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Heinrich Baltensweiler

Exegetische Untersuchung über


Ehe, Ehelosigkeit
und Ehescheidung

Zwingli Verlag Zürich/Stuttgart


Heinrich Baltensweiler

Die Ehe
im N euen Testament
An diesem Buch wird inskünftig
nicht vorbeigehen können, wer
sich als Christ in gründlicher
Weise - sei es exegetisch, syste-
matisch, sozialethisch oder in prak-
tischer Seelsorge - mit dem Phä-
nomen der Ehe beschäftigt. Denn
hier ist in bisher nicht erreichter
Sorgfalt und Ausführlichkeit jede
neutestamentliche Aussage über
Ehe, Ehelosigkeit und Eheschei-
dung auf ihren Stellenwert und
Sinngehalt hin geprüft und durch -
leuchtet. Einer umsichtigen Dar-
stellung der Ehe im zeitgeschicht-
lichen Vorfeld und Umkreis des
Neuen Testaments folgt die gross-
angelegte Untersuchung aller neu-
testamentlichen Ehetexte. Den Ab-
schluss bildet eine präzise Zusam-
menfassung der Resultate.
Was ist das Wesen der Ehe?
Welche Funktion kommt der Ehe
im Leben des Menschen und der
Gesellschaft zu? Wie kann der
Institutions- und Offentlichkeits-
charakter der Ehe zur Geltung
gebracht werden, ohne dass der
Christ in naturrechtliche Denk-
kategorien verfällt? Gibt es einen
christologischen Sinn der Ehe und
inwiefern hat dieser seine Auswir-
kungen auf die Ehe überhaupt,
auch auf die Ehe der Nicht-
christen?
Es ist selbstverständlich, dass
die biblischen Aussagen über Ehe,
Ehelosigkeit und Ehescheidung in
der Diskussion der ob genannten
Probleme eine wichtige Rolle spie-
len. Ja, sie erhalten eine entschei-
dende Bedeutung, insofern die
christliche Gemeinde vom Wort
Gottes her eine verbindliche Wei-
sung erwartet.
Ein direkter Rückgriff auf die
biblischen Eheaussagen ist aber
leider nicht statthaft. Wohl ist die
Ehe in Gottes Schöpfertat begrün-
det und darum in dieser Hinsicht
eine konstante Grösse durch alle
Zeiten hindurch. Aber die kon-
krete Form, in der sich die Ehe
abspielt, umfasst verschiedene Be-
reiche des menschlichen Lebens;
Ehe gehört zur Sphäre der Reli-
giori, des Rechts, der Gesellschaft
und der Kultur. Diese Bereiche des
menschlichen Lebens sind zeit-
und umweltbedingten Anderungen
unterworfen. Und weil die Ehe
sich nie als Idee verwirklichen
lässt, sondern immer in einem Le-
bensvollzug geschieht, darum kann
sie von den veränderten Zeit-
umständen nicht unberührt blei-
ben. Stellt man ferner die grossen
soziologischen Umwälzungen, wel-
che die neuere Zeit uns beschert
hat, in Rechnung - wir denken
etwa an die veränderte Stellung
der Frau in Gesellschaft und Be-
ruf oder an die Ablösung der pa-
triarchalischen Familienauffassung
durch die partnerschaftliche - ,
dann ist es klar, dass auf die Frage
nach Ehe und Ehescheidung keine
biblizistische Antwort möglich ist.
Die Aussagen des Neuen Testa-
ments über Ehe und Ehescheidung
können heute nicht einfach wie-
derholt werden, sondern sie müs-
sen in unsere Zeit transponiert
werden.
Voraussetzung jeder Interpre-
tation ist aber die genaue Erfas-
sung der vorliegenden Texte. Nö-
tig ist zuerst einmal eine Bestan-
desaufnahme : Was wird über Ehe
und Ehescheidung im Neuen Te-
stament gesagt, was wird nicht
gesagt? Was bedeuteten jene Aus-
sagen damals für jene Hörer in
ihrer Umwelt? Inwiefern sind sie
ihrer Umgebung konform oder
inwiefern widersprechen sie den
zeitbedingten Anschauungen? Las-
sen sich in den neutestament-
lichen Aussagen gewisse Struktu-
ren erkennen, die nicht zeit- oder
umweltgebunden sind? Erst wenn
diese Fragen abgeklärt sind, wird
es möglich sein, die tragenden
Linien bis in unsere Gegenwart
auszuziehen . . .
Baltensweilers klare Fragestel-
lungen und Ergebnisse können
richtungweisend sein für eine an-
gesichts des Umsturzes alter Ord-
nungen rat- und antwortlos ge-
wordene Kirche. Der Basler Pri-
vatdozent für Neues Testament
leistet mit diesem Buch der Theo-
logie wie der pfarramtlichen
Praxis einen bedeutsamen Dienst.

ZWINGLI VERLAG
ZÜRICH j STUTTGART
@ Heinrich Baltensweiler: Die Ehe im Neuen Testament
ABHANDLUNGEN ZUR THEOLOGIE DES ALTEN
UND NEUEN TESTAMENTS
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. W. EICHRODT UND PROF. DR. O. CUllMANN

BAND 52
HEINRICH BALTENSWEILER
DIE EHE IM NEUEN TESTAMENT
HEINRICH BALTENSWEILER

DIE EHE IM NEUEN TESTAMENT

Exegetische Untersuchungen über Ehe,


Ehelosigkeit und Ehescheidung

ZWINGLI VERLAG ZüRICH/STUTTGART


@ 1967 Zwingli Verlag Zürich
Alle Rechte vorbehalten
Printed in Switzerland by CVB-Drnck, Zürich
Einband: Buchbinderei Baumann & Co. AG, Erlenbach
MEINER FRAU
VORWORT

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 1965 der Theologischen Fa-


kultät der Universität Basel als Habilitationsschrift eingereicht und von
dieser angenommen. Es wird darin der Versuch gemacht, in der Vielfalt
der heutigen Diskussion zu den Grundlagen, d. h. zu den einschlägigen
Texten des Neuen Testamentes, zurückzugehen, um so manche offenen
Fragen zu klären und neue Anregungen zu geben. Ich möchte es dem
Leser überlassen, zu beurteilen, wie weit mir das Letztere gelungen ist.
Auf die Anfertigung eines Sachregisters habe ich verzichtet, da das
Inhaltsverzeichnis· am Schluss des Buches allen erwünschten Aufschluss
geben kann.
Besonders danken möchte ich den Herren Professoren O. Cullmann
und B. Reicke für mancherlei Anregungen und Ermutigungen beim Ent-
stehen dieser Arbeit, Herrn Professor Cullmann auch dafür, dass er
diese Untersuchung in die Reihe der Abhandlungen zum Alten und
Neuen Testament aufgenommen hat. Dass der Verlag den Druck und
die Herausgabe des Werkes umsichtig betreute, sei hier ebenfalls dank-
bar erwähnt.

Binningen/Basel, im Juli 1967


Heinrich Baltensweiler
ABKüRZUNGSVERZEICHNIS

1. Kommentare, Reihen, Lexika, etc.

ATD Das Alte Testament Deutsch


AThANT Abhandlungen zur Theologie des Alten und Neuen Testamentes
Bauer W. Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, 1958 5
BFchrTh Beiträge zur Förderung christlicher Theologie
BHH Biblisch-histor. Handwörterbuch, hrsg. von B. Reicke u. L. Rost
Billerbeck Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch,
von H. L. Strack und P. Billerbeck
EJ Encyclopaedia Judaica
EKL Evangelisches Kirchenlexikon, hrsg. v. H. Brunotte und O. Weber
HNT Handbuch zum Neuen Testament, hrsg. v. H. Lietzmann
LThK Lexikon für Theologie und Kirche, hrsg. v.J. Höfer und K. Rahner
Meyer Komm Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament,
begr. v. H. A. W. Meyer
NTD Das Neue Testament Deutsch
NTF Neutestamentliche Forschungen
RAC Reallexikon für Antike und Christentum, hrsg. v. Th. Klausner
RE Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche,
hrsg. v. A. Hauck
RGG Die Religion in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. K. Galling,
3. Auflage
SeIl Komm Kommentar zum Alten Testament, hrsg. v. E. Sellin
ThHK Theologischer Handkommentar zum Neuen Testament
ThWb Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament,
hrsg. v. G. Kittel

2. Zeitschriften

ET The Expository Times, Edinburgh


EvTheol Evangelische Theologie
JBL Journal of Biblical Literature
JBR Journal of Bible and Religion
JQR Jewish Quarterly Review
JRel Journal of Religion
NovTest Novum Testamentum, Leiden

9
NSNU Nuntius Sodalicii Neotestamentici Upsaliensis
NThT Nieuw Theologisch Tijdschrift
NTS New Testament Studies
NTT Norsk Teologisk Tidsskrift
RB Revue biblique
RBen Revue Benedictine
RechSR Recherches de science religieuse
RHPhR Revue d'Histoire et de Philosophie religieuses
RHR Revue de l'Histoire des Religions
RScPhilTh Revue des Sciences philosophiques et theologiques
RThPh Revue de Theologie et de Philosophie
SO Symbolae Osloenses
StTh Studia Theologica
ThBI Theologische Blätter
ThLZ Theologische Literaturzeitung
ThQ Theologische Quartalsschrift
ThoT Theology of Today
ThStKr Theologische Studien und Kritiken
ThZ Theologische Zeitschrift
TThZ Trierer Theologische Zeitschrift
VD Verbum Domini
ZAW Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft
ZAWBeih Beihefte zur ZAW
ZEE Zeitschrift für Evangelische Ethik
ZKG Zeitschrift für Kirchengeschichte
ZNW Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft
ZNWBeih Beihefte zur ZNW
ZsystTh Zeitschrift für systematische Theologie
ZThK Zeitschrift für Theologie und Kirche

10
EINLEITUNG

Es bedarf nicht vieler Worte um darzulegen, dass heute die Fragen um


Ehe und Ehescheidung im Raume der Kirche und darüber hinaus auch im
weltlichen Bereich eine grosse Aktualität besitzen. Vieles, was früher fest-
stand, ist in Fluss geraten und verschiedene Positionen bedürfen einer
neuen Überprüfung.
In Bezug auf unser Thema steht heute vor allem die Frage nach dem
Wesen der Ehe im Vordergrund. Aber was heisst in diesem Zusammen-
hang «Wesen der Ehe»? Sicher ist nicht an eine Hypostasierung der Ehe
zu denken, sondern die Frage nach dem Wesen der Ehe spitzt sich zu in
der Frage nach dem Sinn oder Ziel der Ehe. Welche Funktion kommt der
Ehe zu im Leben des Menschen und der Gesellschaft? Aber auch wenn wir
von der Faktizität, dass es Ehen gibt, ausgehen und fragen, was Ehe im
Kontext des christlichen Glaubens bedeute, tauchen immer neue Probleme
auf. Wie kann der Institutions- und tHfentlichkeitscharakter der Ehe zur
Geltung gebracht werden, ohne dass wir in naturrechtliche Denkkate-
gorien verfallen? Müsste nicht die Ehe ganz von der Erlösungsordnung
in Christus her verstanden werden, ohne dass dies einen Rückzug in die
Privatsphäre implizieren dürfte? Gibt es einen christologischen Sinn der
Ehe und inwiefern hat dieser seine Auswirkungen auf die Ehe überhaupt,
auch auf die Ehe der Nichtchristen?
In Bezug auf die Ehescheidung stellen sich die Probleme wieder anders.
Man überlegte sich früher, ob und unter welchen Bedingungen die Ehe-
scheidung auch für den Christen im Bereich der Möglichkeit liegen könnte.
Heute wird die Frage meistens nicht mehr nur grundsätzlich gestellt. Da
immer mehr Ehescheidungen auch im Raume der Kirche stattfinden, ist
man versucht, sofort zu praktischen Überlegungen vorzustossen. Was be-
deutet die Zunahme der Zahl der Geschiedenen für das kirchliche Leben?
Wie stellt sich die christliche Gemeinde zu den geschiedenen Gliedern
in ihren eigenen Reihen und wie können sie in der Gemeinde integriert
werden? Es dürfte klar sein, dass die grundsätzliche Frage nach der Ehe-

11
scheidung im Raum der Kirche nicht übersprungen werden kann. Sie ist
identisch mit der Frage nach der theologischen Begründung der Unauf-
löslichkeit der Ehe.
Diese kurzen Andeutungen müssen hier genügen. Es ist selbstverständ-
lich, dass die biblischen Aussagen über Ehe und Ehescheidung in der
Diskussion der obgenannten Probleme eine wichtige Rolle spielen. Ja, sie
erhalten eine entscheidende Bedeutung, insofern die christliche Gemeinde
vom Wort Gottes her eine verbindliche Weisung erwartet. Auf den ersten
Blick scheint auch in den Fragen um Ehe- und Ehescheidung ein direkter
Rückgriff auf die Bibel ohne weiteres möglich zu sein. Das Alte und das
Neue Testament reden doch expressis verbis von Ehe und Ehescheidung.
Aber der Schein trügt! Ein direkter Rückgriff auf die biblischen Eheaus-
sagen ist leider nicht statthaft. Wohl ist die Ehe in Gottes Schöpfertat
begründet und darum in dieser Hinsicht eine konstante Grösse durch alle
Zeiten hindurch. Indem der Mensch als Mann und Frau von Gott ge-
schaffen wurde, hat die Ehe in der geschlechtlichen Differenziertheit von
Mann und Frau ihren Einsatzpunkt. Aber die konkrete Form, in der sich
Ehe abspielt, umfasst verschiedene Bereiche des menschlichen Lebens;
Ehe gehört zur Sphäre der Religion, des Rechts, der Gesellschaft und der
Kultur. Diese Bereiche des menschlichen Lebens sind zeit- und umwelt-
bedingten Änderungenunterworfen. Und weil die Ehe ,sich nie als Idee
verwirklichen lässt, sondern immer in einem Lebensvollzug geschieht,
darum kann sie von den veränderten Zeitumständen nicht unberührt
bleiben. Ein Beweis dafür ist allein schon die unterschiedliche Eheauf-
fassung im Alten und im Neuen Testament. Stellt man ferner die grossen
soziologischen Umwälzungen, welche die neuere Zeit uns beschert hat,
in Rechnung - wir denken etwa an die veränderte Stellung der Frau
in Gesellschaft und Beruf oder an die Ablösung der patriarchali1schen
Familienauffassung durch die partnerschaftliehe -, dann ist es klar,
dass auf die Frage nach Ehe und Ehescheidung keine biblizistische
Antwort möglich ist. Die Aussagen des Neuen Testaments über Ehe und
Ehescheidung können heute nicht einfach wiederholt werden, sondern sie
müssen in unsere Zeit transponiert werden. Es geht letztlich nicht um eine
Reproduktion der neutestamentlichen Aussagen über Ehe und Eheschei-
dung, sondern vielmehr um ihre Interpretation für die heutige Zeit.
Voraussetzung jeder Interpretation ist aber die genaue Erfassung der
vorliegenden Texte. Nötig ist zuerst einmal eine Bestandesaufnahme: Was
wird über Ehe und Ehescheidung im Neuen Testament gesagt, was wird
nicht gesagt? Was bedeuteten jene Aussagen damals für jene Hörer in

12
ihrer Umwelt? Inwiefern sind sie ihrer Umgebung konform oder inwie-
fern widersprechen sie den zeitbedingten Anschauungen? Lassen sich in
den neutestamentlichen Aussagen gewisse Strukturen erkennen, die nicht
zeit- oder umweltgebunden sind? Erst wenn diese Fragen abgeklärt sind,
wird es möglich sein, die tragenden Linien bis in unsere Gegenwart aus-
zuziehen. Hier müsste dann die neutestamentliche Forschung ergänzt wer-
den durch die systematische Fragestellung. 1 In unserer Untersuchung wol-
len wir uns auf die rein exegetische Seite des Problems beschränken.
Gesamtdarstellungen der exegetischen Fragen aller neutestamentlichen
Ehetexte sind relativ selten. Die Abschnitte der Artikel über «Ehe» in den
grossen theologischen Sammelwerken, welche der Darlegung des neu-
testamentlichen Befundes über Ehe und Ehescheidung reserviert sind 2,
leiden gewöhnlich unter der knappen Formulierung und unter der durch
die Anlage des Gesamtwerkes erzwungenen Kürze. Viele wichtige For-
schungsergebnisse, welche neutestamentliche Ehefragen betreffen, sind
zudem in nur schwer zugänglichen Einzelabhandlungen zu finden. So dürfte
es sich sicher lohnen, den Versuch einer Gesamtdarstellung zu wagen.
Die Gefahr ist natürlich gross, sich bei diesem Unterfangen im Ufer-
losen zu verlieren. Ein kurzer Blick auf einige neuere Arbeiten zum
Thema kann uns deshalb gute Dienste leisten. Wir denken dabei nicht an
einen vollständigen Forschungsbericht, sondern es geht darum, die Ten-
denzen der neueren Forschung zu erkennen und für unsere Untersuchung
fruchtbar zu machen.
Zuerst wäre in diesem Zusammenhang einmal das grundlegende Werk
von H. Preisker, Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten 3,
zu nennen. Preisker gibt seiner Schrift den Untertitel: Eine Studie zur
Kulturgeschichte der alten Welt. Es handelt sich also eher um eine histo-
rische als um eine exegetische Arbeit. Trotzdem erwähnen wir sie hier,
weil sie für ihre Zeit symptomatisch ist. Preisker ist Vertreter der reli-
gionsgeschichtlichen Schule. Die neutestamentlichen Texte werden ein-
geebnet und nehmen innerhalb der gesamten Entwicklung nur einen

1 Tatsächlich ist es so, dass einer Fülle systematischer Abhandlungen über die
Ehe nur sehr wenige Arbeiten über die exegetischen Probleme der Ehetexte ge-
genüberstehen. Ausser den entsprechenden Kapiteln in den Standardwerken der
ev. Ethik wären noch speziell zu nennen: O. A. Piper, Die Geschlechter, 1954;
Th. Bovet, Die Ehe, ihre Krise und Neuwerdung, 1957; ders., Ehekunde, 1961 H.;
H. van Oyen, Liebe und Ehe, 1957.
2 Vgl. z. B.: RGG 11, Sp. 318 H.; BHH I, Sp. 369 f.; EKL I, Sp. 998 f.; RAC IV,
Sp. 656 ff.; RE V, S. 186 ff.; LThK III, Sp. 677 ff.; u. s. f.
3 1927.

13
relativ bescheidenen Raum ein. Dies ist an und für sich nicht illegitim.
Tatsächlich kann es reizvoll und interessant sein, die Umwelt des Neuen
Testamentes und die Weiterentfaltung der Ehelehre in der alten Kirche
ins Auge zu fassen. Ja, bis zu einem gewissen Grad sind die so gewonne-
nen Erkenntnisse zum rechten Verständnis der neutestamentlichen Texte
unerlässlich. Aber das darf nicht dazu führen, dass überhaupt nicht mehr
nach dem Eigentlichen und Besonderen der neutestamentlichen Botschaft
gefragt wird. Das normative Eigengewicht des Neuen Testaments kommt
bei der Fragestellung Preiskers zu kurz und kann darum nicht richtig in
seiner Bedeutung gewürdigt werden. Seine· religions geschichtliche Be-
trachtungsweise ist für die Phänomene der neutestamentlichen Umwelt
ergiebiger als für die Eheauffassung des Neuen Testaments selber. Dazu
kommt, dass Preisker von dem ethischen Postulat einer Idealehe her
denkt. Er erhebt die Eheanschauung seiner Zeit zur Norm, welche vor
allem auf Verinnerlichung und Vergeistigung der ehelichen Gemeinschaft
abzielte. An dieser Grösse werden schliesslich Jesus und Paulus gemes-
sen. Während Jesus bei diesem Vorgehen noch einigermassen Anerken-
nung findet, ist das Urteil über die paulinische Eheauffassung vernich-
tend. 4 Nicht nur ist am Vorgehen Preiskers zu kritisieren, dass er im
Falle von Paulus die Aussagen des 1. Korintherbriefes in unzulässiger
Weise systematisiert, sondern viel schwerer wiegt der zweite Vorwurf:
Preisker scheint offenbar nicht zu merken, dass er, wenn er die Eheauf-
fassung des Paulus an der modernen Eheauffassung misst, zwei Grössen
miteinander vergleicht, die so verschieden sind, dass eine direkte Kon-
frontation gar nicht möglich ist.
Ganz ähnlich liegen die Dinge bei einer Arbeit, die speziell dem paulini-
schen Eheverständnis nachgeht. G. Delling veröffentlichte seine Unter-
suchung ein paar Jahre später als Preisker. 5 Nach seinen eigenen Worten
ist er sich dessen bewusst, dass man die Aussagen des Apostels nicht
systematisieren darf, weil es «Gelegenheitsaussagen» sind. Zu allen «Er-
gebnissen» sind also gewisse Vorbehalte anzubringen. Leider hält diese
Einsicht Delling aber nicht davon ab, die Akzente ganz einseitig zu
setzen. Nach einem kürzeren religionsgeschichtlichen und zeitgeschicht-
lichen Vorbau, stellt er das Verhältnis des Apostels Paulus zu Frau und

4 V gl. z. B. die Sätze: «Es muss also dabei bleiben, dass für Paulus die Ehe
etwas Minderwertiges ist, er lässt ihr keine positive Würdigung zuteil werden.
Erst recht liegt es ihm fern, die Ehe als eine geistige Gemeinschaft einzu-
schätzen» (S. 127).
5 G. Delling, Paulus' Stellung zu Frau und Ehe, 1931.

14
Ehe als ein gänzlich negatives dar. 6 Sein Urteil gipfelt etwa in der Fest-
stellung, dass Paulus ein höheres Verständnis der Ehe gänzlich abgehe;
seiner Meinung nach wirke das Geschlechtliche auf die Seele verderbend
ein. 7 Für Paulus sei die Ehe nichts anderes als ein notwendiges übel. 8 Als
Erklärung für den von ihm behaupteten Ehepessimismus konstruiert
Delling gewisse «Jugenderlebnisse» des Paulus, die allerdings nicht nach-
kontrolliert, sondern nur hypothetisch erschlossen werden können. 9 Man
wird das Gefühl nicht los, dass Delling unbewusst alle Texte unter einem
negativen Vorzeichen gelesen hat. lo Besonders deutlich zeigt sich dies bei
der Auswertung von 1. Kor 7. Hier vermisst man zudem eine zusammen-
hängende, eingehende Exegese, die den Brie/text als solchen ernst nimmt
und nicht sofort mit einer systematischen Fragestellung und Auswertung
Hand in Hand geht.
Auch noch sehr stark von systematischen Fragen inspiriert, ist die Dis-
sertation von E. LövestamY Sie umfasst das ganze im Neuen Testament
vorkommende Material, also auch die synoptischen Texte. Lövestam geht
so vor, dass er in den verschiedenen Kapiteln verschiedene Themata auf-
greift (z. B. das Wesen der Ehe, die Frage der Monogamie, die Beziehun-
gen zwischen Mann und Frau, Scheidung und Wiederverheiratung), und
dass er dann dazu die entsprechenden Texte befragt. Es entsteht so ein
mehr konservativ gefärbtes Bild der neutestamentlichen Eheauffassung,
wobei aber grundsätzlich versucht wird, die Aussagen des Neuen Testa-
mentes in ihrer Eigenart zu würdigen.
Der Ansatz von Lövestam hatte gezeigt, dass die Zurückstellung ge-
wisser systematisch-theologischer Postulate und ein unvoreingenomme-
nes Hören auf die Texte selbst eine Revision verschiedener bisher als ge-
sichert angesehener Ergebnisse bringen müsste. Tatsächlich hat seitdem
z. B. in Bezug auf die paulinischen Ehetexte eine Neubesinnung einge-
setzt, die zu einer gänzlich anderen Bewertung der paulinischen Ehe-
auffassung führte. Die Ergebnisse der neue ren Untersuchungen wider-
sprechen den oben zitierten Urteilen von Preisker und Delling aufs
schärfste. Es wird betont, dass Paulus gerade dann, wenn er von der ehe-

6 Bezeichnend sind schon die Kapitelüberschriften: Ehefeindschaft, Frauen-


feindschaft, etc.
7 G. Delling, a. a. 0., S. 154.
8 G. Delling, a. a. 0., S. 68 f.
9 G. Delling, a. a. 0., S. 143.
10 Dieser Vorwurf wurde schon von O. Michel, Wie spricht Pau1us über Frau
und Ehe?, ThStKr 105, 1933, S.215-225, erhoben.
11 Aektenskapet i Nya Testamentet, 1950 (mit englischer Zusammenfassung).

15
lichen Vereinigung redet, den positiven Aspekt der Ehe hervorhebU2
Die Tendenz ist unverkennbar, die Texte zuerst einmal in ihrer eigenen
Aussage zu Wort kommen zu lassen, bevor zu systematischen Fragestel-
lungen vorgestossen wird.
Damit wurde es aber notwendig, den ganzen Problemkreis insofern zu
modifizieren, dass eingehender nach der Stellung der Ehetexte im parä-
netischen Kontext des Neuen Testamentes gefragt wurde. Wegweisend
wurde ein Artikel von H. Greeven. 13 Er bemühte sich z. B. die Forde-
rungen Jesu hinsichtlich der Ehe in die übrigen ethischen Forderungen
einzuordnen und in ihrem eigentlichen Anliegen besser verständlich zu
machen. Er hat klar gesehen, dass man die Worte über die Ehe nicht so
zitieren und benutzen darf, «als seien sie Leitsätze einer Lehre von der
Ehe, ausgestattet mit der Allgemeingültigkeit ... , die einem Leitsatz zu-
kommt».14 Er betont, dass es im Neuen Testament keine «Ehelehre» gibt.
Für das Problem der Ehescheidung hat G. Bornkamm in einem Gutachten
die Fragen schon früher ganz ähnlich gestdlU5 BesondeDs schön wird
hier die Linie vom exegetischen Befund zum theologischen Problem der
Ehescheidung in der heutigen Zeit hin ausgezogen. Dabei zeigt es sich,
dass die Autorität der U rgemeinde nicht formalistisch verstanden werden
darf, sondern dass unsere Entscheidungen .denen der U rgemeinde in
Bezug auf Jesu Wort entsprechen müssen.
Auch die moderne Fragestellung nach dem partnerschaftlichen Ver-
hältnis zwischen Mann und Frau blieb nicht ohne Nachwirkungen. Im Jahre
1954 veröffentlichte K. H. Rengstorf seinen Vortrag: Mann und Frau im

12 Vgl. Ph.-H. Menoud, Mariage et celibat selon Saint Paul, RThPh, 3me Serie,
1, 1951, S. 22-34, besonders S. 27 f. Das gleiche Anliegen vertritt B. Reicke, Neu-
zeitliche und neutestamentliche Auffassung von Liebe und Ehe, N ov Test I, 1956,
S.21-34, besonders S. 27 f.; zudem habe Paulus bereits den Gedanken der Ehe
als Heilsordnung, der dann im Eph entfaltet wird, angetönt (S.29). - Mehr
vom praktisch-theologischen Gesichtspunkt aus ist die eigenwillige Arbeit von
J-J von Allmen, Maris et femmes d'apres Saint Paul, 1951, geschrieben. -
Für die Synoptiker, vor allem für Matthäus, vgl. J. Dupont, Mariage et divorce
dans l'Evangile. Matthieu 19, 3-12 et paralleles, 1959. Eine umsichtige Arbeit,
die allen exegetischen Problemen sorgfältig nachgeht, wobei der römisch-katho-
lische Standpunkt deutlich hervortritt! - Ebenfalls eine Exegese von Mt 19, 3-12
bietet: A. Isaksson, Marriage and Ministry in the New Temple, 1965.
13 Zu den Aussagen des Neuen Testaments über die Ehe, ZEE I, 1957, S. 109-125.
14 H. Greeven, a. a. 0., S. 109.
15 Die Stellung des Neuen Testaments zur Ehescheidung, EvTheol7, 1947-48,
S.283-285. Diese Ausführungen liegen in erweiterter Form vor auch in W.
Sucker / J Lell / K. Nitzsche, Die Mischehe, 1959, S.50-53.

16
U rchristentum. 18 Wenn auch hier nicht direkt die Ehe als solche im
Blickfeld liegt, so ist doch klar, dass gerade bei der Untersuchung der
Haustafeln wesentliche Aspekte des Ehelebens mitberücksichtigt werden
und indirekt wieder eine Bereicherung erfahren. Dasselbe gilt auch für
verschiedene andere Arbeiten. 17 Sie tragen ausgesprochen exegetischen
Charakter und wollen bewusst die Frage nach der Stellung der Frau heute
von den neutestamentlichen Texten her aufrollen.
Diese kurzen Blicke auf den Gang der Forschung haben uns gezeigt,
dass in der letzten Zeit die streng exegetische Bemühung um die Ehetexte
wieder in den Vordergrund getreten ist. Auch wir möchten in unserer Ar-
beit den Weg von den Texten her zu den Problemen gehen und nicht
umgekehrt. Dies bedingt, dass zunächst von jeder systematischen Frage-
stellung abgesehen wird. So ist am besten dafür Gewähr geboten, dass die
eigene Aussage der Texte über Ehe und Ehescheidung gehört wird.
Die Reihenfolge, in welcher wir die verschiedenen Texte behandeln,
stellt folglich keine Wertung dar. Sie ergibt sich vielmehr aus praktischen
oder traditionellen Gesichtspunkten. Bei der Auswahl der besprochenen
Texte ist eine Vollständigkeit in dem Sinn angestrebt, dass alle Perikopen
berücksichtigt werden, die zu unserer Thematik allenfalls einen Beitrag
bringen könnten.
H. Preisker und G. Delling haben in den obengenannten Werken die
religions-, zeit- und kulturgeschichtlichen Vorfragen bereits ausführlich
behandelt. Wir können uns in dieser Hinsicht weitgehend auf ihre Ar-
beiten stützen. Einzig dem Eheverständnis des Alten Testaments (und dem
des Judentums) müssen wir aus begreiflichen Gründen hier nochmals aus-
führlicher und gründlicher nachgehen. Dies rechtfertigt sich aus der Tat-
sache, dass im Neuen Testament selbst immer wieder auf das Alte
Testament Bezug genommen wird.
Unsere eigentliche Untersuchung gilt dann den neutestamentlichen
Ehetexten selbst. In je einem besonderen Abschnitt werden die Texte der
Evangelien und die Brieftexte untersucht. Zum Abschluss des Ganzen
soll eine Zusammenstellung der Ergebnisse geboten werden.
16 Arbeitsgem. f. Forschung d. Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswiss ..
Heft 12, S.7-52.
17 F.-J. Leenharilt, La place de la femme dans l'Eglise d'apres le Nouveau
Testament, 1948; H. Greeven, Die Weisungen der Bibel über das rechte Verhält-
nis von Mann und Frau, Kirche im Volk 12: Ehe und Eherecht, 1954, S.5-17;
Else Kähler, Zur Unterordnung der Frau im Neuen Testament. Der neutestament-
liche Begriff der Unterordnung und seine Bedeutung für die Begegnung von
Mann und Frau, ZEEHI, 1959, S. 1-13; dieselbe, Die Frau in den paulinischen
Briefen. Unter Berücksichtigung des Begriffes Unterordnung, 1960.

17
1. EHE UND EHESCHEIDUNG IM ALTEN TESTAMENT
UND IN DER UMWELT D,ES NEUEN TESTAMENTS

A. Altes Testament

1. DAS WESEN DER EHE

Die grundlegenden Texte des Alten Testamentes über die Ehe finden
sich in den Schöpfungsberichten des Jahwisten (Gen 2, 18 ff.) und der
Priesterschrift (Gen 1,27 ff.). Sie tragen die charakteristischen Merkmale
ihrer Herkunft.

a. Gen 2,18-25
Anschaulich berichtet der Jahwist, wie der Mensch im Paradieses-
garten allein war (2, 15-17). Gott selbst ergreift die Initiative und will
ihm eine Hilfe machen (V. 18), eine «Hilfe wie sein Gegenüber».l Hier
treffen wir auf den wohl tiefgreifendsten Unterschied zum priesterlichen
Bericht: Die Frau wird nach dem Mann erschaffen. Es scheint, dass hier-
bei mehr als nur eine Dramatisierung des Vorganges angestrebt wird.
Das zeitliche Nacheinander hat sachliches Gewicht. Der Mann ist zuerst
erschaffen. Darum eignet ihm eine höhere Dignität (1. Kor 11, 7-12).
Offenbar soll hier schon für den Mann die führende Rolle in der Ehe
begründet werden. Auf der gleichen Linie liegt es, dass der Mann der
Frau den Namen gibt (V. 24). Nach V. 20 ist die Namengebung offenbar
als Herrschaftsproklamation über die Benannten gedacht. Indem der
Mann die Frau benennt, erweist er sich als der Dominierende. Es liegt
also eine patriarchalische Sicht der Ehe vor. Schon hier bahnt sich in-
teressanterweise an, was dann deutlich ausgesprochen erst in Gen 3, 16
auftaucht, wenn Gott zur Frau sagt: Er soll dein Herr sein. Es wäre sicher
verkehrt, wenn man die Rangordnung als Folge des Sündenfalles erklären
1 Zürcher Übersetzung: « ... , die zu ihm passt.»

19
würde. Richtiger müsste man sagen: Was schöpfungsmässig im Ansatz
gegeben ist als seine volle Ordnung, bekommt durch die Sünde eine
fatale Schlagseite, sozusagen einen üblen Nachgeschmack. Es liegt eine
Parallelität vor in Bezug auf das Kindergebären. Wie die überordnung
des Mannes über die Frau, so ist das Kindergebären in den Augen des
Jahwisten geschöpfliche Bestimmung. Aber durch den Sündenfall wird
das Gebären ein «Gebären mit Schmerzen» (Gen. 3, 15).
Nach V. 19-21 bildet Gott die Tiere, um dem Mann die beabsichtigte
Hilfe zu schaffen. Obwohl der Mensch alle Tiere benennt, wird die rich-
tige Hilfe nicht gefunden. Jetzt erst kommt es zur Erschaffung der Frau
aus der Rippe des Mannes (V. 21). Der Mann bricht beim Anblick der
Frau in den Jubelruf aus: «Diese ist nun endlich Gebein von meinem Ge-
bein und Fleisch von meinem Fleisch».
Damit ist eine weitere, dem Jahwisten wichtige Anschauung dokumen-
tiert. Für ihn tritt im Verhältnis von Mann und Frau das geschlechtliche
Element weitgehend zurück. Nicht die Differenziertheit von Mann und
Frau wird betont, sondern im Gegenteil die Wesensverwandtschaft. 2 In
diesem Zusammenhang wird V. 25 bedeutungsvoll. Er ist ganz in der an-
gedeuteten Linie zu interpretieren. Er will besagen, dass die Sinnlichkeit
im Verhältnis von Mann und Frau fehlt. Das Wesen der Ehe ist also nicht
sinnlich. Die Entdeckung des Geschlechtsgeheimnisses im Gefühl der
Scham ist erst eine Folge der Sünde (vgl. Gen 3, 7).3
Die obengenannte Wesensverwandtschaft bezieht sich offenbar vor allem
auf die körperliche Sphäre. Die Frau ist ja sozusagen ein Stück des Man-
nes. Bezeichnend ist es, dass der Mann die Frau nicht mit einem «Du»
anredet, welches auf eine personale Beziehung hinweisen würde, sondern
er sieht die Frau und freut sich an ihr. Sein Jubelruf V.23 ist nicht
der Ausdruck einer geistigen Seelenverwandtschaft, sondern eines körper-
lichen Gefühls. Auch der Name, den er ihr gibt, bestätigt dies: «Sie soll
Männin heissen, denn vom Manne ist sie genommen» (V. 23). Ehe ist also
nicht nur Freundschaft, sondern sie ist vor aUem auch körperliche Ge-
meinschaft.
Dabei gehören Mann und Frau aber enger zusammen als Eltern und
Kinder. Dieser Gedanke ist erstaunlich, da ja in der Antike die Bluts-
verwandtschaft eine ganz entscheidende Rolle innerhalb des Familien-
lebens spielt. Nach V. 24 verlässt der Mann Vater und Mutter, um seinem
Weibe anzuhangen. Es steht hier Naturrecht gegen Naturrecht: auf der

2 O. Procksch, Die Genesis, 1924, z. St.


3 O. Procksch, a. a. 0., z. St.

20
einen Seite das Recht der Familie und Sippe, auf der andern Seite das
durch die Ehe begründete Naturrecht der Gemeinschaft zwischen Mann
und Frau. Dass das letztere stärker und mächtiger sein soll, kommt uns
sehr modern gedacht vor. Aber es geht hier nicht um eine Rechtssitte,
sondern um die Beschreibung einer Naturgewalt, welche sogar die engste
Bindung zwischen Eltern und Kind sprengen kann. Dabei will hier, trotz-
dem wir uns noch mitten in der Paradieserzählung befinden, kein para-
diesischer Zustand beschrieben werden. Diese Worte wollen vielmehr ein
Gegebenes erklären. 4 Nicht ein verlorenes Ideal wird heraufbeschworen,
sondern unser gegenwärtig-menschliches Empfinden wird ausgedrückt.·
Hinter den Darlegungen steht unausgesprochen die Frage: Warum fühlen
sich Mann und Frau mit Naturgewalt zueinander hingezogen? Die Ant-
wort ist eindeutig: Weil Gott den Menschen so erschaffen hat.
V. 24 ist typisch singularisch formuliert. Sicher ist aber nicht an ein
Einzelindividuum gedacht; sondern die zwei, die ein Leib werden, stehen
für alle Männer und Frauen schlechthin. Möglich wäre es, dass dieses
Wort noch aus einer Erinnerung an matriarchalische Verhältnisse heraus
formuliert wäre. 5 Tatsächlich widerspricht die Formulierung der üblichen
Gepflogenheit, indem doch meistens die Frau aus ihrem Elternhaus in
jenes des Mannes hinüberwechselt. Ihre wirkliche Bedeutung bekommt
diese Aussage erst, wenn man sich vor Augen hält, dass sonst der Jahwist
durchaus die patriarchalische Familienordnung vertritt. Dann kann die
Tatsache, dass der Mann die Familie verlässt, «um seinem Weibe anzu-
hangen» in der Sicht des Jahwisten doch nur besagen, dass hiemit jede
Herabwürdigung der Frau verunmöglicht wird. Konnte es vorher schei-
nen, der Mann werde als Herr der Frau gesehen, so ist es nun hier um-
gekehrt so, dass er alles verlässt um seiner Frau willen. So sehr liebt er
sie, so sehr erfüllt der Gedanke an sie seinen Sinn, dass er bereit ist, die
engsten Familienbande, die durch die Blutsverwandtschaft gegeben sind,
zu lösen. Er wird seinem Weibe anhangen und «sie werden ein Leib
seIn».
Es ist bedeutsam, dass in diesem Zusammenhang vom Ein-Leib-sein
geredet wird. Man könnte direkt sagen: Wie vorher von der Einheit der
Sippe oder besser von der Familiengemeinschaft geredet wird, so tritt an
Stelle dieser Gemeinschaft die neue Einheit von Mann und Frau. «Sie
werden ein Leib» meint darum mehr als nur körperliche geschlechtliche
Vereinigung; es geht hier um die neue Ganzheit des Menschen in der Ehe,

4 G. v. Rad, Das 1. Buch Mose, 19.50, z. St.


5 w. Zimmerli, 1. Mose 1-11, Die Urgeschichte, 1943, z. St.

21
von der die körperliche Einheit nur ein kleiner Aspekt ist. Die Ehe baut
sich von der körperlichen Vereinigung her auf, sie erschöpft sich aber
nicht darin; das Ein-Fleisch-Sein bezeichnet «die Vereinigung je ihres
totalen Seins zu totaler und unauflöslicher Gemeinsamkeit».6 Damit ist
aber einem rein naturalistischen Verständnis der Ehe vorgebeugt.
Darin, dass es in V.24 ausdrücklich heisst: «und hängt seinem Weibe
an», hat man schon einen Hinweis auf die Einehe sehen wollen; es sei
hier, so sagte man, nicht von vielen Frauen die Rede, sondern nur von
einer einzigen.7 Wie steht es nun mit der Begründung der monogamen
Eheordnung in Gen 2, 24?
Wir müssen davon ausgehen, dass hier nicht normativ über die Ehe
geredet wird. So finden wir hier keine bindende Ehegesetzgebung. Aller-
dings ist es aber doch wichtig zu sehen, in welcher Art und Weise von
Mann und Frau geredet wird. Es ist nicht zu bestreiten, dass es im
jahwistischen Bericht von Schöpfung und Sündenfall immer nur um
einen Mann und um eine Frau geht. Diese Tatsache bleibt auch bestehen,
wenn man zugibt, dass es dem Jahwisten nicht um die Frage der Ehe-
form als solcher geht. Es werden keine Zensuren ausgesprochen; aber die
Monogamie ist offenbar für den Jahwisten die allgemein vorherrschende
und darum allgemein bestimmende Eheform. Wir müssen deutlich sagen,
dass er nicht beabsichtigt, diese besondere Form zu propagieren oder als
Ideal hinzustellen. Vielmehr ist es einfach so, dass der Jahwist die mono-
. game Ehe zum Modell nimmt. S Ganz unreflektiert wird einfach voraus-
gesetzt, dass die Einehe der Schöpfungstat Gottes entspricht.

b. Gen 1, 27 f.

Der priesterliche Bericht von der Erschaffung des Menschen hat grund-
legende Bedeutung für die Anthropologie. Es ist schlechterdings unmög-
lich, hier auch nur die Grundzüge einer Imago-Dei-Lehre zu rekapitu-
lieren oder zu entfalten. Wir müssen uns damit begnügen, das in unserem
Zusammenhang Entscheidende festzuhalten.
Dass der Mensch als Mann und Frau erschaffen ist, ist Folge seiner
Gottesebenbildlichkeit. Mann und Frau sind hier absolut gleichwertig ein-
ander zugeordnet; es gibt auch nicht andeutungsweise eine Stufung, wie

K. Barth, Kirchliche Dogmatik IU, 4, S. 148.


6
O. Procksch, a. a. 0., z. St.
7
S W. Plautz, Monogamie und Polygamie im Alten Testament, ZAW 75, 1963,
S. 5 f. Vgl. dazu weiter unten S. 27 H.

22
wir sie im jahwistischen Bericht doch noch entdecken konnten. Hier geht
es um das Gegenüber von zwei Wesen, die zur Gemeinschaft bestimmt
sind, und nur in ihrer Gemeinsamkeit überhaupt als voll genommen wer-
den können.
Praktisch heisst das, dass es den Menschen, so wie wir vom Menschen
an sich reden, hier nicht gibt. Man hat schon öfters beobachtet, dass der
Begriff «Mensch» als Abstraktum der Bibel überhaupt fremd ist. Es wird
im Alten Testament immer von Männern und Frauen geredet, also von
Wesen aus Fleisch und BIut, die gerade nicht losgelöst von ihrer ge-
schlechtlichen Bestimmung gesehen werden können. V. 27 innerhalb des
Priesterberichtes von der Schöpfung will uns klar machen, dass, solange
wir in dieser Welt leben, daran nicht gerüttelt wird: es ist eine Schöp-
fungsordnung im eigentlichen Sinn. Erst die neue Schöpfung, der neue
Äon bringt eine Wende. In deutlicher Anspielung auf unsere Stelle kann
Paulus dann sagen: Da ist nicht Mann und Weib! 9
So ist also in Gen 1,27 deutlich, dass Gott im Menschen «sein Gegen-
über und Entsprechnis» haben will. lO Dieses Verhältnis aber wird sofort
wieder angewandt auf den Menschen selbst «in dem Gegenüber-, Mit-
einander- und Füreinandersein des Menschen als Mann und Frau».l1
Allerdings steht hier expressis verbis gerade von einer Ehe nichts da.
Dies ist wohl der wichtigste Unterschied zum jahwistischen Bericht. Dort
ist von einer Stiftung der Ehe durch Gott erzählt. Das Anliegen der
jahwistischen Erzählung ist es, die Zuordnung von Mann und Frau zuein-
ander zu bestimmen. Hier dagegen wird nicht davon gesprochen, dass
Mann und Frau in ehelicher Verbindung stehen. Es wird vielmehr nur
die geschlechtliche Differenzierung anvisiert, welche in Gen 2 keine Rolle
spielt. V. 28 bringt folgerichtig sofort die Betonung des Segens Gottes,
welcher in der Fortpflanzung besteht. Die Menschen sollen als Mann und
Frau «die Erde füllen». Das ist ihre Bestimmung.
So zeigt es sich, dass zum speziellen Thema der Ehe die Stelle Gen 2,
18-25 viel mehr beiträgt. Dies erklärt auch die Tatsache, warum im
Neuen Testament vornehmlich immer wieder Gen 2 im Zusammenhang
mit den Ehefragen zitiert wird.
Die eigentliche Bedeutung von Gen 1, 27 und 2,24 liegt aber in ihrer
Eingliederung in den Schöpfungsbericht als solchen. Wie der Schöpfungs-
bericht ja selbst nicht als Beschreibung eines Naturvorganges zu ver-

9 Gal 3,28; vgl. dazu unten S.264.


10 F. Horst, Gottes Recht, 1961, S. 232.
11 F. Horst, ibid.

23
stehen ist, sondern die Natur im grössten Stil entmythologisiert, indem
Gott zum Schöpfer aller Dinge wird, so geschieht es ähnlich mit der
innerhalb des Schöpfungsberichtes gestifteten Ehe. Ehe wird, indem sie
schöpfungsmässig erklärt wird, gerade nicht in naturrechtlichem Sinn
verstanden, sondern als Werk des Gottes, der die Welt schafft und den
Bund mit Israel schliesst. Ehe gehört zum Menschsein als solchem und
kann wie dieses selbst nur in Gott selbst ihren Grund haben.

2. DIE PHÄNOMENOLOGIE DER EHE

a. Ehesitten und Eheformen

Merkwürdigerweise kennt das Alte Testament kein eigenes Wort für


unseren Begriff «Ehe». Das heisst nicht, dass die Sache nicht da wäre.
Aber die Akzente sind anders verteilt. Schon im vorhergehenden Ab-
schnitt musste uns auffallen, wie wenig eine eigentliche Ehetheorie ent-
wickelt wird. Und doch berichtet uns das Alte Testament eine ganze
Menge von Einzelheiten über das eheliche Leben. Die Ehe und das
Familienleben als solches wird ganz unproblematisch gesehen. Heiraten
und alles, was damit zusammenhängt, ist für den alttestamentlichen Men-
schen etwas Selbstverständliches. In diesem Sinn wird von Eheschluss, ehe-
lichem Leben und Kindersegen gesprochen, dann aber auch von der Ge-
fährdung der Ehe durch Ehebruch und Ehescheidung. Auffallend ist die
unvoreingenommene Einstellung zu diesen Dingen, welche von jeder
moralisierenden Bewertung absieht.
Es ist hier nicht unsere Aufgabe, enzyklopädisch alles Material über das
alttestamentliche Eheleben zusammenzutragen. Vielmehr möchten wir
versuchen, gewisse Punkte herauszuheben, die uns die Problematik der
alttestamentlichen Ehe aufzeigen können.
Im Blick aufs Ganze scheint ein Moment in der israelitischen Ehe allein
bestimmend zu sein: die Sicherung der Nachkommenschaft. Schon in
Gen 1, 27 ff. wird der Segen Gottes in der Nachkommenschaft gesehen.
Zweck der Ehe ist nicht diese als solche, sondern das Kind. Vor allem
Söhne, welche den Namen des Geschlechts in Israel nicht aussterben
lassen, spielen eine grosse Rolle (Ps 127, 4 f.). Kinder werden als sicht-
bares Zeichen des Segens Gottes betrachtet (Gen 24,60); umgekehrt sieht
man in der Kinderlosigkeit einer Ehe ein Unglück 12, ja sogar fast eine

12 Gen 30, 1 (Rahel); 1. Sam 1, 6 ff. (Hanna, Mutter des Samuel).

24
Strafe für eine unbekannte Verfehlung 13. Die Ausnahmen im Alten
Testament, dass auch eine kinderlose Ehefrau von ihrem Mann geliebt
wird, ja sogar seine Lieblingsfrau bleibt (Rahel in Gen 30 und Hanna in
1. Sam 1) bestätigen eben gerade durch ihre besondere Erwähnung den
obgenannten Sachverhalt. Neben diesem Hauptzweck der Ehe müssen
alle andern Werte verblassen. Wohl ist die israelitische Ehe auch
Lebens- und Arbeitsgemeinschaft der Ehepartner (Prov 5, 18 f.). Aber
man darf nicht vergessen, dass Kinder zusätzliche Arbeitskraft bedeuten
und darum auch von dieser Seite her willkommen waren.
Diese Ansicht der Dinge muss sich notwendigerweise auf die Stellung
der Frau in der Ehe auswirken. Sie ist sicherlich die Mutter der Kinder
und als solche geachtet. Aber im tiefsten Grund wird sie eben doch vor
allem als Gebärerin geschätzt, als Produktionsmittel in der Hand des
Mannes. In der patriarchalischen Familienordnung ist die Frau prak-
tisch Bestandteil des Besitzes des Mannes. 13a Das zeigt sich schon beim
Eheschluss. Der Mann bezahlt einen Brautpreis, der in Geld, Tieren oder
in einer Arbeitsleistung bestehen kann. Empfänger ist der Vater oder
Vormund (z. B. der Bruder) der Frau (Gen 34, 11 H.; Jos 15, 16; Ri 1, 12;
1. Sam. 17, 25; 18, 25). Hat er diesen Preis bezahlt, so wird ihm die
Frau zu eigen. Er ist nun ihr Herr (~V~ ); sie selbst wird ~V~ l1~V~
(= Angehörige eines Herrn) genannt (Dt 22, 22). Dem Eheschluss gehen
gewöhnlich Verhandlungen zwischen den beiden Vätern der Eheschlies-
senden voraus. Dabei kann die Initiative vom Vater des Bräutigams oder
vom Brautvater ausgehen (z. B. Gen 34, 4; 38,6; Ex 22, 15 f.; Ri 14, 2).
Bekannt ist auch die Geschichte von der Brautwerbung durch Elieser
(Gen 24,2), welche zeigt, dass an Stelle des Vaters ein anderer Beauf-
tragter die Verhandlungen führen kann. Hinter diesem Vorgehen steht
die Anschauung, dass nur der ausdrückliche Segen der Eltern und ihre
Zustimmung zum Eheprojekt für ein glückliches Gelingen Garantie bieten
können (Gen 26, 35). Daneben aber besteht die Möglichkeit, dass Mann
und Frau sich auch sonst kennen lernen ohne Vermittlung der Eltern,
besonders etwa bei der Arbeit (Ex 2, 16 H., Ruth 2,7 H.). Die letztere
Möglichkeit wird besonders in den niedrigen Schichten der Bevölkerung
vorgekommen sein.
Hat der Mann den Brautpreis bezahlt, so ist das gleichbedeutend mit
der Verlobung. Der Mann kann nun die Frau früher oder später in sein

13 Jer 18, 21; Jes 47, 9.


iSa Vgl. H. Ringe1ing, Die biblische Begründung der Monogamie, ZEE X, 1966,
S. 84 H.

25
Haus holen. Zum Zeichen seiner Besitznahme wirft er den Mantel über
sie (Ruth 3,9; Ez 16,18). über die Hochzeitsfeierlichkeiten erfahren wir
manches: der Mann geht der Braut entgegen (HI3, 11; Jes 61,10); sie
wird von Freunden und Musikantinnen begleitet (Ri 14, 11). Sie ist ver-
schleiert (Gen 24,65). Die Hochzeit dauert mehrere Tage, wobei die
Gäste mit Essen, Trinken, Tanzspielen und Rätseln unterhalten werden
(Gen 29,27; Ri 14, 12) u. s. f.
Obwohl die ganze Sache einem Kaufgeschäft gleicht, wäre es doch
verkehrt, von einer israelitischen Kaufehe zu sprechen. 14 Eher könnte man
den germanischen Begriff der «Munt-Ehe» hier anwenden. Die Frau
wird praktisch Eigentum des Mannes, aber er kann nicht über sie wie
über einen käuflich erworbenen Besitz verfügen. Die Frau erhält vom
Bräutigam Geschenke (Gen 24, 53; 34, 12), die ihr Eigentum bleiben,
oder auch eine Mitgift vom Vater, welche auch in Sklavinnen oder in
Grund und Boden bestehen kann (Jos 15, 19; Gen 16,1 ff.; 24,61; 1. Kön
9,16) und über welche sie ebenfalls allein verfügen darf. Ein eigentlicher
Ehevertrag begegnet erst in sehr später Zeit (Tob 7, 14). über das Hei-
ratsalter erfahren wir so gut wie nichts, jedoch wird eine baldige Heirat
empfohlen (Sir 7, 23).
Es wäre verkehrt, wenn obige Ausführungen so verstanden würden, als
sei die Frau stets als Opfer zu betrachten und jegliche Liebesheirat aus-
geschlossen. Wenn wir von den extremen Fällen wie Krieg (die Frau
als Kriegsbeute: Ri 5,30; 21, 19 ff.) und dergleichen absehen, wird es
doch üblich gewesen sein, dass das Mädchen um seine Meinung befragt
wurde (Gen 24, 58). So wird denn auch ausdrücklich von der Liebes-
heirat des Jakob mit der Rahel berichtet (Gen 29, 20) und auch in der
Ehe von Michal mit David wird der Liebe die treibende Kraft zugestan-
den (1. Sam. 18,20).
übrigens begegnen uns im letztgenannten Fall Spuren einer Vasallen-
Ehe. Sie hat den Charakter einer Belehnung und erlischt darum wieder
bei Auflösung des sie begründenden Ereignisses (1. Sam 25,44). Ähnlich
verhält es sich, wenn während einer Schuldverknechtung der Herr dem
Schuldsklaven eine Frau gibt (Ex 21, 4 ff.).
Es wird wohl meistens so gewesen sein, dass die Wahl der Frau inner-
halb der eigenen Sippe getroffen wurde. Der Grundbesitz soll möglichst
erhalten bleiben (Gen 24; Ri 14,3). Erbtöchter mussten im eigenen Stamm

14 Gegen den Begriff der Kaufehe wendet sich kritisch W. Plautz, Die Form
der Eheschliessung im Alten Testament, ZAW 76, 1964, S. 298 ff. Er meint, dass
man höchstens in fOl\malrechtlichem Sinn von einem Brautkauf sprechen könne.

26
heiraten (Nu 36,5-12). Allzunahe Heiraten wurden durch Eheverbot ver-
hütet, die allerdings in früher Zeit weniger scharf gehandhabt wurden.
Diese Ehehindernisse wegen verwandtschaftlichen Beziehungen sind in
Lev 18,7-18; 20,11. 12 geregelt; sie betreffen Blutsverwandte in auf-
und absteigender Linie, sowie der ersten Seitenlinie, dazu die entspre-
chenden Ehegatten. Ferner ist die Ehe mit Halb- und Stiefgeschwistern
verboten, und ebensowenig darf ein Mann Zillgl'eich zwei Schwestern hei-
raten (vgl. dagegen in alter Zeit die Heirat von Jakob mit Rahel und
Lea). Für Priester galten zudem noch Sonderbestimmungen. Der Hohe-
priester durfte nur eine Frau haben und zwar musste sie eine israelitische
Jungfrau sein (Lev 21, 14). Dem Priester war eine Witwe, eine entlassene
oder geschändete Frau zur Ehe verboten.
Wie sehr nun aber der Gedanke der Nachkommensicherung in der
alttestamentlichen Eheauffassung beherrschend war, zeigt die Einrich-
tung der Levirats- oder der Schwagerehe. Nach Dt 25,5-10 (vgl. Gen 38,
8), ist der jüngere Bruder verpflichtet, die Witwe eines allenfalls älteren
und kinderlos verstorbenen Bruders zu heiraten. 15 Der erste Sohn aus die-
ser Verbindung trägt dann den Namen des verstorbenen Bruders und gilt
als sein Erbe, damit der Name eines Geschlechtes in Israel nicht ausstirbt.
Hier ist also der Wille zur Nachkommenschaft um jeden Preis so mächtig,
dass er die Regelung von Lev 18 kurzerhand überspielt und ausser Kraft
setzt. Wenn ein Vater keine männlichen Nachkommen hatte, konnte er,
um seine Familie zu erhalten, einen Mann in seine Hausgemeinschaft
aufnehmen. Also nicht die Frau zog in die Familie des Mannes, sondern
umgekehrt. Man pflegt diese Eheform als eine «Errebu-Ehe» (akkadisch)
zu bezeichnen. Solche Errebu-Ehen sind in 1. ehr 2,34 f.; Esr 2,61 und
Neh 7, 63 bezeugt. Nach Ex 2,21 f. hätte auch Mose in dieser Form ge-
heiratet.

b. Polygamie

Zum Abschluss müssen wir uns nochmals der Erscheinung der Poly-
gamie im Alten Testament zuwenden. Die für die Ehe grundlegenden
Stellen in Gen 1 und 2 reden nirgends davon, dass der Mann mehrere

15 Eine Milderung gegenüber älterer Gepflogenheiten besteht darin, dass dieses


Gesetz nur für den im gleichen Haushalt lebenden Bruder gilt und dieser zudem
sich noch weigern kann, eine solche Ehe zu schliessen, allerdings bei Strafe der
Entehrung.

27
Frauen haben kann oder soll. Nach allem, was wir sehen können, ist die
Vielehe in den meisten Fällen praktiziert worden, um die Nachkommen-
schaft zu sichern oder zu mehren. Auch hier wird also das Argument
sichtbar, welches wir als treibende Kraft hinter der herrschenden alt-
testamentlichen EheauHassung feststellen konnten. Eine besonders ge-
naue Untersuchung der Frage der Polygamie im Alten Testament drängt
sich aber darum auf, weil über die Häufigkeit des Vorkommens poly-
gamer Ehen in Israel keine Einstimmigkeit besteht. So konnte noch neuer-
dings an leicht zugänglicher Stelle behauptet werden, dass praktisch in
Israel die Vielehe geherrscht habe. 16 Ist dieses Urteil richtig?
Wir sind heute in der Lage, diese Frage sachgemäss beantworten zu
können. In der jüngsten Zeit ist das Problem der Polygamie im Alten
Testament zum Gegenstand einer gründlichen Untersuchung gemacht
worden 17, . welche die Dinge ins richtige Licht rückt. Im Folgenden
schliessen wir uns eng an diese Arbeit an, indem wir den Gedankengang
kurz resümieren.1B
Betrachtet man die biblischen Belegstellen rein von statistischer Sicht
aus, so kann man das oben genannte Ergebnis verstehen. Es sollte jedoch
selbstverständlich sein, dass wir nicht nur zählen dürfen, sondern auch
kritisch abwägen müssen, wie die historische Wirklichkeit ausgesehen
hat, welche der Darstellung des Alten Testaments zu Grunde liegt. Bei
kritischer Betrachtung ergibt sich ein ziemlich verändertes Bild.
Es werden im Alten Testament eine ganze Reihe monogamer Ehen ge-
nannt. Denken wir nur an Noah und seine Söhne (Gen 6,18 u. a.), ferner
an Isaak (Gen 24 u. a.) und Joseph (Gen 41,45). Zu erwähnen sind auch
Elimelech und seine Söhne (Ruth 1, 14), sowie der Witwer Boas (Ruth 4,
10. 13). Wenn Hiob auch keine historische Gestalt genannt werden kann,
so ist es doch wichtig zu sehen, dass er als in monogamer Ehe lebend ge-
zeichnet wurde. Es ist anzunehmen, dass auch Jesaja (Jes 8, 3) und
Ezechiel (Ez 24,16-18) nur eine Frau hatten. Falls die Kuschitin (Nu 12,1)
mit Zippora (Ex 2,21) identisch ist, würde auch Mose monogam gelebt
haben.
Zu diesen sicher nicht vielen direkten Bezeugungen monogamer Ver-
hältnisse stossen nun aber noch die indirekten, welche auch von Bedeu-
tung sind. Manche Texte setzen die Monogamie voraus, so u. a. Ps 128, 3;
Prov 5,18 f.; 12,4; 18,22; 19, 14; Koh 9, 9; 31, 10 H. Allerdings werden

16 Lexikon zur Bibel, hrsg. v. F. Rienecker, Sp.312.


17 W. Plautz, Monogamie und Polygamie im AT, ZAW 75, 1963, S.3-26.
18 Gerade die nachfolgenden Ausführungen bis S.3I.

28
nirgends Wertungen ausgesprochen in dem Sinn, dass die Monogamie ein
erstrebenswertes Ideal wäre; dies haben wir ja bereits bei der Bespre-
chung von Gen 2, 24 ff. festgestellt. Anderseits muss auch hier wieder
festgehalten werden, dass gerade der Jahwist die Ansicht vertritt, dass
Ehe immer und überall Einehe ist. In der Schöpfung und im Sündenfall
geht es immer nur um einen Mann und um eine Frau (vgl. Gen 3,8: der
Mensch und seine Frau).
Bekanntlich haben die Propheten für das Verhältnis von Jahwe zu
Israel später das Bild der Ehe gebraucht. Es geht nun aber nicht an, aus
dieser Tatsache für die Sache der Monogamie im Alten Testament Kapital
zu schlagen. Auch hier zeigt es sich, dass die Einehe nur als Beispiel ge-
wählt wird, weil eben das Verhältnis von Gott zu Israel ausgedrückt
werden soll, die sich wie zwei Partner gegenüber stehen. Jeremia (3,6 ff.)
und Ezechiel (23, 2. 4) können mit der genau gleichen Selbstverständlich-
keit von zwei Frauen, d. h. zwei Schwestern, reden, die Jahwe gehören;
auch hier will nicht eine bestimmte Eheform propagiert oder sanktioniert
werden, sondern die Zahl ist durch die dem Bilde vorangehende Wirk-
lichkeit bedingt.
Wie steht es nun dagegen mit der Bezeugung der Polygamie im Alten
Testament? Mit Recht ist darauf hingewiesen worden, dass der Begriff
Polygamie mehrdeutig ist. Abgesehen davon, dass es sich im Alten Testa-
ment immer nur um Ehen von einem Mann mit mehreren Frauen handelt,
und nicht umgekehrt, man also eigentlich von «Polygynie» reden müsste l9 ,
ist eine weitere Differenzierung nötig. Es zeigt sich, dass im Alten Testa-
ment oft von bigynen Ehen berichtet wird, also von Ehen, die von einem
Mann mit zwei Frauen geschlossen werden. Es handelt sich um folgende
Fälle: Lamech (Gen 4,19-23), Esau (Gen 26, 34; 28,9; später nahm er
noch eine dritte Frau), Jakob (Gen 29, 23. 28; 30,4.9; dazu allerdings als
Nebenfrauen die Sklavinnen seiner beiden Frauen), Elkana (1. Sam 1, 2),
Saul (1. Sam 14, 50; 2. Sam 3, 7); ferner werden in der Chronik fühf Bei-
spiele solcher Ehen erwähnt (1. Chr 2,9.21; 4,5.18; 8,8; 2. Chr 24, 3).
Diese Verhältnisse sind von echt polygamen, denen wir uns nun zuwen-
den, durchaus zu unterscheiden. Nirgends findet sich eine Verurteilung
der Polygamie, die schon sehr früh auftritt. Die zahlreiche Nachkommen-
schaft der kleinen Richter lässt darauf schliessen, dass sie mehrere Frauen
besassen (Ri 10,4; 12,9.14). Von Gideon wird berichtet, er habe viele

19 Plautz, a. a. 0.; zur Terminologie ist festzuhalten, dass "Polygamie» den


Oberbegriff darstellt, während "Polyandrie» und "Polygynie» Unterbegriffe
bilden.

