbarorganen (v. a. bei intramuralen Myomen).
• Akutes Abdomen bei Stieldrehung eines subserösen Myoms.
• Gehäufte Aborte.
• Stauung der harnableitenden Organe, v. a. bei intraligamentärem (Lig. latum)
Sitz.
Komplikationen
• Sehr selten sarkomatöse Entartung (< 0,5 %), daher alle Myomträgerinnen in
¼- bis ½-jährlichen Abständen kontrollieren. Bei deutlicher Größenzunahme
op. Entfernung (▶ Abb. 13.5; ▶ Tab. 13.3).
• Bei Myom > 5 cm Gefahr der Nekrotisierung, da keine ausreichende Blutver-
sorgung des Myoms mehr möglich → Unterbauchschmerzen. Ther.: OP (s. u.)
Diagnostik
• Inspektion: Bei der Spekulumuntersuchung ist evtl. ein intrazervikal liegen-
des submuköses Myom „in statu nascendi“ zu sehen.
• Palpation: kann die DD zum Ovarialtumor häufig nicht klären. 13
• Sono: In der Vaginalsono sind Myome gut zu sehen und sollten zur exakten
Verlaufsbeobachtung in 3 Ebenen ausgemessen werden (Volumen berech-
nen). Eine Abgrenzung vom Ovarialtumor ist meist möglich (▶ 22.1). Bei
sehr großen Myomen transabdominelle Sono.
• Weitere, im Einzelfall erforderliche Diagn.:
– Laparoskopie: Das Myom ist endoskopisch gut zu beurteilen und kann
ggf. in der gleichen Sitzung entfernt werden (Ausnahme submuköses
Myom → Entfernung durch op. Hysteroskopie ▶ 13.2.5).
Therapie
• Myomenukleation: bei sehr großen Myomen evtl. nach vorheriger Gabe von
GnRH-Analoga (z. B. Enantone-Gyn®) zur Myomverkleinerung. Der Uterus
ist blutungsärmer. Große Myome können ggf. besser vom Cavum uteri abge-
grenzt werden. Bei Eröffnung des Cavums → IUP für 3 Mon. einlegen. Die Re-
zidivrate ist hoch (30–50 %), die OP v. a. Frauen mit Kinderwunsch anzuraten.
• Hysterektomie (vag. oder abdominal): bei allen Frauen im nichtreprodukti-
ven Alter bzw. ohne Kinderwunsch, bei großen Myomen, unklarer Dignität,
Blutungsstörung, Unterbauchschmerzen oder bei zusätzlichen Beschwerden,
z. B. einer Harninkontinenz bei Descensus uteri et vaginae (▶ 12.1).
13.5 Endometriose
Erkrankungsgipfel 27 J. 6–7 % fam. Häufung. Mit ca. 50 % hohe Rezidivrate.
Einteilung
• Endometriosis genitalis interna (ca. 30 %): mit im Myometrium gelegenen
einzelnen Nestern von endometriumähnlichen Zellen (Adenomyosis uteri in-
terna) oder Befall der Tuben (Salpingitis isthmica nodosa).
• Endometriosis genitalis externa (ca. 60 %): mit Herden an Ovar, Vagina,
Vulva, Peritoneum, Douglas-Raum und Lig. rotundum.
• Endometriosis extragenitalis (5–10 %): mit Endometrioseherden im gesam-
ten Bauchraum oder seltener extraperitoneal (Nabel, Leiste, Gehirn)
(▶ Abb. 13.6).
Klinik Prä- und perimenstruelle Unterbauchschmerzen (Dysmenorrhö), Dys-
pareunie (▶ 19.2.2), v. a. bei Douglas-Endometriose, Defäkationsschmerz, Obsti-
pation, persistierende Unterbauchschmerzen bei großen ovariellen und periovari-
ellen Endometriosezysten, Menorrhagie, Sterilität.
13.5 Endometriose 497
13
Abb. 13.6 Typische peritoneale Endometrioseherde [T192]
Diagnostik
• Zyklus-Schmerzkalender führen lassen
• MKOK-Test: monophasisches kombiniertes orales Kontrazeptivum (z. B. Va-
lette®) für 3–6 Mon. (cave: geht nicht zu Lasten der GKV → Privatrezept).
• Bei Beschwerdepersistenz: diagn./op. Laparoskopie (möglichst prämenstruell)
mit Exzision zumindest eines typischen Endometrioseherdes zur histologi-
schen Diagnosesicherung (fehlerhafte Blickdiagn. bei „Schokoladenzysten“
zwischen 20–40 %, bei peritonealer Endometriose 10–15 %). Läsionen im OP-
Bericht gut beschreiben, Stadieneinteilung und Aktivitätsbeurteilung obligat!
Endometriose wird in D im Durchschnitt erst nach 7 J. typischer Symptome
diagnostiziert. Häufiger an LSK denken!
498 13 Uterus
Wesentlich für die klinischen Beschwerden ist die Aktivität der Endometriose, da
die aktive Endometriose für Schmerzen und Komplikationen wie Verwachsungen
verantwortlich ist.
Peritoneum Oberflächlich 1 2 4
Tief 2 4 6
Tief 2 16 20
Tief 2 16 20
Summe Endometrioseherde
13 Adhäsionen 1
⁄3 Einschl. ⁄3 Einschl.
2
> 2⁄3 Einschl.
Dicht 4 8 16
Dicht 4 8 16
Dicht 4* 8* 16
Dicht 4* 8* 16
Summe Adhäsionen
4 40
Stadieneinteilung
Therapie
• Operativ: laparoskopische Koagulation oder Laservaporisation kleinerer Her-
de, Ausschälen und Exzision größerer Herde oder Zysten (cave: Ureter- oder
Blasenläsionen), ggf. Laparotomie, medikamentöse Nachbehandlung und ggf.
Kontroll-LSK.
• Konservativ:
– GnRH-Analoga: über 3–6 Mon., z. B. Goserelin 10,8 mg s. c. (Zoladex®
10,8) in die Bauchdecke, 1 × (3 Mon.) oder 2 × (6 Mon.). 13
– Ovulationshemmer, am besten gestagenbetont und monophasisch, z. B.
Valette®, sinnvollerweise bis zum Eintritt von Kinderwunsch, wenigstens
aber für 12 Mon. [cave: keine GKV-Leistung].
– Langfristige reine Gestagenther. (GKV-fähig), z. B. Visanne®.
Nach Ther. der Dysplasie durch Konisation ist eine engmaschige zytologi-
sche Kontrolle (über 1 J. alle 3 Mon., danach alle 6 Mon.) anzuraten.
13.7 Endometriumhyperplasie
13.7.1 Glandulär-zystische (einfache) Hyperplasie
Definition Exzessive Proliferation von Endometriumdrüsen und Stroma. Al-
tersgipfel: Postmenarche und Perimenopause.
13 Ätiologie Östrogendauerstimulation bei anovulatorischen Zyklen mit Follikel-
persistenz, endogener extragenitaler Östrogenproduktion in Adipozyten bei Adi-
positas oder falscher Hormonsubstitution (alleinige Östrogengabe).
Klinik Blutungsstörungen wie uterine Dauerblutung, Metrorrhagien (die Östro-
genspiegel reichen nicht mehr aus, um das max. stimulierte Endometrium zu er-
halten → „Durchbruchsblutung“), Postmenopausenblutung.
Diagnostik Hysteroskopie und fraktionierte Abrasio (Zervix-Korpus-Kürettage,
C-C-C).
Therapie In den meisten Fällen durch die C-C-C bereits durchgeführt:
• Östrogen-Gestagen-Kombinationspräparate: bei postmenarchalen Blutungs-
störungen zur Blutungsregulation empfehlenswert, monophasischer Ovulati-
onshemmer (z. B. MonoStep®). Hierauf tritt zunächst eine Blutstillung und
nach Absetzen eine normale Entzugsblutung ein.
• Rezidivprophylaxe: 3 Mon. Gestagen-Dauerther., z. B. Dydrogesteron 2 ×
10 mg/d p. o. (z. B. Duphaston®). Bei erneutem Rezidiv sollte bei postmenopau-
salen Frauen eine Hysterektomie erfolgen (von einigen Autoren als fakultative
Präkanzerose eingestuft, v. a. wenn sie über einen längeren Zeitraum besteht!).
Therapie
• Perimenopausal bzw. Frauen ohne Kinderwunsch: Hysterektomie (beson-
ders, wenn histomorphologisch Atypien beschrieben werden).
• Sonst Gestagene über 3 Mon., z. B. Dydrogesteron 2 × 10 mg/d p. o. (z. B. Du-
phaston®), dann Wiederholung von Hysteroskopie und Kürettage. Bei Persis-
tenz der Hyperplasie Pat. zur Hysterektomie raten.
Rezidivprophylaxe
• Junge Frauen bzw. Kinderwunsch: über 3 Mon. Gestagene, z. B. Dydrogeste-
ron 2 × 10 mg/d p. o. (z. B. Duphaston®) oder zyklische Gestagen-Östrogen-
Gaben, z. B. mit gestagenbetontem OH (z. B. Marvelon®), dann sollte
schnellstmöglich eine Schwangerschaft angestrebt werden.
• Perimenopausal bzw. Frauen ohne Kinderwunsch: Hysterektomie.
• Medroxyprogesteronacetat 100 mg/d, Megestrolacetat 60 mg/d.
13.8 Zervixkarzinom
Epidemiologie Das Zervix-Ca stellt mit etwa 16/100.000 Frauen/Jahr das zweit-
häufigste weibliche Genitalkarzinom dar (20 %). Die Inzidenz der Vorstufe, des
Carcinoma in situ, beträgt ebenfalls 16/100.000. Das Ca entsteht in der Transfor- 13
mationszone (▶ 13.2.2). 95 % aller Ca sind histologisch Plattenepithelkarzinome,
4 % Adenokarzinome (weniger strahlensensibel). Ca. 2.000 Todesfälle/J. in D.
Ätiologie
• Virusinf. mit HPV (humanes Papillomavirus), insb. Typen 16, 18, 31, und 54.
• Risikofaktoren: mangelnde Sexualhygiene, häufig wechselnde Ge-
schlechtspartner, ethnische Faktoren und Rauchen.
Diagnostik Bei V. a. Zervix-Ca sollten folgende Untersuchungen erfolgen:
• Spiegeleinstellung mit Kolposkopie und Zytologie, Knipsbiopsie bei makro
skopisch sichtbarem Tumor, Virusabstrich (▶ 13.2.4).
• Palpation einschl. rektaler Untersuchung mit re. und li. Zeigefinger (Paramet-
rien); bei fraglicher Parametrieninfiltration Narkoseuntersuchung. Palpation
der Skalenus-Lk (Fossa supraclavicularis), bei fraglicher Metastase Skalenus-
biopsie.
• Labor: BB, BSG, E‘lyte, Gerinnung, Leber- und Nierenwerte, Schilddrüsen-
werte (für i. v. Pyelografie), Tumormarker SCC und CEA, Urinstatus und -zy-
tologie auf Tumorzellen.
• Sono: Unterbauch, Nieren (Aufstau), Leber (Metastasen), Paraaortalregion
(Lymphome).
• Rö-Thorax, i. v. Pyelografie (Aufstau, Verlauf der Ureteren), Zystoskopie
(▶ 2.3.4), Rektoskopie (▶ 2.3.5).
• Evtl. CT, NMR, Lymphografie, Skelettszintigrafie.
Prävention Impfung gegen HPV-High-Risk-Typen (z. B. Gardasil® oder Cerva-
rix®). Die Impfung sollte bei allen Mädchen vor Aufnahme sexueller Aktivität er-
folgen (STIKO-Empfehlung: 12–17 J.). Impfschema 0–2–6 Mon. (Gardasil®), 0–1–
6 Mon. (Cervarix®). Impfung i. m. am Oberarm oder Oberschenkel, Kosten wer-
den bei jungen Frauen bis zum vollendeten 17. Lj von den Kassen übernommen, je
nach Krankenkasse auch später. Anfrage durch die Pat. bei Kasse empfehlen.
502 13 Uterus
13.8.1 TNM-/FIGO-Klassifikation
Die TNM- und FIGO-Klassifikationen stimmen größtenteils überein. Zur Klassi-
fikation (außer im Stadium Ia, hier nur histologische Klassifikation) sind folgende
Untersuchungen heranzuziehen:
• Gynäkologische Untersuchung einschl. Narkoseuntersuchung.
• Zystoskopie, Rektoskopie.
• Rö-Thorax, i. v. Pyelografie.
Die Ergebnisse der übrigen Untersuchungen (Lymphografie, CT, MRT, Szinti, US
der Leber, Phlebografie, Arteriografie etc.) werden nicht zur Stadieneinteilung he-
rangezogen.
III T3 Befall der Parametrien bis zur Beckenwand und/oder Befall des
unteren Drittels der Vagina und/oder Hydronephrose oder
stumme Niere
IIIb T3b Befall der Parametrien bis zur Beckenwand und/oder Hydrone-
phrose oder stumme Niere
Nx Lk nicht beurteilbar
N0 Keine Lk-Metastasen
0 35 0–1 100 13
Ia 40 12 1–5 95
II 55 37 20–30 55
IV 60 5 60–70 5
13.8.3 Strahlentherapie
Formen
Zu unterscheiden ist zwischen Lokalther. mittels Kontaktbestrahlung und perku-
taner Hochvoltther. Beim Zervix-Ca wird die Bestrahlung nahezu immer als kom-
binierte Radiochemother. gegeben (Cisplatin 40 mg/m2 i. v. wöchentlich).
13 Kontaktbestrahlung
Die früher verwendete Radiumeinlage ist aus Strahlenschutzgründen durch die
Afterloading-Ther. abgelöst. Hierbei wird ein Applikator intrauterin oder in den
Vaginalstumpf eingebracht, der erst mit der eigentlichen Strahlenquelle beladen
wird, nachdem das Personal den Raum verlassen hat; Strahlenquellen sind Cs137
und Ir192.
Perkutanbestrahlung
Sie wird mit Telekobalt oder Linearbeschleuniger durchgeführt. Die erforderli-
chen Dosen liegen bei 40–50 Gy, die in 20–25 Einzelsitzungen erreicht werden.
Das Feld umfasst i. d. R. das gesamte kleine Becken bis zur Beckenwand (CT-Si-
mulation zur Bestimmung der Feldgröße notwendig). Bei Befall der Lk im Bereich
der A. iliaca communis oder sonografisch verdächtigen Lymphomen paraaortal
sollte das Feld auf die Paraaortalregion bis zum Nierenstiel, ggf. auch bis zum
Zwerchfell („Schornstein“) ausgedehnt werden, sofern hier keine Lymphonodek-
tomie erfolgt ist.
Komplikationen
Strahlendermatitis
Prävention durch Vermeiden von Sonneneinstrahlung, Reizung durch Bürsten,
enge Kleidung. Haut einpudern, ölen (z. B. Penaten®-Öl), Wundreinigung mit Ka-
millelösung (▶ 10.7.6).
Strahlenzystitis
Klinik Dysurie, Pollakisurie, häufig auch Mikro- oder Makrohämaturie (DD
bakterielle Zystitis!).
Prophylaxe und Therapie Ausreichende Flüssigkeitszufuhr, bakterielle Superin-
fektion vermeiden durch Antibiotika (z. B. Bactrim forte®).
13.8 Zervixkarzinom 505
13.8.5 Komplikationen
Vorgehen bei massiver Blutung aus einem Karzinom
• Vorsichtige Spiegeleinstellung, keine Palpation.
• Versuch der Probengewinnung zur Histologie.
• Feste Tamponade mit Hämostyptikum (z. B. Clauden®).
• BB-Kontrolle, evtl. Transfusion von EK.
• Kontrolle der Gerinnung, evtl. Frischplasma oder Faktoren-Substitution.
• Baldiger Beginn einer Strahlenther. zur Blutstillung.
Kompression der Harnleiter mit Nierenaufstau
Klinik Ein- oder beidseitige Nierenschmerzen, Oligurie bis Anurie, Anstieg der
Retentionswerte.
Vorgehen
• Sono der Nierenbecken.
• Blutentnahme für BB, E‘lyte, Retentionswerte und Gerinnungskontrolle.
• Urologisches Konsil zur Einlage einer Ureterschiene oder Anlage einer per-
kutanen Nephrostomie.
• Urinzytologie auf Tumorzellen.
Postoperative Lymphzysten
Häufiger Befund nach Radikal-OP, bei Beschwerdefreiheit keine Ther. indiziert.
Spontane Rückbildung meist innerhalb von 8–10 Wo.
Differenzialdiagnosen Hämatom (Hb-Abfall, im US solide, korpuskuläre Antei-
le basal).
Therapie Bei Kompression der Gefäße oder Lymphbahnen bzw. bei Schmerz-
symptomatik kann eine sterile Punktion zur Entlastung versucht werden, die
506 13 Uterus
ezidivneigung ist aber sehr hoch (meist innerhalb 24 h komplett nachgelaufen).
R
Instillation von Fibrinkleber (z. B. Beriplast®) nach Punktion kann den Zystenbalg
manchmal verkleben.
13.8.7 Metastasen
• Per continuitatem: häufigster Aus-
breitungsweg mit Infiltration von
Blase, Rektum und Parametrien mit
Fistelbildungen oder Ureterum-
mauerung.
• Lk-Metastasen: A. iliaca externa
und communis, paraaortal, bei wei-
terem Fortschreiten auch mediasti-
nal und M. scalenus.
• Hämatogene Metastasen: selten
(▶ Abb. 13.7). Im Stadium IV Lun-
ge 45 %, Leber 40 %, Knochen 20 %.
13.8.8 Nachsorge
Zeitplan
Die Nachsorgeempfehlungen für
das Zervix-Ca lauten:
• Bis 5 J.: 3-monatl. Kontrollen.
• Bis 10 J.: 6-monatl. Kontrollen. Abb. 13.7 Typische Metastasierungs-
• Ab 10 J. jährl. Kontrollen. orte beim Zervix-Ca [L190]
13.9 Endometriumkarzinom 507
Durchführung
• Anamnese: vag. Blutungen, Urin-, Stuhlunregelmäßigkeiten, Makrohämat
urie, blutigen Stuhl, Lymphödem der Beine.
• Vag. Spekulumeinstellung mit Zytologie und Kolposkopie.
• Palpation einschl. rektaler Untersuchung, Palpation der Leistenlymphknoten.
• Nierenlagerklopfschmerz, Klopf- oder Kompressionsschmerz des Skelettsys-
tems.
• Urinstatus.
Ergänzungsuntersuchungen
• Einmal jährlich zusätzlich Abdomensono, Stuhluntersuchung auf okkultes
Blut, je nach Alter auch Mammografie.
• Bei path. Befunden ggf. zusätzlich i. v. Pyelografie (▶ 14.2.4), Skelettszintigra-
fie, Sono der Paraaortalregion, CT Becken und/oder Abdomen.
13.9 Endometriumkarzinom
Epidemiologie
Die Häufigkeit liegt bei 25/100.000 Frauen/Jahr, Altersgipfel 65–70 J., selten auch 13
bei jüngeren Frauen (ca. 2,5 % sind < 40 J.).
Klarzelliges Karzi- 6 35
nom
Ätiologie
Begünstigender Faktor ist längere Östrogendominanz (▶ 13.7.1). Weitere Risiko-
faktoren sind Adipositas, Hypertonie, Diab. mell., häufig anovulatorische Zyklen,
adenomatöse Hyperplasie, Infertilität. Gehäuft treten Korpus-Ca auch bei Myom-
trägerinnen auf (25 %).
Klinik
• Blutungsstörungen: Postmenopausenblutung, Metrorrhagien, prä-/post-
menstruelles Spotting, blutiger Urin.
• Schmerzen im mittleren Unterbauch.
• Eitriger, blutiger, dunkler oder fleischwasserfarbener, fötid riechender Fluor.
• Gewichtsverlust.
508 13 Uterus
Diagnostik
• Inspektion: Bei heruntergewachsenem Korpus-Ca ist evtl. bei der Spekulum
untersuchung ein exophytisch wachsender Tumor zu sehen. Bei Angaben ei-
ner genitalen Blutung im Senium muss die uterine postmenopausale Blutung
von einer Blutung aus der Harnblase unterschieden werden.
• Palpation: meist unergiebig, außer bei fortgeschrittenem Stadium.
• Sono: transvag. Beurteilung des Endometriums (▶ 22.1).
• Diagn. Hysteroskopie, Kürettage und NAU: erbringen den histologischen
Nachweis des Endometriumkarzinoms und erlauben die Beurteilung der Tu-
morausdehnung auf Korpus und Zervix.
• Lebersono und Rö-Thorax zum Ausschluss von Fernmetastasen.
Tab. 13.10 Stadieneinteilung (FIGO), entspricht der TNM-Klassifikation
Cave: Neue Klassifikation seit Januar 2010! Das frühere Stadium T1c ist ent-
fallen, heißt jetzt T1b. T1a umfasst die früheren Stadien T1a und T1b. Bei äl-
teren Befunden unbedingt auf das Datum der Erstellung achten.
Stadium Kriterien
13 0 Carcinoma in situ
II Tumorausdehnung auf die Cervix uteri, aber auf den Uterus begrenzt
III Tumorausdehnung über den Uterus hinaus, auf das kleine Becken be-
grenzt
IIIa Infiltration der Uterusserosa bzw. Adnexbefall bzw. pos. intraop. perito-
neale Zytologie
IVa Infiltration von Blasen- bzw. Rektumschleimhaut bzw. Wachstum des Tu-
mors über das kleine Becken hinaus
IVb Fernmetastasen
Therapie
• Allgemeines Vorgehen bei OP: untere mediane Laparotomie. Nach Eröff-
nung der Bauchhöhle Spülzytologie, insb. aus der gesamten Beckenregion.
Intraop. Staging mit Inspektion der Beckenorgane, Abtastung der pelvinen
und paraaortalen Lk, Inspektion und Palpation von Netz, Leber und Zwerch-
13.9 Endometriumkarzinom 509
fell. Führung des Uterus während der Operation über gerade stumpfe Klem-
men, welche die Tubenabgänge verschließen und zusätzlich die Ligg. rotunda
erfassen. Der exstirpierte Uterus wird sofort den Pathologen zur Beurteilung
der Invasionstiefe des Karzinoms und ggf. zur Schnellschnittuntersuchung
übergeben.
• Stadienabhängiges Vorgehen:
– Stadium pT1a, G1, G2: totale Hysterektomie mit Adnexektomie bds., fa-
kultativ Lymphonodektomie.
– Stadium pT1a, G3 und Stadium pT1b, pT2a G1–G3: totale Hysterektomie
mit Adnexektomie bds., Lymphonodektomie.
– Stadium pT2b: erweiterte radikale Hysterektomie mit Adnexektomie bds.,
Lymphonodektomie.
– Stadium pT3a: totale Hysterektomie mit Adnexektomie bds., Lymphonod
ektomie, Omentektomie, Debulking.
– Stadium pT3b (Befall der Vagina): erweiterte radikale Hysterektomie mit
Adnexektomie bds., Lymphonodektomie, partielle/komplette Kolpekto-
mie.
– Stadium pT4: bei isoliertem Befall von Blase und/oder Rektum ggf. vorde-
re und/oder hintere Exenteration, Adnexektomie bds., Lymphonodekto-
mie. 13
– Stadium M1: bei Operabilität Hysterektomie und Debulking.
– Bei serösen und klarzelligen Karzinomen: zusätzlich zur obigen stadienge-
rechten Ther. immer Omentektomie, multiple intraperitoneale Biopsien,
ggf. Debulking.
< 1⁄3 90
< ⁄3
2
67
13 > 2⁄3 33
Kein Lymphgefäßeinbruch 85
Lymphgefäßeinbruch 53
13.10 Uterussarkom
1–5 % der malignen Uterustumoren sind Sarkome. Häufig werden diese zu-
fällig bei Hysterektomien unter der Verdachtsdiagn. „Uterus myomatosus“
diagnostiziert, da auch bei Kürettagen höchstens 50 % der Sarkome nachweis-
bar sind. Die Mehrzahl der Sarkome entwickelt sich bei vorbestehendem Ute-
rus myomatosus, allerdings liegt das Risiko bei < 1 % für Myomträgerinnen.
Klinik
• Es gibt keine Frühsymptome, verdächtig ist jedoch immer ein schnell wach-
sender „Uterus myomatosus“.
• Selten Meno-, Metrorrhagien oder Postmenopausenblutung.
• Unterbauchschmerzen, Fremdkörpergefühl, je nach Größe Druck auf Darm
und Blase mit entsprechenden Entleerungsstörungen.
Diagnostik
• Palpation: großer Unterbauchtumor, meist ohne dass eine entsprechende Or-
ganzugehörigkeit bzw. die Dignität geklärt werden kann.
• Transvag. Sono.
• Abrasio (▶ 13.2.5).
• Rö-Thorax und Lebersono zum Ausschluss von Fernmetastasen.
13.10 Uterussarkom 511
Therapie
• Abdominelle Hysterektomie mit Adnexektomie bds. (in bis zu 30 % der Fälle
sarkomatöse Veränderungen in den Ovarien), Netzresektion, Entfernung der
iliakalen und paraaortalen Lk.
• Bei jungen Frauen kann evtl. auf eine Adnexektomie verzichtet werden, falls
das Sarkom lediglich lokal innerhalb eines Myoms begrenzt ist. Vorstellung
im Tumorboard.
• Bei Zufallsdiagn. anlässlich einer Hysterektomie in zweiter Sitzung Adnexek-
tomie bds., Omentektomie und Lymphonodektomie anschließen.
• Postop. wird allg. eine Chemother. empfohlen, diese sollte kurz nach der OP
begonnen werden (2.–3. Tag). Eingesetzt werden v. a. Adriamycin- und Di-
methyltriacenoimidazolcarboxamid-(DTIC-)haltige Schemata (z. B. DTIC
400 mg/m2 Tag 1 und 2, Adriamycin 50 mg/m2 Tag 1).
• Bei Fernmetastasen evtl. Polychemother., z. B. nach dem CyVADIC-Schema
(Vincristin, DTIC, Endoxan, Epirubicin) oder Taxane (z. B. Taxotere® 70 mg/
m2 alle 4 Wo.).
• Trabectedin (Yondelis®) 1,5 mg/m2 über 24 h in 3-wöchigem Intervall bei
fortgeschritt. Weichteilsarkom nach Versagen von Anthrazyklinen und Ifos-
famid bzw. bei Pat., bei denen sich die Anwendung dieser Mittel nicht eignet.
Die Wirksamkeitsdaten basieren vorwiegend auf Pat. mit Liposarkom und 13
Leiomyosarkom.
• Bei endometrialen Stromasarkomen kann auch ein Therapieversuch mit hoch
dosierten Gestagenen eingeleitet werden: MPA 1.000 mg (Clinovir®).
Prognose Die Prognose der Uterussarkome ist schlecht. Häufig wird die Diag-
nosestellung nur wenige Monate überlebt! 5-JÜR praktisch gleich Null.
14 Adnexe
Kay Goerke und Uwe Wagner
14.1.1 Unterbauchschmerzen
Gynäkologische Differenzialdiagnosen des Unterbauchschmerzes
• A
kut einsetzende, starke Schmerzen, sek. Amenorrhö, pos. HCG → V. a. EUG
mit Tubarruptur (▶ 14.3).
• Z unehmende einseitige Schmerzen, Schmierblutung nach sek. Amenorrhö,
pos. HCG → V. a. EUG (▶ 14.3).
• Z unehmende Schmerzen, häufig postmenstruell, vag. Fluor, Entzündungszei-
chen → V. a. Adnexitis (▶ 14.4).
• P rämenstruell diffuse Schmerzen, häufig mit Einsetzen der Blutung wieder
abklingend → V. a. Endometriose (▶ 13.5).
• M
äßige Unterbauchschmerzen in Zyklusmitte → V. a. Ovulationsschmerz.
• A
kute, starke, einseitige Unterbauchschmerzen, häufig nach heftiger Bewe-
gung (z. B. Tanzen, Sport) → V. a. stielgedrehte Ovarialzyste oder Ovarialtu-
mor (▶ 14.7).
• hron. diffuse Unterbauchbeschwerden, Z. n. Adnexitis → V. a. Verwach-
C
sungsbeschwerden.
Extragenitale Ursachen
* Eine der häufigsten Ursachen für Unterbauchbeschwerden, v. a. bei Pat. < 20 J.
** ▶ Tab. 14.3 mit Gegenüberstellung der Klinik der 3 wichtigsten Sy.: Appendizitis,
Adnexitis und EUG.
14.2 Diagnostische Maßnahmen 515
14.1.2 Unterbauchtumor
Differenzialdiagnosen
• K leiner, glatt begrenzter, prall-elastischer Tumor → V. a. Ovarialzyste
(▶ 14.7).
• G
latt begrenzter, großer Tumor, sonografisch ohne solide Anteile → V. a.
Ovarialkystom (▶ 14.7).
• S olider Tumor mit deutlicher Schmerzsymptomatik, Entzündungszeichen
(Fieber, Leukozytose, CRP ↑) → V. a. Adnexitis (▶ 14.4).
• S olider oder zystisch-solider Tumor ohne Aszites bei jungen Frauen → V. a.
Dermoid bzw. Teratom (▶ 14.8.1) oder Endometriose (▶ 13.5). DD: Ovarial-
Ca (▶ 14.9), eingeblutete funktionelle Zyste.
• S olider Tumor evtl. mit zystischen Anteilen, Aszites, ggf. Androgenisierungs-
erscheinungen → V. a. Ovarial-Ca (▶ 14.9).
14.2.1 Palpation
Bei der vag. Untersuchung (▶ 1.2.2) im Adnexbereich besonders achten auf:
• G röße der Ovarien: normal etwa fingerendgliedgroß, im Senium oft wegen
Atrophie nicht palpabel, wie auch bei adipösen Bauchdecken.
• B eweglichkeit: Die Ovarien sind normalerweise gut beweglich.
• S chmerzhaftigkeit: Die Palpation der Ovarien ist leicht schmerzhaft.
• K onsistenz: derb, nicht hart, nicht eindrückbar.
• O berfläche: glatt bis leicht höckrig (nur bei sehr schlanken Pat. zu tasten).
• G
roße Ovarialtumoren sind oft bei der vag. Untersuchung mit dem Fin-
ger nicht zu erreichen, da sie wegen ihrer Größe nicht im kleinen Be-
cken liegen.
• ie Palpation der Ovarien ist bei adipösen Frauen erschwert.
D
516 14 Adnexe
14.2.3 Ultraschall
Ultraschalldiagn. ▶ 22.1.
Zur Ergänzung der Diagn. wichtig, da der Tastbefund u. U. erschwert und
wenig ergiebig ist. Bessere Auflösung durch vag. Schallkopf.
Indikationen
• A uffällige palpable Befunde, Unterbauchbeschwerden, Aszites, Virilisierung.
• B ei allen Karzinom-Pat. 1 × jährl.
• B ei belastender Familienanamnese (Malignome).
Befunde
• V aginalsono (wann immer möglich): Größe der Organe (bei path. Befunden
in zwei Ebenen mit drei Maßen), Organstruktur (solide, zystisch, zystisch-so-
lide), Lage im Vergleich zum Uterus, zur Beckenwand, Dolenzen beim Tou-
chieren mit Schallkopf. Fotodokumentation.
• A bdominalschall: Virgo intacta, enger Introitus, über das kleine Becken hin-
ausgehender Befund (▶ 22.1), Ausschluss von Metastasen in Leber, paraaorta-
len Lk, Nebenniere, Niere (z. B. Nierenbecken-Aufstau).
14.2 Diagnostische Maßnahmen 517
14.2.4 Röntgendiagnostik
Befunde der Beckenübersicht
• V erkalkungsherde bei Myomen, soliden Ovarialtumoren.
• B ei Dermoid evtl. Zahnanteile oder ganze Zähne sowie Knochenanteile
sichtbar.
• W
eichteilverschattungen nur bei großen Tumoren sichtbar.
i. v. Pyelografie
Hat in den letzten Jahren durch die sonografische Diagn. deutlich an Wertigkeit
verloren. Ind.: V. a. Ureterbeteiligung bei entzündlich-tumorösem Prozess. 14
Vorbereitung Schilddrüsenwerte (TSH-basal) und Krea (KI: > 170 μmol/l
≥ 2,0 mg/dl) wegen KM-Gabe vorher bestimmen.
Durchführung Kompletten Verlauf der Ureteren bis in die Blase darstellen (oft
mehrere Aufnahmen notwendig).
Befunde
• N ierenaufstau bei Kompression der Ureteren.
• V erlagerung eines oder beider Ureteren durch Tumoren.
• Impression der Harnblase (von kranial oft durch Uterus, von kranial-seitlich
eher durch Ovarialprozess).
• B lasenkontur unscharf bei Infiltration der Schleimhaut.
Computertomografie (CT)
Indikationen Als Zusatzuntersuchung nur bei schwer zu palpierenden Befun-
den, zur Darstellung der iliakalen und paraaortalen Lk. Nicht als Routinediagn.,
auch nicht bei Karzinomverdacht.
Vorbereitung Schilddrüsenwerte (TSH-basal) und Krea (KI: > 170 μmol/l =
> 2,0 mg/dl) wegen KM-Gabe vorher bestimmen.
Kolon-Kontrasteinlauf (KE)
Indikationen Angesichts der Möglichkeit zur Koloskopie mit PE heute nur noch
indiziert bei V. a. Darmbeteiligung von Tumoren (Stuhlunregelmäßigkeiten, Ob
stipation, blutiger Stuhl), wenn Koloskopie unmöglich.
518 14 Adnexe
MRT
Selten zusätzliche Informationen gegenüber Sono und CT, am ehesten zur Weich-
teilabgrenzung eines Tumors zu Beckenwand und Gefäßen (→ Beurteilung der
Operabilität). Ind.: V. a. intraabdominales Tumorrezidiv.
14.2.5 Douglas-Punktion
Indikationen Methode eigentlich verlassen, heute wird die diagn. Laparoskopie
bevorzugt! Douglas-Punktion (▶ Abb. 14.1) lediglich bei eingeschränkten Mög-
lichkeiten. In manchen Kliniken wird eher eine Kuldoskopie (Douglasoskopie,
Kolpolaparoskopie) vom hinteren Scheidengewölbe aus zur Betrachtung des
Douglas-Raums bzw. des inneren Genitales über ein Kaltlicht-Endoskop durchge-
führt.
Interpretation
• E iter: V. a. Abszess (Abstriche → Mikrobiologie, Chlamydiendiagn.).
14 • B lut: V. a. EUG, Endometriose.
• S ekret: V. a. Entzündung (Abstriche für Mikrobiologie entnehmen).
Bewertung
• V orteil: keine Anästhesie, kaum Hilfsmittel nötig.
• N achteil: häufig falsch neg. Ergebnisse, hohe Verletzungsgefahr (bis zu 30 %)
des Darms.
14.2.6 Zytologie
Manchmal können bei malignen Tumoren über die Tuben und den Uterus
retrograd in die Vagina gelangte maligne Zellen im zervikalen Abstrich nach-
weisbar sein.
Befund
• H yperchrome Zellen, z. T. mit Siegelringstrukturen. Pathognomonisch für
Ovarial-Ca: Psammomkörperchen (zwiebelschalenartige Strukturen).
• B ei hormonproduzierenden Ovarial-Ca findet sich ein abnormer Proliferati-
onsgrad des Vaginalepithels (▶ 13.2.3). Deshalb immer klinische Angaben,
auch über Hormonther., auf dem Einsendeschein fürs Zytologielabor machen. 14
! B ei V. a. Blaseninfiltration morgendlichen Katheterurin auf Tumorzellen un-
tersuchen.
14.2.7 Laboranalytik
• B: Tumoranämie, Leukozytose bei Adnexitis.
B
• rea und Harnstoff (Ureterkompression mit Nierenfunktionseinschränkung).
K
• eberenzyme GOT, γ-GT (v. a. bei V. a. Filiae).
L
• lbumin oder Gesamteiweiß (v. a. bei Aszites).
A
• ei Androgenisierung: FSH, LH, Estradiol, freies Testosteron, DHEA-S, Pro-
B
gesteron, Androstendion (▶ 17.1.5).
