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Arabische Homerverse
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Von Jörg Kraemer, Tübingen

Enno Littmann

zum achtzigsten Geburtstag

Wir haben seit langem gelernt, die Beziehungen zwischen verschie¬


denen Kulturen nicht mehr im Sinne bloß mechanischer Einwirkungen
und Übernahmen zu verstehen, sondern echte Begegnungen in ihnen
zu erkennen, die sich nach ähnlichen Gesetzen wie zwischen Lebewesen

vollziehen — toioüto Se o av öpyavixov. Dadurch aber sind wir auch

hellhöriger geworden für all das, was bei solchen Kulturbegegnungen un¬
beachtet geblieben, sozusagen unter den Tisch gefallen ist. „Jeder her¬
anwachsende Mensch und jede lebendige Kultur hat beständig ungezählte
Tausende von möglichen Einflüssen um sich, von denen ganz wenige als
solche zugelassen werden, die große Mehrzahl aber nicht. Sind es die
Werke oder die Menschen, welche die Auswahl treffen ?" Für diese be¬

rühmte Frage Oswald Spenglers'^ hat, wie bekannt, die ,, arabische Kul¬
tur" das Schulbeispiel geliefert. Bei dem überstarken Einströmen spät¬

antik-griechischen Bildungsgutes in die islamisch-arabische Welt sind ja


medizinische, philosophische, mathematisch-astronomische und sonstige
naturwissenschaftliche Werke in reicher Fülle übersetzt und von der neu
sich büdenden islamischen ZivQisation auch innerlich übernommen wor¬

den. Die Dichtung dagegen ebenso wie die Kunst überhaupt oder etwa
noch die Geschichtsschreibung ist dabei ganz in den Hintergrund ge¬
treten. Auf das Ausleseprinzip, das hier offenbar wirksam war und zu
dessen Erklärung man schon viel Scharfsinn aufgewandt hat^, haben
ältere wie neuere Beurteiler oft genug hingewiesen: ,,So viel wir ... mit

Zuverlässigkeit wissen können, haben weder das arabische Spanien und


Sizilien noch der Orient selbst die Muse eines Homer, Virgil oder (Hora-

^ Der Untergang des Abendlandes II 64.


Vgl. etwa J. 6. Wenrich, De Auctorum Graecorum Versionibus et Com¬
mentariis. . . Commentatio, Lipsiae 1842, p. 36, 73£f.; H. H. Schaeder, Der
Orient und das griechische Erbe, in Die Antike IV 1928, S. 226ff., bes. 237;
R. Walzer, Arabic Transmission of Qreek Thought to medieval Europe, Bull.
John Rylands Libr. 29 (1945/46), S. 162; R. Paret, Der Islam und das
griechische Bildungsgut, Tübingen 1950, S. 14 und andere.
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tius) Flaccus bis dahin begünstiget, daß ihr in den Gefilden des Orients
eine bleibende Hütte erbauet worden wäre"'^.

So hat es denn eine zusammenhängende arabische Übersetzung auch

nur von Teüen der homerischen Epen mit Sicherheit bis zu den Tagen
Sulaimän al-BustänIs nicht gegeben. Die Übertragung der Ilias in klas¬
sische arabische Metren, die dieser nach jahrelangem Bemühen 1904 mit
einem ausführlichen Kommentar veröffentlicht hat^ und in der die

garä'ib und nawädir auf den Leser nur so horeinprasseln, bietet ein ein¬
drucksvolles Zeugnis für die Gelehrsamkeit und Sprachgewandtheit des
von seiner Aufgabe begeisterten Verfassers. Er ist, nicht selten mit Er¬
folg, bemüht, durch breit einherrauschende, bilderreiche Sprache und
durch geschickten Wechsel des Metrums seinem Werk etwas von der
Kraft und Lebendigkeit des griechischen Originals einzuhauchen. Als

Beispiel sei seine Wiedergabe von Ilias V 1 —3 angeführt (S. 385, Wäfir):
Habat Fäläsu (= HaXXac; 'Aaly]V7)) däka l-yauma 'azman / wa-bd'sanli-bni

Tidiyusin (= TuSetSv]) mani'ä jj li-ya'zuma fi banl l-Igriqi Sa'nan / wa-


ydbluga fihimu s-sarafa r-rafi'ä. (,,Jetzo schmückt' Athene des Tydeus
Sohn Diomedes / hoch mit Kraft und Entschluß, damit vorstrahlend aus

allem / Danaervolk er erschien' und herrlichen Ruhm sich gewänne",

Voß). Trotzdem können wir Bustänis Opus, dem auch I. Krackovskij


eine Abhandlung gewidmet hat^, heute nicht mehr mit den enthusiasti¬
schen Worten Martin Hartmanns als ,, meisterhafte Arbeit und Denk¬
mal ... bedeutender dichterischer Schaffenskraft"* anerkeimen. Dafür

ist sein Ausdruck doch oft zu gesucht und gekünstelt und das Ganze zu

sehr Erzeugnis der Studierstube. Auf die Erneuerungsbewegung in der


arabischen Literatur unseres Jahrhunderts hat diese Ilyäda denn auch

die von ihrem Urheber erstrebte und erwartete tiefere Wirkung nicht aus¬
geübt; heute ist sie wohl nur noch als eine ,, literarische Kuriosität"* zu
werten.

^ Samuel F. G. Wahl, Von dem Schiksal (sie) des Homer und andrer
klassischen Dichter bei den Arabern und Persern usw., Programm Halle 1793,
S. 3. — Das Schriftohen ist wenig ergiebig.
2 Ilyädat Hümlrüs mu'arraha nazman wa-'alaihä Sarh ta'rihi adabi (GAL
S III 350f.), Kairo, Matb. al-Hiläl 1904. 1260 Seiten, davon 200 S. Einleitung
und 104 S. Indices mit Glossar. Anfang (Hafif): Rabbata ä-M'ri 'an Alßla bni
Fllä ( = nY]X7]i(xSE<i> 'Aj^iXyjo?) / aniidinä wa-rwi htidäman wäbllä (i. e. dl-
gadab aä-äadld al-maS'üm, Sarh) usw.
^ In der Zeitschrift FepMecT., Jahrgang 1909, S. 37—42; vgl. Die Welt des
Islams 11, 1928, S. 174; 185f.
* Der islamische Orient Bd. III S. 236 (nach freundlicher Mitteilung von
J. Fück).
° J. Fück (brieflich). — Der 1935 verstorbene Muliammed Raäid Ridä
dürfte sein Urteil „Ich habe die Ilias gelesen, und sie ist der arabischen
Poesie unterlegen" (bei H. S. Nyberg, Das Studium des Orients und die
Arabische Homerverse 261

Anders würde es stehen mit der alten syrischen Homerübersetzung


aus dem achten Jahrhundert, wenn wir sie noch besäßen. Wir hören von

ihr erst bei Barhebraeus (13. Jahrhundert), der Handschriften davon zu

kennen angibt und dem zufolge der maronitische Hofastrologe des


Kalifen al-Mahdi, Theophilos von Edessa (gest. 785), ,,die beiden Bücher

des Ümüüs über die in alter Zeit erfolgte Eroberimg der Stadt Ilyün"
aus dem Griechischen ins Syrische übertragen haben solP. Es ist jedoch
durchaus unsicher, ob wir diese Notiz als Hinweis auf eine vollständige (?)
Übersetzung von Ilias und Odyssee, nur von Ilias Buch I und II oder

aber irgendemes späten, dem Homer nur untergeschobenen Sagenhand¬


buches zu betrachten haben*. Merkwürdig ist immerhin, daß G. Cardahi
in seinem Liber Thesauri de Arte poetica Syrorum^, leider ohne seine
Quelle zu nennen, als angebliches (mid einziges) Zitat aus der verlorenen
Übersetzung des Theophilos den allbekannten Vers Ilias II 204 oux

aya'&ovTOXuxoipaviy)' zlc, xo^pavo«; eoTW in folgender Form mitteilt :

Lä Sappirä wa-m^'add^rä märüt saggiye


ellä d'had, malkä uxt-d'had puqdänä nehwe.

Diesen beiden, in korrektem zwölfsUbigem Metrum gebauten syrischen


Versen lassen sich weitere syrische Homer-Bruchstücke, und zwar aus

der Ilias sowohl wie aus der Odyssee, an die Seite stellen, die Lagarde
und andere in dem ,,Buch der Schätze" des Severus bar Sakkü (gest.
1241) wiedergefunden haben*. Es kann sich dort aber ebensogut um bloße

europäische Kultur, ZDMG 103, 1953, S. 13) nur auf die Kenntnis von
Bustänis Übersetzung gegründet haben.
^ Historia Compendiosa Dynastiarum ed. Pocockius, Oxford 1663, p. 228,
6 V. u. ( = Muhtasar ad-duwal ed. Sälhäni, Beirut 1890, p. 220,3): . . . wa-
naqala kitäbai TJrmrüs aS-Sä'ir 'alä fath madinat Ilyün fl qadlm ad-dahr min
äl-yünänlya ilä s-suryänlya. Vgl. nooh Poo. 40, 4 v. u. ; 61 paen. (wa-nusha-
tähumä maugüdatän 'indanä\) = Säih. 41,4; 61,7.
2 Cf. Wenrich 74; Baumstark, Oeschichte der syr. Literatur, Bonn 1922,
S. 341 etc. Über Theophilos als Übersetzer (auch der Sophistischen Elenchen
und von Analytica I) s. nooh Kh. Georr, Les Categories d'Aristote dans leurs
versions syro-arabes, Beyrouth 1948, p. 30f., imd R. Waizer, New Light on
the Arabic Translations of Aristotle, Oriens VI, 1953, S. 100, 112, 114. Wie
G. Levi Della Vida, JAOS 70, 1950, S. 186, Anm. 28 die Frage beurteüt,
habe ich leider nicht feststellen können.
^ Rom 1875, S. 40. Das seltsame Zitat ist oft diskutiert worden, so von
W. Wright, A short History of Syriac Lit., London 1894, S. 164, von R.
DuvAL bei H. Derenbourg, Melanges Weil, Paris 1898, S. 118, Anm. 4
(vgl. seine Litt, syriaque, 3. ed. 1907, S. 323f.), mid besonders ausführlich von
Sui. Bustänl, Ilyäda S. 266f. Der letztere nennt als Gewährsmann den
Assemani (welchen ?), dem bei seiner Überfahrt nach Rom im 18. Jahrhun¬
dert angeblich ein vollständiges Exemplar der Theophilos-Übersetzung ver¬
loren gegangen sein soU ( ?).
* The Academy Bd. II, London 1871, Sp. 467 f.; vgl. C. Frick, Die syrische.
262 JÖBO Kbaemeb

Zitate handeln, die als solche bereits aus griechischen oder syrischen
Schriftstellern herübergenommen worden waren.
Wie dem auch sei und ob der syrische Homer des Theophilos von
Edessa vollständig existiert haben mag oder nicht: auf die arabische
Literatur der ,, klassischen" Übersetzerzeit des neunten bis zwölften Jahr¬

hunderts hat er offenbar nicht gewirkt. Es fällt auch schwer, sich vorzu¬
stellen, was die Araber jener Tage mit den homerischen Epen, selbst

wenn sie ihnen in ihrer Sprache zugänglich gemacht worden wären,


hätten anfangen sollen. Die Übersetzer selbst freUich, die ja größtenteUs
Christen und mit dem Griechischen vertraut waren, mögen sie noch in

der Ursprache gekannt haben. Es klingt nicht unglaubwürdig, wenn von

dem bedeutendsten aller Übersetzer, dem berühmten Hunain ibn Ishäq


(gest. 873) erzählt wird, er habe, allerdings nur für sich selbst, ,, Dich¬
tungen von Homer, dem Dichterfürsten der Griechen", auf griechisch

rezitiert^. Für die Einstellung der späteren arabischen Gelehrten jedoch,

die sich als Theoretiker gelegentlich auch mit der ihnen so fremden Epik
zu befassen hatten, ist das Selbstzeugnis ihres berühmtesten Vertreters
dieser Richtung, nämlich des Averroes (gest. 1198), bezeichnend. In
seiner hier noch öfter zu erwähnenden Epitome zur aristotelischen
Poetik erklärt er bei Besprechung des Inhaltes von Kapitel 23 ausdrück¬

lich, daß al-aS'är al-qisasiya (wohl = y] Siv)Y7)(jLaTixY) xal i[m.sxpo(; [i.i.[jiy]Tixyi


Poet. 1459 a 16) ... wa-muhäkät hädä n-nau' min al-wugüd qalil fl lisän

al-'Arab seien: wa-kullu dälika hässun bihim (i. e. bi-l-Yünän) wa-gairu


maugüdin mitäluhü 'indanä !* Mit Ausnahme der pseudo-pythagoreischen

die armen, und die georg. Übers, der homerischen Oedichte, Berliner PliUolog.
Wochenschrift 30, 1910, Sp. 444—47. Es handelt sich um Ilias I 225f., VI
325, XVI 745 und Odyssee 18,26; leider wird nur der letzte Vers in extenso
zitiert. — Weitere Homerverse körmten der syrischen Übersetzung der
(pseudo-)aristotelischen Schrift De Mundo entnommen werden, die Lagabde,
Analecta Syriaca (1858), p. 134—158, herausgegeben hat und von der eine
arabische Übersetzimg bisher nicht bekannt ist (vgl. Steinschneideb, Die
arab. Übers, aus dem Griechischen, Centralbl. für Bibl.swesen Beüi. 12, 1893,
S. 55, Anm. 264).
' Wa-huwa yataraddadu wa-yunSidu äi'ran bi-r-rümlya li-TJmirus raHs
iu'arä' ar-Rüm: Ibn abi Usaibi'a ed. A. Müxleb, Bd. I, 1884, p. 185,8 v. u.
Auf diese Stelle verweist bereits E. W. Lane, The 1001 Nights vol. III,
London 1859, p. 689 f.
2 Ibn RuSd, Talhls Kitäb Aristütälls fl s-Si'r ed. F. Lasinio, Pisa 1872,
p. 40, 14.18; 41,11; jetzt auch in Aristütälls Fann aä-Si'r ed. 'A. Badawi,
Kairo 1953, p. 245, 14.19; 246,14. Die lateinische, von Jacob Mantinus im
16. Jahrhundert nach dem Hebräischen des Todros Todrosi gefertigte Para¬
phrase hat: ,, Historiae vero narrativae seu fabulae. ., huius autem generis
imitatio raro fit in lingua Arabica;. . . totum tamen hoc est proprium ipsis
Graecis et non reperitur apud nos simile" (ed. F. Heidenhain, Jahrbücher
für class. Philologie, Suppl.band 17, 1890, S. 379,37; 380,2. 15f.).

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Arabische Homerverse 263

Xpufföc ETOji — die sich mit ihrem didaktischen Inhalt und ihrer weithin
monostichischen Form für eine Aufnahme in arabische Spruch- und
Weisheitssammlungen ja geradezu anboten — ist deim auch, so viel ich

weiß, bisher kein Stück der griechischen Dichtung bekannt, das in größe¬
rem Zusammenhang und um seiner selbst wülen während des Mittel¬
alters ins Arabische übersetzt worden wäre".

Wo also Worte und Verse aus dem echten Homer irgendwie doch in
die arabische Literatur Eingang gefunden haben, konnte das nur unbe¬

absichtigt und gewissermaßen nebenbei geschehen : dort nämlich, wo sie


als Zitate bereits in griechischen Schriften gestanden hatten, mit denen
zusammen sie nun übernommen und auf mehr oder minder verständliche

Weise wiedergegeben wurden. Für das anfüge Schrifttum auch noch der

spätesten Zeit bedeuteten ja die homerischen Epen, ähnlich wie für den
islamischen Orient der Koran und für das christliche Abendland die

heiligen Schriften der Bibel, eine schier unerschöpfliche Fundgrube. Man


entnahm ihnen, nicht immer mit phüologischer Genauigkeit, emzelne
Verse oder auch nur Bruchstücke von solchen, wo sich Gelegenheit dazu

bot ; und so manches Dictum Homeri ist dabei, namentlich wenn es nur
aus dem Gedächtnis zitiert wurde, umgeformt oder sonstwie zurecht¬

gemacht worden. Wenn nun solche Schriften, oft genug erst auf dem Um¬
weg über eine syrische Zwischenübersetzung, ins Arabische übertragen
wurden, dann nimmt nicht wunder, daß die beziehungslos und unver¬

ständlich gewordenen Verszitate ganz besonders der Mißdeutung aus¬

gesetzt waren. Für die Häufung von seltsamen Mißverständnissen und


geradezu skurrüem Widersinn, der dabei gelegentlich zutage tritt, ist vor
allem die viel behandelte arabische Übersetzung der aristotelischen
Poetik durch den Nestorianer Abü Bi§r Mattä ibn Yünus (gest. 940) be¬

kannt*. Zur Charakterisierung genügt es, auf die dortige Wiedergabe von
zwei besonders verunstalteten Homerstellen hinzuweisen. Das vyjüi; Se [loi

T^S' £aT7)xev (eTt' äypoü viacpi TtoXYjo?) Odyssee 1,185 = 24,308 (,, Und mein
Schiff liegt außer der Stadt am freien Gestade", Voß), das Aristoteles
PoetUs 21. 1457b 10 anführt, ist im Arabischen (Ma 56,3f. / Tk 266,12 /

Ba 130,1) zu al-qüwatu [für 'al-füßf als Transliteration von sjt. dfä

1 Dazu F. Rosenthal, On the Translaiion of the Golden Verses, Orientalia


10, 1941, S. 104—115. Der Text ist jetzt am leichtesten zugänghch in der
Ausgabe von Miskawaihs Öävndän Hirad : Al-Hikma al-hälida ed.'A. Badawi,
Kairo 1952, p. 225—28.
2 Vgl. aberTeilll dieser Arbeit, S. 302ff. ; zu Aratos' Phainomena s. S. 271 f.
' Diese Übersetzimg wird hier nach allen drei Ausgaben zitiert: 1. D.
Margoliouth, Analecta Orientalia ad Poeticam Aristoteleam, London 1887
(= „Ma"), p. 1—87; 2. J. Tkatsch, Die arabische Übersetzung der Poetik
des Aristoteles, Wiener Akad. I 1928 ( = „Tk"), II 1932; 3. Aristütälls Fann
aä-Si'r ed. 'A. BadawI, Kairo 1953 ( = „Ba"), p. 83—145.
264 Jörg Kraemer

„Schiff" ?i] llati li ja-hiya hädihl 'alaiya geworden: 'Die Kraft, die mir

ist, so ist sie auf mir diese'. Und das Versbruchstück tjiove? ßoowtnv .,die
Gestade brüllen, brausen" aus Ilias XVII 265 = Ar. Poetik 22. 1458 b 31

begegnet uns bei Abü Bisr (Ma 62,13f. / Tk 272,6 / Ba 134,3 v. u.) als
anba'a l-Yünäniyln 'er benachrichtigte die Griechen' wieder. Die Ver¬
lesung von HI ONES inlSlNES erscheint da zwar verzeihlich, weü sie sich

auch in den meisten griechischen Handschriften der Poetik findet*. Im

Arabischen ist aber außerdem, was hier noch gar nicht berücksichtigt
ist, ein Teil des bei Aristoteles voraufgehenden Zitates Siippov äsix^Xiov

xaTaM? öXiyTiv xsTpaTie^av aus Od. 20, 259 (= Poet. 22. 1458b 29f.) mit

dem nachfolgenden so sinnlos zusammengefiickt worden, daß ein völlig


unverständliches ,, Monstrum"* entstanden ist. In eben dem letzt¬

genannten Odysseezitat („wies ihm dort einen kleinen Tisch und win¬
zigen Schemel", v. SchefFer) ist schließlich noch lehrreich, daß das Wort
asixeXiOi; dem syrischen Vorgänger des Abü Bisr offenbar unbekannt
war und jener es sich deshalb in dei „immer" und einen , .Eigennamen"

Kelion zerlegt hatte; der Araber hat daraus dann dä'iman Qaliyfm
gemacht*.

Aber solche Fälle von einfacher arabischer Transliteration griechischer


Worte — um einen Augenblick bei dieser zu bleiben — sind nicht auf die
Übersetzung der Poetik und damit der in ihr enthaltenen Homer¬

fragmente beschränkt. Schon den Anfang der Ilias, den Aristoteles unter
anderem in den Sophistischen Elenchen 24. 180a 21 anführt, hat der be¬

kannte Schüler des Abü Bisr und des Färäbi, der Jakobit Yahyä ibn
'Adi (gest. 974) in seiner Übersetzung dieses Werkes bloß durch jl^ o,! Li«

wiedergegeben, was ja gewiß nichts anderes sein kann als der Versuch
einer Transliteration von (x^viv asiSe S-ed. Der ältere Übersetzer derselben
aristotelischen Schrift, Ibn Nä'ima (um 835), hat sich auf noch mühe¬

losere Weise geholfen, indem er anstatt des Zitates einfach ka-dä wa-ka-dä

einsetzte. 'Isä ibn Zur'a dagegen (gest. 1008), ein Schüler des Yahyä ibn
'Adi, dem wir die dritte und jüngste arabische Fassung der Sophistischen

1 Diese Deutung ist mir wahrscheinlicher als der komplizierte Weg von
syr. elfä über a{n)pä (Sing.\) ,, Gesicht" zu arab. al-füh (d.i. al-fam ,,der
Mund"!) und damit al-qüwa, den Tkatsch I 207a imten (zur Beibehaltung
des Fem. s. ib. 150a, Anm. 1 uit.) annimmt.
2 Tk II 62a; A. Gudeman, Aristoteles Ilepl IIoiYjTixr)«;, Berlin 1934, S. 64
zm Stelle. —■ Ba 134, 3 v. u. liest gar abnä' al-Yünänlyln „die Söhne der
Griechen".
^ „dessen einzelne Glieder sich aber leicht ablösen lassen" : Tk I 206b, wo
weitere Beispiele aufgeführt sind.
* Ma 62,11 / Tk 272,5 / Ba 134,14. — Gerade diese zu den „ärgsten Mi߬
verständnissen" (Tk I 200b) gehörende arabische Wiedergabe hat hier je¬
doch zm Sicherung der angezweifelten Lesart (xe) äcix^Xiov geführt, s. Tk II
Arabische Homerverse 265

Elenchen verdanken, bringt den von Aristoteles nur abgekürzt zitierten


Vers in seiner annähernd vollständigen Form als

Udkurl ll aiyatuhä l-älihatu s-sahata l-muhlika

li-Ähilüs (= 'A^iX^o?)!.

Diese Ergänzung wird 'Isä ibn Zur'a aber kaum auf Grund eigener
Kenntnis des homerischen Originals angebracht, sondern schon seiner

Vorlage, d. h. wohl der früheren syrischen Übersetzung des Athanasius


von Balad (gest. 686)*, entnommen haben. —Ähnhch liegen die Verhält¬

nisse im Falle des Anfangs der Odyssee. Aristoteles zitiert ihn, übrigens
zusammen mit (i^jviv astSs ^tä., in der Rhetorik III 14. 1415a 17 gleich¬
falls abgekürzt als avSpa [xoi evvetcs (xoücra. Die arabische Übersetzung
der Rhetorik ist bekanntlich, ebenso wie die der Poetik und des ganzen
übrigen Organen, in dem schon oft untersuchten und beschriebenen
Pariser Unicum ar. 2346 (anc. f. 882 A) erhalten*. Als einziges Stück
dieser wichtigen Handschrift, die heute der Auflösung entgegengeht, ist

gerade die Rhetorik noch nicht ediert, was angesichts der Bedeutung des
Gegenstandes für den Hlm al-baläga wie für die arabische Literatur über¬
haupt zu bedauern bleibt*. Die Wiedergabe unserer Stelle mit den beiden

1 Alle drei Übersetzungen in 'A. Badawls Ausgabe von Mantiq Aristü III,
Kauo 1952, p. 962, Anm. 3; 966,3; 964,3. Bei Yahyä ibn «Adi ist wohl
zu lesen.
2 S. R. Walzeb, New Light etc., Oriens VI, 1953, S. 99 (wo nach Georr 26
als Todesdatum das Jahr 696 angegeben ist) und 113f. ; Baumstark, Oe¬
schichte usw., 256f.
3 42 X 30 / 30 X 18 cm, 380 Blatt zu 18 bis 25 ZeUen m teüs altertüm¬
lichem und regelmäßigem (so Rhetorik), teils jüngerem und flüchtigem (so
z. B. Poetik), kaiun punktiertem Neshi; Schriftzüge durch Tintenfraß, Risse
imd Löcher des brüchig gewordenen Papiers sowie durch Wasserschaden und
unsachgemäße Reparaturen vielfach stark zerrüttet und stellenweise un¬
leserlich. Die ausführlichsten Angaben über den Inhalt des Codex imd vor
allem die zahlreichen wichtigen Randnotizen (zu denen s. Walzer, Oriens VI,
lOlff.) bietet jetzt Kh. Georr, Les Categories p. 183—200. Eine wertvolle
Liste früherer Beschreibungen des , .venerable manuscrit" gibt M. Bouyges,
Averroes Talkhis Kitäb al-Maqoülät (Bibl. Ar. Scholast. IV), Beyrouth 1932,
p. XXX f. — Für die Topik, Sophistik, Rhetorik imd Poetik dürfte die
Pariser Hs. auch weiterhin Unicum bleiben. Die übrigen Teile des arabischen
„Organen" jedoch, also Isag. Porph., Cat., De Interpr., An. Pr. und An.
Post., sind auch in der, allerdings viel jüngeren, Istanbuler Hs Saray Ahmet
III 3362 enthalten, wie mir R. Walzer auf Grund eines Hinweises von D. S.
Rice freundlichst mitteilt.
* Eine Herausgabe auch der Rhetorik, zu der schon Tkatsch ,, alles Mate¬
rial gesammelt" hatte (L. Radermacher im Vorwort, S. 1) hat 'A. Badawi
vorbereitet, aber meines Wissens noch nicht veröffentlicht. Als vorläufiger
Ersatz karm die resümierende Bearbeitung des Avicerma dienen: Al-Shifä',
al-Mantiq VIII, al-Hitäba ed. Salim Sälim, Kairo, Wizärat al-Ma'ärif 1954.
266 Jörg Kraemer

allbekannten Zitaten findet sich dort auf Blatt 59 a 9, eingeleitet durch


wa-dälika ka-mä qila, in folgender Form :

1. Anbi'ini^ aiyatuhä l-iläkatu 'an gadabi Ähilüs (also ganz ähnlich wie
oben in der Übersetzung der Elenchen), und
2. Anbi'inP- yä Müsä (? )* 'ani r-raguli l-katiri l-makä'idi lladi ftasama?
umüran katiratan min ba'di mä hur(r)ibati l-madinatu l-'ämiratu

Ilyün ,, Berichte mir, o Muse, von dem listenreichen Manne, der


viele Dinge entschieden* hat, nachdem die volkreiche Stadt Ilion
zerstört worden war".

Hier also hat der arabische Übersetzer (dessen Namen wir bisher nicht

kennen) sogar noch den ganzen zweiten Vers ergänzt. Aber auch er wird

dabei von einem homerkundigeren syrischen Vorgänger abhängig ge¬


wesen sein.