29
Frauen gehabt (Ri 8, 30). über die Verhältnisse am jeweiligen Königshof
erfahren wir folgende Zahlen:
David: 8 Frauen (nicht alle gleichzeitig)
Salomo: 700 Frauen (1. Kön 11, 3; vermutlich nach oben
+ 300 Nebenfrauen aufgerundete Zahl)
Rehabeam: 18 Frauen (2. Chr 11, 21)
+ 60 Nebenfrauen
Abia: 14 Frauen (2. Chr 13, 21)
Zedekia: unbestimmte Zahl von Frauen (Jer 38, 23)
Dabei ist nochmals festzuhalten: Nirgends findet sich eine grundsätz-
liche Kritik dieser Zustände. Wenn Einspruch erhoben wird, dann nur
darum, weil die fremden Frauen die Jahwereligion in Gefahr bringen
(vgl. Salomo, ferner Dt 17, 17: Königsgesetz). Soviel wir sehen, wird die
polygame Ehe weder befürwortet noch abgelehnt; sie wird einfach regi-
striert. Nirgends ist sie gesetzlich gefordert oder gar theologisch fundiert.
Auch Dt 21, 15-17 richtet sich nicht gegen die Polygamie als Institution,
sondern nur gegen mögliche schädliche Auswirkungen.
Fassen wir die genannten Belege näher ins Auge, so drängen sich fol-
gende Erkenntnisse auf:
1. Monogamie, Bigamie (d. h. Bigynie) und Polygamie (d. h. Polygynie)
stehen als verschiedene Eheformen im Alten Testament gleichwertig ne-
beneinander. Die monogame Eheform erhält dadurch besonderes Ge-
wicht, dass sie im jahwistischen Schöpfungsbericht als selbstverständlicher
Normalfall vorausgesetzt wird. 20
2. Es ist kein Fall bekannt, dass Richter 21 oder Könige in monogamer
Ehe gelebt hätten. Es ist allerdings immer prekär, aus dem Stillschweigen
der Quellen ein Argument herzuleiten. Anderseits lassen uns die oben ge-
nannten Belegstellen, sowie die sonst noch bestehende Bezugnahme auf
Sitten an den umliegenden Königshöfen (Esth 2,3. 14; Dan 5,2 f. 23;
Neh 2,6) vermuten, dass es sich bei der höfischen polygamen Sitte um
eine Frage des Prestiges handelte. Die grosse Zahl der Ehefrauen eines
Königs bedeuten einen Ausweis seiner Macht, und gewisse eheliche Ver-
bindungen werden auch rein politischen Zwecken gedient haben.
3. Daneben scheint bei gewöhnlichen Israeliten ausser Bigamie keine
andere Form der Polygamie zu begegnen. Man darf sagen, dass wohl

20 Nach Lev 21,13 darf der Hohepriester nur eine Frau haben. Offenbar eine
nachexilische Vorschrift.
21 «Richter» hier gebraucht im Sinn des Richterbuches.

30
die meisten gewöhnlichen Ehen monogam waren. Es darf nämlich nicht
ausser Acht gelassen werden, dass nur Reiche in der Lage waren, mehr als
eine Frau zu nehmen. So können wir abschliessend dem Urteil von Plautz
zustimmen, dass im Alten Testament wahrscheinlich die Monogamie vor-
herrschend war, was nicht ausschliesst, dass polygame Verhältnisse durch-
aus legitimiert waren.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass in der Möglichkeit zur polygamen
Eheform sich eine entpersönlichende Wertung der Frau manifestiert. 2Il
Dies behält seine R!ichtigkeit, auch wenn, aufs Ganze gesehen, nur wenige
Frauen in einer polygamen Ehe gelebt haben.

3. DIE EHE ALS GLEICHNIS FüR DEN GOTTESBUND

Seit Hosea wird im Alten Testament der Gottesbund mit einer Ehe
zwischen Jahwe und dem Volk Israel verglichen. Hosea empfängt ja be-
kanntlich den göttlichen Auftrag, eine Dirne 23 zu heiraten und mit ihr
Kinder zu erzeugen (Hos 1,2). Das Ganze ist eine prophetische Zeichen-
handlung. Dahinter steht die Vorstellung, «dass zwischen Jahwe, dessen
übergeschlechtlichkeit für israelitisches Denken ausser Frage steht, und
Israel, so wie es im Lande lebt, eine rechtmässige Ehe besteht».24 Indem
sich das Volk Israel den kanaanäischen Kulten zuwendet, bricht es die
Ehe, es «hurt von Jahwe weg». Andere Propheten nehmen das Bild auf.
Jer 31, 32 redet von einem Hochzeitsschluss am Sinai; aber Israel hat den
Ehebund gebrochen (Jer 9, 2), worauf Gott sich vom Volk scheidet (Jer

22 Dt21, 15-17, wo die Ansprüche des Sohnes einer ungeliebten Frau ge-
wahrt werden, redet eine deutliche Sprache, ebenso Ex 21, 10, wo bestimmt wird,
dass die Frau Anspruch auf Nahrung, Kleidung und ehelichen Umgang (!) hat.
Ins gleiche Kapitel einer Abwertung der Frau als solcher gehört auch das Pro-
blem der Nebenfrauen. Sie stehen sozial auf tieferer Stufe, werden aber wohl
durch Heirat mit dem Mann verbunden gewesen sein. Allerdings erreicht hier
die rohe Behandlung der Frau durch den Mann ihren Höhepunkt (z. B. Ri 19,
25; 2. Sam 16, 21 f.; 3,7; 12,8). So wurden Hauptfrauen nie behandelt; wenig-
stens hören wir nichts derartiges. Auch hier darf man aber sicher nicht verall-
gemeinern.
23 Nach H. W. Wolff, Dodekapropheten I, Hosea, 1961, S.14, handelt es sich
nicht um eine gewöhnliche Dirne, sondern um eine junge, heiratsfähige Frau, die
sich den kanaanäischen Initiationsriten unterworfen hatte, also um eine Durch-
schnittsisraelitin; sie würde also nicht eine Ausnahme darstellen, sondern das
zeitgenössische Israel vertreten. - Gegen diese Deutung wendet sich W. Rudolph,
Präparierte Jungfrauen? (zu Hosea 1), ZAW 75, 1963, S.65-73.
24 H. W. Wolff, a. a. O. 1961, S.15.

31
3, 1) und die treulose Frau den Feinden preisgibt. Wie wir bereits gesehen
haben 25, redet Jeremia von den getrennten Reichen Juda und Israel als
von zwei mit Gott verheirateten Schwestern (Jer 3,6. 12). Auch Ezechiel
(Kap. 16 u. 23), und Deuterojesaja verwenden das Bild, wobei in Jes 49,
14; 54,4 H. und 60, 15 von einer vorübergehenden Zurücksetzung der
Frau die Rede ist. Gott aber wird die Jugendgeliebte wieder aufnehmen
(Jes 54, 4. 8).
Bei allen diesen Belegstellen ist es klar, dass hier nicht an eine
«heilige Hochzeit» gedacht ist. 26 Im Vordergrund steht das durch den
Eheschluss vorgebildete Rechtsverhältnis. Wie der Mann seine Frau er-
wählt und mit ihr die Ehe schliesst, so erwählt Jahwe das Volk Israel und
schliesst den Bund mit ihm. Das Gemeinsame an beiden Vorgängen ist das
Moment der vertraglichen Zusammengehörigkeit. 27 Man kann aber
schwerlich übersehen, dass auch schon bei Hosea ein weiteres irrationales
Moment hinzukommt: Das Festhalten Jahwes am treulosen Volk, das alles
menschliche Mass übersteigt, und das weit über alle «vertragliche» Ab-
machung hinausgeht.
Von daher wäre es denkbar, dass das Verhältnis Jahwes zum Volk
Israel, das als bedingungslose Liebe und Erwählung gekennzeichnet wer-
den kann, auf das Verständnis der Ehe zurückwirkt. Wenn das nicht in
einem besonders in die Augen springenden Mass geschieht, so wohl
darum, weil die Ehe im Alten Testament durchgängig vom institutio-
nellen Gesichtspunkt her konzipiert war. Wir müssen uns hüten, von
unserem modernen Empfinden her zu werten und Gedanken einzutragen,
die wohl implizit da sind, aber der besonderen Umstände wegen nicht
wirksam werden konnten.

4. DIE EHESCHEIDUNG IM ALTEN TESTAMENT

Die geschlossene Ehe wird entweder durch den Tod gelöst, oder dann
durch die Ehescheidung. Auf der einen Seite ist die Ehescheidung in
Israel unbedenklich geübt worden. 28 Auf der anderen Seite wurde aber
doch mindestens in späterer Zeit deutlich Kritik laut; Mal 2, 14 nennt die

25Vgl. S. 29.
26Zur Vorstellung des Hieros Gamos vgl. S. 227 H.
27 W. Eichrodt, Theologie des AT I, 1950, S. 120 H.; J. Ziegler, Die Liebe
Gottes bei den Propheten, 1930, S. 73 H.
28 Esra und Nehemia haben gefordert, dass Mischehen aus religiös-kultischen
Gründen geschieden werden sollen (Esr 10, 11 H.; Neh 13, 23 H.).

32
Ehescheidung einen Treubruch am Weibe der Jugend und V. 16 gipfelt,
im Ausspruch Jahwes.: «Ich hasse die Scheidung!» Hier bahnt sich bereits
eine Sicht an, welche im Neuen Testament aufgenommen wird.
Die Grundstelle für die Ehescheidung im Alten Testament findet sich
Dt 24, 1-4. Die Problematik dieser Stelle besteht darin, dass hier gar
nicht das Verfahren der Ehescheidung geordnet wird vermittels gesetz-
licher Vorschriften. Sondern die Ehescheidung wird bereits als bestehende
Einrichtung vorausgesetzt. Sie wird als Institution im Deuteronomium
nicht zur Diskussion gestellt. Es geht vielmehr um die Stellung der ent-
lassenen Frau zu ihrem ehemaligen Gatten. Nicht die Scheidung als
solche wird abgelehnt, sondern nur die Rückkehr der geschiedenen Frau
zu ihrem ersten Mann. Eine solche Rückkehr wäre dem Herrn ein Greue!.
Es ist doch fraglich, ob man darin bereits ein vertieftes Verständnis des-
sen, was Ehe und Ehescheidung bedeutet, sehen darf. 29 Das Ganze macht
viel eher den Eindruck, als ob die Frau vor Willkür in ihrer Persönlich-
keit geschützt werden soll; sie soll nicht einfach wie eine Ware von Hand
zu Hand gehen. 30
Die Einrichtung des Scheidebriefes, sein Inhalt und die Form seiner
übergabe, wird in Dt 24,1 ff. einfach vorausgesetzt. 31 Der Grund der
Scheidung wird angegeben mit dem Nebensatz: «weil er (der Mann) etwas
Hässliches (LXX: etwas Schändliches) an ihr findet» (V. 1). Der Be-
griff ,~, 1"1")1 ist sehr allgemein gehalten. Es ist verständlich, dass
später im Judentum heftige Auseinandersetzungen darüber entbrannten,
was eigentlich damit gemeint sei. 32 Die Formulierung des ganzen Ab-
schnittes und vor allem auch der Zusatz: «an ihr findet» legt nahe, an
eine unästhetische Sache von äusserlich wahrnehmbarer Art zu denken
und nicht an einen moralischen Defekt. Dann wäre wohl eine ekelhafte
Krankheit (Hautausschlag!) oder eine geschlechtliche Missbildung ge-
meint. 33 Allerdings bleiben auch bei dieser Deutung noch Fragen offen.
Wieso ist dann eine weitere Heirat dieser Frau möglich? Ist sie nach
ihrer Scheidung geheilt worden und konnte sie darum sich wieder ver-
heiraten?
Ein weiteres Problem bietet V.4. Dort heisst es, die Frau sei «verun-
reinigt worden». Darum dürfe der erste Mann sie nicht wieder zum

29 So J. Beckmann, Die Ehescheidung in bibl.-theol. Sicht, in: Ehefragen im


Licht des evangelischen Glaubens, Kirche im Volk, 3, 1950, S. 105-117.
30 E. König, Das Deuteronomium, 1917, z. St.
31 Vgl. dazu unten S.37 f.
32 Vgl. zu der ganzen Debatte unten S. 37 H.
311 So Ed. König, a. a. 0., z. St.

33
Weibe nehmen. Der Begriff «unrein» steht hier im Zusammenhang mit
der Aussage, dass es «ein Greuel vor dem Herrn» sei. Also ist, wie sonst auch
im Deuteronomium, an eine religiös-ethisch-ästhetische Unreinheit gedacht,
die das Land in einen sündigen Zustand bringt. Wie bei den unreinen
Tieren (Dt 14, 3 ff.) wird auch hier keine nähere Begründung angegeben,
warum die Frau verunreinigt ist. Der Grund kann weder in der hässlichen
Sache von V. 1 liegen, noch in der Wiederverheiratung als solcher, son-
dern scheinbar grundlos ist die Frau für den ersten Gatten unrein gewor-
den, nicht aber für andere Männer. Also liegt der Sinn der Vorschrift
gerade in der Beziehung der Frau zum ersten Mann, und sie will den
Mann treffen, nicht die Frau. Die Frau vielmehr soll offenbar vor einer
leichtsinnigen Ehescheidung durch den Mann bewahrt werden, der sich
eine Wiederheirat der entlassenen Frau unter Umständen verscherzt.
Angesichts der Tatsache, dass im alttestamentlichen Raum sicher sehr
viele Scheidungen vorgekommen sind, muss es uns erstaunen, dass im
Alten Testament so wenig von der Ehescheidung geredet wird. 34 Umso
bedeutungsvoller wurde darum die Auslegung der wenigen Bestimmun-
gen im Judentum. Wir werden dort den praktischen Ausführungsbestim-
mungen zur Ehescheidung begegnen. 35

34 Ausser den bereits angeführten Stellen fallen noch in Betracht: Dt 22, 28 f.


13-19 (Verbot einer Scheidung in bestimmten Fällen!); Lev 22,13; 21,14;
Jes 54, 6 (Stellung einer entlassenen Frau).
35 Vgl. unten S.37 H.

34
B. Judentum

l. BEMERKUNGEN ZUR EHEAUFFASSUNG

Im Judentum wirken die alttestamentlichen Gedanken über die Ehe


nach. Die mit Heirat, Ehe, Geschlechtlichkeit u. s. f. zusammenhängenden
Fragen werden aufgenommen und mittels der damaligen Auslegungs-
methoden wird versucht, Weisungen aus dem Alten Testament für das
zeitgenössische Leben zu gewinnen. Es entsteht so eine eigentliche Ehe-
Ethik. 1 Eine Zusammenstellung der verschiedenen Ausserungen zur Ehe
im Judentum gibt H. Preisker 2 ; ferner ist das Material heute an vielen
andern Stellen leicht zugänglich.3 Wir können uns darum eine Wieder-
holung ersparen, besonders auch darum, weil wir bei der Einzel-
exegese ohnehin die entsprechenden Belege meistens wörtlich zitieren
werden.
Nur eine grundsätzliche Bemerkung sei hier noch erlaubt. Man kann
sich doch wirklich fragen, ob uns eine lineare Zusammenstellung aller
mit Ehe und Ehescheidung· zusammenhängenden Aussprüche der Rabbi-
nen (und andere Belege) ein zutreffendes Bild der jüdischen Eheauf-
fassung zur Zeit Jesu zu liefern vermag. Die Belege sollten doch nicht nur
einfach reproduziert, sondern vor allem auch gewichtet werden. Es stehen
so viele Urteile unausgewogen nebeneinander. So kann etwa gesagt wer-
den, dass Mann und Frau gleichwertig seien 4; aber auch das Ge-
genteil ist bezeugt 5 ; denn die Frau ist nicht zum Halten der Gebote ver-
pflichtet und darum minderwertig. Neben der Ermahnung, ja nicht mit
den Frauen (auch nicht mit der eigenen Frau) viel zu reden wegen ihrer
Unwissenheit, wird auch das andere überliefert, dass eine Frau ihrem

1 VgI. H. J. Nordin, Die eheliche Ethik der Juden zur Zeit Jesu, 1911.
2 Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten, 1927, S.66-99.
3 Vor allem: Billerbeck I, S.303-321; 11, S.372-399; ferner: S. Krauss, Tal-
mudische Archäologie 11, S. 31 ff.; G. Delling, Paulus Stellung zu Frau und Ehe,
1931, S. 49-56; EJ VI, Sp. 223 ff.; 253 ff.; 259 ff.
4 Midr Rabba Ex 14, 15: «Bei Gott sind alle gleich: Frauen und Sklaven, Arme
und Reiche.» Tanna Elialm Rabba 9: «Ob Israelit oder Heide, ob Mann oder
Weib, ob Sklave oder Sklavin; je nach den Werken ruht auch der heilige Geist
auf ihm» (H. Preisker, a. a. 0., S. 76).·
5 Tos Ber 7,18: Nach R. Juda ben Elai muss man jeden Tag drei Lobsprüche
sprechen: «Gepriesen sei, der mich nicht zum Heiden machte! Gepriesen, der
mich nicht zur Frau machte! Gepriesen, der mich nicht zum Ungebildeten
machte.»

35
Mann durch ihre Anspruchslosigkeit das Thorastudium ermöglicht. Dies
widerfuhr dem R. Akiba und er konnte darum über seine Frau sagen:
«Was an Wissen mein und euer ist, ist ihr zu danken.»6
Leider fehlt bis heute eine Darstellung, welche alle Belege kritisch
sichtet. Darum muss man die immer wieder gehörte Behauptung, dass im
Judentum die Ehe nur Geschlechtsgemeinschaft sei und dass «eine höhere
Wertung der Ehe als geistiges Band zweier Menschen» gänzlich fehle 7 ,
mit grosser Vorsicht aufnehmen. Tatsächlich spielen in allen Erörterun-
gen die sexuellen Fragen eine grosse Rolle, besonders auch in der Aus-
legung der Schöpfungsgeschichte. 8 So wurde z. B. der Begriff «seinem
Weibe anhangen» (Gen 2,24) von den Rabbinen im Sinn der sexuellen
Technik verstanden und die Stelle wurde als ein Beweismittel gegen den
widernatürlichen Geschlechtsverkehr gebraucht. 9
Aber gerade die Bezugnahme auf die Schöpfung kann doch auch zu
einem ganz anderen Eheverständnis führen. Wir denken dabei an die
Stelle des Buches Tobia, wo Tobia zusammen mit seinem ihm soeben an-
getrauten Weibe zu Gott betet: «Du hast Adam erschaffen und ihm als
Stütze sein Weib Eva gegeben; . .. Du hast gesprochen: ,Es ist nicht gut,
dass der Mensch allein sei; wir wollen ihm eine Gehilfin schaffen, die
ihm ähnlich sei'. Und nun, Herr, nehme ich diese meine Schwester (zum
Weibe), nicht um der Fleischeslust (JtO(.lVeLU) willen, sondern in lauterer

6 Zit. n. H. Preisker, a. a. 0., S. 76.


7 H. Preisker, a. a 0., S. S3.
8 Vgl. dazu J. B. Schaller, Gen 1. 2. im antiken Judentum. Untersuchungen
über Verwendung und Deutung der Schöpfungsaussagen von Gen 1. 2 im antiken
Judentum, Diss. Göttingen, 1961 (Maschinenschrift).
9 Die Belege finden sich bei Billerbeck I, S. S02 f.; III, S. 69 ff.; 346: Besonders
deutlich: «R. Schemnel, R. Abbahn (um 300), R. Eleazar (um 270) haben im Na-
men des R. Chanina (um 225) gesagt: Wenn ein Noachide seiner Frau auf un-
natürliche Weise beiwohnt, wird er getötet. Weshalb? Es heisst Gen 2, 24: «Er
wird an seinem Weibe hangen und sie werden zu Einem Leib», an der Stelle
(soll er an ihr hangen), an der sie Einen Leib bilden» (p Qid 1, 5S c, S): Oder:
R. Akiba (t um 135) sagte: ... «Und hangen» Gen 2,24, aber nicht an einem
Männlichen; «an seinem Weibe», aber nicht an dem Weibe eines andern; «dass
sie zu einem Fleische werden», das sind die, welche zu einem Fleische (Leibe)
werden können, also ausgeschlossen Vieh und Wild, die (mit dem Menschen)
nicht zu einem Fleische werden können.» (Sanh 5S a Bar) Um zu verstehen, was
mit diesem Wort des R. Akiba gemeint ist, müssen wir einen Ausspruch R. Eleazar
(um 270) beiziehen: «R. Eleazar hat gesagt: Was heisst, was geschrieben steht
Gen 2, 23: Diese ist endlich einmal Bein von meinem Gebein und Fleisch von
meinem Fleisch? Das lehrt, dass Adam allem Vieh und Wild beigewohnt hat;
aber sein Sinn beruhigte sich (wurde befriedigt) erst, als er der Eva beiwohnte»
(Jeb 63 a, zit. n. Billerbeck, II1, S. 71).

36
Gesinnung» (Tob 8, 6 H.). Hier liegt doch deutlich eine Abkehr von dem
rein sexuellen Verständnis der Ehe vor. Unter der lauteren Gesinnung
ist nach dem Zusammenhang das Wissen um die Schöpfungsordnung
Gottes zu verstehen.

2. DIE EHESCHEIDUNG

Die Juden waren stolz darauf, dass sie eine geordnete Ehescheidungs-
möglichkeit hatten. Das oben zitierte Maleachiwort 10 wurde seines eigent-
lichen Sinnes beraubt. Es wurde gewöhnlich so ausgelegt: In Israel habe
Gott die Scheidungsmöglichkeit gegeben, nicht aber bei den andern
Völkern; dort hasse er die Scheidung!11
In der Regel ging die Scheidung von dem Mann aus. Er konnte von
sich aus die Ehe auflösen. Die Frau dagegen konnte dies nicht selbst tun.
Sie durfte höchstens in bestimmten Fällen die Ehescheidung beantragen,
so etwa wenn der Mann krank war 12 oder einen despektierlichen Beruf
annahm 13, oder wenn sie zu Gelöbnissen gezwungen wurde, die ihr Un-
mögliches zumuteten, oder wenn sie als Minderjährige (d. h. als noch
nicht Zwölfjährige) nach ihres Vaters Tod von den Brüdern oder der
Mutter gegen ihren Willen verheiratet worden war. Auch Verschollenheit
des Mannes oder absichtliches Verlassen berechtigte die Frau zur Schei-
dung. 14
Normalerweise vollzieht der Mann die Scheidung durch Abfassung und
übergabe eines Scheidebriefes. 15 Alle Einzelheiten sind genau geregelU 6
Zwei Zeugen müssen den Brief unterschreiben, und die Scheidung ist
rechtsgültig, sobald der Brief im Besitz der Frau ist. Bei Billerbeck ist
ein ScheidebrieHormular abgedruckt. 17 Die übliche Formel bei der über-
gabe des Scheidebriefes lautet: «Empfange von mir ein Scheidungsdoku-

10 Vgl. S. 32 f.
11 P Qid 1, 58 c, 16 (siehe Billerbeck I, S.312).
12 Z. B. ein mit einem Geschwür geschlagener Mann oder einer, der mit einem
Polypen behaftet war.
13 Z. B. Kupferschmelzer oder Ledergerber, etc.
14 Vgl. zu den Scheidungsgründen der Frau Keth 7,10; Billerbeck I, S. 318 f.
15 L. Blau, Die jüdische Ehescheidung und der jüdische Scheidebrief, 1911. -
Von der Königszeit an ist der Scheidebrief bezeugt (Dt 24,1 H.; Jer. 3, 8; Jes 50,1).
16 Vgl. Billerbeck I, S.303. Es finden sich z. B. Bestimmungen über das Schreib-
material, die Schreiber, die Rechtsgültigkeit, die Art der Aushändigung und Zu-
rücknahme des Scheidebriefes.
17 I, S.311.

37
ment, einen Entlassungsbrief und eine Freigebungsurkunde, dass du dich
vermählen könntest, wenn du wolltest!»18 Bei den Beduinen Arabiens ge-
nügte sogar nur die mündliche Erklärung «Du gehörst dir (selbst)!» oder
das dreimalige Aussprechen der Scheidungsformel. 1D
Was nun die Scheidungsgründe seitens des Mannes anbetrifft, so ent-
spann sich im Judentum eine heftige Kontroverse über die richtige Aus-
legung von. Dt 24, 1.20 Im Gegensatz zu dem, was wir als eigentliche
Meinung dieser Stelle angeführt haben 2\ glaubten die meisten jüdischen
Ausleger, dass mit dem Ausdruck: «etwas Schändliches» eine Handlung
der Frau gemeint sei. Um Ehebruch aber kann es sich nicht handeln, da
darauf ja die Todesstrafe steht.22 Also lehrte die Schule des R. Schammaj,
dass einfach unzüchtiges Benehmen der Frau ins Auge gefasst sei, also
irgend etwas sittlich Anstössiges.23 Anders urteilte die Schule des R. Hillel.
Sie legte das Gewicht auf das Wort «irgend etwas». Dann konnte jede
Nachlässigkeit der Frau zur Scheidung führen, etwa angebranntes Essen!4,
oder respektloses Reden über die Eltern des Mannes. Besonders der er-
stere Grund klingt für modeme Ohren komisch. Aber wir dürfen nicht
vergessen, dass das Kochen zu den obersten Pflichten ·e~,ner Ehefrau ge-
hörte. Im Anbrennenlassen der Speisen kommt nicht so s:~hr die Unfähig-
keit der Frau zum Ausdruck, als vielmehr ihre absichtliche Missachtung
des Mannes. So konnte die Frau also gleichsam «passiven Widerstand»
leisten. In den primitiven Verhältnissen des Orients durfte aber der Mann
nicht auf die Achtung seiner Frau verzichten und musste diese notfalls
mit Gewaltmitteln erzwingen.
Noch weiter ging der berühmte R. Akiba, der aus den Worten «wenn
sie ihm nicht mehr .gefällt» ableitete, dass aus einem ganz beliebigen
Grund geschieden werden dürfe.25 Also konnte ein Mann seine Frau z. B.
entlassen, wenn er eine schönere gefunden hatte. Das bedeutete, dass
einer Scheidung theoretisch überhaupt nichts im Wege stand. Denn im

18 Git IX, 3.
19 W. Wrede, Reise in Südarabien, 1873, S.220; J. J. Hess, Von den Beduinen
des inneren Arabiens, 1938, S.. 138.
20 Zur ganzen Kontroverse siehe Billerbeck I, S. 313 ff.
21 Siehe oben S. 33 f.
22 Dt22, 22.
23 Es wird etwa an das Erscheinen der Frau in der Öffentlichkeit mit ent-
blössten Armen oder unbedecktem Kopf gedacht; oder wenn sie mit an der Seite
eingerissenem Kleid daherkommt.
24 Git90 a.
25 Git 9, 10. In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass nach dem
Gesetz des Hammurapi überhaupt kein Grund für eine Scheidung nötig war.

38
Alltag wurde nach den Ansichten der Schule des R. Hillel und des
R. Akiba verfahren. Praktisch aber bedeuteten die vermögensrechtlichen
Auseinandersetzungen im Gefolge einer Scheidung einen gewissen
Schutz der Frau.
Als wichtiger Scheidungsgrund galt auch die Kinderlosigkeit der Frau,
wenn seit der Heirat 10 Jahre vergangen waren. Die geschiedene Frau
kehrte gewöhnlich in ihr Elternhaus zurück. 26 Es stand ihr nun frei, sich
wieder zu verheiraten, mit wem sie wollte. 27 Dies war ja der Sinn der
übergabe des Scheidebriefes; der Mann verzichtete auf seine Ansprüche
gegenüber der Frau. Jedoch war auch eine Wiederverheiratung mit der
geschiedenen Frau möglich, allerdings nur unter bestimmten Kriterien. 28

26 Lev 22, 13; auch die kinderlos verwitwete Ehefrau lebte wieder mit ihrer
elterlichen Familie ..
27 Besondere Bestimmungen galten für den Priesterstand. Der Priester durfte
keine Geschiedene heiraten (Lev 21,7), wie ja auch der Hohepriester keine
Witwe und der Priester höchstens eine Priesterswitwe heiraten durfte.
28 Vgl. Billerbeck I, S. 310 f.

39
C. Hellenistische Umwelt

Während für die Auslegung der synoptischen Texte das alttestament-


lich-jüdische Erbe die wichtigste Rolle spielt, sind die Brieftexte weit-
gehend von ihrer helleni:stischen Umwelt geprägt. Gerade die paulinischen
Gemeinden leben ja in engem Kontakt mit den geistigen Strömungen
ihrer Gegenwart. Daneben ist aber sicher auch der jüdische Hintergrund
wichtig, da ja Paulus jüdischer Schriftgelehrter war und seine Gemeinde-
gründungen immer in Beziehung zu der jüdischen Diaspora standen.
Wieder können wir uns hier auf ein paar wenige Bemerkungen beschrän-
ken, da bereits gute Vorarbeit geleistet wurde. Zu nennen wäre vor allem
das Buch von J. Leipoldt, Die Frau in der antiken Welt und im Ur-
christentum, 1955, sowie die betr~ffenden Abschnitte in den zitierten
Werken von H. Preisker und G. Delling. 1 Zudem werden wir im Verlauf
der Einzelexegese auf die konkreten Fragen eingehen.! Hier also nur die
wesentlichen Grundzüge.
In der alten Zeit stand (z. B. in Athen) die Ehefrau auf einer niedern
Stufe. Die Frau wird als unzuverlässig und streitsüchtig eingeschätzt und
hat kein Anrecht auf Bildung. Nur die Hetäre ist gebildet. Bezeichnend
ist der Ausspruch des Demosthenes in der Rede gegen Neaira, wo er
sagt: «Die Hetären haben wir zum Vergnügen, die Konkubinen zur täg-
lichen leiblichen Pflege, die Ehefrauen, um rechtmässig Kinder zu erzeu-
gen und um eine treue Wächterin für die häuslichen Dinge zu haben».3
Allerdings wird diese geringe Bewertung der griechischen Ehefrau
Lügen gestraft und bei weitem aufgewogen durch die wunderbaren
Frauengestalten der Poesie.' Auch bahnt sich im Laufe der Zeit ein
besseres Verständnis der Frau und damit auch ein vertiefteres Verständ-
nis der Ehe an. Während früher der Zweck der Ehe in der Fortpflan-
zung des Geschlechtes und der Versorgung des Staates mit Bürgern ge-
sehen wurde, wird in neutestamentlicher Zeit unter dem Einfluss der Stoa
der Zweck der Ehe doch auch in der geistigep und sittlichen Lebens-
gemeinschaft gesehen. 5 Die stoische Philosophie gibt der Frau die prin-
1 H. Preisker, Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten, 1927,
S. 13-66; G. Delling, Paulus Stellung zur Frau und Ehe, 1931, S.2-49. Ferner:
Art. Ehe, in: RAC IV, Sp. 650-666; A.Oepke, Art. 'Y1JVTt ThWb I, S. 777-780.
2 Vgl. S.66 f.; 95 H.; 143 H.; 175 H.; 197 H.; 203 H.; 214 f.; 222 f.; 227 f.
3 Demosthenes, Or 59, 122.
, Wir denken da vor allem an Namen wie Penelope, Nausikaa, Andromache,
Antigone, Iphigenie, u. v. a. m.
5 P. Wendland, Die hellenistisch-römische Kultur in ihren Beziehungen zu
Judentum und Christentum, 1912, S. 43 H.

40
zipielle Gleichberechtigung, indem für sie die gleiche Bildung verlangt
wird wie für den Mann. Allerdings geht diese Aufwertung der Frau und
der Ehe Hand in Hand mit einem sittlichen Zerfall, gegen den sich
schliesslich - nur mit mässigem Erfolg - die Reformgesetze des Augustus
wandten. Auch die philosophischen Moraltraktate sahen im Kampf gegen
diese Entsittlichung ihre Aufgabe, wobei sowohl die stoischen als auch
die neupythagoräischen und kynischen Traktate sich nur im Ton und in
der Nuance, nicht aber im Inhalt voneinander unterschieden. 6 In dieser
Zeit der sexuellen Verwilderung tauchte dann auch bei Epictet das Ideal
der Enthaltsamkeit und des ehelosen Lebens auf.7
Die hellenistische Umwelt des Neuen Testaments schwankt in der Be-
urteilung der Ehe. Asketische Neigungen, hervorgerufen durch gewisse
Mysterienkulte, und zynische Verachtung des ehelichen Lebens B wechseln
ab mit einer Hochschätzung der Ehe, die so schnell nicht überboten
werden kann. Die verschiedenen Äusserungen von Musonius sind be-
kannt. Die Ehe ist nach ihm die denkbar engste Gemeinschaft, sie ist eine
völlige Vermischung, eine a'll[LßLO)aL~, wobei es nicht nur auf die gegen-
seitige Hilfeleistung, sondern auch auf die Gleichheit des Empfindens
ankommt.D Auch bei Plutarch lassen sich ähnliche Gesichtspunkte auf-
zeigen. lu
Ehescheidungen sind in der hellenistischen Umwelt nicht selten. 11 Die
Scheidung kann vom Mann oder von der Frau ausgesprochen werden und
richtet sich in ihrem Verfahren nach den jeweiligen rechtlichen Verhält-
nissen, die von Ort zu Ort verschieden sein können, auch nach den zu
Grunde liegenden Eheformen. In unserem Zusammenhang ist wichtig,
dass sie offenbar unbedenklich geübt worden sind. Auch hier bildeten
vermögensrechtIiche Auseinandersetzungen im Gefolge einer Eheschei-
dung sicher eine nicht unerhebliche Erschwerung. Das Ehrenprädikat
!l6vo.vI\Qo~ in der Grabinschrift geachteter Ehefrauen weist uns darauf hin,
dass aber eine Scheidungspraxis, welche nur allzuleicht in eine sukzessive
Polygamie ausartete, nicht kritiklos hingenommen wurde.

6 P. Wendland, a. a. 0., S. 83 f.
7 Vgl. unten Exkurs 111: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der neu-
testamentlichen Umwelt und in der alten Kirche, S.203 H.
B Menander Fr. 650.
9 H. Preisker, a. a. 0., S.23. - Musonius 68, 5 H. 69, 15 f.
10 Vgl. L. Goessler, Plutarchs Gedanken über die Ehe, Diss. Basel, 1962.
11 A. Oepke, a. a. 0., S. 778.

41
11. E,VANGEL1EN

A. Markusevangelium
(Kap. 10, 1-12) 1

1. ANALYSE VON MK 10, 1-12

Die Komposition von Mk. 10, 1-12 ist sehr einfach und ohne weiteres
durchsichtig. Wir finden in
V.l einen Sammelbericht über eine Reise Jesu und über seine Wirk-
samkeit, verbunden mit einer Lokalisation. Dieser Sammelbericht leitet
über zu
V.2-9. Es wird hier ein Streitgespräch berichtet, welches Jesus mit
seinen Gegnern über die Frage der Ehescheidung führte.
Darauf folgt
V. 10-12: eine jüngerbelehrung über die Ehescheidung. Es wird eine
ganz neue Situation geschildert, in welcher das Herrenwort über die Ehe-
scheidung fällt.
Wir gehen nun so vor, dass wir zuerst die in dieser Analyse genannten
Teile für sich betrachten und erst zuletzt dann nach dem Wesen und der
Bedeutung der markianischen Komposition fragen.

1 Für unsere Untersuchung spielt einzig Kap. 10,1-12 eine Rolle. Es gibt da-
neben im Markusevangelium noch andere Stellen, wo auch auf Ehe und Familie
angespielt wird. Zu nennen wären an ganzen Perikopen:
Kap. 12, 18-27 Die Frage der Sadduzäer wegen der Auferstehung (Leviratsehe)
Kap. 3, 31-35 Die wahren Verwandten Jesu (familia dei); vgl. dazu unten S.264.
Dazu an Einzelworten:
Kap. 7, 22 Der Ehebruch
Kap. 8, 38 Das «ehebrecherische» Geschlecht
Kap. 13, 17 Das Wehe über die schwangeren Frauen.
Diese Stellen sind aber für unser Thema unergiebig. Sie können höchstens als
indirekte Quellen zur Eheauffassung des Evangelisten und seiner Gemeinde
herangezogen werden.

43
2. DAS STREITGESPRÄCH üBER DIE EHESCHEIDUNG
(Kp. 10, 2-9)

V. 1 leitet, wie wir gesehen haben, über zum Streitgespräch. Nachdem


sich Jesus in Kap. 9, 30-50 mit den Jüngern unterhalten hat, muss Markus
zurücklenken. Jesus nimmt, gemäss seiner Gewohnheit, die Lehrtätigkeit
für das Volk wieder auf. Dass die Volksrnassen zu Jesus laufen, ist ein
stetig wiederkehrender Zug.
V.2: Und sie fragten ihn, ob es dem Mann erlaubt sei, die Frau zu
entlassen; sie wollten ihn versuchen.
V.3: Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Was gebot euch Mose?
V.4: Sie aber sagten: Erlaubt hat Mose, einen Scheidebrief zu schreiben
und sie zu entlassen.
V.5: Jesus aber sprach zu ihnen: Auf leure Herze~shärtigkeit hin schrieb
er euch dies Gebot.
V. 6: Vom Anfang der Schöpfung aber hat er sie erschaffen als Mann
und Weib.
V. 7: Darum wird ein Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen
V.8: und die zwei werden ein Leib sein. Somit sind sie nicht mehr zwei,
sondern ein Leib.
V.9: Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht
scheiden.

V. 2: JrELtlu~ov'n:~ U1JT;OV wird von einem unbedeutenden Textzeugen c (= Alt-


lateiner aus dem 12. Jabrh.) ausgelassen. Dies ist sicher ein Versehen, da das
Versucherische der Frage auch sachlich begründet ist. - Alle wichtigen Hand-
schriften ausser D, a, b, k, r, syS, fügen JrtloO'Eldtov'tE~ iJ)UtlLqULOL ein; diese Worte
sind aus Mt 19, 3 eingedrungen, begünstigt durch die Tendenz, unbestimmte An-
gaben zu verdeutlichen 2, und durch die Tatsache, dass in anderen Fällen Phari-
säer versucherisch an Jesus herangetreten sind, z. B. Mk 8, 11; 12,13.15. N, C u. a.
bringen zusätzlich vor iJ)UtlLO'ULOL noch den Artikel, ein weiterer Schritt in typi-
sierender Richtung. - Mit dem Ausdruck YU'VUL?tU UJrO!..UO'UL ist die rechtmässige
Entlassung der Frau gemeint mit Scheidebrief, etc. Vgl. dazu 1. Esra 9, 36: )tul
UJrEA1JO'UV uihu~ O'''v 'tE)tVOL~.
V.3: SVE'tELAU'tO = «er hat geboten, befohlem>, im Gegensatz zu
V.4: SJrE'ttlE\jJEV = «er hat erlaubt, gestatte!». - ßLßALov uJrotl'tuO'Lou (= "Illtl
1'11'1 1"1!l ), ist Terminus technicus für den Scheidebrief (Dt 24, 1. 3), ytlu\jJfJ.L )tul
uJroAuO'fJ.List abgekürzte Formel für das ganze Verfahren. Mt erwähnt noch aus-
drücklich das übergeben des Scheidebriefes.

2 E. Lohmeyer, Das Markusevangelium, 1957, z. St.

44
V.5: Der Begriff der Hartherzigkeit stammt aus dem AT. Dort dient er zur
Charakterisierung des Volkes, z. B. Dt 10, 16; Jer 4,4; Ez 3,7; Sir 16, 10. - En01..T)
meint hier ein Gebot im Sinne einer Vorschrift.
V.6: uno öE uQxfi~ x"tLcrEw~ ist feierlich formuliert. Khnliche Bildungen be-
gegnen Mk 13, 19 und 2. Petr 3, 4: un' uQXfi~ X"ttcrEW~, Mt. 24, 21: un' uQXfi~ xocrf.tOU
und Röm 1, 20: uno X"ttcrEW~ xocrf.tou. Sachlich ist immer dasselbe gemeint. Der
Anfang wird betont als Gegengewicht zum Späteren, in unserem Fall zur Ver-
ordnung des Mose. D, u. a. lassen X"tLcrEW~ aus, eventuell eine Nachwirkung aus
Mt 19, 8. - Das Zitat aus Gen 1, 27 (LXX) ist wörtlich; dass aber auch oft frei
zitiert worden ist, zeigen D, u. a. mit der Wendung: äQcrEV xat itfi1..U EnOL'I'}crEv
Ö itEO~. Sachlich ändert sich nichts.
V.7: Als weiteres Zitat folgt Gen 2, 24 unmittelbar. Wieder wird LXX wört-
lich angeführt, von N durchgehend, während die meisten anderen Handschriften
mhoii nach f.t'l'}"tEQU auslassen. Die Koine, D, e, u. a. fügen bei: «und er wird
seinem Weibe anhangen», sehr wahrscheinlich ergänzt aus Mt 19,5, übrigens
auch wieder wörtlich aus Gen 2, 24 (LXX).
V.8: Hier wird das angefangene Zitat zu Ende geführt. Der ausdrückliche
Hinweis auf «die Zwei» findet sich auch bereits in der LXX. - Merkwürdig ist
die unmittelbare Zusammenstellung der Zitate aus Gen 1, 27 und 2,24 darum,
weil in 2,24 wohl nicht Gott als redend gedacht ist wie in 1,27, sondern der
Erzähler, der eine abschliessende Bemerkung macht. Die Zusammenstellung er-
folgt einfach unter dem Stichwort «habt ihr nicht gelesen» oder «es steht ge-
schrieben». EVEXEV "tOll1:0U in V. 7 knüpft nun an die gemeinsame Erschaffung
von Mann und Frau an, während es sich ursprünglich auf die Tatsache bezog,
dass die Frau aus der Rippe .des Mannes erschaffen wurde.
V. 9: crUVEl~EU~EV heisst eigentlich: «er hat zusammen ins Joch gespannt». Es
wird speziell auch von der ehelichen Verbindung gebraucht. 3 - Der Zusammen-
hang beweist, dass XWQL~ELV hier (wie auch 1. Kor 7,10) als Terminus technicus
für die Ehescheidung gemeint sein muss, nicht nur für die Ehetrennung, was
sprachlich auch möglich wäre.

a. Form und Inhalt des Streitgesprächs

Der Eingang «und sie fragten ihn» (V. 2) zeigt, dass hier ein Streit-
oder Lehrgespräch vorliegt. Die Frage wird von Gegnern Jesu gestellt,
um ihn zu versuchen. Die Ausgangslage entspricht genau derj enigen des
Streitgesprächs über den Zensus (12, 13-17). Dort heisst es, die Gegner

3 Bauer, Sp. 1536.

45
hätten die Absicht gehabt, «ihn bei einem Ausspruch zu fangell». Hier wie
dort scheitert der geheime Vorsatz der Versucherischen. Eindrücklich ist,
wie Jesus seinen Gegnern nicht ausweicht, sondern klar und deutlich das
sagt, was gesagt werden muss.
Der Frage in V. 2 entspricht am Schluss die Antwort in V. 9. Zwischen-
drin geht das Gespräch geradlinig und zielstrebig vorwärts. Auf die Ein-
gangs frage folgt sofort die Gegenfrage Jesu (V. 3) mit anschliessendem
Dialog (V. 4 L). Das in V.5 abgegebene Urteil wird durch Schriftzitate
erhärtet, die von V. 6 bis V. 8a reichen. Ein prägnant formuliertes
Schlusswort (V. 9) bildet die Pointe des ganzen Gesprächs. Darin wird
bekräftigt, dass Jesus die Ehescheidung ablehnt, was auch aus Mk 10, 11
unmissverständlich hervorgeht.
Es entspricht der jüdischen Sitte, einem Rabbi Gelegenheit zu geben,
seine Meinung zu einer Sache öffentlich ktllldzutun. Wir wissen, dass
Jesus auf seine Zeitgenossen weitgehend den Eindruck eines wandernden
Rabbi gemacht haben muss. 4 Darum ist der Anfang des Streitgespräches
mit einer Frage, ohne dass ein die Frage auslösendes Ereignis erwähnt
wird wie etwa in 7, 2 ff., nichts Ungewöhnliches. Es wäre darum verfehlt,
daraus ein Argument gegen die Historizität des Gesprächs abzuleiten. 5
Die Frage, ob es dem Mann erlaubt sei, die Frau zu entlassen, ist für
jüdische Ohren überraschend einfach gestellt. DieSle Einfachheit ist aber
Absicht. Es kann keine Rede davon sein, dass hier der Ansatz zu einem
«ungeschickten Aufbau» vorliege. 6 Gerade die unproblematische Frage
in einem an sich komplizierten Sachzusammenhang soll Jesus zu einer
unbedachten Äusserung veranlassen. Von hier aus wird eine «Versuchung
Jesu» überhaupt erst möglich. Voraussetzung ist, dass die ablehnende
Stellungnahme Jesu zur Ehescheidung den Fragestellern bekannt war.
Damit ist die Konfliktsituation gegeben. Denn ein Jude kann die Frage,
ob es dem Mann erlaubt sei, seine Frau zu entlassen, nur mit einem Ja
beantworten. Dies geht deutlich aus Dt 24, 1 ff. hervor. Kann Jesus dieser
Konsequenz ausweichen? Ist er nicht gerade durch die simplifizierende
Direktheit der Frage in die Enge getrieben? Jesus kann sich und seine Ehe-
auffassung doch im entscheidenden Moment nicht verleugnen. Also muss
er sich gegen die mosaischen Anordnungen stellen und sagen: «Es ist

4 Markus bringt den Titel «Rabbi» oder «Rabbuni,> im ganzen Evangelium


viermal: 9,5; 10,51; 11,21; 14,45. Vgl. dazu H. Baltensweiler, Die Verklärung
Jesu, 1959, S.39, A. 17.
5 Dies tut R. Bultmann, Die Geschichte der syn. Tradition, 1957, S.25; m. E.
zu Unrecht!
6 R. Bultmann, a. a. 0., S. 26.

46
erlaubt!» Die Frager erhoffen sich eine solche Wendung des Gesprächs.
Sie wollen durch ihre Frage Jesus zwingen, eine unbedachte Äusserung
zu tun, die ihm den Kopf kosten soll. Darin besteht die «Versuchung».
Jesus beantwortet die Herausforderung mit der Gegenfrage: Was ge-
bot euch Mose? Wiederum ist es unverständlich, wie man diese Erwide-
rung als verfehlF oder als «unechte» Gegenfrage bezeichnen konnte. B
Formal gesehen ist die Replik Jesu durchaus stilgemäss. Jeder fromme
Jude und Rabbi wird sofort auf die Thora verweisen. Denn für jedes
Problem des menschlichen Lebens gibt das mosaische Gesetz direkt die
verpflichtende Regel aus dem Willen Gottes. 9 Aber auch vom Inhalt her
gesehen ist die Gegenfrage Jesu genau überlegt. Wie ein Meister des
Schachspieles eine gutdurchdachte Operation mit einem scheinbar belang-
losen Zug einleitet, der vom Gegner in seiner Tragweite gar nicht er-
kannt wird, aber zwangsläufig einige Zeit später seinen wahren Charak-
ter offenbart und zur Niederlage des Gegners führt, so geschieht es hier.
Jesus fragt: Was gebot euch Mose? Bereits hier ist für den, der Ohren
hat zu hören, angedeutet, in welcher Richtung hin sich das Gespräch
entwickelt. Die Gegner fragen nach dem gesetzlich Erlaubten und ihre
Erwiderung in V.4 heisst ausdrücklich: Erlaubt hat Mose ... ! 10 Jesus
aber hat, indem er nicht nach dem Erlaubten, sondern nach dem Gebote-
nen fragt, deutlich gemacht, wo er hinaus will. Die Gegner antworten
auf seine Frage prompt mit Dt 24, 1: Mose habe erlaubt, einen Scheide-
brief zu schreiben und die Frau zu entlassen. Sie beantworten im Grunde
ihre eigene Frage mit einem: Ja, es ist erlaubt! D. h.: sie haben nicht ver-
standen, um was es geht. Jesus schiebt das ganze Problem auf eine andere
Ebene. Während sie immer noch die rein rechtliche Seite der Eheschei-
dung im Auge haben, visiert Jesus eine neue Dimension an.
V. 5 wird uns sofort zeigen, um was es sich bei dieser neuen Dimen-
sion handelt. Er nimmt im ganzen Gespräch eine Schlüsselstellung ein.
Gewöhnlich wird V. 5 so verstanden, dass Gott eigentlich keine Schei-
dung vorgesehen hatte; aber Mose habe angesichts der Herzenshärtigkeit
der Israeliten kapituliert und als Notregelung die Vorschriften in Dt 24,
1 ff. gegeben. Man müsste also übersetzen: Wegen eurer Herzenshärtig-
keit ... oder: Mit Rücksicht auf eure Herzenshärtigkeit schrieb er euch
dies Gebot.
7 R. Bultmann, a. a. 0., S. 26.
B B. K. Diderichsen, Den marianske Skilsmisseperikope, 1962, S.350.
9 E. Lohmeyer, a. a. 0., S. 199.
10 E. Lohmeyer, a. a. 0., S. 199, legt auf diese Unterscheidung besonderes Ge-
wicht.

47
Neuerdings hat H. Greeven eine andere Deutung von V. 5 vorgeschla-
gen. 11 Er hält es für unwahrscheinlich, dass die W orte JtQo~ 't~v
O'xA:rlQoxuQöLUV eine Angabe des Grundes meinen. Schon rein sprachlich
müsste man, so meint er, anstatt JtQ6~ eine klare Kausalbestimmung er-
warten. Zudem weist er darauf hin, dass der Begriff O'XA:IWOXUQöLU fest
geprägt ist und immer bedeutet: Hartherzigkeit gegenüber Gottes Wort
und Gottes Gebot. «Es ist unvereinbar mit dem biblischen Gottesgedan-
ken, dass Gott der Verstockung des Menschenherzens weder mit Zorn
noch mit Liebe, sondern mit Nachgeben begegnet.»12 Das Ganze ist also
nicht als ein Resignieren des Moses zu verstehen, sondern so, dass Mose
die Vorschrift gegeben hat «auf eure Herzenshärtigkeit hill». Die Her-
zenshärtigkeit «ist das Ziel, das er treffen will, nicht der Ort, von dem er
herkommb>.13 Mit andern Worten: Jedesmal, wenn ein Jude vor minde-
stens zwei Zeugen einen Scheidebrief ausstellt, ist er gezwungen zu be-
zeugen, dass er die von Gott eingesetzte Ordnung bricht. Schuldhaftes
Verhalten soll aus der Anonymität und Heimlichkeit herausgezogen und
vor Gott und Welt festgehalten werden. Die Worte «auf eure Herzens-
härtigkeit hill» bekommen direkt den Sinn .«zum Zeugnis gegen euch über
eure Herzenshärtigkeib>.14
H. Greeven hat sehr schön gesehen, dass der Begriff der Hartherzig-
keit hier ganz zentral mit im Spiel ist. O'XA'IlQoxuQöLu 15 wird in der LXX
gebraucht im Sinn von «Sprödigkeit des HerzeIlls, Hartherz'igkeit»
und entspricht dem hebräischen !l!l~ n~.,v (Dt 10, 16). In Ez 3,7 fin-
den wir das Adjektiv O'xA'IlQoxuQöLo~, welches denjenigen bezeichnet, der
nicht auf Gott hören will, also ein verhärtetes Herz hat. Mit der Vorstel-
lung vom «harten» Herzen arbeitet auch der Prophet Ezechiel später im
Kap. 11, 19 f. und 36,26, wo er die xUQöLu AdHv'Il anprangert und ankün-
digt, dass Gott ein anderes Herz und einen neuen Geist geben wird. Wei-
ter finden wir das Substantiv O'xA'IlQoxuQöLu im sekundären Markusschluss
Mk 16, 14. In unserem Zusammenhang ist letztere Stelle besonders be-
weiskräftig, auch wenn sie aus zweiter Hand formuliert ist. Sie gibt uns
einen Hinweis darauf, wie der Begriff gefüllt worden ist. Es heisst dort,
dass die Härte des Herzens zusammenhänge mit dem Unglauben. So wird
deutlich, dass auch hier, wie schon im Alten Testament, die Hartherzig-
keit sich in der Beziehung zu Gott auswirkt. Es ist das Unvermögen ge-

11 ZEE I, 1957, S.109-125.


12 H. Greeven, a. a. 0., S.114.
13 ibid.
14 Diese Bedeutung findet sich auch in Mk 1, 44 und 6,11.

48
meint, die Offenbarungen des göttlichen Heilsplanes zu erkennen und
zu verstehen.
Von der Sache her könnte die Erklärung H. Greeven's durchaus mög-
lich sein. Sprachlich allerdings ist letzte Sicherheit nicht mehr zu ge-
winnen. Die Frage ist, wie die Präposition JtQ6<; m. Acc. zu verstehen sei.
Sie kommt im Markusevangelium noch an drei Stellen vor. 16 Ma.n kann
überall durchkommen, wenn man von der Grundvorstellung einer Bewe-
gung ausgeht, die auf ein Ziel hinführt. Aber auch dann ist JtQ6<; mit Acc.
im Neuen Testament noch mehrdeutig, wie die verschiedenen lateini-
schen Aequivalente zeigenP Da dem Accusativ die Grundvorstellung
einer zielgerichteten Bewegung entspricht, liegt es nahe, die finale Er-
klärung der kausalen vorzuziehen.
Sicher ist auf alle Fälle, dass Jesus die Mose-Interpretation seiner Geg-
ner ablehnt. V. 5 ist die direkte Antwort auf V.4 im Sinn einer Auf-
nahme der gegnerischen Behauptung. Die Gegner sagen: Erlaubt hat
Mose, einen Scheidebrief zu schreiben und sie zu entlassen. Für sie ist
eigentlich mit dieser Feststellung die Debatte zu Ende und ihre versuche-
rische Frage beantwortet. Sie glauben, dass nun Jesus überführt ist, da er
anerkennen muss, dass Mose eine solche Vorschrift erlassen hat. Ginge es
nach dem Willen der Gegner, dann müsste Jesus jetzt zugeben, jawohl,
es ist so. Mose hat die Möglichkeit der Ehescheidung eingeräumt und
gerade zu diesem Zweck Dt 24, 1 ff. g,eschrieben. Sie wären zufrieden,
wenn gesagt würde: JtQa<; Ta "(1JVULXU uJtot.:uom E"(QU'tjJEV VfLLV T~V EVTOA~V
WVT'Y]V, d. h.: zum Zweck der Entlassung der Frau schrieb er euch diese
Vorschrift. Jesus antwortet nun - und das ist das Interessante - in for-
maler Hinsicht genau so, wie die Gegner es erwarten, aber inhaltlich ganz
anders: JtQa<; T~V <1XA'Y](loxuQMuv vfLÖW E"(QU'tjJEV VfLLV ... Es liegt hier im
Griechischen also fast ein Wortspiel vor. 18 Jesus will sagen: Nein, nicht
betreffend der Ehescheidung hat Mose diese Vorschrift erlassen, sondern
betreffend eurer Hartherzigkeit. Es ereignet sich hier vor den Augen
und Ohren der Zuhörer und Gegner jene Metabasis eis allo genos, von
der wir oben bereits gesprochen haben. 19

15 Vgl. zum Folgenden: J. Behm, Art. O"x/.'Y]QoxCtQöLu, ThWb In, S.616.


16 Kap. 6, 3; 8,16; 12, 12.
17 ad, adversus, apud, cum, inter, intra, secundum. Vgl. Bauer, Sp. 1407-1410.
18 Die Tatsache, daß Jesus sehr wahrscheinlich aramäisch gesprochen haben
dürfte, ändert an dieser Feststellung nichts. Sie bezieht sich auf den vorliegenden
Text.
19 Vgl. S. 47.

49
Die folgenden Schriftzitate Gen 1, 27 und 2,24 sollen nun zeigen, wie
es «von Anfang der Schöpfung an» gemeint war. Sie handeln von Haus
aus nicht von der Ehescheidung, sondern von der Ehe. Jesus gibt seinen
Gegnern eine Ehebelehrung aus dem Alten Testament. Die Begründung
jeder Ehe muss in der Schöpfungstat Gottes gesehen werden. Von daher
empfängt sie ihre Würde. Das Ein-Fleisch-werden meint mehr als nur
die körperliche Vereinigung. Mann und Frau.gehören auch über den Kör-
per hinaus noch zusammen. Gerade weil im Alten Testament mit dem
Körper immer auch die Seele als Sitz des Lebens mitgegeben ist, geht es
um viel mehr als nur um den geschlechtlichen Verkehr. Dass Gen 2, 24
hier von Jesus in diesem umfassenden Sinn gemeint sein muss, zeigt der
abschliessende V. 9: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch
nicht scheiden.
Die erste Hälfte von V. 9 betont, dass die Ehe nicht nur eine mensch-
liche, willkürliche Verbindung ist, sondern ein Ergebnis des göttlichen
Wirkens. Man kann sich fragen, wie weit hier jüdische Vorstellungen
nachklingen. Nach rabbinischer Anschauung ist es ja Gott selbst, der die
Ehen stiftet. So wird berichtet, eine Frau habe einmal den Rabbi Jose ben
Chalaphta gefragt, in wieviel Tagen Gott die Welt erschaffen habe. Auf
seine Antwort hin: «In sechs Tagen», habe sie weiter gefragt: Und was
tut er seitdem? Darauf habe Rabbi Jose geantwortet: Er bringt Ehepaare
zusammen: die Tochter von dem und dem soll dem und dem, das Geld
von dem und dem soll dem und dem, das Weib von dem und dem soll
dem und dem gehören. 19a Ferner versuchte man aus der Thora, aus den
Propheten und aus den Hagiographen zu beweisen, dass die Frau von
J ahve dem Mann zugeführt wird. 20
Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass J esus hier diese V orstellun-
gen aufnimmt. 20a Aber nicht nur im Sinn einer Spielerei, sondern Jesu5
macht mit dieser Erkenntnis völligen Ernst. In V. 9 b liegt eine unerhörte
Steigerung alles bisher Dagewesenen vor, indem gesagt wird, dass das,
was Gott zusammengefügt hat, nicht geschieden werden soll. In dieser
letzten Konsequenz ist das Handeln Gottes überhaupt erst ernstgenommen.
Wenn die Rabbinen nämlich sagen, die Eheleute seien von Gott zusam-
mengefügt, dann stellen sie diese Aussage in ihrem eigentlichen Ge-

Pesiqtha 11 b, vgl. Billerbeck I, S. 803.


19a
Die Belegstellen sind: Gen 24,50; Ri 14,4; Prov 19,14. Vgl. Billerbeck I,
20
S.804.
20a D. h., dass Gott also nicht nur die Ehe stiftet, sondern jede Ehe. W. Grund-
mann, Das Evangelium nach Markus, 1959, S 204 ..

