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Marita Vollborn Vlad Georgescu

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Wie die Pharmaindustrie


.. mit unseren
Angsten Milliarden verdient

HANSER
Im Winter 2010/2011 drohte die Schwei­
negrippe zahlreiche Opfer zu fordern. Die
Regierung investierte Unsummen und
bestellte unzureichend geprüfte Impfstof­
fe. Am Ende war damit nur einer Partei
gedient: den Arzneimittelherstellern, die ein
Milliardengeschäft gemacht hatten.

Auch angesichts der EH EG-Epidemie im


Sommer 2011 ist die Politik orientierungs­
los. Ihrer Seuchenbekämpfung fehlt die
Koordination, die Verteilung der Aufgaben
auf die Ministerien ist nicht plausibel. Die
politischen Vertreter sind ohnmächtig, weil
sie sich zu lange in die Abhängigkeit von
der Pharmaindustrie begeben haben -
einer Branche, die an lukrativer Hysterie,
jedoch nicht an Grundlagenforschung
interessiert ist.

Marita Vollborn und Vlad Georgescu decken


die Verflechtung von Politik und Big
Pharma auf, identifizieren die Seuchen, die
wir in Zukunft zu fürchten haben, und zei­
gen Mittel und Wege, wie wir uns schützen
können. Sie plädieren für eine zentrale
Seuchenbekämpfungsbehörde und öffent­
lich finanzierte Grundlagenforschung, damit
wir auf die nächsten gefährlichen Keime
vorbereitet sind.
Marita Vollborn, Vlad Georgescu
Die Viren-Lüge
Marita Vollborn, Vlad Georgescu

••
DIE VIREN-LUGE
Wie die Pharmaindustrie mit
unseren Ängsten Milliarden verdient

HANSER
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1 nternet: http://www.hanser-literaturverlage.de
Herstellung: Thomas Gerhardy
Umschlaggestaltung: Brecherspitz Kommunikation GmbH, München,
www.brecherspitz.com
unter Verwendung einer Fotografie von masterfile
Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Druck und Bindung: CPI - Ebner & Spiegel, Ulm
Printed in Germany
ISBN 978-3-446-42635-1
IN HALT

Prolog 3

Kapitel Eins
Eine kurze Geschichte der Viren 17

KAPITEL Zwei
Das Milliardengeschäft mit den Vakzinen 35

KAPITEL Drei
Schweinegrippe als Pharma-Coup 71

KAPITEL Vier
Dengue-Viren auf globaler Ansteckungstour 107

KAPITEL Fünf
Exotische Krankheiten unter uns 139

KAPITEi Sechs
Warum Geheimdienste Viren fürchten - und Impfstoffhersteller
frohlocken 171

KAPITEL Sieben
Vorwarnung statt Hysterie 201
2 IN HALT

KAPITEL Acht
Tipps und Tricks gegen Viren & Co. 217

Epilog 229

Danksagung 234

Anmerkungen 236

Register 241
PROLOG

Google ist ein wertvolles Tool, denn die Suchmaschine ver­


gisst nie. Noch heute offenbart sie all jenen Usern, die „EHEC­
Virus" in die Suchmaske eingeben, dass die meistgelesene
Zeitung der Republik in ihrer Online-Ausgabe zunächst irrte.
„EHEC-Virus: Die Schlacht gegen den Keim" prangt auf der
Ergebnisliste an oberster Stelle. Wer dem Link folgt, erreicht
freilich die nachträglich korrigierte Fassung „EHEC-Seuche:
Die Schlacht gegen den Keim". Der BILD-Fauxpas ist kein
Einzelfall. Auch die Augsburger Al/gemeine leistete sich die
Verwechslung zwischen Virus und Bakterie, über 280.000
Einträge lassen sich in dieser Kombination allein über Goog­
le aufspüren.
Tatsächlich spielen spezielle Virenformen, sogenannte Bak­
teriophagen, bei der EHEC-Epidemie eine entscheidende Rolle:
Das Gift Shiga-Toxin 2 vermag das Bakterium nämlich erst
herzustellen, nachdem es von der Phage befallen wurde. Man
kann es daher auch so sehen: Schaffen bestimmte Virenfor­
men die direkte Übertragung ihres Erbmaterials auf den
Menschen nicht, verschaffen sie zumindest Bakterien einen
enormen Selektionsvorteil - wodurch letztendlich die virale
4 DIE VIREN-LÜGE

Erbsubstanz von einem Wirt zum anderen gelangt und, im


Falle EHEC, für den Menschen lebensbedrohliche Gifte produ­
zieren lässt. Viren sind demnach selbst dort aktiv, wo man sie
laut Schulbiologie kaum vermutet: in bestimmten Bakterien
wie E. coli.
3941 Menschen erkrankten bis zum 30. Juni 2011 an EHEC
allein in Deutschland, 841 davon litten sogar an der lebensbe­
drohlichen HUS-Form. 47 Menschenleben ließen sich nicht
mehr retten, wie Daten des European Centre for Disease Pre­
vention and Control (ECDC) belegen. Zudem brachte der Er­
reger die Krankenhäuser an den Rand des Kollapses. Die Re­
aktion auf EHEC macht deutlich, wie häufig Mutmaßungen,
Nichtwissen und Fakten miteinander vermengt werden - und
wie gefährlich voreilige Schlüsse sind.
Erst warnten Behörden vor Gurken aus Spanien, dann vor
Tomaten und Blattsalat, um schließlich Sprossen aus Nieder­
sachsen als Herd der unliebsamen Bazillen auszumachen.
Ende Juni tauchten in Frankreich erste EHEC-Fälle mit dem
gleichen Stamm wie hierzulande auf. Nur gab es in Bordeaux
keinerlei Bezug zu Niedersachsens Sprossenhof. Am 30. Juni
2011 - drei Tage, nachdem wir in unserem Webzine LifeGen.
de darauf hingewiesen hatten - verkündete Verbraucher­
schutzministerin Ilse Aigner schließlich, dass kontaminierte
Bockshornklee-Samen aus Ä gypten als Quelle in Frage kom­
men könnten: ein neuer Bakterienstamm, der gegen die gän­
gigen Antibiotika resistent ist, sich an Darmepithelzellen be­
sonders hartnäckig anhaftet und aggressiver als alle bis da­
hin bekannten varianten Menschen infiziert - alles Zufall
und Folge einer natürlichen Mutation?
Während der unerfahrene, frisch gebackene Gesundheits­
minister Daniel Bahr die Strukturen der Seuchenbekämpfung
in Berlin verteidigte, kritisierten hochrangige Ärzte wie der
5

Chef der Berliner Charite die aus ihrer Sicht zu langsame Re­
aktionskette des Robert Koch-Instituts (RKI). Doch wer sich
an derart lateralen Erklärungsversuchen und Hinweisen be­
teiligte, musste mit massiven Nachteilen rechnen. Kritischer
Journalismus war im Rahmen der EHEC-Krise leider zu selten
anzutreffen. Ein strukturelles Problem: Unangepasste Medi­
envertreter werden mit Klagedrohungen überhäuft oder aber
durch Einladungen zu Journalistenseminaren auf Linie ge­
bracht. So wurde manch unliebsame Erkenntnis ausgeblen­
det: etwa eine Doktorarbeit, die sich bereits im Jahr 2004 mit
den Übertragungswegen von EHEC-Erregern befasst hatte.
Dieser Studie zufolge sind kontaminierte Badeseen eine Ge­
fahrenquelle für den Menschen. Selbst Trinkwasser hielten
die Wissenschaftler vom Institut für Toxikologie und Um­
welthygiene der Technischen Universität München für poten­
ziell riskant. Auf entsprechende Hinweise aus dem RKI war­
tete man im Juni 2011 vergeblich. Fest steht: Wer an EHEC
infiziert ist, kann Lebensmittel und Badegewässer kontami­
nieren. Zusätzlich offenbarte der winzige Erreger ein weiteres
gigantisches Problem: Deutschland verfügt weder über eine
ausreichende Zahl an staatlichen Lebensmittelkontrolleuren
- noch über eine zentrale Seuchenschutzbehörde nach Mus­
ter der US-amerikanischen CDC (Centers for Disease Control
and Prevention). Die Notwendigkeit epidemiologischer For­
schung und Frühwarnung - egal, ob es sich um Viren oder
Bakterien handelt - ist nicht nur in den USA längst ins poli­
tische und öffentliche Bewusstsein vorgedrungen. Das Aus­
land schüttelt über die deutschen Zustände den Kopf.
Eine Institution wie die CDC hätte womöglich Schlimme­
res verhindern können, wäre frühzeitiger aktiv geworden.
Nach einem Bericht des Fachblatts Eurosurveillance, dessen
Autoren auch Mitarbeiter des Robert Koch-Instituts waren,
6 DIE VIREN-LÜGE

registrierten EU-Behörden bereits Anfang Mai 2011, genau


vom 9. Mai an, eine sehr auffällige Zunahme von Infektio­
nen mit Shiga-Toxin produzierenden Escherichia-coli-Bakte­
rien (STEC) in Deutschland sowie einen deutlichen Anstieg
der Fallzahlen von Haemolytischen urämischen Syndromen
(HUS). 1 Das RKI betont jedoch, erst am 19. Mai über EHEC­
Fälle informiert worden zu sein - eine Differenz von zehn
Tagen, die im Ernstfall entscheidend sein kann.
Die Katastrophe wäre vielleicht zu vermeiden gewesen,
wenn die Daten über Krankheitsfälle nicht bei verschiedenen
Behörden gelagert, sondern sogleich zentral gesammelt wor­
den wären. Daraufhin hätten bundesweit zeitgleich in Super­
märkten und im Großhandel Lebensmittelproben genommen
werden müssen. Nur auf diese Weise hätten die Behörden den
genauen Herd identifizieren können - man hat es, trotz der
eindeutigen Hinweise seit Anfang Mai, versäumt: Lediglich
2500 amtliche Lebensmittelkontrolleure durchziehen die Re­
publik - und entdecken, dass sie bei mehr als einer Million
zu überwachenden Einrichtungen einfach überfordert sind.
Der Fall EHEC zeigt daher, dass man die Lebensmittelkontrol­
len, so wie sie derzeit vonstattengehen, im Grunde ganz ein­
stellen könnte - schon aufgrund des Personalmangels mutiert
die Suche nach der Erregerquelle zur Farce. Als „löchrig wie
ein Schweizer Käse" charakterisierte die Online-Ausgabe des
Stern das bundesdeutsche Kontrollsystem im März 2010.
Die EHEC-Welle des Frühsommers 2011 hätte für Teile der
deutschen Politik zudem keine Überraschung sein dürfen:
Experten des Bundesinnenministeriums rechneten bereits
vor fünf Jahren mit einer akuten Bedrohung durch den Erre­
ger. Im September 2006 publizierten sie einen rund 100-seiti­
gen Report unter dem Titel „Dritter Gefahrenbericht der
Schutzkommission beim Bundesminister des Innern". 2 An-
7

ders als die Mehrzahl der Medien schließt das BMI auch bio­
terroristische Anschläge mit Bakterien oder Viren nicht aus.
Im Bericht heißt es, dass es für den Fall der Verbreitung von
EHEC, aber auch von Salmonellen und anderen bakteriellen
Epidemien, seltsame und ineffektive Zuständigkeiten gebe -
so ist für ein Frühwarnsystem bei Bakterien nicht etwa das
Gesundheits- oder Innen-, sondern das Verbraucherschutz­
ministerium verantwortlich. Der Bericht schließt mit dem Fa­
zit, dass wir auf das Auftreten neuer Varianten bekannter Er­
reger wie enterohaemorrhagische Escherichia coli (EHEC)
schlicht nicht vorbereitet sind - und unter Ärzten Unsicher­
heit um sich greift.
Darüber hinaus existierten akribisch formulierte Notfallplä­
ne des Bundes, die die verantwortlichen Politiker im Fall von
EHEC weder zu kennen schienen, noch anwendeten. Der ers­
te fatale Fehler des BMG-Chefs bestand darin, die beim RKI
seit Anfang Mai eingehenden Daten entweder übersehen oder
aber falsch interpretiert zu haben - und das, obwohl ein sig­
nifikanter Anstieg im Vergleich zur Langjahresstatistik unver­
kennbar war. Fehler Nummer zwei war die Missachtung eines
elementaren Papiers der zum BMI zählenden Schutzkommis­
sion aus dem Jahr 2006. Bereits darin eruierten Experten des
Bevölkerungsschutzes die Möglichkeit eines Anschlags mit
EHEC-Erregern und zeigten deutliche Missstände in der Ko­
ordination zwischen den einzelnen Ministerien und deren
nachgeordneten Behörden auf. Seitdem hat der Bund auf die­
se Schwächen reagiert, im Falle von biologischen Bedrohun­
gen - zu denen auch EHEC zählt - können minutiös erarbei­
tete Pläne zum Einsatz kommen, auf die der Gesundheitsmi­
nister von Beginn an hätte zugreifen müssen. Die von Daniel
Bahr im Nachhinein dargelegten Kommunikationsschwächen
erscheinen in diesem Licht als verzweifelter Versuch, vom ei-
8 DIE VIREN-LÜGE

gentlichen Problem abzulenken: Das BMG hat es versäumt,


die alleinige Verantwortung und Koordination an sich zu rei­
ßen.
Das größte Versäumnis der Politik ist jedoch etwas anderes:
Deutschland verfügt über 105 ausgezeichnete Universitäten,
mehr als 30 Universitätskliniken und hervorragende For­
schungseinrichtungen - einzig an Geld für die intelligente
Vernetzung und Aufstockung des Personals scheint es zu man­
geln, wie wir in diesem Buch noch sehr ausführlich darstellen
werden. Die „Vier-Gurken"-Analysemethoden von Bund und
Ländern haben demonstriert, dass die politischen Entschei­
dungsträger alles andere als vom Fach sind. Fachfremdheit
mag zu unserem politischen System gehören, in ernsten Situ­
ationen ist es jedoch nicht immer ausreichend, wenn ein
Volkswirtschaftler wie Daniel Bahr neben seiner politischen
Arbeit einen MBA in Health Care erworben hat. Der Phi­
losophin und Theologin an der Spitze des Bundesforschungs­
ministeriums wollen wir ebenfalls keinen begrenzten Hori­
zont unterstellen, doch auch die Relevanz langfristig angeleg­
ter Grundlagenforschung erschließt sich leider häufig nur dem
naturwissenschaftlich Gebildeten.
EHEC, das wissen wir heute ohne nachzuschlagen, ist ein
Bakterium. Viren, das werden Sie im Laufe dieses Buches er­
fahren, sind eine leider Gottes noch gefährlichere Erregerva­
riante. Sie sind noch weniger kontrollierbar als das fatale
Darmbakterium - und für die Pharmaindustrie weitaus luk­
rativer.
Die Geschichte scheint sich zu wiederholen. Erst vereinzelt,
dann mit höherer Frequenz gerieten im März und April 2011
Berichte an die Öffentlichkeit, die Ungemach voraussagten.
Ob bei der ehrwürdigen BBC oder im Fachblatt Nature - ver­
mehrt warnten Forscher vor einer neuen Pandemiegefahr.
9

Die seriöse Ärzte Zeitung griff die Meldungen auf und schrieb
am 10. März 2011 in ihrer Online-Ausgabe:
,,Der Influenza-Virusstamm H2N2 könnte eine neue Grip­
pepandemie verursachen, warnen US-Forscher. Bei globalen
Ausbrüchen 1957 und 1968 seien bei Infektionen mit dieser Vi­
rusvariante vier Millionen Menschen gestorben." Und: ,,Men­
schen im Alter unter 50 Jahre hätten heute so gut wie keine
Immunität mehr gegen H2N2. Das Virus gebe es aber weiter­
hin bei Vögeln und Schweinen." 3
Auch wenn Artikel dieser Art noch keine Panik in der brei­
ten Bevölkerung auslösten, hatten doch viele ein Deja-vu:
Nach der Schweinegrippe ist wieder eine Grippe als tödliche
Bedrohung der Menschheit im Gespräch, erneut fordern un­
abhängig erscheinende Wissenschaftler Vakzine (Impfstoffe)
gegen eine drohende Pandemie. Das Resultat der letzten Grip­
pehysterie - gefüllte Kassen der Pharmakonzerne, verunsi­
cherte Patienten und eine blamierte Politik - scheint verges­
sen. Wieder wird Angst geschürt: der lukrative Motor, mit
dem Pharmakonzerne Milliarden von Euro verdienen. Durch
die Verbreitung von Panik bereiten diese den Weg zur Ver­
marktung ihrer Impfstoffe - auch wenn sie im Fall H2N2, wie
bei der Schweinegrippe, kaum ausreichend getestet sein dürf­
ten, weil es klinische Langzeitstudien nach den üblichen
Standards nicht geben kann. Was 2009 funktionierte, scheint
in den Schubladen auf Wiedervorlage gewartet zu haben. Wie
sind die Warnungen vor H2N2 einzuordnen? Müssen wir uns
Sorgen machen? Oder hat die Pharmalobby die Fäden in der
Hand und spielt mit unseren Ängsten?
Wir sind keine militanten Impfgegner. Bis zum Auftreten
der Schweinegrippe-Pandemie im Jahr 2009 ließen auch wir
uns die von der Ständigen Impfkommission (STIKO) vorge­
schlagenen Vakzine verabreichen. Wir vertrauten den Anga-
10 DIE VIREN-LÜGE

ben der staatlichen Institution - ebenso wie rund 140.000


niedergelassene Ärzte in Deutschland. Das zum weltweit
renommierten Robert Koch-Institut zählende Gremium galt
lange Zeit als Garant unabhängiger Informationen. Doch die­
ser Ruf ist angeknackst: Gerade wegen der Angaben der STIKO
nach Ausbruch der Pandemie im Jahr 2009 zählen wir heute
zu den vehementen Kritikern einer Gesundheitspolitik, die
wenigen Pharmaherstellern auf Kosten der Patienten ein
gigantisches Geschäft mit Vakzinen und antiviralen Mitteln
ermöglicht - auch wenn diese Risiken für die Patienten ber­
gen, ihr Nutzen nicht erwiesen ist und die teure Medizin
überhaupt nicht benötigt wird. Big Pharma, worunter wir
wenige, vor allem im Ausland beheimatete Großkonzerne
verstehen, und die mit ihr verstrickte bundesdeutsche Politik
spielen ein riskantes Spiel. Die Megakonzerne verdienen
Milliarden, weil wir ihnen als unwissende und angsterfüllte
Laien ausgeliefert sind. Wir fürchten uns vor unsichtbaren
Viren und es fällt uns schwer, Viren von Bakterien, Grippe
von grippalem Infekt zu unterscheiden. Daher schenken wir
den Versprechungen von Arzneimittelherstellern und Gesund­
heitsminister blindes Vertrauen: Wir glauben an die Sicherheit
der Impfstoffe, die uns die Pharmaindustrie vorsetzt, kaufen
antivirale Mittel wie Tamiflu®, weil wir fest davon ausgehen,
damit im Fall eines Erreger-GAUs dem qualvollen Seuchentod
zu entgehen. Und Kinder glauben an den Weihnachtsmann.
Davon ausgehend, dass Sie als Leserin oder Leser zumindest
über letztgenannten Bescheid wissen, sagen wir Ihnen an
dieser Stelle: Nach der Lektüre dieses Buches ist auch in
Sachen Viren die Zeit der Gutgläubigkeit vorbei.
Die Angst des Menschen vor Siechtum und Seuchen ist
normal, die Unwissenheit der meisten Patienten in puncto Vi­
ren verständlich. Kaum ein anderes Gebiet der Medizin ruft
11

so viele Ängste hervor und nur wenige Felder sind so kom­


plex und voller diagnostischer Fallstricke wie die Virologie.
Schon die Klassifizierung der Erreger erweist sich für Laien
als Problem. Ist Milzbrand, vor dem sich schon Schulkinder
fürchten, eine bakterielle Erkrankung - oder sind Viren am
Werk? Sind Antibiotika gegen Viren wirksam?
Bereits diese einfachen Fragen stellen viele vor Probleme.
Doch wer kennt sich schon mit Viren aus, die bisher nur in
weit entfernten Regionen aufgetreten sind und doch auch für
uns zur tödlichen Gefahr werden können? Haben Sie bei­
spielsweise schon von K9 gehört? Dass sich dahinter kein
Himalaja-Gipfel verbirgt, werden Alpinisten auf Anhieb wis­
sen - doch was hat es mit diesem geheimnisvollen Kürzel auf
sich und stellt es für uns eine Bedrohung dar?
och weniger transparent wird die Materie, wenn es um
Impfstoffe und Medikamente gegen Viren geht. Gibt es eben­
wirkungen, und wenn ja, welche? Sind die Mittel ausreichend
getestet, und wenn nicht, warum? Selbst Ärzte scheitern -
trotz enormen Fachwissens - mitunter an den winzigen Erre­
gern. Wer haftet im Fall einer unerwünschten Nebenwirkung
oder gar beim Tod des Geimpften? Die niedergelassenen Ärz­
te schon mal nicht, oder haben Pharmahersteller doch Geset­
zeslücken genutzt, um das juristische Risiko auf sie zu über­
tragen?
Wem man im Wirrwarr von Informationen, Patientenbro­
schüren und Wissenschaftssendungen glauben kann, lässt
sich mit einem Wort beantworten: niemandem so richtig.
Denn viele Publikationen sind von der Pharmaindustrie ge­
sponsert, Interessenkonflikte vorprogrammiert. Nicht einmal
die Ständige Impfkommission ist davor gefeit, stehen doch ei­
nige ihrer Mitglieder auf der Kooperations- oder Mitarbeiter­
liste der Pharmaindustrie.
12 DIE VIREN-LÜGE

Die Politik ist in die Machenschaften der Vakzinhersteller


direkt involviert. Geheimverträge mit den Bundesregierun­
gen von Deutschland und Österreich, die der Öffentlichkeit
vorenthalten werden, gehören zum Tagesgeschäft einer In­
dustrie, die mit Vakzinen und Tabletten gegen Viren Milliar­
den scheffelt.
Dass Impfstoffe unzählige Menschenleben retten können,
steht außer Frage. Fraglich indes sind zum Beispiel die Me­
thoden, nach denen entschieden wird, wer die Vakzine erhal­
ten darf. Glaubt man der mit dem Friedensnobelpreis ausge­
zeichneten Organisation Ärzte ohne Grenzen, sind die armen
Länder der Welt die großen Verlierer einer verfehlten Politik:
Medikamentenhersteller stemmen sich mit aller Macht gegen
Patentregelungen, die eine Produktion günstiger Nachahmer­
präparate (Generika) ermöglichen - und gefährden Millionen
von Menschenleben. Die Pharmaindustrie allerdings demen­
tiert und verweist auf die Abgabe von Mitteln zum Discount­
preis - wer hat Recht? Sind die Forscher von Big Pharma die
Bad Guys? Und radikale Impfstoffgegner immer die Guten?
Die Lage ist kompliziert. Einst galt Deutschland als die
,,Apotheke der Welt", noch heute blicken Pharmaziestuden­
ten mit Ehrfurcht auf die von Bayer entwickelte Formel der
Acetylsalicylsäure (ASS), die wohl am besten untersuchte
Substanz der letzten 100 Jahre. Doch was im vergangenen
Jahrhundert noch einzelne Wissenschaftler stemmten, müs­
sen heute vernetzte Computer bewerkstelligen: Die Entwick­
lung von Wirkstoffen ist nicht nur extrem teuer, sondern
auch äußerst zeitaufwendig. Ein wirksames Medikament be­
darf normalerweise eines zehn bis 15 Jahre langen Entwick­
lungsprozesses. Nicht selten wird auch über Dekaden ge­
forscht - mit dem einzigen Ergebnis, dass alles umsonst war.
In Zeiten der großen Kapitalunternehmen lassen sich Erfol-
13

ge in steigende Aktienkurse verwandeln, gleichzeitig be­


schert jeder Rückschlag an der Entwicklungsfront den be­
troffenen Unternehmen s inkende Kurse und, schlimmsten­
falls, die Kernschmelze am Kapitalmarkt.
Die zunehmende Ökonomi s ierung der Forschung in den Un­
ternehmen trägt dazu bei, dass Entscheidungen ausschließlich
nach dem Marktpotenzial der Therapeutika in spe gefällt wer­
den. Ausgerechnet V iren erweisen sich dabei als Glücksfall für
die Pharmaindustrie, denn ihre Ausbreitung lässt s ich mithil­
fe von Computerprogrammen recht genau simulieren - längst
entscheiden Workstations, nicht Menschen, wann eine Pille
oder ein Vakzin entwickelt wird und wann nicht. Die Simula­
tionen verbleiben keinesfalls in den Schubladen der großen
Pharmaunternehmen. Auf internationalen Tagungen in Fünf­
Sterne-Hotels präsentieren die Pharmaexperten leuchtende
Grafiken und Zahlen - Adressaten der Multimediashows sind
Vertreter der Gesundheitspolitik. Auch hierbei geht es um das
große Geld: Ob ein Staat Millionen von Impfstoffdosen kauft,
hängt davon ab, wie hoch die Kosten für das Gesundheitssys­
tem im Fall einer unkontrollierbaren Seuche wären. Die Angst
der Politik vor dem nicht nur biologischen, sondern auch fi­
nanziellen GAU i st der Antriebsmotor dieser Pharmastrategie.
An Horrorbildern und -szenarien mangelt es kaum. Wen
Viren bei Ebola, Krim-Kongo oder ähnlichen Erkrankungen
befallen, der stirbt einen qualvollen Tod. Im Mai 2011 sorgte
zwi schen Griechenland-Kri se und dem Eurovision Song Con­
test eine Meldung aus Uganda für Aufmerksamkeit. Dort war
ein zwölfjähriges Mädchen an den Folgen des tödlichen Ebo­
la-Virusbefalls gestorben, die Weltgesundheitsorganisation
WHO befürchtete einen massiven Ausbruch. 4 Die Seuchen als
exoti sche Malaisen ferner Länder abzutun, wäre unange­
bracht, der uneingeschränkte Touri smus und ein unverkenn-
14 DIE VIREN-LÜGE

barer Klimawandel treiben viele Erreger in Richtung Europa.


Ärzte sind auf den Vorstoß der neuen Seuchen ebenso wenig
vorbereitet wie die heimischen Gesundheitssysteme, einzig
die Pharmaindustrie kalkuliert die Potenziale der Viruser­
krankungen.
Allein das ist zumindest aus Sicht der Pharmabranche öko­
nomisch nachvollziehbar: Es geht um Renditeerwartungen der
Aktionäre, die Konzerne verstehen sich nicht als karitative
Einrichtungen. Weniger verständlich ist das Handeln vieler
unserer Volksvertreter - und dramatisch umfangreich die Lis­
te der Fehlentscheidungen durch die Politik. Millionenbeträge
aus den Kassen des Bundesministeriums für Bildung und For­
schung (BMBF) fließen beispielsweise an den deutschen Ab­
leger des Schweizer Giganten Rache - der über einen eigenen
jährlichen Forschungsetat in Höhe von knapp zehn Milliarden
Franken verfügt. Universitäten wiederum, die eine unabhän­
gige Arzneimittelentwicklung stemmen könnten, müssen sich
oftmals mit niedrigen sechsstelligen Förderbeiträgen des Bun­
des begnügen - schon der Dienstwagen der Kanzlerin kostet
mehr.
Für die Menschen im Lande sind solche Zusammenhänge
ohnehin kaum zu erkennen, weil die Informationen schwer
oder gar nicht öffentlich zugänglich sind. In den Blickpunkt
rücken nur zu oft lediglich jene Virusleiden, die der Pharma­
industrie den größten Gewinn versprechen. Es ist eine simple
Formel, doch sie funktioniert: Erst die generalstabsmäßig ge­
schürte Angst bewegt die Politik zum Handeln - und das im
Dienste der Pharmainteressen.
Impfungen können Leben retten. Daher halten wir eine un­
abhängige Vakzinforschung in der Hand von Universitäten
und staatlichen Großforschungseinrichtungen für unabding­
bar, um der Pharmaindustrie einen echten Wettbewerb der
15

Ideen bieten zu können. Ebenso unerlässlich wäre die Entfer­


nung sämtlicher Mitarbeiter in staatlichen Zulassungsstel­
len, die auch nur ansatzweise mit der Pharmaindustrie ver­
bandelt sind - es gibt genug innovative, unabhängige Köpfe,
die an ihre Stelle treten könnten. Dass Steuergelder an Kon­
zerne wie Rache keinerlei Berechtigung haben, ist ebenso
fester Bestandteil unserer Analyse wie die Tatsache, dass es
Geheimverträge zwischen Pharmaindustrie und Bundesre­
gierungen schlichtweg nicht geben darf.
Solange sich an diesen exemplarisch ausgesuchten Aspek­
ten nichts ändert, werden die Mechanismen der Viren-Lüge
weiter greifen. Von ihnen handelt dieses Buch.
KA P I T E L E I N S

Eine ku rze Geschichte der Viren


A n den vorletzten Tag des Jahres 2010 erinnern sich die
Men­schen im US-amerikanischen Bundesstaat Arkansas
noch heute. Auf einer Länge von über 20 Kilometern,
zwischen der Ozark-Schleuse und dem Stromkilometer 240,
säumten tote Fische die Ufer des A rkansas River. Die mehr
als 100.000 zur Familie der Umberfische zählenden toten
T rommler versetz­ten die Bevölkerung in Angst - und
stellten Forscher vor ein Rätsel: Was hatte die Tiere
dahingerafft? Die erste These, wo­nach Umweltgifte im
Wasser den Massenexitus ausgelöst ha­ben könnten, erwies
sich innerhalb von Stunden als falsch. Zwar sind Gifte in
Gewässern durchaus in der Lage, inner­halb kürzester Zeit
alles Leben auszulöschen, zudem gelten Fische seit jeher
als besonders empfindlich gegenüber Toxi­nen aller Art,
nur: Normalerweise machen Gifte allen Flusso rganismen
gleichermaßen zu schaffen. In Arkansas aber war das
nicht der Fall. Dass lediglich die Sciaenidae, eine aus
18 DIE VIREN-LÜGE

70 Gattungen und 270 Arten bestehende Tierfamilie, so


schnell und trotzdem regional begrenzt dahingerafft wurde,
ließ sich mit gängigen Theorien kaum erklären. So teilte die
Regionalbehörde „ Arkansas Game and Fish Commission" ei­
nige Tage später schließlich mit, dass Viren oder Bakterien
die Trommler befallen haben könnten. Diese Erklärung ließ
Virusforscher weltweit aufhorchen. Nicht nur waren die Fi­
sche in geradezu apokalyptischer Weise gestorben, sie waren
sogar zeitgleich verendet. So schnell aber wirkt keine bakte­
rielle Infektion, also schienen Viren die infrage kommenden
Erreger zu sein. Der weltweit operierende Seucheninformati­
onsdienst Promed stellte angesichts dieser These seinen glo­
bal vernetzten Virusforschern die zentrale Frage: Um was für
ein Virus handelte es sich? Einen Erreger, der nur Süßwas­
ser-Trommler zu befallen scheint, hatte bis zu jenem Zeit­
punkt noch kein Forscherteam entdeckt, geschweige denn
isoliert. Das noch ungelöste Rätsel der toten Fische von Ar­
kansas erinnerte Experten an die vielen weißen Flecken auf
der Landkarte der Virusforschung - selbst zu Beginn des
zweiten Jahrzehnts des neuen Millennium gibt es Epidemien,
denen die Wissenschaft ahnungslos gegenübersteht.
Während die Weltöffentlichkeit sich in regelmäßigen Ab­
ständen mit vermeintlichen Seuchen wie Vogelgrippe, SARS
oder Schweinegrippe befasst, avancieren neue virale Erreger
zur realen Bedrohung für die Menschheit. Erste Ausbrüche in
der Tierwelt werden lediglich von Fachleuten registriert, da­
bei sind Wirtswechsel über Artgrenzen hinweg mehr als
wahrscheinlich.
Das Sterben der Fische in den USA blieb außerhalb der Vi­
rusforschergemeinschaft unbeachtet, dafür gab es einen sim­
plen Grund: Nahezu zeitgleich mit dem Tod der Trommler
fielen tote Vögel vom Himmel des Bundesstaats Arkansas,
E i n e k u rze Gesc h i c hte d e r V i re n 19

was die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog. Kurz nach
Silvester schilderten Gesundheitsbehörden in Kentucky ähn­
liche Vorkommnisse, auch Louisiana, im Jahr 2010 eher we­
gen der BP-Ölpest ins Rampenlicht der Weltöffentlichkeit ge­
rückt, wunderte sich über herabfallendes, totes Federvieh.
An skurrilen Erklärungsversuchen für diese Phänomene
mangelte es nicht. Behörden und Experten diskutierten ü ber
Ursachen wie Silvesterraketen oder den kollektiven Herzin­
farkt der Tiere. Als ob die Natur den hilflosen Forschern eine
zusätzliche Rätselaufgabe stellen wollte, mussten am 4. Janu­
ar 2011 auch Ornithologen in Chile den ebenso plötzlichen wie
unerklärlichen Tod von 1500 dunklen Sturmtauchern (Puffi­
nus griseus) in der Gegend von Mela und Colmuyao feststel­
len. Zudem schien der Mensch selbst Opfer rätselhafter Erre­
ger zu werden: Nur einen Tag vor der Meldung aus Chile in­
formierten indische Gesundheitsbehörden ihre Kollegen welt­
weit über den mysteriösen Tod von zwei Kindern im Distrikt
Mandya. Die kleinen Patienten hatten ohne jegliche Anzei­
chen einer Erkrankung begonnen, Blut zu brechen, kurz da­
nach waren sie tot. Zur Verwunderung der Ärzte wies das Blut
der Kinder eine ungewohnte Eigenschaft auf: Seine Gerin­
nungszeit betrug 120 Sekunden und nicht, wie bei Gleichalt­
rigen zu erwarten gewesen wäre, 15 bis 20 Sekunden.
Hunderttausende tote Fische, mysteriös verendete Vögel
oder innerlich verblutende Kinder. Der Stoff, aus dem Holly­
woods Studios normalerweise Thriller produzieren, zählt
zum Alltag der Seuchenforscher. ,,Undiagnosed Die-off" nen­
nen Wissenschaftler das rätselhafte und ungeklärte Sterben
von Tier und Mensch. Entgegen der landläufigen Meinung
kommt das Phänomen täglich vor. Seltenheitswert hat allen­
falls die Aufmerksamkeit der Bevölkerung für das Gesche­
hen - noch. Dabei wäre Sorge und mehr Sorgfalt in der Seu-
20 DIE VIREN-LÜGE

chenbekämpfung ebenso angebracht wie ein Plus an Auf­


merksamkeit für die Thematik. Denn die Opferzahlen gehen
insgesamt in die Millionen, wenn auch fast unbemerkt. Mal
sind es Erwachsene in Afrika, mal Kinder in der westlichen
Welt, ebenso häufig stammen die humanen Opfer aus Asien,
Amerika oder Australien. Für Tiere gelten ähnliche Szenari­
en, der Tod kom m t schnell, unerwartet und ohne Hinweise
auf die Ursachen. Laboranalysen führen meist zu keinem Er­
gebnis, mit etwas Glück bleiben die Ausbrüche lokal be­
grenzt. Undiagnostizierte Todesfälle beschäftigen Ärzte, pa­
thologische Institute und mitunter die Kriminalbehörden.
Die Fragen nach den Ursachen bleiben in den meisten Fällen
über Wochen, Monate oder sogar Jahre ungeklärt - doch im
Verdacht stehen im mer wieder die winzigsten Bewohner un­
seres Planeten: Viren.
Tatsächlich zählt die lediglich aus einer Eiweißhülle und
Erbsubstanz bestehende Lebensform zu den faszinierendsten
und gefährlichsten Erregern des Planeten. Viren verändern
schlagartig ihr Aussehen, nehmen über Nacht vollkom men
neue Formen an und können von einem Wirt auf den anderen
überspringen. Bestenfalls sind sie alte Bekannte, die sich
durch konsequent umgesetzte Impfprogramme in Schach
halten oder gar ausrotten lassen. So gelten Pocken seit 1977,
als der letzte Fall in Somalia beobachtet wurde, als weltweit
besiegt. Für die Vertreter der neuen und wiederkehrenden
Seuchen gilt diese Erfolgsstory allerdings nicht: Sie lassen
sich weder rechtzeitig stoppen, noch frühzeitig genug erken­
nen.
Um Viren nachweisen zu können, muss man sie nämlich
vorher typisieren. Kennt man sie nicht, lassen sich Nachweis­
verfahren nur über Umwege anwenden. Ohne funktionieren­
de Nachweismethoden wiederum sind die Todesursachen der
E i n e k u rze G e s c h i c hte d e r V i r e n 21

i n fi z ierten O rganismen - Homo sapiens sapiens i n k l u sive -


n u r schwer festste l lbar. E s ist e i n Teu fe lskre i s ohne Entrin­
nen.
H i nzu kom m t ein weiterer, aus medi z i n i scher Sicht mehr
a ls unglücklicher Aspekt: D i e meisten Ä rzte scheitern i m A l l­
tag an der Diagnose vieler vi rusbedi ngter E rkrankungen,
wei l die Symptome der i n fi z i erten Patienten zu d i ffu s s i n d .
Was beispielsweise a ls einfache E rkältung o d e r i n F o r m e i n es
grippalen I n fekts daherzukommen scheint, kann i n W i rkl ich­
kei t eine lebensbedroh liche I n fektion m i t u nbekannten E rre­
gern oder exotischen Viren s e i n , d i e h ierzulande bisher nu r
selten vorkamen. I m Alltag v i e le r Hausärzte, die a l s Anlauf­
ste l l e fü r E rkrankte fu ngieren, bleibt fü r Fortbi l d ungen auf
dem Gebiet der V i rologie kei n e Zeit. Entsprechend hoch ist
d i e Wah rsch e i n l ichkeit von Feh l d i agnosen, was den winzi gen
Erregern zum weiteren Vormarsch verh i l ft.
Anges ichts solcher Zusammenhänge warnen Seuchenbe­
kämpfe r seit Jahren vor den neuen Gefahren und rüsten auf,
i ndem s i e sich global ve rnetze n . Der digitale I n formations­
austausch ist m ittlerwe i l e derart massiv vo rangetrieben wor­
den, dass sich das Wi ssen über d i e Ausbreitung der E r reger
in Fachkreisen ebenso sch n e l l verbreitet wie die V i ren selbst.
Der O n l i n e-Informationsdienst der I n ternational Soc i ety for
I n fectious D i seases ( I S I D ) etwa gilt a ls unentbehrl iches Tool
der I n formation sbeschaffu ng. I mm e r dann, wen n Mediziner
i rgendwo auf dem Globus e i n e u n d i agnosti z i e rte E rk ran k u ng
festste l l e n , laufen i h re Berichte i n s I S I D-System - u nd errei­
chen auf d iese Weise angesch lossene Epidemiologe n, Ä rzte
oder Vi rologen in k ürzester Zeit, weltweit.
Anfang März 2006 beispielsweise rätselten Fach leute über
das, was i h re Kol legen aus der indi schen Prov i n z Orissa am
Golf von Bengalen alarm iert d urch den Ticker jagte n: E i n bis
22 D I E V I R E N-LÜ G E

dahin unbekannter und bis heute unidentifizierter Erreger


hatte innerhalb kürzester Zeit rund 3000 Menschen infiziert
und bei den Erkrankten hohes, teilweise lebensbedrohliches
Fieber ausgelöst. Das Virus verbreitete sich derart rasant,
dass indische Behörden die internationale Forschergemein­
schaft um Unterstützung baten.
Was auch immer in den Slums von Kishantola, Rukotola
und Banglatoli die Menschen ansteckte, erreichte nach weni­
gen Tagen die Stadt Rourkela und machte dabei nicht einmal
vor isolierten Lebensräumen halt - zu den Infizierten zählten
selbst Insassen des staatlichen Gefängnisses. Von „epidemi­
schen Zügen" sprach daher nicht nur der staatliche Chefme­
diziner des Distrikts, Premananda Patnaik. Auch der damali­
ge indische Gesundheitsminister musste die aus Sicht seines
Ministeriums „nötigen Schritte" einleiten. Doch die darauf­
hin eingesetzten 20 Spezialisten sowie die Auswertung von
immerhin 857 Blutproben brachten nur wenig Verwertbares
zutage. Welcher Erreger bei den betroffenen Menschen ne­
ben dem hohen Fieber auch Krämpfe, Erbrechen und uner­
trägliche Schmerzen verursachte, blieb ein Rätsel. Es sei,
heißt es noch heute im Infodienst der ISID, eine „mysteriöse
virale Attacke" gewesen, die, so viel scheint fünf Jahre nach
dem Auftreten der Seuche klar zu sein, über die Luft übertra­
gen wird.
Tausende Kilometer östlich des bengalischen Virenangriffs,
in der beschaulichen Schweiz, sitzt Christian Griot in einem
der streng gesicherten Sicherheitslabore des Instituts für Vi­
ruskrankheiten und Immunprophylaxe (IV !) und macht sich
über den globalen Vorstoß der Erreger Gedanken. Der Leiter
der in Mittelhäusern bei Bern ansässigen Schweizer Institu­
tion zählt zu den weltweit anerkanntesten Experten auf dem
Gebiet der Virologie. Ausbrüche wie in Indien sind Griot zu-
Ei n e k u rze Ges c h i c hte d e r Viren 23

folge keinesfalls neu - nehmen aber seit Jahren zu. ,,Als na­
hezu sicher gilt dabei die Tatsache, dass die Killerviren zuerst
im Tierreich auftreten und erst danach, nach entsprechenden
Mutationen des Erbguts, auf den Menschen überspringen",
erklärt Griot. 5 Tatsächlich ist die Liste der sogenannten „Emer­
ging Diseases", wie Epidemiologen die neuen Seuchen auch
nennen, beeindruckend: 6
• Das ebenso wie die SARS-Corona zur Paramyxofamilie
gehörende Hendra-Virus löste 1994 bei Menschen in
Australien schwere Lungenentzündungen aus.
Fledermäuse übertrugen den Erreger zuerst auf Pferde,
von da aus sprang er auf den Menschen über.
• Die in Form der Vogelgrippe ins Blickfeld der Öffentlich­
keit gerückten H5Nl-Influenza-Viren wiesen Forscher in
der chinesischen Provinz Guandong bereits im Jahr 1997
bei Geflügel nach, mittlerweile infizieren Vögel auch an­
dere Arten.
• Das Virus Menangle erblickte im Jahr 1998 in Australien
das Licht der Welt. Die Opfer erleiden eine schwere, le­
bensbedrohliche Lungenentzündung.
• Der SARS-Corona-Erreger, dem weltweit bisher mehr als
850 Menschen zum Opfer fielen, gilt ebenfalls als Beispiel
einer neuen Seuche. Seinen Ursprung machten Epidemio­
logen ebenfalls in Guandong aus und datieren den Zeit­
punkt der Entstehung auf das Jahr 2003.
Wie schwer sich die Entstehungsgeschichte solcher Seuchen
wissenschaftlich aufklären lässt, demonstriert eindrucksvoll
das Beispiel Nipah. Der gleichnamige Erreger tauchte erst­
mals im Jahr 1999 in Malaysia auf - und raffte in kurzer Zeit
102 Menschen dahin. Seitdem tappte man jahrelang im Dun­
keln. Erst im Juli 2006 gelang Wissenschaftler am US-ameri­
kanischen National Institute of Allergy and Infectious Disea-
24 DIE VIREN-LÜGE

ses (NIAID) ein kleiner Durchbruch, als sie den Eintrittsme­


chanismus der Viren in die menschliche Zelle ausmachten:
Offenbar docken die mörderischen Erreger an den Rezeptor
Ephrin-B2 an, der an der Oberfläche menschlicher Nervenzel­
len vorkommt. Auch bei Hendra scheint dieser Mechanismus
zu greifen. Doch mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein
sind solche Erkenntnisse kaum. Die eigentliche Frage nach
dem Ursprung der Killerviren bleibt weiterhin ein Mysteri­
um. ,,NIPAH kam gewissermaßen aus dem Nichts", erklärte
uns Klaus Stark, Professor und Experte für Zoonosenerkran­
kungen am Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin das oft beob­
achtete Phänomen, und: ,,Vermeiden kann man solche Aus­
brüche ohnehin nicht." 7
Tatsächlich gelten vor allem die warmen, tropischen Gebie­
te in Asien und Afrika als Wiege der neuen Seuchen. ,,Es gibt
dort ein unerschöpfliches, bisher kaum erforschtes Erreger­
reservoir, von dem niemand jemals etwas unter dem Mikros­
kop gesehen hat", bestätigt Griot. Doch das schlummernde
Heer der winzigen Unbekannten allein bereitet den Medizi­
nern noch kein Kopfzerbrechen. Erst eine besondere E i gen­
schaft lässt Forscher wie Griot aufhorchen: ,. D i e Vire n , von
denen wir reden, sind allesamt in der Lage, sich sehr schnell
anzupassen."
Ganz ohne Zutun des Menschen jedoch gelänge die Expan­
sion der Killererreger kaum. Die Zerstörung der Regenwälder
beispielsweise lässt Menschen und im Regenwald lebende
Tiere immer näher zusammenrücken. Entsprechend steigt
das Risiko, dass der Mensch in engen Kontakt mit neuen
Krankheitserregern oder neuen Varianten von bekannten Er­
regern kommt. Hinzu kommen weitere Faktoren. Die lokale
Bevölkerung ist durch Erreger bedroht, die über Wilderei und
den zwar verbotenen, aber immer noch vorkommenden Han-
E i n e k u rze G e s c h i c hte d e r V i r e n 25

del und Verzehr von Fleisch aus den Regenwäldern, dem


,,Bushmeat", übertragen werden können.
Regional begrenzt bleiben derartige Entwicklungen keines­
falls. Flugverkehr, Globalisierung, Individual- und Massentou­
rismus fungieren als Transportmittel nicht nur für den
Men­schen - die Erreger rei sen mit, wie auch die
amerikanische Weltraumbehörde NASA zu berichten weiß.
Über 130-mal flo­gen die Spaceshuttles ins All, erst der Juli des
Jahres 2011 mar­kierte das Ende einer Ära. Über die
Missionen ist viel berich­tet worden, vor allem über die
dramatischen Unfälle, bei denen die Shuttles „Challenger"
und „Columbia" explodierten und die jeweiligen
Besatzungen den Tod fanden. Der Vorstoß des Menschen ins
Universum scheint unaufhaltsam, Raumstatio­nen wie die
ISS werden eines Tages Normalität - und Shuttle­Flüge dann
allenfalls noch für H i storiker von Belang sein.
Könnte man meinen. In Wirklichkeit ist die Wahrschein­
lichkeit nicht gering, dass Astronauten in Zukunft vor jeder
Mission auf die Ergebnisse eines ganz speziellen Dokuments
aus der Shuttle-Zeit zugreifen werden - um nie zu vergessen,
dass jeder Flug ins All eine ganz besondere Gefahr birgt: Er
aktiviert jene Viren im menschlichen Organismus, die auf
der Erde lediglich in ihm schlummern und ihn nicht
bedrohen.
Als gesichert gilt nämlich die Erkenntnis, wonach extreme
Belastungen außerhalb der Stratosphäre Winzlinge wie Ep­
stei n-Barr- oder Herpes-V iren aus bislang noch ungeklärten
Gründen auf Trab bringen. Die entsprechende Analyse des
Johnson Space Center der NASA umfasst 16 Seiten, erst im
Oktober 2010 begann eine neue Forschungsphase zum The­
ma Viren im Weltraum. Urin und Speichelproben von Astro­
nauten waren vor dem Start und nach der Landung unter­
sucht worden, die Laborergebnisse sprechen für sich: Neben
Epstei n-Barr- und Zytomegalie-Virus scheinen auch andere
26 DIE VIREN-LÜGE

V i ren aus der H erpesgruppe w i e das Varice l l a-Zoster-Virus


aus dem Dorn röschenschlaf zu erwachen, sobald der Mensch
seine gewoh nte, i rdische Umgebung verlässt. 0
Zwar sind die meisten dieser Vi ren ohnehin weit verbreitet,
a l l e i n H erpes bringt es auf m i ndeste n s acht Varianten. Ob
Kosmonaut oder Normalo, i rgendwann hatte nahezu jeder E r­
denbürger Kontakt m i t den u n l iebsamen Lebensformen. Die
körpereigene Abwehr, unser I m m u n system, hält d i e W i n z l i n­
ge normalerweise i n Schach. Wei l s i e sich n icht ohne fremde
H i l fe vermehren und über ke inerlei Energieversorgu ng verfü­
gen , richten die V i re n sehr oft kei n e n Schaden a n . Sch l äfern
gleich, die erst bei einem best i mmten Startsignal ihr destruk­
tives Werk begi nnen, warten auch d i e Viren auf den richtigen
Zeitpunkt fü r einen Ausbruch. Im All scheinen fü r s i e die
Signalglocken zu läuten.
Eine Messung der V i renkonzentration i m Blut der rück keh­
renden Astronaute n ergab Werte, die Medi z i n e r eher aus der
Aidsforsch ung kennen: Im All fu nktioniert das I m m u n system
bis zu 100-mal schwächer als auf der Erde, der u ngebremsten
Ve rmehrung der V i ren unter Weltraumbedingungen hat der
Körper so gut wie n ichts entgegenz usetzen. Raumstationen
auf dem Mond? F lüge zum Mars? Tech n isch machbar schei­
nen solche Proj ekte schon heute - inwieweit der Mensch der
v i ralen Bedroh ung au ßerhalb des Orbits gewachsen i st, ist
fraglich. Au sgerechnet die simpelsten un d kleinsten Lebens­
formen der E rde bremsen den Menschen aus, wen n es u m den
Aufb ru c h i n neue Welten geht. Gew i s s , man mag sich fragen ,
warum u n s d a s heute tangieren sol lte. D i e Antwort darauf i s t
e i n fach: M i k roorgan ismen, d i e es schaffen , d e n Homo sapiens
unter Weltraumbedi ngungen i n d i e K n i e zu zwinge n , sind auf
der E rde grundsätzl i ch i n der Lage , ä h n l iche Probleme zu be­
rei ten. Wom i t aber haben w i r es genau zu tun?
E i n e k u rze G e s c h i c hte d e r V i re n 27

Schon der erste Versuch einer Definition macht deutlich:


Viren sind keine normalen Lebensformen. Denn das, was,
wie Schüler im Biologieunterricht lernen, Leben ausmacht,
vermögen virale Erreger nicht: sich eigenständig zu vermeh­
ren. Anders als Mensch, Tier oder gar Bakterie verfügen sie
lediglich über eine Eiweißhülle und einen Strang Erbsubs­
tanz, die R NA. Das Ziel eines Virus lässt sich entsprechend
einfach beschreiben: Durch Befall eines Wirtsorganismus
regt der Erreger die infizierten Zellen dazu an, Kopien seiner
eigenen Viren-R NA herzustellen. Auf diese Weise entstehen
innerhalb von Stunden millionenfach Abbilder des Eindring­
lings, die sich ihrerseits genauso verhalten wie das erste Vi­
rus. Je nach Virenart kann sich der befallene Organismus da­
gegen wehren, indem er Antikörper gegen die Angreifer pro­
duziert, die die Fremdlinge über einen komplexen biochemi­
schen Prozess vernichten. Viele Virenarten sind jedoch in
der Lage, sowohl Aussehen als auch Oberflächenstruktur zu
ändern, woraufhin die Abwehr des Körpers versagt. Irgend­
wann schwirren Millionen von Viren durch den Körper, am
Ende versagt die Funktion der lebenswichtigen Organe, der
Mensch stirbt.
So kann es kommen, doch nicht alle Viren sind wirklich
lebensbedrohlich. Zudem löst jede Infektion einen für den
Menschen wichtigen Prozess aus: Das Immunsystem erin­
nert sich an die Form des Erregers. Selbst nach Jahren würde
eine Neuinfektion scheitern, wenn speziellen Antikörpern
die entsprechende Virusart vertraut ist und sie die Körperab­
wehr einschalten.
Diese Mechanismen waren dem englischen Landarzt Ed­
ward Jenner im Jahr 1796 allerdings vollkommen unbekannt.
Trotzdem gelang Jenner die Herstellung der ersten serienmä­
ßig angewendeten Pockenschutzimpfung. Dazu spritzte er
28 DIE VIREN-LÜGE

einem Jungen ein Sekret aus den Bläschen der Kuhpocken.


Zuvor hatte Jenner beobachtet, dass Melkerinnen, die häufi­
gen Kontakt zu erkrankten Tieren hatten, gegen die gefürch­
tete humane Variante der Pocken immun waren. Zur Überra­
schung zeitgenössischer Experten, doch wie von Jenner er­
wartet, schien der geimpfte Junge nun gegen Pocken resistent
zu sein. Die angesehene Royal Society hielt Jenners Experi­
ment dennoch für wenig aussagekräftig, sie verweigerte dem
Arzt die Publikation des bahnbrechenden Erfolgs. Die Ent­
scheidung der britischen Gelehrtengesellschaft brachte Jen­
ner nicht davon ab, weitere Impfungen durchzuführen, selbst
sein eigener Sohn geriet in die wohl erste klinische Impfstu­
die der Welt. 1798 veröffentlichte Jenner seine Ergebnisse,
seitdem wird der vom lateinischen Wort für Kuh, vacca, stam­
mende Begriff Vakzin nicht nur im englischsprachigen Raum
verwendet, wenn es um Impfstoffe geht.
Das Prinzip, nach dem heute die gesamte Impfstofffor­
schung sowie die Grippeindustrie funktionieren, ist auf Jen­
ners Grundgedanken und dem Prinzip seiner Impfungen ge­
baut. Vakzine bestehen aus abgeschwächten oder toten Vi­
ren, die in den Körper des Menschen oder der zu impfenden
Tiere gespritzt werden. Daraufhin merken sich Antikörper
diese künstlich eingebrachten Eindringlinge und lösen im
Fall eines „echten" Angriffs, also einer späteren Virusinfekti­
on, den lebensrettenden molekularen Alarm aus: Erst jetzt
kommen speziell auf die Eindringlinge ausgerichtete Anti­
körper zum Einsatz und zerstören sie. Obwohl viele Men­
schen das Gefühl haben, Impfstoffe seien eine Erfindung der
Moderne, liegen sie damit also falsch. Nach Jenners Grundla­
genforschung ging der französische Wissenschaftler Louis
Pasteur im späten 19. Jahrhundert noch einen Schritt weiter.
Er begründete die Theorie der aktiven Immunisierung und
E i n e k u rze G e s c h i c hte d e r V i re n 29

führte am 6. Juli 1885 die erste Tollwutimpfung der Mensch­


heit bei dem neunjährigen Joseph Meister durch. Der kleine
Patient war von einem tollwütigen Hund gebissen worden
und hätte ohne Vakzin nicht überlebt. Pasteur feierte damit
einen sensationellen Erfolg, gleichwohl blieben die eigentli­
chen Erreger ein Mysterium.
1897 meldete der Deutsche Paul Ehrlich eine weitere Sen­
sation. Ihm war die Herstellung eines Impfstoffs gegen den
Wundstarrkrampf (Tetanus) gelungen. Obschon dieser nicht
von einem Virus, sondern einem Bakterium ausgelöst wird,
beflügelte das Vakzin die Medizinforschung. Pasteurs Theo­
rie, dass winzige Keime Auslöser von Seuchen und Krank­
heiten sind, schien bestätigt. Doch wie so oft in der Geschich­
te der Medizin wendeten Forscher aufgrund von neuesten
Erkenntnissen innovative Methoden an, ohne aber genau zu
wissen, was die Seuchen und Epidemien auslöste. Obwohl
Viren als solche über Jahrtausende hinweg vom Menschen
unerkannt blieben, waren sie stets seine Begleiter - und
zwar unangenehme, wie schon die Antike zu berichten wuss­
te.

Vo m Rö m i schen Reich z u r g l o b a l e n Viru sfo rsc h u n g

„ Pecunia non olet." Geld stinkt nicht - ein Bonmot, das im


Rom unter Kaiser Vespasian, also vor nahezu 2000 Jahren,
geprägt wurde. Für die großen Pharmahersteller von heute
scheint diese Devise noch immer zu gelten, wie wir noch ein­
gehend dokumentieren werden. Doch die Pharmabranche be­
dient sich auch eines weiteren von den Römern geprägten
Ausdrucks: Virus. Der Medizinchronist und Enzyklopädist
Cornelius Aulus Celsus benutzte dieses Wort im ersten Jahr­
hundert vor Christus erstmals. Er war der Ansicht, dass die
30 DIE VIREN-LÜGE

Tollwut durch ein Gift, lat. virus, übertragen wurde. Nahezu


1800 Jahre lang wurde der Begriff für alle übertragbaren
Krankheiten verwendet. Dass Viren eine eigene Erregerfo rm
sind und Bakterien ebenfalls ansteckende Erkrankungen ver­
u rsachen, blieb aber unbekannt. Licht ins molekularbiologi­
sche Dunkel brachte die allmähliche Etablierung des Mik­
roskops zu wissenschaftlichen Zwecken im 18. Jahrhundert.
Weil Bakterien mit einem Mal sichtbar, jedoch nicht alle
übertragbaren Krankheiten von ihnen ausgelöst wurden, blie­
ben Viren als unbekannte „Gifte" übrig, die sich mithilfe des
Lichtmikroskops nicht nachweisen ließen. Die sogenannte
Keimtheo rie versuchte gegen Ende des 19. Jahrhunderts, jede
Infektion mit der Existenz eines dafür verantwortlichen Mi­
kroorganismus zu erklären.
Den eigentlichen Aufbruch ins Zeitalter der Virusforschung
läutete im Jahr 1892 der Russe Dimitri I. Iwanowski ein. In St.
Petersburg gelang ihm ein spektakulärer Nachweis: Der Erre­
ger der sogenannten Mosaikkrankheit ließ sich durch keinen
damaligen Filter stoppen, war unter dem Mikroskop unsicht­
bar und ließ sich - anders als Bakterien - im Labor nicht
züchten. Doch erst der Holländer Martinus Willem Beijerinck
erkannte 1898, dass lwanowski tatsächlich eine neue Lebens­
form entdeckt hatte, im selben Jahr machten die Greifswalder
F riedrich Loeffler und Paul Frosch bei Experimenten mit der
Maul- und Klauenseuche (MKS) ähnliche Erfahrungen. Die
Entdeckung der Viren als eigene Lebensform lässt sich somit
auf das Ende des 19. Jahrhunderts datieren.
Es folgten Jahre bahnbrechender Beobachtungen. 1901 ge­
lang der Nachweis des Gelbfieber-Virus und des Getlügelpest­
Virus, 1903 und somit rund 2000 Jahre nach Celsus' erstem Er­
klärungsversuch wurde Tollwut als Viruserkrankung identifi­
ziert. Pasteu rs Impfstoff fand nun eine virologische Erklärung.
E i n e k u rze G e sc h i c hte d e r V i r e n 31

Die Jahre 1908 und 1911 brachten eine weitere sensationelle


Entdeckung: Sowohl Leukämie als auch solide Tumore ließen
sich bei Hühnern zellfrei - also ohne Bakterien - übertragen.
Damit stand fest, dass ein unsichtbarer Erreger im infizierten
Organismus Krebs auslösen konnte und Bakterien, die man
im Lichtmikroskop hätte sehen müssen, keinesfalls die einzi­
gen, krankheitsauslösenden Erreger sein konnten. Viren ge­
rieten schlagartig ins Visier der Wissenschaft. Die Winzlinge
galten als unheimliche Zeitgenossen, ein Image, das den Er­
regern bis heute anhaftet.
Seuchen, die seit Menschengedenken ein unlösbares Rät­
sel waren, ließen sich plötzlich durch Viren erklären. So er­
blickten im Jahr 1909 Forscher zum ersten Mal ein Polio-Vi­
rus, 1913 gelang die Züchtung von Viren in Zellkulturen.
Der Boom an der Virenfront ging mitunter mit ebenso
skurrilen wie lebensbedrohlichen Therapien einher. Im Früh­
jahr 1923 beispielsweise sorgte eine von einem amerikani­
schen Militärarzt des Army Medical Corps, Edward B. Ved­
der, gemachte Beobachtung für Aufsehen. Mit Tuberkulose­
Bakterien infizierte Schweine schienen bei Behandlung mit
niedrigen Konzentrationen von Senfgas nicht zu erkranken.
Zwar ist der Erreger kein Virus, sondern eine Bakterie, zu­
dem galt das im Ersten Weltkrieg eingesetzte Senfgas selbst
Militärforschern als zu riskante lnhalationsmethode. Doch
schienen „ Keime", wozu damals Viren und Bakterien glei­
chermaßen zählten, bei bestimmten Gasen im Körper wir­
kungslos zu werden. Die „medizinische Gastherapie" begeis­
terte im April 1923 sogar seriöse Publikumsmedien, das
Nachrichtenmagazin TIME empfahl das Einatmen von ver­
dünntem Chlorgas bei Vorliegen einer lnfluenza. 9 In kli­
nischen Versuchen belegen ließ sich die Applikation des gif­
tigen, gelbgrünen Gases nie - aber die Wissenschaftler jener
32 DIE VIREN-LÜGE

Zeit meinten erkannt zu haben, dass in Chlorgasfabrikations­


anlagen die Menschen seltener an Grippe erkrankten. Erst
1933 erfolgte der Nachweis des humanen Influenza-V irus, die
zehn Jahre zuvor empfohlene Chlorinhalation verschwand in
den Archiven der Medizingeschichte.
Beachtlich ist, dass viele der heute immer wieder genann­
ten V iren vor mehr als einem halben Jahrhundert entdeckt
wurden. Dass Kaninchen-Papilloma-Viren Krebs auslösen,
wussten Wissenschaftler bereist 1936 zu berichten - zu Be­
ginn des neuen M illenniums gilt die humane Version dieses
Virus' als Gebärmutterhalskrebs-Risikofaktor Nummer eins.
Der S iegeszug der V irenforschung begann dann in den
1950er Jahren, weltweit machten sich Wissenschaftler daran,
wichtige Zusammenhänge zwischen Seuchen und Viren zu
ergründen. Die Virologie erlebte in dieser Zeit einen wahren
Erkenntnisrausch. Sehr schnell wurde den Wissenschaftlern
klar, welches Potenzial die Entwicklung von Impfstoffen barg.
Mehr als 50 Millionen Menschen waren zwischen 191 8 und
1920 an den Folgen der Spanischen Grippe gestorben10 , damit
raffte die Influenza genauso viele Menschen dahin wie der
Zweite Weltkrieg. Erst im Jahr 2005 gelang die vollständige
Rekonstruktion des Erregers in Hochsicherheitslabors der
amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC, nachdem be­
reits Ende der 1990er Jahre Wissenschaftler aus noch erhalte­
nem Lungengewebe von Opfern der Spanischen Grippe Vi­
renpartikel isoliert hatten. Heute steht fest: Das V irus zählte
zu den sogenannten Influenza-A-Erregern und zeichnete sich
durch eine unliebsame Eigenschaft aus: Es war besonders ag­
gressiv. Schneller als seine Pendants verrichtete H1 N1, wie
Wissenschaftler den Winzling bezeichnen, sein zerstöreri­
sches Werk. Und anders als viele verwandte V iren vermochte
sich der Todesbringer an seinen Wirt optimal anzupassen.
E i n e k u rze G e s c h i c hte d e r V i re n 33

Selbst 70 Jahre später, in den bunkerähnli chen Laboranlagen


der CDC, galten die Viren während der Experimente als töd­
liche Gefahr. Die Sicherheitsbestimmungen waren restrikti­
ver als in Los Alamos, wo in den 1940er Jahren die Atombom­
be entwi ckelt worden war.
Um gegen künftige Gri ppepandemien dieses Ausmaßes ge­
wappnet zu sein, suchten V irologen weltweit nach weiteren
Gefahrenquellen. Die Natur erweist sich als nahezu uner­
schöpfliches V irenreservoire, bis heute kann niemand mit
Bestimmtheit sagen, w ie viele Arten den Planeten bevölkern
- und wann die nächste tödli che Pandemie vor der Tür steht.
Einig sind sich Mediziner und V irusforscher lediglich in ei­
nem Punkt: Das nächste millionenfache Sterben von Men­
schen ist nur eine Frage der Zeit und Viren werden die Aus­
löser dieser Katastrophe sein. Die weltweite Angst vor dem
möglichen Vireninferno kommt manchen Akteuren durchaus
gelegen.
KAP ITEL ZWE I