Zu den angeführten Beispielen kann auch das ixyjviv deiSs •ö-eoc in. der
sonst so fehlerhaften Poetikübersetzung des Abü Bisr noch gestellt wer¬

den, wo es (Ma 51,6f. / Tk 262,11 / Ba 125,16 = Poet. 19. 1456b 16)


ziemlich korrekt als

Habbiri aiyuhä l-ilähu (sie) 'ala s-sahatati wa-l-harad

erscheint. — Das alles zeigt immerhin, daß selbst bei Wiedergabe der so
leicht mißzuverstehenden griechischen Verse und Versbruchstücke die

oben angedeuteten Unzulänglichkeiten und Entstellungen nicht oder


jedenfalls nicht immer zum Maßstab für die Leistungen der Übersetzer

als Ganzes genommen werden dürfen. Derartige oft recht ergötzliche


Sprachschnitzer, von denen aus dem arabischen Bereich noch eine Fülle
mitgeteilt werden könnte*, finden sich ja zum Beispiel auch in der la-

1 So? Ms: ^1.


2 Das L->-l' des Ms ist wohl nur tahrif für L-^ l>. — Diesen Passus hat
D. S. Margoliouth bei seiner (nicht ganz korrekten) Wiedergabe des Zitates
weggelassen, s. On the Arabic version of Aristotle's Rhetoric, Semitic Studies
in memory of Alex. Kohut, Berlin 1897, S. 377.
^ Mißverständnis von nXiyx^rj als 27rXr]5ev o. ähnl. ? Vielleicht aber auch
als Passiv zu lesen : husima „der von (der Erreichung) vieler Dinge abge¬
halten wurde".
* Den bekaimten Zusammenstellungen aus der arabischen Poetik von
Tkatsch (I 201 ff.) oder Gudeman {Die Textüberlieferung der aristotelischen
Poetik, in Philologus 90, 1935, S. 47 u. a.) läßt sich noch mancherlei aus der
Rhetorik hinzufügen. Dafür hier nur zwei Beispiele: Die Worte t' oijaa
■njpdcvvcov in dem Simonidesvers Rhet. I 9. 1367b 20 sind in der Pariser Hs
ar. 2346, Bl. 15a 9 v. u. mit li-r-raguli mina s-Sätüränas übersetzt, folglich
als TOÜ 2aTupavvcov mißverstanden worden. Avicenna, al-Hitäba 90,4 erklärt
dieses 'Appellativum' gar noch durch ka-anna s-Sätüränas qabllatu aärafa
(sie) mina l-Yünänlyln. — Rhet. I 13. 1374b 20 ist von dem Manne die Rede,
der sich, statt vor Gericht (et; Stxyjv) zu gehen, lieber einem Schiedsspruch
:(8iatTa) vmterwirft. Der Araber scheint dies Bl. 21b paen. mit den (auf
Arabische Homerverse 267

teinischen Literatur des Mittelalters (und nicht nur in dieser!) genügt;

allzu streng soll man mit ihnen nicht ins Gericht gehen. „Perversiones

potius quam versiones": mit diesem häufig und nicht einmal immer
richtig zitierten Wort des Michael Casiri* war man bei uns früher rasch

geneigt, die griechisch-arabischen Übersetzungen ebenso wie ihre latei¬


nischen Abkömmlinge geringschätzig abzutun. Ein solches Urteil muß

auf Grund der uns heute zugänglich gewordenen, großenteUs vortreff¬


lichen Erzeugnisse jener mittelalterlichen arabischen Übersetzerschiilen

wesentlich revidiert werden*. Selbst die Wiedergabe vieler Homerverse


der bisher geschüderten Art macht hiervon keine Ausnahme. Von den
über zwei Dutzend Homerzitaten, die ich bisher in arabischen Über¬

setzungswerken — in der Rhetorik freilich nur in Einzelfällen — habe


feststellen können, ist dem reinen Wortlaut nach die Mehrzahl doch

ziemlich richtig, wenn auch nicht immer ganz sinngemäß, wiedergegeben.


Auch aus der sklavischen Wörtlichkeit des um den Sinn seiner Vorlage

gänzlich unbekümmerten Poetik-Übersetzers hat die klassische Philolo¬


gie ja manchen, allerdings umstrittenen Nutzen zu ziehen gewußt. Auf
die Kontroverse, die sich an die Beurteilung dieser Frage geknüpft hat,
kann hier natürlich nicht eingegangen werden*. Für unseren Zweck ge¬

meinem Fihn schJecht lesbaren) Worten fa-inna hudüra l-walä'imi ahabbu


ilaihi ( ?) min hndüri l-husümati wiederzugeben: „Es ist ihm lieber, an Gast¬
mählern (Statxa!) als an einem Rechtsstreit teilzunehmen". Auch hier folgt
Avicerma dem Übersetzer getreulich: li-yakun hudüntka {li-)l-walä'im(i)
awadda 'alaika min hudüri l-husÜ77iät (K. al-Magmü' au al-Hikma al-'arüdlya
fi ma'äni Kitäb Bitüriqä ed. Salim Sälim, Kairo 1950, p. 74,5; ähnlich
al-Hitäba 115,8).
i'Oer griechische Eigenname Polyzelos in einer Schrift des Alexander von
Aphrodisias wird lateinisch mit 'est multum diligens" wiedergegeben (M.
Grabmanst, Mittelalt. lat. Übersetzungen von Schriften der Aristoteles-Kom¬
mentatoren Joh. Philoponos usw., Sitz.ber. Bay. Akad. 1927/7, S. 57); für
poSoSaxTuXoi; Yjtii; in der aristotelischen Rhetorik III 2. 1405b 19 setzt die
sog. Vetusta Translatio 'r. quam ut' ( = t) <«)<;, s. Gudeman, Philologus 90,
1936, S. 47 Anm. 15, wo weitere „Belege unbewußter Komik"; cf. 445, Anm.
49) imd dergleichen mehr.
^ Bibliotheca Arabico-Hispana Escurialensis 1, Madrid 1760, p. 266a
(wiederholt z. B. bei Heinr. Ritter, Über unsere Kenntnis der Arab. Philo¬
sophie, Abh. Göttinger Ges. d. Wiss. Bd. 2, 1845, S. 6, Anm. 1, und bei
Späteren). Es ist da aber nur von den alten arabisch-lateinischen Übersetzun¬
gen die Rede.
ä Von einem ,,high degree of adequacy" der meisten griechisch-arabischen
Übersetzungen spricht mit Recht R. Walzer in seiner wertvollen Übersicht,
Orientaha 20, 1951, S. 339. (Bespr. von M. Bouyges' Ausgabe der arabischen
Metaphysik mit dem Kommentar des Averroes).
* Erwähnt sei nur, daß ich im Verlaufe dieser Arbeit von Tkatschs um¬
strittenem Buche einen etwas günstigeren Eindruck gewonnen habe als er
durch die, vielfach freilich berechtigte, Kritik Bergsträssers {Der Islam 20,
268 JÖBG Kbaemeb

nügt es, festzustellen, daß wenigstens in dem einen Falle Poet. 22.

1458b 25 (= Odyssee 9, 515) vüv Se [i' eMV ollyoc, Te xal ouTiSavo? xal
[dceixYji;] gerade die gänzliche Verständnislosigkeit des Abü Bisr dazu bei¬
getragen hat, das gemeinhin überlieferte aitiSy]ci'- des aristotelischen Textes

in dcetxYji; (,, unziemlich, unwürdig", arab. bi-läan yasiMMa 62,8 /Tk 272,3
/ Ba 134,11) zu ändern. Da diese Lesart zwar von dem dxixuc; (,, schwäch¬
lich") unseres Homertextes abweicht, sich aber auch in mittelalterlichen

Scholien findet, ist so, bei der Feststellung der Worte des geblendeten

Poljrphem an Odysseus in der von Aristoteles befolgten Rezension, mit


Hilfe des Arabers in der Tat „ein bemerkenswertes Zeugnis für die

Homerkritik des Altertums" gewonnen worden*. Die Gründe dafür liegen


in der bekannten, aber für die Textkritik nur mit starken Einschrän¬

kungen verwertbaren Tatsache, daß hier wie in anderen Fällen die grie¬
chischen Handschriften, auf welche die arabischen bzw. syrischen Über¬
setzungen zurückgehen, um Jahrhunderte älter gewesen sind als die
ältesten heute noch erhaltenen griechischen Textzeugen. Aber das sind
Probleme vorwiegend des klassischen Philologen, die außerhalb des Rah¬
mens dieses Aufsatzes liegen*. Es kann sich deshalb für uns auch nicht

1932, S. 48—62) imd Plessnebs (OLZ 34, 1931, Sp. 1—14; 39, 1936, Sp.
295—98) für das Bewußtsein der Orientalisten bisher festgelegt war. Eine
„philologisehe Leistung allerersten Ranges" und ein XTr)[ia sE; äet, wie
Gudeman, Philol. Woehenschr. 49, 1929, Sp. 168, mit starker Übertreibung
behauptet hatte, ist das stofflich überladene, stüistisch verunglückte und
wegen seiner Regellosigkeit unendlich mühsam zu benutzende Werk, jeden¬
falls für die Arabistik, gewiß nicht. Aber als „inhaltsreich und bahnbrechend"
muß man es mit dem gerecht abwägenden Urteil W. Kutschs (Zur Ge¬
schichte der syrisch-arabischen Übersetzungsliteratur, Orientalia 6, 1937, S. 75)
doch wohl anerkennen, ebenso wie seinem Verfasser trotz aller Schwächen
und Mißgriffe das Verdienst eines ,, diretto e attento studio delle fonti" nicht
abgesprochen werden kann (s. F. Gabbieli, Intorna alla versione araba della
Poetica di Aristotele, Rendic. R. Acc. Line, Cl. Sc. morali etc., Ser. VI vol. 5,
1929, S. 230, Anm. 1).
^ D. i. „unsichtbar"; hier im (nachklassisohen) aristotelischen Sprach¬
gebrauch svw. ,, unschön". Das Wort steht, als alltäglicher Ausdruck (xiipiov
övofia) dem vorausgehenden äeiXT); — äxixug entgegengesetzt, unmittelbar
danach 1458b 27, wo es im Arabischen durch alladl bi-lä manzar (Ma 62,10 /
Tk 272,5 / Ba 134,13) wiedergegeben wird.
2 Tkatsch II 106a oben; vgl. Gudeman, Ar. Poetik (1934), S. 381.
' Bergsträsser hat in seiner genannten Kritik (Der Islam Bd. 20, bes. S. 57,
61) eindringlich klargestellt, daß Abü Bisrs barbarische und keineswegs
immer streng wörtliche Interpretation längst nicht in dem Ausmaß zur
Wiederherstellung der aus dem 5./6. Jahrhundert stammenden griechischen
Vorlage (,,Cod. S") der syrisch-arabischen Übersetzung verwandt werden
kann, wie Gudeman in seinem auf Tkatschs „meisterhafte Gesamtleistung"
gestützten Enthusiasmus das angenommen hatte. Ein „defensor veri quasi
ex mferis citatus" (Gudeman, Philologus Bd. 90, S. 46) muß nun eüimal
suspekt bleiben, für die klassische Philologie wie für die Arabistik.
Arabische Homerverse 269

darum handeln, nun etwa die sämtlichen Homerzitate aus arabisch über¬

setzten Aristotelesschriften, bei denen oft genug auch der umgebende


Prosatext mit berücksichtigt werden müßte, vollständig mitzuteüen.

Dagegen seien aus dem außeraristotelischen Schrifttum wenigstens drei


besonders bemerkenswerte Fälle noch aufgeführt.

a) Zuerst ist hier die überraschend gute, auf weite Strecken sogar aus¬

gezeichnete Übertragung der pseudoplutarchischen Placita Philosopho¬


rum durch den Melkiten Qostä ibn Lüqä (gest. um 912) zu nennen. Eine

Ausgabe dieses Muster- und Meisterstückes griechisch-arabischer Über¬


setzungsliteratur, das noch Paul Kraus lediglich in kurzen Auszügen der
öäbir-Schrift Kitäb al-Häsil bekarmt war^, hat uns jüngst 'Abdarrahmän

Badawi geschenkt*. Dort wird auf S. 97 uit. der Vers Ilias XIV 246
'Qxeavo?, 6? Ttep yeveai.? TravTeacTi TETUXTai, den die Placita gleich zu

Beginn (I 3,2 = Diels, Doxographi Graeci p. 277) aus dem Gespräch des
Hypnos mit Here anführen, arabisch mit Uqä'änüs ka-annahü 'umila mu-
wallidan li-l-kull wiedergegeben. (Zum Vergleich sei die moderne, in Ra-

malverse gefaßte Übersetzung, die Sulaimän Bustänis Ilyäda, S. 755,


bietet, danebengestellt: Wa-magäri Üqiyänüsa lladi / kullu Sai'in käna
minhü wa-ilaih.) An der recht genauen Wiedergabe des Qostä ibn Lüqä
fäUt hier nur das ka-annahü auf, statt dessen man alladi (wie bei Bustänl)
erwartet hätte ; doch mag in seiner Vorlage worTrep für das überlieferte 8?

Ttsp gestanden haben. — Das letzte auch arabisch erhaltene Homerzitat der
Placita (III 5,2 = Diels, p. 372) stammt aus Ilias XVII 547, wo das Er¬
scheinen der vom Himmel herabgestiegenen Athene unter den um Pa¬
troklos' Leichnam ringenden Achaiern durch das schöne Bild vom Regen¬

bogen ausgemalt wird: 7)iT£ 7topcpupev]v tptv 0-V7)toi<ji, TavudCTV) ... Hier
hat der Übersetzer, der die notwendige Ergänzung durch das bei Homer

nachfolgende Zeui; oupavo^^ev nicht kennen konnte, sich auf sinnreiche


Weise geholfen und damit auch hier gezeigt, daß es ihm um ein echtes
Verständnis seines Textes zu tun war. Er hat, das für ihn subjektlose

Verbum ro-waayi in einen Medialausdruck verwandelnd, den Regenbogen


zum Subjekt gemacht; und so heißt es bei ihm (ed. Badawi 146,8):
Ka-mä^ tabaddä qausu Quzaha l-urguwäniyu amäma a'yuni n-näs ,,Wie

^ S. Jäbir ibn Hayyän II, Jäbir et la science grecque (M6m. de l'Inst.


d'figypte 45, Le Caire 1942), p. 331—39. Vgl. H. Diels, Doxographi Graeci,
Berlin 1879, p. 27 f.: ,, Versio (arabica) non iam extare videtur".
2 (Kitäb) al-Ärä' at-tdbViya al-mansüb ilä Flütarhus, in Aristütälls Fi
n-Nafs usw., Diräsät islämiya Bd. 16, Kairo 1954, p. 89—188 (nach der
566 H in Bagdäd geschriebenen Sammelhandschrift Damaskus, Zähiriya
4871 'Ämm). ^ Im Druck, wohl imrichtig, lammä. — Qaus (Quzah) ist
in der Bedeutung ,, Regenbogen" anscheinend meist masc, vgl. etwa Rasä'il
Ihwän as-Safä' II, Kairo 1347/1928, p. 67,4 v. u.; auch Lane 2574«f.
270 JÖBG Kbaemeb

(wenn) der purpurne Regenbogen vor der Menschen Augen erscheint".

(Bei Bustäni, S. 881, Ragaz: Ka-anna fl qalbi s-samä qausa QuzaJf, /


alqahu Zafsu [= Zsii?] munbPan bi-mä samal),.)

b) Hieran sei nun zweitens ein anderes „meteorologisches" Homerzitat

gleich angeschlossen, das von allen bisher genannten am meisten Be¬

achtung verdient. Es findet sich, ganz außerhalb des Rahmens der ge¬
wöhnlichen Übersetzertradition, bei keinem Geringeren als al-Birünl

(gest. 1048) in seinem berühmten Indienbuche und lautet {India ed.


Sachau p. 48,2):
Ka-mä tuqta'u qita'u t-talgi min Zaus.

Gemeint ist Ilias XIX 357, wieder aus einem prächtig ausgemalten ho¬

merischen Bilde:^ S' ots Tap9£ial vicpdSei; Ai6? exTioTeovTai. ,,Wie


wenn häufige Flocken des Schnees von Zeus sich ergießen" (Voß).
Wollte man einer seltsamen Nachricht des griechisch-römischen Bunt¬

schriftstellers Claudius Aelianus (gest. 235 n. Chr.) Glauben schenken,


wonach die Inder und sogar die Könige der Perser die homerischen Ge¬
dichte ,,in ihrer Landessprache gesungen" haben sollen*, dann könnte

^ Bustäni, dessen Wiedergabe nochmals zum Vergleich angeführt sei,


nimmt S. 952,11 den folgenden Vers (ijjuxP«', '^'^^ ^ot^; cd^pfiyevioc, Bop£ao)
hinzu und übersetzt (Sari'):
Fa-iitaäarü ha-t-talgi fl Sam'alin
tarml bihl fa-mtadda aiya mtidäd.

* Varia Historia Lib. XII 48: "Oti TvSol ty) ^pdc ciptaiv ^7ci,x"pi<p 90JV7) t4
'Ojiifipou ixETaypätJjavTe; ätSouaiv oü [j.6vot, dtXXa xal ot Ilcpaöiv ßaaiXeii;, eJ ti xP'h
TT'.CTTsiieiv ToT? ÜTTEp TouTcov IdTopoOcnv. Nur als Kuriosum sei erwähnt, daß
E. B. C(owELL ?) in einer MiszeUe Homeric Influence in the East, The Gentle¬
man's Magazine vol. 26, 1846, S. 594—99, im Anschluß an diese Stelle nach¬
zuweisen versucht, daß nicht nur die Verfasser des Rämäyana und des
Mahäbhärata durch Homer inspiriert worden seien, sondern daß auch die
'persische Ilias' des Firdausi den „stamp of Homer's mind" trage. Als Ver¬
mittler wird allen Ernstes Themistokles in Anspruch genommen, der wäh¬
rend seines Aufenthaltes am persischen Königshofe die homerischen Epen
im Orient bekaimt gemacht habe. — Nach der heutigen Auffassung, über die
Herr Professor von Glasenapp mich freundlichst belehrte, war Homer den
Indem unbekannt ; die anderslautenden griechischen Nachrichten sind darauf
zurückzuführen, daß die Griechen die indischen Epen, ohne sie näher zu
keimen, mit ihren eigenen gleichgesetzt haben. Die Quelle Aelians dürfte
eine entsprechende Stelle bei Dion Chrysostomos (gest. um 120 n. Chr.),
Orationes 53 Mitte, gewesen sein; s.H. von Glasenapp u. andere. Die Litera¬
turen Indiens (im Handbuch der Lit.wissenschaft ed. O. Walzel), Potsdam
1929, S. 80 und vgl. M. Wintebnitz, Geschichte der indischen Literatur IU
(1920), S. 627 sowie R. Pischel, Die indische Literatur in Kultur der Gegen¬
wart 1/7 (1906), S. 195. — Will man jedoch den Angaben Dions und Aehans
mehr Glauben schenken, dann könnte als Vermittler allenfalls der griechisch-
( -baktrische) König Men andros in Frage kommen, dessen Herrschaft über
Arabische Homerverse 271

man einen Augenblick versucht sein, an eine solche Homerübersetzung

als QueUe Birüiüs zu denken. Aber die Umgebung des Zitates weist in

eine ganz andere Richtung. Voraus geht nämlich eine ziemlich genaue
arabische Wiedergabe der dichterisch beschwingten Einleitung zu den

Oaiv6[jieva des Aratos (Kitäb Arätus fi z-Zähirät, p. 47, 16f.). Dieses un¬

gemein weit verbreitete astronomische Lehrgedicht des hellenistischen


Poeten Aratos von Soloi (um 310 bis 245 v. Chr.) muß dem Birüni in
einer Übersetzung vorgelegen haben; denn er zitiert daraus, neben der

Einleitung, auch das zweite Glanzstück, den Mythus von der Göttin
Dike, die einst von der Erde geflüchtet ist und nun als das StembUd der

Jungfrau zu Füßen des Bootes am Himmel steht^. Im Anschluß an un¬


sere Stelle nun, die den Zeus als die alldurchwirkende Ordnungskraft

preist (= Phain. v. 1—17), fährt Birüni fort, p. 47 uit.: ,,der Kommen¬


tator des Buches der Erscheinungen (mufassir Kitäb az-Zähirät) ... hat

gesagt: 'Wir möchten gerne wissen, welchen Zeus Arätits gemeint hat,
den mythisch-symbolischen (ar-ramzi) oder den natürlichen (at-tahiH).
Deim der Dichter Krates (Aqrätas) hat das Himmelsgewölbe Zeus ge¬
nannt, und ebenso sagt Homeros (Ümirus) Ka-mä tvqtahi usw. [s. oben].
Und Arätiis nennt den Himmel und die Luft Zeus in seinem Worte Die

Wege und Versammlungsorte sind von ihm erfüll, und wir alle hahen es
nötig, ihn einzuatmen'. Deshalb hat er [der Kommentator] behauptet, es
sei die Ansicht der Stoiker (ashäb al-ustuwän) über Zeus, daß dieser der
Geist (ar-rüh) sei, welcher in der Materie (al-hayüla) verbreitet und un¬
seren Seelen ähnlich ist, d. h. die Natur, welche jeden natürlichen Körper

regiert".
Diese stoisch eingekleideten Worte des „Kommentators der Oaivojjieva"

— und gleich ihnen auch die von Birüni an der zweiten Stelle, India
p. 193,4fF., zitierte Erläuterung des Mythus von der ,, Sternenjungfrau" —
werden wir also in irgendeiner der zahllosen antiken Scholien-, Ein-

Nordwestindien (2. Jahrh. v. Chr.) dort allerlei Spuren hinterlassen hat vmd
dessen Name in dem buddhistischen Päliwerk Milinda-[d. i. Menandros-]
panha fortlebt; s. Fb. -Altheim in Historia Mundi Bd. V, Bern 1956, S. 228 f.
(Hinweis Prof. H. Hommel) und vgl. H. v. Glasenapp, Die Philos. der Inder,
Stuttgart 1949, S. 3, 326 f.
1 India p. 192,13—193,4 = Phain. v. 96—134; vgl. Alberuni's India,
Engl. Edition II, 1888, S. 349f. — Eine deutsche Wiedergabe dieses Stückes
bietet A. Köbte, Die hellenistische Dichtung (Kröners TA Bd. 47), Leipzig
1925, S. 209—11; die Einleitimg ebenda S. 207 f. („Lasset mit Zeus uns be¬
ginnen, den lassen wir niemals, ihr Männer, / imgefeiert. . ."; arabisch bei
Birüni p. 47,17: Wa-innahu lladl nahnu, ma'äara n-näsi, lä nada'uhü wa-lä
nastagnl 'anh. ..).
" Nm bis hierher geht in Wirklichkeit das Zitat aus Aratos Phain. v. 2/3;
das folgende ist bereits ein Teil des stoischen Scholiens, s. unten den griechi¬
schen Text.
272 JÖKG Kraemer

leituiigs- oder Nachahmungsschrifteii zum Aratos' zu suchen haben.


Unter deren griechisch erhaltenen Resten hat man sie aber bisher auf

orientahstischer Seite nicht gefunden*. Dabei hat man jedoch ein Frag¬
ment des Aratoskommentators und -biographen Achilleus (drittes

Jahrhundert n. Chr.) übersehen, das unter dem Titel Ilepl e^-/jY^(jeco?


('Ap(ZTOu) seit der editio princeps des Petrus Victorius von 1567 wieder¬
holt abgedruckt worden ist*. Die entsprechende Stelle dort lautet : 'Aia'

(d. h. den im Anfang der Phainomena erwälmten Zeus) Ss ol [aev tov


oupavov, ot Se tov at'ö-ep«, ot Sc tov -i^Xiov, ot Se tov [/.uO-ixov e^eSe^avTO.
ol [A^v o5v TOV oüpavov XeyovTe? TiapaTl&evTat tov toi7]T7]v XeyovTa*
'w? 8' oTe Tapcpcial vKpiSec, Aio? exTioTOWVTai' (sie) toutecttiv
oupavoij ....

Ai6 xal TÖV "ApaTov ETrdyeiv '[xeaxal Sc Aiö? nxaoLi (xev ayuiai, Ttatrai

S' dcv^pwTtwv dcyopal'" TrdvT-/) ydp At6<; xexpvi|J-£^a" an&^nzq yap ^öv
äepa avaTTveofiev.

Hier finden wir also das meiste von dem wieder, was Birüni anführt,
einschließlich des Homerzitates und der (von Birüni als arateisch mi߬
verstandenen) stoischen Lehre des Scholions von dem allbeseelenden
Hauch der ,, eingeatmeten" Gottnatur, wie sie uns ähnlich auch in dem
bekannten Wort des Apostels Paulus ,,In ihm leben, weben und sind wir"

' Vgl. Kn.aack, Art. Aratos in Real-Encyclop. der class. Altertumswiss.


(R E) Bd. II, 1896, Sp. 395ff., und die Handbücher. Am berühmtesten ge¬
worden ist die Gegenschrift des großen Astronomen Hipparchos (2. Jahrb.
v. Chr.; ed. C. Manitius, Leipzig 1894) und die freie lateinische Bearbeitimg
des Germanensiegers Claudius Caesar Germanicus (gest. 19 n. Ciir. ; ed.
A. Breysig, Berlin 1867), deren sogenarmte Scholien uns noch beschäftigen
werden, s. S. 273, Anm. 5. — Die griechischen Verzeichnisse von 27 bzw. 37
angeblichen Aratoskommontatoren in einer vatikanischen Handschrift, die
auch den Namen des Krates (s. hier S. 274*) enthalten, stammen in Wirk¬
lichkeit aus einem Katalog griechischer Astronomen und Kosmographen,
der mit Aratos nichts zu tun hat; s. E. Maass, Hermes Bd. 16, 1881, S. 385
bis 392 und ausführlicher in Aratea, Berlin 1892, Cap. III.
- S. E. Sachau, India, Enghsh Edition II, p. 292 und 350f. Allerdings
kenne ioh die Ergebnisse der Untersuchung Kraökovskijs von 1945 nicht,
8. S. 279, Anm. 1. — Von der Beziehung zu al-Blrüni abgesehen ist die Quelle
des Scholions in der klassischen Philologie natürlich längst bekannt, vgl.
das Folgende.
3 Hipparchi Bithyni in Arati et Eudoxi Phaenomena Libri III. Eiusdem
Liber Asterisnwrum. Achillis Statii [sie] in Arati Phaenomena usw., Florentiae
1567, p. 110. Wieder abgedruckt in D. Petavii Uranologium, Paris 1630,
p. 273f., bei Migne, Patrologia Ser. Gr. Bd. XIX, 1857, col. 1161 und bei
E. Maass, Commentariorum in Aratum Reliquiae, Berlin 1898, p. 82,8—12;
83,8—10. — Die Verwechslung des Verfassers mit dem Romanschriftsteller
Achilleus Tatios (4. Jahrhundert n. Chr.) geht schon auf das Suda-Lexikon
(„Suidas" ; dazu F. Dölger, SBBA 1936/6) zurück, s. Scharfer in RE Bd. I,
1894, Sp. 247.
Arabische Homerverse 273

begegnet'. Im Griechischen fehlen aber genaue wörtliche Entsprechungen


zu Anfang und Schluß des arabischen Textes; ebenso fehlt dort das
Zitat aus dem 'Dichter' Krates, und schließlich weist das Achilleusfrag¬
ment auch keine Parallele zu der zweiten Kommentarstelle bei Birüni

(p. 193,4 ff.) auf. All diese Stücke finden sich jedoch in sonstigen teils
griechischen, teils (mittel-)lateinischen Aratosscholien, auf deren ver¬
wickelte Überlieferungsgeschichte hier nicht eingegangen werden kann,
deren Herkunft aus dem vollständigen, uns nur lückenhaft erhaltenen
Achilleus-Kommentar aber jedenfalls sehr wahrscheinlich ist*. Die

(griechische) Entsprechung zur zweiten Birünistelle* braucht uns hier


nicht zu beschäftigen. Für die erste Stelle mit unserem Homerzitat hat

schon C. Robert auf eine deutliche Parallele in den sogenannten Scholia

Sangermanensia hingewiesen, aber ohne den weiteren Zusammenhang


klarzumachen*. Diese ,, Scholien", in Wirklichkeit eine selbständige
recensio interpolata zum barbarischen Text des Aratus Latinus aus bereits
fränkischer Zeit (achtes Jahrhundert)*, enthalten nun zum Prooemium

in lovem auch die uns noch fehlenden dem Birünitext entsprechenden


Stücke. Lediglich diese seien daher noch angeführt :*

et quaeritur, cuius levis meminerit, utrumne fabulosi an naturalis, et

^ Apostelgesch. 17,28, wo Paulus bekanntlich auch das arateische toü yap


xal yevo; e(T[j.^v (Phain. v. ö; cf. Kleanthes Hymnus in lovem v. 4) anführt.
In der arabischen Übersetzung bei Birünl p. 47,18 ist leider gerade dieser
berühmte Versteil ausgefahen.
2 Die meines Wissens neueste klassisch-philologische Arbeit, die diese
Frage behandelt (und auf die ich erst nach Abschluß meiner eigenen Unter¬
suchung aufmerksam geworden bin), H. J. Mettes Sphairopoiia (München
1936, vgl. S. 274*), drückt sich zwar etwas vorsichtiger, aber doch im
Prinzip ähnlich aus (S. 18):,, Auf eine Vorstufe der griechischen Quelle der. . .
latemischen Übertragungen wird . . die Vorlage zurückgehen, die Achüleus
Tatios [sie] für seinen Konunentar zu Arats Phainomena, [Maass] p. 82,6ff.
verwertet hat".
3 Bei Maass, Comm. in Aratum Rel. p. 201; cf. Breysig p. 65 und 125.
* Bei Sachau, India, English Ed. II 292 f. Für die Beurteilung der Über¬
lieferungsgeschichte ist jedoch nicht ohne Belang, daß der Text fast wörtlich
auch in den sog. Scholia Basileensia — das sind übersetzte, den Phainomena
als eine Art Kommentar beigegebene Auszüge aus den Katasterismen (des
Eratosthenes, 3. Jahrh. v. Chr.) — wiederkehrt, s. Anm. 6.
' S. Maass, Comm. in Ar. Rel. p. XXXVI—XLIV; A. von Fragstein,
Isidor von Sevilla und die sog. Oermanicusscholien, Diss. Breslau 1931, S. 3ff.
(,,Die Sangerm. haben nie etwas mit dem Gedicht des Germanicus zu tun
gehabt", S. 6) und besonders dessen teilweise Richtigstellimg durch P. Wess-
ner. Gnomon 10, 1934, S. 151—54.
° Germanici Caesaris Aratea cum scholiis ed. A. Breysig, Berlin 1867,
p. 109, 18 —111,6 (Sangerm.) und 55,9—57,12 (Basü.) = Comm. in Ar. Rel.
ed. E. Maass p. 177,17—179,7; vgl. die wichtige Gegenüberstellung mit den
Achilleusauszügen bei Maass, Aratea, Berlin 1892, p. 23—27.
19 ZDMG 106/2
274 JÖRG Kraemer

philosophorum quidem plurimi naturalis aiunt eum levis meminisse,


Crates autem lovem dictum caelum, invocatum vero merito aerem et
aetherem', quod in his sunt sidera. Darauf folgt, eingeleitet durch et
Homerum lovem dixisse in dliqua parte caelum, das Homerzitat, aber mit
vscpeXai , .Wölken" statt vi9dSe(; ,, Schneeflocken", rait denen Birünis

qita'u t-talgi übereinstimmt. Nach dem auch hier physikalisch-,,pneu¬


matisch" ausgedeuteten 'plenas love vias' etc. (Aratos v. 2/3) heißt es
weiter : ... propter quod et Stoici lovem esse adfirmant, qui per materiam
manat spiritus, et similis nostra anima. ... esse enim talem causam
lovem usw.

