Sie sind auf Seite 1von 6

ECA 7 (2010), p. 91-96; doi: 10.2143 / ECA.7.0.

2136907

Ägyptische Spätantike:
Marmorne Vorbilder in Kalkstein kopiert
Hans-Georg SEVERIN

Weniger durch Neufunde, eher durch kenntnis- 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts, Fertigimport aus
reiche Analysen der spätantik-frühbyzantinischen Konstantinopel7 (Abb. 1), oder ein anderes, unbe-
Bauskulptur Ägyptens wird in letzter Zeit immer kannte Exemplar dieser Art in Ägypten ist in einem
deutlicher faßbar, wie gut ägyptische Steinmetze Säulenkapitell aus Kalkstein im Koptischen
mit Konstantinopler Formen, Modellen und Moden Museum Kairo8 (Abb. 2) nachgeahmt worden. Der
bekannt, wie sehr sie davon beeindruckt und zur Kapitelltypus besteht aus einem unteren Blattkranz,
Nachahmung angeregt gewesen sind1. Hinter die- einer oberen Zone mit Pfeifen und einer quadrati-
sem aufmerksamen Interesse, das sich in diesen schen Deckplatte. Der Blattkranz des importierten
Skulpturen niedergeschlagen hat, stand sicherlich Marmorkapitells zeigt die relativ seltene Form des
auch der Wunsch der Auftraggeber bzw. der Bau- gerahmten (oder: geränderten) feingezahnten
herren, sich durch Bezug auf die Konstantinopler Akanthus9 (Abb. 1), und die lokale Nachahmung
Kunst als gebildet und weltläufig zu zeigen: Man in Kalkstein übernahm zwar nicht diesen speziellen
wollte auf seine Verbindungen mit der Hauptstadt Blattschnitt10, aber die kielbogenförmige Rahmung
hinweisen. Das wichtigste Vehikel dieses Kultur-
transfers waren Marmorarbeiten, zum kleineren
Teil Konstantinopler Fertigimporte und zum größe-
ren Teil – in importiertem Marmor – alexandrini- 1
Höchst ergiebig ist die umsichtige Arbeit von Krumeich
sche Nachahmungen dieser Fabrikation2. Beide 2003. Judith McKenzie (2007) hat sich in den die spät-
antik-frühbyzantinische Epoche betreffenden Teilen ihres
Sorten sind bis weit in den Süden des Nillandes Buches entschlossen, das Abhängigkeitsverhältnis Haupt-
verhandelt worden3. stadt (Konstantinopel) – Provinz (Ägypten) zugunsten
Von dieser Produktion in Marmor ist die lokale Ägyptens umzukehren. Die notwendig ausführliche Wider-
Skulptur in Kalkstein stark beeinflußt worden. legung ihrer Argumentationen ist hier nicht möglich; so
muß ich auf meine ausführliche Rezension (Byzantinische
Doch sind direkte Nachahmungen gar nicht so häu- Zeitschrift) verweisen.
fig anzutreffen. So sind zum Beispiel die bekannten 2
Vgl. Severin 1998.
Faltkapitelle und Kesselkapitelle des 6. Jahrhunderts, 3
Vgl. z. B. den neuen Fund eines Konstantinopler Faltkapi-
die vor allem aus Bawi† und Saqqara stammen4, ‘als tells in Dayr Anba Sinuda (sog. Weißes Kloster) bei Suhag,
also im Süden der Thebais I (erwähnt bei Brüx 2008, 287,
hauptsächlich ägyptischen Ornamenttraditionen Taf. 32, 38).
verhaftete Nachschöpfungen anzusehen’5; es ‘inter- 4
Eine gründliche Untersuchung bei Brüx 2008, 114-124.
essierte die einheimischen Steinmetzen Mittelägyp- 5
Brüx 2008, 114.
6
tens bei der Nachahmung der dekorative Habitus und Brüx 2008, 115.
7
Ehemals Musée Arabe bzw. Museum für Islamische Kunst,
nicht die präzise Eigenart dieser (konstantinopler) verschollen (Duthuit 1931, 49, Taf. 45a; Kautzsch 1936,
Kapitelle in Grundform, Struktur und Einzelform’6. 138, Nr. 446; Severin 1998, 98, Taf. 30,11).
Wenn wir von der Massenproduktion korinthischer 8
Magazin, ohne inv. no. (Journal d’ Entrée 14.3.44). Kalk-
Kapitelle einmal absehen und uns auf seltenere, gut stein, H. 42, untere Breite 41, obere Breite 61 ≈ 72 cm;
zwei originale seitliche Nute (Severin 1998, 98, wo eine
kenntliche Kreationen der Konstantinopler Werkstät- andere Kapitellseite abgebildet ist).
ten beschränken, so sind direkte, in Kalkstein gear- 9
Kautzsch 1936, 137-139; Peschlow 2001, 97-98.
beitete Nachahmungen, bei denen die Vorbilder 10
Der feingezahnte Akanthus ist in der lokalen Skulptur
exakt benannt werden können, bisher nur relativ Ägyptens kaum nachgeahmt worden. Eine seltene Aus-
nahme bildet ein Pilasterkapitell in der wiederverwendeten
selten bekannt geworden. Nord-Tür der Kirche Dayr Anba Bisuy bei Suhag, vgl.
Folgendes Beispiel ist schon publiziert: Ein nach Krumeich 2003, I, 42, Anm. 283; Severin 2008, 98, 103,
Kairo gelangtes marmornes Säulenkapitell aus der Fig. 33.