Das M i l l i a rdengeschäft m i t den Va kzinen

Es kommt selten vor, aber mitunter müssen Interviews neben


einem laut tickenden Wecker geführt werden - zum Beispiel,
wenn weltweit renommierte Virolgen einmal Zeit für ein Me­
diengespräch finden. Im März 2005 schlugen wir unseren
Kollegen von Spiegel Online ein Interview mit Robert Gallo
vor, jenem Mann, der 1983 zeitgleich mit Luc Montagnier den
Aids-Erreger HIV entdeckt hatte. Robert Gallo stimmte dem
Telefongespräch zu, die Originalaufnahmen liegen heute gut
gesichert in unserem Archiv - nicht, weil sie in materieller
Hinsicht besonders wertvoll wären, sondern weil das, was
Gallo uns zu sagen hatte, nach wie vor Sensationswert be­
sitzt. In dem Gespräch, dessen Ende nach 30 Minuten durch
das Klingeln eines Weckers angezeigt wurde, ging es um die
Rolle der Pharmaindustrie bei der Vermarktung von Medika­
menten gegen H IV in der Dritten Welt. Der Vorwurf hallt
noch nach: ,,Die Konzerne stehen unter dem Druck ihrer An-
36 DIE VIREN-LÜGE

teilseigner, solide Renditen zu erwirtschaften. Wie soll man


Hunderte Millionen Dollar verschenken, ohne gegen die Inte­
ressen seiner Aktionäre zu verstoßen?""
Diese Aussage stammt nicht von irgendwem, Gallo ist auf
dem Gebiet der Virusforschung ein Schwergewicht. Zu den
wichtigsten Entdeckungen seines Teams zählen das humane
Herpes-Virus Typ 6 (HHV-6) und der Erreger des Drei-Tage­
Fiebers (Roseola infantum). Zwar erhielt Gallo im Vergleich
zu Luc Montagnier im Jahr 2008 den Medizinnobelpreis für
die Entdeckung des HI-Virus nicht, eine Entscheidung, die
innerhalb der Virologengemeinde nach wie vor umstritten
ist. Doch Gallo wurde mit anderen Auszeichnungen bedacht,
darunter der Albert Lasker Award for Basic Medical Research
oder der Paul-Ehrlich-und-Ludwig-Darmstaedter-Preis. Wenn
Forscher wie Gallo Big Pharma kritisieren, haben die Aussa­
gen Substanz: Der Amerikaner leitete über Jahrzehnte hin­
weg das Labor für Tumorvirologie der National Institutes of
Health (NIH) in Bethesda, Maryland, seit 1996 ist er Direktor
des Institute of Human Virology des University of Maryland
Biotechnology Institute (IHV). 12
iemand - auch Gallo nicht - spricht Pharmaunterneh­
men ihr Recht auf die Erzielung von Gewinnen ab. Aber die
Frage muss erlaubt sein, welchen Preis wir dafür zu bezahlen
bereit sind? Dass ein Gigant der Virenforschung solch kriti­
sche Töne anschlägt, demonstriert die tiefen ethischen und
moralischen Verwerfungen, denen der globale Arzneimittel­
markt unterworfen ist. Gallos Kritik ist wertvoll, weil sie kei­
nen politischen Hintergedanken hat. Der Forscher zeigt dis­
tanziert - und deutlich - die eigentliche Schwäche des Sys­
tems auf: Renditeerwartungen dominieren das Denken der
Entscheidungsträger. Gallos sachlicher Blick auf die Mecha­
nismen des globalen Impfstoffmarkts sollte uns Grund zu
D a s M i l l i a rd e n ge s c h ä ft m i t d e n Va kzi n e n 37

großer Sorge geben: Wie sehr sind wir den Interessen der
Pharmagiganten eigentlich bereits ausgeliefert?
Die zentrale Frage, um die es dabei geht, ist einfach ge­
stellt: Warum verzichten Pharmafirmen in den Ländern der
Dritten Welt nicht auf ihre Patentrechte, um den Menschen
den Zugang zu kostengünstigen Medikamenten wesentlich
zu erleichtern? Würde ein Robert Gallo als Pharmafirmen­
Chef auf die vielen Milliarden aus dem Patentgeschäft ver­
zichten? Das wollten wir 2005 von ihm wissen.
,,Es wäre leicht, die moralisch und ethisch korrekte Ant­
wort auf diese Frage zu geben: Ja, natürlich würde ich das
tun", erklärte uns der V irologe. Im Praxisalltag erweise sich
diese Einstellung jedoch als schwer umsetzbar, fügte er im
gleichen Atemzug hinzu: ,, Ich befürchte, dass sich die Phar­
maindustrie eines Tages komplett aus der Aidsforschung zu­
rückzieht, wenn wir sie zu sehr unter Druck setzen. Wir
brauchen eine neue Aktionärskultur, die es Konzernen er­
laubt, richtig zu handeln, ohne bedrängt zu werden. Bis das
aber geschieht, wird jeder fragen: Wer zahlt die Zeche?"
In erster Linie die Steuerzahler, wie nur zwei Jahre nach
der globalen Finanzkrise Zahlen aus Berlin demonstrieren
sollten. Tatsächlich sah der Haushalt des Bundesministeri­
ums für Bildung und Forschung (BMBF) für 2011 auf den ers­
ten Blick vielversprechend aus. Nicht nur betrug das Gesamt­
volumen 11,6 Milliarden Euro, auch der Zuwachs gegenüber
dem Vorjahreszeitraum ließ sich mit 782 M illionen Euro se­
hen. Angesichts solcher Summen hofften viele Universitäts­
kliniken und öffentliche Einrichtungen, wenigstens einen
Teil des Kuchens abzubekommen.
Nur ein Jahr nach der von der Weltgesundheitsorganisation
WHO ausgerufenen HlNl/ A-Pandemie schienen diese Hoff­
nungen berechtigt. Obwohl man heute mit Bestimmtheit sa-
38 D I E V I R E N-LÜ G E

gen kann, dass die durch H l Nl/ A ausgelöste Schweinegrippe


keinesfalls so bedrohlich war, wie 2009 von Politik und globa­
len Gesundheitsbehörden postuliert, offenbarte die Seuche
dennoch, wie sehr Vakzine beim Kampf an der sich immer
wieder neu formierenden Virenfront benötigt werden. Daran
zweifeln heute weder Universitätsmediziner noch die Phar­
maindustrie. Doch die Interessen könnten unterschiedlicher
kaum sein.
Während Unikliniken in erster Linie den wissenschaftli­
chen Aspekt betrachten, um unabhängig von monetären
Ü berlegungen nach den besten Mitteln gegen Viruserreger
zu forschen, schauen Marketingexperten der großen Pharma­
konzerne auf das Umsatzpotenzial der Präparate. Glaubt man
den Angaben der pharmazeutischen Industrie, so kostet die
Entwicklung eines einzigen neuen Wirkstoffs mittlerweile
rund eine Milliarde Euro. Selbst wenn man diese Zahl infrage
stellt, wie wir das in unserem Buch „Die Gesundheitsmafia"
aufgrund von internen Dokumenten der Branche ausführlich
taten: Die Erforschung neuer Präparate bleibt teuer, und
Pharmariesen handeln rein gewinnorientiert. Dagegen wäre
wenig einzuwenden, denn ,,Wissenschaft, Forschung und
Lehre sind frei", wie Artikel 5 des Grundgesetzes attestiert.
Legt man die Verfassung der Bundesrepublik entsprechend
aus, dürfen Arzneimittelhersteller ebenso unabhängig for­
schen wie öffentliche Einrichtungen. Konzerne wie Novartis,
Rache, GlaxoSmithKline oder Baxter, allesamt Dominatoren
auf dem äußerst lukrativen Markt der Vakzine, erwirtschaf­
ten ohnehin etliche Milliarden durch den Verkauf ihrer Impf­
stoffe und antiviralen Mittel. Zudem haben sie Milliarden in
ihren Forschungskassen, die sie in die Entwicklung von neu­
en, patentgeschützen und somit teuren Präparaten investie­
ren.
D a s M i l l i a rd e ngesc h ä ft m i t d e n Va k z i n e n 39

Die von den Vätern der deutschen Verfassung ausdrück­


l i ch gebi l l i gte Forsch ungsfreiheit unterscheidet n i ch t zwi­
schen privater und öffentlicher Herkunft, un d das ist gut so.
Eine frei e Wi ssenschaft m i t wi rtschaftl ichem Output kann
e i nen s i n nvol l e n , i n n ovativen Prozess i n Gang setzen : Auf
der einen Seite streben Un iversi täten nach neuen W i rkstof­
fen , um die Grundlagenforschung voranzutreiben und, bes­
tenfal l s, neue Medi kamente oder I mpfstoffe zu entwicke l n ,
d i e wen iger p rofitabel sind. A u f der andere n Seite erkunden
Pharmaherste l l e r über i h re eigenen Labore jene Felder, die
e i nen Massenmarkt samt Au ssicht auf die begeh rten Block­
bu ster versprechen. Dem rei n profi torientierten Handeln der
I ndustrie setzen Un iversi täten und G ro ßforschungse inr i ch­
tungen som i t i h r Know-how auf wichtigen Spezialgebieten
entgegen - und nicht selten resultieren daraus neue Anwen­
du ngsgebiete im Dienste der Patienten.
Die öffentl ichen Fördergelder des Bundes sollen den „Wett­
bewerb der Ideen" vorantreiben, um auf diese Weise die I n no­
vationskraft der Republik zu stärken. Zu den wichtigsten
Säulen der deutschen Forschungslandschaft gehören daher
seit jeher Bundesm ittel, die i h re Empfänger vor allem über
zwei Kanäle erreichen: das Bundesforsch ungs m i n i sterium
( B M B F ) und das W i rtschafts m i n i steri u m (BMWi). Tatsäch l ich
gehören Universitäten, E i n richtu ngen der Max-Planck-Ge­
sell schaft oder die Deutsche Forschu ngsgemeinschaft zu den
Beziehern, auch k l e i n e oder m i ttlere Unternehmen sind laut
M i n isteriumsangaben Adressaten der Programme.13
Sowei t die Theorie. Die Förderpraktiken des Bundes lassen
im Alltag eine andere Vorgehensweise erkennen: F ür eine un­
abhängige Impfstoffforschung erhalten Deutsch lands Univer­
s itäten sel bst n ach der globalen Pandem i ewe l l e 2009/2010
meist nur sechsste l l ige Beträge. Konzerne der Pharmaindus-
40 DIE VIREN-LÜGE

trie, die ohnehin über milliardenschwere Forschungsetats ver­


fügen, bekommen hingegen etliche Millionen vom Bund als
Zuschuss überwiesen - deklariert als Gelder für verschiedene
pharmazeutische Forschungsprojekte. Auf diese Weise finan­
zieren deutsche Steuerzahler internationale Pharmagiganten,
ohne es zu wissen, und: Am Ende begleichen die Bürgerinnen
und Bürger der Republik die Zeche sogar doppelt, weil die mit
Steuergeldern entwickelten Verfahren und Medikamente geis­
tiges Eigentum der bezuschussten Konzerne bleiben. Was
noch schwerer wiegt: Die mit Steuermitteln entwickelten Prä­
parate dürfen die Konzerne so teuer verkaufen, wie sie wollen.
Sie erhalten quasi eine Lizenz zum Gelddrucken. Denn die
gesetzliche Krankenversicherung (GKV ) ist angehalten, die
Kosten für die teure, patentgeschützte Medizin zu überneh­
men - weil es keine günstigeren Generika als Ersatz gibt.
Solange ein Mittel patentgeschützt ist, existiert in Deutsch­
land weder ein funktionierender Markt noch ein Wettbewerb. 14
Trotzdem fließen enorme Summen an staatlichen Geldern
in die Kassen der großen internationalen Unternehmen der
Branche. Beispiel Roche: Das Schweizer Unternehmen zählt
zu den globalen Marktführern und gilt als schillernder Stern
am Pharmahimmel. Die global operierende Gruppe steigerte
allein im Jahr 2009 ihren Umsatz um zehn Prozent auf insge­
samt 49,1 Milliarden Schweizer Franken. Der Betriebsgewinn
war im selben Zeitraum sogar um 14 Prozent auf 15 Milliar­
den Franken gestiegen. Roche kann es sich demnach leisten,
auf eigene Kosten Virenforschung zu betreiben. Auf fremde
Hilfe oder gar staatliche Gelder ist der Arzneimittelhersteller
mit Sitz in Basel keineswegs angewiesen, im Gegenteil: 9,9
Milliarden Franken gab Roche allein 2009 für seine hauseige­
ne Sparte Forschung und Entwicklung15 aus. Das ist fast ge­
nauso viel, wie der Haushalt der Bundesrepublik für For-
D a s M i l l i a rd e n ge s c h ä ft m i t d e n Va kzi n e n 41

schung und Entwicklung hierzulande vorsieht. ,,Die Gesamt­


verkäufe stiegen in lokalen Währungen um zehn Prozent",
erklärte Roche den Erfolg und lieferte im selben Atemzug die
hauptverantwortlichen Sparten des Booms: 80 Prozent entfie­
len auf die „Division Pharma" und 20 Prozent auf die „Divisi­
on Diagnostics".
Den verantwortlichen Politikern in Berlin scheint das nicht
zu reichen, denn über die Referate 616, 614, 513 und 524 des
BMBF fördern sie Roche Diagnostics - die Sparte des Kon­
zerns, die sich mit Produkten und Dienstleistungen zur Prä­
vention, Diagnose und Therapie befasst - mit weiteren Milli­
onen aus dem bundesdeutschen Staatssäckel.
Während Professoren an heimischen Universitäten nicht
wissen, wie sie ihre Doktoranden bezahlen sollen, und pro­
movierende Chemiker, Pharmazeuten oder Biologen mit ab­
geschlossenem Studium sich aus Geldmangel Stellen mit
gleich zwei anderen Doktoranden teilen müssen, hat der
Bund keine Probleme mit der Finanzierung eines mehr als
solventen Weltkonzerns. Der hat zwar Mitarbeiter in Deutsch­
land - Roche Diagnostics rund 1 3.000 -, doch so sehr der Re­
gierung auch deren Wohl am Herzen zu liegen hat, beschäfti­
gen die Schweizer schon seit ca. 100 Jahren Mitarbeiter in
Deutschland, ohne dass die einen Grund zu Klage gehabt hät­
ten: Die Geschäfte gehen glänzend.
Trotzdem: 6,9 Millionen Euro aus dem Budget des BMBF
gehen an den Zuwendungsempfänger „Roche Diagnostics
GmbH", wie unsere Recherchen im Förderkatalog des Bundes
offenbarten. Gefördert werden dabei fünf Vorhaben von Okto­
ber 2010 bis September 2013.
Roche ist kein Einzelfall. Konzerne wie Bayer stehen eben­
so auf der Ausgabenliste des Bundes wie BASF oder Henkel.
Das Prinzip der Mittelvergabe ist einfach. Meist lockt ein gro-
42 DIE VIREN-LÜGE

ßes Verbundprojekt die Antragsteller, am Ende erhalten jene,


die Ministerien und Gutachter überzeugen, den Zuschlag.
„Durch Forschung und Entwicklung erzeugen Unternehmen
Wissen und neue Erkenntnisse, welche in großen Teilen in der
Volkswirtschaft frei verfügbar sind und welche sich das Un­
ternehmen nicht exklusiv vollständig selbst aneignen kann",
erklärt das zuständige Ministeriums-Pressereferat das Förder­
prinzip. Seitdem hat sich daran nichts geändert, nur: Welche
Erkenntnisse sich die Milliardenkonzerne nicht ohne die Fi­
nanzhilfe des Bundes aneignen können, wird wohl das Ge­
heimnis des Ministeriums bleiben. Auch sind die Innovatio­
nen keineswegs frei verfügbar - egal, ob sie öffentlich geför­
dert wurden. ,,Patente sind geregelt wie bei allen öffentlichen
Projekten und verbleiben bei den Unternehmen", so der Spre­
cher eines geförderten Pharmaunternehmens. 16
Zwar zeigt sich der Bund gewillt, in die Entwicklung von
neuen Impfstoffen zu investieren - doch nur mit marginalen
Beträgen. Genau das können Laien und Öffentlichkeit nur mit
großer Mühe erkennen, denn die Sparsamkeit des Bundes
kommt in kaschierter Form daher. So standen der von 2000
bis 2011 laufenden „Vakzin-Initiative" der Republik Fördergel­
der in Höhe von 25,6 Millionen Euro zur Verfügung, entspre­
chend wichtig las sich die Ankündigung des Vorhabens, die
nach wie vor im Internet zu finden ist:

„Da die Impfung als prä ventive Interventionsmaßnahme zu


den wirkungsvollsten und kosteneffizientesten Möglichkei­
ten der Medizin gehört, soll die Entwicklung neuer Impf­
stoffe in Deutschland vorangetrieben werden. Es gilt, vor
allem die Umsetzung erfolgversprechender, aus der Grund­
lagenforschung entwickelter Impfstoffkandidaten zu einem
marktreifen Produkt zu beschleunigen. "17
Das M i l l i a rd e n geschäft m i t d e n Va kzi n e n 43

Noch unter Bundeskanzler Gerhard Schröder gab das Minis­


terium die Devise aus, ,,eine schlagkräftige Struktur zu schaf­
fen, die einen international sichtbaren Beitrag zur produktori­
entierten Impfstoffentwicklung leistet". 18
Um dieses hehre Ziel zu erreichen, setzte man auf die
Gründung einer vollkommen neuen Institution - des Vakzin­
Konsortiums. Im Jahr 2002 schließlich war es soweit: Unter
den wachsamen Augen des Konsortiums und mit Segen des
Forschungsministeriums machten sich Wissenschaftler dar­
an, Malaisen wie Tuberkulose und Malaria auf die Schliche
zu kommen. Ebenso startete die Jagd nach wirksamen Waffen
gegen das humane Zytomegalie-Virus oder den Männerkiller
Prostatakrebs. Nicht alles, was die Impfstoffforscher nun­
mehr untersuchten, hatte mit Viren zu tun. Es ging insge­
samt um Seuchen und ihre Erreger, eine durchaus erfolgrei­
che Taktik, die sich seit der Antike wie ein roter Faden durch
die Medizingeschichte zieht.
Als Zuwendungsempfänger des zweistelligen Millionenbe­
trags mit dem Förderkennzeichen 01 KI0210 fungierte die da­
malige Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF),
die heute unter dem Namen Helmholtz-Zentrum für Infekti­
onsforschung (HZI) zu den renommiertesten Großforschungs­
einrichtungen Deutschlands zählt.
Viele Fachleute sahen in dem ehrgeizigen Vorhaben den
Beginn einer neuen Ära der Vakzinforschung. Nicht nur soll­
ten Patente und neue Impfstoffe entwickelt werden, auch die
Vermarktung der innovativen Arzneimittel in spe versprach
einen wichtigen Sinneswandel: Nach Jahrzehnten des ökono­
mischen Dornröschenschlafs würden deutsche Universitäten
endlich durch eigene Innovationen vielversprechende Gewin­
ne erwirtschaften. Was jenseits des Atlantiks in Stanford
oder Harvard seit Jahrzehnten bestens funktioniert, schien
44 D I E V I R E N- LÜ G E

h ierzulande e n d l i ch i n Angriff genommen worden zu sein.


Di e Offens ive begei sterte W issenschaftler un d Pol itiker glei­
chermaßen - das Comeback der deutschen Spitzenforschu ng
auf dem Gebiet der I mpfstoffe schien ei ngeleitet. Das M i n i ste­
r i u m j edenfa l l s sch i lderte die Aussichte n in opt i m i stischen
Tönen:
,,Die Managementeinheit verfolgt primär das Ziel der Ver­
äußerung und Verwertung von Patenten/Lizenzen oder an­
derweitigen Rechten an Industriepartner. Für die erfolgrei­
che Produktverwertung werden potenzielle Käufer frühzei­
tig in die Phasen der präklinischen Entwicklung mit einge­
bunden. Dabei sollen ImpfstoffKandidaten mit hohem
Risikopotenzial gewinnbringend vermarktet werden. "1 9

Über die Notwendigkeit einer intensiven Vakzi nforschung sind


sich Experten einig. Allein die saisonale Grippe fordert nach
Angaben des Robert Koch-In stituts j ä h rl ich bis zu 20.000 Men­
schenleben .20 Trotz der ausgerufenen Offensive gilt i n Deutsch­
land fü r Universi täten und Großforschungseinrichtu ngen auf
diesem Gebiet jedoch nach wie vor die Devise Kleckern statt
Klotzen. Die aufgefüh rte Gesamtsumme der Vakzin-In itiative
i n Höhe von 25,6 M i ll ionen E u ro wird über einen Zeittraum von
elf Jahren ausgeschüttet, was einer durchschnittlichen Förder­
summe von rund 2,3 M i l l ionen pro Jahr entspricht. Während
allein Roche i m Jahr 2010 rund 4,83 M i l l ionen Euro aus der
deutschen Staatskasse fü r das „Spitzencluster BioRN, Verbund­
projekt Biomarker-Center: B ioRN-BMC" ei nstrich,21 m ussten
sich Arbeitskreise und Projektgruppen der deutschen For­
schungslandschaft m i t Bonsai-Zuschüssen des BMBF begnü­
gen .
D i e „Li ste d e r abgesch lossenen Vorhaben" d e s M i n i steri­
ums lässt e rken n e n , wie wen i g der Bund fü r staatliche For-
D a s M i l l i a rd e n ge s c h ä ft m i t d e n Va k z i n e n 45

schungsprojekte auf dem Gebiet der Vakzinforschung tat­


sächlich investiert. Gerade 206.346 Euro war der Republik die
f
„Erstellung einer Landkarte der Impfstoff orschung und der
dazugehörigen Plattformtechnologien in Deutschland" wert.
Für die „ Beurteilung der Eignung von MVA als Pockenschutz­
impfstoff der dritten Generation" wiederum erhielt das Bun­
desamt für Sera und Impfstoffe (Paul-Ehrlich-Institut) ganze
220.000 Euro vom BMBF - verteilt auf drei Jahre. 22
Das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie bekam für
das „Teilprojekt 2: Identifizierung von zellulären Faktoren, die
für die Replikation des lnfluenza-A-Virus essenziell sind", von
Oktober 2007 bis zum 30. September 2011 702.993 Euro vom
BMBF zugesprochen. Auf diese Summe dürften die Mediziner
an der Berliner Charite, genauer gesagt dem dortigen Vir­
chow-Klinikum, sogar mit Neid blicken, denn für „ Analysen
der Infektion von primären Lungenepithelzellen durch hu­
man-path ogene und aviäre Influenza-Viren (TP1A)" gibt es
von Januar 2011 bis Dezember 2013 lediglich 217.858 Euro aus
den Töpfen des Forschungsministeriums.
Grippe als reale Bedrohung? Die Chefetagen des Forschungs­
ministeriums scheint das Thema nicht erreicht zu haben -
zumindest nicht in dem Sinne, dass eine wirklich unabhängi­
ge Forschung konsequent gefördert werden muss. Selbst das
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung erhielt für eigene
Arbeiten nur 362.547 Euro, um im Verbund FluResearch Net die
,,Genetische Suszeptibilität des Wirts gegenüber Influenza-In­
fektionen-Untersuchungen in Populationen von Mausfamilien
und -mutanten (TP 7a)" zu erkunden.
Beispiele wie diese gibt es viele, doch zweifelsohne ist das
Schicksal der Philipps-Universität Marburg das beste Indiz da­
für, dass der Bund bei der Grippeforschung mit zweierlei Maß
misst. Nach der Schweinegrippe-Welle des Jahres 2009/2010 gab
46 D I E V I R E N-LÜ G E

e s für die „Charakterisierung der Neuraminidase des pande­


mischen Influenza-A-Virus HlNl von 2009" Gelder in Höhe von
222. 836 Euro - womit die Forscher bis Ende 2013 auskommen
müssen. Den Pharmariesen GlaxoSmithKline (GSK) hingegen
beschenkte die Bundesrepublik mit einem geheimen Vertrag,
der GSK 250 Millionen Euro Umsatz garantierte, wie wir im
nächsten Kapitel explizit aufzeigen werden.
Big Money für die Großen, Almosen für die öffentliche For­
schung. Dabei gilt Grundlagenforschung als Basis jeglichen
Fortschritts, noch vor 100 J ahren war Deutschland das Zent­
rum der freien Pharmaforschung. Das beste Beispiel dafür ist
die bereits erwähnte Acetylsalicylsäure (ASS). Seit 1977 findet
sich die Substanz auf der Liste der unentbehrlichen Mittel
der WHO - die im August 1 897 erstmals in den Bayer-Werken
Wuppertal hergestellte Substanz gilt zu Recht als „Jahrhun­
dertmedizin".
Solche Durchbrüche gehören der Vergangenheit an, denn
Deutschlands Forschungspolitiker haben etwas Entscheiden­
des aus den Augen verloren: Vor dem Angriff der tödlichen
Erreger kann sich der Mensch nur schützen, wenn er deren
Wirkungsweise sehr genau versteht. Die Winzlinge neigen
dazu, neben ihrem molekularen Aussehen auch die Art des
Angriffs auf den Wirt immer wieder neu zu gestalten. Fatale
Folge: Jede Mutation kann die Erreger in letale „Tarnkappen­
bomber" verwandeln, die unser Immunsystem unerkannt
umgehen.
Unter welchen Bedingungen Viren im infizierten Körper
einen ernsthaften Schaden anrichten und warum Körperzel­
len den Angriffen ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr
widerstehen, ist nach wie vor weitgehend unbekannt. Diese
Mysterien zu lüften ist aufwendig und kostet Geld - den­
noch ist der teure Weg der Grundlagenforschung zu be-
Das M i l l i a rd e ngeschäft m i t d e n Va kzi n e n 47

schreiten, um sich gegen eine drohende Supergrippe zu


wappnen.
Die Sparsamkeit des Staates auf diesem Gebiet der Wissen­
scl'jaft ist daher kaum nachvollziehbar, zumal der Verbund
FluResearchNet nach wie vor als international beachtetes
Vorzeigeprojekt des Bundes gilt. Das Netzwerk befasst sich
mit der wichtigsten aller Fragen: Wann und unter welchen
Bedingungen wird das Influenza-Virus vom Tier auf eine an­
dere Spezies überspringen? Mit anderen Worten: Müssen wir
schon bald damit rechnen, Erreger aus Schweinemastanla­
gen oder Geflügelfarmen in einer humanen Variante zu ent­
decken?
Um das herauszufinden, untersuchen Wissenschaftler der
Universität Gießen, auf welche Weise die Grippeerreger mu­
tieren, bevor sie den gefürchteten Artensprung schaffen. Wa­
rum sich nahezu alles um diese Frage dreht, wird schnell ver­
ständlich: Große Schweinepopulationen und Geflügelfabri­
ken bieten für Viren nahezu traumhafte Bedingungen - hier
können sie sich immer wieder neu verändern, die Zahl der
Wirtsorganismen ist praktisch unerschöpflich. Was zunächst
als rein „tierische" ·Grippe erscheint, kann, sofern sich die
Erreger per Zufall weiterentwickeln, sehr schnell zum unlös­
baren Problem für den Menschen werden.
Panik vor dem Artensprung ist durchaus angebracht, wie
das Beispiel der sogenannten K9-lnfluenza demonstriert. Die
Sterblichkeit nach einer Infektion liegt bei 100 Prozent; wen der
Erreger befällt, verstirbt innerhalb von wenigen Tagen. Ame­
rikanische Behörden meldeten im Juli 2009 den Ausbruch der
gefürchteten K9-Seuche in New Jersey - doch die Welt blickte
voller Sorgen auf die Verbreitung der meist mild verlaufenden
Schweinegrippe. Dass K9 außerhalb von Fachkreisen unbeach­
tet blieb, hatte allerdings einen simplen Grund: Die Grippe ist
48 DIE VIREN-LÜGE

auf Hunde beschränkt, das Virus springt nach derzeitigem


Wissensstand nicht auf den Menschen über. 23 Trotzdem: An­
gesichts der 100-prozentigen Todesrate des Erregers bedarf
es keiner besonderen Anstrengung, um zu erkennen, was ein
Artensprung auf den Menschen bedeuten würde.
Gelingt die Überwindung der natürlichen Artenbarriere,
sind die Schäden kaum absehbar. Schon heute sterben viele
der Infizierten an schweren Lungenentzündungen. Denn die
Lunge des Menschen ist für den Befall der tödlichen Winzlin­
ge prädestiniert - nur warum eigentlich? Um das herauszu­
finden, würden die Gießener Virusforscher viel Geld vom
Staat benötigen - zumal sich die Beobachtung der Virenatta­
cken in den humanen Lungenzellen als besonders mühevol­
les Unterfangen erweist. Die Mühe lohnt hingegen allemal,
führen die Ergebnisse doch zum besseren Verständnis eines
medizinischen Problems, das Kinder und Erwachsene glei­
chermaßen betrifft. Das Forschungsministerium stellte je­
doch lediglich 130.000 Euro über einen Zeitraum von drei
Jahren zur Verfügung.
Spätestens nach dem Hype um die Schweinegrippe sollte
man auf staatlicher Seite mehr Tatendrang erwarten. Wie der
aussehen kann, erfuhren Bundesbürger im Jahr 2009 auf ei­
nem ganz anderen Gebiet. Mehr als 140 Milliarden Euro ließ
sich der Bund die Rettung der „systemrelevanten" Banken
kosten. Keine Mittel für die Hypo Real Estate? Knausern bei
der IKB? Sparen bei der Commerzbank? Mitnichten. Gleich­
wohl scheint den Verantwortlichen in Berlin nicht bekannt,
dass ein Land ohne Bevölkerung mit den geretteten Finanzin­
stituten wenig anfangen kann. Das mag zwar etwas über­
spitzt sein, doch wer auf dem Gebiet der V irologie die Grund­
lagenforschung finanziell ignoriert, den bestraft schlimms­
tenfalls das Leben.
D a s M i l l i a rd e n g e s c h ä ft m i t d e n Va k z i n e n 49

Ob sich molekularbiologische Entdeckungen tatsächlich in


Produkte - also Impfstoffe oder antivirale Medikamente -
umwandeln lassen oder aber ungenutzt in die Annalen der
Medizingeschichte eingehen, weiß niemand vorab zu sagen.
Langwierige und personalintensive Studien, denen vorklini­
sche Tests und un�ählige Laborversuche vorausgehen, prä­
gen den Weg vom Molekül zum marktreifen Vakzin.
Universitäten könnten diese Arbeit stemmen, um am Ende
ihre patentierten Entdeckungen an die Industrie zu verkau­
fen, es wäre ein sinnvolles Modell. Dazu aber wären mehr
Gelder für die Forschung notwendig, und die scheint es,
selbst im Fall der Influenza, nur sehr begrenzt zu geben.
Ein weiteres Gießener Projekt zu HlN1 beispielsweise, des­
sen Subtyp die Schweinegrippe-Welle auslöste, erhielt für den
Zeitraum Januar 2011 bis Dezember 2013 ganze 187.000 Euro. 2•
Wäre die Lage nicht so dramatisch, ließen sich mit derarti­
gen Beispielen Satiresendungen bestreiten. Das Land der
Dichter und Denker, die Republik der Innovationen - in Wirk­
lichkeit ist Deutschland schon lange zum Sparstaat auf dem
Gebiet der universitären Virusforschung verkommen. Dabei
fehlt es keinesfalls an Engagement der meist jungen Wissen­
schaftler. Nächtelange Versuchsreihen, komplizierte Experi­
mente, Doktorarbeiten anhand komplexer Messdaten, aus
diesen Komponenten erwachsen jene elementaren Erkennt­
nisse, die die Menschheit vor einem Viren-GAU bewahren
könnten.
Gewiss, Laborarbeit ist nie spektakulär, wer als V irologe
seine Brötchen verdient, muss damit rechnen, TV-Talkshows
lediglich als Zuschauer erleben zu dürfen. Jedenfalls dann,
wenn es um andere Erreger als jene der Schweine- oder Vo­
gelgrippe geht. K9 bei Hunden als Diskussionsstoff für Anne
Will ist ebenso wahrscheinlich wie ein Gespräch bei Beck-
50 D I E V I R E N-LÜ G E

mann über die Bedeutung der Signalproteine in der Bioche­


mie. Nach wie vor führt Grundlagenforschung ein Schatten­
dasein, die fehlenden Gelder der öffentlichen Einrichtungen
verstärken diesen Trend. Die Thematik ist kompliziert und
lässt sich nur mit hohem Aufwand auf ein für Laien verständ­
liches Maß komprimieren. Und anders als in den USA, wo die
Seuchenpräventionsbehörde CDC sogar in Hollywood-Produk­
tionen auftaucht, bleiben deutsche virologische Labors einsa­
me Einrichtungen, in denen sich lediglich Insider aufhalten
ohne große Aussicht auf das große Geld, geschweige denn auf
große Akzeptanz und Aufmerksamkeit für ihr Tun.
Das Milliarden-Megageschäft mit den Vakzinen entsteht an
anderen Orten. Rund 100 Jahre nach der verheerenden Grip­
pepandemie von 1918, bei der Millionen Menschen ihr Leben
verloren, setzen Pharmakonzerne nahezu alles auf lmpfstoffe
gegen Erreger, die zwar gefährlich, aber seit langem nicht
mehr als die dominierende Gefahrenquelle anzusehen sind.
Grippe in allen Variationen prägt die öffentliche Wahrneh­
mung, Impfstoffe gegen eine Handvoll Influenza-Erreger ge­
nerieren den maximal möglichen Profit der Branche. Tatsäch­
lich wirken Schutzimpfungen gegen viele andere Viren eben­
so gut präventiv wie die verabreichten Pikser im Kampf gegen
die Grippe - doch rein wirtschaftliche Überlegungen bestim­
men die Vermarktung der Impfstoffe.
Neue, innovative Vakzine, etwa jene gegen das Humane
Papilloma-Virus (HPV), drohen langfristig am Markt zu schei­
tern, weil die Akzeptanz der Menschen dafür fehlt. So sank
der Umsatz des Impfstoffs gegen Gebärmutterhalskrebs von
131 Millionen Euro im Jahr 2008 innerhalb von nur 12 Mona­
ten auf 92 Millionen Euro25 - dabei empfehlen selbst Mediziner
der unabhängigen und interessenkonfliktfreien „ Arzneimit­
telkommission der Deutschen Ärzteschaft" das Vakzin.
D a s M i l l i a rd e n ge s c h ä ft m i t d e n Va kzi n e n 51

Wer die Mechanismen der Grippeindustrie verstehen will,


muss sich daher mit weiteren Statistiken des Gesundheitswe­
sens befassen. 30 sogenannte Indikationsgruppen für Impfun­
gen umfasst die entsprechende Liste des Arzneimittel-Atlas
2010, allein in Deutschland verabreichen Ärzte über 40 Millio­
nen Impfstoffdosen. 26 Davon machen Grippevakzine bei Weitem
den größten und lukrativsten Anteil aus, 18 Millionen Mal
ließen sich große und kleine Bundesbürger 2009 zum Schutz
gegen die saisonale Grippe impfen. Für die Pharmahersteller
erweisen sich Viren demnach als lukratives Geschäft.
Impfstoffe gegen Influenza brachten es im Jahr 2008 auf
306,70 Millionen Euro Umsatz, 2009 stieg die Summe bereits
auf 360 Millionen an. Allerdings sind herkömmliche Gripp­
eimpfstoffe die einzige ebenso verlässliche wie solide Um­
satzkonstante der Branche, denn das Thema Grippe ver­
schwindet nie aus dem öffentlichen Bewusstsein. Ob Vogel­
oder Schweinegrippe, Komposita wie diese prägen die Me­
dienlandschaft, kein Herbst vergeht, ohne dass Ärzte ihren
Risikopatienten zur Influenza-Impfung raten. Und auch wer
nicht zu den chronisch Kranken, Alten oder Geschwächten
der Republik zählt, lässt sich sehr oft impfen - weil die Angst
vor dem qualvollen Grippetod über die vernünftige Einord­
nung der Gefahren obsiegt. Andererseits: Je seltener Viren
in der öffentlichen Wahrnehmung auftreten, umso geringer
ist die Angst der Bevölkerung vor einer Infektion - und umso
niedriger fallen die Verkaufszahlen der Hersteller bei den
entsprechenden Impfstoffen aus.
Dass die Pharmaindustrie auf neue, virale Bedrohungen nur
dann reagiert, wenn sie einen Massenmarkt versprechen, lässt
sich anhand unserer bisherigen Ausführungen rein ökonomisch
begründen. Weswegen politische Entscheidungsträger das Spiel
der Pharmakonzerne mitmachen, bleibt hingegen rätselhaft.
52 D I E V I R E N-LÜ G E

Als klar vorhersehbar erweisen sich aber d i e w i rtschaft l i­


chen Folgen der drohenden M egapandemien. E s ist e i n Teu­
fe lskreis. O h n e u n iversitäre Grundlagenforschung w i rd die
Republ i k i m Notfa l l auf das Know-how der Pharmariesen an­
gewiesen sein - die aber eigene Grundlagenforschung n u r
dann betreiben, w e n n d e r Massenmarkt e i n e n schnellen Um­
satzboom verspricht. I m Ern stfa l l d roht som i t der abso lute
Zusammenbruch der Seuchenprävention - m i t verheerenden
Folgen fü r die Wi rtschaft.
Was n ä m l ich i rgendwo auf der Wel t als „Undiagnosed Die­
off" begin nt, kann z ur globalen Gefa h r avanciere n, sofern
man nichts dagegen u n tern i m mt. Mutiert der V i renbefa l l zur
weltumspannenden Seuche, geraten selbst vermeintlich sta­
b i l e Staaten i n s Wanken, wie e i n e S i m u lationsrech nung der
Deutsche n Bank Research aus dem Jahr 2006, i n dem sich die
Vogelgrippe nach E u ropa ausbreitete, aufzeigte. Die Furcht
der Finan zexperten vor den w i n z igen E rregern kom m t in
dem Paper u n m i ssverständl ich z u m Ausdruck. So res ü m i e­
ren die Banker: ,.D ie deut l i chen Fortschritte bei der weltwi rt­
schaftl ichen I n tegration w ü rden i m Fal l einer Grippepande­
m i e mass ive E i nbußen fü r d i e globale Wi rtschaft bedeute n.
B i slang ist die Ausbreitung der Vogelgrippe auf Tiere be­
schränkt. Die Gefah r einer Mutation des Virus m i t der Gefa h r
der Übertragu ng vo n M e n s ch zu M e n s ch besteht al lerd i ngs
weiterh i n . " 27
A l l e i n i n E u ropa, so das Faz i t der Ökonom e n , könnte e i n e
I n fluen za-Pandem ie die Wi rtschaftsleistung um b i s zu 0 , 8
Prozent absacken l a s s e n . I m Fal l einer schweren Pandem i e ,
rechneten die Expe rten i m Jahr 2 0 0 6 vor, drohen theoretisch
sogar Kosten steigeru ngen von nahezu zwei B i l l ionen U S-Dol­
lar. Zusätz liche Krankenhausaufenthalte, der E i n satz von Me­
di kamenten und die E i ndeck ung ganzer Staaten mit Vakzi nen
D a s M i l l i a rd e n ges c h ä ft m i t d e n Va kzi n e n 53

sind der Mix, aus dem die Kostenexplosion besteht. Die Gene­
raldirektorin der Weltgesundheitsorganisation WHO, Margret
Chan, ging sogar davon aus, dass 20 Prozent der Weltbevölke­
rung von einer Pandemie betroffen würden, sollte die Super­
grippe kommen. Um welche Dimensionen es sich dabei han­
delt, wird jedoch erst deutlich, wenn man die Summe mit dem
deutschen Bruttoinlandsprodukt vergleicht - mit knapp zwei
Billionen Euro liegt sie in ähnlichen Größenordnungen wie
der Kosten-Tsunami, der die Welt im Fall einer harten Pande­
mie treffen würde. 28 Bringen demnach Viren eines Tages den
globalen Wirtschaftscrash?
Derartige Überlegungen sollten nicht als abstruse Gedan­
kenspiele weltfremder Ökonomen abgetan werden. Denn schon
die Folgen einer schlichten Influenza-Pandemie sind bedeut­
samer als bisher angenommen, wie das Schweizer Bundesamt
für Gesundheit (BAG) ebenfalls eindrucksvoll dokumentiert.
„Die meisten Szenarien rechnen aufgrund der Influenza mit
einer Reduktion der Zahl der Arbeitskräfte um ein Drittel wäh­
rend zwei bis drei Wochen. Dazu kommen Absenzen für die
Pflege von Angehörigen und zur Vermeidung von Exposition
und Ansteckung", heißt es dazu im offiziellen ,. lnfluenza-Pan­
demieplan Schweiz", den die BAG publizierte, und: ,,Die Grö­
ßenordnung dieser Absenzen wird auf 20 Prozent der gesam­
ten Arbeitskapazität während drei Monaten geschätzt." 29
Tatsächlich würde eine Pandemie den Unternehmen in ers­
ter Linie dort zusetzen, wo sie am verwundbarsten sind: bei
den Arbeitskräften. Da gerade in der ersten Phase einer Pan­
demie die meisten Mitarbeiter vollkommen ungeschützt zur
Arbeit gehen, gilt die Ansteckungsrate im Betrieb als beson­
ders hoch. Was für die Viren gut ist, schadet dem Menschen
nicht nur gesundheitlich. So rechnet die BAG mit einem mas­
siven Rückgang der Produktivität und stellt nüchtern fest,
54 DIE VI REN-LÜGE

dass dieser „alle Wirtschaftssektoren einschließlich des Ge­


sundheitssektors" betreffen wird. Damit nicht genug. Auch
die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen wäre ge­
fährdet.
In Windeseile um den Globus ausbreiten kann sich neben
dem Influenza-Virus jeder Erreger, die Frage ist nur: Wie töd­
lich würde der jeweilige Ausbruch sein?
Dass eine Seuche auch ohne Massensterben der Bevölke­
rung ganze Teile der Gesellschaft lahmlegen kann, demonst­
riert das Beispiel SARS. Zwar verlief die Ausbreitung der Er­
krankung im Jahr 2003 alles andere als pandemisch, doch
schon die reine Vorstellung eines unkontrollierbaren Ereig­
nisses ließ in den betroffenen Ländern Asiens den Personen­
verkehr massiv einbrechen. Panik und Angst sind die unlieb­
samen Folgeerscheinungen jeder Virusinfektion.
Vom Risiko betroffen sind nahezu alle Bereiche des gesell­
schaftlichen Lebens. Ob Verkehr, Hotellerie und Gastgewer­
be, ob Kultur oder Sport, wer sich ungeschützt mit anderen
trifft, läuft Gefahr, selbst zu erkranken. Über die Fernsehka­
näle übertragene Bilder von Menschen mit Mundschutz zei­
gen, wie grundlegend eine Pandemie das Wirtschaftsleben
beeinträchtigt.
Während Fachleute erst dann von einer Pandemie spre­
chen, wenn sich die entsprechende Seuche nach bestimmten
Kriterien weltweit verbreitet, führen auch die kleineren Pen­
dants, also Epidemien, zu chaotischen Verhältnissen in den
betroffenen Ländern.
So stieg in Deutschland die Anzahl der Erkrankungen mit
Noro-Viren von 2001 bis 2007 um satte 210 Prozent. Die Erre­
ger sind Auslöser einer meist schwer verlaufenden Gastroen­
teritis, im Volksmund als „ Magen-Darm-Grippe" bekannt. Nur
48 Stunden dauert die Malaise, dennoch ist die Erkrankung
Da s M i l l i a rdengeschäft mit den Va kzinen 55

meldepfl i chtig. Denn die I n fektion setzt alten Menschen und


Kindern mächtig zu: Durchfall und E rbrechen fü h ren zum
mass iven Fl üss igke i tsverlust, unbehandelt kan n dieser sogar
den Tod der I nfiz i e rten bew i rken . Wer i n fi z iert ist, fungiert
zwangsläufig als Ü berträger. Auf Türk l i n ken überlebt das Vi­
rus s i eben Tage lang, wie Axel Kramer, D i rektor des I nstituts
fü r H ygiene und Umweltmed i z i n an der Univers i tät G re i fs­
wald berichtet. Noch dramatischer l i est sich d i e Attacke der
Noro-W i n z l i nge i m Jahresvergleich. Von 2006 auf 2007 ver­
zeichnen Epidemiologen sogar e i n e n Anstieg von 75800 auf
201133 E rk rankunge n .
N o c h v o r e i n e m Jah rzehnt aber s c h i e n e n d i e E rreger kaum
e i n e Ro l l e zu spi e l e n - heute zeige n s i e uns, w i e s c h n e l l aus
Newcomern ernsthafte epidemische Bedrohungen werden kön­
nen.

Noro-Virus: Newcomer mit Pandemiepotenzia l ?


(Foto: Noro-Virus. Courtesy o f 8 . V. Prasad, Baylor College o f Medicine/
Wikimedia Commons)

Was Noro-V i re n noch n icht kön n e n , schaffen I n fluenza-Erre­


ger allemal - s i e ste l l e n selbst Notfal l me d i z i n e r vor ernsthaf­
te P robleme. Laut Wel tgesundheitsorgan isat i o n W H O wür­
den bei e i n e m Ausbruch i m gü nsti gsten Fal l 1 5 Prozent, bei
56 D I E VIR EN-LÜ G E

einer mittleren Erkrankungsrate 30 Prozent und i m ungüns­


tigsten Fall 50 Prozent der Bevölkerung betroffen sein. Was
zum Beispiel allein in Hamburg für den Ernstfall bedeuten
würde: 470.000 Erkrankte, von denen 10.500 Patienten statio­
när aufgenommen werden müssten, 1575 intensivpflichtig
wären und es käme zu rund 2100 Todesfällen. 30 „Darauf sind
weder die ambulanten und die stationären Behandlungskapa­
zitäten noch der Rettungsdienst eingerichtet", ließen die Not­
Docs auf einem Fachkongress der Deutschen Interdisziplinä­
ren Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin31 in Ham­
burg verlauten.
Ähnlich besorgniserregend sind die Ergebnisse einer Stu­
die des „Congressional Budget Office" für die USA. Danach
müssten die Vereinigten Staaten, von den Folgen der Finanz­
krise und einer astronomischen Staatsverschuldung ohnehin
arg gebeutelt, schon im Fall einer milden Pandemievariante
mit einem Rückgang des Bruttosozialprodukts (BSP) um rund
1,5 Prozent rechnen. 32 Eine aggressivere Influenza-Welle wür­
de das BSP sogar um fünf Prozentpunkte erodieren. Das aus­
tralische Lowy Institute for International Policy in Sidney wie­
derum geht für Europa von einem Rückgang zwischen 0,7 und
acht Prozent aus, sollten sich Erreger des alten Kontinents
pandemisch bemächtigen. Eine andere Studie der australi­
schen Regierung schließlich berücksichtigt nur ein einziges,
gravierendes Szenario und sagt dabei einen BSP-Rückgang
von exorbitanten fünf Prozent voraus. Schweizer Ökonomen
wiederum rechnen allein im Alpenland mit Maximalkosten
von 2,3 Milliarden Franken im Fall einer Influenza-Pandemie.
Je nach Szenario summierten sich jedoch die Verluste auf bis
zu 35 Milliarden Franken. 33 Trotz solcher Aussichten warnen
Ökonomen immer wieder vor Hysterie - denn nach zwei bis
drei Monaten wäre die Pandemiewelle vorbei. 34
Das M i l l i a rd e n geschäft m i t d e n Va k z i n e n 57

Grund zur Panik bestünde demnach bei normalen Viren kaum,


allenfalls für die Pharmabranche: Ohne globale Angst vor dem Su­
pervirus lassen sich Impfstoffe und ältere Präparate nur schwer
verkaufen. Da die beschriebenen Gefahren von realen, wirklich
drohenden Pandemien nicht auszureichen scheinen, lässt man
sich eben etwas einfallen. Es ist die Angst des Einzelnen vor
dem qualvollen Grippetod, der zieht. Denn in Zeiten, in denen
ganze Staaten bankrott zu gehen drohen und Währungen zum
Spielball von Spekulanten werden, vermögen News über die
wirtschaftlichen Folgen einer Pandemie nicht wirklich aufzurüt­
teln. Die personalisierte Angst scheint daher ein probates Mittel,
um Menschen zum Kauf von antiviralen Mitteln zu bewegen.
Zu den wichtigsten Strategien der Branche zählt daher die
Fokussierung auf Seuchen, für die bedrohliche Wortschöp­
fungen gefunden werden: Vogelgrippe. SARS. Schweinegrip­
pe. Die Ausbreitung der letzteren hat im Jahr 2009 einen PR­
und Marketingprozess in Gang gesetzt, den es so in der Ge­
schichte der Pharmazie noch nicht gegeben hat. Nie zuvor
sind Medikamente in Form von Impfstoffen so schnell und
mit so wenigen klinischen Langzeitdaten über mögliche Risi­
ken und Nebenwirkungen vermarktet worden, wie wir in Ka­
pitel 3 noch ausführlich beschreiben werden.
Das Prinzip „ Angst-Impfstoff-Angst" funktioniert bestens.
Wie die jeweiligen Viren heißen oder was sie anrichten,
bleibt Nebensache. Hauptsache, die Erreger lassen sich für
die Vermarktung entsprechender Präparate nutzen.
Antriebsmotor der einzigartigen Taktik sind nicht die Ver­
kaufszahlen allein. Vielmehr spielt der steigende Kapitalwert
der Pharmaunternehmen an den internationalen Finanzmärk­
ten eine entscheidende Rolle.
Eine Studie der Unternehmensberatungsgesellschaft Ernst
& Young Schweiz, die im Januar 2011 vorgestellt wurde, bezif-
58 D I E V I R E N- LÜ G E

ferte den Pharmakonzern Novartis auf einen Börsenwert von


155 M i l l iarden U S-Dollar, Erzrivale Roche lag mit 127 M i l l i a r­
den U S-Dollar n u r knapp dahi nter. 35 D i e hohen Marktkapi ta­
l i s ierungen dienen vor allem e i n e m Zweck: Sie machen fei n d­
l i che Übernahmen u n mögl ich un d erhöhen i m Fal l einer
freundl ichen Ü bernahme den Verhandlungsspielrau m . Aus­
gerech net nahezu uns i chtbare Partikel wie V i re n e n tschei­
den dabei über I m age, Erfolg oder M i sserfolg von riesigen
Unternehmen.
Zwar gäbe es aus dem Reich der Arz n e i m i ttel h e rste l ler vie­
le virenfreie Storys zu berichte n , etwa jene vom britischen
Konzern GlaxoSm i t h K l i n e , der fü r 1,6 M i l l i arden E u ro eine
A l l ianz mit dem dänischen B iotech-Spez i a l i sten GenMab e i n­
ging. Was M i c rosoft und Google i n der Wel t des Wo rld Wide
Web auf dem Gebiet der I n formation stechn ologie seit Jahre n
m i t Erfolg prakti z i ere n, setzen d i e Big Player der Pharma­
branche eher dezent um : Das Aufkaufe n k l e i ner, i n n ovativer
Firmen. Doch anders als bei Googl e, Facebook oder M i c rosoft
entziehen sich die Pharmadeals dem Bl ickw i n ke l der Öffent­
li c hkeit. Die Ü bernahmen drehen sich um spe z i a l is ierte Un­
terneh m e n , n u r selte n haben diese di rekt m i t V i ren zu tu n .
Noch i n teressanter j edoch s i n d d i e wei tgeh end u nbekannten
A l l ianzen und Bete i l igunge n , bei denen es sich kon k ret um
d i e w i n z igen E rreger dreht. So ließ sich der britische Kon­
zern im Jahr 2007 die Zusam menarbeit mit dem d ä n i schen
B iotech-Unternehmen Santaris Pharma weitere 511 M i l l ionen
E u ro koste n, um e i n e Allianz zur E rforsch ung, E n twicklung
u n d Kom merzialis ierung vo n RNA-Antago ni sten a l s neue an­
tivirale Medikamente zu sch mieden. 36 D i e I nvestition kön n te
i m E rfolgsfa l l lohnen, we i l Antago n i sten i n der Pharmafo r­
schung e i n e sehr w ichtige Rol l e e i n nehmen - sie ve rh i ndern
die Auslösung besti m m te r Signale, die ungestört z u m u n l ieb-
D a s M i l l i a rd e n g e s c h ä ft m i t d e n Va kzi n e n 59

samen Endprodukt führen würden. Anders und sehr verein­


facht ausgedrückt: Mithilfe der RNA-Antagonisten ließe sich
die V irenvermehrung im Organismus stoppen.
Und dann wäre wieder Roche zu erwähnen - 502 M illionen
Euro investierte der Schweizer Gigant in seine Kooperation
mit dem - gemessen an Roche - Biotech-Winzling Actelion.
Setzt der Run auf die vermeintlich schützenden Vakzine
erst mal ein, winken aufgrund der satten Milliardengewinne
explodierende Aktienkurse innerhalb kürzester Zeit. Auf der
anderen Seite entscheiden die Erreger auch über den Fall von
Aktienkursen, schlimmstenfalls können sie ganze Unterneh­
men ruinieren.
Schwarzmalerei? Mitnichten. Wie schnell die Finanzwelt
auf virologisch bedingte Nachrichten reagiert, erfuhr der
Pharmakonzern Baxter, der aufgrund einer Laborpanne im
Februar 2009 gleich vier Labore in Europa mit den tödlichen
Vogelgrippe-V iren H5NI kontaminierte. Der amerikanische
Pharmariese hatte in Europa Labors mit dem Erreger der Vo­
gelgrippe verseucht, nachdem die Erreger über die Österrei­
chische Firma Avir Green Hills Biotechnology an weitere vier
Unternehmen verteilt worden waren, darunter auch solche in
Deutschland. Betroffen waren zudem Slowenien und Tsche­
chien. Die Proben seien versehentlich mit dem H5Nl-V irus
kontaminiert worden und stammten aus dem Baxter-Werk in
Deerfield, Illinois, erklärte uns eine Baxter-PR-Chefin. Auch
ein Systemfehler im österreichischen Baxter-Forschungswerk
in Orth-Donau wurde intern als Ursache diskutiert. Tatsäch­
lich war es aufgrund einer Verkettung von Pannen zur folgen­
schweren Verwechslung der gelieferten H5Nl- und H 3 2-
Chargen gekommen. Was jeder Pizza-Bringdienst beherrscht,
d ie korrekte Beschri ftung der Ware, misslang bei der Liefe­
rung von hoch gefährlichen Viren. Baxter musste erkennen,
60 DIE VIREN-LÜGE

dass bereits kleine Medienberichte über derartige Vorkomm­


nisse weitreichende Folgen für den Aktienkurs nach sich zie­
hen. Nur wenige Stunden, nachdem wir in unserem Internet­
Magazin LifeGen. de über den Viren-GAU bei Baxter berichtet
hatten und die Nachricht über Google News und Social Net­
works daraufhin weltweit zu lesen war, brachen die Aktien­
kurse des Weltkonzerns massiv ein. Noch heute diskutieren
unzählige Foren über die unglaubliche Virenpanne des Unter­
nehmens, das uns in einem Exklusivinterview die bestehen­
den Schwachstellen im Kontrollsystem explizit bestätigte. 37
Vom Kurssturz erholt hat sich der Pharmariese allerdings
schnell - Baxter zählte zu jenen Unternehmen, die im selben
Jahr, dem der Schweinegrippe, ein eigenes Vakzin gegen den
Erreger im Portfolio hatten.
Ein Vertrag mit der Österreichischen Bundesregierung ga­
rantierte dem gebeutelten Konzern zudem Absatzgarantien
für den Impfstoff Celvapan® in zweistelliger Millionenhöhe.
Und das ausgerechnet in jenem Land, dessen Baxter-Labore
die europäische Virenpanne mit ausgelöst hatten. Österreichs
Presse bewertete den Deal zwar als enttäuschend für die
Pharmaindustrie. Die „Wochen-Produktionsrate von mehr als
600.000 Dosen" liege „weit unter den ursprünglichen Erwar­
tungen", schrieb Krone.at, und: ,,Die Kapazität hängt von den
Wachstumseigenschaften des Influenza-Virus ab. Im Fall von
HlNl/ A sind sie offenbar schlecht. Man hatte bei Baxter unter
optimalen Bedingungen mit einer Produktion von 1,5 bis zwei
Millionen Dosen der Vakzine pro Woche gerechnet." Legt man
jedoch die normalen klinischen Zulassungskriterien an, war
es für Baxter dennoch ein großartiges Geschäft: Der Konzern
hatte Celvapan® zum Zeitpunkt der Einkaufstour durch den
Österreichischen Staat nicht einmal ausreichend testen las­
sen, wie Krone.at ebenfalls schrieb: ,,Die klinischen Studien
D a s M i l l i a rdengeschäft m i t d e n Va kzi n e n 61

an Erwachsenen und Kindern sind generell noch nicht abge­


schlossen, Ergebnisse sollen laut European Medicines Agency
(EMA) ab Mitte Oktober vorliegen." 38 Baxter konnte also mit
einem nicht den üblichen Prüfstandards entsprechenden Pro­
dukt munter Umsatz erzielen.
Impfstoffe um jeden Preis und das im Dienste der Aktio­
näre. Die Motive der Vakzinhersteller liegen klar auf der
Hand, und Gewinnstreben ist zunächst nicht moralisch ver­
werflich. Doch es gibt einen bitteren Aspekt: Neben der Grip­
pe fordern auch andere virusbedingte Erkrankungen Millio­
nen von Toten - wenn auch in Entwicklungsländern, wo das
lukrative Geschäft mit Medikamenten gegen Viren keine Ge­
winne einbringt. Und hier hält die fehlende Aussicht auf Pro­
fite die Pharmabranche davon ab, sich zu engagieren. Sie
geht sogar noch weiter und behindert die Behandlung von
Kranken mit Generika.
Die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Organisa­
tion Ärzte ohne Grenzen moniert schon seit vielen Jahren ein
Virendrama, das hierzulande lediglich am Rande wahrgenom­
men wird: Das millionenfache Sterben der Aidspatienten nicht
nur in Afrika. Zwar gäbe es Wirkstoffe, die dem HI-Virus Ein­
halt gebieten, indem sie seine Vermehrungsrate deutlich sen­
ken. Doch ganz offensichtlich laufen da einige Dinge schief.
Auf dem lukrativen Markt der Virenbekämpfung geht es
eben weniger um die Rettung von Menschenleben als um Pro­
fit. Die Politik, so lassen die Zusammenhänge jedenfalls ver­
muten, ist in die Machenschaften der Pharmabranche direkt
involviert. So erhebt Ärzte ohne Grenzen in regelmäßigen Ab­
ständen schwere Vorwürfe gegen die EU - und gegen die
deutsche Bundesregierung. Denn nach Meinung der Medizi­
ner gefährden mangelnde Finanzierungszusagen und viel zu
teure Medikamente die Behandlung von Aids in den Entwick-
62 DIE VIREN-LÜGE

lungsländern massiv. ,,Der Preis für neuere Medikamente, die


wir benötigen, steigt derzeit rapide an, gleichzeitig haben
Geldgeber entschieden, sich zurückzuziehen", ließ dazu Gil­
les van Cutsem, medizinischer Koordinator von Ärzte ohne
Grenzen für Südafrika und Lesotho, zwei Tage vor dem Welt­
Aids-Tag im Dezember 2010 über die Pressestelle seiner Orga­
nisation verbreiten. Innerhalb der EU gehöre „die deutsche
Regierung zu den treibenden Kräften hinter dem Versuch, die
Interessen der Pharmaindustrie über das Leben von Patienten
zu stellen", monierten Ärzte ohne Grenzen.
Die ungewohnt harsch vorgetragene Kritik begründen die
Mediziner mit einer Empfehlung der Weltgesundheitsorgani­
sation W H O. Tatsächlich rät die in Genf ansässige Institution,
die aufgrund einiger auch für die Pharmabranche arbeiten­
der Mitarbeiter keinesfalls unumstritten ist, Menschen mit
H IV/ Aids möglichst frühzeitig mit den neuen, besser verträg­
lichen antiviralen Medikamenten zu behandeln.
Fakten untermauern diese Empfehlung. Allein im Behand­
lungsprogramm von Ärzte ohne Grenzen in Lesotho hat die
frühzeitige Therapie „die Zahl der Tode um 68 Prozent und
die der neuen ... Infektionen um 27 Prozent reduziert", wie
die Organisation erklärte. 39 Die Empfehlung birgt allerdings
für die Pharmaindustrie ein Problem - sie generiert lediglich
Kosten, dafür aber keinen wirtschaftlichen Profit.
Das scheint auch die Politik, dem Pharmalobbyismus sei
Dank, verinnerlicht zu haben: Dem Globalen Fonds, dem
nach Ansicht vieler Mediziner wichtigsten internationalen
Finanz ierungsinstrument im Kampf gegen Aids oder Mala­
ria, wurden laut Ärzte ohne Grenzen bis 2013 nur 11,7 Milliar­
den Dollar statt der benötigten 20 Milliarden Dollar zugesagt.
Auch die Gelder für das von den USA finanzierte Aidspro­
gramm PEPFAR, das mindestens die Hälfte aller H IV-/ Aids-
D a s M i l l i a rd e ngeschäft m i t d e n Va k z i n e n 63

behandlungen in ärmeren Ländern unterstützt, wurden von


2007 bis 2010 praktisch nicht erhöht.
Gleichzeitig setzen Pharmakonzerne ihre Interessen mit
Brachialgewalt durch, wie die Ärzte-Organisation dokumen­
tiert. In den Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen
mit Indien etwa wolle die Europäische Union „ Klauseln wie
die sogenannte Datenexklusivität durchsetzen". Folge des ju­
ristischen Konstrukts: Günstige Generikapräparate ließen
sich ausgerechnet in den von HIV am stärksten heimgesuch­
ten Ländern kaum noch vermarkten.
Als Alternative blieben nur noch die extrem teuren Origi­
nalpräparate der großen Pharmahersteller, der Milliarden­
markt rund um die HI-V iren wäre wieder in der Hand der Big
Player. Aus deren Sicht scheint die Offensive angebracht,
denn über 80 Prozent der Aidsmedikamente, die mit Geldern
aus Programmen wie PEPFAR finanziert werden, sind Gene­
rika aus Indien. Auch 80 Prozent der Aidsmedikamente, mit
denen Ärzte ohne Grenzen mehr als 160.000 HIV-/ Aidspatien­
ten behandeln, kommen nach Angaben der Mediziner aus der
sogenannten „ Apotheke der Armen". ,,Setzt sich die EU durch,
steht der Zugang zu kostengünstigen generischen Versionen
neuer Medikamente zur Bekämpfung von HIV/ Aids auf dem
Spiel", hieß es dazu in einer Mitteilung der Organisation im
Dezember 2010. 40
Mitteilungen, die so eine deutliche Sprache sprechen wie
die von Ärzte ohne Grenzen, sind selten, denn das Risiko von
der Pharmaindustrie mit Unterlassungsklagen oder Klagen
wegen Rufschädigung überzogen zu werden, ist selbst bei kor­
rekter Darstellung der Problematik hoch. Womöglich schützt
der Nobelpreis die Organisation vor juristischen Repressali­
en, sie scheint es sich leisten zu können, Tacheles zu reden.
So klagt sie explizit Regierungen wie die deutsche an. Der
64 DIE VIREN-LÜGE

Kampf der Konzerne um die Milliarden aus dem Virenge­


schäft bringt die Docs in Rage. ,,Wir rufen daher die Menschen
auf, deutlich zu machen, dass sie mit der Politik der Bundes­
regierung und der Europäischen Kommission diesbezüglich
nicht einverstanden sind", schrieb Oliver Moldenhauer, Koor­
dinator der
Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen Deutsch­
land, nachdem die Mediziner die Kampagne „Europa! Hände
weg von unseren Medikamenten" gestartet hatten.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sieht
das aber alles ganz anders, betont die günstigen Preise seiner
Produkte zur Bekämpfung von H IV in ärmeren Ländern:
„ Nehmen Sie den Hersteller-Abgabepreis für eine Tagesration
V iramune ' : hierzulande rund 15 US-Dollar, in der Ukraine
rund 1,20 US-Dollar, in Malawi rund 0,60 US-Dollar", erklärt
Siegfried Throm, Geschäftsführer Forschung, Entwicklung,
Innovation des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller
und fügt hinzu: ,, Mehrere Hersteller haben zudem Generika­
herstellern Lizenzen für ihre H IV-Medikamente erteilt." Es ist
nur ein Beispiel, doch die Mehrzahl der teuren Mittel blieben
teuer. An Discount-Preisen hat Big Pharma kein Interesse, wa­
rum auch?
15 Dollar vs. 60 Cent. Man muss kein Mathematiker sein,
um den Kern des Problems zu erkennen. Gelingt es der Phar­
maindustrie ni cht, den kostengünstigen Generikatrend in In­
dien, Brasilien oder Südafrika zu stoppen, ließe sich das Vi­
rus dort zwar millionenfach mit w irksamen Medikamenten
zumindest aufhalten - die astronomischen Gewinne aber wä­
ren dahin. Gekämpft wird daher mit harten Bandagen, wie
Ärzte ohne Grenzen zu schildern weiß: ,,Als Indien beispiels­
weise im Jahr 2008 das Patent für die Sirupform des Aidsme­
dikaments Nevirapin für Kinder zurückwies, konnten sich
D a s M i l l i a rd e n g e s c h ä ft m i t d e n Va k z i n e n 65

die Generikahersteller sicher sein, eine preisgünstigere Al­


ternative produzieren und verkaufen zu können. Hätte die
Datenexklusivität bereits zu diesem Zeitpunkt in dem von
Europa jetzt geforderten Umfang bestanden, hätten die Pro­
duzenten mit dem Verkauf der Medikamente bis zu zehn Jah­
re warten müssen." 41
Dabei könnte es sich die Branche allemal leisten, die le­
bensverlängernden Pillen wenigstens in wirklich armen Län­
dern umsonst abzugeben. Der vfa vertritt die Interessen von
45 weltweit führenden Arzneimittelherstellern. Mehr als zwei
Drittel des gesamten deutschen Medikamentenmarkts wer­
den von Mitgliedern des vfa dominiert, 90.000 Mitarbeiter
stehen bei den Unternehmen in Lohn und Brot. 17.000 ihrer
Angestellten sind allein hierzulande für die Erforschung und
Entwicklung von Arzneimitteln zuständig.42 Gleichzeitig gilt
der Verband als mächtigstes Instrument der Pharmaindustrie
in Deutschland, der Einfluss des vfa reicht bis in den Bundes­
tag. Die Finanzkrise überstand er ebenso unbeschadet wie die
Währungsturbulenzen rund um den Euro oder die seit 2008
bestehende globale Wirtschaftskrise. Doch ein Umdenken in
Sachen Generika scheint unwahrscheinlich - Pharmakonzer­
ne sind keine karitativen Einrichtungen.
Die Geschichte der Viren ist somit zu bedeutenden Teilen
eine ökonomische und politische. Was zählt, sind Gewinne,
Kostenkalkulationen und die Aussicht auf Rendite. Aufgrund
dieser Motivlage stehen nicht nur in Lesotho Ärzte auf verlo­
renem Posten, auch hierzulande klagen sie über Vorgaben
der Politik und eine einflussreiche Pharmalobby.
So erzählte uns ein Kinderarzt aus Hannover, dessen Na­
men wir nicht nennen, eine dramatische Folgeerscheinung
der seit Jahren aus seiner Sicht künstlich erzeugten Impfpa­
nik. Nachdem Medien und Politik immer wieder vor viralen
66 DIE VIREN-LÜGE

Erkrankungen wie SARS, Vogelgrippe und Schweinegrippe


gewarnt hatten, wurden in Arztpraxen die herkömmlichen
Grippeimpfstoffe knapp, weil plötzlich Tausende Menschen
mit robustem Immunsystem den Influenza-Tod fürchteten. Als
Pädiater konnte der Mann nur noch den Kopf schütteln. Kin­
der mit Asthma, die zur Risikogruppe einer jeden Influenza­
Welle zählen und an den Folgen der Grippe tatsächlich ster­
ben können, erhielten in seiner Praxis kein Vakzin mehr -
weil es aufgrund der generierten Nachfrage ausverkauft war.
Die Schilderung des Mediziners als Einzelfall abzutun,
wäre ein Fehler, wie das Beispiel Schweiz belegt. Dort ließen
sich bereits 2003 fast dreimal mehr Menschen gegen Grippe
impfen als 1993 - die steigende Tendenz ist seitdem ungebro­
chen. Mindestens 1,2 Millionen Schweizer lassen sich im Al­
penland impfen, eine Bewertung des Bundesamts für Ge­
sundheit (BAG) ergab, dass vor allem Menschen über 65 und
mit chronischen Erkrankungen ein Vakzin haben wollen.
Problematisch wird die gestiegene Nachfrage allerdings im­
mer dann, wenn auch Menschen außerhalb der Risikogrup­
pen in Panik verfallen. Grippeepidemien verursachen in der
Schweiz jährlich rund 1000 Todesfälle, 1000 bis 5000 Kran­
kenhauseinweisungen und bis zu 300.000 Arztbesuche. Das
ist viel für ein Land, in dem gerade mal 7,8 Millionen Men­
schen leben.
Vakzine, steigende Marktkapitalisierung der Hersteller,
Geld vom Staat. Der Bereich der Impfstoffe zählt zu den luk­
rativsten Sparten der Pharmaindustrie. Eine Handvoll Her­
steller beherrscht ihr Geschäft besonders gut und dominiert
den Markt. Was jedoch kaum ein Laie weiß: Auch den Phar­
maprofis passieren gefährliche Pannen und unbeabsichtigte
Kontaminationen - deren Vertuschung findet allerdings wie­
der auf höchstem Niveau statt.
D a s M i l l i a rd e ngesc h ä ft m i t d e n Va kzi n e n 67