Die Übereinstimmungen, vor allem in bezug auf den ,, mythisch¬


sagenhaften", den ,, natürlichen" und den als Geist in der Materie vnr-

kenden Zeus sowie in bezug auf das Krateszitat, brauchen kaum hervor¬
gehoben zu werden. Zu dem letzteren, in dem das Himmelsgewölbe als
Zeus bezeichnet wird, ist nur zu sagen, daß als Verfasser sicher nicht der
Dichter der altattischen Komödie gemeint ist, mit dem Birüni oder
seine Quelle ihn zu verwechseln scheint*. Es kann sich vielmehr nur um
den pergamenischen Stoiker Krates von Mallos (zweites Jahrhundert

V. Chr.) handeln, der als allegorischer Homererklärer bekannt ist. Wohl

auf einen Kommentar des Krates zum Homer (und nicht zum Aratos*)
geht letztlich auch der homerische ,, Beleg" Ilias XIX 357 für die Gleich¬
setzung von Gott und Himmel zurück, mit dem wir uns hier so aus¬

führlich zu befassen hatten. Für die weitreichende Nachwirkung dieses


stoischen Gredankens vom ,, kosmischen Zeus" bietet also nun auch die

Stelle bei al-Blrüni ein beachtenswertes Zeugnis. Im Grunde freilich ist

sie nichts anderes als die späte, aus dem elften Jahrhundert stammende
arabische Fassung eines wohlbekannten Fragmentum Cratetis Mallotae*,

Daß die Worte 'aerem et aetherem' von K. Reinhardt als spätere Inter¬
polation wieder ausgeschieden wurden (bei Mette, Sphairopoiia S. 15,
Anm. 1 und 116,1), ist für ims ohne Belang, weU sie auch von Birüni p. 48,3
(s. oben S. 271), dort allerdings als „arateisch", übemommen worden sind.
^ Die Verwechslung dürfte durch ein tatsächlich von dem Komiker
Krates stammendes Zitat ( = Frgm. 52 Kock) begünstigt worden sein, das
Birüni zwar nieht mit übersetzt hat, das aber wohl auch in seiner QueUe un¬
mittelbar vorausging, s. Breysig, Oerm. Aratea p. 55,6; 109,16; Maass, Comm.
in Ar. rel. p. 177,11 etc.
* So nach dem überzeugenden Nachweis von Maass, Aratea Cap. IV De
Gratete Mallota, p. 167—207.
* S. jetzt H. J. Mette, Sphairopoiia. Untersuchungen zur Kosmologie des
Krates von Pergamon, München 1936, Fgm. 2a bis c (S. 114—123), wo die
Ergebnisse der früheren Sammler (C. Wachsmuth, De Gratete Mall., 1860,
Frgm. V; I. Helck, De Cratetis Mall. Studiis . . . ad Jliadem etc.. Diss. Leipzig
1905, Frgm. IX und anderer) verarbeitet und ergänzt sind. Das Zitat aus
Birüni ist nun hinter Frgm. 2c Mette einzureihen; über die mannigfaltigen
Arabische Homerverse 275

das uns sonst nur durch die lateinischen und griechischen Auszüge aus
der Schrift des Achilleus erhalten ist.

Damit sind wir wieder bei dem Aratoskommentator Achilleus ange¬

langt. Nach allem Gesagten darf es wohl als erwiesen gelten, daß wir in
ihm oder auch in einem von ihm abhängigen späteren Scholiasten den

mufassir Kitäb az-Zähirät zu erblicken haben, auf den al-Birüni sich


beruft und dem er auch das Homerzitat entnommen hat'. Dabei muß

ihm das Werk des Achilleus in einer weniger lückenhaften Form vor¬

gelegen haben als wir es heute besitzen. Die Übereinstimmung mit der
recensio interpolata der Scholia Sangermanensia, auf die man bisher

aUein hingewiesen hat*, ist dabei sicher kein Zeichen für direkte Ab¬

hängigkeit. Eine solche wird, abgesehen von der Unwahrscheinlichkeit


eines Wanderweges von dem vermutlichen Entstehungsort dieser
Scholien, dem fränkischen Saint Germain des achten zu dem afghanischen
Ghaznawidenhofe des elften Jahrhunderts, schon durch die auffällige
Variante ve<p£Xai — vt9aSei; (= qita'u t-talgi) in dem Homerzitat aus¬

geschlossen. Vielmehr werden beide, der abendländisch-lateinische wie


der (spätgriechisch-)orientalisch-arabische Scholiast, auf den einstmals
vollständigen Kommentar des Achüleus zu den Phainomena des Aratos
zurückgehen. — Damit aber erhalten wir, nun von al-Birüni aus gesehen,
ein weiteres Quellenzeugnis für die aUseitige Büdung und Aufgeschlossen¬
heit des großen muslimischen Gelehrten. Und schließlich liefert ims hier
sein Meisterwerk auch eine eindringliche Bestätigung für die aus dem
abendländischen Mittelalter wohlbekannte Tatsache der anhaltenden

Beliebtheit des Aratos, der ,,auch in Jahrhunderten, die selbst Homer

fast vergessen hatten, gelesen worden ist*".

sonstigen Nachwirkimgen und Brechungen des altstoisoh-krateteischen Ge¬


dankens vom caelum, quod appellant lovem usw. s. die wertvollen Unter¬
suchungen und Belege bei Mette S. 14—30 und 123—138 (Frgm. 2d— z;
a — TT), dazu Ennius bei Dibls-Kbanz, Vorsokr. I*, S. 207, Epich. nr. 53.
* Es ist sicher kein ZufaU, daß AchiUeus an anderer Stelle eben den Krates
als Gewährsmann dafür anführt, oti d(iTpov6[io; °0[i.T)po;, s. p. 82,32 Victo-
Birrs = p. 124 Pbtavius = col. 937B Mignb = p. 30,14 Maass usw., jetzt
bei Mette S. 189,16, cf. S. 43. Bei Birüni scheint diese wichtige Bemerkung
leider nicht erhalten zu sein. " Vgl. S. 273, Anm. 4.
' Köbte, Die hellenist. Dichtung S. 212. Vgl. U. von Wilamowitz-Möllbn-
dobff. Die Locke der Berenike in Reden und Vorträge Bd. I, Berlin 1925,
S. 202: „Aratos ist jetzt vergessen; aber zwei Jahrtausende haben ihm nicht
nur Erbauung und Genuß, sondem auch ihre Kenntnis der Himmelskunde
mittelbar oder unmittelbar zu danken gehabt". — Zur Beschäftigung abend¬
ländisch-mittelalterlicher Gelehrter (z. B. Alkuins, des Hrabanus Mamus
oder des Remigius von Auxerre [8./9. Jahrhundert] und anderer) mit Aratos
und den Aratea s. die Indices bei M. Manitius, Geschichte der latein. Literatur
des Mittelalters Bd. I—III, 1911—1931, s. v. Aratus.
19*
276 JÖBG Kbaemeb

Wesentlich größere Schwierigkeiten als dieses, in seinem Kern schon

früher erkannte Aratos-Scholien bereitet al-Birünis zweites Homerzitat,


weil es offenbar unecht ist. Homer wird da (India p. 21, 6f.) mit der
Lehre von der Harmonie der Sphären in Verbindung gebracht, weil er

gesagt habe: Inna dawäti l-luhüni s-sab'ati yantuqna tva-yatagäivabna

bi-sautin hasanin „die mit den sieben Melodien versehenen [Planeten]


reden und geben einander Antwort mit schönem Ton". Daß das nicht

homerischen, sondern irgendwie neupythagoreischen Ursprungs ist,


leuchtet ohne weiteres ein. Aber weder für diesen noch für den unmittel¬

bar folgenden, einem anderen Dichter zugeschriebenen Vers, der (p. 21,8)
die ,, melodienreichen, in ewiger Bewegung den Schöpfer preisenden

sieben Sphären" besingt, hat sich ein griechisches oder überhaupt


antikes Original bisher nachweisen lassen'. Im Anschluß daran zitiert
Birüni nun den Porphyrios, der sich ,,in seinem Buche über die An¬

sichten der vorzüglichsten der Philosophen" (fi kitäbihi fi Ärä' afädil


al-faläsifa) unter Berufung auf Pythagoras und Diogenes ähnlich über

die Natur der Sphären geäußert habe. Dieses letzte Stück zeigt deutliche,
wenn auch nicht wörtliche Anklänge an die auch griechisch erhaltene
Vita Pythagorae c. 30 f. Letztere stammt aus der im übrigen größtenteUs

verlorenen ^Cköaocfioc, luiropia des Porphyrios (gest. 304 n. Chr.)*, deren


bei arabischen Schriftstellern überlieferte Bruchstücke mit Recht immer

wieder die Gemüter bewegen*. Nun aber anzunehmen, daß auch der bei

1 ,,The quotation from Homer is not found in the Greek text, nor do I
know the Greek original of the second verse. Were they taken from some
Neo-Pythagorean book?" (S.'VCHau, Engl. Editionll 274, Annot. zu p. 42).
2 Weitere (und deutlichere) Anklänge bei Sahrastäni, Milal ed. Cubeton,
London 1846, p. 265,14ff. (cf. 278,3ff.) haben jüngst F. Aitheim und B.
Stiehl nachgewiesen: Porphyrios und Empedokles, Tübingen 1954, S. 15f.
und öfter; vgl. dazu die folgende Anmerkung. — Die (DtXöcrocpo; lo-ropta
heißt auf arabisch sonst entweder nur kurz Kitäb Ahbär al-faläsifa (so Fihrist
253,18 Fl. = Kairo 1348, p. 355,1 und Ibn al-QiftI 257,7 Lipp. = Kairo 1326,
p. 170,5) oder aber ausführhcher K. fl Ahbär al-faläsifa wa-qisasihim wa-
ärä'ihim, so Ibn abi Usaibi'a I 38,9 und 42,20; dazu ist nun das Zitat bei
Birüni zu stellen. Zu den übrigen Erwähnungen der Philosophengeschichte
des Porphyrios in der arabischen Literatur s. A. Baümstabk, Aristoteles bei
den Syrern, Leipzig 1900, S. 1 imd 5.
^ Einer ernsthaften Beschäftigung mit diesen ebenso wichtigen wie
schwierig zu deutenden Fragmenten hat lange Zeit das Urteil A. Müllers
im Wege gestanden, wonach „die Übersetzung . . . von einem ganz unwissen¬
den Menschen herrührt und ohne die griechische Vorlage fast nirgends ver¬
standen werden kann" (Über Ibn Abi Ofeibi'a usw., VI. Congres Intern, des
Orient, ä Leide 1884, vol. II p. 270/14). Ähnlich negativ äußerte sich A. Nauck,
Porphyrii Opuscula selecta ^1886, Praef. p. VI: ,,Ceterum pauca Arabes Uli
suppeditant ac ne ista quidem errorum immunia". Daß aber mit kritischer
Sorgfalt doch allerlei porphyrisches Gut aus den arabischen Texten zurück¬
zugewinnen ist, hat vor allem F. Rosenthal in seiner hervorragenden, me-
Arabische Homerverse 277

Birüni vorausgehende „Homer"vers ledighch aus Porphyrs Bemerkungen


über Ta TWV etttoc aoT^pwv 90'£Y|xaTa'oder einem ähnlichen Zitat heraus¬

gesponnen sei, haben wir umso weniger Grund, als sich in den sonst
bekannten arabischen Fragmenten der Pythagorasvita bei Mubassir ibn

Fätik*, Sahrastäni*, Ibn abi Usaibi'a* oder Sahrazüri* keine Spur davon
findet. Da die genannten Sammlungen, einschließlich der des Hunain

ibn Ishäq*, auch unter den üblichen Weisheitssprüchen [hikam wa-ädäb)


sowohl des Pythagoras wie des Homer nichts Vergleichbares anführen,

kann ich dieses Wort von der Harmonie der Sphären anderweitig aus
der arabischen Literatur nicht belegen.

Unter der Fülle von Nachrichten, welche die antiken Doxographen


über die (neu)pjH;hagoreische Lehre von der Sphärenharmonie beibringen,
ist zwar manche mehr oder minder große Ähnlichkeit festzustellen', aber
nichts, was die Frage der genauen Herkunft unseres Birüni-Zitates

weiter klären könnte. Herr Professor Hildebrecht Hommel, Tübingen,


den ich um Rat fragte, verwies mich auf die Dissertation von Günther
Wille über Die Bedeutung der Musik im Leben der Börner^. Diese

gewichtige Arbeit, die neben vielem anderen auch für den Gedanken der
Sphärenmusik zahllose Belegstellen von Marcus Terentius Varro und
Cicero bis zu Cassiodor und Isidor von Sevilla (6./7. Jahrhundert)
zusammenträgt, bringt nun in der Tat mehrere Stellen aus der latei¬
nischen Literatur, die zumindest den Umkreis der Quelle zu bezeichnen

thodisch für ähnhche Untersuchmigen richtungweisenden Abhandlung Ara¬


bische Nachrichten über Zenon den Eleaten gezeigt (Orientalia 6, 1937, S. 21
bis 67; s. bes. S. 39, aber auch 56). Die geistvolle Weiterbehandlung der
Frage durch Altheim-Stiehl (s. Anm. 2) konnte noch nicht zugesicherten
Ergebnissen führen ; unter anderem deshalb, weil Sahrastäni nur lückenhafte
und überdies unzuverlässige Exzerpte aus dem viel bedeutsameren Werk des
Abü Sulaimän al-Mantiqi (10. Jahrhundert) bietet, vgl. Teil II dieser Arbeit
S. 306, Anm. 4.
' Vita Pythagorae c. 31 (bei Nauck, Porphyrii Opusc. sel.^ p. 33,20).
2 Muhtär al-hikam, Berhn MsOr. Qu. 785, Bl. 38b—43a = Fol. 3100 (neu)
p. 44—51 = Ihn abi Usaibi'a I 38, 18—41,4 (übersetzt von Rosenthal,
Orientalia 6, 1937, S. 43—56). ^ S. 276 Anm. 2.
* I 38,9ff. und 42,20ff. (das letztere ohne Entsprechung im griechischen
Text, s. Rosenthal S. 56'); vgl. auch Anm. 2.
^ Nuzhat al-arwäh, Berlin Ms Or. Oct. 217 (Ahlwardt nr. 10 055), Bl.
32a—37a (bes. 33a 10) = Landberg 480 (Ahlw. nr. 10056), Bl. 13a—15a.
« Ädäb al-faläsifa, Escurial Ms 760, Bl. 46a—48a = München Ms 651,
Bl. 129b; cf. A. Loewenthal, Sinnsprüche der Philosophen etc., Berlin 1896,
S. 126—28. (Es handelt sich hier nur um eine Wiedergabe der xpuaä ^tty],
s. S. 263, Anm. 1). — Näheres zu all diesen Spruchsammlimgen und ihrem
doxographischen Gehalt s. Teil II, S. 287ff.
' S. Diels-Kranz, Fragmente der Vorsokratiker I' (1934), S. 458ff. und
vgl. Zeller, Die Philosophie der Griechen I' (1919), S. 537ff.
* Philos. Diss. Tübingen 1951 (reg. 1954), maschinenschr., 786 Seiten.
278 JÖBG Kbaemeb

scheinen, aus der Birüni sein Zitat geschöpft haben könnte. Dichterische

Belege wie solche aus dem Tragiker Varius (Zeit des Augustus) oder dem
Epiker Varro Atacinus (erstes Jh. v. Chr.) zeigen zwar mit vocum
moduli, ad quos mundi resonat canor^ und Septem aeternis sonitum dare

voeibus orbes^ nicht viel mehr als allgemeine Anklänge. In der chrono¬
logisch-astrologisch-mathematischen und auch musiktheoretischen Ab¬
handlung De die natali aber, die der römische Grammatiker Censorinus

im Jahre 238 n. Chr. als Geburtstagsgeschenk für einen Gönner ver¬


fertigt hat, findet sich eine deutlichere Parallele. Der Verfasser beruft

sich dort in cap. 13,1 auf Pythagoras, nach dessen Lehre Septem Stellas

inter caelum et terram vagas ... sonitus varios reddere pro sua quoque
altitudine ita Concordes, ut dulcissimam quidem concinant melodian^.
Hier dürfte wenigstens der Bereich angedeutet sein, zu dem das Zitat
bei Birüni gehört. Ganz ausgeschlossen erscheint es bei den weitreichenden
chronologischen Interessen des universalen Hwärizmiers nicht, daß sich
unter den zahlreichen antiken Quellen seines Indienbuches* auch ein

Auszug aus dem Schriftchen des Censorinus oder eine von diesem bzw.

dessen Quellen abhängige spätere Kompilation befunden hat. Sollte es


gelingen, das auch für andere, besser gesicherte SteUen, z. B. aus den

Ätär al-bäqiya^, nachzuweisen, dann wäre wahrscheinlich gemacht, daß


sich unter Birünis Quellen neben den bekannten Übersetzungen aus dem
Griechischen auch solche aus dem Lateinischen befunden haben. FreUich

bliebe dann immer noch zu erklären, wieso das Wort von der Sphären¬
harmonie hier ausgerechnet zu einem „homerischen" geworden ist. Eine
solche Unterschiebung wäre eher denkbar, wenn das Zitat bereits in

irgendeinem spätantiken Florilegium (vielleicht aus verlorenen Schriften


des Polyhistors Terentius Varro?*), gestanden hätte, wie es seinerseits
auch Censorinus benutzt haben mag. Doch das sind alles nur Vermu¬

tungen, die sich vorläufig nicht beweisen lassen. Wir müssen also von

' Varius Fr. 5—6 bei Marius Victorinus in Grammatici Latini reo. H. Keil
VI 1874, p. 60,17f. (Wille, S. 448, Anm. 3).
^ Varro Atac. Frg. 14 in Fragmenta Poet. Lat. epic, et lyr. ed. W. Morel,
Leipzig 1927, p. 97 (WiUe, S. 448, Anm. 4).
' Censorini de die natali Uber rec. F. Hultsch, Leipzig 1867, p. 22f. (bei
Wille S. 609, Anm. 1).
* S. die Liste bei Sachau, English Edition I 1888, Pref. S. Xllf.
^ Chronologie orientalischer Völker von Atberuni ed. E. Sachau, Leipzig
1878. Irgendwelclie Hinweise auf Censorinus habe ich dort freilich bisher
nieht finden können.
' 116—27 V. Chr. Censorin zitiert ihn häufig, miter anderem cap. 9,1 als
Quelle für die opinio Pythagorica (hier aber de origine humana). Die im
Mittelalter unter Varros Namen umlaufenden (ihm aber nicht angehörenden)
Sentenzen zeigen keinerlei Anklänge, s. P. Gebmann, Die sog. Sententiae
Varronis, Stud. z. Gesch. und Kultur des Altertums III 6, 1910, S. 30—43.
Arabische Homerverse 279

diesem ersten zwar apokryphen, aber immerhin noch echt antiken

,, Dictum Homeri", das uns begegnet ist, scheiden in dem Bewußtsein,


daß ein Rest von Unsicherheit in solchen Fällen kaum zu vermeiden ist'.

c) Im Anschluß an dieses pseudohomerische Zitat vom Sphärengesang


der sieben Planeten ist endlich drittens noch zu erinnern an die Vorliebe
schon des Altertums, Verse aus Homer, ganz ohne Rücksicht auf deren

ursprünglichen Inhalt, zu spielerisch-allegorischer Zahlensymbolik zu


verwenden*. Auf zwei vermutliche arabische Parallelen zu dieser Praxis

im Corpus der öäbirschriften hat Paul Kraus aufmerksam gemacht*.


Dort wird Homer einmal bemüht, um darzutun, daß die Zahl 144 — das
ist die Anzahl der Gäbir'schen Kutub al-Mawäztn —sich aus den Grund¬
zahlen drei und vier als den Urelementen des Wissens zusammensetze*.

Das andere Mal soll der Name des Hermes Trismegistos al-Mutallat
bi-l-hikma als Bezeichnung für das dreigeteilte Gehirn (!) dadurch erwiesen

werden, daß Homer für eben dieses den Ausdruck al-mutahammis(a)

at-täliya (?) li-l-'ulwi gebraucht habe: ,,die fünfgeteilten [Sinne], die


dem 'oberen' [d. i. der Vernunft als dem 7]Ye[jLovi,x6v] folgen"*. Die
Wm-zeln dieser seltsamen Homerica gäbiriana könnte man nach Kraus'

geistreichen, mit allen nötigen Vorbehalten gegebenen Erklärungen


vielleicht 1. in Odysse 5,306 Tpl<; (xdcxapec; ( Aavaol) xal TSTpaxi? (danach

Vergil Aeneis I 94 terque quaterque beati) suchen, imd 2. in Ilias XII 87


TOVTax* xofffAi^Q-evTE? a(x' 7)Ye[J.6vs(7(nv STtovTO, wo es von den Troern
gesagt wird, die in fünf Heerscharen geordnet dem Hektor in die Schlacht
folgen. Wenn diese Vermutung zutrifft — und es spricht manches dafür —,
dann darf diese seltsame Art von Wiederbelebung homerischen Versgutes
in der mittelalterlichen arabischen Geheimwissenschaft als ein besonders

bemerkenswerter Beitrag zu unserem Thema gewertet werden.

Wie aber steht es nun mit dem Weiterleben der vorher erwähnten,

durch regelrechte Übersetzung sozusagen legitim in das arabische Schrift¬


tum gelangten Homerverse? Die Antwort darauf wird kaum über-
1 Leider habe ich nicht feststellen können, zu welchen Ergebnissen I.
Kbaökovskij in seiner Abhandlung über Homer und al-Blrünl (Mem. S. A.
Chebeleff, Izw. Akad. Nauk, Otdel. Lit. i Jazyka 1945, VI/5, S. 200—05)
gekommen ist, weü der betreffende Band mir nicht erreichbar war.
2 Hierzu wie zum Vorhergehenden (bei Krates usw.) vgl. durchweg
Fb. Wbhbli, Zur Oeschichte der allegorischen Deutung Homers im Altertum,
Diss. Basel 1928. » jäUr ibnHayyänIl, Le Caire 1942, S. 117f., Anm. 10.
* Fa-qad dakara dälika ümirus oS-SäHr anna l-arba'lyäti dawäti t-tcUätati
l-wu^ühi min ummahäti l-'ilmi iih. : Jäbir ibn Hayyän, Essai sur l'histoire etc.
Vol.l, Textes choisia ed. P. Kbaus, Paris-Le Caue 1935, p. 315,8f.; cf.
Jäbir ibn H. II 118 Anm.
5 Textes choisis 374,9—11; cf. Jäbir ibnH. II 117 f., Anm. 10.
280 Jörg Kraemer

raschen: Sie sind, soweit ich habe feststellen können, früher oder später
spurlos untergegangen. Allerdings mit einer bezeichnenden Ausnahme.
Das ist der viel gebrauchte, manchmal auch mißbrauchte, Vers Ilias

II 204 vom Unheü der Vielherrschaft — ,, Einer sei Herrscher" —,


dessen syrische Fassimg wir oben (S. 261) bereits kennengelernt haben.
Wir finden ihn, ausdrücklich als von Homer (Ümirus) stammend, aber
nur in der unvollständigen Form lä haira fi katrat ar-ru^asä' zitiert, in
einer Reihe von arabischen Spruch- und Weisheitssammlungen, wie sie
uns in Abschnitt II noch eingehend beschäftigen werden. Als vortreffliche

Kurzformel (kalima wagiza tahtahä ma'änin Sarifa) lobt den Ausspruch

vor allem Sahrastäni (gest. 1153), mit dem für einen Muslim naheliegen¬
den Hinweis, daß Homer damit auf das monotheistische Glaubens¬

bekenntnis (tauhid) angespielt habe'. Die Voraussetzungen zu einer


solchen Umdeutung hatte freilich schon Aristoteles geschafien, als er
zur Krönung seines Gedankens, daß T^pö;; [itM youp ev aTravT« ouvT^TaxTai
(Met. 1075 a 18) und daß eine Vielzahl von Ursprüngen (= 'Herr¬
schaften', äp^ai) abzulehnen sei, am Ende von Metaphysik A eben
dieses Homerwort anführte. Dort aber war es, weil den griechischen
Lesern allbekannt, anonym geblieben. In derselben Anonymität, seinem

Inhalt nach aber unverkennbar, finden wir es dann in so ziemlich jeder


arabischen Bearbeitung der Metaphysik wieder. Die beiden hervor¬
ragendsten Stellen mögen als Beispiel genügen. Zunächst ist da Avi¬

cenna (gest. 1037) zu nennen, der im neunten Buch seiner Metaphysik


bei der Diskussion der Lehre vom JfMÄamfcai-aMwai (= TOTcpÜTov xivoGv)
ausdrücklich erklärt, daß der Beweger des Himmelsganzen im Gegensatz
zu den bewegenden Kräften der Einzelsphären nur als Einer zu denken
sei; ,, unmöglich kann er eine Vielzahl darstellen"*. Noch deutlicher tritt
die Beziehung zu dem Homervers zutage in einer entsprechenden Stelle
der Epitome der Metaphysik von Averroes (gest. 1198), wo das Welt¬
ganze ausdrücklich zu einem monarchisch regierten Staate der äpiaTOi
(al-ahyär) in Parallele gesetzt wird: ,,Gibt es (in ihm) auch viele einzelne

' Milal ed. Cureton 299,14ff.


^ Muharrik gumlat as-samä' wähid, lä yagüzu an yaküna 'adadan katlran:
Aä-Sifä' XIII, Berlin Ms Minutoli 229 (Ahlw. 5045), Bl. 145b (danach
M.Horten, Die Metaphysik Avicennas, Leipzig 1909, S. 576f.); derselbe
Wortlaut auch in an-Nagät, Kairo 1357/1938, III p. 266. — Avicenna beruft
sich da allerdings auf Ergänzungen der Lehre des Aristoteles dmch dessen
„Schüler" (Alexander von Aphrodisias) in der Schrift Fl Mabädi' al-kull.
Zum Titel dieses Buches („De rerum creaturarum principiis") s. Ms Escurial
798 (Casiri Nr. 794), nr. 12 = Steinschneider, Arab. Übers, aus dem Griech.,
Centralbl. Beih. 12, 1893, S. 95f., und Fihrist 253,7 Fl. = K. 1348, p. 354,12
(K. Mabädi' cU-kull 'alä ra'y Ariställs) ; der Text jetzt bei 'A. Badawi, Aristü
'inda l-'Arab, Kairo 1947, p. 253—277 (eine dem Zitat bei Avicenna ent¬
sprechende Stelle dort p. 267,1).
Arabische Homerverse 281

Herrschaftsträger, so führen sie letztlich doch zu einer einzigen Herr¬


schaft hinauf"'. Daß Averroes dabei durch Anführung von Sure 21,22

,,Gäbe es in ihnen (d. h. im Himmel und auf Erden) Götter außer Allah,
so würden beide zugrunde gehen" dieser Erkeimtnis erst die richtige
Bekräftigung verleiht, ist für die Islamisierung des (natürlich un¬
erkannten) homerischen el? xotpavo? gerade bezeichnend.

