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Stimmen: Eine Buchrezension

David Carril Hernández

Ein mittelmäßiger und normaler Mensch bekommt immer wieder Anrufe von Leuten,
die er überhaupt nicht kennt. Aber sie wollen mit ihm eigentlich nicht sprechen; sie
fragen nach einem ‚Ralf‘, der nichts mit diesem Mensch zu tun hat. Das ist der Ansatz
der Geschichte, die von dem jungen und schön gebildeten Schriftsteller Daniel
Kehlmann geschrieben worden ist. Stimmen ist aber Teil eines Romans, der mit dem
rätselhaften Buchtitel Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten in 2009 veröffentlicht
wurde. Ein einfacher Ansatz, der aber eine kräftige und nachdenkliche Kurzgeschichte
entfaltet und eine Erzählung, die die Gelegenheit bietet, über unsere eigentliche Identität
nachzudenken.

Ebling ist ein fleißiger Mitarbeiter in einem Technologieunternehmen. Obwohl er mit


Computer auskennt- er arbeitet als Techniker, so muss er den ganzen Tag Computer
reparieren- vertraut der Technologie nicht. Das ist der Grund, warum er bisher kein
Handy gehabt hat. Eines Tages ist er gezwungen, ein Gerät zu erwerben: er muss sonst
die Beschwerden seiner Familie und Mitarbeiter ertragen, weil sie ihn nie erreichen
können. Und damit fängt der Alptraum an: viele Anrufe von Personen, die er nicht
kennt, und sie fragen nach einem ‚Ralf‘. Wer ist dieser Ralf bleibt aber unerkannt für
unsere Hauptfigur. Wie für den Magischer Realismus kennzeichnend ist, täuschen hier
Wirklichkeit und Traum ihre Rolle aus. Auf diese Weise rutscht Ebling in einer
Situation hinein, wo die Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn nicht zu lösen sind.

Obwohl Ebling zwar eine Familie hat, lebt er in einer anderen Welt. Vielleicht kann er
nicht diese Wahrheit gestehen, dass seine Familie für ihn nur Unbekannten geworden
sind. Damit geht die Erzählung an, worauf die menschliche Identität eigentlich beruht.
Stimmen ruft wieder ins Leben die Leiden von Gregor Samsa, dessen Leben in einer
unheimlichen Realität geworden ist: wie Samsa, weißt Ebling nicht genau, wie er oder
seine Familie sind; wie Samsa, erfährt er eine wahnsinnige Situation, woran sich er
endlich gewöhnen muss. Das schafft Kehlmann mit einer deutlichen Stil und einer
schlichten Sprache, die die Entfremdung der Stimmung betönt, damit er das
Umheimliche der Geschichte ins Leben erhalten kann.

Wie schon Kafka oder Beckett geschaffen haben gewinnt Kehlmann mit Stimmen den
Standpunkt, der Licht auf unsere immer mehr entfremdenden Gesellschaften wirft: die
Anonymität des Lebens in Städten und das widersinnige Verhalten, das unser
gewöhnliches Leben zusammensetzt: in diesem Fall durch die Technologie, darauf kann
man überhaupt nicht verzichten. Das ist definitiv ein sehr empfehelenswertes
Literaturstück, das nicht nur das Nachdenken über das eigene Ich anspornen, sondern
auch das Herz der Leser unbedingt verzaubern wird.

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