• umormarker HCG, Ca 12–5, Ca 72–4 nur bei gesichertem Malignom, nicht
T
zum Tumorscreening geeignet.
• IV-Serologie.
H
Klinik
• S ubjektive Schwangerschaftszeichen (Übelkeit, Brustspannen, Pollakisurie).
• S chmierblutungen, manchmal bis periodenstark ohne Gewebeanteile.
• L okale Abwehrspannung möglich, bei Tubarruptur häufig alle Zeichen des
akuten Abdomens (▶ 3.2.1).
• G eringe Temperaturerhöhung möglich.
• T ubarabort (90 % der EUG-Verläufe, ▶ Abb. 14.2): zunehmende wehen- bis
krampfartige, einseitige oder seitenbetonte Unterbauchschmerzen.
• T ubarruptur (10 % der Verläufe, ▶ Abb. 14.2): akut einsetzender, seitenbeton-
ter Zerreißungsschmerz.
14
Tubarabort Tubarruptur
Vorgehen
• S tationäre Aufnahme, venösen Zugang legen, Pat. nüchtern lassen.
• B lutentnahme für BB, HCG, E‘lyte, Gerinnung, Blutgruppe.
• V orbereitung zur Laparoskopie (Klysma, Info Anästhesie) nach Sicherung
der Diagn. Bei Schockzustand (▶ 3.5) sofort Laparotomie.
• B ei unsicherer Diagn. stationäre Beobachtung mit Kontrolle von
Kreislauf und BB (2 × tägl.), Sono- (Herzaktion) und HCG-Kontrollen
(Anstieg ▶ 5.1.4).
Therapie
• B eschwerdefreiheit, unauffälliger oder diskreter Sonobefund (z. B. wenig freie
Flüssigkeit im Douglas), niedrige HCG-Werte (< 300 IE/l) mit spontanem
Abfall: unter engmaschigen Sono-, HCG- und klinischen Kontrollen evtl. ab-
wartendes Verhalten gerechtfertigt, bis HCG < 10 IE/l.
• B eschwerdefreiheit, sonografisch festgelegte asymptomatische EUG („Zufalls-
befund“): laparoskopische EUG-Ausräumung, Kontrolle von Kreislaufpara-
metern und HCG. 14
• S ymptomatische EUG:
– Laparoskopie mit Absaugen der Koagel, Salpingotomie, Exprimieren der
EUG, Spülen von Tube und Douglas. Bei noch nicht abgeschlossener Fa-
milienplanung heute Ther. der Wahl!
– Laparotomie: bei laparoskopisch nicht operablem Befund (z. B.: Bauch
vollgeblutet) oder im Schock.
– Bei nicht rupturierter ampullärer Tubargrav. evtl. Ther. mit Dinoproston.
Hierdurch kommt es zum Abstoßen der Frucht ins Abdomen und Abster-
ben mit anschließender Resorption (bislang keine Standardther.).
– A ls Primärther. oder bei persistierenden HCG-Werten nach chirurgi-
scher Ther. Methotrexat 0,5–1 mg/kg KG alle 2 Tage i. v., bis HCG-Werte
um mind. 15 % abfallen bei zwei aufeinander folgenden Messungen. Al-
ternativ 1 mg Methotrexat direkt lokal bei der Laparoskopie in die EUG
injizieren. Cave: Übelkeit, Erbrechen, Myelosuppression. Folsäuresubsti-
tution obligat. Das Präparat ist derzeit allerdings nicht für diese Ind. zu-
gelassen!
Epidemiologie
Synonym: PID (Pelvic Inflammatory Disease); 10–15 % der sexuell aktiven Frau-
en, Altersgipfel 15.–20. Lj, meist aszendierend, polymikrobiell, Chlamydien bis
40 % mitbeteiligt.
Klinik
• H
äufig postmenstruell akut einsetzender, oft seitenbetonter Unterbauch-
schmerz.
• Ü belkeit und Erbrechen (durch Begleitperitonitis).
• Z ervikaler Fluor (gelblich-grünlich, übel riechend).
• B ei Chlamydien zusätzlich Schmierblutungen, Zervizitis, Sterilität, evtl.
eichen der Perihepatitis (rechtsseitige Oberbauchschmerzen, geringe
Z
Leberenzymerhöhung (= Fitz-Hugh-Curtis-Sy.: ggf. Schulterschmerzen über
N. phrenicus).
Diagnostik
14 Reihenfolge der Untersuchungen einhalten!
• I nspektion von Vagina und Zervix, evtl. Kolposkopie (z. B. Beläge, Rötung,
Zervizitis, Fluor, ▶ 13.2.1).
• A bstrichentnahme (▶ 11.2.3).
• N
ativ mit NaCl/KOH → Pilze, Aminkolpitis, Leukozyten, Kokken, Döderlein-
Bakterien, Trichomonaden.
• Z ytologischer Abstrich (Portio und CK): Ausschluss Dysplasie und Karzinom.
• B akterienkultur aus Zervix: pathogene Keime einschl. Gonokokken.
• C hlamydienabstrich aus Zervix und Urethra (▶ 13.2.4).
• P alpation (bimanuell/rektal): Portioschiebe-Wackelschmerz, Uterus- und
Adnexdruckschmerz, Adnexe bei Palpation „teigig“.
• L abor: obligat BB, BSG (> 15 mm nach 1 h), CRP (> 0,6 mg/dl), HCG, Urin-
sediment; fakultativ Diff.-BB (> 10 Stabkernige), Leber- und Nierenwerte,
Gerinnung, HIV, Herpes-Serologie (IgG und IgM).
• ( Vaginal-)Sono: auffällige Befunde in etwa 50 % → freie Flüssigkeit, Hydro-/
Pyo- oder Saktosalpinx (▶ 14.2.3), Ovar flau abgrenzbar oder vergrößert, zys-
tisch-solider Ovarialtumor (Sono wichtig für die DD: EUG, Appendizitis,
Follikel, einfache Zyste, Endometriose, Hydroureter).
• L aparoskopie: Sicherung der Diagn., Direktabstriche, op. Ther. (z. B. Abszess
drainage) möglich.
Differenzialdiagnosen
• A kute PID ▶ Tab. 14.3.
• S ubakute oder chron. Verläufe: Endometriose (= Salpingitis isthmica nodosa),
Adhäsionen, rezid. Ovarialzysten, entzündliche Darmerkr. (M. Crohn, Colitis
ulcerosa, Divertikulitis), psychogene oder psychosomatische Komponente
(Traumatisierung durch vorausgegangene Eingriffe, Angst vor Sterilität).
Therapie
Bis zu 40 % der Adnexitiden sind durch Chlamydien mit bedingt, deshalb bei
der Antibiose berücksichtigen!
Supportive Maßnahmen
Bettruhe, sexuelle Abstinenz, Entfernung eines liegenden IUP, bei Fieber ausrei-
chende Flüssigkeitszufuhr.
Antiphlogistika
Bei starken Unterbauchbeschwerden z. B. Diclofenac 3 × 50 mg/d p. o. oder supp.
(z. B. Voltaren®) oder Ibuprofen 200–400 mg/d p. o. (z. B. Urem/forte®).
524 14 Adnexe
Antibiotika
• A mbulant: mind. über 10 Tage Cephalosporin und Tetrazyklin, wie Cefadro-
xil 3 × 1 g/d p. o. (Grüncef®) und Doxycyclin 2 × 100 mg/d p. o. (z. B. Supracy-
clin Tabs®). Bei Erfolglosigkeit Gyrasehemmer und Metronidazol, wie Oflox
acin 2 × 200 mg/d p. o. (z. B. Tarivid®) und Metronidazol 2 × 400 mg/d p. o.
(z. B. Clont®)
• S tationär: i. v. Antibiose über mind. 4 Tage, 1–2 Tage nach Entfieberung Um-
stellung auf orale Medikation möglich, dann 7–10 Tage oral weiter therapieren.
– Start mit Betalaktam-Antibiotika (breites Spektrum): z. B. Unacid® 3 ×
1,5 g/d i. v. oder Augmentan® 3 × 1,2 g/d i. v.
– Mögliche, der Oralther. gleichwertige Schemata: z. B. Cefuroxim 3 ×
1,5 g/d i. v. (z. B. Zinacef®) und Doxycylin 1–2 × 1 g/d i. v., Umstellung auf
Zinnat® 2 × 500 mg/d und Supracyclin Tabs® 2 × 100 mg/d oder Gentami-
cin 4 × 600 mg/d i. v. (z. B. Refobacin®), Clindamycin 2 × 600 mg/d p. o.
(z. B. Sobelin®) und Tobramycin 2 mg/kg KG tägl. i. v. (z. B. Gernebcin®);
Umstellen auf Sobelin® 3 × 150 mg.
14.4.1 Genitaltuberkulose
Die Genitaltuberkulose macht etwa 2 % der Adnexitiden aus, ist aber auf-
grund der sich verändernden Zusammensetzung der Bevölkerung im Anstei-
gen begriffen. Bei Tuberkulosepat. aus Osteuropa in 15 % Multiresistenzen.
Die Streuung erfolgt fast ausschließlich hämatogen, als Primärherd findet
14 sich in 90 % ein Lungenbefund. Sie kann auch bei Virgines auftreten. In 90 %
der Fälle ist der ampulläre Teil beider Tuben betroffen, in etwa 70 % das En-
dometrium und selten Ovar und Vulva. Der Altersgipfel liegt zwischen 30
und 40 J. Da die Pat. häufig beschwerdefrei sind, wird die Diagn. meist als
Zufallsbefund bei Abrasio oder Laparoskopie erhoben.
• R ifampicin 10 mg/kg KG tägl. p. o., max. 600 mg/d (z. B. Rifa®) über 6–8 Mon.
• Isoniazid 5 mg/kg KG tägl. p. o. (Isozid®-compositum) über 9–12 Mon., unbe-
dingt in Kombination mit Vit. B6, cave: neuro- und hepatotoxisch; daher
Überwachung der Leberwerte vor Ther., im 1. Mon. wöchentl., dann 14-tägig,
ab 3. Mon. monatl.; neurologischer Status vor Ther., nach 1 Mon. und nach
Ende der Ther.
14.5 Tuboovarialabszess
Kay Goerke
Definition Kombinierter Eileiter-/
Eierstocksabszess mit Eitereinschmel-
zungen (▶ Abb. 14.3), gehäuft bei Kup-
fer-IUP-Trägerinnen (nicht bei gesta-
genhaltigen IUP, z. B. Mirena® be-
kannt) bei Z. n. Adnexitis, bei pos.
HIV-Status.
Ätiologie
• A szendierende Keime (E. coli,
Enterokokken, Anaerobier, Myko-
plasmen, Chlamydien, Aktinomy- 14
zeten), meist polymikrobiell; Zer-
vizitis → Endometritis (häufig
p. p.) → Adnexitis → Tuboovarial-
abszess.
• H ämatogene Fortleitung (Tbc).
• A usbreitung per continuitatem
z. B. nach Appendizitis oder Diver-
tikulitis (sehr viel seltener, < 10 %). Abb. 14.3 Tuboovarialabszess [L157]
Klinik
• W ie bei Adnexitis (▶ 14.4), zusätz-
lich Defäkationsschmerz, hohes Fieber (rektal > 39 °C).
• K O und Spätfolgen: Abszessruptur mit eitriger Peritonitis, eitrige Thrombo-
phlebitis der Beckenvenen, später Adhäsionen, Dysmenorrhö, Sterilität, er-
höhte EUG-Rate.
Diagnostik
• L abor: Leukozytose > 20.000/μl, beschleunigte BSG (1. Stunde > 50 mm), CRP
erhöht, wegen Sepsisgefahr immer auch Gerinnung!
• P alpation: Adnextumor, max. Portio-Wackel-Schiebeschmerz, stärkster
Druck-/Schiebeschmerz von Uterus und Adnexen bei bimanueller Palpation,
Douglas-Vorwölbung bei rektovag. Palpation, meist Abwehrspannung.
• A uskultation: bei Peritonealreizung abgeschwächte oder fehlende Darmge-
räusche.
• S ono: > 90 % Nachweis eines solid-zystischen, unscharf begrenzten Adnextumors.
526 14 Adnexe
14.6 Tubenkarzinom
Kay Goerke
Epidemiologie Sehr selten (0,3 % aller gynäkologischen Malignome), Altersgip-
fel > 50 J.; häufig Adenokarzinome.
Klinik
14 • U nspezifisch, Diagn. meist erst im metastasierten Zustand (→ z. B. bei Aszi-
tes), mit Unterbauchschmerzen auf der erkrankten Seite, Fluor (wässrig, eit-
rig, fleischwasserfarben), in 25 % der Fälle genitale Blutungen.
• M etastasierung: vorwiegend lymphogen (iliakale und paraaortale Lk), später
auch peritoneale Aussaat (Netz, Peritoneum). Selten Leber und Lunge.
Diagnostik
• P alpation: längliche Resistenz im Adnexbereich.
• F luor-Diagn.: Erys, Leukos, evtl. zytologischer Nachweis von Tumorzellen.
• L abor: BSG beschleunigt, Anämie. Tumormarker wie bei Ovarial-Ca.
• S ono: Aszites, verdickt darstellbare Tube mit Binnenechos, schlechte Ab-
grenzbarkeit von Uterus und Ovar.
• E xplorative Laparotomie: genaues Tumorstaging → peritoneale Aussaat, Be-
fall der Nachbarorgane, Spülzytologie, histologische Sicherung durch Probe-
exzision → Stadieneinteilung entspricht den Ovarial-Ca (▶ 14.9.1).
Therapie
• O perativer Standard: Hysterektomie, Adnexektomie bds., Netzresektion. Zu-
sätzlich pelvine und paraaortale Lymphonodektomie in Abhängigkeit vom
intraop. Tumorrest.
• C hemother.: wie bei Ovarial-Ca (Schema ▶ 14.9.3).
• H ormonther.: bei pos. Steroidrezeptorstatus (Östrogen- und Progesteronre-
zeptor) hoch dosierte Gestagene wie Medroxyprogesteronacetat (MPA) 2 ×
500 mg/d p. o. in der Palliativsituation möglich.
Prognose Auf die Tube begrenzt (T1): 70 % 5-JÜR; mit Lk-Metastasen 15 %
5-JÜR.
14.8 Andere Ovarialtumoren 527
Diagnose Sorgfältige Sono, jede Zyste mit groben Binnenechos oder soliden An-
teilen muss histologisch untersucht werden.
Therapie Abwarten von zwei bis drei Zyklen, dann meist spontane Rückbil- 14
dung, bei Corpus-luteum-Zysten in graviditate spontane Rückbildung im
2. Trimenon. Bei persistierender Zyste Gestagenther. mit gestagenbetontem
OH (z. B. Marvelon®) oder Primosiston® über 10 Tage. Ein Zyklus mit Gestage-
nen, z. B. Lynestrenol 1 × 5 mg/d p. o. Bei unveränderter Zyste histologische
Abklärung.
Besonderheiten
• G
roße Fibrome (gutartig) des Ovars gehen häufig (40 %) mit Aszites und
Pleuraerguss (= Meigs-Sy.) einher.
• M
uzinöse Tumoren können bei Kapselruptur (auch intraop.) zur intraperi-
tonealen Absiedelung führen (Pseudomyxoma peritonei, Gallertbauch). Fol-
ge: Kachexie und Siechtum, rezid. Ileus.
• M
etastasierende Tumoren: in etwa 80 % beide Ovarien befallen. Primärtu-
mor (absteigende Häufigkeit): Endometrium, Magen, übriger GIT, Mamma.
Selten Zervix, Tube, Pankreas, Gallenblase, Lunge.
• M
aligne Lymphome können Ovarien prim. oder metastatisch befallen. Al-
tersgipfel < 20 J. Oft als Granulosazelltumoren fehldiagnostiziert.
• D
ermoidzysten können Schilddrüsengewebe (Struma ovarii) mit autonomen
Anteilen und Hyperthyreose enthalten. Schilddrüsen-Ca im Ovar wurden be-
schrieben.
14.8 Andere Ovarialtumoren 529
• G
rav.: In der Schwangerschaft sollten Ovarialtumoren bei Beschwerden oder
fraglicher Dignität entfernt werden, da die Gefahr der Stieldrehung besonders
hoch ist. Ein Abwarten bis zur 16. SSW wird empfohlen, da sich Corpus-lute-
um-Zysten bis dahin meist zurückgebildet haben bzw. bei Persistenz die Pla-
zenta ab der 12. SSW ausreichend Gestagen produziert und der Tumor ohne
Gefahr für die Schwangerschaft entfernt werden kann.
Ist eine Exstirpation unumgänglich (z. B. Stieldrehung) → Hormonsubstitution bis
zur 14. SSW.
14.8.2 Borderline-Veränderungen
Borderline-Tumoren besitzen im Gegensatz zu den invasiven Karzinomen eine
exzellente Prognose. Prognostisch relevant sind Ausbreitungsstadium, Lebensal-
ter, Tumorrest nach Primäroperation und der Nachweis invasiver peritonealer
Implantate. Nichtinvasive Implantate auf der Peritonealoberfläche oder im
Omentum majus sowie Absiedelungen in den regionären Lk finden sich bei 20–
30 % aller serösen Borderline-Tumoren; sie gehen nicht mit einer Verschlechte-
rung der Prognose einher.
Die Lymphonodektomie ist bei unauffälligen Lk nicht indiziert. Wegen der
Möglichkeit eines prim. muzinösen Tumors der Appendix vermiformis sollte
im Rahmen der Staging-Laparotomie bei muzinösen Borderline-Tumoren
vom intestinalen Typ eine Appendektomie erfolgen. Für Borderline-Tumoren,
auch mit Nachweis nichtinvasiver Implantate, wird keine adjuvante Ther.
empfohlen.
Beim Auftreten invasiver Implantate zeigt sich eine Verschlechterung der Prog- 14
nose. Die Ind. zur Chemother. bei Nachweis von invasiven Implantaten wird kon-
trovers diskutiert.
Operativ erfolgt ein sorgfältiges chirurgisches Staging, das neben der radikalen
Tumorentfernung die Inspektion des Abdomens mit Gewinnung von Spülzytolo-
gien, peritonealen Biopsien sowie Omentektomie erfordert. Ziel des op. Vorge-
hens ist die vollständige Resektion des Tumors mit Vermeidung der intraop. Tu-
morzellverschleppung sowie Ruptur.
Bei unilateralem serösem Borderline-Tumor kann ein fertilitätserhaltendes Vor-
gehen gewählt werden, sofern das sorgfältige sonstige Staging neg. ist.
Muzinöse 12 10 5–10
Keimstrangtumoren 8 12
Granulosazelltumor 2 10 25
Thekazelltumor 1 1 Selten
Androblastom 0,2
Fibrom 4 Selten
Dysgerminom 8 1
Dermoid 15 1 Selten
Dottersacktumor 1
Metastasen (▶ 14.8.1) 15
14 14.9 Ovarialkarzinom
Uwe Wagner
Fünfthäufigster maligner Tumor der Frau. Die altersspezifische Inzidenz hat ih-
ren Gipfel im 8. Lebensjahrzehnt, kommt aber in allen Altersstufen vor. Risiko-
faktoren sind hoher sozialer Status, unerfüllter Kinderwunsch. Multiparität
und/oder langjährige OH-Einnahme wirken protektiv. Die Prognose des Ovari-
al-Ca hat sich in den letzten 30 J. erheblich verbessert. Die 5-JÜR hat sich über
alle Stadien auf 50 % verdoppelt. Leider werden jedoch nahezu 75 % der Fälle in
fortgeschrittenen Stadien mit konsekutiv auch weiterhin schlechter Prognose
erkannt.
14.9.1 TNM-/FIGO-Klassifikation
Die histologische Klassifikation entspricht derjenigen der nichtmalignen Ovari-
altumoren (▶ 14.8.1). Die Stadieneinteilung richtet sich nach den Befunden bei
Erst-OP (inkl. Zytologie von Aszites, Histologie von Zwerchfellkuppeln, Le-
beroberfläche). Die pTNM-Klassifikation entspricht der TNM-Klassifikation; zu-
sätzlich kann der nach OP verbliebene Resttumor angegeben werden.
Hierbei gilt:
• R 0: Kein Resttumor.
• R 1: Mikroskopischer Rest.
• R 2: Makroskopische Reste.
14.9 Ovarialkarzinom 531
T3 und/oder N1 III Tumor befällt ein oder beide Ovarien, mit histolo-
gisch nachgewiesenen Peritonealmetastasen au-
ßerhalb des Beckens und/oder regionären Lk-Me-
tastasen
14
T3a IIIA Mikroskopische Peritonealmetastasen jenseits des
Beckens
N1 – Regionäre Lk-Metastasen
14.9.2 Primärtherapie
Operative Therapie
Die Prognose des Ovarial-Ca ist entscheidend von der Radikalität der Erstoperati-
on abhängig. Ziel der op. Ther. ist die möglichst komplette Entfernung aller Tu-
morherde, makroskopische Tumorreste verringern die Prognose erheblich. Ap-
pendektomie (fakultativ) insb. bei muzinöser Histologie, suprakolische Netzresek-
tion, En-bloc-Resektion mit bilateraler Adnektomie, Hysterektomie, Peritonekto-
mie, pelvine und paraaortaler Lymphonodektomie, Peritoneal-PEs sowie Zytologie.
532 14 Adnexe
Vorgehen
• N ach apparativem Staging (▶ 14.2) OP-Planung evtl. mit Chirurgen und
Urologen.
• A ufklärung der Pat. über Hysterektomie, Adnektomie, Netzresektion, Ap-
pendektomie, ggf. pelvine und paraaortale Lymphonodektomie, evtl. Anus-
praeter-Anlage.
• A m präop. Tag orthograde Darmspülung (bessere Übersicht, bei der OP am
Darm geringere Infektionsgefahr).
• P räop. Transfusion von 2 EK bei Hb < 10 mg/dl, 6 EK bereitstellen.
• L aparotomie vom Längsschnitt aus, zumindest von Symphyse bis Bauchnabel.
• N ach Eröffnung des Peritoneums vor Manipulation am Tumor zuerst Aszites
asservieren oder Peritoneallavage durchführen. Zytologische Abstriche und/
oder PE von beiden Zwerchfellkuppeln, Leberoberfläche, Beckenwand re und
li, Douglas anfertigen.
• S ystematische Revision der Bauchhöhle: Appendix, Colon ascendens, Le-
beroberfläche, re Zwerchfellkuppel, Leberunterseite, Magen und Oberbauch-
organe, li Zwerchfellkuppel, Colon transversum, Colon descendens, Mesente-
rialalwurzel, Dünndarm, großes Netz, Douglas, Rektum und Blase.
• Je nach makroskopischem Befund Adnexektomie oder Probeexzision zur
Schnellschnittdiagn.
• B ei Malignität Erweiterung des Schnitts li. um den Bauchnabel herum bis
zum Xyphoid. Hysterektomie, Adnektomie beidseits (fakultative Appendek-
tomie), Peritonektomie befallener Areale (Beckenwand, Douglas, parakoli-
sche Rinnen, Zwerchfell), suprakolische Netzresektion, iliakale und paraaor-
14 tale Lymphonodektomie bei makroskopischer Tumorfreiheit.
• B ei Befall weiterer Organe Tumorreduktion (Blasenteilresektion, Kolonresek-
tion, Splenektomie, evtl. Anlage eines Anus praeter).
• G enauen OP-Situs vor und nach OP beschreiben.
Second-Look Second-Look-OPs sind ohne Vorteil für die Pat. und werden da-
her nicht empfohlen.
Chemotherapie
Indikationen
• F rühes Ovarial-Ca-Stadium 1a, G1: keine adjuvante Chemother. Vorausset-
zung ist adäquates chirurgisches Staging.
14.9 Ovarialkarzinom 533
Frühstadien
Fortgeschrittene Stadien
Keimzelltumoren: PEB
Strahlentherapie
Die Strahlenther. hat in der Behandlung des Ovarial-Ca nahezu keine Bedeutung
und wurde weitergehend durch die Chemother. verdrängt.
Indikation
• B estrahlung einzelner inoperabler Herde, Tumorrezidiv, außerdem palliativ
zur Analgesie bei Knochenmetastasen. NW und Hautpflege ▶ 10.7.6.
• L ediglich Dysgerminome und Granulosazelltumoren sind strahlensensibel.
Endokrine Therapie
Rezidive sprechen bis zu 15 % auf Tamoxifen an. Darüber hinaus stehen GnRH-
Agonisten als Palliativther. zur Verfügung. In der Situation des chemotherapiere-
sistenten Frührezidivs belegen randomisierte Studien eine Gleichwertigkeit mit
einer palliativen Chemother. eines Alkylans.
Nachsorge
Je nach Tumor individuelle Abstände der Untersuchung wählen. Bei ausgedehn-
ten Tumoren z. B. bis 5 J. alle 3 Mon., danach alle 6 Mon. Bei jeder Untersuchung:
• V ag. Spiegeleinstellung (Scheidenstumpfrezidiv).
• K olposkopie, Zytologie-Entnahme.
• V ag. und rektale Palpation, Palpation des gesamten Bauchraums (Tumoren,
Aszites), inkl. Leber.
• T ransvag. Sono.
• Inspektion und Palpation der Mammae (1 × jährl. Mammografie).
14 • B ei Rezidivverdacht: Koloskopie, Zystoskopie, MRT Abdomen.
• U mbilikale Metastasen oder Rezidive kommen häufig vor → Inspektion des
Nabels.
Gegen Hormonther. bestehen nach heutigem Wissen keine KI: z. B. Estradiol-Gel
(Gynokadin® Gel oder Tibolon, z. B. Liviella®, bei Karzinomen vom endometro
iden Typ sicherheitshalber mit einem Gestagenzusatz, z. B.: Presomen comp.® 0,6).
14.9.3 Second-Line-Therapie
Einteilung der Rezidive
• C hemosensible (Platin-Taxan) Tumoren: Rezidivauftreten > 6 Mon. nach
Abschluss der Primärbehandlung.
• C hemorefraktäre Tumoren: Progress unter Ther. oder Rezidiv < 6 Mon. nach
Abschluss der Primärbehandlung.
Platinrefraktäre Tumoren
Bei der systemischen Ther. des refraktären Ovarial-Ca sollte die Erhaltung der Le-
bensqualität im Vordergrund stehen. Eine Kombinationsther. bietet dabei keine
Vorteile gegenüber einer Monother.
Am effektivsten sind Topotecan, pegylisiertes, liposomales Doxorubicin, Gemcit
abin und Paclitaxel bei nicht mit einem Taxan vorbehandelten Pat.:
• T opotecan 1,5 mg/m2 Tag 1–5 alle 3 Wo.
• P egylisiertes Doxorubicin 40 mg/m2 Tag 1 alle 4 Wo.
• G emcitabin 1.000 mg/m2 Tag 1, 8, 15 alle 4 Wo.
• P aclitaxel 80 mg/m2 Tag 1 jede Wo., nach 8 Wo. Pause von 2 Wo.
14.9 Ovarialkarzinom 535
Platinsensible Tumoren
Bei der systemischen Ther. des platinsensiblen Ovarialkarzinomrezidivs sollte zu-
vor die Operabilität geprüft werden. Bei der Aussicht einer vollständigen Resekti-
on sollte die op. Ther. erwogen werden. Bezüglich der Systemther. ist die platin-
haltige Kombinationsther. der Platinmonother. überlegen.
Am effektivsten sind als Kombination Carboplatin/Paclitaxel, Carboplatin/Gem-
citabin und Carboplatin/pegyliertes liposomales Doxorubicin:
• C arboplatin AUC 5 Tag 1.
• P aclitaxel 175 mg/m2 Tag 1 alle 3 Wo.
oder:
• C arboplatin AUC 4 Tag 1.
• G emcitabin 1.000 mg/m2 Tag 1 und 8 alle 3 Wo.
oder:
• C arboplatin AUC 5 Tag 1.
• p egyliertes liposomales Doxorubicin 30 mg/m2 Tag 1 alle 4 Wo.
Bei KI einer Kombinationsther. ist Carboplatinmonother. Ther. 1. Wahl Carbo-
platin Mono AUC 5 Tag 1 alle 3 Wo.
14
15 Sterilität
Axel Valet
15.1 Leitsymptome
• P rim. Sterilität: Trotz Kinderwunsches und regelmäßiger Kohabitationen
kommt es innerhalb eines Jahres nicht zum Eintritt einer Schwangerschaft.
• S ek. Sterilität: Bei Z. n. einer oder mehreren Schwangerschaften (Geburten,
Aborten, EUG) tritt trotz erneuten Kinderwunsches und regelmäßigen Ge
schlechtsverkehrs über längere Zeit keine Schwangerschaft ein.
• I nfertilität: Unvermögen, nach Empfängnis die Frucht auszutragen und zu
gebären (Impotentia generandi).
Tubar 30–40 %
Zervikal 7–10 %
Vaginal 6 %
Extragenital 1 %
Psychisch 1 %
(Aus: Diedrich, K.: Neue Wege in Diagnostik und Therapie der Sterilität. Stuttgart:
Enke 1990)
15.2.2 Untersuchung
Gynäkologische Untersuchung
• M amma: Größe, Galaktorrhö, Exprimat, perimamilläre Behaarung.
• S chambehaarung: ansteigend bis Nabel, Übergang auf Oberschenkel
(▶ Abb. 18.4).
• V ulva, Klitoris: Genitalhypoplasie, -hypertrophie.
• V agina: Länge, Weite, Nativabstrich (▶ 11.2.3).
• P ortio, Zervix: zytologischer Abstrich (Pap) mit Hormongrad, Zervixschleim
(Insler-Score ▶ 15.2.7).
• U terus: Größe, Lage, Beweglichkeit, Myome.
• T uben: verdickt, schmerzhaft, Ovarien (z. B. seitengleich, vergrößert).
• D ouglas-Raum: z. B. tastbare Endometrioseknötchen.
Klinische Untersuchung
Gewicht, Größe (Adipositas, Hoch-, Kleinwuchs; ▶ 18.4.3), Anzeichen für Schild
drüsenerkr. oder M. Cushing.
• Androgenisierungserscheinungen mit:
– Hirsutismus: vermehrte Behaarung an Oberlippe, Wange, Unterkiefer,
Hals, prästernal, perimamillär, ansteigende Schambehaarung zum Nabel,
obere und untere Extremitäten.
– Hypertrichose: androgenunabhängige Wachstumsvermehrung der Haare
an Ober- und Unterschenkel oder ganzem Körper, z. B. beim Ullrich-Tur
ner-Sy. (▶ 15.4.1).
°C
37,3
37,2
37,1
37,0
36,9
36,8
36,7
36,6
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Zyklustage
15.2.4 Labor
• Z u Beginn jeder Sterilitätsdiagn. Basishormonstatus bestimmen.
• B B, Lues-Serologie, HIV (vorgeschrieben bei Maßnahmen zur künstlichen
Befruchtung, HIV-Test beim Partner), Hepatitis- und Rötelnserologie (lt.
STIKO gilt der Rötelnschutz als sicher, wenn zwei Impfungen erfolgt sind, da
her Rötelnserologie obsolet. Falls der Impfpass nicht vorliegen sollte → nach
impfen!), Schilddrüsenhormonwerte (TSH basal, fT4, fT3), Toxoplasmose.
Androsten- 3.–7. ZT, frühmor- 0,5–2,5 μg/l: zyklusab- V. a. PCO, V. a. hyperand-
dion gens hängig, in Lutealphase rogenämische Ovarialin-
höher suff., Androgenisierung
15.2.5 Ultraschall
Unverzichtbar für die Kontrolle des Spontanzyklus und für das Zyklusmonitoring
beim stimulierten Zyklus. Der einzig 100-prozentig sichere Ovulationsnachweis
ist – mit Ausnahme der Laparoskopie – nur durch Ultraschall möglich. Sprungrei
fer Follikel: Durchmesser ca. 20 mm, unter Clomifenstimulation ca. 22 mm.
Untersuchungsablauf und Beurteilung ▶ 21.1.1 und ▶ 21.2.1.
15.2.6 Funktionstests
Gestagen-Test
Definition Auslösung einer Entzugsblutung nach vorheriger sekretorischer Um
wandlung durch Gestagene zum Nachweis eines bereits vorher unter endogenem
Östrogeneinfluss proliferierten Endometriums.
542 15 Sterilität
Östrogen-Gestagen-Test
Definition Nachweis von funktionsfähigem Endometrium.
Indikationen Prim. oder sek. Amenorrhö bei neg. Gestagen-Test.
Durchführung Nach Graviditätsausschluss Gabe eines Ovulationshemmers
(z. B. Marvelon®).
Beurteilung
• Pos.: Blutungen – auch geringe – innerhalb 1 Wo. nach Absetzen der Östro
gene und Gestagene.
• N eg.: keine Blutung V. a. fehlendes funktionsfähiges Endometrium (rudi
mentärer Uterus bei Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Sy.; Z. n. mehrfachen
Abrasiones, Synechien, Z. n. Tbc). Wiederholung des Tests mit doppelter Ös
trogendosis.
LH-RH-Test
Definition Überprüfung der Stimulierbarkeit des Hypophysenvorderlappens
15 (HVL) durch Gabe von LH-RH.
Indikation V. a. hypothalamisch-hypophysäre Ovarialinsuff.
Durchführung Blutentnahme (LH, FSH) vor LH-RH Gabe, dann Gonadorelin
0,1 mg langsam i. v. (Relefact® LH-RH). Blutentnahme (LH, FSH) 20, 40 und
60 Min. danach, fakultativ nach 2 und 3 h.
Beurteilung ▶ Abb. 15.2
• P os.: LH-Anstieg nach 20–40 Min. auf das 4-Fache. Nach Leyendecker kann
unterschieden werden in:
– Adulte (normale) Reaktion: Sekretion von LH > FSH (Geschlechtsreife).
– Präpuberale Reaktion: Sekretion LH ~ FSH (Kindesalter).
• N eg.: keine Sekretion von LH und FSH bei schwerer hypothalamisch-hypo
physärer Amenorrhö, Läsion von Hypothalamus und Hypophysenstiel.
Dexamethason-Test
Definition Differenzierung einer NNR-Überfunktion. Bei Hyperandrogenämie
wird der adrenale Anteil durch Dexamethason gehemmt, sodass der verbleibende
Hormonanteil den Ovarien zuzurechnen ist.
Indikationen Hyperandrogenämie; V. a. NNR-Überfunktion (NNR-Tumor).
15.2 Diagnostische Methoden 543
0,1 mg
LH-RH
30
0,1 mg
LH-RH LH
20
FSH FSH
10
LH LH
FSH
0
0 1 2 3 Std. 0 1 2 3 Std. 0 1 2 3
Durchführung
• K urztest (Night Suppression Test): Dexamethason 3 mg p. o. (z. B. Forte
cortin®) um genau 23:00 Uhr. Am nächsten Morgen 8:00–9:00 Uhr Bestim
mung von Kortisol, DHEA-S, Androstendion, Testosteron, 17α-OH-
Progesteron, Progesteron.
• Z weiwochentest: Bei nicht eindeutig neg. Ergebnis Dexamethason 4 ×
0,5 mg/d p. o. (z. B. Fortecortin®) über 14 Tage. Vorher und am 15. Tag je
weils um 8:00 Uhr Bestimmung von (freiem) Testosteron,
5α-Dihydrotestosteron (DHT), DHEA-S, Androstendion, 17α-OH-
Progesteron und Progesteron.
Beurteilung
15
• K urzzeittest:
– Kortisolsuppression < 30 μg/l: normal.
– > 30 μg/l: V. a. autonomen Hyperkortisolismus.
• Z weiwochentest:
– Normal: Suppression der ACTH-Ausschüttung und damit der adrenalen
Kortisol- und Androgenproduktion (DHEA-S < 400 μg/l, Kortisol
< 30 μg/l).
– Keine Suppression: V. a. autonome NNR-Tumoren oder ektope ACTH-
Bildung. Erhöhtes DHEA-S spricht eher für adrenalen und erhöhtes
Testosteron eher für ovariellen Ursprung.