Die genaue Form, in der dieses monotheistisch nachwirkende Zitat

ursprünglich arabisiert worden ist, war uns bis vor kurzem noch unbe¬
kannt, weil das berühmte Leidener Unicum, das die alte arabische Über¬

setzung der Metaphysik zusammen rait dem ,, Großen Komraentar" des


Averroes enthält, kurz vor dera Ende des Buches A (und damit hier des
Werkes überhaupt) abbricht*. Einen gewissen Ersatz boten hebräische
Averroesübersetzungen, neben denen der gleichfalls nur ira Hebräischen

vollständig erhaltene Theraistioskoraraentar zu Metaphysik A noch zu

nennen ist ; dort ist das Zitat verkürzt zu riTONin raia p OJ aiü ]''»^^.
Die bemerkenswerte Kairener Sararaelhandschrift Där al-kutub Hikma

6m hat uns jedoch das Bruchstück einer offenbar alten arabischen Über¬

setzung von Metaphysik A erhalten. An deren Ende finden wir auch


unser oux «ya^öv TroXuxoipaviv]' zlc; xoipavo? c'cfTW mit aller wünschens¬

werten Genauigkeit (aber natürlich wieder ohne Nennung Homers)


wiedergegeben als:
Wa-laisa mina l-gaiyidi an yaküna r-ru'asä'u katlnna läkinna r-ra'isa
yanbagl an yaküna wähidan'^.

^ Fa-inndliä (sc. madinat al-ahyär) wa-in känat dawät (sie, lies dät ?) ri'äsät
katlra fa-innahä tartaql ilä ri'äsa wähida: Kitäb Mä ba'd at-tabl'a ed. Qabbäni,
Kairo o. J., p. 72, 8f. = ed. Haidaräbäd 1365, p. 147, 7f. (deutsch bei M.
Horten, Die Metaphysik des Averroes, Halle 1912, S. 174,24 und bei S. van
DEN Beroh, Die Epitome der Metaphysik des Averroes, Leiden 1924, S. 123,
vgl. S. 255). — Das Subjekt scheint im Vorder- und Nachsatz die madinat
al-ahyär zu sein; also eigentlich: ,,Wenn er (der aristokratische Staat) auch
viele leitende Instanzen besitzt, so führt er. . .".
- Ms Leiden Or. 2074: „abrupte terminatur Codex" (Catal. Codicum Or.
Bibl. Acad. Lugd. Bat. ed. de Goejb vol. V, 1873, nr. 2821, p. 325). Der
Herausgeber M. Bouyges hat auf Grund der (mir nicht zugänglichen) he¬
bräischen Übersetzimgen das Zitat in der ,, alten", von Averroes benutzten
arabischen Übersetzung so wiederhergestellt: Bal lä tuhmadu katratu r-
ru'asä'i läkinna r-ra'lsa wähid; danach im Tafsir des Averroes: Lä haira fl
katrat ar-ru'asä' bal ar-ra'ls wähid (Averroes Tafsir Mä ba'd at-Tabl'at T. III
='Bibl. Ar. Scholast. VII, Beyrouth 1948, p. 1733,1 und 1736,2).
^ Themistii in Metaph. libr. A paraphrasis Hebraice et Latine ed. S. Lan¬
dauer (Comm. in Arist. Graeca V/5), Berlin 1903, p. nV; lat. (,,nec multorum
principatus bonus est") p. 39. In den von 'A. Badawi herausgegebenen
Bruchstücken der arabischen Übersetzung des Themistios (von Ishäq ibn
Himain ?) fehlt das Schlußkapitel, s. Aristü 'inda l-'Arab (Diräsät islämiya
Bd. 5), Kairo 1947, p. 329—332 imd 12—21.
* Targama 'arabiya qadlma li-maqälat al-Läm min Kitäb Mä ba'd at-tabi'a
■«¥

282 JÖBG Kbaemeb

Hier kann man also ausnahmsweise von einer Art Fortleben eines

— freüich anonym — zu den Arabern gelangten homerischen Dictums

sprechen. (Die oben angeführte Kurzform des Zitates in den Spruch¬


sammlungen dürfte dabei nicht durch die Metaphysik, sondern wohl,
zusammen mit dem Namen Homers, durch irgendein spätantikes
Florüegium vermittelt worden sein.) Aufs Ganze gesehen hat das freüich
so gut wie nichts zu bedeuten. Wie wenig selbst ein Averroes, dem doch
an einem echten Verständnis seiner aus dem Griechischen übersetzten

Vorlagen zweifellos gelegen war, mit Homer und ahem Homerischen


anzufangen wußte, geht z. B. schon aus seinen Erklärungen zu dem

Worte „Ilias" zur Genüge hervor. Im Kommentar zu Metaphysik A 24.


1023 a 33 umschreibt er es kurzerhand mit aS-Si'r al-musammä ka-da^\

und an einer anderen Stelle, zu Met. Z. 4. 1030 b 9, hat er es gar als

al-kitäb alladl yud'ä min kutub an-näs (sie)* mißverstanden. — Dabei


macht die hebräische Übersetzung W^VXn (ISO) bzw. O'tTUn ,,Buch
der Menschen'" es sehr wahrscheinlich, daß wir es in unserem über¬
lieferten Averroestext nicht etwa bloß mit Abschreibefehlern eines

törichten Kopisten zu tun haben*. — Daß es bei den Griechen eine

li-Aristü ed. Abu l-'alä 'Afipi in Bull. Fac. of Arts, Univ. of Egypt vol. V/1,
1937, p. 138 (vgl. F. Meieb, Oriens VII, 1954, S. 185). Neuausgabe von
'A. Badawi in Aristü Hnda l-'Arab p. 11. — Als Übersetzer vermutet 'Afifi
den Abü BiSr, Badawi dagegen den ,, alten" Übersetzer (für Kindi) Eustath
oder den Ishäq ibn Hunain, s. Aristü usw. p. (15).
^Averroes Tafsir ww. (s. S. 281^) T.II, Beyrouth 1942, p. 658,14 (von
Bouyges aus dem Hebräischen wiederhergestellt, da der arabische Codex
auch hier defekt ist); danach die mittelalterlich-lateinische Übersetzung
,,tale metrum" in Aristotelis Stagyritae Libri Metphy. XII cum singulorum
Epitomatis hactenus non impressis Averroeque eius fideliss. interprete etc.,
Lugduni apud lacobum Giunctam anno 1542 (hier zitiert als ,,Lugd. 1542"),
Bl. 132a 18f.
- Täf sir II 809,5. Das üanep y] 'IXia; der betreffenden aristotelischen Stelle
wird schon von dem alten Übersetzer (Eustath ?), dem Averroes natürlich
folgt, mit mitlu Kitäbi n-Näs (für Ilyäs) wiedergegeben, s. ib. II 807,10 =
809,2.
ä Tafsir II 80912; 807«. Lugd. 1542, Bl. 160a 9 hat hier nur „dictamen",
bzw. Bl. 159b 31 „dictamen abah" (sie); in einem von Bouyges (II 807')
außerdem noch benutzten lateinischen Ms von 1243 scheint 'hebat' zu stehen.
* Das Kitäb bzw. Si'r an-Näs als Wiedergabe von t) 'IXidci; begegnet
außerdem Tafsir II 795,13/796,16 ( = Met. Z 4. 1030a 9; hebr. da ONn*?« und
OKtS*?«, lat. iuLugd. 1542, Bl. 157b 5f. : „metrumalbarum" !) und II 10J9,8f./
1092, lir. = Met. H 6. 1045 a 13 (arab. Kiiäb an-Näs ya'nl kitäb Umirui
al-auwal; hebr. wie oben; lat. Lugd. 1542, Bl. 213b uit. lüer richtig, aber mit
falscher Beziehung von al-auwal: „liber ilias, liber s. homeri primi"). — Eine
andere Verschreibung dafür ist aä-äi'r al-musammä al-Bäs, Tafsir II 655,8f.
(= Met. A 24. 1023a 33; aus hebr. DN3"7X); lateinisch hat Lugd. 1542, Bl.
131b 26f. dafür richtig „metrum versuum qui dicuntur Iliades"; aber in
Arabische Homerverse 283

sinä'at aS-Si'r al-musammät afi (— inonod«. Arist. Poet. 5. 1449 b 9)

gegeben hat, ist dem Averroes freilich aus der Poetikübersetzung des
Abü Biär' ebensowohl bekannt wie einem Färäbi oder Avicenna, die

darunter ganz mit Recht diejenige Dichtungsart verstanden, ,, durch


welche die Lebensläufe, Großtaten, Schlachttage und Kämpfe der

Könige dargestellt werden*". Wenn es dann aber darum geht, einen


von Aristoteles gemeinten Sachverhalt durch dessen epische oder sonst¬

wie poetische Beispiele auch zu erläutern, dann finden wir bestenfalls


das allgemein gehaltene Resume eines solchen Zitates wie gelegentlich in
den arabischen Bearbeitungen der aristotelischen Rhetorik. So heißt es
z. B. über Ibas IX ö93 —94 (= Rhet. I 7. 1365 a 14) „Wie man die Männer

erschlägt und die Stadt mit Flammen verwüstet / auch die Kinder ent¬
führt ..." bei Avicenna ausmalend : ,,den Feuerbrand ... wirft Mälägrüs

(= Meleagros) in die Stadt, bis er sie gänzlich verbrennt; . .. ein jeder


ruft jammernd sein Kind mit Namen: yä waladl fulän ... !*". Averroes
dagegen faßt sich schon wesentlich knapper: ,,der Dichter Ümirüä
erwähnt das Töten der Kinder, das Jammern nach ihnen, den Brand der

Stadt . . . und so weiter*". Viel häufiger aber als eine solche noch ganz

dem Ms von 1243 steht, nach Bouyges 655'^, ,,albes", was sicher lediglich
das arabisch-hebräische al-Bäs wiedergibt.
In einem anderen Falle, nämhch bei der Übersetzung von Arist. Poetik 13.
1463 a 32 durch Abü Bisr, ist es auch der Odyssee nicht besser ergangen. Sie
wird dort durch at-tadwlnu lladl li-l-gauhar ,,die Aufzeichnung, welche der
Substanz (gilt)" wiedergegeben, s. Ma 33,2/Tk 248,7/Ba 111,11 (wo at-tadwlr
gedruckt). Das Mißverständnis von 'OSütraEia als oüata könnte da aUerdings
schon dem s.vrischen Übersetzer oder einem Abschreiber zur Last fallen

()UiJ»o{; JLa^Kja für jL^mjel», s. Ma 33, Anm. 6; Tk I 207a, 12 v. u.).


1 Ma 13,11/Tk 230,6/Ba 96'3; zu Averroes' Epitome vgl. S. 262, Amu. 2.
2 Wa-yud.karu bi-hädä n-nau' (i. e. bi-aflql wa-rltürl) siyar al-mulük wa-
ahbäruhum wa-aiyämuhum wa-waqä'i'uhum: Faräbl's Canons of Poetry ed.
A. Arberry, Riv. di Studi Orientah Bd. 17, 1937, p. 270,9 = ed. 'A. Badawi,
Si'r 154,11 f.; ganz ähnlich im Poetik-Abschnitt von Avicennas Sifä'
(= „Organen" Kap. IX) bei Maroolioüth, Analecta 84 lüt. = Badawi,
Si'r 166 uit.
3 Al-Hitäba {s. S. 265, Anm. 4) p. 80,12£f. — Die alte arabische Übersetzimg
der Rhetorik, von der Avicenna natürlich abhängig ist, gibt die beiden Verse
(bei Aristoteles : Xaol |i^v (p^lv^I>^>ouo^, ttöXiv Si tc Ttüp äfiaS-uvei, / Tixva 8i t'
ÄXXoi Ä-youCTiv) folgendermaßen wieder:... wa-fasada l-aqwämu wa-htara-
qati l-madinatu bi n-näri 'an ähirihä wa-'turifa [ ? jedenfalls Mißverständnis
von aXXoi, icYouatv als ävayvtopti^ouaiv oder ähnlich] bi-l-auläd. Ms Paris ar.
2346, Bl. 12b 15f.
* Fa-dakara ((ümirüä aä-Sä'ir) qatl al-auläd wa-n-naüh 'alaihim wa-harq
al-madlna hi-n-när wa-gaira dälika min asnäf aS-Surür al-lähiqa lahä : II Com¬
mento medio di Averroe alla Retorica di Aristotele ed. F. Lasinio, Florenz
1875 (Torso), p. 76,2f. ; ähnlich im Kitäb al-Hitäba li-Arist. min qalam. . .
284 Jörg Kraemer

angemessen wirkende Wiedergabe sind, nun hauptsächlich wieder in den


Poetik-Kompendien, flüchtige, verkürzende Übergänge wie ,, dafür nennt
Aristoteles Beispiele" (Avicenna') oder ,,das ist so wie bei dem und dem
Gedicht von Leuten, die bei ihnen [den Griechen] berühmt sind"
(Averroes, zu Poetik Kapitel 22)*; die Zitate selbst sind verschwunden.
Statt ihrer jedoch — und das ist wohl am meisten kennzeichnend —
schaltet vor allem Averroes nach Belieben Verse aus dem Koran oder

aus arabischen Dichtern ein, um die von Aristoteles übernommenen

Begriffe und Probleme sich selbst und seinen Lesern verständhch zu

machen*. Solche arabischen Analoga mögen manchem übel angebracht


und die zahlreichen neuen saivähid mögen vielen als an den Haaren
herbeigezogen erscheinen — wie denn ein mittelalterlicher Leser der

lateinisch übersetzten Poetik des Averroes sich zu der Bemerkung


gedrängt sah : „ Averrois digressus est, ut complecteretur genera poematum
Graecorum per poemata Arabica et confundit Aristotelis sensum obscure
loquendo!*". Für uns ist nur wesentlich, daß die Erklärungen der ver¬
schiedenen Arten von Mimesis oder Metaphora, der Tragödienteile, des
Epos und vor allem der mannigfaltigen aristotelischen 7tpoßX7)[A«Ta und

Xiiffsii; nun im wesentlichen nicht mehr durch loci probantes aus Empe¬
dokles, Aischylos, Euripides oder eben Homer illustriert werden, son¬
dern daß Namen wie al-A'iä, Dü r-Rumma, Abü Hiräs al-Hudall,
Mutammim ibn Nuwaira, die Lailä al-Ahyahya oder Hansä', wie Abu
l-'Alä' al-Ma'arri, selbst andalusische Dichter des 11. /12. Jahrhunderts
und, last not least, Imra' al- Qais an deren Stelle getreten sind*. Den

Ihn Ruid, Kairo, Mafb. Kurdistan 1329 [Anhang zu Bahmanyär, Mä ha'd


at-tabVa, s. GAL S I 828; 835,12 v. u.], p. 28,8.
' Wa-dakara lahü amtülan: Margol., Analecta 104,1 = Badawi, Si'r 187,6
V. u. imd öfter.
2 Wa-dälika mitlu H'r fulän wa-fulän li-qaum mashürln 'indahum: II Com¬
mento medio di Averroe alla Poetica di Aristotele ed. F. Lasinio, Pisa 1872,
p. 35,6 = Badawi, Si'r 238,10; vgl. etwa Las. 21,3 v.u. = Bad. 222,5:
wa-dakara mitäla dälika fl H'r li-ünnrüS . . . und viele älmliche Stellen.
" Aus der Fülle von Beispielen, welche die arabische Literatur ihm sonst
noch bieten konnte, sind die erzählerischen Elemente im Hadit, in den
Qi^as al-anbiyä' usw. besonders hervorzuheben. So wird Las. 20,9 = Bad.
220,19, an sich nicht ungeschickt, Isaaks Opferung durch Abraham zm"
Erläuterung von furcht- und mitleiderregenden Vorfällen unter Blutsver¬
wandten (Poet. 14. 1453b 19f.) angeführt; die Josephsgeschichte dient
Las. 18,9 = Bad. 218,18 zur Illustration des ,, tragischen" Umschlagens von
Glück in Unglück (Poet. 13. 1453a 9) und dergleichen mehr.
* -4.verrois Paraphrasis in Lihrum Poeticae Aristotelis ed. F. Heidenhain
(s. S. 262, Anm. 2), p. 379. Eine ähnliche Marginalglosse ebenda p. 378:
„Interpres. Averrois voluit imitari Aristotelem in tradendis exemplis de con-
cinnitate et attulit exempla in Arabica lingua quae non ita respondent."
" Eine interessante mittellateinische Parallele dazu bietet die ,, Vulgata"
Arabische Homerverse 285

letzteren anzuführen hebt Averroes besonders. Wie solhe er auch nicht ?


Zwar hätte die ihm vorliegende arabisch übersetzte Poetik ihn schon in

den Stand gesetzt, seinen Lesern beispielsvt'eise die ,, Wiedererkennung


durch die Erinnermig" (al-istidläl bi-t-tadakkur = y) dvaYvwpicrt? Std

[i,vY)(jLy)i; Poet. 16. 1454b 36ff.) durch amr ahl Albinus, ,,die Geschichte
mit den Leuten des Alkinoos'" zu veranschaulichen. Aber es hätte wohl

sie wie ihn wenig befriedigt, nur zu erfahren, daß Odysseus dort (vgl.
Od. 8, 521 £F.) nach Anhören das 'awwäd, des Kitharaspielers, ,,sich
erinnert und geweint" habe. Worum wohl? ,,Um Hekuba" vielleicht?
Für einen, der den Sang des Demodokos in Alkinoos' Halle und den

sonstigen homerischen Zusammenhang nicht kennen konnte, lag es doch


viel näher, nach gut arabischem Brauch zu erklären: ,, Diese Art ist

häufig in den Dichtungen der Araber. Dazu gehört, daß man sich an den
Wohnstätten und Trümmern der Geliebten erinnert. Ka-mä qäla:

Qifä nabki min dikrä habibin wa-manzili ...!"*

Der Anfangsvers der Mu'allaqa des Imra' al-Qais, des ,, Homers der
Araber*" also anstelle des eigentlich gemeinten (aber von Aristoteles

hier gar nicht erwähnten) auxdp 'OSufftT£i<;/TYjxeTO, Sdxpu S' eSeuev utco

ßXe9dpoiCTt Trapsid?: das lag in der Tat für einen selbst mitdenkenden
arabischen Bearbeiter der aristotelischen Poetik gar nicht sehr fern;

der Sophist. Elenchen, als deren Urheber jetzt Boethius nachgewiesen


worden ist: Von Aristoteles angeführte Homer(halb)ver8e sind hier (4. 166b
5—7) durch ,, gleichwertige" Verse aus Horaz und Vergil ersetzt; s. L.Minio-
Paltjello, Note sulV Aristotele latino medievale VI, Riv. di Filos. Neo-Sco-
last. Bd. 44, 1952, S. 400f.
1 Ma 42,10/Tk 254,25/Ba 118,16 = ■})ev 'AXxivou äTio'X6ya Poet. 16. 1455a 2
(das letzte Wort ist als &no X6Yti)[v] aufgefaßt imd daher durch min al-qaul
wiedergegeben; zum „Volksnamen" ( ?) Alqinus s. Tkatsch II 63b).
2 Averroes, Poetik ed. Lasinio 24,17 ff. = ed. Badawi 226,4ff. — Zur gesamten
Behandlung des Themas der ävaYVMpiai; (Arist. Poet. cap. 16), zum „signi¬
ficato cervellotico" des dafür gebrauchten Ausdrucks istidläl und zu den
übrigen Versbeispielen bei Averroes s. die ausgezeichnete Abhandlung von
Fb. Gabbieli, Estetica e poesia araha nell' interpretazione della Poetica
Aristotelica presso Avicenna e Averrod, RSO 12, 1929—30, p. 291—331; be¬
sonders 294"^ und 309 ff. Auf diese wertvoUe Untersuchung, die als sorgfältige
Adumbratio der Gedanken von Avicenna und Averroes ebenso wie als be¬
deutsame geistesgeschichtliche Untersuchung Beachtung verdient, bin ich
erst nach Abschluß dieser Arbeit gestoßen.
^ Homer wird umgekehrt als ,,Imra' al-Qais der Griechen" bezeichnet von
al-Birüni, Chronologie ed. Sachau 86,17 (Unürüs aS-Sä'ir al-mutaqaddim Hnda
l-Yünänlyln ka-MriH l-Qais Hnda l-'Arab) und von Mubassir ibn Fätik,
Muhtär al-hikam, Berlm Or. Qu. 785, Bl. 21a 5 = Fol. 3100 p. 28,2 {wa-käna
yagrl 'indahum ma^rä MriH l-Qais fl Si'r — Var. Su'arä' — al-'Arab; wieder¬
holt bei Sahrazüri, Nuzhat al-arwäh, Berlin Or. Oct. 217, Bl. 96a 3 v. u. =
Landberg 480, Bl. 37a 14).
286 JÖBG Kbaemeb

ebensowenig wie das wa-innl la-astagäl wa-mä biya na'satun des seine
Geliebte im Traumbild ersehnenden Magnün', den Averroes im Anschluß
daran nebst weiteren Sawähid noch aufführt.

In einem solchen Verfahren, wie wir es bei Averroes anhand von nur

wenigen ausgewählten Beispielen kennengelernt haben, kann man


natürlich — mit Recht — einen Musterfall des Mißverstehens fremder

kultureller Leistungen erblicken*. Das näher auszuführen ist nach allem


bereits Gesagten überflüssig. Man kann aber auch, ebenfalls mit Recht,
mit Spengler* von einer ,, Kunst des planmäßigen Mißverstehens"
sprechen und die zähe Beharrlichkeit verwundert anerkennen, mit
welcher Averroes und gleich ihm vorher Avicenna bemüht waren, das
ihnen fremde Geistesgut, trotz aller iimeren Unvereinbarkeit der beiden

Welten, ihrer eigenen Kultur so weit wie irgend möglich anzupassen.


Daß den Arabern dabei, neben vielem anderen, auch der ^eaniaioi;
"0[i7]po(;, den Aristoteles vor allen übrigen Dichtern gefeiert hatte*,
unter den Händen entschwand, wird ihnen niemand verargen. Denn
„ein Ton aus einem Lande, das wir alle als ein besseres und doch uns
nicht fernes anerkennen", wie Wilhelm von Humboldt^ sich einmal

ausdrückt, ist ein Vers Homers, „selbst ein unbedeutender", für sie

' la'alla hayälan minki yalqä hayäliyä usw.: Las. 24 paen. = Bad. 226,9
= Diwän Magnün Lailä (gam' Abi Bekr al-Wälibi), Kairo 1358/1939, p. 93,2.
2 Von einer „progressiva deformazione", der „scomparsa quasi totale
deUo spirito (aristotelico)" und der „inevitabUe alterazione al nucleo primi¬
tive e inassimilato della dottrina greca" spricht ausführhch F. Gabbieli ui
seinen erwähnten beiden Abhandlungen Intorno alle versione araba della
Poetica di Aristotele (s. S. 267, Anm. 4), p. 231 xmd Estetica e poesia araba usw.
(s. S. 285=), p. 294, 297 et passim; s. besonders p. 326—331 und vgl. noch
I. KnAeKovsKij, Die arabische Poetik im IX. Jahrhundert, Le Monde Oriental
23, 1929, S. 26f. ^ x>er Untergang des Abendlandes II 67.
* xal TaÜTY) deaTT^aioi; äv (pavetT) "0(j.T]po(; Ttapa Toii? äXXouq Poet. 23. 1459a30.
Im Arabischen des Abü Bi^r ist eine Übersetzmigsdublette in den Text ein¬
gedrungen, so daß (Ma 65, 10/Tk 274,1 1/Ba 136,14) die folgende doppelte
Paraphrasierung der Stehe zustande gekommen ist: Fa-l-yura (Ms yurä)
TJrmrüs jl hädä dü sunnatin wa-nämüsin hädin (so nach der einleuchtenden
Emendation Badawis für das hd des Textes) / wa-min hädä l-waghi aidan
yurä TJmlrüs annahü muttabi'un li-n-nämüsi wa-anndhü läzinmn li-ssawäbi
wa-l-istiqämati aktara min ha'ula'i l-uhar. Hinter der zweimaligen Siot Suoiv-
Übersetzimg dü sunnatin wa-nämüsin bzw. muttabi'un li-n-nämüsi usw. ver¬
mutet Margoliouth 65 Anm. l eine Korruptele &E(j[i^tiio(; „satzimgsgemäß
= rechtgläubig", während Tkatsch I 215a, cf. 275, Anm. 23, an dem richtigen
•&ECT7t£ato? ,, götthch, erhaben, herrlich" als griechischer Gnmdlage auch der
Übersetzung festhält.
" Brief an Goethe vom 23. August 1804, s. Goethes Briejwechsel mit Wil¬
helm und Alexander von Humboldt, hrsg. von L. Geigeb, Berlin 1909, S. 184
(Sperrung von mir). Den Nachweis des Zitates verdanke ich meinem Kollegen
Andreas Flitner.
Arabische Homerverse 287

natürlich so wenig gewesen wie wir Humboldts Gefühl von „Götter¬


ehrfurcht und Heimatsehnsucht" in einem solchen FaUe bei ihnen voraus¬

setzen dürfen. Sie haben die Worte „Homer" und „homerisch" gehört
und gekannt; aber beide sind für sie nichts als Namen, fxitvs vocis,
geblieben. Am Ende dieses ersten Abschnittes unserer Untersuchung
bleibt uns daher nur die vielleicht zwar betrübliche, aber kaum mehr

erstaunliche FeststeUung zu treffen, daß bei dem Übergang gewisser


griechischer Schriften in das arabisch-islamische Mittelalter und bei
deren ,,Anverwandlung" an die fremde Kultur die gelegentlich mit

übernommenen homerischen Verse und Versbruchstücke mit ganz


geringen Ausnahmen wieder ausgeschieden imd durch ,, gemäßere"
Dichterbelege ersetzt worden sind. Wo aber Geschöpfe Homers zwischen
den arabischen Zeilen hin und wieder doch einmal greifbar werden, da
scheinen sie uns ihr Wesen zu treiben wie die von Odysseus aus dem
Erebos heraufbeschworenen Schatten der abgeschiedenen Toten am

kimmerischen Gestade: ouSe ttot' auT0U(; Y)eXio<; <pas^cdv xaxaSepxeTai.


axTivsCTCTiv ,,es schauet auf jene Helios nimmer, der Leuchtende, her
aus heiterer Bläue^".

II

'HYoGjjiat 8k iyaiyt noXkouz xal tüv äjjiaÄcciT^ptüv


Sti ßapßdtptov t6 ye övo(/.a äx7]xo£vat tö '0(i7)pou.
Dionis Chrsysostomi Oratio 53.

Wenn somit auch die Sonne Homers dem Orient niemals wirklich ge¬
leuchtet hat, so tönte ihm aus der untergegangenen Antike wie aus dem
noch immer erstaunlich lebenskräftigen Byzanz der Klang seines Na¬
mens doch vernehmlich genug herüber. Aber in welcher Form hat dieser

Name nun fortgewirkt ! Jeder, der einmal einen Blick in die ebenso ufer¬
lose wie für uns auf weite Strecken kaum mehr recht zu genießende Li¬

teraturgattung der morgenländischen Spruch- und Weisheitssammlun¬


gen getan hat, weiß, wie seltsam unter dieser Flut von allgemeinen Le¬
bensregeln, frommen Ermahnungen, goldenen Lehren, landläufigen Ah-
tagswahrheiten und beliebigen sonstigen Sentenzen die Namen griechi¬
scher Weiser sich ausnehmen. Hat man mit dieser sonderbaren, schon

häufig genug durchforschten Art ,, antiken" Erbes sich abzugeben, dann


mag einem die Feststellung H. H. Schaedebs, daß der Orientalist es,
„konkret ausgedrückt, mit einer Welt zu tun hat, in der es keinen Homer
und keinen Sokrates gibt"^, im ersten Augenblick unzutreö"end er-

* Odyssee ll,15f. (Übertragung von Rud. Alex. Schröder).


