Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide
range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and
facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact support@jstor.org.
Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at
https://about.jstor.org/terms
Nomos Verlagsgesellschaft mbH is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend
access to Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (KritV)
Dieter Grimm
Verfassungsrechtliche Anmerkungen zum Thema
Prävention
Prävention ist zu allen Zeiten ein Requisit der öffentlichen Gewalt gew
Auch der liberale Staat ließ seine Polizei patrouillieren und nicht nur im R
auf die Anzeige geschehener Verbrechen warten, so wie umgekehrt kein to
Staat die Vorkehr gegen Unbotmäßigkeit so perfekt zu organisieren verm
daß er auf Repression völlig verzichten könnte. Dennoch galt lange der Er
rungssatz, daß Systeme, die individuelle Entscheidungsfreiheit nur im en
Rahmen eines überindividuell definierten materialen Gemeinwohls zul
stärker zu präventiven Mitteln greifen als Systeme, die das Gemeinwohl ge
in der Sicherung und Ermöglichung individueller Entfaltung erblicken. Zw
in solchen Systemen die Freiheit ebenfalls nicht unbegrenzt. Sie endet pr
piell aber erst an der gleichen Freiheit der anderen, und diese im G
generell und abstrakt gezogene Grenze mußte nach liberalem Staatsverstän
im konkreten Fall überschritten oder unmittelbar bedroht sein, ehe die öff
che Gewalt Sanktionen verhängen durfte. Prävention war dann aber
eigenständige staatliche Strategie zur Steuerung der gesellschaftlichen Entw
lung, sondern nur die fallweise vorgezogene Repression zur Verhütung ein
rechtswidrigen Schädigung. Im übrigen hatte es mit der präventiven Wirk
die von der bloßen Existenz des Repressionsapparats ausgeht, sein Bew
den.
Seit einiger Zeit läßt sich aber auch bei Staaten, die in der liberalen Tradit
stehen, eine Ausweitung und Neuorientierung der Prävention beobach
Neben die traditionellen Anwendungsfelder der Verbrechensbekämpfung
der Gefahrenabwehr, vor allem bei Lebens- und Arzneimitteln sowie tech
schen Anlagen und Geräten, sind ausgedehnte staatliche Vorkehrungen ge
den Eintritt von Krankheit und Not, abweichendem Verhalten und sozialem
Protest, Arbeitslosigkeit und wirtschaftlicher Stagnation, Umweltbelastung und
Ressourcenerschöpfung getreten. Im Zuge dieser Entwicklung wird die Präven-
tion von ihrem Bezug auf gesetzlich definiertes Unrecht weitgehend gelöst und
zur Vermeidung unerwünschter Lagen aller Art eingesetzt. Dieser Wandel
vollzieht sich, obwohl er das Verhältnis von Staat und Gesellschaft grundlegend
umformt, relativ reibungslos. Die Erklärung liegt vermutlich darin, daß fast
jede Prävention einen evidenten Nutzen vorzuweisen hat. Erfolgreich ange-
wandt, erspart sie dem Einzelnen Nachteile, die mittels Repression bestenfalls
auszugleichen, oft aber gar nicht wiedergutzumachen sind, und der Gesamtheit
Lasten und Konflikte, die meist kostspieliger werden als rechtzeitige Vorbeu-
gung. Da der wissenschaftlich-technische Fortschritt der Prävention immer neue
Gegenstände erschließt, wird sie dem Staat auch zunehmend abverlangt. Am
Ende zeichnet sich eine Umkehrung des liberalen Verteilungsprinzips ab, so
daß Repression nur noch als Auffangbecken für mißglückte Prävention ihre
Berechtigung behält.