Impfstoffe gegen die gefürchtete Rota-Virusinfektion waren


beispielsweise in den USA im Jahr 2010 teilweise mit Erbfrag­
menten des Porcinen Circovirus PCVl und PCV2 kontaminiert
worden. 43 Betroffen waren die Impfstoffhersteller GlaxoSmith­
Kline und dessen Vakzin Rotarix ® , der in Deutschland auch
das Schweinegrippe-Vakzin Pandemrix " vertreibt, und das US­
Pharmaunternehmen Merck. Trotz der Kontamination emp­
fahl die Zulassungsbehörde FDA die weitere Verwendung der
Vakzine. Die Vorteile, so das Fazit der FDA, überwiegen nach
Betrachtung aller Fakten die potenziellen Risiken. Eine aus
medizinischer Sicht zumindest fragwürdige Entscheidung
normalerweise werden kontaminierte Chargen von Medika­
menten und Impfstoffen aus dem Verkehr gezogen.
Es gibt dramatischere Fälle. So kam es im Jahr 2009 zu einer
Kontamination mit tödlichen Vogelgrippe-Erregern von gleich
vier europäischen Labors durch den Pharmariesen Baxter, wie
wir bereits schrieben. Mitarbeiter hatten die letale Fracht per
Kurierdienst verschickt und schlichtweg falsch deklariert. Als
nicht minder brisant entpuppte sich die versehentliche Kon­
tamination eines französischen Hochsicherheitslabors mit
Anthrax-Erregern. Zwar sind letztere keine Viren, sondern
Bakterien (Bacillus anthracis), doch Beispiele wie diese bele­
gen: Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen lassen sich die Winzlin­
ge nur schwer kontrollieren. Mitunter ein Grund, warum nicht
nur Verschwörungstheoretiker eine der genialsten PR-Ma­
schen der Impfstoffindustrie als virologischen Unfall betrach­
ten: die Schweinegrippe.
So ist deren Erreger nach Untersuchungen des australi­
schen Virologen Adrian Gibbs ein vom Menschen erschaffe­
nes Kunstvirus. Gibbs hat dafür zwar keinen stichhaltigen
Beweis, aber eine logische Erklärung: Genetische Tests an
der Australian National University in Canberra und am Cen-
68 D I E VIREN-LÜGE

ter for Infectious Diseases and Microbiology Laboratory Ser­


vices at Sydney's Westmead Hospital haben gezeigt, dass der
HlNl/ A-Erreger aus drei Strängen (strains) besteht, die an
sich stets getrennt auf drei unterschiedlichen Kontinenten
vorkommen. Die Fusion der strains kann Gibbs zufolge daher
nur im Labor oder in einer Impfstofffabrik zustande gekom­
men sein. Gibbs informierte im Sommer 2009 die Weltge­
sundheitsorganisation WHO über diese Möglichkeit - und
blieb außerhalb des Seucheninformationsnetzwerks Promed
und von einer Meldung in LifeGen. de im November 2009 bis
Mai 2011 unbeachtet.
Doch eine Ausgabe vor Muttertag erfuhr Gibbs endlich
jene Aufmerksamkeit, die ihn Millionen von Laien näher
brachte - BILD berichtete am 8. Mai 2011 über seine Thesen,
und jetzt endlich bezogen auch WHO und CDC Stellung. ,,Die
Gruppe (der Wissenschaftler) glaubt, dass diese Hypothese
nicht zu belegen ist", sagte der WHO-Generaldirektor für Ge­
sundheitssicherheit und Umwelt, Keiji Fukuda. 44
Die eigentliche Problematik jedoch liegt weniger in Gibbs
These, sondern in der langsamen Reaktionszeit der WHO
und damit in deren Glaubwürdigkeit. Wer die Mechanismen
der Informationspolitik verstehen will, muss einen Zeitsprung
wagen - zur Reaktorkatastrophe von Fukushima. Auch für die
Evaluierung der gesundheitlichen Folgen in diesem Fall wäre
die WHO die perfekt ausgestattete Institution. Neutral, objek­
tiv und ganz auf die Interessen der betroffenen Menschen be­
dacht. Sollte man meinen.
Das Bundestagsdokument 17/5769, das den Autoren dieses
Buches vorliegt, zeichnet ein anderes Bild über die Unabhän­
gigkeit und Glaubwürdigkeit der WHO. In dem von Renate
Künast und Jürgen Trittin unterzeichneten Papier weisen die
Parlamentarier auf einen seit 1959 bestehenden Geheimver-
D a s M i l l i a rdengeschäft m i t d e n Va k z i n e n 69

trag zwischen der WHO und der Internationalen Atomener­


giebehörde IAEO hin. Die Vorwürfe der Abgeordneten wiegen
schwer. So heißt es in dem Dokument:

,, In diesem Abkommen verpflichtete sich die WHG, bevor


sie ein Forschungsprogramm oder Maßnahmen zu Strah­
lungsfolgen einleitet, die /AEG zu konsultieren, um die be­
treffende Frage einvernehmlich zu regeln. "

Und:

„ Die ihr {der WHG, Anm. d. Red.) zur Verfügung stehenden


Messwerte stammen von dem AKW-Betreiber Tepco und
der /AEG und waren zum Teil falsch und geschönt. Eine
unabhängige Untersuchung durch die WHG fand weder in
Tschernobyl noch in Fukushima statt. "

Damit nicht genug: .,Die WHO nimmt auch aktuell im Rah­


men der Katastrophe von Fukushima ihre Aufgabe nicht an­
gemessen wahr", moniert das von Renate Künast und Jürgen
Trittin unterzeichnete Dokument, und: .,Zur Messung der
Strahlenwerte und damit der Gefährdung von Leib und Leben
der Menschen in Japan und rund um den Reaktor hat die
WHO kein eigenes Team vor Ort."
Die WHO weist ebenso wie die IEAO jeglichen Vorwurf zu­
rück, doch die Aussagen der Parlamentarier sind belegt. Und
so bleibt, gerade wegen Fukushima, auch in Sachen Schwei­
negrippe eine Frage unabhängig von Gibbs' These unbeant­
wortet: Wie glaubwürdig ist die W H O wirklich?
KAPITEL D R E I

Schwei negri ppe a l s Pharma-Cou p


A n den Februar des Jahres 2011 w i rd sich der e i n e oder ande­
re Manager der Pharmaindustrie gerne erinnern. F ü r s i e war
es ein guter Monat. In Libyen kämpfte der gefü rchtete D ikta­
tor Muammar al-Gaddafi u m seine Macht, k u rz zuvor hatte
Autokrat Hosni Mubarak in Ä gypte n seinen Posten a l s Staats­
präsident räu m e n müssen. Der Geist der Revolution erfasste
im Bonsaiformat auch die Wissenschaftsel ite in Deutschland,
d i e die Doktorarbeit des damal igen Verteidigungs m i n i sters
unter die Lupe nah m . Ein m e h r als unglücklich agierender
Karl-Theodor zu Guttenberg trat sch l ießl ich z urück. We i l der
M i n i ster a.D. der beliebteste Pol i ti ker Deutsch lands war, hielt
die Diskussion über d i e „Copy-Paste"-Affäre noch Wochen an.
Para l l e l zu solchen Themen best i m mte e i n e wei tere M e l­
dung den Februar. Sol lten Autofa h rer den kuriosen Biosprit
ElO tanken oder l i eber n icht? W i rtschafts m i n i ster u n d ADAC
stritten über die Verantwortl ichen des angerichteten C haos
72 DIE VIREN-LÜGE

rund um eine Spritart, die, schlimmstenfalls, Benzinleitun­


gen oder Motoren der Karossen zersetzt, wenn die Autos
nicht für die Aufnahme des Treibstoffs konzipiert sind. Vor
allem Managern des britischen Arzneimittelherstellers Gla­
xoSmithKline dürften Nachrichten wie diese wie ein Ge­
schenk des Himmels vorgekommen sein - weil eine für den
Hersteller des Schweinegrippe-Impfstoffs Pandemrix " ver­
heerende Nachricht nahezu unbeachtet unterging.
Kein geringerer als der Direktor der finnischen nationalen
Gesundheitsbehörde „National Institute of Health and
Welfare" (T H L), Terhi Kilpi, warnte in einer ebenso
dramatischen wie unmissverständlichen Mitteilung Ä rzte
vor einer uner­warteten Nebenwirkung des Vakzins
Pandemrix". 45
Die Ver­abreichung hatte in Finnland bei
Kindern und Jugendlichen nur acht Monate nach der
Impfung zu einem auffälligen An­stieg der Fallzahlen von
Narkolepsie geführt. Betroffen von der als
„Schlafkrankheit" bezeichneten Malaise waren Pati­enten
zwischen vier und 19 Jahren.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die keine zwei Jah­
re zuvor aufgrund der Ausbreitung des Schweinegrippe-Erre­
gers Hl Nl/A innerhalb kürzester Zeit den
Pandemiestatus ausgerufen hatte und auf diese Weise die
Vermarktung unzu­reichend getesteter Vakzine erst möglich
machte, reagierte auf Kilpis' Hiobsbotschaft umgehend. In
einer eilig einberufenen Telefonkonferenz vom 4. Februar
2011 bestätigte das WHO Glo­bal Adviso ry Committee on
Vaccine Safety (GACVS) die Not­wendigkeit „weiterer
Untersuchungen". Denn ein Anstieg der
Narkolepsie-Fallzahlen war vor Einführung des Schweinegrip­
pe-Impfstoffs bei anderen Vakzinen gegen Influenza nicht be­
obachtet worden. Zudem ist die Schlafkrankheit ein extrem
seltenes Phänomen, lediglich einer von 100.000 Menschen
leidet daran. Kaum eine andere Studie zu unliebsamen
Neben-
S c h w e i n e g r i p p e a l s P h a rma-C o u p 73

wirkungen von Impfstoffen gegen Schweinegrippe hat inner­


halb der Wissenschaftsgemeinde für so viel Aufregung ge­
sorgt. Schlagartig teilte auch das in Deutschland für Vakzine
zuständige Paul-Ehrlich-Institut (PEI) , das vor den massiven
Warnungen aus Finnland auf keine Verdachtsfälle im Zusam­
menhang mit Pandemrix ® und Narkolepsie hingewiesen hatte,
ganz neue Daten mit. So hieß es in einer Mitteilung der Bun­
desbehörde im Februar 2011:

„ Seit Oktober 2010 sind dem PE! weitere Verdach tsfälle von
Narkolepsie nach Impfung mit Pandemrix gemeldet wor­
den. Insgesamt erhielt das PEI bis zum 31. 01.2011 acht Mel­
dungen (sechs weiblich e und zwei männliche Patienten).
In einem Fall konnte durch weitere Untersuchungen die
anfängliche Verdachtsdiagnose Narkolepsie nicht bestätigt
werden ... Das Paul-Ehrlich-Institut hat die Meldung dieser
acht Verdachtsfälle einer Impfkomplikation zum Anlass
genommen, sich gemeinsam mit ausgewiesenen Experten
für Narkolepsie an einer multinationalen Studie zur mögli­
chen Assoziation zwischen der Pandemrix-lmpfung und
dem Auftreten ein er Narkolepsie zu beteiligen. An dieser
vom European Center for Disease Prevention and Contra/
(ECDC) geförderten Untersuchung werden die Niederlan­
de, Spanien, Italien, Dänemark, Sch weden, Finnland, Nor­
wegen, Großbritannien, Deutschland, Fran kreich und Is­
land teilnehmen. ''4 6

Diese offizielle Stellungnahme des PE! , zwischen Revolten in


Arabien und der abstrusen Guttenberg-Diskussion in Deutsch­
land, gleicht einem Offenbarungseid: Nicht nur musste die
oberste Vakzin-Überwachungsstelle der Republik eingeste­
hen, dass Kinder nach der Impfung an der lebensbedrohli­
chen Narkolepsie erkranken können. Das PEI gab zudem erst-
74 D I E V I R EN-LÜ G E

mals offen zu, dass selbst die übergeordn ete, europäische Zu­
lassungsbehörde ECDS über keinerlei k l i n ische Risi kodaten
zum Thema verfü gt hatte, als Pandem r i x ® E U-wei t von Ge­
sundheits m i n iste rn der me isten Länder als notwen dige „ Imp­
fung gegen die Schweinegrippe" beworben wurde.
D i e Europäische U n i o n wäre aber n icht j e nes pol itische Ge­
bilde, das w i r ken n e n , wen n sie e i n fach strukturiert wäre.
Und so kam es , dass die oberste Arz n e i m i ttelbeh örde der
Union den Fal l trotz der fi n n ischen Daten des Gesund h e i ts­
m i n isteriums in H e ls i n k i am 1 8 . Februar 2011 abwiegelte: E i n
kausaler Zusam m e nhang zwischen Pandemrix ® u n d d e m be­
obachteten Anstieg der Narkoleps ie-Fal lzah l e n in Fi n n land,
schrieb die European M ed i c i n es Agency ( E M A ) , sei nicht ge­
geben - weitere Stud ien m üssten fol ge n .
E i ne kuriose Sicht d e r D i n ge. N icht nur ste l lte die E M A
den glas klaren Befund des fi n n ischen Gesundheits m i n isteri­
ums i n frage. Die i n London ansäss ige I nstitution betonte so­
gar, dass der I mpfstoff trotz der fin n ischen Fal lzah l e n weiter
ve rwendet werden durfte.47 Dabei bas iert die fi n n ische Unter­
suchung auf unerschütterl ichen Fakten , wie aus dem uns
vorl iegenden Origi nalbericht aus H e ls i n k i e i ndeutig h e rvor­
geht. Zwar forderten auch d i e fi n n ischen Experten weitere
U ntersuchungen und betonten, die vorgel egten Zah l e n ledig­
l i ch als A n fang umfangre icher Stud i e n anzusehen. Was j e­
doch bedeutet, dass al les auch noch viel sch l i m mer s e i n
kön nte.
Fest steht: Rund eine halbe M i l l i o n K i nder und Jugendliche
erh i e l ten d i e umstrittene I mpfung gegen Schwe i negrippe -
warum al l e i n i n F i n n land 60 davon danach an der Schlaf­
krankheit l i tten , wissen bis heute weder Ärzte noch Hersteller
zu sagen . Rei n juristisch d ü rfe n Buchautoren und Medien ei­
nen kausalen Zusam menhang zwischen I mpfung und Narko-
- -
Schweinegrippe a l s P h a r m a-Co u p 75

lepsie nicht herstellen. Genau der aber ließe sich dem Bericht
zufolge anhand der statistischen Auswertung ableiten: Wer
sich nämlich im Alter zwischen vier und 19 Jahren hatte imp­
fen lassen, war ein neunmal höheres Risiko eingegangen, an
Narkolepsie zu erkranken, als ungeimpfte Kinder und Jugend­
liche in der gleichen Altersgruppe. Eine fehlerhafte Charge
als Ursache auszumachen, scheidet dem Bericht zufolge aus,
weil die betroffenen Impfstoffe aus neun unterschiedlichen
Produktionsstätten des Arzneimittelhersteller GlaxoSmithKli­
ne stammten. 48
Im Milliardengeschäft mit Grippe & Co. kämpfen Hersteller
mit harten Bandagen. Obwohl bis Februar 2011 weltweit be­
reits 167 Kinder und Jugendliche nach einer Impfung mit Pan­
demrix ® an Narkolepsie erkrankt waren, wie GlaxoSmithKli­
ne in einer eigenen Mitteilung attestiert, darf über einen kau­
salen Zusammenhang nicht berichtet werden. Denn in der
gleichen Mitteilung verwies GSK am 18. Februar 2011 auf die
Entscheidung der EMA, nach der Änderungen im Umgang
mit dem Schweinegrippe-Impfstoff auch nach Sichtung der
finnischen Studien nicht notwendig seien. 49
Mit dem Prinzip Ursache und Wirkung tun sich viele Kon­
zerne der Pharmaindustrie ohnehin schwer. Dabei gehen die
Hersteller stets nach dem gleichen Prinzip vor: Werden un­
erwartete Nebenwirkungen nach Einnahme von Wirkstoffen
beobachtet, werden die zwar nicht dementiert - doch gegen
jene, die sich daraufhin erdreisten, einen direkten Zusam­
menhang zwischen Impfstoff und Nebenwirkung herzustel­
len, werden rechtliche Schritte eingeleitet. Diese Erfahrung
haben auch die Autoren dieses Buches gemacht.
Bei LifeGen. de, unserem seit 2001 bestehenden Webzine mit
rund 300.000 Lesern weltweit, hatten wir über Todesfälle
nach Einnahme der Verhütungspille Yasmin ® berichtet - und
76 DIE VI REN-LÜGE

bekamen prompt Post von den Anwälten des Bayer-Konzerns.


Doch anders als i n Leverkusen vermutet, sahen w i r der poten­
ziellen K l age mit Freuden entgege n . Denn der öffentlichke its­
wi rksame Gang vor den Kadi h ätte die R i s i ken der Pi lle e i ne m
b rei ten Pub l i k u m i n s Bewusstsei n gerufen. Bayer verzichtete
auf die angedrohten Schritte ebenso wie auf e i n I n terview m i t
LifeCen. de, h a t a b e r n a c h diesem Vorfa l l die Packu ngsbei l age
des Med i kaments entsprechend aktual isiert.
D i e Brisanz der am 1 . Februar 2011 gemachten fi n n i schen
Aussage lässt sich erst verstehen, wen n man die Geschichte
der Schweinegrippe-Impfkampagne kennt. Das Vak z i n war
nicht nur ein Jahr vor Ausbruch der Pandemie von der eu ro­
päischen Zulassu ngsbehörde E M A anerkannt worden , obwo h l
fü r den E i nsatz an E rwachsenen ke ine k l i n ische Studien
nach den übl ichen Standards vorlagen - auch wurden mehr
als 30 M i l l ionen B ü rger der EU a l l e i n bis August 2010 mit
dem nicht ausreichend getesteten I mpfstoff gei mpft. 50 Ob er
etwa fü r K i n der geeignet war? Vol l kommen u nbekannt. Ver­
wertbare k l i n i sche Daten? Feh l ten gän zlich. Noch bis M a i
2 0 1 1 sammelten die eu ropäischen Zulassu ngsbehörden Beob­
achtungsdaten aus diesem e i n z i gartigen humanen Großver­
such ohne Zusti mmung der Gei mpften . Was h ier stattfand,
war eine quasi lega l i sierte Trial-and-Error-lmpfpol i t i k auf
dem Rücken der Bevö l kerung, die dem übl ichen Prozess der
Medikamentenzulassu ng von Grund auf widersprach.
Bevor ein neuer W i rk stoff - ob Vak z i n oder P i l l e - ve rtrie­
ben werden darf, m ü ssen d i e Herste l l e r über J a h re h i nweg
sogenannte k l i n i sche Stu di en nach festgelegten Standardver­
fah ren d u rchfü h re n . I n der „Phase N u l l " dieses langwierigen
Prozesses testen W i ssenschaftl e r d i e Verträgl ichkeit der P rä­
parate i n spe, i ndem sie zehn b i s 15 M enschen M i k rodosen des
W i rk stoffs verabreic h en . Was n ä m l ich zuvor als S i m u lation
S c h we i n eg r i p p e a l s P h a rma-C o u p 77

am Computer funktioniert hat, muss im Körper des Men­


schen nicht zwangsläufig problemlos verlaufen. Jede Phase
Null einer klinischen Studie gleicht einem Roulettespiel: Gibt
es unerwartete Komplikationen, ist der „Wirkstoffkandidat"
bereits an dieser Stelle so gut wie erledigt. Geht alles gut,
folgt der nächste Schritt. Bis zu 80 Patienten nehmen in der
Phase I über einige Monate das Medikament zu sich, hierbei
geht es um die Verträglichkeit und Sicherheit der neuen Sub­
stanz. Phase II versucht anschließend die optimale Dosis des
Wirkstoffs zu eruieren, rund 200 Probanden stehen hierfür
über Monate zur Verfügung. Den eigentlichen Wirkungsnach­
weis ihrer Arzneimittel können die Hersteller jedoch erst mit
Abschluss der Phase Il I erbringen. Bis zu 10.000 Patienten
erhalten nun über Jahre hinweg unter medizinischer Beobach­
tung an Universitätskliniken die neue Substanz verabreicht.
Gleichzeitig ist das für Pharmaunternehmen die riskanteste
Etappe auf dem Weg zum Produkt. Denn nur wenn Phase III
erfolgreich abgeschlossen wird, kommt es zur Marktzulas­
sung. Danach erfolgt Phase IV, innerhalb derer Millionen
von Patienten die zugelassenen Arzneimittel verabreicht
bekommen. Nun beobachten niedergelassene Ärzte im Pra­
xisalltag, inwieweit unerwartete Nebenwirkungen auftreten.
Glaubt man den Angaben des Bundesverbands der Pharma­
zeutischen Industrie (BPI) und des Verbands Forschender
Arzneimittelhersteller (vfa), so kostet die Entwicklung eines
einzigen marktreifen Medikaments rund eine Milliarde Euro
und dauert nahezu ein Jahrzehnt. Allerdings wird nicht jeder
Wirkstoffkandidat ein Erfolg: Sehr oft scheitern die Präpa­
rate in spe nach Jahren und Hunderten von Millionen an
Forschungsgeldern in der kritischen Phase III.
Die hohen Hürden der Behörden haben ihren guten Grund.
Spätestens seit dem Contergan-Desaster in den Jahren 1961/1962
78 DIE VIREN-LÜGE

w issen M ed i z i ne r und Pharmabranche, w i e d rastisch un be­


kan nte Nebenwi rkungen ausfallen kön nen. Lange Studi e n ,
h o h e Pat i entens icherhe i t - e i n e ebenso e i n fach e w i e effekti­
ve Formel bewah rt die M e nsch h e i t vor Pharmakatastrophe n .
Zum i ndest t heoretisch. Beispiele w i e V i oxx sBI o d e r Lipobay "
belegen zudem , dass t rotz umfangreicher Langzei tstud i e n l e­
bensbedro h l iche R is i ken auftreten kön nen. Langzeitstud i e n
und die Pub l i kati o n un l iebsamer E rgebn isse, w i e v o m I nsti­
tut für Qual ität und W i rtschaftlichkeit im Gesund h e i ts wesen
( I OW i G ) im November 2009 gefordert, s i n d die Grundlage e i n e r
nachhaltige n Pat i e n te nsicherh e i t . ,,Durch das Verschweigen
von vorhandenen Stud i endaten n i m mt der Hersteller Patiente n
u n d Ärzten d i e Mögl i c h keit, sich i n fo r m iert zwischen versch i e­
denen Therapi eoptionen zu e n tsch e i d e n " , sagte Peter T. Sawi­
c k i , ehemal i ger Leiter des IQWiG, und bezog sich dabe i auf d i e
allge m e i n gängige Praxis d e r Pharmain dustrie. D i e , folge rte
der renom m ie rte M e d i z iner, beh i n de re letzte n d l i ch d i e A rbei t
von I nstitutionen w i e d e m I QW i G . W i e s i ch das I nstitut sel bst
defi n iert, l i e ß es in e i ner M i ttei lung ebenfalls im Nove m ber
verlauten : ,,Z i e l des I QW i G ist es , verläss l i che Sch lussfolgerun­
gen über Nutzen und Schaden der Medi kame n te zu z i e h e n .
D i ese d i e n e n dem Gemei nsamen Bundesausschuss ( G-BA) als
w issenschaftliche Grundlage fü r E n tscheidungen über die E r­
stattungsfä h i gkei t von M e d i kamente n . " E i n es ist j edoch selt­
sam : Dass Vak z i n e gegen Schwe i negrippe von den Kasse n der
Gesetzl i chen K rankenvers i cherung (GKV) erstattet w ü rden,
erfuhren Medien und Patiente n vermut l i ch z e i tgleich m i t der
I OW i G - einen Auftrag zur Begutachtung der I mpfstoffe vor
deren Markte i n fü h rung i n Deutschland e rh i e l t das staat l i ch e
I nstitut n i cht.
Entsprechend fi nden sich, sucht man d i e Seiten des IOW i G
nach d e m Begriff Schwe i negrippe a b , kei nerlei Angaben zur
Schweinegrippe a l s P h a r m a-Co u p 79

möglichen Medikation (Stand März 2011): weder Hinweise auf


Impfungen noch auf antivirale Mittel als wirksame Therapie.
Das Schweigen des IOWiG kann man deuten, wie man will.
Eine Frage jedoch muss erlaubt sein: Warum bezog die Bun­
desregierung das IOWiG nicht in die Entscheidungen rund
um den Erreger Hl Nl/ A ein?
Ein Blick auf die Packungsbeilage des Vakzins Pandem­
rix ® jedenfalls offenbart: Zugelassen und vor allem an Kin­
dern angewendet wurde ein Mittel, das den üblichen Stan­
dards nicht entspricht. Um nicht missverstanden zu werden:
Der Impfstoff kam legal auf den Markt - denn für Pandemien
gibt es Ausnahmeregelungen, die das übliche Sicherheitsver­
fahren der klinischen Studien Null bis IV praktisch aushe­
beln. GSK selbst informiert Ärzte daher:

„Es sind keine Daten zur Sicherheit und Immunogenitat


aus klinischen Studien mit Pandemrix (HJNJ) bei Kindern
und Jugendlichen im Alter von 3 bis 17 Jahren oder bei Kin­
dern im Alter von unter 6 Monaten verfügbar. Es liegen
sehr begrenzte Daten aus einer klinischen Studie mit Pan­
demrix (HJNJ) bei gesunden Kindern im Alter von 6 bis 35
Monaten und begrenzte Daten aus einer Studie mit einer
HSNJ-A ntigen enthaltenden Variante von Pandemrix bei
Kindern im Alter von 3 bis 9 Jahren vor. "51

Formaljuristisch ist der Hersteller auf der sicheren Seite. Nar­


kolepsie bei Kindern? Lebensbedrohliche Schocks bei Minder­
jährigen? In solchen Fällen haften Ärzte oder Gesundheitsbe­
hörden, in Deutschland übernimmt sogar der Bund die Ver­
antwortung - jene aber, die Milliarden mit dem Verkauf un­
zureichend getesteter Impfstoffe verdienen, dürfen aufatmen.
Dass die in Staaten der EU durchgeführte Impfung gegen
Hl Nl/ A trotz fehlender wichtiger klinischer Daten erfolgte,
80 D I E V I R E N -LÜ G E

bestätigt auch eine Stellungnahme der Zulassungsbehörde


E MA gegenüber LifeGen. de. Danach startete der Pharmakon­
zern GlaxoSmithKline „zusätzliche Studien" an 9000 Patien­
ten erst nachdem die E U-weite Impfaktion angelaufen war.
Durch die Erhebung der zusätzlichen Daten in Echtzeit solle
die Sicherheit des Impfstoffs belegt werden, heißt es in dem
uns vorliegenden Schreiben. Damit wurde die Zulassungspra­
xis der EMA mal eben revolutioniert: Erstmals konnte ein
Pharmakonzern vor Vorlage aller klinischen Langzeitdaten ein
Vakzin massiv vermarkten, um durch die Vermarktung die
Sicherheit des Impfstoffs nachhaltig zu überprüfen. Man kann
es verständlicher ausdrücken: Millionen Menschen dienten
ohne Einwilligung als Versuchskaninchen.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft je­
denfalls warnte am 4. Dezember 2009 eindringlich vor den
lebensbedrohlichen Nebenwirkungen des Vakzins Pandem­
rix ®. ,,Die Behandlung sollte entsprechend der Leitlinie zur
Akuttherapie anaphylaktischer Reaktionen erfolgen", heißt es
in der entsprechenden Mitteilung an Deutschlands Mediziner,
und: ,,Die erforderlichen Notfallmedikamente und Instrumen­
tarien sollten bei Impfungen immer sofort greifbar sein." 52
Zweifelsohne handelt es sich bei der Schweinegrippe-Pan­
demie des Jahres 2009/2010 um den größten Impfstoffskan­
dal aller Zeiten, in dem Regierungen, Zulassungsstellen und
Aufsichtsbehörden durch mehr als fragwürdige Entscheidun­
gen auffielen. Drei Konzerne - Novartis, GlaxoSmithKline,
Baxter - prägten dabei das Geschehen, wobei dem britischen
Pharmariesen GlaxoSmithKline die Hauptrolle zufiel.
Juristisch belangen kann man keinen der Verantwortli­
chen, denn die durchexerzierten Mechanismen dieser einzig­
artigen Vermarktung sind wasserdicht. Doch die Analyse der
Zusammenhänge erinnert an die von Victor Hugo stammen-
Schweinegrippe a l s Pha rma-C o u p 81

de Aussage: ,,Die Wissenschaft sucht nach einem Perpetuum


mobile. Sie hat es gefunden: Sie ist es selbst." 53 Obschon man
Hugos Satz abwandeln müsste: Die Grippeindustrie selbst ist
zum Perpetuum mobile avanciert, und Panik ist ihr Antriebs­
motor.
Die H ersteller dominieren nicht nur den Markt, sie bestim­
men auch wichtige Publikationen in wissenschaftlichen Fach­
journalen, in denen Autoren veröffentlichen, die auf der Be­
zahlliste der betroffenen Konzerne stehen - ein Aspekt, der
auch für Mitglieder der Zulassungsbehörden gilt, wie wir noch
aufzeigen werden. Selbst die Bundesregierung macht sich zum
Handlanger von Pharmakonzernen, indem sie Geheimverträ­
ge mit ihnen abschließt. Ein solcher geheimer Vertrag zwi­
schen Bundesregierung und GlaxoSmithK!ine garantiert dem
britischen Unternehmen Umsätze in dreistelliger Millionen­
höhe, während eine Klausel die Haftung für Nebenwirkungen
auf den Bund überträgt. Weswegen der Geheimvertrag dem
Parlament nicht zur Einsicht zur Verfügung stand, ist bis heu­
te nicht geklärt. Weder tangierte er nationale Interessen noch
militärische Geheimnisse. Unter Verschluss gehalten wurde,
so deutlich sollte man das formulieren, lediglich, wie sehr die
Regierung ihre Bürger den Machenschaften des Herstellers
GlaxoSmith Kline auslieferte.
Wer detaillierte Informationen über den Vertrag erhalten
möchte, muss öffentlich zugängliche Dokumente des Deut­
schen Bundestags einsehen. So offenbart die am 8 . Dezember
2009 publizierte „Drucksache 17/175", dass die „Bereitstellung
von Impfstoffen bereits in einem Zuwendungsbescheid vom
13. Februar 2006 vereinbart wurde, mit dem der Bund GSK
Fördermittel gewährt hat". Schon Ende 2007 - also zwei Jahre
vor Ausbruch der Pandemie und genau ein Jahr vor Erhalt
der Marktzulassung für Pandemrix ® - ,,schlossen der Bund
82 DIE V I R EN-LÜ G E

und die Länder mit dem Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline


GmbH & Co. KG (GSK) einen Vertrag über die Bereitstellung
eines Pandemie-Impfstoffes", wie die Parlamentsmitschrift
vom 8. Dezember 2009 dokumentiert. In dieser sind dann
auch die Kommentare der konsternierten Abgeordneten Re­
nate Künast und Jürgen Trittin zu lesen: ,,Der Vertrag zwi­
schen GSK, Bund und Ländern enthält unter anderem einen
weitreichenden Haftungsausschluss für GSK, insbesondere
für Schäden bei Dritten." Im Klartext: Im Fall von Impfschä­
den oder sonstigen Komplikationen infolge der Impfung haf­
tet der Hersteller nicht. Verlierer dieser obskuren Regelung
wären im Notfall nicht nur Patienten, die, anders als etwa
beim Contergan-Skandal, nicht mehr gegen den Arzneimittel­
hersteller vorgehen könnten. Auch Ärzte müssten sich damit
befassen, inwieweit rechtliche Unsicherheit ihrerseits ein Kol­
lateralschaden des Geheimvertrags ist - als Verabreicher der
Impfstoffe würden geschädigte Patienten vermutlich letztend­
lich sie verklagen, obwohl Ärzte sich guten Glaubens auf die
Angaben der Zulassungsbehörden und der Politik verlassen.
Wie verzwickt die Lage im Ernstfall wäre, wollen wir anhand
eines Praxisbeispiels belegen. Im Fall eines Impfschadens
würden wir - rein theoretisch - als Patient zunächst einen
auf Medizinrecht spezialisierten Anwalt beauftragen. Dieser
müsste dann den behandelnden Arzt auf Schadenersatz ver­
klagen, weil der Arzt der direkt Verantwortliche für das De­
saster wäre. Der wiederum würde - zu Recht - auf die Emp­
fehlungen der STIKO hinweisen, sodass am Ende eines über
Jahre hinweg andauernden Prozesses das für uns zuständige
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen die Frage klären
müsste, ob der Arzt von jeglicher Haftung freigesprochen wer­
den kann - und wer für den Schaden aufkommt. Fest steht
nur, wer auf keinen Fall bezahlt: der Hersteller selbst.
Schweinegrippe a l s P h a r m a-Co u p 83

Gesundheitspolitik ist Ländersache, und so hat die Bun­


desregierung durch den Haftungsausschluss des Vakzinher­
stellers vor allem eines erreicht: Ärzte und Patienten in den
Bundesländern ins juristische Niemandsland zu stoßen, wäh­
rend die Pharmafirmen sich entspannt zurücklehnen dürfen.
Zusätzlich hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
den Pharmagiganten GSK und Novartis „Zuwendungen in Höhe
von jeweils zehn Millionen Euro gewährt", wie ein weiteres Do­
kument des Bundestags attestiert. Darin heißt es: ,,Bedingung
der Zuwendungen war unter anderem die Aufnahme von Ver­
tragsverhandlungen mit den Ländern zwecks Klärung der Be­
reitstellungsmodalitäten für Impfstoff im Pandemiefall." Dem
Papier zufolge verpflichteten sich die Hersteller „im Pande­
miefall jeweils bis zu 82 Millionen Dosen Impfstoff (für eine
zweimalige I mpfung der gesamten deutschen Bevölkerung)
bereitzustellen".
Somit päppelte das Gesundheitsministerium die Pharmari­
esen, damit diese im Fall des Falles auch wirklich Vakzine
lieferten - was beide Hersteller ohnehin mit größtem Vergnü­
gen und ganz sicher auch ohne deutsche Steuergelder getan
hätten, denn die „Bereitstellung" kommt nicht umsonst da­
her. In dem Zusammenhang mutet es nahezu grotesk an,
dass sich, andersherum, die Politik zur Abnahme verpflichte­
te - ohne Details wie Prüfstandards oder finanzielle Selbst­
ausbeutung weiter zu berücksichtigen. Die Konzerne jeden­
falls, das war vorher klar und hat sich bewahrheitet, verdien­
ten an der Pandemie prächtig, wie die Umsatzzahlen des ers­
ten Quartals 2010 aufzeigen. ,,Der Schweizer Pharmakonzern
Novartis hat im ersten Quartal stark von dem Verkauf des
Impfstoffs gegen die Schweinegrippe H1N1 profitiert", kom­
mentierte das Flaggschiff der Wirtschaftsberichterstattung,
das Handelsblatt, den Boom der Vakzinisten. Das Staunen
84 DIE VIREN-LÜGE

der Journalisten kam nicht von ungefähr - allein die ersten


drei Monate des Jahres 2010 bescherten Novartis durch den
Verkauf von Schweinegrippe-Impfstoffen einen Umsatz von
1,1 Milliarden US-Dollar.
Der Geheimvertrag entpuppt sich somit nicht nur als Li­
zenz zum Gelddrucken für globale Pharmakonzerne, er stellt
auch die Unabhängigkeit der Bundesregierung infrage. So
schreibt Absatz X Nummer 3 vor, ,,dass Pressemitteilungen
über die Vertragsverhandlungen mit GSK abzustimmen sind",
wie die Mitschrift des parlamentarischen Dienstes vom 23.
Dezember 2009 festhält. Offensichtlich haben die Verantwort­
lichen in Berlin die Gesetzgebung der Bundesrepublik ver­
gessen. Zumindest die Landespressegesetze der Bundeslän­
der sehen nämlich eine Auskunftspflicht von Ministerien und
Behörden gegenüber den Medien vor. Anders ausgedrückt:
Anfragen zu Kosten und Ausgaben des Staates müssen beant­
wortet werden, wie auch sämtliche Informationswünsche zu
Gesetzen und Verträgen. Soweit die Theorie. In der Praxis
verhindert ein Passus die auf den ersten Blick transparente
Vorgehensweise unserer staatlichen Stellen. Immer dann,
wenn nationale Interessen berührt sind, dürfen die Ministe­
rien schweigen. Warum der Bund mit einzelnen Pharmaher­
stellern Verträge abschließen darf, ohne die Öffentlichkeit
darüber genau zu informieren, ist ebenso unverständlich wie
die Frage, weswegen eine Pressemitteilung der Bundesregie­
rung nur mit Zustimmung eines Arzneimittelherstellers er­
folgen soll.
Pikant sind auch die in Absatz I Nummer 9 getroffenen Ver­
einbarungen54, wonach jene Länder der EU über den Beginn
und das Ende der Pandemie entscheiden, die bei GSK Impf­
stoffe bestellten. Die Bedeutung dieser Passage ist enorm. Der
Bund selbst bestimmt, wann er eine Pandemie für beendet
S c h w e i n e g r i p p e a l s P h a rma-C o u p 85

erklärt - oder aber, ab wann er Impfstoffe im Rahmen einer


Pandemie abnimmt. Für sich betrachtet wäre das eine ver­
nünftige Möglichkeit, eigenständige Entscheidungen ohne
Einfluss der Weltgesundheitsorganisation WHO zu treffen
nur warum in Geheimverträgen mit der Pharmaindustrie?
Absatz V II Nummer 2 des Geheimvertrags wiederum ver­
pflichtet die Bundesländer zur vollständigen Abnahme und
Bezahlung der bestellten Impfstoffe auch dann, wenn die Pan­
demie als solche nicht mehr existiert. Krönung der staatlich
garantierten Selbstbedienung aber ist zweifellos Absatz V II
Nummer 3: Für den Fall des vorzeitigen Endes der Pandemie
garantiert die Bundesrepublik eine pauschale Aufwandsent­
schädigung, ein in diesem Zusammenhang überraschender
Begriff, in Höhe von 244 Millionen Euro - zuzüglich Mehr­
wertsteuer, versteht sich. Damit hat die Bundesregierung of­
fensichtlich nicht das geringste Problem, wie aus ihrer Ant­
wort einer Anfrage im Bundestag hervorgeht. Schlichte Erklä­
rung einen Tag vor Weihnachten 2009: ,,Bei einer Abnahme
von 32 Millionen Dosen Pandemie-Impfstoff sind die Aufwen­
dungen von GSK gedeckt (32 Millionen Dosen mal 7,00 Euro
= 224 Millionen Euro)." Und wenn weniger Impfstoff benötigt
wird, zahlt man eben drauf. Gedacht haben die gewählten Re­
gierungsmitglieder an alles, was die Pharmakonzerne be­
fürchten mussten. Absatz II Nummer 6 verpflichtet Bund und
Länder auch noch zur „ Abnahme und Bezahlung von bestell­
ten, aber veralteten Impfstoffen", wie die Bundestagsprotokol­
le belegen - und zwar selbst dann, ,,wenn die Zusammenset­
zung des Impfstoffs zwischenzeitlich geändert wurde".
Im Jahr 2009 hatten wir es also nicht nur mit einem neuen
Erreger zu tun, sondern auch mit politischen Entscheidungen
ohne Präzedenzfall: Nie zuvor sind Medikamente in Form von
Impfstoffen so schnell und mit so wenigen klinischen Lang-
86 DIE VIREN-LÜGE

zeitdaten über mögliche Risiken und Nebenwirkungen ver­


marktet worden. Die Verflechtungen zwischen Politik und
Pharmakonzernen sind massiv, involviert scheinen neben
Bundesgesundheitsministerium und Bundesregierung auch
Zulassungsbehörden auf europäischer Ebene und in Deutsch­
land zu sein. Nur wenige Monate, nachdem Virologen den Vi­
russtamm A/California/7/2009 (H l Nl/ A) als Auslöser der neu­
en Grippe identifiziert hatten, rief die in Genf ansässige Welt­
gesundheitsorganisation WHO den Pandemiestatus aus. Al­
lein dieser Schritt ist aus zwei Gründen mehr als ungewohnt.
Zum einen ist das Auftreten neuartiger Virenstämme keines­
falls einzigartig. Jede saisonale Grippeimpfung muss jährlich
an die jeweiligen Erregerstämme angepasst werden, das Ver­
fahren ist Routine. So enthielten die „normalen" Grippeimpf­
stoffe der Influenza-Saison 2010/2011 auch den „Schweinegrip­
pe-Stamm", also Fragmente genau jenes Vakzins, das die Her­
steller ein Jahr zuvor einzeln als Impfstoff gegen die Seuche
verkauft hatten. Zum anderen erwies sich die aufkeimende
Schweinegrippe in Mexiko ebenso wie in allen anderen be­
troffenen Ländern als eher harmlose Variante des neuen In­
fluenza-Erregers.
Der Aktionismus der WHO hatte weitreichende Folgen.
Denn die Ausrufung des Pandemiestatus schürte flächende­
ckend Ängste und erlaubte den Herstellern schlagartig die
Vermarktung ihrer Impfstoffe unter besonderen Zulassungs­
bedingungen. Klinische Studien der Phase III? Langzeitbeob­
achtungen? Jahre der Beobachtung vor der Zulassung? Mit­
nichten.
Die Pandemiepanik führte zu einem weiterten Verkaufs­
boom. Neben Impfstoffen rückten auch jene Mittel in den Fo­
kus der Gesundheitsbehörden, die sich vor Beginn der Schwei­
negrippe als zunehmend wirkungslos gegen herkömmliche
S c h w e i n eg r i p p e a l s P h a r m a -C o u p 87

Influenza-Viren erwiesen hatten und zum Ladenhüter zu ver­


kommen drohten. Damit verhalf die WHO wenigen Pharma­
herstellern zu einem unverhofften Comeback ihrer alten Gar­
de, wobei das Medikament Tamiflu® des Schweizer Pharma­
herstellers Roche zweifelsohne der bekannteste Vertreter der
antiviralen Comeback-Generation ist. Ebenso schnell wie die
Jagd nach Tamiflu® und seinen
_ Pendants setzte im Herbst
2009 der globale Run auf Impfstoffe gegen die neue Grippe
ein. Während einige Länder noch halbwegs vorsichtig reagier­
ten - und aufgrund der fehlenden klinischen Langzeitdaten
bestimmten Altersgruppen von einer I mpfung abrieten - war
die Bundesrepublik Vorreiter panischen Verhaltens und or­
derte Vakzine en masse.
Bis Januar 2010 hatte sie nach Informationen der Frankfur­
ter Allgemeinen Zeitung rund 400 Millionen Euro für Impfstof­
fe ausgegeben - über die Kassen der GKV. Nebeneffekt der
Einkaufshysterie: Ende November 2009 zitierte Spiegel Online
Ärzte, die bereits vom Ende der ersten Schweinegrippe-Welle
sprachen - der geschilderte Geheimvertrag der Bundesregie­
rung mit dem Hersteller GSK aber garantierte Zahlungen in
Höhe von mindestens 250 Millionen Euro brutto.
Doch warum diese Maßnahmen? Bis Anfang 2011 ließ sich
die Zahl der Todesopfer infolge einer Schweinegrippe-Infekti­
on in allen Ländern der EU auf lediglich 4600 beziffern. Zum
Vergleich: Allein in Deutschland sterben jährlich rund 20.000
Menschen an der saisonalen Grippe. Pandemien, so lernen es
schon Medizinstudenten, sehen anders aus. Dennoch ließen
bereits im Herbst 2009 die auch in Deutschland auftretenden
ersten Todesfälle im Zusammenhang mit der Schweinegrippe
die Bedenkenträger auf der medizinischen Seite zur Minder­
heit werden. Getragen vom H1Nl/ A-Hype berichteten Medien
nahezu täglich über die Schweinegrippe, und empfahlen da-
88 DIE VIREN-LÜGE

bei das, was ihnen die PR-Mühlen der Pharmaindustrie vor­


setzten: Neuraminidasehemmer und Vakzine als Schutzschild
gegen die vermeintlich so lebensbedrohliche Seuche. Gewiss,
jeder einzelne Todesfall ist tragisch und einer zu viel, nur:
Aus epidemiologischer Sicht bleibt es fraglich, warum Ge­
sundheitsbehörden so kopflos agierten und Impfstoffe bestell­
ten, z u denen keine aussagekräftigen Langzeitstudien exis­
tierten. Im Gegenteil blieben Studien mit verwandten Vakzi­
nen, die auf Risiken und Nebenwirkungen der Impfstoffe in
den USA schon vor über 30 Jahren hinwiesen, zunächst sogar
vollständig unbeachtet. Die Folge: Sogenannte Modellimpf­
stoffe, Vakzine also, die noch nicht im Detail erforscht worden
waren, erhielten im Rekordtempo die Zulassung durch US­
amerikanische und europäische Behörden. Dass sich diese
Praxis derart schnell durchsetzte, obwohl die Schweinegrippe
keine tödliche Pandemie war, verwundert.
Die Schnelligkeit der Impfstoffzulassungen erweist sich
mitunter als letztes Glied in einer ganze Kette von Zufällen.
Nahezu synchron vermeldeten Virologen die Entdeckung des
genauen Virenstamms, die Isolierung des Schweinegrippe­
Erregers ging mit dem Start der entsprechenden Impfstofffor­
schung einher. Anhand eines Papiers der Zulassungsbehörde
EMA (siehe Anhang am Ende des Buches) ist jedoch ersicht­
lich, dass GlaxoSmithKline die Zulassung für Pandemrix ® be­
reits im Mai 2008 erhalten hatte - und somit ein Jahr vor Be­
ginn der eigentlichen Pandemie.
Wie bereits erwähnt, galten nun ebenfalls aussortierte
Mittel wie Tamiflu® als Rettung vor dem vermeintlichen
Todeserreger, und Pharmakonzerne, die wie andere Arznei­
mittelhersteller ebenfalls die Anzeichen der Weltwirtschafts­
krise spürten, hatten schlagartig prall gefüllte Auftragsbücher.
Schweinegrippe a l s P h a rm a-Co u p 89

Dabei belegte ein bereits veröffentlichtes Dokument der Eu­


ropäischen Zulassungsbehörde EMA mit der Nummer
EMEA/523823/2009: Tamiflu® vermag Patienten mit Schwei­
negrippe nicht wirklich zu heilen. Lediglich verkürzt der
Wirkstoff Oseltamivir die Dauer der Erkrankung im Vergleich
zu jenen Patienten, die kein Oseltamivir erhielten - um einen
Tag. Die Angaben der EMA sind dabei klar formuliert. So
heißt es in dem uns vorliegenden Papier:

„ In den Behandlungsstudien mit Erwachsenen betrug die


durchschnittliche Erkrankungsdauer 5,2 Tage bei Patien­
ten, die Placebo einnahmen, im Vergleich zu 4,2 Tagen bei
Patienten, die mit Tamiflu behandelt wurden. Bei Kindern
im Alter von ein bis sechs Jahren betrug die durchschnittli­
che Reduzierung der Erkrankungsdauer 1, 5 Tage. In den
Prophylaxestudien verringerte Tamiflu das Auftreten von
Grippe bei Personen, die mit einem Grippeerkrankten in
Kontakt gekommen waren. In der während einer Epidemie
durchgeführten Studie erkrankte 1 % der Personen, die Ta­
miflu einnahmen, nach dem Kontakt an Grippe im Ve,�
gleich zu 5 % der Personen, die ein Placebo einnahmen. In
Familien mit einer influenzainfizierten Person erkrankten 7
% der in einem Haushalt lebenden Familienmitglieder, die
Tamiflu vorbeugend eingenommen hatten, an Grippe ge­
genüber 20 Prozent, die keiner vorbeugenden Behandlung
unterzogen wurden. "

Der Wirkstoff war zudem in die Kritik vieler Experten gera­


ten, weil sich das Medikament zum Zeitpunkt des Ausbruchs
von H lNl/ A bereits als zunehmend wirkungslos gegen saiso­
nale Influenza-Viren erwiesen hatte.
90 DIE V I R EN-LÜ G E

Das hätten die politischen Entscheidungsträger wissen müs­


sen - die Pressemeldungen, etwa der BBC vom 29. Juni 2009,
waren unmissverständlich und machten innerhalb von Minuten
unter Virusforschern die Runde. Die BBC berichtete von immer
mehr Experten, die eine Resistenz der Schweinegrippe-Erreger
gegen Tamiflu® feststellten - eine tendenzielle Unwirksamkeit,
die das Medikament mit seinem Wirkstoff Oseltamivir nach
Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO schon im Mai
2008 in den Vereinigten Staaten und Kanada dem normalen
Grippeerregerstamm Hl Nl gegenüber an den Tag gelegt hat­
te. Laut US Centers for Disease Control and Prevention (CDC)
waren in den USA bereits damals fünf Prozent der getesteten
Erreger gegenüber Tamiflu® resistent. In Kanada lag dieser
Anteil allein für 2008 bei etwa sechs Prozent, insgesamt acht
von 128 Proben reagierten laut WHO-Sprecher Gregory Hartl
in Kanada nicht mehr auf den Wirkstoff. Auch beim Erreger
HlNl/ A waren Resistenzen gegen den Neuraminidasehemmer
seit geraumer Zeit bekannt. Japanische Gesundheitsbehörden
untersagten aus Furcht vor neurologischen ebenwirkungen
den Einsatz von Tamiflu® bei Jugendlichen sogar gänzlich. Vor­
ausgegangen war ein Report an das Gesundheitsministerium in
Tokio, in dem über abnormale Verhaltensmuster bei insgesamt
151 Schweinegrippe-Patienten, von denen 26 mit Tamiflu® und
36 mit Relenza® behandelt worden waren, berichtet wurde.
Inwieweit die bei allen Erkrankten beobachteten Störungen,
darunter aggressives Verhalten, mit der Einnahme der Mittel
zusammenhing, war unklar, hieß es dazu beim Seuchenin­
formationsnetzwerk Promed. Allerdings bewerteten die Seu­
chenexperten die in Japan gemeldete Auffälligkeit als besorg­
niserregend, weil sie zuvor noch nie beobachtet worden war.
Ohnehin erinnern die Comeback-Versuche von Tamiflu®
und Relenza " als antivirale Mittel an die Zeit, in der die Vo-
Schweinegrippe a l s P h a rma-C o u p 91

gelgrippe die Nation beschäftigte. Schon einmal, 2006, hatte


eine vermeintliche Vogelgrippe-Gefahr zur Vermarktung bei­
der Medikamente geführt. Nach Ansicht des V irologen Griot
handelte es sich bei diesen Aktionen schon damals eher um
einen gelungenen Vermarktungsschritt der Pharmakonzer­
ne: Im Fall einer Übertragung des Vogelgrippe-Erregers auf
den Menschen nutzen die oben genannten Mittel vermutlich
nicht. Denn sie sind für die Behandlung/Prävention der hu­
manen Grippe konzipiert. Klinische Studien aber, die an Pati­
enten mit Vogelgrippe hätten ausgeführt werden müssen,
fehlten damals wie heute - weil es keine entsprechenden Pa­
tientenkohorten gibt.
Bei der Schweinegrippe-Pandemie griffen ähnliche Mecha­
nismen, aber dieses Mal mit großem Erfolg. Die weltumspan­
nende Panik vor einem Erreger, der zwar vergleichsweise
harmlos, aber ebenso ansteckend wie eine virale Durchfaller­
krankung ist, setzte die politischen Entscheidungsträger mas­
siv unter Druck. Dass klinische Studien nach den klassischen
Standards fehlten, war jedoch zu keinem Zeitpunkt ein Ge­
heimnis.
Trotz solcher Informationen orderten nationale Regierun­
gen weltweit antivirale Mittel und Vakzine, im November
2009 rief die Ukraine die NATO zu Hilfe, um den Bezug und
die Verteilung der Medikamente zu gewährleisten. Dabei sind
die teils lebensbedrohlichen Nebenwirkungen der Impfungen
sogar seit Jahrzehnten bekannt, wie das Fachblatt Lancet im
November 2009 attestierte. Auch das Deutsche Ärzteblatt wies
auf entsprechende Studien in Schweden und auf ein Total­
desaster mit Schweinegrippe-Vakzinen in der Vergangenheit
hin - die Fachblätter blieben jedoch weitgehend unbeachtet.
Die breite Öffentlichkeit nahm zudem kaum Notiz davon,
dass es bereits vor gut 30 Jahren einen massiven Ausbruch
92 DIE VIREN-LÜGE

der Schweinegrippe gegeben hatte. Die daraufhin durchge­


führten Impfaktionen endeten mit einem Desaster, wie das
Deutsche Ärzteblatt im November 2009 in seiner Online-Aus­
gabe berichtete: ,, In den USA wurden im Jahr 1976/77 schon
einmal etwa 100 Millionen Menschen gegen eine Schweineg­
rippe geimpft. Die Kampagne wurde damals abgebrochen,
nachdem die befürchtete Epidemie ausblieb und es zu einer
vermehrten Zahl von Gullian-Barre-Syndromen gekommen
war, die später teilweise auf die Impfung zurückgeführt wur­
den", schrieb das Fachblatt unter Berufung auf eine entspre­
chende Studie des Jahres 1979. 55
Dass die globale Impfkampagne gegen das Schweinegrippe­
Virus des Jahres 2009 zu einer Welle von Verdachtsfällen un­
erwünschter Reaktionen führen könnte, berichtete wiederum
das Fachblatt Lancet56 : Experten erwarteten die Zunahme der
als lebensbedrohlich geltenden Gullian-Barre-Syndrome, bei
denen die Atmung der Patienten aussetzen kann. Auch Abor­
te bei Schwangeren und bestimmte Formen von Multipler
Sklerose schienen Lancet zufolge möglich. Beim Guillain-Bar­
re-Syndrom (GBS) handelt es sich um ein neurologisches Er­
krankungsbild, das durch eine sogenannte Polyradikulitis
verursacht wird. Darunter verstehen Mediziner „eine entzünd­
liche Erkrankung der aus dem Rückenmark hervorgehenden
Nervenwurzeln (Radikulitis) und der peripheren Nerven mit
Lähmungserscheinungen, die typischerweise an den Beinen
beginnen und sich bis hin zur Atemlähmung ausbreiten kön­
nen", wie das Web-Lexikon Wikipedia erklärt. Als Ursache gilt
eine autoimmune Zerstörung der isolierenden Myelinschicht
der Nerven. Polyradikulitis ist die häufigste Ursache akut auf­
tretender symmetrischer Lähmungen in der westlichen Welt.
In Deutschland erkranken jährlich etwa 1000 bis 1500 Men­
schen daran.
Schweinegrippe a l s Pha rma-C o u p 93

Damit nicht genug. Aufgrund von US-Zahlen rechneten Ex­


perten in Großbritannien im Jahr 2009 „innerhalb der ersten
6 Wochen mit 86,3 Fällen einer Neuritis nervi optici, ein be­
kanntes Initialsymptom der Multiplen Sklerose, unter zehn
Millionen geimpften Frauen", wie das Deutsche Ärzteblatt be­
richtete. Zudem kämen auf eine Million geimpfter Schwange­
rer „397 Spontanaborte innerhalb eines Tages nach der Imp­
fung". Politik und Pharmabranche müssen sich den Vorwurf
gefallen lassen, solche Bedenken seriöser Medizinforscher
schlichtweg ignoriert zu haben. Die fehlenden klinischen
Studien nach den üblichen Verfahren der Phasen Null bis IV
machten sich nun bemerkbar - doch man entschied sich trotz
offenkundiger Risiken zum massiven Einsatz der Mittel ge­
gen die Schweinegrippe.
Dabei war, ebenfalls aufgrund des Mangels an ausreichen­
den Daten, die eine oder andere Überraschung vorprogram­
miert. So musste sich die US-Seuchenbekämpfungsbehörde
CDC im Spätsommer 2009 mit einem offiziell bestätigten Fall
beschäftigen, der die Wirksamkeit der Vakzine infrage stellte.
Erstmals war nachgewiesen worden, dass sich ein Mensch
trotz vorheriger Infektion mit HlNl/ A erneut ansteckte. Damit
stand für Virenforscher fest: Der Erreger überlistet das Im­
munsystem des Organismus - vorherige Immunisierungen,
zu denen Vakzine auch gehören, scheinen in manchen Fällen
wirkungslos zu sein. Tatsächlich beschäftigt der Fall der Kin­
derärztin Debra Parsons vom Kid Care West Krankenhaus in
Cross Lanes noch heute die Forscher. HlNl/ A war bei Parsons
erstmals im August 2009 aufgetreten, eine neue Analyse am
Charleston Area Medical Center (CAMC) wies die erneute In­
fektion der Frau mit dem Erreger nach. Die Ergebnisse waren
eine Sensation - und verschwanden aus dem Blickfeld der
Öffentlichkeit. Denn sie zeigten anhand von Labordaten, dass
94 DIE VIREN-LÜGE

die Wirkung der Vakzine womöglich nicht immer greift. .,Das


würde Potenzial und Effektivität der Vakzine mindern", schätz­
ten Experten des Seucheninformationsnetzwerks Promed. Die­
ser These widersprach hingegen der Sprecher der West Virgi­
nia Division of Health and Human Resources (DHHR), John
Law. Seiner Ansicht nach verfügte Parsons über eine Immun­
schwäche - eine Annahme, die die Kinderärztin bis heute ve­
hement bestreitet. 57
Zumindest über die überschaubare Gefährlichkeit des Er­
regers herrschte relativ schnell Einigkeit. Die britische UK
Health Protection Agency (HPA) wiederum gab an, in Blut­
proben von Kindern weitaus höhere Virenkonzentrationen
gefunden zu haben als erwartet. So wies jedes dritte unter­
suchte Kind den Erreger H1Nl/ A auf, doch nur jedes zehnte
erkrankte. Aus Sicht der Behörde ließ sich daraus nur ein
Schluss ableiten: Bei der Schweinegrippe handelte es sich
um eine vorwiegend milde Form der Influenza.
Möglicherweise lesen deutsche Politiker keine Texte aus
dem Ausland, haben Probleme mit dem Englischen. Anders
ist die Ignoranz gegenüber den exemplarisch aufgeführten
Meldungen fast nicht zu erklären. Die ersten zwei Todesfälle,
die im zeitlichen Zusammenhang mit dem zuvor verabreich­
ten Schweinegrippe-Vakzin auftraten, beschäftigten Deutsch­
lands Behörden schon im November 2009 - aber trotz der Zwi­
schenfälle, die Medien aus juristischen Gründen - ebenso wie
wir - lediglich als „Verdachtsfälle" bezeichnen durften, impf­
ten Ärzte weiter.
Warum auch nicht? Hatte doch das Bundeskabinett am 19.
August 2009 der „Verordnung über die Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung bei Schutzimpfungen ge­
gen die neue Influenza A (H1 Nl)" zugestimmt. Der Beschluss
verpflichtete die Kassen der gesetzlichen Krankenversiche-
Schweinegrippe a l s P h a r m a-Co u p 95

rung zur Übernahme der Kosten für das Vakzin. Auch der
Verband der Privaten Krankenversicherung PKV erklärte sich
nahezu zeitgleich bereit, die Kosten der Impfung für seine
Versicherten zu übernehmen. Die skurrile Verordnung gab
einen „Orientierungswert für die Impfvereinbarungen der
Kassen in Höhe von 28 Euro für die gesamten Kosten der zwei­
maligen Impfung vor". Was in erster Linie der Pharmabranche
diente, erwies sich als Extrembelastung für Deutschlands Ge­
sundheitssystem. Allein im Jahr 2009 betrugen die Mehraus­
gaben laut Bundesgesundheitsministerium rund 600 Millio­
nen Euro und „je 10 Prozent zusätzliche Impfbeteiligung in
2010 weitere rund 0,2 Milliarden Euro". Ob solcher Aussichten
dürften in den Chefetagen der Vakzinhersteller die Sektkorken
geknallt haben. Denn das Bundesgesundheitsministerium teil­
te ebenfalls mit:

,, Sollten mehr als 50 Prozent der Versicherten geimpft wer­


den, wird der Staat eintreten. Mit den Krankenkassen be­
steht Einvernehmen, dass eine Erhöhung des einheitlichen
Beitragssatzes der Krankenversicherung oder Zusatzbei­
träge für die Versicherten deshalb nicht erforderlich sind. "

Einerseits die uneingeschränkte Lizenz zum Gelddrucken für


die Pharmabranche, andererseits das: Zehn Menschen star­
ben bis Ende November zeitnah nach der Impfung gegen die
Schweinegrippe - aber nach Angaben der Gesundheitsbehör­
den kein einziger infolge des Vakzins. Alles Zufall?
Pleiten, Pech und Pannen bestimmten das schnelle Milliar­
dengeschäft mit den riskanten Impfstoffen. Das erfuhr die
Weltöffentlichkeit, als GlaxoSmithKline in Kanada über 150.000
Impfstoffe vom Markt nehmen musste, weil es zu schweren
allergischen Nebenwirkungen und einem offiziell bestätigten
Todesfall infolge einer Impfung gekommen war. Das Vakzin
96 D I E V I R E N-LÜ G E

war sehr eng mit dem in Europa gegen Schweinegrippe ver­


wendeten Pendant verwandt.
Ähnliche Kuriositäten spielten sich bei den antiviralen
Wirkstoffen ab. Erstaunliche Informationslücken traten näm­
lich auch hier, vorwiegend bei Tamiflu"', auf. So zitierte der
globale Seucheninformationsdienst Promed am Anfang der
H l Nl/ A-Welle die amerikanische Gesundheitsbehörde CDC,
die verlautbaren ließ, dass der Erreger im Laborversuch ge­
gen Tamiflu" resistent sei. Zudem bestätigten weitere Studi­
en bis zum Spätsommer 2009 diese Befürchtungen der CDC.
Dennoch avancierte das Mittel bei vielen Ärzten zum belieb­
ten Medikament - und erfuhr damit ein sensationelles Come­
back.
Im Juli 2009 verkündete Roche, seinen Umsatz mit Tamif­
lu ,c auf rund eine Milliarde Schweizer Franken verdreifacht
zu haben. Dieser enorme Anstieg ist im Licht der Entwicklun­
gen der letzten fünf Jahre besonders interessant: ,, In den Vo­
gelgrippe-Jahren 2006 und 2007 konnte Roche für rund 4 Mil­
liarden Franken Tamiflu • an Regierungen verkaufen", berich­
tete der Schweizer Online-Informationsdienst Swisslnfo. ch 58 ,
und: ,,2008 jedoch folgte ein dünnes Jahr: Die Verkäufe des
Medikaments fielen um über 70 Prozent auf 609 Millionen
Franken." Dass die weltweite Schweinegrippe-Panik dem Mit­
tel zum Comeback verhalf, steht somit außer Frage.
Beachtlich hingegen ist die Tatsache, dass Roche gegenüber
Swisslnfo. ch bereits im Juli 2009 eine strategische Einschät­
zung zu den kommenden Vakzinen der Konkurrenz abgab:
„Tamiflu " und die Impfungen werden sich ergänzen, nicht
ausschließen. Tamiflu f kann auch eingesetzt werden, wenn
jemand trotz Impfung krank wird und im Gegensatz zu den
Impfungen muss Tamifluc" nicht jedes Jahr angepasst wer­
den", erklärte Konzernsprecherin Martina Rupp.
S c h w e i n e g r i p p e a l s P h a r m a-Co u p 97

M a s s ive I nteres s e n konfl i kte i m B a n n der V i re n

So neu die Geschichte der Erregers H I N!/ A auch zu sein scheint


- es handelt sich um eine in unterschiedlichen Variationen im­
mer wiederkehrende Story. Nachdem zunächst Virenklassiker
wie H5N1, H 3N2 und „Seuchen" a la SARS seit Jahren das Bild
der globalen Gefährdung geprägt hatten, war es 2009 eben die
Schweinegrippe. Die Ereignisse rund um den Erreger H l Nl/ A
erreichten jedoch eine neue Dimension: Das Ausrufen der Pan­
demie durch die W H O leitete bei den nationalen Gesundheits­
behörden ein Umdenken ein. Obwohl die Todesfallzahlen glo­
bal betrachtet weit unter jenen der normalen Influenza lagen
und liegen, wollte und konnte es sich kaum eine Regierung
leisten, gegen die Vorgaben der WHO zu verstoßen. Warum
diese derart vorschnell agierte, bleibt ein Rätsel. Eine Frage
muss sie sich in diesem Kontext gefallen lassen: Sind ihre Mit­
glieder wirklich so unabhängig, wie es die Stellung der W H O
gebietet? Und waren die Entscheidungen in Genf tatsächlich
frei jedweder Interessenkonflikte? Auch die hiesige Ständige
Impfkommission (STIKO), die vehement zur Impfung gegen die
Schweinegrippe aufrief, sah sich unliebsamen Nachforschun­
gen ausgesetzt: Die international angesehene Antikorruptions­
organisation Transparency International sah die STIKO gar
unter Korruptionsverdacht. Zwar widerspricht die Behörde
diesen Vorwürfen im mer wieder vehement. Doch gibt es selt­
sam anmutende Verstrickungen zwischen den Mitgliedern der
ST IKO und der Pharmaindustrie. So ist in der Selbstauskunft
eines der insgesamt 16 Mitglieder zu lesen:

,,Mitgliedschaft in Gremien/Tätigkeiten für Gremien: Mit­


glied im Übersichtsgremium für ein e Studie zu FSME der
Firma Baxter (2002/2003); Mitglied im Übersichtsgremi-
98 DIE VIREN-LÜGE

um für eine Studie zu Meningokokken der Firma Baxter


(2002/2003); Berater für eine Studie zu Rotarix der Firma
GSK (2004-2005), Mitglied im Advisory Board zu Pneu­
mokokken der Firma GSK (2003 und 2005); Mitglied im
Expertenteam zur Überwachung klinischer Studien der
Firmen GSK, . . . (seit 2006); Teilnahme am Pandemie Ad­
visory Board der Firma Novartis (2007); Teilnahme am
Advisory Board 'Zellvermittelte Immunität ' und 'Adjuvan­
zienentwicklung ' der Firma GSK (2007); Mitglied des 'In­
ternationalen Editorial Board ' der Firma GSK seit 2008,
Mitglied im 'Independent Data Monitoring Commitee ' des
TANGO-Projektes zu einem 6-fach-lmpfstoff der Firma Sa­
noft Pasteur 2006-2009, als Einrichtungsleiter verantwort­
lich für Referenzlabor zelluläre Immunität (Grundlagenfo,�
schungskooperation Uni Mainz/GSK). "59