" Der Orient und das griechische Erbe, Die Antike Bd. IV, 1928, S. 237
(arabisch bei 'A. Badawi, Rüh al-hadära al-'aratnya, Beirut 1949, S. 48).
288 JÖRG Kraemer

scheinen. Deim gerade diese beiden, ,, Homeros der Dichter" so gut wie
,, Sokrates der Asket" (!), begegnen da ständig, manchmal sogar im
Bilde' ; und so wenig wie sie sind Piaton, Aristoteles und Alexander der

Große, aber auch etwa Solon, Ptolemäus, Hippokrates, Zenon, Pytha¬


goras und Demokrit, Anaxagoras oder gar der ,, dunkle" Heraklit^ dem
Schicksal entgangen, nun im Verein mit Göttern und Helden der Vorzeit

wie Asklepios und Hermes, wie Adam, Seth, Idris, dem weisen Loqmän
und unzähligen anderen in das Gewand des morgenländischen Spruch¬
redners und Tugendlehrers gekleidet zu werden.
Diese uns bald komisch, bald beinahe peinlich berührenden Trave¬
stierungen sind ja im Orient keineswegs auf die arabische Literatur be¬
schränkt geblieben. Aber sie wurden dort am weitesten verbreitet und

haben sich, in teilweiser Einwirkung auch auf das persische und türkische
Schrifttum', in Spuren bis auf den heutigen Tag erhalten. Selbst dem

' Siehe Abb. 1 und 2, aus der Berliner MubasSirhandsohrift Or. Qu. 785
(vgl. S. 290*), BL 21b und 68a. Ähnliche „Illustrationen", teils als bloße
schwarz-weiße Kritzeleien, teils in stumpfen Farben, finden sich dort noch
auf Blatt 37a (Hippokrates), 54a (Diogenes vor Alexander) und 149a (Loq¬
män) ; meistens aber ist unter der Überschrift Sürat (fulän . ..) nur der Raum
frei gelassen. Über die Herkunft und ,, stilistische" Bestimmung dieser nicht
eben kunstvollen Bilder konnte ich, auch im Gespräch mit Herm Professor
E. Kühnel, nichts in Erfahrung bringen. Die (undatierte) Handschrift mag
aus imserem 13. oder 14. Jahrhundert stammen und könnte, da sie teilweise
syrische Foliierung aufweist, von christlicher Hand geschrieben oder zu¬
mindest überarbeitet worden sein. — Der Brauch, solche Bücher mit „Figuren
der Weisen" auszuschmücken, geht sicher schon auf alte, spätestens byzanti¬
nische Gewohnheit zurück (vgl. A. Loewenthal, Sinnsprüche der Philo¬
sophen, Berlin 1896, S. 51f.); dieser Tradition noch verhältnismäßig nahe
steht die illustrierte Mubassirhandschrift des Saray (Ahmet III 3206), auf
die R. Ettinghausen kürzhch zum ersten Mal aufmerksam gemacht hat:
s. Interaction and Integration in Islamic Art in Unity and Variety in Muslim
Civilization ed. G. E. v. Grunebaum, Chicago 1955, S. 119f. und Tafel Via,
Vila (frdl. Hinweis von Herm D. Bishr Fares, Kairo).
2 Z. B. bei Sahrastäni 300, 15 (i/^r^Ji). Ädäb Anaksägüras finden sich
unter anderem bei Sahrazüri, Berlin Or. Oct. 217, Bl. 82bf. ( = Landberg 430,
Bl. 32 ab) und in der späten, fälschlich dem Suyütl beigelegten Spmch-
sammlung Öämi' al-kalimät, Berlüi Peterm. II 116 (Ahlw. 8727), Bl. 146bff.
— Der Aufhellung von Pre-Socratic Philosophy and Greek Alchemy in Arabic
Tradition auf Grund der sogenannten Turba Philosophorum (ca. 900 n. Chr.),
die M. Plessneb angekündigt hat, darf man mit Spannung entgegensehen.
(Bisher ist erst ein hebräischer Vorbericht erschienen in Commentationes
ludaico-Hellcnisticae in Mem. Ioh. Lewy, Jerusalem 1949, p. 125—138; vgl.
Plessneb, The Place of the Turba Philosophorum in the Development of
Alchemy, Isis 45, 1954, S. 334 Anm. 18).
" In den universalgeschichtlichen Kompilationen des Persers Mirh^'änd
(15. Jahrh.) und des von diesem abhängigen Türken Hezärfenn (17. Jahrb.),
vgl. H. Fb. von Diez, Denkwürdigkeiten von Asien I, Berlin 1811, S. 71—91
(nach Rosenthal, Orientaha 6, 1937, S. 63).
Aus Ms Berlin Or. Qu. 785, Blatt 21b imd 68 a (vgl. S. 288,
290 JÖBG Kbaemeb

bildungsbegierigen mittelalterlichen Abendlande sind neben vielen son¬


stigen Sprüchen der alten Weisen auch so manche Dicta Homeri dieser
Art erst durch Übersetzungen arabischer Spruchsammlungen bekannt

geworden. So findet sich, um nur ein einziges Beispiel zu nennen, am


Ende der ,,dichos e castigamientos de Omirus" in dem altspanischen
Florilegium Bocados de Oro aus dem dreizehnten Jahrhundert ein Ge¬

meinplatz über die Niedrigkeit der Lüge in folgender Form: ,,non ha


cosa en el mundo mas vil que la mentira, e non ha bien ninguno en omne

mintroso"'. In dem bald danach, wohl von Johannes de Procida ge¬


fertigten und weit verbreiteten Liber philosopfiorum moralium antiquorum
kehrt dieselbe Weisheit auf lateinisch wieder als ,, nihil est vilius^ quam
mentiri et non habetur aliquod bonum in mendoso". Einen späten Nie¬
derschlag davon finden wir endlich in den englischen, erst um die Mitte
des fünfzehnten Jahrhunderts auf Grund einer französischen Version

entstandenen Diets and Sayings of the Philosophers, die vor allem durch
William Caxtons erstes in England gedrucktes Buch vom Jahre 1477 be¬
rühmt geworden sind: "ther is no thinge fouler than to lie, and ther is no
goodnes in a lier"'. Dies alles entspricht wörtlich dem Arabischen in dem

seit langem bekannten, aber noch immer nicht veröffentlichten Original


der Bocados de Oro, nämlich den Ädäb al-hukamä' bzw. dem Mantür

(oder Muhtär) al-hikam des ägyptischen Emirs Mubasäir ibn Fätik (um
1053): laisa Sai'un adnä mina l-kidbi wa-lä haira fi l-mar'i idü käna

yakdib*. Ganz ähnlich lautet der Spruch in den arabischen Samm-

' Ed. H. Knust, Mittheilungen aus dem Eskurial (Bibl. des litter. Vereins
Bd. 141), Tübmgen 1879, S. 118.
" Dafür melius (!) in dem ganz unzulänglichen Abdruck bei Sal vat. de
Renzi, Collectio Salemitana III, Napoli 1854, p. 79 uit. Die jetzt maßgebliche
kritische Textausgabe von E. Franceschini in Atti del R. Istituto Veneto di
Scienze, Lettere ed Arti t. 91/2, p. 393—597 bheb mir leider imzugänglich.
3 Ed. C. F. Bühleb, Early English Text Society, Orig. Series No. 211,
London 1941, p. 38. Zu den hier veröffentlichten Fassimgen (deren erste der
von Caxton gedruckten Version des Anthony Woodville, Eari Rivers sehr
ähnlich ist), zu den Dits moraulx des Guillaume de Tignonvüle (Ende 14.
Jahrh.) und den sonstigen europäischen Übersetzungen ist Bühlers aus¬
gezeichnet informierende Einleitimg zu vergleichen; s. außerdem E. Fbance-
SCHINI, n Liber Philos. Moral. Antiqu. in Memorie R. Accad. Naz. dei
Lincei, Sc. morah Serie 6 vol. III, 1930, p. 355—99 imd, zur älteren Literatur,
V. Chauvin, Bibliographie des ouvrages arabes I, Liege 1892, p. 27—29.
* Berlin Or. Qu. 785, Bl. 24a 4 = Fol. 3100, p. 30,11. Das Werk scheint
nur in einer Überarbeitung erhalten zu sein; Ms Leiden 1487 enthält einige
Kapitel mehr als die beiden Berliner Handschriften. Zur Person und Büoher-
leidenschaft des Verfassers, eines Angehörigen des Fatimidenhauses, s. Ibn
abi U§aibi'a II 98f., danach M. Meyebhof, Über einige PrivatbibliotJieken im
fatimidischen Ägypten, RSO 12, 1929—30, S. 287, und K. Holter, Der Islam
im Handbuch der Bibliothekswissenschaft ^III, Wiesbaden 1953, S. 215.
Arabische Homerverse 291

lungen von MubalSirs älteren Zeitgenossen Miskawaih (gest. 1030)' und


Ibn Hindü (gest. 1029)^, bei letzterem jedoch mit dem merkwürdigen
Zusatz, daß der Lügner ,, nicht eher, als bis der Fuchs dem Wolfe fromme",

zu irgend etwas nütze sei. Diese Form hat das Dictum aber bereits im
arabischen Original des pseudo-aristotelischen Secretum secretorum, das
vieUeicht noch dem zehnten Jahrhundert entstammt und, in einigen
Handschriften allerdings nur, den folgenden Wortlaut bietet :

wa-qad ahsana Ümirus aS-SäHr al-yünänl


lä yasluhu l-müla'u bi-l-kidbi hattä yasluha t-ta'lahu li-d-di'b^.

Nun wäre es gewiß ein vergebliches Bemühen, wollten wir versuchen,


für einen solchen ,,Vers" und für Dutzende, ja Hunderte ähiUicher ein

noch irgendwie homerisches Original ausfindig zu machen — im vor¬

liegenden Falle formal schon deshalb, weil der Fuchs (aXcoTrv)^, xepSco usw.)
in den uns überlieferten Texten der Ilias und Odyssee oS'enbar gar nicht
vorkommt*. Inhaltlich aber lassen sich für derartige allgemeine, im
Osten wie im Westen verbreitete Lebensweisheiten, unter welchen

Namen sie auch umgelaufen sein mögen, aus dem Spruchgut aller Zeiten
und Völker Entsprechungen natürlich in Menge nachweisen. Das gilt,
vom Alten Testament und noch viel früheren orientalischen Quellen an¬

gefangen, für die klassisch-griechische und die späthellenistische Gnomik


so gut wie für die ethischen Lehren mittelpersischer Pandnämags, ara¬
bischer Fürstenspiegel oder rabbinischer, syrischer und sonstiger morgen-

1 Öäwldän Hirad („Al-Hikma al-hälida") ed. 'A. Badawi, Diräsät islämiya


Bd. 13, Kairo" 1952, p. 223,18. Zu der Ausgabe des wichtigen Textes vgl.
W. B. Henning, Eine arabische Version mittelpersischer Weisheitsschriften,
oben S. 73ff.
2 Al-Kalim ar-rühäniya fl l-hikam al-yünänlya, Kairo 1318/1900, p. 90,7.
3 Kitäb as-Siyäsa fl tadblr ar-riyäsa [ = Sirr al-asrär], Berlin Sprenger 943
(Ahlw. 5603), Bl. 4al6; ein anderer „Homervers" lä yanälu l-marätiba
s-sanlyata hahll wa-lä yartaql d-daragata l-'ulyä illä karim ebenda Z. 5. Beide
Zitate sind offenbar spätere Interpolationen, da sie sich sonst nur nooh in der
Oxforder Hs Laud. Or. 210 zu finden scheinen; s. Fultons englische Wieder¬
gabe in Secretum secretorum cum glossis et notulis, Opera hactenus inedita
Bogeri Baconi Fasc. V, ed. R. Steele, Oxford 1920, p. 182 n. 1 imd 5 (wo
engl. 'taU' — also danab — für das oben ün Text angeführte di'b). Weder die
hebräische Version (ed. M. Gastee, JRAS 1907, p. 908) noch die sonstigen
mittelalterlichen Übersetzungen enthalten die beiden Zitate; sie fehlen auch
in der jetzigen Ausgabe des arabischen Textes von 'A. Badawi, s. Al-Usül al-
yünänlya li-n-nazarlyät as-siyäslya fl l-Isläm (Diräsät islämiya Bd. 15),
Kauo 1954, p. 75.
* Eine Beziehung zur Tierfabel dagegen, wie Herr Professor H. Hommel
sie unter Verweis auf Aesop nr. 271/72 Halm und Babrius nr. 53 Cbusius
vermutet, mag vorhanden sein, wird sich hier aber kaum mehr genau fest¬
stellen lassen.
20*
292 JöKG Kraemer

ländischer Florilegien; für christliche oder koranische Büß- und Mahn¬

predigten, byzantinische, alt- und neuarabische Sprichwörter usw. so gut


\ide für lateinische oder volkssprachliche Sentenzensammlungen des
Mittelalters und noch für so manches neuzeitliche Schrifttum bis in die

Gegenwart hinein'. Früheren Zeiten war es reizvoll erschienen, solche


Kernsprüche menschlicher Lebenserfahrung aus aller Herren Länder auf¬
zusammeln und der Schatzkammer inter- und übernationaler Weisheit

zuzuführen. Heute sind wir etwas anspruchsvoller geworden und können


die Sprichwörter und ähnliches, bei aUer Würdigung ihrer jahrhunderte¬

langen Beliebtheit und ihres allgemein-menschlichen Gehaltes, nicht

mehr als das ,, nächst der Religion wichtigste"^ orientalische Geistesgut


betrachten. Wer es also nicht etwa, wie C. H. Becker in seinem be¬

kannten Aufsatz über ühi sunt qui ante nos in mundo fuere^, auf eine um¬

fassende literar- oder motivgeschichtliche Untersuchung abgesehen hat,


der wird diesen ädäb al-hukamä', diesen nawädir al-faläsifa al-qudamä'
und dergleichen, auch wo sie als ,, homerisch" auftreten, kaum mehr be¬
sondere Aufmerksamkeit schenken wollen. Trotzdem lohnt es sich noch
immer, sie von neuem zu untersuchen.

,, Sentenzen und Sprüche sind die Scheidemünze der Menschheit"*,

gewiß. Aber bevor sie, von Hand zu Hand und von Volk zu Volk ge¬
gangen, zu solch abgegriffenen, wieder imd wieder umgeprägten Scheide¬

münzen geworden waren, haben doch nicht wenige von ihnen einen ur¬
sprünglichen Kurswert besessen, der ihnen Geltung sichert bis auf den

heutigen Tag. Nun hat man zwar längst erkannt, daß in dem großen
Haufen Spreu der arabischen Spruchsammlungen noch dies oder jenes
Körnchen echt griechischer Weisheit verborgen liegt, daß also die ara¬
bisch schreibenden Kompilatoren mindestens zum Teil von spätgriechi¬
schen Chrien, Apophthegmensammlungen und sonstigen Florilegien ab¬
hängig gewesen sein müssen. Aber was uns von den betreffenden arabi¬

schen Werken bisher im Urtext, in Ubersetzungen oder Bearbeitungen


zugänglich gemacht worden ist, hat sich größtenteils als so hoffnungslos
verderbt, vermischt und verunstaltet erwiesen, daß man es im all¬

gemeinen wohl aufgegeben hat, gerade hier noch nach einigermaßen un¬
verfälschten griechischen Bestandteilen zu suchen. Der „Sokrates in der
Tonne" zum Beispiel, der uns bereits in dem ältesten griechisch-arabi-

1 Vgl., als ein Beispiel unter vielen, die Einführung zu E. Littmann,


Morgenländische Spruchweisheit („Morgenland", Heft 29), 1937. Vortrefflich
sind auoh die knappen Bemerkungen von B. Snell, Lehen und Meinungen
der Sieben Weisen, München 31952, S. 14f.
2 So H. Fr. von Diez, Denkwürdigkeiten von Asien I, 1811, Vorwort S. X
(nach Rosenthal, Orientalia 6, 1937, S. 23, Anm. 3).
3 Islamstudien I, 1924, S. 501—519.
* L. Dukes, Zur rabbinischen Spruchkunde, Wien 1851, S. I.
Arabische Homerverse 293

schen Mischfiorüegium dieser Art, den Ädab al-faläsifa des Hunain ibn

Ishäq (gest. 873) begegnet' — und der noch in der abendländischen


Disciplina clericalis des Petrus Alfonsi (12. Jahrhundert) sein Wesen
treibt^ — ermutigt kaum zu weiteren Nachforschungen. Bei den an¬
deren „griechischen Weisen" des Hunain ergeht es uns nicht viel besser.
So namentlich auch bei seinem Homer, den wir Weisheiten von sich

geben hören wie die, daß die Schrift etwas sei, was der Verstand durch
Vermittlung des Schreibrohres ans Licht gebracht habe' oder Wort¬

spiele wie das vom klugen Manne (al-'äqil), der seine Zunge vom Bösen
zurückhält (ya'qilu)^ und dergleichen mehr.

Freilich waren uns Hunains Ädäb bisher nur in der späten Überar¬
beitung eines Muhammad ibn 'Ali al-Ansäri (wohl erst 12. Jahrhundert)*
zugänglich, von der die hebräische Übersetzung des Jehuda al-Harizi*

^ Ms Escmial 760, Bl. 19 a, 3 v. u. (die Benutzung eines Filmes dieser


Handschrift hat mir Herr Professor A. Spitaleb freundlichst ermöghcht);
cf. Loewenthal, Sinnsprüche der Philosophen (zit. „Loew."), S. 95 nr. 65 und
zahlreiche sonstige Parahelen.
" Quod proverbialiter ostendit, Sooratem . . . tugurii loco dimidimn inha-
bitasse doliima usw.: Disc. Gier. edd. Hilka-Södbbhjelm, Acta Soc. Scient.
Fennicae T. 38/4, 1911, p. 40,8f.; vgl. die Ausgabe von F. W. V. Schmidt,
Berlin 1827, nr. XXXII, 1 mit dem wertvollen Kommentar S. 162f. — Zu
dem Buch und seiner Bedeutimg als erster abendländischer Sammlung von
orientalischen Erzählungen s. vor allem Chauvin, Bibliographie IX, 1906,
p. 1—44 und M. Manitius, Gesch. d. lat. Lit. des MAs III, 1931, S. 275f.
" Escurial 760, Bl. 64b 1; cf. Loewenthal 147 nr. 1, Sahrastäni p. 301,1
und viele sonstige Parallelen, darunter jetzt auch die Risälat al-Hayät des
Abü Haiyän at-Tauhidl in Trois Kpitres ed. I. Keüani, Damaskus 1951,
p. 42,10 (freundhcher Hinweis von J. Fück).
* Esc. 760, Bl. 54b 6 (nicht bei Loewenthal); vgl. den ersten Spruch des
Ptolemäus Bl. 50b 5 = Loew. 134. Die in ihrem Ursprung so imverkennbar
arabische Sentenz kehrt als ,, homerisches" Dictum nr. 1 wieder bei MubasSir,
Berlin Qu. 785, BL 22a 6 und danach bei Sahrazüri, Berlm Cot. 217, BL 97a2.
° Die beste Darstellimg und Untersuchung des arabischen Textes und
seiner verschiedenen Übersetzungen bildet nach wie vor die wertvolle Arbeit
von K. Meeklb, Die Sittensprüche der Philosophen „Kitäb Adab äl-fälasifa"
von Honain ibn Ishäq in der Überarbeitung des Muhammed ibn 'AU al-
Ansäri (Diss. Mimchen 1910), Leipzig 1921. Dazu s. jetzt A. Spitalbb in
Studi orientalistici in onore di G. Levi della Vida II, Rom 1956, S. 497£f.
° Sefer Müsre ha-Philosophim ed. A. Loewenthal, Frankfmt 1896; da¬
nach die deutsche Übertragung Sinnsprüche der Philosophen von demselben,
s.o. S. 2881. Mitteilungen über eine neue Handschrift des hebräischen Textes
sowie wertvolle Beobachtungen über die Quellen Hunains und seine Nach¬
wirkung bei späteren Schriftstellern macht jetzt M. Plessneb, Analecta to
Hunain Ibn Ishäq's ,, Apophthegms of the Philosophers" and its Hebrew trans¬
lation in der hebräischen Zeitschrift Tarbiz Bd. 24, 1954/55, p. 60—72 mit
Summary p. Vif. (Auf die wichtige Abhandlung hat J. Fück mich freund¬
lichst hingewiesen.)
294 JÖRG Kraemer

wie das altspanische Libro de los buenos proverbios^ vollkommen ab¬

hängig sind. Daß wir es bei der — leider noch immer unedierten —
Bearbeitung des Ansäri nur mit einer Verkürzung und nicht etwa mit
einer Erweiterung^ der ursprünglichen Redaktion Hunains oder auch
seines Sohnes Ishäq zu tun haben, läßt sich nunmehr nachweisen. Der

eigentliche Titel des Werkes, wie ihn mit nur geringfügigen Abweichungen
auch Ibn abi Usaibi'a und Haggi Halifa anführen, dürfte Nawädir al-

faläsifa wa-l-hukamä' oder ähnlich gelautet haben*. Nun stehen umfang¬


reiche Abschnitte unter Überschriften wie Nawädir falsafiya targamahä
Ishäq (!) ibn Hunain, mimmä gama'ahü Humain min alfäz al-faläsifa oder
mimmä naqalahü Hunain min ädäb Aflätün etc. in dem Istanbuler Codex
Köprülü 1608. Das ist ein leider kaum vor dem 10./16. Jahrhundert ab¬

geschriebenes, inhaltlich aber sehr bemerkenswertes Florilegium von


Weisheitssprüchen, Testamenten, Ratschlägen, Anekdoten, Mahn¬
schreiben und sonstigem paränetischem Material, in dem unter anderem

auch das arabische Original des pseudo-aristotelischen Liber de pomo*


enthalten ist. Die genannten Auszüge aus Hunains bzw. Ishäqs Buch
finden sich, locker aneinandergereiht, auf Blatt lb bis 65b und weiter¬
hin durch den ganzen übrigen Inhalt der Handschrift (194 Blatt in
21 zeiligem, schönem, schwach vokahsiertem Neshi) verstreut. Quantita¬
tiv bieten sie zwar bedeutend mehr als die Exzerpte, welche die Kom¬

pilation des Ansäri uns übrig gelassen hat; und Vermerke wie fuMl
falsafiya magmü'a min nawädir katira (Bl. 38a 3 v. u.) weisen darauf
hin, daß auch Material aus anderen Quellen beigezogen worden ist. In¬

haltlich jedoch scheinen sich die „Nawädir-texte" (wie ich die Auszüge
der Köprülü-Handschrift im Gegensatz zu den „Ädäb" bei Ansäri von
nun an nenne) auf den ersten Blick von eben diesen Ädäb nur unwesent¬

lich zu unterscheiden. Denn wir begegnen nun ganz ähnlichen aqu!äl


Solon al-hakim, alfäz Suqrät (mit Einschluß einer wohl echten Kindi-
Risäla* dieses Titels Bl. 48a bis 51 a, die aber kaum neues Spruchmaterial

' Ed. H. Knust, Mittheilungen aus dem Eskurial, 1879, S.l —65; zm
älteren Literatur allgemein vgl. Chauvin, Bibliographie I, 1892, p. 23—27.
2 So nooh Bergsträsser in seiner Besprechung von Merkles Arbeit,
OLZ 26, 1923, Sp. 27: ,,. . . redigiert und erweitert; denn von Streichungen,
die der Bearbeiter vorgenommen hätte, ist nichts zu bemerken".
3 Zur Frage des Titels s. Merkle S. 6f. (nach Ibn abi Usaibi'a und Haggi
Halifa; die Stelle bei letzterem jetzt Kef/ el-Zunun II, Istanbul 1943, Sp.
1979), zur Autorschaft ebenda S. 7—11.
■*Vgl. meinen Beitrag Das arabische Original des pseudo-aristotelischen
'Liber de pomo' in Studi oriental. a G. Levi della Vida, I S. 484 ff. — Der
Freundlichkeit H. Ritters verdanke ich einen Film, der A. Tietzes wert¬
volle MitteUungen über die Katalogzettel (fidler) der wichtigen Handschrift.
^ Mimmä naqalahu l-Kindi min alfäz Suqrät, vgl. Fihrist 260,4 Fl. (K. 1348,
Arabische Homerverse 295

enthält), ädäb Aflätün oder Aristätälis, rasä'il al-Iskandar^, wasäyä


Fütügüras, hikam Diyügänas oder auch Sprüchen mit dem bloßen Ver¬
merk qäla, ba'd al-hukamä', wie sie uns aus den Ädäb mid so vielen gleich¬
artigen arabischen Sammlungen zur Genüge bekannt sind. Außerdem
sind offensichtlich auch schon die Nawädir-Auszüge, ebenso wie die Ädäb-
texte bei Ansäri, irgendwann einmal islamisch überarbeitet und inter¬

poliert worden. So wird zum Beispiel Blatt 25 a 7 einer der Philosophen¬


sprüche am Sarge Alexanders über die eindringliche ,, Predigt"Wirkung
des Todes durch einen erbauhchen Vers des arabischen Gnomendichters

Abu l-'Atähiya (starb 825/26)^ glossiert. Diesen Vers könnte der im


Jahre 873 verstorbene Hunain zeitlich zwar noch gekannt haben; in
seine Sammlung von ,, Kostbarkeiten der Philosophenworte und Sitten¬

sprüche der alten Lehrer"' jedoch wird er kaum durch ihn selbst, son¬
dern wohl erst durch einen späteren Redaktor geraten sein.
Das alles läßt uns für die Homerica der Nawädirtexte, auch wenn sie

mindestens zehnmal mehr bieten als die kärglichen Homerworte der


Ädäb*, nicht viel Gutes hoffen. In der Tat hnden wir zunächst nur Be¬

kanntes wie etwa Blatt 10 a 14 den Siegelspruch man lam yamlik 'aqlahü

lam yamlik gadabähü^, Bl. 9b uit. die ähnliche Ermahnung an seinen


Sohn, seine Begierden zu bezwingen^ oder Bl. 28a lOff. ein langatmiges

Gespräch mit seinem Schüler über die Unvernunft der bloß die Tiere
nachahmenden Menschen, das in knapperer Form auch bei MubasSir',
Sahrastäni* und in Abü Haiyän at-Tauhidis Risälat al-Hayät^ wieder-

p. 363,18) = G. Flügel, Al-Kindi genannt „der Philosoph der Araber" usw.,


AKM 1/2, Leipzig 1857, nr. 196.
' Darunter auch Teile aus dem ,, Trostbrief" Alexanders an seine Mutter,
Bl. 2a und 166b — 168a; vgl. den genannten Beitrag von A. Spitalbb in der
Festschrift für Levi della Vida.
^ Wa-känat fl hayätika ll Hzätun j fa-anta l-yauma au'azu minka haiyän
( = Diwän ed. Cheildio, Beirut 1886, p. 340,1). Der Dichter spricht hier in
deutlicher Anlehnung an den PhUosophenspruch Loew. S. 183 nr. 35; vgl.
Mas'üdi, Prairies d'Or II 253,2 imd auch Sahrastäni 331 paen.
3 Nawädir alfäz al-faläsifa al-hukamä' wa-ädäb äl-mu'allimln al-gudamä' :
Esc. 760, Bl. 2b 2, vgl. Merkle S. 6.
* Bei Loew. 147f. (acht Spräche); den neunten (s. S. 293, Anm. 4) ti-ägt
Merkle S. 46 aus Esc. 760 nach.
* Bei Loew. S. 56 nr. 12 (von 'Budius', Esc. 760 Bl. 7a paen.: j-^-j 3».
* Vgl. Mubassir, Berlin Qu. 785, Bl. 23a 11 (Fol. 3100, p. 29,15) Iqhar
Sahawätika fa-inna l-faqlra mani nhatia ilaihä; danach altspan. „apremia tus
cobdicias, que pobre es el que se guia por ellas" (Knust S. 117); latein.
„reprime tuas cupiditates quia pauper est qui se gubernat per eas' ' (De Renzi,
p. 79) usw.
' Bln. Qu. 785, Bl. 22b 10 (Fol. 3100, p. 29,5) = Sahrazüri Oct. 217. 111.
97a 10 (Landb. 430, Bl. 37b 2).
« 299 paen. » Ed. Koilani p. 63,15fF. (Hinweis von J. Fück).
296 JÖBG Kbaemeb

kehrt. Gleichartiges, in bald kürzeren, bald längeren Abschnitten zu¬

sammengefaßt, begegnet uns z. B. noch auf Blatt 37b oben, Blatt 46aff.
unter der allgemeinen Überschrift Min kaläm al-hukamä' (mit einer offen¬
bar neutestamentlichen Reminiszenz Bl. 47 b 11 al-muhsinu yuhsinu ilä
man asä'a ilaihi wa-ya'fü 'amman zalamahü wa-yagüdu 'alä man bahih}
'alaihi) und an anderen Stellen. Von wirklich klassischen Zitaten aber

oder auch nur von Anklängen an solche habe ich bisher unter diesen
aqiüäl Ümirüs kaum etwas feststellen können. Allenfalls wird man in dem
,, homerischen" Wort von dem Magen als der Kraftquelle der Glieder

Blatt 35 b 6 (al-mi'datu hiya l-'ainu Hall ta'hudu [tu'hadu ?] minhä gami'u


a'dä'i l-gasadi wa-hiya yanbü'uhä fa-matä sisati l-mi'datu sisat hädihi
kulluhä) eine Erinnerung an das bekannte, wohl schon griechische Gleich¬
nis des Menenius Agrippa^ imd damit einen bescheidenen Reflex von

noch antiker Spruchweisheit erblicken dürfen. Gleich darauf folgt ein,


ebenfalls dem Homer zugeschriebener, Spruch über den Vorzug des
Traumes vor dem Wachen, weil vieles, was im wachen Zustande uner¬

reichbar sei, nur im Träumen erreicht werden könne: Raunvidü? anjusakum


bi-r-ru'yä fa-inna katiran mimmä lam tudrikühu fi waqti l-yaqzati tudri-
kühu fi waqti l-ahläm. Ob hier vielleicht oneirokritische Gedanken aus
Artemidoros — den Hunain ja übersetzt haben soll* — nachwirken,

muß ich vorläufig unentschieden lassen. Bei den zahlreichen übrigen


Sentenzen aber, die in den Nawädir noch als homerisch aufgeführt
werden, ist mir der Nachweis eines irgendwie griechischen Ursprunges
bisher nicht gelungen.
Nun steht aber fest, daß der Christ und Griechenkenner Hunain ibn

Ishäq, das anerkannte Haupt einer ganzen Übersetzerschule, mit dem


echten Schrifttum der Antike so genau vertraut gewesen ist wie das für

einen Orientalen des neunten Jahrhunderts nur irgend möglich war.