ACTH-Kurztest
Definition Überprüfung der Hormonreserven der NNR. Gerade Late-Onset-
AGS-Veränderungen lassen sich oft nicht durch die einfache Serumbestimmung
nachweisen.
Indikationen V. a. prim. oder sek. NNR-Insuff., Nachweis eines Enzymdefekts in
der Nebenniere (V. a. AGS ▶ 17.3).
544 15 Sterilität
Durchführung
• 8 :00 Uhr morgens nüchtern in der 1. Zyklushälfte Bestimmung von Kortisol,
DHEA-S, 17α-OH-Progesteron, 17α-OH-Pregnenolon, 21-Desoxykortisol,
11-Desoxykortisol, Kortikosteron, Desoxykortikosteron.
• G abe von 25 IE ACTH (Synacthen® Injektionslsg.) i. v.
• H ormonbestimmung 30, 60 und 120 Min. nach Injektion.
Beurteilung
15 Clomifen-Test
Indikation Überprüfung der hypothalamisch-hypophysären Funktion.
Durchführung Basale Blutentnahme am 5. ZT (LH und Estradiol), Clomifen
100 mg/d p. o. (z. B. Clomifen ratiopharm® 2 × 1 Tbl.) vom 5.–9. ZT, Bestimmung
von LH und Estradiol am 10. ZT.
Beurteilung
• P os.: LH und Estradiol steigen nach 5 Tagen auf mind. das Doppelte.
• G leichzeitiger LH- und Estradiolanstieg → intakte Hypothalamus-Hypophy
sen-Ovar-Achse.
• L H-Ausschüttung erhöht, Estradiol konstant → nicht ansprechende Ovarien.
• M angelhafter LH-Anstieg → Störung im Bereich von Hypothalamus und Hy
pophyse.
Metoclopramid-Test
Indikation Ausschluss bzw. Nachweis einer latenten Hyperprolaktinämie.
Durchführung Möglichst in der Mitte der Sekretionsphase durchführen
(2. Zyklusphase, post ovulationem, meistens ca. 20.–22. ZT). Frühestens 4 h
15.2 Diagnostische Methoden 545
nach dem Aufstehen beginnen (Liegen auf der Brust kann die Prolaktinwerte
verfälschen).
• B estimmung des basalen Prolaktinwerts.
• Injektion von Metoclopramid 10 mg i. v. (z. B. Paspertin®).
• 2 5 Min. nach Metoclopramid-Injektion erneute Prolaktinbestimmung.
Beurteilung
• N ormaler Basalwert 2–20 μg/l
• S timulierter Wert < 200 μg/l.
0 1
15
2 3
Spinnbarkeit Keine Auf ¼ der Gut ½ der Schei- Sehr gut bis vor
Scheidenlänge denlänge die Vulva
Ejakulat besteht aus Spermien und Sekret der Samenblasen, Prostata und in
geringem Maße der bulbourethralen Cowper-Drüsen. Aufgrund hoher in
traindividueller Schwankungsbreite mind. 2(–3) Spermiogramme während
3 Mon. untersuchen.
15 Ejakulat
Gewinnung
Erfolgt unter standardisierten Bedingungen. Nach sexueller Karenzzeit von
4–5 Tagen Gewinnung des Ejakulats am Ort der Untersuchung durch Masturba
tion und Auffangen in einem sterilen Gefäß (ausnahmsweise auch körperwarmer
Transport innerhalb1–2 h möglich).
Morphologie
• N ativpräparat: 1 Tr. verflüssigtes Sperma auf Objektträger mit Deckglas. Be
urteilung mit Phasenkontrastmikroskop (200- bis 400-fache Vergrößerung).
• B eurteilung: Verklumpungen, Kontamination mit Erys, Leukos, Bakterien,
Epithelien, Trichomonaden, Spermatogenesevorstufen.
Biochemische Parameter
• F ruktose: normal 1,2–5,0 g/l; pathologisch < 1,2 g/l → Subfertilität. Marker
substanz für Bläschendrüsenfunktion, androgenabhängig.
• S aure Phosphatase: normal 200–800 U/ml; Markerenzym der Prostatafunktion.
• K arnitin: Markersubstanz der Nebenhodenfunktion.
• A krosin: Schlüsselenzym für Penetrationsfähigkeit der Spermien in Zona pel
lucida.
Spermien
Motilität
• N ativpräparat frühestens 30 Min. nach Ejakulatgewinnung.
• B eurteilung (400-fache Vergrößerung) der Spermienbeweglichkeit bei Zim
mertemperatur in 20 Gesichtsfeldern. Normal: Globalmotilität ≥ 50 %, Pro
gressivbeweglichkeit ≥ 30 %, Motilitätsabfall nach 4 h ≤ 15 %.
pH-Wert ≥ 7,2
Spermatozoen-Antikörperbestimmung
Spermatozoenmorphologie
Am gefärbten Ausstrich (z. B. Pap, HE) 200 Spermatozoen auszählen. Normal
> 50 % morphologisch unauffällig.
OAT-Sy. = Oligo-Astheno-Teratozoospermie
15.2 Diagnostische Methoden 549
15
Ergebnisse
Hysterosalpingografie
Definition Rö-Kontrastdarstellung des Cavum uteri und der Tuben. Kombinati
on von Hysteroskopie und diagn. Laparoskopie mit Chromohydropertubation
(▶ 15.2.11) heute bevorzugt (keine Strahlenbelastung, Eiabnahmemechanismus
klärbar).
Indikationen Darstellung des Cavum uteri bei V. a. intrauterine Adhäsionen
(Synechien), Septen, Myome. Ausschluss eines Tubenverschlusses und Lokalisati
on desselben (z. B. intramural, isthmisch, ampullär), auch vor Durchführung ei
ner Refertilisierungs-OP.
15.2 Diagnostische Methoden 551
Voraussetzung
• D urchführung in der 1. Zyklushälfte (7.–10. ZT).
• A ntibiotische und/oder antiseptische Vorbehandlung der Vagina mit Vagi
nalzäpfchen (z. B. Fluomizin®, Vagiflor®).
• A usschluss entzündlicher Adnexerkr. (Palpation, BSG, Leukos, CRP).
• A usschluss einer Kolpitis (Nativzytologie), Reinheitsgrad (▶ 13.2.4).
• K eine Kontrastmittelallergie.
Durchführung
• K urznarkose nicht obligat, aber häufig empfehlenswert (Schmerzen können
Tubenspasmus auslösen).
• B imanuelle Untersuchung, gründliche Desinfektion von Vagina und Portio.
• A nlegen des Schultze-Apparats mit zwei Kugelzangen an der Portio (zum
Abdichten).
• S pritzen eines wasserlöslichen KM über den Schultze-Apparat unter gleich
zeitiger Durchleuchtung, Dokumentation durch ein bis zwei Rö-Aufnahmen.
• P eriop. Antibiotikaprophylaxe, z. B. mit Cefuroxim 1.500 mg i. v.
Beurteilung Tuben durchgängig: KM fließt beidseits in die freie Bauchhöhle ab.
15.3.1 Physiologie
Dem ovariellen Regelkreis gehören an: Hypothalamus, Hypophyse (Adenohypo
physe) und Ovarien (▶ Abb. 15.5).
Die pulsatile Freisetzung des Gonadotropin-Releasing-Hormons (GnRH) indu
ziert Synthese, Speicherung und eine ebenfalls pulsatile Ausschüttung der Gona
dotropine FSH und LH aus dem HVL.
übergeordnetes
ZNS
15 Hypothalamus
short loop feedback
FSH
GnRH LH
PIF
long loop feedback
Hypophyse
+ - P
oder
- LH
FSH
E2
E2 E2 (PRL)
P P
Ovar Ovar
Uterus
mlE/ml 50
40
30
20 LH 15
FSH
10 Estradiol (E2)
Progesteron
Zyklustag 4 8 12 16 24 20 28
Tag nach LH-Gipfel 0 +2 +4 +6 +8 +10 +12 +14
Reine Gonadendysgenesie
Definition Familiär gehäufte, isolierte Gonadendysgenesie infolge einer Ent
wicklungsstörung ohne zusätzliche Fehlbildungen.
Klinik Amenorrhö, Mammae und Genitale hypoplastisch.
Diagnostik FSH und LH ↑, Estradiol (E2) ↓. Chromosomal 46,XX.
Testikuläre Feminisierung
Definition „Hairless Woman“ oder Pseudohermaphroditismus masculinus in
folge angeborener Androgenresistenz verschiedener hormonabhängiger Gewebe.
Häufigkeit 1 : 20.000.
Klinik Normaler weibl. Habitus, Fehlen der Axillar- und Schambehaarung, prim.
Amenorrhö, Sterilität, Hochwuchs, Leistenhoden, Uterus und Ovarien fehlen.
Diagnostik Mammae o. B., FSH und LH normal, Estradiol ↓. Chromosomal
46,XY; männliche Testosteronspiegel.
15
Ullrich-Turner-Syndrom
Definition Intersexform bei gonosomaler Monosomie, häufig mit weiteren Fehl
bildungen kombiniert. Häufigkeit: 1 : 2.500–7.500.
Klinik Prim. Amenorrhö, Mammae, äußeres Genitale und Uterus hypoplas
tisch, Kleinwuchs, Pterygium colli, Schildthorax, tiefer Haaransatz im Nacken,
Nierenfehlbildungen.
Diagnostik FSH und LH ↑, Estradiol ↓. Chromosomal 45,X0 oder Mosaik
46,XX/45,X0.
Swyer-Syndrom
Definition Genetische, ausschließlich die Gonaden betreffende Entwicklungs
störung.
Klinik Prim. Amenorrhö und Sterilität, hypoplastische Scham- und Axillarbe
haarung; hypo- oder aplastische Mammae, Klitorishypertrophie, Vulva sonst nor
mal, Uterushypoplasie, Streakgonaden (strangförmige, rudimentäre Gonadenan
lagen).
15.4 Sterilitätsursachen und Therapie 555
Ovarhypoplasie
Definition Climacterium praecox, Follikel häufig verbraucht.
Klinik FSH und LH ↑, Estradiol ↓, klimakterische Beschwerden, sek. Amenor
rhö.
Ausnahme
Gynatresie (Mayer-Rokitansky-Küster-Sy. ▶ 18.7.7), rudimentärer Uterus und
Scheidenaplasie (obere 2⁄3) infolge einer Hemmungsfehlbildung.
• K
linik: prim. Amenorrhö und Sterilität, Kohabitationsunfähigkeit, Mam
mae und Ovarien normal.
• D
iagn.: FSH, LH und Estradiol o. B.; gehäuft Aortenaneurysmen, Nieren
fehlbildungen. Chromosomal 46,XX.
Hypothalamische Ovarialinsuffizienz
Definition Verminderte GnRH-Sekretion oder Störung der pulsatilen Freiset
zung.
Ätiologie Psychogener Stress, Hunger („Notstand“), Anorexia nervosa, Tumo
ren, traumatische Läsionen, Meningoenzephalitiden, Kallmann-Sy. (verminderte
oder fehlende GnRH-Sekretion mit Anosmie bei Aplasie des Bulbus olfactorius).
15 Medikamente, z. B. Psychopharmaka (Phenothiazine).
Klinik Corpus-luteum-Insuff., Oligo-, Amenorrhö, Gewichtsschwankungen
(Abnahme), Kopfschmerzen, Schwindel, Seh- (Tumoren) und Riechstörung
(Kallmann-Sy.).
Diagnostik FSH, LH, Estradiol, Prolaktin, Rö-Sella, evtl. cCT, Gestagen-, Clomi
fen- und GnRH-Test (▶ 15.2.6).
Die Diagn. darf erst nach Ausschluss aller anderen Ursachen (Hyperandrogen
ämie, Hyperprolaktinämie, Hyper- oder Hypothyreose, Diab. mell., M. Cushing)
gestellt werden.
Therapie Bei Kinderwunsch Clomifen, HMG/HCG, pulsatile LH-RH-Ther.
Hypophysäre Ovarialinsuffizienz
Definition Häufig bei unzureichender GnRH-Sekretion des Hypothalamus.
Ätiologie Echte hypophysäre Ovarialinsuff. häufig durch Hypophysenadenome,
die durch Verdrängung des funktionstüchtigen Hypophysengewebes zum Hypo
gonadotropismus führen.
• Tumoren: Prolaktinom (Prolaktin ↑), eosinophiles Adenom (STH ↑→ Akro
megalie), basophiles Adenom (ACTH ↑→ M. Cushing), Kraniopharyngeom
(hormonell inaktiv).
15.4 Sterilitätsursachen und Therapie 557
• H
VL-Insuff. („idiopathisch“, Stress, Psychopharmaka): verminderte Hor
monsekretion, gestörte (fehlende) Pulsation von FSH- und LH-Sekretion.
• S heehan-Sy. ▶ 17.3.
Klinik Amenorrhö. Bei Sheehan-Sy. Adynamie, Agalaktie (p. p.!), verminderte
Achsel- und Schambehaarung, Pigmentverlust, Libidoverlust (▶ 17.3).
Diagnostik
• H ormontests: Gestagen-, Clomifen-, LH-RH- und TRH-Test, Kortisoltages
profil, ACTH-Dexamethason-Test, Rö-Sella (Schicht), cCT, Gesichtsfeldun
tersuchung.
• T estauswertung: Zytologie und Endometrium atrophisch, FSH, LH, E2 ↓,
Gestagen-Test neg., im LH-RH- und Clomifen-Test schwache oder keine Go
nadotropinfreisetzung, normale Reaktion des Ovars auf HMG-Stimulation →
hypophysäre Ovarialinsuff.
– Zusätzlich Prolaktin ↑→ Prolaktinom.
– Zusätzlich STH ↑→ eosinophiles Adenom.
– Zusätzlich ACTH ↑→ basophiles Adenom.
– Zusätzlich TSH ↓, ACTH ↓→ Sheehan-Sy.
Therapie Hormonsubstitution, z. B. Cyclo-Progynova®, Presomen® comp oder
perkutan z. B. mit Gynokadin ® 1–2 Hübe und Utrogest® 100 mg/d. Bei Kinder
wunsch HMG i. m. beginnend vom 3. ZT 1–4 Amp./d (Dosis nach Effekt; serolo
gische E2-Kontrolle, Ultraschall), in Einzelfällen mehr bis zur Follikelreifung.
HCG 10.000 IE i. m. zur Ovulationsauslösung.
Hyperprolaktinämische Ovarialinsuffizienz
Definition Im Rahmen der Sterilitätsabklärung ist die Prolaktinbestimmung un
bedingt erforderlich, da ca. 20 % der Pat. mit Amenorrhö oder anderen Zyklusun
regelmäßigkeiten eine Hyperprolaktinämie aufweisen.
Pathogenese Hyperprolaktinämie bewirkt:
• Verminderte Sekretion von FSH und LH. 15
• S törung der pulsatilen LH-Sekretion.
• V erminderte Reaktionsfähigkeit des Ovars auf FSH und LH.
• S timulation der Milchdrüsen.
Ätiologie
• P hysiologisch: Stress, Hypoglykämie, körperliche Arbeit, Reizung der Brust
warzen (Mammapalpation?), Koitus, Grav., postpartale Laktation, Schlaf (auf
dem Bauch liegend).
• W eitere Ursachen: Chiari-Frommel-Sy. (p. p. persistierende Galaktorrhö und
Amenorrhö), Hypophysentumoren, Sarkoidose, Hypophysenstieldurchtren
nung, Leberzirrhose, Nierenversagen, Enzephalitis, ektope Sekretion maligner
Tumoren, prim. Hypothyreose (stimulierender Einfluss von TRH auf die
Prolaktinzelle).
Klinik Corpus-luteum-Insuff., Anovulation, sek. Oligo-, Amenorrhö, Polyme
norrhö, Sterilität, Galaktorrhö, Gesichtsfeldausfälle (Hirsutismus).
Diagnostik
• L H, FSH, fT3, fT4, basales TSH, Prolaktin, Sella-Rö-Schichtaufnahme (Tu
mor?), cCT, Gesichtsfelduntersuchung, evtl. MRT.
558 15 Sterilität
• M
ikroprolaktinom: (< 1 cm Durchmesser. Prolaktin häufig > 50–250 μg/l bzw.
1.060–5.700 U/l): normale Sella turcica oder sehr diskrete Veränderungen.
• M
akroprolaktinom (> 1 cm Durchmesser, Prolaktin häufig > 250 μg/l bzw.
5.300 U/l): generell Vergrößerung der Sella turcica.
U/l μg/l
– B ei schnellem Adenomwachstum.
– Bei Dopaminagonistenunverträglichkeit.
! Radiother. nur noch bei Versagen der op. und medikamentösen Behand
lung bei Makroadenomen indiziert.
15
Hyperandrogenämische Ovarialinsuffizienz
Definition Das im Rahmen der Sterilitätsbehandlung wichtigste, mit Hyperan
drogenämie einhergehende Krankheitsbild ist das Sy. der polyzystischen Ovarien
(PCO-Sy.), früher Stein-Leventhal-Sy. Das PCO-Sy. ist in 40–60 % vergesellschaf
tet mit einer NNR-Hyperplasie (DHEAS), in 20 % mit einer leichten Begleithyper
prolaktinämie (Prolaktin); DD der Hyperandrogenämie ▶ 17.4.
Zwei der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein: 1. PCO-Bild, 2. Oligo- oder
Anovulation, 3. klinische oder laborchemische Zeichen eines Hyperandrogenis
mus (nach Ausschluss anderer Endokrinopathien) [entsprechend der Konsensus
konferenz der European Society of Human Reproduction and Embryology
(ESHRE) und der American Society for Reproductive Medicine (ASRM)].
Pathogenese Weitgehend ungeklärt, vermutlich führt eine vermehrte gemischt
adrenale und ovarielle Androgenproduktion (Aromatasemangel der Granulosa
zellen?) über eine extraglanduläre Umwandlung in Estron und Estradiol durch
einen pos. Feedbackmechanismus zu erhöhten LH-Werten, die wiederum die An
drogenproduktion stimulieren. Häufig bei Adipositas.
Klinik Amenorrhö (15–77 %), Oligomenorrhö, Sterilität (35–94 %), Adipositas,
Hirsutismus, Vergrößerung der Ovarien auf das 2- bis 5-Fache mit glatter, ver
560 15 Sterilität
Lutealphaseninsuffizienz (Corpus-luteum-Insuffizienz)
Definition Die Lutealphaseninsuff. ist kein eigenständiges Krankheitsbild, son
dern Symptom unterschiedlicher Formen der Ovarialinsuff. Bei Frauen mit Ferti
litätsstörungen und habituellen Aborten liegt sie in mehr als 15 % vor.
15.4 Sterilitätsursachen und Therapie 561
metriose und Adhäsionen im kleinen Becken und bei Frauen mit hoher Stressbe
lastung. Häufig sog. „ungeklärte Sterilität“.
Klinik Unterbauchschmerzen (bei LUF-Zysten), Zyklustempostörungen.
15
Abb. 15.8 Schema zur Amenorrhödiagnostik mit WHO-Klassifikation [L190]
SpecialCar_Roman_6pt
Diagnostik
• S ono: Follikelpersistenz über Ovulationszeitpunkt hinaus, keine freie Flüssig
keit im Douglas-Raum. Zyste, die wenige Tage nach LH-Anstieg echodichter
wird und evtl. mit einem „soliden Ovarialtumor“ verwechselt werden kann.
• H ormone: Progesteronspiegel selten normal, meist erniedrigt (< 5 μg/l); BTK:
Lutealphase normal.
• L aparoskopie: keine Ovulationszeichen, wenig bis keine Peritonealflüssigkeit
mit niedriger Progesteron- und Estradiolkonzentration.
Therapie
• S ono: Zystenkontrolle zu Beginn des nächsten Zyklus. Sollte die LUF-Zyste
noch vorhanden sein → Gabe eines gestagenbetonten OH (z. B. Marvelon®
▶ 16.3.1, ▶ 16.4). Sollte zum nächsten Zyklusbeginn die LUF-Zyste immer
noch zu sehen sein → für 1 Mon. Gestagenther., z. B. MPA 2 × 5 mg/d p. o.
(MPA Gyn®).
• E vtl. Hemmung der zentralen LH-Ausschüttung mit einem LH-RH-Analo
gon (z. B. Zoladex®), dann HMG-/HCG-Stimulation.
15.4 Sterilitätsursachen und Therapie 563
15
Gonadotropine
Definition
• H MG: LH/FSH je 75 IE/ml (Menogon®).
• F SH: reines FSH 75 IE/ml (Bravelle®).
Zur Stimulation der Ovarialfunktion wird menschliches postmenopausales Gona
dotropin verwandt (HMG), das zu etwa gleichen Teilen FSH und LH enthält. Pat.
mit PCO (erhöhte endogene LH-Spiegel) können auch mit reinem FSH stimuliert
werden. Zur Ovulationsauslösung benötigt man 10.000 IE HCG (z. B. Brevactid®),
das weitgehend dem endogenen LH entspricht.
Indikationen Hypogonadotrope Pat., Clomifen-neg. Pat., mangelhafte Follikel
reifung nach Antiöstrogen-Ther.; ungünstiger Zervixfaktor, Corpus-luteum-In
suff. trotz Clomifen/HCG (s. o.).
Dosierung HMG und HCG
• N ormogonadotrope Pat.: ab 2.–3. ZT (nach sonografischem Ausschluss ova
rieller Zysten) HMG 75 IE/d i. m. (z. B. Menogon®), ab 8. ZT Dosierung
≥ 150 IE/d, je nach Follikelwachstum (Kontrolle durch Sono und E2-Spiegel).
• H ypogonadotrope Pat.: 2 × 75 IE/d HMG i. m., ab 8. ZT individuelle Steige
rung.
• W enn Leitfollikel 18–19 mm Durchmesser und nicht mehr als drei sprungrei
15 fe Follikel vorhanden sind → Ovulationsauslösung mit 10.000 IE HCG i. m.
(im monophasischen Zyklus findet man bei sprungreifem Follikel serologisch
ein E2 von 300–400 ng/l pro Follikel). Cave: Falls die HCG-Gabe zur Ovulati
onsauslösung zu früh erfolgt, kann ein LUF provoziert werden (s. o.).
Kombinierte Stimulation
Durchführung
• C lomifen 4.–8. ZT 2 × 50 mg/d p. o. (z. B. Clomifen ratiopharm®), danach
HMG 2 × 75 IE/d i. m. (z. B. Menogon®) und Ovulationsauslösung mit HCG
10.000 IE i. m. oder
• C lomifen 3.–7. ZT 50–100 mg/d (z. B. Clomifen ratiopharm®) und gleichzeitig
HMG 75–150 IE/d i. m. (z. B. Menogon®).
• G ezielte Überstimulation für In-vitro-Fertilisation (IVF; ▶ 15.5.2):
– Vom 2.–4. ZT HMG 2 × 75 IE/d i. m. (z. B. Menogon®).
– Vom 5.–8. ZT HMG 3 × 75 IE/d i. m. (z. B. Menogon®), dann evtl. weitere
Steigerung je nach Follikelwachstum und E2-Werten. HCG 10.000 IE i. m.
zur Ovulationsauslösung (z. B. Brevactid®) bei Leitfollikeln von 18–
19 mm. 36 h später Follikelpunktion; Schwangerschaftsrate < 20 % pro
IVF. Zusätzliche GnRH-Gabe zur hypophysären Suppression.
15.4 Sterilitätsursachen und Therapie 565
Überstimulationssyndrom
Auftreten ca. 3–8 Tage nach HCG-Gabe. Spontane Rückbildung der Sympto
me ca. 3 Tage nach Einsetzen der Menstruation. Falls eine Schwangerschaft
eingetreten ist, können die Symptome über 6–8 Wo. persistieren (stationäre
Beobachtung über die gesamte Zeit!).
Einteilung in 3 Schweregrade:
• L eicht: Estradiolserumspiegel > 1.500 ng/l, Ovarialvergrößerung bis 5 cm
(Häufigkeit 8–23 %).
• M äßig: zusätzlich gespannte Bauchdecken, Übelkeit, Erbrechen (Häufig
keit 6–7 %).
• S chwer: Ovarialzysten > 5 cm, Aszites, Hydrothorax, Hämokonzentration
(HK > 45 %), Blutgerinnungsstörungen (Häufigkeit ca. 2 %).
Therapie:
• L eicht-mäßig: ambulante Versorgung bei kurzfristiger Kontrolle; An
strengung vermeiden, Verzicht auf GV (cave: Stieldrehung der Ovarien).
• M äßig-schwer: stationäre Aufnahme; tägl. BB, Hkt, E’lyte und Gerinnung
kontrollieren; Heparinisierung, Gewichtskontrolle (!), Einfuhr-/Ausfuhr
bilanz; E’lyte- und Flüssigkeitszufuhr, Humanalbumin, keine Diuretika.
! Thrombembolien (hoher Hkt?), Ovarialruptur (intraperitoneale Blutung,
Stieldrehung, Oligo- bis Anurie).
15.4.4 Zervixfaktor
Definition Zähflüssiger Zervixschleim kann zu einer gestörten Spermienpene
tration und dadurch zur Sterilität führen.
Physiologische Funktion 15
• A lkalischer Zervixschleim schützt Spermatozoen vor ungünstigem saurem
Scheidenmilieu.
• B ereitstellung energiereicher Substrate für die Spermatozoen.
• V erbesserung des Spermientransports in das Uteruskavum zum optimalen
Konzeptionszeitpunkt bzw. Hemmung des Transfers außerhalb der periovu
latorischen Phase.
• R eservoirfunktion für Spermien in den Zervixkrypten.
• S elektion zwischen normalen und abnormalen Spermien.
• Ö strogene erhöhen die Spermatozoenspeicherung durch vermehrte Mukus
produktion, Zunahme und Vergrößerung der Krypten.
Ätiologie
• Z ervixschleimproduktion ↓ durch mangelnde ovarielle Östrogenproduktion.
• M ukusunverträglichkeit (fraglich immunologisch bedingt durch Ak gegen
Spermien).
• D ysmukorrhö: ungenügende Mukusbildung der Zervix auf eine ausreichende
Östrogenproduktion (Risse, Narben, Z. n. nach Konisation).
• Inf. (Mykoplasmen, Chlamydien).
566 15 Sterilität
Diagnostik
• S permiogramm (▶ 15.2.8).
• K linische Untersuchung: Portiooberfläche (z. B. Risse, Narben), Zervixstrik
turen (z. B. Geburtstraumen).
• Z ytologie (▶ 13.2.3), Kolposkopie (▶ 13.2.2), Nativabstrich (▶ 11.2.3), Mikro
biologie (▶ 11.3) inkl. Suche nach Pilzen, Chlamydien, Mykoplasmen, Urea
plasma urealyticum.
• B ewertung des Zervixschleims (Zervixindex) nach Insler-Score (▶ 15.2.7).
• P CT oder PIT (▶ 15.2.9).
Metformin
Bromocriptin
Dexamethason
E2, LH
0 +1 +2 +3 +4 +5 +6 +7 +8 +9 +10 +11 +12 +13 +14
HCG I.E.
10 000
1500-5000
1500-5000
US: Ovulationskontrolle
HMG / FSH
*
Ovulation
Clomiphen HCG
o o o o o HCG HCG
US US US US US
Zysten-
aus- Follikulometrie
HCG
schluss
Zervix-Score +5 +7 +10
ICI E2,P E2,P E2,P
Menstruation PCT/PIT
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 Tage
15 Therapie
• K ortikoide: Bei Sperma-Ak z. B. Dexamethason 0,5 mg/d p. o. (z. B. Forte
cortin®).
• Ö
strogene: am besten lokal (z. B. Ovestin®-Vaginalzäpfchen 1 × 1 tägl.) ab
8. ZT bis zur Ovulation. Falls ohne Erfolg, Estradiol 1–3 × 2 mg/d p. o. vom
8.–12. ZT (z. B. Estradiol 2 mg Jenapharm®). Systemische Gabe kann kleine
LH-Peaks provozieren → Störung der zentralen ovariellen Stimulation!
• MG: Stimulation mit 2 × 75 IE/d i. m. vom 7.–11. ZT (z. B. Menogon®).
H
• omologe intrakavitäre Insemination (▶ 15.5.1) bei Dysmukorrhö und/oder
H
Sperma-Ak.
• ei Inf. Kolpitisther. (▶ 11.3.5).
B
Ursächlich hierfür sind Salpingitiden infolge aufsteigender Inf., z. B. bei Kol
pitis (häufigste Ursache). IUP, nach intrauterinen Eingriffen, p. p.; Endomet
riose; intramurale Polypen; Z. n. Laparotomie (v. a. bei Z. n. Appendektomie);
Tubenwinkelmyome; resorbierte Tubargraviditäten.
• T ubenmotilitätsstörungen bei peritubaren und/oder periovariellen Adhäsio
nen mit Störung des Eiabnahmemechanismus oder des Eitransports (hohe
Inzidenz von ca. 90 % nach Genital-Tbc → Migrantinnen aus Osteuropa/Afri
ka).
• U terine Fehlbildungen: z. B. Uterus bicornis, bicollis (▶ 18.7.4).
• Intrauterine Adhäsionen (Synechien, z. B. postop.), intrauterine Septen.
Diagnostik
• N achweis von Ovulationen (Sono), normalem Spermiogramm und pos. PCT.
• H ysteroskopie: sicherste Aussage über uterinen Faktor, Synechien, Septen
können in gleicher Sitzung entfernt werden.
• H ysterosalpingografie (HSG): gute Aussage über Uterusfehlbildungen, intra
uterine Tumoren (Myome), Lokalisation des Tubenverschlusses wegen Strah
lenbelastung und fehlender Aussage zu peritubaren Adhäsionen mit Hem
mung des Eiabnahmemechanismus selten indiziert. Besser:
• L aparoskopie mit Chromopertubation: Gute Aussage über Tubendurchgän
gigkeit, Adhäsionen im kleinen Becken, peritubare oder ovarielle Adhäsio
nen, Myome (außer submukös), Ovaranomalien, Endometriose.
Therapie Mikrochirurgische, rekonstruktive Sterilitätslaparotomie oder Laparo
skopie (▶ 15.5.5), hysteroskopische Septum- oder Myomresektion (▶ 15.2.11). In-
vitro-Fertilisation (▶ 15.5.2).
Etwa 50 % der sterilen Ehen sind durch männliche Fertilitätsstörungen be
dingt → Beurteilung des männlichen Partners gehört zur Primärdiagn. bei
15
einem sterilen Paar (> 1 J. Kinderwunsch ohne eingetretene Schwangerschaft
bei regelmäßigem GV). Die Betreuung des Mannes bei Sub- oder Infertilität
wird in der Andrologie bzw. bei andrologisch versierten Dermatologen
durchgeführt.
Ätiologie
• P rim. Hodenschaden: genetische Ursachen (z. B. Klinefelter-Sy.), Z. n. Orchi
tis, Intoxikationen (Blei, Kadmium), Medikamente (Zytostatika, Hormone),
Überwärmung des Hodens (Varikozele, Leistenhoden).
• S ek. Hodenschaden: HVL-Insuff., Hyperprolaktinämie.
• Störungen im Bereich der Samenwege: Stenose oder Verschluss, z. B. bei Z. n.
Adnexitis; retrograde Ejakulation.
Anamnese
• A
llgemeinerkr.: endokrine und stoffwechselbedingte Störungen, Diab. mell.,
Lebererkr., Hypertonie, Kinderkrankheiten (Mumpsorchitis), Hodenhoch
stand, Leistenhoden, Geschlechtskrankheiten, OP, Doping (Bodybuilding).
• erufsanamnese: Stress, Umweltschadstoffe (Strahlen, Lösungsmittel, Toxine).
B
568 15 Sterilität
• Hodenhypoplasie/-atrophie • Spermatozoen-Schwanzdefekte
• Varikozele • Relativer Androgenmangel
• Exogene Noxen: Nikotin, Medikamente, • Wärmeschäden (Varikozele, Fieber)
Toxine • Spermatozoen-Ak
• Erschöpfungsreaktion infolge gehäuften • Toxine, Medikamente (z. B. Nitrofu-
Koitus rantoin, Gentamicin), Adnexitis
• Stress, idiopathisch
Teratozoospermie Azoospermie
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
• Inspektion: Körperproportionen beachten mit Muskel- und Fettverteilung,
Kopf-, Bart-, Körper- und Genitalbehaarung, Genitalhaarbegrenzung (hori
zontal glatt → weibl., dreieckig zum Nabel ziehend, auf beide Oberschenkel
übergehend → männlicher Typ), Penis (Größe, Form); Phimose oder Fehlbil
dung (z. B. Hypospadie).
• P alpation: Lage, Größe, Konsistenz und Form von Hoden und Nebenhoden
(Größenbestimmung z. B. mit Orchidometer nach Prader), Untersuchung des
Skrotums → z. B. Varikozele (V.-spermatica-interna-Insuff.), Brustuntersu
15 chung (z. B. Gynäkomastie).
• R ektale Untersuchung mit Palpation der Prostata.
Spermauntersuchung
• P ostkoital-, Postinseminationstest ▶ 15.2.9, Spermaanalyse ▶ 15.2.8.
• P enetrak-Test: untersucht wird die Spermienmotilität in standardisiertem
Rinder-Zervikalschleim. Normal > 20 mm.
• M AR-Test (Mixed Antiglobulin Reaction Test): IgG-Ak-Bestimmung.
– Durchführung: 1 Tr. frisches Ejakulat wird auf Objektträger mit 1 Tr. IgG
beschichteter Latexpartikel und 1 Tr. Antiserum gegen menschliches IgG
vermischt. Durch die Latexpartikel kommt es bei Vorhandensein von Ak
zur Agglutination. Berechnet wird der prozentuale Anteil beweglicher
Spermatozoen, an denen Latexpartikel haften.
– Beurteilung: > 40 % → immunologische Infertilität wahrscheinlich. 10–
40 % → V. a. immunologische Infertilität. Bei pos. Ausfall wird ein spezifi
scherer Test durchgeführt.
• Mikrobiologische Untersuchungen: Bei V. a. Adnexitis (im Spermiogramm
vermehrt Bakterien, Leukos) entweder am frisch gewonnenen Ejakulat oder
am Prostatasekret (nach rektaler Prostatamassage).
• Immunologische Untersuchungen: Spermatozoen-Auto-Ak (IgA) im Serum
und Seminalplasma. Bei der Frau kann es als Infertilitätsursache zur Ausbil
15.4 Sterilitätsursachen und Therapie 569
Therapie
Die Therapieentscheidung richtet sich nach der funktionellen Diagn., die das 15
Spermiogramm ergibt, mit Ausnahme organischer Veränderungen, die operativ
zu korrigieren sind, oder Hormonmangelzuständen. Therapieziel ist die Verbesse
rung der Spermaqualität (Spermatozoendichte, -motilität, -morphologie). Aus
schalten von Noxen wie Medikamenten (s. o.) und fraglich Nikotin.
Medikamentöse Therapie
• A ndrogene: oral oder als Testosteron-Depotspritze. Ind.: Oligozoospermie,
Teratozoospermie.
• A ntiöstrogene: Clomifen 25–50 mg/d p. o. (z. B. Clomifen ratiopharm®) mit
Pausen über 6–12 Mon. oder Tamoxifen 20 mg/d p. o. (z. B. Tamoxifen AL®)
über 6–10 Mon. Ind.: Oligozoospermie.
• K ortikosteroide: Prednisolon 5 mg/d p. o. (z. B. Decortin® H), Partnermitbe
handlung. Ind.: immunologisch bedingte Sterilität.
• G onadotropine: parenterale Applikation von FSH und LH. Ind.: nachweislich
herabgesetzte FSH- und LH-Produktion.
Operative Therapie
• V erschluss der Samenwege: Op. Wiederherstellung der Durchgängigkeit. Die
besten Ergebnisse werden durch Refertilisierungs-OP bei Z. n. Vasektomie er
reicht.
570 15 Sterilität
• V
arikozele: hohe Ligatur der V. spermatica interna oder Versuch der Sklero
sierung bei der Phlebografie.
Insemination (▶ 15.5.1); ICSI (▶ 15.5.3).
Indikationen
• I nadäquater Zervixschleim: Dysmukorrhö, Sperma(-Auto)-Ak, mehrfach
neg. PCT, Z. n. Konisation.