Es wäre freilich eine Illusion anzunehmen, die Vorteile der Prävention seien
kostenlos zu haben. Die Kosten fallen indes weniger direkt und weniger konkret
an als der Nutzen. Daher pflegen sie auch seltener ins Entscheidungskalkül
eingestellt zu werden. Sie schlagen bei der Selbstbestimmung des Einzelnen und
der Freiheitlichkeit des Gesamtsystems zu Buche. Im Gegensatz zu einem Staat,
der sich primär als Repressionsinstanz versteht und deswegen den Eintritt eines
sozialschädlichen Ereignisses abwarten kann, um dann zu reagieren, muß der
präventiv orientierte Staat mögliche Krisen bereits im Ansatz aufspüren und zu
ersticken versuchen, ehe sie zum Ausbruch kommen. Nicht erst konkrete
Gefahren, sondern schon abstrakte Risiken rufen unter diesen Umständen den
Staat auf den Plan. Der Einzelne vermag ihn durch legales Betragen nicht auf
Distanz zu halten. Vielmehr weitet sich die staatliche Kontrolle über Bürger
und Bürgerverhalten zwangsläufig aus. Das gilt sowohl in quantitativer als auch
in qualitativer Hinsicht. Quantitativ nimmt die Kontrolle zu, weil die Gefahren-
quellen stets erheblich zahlreicher sind als die tatsächlich eintretenden Scha-
densfälle. Qualitativ intensiviert sie sich, weil die Wurzeln sozialer Risiken tief
in die Persönlichkeitsstruktur und die Kommunikationssphäre reichen, so daß
Prävention, wenn sie wirksam sein soll, in die Bereiche der Gesinnung, Lebens-
führung und sozialen Kontakte vordringen muß.
Gleichzeitig entzieht sich die präventive Staatstätigkeit den traditionellen Kon-
trollen der Staatsgewalt aber weit stärker als die repressive. Staatliche Repres-
sion äußert sich im Einschreiten gegen manifeste Störungen eines gesetzlich
vorgegebenen Normalzustands mit dem Ziel seiner Wiederherstellung. Sie
wirkt also reaktiv und punktuell. Als solche ist sie aber normativ verhältnismä-
ßig gut determinierbar. Die Norm legt im Tatbestand generell und abstrakt fest,
was als Störung der Ordnung zu gelten hat, und bestimmt auf der Rechtsfolgen-
seite, welche Maßnahmen der Staat zur Wiederherstellung der gestörten Ord-
nung ergreifen darf. Das Handlungsprogramm läßt sich in einem diskursiven
öffentlichen Prozeß formulieren, der so organisiert werden kann, daß die
Betroffenen Gelegenheit haben, Interessen anzumelden. Einwände zu erheben
und Alternativen vorzubringen, und akzeptable Ergebnisse möglich erscheinen.
Die staatliche Verwaltung ist an das Normprogramm gebunden. Sie kann nur
noch prüfen, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen ihres Einschreitens im
Einzelfall vorliegen, und die vorgesehene Rechtsfolge setzen. Ihre Entschei-
dung erscheint dann lediglich als Vollzugsakt, in den freilich wegen der unvoll-
kommenen Bindungskraft von Normen stets Entscheidungselemente eingehen.
Als normativ programmierter unterliegt der Verwaltungsakt wiederum der
Rechtmäßigkeitskontrolle durch unabhängige Gerichte, die auf Verlangen des
Betroffenen nachprüfen, ob sich der Staat an die Norm gehalten hat oder
nicht.
Im Gegensatz dazu stellt sich präventive Staatstätigkeit als Vermeidung uner-
wünschter Entwicklungen und Ereignisse dar. Sie wirkt also prospektiv und
flächendeckend. Eine solche zukunftsgerichtete und komplexe Aktivität läßt
sich aber gedanklich nicht vollständig vorwegnehmen und daher auch nur
begrenzt in generelle und abstrakte Normen einfangen. In der Regel müssen
sich Präventionsnormen d
hung von Gesichtspunkte
berücksichtigt werden so
kleineren Teil Produkt des demokratischen Prozesses. Die handelnde Verwal-
tung muß es vielmehr von Situation zu Situation vervollständigen oder korrigie-
ren. Sie programmiert sich auf diese Weise weitgehend selbst, ohne dabei
spezifisch normative Techniken zu verwenden. Im selben Maß verdünnt sich
freilich auch die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle, die von der Existenz
justitiabler Normen abhängt. Die präventive Staatstätigkeit führt also in ein
Dilemma. Im Zuge der Verhütung einzelner Freiheitsgefahren droht sie die
Freiheitlichkeit der Sozialordnung insgesamt zu schmälern und höhlt gleichzei-
tig die demokratischen und rechtsstaatlichen Kautelen, die zur Begrenzung der
Staatsmacht im Interesse individueller Freiheit entwickelt worden sind, partiell
aus. Es ist dieser Umstand, der Prävention zum Problem des Verfassungsrechts
macht.