Sollte derselbe Mann, dem oder dessen Einfluß wir eine erstaunlich hohe

Zahl von Übersetzungen aus Piaton, Aristoteles, Euklid, Hippokrates


und vor allem Galen verdanken, sich hier, in seinen Nawädir al-faläsifa,
wirklich mit den dürftigen Spurien begnügt haben, die wir bisher kennen¬

gelernt haben? Selbst wenn wir einräumen, daß Hunain mit seiner
Spruchsammlung offensichtlich mehr ethisch-didaktische als eigentlich

^ Ms: yuhillu ( ?). Zu den häufigen sonstigen Bibel-Zitaten bei Hunain,


Mubassir und Sahrazüri vgl. die Aufstellung in A. Müllebs noch immer
lesenswertem Aufsatz Üher einige arabische Sentenzensammlungen, ZDMG 31,
1877, S. 519f.
2 Zu dessen, wohl schon sophistischer, Herkunft und späterer Verbreitimg
s- W. Nestle, Die Fabel des Menenius Agri/ppa, Kho Bd. 21, 1927, S. 350—60
(frdl. Hinweis von Prof. H. Hoimnel).
So ist wohl für das l^y-üj des Ms zu lesen.
* S. Fihrist 255,9f. Fl. (Kairo 1348, p. 357,7).
Arabische Homerverse 297

■wissenschaftliche Ziele verfolgt hat, erscheint ein so weitgehender Ver¬


zicht nicht recht glaubhaft. Außerdem nennt er in der Vorrede zu seinem

Buche, wie Ansäri sie uns erhalten hat', das (klassische) Griechisch aus¬
drücklich an erster Stelle vor allen anderen Sprachen, aus denen er es
ilä l-lisän al-'arabi al-mubtn übertragen habe, d. h. vor dem Hebräischen,

Syrischen und ,, Neugriechischen" 2. Und kurz danach führt er unter den


Mittehungen, die er zu geben beabsichtige, die über griechische
Dichter und Weise {'an Su'arä' al-Yünäniym wa-ljbukama'ihim) wieder¬

um an erster Stelle auf. Derartige Worte würden bei einem späteren


arabischen Autor, der lediglich arabische KompUationen ausschreibt,
nicht viel besagen. Bei einem Hunain aber köimen sie, wenn die Nawädir
in ihrer Urgestalt überhaupt von ihm stammen', nur bedeuten, daß er

spätgriechische Quellen noch im Original vor Augen gehabt hat.


Von solchen unzweifelhaft echten griechischen Stücken sind nun in der

Köprülü-Handschrift tatsächlich noch Spuren festzustellen. Ihre genaue


Herausarbeitung im einzelnen und vor allem die Rückführung auf ihre

möglichen Quellen muß vorbehalten bleiben. Hier genügt es, einige


Namen und Stellen anzuführen, die hin imd wieder, mitten unter den

üblichen hikam und ädäb, auftauchen und die jedenfalls in dieser Gat¬

tung von gängiger arabischer Spruch- und oftmals auch Afterweisheit


sonst nicht vorkommen. Zunächst stoßen wir gleich zu Beginn, unmittel¬
bar nach der bereits genannten Überschrift Nawädir falsafiya targamahä

Ishäq (sie) ibn Hunain, auf Hesiod (Blatt 5a, entsteht zu Daß
es sich hier dem Sinne nach nur um die allbekannten Verse Erga 289 flF.

T^i; S' apsT^? iSpcüTa -ö-sol TtpoTrixpoi&ev ^9-7)xav xtX. handeln kann, ist
trotz der etwas weitläufigen arabischen Paraphrase unverkennbar:

Ammä t-tariqu lladi yu'addi ilä l-hairi fa-tariqun mu'wirun sa'bu l-ma-
säliki mulHbun mu'arriqun (,, schweißtreibend") daiyiqun wa-laisa

yumkinu kulla ahadin sulükuhü usw.* Weiter begegnen uns, in der

1 Ese. 760, Bl. 5b lOff., vgl. Merkle S. 10, Anm. 1, Loew. S. 50 unten imd
Steinschneider, Die arab. Übers. (1890), S. 20, Anm. 1.
2 Ar-rümiya. Zu dieser, hier unzweifelhaften, Bedeutmig des Wortes vgl.
M. BouYOES, Excursus d'un editeur de textes arabes 1. rümi, M61. Univ.
St. Joseph Bd. 27, 1947/48, p. 119—29; auoh J. Fück, The Arabic Literature
on Alchemy accord, to an-Nadim in Ambix vol. IV, 1951, p. 115. Zu der An¬
nahme R. Steeles, Secretum secret, cum glossis usw. (s. S. 291, Anm. 3),
Introd. p. XI, daß rümi auch ,, syrisch" bedeuten körme, s. M. Plessner,
OLZ 28, 1925, Sp. 916 und Der Islam 16, 1927, S. 83f.
' Für die Auszüge der Köprülü-Handschrift ist das nach deren ausdrüok-
Uchen Angaben kaum mehr zu bezweifeln. Die frühere Skepsis hinsiohtlich
der Authentizität der „J!dä6texte" jedooh (s. A. Müller, ZDMG 31, S. 525f. ;
H. D^irenbourg, Mel. Weü, 1898, p. 121 f.) wird gerade durch sie von neuem
bestätigt.
* Die arabischen Sprüche aus Sahrazüri, in denen A. Müller, ZDMG 31,
298 JÖBG Kbaemeb

Reihenfolge der Handschrift, die Namen Thaies (^l, Bl. 8b), The¬
mistios (Bl. 34b), Theophrast (Bl. 36a, nur Moralspruch), Erasistratos
(Bl. 37a, über die vier Körpersäfte), Timon (Bl. 38a) und andere, die

ich noch nicht sicher habe deuten können. Schließlich ist sogar Orpheus

(|»jril ^jiijl, Bl. 41 b bis 42b) vertreten, mit einem ziemlich langen Frag¬
ment, das einer besonderen Untersuchung wert erscheint. Das zuletzt

genannte Stück, aber nur dieses, gehört zu den oben S. 294 bereits ge¬
nannten fusül falsafiya magmü'a min nawädir katira, war also ursprüng¬
lich in Hunains Nawädir wohl nicht enthalten. Daß die übrigen Frag¬
mente jedoch diesem Buche entstammen und überdies nicht etwa bloße
Mystifikationen darstellen, wird durch das überraschendste Zitat der
ganzen Sammlung zumindest sehr wahrscheinlich gemacht. Es ist von

Euripides {^j^ Bl. 33a paen.), folgt unmittelbar auf eine mitten
im Kontext stehende Überschrift wa-mimmä gumi'a aidan min Naivädir
al-faläsifa mimmä targamahü Hunain und hat folgenden Wortlaut :
Yanbagl li-l-maulüdi an yvbkä 'alaihi li-annahü qadi std'nafa d-duhüla
fi S-Sarri wa-l-ahzän, wa-yanbagl li-dl l-maiyiti (sie) an yadhaka li-annahü
qadi staräha minhä.

Dieses pessimistische Wort vom Neugeborenen, das man beweinen


müsse, während der Sterbende sich freuen solle, nun von der Mühsal aus¬

zuruhen, ist in seiner Anlehnung an die düstere Lebens- und Todes¬

weisheit des bekannten TrdvTWV [xev [ir^ (püvat irny^^oVioiai^) äpiorov' so

unverkennbar griechisch — es sei nur an Nietzsches tiefsinnige Deutung*


erinnert —, daß der Gedanke an eine arabische Unterschiebimg von
vornherein ausscheidet. Aber auch nach Euripides, dem Dichter des

TO (i.-f] ysvea&ai xpeicrsov cpüvai ßpoTot?', klingt der Vers durchaus;


und er ist in der Tat von diesem (Frgm. 449 Nauck) :

'E^p'/jv yap rifxai; auXXoyov Tüoioufxsvoui;


TOV cpuvTa •9-p7]V£tv sic, Off' £pj(STat. xaxd,
TOV S' aö ö-avovTa xal ttovwv 7teTtau[i,evov

XaipovTa? su9y)[jLoüvTa!; ex7t£[X7t£iv Sofxwv.

S. 519, diese hesiodeischen Worte vermutet hatte, sind in Wirklichkeit ganz


anderer Herkunft, s. hier S. 315, Anm. 5.
1 Theognis Eleg. (1) 425; vgl. das sophokleische [av] <püvat töv ütkxvto. vix?
Xöyov Oedip. Col. v. 1225 und viele ähnliche Stellen (s. Anm. 3).
^ Die Geburt der Tragödie, Werke I (Kröner), S. 57—59.
3 Tragicorum Graecorum Fragmenta rec. A. Nauck, Ed. sec, Lipsiae 1889
( = N[auck], so im folgenden stets zitiert), Eurip. Frgm. 908,1. Zu vergleichen
ist Frgm. 285,1 f. (wo der Gedanke ein „überall verbreiteter", TtavTaxoü
^ptiXouiievov genannt wird) und vor allem das berühmte Wort Frgm. 638
„Wer weiß deim, ob das Leben nicht ein Sterben ist / und was wir Sterben
nennen, drunten Leben heißt ?", das ganz ähnlich in Frgm. 833 Tic S' olSev
el ^^v Toiiö-' 6 x£xX-/jTat davctv usw. wiederkehrt.
Arabische Homerverse 299

„Versammelt sollten wir den Neugebornen


beklagen ob der Not, die ihn erwartet,
den Toten aber, der vom Leid erlöst,

mit Freudenruf und Jubelsang bestatten"'.

Hunain hat den Vers also nicht streng wörtlich, sirmgemäß aber doch
durchaus zutreffend wiedergegeben, wie es seinen ethisch-paränetischen
Zwecken entsprach. Dieses freie Schalten mit seinen Quellen, das schon
an dem Hesiod-Zitat festzustellen war, zeigt sich auch sonst. Gleich auf

den Euripidesvers folgt z. B. eine Reihe von Platon-Notizen, die auch


statt des gewöhnlichen ÄiÄ;am-Charakters eine imverkermbar echte Fär¬

bung tragen und aus dem Symposion, dem Phüebos und dem Staat zu
stammen scheinen, aber gleichfalls ziemlich frei übersetzt bzw. paraphra¬
siert sind. Im Gegensatz zu den sklavisch-wörtlichen Übersetzungen
eines Abü Bisr, die bei aller monströsen Entstellung des Sinnes manch¬
mal noch gewisse Rückschlüsse auf die zugrundeliegende griechische Text¬

gestalt erlauben^, werden also Hunains Exzerpte für die Zwecke des
klassischen Philologen nur wenig ergiebig sein. Um so mehr hat der
Arabist imd Islamist Grund, sich mit ihnen zu befassen. Zunächst wird

es vor allem darum gehen, das „kuriose Buch" des Hunain, dessen Her¬

ausgabe Steinschneider' und andere als dringend erwünscht bezeichnet


haben, aus den Bruchstücken der Istanbuler Nawädir-Auszüge, der Ädäb
des Ansäri und vermutlich noch anderer handschriftlicher Quellen* in

einer Fassung wiederherzustellen, die seiner arabischen Urgestalt so weit

wie irgend möglich entspricht. Ist das einmal getan, dann erst wird den
vielfältigen allgemeinen Anregungen und Fragen nachzugehen sein,
welche diese „Kostbarkeiten der griechischen Dichter und Weisen" in
arabischem Gewände uns bieten. Denn nicht oft können wir so genau

verfolgen, wie echt griechisches Geistesgut anfänglich noch beinahe un¬


verfälscht in die arabisch-islamische Welt hinein fortwirkt, dann all¬

mählich ausgeschieden oder aber gänzlich umgeformt wird, um schlie߬


lich, fast bis zur Unkenntlichkeit entstellt, sogar im mittelalterlichen
Abendlande wieder aufzutauchen. — ,,Sind es die Werke oder die Men¬

schen, welche die Auswahl treffen ... ?"

1 Übers, von W. Nestle, Der Pessimismus und seine Überwindung bei


den Griechen (1924) in: Griechische Weltanschauung in ihrer Bedeutung für
die Gegenwart, Stuttgart 1946, S. 185, dort zahlreiche weitere Parallelen.
2 VgL Teil I S. 267 f.
' Die hebräischen Übersetzungen des Mittelalters, Berlin 189.S, S. 348; vgl.
Merkle S. 3, Bergsträsser, OLZ 26, 1923, Sp. 26f. und andere.
* Unter diesen scheinen Bodl. nr. 349, 4/5 (Catal. II Nicoll p. 344f.) und
John Rylands Libr. nr. 783 ( = Bibl. Lindesiana nr. 484, Catal. Mingana
Sp. 1067) wegen ihrer Auszüge aus griechischen Philosophen und Dichtem
300 Jörg Kraemer

Das Hauptproblem, vor das diese bemerkenswerten Fragmente in der

nun wieder erkennbaren Originalgestalt der Naivädir al-faläsifa uns


stellen, nämlich das ihrer unmittelbaren oder wenigstens mittelbaren

griechischen Quellen, erfordert eine eigene Untersuchung. Eines jedoch


läßt sich schon jetzt sagen. Die Auszüge Hunains aus griechischen

Schriftstellern, die ja mit der umfangreichen ,, Bibliothek" des byzan¬


tinischen Patriarchen Photios (gest. um 891)' etwa gleichzeitig sind,
können kaum etwas anderes darstellen als die arabischen Ausläufer

spätantiker doxographischer und vor allem gnomologischer Tradition.


Für die philosophischen Stücke mag es im Hinblick auf Hunains um¬

fassende Kenntnis der ihm noch zugänglichen Originale notwendig


erscheinen, das durch genauen Vergleich im einzelnen nachzuweisen. Bei
den Dichterzitaten aber, mit denen wir es hier allein zu tun haben, kommt
nur sekundäre Vermittlung in Frage. Denn daß Hunain z. B. den eben

genannten Vers des Euripides aus dessen uns heute verlorener Tragödie
Kresphontes, in welcher er nach Ciceros Zeugnis^ einmal gestanden hat,
noch selbst entnommen hätte, ist von vornherein ausgeschlossen. Viel¬

mehr muß ihm das Zitat, ebenso wie viele andere seiner Nawädir, durch
eines jener zahllosen Florüegien zugekommen sein, von denen die
griechische Literatur der Spätantike geradezu überquUlt'. Durch eine
Reihe von solchen Anthologien, darunter die des Clemens Alexandrinus*
aus dem dritten und des Johannes Stobaios* aus dem fünften Jahr-

besondere Aufmerksamkeit zu verdienen. Ob hier jedoch Teile aus Hvmains


Buch oder aus anderen arabischen Sentenzensammlungen vorliegen, habe
ich noch nicht feststellen können.
1 ed. I. Bekker I. II, Berlin 1824—25. Irgendwelche ParaUelen zu
Hvmains Naivädir habe ich dort bisher nicht gefunden.
2 Tuscul. Disput. 1,48, 115.
3 Zu dem „dornenvollen Arbeitsgebiet" der Gnomologien, das vor allem
die zahlreichen in Bonner üniversitätsprogrammen verstreuten Unter¬
suchungen A. Elters erschlossen haben, s. den vortrefflich unterrichtenden
Artikel Onome von K. Horna und K. v. Frvtz in R E Suppl. Bd. VI, 1935,
Sp. 74—89. Vom orientalistischen Standpunkt aus behandelt die Einwirkung
dieses „easily comprehensible and condensed wisdom" auf das „congenial
feeling" der Syrer und Araber knapp und treffend Fr. Rosenthal in seiner
ausgezeichneten Abhandlimg On the knowledge of Plato's Philosophy in the
Islamic World, Islamic Cultme Bd. 14, 1940, p. 394. Zur griechischen Ka-
tenen- und Florilegienliteratur der Patristik s. M. Grabmann, Die Oesch. der
scholast. Methode I, Freiburg 1909, S. 114—16.
* Stromata III cap. Ill § 15,2 (ed. O. Stählin Bd. II, Leipzig 1906, p. 202).
' Flor. IV cap. 52b, 42 (Io. Stobaei Anthologium rec. Wachsmvjth-Hense
vol. V, Berlin 1912, p. 1085). Weitere Nachweise s. bei Nauck, Frgm. 449
und bei A. Elteb, DeOnomologiorum Graec. historia atque origine commentatio
I, Bonner Kaiserprogramm 1893, Sp. 56 (zu Plutarch De audiendis poetis cap.
14, p. 36 F).
Arabische Homerverse 301

hundert, ist der Vers eben auch uns erhalten. Sichere sonstige Spuren in
den Nawädir al-faläsifa aber, die gerade auf eine dieser beiden oder auf
eme ähnliche griechische Sammlung als die bestimmte Quelle Hunains

hinweisen würden, habe ich bisher nicht gefunden. — Das gilt, wie
bereits erwähnt (S. 290), für die ,, Homerica" nnserer Nawädirtexte in

ganz besonderem Maße. Daß sie sämtlich bloße Erfindungen des Hunain
oder auch eines Vorgängers von ihm darstellen, ist angesichts der son¬

stigen unzweifelhaft echten griechischen Zitate, die wir kennengelernt


haben, sehr unwahrscheinlich. Bei der schier unermeßlichen Auswahl,
die das riesige Trümmerfeld der antiken Gnomologien uns noch heute

bietet und die damals, im neimten Jahrhimdert, erst recht geboten war,
ist eine mehr oder minder selbständige Sammlertätigkeit einem Manne
wie Hunain ibn Ishäq durchaus zuzutrauen. Dabei könnte er die ver¬

einzelt unter den übrigen hikam verstreuten Homersprüche aus den ihm

vorliegenden griechischen Exzerptensammlungen wiederum ausgelesen


haben, ohne sie zunächst einem bestimmten Verfasser zuzuschreiben.

Der Name des berühmten ,, Weisen" Ümirüs könnte dann nachträglich


von einem späteren Abschreiber oder Interpolator hinzugefügt worden
sein, wobei das aus der Kompilatorenpraxis nur zu bekannte ,, Herunter¬
rutschen oder Hinaufziehen von Lemmaten'" auch hier eine beträcht¬

liche Rolle gespielt haben mag. Längere Abschnitte dagegen, wie vor
allem den umfänglichen Passus Blatt 46 a bis 47 b unter der Überschrift
3Iin kaläm al-hukamä', wird Hunain, unter wessen Namen immer, aus

irgendeinem noch ausfindig zu machenden spätantiken Sentenzenwerk


als Ganzes herübergenommen haben^. Hier ist es schon eher denkbar,
daß er den Namen Homers bereits vorgefunden oder auch selber hinzu¬

gesetzt hat. Ähnlich also wie der weit berühmtere Aristoteles bei den
Arabern als „Verfasser" des pseudepigraphen, aber immerhin noch aus

spätgriechischen Quellenschriften kompilierten Liber de causis^, der

^ C. Wachsmuth, Studiev, zu den griechischen Florilegien, Berlin 1882,


S. 108; zur Aushebung zusammenhängender Gruppen aus größeren Sammlun¬
gen ebenda 120.
2 Nacli gewissen Spuren zu schließen, könnte eine, allerdings stark um¬
gestaltete, Überlieferung der Sprüche und Spruchverse der sieben Weisen
(s. Stobaios fior. III cap. 1, 172f. Henso; E. Wölfflin, Sitz. ber. Bay. Akad.
1886, S. 287—98 usw.) als Quelle mit in Frage kommen. Eine endgültige
Lösung der Frage hängt jedoch davon ab, daß das gesamte ,, antike"
Spruchgut der Nawädir, unter sorgfältiger Sonderung der Spreu vom Weizen,
eingehend mit der ganzen uns erhaltenen griechischen, byzantinischen und
auoh latehiischen Sentenzenliteratur (Publilius Syrus usw.) verglichen wird.
Eine besondere Untersuchung hierüber, die der Bearbeitung des Themas
„Fortwirken griechischer Spruchdichtimg im Arabischen" gleichkommt,
wird zur Zeit in einer Tübinger Dissertation vorbereitet.
3 Ed. O. Babdenheweb, Freiburg 1882; jetzt auch bei 'A. Badawi, AI-
302 JÖBG Kbaemeb

sogenannten Theologie des Aristoteles^ oder des Liber de pomo^ begegnet,

wäre hier der Name Homers einem zwar nicht aus seinen Epen geschöpf¬
ten, aber immerhin noch griechischen Schatz von Apophthegmen,
geflügelten Worten und sonstigen Redensarten, kurz eben von Gnomen
beigelegt worden.

Für den spätantiken und selbst den mittelalterlich-byzantinischen

Bereich wäre eine solche Unterschiebung kaum denkbar ; im Orient aber,


und zwar im christlichen sowohl wie vor allem im islamischen, war sie
ohne weiteres möglich. Und dort läßt sie sich auch, für einen besonderen
Fall wenigstens, aus einer viel späteren arabischen Quelle nachweisen.

Die schon lange bekannte, aber noch immer nicht herausgegebene


Nuzhat al-arwäh wa-raudat al-afräh des Samsaddin Muhammad ibn

Mahmüd as- Sahrazüri aus dem 7./13. Jahrhundert enthält wie die meisten
Spruch- und Weisheitssammlungen ihrer Art auch einen Artikel über
Homer, der zwischen Hippokrates und Solon, in der von mir benützten
Berlmer Handschrift Or. Oct. 217 (Ahlwardt 10 055) auf Blatt 96a bis
100b', eingereiht ist. Auf ein paar .ßiosnotizen, in die sich vielleicht auch
gewisse Reste der antiken Legende vom fahrenden Sänger Homer*
hineinverirrt haben, und auf die übliche Masse von /tiÄ;am und ädäb,
unter denen auch das uns schon bekaimte lä haira fi katrat ar-ru'asä'
(= Ilias II 204; Bl. 96 b unten) nicht fehlt, folgt Blatt 98 b 11 ohne weitere

Kennzeichnung im Text ein Abschnitt hädihi muqatta'ät Si'r ihi ,,das


sind Fragmente seiner Dichtung". Die darin enthaltenen Sprüche, deren
ich insgesamt 109 zähle, unterscheiden sich nun von den vorausgehenden,
meist recht langatmigen Anekdoten, Lebensregeln und ähnlichen Sen-

Aflätünlya al-muhdata 'inda l-'Arab (Diräsät islämiya Bd. 19), Kairo 1955,
p. 1—33.
1 Die längst nicht mehr genügende Ausgabe und Übersetzung von F.
Dietebici, Leipzig 1882—83, ist leider noch immer nicht ersetzt. Für die
vielbehandelte Frage des Ursprunges des merkwürdigen Buches hat un¬
längst W. Kutsch eine überraschende, im einzelnen freilich auf ihre Stich¬
haltigkeit noch nachzuprüfende Deutung gegeben : Ein arabisches Bruchstilch
aus Porphyrios ( ?) Trepl Tux^C und die Frage des Verfassers der „ Theologie des
Aristoteles", M61. Univ. St. Joseph, Bd. 31, Beyrouth 1954, p. 265—86.
2 s. S. 294, Anm. 4.
3 Damit identisch ist Ms Landberg 430 (Ahlw. 10 056), Bl. 38 a/b. Zu weite¬
ren Handschriften des Werkes imd zum Verfasser s. Br. G'' I 617 mit S I 851,
die Angaben des Leidener Kataloges Bd. III nr. 1488, A. Müxleb in ZDMG
31, 1877, S. 507ff. und F. Rosenthal, Orientalia 6, 1937, S. 26£f.
■*Vitae Homeri et Hesiodi usw. ed. Wilamowitz (Kleine Texte f. Vorl. und
Übungen nr. 137), Berlin 1916; vgl. Wilam., Homer, der fahrende Dichter in
Reden und Vorträge Bd. I, 1925, S. 83—102 und W. Schadewaldt, Legende
von Homer dem fahrenden Sänger, Leipzig 1942 (mit wertvollem Kommentar),
Potsdam ^1948. — Die von mir vermuteten Anklänge bei Sahrazüri und
Arabische Homerverse 303

tenzen zunächst durch ihre größere Prägnanz, womit sie sowolil der

angeblich aristotelischen Forderung nach iqläl ft igäz wa-sawäb ma'a


sur'at gawäb^ als auch der Definition eines Sinnspruches durch den

Sprichwörtersammler Abü 'Ubald (gest. 837) als igäz al-lafz wa-isäbat


al-ma'nä wa-husn at-taSbih^ entsprechen. Dafür kurz ein paar Beispiele
(ich numeriere nach meiner durchlaufenden Zählung) :

(24) Muhibbü l-mäli laisat lahum hurriya — ,,die Geldgierigen besitzen


keine Freiheit".

(48) Inna t-tabi'ata lä tatliqu r-riyäsata li-n-nisa" — „die Natur gibt die
Herrschaft nicht den Frauen preis".

(54) Idä saqatat sagaratun ihtatdba kullu man aräda — ,,ist ein Baum
gefallen, holt jeder, der will, sich Brennholz".

(71) Isbir 'alä l-huzni wa-l-madarrati sabran sadidan — ,, ertrage die


Traurigkeit und den Schaden mit fester Geduld".

(81) Inna Iläha sami'un li-du'äH l-haqq — ,,Gott hört das rechte Gebet".