50
wicht sofort wieder in Frage, indem sie eine Ehescheidung als etwas
Selbstverständliches und Erlaubtes ansehen. Bei Jesus aber ist gerade die
Tatsache des Eingreifens Gottes der Grund dafür, dass die Ehe nicht
geschieden werden soll.
Aber beachten wir gut: Nicht ein neues Eherecht wird hier aufgestellt.
Es handelt sich vielmehr um eine echte Forderung. Das Gebot, die Ehe
nicht zu scheiden, kann nicht isoliert werden von den anderen Forderun-
gen J esu, wie sie uns etwa in der Bergpredigt und sonst noch in der
synoptischen Tradition überliefert sind. Was dies für die Ehescheidung
bedeutet, werden wir später noch untersuchen müssen. 21
Es hat sich gezeigt, dass das ganze Streitgespräch in V. 9 seine Spitze
findet. Auf diesen Höhepunkt hin ist es angelegt, und in diesem Vers
müssen wir das eigentliche Anliegen der Perikope sehen. Es geht um die
Grundlage, auf der erst ein Eherecht aufgerichtet werden kann. Jesus
will, dass seine Gegner in den menschlichen Ordnungen die göttliche
Ordnung sehen. Diese Ordnung heisst: Gott hat zusammengefügt. Jesus
führt die Möglichkeit der Scheidung ad absurdum, durch den Aufweis
der Grösse des Schöpferwillens Gottes.

b. Die Historizität des Streitgesprächs

Nachdem Form und Inhalt des Streitgesprächs klargelegt sind, stellt


sich sehr dringlich die Frage nach der Historizität des Streitgesprächs.22
Dass diese Frage nicht einfach zu entscheiden ist, zeigt die zwiespältige
Haltung von R. Bultmann in seiner «Geschichte der synoptischen Tra-
dition».1l3 Auf der einen Seite möchte er die ganze Perikope als Ge-
meindedebatte ansehen 24, anderseits aber weist er wieder darauf hin,
dass die Art und Weise, wie Jesus eine Schriftstelle gegen die andere

21 Siehe S. 262 ff.


2llEs sei hier festgehalten, daß es nicht darum geht, die historische Frage im
Sinn des 19. Jahrhunderts aufzunehmen. Es ist mit der historischen Beurteilung
eines überlieferungsstückes vor allem keine Wertung (oder Abwertung!) mehr
verbunden. Wenn wir nach einem möglichen Sitz im Leben J esu fragen, so nur
darum, um von daher das Anliegen des Textes umso deutlicher ins Blickfeld zu
bekommen. Es liegt unserem Vorgehen also kein biographisches Interesse zu
Grunde, sondern ein hermeneutisches.
23 19573.
24 S. 25 f.

51
ausspielt, für die Zuhörer unerhört sei und in dieser Art sonst nirgends
belegt werden kann. 25 Diese Beobachtung würde für eine gute historische
Tradition sprechen. Neuerdings ist die Historizität der Perikope aber
wieder auf das Entschiedenste bezweifelt worden. B. K. Diderichsen hat in
seinem 1962 erschienenen Werk 26 die These verfochten, dass Markus als
hellenistischer Schriftsteller die Scheidungsperikope im Anschluss an das
falsch verstandene Logion Mk 10, 11 par 27 konstruiert habe, um das ab-
solute Scheidungsverbot zu bekräftigen. Als Merkmale des unhistorischen
Charakters von Mk 10, 1-9 führt er an 28: 1. die unhistorische Frage
. (V. 2) 2. die «unechte» Gegenfrage Jesu (V. 3), 3. die Künstlichkeit
des Dialogs (V. 3-4), 4. die ungenaue Zitierung von Dt 24, 1 ff. ohne
die entscheidenden Worte .,~, l"1'''V, 5. das LXX-Wort O'XA'l1g0XUgötu
(V. 5),6. die LXX-Formulierung von Gen 2, 24 (oL Mo), 7. die Institution
der Monogamie als selbstverständliche Voraussetzung der Argumentation
und 8. die polemische Anwendung der ursprünglichen Schöpfungsord-
nung gegen das mosaische Scheidungsrecht.
Nehmen wir die einzelnen Punkte der Reihe nach vor. Wir haben be-
reits gesehen, dass die Punkte 1-3 durchaus nicht im angegebenen nega-
tiven Sinn zu werten sind; sie passen zur Situation Jesu, wie wir sie ge-
zeichnet haben. Was Punkt 4 anbetrifft, so könnte die Auslassung absicht-
lich geschehen sein; wir haben festgestellt, dass erst die Simplifikation
der komplizierten Sachlage eine «Versuchung J esu» überhaupt ermög-
licht. Die Punkte 5 und 6 berühren sich insofern, dass sie einen Einfluss
der LXX auf die Formulierung des Streitgesprächs zeigen. Dies ist
durchaus zuzugestehen. Anderseits ist aber nicht einzusehen, warum diese
formale Einwirkung die Historizität eines dahinterliegenden Ereignisses
irgendwie positiv oder negativ berühren soll. Es lässt sich doch im grie-
chischen Sprachgebiet kaum eine Neuformulierung irgend eines alttesta-
mentlichen Zitates denken, ohne dass bewusst oder unbewusst die LXX
mit im Spiel ist.
Es bleiben noch die beiden letzten Argumente. Punkt 7 wirft dem
Streitgespräch vor, es setze die monogame Eheform voraus; besonders
verdächtig sei die Selbstverständlichkeit, mit der dies geschehe. Hierzu
müsste zuerst einmal bemerkt werden, dass bereits der jahwistische Schöp-

S.52.
25
Den Marianske Skilsmisseperikope.
26
27 Siehe dazu unten S. 64, A. 63, wo die These von Diderichsen ausführlicher
zur Sprache kommt.
28 S.350.

52
fungsbericht die Monogamie als das Gegebene ansieht, über das gar nicht
weiter reflektiert wird. Logischerweise müsste der in Punkt 7 erhobene
Vorwurf schon die jahwistische Formulierung treffen. OL BUo stellt aller-
dings eine Verdeutlichung dar, die aber sicher in der Absicht des
Jahwisten liegt. Darüber hinaus erhebt sich die Frage, ob im Streit-
gespräch Mk 10,1-9 wirklich die Monogamie eine unumgängliche Vor-
aussetzung der Argumentation bedeutet. Es wäre doch denkbar, dass Jesus
überhaupt die Ehescheidung verwirft, ganz unbekümmert um die gel-
tende Eheform. Dann würde auch für die polygame Ehe gelten: Gott hat
zusammengefügt! Es zeigt sich aber, dass Jesus, wenn unsere Perikope
historisch ist, deutlich die Einehe als im Schöpferwillen Gottes begründet
anvisiert.
über den letzten 8. Punkt brauchen wir nicht viel Worte zu verlieren
Es handelt sich hier um eine Ermessensfrage. Dass umgekehrt gerade die
genannte Diskrepanz ein Zeichen der Ursprünglichkeit sein kann, haben
wir oben bereits erwähnt.
Es ergibt sich aus der kurzen Erörterung des Pro und Contra, dass sehr
vieles in der Schwebe bleiben muss. Je nach dem bereits bezogenen Stand-
punkt kann eine Beobachtung so oder so ausgewertet werden. Damit ver-
liert sie aber die schlüssige Beweiskraft. Es hat keinen Sinn, sich selber
die eigene Wissenschaftlichkeit beweisen zu wollen, indem man sich
überkritisch gebärdet. Ehrlicherweise kann man nur sagen: non liquet.
Anderseits haben wir aber gesehen, dass kein zwingender Grund vor-
liegt, eine gute historische Tradition zu leugnen. Wir können uns die
Situation im Leben Jesu gut vorstellen, in welcher sich dieses Streit-
gespräch abspielt. Es ist der Kampf Jesu mit seinen Gegnern, die ihn
überführen wollen. Auch andere Streitgespräche weisen uns auf die
gleiche Lage hin, z. B. die Frage nach dem Zensus Mk 12, 13 ff.
Es gibt keinen wirklich stichhaltigen Grund, der uns dazu zwingen
würde, in Mk 10, 2-9 kein echtes Streitgespräch, sondern eine spätere
Konstruktion der urchristlichen Gemeinde zu sehen. Alle Einwände, die
man gegen die Historizität vorgebracht hat, sind weitgehend subjektiver
Natur. 29 Es bleibt aber noch das Problem der alttestamentlichen Zitate
zu besprechen, weil gerade in der Zitierung dieser Stellen ein Beweis für
spätere Entstehung oder Bearbeitung unserer Perikope gesehen wurde. 30

29 So etwa das Argument, die Gegner Jesu hätten in diesem Streitgespräch


keine Farbe, sie kämen nicht richtig zum Zug, etc.
30 Vgl. A. Suh1, Die Funktion der at-lichen Zitate und Anspielungen im Mk-
Ev., 1965, S. 72-76.

53
c. Funktion und Bedeutung der alttestamentlichen Zitate Gen 1, 27
und 2,24

Wir haben bereits gesehen, welche entscheidende Rolle die beiden alt-
testamentlichen Zitate im Verlauf der ganzen Argumentation spielen.
Diese Feststellung gilt unbeschadet darum, ob man das Streitgespräch als
echt ansehen und auf J esus selbst zurückführen möchte, oder ob man es
als eine spätere Gemeindebildung betrachten wil1. 31 In beiden Fällen stellt
sich die Frage nach der Funktion beider Zitate und ihrer eigentlichen
Bedeutung mit grosser Dringlichkeit.
In seinem Kommentar hat E. Klostermann geschrieben: «Die Genesis-
worte, die im Urtext nur die Institution der Ehe überhaupt, ohne Aus-
schluss von Polygamie und Ehescheidung, betreffen, können doch gegen
letztere benutzt werden: faktisch sind sie ja - und LXX fügt ausdrück-
lich OL Mo (= Mc) ,zugunsten der Monogamie' ein - gegenüber nur einem
Manne und einer dazugehörigen Frau gesprochen. Genl, 27 wird auch in
den Fragments of a Zadokite W ork 7, 1 ed. Schechter zu ähnlichem
Zwecke zitiert».32 Es muss auffallen, dass Klostermann, obwohl er beide
Genesis-Zitate anführt, dennoch hauptsächlich von Gen 2, 24 her argu-
mentiert. Dabei hat er richtig gesehen, dass Gen 2, 24 nicht in erster
Linie gegen eine Ehescheidung angeführt werden könnte, sondern eher
noch gegen die Institution der Polygamie. 33 Dieser Aspekt des Zitates
steht aber im Rahmen des Streitgesprächs überhaupt nicht zur Diskussion.

31 Sieht man in Mk 10, 2-9 eine Gemeindebildung, dann werden die AT-Zitate
in zweifacher Hinsicht bedeutsam: Entweder man sieht in ihnen in Verbindung
mit V.9 die Kernzelle, um welche sich später das Streitgespräch als Einkleidung
gebildet hat (so M. Dibelius, Formgeschichte, 1932, S. 223). Oder man glaubt, dass
der Spruch über die Ehescheidung (V. 9) als Herrenwort allein überliefert wor-
den sei (so E. Stauffer, Die Botschaft J esu, 1959, S.74, und R. Bultmann, Ge-
schichte d. syn. Trad. 1957, S.78). Dann wären die AT -Zitate später zugefügt
worden, weil man einen Schriftgrund für das anstässige, gegen Dt 24, 1 H. ge-
richtete Jesuswort anführen wollte (so J. B. Schaller in einer noch nicht ver-
öffentlichten Arbeit über Mk 10,1-12, die er mir in freundlicher Weise zur
Einsicht überliess).
32 E. Klostermann, Das Markusevangelium, 1950, S.99.
33 E. Stauffer, Die Botschaft Jesu, 1959, S.69 weist darauf hin, dass Gen 2,
18 ff. im Judentum als Belegstelle für die Monogamie angesehen wurde, obwohl
offiziell die Polygamie durchaus praktikabel und legal war. Aus Aboth R. Na-
than 2 zitiert er einen Ausspruch des Rabbi Juda ben Bathyra (100 n. Chr.):
«Hätten Adam, dem ersten Menschen, zehn Frauen zugestanden, so hätte Gott
sie ihm gegeben. Aber Gott gab ihm nur eine Frau. So sei denn auch mir ge-
nug an der einen Frau, dir mir zusteht».

54
Deshalb kann die Auskunft Klosterinanns nur bedingt befriedigen. Es ist
nicht recht einzusehen, inwiefern Gen 2, 24 für sich allein genommen
zwangsläufig eine Ehescheidung radikal ausschliesst. Zuzugeben ist, dass
diese Stelle allenfalls so verstanden werden könnte.
Demgegenüber hat man in jüngster Zeit versucht, das Problem von
Gen 1, 27 her zu lösen. Scheinbar unabhängig voneinander, aber fast
gleichzeitig, machten D. Daube 34 und P. Winter 35 den Vorschlag, Mk 10,
5-9 in Zusammenhang mit der'Damaskusschriff36 zu bringen, wo sich in
4,20 H. auch ein Zitat aus Gen l, 27 findet. 37 Dort geht es um den Nach-
weis, dass die Polygamie Hurerei sei. 3S D. Daube und P. Winter interes-
sieren sich aber vor allem um die hinter der eigentlichen Argumentation
liegenden Vorstellungen, die der Damaskusschrift und dem Markus-

3' D. Daube, The N ew Testament and Rabbinic Judaism, 1956, S.71 H.; ders.,
Evangelisten und Rabbinen, ZNW 48, 1957, S.119-126.
35 P. Winter, Sadoqite Fragments IV 20.21 and the Exegesis of Gen 1,27 in
late Judaism, ZAW 68, 1956, S. 78 ff.; ders., Gen 1, 27 and Jesus' Saying on
Divorce, ZAW 70, 1958, S. 260 f.
36 Die Funde in den Höhlen von Qumran zeigen, dass die Damaskusschrift aus
essenischen Kreisen stammt. VgI. H. H. Rowley, The Zadokite Fragments and
the Dead Seas Scrolls, 1952, und N. Baillet, Fragments du Document de Damas,
RB 63, 1956, S.513-523.
37 Der Text der Damaskusschrift ist in deutscher Übersetzung neuerdings be-
quem zugänglich in: A. Dupont-Sommer, Die essenischen Schriften vom Toten
Meer, 1960, S.126ff. Seine Übersetzung der Stelle 4, 20-5, 2 lautet: (S.141):
4,20: ... (die Anhänger des Hohenpriesters, d. h. die Feinde der Sekte) ... sind
von zwei Seiten durch Unzucht gefangen worden, weil sie
21: zwei Weiber bei ihren Lebzeiten nehmen, während doch der Grundsatz
der Natur (lautet): «als Mann und Weib hat er sie erschaffen» (Gen 1, 27).
5, 1: Und die in die, Arche eintraten, «zwei und zwei traten sie in die Arche»
(Gen 7,9). Und über den Fürsten steht geschrieben:
2: «er soll für sich nicht die Weiber vermehren» (Dt 17,17).
38 Es werden in der Damaskusschrift neben Gen 1, 27 noch Gen 7, 9 und
Dt 17, 17 zitiert. Umstritten ist, welcher Missbrauch effektiv angegriffen werden
soll. Was wird unter Polygamie verstanden? Es gibt folgende Möglichkeiten:
1. Gleichzeitige Ehe mit mehreren Frauen,
2. Monogame Ehe, aber Scheidung und Wiederverheiratung zu Lebzeiten der
ersten Frau,
3. Jede Wiederverheiratung nach dem Tode der ersten Frau.
VgI. dazu J. B. Schaller, Gen 1. 2. im antiken Judentum, Diss. Göttingen 1961,
(Maschinenschrift); P. Winter, a. a. 0., S.71 H. (Literatur!); J. Jeremias, Jeru-
salem zur Zeit }esu, 11, S.243, A.I00; H. Braun, Spätjüdisch-häretischer und
christI. Radikalismus, 11, 1957, S.11, A.3; J. Hempel, ZAW 68, 1956, S.71 ff.
Sehr wahrscheinlich sollen Polygamie und zweite Heirat ausgeschlossen wer-
den! Vgl. A. Jsaksson, Marriage and Ministry in the New Tempel, 1965, S.57.

55
evangelium gemeinsam seien. Sie verweisen auf eine im Judentum ver-
breitete mythologische Auslegung von Gen 1, 27. Diese besage, dass Gott
den Menschen, d. h. Adam, als ein mann-weibliches Wesen geschaffen
habe.39 In der antiken Welt ist dieser Mythos sehr verbreitet gewesen 40,
wobei die klassische Darstellung bei Plato zu finden ist. 41 Die Ursprünge
dieser Vorstellung sind allerdings dunkel. Im Judentum lässt sie sich bei
Philo nachweisen.42 Sehr spät erscheint diese Deutungstradition auch bei
den Rabbinen. Nach R. Jeremijah ben Eleazar bildete Gott in der
Stunde, da er den ersten Menschen schuf, ihn als Androgynos, wie es
heisst: Mann und Weib erschuf er sie. R. Schemuel bar Nachman hat ge-
sagt: Als Gott den Menschen schuf, erschuf er ihn als Doppelmenschen
(mit zwei Anges chtem). Dann zersägte er ihn und machte ihm zwei
Rücken, den einen auf dieser Seite, und den andem auf der andem Seite.
Man antwortete ihm: Es steht doch gesohrieben: Er nahm eine von seinen
Rippen. Er sprach: Nein, eine von den zwei Seiten.43
D. Daube und P. Winter glauben, dass diese Vorstellungstradition hin-
ter der Damaskusschrift und dem Markusevangelium steht. Die Frage
ist nun aber, wie die Rabbinen aus der mythologischen Deutung von
Gen 1, 27 ein Verbot der Ehescheidung ableiten konnten. 44 Daube sagt,
dass «in der idealen Schöpfung ... Mann und Frau ein Wesen» bildeten.
«Die Ehe nähert sich diesem Status an. Ehe aber mit folgender Wieder-
heirat ist eine Negierung desselben.»45 Mit Recht kann man sich fragen,
ob diese Argumentation nicht eher bei Philo zu erwarten wäre, als bei

39 J. Jervell, Imago Dei. Gen 1, 26 f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in


den paulinischen Briefen, 1960, S. 107 ff.
40 Er findet sich u. a. bei Diodor, BibI Hist IV, 6; Ovid, Metam IV, 285 ff.;
Plinius d. Ae., Hist Nat VII, 2.3.
41 Symp 189.
42 Leg All 11, 13; Op Mund 76, 134; Rer Div Her 164. Vgl. dazu J. B. Schaller,
a. a. 0., S. 94 ff. Er nimmt an, daß ,Philo in seiner Auslegung von Gen 1, 27
nicht unmittelbar auf Plato zurückgeht', sondern ,einer im antiken Judentum
weitverbreiteten Deutungstradition folgt. Dies wird bestätigt durch den Um-
stand, dass die rabbinischen Überlieferungen in keiner Weise von der philoni-
schen Deutung abhängig sind'.
43 Diese Aussprüche sind an verschiedenen Stellen und mit verschiedenen
Autorennamen überliefert, z. B. b Ber 6Ia; b Erub I8a; Midr zu Ps 139,5: vgl.
J. B. Schaller, a. a.O., S. 154, und BiIIerbeck I, S. 802. Schaller weist nach, dass
die Rabbinen nicht von Philo, sondern von Plato beeinflusst sein dürften, dass
es sich dabei aber um Esoterik handelt. Dies würde das seltene und relativ späte
Auftauchen dieser Vorstellung erklären.
44 J. B. Schaller, a. a. O.,S. 69 stellt diese Frage.
45 D. Daube, Evangelisten und Rabbinen, ZNW 48, 1957, S. 126.

56
Jesus oder in der ersten Christenheit.48 Zudem kann man, wenn diese
Deutung richtig ist, mit dem folgenden Zitat aus Gen 2, 24 nicht mehr
viel anfangen. Daube ist denn auch gezwungen, Gen 2, 24 im Markus-
evangelium und Gen 7, 9 in der Damaskusschrift als spätere Zusätze zu
bezeichnen.
Das Wesen der Beweisführung im Markusevangelium und in der Da-
maskusschrift liegt aber gerade in der Verknüpfung beider Zitate. Man
verpasst das Entscheidende, wenn man die beiden Zitate auseinander-
reisst und einzeln betrachtet. Eine solche Zusammenordnung verschiede-
ner Texte entspricht den ältesten Auslegungsnormen, welche von den
Rabbinen hochgehalten wurden. In unserem Fall würde es sich um einen
Analogieschluss handeln, wobei zwei Texte, in denen Worte vorkommen,
die gleich lauten oder Gleiches bedeuten, trotz sonstiger Verschiedenheit
kombiniert werden und den gleichen Bestimmungen und Anwendungen
unterliegen. 47 So kann der Ausspruch Adams in Gen 2, 24 mit Gen 1, 27,
welche Stelle in rabbinischen Augen höhere Dignität besitzt, kombiniert
werden.
Es ist das Verdienst von J. B. Schaller, zum ersten Mal ausdrücklich
auf diesen Sachverhalt hingewiesen zu haben und diese Erkenntnis für
das Verständnis unseres Textes fruchtbar gemacht zu haben. Er führt aus,
dass in der Damaskusschrift 4,21 unmittelbar an Gen 1, 27 ein Zitat aus
Gen 7, 9 angeschlossen wurde, genau so wie in Mk 10, 5 H. auf Gen 1, 27
unmittelbar Gen 2, 24 folgt. «Der Sinn dieser Verknüpfung wird deut-
lich, wenn man jeweils den nicht zitierten Kontext, der nach der Zitie-
rungsart des antiken Judentums mit eingeschlossen ist beachtet. In
Gen 7, 9 lautet der fehlende Teil: tl'il'M illll "WM~ il:!l'll "~I ,in Gen 2,24: 'Kat
nQoO''KOAA'l'Jil1)O'E't'aL nQo~ 'titv YUV<lL'K<l alhou. In beiden Fällen ist entweder
schon im Formalen (Gen 7, 9: il~l'll "~I) oder im Inhaltlichen (Gen 2, 24:
W'M ••• l"IIVM) eine Berührung mit der Wendung il~i'll "~I aus Gen 1, 27
unverkennbar. Es liegt daher auf der Hand, dass Gen 1, 27 in beiden
Fällen nicht zufällig, sondern ganz bewusst mit einem ihm jeweils folgen-
den Zitat als Schriftbeleg zu verstehen ist.»48
«In CD 4, 20 H. geht die Beweisführung aus von der Wendung tI'lW
tI'lW, die in Gen 7, 9 l"I:!i'll "~I erläutert. Diese Erläuterung ist auf Gen 1,27
übertragen und von hier aus die Einehe als schöpfungsmässige Ord-
nung (männlich und weiblich, d. h. paarweise, schuf er sie) abgeleitet.

48 J. B. SchaUer,
a. a. 0., S. 69.
47 H. L. Strack, Einleitung in Talmud und Midrasch, 1920, S.97.
48 J. B. SchaUer, a. a. 0., S.70.

57
In Mk 10, 5 ff. (par.) beruht die Beweisführung auf der Aussage, dass
Mann und Frau (OL Mo) in der Ehe eine Einheit ((J(lQ~ ftL~) werden (Gen
2,24). Diese Aussage wird auf Gen 1, 27 übertragen und von dort aus die
untrennbare Einheit der Ehe als schöpfungsmässige Ordnung (männlich
und weiblich, d. h. ,zu einem Fleisch', schuf er sie) erschlossen.»49
Fassen wir kurz die Ergebnisse dieser Überlegungen zusammen, dann
erhalten wir folgendes Bild:
1. Beide Zitate bilden eine in sich geschlossene Einheit. Sie sind nur
in ihrer heute vorliegenden Zusammenordnung verständlich. Jede Erklä-
rung, die ein Zitat ohne das andere zu interpretieren versucht, ist abzu-
lehnen. Die Zitate dürfen nicht auseinandergerissen werden. Damit wer-
den alle Lösungen, welche das erste oder das zweite Zitat als spätere
Zufügung zum andern auffassen, verunmöglicht.
2. Die Zusammenordnung beider Zitate entspricht aItjüdischer Aus-
legungstradition. Das heisst also, dass unsere Perikope nicht in der Ge-
meinde des Markus entstanden sein kann; Markus muss diesen Text be-
reits vorgefunden haben. 5o J. B. SchaUer nimmt an, dass hier eine Bildung
der palästinensischen Gemeinde vorliegt, da er das Streitgespräch über
die Ehescheidung nicht für echt häItY Sieht man aber im Streitgespräch
Jesu über die Ehescheidung gute historische Tradition, so ist es doch
denkbar, dass die Zusammenstellung beider Zitate auf Jesus selbst zu-
rückgeht. Man darf wohl annehmen, dass Jesus mit den rabbinischen
Auslegungsmethoden vertraut war. Jesus könnte die fragliche Zusam-
menstellung bei der Zitate selbst geschaffen haben, oder es wäre auch
möglich, dass er sich an eine bereits vorliegende rabbinische Auslegungs-
tradition angeschlossen hat. Man darf nicht vergessen, dass sich Jesus ja
hier in der Auseinandersetzung mit Schriftgelehrten befindet.
3. Die Zusammenordnung bei der Zitate lässt nun aber über den Sinn,
den Jesus ihnen beimass, keinen Zweifel offen. Es geht hier nicht um
eine verkappte Begründung der Monogamie, wie immer behauptet wird.
Denn die Formulierung: %aL E(YOV'tUL OL Mo d~ (J(IQ%a ftLaV hat kein eigen-
ständiges Gewichf5 2 , sondern ist in den Dienst des richtigen Verständ-
nisses von Gen 1, 27 gestellt. Im Rahmen des Streitgesprächs wird die
Zusammengehörigkeit von Mann und Frau zu einem Leib (Gen 2,24)
als Schöpfungsordnung (Gen 1, 27) erwiesen durch die inhaltliche Ana-
49 J. B. SchaUer, a. a. 0., S. 70 f.
Gegen Diderichsen. Vgl. S. 64, A. 63.
50
In einer noch ungedruckten Arbeit über Mk 10, 1-12.
51
52 Dass Gen 2, 24 allerdings von Haus aus monogame Verhältnisse voraus-
setzt, wurde schon mehrfach festgestellt. Vgl. S. 22 und S.29.

58
logie. Oder anders gesagt: Darum ist die Ehe unscheidbar, weil Gott
Mann und Frau geschaffen hat (Gen 1, 27) und diese beiden eine Einheit
bilden (Gen 2,24). Daraus folgt: Was Gott zusammengefügt hat, das
soll der Mensch nicht scheiden. Die Zusammenordnung beider Zitate zielt
also direkt auf die Unscheidbarkeit der Ehe.

3. DIE ]ÜNGERBELEHRUNG ÜBER DIE EHESCHEIDUNG


(Mk. 10, 10-12)

Im Anschluss an das Streitgespräch bringt Markus in der Perikope 10,


10-12 ein Herrenwort über die Ehescheidung in eingekleideter Form. 53
Dieses Herrenwort (V. 11 f.)) ist in der synoptischen Tradition noch an
drei anderen Stellen überliefert, nämlich in Mt 5,32; 19,9 und Lk 16, 18.
Wir müssen diese Stellen miteinander vergleichen.

a. Das Herrenwort Mk 10, 11 f. und seine Parallelen


Die literarkritische Untersuchung ergibt folgendes Bild: Markus und
Matthäus bringen das Logion am Anfang ihres Reiseberichtes von der
Reise Jesu nach Jerusalem. Beidemal ist es mit dem Streitgespräch Jesu
über die Ehescheidung verbunden. Markus schliesst es eng an dieses an,
während Matthäus es sogar in das Streitgespräch eingliedert. Lukas
schweigt sich über das genannte Streitgespräch aus, jedoch bringt er das
Herrenwort über die Ehescheidung - scheinbar zufällig - im Zusammen-
hang von Sprüchen über die Pharisäer und über das Gesetz. Vielleicht
hat Lukas das Wort vereinzelt vorgefunden und es irgendwo plaziert. 54
Auch Matthäus verwendet das gleiche Logion nochmals in der Berg-
predigt (5,32). Die beste Erklärung für diesen Befund bietet immer noch
die Zweiquellentheorie: Matthäus folgt dem überlieferungsstoff von Mar-
kus und schöpft zusätzlich noch aus der Redenquelle. Lukas dagegen
ist nur von letzterer abhängig. Mk 10, 11 und Mt 19, 9 gehören also eng
zusammen, ebenso Mt 5,32 und Lk 16, 18.55
Dass das Logion ursprünglich als Einzelspruch vorhanden gewesen
sein muss, zeigt auch der formgeschichtliche Befund. Bei Markus bildet

53 Zur Redaktion des Markus vgl. unten S. 80 H.


54 G. Delling, Das Logion Mark X, 11 (und seine Abwandlungen) im NT,
Nov Test I, 1956, S.264. Vgl. dazu unten den Exkurs: Zum Kontext von Lk 16,
18, S. 78 H.
55 R. Bultmann, Die Geschichte der syn. Tradition, 1957, S. 140.

59
eine Jüngerbelehrung den Rahmen des Wortes. V. 10 schildert die neue
Situation. Der Schauplatz gegenüber dem Streitgespräch hat sich ge-
ändert. Die Jünger fragen Jesu «darüber». Damit ist die Verbindungs-
linie zum vorhergehenden Abschnitt gezogen. Dass die ganze neue Situa-
tion gestellt ist, sieht man auf den ersten Blick. In V. 11 folgt das eigent-
liche Logion, während V. 12 eine Anwendung des Inhalts von V. 11 auf
die Situation der Frau bringt. V. 12 muss darum als sekundäre Ergänzung
angesehen werden.
Auch Mt 19, 9 erweist sich als isoliertes Einzelwort. Matthäus hat es ins
Streitgespräch Jesu eingebaut. Die feierliche Einleitung: ,Ich aber sage
euch' zeigt deutlich, dass im Ganzen des Gesprächs eine künstliche Fuge
vorliegt. Zudem verwendet Matthäus das Logion noch in der Berg-
predigt Kap. 5, 31 f. Auch hier ist das Wort gerahmt, indem es zu einer
der berühmten Antithesen ausgestaltet wurde, übrigens auch hier gleich
eingeleitet wie Mt 19, 9: Ich aber sage euch!
Lk 16, 18 haben wir bereits oben als Einzelspruch in einer losen
Spruchkette erkannt.
Textkritisch liegen die Fragen, die mit unserem Logion zusammen-
hängen äusserst kompliziert. 56 Die häufigen Varianten zeigen uns, dass
das Herrenwort immer wieder neuen Verhältnissen angepasst wurde.
Gehen alle Fassungen auf ein gemeinsames Urwort zurück? Es wäre
auch denkbar, dass J esus sich zwei oder mehrere Male zur sei ben Sache
geäussert hätte. Oder ist das Logion überhaupt erst eine Bildung der Ge-
meinde? Um dieser letzteren Behauptung wirksam entgegentreten zu kön-
nen, müsste es uns gelingen, einen historischen Ort für dieses Herrenwort
im Leben Jesu glaubhaft machen zu können, also seinen «Sitz im Leben»
bestimmen zu können.
All diese Fragen sollen wieder aufgenommen werden, wenn wir die
verschiedenen Textvarianten hinsichtlich ihres Inhaltes, ihrer Akzentuie-
rung und ihrer Motivierung geprüft haben.
Die älteste und ursprünglichste Form des Logions scheint uns in Lk 16,
18 überliefert zu sein:

aa. Lk 16,18

V. 18: Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht
Ehebruch, und wer eine von ihrem Mann Entlassene heiratet, be-
geht Ehebruch.

56 Vgl. G. Delling, a. a. 0., S.264.

60
Der Text ist gut bezeugt, ohne wesentliche abweichende Lesarten. Die Worte
«von ihrem Mann» werden ausgelassen von Kodex D. Diese Änderung ist bedeu-
tungslos. Über den Begriff unoAUEt\' vgl. weiter unten S. 64, A. 63. - YUfLELV kann
vom Mann und von der Frau gesagt werden, also: ehelichen, heiraten. Das Pas-
sivum dagegen bedeutet: sich heiraten lassen, sich einem Manne vermählen. Letz-
teres wird demnach von der Frau gesagt. - fLOLxE1')ELV wird im Aktivum vom Mann
absolut gebraucht: sich als Ehebrecher betätigen, Ehebruch begehen.57 In Mt 5, 32
finden wir das Passivum von der Frau ausgesagt, mit der die Ehe gebrochen wird.

Es ist hier davon die Rede, dass der Mann die Frau entlässt. Damit ist
die rechtsgültige Scheidung gemäss Dt 24, 1 gemeint. Nach jüdischem
Recht ist es ja so, dass der Mann das Subjekt der Scheidung ist, die Frau
ist nur Objekt. Nicht der Richter vollzieht: die Scheidung; der Mann spricht
sie vollgültig aus. Darum ist hier auch nichts von irgendwelchen Schei-
dungsgründen gesagt. Der Wille des Mannes ist ein ausreichender Schei-
dungsgrund. 58 Die Frau kann sich gegen eine beabsichtigte Scheidung nicht
zur Wehr setzen, sie ist dem Manne gegenüber machtlos. 59 Es sei denn,
dieser würde durch die finanziellen Folgen einer Scheidung abgeschreckt.
Die in Lk 16, 18 vorliegende Formulierung entspricht deshalb genau der
jüdischen Praxis.
Das Neue gegenüber der jüdischen Anschauung ist nun aber die Quali-
fizierung der Ehescheidung als Ehebruch. Der Mann wird schuldig an der
Ehe, indem er die Frau entlässt. Wenn es hier heisst ,er begeht Ehebruch',
so ist dies für jüdische Ohren eine unerhört anstössige Äusserung. Israel
war stolz auf sein Ehescheidungsinstitut. Die Scheidung sollte ja gerade
dazu dienen, einen möglichen Ehebruch zu vermeiden. Darum sagt der
Mann in der Scheidungsformel: «Empfange von mir ein Scheidungs-
dokument, einen Entlassungsbrief, und eine Freigebungsurkunde, dass du
dich vermählen könntest, wem du wollesb>.60 Die Frau wird damit einem
andern Mann gegenüber als erlaubt erklärt. Wenn einer sie heiratet, so
begehen sie und ihr neuer Mann keinen Ehebruch gegenüber dem ersten
Mann. Gerade weil auf dem Ehebruch die Todesstrafe stand, musste je-
der Jude ein Interesse daran haben, genau zu wissen, wann Ehebruch vor-
liegt und wann nicht. Wir sehen, dass das Logion an die Grundlagen des

57 F. Hauck, Art. fLOLXEUro, ThWb IV, S. 737.


58 G. Delling, a. a. 0., S.271.
59 Ausnahmen bilden bestimmte Fälle, wo der Mann sich das Recht auf Schei-
dung verwirkt hat, vgl. S. 34, A. 34.
60 Git 9,3.

61
jüdischen Scheidungsrechtes rührt, indem jede Entlassung der Frau
durch den Mann, auch wenn sie in der gesetzlich vorgeschriebenen Form
geschieht, als Ehebruch qualifiziert wird. Die auf den ersten Blick schein-
bar so unproblematische Anknüpfung an die jüdische Ehescheidungs-
praxis entpuppt sich sachlich als ein schärfster Widerspruch zu dieser.
Unausgesprochen wird ihr vorgeworfen, dass sie nicht nur nicht den
Ehebruch verhüten kann, sondern dass sie diesen geradezu konstituiert. In
radikaler Art und Weise wird behauptet: Jede Ehescheidung ist Ehe-
bruch. Jeder, der seine Frau entlässt, bricht die Ehe.
N ach unseren soeben gemachten Darlegungen ist das Logion in seiner
Aussage klar und eindeutig. Umso mehr muss uns der Zusatz: «und eine
andere heiratet» überraschen.
Vorweg ist zu bemerken, dass dieser Zusatz in Mt 5,32 fehlt. Er ist
zum Verständnis des Logions nicht nötig und rennt scheinbar offene
Türen ein. Für einen Juden ist die Wiederverheiratung nach einer Schei-
dung selbstverständlich. Denn der Jude, der sich von seiner Frau schei-
det, sucht nicht in erster Linie die Freiheit vom Ehejoch. Das wäre mo-
dern gedacht. Sondern er will die Ehe. Ehe ist ja für den Gottesfürchti-
gen ein Pflichtgebot. Abgelehnt wird also nicht die Ehe überhaupt,
sondern die Ehe mit dieser bestimmten Frau. e1 Normalerweise denkt
jeder, der seine Ehe auflöst, automatisch an Wiederverheiratung.
Man könnte darum den fraglichen Zusatz im Sinne einer Tautologie
verstehen; er würde dann einfach paraphrasieren, was sachlich bereits
gesagt ist. Nimmt man ihn aber als eigenständige Aussage ernst, dann
verändert er den Gehalt des Logions von Grund auf. Nach meinem Da-
fürhalten muss der Zusatz «und eine andere heiratet» als eine sekundäre
Erweiterung und Präzisierung des Kernsatzes angesehen werden. Dies
ist durchaus verständlich. Der ursprüngliche Gehalt des Logions war zu
stark. Die Gemeinde versuchte, die Spitze der Aussage abzubrechen. Liest
man nämlich den Zusatz als eigenständige Ergänzung, dann heisst es
nun: Die Scheidung als solche ist gestattet, verboten ist nur eine all-
fällige Wiederverheiratung. Das letzte~e ist Sünde, nicht die Scheidung
an sich. Das Herrenwort wird durch diesen Zusatz in die kasuistische
Denkweise der ersten Gemeinde eingepasst.
Der zweite Teil des Logions bringt nur scheinbar ein neues Element.
Er redet von der Heirat eines Mannes mit einer geschiedenen Frau.
Offenbar will V. 18 b die Aussage von V. 18 a ergänzen und den Ge-

61 G. Delling, a. a. O.

62
dankengang weiterführen; es soll eine Lücke in die Argumentation aus-
gefüllt werden. Genau so, wie es Ehebruch ist, wenn ein Mann seine Frau
mit einem Scheidebrief entlässt und sich wieder verheiratet, so ist es auch
Ehebruch, wenn er «eine von ihrem Mann Entlassene» heiratet.
Diese Folgerung sollte eigentlich selbstverständlich sein aus Gründen
der Entsprechung. Wenn hier dieser weitere Fall noch zusätzlich er-
wähnt wird, so ist das nur im Hinblick auf den jüdisch-eherechtlichen
Hintergrund verständlich, von dem sich dieser zweite Teil des Logions
abhebt. Zwei verschiedene Gedankengänge kreuzen sich:
1. Nach geltender Ansicht kann der Mann seine eigene Ehe gar nicht
brechen. Er kann höchstens in die Ehe eines andern Mannes einbrechen,
indem er sich mit dessen Ehefrau einlässt. Es spiegelt sich in dieser An-
schauung die alttestamentliche Eheauffassung, welche die Ehe ganz vom
männlichen Standpunkt her konzipiert. 62 Wenn es nun heisst, dass der,
der «eine von ihrem Mann Entlassene» heiratet, die Ehe bricht, so wird
hier eine ganz neue Sicht der Ehe verwirklicht. Auch die Frau ist Sub-
jekt der Ehe. Auch ihre Ehe, d. h. der vom Mann mit ihr geschlossene
Ehebund, kann nicht einfach gelöst werden. Der Mann, der eine Ent-
lassene heiratet, bricht ihre erste Ehe, die fortbesteht trotz der Scheidung.
2. In polygynen Verhältnissen kann der Mann mehrere Frauen zur
ersten Frau hinzuheiraten, ohne dass er die bestehende Ehe mit der ersten
Frau bricht. Wir haben gesehen, dass im Judentum zur Zeit Jesu die
polygyne Ehe durchaus praktikabel war. Wenn dieser Hintergrund für
das Verständnis unseres Wortes massgebend sein soll, dann müsste man
annehmen, dass gesagt werden will: Ein Mann, der eine weitere Frau
heiratet, bricht seine Ehe noch nicht; aber wenn er eine Geschiedene hin-
zuheiratet, dann tritt das ein, was wir unter Punkt 1. ausgeführt haben.
Man sieht, dass sich die Gedankengänge von Punkt 1. und 2. tatsäch-
lich überschneiden. Gemeinsam ist bei den das typisch jüdisch-eherecht-
liche Kolorit, welches in V. 18 b durchschimmert. Inhaltlich steht aber
auch dieser zweite Teil des Logions in diametralem Gegensatz zur gelten-
den jüdischen Eheauffassung.
Als Ergebnis halten wir fest: Die Tatsache, dass in Lk 16, 18 ganz
durchgehend von jüdischen Vorstellungen über die Ehe her formuliert
worden ist, anderseits aber gerade diese Vorstellungen radikal in Frage
gestellt werden, lässt vermuten, dass wir hier die älteste Form des Lo-

62 Allerdings muss gesagt werden, dass sich im Judentum zur Zeit Jesu be-
reits neben diesem rein legalistischen Verständnis des Ehebruchs eine neue sitt-
liche Wertung des männlichen Verhaltens anbahnt. Vgl. S. 115 f.

63
gions über die Ehescheidung 63 vor uns haben. In den Worten «und eine
andere heiratet» könnte bereits eine sekundäre Erweiterung des ur-
sprünglichen Logions gesehen werden.

63 B. K. Diderichsen, Den Markianske Skilsmisseperikope, 1962, S. 347 f. hat


neuerdings den Versuch unternommen, das Verbum Q.;tOMELV nicht im Sinne
einer gesetzlich geregelten Scheidung zu verstehen, sondern im Sinn eines Ent-
las sens der Frau um des Himmelreiches willen. Diderichsen beruft sich darauf,
dass 1. Lukas das Streitgespräch über die Ehescheidung nicht bringe, folglich
ein davon gelöstes Verständnis des Logions möglich sei, dass 2. Q.;toMELV im
Griechischen nur ganz vereinzelt als Scheidungs terminus vorkomme, und dass
3. Lukas in den Nachfolgeworten 14,26 und 19,29 ein Verlassen von Frau und
Kindern fordere. Deshalb sei unser Logion ursprünglich gar keine Scheidungs-
regel, sondern warne lediglich vor dem Missbrauch der Nachfolge. Also: Wer
seine Frau um der Nachfolge willen verlassen oder entlassen habe, dürfe sich
nicht neuerdings verheiraten, da die erste Ehe weiterbestehe; sie sei ja nie
rechtsgültig aufgelöst worden. Darum wäre eine allfällige Wiederverheiratung
Ehebruch im faktischen, juristischen Sinn.
Wenn auch sprachlich die vorgeschlagene Deutung von MoMELV an und für
sich möglich ist (vgl. Diderichsen, a. a. 0., S. 20-50. Allerdings zeigen neue
Funde in Qumran, dass dort schon Q.;tOI.:UELV als Terminus technicus der Schei-
dungspraxis gebraucht wird: P. Benoit / J. T. Milik / R. de Vaux (Hrsg.), Disco-
veries in the Iudaean Desert 11, 1961; E. Lövestam, AIlOAYEIN en gammal-
palestinensisk skilmässoterm, Sv. exeg. Arsb. 27, 1962, S.132-135; A. Isaksson,
Marriage and Ministry in the new Temple, 1965, S.95), so erheben sich gegen
diese These doch sachliche Bedenken. Unbestritten ist, dass in den Evangelien
des Markus und Matthäus, und damit wohl auch im Lukasevangelium, das Lo-
gion bereits im Sinn einer Scheidungsregel verstanden worden ist. Das heisst
aber, .dass die von Diderichsen supponierte «ursprüngliche» Bedeutung bereits
damals verlorengegangen wäre. Sie müsste in einer vorliterarischen Tradition
enthalten gewesen sein, also zeitlich im Leben J esu oder unmittelbar darnach
anzusetzen sein. Nun erfahren wir aber nichts davon, dass in die Nachfolge ge-
rufene Jünger (hier ist Jünger im weitesten Sinn zu verstehen) wieder geheiratet
hätten. Mt 19,10-12 lässt eher das Gegenteil vermuten, ebenso 1. Kor 7, 27. Aus
Mt 19 erfahren wir, dass gerade der Einsatz, welcher die Nachfolge verlangt,
eine Heirat für die Jünger ausschliesst. Und im 1. Kor ist der eschatologische
Unterton, welcher alle Ermahnungen des Paulus durchzieht, unüberhörbar. In
der Zeit der Naherwartung des Reiches sind alle Kräfte und alles Dichten und
Trachten auf den Tag der Parusie zu richten. Der Gedanke an Heirat hat in
dieser Zeit für den, der in eminentem Sinn in die Nachfolge gerufen wird, keinen
Platz. Denn Heirat würde ja bedeuten, dass man sich in dieser Welt einrichtet,
insofern die Ehe eine Ordnung dieses Äons ist (Mk 10, 25 par).
Die Deutung von Diderichsen kann darum nicht richtig sein, weil sie im
«ursprünglich» verstandenen Logion selbst zu einem logischen Widerspruch füh-
ren müsste. Es ist nicht einzusehen, wie sich das Verlassen der Frau um des
Himmelreiches willen mit einer Wiederverheiratung mit einer Frau im Zuge
der gleichen Nachfolge verbinden liesse.

64
bb. Mk 10, 11. 12

Gegenüber der bei Lukas überlieferten Form des Logions stellt Mk 10,
11 f. eine Weiterbildung dar. Der erste Teil des Logions (Lk 16,18 a)
wird in Mk 10, 11 mit dem Zusatz «an ihr» versehen, während der zweite
Teil (Lk 16, 18 b) in Mk. 10, 12 abgewandelt wird.
V. 11: ... Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, treibt Ehe-
bruch an ihr,
V. 12: Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet,
treibt sie Ehebruch.

V.11: Zur Überlieferung des Textes in V.11 ist nichts zu bemerken. Schwie-
rig wird erst V.12. - lloLJ(iiv ist dorische Nebenform zu 1l0LJ(EUELV64 und be-
deutet: zum Ehebruch verführen. In der LXX und im Neuen Testament kommt
nur das Passivum vor: lloLJ(iicdhXL = zum Ehebruch verführt werden, Ehe-
brecher(in) sein, Ehebruch treiben.65 - Ion;' Ul"ti}v = ihr gegenüber. Sprachlich ist
nicht ganz klar, ob die erste oder die zweite Frau gemeint ist. Wahrscheinlicher
ist die Beziehung zur entlassenen Frau.
V. 12: Zu den verschiedenen Lesarten siehe gerade nachher S.66 f.

Zuerst ist einmal die Frage abzuklären, wie der Markus-Zusatz EJt' ui'n:1jv
zu verstehen sei.
E. Lohmeyer wollte die Worte als eine genauere Beschreibung des Ehe-
bruches auffassen und übersetzt: er buhlt mit ihr.n Eine solche Wieder-
gabe der Präposition EJtL m. Ace. ist aber schwerlich zu belegen. 67 Der
Akkusativ weist auf ein Ziel hin. Es ist darum wohl nur als übersetzung
möglich: Er bricht die Ehe an ihr. Aber wer ist mit der Frau gemeint?
Die erste entlassene Frau, oder die zweite Frau, also diejenige, die der
Mann nachher heiratet. Und warum fügt nur Markus diesen Zusatz ein? 68
Es ist anzunehmen, dass mit EJt' ui'J"c1jv die erste Frau gemeint ist. Der
Mann bricht die Ehe an ihr, eben indem er sie entlässt. Es scheint mir,
dass der tiefste Sinn der Worte »an ihr» nur verständlich wird, wenn
man V.ll und V: 12 als Ganzes betrachtet und die Zusammenordnung
beider Verse bedenkt. Man muss sehen, dass in der Fassung des Logions
bei Markus die Ehe nicht so sehr als Institution gesehen wird, sondern als

64 V gl. F. Hauck, Art. 1l0LJ(EUül, ThWb IV, S. 737.


65 Bauer, Sp.1040.
66 Das Markusevangelium, z. St.
67 Vgl. Bauer, Sp. 570 H.

65
Lebensbund zwischen Mann und Frau und Frau und Mann. Dies beweist
die Formulierung von V. 12 eindeutig. Dort geht es darum, dass die Frau,
indem sie den Mann entlässt, an diesem schuldig wird. Und hier bricht
der Mann, der die Frau entlässt, die Ehe an ihr. Zuerst in V. 11 ist es
das persönliche Verhältnis vom Mann zur Frau, das anvisiert wird, nach-
her in V. 12 dasjenige von der Frau zum Mann. Die Worte «an ihn> wol-
len nichts anderes, als diese beiderseitige persönliche Beziehung unter-
streichen. Es ist klar, dass mit monogamen Verhältnissen gerechnet wird.
Der Zusatz ist nur verständlich, wenn die Ehe eine Gemeinschaft eines
Mannes mit einer Frau ist. Es liegen also keine jüdischen Anschauungen
hinter dieser Formulierung, sondern ausgesprochen römische Anschau-
ungen.
In gleicher Richtung weist uns V. 12. Auch er ist in seiner Formulie-
rung nur verständlich, wenn römischer Einfluss angenommen wird. 68a Der
textkritische Befund 69 ist sehr diffus und zeigt, wie immer wieder ver-
sucht wurde, der Schwierigkeiten Herr zu werden. Drei Varianten stehen
sich gegenüber:
1. Am besten bezeugt (~, B, u. a.) ist: xaL Mv alJ"t'fI U3tOAUaaaa 'tov ävl)Qa
a'Ö'tij~ yafl~au äAAOV = und wenn sie ihren Mann entlässt und einen an-
dern heiratet.
2. Demgegenüber liest die Koine: x. E. a. U3tOAUau 't. a. a. xaL yafl~il'u
UAAep = und wenn sie ihren Mann entlässt und von einem andern ge-
heiratet wird.
3. Der Kodex D, u. a. bringen: xaL EUV UU'tfI ESEAil'U U3tO 'tou ävl)Qo~ xal.
älAov yafl~au = und wenn sie von dem Manne fortgeht und einen an-
dern heirateUO
Inhaltlich gehören Variante 1 (~, B) und Variante 2 (Koine) eng zu-
sammen. Sie unterscheiden sich nur darin, dass in der ersten die Frau
auch bei der nachfolgenden Heirat aktiv auftritt; in der Variante 2 da-
gegen wird die Frau geheiratet. In beiden Varianten werden Verhältnisse
vorausgesetzt, die es der Frau erlauben, selbständig ihren Mann zu ent-
lassen, also eine Scheidung von sich aus durchzuführen. Eine jüdische

G. Delling, a. a. 0., S.270, stellt diese Frage anders. Er glaubt, dass Markus
68
In diesem Zug ursprünglich sei. Die andern Fassungen dagegen hätten diese
Worte ausgelassen, .weil sie unverständlich geworden seien oder überflüssig er-
schienen.
68a W Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 1959, S. 205.
69 Unwichtig ist eine kleinere Abweichung: die Koine, D, u. a. ersetzen ai'refJ
durch YUV'l'] , aus der Absicht heraus, den Satz zu verdeutlichen.
70 Zum Ausdruck e!;et.1}n = den Mann verlassen vgl. Bauer, Sp.543.

66
Frau hat diese Möglichkeit nicht, wenn sie auch unter bestimmten Um-
ständen eine Scheidung beantragen konnte. Hingegen hatte im römi-
schen Recht die Frau eine dem Manne ebenbürtige Stellung in Bezug
auf die Scheidung.
Für den Juden zur Zeit Jesu ist es undenkbar, dass .normalerweise die
Initiative für eine Scheidung allein bei der Frau liegt. Also muss die
römische Umwelt und Rechtssprechung in beiden Fassungen eine aus-
schlaggebende Rolle gespielt haben. Dann ist aber Variante 1 vorzu-
ziehen, weil sie die Frau bei einer Wiederverheiratung aktiv auftreten
lässt und insofern dem römischen Lebenskreis besser entspricht. Variante 2
könnte als teilweise Rückanpassung an jüdische Sitte erklärt werden, da
ja in gewissen Fällen die Frau auch im Judentum die Scheidung betrei-
ben konnte.
Bleibt noch Variante 3. Auch hier liegt sehr wahrscheinlich eine nach-
trägliche Wiederangleichung an den jüdischen Lebenskreis vor. Nicht
mehr von einer gerichtlichen Scheidung ist die Rede, da die Frau mei-
stens eine solche ja gar nicht bewirken kann; aber davonlaufen, das
kann sie.
Die markianische Umformung des Logions zeigt uns, dass hier das
Wort entschlossen in einen ganz neuen Lebenskreis hineingestellt wird.
Die Ehe wird nicht mehr unter dem Gesichtspunkt des Mannes gesehen.
Es geht nicht nur um seine Ehe, !Sondern um die Ehe, in der Mann und
Frau einander gleichwertig zugeordnet sind.

cc. Mt. 19, 9

V.9: Wer seine Frau entlässt, ausser wegen Unzucht, und eine andere
heiratet, bricht die Ehe.
über die Form des Logions in Mt 19, 9 ist nicht viel Neues zu sagen.
Der Text folgt wörtlich der Markus-Fassung. Der Zusatz «an ihr» ist
ausgelassen. Sachlich besteht übereinstimmung mit Lk 16, 18 a. Eine Er-
weiterung bildet die Unzuchtsklausel, über die wir bei der Untersuchung
des Streitgesprächs Jesu über die Ehescheidung sprechen werden. 71
Matthäus hat das Logion in jenes Gespräch eingebaut, was gewisse Be-
deutungsverschiebungen mit sich bringt.72 Alle Textvarianten, wie sie
etwa Nestle notiert, sind als Angleichungen an Mt 5,32 aufzufassen. Dies
gilt besonders für den Text, den Codex C bietet.
71 Vgl. S. 87 H.
72 Vgl. S. 84 H.

67
dd. Mt 5, 32

V.32: Jeder, der seine Frau entlässt, ausser auf Grund von Unzucht,
macht, dass sie die Ehe bricht, und wer eine Entlassene heiratet,
bricht die Ehe.

Zum Schluss bleibt noch. Mt 5,32. Zur Textüberlieferung ist nicht viel zu be-
merken. Die Koine und· D lassen an Stelle der Partizipialkonstruktion niic; ö
o:noÄuOlv den Nebensatz öc; O:V O:no!..UO"'!J; ebenso anstatt ftOLX;Eul'tijvaL die Fonn
ftoLx;iiO"l'taL. Diese Lesarten dürften aus Mt 19, 9 eingedrungen sein. - Das Pas-
sivum von ft0LX;EUELV wird· speziell für den Ehebruch der Frau gebraucht. In
V. 32 b gibt Codex B eine abweichende Lesart (Partizipialkonstruktion), die
inhaltlich dasselbe besagt. Auch hier ist wieder die Unzuchtsklausel eingefügt. 73

Die Zugehörigkeit von Mt 5, 32 zur Redenquel1e wird durch die enge Ver-
wandtschaft mit Lk 16,18 bewiesen. V. 32 b stimmt mit Lukas sachlich,
wenn auch nicht wörtlich überein. Die bedeutendste Abweichung findet
sich in V. 32 a: In Lk 16,18 war es der Mann, der die Ehe, und zwar
seine eigene, bricht. Hier dagegen wird charakteristisch umgeformt:
« .•• macht, dass sie die Ehe bricht!~ D. h.: Der Mann begeht selbst
nicht mehr den Ehebruch, vielmehr trägt er die Schuld an dem Ehe-
bruch, den die Frau begehen wird, wenn sie sich wieder verheiratet.
Dann wird sie nämlich die immer noch bestehende erste Ehe brechen.
Die genannte Umformung kann nur verstanden werden als eine Kon-
zession an die jüdische Eheauffassung. Da gerade im Matthäusevan-
gelium an vielen Stellen judenchristliche Schriftgelehrsamkeit durch-
schimmerF', ist die Neufassung im Rahmen dieses Evangeliums er-
klärlich.
Die Umformung trägt deutlich Züge der theologischen Reflexion an
sich. Man will den Gehalt des ursprünglichen Jesuswortes, dass Schei-
dung Ehebruch bedeutet, retten, ohne aber die Grundstruktur des jüdi-
schen Ehe- und Scheidungsrechtes anzutasten. Darum wird das Wort
neu interpretiert. Schon die Einfügung der Unzuchtsklausel weist uns
darauf hin, dass in einem bestimmten Fall doch eine Ehescheidung als
erlaubt oder sogar als geboten zugestanden wird. Auf der gleichen Linie
wird die Neuformulierung von V. 32 a verstanden·werden müssen.

73 Vgl. S. 87 H.
74 Vgl. dazu S. 94, A. 48.

68
Der Mann kann somit seine Ehe scheiden und seine Frau entlassen.
Das ist nach jüdischer - und wohl auch nach matthäischer - Auffas-
sung sein gutes Recht, und dies wäre an sich noch keinem Ehebruch
gleichzusetzen. Aber indem nun der Mann seine Frau mit einem Scheide-
brief fortschickt, geht er sozusagen das Risiko ein, dass sie sich wieder
verheiratet. Und dann - aber im Sinn von V. 32 a erst dann! - wäre der
Ehebruch perfekt. Die Verantwortung des Mannes wird in dem Sinn
festgehalten, dass er es ist, der die Frau in den Ehebruch treibt.
Dieses bewusste Festhalten an der dem Mann durch das jüdische Ehe-
recht zugewiesenen Stellung macht es wahrscheinlich, dass auch V 32 b
in einem ganz spezifischen Sinn gemeint sein muss. Hier soll offenbar
dem Mann zugestanden werden, dass er mehrere Frauen heiraten darf,
wie es schriftgelehrter jüdischer Tradition entsprach. Was er als Christ
und Mitglied der matthäischen Gemeinde nicht darf, ist, eine Geschie-
dene dazuheiraten. Dann würde er eben damit das in V. 32 a genannte
Verbrechen an der Ehe des andem Mannes begehen.
Gegenüber der Formulierung des Logions in Lk 16,18 ist hier also deut-
lich eine inhaltliche Akzentverschiebung zurück zu jüdischen Vorstellun-
gen über die Ehe zu bemerken.

ee. Beurteilung

Nachdem wir die verschiedenen, in den synoptischen Evangelien vor-


liegenden Formen des Logions Mk 10,11 par. besprochen haben, liegt die
Frage nach der gegenseitigen Beziehung der diversen Fassungen nahe.
Kann man eine Entwicklung im Sinne einer Ableitung der einen Form
aus der andem feststellen? G. Delling versucht, eine solche Ableitung
zu skizzieren, indem er von Mk 10,11 ausgeht und hier die historisch
beste überlieferung finden wilU5 Aber jede Traditionsgeschichte muss
bei der Spärlichkeit des Materials notwendigerweise hypothetisch blei-
ben. Damit wird aber auch ihr Wert fraglich. Wir müssen uns begnügen,
wenn uns durch die vergleichende Betrachtung wenigstens wahrschein-
lich geworden ist, dass in Lk 16, 18 die ursprüngliche Fassung des Logions
vorliegt. Sie wird gelautet haben: Wer seine Frau entlässt, begeht Ehe-
bruch, und wer eine von ihrem Mann Entlassene heiratet, begeht Ehe-
bruch. Der Zusatz «und eine andere heiratet» kann schon als eine
kasuistische Erweichung des ursprünglichen Wortes gesehen werden, in-

75 A. a. 0., S.273, Anm. 1.

69
dem nun die Sünde des Ehebruches nicht in der Scheidung, sondern in
der darauffolgenden Wiederverheiratung gefunden wird!"
Unser Wort hat zur Voraussetzung, dass die einmal geschlossene Ehe
gar nicht geschieden werden kann, sie kann höchstens gebrochen werden.
Im Gegensatz zu Mk 10, 9 handelt es sich hier nicht'um eine Forderung,
sondern um die Feststellung eines Faktums. Der Form nach könnte man
meinen, dass hier ein kasuistischer Rechtssatz vorliegen würde. Tatsäch-
lich zeigen die späteren Zusätze, Erweiterungen und Umformungen, dass
das Logion im kasuistischen Sinn gehandhabt wurde. Aber: geht es hier
wirklich um Kasuistik? Man darf sich durch die Form nicht täuschen
lassen. Obwohl der Satz in juristischer Art und Weise formuliert ist,
treibt Jesus keine Kasuistik, sondern er gibt «eine konkret formulierte
grundsätzliche Äusserung über die Ehe».77
Es scheint dies auf den ersten Blick ein Widerspruch zu sein. Es ist
aber keiner! Weil Form und Sache hier absichtlich nicht kongruent sind.
Besonders schön kann man diesen Tatbestand an Lk 16, 18 / Mt 5,32
zeigen. Dort wird ja beidemal durch das betonte Jta~ ö ... , das am An-
fang steht, scheinbar auf einen bestimmten, konkreten Fall angespielt.
Aber die W endung Jta~ Ö... ist ein literarischer Kunstgriff. Das
zeigen uns die Antithesen der Bergpredigt. 78 Niemand wird behaup-
ten, dass die matthäischen Antithesen der Bergpredigt im Sinne von
kasuistischen Rechtssätzen zu verstehen seien. Das eigentliche An-
liegen der Antithesen besteht im Gegenteil darin, das iuridische Den-
ken ad absurdum zu führen. Das Gesetz Mose soll sich nicht nur in
einzelnen Rechtssätzen erschöpfen, sondern es soll den wahren Gottes-
willen zum Ausdruck bringen. Dieser greift weit über den Bereich hin-
aus, der mit der buchstäblichen Erfüllung der einzelnen Vorschriften
abgesteckt isU9
Es wäre deshalb verkehrt, wenn man aus der Tatsache, dass unser
Logion später als Scheidungsregel im kasuistischen Sinn verstanden
wurde, schliessen wollte, es handle sich überhaupt um eine Gemeinde-
bildung. Wir müssen damit rechnen, dass unser Wort auf Jesus selbst

76 Der Zusatz «und eine andere heiratet» kann schon als eine kasuistische Er-
weichung des ursprünglichen Wortes gesehen werden, indem nun die Sünde des
Ehebruches nicht in der Scheidung, sondern in der darauffolgenden Wiederver-
heiratung gefunden wird.
77 G. Delling, a. a. 0., S.263.
78 Die Formel nii,; 0 .... erscheint in drei verschiedenen Antithesen: Mt 5, 22.
28.32.
79 V gl. dazu unten die Exegese von Mt 5, 27 ff., S. 112 ff.

