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Bärenreiter

Review
Reviewed Work(s): Isaac Albéniz. Portrait of a Romantic by WALTER AARON CLARK
Review by: Johannes Ring
Source: Die Musikforschung, 56. Jahrg., H. 1 (Januar–März 2003), pp. 95-96
Published by: Bärenreiter on behalf of Gesellschaft für Musikforschung e.V.
Stable URL: https://www.jstor.org/stable/41124133
Accessed: 04-05-2021 21:54 UTC

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Besprechungen 95

Ein neuerlicher Hinweis auf das mehrfach in bestechender Form gelungen. Im Gegensatz
preisgekrönte Buch würde sich an dieser Stelle
zu anderen „Lebens- und Zeitbüchern" breitet
erübrigen, wäre die nun vorliegende ameri-
der amerikanische Universitätsprofessor aus
kanische Übersetzung nicht weit mehr als nur Kansas in seinem Buch über den spanischen
eine weitere Bestätigung der verdienten inter-Komponisten Isaac Albéniz (1860-1909) nicht
nationalen Reputation. Der Autor hat die Gele-eine Palette verschiedener Aspekte aus, sondern
genheit ergriffen, den Text wesentlich zu über-
erzählt mit wissenschaftlicher Akribie span-
arbeiten, die bibliographischen Angaben zu ak-nend Leben, Wirken und Zeit von Albéniz.
tualisieren und ein wichtiges Teilkapitel über Clarks quellengesicherte Arbeit gründet auf
La Bohème hinzuzufügen, das aus einer Arbeit Informationen aus zeitgenössischen Interviews,
anlässlich des hundertjährigen Bühnenjubi-
neu erschlossenen Dokumenten und persönli-
läums dieses Werkes 1996 hervorgegangen war. chen Äußerungen des Komponisten (u. a. Tage-
Die Vorzüge von Girardis Buch liegen zweifellos
bücher). Einige autobiographische Äußerungen,
in der Konzentration auf die Werkinterpretation
die Anlass für Anekdoten wurden, werden durch
und hierbei in der engen Vermittlung von dra-Dokumentenvergleich als publikumswirksame
maturgischer und musikalischer Analyse. Im
Selbstdarstellung eines jungen Künstlers er-
Unterschied zu Mosco Carner oder der neuesten kennbar, z. B. war Albéniz kein Schüler des von
deutschsprachigen Gesamtdarstellung von Die- ihm verehrten Franz Liszt (S. 43).
ter Schickling (1989) setzt Girardis Argumenta- In acht Kapiteln entfaltet Clark chronologisch
tion stets an konkreten kompositorischen Sach- das „Portrait of a Romantic". Einleitend be-
verhalten an und vollzieht eindrücklich die Ent- schreibt er den Publikations- und Forschungs-
wicklung von Puccinis musikalischer Erzähl- stand, dem er überwiegend unzureichenden
technik nach. Girardis methodische Grat- wissenschaftlichen Standard attestiert (S. 10).
wanderung, ausgehend von einem dichten Netz- Das erste Kapitel porträtiert zunächst die Vorge-
werk musikalischer Beispiele sowohl den analy- schichte der Familie des Komponisten und die
tischen Ansprüchen des Wissenschaftlers und Bedeutung des Freimaurertums in den bürgerli-
Interpreten wie den Wünschen des Opernenthu- chen Kreisen Spaniens, um dann über Kindheit
siasten gerecht zu werden, erklärt sich ausund derJugend des Komponisten zu informieren.
verständlichen Hoffnung „that many will Interessant
not ist, wie der Vater seinem Sohn Isaac
feel the need to separate passion and critical gezielt
sen- und unter Anlehnung an eine prominen-
sibilities" (S. XI). Die offensichtlichen Gefahren
te Parallele aus dem vorigen Jahrhundert die
des auch anderweitig bewährten Konzepts eines Aura eines konzertierenden Wunderkindes ver-
solchen „Opernführers für Fortgeschrittene" schaffte.
werden freilich dadurch minimiert, dass der Das zweite Kapitel berichtet von Albéniz' Stu-
Verfasser der detaillierten Einzelstudie gegen-dienzeit in Leipzig und Brüssel und verschiede-
über dem auf Vollständigkeit zielenden Über- nen frühen Auslandsaufenthalten, die ihm
blick klar den Vorzug gibt. So wird das Buch, das ein königliches Stipendium ermöglicht
durch
sich weniger als Monument denn als lebendige wurden. In diesen Jahren erwarb er sich einen
Auseinandersetzung mit seinem Gegenstand
herausragenden Ruf als Pianist, der mühelos
präsentiert, auch weiterhin Raum für Ergänzun-
und nachhaltig sein Publikum zu bezaubern ver-
gen bieten, die der Autor übrigens fortlaufend
mochte. Seine Konzertprogramme (S. 58 ff.)
auf der Internetseite des „Centro Studi Giacomo
weisen ihn als vielseitigen, brillanten Virtuosen
Puccini" (www.puccini.it) zugänglich macht. aus. Als Komponist trat er nicht etwa zuerst mit
(Mai 2002) Arnold JacobshagenKlavierwerken in die Öffentlichkeit, sondern
mit (nicht überlieferten) „zarzuelas" ( Bühnen-
stücke, in denen Solo- und Chorgesang mit ge-
WALTER AARON CLARK: Isaac Albéniz. Port- sprochenen Dialogen wechseln). In diese Jahre
rait of a Romantic. Oxford: Oxford Universityfallen auch seine Familiengründung und weite-
Press 1999. XV, 321 S., Abb., Notenbeisp. re Kompositionsstudien. Diese Studien verbin-
Walter Aaron Clark hatte nicht die Absicht,den sich mit der Etablierung eines ernsthaften
eine „life-and-times kind of biography" zu ver-
Personalstils, der folkloristische Elemente inte-
fassen, aber genau das ist ihm überzeugend und
griert [Suite española Nr. 1 ).

