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Leben

Wittenberger Zeit
Johann Friedrich Erdmann wurde als Sohn des Archidiakonus und Magisters Johann
Christoph Erdmann geboren. Unterricht erhielt der aufgeweckte Knabe durch den Vater
und den zehn Jahre älteren Bruder, und zwar in den Grundfächern und ersten
lateinischen Übungen. An der Lateinschule erweiterte er seine Kenntnisse und
erlangte die Befähigung zum Besuch der Universität seiner Vaterstadt.

1795 nahm Erdmann das Studium der Theologie mit der Richtung Kirchengeschichte auf;
ein Jahr später wechselte er zur medizinischen Fakultät. Zum Doktor der Medizin
promovierte er 1802. Der Titel seiner Doktorarbeit lautete: „Utrum aqua per
electricitatem columnae a cel. Volta inventae in elementa sua dissolvatur?“. Sie
hatte vierzig Seiten in Quart. Schon an dieser Arbeit zeigt sich, wie sehr ihn die
Polaritätslehre anzog, die er im Laufe seines Lebens weiter ausbildete und „worin
er das geheimnisvolle Agens erkannte, welches unseren Organismus belebt“, wie ein
Biograph später formulierte.

Nach dem Studienabschluss ging er auf Reisen, unter anderem kam er nach Wien, wo er
bei Peter Frank hörte. 1804 habilitierte Erdmann sich als ausserord. Professor für
Geschichte der Medizin und lehrte bis 1808 als ordentlicher Professor Pathologie
und Therapie an der berühmten Alma mater Wittenbergensis, praktizierte er zudem als
Kreisamts- und Landphysikus. Die letztgenannte Tätigkeit verlangte von ihm
persönlichen Einsatz unter schwierigen Bedingungen. In dieser Zeit trat er 1809 der
Leipziger Freimaurerloge Apollo bei.

Napoleon bedrückte seit 1806 die Einwohner der Festungsstadt Wittenberg, die nach
dem Wiener Kongress 1815 dann an Preußen fiel. Aus Potsdam kam 1817 der Befehl zur
Schließung der Hochschule, ihre Vereinigung mit der Universität Halle/Saale. Viele
Wittenberger Dozenten wechselten schon vor der Auflösung an andere Hochschulen über
oder sie folgten dem Ruf einer ausländischen Universität. Erdmann hatte zu dieser
Zeit fortwährenden Ärger um die Beschaffung von Mitteln, die der Erweiterung des
von ihm geleiteten klinischen Ambulatoriums dienen sollten. Als ihm das zu viel
wurde, nahm er Urlaub, bereiste Oberitalien, die Schweiz und besuchte auch Paris.
Als sich in Wittenberg danach der Ärger bei der Geldbeschaffung fortsetzte, zögerte
er nicht länger und nahm seinerseits den Ruf an die eben gegründete Universität der
tatarischen Gouvernements Hauptstadt Kasan an.