70
zurückgeht. Gerade die ursprüngliche Radikalität, welche dieses Wort
auszeichnet, spricht für seine Zugehörigkeit zur Botschaft Jesu.

b. Ein möglicher historischer Ort des Herrenwortes

Interessant und wichtig ist darum die weitere Frage, ob sich für ein
solches Herrenwort eine historische Situation im Leben Jesu finden lässt.
Was könnte Jesus zu einer derartigen Aussage veranlasst haben?
Man könnte sich überlegen, ob uns nicht in diesem Wort eine Stel-
lungnahme Jesu zur Affäre zwischen Herodes und seiner z,weiten Frau
Herodias erhalten ist. Bekanntlich hat Herodes Antipas von 4 v. ehr.
- 39 n. ehr. als Tetrarch über Galiläa und Peräa regiert. Zuerst mit
einer Tochter des Araberkönigs Aretas IV. (9 v. ehr. - 40 n. ehr.) ver-
heiratet, hatte er diese verstossen und seine Schwägerin Herodias ge-
ehelicht. so Wie die Sache genau gegangen ist, lässt sich heute nicht mehr
sagen. Nach Josephus ist die Tochter des Aretas vor den Plänen des
Herodes Antipas gewarnt worden und konnte zu ihrem Vater flüchten.
Aber man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dass es sich von
Seiten des Herodes Antipas um eine rechtlich gültige Scheidung handelte,
die von einer Wiederverheiratung mit der geschiedenen Herodias ge-
folgt war.
In der synoptischen Tradition finden wir diesen Tatbestand verschie-
dentlich erwähnt. Alle drei Evangelisten begründen die Verhaftung Jo-
hannes des Täufers damit, dass dieser den Herodes wegen seines Ver-
haltens getadelt habe. Mt 14, 3 f. und Mk 6, 18 stellen es so dar, dass
J ohannes dem Herodes persönlich entgegengetreten sei, während man
nach Lk 3, 19 eher vermutet, J ohannes habe Herodes vor dem Volk
zurechtgewiesen. Der Vorwurf ist am prägnantesten in Mk 6, 18 formu-
liert: «Es ist dir nicht erlaubt, deines Bruders Frau zu haben». Johannes
wirft dem Tetrarchen also nicht die Scheidung und Wiederverheiratung
mit einer Geschiedenen vor, sondern er argumentiert mit Lev 18, 16 (und
Lev 20, 21): «Mit dem Weibe deines Bruders sollst du nicht ehelichen
Umgang pflegen; damit schändest du deinen Bruder!»
Für Johannes steht das väterliche Gesetz in seiner ganzen Strenge un-
antastbar da, und auch ein König darf nicht darüber hinweggehen. Sein

80 Josephus, Ant. XVIII, 5, 2-4; E. Klostermann, Das Markusevangelium, 1950,


S. 58; N. Krieger, Ein Mensch in weichen Kleidern, Nov Test I, 1956, S.228-230.

71
Eintreten für unbedingte Gesetzestreue und Gesetzeserfüllung hat dem
Täufer schliesslich das Leben gekostet.
Jesus selbst hat sicher am Ergehen des Täufers lebhaften Anteil ge-
nommen. Seit seiner Taufe am Jordan war er mit ihm verbunden ge-
wesen, auch wenn er nachher seinen ihm vorgezeichneten eigenen Weg
ging. Beweis für die gegenseitige Beziehung ist die Täuferfrage, aus dem
Gefängnis an Jesus gerichtet: «Bist du es, der da kommen soll, oder sollen
wir auf einen andern warten?» (Mt 11, 2 f.). Auch der Tod des Johannes
hat sofort seine Auswirkungen im Leben Jesu. Mt 14,12 berichtet, dass
die Jünger des Johannes die Todesnachricht sogleich zu Jesus brachten.
«Als es aber Jesus gehört hatte, zog er sich von dort zu Schiff abseits an
einen öden Ort zurück» (Mt 14, 13). Offenbar will Jesus absichtlich dem
Mörder des J ohannes ausweichen.
Wenn die Dinge so liegen, ist es doch sicher undenkbar, dass Jesus nie
über Herodes und sein Verhalten gefragt worden wäre. Das Logion über
die Entlassung der Frau und die Heirat mit einer Geschiedenen passt
genau auf die Situation des Herodes und der Herodias. Wenn es wirklich
in diesen Zusammenhang gehört, was nur als Hypothese behauptet wer-
den kann, dann lässt es uns den Unterschied zwischen der Argumentation
des Täufers und derjenigen Jesu deutlich erkennen. Johannes der Täufer
ist der Gesetzesfanatiker, der sich von seinem ins Auge gefassten Ziel
durch nichts und niemand abbringen lässt. Darum sein prägnanter Vor-
wurf an den Tetrarchen; es ist der Vorwurf eines Thora-Rigoristen.
Anders bei Jesus! Auch er entschuldigt Herodes nicht. Er sagt das, was
gesagt werden muss. Aber er sagt es so, dass nicht nur einer angeklagt
ist und die andern sich zum Richter über diesen einen aufwerfen können.
Durch sein Wort werden alle getroffen, insofern alle durch die Billigung
der Scheidung die von Gott gesetzte und gestiftete Ehe verraten.
Wir haben bereits gesagt, dass unsere soeben vertretene Einordnung des
Herrenwortes betr. die Ehescheidung in die Botschaft Jesu einen rein
hypothetischen Charakter trägt. Unser Vorgehen lässt uns aber den Ge-
halt des Wortes deutlicher erkennen und besser verstehen; dies gilt
unabhängig davon, ob unsere Hypothese zutrifft oder nicht. Jedoch gibt
es so etwas wie einen indirekten Hinweis für die Richtigkeit unserer
Behauptung: nämlich den Kontext von Lk 16, 18! Es scheint, dass auch
die andern dort aufgeführten Sprüche (Lk 16, 16. 17) in irgend einer
Form mit der Person Johannes des Täufers zusammenhängen.sl

Sl Vgl. unsern Exkurs I: Zum Kontext von Lk 16,18, S.78 ff.

72
4. KOMPOSITION UND BEDEUTUNG VON MK 10, 1-12

Markus bringt das Gespräch über die Ehescheidung mit anschliessen-


der Jüngerbelehrung im Abschnitt zwischen der zweiten (9, 30-32) und
der dritten Leidensankündigung (10,32-34) unter. Durch diese Rahmung
werden in 9, 33 - 10, 31 verschiedene disparate Stücke zusammengehalten
und zugleich gegenüber dem anderen Stoff abgegrenzt. Ein überblick
ergibt folgende Gliederung:
9,33-50: Jüngersprüche, in Stichwort-Disposition aneinandergereiht;
alle wollen den Ernst der Nachfolge betonen.
10, 1-12: Von der Ehe, resp. Ehescheidung
13-16: Die Segnung der Kinder
17-22: Der Reiche und die Nachfolge
23-27: Gespräche über den Reichtum
28-31: über die Entsagung der Jünger
Der ganze Zusammenhang von 9,33 -10,31 hat belehrende Tendenz.
Eingeleitet und abgeschlossen wird er durch direkte Anrede J esu an die
Jünger, die von Fall zu Fall Jesu Wort durch ihre Fragen veranlassen.
Dazwischen liegen Stücke, welche Ehe, Kinder, Besitz betreffen. Deutlich
sind hier Ansätze für eine Gemeindeordnung zu erkennen, welche bei
Matthäus weiter ausgebildet ist. Die Gemeinde versucht, in den Fragen
des Alltags konkrete Weisung zu gewinnen. Aber auch hier ist das keryg-
matische Anliegen des Markus noch nicht überdeckt; überall schimmert
historische Situation durch, aus welcher Lehre gewonnen werden soll.
So ist es auch bei Mk 10, 1-12. Die Einzelexegese hat gezeigt, dass
Markus hier ein historisches Streitgespräch Jesu über die Ehescheidung
mit einem Herrenwort verknüpft, wobei er dieses Herrenwort vielleicht
isoliert (Lk 16, 18!) vorgefunden hat und nun hier einordnet. Zugleich
schafft er ihm mit V. 10 einen neuen Rahmen. Matthäus fügt in ähnlicher
Weise an das Streitgespräch ein Gespräch Jesu mit seinen Jüngern an
(Mt 19, 10-12). Der ganz andere Inhalt dieses Gesprächs lässt vermuten,
dass Matthäus die Komposition des Markus nachahmt. Indirekt wird so
die theologische Leistung des Markus unterstrichen. V. 10 bekommt em
eigenes Gewicht:
V. 10: Und im Hause fragten ihn die Jünger wiederum darüber
Textkritisch stellen sich hier keine Probleme. Das :ltEQt 't'ov't'ou gibt die Verbin-
dung zum vorhergehenden Gespräch.
Jesus befindet sich mit den Jüngern nun «im Hause». Eine typisierende
Äusserung! Offenbar ist er mit ihnen allein; der Schauplatz hat sich ge-
ändert. Sie fragen ihn und hören seine Antwort, wie später die Gemeinde
die Weisung des Erhöhten vernimmt. Das he isst aber: Die Einrahmung
des Herrenwortes ist durch die Situation der Gemeinde bedingt, die hier
Belehrung sucht und findet. Markus erreicht durch die Einkleidung des
Herrenwortes, dass der Szene mit den Gegnern (V. 2-9) nun eine neue
Szene mit den Jüngern folgt (V. 10-12). Damit werden beide Perikopen
einander gleichwertig zugeordnet. Ja, man könnte sogar vermuten, dass
der zweiten Perikope grössere Dignität zuerkannt wird, da Jesus hier
ausdrücklich das Wort an die Jünger richtet. 82
Was beabsichtigt Markus mit dieser Zusammenordnung? Es geht hier
doch um mehr als nur um ein literarisches Phänomen! Vergegenwärtigen
wir uns nochmals die Eigenart beider Teile!
Das Streitgespräch Jesu mit seinen Gegnern gipfelt in der Feststellung
V. 9: Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!
Die Ehe soll also nicht geschieden werden, da eine Scheidung dem Got-
teswillen widerspricht. Es handelt sich eindeutig um eine Forderung, die
an den Menschen herantritt.
Anders im eingekleideten Herrenwort über die Ehescheidung. Hier
wird festgestellt, dass die Ehe gar nicht geschieden werden könne. Auch
wenn eine Scheidung im Sinn von Dt 24, 1 ff. vorliegt, so ändert diese
nichts an der Ehe zweier Menschen; diese besteht fort, und darum kann
gesagt werden, dass wer scheidet, automatisch diese fortbestehende Ehe
bricht. Es handelt sich also nicht um eine Forderung, sondern um die
gesetzliche Fixierung eines genau umrissenen Tatbestandes.
Man sieht: zwei grundverschiedene Dinge werden hier von Markus zu-
sammengekoppelt. Offenbar nicht darum, um das eine gegen das an-
dere auszuspielen. Sondern gerade die Zusammenstellung ist eine her-
vorragende theologische Leistung. Die Forderung für sich allein genom-
men würde zu einer Schwärmerei führen, welche den Boden der Realität
unter den Füssen verlieren würde. Die gesetzliche Regelung aber birgt
die Gefahr der Kasuistik in sich, der die ersten Gemeinden später sehr
schnell erlegen sind. Bei Markus wird gerade durch die Verbindung bei-
der Aspekte dem Missbrauch gewehrt.

82 Dass die Zusammenordnung literarisch-theologische Gründe hat und nicht


geschichtliche, ist gegen D. Daube, The New Testament and Rabbinic Judaism,
1956, S. 141 festzuhalten. Er vertritt die Meinung, dass Mk 10,1-12 einen durch-
gehenden geschichtlichen Zusammenhang darstellen. Gemäss vieler anderer rab-
binischer Parallelen würde J esus nach einer öffentlichen Auseinandersetzung
für die Jünger eine abgesonderte Belehrung durchführen.

74
Dass wir mit dieser Auffassung die richtige Spur verfolgen, zeigt eine
weitere Beobachtung. Im heutigen Kontext richtet sich die Forderung
Jesu gerade nicht, wie man eigentlich erwarten müsste, an die Jünger,
sondern an die Draussenstehenden, die Gegner. Und das gesetzliche, all-
gemeinverbindliche Wort gilt nicht den Zuhörern überhaupt, sondern
den Jüngern im besonderen. So hat es Markus verstanden, durch seine
Komposition die Spannung zwischen Forderung und Gesetz durchzuhal-
ten. Er bewahrt uns davor, das Herrenwort im gesetzlichen Sinne miss-
zuverstehen. Auf der andern Seite will er der Gefahr wehren, die For-
derung Jesu zu individualisieren und damit ihrer letzten Verbindlichkeit
zu entkleiden. FOJ;derung und Gesetz stehen nicht isoliert nebeneinander,
sondern sie ergänzen sich, indem sie sich gegenseitig interpretieren.
Ein weiteres Problem der markianischen Komposition und Redaktion
stellt die Ortsangabe in V. 1 dar:
V. 1: Und von dort bricht er auf und kommt in das Gebiet Judäas und
jenseits des Jordans, und wieder laufen die Volksrnassen zu ihm;
und wie er gewohnt war, lehrte er sie wiederum.

&'Vao"ta~ eeXE'taL ist wohl ein Semitismus (vgl. &'Vaa'ta~ &1tij1..itE'V in 7,24) und
entspricht dem hebräischen: "" tll'" (Gen 23,3 u. a.). Es wäre darum falsch,
hier eine Bezugnahme auf 9,35: «er setzte sich» zu sehen (vgl. E. Klostermann,
Das Markusev., z. St.) - Die Ortsbezeichnung ist verschieden überliefert. Es
liegen drei Varianten vor:
a) Et~ 'ta. /SeLa 'tij~ 'Ioullata~ 'll.at 1tEea'V 'tOU 'IoeM'Vou ( N., B, u. a.)
b) Et~ 'ta. /SeLa 'tij~ 'Ioullata~ 1tEea'V 'tOU 'IoeM'Vou (D, G, EI, u. a.)
c) Et~ 'ta. /SeLa 'tij~ 'Ioullata~ liLa. 'tOU 1tEea'V 'tou 'IoeM'Vou (Koine, u. a.)
Variante cl: «in das Gebiet Judäas durch das (jenige) jenseits des Jordans
(= Peräa)>> scheidet von vorneherein als eine erleichternde Lesart aus; die Ge-
biete werden in diejenige Reihenfolge gebracht, wie sie auf der üblichen Reise-
route von Galiläa nach Judäa aufeinanderfolgen, wenn man die Reise durch
samaritanisches Gebiet vermeiden wollte. Man wusste, dass J esus nicht durch
Samarien zu reisen pflegte. - Die Entscheidung für oder gegen eine der ersten
zwei Varianten ist nicht leicht. Für Variante b) «in das Gebiet Judäas jenseits
des Jordans» = f) 'Ioullata f) 3tEeata83 spricht Mt 19, 1; dagegen spricht die nicht
restlos gesicherte geographische Bezeichnung. Variante a) «in das Gebiet Judäas
und jenseits des Jordans» ist schwerfällig formuliert. Die aller Erwartung wider-
sprechende Reihenfolge Judäa - Peräa muss auffallen. Allerdings bringt auch
Mt 4, 25: 'Ioullata~ 'll.at 1tEea'V 't. 'Ioell6.'Vou. Welches ist die schwierigere Lesart,
diejenige mit 'll.at oder diejenige ohne 'll.at? Da sowohl die Streichung als auch

75
die Zufügung des 'l!.(ll. als eine Erleichterung angesehen werden kann, muss die
obgenannte Frage offenbleiben. - O"IJJ.UtoQeuov't(l~ 31:u1..w ÖX1..OL: D, 9, u. a. lesen
die Einzahl: GUVEQXe'tat 31:UAm Ö öX1..o;. Letztere Lesart muss als sekundär ange-
sehen werden. Sie dürfte eine Angleichung an andere Stellen sein, wo immer der
Singularis steht, z. B. Mk 2, 13; 3, 20 f.; 5, 21; 12, 37; u. s. f. - 31:Q6; mit
Akkusativ bezeichnet die Richtung einer Bewegung; darum: «sie laufen zu ihm»
und nicht: «sie laufen mit ihm». -

Trotz der scheinbar genauen Angaben bleibt alles sehr unbestimmt. Ist
dies vielleicht Absicht? Oder reichen die Quellen, welche Markus be-
nützte, nicht aus, um eine genauere Bestimmung .zu ermöglichen? Wir
wissen es nicht.
«Von dort» bricht Jesus auf. Gemeint ist offenbar: von Kapernaum
aus (9, 33). Auch wohin Jesus geht, bleibt im Dunkeln. Denn die Orts-
angabe «in das Gebiet Judäas und jenseits des Jordans» ist unklar und
steht mit dem Folgenden in keinem erkennbaren Zusammenhang. Sie
könnte trotzdem auf guter überlieferung beruhen, gerade weil sie so hol-
perig formuliert ist. Eine spätere Ortsangabe hätte man doch schwerlich
so unverständlich erfunden. Vielleicht wusste man, dass J esus auch in
Peräa gewirkt hat, ohne dass diese Lokaltradition mit bestimmten Ereig-
nissen verknüpft war. Das würde heissen, dass Markus die Ortsangabe in
V.l mit den folgenden V. 2-12 kombiniert hat. Wenn das zutrifft, könnte
sich darin eine theologische Wertung der Ehescheidungsperikope aus-
drücken.
Markus ordnet ja sein Evangelium so, dass er zwei Epochen im Leben
Jesu unterscheidet: den Anfang in Galiläa (Kap. 1-9) und das Ende in
Jerusalem (Kap. 11-16). In Galiläa und in Jerusalem geschieht das Ent-
scheidende. 84 Kap. 10 bezeichnet den übergang von einer Epoche zur an-
dem. Die Ortsangabe in V. 1 bekäme dann eine übertragene Bedeutung.
Sie würde vor allem besagen, dass sich die folgenden Dinge nicht in
Galiläa und nicht in Jerusalem abspielen, sondern in «Judäa und jenseits
des Jordans». Damit sind sie aber als nicht zur zentralsten Verkündigung
gehörend gezeichnet. Tatsächlich scheint ja auch Markus, im Gegensatz
zu Matthäus, an der sachlichen Frage der Ehe und Ehescheidung nicht
unmittelbar interessiert zu sein. Für ihn steht Wichtigeres im Vorder-
grund als nur eine Sachfrage. Er will in seinem ganzen Evangelium und

83 V gl. A. Schlatter, Der Evangelist Matthäus, 1929, z. St., ferner J. Well-


hausen, Einleitung in die drei ersten Evang., 1911, S. 12.
84 W. Marxsen, Der Evangelist Markus, 1956, S. 33 ff.

76
in den Einzelberichten Verkündigung geben. Er will zeigen, dass auch
in unserem Fall (Mk 10,1-12) Jesus derjenige ist, dem die versucheri-
schen Frager nichts anhaben können. Als der Herr begegnet er seinen
Jüngern, die von ihm in dieser Eigenschaft Weisung empfangen.
Die Eigenart und Eigenständigkeit der markianischen Konzeption wird
uns besonders bewusst, wenn wir die matthäischen Parallelen vergleichen,
denen wir uns im nächsten Abschnitt zuwenden wollen.

77
Exkurs I: Zum Kontext von Lk 16,18

Wir haben die Vermutung ausgesprochen, dass - mit gewissen Vorbe-


halten - in Lk 16,18 die ursprünglichste Form des Herrenwortes über die
Ehescheidung sich erhalten habe. Das muss aus zwei Gründen erstaunlich
tönen. Erstens einmal hat Lukas das Herrenwort scheinbar vereinzelt vor-
gefunden und ebenso scheinbar zufä~lig plaziert. Anderseits fehlt bei ihm
jede Erwähnung des Streitgesprächs über die Ehescheidung. Das letztere
Phänomen ist heute wohl nicht mehr zu erhellen, und es ist sicher müssig,
nach einer Erklärung für das Schweigen des Lukas zu suchen. Interessan-
ter ist es, die Stellung von Lk 16, 18 im Kontext nochmals zu überprüfen.
Das 16. Kap. beginnt mit dem Gleichnis vom ungerechten Haushalter
(V. 1-13). Nach der Konzeption des Lukas geht die Gleichniserzählung
Jesu bis zu V. 13. Dabei kann unberücksichtigt bleiben, dass ja schon die
V. 10-13 Sprüche enthalten, die wohl erst sekundär dem eigentlichen
Gleichnis zugewachsen 9ind. 1
In V. 14 werden die Pharisäer als Hörer des Gleichnisses vorgestellt.
An sie richten sich die folgenden Worte Jesu (V. 15-18). Daran schliesst
sich dann das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus an
(V. 19-31).
Die V. 14-18 sind also deutlich als Einschub zwischen zwei Gleich-
nissen erkenntlich. 2 Dieser Einschub ist als Werk des Lukas zu betrachten.
Es ist doch sehr unwahrscheinlich, dass Lukas hier in V. 1-31 einem ge-
schichtlichen Zusammenhang folgt.3 Zu deutlich sind ja schon in dem
ersten Gleichnis die später zugewachsenen paränetischen Anwendungen
zu erkennen.' Umso dringlicher stellt sich dann aber die Frage nach der
Einheitlichkeit von V. 14-18. Man hat schon die Frage gestellt, ob nicht
Lukas den ganzen Abschnitt (V. 14-18) unter dem Stichwort «Pharisäer»
konzipiert habe. Es lässt sich noch verstehen, dass V. 14 f. im Anschluss
an das Gleichnis vom ungerechten Haushalter die Rede auf die Pharisäer
bringt. 5 In Bezug auf V. 16 H. wird die Sache bereits schwieriger. So
schreibt E. Klostermann in seinem Kommentar, man könne sich fragen, ob
Lukas nicht beabsichtige, «in V.16 den Hochmut der auf das Gesetz

Vgl. dazu A. 4.
1
E. Klostermann, Das Lukasevangelium, 1929, S. 166..
2
3 Th. Zahn, Das Evangelium des Lukas, 1913, S. 579 H. nimmt einen durch-
gehenden geschichtlichen Zusammenhang an.
, Vgl. Joach. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, 1962, S. 42 H. Demnach sind zu-
gewachsen: V.9; später V. 10-12; dann V.13.
a E. Klostermann, a. a. 0., S. 167.

78
stolzen Pharisäer durch den Hinweis auf seine Ablösung durch das Evan-
gelium zu demütigen, obwohl das Gesetz durch das Evangelium erfüllt
wird (17), wie ein schlagendes Beispiel (V. 18) zeigt (Loisy)>>.6 Für V. 18
könnte man die auch in Röm 7, 1 ff. vorliegende allegorische Redeweise
geltend machen, welche das Gesetz in Verbindung mit Mann und Frau
bringt. Dann würde Lukas sagen: Wenn ihr Pharisäer euch «auflehnt
gegen das Evangelium, so seid ihr zugleich Verächter des Gesetzes», weil
beide so unlöslich zusammengehören «wie Mann und Weib in der Ehe».7
Diese Auslegung von V. 18 ist aber sehr unwahrscheinlich! Eine weitere
Verbindung von V. 18 zu den Pharisäern in V. 14 f. sieht W. Grundmann
in der Tatsache, dass bei der von den Pharisäern geübten und durch ihre
Scheidungspraxis ermöglichten «sukzessiven Polygamie» (Schlatter) die
Geldfrage eine grosse Rolle spielte.8
Man sieht, die Beziehungen der V. 16-18 zu den Pharisäern sind recht
spärlich, wenn man in Rechnung stellt, dass Jesus ja durchgängig den
Willen Gottes im Gesetz herausstellt und damit automatisch in Gegensatz
zur pharisäischen Gesetzespraxis gerät. Zwischen V. 15 und V. 16 besteht
sicher ein Einschnitt. Wir haben ja bereits gesagt, dass V. 14 f. von Lukas
unter dem Stichwort «Geldliebe» an das Gleichnis angeschlossen wurden,
wobei die Pharisäer in ihrer doppelten Beziehung als Gegner Jesu und
als Mammonsdiener erwähnt werden. Die V.16-18 aber fügt Lukas
offenbar an V. 14 f. an, weil alle drei in irgendeiner Beziehung zum Ge-
setz stehen.
Das Problem besteht nun aber darin, dass ausser der formalen Erwäh-
nung des Gesetzes diese drei Verse «drei unter sich nicht gerade mit Not-
wendigkeit verbundene Sprüche» darstellen. 9 Alle Versuche, verständlich
zu machen, was Lukas mit der Zusammenordnung beabsichtigt, bleiben
unbefriedigend. So hat man etwa gesagt, dass V. 17 auf V. 29 H. vorbe-
reiten solle, wo die alttestamentliche Offenbarung als für das Heil voll
genügend erwähnt wird; zugleich wolle aber Lukas das in christlichen
Kreisen anstössige Wort (V. 17) durch die Einrahmung (V. 16 und V. 18)
entschärfen. lo Es folge dem Grundsatzwort (V. 17) das interpretierende
Anwendungswort (V. 18).11 Wenn Lukas aber solche Absichten hegte,

8 A. a. 0., 8.167.
7 80 A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu 11, S.633, und ähnlich B. Weiss. Vgl.
E. Klostermann, a. a. 0., S. 167.
8 W. Grundmann, Das Evangelium des Lukas, 0.]., S. 324.
9 E. Klostermann, a. a. 0., S. 166.
10 E. Klostermann, a. a.O., z.8t.
11 W. Grundmann, a. a. 0., 8. 324.

79
warum hat er sie dann nicht deutlicher gemacht. Warum stehen die drei
Sprüche so unverbunden nebeneinander, dass man den Eindruck einer zu-
fälligen Reihe innerhalb des lukanischen Werkes nicht los wird.
Es wäre darum zu erwägen, ob nicht Lukas die V. 16-18 bereits in sei-
ner Quelle in dieser Zusammenstellung vorgefunden und sie hier einfach
als ein Ganzes eingeschoben hat. Der Zweck dieses Einschubes wäre dann
ein literarischer. Er wollte die beiden Gleichnisse (Ungerechter Haus-
halter I Reicher Mann und armer Lazarus), die beide vom Geld, resp.
vom Reichtum handeln, voneinander absetzen. An das erste Gleichnis
fügt er die «geldgierigen Pharisäer» an (V. 14 f.); diese «Gesetzesdiener»
veranlassen dann die Zufügung der Sprüche (V. 16-18), welche mit dem
Gesetz in Beziehung stehen.
Lässt sich aber über diese zu vermutende praelukanische Zusammen-
stellung noch etw.as Näheres aussagen? Es ist zuzugeben, dass alles Fol-
gende rein hypothetischen Charakter hat. Jedoch möchten wir vorschla-
gen, die Einheit von V. 16-18 unter dem Stichwort «Johannes der Täufer»
zu suchen. Das liegt darum nahe, weil ja V. 16 ausdrücklich von Johannes
dem Täufer redet. Für V. 18 haben wir vermutet, dass Jesus dieses Wort
im Zusammenhang mit dem Ende Johannes des Täufers geprägt hat.
Aber auch V. 17 fällt nicht aus diesem Rahmen. Bekanntlich hat auch
Matthäus in der Bergpredigt Mt 5, 18 eine ähnliche Fassung dieses Wor-
tes überliefert. Es besagt, dass die Thora ihre absolute Unversehrtheit
behalte, wobei Jesus aber gerade in den folgenden Antithesen dem Gesetz
eine neue, vertiefte Geltung zuspricht, die unabhängig vom Buchstaben
der Thora besteht. Damit ergibt sich aber bei Matthäus eine Spannung
zwischen Mt 5,18 und den folgenden V.21-48. Verschiedentlich wurde
diese Diskrepanz so stark empfunden, dass man V. 18 als nicht von Jesus
gesprochen einschätzen zu müssen meinte. In der Tat: Mt 5, 18 (resp.
Lk 16, 17) ist der Ausspruch eines Thorarigoristen. Er würde sicher besser
zur Verkündigung Johannes des Täufers passen als zu derjenigen Jesu.
In seinem Munde könnte man sich dieses Wort gut vorstellen. Es wäre
dann denkbar, dass Jesus dieses Wort von Johannes dem Täufer über-
nommen hat, aber es nun ganz neu verstand, gerade nicht in seinem
eigentlichen Sinn, sondern in demjenigen von Mt 5,21-48.
Wenn unsere Vermutungen richtig sind, dann hätten wir in Lk 16,
16-18 eine Reihe von «Johannessprüchen» vor uns. Man müsste sich vor-
stellen, dass im Kreise der Anhänger Johannes des Täufers, welche mit
Jesus verbunden waren, Aussprüche Johannes des Täufers oder solche
von Jesus über Johannes gesammelt waren. Aus der Zusammenordnung

80
von Lk 16, 16-18 ergäbe sich dann eine Bestätigung dessen, was wir als
den ursprünglichen historischen Ort von Lk 16, 18 zu erkennen meinten.
Noch eine letzte Beobachtung in diesem Zusammenhang sei hier er-
laubt. Es stellt ein besonderes Problem jeder Auslegung dar, dass in
Lk 16, 8 - also noch innerhalb des Gleichnisses vom ungerechten Haus-
halter - der Ausdruck «Söhne des Lichtes» auftaucht. Wir finden diesen
Ausdruck sonst in den Synoptikern nirgends mehr, im übrigen Neuen
Testament nur ganz vereinzelt.12 Bekanntlich gehört er aber zur gängigen
Qumran-Terminologie.
Aus dieser Beobachtung könnte man schliessen, dass Lk 16, 8 in dem
geistigen Milieu der Qumran-Leute formuliert worden ist oder doch auf
eine solche Beziehung hinweist. Nun steht aber auch fest, dass zwischen
der Botschaft Johannes des Täufers und Qumran enge Beziehungen be-
stehen. E. Stauffer sagt wörtlich: Die Gedankenwelt der Wüstenemigran-
ten von Qumran ist geistige Heimat Johannes des Täufers. 13 Es wäre
demnach zu erwägen, ob nicht auch schon Lk 16, 8 auf eine gewisse gei-
stige Verwandtschaft mit den Kreisen um Johannes den Täufer hinweist,
die wir dann vor allem in den Versen 16-18 erkennen konnten. Dass die
Erwähnung der Pharisäer in V. 14 f. nicht aus dem Rahmen fällt, braucht
nicht besonders betont zu werden, gehört doch die Polemik gegen die
Pharisäer sowohl zu den Besonderheiten der Wüstenleute von Qumran 14
als auch zu der Botschaft Johannes des Täufers 15.

12 Etwa Joh 12, 36: 1. Thess 5,5.


13 Jerusalem und Rom, 1957, S.89.
14 Vgl. E. StauHer, a. a. 0., S. 92 f.; Ass Mos 5, 3 H.; 7,1 H.
15 Mt 3, 7 ff.

81
B. Matthäusevangelium
(Kap. 19, 1-12; 5,27-32)

Im Matthäusevangelium finden sich zwei Schwerpunkte, was Ehe und


Ehescheidung anbetrifft. Der eine liegt in der Bergpredigt, der andere im
19. Kapitel. Den für uns wichtigeren Komplex stellt Kap. 19, 1-12 dar..
Wir setzen deshalb mit unserer Untersuchung hier ein.

1. DAS STREITGESPRÄCH üBER DIE EHESCHEIDUNG


(Mt 19,1-9)

V.l: Und es geschah, als Jesus diese Worte beendet hatte, brach er von
Galiläa auf und kam in das Gebiet Judäas jenseits des Jordans.
V.2: Und es folgten ihm viele Volksmasse:r;t nach und er heilte sie dort.
V.3: Und es kamen Pharisäer zu ihm, um ihn zu versuchen und sagten:
Ist es erlaubt, aus beliebiger Ursache seine Frau zu entlassen?
V.4: Er aber antwortete und sprach: Habt ihr nicht gelesen, dass der
Schöpfer sie von Anfang .an als Mann und Frau geschaffen hat?
V.5: Und er sagte: Deswegen wird ein Mensch Vater und Mutter ver-
lassen und seinem Weibe anhangen und die zwei werden ein Leib
sein.
V.6: Somit sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Leib. Was nun Gott
zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.
V.7: Sie sagen zu ihm: Warum hat Mose im Gesetz geboten, einen
Scheidebrief zu geben und (die Frau) zu entlassen?
V.8: Er sagt zu ihnen: Mose hat euch im Hinblick auf eure Herzens-
härtigkeit erlaubt, eure Frauen iu entlassen; von Anfang an aber
ist es nicht so gewesen.
V.9: Ich sage euch aber: Wer seine Frau entlässt, ausser wegen Unzucht,
und eine andere heiratet, bricht die Ehe.
Zu den sprachlichen Einzelheiten vgl. unsere Bemerkungen zu Mk 10, 2-9,
S.44 f. und zu Mk 10,1, S.75 f. Als Ergänzung dazu:
V. 1: An Stelle von ih;sÄeaev lesen D, it: EÄaÄT)aev. Diese Änderung dürfte unbe-
deutend sein.
V.2: aih;ouc; muss auf die Volksmassen bezogen werden. Die verallgemeinernde
Redeweise ist typisch für den Sammelbericht.
V.3: Verschiedene Handschriften (C, D, 9, Koine, u. a.) lesen: ,Ist es dem Men-
schen erlaubt .. .' Diese Verdeutlichung dürfte aus dem Zitat in V.5 nachträg-
lich eingedrungen sein.

82
V. 4:an' agxij~ kann zu Ö x'ttl1a~ oder zum Folgenden gehören, wobei das Letz-
tere wahrscheinlicher ist, vgl. E. Klostermann, Das Matthäusevangelium, 1927,
z. St.
V.5: Hier finden wir das Zitat aus Gen 2, 24 gegenüber Markus vervollständigt.
Offenbar ein Korrektur.
V.9: Zu den Einzelheiten vgl. S. 67 und S.87 ff.

a) Die Abhängigkeit von Markus

Matthäus ist ohne Zweifel von Markus abhängig. Er gestaltet den


Markustext um und bearbeitet ihn redaktionell. Das ergibt sich nicht nur
allgemein aus der Zweiquellentheorie, sondern lässt sich in vielen Einzel-
heiten belegen.
Es sind sprachliche Wendungen, die den matthäischen Stil aufweisen 1;
wir nennen hier nur einige, die besonders in die Augen springen: V.3:
Umstellung von Partizipium und Verbum finitum!, Ersatz von ibtEQO>'tÜV
durch AEYELV 3, Vorwegnahme des nachhinkenden 3tELQatov'tE~ a:u't6v 4 ;
V. 4: 0"% aVEyvW%Il'tE (loL sonst bei Matthäus nur in redaktionellen Partien 5,
Vermeidung des Begriffes %'ttl1L~6; V. 7: die Wendung 'tL ofiv 7 ; V. 8: Das
Verbum YBYOVEV 8 ; V.9: die Formel ABYO> öB UJ1.LV 9 •
Ferner finden sich in der ganzen Perikope weitere Spuren einer ein-
gehenden Bearbeitung. Die V. 1 f. sind wie bei Markus überleitung; die
Ortsangabe ist geglättet. Mit V. 3 beginnt das Streitgespräch. Auch hier.
wie bei Markus, steht am Anfang eine Frage, allerdings modifiziert. So-
fort folgen die beiden Genesiszitate, die bei Markus mehr am Schluss des
Gesprächs stehen. V. 6 entspricht Mk 10, 9, womit ein erster Abschluss des
Gesprächs erreicht ist. In V. 7 setzen die Frager erneut ein. V. 8 b nimmt
1 Ich folge hier einer Aufstellung, die J. B. Schaller in der S. 54, A. 31 genann-
ten ungedruckten Arbeit zusammengestellt hat, wobei die Argumente kritisch
gesichtet wurden.
2 Vgl. auch Mk6, 35 mit Mt 14, 15.
3 J. B. Schaller gibt folgende Statistik: EnEgO>'tiiv 26 mal bei Markus, 8 mal bei
Matthäus, 19 mal bei Lukas. Von den 26 Fällen bei Markus ändert Matthäus in
11 Fällen den Text und setzt statt dessen ÄEYELV oder ein anderes Synonym. In
11 weiteren Fällen hat Matthäus keine unmittelbare Parallele zu Markus.
4 Vgl. auch Mk 8, 11 mit Mt 16, 1.
5 Z. B. 12,5; 21, 16.
6 Vgl. Mk 13, 19 mit Mt 24,21.
7 Vgl. Mk9,11 mit Mt17,10; Mkl0,3 mit Mt 19,7.
8 Mt 1, 22; 19,8; 21,4.5; 24,21; 25,6.
9 Nur bei Mt 8, 11; 12,6; 12,36; 17, 12; 26,29.

83
die Argumentation von V. 4 wieder auf. In V.9 erfolgt ein zweiter Ab-
schluss. Diese Zweiteilung des Gesprächs mit zwei Höhepunkten dürfte
kaum ursprünglich sein. Aber als Bearbeitung des Markustextes ist sie
gut verständlich.

b) Die Eigenart des Streitgesprächs bei Matthäus

Das Anliegen des Matthäus, das er mit dem Streitgespräch verfolgt,


lässt sich nur dann richtig herausstellen, wenn wir ständig die Markus-
fassung im Auge behalten.
Bei Matthäus sind es die Pharisäer, die mit ihrer Frage zu Jesus kom-
men. Ihre Frage geht aber nicht nach der Scheidung überhaupt, sondern
nach den Scheidungsgründen. Worin besteht in diesem Fall die Ver-
suchung Jesu? Soll er im Streit zwischen den Schulen von Hillel und
Schammai Stellung beziehen? Und wenn er dies tut, inwiefern kann man
J esus auf Grund einer so oder so gearteten Antwort überführen?
Aus diesen kurzen Erwägungen kann man schon einen Schluss ziehen,
der durch alle nachfolgenden Beobachtungen erhärtet wird: Matthäus
formt Mk 10, 2-9 nach den Bedürfnissen seiner Situation um. Auf den
ersten Blick könnte man meinen, dass er «formal ausgezeichnet korri-
giert», indem er nach den Bedingungen einer Scheidung fragen lässUO
Aber Matthäus korrigiert nicht nur, er macht etwas ganz anderes aus
dem Streitgespräch.
Bei Markus geht es um die prinzipielle Frage: Scheidung ja oder nein?
Dabei spielt die Tatsache zunächst keine Rolle, dass es den «Versuchern»
gar nicht um die Sache selbst zu tun ist, sondern nur um das Legen einer
Schlinge, in der sich Jesus so oder so verfangen muss. Sagt er ja, so
kommt er mit seiner eigenen Anschauung in Konflikt und widerspricht
sich selbst, sagt er nein, so stellt er sich in Gegensatz zu Mose. Jesus ent-
geht bei Markus der ihm gelegten Schlinge meisterhaft, indem er die
Sache selbst ins Auge fasst: die von Gott gestiftete und zusammengefügte
Ehe.
Anders bei Matthäus! Die Frage der Pharisäer hat zunächst den klar
versucherischen Anstrich verloren. Es ist keine Fangfrage mehr, sondern
eine Sachfrage, wie sie unter Schriftgelehrten gang und gäbe sein mochte.
Höchstens könnte darin für Jesus eine Falle liegen, dass mit der Zustim-
mung zu irgend einem Scheidungsgrund implizit die Ehescheidung als
solche bejaht ist.
10 R. BuHmann, Geschichte d. syn. Tradition, 1958, S.26.

84
Aber soll Jesus nach der Intention des Matthäus überhaupt zu einer
Sachfrage Stellung nehmen? Die Fragenden sind ausdrücklich als Phari-
säer bezeichnet, wohl aber nur darum, um die gegenüber Markus modi-
fizierte Frage verständlich zu machen. Dass man die Frau aus «beliebiger
Ursache» entlassen könne, war die Meinung der Schule Hillels. 11
Die Antwort (V. 4-6) weist in eine andere Richtung. Im Grunde wird
die Frage (V. 3) gar nicht aufgenommen. Sondern Jesus betont: es gibt
überhaupt keine Scheidung. Die Argumentation läuft genau gleich wie
bei Markus:
1. Gott hat am Anfang beide als Mann und Frau geschaffen (V. 4).
2. Mann und Frau gehören zusammen und werden zu einem Leib
(V. 5. 6a).12
3. Gottes Ordnung soll durch den Menschen nicht gestört werden.
(V.6b).
Interessant ist, dass bei Matthäus vorerst das Argument des Ursprüng-
lichen noch keine Rolle spielt, obwohl in V. 4 davon die Rede ist, dass
«der Schöpfer sie von Anfang an als Mann und Frau geschaffen hat». Es
kommt erst in V. 8b zur Geltung, nachdem das Gespräch in V. 7 weiter-
geht mit dem Hinweis auf Dt 24, I ff. Bei Markus waren es die Fragen-
den, die von einer «Erlaubnis» redeten; J esus aber wies sie hin auf das
von Mose Gebotene. Hier ist es gerade umgekehrt. Die Gegner tun so,
als ob die Ehescheidung das Gebotene wäre. Jesus weist sie in V.8 zu-
recht: Mose hat die Ehescheidung nicht geboten, sondern nur erlaubt,
wegen oder im Hinblick auf die Herzenshärtigkeit der Israeliten. :n:(lo~ 'tiJv
o,u,,1'\(lox.(l(lIlL(lv will begründen, warum Mose die Ehescheidung erlaubte.
Die gegenüber Markus veränderte Gesprächsführung des Matthäus lässt
hier keine andere Auffassung zu. Matthäus will sagen: Mose hat eine
Konzession gemacht wegen der Herzens-härtigkeit der Israeliten; von
Anfang an ist es nicht so gewesen. Gott hat es ursprünglich mit der Ehe
anders gemeint. Die Ehe ist etwas, das direkt aus Gottes Händen liervor-
11 Vgl. S. 38.
12 Auffällig ist, dass Matthäus im Gegensatz zu Markus das Zitat aus Gen 2, 24
vollständig bringt. Der Grund ist nicht klar ersichtlich. Man könnte daran erin-
nern, dass die fraglichen Worte «und seinem Weibe anhangen» von den Rabbi-
nen auf den geschlechtlichen Verkehr gedeutet wurden (vgl. S. 36, A. 9). Soll hier
betont werden, dass die Ehe auch in körperlicher Hinsicht zur Einheit tendiert?
Es wäre dies ein Grund mehr, die Ehescheidung abzulehnen. Doch ist zu beach-
ten, dass es bei den Rabbinen üblich war, manchmal abgekürzt zu zitieren. Der
Sinn des fehlenden Stückes war aber gleichwohl unausgesprochen berücksichtigt.
Darum darf man vielleicht in sachlicher Hinsicht der Korrektur oder Ergänzung
des Matthäus kein zu grosses Gewicht beimessen.

85
geht und seinen Sinn vom Ursprünglichen her erhält. Darum die für
jüdische Ohren unerhörte Folgerung in V. 9. 13
Man sieht, dass die Modifikation, welche Matthäus vornimmt, gegen-
über Markus auch sachlich sehr einschneidend ist. Historisch gesehen
verdient die Markusfassung des Streitgesprächs sicher den Vorzug. Wir
finden dort eine Situation aus dem Leben Jesu, die gut mit anderen Tra-
ditionen zusammenpasst. Dort geht es noch um eine wirkliche Versuchung
Jesu. Dort sind Gegner, die Jesus in die Enge treiben wollen. Jesus nimmt
die Herausforderung an. Hier bei Matthäus ist aus der leidenschaftlichen
Diskussion eine sachliche geworden. Es scheint, dass hier der Versuch
gemacht wird, Jesu Stellungnahme zur Ehescheidung für die Lehre der
Gemeinde fruchtbar zu machen. Deutliche Spuren in dieser Richtung ha-
ben wir aufgezeigt. Es sind dies:
1. Die doppelte Bezugnahme auf den Schöpfungsanfang V. 4. 8b;
2. Die Anfügung des Logions V. 9, das nun ein fester Bestandteil des
Gesprächs bildet, obschon die Frage von V.7 sachlich mit der Feststel-
lung von V. 8 beantwortet ist,
3. Die Einfügung der Ausnahmeklausel in V. 9.
Die Umformung des Streitgesprächs in die uns vorliegende Gestalt
muss in der Gemeinde des Matthäus erfolgt sein. Die Frontstellung ist
deutlich: Auseinandersetzung mit dem schriftgelehrten Judentum und
zwar von der christlichen Position her. Man darf sich durch V. 3 nicht
täuschen lassen. Trotz der fachmännischen Formulierung der Frage nach
dem Scheidungsgrund, geht es nicht um eine Diskussion, ob Hillel oder
Schammai im Recht sei. Vielmehr macht es den Anschein, wie wenn bloss
darum von der «beliebigen Sache» als Scheidungsgrund geredet wird,
weil dies der landläufigen Scheidungspraxis entsprach. Die V. 7-9 lassen
uns keinen Zweifel mehr darüber, dass nicht nur eine jüdische Lehrrich-
tung anvisiert wird, sondern das ganze Judentum überhaupt, insofern
es die Ehescheidung anerkennt.
Im Besondern unterscheidet sich aber Matthäus von Markus durch die
Einfügung der sog. Ehebruchs- oder Unzuchtsklausel in V. 9 und in
Kap. 5, 32. Wir widmen der Erklärung dieses wichtigen Faktums den
folgenden grösseren Abschnitt, und wir werden sehen, dass diese Aus-
nahmeklausel ein ganz besonderes Licht auf die Situation der matthäi-
schen Gemeinde wirft. Es dürfte uns von dorther dann vieles klar wer-
den, was wir hier nur in groben Umrissen andeuten konnten.
13 Zur Exegese von V. 9 vgl. S. 59 H. und S. 67. Über die sog. Ehebruchs- oder
Unzuchtsklausel vgl. S. 87 H.

86
2. DIE SOG. EHEBRUCHS- ODER UNZUCHTSKLAUSELN14
(Mt 19,9; 5,32)

a) Die Problemstellung

Innerhalb der Ehescheidungstexte des Neuen Testamentes haben die


sogenannten «Ehebruchs- und Unzuchtsklauseln» des Matthäus-Evan-
geliums der Auslegung immer besondere Schwierigkeiten bereitet. Be-
kanntlich hat ja Matthäus als einziger Evangelist im Zusammenhang mit
der Forderung Jesu, dass die Ehe unscheidbar sein solle, die Worte
ltaQe'X."to~ i.6you ltoQveta~ (Kap. 5, 32) und /Li) eltt ltoQVeL~ (Kap. 19,9) über-
liefert, und zwar in einer so guten Bezeugung, dass vom textkritischen
Standpunkt aus keine Einwendungen vorgebracht werden können. 15 Ge-
wöhnlich wurden diese Klauseln als Ausnahmeklauseln verstanden (<<aus-
ser wegen Unzucht») 16 in dem Sinn, dass in einem speziellen Fall die Ehe-
scheidung erlaubt, ja vielleicht sogar geboten sei. Dass durch eine solche
Interpretation die katholischen Exegeten, deren Kirche ja keine Eheschei-
dung kennt, immer wieder auf den Kampfplatz gerufen werden, dürfte
ohne weiteres einleuchten.17 Der protestantischen Forschung dagegen
macht die Tatsache Kopfzerbrechen, dass im erwähnten Fall die Radi-
kalität der Forderung Jesu in Frage gestellt wäre. Darum ist es verständ-
lich, dass die Diskussion über die zutreffende Erklärung dieser matthäi-
sehen Klauseln bis heute nicht zur Ruhe gekommen isU8
Es ist an dieser Stelle unmöglich, die ganze Entwicklung der Diskus-
sion nachzuzeichnen; zudem ist dies auch nicht nötig, da dies schon ver-
14 Vgl. meinen Artikel: Die Ehebruchsklausel bei Matthäus, ThZ 15, 1959,
S.340-356. Den folgenden Ausführungen liegt jener Artikel zugrunde. Er wurde
jedoch überarbeitet und erweitert.
15 Es ist einzig zu bemerken, dass in Mt 19, 9 einige Handschriften, darunter
die Codices Bund D, anstelle von f1f! EItL ltOQVEtq. die Fassung lt!lQElI.'tO; ÄOyou It.
bringen, also eine übernahme des Textes von Mt 5, 32.
16 Wobei dann noch zu untersuchen wäre, was mit Unzucht gemeint ist. Zu
den verschiedenen Deutungen vgl. unten S. 89, A. 30.
17 Tatsächlich wurde die neuere Diskussion hauptsächlich von katholischen
Forschern bestritten. Die traditionelle katholische Auslegung geht auf Augustinus
zurück, der behauptete, der Begriff «Ehescheidung» sei hier im Sinne einer Tren-
nung von Tisch und Bett zu verstehen, wobei eine Wiederverheiratung ausge-
schlossen sei. Neuerdings wird dagegen von mehreren Forschern die sog. «in-
klusive Deutung» der Klauseln vertreten. Siehe dazu unten S. 90, A. 31.
18 Eine übersichtliche Äusserung zum genannten Problem findet sich in F. Hauck /
S. Schulz, Art. lt6Qv'l), ThWb VI, S.590-592 (Literaturverzeichnis S.579).

87
schiedentlich getan wurde. lu Wir möchten vielmehr versuchen, das ganze
Problem in der Form aufzurollen, dass wir uns zuerst einmal ein Bild von
den vielen offenen Fragen zu machen versuchen.
Die beiden Zusätze in Matth 5,32 und 19, 9 sind nicht gleich formu-
liert 20, werden aber in ihrem Sinn identisch sein. 2! Auffallend ist die
W endung ataQE~'t'o~ 'J..6yo'U atoQvda~. Der Ausdruck 'J..6yo~ atoQvELa~ könnte
an und für sich heissen: Das Wort Unzucht, die Rede über Unzucht. 22
Eine solche übersetzung ist jedoch sinnlos. Dass ataQE~'t'6~ einen Aus-
nahmefall bezeichnen will, ist so gut wie sicher.23 Es bleibt uns darum nichts
anderes übrig, als die Klauseln zu übersetzen: ausser wegen Unzucht 24,
oder: ausser auf Grund von Unzucht. 25 Dabei versteht die gewöhnliche
Deutung unter Unzucht den Ehebruch {atoQvda = [tOLXda).26 Aber sprach-
liche Bedenken 27 gegen eine solche Gleichstellung wollten nie ganz ver-
stummen. Die obige Deutung erhielt allerdings eine Stütze dadurch, dass

19 Vgl. A. Ott, Die Auslegung der neutestamentlichen Texte über die Ehe-
scheidung, 1911. Über die neuere Diskussion innerhalb der katholischen Kirche
orientiert U. Holzmeister, Die Streitfrage über die Ehescheidungstexte bei
Matthäus 5, 32; 19,9: Biblica 26, 1945, S.133-146. Zur protestantischen Sicht
vgl. F. Hauck / S. Schulz, a. a. O.
20 G. Delling, Das Logion Mar. X, 11 (und seine Abwandlungen) im Neuen
Testament, Nov Test I, 1956, S.263-274, vermutet, dass beide Zusätze auf ältere
Traditionen zurückgehen (S. 269).
21 H. Greeven, Zu den Aussagen des Neuen Testamentes über die Ehe, I, 1957,
S. 111; J. Dupont, Mariage et divorce dans I'Evangile, 1959, S. 101.
22 Vgl. die Ausführungen bei K. Staab, Die Unauflöslichkeit der Ehe und die
sog. «Ehebruchsklauseln» bei Matth. 5, 32 und Matth. 19, 9, Festschr. f. Ed.
Eichmann, 1940, S.442.
23 Vgl. S. 90, A. 31.
24 Bauer, Sp. 944.
25 Bauer, Sp. 946. Es soll hier also wirklich der Grund angegeben werden für
den Ausnahmefall, in welchem eine Ehescheidung stattfinden darf oder muss. -
Anders möchte Lohmeyer übersetzen, nämlich: «ausgenommen der Fall der
Unzucht» (d. h. des Ehebruchs). Er glaubt das so verstehen zu müssen, dass
dieser Fall «einer besonderen Behandlung bedarf" (E. Lohmeyer I W. Schmauch,
Das Ev. d. Matth. S. 130).
26 E. Klostermann, Das Matthäusevangelium, 1927, S.46: «Matth. gebraucht
hier und 19, 9 ltO(lvstu statt des genaueren flOVlGctU, wohl, weil ltO(lvstu ,in diesem
Zusammenhang wiederholt im uneigentlichen Sinn gebraucht war' (B. Weiss).»
F. Hauck I S. Schulz, a. a. 0., S.591: «lto(lvstu wird ... als ausserehelicher Ge-
schlechtsumgang der Frau zu verstehen sein, der hier praktisch Ehebruch ist». -
Diese Deutung war nach A. Ott, a. a. 0., in der alten Kirche und auch bei den
Reformatoren und späterhin die sozusagen allein massgebende.
27 A. Fridrichsen, Excepta fornicationis causa, Sv. ex. arsb. 9, 1944, S.55 mit
Anm. 2, weist besonders nachdrücklich darauf hin, dass ltO(lVcLU innerhalb der

88
man immer wieder versuchte, A6yor; iltoQvdllr; als Wiedergabe des hebräi-
schen Ausdrucks .,~, rn.,v (LXX: aaX'l']!lov iltQÜY!lIl) in Deut 24, 1 zu ver-
stehen. Es sollte damit auf die Diskussion zwischen den Schulen Hillels
und Schammais angespielt werden. 28 Merkwürdig und unerklärlich ist
dann nur, warum ausgerechnet in Matth. 5, 32 der Ausdruck A6yor; iltoQvdllr;,
fällt, nicht aber in Matth 19, 9, wo doch vorher schon in V. 3: «Ist es er-
laubt, seine Frau aus beliebiger Ursache (%Il't«1 iltüallV IlL'tLIlV) zu ent-
lassen?», auf den Streit zwischen Hillel und Schammai Bezug genommen
war. 29
Problematisch wird die Deutung: «Unzucht = Ehebruch» aber beson-
ders dann, wenn man sich einmal überlegt, was dies nun konkret heissen
soll. Wie man auch den Tatbestand fassen will, mehr moralisch, juri-
stisch oder religiös 30, es bleibt immer ein Gefühl der Verlegenheit zurück.
Besonders auch dann, wenn man sich daran erinnert, dass nach Jesu
Wort der Ehebruch im Herzen geschieht (Mt 5,28). Man wird doch nicht
behaupten wollen, dass überall da, wo Mt 5, 28 zutrifft, auch eine Ehe-
scheidung erlaubt sei.
Ein weiteres Problem wird durch die Tatsache heraufbeschworen, dass
nur Matthäus allein diese Klauseln bringt. Wie ist dieser Umstand zu be-
werten? Wir machen die Voraussetzung, dass beide Klauseln sicher eine
Ausnahme von dem Scheidungsverbot angeben wollen; man muss sie also

Ehe !WL%Eia heissen müsste. Auch K. Bornhäuser, Die Bergpredigt, 1923, S. 82,
bemerkt mit Recht, «dass das Neue Testament !'wL%Eia und ltoQvEia deutlich
scheidet (Mt 15, 19; Lk 18, 11 ff.; 1. Kor 6,9 u. a.).
28 So urteilen J. Dupont, a. a. 0., S. 29 f.; 86, 111; G. Kittel, Art. AEYW, ThWb IV,
105; F. Hauck / S. Schulz, a. a. 0., S.591; K. Staab, a. a. 0., S,443; E. Kloster-
mann, a. a. 0., S.46; H. Greeven a. a. 0., S. 112 f.; V. Hasler, Das Herzstück der
Bergpredigt: ThZ 15, 1959, S. 98, u. a. Gegen eine Gleichsetzung wendet sich
J. Sickenberger, Zwei neue Ausserungen zur Ehebruchsklausel bei Matth., ZNW
42, 1949, S. 207. - Zum Streit zwischen Hillel und Schammai siehe Billerbeck 1,
S.312-320; ferner oben S.38 f.
29 Es ist zudem unwahrscheinlich, dass man die Klauseln als Ergebnis einer
innerjüdischen Debatte bezeichnen kann. Vgl. S. 91, A.37.
30 V gl. etwa folgende Deutungen: Unzucht 1. = wilde, vielleicht perverse Sinn-
lichkeit K. Bornhäuser a. a. 0., S.28; oder perverse, unsittliche, gemeine Sexuali-
tät, W. Gabriel, Zur Frage der Ehescheidung wegen Ehebruch, Ethik 7, 1931,
S. 107; 2. = vorehelicher Geschlechtsumgang, d. h. ein voreheliches Vergehen
der Braut, das sich erst nach vollzogenem Eheschluss herausstellt (vgl. Matth 1,
18 f.), A. Friedrichsen, a. a. 0., S.55, A. Isaksson, Marriage and Ministry in the
New Temple, 1965, S.139; 3. = heidnisches Wesen, also «Unzucht» in über-
tragener Bedeutung, W. Gabriel, Was ist «porneia» im Sprachgebrauch Jesu,
Ethik 7, 1931, S.368.

89
exklusiv, nicht inklusiv verstehen. 31 Dann ist es aber doch merkwürdig,
dass Matthäus scheinbar das absolute Gebot Jesu durch das Zugeständnis
einer Ausnahme in kasuistischer Weise 32 erleichtert. Sonst ist doch bei
ihm gerade das Gegenteil der Fall, da er «die Tendenz zur Thoraver-
schärfung aufweist».33 Man hat daraus schon folgern wollen, dass Matthäus
das ursprüngliche Jesuswort überliefert habe. Erst später sei dann bei den
anderen Synoptikern und bei Paulus das Wort in rigoristischer Weise
verschärft worden, um «die z. T. verschärfte kirchliche Praxis (vgl. u. a.
Herrn. m. IV, 1, 4-8) der späteren Zeit» zu decken. 34 Dies Letztere ist
aber wenig wahrscheinlich; es ist doch kaum denkbar, dass z. B. Paulus
(1. Kor. 7, 101) und die übrigen Synoptiker eine diesbezügliche über-
lieferung ausgemerzt hätte. Dann bleibt aber nur die Annahme übrig,
dass Matthäus diese Klauseln eingefügt hat 35, weil sie offenbar ein ihm
31 In den vergangenen Jahrzehnten haben verschiedene katholische Forscher
«unter Aufwand von viel philologischem Scharfsinn und mit Heranziehung von
möglichst reichem lexikalischem Material» (G. Delling, a. a. 0., S.269) versucht
zu zeigen, dass man die beiden Klauseln in «inklusivem Sinn» verstehen müsse.
Es würde dabei keine Ausnahme angegeben, sondern im Gegenteil müsste man
Matth 5, 32 so übersetzen: «Ich aber sage euch: Jeder, der seil). Weib entlässt -
unter Ausschluss von 'J,.Oyor; :!toQvclur; (= auch dieses bleibt draussen und kommt
nicht in Betracht) - bewirkt, dass ... », ebenso Mt 19,9: «Ich aber sage euch:
Wer immer seine Frau entlässt - nicht einmal bei unzüchtigem Verhalten (soll
er sie entlassen!) - und eine andere heiratet, bricht die Ehe.» V gl. K. Staab, Die
Unauflöslichkeit der Ehe und die sog. «Ehebruchsklauseln» bei Matth 5, 32 und
Matth 19, 9, Festsehr. f. Ed. Eichmann, 1940, S.445. 451. Neben Staab vertreten
die inklusive Lösung: A. Ott, a. a. 0., S. 289 H.; U. Holzmeister, a. a. 0., S. 144 H.;
F. Vogt, Das Ehegesetz Jesu, 1936; A. Allgeier, Die crux interpretum im neu-
testamentlichen Ehescheidungsverbot, Angelicum 20, 1943, S. 128-142. Die in-
klusive Deutung hat bei den nicht-katholischen Forschern keinen Anklang gefun-
den, da ihr zu sehr der Geschmack des Konstruierten anhaftet. Als Triebfeder
für diese Konstruktion wirkt das Postulat, dass es einfach keine Ehescheidung
geben darf. Auch rein sprachlich ist die Konstruktion wenig überzeugend. Denn
«,nicht' und ,auch nicht', ,nicht einmal' (Mt 19, 9) ist im Griechischen ebensogut
unterscheidbar wie im Deutschen» (Delling, ebd.). «Nicht eil1mah> müsste doch
wohl [1'1'](18 heissen. Zu Mt 5, 32 ist noch zu bemerken, dass :!tUQ6%'t'O,r; an der an-
deren Stelle im Neuen Testament, wo es auch noch als Präposition gebraucht
wird (Apg 26,29), deutlich im exklusiven Sinn verwendet wird.
32 Schon früh hat das kasuistische Verständnis dieser Klauseln auf das Ver-
ständnis des ganzen Jesuswortes abgefärbt. Vgl. A. Ott, a. a. 0., S. 8 H., wo die
Väterexegese der Ehescheidungstexte dargestellt ist, und H. Greeven, a. a. 0.,
S.118.
33 F. Hauck / S. Schulz, a. a. 0., S.591.
34 F. Hauck / S. Schulz, a. a. 0., S.591.
35 Eine Beifügung durch Matthäus nehmen die meisten protestantischen For-
scher an, z. B. H. J. Holtzmann, B. Weiss, J. Wellhausen u. a.: Zusammenstellung

90
wichtiges Anliegen vertraten. aG Es muss uns daher die Frage beschäf-
tigen, wie Matthäus und seine Gemeinde die beiden Klauseln verstanden
haben. 37 Uns interessiert also nicht, was allenfalls Jesus selbst unter die-
sem Wort verstanden haben könnte. Man kann diese Frage natürlich auch
untersuchen. 38 Gehen wir aber von der Voraussetzung aus, dass die Zu-
sätze von Matthäus stammen, so wird diese Frage sinnlos.
Auf der andern Seite kann, uns aber gerade die klare Beschränkung
der Frage auf das, welche Bedeutung Matthäus und seine Gemeinde die-
sen Klauseln beilegen, ein Stück weiterhelfen. Gibt es eine Möglichkeit,
die Zusätze auf dem Hintergrund der Konzeption des Matthäus und sei-
nes Kreises verständlich zu machen? Man muss sich die Lage einmal
drastisch vor Augen halten, in welcher sich, wenn unsere Voraussetzungen
stimmen, Matthäus befand. Jesus hat die Ehe überhaupt als unscheidbar
erklärt; dies ist in der gesamten Tradition einhellig bezeugt. Wenn nun
Matthäus und sein Kreis in einem ganz bestimmten Fall die Ehescheidung
zulassen, ja eventuell sogar fordern, dann kann es sich nicht nur um die
üblichen, moralisch gefärbten Argumente handeln, sondern es müssen
für diesen folgenschweren Eingriff zwingende Gründe vorliegen, und
zwar zwingende Gründe im Sinn der matthäischen Konzeption.
Wir müssen also nach der historischen Situation innerhalb der Ge-
meinde des Matthäus suchen, in welcher die fraglichen Klauseln verständ-

und Belege bei A.Ott, a. a. 0., S. 284-289. Ferner E. Klostermann, Das Matthäus-
evangelium, 1927, S.46; E. Lohmeyer / W. Schmauch, Das Evangelium des
Matthäus, 1956, S.130; G. Delling, a. a. 0., S.274; H. Greeven, a. a. 0., S.113;
R. Bultmann, Die Geschichte der syn. Tradition, 1957, S.159.
36 Es wäre natürlich auch denkbar, dass Matthäus als einziger Evangelist diese
Klauseln überliefert und diese tatsächlich auf Jesus selbst zurückgehen. Dies
scheint mir unwahrscheinlich zu sein. Aber auch in diesem Fall müsste man
fragen, warum dann nur Matthäus die Klauseln bringt. Die Antwort ist dann
dieselbe, wie bei der Annahme einer späteren Einfügung: Matthäus (und seine
Gemeinde) interessierten sich eben ganz speziell für die Fälle, in denen die
Klauseln wirksam wurden.
37 Wir müssen doch immer nach dem «historischen Ort» dieser Worte fragen.
Würden die Klauseln auf J esus zurückgehen, dann könnte man sich wohl vor-
stellen, dass sie innerhalb einer Diskussion zwischen J esus und den Schrift-
gelehrten über die innerjüdische Streitfrage der Ehescheidung ihren Sitz im
Leben gehabt hätten. Stammen sie aber von Matthäus, so müssen sie doch auf
eine konkrete Situation innerhalb der 'matthäisehen Gemeinde zurückgehen. Hat
J esus die Ehe tatsächlich aber als grundsätzlich unscheidbar erklärt, so ist doch
kaum denkbar, dass die genannte innerjüdische Diskussion über die Scheidungs-
gründe für Matthäus und seine Gemeinde noch eine grosse Rolle spielte.
38 Vgl. W. Gabriel, Was ist «porneia» im Sprachgebrauch Jesu? Ethik 7, 1931,
S.363-369.