Dasselbe Mitglied war zudem an einer ganzen Reihe von Zu­


lassungsstudien und Vakzinentwicklungen beteiligt, darunter
Studien über „pandemische Influenza-Impfstoffe (2006/2007)
für die Firma GSK", wie aus der öffentlich einsehbaren Selbst­
auskunft ebenfalls hervorgeht.
Ein weiteres ST I KO-Mitglied wartet in der Liste der Neben­
tätigkeiten auf den Seiten des R K I unverhohlen mit einer di­
rekten Unterstützung durch die Pharmaindustrie auf. So
heißt es auf den Internetseiten der Berliner Behörde in der
Selbstauskunft der Professorin:

,, Studie zu Risiko von Fieberkrämpfen nach MMRV-lmp­


fung seit 2010, Studienleiterin (finanzielle Unterstützung
durch GSK); fnzidenz von Anogenitalwarzen und Bestim­
mung von HPV-lmpfquoten seit 2009, Studienleiterin (fi­
nanzielle Unterstützung durch SPMSD). "
Schweinegrippe a l s P h a r m a-Co u p 99

Der I n teressenkonfl i kt ist u nve rkennbar, wie e i n weiteres


Beispiel aus der Li ste der Selbstauskünfte im April 2011 be­
legte. Darin besch rieb ein STIKO-M itgl ied das Spektrum sei­
ner Tätigkeiten so:
,,Durchfü h rung von bzw. M itwi rkung an Studien z u r E n t­
wicklung oder Zulassung von Impfstoffen oder M itte l n der
spezifi schen Prophylaxe: JE-(Japanische Enzephal i t i s )-Studie
2006- 2009 ( l ntercel l ) ; mehrere Studien zur Pocke n i mpfstoff­
entwickl u n g ( F i rma Bavarian Nord i c ) , H I V-Impfstoffentwick­
l u n g ( Bavarian ord i c ) , H 5 N 1jGrippe-l mpfstoffentwicklung
2002 - 2009 ( G S K , Novart i s ) ; Zulassungsstud ie zu H1Nl ( Phase
I-1 1 1 2009 -2010 ( Novarti s ) ; Grundlagenstudie zu Messenger­
R A-I mpfstoff m i t H 1 N l Antigen ( Phase I ) seit 2010 ( C u re­
Vac ) . "
D e m Gesundheits m i n i ster scheinen derartige Betätigu n­
gen im Gre m i u m der Ständigen I m p fkomm i ssion kein Dorn
i m Auge zu sein. Denn jedes einzelne M i tglied muss, bevor es
in die mächtige Expertenriege aufgenommen w i rd, gegen­
über dem Bu ndesgesundheits m i n i ster i u m in Berl i n all seine
Tätigkei ten und Forsch ungsaktivi täten offen lege n . ,,Das Bun­
desm i n i sterium fü r Gesundheit prüft, ob Umstände von ei­
nem solchen Gewicht vorl iege n , dass eine Berufu ng ausge­
schlossen ist", besch reibt das R K I die Method i k .
A u f europäischer E b e n e sieht d i e Lage ä h n l ich aus. D a s i n­
ternational angesehene Fachj ournal Vaccine pub l i z i erte i m
Jahr 2 0 1 0 e i n e Ste l l u ngnahme der zentralen e u ropäischen
Impfstoff-Beratungskom m i s s i o n CEVAG. Darin propagieren
d i e Autoren den Segen des Pande m r i x " -Impfstoffs . E rst der
Bl ick auf Seite 3794 der Pub l i kation lässt ein ungutes Gefü h l
aufkommen: Der Hauptautor der Veröffentlichung fungierte
auch al s k l i n i scher Studienleite r bei G S K , Novartis - u nd als
w i ssenschaftl icher Berater bei Baxter. Ä h n l i ches gilt fü r viele
1 00 DIE VI REN-LÜGE

der anderen Autoren der Fachpublikation, das Journal selbst


spricht zumindest von einem „ Interessenkonflikt". 60
Trotz solcher Fakten machte der damalige Bundesgesund­
heitsminister Philipp Rösler (FDP) nach Ausbruch der Schwei­
negrippe Front für die Impfstoffe. Auf der Internetseite des
Ministeriums war beispielsweise zu lesen:

„Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler ließ sich am


Donnerstag in einer Arztpraxis in Berlin gegen die sog.
Sch weinegrippe impfen. Gegen den im April erstmals auf­
getretenen Virus ist eine Impfung der sicherste und wirk­
samste Schutz. "

Dabei hätte es der Politik an unabhängigen, beratenden Insti­


tutionen nicht gefehlt. Die Arzneimittelkommission der deut­
schen Ärzteschaft AkdÄ etwa gilt als integere Medizinerorga­
nisation, was sie publiziert, hat Gewicht. Alle Mitglieder der
Kommission handeln interessenkonfliktfrei, Beschäftigungen
für die Pharmaindustrie sind tabu. Auf ihre Empfehlungen
wollte man sich auf politischer Ebene jedoch nicht verlassen
- und machte sich stattdessen zum Spielball der Pharmainte­
ressen.
Nur ein weiteres Beispiel von vielen: Obwohl die Auswir­
kungen der Impfung auf Ungeborene unbekannt waren, wur­
den Schwangere geimpft - fungierten also als Testballons, die
nach der Impfung online über Nebenwirkungen und andere
Erfahrungen berichten durften. Die Deutsche Gesellschaft für
Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und die Arbeitsgemein­
schaft für materno-fetale Medizin in der DGGG (AGMFM) er­
weiterten in einer gemeinsamen Stellungnahme vom Oktober
2009 die Angaben zur Diagnostik und Therapie der neuen
lnfluenza-A-Variante HlNl um den Punkt der ,,lmpfung/Phar-
-Schweinegrippe
- - a l s Pha rm a-Co-
up 101

makovigilanz": Die wissenschaftlichen Fachgesellschaften rie­


fen dazu auf, geimpfte Schwangere ab sofort beim Berliner
Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonalto­
xikologie zu melden. ,,Aufgrund der unvollständigen Daten­
lage sind noch immer viele Frauen, aber auch Ärztinnen und
Ärzte verunsichert, ob die zurzeit erhältliche Vakzine nicht
doch dem Ungeborenen schaden könnten", sagte Klaus Vet­
ter, Vorstandsmitglied der DGGG. 61 Diese Wissenslücke gelte
es möglichst bald zu schließen, ,,um die Verträglichkeit einer
Impfung besser einschätzen zu können". Umfassende Daten
über mögliche Impfrisiken während der Schwangerschaft sam­
melte das Pharmakovigilanzzentrum in Deutschland per On­
line-Fragebogen62 oder telefonisch unter der Telefonnummer
030-30308-111. ,,Täglich melden sich jetzt zahlreiche Schwange­
re. Mithilfe aller werden wir auf breiterer Datenbasis Angaben
zur Sicherheit für das Ungeborene machen können", hieß es
in einer Mitteilung des Zentrums.
Das von GSK eingesetzte Vakzin Pandemrix ® war laut EMA
zum Zeitpunkt der Zulassung nur an 240 Patienten getestet
worden - eine Tatsache, die der Deutschland-Pressesprecher
von GlaxoSmithKline ebenso wie die Staatsanwaltschaft Berlin
dementieren, obwohl offizielle Dokumente der Europäischen
Union diese Datenlage eindeutig belegen (siehe Anhang).
Auch in einer EU-Dokumentation der Zulassungsbehör­
de European Medicines Agency mit der Referenznummer
EMA/252208/2010 und dem Erstellungsdatum Juni 2010 sind
die Probandenzahlen marginal:

„ Es wurden sechs Hauptstudien durchgeführt, in denen


die Fähigkeit des Impfstoffes bei einem zweistufigen Impf­
plan untersucht wurde, bei den folgenden Gruppen eine
Immunantwort auszulösen (die Zahlen in Klammern be-
1 02 D I E V I R E N-LÜ G E

ziehen sich auf die Probanden, die in den Studien Pan­


demrix erhielten):
gesunde Erwachsene im Alter zwischen 18 und 60 Jahren
(180 Probanden in zwei Studien);
gesunde ältere Personen über 60 Jahre (120 Probanden in
einer Studie);
gesunde Kinder (210 im Alter zwischen drei und 17 Jahren
sowie 50 im Alter zwischen sechs und 35 Monaten in drei
Studien). "

D i e EMA betonte zudem i m deutschsprachigen Anhang z u m


pandem ischen I n fluenza-I mpfstoff: ,, K l i n i sche Studien m it
Pandem r i x " l iefern derzei t sehr begrenzte Sicherheits- und
l m m u noge n itätsdate n , die drei Wochen nach der Verabrei­
chung einer halben E i nzeldos i s fü r Erwachsene ( d . h . 0,25 m l )
von Pandem ri x " ( H l N l ) b e i gesunden Ki ndern i m Alter von 6
b is 35 Monaten erhoben wurden . "
Noch e i ndeutiger s i n d d ie Aussagen der EMA vom 30.
Oktober 2009. I n dem Dokument m i t der Refe re n z n u mmer
EMEA/687044/2009 E MEA-000687-PI POl-09 schrieb d i e Zulas­
su ngsbehörde dem Herstel ler GlaxoSmithKline die Umsetzung
e i nes „Paediatric I nvestigation Plan" vor, i n nerhalb dessen bis
August 2010 wei tere Daten zum Schwe i negrippe-Vakz i n A/
C a l i fornia/7/2009 gesammelt werden sollten.
Betroffe n waren auch d i e i n Deutsch land a ls sicher propa­
gierten monovalenten I mpfstoffe ohne sogenannten Adj uvant,
also einen H i l fsstoff: Die kanad i sche Gesundheitsbehörde
Health Canada wies darauf h i n , dass fü r Kinder im Alter von
zehn bis 17 und d rei bis neun Jahren ebenso wie bei K i ndern
i m Alter von sechs b i s 35 Mo naten bei diesen Vakz i nen „ kei­
nerlei k l i n ische Daten" vorlagen. Die Vo rgaben verdeutl ichen,
wie desolat die Datenlage z um Zeitpunkt der massiven Ver-
S c h w e i n e g r i p p e a l s P h a rma-C o u p 1 03

marktung des Impfstoffs war. So heißt es in einem Dokument


der europäischen Zulassungsbehörde EMA, das uns vorliegt,
ebenso wie in der von GSK im Dezember 2009 veröffentlichten
Fachinformation „012121-B978 - Pandemrix - n":

,, Klinische Studien mit Pandemrix (HlNl) liefern derzeit:


• Begrenzte Sicherheits- und Immunogenitätsdaten, die drei
Wochen nach der Verabreichung einer Einzeldosis von
Pandemrix (HlNl) bei gesunden Erwachsenen im Alter
von 18 bis 79 Jahren erhoben wurden.
• Sehr begrenzte Sicherheits- und Immunogenitätsdaten, die
drei Wochen nach der Verabreichung einer Einzeldosis von
Pandemrix (HlNl) bei gesunden Erwachsenen im Alter von
über 80 Jahren erhoben wurden.
• Sehr begrenzte Sicherheits- und Immunogenitätsdaten, die
drei Wochen nach der Verabreichung einer halben Einzel­
dosis für Erwachsene (d. h. 0,25 ml) von Pandemrix (HlNl)
bei gesunde Kindern im Alter von sechs bis 35 Monaten
erhoben wurden. "

Mit den üblichen Standards hat das alles wenig zu tun. Selbst
die Angaben der offiziellen Zahlen scheinen sich zu wider­
sprechen. Mal ist von 5000 Studienteilnehmern die Rede, mal
von 240 - bei Kindern verneint sogar der Hersteller das Vor­
liegen von klinischen Daten, während die EMA 50 als offiziel­
le Basis angibt.
In Deutschland hielt hingegen die am Robert Koch-Institut
angesiedelte Ständige Impfkommission (STIKO) an der Imp­
fung von Kleinkindern fest. In einer am 3. Dezember 2009
aktualisierten Empfehlung hieß es: ,,Für alle Personen ab ei­
nem Alter von sechs Monaten reicht eine einzige Impfung
mit dem Impfstoff Pandemrix ®". So dürfen die Hersteller das
104 DIE VIREN-LÜGE

Vakzin mindestens noch bis 2013 ganz ohne Sorgen vertrei­


ben. Denn genau ein Jahr vor Ausbruch der Schweinegrippe
erhielt der britische Konzern das OK der Behörden, wie Do­
kument EMEA/H/C/000832 attestiert: ,,Am 20. Mai 2008 er­
teilte die Europäische Kommission dem Unternehmen Gla­
xoSmithKline Biologicals s.a. eine Genehmigung für das In­
verkehrbringen von Pandemrix ,, in der gesamten Europäi­
schen Union. Die Genehmigung für das Inverkehrbringen gilt
fünf Jahre und kann anschließend verlängert werden."
Das Milliardengeschäft mit den Impfstoffen will gut abgesi­
chert sein, dem Zufall überlassen die Big Player der Branche
nichts. Und so verwundert es kaum, dass GSK im Februar
2009 ein weiteres wichtiges Dokument der Europäischen Uni­
on mit Genugtuung zur Kenntnis nahm. Im Schreiben mit der
Referenznummer EMEA/PDC0/147466/2009 sprachen Euro­
pas Arzneimittelwächter im Rahmen der gültigen Gesetze den
britischen Konzern von jeglicher Haftung für die Verabrei­
chung von Pandemrix � bei Kindern frei. Begründung des Haf­
tungsausschlusses war die Erwartung, dass das „entspre­
chende Medizinprodukt in Teilen oder der gesamten Kinder­
population unwirksam oder unsicher sein könnte".
Hätte, könnte, müsste. Mit der Lieferu ng von Daten und
Antworten dürfen sich die Impfstoffhersteller viel Zeit las­
sen. Der pädiatrische lnvestigationsplan, anhand dessen Ärz­
te endlich wüssten, wie gefährlich oder sicher die Impfungen
bei Kindern tatsächlich sind, musste der European Medicines
Agency erst im September 2010 vorgelegt werden - also lange
nach Ende der Schweinegrippe-Pandemie.
Am 15. April 2011 wartete die Online-Ausgabe des Deutschen
Ärzteblatts mit der Schlagzeile „ Pandemrix ": EMA schließt
Narkolepsie-Risiko nicht aus" auf. Nahezu zwei Jahre nach Zu­
lassung und mehr als ein Jahr nach Beendigung der Schwei-
Schwe i n egri p p e a l s P h a r m a-Co u p 105

negrippe-Pandem i e rätselten Europas Arzne i m i ttel wächter, ob


Pandemrix® die Schlafkran kheit verursachte oder n i cht. Nun
meldete auch Frankreich e i n e H äufung der Narkolepsiefä l l e .
„Die europäische Arz n e i m i ttelagentur E M A empfi e h l t deshalb
eine Änderung der Fachinformationen, hält einen Zusam men­
hang aber we iterh i n n i ch t fü r bewiesen " , ste l l te das Deutsche
Ärzteblatt konsterniert fest. Und zeigt seinen Leserinnen und
Lesern die weitere Takt i k der Pandem rix®-Pol i t i k auf: E i n e Ent­
scheidung über den kausalen Zusam menhang z w ischen Pan­
dem rix® und den registrierten Narkol epsiefä l len sol lte erst i m
Jul i 2011 verkü ndet werden . 63 I m Apri l 2011 empfah l auch d i e
E M A e i n e Änderung des Bei packzettels von Pandem rix® - da­
durch wol l e man den fi n n ischen E rgebn issen Rechnung tragen .
Die Entscheidung g l e i c h t e i n e m Offenbaru ngseid, denn s i e be­
l egt, wie sorglos und ohne med i z i n ischen Sachverstand e i n
Pharmaherstel ler d i e Z u lassungsbehörden foppte. Trial and
E rror auf dem Rücken der Patienten - und danach die s i mple
Strategie, das K l e i ngedru ckte e i n fach um eine Passage zu er­
weitern . Ve rantwortungsvol l e Gesundheitspo l i t i k sieht anders
aus .
E n tgege n der lan d l äufi gen M e i nung ist der g roße Schwei­
negrippe-Pharmas kan dal noch lange n i cht beendet. D i e Ge­
winner der geschü rten H yste rie stehen zwe i felsoh ne fest, nur:
Wer s i nd d i e Ve rl ierer? Gewiss, i n erste r L i n i e jene Menschen,
d i e nach einer I m p fung Schäden davontru ge n . Aber auch al l e
steuerzah lenden B ü rgeri n n e n und B ü rger i n Deutschlan d
o d e r Österre ich werden s i c h fragen , warum s i e Konzerne w i e
G laxoS m i t h K l i n e o d e r Baxte r m i t G e l d e r n aus der jewe i l igen
Staats kasse fi nan z i e ren musste n . Ä rzte wiederum stehen vor
dem Probl e m , I mpfstoffe verabre icht z u habe n , die - w i e w i r
e i n deuti g b e legen konnte n - d e n k l i n ischen Stan dardverfah­
ren in ke i n e r We ise genügte n , n i cht aus re ichend getestet wa-
1 06 D I E VI REN-LÜGE

ren. Weil die EMA, im Anhang dieses Buches im Original


beigefügt, den H ersteller von jeglicher Haftung entbindet, und
auch der Geheimvertrag der Bundesregierung in Berlin die­
sen Passus übernimmt, stehen die Doktoren der Republik vor
einem Dilemma: Sie verließen sich auf die Angaben der Stän­
digen Impfkommission (STL KO) - würden aber, sollte es zu
Klagen infolge von Impfschäden kommen, aller Voraussicht
nach für die Vakzinspätfolgen haften. Es sei denn, Bundesre­
gierung und Länder sprängen dann wohlwollend ein.
Verloren hat letztendlich das gesamte Gesundheitssystem.
Nie zuvor hat die Pharmaindustrie global betrachtet so schnell
und mit so wenig Skrupel versehen Medikamente verkauft,
über deren Nebenwirkungen und Risiken so wenig bekannt
war. Der römische Kaiser Vespasian wäre, mehr als 2000 Jah­
re nach seinem legendären Ausspruch, auf die Grundeinstel­
lung der beteiligten Impfstoffhersteller stolz: ,,pecunia non
olet".
KAPITEL V I E R

Dengue-Vi ren a u f globa ler


Anstecku ngstour

Die Schweinegrippe ist bei Weitem nicht die einzige Viruser­


krankung, mit deren Hilfe Big Pharma prächtig verdient. Wie
generalstabsmäßig Entscheidungen darüber gefällt werden,
ob Investitionen getätigt oder Seuchen ignoriert werden, wol­
len wir anhand eines ganz anderen Erregers aufzeigen.
Der „ Bericht der Bundesregierung über die deutsche huma­
nitäre Hilfe im Ausland 2006 bis 2009" umfasst genau 96 Sei­
ten und besteht größtenteils aus Tabellen. Akribisch aufgelis­
tete Zahlenkolonnen gewähren einen Einblick in die Probleme
jener Entwicklungsländer, denen Deutschland finanzielle Un­
terstützung gewährt. Meist sind Wirbelstürme, Starkregenfäl­
le, Überschwemmungen, Erdrutsche oder Erdbeben Auslöser
von Katastrophen, fast immer steht die Bundesrepublik den
ärmsten Nationen der Welt mit Rat, Tat und Geld zur Seite.
Die eingesetzten Beträge variieren, einzig die Taktik der Geld-
1 08 D I E V I R E N- LÜ G E

vergabe folgt stets dem gleichen Prinzip: Unterstützt werden


Projekte, ,,die von eigenverantwortlich agierenden Nichtregie­
rungsorganisationen und internationalen Hilfsorganisationen,
insbesondere der Vereinten Nationen und der Rotkreuz- und
Rothalbmond-Bewegung, entwickelt und durchgeführt wer­
den" , wie das Dokument betont.
Mitunter fließen die Gelder eher im Bonsaiformat. Für den
Bezug von Medikamenten gegen das von Viren verursachte
Dengue-Fieber erhielt Paraguay genau 12.802 Euro aus der
deutschen Staatskasse, die medizinische Hilfe gegen eine
massiven Dengue-Epidemie in Bolivien war der Bundesregie­
rung rund 48.000 Euro aus dem Notbudget wert. Mehr Geld
und ein Plus an Interesse für die Seuche wäre indes ange­
bracht - was Politiker für eine exotische Krankheit halten,
die nur auf fernen Kontinenten auftritt, erweist sich in Wirk­
lichkeit als virale Bedrohung für die Bevölkerung in Deutsch­
land. Denn Dengue ist seit Jahren auf dem Vormarsch. Was
lange Zeit als unmöglich galt, ist in Fachkreisen Gewissheit:
Die Seuche ist in Mitteleuropa angekommen
Spätestens seit April 2007 rätseln Epidemiologen über das,
was ihre Kollegen in Mexiko, Australien oder der Dominika­
nischen Republik zu berichten haben: Das von der Mückenart
Aedes aegyptii, der Gelbfiebermücke, übertragene Dengue­
fieber infiziert ungewohnt viele Menschen - auf den ersten
Blick aus bislang teils ungeklärten Gründen. So erkrankten
in den ersten beiden Monaten 2007 in Mexiko 1589 Menschen
daran, immerhin sechsmal mehr als im gleichen Zeitraum des
Vorjahrs. In der Dominikanischen Republik wurden zeitgleich
über 1000 Fälle gemeldet, darunter mindestens drei Urlauber
aus Deutschland. Betroffen waren auch Indonesien, weite Tei­
le der Karibik und Australien. Die Lage schien 2007 derart
dramatisch, dass die Regierung der Dominikanischen Repub-
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 1 09

lik am 17. April kurzerhand den „D-Day" ausrief. In einer ein­


zigartigen Aktion starteten Behörden, Militärs und besorgte
Einwohner unter Anordnung des Gesundheitsministeriums
die Trockenlegung von Tümpeln, den Brutstätten der Mücken.
Auf der anderen Seite des Globus sorgte die mit Fieber­
schüben und grippeähnlichen Symptomen einhergehende Vi­
ruserkrankung ebenfalls für Panik. Allein in der indonesi­
schen Hauptstadt Jakarta stieg die Zahl der Erkrankungen im
März auf 4423 an - im Jahr zuvor waren es 2249 Patienten
gewesen. Es sei, konstatiert Salimar Salim, einer der Direkto­
ren des Regional Health Service in Jakarta, ,,eine außerge­
wöhnliche Situation" .
Die Erkrankung ist für tropische Gebiete keinesfalls ein
Novum. Doch erstmals scheinen sich die Überträgermücken
an ihre Umwelt angepasst zu haben, wie der Direktor des phi­
lippinischen National Epidemiology Center, Enrique Tayag,
unlängst zu berichten wusste. 64 Obwohl auf den Philippinen
keine besonders starken Regenfälle zu verzeichnen waren,
kam es Tayag zufolge dennoch zur massiven Dengue-Aus­
breitung. Die Mücken nisteten sich offenbar in Wassercontai­
nern und Trinkbehältern ein, um sich dort ungestört zu ver­
mehren - was zur jetzigen Epidemie führte.
Der Siegeszug der Seuche ist unaufhaltsam. Seit 2007 mel­
deten Mediziner schwerste Ausbrüche von Dengue-Fieber in
Argentinien und Brasilien, allein im brasilianischen Cuiaba
setzte der Erreger seit Anfang 2009 über 7000 Menschen zu.
Noch verheerender war die Lage im brasilianischen Bundes­
staat Bahia, wo im selben Jahr über 45.000 Menschen erkrank­
ten und 38 Menschen inzwischen verstarben. Im ganzen Land
sollen im Jahr 2010 rund eine Million Menschen mit dem Den­
gue-Virus infiziert worden sein - und in den ersten vier Mo­
naten des Jahres 2011 sind im Amazonasgebiet schon mehr
110 DIE VIREN-LÜGE

Erkrankungen aufgetreten als im gesamten Jahr 2010, stellte


F
auch die Frankfurter Al/gemeine Zeitung (.A.Z.) im Mai 2011
konsterniert fest. In Argentinien gelten nach wie vor die nörd­
lichen Provinzen Jujuy, Salta, Chaco, Cordoba, Santa Fe und
Catamarca als riskant - dort sind nach offiziellen Angaben
2009 fast 15.000 Menschen erkrankt, die höchste Zahl seit
zehn Jahren. Nur ein Jahr später meldeten venezuelanische
Gesundheitsbehörden 114.855 bestätigte Fälle. 2011 erfasste
die globale Dengue-Welle sogar Arabien. Die Bevölkerung
setzte sich mit seinen Despoten auseinander, Forscher mit
winzigen Viren. Während im Jemen Tausende von Menschen
für mehr Freiheit und Rechte kämpften, rätselten Gesund­
heitsbehörden in der j emenitischen Provinz Hodeidah, war­
um die Seuche mit einem Mal als Epidemie über das Land
hereinbrach. 65 Zwischen den geschichtsträchtigen Ereignis­
sen um Mubarak oder Gaddafi registrierten saudische Ärzte
bis zum 6. März 2011 33 Dengue-Fälle in der Hafenstadt
Dschidda. Die saudische Metropole liegt am Roten Meer und
gilt als Tor nach Mekka, das nur 72 Kilometer entfernt ist. In
der Geburtsstadt Mohammeds versammeln sich jährlich rund
2,5 Millionen Pilger aus aller Welt - man muss kein Virologe
sein, um die weitere Ausbreitung des Dengue-Erregers allein
über diesen Weg zu erahnen.
Für Experten in Europa ist der Trend schon lange klar, wie
uns der Leiter des Instituts für Viruskrankheiten und Im­
munprophylaxe (IVI), Christian Griot, erklärte: ,,Dengue-Fie­
ber ist im Ansteigen begriffen und führt schon heute zu über
100 Millionen Erkrankungen pro Jahr - im Vergleich dazu ist
die Vogelgrippe ein Klacks." Tatsächlich leben heute rund 40
Prozent der Weltbevölkerung in epidemischen Dengue-Gebie­
ten, wie Forscher auf der 55. Jahrestagung der „ Biophysical
Society" in Baltimore Anfang März 2011 vortrugen. 66 Vor al-
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n s t e c k u ngsto u r 111

lern die Art der Viren bereitet Forschern wie Griot Kopfzer­
brechen. Denn die zu den RNA-Viren gehörenden Arboviren
seien in der Lage, grundsätzlich zu mutieren. ,,Eine Anpas­
sung an europäische Verhältnisse ist daher nicht ausge­
schlossen", befürchtet Griot. Dabei wäre die erste Infektion
nicht einmal lebensbedrohlich. Erst der zweite Befall birgt
enorme Risiken für die Gesundheit des Menschen: ,,Dann ist
ein schwerer Krankheitsverlauf mit Blutungen oder Schock­
symptomen möglich", wie das Centrum für Reisemedizin
(CR M) in Düsseldorf in seinen Dengue-Warnungen potenziel­
le Touristen informiert.
Dass sich die Erreger samt Überträger in Europa festset­
zen werden, ist also nicht unwahrscheinlich. Schon einmal,
in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, waren
die mediterranen Gebiete in Europa von Dengue betroffen.
Noch im Jahr 1928 zählten Epidemiologen in Griechenland
über eine Million Dengue-Fälle, mehr als 1000 Menschen
starben dort an der Virusinfektion. Erst in den 1950er Jahren
verschwand die Überträgermücke, Aedes aegyptii, und mit
ihr auch die Dengue-Plage wieder vom alten Kontinent. Der
massive und aus heutiger Sicht nicht mehr vertretbare Ein­
satz von DDT machte damals den Überträgern das
Überleben schwer.
„Demgegenüber könnte eine langsame Klimaerwärmung
eher begünstigend wirken", erklärte uns der medizinische In­
sektenforscher Andreas Krüger des Bundeswehrkrankenhau­
ses Hamburg im Gespräch für Spiegel Online die Möglichkeit
eines Dengue-Comebacks. 67 Für den im Fachbereich Tropen­
medizin am Bernhard-Nocht-Institut tätigen Wissenschaftler
scheint vor allem das Überspringen der Dengue-Erreger auf
eine andere Mückenart, nämlich auf Aedes albopictus, prob­
lematisch. Nicht nur erweisen sich diese Tigermücken als be-
112 D I E VI R E N-LÜ G E

sonders widerstandsfähig, auch treten sie einen noch trium­


phaleren globalen Siegeszug an als die Gelbfiebermücke.
Doch der blieb in der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt.
„Die erste Invasionsmeldung in moderner Zeit kam 1979 aus
Albanien, und von da an verlängerte sich die Länderliste na­
hezu jährlich, indem dieser exotische Eindringling in Teilen
Südamerikas, der Karibik, des Pazifik und vor allem in Nord­
amerika heimisch wurde", erklärt Krüger. Seitdem gehört der
Erreger zu den „100 of the World 's Worst lnvasive Alien Spe­
cies".
Dem unliebsamen Ranking macht die Mücke alle Ehre. Mitt­
lerweile melden gleich zwölf europäische Staaten das Vorhan­
densein des Virenüberträgers, darunter auch Deutschlands
Nachbarn Belgien, Schweiz und die Niederlande. Der zuneh­
mende globale Handel vor allem auf dem See- und Landweg
ermöglicht es den Mückenlarven, ihre ursprünglichen Gebie­
te zu verlassen und nach Europa zu gelangen. Altreifen- und
Zierpflanzentransporte, mit denen die Eier und Larven ver­
schleppt wurden, gelten unter Fachleuten als Hauptverstärker
der Dengue-Jnvasion.
Ärzte wären daher gut beraten, schon jetzt die ersten An­
zeichen einer Erkrankung zu erkennen. Innerhalb von zwei
bis sieben Tagen entwickelt sich ein grippeähnliches Krank­
heitsbild mit hohem Fieber, starken Kopf- und Gliederschmer­
zen und einem Druckschmerz hinter dem Auge. Besonders
tückisch: Schon nach etwa einer Woche klingen die Sympto­
me des Patienten wieder ab. Tödlich verlaufende Infektionen
- bei der Zweiterkrankung ist wie gesagt mit dramatischeren
Krankheitsverläufen zu rechnen - mit unstillbaren Blutun­
gen und Kreislaufversagen bedrohen vor allem Kinder. Eine
Schutzimpfung gegen Dengue-Fieber gibt es nicht, der Arzt
wird daher auch als Berater seines Patienten fungieren müs-
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 113

sen: Ein effektiver Mückenschutz gilt als besonders wichti­


ges Präventionstool gegen die Seuche.
Noch vor wenigen Jahren waren es lediglich Urlauber oder
weltreisende Manager, die Krankheiten wie Dengue mit nach
Hause brachten. Heute sind Dengue-Fälle Bestandteil der
deutschen Gesundheitsamt-Statistiken.
Spätestens seit einer Publikation im Fachblatt Eurosurveil­
lance68 Anfang März 2011 ist es mit der Ruhe in Deutschlands
medizinischen Amtsstuben vorbei. Molekularbiologische Ana­
lysen kroatischer Wissenschaftler hatten kurz zuvor etwas
zutage gefördert, was seit 1925 nicht mehr in Europa beobach­
tet worden war: die Festsetzung des Dengue-Erregers auf dem
Kontinent. Ausgerechnet ein deutscher Tourist wird dabei wo­
möglich in die skurrile Comeback-Geschichte des Virus ein­
gehen, weil er sich auf der idyllisch gelegenen Halbinsel Pel­
jesac infizierte. Allein das wäre kein Grund zur Sorge, doch
die Tests der kroatischen Mediziner wiesen Antigene gegen
das Virus auch bei jenen Einwohnern der Halbinsel nach, die
keine Anzeichen einer Erkrankung zeigten. Das im Fachjargon
als „DENV Type 2" bezeichnete Virus, folgerten daraus die
Experten, war zwischen Weinreben und Meer heimisch gewor­
den, weil die Überträgermücke dort bestens überlebte.
Die ebenso unheilvolle wie nachhaltige Etablierung des Er­
regers machte sich in Frankreich im September 2010 bemerk­
bar, und löste bei den europäischen Virusforschungsinstituti­
onen Panik aus. In einer Eilmitteilung an sämtliche oberen
Gesundheitsbehörden der EU meldete das renommierte Insti­
tut Pasteur die ersten beiden autochtonen Dengue-Fälle auf
dem französischen Festland. Als ob die Tigermücke wüsste,
wo sie den Erreger medienwirksam verbreiten muss, infizier­
ten sich die zwei Franzosen, ein 60 Jahre alter Mann und ein
18-jähriger Jugendlicher, ausgerechnet in Nizza. Zwar über-
114 DIE VIREN-LÜGE

lebten beide Patiente n die E rkrankung, der j ä h rl i ch wel twei t


m i n deste ns 22.000 Menschen z u m Opfer fal l e n . Den noch gilt
i h r Fal l a l s I n d i z fü r einen prakti sch u n u m ke h rbaren Trend:
Di e An steckung mit den gefü rchteten V i re n ist i n E u ropa wie­
der mögl ich.
Die Folgen s i n d u n absehbar - un d bedrohen sch l i m msten­
fal l s weite Tei l e des Gesundheitssystems. Die Attacke der V i re n
bedroht n ä m l ich a u c h die e uropä ischen B l utbanke n . We i l zwi­
schen 40 u nd 80 Prozent der I n fektionen mild verlaufe n , spen­
den V iru sträger i h r i n fi z i ertes B l u t - und sorgen auf diese
Weise für die weitere Verbreitung des Erregers. Eine beson­
dere Vorabuntersuchung des Spenderbluts auf Dengue-Vi ren
existiert weder i n Frankreich noch i n Deutsch land. 69 Angesichts
der explosionsartig steigenden Dengue-Fa l l zahlen weltweit i st
das e i n e eher u nverständliche Lücke i n der bestehenden S i­
cherheitsarchitektu r der Transfus i o n s mediz i n . Zumal die W i s­
senschaftl ichen Dienste des Deutschen Bundestags bereits i n
e i n e r Analyse vom 2. J u l i 2009 vor d e r Ausbreitung der asia­
tischen Tigermücke warnte n . 70 D i e M e i n u ng der Experten hat
Gewicht, denn die z ur Abte i l u n g Wissenschaft un d Außen be­
zi ehungen zählende Ei n he i t u m fasst i n sgesamt e lf Fachberei­
che, ,,die die Abgeordneten bei i h rer politi schen Arbeit in Par­
lament u nd Wah lkreis durch Fach i n formationen sowie Anal y­
sen und gutachterliche Ste l l u ngnahmen unterstützen " , wie es
auf den I nte rnetseiten des Parlaments heißt. Doch gehen die
wertvo l l e n Analysen des Hohen Hauses zwischen den News
u m Gabriel, Westerwel l e oder M erkel praktisch unter.
Gesetzliche Krankenkassen j edenfa l l s haben d i e Gefa h r er­
kannt. So zählte a l l e i n die Tech n i ke r Krankenkasse (TK) i m
J a h r 2010 m e h r al s 1 5 0 Dengue-Fä l l e i n Bayern, doppelt s o
viele wie e i n J a h r zuvor. Was kei n C SU-Vorsitzender j e m a l s
verkünden w ü rde, gilt heute a ls gesicherte E rken n t n i s : Fast
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u n gsto u r 115

jeder dritte Dengue-Infizierte in Deutschland kommt aus dem


Freistaat, nahezu jeder zweite davon ist zwischen 25 und 50
Jahre alt. Glaubt man den Statistiken der TK, so haben die von
Stechmücken verursachten Virusinfektionen in Oberbayern
und Mittelfranken deutlich zugenommen. Doch das ist womög­
lich nur die Spitze des Eisbergs, bis zu 4000 Fällen pro Jahr
sind nach Schätzungen der Reisemedizinischen Beratungs­
stelle an der Ludwig-Maximilians-Universität München mög­
lich. ,,Die Zunahme von Dengue-Patienten wird in Deutschland
voraussichtlich weiter gehen", erklärte dazu Hans Dieter Noth­
durft, immerhin einer der bekanntesten Tropenmediziner der
Republik, gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse im lnter­
view.71
Der Vorstoß des Dengue-Fiebers vom Süden der Republik
her verwundert nicht, liegen doch Länder wie Frankreich oder
Kroatien in überschaubarer Entfernung. Wo sich die Tigermü­
cke sonst noch ausbreiten könnte, wollen Wissenschaftler des
Senckenberg Deutsches Entomologisches Instituts (SDEI) in
Müncheberg und des Bernhard-Nacht-Instituts für Tropenme­
dizin ( BNI) in Hamburg gemeinsam herausfinden - indem sie
die bundesweit erste Mückenkarte erstellen. Immerhin gibt
es dafür Geld vom Staat: Die Leibniz-Gemeinschaft fördert das
Vorhaben mit 760.000 Euro. 72 Gemessen an den Beträgen aus
der Staatskasse für die Konzerne der Grippeindustrie ist das
ein bescheidener Obulus. Zumal Pharmaunternehmen all­
mählich das Milliardenpotenzial der Dengue-Erreger wittern.
Altbekannte Mechanismen kommen in Gang.
So meldete der französische Arzneimittelhersteller Sanofi
Pasteur die Umsetzung eines globalen klinischen Impfstoff­
programms in Lateinamerika. In seiner an Aktionäre und Me­
dien gerichtete Mitteilung beziffert der Konzern die aktuelle
Anzahl der Dengue-Jnfektionen mit 230 Millionen weltweit.
116 D I E VI R E N - L Ü G E

Möglicherweise haben die PR-Strategen des traditionsreichen


Vakzinherstellers die Publikationen der Weltgesundheitsor­
ganisation WHO übersehen, die von lediglich 50 Millionen
Infizierten ausgeht. Selbst andere Schätzungen, beispielswei­
se des Schweizer Virologen Christian Griot, belaufen sich auf
maximal 100 Millionen Menschen. Woher bringt Sanofi Pas­
teur eine mehr als doppelt so große Zahl ins Spiel? Haben die
PR-Fachleute des Unternehmens schlichtweg oberflächlich
gearbeitet, als sie diese Daten in die Welt setzten? Eher nicht.
Seit nahezu einem Jahrhundert stellt das mittlerweile zu Sa­
nofi-Aventis zählende Unternehmen Impfstoffe her, mehr als
1,5 Milliarden Vakzine pro Jahr stammen aus den Produkti­
onsstätten der unangefochtenen Nummer eins auf dem Gebiet
der Impfstoffherstellung. Als Dengue für die meisten europä­
ischen Ärzte noch ein exotisches Fremdwort darstellte, star­
tete Sanofi Pasteur in den 1990er Jahren die Forschungsarbei­
ten an einem Vakzin gegen die Seuche. Mehr als eine Million
Euro pro Tag investiert der Konzern seitdem nach eigenen
Angaben in Forschung und Entwicklung. In dieser Liga der
Pharmabranche gibt es viele Dinge, die für Außenstehende
schwer zu durchschauen sind. Doch es gibt keine zufälligen
Entscheidungen der Pharmariesen, nicht eine Mitteilung oder
Aktion kommt ohne genaue Kenntnis der Auswirkungen da­
her. Warum Sanofi Pasteur ganz selbstbewusst den Angaben
der WHO widerspricht, mag Laien erstaunen und Kritiker zu
vorschnellen Schlüssen verleiten. Lüften möchten wir dieses
Geheimnis im Detail erst später, allerdings sei an dieser Stel­
le vermerkt: Der französische Konzern ist der Weltgesund­
heitsorganisation einen Schritt voraus - aus rein ökonomi­
schen Gründen.
Immerhin: Forscher der WHO attestieren den kleinen Erre­
gern für die Zukunft ein enormes Zuwachspotenzial, bis zu
-D e n g u e-V-i re n a u f g- -- - - --
l o b a l e r A n s t e c k u ngsto u r 117

2,5 Milliarden Menschen des Planeten sind nach Angaben


der WHO kurzfristig von Dengue bedroht.73 Zwei Milliarden.
Das ist auch die Anzahl an Impfdosen, die von der 2002 ge­
gründeten „ Pediatric Dengue Vaccine Initiative" (PDV I) 74 für
den Zeitraum 2015 bis 2020 für nötig erachtet wird, um den
weltweiten Vorstoß der Seuche aufzuhalten. Vorausgesetzt
die Impfung gegen Dengue wäre endlich am Markt. Die Er­
krankung löst bei den Impfstoffherstellern eine regelrechte
Goldgräberstimmung aus. Eine tropische, exotische Seuche,
die mittlerweile in Nizza ebenso heimisch ist wie an den idyl­
lisch gelegenen Stränden Kroatiens und bei Kindern tödliche
innere Blutungen auslösen kann - eine Kombination, die
Stoff für einen Spielberg-Film wäre. So betrachtet bedarf es
auch ohne die Hilfe des US-Starregisseurs nur wenig Fanta­
sie, um die Vermarktungspotenziale der Vakzine in spe zu
ergründen. Andererseits ist Big Pharma nicht Hollywood. Die
Branche setzt auf handfeste ökonomische Daten, Spekulatio­
nen gehören nicht zum Repertoire der perfekt organisierten
Impfstoffindustrie.
Kein Wunder, dass die Beteiligten seit geraumer Zeit die
Dengue-Absatzmärkte der Zukunft nur noch mithilfe von
computergestützten Zukunftsprojektionen abstecken. Allein
die erste, rund fünf Jahre andauernde Phase gleich nach Ein­
führung des Impfstoffs wird diesen Berechnungen zufolge
645 Millionen Impfungen erfordern. Weil danach alle Kinder
bis 15 Jahre den Schutz gegen die lebensbedrohlichen Viren
erhalten werden, steigt die Anzahl der Vakzine den Simula­
tionen zufolge auf besagte zwei Milliarden Impfdosen an.
Weitere 660 Millionen Spritzen sollen Erwachsene bekom­
men, hinzu kämen noch etwa 90 Millionen für Manager, Tou­
risten und Reisende aus aller Herren Länder. Neben Sanofi
Pasteur testet derzeit auch GlaxoSmithKline ein Vakzin ge-
11 8 DIE VIREN-LÜGE

gen die Seuche, trotzdem bleiben die Hersteller in der Defen­


sive.
Obwohl zwischen zwei und drei Milliarden Impfdosen als
Verkaufsziel winken, sind viele Aspekte im Kampf gegen
Dengue aus Sicht der Pharmakonzerne ungeklärt. Wer wird
die Impfstoffe bezahlen? Wie können arme Länder Lizenzen
erwerben? Lohnt der Forschungsaufwand und wenn ja, für
wen? Zynisch gesprochen: Rechnet es sich, jemandem die ret­
tende Spritze zu gewähren, statt ihn sterben zu lassen? Wann
haben sich die Kosten für die Rettung eines Menschenlebens
amortisiert? Im Milliardengeschäft mit den Vakzinen bleibt
kein Platz für Ideale - es geht ums knallharte Geschäft. Das
wussten auch jene Experten der Seuchenschutzbehörde Cen­
ters for Disease Control and Prevention (CSD), die im Novem­
ber 2010 im Marriott Hotel in Atlanta das von ihnen entwi­
ckelte Simulationsprogramm DenguEcon vorstellten. Die Prä­
sentation des auf einfachen PCs laufenden Programms ließ
die Herzen der versammelten Pharmamanager höher schla­
gen - denn DenguEcon75 bietet das, wovon jeder Verkäufer in
anderen Branchen nur träumen kann: exakte Prognosen über
die Absatzmöglichkeiten des Produkts in naher Zukunft. Ob
eine Regieru ng sein Gesundheitssystem mit den Impfstoffen
ausstatten wird, hängt im Wesentlichen von den Kosten der
Erkrankung ab. Wie das genau aussehen kann, demonstriert
das Programm DenguEcon.
Ein Beispiel: Bei Gesamtkosten von 95,07 US-Dollar pro
Schutzimpfung würde die Verhinderung eines einzigen Den­
gue-Falls rund 6000 Dollar kosten, solange die Vakzine nur in
20 Prozent der Fälle wirken. Diese horrende Summe kommt
zustande, weil sehr viele Menschen allein durch den Kauf
des Impfstoffs dem zahlenden Gesundheitssystem des jewei­
ligen Staates enorme Kosten verursachen. Vereinfacht ausge-
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 119

drückt funktionieren derartige Rechnungen so: Kaufe ich als


Staat für meine Bürger zehn Millionen Impfstoffdosen zu ei­
nem Preis X, von denen aber lediglich 20 Prozent wirklich
anschlagen, kostet mich jeder verhinderte Erkrankungsfall
die Summe Y. Ist der Beschaffungspreis niedriger oder die
Erfolgsrate höher, verringert sich der Preis pro verhindertem
Krankheitsfall deutlich.
Hinzu kommen jene medizinischen Ausgaben, die infolge
der Infektion entstehen. Erst wenn die Effektivität der Imp­
fungen bei 100 Prozent angelangt ist, lassen sich die Gesund­
heitskosten auf rund 1000 Dollar je Präventionsfall senken.
Dieses Szenario verdeutlich recht schnell: Kaum eine Regie­
rung ließe sich damit locken, selbst im Erfolgsfall einer um­
fangreichen Präventionsstrategie 1000 Dollar pro Kopf zu be­
zahlen. Was für viele Laien - und uns als Autoren - aus ethi­
scher Sicht kaum nachvollziehbar erscheint, prägt den Alltag
der Gesundheitsökonomie - auch hierzulande. Dabei geht es
stets um eine Frage: Auf welche Weise lassen sich die Ge­
sundheitsausgaben eines Staates senken, und bis zu wel­
chem Punkt dürfen statistisch betrachtet Kollateralschäden
hingenommen werden?
Ein kleiner, aber wichtiger Exkurs in die bundesdeutsche
Präventionsmedizin möge diesen Mechanismus erklären. Ob­
wohl die Bevölkerung der betrachteten 25 EU-Mitgliedsstaa­
ten bis zum Jahr 2015 im Durchschnitt konstant bleiben wird,
rechnen die Fachleute mit einem massiven Anstieg der Krebs­
fälle. Weil schon die Gruppe der über 65-Jährigen um 22 Pro­
zent und die der über 80-Jährigen um 50 Prozent ansteigen
wird, könnte sich die Zahl der altersbedingten kanzerogenen
Todesfälle in der gesamten EU auf 1,405 Millionen erhöhen
von derzeit 1,249 Millionen. Das Ende der Fahnenstange wäre
damit noch nicht erreicht: Die Zahl der Alten in Europa steigt
120 DIE VIREN-LÜGE

weiter an. Trotzdem ließe sich durch spezielle, doch kostenin­


tensive Screenings das ein oder andere Menschenleben ret­
ten. Vorausgesetzt, Vater Staat würde für die Kosten aufkom­
men. Doch was kostet, wird abgeblockt. So heißt es beispiels­
weise in der eigens für Patienten verfassten Publikation der
gesetzlichen Krankenkassen „ Ultraschalluntersuchung zur
gynäkologischen Krebsfrüherkennung" unmissverständlich:

„ Fazit: Ultrascha llu n tersuch u ngen sind zur Früh erken n ung
von Gebärm u ttersch leimhaut- und Eierstockkrebs n ich t sinn­
voll. "

Das Papier des Medizinischen Dienstes (MDK) dient damit


gleichzeitig als Freibrief für die Krankenkassen, die Kosten
für diese Methode im Rahmen der reinen Vorsorge nicht zu
übernehmen. Dass die Methode durchaus den erwünschten
Erfolg bringt, verkündet der Medizinische Dienst: Durch die
Ultraschalluntersuchung entstünde bei 500 bis 5000 von
10. 000 untersuchten Frauen ein Verdacht auf Krebs der Ge­
bärmutterschleimhaut. Doch unter diesen würde „nur bei
etwa vier bis fünf Frauen ein Krebs bestätigt. Die große
Mehrzahl der Frauen mit einem verdächtigen Befund würde
durch die Folgediagnostik unnötigerweise massiven Ängsten,
Strapazen und Gesundheitsrisiken ausgesetzt". 76 Tm Klartext
heißt das: Bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 18 Millio­
nen Frauen im Alter von über 45 Jahren ließen sich rund
9000 Krebsfälle vermeiden - wenn die gesetzlichen Kranken­
kassen diese Vorsorgeuntersuchung in ihren Leistungskata­
log aufnehmen würden.
Andererseits würde das regelmäßige Screening mittels Ul­
traschall pro Jahr eben dreistellige Millionenbeträge an Kosten
verursachen. Über eine halbe Milliarde würde demnach allein
der Einsatz von PSA-Messung - einem für die Vorsorge von
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 1 21

Prostatakrebs angewandten Verfahren - und Ultraschall für


nur zwei Krebsarten kosten. Wer sich wirklich vor den gesund­
heitsschädlichen Folgen solcher Kalkulationen schützen will,
hat letztlich nur die Möglichkeit, diese Leistungen aus eigener
Tasche zu bezahlen. Wie fatal sich die nüchternen Berechnun­
gen der Gesundheitsökonomie auswirken können, demonst­
riert ein weiteres Beispiel: Dickdarmkrebs.
Rund 57.000 Menschen erkranken jährlich daran, doch
über 25 Prozent der Patienten haben zum Zeitpunkt der Dia­
gnose bereits Metastasen ausgebildet. 30.000 Menschen ster­
ben jedes Jahr, weil bei ihnen Dickdarmkrebs zu spät erkannt
wird.
Zwar übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen bei
Verdacht die Kosten für die als sichere Diagnosemethode gel­
tende Darmspiegelung, auch ein Test auf okkultes, also ver­
stecktes Blut i m Stuhl der Patienten wird von den Kassen be­
zahlt, wenn die Untersuchung aufgrund eines Verdachts auf
Dickdarmkrebs erfolgt. Nur: Die rund 30.000 Todesfälle bele­
gen, dass eine ständige und jährliche Screening-Methode
nicht zum Leistungsspektrum der GKV gehört. Denn nahezu
alle Dickdarmkrebse ließen sich - rechtzeitig entdeckt - ope­
rativ heilen.
Dabei gäbe es eine wirksame und für die Patienten nicht
belastende Stuhluntersuchung, die nach Ansicht des British
Journal of Cancer, einer auf dem Gebiet der Onkologie welt­
weit führenden Fachzeitschrift für Krebsdiagnostik und -the­
rapie, als Dickdarmkrebsvorsorge dienen könnte.
Ein Forschungsteam der Medizinischen Universität Gie­
ßen, genauer eine Arbeitsgruppe um Hans-Ulrich Klör und
Philip Hardt, stellte bereits i m Juli 2004 den zukunftsweisen­
den neuen Test vor. Dieser spürt anhand des Enzyms „Tumor
M2-PK" Krebszellen im Stuhl der Patienten auf. Nach Auffas-
122 DIE VIREN-LÜGE

sung der Wissenschaftler handelt es sich bei der neuen Test­


methode um eine exakte und nichtinvasive Methode zum
Screening von Patienten auf Darmkrebs. Die Genauigkeit, ei­
nen Tumor zu erkennen, lag je nach Tumorstadium zwischen
60 und 90 Prozent - im Gegensatz zu nur rund 25 Prozent bei
den bisherigen Blut-im-Stuhl-Tests, wie die Gießener Darm­
krebsforscher in einem Artikel schreiben. 77
Der neue Test misst also kein Blut im Stuhl, sondern weist
ein tumorspezifisches Enzym nach. Dadurch können auch
Darmpolypen oder akut-chronische Entzündungen im Ver­
dauungstrakt erkannt werden - Erkrankungen, die das Risi­
ko für Darmkrebs signifikant erhöhen.
Sinnvoll erscheint der Einsatz des Verfahrens allemal.
Denn wer im Test positiv getestet wird, sollte sich nach An­
sicht der Ärzte zur weiteren Aufklärung auf jeden Fall kolos­
kopisch untersuchen lassen. Auf die neue molekularbiologi­
sche Untersuchung zu setzen, gebieten auch psychologische
Argumente: Die klassische Darmspiegelung (Koloskopie) gilt
unter Fachleuten zwar als Goldstandard, dennoch scheuen
viele Menschen die Untersuchung, weil sie äußerst unange­
nehm ist. Die innovativen, ohnehin genaueren Tests hinge­
gen würden kaum jemanden verschrecken.
Die Krankenkassen aber müssen nach wie vor auf alte Me­
thoden setzten, weil die Gesundheitspolitik das so vorgibt -
doch nicht einmal die Kassen sind von dieser Logik über­
zeugt. In dem im Rahmen der Darmkrebsvorsorge vorge­
schriebenen Merkblatt des ehemaligen Bundesausschusses
für Ärzte und Krankenkassen hieß es zur noch heute einge­
setzten Methode:

,, Wom it wir bereits beim Problem wären: Der Papier­


streifentest ist n icht perfekt. Blutspuren im Stuh l kön-
De ngu e-Vi ren a u f g l o b a l e r A n stec k u n gsto u r 123

nen viele Ursachen haben, wie z. B. Blutungen aus Hä­


morrhoiden (ein positiver Test ist jedoch selbst bei blu­
tenden Hämorrhoiden meist ein Hinweis auf eine ande­
re Blutung im Magen-Darm-Bereich und nicht auf die
Hämorrhoiden). Und manchmal zeigt der Test nach dem
Verzehr von bestimmten Nahrungsmitteln (z.B. man­
chen Gemüsearten, Fleisch) und Medikamenten (Eisen­
tabletten, Aspirin, Vitamin C etc.) fälsch licherweise die
gleiche Reaktion wie bei Blutspuren an, obwoh l kein
Blut im Stuh l ist. "

Zwar können Ärzte alternativ den molekularbiologischen


Test durchführen, das Toolkit ist im zweiten Jahrzehnt des
neuen Millenniums selbst in Apotheken rezeptfrei zu haben.
Im Leis­tungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
ist diese Leistung jedoch nach wie vor nicht erhalten.
Neuartige und innovative Krebsvorsorgen scheinen sowohl
dem medizini­schen Dienst der Krankenkassen als auch den
Gesetzgebern fremd - weil wirtschaftliche Überlegungen
die wesentliche Rolle spielen.
Die aus den Jahren 2003 und 2004 stammenden Beispiele
haben wir bereits im Jahr 2005 in einem Buch aufgegriffen. 78
Doch obwohl das Werk seit 2005 zum Bestand der Bibliothek
des Deutschen Bundestags zählt und somit von sämtlichen
Mitgliedern des Parlaments kostenlos eingesehen werden
kann, hat sich an den meisten der darin geschilderten Män­
gel nichts geändert. Nach wie vor sind emotionslose Berech­
nungen ausschlaggebend dafür, ob Patienten die benötigte
Medizin erhalten. Andererseits haben wir in den Kapiteln 2
und 3 dieses Buches bereits ausführlich belegt, dass der
Staat dreistellige Millionenbeträge für Vakzine ausgibt, de­
ren Daseinsberechtigung mehr als fraglich ist.
1 24 D I E V I R E N-LÜ G E

Dengue-Ausbreitung weltweit.
Quelle: Wikipedia 79

Mit Dengue verhält es sich demnach kaum anders als bei der
Schweinegrippe - nur peilen die Hersteller auf diesem Feld
den noch größeren, globalen Markt an. Entsprechend gehen
die Simulationen des DenguEcon-Programms davon aus, dass
staatliche Kunden in Paris oder Berlin sitzen, aber auch in
Mumbai, Brasilia oder Peking anzutreffen sein werden. Wer
die zuständigen Gesundheitsministerien von der Notwendig­
keit des Vakzins überzeugen möchte, muss das Einmaleins
der Einsparer beherrschen.
Szenario II des simulierten Preismodells bietet da schon
mehr Aussichten auf Anerkennung seitens der Gesundheits­
behörden. Würde die Impfung von Anfang an lediglich mit
10,91 Dollar00 zu Buche schlagen, käme der entsprechende
Staat natürlich viel billiger davon. Der Clou: Sobald das Mittel
bei einem Viertel der Bevölkerung anschlüge, würde jeder
durch das Vakzin verhinderte Dengue-Fall die Ausgaben des
entsprechenden Gesundheitssystems senken. Die flächende­
ckende Verabreichung der Impfstoffe zu einem Preis von
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 1 25

rund elf Dollar führt zu Einsparungen, weil die hohen Krank­


heitskosten bereits ab einer I mpfstoffeffektivität von 25 Pro­
zent wegfallen. Anders ausgedrückt: Je niedriger der I mpf­
stoffpreis, umso höher die Rentabilität für die entsprechende
Volkswirtschaft - ohne Prophylaxe zahlt Vater Staat statis­
tisch betrachtet für jeden Dengue-Patienten sechsmal so viel
an medizinischen Behandlungskosten. Mit diesem Argument
lassen sich skeptische Entscheidungsträger der Politik rela­
tiv leicht überzeugen, doch auf die I mpfstoffe zu setzen.
Es sind Berechnungen wie diese, aus denen die Vermark­
tungsstrategien der Pharmakonzerne erwachsen. Was zählt,
ist ei nzig und allein der Massenmarkt. Zwei M illiarden I mpf­
dosen als ulti matives Ziel rechtfertigen aus Sicht der Branche
das nüchterne Kalkül. Bei über 200 Millionen Neuinfektio­
nen pro Jahr und einer „ Laufzeit" der globalen I mpfkam­
pagne von zehn Jahren ließen sich demnach rund zwei Milli­
arden Dosen verkaufen, was einem Umsatz von mindestens
22 M illiarden US-Dollar entspricht.
Konzerne, die in dieser Liga mitspielen, sind börsennotier­
te Unternehmen mit der Verpflichtung, hohe Renditen abzu­
werfen. 22 Milliarden US-Dollar als garantierter Umsatz in
einem einzigen Jahrzehnt sind ein sehr guter Grund, die Ent­
wicklung des Dengue-l mpfstoffs voranzutreiben. Das Beispiel
Dengue zeigt auch: Der Verzicht auf zu hohe Preise lohnt für
die Hersteller allemal. Sie führen, wie man i m direkten Ver­
gleich mit dem Schwei negrippe-Vakzin erkennt, im optima­
len Fall zu vertraglichen Abmachungen mit dem Staat. Die
wiederum garantieren die Abnahme selbst dann, wenn eine
Seuche keine Bedrohung mehr darstellt, wie wir am Beispiel
Schweinegrippe bereits ausführlich aufgezeigt haben.
Tatsächlich scheinen die PR-Mechanismen sehr verwandt.
So heißt es auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes un-
126 DIE VIREN-LÜGE

ter dem Titel „ Deutsch lands Rol l e i n der globalen Gesund­


hei tspol i t i k " :

, , Wenn die Durchschnittstemperatur weltweit weiter an­


steigt, werden Regionen von Infektionskrankheiten wie
Malaria und Dengue-Fieber betroffen sein, deren Bevölke­
rung noch kein robusteres Immunsystem entwickeln konn­
ten . . . "

Das M i n isterium unte r Leitung des deutsche n Vizekanzl ers


scheint gleichzeitig um die Folgen fü r die Pharmaindustrie
besorgt, wie die weitere O n l i ne-Lektüre offenbart:

,, Hier gilt es, eine Balance zwischen geistigen Eigentums­


rechten, Forschungsanreizen und gleichberechtigtem Zu­
gang zu lebenswichtigen Medikamenten zu finden. Ange­
sichts der Vielfalt von Akteuren, Fragestellungen und Ver­
fahren in der globalen Gesundheitspolitik sowie der Ver­
knüpfung mit anderen Bereichen der Außenpolitik können
internationale Gesundheits/ragen nicht mehr als klar ab­
grenzbare Fachau/gaben angesehen werden. Sie erfordern
vielmehr einen ganzheitlichen und kohärenten Politikan­
satz unter Einbeziehung aller relevanten Regierungsstel­
len, aber auch der Akteure aus Zivilgesellschaft und Privat­
wirtschaft. "81

We itere Ansätze des kol l ektiven Ve rmarktu ngsbewusstseins


von Pol itik und Unternehmen s i n d ebenfa l l s erkennbar. Auch
ein vom Gesundheitsdienst des Auswärtigen Amtes heraus­
gegebenes Merkblatt, das uns i m Original vorliegt, warnt
Bundesbürger vor den Tücken der M ücken: ,,E i n e I m pfung
oder eine Chemoprophylaxe mit Tabletten ist nicht mögl ich",
schreibt das M i n isterium, und: ,,Der Verh inderung von M ü-
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 1 27

ckenstichen kommt damit eine besondere Bedeutung zu." So­


weit wäre der Hinweis wissenschaftlich tragbar und medizi­
nisch sinnvoll. Was das Auswärtige Amt allerdings danach
im Internet für jedermann öffentlich zugänglich publizierte,
dürfte den einen oder anderen Pharmahersteller erfreuen.
Denn das Amt gibt seinen Beschäftigten konkrete Einkauf­
stipps mit auf dem Weg. Dazu gehöre die „ausschließliche
Verwendung der empfohlenen Mückenabwehrmittel (Repel­
lentien) auf der Basis von mindestens 30 % Diethyltoluamid
(= DEET, z. B. Nobite®) oder Icaridin (= Bayrepel® , z. B. Au­
tan® )".
Im Vergleich zu den filigranen Kampagnen der Pharmain­
dustrie wirken die Produktnennungen des Auswärtigen Am­
tes alles andere als diplomatisch - und sind ohnehin fehl am
Platz. Auf welche Weise die Pharmaindustrie auch die Medi­
en zu beeinflussen versucht, erfuhren wir im März 2011 durch
eine Einladung an die Adresse des von uns geleiteten Webzi­
nes LifeGen. de. Ausgerechnet der Dengue-Vakzinspezialist
Sanofi-Aventis ließ Medienvertreter zu einem Seminar bitten,
die Veranstaltung kam als Fortbildung daher. So erfuhren
wir - wie Hunderte andere Kolleginnen und Kollegen auch -,
um was es ging:
,,Im Rahmen der HEUREKA-Initiative für junge Wissen­
schaftsjournalisten veranstaltet Sanofi-Aventis gemeinsam
mit dem Bachelor-Studiengang Wissenschaftsjournalismus
der Hochschule Darmstadt am Freitag, den 15. April 2011, das
Seminar ' Klinische Studien und Wissenschaftsjournalismus:
Forschungsergebnisse verstehen, interpretieren und werten'."
Zugegeben: eine mehr als skurrile Kombination. Während
unseres eigenen Studiums der Journalistik und Kommunika­
tionswissenschaften galt die Verflechtung zwischen Medien
und Konzernen noch als Tabu. Magazine und Zeitungen ver-
1 28 D I E V I R E N-LÜ G E

fügten damals über eine klare Trennung zwischen Redaktion


und Anzeigenleitung, ein Prinzip, das mit der Zeit immer
mehr verwässerte. Heute sind vor allem Pharmakonzerne wie
Sanofi-Aventis als Gestalter der News mit dabei. Sie suggerie­
ren eine journalistische Neutralität, die es nicht geben kann.
Während seriöse Fachpublikationen wie Science oder Nature
auf Interessenkonflikte ihrer Autoren hinweisen, scheinen
deutsche Universitäten mittlerweile keine Berührungsängste
mit Big Pharma mehr zu haben. Dass der Pharmagigant Sano­
fi-Aventis unverblümt als Veranstalter des „ HEUREKA-Semi­
nar in Kooperation mit dem Bachelor-Studiengang Wissen­
schaftsjournalismus der Hochschule Darmstadt" auftritt, ist
ein Affront an die Adresse der über Jahrzehnte hinweg ge­
pflegten Unabhängigkeit der Presse. Um was es dabei geht,
lässt der Blick auf das Programm schnell erahnen.
Involvierte Medienvertreter wie Ressortchefs überregiona­
ler Zeitungen und Zeitschriften stehen zweifelsohne nicht
auf der Bezahlliste der Pharmaindustrie. Gleichwohl über­
schreiten Veranstaltungen wie diese das Maß der nötigen Ko­
operation bei Weitem - denn für die Kommunikation zwi­
schen Unternehmen und den Medien sind normalerweise al­
lein die Pressestellen der Konzerne verantwortlich. Deren
Aufgabe aber besteht nicht in der Ausbildung des journalisti­
schen Nachwuchses der Republik. Genau das scheint indes
das Ziel von Sanofi-Aventis zu sein, wie aus dem über E-Mail
versendeten Begleitschreiben der Einladung hervorgeht. Da­
rin heißt es:
„ Das Seminar richtet sich insbesondere an Journalisten in
ihren ersten Berufsjahren und an Volontäre. Wir wären Ih­
nen dankbar, wenn Sie die Einladung an ggf. interessierte
Journalistinnen und Journalisten in Ihrer Redaktion wei­
terleiten würden. "
D e n g u e-V i re n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 1 29

Hinter der Strategie steckt eine in Washington DC angesiedelte


Kommunikationsagentur mit Dependancen auch in Deutsch­
land. Die Agentur MSL gehört nach eigenen Aussagen zur MSL
Group, ,,dem weltweiten Public Relations und Event-Network
der Publicis Groupe S.A' . Mit 2500 Mitarbeitern an 83 Stand­
orten ist die Gruppe eines der „weltweit fünf größten PR-Net­
works".82 MSL ist ein Schwergewicht mit besten Beziehungen
zu Politik und Wirtschaft. So heißt es auf der deutschen Home­
page des Unternehmens:

,, Beim 43. Politischen Salon von MSL h at Bundesverkehrs­


minister Peter Ramsauer über den Zustand deutscher Stra­
ßen, die PKW-Maut, umstrittene Flugrouten und den Zu­
sammenhang zwischen persönlicher Mobilität und einer
freiheitlichen Gesellschaft gesprochen. "

Ramsauer ist in guter Gesellschaft, selbst der Web-Gigant


Google ließ sein „Google Art Project" in Berlin von MSL orga­
nisieren und medial propagieren.
Gesundheitspolitik aber bildet eine der lukrativsten Säu­
len der PR-Profis, Sanofi-Aventis zählt neben CIBA Vision,
Procter & Gamble, Nycomed, ANZAG, Vivesco, MSD und sera­
cell zu den wichtigsten Klienten. Das Unternehmen biete
„umfassende Dienstleistungen von Patientenkommunikation
über Kommunikation mit Fachzielgruppen bis hin zu Corpo­
rate Communication, Krisenkommunikation und Public Af­
fairs", beschreibt MSL seine Dienste, und: ,, Mit der MSL-Ge­
sundheitsstudie (www.virtuelles-wartezimmer.de) sowie in
zahlreichen Kundenprojekten hat sich MSL intensiv mit den
Potenzialen des Social Web für Gesundheitsunternehmen
auseinandergesetzt."
Wenn Pharmakonzerne wie Sanofi-Aventis Seminare für
Journalisten veranstalten, ist eines gewiss: Hinter den Kulis-
1 30 D I E V I R E N-LÜ G E

sen sind Vollprofis am Werk. Der im Beirat der deutschen


MSL-Gruppe vertretene Hamburger Stephan Garbe beispiels­
weise „gilt als einer der erfolgreichsten Wahlkämpfer Deutsch­
lands", wie die Agentur vollmundig schreibt. Warum Big Phar­
ma auf die Expertise des Kommunikationsriesen MSL setzt,
wird schnell deutlich, wenn man die Verdienste von Garbe
exemplarisch betrachtet: Allein zwischen 2000 und 2009
zeichnete er für den Wahlkampf bei sieben Landtags- und zwei
Bundestagswahlen verantwortlich. 83
Die Einschaltung hoch professioneller Kommunikations­
agenturen ist allerdings ein legales, legitimes Mittel nicht
nur der Pharmaindustrie. Und daher lautet die Frage nicht,
warum sich Universitäten und Journalisten mehr oder weni­
ger erfolgreich instrumentalisieren lassen, sondern weswe­
gen der Staat selbst als Träger der universitären Forschung
keinen Gegenpol zur Macht der Pharmabranche aufbaut. Ein
echter Wettbewerb der Ideen, in dem die besten Vakzine im
Erfolgsfall von Deutschlands Unis entwickelt und mithilfe
von Agenturen a Ja MSL sogar vermarktet würden, muss kei­
ne Utopie bleiben. An exzellenten Köpfen hat es Deutschland
nie gemangelt - wohl aber am Mut, den Wettstreit mit der
Pharmaindustrie zu suchen. Zwei Milliarden Impfdosen al­
lein gegen Dengue als nahes Ziel: Dafür lohnte die bundes­
weite universitäre Offensive allemal.
Journalisten wiederum sollten sich auf ihre eigentliche
Aufgabe besinnen. Die besteht immer noch darin, distanziert
und ohne Interessenkonflikte zu berichten - die Fortbildung
durch den Veranstalter Sanofi Pasteur zählt nicht zum Reper­
toire der schreibenden Zunft.
Gleichwohl gäbe es ganz andere Dinge zu berichten - über
die man so gut wie nie etwas erfährt. So war am 6. April 2011
in Berlin ein hochkarätiger Gast angekündigt: Ein Treffen mit
Den g u e-V i r e n a u f g l o b a l e r A n s t e c k u ngsto u r 1 31

Bill Gates stand sowohl im Terminplan der Bundeskanzlerin


als auch in demjenigen des Bundespräsidenten. Bei dem ge­
planten Treffen ging es um mehrstellige Milliardenbeträge,
die der Microsoft-Gründer über seine eigene „ Bill and Melin­
da Gates Foundation" seit Jahren für Impfstoffe in der dritten
Welt zur Verfügung stellt. Die Stiftung zählt zu Recht zu den
engagiertesten philanthropischen Einrichtungen des Plane­
ten. Und doch: Selbst jemand wie Gates lässt sich von den
Mechanismen der Pharmabranche blenden.
Ärzte ohne Grenzen immerhin nahm den Gates-Besuch
zum Anlass, um auf die politisch geduldete Verflechtung zwi­
schen Pharmaindustrie und jener Organisation hinzuweisen,
die Impfstoffe für die Entwicklungsländer kauft: die Globale
Allianz für Impfstoffe und Immunisierung (GAV I) . Der Vor­
wurf der Mediziner wiegt schwer: Ausgerechnet jene Pharma­
konzerne, die Impfstoffe an die GAY! verkaufen, verfügen
gleichzeitig über zwei Sitze im Verwaltungsrat der Organisa­
tion. Dadurch verhandelt die Pharmaindustrie „auf Käufersei­
te" über die Preise, zu denen die GAVI die Vakzine bezieht - es
ist ein Interessenkonflikt mit Vorzeigecharakter. Zudem blie­
ben die Preise der mit den Stimmen der Pharmavertreter ein­
gekauften Medikamente lange Zeit geheim, wie Ärzte ohne
Grenzen in einem offenen Brief an Bundesentwicklungsmi­
nister Dirk Niebel moniert. Das Schreiben, das im April 2011
zwischen News um FDP-Krise und Fukushima-GAU kaum Be­
achtung fand, drucken wir nachfolgend zu Dokumentations­
zwecken im Original.
Journalistenseminare auf Kosten der Pharmaindustrie: An­
gesichts der strategischen Operationen, zu denen die Beset­
zung des GAVI-Verwaltungsrats ebenso wie die beschriebe­
ne Postenbesetzung der Ständigen Impfkommission (STIKO)
zählt - lässt diese Praxis ein ungutes Gefühl aufkommen.
1 32 D I E V I R E N-LÜ G E
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MEDEC/NS SANS FRONTIERES


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MEDEC/NS SANS FRONTIERES


ARZTE OHNE GRENZEN e.V.