Kasaner Zeit
Im März 1810 traf er in dem Wolgastädtchen ein und wurde dort auf einen der
wichtigsten Lehrstühle der neugegründeten Universität berufen: den Lehrstuhl für
Pathologie, Therapie und Klinik. 1811 unterbreitete er den zuständigen Gremien
einen ausführlichen Plan zum Bau einer Klinik mit drei Abteilungen (therapeutisch,
chirurgisch und gynäkologisch). Dieser Plan fand die Zustimmung der Beratenden
Kommission. E. wurde mit der dankbaren Würdigung durch den zuständigen Kurator(den
staatl. Beauftragten für den Lehrbetrieb) ausgezeichnet. Als es jedoch an die
Realisierung ging (sofort wurden 6000 Rubel und für den Betrieb jährlich 5000 Rubel
benötigt) wurde das Projekt auf unbestimmte Zeit verschoben. 7 Jahre bemühte sich
E. um die notwendigen finanziellen Mittel, ohne Erfolg. Er musste sich auf die
Verwendung des klinischen Materials beschränken, das ihm das Allgemeine und das
Universitätskrankenhaus boten, die seiner Leitung unterstellt wurden. Der
leidenschaftlich Reisende, der schon vor seiner Zeit in Kasan Frankreich, Italien
und die Schweiz bereist hatte, unternahm auch von Kasan aus zahlreiche Expeditionen
mit mannigfaltigen Zielen. Auf seinen Fahrten untersuchte er alle Erscheinungen,
die ihn als Spezialisten interessierten. Gleichzeitig beobachtete er aufmerksam die
verschiedenartigen Formen russischen Lebens. 1811 beschrieb er die Wirkungsweise
der Sergeiewschen Mineralquellen, nachdem er sie aufs Genaueste chemisch analysiert
hatte. 1812 untersuchte er die Schwefelquellen in der Umgebung der Stadt Tetjuschi.
1813 besuchte E. zusammen mit Prof. Frea die Ruinen der antiken Stadt Bolgar, die
er in einer bemerkenswerten Abhandlung beschrieb. In das Jahr 1813 fiel auch die
sogenannte Fieberepidemie. In dieser Zeit widmete er sich freiwillig als Arzt dem
Kampf gegen diese Seuche. Bis zu seinem Abgang im Jahre 1817 (er war inzwischen 1.
Dekan der med. Fakultät von Kasan) hatte er neben seiner Tätigkeit als
Hochschulprofessor andere wichtige Ämter inne. So fungierte er als Schulvisitator
für die Gouvernements Saratow, Simbirsk, Astrachan und Perm sowie Tobolsk. Neben
der gewissenhaften Durchführung seiner Amtsgeschäfte fand er noch Zeit, sich
eingehend mit Land und Leuten zu beschäftigen, ihre Sitten und Gebräuche zu
studieren und spezielle Krankheiten zu beobachten. Diese Erkenntnisse fanden ihren
Niederschlag in einem dreibändigen Werk: „Beiträge zur Kenntnis des Inneren
Russlands“. Der erste Band ist ausschließlich der Beschreibung der med. und
topographischen Bedingungen des Kasaner Gouvernements gewidmet und hat
eigenständige Bedeutung.

Da Erdmann die Landessprache nicht beherrschte, hielt er seine Vorlesungen an der


Universität auf Lateinisch. Man übertrug ihm die Leitung der Kasaner
therapeutischen Klinik, bestellte ihn als Arzt des Gymnasiums. Darüber hinaus
betrieb er eine Privatpraxis. Doch auf Dauer vertrug er das Klima der Gegend nicht;
ein gichtisch-rheumatisches Leiden untergrub seine Schaffenskraft. Als der
Entschluss zur Rückkehr nach Deutschland bereits gefasst war, erreichte ihn ein Ruf
an die Universität Dorpat (Tartu). Er verließ 1817 Kasan; ein Jahr danach ernannte
ihn der Senat der Universität Kasan zu ihrem Ehrenmitglied.

Dorpater Zeit
An der seit 1632 bestehenden Dorpater Universität – dem „Kopf Estlands“ – nahm nun
der Doktor Erdmann als ordentlicher Professor für Pathologie, Semiotik, Therapie
und Klinik seine Tätigkeiten auf. Daneben betrieb er nur eine bescheidene
Privatpraxis, allerdings größere Forschungen und schriftstellerische Arbeiten. Weil
auch in Dorpat sein Gesundheitszustand sich nicht besserte, verließ er nach
fünfjähriger erfolgreicher Arbeit den Platz und ging auf Urlaub nach Sachsen, wo er
ab 1823 für vier Jahre königlich-sächsischer Leibarzt sowie Hof- und Medizinalrat
in Dresden wurde. Der Hofdienst behagte ihm nicht. Er beschloss, doch noch einmal
nach Dorpat zu reisen.

Ungeachtet eines inzwischen festgestellten Herzfehlers erweiterte er seine


Tätigkeit, wurde noch Professor der Diätetik, Arzneimittel-Lehre und Geschichte der
Medizin. Eine besondere Ehre war es für ihn, die Dorpater Hochschule auf der
Zweihundertjahrfeier der Universität Helsingfors (Helsinki) repräsentieren zu
dürfen. Acht Jahre leistete er als Dekan der medizinischen Fakultät, Leiter des
Professoren-Instituts und Gründer der pharmakologischen Sammlung eine enorme
Arbeit. Fortschreitende Krankheit zwang ihn 1842, aus dem Dienst zu scheiden. Hoch
geehrt verließ der Wissenschaftler Russland, und wählte, auf Linderung seiner
Leiden hoffend, Wiesbaden am Rhein zu seinem Wohnsitz, wo er am 28. Januar 1846
verstarb.