91
lich werden. Oder anders formuliert, fragen wir: Gibt es nicht im Neuen
Testament einen Gebrauch des Begriffes nOQvBLa, wo 1. dieser Begriff
eindeutig bestimmt werden kann, und wo wir 2. eine ähnliche historische
Situation voraussetzen können wie diejenige, die wir in bezug auf die
Gemeinde des Matthäus vermuten müssen?

b} Der Begriff der Unzucht im Aposteldekret (Apg 15, 28/.)

Tatsächlich führt uns diese Fragestellung einen Schritt weiter. Wir


sehen, dass der Begriff nOQvda im Aposteldekret (Apg 15, 28. 29; weitere
Erwähnung 15, 20 und 21, 25) auftaucht. Deshalb wollen wir die Pro-
bleme des Aposteldekretes kurz ins Auge fassen, indem wir die Ergeb-
nisse der neueren Forschung mitteilen 39, soweit sie für unseren Zusam-
menhang wichtig sind.
Das Aposteldekret bestimmt, dass sich die Heidenchristen vier Forde-
rungen unterwerfen sollen. Sie sollen sich nach Apg 15, 20. 29 enthalten
von:
1. Befleckung durch die Götzen (V. 20) oder Götzenopferfleisch (V. 29)40;
2. von Blut (d. h. von Blutgenuss);
3. von Ersticktem (d. h. von nicht rituell geschlachtetem Fleisch)41;
4. von Unzucht 42.
Diese vier Forderungen gehören der rituellen Sphäre an.43 Denn es
sind Forderungen des «Mose» (Apg 15, 21), die sich in derselben Reihen-
folge in Lev 17 und 18 finden: Lev 17, 8 f.: Verbot, ein Opfer oder Brand-
opfer ausserhalb des Heiligtums darzubringen; 17,10-12: Verbot des
ail-ta; 17,13: Verbot des nVL)G't6v (eigentlich: ein Tier oder ein Vogel,

39 Wir folgen hierbei E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 1956, S.415-419,


wo auch die diesbezügliche Literatur genannt ist. Für unsere spezielle Frage-
stellung wichtig ist vor allem H. Waitz, Das Problem des sog. Aposteldekrets,
ZKG 55, 1936, S. 227 H. VgI. ferner: H. Baltensweiler, Art. Apostelkonzil, BHH I,
Sp.ll5f. (Lit.) W.M.Smaltz, Did Peter die in Jerusalem?, JBL 71,1952,8.211-216,
St. Giet, L'assembh~e apostolique et le decret de Jerusalem, Rech8R 39/40, 1952,
S.203-220; W. G. Kümmel, Die älteste Form des Aposteldekretes, Festschr. f.
K. Kundzin, 1953, S. 83-98.
40 Gemeint ist, dass die «Befleckung durch die Götzen» eine Folge des Essens
von «Götzenopferfleisch» ist. Beide Ausdrücke sind identisch. E. Haenchen,
a. a. 0., S. 395, A. 2.
41 E. Haenchen, ebd., A. 4.
42 Die Forderungen werden nicht überall in derselben Reihenfolge überliefert;
jedoch wird Apg 15, 29 (und 21,25) die offizielle Version darstellen.

92
welche auf der Jagd gefangen und gegessen werden, ohne das Blut aus-
laufen zu lassen); und 18,6-18: Verbot der Verwandtenehen. «Notwen-
dig» (Apg 15, 28) sind diese vier Forderungen darum, weil «sie, und nur
sie, nicht bloss den Juden gegeben sind, sondern auch den Heiden, die
unter den Juden wohnen. Während sich das Gesetz sonst allein an die
Juden wandte, legt es diese vier Forderungen auch den Heiden auf!»44
Wir halten fest: Der Ausdruck 3toOVcLU ist hier eindeutig bestimmt. Er
meint: Heiraten in den verbotenen Verwandtschaftsgraden (z. B. mit
Vater, Mutter, Stiefmutter, Schwester, Stiefschwester, Enkelin, Nichte,
Tante, Schwiegertochter, Schwägerin u. a. m.). Es handelt sich also nicht
um Hurerei oder Unzucht im gewöhnlichen Sinn (man könnte im An-
schluss an Lev 18, 19-23 an ausserehelichen und widernatürlichen Ge-
schlechtsverkehr denken); «denn in dem Sinn war die noOVcLU ja jeder-
mann verboten, so dass es eines besonderen Verbotes für die Christ-
gläubigen aus der Heidenwelt nicht bedurft hätte».45 Also ist noOVcLU ein
Terminus technicus für blutschänderische Ehen, d. h. solche Ehen, die
den Heiden auf Grund ihrer eigenen Gesetze erlaubt waren, die aber
von den Juden als m.,v .,'tl'N bezeichnet wurden, d. h. als «wegen Un-
zucht oder Blutschande Verbotenes».46 Davon sollen sich die Empfänger
des Aposteldekretes enthalten.
Das Aposteldekret wird uns in der Apostelgeschichte im Zusammen-
hang mit dem sog. Apostelkonzil überliefert. Die Frage nach der Histori-

43 Im westlichen Text (Codex D) fehlt die Forderung, sich des Erstickten zu


enthalten; dafür ist die sog. «goldene Regel» beigefügt. Abgesehen davon, dass
der westliche Text als solcher in der Apg in den meisten Fällen sekundäre Züge
an sich trägt (E. Haenchen, a. a. 0., S.41-50), ist seine Fassung des Apostel-
dekretes mit drei Forderungen und der «goldenen Regel» sicher aus dem Grund
später konzipiert, weil so diese Forderungen nicht mehr rituell, sondern mora-
lisch verstanden werden konnten (Götzendienst, Mord, Hurerei). Damit war
dann auch der Widerspruch zu Ga12, 6 beseitigt. Zum Ganzen vgl. E. Haenchen,
a. a. 0., S.395, A. 5). - Neuerdings wollte Th. Boman, Das textkritische Problem
des sog. Aposteldekretes, Nov Test VII, 1964, S.26-36, dem westlichen Text die
Priorität einräumen; nur die «goldene Regel» sei aus katechetischen Gründen
später zugefügt worden. Seine Argumentation ist darum fraglich, weil sie das
Aposteldekret historisch mit dem Apostelkonzil (Apg 15) verknüpft. Ursprünglich
seien nur drei ethisch verstandene Forderungen erhoben worden. Der griechisch
abgefasste Brief sei dann in das Aramäische übersetzt worden, wobei (z. B. aL[1a
= c, oder N~') in der aramäischen Fassung die ethische Bedeutung verloren
gegangen sei und die Vorschriften nur noch kultisch verstanden wurden. Erst
dann sei als Ergänzung das Verbot des Erstickten beigefügt worden.
44 E. Haenchen, a. a. 0., S.416.
45 Billerbeck 11, S. 729.

93
zität dieses Ereignisses ist nicht so leicht zu beantworten, weil das Ver-
hältnis zu den von Paulus in Ga12, 1-10 berichteteIl Vorkommnissen
nicht ganz klar ist. Nimmt man an, dass es sich trotz der verschiedenen
Abweichungen um zwei Parallelberichte handelt, so muss man zugeben,
dass Paulus in Gal2 als Ergebnis des Apostelkonzils das Aposteldekret
nicht erwähnt, wohl aber die Aufteilung der. Missionsgebiete und die
Verpflichtung zur Kollekte für Jerusalem. Da Paulus das Aposteldekret
im Galaterbrief wohl kaum unerwähnt gelassen hätte, wenn es ihm be-
kannt gewesen wäre (GaI2, 6!), ist man heute allgemein der Ansicht, dass
das Aposteldekret ein Eigenleben führte und erst vom Verfasser der
Apostelgeschichte mit dem Apostelkonzil in Verbindung gebracht wurde.
Es wird sich um eine in den ersten Gemeinden lebendige Tradition ge-
handelt haben, die zur Zeit des Paulus noch in Geltung stand und deren
Ursprung auf die Apostel zurückgeführt wurde. Der historische Ort für
das Aposteldekret ist eine Gemeinde, in der Judenchristen und Heiden-
christen zusammenleben mussten und in welcher die aufgestellten Bedin-
gungen die Gemeinschaft sichern sollten. 47 Das Aposteldekret ist dem-
nach bedingt durch die Forderungen, welche Judenchristen aufstellten,
indem sie ihrer Meinung nach den Heidenchristen soweit als möglich
entgegenkamen. Das zeigt andererseits aber auch, dass es sich dabei nicht
um Judenchristen der strengeren Richtung handeln kann, mit denen sich
Paulus auseinandersetzen musste und welche die Mahlgemeinschaft mit
den Heidenchristen ablehnten. Sondern wir müssen uns eine gemässigte
Richtung vorstellen, welche ohne ihr Judentum zu verleugnen doch be-
reit war, auch die Heidenchristen anzuerkennen.
Kehren wir nun zum Matthäusevangelium zurück, so stellen wir fest,
dass die oben gegebene Charakterisierung des historischen Ortes des
Aposteldekretes genau mit dem übereinstimmt, was wir von Matthäus
und seinem Kreis wissen können. 48 Es gehört ~r Eigenart des Matthäus,

46 Billerbeck I, S. 694; 11, S.376. 729; 111, S.346--358. Dass die Rabbinen dann
dieses Verbot noch zusätzlich mit einem Vorbeugungsverbot umgaben, indem sie
den betreffenden Verwandtenkreis nach oben und unten hin erweiterten und die
entsprechenden Ehen als «wegen eines rabbinischen Gebotes Verbotenes» bezeich-
neten, interessiert uns in unserem Zusammenhang wenig. Denn das den Heiden-
christen auferlegte Verbot der nogveta kann sich nur auf das beziehen, wofür
eine alttestamentliche Begründung beigebracht werden konnte.
47 E. Haenchen, a. a. 0., S. 417 f.
48 V gl. K. Stendahl, The School of St. Matthew, 1954. Allerdings wissen wir
noch wenig über diese «Schule des Matthäus», da Stendahl in seinem Buch
eigentlich nur ihre Existenz postuliert und die Methode ihrer Schriftgelehrsam-
keit herausgearbeitet hat.

94
dass er auf eine lange schriftgelehrte judenchristliche Tradition zurück-
zublicken scheint, die irgendwo im Raume zwischen Jerusalem und Da-
maskus beheimatet gewesen sein muss. Das Judenchristentum matthäi-
scher Prägung ist aber nicht das streng judaistische. Soviel scheint fest-
zustehen. Manche Stellen im Matthäusevangelium zeigen, dass man
von Heidenmission (28,19 f.), Heidenchristen (21,43) und TischgemeiIi-
schaft mit Heiden (8, 11 H.) wusste, wenn auch sicherlich die Grenzen
nicht verwischt wurden.
Bei einer solchen übereinstimmung der historischen Situation - ja
vielleicht ist das Aposteldekret sogar im gleichen geographischen Raum
entstanden wie das Matthäusevangelium - ist es sicher nicht abwegig zu
vermuten, dass JtoQvda bei Matthäus denselben Sinn besitzt wie in Apg 15,
29, nämlich: blutschänderische Ehen, d. h. Ehen in den für Juden ver-
botenen Verwandtschaftsgraden. 49

c) Die sog. Verwandtenehen und ihre Verbreitung in der neutestament-


lichen Umwelt
Auch bei Juden war eine sog. Verwandtenehe möglich, nämlich dann,
wenn sie aus Unwissenheit oder Unkenntnis zustande kam. Darum galt
bei den Rabbinen jeder Geschlechtsverkehr derjenigen Eheleute als
Hurerei, «deren Ehe, wenn auch in legaler Form geschlossen, nicht den ...
Bestimmungen entsprach».50 «Das Illegitime einer Ehe konnte unter Um-
ständen erst später entdeckt werden; dann galt das ganze frühere eheliche
Leben der Eheleute als hurerisches Zusammenleben»51, und - so dürfen
wir im Sinne des Matthäus weiterfahren - diese Ehe musste geschieden
werden.
Dieser Fall wird sicher nicht häufig vorgekommen sein. Die Auf-
lösung einer solchen Ehe war darum auch gar nicht problematisch und
nicht bestritten. Anders steht es in der Umwelt, in welcher die Juden
lebten.
Tatsächlich waren damals in der Umwelt Palästinas und im Gebiet des
östlichen Mittelmeeres Verwandtenehen in den für Juden verbotenen
Graden etwas alltägliches 52, wenn es auch in bezug auf die Bräuche bei
49 Es muss betont werden: für Juden verboten. Für die Umwelt vgl. die gerade
folgenden Ausführungen.
so Billerbeck III, S. 342.
51 Ebd., S. 343.
52 Im Judentum traute man den Heiden in dieser Hinsicht das Allerschänd-
lichste zu, vgl. Billerbeck III, S. 66. 70. 345.

95
den einzelnen Völkern keine einheitliche Norm gab. 53 Bei den Römern
z. B. waren blutschänderische Ehen überhaupt verpönt, und sie gingen
in der Aufstellung der für eine Ehe verbotenen Verwandtschafts grade
weiter als die meisten anderen Völker 54, wenn auch später gewisse Er-
weichungen eintraten. 55 Jedoch hat diese scharfe römische Praxis in un-
serem Zusammenhang wenig zu besagen, weil ja legitime römische Ehen
nur zwischen römischen Bürgern und mit Fremden, denen das Connubium
erteilt war, stattfinden konnten. 56 Für Peregrini und Unfreie galt das jus
gentium, d. h. es galten die Rechte der Völker und Gemeinden, in denen
der Betreffende lebte.
So kommt es, dass in Griechenland Ehen zwischen Halbgeschwistern
väterlicherseits erlaubt waren. 57 Bekannt sind auch die Geschwisterehen
in den hellenistischen Fürstenhäusern.58 Diese gehen in Ägypten auf uralte
Sitten zurück 59, können aber z. T. auch als «Nachahmung einer im
Achämenidenhaus im grössten Umfang geübten Sitte, die dort bis zur

53 Entsprechend schwankten auch die Angaben der einzelnen Rabbinen, Biller-


beck III, S. 345.
M H. Blümmer, die röm. Privataltertümer, 1911, S.345. Man mied die Ehe
mit allen Blutsverwandten bis zum vierten Grad der Seitenlinie. Genaueres bei
A. Rossbach, Untersuchungen über die röm. Ehe, 1853, S. 421 H.
55 Bekanntlich hatte Kaiser Klaudius mit Agrippina, der Tochter seines Bru-
ders Germanicus, die Ehe geschlossen. Infolgedessen musste auch den Bürgern,
allerdings mit Einschränkungen, das gleiche erlaubt werden durch Senatsconsul-
turn im Jahre 49, Tacitus, Ann XII, 7; Sueton, Claudius, 26; A. Rossbach, a. a. 0.,
S. 426 f. Erst im Jahre 342 wurde dieser Senatsbeschluss wieder aufgehoben und
solche Ehen aufs neue untersagt, Cod Theod 111, 12, 1.
56 A. Rossbach, a. a. 0., S. 464 f. Dort sind auch die verschiedenen Möglich-
keiten der Eheschliessung eines civis romanus mit einer peregrina (mit und ohne
connubium) und umgekehrt aufgezählt.
57 E. Kornemann, Die Stellung der Frau in der vorgriech. Mittelmeerkultur:
Orient und Antike 4, 1927, S. 37; Billerbeck 111, S.345.
58 Nachweisen lassen sich solche Geschwisterehen in folgenden hellenistischen
Reichen: im Ptolemäer-, Seleukiden- und Nabatäerreich, in Parthien, Armenien,
Kleinarmenien, Adiabene, Kommagene, Pontos und Karien; E. Kornemann, a. a. 0.,
S. 13 f. Daneben begegnet in früherer und späterer Zeit die Bezeichnung «Schwe-
ster» für die Gattin auch da, wo keine wirkliche Geschwisterehe vorliegt (vgl.
den Titel fI UIlEAcpi} ßaO-LALOoa). Es ist dies, wo die Geschwisterehe nicht mehr
vollzogen wurde, eine unbewusste Erinnerung an die «reinste Form der Ehe und
Fortpflanzung». E. Kornemann, a. a. 0., S. 52 f.
59 Im alten Ägypten begegnet oft die Geschwisterehe. König Soris (4. Dynastie)
ist nicht einmal davor zurückgeschreckt, «sich seine eigene Tochter offiziell zu
vermählen», H Kees, Ägypten: Kulturgesch. d. alten Orients I, 1933, S. 77. V gl.
auch L. Wahrmund, Das Institut der Ehe im Altertum, 1933, S.94, A.3.

96
Verwandtenehe im weiteren Umfang - neben Geschwisterehen auch Ehen
von Vätern und Töchtern und Söhnen mit Müttern - gesteigert war»,
verstanden werden. 60
Für unsere Erwägungen ist es aber wichtig zu sehen, dass solche Ehen
nicht auf die Fürstenhäuser und die oberen Gesellschaftsschichten be-
schränkt blieben, sondern auch im gewöhnlichen Volk vorkamen. In
Dura-Europos wurden diesbezügliche Inschriften gefunden. 61 Die eine
stammt aus dem Jahre 32/33 n. ehr. und belegt uns eine Ehe zwischen
Oheim und Nichte und eine Geschwisterehe (mit zumindest gleichem
Vater). Eine andere Inschrift muss auf das Jahr 36/37 n. ehr. datiert
werden. In dieser wird die Gattin direkt als Of.l,OJtU'tQLU UbEA<pi} 'Kut '(llVf]
bezeichnet; es besteht also Gechwisterehe väterlicherseits.
Für den ägyptischen Raum liegt eine neuere Untersuchung vor von
H. Thierfelder. 62 Sein Verdienst ist es, den ganzen Fragenkomplex noch
einmal kritisch untersucht zu haben. Er kommt zum Ergebnis, dass sich
nur in der Zeit der römischen Vorherrschaft in Ägypten die Geschwister-
ehe einwandfrei nachweisen lässt. Hier stehen wir auf ganz sicherem Bo-
den. Bei älteren Angaben kann man im Zweifel sein, ob nicht die Un-
sicherheit der Terminologie bei Geschwisterehen in Rechnung zu stellen
sei. 63 Aber unter der römischen Verwaltung werden die Geschwisterehen
aktenmässig belegt. Das kann uns erstaunen, weil wir wissen, dasls ja
gerade die Römer allen Verwandtenehen besonders abhold waren. J>edoch
muss man bedenken, dass die Römer die Institution der Geschwisterehe
nicht geschaffen haben, sondern es ist nur ihren bürokratischen Zensus-
deklarationen zu verdanken, welche genaue Angaben über Familienstand,
Hauseigentum, etc. enthalten mussten, dass wir so Genaues aus dem
Ägypten der Römerzeit erfahren. Durch die griechischen Papyri jener
Epoche ist die Geschwisterehe, auch bei Anlegen der strengsten kriti-

60 E. Kornemann, a. a. 0., S. 15 f. Artaxerxes 11. (405-354) z. B. heiratete nach-


einander seine eigenen Töchter, nämlich Amestris (in erster Ehe Gemahlin des
Tiribazos) und Atossa (Plut Artaxerxes 23. 27). Aus Parthien wissen wir, dass
Phraatakes seine eigene Mutter Thea Musa, eine seinem Vater von Augustus
geschenkte italische Sklavin, ehelichte (Jos Ant XVIII, 42); E. Kornemann, a. a. 0.,
S. 15, A.46. Der Sinn dieser Ehen lag offenbar ursprünglich in der Vorstellung
begründet, dass das Blut rein erhalten werden müsse.
61 E. Kornemann, a. a. 0., S. 17, berichtet ausführlich darüber und bietet die
Belege.
62 Die Geschwisterehe im hellenistisch-römischen Ägypten, 1960.
63 «Bruden> und «Schwesten> als verwandtschaftliche Bezeichnung oder als

Kosename.

97
schen Maßstäbe an die fragliche überlieferung, als Institution des gesell-
schaftlichen Lebens unwiderleglich erwiesen. 64
Man könnte sich gut vorstellen, dass die bei den Klauseln bei Matthäus
solche Fälle treffen wollten, in dem Sinn, dass sie einem Heiden, der mit
solch einer Ehe belastet der Gemeinde beitrat, die offenbar geforderte
Ehescheidung erlaubten und sanktionierten. Nach Matthäus gibt es also
nicht einfach schlechterdings keine Ehescheidung, sondern Ehen in den
von Lev 18 verbotenen Verwandtschafts graden dürfen - analog dem
Aposteldekret - nicht eingegangen werden, und bestehende müssen ge-
schieden werden. 65

d) Das Problem der Verwandtenehe bei Proselyten

Im Hinblick auf die Gemeinde des Matthäus kann das oben Gesagte
aber noch nicht ganz befriedigen. Es hängt ja alles daran, ob wir uns für
die soeben entwickelte Deutung des Begriffes ~oQvda und für den daraus

64 H. Thierfelder, a. a. 0., S. 90. Thierfelder glaubt, im Gegensatz zu andern


Forschern, dass die Geschwisterehe in Ägypten nicht sehr alt sei. Sie muss nach
seiner Meinung im ptolemäisch-römischen Ägypten entstanden sein, wobei die
Geschwisterheirat zwischen Ptolemaios II und Arsinoe für die breiten Schichten
der Bevölkerung als Vorbild diente und solche Verbindungen salonfähig mach-
ten. Wie dem auch sei, in unserem Zusammenhang ist es wichtig, dass auf alle
Fälle im römischen Ägypten Geschwisterehen nachgewiesen werden können, und
zwar nicht nur in den gehobenen Schichten der Bevölkerung und bei den Köni-
gen, sondern auch beim Mann des Alltags. - Nur nebenbei sei noch bemerkt,
dass die Inzucht, welche aus solchen Geschwisterehen resultiert, nicht unbedingt
auch biologisch bedenklich sein muss. Die hohe Kindersterblichkeit brachte eine
natürliche Auslese mit sich. über die biologische Seite der Inzucht schreibt
O. v. Verschüer, Genetik des Menschen, 1958, S.59:
<<Inzucht an sich ist nicht schädlich. In gesunden Familien führt Inzucht, selbst
durch Generationen wiederholte Geschwisterehe, zu keinen nachteiligen Folgen.
Im alten Persien waren nicht nur die Geschwisterehen, sondern auch sonstige
Verwandtenheiraten Brauch. Dasselbe finden wir bei den Ägyptern und Inkas.
Bekannt ist die Ptolemäerdynastie, deren letzter Spross, Cleopatra, aus mehreren
Generationen hindurch wiederholt er Geschwisterpaarung hervorging. Der letzte
Herrscher im Inkareich Perus soll aus der 14. Geschwister-Inzuchtgeneration her-
vorgegangen sein und dabei körperlich und geistig gut veranlagt gewesen sein.»
(Zit. H. Thierfelder, a. a. 0., S. 95.)
65 Die Deutung: JtogvcLa = «inzestuöse Ehe» ist auch schon verschiedentlich
vertreten worden, vgl. A. Ott, a. a. 0., S. 261-266: «Die Auslegung der Matthäus-
sätze im Sinne ungesetzlicher Ehe.» Als Vertreter werden dort vor allem genannt:
Patrizi, De interpretatione Scripturae sacrae I, 1844, S.169; Schegg, Evangelium
nach Matthäus III, 1858, S. 14; Cornely, Comm. in 1. Cor, 1890, S. 120. Auch in
neuerer Zeit ist diese Deutung wieder aufgekommen, besonders bei katholischen

98
resultierenden Sinn der bei den matthäischen Klauseln eine historische
Situation denken können. Lässt sich die Entstehung dieser Klauseln inner-
halb der Gemeinde des Matthäus verständlich machen? Und inwiefern
entsprechen diese Klauseln der ganzen Konzeption der Schule des
Matthäus?
Der historische Ort für die Entstehung der matthäischen Klauseln
könnte nicht in erster Linie durch die oben dargelegte Ehepraxis des
Heidentums bestimmt sein, sondern vor allem durch die jüdischen V or-
schriften für Proselyten in eben dieser Frage. Das Problem der heidnisch-
legalen, aber in jüdischen Augen inzestuösen Ehen entstand ja nicht erst
im Raume des Judenchristentums, also nicht erst dort, wo Heiden der
judenchristlichen Gemeinde beitraten, sondern schon viel früher, als
nämlich solche Heiden sich zum Judentum bekehrten. Und bereits im
Judentum entwickelte sich über diese Frage eine ausgedehnte Debatte. 66
Nach jüdischer Anschauung glich jeder Proselyt bei seinem übertritt
zum Judentum einem eben geborenen Kinde. 67 Das bedeutete, dass dieser
bei seinem übertritt keine Blutsverwandten aus seinem früheren Leben
mehr als sein eigen betrachten musste. Darum war es einem Proselyten
theoretisch möglich, Verwandtenehen einzugehen, die nach Lev 18 dem
Juden verboten waren. Praktisch wurde aber dieser Standpunkt aus Op-
portunitätsgründen nicht in allen Fällen durchgehalten. 68 Da es aber «den
rabbinischen Gelehrten... als feststehender Grundsatz galt, dass ein
Nicht-Israelit keinen Vater habe» 69, konnte ein Proselyt ohne weiteres

Exegeten: J. Bonsirven, Le divorce dans le Nouveau Testament, 1948; ders., Les


enseignements de Jesus-Christ, 1950, S.201-204; C. Spicq, RScPhilTh 34, 1950,
S. 47 f.; F. F. Berrouard, L'indissolubilite du marriage dans le Nouveau Testa-
ment, Lumiere et Vie 4, 1952, S.26; P. Benoit, L'Evangile selon Saint Matthieu
1950, S. 114; dann auch M. Thurian, Ehe und Ehelosigkeit o. J., S. 18. - Das
Problem liegt nun aber darin zu zeigen, warum gerade Matthäus auf diese Ver-
wandtenehen zu reden kommt und inwiefern diese Klauseln in seine gesamte
Konzeption hinein passen. Vgl. dazu die gerade folgenden Ausführungen.
66 Wir verweisen hier, auch für das Folgende, auf die Darstellung dieser
Debatte bei Billerbeck 111, S. 353-358, wo alle genaueren Details zu finden sind.
Ferner J. B. Schaller, Gen 1. 2. im antiken Judentum, 1961, S. 160 H.
87 Billerbeck 11, S. 423.

68 Billerbeck 111, S.353. V gl. Schulchan Arukh 269, 1, zitiert nach Billerbeck III,
S.. 357: «Recht der Tora ist es, dass dem Proselyten erlaubt ist, seine Mutter
oder seine Schwester mütterlicherseits, wenn sie zum Judentum übergetreten sind,
zu heiraten; doch haben die Gelehrten dies verboten, damit sie nicht sagen
könnten: ,Wir sind von einer grösseren Heiligkeit in eine geringere Heiligkeit
gekommen.'»
69 Billerbeck 111, S. 353.

99
mit seiner Verwandtschaft väterlicherseits Eheneingehen.70 Wenn es auch
bei den Rabbinen in Einzelheiten an abweichenden Meinungen nicht ge-
fehlt hat71, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass im Judentum Prose-
lyten in legaler Weise inzestuöse Ehen eingehen konnten, und dass sie,
was in unserem Zusammenhang ausserordentlich wichtig ist, nicht in
allen Fällen verpflichtet waren, solche blutschänderischen Ehen, die sie
schon vor ihrem übertritt eingegangen waren, zu scheiden und die Frauen
zu entlassen.71
Es ist mehr als nur wahrscheinlich, dass der· historische Ort für die
Entstehung der Klauseln im Matthäusevangelium in der Auseinander-
setzung der judenchristlichen matthäisehen Gemeinde mit der oben dar-
gelegten Proselytenpraxis zu suchen ist.73 Auf diesem Hintergrund ge-
winnen diese Klauseln auf einmal einen neuen Sinn. Wir haben guten
Grund, anzunehmen, dass die schriftgelehrte judenchristlich-matthäische
Tradition den üblichen rabbinischen Lehrentscheidungen über die inze-
stuösen Ehen der zum Judentum übergetretenen Heiden nicht gefolgt ist;
wie die Vorschrift im Aposteldekret erwarten lässt, wird man auch auf
die Proselyten in der Gemeinde des Matthäus, entgegen der üblichen
laxen Auffassung, die ganze Schärfe der Thora (Lev 18) angewendet
haben. 74 So betrachtet liegt also der Abfassung beider Klauseln nicht eine

70 So waren dem Proselyten zur Ehe erlaubt: z. B. seine Schwester väterlicher-


seits; die Schwester seines Vaters, die mit diesem nur von demselben Vater ab-
stammte; seine Stiefmutter; seine Schwiegertochter u. a.; Billerbeck III, S. 354 ff.
71 Billerbeck III, S. 354. 346.
72 Vgl. z. B. Schulchan Arukh 269, 2 : «Wie ist das Recht der Proselyten bei
den wegen Blutsverwandtschaft verbotenen Frauen? Wenn er sich verheiratet
hatte, als er noch Nichtisraelit war, mit seiner Mutter oder mit seiner Schwe-
ster mütterlicherseits, und dann traten sie zum Judentum über, so veranlasste
man ihn, dass er sich von jenen scheidet; wenn er aber- mit anderen (den Israe-
liten) zur Ehe verbotenen Frauen verheiratet war und dann traten er und sein
Weib zum Judentum über, so veranlasst man ihn nicht, dass er sich von ihnen
scheidet.»
73 A. Isaksson, Marriage and Ministry in the New Temple, 1965, S.131, gibt
zu, dass die genannte Proselytenpraxis ein möglicher historischer Ort für die
Unzuchtsklauseln abgeben könnte. Jedoch glaubt er, dass Heiraten in solchen
verbotenen Verwandtschaftsgraden seltene Ausnahmen gewesen seien. Vgl. zu
letzterer Behauptung, die nicht zutrifft, unsere Ausführungen auf S.95 ff.
74 In diesem Zusammenhang müssen wir 1. Kor 5,1 erwähnen" wo Paulus ja
auch von einer «Unzucht» spricht. Es geht dort offenbar darum, dass ein Glied
der korinthischen Gemeinde in einer Ehe mit seiner Stiefmutter lebt. So muss
wohl der Ausdruck &C11;E yuvai1!.1l 'ftva 'fOU 3ta'fQo~ liXEtv verstanden werden; vgl.
Billerbeck III, S. 343 f.; H. Lietzmann / W. G. Kümmel, An die Kor I. 11, 1949,

100
moralische Erweichung zugrunde, sondern im Gegenteil bringen diese
eine deutliche Verschärfung der Auffassung im Sinne einer rigorosen
Anwendung der Thora zum Ausdruck.

e) Ergebnis

Als Ergebnis unserer Ausführungen können wir festhalten:


l'tO(lvElu bedeutet Unzucht im Sinn von «Heiraten in den Lev 18 ver-
botenen Verwandtschaftsgraden». Zu sehen ist dieser Begriff auf dem
Hintergrund der jüdischen Proselytenpraxis, die gewisse inzestuöse Ehen
erlaubte. Matthäus wendet sich gegen diese Erweichung von Lev 18. Er
will sagen: Es gibt keine Ehescheidung ausser dann, wenn eine blutschän-
derische Ehe vorliegt. Proselyten, welche in die matthäische Gemeinde
eintraten und in einer wohl inzestuösen, aber dennoch im jüdischen Sinne
erlaubten Ehe lebten, mussten diese Ehe scheiden.75
Wir können demnach Matth. 5, 32 (und 19,9) übersetzen: «Jeder, der
seine Frau entlässt (ausser auf Grund von Unzucht, d. h. von Heirat in

s. 23. Auf die Frage, wieso ein solcher Zustand in der Gemeinde von Korinth
geduldet werden konnte, gibt es nur eine Antwort: es war eben gar keine
«wilde Ehe», wie immer wieder behauptet wird, sondern eine legale Ehe 1. im
Sinne des nicht-jüdischen Rechtes (dem Heiden war die Stiefmutter zur Ehe er-
laubt nach der älteren, von R. Eliezer um 90 n. ehr. vertretenen Anschauung des
Judentums, Billerbeck III, S.358) und 2. auch im Sinne der jüdischen Vorschrif-
ten für Proselyten. Die ganze Situation im 1. Kor lässt sich nur verstehen, wenn
man annimmt, dass der Betreffende seine Ehe als eine rechtmässige auffasste
und die Korinther, wohl in Anlehnung an die jüdische Proselytenpraxis, mein-
ten, es sei alles in bester Ordnung. Paulus aber bezeichnet dieses eheliche Ver-
hältnis als «Unzucht», genau so, wie es das Aposteldekret und die Matthäus-
klauseln tun. Das scharfe Vorgehen des Paulus gegen den Übeltäter beweist
wohl, dass es sich bei diesem Eheschluss nicht um ein Versehen, sondern um eine
wohlüberlegte Handlung des Ungenannten gehandelt hat. Paulus sagt, es sei eine
«Unzucht, wie sie nicht einmal bei den Heiden» vorkommt. Mit den Heiden kann
er dabei die Römer meinen (H. Lietzmann / W. G. Kümmel, ebd.), vielleicht weil
der Betreffende römischer Bürger war. Er kann aber auch von Heiden überhaupt
reden und auf jüdische Vorstellungen über ihre allgemeine Verderbtheit, die hier
noch übertroffen wäre, anspielen. Vgl. oben S. 96, A. 58.
75 Ich darf hier erwähnen, dass diese Lösung, welche ich hier und zuerst in
meinem obengenannten Artikel (S. 87, A. 14) entwickelt habe, neuerdings von
P. Bonnard in seinem Matthäuskommentar: L'evangile selon Saint Matthieu,
1963, S. 69 f. 282 f. vollumfänglich übernommen worden ist.

101
verbotenem Verwandtschaftsgrad, wie es bei Proselyten vorkommt) macht,
dass an ihr die Ehe gebrochen wird.~
Wir kommen also zu einem paradoxen Resultat: Auf der einen Seite
lehnte Matthäus (und seine Gemeinde) die rabbinische Kasuistik rund-
weg ab. Indem er aber nun doch die eine Ausnahme zulässt, begibt er
sich auf einen verhängnisvollen Weg. Denn sobald einmal die Klauseln
aus der jÜdisch-rabbinischen Umwelt, in welcher die matthäische Ge-
meinde lebte, herausgelöst wurden, konnten sie nicht mehr im eigent-
lichen Sinn verstanden werden. Sie wurden im moralischen Sinn ge-
deutet. Dadurch aber wurde gerade die Abwehr jüdisch-rabbinischer Ka-
suistik zum Anlass für christlich-kasuistische Spekulationen.

3. DIE jüNGERBELEHRUNG ÜBER DIE EHELOSIGKEIT


(Mt 19. 10-12)

V.I0: Die Jünger sagen zu ihm: Wenn die Sache des Mannes mit der
Frau so steht, ist es nicht gut zu heiraten.
V. 11: Er aber sprach zu ihnen: Nicht alle fassen dies Wort, sondern
nur die, denen es gegeben ist.
V.12: Denn es gibt Eunuchen, welche so aus dem Mutterleib geboren
wurden, und es gibt Eunuchen, die von Menschen verschnitten
(oder: zu Eunuchen gemacht) worden sind, und es gibt Eunuchen,
die sich selbst zu Eunuchen gemacht haben um des Himmelreiches
willen. Wer es fassen kann, der fasse es.

V. 10: aL'da meint hier: die Sache. Es könnte sich eventuell um einen Latinismus
(causa) handeln, vgl. Bauer, Sp. 51, und E. Klostermann, Das Matthäusevangelium,
1927, z.St.
V.11: :x;oo(loiiow = fassen, sich aneignen, aufnehmen. In gewöhnlichem und in
übertragenem Sinn, also auch geistig gebraucht. Vgl. Bauer, Sp. 1759.
V. 12: e'Üvoii:x;o; ist eine Zusammensetzung aus ,e'Üv1] = Bett' und ,1l:x;eLv = halten'.
Es würde demnach wörtlich der ,Betthalter' oder der ,Betthütd bedeuten; ·vgl.
J. Schneider, ThWb H, S.763-767. Da im Orient Verschnittene oder Kastraten
als Haremswächter dienten (Esth 2,14), erhielt der Ausdruck «Eunuch» vor allem
die letztere Bedeutung. e'Üvoii:x;o; bezeichnet auch die verschnittenen Tiere, ebenso
Fruchte, die keinen Kern oder Samen hatten. Das von e'Üvoii:x;o; abgeleitete
Verbum e'Üvou:x;tteLv bedeutet entmannen, verschneiden, kastrieren; vgl. Bauer,
Sp.639.

102
a) Eigenart und Gliederung von V.10-12

Der Abschnitt V. 10-12 ist als Ganzes im Rahmen des Matthäusevan-


geliums eine sog. Jüngerbelehrung. V.lO markiert den übergang. Nach
dem Streitgespräch mit den Pharisäern sind die Jünger nun mit Jesus
allein und können ihm ihre Fragen vorlegen.
Matthäus komponiert also ganz ähnlich wie Markus. Auch Markus hat
ja ein Logion in der Form einer Jüngerbelehrung an das Streitgespräch
angefügt. Matthäus aber bringt jenes Logion über die Entlassung der
Frau bereits im Streitgespräch selbst. Darum ist ihm die Markus-Fort-
setzung inhaltlich verwehrt.
Matthäus gibt seiner Jüngerbelehrung einen neuen Gehalt, indem er ein
ihm offenbar einzeln überliefertes Herrenwort (V. 12) verwendet. Der
entscheidende V. 12 zerfällt in zwei Teile:
1. in den dreigliedrigen Eunuchenspruch (V. 12 a-c), und
2. in die paränetische Schlussformel (V. 12 d).
Die Vermutung liegt nahe, dass V. 12 d auf das Konto des Evangelisten
geht, während V. 12 a-c ein authentisches Herrenwort darstellt,76

b) Der Eunuchenspruch V.12

Der Eunuchenspruch beschreibt drei verschiedene Arten von Eunuchie:


1. solche Menschen, die von Geburt an verschnitten sind;
2. solche, die durch einen menschlichen Eingriff verschnitten worden
sind 77, und
3. solche, die sich selbst wegen des Himmelreiches verschnitten haben.
Die ersten beiden Gruppen entsprechen der jüdisch-rabbinischen Ein-
teilung. Es wird unterschieden zwischen den «von Natur Verschnittenen»
(iibl1 0,.,0) und den «von Menschen Verschnittenen» (01N 0'''0 )78. Offen-
bar war diese Einteilung durchaus geläuHg. Schon dals Altertum wusste
um die angeborene Zeugungsunfähigkeit des Mannes. Im Judentum
wurde sie in Parallele gesetzt mit der Unfruchtbarkeit der Frau. Damit
aber war automatisch die Qualifikation der angeborenen Eunuchie als

76 Zur Komposition des Ganzen vgl. unten S. HO.


77 Über die verschiedenen Arten der Durchführung einer Kastration vgl.
W. Bunte, Art. Entmannung, BHH I, Sp. 413 f.
78 Im Traktat Jeb 8, 4 b c sind verschiedene Aussprüche des R. Akiba und des
R. Eliezer überliefert, aus welchen diese Einteilung ersichtlich wird. Vgl.
BiIlerbeck I, S. 806; J. Blinzier, ZNW 48, 1957, S. 258; ferner ThWb 11, S, 765.

103
Strafe Gottes gegeben. Dementsprechend fehlt auch in allen die ange-
borene Eunuchie betreffenden Aussprüchen ein Ton des Bedauerns oder
gar des Mitleides. Wie die unfruchtbare Frau, so wurde auch der un-
fruchtbare Mann als Sünder und von Gott zu Recht Bestrafter abge-
stempelt.
Die zweite Gruppe, die «von Menschen Verschnittenen» kann nur recht
beurteilt werden, wenn man sie auf dem Hintergrund antiker Lebens-
gewohnheit betrachtet. Die Sitte des Kastrierens ist aus Asien nach Grie-
chenland gelangt. Das Wort euvoux,oS taucht zuerst bei HerodoPu auf. Im
Orient wurden Eunuchen nicht nur als Diener und Aufseher der Frauen
verwendet, sondern sie stiegen zu hohen Staatsstellen auf (Apg 8, 27 ff.).
Zudem erhielt im kleinasiatischen Kybelekult, im Attiskult und auch im
Kult der ephesinischen Artemis die Selbstentmannung als kultischer Akt
eine gewisse Bedeutung. Es entsteht das Eunuchenpriestertum.8o Während
die gewöhnliche Eunuchie als Auswuchs der antiken Sklavenwirtschaft
zu verstehen ist, spielen beim Eunuchenpriestertum religiöse Vorstellun-
gen eine Rolle, indem der Gläubige versucht, sich der Gottheit nicht nur
geistig, sondern auch physisch anzugleichen.
Auch im Alten Testament werden Eunuchen erwähnt. Doch ist zu ver-
muten, dass hier der Titel 0''10 in der Regel in übertragenem Sinn Ver-
wendung findet. So sind wohl in 2. Kön 25, 19 und Gen 39,1 nicht
Eunuchen im körperlichen Sinn gemeint, sondern einfach Anführer oder
höhere Beamte. Nach Dt 23, 1 ist jedem irgendwie Entmannten der Ein-
tritt in die Gemeinde des Herrn untersagt. Sicher spielen hier auch wie-
der religiöse Gründe eine wichtige Rolle. Es sollte das Eindringen frem-
der Kulte in die israelitische Religionsgemeinschaft von vornherein ver-
hindert werden. Daneben widerspricht natürlich jegliche Kastrierung
dem Schöpfungswillen Gottes.
Gerade das letztere Moment wurde für die Argumentation im rabbini-
schen Judentum entscheidend. Die Kindererzeugung ist gottgewollt und
im Schöpfungsbericht verankert (Gen 1, 28). Darum ist die Eheschliessung
ein Pflichtgebot.81 Aus Lev 22,24 f., wo die Opferung kastrierter Tiere
verboten wird, wurde weitergehend gefolgert, dass die Kastrierung über-
haupt untersagt sei.8! So zieht sich durch das ganze Judentum ein Abscheu
vor der Entmannung. Diese Haltung wird durch Jes 56,3-5 nur bestätigt.
79 8, 105.
80 Die kastrierten Priester werden in der Regel mit ßa.x't'TJio~ oder ya.lAOL be-
zeichnet. Der Ausdruck s'Övo'Ü:X;Os tS{!SUS findet sich Vett VaI8(j, 34.
81 V gl. Billerbeck 11, S. 372.
82 S Lev 22, 24 vgl. Billerbeck I, 807.

104
Dort wird gesagt, dass in der letzten Heilszeit auch die Verschnittenen
wieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden sollen; die letzte Heils-
zeit bringt eben die Umwertung alles bis dahin Bestehenden mit sich.
Allerdings hat sich in neutestamentlicher Zeit, wohl unter dem Einfluss
des hellenistischen Brauchtums, auch in Palästina neben der streng ge-
setzlichen Auffassung eine laxere Praxis eingeschlichen. So berichtet
Josephus, dass die drei Kämmerer des Herodes Eunuchen waren 83; und
aus einer anderen Notiz 84 muss geschlossen werden, dass er einen
ÖOVAO~ E"'VOVXO~ als Lehrer und Erzieher seines Knaben bestellte.
Jesus erweitert in seinem Logion die offizielle rabbinische Zusammen-
stellung durch eine dritte Art der Eunuchie. Er sagt, dass es auch solche
gäbe, die sich selbst wegen des Himmelreiches verschnitten haben. Die
altchristliche Auslegung hat oft dieses Wort im wörtlichen, körperlichen
Sinn verstanden. 85 Justin erwähnt einen ägyptischen jungen Christen, der
aus Verlapgen nach Keuschheit heraus der kaiserlichen Verwaltung das
Gesuch um Erlaubnis für Selbstkastration stellte, welche allerdings durch
einen Arzt ausgeführt werden sollte.86 Das Gesuch wurde abgelehnt. In-
teressant ist, dass Justin die Haltung des jungen Mannes, wenn auch nicht
gerade befürwortete, so doch offenbar billigte und sein Beispiel anführte,
um bei seinen heidnischen Lesern Eindruck zu machen. Ob ihm dies ge-
lungen ist, wissen wir nicht. Dass unter den ägyptischen Mönchen die
übung der Selbstkastration im Schwunge war, erfahren wir aus Epi-
phanius. 87 überhaupt muss die ganze Polemik gegen die Selbstverstümme-
lung 88 uns geradezu darauf stossen, dass wohl die Selbstkastration oder
zumindest das Verlangen darnach in der alten Kirche weiter verbreitet
gewesen sein dürfte, als man gewöhnlich denkt. Die Apologeten führen
einen richtigen Zweifrontenkrieg. Sie wehren sich gegen die Sitte der
Selbstkastration sowohl in der Kirche als auch in den zeitgenössischen
heidnischen Kulten. Minucius Felix prägte in diesem Zusammenhang das
bekannte Wort: Wollte Gott Eunuchen, so hätte er sie geschaffen. sv

83 Bell 1, 488.
84 Ant 6, 492.
85 Vgl. W. Bauer, Mt 19,12 und die alten Christen, Heinrici-Festschrift, S. 235.
8.~ ApolI, 29.
87 Expos. fidei 13.
88 Athanasius berichtet von einem Presbyter Leontios, der Hand an sich ge-
legt habe. (Historia Arianorum ad monachos c. 28); in der Vita Sabae per Cyrill.
Scythopolit. 41, wird ein Mönch Jakobus aus der großen Laura in Syrien er-
wähnt, der auch so gehandelt habe.
89 Oct. 24, 4.

105
Den berühmtesten Fall einer Selbstkastration stellt Origenes dar. Nach
Euseb habe Origenes Mt 19, 12 buchstäblich genommen und aus Ge-
horsam gegen das Herrenwort selbst Hand an sich gelegt. 90 Diese Nach-
richt steht im Widerspruch zu seiner späteren Auslegung des Matthäus-
evangeliums, wo er heftig gegen diejenigen auftritt, die alle drei in Mt 19,
12 aufgezählten Klassen der Eunuchen als Eunuchen im wörtlichen
Sinn verstehen. 91 Wir stehen also vor der Tatsache, dass - wenn die
Nachricht Eusebs richtig ist -, Origenes in der Jugend eine Handlung
begangen hätte, die er später verurteilen sollte. Nur wer nichts von der
Zwiespältigkeit der menschlichen Seele weiss, und auch einem grossen
Geist kein inneres Wachstum zugestehen könnte, müsste hier Konsequenz
um jeden Preis fordern. Es spricht doch eher für die Grösse des Origenes,
dass er eine offenbar in jugendlicher Radikalität begangene Handlung
nicht bedingungslos zu rechtfertigen versuchte, sondern die Freiheit be-
sass, implizit einen Fehler zuzugestehen. Allerdings müssen wir berück-
sichtigen, dass in diesen Fragen zwischen antikem und modernem Lebens-
gefühl eine tiefe Kluft besteht. Wir müssen vermuten, dass die damalige
öffentliche Meinung, was die heidnische Umwelt und die christliche Ge-
meinde selber anbetrifft, zum Phänomen der Selbstentmannung eine ganz
andere Stellung einnahm als heute. Was wir in das Gebiet der Pathologie
verweisen müssten, wurde damals wohl als noch knapp innerhalb der
Grenzen des Möglichen verstanden.
Doch kehren wir nun zu unserem Logion zurück. Der kurze Exkurs in
die altchristliche Exegese hat das vor uns liegende Problem klar heraus-
gestellt. Ist es möglich, zwischen den einzelnen Eunuchengruppen zu dif-
ferenzieren, indem man die ersten bei den im wörtlichen, die letzte aber
im übertragenen Sinn versteht? Oder ist die Konsequenz unausweichlich,
dass auch bei der dritten Gruppe von Eunuchen im körperlichen Sinn ge-
redet werden muss? 92
Setzen wir einmal voraus, dass unser Logion gute historische Überliefe-
rung bietet, es also von Jesus in seiner historischen Situation gesprochen

90 Hist. Ecd. VI, 8, 1. 2.


91 tom XV, 1-5; für ein geistliches Verständnis von Mt 19, 12c spricht er sich
auch aus in ep. apo Rom. 1, H, 13.
92 So E. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums I, 1921, 215: «gerade-
zu Empfehlung der Selbstverstümmelung», ähnlich S.241 und H, 1921, 399.
Differenzierter urteilt K. L. Schmidt, ThWb I, 590. Er denkt, dass J esus zu be-
denken gebe, es seien tatsächlich in seinem Jüngerkreis solche Handlungen vor-
gekommen. Diese seien nicht als sittliche Anweisung zu verstehen, sondern als
ein uns widerfahrendes Schrecknis über die Gewalt der Reichgottesbotschaft.

106
worden ist. Dann dürfte es klar sein, dass J esus bei den ersten beiden
Gruppen an die rabbinische Einteilung der Eunuchen anknüpft. Diese bei-
den Eunuchengruppen umfassen wirkliche Entmannte. Jesus ergänzt das
vorliegende Schema durch eine weitere Gruppe. So entsteht eine Steige-
rung. D3 Die formal monotone Aneinanderreihung mittels den Worten ?!.aL
ELaLv EUVOÜlCOt bewirkt eine Spannung im Hörer, die sich auf die Aussage
des letzten Gliedes konzentriert. Schlimm ist, nach Jesu Meinung die an-
geborene Eunuchie, noch schlimmer die einem Menschen durch fremden
Eingriff zugefügte, am Schlimmsten aber ist die Selbstverstümmelung! So
muss es im ersten Moment der Hörer auffassen.
Das Paradoxe liegt nun aber gerade darin, dass Jesus diesen letzten
Fall der Eunuchie, der scheinbar der schlimmste ist, gutheisst. 94 Wohl
sagt er nicht ausdrücklich, dass das dritte das Richtige ist. Aber der Zu-
satz: um des Himmelreiches willen 95 zeigt, dass Jesus hier nicht negativ,
sondern positiv wertet! Sein Ruf ist ja ein Ruf zum Reich. «Trachtet am
ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit!» heisst es in der
Bergpredigt (Mt 6,33). Das Reich Gottes ist in vielen Gleichnissen Jesu
das beherrschende Moment. Um des Reiches willen verkauft der Kauf-
mann alles, was er hat, und bemächtigt sich der einen Perle (Mt 13, 45).
Oder das Himmelreich ist gleich einem verborgenen Schatz im Acker;
auch hier verkauft derjenige, der ihn fand, alles, was er hat, um den
Acker zu erwerben (Mt 13, 44). Beidemale liegt der Ton darauf, dass alles
andere daran gegeben wird, um das eine Wichtige zu gewinnen. Die
einmalige Gelegenheit soll nicht verpasst werden! Dabei handelt es sich
aber nicht um ein resigniertes Verzichten, es ist kein Opfer 96, sondern
die Freude über den neuen Fund ist so gross, dass alle anderen Dinge
ihren Wert einbüssen und nebensächlich werden. Wenn Jesus hier sagt·
«Es gibt Eunuchen, die sich selbst zu Eunuchen gemacht haben um des
Himmelreiches willen», dann meint er sicher etwas ähnliches. Er will
sagen, dass es Menschen gibt, bei denen die Freude über das Reich Gottes
und das überwältigtsein von der Botschaft so gross waren, dass sie gar
nicht mehr heiraten konnten, dass sie darum zur Ehe nicht taugen, weil
das Himmelreich sie vollständig absorbiert und ihr Denken, Dichten und
Trachten restlos erfüllt.

93 Blinzler, ZNW 48, 1957, S.259.


94 Blinzier, ibid.
95 Matth. braucht mit Vorliebe den Ausdruck «Himmelreich». Er entspricht
sachlich genau dem Begriff «Reich Gottes» bei den anderen Synoptikern.
96 Vgl. E. Linnemann, Gleichnisse Jesu, 1961, S. 105 f.

107
Der Zusatz «um des Himmelreiches willen» scheint mir das stärkste
Argument dafür zu sein, dass es sich bei der dritten Gruppe nicht um
Eunuchen im wörtlichen Sinne handelt. Die wörtliche Erklärung von
V. 12 c ist darum schon unwahrscheinlich, weil ja das Judentum jegliche
Kastration verpönte. Auch erfahren wir kein Wort darüber, dass zu dem
Jüngerkreis Jesu auch Eunuchen im wörtlichen Sinn gehört hätten. 97
Anderseits hat Jesus aber in anderem Zusammenhang ähnliche Forde-
rungen erhoben, die auch im Sinn einer Selbstverstümmelung verstanden
werden könnten, aber sicher nicht so gemeint sind. Er redet davon, man
solle sich die Hand, die einen ärgert abhauen (Mk 9, 43; Mt 5, 30: die
rechte Hand!), oder den Fuss (Mk 9, 45); oder er fordert dazu auf, das
Auge auszureissen und fortzuwerfen (Mk 9,47; Mt 5,29: das rechte
Auge!). Matthäus hat diese Forderungen bei der Antithese vom Ehebruch
eingeordnet.98 Dort wird aber ja gerade deutlich, dass es sich nicht um
den Ehebruch handelt, der faktisch vollzogen wird, sondern um jenen
Ehebruch, der im Herzen geschieht. Beim Himmelreich handelt es sich
nie nur um eine äusserliche Grösse, sondern das Eigentliche geschieht im
Menschenherz. Darum ist auch das Abhauen der Hand nicht wörtlich zu
nehmen. Was nützt es, die Hand, die stiehlt, abzuschlagen. Man kann
auch mit dem Armstumpf noch stehlen. Bezeichnenderweise redet
Matthäus von der rechten Hand und vom rechten Auge. Ist etwa das
linke Auge weniger gefährdet? Doch kaum! Es zeigt sich hier deutlich,
dass es nicht um die äusseren Gliedrnassen geht, sondern um die Ein-
stellung des ganzen Menschen.

c) Der historische Ort des Eunuchenspruches

Wenn also der Ausspruch Jesu nicht wörtlich zu nehmen ist, was will
er dann besagen? Für das richtige Verständnis ist es wichtig sich zu über-
legen, in welcher Situation Jesus ein solches Wort gesagt haben könnte.
J. Blinzler hat in seinem Artikel ELO'LV IlUVOUXOL 99 einen guten Vorschlag
gemacht, den wir im folgenden vorbehaltlos übernehmen können.
Wir wissen, dass im Judentum z. Z. Jesu, wie überhaupt auch in der
heidnischen Umgebung, den Eunuchen mit Verachtung und Spott begeg-

97 Dies muss gegen die Deutung von K. L. Schmidt (vgl. S. 106, A.92) einge-
wendet werden.
98 V gl. dazu unten S. 112 H.
99 ZNW 48, 1957, S.254-270.

108
net wurde. Die antiken Schriftsteller reden eine deutliche Sprache. loo Sie
schildern die Eunuchen als Männer, die rasch verblühen und zu abgeleb-
ten Greisen degenerieren. Die Beschreibung ihres Aussehens soll Ekel
erwecken: sie sind dick beleibt lOt, von wieselfarbigem Angesicht, bartlos,
mit hässlichen Runzeln versehen. Ihr Charakter äussert sich in abstossen-
den Zügen: unkriegerisch und weibisch, sind sie dennoch grausam und
rachsüchtig veranlagt, weil sie das ihnen durch die Verstümmelung zuge-
fügte Unrecht heimzahlen wollen. Auch bei den Rabbinen finden wir
Erwähnungen des Eunuchen in verächtlichem Sinn. 102
Sehr wahrscheinlich nimmt J esus in seinem Eunuchenspruch eine
Schmähung auf, die man gegen ihn und seine Jünger ausgesprochen hat.
Vielleicht warf man ihm und seinen Jüngern, die ehelos lebten, vor, sie
seien Eunuchen. Jesus sollte mit seinen Jüngern nicht nur lächerlich ge-
macht, sondern direkt diskreditiert werden. Man wird unwillkürlich an
Mt 11, 19 erinnert, wo Jesus von seinen Gegnern mit «Fresser und Wein-
säufen> tituliert wird. Jesus aber lässt sich durch den unfreundlichen
Vorwurf nicht irritieren. Er antwortet, indem er die Feinde mit ihren
eigenen Waffen schlägt. Ja, sagt er, wir sind «Eunuchen um des Him-
melreiches willen». Es ist deutlich festzuhalten, dass Jesus mit seinem
Wort nicht einfach seine eigene Ehelosigkeit oder diejenige der Jünger
verteidigt. Indem Jesus anknüpft an die rabbinische Einteilung, zählt er
bewusst nur Fälle der körperlichen Eunuchie auf. Alle anderen Gründe,
die vielleicht auch einen Eheschluss unmöglich machen, z. B. wirt-
schaftliche oder soziologische Gründe, werden absichtlich übergangen.
Jesus redet nicht von Ehelosigkeit oder Eheverzicht, sondern von Ehe-
untauglichkeit. 103 Er sagt seinen Gegnern, dass er und seine Jünger so von
der Realität des Himmelreiches gepackt werden, dass sie zur Ehe «un-
tauglich» seien.
Wenn wir diese Situation voraussetzen dürfen, dann ist unser Logion
ursprünglich nicht an die Jünger gerichtet, sondern an die Gegner Jesu.
Es stellt eine Selbstrechtfertigung Jesu dar, wobei das Ungewöhnliche

100 Vgl. Art. Eunuchen, Pauly Wissowa Real-Encycl. d. klass. Alt. Wiss.,
Suppl. IH, Sp. 449-455, wo die Belege notiert sind.
101 Vgl. F. Vigouroux, Dict. de la Bible H, Sp.2044, Fig.622.
102 Billerbeck IV, 2, siehe im Register unter: Eunuchen.
103 Dies hat Blinzler sehr schön herausgearbeitet. Darum ist es verkehrt, wenn
man zur Erklärung unserer Stelle den Ausspruch aus T. Jebamoth 8, 4: «Meine
Seele hängt an der Thora (da bleibt für die Ehe keine Zeit): mag die Welt durch
andere erhalten werden!» heranzieht! Dort Ehelosigkeit - hier Eheuntauglich-
keit!

109
der Aussage festgehalten ist durch den Zusatz: Nicht alle fassen dies
Wort, sondern nur die, denen es gegeben ist. Blinzler vermutet, dass
V. 11 ursprünglich auf V. 12 gefolgt sei. In der Tat lässt sich nur so ein
sinnvoller Bezug für J(ülQoiiow 'tov Myov finden. Es muss doch etwas
ganz Aussergewöhnliches gemeint sein, das Aufsehen erregt. Dies kann
aber nur der Eunuchenspruch selbst sein.
Somit wird uns die Kompositionstechnik des Matthäus durchsichtig. 104
Er fand wahrscheinlich den Eunuchenspruch (V. 12 a-c) bereits verbun-
den vor mit V. 11, wobei V. 11 hinter V. 12 a-c angeordnet war. Er ge-
staltet nun aus diesem Material ein jüngergespräch, welches er mit V. 10
an das vorangegangene Streitgespräch anschliesst. V. 11 setzt er vor
V. 12 a-c, muss aber als Abschluss nun V. 12 d anfügen, eine paräne-
tische Umformung von V. 1 P05
Es ist klar, dass Matthäus hier nicht nur formal ändert, sondern dass
die neue Anordnung auch inhaltlich Konsequenzen mit sich bringt. Wir
müssen nun versuchen, die Perikope Mt 19, 1-12 in ihrer Gesamtheit zu
sehen und zu interpretieren.