91
Abb. 1. Ehemals Kairo, Museum für Islamische Kunst (nach Duthuit 1931, Pl. 45a)

Abb. 2. Kairo, Koptisches Museum (Hans-Georg Severin)

92
Abb. 3. Jerusalem, Qubbat as-Silsila (Jerusalem Department of Islamic Archaeology)

des Blatts, die in der lokalen Skulpturenproduktion Alexandria (2 Exemplare) und al-Bahnasa/Oxyrhyn-
Ägyptens sonst unbekannt ist, sowie die übrigen chos erhalten13.
Charakteristika des Kapitell-Typus, sogar die vier Bei den Vertretern beider Varianten gibt es
Blattwedel unter den Ecken der Deckplatte (Abb. 2), Konstantinopler Arbeiten: Sie sind entweder in
so daß die Abhängigkeit evident ist. Istanbul erhalten oder als hauptstädtische Werke
Hier kann nun ein neues Beispiel angefügt zweifelsfrei erschließbar14. Eine relativ große Anzahl
werden. Wir kennen einen speziellen Typus von dieses Kapitelltypus dürfte hingegen in Ägypten,
Marmorkapitellen aus der ersten Hälfte des 6. Jahr- wofür vor allem Alexandria in Frage kommt, gear-
hunderts, der in zwei Varianten auftritt. Kennzei- beitet sein, und dieser Sachverhalt läßt sich wahr-
chen ist ein einziger Blattkranz aus acht hohen scheinlich damit erklären, daß einerseits Kapitelle
Blättern, denen jeweils ein Ölblattzweig aufliegt. dieses wenig artifiziellen Typus relativ leicht herge-
Darüber folgt eine ionische Zone mit Eierstab11. stellt werden, andererseits als rezente Beispiele der
Die Variante A ist rein komposit und hat normale Konstantinopler Kunst gelten konnten15.
ionische Voluten (Abb. 3): Zehn Beispiele haben
sich in Istanbul (2 Exemplare), Berlin, Jerusalem
(2 Exemplare), Alexandria, Kairo (3 Exemplare) 11
und al-Minya erhalten12. Bei der hybriden Variante B Severin 1989.
12
Severin 1989, 152-154 (Nr. A1 – A9), Taf. 4, 5 a-b; Sev-
steigen zwischen den Kranzblättern hingegen Außen- erin 1998, 98-99 (Nr. A10), Taf. 32,20.
helices auf (Abb. 4), ein Element des korinthischen 13
Severin 1989, 154-155 (Nr. B1 – B8), Taf. 5 c-f, 6 a-c;
Kapitells, das anstelle der Voluten des ionischen Severin 1998, 98 (Nr. B9).
14
Bereichs des Kompositkapitells eingesetzt ist und Severin 1989, 158 r. A1 – A3 und B1 – B4).
15
Severin 1989, 160.
so den kompositen Typus durchbricht bzw. auf- 16
Marmor (in der Beschriftung des Museums irrtümlich als
hebt: Neun Beispiele sind in Kairo (6 Exemplare), Kalkstein bezeichnet), Höhe 51, obere Breite 60 cm.