II. Der Funktionswandel des Staates und die Rolle der Prävention
weil die Schaffenskraft des Einzelnen entfesselt und ihr Einsatz durch die
Früchte der eigenen Leistung belohnt wurde. Gerechtigkeit sollte sich einstel-
len, weil die gleiche Freiheit aller keine einseitige Herrschaft, sondern nur
gegenseitige Vereinbarungen zuließ, die jeden vor Übermächtigung durch
Dritte schützten und einen besseren Interessenausgleich ermöglichten als zen-
trale obrigkeitliche Regulierungen. Die Konstruktion schloß weder soziales
Gefälle noch Armut und Not aus, doch schienen sie in einem System, das jedem
die gleiche Entfaltungschance bot, nicht extern auferlegt, sondern individuell
zurechenbar und insofern nicht ungerecht. Die Selbststeuerungsfähigkeit der
Gesellschaft machte allerdings den Staat nicht überflüssig, weil die von Herr-
schaft befreite und atomisierte Gesellschaft gleich Freier die Gelingensvoraus-
setzungen des Modells, Freiheit und Gleichheit, aus sich heraus nicht zu sichern
vermochte. Sie benötigte dafür weiterhin eine außerhalb ihrer selbst gelegene
und mit Macht versehene Instanz, eben den Staat. Seine Funktion reduzierte
sich aber auf die Garantie der vorausgesetzten, quasi-natürlichen Ordnung,
während es einer staatlichen Vorsorge für die allgemeine Wohlfahrt angesichts
des aus dem freien Spiel der Kräfte automatisch resultierenden Gemeinwohls
nicht mehr bedurfte. Der Staat erfüllte seine Aufgabe, indem er Freiheitsbeein-
trächtigungen unterdrückte, und bediente sich dazu der traditionellen staatli-
chen Mittel von Befehl und Zwang. Vor dem Grundprinzip gesellschaftlicher
Autonomie wurde aber jeder repressive Akt des Staates zum „Eingriff", und
um die Entschärfung des im Eingriff gelegenen Gefahrenpotentials für die
Autonomie der Subsysteme und ihr Medium, die Individualfreiheit, kreiste das
konstruktive Bemühen der bürgerlichen Gesellschaft. Die Lösung wurde in der
rechtsstaatlich-demokratischen Verfassung gefunden, die den staatlichen
Rechtserzeugungs- und Rechtsdurchsetzungsapparat ihrerseits wieder rechtli-
chen Bindungen unterwarf. Grundrechte markierten den Bereich gesellschaftli-
cher Autonomie, in dem maßgeblich nicht die Raison des Staates, sondern der
Wille des Einzelnen war. Eingriffe in diesen Bereich durften nicht nach dem
Gutdünken des Staates, sondern nur im Interesse der Gesellschaft erfolgen.
Deswegen benötigte der Staat für jeden Eingriff eine Ermächtigung, die die
Gesellschaft durch gewählte Repräsentanten in genereller Form im Gesetz
erteilte. Der Zweck der Konstruktion lag gerade in der Beschränkung der
staatlichen Machtmittel auf die Störungsbekämpfung. Ihre Existenz mochte
dann präventiv wirken, der zielgerichtete Einsatz präventiver Steuerung gesell-
schaftlicher Abläufe war aber systemwidrig, was freilich nicht ausschloß, daß
der liberale Staat gleichwohl zu solchen Mitteln griff, wenn es der herrschenden
Klasse nützte. Das Gesetz legte die Merkmale einer Störung sowie die zulässi-
gen Reaktionen abschließend fest. Die staatliche Exekutive war an das Gesetz
gebunden. Eine Maßregel, die sich als Eingriff darstellte, ohne eine gesetzliche
Deckung zu besitzen, galt danach als rechtswidrig und berechtigte den Betroffe-
nen, Unterlassung zu verlangen und seinen Anspruch nötigenfalls mit Hilfe
unabhängiger Gerichte durchzusetzen. Gerade diese Beschränkung des Staates
auf genau bezeichnete Fälle der Repression schien die Freiheit des Einzelnen
am wirksamsten zu gewährleisten.