• R eduzierte Spermaqualität: Oligo-, Astheno-, Teratospermie, Hyper-, Hypo
volämie.
• S permadeponierungsstörungen: Genitalfehlbildungen, Impotentia coeundi,
Vaginismus.
15 • U ngeklärte Sterilität.
Inseminationstechnik (ambulante Durchführung)
Intrauterine Insemination (ICI/IUI)
Einstellung der Portio; Anhaken der Portio vermeiden (nur bei starker Ante-
oder Retroflexio oder Zervixstenose erforderlich, extrem selten). Steriles Einfüh
ren eines Inseminationskatheters (Embryotransferkatheter [teuer!], alternativ:
Genauso gut NG-Ernährungssonde [wesentlich preiswerter] oder wiederver
wendbare starre Knopfkanülen [nicht empfehlenswert, häufig Irritation des En
dometriums]). Der Katheter wird in das Cavum uteri bis in den Fundus zart vor
geschoben, wo das Spermakonzentrat (Volumen 0,1–0,5 ml!) ausgespült wird.
US-Lagekontrolle (transabdominal) des Katheters bei voller Blase möglich, aber
nicht obligat.
Volle Harnblase streckt den Uterus, somit ist die Penetration des CK zur
Insemination problemlos möglich. Anschließend 30 Min. Beckenhochlage
rung. Risiko aufsteigender Inf. 0,5 %.
15.5 Spezielle therapeutische Maßnahmen 571
Intrazervikale Insemination
Die Splitejakulatfraktion oder ein Teil des Ejakulats wird mit Inseminationskathe
ter oder Knopfkanüle in den CK eingebracht, ohne dass der innere Muttermund
überschritten wird.
Portiokappe (z. B. nach Fikentscher und Semm)
Sie wird durch Unterdruck an der Portio gehalten. Über einen Kunststoffschlauch
wird ein Unterdruck erzeugt und das Ejakulat in die Portiokappe gespült. ½ h Be
ckenhochlagerung. Nach 6 h kann die Kappe von der Frau nach Ausgleich des
Unterdrucks durch Öffnen des Schlauchs problemlos entfernt werden.
Das Ejakulat sollte nach 3–5 Tagen Karenz in einem sterilen Gefäß aufgefan
gen werden. Umgehende Weiterverarbeitung unmittelbar nach der Verflüs
sigung. Sperma warm halten.
Spermawaschung
Zentrifugation des Gesamtejakulats mit 200 G für 10 Min. nach Vermischung mit
Kulturmedium im Verhältnis 1 : 1 bis 1 : 3; Resuspension des Pellets in einer klei
nen Menge frischen Kulturmediums. Diesen „Waschprozess“ 2- bis 3-mal wieder
holen. Dadurch erreicht man eine Spermienkonzentrierung ohne qualitative Eja 15
kulatverbesserung. Lediglich die mikrobiologische Kontamination des Ejakulats
wird durch das antibiotikahaltige Kulturmedium reduziert.
„Swim-up“
Spermienselektion, indem die Spermien durch Eigenbewegungen aus dem Pellet
in frisches Kulturmedium aufschwimmen. Nach vorheriger Zentrifugation und
oben beschriebener Waschung werden die sedimentierten Spermien mit 0,3–
0,5 ml frischem Medium überschichtet und für 30–60 Min. bei 37 °C inkubiert.
Der pipettierte Überstand enthält fast ausschließlich motile und morphologisch
intakte Spermien (fast ohne andere zelluläre Bestandteile). Nachteil: hoher Sper
mamengenverlust (bis 90 %).
Filtration durch Glaswolle
15 mg Glaswolle werden in einer Tuberkulinspritze zunächst mit 3 ml Kulturme
dium durchgespült. Bei anschließender Passage des Ejakulats bleiben avitale und
membrandefekte Spermien an der Glaswolle hängen. Vorteil: schnell durchführ
bar, Spermaverluste ca. 70 %, Steigerung der motilen Zellen, Reduktion der Visko
sität. Nachteil: keine vollständige Beseitigung der zellulären und azellulären Eja
kulatpartikel.
572 15 Sterilität
Splitejakulat
Gewinnung des Ejakulats in 2 oder 3 Fraktionen, wobei die 1. Fraktion meistens
bis zu 90 % der Gesamtspermazahl bei geringer Prostaglandinkonzentration und
Viskosität enthält (in 6 % enthält 2. Fraktion die höchste Spermien-Konz.). Split
ejakulate sind wegen ihres hohen Prostaglandinanteils nicht für die intrauterine
Insemination geeignet!
Voraussetzung
• N ormaler Uterus und Ovarien, Lebensalter bis 40 J. (GKV-Leistung).
• S permiogramm → Mindestparameter: Vol. 1 ml, Anzahl 10 Mio./ml, 15 %
progressiv beweglich, Morphologie zu 30 % normal.
• Th
erapie nur im homologen System.
• N
eg. HIV-Test bei beiden Partnern.
Indikationen
Tubare Sterilität (etwa 67 %; nach Gesetzeslage erst nach Fertilitäts-OP), androlo
gische Sterilität (etwa 24 %), Endometriose, „idiopathische“ Sterilität (etwa 8 %,
15 Schwangerschaft tritt auch nach konservativer Kindeswunschbehandlung nicht
ein), Überprüfung der Fertilisationsfähigkeit von Eizellen und Spermatozoen, im
munologische Sterilität. In Deutschland wird IVF nur bei verheirateten Paaren
von der gesetzlichen Krankenkasse partiell erstattet, Ausnahmegenehmigung für
unverheiratete Paare möglich, bei LÄK erkundigen.
Komplikationen
• S timulation: funktionelle Ovarialzysten (▶ 14.7), Gefahr der Stieldrehung,
Überstimulationssy. (▶ 15.4.3).
• T ransvag. Follikelpunktion: Organverletzung (Harnblase, Darm), Verletzung
von Blutgefäßen mit intraabdominalen Blutungen, Inf. mit Abszessbildung
und Peritonitis (extrem selten).
Langprotokoll
▶ Abb. 15.10. Vor Anwendung 1 Mon. Ovulationshemmer (z. B. Diane ®
35). Häu
figste Anwendung. Hypophyse wird vor HMG-Stimulation durch GnRH-Analo
ga-Gabe „entleert“, sodass keine vorzeitigen Ovulationen durch spontane LH-
Ausschüttung der Hypophyse auftreten (vorzeitige Ovulationen ohne Down-Re
gulierung in 20–30 % d. F.!). Weiterer Vorteil: Synchronisation der Follikelreifung.
15.5 Spezielle therapeutische Maßnahmen 573
E2<25; ø Zyste
Menstruation
Sono, E2 Sono, E2/Progesteron
20. 21 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
ZT Zyklustage
• O
vulationsauslösung mit 10.000 IE HCG (z. B. 2 Amp. Brevactid® 5.000): bei
mehr als 3 Follikeln > 18 mm Durchschnittsgröße bzw. E2-Wert ≥ 1.000 ng/l
(ein sprungreifer Follikel produziert ca. 300–400 ng/l E2).
Follikelpunktion (FP)
Optimaler Punktionszeitraum 34–36 h nach HCG-Gabe, als transvag. FP. Einfüh
ren des Vaginalschallkopfes (5 MHz) mit Punktionsvorrichtung und Einstellung
eines möglichst kurzen Punktionsweges des zu punktierenden Ovars. Einbringen
der Nadel durch einen schnellen Stoß vom Douglas-Raum aus in den jeweiligen
Follikel vom gleichen Einstich aus. Sedierung ausreichend, z. B. Flunitrazepam
1 mg p. o. (z. B. Rohypnol® 1 Tbl.). Eine laparoskopische FP unter Intubationsnar
kose ist seltenen Indikationen (z. B. erheblicher Verwachsungssitus) vorbehalten.
Kultivierung
Noch während der FP werden die ersten Punktate auf Eizellen unter dem Mikro
skop untersucht und mit dem zwischenzeitlich aufbereiteten Sperma (▶ 15.5.1) in
Nährkulturmedium gegeben. Nach 16–20 h können Vorkerne mikroskopisch
dargestellt werden. Falls mehr als 3 Eizellen befruchtet wurden, werden max.
3 Zygoten in frischem Medium weiter inkubiert und zu Embryonen entwickelt.
Da die Kryokonservierung von Embryonen in Deutschland verboten ist, können
die übrigen Eizellen im Pronukleusstadium zur Verwendung in einem späteren
Zyklus tiefgefroren werden.
Embryotransfer (ET)
40–72 h nach der FP werden max. 3 Embryonen und Kulturmedium über einen
speziellen Transferkatheter unter sterilen Kautelen in das Uteruslumen einge
spült. Anschließend muss unter dem Mikroskop ausgeschlossen werden, dass
Embryonen am Katheter haften blieben. Die Pat. verbleibt noch ca. 3 h in Rücken
lage und kann dann nach Hause gehen.
15 Lutealphasensubstitution
Aufgrund der GnRH-Behandlung kommt es auf jeden Fall zu einer Lutealphasen
insuff. (LPI), da die Hypophyse das Corpus luteum nicht stimulieren kann (aber
auch sonst ist die LPI häufig). Am Tag des ET 5.000 IE HCG i. m. (z. B. Brevactid®
5000), innerhalb der nächsten 14 Tage in 3- bis 4-tägigen Abständen 1.500 IE
HCG i. m. (z. B. Brevactid® 1500). Weiterhin tägl. vag. 3 × 2 Kps. Progesteron
100 mg (z. B. Utrogest®) oder 3 × 2 Einzeldosenapplikationen eines Progesteron-
Vaginalgels 90 mg (z. B. Crinone® 8 %).
Kurzprotokoll
▶ Abb. 15.11. Die durch die GnRH-Gabe erhöhte Gonadotropinsekretion (Flare-
up-Effekt) wird zur Follikelstimulation genutzt. Ab dem 1. ZT bei LH > 7 IE/l ab
5. ZT Nafarelin 2 × 0,2 mg/d (z. B. 2 × 2 Hübe Synarela®) bis zur Ovulationsinduk
tion verabreichen. Ansonsten Stimulationsther. mit HMG oder FSH und weiteres
Vorgehen wie im „Langprotokoll“. GnRH-Analoga-Gabe bis zur Ovulationsin
duktion.
15.5 Spezielle therapeutische Maßnahmen 575
36 h 48-72 h serolog.
HCG-
Kontrollen
GnRH-Analoga tägl. nasal 2 x 2 Hübe Nafarelin
Menstruation
Sono, E2 Sono, E2/Progesteron
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Zyklustage
Komplikationen
• S timulation: funktionelle Ovarialzysten (▶ 14.7), Gefahr der Stieldrehung,
Überstimulationssy. (▶ 15.4.3).
• T ransversale Follikelpunktion (extrem selten): Organverletzung (Harnblase,
Darm), Verletzung von Blutgefäßen mit intraabdominalen Blutungen, Inf.
mit Abszessbildung und Peritonitis.
Intratubare Implantationsverfahren wie die GIFT (Gamete Intrafallopian Trans
fer) oder der intratubare Embryotransfer haben inzwischen ihre Bedeutung verlo
15
ren.
Vorgehen
• S timulation und Gewinnung der Eizellen wie bei IVF nach Lang- oder Kurz
protokoll (▶ 15.5.2).
• G abe der Eizellen in ein spezielles Nährmedium; die die Eizelle umgebenden
Kumuluszellen werden enzymatisch und die die Eizelle umschließende Coro
na radiatio wird unter mikroskopischer Kontrolle mechanisch entfernt.
• Inkubation nach mehrfachem Waschen im Nährmedium.
• M ikroinjektion des frisch gewonnenen oder kryokonservierten Spermas bei
Körpertemp. Die Eizelle wird mit der Haltepipette angesaugt und zur Injekti
on mit der eigens hergestellten Glaspipette festgehalten. Bei 200-facher Ver
größerung wird ein Spermatozoon in das Zytoplasma der Eizelle eingespült.
• W eiterbehandlung wie bei IVF (▶ 15.5.2).
Bilaterale Aplasie des Ductus deferens gehäuft bei Konduktoren der zysti
schen Fibrose. Bei Homozygotie des Paares zystische Fibrose des Kindes.
Deshalb genetische Beratung und Untersuchung des Paares Voraussetzung
für MESA und TESE.
• U
nbehinderte Tubenpassage.
• V
ermeiden erneuter operationsbedingter Verwachsungen (ungehinderter Ei
abnahmemechanismus).
Durchführung Mikrochirurgisches Vorgehen mit Lupe oder OP-Mikroskop; Si
lasticplatte zum Schutz vor Austrocknung der Organe des kleinen Beckens; konti
nuierliche Spülung des OP-Gebiets mit Ringer-Laktat; exakte Blutstillung mittels
Hochfrequenzmikroelektrode; Verwendung feinsten Nahtmaterials (6/0 oder 8/0
Vicryl oder Nylonfäden).
Ergebnisse
• G eburtenrate: ca. 20 %.
• T ubargraviditäten: ca. 8,6 %.
• A bortrate: ca. 4,0 %.
• R efertilisierungsrate (nach Sterilisation): bis zu 50 %!
15
16 Kontrazeption
Kay Goerke
Pearl-Index
Dient zum Vergleich der Versagerquoten unterschiedlicher kontrazeptiver Maß-
nahmen: Zahl der ungewollten Konzeptionen pro 1.200 Anwendungsmon. (sog.
100 Frauenjahre).
Tubenligatur < 0,2
Pille 0,2–0,5
Depotgestagene 0,5
Zykluscomputer 0,7–6
Hormonpflaster 0,9
Morning-after-Pill 1
Temperaturmethode 1–3
IUP 2
Diaphragma + Spermizid 2
Minipille 3
Kondom 3–3,6
Diaphragma 5
16 Spermizide 8–36
Vaginalschwamm 15
Billings-Methode 20–25
Die periodische Enthaltsamkeit ist nur bei weitgehend stabilem Zyklus der
Frau praktikabel. Da bei den meisten Frauen die Zykluslänge leicht schwankt,
sollten zur Berechnung der fruchtbaren und unfruchtbaren Tage Aufzeich-
nungen über 12 Menstruationszyklen herangezogen werden.
Berechnung
Die Zeit der Abstinenz ist bei Knaus 3 Tage kürzer als bei Ogino, was zwar
eher zumutbar erscheint, aber dafür mit einer etwas geringeren Sicherheit
einhergeht (Pearl-Index 15–20). Keine NW oder KI.
Ogino
Ovulation zwischen dem 16. und 12. Tag vor Einsetzen der darauffolgenden
Menstruation. Nimmt man eine max. Lebensdauer der Spermien von 3 Tagen an,
ergibt sich eine fertile Phase vom 19. bis12. Tag vor der nächsten Menstruation.
Knaus
Ovulation am 15. Tag vor der darauffolgenden Menses. Fertile Phase: Zeitraum
von 3 Tagen vor bis 1 Tag nach der Ovulation. Auf der Basis von 12 Menstruati-
onszyklen ergibt sich daraus folgende Berechnung:
16.1.2 Temperaturmethode
°C
37,3
unfruchtbar sicher unfruchtbar
Anstieg
Konzeptionsoptimum
37,2
37,1
37,0
36,9
36,8
Temp.-
36,7
Menstruation
36,6
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28
Zyklustage
WHO-Definition (1966)
Signifikanter Temperaturanstieg, wenn Temperatur an 3 aufeinanderfolgen-
den Tagen um mind. 0,2 °C höher liegt als an den vorangegangenen 6 Tagen.
Ovulation durchschnittlich 0–2 Tage vor Temperaturanstieg.
16.1.3 Billings-Methode
Prinzip Die durch den präovulatorischen Estradiolanstieg bedingte Zunahme
der zervikalen Sekretion wird von manchen Frauen als verstärkter klarer Fluor
empfunden und als „Ovulationsindikator“ benutzt.
Durchführung Sexuelle Abstinenz an Tagen, an denen Abgang von flüssigem
Zervixschleim aus der Vagina beobachtet wird, einschließlich 4 Tage nach max.
Schleimabgang.
Bewertung
• Vorteile: ▶ 16.1.2, Temperaturmethode.
• Nachteile:
– Ovulation auch bei insuff. Zervixschleimproduktion möglich (▶ 15.4.3).
– Vermehrter Mukus auch bei anovulatorischem Zyklus (z. B. Follikelper-
sistenz), Beurteilung durch vag. Fluor und Ejakulat erschwert.
• Zuverlässigkeit: hoher Pearl-Index von 20–25.
16.1.5 Zykluscomputer
Prinzip Nachweis von Östrogen und Lutealhormon im Urin mittels Teststreifen
→ unfruchtbare und fruchtbare Tage werden angezeigt. Pearl-Index 0,7–6.
Kontraindikationen Die Methode ist ungeeignet für Frauen:
• die in den letzten 3 Mon. entbunden bzw. gestillt haben, 16
• mit endokrinen Störungen,
• innerhalb der ersten 3 Mon. bei einem Wechsel von oralen Kontrazeptiva auf
computergestützte Empfängnisverhütung.
Anwendung Der 1. Tag der Periode wird in den Computer eingegeben. An-
schließend werden jeden Tag die fruchtbaren bzw. die unfruchtbaren Tage ange-
zeigt. An fraglich fruchtbaren Tagen muss mittels eines Teststreifens der Morgen-
urin geprüft werden.
Geräte Persona®, Baby-Comp® und Lady-Comp®.
Bewertung Ein Nachteil der Methode ist die relativ umständliche Handhabung,
zudem ist sie relativ teuer. Relativ unsichere Methode. Besser geeignet für Frauen
mit Kinderwunsch zur Bestimmung der fertilen Zyklusphase.
584 16 Kontrazeption
• Relativ: Alter < 20 J. (Gefahr der Subfertilität durch aufsteigende Inf.), Z. n.
Extrauteringravidität (EUG).
– Lokal: narbige Zervixstenose, Hypermenorrhö.
Klf_Gyn/5_16.04
– Systemisch: Blutgerinnungsstörungen, anamnestisch rheumatische Endo-
karditis, Diab. mell., Anämie, immunsuppressive
1 Ther.
2
11 2 33 4
4
Nebenwirkungen
• Blutungsanomalien: In 5–20 % muss das IUP während des 1. J. wegen Blutun-
gen gezogen werden. Nach dem 1. J. erhebliche Abnahme dieser KO.
• Genitalinf.: Endomyometritis, Adnexitis (Adnexitisinzidenz von 3,4 auf 5,2
pro 100 Frauenjahre erhöht).
• IUP-Expulsionen: Etwa 5 von 100 IUP-Trägerinnen pro Jahr (am häufigsten
während der ersten beiden Zyklen, Nullipara > Multipara).
• EUG: Inzidenz auf 4 % gegenüber 0,8 % bei Normalkollektiv erhöht.
• Perforation: etwa 1/1.000 Insertionen. Bei Perforation in die freie Bauchhöhle 16
muss IUP wegen des Risikos schwerer Darm-KO entfernt werden → „lost IUP“.
• Vasovagale Reaktion bei der Insertion (Bradykardie, RR-Abfall).
Bewertung
• Vorteile: hohe Zuverlässigkeit, keine systemische Wirkung, Reversibilität,
unabhängig vom Geschlechtsverkehr, für Pat. weitgehend „wartungsfrei“ (mit
Ausnahme halbjährlicher Kontrollen).
• Nachteile: erhöhte Infektionsrate, Hypermenorrhö, evtl. Zwischenblutungen.
• Zuverlässigkeit: Pearl-Index 2.
Intrauterine Gravidität bei liegendem IUP
Wird das IUP belassen und die Schwangerschaft ausgetragen, ist mit folgenden
KO zu rechnen:
• Bis 50 % Spontanabortrate (max. im 2. Schwangerschaftstrimenon).
• Infektionsrisiko erhöht.
588 16 Kontrazeption
Postkoitale IUP-Insertion
Wirkt durch Nidationshemmung.
Anwendung Einsetzen des IUPs bis max. 5 Tage nach dem vermuteten Eisprung
(unabhängig von zwischenzeitlicher GV-Häufigkeit).
Bewertung
• Vorteile: keine Übelkeit, keine Zyklusstörungen, auch bei KI gegen Hormone
möglich.
• Nachteile: Gefahr der Induktion einer Adnexitis.
• Zuverlässigkeit: > 95 %.
Intrauterinsystem (IUS, Mirena®)
Besteht aus einem T-förmigen Kunststoffkörper, ummantelt mit einem Levonor-
gestrel (LNG) enthaltenden (52 mg) Hormonzylinder.
Prinzip Lokale Uteruswirkung: Die kontinuierliche LNG-Freisetzung wirkt
nicht systemisch, der Zyklus wird weiterhin von der ovariellen Steroidhormon-
synthese bestimmt, sodass Mirena® nicht wie die Minipille (▶ 16.3.2) wirkt.
• Progesterontypische Wirkung auf den Zervixmukus: Niedrige Viskosität
hemmt die Spermienaszension (▶ 15.2.7).
• Suppression der Endometriumproliferation (Nidationshemmung).
• Hemmung der Spermienmotilität in Uterus und Tuben.
Anwendung Die Mirena®-Einlage sollte frühestens 6 Wo. p.p. erfolgen, da die
Insertion unmittelbar p. p. (auch post sectionem) mit einer hohen Ausstoßungs-
16 rate verbunden ist. Die IUS-Einlage nach Interruptio ist nicht mit einer erhöhten
KO-Rate verbunden. Postkoitale Insertion zur Kontrazeption im laufenden Zyk-
lus nicht sinnvoll, da keine ausreichende Nidationshemmung.
Kontraindikationen
• Absolute: nicht bekannt.
• Relative: narbige Zervixstenose nach OP (Konisation, Geburtstrauma).
• Für junge Nulliparae bzw. für Frauen mit Uterusatrophie ist Mirena® nicht die
Methode der ersten Wahl, bei KI anderer sicherer Methoden aber möglich.
Nebenwirkungen
• Schmierblutungen in den ersten 3–6 Mon. bei gleichzeitiger Reduktion der
Menstruationsstärke und -dauer.
• EUG: Inzidenz deutlich seltener als bei IUP, liegt bei ca. 2 %.
• Kosten werden nicht von den GKV übernommen (wie bei allen kontrazepti-
ven Maßnahmen bei Pat. jenseits des 20. Lj).
16.2 Mechanische und chemische Verhütungsmethoden 589
Bewertung
• Vorteile:
– Extrem hohe Zuverlässigkeit: höchste Sicherheit aller reversiblen Metho-
den, entspricht der Sicherheit der Sterilisation.
– Volle Reversibilität.
– Reduktion der Blutungsstärke (gerade bei Frauen mit Hypermenorrhö,
z. B. auch unter IUP).
– Sichere Kontrazeption über 5 J. nach Insertion, ohne weitere Maßnahmen.
– Deutlich seltener aszendierende Genitalinf. durch zähflüssigen Zervix-
schleim.
– Amenorrhö bei 10–20 % innerhalb von 3 J.
– Schwangerschaftseintritt ca. 30 Tage nach Entfernung möglich.
• Nachteile:
– Einlage mit der Insertionshilfe gewöhnungsbedürftig.
– Höhere Kosten initial, monatl. Kosten etwa identisch mit Cu-IUP oder OH.
Das Kondom verhindert die Ejakulation des Samens in Vagina und Zervix.
Auch mechanischer Schutz gegen verschiedene Infektionskrankheiten (z. B.
AIDS).
16
Anwendung
• Das Kondom bereits zu Beginn des GV über den erigierten Penis stülpen.
• Beschädigung (z. B. durch Fingernägel) vermeiden.
• Keine Wiederverwendbarkeit desselben Kondoms.
• Entfernung des Penis aus der Vagina in noch erigiertem Zustand unter Fest-
halten des Kondoms.
Bewertung
• Vorteile:
– Gute Zuverlässigkeit bei korrekter Anwendung.
– Keine systemischen NW, keine KI.
– Leicht zu beschaffen (Kondome sollten jedoch wegen der besseren Lage-
rung in Apotheken gekauft werden).
– Einbeziehung des männlichen Partners in die Empfängnisverhütung.
590 16 Kontrazeption
Wenn das Kondom während der Kohabitation (Koitus) platzt, sollte eine
postkoitale Kontrazeption (IUP-Insertion, „Morning-after-Pill“) erwogen
werden (▶ 16.3.3).
16.2.5 Lea®-Kontrazeptivum
Prinzip Intravag. Pessar (▶ Abb. 16.4) aus weichem Silikon, das die Spermienas-
zension verhindert. Höhere Sicherheit in Verbindung mit Spermizid-Creme.
Anwendung Nach Einreiben mit Spermizid wird das Kontrazeptivum von der
Frau selbst vor dem Verkehr in der Scheide vor dem Muttermund platziert. Dort
kann es bis zu 48 h verbleiben.
Kontraindikationen Scheidenfehlbildungen, Uterus duplex, Allergie gegen Sili-
kon.
Bewertung Pearl-Index 2,9, mit Spermizid 2,2.
16.2.6 Spermizide
Prinzip Schaum, Tbl., Zäpfchen, Cremes oder Gele, die Spermien immobilisie-
ren, abtöten und das Eindringen der Spermien in den Zervixkanal verhindern.
Die Spermizide werden zwar zu einem geringen Teil über die Vagina resorbiert,
systemische Effekte sind aber nicht nachweisbar. Obwohl Einzelbeobachtungen
über fetale Fehlbildungen nach Anwendung von Spermiziden vorliegen, besteht
aufgrund großer Untersuchungen kein Anhalt für einen teratogenen Effekt.
16 Anwendung Vag.-Ovula, -Tbl. und -Zäpfchen sollen 10 Min. vor dem Verkehr
in die Scheide eingeführt werden. Gele und Cremes werden mithilfe eines Appli-
kators intravag. appliziert. Ejakulation sollte möglichst innerhalb der nächsten
60 Min. stattfinden.
Bewertung
• Vorteile: keine systemischen NW, leichte Handhabung, Reversibilität, An-
wendung nur, wenn auch wirklich eine Kontrazeption benötigt wird.
• Nachteile: störendes Wärmegefühl in der Vagina, Manipulation kurz vor
dem Geschlechtsverkehr, selten vaginale Reizerscheinungen.
• Zuverlässigkeit: Pearl-Index 8–36.
Präparate Spermizide Cremes sind derzeit in D nur noch als Reimporte über die
Apotheke erhältlich (z. B. Ortho-Creme® aus Großbritannien).
16.2 Mechanische und chemische Verhütungsmethoden 591
16.2.7 Sterilisation
Eine op. Sterilisation sowohl der Frau als auch des Mannes sollte nur dann in
Erwägung gezogen werden, wenn eine irreversible Kontrazeption gewünscht
wird. In jedem Fall ist eine ausführliche Aufklärung der Pat. über mögliche
Risiken des Eingriffs sowie die Versagerquote und eine schriftliche Einwilli-
gung erforderlich.
Wie alle kontrazeptiven Maßnahmen ist auch die Sterilisation keine Leistung der
gesetzlichen Krankenkassen und wird nur in Ausnahmefällen bei medizinischer
Indikation auf Antrag übernommen. Bei erneutem Kinderwunsch (z. B. neuer
Partner) zahlt die Kasse keinerlei Kinderwunschbehandlung oder Refertilisation.
Prinzip Verhinderung des Eitransports vom Ovar ins Cavum uteri und damit
des Zusammentreffens von aszendierenden Spermien mit dem befruchtungsfähi-
gen Ei. Der Eingriff sollte in der 1. Zyklushälfte durchgeführt werden, um einer
Lutealgrav. (schon eingetretenen) Befruchtung vorzubeugen.
Indikationen Wunsch nach endgültiger Empfängnisverhütung bei definitiv ab-
geschlossener Familienplanung. Aus rein kontrazeptiven oder medizinischen
Gründen (schwere Varikosis, Nikotinabusus bei > 35 Lj, OH-Unverträglichkeiten,
Hypertonus u. a.). Cave: zurückhaltende Ind. bei Pat. < 30 Lj!
592 16 Kontrazeption
Refertilisierung
Die Refertilisierung ist nur mittels mikrochirurgischer OP-Verfahren möglich 16
(End-zu-End-Reanastomosierung oder Tubenreimplantation). Die Refertilisie-
rungsrate steht in direktem Zusammenhang mit der nach Anastomosierung er-
reichbaren Tubenlänge. Die Schwangerschaftsrate liegt bei 40–50 % nach Tuben-
koagulation, aber bis zu 83 % nach Clipsterilisation.
16 Präparate
Die Kombinationspillen bestehen aus einer östrogenen und einer gestagenen
Komponente. Variationen entstehen durch:
Unterschiedliche Derivate
• Östrogene Komponente: Ethinylestradiol oder Mestranol. Beide sind Deriva-
te des stärksten natürlichen Östrogene, des Estradiols.
• Gestagene Komponente: Lynestrenol, Norethisteronacetat, Norgestimat, No-
rethisteron, Cyproteronacetat, Levonorgestrel, Norgestrel, Chlormadinonace-
tat, Gestoden, Desogestrel.
Dosierung
Die Ethinylestradioldosis schwankt zwischen 20 und 50 μg, die des Mestranols
zwischen 50 und 100 μg. Die Dosierung des Gestagens ist variabel und hängt von
der Potenz der jeweiligen Substanz ab (▶ Abb. 16.4).
16.3 Hormonelle Kontrazeption 595
Nebenwirkungen
• Hypertonus: Inzidenz, bei vorbestehendem labilen Hypertonus unter OH-
Einnahme eine manifeste Hypertonie zu entwickeln, liegt bei 5 %.
• Glukosetoleranz vermindert, aber keine erhöhte Diabetesinzidenz.
• Gefäßerkr.: Thrombembolien, Apoplexie, Koronarangiopathien.
• „Post-Pill-Amenorrhö“ = Oversuppression-Sy. 1–1,5 %.
• Bei kombinierten oralen Kontrazeptiva KOK mit niedrigem Estrogengehalt
(< 50 μg Ethinylestradiol) wird das Thrombembolierisiko vom Gestagenbe-
standteil beeinflusst. Für KOK der zweiten Generation mit Levonorgestrel
VTE-Häufigkeit 20 Fälle pro 100.000 Frauen pro Jahr, bei den KOK der drit-
ten Generation mit Gestoden oder Desogestrel VTE-Häufigkeit bis zu 40 Fäl-
len pro 100.000 Frauen pro Jahr.
Bewertung
• Vorteile:
– Höchste erreichbare Sicherheit, Reversibilität der Kontrazeption.
– Keine Vorbereitungshandlungen vor dem sexuellen Kontakt erforderlich.
– Meist gute Verträglichkeit und Akzeptanz.
– Ohne Bedenken bei jungen Mädchen und Nulliparae anwendbar.
– Nützliche NW oben.
• Nachteile:
– Tägl. Einnahme erforderlich.
– Zyklusstörungen möglich (v. a. während der ersten drei Anwendungs-
mon.).
– KI und unerwünschte NW oben.
• Zuverlässigkeit: Pearl-Index 0,2–0,5.
Spezielle Fragen zur OH-Einnahme
Was tut man bei:
• Zwischenblutungen:
– Postmenstruell: Verordnung von Sequenzpräparaten.
– Prämenstruell: östrogenbetonte Präparate.
– Mittzyklisch: Ethinylestradiol 25–50 μg/d p. o., zusätzlich über 4–6 Tage
(z. B. Ethinylestradiol 25 μg Jenapharm®), beginnend 2 Tage vor dem ZT,
an dem normalerweise die Zwischenblutungen auftreten.
• Chloasma: abendliche Pilleneinnahme, sodass höchste Steroidhormon-Kon-
zentrationen nachts auftreten; evtl. Sonnencreme mit Lichtschutzfaktor.
• Übelkeit: OH abends nach dem Essen einnehmen.
• Reduzierte Libido: Präparatwechsel auf östrogenreichere Pille (z. B. Neo-Eu-
nomin®).
• Gewichtszunahme: Wechsel auf Präparat mit niedrigerem Östrogengehalt .
• Brustspannen: Präparatwechsel auf gestagenbetonte Pille (z. B. Marvelon®).
• Ausbleiben der Abbruchblutung trotz regelmäßiger Pilleneinnahme:
– nach Ausschluss einer Grav. Fortsetzung der Pilleneinnahme nach übli-
cher (i. d. R. 7-tägiger) Pillenpause.
– Übergang auf ein östrogenbetonteres Präparat, falls das Ausbleiben der
Blutung als störend empfunden wird.
Tipps beim Präparatwechsel 16
Umsteigen von höher auf niedriger dosiertes Präparat → Einnahmebeginn am
1. Tag der Periodenblutung (kürzeres pillenfreies Intervall, z. B. nur 2 Tage).
Umsteigen von einem niedrig dosierten auf ein höher dosiertes Präparat → 7-tägige
Einnahmepause kann eingehalten werden.
Menstruationsverschiebung
Am besten mit Ein-Phasen-Präparaten:
• Vorverlegen: Pille max. 7 Tage vor Beginn der Pillenpause absetzen → 2–3 Ta-
ge später Entzugsblutung.
• Hinausschieben: Fortsetzen der Pilleneinnahme mit der 2. Packung ohne Pil-
lenpause; bei Sequenzial-, Phasen- und Stufenpräparaten (s. o.) ist nur die
2. Hälfte der Pillenpackung (mit Östrogen- und Gestagenanteil) geeignet.
Cave: Drei-Phasen-Präparate sind zur Menstruationsverschiebung nicht zu
empfehlen.
598 16 Kontrazeption
Depotgestagene
Prinzip Über eine Veränderung der pulsatilen Gonadotropinausschüttung kommt
es zur Ovulationshemmung, allerdings weniger ausgeprägt als unter den oralen OH.
Daher bleibt endogener Östrogenspiegel ausreichend hoch. Daneben bewirken sie
eine Transformation des Endometriums und verändern den Zervixschleim.
Kontraindikation Schwangerschaft, schwere arterielle Erkr., unklare genitale
Blutungen, aktive Lebererkr.
Anwendung Die Präparate werden während der ersten 5 ZT in 2- oder 3-monatl.
Abständen i. m. (frühestens 4–5 Wo. p.p.) bzw. alle 3 J. s. c. (z. B. li Oberarm) in
Lokalanästhesie verabreicht.
Präparate Im deutschsprachigen Raum stehen lang wirksame Depotgestagene
nur in mikrokristalliner oder öliger Injektionsform bzw. als über 3 J. wirkendes
Langzeit-Gestagenstäbchen (Implanon®) von 40 × 2 mm Größe zur Verfügung:
• Medroxyprogesteronacetat (MPA) 150 mg (Depo-Clinovir® 150) und
• Norethisteronenanthat 200 mg (Noristerat®).
• Etonogestrel 68 mg (Implanon®).
Bewertung
• Vorteile: Hohe Verlässlichkeit, Verminderung von Dysmenorrhö, Adnexiti-
den, epileptischen Anfällen, fraglich auch Migräne, keine Hemmung der Lak-
tation, auch bei Diab. mell. oder Hypertonus anwendbar.
• Nachteile: Oft erhebliche Zyklusunregelmäßigkeiten über einen langen Zeit-
raum (Schmierblutungen, sehr selten Amenorrhö), Gewichtszunahme, Kopf-
schmerzen, Libidoverlust, Depressionen, Akne, Seborrhö, verzögertes Einset-
zen der Fertilität (aufgrund einer Kumulierung des Gestageneffekts bis 1–2 J.
nach Absetzen des Präparats), selten Galaktorrhö. Entfernen von Implanon®
teilweise sehr schwer.
16 • Zuverlässigkeit: Pearl-Index 0 (Implanon®), 0,3–1,2 (MPA) bis 3,6 (Nor
ethisteronacetat).
16.3.3 Vaginalring
Prinzip Applikation von Östrogenen (Ethinylestradiol 15 μg/d) und Gestagenen
(Etonogestrel 120 μg/d) über einen flexiblen, vag. applizierten Ring (NuvaRing®).
Kontraindikation Grav., schwere thrombembolische Prozesse in der Anamnese.