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134 DIE VIREN-LÜGE

Die mehr oder minder verdeckte Einflussnahme auf die


j ournalistische Unparteilichkeit ist allerdings keine Beson­
derheit der Pharmai ndustrie. Wer seit der Finanzkrise 2008
genau hinsah, musste erkennen: V iele Artikel sind gespon­
sert, ,,powered by" oder einfach ganz offen von Unternehmen
bezahlt. Der Grund ist nur unschwer auszumachen: Weil die
Anzeigen im Printbereich einbrachen, suchten nicht wenige
Blattmacher nach Alternativen. Wie sehr dabei die Grenzen
zwischen Firmen-PR und Journalismus verschwimmen, be­
legte unfreiwillig das Nachrichtenmagazin FOCUS in der Aus­
gabe vom 22. März 2010. ,,Steckdose statt Zapfsäule" hieß
eine Sonderbeilage, die weder als Anzeige noch als Kunden­
zeitschrift deklariert war. Das „Gemeinschafts-Spezial von
FOCUS und Evonik" outete sich bei näherem Hinsehen als
PR-Coup des einst als Degussa bekannten Chemieriesen.
,,Aus der sächsischen Provinz starten der Essener Industrie­
konzern Evonik und die Daimler AG gemeinsam in das Wett­
rennen um das Auto der Zukunft" , heißt es etwa auf Seite 15
des FOCUS-Spezial - unabhängiger Wissenschaftsjournalis­
mus sieht anders aus.
Davon, dass die Medienoffensiven der Industrie bei Jour­
nalisten offene Türen einrennen, ist auch der Pharmaherstel­
ler Bayer HealthCare überzeugt. So heißt es in einem Rund­
schreiben der Abteilung für Corporate Communications an
Deutschlands Medienvertreter:

„ Drei Dinge reichen aus, um Redakteure von einem guten


Artikel zu überzeugen: ein passender Titel, ein spannen­
der Anleser und eine ansprechende Illustration. Wenn die­
se Elemente gut aufeinander abgestimmt sind, wecken sie
Aufmerksamkeit und begeistern den Leser für das The-
ma. "
De ngu e-Vi ren a u f g l o b a l e r An ste c k u ngsto u r 135

Als ob Journalisten m i nderbem ittel te Schrei berl i nge ohne


S i n n fü r Themen und H i n te rgru ndstorys wäre n , bietet das
Unternehmen Nach h i l fe an und geriert sich a ls l ieben swerter
Dienstleister:
,,Mit der Frage, wie Sie eine Story mit den richtigen journa­
listischen Mitteln aufbereiten, beschäftigt sich Peter L in­
den in unserem diesjährigen viva. vita Redaktionswork­
shop. Unsere nächste Station ist Leipzig. Journalisten, die
daran teilnehmen möchten, sollten sich mit dem beiliegen­
den Antwortfax schnell anmelden. Es sind nur noch weni­
ge Plätze frei! "

Was Bayer HealthCare zu erwähnen vergaß: U n l i ebsame M e­


d ien, die beispielsweise über Medikamente des Konzerns be­
richten, die im Verdacht stehen, leben sbedroh liche Neben­
w i rk ungen hervorzurufen, konfrontiert Bayer gerne mit K la­
gedroh ungen - wie w i r selbst i m Fal l u n serer kritischen Mel­
dung über die P i l l e Yas m i n " e rfa h ren du rften . W i r wären wie
bereits gesagt gerne vor Gericht auf d i e entsprechenden Me­
d i kamente aus fü h rl ich ei ngegange n . Doch Bayer k l agte letzt­
endl ich n icht.
Darauf, dass die Medien i n Deutschland beeinfl u ssbar sind,
deuten weitere Entwicklungen h i n : N ahezu unbemerkt von
der Öffentl ichkeit haben die Konzerne BASF, Siemens u n d
R W E e i n e n d i rekten E i n fluss auf den j ou rnal istischen Nach­
wuchs in Deutsch land etabl iert: Im Rahmen der „ I n i tiative
W issenschaftsj ourna l i s m u s " tragen sie z u r Ausbildung u n d
Fortbildung v o n Medienvertretern bei. ,, Mit dem Mentori ng­
progra m m 2010 wol l e n die Partner j ungen W i s senschaftlern
den qualifi z i e rte n E i n st ieg i n den Journa l i s m u s erleichtern",
heißt es dazu von der bete i l igten TU Dortmund, und: ,, I n neun
Monaten absolvieren die Tei l nehmer e i n journal i stisches In-
136 D I E VI R E N - LÜ G E

tensivtraining, zwei redaktionelle Praktika bei hochrangigen


Medien sowie eine 'freie' Recherchephase." Die unter Beteili­
gung der BASF laufende Aktion involviert praktisch nahezu
alle führenden Medien Deutschlands. Nur die Spiegel-Gruppe
ist nicht dabei. Auch Bayer bildet in Zusam menarbeit mit Leit­
medien Journalisten aus - auf Seminaren in der Medienstadt
Hamburg. So heißt es in der Selbstdarstellung des Projekts:

,, Die Praktika werden von folgenden Wissenschaftsredakti­


onen angeboten: Deutschland/unk, dpa, Focus, FAZ/FAS,
Frankfurter Rundschau, GEO, Hessischer Rundfunk, NZZ,
PM, Sächsische Zeitung, Spektrum der Wissenschaft, spek­
trumdirekt, Stern, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zei­
tung, SWR, VDI nachrichten, WEL T, WDR, ZDF und ZEIT.
Wahlweise ist auch eine Spezialisierung auf den Bereich
Wissenschaftskommunikation durch Praktika bei Fraun­
hofer und Max-Planck-Gesellschaft sowie RWE und Sie­
mens möglich. "

Die Aus- und Fortbildung der Journalisten wird zudem durch


finanzielle Anreize begleitet. So stellt das ominöse Konsortium
,,Recherchestipendien" in Höhe von 10. 000 Euro zur Verfü­
gung. Einen Interessenkonflikt zwischen den beteiligten Groß­
konzernen und der freien Presse sehen die Beteiligten nicht.
Um herauszufinden, ob Großkonzerne auch kritische Be­
richterstattung sponsern (wenn sie tatsächlich keinen Ein­
fluss auf die finanziell unterstützten Inhalte ausüben kön­
nen), starteten wir im April 2011 einen Selbstversuch mit dem
Webzine LifeGen. de. Die Atomkatastrophe von Fukushima
hatte uns einen wahren User-Ansturm beschert, weil wir von
Beginn an die wissenschaftlichen Fakten nüchtern analysier­
ten und von einem Super-GAU auf Level der Katastrophe von
Tschernobyl berichteten. Nun boten wir den Atomkraftbetrei-
D e n g u e-V i r e n a u f g l o b a l e r A n stec k u ngsto u r 1 37

bern RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW an, ein Energie-Spe­


cial von LifeGen. de finanziell zu unterstützen - unter der Be­
dingung, sich weder in die Themenwahl, noch in die redakti­
onelle Gestaltung einzumischen. Unter dem Titel „ Atomic
Deal: LifeGen.de sucht den Super-Konzern" ging die News am
13. April 2011 in die Weiten des World Wide Web. Wie erwar­
tet floss kein einziger Cent aus den Kassen der Unternehmen
in das Projekt. Immerhin eines war an der ausbleibenden Re­
aktion der Konzerne lobenswert: Sie schienen damit deutlich
zwischen (kritischen und nicht zu beeinflussenden) Medien
und Eigen-PR (in manchen pseudoobjektiven Medien) zu
trennen. Life. Gen. de ist kein Partner für sie, der FOCUS hin­
gegen schon. Konzerne der Pharmabranche jedoch praktizie­
ren noch nicht einmal diese Zurückhaltung, wie wir im
nächsten Kapitel darlegen.
KA P I T E L FÜ N F

Exotische Kra n kheiten u nter u n s


Dengue, Schweinegrippe, Influenza - neben den großen vira­
len Seuchen gibt es eine Reihe hierzulande wenig bekannter
Viruserkrankungen, die in anderen Teilen der Welt große
Probleme bereiten. Diese Erreger finden zunehmend den
Weg zu uns. Mitunter finden auch Bundesbürger den Weg zu
den Viren.
Der ehemalige Bundesverteidigungsminister zu Gutten­
berg besuchte das riskante Kriegsgebiet, doch Militärärzte
der Bundeswehr verfolgten ganz andere Nachrichten aus Af­
ghanistan mit großer Sorge: Nicht Kämpfer der Taliban al­
lein, sondern ein unsichtbares Virus bereitete den stationier­
ten US-Truppen zunehmend Probleme an der Front. Denn
Angehörige der in Afghanistan stationierten NATO-Einheiten
sind vom Erreger des Krim-Kongo-Fiebers bedroht, den ers­
ten offiziell bestätigten Todesfall datierten US-Militärbehör­
den auf den 16. September 2009. Zwischen Meldungen über
140 DIE VIREN-LÜGE

Bomben, Tote und Taliban gingen die medizinischen Nach­


richten unter, lediglich Seuchenexperten nahmen von der Of­
fensive der Erreger gegen die Hightech-Armada Notiz. Doch
die Infos entpuppten sich als substanziell, betroffen vom Vi­
renbefall waren die 5th Stryker Brigade, die 2nd Infantry Di­
vision und die A-Company 2-1 Infantry, wie der diensthaben­
de Arzt Jim Radike vom Role 3 Trauma Hospital at Kandahar
Air Field akribisch protokollierte. 84
An Erfahrungen mit dem Todesvirus fehlt es militärischen
Einheiten nicht. Schon einmal, in den harten Kriegsjahren
1944 und 1945, raffte das Krim-Kongo-Fieber gleich 200 sowje­
tische Soldaten auf der Krim dahin. Die Ursache der inneren
Blutungen bei den Opfern blieb zunächst unverstanden, ein
Defizit, das die sowjetische Armee kurzerhand beseitigte. In­
fektionsversuche mit „ Freiwilligen" brachten Licht ins Dun­
kel - und die Erkenntnis, dass es sich bei dem Erreger um ein
Virus handeln musste. Erst 1956 gelang die Isolierung des
Winzlings im damaligen Belgisch-Kongo. Seitdem hat sich
der Name hämorrhagisches Krim-Kongo-Fieber-Virus (engl.
Crimean-Congo-Haemorrhagic-Fever, CCHFV) etabliert.
Was die Truppen der NATO sechs Jahrzehnte später in Af­
ghanistan bedrohte, ist mittlerweile auch hierzulande ein
ernsthaftes Problem. Der Vorstoß von CCHFV erweist sich als
tückisch, denn die meisten Ärzte in Deutschland sind auf­
grund der fehlenden Spezialausbildung nicht in der Lage,
wichtige Symptome der Erkrankung zu erkennen. Dabei ent­
scheidet die rechtzeitige Diagnose gerade bei Krim-Kongo­
Fieber über Leben oder Tod des Patienten. Wie aber sollen
Ärzte ein Virus erkennen, das bislang bloß als Urheber einer
exotischen Seuche in fernen Ländern galt?
Die unheilvolle Verbreitung des Krim-Kongo-Fiebers be­
trifft keinesfalls einzelne Patienten - die gesamte Landwirt-
Exot i s c h e K r a n k h e i t e n u n ter u n s 1 41

schaft scheint in Gefahr. Wissenschaftler wie der bereits


mehrfach zitierte Schweizer Virologe Christian Griot, der uns
seit vielen Jahren mit wertvollen Informationen und Hinter­
grundgesprächen zur Seite steht, sehen den Aufstieg der Zoo­
nosen, zu denen Krim-Kongo ebenfalls zählt, als die eigentli­
che Herausforderung des neuen Millenniums. Forscher wie
Griot sind kein Einzelfall. In der Schweiz unterhält das Bun­
desamt für Bevölkerungsschutz (BABS) sogar eine Einrich­
tung, zu deren Aufgabengebieten die Beobachtung von CCH­
FV gehört: das LABOR SPIEZ. Das staatliche Fachinstitut „für
den Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen (ABC)
Bedrohungen und Gefahren" genießt weltweit Anerkennung -
und gab im Jahr 2005 eine umfassende Informationsschrift
über das Krim-Kongo-Fieber heraus. Die Lektüre der Fachpu­
blikation lohnt allemal.
Tatsächlich vermag CCHFV Nutz- und Wildtiere ebenso
leicht zu infizieren wie den Menschen. Noch berichten Lehr­
bücher über Verbreitungsgebiete wie Afrika, Südosteuropa
oder Asien, inzwischen sind der mittlere Osten und Russland
gleichermaßen im geografischen Repertoire des Erregers zu
finden. Weil die Zeckenart Hyalomma der eigentliche Über­
träger des Virus ist und die zunehmende Klimaerwärmung
das Überleben der Zecken selbst in Mitteleuropa ermöglicht,
stehen über kurz oder lang auch die Menschen in Deutsch­
land, Österreich oder in der Schweiz vor einem Problem.
Denn die Erreger befallen Pferde, Ziegen, Rinder, Schafe und
Hunde ebenso wie Wildtiere. Als ob das nicht reichte, scheint
die Natur alles zu tun, um CCHFV die globale Expansion zu
erleichtern. Sogar Vögel dienen als Transportmittel - das Fe­
dervieh selbst wird dabei nicht infiziert.
Wüsste die Mehrheit der Menschen, was im Fall einer In­
fektion auf sie zukommt, bräuchte niemand mehr blutige
142 DIE VIREN-LÜGE

Horrorstreifen zu gucken. Schon der Hautkontakt mit infi­


ziertem Blut erweist sich als lebensbedrohliches Risiko, der
Zeckenbiss birgt dieses ohnehin. Wer beispielsweise seinen
Hund fürsorglich untersucht, weil dieser aus unerklärlichen
Gründen blutet, riskiert im Zeitalter der Krim-Kongo-Offensi­
ve viel. Landwirte sind hierbei besonders exponiert, weil der
zur Arbeit zählende, tägliche Kontakt zu Nutztieren dem Vi­
rus nahezu himmlische Bedingungen bietet. Solche Nähe zu
Tieren, das lernen Studenten bereits in den ersten Semes­
tern, stellt für Zoonosen den Idealfall dar.
Hat der Erreger seinen Angriff auf den menschlichen Kör­
per gestartet, sind die Folgen gravierend. Wie aus dem Nichts
und ohne jegliche Vorwarnung schnellt das Fieber des Infi­
zierten auf 41 °C, enorme Muskelschmerzen plagen den von
Schüttelfrost und Benommenheit gequälten Patienten. In die­
ser Phase schmerzt nahezu jedes Körperglied, selbst die Au­
gen erweisen sich als schwere Last. Doch anders als in Holly­
wood-Produktionen dargestellt kommt nach dieser Phase kei­
nesfalls der qualvolle Exitus. Vielmehr machen sehr diffuse
Symptome wie Übelkeit, Erbrechen oder Halsschmerzen dem
Infizierten zu schaffen - das Fieber geht jedoch vorerst zu­
rück. Wer vom Krim-Kongo-Erreger befallen wurde, denkt in
dieser Phase der Erkrankung an einen grippalen Infekt. Ein
Ultraschall könnte hingegen weitere alarmierende Signale zu­
tage bringen: die deutlich vergrößerte Leber beispielsweise
- doch welcher Hausarzt greift bei Halsschmerzen seines Pa­
tienten zur Sonografie? Starke Stimmungsschwankungen und
vergrößerte Lymphknoten sind ein weiteres Indiz für CCHFV.
Geht alles gut, ist der Spuk nach rund zwölf Tagen vorbei,
nur: In mehr als 50 Prozent aller Fälle gibt es kein Happy End.
Und so stellen die Infizierten normalerweise nach dem drit­
ten Krankheitstag erste Anzeichen der drohenden Katastro-
Exot i s c h e K r a n k h e i t e n u n ter u n s 1 43

phe fest. Nasen- und Zahnfleischbluten sind die Vorboten des


eigentlichen Zusammenbruchs. Blut tritt dann aus allen Kör­
peröffnungen, selbst Durchfall und Urin der Todgeweihten
sind rot gefärbt. Neun Tage nach einem derartigen Verlauf
kollabieren die vitalen Funktionen des Körpers, es kommt zu
Hirnblutungen, Lungenödem und letztendlich zum Herzin­
farkt.85 Verglichen mit dieser Viruserkrankung ist der Verlauf
einer normalen Influenza oder der Schweinegrippe ein harm­
loser Infekt. Auf Hilfe aus dem Arsenal der Vakzinforscher zu
hoffen, wäre dennoch ein sinnloses Unterfangen. Während
das große Geschäft mit Impfstoffen für den Massenmarkt In­
fluenza und Schweinegrippe floriert, bleiben entsprechende
Pendants gegen die blutig verlaufende Krim-Kongo-Seuche
aus. Die Forschungskosten würden die Einnahmen vermut­
lich bei Weitem übersteigen.
Der winzige Erreger erweist sich nicht nur für die Infizier­
ten als Horrorvirus. Bilder von blutüberströmten Kindern
werfen auch kein gutes Licht auf die Pharmaindustrie, die
dem Virus nichts entgegensetzt. Noch fällt die Zahl der Toten
nach einem CCHFV-Befall global betrachtet kaum ins Ge­
wicht. Unmittelbar drohen keine Millionen von potenziellen
Opfern. In naher Zukunft winkt noch kein lukrativer Absatz­
markt - und ohne einen solchen im Blick zu haben, legt sich
kein kommerzieller Vakzinforscher wirklich ins Zeug. Schon
das Einschalten jener Computer, die bei Dengue 220 Millio­
nen Neuinfektionen pro Jahr prognostizieren und sowohl
Preise als auch Einsparpotenziale der staatlichen Gesund­
heitssysteme akribisch ausspucken, kommt für sie nicht in­
frage. Man stelle sich ein Meeting der CDC in Anwesenheit
der großen Pharmakonzerne vor, bei dem auf Plasmabild­
schirmen die grafisch aufbereiteten Säulen zu den Opferzah­
len aufleuchten. 20, vielleicht 30 Opfer pro Erkrankungswelle
1 44 DIE VIREN-LÜGE

und Ort, so what? Um einen Impfstoff gegen Krim-Kongo zu


entwickeln, müssten zunächst bis zu einer Milliarde Dollar
fließen, hinzu käme das berüchtigte Jahrzehnt von der Idee
bis zum marktreifen Vakzin. Die Industrie kennt diese Zah­
len. Einen Impfstoff gegen das Krim-Kongo-Fieber gibt es da­
her auch nicht, obwohl die Seuche seit 1945 kein Geheimnis
ist.
Kapitalgesellschaften handeln im Sinne ihrer Aktionäre,
wogegen nichts einzuwenden ist. Einen Vorwurf muss man
Big Pharma trotzdem machen: Warum werden Gewinne aus
der einen Sparte nicht in die Entwicklung in anderen, weni­
ger lukrativen Segmenten investiert? Müssen die Zuwachsra­
ten der Konzerne tatsächlich zweistellig sein, und sollte man
dafür - wie im Fall Schweinegrippe ausführlich geschildert
- jegliche Regeln der medizinischen Kunst ignorieren? Krim­
Kongo erweist sich als durchaus lästige Angelegenheit, weil
die Seuche jenen Massenmarkt nicht bietet, den Simulations­
programme als Input für die Gewinnberechnungen benöti­
gen. Während ausgediente Mittel wie Tamiflu® unter jedem
nur erdenklichen Vorwand vermarktet werden, ignorieren
die Big Player ein Virus, dessen Opfer auf grausamste Weise
verbluten, bevor sie den finalen Herzinfarkt erleiden. Wer
könnte an dieser Misere etwas ändern?
Gewiss, ein Großteil der Aktionäre sind Kleinanleger, mit­
unter zocken Rentner oder Angestellte um das große Pharma­
geld. Dass Banken und Versicherungen neben Ölscheichs
und sogar staatlichen Institutionen ebenfalls Anteile an Phar­
makonzernen halten, ist ebenso bekannt. Doch es gibt noch
eine weitere, weitaus mächtigere Gruppe von Gesellschaf­
tern, die kaum jemand kennt - und deren Einfluss gigantisch
ist. Es sind Nachkommen der traditionsreichen Unterneh­
men, ihre Namen sind Pharmageschichte. Die Familien der
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n ter u n s 1 45

Firmengründer halten sich aus den operativen Aktionen der


Konzerne heraus, nur selten treffen sie sich in den Firmen­
zentralen, um dann über ihre Aktienpakete zu diskutieren.
Das Beispiel Roche verdeutlicht stellvertretend für viele an­
dere Sterne am Pharmahimmel, wie eminent wichtig die Fa­
milien der zugehörigen Konzerne sind.
Schon im Jahr 1 948 unterzeichneten die achkommen des
Firmengründers Fritz Hoffmann-La Roche einen Aktionärs­
bindungsvertrag, der bis 2009 in unveränderter Form darleg­
te, wer wie viele Aktien des globalen Konzerns besitzt. Die
mächtige Zusammensetzung nannten die Mitglieder schlicht­
weg „Pool", im März 2011 gab es eine zweite, beachtenswerte
Neuerung: Erstmals seit 60 Jahren nahm der Pool eine von
Mitgliedern errichtete gemeinnützige Stiftung auf. Gleichzei­
tig schied die Mehrheitsaktionärin Maja Oeri aus dem Club
der Firmennachfolger aus. Den Familienclan zu unterschät­
zen wäre ein fataler Fehler, wie die Mitglieder über die sie
exklusiv vertretende Scobag Privatbank AG in Basel mittei­
len ließen: ,,Der Pool verfügt damit neu über 45,01 Prozent
der Stimm en an Roche, behält aber seine dominierende und
langfristig ausgelegte Stellung als bedeutendster Aktionär."86
Über 72 Millionen Aktien des Schweizer Unternehmens
Ra­che gehören somit einer Handvoll Nachkommen: Vera
Michalski-Hoffmann, Maja Hoffmann, Andre Hoffmann,
Andreas Oeri, Sabine Duschmale-Oeri, Catherine Oeri, Jörg
Duschma­le, Lukas Duschmale - und der
gemeinnützigen Stiftung Wolf.87
Letztere hält sich medial dezent zurück. Sucht man die
Stif­tung im lnternet, so wird man schnell fündig - ohne allzu
viel über die Projekte und Vorhaben zu erfahren. Die
Adresse? Ein Postfach. Die Kontaktmöglichkeit? Eine
Privatbank. Das Ziel? Wenn man das nur genauer erfahren
würde. Drei Absätze
146 DIE VIREN-LÜGE

lang ist die Selbstdarstellung der Einrichtung, die Zielsetzun­


gen auf der ersten - und einzigen - Website lesen sich gut. So
wolle die Stiftung Wolf soziale und kulturelle Projekte finan­
zieren, die bereits angelaufen sind und sich als sinnvoll her­
ausgestellt hätten. Indem die Stiftung keine eigenen Projekte
auflegt, wahrt sie eine beachtenswerte Neutralität zu ihren
Schützlingen. Zudem ist die Einrichtung auf die Region Basel
fixiert, ein Umstand, der vielen Vorhaben vor Ort zugute­
kommt. Und doch: Vergleicht man diese Stiftung mit anderen
Pendants, fallen deutliche Unterschiede ins Auge. Die Bertels­
mann-Stiftung beispielsweise bietet immerhin einen transpa­
renten, der Größe des Mutterkonzerns adäquaten Internetauf­
tritt. Gleiches gilt für die von Microsoft-Gründer Bill Gates ins
Leben „ Bill and Melinda Gates Foundation", aus deren Budget
bereits etliche Milliarden US-Dollar für Impfstoffe in die Ent­
wicklungsländer flossen. Transparenz ist hierbei das oberste
Gebot: Unter www.gatesfoundation.org erfahren Laien und
Projektteilnehmer gleichermaßen, wen die Gates-Stiftung för­
dert - und warum. So stellte die Stiftung Gelder für die Ent­
wicklung einer Strategie für mehr Medikamente gegen das
H I-Virus zur Verfügung, ebenso fließen Summen in die Erfor­
schung von neuen Impfstoffen gegen Polio und Influenza.
Gewiss, auch die Gates Foundation lässt sich möglicherweise
ungewollt instrumentalisieren, wie wir bereits ausführlich
beschrieben und Ärzte ohne Grenzen moniert haben, nur:
Ohne diese Stiftung bekämen auch Universitäten und Klini­
ken in Deutschland etliche Millionen weniger Geld. Ein Inte­
ressenkonflikt jedenfalls ex istiert nicht: Bill und Melinda
Gates verdienen nicht daran, wenn die Stiftung Impfstoffkam­
pagnen unterstützt. Im Gegenteil: Der Großteil des milliarden­
schweren Stiftungskapitals stammt aus ihrem Privatvermö­
gen.
Exot i s c h e K r a n k h e i t e n u n t e r u n s 1 47

Und bei Roche? Zwar hat der Pool, mitsamt der Stiftung
Wolf, auf seine Stimmrechtsmehrheit bei Roche verzichtet.
Doch bleibt der mächtige Zusammenschluss der wenigen Ak­
teure nach eigenen Aussagen „der mit Abstand bedeutendste
Aktionär und engagiert sich weiter langfristig für die Ge­
samtinteressen des Unternehmens mit Konzernsitz in Basel
und dessen Unabhängigkeit". Ob solcher Fakten sollten sich
Steuerzahler vor allem in Deutschland erneut fragen: Warum
fließen eigentlich Gelder aus dem Bundesetat, wie an anderer
Stelle dieses Buches ausführlich beschrieben, in die Kassen
des Schweizer Konzerns?
Für die in Afghanistan stationierten Truppen jedenfalls
wirkt sich das Desinteresse der großen Pharmaunternehmen
an Krim-Kongo direkt aus: Weil Vakzine fehlen, sind die Sol­
daten dem Erreger schutzlos ausgesetzt. Nach Angaben der
Wash ington Times waren neben einem US-Amerikaner auch
,.ein halbes Dutzend" Afghanen am Ebola-ähnlichen Virusbe­
fall verstorben. Die militärische Führung, das US-Command,
hatte zwar 150.000 Impfdosen nach Afghanistan eingeflogen
- die Vakzine sollten allerdings lediglich den Erreger der
Schweinegrippe in Schach halten.
Warum die N ATO derart unvorbereitet auf den Erreger zu
sein schien, bleibt bis heute ungeklärt. Denn das Virus wüte­
te schon 2008 in der Türkei und in Russland, zudem warnen
Reisemediziner seit Jahren vor dem Vorstoß des Krim-Kongo­
Fiebers. So hatten sich bereits im Juni 2008 über 500 Men­
schen in der anatolischen Provinz Yozgat infiziert, die Erkran­
kung forderte dort 27 Todesopfer. Nicht einmal das medizini­
sche Personal kann sich in Sicherheit wähnen. Zwei Ärzte
und ein Assistent am türkischen „Diyarbakir Diele University
School of Medicine Research Hospital" wurden im Sommer
2008 zu unfreiwilligen Stars der Epidemiologie, indem sie mit
1 48 D I E V I R E N- LÜ G E

Symptomen der Krim-Kongo-Erkrankung in Quarantäne ge­


bracht wurden. Die Mediziner waren mit Blutspritzern der
Patienten in Berührung gekommen - was für eine Übertra­
gung des CCHF-Virus schon ausreicht.
Seit der ersten Beobachtung von CCHF im Jahr 2002 star­
ben in der Türkei 136 Menschen an den Folgen der Infektion
mit dem CCHF-Erreger. Das hämorrhagische Krim-Kongo­
Fieber kommt zudem in Osteuropa, Asien, Afrika und im
mittleren Osten gehäuft vor. In der Türkei ist das zentrale
und nördliche Anatolien besonders betroffen, auch Südruss­
land gilt als Risikogebiet. Bis zu 50 Prozent der Erkrankten
überleben die Attacke der Erreger nicht - bei schneller medi­
zinischer Hilfe sinkt die Todesrate auf knapp zehn Prozent.

H a nta-Vi ren erobern Bayern

Der Erreger des Krim-Kongo-Fiebers hat, virologisch betrach­


tet, ein paar unliebsame Verwandte. Darunter befindet sich
auch der gefürchtete Hanta-Erreger, ein Virus, das in Deutsch­
land noch vor zehn Jahren keine Probleme bereitete. Damit ist
seit geraumer Zeit Schluss, wie die Techniker Krankenkasse
(TK) in Bayern unlängst zu berichten wusste. Dort nämlich
erkrankten allein im Jahr 2007 fast 300 Menschen an der von
Rötelmäusen übertragenen Hanta-Virus-Krankheit. 2010 regis­
trierte die Statistik des Bayerischen Landesamtes für Gesund­
heit und Lebensmittelsicherheit 433 Erkrankungen infolge
einer Hanta-Virus-Infektion. Zum Vergleich: In den Jahren vor
2007 waren im Schnitt nur rund 30 Patienten pro Jahr betrof­
fen. Kathrin Heydebreck, Sprecherin der T K in Bayern, stellt
fest: ,,Menschen stecken sich vor allem über den Speichel, Kot
oder Urin der infizierten Mäuse an. Die Übertragung erfolgt
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u nt e r u n s 1 49

beispielsweise, wenn die getrockneten und aufgewirbelten


Ausscheidungen eingeatmet oder wenn die infizierten, toten
Nagetiere angefasst werden." Um der Ausbreitung der Seuche
Einhalt zu gebieten, greift die gesetzliche Kasse zu ungewöhn­
lichen Mitteln - und gibt Tipps für den Haushaltsalltag. Beson­
dere Vorsicht sei beispielsweise „bei Gartenarbeiten oder beim
Frühjahrsputz in Schuppen, Keller, Dachböden oder Garten­
häuschen geboten". Die Maus im Keller als Lebensgefahr? So
skurril derartige Aussagen auch klingen mögen, so ernst ist
die Lage. Bislang waren Hanta-Fälle ein nordamerikanisches
Problem. Mittlerweile aber wissen Virusforscher, wie mobil
die Erreger wirklich sind. Was in Bayern passiert, hört an der
Landesgrenze nicht auf.
Im Juli 2010 berichteten Fachleute über Hanta-Virus-Erkran­
kungen und die „epidemiologische Situation in Baden-Würt­
temberg". Das Papier des Fachreferats 95 zeigt bereits auf
Seite 3 auf, warum die Erreger so gefährlich sind: Die im Kot
von Rötelmäusen vorkommenden Viren widerstehen nahezu
allen Umwelteinflüssen - und sind über die Luft übertragbar.
Hat man die Partikel inhaliert, treten erste Symptome der Er­
krankung auf. Auf eine Erkennung der Malaise zu hoffen, wäre
sehr optimistisch: Fieber, Muskelschmerzen und Magen-Darm­
Beschwerden prägen das klinische Bild nicht nur bei Hanta­
Infektionen. Bei zwölf Prozent der Betroffenen treten verräte­
rische Blutungen auf, knapp ein Drittel klagt über verschwom­
menes Sehen und Bauchschmerzen. Was danach kommt, er­
weist sich als noch deutlich unangenehmer: Rund fünf Prozent
der Infizierten überleben den Befall nur Dank der rechtzeitig
durchgeführten Dialyse, denn der Erreger setzt den Nieren
des Menschen massiv zu. Von 2001 bis 2010 waren 4320 Men­
schen in Deutschland mit Hanta infiziert, mehr als 200 davon
hätten somit ohne Dialyse wohl nicht überlebt.
1 50 D I E V I R E N-LÜ G E

Kaum eine Region i m Ländle scheint vor der viralen Offen­


sive wirklich sicher. So schnellte die epidemiologisch als In­
zidenz bezeichnete Häufigkeit der Hanta-Viren-Infektionen
in Stuttgart von drei Prozent im Jahr 2007 auf fast 20 Prozent
bis Ende 2010 hoch. Derartige Zuwachsraten erlebten dort
nur die Grünen als Partei. Pforzheim wiederum erfuhr inner­
halb von nur 36 Monaten, was eine neue Seuche ausmacht:
Die lnzidenz stieg von 0,8 auf fast 14 Prozent.
Die Erreger verrichten ein zerstörerisches Werk, das sich
in 66 Prozent aller Fälle nur noch im Krankenhaus stoppen
lässt. Mehr als neun Tage dauert der Durchschnittsaufenthalt,
bei angenommenen Behandlungskosten von mindestens 500
Euro pro Tag kommen schnell fünfstellige Summen zustan­
de. Vom Befall bis zur Wiederaufnahme der Arbeit vergehen
statistisch genau 19 Tage. 88 Somit entgehen der bundesdeut­
schen Volkswirtschaft mehr als 82.000 Arbeitstage, weil win­
zige Mäuse einen noch sehr viel kleineren Erreger über kaum
sichtbare Kotkügelchen verbreiten. Die Maus im Keller als
Lebensgefahr? Betrachtet man dieser Frage nach den obigen
Fakten erneut, muss man sie bejahen. Die Maus als Brutto­
sozialprodukt-Killer? Angesichts von über 80.000 verlorenen
Arbeitstagen wäre auch diese Sichtweise zumindest Thema
weiterer ökonomischer Forschungsarbeiten. Keinerlei allzu
großer Forschungsbedarf herrscht hingegen bei den großen
Impfstoffherstellern, wenn es um Hanta-Viren geht. So teuer
die Folgen für die gesetzlichen Krankenkassen auch sein mö­
gen, so viel an Produktivität infolge der Hanta-Infektionen
verloren gehen mag - lediglich 4300 Fallzahlen pro Jahr bie­
ten noch keine Basis für den wirtschaftlichen Erfolg einer po­
tenziellen Medikamentvermarktung.
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n ter u n s 1 51

Z u n gen b rec h er a l s töd l iche Bed ro h u n g

Bislang galt das von der Aedes-Mücke übertragene C h i kun­


gunya-Virus als l ästige, doch keinesfa l l s als letale Bedrohung.
Wie Epidemiologen i m Fachblatt Emerging Infectious Diseases
schrieben, verstarben i n nerhalb eines Jahres rund 3000 Inder
allein 2006 i n der Gegend u m die 3,8 M i l lionen-Metropole Ah­
medabad an den Folgen der Infektion. 89 Im ganzen Land waren
mehr als 1,3 M i l l ionen Menschen i n fi ziert. Aber Hand aufs
Herz: Haben Sie jemals etwas von dieser Seuche gehört? I n
Europa gilt das Chi ku ngu nya-Fieber noch a l s reines „ M it­
bringsel" bei rückkehrenden Tropenreisenden. Doch Experten
beobachten mit Sorge die Ausbreitung der Mückenart Aedes
albopictus, die sich im südlichen Europa aufgrund des K l i ma­
wandel s immer heimischer fühlt. I m Herbst 2007 wurden auch
i n Deutschland Eier der asiatischen Tigermücke nachgewie­
sen. Epidemien i n Europa sind daher nach Ansicht vieler
Fachleute i m Sommer auch i n Europa möglich - würden aber
in den meisten Fäl len aufgrund der diffusen Symptome von
Al lgemeinärzten kaum erkannt.
Für Tropenmedizi ner i ndes i st C h i k u ngu nya kei n Novu m ,
die ersten Fäl l e wurden i m J a h r 1 9 5 3 u n d damals i n Tansania
dokumentiert. Doch b i s lang galt d i e E rkrank u ng, die m i t Ge­
lenkschmerzen und Fieber e i n hergeht, als nicht lebensbe­
d roh l ich fü r den Menschen. Nach neuen E rkenntnissen i n d i­
scher Forscher muss dieses B i l d revid iert werden : B i s zu
50.000 Menschen pro Jahr kön n ten aufgrund der j etzt beob­
achteten Mutationen dem Virus zum Opfer fal len - a l l e i n i n
lndien. 90
Die Schweizer Alpen zählen biswe i len n icht z u m bevorzug­
ten Aufenthaltsort der Überträgermücke, dennoch l egt das
Bundesamt fü r Gesundheit ( BGA) viel Wert auf die Aufk l ä-
152 DIE VIREN-LÜGE

rung der E i dgenosse n . Denn i m Tes s i n und nördlich der Al­


pen sichteten Wissenschaftler bereits den Überträger des Er­
regers, die M ü cke Aedes albopi ctu s. Wie so oft kom m t e i n
Unglück n i cht a l l e i n : D a s I n sekt vermag neben C h i k u ngu nya
auch Dengue-Vi ren zu befördern. ,,Somit können theoretisch
beide V iren bei uns übertragen we rden", warnt das Bundes­
amt fü r Gesundheitswesen in ei ner Fach publ i kation, die Ärz­
ten in der Schwe i z z u r Verfügu n g steht. 9' Ebenso wie Dengue­
s i n d auch C h i kungunya-E rk ranku ngen i m Alpenland melde­
pfl i chtig, um eine mögliche Übertragu ng frü h erfassen zu
kön nen. 92
Die Angst ist begründet. Denn wie bei Kri m-Kongo u n d
H a n t a s u c h t man a u c h b e i C h i kungu nya vergebens nach exis­
tierenden I mpfstoffe n u n d Medi kamenten gegen die E rreger.
Dabei sind di e Risiken fü r E u ropäer evident. So kam es bei­
spiel sweise 2006 auf den I n seln des i n d i schen Ozeans zu ei­
ner Epidemie ungeahnten Ausmaßes. A l l e i n i m französischen
Übersee-Departement La Reu n ion zäh lten Ä rzte 266.000 I n fi­
z i e rte - i m m e rh i n ein Drittel der Bevö l kerung. E rstmals gab
es darunter 23793 Todesopfer zu beklagen, wie das Schweizer
BGA nach Auswertung der Daten attestierte, u n d : ,,Die Epi de­
m i e griff auf Indien über, wo über 1 , 5 M i l lionen erkrankten
und die Erkran k u ngs rate i n gewissen Gebieten bis gegen 45
Prozent betrug." Zeitgleich gelangten 800 Infi z i e rte nach Eu­
ropa, nur ein Jahr später meldeten italien ische Gesundheits­
behörden die erste autochthone Epidemie, bei der 300 Men­
schen vom Virus befallen w urden. Sch l i m m stenfa l l s zerstört
der Erreger das zentrale Nervensystem, selten kom m t es zu
i n n eren Blutungen - lebensbedro h l i ch ist das Virus allemal.
F ü r werdende M ütter kann die Re ise i n s Urlaubsparadies
schnell zum traumati schen H o rrorerlebn is avancieren, denn
das Virus löst m i tunter Totgebu rten aus.
Exot i s c h e K r a n k h e i t e n u n ter u n s 1 53

Deutschlands Gesundheitspolitiker scheinen die Gefahren


zu ignorieren, die wenigen Medienberichte verhallen wir­
kungslos. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Anders als in
der Schweiz, wo trotz Alpen und damit verbundenen herben
klimatischen Bedingungen die Etablierung der Ü berträger­
mücke als reales Risiko akzeptiert wird, verlassen sich die
Verantwortlichen in der Bundesrepublik anscheinend auf die
Aussagen von Wissenschaftsartikeln. ,,Deutschland zu kalt
und zu trocken für Erreger", hieß beispielsweise im Februar
2006 die Spiegel-On line-Head l i n e eines Artikels über das ge­
fürchtete Tropenfieber. 94 Auf die gegenwärtigen Verhältnisse
bezogen zweifelsohne eine treffende Aussage, nur wie lange
noch? Der einsetzende Klimawandel wird nach Ansicht von
Experten einen massiven Boom von tropischen Seuchen nach
sich ziehen, darüber besteht Einigkeit. Und so verlieren Risi­
koszenarien, die noch vor einem Jahrzehnt in Stein gemeißelt
schienen, schlagartig ihre Daseinsberechtigung. Falls sich
die Berechnungen des Umweltbundesamts (UBA) und der
Klimaforscher bewahrheiten werden, steht der Bundesrepub­
lik bis 2100 eine Erhöhung der Jahresmitteltemperatur zwi­
schen zwei und drei Grad bevor. Die Szenarien der Wetterex­
perten enthalten einige Überraschungen. So rechnen die For­
scher z um Beispiel mit starken saisonalen Unterschieden:
Den größten Temperaturanstieg erwarten sie ausgerechnet
im Winter und nicht im Sommer - damit aber steht dem
Überleben der tückischen Mücke nichts mehr im Weg.
Die Zurückhaltung ist wenig verständlich, zumal gleich
mehrere Dokumente der Europäischen Union auf die Proble­
matik der neuen Seuchen aufmerksam machen. Virale Hä­
morrhagische Fieber (VHF), zu denen Dengue, Krim-Kongo
oder Chikungunya zählen, werden die Gesundheitssysteme
der EU vor erhebliche Probleme stellen. Obwohl sich die
1 54 DIE VIREN-LÜGE

Ü bertragungswege unterscheiden, sind VHF-Erkrankungen


für jeden Gesundheitsminister der blanke Horror. Blutende
Frauen, Männer und Kinder, den langsamen und qualvollen
Tod vor Augen - und keine Gegenmittel der Pharmaindustrie,
deren Kassen mit Millionen von Euro an Steuergeldern ge­
füllt werden. Subventionierte Pharmaforschung bei lukrati­
ven Erregern und Ignoranz bei Chikungunya & Co., das hört
sich nach einem zugespitzten Vergleich an - und ist ange­
sichts der beschriebenen Geheimverträge doch die Realität
der deutschen Steuer- und Präventionspolitik.
Dabei findet der Vorstoß der vermeintlichen Exotenseuchen
an allen Fronten statt. Nach dem Ausbruch von SARS im Jahr
2003 beschäftigte eine neue auf den Menschen übertragbare
virale Tierkrankheit Epidemiologen und Virologen gleicher­
maßen. Allein in den USA verzeichneten Mediziner innerhalb
von nur vier Monaten 37 Fälle von Affenpocken-Viren-Erkran­
kungen. Der Handel mit Tieren und deren unsachgemäße Hal­
tung führten zu einer deutlichen Zunahme der teils lebensbe­
drohlichen Zoonosen. Erreger schaffen regelmäßig den Sprung
über die Artengrenze. 1994 forderte in Australien das Hendra­
Virus die ersten Todesopfer, weil es aus einem Fledermausre­
servoir über das Pferd als Wirt zum Menschen gelangte. Seit­
dem gibt es für Zoonosen eine Menge Beispiele: Hanta, Nipah
oder SARS. Nicht nur in Amerika gibt es unzählige Tierhänd­
ler, die Riesenmeerschweinchen und andere exotische Tiere
aus Afrika verkaufen. In Texas beispielsweise infizierten vor
einigen Jahren importierte Gambia-Ratten die heimischen Prä­
riehunde - und die wiederum den Menschen, der die Tiere
über den Handel kaufte.
Vor allem Streichelzoos erweisen sich als Risikofaktor, wie
uns Virologe Griot im Rahmen eines Interviews für Spiegel
Online erklärte:
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n t e r u n s 1 55

„ Niedliche Riesenmeersch weinchen und andere exotische


Streicheltiere gibt es vor allem auch in deutschen und
Sch weizer Zoos. Welcher Zoodirektor kann wirklich über­
prüfen, ob seine Streichelwiese für Kinder in Wirklichkeit
nicht ein Sammelbecken für unbekannte Erreger ist? So
betrachtet sind Streichelzoos eine potenzielle Gefahr. "

Die Liste der bedrohlichen Viren lässt sich mühelos fortset­


zen, die damit verbundenen Erkrankungen stellen Ärzte vor
große Probleme: Wer als Mediziner einen Patienten mit Las­
sa-, Rift-Valley- oder Ebola-Fieber in seiner Praxis zu Gesicht
bekommt, muss eine verdammt gute Anamnese beherrschen.
Ohne diese gezielte Form der Fragestellung sind Seuchen
kurz nach dem Ausbruch kaum erkennbar - geschweige
denn voneinander zu unterscheiden. Kopfschmerzen? Mus­
kelschmerzen? Benommenheit? Außerhalb der Gemeinschaft
von Tropenmedizinern schrillen nur bei den wenigsten Dok­
toren die Alarmglocken - und wenn, dann meist zu spät.
Ärzten bereitet ein weiteres Phänomen Sorgen: Über den
Massentourismus in Länder, die noch vor 50 Jahren unerreich­
bar waren, werden Krankheiten eingeschleppt, die schwer zu
behandeln sind, weil die Medizin der westlichen Welt nicht auf
sie eingestellt ist. Selbst als besiegt betrachtete Leiden wie die
Kinderlähmung ( Polio) werden dadurch wieder zum Problem.
Globetrotter schleppen die Erreger zurück nach Europa - wo
das Polio-Comeback aufgrund des nachlassenden Impfschut­
zes wahrscheinlicher wird. So war auch der letzte in Deutsch­
land nachgewiesene Polio-Fall im Jahr 1992 aus dem Ausland
eingeschleppt worden. Tropische V iruserkrankungen wie Las­
sa-Fieber, an dem im Januar 2000 eine deutsche Studentin
verstarb, oder das berüchtigte Ebola-Virus stellen eine weitere
potenzielle Gefahr für Fernreisende dar. Beide Erkrankungen
1 56 DIE VI REN-LÜGE

rufen schwere i n n ere B l utungenhervor und lassen sich nu r i n


d e r Frü h phase therapieren. Kei n e nennen swerten Fa l l zahlen
i n Europa bedeutet aber: E i n e I mpfung existiert bislang n icht.
Natürlich gibt es eine Institution, die i m Fal l des Fal l es über
das nötige Know-how verfügt. Das zur Leibn i z-Gemei nschaft
gehörende Bernhard-Nocht-Institut fü r Tropenmediz i n ( B ! )
in Hamburg ist seit 2002 das Nationale Referenzzentrum fü r
tropi sche I nfektionserreger. 95 Das Traditionsi nstitut, dessen
Aufgabe seit m ittlerweile 100 Jahren d i e Erforschung und Be­
handlung tropischer K rankheiten i st, gilt a ls Ansprechpart­
ner für Ä rzte und Betroffene, berät aber auch die Bundesre­
gierung bei der E i n s chätzung der Kran kheiten. Deutsch land­
wei t können die B !-Forscher d i e größte Zahl von E rregern
nachweisen, darunter Pocken-, Ebola- oder Lassa-V i ren. Die
Labore des B N I sind auf dem a l l e rneu sten Stand, wer die
Hochsicherheitsräume betritt, u m mit Ebola-Vi ren zu hantie­
ren, macht Dusti n Hoffmann i n seiner Rol l e a ls Vi rologe i m
F i l m „Outbreak" optisch Kon kurrenz. Vorsicht i m Umgang
mit den Erregern ist a l lemal angebracht. Die I n halation der
Erreger wü rde ebenso töd l i c h enden wie der bloße Hautkon­
takt. Schon der kleinste Riss in der Sch utzkleidung der V i ren­
forsch e r kann todbri ngend sein. Kein Wunder also, dass Si­
cherheitslabore über Luftschleusen un d Kam mern verfü ge n,
die ein Austreten der V i ren verh i ndern. Wei l Seuchenforscher
ei n Privatleben, Fam i l i e un d Freunde haben, halte n sie sich
akribi sch an die extrem harten Vorschriften - aus Angst, ne­
ben dem eigenen Leben das der Angehörigen zu gefä h rden.
Deutschland und die west l i che Wel t sind, suggeriert die Aus­
stattung des I n stituts, auf den Vorstoß der töd l i chen V i ren
bestens vorbereitet. Theoreti sch.
Die Prax i s sieht l eider eher bescheiden aus. Ü bervo l l e
Wartezi m m e r beim Hausarzt s i n d d i e erste Anlaufste l l e fü r
Exoti s c h e K ra n k h eiten unter u n s 157

Patienten, die nach einem Afri ka- oder Asienurlaub zunächst


über Kopf- oder Muskelschmerzen klagen. Das Abhorchen
mittels Stethoskop liefert keinerlei Hi nweise auf eine bedroh­
liche Lungenentzündung, die Lymphknoten sind nicht ge­
schwollen, und ohnehin vermag der gut gewillte Doc keine
Anzeichen einer Infektion zu erkennen. Ein Händeschütteln
zum Abschied, ein leichtes Husten im Arztzimmer und das
Niesen im Warteraum, während Mann oder Frau noch ein
schnelles „Wiedersehen" in die Runde murmelt. Alltag in
Deutschlands Arztpraxen - und ein massives Problem, wenn
wirklich V iren ausbrechen sollten. V iren werden in Deutsch­
lands Praxen schwerlich aufgehalten werden können.
Allge­meinmedizinern ist kein Vorwurf zu machen, da sie
nicht ausgebildet sind, um solche Krankheiten rechtzeitig
erken­nen und behandeln zu können. Die Krankheiten
selbst lie­fern gerade während der Inkubationszeit
keinerlei Sympto­me, die Ärzten einen brauchbaren H inweis
auf den dramati­schen V irusbefall geben könnten. Es ist
ein Teufelskreis.
Nicht nur für Dengue- oder das West-Nil-Fieber müssten da­
her neue Nachweisverfahren und Behandlungsmethoden be­
reitgestellt werden, die ohne Aufwand in jeder Prax is funkti­
onieren. Was in den Hochsicherheitslaboren des BNI
umge­setzt wird, lässt sich aber nicht auf die gängige
Arztpraxis übertragen. Die schnelle und sichere Diagnose
bleibt vorerst eine unerfüllbare Wunschvorstellung.
Ein Ausweg aus der Misere ist möglich. ,,Mehr Geld für
staatliche Forschung, weniger Abhängigkeiten von der Phar­
maindustrie" lautet die Zauberformel. Erste Ansätze sind
durchaus erkennbar, wie ein Blick auf eine ganz andere
Vi­renart demonstriert: Zytomegalie-Viren (ZMV).
Kaum ein Laie vermag mit dem Begriff etwas anzufangen,
jeder zweite Bundesbürger aber ist Träger des V i rus. Anders
158 DIE VIREN-LÜGE

a ls Ebola-, Lassa- oder Kri m-Kongo-E rreger richten die ZMV


so gut wie keinen Schaden an. Muske lschmerzen? Feh lan zei­
ge. I n n e re B l utungen? Auf kei n e n Fa l l . Kollaps des Kreislauf­
systems? Ausgeschlossen. Das Virus n i stet sich i m O rga n i s­
m u s des Menschen e i n , ohne die i n n e ren Abläufe des Kör­
pers zu verändern. Sch l i m m stenfa l l s gleicht d i e E rk rankung
einer sch l i chten Erkä ltung, danach ist alles wieder gut.
I n W i rk l ichkeit l i egen die D i n ge etwas kom p l i z i e rter - und
faszinieren Wissenschaftler weltweit. Denn das Immunsystem
des Menschen erweist sich als nach wie vor größtente i l s un­
verstan denes Gebilde, Theorie und Praxis l i egen dabei weit
ausei nander. Die bereits i n Kapitel 1 und 2 besch riebenen Ge­
dächtniszellen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Nach
jeder Erstinfektion bleiben sie über Jahre h i nweg aktiv, sodass
der zweite Befa l l vom Körper rech tzeitig abgewe h rt werden
kan n. Nur m i t h i l fe der Gedächtn iszellen ist dieser i n der Lage,
die Attacken des gleichen Er regers zu u nterbinden - bevor
w i r überhaupt etwas davon m erke n . ZMV i st vor allem aus
einem Grund i n teressant: Kei n anderer Erreger ruft derart
viele Gedächtniszellen auf den Plan. Schon der erste Eindri ng­
l i n g schei n t das I m m u n system i n blanke Pan i k zu versetzen,
wie Wissen schaftler des Helmhol tz-Zentrums fü r Infektions­
forschung i n Braunschweig ( H Z I ) schildern: ,,B i s zu e i n e m
Viertel aller Gedächtniszellen widmen s ich aussch ließlich d e r
E rken nung und Kontrolle v o n ZMV." 96 An d i e s e r Ste l l e wäre
die Gesch ichte des ZMV zu Ende, die Betriebsam keit der Ge­
dächtn iszellen l ieferte allenfa l l s Prüfungsstoff fü r eine Abitur­
klausur. Wi rtschaftliche Gründe für weitere Forschungsarbei­
ten bestehen aus Sicht der Pharmau nternehmen i ndes kau m .
Schnupfen und etwas Kratzen i m H a l s scheinen wenig geeig­
net, um die B u ndesregierung z um Absch luss von Gehei mver­
trägen für d i e Impfstoffabnahme zu bewegen.
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n t e r u n s 1 59

Ein Trugschluss. Denn ruhende ZMV bilden in den befalle­


nen Zellen ein Leben lang bestimmte Eiweißstoffe, wie Luka
Cicin-Sain, Leiter der Nachwuchsforschergruppe „ Immunalte­
rung und Chronische Infektion" am HZI herausfand. ,,Wie
beim Herpes-Virus wird das ZMV zu einem lebenslangen Be­
gleiter in unseren Zellen", erklärt Cicin-Sain - und nimmt an,
dass Virusproteine unser Immunsystem ständig stimulieren.
Die Folge: Jede chronische Virusinfektion mit ZMV könnte
unser Immunsystem auf Dauer erschöpfen, ,,was uns im Al­
ter anfälliger für Infektionen und Krankheiten macht", meint
der Virologe. Denkbar ist jedoch auch eine andere Variante,
nach der ZM V der Herstellung neuer Impfstoffe dienen wür­
de: ,,Die Viren könnten ungefährliche Proteine von anderen
Krankheitserregern produzieren und auf diese Weise sehr
wirksame Impfstoffe gegen Aids oder Krebs ermöglichen",
meinen die HZI-Forscher. Wie man die Eindringlinge dazu
bringt, wissen Biochemiker und Virologen seit Jahrzehnten.
Jedes Protein - also jeder Eiweißstoff - verfügt über eine Bau­
anleitung, die im Erbgut festgelegt ist. Schleust man diese
Informationen in den Bauplan des Virus ein, das ohnehin
seine eigenen Proteine herstellen muss, produziert die ver­
änderte Virenform in der infizierten Wirtszelle jenes Protein,
das man dort haben möchte. Klingt kompliziert, ist es auch.
Vereinfacht ausgedrückt ließe sich der ZMV-Trick so beschrei­
ben: Sage dem Virus, dass es in deinem Körper eine kleine
Grippehülle herstellt, und dein Organismus wird im Fall des
Grippebefalls vorgewarnt sein.
Die Palette der Möglichkeiten ist demnach riesig. Vom ein­
fachen, unbemerkten Schlummern im Organismus über des­
sen Schwächung über Jahre hinweg bis hin zur Ausbildung
einer intelligenten Abwehr gegen neue Viren - alles scheint
möglich, doch nichts ist bislang in die Tat umgesetzt. Nach
160 DIE VIREN-LÜGE

Willen des European Research Council (ERC), dem Europäi­


schen Wissenschaftsrat, soll sich das bald ändern. Genau
fünf Jahre lang hat Forscher Cicin-Sain Zeit, um „das Zytome­
galie-Virus zu verändern und so zu klären, ob es für die For­
schung an virusbasierten Impfstoffen genutzt werden könn­
te", ließ das HZl im April 2011 die Medien wissen. Immerhin
1,5 Millionen Euro an Fördergeldern erhielten die Braun­
schweiger Forscher über den gesamten Zeitraum verteilt.
Trotz dieses Ansatzes des Europäischen Wissenschaftsrats
bleiben derartige Finanzierungen ein Tropfen auf dem hei­
ßen Stein - eine ernst zu nehmende Impfstoffforschung lässt
sich mit diesen Summen kaum stemmen. Bei einem Budget
von 300.000 Euro pro Jahr schmelzen die zur Verfügung ste­
henden Gelder nämlich schnell zusammen.
Unzählige Erreger halten Mediziner und Virologen in Atem
- wann die Pharmaindustrie einsteigt und wann sie die müh­
same Grundlagenforschung anderen überlässt, lässt sich re­
lativ einfach vorhersagen: Immer dann, wenn ein Massen­
markt vorhanden ist, sind Impfstoffhersteller mit ihren Pro­
dukten dabei.