4. KOMPOSITION UND REDAKTION VON MT 19, 1-12

Matthäus komponiert sein Evangelium in grossen Abschnitten, die sach-


liche Gesichtspunkte aufweisen. In 19, 1 stehen wir an einer Fuge, die
durch die Formel: «und es geschah, als jesus diese Worte beendet
hatte ... » gekennzeichnet ist. Gleiche oder ähnliche Formulierungen fin-
den sich in 7,29; 11,1; 13,53 und 26, 1. Jedesmal schliessen sie eine der
grossen matthäischen Reden oder Instruktionen ab. So ist es auch hier bei
unserem Vers. Das 18. Kapitel brachte «eine Art Gemeinderegeh>.llHl Diese
ist nun beendet; es folgen - analog der Markuskomposition - Weisun-
gen über Ehe, Kinder und Besitz. Man geht nicht fehl, wenn man auch
hier das didaktisch-paränetische Moment stark ausgeprägt siehU07
Die Ortsangabe in V.l ist gegenüber Markus geglättet. Jesus nähert
sich im Rahmen des ganzen Evangeliums nun Jerusalem. Er befindet sich,
offenbar weil er die Reiseroute nicht durch Samarien nehmen will, «jen-

104 Vgl. Blinzler, a. a. 0., S. 264 H.


105 Vgl. Blinzler, a. a. 0.; Blinzier bricht leider hier die Untersuchung ab, ohne
die Frage nach dem Sinn der matthäischen Umformung zu stellen.
106 J. Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus, 1950, S.197.
107 Vgl. W. Vischer, Die evangel. Gemeindeordnung Mt 16,13-20, 28, 1946.

110
seits des Jordans», also wohl in Peräa. 108 Der folgende V.2 bringt den
stereotypen Zug des heilenden Jesus l09 , im Gegensatz zu Markus, wo
Jesus «die Volksmassen lehrt». Matthäus übernimmt also von Markus
den Sammelbericht mit Ortsangabe als Einleitung zum Streitgespräch
über die Ehescheidung, gestaltet aber selbständig und stellt die ein-
zelnen Elemente in den Dienst seines Gesamtwerkes.
Matthäus greift auch im Streitgespräch stark in den überlieferten Stoff
ein; zugleich reiht er eigenes Material an das Vorhandene an. Rekapitu-
lieren wir kurz das Wichtigste: Das Streitgespräch läuft bei ihm zu zwei
Höhepunkten hin: Die Gegner stellen zuerst die Frage V. 3, ob die Ehe-
scheidung erlaubt sei im Sinn der allgemeinen Praxis, wo aus beliebiger
Ursache geschieden wird. Mit der Antwort Jesu (V.6) ist ein erster
Höhepunkt erreicht. Unter Berufung auf den Anfang der Schöpfung lehnt
Jesus eine Ehescheidung ab; denn Mann und Frau sind von Gott zusam-
mengefügt. Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht
scheiden.
Dieser letzte Satz scheint bei Matthäus nicht mehr als eine dem Men-
schen schlechthin entgegentretende Forderung verstanden worden zu sein.
Sondern es handelt sich um eine Antwort auf eine ganz bestimmte Frage.
Es ist also Lehre. Wenn man schon erwägt, ob aus beliebiger Ursache ge-
schieden werden darf, dann muss man sagen, dass Gott durch seinen
Schöpferwillen deutlich verkündet hat, der Mensch solle die Ehe nicht
scheiden. Insofern, dass hier auf ganz bestimmte Fragen aus der Situation
der Gemeinde heraus geantwortet wird, kann man von einem über-
wiegen des lehrhaften Elementes über das kerygmatische reden.
Ein zweiter Höhepunkt im Gespräch ergibt sich aus der Frage nach
dem Grund der mosaischen Verordnung (V. 7). Wenn doch nicht geschie-
den werden soll, warum hat dann Mose so bestimmt? Wieder wird mit
dem «Anfang der Schöpfung» argumentiert. Mose hat eine Erlaubnis nur
durch den Zwang der Verhältnisse gegeben (V. 8). Angeschlossen wird
V.9 mit «Ich aber sage euch!» Dies erinnert sofort an die Antithese der
Bergpredigt, wo ja auch dem zu den Alten gesagten Gesetz das neue
«Gesetz» entgegengestellt wird. Jesus gibt, analog der mosaischen Thora,
eine Weisung, die auf das Herz des Menschen zielt. So ist V. 9 eigentlich
nur die Erklärung dessen, wie die Sache vor Gott aussieht. Die Unzuchts-
klausel rüttelt scheinbar an der grundsätzlichen Stellungnahme Jesu. Sie
ist aber nur aus der Situation der matthäischen Gemeinde zu verstehen.

108 Vgl. S. 75 f., wo die Ortsangabe Mt 19,1 f. besprochen ist.


109 Vgl. auch Mt 12, 15.

111
Diesen beiden Fragestellungen schliesst sich nun als dritte jene der
Jünger an. Während noch in der Anordnung des Markus Jüngerbeleh-
rung und Streitgespräch einander die Waage hielten, ist bei Matthäus
die Gewichtsverteilung gestört. Er ordnet die Frage der Jünger den bei-
den Fragen der Pharisäer parallel. Darum wird die Jüngerbelehrung ein-
geebnet. Das zeigt sich daran, dass die Jüngerfrage (V. 10) auf das vor-
hergehende Streitgespräch einen direkten Bezug hat. Bei Markus war das
anders: die Anknüpfung war allgemein gehalten. Hier aber spielen die
Jünger bewusst auf V.9 an. Auch der Ausdruck «dieses Wort» in V. 11
muss im heutigen Zusammenhang V.9 meinen.
Dann aber will Matthäus offenbar mit seiner Anordnung sagen: Die
Feststellung in V. 9, dass eine Ehe nicht geschieden werden kann, ist uner-
hört. Die Jünger in V.I0 empören und entsetzen sich zu Recht. Jesus
selbst bestätigt ihnen in V. 11, dass hier tatsächlich ein ärgernisbereiten-
der, scheinbar unfasslicher Tatbestand vorliegt. Damit bekommt aber der
ganze V. 12 den Charakter einer Mahnung, auf die Ehe zu verzichten im
Sinn des Schlusses (V. 12 d): Wer es fassen kann, der fasse es. In der Tat
liegen hier die Ansätze zu jener Auslegung, die in der alten Kirche eine
so grosse Rolle gespielt hatPO Es ist verständlich, dass man .lus der An-
ordnung des Matthäus eine Wertung herausgelesen hat. Nach der allge-
meinen Regel, dass das Wichtigste und Entscheidende bis zum Schluss
aufgespart werden soll, wird der Akzent unwillkürlich auf die Ehelosig-
keit verschoben. Hier wird die Komposition des Matthäus denen zum
Verhängnis, die nicht genau hinhören.

5. DIE ANTITHESEN VOM EHEBRUCH UND VON DER


EHESCHEIDUNG (Mt 5, 27-32)

V. 27: Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen.
V.28: Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, sie zu begehren,
hat schon Ehebruch getrieben mit ihr in seinem Herzen.
V.29: Wenn dich aber dein rechtes Auge ärgert, reis se es aus und wirf
es von dir. Denn es ist dir besser, dass eins deiner Glieder ver-
derbe und nicht dein ganzer Leib in die Hölle geworfen werde.
V.30: Und wenn deine rechte Hand dich ärgert, so haue sie ab und wirf
sie von dir; denn es ist dir besser, dass eins deiner Glieder ver-
derbe und nicht dein ganzer Leib in die Hölle gehe.
110 Vgl. den Exkurs: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der neu-
testamentlichen Umwelt und in der alten Kirche, S. 203 H.

112
V. 31: Es ist aber gesagt: Wer seine Frau entlässt, gebe ihr einen Scheide-
brief.
V.32: Ich aber sage euch: Jeder der seine Frau entlässt, ausser auf
Grund von Unzucht, macht, dass sie die Ehe bricht, und wer eine
Entlassene heiratet, bricht die Ehe.
V. 27: Der Zusatz 'tOLS uQXatoLS, welchen L, e u. a. lesen, ist sekundäre An-
gleichung an V.2I.
V.32: Zu den VarIanten vgl. S. 68.

Matthäus ordnet innerhalb der Bergpredigt den Stoff Kap. 5, 21-48 in


den sog. Antithesen an. Traditionell werden sechs Antithesen gezählt, je-
weils beginnend mit V. 21, 27, 31, 33, 38 und 43. Es ist aber fraglich, ob
diese Gliederung zutreffend ist. Dass sich unter diesen sechs Antithesen
drei ganz besonders hervorheben (nämlich: V. 21 ff., V. 27 ff. und
V. 33 ff.) ist schon immer bemerkt worden. 1l1 Es scheint, dass die Form
der Antithesen am festesten und ursprünglichsten an diesen drei Haupt-
sprüchen haftet.ll2 Vielleicht hat Matthäus diese bereits geprägt vorge-
funden und die anderen Sprüche angeglichen.
Markus bringt das Wort von der Ehescheidung (Kap. 10, 12) noch nicht
in antithetischer Form. Die Vermutung liegt nahe, dass Matthäus V. 31 f.
formal den obgenannten Antithesen angepasst hat. Mit V. 31 f. beginnt
insofern nicht etwas gänzlich Neues, als man V.27-32 als eine Ein-
heit verstehen kann. In V. 27 f. und in V. 31 f. wird vom Ehebruch ge-
redet. Die Verse 29 f. sind offenbar eingeschoben. Sie begegnen bei Mar-
kus in anderem Zusammenhang in Kap. 9, 43-48 (ebenso noch Mt 18, 8 f.).
Man muss aber zugeben, dass Matthäus nicht ungeschickt komponiert, in-
dem eine enge inhaltliche Beziehung zwischen beiden Spruchgruppen
besteht.118
Unzweifelhaft spielen die V. 27 f. auf den Dekalog an. «Du sollst nicht
ehebrechen» wurde zu den Alten gesagt. Mit diesem Gebot zusammen-
genommen wird hier das 10. GebotY' Schon darin zeigt sich die eigent-
liche Tendenz der ganzen Perikope.
Zuerst ist auf die jüdische Eherechtsprechung bezüglich des Ehebruchs
hinzuweisen. Das Logion knüpft an an die jüdische Strafrechtspraxis, die
hier vorausgesetzt wird.

111 Vgl. z. B. J. Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus, 1950, S. 57 f.


112 J. Schniewind, ibid.
113 Vgl. unten S. 117.
11' E. Lohmeyer / W. Schmauch, Das Evangelium des Matthäus, 1956, z. St.

113
Dass das Verbot des Ehebruchs bereits im Dekalog, d. h. im «Grund-
gesetz Gottes und seines Volkes» 115 erscheint, zeigt, wie Grosses in Israel
von der Ehe erwartet wird. Der Ehebruch wird gleich den Inzestvergehen
mit dem Tode des fehlbaren Paares bestraft und der Privatrache ent-
nommen. Aber die praktische Durchführung stiess auf Schwierigkeiten.
Man wollte zwar den Grundsatz der Todesstrafe beibehalten, aber ander-
seits den Gegebenheiten, die offenbar stärker waren als die Theorie,
Rechnung tragen. So versuchte man, den Ehebruch, welcher mit der
Todesstrafe gesühnt werden sollte 116, genau zu definieren, was gleich
bedeutend war mit einer tatsächlichen Erweichung der strengen Haltung.
Nach dem jüdischen Strafrecht zur Zeit Jesu musste der Tatbestand
des Ehebruchs konkret unter folgenden Merkmalen betrachtet werden 111:
1. Grundsätzlich konnte nur dort von Ehebruch gesprochen werden,
wo der geschlechtliche Verkehr mit einer fremden Ehefrau oder einer
Verlobten vollzogen wurde. Dies war eine Folge der rechtlich sanktionier-
ten polygamen Ehestruktur. Der Grundsatz lautete: Ehebruch gibt es
nur bei einer EhefrauY8
2. Strafbar ist der Ehebruch nur, wenn er mit der Ehefrau oder der
Verlobten eines Juden begangen wird. Hier liegt deutlich eine Erleich-
terung vor, um die drakonische Strafe nicht zu oft aussprechen zu müs-
sen. Dabei ist zu betonen, dass Straffreiheit noch nicht als Erlaubnis für
ein ungezügeltes Leben zu werten ist. Der geschlechtliche Umgang mit
einer Nichtisraelitin, also mit einer Heidin, galt als schimpflich und war
verpönt. Es ist ein Ausspruch des R. Chijja b. Abuja überliefert, der sagte:
Wer einer Heidin beiwohnt, der ist wie einer, der sich mit einem Götzen
verschwägert, s. Mal 2, 11: «Hat der Tochter eines fremden Gottes beige-
wohnt.» Hat denn ein fremder Gott eine Tochter? Vielmehr ist der ge-
meint, der einer Heidin beiwohnt. 11V
3. Das Alter der beteiligten Personen spielte eine bedeutsame Rolle.
So bleiben Delinquenten, welche noch nicht 13 Jahre und ein Tag alt sind
(Mädchen: 12 Jahre und 1 Tag), von der Todesstrafe verschont. Straffrei
geht die Ehebrecherin aus, wenn die Tat mit einem Minderjährigen ver-
übt wurde, der noch nicht das Alter von 9 Jahren und 1 Tag erreicht hat,

115 E. Lohmeyer / W. Schmauch, a. a. 0., z. St. Ex 20,14.


116 Zur Art der Todesstrafe vgl. bei Joh 8, 5, S. 128 H.
117 Vgl. Billerbeck I, S.297.
118 S Lev 20,10 (368a); war die Frau eine Sklavin, dann war die Strafe ein
Schuldopfer (Lev 19, 20-22).
119 Sanh 82a; vgl. Billerbeck I, S.298.

114
oder wenn sie mit einem solchen verheiratet oder verlobt ist. Auch für die
Frauen, die auf eine Leviratsehe warten, gelten Sonderbestimmungen.
4. Die wichtigste Erleichterung jedoch dürfte darin bestehen, dass die
Tat straffrei bleibt, wenn sie in Abwesenheit von Zeugen und ohne vor-
ausgegangene Warnung geschieht.
Es ergibt sich aus diesen Bestimmungen zweierlei. Einmal, dass der
Tatbestand des Ehebruchs nur unter ganz bestimmten formalrechtlichen
Kriterien als erfüllt galt. Und zweitens, dass als Folge der gesetzlich an-
erkamiten Polygamie der Tatbestand des Ehebruchs für Mann und Frau
je einen ganz verschiedenen Aspekt aufwies. uo
Es zeigt sich aber, dass über die formalrechtliche Betrachtungsweise
des Ehebruchs hinaus in den späteren haggadischen Teilen von Talmud
und Midrasch sich ein vertieftes sittliches Verständnis des Ehebruchs
anbahnt. l2l Wir zitieren einige Belegstellen, die formell und inhaltlich
mit Mt 5, 28 in Beziehung zu bringen sind. So wird z. B. ein Ausspruch
des Resch Lagisch (um 250) überliefert, der folgendermassen lautet:
Du sollst nicht sagen, dass nur der, welcher mit dem Leibe die Ehe
bricht, ein Ehebrecher genannt wird; auch der, welcher mit seinen Augen
die Ehe bricht, wird ein Ehebrecher genannt. 122 Dieser Ausspruch steht
nicht vereinzelt da.123 Gewöhnlich fallen diese Ausserungen im Zusam-
menhang mit Hioh 24,15: «Der Ehebrecher lauert auf die Dämmerung!»
Aus dem Begriff des Lauerns wird die Beteiligung des Auges abgeleitet.
Aus Nu 15,39: « ... dass ihr nicht den Gelüsten eures Herzens und eurer
Augen nachgeht, die euch zum Treuebruch verleiten» wird ebenfalls ge-
folgert, dass das Nachblieken schon Ehebruch bedeuten kann. So kann
gesagt werden: Wer eine Frau mit Absicht anblickt, gilt wie einer, der
ihr beiwohnt.1" Hier ist also gesagt, dass der begehrliche Blick identisch
ist mit der Tat.
Aber nicht nur in Bezug auf den Mann ist dieses Verhalten gezeichnet,
sondern auch die Frau kann durch ihre Begehrlichkeit die Ehe brechen.
Instruktiv ist ein Passus, der folgendermassen lautet: Unsere Lehrer ha-
ben gesagt: Wenn eine Frau mit ihrem Ehemann allein ist und er wohnt

120 Diese Verschiedenheit kommt auch darin zum Ausdruck, dass bei Ehe-
bruchsverdacht die Einrichtung des Eifer- oder Rügeopfers bestand (Nu 5, 11-31).
Nur die Frau, nicht aber der Mann konnte diesem Verfahren unterzogen werden.
121 Vgl. dazu Billerbeck I, S. 299 ff.
122 Lev R 23 (122b).
123 Ganz ähnlich z. B. auch Pesiq R 24 (I24b).
124 Traktat Kalla 1.

115
ihr bei, und sie richtet ihr Auge auf einen andern während des Beiwoh-
nens, so gibt es für sie keinen Ehebruch, der grösser wäre als dieser,
s. Ez 16,32: «das Weib, das unter ihrem Mann Ehebruch begeht» (so der
Midr). Gibt es denn ein Weib, das unter ihrem Ehemann Ehebruch be-
geht? Allein damit ist diejenige gemeint, die einem Mann begegnet war
und ihr Auge auf ihn gerichtet hatte und dann, während sie mit ihrem
Mann den Beischlaf vollzieht, auf jenen ihr Herz hinlenkt. 125 Was aus
Mt 5, 28 allenfalls erschlossen werden könnte, dass auch der begehrliche
Blick der Frau einen Ehebruch darstellt, ist hier expressis verbis dar-
gelegt.
Was ist also das Neue, welches unser Wort bringt? Wir sahen, dass
der begehrliche Blick als solcher schon in der zeitgenössisch jüdischen
Ehelehre und Eheweisheit seinen angestammten Sitz hat.128 Dies ist nicht
verwunderlich, da ja dem Gebot «Du sollst nicht ehebrechen» im Deka-
log selbst schon das «Lass dich nicht gelüsten» folgt. Und auch die oben
zitierten alttestamentlichen Stellen sind sicher nicht übersehen worden.
Also kann der Sinn dieser Worte nicht in einer «Verinnerlichung» des
äusseren Geschehens liegen, in dem Sinn, dass Jesus hier von einer Tat-
zu einer Gesinnungsethik fortschreitet. Was ist nun aber das besondere
Anliegen dieser Antithese?
Vergegenwärtigen wir uns nochmals kurz den Inhalt. Ausgangspunkt
ist das 7. Gebot, welches den Ehebruch behandelt. Dieses wird kombiniert
mit dem 10. Gebot. Darauf weist der Begriff des Begehrens hin. Da auf
dem Delikt des Ehebruchs die Todesstrafe stand, geht es um eine Frage
auf Leben und Tod.
Jesus redet gffenbar im Gegensatz zum Ehebruch an sich vom Ehe-
bruch im Herzen. Damit meint er nicht den Ehebruch als Ausdruck inne-
rer Unreinheit. Der Blick ist nicht an sich schon böse. Das Ansehen einer
schönen Frau kann durchaus auch in den Lobpreis des Schöpfers einmün-
den. 127 Aber daneben gibt es den Blick, der zum Begehren führU 28 Dieser
Blick entspricht einer Tat: etwa dem Raka-Sagen oder Du-Tor-Sagen
zu seinem Bruder (V. 22). Dass hier das Gut und die Sphäre des Nächsten

125 Tanch B NllJ~ § 13 (16 a), zit. n. Billerbeck I, S.301 vgl. auch Tanch NllJ~
196a; Nu R 9 (155 C).
126 V gl. E. Lohmeyer I W. Schmauch, a. a. 0., S. 127; K. Bornhäuser, Die Berg-
predigt, 1923.
127 Vgl. unten bei 1. Petr 3,1 ff., S.251.
128 Wir verstehen :1t!~0r; '&0 Em{}UI11j<HlL a'Ö'&T]v als Ausdruck der Folge, vgl. E.
Lohmeyer / W. Schmauch, a. a. 0., z. St.

116
verletzt wird, das ist das Entscheidende. Darum wird es sich bei der Frau
auch sicher um die Ehefrau des Nächsten handeln. 129
Und nun sagt Jesus: dieser Blick als Handlung ist Ehebruch. Wichtig
ist, dass dieser Blick nicht durch Drittpersonen und Zeugen festgestellt
werden kann. Der Tatbestand, der den Ehebruch erfüllt, entzieht sich der
Protokollierung. Das ist gemeint, wenn es heisst: es geschieht im Herzen.
Das Gebot zielt also nicht nur auf äussere Erfüllung, sondern es zielt auf
das Herz. Gott meinte den ganzen Menschen, als er die Gebote gab. Nicht
nur eine Äusserlichkeit im Zusammenleben! In diesem Sinn liegt aller-
dings ein vertieftes «verinnerlichtes» Verständnis des Gesetzes vor. Aber
gerade nicht in moralischem Sinn!
Im Gegensatz zur Antithese vom Töten, ist hier die Strafe für den
«Ehebruch des Herzens» nicht ausdrücklich genannt. Wir gehen jedoch
sicher nicht fehl, wenn wir glauben, dass der Einschub V. 29-30 diese
Funktion übernimmt. Diese Sprüche über die Verführung durch das
Auge und durch die Hand sind, wie schon gesagt wurde, von Matthäus
nicht ungeschickt eingefügt. Gegenüber Mt 18, 8-9 liegt eine Umstellung
vor; zuerst ist in Mt 5, 29-30 vom Auge geredet, nachher erst von der
Hand. Offenbar eignet sich das Auge besonders gut zur Illustration der
Sünde der Begehrlichkeit. Das Auge steht in besonderer Beziehung zur
geschlechtlichen Sünde. Es verlockt den Menschen zur Fleischlust. Darum
ist es ratsam, keine Frau anzusehen. 130 Bekannt ist auch der Ausspruch:
oculi sunt in amore duces. 131 Bei der Hand ist der Bezug auf die Ge-
schlechtlichkeit weniger deutlich. Man könnte vielleicht auf Dt 25, 11 f.
hinweisen. 132 Es wird ein Ausspruch von R. Eliezer (um 90) überliefert,
der so lautet: «Was heisst: «Eure Hände sind voll Blut» Jes 1, 15? Das
sind diejenigen, die mit der Hand Ehebruch treiben!»133 Und weiter
heisst es interpretierend an der gleichen Stelle: «R. Tarphon (um 100)
sagte: ,Wer seine Hand an das Schamglied legt, dessen Hand soll auf dem
Bauchnabel abgehauen werden.'» Offenbar sind damit unzüchtige Hand-
griffe gemeint. Schwierigkeiten bereitete in diesem Ausspruch des

129 Gegen Tolstoi, der hier jede beliebige Frau, auch die eigene Ehefrau, an-
visiert sah. Das Wort yu'Vf] kann drei verschiedene Bedeutungen haben: 1. Jede
Frau (Mt 9, 20; 13,33; 27,55); 2. die Ehefrau (5,28,31; 14,3; 18,25 u. a.); 3. die
Verlobte (Mt. 1,20.24). Vgl. P. Bonnard, L'evangile selon Saint Matthieu, 1963,
z. St.
130 Vgl. Hiob 13, 1.
131 Properz 11, 15, 12.
132 Vgl. K. Bornhäuser, a. a. 0., S. 75 ff.
133 Gemara 13 b, Billerbeck I, S. 302 f.

117
R. Tarphon die Bedeutung des Abhauens der Hand auf dem Bauchnabel.
Man diskutierte, ob hier das Abhauen der Hand wirklich als gerichtliche
Strafe zu verstehen sei oder nur als Verwünschung. Im ersteren Fall wäre
damit auch ein Aufspalten des Bauches verbunden, was nicht gut denkbar
ist. Darum wurde dann der Ausspruch R. Tarphons folgendermassen aus-
gelegt: «Vielmehr hat es R. Tarphon so gemeint: ,Wer seine Hand unter-
halb vom Bauchnabel anlegt, dessen Hand soll abgehauen werden. Da
sagte man zu R. Tarphon: Wenn ihm nun ein Dorn in seinem Bauche (un-
terhalb des Nabels) sitzt, soll er ihn nicht beseitigen? Er antwortete ihnen:
Nein! Aber, entgegnete man, wird dann nicht sein Bauch aufplatzen? Er
sprach zu ihnen: Es ist besser, dass sein Bauch aufplatzt, als dass er in
die Grube des Verderbens hinabfährb>
Es ist heute nicht mehr festzustellen, ob wegen eines sittlichen Ver-
gehens die Strafe des Handabhackens tatsächlich vollzogen worden isU 34
Die ganze Erörterung hat aber mehr theoretischen Charakter, sodass das
Reden vom Abhacken der Hand sicher den Sinn einer Verwünschung be-
sitzt. Dazu passt auch die Bestimmung aus Baba Kama VIII, 7: «Wenn je-
mand sagt: Blende mir das Auge, haue mir die Hand ab, brich mir den
Fuss, so ist der, der es tut, schuldig, d. h. straffällig.» Dies darum, weil
eine solche Redensart eben unmöglich wörtlich gemeint sein kann. Der
ausdrückliche Hinweis auf das rechte Auge und auf die rechte Hand geht
in gleicher Richtung. Wenn auch der Jude vorwiegend Rechtshänder ist
und damit die rechte Hand als die Greifhand die wichtigere ist 135, so ist
doch bei wörtlichem Verständnis nicht einzusehen, warum zwischen
rechts und links unterschieden wird. Kann man im oben angegebenen,
tatsächlichen Sinn mit der linken Hand (resp. mit dem linken Auge),
nicht ebensogut sündigen, wie mit der rechten Hand (resp. mit dem
rechten Auge)? 136
Wenn wir auch den Spruch über das Ausreissen des Auges und das
Abhauen der Hand nicht wörtlich verstehen können, so ändert dies
nichts daran, dass J esus mit diesem Wort den ganzen Ernst der Situa-
tion aufzeigen will. In diesem Sinn muss schon die schärfere Formulie-
rung des Spruches verstanden werden; J esus redet ja davon, dass der be-
treffende Mensch sich selber das Auge ausreissen und sich selber die

134 Vgl. dazu K. Bornhäuser, a. a. 0., S.77. Das dort erwähnte Beispiel aus
Pes 57 a, wo der Hasmonäer Alexander Jannai einem Spötter die rechte Hand
abschlagen lässt, gehört in das Kapitel der Tyrannenwillkür und hat mit nor-
maler gesetzlicher Strafe nichts zu tun.
135 K. Bornhäuser, a. a. 0., S. 77.
136 V gl. oben S. 108.

118
Hand abhacken soll. Obschon der Spruch vom Auge und von der Hand
besonders für die geschlechtliche Sphäre passt, greift er doch über diese
hinaus. Er will die Radikalität der Forderung Jesu unterstreichen. Darum
darf man ihn auch nicht einfach in Moral ummünzen. Wir befinden uns
hier in einer grossen sachlichen Nähe zum Eunuchenspruch und allem
dort Gesagten. 137 Es geht - wir wiederholen es nochmals - nicht nur um
gut oder böse im moralischen Sinn, sondern es geht um das Reich Gottes
oder das Leben auf der einen Seite, und um die Hölle oder das ewige
Verderben auf der andern Seite.

137 Vgl. S. 102 f.

119
c. Aus einem unbekannten Evangelium
(Joh. 7, 53 - 8, 11)

Die Erzählung «Jesus und die Ehebrecherin» übte schon immer auf alle
Leser eine eigenartige Anziehungskraft aus. Die Perikope überzeugte vom
Inhalt her; «hier fand man Geist vom Geiste Jesu». So urteilt U. Becker
in seiner Untersuchung zu unserem TexU Er schließt sich damit an frü-
here Urteile anderer Exegeten an. W. Heitmüller nannte unsere Ge-
schichte «eine verlorene Perle alter überlieferung» 2, und H. Strathmann
bezeichnete sie als «ein wahres Kabinettstück der Erzählungskunst» und
«als einzigartig in der Evangelienliteratuf».3 Auch der Ausspruch H. v.
Soden's, dass schöner, knapper, lichter und pointierter nicht die schönste
aller Markus-Perikopen gefasst sei als diese Erzählung 4 , zeigt uns, dass
wir hier wirklich einem kleinen Kunstwerk gegenüberstehen.

1. BEMERKUNGEN ZUR TEXTGESCHICHTE

Umso überraschender und unverständlicher ist die mangelhafte Bezeu-


gung der ganzen Perikope. Der textgeschichtliche Befund hat neuerdings
eine eingehende Würdigung in dem Werk von U. Becker erfahren. 5 Dar-
nach fehlt unser Abschnitt in den ältesten griechischen, syrischen, armeni-
schen, georgischen, koptischen und lateinischen Zeugen im Text des
4. Evangeliums. 6 In den Vetus-Latina-Handschriften und in der Vulgata
ist die Perikope da. Interessant ist der Befund bei Tatians Diatessaron.
Während im Osten, z. B. in dem armenisch überlieferten Diatessaron-
kommentar von Ephraem, die Geschichte fehlt, taucht sie im Westen, z. B.
im Codex Fuldensis des Vikars von Capua, auf. Dies lässt nun schliessen,
dass die Perikope im Westen schneller kanonische Anerkennung fand als
im Osten. Der Zeitpunkt der Beifügung und Kanonisierung lässt sich
nicht mehr genau bestimmen. Jedoch erwähnt Hieronymus um 415 grie-

1 Jesus und die Ehebrecherin, Untersuchungen zur Text- und Überlieferungs-


geschichte v. Joh 7, 53 - 8,11, ZNW, Beih.28, 1963, S.3.
2 Johannesevangelium, S. 789 (Zit. n. U. Becker, a. a. 0., S.3).
3 Das Evangelium nach Johannes, 1959, S.270.
4 Die Schriften des NT I, S. 523.
5 V gl. A. 1. Wir lehnen uns im Folgenden an seine Ausführungen und Er-
gebnisse an.
6 U. Becker, a. a. 0., S.25.

120
chische Codices, welche die Perikope enthalten. Also muss sie im 4. Jahr-
hundert bekannt gewesen sein, und zwar in den von Hieronymus gemein-
ten Codices. Leider sagt er nicht genau, welche es sind. Da alle früheren
Textzeugen und die Kirchenväter über die Perikope schweigen, muss sie
im 3. Jahrhundert aus ausserkanonischer Überlieferung ins Johannes-
evangelium aufgenommen worden sein 7, vermutlich in Alexandrien oder
Antiochien. 8
Nun zeigt es sich aber sofort, dass die Perikope nach Wortschatz und
Sprache nicht zum Johannesevangelium gehören kann. Wo wir jo-
hanneische Züge finden, sind diese das Ergebnis späterer Überarbeitung. 9
Es stellt sich deshalb die Frage, wieso unsere Perikope, die der synop-
tischen Überlieferung verwandt ist, ins Johannesevangelium aufgenom-
men wurde. Darüber kann man allerdings nur Vermutungen anstellen.
Am einleuchtendsten ist die Erklärung, dass die Ehebrecherinperikope zu-
nächst einfach an den Schluss der vier Evangelien gestellt worden sei;
später sei dann die Plazierung nach Joh 7 vorgenommen worden, viel-
leicht mit Rücksicht auf Joh 8, 15, wo Jesus sagt: «Ich fälle über nieman-
den ein Urteil».lO Auf alle Fälle ist aber die Einschaltung sehr situations-
kundig vorgenommen worden. Im Rahmen des Johannesevangeliums
spielt nun die Szene am Morgen des achten Laubhüttenfesttages, im
Frauenvorhof des Tempels. Man könnte darum annehmen, dass der
geographisch-zeitliche Rahmen für die Einordnung ausschlaggebend war.
Dass gerade das Johannesevangelium getroffen wurde, ist darin begrün-
det, dass dieses Evangelium nicht nur jeweils als letztplaziertes Evan-
gelium sich in unmittelbarer Nachbarschaft mit der angehängten Peri-
kope befand, sondern dass auch Joh 21,25 die sachliche Legitimation für
ein solches Vorgehen bot.

2. DER VORLIEGENDE TEXT

Die späte Aufnahme in das Ganze des Johannesevangeliums ist ein


Grund dafür, warum man davon absehen sollte, eine Urform der Peri-
kope herausarbeiten zu wollen. Wenn das ab und zu auch versucht wor-

7U. Becker, a. a. 0., S. S9.


BU. Becker, a. a. 0., S. 40, über den Grund der Zufügung resp. zögernden
Aufnahme vgl. unten S. ISS f.
9 U. Becker, a. a. 0., S. 68 H.
10 So W. Bauer, Das Johannesevangelium, 1925, S.llI f.

121
den ist 11, so sollte man sich über die Unmöglichkeit des Unterfangens
heute doch Rechenschaft geben. Denn schon vor der übernahme der
Perikope in das Johannesevangelium muss mit einer langen überliefe-
rungsgeschichte gerechnet werden.. 12 Die Tradierung unserer Perikope
entbehrte zudem den relativen Schutz, welche eine frühzeitige Kanoni-
sierung bot. Wir folgen darum am besten dem Text, welchen Nestle bietet,
wohl wissend, dass auch dieser den vorliegenden Umständen entsprechend
nur eine bedingte Zuverlässigkeit erreichU3

Joh7,53-8,1l

V.53: Und sie gingen jeder in sein Haus.


V. 1 : Jesus aber ging auf den tJlberg.
V. 2: In der Frühe begab er sich wieder zum Tempel und das ganze
Volk kam zu ihm und er setzte sich und lehrte sie.
V. 3: Es bringen aber die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau
zu ihm, die beim Ehebruch ergriffen war, und sie stellen sie in die
Mitte.
V. 4: Und sie sagen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat
beim Ehebruch ergriffen worden.
V. 5: Im Gesetz hat uns Mose geboten, solche zu steinigen, was sagst
nun du dazu?
V. 6: (Dies sagten sie aber, um ihn zu versuchen, damit sie ihn über-
führen könnten.) Jesus aber bückte sich nieder und schrieb mit
dem Finger auf die Erde.
V. 7: Als sie aber dabei beharrten, ihn weiter zu fragen, richtete er sich
auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, mag als
erster einen Stein auf sie werfen.
V. 8: Und wieder bückte er sich nieder und schrieb auf die Erde.
V. 9: Als sie das hörten, gingen sie einer nach dem andern davon, an-
gefangen bei den Ältesten, und er blieb allein zurück, und die
Frau stand in der Mitte.

11 Wir erinnern an den Versuch von H. v. Soden, Die Schriften des NT's in
ihrer ältesten erreichbaren Textgestalt, hergestellt auf Grund ihrer Textgeschichte,
1902-1910, Bd. I, 1, S.486-525.
12 U. Becker, a. a. 0., S. 42 f.
13 U. Becker, a. a. 0., S.73, hat seinerseits eine Textform hergestellt, die aber
nur ganz geringfügig von Nestle abweicht.

122
v. 10: Jesus aber richtete sich auf und sprach zu ihr: Frau, wo sind sie?
Hat dich keiner verurteilt?
V. 11: Sie aber sagte: Keiner, Herr! Jesus aber sagte: Auch ich verurteile
dich nicht! Gehe, von nun an sündige nicht mehr.

Zum Ganzen: Die Textüberlieferung ist vielgestaltig. W. Bauer, a. a. 0., S. 113,


vermutet «zwei erheblich auseinandergehende Rezensionen» und erklärt so die
vielen Textvarianten. Allerdings sind die Abweichungen sachlich unbedeutend.
Meist handelt es sich um Erweiterungen und Umformungen, welche die Situation
verdeutlichen oder erklären wollen. Z. B.:
V.4: indem ihn die Priester versuchten, damit sie eine Überführung gegen ihn
hätten. (D). Dafür lässt dann D in V.6 eine ähnliche Erwähnung aus. -
V.8: (er schrieb auf die Erde) die Sünden eines jeden von ihnen (U). -
V ..9: (als sie das hörten) und von dem Gewissen überführt wurden. (Koine). -
(angefangen vom Ältesten) bis zu den Letzten (S, U). - sodass alle hinaus-
gingen (D). -
V. 10: Und (Jesus) sah niemanden mehr ausser der Frau (Koine). -
Zu den einzelnen Versen:
V.53: Gehört dieser Vers noch in den alten Zusammenhang oder ist hier bereits
eine Überleitung angestrebt?
V. I: Der Olberg ist bekannt als der nächtliche Aufenthaltsort Jesu während dem
letzten Passah: Lk 21, 37; 22,39. Dieser Zug könnte also sekundäre Lokalisierung
sein, er muss es aber nicht.
V.2: Äao\; = Volk, ein typisch synoptischer Ausdruck: Johanneisch wäre: ö:x:ÄO\;.
V.3: OL ygaflfla'tEL\; %at OL cl>aguJa.LoL. Die beiden Gruppen werden sonst im Joh.
nie miteinander verbunden, dafür aber umso mehr bei den Synoptikern. Vgl.
Mt 5, 20; 12, 38; 15, 1; 23,2; Lk 6, 7; 11,53.
V.5: ÄL'frOßOÄEL'V ist ein typisch synoptisches Wort, vgl. Mk 12, 4; Mt 21, 35;
23,37; Lk 13,34; Apg 7, 58 f.; 14,5. In Dt 22,23.24 wird die Strafe der Steini-
gung nur für den Fall vorgesehen, dass eine verlobte Braut sich in der Stadt
vergeht, wo sie hätte schreien können. R. Eisler, ZNW 22, 1923, S.307, deutet
so. Aber die Todesstrafe droht allen Ehebrecherinnen: Lev 20, 10; Dt 22, 22. Und
im Gesetz ist als Todesstrafe nur die Steinigung möglich: Ez 16, 38-40. Dazu vgl.
unten S. 128 H.
V. 6: V. 6a gehört wohl ursprünglich nicht zur Geschichte, sondern ist eine spä-
tere Bemerkung. Ob JtELgU~OVLE\; den Sinn der Geschichte trifft, werden wir
später sehen.
V.7: uflag'tta, uflag'tu'VEL'V. Kann in drei Hauptbedeutungen gebraucht werden:
Sünde oder sündigen: 1. als Einzeltat; 2. als Wesensbestimmtheit des Menschen;
3. als persönliche Macht, vgl. ThWb I, S. 297. Hier ist offenbar die erste Bedeu-
tung gemeint. uflag'tta kann die religiösen und sittlichen Verfehlungen bezeich-
nen, Bauer, Sp. 84; hier handelt es sich um geschlechtliche Sünde.

123
3. STIL UND STRUKTUR DES VORLIEGENDEN TEXTES

Wir haben bereits erwähnt, dass die Ehebrecherinperikope sprachlich


zum synoptischen Kreis gehört. Das bestätigt sich auch hinsichtlich ihres
Stils. Gattungsgeschichtlich ist sie den synoptischen Streitgesprächen zu-
zurechnen.
Das eigentliche Streitgespräch beginnt Kap. 8, 3. Die Verse 7, 53 - 8, 2
sind überleitung und stammen aus dem alten, ursprünglichen Zusammen-
hang der Geschichte. Genau analog etwa dem Streitgespräch Mk 10, 1 ff.,
ist in V 2 b auch ein Sammelbericht verwendet. Die Einleitung 7, 53 -
8, 2 legt nahe zu vermuten, dass ursprünglich die ganze Perikope wohl in
den letzten Tagen Jesu in Jerusalem spielt. Jesus lehrt tagsüber im Tem-
pel (V. 2 a), nachts weilt er auf dem Olberg (V. 1). Wir haben bereits auf
die Nähe dieser Lokalisation zur synoptischen Passionsgeschichte hinge-
wiesen. Nun beginnt ein neuer Tag (V. 2 a) und an diesem ereignet sich
das Streitgespräch. (V.3-11). Im Unterschied aber etwa zu Mk 10, 2 ff.
ist dieses Gespräch «zweigipfelig». Ein erster Höhepunkt wird erreicht
mit dem Wort Jesu in V. 7: Wer von euch ohne Sünde ist, mag als erster
einen Stein auf sie werfen! Damit ist der Abschluss des Streitgesprächs
gegeben. Die Gegner verziehen sich ja einer nach dem andern. Die Tat-
sache, dass der Ausgang der Geschichte berichtet wird, ist noch nicht be-
merkenswert. 14 Allerdings muss auffallen, wie ausführlich weiter geschil-
dert wird, was Jesus mit der Ehebrecherin tut. Dass stärkste Veranschau-
lichung angestrebt wird, ist klar. Ebenso, dass nun das Jesuswort in
V. 11 demjenigen von V. 7 Konkurrenz macht. Es ist eine Akzentverschie-
bung festzustellen, die aus praktischen Bedürfnissen der Gemeinde ent-
standen sein dürfte. über ihre Bedeutung werden wir im Schlussabschnitt
noch etwas sagen müssen. 15 Zuerst soll uns nun das eigentliche Streit-
gespräch beschäftigen.

4. DAS EIGENTLICHE STREITGESPRÄCH (Joh.8,3-9)

Schriftgelehrte und Pharisäer sind die Gegner Jesu (V. 3). Offenbar
handelt es sich um Mitglieder des Synhedriums, die vielleicht in amtlicher
Mission unterwegs sind. Sie haben eine Ehebrecherin herbeigeschleppt.

14 R. BuHmann, Geschichte der syn. Tradition, 1957, S.67, bezeichnet diesen


ausführlichen Schluss als novellistisch und sekundär, dies ist nur bedingt richtig.
15 Vgl. S. 132 H.

124
Auffällig ist, dass der Mann, der ja ebenfalls von der gleichen Strafe be-
droht ist, fehlt. Spiegelt sich darin eine doppelte Moral, indem mit
zweierlei Mass gemessen wird? Dies muss nicht unbedingt so sein; der
fehlbare Mann kann auch in separatem Verfahren hingerichtet werden
oder worden sein. Wichtig ist ja in dieser Geschichte für die Frager die
Frau nur als Demonstrationsobjekt. Sie haben kein Mitgefühl mit ihr.
Ihre Absicht ist, Jesu Stellung zum Gesetz zu testen. Jesus bückt sich nie-
der und schreibt auf die Erde, d. h. wohl in den Sand. In V. 7 überführt
er dann die Zeugen, die auf ein Urteil pochen, ihrer eigenen Schuld:
Wer ohne Sünde ist ... Damit meint er die sexuelle Sünde. Vielleicht ist
hier daran zu denken, dass die Betreffenden auch schon selbst faktischen
Ehebruch begangen haben, oder dass auf sie Mt 5, 27 ff. zutriffUG Jesus
bückt sich nieder und schreibt auf die Erde. Sie gehen davon, einer nach
dem andern. 17 Die Ehebrecherin und J esus bleiben allein zurück in der
Mitte, d. h. in der Mitte des Schauplatzes. Und dann folgt das Zwie-
gespräch Jesu mit der Frau.
Aus dieser kurzen übersicht geht hervor, dass der äussere Ablauf des
Ereignisses wesentlich mitbestimmt ist durch das Verhalten Jesu. Das
zweimalige Bücken und auf die Erde Schreiben ist sehr auffällig. Es kann
nicht nur als novellistischer Zug gedeutet werden 18, sondern ist integrie-
render Bestandteil der Erzählung. Es stellt eine Handlung dar, die mit
dem Streitgespräch in direkter Beziehung stehen· muss. Wir finden ja
auch in anderen Streitgesprächen das gleiche Phänomen. In Mk 12, 15
gibt Jesus nicht sofort eine Antwort, sondern tut etwas, was scheinbar
vom Kern der Sache fortführt: er lässt sich einen Denar bringen. Oder
von R. J ose b. Chalaphta wird berichtet, er habe, als eine Matrone Got-
tes Gerechtigkeit anzweifelte, da er erwähle, wen er wolle, ihr ein Körb-
chen Feigen anbieten lassen. Die Matrone wählt die beste Feige aus und
gibt so selbst eine Antwort. 1u Die Beispiele liessen sich noch vermehren.
Was bedeutet also das Bücken Jesu und das Schreiben auf die Erde im
Zusammenhang unseres Streitgesprächs? Es sind auf diese Frage schon
verschiedene Antworten versucht worden:
1. Im Anschluss an eine Bemerkung des Hieronymus sah man in der
fraglichen Geste eine Anspielung auf Jer 17, 13: «Meine Abtrünnigen, sie

18 Vgl. als instruktives Beispiel die Geschichte von Susanna und den ungerech-
ten Richtern.
17 Der Zusatz in der Koine: «betroffen in ihrem eigenen Gewissen» ist sicher
schon spätere Interpretation des Geschehens.
18 R. BuHmann, a. a. 0., S. 67.
19 R. Bultmann, a. a. 0., S.45; Num R 3,2.

125
werden auf die Erde geschrieben werdenh>2O Jesus würde dann den An-
klägern indirekt sagen: Ihr seid die Abtrünnigen, die Gottlosen, nicht
diese Frau, geht in euch! 21 Aber was will Jesus damit bezwecken? Will er
den Anklägern wirklich eine öffentliche Demütigung ersparen 22, die ja
kurz darauf dann doch eintritt? Hier bleibt eine Unstimmigkeit bestehen.
2. Man hat auf eine Eigentümlichkeit der römischen Prozessordnung
hingewiesen. Darnach war es üblich, dass der Richter den Urteilsspruch
vor der Bekanntgabe niederschrieb, und zwar in tabella. Z8 Schwierig wird
bei dieser Erklärung die Tatsache, warum Jesus auf die Erde schreibt.
Man könnte erwidern, er besitze kein anderes Schreibmaterial. Aber
warum schreibt er dann das zweite Mal wieder auf die Erde, also nach
seinem Spruch?
3. Eine weitere Erklärung geht aus von der allgemeinen Tatsache, dass
diese Bewegung an sich ein Zögern, ein Zurückziehen bedeuten kann.
Entweder will Jesus Zeit gewinnen, um nachzudenken, oder er wendet
sich überhaupt von den Fragern ab. Es konnte ein Beispiel beigebracht
werden, welches besagt, dass Mohammed sich einmal bückte und auf den
Boden schrieb um nachzudenken. 24 Nun ist sicher nicht ausgeschlossen,
dass Jesus einmal in die Lage hätte kommen können, in der er hätte
nachdenken wollen. Jedoch ist damit nicht erklärt, warum er sich zum
zweiten Mal wieder bückt. Man könnte vermuten, dass Jesus den An-
klägern seine Verachtung zeigen will und darum sich von ihnen abwen-
det. Aber warum schreibt er dann auf die Erde? Etwa um anzudeuten,
dass er beschäftigt sei?
4. Eine weitere Erklärung geht von der Tatsache aus, dass das auf den
Boden oder in den Sand Geschriebene keinen Bestand hat. 25 Darum ist
das Schreiben auf den Boden, in den Wegstaub oder an die Wand am
Sabbath erlaubp6 Dann müsste man aber wissen, was Jesus schreibt. Will

20 Das Schreiben auf die Erde oder in den Sand ist ein Bild für die Vergäng-
lichkeit' vgl. unten.
21 Diese Deutung wurde vertreten von R. Eisler, Jesus und die ungetreue
Braut, ZNW 22, 1923, S. 305 H. Joach. Jeremias hat diese Deutung übernommen:
Die Gleichnisse Jesu, 1962, S.226.
ft So Joach. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, 1962, S.226.
!3 T. W. Manson, The Pericope de Adultera (Joh 7, 53-8,11), ZNW 44,1952/53,
S. 255 f.
24 A. J. Wensink, John VIII, 6.8, Amicitiae Corolla, A Volume of Essays pre-
sented to James Rendel Rarris, S. 300 H.
25 V gl. das oben zu J er 17, 13 Gesagte, S. 125.
l2G Sah 12,5; Billerheck 11, S.521.

126
er hier etwa die Namen der Ankläger aufzeichnen? Oder die Sünde,
welche die Frau begangen hat und getilgt werden soll? Oder die Sünden
der Ankläger? 27 Oder soll das Schreiben mit dem Finger in den Staub
in Gegensatz gestellt werden zu dem Gesetz Gottes, welches mit Gottes
Finger in steinerne Tafeln geschrieben wurde (Ex 31, 18; Dt 9, 10)? Aber
welches wäre dann der Sinn dieser Handlung? Soll das Gesetz als ver-
gänglich hingestellt werden und damit eine Rechtfertigung für die beab-
sichtigte Freisprechung geschaffen werden? Man sieht: Fragen über
Fragen!
5. Oder geht es gar nicht um eine Gleichnishandlung. Ist dieser Zug
nur ein Trick des Erzählers, der die Spannung erhöhen will und deshalb
ein retardierendes Moment benötigt. Der Erzähler würde dann in V. 6
und 8 die Gelassenheit Jesu zum Ausdruck bringen.!8
Keine dieser fünf Deutungen kann uns wirklich befriedigen. Der Grund
ist folgender: Wir haben bereits festgestellt, dass die Handlung Jesu in
direktem und notwendigem Zusammenhang mit der Streitfrage, welche
Jesus vorgelegt wurde, stehen muss. Und hier versagen alle obgenannten
Deutungen. Die bereits erwähnte Parallele zum Vorzeigen des Denars in
dem Streitgespräch über den Zensus (Mk 12, 13-17) kann uns vielleicht
insofern weiterhelfen, als dort klar wird, dass die Handlung im Grunde
das Wort Jesu überflüssig macht. Mit der Demonstration des Geld-
stückes ist eigentlich alles entschieden. Das Wort: «Gebt dem Kaiser,
was des Kaisers ist und Gott was Gottes ist!» interpretiert nur noch, was
bereits «gesagt» ist. So doch offenbar auch hier! Das Entscheidende ist
nicht das Wort Jesu, sondern seine Handlung, welche die Wende ein-
leitet. Es könnte allerdings sein, dass eben gerade darum, weil das Bücken
Jesu in seiner spezifischen Bedeutung nicht mehr verstanden wurde,
schon sehr früh das Bücken als ein «Schreiben auf die Erde» interpretiert
wurde. Dann müsste der Zug des Schreibens auf die Erde ausgeklammert
werden und alles würde daran hängen, ob wir für das Bücken als solches
eine Erklärung finden könnten.
Verschiedentlich erscheint das Bücken in der Bibel als eine Handlung,
die den Respekt, die Demut und die Hingabe ausdrücken soll. So bückt
sich Abraham vor den drei Besuchern, die Jahwe repräsentieren (Gen 18,
2). Oder Johannes der Täufer erklärt, dass er nicht würdig sei, dem

Z7 So die Lesart von U. Die Meinung dabei ist, dass Jesus die Ankläger durch-
schaut, ihre geheimsten Sünden aufschreibt und sie dadurch in die Flucht schlägt.
Darum auch die Erklärung erst beim zweiten Bücken.
!8 Diese Deutung vertritt U. Becker, a. a. 0., S. 85 f.

127
kommenden Christus die Schuhriemen zu lösen (Joh 1, 27). Jesus selbst
bückt sich vor seinen Jüngern und wäscht ihnen die Füsse (Joh 13). Aber
all diese Parallelen helfen nicht weiter. Das letzte Wort über unsere
Perikope dürfte aber solange noch nicht gesprochen werden können, als
es nicht gelingt, eine befriedigende Erklärung für das Verhalten Jesu
zu geben.
DaJS Problem kompliziert sich noch insofern, als auch die Streit-
frage alles andere als restlos klar ist. V.5 lautet: Im Gesetz hat Uns Mose
geboten, solche zu steinigen; was sagst nun du dazu? Offe~bar wird auf
Lev 20, 10 und Dt 22, 22 angespielt, wo bestimmt ist, dass Ehebrecher
mit dem Tode bestraft werden sollen. Aber die Art der Todesstrafe ist
nicht näher bezeichnet. In Dt 22, 23 f. jedoch ist im Zusammenhang mit
dem Ehebruch einer Verlobten ausdrücklich von der Steinigung die Rede.
Da später die Synagoge für Ehebrecher die Erdrosselung als Todesart
vorschrieb, hat man folgern wollen, es müsse sich in unserem Falle um
ein verlobtes Mädchen handeln im Alter von 12-121/2 Jahren, weil in
V.5 ausdrücklich die Steinigung erwähnt werde. 29
Diese Ansicht ist aber nicht haltbar. Der Ausdruck yuviJ bezeichnet
sonst nie ein verlobtes Mädchen. Wohl ist in Lev 20, 10 und Dt 22, 22
nur allgemein von der Todesstrafe die Rede, aber «entsprechend der
Intention des mosaischen Gesetzes ist die reguläre Todesstrafe der Stei-
nigung gemeint».30 Es hat sich heute die Ansicht durchgesetzt, dass es
sich bei dieser Ehebrecherin um eine verheiratete Frau handelt, die ge-
steinigt werden soll. Das Vorgehen entspricht genau dem Gesetz Mose,
da die traditionelle Todesstrafe auch für Ehebrecherinnen die Steinigung
war. 31 Damit ist V.5 im Rahmen der Gesamtgeschichte durchaus ver-
ständlich.
Die Diskussion um die Art der Todesstrafe hat aber dennoch ganz un-
erwartet ein weiterführendes Ergebnis gezeitigt. Wir stehen vor der
Tatsache, dass es zur Zeit Jesu eine Debatte um die rechte Art der Todes-
strafe gab. Abgesehen davon, dass die jüdischen Rechtsgelehrten nur un-

29 So urteilen Billerbeck 11, S.520; R. Eisler, a. a. 0., S. 305 ff., Joach. Jeremias,
a. a. 0., S. 161 f.
30 U. Becker, a. a. 0., S. 165.
31 V gl. ferner A. Büchler, Die Todesstrafen der Bibel und der jüdisch nach-
biblischen Zeit, 1906, S. 539 H., u. D. Dimbe, The New Testament and Rabbinic
Judaism, 1956, S. 306 f. Neuerdings wurde dies nachgewiesen von J. Blinzler,
Die Strafe für Ehebruch in Bibel und Halacha. Zur Auslegung von Joh 8, 5,
NTS 4, 1957/58, S.32-47.

128
gern Todesstrafen verhängten 32, versuchten pharisäische Kreise eine
Strafrechtsreform durchzuführen in dem Sinn, dass sie in allen Fällen, wo
nicht im Gesetz ausdrücklich die Steinigung verlangt wird, oder die son-
stige Art der Todesstrafe vorgeschrieben ist, die Hinrichtung durch Er-
drosselung vornehmen wollten. 33
Die Gründe für diese Reform sind nur schwer anzugeben. Man hat
schon erwogen, ob hier nicht humanisierende Tendenzen vorliegen könn-
ten. Tatsächlich kennen die Rabbinen eine Rangfolge in der Schwere der
Todesarten: «Von den vier traditionellen Todesstrafen gilt als die
schwerste die Steinigung; dann folgt die Verbrennung, dann die Ent-
hauptung, als die leichteste wird die Erdrosselung angesehen».34 Es gibt
aber gewisse Zitate, die eine solche Interpretation wiederlegen. 35 Es ist
weiter vermutet worden, dass die Erdrosselung darum als Todesart in den
Vordergrund trat, weil sie am Körper, wenn sie richtig ausgeführt
wurde 3ß, keine sichtbaren Spuren und vor allem keine Wunden hinter-
liess. Gerade für die Pharisäer war dies ein sehr wichtiges Argument,
weil die Unversehrtheit des Körpers für die Auferstehung nach ihren
Anschauungen sehr wichtig war. Aber es scheint, dass die genannten
beiden Gründe (Humanisierung der Strafjustiz, Unversehrtheit des Kör-
pers) eher spätere Erklärungsversuche sind für ein faktisches Verhalten,
das durch andere Umstände scheinbar erforderlich schien.
Der wahre Grund für die Ersetzung der Steinigung durch das Erdros-
seln wird in den zeitgeschichtlichen Verhältnissen gesucht werden müs-
sen. Spätestens im Jahre 30 n. ehr. hat das grosse Synhedrium die Blut-
gerichtsbarkeit verloren. 37 Man durfte wohl Todesurteile fällen, aber diese
Urteile konnten nicht vollstreckt werden. Es lag nun sehr nahe, dass die
Juden versuchten, trotz der Kontrolle der römischen Besatzungsmacht,
gefällte Urteile auf eigene Faust zu vollziehen. Nun eignete sich aber
die offizielle Steinigung nicht für eine geheime Hinrichtung, dafür umso
mehr die Erdrosselung. Hier wird also der wirkliche Grund für die Än-

32 B. Reicke, Glaube und Leben der Urgemeinde, 1957, S. 164.


33 U. Becker, a. a. 0., S. 165 ff.
34 Billerbeck II, S.520, A. 1.
35 Z. B. R. Jonathan (um 140) sagte: Nicht weil sie leicht ist, ist als Todes-
strafe in Lev 20, 10 die Erdrosselung anzunehmen, sondern weil die Todesstrafe
nicht näher bestimmt ist. S Lev 20, 10 (.368 a), Billerbeck II, S.520.
aß Es wird ein hartes, festes Tuch in ein weiches gelegt und um den Hals ge-
schlungen (Billerbeck II, S.520).
37 Vgl. E. Stauffer, Jerusalem und Rom, 1957, S. 120 H., und J. Blinzler, Der
Prozess Jesu, 1960, S. 16.3 H.

129
derung der Strafrechtspraxis zu suchen sein.38 Man wollte die Vorschrif-
ten der Römer umgehen. 3D
Unsere Darstellung hat gezeigt, dass es vor allem die pharisäischen
Kreise waren, welche diese Reform befürworteten. Sie stiessen jedoch be-
greiflicherweise bei den Sadduzäern auf erbitterten Widerstand, da sie
an der alten Praxis als der allein der Thora entsprechenden festhalten
wollten. Tatsächlich ist ja das Erdrosseln im Gesetz Mose nicht vor-
gesehen.
Wir kehren nun zu unserer Ausgangsfrage zurück: Wie ist die Frage
der Gegner J esu zu verstehen? Welches ist der strittige Punkt?
Gewöhnlich wird angenommen, Jesus habe die Steinigung als solche
abgelehnt. Die Gegner hätten dies gewusst. Da nun aber ein klarer Ehe-
bruchs fall vorlag, hätten sie Jesus in Verlegenheit bringen wollen. Die
«Versuchung» würde dann darin liegen, dass die Gegner entschlossen
sind, J esus zu verklagen, wenn er zur Milde geneigt sein sollte.
Sind aber unsere obigen Darlegungen über die Strafrechtsreform rich-
tig, dann könnten es die Fragesteller selbst sein, welche die Steinigung
verwerfen. 40 Sie· vertreten den modemen Strafvollzug. Dann wäre ihre
Frage so zu verstehen: Sie kommen zu Jesus und sagen: Mose hat geboten,
eine solche Frau zu steinigen. Wir aber sagen, sie solle erdrosselt werden.
Was sagst nun du dazu?
Mit anderen Worten: Jesus soll in einer sachlichen Streitfrage ant-
worten. Allerdings ist kaum zu glauben, dass die Fragesteller Menschen
in Not sind. Sie kennen ihre Antwort bereits, die Meinungen sind ge-
macht. Insofern ist es eine Fangfrage, indem Jesus so oder so Partei er-
greifen muss.
Das Verhalten J esu und seine Antwort bekommt von daher eine ganz
neue Qualifikation. Wie in Mk 10, 2 ff. führt hier Jesus die Diskussion
nicht so, wie es sich die Frager vorgestellt hatten. Bei ihnen geht es um
die juristischen Spitzfindigkeiten, um eine Sachfrage, um das Strafrecht.
Die Frau, die sie aufgegriffen haben, ist nichts weiter als zufälliger, aber
hochwillkommener Anlass für ihre Frage. Jesus aber sieht die Dinge um-

38 In diesem Zusammenhang ist auch die Änderung des Steinigungsverfahrens


zu sehen. Für die Zeit vor 70 n. ehr. wird uns mehrere Male bezeugt, dass die
Steinigung abgewandelt wurde; der zu Steinigende wurde über eine Anhöhe
hinabgestürzt, vgl. dazu B. Reicke, a. a. 0., S. 165 H. Der Sinn dieser Änderung
bestand gleichenfalls darin, dass man eine schnelle Hinrichtung ohne grosses
Aufsehen erreichen wollte.
30 Vgl. D. Daube, a. a. 0., S. 306 f.
40 Dies ist die These von U. Becker.

130
gekehrt. Für ihn steht die Person der Frau im Vordergrund und die Per-
sonen der Ankläger selbst. Er schiebt, als sie ihn zu einem Urteil drän-
gen, die Entscheidung, ob gesteinigt werden soll oder nicht, den Anklä-
gern zu. «Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!»41 Es ist sicher
verkehrt, wenn man meint, diese Männer seien von ihrem eigenen
Gewissen überführt in sich gegangen und hätten auf die Steinigung des-
wegen verzichtet. Dies kann kaum ursprünglich die Meinung des Be-
richtes sein, wenn auch zuzugeben ist, dass solch psychologisierende und
moralisierende Deutung nahelag, und sicher wurde die Geschichte schon
sehr früh in diesem Sinn verstanden. Das ganze folgende Gespräch Jesu
mit der Sünderin, das wir als Ausdruck einer Akzentverschiebung er-
kannt haben, dürfte aus solchem Verständnis heraus formuliert sein. Aber
kann man im Ernst solche Busse und Einsicht von den Anklägern erwar-
ten? Müsste man sich nicht an Mk 10, 17 ff. erinnern, wo der Reiche (bei
Mt: der reiche Jüngling) Jesus nach dem ewigen Leben frägt, und Jesus
ihn dann auf das Halten der Gebote hinweist; es wird ausdrücklich auch
genannt: Du sollst nicht ehebrechen. Jener Mann dort aber sagte, offen-
bar überzeugt und aufrichtigen Herzens: Meister, dies alles habe ich ge-
halten von meiner Jugend an! (Mk 10, 20). Es wäre darum zu erwarten,
dass auch in unserer Geschichte die Frager ähnlich reagieren würden und
mit der Hinrichtung beginnen würden. Wenn sie es nicht tun, dann muss
der Grund in einem andern Umstand gesehen werden, nicht in der eige-
nen Gewissenserforschung. Es ist ja auch auffällig, dass Jesus sich vor und
nach dem Wort «Wer ohne Sünde ist ... » bückt. Wir können lediglich
vermuten, dass in dieser Handlung die eigentlich entscheidende Ursache
für die Besiegung der Gegner liegt. Bis jenes Verhalten Jesu aber wirk-
lich einleuchtend erklärt ist, tappen wir in dieser Frage im Dunkeln.