Wissenschaftliche Leistungen
Erdmann gehört zu den Dozenten die den Ruf der Wittenberger Universität, die durch
hervorragende wissenschaftliche Arbeiten über Ländergrenzen getragen haben, als
Repräsentant einer gründlichen und allumfassenden Gelehrsamkeit. Er verfasste über
40 wissenschaftliche Veröffentlichungen, so beispielsweise über die Klumpfüße bei
Neugeborenen, über Wechselfieber und zu seinem Spezialgebiet, der
Polarisationslehre.

Schriften
Beiträge zur Kenntniß des Innern von Rußland. Riga/Leipzig 1822–1826. 2 Bände
(Digitalisat von Band 2,1 aus dem Bestand des Instituts für Ost- und
Südosteuropaforschung).
Versuche über die Wasserzersetzung durch Voltas Säule. Gilberts Annalen der Physik
1802 Bd. XI. N 6)
Beschreibung zweier von Dr. Brunner in Wien erfundenen voltaisch-elektrischen
Apparate zur Entdeckung des Scheintodts und zur Wiederbelebung der Scheintodten.
Ebenda 1802 Bd. XII Nr. 7
Beschreibung einiger neuer voltaisch-elektrischer Apparate. Ebenda 1802 Bd. 12
Beobachtung über die irdische Strahlenbrechung der Saratowschen und Astrachanschen
Gouvernements. Ebenda, Bd. 57
Galvanische Versuche, angestellt im Wiener Irrenhaus. Horn´s Archiv für med.
Erfahrung. 1804 Bd. VI Heft 1
Beschreibung einer verbesserten Bandage. Ebenda Heft 2
Bemerkungen über das Wechselfieber und dessen Heilung. Ebenda Bd. I Heft 2
Beiträge zur gerichtlichen Heilkunde. Ebenda Bd. III Heft 1
Beiträge zur prakt. Heilkunde. Ebenda Bd. IV Heft 1
Elementaorganonomiae ex notione motus derivata. Wittenberg 1804
Neue Bemerkungen über die Natur – Behandlung des Wechselfiebers. Horn´s Neues
Archiv 1807
De hidropis natura et euratione. Wittenberg 1804–10
Auszug aus den Beschreibungen der Sergejewschen Mineralquellen, verfasst für die
sibierisch-medizinische Akademie. Kasan 1811 – in russ. Sprache.
De fructibus ex literarum studio in rempublicam redundantibus. Kasan 1819 (?)
Einige Nachrichten über die Raskolniken. Stählins Archiv für alte und neue
Kirchengeschichte. 1813 Bd. 1. Erläuterung: Das "Raskolniks" sind die russ.
Altgläubigen, die sich im 17. Jh. von der herrschenden Kirche trennten.
raskol=Trennung, Abfall.
Kurze Schilderung der Landwirtschaft im Kasanschen Gouvernement. Neuer Ökonomischer
Report für Livland, Bd.VII
Die Ruinen Bulgars. Neue allgem. geogr. Ephemeriden, Bd. VII
Beiträge zu der von Justus Friedrich Carl Hecker herausgegebenen "Litterarischen
Annalen der gesammten Heilkunde". Berlin 1825
Der russische Nationalcharakter. Polit. Journal 1928
Siehe auch: Biogr. Lexikon der Prof. und Lehrer an der Kaiserl. Universität Kasan
1804-1904. Erschienen in Kasan 1904. Bd. II S. 378–81
Siehe auch: Lexikon der Prof. und Lehrer der Kaiserlichen Universität Dorpat 1802-
1902 unter der Redaktion von G.W.Lewitzki, Dorpat 1903 S. 115–119; 186; 298

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