H e patitis a l s l u k ratives M o d e l l

Beispiel Hepatitis. Glaubt man den Angaben bundesdeutscher


Arztpraxen, leidet jeder vierte Patient an „erhöhten Leberwer­
ten" . Diese Diagnose haben viele Leserinnen und Leser dieses
Buches irgendwann schon einmal gestellt bekommen, meist
liefern Routineuntersuchungen des Blutes des Patienten erste
Hinweise auf die ominöse Größe. ,,Erhöhte Leberwerte" ist ein
Sammelbegriff, mit dem man als Laie nur wenig anfangen
kann - obwohl man wissen sollte, worum es sich dabei han­
delt. Denn hinter der seltsamen Bezeichnung und den gemes-
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n ter u n s 1 61

senen Laborwerten können sich, wenn auch selten, lebensbe­


drohliche Infektionen mit Hepatitis-Viren verbergen, die, so­
fern zu spät erkannt, zu Leberzirrhose und Leberzellkrebs
führen können, wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen
Leberstiftung, Michael P. Manns, anlässlich der Internationa­
len Lebertagung EASL Anfang April 2011 in Berlin seinem
Fachauditorium erklärte.
Manns ' Vortrag war zwar an Ärzte und Mediziner gerich­
tet, doch auch Vertreter der Pharmabranche dürften ange­
sichts der Zahlen aufgehorcht haben. Mehr als 500 Millionen
Menschen sind der Leberstiftung zufolge chronisch mit dem
Hepatitis-B- (HBV) oder Hepatitis-C-Virus (HCV) infiziert,
manche Schätzungen gehen sogar von zwei Milliarden Er­
denbürgern aus, in denen das Virus schlummert. Mehr als 1,5
.Ylillionen versterben jedes Jahr an den Folgen der chronisch
viralen Hepatitis B oder C. Anders als bei Dengue ist das Pro­
blem kein exotisches Phänomen, sondern fester Bestandteil
der Virusstatistiken: Mehr als eine Millionen Menschen in
Deutschland gelten als Hepatitis-Virenträger und sind somit
infiziert.
Wie so oft ist auch bei Hepatitis eine Ansteckung tückisch.
Wen das Virus befällt, merkt die ersten Anzeichen der Infek­
tion so gut wie nie. Denn anders als die meisten Organe des
Menschen, ist die Leber zunächst schmerzunempfindlich, zu­
dem fallen auch die Symptome der Hepatitis - ähnlich den
bereits geschilderten Seuchen - sehr diffus aus. Die Folgen
hingegen sind verheerend: Aus einer unbehandelten Infekti­
on entsteht in vielen Fällen Leberzellkrebs (HCC) . Experten
wie Manns geben zu bedenken, dass sich die Zahl der Leber­
karzinome allein in Deutschland seit den 1970er Jahren ver­
doppelte, 5000 Menschen erkranken jährlich daran. Wie vie­
le dieser Krebsfälle tatsächlich durch Hepatitis-Viren ausge-
1 62 D I E VIR EN-LÜ G E

löst werden und welche Fal l zahlen auf übermäßigen Alkohol­


konsum oder eine ungesunde Lebensweise zu rückgehen, ist
un bekannt. Fest aber steht: Der Hepatiti stod kom mt i n a l l e n
Tei l en der Welt vor. Südita l i e n , weite Te i le des Bal k a ns , Spa­
nien oder die Türkei sind ebenso betroffen wie Staaten der
ehemal igen Sowj etu nion. Mehr a ls vier M i l lionen E u ropäer
leiden an I n fektionen mit Hepatitis C.
Für die I mpfstoffi ndustrie erweisen sich solche Zahlen a l s
Segen. Gegen den E r reger g i b t es n ä m l ich w i rksame Vak zine,
was gleichzeitig bedeutet, dass niemand an H e patitis erkran­
ken muss. I mpfu ngen gegen die V i ren sind in Deutschland
seit vielen Jahren üblich, doch von einer Sättigung des Mark­
tes kann keine Rede sein. Die Pharmai ndustrie kann sich auf
eine vo l l kommen neue K l ientengruppe stürzen: M igrante n.
B i s zu 65 Prozent der chroni sch m i t H epatiti s-B-V iren i n fi­
zierten Menschen h ierzulande haben Manns zufolge einen
M igrationshintergrund. Rei sen i n d i e H e imatländer und re­
ger Kontakt zu bereits I n fi z i e rten tragen z ur wei teren Aus­
breitung bei . In Sach en Hepatitis sind Fragen der I ntegration
ohne Belang. D ie Deutsche Leberstiftung strebt an, j eden
auch nicht der deutschen Sprache mächtigen Patienten im
Lande zu erreichen. H ier sind verständl iche I n formationen in
der j ewe i l igen Landessprache h i l freich. Auf die Problematik
h i nzuweisen lohnt an d i eser Ste l l e vor a lle m aus einem
Grund: Das Beispiel Hepatitis zeigt exemplarisch, woran die
Bekämpfung globaler Seuchen n a ch wie v o r scheitert. Anders
a ls i h re Opfer kennen V i ren weder Landesgrenzen noch
Sprachbarrieren. Während politische Debatten über die bes­
ten I ntegrationsstrategien die Repu b l i k seit Jahren i n Atem
handeln und das E rlernen der deutschen Sprache dabei zwei­
fe lsohne als ei nes der s i n nvol l sten I n strumente angesehen
w i rd, stören sich Vi ren n i cht daran, auch jene M i tbewohner
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n t e r u n s 1 63

zu infizieren, die nicht fließend Deutsch sprechen und lesen


können. Hätten Migranten keine Chance, in ihrer Mutter­
sprache etwas über die Erkrankung zu erfahren, wären sie
gefährdeter als andere, weil Präventionsmaßnahmen kaum
greifen.
Die Deutsche Leberstiftung verfügt daher nach eigenen
Angaben „über Informationsfaltblätter zum Thema Hepatitis
B und Hepatitis C in untersch iedlichen Sprachen, wie zum
Beispiel in Russisch , Spanisch , Türkisch, Arabisch , Grie­
chisch und Italienisch". Die kleinen Viren Jassen Sprachtests
obsolet erscheinen - pragmatische Aufklärung in der jeweili­
gen Landessprache ist das Mittel der Wah 1. ,,Ebenso sollten
gezielte I mpfprogram me besonders Migranten ansprechen,
die aus Ländern mit einer hohen Hepatitis-B-Rate stammen",
fordert die Leberstiftung, und: ,,Dazu gehören unter anderem
die Türkei, Italien, Asien und die ehemalige Sowjetunion."
Natürlich sind Migranten nicht die alleinigen Träger von
gefährlichen Viren, auch wenn eine solche These in Zeiten
der Sarrazin-Debatte sicher einige verblendete Anhänger ge­
funden hätte. Die Infizierung mit Hepatitis hat schlicht viel
mit sexuellem Verhalten zu tun: Als Überträger des Virus er­
weisen sich so zum Beispiel Kunden von Bordellen und Rot­
lichtetablissements, die trotz aller Warnungen gegen die Re­
geln der Vernunft agieren - und ohne Kondom ihren Lüsten
frönen. Auch Sextouristen schleppen die Erreger aus Asien
ein. Einmal infiziert, geben sie den Erreger im hei mischen
Ehebett weiter. Es ist ein fataler Kreislauf, über den niemand
spricht - durch den die Seuche jedoch voranschreitet.
Hepatitis B ist eine sexuell übertragbare Krankheit, was
nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit eine weitere Risiko­
gruppe nach sich zieht: die Pornobranche. Mit Tausenden
von Darstellern und Umsätzen von über 1 3 Milliarden US-Dol-
1 64 D I E V I R E N-LÜ G E

lar pro Jahr allein in den USA ist die Pornofilmindustrie aus
medizinischer Sicht ein unkontrollierter Moloch. Der Sex vor
der Kamera lässt auch hierzulande die Kassen klingeln: Nach
den USA ist die Bundesrepublik der zweitgrößte Pornomarkt
der Welt. Jeden Monat erscheinen über 1000 neue Filme auf
DVD, rund 800 Millionen Euro jährlich setzt die Branche
schätzungsweise damit um. Gefragt ist, was in deutschen
Schlafzimmern zumindest Umfragen zufolge so gut wie nicht
vorkommt: Geschlechtsverkehr mit abwechselnd einem, meh­
reren oder vielen Partnern gleichzeitig und das in allen er­
denklichen Varianten - vor allem aber nahezu immer unge­
schützt. Letzteres wiederum lässt Epidemiologen erschau­
dern. Denn der Profisex vor der Kamera fordert unter den
Darstellern seinen Tribut. Die Erreger sexuell übertragbarer
Erkrankungen breiten sich unkontrolliert aus - Hepatitis B
ist an vorderster Front mit von der Partie.
Eine von Peter Kerndt, Direktor am Los Angeles County
Department of Public Health und Co-Autor einer im Fachblatt
PLoS publizierte Studie97 offenbart das Gefahrenpotenzial, um
das es geht. So ließen sich beispielsweise im Zeitraum 2003
bis 2005 bei insgesamt 976 getesteten Darstellern 1 153 positi­
ve Testergebnisse - gescreent wurde nach mehreren Erre­
gern - nachweisen. Dabei dominierten Chlamydieninfektio­
nen (722 Fälle), bei 355 Darstellern traten Gonorrhoe-Erreger
(Gonokokken) auf - und bei 10,9 Prozent aller Getesteten von
Chlamydien und Gonorrhoe-Erregern verursachte Coinfekti­
onen.
Dabei ist das nur die Spitze des Eisberges. Denn nach wie
vor sind epidemiologische Zahlen über pornofilmbedingte An­
steckungen mit Syphilis, Herpes simplex, Humanen Papillo­
ma-Viren (HPV) oder Hepatitis B und C faktisch inexistent.
Fest indes steht, dass ungeschützter Analsex das HIV-Anste-
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n te r u n s 1 65

ckungs r i s i ko geradezu explodiere n lässt: Von 10000 Kontak­


ten fü h re n 80 z u r I n fektion, das i st stat i st i sch betrach tet weit­
aus m e h r, a l s etwa d i e Benutzung n icht ste r i l e r Nade l n nach
s i c h z i eht.
Was den Pornodarste l l e r n z usetzt, i s t vor allem der Erreger­
m i x . So fanden Ä rzte hera u s , dass sich d i e H I V-Infe k t i o n s rate
ve rvierfacht, wenn e i n e r der Partner bereits m i t e i n e m H e r­
pes-s i m p lex-V i r u s angesteckt ist - u n d es dabei auch noch z u m
analen Gesch lechtsverke hr kom m t .
Z w a r w ü rde der E i n satz v o n Kondomen den G roßte i l solcher
H o rrors z e n a r i e n beseitigen, n u r: Led i g l i c h d i e homosex u e l l e
F i l m sz e n e s e t z t i n den USA e r ns t h aft a uf Safe r S e x . So kon s­
tatiere n M ed i z i ne r, dass Po rnofi l mp rod u k t i o n e n fü r S c h w u l e
o h n e d e n E i n satz von Kon d o m e n n i cht denkbar w ä r e n - d i e
Com m u n ity scheint derart aufge k l ä rt u n d i n for m i e rt, d a s s d i e
vo rwiegend i n H eterofi l me n vo rgefü h rten gu m m i losen Prak­
t i ke n auf dem M arkt ke i n e C h a n c e hätte n .
Späteste n s s e i t 2004, a l s u n te r Porn odarste l l ern i n d e n U S A
e i n e wah re H IV-E p i d e m i e a u s b ra c h , s o l l te n s i c h d i e ameri ka­
n i schen G e s u n d h e i tsbehörden darüber im K l aren s e i n , dass
i n Sachen Sex vor der K a m e ra ges u n d h e itspo l i tisch e twas re­
gu l i e rt werden s o l l te , n u r : Geschehen i st im G r u n d e n i ch ts.
H i erz u l a n d e sin d Pornodarste l l e r d u rc h G e s e t z e geschützt,
doch n u r auf dem Pap i e r. So beschreibt das Landesgesetz über
den Öffe n t l i c h e n G e s u n d h e i t s d i e n s t ( Ö G d G ) wie d i e s e r Ge­
sundheitsdienst über Gesch lechtskrankheite n aufz u k lären hat
(§ 9 ÖGDG ) .
Auch d a s I n fe k t i o n s s c h u t zgesetz ( l fS G ) b i etet t h e o retisch
d i e Gru n d l age fü r einen s i n nvol l e n Umgang mit der Produ k­
tion von Po rnofi l m e n , we i l es a u s re i c h e n de Ve rh a l t e n s rege l n
fü r H e rste l l e r u n d Darste l l e r e n t h ä l t . Schon der § 3 I fSG
n i m m t d i e Behörden i n d i e Pfl i ch t : ,, I n s besonde re haben die
166 DIE VIREN-LÜGE

nach Landesrecht zuständigen Stellen über Möglichkeiten


des allgemeinen und individuellen Infektionsschutzes sowie
über Beratungs-, Betreuungs- und Versorgungsangebote zu
informieren."
Die Prax i s allerdings sieht anders aus . Weil vor allem No­
Name-Billigproduktionen an einem einzigen Drehtag „im Kas­
ten" sein müssen und die Honorare für die Darsteller dabei
zwischen 400 und 1000 Euro liegen, denkt kaum einer der
Beteiligten über die Kontaktaufnahme der Gesundheitsämter
nach, um sich wie gesetzlich vorgeschrieben aufklären zu las­
sen.
Forscher Kerndt stellt heraus: ,,Die Darsteller berichten,
dass sie ohne Kondom arbeiten müssen - oder den Job verlie­
ren." Und selbst wenn sie vorab einen durchgeführten Test
nachwei sen, sagt das aus medizinischer Sicht so gut wie
nichts aus . Denn die Untersuchungen erfassen mei st nur ei­
nen oder wenige Erreger. Zudem gewähren sie aufgrund der
sehr hohen Sexfrequenz der Darsteller keine Garantie, dass
sich der Getestete zwi schenzeitlich nicht doch angesteckt
hat.
Das Beispiel Hepatiti s zeigt aber auch: Bestimmte sinnvol­
le Strategien gegen den Erreger sind schon länger etabliert
- funktionieren jedoch vorwiegend in den reichen Ländern
der westlichen Welt. So hat die Weltgesundheitsorgani sation
WHO bereits 1991 eine Impfempfehlung gegen Hepatitis B für
Kinder und Jugendliche sowie für R i sikogruppen ausgespro­
chen. In Deutschland zählt die Impfung seit 1995 zu den Stan­
dardimpfungen, die von der Ständigen Impfkommission (STI­
KO) des Robert Koch-Instituts für Säuglinge, Kinder und Ju­
gendliche empfohlen wird. Trotz der ausführlich geschilder­
ten, fragwürdigen Besetzung des Gremiums der STIKO mit
Professoren, die auch im Dienste der Pharmaindustrie ste-
Exot i s c h e Kra n k heiten u nter u n s 167

h e n , ersche i n t d i e E mpfeh lung, sich gegen H epatitis B i mp­


fen zu lasse n , s i n nvol l . Traurig, dass d i e Wortmeldungen des
RKI i n Sachen I mpfung überhaupt h i nterfragt werden m üs­
sen - doch die bestehenden I n te ressen konfl i kte e i n iger der
M i tglieder der STIKO haben s i e an G l aubw ü rdigkeit e i n bü­
ßen lass e n .
Aus d iese r Perspektive betrachtet, e rscheint der Schaden,
den die Pharmabranche durch die Jagd nach Profiten um j e­
den Preis anrichtet, noch e i n mal i n e i n e m ganz anderen Licht.
M i l l ionen von M e nschen verl ieren das Ve rtraue n und stehen
selbst jenen I mpfstoffe n s keptisch gegenüber, deren Nutzen
von Ä rzten aufgrund jahrz e h n telanger E rfah rung als evident
angesehen w i rd . Wei taus d ramatischer als der gen e re l l e Ver­
trauensverlust i n d i e I mpfstoffpol i t i k der Vorzeigebehörde ist
die Polarisi e rung der Gesel lschaft. Auf der e i n e n Seiten ste­
hen die unerm ü d l i chen I mpfstoffgegner, die - durchaus zu
Recht - auf Verfeh lungen und Feh l e n tscheidungen der Ge­
sundheitspo l i t i k h i nweise n , auf der anderen die vehemente n
Befürworter, d i e , ebenso gerechtfertigt, auf d e n Nutzen vieler
Vakz i n e zeige n . Dazwischen befi ndet sich d i e bre i te Masse
der Bevö l kerung, d i e i n erster L i n i e den Ä rzten der Republ i k
vertraut - u n d d i e Docs berufen s i c h w iederum auf I nstituti­
onen wie das RKI, auf wen auch sonst? Auf allen Seite n
he rrscht Ve runs icherung, welchen Forschungsergebn issen
und E mpfeh lungen zu trauen ist - und d i es hat un l iebsame
Folge n .
So testeten M e d i z i n e r v o r ü b e r 25 Jahren einen e rsten I mpf­
stoff gegen H epatitis B ( H BV ) . Vor e i n igen Jahren m e l deten
Forscher i n Taipeh eine erstaunliche E i genschaft des Vakz i ns :
Die Spritze schien - n e b e n dem schützenden Effekt gegen das
Vi rus - auch e i n e n späteren Ausbruch von Leberk rebs zu ver­
h i ndern. Anders als bei der P romotion der I mpfstoffe gegen
1 68 D I E V I R E N-LÜ G E

Schweinegrippe im Jahr 2009 hatten die Daten aus Taiwan, wo


bereits im Jahr 1984 alle Neugeborenen die immunisierende
Impfung gegen H BV erhalten hatten, Bestand.
Mei-Hwei Chang von der Pädiatrischen Klinik des Natio­
nal Taiwan University Hospital in Taipeh informierte nahezu
ein Vierteljahrhundert später die internationale Mediziner­
gemeinde über die Folgen der Aktion - und über eine beacht­
liche Entdeckung. Mehr als 2000 Patientendaten, schrieben
die Autoren um Chang im Fachblatt Journal of the National
Cancer Institute am 16. September 2009, 98 ließen vor allem ei­
nen Schluss zu: Die bei Geburt verabreichte Impfung gegen
HBV lässt die Leberkrebsrate bis zum Erwachsenenalter deut­
lich sinken. Chang untersuchte die Patientendaten von 2000
Menschen, bei denen zwischen 1983 und 2004 ein Leberkrebs
diagnostiziert wurde und die zum Zeitpunkt der Diagnose zwi­
schen sechs und 29 Jahre alt waren. 64 Fälle ließen sich der
Gruppe der H BV-Geimpften zuordnen, immerhin 38 Millionen
Patientenjahre dienten hierbei als statistische Basis. Bei den
nichtgeimpften Krebskranken traten die Tumore hingegen in
80 Millionen Patientenjahren in 444 Fällen auf - eine erheb­
lich höhere Rate als in der HBV-Vakzin-Gruppe. Patientenjahre
sind übrigens das Produkt aus der Anzahl der Patienten mul­
tipliziert mit der Anzahl der Tage der Tabletteneinnahme. Ein
Patientenjahr entspricht per Definition 365 Dosen - egal, über
welchen tatsächlichen Zeitraum diese aufgenommen wurden.
Dass der gegen HBV gerichtete Impfstoff eine spätere Le­
berkrebsentwicklung hemmt, belegen Chang zufolge auch
weitere Beobachtungen, wonach jene Patienten, die zu weni­
ge Dosen der Mehrfachimpfung erhielten, ebenfalls öfter an
Leberkrebs erkrankten.
„Die Daten lassen vermuten, dass die HBV-Immunisieru ng
über einen Zeitraum von über 20 Jahren hepatozellulären
Exot i s c h e K ra n k h e i t e n u n t e r u n s 1 69

Krebs verhindern kann", folgert Chang. ,,Die Hepatitis-B-Imp­


fung hat die Zahl der hepatozellulären Krebserkrankungen
bei den unter 30-Jährigen um 69 Prozent gesenkt", jubelte
nur einen Tag nach der Publikation auch das Deutsche Ärzte­
blatt.
Tatsächlich müssten die Studienergebnisse aus Taiwan
hierzulande zu einer Neubewertung der HBV-Impfung füh­
ren. Noch scheint man jedoch davon weit entfernt, wie ein
exemplarischer Blick auf die Empfehlungen der Landesärzte­
kammer Sachsen zeigt. Die nämlich besagen am Tag drei
nach den spektakulären Ergebnissen aus Taipeh, dass Ärzte
auch gefährdete Kinder impfen sollten - und konzentrieren
sich auf altbackene Binsenweisheiten. ., In allen Fällen wird
die so post partum begonnene Grundimmunisierung nach ei­
nem Monat durch eine 2. Injektion und 6 Monate nach der
ersten Injektion durch eine 3. Injektion von aktiver HBV-Vak­
zine komplettiert", schreibt dazu die Landesärztekammer,
und: ,,Nach Abschluss der Grundimmunisierung ist eine se­
rologische Kontrolle erforderlich: H Bs-Ag-, Anti-HBs-, Anti­
H Bc-Bestimmung. "
In puncto Leberkrebs bleibt das Vakzin ein weißer Fleck
auf der medizinischen Online-Landkarte, wie der genaue
Blick auf die Empfehlungen im September 2009 attestierte.
Dass Kinderärzte trotz langsam mahlender gesundheitspo­
litischer Verwaltungsmühlen trotzdem nicht vor einem un­
lösbaren Problem stehen, verdanken sie einem anderen As­
pekt. Die Grundimmunisierung gegen HBY erfolgt, wie wei­
ter oben beschrieben, in Deutschland seit 1995 bereits bei
Säuglingen zusammen mit anderen Standardimpfungen in
mehreren Schritten. Zudem werden die Impftermine übli­
cherweise bei der Vorsorgeuntersuchung U3 festgelegt, die
Kinder erhalten also, wenn auch aus anderen Gründen, die
1 70 DIE VI REN-LÜGE

nützliche Yakzinfracht. E i n z i g die Aufklärungsarbeit


müsste sich seit dem 16. September 2009 in
Kinderarztpraxen ändern: Als positive Nebenw i r kung steht
seitdem die potenziel­le Leberk r ebsprävention auf dem Plan.
Neue u n d w i ederkehrende Seuchen werden u n s
demnach in Zukunft verstärkt beschäftige n , viele Erreger
galten i n Eu­ropa als l ä ngst besiegt oder einfach als
exotisch. Der Vorstoß vollzieht sich unauffä l l i g, aber
unaufhaltsam. D i e sen Gefah­ren s i n d die Menschen
zunehmend ausgesetzt - M i t tel dage­gen scheinen n i c ht
profitabel zu sein und s i n d daher für die große Masse der
Bevö l kerung auch n i c h t i n S i c ht.
KAPITEL S E C HS

Wa ru m Gehei mdienste Vi ren fü rchten


und I m pfstoffhersteller frohlocken
Über das Ende des Terrorchef Osama bin Laden werden His­
toriker in Zukunft streiten, und was in der Nacht zum 2.
Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad tatsächlich geschah,
könnte für immer ein Mysterium bleiben. Leider steht jedoch
zu vermuten, dass der von der Terrororganisation AI-Qaida
bestätigte Tod bin Ladens kaum das Ende der konventionel­
len Anschläge einleiten wird - und den Beginn der terroris­
tischen Bedrohungen durch Viren kaum zu stoppen vermag.
Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des neuen Millenniums
rücken Viren ins Visier der Seuchenforscher, weil sie die In­
dustrienationen aus zweifacher Hinsicht bedrohen. Zum ei­
nen, indem sie humane Erkrankungen auslösen können, de­
nen nur mit viel Aufwand und Mühe beizukommen ist. Zum
anderen, weil sie, wie Seuchenforscher Griot uns darlegte,
die Basis für den für Laien nahezu unbekannten Agroterro-
1 72 D I E V I R E N-LÜ G E

rismus darstellen. Ein einfaches Szenario, das wir i m Folgen­


den kursiv darstellen möchten, zeigt exemplarisch die reale
Bedrohungslage auf. Gänzlich aus der Luft gegriffen ist dabei
nur ein Aspekt: der Zeitraum, den wir willkürlich auf 2015
datieren. Die im Szenario vorkommenden Ereignisse können
sich hingegen jederzeit so ereignen - und ließen sich kaum
vermeiden. Es ist also ein Blick in die Zukunft aus der Pers­
pektive des Danach - und was wir erkennen, sind verheeren­
de Folgen der viralen Agroterrorattacken, die auf uns zukom­
men könnten.
Der größte terroristische Anschlag seit 9/11 traf die USA 2015
in Form einer Wurst. Obwohl die Kontrollen der Transportation
Security Administration ( TSA) selbst bei Brustkrebspatientinnen
keine Ausnahmen gestatteten und Sicherheitsbeamte jeden Pas­
sagier unbarmherzig filzten, blieb die Salami im Rucksack des
Bioterroristen unbemerkt. Nahezu zeitgleich passierte rund 6000
Kilometer von New York entfernt eine andere tödliche Fracht
die Grenzen der Europäischen Union. Über die Route Türkei ­
Bulgarien-Rumänien- Österreich gelangten kontaminierte Kä­
selaiber nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden.
Weil Frachtpapiere und Ladungen der LKW übereinstimmten und
auch sonst keine Hinweise auf eine terroristische Bedrohung
vorlagen, winkten Zollbehörden die Fah rzeuge von Grenze zu
Grenze durch.
Über die Einreise aus Kanada schleusten wiederum weitere
Mitglieder des Terrorkommandos biologisch verseuchte Ware in
die USA . Zwar war der Import von Lebensmitteln streng verbo­
ten. Doch im Zeichen von 9/11 achteten Grenzbeamte noch im­
mer primär auf Verstecke für Sprengsätze und zwangen sogar
Kleinkinder zur Abgabe ihrer gefüllten Trinkflaschen vor dem
Einchecken in den Urlaubsflieger. Die Kontrolle von Würsten
und Käse handhabte man eher lax. Ein fataler Fehler.
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l o c k e n 1 73

Denn nur wenige Tage nach der Ankunft der brisanten Fracht
gingen bei den Seuchenbehörden in Washington, London und
Berlin erste Meldungen über den Ausbruch der gefürchteten
Maul- und Klauenseuche ein, wenig später meldeten alarmierte
Landwirte den schnellen Rückgang ihrer Tierbestände infolge
der Blauzungenkrankheit. Betroffen waren schlagartig Frank­
reich, der Mittlere Westen der USA und Großbritannien. Nur
zehn Tage nach der konzertiert ausgeführten bioterroristischen
Attacke verhängten Länder außerhalb der EU und der USA ei­
nen Importstopp gegenüber landwirtschaftlichen Erzeugnissen
der kontaminierten Regionen - die westlichen Industrienationen
standen damit vor einem ökonomischen Desaster.
Noch s i n d derartige Szenarien n i cht eingetroffen, und doch:
Der sogenan nte B i o- und Agroterrorismus, bei dem V i ren ge­
zielt gegen Nutztiere eingesetzt werden, ste l l t e i n n icht zu
unterschätzendes R i s i ko dar. I m J a h r 2007 m usste der in d i e­
sem Werk m eh rfach zitierte Schwe izer V i rol oge C h r i stian
Griot nach E ngland re isen, wei l dort d i e M a u l- u nd K lauen­
seuche ( M KS ) ausgebrochen war. Als M i tglied des Unte rsu­
chungsteams sol lte Griot vor a l l e m e i n e Frage klären helfen:
Handelte es sich bei den I n fektionen der britischen Nutztier­
bestände u m d i e Folgen eines b ioterroristischen Angriffs?
„Bei diesem Au sbruch hat man e i n terroristisches Ereign i s
ernsthaft i n E rwägu ng gezoge n " , e r i n nerte s i ch Griot später
i m Gespräch mit den Autoren d ieses Buches: ,,I m Laufe der
Untersuchu ngen haben wir es dann j edoch mit Besti mmth e i t
ausschl ießen könne n . "
Tatsäch l ich b ieten Viruserk rankungen bei T ie r e n, zu de­
nen sowo h l M K S a ls auch d i e Blauzungen krankheit zählen,
Terroristen ungeahnte Mögl i chkeite n . Der Schaden wäre i m
Fal l e i n e r mass i ve n Attacke enorm. A l l e i n i n England ging
man 2007 von Verlusten in Höhe von zehn b i s 20 M i l l ionen
1 74 D I E V I R E N-LÜ G E

Euro aus - pro Woche. Dabei sind solche Summen noch lange
nicht das Ende der Fahnenstange, denn Imageschäden und
einbrechende Tourismuseinkünfte setzen nach einem Viren­
befall den Volkswirtschaften ebenfalls zu.
Die industrialisierte Tierproduktion ebnet jedenfalls Ter­
rorkommandos den Weg zum ultimativen Anschlag. So dra­
matisch und verheerend die Ereignisse vom 11. September
2001 auch waren - verglichen mit einem bioterroristischen
Super-GAU würde man 9/11 als eher harmlose Variante in Er­
innerung behalten.
Schon die genaue Erkennung der potenziellen Erreger er­
weist sich als erhebliches Problem, wie der Ausbruch der
Blauzungenkrankheit im August 2006 offenbarte. Zwar ge­
lang Wissenschaftlern die genaue Bestimmung des Serotyps
des Blauzungenkrankheits-Virus (BT). Nach Angaben des
EU-Referenzlabors im englischen Birbright handelte es sich
um den sogenannten Serotyp 8. Doch Virologen zeigten sich
trotz des vermeintlichen Erfolgs höchst beunruhigt: Von 24
verschiedenen BT-Serotypen war die ominöse Nummer 8 bis
dahin noch nie in Europa festgestellt worden.
Vielmehr galt Serotyp 8 als ausschließlich in Südafrika
heimisch. Die englischen Labordaten zeigten jedoch, dass das
in Europa isolierte Virus eine frappierende Ähnlichkeit mit
seinen Verwandten aus der Sub-Saharagruppe aufwies. Für
europäische Veterinärmediziner war das eine ebenso katast­
rophale Botschaft wie für Landwirte, deren Tierbestände nun
befallen wurden. Denn das Virus wies „ keine Ähnlichkeit mit
BT-8-Impfviren auf", wie uns Griot erklärte.
Gleichwohl war der Serotyp 8 kein Unbekannter. In den
1980er Jahren wiesen Forscher den Erreger in der Karibik
nach, nach 1994 verschwand er allerdings von der Bildfläche.
Erst im Sommer 2006 meldete Algerien einen spektakulären
Wa rum G e h e i m d i e n ste Viren fü rchten - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h locken 1 75

Ausbruch der Blauzunge n k rank h e i t . D i e an sich obligatori­


sche Best i m m u n g des Serotyps b l i eb im n ordafr i kan ischen
Lan d j edoch aus. Auf welche Weise der E rreger nach E uropa
e ingeschleppt wurde, bleibt bis heute e i n Rätsel. Speku l i e rt
w i rd i n solchen Fäl l e n stets über den Transport kontam i n i e r­
ter Ware via Fl ugzeug, Lastwagen - oder über den T i e r i m­
port. G r i ot warnte allerdi ngs schon damals vor zu g roßen
H o ffnungen in Sachen Aufklärung: ,,V i e l leicht w i rd man das
n i e herausfi nden." 99
Tierseuchen gefä h rden n i cht n u r e i nzelne Land w i rte i n i h­
rer Existen z - s i e ste l len e i n e Gefah r für d i e gesamte Eu ropä­
ische U n i o n dar. So verwundert es n i cht, dass d i e E U-Kom­
m ission bere i ts 2006 Maßnahm e n z u r Kontrol l e u n d Ausrot­
tung der Blau z u n genseuche beriet, nachdem Deutschland
und Belgien den Ausbruch der V irus k ran k h e i t gem e ldet hat­
ten . Acht R i nderhöfe u n d e i n Schafbestand in der Region u m
Aachen/Düren waren damals v o n dem V i rusbefall betroffe n .
I n der belgischen Prov i n z L iege wurde die K ran k h e i t i n i ns­
gesamt elf Schafs herden nachgewi esen .
Von d e r Öffe n t l i chkeit werden solche Ausbrüche kau m re­
gistriert, n u r selten berichte n Medien ausfü h rl ich über d i e
Themat i k . Dabei s i n d die Folgen der Kontami nati o n e n erheb­
l i c h . So errichteten beide Länder Sperrzonen von 20 K i lome­
tern u m d i e i n fi z ierten Höfe, als Reak t i o n auf den Ausbruch
der Blauzungenkrank h e i t in den N iederlanden übernah men
Deutsch land und Belgien zudem eine Schutzzone mit e i ner
Ausde h n u n g von 1 0 0 K i l ometern u n d eine Überwachu n gszo­
n e von 1 5 0 K i lometern. Zum Vergleich: Rund zwei Wochen
nach dem atomaren Super-GAU im japanischen Atom reaktor
Fukus h i ma betrug d i e Sperrzone lediglich 20 K i lometer. Ge­
wiss, fü r S i cherheit garantiere n ke i n e der beiden Maßnah­
m e n , doch vergleicht man , was natürlich problematisch ist,
1 76 DIE VIREN-LÜGE

die Reaktionen auf Atom-GAU und Virenausbruch, scheinen


Behörden die winzigen Erreger fast mehr zu fürchten. Sind
Nutztierseuchen wie auch BSE einmal auf dem europäischen
Kontinent angekommen, regiert die Panik.
Dabei handelte es sich bei dem Auslöser der Blauzungen­
krankheit, dem Schafsfieber-Virus, um einen nicht anstecken­
den Erreger bei Wiederkäuern. Tatsächlich wird der Winzling
nur durch Insekten übertragen, zudem ist der Erreger für Men­
schen absolut ungefährlich. Selbst der Verzehr von Fleisch­
oder Milchprodukten, die von infizierten Tieren stammen,
birgt keine Ansteckungsgefahr. Der eigentliche Grund dafür,
dass Behörden reagieren, ist, dass sich die für Menschen harm­
lose Seuchenvariante als wirtschaftliches Desaster erweist.
Wo die Tierkrankheit wütet, hört das normale Leben für den
Menschen auf. Landwirte, deren Lobby in der EU noch groß
ist, sind von den Seuchenschutzmaßnahmen besonders hart
betroffen, weil der normale Tagesablauf kollabiert. So müssen
sämtliche Tiere innerhalb einer 20-Kilometer-Sperrzone rund
um den infizierten H of während der Nacht in ihren Ställen
bleiben, jeglicher Transport ist ohnehin verboten. Was hilft, ist
der Einsatz von Insektiziden - und der ist sogar vorgeschrie­
ben, um den Überträger des Virus, eine Milbe, auszurotten.
Weitaus dramatischer sind die Einschnitte infolge der Maul­
und Klauenseuche. Schon vor einem Jahrzehnt forderte die
UN-Organisation Food and Agriculture Agency (FAO) die Auf­
stellung eines globalen Planes zur Eindämmung von Tierseu­
chen. Der damalige Generaldirektor der FAO, Jaques Diouf,
warnte vor den Kollateralschäden unserer Zeit: ,,Die Globali­
sierung des Handels führt auch zu einer Globalisierung erns­
ter Epidemien, wie zum Beispiel der Maul- und Klauenseu­
che."100 Lange bevor Bioterrorismus Ministerien und Sicher­
heitsbehörden beschäftigte, galten der illegale Handel mit
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i re n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffherste l l e r fro h l o c k e n 1 77

Vieh oder Viehprodukten als Risikofaktor. Gleich sieben von


insgesamt elf Fällen der Maul- und Klauenseuche, die in Eu­
ropa zwischen 1991 und 1999 registriert wurden, hatten illega­
le Importe zur Ursache. Zwar ist die Maul- und Klauenseuche
für den Menschen ebenso ungefährlich wie die Blauzungen­
krankheit, aber anders als diese ist MKS höchst ansteckend.
Die Infektion auch nur eines einzigen Tieres kann Landwirte
ruinieren - der Viehbestand ist im Fall einer Ansteckung
praktisch wertlos.
Bioterroristische Bedrohungsszenarien gehören zum fes­
ten Bestandteil der WHO. 2003 stellte die Organisation erst­
mals Richtlinien für den Fall eines Bioterrorangriffs auf die
Lebensmittelindustrie westlicher Länder vor. Die Publikation
mit dem Titel „Terrorist Threats to Food. Guidance for Estab­
lishing and Strengthening Prevention and Response Sys­
tems" wurde 2008 neu aufgelegt und ist seitdem im Internet
für jedermann zugänglich. Das Dokument richtet sich an Ge­
sundheitsbehörden und an die Industrie. Es schlägt Maßnah­
men für den Notfall vor. Entwickelt worden ist es von Fach­
leuten aus Australien, Deutschland, Irland, Japan, Russland,
Spanien, Großbritannien und den USA. Mit dabei waren auch
Expertengremien der EU und der Welternährungsorganisati­
on FAO. Die mediale Offensive begründete die W H O damit,
Regierungen und Behörden bei der Errichtung von Schutz­
maßnahmen gegen die Verbreitung von sogenannten „Food­
borne Agents" unterstützen zu wollen.
Erreger der MKS oder Blauzungenkrankheit stellen in ers­
ter Linie die landwirtschaftlich starken Industrienationen vor
Probleme und könnten aufgrund der leichten Einschleusung
der Erreger zur terroristischen Virenwaffe der kommenden
Jahre avancieren. Wirtschaftliche Schäden enormen Ausma­
ßes wären die Folge, nur: Das wäre noch lange nicht alles.
1 78 D I E V I R E N-LÜ G E

Der WHO zufolge verursachen Erreger, die sich über die Nah­
rung des Menschen verbreiten, mehr als 1,5 Millionen Todes­
opfer weltweit. Die WHO rechnet aber mit weitaus schlimme­
ren Folgen im Fall eines terroristischen Angriffs mit Biowaf­
fen. ,,Das Risiko sollte ernst genommen werden", heißt es
dazu in einer entsprechenden Mitteilung der Weltgesund­
heitsorganisation.
Um welche Dimensionen es geht, zeigen ein paar Beispiele
aus der Vergangenheit. 1991 erkrankten in Schanghai rund
300.000 Menschen nach dem Verzehr von gedämpften Venus­
muscheln an Hepatitis A. Auf welche Weise der humane Erre­
ger die Muscheln kontaminiert hatte, ist weiterhin unklar,
seitdem gilt der Fall als größte lebensmittelinduzierte Viren­
kontamination in der Geschichte der Menschheit. Weitaus
harmloser, aber als bioterroristische Attacke dokumentiert,
war die Infektion einer amerikanischen „Salad Bar" mit dem
Erreger Salmonella typhimurium durch eine religiöse Sekte,
die 1984 auf diese Weise die Kommunalwahlen aufmischen
wollte. Mehr als 71 Menschen erkrankten an Salmonellen.
Zwar handelte es sich bei diesem Angriff um Bakterien, den­
noch gilt die Aktion als Paradebeispiel eines politisch moti­
vierten bioterroristischen Anschlags.
Die politische und wirtschaftliche Bedeutung von Lebens­
mittelkontaminationen haben Terrorkommandos, vermutlich
aus den Reihen der PLO, schon 1978 erkannt, als Zitrusfrüch­
te aus Israel mit Quecksilber geimpft wurden, um den Außen­
handel des Landes massiv zu schaden. 1989 wiederum kam
es in den USA und Kanada zu einer groß angelegten Rück­
rufaktion von chilenischen Grapefruits, nachdem in einigen
Proben tödliche Zyanide nachgewiesen worden waren. Der
Schaden bezifferte sich auf Hunderte Millionen US-Dollar,
nach Angaben der Welternährungsorganisation FAQ ruinier-
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffherste l l e r fro h l o c k e n 1 79

te die bioterroristische Attacke über 100 Produzenten u n d


Liefe ranten der beliebten Früchte.
Die Au swirk u ngen eines v i renbedingten Angriffs auf die
Lebensm ittelversorgu ng wären ve rheerend. Pan i k , Pleiten,
sogar soziale Unruhen stehen auf der Li ste der Folgeerschei­
nu ngen, die der W H O-Bericht akribisch aufzählt. Tückisch an
solchen Attacken wäre nicht nur d i e u n m ittelbare I n fektion
von Tau senden Menschen - i n e rster Linie würde die aufkom­
mende Unsicherheit den Handel international zum Kol labie­
ren bringen u n d i n den betroffenen Ländern das j ewei l i ge Ge­
sundhei tssystem lahmlegen .
Wen n das die eher harm lose Variante des globalen B ioter­
rorismus i st - wie sähe erst das Worst-Case-Szenario aus?
Die Antwort auf diese Frage zu fi nden, fäl l t leicht: Die Gefa h r
von Terroranschlägen mit Pocken-Vi ren und i h ren Verwand­
ten i st nach Meinung von Medizi nern seit J a h ren u ngeahnt
hoch und gilt al s wahrsch e i n l ich ste Version der fi nalen B io­
terrorarch itektu r. A l s Wendepunkt i n der Betrachtungsweise
des Bioterrorismus gilt dabei der 1 1 . September 2001 , a l s S i­
cherheitsdienste konstern i e rt festste l lten, w i e wen i g die b i s
dah i n geltenden Terrorabweh rstrategi en i m Fal l ei nes An­
griffs taugten. Während die Welt über Monate h i nweg Bi lder
von den e i n stürzenden Towern des Wo rld Trade Center zu
sehen bekam u n d amerikan i sche Streitkräfte m i t Segen der
NATO i n Afgha n i stan e i nm arsch ierten, sch m i edeten V irolo­
gen erste Pläne gegen bioterroristische Angriffe. N ur wen i ge
Wochen nach 9/11 errichtete das Berl iner R K I die I n formati­
onsstelle des Bundes für B i ologische Sicherhe it ( I BB S ) . 101 Die
E i n richtung sollte Laien und Experten als Anlaufste l l e die­
nen, u m „ Ä ngste u n d Unsicherheit zu reduziere n " , wie e in
Papier des RK I den Zweck der E i n richtung beschrieb. 102 Welch
große Pan i k i n der Bevö l kerung herrschte, e rkannten die Ex-
180 DIE VIREN-LÜGE

perten anhand der Anrufe. Rund 200-mal pro Tag mussten


die Hotline-Mitarbeiter Fragen beantworten, hinzu kamen
mehr als 400.000 Seitenaufrufe der Website des RKI allein im
Oktober 2001.
Neben dem IBBS gründete die Bundesregierung das Zent­
rum für Biologische Sicherheit (ZBS), es sollte gewisserma­
ßen die Kommandozentrale im Fall eines bioterroristischen
Angriffs sein. Weil in den USA nach 9/11 Briefe mit Milz­
brand-Erregern versendet worden waren, sollte das am R K I
angesiedelte ZBS Postsendungen analysieren, ,,die an Berli­
ner Bundeseinrichtungen sowie an Botschaften und Konsula­
te in Berlin versandt worden sind", wie der damalige Präsi­
dent des RKI, Reinhard Kurt, beschrieb.
Zu den Aufgaben des ZBS zählte zudem die Überwachung
der gefährlichsten „ Kategorie-A-Erreger": Viren und Bakteri­
en, die extrem ansteckend, tödlich und vor allem leicht aus­
zubringen sind.
Tatsächlich liest sich die Liste der Katagorie-A-Erreger wie
das Who is Who der tödlichen Biogefahren, Viren sind darin
gleich mehrfach vertreten:
• A Variola major/Pocken (Viren)
• A Bacillus anthracis/Haut- oder Lungenmilzbrand (Bakte-
rien)
• A Yersinia pestis/Beulen- oder Lungenpest (Bakterien)
• A Clostridium botulinum/Botulismus (Bakterien)
• A Francisella tularensis/Tularämie (Bakterien)
A Viren der hämorrhagischen Fieber/hämorrhagisches
Fieber (Viren)
ur ein Jahr später stellten Virologen auf einer NATO-Konfe­
renz in Istanbul ein Dokument zusammen, das seitdem unter
dem Kürzel AV STC/MT (02) in den elektronischen Archiven
des Deutschen Bundestags lagert. Verfasst von „ Kerstin" und
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoff h e rste l l e r fro h l o c k e n 1 81

ohne weitere Angaben über den eigentlichen Autor versehen


listet das vertrauliche NATO-Papier die wesentlichen Proble­
me bei der Vermeidung von bioterroristischen Angriffen auf.
Das Originaldokument liegt uns ebenso wie die genaue Ar­
chivadresse des Deutschen Bundestags vor. Die Lektüre ist
lohnenswert.
So heißt es in Punkt 49 des Dokuments:

,, Die Möglichkeit von Angriffen mit Bio- oder Chemiewaf­


fen und die unzähligen denkbaren Erreger, die in Waffen
gegen unschuldige Opfer verwandelt werden könnten, ha­
ben die Besorgnisse der politisch Verantwortlichen deut­
lich gesteigert ...
Die Bedrohung durch biologische und chemische Waf­
fen stellt die Vorbeugung mit physischen oder technischen
Mitteln vor große Sch wierigkeiten. Für chemische und bio­
logische Stoffe gibt es zahlreiche unbedenkliche Anwen­
dungen in der Industrie, der wissenschaftlichen Forschung
und der medizinischen Therapie. Krankheitserreger und
Toxine lassen sich aus natürlichen Quellen wie Tieren oder
dem Boden gewinnen. Ein physischer Schutz vor extrem
tödlichen Stoffen ließe sich in Laboratorien oder Militär­
einrichtungen verwirklichen, wo ihr Vorhandensein und
ihre Verwendung bekannt und gesetzlich erlaubt sind.
Technologien ähnlich denen, die für den Umgang mit
Kernwaffen und Nuklearmaterial vorgeschlagen werden,
könnten von Nutzen sein. Damit wäre aber nicht das Prob­
lem gelöst, wie sich verhindern lässt, dass chemische und
insbesondere biologische Waffen in die Hände von Terro­
risten gelangen.
Die gegenwärtigen Biowaffendetektoren sind weit weni­
ger effektiv als Chemiewaffendetektoren und können nie-
182 DIE VI REN-LÜGE

manden warnen, bevor die betreffende Person eine tödli­


che Dosis eines biologischen Kampfstoffs erhalten hat. "103

Käme es zu einem bioterroristischen Angriff, wäre die rasche


Erkennung der Erreger die einzige Chance, eine Katastrophe
zu vermeiden. Nur ein Jahr nach 9/11 erkannten die USA, wo
das eigentliche Problem liegt: Die Inkubationszeit der Viren
verhindert im Alltag eine Kontrolle der Virusträger. Noch
heute sind Sicherheitsbehörden an Flughäfen überfordert,
wenn es um das Einschleusen einer Virenfracht geht. High­
tech-Nacktscanner mögen Bomben am Körper detektieren
ein im Körper des Passagiers schlummerndes Virus würden
die Geräte in keiner Weise aufspüren. Was bleibt, sind zag­
hafte Versuche, die Erreger in der Luft zu erkennen. So setzte
die Forschungs- und Entwicklungsschmiede der US Army,
Defense Advanced Research Project Agency (DARPA), auf das
Tissue Based Biosensors Program. Seitdem gelten sogenann­
te „ Lab-on-a-Chip"-Technologien als geeignet, um wenigstens
über Luftmessungen einige Erreger zu erkennen. Das
NATO­Papier aus Istanbul offenbarte jedoch bereits 2002 die
Schwä­chen solcher Ansätze beim Einsatz gegen Bakterien:
,,Die Ge­nauigkeit kam bisweilen zu kurz, als zum Beispiel
einige Ge­bäude, die sich später als sicher erwiesen,
milzbrandpositiv getestet wurden und umgekehrt."
Gleichzeitig legte das Posi­tionspapier in Punkt 51 fest:
,,An weiteren technologischen Fortschritten wird
gearbei­tet, um verschiedene biologische und chemische
Bedrohun­gen bekämpfen zu können, so z. B. Pocken,
Lungenpest, tödli­che Gase und sogar das Ebola- und das
Marburg-Virus."
Der Kampf gegen bioterroristische Attacken führte zuwei­
len zu abstrusen Maßnahmen. Nur wenige Wochen nach den
Anschlägen vom 11. September 2001 tauchten in den USA mit
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoff h e rste l l e r fro h l o c k e n 1 83

Milzbrand-Erregern kontaminierte Briefe auf. Die Angst vor


dem Bakterium Anthrax ist berechtigt. Seine fatale Wirkung
beruht auf dem Zusammenwirken von gleich drei Giften: EF
(Ödemischer Faktor), LF (Letaler Faktor) und PA (Protektives
Antigen). Vor allem LF zerstört die weißen Blutkörperchen
des befallenen Organismus, wer von den Bazillen infiziert
wird, stirbt in den meisten Fällen einen qualvollen Tod. Aller­
dings handelt es sich beim Erreger Bacillus anthracis nicht
um ein Virus - trotzdem empfahl der damalige Bürgermeister
von New York, Rudolph Giuliani, New Yorks Bewohner auf,
,,sich gegen Grippe impfen zu lassen, damit sie bei ihrer Win­
tergrippe nicht gleich an Milzbrand dächten", wie das NATO­
Papier attestiert.
Keine funktionierenden Detektionssysteme, kein Plan. Punkt
53 der NATO-Positionen zeigt auf, wie hilflos die Hightechnati­
onen einer bioterroristischen Welle gegenüber stünden - prak­
tisch die gesamte medizinische Versorgung käme zu Erliegen,
weil Ärzte auf derartige Vorfälle nicht vorbereitet sind. ,,Die
Milzbrandfälle beschworen das Gespenst einer umfassenden
Krise der Gesundheitsversorgung herauf, bei der nicht spe­
ziell geschulte Ärzte eine Flut von Patienten behandeln müs­
sen, die einem bioterroristischen Anschlag zum Opfer gefallen
sind", resümieren die Experten des westlichen Militärbünd­
nisses die Crux mit den Erregern. 104
In einer beachtenswerten Analyse stellte die Unterneh­
mensberatung Frost & Sullivan bereits 2001 die Frage, wie gut
das Gesundheitssystem in den USA auf die Bedrohung durch
Bioterrorismus und seine möglichen Konsequenzen reagieren
könnte. 105 Dabei kamen die Analysten zu dem Schluss, dass
die Abwehrstrategien über Jahrzehnte hinweg auf den Angriff
mit chemischen Waffen ausgelegt waren - an Attacken mit
winzigen Erregern hatte offensichtlich niemand gedacht. ,,Die
1 84 DIE VIREN-LÜGE

Bio-Detektionssysteme sind dagegen noch neu und unerprobt,


sie eignen sich deshalb nicht für einen flächendeckenden Ein­
satz", meinte damals Dorman Followwill, Vice President
Healthcare bei Frost & Sullivan, und fügte zum Schrecken der
Sicherheitsbehörden im gleichen Atemzug hinzu: ,, Mit den
meisten bisher verfügbaren Systemen lassen sich zwar Erd-,
Wasser- und Blutproben oder auch andere Substanzen analy­
sieren. Aber für die Verbreitung von Biogiften über die Luft
gibt es nur wenig geeignete Detektoren."
Während der Weltöffentlichkeit ein Kampf gegen den Ter­
rorismus mit allen nur erdenklichen Mitteln vorgespielt wur­
de, rechneten die Analysten noch akribisch die Belastungen
des Haushalts vor. Das größte Hindernis seien die Kosten,
m onierte die Studie unverhohlen, die Sum me von bis zu
20.000 US-Dollar pro Detektion erschien vielen politischen
Entscheidungsträgern zu hoch. Neben der Erkennung der Vi­
ren erwies sich die Behandlung der Infizierten als weiterer
Schwachpunkt der Antibioterror-Strategie. Das kühle Kalkül
des Papiers: ,,Um nach einer Attacke mit Pocken-Viren inner­
halb von drei Wochen eine gesamte Stadt behandeln zu kön­
nen, wären 36,4 Millionen US-Dollar für Impfstoffe nötig."
Bioterrorszenarien lassen bei allen drohenden Kosten je­
d och keinen politischen Entscheidungsträger ungerührt.
Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem sol­
chen Anschlag kom mt, gering ist - auf derartige Warnungen
nicht reagiert zu haben, wäre politischer Selbstmord. Gewin­
ner dieser Situation sind zweifelsohne, ebenso wie damals,
die Pharmakonzerne. Denn die Branche tut genau das, was
die leicht panischen politischen Entscheidungsträger von ihr
erwarten. Was das ist, erklärte Frost & Sullivan 2001 in ei­
nem Satz: ,,Sie investiert derzeit verstärkt in Forschung und
Entwicklung im Bereich Impfstoffe, wie man am Beispiel der
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l oc k e n 1 85

Bayer AG erkennen kann, die gerade ein Abkommen mit der


kanadischen Regierung getroffen hat." Tatsächlich zählt Bay­
er zu den Gewinnern der Angst vor dem Bioterror. Bayer ver­
pflichtete sich, ,,die kanadische Bevölkerung im Fall eines ter­
roristischen Angriffs mit bakteriologischen Waffen innerhalb
von 48 Stunden mit dem Antibiotikum Ci pro'" zu versorgen",
wie die Analyse von Frost & Sullivan beschrieb. Auch wenn es
sich hierbei um ein Antibiotikum und somit um den E insatz
gegen Bakterien handelt, der Blick auf diesen Fall lohnt alle­
mal. Denn Bayers Taktik gleicht dem Vorgehen von GlaxoS­
mithKline, Novartis & Co. beim Ausbruch der Schweinegrip­
pe. Das Prinzip ist das gleiche: Konzerne verpflichten sich im
Fall des Falles zur Lieferung des rettenden Medikaments ge­
gen den Erreger X - und lassen sich dafür von den entspre­
chenden Staaten über Verträge - die von Klauseln zu ihrem
Vorteil nur so wimmeln - fürstlich entlohnen. Bedeutender
noch als der Abschluss eines einzelnen Vertrags ist die Eta­
blierung der Wirkstoffe im Bewusstsein der Entscheidungs­
träger. So sprach die US-Gesundheitsbehörde FDA im Janu­
ar 2004 Bayer für weitere sechs Monate die exklusi ven Ver­
marktungsrechte an Ci pro " zu, das zu dem Zeitpunkt das um­
satzstärkste Medikament des Konzerns war. Allein im ersten
Halbjahr 2003 hatte Bayer mit dem Medikament nach eige­
nen Angaben 779 Millionen Dollar (628 Millionen Euro) um­
gesetzt. Das Präparat war in den USA erstmalig 1987 zugelas­
sen worden. Der Clou: Infolge der FDA-Regelung durften in
den USA auch nach Ablauf des Patents noch bis zum 9. Juni
2004 „keine nicht genehmigten Nachahmermedikamente des
Breitbandantibiotikums auf den Markt gebracht werden", wie
das Unternehmen in Leverkusen mitteilte. Wer einen direk­
ten Zusammenhang zwischen panischer Politik und der lu­
krativen Patentverlängerung herstellt, begibt sich mal wie-
1 86 DIE VIREN-LÜGE

der auf j uristisch gesehen dünnes Eis: Die FDA habe die Ver­
längerung nach Vorlage klinischer Daten zur Antibiotikabe­
handlung von Kindern gewährt, teilte Bayer im Jahr 2004 mit.
Die Angst der Menschen vor dem großen Bioterrorangriff
dominiert die politischen Entscheidungen, und nach wie vor
gilt die Meinung, wonach genetisch veränderte Supererreger
Tausende von Menschen auf einen Schlag töten könnten.
Ausgerechnet die großen Erfolge der Impfstoffpolitik erwei­
sen sich dabei als schweres Manko der Bioterrorismusprä­
vention. Beispiel Pocken: Seitdem die Seuche als weltweit
ausgerottet gilt, haben die Industrienationen darauf verzich­
tet, ihre Bevölkerung flächendeckend impfen zu lassen. Das
Gros der Deutschen ist daher seit 1977 ohne Impfschutz ge­
gen das Orthopoxvirus variola.
Das renommierte International Journal of lnfectious Disea­
ses (IJID) publizierte jedoch eine Analyse mit unmissver­
ständlicher Kernaussage: ,,Die meisten Biowaffenexperten
glauben, dass die Herstellung von Pocken-Viren im großen
Maßstab nur mit hohem Aufwand möglich ist. Aber es gibt
Belege für das Gegenteil." 106 Auf über 40 Seiten berichten
Fachleute aus aller Welt über die aktuelle Sicherheitslage
und weltweite Bedrohung durch Pocken-Viren. Eine Attacke
sei lediglich eine „Frage der Zeit". Die weitaus größte Zahl
der deutschen Biotechlabors befindet sich in privater Hand,
der Schutz bleibt mangelhaft. Welches Labor an welchen Pro­
jekten arbeitet, lässt sich mühelos im Internet herausfinden
- einem bewaffneten Überfall oder Einbruch haben die Jung­
unternehmen meistens nichts entgegenzusetzen.
Zudem lassen sich wichtige Materialien als „ Rohstoffe" per
Katalog bestellen; der Versand erfolgt an Universitäten, Insti­
tute und Briefkastenfirmen gleichermaßen. Was im Rahmen
des Betäubungsmittelgesetzes bei Rauschgiften funktioniert
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l o c k e n 1 87

die Übermittlung der Bestelldaten an die Polizeibehörden


greift bei biologischen Materialien nicht unbedingt. Noch vor
einigen Jahren war man weitaus sorgloser. Deutschland sei
gegen einen möglichen terroristischen Anschlag mit dem Po­
cken-V irus gut gerüstet, beteuerte damals der Präsident des
Robert Koch-Instituts, Reinhard Kurth, auf dem siebten Kon­
gress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Berlin.
Bis Anfang 2004 wolle man 100 Millionen Impfstoffdosen parat
haben. Damit könne, rein rechnerisch, jeder Bundesbürger
den lebensrettenden Schutz gegen die Erreger erhalten. Im
Bedarfsfall, erklärte der RKI-Chef dem versammelten Fachpu­
blikum, könne innerhalb von vier bis fünf Tagen die gesamte
Bevölkerung der Bundesrepublik geimpft werden. Im Ernstfall
kämen die Vakzine jedoch vermutlich zu spät zum Einsatz,
J
wie die Publikation im JJD 107 kurze Zeit später verdeutlichte.
Denn ein gezielter Angriff mit Pocken ist mit vielen Unwäg­
barkeiten verbunden. Die Erkrankung würde nicht plötzlich,
sondern schleichend einsetzen, da von der Infektion mit den
Viren bis zum Ausbruch der Krankheit ein Zeitraum von sie­
ben bis 19 Tagen liegt. In Zeiten schier grenzenloser Mobilität
wäre dadurch ein Eingrenzen der Infektion auf Gebiete, die
Terroristen mit einem Anschlag besonders treffen möchten,
praktisch unmöglich. Schon der Einsatz „eines einzigen inter­
national tätigen, infizierten Terroristen", wie Ken Alibek vom
US-amerikanischen ational Center for Biodefense an der
George Mason University in Manassas, Virginia, die humane
Angriffsvariante schilderte, würde „Tausende von Opfern kos­
ten". Setzten Terrorkommandos gar Sprengkörper mit darin
enthaltenen Pocken-V irenlösungen ein, reduzierte sich auf­
grund der hohen V irenkonzentration die Ansteckungszeit von
maximal 19 auf nur noch drei Tage - eine weitere Horrorvor­
stellung für jeden Seuchenbekämpfer.
188 DIE VIREN-LÜGE

Dass derartige Szenarien keinesfalls aus der Luft gegriffen


sind, belegt ein Blick in die Geschichte. Schon im 14. Jahrhun­
dert bewahrten die Tataren die blutigen Körpersäfte von Po­
cken-Opfern gut verschlossen auf, um sie bei Belagerungen
gegen ihre Gegner einzusetzen. Auch während der Erobe­
rung des nordamerikanischen Kontinents durch die Franzo­
sen zwischen 1754 und 1767 setzte der Kommandant des Fort
Pitt auf die Macht der Erreger: Er ließ Decken an die Indianer
verteilen, mit denen sich zuvor Pocken-Kranke eingehüllt
hatten. Die anschließend ausgebrochene Epidemie löschte
,,über 50 Prozent der infizierten Indianerstämme aus", so Ali­
bek. 1 08
In den 1930er Jahren des vergangenen Jahrhunderts schließ­
lich starteten sowjetische Forscher ein Biowaffenprogramm
mit Pocken-Viren, das bis zum Ende der Sowjetunion bestand.
Dabei setzten sie bis 1960 Hühnerembryos als „ Brutstätte" für
die Viren ein, erst Ende der 1980er Jahre gelang die Produk­
tion der tödlichen Erreger im technischen Maßstab mithilfe
sogenannter Bioreaktoren. Im Dezember 1990 schließlich wa­
ren die Versuche mit dem 630 Liter umfassenden Reaktor so
weit optimiert, dass die sowjetische Armee die Biowaffen als
einsatzreif erachtete.
Was bis zum Ende des Kalten Krieges eine militärische Be­
drohung auf Staatenebene war, erweist sich heute als bioterro­
ristische Gefahr. Vor allem die Tatsache, dass sich Pocken­
Viren extrem leicht gentechnisch verändern lassen, stellt Seu­
chenbekämpfer vor ernsthafte Probleme: Die zurzeit vorhan­
denen Viren als Muster für entsprechende Vakzine wären im
schlimmsten Fall wirkungslos.
Die Erreger verfügen nämlich über eine besondere Eigen­
schaft: Sie bauen in ihr eigenes Erbgut ohne größere Proble­
me Fremd-DNA ein. So gelang schon den sowjetischen For-
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i re n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l o c k e n 1 89

schern die „Verschmelzung" von Pocken-Viren mit der Erb­


substanz der gefürchteten Ebola-Viren, wie die IJID-Veröffent­
lichung dokumentiert. ,,Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor
dieses Wissen in die Herstellung eines neuen Pocken-Super­
virus münden", warnt Alibek und: ,,Der Rubikon ist über­
schritten." 109
Die Machtlosigkeit der europäischen Sicherheitsarchitek­
tur im Fall eines biologischen Terrorangriffs lässt sich am Bei­
spiel des Milzbrand-Erregers exemplarisch aufzeigen, auch
wenn es sich hierbei um Bakterien handelt.
Die europäische Seuchenbehörde ECDC erwartete im Herbst
2010 in den Ländern der EU unter Heroinkonsumenten weite­
re Opfer infolge einer mit Milzbrand-Erregern kontaminierten
Drogenlieferung. Bis dahin waren allein in Großbritannien 47
Menschen infiziert worden, 16 davon starben. Einen Todesfall
gab es auch in Deutschland. Der erste Kontaminationsfall trat
bereits im Dezember 2009 in Aachen auf, als eine mit Milz­
brand-Erregern infizierte Heroincharge zum Einsatz kam. Für
Ermittlungsbehörden erwies sich der Fall als besonders bri­
sant: Nahezu zeitgleich, aber bisher ohne erkennbaren Bezug
zu Deutschland, traten auch in Schottland letale Heroindosen
auf, die über sieben Menschenleben forderten. Experten rech­
neten daraufhin mit bis zu 50 Toten infolge der Heroinkonta­
mination. Auch wenn die Zusammenhänge nach wie vor un­
geklärt bleiben: Mit Anthrax verseuchtes Heroin könnte für
westliche Länder tatsächlich eine neue Form des Bioterroris­
mus darstellen - sein Ursprung wäre vor allem in Afghanistan
zu suchen, das trotz der Anwesenheit der NATO-Truppen als
globaler Marktführer der Heroinproduktion gilt.
Allerdings wäre die Anthrax-Spur generell schwer zurück­
zuverfolgen und würde keinesfalls zwangsläufig zu den Dro­
genclans in Afghanistan führen - zumal die von wirtschaftli-
1 90 DIE VIREN-LÜGE

chen Motiven und nicht von politischen angetrieben werden.


Die im Jahr 2001 in den USA per Post verschickten tödlichen
Milzbrand-Erreger stammten ebenfalls nicht aus dem Nahen
oder Mittleren Osten, sondern nach Meinung vieler Ermittler
aus einem Labor der US-amerikanischen Biodefense. Die Rat­
losigkeit der Ermittlungsbehörden verdeutlicht die Crux mit
dem Bioterrorismus: Spuren lassen sich bestens verwischen,
die Wege der Erreger sind kaum nachvollziehbar.
Pannen in H ochsicherheitslaboren belegen zudem, dass es
eine 100-prozentige Sicherheit nicht gibt. Nach der schon be­
schriebenen Kontamination einiger Labore mit den potenziell
tödlichen Vogelgrippe-Erregern H5N1 durch den Pharmakon­
zern Baxter, passierte in Europa im April 2009 ein zweiter
schwerer virologischer Unfall: In Frankreich wurde ein Labor
der Lebensmittelbehörde Agence francaise de securite sani­
taire des aliments (Afssa) mit dem Anthrax-Erreger infiziert,
fünf Labormitarbeiter befanden sich danach in Quarantäne
und Isolation. Das betroffene Anthrax-Labor zählt zum Cen­
tre national de reference charbon (CNR charbon) und ist im
renommierten Institut Pasteur untergebracht. Detailliertere
Informationen seitens der französischen Behörden gab es
dazu nicht. Ob als Biowaffe oder „nur" in Form der Tierseu­
che - Anthrax ist eine ernst zu nehmende Bedrohung.
Die Herstellung von genetisch geänderten Viren ist keines­
falls so schwierig, wie sich mancher Laie vorstellen mag - vo­
rausgesetzt, man arbeitet in einem H ochsicherheitslabor und
verfügt über die entsprechende kriminelle oder terroristische
Energie. Zwar ließe sich der Vorstoß der neuen Terrorerreger
durchaus mithilfe von neuen Vakzinen stoppen, doch deren
Herstellung bringt eben nur bei einem Massenmarkt den
Blockbuster-Gewinn. Weil Staaten einerseits die Impfstoffe im
\otfall schnell benötigen, andererseits nicht immer auf Ver-
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n fürchten - u n d I m pfstoffh e rste l l e r fro h l o c k e n 1 91

dacht und Vorrat beziehen wollen, setzen die Beteiligten auf


eine weitere Form der Zusammenarbeit: die mit militärischen
Einrichtungen. Die minutiöse Erforschung von neuen Mitteln
gegen Viren wird nämlich umso lukrativer, je mehr Gelder
aus dem Etat des Verteidigungsministeriums zur Verfügung
stehen. Militärische Forschung, vermarktet über die Pipelines
der Pharmaindustrie? Kaum eine Facette der Arzneimittelent­
wicklung fällt in der Öffentlichkeit so wenig auf, aus verständ­
lichen Gründen. Das Image der biologischen Militärforschung
vermögen selbst die besten Kreativagenturen nicht aufzupo­
lieren. Spätestens seit dem Märchen um Saddams geheime
Biowaffen hat sich im Bewusstsein der Menschen das Bild der
menschenfeindlichen, geheimen Forschung in verborgenen
Laboren der Armee eingebrannt - Laien zu erklären, warum
ihr Pillenhersteller Gelder aus dem Verteidigungsetat eines
Landes bezieht, wäre auch für den besten PR-Berater eine
kaum zu meisternde Herausforderung.
Doch Gelder des US-Militärs erreichen mittlerweile selbst
die deutsche Pharmaszene. So erhielt beispielsweise die in
Martinsried ansässige MorphoSys AG über ihre Geschäftsein­
heit AbD Serotec einen Auftrag für ein Projekt „im Bereich
des Schutzes vor biologischen Waffen" vom U.S. Army Medi­
cal Research Institute of Infectious Diseases (USAMRIID). 1 10
Die militärische Organisation ist eine Abteilung für medizini­
sche Forschung und Ausrüstung des US-Heeres unter Leitung
des Pentagon. Im Rahmen des US-Verteidigungsprogramms
gegen Bioterrorismus forderte das USAMRIID „vollständig­
menschliche, rekombinante Forschungsantikörper gegen fünf
bakterielle Toxine", wie die MorphoSys AG Anfang 2006 mit­
teilte. Unter biologischen Toxinen aus lebenden Organismen
verstehen Fachleute Substanzen, die sich auch als bioterroris­
tische Waffen einsetzen lassen.
192 DIE VIREN-LÜGE

Das lnteresse der Amerikaner am deutschen Know-how


kommt nicht von ungefähr. Anders als die Forschungslabore
des Pentagon verfügen die Martinsrieder Pendants über ei­
nen weltweit einzigartigen Schatz: eine spezielle Antikörper­
bibliothek. Die Biotechspezialisten aus Bayern haben es in
jahrelanger Arbeit geschafft, Millionen von Substanzen zu
untersuchen - und aufzuzeigen, welche Antikörper gegen be­
stimmte „Gifte" wirken. Dabei handelt es sich weniger um
jene Gifte, die Laien in Pilzen oder Insektiziden vermuten -
es geht vielmehr um Viren und Bakterien, Erreger also, die
für den Menschen eine weitaus größere Gefahr bergen als
der Konsum eines Fliegenpilzes. Dieses Wissen ist nicht nur
für die amerikanische Armee von unschätzbarem Wert. Denn
wer mithilfe der Antikörperbibliothek weiß, wo die Schwä­
chen der Erreger liegen, kann Therapien und Medikamente
gegen die Seuchen entwickeln. Grundlage der pfiffigen Tech­
nologie ist ein eigenes Programm, das die synthetische Ent­
wicklung hoch spezifischer und vollständig humaner Anti­
körper erlaubt. Der Vorteil der Methode liegt auf der Hand:
Die Entwicklung von menschlichen Antikörpern gegen toxi­
sche Substanzen rückt in greifbare Nähe.
Die Suche nach Virusgegenmitteln um jeden Preis hat ei­
nen weiteren Grund. Erfolgte der Ausbruch einer Pandemie
infolge eines bioterroristischen Angriffs, könnten weite Teile
des Gesundheitssystems schlagartig kollabieren. Die Folgen
wären unabsehbar. Einer im Fachblatt BMC Public Health ver­
öffentlichten Umfrage zufolge würden lediglich 15 Prozent
der Ärzte bei einer Pandemie ihren Krankenhausdienst an­
treten - aus Angst vor den gesundheitlichen Folgen. Was das
in Deutschland konkret bedeuten könnte, erfuhren Insider
2008. Minutiös bereitete sich die Bundeshauptstadt auf eine
kommende und schwere Grippepandemie vor, die Berliner
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l oc k e n 1 93

Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucher­


schutz aktualisierte den sogenannten „ Rahmenplan Influen­
za Pandemie" . ,,Es gilt als wahrscheinlich, dass es in abseh­
barer Zeit zu einer erneuten weltweiten Influenza-Epidemie
(Pandemie) kommen wird", hieß es damals aus Berlin.
Den Berliner Rettungsplan werden Epidemiologen in Zu­
kunft umarbeiten müssen. Denn nach wie vor berücksichti­
gen nahezu alle Bekämpfungspläne lediglich die Ansteckung
des medizinischen Personals als Ausfallkriterium - ,,medizi­
nische Fahnenflucht" als Risikofaktor blieb bislang auf der
Karte der nötigen Maßnahmen ein weißer Fleck. Womöglich
ein fataler Fehler. Gleich mehrere Publikationen belegen
nämlich, dass weite Teile von Krankenhauspersonal und Ärz­
ten „desertieren" würden, wenn es die Lage erfordere. ,,Scha­
renweise" sei der Exodus der Mediziner in Großbritannien zu
erwarten, stellten die Gesundheitsforscher in den Fachbät­
tern BMC Public Health 111 sowie BMC Health Service Research 112
fest. Auch auf der anderen Seite der Welt kamen Fachleute im
Medical Journal of Australia113 zu ähnlichen Ergebnissen: Al­
lein in den USA blieben im Fall des Falles bis zu 50 Prozent
des dringend benötigten Personals vermutlich zu !-lause,
wenn die Erreger eine große tödliche Bedrohung darstellten.
Somit bedarf es nur wenig Fantasie, um die Folgen eines
bioterroristischen Angriffs mit Ebola-, Pocken- oder anderen
Viren zu erahnen. Klar werden Ärzte zur Stelle sein und Le­
ben retten, auch mitfühlende Krankenschwestern, die sich
um die Infizierten kümmern, doch ist mit erkennbarer Ar­
beitsabstinenz des medizinischen Personals zu rechnen. Die
hat handfeste und vor allem nachvollziehbare Gründe - für
die in erster Linie die gesundheitspolitischen Entscheidun­
gen der jeweiligen Länder verantwortlich zeichnen. Denn
Krankenhauspersonal ist zwar, auch hierzulande, im Fall
194 DIE VIREN-LÜGE

einer Pandemie nach dem Stand der Medizin bestmöglich


geschützt. Krankenschwestern, Ärzte und Hilfskräfte erhal­
ten als erste die nötigen Impfungen, sobald diese verfügbar
sind. Auch verfügen Mediziner, anders als der Durchschnitt
der Normalbevölkerung, über Atemschutzmasken der Klasse
FFP3, die selbst die kleinsten Viren abhalten. Doch Angehöri­
ge von Ärzten und anderen Krankenhausangestellten bleiben
von den Schutzmaßnahmen ausgeschlossen, wie Sarah Dame­
ry von der University of Birmingham kritisiert. Ausgerechnet
das Expertenwissen des Krankenhauspersonals über die Fol­
gen des fehlenden Schutzes der eigenen Familie führe daher
zwangsläufig dazu, dass sie der Arbeit fernbleiben, folgern
die Forscher. Eine Untersuchung am St. John Hospital and Me­
dical Center in Detroit bestätigt diese Annahme. Ärzte, Kran­
kenschwestern und weiteres Hilfspersonal zeigten sich selbst
dann unmotiviert, als ihnen mehr Geld in Aussicht gestellt
wurde - aus Sicht der Wissenschaftler ein klares Indiz dafür,
dass lediglich bessere Schutzmaßnahmen für die Angehöri­
gen zu weniger medizinischen „Deserteuren" führen könnten.
Jenseits der medizinischen Berufe verhält es sich ähnlich,
wie die Neuauflage der Studie „Themenkompass Pandemie
2008" im Auftrag des IMWF Instituts für Management- und
Wirtschaftsforschung und des F.A. Z.-Instituts offenbarte. Da­
rin gehen die Autoren davon aus, dass bei einer Erkran­
kungsrate von 30 Prozent der Gesamtbevölkerung die Hälfte
der Mitarbeiter eines Unternehmens zu Hause bleibt. Im Pan­
demiefall müssten Unternehmen damit rechnen, ,,dass deut­
lich mehr Personal nicht zur Arbeit erscheint, als tatsächlich
erkrankt ist". Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr,
die Betreuung erkrankter Familienangehöriger oder auch
vorsorgliches Fernbleiben vom Arbeitsplatz werden von den
Experten als zusätzliche Risikofaktoren genannt. Dass die
W a r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoff h e rste l l e r fro h l o c k e n 1 95

Angst des Krankenhauspersonals durchaus berechtigt ist, de­


monstriert ein Blick in die jüngste Vergangenheit. Nur weni­
ge Tage nach Ausbruch der Schweinegrippe-Epidemie in Me­
xiko waren bereits 500 Ärzte mit dem Erreger infiziert, wie
Sanchez Arriaga von der mexikanischen Gewerkschaft Natio­
nal Independent Union of Health Workers im April 2009 be­
klagte.