Das klingt, zumindest zum Schluss, gut islamisch. Trotzdem sind


die sämtlichen Weisheitssprüche dieses Abschnittes, weim auch keines¬

wegs homerisch, so doch jedenfalls gut griechisch. Sie stammen, wie eine
genaue Prüfung jedes einzelnen Fragmentes ergeben hat, bis auf etwa
fünfzehn, die ich noch nicht sicher habe nachweisen köimen, aus der

nach dem griechischen Alphabet angeordneten Sammlung von iam-


bischen Trimetern, die unter dem Titel MevdvSpou rvwjjiai. [jiov6ctti.xoi'
überliefert ist. Für dieses einst wohl am weitesten verbreitete und viel¬

fach erforschte spätgriechische Gnomologium hat der Name des berühm¬


ten attischen Komödiendichters Menander (4. Jahrhundert vor Chr.)

lediglich als ein großes Sammelbecken gedient, in das Ströme und Rinn¬

anderen arabischen SchriftsteUem sind nur sehr allgemeiner Natur imd körm¬
ten auch auf gewisse typische Züge der antiken Biographie und Prosopogra¬
phie zurücl<geführt werden.
1 Hunam, Ädäb al-fal.. Esc. 760, BI. 26b paen. (vgl. Loew. S. III nr. 25)
als Definition der baläga. Der Ausspruch kehrt wieder bei Mubassir, Berlin
Qu. 785, Bl. 194b 2 und bei Sahrazüri, Oct. 217, Bl. 81a 3 v. u.
" Zitiert bei B. Sellheim, Die klassisch-arabischen Sprichwörtersammlun¬
gen insbes. die des Abü 'Ubaid, 's-Gravenhage 1954, S. 9 Mitte.
3 Ed. A. Meineke in Fragmenta Comicorum öraeeorum vol. IV, Berlüi
1841, p. 340—374 mit Nachträgen in vol. V, 1857, p. CCXCIV-CCCIV.
Nach der Numerierung dieser Ausgabe, die, soweit mir bekannt, bis heute
nicht ersetzt ist, wird ün folgenden (als [Men.] Mon.) stets zitiert. Die Ver¬
besserungen Meinekes und anderer zum griechischen Text habe ich dann im-
berücksichtigt gelassen, wenn die arabische Übersetzung offensichtlich die
überheferte, sei es auch metrisch oder sonstwie anstößige, griechische Lesart
wiedergibt. Blosse Abschreibefehler des Arabischen sind in der Regel still¬
schweigend verbessert.
304 JÖBG Kbaemeb

sale der verschiedensten Herkunft zusammengeflossen sind. Doch muß


die Redaktion schon verhältnismäßig früh erfolgt sein, weil sich einzelne
Gnomen daraus mit der Unterschrift ,,von Menander" bereits auf einem

Papyrusbruchstück des zweiten oder dritten Jahrhunderts n. Chr.

finden'. Um einen Kern von prägnanten, scharf zugespitzten Spruch¬


versen aus echt mcnandrischen Stücken haben sich da einerseits viele

dürre Alltagsweisheiten angesammelt ; andrerseits aber sind auch Perlen

aus verlorenen Dramen der großen Tragiker darunter — Perlen freilich,

die in dieser Umgebung und als bloße Einzelsentenzen (,,Monosticha")


aus ihrem natürlichen Zusammenhang losgerissen, viel von ihrem ur¬
sprünglichen Glänze eingebüßt haben. Gerade Euripides, dessen
Tragödien den späteren Sentenzensammlern als eine wahre Rüstkammer

nützlicher Redewendungen und allgemeiner Lebenserfahrung gedient


haben, ist besonders häufig vertreten. Aber wüßten wir es nicht, würden
wir gleich in dem ersten solchen Zitat bei Sahrazüri, nämlich in nr. 23

Ar-ragulu l-hairu lä yubgidu l-haira abadan = Men. Mon. 28 'AvY)p Se


XpTQCTTÖ? /pTjCTTÖv OU (AiCTst TOTe kaum ein Bruchstück aus der Tragödie
Bellerophontes (Frgm. 296,1 Nauck) vermuten. Auch für die ungewohnt
wortreiche, sonst aber ganz zutreffende arabische Wiedergabe nr. 75
Inna l-gü'a wa-l-faqra yaqta'äni l-Hsq, al-HSqu ma'a s-sabaH lä ma'a
l-gü' müssen wir erst das hier wesentlich knappere Original Men. Mon. 159

cv n'kriGy.ovy] toi KuTTpi?, ev toivwcti S' ou zu Hilfe nehmen, um dieses als

den von griechischen Schriftstellern besonders häufig zitierten Euripides¬


vers unbekannter Herkunft Frgm. 895 N^ nachzuweisen. Schon eher

griechisch wirkt dagegen nr. 39 Al-ardu talidu kulla SaPin tumma


tastaridduh = Men. Mon. 89 (cf. 539, 668): yT] TtdvTa tixtei xal TiaXtv

xofxi^cTai, was wohl nur eine Umformung des euripideischen aT^avTa


TtxTci x^"^ TTaXiv T£ Xafxßocvci (Frgm. 195 N, aus der Antiope) darstellt

und auch in dem trochäischen Tetrameter ,, terra gentis omnis peperit et


resumit denuo" des Ennius' nachklingt.

So könnte ich nun fortfahren. Aber bevor ich weitere von diesen pseudo¬
homerischen Menandrea, Euripidea usw. aus arabischen Spruchsammlun¬

gen mitteile, sind die griechischen Originale der zu Beginn genannten fünf
arabischen Zitate noch nachzutragen. Es sind, in der Reihenfolge wie oben,

' K. Kalbfleisch, MevdtvSpou Tvcöjjiat in Hermes Bd. 63, 1928, S. 99—103;


vgl. ein Ostrakon des 2. Jh.s (aber ohne Nennung Menanders) bei A. Köbte,
Archiv für Papyrusforschung Bd. 8, 1927, S. 259—61.
^ (Wo TTEivüvTi. statt des neiväai der Monosticha). Solche kleineren Ver¬
schiedenheiten bleiben von nun an, wenn sie nicht für das Arabische irgend¬
wie von Belang erscheinen, unberücksichtigt ; maßgebend ist hier für gewöhn¬
lich die Fassung, welche die Monosticha bieten.
^ Q. Enni Carmina Reliquiae ed. Luc. Muellee, Petropoli 1884, p. 78
(epicharmisch ? s. Diels-Kbanz, Vorsokr. V, S. 206 nr. 52).
Arabische Homerverse 305

m-. (24) = Man. Mon. 36 aveXeu^epoi ydp eiaiv oi 9iXdpyupoi,


nr. (48) = Men. Mon. 100 yuvaixi' S' dpxeiv ou SiSwcrtv t) cpÜGi-Q,
nr. (54) = Men. Mon. 123 Spuoi; TOaoucnf)? Tra? ävy)p ^uXeuexai,
nr. (71) = Men. Mon. 151 eveyxe XuTCTgv xal ßXdßyjv eppw^JLevwi;,*

und endlich hat auch der so islamisch aussehende Spruch nr. (81) „Gott
erhört das rechte Gebet" in der Menandergnome 146 eü/Y]? Stxaia? oux

ävYjxoo? ^so?' sein genaues Vorbild.


Vergleicht man die griechischen Anfangsbuchstaben der bisher ange¬
führten Verse, so lassen schon diese wenigen Zitate erkennen, daß bei

Sahrazüri keine vollständige Wiedergabe von MevdvSpou y vwjxat vorliegt,

sondern nur ein Bruchstück aus dem Anfang der Sammlung. Dieses
Bruchstück beginnt Blatt 96 b 11 mit fa-rfa' min 'umrika mä yuh,zinuka

,, entferne von deinem Leben, was dich traurig macht"; das entspricht
Men. Mon. 3 'Ael tö Xutcoüv exSlwxs toü ßwu*. Die letzte Sentenz, mit
der auch der Homerabschnitt selbst zu Endeist, steht auf Blatt 100 b 11

und lautet Musä'adatu l-aSräri 'alä fiHihim kuf run bi-lläh „den Bösen
bei ihrem Tun zu helfen ist Gotteslästerung", was nur eine, allerdings
etwas mißverstandene, Ubersetzung von Men. Mon. 255 0eoü ÖveiSo?
toÜ? xaxoü? euSatfioveiv* sein kann. Daraus ebenso wie aus einer Prüfung
der Zitate selbst geht hervor, daß das bei Sahrazüri erhaltene Fragment

ausgewählte Verse aus den Buchstaben von A bis 0 des zu Grunde liegen¬
den griechischen Gnomologiums umfaßt. Mit Hilfe von Sahrazüris
Nuzhat al-arwäh allein könnte also der Versuch, die in arabischer Über¬

lieferung als ,, homerisch" umlaufenden Menandersprüche so weit wie


möglich wiederherzustellen, nur zu einem Teilergebnis führen.
Nun ist aber längst bekannt, daß der im dreizehnten Jahrhundert
schreibende Sahrazüri sein Buch fast ausschließlich aus älteren arabi¬

schen Vorlagen kompiliert hat. Als seine hauptsächlichen QueUen hat

Hier könnte in der Vorlage des Arabers yuwiZ.l gestanden haben.


" Ob hierfür wirklich mit A. Nauck, Mel. Oreco-Romains II, St. Peters¬
bourg 1859, S. 188, Anm. 4, in Anlehnung an Menander, Com. IV p. 242
Mein. ( = Frgm. 556,1 Kock/634,1 Körte) eüaxriixövco? zu lesen ist, lasse ich
dahingestellt. Das Arabische weist eher auf die erstere Lesart.
* Nauck vergleicht damit als „haud dissimilis" das Aischylosfragment
(Incert. fab.) nr. 301 äTtary)? StKaia? oüx dTcoaxaTEi S-e6?.
" Dies ist ausnahmsweise ein echtes Menanderzitat, nämlich aus der Ko¬
mödie Plokion, s. Com. IV p. 194 Mein. = Comicorum Atticorum Fragmenta
ed. Th. Kock, vol. III, Lipsiae 1888 (danach werden im folgenden Komiker¬
verse imt dem Zusatz K[ock] zitiert), Frgm. 410,1 = Menandri quae super¬
sunt P. II ed. A. KÖBTB (zit. „Kö"), Lipsiae 1953, Frgm. 340,1.
^ Von Nauck (mit der, durch das Arabische nicht bestätigten, Konjektm
Meinekes in -i^Etöv SvetSo? . . .) unter die Tragikerverse imbekannter Her¬
kunft aufgenommen, s. Trag. Graec. Fragm.^ p. 898, Adespota nr. 313.

21 ZDMG 106/2
306 JöBO Kbaemeb

Rosenthal den Muhtär al-hikam des Mubaälir und die Tatimmat Siwän

al-hikma des Zahiraddin al-Baihaql festgestellt'. In der oben (S. 290)


schon erwähnten Spruchsammlung des ersteren finden sich, jedenfalls

unter dem Stichwort Homer, keinerlei Spuren von MevdvSpou yvwjxai ;


die Gelehrtengeschichte des letzteren, meist ungenau Ta'rih hukamä'
al-isläm^ genannt, behandelt Homer überhaupt nicht. Das verweist uns

auf Baihaqis Quelle, zu welcher dessen Werk ja nur eine Ergänzung


(tatimma) darstellt, nämlich auf das Kitäb Siwän al-hikma des um 985

verstorbenen' Abü Sulaimän Muhammad ibn Tähir ibn Bahräm as-Sigzi


(-Sigistäni) al-Mantiqi. Dieses Buch wird, wenn es einmal vollständig
wiederaufgefunden und zugänglich gemacht ist, unsere Kenntnis des

Geisteslebens im 4./10. Jahrhundert, dem Jahrhundert der „Renaissance


des Islams", höchstwahrscheinlich entscheidend bereichern. Für unser

Thema genügt es, das Urteil des großen islamischen Theologen und
Polyhistors Fahraddin Räzi (gest. 1209) anzuführen, daß der Siwän
al-hikma im Gegensatz zu dem ganz von ihm abhängigen, aber unzuver¬
lässigen Kitäb al-Milal wa-n-nihal des Sahrastäni (gest. 1153) die Be¬
richte über die Lehren der (alten) Phüosophen ,, vollständig" enthalten
habe*. Da Homer aber für die Araber, wie übrigens schon für die

Griechen der Spätzeit, längst zu einem der ,, alten Weisen" geworden


war, dürfen wir hoff'en, bei AbO Sulaimän al-Mantiqi über ihn imd die

ihm zugeschriebenen Verse weiteren Aufschluß zu erhalten.

Den Bemühungen M. Plessnebs* verdanken wir die Auffindung und


erste Beschreibung zwar nicht des Siwän al-hikma selbst, aber eines

1 Orientalia 6, 1937, S. 27.


" So lautet auch der Titel der jetzt maßgebenden, auf Grimd von Berlin
nr. 10052 (Peterm. II 737) hergestellten Ausgabe von Muhammad Kmd 'Ali,
Damaskus 1946, die mir mein Kollege A.Dietrich aus Damaskus freundhchst
zugänglich gemacht hat.
3 Dieses Todesdatum nennt S. M. Stebn in seinem Artikel in der neuen
Encyclopaedia of Islam (I 151), der als solcher zu begrüßen, inhaltlich aber
aUzu knapp und allgemein gehalten ist. Eine grimdliche Monographie über
Abü Sulaimän und sein ,, System", das mir keineswegs nur ,,a strong Neo-
platonic colouring" gehabt zu haben scheint, bleibt dringend erforderlich.
Wertvolle Vorarbeiten dazu bietet D. S. Mabgoliottth, Some Extracts from
the Kitdb al-Imtä' wal-Mu'änasah of Abü Hayyän Tauhidi, Islamica II, 1926,
S. 380—90 (das dort behandelte Werk des Abü Haiyän jetzt in zweiter Auf¬
lage, Kairo 1953).
* Wa-ammä hikäyät ahwäl al-faläsifa fa-l-kitäb al-wäfi bihä huwa l-kitäb
al-musammä bi-Siwän al-hikma wa-ä-Sahrastäni naqala iai'an qalilan minh:
P. Kbaus, Les „Controverses" de Fakhr al-Din Räzi, Bull, de ITnstitut
d'figypte T. 19, 1936—37, p. 212f., of. 206f.
' Beiträge zur islamischen Literaturgeschichte I, nr. XXVII, Islamica Bd.
rv, 1931, S. 534—38; Zur Oeschichte der Wissenschaften im Islam (Vortrags¬
notiz), Actes du XVIIP Congres Int. des Or., Leiden 1931, S. 234.
Arabische Homerverse 307

umfangreichen Kompendiums davon, für das die Bezeichnung Muhtasar


oder Muntahab Siwän al-hikma (von mir im folgenden als Muntahab
zitiert) gebräuchlich ist. Auf die Wichtigkeit des Werkes und vor allem
seiner bio- und doxographischen Nachrichten über die antiken Philo¬

sophen haben in der Folgezeit außer Plessner selbst noch P. Kraus',


F. Rosenthal^ und jüngst besonders D. M. Dunlop' nachdrücklich

hingewiesen; seine Herausgabe bildet aber noch immer das vieUeicht


dringendste Desiderat der arabisch-griechischen Studien*. So schulde
ich D. M. Dunlop großen Dank, daß er mir auf meine Bitte sofort eme

Photokopie des Homerabschnittes aus der ilfMwtoÄaö-Handschrift des


Britischen Museums (Or. 9033) zur Verfügung gesteUt hat. Was dort
über Ümirus aS-SäSr berichtet vnrd, steht auf Blatt 35a bis 37 b. Nach

einer ziemlich kurzen Einleitung über die Berühmtheit des Dichters imd

seines Dltvän Si'r bei den Alten folgen außer dem, wie üblich mono¬

theistisch gedeuteten, lä haira fl katrat ar-ru'asä' einige wenige Weisheits¬


sprüche der bekannten Art, die ohne Interesse sind. Danach steht
Blatt 35b 10, ohne Absatz im Text, folgendes:

Wa-hädihl ba'du muqatta'ätin min aS'äri Ümirus allati tusammä 1^1


fiJiä ma'änin hasanatun wa-tartlhuhä 'alä tartlbi hurüfi l-Yünäniyln,
naqalahä Istafän ilä l-'arablya. Das vorstehend nicht transkribierte Wort

ist unzweifelhaft 1^.1 = l'a[i,ßoi.* zu lesen, so daß wir übersetzen können:

1 S. oben S. 306, Anm. 4.


* Orientalia 6, 1937, S. 27, Anm. 3 und vor allem Ishäq b. Hunayn's
Ta'rih al-atibbä', Oriens 7, 1954, S. 59 („its crucial importance for Graeco-
Arabic studies") und öfter.
' Biographical Material from the Siwän al-Hikmah, in Proceedings of the
23^'^ Intern. Congress of Or., Cambridge 1954 (1956), und ausführlicher in JR
AS (erscheint 1957). Die beiden wichtigen Artikel, in denen der Hinweis auf
Porphyrs C>iX60O9O(; laxopta als wahrscheinliche Quelle des Abü Sulaimän
besondere Beachtimg verdient, habe ich dank der Liebenswürdigkeit des
Verfassers bereits im Manuskript keimenlernen dürfen.
* So, mit ausdrücklicher Voranstellimg der arabischen Komponente,
möchte ich die Themenstellung für diese wie für spätere ähnliche Arbeiten
unoreissen. Geht man umgekehrt aUzusehr von den Belangen der klassischen
Altertumswissenschaft — womöglich gar von dem Bestreben der Wieder¬
herstellung oder Emendation griechischer Texte — aus, dann kaim der Er¬
trag für die Islamwissenschaft, die allgemeine Kulturgeschichte und letzthch
für die klassische Philologie selbst nur dürftig sein. — In diesem Zusammen¬
hang sei auch auf die beherzigenswerten Ausführungen über Hellenistisches
Denken im Islam aufmerksam gemacht, in denen B. Spuler, Saeculmn
Bd. 5, 1954, S. 179—93, von mehr allgemeinen Gesichtspunkten ausgehend,
zu ähnlichen methodischen Folgerungen für die Erkenntnis eines „eigenen,
nicht ledighch an Antike und Emopa zu messenden Weges" der islamischen
Welt gelangt.
* Griechisch ta|ißoi bzw. tajißo; als selbständiges Wort oder in Zusammen¬
setzungen wird in der Poetikübersetzung des Abü BiSr regelmäßig mit .f^.,
21*
308 Jörg Kraemer

„Und das sind einige Fragmente von den 'lamben' genannten Dichtungen
des Homer, in welchen schöne Ausdrücke stehen und die nach dem Alpha¬
bet der Griechen angeordnet sind. Stephanos' hat sie ins Arabische

übertragen". Was folgt, sind, wie nicht anders zu erwarten, MevavSpou


rvcöji.at, nun aber viel mehr als bei Sahrazüri. Von Blatt 35 b 12 bis zum

Ende des Abschnittes auf Blatt 37 b 19 zähle ich 212 Sprüche. Sie begin¬
nen mit Yanbagl li-l-insäni an yafhama {l-)umüra l-insäniya = Men.
Mon. 1 "AvO-pcoTtov Övra Sei tppoveiiv TavS-p cotti, va^ und enden mit Mä

aladda l-gimä'a wa-aktara ahzänah ,, Welche Wonne bringt die geschlecht¬

liche Vereinigung, und wie zahlreich sind (doch) ihre Kümmernisse", was
eine nicht ungeschickte, nur ein wenig mehr ins Eindeutige gewandte

Wiedergabe von Men. Mon. 754 TioXXd Sii Ta? rjSova? Xu7roij;i.£&a
darstellt.

Hier haben wir also, ira Unterschied zu Sahrazüri, eine Bearbeitung


der ganzen Spruchsararalung von A bis H vor uns ; allerdings, wie sich

sofort zeigt, auch keine lückenlose. Denn schon die Zusammenstellung


von A. Meineke aus dera Jahre 1841', nach der wir noch immer zitieren

müssen, enthält rait ihren drei Suppleraenten insgesarat 758 Verse;


andere, die er als zu ,, barbarisch" weggelassen hatte*, und vor allem die
Funde späterer Forscher* erhöhen diese Zahl noch beträchtlich. Die

oder auch j'.^l^.l wiedergegeben; einmal (für ia!xßo[TToLriCTa(;] in Poet. 22.


1458b 9) steht dafür auch (so, mit n mid mit Alif am Ende), s. Margol.
Anal. 61,5 / Tkatsch 270,14 / Badawi Si'r 133,15. — Zur Transkription von
griechisch ot durch ü s. Nöldeke, Syr. Granunatik *1898, § 89.
1 Damit scheint, nach einer glücklichen Vermutung D. M. Dunlops,
Stephanos ibn Basil(eios) gemeint zu sein, der sonst als Übersetzer medizi¬
nischer imd pharmakologischer Werke bekannt ist (GAL S I 370). Seine
Galen- und Dioskoridesübersetzungen hat Hunain ibn Ishäq revidiert, s.
H. b. I. über die syr. und arab. Galen-Übersetzungen ed. G. Bergsträsser,
ÄKMXVII/2, 1925, S. 24,1fr.; 25,6f.; 35,9 und öfter, vgl. 290,9 FL;
Ibn a. U?aibai'a I 189,13, II 46 uit. f. — Stephanos wird, meist im Zusammen¬
hang mit Hunain, auch sonst erwälmt, s. Ibn al-Qifti ed. Lippert, Index und
bei Ibn a. U§aibi'a noch I 204, wo auch Basil al-Maträn, wohl sem Vater,
genannt ist. Natürlich war Basileios Christ, wie Hunain und die meisten
Übersetzer. 2 = Fragm. Trag. Adespota nr. 308 (Nauck p. 898).
= S. oben S. 303, Anm. 3.
* Aus der Sammlung J. Fr. Boissonadbs in Anecdota Graeca 1, Paris 1829,
p. 153—160 (vgl. Fragm. Com. Graec. IV, p. 357, Anm.). Daraus stammt z. B.
der Spruch Muntahab nr. 209 Mä aladda dikra l-ma.^äHbi 'inda man salima
minhä = Boiss. p. 159: -JjSü tü ctojä^vti [xz[i.'ir,cs^a.i. ttävcov.
N. Piccolos, Suppl. ä VAnthologie Grecque, Paris 1853, p. 227—32;
Wilh. Meyer, Die Urbinatische Sammlung von Spruchversen des Menander,
Euripides und Anderer, Abh. Bay. Akad. Bd. XV, 1881, S. 397—449 (mit
wertvoller Einleitmig über die früheren Sammlmigen) ; ders., Nachlese zu den
Spruchversen des Menander und Anderer, Sitz.ber. Bay. Akad. 1890 II, S.
355—80; L. Sternbach, Menandrea, Abh. Krakauer Akad. Bd. XV, 1891,
Arabische Homerverse 309

Grundsätze, von denen der Kompilator des Muntahab sich bei seiner
Auswahl offenbar hat leiten lassen, können wir in einem Falle noch

besonders deutlich verfolgen. Als nr. 92 nämlich gibt er den gut islamisch
klingenden Spruch Men. Mon. 246 ^ugIx \icyiar7] tw •&£w to y' euaeßeiv
korrekt wieder mit A'zamu l-qurbäni ilä Ilähi husnu l-imän „das wich¬

tigste Opfer für Gott ist gute (Recht)gläubigkeit". Darauf folgt als
nr. 93 Inna hulqa l-mar'ati ardä min ahläqi gamiH s-sibä' „die Natur des
Weibes ist verderbhcher als die aller wüden Tiere", was Men. Mon. 248

S-Tjpwv (XTrdvTWV aypitOT^pa yuvT)' entspricht. Der dazwischen stehende


Vers, das ganz und gar unislamisch klingende ^sw (j.axeci-9-a(, Ssivov ectti
xai TÜXTl Mß"-- ^on. 247'', ist ausgelassen. Aber auch dieses Zitat muß auf
arabisch, und zwar höchstwahrscheinlich im Grundwerk des Muntahab,
d. h. im Siwän al-hikma selbst, einmal vorhanden gewesen sein. Denn es

ist erhalten bei Sahrastäni, der, wie wir bereits wissen, seine Darstellung
der griechischen Lehren größtenteUs dem Werke des Abü Sulaimän al-
Mantiql verdankt. Dort, in Sahrastänis Kitäb al-Milal wa-n-nihal, hat
der klassische PhUologe A. Nauck den Vers vor schon fast hundert

Jahren entdeckt und zusammen mit 27 anderen Menandersprüchen in


einer methodisch lehrreichen, heute zu Unrecht vergessenen Peters¬
burger Alcademieabhandlung vom Jahre 1859 nachgewiesen'. Die
arabische Fassung des im Muntahab übergangenen Zitates lautet da
(Sahrast. nr. 23): Inrm l-maglüba man qätala Iläha wa-l-baht „der Unter¬
legene ist, wer gegen Gott und das Schicksal* kämpft".
S. 310ff. (nicht eingesehen); V. Jagiö, Die Menandersentenzen in der alt-
kirchenslavnschen Übersetzung, Sitz.ber. Wiener Akad. Bd. 126, 1892, VII;
K. Kalbfleisch, Hermes Bd. 63 (s. oben S. 304, Anm. 1). Von besonderer
Wichtigkeit sind weiterhin die verschiedenen Sammlimgen der sogenannten
MevävSpou xai (PiXiaTtoivo; auyxpiCTK;, die allerlei zusätzliches Spruchmaterial
beibringen : ed. GuiL. Studemund, Index Lect. in Univ. Litter. Vratislaviensi
1887; dazu Wilh. Meyeb, Die athenische Spruchrede dea Menander und
Philistion, Abh. Bay. Akad. Bd. XIX, 1892, S. 227—295. Für die Entstehung
der Monostichoi-Sammlungen überhaupt wie auch für ihre arabische Über¬
Uefenmg bedeutsam sind endlich die Gnomen des Spruchdichters Chares
(4. Jahrh. v. Chr.) ; vgl. G. A. Gebhabd, x'^pi'lToc; yvcofiai, Sitz.ber. Heidel¬
berg 1912, 13. Abh. — Zu den syrischen „Menander"sprüchen s. tmten
S. 310, Anm. 1.
1 Das ist wohl nm eine vergröbernde Umformimg des Euripides-Frag-
mentes nr. 808 N (aus dem Phoinix): x^vr] xe Ttävxtdv äypKOTaTov xax6v.
" = Adespota nr. 312 Nauck (p. 898).
' Über einige angebliche Fragmente des Homer, Bulletin de la Classe histo¬
rico-philologique de l'Academie Imperiale des Sciences de St.-Petersbourg
T. XVI, 1859, col. 433—446; wieder abgedruckt in Melanges Oreco-Romains
...de l'Acad. Imp. T. II, 1859, p. 181—199 (nach Sahrastäni trad. Haab-
BBÜCKEB II S. 142—45, d. i. p. 301, 2ff. Cubeton). Meine Numerierung dieser
Zitate folgt der Zählimg Naucks.
* Zur Wiedergabe von griech. Tiixv) dmch arab. baht vgl. noch Mon. 711
310 Jörg Kraemer

Damit haben wir immerhin drei arabische QueUen, die uns für das

Fehlen der vermutlich noch viel reichlicher fließenden Urquelle, nämlich


des Siwän al-hikma selbst, vorläufig entschädigen müssen. Da die drei
Sammlungen sich nur zum Teü überschneiden, also offenbar nicht direkt

voneinander abhängig sind, können wir die Lücken der einen durch die
Sprüche der anderen wenigstens teüweise ergänzen und so diese arabischen
,, Homer" verse zu etwa einem Drittel des bei Meineke griechisch erhal¬

tenen Bestandes zurückgewinnen. Wie schon bei Sahrazüri, so steht

auch im Muntahab und bei Sahrastäni eine Anzahl von Sprüchen, die
ich unter den uns bekannten MevdvSpou Pvtoji-ai bisher nicht habe fest¬

stellen können. Hier bedarf es noch einer genauen Vergleichung mit den
anderweitig auf griechisch und vor allem auf altkirchenslawisch um¬
laufenden Menandersentenzen', bis zu entscheiden ist, ob solche noch

unbekannten Stücke imseres arabischen Materials wirklich „neue"

Monosticha, bzw. Gnomica aus ähnlichen griechischen Sammlungen, dar¬


stellen oder ob sie als bloße Erfindungen bzw. als Hinzufügungen aus

späterer Zeit zu betrachten sind. In jedem Falle müssen für die Aufgabe,
„die ganze mittelalterliche Überlieferung der Spruchverse aufzuarbeiten
und übersichtlich darzustellen*", nun auch die arabischen Menandrea

herangezogen werden. Hier kann aus den rund 250 Sprüchen, deren
griechischer Ursprung schon jetzt mit Sicherheit nachweisbar ist,
natürlich nur eine ganz knappe Auswahl gegeben werden.
Zunächst sind wieder einige gut islamisch aussehende oder auch im
islamischen Sinne umgedeutete Sentenzen zu nennen. So ist der beinahe

koranisch klingende Spruch M(untaljab) nr. 27 Usluku t-tariqa l-musta-

Ttapouari? -zrfi xux^l? = i4ä hadara l-baht Shrst. nr. 33 (Cureton p. 301,3
V. u.); Mon. 124 Sou? xf) tOxy) • • • = in a'taita sähiba (sie) l-bahti . .. Sahra¬
züri nr. 57. Bei Birünl, India p. 193,11 (Erklänmg des Mythus von der
Stemengöttin Dike; vgl. TeU I S. 271, Amn. 1 imd 273, Anm. 3) steht al-baht
wa-l-ittifäq für den Begriff der Tiix^).
1 Vgl. oben S. 308, Anm. 4f. Viel weniger wichtig ist dagegen die Sammlung
der syrischen sog. Menandersprüche (ed. J. P. N. Land, Anecdota Syriaca
I, 1862, p. 64—73; dazu E. Sachau, Inedita Syriaca, 1870, p. 80f.), weU sie
nur sehr allgemeine Anklänge an die eigentlichen MevivSpou yvwixai. zeigt
und in der uns vorliegenden Gestalt ledigUch eine „Anthologie ... aus der
internationalen Weisheitsliteratur Vorderasiens und Griechenlands" dar-
steUen dürfte (Fr. Schulthess, Die Sprüche dea Menander, aua dem Syri¬
schen überaetzt, Zeitschr. für die alttest. Wissensch. Bd. 32, 1912, S. 202. Zur
älteren Literatur — Geiger, Baumstark, Frankenberg usw. — s. ebenda und
Baumstark, Oeach. der ayr. Literatur, Bonn 1922, S. 169f.).
" K. Kalbfleisch, Hermes Bd. 63, S. 102. Umfangreiche Vorarbeiten hier¬
für haben W. Meyeb und auch K. Zauzich hinterlassen, s. A. Köbtk, Me¬
nandri quae supers. II, 1953, p. XI n. 1. — Eine zusammenfassende Arbeit
über die sämtlichen bis jetzt aufgefundenen arabischen Menandrea ist in Vor¬
bereitung.
Arabische Homerverse 311

qima li-taküna hairan „schlage den rechten Weg ein, damit du gut seiest"
nichts anderes als (Men.) Mon. 62 ßdSi^e t7)v Eu&etav ^va Sixaio? ^c. In
M 85 = Sz (Sahrazüri) 103 = Sst (Sahrastäni) 19 Inna t-tabi'atakaunvanat

gami'a l-aSyä'i bi-irädati r-rabbi (ta'älä) „die Natur hat alle Dinge nach
dem Wülen des höchsten Herrn hervorgebracht" sind die letzten Worte

Zusatz zu dem (aUerdings ziemlich veränderten) Vers Mon. 213 t] 9ii(Ti?