gen und Krisen zu intervenieren und mit öffentlichen Mitteln Ausgleich oder
Abhilfe zu schaffen. Im Unterschied zu den Maßnahmen der ersten Etappe
konnte er sich dabei allerdings nicht mehr mit Rechtskorrekturen begnügen,
sondern mußte reale Leistungen in Gestalt von Geld- oder Sachmitteln erbrin-
gen. Ihr reaktiver Einsatz ließ aber auch in dieser Phase die Prävention noch
nicht in den Vordergrund der Staatstätigkeit rücken, wenngleich sie sich, etwa
im Arbeitsschutz, merkbar verstärkte. Mit zunehmender Differenzierung der
sozialen Strukturen und Funktionen, die die Gesellschaft zwar leistungsfähiger,
aber auch störungsanfälliger macht, schien das reaktive Krisenmanagement für
Bestandssicherung und Fortentwicklung des Systems nicht mehr ausreichend. In
einer dritten Phase ist der Staat deswegen dazu übergegangen, mögliche Krisen
schon im Ansatz aufzuspüren und durch vorbeugende Maßnahmen am Entste-
hen zu hindern und die Rahmenbedingungen für Wachstum und Entwicklung
selbständig zu verbessern. Von Erfolgen auf diesem Feld hängt mittlerweile
seine Legitimität ab. Insofern besitzt der Staat, was den Grundsatz betrifft,
keine Wahlfreiheit mehr. Er trägt vielmehr die Globalverantwortung für die
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. Dabei ergeben sich aus der
Sache selbst keine Grenzen, denn die kapitalistische Gesellschaft produziert mit
dem eingebauten Zwang zum Wachstum laufend neue Krisenherde, denen der
von Wählergunst abhängige demokratische Parteienstaat sozusagen vorbeugend
nachlaufen muß, wenn er keinen Loyalitätsentzug riskieren will.
Es liegt auf der Hand, daß erst dieser Funktionswandel des Staates der
Prävention endgültig Bahn brechen konnte. Ihre erstaunliche Konjunktur er
klärt sich daraus allein aber noch nicht. Als treibende Kraft tritt vielmehr der
wissenschaftlich-technische Fortschritt hinzu. Wo er neue Sicherheitsrisiken
unerhörten Ausmaßes schafft oder natürliche Ressourcen aufzehrt, leuchtet da
unmittelbar ein. Der wissenschaftlich-technische Fortschritt hat aber auch indi-
rekte Auswirkungen auf den Präventionsbedarf. Seine Ergebnisse pflegen ja im
wirtschaftlichen Wettbewerb kommerziell verwertet oder rationalisierend und
kostensparend eingesetzt zu werden. Die damit verbundenen Folgeprobleme:
fortschreitende Zerstörung der Natur, immer maschinengerechtere Umgestal-
tung der Lebenswelt, wachsende Belastung des menschlichen Organismus durch
Umweltreize und Chemieprodukte, beschleunigte Ersetzung zwischenmenschli-
cher Kommunikation durch maschinenvermittelte anonyme Kommunikation
haben inzwischen Schwellenwerte überschritten, hinter denen sie von vielen
nicht mehr dem Fortschritt gutgeschrieben, sondern als Verarmung und Bedro-
hung empfunden werden. Die Fortschrittsskepsis hätte sich freilich nicht so
schnell ausbreiten können, wenn von dem Rationalisierungsprozeß nicht auch
die Sozialisierungsbedingungen der Industriegesellschaft verändert worden wä-
ren. Der sinkende Personalbedarf der Wirtschaft bei steigenden Qualifikations-
anforderungen an die Beschäftigten führt allenthalben zur Verlängerung der
Ausbildung und Verkürzung der (Wochen- und Lebens-) Arbeitszeit, seit
mehreren Jahren auch zu hoher Arbeitslosigkeit. Infolgedessen schrumpft der
Anteil der Bevölkerung, der den Imperativen des Produktionsprozesses unter-
1. Der grundgesetzliche
Die Ausbreitung und Ne
nach den bisher getroffe
Sie erweist sich vielmeh
insofern, jedenfalls was
Änderung der zugrundel
machen. Angesichts de
schritts, auf den sie zur
Abnahme. Für das Verfa
ignorieren noch unterbin
die Prävention einstellen
tet durch die verfassung
gik der Prävention, geei
kürzlich im Volkszählun
Informationstechniken g
Formen und Mittel der