5. JESUS UND DIE EHEBRECHERIN (JohS, 10-11)

Doch nun noch zum Gespräch Jesu mit der Ehebrecherin. Es gipfelt
in dem Wort: «Auch ich verurteile dich nicht!» (V. 11). Während V. 9 b
noch als Abschluss der Szene beim Streitgespräch verstanden werden
kann, sind V. 10 f. nicht unbedingt notwendig zur Abrundung des Bildes.
Es beginnt hier etwas Neues, Selbständiges.

41 Nochmals ist zu betonen: Nicht ein allgemeines Sündenbewusstsein ist hier


anvisiert, sondern die konkrete geschlechtliche Sünde des Ehebruchs; vgl. W.
Bauer, a. a. 0., z. St.

131
«Auch ich verurteile dich nicht!» Das heisst, dass Jesus sich dem Urteil
der andern anschliesst. Jenes ist zustandegekommen durch den Rechtsver-
zicht derer, die die Frau angeklagt haben. Für den Erzähler spielt es keine
Rolle, ob nun die Steinigung wirklich von der Frau abgewendet oder nur auf
später aufgespart worden ist. Offenbar nimmt er an, dass, wo keine Zeu-
gen sind, auch nicht gerichtet werden kann. Und die Zeugen sind ja tat-
sächlich verschwunden. Wenn Jesus sich dem «Urteil» der andern an-
schliesst, dann bedeutet das aber keine Abwertung der Justiz als solcher.
Mit einem Spruch: « ... , der werfe den ersten Stein!» erkennt Jesus im
streng rechtlichen Sinn die Steinigung in diesem Falle als gegeben an!
Aber Jesu Wort: «Auch ich verurteile dich nicht!» ist ein Ausdruck
seiner Vollmacht. Es gilt hier Mk 2, 10: «Damit ihr aber wisst, dass der
Sohn des Menschen Macht hat auf Erden, Sünden zu vergeben ... » In
freier Entscheidung kann er das, was nur Gott zukommt: freisprechen
im umfassenden Sinn! Jetzt erst folgt: «Gehe, von nun an sündige nicht
mehr!» Man darf dies nicht als eine Bedingung zur Vergebung inter-
pretieren. Die Vergebung ist uneingeschränkt und trifft die Frau unvor-
bereitet. Jedoch ist das Nicht-mehr-Sündigen nur denkbar als Folge der
Vergebung, welche dieser Frau zuteil geworden ist..
Es drängt sich hier unwillkürlich ein Vergleich mit Lk 7, 36-50 auf. 42
Auch dort handelt es sich um eine Sünderin, was sicher auch in Bezug
auf ihr Geschlechtsleben zu deuten ist. Von jener Frau heisst es, dass sie
weinte und Jesu Füsse mit Tränen benetzte. Im Sinn des Erzählers müssen
wir diese Tränen wohl als Tränen der Busse bezeichnen. Damit wird
aber dort die Busse als ein ethischer Vorgang zur Bedingung der Ver-
gebung. 43 Davon ist in der Ehebrecherinperikope nichts zu sehen. In die-
sem Sinn würde sich unsere Erzählung als ursprünglicher und unreflek-
tierter erweisen.

6~ HISTORIZITÄT UND SPÄTERE BEDEUTUNG


DER EHEBRECHERINPERIKOPE

Es ergibt sich, dass in der gesamten Erzählung kein Grund vorhanden


ist, der gegen die Historizität der Perikope ins Feld geführt werden kann.
Der historische Ort unserer Geschichte lässt sich ohne weiteres im Leben
und in der Botschaft Jesu denken. Die schriftgelehrten Gegner, ferner die

42 Die Minuskel 225 stellt unsere Perikope hinter Lk 7, 36.


43 Vgl. H. Conzelmann, Die Mitte der Zeit, 1960, S. 213 f.

132
in der Strafrechtsreformdebatte begründete Frage, weisen in die Situation
des Lebens Jesu, nicht weniger auch die freie Stellung Jesu der Ehe-
brecherin gegenüber, sowie die in seiner E~OU<1LU begründete unbedingte
Vergebung. Gerade weil auch kein Bussmotiv vorhanden ist, ist es un-
wahrscheinlich, dass für unsere Perikope als historischer Ort eine Ge-
meindedebatte über die Vergebbarkeit des Ehebruchs in Frage kommt.44
Man muss auch daran erinnern, dass wir eine spätere Akzentverschiebung
auf die Verse 10 und 11 feststellen konnten. Gerade weil letztere Akzent-
verschiebung in der oben genannten Gemeindedebatte lokalisiert werden
kann, muss ein früheres Stadium der Erzählung postuliert werden.
Nun wird aber nur die eingangs schon gestreifte Frage umso dringen-
der, warum dann unsere Perikope nicht früher in den Kanon aufgenom-
men wurde, resp. woher sie allenfalls stammen könnte. Diese Frage kann
nur erhellt werden, wenn man sich die letzte Bedeutung unserer Perikope
klar macht.
Augustin vermutete, die Perikope sei von Kleingläubigen oder von Fein-
den des echten Glaubens gewaltsam aus den Evangelien entfernt worden;
der Grund dafür sei die Furcht gewesen, die Frauen könnten aus der Er-
zählung folgern, es sei ihnen das Sündigen ohne jede Strafe erlaubU5
Diese Annahme Augustins passte gut zu der Tatsache, dass im 2. und
3. Jahrhundert der Ehebruch in der Christenheit als Todsünde galt.
Allein, die These der Elimination ist unhaltbar. Zu vieles spricht da-
gegen. Hätte man es nicht in der Hand gehabt, durch Umformung oder
einen Zusatz die scheinbar schädliche Auswirkung der Geschichte abzu-
schwächen? Eher wird der ganze Prozess umgekehrt verlaufen sein.
Könnte nicht unsere Geschichte gerade für die Behandlung der Ehe-
brecher in der christlichen Gemeinde wegleitend geworden sein? Wollte
man sie darum im Kanon haben? Die Ehebrecher, d. h. aber die «Tod-
sünder» wurden durch ihre grosse Zahl für die Gemeinden ein Problem.
Man musste mit ihnen einen modus vivendi finden. Gab da unsere Ge-
schichte nicht die ersehnte Antwort? Wenn Christus der Ehebrecherin
vergibt, warum sollten die späteren Ehebrecher und Ehebrecherinnen
nicht auch Vergebung durch die Gemeindeleitungen erlangen können?
Dann kann der Widerstand gegen die Aufnahme unserer Geschichte
in den Kanon aber nur in den rigoristischen Kreisen seinen Ursprung ge-
habt haben. Ihnen muss die Haltung J esu verdächtig erschienen sein.

44 So H. Käster, Die ausserkanonischen Herrenworte als Produkte der christ-


lichen Gemeinde, ZNW 48, 1957, S.233.
45 De conjug. adult. 2, 6.

133
Nach urchristlicher Auffassung 46 führt der Ehebruch zur Verdammnis.
Dieser schwersten Sünde gegenüber schien Jesus allzuschnell zur Ver-
gebung bereit.47 Wurde damit nicht der laxen Auffassung der damaligen
Zeit Vorschub geleistet?
Es spricht für die Kirche, dass sie trotz solcher Bedenken die Ehe-
brecherinperikope schliesslich kanonisiert hat. Woher sie wirklich stammt,
bleibt weiterhin ein Rätsel. 48 Am wahrscheinlichsten ist es, dass hier noch
ein Stück aus einer uns sonst verlorenen judenchristlichen Evangelien-
überlieferung erhalten geblieben ist. 49 Die in der Strafrechtsreformdebatte
verwurzelte Frage der Gegner Jesu weist in judenchristliches Milieu.

46 1. Kor 6, 9;. Ga15, 19; Hebr 13,4; Didaskalia 1, Act Thom 84.
47 W. Bauer, a. a. 0., z. St.
48 Gewöhnlich werden 3 Lösungsversuche erwogen:
1. Die Perikope stammt aus irgend einer mündlichen Evangelientradition.
2. Die Perikope gehört zum synoptischen überlieferungskreis. Dafür sprechen
Wortschatz und Sprache (vgl. vor allem V. 2. 3. 5). Man dachte an eine Grund-
schrift, einen Ur-Markus, Ur-Matthäus und Ur-Lukas. Besonders die Verwandt-
schaft mit Lukas ist sehr gross. Diese erklärt sich aber nicht aus lukanischer
Tradition oder überarbeitung, sondern rein literarisch: Lukas ist mehr Schrift-
steller als Markus und Matthäus, und die Ehebrecherinperikope steht literarisch
Lukas sehr nahe. - W. Grundmann ordnet unsere Perikope ein zwischen Mk 12,
13-17 (Zensus-Frage) und Mk 12,18-27 (Sadduzäer-Frage) und legt sie in sei-
nem Markuskommentar aus (W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus,
1959, S.245-247).
3. Die Perikope stammt aus apokrypher Quelle (z. B. aus dem Hebräer- oder
Petrusevangelium) .
49 So urteilt U. Becker, a. a. 0., S. 145 H., der an das Thomasevangelium denkt.
Allerdings ist das Stück in den Funden von Nag Hamadi nicht enthalten.

134
IH. BRIEFTEXTE

A. Erster Thessalonicherbrief
(Kap. 4, 3-8) 1

v. 3: Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr euch der
Unzucht enthaltet.
V.4: Jeder von euch wisse sich sein Gefäss in Heiligung und Ehrbarkeit
zu erwerben,
V.5: nicht in Leidenschaft der Begierde wie die Heiden, die Gott nicht
kennen,
V.6: damit er nicht übergriffe mache und nicht seinen Bruder im Pro-
zess übervorteile. Denn der Herr ist Rächer über dies alles, wie wir
euch vorhergesagt und bezeugt haben.
V. 7: Denn Gott hat uns nicht zur Unreinheit berufen, sondern zur
Heiligung.
V.8: Darum also, wer das verwirft, der verwirft nicht einen Menschen,
sondern Gott, der doch seinen heiligen Geist in euch gibt.

V.3: Das Fehlen des Artikels vor itS/':llf.1U könnte besagen, dass die Heiligung
ein wichtiges Stück des Gesamtwillens Gottes darstellt.!! - aYLUO"f.lO\; steht im
Gegensatz zu a%u(lituO'iu 3, so wird der Begriff dann auch in V. 7 wieder auf-
genommen. In der Septuaginta ist das Wort selten und ohne einheitliches he-
bräisches Aequivalent. 4 Es wird gebraucht sowohl im Sinne von Heiligung (z. B.
Ri 17,3) wie auch im Sinn von Heiligkeit (z. B. Sir 7,31; 3. Makk 2, 18). Der Ge-

1 Vgl. meinen Artikel: Erwägungen zu 1. Thess4, 3-8, ThZ 19, 1963, S.1-13,
welcher diesen Ausführungen zugrunde liegt.
2 G. Schrenk, Art. itEÄ.7)f.lU, ThWb In, S. 59.
3 Bauer, Sp. 17.
4 O. Procksch, Art. aYLUO"f.l0\;, ThWb I, S. 114 f.

185
brauch im Zusammenhang mit dem Kultus überwiegt. 5 - :rcoQ'VEla kann die ver-
schiedensten sachlichen Tatbestände bezeichnen.6 Auch Paulus verwendet diesen
Begriff in unterschiedlichen Bedeutungen (vgl. z. B. 1. Kor 5,1; 6,18; 7,2; 2. Kor
12,21). Das richtige Verständnis ergibt sich somit erst aus dem Gesamtzusam-
menhang. Dass eine ganz bestimmte Art von Unzucht gemeint sein muss, könnte
sich daraus ergeben, dass man das Bedürfnis empfand, zu verallgemeinern. Die
Lesart u:rco :rca.01]; 3toQ'VELa;, welche z. B. von der Peschitto geboten wird, ist in
diesem Sinn als eine Erleichterung aufzufassen.
V.4: Mit OXEÜO; (= Gefäss) kann Paulus den Leib meinen (2. Kor 4,7). Hier
ist dies unwahrscheinlich wegen der Verbindung mit x"t"üoil'at.7 Es bleibt als
zweite Möglichkeit, dass Paulus hier die Ehefrau meint. Belege dafür finden
sich im Spätjudentum 8 und im NTu. Die Frau wird vom Manne «erworben» im
Verlobungsakt. Dieser bestand darin, «dass der Bräutigam der Braut in Gegen-
wart von zwei Zeugen einen Gegenstand, der mindestens den Wert einer Peruta
(kleinste Scheidemünze) haben sollte, mit den Worten übergab: «Du bist mir

5 Procksch, a. a. 0., S. 114 f.


6 Bauer, Sp. 1375; F. Hauckl S. Schulz, Art. :rcbQ'V1], ThWb VI, S.579-595. Wir
werden im folgenden Abschnitt auf die verschiedenen Bedeutungen eingehen.
7 Man müsste dann übersetzen: «seinen Leib gewinnen (oder: beherrschen)
sc. lernen». So versteht diese Stelle Dibelius, An die Thessalonicher I und 11,
1937, S. 20 ff.: Jeder Christ soll es verstehen, sich seinen eigenen Leib in Heili-
gung und Ehrbarkeit zu erwerben. Der Sinn wäre der, dass es im persönlichen
Leben des Christen zu einem allmählichen Zunehmen der sittlichen Herrschaft
über den Leib kommen müsse. - Diese Deutung wirkt sehr gesucht und ist auch
sprachlich sonst nicht zu belegen.
8 Im babylonischen Talmud Meg 12 b (und in Midr Esth 1, U) wird von
dem Gastmahl des Ahasveros folgender Dialog berichtet: «Die einen sagten:
Die Mederinnen sind schön, und die andern sagten: Die Perserinnen sind
schön. Da sagte Ahasveros zu ihnen: Das Gefäss, dessen ich mich bediene,
ist weder eine Mederin, noch eine Perserin, sondern eine Chaldäerin.» Hier
ist deutlich mit dem Gefäss das Weib gemeint. - Ein weiterer Ausspruch
findet sich Pesikta 94 b (auch an anderen Stellen überliefert), wo die Witwe des
Rabbi Eleazar ben Simeon einen neuen Freier mit den Worten abweist: «Des
Gefässes, dessen sich das Heilige bedient hat, sollte sich nun das Profane be-
dienen?», zit. nach Billerbeck 111, S. 632. M. Dibelius, a. a. 0., S. 20, möchte letz-
tere Belegstelle entkräften, indem er darauf hinweist, dass «das Heilige» und
«das Profane» beidemal sächlichen Geschlechtes seien, man also mit einem para-
bolischen Gebrauch rechnen müsse. Diese Argumentation mag sprachlich richtig
sein; sachlich aber ist doch auch hier eben «Gefäss» ein Bild für die Frau. Siehe
dazu Chr Maurer, Art. OXEÜO;, ThWb VII, S. 359-368.
9 1. Petr 3, 7: UOil'E'VEO"t"EQO'V OXEÜO;. B. Reicke, Die Gnosis der Männer nach
1. Petr 3,7, ZNW, Beih.21, Ntl. Stud. f. R. Bultmann, 1954, S. 301 f.

136
dadurch angelobt» Ausserdem kennt die Mischna noch die Verlobung durch
überreichung einer schriftlichen Urkunde und durch Beiwohnung».lo Aber im
Eheschliessung 11, sondern man darf durchaus dieser Wendung eine durative
Bedeutung bemessen, also: sein eigenes Gefäss erwerben im Sinn von (sexuell)
besitzen. 12 In dieser Wendung die zarte Andeutung des immer wiederholten
Werbens des Mannes um die körperliche Liebe der Frau zu sehen 13, ist wohl
zu modern-psychologisch interpretiert.
V.5: Die erste Hälfte bringt vielleicht eine Anspielung auf die stoische Philo-
sophie. Dort gehört die E1tLihJfLLU zu den vier Hauptaffekten (:lta:I}T\). Allerdings
gibt es sonst in der paulinischen Literatur keine Bezugnahme auf die Stoa.14 Die
zweite Hälfte des Verses klingt an an Jer 10, 25 LXX und Ps 78 (79), 6 LXX
und tönt wie eine geprägte Wendung.
V.6: Das "to vor fl1] U:lt8QßUL'V8t'V bezeichnet die innere Abhängigkeit des Folgen-
den von V.3-5 (vgl. S. 138, A. 20). U:ltEQßUL'VEt'V 15 und :ltA80'VEX"t8L'V 16 sind beides
Begriffe, die eine «rücksichtslose übervorteilung» und ein gieriges Mehrhaben-
wollen und Ansichraffen mit List und Gewalt zum Schaden des Nächsten aus-
drücken. Im Zusammenhang mit diesen Verben kann :ltQiiyfLu nur der «Rechts-
streit, Prozess» bedeuten 17, und zwar offenbar eine güterrechtliche Auseinander-
setzung vor Gericht. Paulus braucht :ltQiiyfLu in 1. Kor 6, 1 in diesem Sinn. - Dass
auf die rächende Gottheit hingewiesen wird, ist bei Griechen und Juden (Lev 18,
4.30) üblich. 1B
V. 7: axuQi}uaLu kann einen allgemeinen Sinn haben. Hier wird es aber sicher
die geschlechtliche Sphäre mit einschliessen. V. 7 leitet den Abschluss ein.
V.8: Hier folgt nun die abschliessende Beurteilung des Ganzen. "tOtyuQo"Ü'V ist
eine betont folgernde Partikel.

10 BiIlerbeck 11, S. 394.


Ausdruck x"tiiai}ut liegt nicht nur der Hinweis auf die einmalige Handlung der
11 In diesem Sinn der einmaligen Erwerbung der Frau zur Ehe: Sir 36, 24.
12 ehr. Maurer, a. a. 0., S. 366 f., weist nach, dass mit grosser Wahrscheinlich-
keit der griechisch und hebräisch sprechende Paulus eine Neuprägung vorgenom-
men hat; er übersetzt den hebräischen Tenninus technikus l1WH 'l'!l (= eine Frau
sexuell besitzen) mit der griechischen Wendung x"tiiai}ut YUVULXU, und diese
formt er unter Verwendung eines jüdischen Euphemismus in aXE"Üo~ x"tiiai}ut um.
13 A. Oepke, Die Briefe an die Thessalonicher, 1949, S. 135.
14 F.Büchsel, Art. E1tLi}ufLLU, ThWbIII, S.171.
lli J. Schneider, Art. ll:lt8QßUL'V8t'V, ThWb V, S. 740.
16 G. Delling, Art. :ltAEO'V8X"tEL'V, ThWb VI, S.270-273.
17 G. Delling, a. a. 0., S. 271; ebenso M. Dibelius, ,a. a. 0., z. St.
18 M. Dibelius, a. a. 0., z. St.

137
1. GLIEDERUNG UND KONTEXT

Der Abschnitt 4, 1-8 ist formal einfach zu gliedern. Die V. 1 f. geben


eine allgemeine Einleitung zum ganzen ermahnenden Briefteil über-
haupt. Paulus erinnert an seinen Aufenthalt und an die von ihm persön-
lich erteilten Weisungen. Darauf setzt V.3 neu ein. Es folgt konkrete
Ermahnung in der Form einer Aneinanderreihung von Infinitiven (V. 3 f.
6), die alle in imperativischem Sinn zu verstehen sind, wie es in parä-
netischen Aufzählungen häufig vorkommt. Deutlich führt das folgende
'tOLyaeouv in V. 8 zu einem vorläufigen Abschluss der Perikope.
Dass wir in 4, 3-8 nicht nur Einzelermahnungen vor uns haben 19, son-
dern eine logische Gedankenfolge, zeigt sich daran, dass alle Infinitiv-
sätze durch den Begriff der Heiligung (V. 3 a) miteinander in Beziehung
gesetzt sind. V.3 ist als Themastellung zu betrachten. Der Infinitivsatz,
-«dass ihr euch der Unzucht enthaltet», ist eine Explikation des Begriffes
der Heiligung. In den folgenden V. 4-6 wird das eigentliche Problem er-
örtert. Der Infinitiv in V.4 kann auch wieder imperativisch verstanden
werden; logisch gesehen ist er weitere Entfaltung des Themas von V. 3.
Von V. 4 abhängig ist dann das 'tu !.I.fJ 'Ö3tEQßatvELV 'll.al. 3tAEOVE'II.'tELV in V. 6. 20
V.5 tönt wie eine formelhafte rhetorische Wendung, ausgelöst als Ge-
dankenassoziation durch die Worte «in Heiligung und Ehrbarkeit» (V. 4).
In V. 7 wird der Begriff der Heiligkeit wieder aufgenommen. Damit run-
det sich das Bild. V. 8 bringt den Abschluss mit zusammenfassender Be-
urteilung des Sachverhalts.
Wie fügt sich nun aber der ganze Abschnitt in den Gesamtzusammen-
hang des Briefes ein?
In der neueren Diskussion über den ersten Thessalonicherbrief hat der
Abschnitt 4,1-8 eine gewisse Rolle gespielt. Es wurde behauptet, dass
hier überhaupt kein Brieftext vorliege.ll1 Erstens einmal sei der Inhalt
dieser Perikope nicht konkret und zweitens zeige sich hier ein besonderer

19 Zum Beispiel Mahnung zur Enthaltung von Unzucht (V. 3), Vorschriften für
das Eheleben (V. 4), Vorschrift für das Verhalten beim Führen eines Prozesses
(V. 6), etc.
20 Nimmt man keine innere Abhängigkeit von V.6 und V.4 an, so wird das 1:0
überflüssig. M. Dibelius, a. a. 0., z. St., sieht diese Schwierigkeit, behebt sie aber
so, dass er das 1:0 als das Kennzeichen einer Redezäsur auffasst, dazu bestimmt,
das folgende [11) als Anfang eines neuen Gliedes und nicht als Parallele zu [11)
in V. 5 erscheinen zu lassen.
111 K. G. Eckart, Der zweite echte Brief des Apostels Paulus an die Thessa-
lonicher, ZThK 58, 1961, S. 30 f.

138
Stil, der durch· Parallelzeilen gekennzeichnet sei. Diese Behauptungen
sind nicht unwidersprochen hingenommen worden. lI2 Paulus kennt näm-
lich eine ethische Paradosis, und die genannten Stileigentümlichkeiten
sind nichts anderes als ein Kennzeichen paränetischer Ermahnung. Sie
passen somit durchaus in den Briefzusammenhang.23 Es bleibt also noch
der Vorwud zu widerlegen, dass 4, 1-8 keinen spezifischen Inhalt habe.
Mit grösster Wahrscheinlichkeit geht Paulus aber auch in 4, 3-8 auf
ein konkretes Problem der thessalonischen Gemeinde ein. Schon der
Gesamtzusammenhang legt eine solche Annahme nahe. Dass 4, 13-5, 11
eine sachliche Einheit im paränetischen Kontext bilden, ist allgemein an-
erkannt, ebenso dass Paulus in 4, 13 ff. und in 5, 1 ff. auf bestimmte
Fragen der Thessalonicher antwortet. 24 Es liegt aber kein Grund vor,
in den vorangehenden Abschnitten nicht dasselbe zu vermuten. Auch in
V.9 scheint ein Neuansatz vorzuliegen: «über die Bruderliebe»; übrigens
ähnlich in der Formulierung wie das «über die Entschlafenen» in V. 13.
Paulus würde in 4,9-12 die Thessalonicher zu treuer Pflichtedüllung
mahnen, nicht nur in allgemeinem Sinn, sondern offenbar darum, weil
die junge Gemeinde von Mißständen heimgesucht wurde. Der ganze Ab-
schnitt 4,9-12 lässt vermuten, dass die Christen sich in die Angelegen-
heiten anderer Gemeinden einmischten und darüber wohl ihre nächst-
liegenden Aufgaben übersahen. Die Arbeitsscheu wurde ja oft durch
eine philosophische Argumentation legitimiert. Vielleicht. stand sie in
Thessalonich auch im Zusammenhang mit der Enderwartung. Paulus
muss also eingreifen. Dass er es nicht in strafendem Ton tut, sondern die
positive Kraft der Bruderliebe hervorhebt, spricht für die feine Art des
Apostels, die junge Gemeinde auf den richtigen Weg zurückzuführen.
Wie steht es nun mit dem gerade vorhergehenden Abschnitt 4, 1-8?
Ist nicht zu erwarten, dass auch hier Paulus schon ein spezielles Problem
der jungen Gemeinde behandelt?
Nachdem eine formale Einheit von V.3-8 sehr wahrscheinlich ist,
müsste die Frage nach der sachlichen Einheit geklärt werden. Welches
ist der spezifische Inhalt dieser Perikope, wenn es sich nicht nur um eine
Zusammenstellung allgemeiner Mahnungen handeln soll?

22 W. G. Kümmel, Das literarische und geschichtliche Problem des ersten


Thessalonicherbriefes: Neotestamentica et Patristica, Festschr. f. O. Cullmann,
1962, S.213-227.
23 W. G. Kümmel, a. a. 0., S.218.
24 Vgl. zuletzt W. G. Kümmel, a. a. 0., S. 223.

139
2. BISHERIGE DEUTUNGSVERSUCHE

Man hat versucht, die ganze Perikope als gegen die beiden Hauptsünden
der Heiden gerichtet zu verstehen. Paulus würde dann der Unzucht
(V. 3-5) und der Habgier (V. 6-7) den Kampf ansagen. Nicht nur soll
zur Vermeidung von Unzucht jeder sein eigenes Weib haben (1. Kor 7, 2),
sondern auch im ehelichen Umgang soll sich jeder Christ der Unzucht
enthalten, indem er seine Frau in Heiligung und Ehrbarkeit «erwirbt».
Auch im ehelichen Umgang soll der Mann in Zucht immer wieder um die
Liebe der Frau werben. Daran - es ist eine eigentliche Ehebelehrung -
würde sich dann sofort die Abwehr des zweiten heidnischen Lasters,
nämlich der Habsucht, anschliessen. Da die Gemeinde wohl auch aus
«Kleinkrämern etc.» bestanden habe, hätte Paulus die Unredlichkeit im
Handel (:n:Qiiyflu = Handel oder Handelsgeschäft) bekämpfen müssen.
Der Ausdruck «Bruder» würde also den Nächsten im weitesten Sinn be-
zeichnen, der vor übervorteilung geschützt werden muss. Die V. 7 und 8
würden die Aufmerksamkeit aber wieder auf die Frage der Unzucht
zurücklenken. 25
Als Schwierigkeit muss bei dieser Lösung die Tatsache empfunden wer-
den, dass sich :n:Qiiyflu sonst in der Bedeutung «Handel oder Handels-
geschäft» nirgends belegen lässt. Ebenso problematisch dürfte die Stel-
lung der Ermahnung für Redlichkeit im Handel sein: V.3-5 redet von
der Unzucht in der Ehe, V. 6 vom übervorteilen beim Handeln, V. 7 dann
wieder von der Unkeuschheit im Gegensatz zum Leben in der Heiligung.
Warum wird durch V.6 der Zusammenhang zwischen V.5 und 7 zer-
rissen? Sollte sich nicht auch V. 6 in den gegebenen Rahmen einordnen
lassen?
Man könnte :n:Qiiyflu ganz neutral als« die betreffende Angelegenheit»
deuten. :n:Qiiyflu wäre dann ein euphemistischer Ausdruck für den Ge-
schlechtsverkehr, indem die Konkretisierung von V. 4 her erfolgen würde.
Paulus würde folglich nach der Ehebelehrung (V. 3-5) in V. 6 vor dem
übergriff in die Ehe des Bruders, d. h. des Mitchristen warnen. Das
übervorteilen des Bruders wäre sachlich gesehen der Ehebruch. Der
ganze Abschnitt würde ein einheitliches Gepräge erhalten: es ginge
«erstens um die Abweisung der freien Liebe (V. 3), zweitens um die
Heiligkeit der eigenen Ehe (V. 4), und drittens um den Schutz des Bru-
ders (V. 6)>>.28

25 So interpretiert z. B. A.Oepke, a. a. 0., S. 135.


1!6 So Chr Maurer, Art. ltQäylta, ThWb VI, S. 640.

140
Leider sind auch bei dieser Lösung Bedenken anzumelden. V. 6 wäre,
gemessen an seinem Sinn, sehr auffällig formuliert. In der Tat enthalten
die Verben VJtEQßULVELV und JtAEOVE%TELV nirgends sonst den Gedanken an
das Geschlechtliche. Auch ist JtQaY!lu in der Bedeutung «Geschlechts-
verkehr» weder im Griechischen noch im Hebräischen bekannt. 27 Wir
müssen darum die sachliche Einheit von V. 3-8 in anderer Art und Weise
suchen.

3. DIE BEGRIFFE «HEILIGUNG» UND «UNZUCHT»

V. 3 setzt ein mit dem Hinweis auf den Willen Gottes. Jedem Juden ist
der Wille Gottes bekannt. Der Wille Gottes ist die Heiligung. Damit ist
das durchgehende Thema von V. 3-8 gegeben.
Heiligung ist bei Paulus die Beschreibung des göttlichen Handeins,
wobei sich der Mensch dem göttlichen Willen unterordnet. 28 Wir haben
aber bereits gesehen, dass der Begriff Heiligung noch mit Vorstellungen
der kultischen Sphäre geladen ist. Das überrascht nicht sehr, wenn man
bedenkt, dass die Grundforderung: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin
heilig, euer Herr! (Lev 19, 2), ihren Niederschlag im Heiligkeitsgesetz
(Lev 17-26) mit seinen diversen kultischen Vorschriften gefunden hat.
Sicher ist das Heiligkeitsgesetz für jeden Juden und auch für Paulus mit
im Spiel, wenn von Heiligung die Rede ist.
Die Heiligung wird konkret bestimmt durch die Forderung, sich der
Unzucht zu enthalten (V. 3). Sofort erinnern wir uns daran, dass ja
schon im Heiligkeitsgesetz die Abwehr der Unzucht eine grosse Rolle
spielte (Lev 18, 6-24; 19,10-21). JtoQVELU kann die verschiedensten Tat-
bestände umfassen. Gewöhnlich bezeichnet Unzucht den vorehelichen und
ausserehelichen Geschlechtsverkehr im Sinne der sakralen oder profanen
Prostitution. In diesem Sinn redet Paulus in 1. Kor 6, 12-20 von Unzucht.
Sicher fällt auch der widernatürliche Geschlechtsverkehr, wie er in
Röm 1, 26-32 vorausgesetzt ist, unter den Begriff der Unzucht. In un-
serem Fall besonders interessant ist aber noch die dritte Möglichkeit. Der
spät-jüdisch-rabbinische Sprachgebrauch bezeichnet auch den Geschlechts-
verkehr jener Eheleute, deren Ehe gegen die rabbinischen Rechtssätze
verstösst, als Unzucht. 29 Eine wichtige Rolle spielen in diesem Zusammen-
hang die im Heiligkeitsgesetz Lev 18, 6-18 verbotenen Verwandtenehen,
27 M. Dibelius, a. a. 0., z. St.
tl8Röm 6, 19: O. Michel, Der Brief an die Römer, 1957, S. 138.
29 F. Hauck / S. Schulz, a. a. 0., S.589. Zum Folgenden vgl. meinen Aufsatz:
Die Ehebruchsklauseln bei Matthäus, ThZ 15, 1959, S. 340-356, und oben S.95.

141
weil hier die strengeren jüdischen Anschauungen mit den Gepflogen-
heiten der heidnischen Umwelt in Konflikt kommen mussten. aG Viele im
Judentum wegen zu nahen Verwandtschaftsgrades verbotene Ehen waren
z. B. in Griechenland erlaubt3\ so die Ehen zwischen Halbgeschwistern,
die nicht die gleiche Mutter hatten, und vor allem die Ehe zwischen
Oheim und Nichte 32, die sehr häufig anzutreffen war. Auch war es
durchaus möglich, dass ein Mann seine Stiefmutter heiraten konnte. s3
Diese dem jüdischen Empfinden widersprechende Ehepraxis scheint
in der Umwelt des Neuen Testamentes etwas sehr Alltägliches gewesen
zu sein. Darum mussten sich die jungen christlichen Gemeinden mit die-
sem Problem auseinandersetzen. Einen Niederschlag dieser Auseinander-
setzung finden wir imAposteldekret (Apg 15,20.29; 21,25), wo eine ähn-
liche Formulierung wie in 1. Thess 4, 3 auftaucht: Mex;Baihn.... 'tii~
3tOQ'VBta.~. Mit dieser Forderung ist nicht einfach Enthaltung von Hurerei
gemeint, sondern aus dem Zusammenhang geht hervor, dass es sich um
eine Forderung der kultischen Sphäre handeln muss, nämlich um die Ab-
lehnung der Heirat in den für Juden verbotenen Verwandtschaftsgraden.s,
Ferner wird unter der Ehe, die wegen Unzucht geschieden werden darf
oder muss (Mt 5, 32 und 19,9), eine für jüdische Augen inzestuöse Ehe
eines Heiden oder Proselyten, welcher nach seiner Heirat der Gemeinde
beitritt, verstanden werden müssen. 35
Auch Paulus kennt diese Bedeutung des Wortes 3toQ'VeLu. In 1. Kor 5, 1
nennt er die Ehe eines Gemeindegliedes mit dessen Stiefmutter Unzucht.
Die Situation in 1. Kor 5, 1 lässt sich nur begreifen, wenn man annimmt,
dass es sich dort um eine legale Ehe im Sinn des griechischen Rechtes
oder auch im Sinn der jüdischen Vorschriften für Proselyten gehandelt
haben muss. 36
Als Ergebnis fassen wir zusammen: Es ist durchaus möglich, dass Pau-
lus in 1. Thess 4,3 ff. mit Unzucht eine wegen des nahen Verwandt-
schaftsgrades verbotene Ehe meint. Dagegen spricht nicht, dass V. 4 vom

80 VgLdazu unsere Ausführungen zu Mt 19,9 und 5,32, S.87 ff.


31 W. Erdmann, Die Ehe im alten Griechenland, 1934, S. 179-189.
32 Bei der Eheschliessung zwischen Oheim und Nichte kann es sich um die
Tochter von Bruder oder Schwester handeln. Beispiele sind relativ häufig, u. a.:
Odyssee VII, 66; Herodot V. 39; Ps. Demosthenes, XLIV, 10; LlX, 2,22; Lysias,
XXXII, 4. .
33 So vermählte der König Seleukos von Syrien seinen Sohn Antiochos mit
dessen jugendlicher Stiefmutter Stratonike (Plutarch, Demetr 33).
34 Vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, 1956, z. St.
35 Vgl. S. 101 t
36 Siehe oben S. 100, A. 74.

142
Erwerben der Ehefrau in Heiligung und Ehrbarkeit redet und damit
nicht nur den Eheschluss, sondern das gesamte eheliche Leben meint.
Denn bei einer Ehe, die gegen Gottes Willen verstösst, ist nicht nur der
Eheschluss als einmalige Handlung Unzucht; bei den Rabbinen galt das
gesamte geschlechtliche Zusammenleben derjenigen Eheleute als Hu-
rerei, deren Ehe nicht den göttlichen Bestimmungen entsprach. 37 In V.4
betont Paulus, dass das Eheleben sich in Heiligung und Ehrbarkeit ab-
spielen müsse. Das kann man nicht anders verstehen, als dass Paulus
sagen will: auch das Eheleben steht unter Gottes Gebot. Die Ehre der
Ehe ist der Gehorsam gegen Gottes Weisung, die unter allen Umständen
zu befolgen ist. 38 V. 5 bringt die Kehrseite: Die Heiden kennen Gott und
sein Gebot nicht. Sie heiraten darum auch nicht in Heiligung und Ehr-
barkeit, sondern in Leidenschaft der Begierde. Mit letzterem will nicht
nur gesagt sein, dass geschlechtliche Zügellosigkeit ihre Triebfeder ist,
sondern damit ist die Gottesferne charakterisiert als Gegensatz zur Heili-
gung. Man darf V.5 sicher nicht pressen, da Paulus hier eine Formel
verwendet, wie wir gesehen haben. 3D Gerade dadurch aber wird deutlich,
dass ein Trennungsstrich zwischen Heiden und Christen besteht. 40
Mit V. 6 setzt scheinbar ein ganz neues Sachgebiet ein. Paulus redet
vom übervorteilen und übertrumpfen des Bruders im gerichtlichen Pro-
zessverfahren. Nehmen wir an, dass V.3-8 inhaltlich eine Sacheinheit
bilden, dann muss uns nun die Frage beschäftigen, ob nicht ein Zusam-
menhang besteht zwischen den oben hinter dem Begriff der Unzucht ver-
muteten Verwandtenehen und dem in V.6 erwähnten Prozessverfahren.
Tatsächlich lässt sich eine solche Verbindung aufzeigen, wenn wir das
griechische Erbtochterrecht ins Auge fassen.

4. DAS GRIECHISCHE ERBTOCHTERRECHT

Das griechische Erbtochterrecht 41 ist ein Institut, das weit in die Ge-
schichte zurückreicht. Die Grundbegriffe finden sich bereits im griechi-
schen Epos und haben in späterer Zeit ihre gesetzliche Fixierung gefun-
37 BiIlerbeck III, S. 342 f.
38 Hebr 13,4: Die Ehe sei ehrbar ('d!lLO~) bei allen und das Ehebett unbefleckt.
Vgl. O. Michel, Der Hebräerbrief, 1957, S.331.
3D Vgl. oben S.137.
40 V gl. ·W. Schrage, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese,
1961, S. 189.
41 über das griechische Erbtochterrecht vgl. Th. Thalheim, Art. 'E.n:t%ÄTI!'>O~,
Pauly-Wissowa Real-Encyd. d. klass. Alt. wiss. 6, 1907, Sp.114-117; G. Busolt,

143
den. In kurzen Worten handelt es sich um folgendes: Starb ein Mann,
ohne männliche Erbberechtigte zu hinterlassen, so wurde seine Tochter
zur EJtLXA.'YJQO~ (Erbtochter) ; eheliche Geburt dieser Tochter war dabei
Voraussetzung. Erbtochter konnte also ein Mädchen werden, das weder
Vater, noch Bruder von demselben Vater, noch einen Grossvater väter-
licherseits hatte. War kein Testament vorhanden, das etwa noch eine
Heirat der Erbtochter mit einem Adoptivsohn regelte, so hatte der nächste
männliche Verwandte Anspruch auf die Hand des Mädchens und auf das
Erbe. Dabei hob eine bereits früher eingegangene Ehe der Erbtochter die
Ansprüche der Verwandten nicht auf. Wollte der Ehemann seine Frau
nicht durch Scheidung verlieren, so musste er allenfalls auf die Ansprüche
der Frau verzichten. Es kam auch vor, dass ein Ehemann seine erste Ehe
auflöste, um eine ihm zustehende Erbtochter heiraten zu können. Bei dem
ganzen Rechtsinstitut spielen offenbar archaische Vorstellungen eine
Rolle. Die Erbtochter wird eigentlich ererbt mit dem Zweck, den fehlen-
den Sohn durch einen Sohn der Erbtochter zu ersetzen. 42
Die Folge dieser Einrichtung waren ganz unnatürliche Eheschlüsse.(~
Den nächsten Anspruch auf die Hand der Erbtochter hatten nämlich der
Reihe nach der oder die Brüder des Erblassers, dann die Söhne dieses
Bruders, dann die Söhne der Schwester des Erblassers, dann die Vaters-
brüder des Erblassers und deren Nachkommen. Praktisch he isst das aber
nichts anderes, als dass im Vollzug des Erbtochterrechtes inzestuöse Ehen
geschlossen werden konnten. Besonders häufig waren dabei naturgemäss
Ehen zwischen Oheim und Nichte. Diese erfüllten aber für jüdische und
christliche Auffassung den Tatbestand der nOQvcLu, wie wir es oben dar-
zulegen versuchten.
Das Wichtigste ist nun aber, dass der Zuspruch der Erbtochter in einem
gerichtlichen Verfahren erfolgte. In Athen z. B. wurde bei einer Erb-
tochter gleich vorgegangen wie bei einer Erbschaft, die nicht vom Vater
auf den Sohn führte. Nachdem ein entsprechender Antrag eingereicht
worden war, forderte ein Herold dazu auf, eventuelle Gegenansprüche
anzumelden. War dies der Fall, so kam es zu einem Prozess, der gern zu
Tätlichkeiten führte, da jede Partei darnach trachtete, sich zum vorn-

Griech. Staatskunde, 1920-1926, s. u. Erbtöchter; W. Erdmann, a. a. 0., S.65-86,


mit weiterer Literaturangabe zur Erbtochterfrage, S. 65, Anm. 1.
42 Daher erhält der Gatte der Erbtochter nicht das Vermögen dieser zum
Eigentum, sondern nur zur Nutzung. Besitzerrecht erwarben erst wieder der
oder die Söhne, welche der neuen Verbindung entsprossten.
43 Die diesbezüglichen Bestimmungen, die uns z. B. bei Plutarch, Solon 20,
überliefert sind, erregten schon im Altertum Anstoss.

144
herein möglichst viele Teile der umstrittenen Erbschaft zu gewinnen.
Wenn man sich vor Augen hält, wie gehässig und leidenschaftlich auch
heute noch Erbschaftsprozesse gerade unter leiblichen Verwandten ge-
führt werden, so wundert es einen nicht mehr, dass Paulus davor warnt,
den Bruder im Prozess zu übervorteilen und dabei übergriffe zu machen.
Man versteht nun auch, warum Paulus rein sprachlich so starke und un-
gewöhnliche Ausdrücke braucht.
Zuletzt sei noch auf die weite geographische Verbreitung dieser Erb-
sitte hingewiesen. Es handelt sich nicht um einen nur vereinzelt vorkom-
menden Brauch. Im Gegenteil! Das Erbtochterrecht war allen Griechen
gemeinsam. Von Athen haben wir bereits gesprochen. Das Stadtrecht von
Gortyna enthält darüber ausführliche Vorschriften. Ferner finden wir es
«in Mitylene und bei den Phokern, in den Städten der Chalkidike, auf
Kos und in Halikarnassos, in Sizilien und Grossgriechenland und sonst
noch vielfach»." Es kann darum keine Frage sein, dass das Erbtochter-
recht einst auch in Thessalonich in Kraft gewesen sein muss. Wohl sind
uns die Verhältnisse im attischen Recht am besten bekannt,45 Aber man
muss annehmen, dass es in ähnlichen Formen in ganz Griechenland ge-
läufig war. Für die direkte Nachbarschaft von Thessalonich findet sich
ein Beleg bei Aristoteles. Er weiss zu berichten, dass Androdamas von
Regium den Chalkidiern in Thrakien Gesetze gegeben habe und dass
von ihm die Mord- und Erbtochtergesetze herstammten. 46
Damit sind wir bei der weiteren Frage angelangt, ob das Erbtochter-
institut sich für die Zeit des Hellenismus oder später noch belegen lässt.
Es ist nun nicht leicht, hier eine klare und eindeutige Antwort zu fin-
den. Schon bei Aristoteles ist man nicht sicher, wie er die Sache meint.
Er unterscheidet oft zwischen Dingen, die noch in Kraft ('''UQLU) stehen
und solchen, die er nur aus der überlieferung kennt. Aber an der ob-
genannten Stelle bleibt die Frage nach solcher Unterscheidung offen.
Ebenso problematisch sind die späteren" Erwähnungen des Erbtochter-
rechtes. Pollux, der um 178 n. Chr. in Athen lebte und sich dort als
Lehrer der Rhetorik, als attizistischer Lexikograph und Grammatiker be-
tätigte, gibt uns eine Erklärung des Begriffes EJtLXÄ:I1t>O~ mit Zitaten aus
Herodot, Isaios und Solon. 47 Aber bietet er in seinem Wörterbuch nicht
Erläuterungen zu den für seine Zeit bereits «antiken» Sachen und Be-

" W. Erdmann, a. a. 0., S. 83, wo auch die einzelnen Belege angeführt sind.
45 Vgl. E. Hafter, Die Erbtochter nach attischem Recht, 1887.
46 Pol 2, 12, 14 (p. 1274 b).
47 3,33.

145
griffen? Dann müsste daraus geschlossen werden, dass das Erbtochterrecht
in der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. nicht mehr geläufiges Recht
war. Ähnlich verhält es sich mit Alkiphron, der auch im 2. Jahrhundert
n. Chr. lebte. Er braucht den Ausdruck btbtATJQOC; mehrere Male. 48 Aber
man zweifelt, ob er noch weiss, was eine Erbtochter eigentlich ist. Ebenso
unklar bleibt es dann aber, warum er diesen Begriff überhaupt noch ver-
wendet. Ist seine Verwendung des Wortes wirklich nur ein zufällig ein-
gestreutes «attizistisches Blümchen» 49, oder hat sich bei ihm ein alter
eherechtlicher,Begriff modifiziert? Wir wissen es nicht.
Als Ergebnis halten wir fest: Die Frage, ob das Institut der Erb-
tochter in der Kaiserzeit noch lebendig war, kann nicht endgültig ent-
schieden werden. Zeugnisse dafür oder dagegen fehlten. 50 Auf der einen
Seite muss man sehen, dass das römische Recht dem Epiklerenwesen Ab-
bruch tat, indem die Sitte der Adoption zu einer nie gekannten Höhe
entwickelt wurde. Damit wurde sicher unter römischem Einfluss das Erb-
tochterrecht innerlich ausgehöhlt. 51 Auf der andern Seite muss man aber
damit rechnen, dass solche uralten Rechtsgewohnheiten ein ausserordent-
lich zähes Leben führen können. So erklären sich auch die noch in der
Kaiserzeit mit Sicherheit nachzuweisenden Verwandtenehen, die, ob-
schon im römischen Recht verpönt, dennoch in Griechenland im Schwange
waren. Wir müssen uns damit abfinden, dass es manchmal einfach nicht
möglich ist, Belege zu finden und Näheres zu erfahren. Das schadet
nichts, wenn man nicht vergisst, den daraus resultierenden Unsicherheits-
faktor in die überlegungen einzubeziehen. Bei den folgenden Erörterun-
gen darf also nicht ausser Acht gelassen werden, dass ihnen weitgehend
ein hypothetischer Charakter anhaftet.

5. PAULUS' STELLUNG ZUM ERBTOCHTERRECHT

Auf dem Hintergrund des griechischen Erbtochterrechtes lässt sich in


1. Thess 4,3-8 das Nebeneinander zweier Sachgebiete, die auf den ersten
Blick nichts miteinander gemeinsam haben, erklären. Wir verstehen nun,

48 3,28; 3,22,3; 2,24; 1,6,1. Vgl. J. Delz, Lukians Kenntnis der athenischen
Antiquitäten, Diss. Basel, 1950, S. 28 H.
49 J. Delz, a. a. 0., S.27.
50 J. Delz, a. a. 0., S.28.
51 E. Hafter, a. a. 0., S. 9.

146
warum der Apostel von der Notwendigkeit redet, sich der Unzucht zu
enthalten, d. h. keine unerlaubte Ehe zu führen, und dies in Verbindung
bringt mit der übervorteilung des Bruders im Prozessverfahren. V.3-8
werden als Einheit durchschaubar und ordnen sich zugleich in den Brief-
zusammenhang logisch ein. Auf die allgemeine Ermahnung in 4, 1. 2 geht
Paulus sofort zu konkreten Problemen über, indem er offenbar auf Fra-
gen antwortet, die ihm aus der thessalonischen Gemeinde gestellt wur-
den. 52 Die Frage, die V.3-8 zugrunde liegt, muss gelautet haben: Wie
sollen wir uns als Christen zum Erbtochterrecht einstellen? Ist es erlaubt,
eine Erbtochter zu heiraten, auch wenn der Eheschluss in jüdischen Augen
Unzucht ist?
Die Antwort des Paulus ist klar. Er weist hin auf Gottes Willen, wel-
cher derselbe ist für Juden und Griechen. Gott will, dass man sich nach
seinem Gebot richtet. Das ist Heiligung. Gott rächt jede übertretung des
Gebotes. Aber schon der Gedanke an den eigenen Bruder sollte einen
vom gottwidrigen Verhalten abbringen. Die eigentliche Begründung aber
für das Verbot ist nicht gesetzlich, sondern echt paulinisch: Gott hat sei-
nen Geist gegeben (V. 8). Dieser wohnt in den Gläubigen (1. Kor 6, 19).
Darum ist ein neues Leben gefordert. Darum auch vergeht sich der, der
sich über Gottes Forderung hinwegsetzt, «nicht nur gegen ein Gesetz,
sondern er bricht sein Verhältnis zu Gotb. 53
Auf den ersten Blick könnte es scheinen, dass Paulus, indem er gegen
die Praxis des Erbtochterrechtes Front macht, gegen einen untergeord-
neten und nicht sehr bedeutenden Brauch ankämpft. Dies ist aber nicht
der Fall. Kenner der Materie sagen uns, «dass das Erbtochterrecht einen
der wundesten Punkte des griechischen Ehe- und Familienlebens bildete»."
Wie tief aber das Erbtochterrecht mit seinen nur das materielle Interesse
berücksichtigenden Bestimmungen und darum uns so empörenden Aus-
wirkungen 55 im Volksleben verwurzelt war, zeigt die Tatsache, dass Plato,
der doch die Gleichstellung der Geschlechter anstrebte, sich in seinem
Gesetzeswerk nicht getraute, das Erbtochterrecht abzuschaffen. so Aller-
dings versuchte er, nach Möglichkeit die vorhandenen Härten zu mildem.

52 Es ergibt sich eine Aneinanderreihung verschiedener, voneinander unab-


hängiger Problemkreise: 4, 3-8 SteIlung zum Erbtochterrecht und gottwohlge-
fäIliger Eheschluss; 4,9-12 SteIlung zur täglichen Arbeit; 4,13-18 Die Entschla-
fenen und ihr Verhältnis zur Parusie; 5, 1-11 Zeitliche Nähe der Parusie.
53 M. Dibelius, a. a. 0., z. St.
54 W. Erdmann a. a. 0., S. 86.
55 Wir erinnern etwa an die Scheidungspflicht der attischen Erbtochter.
58 Plato, Leg XI, 7, p. 924 c-e; W. Erdmann a. a. 0., S. 84 f.

147
Paulus aber lehnt das Erbtochterwesen, wenn unsere Interpretation
richtig ist, rundweg ab. Er bezeichnet dessen Befolgung, d. h. den daraus
resultierenden Eheschluss, als Unzucht. Während sonst durchgehend zu
beobachten ist, dass die junge Gemeinde im Neuen Testament kein neues
Eherecht schafft, sondern sich überall der bestehenden Formen bedient,
sie übernimmt und mit neuem Gehalt zu füllen sucht, um von innen her
eine Wandlung zu erzwingen, treffen wir hier auf eine der seltenen Stel-
len im Neuen Testament, wo mit einer bestehenden Eheordnung im Na-
men des Glaubens gebrochen wird. Jesus selbst hat z. B. die Ehescheidung
abgelehnt (Mk 10, 9 par), obwohl sie offiziell den Juden erlaubt war. Er
fand, dass sie im Widerspruch stehe zu Gottes Willen, wie er sich in der
Schöpfung manifestiert. Ähnliches tut hier Paulus, wenn er mit dem
Hinweis auf Gottes Willen, d. h. auf die Heiligung, das Erbtochterrecht
verwirft.
Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass - immer unter der Vor-
aussetzung, unsere Interpretation sei richtig - Paulus sich hier in einer
bemerkenswerten Nähe zur vierten Forderung des Aposteldekrets befin-
det. 57 Das heisst natürlich noch nicht, dass Paulus das Aposteldekret ge-
kannt haben muss. Zu vieles spricht dagegen. Aber wir müssen uns doch
mit dem Gedanken vertraut machen, dass gewisse Forderungen des Apo-
steldekrets nicht nur im Raum, wo dieses in Geltung stand, beachtet
wurden, sondern wohl zum Allgemeingut der jungen Christenheit ge-
hörten.
Es bestätigt sich uns hier eine Vermutung, die schon H. Lietzmann aus-
gesprochen hat. In seinem Kommentar zu den Korintherbriefen sagt er
zu 1. Kor 6, 9: «Da Paulus auf eine Korrespondenz mit den Korinthern
hinweist, in der die Themata 3toQvda. (5,9-13; 6, 12-20) und Etl>ooAOihJ'ta.
(8, 1-13) behandelt wurden, liegt es nahe anzunehmen, das Aposteldekret
(Apg. 15, 23-29) sei in Korinth bekannt geworden».58 Gegen diese An-
sicht wendet sich der Bearbeiter des Kommentars, W. G. Kümmel, in
seinem Nachtrag. 59 Allerdings ist die Form, in der H. Lietzmann die Sache
vorbringt, anfechtbar. Man kann tatsächlich nicht postulieren, das
Aposteldekret sei in Korinth bekannt gewesen. Aber H. Lietzmann hat
doch mit Recht erkannt, was von W. G. Kümmel übersehen wurde, dass
hier Unterströmungen vorliegen, die mit dem Aposteldekret durchaus
parallel laufen.

57 Vgl.oben S.92 H.
58 H. Lietzmann / W. G. Kümmel, An die Korinther I und II, 1949, S.. 25.
59 A. a. 0., S. 174.

148
6. ERGEBNIS

Wenn unsere Deutung richtig ist, dann behandelt Paulus also in


1. Thess 4, 3-8 ein ganz bestimmtes Problem der Thessalonicher. Es ist
ein Problem, das nicht notwendigerweise mit Ehefragen verknüpft ist,
sondern nur sozusagen zufällig dieses Gebiet berührt. Darum ist hier auch
keine «Aussage über die Ehe» zu erwarten, die sich etwa in einer Ehe-
lehre des Paulus verwenden liesse. Solche Bemühungen sind zum vorne-
herein zum Scheitern verurteilt. 60 Was bedeutsam bleibt, ist der bereits
oben erwähnte Widerspruch des Paulus gegen eine bestehende eherecht-
liche Ordnung im Namen des Glaubens.

60 Ein Beispiel einer solchen verfehlten «Auswertung» finden wir ID. E. bei
G. Delling, Paulus Stellung zu Frau und Ehe, 1931, S.57-62.

149
B. Erster Korintherbrief
(Kap. 7)

Das 7. Kapitel des 1. Korintherbriefes ist verschiedenen Ehefragen ge-


widmet. Das Thema ist durchgängig eingehalten. Paulus redet auch da,
wo scheinbar andere Probleme sich vordrängen (z. B. V. 18-24 und
V. 29-31) von der Ehe. Dies zeigt eine Analyse des Kapitels.

1. AUFBAU UND GLIEDERUNG DES KAPITELS

Wie komponiert Paulus? Er setzt ein, indem er auf eine Frage der
Korinther Bezug nimmt. Sie scheint sich auf die Führung der Ehe be-
zogen zu haben. Darum reden die V. 1-7 direkt von der Ehe. Nach V. 7
ist ein Einschnitt zu machen. Man könnte zwar versucht sein, V. 8 f. zu
den V. 1-7 zu ziehen \ weil sowohl in V. 7 als auch in V. 8 Paulus auf
seinen eigenen «Stand» anspielt. Aber es zeigt sich doch deutlich, dass
mit V. 8 eine Gruppierung ('tOL~ &.ya.!1OL~) beginnt, die in V. 10 ('tOL~
'YEYa!1T]'X6~LV) und in V. 12 ('tOL~ ÄOtJtoL~) entsprechende Fortsetzungen fin-
det. Damit zeigt sich aber gleichzeitig, dass diese drei Gruppen eng zu-
sammen gehören. Tatsächlich finden wir sowohl in V. 7 wie auch in V. 17
Formulierungen, die einen gewissen Abschluss anzeigen.! Wir erhalten
also zunächst folgende Gliederung:
über die Ehe (V. 1-7)
üherdie «Stände» (V. 12-16)
a) Die Unverheirateten (und Witwen) (V. 8-9)
b) Die Verheirateten (V. 10-11)
c) Die «Mischehen» (V. 12-16)
Der folgende V. 17 könnte an und für sich gut als Abschluss zu V. 1-16
gehören. Aber er bildet zugleich den Anknüpfungspunkt für das Neue.
Sein Inhalt, nämlich dass jeder so wandeln soll, wie er von Gott berufen
worden ist, wird in V. 18-24 näher entfaltet. V. 20 fasst die Intention des
ganzen Abschnittes V. 18-24 gut zusammen: E'XaO''tO~ €V 'tfl 'XÄ~(l'EL TI €'XÄ~i}T],
EV 'taint! !1Eve'tw. Ebenso wiederholt V. 24 nochmals den gleichen Grund-
satz. Damit weist aber V. 17 inhaltlich nicht nach rückwärts, sondern
nach vorwärts. Es ist also weiter abzugrenzen:

1 So z. B. die Zürcher Übersetzung.


2 Vgl. beidemal das folgernde ol),;co<;, welches in gewissem Sinn ein Fazit zieht.

150
Das Wandeln im Stande der Berufung (%ATj(n~) (V. 17-24)
a) Juden und Heiden (V. 17-20)
b) Freie und Sklaven (V. 21-24)
Man darf sich nicht täuschen lassen; auch hier geht es um Ehefragen.
Paulus meint, dass die «Stände» (V. 8-16) unverändert eingehalten werden
sollen. Aber er exemplifiziert das an den Beispielen Juden - Heiden und
Sklaven - Freie. Dabei ist interessant, dass die Begründung für das Fest-
halten an der jeweiligen %A~OL~ verschieden gesehen wird. Der Gegen-
satz Jude - Heide wird von Paulus relativiert, indem er auf das eigent-
lich Entscheidende hinweist, das jenseits dieses Gegensatzes liegt, nämlich
das Halten der Gebote Gottes. Unter «Gebote Gottes» ist demnach nicht
das Gesetz zu verstehen, sondern der die Juden und die Heiden gleicher-
massen umfassende Wille Gottes. Beim zweiten Beispiel dagegen handelt
es sich um eine Umwertung aller Werte, welche das Verharren in der
%ATjOL~ begründet; der Sklave wird ein altEAE{,{}EQO~ XQw"wü und der Freie
ein ÖO'ÜAO~ XQLaTo'Ü. Wir werden sehen, dass im Folgenden noch eine
dritte Begründung für das Bleiben im Stande der Berufung auftaucht,
nämlich die eschatologische.
Mit V. 24 ist ein Abschluss erreicht oder besser gesagt: Paulus steht
wieder dort, wo er nach V. 16 gestanden war. Die Frage ist nun die:
warum kommt er in V. 25 H. wieder auf die Jungfrauen zurück, und in
V. 39 H. wieder auf die Witwen, von denen doch schon in V. 8 H. die
Rede war? Man würde den Aufbau des ganzen Kapitels verkennen, wenn
man hier ein Anhängsel sehen würde, sozusagen ein Postkriptum. Auch
kann die Auskunft, Paulus antworte hier eben noch auf ein paar Detail-
fragen, welche ihm von Korinth aus vorgelegt worden seien, nur bedingt
befriedigen. Es scheint doch ein logischer Zusammenhang zwischen
V. 17-24 und V. 25-40 zu bestehen. Worin ist er zu sehen?
Die Antwort bringt eine genaue Betrachtung der folgenden Verse:
V. 25 setzt neu ein. In V. 35 ist ein erster Abschluss erreicht. V. 36 nimmt
sachlich eine neue Frage auf. Terminologisch aber ist die Verbindung in-
sofern sehr eng, als dem Wort EvaX1nWV in V. 35 das aaX'lJ!-tovELV in V. 36
entspricht. Zwischen V. 38 und V. 39 liegt dann wieder eine Zäsur, die
sachlich gerechtfertigt ist und auch sprachlich insofern akzentuiert ist, als
V.38 eine deutliche Schlussfolgerung zieht. 3 Wir können darum in der
Gliederung des Kapitels fortfahren:
3 V gl. das folgernde WfJ'tE. Die Konstruktion des Satzes ist sprunghaft. Zuerst
beabsichtigt Paulus, gleichwertige Urteile abzugeben, bevorzugt dann aber im
Laufe der Ausführungen die Handlungsweise dessen, der seine Jungfrau nicht
heiratet.

151
Verschiedene Sonderfälle (V. 25-40)
a) Wirkliche Jungfrauen (V. 25-35)
b) Verlobte Jungfrauen (V. 36-38)4
c) Witwen (V. 39-40)
Offensichtlich ist Paulus genötigt, trotz seiner abschliessenden Stellung-
nahme in V. 24 besondere Fälle zu behandeln, wo die rigorose Anwen-
dung des Grundsatzes «worin jeder berufen worden ist, darin bleibe er
vor Gott» problematisch wird. Di,e V. 25-35 zeigen, dass Paulus den
obengenannten Grundsatz gerade nicht grund,sätzlich verstanden wissen
will. Er anerkennt in realistischer Weise, dass das Heiraten nicht ver-
boten, ja nicht einmal diskreditiert werden kann (V. 28). Obwohl in V. 25
nur die Jungfrauen genannt sind, Dichtet sich die Anweisung doch an alle
Ledigen, also auch an die Männer (V. 28: Wenn du aber auch heiratest,
so sündigst du nicht, und wenn die Jungfrau heiratet, ... etc.). Die Emp-
fehlung, im ehelosen Stand zu bleiben, hat also den Charakter eines seel-
sorgerlichen Rates (vgl. V.35!).5
Auch der Fall der Verlobten wird von Paulus ähnlich entschieden
(V. 36-38), ebenso die Frage der Wiederverheiratung einer Witwe
(V. 39 f.). Allen diesen drei Sonderfällen ist gemeinsam, dass es sich ehe-
rechtlich gesehen um klare Situationen handelt, was man offenbar nach
der Meinung des Paulus von den Geschiedenen in V. 11 nicht sagen
konnte. Dort ist das Herrenwort massgebend und eine Heirat darum aus-
geschlossen. In den Fällen von V. 25-40 aber kann Paulus, der sicher
auch das rabbinische Pflichtgebot zur Eheschliessung und damit die
jüdische Hochschätzung der Ehe kannte, nicht eine Heirat negieren, er
kann höchstens von einem allfällig geplanten Eheschluss abraten.
Die Analyse des ganzen Kapitels hat uns gezeigt, dass ein durch-
gehender Gesamtzusammenhang besteht, der mehr ist als nur eine lose
Aneinanderreihung allfälliger Antworten auf das Schreiben der korin-
thischen Gemeinde. Wenn auch der Aufbau des Kapitels nicht streng

4 Die vielumstrittene Frage, von was Paulus in den V. 36-38 eigentlich redet,
dürfte nun endgültig entschieden sein. Zuletzt hat nochmals W. G. Kümmel in
seinem Aufsatz Verlobung und Heirat bei Paulus (1. Kor 7,36-38), Ntl. Stud.
f. R. Bultmann, ZNW Beih. 21, 1954, S.275-295 eindeutig nachgewiesen, dass es
sich hier um rechtmässig Verlobte handelt, die aber die Heirat noch nicht voll-
zogen haben, und nun im Zweifel sind, wie sie sich angesichts der nur noch
kurzen bevorstehenden Zeit verhalten sollen. V gl. dazu: Geistliche Ehen in Ko-
rinth?, S.175 H.
5 V gl. unten S. 167 H., wo wir auf die eschatologische Begründung dieses Rates
zurückkommen.