Anwendung Applikation des Rings (flexibel, Durchmesser 5,4 cm) durch die
Frau selbst intravaginal während der Menstruation. Ring bleibt über 3 Wo. liegen,
wird dann durch die Frau wieder entfernt. Der Ring bleibt auch während des Ge-
schlechtsverkehrs liegen, kann aber ohne Beeinträchtigung der kontrazeptiven
Sicherheit bis zu 3 h am Tag entfernt werden.
Präparat NuvaRing®.
16.3 Hormonelle Kontrazeption 601
Bewertung
• Vorteile: Lokale Applikation der Östrogene und Gestagene erlaubt eine nied-
rige Dosierung der Hormone mit guter Wirksamkeit.
• Zuverlässigkeit: zum Pearl-Index noch keine Angaben, da relativ neue Me-
thode. Nach Angabe des Herstellers vergleichbar mit „Pille“, also 0,2–0,5.
16.3.4 Hormonpflaster
Prinzip Pflaster mit kontinuierlicher Abgabe von Östrogen und Gestagen (Norel-
gestromin 6 mg, Ethinylestradiol 600 μg), z. B. EVRA® Transdermales Pflaster.
Anwendung Erstes Pflaster mit Beginn der Menstruation kleben, nach 1 Wo.
und nach 2 Wo. wechseln (jeweils am selben Wochentag). Danach 1 Wo. Pause
mit Abbruchblutung. Die pflasterfreie Zeit sollte max. 7 Tage betragen.
Kontraindikationen und Nebenwirkunge
• Wie bei oralen hormonellen Kontrazeptiva (▶ 16.3.1).
• Bei Körpergewicht > 90 kg nur eingeschränkter Schutz.
Pearl-Index 0,9.
16.4.1 Ein-Phasen-Präparate
2 Estradiol- 1 mg
valerat
604 16 Kontrazeption
16
17 Endokrinologie
Axel Valet
17.1 Klimakterium
17.1.1 Symptome und Differenzialdiagnose
• M
enopause: letzte von den Eierstöcken gesteuerte Menstruationsblutung.
• K
limakterium: Übergangsphase zwischen Erlöschen der Fortpflanzungsfä-
higkeit und dem Beginn des Seniums (ca. 47.–55. Lj).
• P erimenopause: 2 J. vor und nach der Menopause.
• P rämenopause: Zeitraum von 4–5 J. vor der Menopause, gekennzeichnet
durch Follikelreifungsstörungen, Gelbkörperinsuffizienz und Anovulation.
• P ostmenopause: Zeitraum ab 1 J. nach der Menopause.
Ursache
Erschöpfung der Eierstockfunktion durch Follikelatresie. Die bei der Geburt an-
gelegten 300.000–500.000 Primordialfollikel sind zu Beginn des Klimakteriums
bereits weitgehend degeneriert. Während die zentralen Regulationsmechanismen
von Hypothalamus und Hypophyse funktionsfähig bleiben, erlischt die An-
sprechbarkeit der Ovarien auf gonadotrope Reize.
Symptome
• D
ysfunktionelle Blutungen: Anovulation, Lutealphaseninsuff. glandulär-zys-
tische Hyperplasie (▶ 13.7.1).
• P aroxysmale vasomotorische Beschwerden: Hitzewallungen (bei 70 %),
Schweißausbrüche (bei 50 %), fleckige Hautrötungen (Kopf, Hals).
• N
eurovegetative Beschwerden: Kopfschmerzen, Schwindel, Parästhesien;
Herzklopfen, Schwächegefühl.
• P sychosomatische Beschwerden: Müdigkeit, Leistungsabfall, Schlaflosigkeit,
Reizbarkeit, Nervosität, Depression, psychosexuelle Störungen. Neurotische
Störungen (bis zu 10 %).
• steoporose (chron. Rücken- und Extremitätenschmerzen).
O
• ewichtszunahme.
G
• trophie im Urogenitalbereich: Lichen sclerosus (▶ 11.5); Vaginalatrophie
A
Kohabitationsbeschwerden (▶ 19.2.5); Colpitis senilis (▶ 11.3.5); Ektropium
der Urethra; Urethrozystitis.
17.1.2 Diagnostik
Anamnese; Inspektion (Vulva, Vagina); zytologischer Abstrich nach Papanicola-
17 ou mit Proliferationsgrad nach Schmitt. Atrophie beim Reifeindex des Vaginal
epithels (zytologischer Hormongrad 1–2). Labor: Estradiol (< 20 pg/ml → keine
Blutung mehr), Östron (< 40 pg/ml → keine Blutung mehr), FSH (> 50 mIE/ml →
hypophysärer Versuch der max. ovariellen Stimulation).
17.1 Klimakterium 607
17.1.3 Therapie
Estradiolvalerat 1,0–2,0
Indikationen
Vegetativ klimakterische Beschwerden, bedingt durch den Ausfall der ovariellen
Hormonproduktion. Bei Climacterium praecox sollte auf jeden Fall über einen
langen Zeitraum substituiert werden. HRT und ERT wirksamste Primär-, Sekun-
där- und Tertiärprävention der Osteoporose. Derzeit vom BfARM nur für Sekun-
därprophylaxe bei Unverträglichkeit anderer Medikamente (Alendronat, Rised-
ronat, Strontium Ranelat, Teriparatid) zugelassen. Ausführliche Erörterung und
gemeinsame Risikoabwägung mit der Pat. (leicht erhöhte Inzidenz für Mamma-
Ca, s. u.), regelmäßige Überprüfung der Indikation, wenigstens 1 × jährlich.
Hormonelle Substitutionstherapie
• B ei nicht hysterektomierten Frauen durch Östrogene in Kombination mit Ges-
tagenen (HRT), bei hysterektomierten Frauen allein mit Östrogenen (ERT).
• B ei dysfunktionellen Blutungen muss jeder hormonellen Ther. ein histologi-
scher Malignomausschluss durch diagn. Hysteroskopie und frakt. Abrasio
vorausgehen.
• ei Osteoporose zusätzlich für ausreichende Bewegung sowie elektrolyt- und
B
eiweißreiche Ernährung sorgen, Kalzium- und Vit.-D-Zufuhr.
Bewertung
Kontraindikationen
• A
bsolute KI: Thrombembolie, östrogenabhängige Malignome (Mamma-Ca,
Endometrium-Ca), Lebererkr. (path. Leberwerte?), Z. n. Schwangerschaftshe-
608 17 Endokrinologie
Studienlage
Insb. nach Veröffentlichung der WHI-Studie 2002 kam es zu großer Verunsicherung
bei der HRT-/ERT-Verordnung, die auf europäischer und nationaler Ebene auch zur
Veränderung der Medikamentenzulassung führte, leider nicht immer evidenzba-
siert. Durch exaktere Auswertungen mit Berücksichtigung von Subgruppenanalysen
wurden jedoch die meisten damaligen Aussagen der WHI-Studie relativiert.
Primär wurde in der WHI-Studie ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko gefunden.
Dies bestand jedoch nur bei Frauen im 1. Jahr nach Einnahme, mit kardiovaskulä-
ren Risiken und bei > 20 J. zurückliegender Menopause (> 70 J. alte Pat. bei HRT-
Beginn!). Bei Frauen < 60 J. HRT-/ERT-Beginn fand sich eine 40-prozentige Risi-
koverminderung → Alter der Pat. bei der Ind. berücksichtigen („window of opor-
tunity“). Diese Aussage wird durch die Nurses Health Study bestätigt (Follow-up
> 30 J., HRT-Start zwischen 30. und 55. Lj, > 120.000 Frauen eingeschlossen):
30–50 % weniger Myokardinfarkte, auch bei Frauen mit kardiovaskulärem Risiko,
17 damit signifikante Verbesserung sowohl unter HRT als auch unter ERT.
Bezgl. der Erhöhung des Mammakarzinomrisikos kann noch keine abschließen-
de Aussage getroffen werden. Unter HRT scheint die Inzidenz des Mamma-Ca
erhöht zu sein. Das relative Risiko beträgt 1,5 (normales Risiko 1,0), dies ent-
spricht dem erhöhten Risiko einer späten Erstgebärenden (z. B. Risikoerhöhung
bei Adipositas: 2, familiäre Belastung: 4, frühe Menarche, späte Menopause: 2).
Gegenwärtig muss man davon ausgehen, dass auf 1.000 Frauen unter 5-jähriger
HRT-Einnahme zwei Mamma-Ca mehr gefunden werden als in einer Placebo-
gruppe. Unter ERT zeigte die WHI-Studie ein erniedrigtes Risiko für Mamma-Ca.
17.1 Klimakterium 609
Ob dies tatsächlich so ist, müssen weitere Studien belegen. Die französische E3N-
Studie zeigt ein erniedrigtes Mamma-Ca-Risiko unter transdermaler ERT mit
oraler Applikation eines mikronisierten Progesterons (Utrogest®). Aber auch hier
ist die Datenlage für eine abschließende Stellungnahme noch zu unsicher. Sicher
ist (durchgängig durch die unterschiedlichsten Studientypen), dass die Mortalität
durch Mamma-Ca unter HRT nicht erhöht ist. Pathophysiologisch geht man von
einer begünstigenden Wirkung auf das Wachstum schon vorhandener Mamma-
Ca aus, eine Induktion von Mamma-Ca ist tumorbiologisch und aufgrund der
Datenlage nicht vorstellbar.
Geblieben sind eine Erhöhung des thrombembolischen Risikos, eine leichte Erhö-
hung für zerebrale (meist ischämische) Insulte (nicht in allen Studien), vermehrte
Gallenwegs-/Gallenblasenerkr. (nach aktueller Datenlage nicht bei transdermaler
Applikation). Ein Nutzen auf kognitive Funktionen (z. B. Alzheimer-Krankheit)
ist aufgrund der noch schlechten Datenlage nicht belegbar.
Fazit: Dosis so niedrig wie nötig wählen, Ther. nur bei Ind.
Durchführung
Prämenopause
• N
iedrig dosierte Ovulationshemmer bei zusätzlichem Kontrazeptionswunsch
(z. B. Marvelon®, Microgynon®, Triquilar®).
• W
enn kein Kontrazeptionswunsch mehr besteht, Östrogen-Gestagen-Kombi-
nation oder Gestagene allein vom 16.–25. ZT (dient hauptsächlich der Zyk-
lusregulierung).
Peri- und Postmenopause
• O ral: Östrogen-Gestagen-Kombinationen vom 1.–25. ZT:
– Presomen 28 compositum®: 0,3 oder 0,6 mg konjugierte Östrogene tägl.,
zusätzlich 5 mg Medrogeston vom 15.–28. ZT oder
– Presomen conti®: 0,6 mg konjugierte Östrogene und 2 mg Medrogeston
tägl. oder
– CycloÖstrogynal®: Estradiolvalerat 1 mg, Estriol 2 mg/d, zusätzlich Levo
norgestrel 0,25 mg vom 15.–25. ZT oder
– Kliogest®: Estradiol 2 mg, Estriol 1 mg und Norethisteronacetat 1 mg vom
1.–28. ZT; Vorteil: durch die Dauergestagengabe entfällt die von vielen
postmenopausalen Frauen als lästig empfundene Abbruchblutung oder
– Klimonorm®: Estradiolvalerat 2 mg/d, zusätzlich Levonorgestrel 150 μg
vom 10.–21. ZT.
– C ave: Konjugierte Östrogene beinhalten mehrere Östrogene (equine Ö.),
die im menschlichen Organismus nicht vorkommen.
• L okal: z. B.
– Ovestin® Vaginalovula: 0,5 mg Estriol/Ovulum oder 17
– Ovestin® Vaginalcreme: 1 mg Estriol/g Salbe oder
– Oekolp® Vaginalcreme: 1 mg Estriol/g Salbe oder
– Oekolp® forte Ovula: 0,5 mg Estriol/Ovulum.
• T ransdermal:
– Estradot ®: Pflaster mit Estradiolabgabe von 25/37, 5/50/75/oder 100 μg
pro 24 h.
– Estragest®: Estradiol + Norethisteronacetat bzw. Progesteron 100 mg/d
(Utrogest® Kps.) monophasisch, um Abbruchblutung zu verhindern.
610 17 Endokrinologie
17.1.4 Osteoporose
Definition
Mit Frakturen einhergehende erworbene Verminderung der Knochenmasse je
Volumeneinheit Knochen, bezogen auf die Normwerte der Altersgruppe.
Einteilung
Generalisierte Osteoporose:
• T yp I: spongiosabetonter Knochenmassenverlust am Stammskelett (z. B. post-
menopausale Osteoporose mit Wirbelkörperfrakturen).
• T yp II: Spongiosa und Kompakta betreffender Knochenmassenverlust mit
Manifestation auch an den langen Röhrenknochen (z. B. senile Osteoporose
mit Schenkelhals- und Radiusfraktur).
Lokalisierte asymmetrische Osteoporose: z. B. M. Sudeck.
Unterscheidung zwischen:
• H igh-Turnover: Knochenmassenverlust bei gesteigertem Umbau.
• L ow-Turnover: Knochenmassenverlust bei reduziertem Umbau.
Klinik und Stadieneinteilung
I: Keine Beschwerden, uneingeschränkte Mobilität.
II: Schmerzen, uneingeschränkte Mobilität.
III: Schmerzen, eingeschränkte Mobilität.
IV: Immobilität einer Körperregion durch Schmerzen oder drohende bzw. einge-
tretene Frakturen.
V: Allg. Immobilität durch Schmerzen und/oder drohende bzw. manifeste neuro-
logische KO.
Risikofaktoren
• F rakturanamnese.
• A bnahme der Körpergröße (> 4 cm seit 25. Lj, > 2 cm seit der letzten Mes-
sung).
• N iedriges Körpergewicht (BMI < 20).
• S chwere chron. Leber- und Niereninsuff.
• G lukokortikoideinnahme (> 7,5 mg Prednison-Äquivalenz > 6 Mon.).
• H yperthyreose.
• M alabsorptionssy. (z. B. M. Crohn).
• R heumatoide Arthritis.
• P rim. Hyperparathyreoidismus.
• V ermehrte Stürze (z. B. bei neurolog. Erkr., visuellen Problemen, Blutzucker-,
Blutdruckschwankungen, Alkohol-/Drogenabusus, medikamentöser Ther.).
• W eibl. Geschlecht. 17
Diagnose
• R ö: BWS und LWS a. p. und seitlich (konventionell) zur Feststellung von De-
formierungen und Frakturen. Allerdings kein Messverfahren zur Einschät-
zung der Osteoporose.
• nochendichteanalytik: Quantifizierung des Mineralsalzgehalts bestimmter
K
Skelettareale:
612 17 Endokrinologie
Therapie
Die Ther. der Osteoporose, i. S. einer Sekundärprophylaxe weiterer Frakturen
sollte nach osteoporosebedingter Fraktur und/oder einem T-Wert < –2 durchge-
führt werden. Rasche Therapieeinleitung wegen des hohen Risikos einer z. B.
Folgewirbelsäulenfraktur. Wichtige Umfeldbehandlungen sind Sturzvermei-
dung (Behandlung der Grunderkr., Hüftprotektoren, gutes Schuhwerk, ausrei-
chende Beleuchtung, Vermeiden von Stolperfallen) und Bewegungsther., Geh-
training.
• B isphosphonate: z. B. Alendronat (Fosamax®) wöchentl. 70 mg p. o. (hin-
sichtl. der Knochendichte kein Unterschied zwischen der tägl. Einnahme von
10 mg p. o. und der wöchentl. Applikation). Einnahme vor dem Essen, mit
viel Flüssigkeit, am besten im Stehen. Im Notfall, bei akuten osteoporosebe-
dingten Schmerzen können Bisphosphonate i. v. gegeben werden, z. B. Zole
dronsäure (Zometa® 4 mg; 4 mg/5 ml auf 100 ml 0,9 % NaCl oder 5 % Gluko-
17 selösung, als 15- bis 30-minütige Infusion; cave: Off-Label-Use, da Zulassung
nur zur Behandlung von tumorösen Skeletterkr.), i. Allg. tritt auch eine
schnelle Wirkung bei der peroralen Ther. ein.
• Ö strogene: ▶ 17.3.
• K alzium und Vitamin D: Kalzium ist für den Knochenstoffwechsel essenzi-
ell, begünstigt das trabekuläre und kortikale Knochenwachstum. Dosis:
1.000–1.500 mg/d. Vit. D. erhöht die Ca-Resorptionsrate, Tagesdosis 400–
800 IE/d.
17.1 Klimakterium 613
Prophylaxe
• R egelmäßige körperliche Aktivität (Immobilisierung führt zu Knochen-
schwund).
ormonsubstitution (▶ 17.1.3): Hormonther. mit Östrogenen ist eine gesi-
• H
cherte prophylaktische Maßnahme gegen Osteoporose und schützt signifi-
kant vor Frakturen, insb. auch vor der Oberschenkelhalsfraktur!
• iätetische Beratung: ausreichende Kalziumaufnahme (etwa 1.000 mg/d),
D
ausgewogene Eiweiß- und Fettaufnahme (Fleischkonsum zugunsten von
Fisch- und Pflanzeneiweiß reduzieren), Nikotin und Alkohol meiden.
Presomen® 28 comp. 0,3 14 Drg. +14 Drg. 0,3 mg konj. Östrogene; 0,3 mg
konj. Östrogene + 5 mg Medro
geston
Presomen® 28 comp. 0,6 14 Drg. +14 Drg. 0,6 mg konj. Östrogene; 0,6 mg
konj. Östrogene + 5 mg Medro
geston
17.2.3 Östrogenpräparate
Konjugierte Östrogene
Estradiol
Estriol
Pflaster
Gel
Estriol-Creme
Estriol-Creme
Estriol-Ovula
Estradiol-Creme
Estradiol-Vaginaltabletten
Estradiol-Vaginalring
17.2.4 Östrogen-Androgen-Kombination
17.2.5 Gestagenpräparate
Progesteron
Progesteron-Derivate
Nortestosteron-Derivate
Nortestosteron-Derivate
17
17.2.6 Andere Präparate
Zur Osteoporosetherapie
SERM (selektive Estrogen-Rezeptor-Modulatoren).
Präparat Raloxifen (Evista®). Cave: Präparat leider sehr teuer, keine Verbesse-
rung vasomotorischer Beschwerden. Nur zur Osteoporosether. zugelassen.
620 17 Endokrinologie
Klinik
Bei den betroffenen homozygoten Individuen mit 21-Hydroxylase-Defekt (80 %
des AGS) unterscheidet man klinisch folgende Schweregrade:
• K lassischer 21-Hydroxylase-Defekt: Häufigkeit 1 : 5.000–15.000 Lebendgebur-
ten; bereits präpartal Virilisierungserscheinungen; zum Zeitpunkt der Geburt
bestehen Maskulinisierung des weiblichen Genitale und/oder Salzverlustsy.
• N ichtklassischer 21-Hydroxylase-Defekt (= „Late-Onset-AGS“, partielles
AGS, erworbenes AGS): Häufigkeit 1 : 1.000 extreme Variation des klinischen
Bildes. Bei Geburt meist unauffällig, Entwicklung von Androgenisierungser-
Cholesterin
18-Hydroxykortikosteron
Aldosteron
Diagnostik
ACTH-Test ▶ 15.2.6.
17 17.4 Sheehan-Syndrom
Definition
Das Sheehan-Sy. ist eine der Ursachen der hypophysären Ovarialinsuff. (▶ 15.4.2).
Durch unzureichende Gonadotropinsekretion fehlt die ovarielle Stimulation, so-
dass es zur Amenorrhö kommt. Da der gesamte Hypophysenvorderlappen (HVL)
betroffen ist, findet sich auch eine Hypothyreose.
17.5 Weibliche Alopezie 623
Ursache
Postpartale ischämische Nekrose des HVL durch einen Spasmus der Infundibu-
lararterien, z. B. aufgrund eines Schocks. Bleiben hierbei 30 % des HVL funktionell
erhalten, kommt es nicht zu Ausfallerscheinungen.
Klinik
Amenorrhö, p. p. Agalaktie, Hypothyreose mit Adynamie, Hypoglykämie, Libido-
verlust, Brustatrophie, Verlust der sek. Schambehaarung.
Diagnostik
• Z entrale Hormone: LH, FSH, TSH, Prolaktin.
• P eriphere Hormone: E2, Progesteron, fT3, fT4.
• H ormon-Tests:
– LHRH-Test (▶ 15.2.6) → neg. (fehlender LH-Anstieg).
– TRH-Test neg. (fehlender TSH-Anstieg).
• ö: seitliche Aufnahme der Sella turcica, cCT.
R
• esichtsfeldbestimmung: Ausschluss einer Chiasma-Kompression.
G
TRH-Test
Durchführung:
1. Blutentnahme für TSH basal, fT4 und fT3.
2. 200 μg TRH i. v.
3. Blutentnahme nach 30 Min.
!Interpretation:
• T SH-Anstieg normal 2–20 mIE/l.
• F ehlender Anstieg: Hypophyseninsuff., latente Hyperthyreose (bei nor-
malem fT4).
• Ü berschießender Anstieg: Hypothyreose (kein Anstieg bei sek. hypo-
physärer Hypothyreose, s. o.).
Therapie
• K inderwunsch: Stimulation mit Gonadotropinen (▶ 15.4.1).
• K ein Kinderwunsch: zyklische Östrogen- und Gestagensubstitution (z. B. Cy-
clo-Progynova® oder Mikropille wie Yasmin®, Yasminelle®).
Differenzialdiagnosen
Diffuser Haarausfall Der ganze Kopfbereich ist mehr oder weniger betroffen, es
liegt i. d. R. keine Störung der Kopfhaut vor („nicht vernarbend“). Meistens fallen
vermehrt Haare aus, die sich in der „Abstoßungsphase“ befinden (Telogenhaare):
• B ei der Frau nach der Geburt eines Kindes.
• P ostpubertär meist bei Mädchen zwischen 16 und 20 J.
• Z eitlich begrenzt aufgrund von Krankheiten, Diäten, Medikamenten, um-
weltbedingten Schadstoffen.
• A nhaltend bei Mangelerscheinungen (Eisen, Zink, Folsäure, Vit. B12) und
Stoffwechselstörungen.
Umschriebener Haarausfall Nur bestimmte Stellen der Kopfhaut sind betroffen:
• N icht „vernarbend“ (keine Zerstörung der Haarfollikel):
– Alopecia areata – auch kreisrunder Haarausfall.
– Andere Formen, z. B. nach mechanischer Belastung (Frisur, Kopfbede-
ckungen, Aufliegen des Kopfes bei Bettlägerigen).
• „ Vernarbend“ (mit Zerstörung der Haarfollikel).
– Im akuten Stadium oft mit infektiösen Prozessen verbunden.
– Im Endzustand als „Pseudobelade Brocq“ durch fehlende Haarfollikel ge-
kennzeichnet.
Diagnostik
• E rhöhte Testosteronspiegel sind selten, i. d. R. finden sich alle anderen Laborpa-
rameter im Normbereich. Bei sichtbaren Androgenisierungs- oder gar Virilisie-
rungszeichen (▶ 17.4) Hormondiagn. sinnvoll (Testosteron, SHBG, Androsten-
dion, DHES, 17α-OH-Progesteron zum Ausschluss eines Late-Onset-AGS,
FSH, LH [FSH/LH-Ratio > 2 bei PCO-Sy.], E2, Progesteron, TSH, fT3, fT4).
• richogramm durch den Dermatologen.
T
• vtl. Kopfhautbiopsie.
E
Therapie
ormonsubstitutionsbehandlung (▶ 17.1.3) oder hormonelle Kontrazeption
• H
mit Östrogen- und Antiandrogenwirkung (Diane 35, Valette, Belara), evtl.
zusätzlich Cyproteronacetat (Androcur®) ▶ 17.4.
• 1 × tägl. Anwendung von alphatradiolhaltigem Haarwasser (Ell-Cranell alpha®).
• F alls nach 3–6 Mon. kein Therapieerfolg, evtl. Heilversuch mit 2- oder 5-pro-
zentiger Minoxidil-Lsg. (Regaine® Frauen, morgens und abends 1 ml auf die
betroffenen Stellen der Kopfhaut auftragen). NW: verstärkte Behaarung an
17 der seitlichen Stirnregion möglich.
Frauen
17.6 Androgenisierungserscheinungen
Ätiologie
Erhöhtes Androgenangebot durch:
• N NR: NNR-Hyperplasie, M. Cushing, adrenogenitales Sy. (kongenital oder
erworben, ▶ 17.2), NNR-Adenom, NNR-Ca, ektope ACTH-Sekretion z. B. bei
Bronchial-Ca.
• O var: polyzystische Ovarien, Ovarhyperplasie, Arrhenoblastome, Hiluszelltu- 17
moren, virilisierende Lipoidzelltumoren, Thekome, Nebennierenresttumor;
Mischtumoren.
• H ypophysentumoren.
• M edikamente: ACTH, Anabolika, Androgene, Azetazolamid, Danazol, Dia-
zoxid, Diuretika, Glukokortikoide, Hydantoine, 19-Nortestosteron-Derivate,
Metopiron, Penicillamin.
• Intersexualität: V. a. Pseudohermaphroditismus masculinus.
626 17 Endokrinologie
Klinik
• A
ndrogenisierung: Akne, Seborrhö, Hirsutismus und Alopezie (Haarausfall
> 100–150 Haare tägl.).
• V
irilisierung: stärkste Form der Androgenisierung mit Umdifferenzierung
des Körpers in männlicher Richtung. Neben Akne, Seborrhö und Hirsutis-
mus, Zyklusstörungen, Tieferwerden der Stimme, Klitorishypertrophie, Alo-
pecia androgenetica („Geheimratsecken“, Hinterhauptglatze), Veränderung
der Körperform (breite Schultern, Zunahme der Muskelmasse an den Extre-
mitäten).
Hirsutismus
Vermehrte Körperbehaarung an Prädilektionsstellen: Oberlippe, Kinn, Linea
alba, Pubes, Oberschenkel, perimamillär. In fortgeschrittenem Stadium Um-
wandlung des Flaumhaars in dickeres pigmentiertes Terminalhaar.
Hypertrichose
Androgenunabhängiger vermehrter Haarwuchs (feines Terminalhaar) am ge-
samten Körper ohne Präferenz der Gesichts- oder Sexualbehaarung. Tritt in
Zusammenhang mit Tbc, Spina bifida („Fellchen“ in der Lumbalregion) und
Poliomyelitis auf.
Diagnostik
• A
namnese: Beginn und Dauer des Haarausfalls bzw. der vermehrten Behaa-
rung oder des Tieferwerdens der Stimme. Anzahl der ausgefallenen Haare
pro Tag (100–150 tägl. ist normal), Medikamentenanamnese.
17 • abor: DHEA, DHEA-S, Kortisol (adrenale Hormonproduktion), LH/FSH-
L
Quotient und Androstendion, (freies) Testosteron, SHBG, 17-Hydroxypreg-
nenolon, 17-Hydroxyprogesteron, 21-Desoxykortisol (adrenogenitales Sy.),
Kortisol-Tagesprofil 8:00 und 22:00 Uhr (path.: Wert um 22:00 Uhr > 50 %
des Morgenwerts). E‘lyte (Magnesium und Zink), Serumeisen, Ferritin,
ACTH-Dexamethason-Test (▶ 15.2.6).
• richogramm (Haarwurzelmuster, durch Dermatologen): Bei Alopecia an
T
drogenetica finden sich viele Haarfollikel in der Telogenphase (Ruhephase).
17.6 Androgenisierungserscheinungen 627
Therapie
Bei Androgenisierung
Diane 35® vom 1.–21. ZT Cyproteronacetat (CPA) 2 mg und Ethinylestradiol (EE)
35 μg/d p. o.
• O rale Kontrazeptiva: bei ovarieller und gemischter Androgenisierung und
Wunsch nach Kontrazeption. Präparate und Dos.:
– Neo-Eunomin®: vom 1.–11. ZT Ethinylestradiol 50 μg und Chlormadinon
acetat 1 mg p. o.; vom 12.–22. ZT Ethinylestradiol 50 μg und Chlormadi-
nonacetat 2 mg p. o.
– Belara® monophasisch 21 Tage Ethinylestradiol 30 μg und Chlormadinon-
acetat 2 mg p. o.
– Valette® monophasisch 21 Tage Ethinylestradiol 30 μg und Dienogest
7 mg p. o.
• A ntiandrogene: bei ovarieller und gemischter Androgenisierung und
Wunsch nach Kontrazeption. Präparat und Dos.: Cyproteronacetat 10 oder
50 mg (Androcur®).
! Tipp: Androcur® 10 mg zusätzlich zu Diane 35® vom 1.–15. Diane-Ein-
nahmetag (s. o.).
! Kontrazeptionsschutz erforderlich!
– Nach ≥ 9 Mon. Behandlung mit Cyproteronacetat besserte sich Akne bei
≥ 90 %, Seborrhö bei ca. 85 %, Hirsutismus bei ca. 65 % und die androge-
netische Alopezie bei ca. 40 % der Pat.
• M edroxyprogesteronacetat (MPA): Bei ovariellem Hirsutismus (PCO). Prä-
parat und Dos.: Medroxyprogesteronacetat 30–40 mg/d p. o. oder 400 mg i. m.
alle 3 Mon.
• K ortikoide: bei adrenaler oder gemischter Androgenisierung und gleichzeiti-
gem Kinderwunsch (▶ 15.4.2; AGS ▶ 17.3). Präparate und Dos.:
– Dexamethason 0,5–2,5 mg/d p. o. (z. B. Fortecortin®).
– Prednisolon 5–20 mg/d p. o. (z. B. Decortin® H).
– Hydrokortison = Kortisol 20–30 mg/m2 Körperoberfläche tägl. p.o. (z. B.
Hydrocortison Jenapharm®).
• S pironolacton: bei gemischtem und/oder idiopathischem Hirsutismus und 17
Kinderwunsch oder KI gegen Kontrazeptiva. Präparat und Dos.: Spironolac-
ton 100 mg/d p. o. (Aldactone®50) für 21 Tage, dann 7 Tage Pause.
Bei Alopezie
• E stradiolbenzoat 0,005 g lokal (Alpicort F®), Proteine/Vitamine (Pantovi-
gar®), Zink (oral) 400–600 mg (Zinkorotat®), Haarwasser (Rp: Oleo ricini 1,0;
PEG 400 1,0; E2-Valerat 0,02; Solutio cordes ad 100).
628 17 Endokrinologie
Bei Akne
• S ystemisch: Tetrazykline 2 × 500 mg/d p. o. (z. B. Tetrazyklin-Wolff® 500),
orale, antiandrogene OH, z. B. Diane® 35, Neo-Eunomin®.
• L okal: Tretinoin 0,05 % 1–2 × tägl. (z. B. Airol® Roche Creme), Benzoylper-
oxid 1 × tägl. (z. B. Aknefug®-Oxid 3 %/5 %/10 %); Schwefel 1–2 × tägl. (z. B.
Aknichthol®); Salizylsäure 2 × tägl. (z. B. Aknederm® Salbe).
17
18 Kinder- und Jugendgynäkologie
Joachim Steller
Klinik Rötung der Vulva, Kratzspuren, perianale Rötung, gelbliche Beläge, Be-
gleitfluor.
Differenzialdiagnosen
• Pruritus ohne Fluor, evtl. mit Kratzspuren, Miktionsbeschwerden, Begleitfol-
likulitis → V. a. unspezifische Vulvovaginitis (▶ 18.8).
• Windeldermatitis, z. T. mit dunkelrotem Randsaum bei konfluierenden Her-
den → V. a. Soor (▶ 18.8).
• Nissen in Genitalbehaarung, Kratzspuren → Skabies, Pediculosis pubis
(▶ 11.3.7).
• Perianale Kratzspuren, Würmer im Stuhl → Oxyuren (▶ 18.8).
• Pruritus mit gelb-grünlichem Begleitfluor → V. a. Trichomonaden- oder
Chlamydieninf. (▶ 18.8).
• Wärzchen am Introitus oder paraurethral → V. a. Kondylome (▶ 11.3.3).
• In der Kindheit Begleitvulvovaginitis bei Inf. der oberen Atemwege, Nase,
Ohren oder im Rahmen klassischer Kinderkrankheiten.
18.1.2 Fluor
Physiologisch ist der Fluor neonatorum bis zum 5. Tag p. p. durch Restwir-
kung der mütterlichen Sexualhormone. Im Vordergrund steht das Erkennen
der Grunderkr., da der Fluor meist nur ein Symptom darstellt.
18.1.3 Schmerzen im Unterleib
Anamnese
• Allg. Anamnese: Stuhlverhalten (weiche Stühle, Obstipation, Diarrhö), Mi
ktionsverhalten (Pollakisurie, Harnverhalt), Appetitlosigkeit und Erbrechen,
Infekte in Schule oder Kindergarten, Medikamenteneinnahme.
• Gynäkologische Anamnese: Fluor als Neugeborenes (falls nicht, auf genitale
Fehlbildungen, Hymenalatresie achten), bei eitrig-blutigem Fluor an intrava-
ginale Fremdkörper denken. Brust- und Schamhaarentwicklung (mensesarti-
ge Beschwerden bei vorzeitiger Genitalreifung); bei älteren Mädchen nach
Menarche und Sexualkontakten fragen (Adnexitis, EUG).
– Prim. Dysmenorrhö (häufig): Auftreten ca. 1–2 J. nach der Menarche.
Ursache oft „essenziell“, d. h. aufgrund von Dysregulationen im Prosta
glandinstoffwechsel.
– Sek. Dysmenorrhö (selten): tritt erst Jahre nach der Menarche auf. Ätiol.:
Adnexitis, Endometriose, stielgedrehte Adnexe, Adhäsionen nach Append
ektomie, venöse Stauungshyperämie u. a. 18
• Familienanamnese: auch an sexuellen Missbrauch denken ▶ 18.12.
• Schmerzanamnese: regelmäßig ca. alle 4 Wo. wie bei Dysmenorrhö, ohne
dass die Menarche bislang aufgetreten ist → V. a. Molimina menstrualia.
632 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
Diagnostik
• Temperaturerhöhung (rektal-axilläre Differenz).
• Inspektion: Mund und Rachen (z. B. Tonsillitis, Angina geht häufig mit Un-
terbauchschmerzen einher), Nabel- und Leistenregion (z. B. Hernien).
• Auskultation: Lunge (z. B. Pneumonie, ▶ 1.2.3, ▶ 3.1.8), Darmgeräusche: Peri-
staltik vermehrt → Enteritis; Peristaltik vermindert → Peritonitis, Ileus.
• Palpation: Hepatosplenomegalie, epigastrischer Druckschmerz, Abwehrspan-
nung.
• Urinstatus: Hinweis auf HWI.
• Vag. Untersuchung (nur nach der Menarche): Anhalt für Adnexitis (typisches
Adnexitiskollektiv 15–19 J.); Anhalt für EUG (▶ 14.3) oder stielgedrehte Adnexe.
• Rektale Untersuchung: Resistenzen (z. B. Ovarialtumor), Blut am Fingerling
(z. B. Invagination), bei der rektalen Untersuchung kann selten auch ein vagi-
naler Fremdkörper festgestellt werden (bei Kindern eher verzichtbar!).
• Sono ▶ 18.2.6.
18.1.4 Genitale Blutungen
18.2 Diagnostik
18.2.1 Anamnese
• Familienanamnese: z. B. Menarche der Mutter, atypische Genitalentwicklung
(Hirsutismuszeichen o. Ä.).
• Eigenanamnese: Exposition durch östrogenhaltige Nahrungsmittel, Kosmeti-
ka, „Pille“, Medikamente; seit wann Brustentwicklung? (▶ 18.3), Entwicklung
der Schambehaarung (▶ 18.3), Virilisierung, Menarche; Größen- und Ge-
wichtsentwicklung, Wachstumsschub, Bauchschmerzen (z. B. Ovarialtumor,
Stieldrehung des Ovars), Dysmenorrhöen (prim., sek.), Zyklusstörungen,
Hirsutismus.
18.2.2 Gynäkologische Untersuchung
• Sgl. und Kleinkinder werden entweder auf einer Wärmematte (Beine ggf. in
der Hüfte fixiert) untersucht oder besser auf dem Schoß der Mutter, Kinder
und Jugendliche i. d. R. auf dem normalen gynäkologischen Stuhl möglichst
in Steinschnittlage.