punkte andererseits geh
keln ist anders zu beurte
anders als die Früherken
ausgebreitet werden. W
abstecken, in den die ve
Dieser Rahmen soll hie
diesem Zweck zunächst d
Menschenwürde auszug
Sozialordnung erhebt und in Art. 1 Abs. 1 Satz 1 für unantastbar erklärt. Der
Staat wird in Satz 2 auf die Menschenwürde bezogen und tritt ihr gegenüber mit
seinen Machtmitteln in eine dienende Funktion. Die Menschenwürde selbst
erblickt das Grundgesetz, wie die Verknüpfung mit den Menschenrechten
Abs. 2 anzeigt und die folgenden Grundrechtsbestimmungen verdeutlichen
nicht in der Hinordnung des Individuums auf ein vorgegebenes, transzenden
oder irdisch legitimiertes Ideal individueller oder sozialer Perfektionierung,
der Folge, daß aus der menschlichen Würde die staatlich durchsetzbare Pfl
des Einzelnen hervorgeht, sich dem Ideal nach Kräften anzunähern.
Grundgesetz versteht die Würde vielmehr als immer schon gegebene Grund
stattung des Menschen, aus der das Recht des Einzelnen folgt, autonom üb
Lebensplan und Glücksvorstellung zu entscheiden, und auch dort, wo d
Autonomie sich im frühen Entwicklungsstadium des Menschen noch nicht o
aufgrund schwerer geistiger und körperlicher Defekte niemals zu aktualisie
vermag, als Angehöriger der Gattung Mensch geachtet zu werden. Das Gru
gesetz stützt die personale Autonomie sodann an Stellen, die sich in de
Vergangenheit als besonders gefährdet erwiesen haben, durch konkrete Fr
heitsverbürgungen in Gestalt von Spezialgrundrechten ab, die mit der Garan
freier Persönlichkeitsentfaltung in Art. 2 Abs. 1 beginnen und diese allgem
Freiheit dann in einzelne konkret benannte Freiheiten ausformen. Dabei fü
nicht als eigene Freiheit, sondern als Modalität der Freiheitsgarantien, Art
hinzu, daß die in personaler Autonomie sich äußernde und durch Grundrec
konkret geschützte Würde für alle in gleicher Weise gilt. Daher kann
Autonomie nicht das Recht umschließen, die Autonomie anderer zu zerstören
oder zu verkürzen. Daraus folgen Schranken der Selbstbestimmung, jedoch
nicht im Interesse eines überindividuellen Kollektivwerts, sondern im Interesse
der Ermöglichung friedlichen Zusammenlebens autonomer, aber sozialbezoge-
ner Individuen. Um dieser Möglichkeit willen ist die Staatsgewalt nötig und zur
Freiheitsbegrenzung befugt. Das Grundgesetz richtet den Staat in Art. 20ff.
aber so ein, daß er auf das Grundprinzip der Menschenwürde verpflichtet bleibt
und die Machtausübung an diesem legitimieren muß. Nicht allein der Grund-
rechtsteil, sondern auch der Organisationsteil der Verfassung ist als Ausfor-
mung von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 zu lesen. Dem dient das Demokratieprinzip,
indem es politische Herrschaft an einen Auftrag der Beherrschten knüpft und
diesen Auftrag, da über seine Erfüllung unter der Voraussetzung individueller
Freiheit legitimerweise unterschiedliche Auffassungen bestehen, nur zeitlich,
gegenständlich und funktional begrenzt vergibt. Dem dient das Rechtsstaats-
prinzip, indem es die Ausübung der Herrschaft nicht ins Belieben jedes
Funktionsträgers stellt, sondern an feste Maßstäbe bindet, die im Voraus
gesetzlich festgelegt werden und dem Zielwert der Freiheit Rechnung tragen
müssen, damit dem Einzelnen die Möglichkeit selbstverantworteter Lebenspla-
nung und -führung auch unter den Bedingungen staatlich regulierter Freiheit
erhalten bleibt. Dem dient ferner das Sozialstaatsprinzip, indem es verbürgt,
daß die aus der Würde folgende Freiheit nicht nur formal besteht, sondern auch
real nutzbar ist. Dem dient schließlich der Föderalismus, indem er die Varia-
tionsbreite politischer Gestaltung vergrößert und die Staatsgewalt machtbegren-
zend auch vertikal aufteilt.
