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Fotografie und Film 393

Alexandra West: Films of the New French Extremity:


Visceral Horror and National Identity
Jefferson: McFarland 2016, 206 S., ISBN 9781476663487,
USD 39,95

New French Extremity ist die Bezeich- night in Paris (2011) sowie der Tatsa-
nung einer sehr jungen Bewegung che ab, dass „France often ranks highly
französischer Filme, die von Artfo- among other international power-
rum-Kritiker James Quandt in seinem houses in education, healthcare and
Artikel „Flesh & Blood: Sex and Vio- life expectancy, maintaining its desi-
lence in Recent French Cinema“ (In: rable reputation“ (ebd.). Eine genauere
Art ­forum, Februar 2004, S.126-132) Analyse und kritische Einschätzung
geprägt wurde. Einen neuen Bei- der Genese dieses Idealbildes spart
trag zur Erschließung der darunter sie allerdings aus. Stattdessen beginnt
fallenden Filme liefert die Autorin West ihre Ausführungen mit einem
­A lexandra West, die für diverse Maga- Umriss der französischen Geschichte,
zine wie das Rue Morgue Magazin oder der den Fokus auf Phänomene der „cul-
auch The Toronto Star geschrieben hat ture of uncertainty, violence, and may-
und 2012 den Faculty of Horror Pod- hem“ (ebd.) legt, um so das Idealbild
cast mitbegründete. Ihre Arbeit behebt Frankreichs als nicht-wahrheitsgetreu
ein Desiderat in der noch am Anfang zu entlarven. Darauf folgt im zweiten
stehenden Forschung zu Body ­Horror, Kapitel ein weiterer Umriss – diesmal
in der sie der These nachgeht, dass der französischen Filmgeschichte.
die Filme des New French Extremity Den Hauptteil der Arbeit bilden die
„deeply French“ (S.6) seien. Sie ver- nachfolgenden elf filmanalytischen
sucht aufzuzeigen, dass das, was Kapitel. In ihrer Argumentation greift
„France has to fear is itself “ (S.178). West sowohl auf die Filme als auch
Prämisse ihrer Untersuchung ist ein auf Aussagen der Regisseur_innen
von ihr konstatiertes Idealbild von selbst zurück. Sie beginnt mit einem
Frankreich und die daraus resultierende Kapitel zu Carne (1992), I Stand Alone
Divergenz zwischen diesem Idealbild (1999) und Irréversible (2002) von
und der tatsächlichen französischen Gaspar Noé. Darauf folgen unter
Realität, die West in den Filmen des anderem Überlegungen zu den Filmen
New French Extremity zum Vorschein Baise-moi (2000), T ­ rouble Every Day
kommen sieht. Die Wahrnehmung (2001), High Tension (2003), Martyrs
von Frankreich als „idyllic and idolized (2008) und Inside (2007). Das vorletzte
bastion of all that is beautiful, good, Kapitel „American Remakes in New
and true“ (S.13) leitet West aus dem von French Extremity“ widmet sich US-
Frankreich vermittelten Bild in Filmen amerikanischen Filmproduktionen,
wie Le fabuleux destin d‘Amélie Poulain bei denen Regisseur_innen des New
(2001), Before Sunset (2004) und Mid- French Extremity auf dem Regiestuhl
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saßen – wie etwa Mirrors (2008) und einem Korpus von 27 Filmen hat sich
Maniac (2012). Die Relevanz des Kapi- die Autorin allerdings viel vorgenom-
tels erschließt sich nicht ganz. West men. Hinzu kommen kleine, durchaus
behauptet zwar, dass die von ihr ausge- lesenswerte Passagen allgemeinerer
wählten Filme „the aesthetics of New Natur zu Begriffen wie dem von Tim
French Extremity“ (S.168) aufweisen, Palmer in Brutal Intimacy (Middle-
da die vorherigen Analysen sich aber town: Wesleyan UP, 2011) alternativ
weniger auf die Ästhetik der Filme als zu New French Extremity gewählten
auf ihren Inhalt konzentrieren, ist die Ausdruck Cinéma du corps, der Bedeu-
Verbindung nicht ganz schlüssig. tung des final girl in Horrorfilmen oder
Das Buch endet mit einem Inter- auch Antonin Artauds The Theater and
view zwischen West und Colin Ged- Its Double (New York: Grove Press,
des, der bis zum Jahr 2017 für das 1958). Allerdings ergibt sich hieraus
Programm der Sektion „Midnight eine Fülle an Themenblöcken und
Madness“ des Toronto International Interferenzen, die auf ungefähr 190
Film Festival zuständig war. Unter Textseiten nicht erschöpfend bearbeitet
seiner Leitung wurden viele Filme des werden können – dies macht die größte
New French Extremity erstmals einem Schwäche der Publikation aus. Zusam-
internationalen Filmpublikum zugäng- menfassend lässt sich sagen, dass West
lich. Zusammen besprechen Geddes zwar einen Überblick über die Filme
und West einige der Highlights des des New French Extremity und einen
Festivals und die teilweise drastischen ersten Einstieg in die Thematik liefert,
Publikumsreaktionen. aber seine Leser_innen eher unbefrie-
Positiv anzumerken ist, dass West digt und mit offenen Fragen zurück-
eine Einstiegslektüre geschaffen hat, lässt.
die leicht zu lesen und deswegen einem
breiten Publikum zugänglich ist. Mit Maria Dschaak (Berlin)

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