• Im Kleinkindalter lassen sich in Knie-Ellbogen-Lage häufig Hymen, hintere
Kommissur sowie der anale Dilatationsreflex besser beurteilen.
• Bei der Inspektion des äußeren Genitale achten auf: abnorme Behaarung, Kli-
torishypertrophie, Kratzeffekte, Entzündungszeichen, Fluor, Verletzungen.
• Introitus vaginae durch Spreizen der Labia majora mit Zeige- und Mittelfin-
ger der li Hand des Untersuchers darstellen.
• Das kindliche Hymen lässt sich durch Erhöhung des intraabdominalen
Drucks, z. B. durch Husten, Pressen oder Aufblasen eines Luftballons, leichter
darstellen.
• Vaginoskopie ▶ 18.2.3.
• Abstrichdiagn. ▶ 18.2.5.
• Die Palpation des Abdomens beim Kind kann erleichtert werden, wenn es
z. B. seine Hand auf die des Untersuchers legt und „mituntersuchen“ kann.
• Ab dem 10. Lj ist eine digitale vaginale Untersuchung mit einem Finger meis-
tens möglich.
• Abdominale und vaginale Sono ▶ 18.2.6, beim Kleinkind und Kind ggf. Peri-
nealsono. 18
634 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
18.2.3 Vaginoskopie
18
18.2 Diagnostik 635
18.2.4 Hormondiagnostik
17-OH-Progesteron < 2 μg/l
DHEA 1,5–8,0 μg/l
DHEA-S < 2,5 mg/l
Prolaktin 3–16 μg/l
TSH < 0,1 mIE/l
LH-RH-Test (Gabe von 25 μg Nur geringer LH-Anstieg mind. 4-fach, FSH-An-
LH-RH/m2 Körperoberfläche FSH- und LH-An- stieg mind. 2,5-fach → Hinweis
= Relefact®) stieg auf Pubertas praecox
18.2.5 Gynäkologische Zytodiagnostik
Durchführung Abstriche von Vulva, Vagina und Portio zur zytologischen Di-
agn. sowie zur Funktionsdiagn. (Beurteilung des Proliferationsgrades des Epi-
thels) können in jedem Lebensalter durchgeführt werden. Sie sollten unter zumin-
dest vaginoskopischer Sichtkontrolle erfolgen (▶ 11.2.3).
18.2.6 Sonografie
(auch ▶ 22.1).
Durchführung In der Kinder- und Jugendgynäkologie häufig nur abdominal
oder perineal möglich. Kleinkalibrige Rektal- und Vaginalsonden werden zurzeit
entwickelt. Als Schallfenster wird die gefüllte Blase benutzt.
• Untersuchung bei Kleinkindern problematisch.
• Bei Jugendlichen vaginale Sono in Abhängigkeit vom Hymen oft möglich
(Tamponbenutzung).
! Kinder Fruchtsäfte trinken lassen, kein Mineralwasser, da die Kohlensäure
schnell zu Völlegefühl führt. Schallkopf selbst halten lassen, angewärmtes Gel
benutzen.
Beurteilung
• Uterus: kontinuierliches Wachstum bis zur Pubertät (Länge bis 10. Lj
< 4,5 cm, bis 13. Lj < 6 cm), häufig gestreckt (Retroversio ausschließen), Fehl-
bildungen (Uterus duplex, arcuatus) ausschließen (▶ 18.7.4).
• Endometrium: bis zur Pubertät strichförmig, danach zyklusabhängig (▶ 22.1).
• Ovarien: Wachstum bis zur Pubertät auf 2,5 cm, auf Symmetrie achten.
– Zysten: solitär oder multipel, ein- oder beidseits, glatt begrenzt, septiert,
evtl. solide Anteile.
– Ovarialtumoren: Größe, Struktur (solide, zystisch-solide?).
• Aszites, Flüssigkeit (Blut?) im Douglas-Raum.
18.2.7 Röntgen
Indikationen
• Skelettalterbestimmung (Rö li Hand): Diagn. von Entwicklungs- und Rei-
fungsstörung (Pubertas praecox ▶ 18.4.1; Pubertas tarda ▶ 18.4.2).
• Hypophysendarstellung: Bei V. a. Hypophysentumoren (z. B. Prolaktinom);
beurteilt wird die Ausweitung und Begrenzung der Sella turcica (▶ 15.4.2);
besser MRT.
• Urogramm: bei urogenitalen Entwicklungsstörungen, z. B. Aufstau, Reflux,
Ureter- oder Urethraklappen, Doppel-Anlagen, jedoch nicht bei Nierenfunk-
tionseinschränkung.
18.2.8 Pelviskopie
Durchführung Durchführung wie im Erwachsenenalter (▶ 16.2.6). Lediglich bei
Sgl. und Kleinkindern ist ein spezielles Instrumentarium erforderlich.
Indikationen Genitale Fehlbildungen, V. a. Intersexualität (Stranggonaden),
18 prim. oder sek. Dysmenorrhö, solide oder solid-zystische Unterleibstumoren, Pe-
netrationsverletzung, V. a. Adnexitis oder Appendizitis (Jugendgynäkologie), V. a.
Endometriose, hypergonadotrope Amenorrhö.
Kontraindikationen Narkoseunfähigkeit (z. B. schwere Herzvitien).
18.3 Physiologie der Pubertät 637
pathologisch!
P1 P2 P3 P4 P5 P6
18.4 Pubertätsstörungen
Normvarianten der Pubertät treten in ca. 3 % der Fälle auf, path. Störungen der
Pubertät erheblich seltener.
18
18.4 Pubertätsstörungen 639
18.4.1 Pubertas praecox
Formen
• Pubertas praecox vera: vorzeitige hypothalamisch-hypophysäre Pubertäts-
entwicklung; immer isosexuell.
• Pseudopubertas praecox: vorzeitige Geschlechtsentwicklung durch autono-
me Hormonproduktion; iso- und heterosexuell. Östrogene bewirken bei
Mädchen isosexuelle, bei Jungen heterosexuelle Pseudopubertas praecox. An-
drogene sind Ursache einer isosexuellen Pubertätsstörung von Jungen und ei-
ner heterosexuellen Entwicklung von Mädchen.
Ätiologie
• Pubertas praecox vera: Hirntumoren, Z. n. Meningitis/Enzephalitis, Hirntrau-
ma, McCune-Albright-Sy., M. Recklinghausen, Sturge-Weber-Sy.
• Pseudopubertas praecox: Enzymdefekte der NNR, hormonproduzierende
Tumoren der NNR, des Ovars, exogene Hormoningestion (z. B. Einnahme
der Pille von Mutter oder Schwester).
Klinik Prämature Thelarche, Pubarche, Adrenarche, Menarche, Virilisierungs-
zeichen, Fluor, Mamillensekretion, Körpergröße im oberen Perzentilenbereich,
Hautveränderungen (z. B. Café-au-Lait-Flecken bei M. Recklinghausen, Häman-
giome beim M. Sturge-Weber).
Diagnostik
• Sexuelle Reifezeichen (▶ Abb. 18.3 und ▶ Abb. 18.4) nach Tanner.
• Vag. Abstrich zur Bestimmung des Hormongrades (▶ 13.2.3).
• Sono: Größe von Uterus, Ovarien (z. B. Follikel, Tumor) und NNR.
• Hormonanalysen (▶ 18.2.4): FSH, LH, Estradiol, Testosteron, Androstendi-
on, DHEA-S, TSH, Prolaktin. LH-RH-Test (▶ 15.2.6).
• Rö, CCT: Hypophysenregion (z. B. Hirntumor), Rö li Hand (Knochenalter).
! DD: Prämature Thelarche, prämature Pubarche, familiärer Hochwuchs, AGS.
Therapie
• Ind.: Menarche vor dem 7. Lj, schnelles Wachstum, schnelle Zunahme der
sek. Geschlechtsmerkmale innerhalb von 6 Mon. Ther. nur durch Spezialisten!
• Bei Pubertas praecox vera: GnRH-Superagonisten zur Senkung der FSH-
und LH-Spiegel, z. B. mit Buserelin 3–6 × 100 μg/d intranasal (z. B. Profact®
nasal) oder Depotpräparat Goserelin 3,6 mg s. c. (z. B. Zoladex®) alle 4 Wo.
• Bei Pseudopubertas praecox:
– Evtl. Tumorexstirpation (▶ 14.8).
– Ther. des AGS ▶ 17.3.
– Evtl. exogene Hormonsubstitution/-ther. (je nach Störung).
18.4.2 Pubertas tarda
Definition Ausbildung der Sexualmerkmale erst nach 14. Lj und Menarche erst
nach 16. Lj. Pubertas praecox ▶ 18.4.1.
Ätiologie
• Hypothalamisch-hypophysäre Unterfunktion durch verzögerte Ausreifung 18
der Sexualzentren bei einigen Allgemeinerkr. (z. B. Malignome), massivem
Gewichtsverlust, Unterernährung (Anorexia nervosa ▶ 17.1.4), isoliertem he-
640 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
18.4.3 Hochwuchs
Physiologie Die Durchschnittsgröße erwachsener Frauen in der BRD beträgt
168 cm. Eine zu erwartende Körpergröße oberhalb der Durchschnittsgröße plus
3-facher Standardabweichung (d. h. > 185 cm) wird vielfach als Behandlungsindi-
kation angesehen.
Eine genaue Abschätzung der prospektiven Endgröße erfolgt unter Einbeziehung
der elterlichen Größe anhand der Tabellen von Baylay und Pinneaut im Atlas von
Graulich und Peil.
Ätiologie bei Mädchen
• Familiärer Hochwuchs: Häufigste Ursache. Skelettalter stimmt mit chronolo-
gischem Alter überein. Somatomedin fakultativ erhöht, sonst alle endokrino-
logischen Parameter normal. Gewichtsperzentile im Vergleich zu Größenper-
zentile eher niedrig, Eltern groß.
18 • Endokriner Hochwuchs:
– Hypophysärer Hochwuchs (eosinophiles Adenom).
– Pubertas praecox, Pseudopubertas praecox.
– Hyperthyreose.
18.4 Pubertätsstörungen 641
cm
190
180 97
Körpergröße bei Mädchen 90
75
170 50
25
160 10
3
150 Perzentile
140
130
120
110
100
50
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 J.
• Labor:
– Somatotropes Hormon (STH) = Human Growth Hormone (HGH): Nor-
mal < 1–3 ng/ml, erhöht > 5–10 ng/ml. Bei hormonproduzierendem Tu-
mor 2.000 ng/ml möglich. Evtl. erhebliche tageszeitliche Schwankungen!
– Basal-fT4, fT3, TSH, Schilddrüsen-Ak, TRH-Test.
– Glukosebelastungstest: Bestimmung des Serum-STH vor sowie 60 Min.
und 120 Min. nach Glukose 100 g p. o. → normal STH-Abfall auf < 5 ng/
ml, andernfalls V. a. Hypophysenadenom (▶ 15.4.2). 18
642 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
18.4.4 Kleinwuchs
Definition
Abweichen der Körperlänge unter das 3. Perzentil, Diagnosestellung meist schon
im frühen Kindesalter.
Familiärer Kleinwuchs
Neben der konstitutionellen Entwicklungsverzögerung häufigste Form des Klein-
wuchses. Beginn im Säuglingsalter. Knochenreifung und Pubertätsentwicklung
meist ungestört.
Konstitutionelle Entwicklungsverzögerung
Absinken der Körperlänge bis zum 2. oder 3. Lj. Durch verspäteten Pubertätsbe-
ginn deutlicher Kleinwuchs zwischen dem 12. und 15. Lj Ther.: frühe Pubertätsin-
duktion mit Östrogenen (z. B. Femoston® 1 mg) über 3–6 Mon. Ggf. Anabolika-
ther. mit Oxandrolon 0,05 mg/kg KG/d.
Therapie
• Wachstumshormon 1,0 IE/kg KG/Wo. Behandlungsbeginn möglichst im
Kindesalter bis zum Epiphysenschluss.
• Ggf. Östrogene: Estradiolvalerat 10–20 mg/kg KG/d (z. B. Gynokadin® Tbl.)
einschleichend dosieren.
• Zyklische Gestagengabe: Medroxyprogesteronacetat 5 mg/d p. o. (z. B. MPA
Gyn®) zusätzlich vom 15.–25. ZT oder:
• Chlormandinonacetat 2 mg/d vom 15.–25. ZT oder
• Progesteron (Utrogest®) 300 mg/d vom 14.–25. ZT oder 100 mg/d im Langzyklus
Sekundärer Kleinwuchs
Ätiologie
• Hormonell bedingt: Wachstumshormonmangel infolge eines Hypophysen-
oder Hypothalamustumors, z. B. Kraniopharyngeom, Dysgerminom, von
ZNS-Fehlbildungen, ZNS-Inf. oder ZNS-Traumata.
• Chron. Erkr.: z. B. Crohn-Krankheit, Nierenerkr., hämatologische Erkr., juve-
nile rheumatoide Arthritis, Diab. mell., Essstörungen.
Therapie Behandlung der Grunderkr., in ausgewählten Fällen sowie bei Wachs-
tumshormonmangel Substitution des Wachstumshormons (HGH) 0,5 IU/kg KG/
Wo.
Verzögerte Brustentwicklung
Ätiologie Häufig im Rahmen einer konstitutionell bedingten Pubertas tarda
(▶ 18.4.2). Sie ist meist mit einer Amenorrhö und somatischen Entwicklungsver-
zögerungen kombiniert.
Therapie Sofern der Altersrückstand mehr als 2 J. beträgt, Einleitung einer
Östrogen-Gestagen-Kombinationsbehandlung mit z. B. CycloÖstrogynal® 18
(1–3 Tbl./d).
644 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
Makromastie
Die juvenile Makromastie beruht wahrscheinlich auf einer erhöhten Rezeptor-
empfindlichkeit des Brustdrüsengewebes gegenüber normalen Hormonspiegeln
(▶ 10.6.4).
18.5.4 Mammatumoren
Ätiologie
• Infektiös bedingt (Neugeborenenmastitis, Mastitis non puerperalis).
• Benigne Neubildung: juvenile Fibroadenome, fibrozystische Mastopathie.
• Maligne Neubildungen: myeloische leukämische Infiltrate, Mammakarzino-
me, Mammasarkome.
Differenzialdiagnosen
• Maligne Tumoren treten im Kindes- und Jugendalter sehr selten auf, diffe-
renzialdiagn. sind sie allerdings immer auszuschließen. Bei leukämiekranken
Kindern können knotige Infiltrate in der Brust auftreten.
• Benigne Tumoren: Juvenile Fibroadenome sind bei jungen Mädchen am häu-
figsten, sie können eine beträchtliche Größe erreichen (Riesenfibroadenome).
Daneben können auftreten: Lipome, Fibrome, Adenome und Milchgangpa-
pillome.
Therapie Je nach Ursache lokal, antibiotisch, systemisch oder operativ, mög-
18 lichst brusterhaltende Ther. Bei jungen Mädchen oft spontane Rückbildungen
zellreicher Fibroadenome möglich. Op. Maßnahmen, wenn erforderlich, mög-
lichst erst nach Abschluss der Brustentwicklung.
18.6 Blutungsstörungen 645
18.6 Blutungsstörungen
Mittleres Menarchealter in Deutschland 12,9 J.; die Tendenz zur Akzeleration
scheint allerdings gestoppt zu sein. „Schwellengewicht“ etwa 48 kg. In den ersten
2–3 J. sind unregelmäßige, anovulatorische Zyklen normal!
Therapie
• Chirurgische (neurochirurgische) Ther. bei Tumoren von ZNS, NNR oder
Ovar.
• Medikamentös: Cyproteronacetat (Andocur®) 70–150 mg/m2/d, kontinuier-
lich GnRH-Analoga (Downregulation der Hypophyse).
18.7 Angeborene Fehlbildungen
18
Betrifft 5 % der kindergynäkologischen Pat.
18.7 Angeborene Fehlbildungen 647
18.7.1 Hymenalatresie
Definition Verschluss der Hymenalplatte wahrscheinlich durch Persistenz der
Membran am Müller-Hügel (▶ Abb. 18.6).
Klinik
• Bei NG fehlt der mehr oder weniger ausgeprägte vaginale Fluor.
• KO: Hämatokolpos, „Unterbauchtumor“, Molimina menstrualia (= schmerz-
hafte zyklische Krämpfe ohne Blutung nach außen).
Diagnostik
• Inspektion bei intraabdominaler Druckerhöhung (z. B. Schreien des Sgl.,
Hustenstoß beim Kleinkind, Aufblasen eines Luftballons) → vaginaler Sekret
austritt (▶ 18.4).
• Ggf. kleine Labien spreizen und Hymen und Vagina mit Knopfsonde sondie-
ren (Ausschluss einer suprahymenalen Atresie).
• Im Zweifelsfall Vaginoskopie ▶ 18.2.3.
• Bei vollständigem Hymenalverschluss kann die Vaginalplatte infolge eines
Mukokolpos mehr oder weniger vorgewölbt sein.
Therapie
• Nach Diagnosestellung zirkuläre oder sternförmige Teilexzision in Narkose
(die alleinige Inzision ist wegen der Verklebungsgefahr nicht ausreichend).
• Salbennachbehandlung (z. B. mit Bepanthen®-Salbe, Ovestin® Creme).
• Bei FG zuwarten, da spontane Kanalisierung möglich.
18.7.2 Anogenitale Fehlbildungen
Definition Hemmungsfehlbildungen der Kloake. 18
Klinik Analverschluss, sehr häufig kombiniert mit Fisteln zum Urogenitalsys-
tem. Zahlreiche Varianten (auch Fisteln ohne Atresie möglich).
648 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
18.7.3 Vaginalseptum, Vaginalaplasie
Klinik Vor Eintreten der Menarche oft symptomlos. Später ggf. prim. Amenor-
rhö, Dysmenorrhö, Unterbauchbeschwerden, Dyspareunien. Bei asymmetrischen
Doppelbildungen (z. B. rudimentäres Uterushorn) oder Uterusfehlbildungen in
18.7 Angeborene Fehlbildungen 649
18.7.5 Gonadendysgenesie
Turner-Syndrom (X0)
Klinik Kleinwuchs, weiter Mamillenabstand, Flügelfell, Schildthorax, Aortenis-
thmusstenose, prim. Amenorrhö. Oft funktionsuntüchtige „Stranggonaden“,
häufig Sterilität.
Diagnostik Chromosomenanalyse (Mosaik möglich). Jährlich Hormonanaly-
sen: Östrogen niedrig, FSH und LH hoch (hypergonadotroper Zustand → im Alter
von 5–10 J. normal); Wachstumshormon (STH), T3/T4 und TSH, Krea, Harnstoff.
Laparoskopie; Rö-Handwurzel zur Knochenalterbestimmung.
Therapie
• Hormonsubstitution (Osteoporoseprophylaxe/sek. Geschlechtsmerkmale) ab
12. Lj mit schwach dosierten Östrogenen, z. B. Femoston ® comp. 1 mg tägl.
oder
• Estradot® 25 plus orales Gestagen alle 2–3 Mon., z. B. Medroxyprogesteronace
tat 5 mg/d p. o. (z. B. MPA Gyn®) oder Chlormandinon 2 mg über 10–14 Tage.
• Ab dem 15. Lj Ein- oder Zwei-Phasen-Ther. (z. B. CycloOestrogynal®).
• Wachstumshormonsubstitution (bei Mangel, nicht obligat) ab 8.–9. Lj mit
Somatotropin 45–67 μg/kg KG oder 1,3–2 mg/m2 KOF/d s. c. (z. B. Genotro-
pin®, Norditropin®).
• Behandlungsversuch mit Anabolika möglich.
Swyer-Syndrom (XY-Dysgenesie)
Klinik Phänotypisch weiblich, fehlende sek. Geschlechtsmerkmale, Amenorrhö,
Stranggonaden, keine weiteren Organfehlbildungen.
Therapie Entfernung der Stranggonaden, da in bis zu 30 % Entartungen vor-
kommen (Dysgerminome). Hormonelle Substitution mit Ein- oder Zwei-Phasen- 18
Präparaten (Turner-Sy.).
650 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
Androgenisierung
Androgenisierung bei jungen Mädchen zu > 50 % durch AGS (▶ 17.3).
Ätiologie Autosomal-rezessiv vererbte Enzymstörung, 21-Hydroxylasemangel
(häufigste Form), 11β-Hydroxylasemangel, 3β-OH-Dehydrogenasemangel.
Klinik Vorzeitige Adrenarche, Klitorishypertrophie, Hirsutismus, prim. Ame-
norrhö, Kleinwuchs.
Diagnostik Testosteron, DHEA-S, 17-OH-Progesteron. Kortisol, ACTH-Test.
Therapie Dexamethason 0,5 mg/d.
18.7.7 Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom
Definition Aplasie der Vagina bei rudimentärem Uterus. Häufigkeit: 1 : 5.000
weibliche NG.
Klinik
• Fehlen des physiologischen Fluors (neonatal, präpubertal, pubertal).
• Prim. Amenorrhö.
• Erfolglose Kohabitationsversuche.
• Normale Entwicklung der sek. Geschlechtsmerkmale.
• Eindeutig weibliche psychosexuelle Prägung.
Diagnostik Die Diagnosestellung erfolgt meist erst in der Pubertät nach Ausblei-
ben der Menstruation oder seltener nach frustranen Kohabitationsversuchen:
• Inspektion: normaler Hymenalsaum, muldenförmig ausgeprägter Introitus
vaginae mit nachfolgend verschlossener Scheide.
18 • Rektale Untersuchung: Uterus nicht palpabel.
• Sono: Uterus nicht nachweisbar, regelrecht angelegte Ovarien in Höhe der Li-
nea terminalis.
18.8 Genitale Infektionen 651
18.8 Genitale Infektionen
Etwa 40–60 % der Pat. der kindergynäkologischen Sprechstunde kommen
wegen einer Vulvovaginitis.
Die Ursachen der Vulvovaginitis werden vom hormonellen Entwicklungs-
stand der Mädchen beeinflusst. Das atrophische, nicht östrogengeschützte
Vaginalepithel kleiner Mädchen ist besonders empfindlich gegenüber unspe-
zifischen bakteriellen Inf.
Ätiologie
Klinik
• NG und Sgl.: überwiegend Soorvulvitis und Windeldermatitis.
• Kleinkinder und Kinder: überwiegend unspezifische Vulvovaginitis (fehlen-
der Östrogenschutz des Epithels), daneben die häufig mechanisch bedingte
„Sandkastenvulvitis“ bzw. Fremdkörpervulvitis.
• Ab dem 10. Lj: häufig Pilz- und Gardnerella-Inf., in der (Prä-)Pubertät und
Adoleszenz überwiegen mit zunehmender Östrogenisierung und Aufnahme
sexueller Kontakte die spezifischen Inf.
Diagnostik
• Anamnese: z. B. Rötung, Juckreiz, Brennen beim Wasserlassen. Einsetzen der
Beschwerden nach Sandkasten, Schwimmbad oder in Begleitung anderweiti-
ger Erkr. (Inf. der oberen Atemwege, Nase oder Ohren, HWI, Kinderkrank-
heiten).
• Inspektion des äußeren Genitales möglichst mit Kolposkop (ggf. Betupfen
mit 5-prozentiger Essigsäure ▶ 11.2.2).
• Nativpräparat: Pilze, Trichomonaden, Leukos, Bakterien (▶ 11.2.3, ▶ Abb.
11.3).
• Keimabstrich: Vaginalsekretentnahme immer aus dem hinteren Scheidenge-
wölbe, ggf. Chlamydienabstrich (▶ 13.2.4).
• Vaginoskopie (▶ Abb. 18.2) immer bei blutigem Fluor (Fremdkörper, Tu-
mor) sowie bei therapieresistentem und rezid. Fluor.
• Klebestreifentest bei V. a. Oxyuren.
• V. a. spezifische Inf.: Klinische und mikrobiologische Untersuchung der Fa-
milienmitglieder veranlassen. Auch an sexuellen Missbrauch denken!
Unspezifische Vulvovaginitis
E. coli und Enterokokken (Mischflora)
Seröser bis weißlicher Fluor, häufigste Ursache. Ther.: Änderung der Hygienege-
wohnheiten (nicht zu häufiges Waschen, pH-neutrale Seife verwenden, Trocken-
halten des Genitales, keine Synthetikwäsche, keine zu engen Jeans o. Ä.). Immer
Darmparasiten ausschließen (Stuhlkultur, Klebestreifentest). Lokale Hautpflege.
Problemkeime
Erreger z. B. Strept., Staph., Proteus, Klebsiellen. Gelber bis eitriger Fluor. Ther.:
lokale Antibiose mit Vaginalsupp. (ggf. vom Apotheker anzufertigen), z. B. Nifu-
rantin 10 mg supp., Oxytetracyclin 100 mg supp., vor dem 3. Lj ggf. mit den ent-
18 sprechenden ophthalmologischen oder otologischen Therapeutika in 4- bis 6-fa-
cher Dosierung entsprechend Antibiogramm. Zur Unterstützung Kaliumper-
manganat-, Tannolact®-Sitzbäder; ggf. bakteriostatische Salbe (Leioderm-P®-
18.8 Genitale Infektionen 653
Creme). Im Rahmen von Inf. im HNO-Bereich häufig keine vaginale oder genitale
Ther. erforderlich.
Spezifische Vulvovaginitis
Trichomonadeninf.: häufig reichlich gelblich-grünlicher Fluor. Diagn. ▶ 13.1.4.
Gardnerella vaginalis
Dünnflüssig gräulicher Fluor mit unangenehmem fischartigem Geruch (Amin-
kolpitis ▶ 11.3.5). Ther.: Kinder Metronidazol (z. B. Clont®) 10–20 mg/kg KG/d
p. o. über 7 Tage, Jugendliche 3–4 × 250 mg/d p. o. über 7 Tage.
Gonorrhö
Kann in allen Entwicklungsphasen auftreten und imponiert durch reichliche eitri-
ge Sekretion aus der Scheide. Übertragung durch Schmierinf. oder sexuelle Kon-
takte. Diagn.: ▶ 11.3.6. Ther.: Benzylpenicillin-Procain und Benzylpenicillin-Na
(z. B. Retacillin®) Einmaldosis. Sgl. 400.000–600.000 IE/d, Kinder im 1.–3. Lj
600.000–800.000 IE/d, im 4.–10. Lj 600.000–1 Mio. IE/d, Kinder > 10 J. 2–4 Mio.
IE/d.
Chlamydien
Übertragung ausschließlich durch sexuelle Kontakte. Klinische Zeichen sind Un-
terbauchschmerzen, Kontaktblutungen, gelblicher Fluor, hohe Leukozytenzahlen
im Abstrichpräparat. Diagn. und Ther. ▶ 11.3.5.
Andere Vulvovaginitiden
• Parasiten (Oxyuren, Scabies): häufig bei Kindergarten- und Schulkindern.
Nachweis mittels Klebestreifen (Oxyuren), mikroskopisch (Scabies). Ther.:
Anthelminthika z. B. Mebendazol 2 × 100 mg/d p. o. (z. B. Vermox®) über
3 Tage, bei Scabies Lindan über 2 Tage extern (z. B. Jacutin®-Emulsion
▶ 11.3.7).
• Pilze (häufigste Ursache der Windeldermatitis bei Kleinkindern und Sgl.):
Übertragungsweg durch vertikale Inf. oder Schmierinf., gehäuft nach systemi-
scher Antibiotikagabe oder begleitend bei chron. Erkr. Nachweis durch typi-
sches Nativpräparat (▶ 11.2.3), evtl. Pilzkultur. Ther.: lokal Clotrimazol (z. B.
Canesten®-Salbe und Ovula) oder Nystatin (Multilind®-Salbe). Windeln häu-
fig wechseln. Ther. mind. 10 Tage nach Verschwinden der Symptome fortset-
zen, häufig Rezidive.
• Mechanische, chemische oder allergische Ursachen („Sandkastenvulvitis“):
synthetische Unterwäsche, ungeeignete Seifen oder Waschlotionen, aber auch
bei Adipositas durch Scheuern der Oberschenkel und des Genitale. Ther.: Er-
kennen und Vermeiden der Ursache, Hygieneaufklärung.
• Allgemeininf. und Systemerkr.: Bei Diab. mell., Lichen sclerosus et atrophi-
cans, nach Pneumonien, Anginen häufig unspezifischer Begleitfluor. Eine
Ther. des Begleitfluors ist nicht nötig, da er nach Abheilung der Grunderkr.
von selbst stoppt. Bei Diab. mell. konsequente BZ-Einstellung.
18.9 Verletzungen
Ätiologie
• Meist Unfälle: Fahrradlenker bei Sturz, Geräteturnen.
• Eingeführte Fremdkörper.
• Sexualdelikte (meist innerhalb der Familie oder Verwandtschaft; ▶ 18.12).
• Beschneidungen mit Verstümmelung und/oder Inf. der Vulva (häufig in ost-
afrikanischen Ländern!) → Entfernung von Klitoris, kleinen und z. T. auch
großen Labien ohne Narkose oder Blutstillung! Große Nachblutungs- und
Infektionsgefahr, häufig lebenslanger Kohabitationsschmerz.
Diagnostik
• Inspektion: Austastung der Wunden mit sterilen Sonden.
• Urin: Mittelstrahlurin untersuchen, Blasenkatheterisierung zum Ausschluss
einer Blasenläsion (blutiger Urin, Harnverhalt), Zystoskopie.
• Rektale Untersuchung: z. B. Blut am Fingerling: V. a. Perforation → Rektoskopie.
• Vaginoskopie (▶ 18.2.3), unverzichtbar bei V. a. penetrierendes Trauma. Ver-
bindung zu Rektum oder Blase ausschließen, abgebrochene Restfremdkörper
entfernen.
• Rö-Beckenübersicht, z. B. Frakturen, Anhalt für freie Luft (Perforation).
Therapie
• Beruhigen von Kind und Eltern.
• Abwartendes Verhalten bei Prellungen und Schürfungen; Kühlung mit Eis-
beutel, Östrogencreme (z. B. Estriol, Ovestin®).
• Bei ausgeprägtem Hämatom mit Fluktuation Spaltung in Narkose: kleine In-
zision, Ausspülen der Wunde mit z. B. mit Betaisodona®/NaCl 0,9 %, nur bei
großen Wunden Einlage einer Redon-Drainage mit Sog über 2–3 Tage.
• Postop. Kamillesitzbäder, Paracetamol 2–3 × 125 mg/d p. o. (z. B. Paracetamol-
CT®).
• Op. Ther. bei Verletzung der ableitenden Harnwege: suprapubischer Katheter
bei Harnröhrenbeteiligung, (zystoskopische) Naht bei Blasenläsionen.
• Interdisziplinäre op. Ther. (Chirurg, Urologe, Gynäkologe) bei perforieren-
den Verletzungen.
• Bei Verletzungen durch weibliche Beschneidung (Infundibulation) → Ver-
such der op. Korrektur im Kindesalter (z. B. Klitorisplastik).
Komplikationen
Inf. mit sek. Wundheilung, Synechien (z. B. Labien/Vagina), Adhäsionen, Fis-
telbildung (z. B. Vagina-Darm; Vagina-Blase), bei perforierender Verletzung:
Akutes Abdomen mit Schocksymptomatik (▶ 3.5).
18.10 Fremdkörper
Anamnese „Doktorspiele“, gezielt nach Gegenständen fragen, z. B. Stifte, Mur-
18 meln, Spielfiguren, Knöpfen. Cave: Aus Schuldgefühl verschweigen viele Kinder
die Symptome; Anamnese deshalb evtl. ohne Mutter erheben.
Klinik Plötzliche Schmerzen, übel riechender, blutiger Fluor.
Komplikationen Synechien, Fisteln, aufsteigende Inf.
18.11 Genitaltumoren im Kindes- und Jugendalter 655
18.11.1 Benigne Tumoren
Vulva
Hymenalfibrom (Fibroma pendulans), kapilläre und kavernöse Hämangiome,
Angiokeratome, Lymphangiome, Retentionszysten. Therapie i. d. R. operativ.
Vagina
Condylomata acuminata (▶ 11.3.3), Endometriose (▶ 13.5), Adenosis vaginae (aus
Resten des Müller-Gang-Epithels). Bleibt spontane Rückbildung bis zum ca. 18. Lj
aus, Laser- oder Kryother.
Zervix
Condylomata acuminata (▶ 11.3.3), Endometriose (▶ 13.5), zervikale intraepithe-
liale Neoplasie (CIN I–III ▶ 13.6).
Korpus
Leiomyome (im Kindes- und Jugendalter Ausnahme), Blasenmole (nur im Rah-
men einer Grav. ▶ 5.6.1).
18
Tube und Ovar
Die meisten Adnextumoren im Kindes- und Jugendalter sind benigne (▶ 14.7):
Funktionelle Zysten (Follikelzysten, Luteinzysten, Endometriosezysten), Keim-
656 18 Kinder- und Jugendgynäkologie
18.11.2 Maligne Tumoren
• Vulva (extrem selten): Adeno-Ca (aus Resten des paramesonephritischen Ge-
webes), Plattenepithel-Ca, endodermale Sinustumoren, maligne Melanome,
embryonale Rhabdomyosarkome.
• Vagina (selten): wie oben, zusätzlich Klarzell-Adenokarzinom, Sarcoma bo-
tryoides (Traubensarkom). Am häufigsten bei Kleinkindern < 2 J. und in der
Adoleszenz, vorwiegend mit zervikalem Befall.
• Zervix: Zervixkarzinom (▶ 13.8).
• Korpus: Chorionepitheliom (Chorionkarzinom) ▶ 5.6.2; mesodermale
Mischtumoren (Auftreten im 4.–18. Lj, selten).
• Tube und Ovar: Zystadeno-Ca, unreife Teratome (embryonales Teratom),
Stromazell-Ca (Theka- und Granulosazellkarzinome), Neurofibrosarkome,
Rhabdomyosarkome.
Anamnese
18 Psychische Auffälligkeiten; psychosomatische Störungen wie Schlafstörungen,
Enuresis, Defäkationsprobleme, unklare Bauchschmerzen, Appetitlosigkeit, Des-
interesse, Konzentrationsstörungen, Schulprobleme, Lernstörungen.
18.12 Sexueller Missbrauch und Misshandlung 657
Therapie
Eine enge Zusammenarbeit mit dem Kinderarzt oder -psychiater ist dringend
notwendig. Evtl. kann eine Familienther. eingeleitet werden. Die Entfernung des
Kindes aus der Familie kann durch Verlust der weiteren menschlichen Bezugsper-
sonen sehr traumatisch erlebt werden, sodass die Hauptsorge der psychischen
und physischen Betreuung in der Familie gelten sollte.
Eine Pflicht zur Anzeige besteht in Deutschland nicht, wohl aber in Österreich
und in manchen Schweizer Kantonen. In begründeten Fällen kann der Arzt nach
§ 34 StGB (rechtfertigender Notstand) jedoch Anzeige erstatten. Bei unsicherer
Beweislage kann ohne Einschaltung der Kriminalpolizei auch das Jugend- und
Gesundheitsamt in die weitere Betreuung einbezogen werden.
18
19 Psychische und psychosomatische
Probleme
Kay Goerke und Axel Valet
19.1 Grundlagen
Die heutige, weitgehend somatisch geprägte „Medizin“ tendiert zur Betrachtung
19 der Pat. als Summe ihrer somatischen Probleme. Psychische und soziale Einflüs-
se auf körperliche Erkr. werden von vielen Ärzten und großen Teilen der Bevöl-
kerung als nebensächlich oder unbegründet abgetan. Deshalb sollten mögliche
psychische oder psychosomatische Ursachen von Beschwerden immer mit äu-
ßerster Behutsamkeit angesprochen werden, um eine Stigmatisierung zu ver-
meiden.
19.1.1 Begriffsdefinitionen
• Konversion: unbewusste Abwehr und Umwandlung von konflikthaften
Triebwünschen (z. B. Sexualität, Angst, Wut, Aggression) in körperliche Sym-
ptome. Häufig assoziiert mit Unterbauchschmerzen, Vaginismus.