93
Abb. 4. Kairo, Mosche des cAmr ibn al-AÒ (Hans-Georg Severin)

Die Gruppe der Variante A kann jetzt durch ein direkt gegenüber von Hermupolis. Dieses Stück,
weiteres Exemplar ergänzt werden, das sich im das als 21. Exemplar des Kapitelltypus gezählt wer-
Museum von al-Asmunayn/Hermupolis16 befindet den kann, stellt aber einen Sonderfall dar, denn es
(Abb. 5). Es ist nach meiner Kenntnis das süd- ist in Kalkstein gearbeitet19. Der mit einem Ölblatt-
lichste Exemplar, nicht nur für Ägypten. Dieses zweig belegte Fußwulst und die mit Ölblattzweigen
zusätzliche Stück17 böte nun gewiß keinen Grund belegten acht großen Blätter bezeugen die Abhän-
für eine eigene Publikation. Der Anlaß meiner gigkeit von den marmornen Vorbildern; nur das
Notiz ist vielmehr der Neufund eines Kapitells im ionische Element zeigt eine Abweichung, indem
Stadtgebiet von SayÌ cAbbada/Antinoupolis18 auf der Eierstab in konkaven Formen, sozusagen nur
der östlichen Uferseite des Nils (Abb. 6), ziemlich den Schalen der Eier entsprechend, dargestellt ist.
Eine Spekulation, ob der Steinmetz, der das Kapi-
tell in Antinoupolis gearbeitet hat, womöglich das
marmorne Stück in Hermupolis (Abb. 5) – bzw.
weitere dort vorauszusetzende Kapitelle der Vari-
17
Entsprechend der bisherigen Zählung wird es als Nr. A11 ante A – gesehen haben könnte, erübrigt sich.
geführt.
18
Der Fund im Stadtbereich (Planquadrat 5E oder 5F) wird
Denn die Kalksteinarbeit folgt – wie die zwischen
Friederike von Bargen verdankt. Das Kapitell ist ins den Kranzblättern aufsteigenden Außenhelices zei-
Grabungshaus der italienischen Mission verbracht worden. gen der hybriden Variante B (Abb. 4). Wir können
Ich bin Rosario Pintaudi für die Einladung, die spätantike daraus den Schluß ziehen, daß beide Varianten des
Bauskulptur von Antinoupolis zu bearbeiten, sehr dankbar.
19
Nummuliten-Kalkstein (nach Einschätzung von Rosario
Marmorkapitells mit aufgelegten Ölblattzweigen
Pintaudi lokales Steinmaterial aus der Umgebung von im 6. Jahrhundert bis in die nördliche Thebais I
Antinoupolis). H. 36.5, untere Breite 28.5, obere B. 40 cm. bekannt gewesen sind.

94
Abb. 5. Al-Asmunayn/Hermupolis, Museum (Hans-Georg Severin)

Abb. 6. SayÌ cAbbada/Antinoupolis, Grabungshaus (Hans-Georg Severin)

95
LITERATUR Peschlow, U. 2001, ‘Kapitell’, Reallexikon für Antike und Chris-
tentum 20, 57-123.
Brüx, R. 2008, Faltkapitelle. Untersuchungen zur Bauskulptur Kon- McKenzie, J. 2007, The Architecture of Alexandria and Egypt,
stantinopels, Langenweißbach (Schriften des Zentrums für c. 300 B.C. to A.D. 700, New Haven/London.
Archäologie und Kulturgeschichte des Schwarzmeerraumes 12). Severin, H.-G. 1989, ‘Kapitelle mit einem Blattkranz aus hin-
Duthuit, G. 1931, La sculpture copte. Statues, bas-reliefs, mas- terlegten Ölblattzweigen’, JbAChr 32, 151-160.
ques, Paris. Severin, H.-G. 1998, ‘Konstantinopler Bauskulptur und die
Kautzsch, R. 1936, Kapitellstudien. Beiträge zu einer Geschichte Provinz Ägypten’, in: U. Peschlow, S. Möllers (Hrsg.),
des spätantiken Kapitells im Osten vom vierten bis ins siebente Spätantike und byzantinische Bauskulptur. Beiträge eines
Jahrhundert, Berlin/Leipzig (Studien zur spätantiken Kunst- Symposions in Mainz, Februar 1994, Stuttgart, 93-104 (For-
geschichte 9). schungen zur Kunstgeschichte und christlichen Archäologie
Krumeich, K. 2003, Spätantike Bauskulptur aus Oxyrhynchos. 19).
Lokale Produktion – äußere Einflüsse, I: Text; II: Katalog, Severin, H.-G. 2008, ‘On the architectural decoration and dating
Wiesbaden (Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz – of the church of Dayr Anba Bisuy (‘Red Monastery’) near
Kunst im Ersten Jahrtausend, Reihe A: Grundlagen und Suhag in Upper Egypt’, DOP 62, 75-112.
Monumente 12).

96

Das könnte Ihnen auch gefallen