Schutz gegen Biowaffen

Nach wie vor wäre die Bundesrepublik im Fall eines biologi­schen


Terrorangriffs nicht ausreichend auf den Schutz der
Bevölkerung vorbereitet. Dabei stünden bereits heute leis­
tungsfähige Abwehrmaßnahmen zur Verfügung. Zu diesem Fazit
gelangten Forscher des Instituts für Energie- und Um­
welttechnik ( IUTA) an der Universität Duisburg-Essen in ei­ner
im Jahr 2003 publizierten Studie. Danach ließe sich durch
leistungsfähige Überwachungssysteme in öffentlichen Ge­
bäuden ein deutlich besserer Schutz gegen Angriffe mit bio­
logischen und chemischen Kampfstoffen erreichen, etwa als
fester Bestandteil raumlufttechnischer Anlagen oder für den
mobilen Einsatz bei Großveranstaltungen. Das IUTA hatte im
Auftrag des NRW-Wissenschaftsministeriums überprüft, in­
wieweit sich verschiedene bereits vorhandene analytische Er­
kennungsverfahren für die kontinuierliche Überwachung der
Raumluft eignen. Der Ergebnisbericht lief über den Nachrich­
tenticker des Informationsdienstes Wissenschaft (idw) und lis­tete
anschließend im Detail auf, ,,wie leistungsfähig die ver­
schiedenen vorhandenen Systeme bereits sind, welche Vor­und
Nachteile sowie welche Entwicklungs- und Kombinati­
onsmöglichkeiten sie haben." 114
1 96 DIE VIREN-LÜGE

Die Erkenntnisse der Experten waren vernichtend. So galt


2003, und somit acht Jahre nach dem Giftgasanschlag auf die
U-Bahn in Tokio, eine Wiederholung als „prinzipiell möglich".
Zwölf Menschen waren 1995 bei dem Anschlag gestorben, Tau­
sende wurden verletzt. 131 Rettungswagen und 1364 Einsatz­
kräfte waren danach im Einsatz115 - dabei gilt das Nervengas,
das bei dem Anschlag verwendet wurde, nicht mal als gefähr­
lichste Waffe im Repertoire von Bioterroristen. Ein Anschlag
mit Viren ließe sich zudem weitaus unauffälliger durchfüh­
ren. Die Fachleute schilderten den Sicherheitsstand der Repu­
blik im Jahr 2003 in düsteren Worten: ,,Bisher wurden techni­
sche Systeme und analytische Methoden zum Nachweis bio­
logischer und chemischer Kampfstoffe vorwiegend für den
militärischen Anwendungsfall sowie für die unbeabsichtigte
Freisetzung derartiger Stoffe bei der Produktion und Entsor­
gung konzipiert und entwickelt." 116
Für die Spezialisten der Pharmaindustrie sind das gute
Nachrichten. So gab das US-amerikanische National Institute
of Allergy and Infectious Diseases ( NIAID) am 7. Oktober 2010
Investitionen in Höhe von über 68 Millionen US-Dollar für die
Erforschung von drei Impfstoffen bekannt."' Auf der Wunsch­
liste der Amerikaner standen Vakzine gegen Dengue und An­
thrax, die, anders als bisherige Impfstoffe, ohne Injektions­
nadel auskommen oder Pillenform haben sollten. Anders als
die europäischen staatlichen Stellen achten die US-Gesund­
heitsbehörden jedoch darauf, nicht die ohnehin mächtigen
Konzerne zu fördern. Nicht GlaxoSmithKline, Baxter oder No­
vartis und Roche stehen auf der Liste der Subventionierten,
sondern eher regional agierende Biotechspezialisten wie die
kalifornischen Unternehmen PaxVax, Inviragen und Emer­
gent Biosolutions. Nie davon gehört? Für die US-Regierung
stellt die Unbekanntheit der innovativen Vakzinschmieden
- - - - --
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l oc k e n 1 97

kein Problem dar, solange die Forschungsarbeit funktioniert.


Und noch etwas unterscheidet die amerikanische Praxis der
Geldvergabe von der deutschen Förderung durch das BMBF:
Bezahlt wird erst bei Erreichen bestimmter „ Meilensteine".
Anders ausgedrückt: Kleine Unternehmen können in den
USA wegen der Sorge um den globalen Bioterrorismus sehr
viel Geld vom Staat erhalten - solange sie das halten, was sie
versprechen.
Mit oder ohne Vakzinerfolg werden sich Reisende mit den
Folgen der globalen Bioterrorismusangst arrangieren müs­
sen. Einreisende Fluggäste an internationalen Flughäfen kön­
nen mittlerweile per Massenscreening mit der sogenannten
Infrarot-Thermografie erfasst werden. Die Methode verspricht
die Erkennung jener Menschen, die an fiebrigen Infektionen
erkrankt sind - noch vor der Einreise in das Zielland. An der
staatlichen Schweizer Materialforschungsstelle Empa in St.
Gallen untersuchten Forscher im Auftrag des Bundesamts für
Gesundheit (BAG) verschiedene Methoden zur berührungs­
losen Infrarotmessung der Hauttemperatur. Im Mittelpunkt
stand dabei die Frage, ob die Infrarot-Thermografie auch im
Alltag geeignet ist, die Körperkerntemperatur eines Men­
schen zu bestimmen. Die Idee zum Massenscreening entstand
mit dem Auftreten der Virusinfektionskrankheit SARS. Alar­
miert durch Medienberichte und Bilder Mundschutz tragen­
der Touristen in Asien suchte auch die Schweiz nach einem
billigen, einfachen Testverfahren, ,,um größere Menschen­
mengen nach Fieberkranken zu durchsuchen", wie die Empa
erklärte. Dass die Methode in Wirklichkeit im Alltag nicht
weit trägt, zeigte sich noch während der Testphase. Zwar lässt
sich die Temperatur mithilfe der Spezialsensoren durchaus
korrekt erfassen, nur: Was sagt das schon aus? Eine harmlo­
se Erkältung, Stress im Alltag, die Monatsregel bei Frauen,
1 98 D I E V I R E N-LÜ G E

v i e l e Faktoren des m e n sch l i ch e n Leb e n s fü h re n z u e i n e r E r­


h ö h u n g d e r Körpe rte mperatur. D i e m e d i e nw i rk s a m e Methode
ü b e rzeugte letzte n d l i c h n i ch t e i n m a l jene Forsch e r, die s i e
testen s o l l te n , w i e d i e E m p a 2 0 0 6 i n e i n e r P ressem i tte i l u n g
u nverb l ü m t zugab: ,, U m e i n e z u große Streu u n g v o n Fakto­
re n , we l c h e d a s E rgeb n i s bee i n fl u s s e n kön n e n , zu verm e i d e n ,
w u rde fü rs E rste a u f F r a u e n u n d ä l te re Person e n verz i chtet."
Den noch kamen T h e r m ografi e s c a n n e r wä h re n d der Schwei­
negri ppe-Pa n d e m i e zum E i n satz. M it u n te r ein Beleg fü r tei l s
i r rat i o n a l e H a n d l u ngen a u s A n gst v o r d e n u n s i chtbare n E r­
rege r n . Was m e d i e nw i rk s a m e i n e gew i s s e S i c h e r h e i t an F l ug­
h ä fe n vortä u s c h e n s o l l , o uteten d i e Schwe i z e r Forsch e r a l s
w i s se n s c h a ft l i c h e n N o n s e n s - trotzdem steht d i e Tech n i k fü r
a n d e re Se u c h e n parat.
B i oterro r i s m u s e rweist s i ch d e m n ach als Motor der A ngst,
die die Fa n t a s i e d e r Te rro r i s m u sbekämpfer und P h a r m a h e r­
ste l l e r g l e i c h e r m a ß e n beflügelt. Ob n e ue W i rk stoffe gege n Vi­
ren oder I n frarot-Therm ografen z u r F i e b e r m e s s u ng, d i e Pal et­
te der Ideen sch e i n t u n e rschöpfl i ch . Staatl iche Forsc h u n gsgel­
der fü r den Schutz d e r Bevö l ke r u n g stre i c h e n U n te rn e h m e n
ge rn e e i n . N o c h s i n nvo l l er, a l s d i eses G e l d i n d i e E n t w i c k l u n g
vo n M e d i k a m e n te n gegen E r reger - v o n d e n e n m a n z u m Te i l
n i cht we i ß , o b s i e z u r pande m i s c h e n Gefa h r werden kö n n e n
- u n d Mes sgeräte z u stecke n , wäre der sorgsa m e Umgang, d i e
Ko nt rol l e u n d Ü be rwach u n g d e r V i re n i n den S i c h e r h e i t s l a­
bors der U n te r n e h m e n . Doch gen a u das, atte s t ie re n D o k u­
m e n te des a m e r i k a n i schen Reprä s e n t a n te n h a u s e s , i st a u sge­
rec h n et in den U SA n i cht der Fa l l .
I n e i n e r Beschwe rde d e s U . S . Gove r n m e n t Acc o u n ta b i l ity
O ffi ce (GAO) w i e s der C h e fw i ssen sch a ft l e r des C e n te r fo r
Tec h n o l ogy a n d E n g i neeri ng, App l i e d Research a n d Methods
a u f eine m a rk a n te S i ch e rh e i t s l ü cke nach den A n s c h l äge n des
Wa r u m G e h e i m d i e n ste V i r e n f ü r c h t e n - u n d I m pfstoffh erste l l e r fro h l o c k e n 1 99

11. September 2001 hin: und zwar in den Labors der sogenann­
ten Sicherheitsstufe BSL-3 und BSL-4 - unter die Kategorie
BSL-4 fallen jene Einrichtungen, in denen mit den gefähr­
lichsten Viren der Erde experimentiert wird. 118 Nach Zusam­
menbruch des Ostblocks kam es auch in den USA zu einer
Umwandlung vieler militärischer Biowaffenanlagen in zivile
Forschungspendants, die Einteilung in BSL-1 bis BSL-4 blieb
dabei erhalten. Heute befinden sich die ehemaligen Bundes­
einrichtungen, die entweder der zivilen Seuchenschutzbe­
hörde CDC oder dem militärischen Forschungsarm der US­
Army unterstanden, größtenteils in privater Hand - und wer­
den von keiner zentralen Stelle mehr kontrolliert. ,,Keine ein­
zige Bundesbehörde hat die Aufgabe, die Gesamtzahl der
BSL-3 und BSL-4 Labors zu erfassen", monierte der Bericht
die skurrile Situation. Mit anderen Worten: Obwohl in BSL-
4-Gebäuden mit Ebola- und Pocken-Viren gearbeitet wird,
weiß niemand, wie viele solche Orte in den USA existieren
und wo genau sie eigentlich liegen. Mindestens 143 private,
487 akademische und 458 bundeseigene BSL-3 und BSL-4-La­
bors sollen es laut GAO-Bericht mindestens sein - vielleicht
aber auch deutlich mehr, wer kann das schon wissen? Be­
kannt ist allenfalls eine Liste von globalen Virenpannen, die
das uns vorliegende US-Bundesdokument GA0-08-108T 119 ak­
ribisch aufzählt.
Die Texas A&M University (TAMU) versäumte es, der Seu­
chenschutzbehörde CDC Expositionen mit hoch pathogenen
Erregern zu melden, in Großbritannien kämpfte das Örtchen
Pirbright mit Erregern der Maul- und Klauenseuche, die ver­
sehentlich aus einem BSL-4-Labor entwichen waren, der Phar­
makonzern Baxter kontaminierte gleich vier Labors in Europa
mit tödlichen Vogelgrippe-Erregern. Selbst bei der CDC trat
das ein, was spätestens seit dem Reaktorunglück im japani-
200 DIE VIREN-LÜGE

sehen Fukushima auch von der Öffentlichkeit als Auslöser


von Katastrophen wahrgenommen w ird: Der Strom fiel aus,
ohne dass andere S icherungssysteme greifen konnten. Ob sol­
cher Fakten stellt sich die Frage, warum Regierungen M illio­
nen für die Entwicklung von antiviralen M itteln gegen Erre­
ger ausgeben, deren Ü berwachung sie nicht ernsthaft genug
betrei ben. Besser ausgestattete Ü berwachungsbehörden und
mehr Personal wären die Garanten dafür, dass es zu einem
massiven bioterroristischen Angri ff nicht kommen kann. Ge­
netisch veränderte V iren oder Ebola- und Pocken-Erreger las­
sen sich nämlich nicht in Katalogen oder bei Ebay bestellen.
Wer dam it hantiert, arbeitet in einem BSL-4-Labor. Bi oterro­
ristische Angri ffe könnten daher von dort aus starten.
Was zunächst wenig wahrscheinlich klingt, geschah i m
Jahr 2001 nur eine Woche nach 9/11. Heute gilt der FBI-Fall
,,Amerithrax" offi ziell zwar als gelöst, der einzige Tatverdäch­
tige kann keinen Aufschluss mehr geben, er starb i m August
2008 an einer Ü berdosis Schlaftabletten. Verschwörungsthe­
oretiker sehen darin einen Beweis, dass Insider als Bedro­
hung für die Allgemeinheit infrage ko mmen. Aus virologi­
scher Sicht stellt sich jedoch die Kernproblematik ganz an­
ders dar: Woher die Erreger stam men, ist im Katastrophenfall
zweitrangig - aber eine Garantie, dass keine tödlichen Erre­
ger aus Laboren entweichen, wird es nie geben können.
KAPITEL S I E B EN

Vorwa rn ung statt Hysterie


Die Nachrichten aus Asien kommen erst tröpfchenweise,
dann nimmt die Flut der gemeldeten HSNJ-Infektionen beim
Menschen exponenz iell zu. Nach wenigen Wochen gerät die
Lage außerhalb jeglicher Kontrolle - der Erreger der Vogel­
grippe ist nicht nur zu einem humanen V irus mutiert. Er ver­
breitet sich dank globaler Reisemöglichkeiten, ohne dass
Ärzte noch eingreifen können. So ähnlich könnte sich die ex­
plosionsartige Expansion einer H5Nl-Seuche tatsächlich er­
eignen - oder doch nicht? Sind derartige Szenarien reine Pa­
nikmache, oder entsprechen sie dem tatsächlich möglichem
Worst Case?
Um solche Fragen nur kurze Zeit nach Ausbruch einer Vi­
rusepidemie zu klären, setzen Fachleute seit geraumer Zeit
auf einen sensationellen Trick: Anhand von Computerbugs,
also eingespeisten Programmfehlern, und deren Ausbreitung
in virtuellen Spielwelten sollen die kommenden Seuchen in
Schach gehalten werden.
202 DIE VI REN-LÜGE

Dass vor allem Online-Rollenspiele zum Tool für Mediziner


avancieren, zeigten amerikanische Forscher unlängst im Fach­
blatt The Lancet Jnfectious Diseases mit ihrer viel beachteten
Publikation „The Untapped Potential of Virtual Game Worlds
to Shed Light on Real World Epidemics". 120 Virtuelle Welten
bieten das, was die Realität erst im Horrorfall zutage bringt:
Millionen von Usern, die sich anstecken lassen - hier natür­
lich vollkommen gefahrlos. Zwar gibt es für Epidemiologen
aufwendige Simulationsprogramme, mit deren Hilfe der Ver­
lauf einer Seuche prognostiziert werden kann. Diese sind im
Vergleich zu den virtuellen Welten aber nicht in der Lage, das
soziale Verhalten der Menschen vorauszusehen. In der virtu­
ellen Realität hingegen tummeln sich User, etwa bei Second
Life, und legen alltagsähnliches Verhalten an den Tag: Bei Se­
cond Life interagieren sie mit anderen, lieben, küssen, konsu­
mieren und verreisen wie im realen Leben. Das sind auch jene
Eigenschaften, die Seuchen im realen Dasein zum Durchbruch
verhelfen. Damit sind Computer-Games ein Segen für die Pro­
gnosen von Epidemiologen.
,, Indem wir diese Spiele als unberührtes, experimentelles
Bezugssystem nutzen, könnten wir vielleicht einen tieferen
Einblick in die unglaubliche Komplexität der Epidemiologie
ansteckender Krankheiten in sozialen Gruppen erhalten", er­
klärten dazu Nina Fefferman von der Tufts School of Medici­
ne in Boston und ihr Kollege Eric Lofgren gegenüber dem
Computerfachblatt c't.
Tatsächlich sind sogenannte Massively Multiplayer Online
Role-Playing Games ( M MORPGs) , zu denen das bekannte
Spiel World of Warcraft zählt, in dem Spieler Städte, Infra­
struktur und ganze Welten erschaffen, eine globale Dreh­
scheibe für die potenzielle Seuchenverbreitung. Der Clou: In
World of Warcraft auftretende Programmfehler nehmen je-
Vo rwa r n u n g statt H yste rie 203

nen Ver l a u f, den auch echte Seuchen im rea l ex i s t i e re n d e n


L e b e n favo r i s i e re n - w e i l d i e S p i e l e r o n l i n e ebenso n a c h l ä s­
s i g agiere n , w i e s i e es i m A l l tag t u n .
D i e M a c h t der B i ts & Bytes fü r d i e S i m u l a t i o n von Seu­
chen progn osen n u tzen auch T übi nger Forsch e r - ga n z o h n e
G a m e s , a b e r n a h e a m rea l e n Gesch e h e n . So g i l t d i e ge netische
Ve r m i s c h u n g des Vogelgri ppe-V i r u s H 5 N l mit dem h u m a n e n
I n fl u e n z a-Vi ru s zwar a l s u nwah rsch e i n l i ches, aber ke i n e s fa l l s
u n mögl i c h e s P h ä n o m e n . K ä m e e s tatsäch l i ch d a z u , l i eße s i ch
der S i m u lator l nterS i m , der d i e Ausbre i t u n g v i ra l e r Seuchen
i m Voraus berechnet, s e h r sch n e l l a n d i e heute noch n i cht
bekannten E i ge n s c h a ften des neuen E r regers anpassen. Die
Bed i e n u n g des S i m u l ators ist e i n fa ch . Über v i rt u e l l e Sch iebe­
reg l e r kön n e n E p i d e m i o logen die j ewe i l s vorh a n de n e n Daten
e i ngeb e n . Das System e rste l l t daraus Kurve n d i ag ra m m e und
eine anschau l i che F l ächendarste l l u n g, d i e das v i s u a l i s i ert,
was der E rrege r i n e i ner au sgewä h l te n Bevö l ke r u ngsgru ppe
a n r i chtet. A n ha n d der vom Computer a u fgezeigten Ve rbrei­
tu ngswe i s e von I n fl uenza & C o . l i e ßen s i ch auch u n te r e n o r­
men Zeitdruck s e h r sch n e l l rea l e Notfa l l p l ä n e erste l l e n , m e i ­
n e n d i e Forscher.
G e n a u d a m i t l i egen s i e j edoch womögl ich fa l s c h , w i e e i n e
s i m u l i e rte E p i d e m i e i n d e r O n l i n e-S p i e l va r i a n te befü rc h te n
l i e ß . A l s n ä m l i c h vor d re i J a h re n d e r Betre i b e r i n Wo rld of
Warcraft ein Update ins Netz ste l lte, k a m e s z u e i n e r u n ge­
wol l ten I n fe k t i o n m i t e i n e r v i rt u e l l e n , a n stecke n d e n K ra n k­
h e i t . D i eses „vers e u c h te B l u t" geriet d u rch e i ne n Program­
m i e rfe h l e r in die gesa m te G a m e-C o m m u n i t y und i n fi z i e rte
dort u n z ä h l ige F i g u ren - von denen d a n n ebenso v i e l e v i rt u e l l
ve rstarbe n . W a s sch l i e ß l i c h d i e M e d i z i n e r a l a r m i e rte, war e i n
b i s dah i n n ic h t bekan nter Mecha n i s m u s : Selbst r i g o ro s e Qua­
rantänestrategien und Vo rsorge m a ß n a h m e n brachten ke i n e
204 D I E V I R E N-LÜ G E

Besserung der Lage - erst das Ausschalten der Serve r stoppte


d i e fü r d i e Spielcharaktere letale Epidemie.
Angesichts der feh lenden Mögl i c h ke i te n , d i e Bevö l kerung
vor dem Ausb ruch n euer V i re n zu schützen, setzten Fach l eu­
te auf wei te re, ä h n l iche Taktiken: Ausgekl ügelte Computer­
program me, ä h n l ich wie I n terS i m , sollen d i e Ausbreitungs­
gesch w i n d i gkei t der Seuchen s i mu l i e re n , nachdem d i e ersten
Erkran kungsfä l l e pub l i k geworden s i n d . M i t Computermo­
dellen kön n e n W issenschaftler Prognosen über d i e wah r­
sche i n l iche Streuung der V i re n treffe n , um so rechtzeitig und
am rechten Ort vorbereitet zu s e i n .
Jean Pascal Zanders , ehemal i ge r Forscher am B i oWeapons
Prevention Project in Genf, h i e l t Anfang des n euen M i l len­
n iums be ispielsweise das E U-we i te Früh warnsystem RAS­
B I C HAT fü r gee ignet, wen i gstens rechtzeitig e i nen Ausbru ch
e i n e r n euen Seuch e zu ve rmelden : ,, Es fun k t i o n i ert an s i eben
Tagen d i e Woche, rund um d i e U h r. " Das i m Jah r 1998 e i nge­
richtete Alarmsystem d i e n te zur Beobachtung auch anderer
I n fektionsk ran khei ten .
E rlaubt i s t , was d i e Ch ips hergeben - u n d d i e weltwe i t bes­
ten S i mulationen kommen schon s e i t Jah ren aus Baden-W ü rt­
temberg. Tatsäch l i c h sorgte das am I nstitut fü r Med i z i n ische
B i o metrie ( I M B ) der Un ivers i tät Tübi ngen entwickelte S i mu­
lationsverfah ren l n fluSi m , das als naher I T-Ve rwandter des
weiter oben angefüh rten I nterS i m -Program ms gilt, bere i ts
2005 fü r Aufsehen. Denn das Program m berechnet d i e Aus­
bre i tung von Pandemien pun ktuel l - i n Städten und gan zen
Regionen. 2007 startete das Schwe i z e r Bundesam t fü r Ge­
sundheit ( BAG) e i n e Koope rati o n m i t dem Spi n-off des uni­
versitä ren Proj ekts, um den I n flue n za-S i mulator l n fluS i m im
Alpen land e i nsetzen zu kön nen.
E igen t l i c h ist d i e Gesch i chte der V i rensi mulatoren allen-
Vo rwa r n u n g statt Hysterie 205

falls eine kleine Wissenschaftsmeldung wert, denn außer­


halb der Epidemiologen-Community bleiben die meisten Da­
ten unverständlich . Dennoch erweist sich in der Retrospekti­
ve die Zusammenarbeit des Schweizer Bundesamts mit den
deutschen Bioinformatikern als wahrer Glücksfall.
Für Laien mögen die Begriffe verwirrend wirken. InterSim,
InfluSim - wer soll da noch durchblicken? Die Fachwelt hin­
gegen zeigt sich begeistert, denn die Verfahren ermöglichen
erstmals seit Menschengedenken den Blick in die Zukunft ei­
nes Viruserregers. So verwundert es nicht, dass die Jagd
nach immer neuen Simulationstools erst begonnen hat. Die
Programme haben nämlich eine besondere Eigenschaft: Die
Computer spucken mitunter Ergebnisse aus, die in puncto
Seuchengefahr der landläufigen Meinung massiv widerspre­
chen.
Die Tübinger errechneten beispielsweise mit dem Pro­
gramm SimPox, dass der gefürchtete Ausbruch einer Po­
cken-Epidemie in Wahrheit wesentlich ungefährlicher ver­
laufen könnte, als es die Worst-Case-Szenarien der Sicher­
heitsbehörden und Militärs nahelegen. Rund zehn Prozent
der Gesamtbevölkerung verfügt demnach von Beginn an
über eine Restimmunisieru ng, weil Pocken-Impfungen noch
vor einigen Jahrzehnten üblich waren. Zwar wissen Medizi­
ner, dass der Schutz dadurch nicht ewig währt, doch scheint
ein Zehntel aller Menschen gegen den Erreger gut gewapp­
net. Weitere 20 Prozent würden sich zwar mit dem Pocken­
Erreger anstecken und an Pocken erkranken, wären aber als
Überträger des Virus nicht geeignet. Das erstaunlichste Er­
gebnis von SimPox 121 aber ist die Tatsache, dass lediglich
sechs Prozent der Infizierten die Seuche verbreiten würden.
Die Algorithmen entkräften damit keinesfalls die Gefahr, die
von Pocken-Viren ausgeht. Aber sie zeigen: Eine Ausbrei-
206 D I E V I R E N-LÜ G E

tung der Seuche würde wesentlich langsamer verlaufen als


vielfach angenommen - es würde also genug Zeit für die
Umsetzung der medizinischen Pandemiepläne zur Verfü­
gung stehen. Folgt man dieser Logik und glaubt man den
Tübinger Bioinformatikern, gibt es keine ernsthaften Grün­
de, eine Pocken-Hysterie zu schüren. Selbst im Fall eines
bioterroristischen Angriffs wäre, anders als meist vorgetra­
gen, das globale Risiko überschaubar. Auf der Basis dieser
Erkenntnis könnte man die Richtigkeit staatlicher Investitio­
nen in die Erforschung neuer Impfstoffe gegen Pocken wie­
derum hinterfragen. In einer für die Pharmaindustrie wenig
erfreulichen Publikation schilderten die Programmierer im
Fachblatt American Journal of Epidemiology/22 wie wenig ef­
fizient Impfstoffe die Verbreitung der Pocken im Fall eines
unerwarteten Ausbruchs zu bekämpfen in der Lage sind.
Simple Maßnahmen wie eine schnelle Erkennung und die
Isolierung der Erkrankten machen der Studie zufolge den
wesentlichen Anteil des Erfolgs gegen die Pocken aus. Die
Tübinger Programme erweisen sich somit als wertvoller In­
dikator dessen, was tatsächlich kommen könnte.
Allerdings verhält es sich damit ein bisschen wie mit der
weltumspannenden Suchmaschine Google: Niemand außer­
halb der Crew in Mountain View weiß wirklich, wie die Algo­
rithmen lauten, und viele Experten stehen den Suchergebnis­
sen skeptisch gegenüber. Letztendlich aber nutzt die Mehr­
heit der Internet-User eben doch nur diese Suchmaschine,
weil die Trefferliste die besten und vertrautesten Ergebnisse
produziert. Die Simulationsmaschinen aus Tübingen arbei­
ten ähnlich. Man muss kein Bioinformatiker sein, um sie zu
bedienen - als Epidemiologe aber kann man davon ausgehen,
dass die Resultate einen verlässlichen Blick in die Zukunft
bieten.
Vo rwa r n u n g statt H ysterie 207

Während die Pharmaindustrie bei Simulationen mit Den­


guEcon, die wir bereits ausführlich beschrieben haben, in
Fünf-Sterne-Hotels interessierte Vertreter des staatlichen Ge­
sundheitssysteme beobachten kann, dürften die Manager der
Vakzinhersteller auf SimPox gerne verzichten wollen.
Nur wenige Monate, bevor der weltumspannende und um­
satzgenerierende Hype um die Schweinegrippe begann, lie­
ferten die Rechenprogramme keinerlei Indiz für eine Gefahr.
Das offizielle Statement des Schweizer Bundesamts für Ge­
sundheit (BAG) im Juli 2007 - also knapp zwei Jahre vor Aus­
bruch der von der WHO ausgerufenen Pandemie - spricht
für sich: ,,Noch ist kein aktueller Ausbruch einer Pandemie
auszumachen, aber weder über den Zeitpunkt noch über die
Ausbreitungsgeschwindigkeit von Infektionskrankheiten wie
SARS, Pocken und Malaria können bisher auch nur annähernd
exakte Vorhersagen getroffen werden. "
Tatsächlich lieferte das von dem Tübinger Forscher Martin
Eichner und dem Mathematiker Markus Schwehm entwickel­
te Computerprogramm InfluSim keine Hinweise auf drohende
Pandemieverläufe. Zuvor hatte das BAG für den Notfall einen
250-seitigen Influenza-Pandemieplan „gegen eine möglicher­
weise drohende Grippewelle" ausgearbeitet, nun sollte mithil­
fe der Simulationen zeitnah die Situation erfasst werden.
„Was uns fehlte, war ein dynamisches Modell als Werkzeug
zur Notfallvorbereitung", erklärte Jürgen überreich, Co-Leiter
Meldesysteme der Abteilung Ü bertragbare Krankheiten beim
BAG, die Vorzüge des eingesetzten Programms lnfluSim'23
,und: ,,Die Möglichkeit, verschiedene Notfallszenarien 'durch­
rechnen' zu können, stellt zugleich eine große Hilfe für die
Einsatzkräfte in Krankenhäusern und Flughäfen dar - Orte,
an denen Epidemien üblicherweise zuerst identifiziert wer­
den. " Der Run auf computergestützte Simulationsprogramme
208 DIE VIREN-LÜGE

ist enorm. Die südkoreanische Seuchenschutzbehörde KCDC


entdeckte die Tü binger Virenvorschaumaschine im Internet
und nutzt die Software, nachdem die Forscher aus dem Länd­
le das Handbuch ins Koreanische übersetzen ließen.
Der lediglich innerhalb von Fachkreisen bekannte Erfolg
der Tübinger zeigt auf, wie wichtig eine unabhängige univer­
sitäre Forschung ist, um eine vernünftige und interessenkon­
fliktfreie Seuchenprävention zu ermöglichen. Gäbe es frei zu­
gängliche Simulationsprogramme wie SimPox nicht, müss­
ten Behörden und interessierte Laien das ungeprüft überneh­
men, was andere staatliche Stellen, die nun mal leider mit
der Pharmaindustrie verflochten sind, als Fakten präsentie­
ren.
Natürlich sind Simulationsprogramme kein Allheilmittel
und versagen mitunter gerade dann, wenn es darauf an­
kommt. So berechneten US-amerikanische Wissenschaftler
kurz nach Ausrufung der Pandemie durch die Weltgesund­
heitsorganisation WHO für die USA zunächst 4000 Fälle von
Schweinegrippe bis zum 21. Mai 2009. Die von Physikprofes­
sor Dirk Brockmann an der Northwestern University in Evan­
ston entwickelte Methode basierte auf der Vernetzung von
Daten über Reiseaufkommen, Handelswege und andere Ver­
breitungswege des Virus. Eine weitere Simulation hingegen
prognostizierte über 90.000 Erkrankungsfälle, und lag damit
weitaus näher am realen Geschehen. Über die Zahl der zu
erwartenden Todesfälle konnte aber keines der Programme
eine Aussage machen - die Modelle liefern lediglich Hinwei­
se auf die Verbreitungsgeschwindigkeit der Seuchen, mehr
nicht.
Vo rwa r n u n g statt Hysterie 209

Satel l i ten gegen Seuchen

Die Geschichte computergestützter Vorhersagesysteme be­


ginnt mit Anbruch des neuen Millenniums. Bereits im Jahr
2000 machten sich Forscher daran, Wege und Verbreitungs­
geschwindigkeit der Viren zu berechnen. Durch die Kombina­
tion von satellitengestützten Wetterdaten mit Sensormessun­
gen der Erdoberfläche direkt aus dem All wollen seitdem
Me­diziner den Ausbruch virenbedingter Seuchen
vorhersagen. Erste Erfolge in Afrika wurden 2001
verzeichnet. Auch die alljährliche Grippevirenverbreitung
rückte ins Visier der Sa­telliten. Die Signale kommen aus
36.000 Kilometern Entfer­nung, direkt aus dem All. Doch
während METEOSAT-Satelliten Meteorologen das Nötigste für
die nächste Wettervorhersage liefern, verfolgen
Wissenschaftler an der Liverpool School of Tropical Medicine
in Großbritannien ein anderes Ziel: Mithil­fe von Satelliten
sollen die Verbreitung und der Ausbruch le­
bensbedrohender Krankheiten wie Malaria, Aids oder Menin­
gitis ( Hirnhautentzündung) weltweit rechtzeitig erkannt und
vorhergesagt werden.
Ein hehres Unterfangen, das Millionen Menschen das
Leben retten könnte - wenn es nachhaltig gelingt. Tatsächlich
ist der Gedanke, Satellitendaten für epidemiologische
Zwecke und damit als Hilfsmittel für Mediziner gerade in der
Dritten Welt einzusetzen, ebenso einfach wie realisierbar. Die
Idee: Die Ver­breitung vieler Krankheiten erfolgt über ganz
spezielle Wirte, die sogenannten Vektoren. Diese dienen
den Erregern als „Taxi" auf dem Weg zum eigentlichen
„Opfer". Um als Taxi auch wirklich zu funktionieren,
benötigen die Vektoren jedoch ganz bestimmte
meteorologische Bedingungen. Spezielle Sen­soren
registrieren nun die Oberflächen- und Meerwassertem­
peraturen, zeichnen jeden Busch und jedes Anzeichen einer
210 DIE VIREN-LÜGE

Vegetation auf. Aus der Überlagerung des Status Ouo auf der
Erde - also den Satellitenbildern in Echtzeit - und dem vor­
aussichtlichen Niederschlagsverhalten im betroffenen Gebiet
berechnen Hochleistungscomputer schließlich eine digitale
Karte des möglichen Verbreitungswegs der Seuche. Wie sehr
Wetterverhältnisse den Ausbruch von Seuchen steuern, wurde
Epidemiologen spätestens dann klar, als 1998 die sogenannte
ENSO (EI Nino Southern Oscillation) in Nord- und Ostafrika
zu heftigen Regenfällen führte. Gleichzeitig beobachteten Me­
teorologen die Abnahme der Niederschläge im südlichen Teil
des Kontinents. Doch während die Dürre im Süden die Ver­
mehrung von Krankheitserregern nicht begünstigte, kam es
in den Regengebieten Somalia und Kenia zu heftigen Ausbrü­
chen des virusbedingten Rift-Valley-Fiebers, einer für Mensch
und Tier tödlichen Krankheit, die ganze Viehbestände auszu­
rotten vermag. ,,Hätte man die Regenfälle in den entsprechen­
den Gebieten vorhergesagt, wären viele Ausbrüche zu vermei­
den gewesen", hieß es in einer Stellungnahme der Liverpooler
MALSAT-Gruppe, die seit 2001 an den Satelliten-Vorhersage­
systemen arbeitet.
Gerade in den Ländern der Dritten Welt könnten Satelliten
die lebensrettenden Informationen ohne großes technisches
Aufrüsten liefern. Denn die METEOSAT-Daten, der Rohstoff
der Simulationen, sind in ganz Afrika abrufbar - Wetterstati­
onen auf dem gesamten Kontinent beziehen ohnehin die In­
fos aus dem All. Für eine alltagsfähige medizinische Progno­
se reicht der Abgleich von Luft-, Oberflächen- und Wasser­
temperaturen sowie den anstehenden Niederschlägen jedoch
noch nicht aus. Um den geografischen Verlauf einer Epidemie
zu berechnen, müssen die bereits ausgebrochenen Erkran­
kungen genau registriert und, ähnlich den Wetterdaten, im
Computer gespeichert sein. So erscheinen beispielsweise be-
Vo rwa r n u n g statt H ysterie 211

reits gemeldete Krankheitsfälle als winzige Punkte auf der


Computerkarte und markieren damit die „Startpositionen"
der weiteren Erregerreise. Wohin die anschließend führt,
geht aus den Wetter- und GIS-Daten hervor.
Die Idee, Meteorologie mit Epidemien im Zusammenhang
zu bringen, ist so neu nicht. Bereits 1960 gründete die oberste
US-amerikanische Gesundheitsbehörde, die National Institu­
tes of Health, eine Abteilung für Geografische Medizin und
Genetik. Doch die Forschungseinrichtung überlebte nur kurz
- ohne vernünftige Daten aus dem All konnten die vermute­
ten Zusammenhänge nicht oder nur zum Teil nachgewiesen
werden. Erst 1997 publizierte der US-Wissenschaftsrat Natio­
nal Science Foundation (NSF) den Bericht „ Rediscovering
Geography''. Hinter dem trockenen Titel verbarg sich eine Re­
volution: ,,Epidemiologen suchen nach Modellen, die die Ver­
breitung der Erreger durch das Beobachten der Bewegung
ihrer Wirte erklären", erläuterte uns Stephen Morse, Direk­
tor des Programms Wiederkehrende Seuchen an der Colum­
bia University School of Public Health, im Online-Magazin
LifeGen. de die Zusammenhänge. 12•
Im Visier der Satellitenepidemiologen stehen heute eine
ganze Reihe weiterer Seuchen, nicht nur in Afrika. So könn­
ten die Wanderbewegungen von Ebola-, und Hanta-Viren
ebenso berechenbar werden wie etwa die Krim-Kongo-Er­
krankung. Denn allen gemein ist: Ohne geeignete Vektoren
können sie nicht auf den Menschen überspringen - und ohne
optimale meteorologische Voraussetzungen sind die Vekto­
ren nicht lebensfähig.
Ausgerechnet im Kampf gegen die Influenza - das Virus,
das mehr Menschleben fordert als Aids, Hanta und Ebola zu­
sammengenommen - stößt das Verfahren an seine Grenzen.
Die Ausbreitung dieser Seuche vorherzusagen und per Com-
21 2 DIE VIREN-LÜGE

puter zu berechnen, war natürlich schon Ziel der Wissen­


schaftler, lange bevor die Pharmabranche die Hysterie um
Schweine- oder Vogelgrippe schürte. Doch im Vergleich zu
Viren, deren Überträger aus dem Tierreich stammen, ist der
Influenza-Überträger der Mensch selbst. Was in diesem Fall
zur Seuchenvorhersage taugt, erinnert ein wenig an Big
Brother: Über GPS rechnen Epidemiologen die genaue Posi­
tion betroffener Siedlungen, Satellitendaten liefern Informa­
tionen über Straßen, Wege und Reiserouten der Infizierten
in spe. Denn wohin auch immer der Mensch im Zeitalter des
globalen Dorfes verreist - die Erreger nimmt er mit, wie die
Daten verraten.
Auf der Suche nach der besten Simulation setzen Wissen­
schaftler mitunter auf ungewöhnliche Methoden. So entwickel­
ten Forscher aus Göttingen und dem kalifornischen Santa
Barbara ein mathematisches Modell, ,,das das menschliche
Reiseverhalten mit hoher Präzision beschreibt und damit eine
wichtige Grundlage für die Vorhersage der weltweiten Aus­
breitung von Epidemien, etwa einer Grippepandemie, bietet",
wie die Universität Göttingen 2006 etwas umwunden mitteil­
te. 125 Der Clou: Statt der Bewegung einzelner Menschen unter­
suchten die Forscher die geografische Zirkulation von Geld­
scheinen - und analysierten dazu die Daten eines US-ameri­
kanischen Bill-Tracking-lnternetportals. Das Prinzip der Geld­
verfolgung: Unzählige Dollarnoten werden markiert, bevor sie
in den Umlauf gelangen. Wer einen solchen Schein erhält,
kann sich online registrieren, in einem eigenen Bericht seinen
Aufenthaltsort angeben und den weiteren Weg des Geld­
scheins verfolgen. Ein ähnliches Portal gibt es mittlerweile
auch für den Euro. Mehr als 160.000 Freiwillige verfolgen on­
line den Weg ihrer Scheine, rund 1,7 Milliarden Euro weltweit
sind allein über den „EuroBillTracker" registriert (Stand: Ap-
Vo rwa r n u n g statt H yste r i e 213

ril 2011). Sogar die Frankfurter Allgemeine Zeitung, eher an


harten Währungen und ihren Kursen interessiert, schwärmte
im März 2011 von den virtuellen Geldverfolgern. Ein Fünf-Eu­
ro Schein hatte es den Redakteuren mit Sitz in Nähe der Eu­
ropäischen Zentralbank (EZB) besonders angetan: Die Note
war zwischen Krefeld und Ratingen genau 475 Tage unterwegs
- um eine Strecke von 22 Kilometern zurückzulegen. Ein „Zeh­
ner" wiederum bewältigte fulminante 1739 Kilometer Strecke
innerhalb eines Jahres, die Route reichte von Freiburg im
Breisgau bis Helsinki. ,,Luftlinie", wie die F.A.Z. betonte. 1 26
„Diese im Grunde zwar sinnfreien, aber durchaus reizvollen
Informationen lassen sich auf der Internetseite http://de.eu­
robilltracker.com/ abrufen", resümierte der Autor des unter­
haltsamen Artikels - und lag mit seiner Bewertung aus viro­
logischer Sicht betrachtet allerdings daneben.
Denn aus solchen Bewegungsdaten ermitteln Forscher so­
genannte Skalierungsgesetze, Formeln also, mit denen sich
das humane Reiseverhalten simulieren lässt. Tatsächlich ge­
lang den Forschern aus Göttingen und Kalifornien bereits
2006 ein spektakulärer Durchbruch, als ihr mathematisches
Modell Reisebewegungen „auf Entfernungen von einigen we­
nigen bis zu mehreren Tausend Kilometern" voraussagte. Die
Online-Geldscheinverfolgung avanciert somit zu einem ernst
zu nehmenden Tool im Kampf gegen die Seuchen: Dort, wo
satellitengestützte Prognosen nicht greifen und andere Simu­
lationsprogramme ebenfalls an der Vorhersage der humanen
Mobilität scheitern, schließen die Euro- und Dollarnoten-Tra­
ckings die Lücke.
Den Ausbreitungsweg der Erreger zu kennen, ist für die
Eindämmung von Epidemien höchst relevant. Ein ebenso
wichtiges Ziel der Virenforscher ist es, den Zeitpunkt des
Ausbruchs beim einzelnen Patienten festzustellen. Auf die-
214 DIE VIREN-LÜGE

sem Gebiet konnten Schweizer Forscher der K l i n i k fü r I n fek­


tionskrankheiten und Spitalhygiene des Univers i tätsspita l s
Zü ri ch pun kten: Sie entwi ckelten e i n Verfahren, m i t dessen
H i l fe der Zeitpu n kt der I n fektion m i t HIV relativ genau be­
sti m m t werden kann. ,, Diesen Zeitpunkt zu ken nen, kann fü r
d i e Behandlung wichtig sein und h i l ft, den Ve rlauf der Epi de­
m i e besser zu verstehen", kom mentiert der Schwei zerische
Nationalfonds die Methode. D i e i m Fachblatt Clinical lnfec­
tious Diseases pub l i z i e rte Arbei t sorgte i m Januar 2011 welt­
wei t fü r Aufsehen.
Tatsächlich bri ngen Angaben z u m genauen Ansteck ungs­
zeitpunkt laut H u l d rych Günth ard vom Un iversitätsspital Zü­
rich verschiedene Vo rte ile. Der behandelnde Arzt kön ne bei­
spiel sweise e i n facher abschätzen, wie rasch die Krankheit
fortsch reitet - und den Behandlu ngsbegi nn entsprechend an­
passen. Zudem lasse sich in epide m i ologischen Studien „ m i t
höherer Sicherheit vo raussage n , w a n n Ü bertragungen statt­
gefunden haben, wie s ich also die Krankheit ausgebreitet
hat."
Zusammen mit Ko l l egen der E T H Zürich nutzten d i e For­
schenden der Schwei zerischen H I V-Kohorte n studie Daten
aus einem Resi sten ztest, der bei H I V-Posi tiven rou tinemäßig
d u rchgefü h rt w i rd. Dabei w i rd das E rbgut der V i ren u nter­
sucht, u m herauszufinden, gegen welche Medikamente s i e
res istent s i n d . Wen n der Pat ient ve rsch iedene H I V-Stä m m e
i n sich trägt, l i e fert der Test an e i n igen Pos itionen i m V i­
ruserbgut ke i n e i n deutiges E rgebn i s . ,,Während l anger Z e it
ga lt die Unschärfe i m Vi ruserbgut a l s Abfa l l p rodukt de s
Tests", sagt G ü n t hard. ,,Aber w i r fragten u n s , ob s i e e i n Maß
fü r die V iel falt der V i ren i m B l u t sein könnte."
Di e Idee: We i l die V i renvielfalt aus der Ve rmehrung und
der Evolution der E rreger i m Körper resultiert und über die
Vorwa r n u n g statt Hysterie 21 5

Jahre hinweg zunimmt, könnte die Unschärfe im Viruserbgut


Informationen über die Infektionsdauer enthalten. Günthard
und sein Team prüften diese Vermutung, indem sie die Resis­
tenztestdaten mit einer früheren, rudimentären Berechnungs­
methode des Ansteckungszeitpunkts verglichen. In der Studie
zeigten die Wissenschaftler, dass der Anteil der uneindeuti­
gen Stellen in den genetischen Sequenzen der Viren in den
ersten etwa acht Jahren nach der Ansteckung tatsächlich
gleichmäßig ansteigt, erst danach wird die Kurve flacher. Un­
ter Experten gilt die Methode als Durchbruch: Den Forschern
gelang es immerhin, ,,einen Schwellenwert zu bestimmen, ab
dem die Infektion mit 99-prozentiger Sicherheit länger als ein
Jahr zurückliegt", wie der Schweizerische Nationalfonds mit­
teilte.121
So offensichtlich die Nutzen der neuen Technologien auch
sein mögen - als Segen für die Pharmaindustrie kommen sie
nur begrenzt infrage. Denn die Programme vermögen nicht
nur Aussagen über den Ausbreitungsweg einer Seuche zu lie­
fern. Sie zeigen auch, inwieweit eine Epidemie zur ernsthaf­
ten Bedrohung anschwillt, zur Pandemie werden könnte -
oder eben nicht. Für Gesundheitsbehörden hingegen eröff­
nen die Beobachtungstools neue Perspektiven und bessere
Vorsorgemöglichkeiten zugleich. Die Eindämmung gefährli­
cher Erreger kann besser gelingen, wenn Verbreitungsge­
schwindigkeit und Route des Virus bekannt sind. Politische
Kurzschlussentscheidungen ließen sich umgehen - und wä­
ren kaum zu begründen, wenn die Simulationen den Alltag
bestimmen würden.
KAP IT EL AC HT

Ti pps und Tricks gegen Vi ren & Co.


Die Nachricht aus Mexiko ging im allgemeinen Trubel unter:
Der bis dahin praktisch unbekannte Erreger der neuen Grip­
pe, HlNl/ A, hatte innerhalb weniger Tage über 500 Ärzte und
weiteres Krankenhauspersonal infiziert und Antonio San­
chez Arriaga von der Gewerkschaft National Independent
Union of Health Workers in Panik versetzt: Auf über 1500
könne die Zahl des infizierten Fachpersonals ansteigen, ließ
der Mexikaner den Rest der Welt wissen. Entgegen der land­
läufigen Annahme hatte nicht die Gefährlichkeit des Virus,
sondern Unkenntnis über die genauen Anforderungen der
Schutzausrüstungen für das Debakel gesorgt. Tatsächlich
war den Mexikanern das entgangen, was Fachleute eigent­
lich wissen sollten. Nicht alles, was auf den ersten Blick Vi­
ren und andere Erreger fernzuhalten verspricht, nützt wirk­
lich. So hatte das mexikanische Militär zur Eindämmung der
grassierenden Schweinegrippe Atemschutzmasken verteilt,
218 DIE VIREN-LÜGE

die weitgehend wirkungslos waren - nach Angaben der US­


amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC ist ein „wissen­
schaftlich erwiesener Nutzen" der Wirkung von Atemschutz­
masken generell nicht belegt. Solcherlei Maßnahmen beru­
hen nur auf etwas schwammigen „Erfahrungswerten" .
Was für Mexiko gilt, hat auch hierzulande Gültigkeit. Deut­
sche Behörden beispielsweise weisen darauf hin, dass ledig­
lich sogenannte FFP3-Masken einen ausreichenden Schutz
vor Viren bieten - inwieweit Hl N1 auch von anderen Atem­
schutzmasken abgefangen werden kann, ist fraglich. Dass
Ärzte, die über Therapien und Behandlungen entscheiden,
im Sog schneller Entscheidungen die eigene Sicherheit ver­
gessen, lässt vor allem eine Frage aufkommen: Gibt es einen
Schutz gegen die große Seuche? Was hilft gegen die Pande­
mie? Und: Was kann man als Laie eigentlich tun?
Altbackene antivirale Mittel jedenfalls scheinen nicht im­
mer das Mittel der Wahl zu sein, und sich auf die Angaben der
Pharmaindustrie zu verlassen mutiert mitunter zum Glück­
spiel. Wie soll man sich also verhalten, wenn die nächste Vi­
renwelle die Republik überrollt, vermeintliche neue Killervi­
ren die Berichterstattung dominieren und Panik von der Be­
völkerung Besitz ergreift?
Hilfe aus dem Viren-Wirrwarr bietet der Blick auf das, was
zunächst aus dem Zusammenhang gerissen zu sein scheint
- es ist der Blick auf Malaisen wie Schnupfen, Erkältungen
und all jene Leiden, die Laien fälschlicherweise als Grippe
einordnen. Diese Unterschiede zu kennen ist wichtig, wenn
es darum geht, als mündiger Patient die für sich richtige Ent­
scheidung zu treffen. Sollte ich den Panik auslösenden Nach­
richten über neue Grippewellen, wie H2N2 Glauben schen­
ken? Könnten Fieber und Kopfschmerzen erste Indizien einer
Schweinegrippe sein? Oder handelt es sich doch nur um ei-
T i p p s u n d Tricks gegen Viren & Co. 219

nen grippalen Infekt, der sich ganz in Ruhe auskurieren


lässt? Kann ich den Versprechungen und Berichten der Phar­
maindustrie trauen - und wann habe ich es wirklich mit ei­
ner Influenza zu tun? Angst ist bekanntlich kein guter Ratge­
ber, und so ist die genaue Kenntnis über grippale Infekte die
wirksamste Waffe im Kampf gegen die alljährliche Pandemie­
panik.
Jeder kennt den Spruch: Eine (virenbedingte) Erkältung
dauert mit Medikamenten sieben Tage, ohne Behandlung da­
gegen eine Woche. Und wirklich ist es der Medizin bis heute
noch nicht gelungen, Viren als Auslöser von Erkältungs­
krankheiten zu bekämpfen. Insofern sollten Sie sich zualler­
erst mit der Frage beschäftigen, was eine echte Grippe von
einem grippalen Infekt unterscheidet, und wovon Sie persön­
lich befallen sind. Die Symptome sind ähnlich: Kopfschmer­
zen und Fieber, Husten, Schnupfen, Heiserkeit. Hinter Erkäl­
tung/grippalem Infekt und Grippe stecken unterschiedliche
Viren als Auslöser, gegen die Antibiotika machtlos sind. Die
meisten Medikamente können nur die Symptome lindern.
Erst wenn es im Laufe der Erkrankung z u Folgeinfektionen
mit Bakterien kommt und diese dem Organismus sehr ge­
fährlich werden könnten, wird der Arzt vorbeugend ein dann
möglicherweise wirksames Antibiotikum verordnen.
Es sprechen viele gute Gründe dafür, nur in Ausnahmefäl­
len auf Antibiotika zurückzugreifen und stattdessen aus­
schließlich die Symptome des grippalen Infekts zu behan­
deln - wenn das Timing stimmt: Durch rechtzeitige Therapie
lässt sich die Gefahr zusätzlicher Komplikationen wie Nasen­
nebenhöhlenentzündung, Bronchitis oder sogar Lungenent­
zündung verringern. Und selbst bei gleichbleibender Krank­
heitsdauer steigen mit Linderung der Symptome das Wohlbe­
finden und die Leistungsfähigkeit.
220 DIE VIREN-LÜGE

Die Unterstützung der körpereigenen Immunabwehr ist


sinnvoll, gerade bei immer wiederkehrenden Infekten. Schon
die Indianer in Nordamerika verbanden schlecht heilende
Wunden mit zerstampften Pflanzenteilen des Roten Sonnen­
huts, bekannt unter dem lateinischen Namen Echinacea
purpurea. Neue Forschungen bestätigen die anregende
Wirkung der Pflanze auf das menschliche Immunsystem. Eine
weitere Heil­pflanze mit immunstimulierender Wirkung ist
die Taigawur­zel, in der Wissenschaft Eleutherococcus
senticosus genannt.
Ein Mangel an Vitamin C schwächt die Immunabwehr -
der Umkehrschluss liegt nahe, dass die Einnahme möglichst
hoher Dosen Vitamin C vor Infektionen schützt. Obwohl von
vielen Menschen zu diesem Zweck verwendet, konnte bis
heute ein wissenschaftlicher Nachweis dieser Anwendung
für Vitamin C nicht geführt werden. Gleiches gilt für den Mi­
neralstoff Zink, der ebenfalls die Abwehrkräfte steigern soll.
In der Regel vergehen mehrere Tage, bis sich die
anregen­de Wirkung auf das Immunsystem auswirkt. Bei
den allerers­ten Anzeichen einer Erkältung eingenommen,
können Son­nenhut, Taigawurzel und Vitamin C die
Krankheitsdauer ver­kürzen. Beginnt die Behandlung
dagegen erst auf dem Höhe­punkt der Erkältung, ist der
Effekt möglicherweise kaum mehr spürbar.
Auf dem Gebiet der Homöopathie gibt es eine Vielzahl von
Medikamenten zur Behandlung von Erkältungskrankheiten
und grippalen Infekten. Sie sollen die Selbstheilungskräfte
des Körpers anregen und unterstützen. Ein Großteil dieser
Arzneimittel wirkt ebenfalls über eine Stimulierung des Im­
munsystems. Auch hier gilt: Je früher sie zum Einsatz kom­
men, umso größer ist der Behandlungserfolg.
Es gibt eine ganze Reihe von Arzneistoffen, die bei Erkäl­
tungskrankheiten fiebersenkend und schmerzlindernd wir-
T i p p s u n d Tri c k s gegen V i r e n & C o . 221

ken. Die Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen sind hier das


Mittel der Wahl, nicht nur bei Kindern und Jugendlichen. Al­
lerdings zeigt der Wirkstoff Paracetamol auch: Wer unbe­
dacht und ohne genaue Beratung durch seinen Arzt oder den
Apotheker die Pillen gegen Fieber und Schmerzen einnimmt,
setzt seinen Organismus einem hohen Risiko aus. Es mag
skurril klingen, dass ausgerechnet die übermäßige Angst vor
einem grippalen Infekt dem menschlichen Körper gefährlich
werden kann, aber genau das ist die große Gefahr, die Ärzte
erkennen. Jede Grippehysterie löst bei unzähligen Menschen
Panik aus - ein Muskelschmerz, der zu Omas Zeiten noch mit
Wadenwickeln behandelt wurde, erfordert dann den Griff
zum Paracetamol. Dabei ist die Überdosierung des rezeptfrei­
en Medikamentes nur allzu oft Ursache für ein akutes Versa­
gen der Leber und kostet rund 500 Menschen pro Jahr allein
hierzulande das Leben - Tendenz steigend. 128 Besonders oft
betroffen sind übergewichtige Frauen, wie die „ Acute Liver
Failure Study Group" in einem entsprechenden Bericht im
Jahr 2008 attestierte. ,,Die Fälle von akutem Leberversagen
verursacht durch Medikamente, nehmen im Klinikalltag zu.
Besonders oft ist das gängige Medikament Paracetamol, aber
auch Marcumar'.©, dafür der Auslöser", schrieb damals Ali
Canbay, Leiter der Forschergruppe am Zentrum für Viszeral­
medizin am Universitätsklinikum Essen. Die kritiklose Ein­
nahme von Medikamenten wie Paracetamol hält Canbay für
extrem gefährlich: ,,Paracetamol sollte rezeptpflichtig wer­
den. Vor Einnahme dieses Medikamentes sollte die Leber im
Ultraschall von einem Mediziner begutachtet werden", for­
dert der Wissenschaftler - geändert hat sich seit seinem Be­
richt so gut wie nichts.
Wüssten die Menschen, was bei falscher Dosierung im Fall
eines grippalen Infekts auf sie zukommen kann, würden sie
222 DIE VIREN-LÜGE

auf die schmerzlindernde Medizin verzichten. Aber aufgrund


mangelnder Kenntnis kommt es immer häufiger zum Worst
Case: Die Betroffenen fallen ins Koma oder entwickeln Spon­
tanblutungen. Ohne Lebertransplantation endet das Organ­
versagen in 80 Prozent der Fälle tödlich. Dazu führt leider
schlimmstenfalls die Kombination aus Angst vor der Grippe
und Unwissen über die Wirkung von harmlos erscheinenden
Medikamenten.
Es gibt Alternativen. Grippe und Erkältung sind auch Ein­
satzgebiete der altbekannten Acetylsalicylsäure (ASS) , wenn
es um die Symptomlinde rung geht. Aspirin ' & Co. haben zu­
sätzlich eine entzündungshemmende Wirkung, die sich ins­
besondere bei entzündlichen Erkrankungen von Rachen und
Kehlkopf günstig auswirkt.
Bewährt hat sich zudem die feste Kombination von Acetyl­
salicylsäure und Vitamin C. Doch auch hier sind Risiken vor­
handen. Asthmatiker sollten die Substanz und Acetylsalicyl­
säure ohnehin nicht einnehmen, weil sie zu lebensgefährli­
chen Anfällert führen kann. Bei Fieber in Verbindung mit
stärkeren Schmerzen werden gerne Präparate mit dem Wirk­
stoff Tbuprofen (an Stelle von Paracetamol) verwendet. Auch
Ibuprofen wirkt gleichzeitig entzündungshemmend, ist je­
doch ebenfalls nicht für Asthmatiker geeignet.
Kopf- und Gliederschmerzen in Verbindung mit Schnupfen
sind die häufigsten Symptome bei Erkältungskrankheiten -
daher ist es nicht erstaunlich, dass es bereits feste Wirkstoff­
kombinationen für genau diese Fälle gibt. Arzneistoffe aus
der Gruppe der Antihistaminika oder Sympathomimetika
verengen die feinen Blutgefäße der Nasenschleimhaut: Die
Schleimhaut schwillt ab und das Atmen fällt wieder leichter.
Lästiger Reizhusten stört nicht nur bei der Arbeit oder
nachts beim Schlafen - er behindert auch die Regeneration
T i p p s u n d Tri c k s gege n V i r e n & C o . 223

der Bronchialschleimhaut bei einer Erkältung. Auch hier gibt


es feste Kombinationen mit verschiedenen Hustenstillern. Ei­
nige Präparate enthalten sämtliche Wirkstoffe als Gesamt­
mix, andere hingegen erfordern die individuelle Einnahme
nach Vorschrift des Arztes. Da einige der Hustenstiller zu­
sätzlich eine schlaffördernde Wirkung besitzen, ist ihre An­
wendung vor allem für die Nacht sinnvoll. Ungeeignet sind
diese Medikamente bei Husten mit starker Schleimprodukti­
on - hier sollten Betroffene einen Schleimlöser wählen.
Wenn es Sie so richtig erwischt hat, dann brauchen Sie
vielleicht etwas gegen die Kopfschmerzen, ein Medikament
gegen Schnupfen und ein weiteres zur Hustenstillung. So er­
reichen Sie eine maßgeschneiderte Behandlung - die Be­
schwerden sind ja nicht bei jedermann gleich und auch nicht
jeden Tag gleich stark.
Falls Sie schon vorher wissen, dass Sie es immer mal wie­
der vergessen werden, ihre verschiedenen Medikamente ein­
zunehmen, dann entscheiden Sie sich besser für die feste
Kombination der Wirkstoffe. Oft sind die einzelnen Wirksub­
stanzen nicht hoch genug dosiert, um eine ausreichende Wir­
kung zu erzielen.
Je mehr verschiedene Arzneistoffe man einnimmt, desto
größer ist die Anzahl der möglichen Nebenwirkungen - ins­
besondere Patienten mit Stoffwechselerkrankungen und an­
deren Grundleiden sollten also vom Arzt prüfen lassen, ob
derartige Arzneistoffkombinationen für sie infrage kommen.
Wichtig bei Erkältungskrankheiten ist eine ausreichende
Flüssigkeitszufuhr: Zweckmäßig sind Teemischungen gegen
Erkältungskrankheiten oder Brust- und Hustentees. Auch Er­
kältungsbäder können Linderung verschaffen - allein bei fie­
berhaften Infekten ist von heißen Bädern abzuraten. Außer­
dem gibt es einige pflanzliche Präparate zur Linderung der
224 DIE VIR EN-LÜGE

Symptome: Reines Pfefferminzöl hilft gegen Kopfschmerzen


und erleichtert bei Schnupfen das Durchatmen.
Was viele Menschen nicht wissen: Gerade bei Erkältungen
und grippalen Infekten lohnt das kostenlose Beratungsge­
spräch durch die Apothekerin oder den Apotheker. Entgegen
der landläufigen Meinung verfügen approbierte Apotheker­
Pharmazeuten neben der Lizenz zum Verkauf von Medika­
menten auch über das Know-how, um zwischen Erkältung und
echter Grippe zu unterscheiden.
Im Notfall sollte man aber stets den Arzt aufsuchen. Doch
Vorsicht: Wer mit einem harmlosen grippalen Infekt in über­
vollen Wartezimmern sitzt, wird möglicherweise mit der ech­
ten Grippe heimkehren.
Dass viele die Grippe fürchten, weil sie in der Vergangen­
heit häufiger von grippalen Infekten geplagt worden sind,
entbehrt jeder Logik - und hat direkte Auswirkungen auf die
Umsatzzahlen der Pharmaindustrie. Belege hierfür liefern
Zahlen der Kaufmännischen Krankenkasse KKH: Jeder fünfte
Versicherte hatte sich 2007 von einem niedergelassenen Arzt
gegen Grippe impfen lassen - was sich die Hersteller fürst­
lich entlohnen ließen. Innerhalb von nur fünf Jahren verdop­
pelten sich die Abrechnungspreise für Impfstoffe „aufgrund
von Erhöhungen der Hersteller", wie die KKH konsterniert
mitteilte. So kostete die günstigste Ampulle im Jahr 2003
noch 7,31 Euro - nur vier Jahre später lag der Preis bei 16,04
Euro.
Zweifelsohne sind Impfungen gegen saisonale Influenza
sinnvoll, doch nur für Risikogruppen. Darunter verstehen Epi­
demiologen jene Menschen, die berufsbedingt Kontakt zu vie­
len anderen Personen hegen. Ebenso chronisch Kranke, Kin­
der oder Alte - und alle jene unter uns, die krankheitsbedingt
über ein geschwächtes Immunsystem verfügen.
T i p p s u n d Tricks gege n Viren & Co. 225

Kei n e Angst vo r N o ro-V i re n

Alle Jahre wieder: Noro-Viren zählen zu den häufigsten Erre­


gern infektiöser Magen-Darm-Erkrankungen. Wenn einen die
Winzlinge befallen, ist man gut beraten, sich in der Nähe sei­
ner Toilette aufzuhalten - und selbst das ist kein Garant für
eine saubere Angelegenheit. Durchfall, Erbrechen, Magen­
krämpfe. Hinzu kommt das Gefühl, von einer Walze überrollt
worden zu sein. Meist schlagen die Viren im Herbst und Win­
ter zu. Im Jahr 2007 nahm sich das Berliner RKI der Thematik
an, und veröffentlichte im „ Epidemiologischen Bulletin" 129
eine Situationseinschätzung zu den bereits damals gestiege­
nen Meldezahlen. Fazit der Gesundheitsbehörde: ,,Eine Infek­
tion ist unangenehm, bei gesunden Menschen aber nicht le­
bensbedrohlich." Was bei geschwächten oder ohnehin kran­
ken Patienten anders aussehen kann. Denn die Viren führen
nicht nur zu Erbrechen - sie lösen auch einen massiven Flüs­
sigkeitsverlust im Organismus aus.
„Wer eine Ansteckung vermeiden will, sollte besonders auf
Hygiene achten", riet Ärztin Karin Wagemann vom AOK-Bun­
desverband über den Mediendienst der gesetzlichen Kran­
kenkasse im Jahr 2007, und: ,,Da das Virus am häufigsten
durch direkten Kontakt zu Erkrankten oder indirekt über
Kontakt in beschmutzten Toiletten oder auch das Anfassen
beschmutzter Gegenstände wie Waschbecken und Türgriffe
übertragen wird, sollte man auf sorgfältiges Händewaschen
achten und den Kontakt zu Erkrankten möglichst meiden."
Die Viren sind tückisch. Selbst 48 Stunden nach Abklingen
der Beschwerden sind die Genesenden noch Virusträger. An­
sonsten hilft im Fall der Infektion das, was schon vor 100 Jah­
ren galt: Bettruhe und die richtige Kost bringen den Körper
wieder auf Trab.
226 D I E V I R E N-LÜ G E

Angehörige der Infizierten sollten indes auf einige Verhal­


tensregeln im Alltag achten, wie die AOK die Medien über
Ärztin Wagemann informieren ließ:

„ Schützen Sie sich durch Gummihandschuhe. Auch ein


Mundschutz mindert die Infektionsgefahr. Wer Einwegtü­
cher benutzt und anschließend wegwilft, mindert die Ge­
fahr von Ansteckung und Ausbreitung der Viren. "

Das für Krankheitsüberwachung und -prävention in Deutsch­


land zuständige Robert Koch-Institut ( R K I ) rechnete 2007 mit
einem neuen Rekord an Noro-Viruserkrankungen. Nach An­
gaben des RKI war die Zahl der wöchentlich übermittelten
Erkrankungen seit „ Saisonbeginn" im Oktober 2006 kontinu­
ierlich gestiegen - von 397 Fällen in der ersten Oktoberwoche
auf 5966 Fälle allein in der zweiten Meldewoche 2007.
Die winzigen Übeltäter beschäftigen neben Allgemeinme­
dizinern auch Wissenschaftler an Deutschlands Universitä­
ten. So entwickelten Fachleute am Uniklinikum Greifswald
einen speziellen Masterplan, den Krankenhäuser und medi­
zinische Einrichtungen befolgen sollen. ,, Mit einem Sofort­
meldesystem bei allen Durchfallerkrankungen, verschärften
Desinfektions- und Isolieranweisungen und Notfallboxen ha­
ben wir den ' Durchmarsch' der Darmviren in den Griff be­
kommen", erklärte Axel Kramer, Direktor des I nstituts für
Hygiene und Umweltmedizin im Februar 2008 das trickrei­
che System.
Vorausgegangen war die Erkenntnis, dass die bis dahin üb­
lichen Seuchenbekämpfungsvorschriften vom Krankenhaus­
personal zwar akribisch eingehalten wurden - den Viren je­
doch kaum etwas ausmachten. Als Grund für die Unbesiegbar­
keit der Erreger erwies sich deren Fähigkeit, gängigen Desin­
fektionsmitteln zu widerstehen. ,,Das bedeutet, selbst wenn alle
T i p p s u n d Tr i c k s gegen V i re n & C o . 227

Hygienevorschriften wie im Seuchenfall eingehalten werden,


können sich die Krankheitserreger weiter ihre Opfer suchen",
stellte Kramer konsterniert fest, und: ,,Ein Noro-Virus hält sich
beispielsweise an einer Türklinke bei 20 °C bis zu sieben Ta­
gen."130 Das Team um Kramer fand jedoch heraus, dass ein spe­
zielles Desinfektionsmittel, Wofasteril\ die Viren unschädlich
machte. Daraufhin installierten die Mediziner Notfallboxen mit
Wofasteril " , sodass das Personal die Räume und Gegenstände
bei Noro-Virusverdacht damit desinfizieren konnte. Die aggres­
sive Substanz kam somit immer dann zum Einsatz, wenn sie
benötigt wurde - für den täglichen Gebrauch ist sie nach An­
sicht der Forscher ,,für eine Reihe von Materialien nicht geeig­
net". Für die Händedesinfektion sah der Greifswalder wieder­
um eine Mixtur aus Alkohol und „verstärkenden Zusätzen ge­
gen oro-Viren" vor. Selbst über die Geschirrspüler der Ein­
richtungen machte sich Kramer Gedanken - und empfiehlt im
Fall einer Noro-Viruswelle den Abwasch bei 93 °C.