(d)7rdvTa)V twv 8iSay[xdT6>v xpaTSt'. Lehrreich ist endlich auch Sz 105 =
Sst 20 Man lä (sie*) yaf'al Sai'an mina S-Sarri fa-huwa ilähi ,,wer keinerlei

Böses tut, ist göttlich" (Mon. 234: ö-eo?' 7te9uxEv octti? ouSev Spa xaxov),
was Sz durch die Worte yurldu bi-l-ilählyi S-Sarifa ka-l-maWika zu
kommentieren für nötig hält. — Daneben findet sich natürlich eine

Menge jener allgemein giUtigen Lebensregeln xmd Erfahrungsgrundsätze,


wie sie allerorten vorkommen und wie sie uns ähiUich auch in den

arabischen Spruchsammlungen der üblichen Art begegnen könnten. So


zum Beispiel Sz 102 über die Dummheit Äl-humqu yagluhu S-Sarra
'alä n-näs = Mon. 224 y) |xwp[a StSwaiv dvö-pwTcot? xaxa ; Sst 14 = Sz 59

über den Feigimg Inna r-ra'yamina l-gabäni gabän — Mon. 128 SsiXoü yap

dvSpo? SsiXd xal ^povYjfjiaTa; M66 = Sz82 überFreimde im Reichtum


In härmt lanä amwälun särat lanä asdiqä' = Mon. 165 (cf. 174, 507 und

andere) eav S' EXcofA^v xpV«^', s^o[i.ev 91X00?*; Sst 32 über vorlautes
Reden Inna l-kaläma fi gairi waqtihi yufsidu l-'umra kullah — Mon. 466

p9i[j,a Tcapdxaipov tov 8Xov dvaTp^TOi ßlov. Der Rat, dem Edlen nach¬
zustreben und das Niedrige zu meiden, wird sogar in sa^'-Form gekleidet
Sz 61 ütlubu S-Sarafa wa-l-fadlla wa-hrub mina d-dammi wa-r-radila; er

entspricht aber genau Mon. 137 S[a>xe So^tqv xdcpeTVjv, 9eiiye ij;6yov.
Manches ist auch darunter, was noch bei uns sprichwörtlich gebraucht

wird, wie „Mehr Glück als Verstand" M 148 Katlrun mun lahü bahtun wa¬

lä 'aqla Iah = Mon. 447 ttoXXoI (asv £utuxoi>(T(.v, ou 9povoü(Ti Se; „Die Sonne
(bzw. Zeit) bringt es an den Tag" Sst 7 = Sz 7 Inna z-zamäna yubaiyinu

l-haqqa wa-yunaiyiruh — Mon. 11 dyei Se upo? <p«? t7)v aXifj^etav xpo'^o?*

1 An der ursprünglichen Identität zweifelt — wohl zu Unrecht — Nauck,


Bull. Petersb. 1859, col. 443 = M61. Gr.-Rom. II 195.
2 So deutlich aUe SteUen (Berlin Oct. 217, Bl. 100b 8 = Landb. 430, Bl.
38b 14; Sahrast. p. 301,12 Cmeton, auch Rand Ibn Hazm, Milal, Kairo III
1320, p. 23,1. 3 Es ist kamn erforderhch, mit Nauck zu Sahrast. nr. 20
anzunehmen, daß in der Vorlage des Arabers dafür ^eioz gestanden habe.
* Der Gegensatz dazu M 25 Ar-ragulu idä sä'ät häluhü haraba asdiqä'uhü
minh = Mon. 32 (d. i. Sophokles Frgm. 667 N, Incert. Fab.) ävSpö? xaxüi;
TtpdcaaovTO? JxTcoSüv 9^X01. — Zu beidem vgl. den bekannten Ovidvers donec
eris felix usw. (Tristia I 9,5f.).
^ Zu vergleichen sind, wie Nauck zu Sst. 7 anmerkt, Mon. 459 = Sophokles
<Inc. Fab.) Frgm. 832 TrdtvT* ävaxaX\i:rTUv 6 xP'^^o? '^^ "P"? tpäpci vmd
Mon. 592 = Trag. Adespota m. 511 (olün Philemon Frgm. Fab. Inc. nr. 97
Mein.; Kock II p. 530) xp^vo; xpuTtTa TtAvxa ■Kfhc, t6 (pü? äyei.
312 JÖKO Kbaemeb

oder das letztlich auf Epicharmos' zurückgehende „Eine Hand wäscht


die andere" mit der Erweiterung „und der Finger den Finger" M 197 =

Sst 35 Inna l-yada tagsilu l-yada wa-l-isba'u l-isba' = Mon. 543 jzip yslpx
voTrrei, Sdy.TuXoi Ss SaxrüXou?.

Das alles sind, wie bei einem so volkstümlich gewordenen Zitaten¬


schatz kaum anders zu erwarten, für unser Empfinden meist ,, unerfreu¬
liche moralische Banalitäten*". Auch viele Verse edlerer Herkunft

raachen davon keine Ausnahme, wenn sie unter anderen Alltäglichkeiten


in dieser Umgebung auftauchen. So etwa das euripideische Frgm. 1071 N
XÜTrai yoLp dv&pMTOiai tixtcuctiv v6<tou?' Mon. 316 = M 106 Inna l-dhzäna
tuwallidu l-amräd, oder die, als solche freilich unumstößliche, Wahrheit

aus der Alkestis gleichfalls des Euripides (v. 782) = Mon. 69 ßpoToti;
aTtacn xax-D-aveiv b^peiXszoii = M 34 Inna l-mauta wägibun 'alä gami'i

n-näsi kullihim. Daß von dem als Weiberfeind abgestempelten Euripides


auch eine Sentenz wie Mon. 129 {= Frgm. 804,3, aus dera Phoinix)
SsCTTToiva yap ya|i,ouvTt* vu[ji9t(i) yuvr) nicht fehlt, ist selbstverständlich;

danach M 59 = Sz 60 Inna l-mar'ata maulätu man yatazaunvagu bihä.


Ähnliche raisogyne Äußerungen sind natürlich häufig (doch sei nicht ver¬
schwiegen, daß mitunter auch das Lob der „rechtschaffenen Frau als
Stützpfeiler des Hauses" gesungen wird: M 48 Inna l-mar'ata s-sälihata

ruknun li-baitihä = Mon. 99 yuvv) Se /prjCT-rf) 7ry)SdXi6v sar' oixloi.q) ; so


Mon. 161 EV yap yuvat^l tocttiv oux evsax' iSetv = M 62, Sz 77 Qallamä
tagidu l-amänata fi n-nisä', oder Mon. 91, von dem Komiker Philemon

(gest. ura 262 vor Chr. ; Frgra. 198 Kock*), yafxetv 6 (jieXXwv zlc, [xerdvoiav
Ep^eTat. = M 42, Sz 41 Man tazaurwaga fa-innahü sa-yandam^.
Daran seien einige weitere Komikerverse gleich angeschlossen. Nooh

aus der mittleren Komödie, von Antiphanes (4. Jahrhundert v. Chr.),

stararaen soll die Erraahnung Mon. 173 (= Frgra. 289 Kock), der eigenen
Sterblichkeit eingedenk zu sein: ei ^vyitoc el, PeXtictte, ■ö-VTjTa xal 9p6vei;
arabisch lautet sie bei Sz nr. 86 In kunta rmyitan fa-'mal 'amala mam

yamüt. Dera Diphhos von Sinope, dera dritten großen Vertreter der

1 (6./5. Jahrh. vor Chr.), Frgm. 53 bei A. O. Fb. Lorenz, Leben und
Schriften des Roers Ep., Berlin 1864, S. 274 = Frgm. Ep. 273 bei G. Kaibel,
Comic. Graec. Fragmenta 1, 1, Berlin 1899, p. 142. Vgl. Büchmann, Ge¬
flügelte Worte 26. Aufl. 1918, [die heillos entsteUte 28. Aufl. von 1937 ist un-
zitierbar], S. 347 f. ' K. Hobna, R E Suppl. VI, 1935, Art. Onome, Sp. 84.
3 Daß dies — für vöctov bei Meüieke — die gewöhnliche Lesart ist (vgl.
Mein. Com. IV p. 368; W. Meyeb, Abh. Bay. Akad. XV, S. 437 etc.), wird
auch dmch den arabischen Plural amräd bestätigt.
* Diesen Text der Monosticha (statt des richtigen yipovTi des Fragmentes)
gibt, wie nicht anders zu erwarten, auch die arabische Übersetzung wieder.
' Fragm. Com. Attic. T. II p. 531; zum griechischen Text (6 (i£XX(ov für 8?
i&i-Xzi) vgl. Meyer, Abh. Bay. Ak. XV, S. 405.
• Alle Mss. (aufler Landberg 430, Bl. 38a, 12 v. u.) : sa-yvdamm !
Arabische Homerverse 313

neuen attischen Komödie neben seinen Zeitgenossen Philemon und


Menandros, wird das ähnliche Wort von der Unsicherheit des Menschen¬

lebens Mon. 57 (= Frgm. 109 K) ßeßaiov oüSev Icttiv ev ^)-vy)tw ßio)

zugeschrieben, das arabisch in M 26 als Laisa li-Sai'in mina l-'umri


l-fäni tabät wiederkehrt. Ganz am Ende derselben Sammlung, nämlich
unter der nr. M 210, steht der Vers Inna l-'aqla ma'a d-dihni l-hasani

la-maghüt ,,der mit schöner Einsicht gepaarte Verstand ist glücklich zu

preisen". Damit kann nur das, freUich etwas anders lautende, Diphilos-
fragment 114 Kock' ax; (i.axdpi,ov cpp6v7]CTt(; ev xpr\aiü) rpoTTCo wiederge¬
geben sein, das zwar in Meinekes ZusammensteUimg der Spruchverse fehlt,
aber sowohl in der altkirchenslawischen Übersetzung* als auch, aller¬

dings stark verstümmelt, auf dem bereits genannten Papyrus des


2./3. Jahrhunderts unter McvavSpou rvc5[i,ai mit aufgeführt wird*. In der
Vorlage des Arabers könnten die Worte am Schluß crüv xpvjcTTcö voco* oder
ähnlich gelautet haben. Jedenfalls dürfen wir den Vers zu denen rechnen,
die nun auch auf Grund der arabischen Überlieferung unter die ,, mcnan¬
drischen" Sentenzen mit einzureihen sind. — Schließlich soll auch der

echte Menander selbst noch kurz zu Worte kommen: Mon. 26 dcvSpi?

XapaxTTjp ex Xoyou yvwpiJ^erai, ein Fragment aus der Komödie ,,Die


Flötenspielerin" bzw. ,,Der Selbstpeiniger"*, das in verschiedenen

griechischen Sammlungen zitiert wird, ist mit M 18 = Sz 18 Qad yuHamu


madhabu r-raguli min kalämih identisch. Die sehr wahre, lange vor
Menander schon sprichwörtliche Lebensweisheit Mon. 190 = Frgm. 50 K

(*45 Kö, Andria) Cä>(Asv yap oux •S'^Xojxev, äXX' iiC, SuvdfxeS-a ist zwar
in dieser Form unter unseren arabischen ,, Homer "versen leider nicht

erhalten; wohl aber finden wir da den einigermaßen ähnlichen, nicht


minder Avahren Spruch Mon. 236 ^eXojxev xaXwi; ^Tjv TrdvTei;, äXX' oi

SuvafieQ-a in der Fassung M 86 Nuridu bi-agmaHnä l-hayäta s-sälihata


läkinnä lä naqdiru 'alä dälik. Wieder wörtlich erhalten ist dagegen die

Mahnung Mon. 13 = Menander Frgm. 771 Kock avSpo? xa TtpotJTTiTTTOVTa


yevvaiw? 9epeiv*. Diese läßt in der arabischen Übersetzung bei M 7 =
Sz 10 die fremde Herkunft kaum mehr vermuten: Mani htamala

l-masä'iba htimälan Sadidan fa-huwa ragul.


Diese letzte Sentenz vom standhaften Ertragen der Schicksalsschläge

1 Com. Att.Fragm. Up. 575 = StobaiosjPZor. III 37,7 Hensb (Fab. incert.).
2 Bei V. Jagiö, Sitz.ber. Wiener Akad. Bd. 126, 1892, VII, S. 44.
' Bei K. Kalbfleisch, Hermes Bd. 63, S. 102 nr. 8.
* Die Reihenfolge im Arabischen wäre aherdings dann gerade vertauscht,
weü voü? ja für gewöhnlich dmch 'aql wiedergegeben wird.
^ Frgm. 72 (aus 'App7j96po? ^ AüXYj-rpi?) und 143 (ang. aus 'EauTÖv ti|ji(o-
po\i(iEvo(;) Kock; Frgm. 66 (nur 'Appyi96po(;) Körte.
• Der Vers ist allerdings als anonymes Monostichon überhefert und daher
von Körte (s. dort p. 391) nicht übemommen worden.
314 JÖRG Kraemer

führt uns zum Schluß wieder zu Euripides zurück, aus dessen ver¬
lorener Tragödie Alkmene (Frgm. 98 N) das ganz ähnliche lautende
Zitat Mon. 480 (yxeppwt; 9epetv XP^ (TU[X<pop(zi; tov euysMiq entnommen zu

sein scheint'. Im Arabischen (M 163) ist es von dem eben genannten,


echt( ?) mcnandrischen Spruche kaum verschieden: Yagibu 'alä l-insäni
ä-Sarifi an yahtamila l-masä'ib. Von demselben Dichter, nun aber aus
bekannten Dramen, stammen zum Beispiel noch der Lobpreis des Vater¬

landes aus den Phönizierinnen (v. 406) = Mon. 216 y) TCaxpi?, utc, eoixe,
cplXTaTov ßpoTOL?* = M 78 Inna l-watana mahbubun mahbvhun Hnda n-näs,

oder das Wort von der Kostbarkeit der Seele' aus der Alkestis (v. 301),
Mon. 552 (J^^Z^ y°^P ouSev etrxi Ti.[i.i,WTepov = M 200 Fa-innahü laisa
Sai'ün akramu mina n-nafs*: Aber Euripides ist, woran hier nur eben
erinnert sei, zwar der am häufigsten zitierte, keineswegs jedoch der
einzige griechische Tragiker, von dem sich Verse in die menandrische
Spruchsammlung und damit letztlich auch ins Arabische hinüber¬
gerettet haben. Wir finden dort auch Zitate aus kleineren, kaum bekann¬
ten tragischen Dichtern wie zum Beispiel das nicht eben ritterliche Wort
des Chairemon* (Frgm. 32, p. 790 Nauck =) Mon. 95 yuvatxa ■S-aTtxetv
xpetoCTOV sffxtv yafxelv, das M 45 = Sz 44 durch (An) tadfina l-mar'ata
aslahu min an tatazavnoaga bihä wiedergegeben ist. Oder wir finden die

fast übertriebene Lobpreisung der Eltern durch Dikaiogenes (Frgm. 5,


p. 776 N =) Mon. 238 &sol -colc, cppovoijaiv ol yoveti;; danach
Sz 106 Al-wälidäni älihatun kibärun Hnda man ya'qil^. Außerdem aber

' Mit diesem imd dem vorhergehenden Spruch fast gleichlautend ist die
nr. 236 in den späten, wohl von einem byzantinischen Dichterling verfaßten
„Spruchversen der sieben Weisen", die ihrem ganzen Charakter nach für ein
Fortwirken in den orientalischen Literatmen auch sehr wohl in Frage
kommen (vgl. S. 301, Anm. 2): (pipeiv xa tTUfjLßaivovTa yevvaltü? ^xP^v, s.
E. Wölfflin, Sprüche der sieben Weisen, Sitz.ber. Bay. Akad. 1886, S. 298
und W. Meyer, ebenda 1890 II, S. 379 (unter den angeblichen Aussprüchen
des Periandros).
2 In Schillers Wiedergabe : „Die Heimat / ist also wohl das Teuerste, was
Menschen / besitzen!" (Szenen aus den Phönizierinnen des Euripides, v.
397—99).
' Im griechischen Text hier allerdings svw. „Lebenskraft, Leben".
* Im Arabischen ist dieser Vers mit dem dort unmittelbar vorangehenden
Spruch Mon. 548 'j'^xV ^^'^^ '^P^? XPI'^'^'^ Trpayjiaxa = M 199 'Aunvid
nafsaka li-l-umüri s-?äliha konfundiert.
^ So nach Stobaios Flor. IV cap. 22b, 50 Hense; vieUeicht ist aber auch
der Komiker Philemon gemeint, s. Meineke, Com. IV p. 690; Kock II p. 537.
In FäUen wie diesem und so manchem anderen, wo ledighch das Zeugnis des
Stobaios oder eines ähnlichen späten Florilegiums vorliegt, ist die Zuschrei¬
bung des betreffenden Monostichons an einen bestünmten Dichter natürhch
nicht absolut sicher; vgl. dazu A. Körte, Onomon Bd. 13, 1937, S. 647.
' Vgl. Mon. 379 v6(ii?e aauTÜ xotii; yovet? eTvai ^eoiii; = Sst 30 Ba(h)
.[Druck : Ra'y} anna wälidaika älihatun lak.
Arabische Homerverse 316

sind auch Aischylos und Sophokles vertreten, etwa mit Mon. 193

(Aesch. Frgm. 401,1 N) J^w?)? 7tovY)pä? ^ocvaToc alpeTtoTspoi; = Sz 91


Inna dawi l-albäbi yahtärüna l-mauta 'alä l-hayäti r-radiya „die Ver¬

ständigen ziehen den Tod (einem) verderbten Leben vor", und Mon. 545

(Soph. Frgm. 868 N) XP<^^°? ^' «[J-«upoi! TudvTa y.zi<; Xyi^^t^v oiyzi = M 196
Inna z-zamäna yufni kulla SaiHn wa-yunsl kulla amrin ,,die Zeit macht

alle Dinge zunichte und läßt jede Sache vergessen".


Nun wird jeder, der die Bedeutung der sogenannten Menandersprüche
für die europäischen Literaturen kennt, zum Schluß fragen, wo in der
arabischen Überlieferung die drei berühmtesten Zitate der Sammlung

geblieben sind: Das echt menandrische ,,Jung stirbt, wen die Götter
lieben" (6v ol &eol 9I.XoÜ(tiv aTtoS-vfjCfxei veo?, Mon. 425'), das euripideisch-
menandrische, vom Apostel Paulus wiederaufgenommene ,,Ein schlechter

Umgang verdirbt gute Sitten" ((pö-elpouatv yj&Y] ypriG%-' ojjitXiai xaxai,


Mon. 738*), und endlich das allbekannte Motto des ersten Teiles von
Goethes Dichtung und Wahrheit 6 (xv) Sapel? avö-pcoTroi; oü TtaiSeüsTat

(Mon. 422). Diese längst zum Gesamtbesitz der abendländischen Büdung


gehörenden, wahrhaft geflügelten Worte* fehlen leider bis jetzt unter
den arabisch erhaltenen MsvocvSpou PvcofJiai; es ist jedoch durchaus

möglich, daß auch sie dort einmal wieder zum Vorschein kommen. So¬
lange das aber noch nicht der Fall ist, mögen wenigstens für die beiden
letzten der genannten Verse zwei ährüiche arabische Menandrea als
Ersatz dienen:

Man 'ääa Sarra l-ardiyä'i sära radi'an aidan

(,,Wer auf die schlechte Weise der Verderbten lebt, wird selbst ver¬
dorben", M 95) = Mon. 274 xaxot? ofxtXwv xaüxü? sxßyjCTY] xaxoc;*. Und
endlich soll ein Zitat aus Euripides (Frgm. 364, 1 N, aus dem Erechtheus)
auch den Beschluß machen :

Al-hairu yuktaru fi n-näsi mini sti'mäli t-ta'ab^

(„Das Gute mehrt durch Anwendimg von Mühe bei den Menschen sich",
Sz 69) = Mon. 149 sx twv Tt6vwv yap TayaO-' au^STat ßpOTOi;;.
Damit seien diese Mitteilungen über arabische „Homer"-Verse vor¬

läufig abgeschlossen. Die reiche Auswahl an bald tiefsinniger, bald auch

1 = Men. Frgm. 125 Kock/111 Körte.


2 = Eurip. Frgm. 1024 N; Men. Frgm. 218 K/187 Kö; 1. Kor. 15, 33.
3 S. Büchmann" S. 359 und 68.
* Von Nauck, Trag. Oraec. Fragm. p. 899 unter die Adespota (nr. 314)
aufgenommen; dazu Köbte, Onomon 13, 1937, S. 648.
^ Hierm (und in dem ähnlichen Spruch Sz 89 Lan yaksiba l-insänu l-hasa-
nata illä bi-t-ta'ab, für den ich eine direkte Entsprechung unter den Mono¬
sticha bisher nicht gefimden habe) hat A. Mülleb, ZDMG 31, S. 519 das
Zitat aus Hesiod, Erga 289ff. vermutet, das oben S. 297, Anm. 4 behandelt
ist.
316 JÖBG Keaemeb, Arabische Homerverse

nur beiläufiger griechischer Spruchweisheit, die sie uns bieten, hat nur
den ,, Verfasser" gewechselt, weil der Name Homers den Arabern immer¬

hin bekannter gewesen ist als der des Menander. Was von der Sammlung
überhaupt übernommen worden und bei den drei arabischen Schrift¬
stellern Abü Sulaimän al-Mantiqi, Sahrastäni und Sahrazüri bisher
nachweisbar ist, hat sich im Verlauf von drei Jahrhunderten inhaltlich
kaum verändert. Trotzdem können wir von einem eigentlichen Portleben

griechischer Dichterworte auch hier nicht sprechen. Wie bei so manchem

antiken Geistesgut, das ins arabische Mittelalter hinübergewandert ist,


hat es sich auch bei der Überlieferung dieser Spruchverse nur um eine

Art Nebenlinie gehandelt, um ein dünnes Rinnsal, das bald wieder ver¬
sickert ist. Gerade auf diesem, dem Morgenlande seit je besonders

gemäßen Pelde der volkstümlichen Spruch- und Weisheitsliteratur war

die arabisch-islamische Welt in sich selbst reich und vielfältig genug, um


die fremdstämmigen Yvwjxai alsbald wieder auszuscheiden und durch
älmliche, eigenständig orientalische hikam, amtäl usw. zu ersetzen. In

den so überaus reichhaltigen Sprichwort- und Weisheitssammlungen der


Araber, wie sie uns R. Sbllheims vortreffliche Arbeit^ kürzlich neu
erschlossen hat, war derm auch, von den bereits genannten Pällen ab¬

gesehen, ein echtes Weiterwirken der Menandersprüche bisher nicht


festzusteUen.

Aber auch Nebenlinien, und oft gerade sie, haben für die Wissenschaft

ihre Bedeutung. So manche Bruchstücke bio- und doxographischer Über¬

lieferung der Griechen sind in letzter Zeit aus der arabischen Literatur

wieder zutage getreten*. Neben ihnen ist nun auch die gnomologische
Tradition, die uns nicht geringe Reste der griechischen Spruchdichtung
im Arabischen bewahrt hat, unserer Beachtung wert.

1 S. S. 303, Anm. 2. Über die mögliche Einwirkung fremder, zmnal antUcer


bzw. hellenistischer Spruchweisheit s. bes. Sellheim S. 39f.
2 Vgl. TeU I dieser Arbeit S. 276, Anm. 2f. ; TeU II S. 306, Anm. 5ff. Dazu
z. B. noch R. Walzeb, Fragmenta Graeca in litteria Arabicis I: Palladios and
Aristotle, JRAS 1939, p. 407—422 (versuchte Wiederherstellung eines Frag¬
mentes aus Aristoteles' verlorenem Dialog 'Ept0Tix6i; nach Dailamis Kitäb
'Apf al-alii al-ma'lüf, Tüb. Weisw. nr. 81, Bl. 32b£f.) und die dort genannte
frühere Literatur.
Damaszener Schwänke

Von Albert Dietrich, Istanbul

Herrn Professor Dr. A. Falkenstein zum 17. IX. 1956 ergebenst zugeeignet

Als Nebenfrucht eines mehrmonatigen Aufenthaltes in Damaskus

(Februar bis Juni 1955), der zur Hauptsache Studien in arabischen Hand¬
schriften diente, kam eine Sammlung von über fünfzig volkstümlichen
Schwänken zustande, die vielleicht in dialektologischer und folkloristi¬
scher Hinsicht ein wenig Interesse beanspruchen dürfen und deshalb im

folgenden mitgeteilt werden sollen. Sie stammen alle von einem Gewährs¬
mann, dem 28 jährigen Ahmed Sälim, der, in der Altstadt von Damaskus
als Muslim geboren und aufgewachsen, heute im Stadtviertel al-'Assä*

(al- Qassä') wohnt, aber immer noch in der Altstadt tätig ist, wo er in
der kleinen Apotheke einer Ambulanz der Sozialfürsorge (mustausaf ar-
räbita ol-igtimäHya) die Arzneimittel ausgibt. Er verfügt über eine be¬

grenzte hocharabische Bildung und hat im übrigen nur mäßige Kennt¬


nisse im Französischen, die kaum über den Wortsehatz ärztlicher Rezepte
hinausgehen. Er erzählte mir die Geschichten nicht im ,, Diktattempo",
sondern — das ist wichtig ! — in zwar nicht zu rascher, aber flüssiger und

ungezwungener Rede, so daß ich sie mittels eines eigenen Systems kurz¬
schriftartiger Kürzungen und Siglen in Transkription mitschreiben
konnte. Dann las ich ihm die Geschichten zur Kontrolle vor, wobei die

Transkription präzisiert und verfeinert wurde. Vielleicht ist die Zeit nicht
mehr fern, in der das Tonbandgerät, dessen sich in steigendem Maße auch

die Sprachwissenschaft bedient, die alte Methode der schriftlichen Diktat¬


aufnahme ganz verdrängt. Ich möchte nicht versäumen, meinem Gewährs¬
mann und Freunde Ahmed Sälim sehr zu danken für die stets gleich¬
bleibende Freundlichkeit und Geduld, mit der er sich zur Verfügung

stellte, ebenso für seine häufigen Führungen durch die Altstadt, auf
denen er mich mit seiner Heimat vertraut machte, und nicht zuletzt für

manche Stunde ungezwungener Heiterkeit. Denn sein Vorrat an kurz-

weUigen Geschichten war unerschöpflich und wurde ständig aufgefrischt


in einem Freundeskreis, mit dem er sich allwöchentlich zum Austausch

von neuen Witzen und Schwänken zu treffen pflegte. Aus dieser breiten,
lebendigen und volkstümlichen Quelle stammen die nachstehenden

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