• Larvierte Depression: Körperliche Symptome (häufig Schmerzen) stehen im
Vordergrund einer endogenen Depression. Meist sind zusätzlich Ängste, An-
triebsstörung oder traurige Verstimmungen erkennbar.
• Burnout-Syndrom: Zustand emotionaler Erschöpfung und reduzierter Leis-
tungsfähigkeit. Pat. fühlt sich ausgebrannt, schwach, lustlos, Fehlen von Er-
holungsmöglichkeiten. Besonders betroffen sind Menschen in sozialen Beru-
fen, Krankenschwestern, Ärzte, Lehrer, die neben ihrer hohen Leistung auch
persönliches Engagement einbringen. Form einer Depression. Unbehandelt
mit erhöhtem Suizidrisiko.
• Simulation: absichtliches Vortäuschen nicht vorhandener Symptome. Dient
meist dem Erreichen sek. Krankheitsgewinns (z. B. Krankenhausaufenthalt,
Pat. wird von allen gepflegt, erfährt mehr Zuwendung; Arbeitsunfähigkeitsbe-
scheinigung, Rentenbegehren).
• Psychosen: Erkr. mit erheblicher Beeinträchtigung der psychischen Funktio-
nen. Man unterteilt die Psychosen ätiologisch in:
– Organische: z. B. nach Trauma, Inf., Stoffwechselerkr., durch Alkohol,
Drogen.
– Endogene: z. B. Schizophrenie, schwere Affektstörungen, endogene De-
pressionen.
– Paranoide: mit Wahnerscheinungen im Vordergrund.
– Reaktive: können kürzlich vorausgegangenem Erlebnis zugeschrieben
werden.
– Zykloide: phasisch verlaufende endogene Psychose.
• Neurose: Symptome sind Ausdruck eines in der Kindheitsentwicklung ver-
wurzelten seelischen Konflikts (z. B. Angst-, Zwangs-, Konversionsneu
rose).
19.1 Grundlagen 661
19.1.3 Gesprächsführung
Zielsetzung Ziel des Erstgesprächs ist es, ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt
und Pat. aufzubauen. Hierzu ist eine störungsfreie Gesprächssituation ohne Zeit-
druck absolut notwendig. Zunächst sollte der Arzt eine abwartende, zuhörende
Haltung einnehmen. In weitere Gespräche ggf. den Partner einbeziehen.
Prinzipien
• Medizinisches Fachvokabular unbedingt vermeiden (wirkt dominierend und
distanzierend).
• Offene Fragen allg. Art stellen, Zurückhaltung bei gezieltem Erfragen patho
gnomonischer Symptome (z. B. „Erzählen Sie doch erst einmal mit eigenen
Worten, welche Probleme Sie hergeführt haben“).
• Wertende Äußerungen vermeiden (auch nonverbaler Art; z. B. Hochziehen
der Augenbrauen, Mimik).
• Bei ausweichenden Antworten möglichst nicht gleich konkret nachfragen,
sondern zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal auf das Thema zurück-
kommen.
• Begriffe wie psychisch, psychosomatisch genau erklären, um keine Stigmati-
sierung hervorzurufen. Oft sind diese Begriffe für die Pat. sehr neg. besetzt
(Simulation, geistige Behinderung). Wörter wie „seelische Belastung“ oder
„Traurigkeit“ verwenden.
• Pausen als Mittel der Gesprächsführung nutzen. Die meisten Menschen fan-
gen nach einer Gesprächspause aus eigenem Antrieb wieder zu reden an.
• Keine Krankheitsbilder in die Pat. „hineindiagnostizieren“. Dies ruft Ohn-
machtsgefühle hervor, unter denen die Pat. sowieso schon leidet.
• Interaktionsverhalten in der Arzt-Pat.-Beziehung beachten (welche Wünsche
und Bedürfnisse traut sich die Pat. evtl. nicht zu artikulieren oder sind ihr
selbst nicht bewusst?).
662 19 Psychische und psychosomatische Probleme
19.2 Gynäkologie
19.2.1 Anorexia nervosa
Definition Ernstes Krankheitsbild, bei dem durch restriktives Essverhalten und
andere Verhaltensweisen ein Gewichtsverlust selbst herbeigeführt und das Unter-
gewicht willentlich aufrechterhalten oder verstärkt wird. Körpergewicht mindes-
tens 15 % unter dem für Geschlecht, Größe und Alter zu erwartenden Gewicht,
bei Erw. unterhalb von 17,5 kg/m2 (Body-Mass-Index, BMI). Bei Kindern und Ju-
gendlichen Unterschreiten der 10. Altersperzentile. Trotz bestehenden Unterge-
wichts Angst, zu dick zu sein und/oder ein ausgeprägtes Bestreben nach „Schlank-
heit“. Um Körpergewicht zu reduzieren, wird die Nahrungszufuhr eingeschränkt
(Vermeidung von Fetten bzw. Kohlenhydraten). Evtl. exzessive sportliche Betäti-
gung, selbstinduziertes Erbrechen oder Abführmittelmissbrauch.
Klinik
• Magersucht bis zur Kachexie bei Nahrungsverweigerung, häufig kombiniert
mit provoziertem Erbrechen, abwegige Appetitgelüste mit bulimischen Pha-
sen.
• Obstipation, oft Gebrauch von Abführmitteln (→ Gefahr der Hypokaliämie).
• Hypotonie, evtl. orthostatische Dysregulation.
19.2 Gynäkologie 663
• Amenorrhö, oft prim., Pubes und Mammae häufig nur schwach entwickelt,
ansonsten unauffälliges äußeres Genitale.
• Psychischer Befund meist mit Verleugnung des Krankheitsbildes („heile 19
Welt“); es bestehen jedoch häufig verdeckte Beziehungsprobleme (Eltern,
evtl. auch Geschwister, selten Partner), sehr leistungsbereite Mädchen, oft mit
hohen ethisch-moralischen Ansprüchen.
Diagnostik
• Primärdiagn. durch den Kinder- und Jugendpsychiater oder einen geschulten
Frauenarzt:
– Körpergröße und Körpergewicht (Bewertung mithilfe des BMI oder mit
Perzentilkurven bei Jugendlichen)
– Blutdruck und Puls.
• Zur Abschätzung der vitalen Gefährdung:
– Körpertemperatur.
– Inspektion der Körperperipherie (Durchblutung, Ödeme).
– Auskultation des Herzens, Orthostasetest.
– Blutbild.
– Blutsenkung.
– Harnstoff.
– E’lyte.
– Krea.
– Leberfunktionstest.
– Blutglukose.
– Urinstatus.
– EKG.
• Labor: FSH und LH normal bis leicht erniedrigt, E2 < 30 μg/l, BB, Albumin
(Unterernährung), Na+ (Wassermangel), Krea.
• DD: sicherer Ausschluss organischer Erkr. wie konsumierende Tumoren,
Hirntumoren, Hyperthyreose, M. Addison, GIT-Affektionen, Psychosen an-
derer Genese mit Anorexie als Begleitsy.
Therapie Behandlungsoptionen: stationäres Setting, teilstationäres/tagesklini-
sches Setting und ambulantes Setting.
• Diät: diätetische Behandlung mit ausreichender Kalorien- und Eiweißzufuhr,
notfalls Sondenernährung.
• Psychother. nach Stabilisierung oder Besserung des körperlichen Verfalls.
• Hormonelle Substitution: z. B. Femoston® 1/10 über mind. 3–6 Mon., dann
Auslassversuch.
• Ther. entsprechend der S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie der Essstö-
rung 2010 (www.awmf.org).
19.2.4 Sterilität
Siehe auch ▶ 15.
Ätiologie Am häufigsten sind hypothalamisch-hypophysäre Störungen (▶ 15.4)
und Störungen des Sexuallebens. Wahrscheinlich sind die meisten ungeklärten
Sterilitätsursachen dem Tubenfaktor zuzuordnen (z. B. Eiauffang- und -transport-
mechanismus, intratubare Spermien-Ak).
Die psychischen und psychosomatischen Ursachen der Sterilität werden wahr-
scheinlich in ihrer Bedeutung derzeit überschätzt. Eine intensive Sterilitätsdiagn.
und -ther. kann sich jedoch früher oder später neg. auf das psychische Wohlbefin-
den des Paares auswirken und dann selbst zur Sterilitätsursache werden.
Psychische Probleme bei Sterilität
• Extreme zeitliche Beanspruchung der Frau durch Sterilitätsbehandlung.
• Dauernder Wechsel zwischen Hoffnung auf eine Schwangerschaft und Ent-
täuschung bei Einsetzen der Menstruation.
• Sexualität wird nur noch als Mittel zur Konzeption gesehen.
• Normales, spontanes Sexualleben kaum noch praktiziert („Sex auf Komman-
do“), obwohl in früher Follikelphase und in Lutealphase uneingeschränkt
möglich.
• Kinderwunsch wird zum zentralen und alleinigen Thema in der Partnerschaft.
• Probleme des Rollenverständnisses und der Akzeptanz der Frau durch Re-
duktion auf die generative Funktion.
• Minderung des Selbstwertgefühls der Frau durch „Misserfolge“.
• Schuldgefühl des Mannes bei andrologischer Sterilitätsursache (erheblicher
Therapieaufwand für die Frau bis hin zur ICSI ▶ 15.5.2).
666 19 Psychische und psychosomatische Probleme
19.2.5 Klimakterium
Siehe auch ▶ 17.1.
Klinik Bedingt durch die hormonelle Umstellung (v. a. Wegfall der Östrogene)
während der Wechseljahre treten bei vielen Frauen psychische Veränderungen
mit einer Tendenz zu depressiven Verstimmungen auf. Außerdem kommt es zum
Auftreten neurovegetativer Beschwerden (Schlaflosigkeit, Hitzewallungen, Kopf-
schmerzen, Herzklopfen). Der Hormonabfall wird häufig als Ausfallsymptomatik
empfunden. Bei ca. 1⁄3 der Frauen treten starke vasomotorische Beschwerden auf,
bei einer Vielzahl eine urogenitale Symptomatik.
Erschwerende Faktoren
• Angst vor dem Älterwerden.
• Evtl. nachlassende Libido, gleichzeitig beginnende Atrophie im Genitalbe-
reich mit Kohabitationsbeschwerden; Angst vor Unattraktivität für den Sexu-
alpartner.
• Wegfall der Ovarialfunktion und Ausbleiben der Regelblutung führt zur Än-
derung des Rollenbilds als Frau.
• Häufig gleichzeitige Lösung der Kinder vom Elternhaus.
• Evtl. Tabuisierung des Themas („darüber spricht man nicht“).
Therapie Bei stärkerer psychischer und/oder somatogener Symptomatik sollte
der Pat. eine endokrine Ther. (perkutane Estradiolsubstitution plus natürliches
Gestagen [Utrogest]) angeboten werden. Bei Schlafstörungen zusätzlich eine
abendliche Gestagensubstitution (300–400 mg Utrogest).
Neben der medikamentösen Ther. (▶ 17.1.3 und ▶ 17.2), v. a. der hormonellen
Substitution, sollte die Frau zunächst über die Reversibilität der körperlichen
Symptome aufgeklärt werden. Evtl. ist auch hier ein einfühlsames Gespräch im
Beisein des Partners hilfreich. In Ausnahmefällen Einleitung einer psychothera-
peutischen Behandlung im Sinne einer Verhaltensther. Echte neurotische Störun-
19.3 Geburtshilfe 667
gen treten in dieser Altersgruppe extrem selten auf; hier muss eine fachärztlich-
psychiatrische Behandlung erfolgen.
19
19.3 Geburtshilfe
19.3.1 Psychische Probleme in der Gravidität
Der Eintritt einer Grav. bedeutet für nahezu jede Frau zunächst eine Ausein-
andersetzung mit der eigenen Rolle. Hieraus kann sich zum einen eine Verän-
derung in der Partnerbeziehung ergeben, zum anderen machen die meisten
Schwangeren eine Phase der ambivalenten oder ablehnenden Haltung gegen-
über dem Ungeborenen durch, die wiederum zu Schuldgefühlen führen kann.
Diese Prozesse können für die Frau mehr oder weniger bewusst ablaufen.
Klinik
• Hyperemesis gravidarum (▶ 5.7).
• Partnerkonflikte.
• Angst vor kindlichen Fehlbildungen.
• Ablehnung der Schwangerschaft, Angst vor körperlicher Veränderung (Ver-
lust des Schönheitsideals).
• Abnahme der Libido, Neigung zu depressiven Verstimmungen.
• Extreme, auch kurzfristige Stimmungsschwankungen, evtl. Manifestation ei-
ner larvierten Depression.
• Vorzeitige Wehentätigkeit.
Therapie Häufig reichen die Erklärung der Harmlosigkeit der Symptome und
der Hinweis auf die Tatsache, dass fast alle Schwangeren ähnliche Probleme ha-
ben, aus. Evtl. können häufigere Sono-Kontrollen zur Beruhigung beitragen (cave:
wird von den Krankenkassen nicht finanziert!). Medikamentöse Ther. außer bei
Hyperemesis gravidarum selten notwendig, Antidepressiva nur nach Vorstellung
der Pat. bei einem Psychiater und dann auch nur sehr zurückhaltend.
Vorzeitige Wehentätigkeit zunächst medikamentös behandeln (▶ 5.10). Durch
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. stationäre Aufnahme wird die Pat. häufig
ihrem akuten Problemfeld entzogen.
19.3.2 Geburt
Siehe auch ▶ 6.
Die Geburt stellt für die Frau, aber auch für den Partner in körperlicher wie in
psychischer Hinsicht eine extreme Ausnahmesituation dar. Neben der Angst vor
Geburtsablauf und Schmerzen sowie dem evtl. Verlust der Selbstkontrolle spielen
bei vielen Frauen auch unbewusste Ängste vor einer Fehlbildung oder der Schädi-
gung des Kindes unter der Geburt eine wesentliche Rolle. Außerdem ist nach der
Geburt die familiäre Situation völlig verändert, was zu Partnerkonflikten führen
kann. Die psychischen Konflikte der Frau können sich sehr unterschiedlich äu-
ßern (von völligem Rückzug bis offener Aggression z. B. gegenüber Partner oder
Hebamme).
668 19 Psychische und psychosomatische Probleme
19.3.3 Wochenbett
Siehe auch ▶ 8.
Ätiologie Die Ursache der postpartalen psychischen Störungen ist auch heute
noch ungeklärt. Vielfach werden die reduzierten Östrogen- und Progesteron- so-
wie der Tryptophan-Serumspiegel nach Geburt der Plazenta als Auslöser vermu-
tet. Dies ist wahrscheinlich aber nur für den Maternity Blues gültig. Prolaktin
scheint ebenfalls eine auslösende oder verstärkende Rolle, v. a. bei Manien und
manisch-depressiven Psychosen, zu spielen; es gibt Berichte über einen pos. ther.
Effekt mit Bromocriptin. Familien- und Zwillingsstudien unterstützen die These,
dass eine genetische Disposition sowohl bei der manisch-depressiven als auch bei
der schweren depressiven Puerperalpsychose besteht.
Progno- Gut für die erste psy- Sehr gut Sehr unterschiedlich, je nach
se unter chotische Episode, je- psychodynamischer Ursache
Therapie doch hohe Rezidivge-
fahr ≥ 50 % bei der
nächsten Geburt
Bei einem geringen Anteil psychotischer Pat. tritt eine Schizophrenie auf;
diese hat aber bei Erstmanifestation als postpartale Schizophrenie eine besse-
re Prognose als unabhängig vom Wochenbett.
Früherkennung Für den Verlauf wichtig ist die frühzeitige Erkennung psychi-
scher Probleme. Gerade hierbei kommt dem nachbetreuenden Gynäkologen eine
wichtige Rolle zu, denn häufig entwickeln sich die Puerperalpsychose und die
postpartale Neurose erst nach der stationären Entlassung. Deshalb sollte gerade
bei der Wochenbettabschlussuntersuchung nach 4–6 Wo. nach dem psychischen
670 19 Psychische und psychosomatische Probleme
Wohlbefinden gefragt werden. Wegen des hohen Suizidrisikos sollte ein Psychia-
ter eher einmal zu viel als einmal zu wenig konsultiert werden.
Nicht zu unterschätzen ist die Rolle des Pädiaters. Er sollte der Mutter auf jeden
19 Fall das Gefühl der mütterlichen Kompetenz vermitteln und bei Problemen der
Mutter-Kind-Beziehung frühzeitig an ein psychisches Problem denken.
Bei Unklarheit über die Ursache einer mütterlichen depressiven Verstimmung
oder Anzeichen einer Ambivalenz der Mutter gegenüber dem Kind sollte(n) auf
jeden Fall die Krankenhausentlassung verzögert und entsprechende Maßnahmen
(psychiatrisches Konsil, Sozialdienst, evtl. Jugendamt) eingeleitet werden.
20 Praktische Onkologie
Kay Goerke
20.1 Metastasierung
Tab. 20.1 Bevorzugte Metastasierungsorte verschiedener Organtumoren
Primärtumor Metastasen
Endometri-
um
+ + Iliakal, retroperito
neal, paraaortal 20
Uterussar- + + Iliakal, retroperito
kom neal, paraaortal
Chorion-Ca + +++ + +
* v. a. follikuläres Karzinom; ** abhängig vom histologischen Typ; *** v. a. klein-
zelliges Bronchial-Ca. (+) selten; + gelegentlich; + + häufig; + + + sehr häufig
20.2 Onkologische Therapie
20.2.1 Grundregeln
• W
o immer möglich, ambulante onkologische Ther. anstreben → Gewinn an
Lebensqualität für die Pat. insb. in der Palliativsituation.
• Th
erapiefolgen mit akuter, verzögerter und später Toxizität bedenken.
• P arameter und Methode für Verlaufskontrolle im Therapieplan festlegen und
regelmäßig dokumentieren (z. B. Tumorgröße durch Sono, Tumormarker).
• A
ufklärung der Pat. über Ther. und NW.
• V
or Ther. Festlegung des Tumorstadiums = Staging (TNM- bzw. FIGO-Klas-
sifikation) und Untersuchung der typischen Metastasierungslokalisationen
sowie Abklärung aller klinisch auffälligen Befunde.
• I und Interaktionen berücksichtigen: internistische Erkr., Komedikation,
K
Schwangerschaft, Kinderwunsch, onkologische Vorbehandlung.
0 Tod
20.2.2 Zytostatikatherapie
Vorgehen bei Paravasaten
Allgemeine Sofortmaßnahmen
• Injektion bzw. Infusion stoppen, i. v. Zugang belassen.
• P aravasatgebiet auf der Haut markieren.
• Infusionszuleitung diskonnektieren.
• 5 -ml-Einmalspritze auf den i. v. Zugang aufsetzen und so viel wie möglich
von dem Paravasat aspirieren.
• A spiration des Inhalts entstandener Blasen mittels einer Tuberkulinspritze
mit dünner Kanüle.
• L okale Gabe des empfohlenen Antidots (s. u.).
• H ochlagern der Extremität, ggf. Ther. des Erythems mit lokaler Hydrokorti-
soncreme (z. B. Alfason® Creme).
• L okale Kühlung zur Vasokonstriktion (außer bei Etoposid, Teniposid, Pacli-
taxel, Docetaxel, Vinca-Alkaloiden).
• W ärmeanwendung zur Vasodilatation bei Vinca-Alkaloiden (s. u.).
Spezielle Maßnahmen
• E toposid (Vepesid®): Hochlagern der Paravasatstelle, 60 Min. trockene milde
Wärme anwenden (Kompresse). Anschließend Hyaluronidase Hylase® (1–
6 Amp. zu 150 IE/ml) s. c. und um die Paravasatstelle applizieren. Alternativ
alle 3–4 h über 1–3 Tage DMSO, z. B. Rheumabene® Gel.
• V inca-Alkaloide (Vinblastin®, Vincristin®, Vindesin®, Vinorelbin®): Hyalu-
ronidase Hylase® (150 IE/ml) 1–6 ml s. c., periläsional und intraläsional mit
multiplen Injektionen applizieren. Mehrfache Wiederholung in den folgen-
den Stunden. Mit NaCl-Lsg. 1–5 ml s. c., peri- und intraläsional verdünnen.
Trockene, milde Wärme. Keine Kälteapplikation!
• P aclitaxel (Taxol®) und Docetaxol (Taxotere®): Hochlagern der Extremität
zur Vermeidung von Stauungen. Aspiration von größeren Paravasaten über
den noch liegenden Zugang. Keine Anwendung von Wärme oder Kälte. Hy-
aluronidase (Hylase®) 150 IE in verdünnter NaCl-Lsg. s.c., peri- und intraläsi-
onal. Im Einzelfall lokale Anwendung von Glukokortikoiden.
• A nthrazykline (Doxorubicin, Adriamycin, Daunorubicin, Epirubicin, Ida-
rubicin, Aclarubicin):
– DMSO, z. B. Rheumabene® Gel 1–2 ml über Watteträger auftragen, Wie-
derholung alle 3–4 h. Fläche doppelt so groß wie das betroffene Gebiet.
Anwendung über mehrere Tage.
676 20 Praktische Onkologie
• G
enaue Dokumentation mit Paravasatmenge, Antidotther. und beob-
achteter Gewebeläsion.
• H
ohe Nekrosewahrscheinlichkeit: Anthrazykline, Amsacrin, Dactino-
mycin, Mitomycin, Vinca-Alkaloide.
• N
iedrige Nekrosewahrscheinlichkeit: Bleomycin, Cisplatin, Etoposid,
5-Fluorouracil, Mitoxantron.
• K eine Nekrosewahrscheinlichkeit: Asparaginase, Cyclophosphamid, Cy-
tarabin, Dacarbacin, Interleukin, Melphalan, Methotrexat, Plicamycin,
Teniposid.
20.2.3 Strahlentherapie
Formen
• P erkutane Ther.: Strahlenquelle außerhalb des Körpers, meist Bestrahlung in
Mehrfeldertechnik: Strahlen summieren sich im Herd mit verbesserter Haut-
schonung.
• B rachyther.: Strahlenquelle im oder am Tumor lokalisiert (z. B. intravag., in
trauterin). Die vom Gewebe absorbierte Dosis wird in Gray (Gy; 1 Gy =
100 rad, ältere Einheit) angegeben.
• I nterkavitäre Ther. („Afterloading“): Radionuklide werden über flexible
Führungskanüle, die z. B. über ein Endoskop platziert werden kann, an den
Tumor herangefahren, einige Min. bis Stunden (je nach Nuklid) belassen und
dann in einen strahlensicheren Behälter zurückgezogen.
Indikationen
• K urativ: Zervix-Ca ab Stadium IIb. In Kombination mit einer OP z. B. bei
Mamma- oder Endometrium-Ca.
• P alliativ: bei drohenden path. Frakturen, Funktionsbeeinträchtigung vitaler
Systeme (z. B. Atelektasenbildung bei Bronchial-Ca), bei lokalisierten
Schmerzzuständen (▶ 10.7.6).
Nebenwirkungen Abhängig von Gesamtdosis und Dosisverteilung:
• S trahlenkater (Stunden bis Tage nach Radiatio): Anorexie, Müdigkeit, Erbre-
chen, Kopfschmerzen.
• S trahlenreaktion (bis 3 Mon. nach Ther.): reversible Haut- und Schleimhaut-
veränderungen, z. B. Rö-Erythem, -Dermatitis oder -Mukositis.
20.2 Onkologische Therapie 677
Mit Beginn der Strahlenther. werden neu auftretende Symptome von der Pat.
oft als Folge der Strahlenther. gewertet; sie sind jedoch häufig Ausdruck der
Grunderkr.
20
20.2.4 Schmerztherapie bei Tumorpatienten
Analgetisches Stufenschema
Allgemeine Regeln
• K eine Mischmedikation von Substanzen derselben Wirkgruppe (z. B. kei-
ne Kombination mehrerer Opioide miteinander), sonst Konkurrenz um
denselben Angriffsort (z. B. Opioidrezeptoren).
• V or einem Substanzwechsel zunächst Dosissteigerung bis zur Höchst-
menge und ausreichend lange Verabreichung, um Wirkung und NW ver-
lässlich zu beurteilen. Erst wenn Präparat „austherapiert“ wurde oder gra-
vierende NW bestehen, Übergang auf anderes Medikament.
• B ei Dauerther. stets Begleitmedikation zur Prophylaxe oder Ther. von
NW (z. B. Laxanzien zur opioidbedingten Obstipationsbekämpfung, Ma-
genschutz bei Prostaglandinsynthesehemmern).
• S chulung von Pat. und Personal verbessert Compliance bei der prakti-
schen Umsetzung.
• B eginn der Ther. entweder mit der 1. Stufe und bis zur ausreichenden An-
algesie steigern oder gleich auf höherer Stufe einsetzen.
678 20 Praktische Onkologie
Codein
Dihydrocodein retard (z. B. DHC 60/90/120® Retardtbl.) bis zu 2 × 120 mg/d. Et-
wa 100 mg DHC entsprechen 10 mg Morphin. Wirkdauer 8–12 h. Verursacht von
allen Opioiden am ausgeprägtesten Obstipation.
Pethidin (z. B. Dolantin®)
Bis zu 5 × 100 mg/d (= je 1 Amp. i. v. oder i. m., je 25–50 Tr. oder je 1 Supp). Etwa
75–100 mg Pethidin entsprechen 10 mg Morphin. Beseitigt auch postop. „Shive-
ring“, dadurch deutliche Senkung des Sauerstoffverbrauchs. Wirkdauer 3–4 h, für 20
die Dauerther. nicht geeignet. KI: Pat. mit MAO-Blocker-Ther. (schwerwiegendes
Exzitationssy.).
3. Stufe: „starke“ Opioide
Piritramid
(z. B. Dipidolor®) 6 × 15–30 mg/d (= je 1–2 Amp. i. m. oder i. v.). Etwa 15 mg Piri-
tramid entsprechen 10 mg Morphin. Sehr häufig postop. eingesetztes Analgeti-
kum. Wirkdauer 4–6 h.
Buprenorphin (z. B. Temgesic®, Temgesic® forte)
Bis zu 4 × 0,4 mg/d p. o. (= 4 × 1–2 Sublingualtbl.), bis zu 4 × 0,3 mg/d i. m., i. v.
(= 4 × 1 Amp.). Etwa 0,3–0,4 mg Buprenorphin entsprechen 10 mg Morphin. Gute
Anwendung bei Pat. mit Schluckstörungen wegen s. l. Resorption. Nur mit hohen
Dosierungen von Naloxon (Narcanti®) antagonisierbar. Wirkdauer oral 4–6 h.
Neu: Buprenorphin als transdermales Matrixpflaster (Transtec® 35; 52,5; 70 μg/h).
Anflutung und Abklingen des Wirkstoffs jeweils über 12 h nach Aufbringen bzw. Ent-
fernen des Pflasters! In den ersten 12 h bisherige Schmerzmedikation beibehalten.
Zusatzmedikation bei Bedarf verabreichen (Temgesic® s. l. Tbl.). Nach 3 Tagen je nach
erforderlicher Gesamttagesmenge an zusätzlichen Analgetika ggf. Dosisanpassung
des Pflasters. Pflaster auf unbehaartes Gebiet von Brust oder Rücken kleben. Baden,
Duschen, Schwimmen, Zerschneiden und Verkleinern des Pflasters ist möglich.
Morphin
Nichtretardiertes Morphin, z. B. MSI 10/20/100/200 Mundipharma® Amp., Sev-
redol® 10/20 Tbl., MSR 10/20/30® Supp., retardiertes Morphin, z. B. MST
10/30/60/100/200® Retardtbl., MST Continus® 30/60/100/200 Retardkps. mit 24 h
Wirkdauer, MST 20/30 Retard-Granulat®, Capros 10/20/30/60/100® Kps. je nach
Schmerzintensität titrierend bis zur Schmerzfreiheit bzw. geringer, tolerabler In-
tensität verabreichen. Keine Obergrenze der analgetischen Wirksamkeit (kein
Ceiling-Effekt), Limitierung nur durch auftretende NW.
Fentanyl transdermal (Fentanyl TTS)
z. B. Durogesic® 25/50/75/100 μg/h = Pflaster à 2,5/5,0/7,5/10,0 mg Fentanyl.
Ind.: Tumorschmerzen und Probleme mit oralem/rektalem Applikationsweg, als
Alternative zu anderen Substanzen der Stufe 3. Wirkweise: Anfluten über 12 h, dann
gleichmäßige Wirkspiegel im Plasma. Wirkdauer 72 h. Alle 3 Tage Pflasterwechsel.
Dosisfindung:
• z . B. PCA-Pumpe mit Fentanyl oder Morphin i. v. oder retardiertes orales
Morphin plus schnell wirksames Morphin bei Schmerzspitzen. Nach mind.
3 Tagen Umrechnung: ermittelte Tagesdosis von retardiertem oralem Mor-
phin [mg] × 0,01 = Tagesdosis Fentanyl TTS [mg] oder:
680 20 Praktische Onkologie
• V
orteil: Pat. verabreicht sich selbst innerhalb eines vorprogrammierten
Rahmens (Sperrintervall, Höhe der jeweiligen Einzeldosis, max. Gesamt-
dosis) das Analgetikum.
• achteil: Nur für kooperationsfähige und -willige Pat., Geräte noch sehr
N
teuer, ständige kompetente Rufbereitschaft erforderlich für Probleme
(z. B. ein „Akutschmerzdienst“ des Krankenhauses).
20
Häufige Fehlerquellen der Therapie chronischer Schmerzen
• T herapeut: Verschreibung nur „nach Bedarf“, Standarddosierung, zu
schwaches Analgetikum, Unterschätzung der Schmerzintensität, bürokra-
tische Hemmnisse der BtMVV, Angst vor Suchterzeugung und unzurei-
chendes Wissen über adjuvante Medikamente.
• P at.: Annahme, Tumorschmerzen seien nicht therapierbar; Analgetika
dürften nur genommen werden, wenn „absolut notwendig“; Furcht vor
Sucht; Nichteinnahme der verordneten Medikamente, Absetzen der Me-
dikamente wegen NW ohne Rücksprache.
20.3 Tumormarker
Definition Von bestimmten Neoplasmen gebildete oder induzierte Biomolekü-
le, die in normal ausdifferenziertem Gewebe nicht oder nur gering vorkommen.
z. B. onkofetale Antigene, tumorassoziierte Antigene, Hormone, Enzyme, Serum-
proteine.
Bedeutung Kein Marker ist tumorspezifisch, erhöhte Konzentration bisweilen
auch beim Gesunden messbar. In der onkologischen Nachsorge gynäkologischer
Tumoren nicht mehr empfohlen.
Indikationen
• K ontrolle der Wirksamkeit einer Ther. (wichtigste Ind.).
• N ur bei therapeutischer Konsequenz vor Ther. (OP, Chemo-, Hormon-, Ra-
diother.) einen geeigneten, deutlich erhöhten Marker auswählen (ein Marker
ist zur Verlaufskontrolle meist ausreichend). Weitere Bestimmungen dann
z. B. postop. bzw. nach Therapiebeginn zur Verlaufskontrolle: 10–20 Tage
nach Therapiebeginn (je nach HWZ des Markers).
Bewertung
• K önnen früher als andere diagn. Verfahren auf Rezidive hinweisen.
• B ei radikaler OP Markerabfall innerhalb von 4–8 Wo. Ein Wiederanstieg
spricht für ein Rezidiv oder Metastasen.
• Z ur Primärdiagn. und zum Screening unbrauchbar. Ausnahme Pat. mit Z. n.
Blasenmole, V. a. Keimzelltumoren (β-HCG).
• Z ur Prognoseeinschätzung selten geeignet. Ausnahmen: CEA beim kolorek-
talen Ca, AFP und β-HCG bei Keimzelltumoren. Cave: Werte werden durch
Rauchen (CEA, TPA), Schwangerschaft (AP, HCG), Katabolismus, entzünd-
liche oder toxische Erkr. beeinflusst.
• M arker-Normwerte differieren je nach Labormethode → möglichst stets im
gleichen Labor bestimmen lassen!
682 20 Praktische Onkologie
Tumor
Mamma ++ ++ +++
+
Pankreas + +++ +
Gallenwege, + +++
Magen
Kolorektal-Ca ++ + +
+
Endometrium-Ca + ++ Ca 50
Uterus, Chorion ++
+
Zervix-Ca + ++
+
Ovar, muzinöses + ++
Kystadenom +
Ovar, Keim- + ++ ++ ++
zelltumor + +
Blase + +
Pleuraerguss
Ursachen Transsudate häufig nicht tumorbedingt, Exsudate außer durch Tumor
auch infektiös, autoimmunologisch bedingt. Bei unzureichendem Erfolg der sys-
20.4 Behandlung maligner Ergüsse 683
Aszites
Klinik Zunahme des Bauchumfangs, Dyspnoe bei Zwerchfellhochstand.
Diagnostik Palpation; Sono; diagn. Punktion (▶ 2.3.3) mit laboranalytischer Ab-
klärung der Aszitesursache (Zytologie, Mikrobiologie, Eiweiß, Cholesterin, Glu-
kose, Fibronektin).
Differenzialdiagnosen Stauungsaszites (Leberzirrhose, Budd-Chiari-Sy., Alko-
holhepatitis, Pfortaderthrombose), entzündlicher Aszites (bakteriell, Tbc, Pan
kreatitis), Hypalbuminämie (nephrotisches Sy., Albuminverlust-Sy.).
Therapie
• B ei fortgeschrittener Metastasierung immer Therapieversuch mit 200–300 mg
Spironolacton gerechtfertigt.
• B ei unzureichendem Erfolg der systemischen Ther. und klinischer Sympto-
matik Aszitesreduktion durch intraperitoneale Ther. indiziert (Erfolgsraten
35–60 %, NW: Peritonitis mit Schmerzen, Fieber, Nausea).
• P eritonealpunktion (▶ 2.3.3), Anlage eines geeigneten Katheters (z. B. Perito-
fix-Katheter).
• A blassen des Aszites, evtl. Spülung des Peritonealraums mit 2–4 l körperwar-
mer NaCl-Lsg.
• S ystemische Gabe eines starken Analgetikums, z. B. Temgesic sublingual®.
• Instillation eines geeigneten Zytostatikums in 1–2 l NaCl-Lsg. über mind.
24 h bzw. auf Dauer belassen.
• W iederholung alle 3–4 Wo. möglich.
• B eim Ovarial-Ca: intraperitoneale Ak-Ther. mit Catumaxomab (Removab®)
möglich.
684 20 Praktische Onkologie
Akutes Hirnödem
Intensivstation; initial Dexamethason 40–100 mg (z. B. Fortecortin® etwa 1 mg/kg
KG), dann über 10–20 Tage Dosis reduzieren (s. u.), zusätzlich Furosemid 40 mg
i. v. und Mannit 20 % 250 ml i. v. über 15 Min. (engmaschige Kontrolle der Aus-
scheidung per Blasenkatheter, RR- und Pulskontrolle); maschinelle Beatmung ab
pCO2 von 40–45 mmHg.
Subakutes Hirnödem
Initial Dexamethason 20–50 mg (z. B. Fortecortin®), dann 12–24 mg/d über 2 Wo.,
Erhaltungsdosis 2–8 mg/d p. o.
Klinik
• H äufig Nephrolithiasis, selten Nephrokalzinose.
• A ppetitlosigkeit, Übelkeit, Obstipation, selten Magen-Darm-Ulzera und Pan-
kreatitis.
• R asche Ermüdbarkeit, Abgeschlagenheit.
• M uskelschwäche bis hin zur -atrophie.
• D epressive Verstimmung.
Diagnostik Labor: Kalzium, Phosphat, PTH, AP, cAMP, Hydroxyprolin.
Differenzialdiagnosen Prim. oder sek. Hyperparathyreoidismus. Selten Hyper-
thyreose, NNR-Insuff., Sarkoidose, Vit.-D-Intox., Vit.-A-Intox., hoch dosierte
Ther. mit Thiaziddiuretika.