Gri ppehyste rie - was t u n ?

Die Nachrichten des Jahres 2008 ließen nur einen Schluss zu:
Der Erreger der Schweinegrippe hatte Deutschland fest im
Griff. Betroffen schienen Kinder und Erwachsene gleicher­
maßen, wenn auch von einer im Vergleich zur herkömmli­
chen Influenza durchaus milden Form. Was aber konnte man
eigentlich dagegen tun? Die Pharmaindustrie verkaufte mit­
hilfe der Politik ihre Vakzine, auch Pillen gegen die Viren
waren wieder en vogue. Doch spätestens nach Lektüre dieses
Buches dürfte klar sein: Vertrauenswürdig und wirklich sinn­
voll waren die Empfehlungen der Pharmaindustrie nicht.
Wer sich gegen Influenza-Erreger alter oder neuer Art
schützen möchte, kann selbstbewusst handeln. Die Anzahl
228 DIE VIREN-LÜGE

der zu beachtenden Regeln ist überschaubar, auch erschei­


nen manche von ihnen ganz simpel - wenn Sie alle anwen­
den, haben Sie jedoch bereits ein gutes Virenschutzschild er­
richtet.
Atemschutzmaske: Optimal sind sogenannte FFP3-Masken,
bei denen die Filterwirkung selbst Erreger wie SARS oder
H5Nl (Vogelgrippe) außen vor hält. Sie sind im Fachhandel
für 1,50 bis 3,50 Euro das Stück erhältlich. Der Billigmund­
schutz hingegen bringt an sich kaum etwas - Viren passieren
die Barriere mühelos.
Hygiene: Händewaschen und auch -desinfizieren kann die
Erreger ebenfalls zu Hause auf Distanz halten. Schon Seife
und warmes Wasser entfernen über 50 Prozent aller Erreger
von der Hautoberfläche.
Kontakte vermeiden: Meiden Sie in Hochzeiten der Grippe
Fußballspiele, Theaterbesuche, volle U-Bahnen. Die Viren ge­
langen vermutlich über Aerosole von einem Menschen zum
anderen. Zu Hause sollten Sie ebenfalls andere Familienmit­
glieder auf Distanz halten - getrennte Schlafzimmer sind
zwar unschön, aber bei Pandemien durchaus angebracht.
Symptome beachten: Kopfschmerzen, Fieber, Erbrechen
das können Symptome von Hl Nl-bedingter Grippe sein. Pa­
nik ist aber unangebracht, meist ist die häusliche Umgebung
besser als eine übervolle Klinik. Einen Arzt sollten Sie aber
auf jeden Fall konsultieren - vor allem, wenn Sie zu den Risi­
kopatienten zählen.
Trinken: Keinen Alkohol, dafür viel Saft und Wasser. Ein
fitter Körper ist nach wie vor die beste Basis für ein starkes
Immunsystem.
E P I LOG
An dieser Stelle sollte das Buch eigentlich enden - mit zu­
mindest einer Handvoll funktionierender Tipps gegen die be­
kannten Viruserreger. Selbst wenn Sie diese anwenden, sind
die allgemeinen Aussichten leider nicht so rosig: Dengue,
Krim-Kongo oder Ebola sind ein anderes Kaliber als Schwei­
negrippe und Influenza. Über die Symptome dieser Erkran­
kungen haben wir bereits ausführlich geschrieben, es sei Ih­
nen aber noch eine wichtige Verhaltensweise ans Herz ge­
legt: Scheuen Sie sich bitte nicht, den Arzt Ihres Vertrauens
gezielt nach der Möglichkeit einer exotischen Viruserkran­
kung als Ursache der diffusen Symptome zu fragen. Bei hä­
morrhagischen Viruserkrankungen ist Zeitgewinn der einzi­
ge Verbündete. Die meisten Ärzte der Republik sind keine
Tropenmediziner, doch wird sich ihre Ausbildung im virolo­
gischen Bereich in den kommenden Jahren verbessern. Noch
sind nahezu alle von ihnen auf die Empfehlungen der Ständi­
gen Impfkommission angewiesen. Und die ist, wie seit der
Schweinegrippe-Pandemie ersichtlich, eng mit der Pharma­
industrie verflochten. Was müsste also passieren, dass Ärzte
ihr wieder uneingeschränkt vertrauen können?
230 DIE VIREN-LÜGE

Mehr Kontrollen durch Patientenvertreter in den entschei­


denden Gremien der STIKO wären ein Weg, um Interessen­
konflikte zu vermeiden. An derartigen Überlegungen scheint
aber die Bundesregierung wenig interessiert, wie der Deut­
sche Bundestag am 10. Mai 2011 mitteilte.
.,Die Bundesregierung will keine Patientenvertreter in be­
ratender Funktion in die Arbeit der Ständ igen Impfkommissi­
on (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) einbeziehen", hieß
es in einer Mitteilung des Pressedienstes des Hohen Hauses.
Tatsächlich hatte die Bundesregierung in der Antwort (17/5673)
auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
(17/5466) Stellung zum pikanten Thema bezogen - und erklär­
te darin, ,,bei der ST IKO handelt es sich nicht um eine Kom­
mission wissenschaftlicher Expertinnen und Experten". 131
Wie ist diese Aussage zu verstehen? Professoren mit For­
schungsaufgaben für die großen Konzerne, die gleichzeitig
bei der ST IKO aktiv sind - keine Experten? Anders als beim
ehemaligen Verteidigungsminister zu Guttenberg sind die Ti­
tel der Doktoren und Professoren innerhalb der ST IKO echt.
Man kann und muss dem einen oder anderen Mitglied Inter­
essenkonflikte vorwerfen - aber ganz sicher keine fachliche
Inkompetenz. Was der Pressedienst des Deutschen Bundes­
tags verbreitete, war nicht das, was sich in der vom Presse­
dienst zitierten parlamentarischen Drucksache finden lässt.
Dort heißt es nämlich:
,,Eine Beteiligung von Patientenvertreterinnen und -vertre­
tern an der Arbeit der STIKO ist nicht angezeigt. Bei der STI­
KO handelt es sich nicht um ein interessenplural zusammen­
gesetztes Gremium, sondern um eine Kommission wissen­
schaftlicher Expertinnen und Experten."
Nun besteht die Kommission also doch aus Experten?
Wirklich verstehen kann man das Durcheinander als Laie
E p i log 231

nicht. Die schwammigen Formulierungen lenken hingegen


vom eigentlichen Problem ab, denn fest steht jedenfalls: Der
Einfluss der ST IKO auf die gesundheitspolitischen Entschei­
dungen der Republik i st enorm, wer M i tglied der STIKO i st,
hat einen großen Einfluss auf die deutsche Gesundheitspoli­
tik.
Denn welche Medikamente und Wirkstoffe die gesetzlichen
Krankenkassen in Deutschland bezahlen müssen, entschei­
den weder der Bundesgesundheitsmini ster noch die Kanzle­
rin - sondern der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Das
Gremium agiert nach Ans icht der Vorsitzenden Richterin am
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Ruth Schimmel­
pfeng-Schütte, ohne demokrati sche Legitimation. Seine Mit­
glieder werden nicht vom Volk gewählt, seine Entscheidungen
aber haben de facto gesetzgebenden Charakter. Es bestimmt
auf diese Wei se direkt, wie das Sozialgesetzbuch im Alltag
praktiziert werden muss. Der Gemeinsame Bundesausschuss
wiederum wird offiziell von der Ständigen Impfkommiss ion
beraten. Ihre Empfehlungen bilden die Grundlage für die Ent­
scheidungen des G-BA über die Kostenerstattung durch die
Kassen. Anders ausgedrückt: Am Ende der Entscheidungs­
pipeline steht für die Hersteller der Impfstoffe die Bezahlga­
rantie durch den Staat. Eine Lizenz zum Gelddrucken, zumal
patentgeschützte Vakzine keinerlei prei slicher Bindung un­
terliegen. Und am Anfang dieses Prozesses steht die STIKO -
in deren Reihen sich Forscher befinden, die Funktionen inner­
halb der Pharmaindustrie ausüben. In der weniger verständ­
lichen Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage
der Grünen vom Mai 2011 liest sich das so:
,,Vers icherte haben Anspruch auf Lei stungen für Schutz­
impfungen (§ 20d Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetz­
buch - SGB V). Einzelheiten zu Voraussetzungen sowie Art
232 DIE VIREN-LÜGE

und Umfang der Leistungen bestimmt der Gemeinsame Bun­


desausschuss (G-BA) in der Richtlinie über Schutzimpfungen
nach § 20d Absatz l SGB V (Schutzimpfung-Richtlinie/SiR)
auf der Grundlage der STIKO-Empfehlungen." 132
Unabhängige Entscheidungen? Gesetze im Interesse der Pa­
tienten? Die Antworten auf diese Fragen haben wir im Buch zu
geben versucht. Doch es geht um weitaus mehr, als um Milliar­
denprofite auf Kosten der Patienten. Die große Viren-Lüge ero­
diert jenes Vertrauen, das Patienten einst ihren Arzneimittel­
herstellern entgegenbrachten. So riskiert die Pharmabranche
jenen Imageschaden zu erleiden, mit dem die Banken seit der
Finanzkrise 2008 zu kämpfen haben. Sie erscheinen als das,
was sie leider, zumindest auch, sind: Unternehmen, in denen
die Gier regiert.
Dabei gäbe es Alternativen. Die mehrfach angeführte Stär­
kung der freien universitären Forschung, die Patentierung
der universitären Entwicklungen und gut ausgestattete staat­
liche Aufsichtsbehörden ohne Anbindung an Pharmaunter­
nehmen wären Maßnahmen, um die Vormacht der Big Player
zu brechen.
Zudem kann der massiven Einflussnahme der Pharmaher­
steller auf Deutschlands Unis Einhalt geboten werden. So ver­
klagte die „ Coordination gegen BAYER-Gefahren" (C BG), eine
seit rund 30 Jahren agierende Initiative, zu deren Mitgliedern
neben Anwälten und Professoren auch ehemalige Mitglieder
des Deutschen Bundestags zählen, im Mai 2011 die Universität
Köln und die Bayer AG. Der Grund: Das Kölner Universitäts­
klinikum hatte mit dem Bayer-Konzern drei Jahre zuvor eine
Forschungskooperation in den Bereichen Onkologie, Neurolo­
gie und Kardiologie vereinbart, die Vertragsbedingungen blie­
ben allerdings geheim. So war im Mai 2011, immer nach An­
gaben der C BG, noch ungeklärt, ,,wie die Universität an den
Ep i l og 233

Ergebnissen gemeinsamer Projekte partizipiert, wer künftige


Forschungsbereiche auswählt, ob auch Medikamente für öko­
nomisch uninteressante Krankheiten untersucht werden und
wie die Publikationsfreiheit sichergestellt wird". Die Univer­
sität Köln und die Bayer AG hatten sich zuvor „über das Votum
des N RW-Landesbeauftragten für Informationsfreiheit, der
einen Auskunftsanspruch feststellte, hinweggesetzt und auf
einer Geheimhaltung beharrt", wie die CBG weiterhin die Me­
dien informierte. Das Verhalten der Uniklinik und des Kon­
zerns sind zwar nicht illegal, Kooperationen zwischen Unter­
nehmen und universitären Einrichtungen sogar wünschens­
wert. Gleichwohl wäre Transparenz eine ethische Vorausset­
zung für Kooperationen, in denen es um klinische Studien und
somit um die Gesundheit von Millionen Menschen geht. Kon­
zerne und Universitäten nötigenfalls per Klage daran zu erin­
nern, erscheint daher ein probates Mittel auf dem Weg zu
mehr Unabhängigkeit der klinischen Forschung.
Warum aber britische, schweizerische oder US-amerikani­
sche Konzerne die gesundheitspolitischen Entscheidungen
hierzulande prägen müssen, bleibt ebenso rätselhaft wie die
Frage, weswegen der pharmazeutische Mittelstand der Repu­
blik im Vergleich zu den Big Playern nur wenig Unterstüt­
zung erfährt.
Solange die Machenschaften von Politik und Pharmariesen
das Geschäft mit Therapeutika gegen Viren bestimmen, wer­
den Menschen auch bei sinnvollen Impfungen zögern. Noch
ist den Versprechungen und Aussagen der großen Player
nicht zu trauen, tischen sie uns weiter Viren-Lügen auf. Nur
als mündige Bürger können wir diesem Zustand ein Ende be­
reiten.
234 DIE VIREN-LÜGE

Da n ksagu ng
Ein Buch über die Machenschaften der Pharmaindustrie zu
schreiben, ist eine Herausforderung, die man ohne Unterstüt­
zung nicht meistern könnte. So danken wir in erster Linie
jenem Menschen im Carl H anser Verlag, der uns zu diesem
Buch animierte und ermutigte: Dr. Hermann Riede!. Unser
Dank gebührt zudem allen anderen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, die man als Leserin oder Leser kaum regist­
riert - ohne deren Arbeit jedoch keine einzige Zeile erschei­
nen würde: Herstellung, Vertrieb, Korrektur sind nur einige
Bereiche, in denen sie tätig sind.
,,Die Viren-Lüge" entstand mithilfe vieler Wissenschaftler,
die wir seit Jahren kennen und die uns mit Hintergrundinfor­
mationen und wertvollen Tipps fütterten. Besonders erwäh­
nen möchten wir Dr. Christian Griot, den wir unermüdlich
mit Fragen zu Viruserkrankungen der Tiere, Zoonosen und
Pandemien konfrontierten - und der uns stets sehr wertvolle
Antworten lieferte.
Ein großer Teil unserer Quellen stammt aus unserer Arbeit
für Spiegel Online, und so danken wir Markus Becker als Res­
sortchef Wissenschaft, der sich für unsere „Virenartikel"
ebenso einsetzte wie Chefredakteur Rüdiger Ditz. Ohne diese
Unterstützung hätten wir vermutlich das Gespräch mit H IV­
Mitentdecker Robert Gallo nicht führen können - dem wir
ebenfalls für die kritischen und offenen Worte danken.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller stellte sich
unseren Fragen, sodass wir Dr. Rolf Höhmke und Dr. Siegfried
Throm danken möchten. Die Vorsitzende Richterin am Landes­
sozialgericht iedersachsen-Bremen, Ruth Schimmelpfeng­
Schütte, erklärte uns bereits 2006 die Zusammenhänge zwi­
schen G-BA und der fehlenden demokratischen Legitimation.
Da n ksagung 235

Seitdem hat sich am Konstrukt nichts geändert - und so dürfen


wir auch ihr an dieser Stelle erneut für die wertvol le Hilfe
danken.
Viele Fachleute haben uns unterstützt, ohne dass wir ihre
Namen nennen dürfen - um sie vor Repressalien und Unan­
nehmlichkeiten in den Behörden, Ministerien oder Unterneh­
men z u schützen. Selbstverständlich haben wir sie nicht ver­
gessen.
Unseren Kindern danken wir für ihren Mut, sich für den
Erhalt des Schweinchens einzusetzen - sie werden wissen,
was wir damit meinen.
Last not least danken wir unserer Literaturagentin Lianne
Kolf und ihren Mitarbeiterinnen in München, die sich für das
Buch einsetzten und das Werk erst möglich machten.
236 D I E V I R E N-LÜ G E

Anmerkungen
Prolog
1 Euro Surveill. 201 1 ; 1 6 (2 1 ):pii= l 9878: URL: http://www.eurosurveillance.
org/ViewArticle.aspx?Articleid= 1 9878).
2 URL:http://www.schutzkommission.de/SharedDocs/Downloads/SK/DE/
Publikationen/Band_59.pdf?_blob=publicationfile
3 Ärzte Zeitung (Online-Ausgabe) vom 1 0.03.20 1 1 : Forscher plädieren für
H2N2-Grippeimpfung
4 URL: http:j/www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/0, 1 5 1 8,7 62666,00.html

Kapitel Eins: Eine kurze Geschichte der Viren

5 Vlad Georgescu: Die vergessenen Seuchen. Sonntagszeitung, 0 1 .04.2006


6 Vlad Georgescu: Neue Seuchen beunruhigen Experten. SPIEGEL ONLINE
vom 29.03.2006
7 Vlad Georgescu: Neue Seuchen beunruhigen Experten. SPIEGEL ONLINE
vom 29.03.2006
8 „Latent Herpes Viruses Reactivation In Astronauts", Johnson Space
Center, NASA, Houston TX, USA
9 TIME vom 1 2 . Mai 1 923: Medicine: Gas Therapy
10 Updating the Accounts: Global Mortality of the 1 9 1 8- 1 920 „Spanish"
Influenza Pandemie. Bulletin of the History of Medicine Volume 76,
Number 1, Spring 2002. DOI: 1 0. 1 3 53/bhm.2002.0022.
URL: http:j/muse.j hu.edu/j ournals/bhm/summary/v07 6/7 6 . 1 johnson.html

Kapitel Zwei: Das Milliardengeschäft mit den Viren


1 1 Vlad Georgescu: Interview mit HIV-Entdecker Gallo. Die Pharmaindustrie
hätte eine Strategie einfordern müssen. SPIEGEL ONLINE vom 1 1 .03.2005
12 URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Charles_Gallo
13 Marita Vollhorn, Vlad Georgescu: Millionenhilfe für Großkonzerne.
SPIEGEL ONLINE vom 23.08.2007
14 Vlad Georgescu, Marita Vollhorn: Die Gesundheitsmafia - Wie wir als
Patienten betrogen werden. S.Fischer, 2005
15 „Mitteilung an die Medien", ROCHE, Basel, 03.02.20 1 0
1 6 Marita Vollborn, Vlad Georgescu: Millionenförderung für Großkonzerne.
SPIEGEL ONLINE vom 23.08.2007
17 BMBF Forschungsprogramm „Gesundheitsforschung: Forschung für den
Menschen".
URL: http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/376.php
18 BMBF: URL: http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/376.php
19 URL: http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/376.php
20 URL: www.rki.de
21 Eigene Recherche im Förderkatalog des Bundes (www.foerderkatalog.de)
2 2 Förderkennzeichen 0 1 KI0503
23 LifeGen.de: K9-Influenza: Hundegrippe rafft Vierbeiner dahin. Meldung
vom 1 0.07.20 1 0
24 Die Viren der Tiere - Gießener Forscher untersuchen die gefährlichen In­
fluenza-Erreger. Pressemitteilung der Universität Gießen vom 1 3.0 1 . 20 1 1
25 Arzneimittel-Atlas 20 1 0. Der Arzneimittelverbrauch in der GKV. Urban &
Vogel, 20 1 0
26 Arzneimittel-Atlas 20 1 0. Der Arzneimittelverbrauch i n der GKV. Urban &
Vogel, 20 1 0
An merku ngen 237

27 Deutsche Bank Research, Aktuelle Themen 353 vom 24.05.2006


28 Bird Flu Pandemie Could Cost 2 Trillion Dollars: World Bank. URL: www.
worldbank.org
29 Eidgenössisches Departement des Innern. Bundesamt für Gesundheit:
Influenza-Pandemieplan Schweiz. Version Januar 2009
30 Vlad Georgescu: DocCheck. Influenza - Notfallmediziner sehen schwarz.
Meldung vom 08. 1 2 .2008
31 9. DIVI-Kongresses in Hamburg (3. bis 6. Dezember 2009), zitiert bei
DocCheck International
32 Marita Vollborn, Vlad Georgescu: Prima Klima. Lübbe 2007
33 Vlad Georgescu bei DocCheck News: Seuchen als Wirtschaftskiller?
Meldung vom 02.02.2007
34 Marita Vollborn, Vlad Georgescu: Prima Klima. Lübbe 2007
3 5 Ernst & Young Schweiz: Analyse der Marktkapitalisierung der höchstbe­
werteten Unternehmen weltweit/ Januar 20 1 1
36 Deutscher Biotechnologie-Report 2008
3 7 LifeGen.de: Baxter H5N l Contamination: Causes were a unique
combination of process, technical and human errors. Interview vom
03.03.2009
38 Krone.at: EU gibt grünes Licht für „Celvapan" - Österreich bestellt.
Meldung vom 07. 1 0.2009
39 LifeGen.de: Welt-Aids-Tag: .,Ärzte ohne Grenzen" greift Bundesregierung
frontal an. Meldung vom 0 1 . 1 2.20 1 0
4 0 URL: http://www.aerzte-ohne-grenzen.de/informieren/medikamentenkam­
pagne/aktuell/20 1 0- 1 0- 1 9-kampagne-eu-haende-weg/20 1 0- 1 2-02-wel t-aids­
tag-handsoff/
4 1 Ärzte ohne Grenzen, Pressemitteilung 30/20 1 0
42 Angaben des vfa
43 Mitteilung der FDA vom 22.03.20 10.
URL: http://www.fda.gov/BiologicsBloodVaccines/Vaccines/ApprovedPro­
ducts/ucm205545.htm
44 BILD.DE: Beängstigende Theorie von Virologe Adrian Gibbs. Stammt die
Schweinegrippe aus einem Viren-Labor? URL: http://www.bild.de/
news/2009/viren/aus-dem-labor-meint-forscher-adrian-gibbs-8360886.bild.
html

Kapitel Drei: Schweinegrippe als Pharma-Coup


45 National Institute of Health and Welfare, THL: Increased risk of
narcolepsy observed among children and adolescents vaccinated with
Pandemrix. Mitteilung vom 1 .02.20 1 1 . URL: http://www.thl.fi/doc/
en/24 1 03
46 PE!: Nachgemeldete Fälle von Narkolepsie in zeitlichem Zusammenhang
mit einer Impfung mit Pandemrix. URL: www.pei.de
47 European Medicines Agency (EMA): European Medicines Agency reviews
further data on narcolepsy and possible association with Pandemrix.
Mitteilung vom 1 8 .02.20 1 1 . EMNCHMP/ 1 30422/20 1 1
48 National Narcolepsy Task Force Interim Report 3 1 January 201 1 .
Herausgegeben von: National lnsitute for Health and Weltare (THL). URL:
www.thl.fi
49 GlaxoSmithKline: GSK European regulatory update on Pandemrix.
Mitteilung vom 1 8.02.20 1 1
50 Pressemitteilung vom 27.02.20 1 0: European Medicines Agency starts
review of Pandemrix. EMN543435/20 1 0
5 1 URL: www.ema.europa.eu/docs/de_DE/document../WC500038 1 2 l .pd
238 D I E V I R E N- L Ü G E

52 Drug Safety Mail 2009 -084


53 Zitiert in Hollemann-Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. De
Gruyter, 102. Auflage
54 Deutscher Bundestag, Drucksache 1 7/365
55 (Am J Epidemiol 1 979; 1 1 0: 1 05 - 23)
56 (2009; doi: 1 0. 1 0 1 6/S0 1 40-6736(09)6 1 877-8)
57 Basierend auf Berichten des Seucheninformationsdienstes Promed
58 URL: http://www.swissinfo.ch
59 URL: http//www.rki.de/cln_1 7 8/nn_ 1 95852/sid_2BB 1 6 FFA7BDB8 1 57FE2
7E2C6290BCFF8/nsc_true/DE/Content/Infekt/Impfen/STIKO/Selbstausku­
enfte/selbstauskuenfte_node.html?_nnn =true
60 Vaccine 28 (20 1 0) 3758- 3766
61 Informationsdienst Wissenschaft. Pressemeldung der Deutschen
Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. vom 1 1 . 1 1 . 2009
62 URL: http//www.embryotox.de/
63 aerzteblatt.de vom 1 5.04.20 1 1 . URL: http://www.aerzteblatt.de/nachrich­
ten/4 5496/Pandemrix_EMA_schliesst_Narkolepsie-Risiko_nicht_aus.htm

Kapitel Vier: Dengue-Vireb auf globaler Ansteckungstour


64 LifeGen.de: Der unaufhaltsame Vorstoß des Dengue Fiebers. Bericht vom
03.05.2007
6 5 International Society for Infectious Diseases: ProMed Posting vom
1 7.0 1 .20 1 1
66 EUREKALERT: Team uncovers dengue fever virus' molecular secrets.
Mitteilung vom 08.03.20 1 1
67 Vlad Georgescu, Marita Vollborn: Dengue-Fieber könnte nach Europa
zurückkehren. SPIEGEL ONUNE vom 1 9. 04.2007
68 Eurosurveillance vol 1 6 No. 9.
URL: http://www.eurosurveillance.org/images/dynamic/EE/V 1 6N09/
art l 9805.pdf
69 Euro Surveill. 20 1 0 ; 1 5(39):pii= 1 9676
70 Deutscher Bundestag, Abteilung W: Nr. 5 5/09
71 Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Bayern: Denguefieberfälle in
Bayern verdoppelt: Gesund in die Tropen - krank zurück. Mitteilung vom
1 3 . 1 2.20 1 0
72 Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen, Doris von Eiff,
1 8.02.20 1 1
73 WHO Fact sheet Nr. 1 1 7/March 2009
74 URL: www.pdvi.org
75 Rebekah Borse l , Mark E. Beatty2, Martin I. Meltzer l :
1 Centers for Disease Contra] and Prevention, Atlan ta, GA, United States,
2International Vaccine Institute, Seoul, Korea, Republic of: DenguEcon: An
economic tool for informed vaccine decision making
76 Ultraschalluntersuchung zur gynäkologischen Krebsfrüherkennung.
Herausgeber: Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Krankenkas­
sen e.V., Stand: 03/2003
77 British Journal of Cancer: Quelle: PD P. Hardt, S. Mazurek, M. Toepler, P.
Schlierbach, RG Bretzel, E. Eigenbrodt und H.-U. Klör. Faecal tumour M2
pyruvate kinase: a new, sensitive screening tool for colorectal cancer.
British Journal of Cancer advance online publication, doi: 1 0. 1 038/sj .
bj c6602033 auf der Website www.bjcancer.com
78 Marita Vollborn, Vlad Georgescu. Die Gesundheitsmafia - Wie wir als
Patienten betrogen werden. S.Fischer 2005
--- -
A n m e r k u n ge n 239

79 http://de.wikipedia.org/w/index.php?title = Datei:Dengue06.png&filetimest
amp = 20070602233446
80 Warum die Simulation ausgerechnet auf diesen Betrag kommt, entzieht
sich allerdings unserer Kenntnis.
81 URL: http://www.auswaertiges-amt.de/sid_2FBB8 5 1 096F
9C05 1 2 9907 1 8923527 640/DE/Aussenpolitik/GlobaleFragen/Gesundheit/
DeutschlandsRolle.html
82 URL: http://www.mslgroup.de/

Kapitel Fünf: Exotische Krankheiten unter uns


83 URL: http://www.mslgroup.de/agentur/beirat/bernd-rauch.html
84 LifeGen.de vom 1 1 . 1 1 .2009: Bundeswehr: Tödliches Krim-Kongo Virus
bedroht Truppe in Afghanistan
85 Aus einer Fachbroschüre des Schweizer Bundesamts für Bevölkerungs-
schutz (BABS)
86 OTS Mitteilung vom 24.03.20 1 1 : Änderungen im Roche Aktionärs-Pool
87 URL: http://www.stiftungwolf.ch/Stiftung_Wolf.html
88 Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Referat 95 Epidemiologie
und Gesundheitsberichterstattung
REGIERUNGSPRÄSIDIUM STUTTGART LANDESGESUNDHEITSAMT
Akademie für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
Aktuelle Aspekte der Infektiologie: Hantavirus-lnfektionen, Oberschleiß­
heim 05.07.20 1 0
89 Emerging Infectious Diseases, Volume 1 4 , Number 3 - March 2008.
URL: http://www.cdc.gov/EID/content/ 1 4/3/4 1 2.htm
90 Emerging Infectious Diseases • www.cdc.gov/eid • Vol. 1 2 , No. 1 0,
October 2006
91 Dengue- und Chikungunya-Fieber in der Allgemeinpraxis. Schweiz Med
Forum 2009;9(35):6 1 2
92 Dengue- und Chikungunya-Fieber i n der Allgemeinpraxis. Schweiz Med
Forum 2009;9(35):6 1 2
9 3 Emerging Infectious Diseases • www.cdc.gov/eid • Vol. 1 2, No. 1 0,
October 2006
94 SPIEGEL ONLINE vom 28.02.2006: Erste Chikungunya-Fälle in Deutschland
95 URL: http://www.bni-hamburg.de/
96 Pressemitteilung HZ! 1 1 08 0 1 .04.20 1 1
97 URL: http://medicine.plosj ournals.org/perlserv/?request= get­
document&doi = 1 0. 1 3 7 1 %2Fjournal.pmed.0040 1 26

Kapitel Sechs: Warum Geheimdienste Viren fürchten - und Impfher­


steller frohlocken
98 JNCI 2009; doi: 1 0. 1 093/jnci/dj p288
99 LifeGen.de: Blauzungenkrankheit: Serotyp des Virus identifiziert.
Meldung vom 30.08.2006
1 00 LifeGen.de: FAO fordert globalen Plan zur Bekämpfung der Maul- und
Klauenseuche. Bericht vom 07. 1 1 .200 1
1 0 1 Kurth R. Konsequenzen und Herausforderungen ... Gesundheitswesen
2002; 64: 6 8 9 - 6 9 1
1 02 ebd.
103 AV STC/MT (02)/ File im elektronischen Archiv des Deutschen Bundes­
tags, liegt den Autoren vor
1 04 URL: http://www.bundestag.de/bundestag/europa_internationales/
international/nato_pv/archiv/berichterst/istanbulOO l .pdf
105 U.S. Challenges and Threats from Bioterrorism: ls the U.S. Prepared?
(Report A 1 1 0)
240 D I E V I R E N-LÜ G E

106 Vlad Georgescu i n SPIEGEL ONLINE vom 02. 1 1 .2004: Bioterrorismus


- Forscher rechnen mit Pocken-Anschlag.
107 ebd.
108 Vlad Georgescu in SPIEGEL ONLINE vom 02.1 1 .2004: Bioterrorismus
- Forscher rechnen mit Pocken-Anschlag
109 ebd.
1 1 0 MorphoSys and U.S. Army Enter into Biodefense Cooperation. Pressemit-
teilung des Unternehmens vom 25.09.2006
1 1 1 (DOI: 1 0. 1 1 86/ 1 47 1-2458-9-142)
1 1 2 (DOI: 1 0. 1 1 86/ 1 4 72-6963-9-30)
1 1 3 (vol. 1 87, p.676)
1 1 4 Biologische und chemische Kampfstoffe: Besserer Schutz ist möglich, idw
Pressemitteilung vom 29.0 1 .2003
1 1 5 Okumura T. et al.: Tokyo subway Sarin attack: disaster management. Part
2: hospital response. Academic Emergency Medicine, 1 998, 5:68 1 - 6 24
1 1 6 Biologische und chemische Kampfstoffe: Besserer Schutz ist möglich, idw
Pressemitteilung vom 29.0 1 .2003
1 1 7 NIH: NIH Funds Advanced Developmen t of Three Biodefense Vaccines.
Press release/7. October 201 0
1 1 8 LifeGen.de: H5N 1 out of control: Labs under bioterrorist and pandemic
threat. Bericht vom 1 0.03.2009
1 1 9 HIGH-CONTAINMENT BIOSAFETY LABORATORIES Preliminary
Observations on the Oversight of the Proliferation of BSL-3 and BSL-4
Laboratories in the United States.

Kapitel Sieben: Vorwarnung statt Hysterie


1 20 doi: 1 0. 1 0 1 6/S l 4 73-3099(07)702 1 2-8
1 2 1 URL: http://www.uni-tuebingen.de/modeling/Prog/SimPox.html
1 22 American Journal of Epidemiology 1 58: 1 1 8 - 1 2 8
1 23 Pressemitteilung des Informationsdienst Wissenschaft (idw), März 2007
1 24 LifeGen.de vom 06.08.200 1
1 25 Pressemitteilung der Georg-August-Universität Göttingen über den
Informationsdienst Wissenschaft (idw) vom 25.0 1 .2006
1 26 Jochen Reinecke in der F.A.Z: Reisendes Geld.
1 27 Roger D. Kouyos, Viktor von Wyl, Sabine Yerly, Jürg Böni, Philip Rieder,
Beda Joos, Patrick Tafle, Cyril Shah, Philippe Bürgisser, Thomas Klimkait,
Rainer Weber, Bernard Hirsche!, Matthias Cavassini, Andri Rauch,
Manuel Battegay, Pietro L. Vernazza, Enos Bernasconi, Bruno Ledergerber,
Sebastian Bonhoeffer, Huldrych F. Günthard and the Swiss HIV Cohort
Study (20 1 1 ) : Ambiguous Nucleotide Calls From Population-based
Sequencing of HIV-1 are a Marker for Viral Diversity and the Age of Infec­
tion. Clinical Infectious Diseases online. doi: 1 0 . 1 093/cid/ciq 1 64

Kapitel Acht: Tipps und Tricks gegen Viren & Co.


1 2 8 LifeGen.de vom 08.04.2008: Wirkstoff Paracetamol führt in Kliniken
zunehmend zu Leberversagen - und Tod der Patienten.
1 29 46/2007
1 30 Pressemitteilung der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, 2008

Epilog
1 3 1 hib - heute im bundestag Nr. 1 88/ Di, 1 0.05.20 1 1 Redaktionsschluss:
1 7:00 Uhr
1 3 2 Deutscher Bundestag. Drucksache 1 7/567
R E G I ST E R 241

Register

A Beij erinck, M a r t i n u s W i l l e m 30
Bern h a rd-N ocht-l nstitut für
Aborte 92 1. Tropenmedizin ( B N I ) 111, 115, 1 56 f.
Acetylsalicylsäure (ASS) 1 2, 46, 222 Berte l s m a n n-Stiftung 146
Aedes aegypt i i . Siehe G e l bfiebermücke B e u l e n-/Lu ngenpest) 180
Aedes a l bopictus. Siehe Tigermücke B i l l a n d M e l i nda Gates Foundation 1 31 ,
Aedes-M ücke 1 51 146
Affen pocken-Vire n 1 54 Bioterrori s m u s 1 73, 1 76 , 1 79, 1 81 ff. , 1 86 ,
Agroterrorismus 1 72 f. 1 8 9 ff.
Aids. Siehe H I V B l a uzunge n k r a n k h e i t 1 73 ff.
Aigner, l l s e 4 B l u t b a n ke n 1 1 4
Amerithrax ( F BI-Fa l l ) 200 B l u t u ngen 1 1 1 f., 1 1 7, 1 23, 1 4 0 , 1 4 3 , 149,
Anatolien 148 1 52 , 1 56 , 222
Anthrax 67, 1 83, 1 89 f , 196 Botu l i s m u s 180
Anti biotika 11, 1 86 , 219 B ra s i l i e n 64, 1 09
Antigene 79, 99, 113, 183 Bundesamt für G e sund heit ( BAG),
Antihista m i n i k a 222 Schweiz 53, 66, 1 97, 204, 207
Antikörper 27f., 1 91 f. Bundesamt für Gesundheit ( BGA) 1 51
Anti körperb i b l iothek 1 9 2 B u ndesamts für Gesundheit ( BAG) 1 97
Arabien 73, 1 1 0 B u n d e s m i n i steri u m des I n n ern ( B M I ) 6
Argentinien 1 09 f . B u n d e s m i n i steri u m für B i l d u n g u n d
Arzne i m ittel kommission der Deutschen Forsc h u n g ( B M B F ) 14, 37, 39, 41 , 44 f ,
Ärzteschaft 50 1 97
Ärzte o h n e G renzen 1 2, 61 ff. , 131, 146 B u n d e s m i n isteri u m für E r n ä h rung,
Aspirin 1 23, 222 Landwirtschaft u n d Ve rbra uch erschutz
Atemschutzmasken 1 94, 21 71. ( B M E LV) 7
Aufwa ndsentschädigung 8 5 B u n d e s m i n isteri u m für Wirtschaft u n d
Auswärtiges Amt 1 2 5 Tec h nologie ( B M W i ) 39
Autan 127 Bundesregierung, deutsche 1 2, 61 , 64,
79 , 81 , 83 ff . , 87, 1 0 6 ff . , 1 56 , 1 58, 1 80,
B 230 1.
B u n desverband der Pha rmazeutischen
Bac i l l u s a n th ra c i s . S i e h e Anthrax I n d ustrie (BPI) 77
Baden-Wü rttemberg 149, 204 Bushmeat 2 5
B a h r, Daniel 4, 8
Bakterien 1 0 , 1 8 , 3 0 1 . , 67, 1 78, 1 80, 1 82, C
185, 1 89, 1 9 2 , 219
Bakteriophage 3 C C H FV (Crimean-Congo-H aemorrhagic­
BASF 41 , 1 35 f. Feve r) . Siehe Krim-Kongo-Fieber
Baxter 38, 59 ff . , 67, 80, 97, 99, 1 0 5 , 1 96 , Celsus, Cornelius Aulus 29
1 99 Celva p a n 60
Bayer 1 2 , 41 , 46, 76 , 1 36, 1 8 5 1. , 232 Centrum fü r Reisemedizin (CRM) 111
Bayer HealthCare 1 34 f. C h i k u ngunya-F ieber 1 51 ff.
Bayern 1 1 4 , 148 f., 1 9 2 C h l a mydien 1 64
Bayrepel 1 27 C i pro 1 8 5
242 REGISTER

C l i n i c a l l nfectious Diseases 214 Fremd-D N A 1 88


Clostridium botu l i n u m ( Botu li sm us) 180 Fritz H offm a n n-La Roche. S i e h e Roche
Conterga n "17, 82 Frosch, P aul 30
Frühwarn system RAS-B I C H AT 204
D F u k u s h i m a 68 f. , 1 3 1 , 1 36 , 1 75, 200

D a r m k rebs 1 21 G
DenguEcon 1 1 8 , 1 24, 207
Dengue-Fieber 1 07ff . , 117f., 1 24, 1 26 , G a l l o , Robert 35 f . , 234
1 3 0 , 139, 143, 1 5 2 f. , 1 57, 1 6 1 , 1 9 6 , 229 G a m b i a-Ratte 1 54
Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie Gates, B i l l 1 3 1 , 146
und Geburtshi lfe ( D G G G ) 1 0 0 Gebärmutte r h a l s k rebs 32, 50, 1 20
Deutsche Leberstift u n g 1 61 f . Gedächtnisze l l e n 1 58
D o m i n i k a n ische Republik 1 08 Geflüge l pest 30
Drei-Tage-F ieber 36 Geheimdienste 1 71
D rogen 189 Geheimvertrag 69, 81 f . , 84 f., 87, 1 0 6
G e l bfieber 3 0
E G e l bfiebermücke 1 08, 1 1 1 f .
Gemeinsamer Bundesausschuss (G­
Ebola 1 3 , 1 47, 1 5 5 f. , 1 58, 1 82, 1 89, 1 9 3 , BA) 78, 231 , 234
1 9 9 f., 211 , 2 2 9 Generika 12, 40, 61 ff.
E c h i n a cea purpurea 2 2 0 G l axoS m i t h K l i ne ( G S K ) 38, 46, 58, 67,
E H EC 3 f., 6 f . 72 , 75 , 80 f., 8 3 f., 98 f., 1 01 , 1 1 7, 1 9 6
Ehrlich, Paul 29 G l o b a l e A l l i a nz für I m pfstoffe u n d
E i c h ner, M a rt i n 207 I m m u n isierung (GAVI ) 1 31
Eleutherococcus senticosus. S i e h e Globaler Fonds 6 2
Ta igawurzel Gon orrhoe 1 64
E I N i n o 21 0 Google 58, 60, 1 29, 206
E m erging Diseases 23 Griec h e n l a n d 1 3 , 111
Epidem ie, a utochtone 1 52 Griot, C h ristian 22, 24, 91 , 110, 116, 1 41 ,
Epstein-Barr-Virus 2 5 1 54, 1 71 , 1 73 f. , 234
Erkältu ngsbäder 223 Grippeim pfstoffe, herkö m m l i c h e 51 , 66,
E u ropäischer Wissenschaftsrat 160 86
E u ropäische Union 63, 74, 1 75 G r u n d i m m u n i sierung 1 69
E u ropean Center for Disease Prevention G u l l i a n-Barre-Syndrom 92
a n d Control ( E C D C ) 73 , 189
E u ropean M e d i c i n e s Agency ( E MA) 61 , H
74 ff. , 80, 88, 1 01 ff.
E u ropean Research Cou n c i l ( E R C ) 1 60 H aftu n g 81 f . , 1 04, 1 0 6
H a nta-Virus-Kra n k h eit 148 ff., 1 52 , 1 54,
F 211
H e l m ho l tz-Zentrum für
Fieber 22, 98, 1 09, 1 1 2 , 149, 1 51 , 1 97f., I nfektionsforsc h u n g ( H Z I ) 43, 45, 1 58
21 8, 220 ff. , 228 H e n d ra-Virus 23 f., 1 54
F l u Resea rch N et 45, 47 H e n kel 41
Food and Agric u l t u re Agency Hepatitis 1 6 0 ff. , 1 6 6
( FAO) 1 76 ff. Hepatitis A ( H AV) 1 78
Fördergelder 39, 42, 1 6 0 Hepatitis B ( H BV) 1 61 ff . , 1 6 6 ff.
Forsc hung, m i l itärische 1 91 , 1 99 Hepatitis C ( H CV) 1 61 ff.
Fra n c i s e l l a t u l a re n s i s (Tu l arämie) 1 8 0 H e rpes-Vi re n 25, 36, 1 59, 1 64
REGISTER 243

H I V 26, 35, 37, 61 ff. , 99, 1 59, 1 6 5 , 209, Ko ntaminationen 6 6 1 . , 1 75, 1 78, 1 89
21 1 , 214 Korruptionsverdacht 97
Homöopathie 220 Kran kenversicheru ng, gesetz l i c h e
H ugo, Victor 80 ( G KV) 40, 78 , 87, 94 1 . , 1 21
H U S . Siehe E H EC ; Siehe E H E C Krebs 31 f . , 1 1 9 , 1 23 , 1 59
Hygiene 2 1 4 , 225 f., 2 2 8 Krim-Kongo-Fieber 1 3 , 1 3 9 ff . , 1471.,
1 52 1. , 1 58 , 21 1 , 229
Kroatien 113, 115, 1 1 7
Künast, Renate 68 f . , 8 2
l b u p rofen 2 2 1 f .
I m m u na bwe h r 220 L
I m m u nsystem 1 59
I m pfpa n i k 6 5 L A B O R S P I EZ 1 41
I m pfprogra mme 2 0 , 1 6 3 Langzeitdaten, k l i n ische 57, 80, 86 f.
I m pfstoffe, mo n ovalente 1 0 2 La ngzeitstudien 9, 78 , 86
I nfektionssch utzgesetz ( lfSG) 1 6 5 La Reunion 1 52
I nfluenza 9, 23, 31 , 45, 5 1 ff. , 6 0 , 6 6 , 72, Lassa-Fieber 1 5 5 f., 1 58
86 1., 89, 94, 971., 1 0 2 , 1 39, 143, 146, 1 93, Leberze l l k rebs ( H C C ) 1 6 1 , 1 68 f.
203, 207, 21 1 , 21 9, 224, 227, 229 Leberzirrhose 1 61
lnfluSim 204 f., 207 Leibn iz-Gemeinschaft 1 1 5 , 1 56
I nform ationsste l l e des Bundes für Leistu ngskatalog ( G KV) 1 2 3
Biologische S i c h e rheit ( I B B S ) 1 79 Life . G e n . d e 1 37
I n k u bationszeit 1 57, 1 8 2 L i pobay 78
I n stitut f ü r E n e rgie- u n d U mwelttec h n i k Loeffler, Friedrich 30
( I UTA) 1 9 5 Lungenpest. Siehe B e u l e n pest
I n stitut f ü r Medizinische Biometrie
( 1 M B) 204 M
I n stitut für Qual ität u n d
Wi rtsch a ft l i c h keit i m G e s u n d h eitswesen M a ge n-Da rm-Beschwerden 149
( I OWi G ) 78 1. Mage n-Darm-Erkranku ngen 54, 91 ,
I n stitut für Viruskra n k heiten und 2251.
I m m u n prophyl axe (IVI) 22, 1 1 0 M a l a ria 4 3 , 6 2 , 1 26 , 207, 209
I n stitut Pasteur 1 1 3 , 1 90 M a r b u rg-Virus 1 8 2
I n teresse n konflikte 1 1 , 97, 99, 1 28, 1 3 0 1., M a ssentourismus 2 5 , 1 5 5
1 36 , 146, 1 67, 230 M a ssively M u ltip l ayer O n l i n e Role­
l n terSim 203 ff. Playing Games ( M M O R PGs) 202
lwanows k i , D i m itri 1. 30 M a u l- u n d Klauenseuche ( M KS) 30, 1 73,
1 76 1. , 1 9 9
Max-Planck-I nstitut f ü r
I nfe ktionsbiologie 4 5
J a karta 1 09 M e d i k a mente, a n tivira l e 1 1 , 4 9 , 58, 61 f.,
Jemen 1 1 0 21 8
J e n n er, Edward 271. Medizinischer D i e n st ( M D K ) 1 2 0
M e n a ngle 23
K M e rck Pharma 67
M exiko 86, 1 08, 1 9 5 , 21 71.
K9 1 1 , 47, 49 M i c rosoft 58, 1 31
K i n d e rlä h m u ng. S i e h e Polio M i lzbrand 1 1 , 1 8 0 , 1 8 2 1. , 1 89
K l i m a erwä rmung 111, 1 41 M i ttelvergabe 41
K l i mawa n d e l 14, 1 51 , 1 53 Model l i m pfstoffe 88
244 REGISTER

Montagnier. Luc 35 Pentagon 1 91


Mosa i k k ra n k heit 30 P E P FA R 6 2 1.
M S L ( P R-Age n t u r) 1 29 1. Perso n a l , medizinisches 1 47, 193 f., 217,
M ückenabwehrm ittel 1 27 226
M u l t i p l e S k l erose 92 Pfeffe rmi nzöl 224
M uskelschm erzen 149, 1 57 Pocken 20, 28, 1 56 , 1 79 f. , 1 8 6 ff . , 1 93,
1 9 9 1 . , 20 5 ff.
N Pockensch utzi mpfung 27, 45, 99, 205
Polio 31 , 146, 1 5 5
N a c h a hmerpräparate. S i e h e Generika Präri e h u n d 1 54
N a rkolepsie 72 f . , 75, 79 , 1 04 Promed 1 8 , 68, 90, 94, 96
NASA 25 Prostatakrebs 43, 1 21
National I n stitute of A l l e rgy and Prüfsta n d a rds 61 , 83
l nfectious Diseases ( N I A I D ) 24, 196
N ATO 91 , 1 3 9 f., 1 47, 1 79 f . , 182 f., 1 8 9 R
N a t u re 8, 1 28
Nebenwirkungen 1 1 , 57, 72 1 .. 75, 77, Ramsauer, Peter 1 29
80 f., 86, 88, 90 f., 95, 1 00, 1 06 , 1 35, 1 70, Rea ktionen, unerwünschte 92
223 Relenza 90
N e u r a m i n idasehemmer 88, 90 Resistenzen 28, 90, 96, 214
N evira p i n 64 Rift-Va l l ey-Fieber 1 5 5, 21 0
N i e b e l , D i rk 1 31 R i s i kogru ppe Pornobra n c h e 1 6 3
N i p a h 23, 1 54 R NA-l m pfstoff 58, 9 9
Nob ite 1 27 R N A-Viren 1 1 1
Noro-Viren 54 f., 225 ff. Robert Koch-I nstitut 5
Nothdurft, H a n s Dieter 1 1 5 Robert Koch-I nstitut ( R K I ) 5, 1 0 , 24,
N ovartis 3 8 , 5 8 , 8 0 , 8 3 , 98 f . , 1 8 5, 1 9 6 98 f., 1 67, 1 79 f . , 1 87, 225 f., 230
Roche 14, 38, 40 f., 44, 58 f., 87, 96, 145,
0 1 47, 196
Roseola infa n t u m . Siehe D rei-Tage­
Öffentlicher Gesund heitsdienst Fieber
(ÖGdG) 1 6 5 Rös ler, Philipp 1 00
O n l i ne-Informationsdienst d e r Rotarix 67, 98
I n ternational Society f o r l n fectious Rota-Vi re n 67
D i seases ( I S I D ) 21 Röte l m a u s 148
O n l i n e-Ro l l e n s p i e l e 202 Roter Sonnenhut 220
Origi n a l p rä p a rate 63
Orthoposvirus variola (Pocken) 1 86 s
Oseltamivir 89 f.
Safer Sex 1 6 5
p S a n ofi-Ave ntis 1 1 6 , 1 27 ff.
Sanofi Paste u r 98, 1 1 5 , 1 1 7, 1 3 0
Pandemie 8 f., 33, 37, 39, 50, 52 ff. , 72 , S A R S 1 8 , 23, 54, 57, 66, 97, 1 54, 1 97,
76, 79 ff , 86, 88, 91 , 97, 1 04, 1 9 2 ff., 1 9 8 , 207, 228
2 0 4 , 206 ff . , 21 2 , 21 5 , 21 8 f. , 228 f., 234 S a te l l iten 209 ff.
Pandemrix 67, 72 ff. , 79 f., 88, 99, 1 01 ff. Schafsfieber-Virus 1 76
Pa p i l l oma-Viren ( H PV) 32, 50, 1 64 Schlafkra n k heit. S i e h e N a rkolepsie
Para ceta mol 221 f. S c h röder, Gerhard 43
Pasteur, Louis 28 ff. Schwa ngersch aft 92, 1 00
Patientensicherheit 78 Schwe h m , Markus 207
REGISTER 245

Schweinegrippe 9, 38, 45, 47ff., 51 , 57, Tu larämie 1 8 0


60, 66 f., 69, 71 ff. , 76 , 78 ff. , 83, 86 f., Türkei 1 4 7 1 . , 1 6 2 1 . , 1 72
90 ff., 1 00, 1 02 , 1 04 1. , 1 07, 1 24 1. , 1 39,
1 4 3 1 . , 1 47, 1 68, 1 8 5 , 1 9 5, 1 9 8 , 2071., 2171., u
2 27, 229
Schweiz 22, 53, 66, 112, 1 41 , 1 51 , 1 53, 197 Uganda 1 3
Sciaenidae 17 U K H e a l t h Protection Agency ( H PA) 94
Scre e n i ng 1 2 0 1. , 1 97 Umweltbundesamts ( U BA ) 1 53
Second Life 202 U n d iagnosed D ie-off 1 9 , 5 2
Senckenbe rg Deutsches Unfa l l , virologischer 67, 1 9 0
Entomologisches I n stituts ( S D E I ) 1 1 5 U . S . A r m y M e d i c a l Research I n stitute o f
Seuchenbekäm pfungsvo rsch riften 226 l nfectious D i seases ( U SA M R I I D ) 1 91
Sicherheitsstufe ( B S L-3, B S L-4) 1 99 f. US Centers for Disease Control a n d
S i m Pox 205, 2071. Prevention (CDC) 5, 32, 90, 93, 96, 1 4 3 ,
S i m u lationen 13, 76 , 1 1 7 1 . , 1 24, 1 44, 199
202 ff., 21 0 , 21 2 1. , 21 5
Sofortmeld esystem 226 V
sovereign wealth funds (SWF) .
Siehe Staatsfonds Va kzine 9 f. , 1 2 f. , 28 f . , 35, 38, 49 ff. ,
S p a n i sche Grippe 32 59 f., 6 6 f . , 72 f . , 76 , 78 , 8 0 , 83, 86 ff., 91 ,
Spenderb l u t 114 93, 95 1., 98, 1 01 f., 1 06 , 1 1 6 ff . , 1 2 3 f. ,
Sta ndardimpfungen 1 66 , 169 1 3 0 f. , 1 43, 1 47, 1 62 , 1 67ff . , 1 87f., 1 9 0 ,
Ständ ige I m pfko m m ission (STI KO) 9, 1 1 , 1 9 6 f., 207, 227, 231
8 2 , 97f., 1 03, 1 06 , 1 31 , 1 6 6 f . , 2 3 0 ff. Va kzinforschung 14, 43
Stark, K l a u s 24 Va kzi n-I nitiative 42, 44
Stift u n g Wolf 145 ff. Va kzi n-Konsortium 43
Studien, k l i n ische 60, 76 , 79 , 91 , 93, 98, Va ricell a-Zoster-Virus 26
1 0 2 f., 1 27, 233 Va riola M ajor ( Pocken-Virus) 1 8 0
- Phase 1 77, 99 Vedder, Edward B . 3 1
- Phase II 77 Vektoren 2 0 9 , 211
- Phase I I I 77, 86 Ve rband der privaten
- Phase I V 77 Kra n kenversicherung ( PKV) 95
- Phase N u l l 76 Verba n d Forsc hender
Sturmtaucher 1 9 Arzne i m itte l h e rste l l e r (vfa) 64 f., 77, 234
S ü d russland 148 Vesp a s i a n 29, 106
Sympathomimetika 222 Vioxx 78
Syp h i l i s 1 64 Virale H ä morrhagische Fieber
(VH F ) . S i e h e Dengue, C h i k u ngunya,
T K i rn-Kongo
V i r a m u n e 64
Ta igawurzel 220 Vita m i n C 1 23, 220, 222
Ta miflu 10, 871., 90, 96, 1 44 Vogelgrippe 1 8 , 23, 49, 52, 57, 59, 66 1.,
Tigermücke 1 1 1 , 1 1 3 , 1 1 5 , 1 51 ff. 91 , 96, 1 1 0 , 1 9 0 , 1 9 9 , 201 , 203, 21 2, 228
T I M E 31
Tol lwutimpfung 29 w
Tra c k i ng, B i l l 212
Tra nsfusionsmedizin 1 1 4 Weltgesund h e itsorga n isation W H O 1 3 ,
Tra n s parency I ntern ational 9 7 37, 4 6 , 5 3 , 5 5 , 6 2 , 68 f . , 72, 8 5 ff. , 9 0 , 97,
Trittin, J ü rgen 68 f . , 82 1 1 6 , 1 66 , 1 77ff., 208
Tro m m l e r 1 7 1 . West-N il-Fieber 1 57
246 REGI STER

Wi rtswec hsel 1 8 z
Wissenschaftsj o u r n a l i s m u s 1 27, 1 34 f.
Wofa seril 227 Zecke 1 41
World of Wa rc raft 202 f. Zentrum für Biologische S i c h e rheit
Wundstarrkrampf (Tet a n u s ) 29 (ZBS) 180
Zoonosen 24, 141 f., 1 54, 234
y Zweiterk rankung 1 1 2
Zytomega l i e (ZMV) 2 5 , 4 3 , 1 57, 1 59 f.
Yas m i n 75 , 1 3 5
Ye rsinia pestis ( B e u l e n- oder
Lungen pest) 180
EUROPEAN M EOICI N ES AGENCY
\ C I F '-i C F M f [) I C I N F , II F A I T I I

EMA/252208/20 1 0
EM ENH/C/000832

Zusammenfassung des EPAR für d i e Öffentlich keit

Pa n d e m ri x
I nfl uenza - I m pfstoff ( H l N l ) v ( S pa ltv i ru s , i n a kt i v i e rt, a dj u v a ntiert )

D a s vorliegende Dokument i s t e i n e Zusa mmenfa ss u n g d e s E u ropäischen Öffentlichen


Beurte i l u n g sberichts ( E PAR) fü r Pandemrix, i n dem erläutert wird, wie der Ausschuss für
H u m a n a rzneim ittel ( C H M P ) d a s Arz n e i m i ttel b e u rtei lt hat, u m z u seinem befü rworten d e n Gutachten z u r
E rte i l u n g d e r Geneh m i g u n g für das I n ve rkeh rbri n g e n u n d s e i n e n Empfe h l u ng e n z u d e n
Anwendu ngsbed i n g u ng e n für Pa ndemrix zu g e l a n g e n .

Was ist Pandemrix?

P a n d e m ri x ist e i n I m pfstoff, d e r a l s I njektion verabreicht w i rd . E r e n t h ä l t T e i l e v o n


I n f l u e n za - ( G ri p p e - )Viren, d i e i n a ktiviert wurd e n . P a n d e m r i x e n t h ä l t den G r i p pe v i russta m m
A/Ca l ifornia/7/2009 ( H l N ! ) v - l i k e stra i n ( X - ! 79A) .

Wofü r w i rd Pandemrix a n g ewendet?

Pandemrix ist e i n I m pfstoff z u m Schutz vor einer Grippe, d i e von d e m Virus A ( H l N l ) v 2 0 0 9 a u sg elöst
w i rd . Pandemrix w i rd entsprechend d e n offi z i e l l e n E m pfe h l u ngen verabreicht.

Der I m pfstoff ist nur a u f ä rztl iche Versc h re i b u n g erhältlich .

W i e w i rd Pandemrix a n g ewendet?

Pandemrix w i rd a l s e i n e Dosis verabreicht u n d i n den Schu lter- oder Obersc h e n k e l m u skel gespritzt.
Früheste n s d rei Wochen nach d e r ersten Dosis kann bei K i n d e rn i m Alter zwischen sechs Monaten und
neun J a h re n eine zweite Dosis verabreicht werd e n . Bei Patienten über zehn J a h re beträgt d i e Dosis
0,5 ml; j ü ng e re Kinder erhalten 0 , 2 5 m l pro Dosis.

W i e wi rkt Pa ndemrix?

Pandemrix i s t e i n I m pfstoff. Die W i rk u n g v o n I m pfstoffen beruht d a ra u f, d a s s sie d e m I m m u nsystem


(der natürlichen Körperabwehr) ,, beibringen", w i e es eine K ra n kheit a bwehren k a n n . P a n d e m ri x enthält

Wi _te ry eire 1s • Ca11 ry Wharf • � F 1 4 1 5 • Un1tej K nqdu11


Telephone 4• )).!O Facsimile (U,20 7 4 1 8 b4 J

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kleine Mengen von Hämagglutininen ( Proteinen a u s der Oberfläche) des Virus A ( H l N l )v 2009. Das
Virus wurd e zunächst i n a ktiviert ( abg etötet) , damit es keine Erkrankung verursachen k a n n .

Wenn der I mpfstoff vera breicht w i r d , erkennt das I m m u nsystem das V i r u s a ls „fremd" u n d bildet
Antikörper dageg e n . Das I m m u n system ist d a n n i n der Lage, d iese Antikörper schneller zu bilden,
wenn es dem Virus erneut ausgesetzt ist. Dies trägt dazu bei, den Körper vor der K ra n kheit zu
schützen, d i e d u rch das Virus veru rsacht wird.

Vor der Anwend ung wird der I m pfstoff hergestel lt, indem eine Suspension, d i e d i e V i ruspartikel enthält,
mit einem Lösu ngsmittel vermischt wird. Die so hergestel lte „ E m u lsion" wird d a n n i njiziert. Das
Lösu ngsmittel enthält e in „Adjuvans" (eine Substanz, d i e Öl enthält), um d i e I m m u n a n twort zu
verbessern .

Wie w u rde Pandemrix u ntersucht?

Pandemrix wurde u rsprüng lic h als pandem ischer Im pfstoff entwickelt, der während der i m Juni 2009
ausgerufenen Influenza-A ( H l N l }-Gri ppepandemie a n gewendet werden sollte. Es wurden sechs
H au ptstu d i en d u rchgefü h rt, in denen die Fä higkeit des I m pfstoffes bei einem zweistufigen I m pfplan
u ntersucht wurde, bei den folgenden Gruppen eine I m m u n a n twort auszu lösen ( d ie Zahlen i n K l a m mern
beziehen sich auf die Proba nden, die in den Studien Pandemrix erhielten } :

gesunde Erwachsene i m Alter zwischen 1 8 u n d 6 0 J a h ren ( 1 80 Proba nden i n zwei Stud i e n ) ;

gesunde ältere Personen ü b e r 60 J a h re (1 2 0 Probanden i n e i n e r Stud i e ) ;

gesunde K i n d e r ( 2 1 0 i m Alter zwischen d rei u n d 1 7 J a h ren sowie 50 i m Alter zwischen sechs u n d


3 5 Monaten i n d rei Stud i e n } .

I n den Studien mit Kindern konnte auch d i e W i rksamkeit v o n Pandemrix a ls 0 , 5 - m l - Dosis mit der einer
0 , 2 5 - m l - Dosis vergl ichen werd e n .

Welchen Nutzen hat P a n d e m r i x i n d iesen Stud i e n gezeigt?

Gemäß den vom CHMP festg elegten Kriterien wu rd e i n a llen Studien nachgewiesen, dass d e r Impfstoff
zu ausreichend schützenden Konzentrationen von Anti körpern führte.

Der CHMP stellte fest, dass mit einer E i n zeldosis bei Erwachsenen (einschließlich ä l terer Menschen ) ,
J ugendl ichen und Kindern a b z e h n J a h ren eine a usreichende I m m u n ität erreicht werden konnte. Bei
Ki ndern zwischen sechs Monaten un d neun J a h ren waren 0 , 2 5 - m ! - Dosen gena uso w i rksam wie
0 , 5 - m l - Dose n .

Welches R i s i k o i st m i t P a n d e m ri x verb u n d e n ?

Die hä ufigsten Nebenwirkungen v o n Pandemrix ( beobachtet b e i mehr als 1 v o n 1 0 Dosen d e s


Im pfstoffes) s i n d Kopfschmerzen, Arthra lgie (Gelen kschmerze n ) , Myalgie ( M uskelschmerze n ) ,
Reaktionen a n der I njektionsstelle (Verhärtu n g, Schwe l l u n g , Schmerzen u n d Rötu n g ) , Fieber u n d
Fatigue ( E rschöpfu n g ) . Die vollständ ige Auflistung der i m Zusammenhang mit Pandemrix berichteten
Nebenwirkungen ist der Packungsbeilage zu entneh m e n .

P a n d e m r i x d a rf nicht bei Personen a ngewendet werden, bei denen ein e anaphylaktische Reaktion
(sch were a l lergische Rea ktion) auf einen der Besta ndteile des I m pfstoffes oder auf eine der
S u bsta nzen auftrat, d i e i n Spuren {sehr geringen Konzentrationen) i m Impfstoff enthalten sein können,
wie z . B . E i - oder H ühne rprote in, Ova l b u m i n ( e i n Prote i n i m Eiwei ß ) , Formaldehyd, Gentamicinsu lfat

„ ocmrix
.. .:.. 2 5)208/)0 l O Seite 2/ 3
( e i n Antib ioti k u m ) u n d Natri u m d eoxycholat. Bei Perso nen m i t hohem Fieber oder einer akuten
( k u rzfristigen) I nfektion sollte d i e I m pfung verschoben werd e n .

Warum wurde Pandemrix zugelassen?

Der CHMP gelangte zu dem Schl uss, dass die Vorteile von Pandemrix gegenüber d e n Risiken
überw i e ge n , und empfa h l , d i e Genehmigung für d a s I nverkehrbringen zu erte i l e n .

Pandemrix w u rde ursprü n g l i c h u n t e r „ a u ßergewö h n l ichen Umständen" zugelassen, d a zum Zeitp u nkt
der G e n e h m i g u n g a u s wissenschaftlichen Gründen n u r begrenzte I nformationen vorlage n . Nachdem
das U nternehmen d i e g eforderten zusätzlichen I nformationen vorgelegt hatte, wurden d i e
,,a u ßergewöh n l ichen Umstände" a m 1 2 . August 2 0 1 0 aufgehobe n .

Weitere Informationen über Pandem r i x :

Am 2 0 . M a i 2 0 0 8 ertei l te d i e Eu ropäische Kommission dem U nternehmen GlaxoSmith K l i ne


ßiolggicals s . a . eine Genehm igu ng für d a s I nverkehrbringen von Pandemrix in der gesamten
Eu ropäischen U n i o n . D i e Gene h m i g u n g f ü r das I nverkehrbri n g e n g i l t f ü n f J a h re u n d k a n n anschli eßend
verl ä n gert werd e n .

Den vollstä n d i g e n Wortla u t des EPAR für P a n d e m r i x finden Sie hifil. Wenn S i e weite re I n formationen
zur Beha n d l u n g mit Pandemrix benötigen, lesen Sie bitte d i e Packungsbe i l a g e (ebenfa l l s Teil des E PAR)
oder wenden Sie sich a n I h ren Arzt oder Apotheker.

Di ese Zusam menfass u n g w u rd e z u l etzt i m 06· 2 0 1 0 aktualisiert .

Pimdemnx
EMA!25220Si2010 Seite „ 3
© Vol l born / Georgescu

Marita Vollborn und Vlad Georgescu sind


Wissenschaftsjournalisten, seit 2001 leiten
sie das international erscheinende Biotech­
Webzine LifeGen . de redaktionell. Ihre
Artikel erschienen unter anderem in Spie­
gel Online, Handelsbla tt, Financial Times
Deutschland, Focus, Wirtschafts woche
und Süddeutsche Zeitung. Sie sind Auto­
ren mehrerer Sachbücher, unter anderem
des Bestsellers „ Die Joghurt- Lüge".

Unser gesamtes lieferbares Programm und


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www.hanser-literaturverlage.de

coronakrise coronarätsel

U msch laggestaltung :
Brecherspitz Kom m u n i kation G m b H
M ü nchen
J edes J ah r d roht u n s e i n e n e u e Epid e m i e . Doch
ob bei E H EC oder der Schwe i ne gri ppe - d i e
Seuchen bekäm pfu ng der d eutschen B ehörden ist
mangelhaft . D i e Pol it i k ste l l t viel zu wen i g G e l d fü r
Forsch u n g z u r Verfüg u n g . S i e ü berlässt das Fel d
der Pharmai nd u strie, d i e s i c h l ieber a u f l u krative
Kran kheiten wie d i e G ri ppe konzentri e rt .

D i e Bestse l lerautoren Marita Vo l l born u n d Vlad


Georgescu zeigen , welche Seuchengefah ren ig no­
riert und welche aufgebauscht werden . Sie kritisie­
ren , wie seh r d i e Pol it i k am Tropf der Pharmalobby
hängt - u n d weisen den Weg i n e i n e Z u ku nft ,
i n der E p i d e m i e n frü hzeitig erkan nt werden u n d
G rundlagenforsch ung d e n Keimen i h ren Schrecken
n i m mt .

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