Die Schutzpflicht für eine grundrechtliche Freiheit pflegt freilich gerade durch
die Einschränkung einer anderen Freiheit oder der Freiheit eines anderen
erfüllt zu werden. Freiheitsschutz und Freiheitseingriff korrespondieren also
miteinander, die Schutzpflicht für das Leben des ungeborenen Kindes beispiels-
weise mit dem Eingriff in die Handlungsfreiheit der Mutter. Was aus der
Opferperspektive Schutz ist, stellt sich aus der Perspektive des Handelnden als
Beschränkung dar. Die Prävention macht da keine Ausnahme. Impf-, Gurt-,
Versicherungspflichten etc. sind Maßnahmen präventiven Zwangs. Das Pro-
blem ist bekannt und wird im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung durch
Abwägung zwischen dem geschützten und dem verkürzten Grundrecht gelöst.
Diese Lösung findet auch auf Präventionsakte Anwendung, jedenfalls soweit sie
imperative Mittel verwenden. Das ist indes, wie sich gezeigt hat, gerade bei den
neuen Formen der Personalprävention nicht der Regelfall. Sie erscheint entwe-
der als faktisches Staatshandeln oder sucht ihren Erfolg unter Einsatz nicht-
imperativer Mittel. Gleichwohl dringt sie in bislang private Zonen vor, setzt
auch den legal handelnden Bürger staatlichen Kontrollen aus und verändert die
Rahmenbedingungen des Freiheitsgebrauchs. Ob die Grundrechte den Betrof-
fenen auch vor nicht-imperativer Prävention schützen, hängt davon ab, inwie-
weit diese als Eingriff zu betrachten ist. Der klassische Eingriffsbegriff ließ das
nicht zu. Als Eingriff galt danach nur ein staatlicher Akt, der dem Adressaten
absichtsvoll und unter Einsatz von Befehl und Zwang eine ihn unmittelbar
belastende Rechtsfolge auferlegte. Dieses Eingriffsverständnis war auf den
liberalen Ordnungsstaat bezogen, der eine von ihm unabhängige, als gerecht
vorausgesetzte Sozialordnung lediglich vor Störung bewahrte. Nur wenn eine
Störung vorlag, durfte er einschreiten und diese unter Einsatz seiner Machtmit-
tel beseitigen. Das System ließ ihm also gar keine Möglichkeit, dem Einzelnen
anders als durch gegen ihn gerichtete und ihn unmittelbar belastende Zwangs-
akte zu begegnen. Staatstätigkeit und Grundrechtsschutz kamen auf diese
Weise zur Deckung. Bliebe es angesichts der enormen Ausweitung der Staatstä-
tigkeit bei dem liberalen Eingriffsbegriff, so würde diese Kongruenz aufgege-
ben, und die Grundrechte könnten ihre Schutzfunktion gegenüber dem Staat
nicht mehr voll erfüllen. Ein solches Defizit läßt sich nur vermeiden, wenn man
auf den freiheitsbeschränkenden Effekt staatlichen Handelns, nicht die damit
4. Das Abwägungsproblem
Freiheitsbeschränkende Gesetze bedürfen freilich angesichts des Ranges, den
das Grundgesetz der Individualfreiheit zumißt, stets eines legitimierenden
Grundes, der letztlich selbst wieder nur aus der Freiheit gewonnen werden
kann. Das ist die Basis des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das die funktionale
Abhängigkeit des staatlichen Freiheitseingriffs von der Freiheit des Einzelnen
aufrechterhält und Freiheitsbeschränkungen auf das notwendige Maß zurück-
führt. Damit hat es sich zur praktisch wichtigsten Schranke für den freiheitsbe-
schränkenden Staat entwickelt. Im Regelfall handelt es sich darum, daß ein
Grundrecht beschränkt wird, weil sein ungehinderter Gebrauch die Grund-