Therapie
• Z oledronsäure (Zometa®, 4-mg-Inf.-Lsg.): Gesamtdosis eines Behandlungs-
gangs bei Hyperkalzämie (albuminkorrigierter Serumkalziumspiegel ≥ 12 mg/
dl oder 3,0 mmol/l): 4 mg. Keine Dosisanpassung bei leichter bis mittelschwe-
20.6 Behandlung der Hyperkalzämie 685
20
21 Ultraschall
Volker Duda
Untersuchungsablauf
Bei normaler Anatomie des inneren Genitales
• V ulva: von perineal einsehbar.
• V agina: von perineal bedingt, von abdominal in den kranialen 2⁄3 gut beurteil-
bar.
• U terus: Darstellung im sagittalen Längsschnitt zur Feststellung der Lage (an-
tevertiert, anteflektiert, gestreckt, retrovertiert, retroflektiert; ▶ Abb. 21.1)
und zur Größenmessung (Länge und a. p.-Durchmesser, Sondenlänge vor ge-
planter OP oder Einlage eines IUP) sowie Beurteilung des Endometriums
(Höhe beider Endometriumlagen zusammen, ggf. Kavumspreizungen subtra-
hieren, Abgrenzbarkeit zum Myometrium, Struktur). Beurteilung der äuße-
ren Uteruskontur im Längs- und Querschnitt auf Unregelmäßigkeiten, Dop-
pelbildungen, Abgrenzung zu Harnblase und Darm.
• D ouglas-Raum: Blick auf die Stromgebiete der uterinen Gefäße und die Ad-
nexabgänge.
• O varien: Lateral des Uterus in Anlehnung an die A. und V. iliaca interna aufsu-
chen, Identifikation durch die ovarielle Gefäßversorgung (A. und V. ovarica).
Messung von 3 Durchmessern in 2 Ebenen, Überprüfung auf Seitendifferenzen
und Strukturauffälligkeiten (Korrelation zum Zyklus; die meisten kleineren
Zysten am Ovar sind Follikel oder zystische Corpora lutea) (▶ Abb. 21.2).
• T uben: Im Normalzustand kann nur der Adnexabgang dargestellt werden.
Cave: Verwechslung von Tube und Lig. rotundum möglich.
21.1 Gynäkologische Ultraschalldiagnostik 689
21
Beispiel Li. an A. und V. iliaca interna liegender, 5,5 cm × 4 cm × 3,5 cm gro-
ßer Tumor, nur teilweise glatt begrenzt, kaum komprimierbar, mäßig mobil,
überwiegend zystisch erscheinend, radspeichenartige dünne Septen. Histolo-
gie: Ovarialkystom.
Vulva
Bartholin-Zysten bzw. -Abszesse (Ausdehnung, Kolliquationsgrad).
Vagina
Zysten in der Vaginalwand, Fremdkörper bei Kleinkindern, Tampons.
Zervix
Retentionszysten (durchaus nicht selten bis 1 cm Durchmesser).
Uterus
• M
yome: je nach Lokalisation (submukös, intramural, subserös) als rundliche,
hyporeflektive Gebilde, z. T. mit schalenartigem Aufbau, seltener verkalkt
oder partiell zystisch erweicht.
• E ndometrium: gutartige Veränderungen des Endometriums zeigen sich so-
nografisch meist nur durch eine übernormale Endometriumhöhe, die beob-
achteten strukturellen Auffälligkeiten sind eher unspezifisch.
• I UP: korrekter Sitz, Entfaltung der Seitenteile, nach IUP-Typ fragen!
• I ntrauterine Fruchtanlage: intakt oder gestört (zeitgerechte Entwicklung,
Vitalitätszeichen).
• B lasenmole, Chorionepitheliose: keine zeitgerechte intrauterine Fruchtanla-
ge bei dafür sehr hohem HCG (DD: EUG). Tipp: Vaskularisation von Tro-
phoblast (radiär) und/oder Corpus luteum (ringförmig) überprüfen.
Tube
• S aktosalpinx: schlauch- bis flaschenartig aufgetriebene, längliche zystische
Struktur im Adnexbereich mit neg. Dopplerflow (DD: Varizen → pos. Dopp-
lerflow).
• Tubargrav.: zystisch-solide Struktur im Adnexbereich, die nicht dem Ovar
entspricht, bei pos. HCG und fehlender intrauteriner Fruchtanlage; pos.
Herzaktion extrauterin relativ selten nachweisbar. Diagnosesicherung durch
Laparoskopie (▶ 14.3).
21.1 Gynäkologische Ultraschalldiagnostik 691
Ovar
• Z ysten: Follikel(-zysten), Corpus-luteum(-Zysten) mit typischer ringförmiger
Vaskularisation, polyzystische Ovarien (PCO-Sy.).
• K ystom: oft sehr großer, gekammerter, zystisch(-solider) Tumor.
• T eratom, Dermoid: vielfältiges Erscheinungsbild, solid oder solid-zystisch
mit kalkdichten Anteilen, Spiegelbildungen zwischen verschiedenen Bestand-
teilen oder kaum von Darmschlingen zu differenzierendes Aussehen.
• ibrom: solides, meist recht homogenes Aussehen. DD: gestieltes Myom.
F
Adnexe
Sowohl im Rahmen einer Adnexitis als auch einer Endometriose können Konglo-
merattumoren im Adnexbereich ohne mögliche weitere Organzuordnung auftre-
ten (DD: ausgeprägte Verwachsungen im kleinen Becken). Auf verstärkte Gefäß-
zeichnung und freie Flüssigkeit achten (unspezifische Zeichen, dennoch nützlich 21
für die Diagnosefindung!).
Kriterium 0 1 2
Kriterium 0 1 2
Gebildet wird die Summe der Score-Punkte. < 9: eher benigne; ≥ 9: eher maligne.
Lymphknotenmetas-
tasen
Relativ gut abgrenzbar, eher homogene Binnenechos, ent-
lang von Gefäßen 21
„Zystisch-solide“ imponierender Tumor
Regressiv veränder- Zusammenhang mit dem Uterus, nach weiteren Myomen su-
tes Myom chen
Entzündlicher Kon- Ovar und Tube nicht voneinander zu trennen, freie Flüssig-
glomerattumor keit, verstärkte Gefäßzeichnung, Druckdolenz
Partiell verkalktes Zusammenhang mit dem Uterus, evtl. weitere Myome er-
Myom kennbar
1. Trimenon
• V
. a. gestörte intrauterine Frühschwangerschaft (z. B. liegendes IUP, Uterus
myomatosus, Adnextumor, uterine Blutung).
• N achweis einer intrauterinen Schwangerschaft bei zwingendem V. a. EUG.
• D iskrepanz zwischen Uterusgröße und Gestationsalter.
• S chwangerschaftsgefährdende Unfälle und Verletzungen sowie Intoxikationen.
2. Trimenon
• A
ls notwendige Ergänzung zu anderen diagn. Maßnahmen (z. B. Amniozen-
tese).
• B ei V. a. intrauterinen Fruchttod.
3. Trimenon
• h-Inkompatibilität (Plazentadiagn.).
R
• . a. intrauterine Retardierung (z. B. EPH-Gestose), V. a. Hydramnion.
V
• iabetes mellitus.
D
• rohende Frühgeburt (vorzeitige Wehen, Zervixinsuff.), Lageanomalien (nur
D
nach Durchführung der 2. Routineuntersuchung).
696 21 Ultraschall
Fetales Leben?
21 ja nein
Gestationsalter
Dokumentation
Standardmäßig sollten die fett gedruckten Parameter als Bild dokumentiert wer-
den, ebenso jegliche Auffälligkeiten. Eingeschränkte Sichtverhältnisse (z. B. auf-
grund der mütterlichen Bauchdecke, einer ungünstigen Lage des Feten oder einer
ungenügenden FW-Menge) sind unbedingt im schriftlichen Befund aufzuführen,
auch ist die Pat. in einem solchen Fall über die eingeschränkten Sichtverhältnisse
aufzuklären.
21.2 Geburtshilfliche Ultraschalldiagnostik 697
Allgemeines
• inling/Mehrlinge: Chorionizität; Amnionizität, sofern noch erkennbar.
E
• italität: Herzaktion/Bewegungen.
V
• W-Menge: qualitativ, quantitativ.
F
• abelschnur: Gefäßzahl.
N
• lazenta: Sitz (Ausschluss Placenta praevia), Struktur, Dicke.
P
Körperliche Befunde
Kopf
• K ontur: Außenkontur im Planum frontooccipitale (Biometrie: biparietaler
Kopfdurchmesser [BPD], frontookzipitaler Kopfdurchmesser [FOD], Kopf-
umfang [KU]).
• Innenstrukturen: Hirnseitenventrikel, Plexus choroideus, Zerebellumkontur
(Biometrie: Zerebellum-Transversaldurchmesser CTD). 21
• G esicht: Seitenprofil (medianer Sagittalschnitt) und Aufsicht Mund-/Nasen-
bereich (Frontalschnitt).
Nacken/Hals Kontur.
Wirbelsäule Sagittaler Längsschnitt und Hautkontur über der Wirbelsäule.
Thorax
• L unge: Struktur.
• H erz: Herzfrequenz und -rhythmus, qualitative Einschätzung von Größe,
Form und Position des Herzens, Vierkammerblick, links- und rechtsventri-
kulärer Ausflusstrakt.
• Z werchfell: Kuppelkontur im Längsschnitt.
Abdomen
• K ontur (Biometrie: Abdomen-Transversaldurchmesser [ATC], Abdomen
Anterior-Posterior-Durchmesser [APD], Abdomenumfang [AU]).
• L eber: Topografie und Struktur.
• M agen: Topografie (Höhe der Biometrieebene).
• D arm: Echogenität.
Urogenitaltrakt
• N ieren (bds.): Topografie und Struktur.
• H arnblase: Topografie und Form.
Extremitäten Arme und Beine, Hände und Füße ohne differenzierte Darstel-
lung der Finger und Zehen (Biometrie: Femur FL und Tibia oder Fibula, alterna-
tiv: Humerus HL und Radius oder Ulna).
Messebenen
Kopf Kalotte als Ovoid, Cavum septi pellucidi, diskontinuierliche Abbildung
der Falx cerebri (▶ Abb. 21.4). Hinweise auf fehlerhafte Einstellung der Messebe-
ne:
• A bbildung der Orbitae oder des Zerebellums (= zu weit kaudal).
• F alx cerebri durchgehend dargestellt ohne Cavum septi pellucidi (= zu weit
kranial).
698 21 Ultraschall
21
Abb. 21.4 Fetaler Kopf in der 23. SSW; biparietaler Durchmesser (BPD) = 5,67 cm,
okzipitofrontaler Durchmesser (OFD) = 6,81 cm. Kopfumfang (HC) = 19,75 cm
[M455]
21
Gewichtsschätzung
Anhand der Sonobiometrie des Fetus am besten aus BPD und ATD oder AU und
FL üblich, Genauigkeit: ± 10 % durchschnittlich (!), leichte Kinder werden meist
unter-, schwere eher überschätzt! Cave: Bei BEL, Querlage, sehr wenig oder viel
FW → Messergebnisse z. T. verändert.
Kopf-Thorax-Diskrepanz
Gebräuchlicher Begriff, obwohl mit Thorax eigentlich das „Abdomen“ gemeint ist.
• D
ie in unterschiedlichem Ausprägungsgrad vorhandenen retroplazenta-
ren Gefäßräume (pos. Dopplerflow) nicht mit partiellen Lösungsbezir-
ken (kein Dopplerflow) verwechseln!
Zervix
Längenmessung
CK auf ganzer Länge darstellen. Längenmessung als Absolutwert klinisch kaum
verwertbar, wohl aber bei Verlaufskontrollen. Eine gefüllte Harnblase führt zu
falsch hohen Werten durch Druck auf die Zervix; am realistischsten sind vaginal-
sonografisch ermittelte Werte bei entleerter Harnblase.
Muttermund
21 Trichterförmige Öffnungen des inneren MM sind bei Zervixverschlussinsuff. oder
vorzeitiger Wehentätigkeit prognostisch schlecht, im Einzelfall aber durchaus
reversibel.
Zerklage
Die intraop. Sono bei Anlage einer Zerklage ist sinnvoll, auch wenn sie derzeit sel-
ten genutzt wird. Oft liegen die Fäden aus Unsicherheit über die lokalen Verhältnis-
se zu weit kaudal, dadurch üben sie kaum eine Wirkung aus und reißen leichter ein.
• A
a. umbilicales: spiegeln die Verhältnisse im plazentaren Strombett am bes-
ten wider und zeigen die intensivste Abhängigkeit vom Schwangerschaftsalter
(keine Dopplerauswertung ohne Kenntnis des Gestationsalters!). Bei patholo-
gischem Befund erst die zweite Umbilikalarterie überprüfen!
• orta fetalis: wird im Strömungsverhalten ebenfalls stark von der plazenta-
A
ren Durchblutung beeinflusst. Werte über der 90./95. Perzentile oder ARED-
Flowmuster (Absent or reversed enddiastolic Flow) gelten als pathologisch.
Häufig Probleme mit dem Schalleinfallswinkel.
• . cerebri media: Erst ab der 36. SSW steigt hier der enddiastolische Fluss an,
A
vorher ist ein entsprechender Flussverlust evtl. physiologisch (im Gegensatz zu
den oben beschriebenen Gefäßen). Sinkt der enddiastolische Fluss vor der
36. SSW auf Werte unter der 10. Perzentile, ist bei gleichzeitigen path. Werten in
anderen Gefäßen von einer fetalen Stresssituation auszugehen. Scheinbare Ver-
21 besserungen der Werte der A. cerebri media bei Verschlechterung in den ande-
ren Gefäßen deuten auf ein Zusammenbrechen des „Brain-sparing Effect“ hin.
• . umbilicalis: Atemunabhängige Pulsationen im intrahepatischen Teil gel-
V
ten als path.; mögliche Ursache ist ein Vitium cordis.
Auswertung
• Q
ualitativ: durch Beurteilung der Flussmuster. Enddiastolischer Null- oder
Rückwärtsfluss (ARED-Flow) z. B. in der A. umbilicalis ist pathologisch.
• Q
uantitativ: Durch Bildung von Indizes (RI = Resistenzindex, A/B-Ratio, PI =
Pulsatilitätsindex) und Kontrolle anhand von Normkurven. Für A. umbilica-
lis und Aorta gelten Werte über der 90./95. Perzentile als pathologisch.
ARED-Flowmuster und Blutumverteilungen im Sinne eines „Brain-sparing Ef-
fect“ korrelieren mit erhöhter Morbidität und Mortalität. Umgehende Intensiv
überwachung (▶ 5.1) und ggf. vorzeitige Beendigung der Schwangerschaft können
notwendig werden.
• A
rtefakte ausschließen.
• A
uffällige Befunde gut dokumentieren (in Wort und Bild), nach zusätz-
lichen Auffälligkeiten suchen und die Anforderungen des „normalen“
Untersuchungsprogramms nicht vernachlässigen.
• S chon bei der Untersuchung die vermuteten Zusammenhänge mit be-
stimmten Krankheitsbildern bzw. Sy. durchdenken, um zusätzliche Fra-
gen direkt klären zu können.
Da die pränatale Diagn. extrem komplex geworden ist, muss jede Schwange-
re vor und nach Durchführung der Diagn. über Möglichkeiten, insbesondere
aber auch Grenzen der Methoden aufgeklärt werden. Es empfiehlt sich, die
Aufklärung auf einem entsprechenden Formblatt zu dokumentieren und ge-
genzeichnen zu lassen.
21.2 Geburtshilfliche Ultraschalldiagnostik 703
Teratom
704 21 Ultraschall
Piperacillin Spektrum von 3–4 × 2–4 g i. v. Ampicillin, pas- Keine Beden-
(Piperacillin- Mezlocillin, sagere Neutro- ken. Bei NG
Fresenius®) wirksam bei penien. Hoher Sensibilisie-
22 Pseudomonas
und Bactero
Natriumgehalt.
Bei lebensbe-
rung, Störung
der Keimflora
ides, unvoll- drohlichen Inf. möglich
ständig gegen in Kombinati-
Staph. on mit Amino-
glykosiden an-
wenden
22.1.2 Cephalosporine
Parenterale Cephalosporine
• K lassisches Cephalosporin: Cefazolin. Wirkung auf Staph. und die meisten
anderen grampos. Keime und auf viele Enterobakterien. Ind. als Basis-Cepha-
losporin sowie gezielte Ther. von Staph.-Inf.
• ephalosporine der 2. Generation: Cefamandol, Cefuroxim, Cefotiam. Er-
C
höhte Betalaktamasefestigkeit, Wirkung auch auf resistente Enterobakterien.
Hauptind. ist periop. Prophylaxe.
• xymethyl-Cephalosporine: Cefoxitin, Cefotetan. Sehr hohe Betalaktamase-
O
festigkeit, daher auch Wirkung auf Anaerobier. Hauptind. sind gyn. Inf.
• reitspektrum-Cephalosporine: Cefotaxim, Ceftizoxim, Cefmenoxim, Ceftri-
B
axon. Ceftazidim, Cefepim. Erhöhte Betalaktamasefestigkeit, Wirkung auf
Enterobakterien. Hospitalinf.!
Orale Cephalosporine
• K lassische orale Cephalosporine: Cefaclor, Cefalexin, Cefadroxil. Optimale
Resorption, gute Wirkung auf Staph. und Strept., geringere Aktivität gegen
gramneg. Stäbchen.
• O rale Oxim-Cephalosporine: Cefixim, Ceftibuten, Cefpodoxim, Cefuroxim-
Axetil. Gute Aktivität gegen gramneg. Stäbchen, Wirkung gegen Staph.
gering.
22.1 Antibiotikatherapie der bakteriellen Infektionen 711
Cefuroxim Wirksam insb. ge- 3–4 × 0,75– Wie Cefa Wie Penicillin,
(Elobact®) gen E. coli, Klebsiel- 1,5 g i. v. (gram- zolin neuere Ce-
la, Proteus, H. influ- pos.), 3–4 × phalosporine
enzae, Acinetobac- 1,5 g i. v. (gram- wegen bislang
ter. Unwirksam ge- neg.) 2 × mangelnder
gen Enterokokken 500 mg p. o. Erfahrung zu-
und Pseudomonas rückhaltend
einsetzen!
Cefotaxim Bei grampos. weni- 3 × 1 g i. v., bei Wie Cefa Wie Penicillin,
(Claforan®) ger wirksam als schweren Inf.: zolin; gegen neuere Ce-
Cefamandol, Cefur 3 × 2 g i. v., bei Staph. weni- phalosporine
oxim, dagegen we- Meningitis: 4 × ger (!) wirk- wegen bislang
sentlich wirksamer 2 g sam als Cefa- mangelnder
bei gramneg. (v. a. zolin Erfahrung zu-
H. influenzae) außer rückhaltend
bei Pseudomonas einsetzen!
Ceftazidim Sehr gute Wirksam- 2–3 × 1–2 g i. v. Wie Cefa Wie Penicillin,
(Fortum®) keit gegen gram- zolin. Sehr neuere Ce-
neg., v. a. Pseudo- gute Wirk- phalosporine
monas aeruginosa, samkeit bei wegen bislang
indolpos. Proteus schweren mangelnder
und Serratia. Wenig bakteriellen Erfahrung zu-
aktiv gegen Staph. Inf. rückhaltend
einsetzen!
22.1.3 Weitere Betalaktam-Antibiotika
22 • B etalaktamasehemmer: Sulbactam, Clavulansäure, Tazobactam. Betalaktama-
sehemmer liegen meist in fester Kombination mit einem anderen Betalak-
tam-Antibiotikum vor (z. B. Amoxicillin, Ampicillin, Piperacillin). Sie erwei-
tern das Wirkungsspektrum und wirken auch auf Staph., Klebsiellen, Anaero-
bier, nicht jedoch auf Pseudomonas.
• eneme: Imipenem, Meropenem. Hohe Aktivität, nahezu lückenloses Wir-
P
kungsspektrum. Wichtig für Hospitalinf.
Mero Sehr gute In-vitro- 3–4 × 0,5– BB-Verände- Keine Bedenken be-
penem Aktivität gegen 1,0 g i. v. rungen, Exan- kannt, aber bisher
(Mero- grampos. und theme; Trans keine ausreichenden
nem®) gramneg. einschl. aminasen, AP Erfahrungen beim
Anaerobier und Krea ↑ Menschen
22.1.4 Tetrazykline
22.1.5 Aminoglykoside
Moderne Aminoglykoside: Gentamicin und Tobramycin sind die Standardsub
stanzen. Die weiteren Aminoglykoside sind bei Resistenz indiziert: Netilmicin,
Amikacin. Hohe Aktivität bei geringer Dos., Wirkung auch auf Pseudomonas. Der
Wert der Aminoglykoside liegt heute weitgehend in ihrer Eignung als Kombinati-
onspartner von Betalaktam-Antibiotika (Potenzierung der Bakterizidie insb. ge- 22
gen Pseudomonas).
22.1.6 Makrolide, Lincosamide
Das klassische Makrolid-Antibiotikum ist Erythromycin. Erythromycin in oraler
Form ist heute durch die moderneren Makrolide Clarithromycin bzw. Roxithro-
mycin weitgehend überholt, die eine zuverlässige Resorption und bessere Aktivi-
tät zeigen. Wirkungsspektrum: grampos. Bakterien, Haemophilus influenzae,
22 Bordetellen, Campylobacter, Legionellen, Mykoplasmen und Chlamydien. Wich-
tige Ind. sind akute Inf. des Respirationstrakts (Angina, Bronchitis, prim. Pneu-
monien, Keuchhusten), leichte Haut- und Gewebsinf. sowie nichtgonorrhoische
Urethritiden. Makrolide können Penicilline bzw. Cephalosporine bei Überemp-
findlichkeit/Allergie ersetzen.
Erythro- Grampos., Staph. häu- (2–)4 × GIT-NW, sehr sel- In der Grav.
mycin fig resistent, Strept. 250– ten Allergie, Le- unbedenk-
(z. B. Ery- (bei Penicillinallergie), 1.000 mg berschäden bei lich. Hoch do-
thro-CT®) Pneumokokken, Cory- p. o., i. v. Erythromycinesto- sierte i. v.
nebakterien, Mykoplas- lat (cholestati- Ther. in der
men, wirksam gegen H. scher Ikterus) Stillzeit kont-
influenzae. 1. Wahl bei raindiziert
Legionellen-Pneumonie (Gefahr des
Kernikterus!)
Clin- Anaerobier und multi- 3–4 × GIT-Störungen,
damycin resistente Staph. (nicht 300 mg Transaminasenan-
(Sobe- Mykoplasmen) p. o., 3–4 × stieg, Thrombo-
lin®) 600 mg i. v. und Leukopenie,
Agranulozytose
(selten!) – sehr
gute Gewebepe-
netration
22.1.7 Gyrasehemmer (Chinolone)
• A
lte Gyrasehemmer: Nalidixinsäure, Pipemidsäure, Cinoxacin, Ind.: Harn-
wegsinf. Eingeschränktes Wirkungsspektrum (fast nur Enterobakterien), z. T.
ungünstige Pharmakokinetik, Resistenzentwicklung.
22.1 Antibiotikatherapie der bakteriellen Infektionen 715
• N
euere Gyrasehemmer: Ciprofloxacin, Fleroxacin, Ofloxacin. Norfloxacin.
Wirkungsspektrum: Enterobakterien, P. aeruginosa, H. influenzae, Gonokok-
ken, Meningokokken, grampos. Kokken (auch Enterokokken), Anaerobier,
Mykobakterien, Mykoplasmen, Chlamydien, Legionella spp. Auch indiziert
zur Ther. von Enteritiden, Gallenwegsinf., Gonorrhö, Gewebsinf. Schwere Ne-
benwirkungen sind bei den neuen Gyrasehemmern relativ selten. Alle Gyra-
sehemmer sind bislang bei Kindern und Jugendlichen vor Abschluss des
Wachstums kontraindiziert.
22.1.8 Glykopeptide
Vancomycin und das später entwickelte Teicoplanin sind einander sehr ähnliche
Glykopeptid-Antibiotika mit Wirkung gegen Staph., Pneumokokken, Coryne-
bakterien und einige andere grampos. Keime. Gramneg. Keime sind völlig resis-
tent. Vancomycin hat als potenziell lebensrettende Substanz einen wichtigen Platz
unter den Standardantibiotika für die Klinik.
22 Co-trimox
azol = Tri-
Gute Wirksamkeit
bei Salmonellen,
2 × 960 mg
p. o. (pro Tbl.
Stevens-John-
son-Sy., selten
Strenge Ind.-
Stellung im 1.
methoprim/ Shigellen, Kleb- 160 mg Allergie, GIT- und 2. Trime-
Sulfame- siellen, E. coli, Pro- TMP/800 mg NW, Thrombo- non, im 3. Tri-
thoxazol teus, Enterokok- SMZ). Die i. v. und Leukope menon und in
(z. B. Cotrim ken. 1. Wahl bei Gabe von Sul- nie. Neuere der Stillzeit
CT®) Bronchitis, Harn- fonamiden ist TMP-/Sulfon kontraindiziert
und Gallen- obsolet amid-Kombina-
wegsinf., Shigello- tionen bringen
sen, Typhus, Para- keine Vorteile
typhus A+B (akut,
Dauerausscheider)
22.2 Virustatika
Indikationen: 1. Prophylaxe zum Schutz vor Pandemien (Oseltamivir, Zanamir),
2. Ther. von HSV, VZV, EBV, CMV, 3. antiretrovirale Ther. bei HIV.
22.2 Virustatika 717
Aciclovir HSV1, HSV2, 5 × tägl. Sal- Krea und Leberen- Systemische Ga-
( Zovirax®) VZV, EBV, be und Tr., zyme ↑. Exan- be in der Grav.
evtl. CMV; Tbl.: 5 × 200– them. Dosis ↓ bei kontraindiziert,
systemisch 400 mg; i. v.: Niereninsuff. Ve- Ausnahme: ge-
relativ gut 3 × 5[– nenreizung bei neralisierte Her-
verträglich 10] mg/kg i. v. Gabe. Kein Ef- pes- und Varizel- 22
KG; Prophyla- fekt bei postther. leninf., keine sys-
xe: 4 × Schmerzen temische Ther. in
200 mg p. o. der Stillzeit
Indinavir HIV 1, Trans- 3 × 800 mg Übelkeit, Kopf- Nur bei gegebe-
(Crixivan®) missionspro- p. o. schmerzen, Diar- ner Ind. in der
phylaxe bei rhö, Parästhesien, Grav. einsetzen,
Zidovudinre- Leber- und Nie- fetale Anämie
sistenz renfunktionsstö- möglich. Stillen
rungen nur bei mangeln-
den Alternativen
Lamivudin HIV, Trans- 2 × 150 mg Übelkeit, Kopf- Nur bei gegebe-
(Epivir®) missionspro- p. o. schmerzen, Unter- ner Ind. in der
phylaxe bei bauchbeschwer- Grav. einsetzen,
Zidovudinre- den, Neuropenie, fetale Anämie
sistenz; Leberenzyme ↑ möglich. Stillen
chron. Hepa- nur bei mangeln-
titis B den Alternativen
22.3 Antimykotika
Tab. 22.14 Antimykotika
Substanz Spektrum 24-h-Dosis NW und Grav. und
(Beispiel) Bemerkungen Stillzeit
22.4 Anthelminthika
Tab. 22.15 Anthelminthika
Substanz Spektrum 24-h-Dosis NW und Grav. und Still-
(Beispiel) Bemerkungen zeit
22.5 Protozoen-/Anaerobier-Antibiotika
Tab. 22.16 Protozoen- und Anaerobier-Antibiotika
Substanz Spektrum Dosis NW und Grav. und Stillzeit
(Beispiel) Bemerkungen
Harnwegsinfektionen
• S MZ/TMP (z. B. Cotrim®) 2 × 800/160 mg i. v./p. o. oder:
• C iprofloxacin (Ciprobay) 2 × 200 mg i. v./2 × 500 mg p. o.
! M öglichst p. o. nach Antibiogramm.
Haut- und Weichteilinfektionen
Wundinfektionen
• A moxicillin/Clavulansäure (Augmentan®) i. v./p. o. oder:
• C ephalosporin 2. oder 3. Generation.
Erysipel
Penicillin G 4/1,2 Mio. IE i. v.
Impetigo, Furunkel, Phlegmone 22
Flucloxacillin (z. B. Staphylex®) 3–4 × 1 g i. v./3 × 1 g p. o.
Peritonitis
• P rim. (spontane, z. B. bei Leberzirrhose): Ceftriaxon 1 × 2 g i. v. (Rocephin®),
bei Erregernachweis aus Aszites weiter nach Antibiogramm.
• S ek.:
– C eftriaxon 1 × 2 g i. v. (Rocephin®) + Metronidazol 3 × 0,5 g (z. B. Clont®)
evtl. + Tobramycin 1 × 2–3 mg/kg KG (z. B. Gernebcin®) oder:
– Mezlocillin 3 × 4 g (z. B. Baypen®) + Sulbactam 3 × 1 g i. v. (Combactam®)
+ Tobramycin 1 × 2–3 mg/kg KG (z. B. Gernebcin®) oder:
– Piperacillin/Tazobactam 3 × 4,5 g i. v. (Tazobac®) + Tobramycin 1 ×
2–3 mg/kg KG (z. B. Gernebcin®) oder:
– Meropenem (Meronem®)/Cilastatin (Zienam®) 3 × 1 g i. v., evtl. + Tauro-
lidin 2 % 250 ml i. p. (Taurolin®).
722 22 Therapie der Infektionskrankheiten
Pneumonie
Frühe postoperative Pneumonie
Ceftriaxon 1 × 2 g i. v., evtl. Deeskalation 1 × 1 g (z. B. Rocephin®), evtl. + Tobra-
mycin 1 × 2–3 mg/kg KG (z. B. Gernebcin®).
Nosokomiale Pneumonie
• C eftazidim 3 × 2 g i. v. (Fortum®) + Tobramycin 1 × 2–3 mg/kg KG (Gerneb-
cin®) oder
• C iprofloxacin 2 × 400 mg i. v. (Ciprobay®) evtl. Deeskalation auf 2 × 750 mg p. o.
Kathetersepsis
Katheterwechsel, Blutkultur, Katheterspitze einschicken, bei ausbleibendem Fie-
beranfall und Ausschluss anderer Ursachen: Flucloxacillin 3–4 × 1 g i. v. (Staphy-
lex®).
Perioperative Prophylaxe
Unfall-/Gefäß-/aseptische Viszeralchirurgie/Gynäkologie/Geburtshilfe
Cephalosporin 1.–2. (3.) Generation i. v. oder Breitspektrum-Penicillin als einma-
22 lige periop. Gabe, 2. Dosis bei Eingriffen > 2 h, alternativ bei Risikoeingriffen ein-
malig Ceftriaxon (z. B. Rocephin®).
Endokarditisprophylaxe
Ampicillin 3 × 2 g i. v. (z. B. Ampicillin-ratiopharm®).
Vaginale Sonografie Normtabelle (1. Trimenon)
Schema modifiziert nach Rempen, Angaben in abgeschlossener SSW + Tag
Abkürzungen:
BPD = biparietaler Durchmesser AAP = Abdomen-anterior-posterior-
FOD = frontookzipitaler Durchmesser
Durchmesser AU = Abdomenumfang
KU = Kopfumfang Fe = Femurdiaphysenlänge
AQU = Abdomenquerdurchmesser
Index 723
Index
Symbole Acyclaminopenicilline 710 Analkanal, Untersuchung 9
α1-Fetoprotein 131 Adduktorenreflex 14 Analverschluss 648
β-hämolysierende Strepto Adenomektomie, selektive trans- Anämie 7
kokken 378 sphenoidale 558 –– Neugeborenes 360
§ 218 [Paragraph] 145 Adenomyom 493 Anamnese
3β-Hydroxysteroid- Adhäsiolyse 577 –– gynäkologische 3
Dehydrogenase-Defekt 621 Adipositas 560 –– präpartale 267
3β-OH-Dehydrogenase Adiposogigantismus 641 Anaphylaktischer Schock,
mangel 650 Adnektomie 397 Sofortmaßnahmen 101
11β-Hydroxylasemangel 621, Adnexitis 522, 632 Anästhesie 15
650 –– Ultraschall 691 Anastrozol 422
21-Hydroxylasemangel 621, 650 Adoleszenz 638 Androgenisierung 515, 650
Adrenalin 92 –– Diagnose 626
A Adrenogenitales Syndrom 620 –– Trichogramm 627
AB0 und Rhesusblutgruppen –– und Schwangerschaft 622 Androgenresistenz 554
bestimmung 71 AFP 131 Androstendion 540
AB0-Inkompatibilität 132 Afterloading 676 Anenzephalus 119, 312
ABCDEF-Regel 91 Ahlfeld-Zeichen 282 Angina pectoris 82, 83
Abdomen AIS (Amnioninfekt Angiokeratome 655
–– Anterior-Posterior- syndrom) 306 Anhydramnie, Ultraschall 705
Durchmesser (APD) 697 Aknetherapie 628 Anorexia nervosa 556, 639, 662
–– Transversaldurchmesser Akrosin 547 Antazida, in Grav. und
(ATC) 697 Akzeleration 270 Stillzeit 258
–– Umfang (AU) 697 Albumin 68 Anthelminthika 719
–– Untersuchung 8 Alkohol –– in Grav. und Stillzeit 243
Abführmittel 6 –– Abhängigkeit 26 Antiallergika, in Grav. und
Ablösungsmodus (Plazenta) –– assoziierte Erkrankungen 28 Stillzeit 244
283 –– Entzugsdelir 28 Antiandrogene 627
Abort(us) 149 Allgemeinzustand, Antibiotika 708
–– completus 150 Beurteilung 673 –– bei Asthma bronchiale 89
–– febriler 151 Alopecia androgenetica –– bei Neugeborenen 378
–– habitueller, WSA 152 621, 626 –– in Grav. und Stillzeit 244
–– imminens 149 Alopezie 442 –– Prophylaxe, peri
–– incipiens 150 –– Therapie 628 operative 722
–– incompletus 150 Alphablocker 86 Antidiabetika, in Grav. und
–– Induktion 238 Amantadin, in Grav. und Stillzeit 246
–– septischer 151 Stillzeit 263 Antidiarrhoika, in Grav. und
Abrasio, fraktionierte 489 Amastie 644 Stillzeit 258
Abruptio 145 Amenorrhö 483 Antiemetika, in Grav. und
Abstillen 348 –– hypergonadotrope 636 Stillzeit 246
Abstrich 487 –– Post-Pill- 596, 598 Antiepileptika, in Grav. und
–– bei Tuboovarialabszess 516 –– primäre 648 Stillzeit 246
–– Urethra 489 Amikacin 713 Antihypertensiva, in Grav. und
–– Zervix 516 Aminkolpitis 433, 440, 653 Stillzeit 247
Abszess Aminoglykoside 713 Antihypotonika, in Grav. und
–– Abstrich 63 –– in Grav. und Stillzeit 244 Stillzeit 249
–– der Mamma 349 Aminopenicilline 709 Antikoagulanzien, in Grav. und
ACE-Hemmer 86 Amintest 433 Stillzeit 250
Acetylcholinesterase im Frucht - Amiodaron 93 Antikörper, antithrombo
wasser 112 Amitriptylin, zur zytäre 233
Acetylsalicylsäure 678 Schmerztherapie 680 Antikörpersuchtest 70, 132
Achillessehnenreflex 14 Amlodipin 86 Antimykotika 718
Aciclovir 717 Amnioninfektsyndrom 306 –– in Grav. und Stillzeit 250
–– bei Herpes neonatorum 200 Amniozentese 111, 132 Antiöstrogene 563
–– bei Herpes zoster 197 Amoxicillin 709 Antiphlogistika, In Grav. und
–– bei Varizellen in der Amphotericin B 718 Stillzeit 251
Schwangerschaft 195 Ampicillin 709 Antiprotozoenmittel 720
–– in Grav. und Stillzeit 263 Ampulla recti, Untersuchung 9 Antipyretika, in Grav. und
ACTH-Kurztest 543 Anaerobier-Antibiotika 720 Stillzeit 241
–– Beurteilung 544 Analgetika, in Grav. und Antitussiva, in Grav. und
Stillzeit 241 Stillzeit 252
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