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96 Besprechungen

Im drittenEin eigenes siebtes Kapitel widmet Clark dem


Kapitel rä
und bedeutenden Klavierzyklus Iberia. Dabei kom-auf.
Vorurteilen
seiner men Fragen wie die nach Spielbarkeit, Komple-
Laufbahn viele
duktion er aber im Laufe der Zeit bald das Inte- xität des formalen Aufbaus und musikalischen
resse verlor. Von besonderer Bedeutung für sei- Mitteln ausgiebig zur Sprache. Im Gegensatz zu
ne musikalische Entwicklung in diesen vier Jah- anderen Kapiteln macht Clark hier den Leser
ren ist ein Konzert in Paris, in dem er ausschließ- gründlich mit den Fachtermini der spanischen
lich eigene Werke interpretierte. Über dieses Folkloremusik vertraut.
Konzert schrieb der Organist und Komponist Viele Beobachtungen fasst Clark schließlich
Charles-Marie Widor an Albéniz: „La concert in „The Legacy of Albéniz" zusammen. Seine
était très intéressant et votre exécution superbe!" Ansätze zeigen eine Fülle von Beschäftigungs-
(S. 75). feldern mit der Musik eines Komponisten auf,
In diese Zeit fallen auch ernsthafte Bemühun- der in romanischen Ländern akzeptiert wird, in
gen, sich als Bühnenkomponist zu etablieren. unseren Breiten aber unverständlicherweise we-
Mit zeitgenössischen Zeitungsrezensionen be- nig Beachtung findet. Die Rezeption seiner we-
legt Clark, dass der eher bescheidene Erfolg nig edierten und eingespielten Musik ist durch
Albéniz' in diesem Genre besonders auf die Aus- eine verwunderliche Diskrepanz zwischen der
wahl der Libretti zurückzuführen ist. unmittelbar begeisternden Wirkung auf die Hö-
Die folgenden beiden Kapitel behandeln rerschaft und der professionellen „offiziellen"
Albéniz' Beschäftigung mit Bühnenmusik. Auf- Akzeptanz in unseren Breiten gekennzeichnet.
grund eines Kontraktes mit dem wohlhabenden Mit vielen Notenbeispielen, auch aus „unbe-
Londoner Rechtsanwalt, Dichter, Librettisten kannten" Werken, hilft Clark, in der Musik von
und Bankier Francis Money- Cou tts, demzufolge Albéniz eine , Terra incognita' zu entdecken.
er ausschließlich dessen Libretti vertonen durf- Viele unbekannte Begriffe aus der spanischen
te, musste Albéniz auf Texte zurückgreifen, die Folklore zwingen den Leser, immer wieder das
seiner Natur widersprachen, ihn nicht inspirier- Lexikon zu Rate zu ziehen. Diese beschämende
ten und seiner Genialität kaum Raum ließen. Feststellung ist nicht Clark anzulasten. Denn
Oder aber er traf durch seine komplexe Musik was eine „jota" und eine „copla" ist, oder was be-
nicht den Geschmack des (heimischen) Publi- stimmte katalanische Tänze sind, ist letztlich so
kums (S. 124). interessant und wichtig wie beispielsweise die
Zu viele Randinformationen und zu umf ang- musikalische und literarische Vorlage zu
reiche und periphere Angaben u. a. zur Abstam- Brahms' op. 117,1. Clarks beeindruckendes
mung des Komponisten und seines englischen Portrait stellt Albéniz als Persönlichkeit mit gro-
Geschäftspartners und Freundes hemmen die ßer Souveränität, Humanität, Lebhaftigkeit und
Lektüre der ersten vier Kapitel. Doch besonders Humor dar (S. 111). Sein bescheidenes, sympa-
im fünften Kapitel gelingt es Clark, durch knap- thisches Auftreten als Pianist ohne jedes roman-
pe biographische Daten zu den Randfiguren die tische Pathos und ohne Starallüren (S. 80) ent-
Spreu vom Weizen zu trennen. Die Inhaltsanga- spricht nicht dem tradierten Bild von einem ro-
ben und die punktuellen analytischen Beschrei- mantischen Tastenlöwen. Ohne jemals plaka-
bungen stellen gute Wegweiser durch Albéniz' tiv zu werden, ordnet Clark dem Kompositions -
Bühnenkompositionen dar. stil des Spaniers neben den gängigen stilisti-
Unter der Überschrift „The Imperfekt schen Merkmalen der romantischen Musik wie
Wagnerite" beschreibt der Autor Albéniz' Be- Vorliebe für Halbtonschritte in den Melodien
schäftigung mit der King Arráur-Trilogie, durch und außergewöhnlichem Reichtum an Modula-
die er nicht nur bei der Entwicklung einer hei- tionen folgende Attribute zu: Orientierung an
matlichen, sondern auch der englischen Na- der spanischen Volksmusik, Hang zum musika-
tionaloper beteiligt war. Die Problematik dieses lischen Verismus und Bemühungen um einen
Plans bringt Clark auf den Punkt: „However, this klaren formalen Aufbau.
could raise the question as to what national opera (April 2000) Johannes Ring
really is, when it consists of a Wagnerian opera
composed by a Spaniard on an English libretto"
(S. 179).

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