152
systematisch zu nennen ist - es schimmern eben doch die aktuellen Fra-
gen der Korinther hindurch -, so lässt sich doch neben der sachlichen
Einheit ein logisches Fortschreiten der Gedanken nicht ausschliessen. Für
unsere Exegese bedeutet das, dass man keinen Abschnitt für sich allein
ins Auge fassen darf, sondern jede Aussage des Paulus muss im Lichte
des ganzen Kapitels gesehen werden. In diesem Sinn wenden wir uns nun
einer eingehenderen Betrachtung der einzelnen Abschnitte zu.

2. ÜBER DIE EHE (1. Kor 7, 1-7)

a) Auslegung von 1. Kor 7, 1-7


V. 1: Was aber das betrifft, wovon ihr mir geschrieben habt, so ist es
für den Menschen gut, kein Weib zu berühren.
V.2: Aber um der Unzuchtssünden willen soll jeder seine eigene Frau
und jede ihren eigenen Mann haben.
V.3: Der Frau leiste der Mann die schuldige Pflicht, ebenso aber auch
die Frau dem Manne.
V.4: Die Frau hat über ihren eigenen Leib nicht das Verfügungsrecht,
sondern der Mann; ebenso hat aber auch der Mann über seinen
eigenen Leib nicht das Verfügungsrecht, sondern die Frau.
V. 5: Entzieht euch einander nicht, es sei denn aus übereinstimmung auf
(kurze) Zeit, damit ihr euch dem Gebet widmet und dann wieder
zusammen seid, damit euch nicht der Satan wegen eurer Unent-
haltsamkeit versuche.
V.6: Dies sage ich aber als Zugeständnis, nicht als Befehl.
V. 7: Ich wünschte freilich, dass alle Menschen wären wie ich; doch je-
der hat seine eigene Gabe, der eine so, der andere so.

V.l: Nach eYQlx,jJa'tE fügen verschiedene Handschriften (Koine, A, D, G, u. a.)


ein [,tOL ein. Man kann dies als einen Interpretationsversuch verstehen, der durch-
aus zu recht besteht. Denn der Brief der Korinther hat sich sicher allein an
Paulus gerichtet. - ältTEcr{}m 'ttvo~ bedeutet: jemanden oder etwas anfassen, an-
rühren, und begegnet seit Homer. ält'tEcr{}aL YlJvai:%o!;' heisst: eine Frau berühren,
im Sinne von: geschlechtlichen Umgang mit ihr haben (vgl. Gen 20, 6 und
Spr 6, 29).
V.2: ÖLU M 'tu~ ltoQvEta~ = wegen der Unzuchtssünden. Es sind damit die ein-
zelnen unzüchtigen Handlungen gemeint, auch die unzüchtigen Gedanken, im
Gegensatz zum mehr theoretischen Begriff der ltoQvEta (singl.). G liest den Sin-
gularis, wohl eine sekundäre Angleichung an Kap. 6,18.

153
V.3: 1] OepELAT] = Schuld im eigentlichen materiellen Sinn; dann übertragen
= die Pflicht. Hier ist der Geschlechtsverkehr gemeint. Früh schon gab es Ver-
suche, in beschönigendem Sinne abzbschwächen. V gI. die Lesart der Koine:
OepELAOflE'V'I]'V EU'VOLU'V = die geschuldete Gunst.
V.4: E;OUcrLU1;EL'V ist Verbalbildung zum Substantiv E;OUcrLU (vgI. Bauer, Sp.550
und ThWb III, S. 559 H., ferner unten im Exkurs: Die Unzucht in Korinth,
S.200). Es bedeutet: die E;OUcrLU besitzen. Demnach a)die Möglichkeit haben,
b) das Recht haben, oder c) die Macht haben. Hier ist an eine Kombination der
Bedeutungen b) und c) zu denken. Am besten ist zu übersetzen: das Verfügungs-
recht haben.
V.5: U1tOcr"tEQEL'V = eigentlich: berauben (vgI. 1. Kor 6,8). Hier dem Zusammen-
hang nach übertragen auf den geschlechtlichen Verkehr. - Die Partikel &'V fehlt
in so alten Textzeugen wie p46, B, ferner bei Clemens Alexandrinus. Es ist aber
zu vermuten, dass die Auslassung dem ursprünglichen Text näher kommt. Die
spätere Einfügung des u'V kann gut geklärt werden aus dem Bestreben, die klare
Weisung des Apostels, die Ehe zu vollziehen, ihrer straffen Konturen zu berau-
ben. Alles wird so viel unbestimmter! - Die Koine liest die vollere Wendung:
«damit ihr euch dem Gebet und dem Fasten widmet». Dies erinnert an Mk 9, 29,
wo auch das Gebet in den Handschriften Bund N allein genannt wird, und
später durch den Begriff des Fastens ergänzt wurde. - Die Konstruktion ~es
Satzes ist unübersichtlich; die Eheleute sollen sich natürlich nicht einander ent-
ziehen, um nachher wieder zusammen zu kommen. 6 Sondern der Zweck ist die
Musse zum Gebet. Anschliessend müsste man eigentlich einen Imperativ er-
warten: «und dann seid wieder zusammen!» (vgI. H. Lietzmann / W. G. Kümmel,
An die Korinther I. II, 1949, z. St.). Was gemeint ist, ist aber klar. Das zweite
L'VU ist dem ersten L'VU logisch nicht parallel geordnet, sondern es bezieht sich
inhaltlich auf das gesamte Vorhergehende. - U%QUcrLU könnte man am besten mit
Unbeherrschtheit oder Zügellosigkeit übersetzen. Das Gegenteil ist die EY%QU"teLU
= Enthaltsamkeit. Von daher empfiehlt es sich, die gebräuchliche Übersetzung
«Unenthaltsamkeit» beizubehalten. Zu EY%QU"ti]~, EY%QU"tEuEcri}m vgI. V.9. -
V.6: Zu dem Ausdruck AEYW als massgebliche Meinungsäusserung des Apostels
vgI. V.8. - Was mit "toii"to sachlich gemeint ist: 1) V.2-5 (so H. Lietzmann /
W. G. Kümmel, z. St.), oder 2) nur V.5 allein, kann weder sprachlich noch aus
der formalen Gliederung heraus entschieden werden. Man muss abwägen, was
inhaltlich wahrscheinlicher ist. - crUYY'VWfl'l] steht hier im Gegensatz zu EitL"tUy'I].
Da letzteres eine Verordnung oder einen Befehl bezeichnet, muss mit crUYY'VWfl'l]
das Zugeständnis gemeint sein. Dass mit EitL"tUY'I] auf das rabbinische Pflicht-

6 Die Koine verdeutlicht wieder, indem sie an Stelle von ~"tE liest: crU'VEQ)(,'I]cri}E
(P 46: crU'VEQ?GEcri}E).

154
gebot der Eheschliessung angespielt werde (so Billerbeck III, S.373), ist sprach-
lich nicht strikte gefordert. .
V. 7: Die Koine, B, u. a. ersetzen die Partikel ö8 am Anfang des Satzes durch ein
begründendes yaQ. Dieser Wechsel ist nicht bedeutungslos. Es spiegelt sich
darin ein differenziertes Verständnis der ganzen Stelle (vgl. unten S. 162). - Zum
Begriff xaQLO"fla vgl. R. Bultmann, Theologie des NT, 1953, S. 152 f. In der
Aufzählung der Gnadengaben 1. Kor 12, 7-lO fehlt das Charisma der Ehelosig-
keit. überhaupt muss man sich fragen, ob es einen Sinn hat, nur von verschie-
denen Gaben zu reden; gerade die «Gnadengabe der Ehelosigkeit» besitzt doch
einen ganz anderen Charakter als z. B. die Gabe der Rede aus Eingebung.

In V. 1 finden wir die einzige Bezugnahme auf ein dem Paulus zuge-
gangenes Gemeindeschreiben aus Korinth. 7 Leider kennen wir den Inhalt
dieses Gemeindebriefes nur indirekt. Er wird Fragen enthalten haben,
auf die der Apostel antwortet. Wieder wissen wir nicht, ob Paulus die
ihm vorliegenden Fragen der Reihe nach abhandelt, oder ob er ab und zu
nach eigenem Gutdünken Ermahnungen beisteuert. In Kap. 1, 11 berichtet
er von den «Leuten der Chloe», die ihn über die Parteimeinungen in Ko-
rinth unterrichtet hätten. Es scheint, dass davon nichts im Gemeindebrief
gestanden hatte. Bei anderen Problemen kann vermutet werden, dass
Paulus auf gestellte Fragen antwortet. Sicher ist dies im 7. Kapitel der
FalL
Allerdings hilft uns diese Erkenntnis nicht viel weiter, da wir ja nicht
wissen, wie die konkrete(n) Fragen(n) der Korinther lautete(n). Wir
stehen hier vor einem grundsätzlichen Problem jeder Auslegung der Ko-
rintherbriefe. Es scheint, dass in keinen anderen Paulusbriefen die Kennt-
nis der Umstände für das zutreffende Verständnis so nötig wäre. Schon
in V. 1 wird uns dies schmerzlich bewusst. Wie hiess die Frage der Ko-
rinther? Nimmt Paulus hier mit dem Satz «Es ist für den Menschen gut,
kein Weib zu berühren» etwa eine Ansicht der Korinther auf? So wollte
neuerdings wieder M. Thurian in seiner Schrift «Ehe und Ehelosigkeit» B
in V. 1 ein Zitat sehen, und nicht schon eine Stellungnahme des Paulus.
Man müsste dann übersetzen: «Ich komme jetzt auf das zu sprechen, was
ihr mir geschrieben habt: ,Es ist dem Manne gut, kein Weib zu berühren'.
Aber um der Hurerei willen habe ein jeglicher seine eigene Frau und
7 «Gemeindeschreiben» ist vielleicht schon zu viel gesagt. Es könnte auch ein
Schreiben einzelner Gemeindeglieder sein. Dies ist jedoch unwahrscheinlich, da
ja der 1. Korintherbrief an die gesamte Gemeinde geschrieben ist; also muss das
«ihr habt geschrieben» sich auf die gesamte Gemeinde beziehen.
8 Deutsche übersetzung o. J., Originaltitel: «Mariage et CeIibat».

155
jegliche habe ihren eigenen Mann ... »9 Paulus würde dann also eine
Äusserung der Korinther aufnehmen, welche er im Folgenden nicht be-
jaht, aber auch nicht direkt verneint.
Für diese Auffassung könnte man geltend machen, dass Paulus auch
an anderen Stellen des 1. Korintherbriefes offensichtlich Äusserungen der
Korinther zitiert. Bekannte Beispiele finden sich 1. Kor 1, 12 (3,4) oder
15, 12. Auch 6,12 könnte ein korinthisches Schlagwort sein. 10 Allerdings
sind in den ersteren Belegstellen deutlich die Zitate als solche gekenn-
zeichnet. Damit wird es aber fraglich, ob die These von M. Thurian halt-
bar ist. Müsste man nicht auch hier irgend eine Kenntlichmachung des
Zitates als solches erwarten? Etwa in dem Sinn, dass wie in 8, 1 nach 7, 1
ein otöallEV o'n eingefügt wäre. l l
Es liegt kein Grund vor, das traditionelle Verständnis unserer Stelle
zu verlassen. Paulus gibt auf die Frage der Korinther eine Antwort, die
also bereits in V. 1 b beginnt. Der Ausdruck «ein Weib beruhren» ist
euphemistische Redeweise, um den Geschlechtsverkehr zu bezeichnen.
Wenn Paulus sagt: «Es ist für den Menschen gut, kein Weib zu beruh-
ren» 12, so meint er dies nicht grundsätzlich und absolut. Er würde sich
sonst in V.4 ff. ja selbst widersprechen. Sondern hier schon ist die Mei-
nung des Paulus die, dass das ehelose Leben vorzuziehen sei, wie er es
dann in V. 7 nochmals ausspricht. Man würde Paulus missverstehen, wenn
man ihm in V. 1 eine grundsätzliche Ablehnung der Ehe überhaupt unter-
schieben wollte. Es ist auch kaum denkbar, dass Paulus sich gegen das
rabbinische Pflichtgebot 13 hinsichtlich der Eheschliessung stellen würde.
Auch kann Paulus hier nicht sog. «geistliche» Ehen im Auge haben, da in
V. 4 f. deutlich vom körperlichen Vollzug der Ehe die Rede ist. Somit

9 M. Thurian, a. a. 0., S. 62.


10 Vgl. unten S. 200,
11 Der sprachlich-formale Vergleich aller Stellen, wo Paulus ein :n:EQL mit Gen.
absolut. am Anfang eines Satzes gebraucht, ist unergiebig. In Frage kommen
neben 8, 1 noch 16, 1. 12, Bei anderen ähnlichen Formulierungen ist die Prä-
position zum folgenden Verbum zu ziehen: 1. Kor 7, 25; 8,4; 12, 1; 1. Thess 4, 9;
5,1; 2. Kor 9,1.
12 Vgl. die entsprechende Formulierung in Mt 19,10: Et o{l't(o~ EO''tLV fJ ahta
'tou &.v&Qw:n:ou flE'tU 't;;~ yu'VaL,oo·~, O'Ii O'Uflq>EQEL yafl;;O'aL, Das Wort xaf..6v ist nicht
moralisch zu deuten, also nicht im Sinn von «gut und böse». Sondern es will
sagen: es ist nicht «vorteilhaft» oder «günstig». Diesen Sprachgebrauch treffen
wir in der Septuaginta: ou xai..o~ Et'VaL ä'VitQro:n:o'V fl0'VO'V (Gen 2, 18): Es ist nicht
gut (d. h. günstig oder vorteilhaft), dass der Mensch allein sei. Vgl. J. Hering,
La premiere epitre de Saint Paul aux Corinthiens, 1949, z. St.
13 V gl. Billerbeck 11, S. 372.

156
bleibt nur eine Möglichkeit übrig: Paulus würde ein eheloses Leben vor-
ziehen (V. 7), sagt aber in V. 2, dass, wenn schon den meisten die Gabe
der Enthaltsamkeit von Gott nicht geschenkt sei (V. 7), jeder seine eigene
Frau und jede Frau ihren eigenen Mann haben soll. Wieder gilt dies
nicht allgemein, sondern eben für die, die verheiratet sind oder sich
verheiraten wollen.
Die Verhütung der Unzuchtssünden (so ist der Ausdruck ~ha l'lE 'ta~
:rtoQvcla~ zu verstehen) ist sicher nach der Meinung des Paulus ein Zweck
der Ehe. 14 Es steht aber nicht da, dass dies der einzige Zweck der Ehe
sei. Der Begriff der Unzuchtssünden wird wohl von Kap. 6, 12-20 her zu
füllen sein, und eng mit der profanen und sakralen Prostitution zusam-
menhängen. 15 Man muss nämlich klar sehen, dass das Thema von Kap. 6,
12-20 im Kap. 7,2 aufgenommen wird, ohne dass daraus inhaltliche Kon-
sequenzen gezogen werden dürften. Es wäre fatal, wenn man meinen
würde, Paulus spreche zuerst in 6, 12 ff. von der Unzucht, um dann in
7, 1 ff. von der Ehe als dem Heilmittel gegen die Unzucht zu reden. So
kann man nur interpretieren, wenn man den Abschnitt Kap. 6, 12-20
überbewertet. Tatsächlich geht es in 6, 12 ff. nicht um eine systematische
Abhandlung über das Problem der Prostitution, sondern die ganze Frage
ist einzig vom Gesichtspunkt des einzelnen korinthischen Christen aus
konzipiert.
Als Voraussetzung für die Anschauung des Paulus ist seine Aussage
in V. 9 wichtig. Er sieht realistisch, dass die Macht des Geschlechtstriebes
ernst genommen werden muss. Darum ist es besser zu heiraten, als sich in
Begierde zu verzehren. Offenbar sieht Paulus in der Ehe den von Gott
geschaffenen Ort, wo auch die Begierde, die an sich noch nicht sündig
ist, ihren legitimen Platz hat. Davon handeln die folgenden Verse. Es ist
klar: wenn die Ehe neben andern Zwecken auch denjenigen hat, die Un-
zucht zu verhüten, dann soll sie auch regelmässig körperlich vollzogen
werden. Das ist für jüdische Ohren durchaus das Normale und hat nichts
Aussergewöhnliches an sich. Paulus redet hier von einer «geschuldeten

14 Der Gedanke, dass die Ehe vor Unzucht schützen soll, findet sich schon im
Judentum (vgl. Billerbeck III, S.68). Bezeichnende Aussprüche finden sich Qid
29 b Bar: Rab Huna hat gesagt: Wenn jemand zwanzig Jahre alt ist und kein
Weib genommen hat, so sind seine Tage voll von Sünden (gemeint sind Un-
zuchtssünden!), oder Jeb 63 a: dort erwiderte R. Chijja auf einen Vorwurf, dass
er seiner Frau, die ihn viel ärgerte, Geschenke mitbringe: Es ist genug, dass sie
(die Frauen) unsere Kinder aufziehen und uns vor der Sünde (der Unzucht) be-
wahren!»
15 Vgl. unten den Exkurs: Die Unzucht in Korinth, S.197 H.

157
Pflicht», wohl im Gedanken daran, dass der Jude verpflichtet war, sei-
nem Weibe den körperlichen Umgang nicht zu entziehen. 16 Dann erhebt
sich aber sofort die Frage: Warum redet Paulus hier so ausdrücklich da-
von? Muss etwa hier die spezielle Frage der Korinther vermutet werden?
War dies das eigentliche Problem, ob man in der Ehe auf den Ge-
schlechtsverkehr verzichten müsse oder nicht?17 Wir werden später noch-
mals auf diesen Aspekt zu sprechen kommen müssen.
V. 4 umschreibt noch genauer, was Paulus unter der ehelichen Pflicht
versteht. Die folgenden Bestimmungen muten aber merkwürdig formal
an. Der Mann hat nicht das Verfügungsrecht über seinen eigenen Kör-
per, sondern die Frau, und umgekehrt. Es fehlt aber im Griechischen an
dieser Redensart jegliche Herabwürdigung des andern Geschlechtes. Es
will eine sachliche Feststellung gemacht werden. Bereits in V. 2 ist es auf-
fällig, wie Paulus jeder Aussage über den Mann die genau entsprechende
über die Frau gegenübergestellt 18; in den folgenden V. 3 und 4 verfährt er
genau gleich. 19 Dabei kann man nun beobachten, wie sich gerade durch
die angeführte Doppelung die beiden Sätze in V. 4 gegenseitig aufheben,

16 Aus Ex 21, 10 wird bewiesen, dass jeder Mann seiner Frau die Beiwohnung
schuldig ist. Wer dies nicht tut, ist ein Sünder. Die Versagung der ehelichen
Pflicht wird mit Geldstrafen geahndet. Nimmt ein Mann sich noch eine Frau,
so soll er der ersten an der Nahrung, an der Kleidung und dem ehelichen Um-
gang nichts entziehen. Doch darf der Mann seine Frau nicht zum Beischlaf zwin-
gen. Die Frau dagegen soll den Mann auffordern, bei ihr zu schlafen; einem
solchen Vorgehen sind schöne Kinder verheissen. Vor ü1:>ermässigem Geschlechts-
genuss wird gewarnt. Dies speziell in Bezug auf die Gelehrten: Berakh 22 a: Die
Gelehrtenschüler sollen sich bei ihren Weibern nicht wie die Hähne (bei den
Hühnern) finden lassen. Keth 5, 6: Zur Leistung der ehelichen Pflicht, von der in
der Thora die Rede ist (Ex 21, 10), sind verpflichtet die Müssiggänger (Leute
ohne besonderen Beruf) täglich, die Arbeiter zweimal in der Woche, die Esel-
treiber einmal in der Woche, die Kamelführer einmal in 30 Tagen, die. Schiffer
einmal in sechs Monaten. Das sind Worte des R. Eli'ezer (um 90).
Keth 62 b: Wann geschieht die Beiwohnung seitens der Gelehrtenschüler? Rab
Jehuda (t 299) hat gesagt, SchemueI (t 254) habe gesagt: Von einem Sabbatrüst-
tag auf den Sabbatrüsttag (d. h. an jedem Freitagabend); denn es heisst: Der
seine Frucht gibt zu seiner Zeit. Ps 1, 3. - Dies wird auf den Sabbatrüsttag ge-
deutet. Billerbeck III, 368-371.
17 So H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a. 0., S.29.
18 Das Fehlen der entsprechenden Aussage über die Frau in G min, Tert. de
pud. 16, ist wohl durch ein Versehen beim Abschreiben entstanden, indem vom
ersten E')GE-tW sofort auf das zweite E')GE'tW hinübergesprungen wurde. Vgl. H. Lietz-
mann / W. G. Kümmel, z. St.
19 Vgl. E. Kähler, Die Frau in den paulinischen Briefen, 1960, S.17-21, wo
auf diese Beobachtung besonderes Gewicht gelegt wird.

158
wenn man sie einmal rein logisch betrachtet. Aber offenbar. ist dies von
Paulus gerade gewollt. Denn innerhalb der Ehe haben eben weder Mann
noch Frau das Verfügungsrecht über ihren eigenen Leib, sondern beide
sind in eine die Privatsphäre übergreifende Ordnung hineingestellt. In-
sofern kann Paulus von einer «Pflicht» reden. Man sieht aber sofort,
dass diese «Pflicht» nicht den Charakter des «Müssens» an sich trägt,
eher denjenigen des «Dürfens», wenn man nicht überhaupt auf jede
Wertung verzichten will. Auf alle Fälle ist aber die Frau dem Manne
vollständig gleichgestellt; und dies ist, gegenüber dem Judentum, aber
auch gegenüber der damaligen Umwelt, sicher von grösster Bedeutung.
Ehe wird also nicht mehr vor allem unter dem Aspekt des Mannes ge-
sehen; sondern Mann und Frau begegnen sich hier auf gleicher Ebene.
Die Frau wird nicht mehr als Sache verstanden, sondern als vollwertige
Person tritt sie an die Seite des Mannes. Hier wäre eine Belegstelle für
ein partnerschaftliches Verständnis der Ehe zu finden.
Den bleibenden Gehalt der Ausführungen des Apostels Paulus in 1. Kor
7,1-7 dürfen wir in dieser aufgezeigten Struktur der Ehe sehen. Gerade
auch in Bezug auf die körperliche Vereinigung! Es gilt auch hier das
Liebesgebot, das seiner Intention nach den Nächsten meint und allen
Egoismus ausschliesst. Wer in der geschlechtlichen Vereinigung nur sich
selber sucht, seine eigene Lust und seine eigene Befriedigung, hat ihr
wahres Wesen verfehlt. Natürlich hat die Ehe auch die Bestimmung,
Kinder zu erzeugen und die Nachkommenschaft sicherzustellen. Aber
gegenüber dem Alten Testament wird im Neuen Testament diese Be-
stimmung der Ehe vollständig relativiert. Der eheliche Umgang schliesst
viel mehr in sich als nur die Weitergabe des Lebens. Er ist Ausdruck für
das gegenseitige Zusammengehören von Mann und Frau, für das Eins-
werden in der Ehe. Es ist interessant, dass der Apostel Paulus in 1. Kor. 7,
1-7 die Frage der Nachkommenschaft überhaupt nicht anschneidet. Es
kann dies mit dem ihm vorliegenden Fragenschema zusammenhängen;
viel wahrscheinlicher aber ist es, dass tiefere Gründe im oben angedeute-
ten Sinn vorliegen.
Im Altertum war häufiger geschlechtlicher Verkehr die Regel. Paulus
denkt offenbar durchaus von seiner Zeit her. Eventuell will er auch ge-
wisse asketische Neigungen bekämpfen. Denn schon in vorchristlicher
Zeit lassen sich gewisse Züge des Zusammenlebens beobachten, die später
mit dem Schlagwort der «geistlichen Ehen» belegt wurden. 20 Die Sexual-
riten der Aphroditenverehrung brachten in der damaligen Zeit eine Ver-

20 V gl. unten: Geistliche Ehen in Korinth?, S. 175 H.

159
sexualisierung des Lebens mit sich, von der schwer zu sagen ist, ob sie
durch die heutigen Verhältnisse überboten wird. Ein gültiger Vergleich
lässt sich kaum durchführen. Aber schon damals wandten sich grosse
Kreise des Volkes angewidert von diesem Treiben ab und drohten, ins
andere Extrem zu fallen. In V. 5 sagt darum Paulus ausdrücklich, dass
Mann und Frau sich einander nicht entziehen sollen. Als einzige Aus-
nahme lässt er das Gebet gelten. Aber auch hier muss auffallen, wie vor-
sichtig Paulus formuliert. Wenn Enthaltsamkeit in der Ehe Platz greifen
soll - und zwar ist die bewusste, gewollte Enthaltsamkeit gemeint und
nicht die durch äussere Umstände erzwungene -, dann darf das nur un-
ter zwei Bedingungen erfolgen: 1. Es soll in gegenseitiger übereinstim-
mung geschehen, nicht nur durch einseitige Laune. 2. Es soll nur auf eine
bestimmte Zeit geschehen. Offenbar ist an eine kurze Zeit gedacht, viel-
leicht an ein paar Tage. Nicht nur kann der Begriff xmQ6~ im Neuen
Testament gerade auch die kurze Zeit bezeichnen 2\ sondern es ist auch
auffällig, wie schnell Paulus innerhalb des Satzgefüges wieder auf das
eheliche Zusammenleben zu reden kommt, so schnell, dass sogar die
grammatikalische Konstruktion des Satzes leidet.
Schon das Judentum kennt den Verzicht auf Geschlechtsverkehr zum
Zwecke des Thorastudiums. 22 Offenbar schließt sich Paulus eng an die
jüdische Sitte an. Diese Erklärung unseres Verses ist sicher richtiger als
die Vermutung, dass Paulus mit der Vorstellung der kultischen Unrein-
heit, erworben durch Geschlechtsverkehr, operiert. 23 Allerdings erlaubt

21 Lk 21,36; Eph 6,18; G. Delling, Art. xULQ6<;, Th Wb 111, S.463.


22 Billerbeck III, 371 f. bringt verschiedene Belege, z. B. P Keth 5, 30 a, 61:
«Studierende dürfen sich zum Thorastudium ohne Erlaubnis ihrer Frauen dreissig
Tage lang entfernen, mit Erlaubnis ihrer Frauen auch wer weiss wie lang». An
anderer Stelle (Keth 62 b) vertreten die Gelehrten sogar den Grundsatz, dass
Studierende sich zum Thorastudium 2 bis 3 Jahre entfernen dürfen. Allerdings
zählt diese Zeit dann nicht mit, wenn ein Weib wegen Kinderlosigkeit nach
10 Jahren verstossen werden sollte. Eine ganze Debatte entspann sich auch um
die Frage, ob Gelübde, welche den Verzicht auf eheliche Beiwohnung zum Ge-
genstand hatten, gültig seien oder nicht, da sie sich ja gegen Gottes Gebot der
Fortpflanzung (Gen 1, 28) und des Geschlechtsverkehrs (Ex 21,10) richten.
23 Diese Vorstellung war weitverbreitet. V gl. dazu den Begriff u:yv6<;, o:yvstu,
etc., welcher die kultische Reinheit und zugleich die Keuschheit bezeichnen kann
(s. unten bei 1. Petr 3, 2.) Auch im Alten Testament ist sie nachzuweisen, indem
der eheliche Verkehr levitisch unrein macht (Lev 22, 3). Im Judentum war der
Beischlaf am Versöhnungstage gesetzlich verboten, offenbar auch unter der
Nachwirkung der obengenannten Vorstellung (Joma 8,1). - Lietzmann wollte die
Enthaltsamkeit beim Gebet in diesem Sinn erklären, Kümmel hat diese Ansicht
jedoch korrigiert. H. Lietzmann / W. G. Kümmel, z. St.

160
Paulus die Unterbrechung der ehelichen Gemeinschaft nicht einfach
für ein «Thorastudium», sondern nur und zwar offenbar ausschliesslich
für das Gebet. Es wäre interessant darüber nachzudenken, warum in der
christlichen Gemeinde das Gebet das Thorastudium ersetzen kann. Dies
würde uns aber zu weit von unserem eigentlichen Thema abführen. Nur
soviel noch: Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir hier nicht nur an das
tägliche Gebet denken, sondern an das machtvolle urchristliche Gebet,
von dem uns die Apostelgeschichte berichtet 2 \ welches die ganze Exi-
stenz des Menschen betrifft.
Unter diesem Aspekt wirkt nun die Anordnung des Paulus in V. 5 noch
belangloser, als es schon am Anfang schien. Enthaltsamkeit ja, aber nur
auf Zeit und nur wegen Gebet. Zudem: wer übt diese Art des Betens? Es
werden sicher, so wie auch heute, schon damals nur ganz wenige und
vereinzelte Menschen sein. Paulus weiss eben in ganz realistischer Beur-
teilung der Lage, dass gerade das fromme Werk der Enthaltsamkeit zum
Fallstrick werden kann. Wieder greift er auf eine gängige jüdische Vor-
stellung zurück, wenn er in diesem Zusammenhang von dem Satan
redet. 25 Denn die Begründung /)ul uXQLo[av will im Grunde sagen: Alle
diejenigen, die geheiratet haben, sind in ihrem Charakter unenthaltsam.
Wäre es nicht so, sie hätten nicht geheiratet. Darum ist für einen Ver-
heirateten die Enthaltsamkeit nicht gestattet.
V. 6 kann unsere Interpretation von V. 5 wesentlich unterstützen. Die
Frage ist, was mit dem Ausdruck LOULO sachlich gemeint ist:
1. die V. 1-5: also die ganze Ehebelehrung, oder
2. V.6 allein, d. h. die Vorschrift betreffend der Enthaltsamkeit In
der Ehe.

24 Apg 12, 12; 4,31 u. a.


25 Dass die Versuchung zur Unzucht eine durch den Satan persönlich bewirkte
Versuchung sei, ist schon jüdische Anschauung. Belege dafür finden sich bei
Billerbeck III, S. 372 f. So findet sich ein Ausspruch eines Gelehrten: Wenn ich
mit 14 Jahren geheiratet hätte, dann hätte ich dem Satan sagen können: Ein
Pfeil in deine Augen! (Qid 29 b). Offenbar ist hier von Versuchungen zur Un-
keuschheit die Rede! Oder eine Stelle aus Jalq Schim Dt 23,14 (I § 934): Wer
hinausgeht mit gezücktem Schwert (hier euphemistische Redeweise für die ge-
schlechtliche Begierde!), dessen wird schliesslich der Satan mächtig, dass er
einen andern schlägt und tötet und sich an seiner Seele verschuldet. Ebenso, wer
ohne Weib dasitzt mit gezücktem Schwert, dessen wird der böse Trieb mächtig;
er geht mit ihm auf die Strasse hinaus, der Satan steht da und trachtet ihn aus
der Welt zu vernichten ... Und der Satan treibt ihn, aus einem Becher zu trin-
ken. der nicht sein ist (d. h. mit einer fremden Ehefrau Ehebruch zu treiben,
worauf die Todesstrafe steht!).

161
Man sieht, dass je nach dem, ob man sich für die erste oder zweite
Möglichkeit entscheidet, gerade sich gegenseitig ausschliessende Aus-
sagen resultieren. Im ersten Fall würde Paulus die Ehe als solche als ein
Zugeständnis bezeichnen und die Ehe damit als körperliche Gemein-
schaft diskreditieren. Im zweiten Fall aber wäre Paulus der Meinung,
die Ehe müsse körperlich yollzogen werden, und die zeitweilige Enthalt-
samkeit sei nur ein Zugeständnis, niemals ein Befehl. Bereits früher haben
wir gesagt, dass die Entscheidung für die eine oder andere Möglichkeit
nur aus sachlichen überlegungen getroffen werden kann, d. h. dass wir
hier also ganz besonders den unmittelbaren Kontext berücksichtigen müs-
sen. Gerade der Kontext (V. 7) scheint nun darauf hinzudeuten, dass
Paulus die zweite Möglichkeit im Auge hatte, dass sich das .0''';0 also nur
auf V. 5 bezieht. V. 7 ist nämlich durch eine Partikel eng an V. 6 ange-
schlossen, wobei textkritisch keine einheitliche überlieferung besteht. An
Stelle von öe wird von einigen Handschriften yaf} gelesen. öE ist jedoch
die besser bezeugte und ältere Lesart. 28 Eine genaue überprüfung des
Gedankenganges beider Lesarten 27 zeigt aber, dass diese sich den oben-
genannten beiden Deutungsmöglichkeiten für .0Ü.o zuordnen lassen. Da-
bei ergibt sich wiederum, dass die Deutung .OÜ.O = V. 5 den Vorzug
verdient, weil sie mit der älteren Lesart in Verbindung steht.

28 Vgl. oben S. 155.


27 Die Partikel M hat den Charakter eines Füllwortes und führt die Rede als
adversative Konjunktion weiter. Man muss also in diesem Fall übersetzen: «Ich
wünschte freilich, dass alle Menschen so wären wie ich».
Liest man also V.6 und V. 7 unmittelbar hintereinander, dann erhält man fol-
genden Gedankengang: Paulus redet von der Ehe (V. 1 ff.) in massiver Art und
sagt darauf als Zugeständnis (V. 6), dass eine gewisse Enthaltsamkeit auf kurze
Zeit erlaubt sei (V.5); also ist das Normale die körperlich, regelmässig voll-
zogene Ehegemeinschaft. Freilich (= öe) würde Paulus es auch unter diesen Um-
ständen begrussen, wenn alle ehelos leben würden wie er. Die Partikel M fügt
sich in die von uns an zweiter Stelle genannte Deutungsmöglichkeit ein ('cou'to
= V. 5). - Anders ist es, wenn die Partikel Y<XQ gelesen wird. Dann ist zu über-
setzen: Ich wünschte nämlich, dass ...
Man sieht sofort, dass somit ein anderer Gedankengang vorliegen muss, wenn
V. 7 nicht in adversativem, sondern in kausalem Sinn an V.6 anschliesst. Dann
kann nur die erste Deutungsmöglichkeit eine Rolle spielen: Paulus redet in
V.2-5 von der Ehe; diese als solche ist aber bereits ein Zugeständnis; denn
(= Y<XQ) ich (Paulus) wünschte, es wären alle Menschen ehelos wie ich! - Die
Lesart Y<XQ setzt demnach voraus, dass mit 'tou'to = V. 2-5 gemeint ist. Oder an-
ders gesagt: Als man begann, unter 'tou'tO = V.2-5 zu verstehen, ersetzte man
M durch Y<XQ.

162
Sachlich heisst das: Es gibt keinen Befehl, die Ehe als enthaltsame oder
«geistliche» Ehe zu führen. Im Gegenteil! Es gibt höchstens ein Zuge-
ständnis; doch dies auch nur in einem Fall: nämlich um des Gebetes
willen. Es liegt eine gewisse Tragik in der Tatsache, dass Paulus hier
also gegen die Enthaltsamkeit schreibt, das 7. Kap. des 1. Kor aber später
als Hauptbelegstelle für die altchristliche Enthaltsamkeitslehre herhalten
musste. 28
V. 7 schliesst den ersten Kreis der Erörterungen über die Ehe ab. Den
Korinthern ist der Zivilstand des Apostels bekannt.. 29 Dies ist jedenfalls
Voraussetzung der Aussage. Ob Paulus ledig oder verwitwet ist, spielt
hierbei eine urtergeordnete Rolle. Auf alle Fälle lebt Paulus zur Zeit des
Briefes ehelos.
Meistens wirJ nun V. 7 b so verstanden, dass Paulus seine eigene Ehe-
losigkeit als ein Charisma bezeichne. Dies ist aber nur bedingt richtig.
Schon immer hat man gesehen, dass die Vorstellung, die continentia
sei eine Gabe Gottes, im Grunde ein hellenistisch-jüdischer oder hel-
lenistischer Gedanke ist. 3o Als Belegstelle kann man Sap 8, 21 anführen:
«Ich sah ein, dass ich nicht anders enthaltsam (EY?{(lU1;~~) werden könnte,
als wenn es mir Gott geben würde!» Hier schimmert die Verbindung zwi-
schen griechischer Ethik und Offenbarung durch. Man kann sich fragen,
ob Paulus in V. 7 b dies meint!
Sehen wir einmal, was wirklich dasteht! Es ist zu bedenken, dass V. 7
den Abschluss eines Abschnittes bildet. Insofern sind hier mehr allge-
meine Aussagen zu erwarten. Paulus würde es begrüssen - das ist das
Fazit -, wenn alle Menschen so wären, wie er, d. h. ehelos. Doch, sagt
er, das lässt sich nicht erzwingen; der eine hat diese Gnadengabe, ein
anderer eine andere.
Lietzmann glaubt, dass dies «eine feine Wendung» sei für das, was
Paulus eigentlich sagen wolle, nämlich: «der eine hat das Charisma der
continentia, der andere hat es nicht - dafür vielleicht ein anderes».31
Insofern gibt Lietzmann zu, dass Paulus hier verschlüsselt redet. Weiter

28 Vgl. den Exkurs: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der neu-
testamentlichen Umwelt und in der alten Kirche, S.203 ff.
29 Zur Frage, ob Paulus ledig oder verwitwet gewesen sei vgl. J. Jeremias, War
Paulus Witwer?, ZNW 25, 1926, S. 310 ff. Nochmals: War Paulus Witwer?,
ZNW 28, 1929, S. 321 ff.; E. Fascher, ZNW 28, S. 62 H.; A. Oepke, Th St u Kr,
1933, S. 406 H.
30 V gl. H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a. 0., z. St.

31 H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a. 0., z. St.

163
wendet sich Lietzmann gegen ein Pressen der Aussage in dem Sinn, dass
auch die Ehe selbst ein Charisma sei. 32
Allerdings muss man zugeben, dass vom rein logischen Verständnis der
Aussage her wohl eine Anspielung des Paulus auf Ehelosigkeit und Ehe
vorliegen könnte. Doch ist eine solche Doppelung hier unwahrscheinlich.
Dann muss man sich aber auch fragen, in welchem Sinn Paulus seine
Existenz als eine Gnadengabe bezeichnet.
Auch BuHmann sagt in seiner Theologie des Neuen Testamentes, dass
«Paulus die Ehelosigkeit als ein besonderes Charisma ansehe».33 Das hört
sich merkwürdig an als Schluss einer reihenweisen Aufzählung der Gna-
dengaben, wie sie aus 1. Kor 12, 7-10 abgeleitet werden. Dort fehlt ja das
Charisma der Ehelosigkeit. Das muss uns nicht erstaunen, weil ja die
Gnadengaben nicht in besondern «Zuständen» des Menschen sich äus-
sern, sondern in seiner Aktivität. Ehelosigkeit als Zustand ist darum
sicher keine Gnadengabe.
Wir dürfen nicht vergessen, dass Paulus in 1. Kor 7 nicht eine syste-
matische Abhandlung schreibt. Er redet impulsiv in die Situation der
Korinther hinein. Nicht die Ehelosigkeit an sich ist Gnadengabe, sondern
die Ehelosigkeit des Paulus, die ihn zum Dienst für Christus befähigt.
Aufschlussreich ist V. 32 b: «Der Unverheiratete sorgt sich um die Dinge
des Herrn, wie er dem Herrn gefallen möge»; und in V.34 wird dies
letztere näher umschrieben: «damit sie (die Unverheiratete) heilig sei an
Leib und Geist!» Paulus möchte nicht einfach, das alle ehelos seien, damit
sie keinen ehelichen Umgang hätten, oder dergleichen; sondern damit sie
besser dem Herrn dienen könnten. Aber er weiss: jeder hat seine eigene
Gnadengabe, der eine so, der andere so. Und diejenige Art der Ehe-
losigkeit, die Paulus meint und die er besitzt, dient dazu, dass er seinem
Herrn Christus dienen kann.

b) Die Wertung der Ehe bei Paulus

Es ist oft versucht worden, aus den Darlegungen des Paulus in 1. Kor 7
eine grundsätzliche Stellung des Apostels zur Ehe herauszulesen. Charak-
teristisch dafür sind etwa die Ausführungen von G. Delling, der zum
Schluss kommt, dass die Ehe dem Apostel Paulus unsympathisch sei. 34

32 So W. Michaelis, ZsystTh 5, 1927/8, S. 426 H.


33 1953, S. 153.
34 Paulus Stellung zu Frau und Ehe, 1931, S. 66 H.

164
Noch radikaler urteilt H. Preisker, wenn er schreibt, dass Paulus die Ehe,
wenn er sie auch nicht ganz konsequent verworfen, so doch als eine nie-
dere Art Sittlichkeit angesehen habe. 35 Bis heute hat sich in den meisten
Auslegungen des 1. Korintherbriefes der Einfluss einer vermuteten, nega-
tiven Einstellung des Paulus zur Ehe bemerkbar gemacht. 36 Jedoch ist eine
solche Sicht der Dinge nicht richtig.
Es hat sich uns im Verlaufe der Auslegung von 1. Kor 7,1-7 klar ge-
zeigt, dass Paulus keine systematische Abhandlung über die Ehe schreibt.
überall wird es greifbar, dass eine ganz bestimmte Situation voraus-
gesetzt ist. Es ist darum im höchsten Grade verhängnisvoll und auch un-
verantwortlich, wenn trotz der Situationsbezogenheit aller Aussagen ver-
sucht wird, auf Grund von 1. Kor 7 eine systematische Ehelehre aufzu-
bauen. Paulus schreibt Antworten auf ganz konkrete Fragen. Leider wis-
sen wir nicht, wie die Fragen der Korinther im Einzelnen gelautet haben.
Durch Rückschlüsse könnte man einzelne Fragen rekonstruieren. Aller-
dings ist jede solche Frageliste rein hypothetisch. Von der Grundfrage,
wie Paulus sich zur Ehe überhaupt und zum Eheschluss stelle, könnte die
Frageliste bis zu Einzelfragen reichen, etwa, ob die Eheleute auf den Ge-
schlechtsverkehr verzichten sollen oder nicht. 37
Nun ist aber die Tatsache nicht zu bestreiten, dass von der Fragestel-
lung her ein wichtiges Licht auf die ganzen Ausführungen des Apostels
fallen würde. Je nach der vorauszusetzenden Frage sind nämlich die
Anschauungen, die Paulus in 1. Kor 7,1-7 vertritt, als «ehepessimi·stisch»
oder als «eheoptimistisch» zu bezeichnen, wenn man diese vereinfachenden
Ausdrücke verwenden darf. Bleiben wir bei dem bereits genannten Bei-
spiel! Geht die Frage der Korinther im allgemeinen auf die Ehe als
solche, dann ist die Antwort des Paulus im höchsten Grade «ehepessi-
mistisch». Ist aber im Gegenteil die Frage modifiziert und auf das ge-
nannte Detail ausgerichtet, dann fällt jeglicher negative Aspekt in der
Auffassung des Paulus über die Ehe dahin; dann ist seine Antwort sicher
«eheoptimistisch».
Es ist schwierig, bei dieser Sachlage ein abschliessendes Urteil abzu-
geben, das Hand und Fuss hat. Nach Würdigung aller Umstände scheint
es aber, dass Paulus doch im grossen ganzen die Ehe positiv beurteilt.
Folgende Punkte fallen dabei ins Gewicht:
35 Christentum und Ehe in den ersten drei Jahrhunderten, 1927, S.27 und
S.126.
36 Für Paulus ist «Ehe immer ein Übe!». E. Stauffer, Th Wb I, S. 650. Dieser
Ausspruch ist für eine ganze Reihe von Auslegungen symptomatisch.
37 So etwa H. Lietzmann / W. G. Kümmel,a. a. 0., z. S1.

165
1. Aus den Darlegungen des Paulus können wir schliessen, dass in
Korinth eine asketische Gruppe bestand, welche die Ehe oder den ehe-
lichen Verkehr ablehnten. Paulus befindet sich offenbar in einer schwie-
rigen Situation. Er lehnt diese Stellung der As (eten ab, will aber nicht
mit ihnen brechen, sondern sie selbst von seiner eigenen, persönlichen
asketischen «Haltung» 38 überzeugen (vgl. auch 1. Kor 9, 24-27). So
scheint er ihnen theoretisch ein Stück weit recht zu geben, seine prak-
tischen Anweisungen laufen aber genau in anderer Richtung. 39 Insofern
würde Paulus die Ehe verteidigen; seine Konzilianz den Gegnern gegen-
über wäre einzig taktisch oder seelsorgerlieh bedingt.
2. Dass die Ehe die Unzuchtssünden verhindern kann, muss als Posi-
tivum gewertet werden. Wir haben bereits betont, dass nach den Dar-
legungen des Paulus die Verhütung der Unzucht wichtig ist. Man darf
nicht vergessen, dass dieses Problem in Korinth wohl besonders aktuell
war. Vielleicht hätte Paulus im Brief an eine andere Gemeinde die Un-
zucht nicht so vordringlich zur Sprache gebracht. übrigens ist die War-
nung vor Unzucht in diesem Sinn nichts spezifisch Christliches. Die neue
Begründung der Ablehnung dagegen ist vom Christusgeschehen her ge-
prägt und darum bedeutsam. 40
3. Unsere Auslegung von Kap. 7,1-7 hat gezeigt, wie stark Paulus in
vielen Fragen von jüdischen Vorstellungen über Ehe und Sexualität be-
einflusst ist. Es ist darum damit zu rechnen, dass bei Paulus unbewusst
die jüdische Hochschätzung der Ehe mit im Spiel ist. Für den Juden ist
die Ehe «das Natürliche», Gegebene. V. 10 zeigt, dass Paulus das Herren-
wort über die Ehescheidung (Mk 10,1 ff.) kennt und somit sicher auch
die darin spürbare hohe Wertung der Ehe durch Jesus selbst. In V.28
versichert er, dass Heiraten keine Sünde ist, offenbar im Gegensatz zu
solchen, die dies behaupteten. In V. 38 heisst Paulus den Eheschluss aus-
drücklich gut. Wenn Paulus in V.14 der Meinung ist, dass der ungläu-
bige Ehepartner durch den gläubigen geheiligt sei, so fällt auch von da
her ein ganz neues Licht auf die Ehe selbst. 41
Gerade wenn wir aber dem jüdischen Hintergrund eine entscheidende
Rolle zubilligen, muss uns die Stellung des Paulus zur Ehelosigkeit erstau-

38 Bekanntlich fehlt ja das Wort uaxEiv im Corpus Paulinum. Aber in ge-


wissem Sinn ist die Sache doch da.
39 So urteilt auch H. Chadwick, Art. Enkrateia, RAC VI, Sp. 343-365, aber
er wertet doch negativ.
40 V gl. unten S. 201 f.
41 V gl. unten S. 194 H.

166
nen. Im Judentum war die Ehelosigkeit verpönU2 Paulus bezeichnet aber,
wie wir gesehen haben, seine ehelose Existenz als ein Charisma, eine
Gabe, die Gott ihm in aller Freiheit gegeben hat (V. 7). Auch ist es rich-
tig, dass Paulus den Stand der Ehelosigkeit als für den Christen günstiger
einschätzt (V. 26, 28 und 38). Er gibt den Ehelosen den Rat, nicht zu
heiraten (V. 8 und 27). Wieso dies alles?
Die Antwort ist im paulinischen Verständnis der Zeit als der Endzeit
zu suchen.

3. DIE BEDEUTUNG DER ESCHATOLOGIE FÜR DIE EHE


(1. Kor 7, 25-35)

Die Ehe gehört zUr Gestalt dieser Welt oder dieses Aeons. Die Gestalt
dieser Welt aber vergeht (V. 31). Nach 1. Kor 10,11 steht das Ende nahe
bevor. Die Frist ist kurz (V. 29). Was bedeutet dies für die Ehe? Wird sie
durch das Hereinbrechen des neuen Aeons in Frage gestellt? Um in die-
sen Fragen klarer sehen zu können, wollen wir zuerst in aller Kürze das
paulinische Weltverständnis in ein paar Sätzen umreissen. 43
Sicher ist, dass Paulus als frommer Jude seiner Zeit die Welt als
Schöpfung Gottes ansieht. Darum kann sie nicht von vorneherein mit
ihren massgeblichen Strukturen abgelehnt werden. Insofern sind die Ord-
nungen dieser Welt, wie Ehe, Staat, etc. positiv zu werten.
Aber nun ist die Welt oder der Kosmos nicht nur Schöpfung Gottes,
sondern auch die Sphäre der Weltlichkeit, also sozusagen der Raum im
zeitlichen und örtlichen Sinn, wo die Mächte dieser Welt ihre Herrschaft
ausüben. Paulus redet direkt vom «Gott dieser Welt» (2. Kor 4,4). Tat-
sächlich ist diese Welt Kampfplatz. Der Mensch wird angefochten und
wäre verloren, wenn nicht sofort ein weiteres Moment dazukäme. Christus
hat über die Mächte der Welt triumphiert, seine Herrschaft über das All
ist im Anbruch, ja, seine Herrschaft ist ein gutes Stück weit schon Wirk-
lichkeit. Darum ist «dem Christen ein zwar bedrohter, aber doch realer
Raum der Freiheit von diesen Weltmächten geschaffen» (W. Schrage).
Christus errettet uns aus dieser Welt (Gali, 4). Das bedeutet nicht einen
Standpunkt ausserhalb der Welt, sondern es ist der freie Raum in der
Welt, der dem Glaubenden angeboten und freigekämpft ist.

42Vgl. die Ausführungen zu Mt 19,10-12, S. 102 H.


43 Wir folgen dabei den Ausführungen von W. Schrage, Die Stellung zur
Welt bei Paulus, Epiktet und in der Apokalyptik, ZThK 61, 1964, S. 125-154.

167
Wir sehen weiter, dass Paulus den ursprünglichen Schöpfungsglauben
durch eschatologische Denkvorstellungen neu füllt. Es geht ja nicht nur
um ein einfaches Nebeneinander zwischen dieser geschaffenen, aber den
Mächten verfallenen Welt, und dem neuen Aeon. Nein, die Welt wird
sich ändern! Christus ist der, dem alles gehört und durch ihn gehört die
ganze Welt Gott (1. Kor 15, 24). Es wird dazu kommen, dass Gott wird
sein alles in allem. Darum gibt es bei Paulus keine Weltflucht, aber auch
keine Weltsucht. Alles ist euer, sagt er den Korinthern, auch die Welt!
(1. Kor 3,21). Und weil «die Erde des Herrn ist, und was darinnen ist»,
darum sollen die Korinther nur ruhig Götzenopferfleisch essen (1. Kor 10,
25 f.). Es wird ihnen und ihrem Glauben nicht schaden. Im Gegenteil! Es
ist eine Vorwegnahme dessen, was einmal sein wird, wenn Gott alle
Mächte zunichte gemacht haben wird.
Auch in Bezug auf die Ehe konnte eine solche Einstellung nicht ohne
Folgen bleiben. Davon handelt l. Kor 7, 25-35:

V.25: über die Jungfrauen aber habe ich kein Gebot des Herrn, ich
gebe aber meine Meinung ab als einer, der vom Herrn die Barm-
herzigkeit empfangen hat, vertrauenswürdig zu sein.
V.26: Ich meine aber, dies sei gut um der gegenwärtigen Not, dass es
für einen Menschen gut sei, so zu sein.
V. 27: Bist du an eine Frau gebunden, so suche keine Lösung. Bist du von
einer Frau gelöst, so suche keine Frau!
V.28: Wenn du aber auch heiratest, so sündigst du nicht, und wenn die
Jungfrau heiratet, so sündigt sie nicht. Bedrängnis für das Fleisch
aber werden sie haben; ich aber möchte euch schonen.
V.29: Das aber sage ich ihr Brüder: Die Zeit ist zusammengedrängt; also
sollen die, die Frauen haben, so sein, als hätten sie keine,
V.30: und die Weinenden, als weinten sie nicht und die Fröhlichen, als
freuten sie sich nicht, und die Kaufenden, als behielten sie es nicht.
V.31: und die Welt gebrauchen, als brauchten sie sie ganz und gar
nicht. Denn die Gestalt dieser Welt ist im Vergehen.
V. 32: Ich will aber, dass ihr ohne Sorgen seid. Der Unverheiratete sorgt
sich um die Dinge des Herrn, wie er dem Herrn gefallen möge.
V.33: Der Verheiratete aber sorgt sich um die Dinge der Welt, wie er
der Frau gefallen möge.
V.34: Und verschieden ist (das Verhalten) der Frau und der Jungfrau.
Die Unverheiratete sorgt sich um die Dinge des Herrn, damit sie
heilig sei mit Leib und Seele. Die Verheiratete aber sorgt sich um
die Dinge der Welt, wie sie dem Mann gefalle.

168
V.35: Dies aber sage ich zu eurem eigenen Besten, nicht damit ich euch
eine Schlinge überwerfe, sondern damit ihr wohlanständig seid
und ohne Ablenkung beim Herrn verharrt.
V. 25: :TtL{)"t6~ = vertrauenswürdig. Lietzmann erwägt, ob dies nicht direkt als
ein Titel hier gebraucht werden könnte. :TtLCl1:0<; wäre dann einer, der einen Auf-
trag hat, also ein vertrauenswürdiger Beauftragter..
V.26: zu %UAOV, vgl. oben S. 156, A. 12. Paulus gebraucht EVfGnfl<; immer im
Sinn von «gegenwärtig», vgl. Röm 3, 28; 1. Kor 3, 22; Gal1, 4 u. a. (H. Lietzmann
/ W. G. Kümmel, a. a. 0., S. 178). - Hier ist nicht der Mann erwähnt, sondern
der «Mensch», weil es sich um einen allgemeinen Grundsatz handelt. - oüno,; be-
deutet hier natürlich ehelos!
V.28: {}AL'Ij!L<;: dies Wort wird hauptsächlich von Paulus gebraucht. Die Bedräng-
nis oder Trübsal ist direkt notwendig nach Joh 16, 33 und Apg 14,22. Vgl.
ThWb I1I, .142 H.
V.29: "to AOLJtOV: eigentlich: hinfort, weiterhin. Bauer, Sp.948. Nun hat aber
A. Fridrichsen wahrscheinlich gemacht (Kungl. Humanist. Vetenskaps-Samfundet
i Uppsala, Arsbok, 1943, 26 f.), dass es hier einfach mit «also, mithin» zu über-
setzen ist (vgl. H. Lietzmann I W. G. Kümmel, a. a. 0., S. 178).
V.31: XQuG{}m mit Ace. ist selten, aber nicht unmöglich, vgl. H. Lietzmann /
W. G. Kümmel, a. a. 0., z. St., und Blass-Debrunner, Grammatik des neutesta-
mentlichen Griechisch, § 152, 4.
V. 34: Hier ist der Text in Unordnung geraten. Es stehen sich folgende Haupt-
lesarten gegenüber 44:
1. %ul f,Lff,LEQLG"tUL: %ut f} YllVi) f] ayuf,Lo<; %ul Yi JtUQ{}EVO'; !J.fQLf,LVU ..... So lesen
p15, B, P, u. a.; es ist auch der Text, den Nestle bietet. Demnach wäre %ul
!J.f!J.EQLG"tUL noch als Abschluss zu V. 33 zu ziehen.
2. Bei Umstellung (D: Auslassung des ersten %ut) ergibt sich: %UL f,Lff,LEQLG"tUL
(%ul) f} Yllvi) %UL i) JtUQ{}EVO<;. Yi ayuf,Lo<; f,LfQLf,LVU .....
So lesen die Koine, D, G, u. a. Jede Lesart kann aus der anderen abgeleitet wer-
den und umgekehrt. Nimmt man Lesart 1 als ursprünglich an, dann wäre der
Grund zur Umgestaltung in dem ungewöhnlichen Ausdruck ft Yllvi) f] ayuf,Lo<; zu
suchen. Dabei ist an eine verwitwete oder geschiedene Frau zu denken. - Lesart 2
ergibt eine klare und zweckmässige Fortsetzung. Die Nötigung zur Umstellung
des Ausdruckes f} ayaf,Lo<; kann darin gesehen werden, dass, wenn %al f,Lff,LEQLG"tUL
zum V. 33 gezogen wird, der Ausdruck Yi JtUQ{}EVO<; Yi ayaft0<; entsteht, der wohl
unpassend erschien, da er zudem noch mit f} YllVf) gleichgeordnet war. Wir geben
der 2. Lesart den Vorzug aus sachlichen Gründen, vgl. unten S.173. - äyLO<; hier

44 V gl. die Zusammenstellung aller möglichen Lesarten bei H. Lietzmann /


W. G. Kümmel, a. a. 0., S. 34 f.

169
nicht im Sinn einer substanziellen Heiligkeit, sondern im Sinn von «ausgesondert
sein für Gott».
V. 35: ßQ6xo~ ist die Schlinge, mit der ein Wild oder ein Mensch gefangen wird.
Eigentlich ein Ausdruck aus dem Kriegs- oder Jagdleben. - Die Konstruktion
von V. 35 b mit Jte6~ c. ace. ist derjenigen von V. 35 a angeglichen und darum
sehr ungewohnt und künstlich!

Die Gliederung des ganzen Abschnittes V. 25-35 ist nicht einfach. Die
Gedanken gehen ineinander über, ohne dass immer ganz klare Grenzen
gezogen werden können.
Paulus beginnt mit der Feststellung, dass es für die Jungfrauen, d. h.
doch wohl für die Unverheirateten, kein «Wort des Herrn» gibt (V. 25).45
Es klingt ein Unterton des Bedauerns in diesem Satz mit. Paulus weiss,
dass ein Herrenwort jede Diskussion entschieden hätte. Nun muss er
selbst sagen, was er darüber denkt.46 Ein erster Gedankenzusammenhang
reicht von V. 26-28. Er betrifft den seelsorgerlichen Rat, angesichts der
gegenwärtigen Not im Status quo zu verharren, nicht aus grundsätzlichen
Erwägungen, sondern um leichter und unangefochtener die Schwierig-
keiten zu bestehen (V. 28). Ein weiterer Gedankenkreis beschlägt die
V. 29-31. Hier geht es besonders um die rechte Bewältigung der Gegen-
wart, welche durch das nahe Ende bestimmt wird. Es folgen dann die
V. 32-35. Hier wird der Unterschied im Verhalten der Verheirateten und
Unverheirateten aufgezeigt.
Gemeinsamer Nenner aller Aussagen ist der eschatologische Bezug. Im
Gegensatz etwa zu den V. 1-7 tauchen hier eschatologische Termini auf.
Sie sind ein Beleg dafür, dass die Dimension des Zukünftigen eine ge-
wichtige Rolle spielt. So redet Paulus in V. 26 von der «gegenwärtigen
Not». Mit avuyx,'I'J ist die grosse Erddrangsal gemeint. Nun ist aber für
Paulus das Ende der Zeit bereits angebrochen im Christusgeschehen; da-
rum sagt er z. B. in 1. Kor 10,11, dass das Ende der Welt nahe bevor-
stehe. Die Frist ist also kurz (V, 29).
Ein weiterer eschatologischer Ausdruck ist die itAi:'t\'L~, Paulus ist der
Meinung, dass weil die Zeit kurz ist, weil das Ende nahe bevorsteht, der
Status quo möglichst aufrecht erhalten werden soll. Wer verheiratet ist,
soll so bleiben; wer ledig ist, der soll nicht darnach trachten, sich zu ver-
heiraten (V. 27). Sofort fügt er aber bei, dass Heiraten trotzdem keine
Sünde sei (V. 28). Aber eben: die Verheirateten werden «Bedrängnis» er-
45 Über die Bedeutung des Herrenwortes als Norm für das christliche Leben
vgl. unten S. 189.
46 Vgl. unsere Ausführungen über die Autorität des Apostels unten S.187 H.

170
leiden. Darum ist es besser ehelos zu sein. Bei der Bedrängnis denkt Pau-
lus sicher nicht im allgemeinen an die Sorgen und Nöte des Ehestandes,
sondern es ist die endzeitliche Not gemeint, die mit dem zu Ende gehen-
den Aeon verbunden ist. Für den Verheirateten können sich alle Leiden
nur potenzieren. Darum sein seelsorgerlieher Rat, nicht zu heiraten. Er
möchte seine Gemeindeglieder «schonen». Es ist also deutlich, dass Paulus
nicht prinzipiell die Eheschliessung verwirft, sondern um der bevorstehen-
den Not und Bedrängnis willen von einer neuen Eheschliessung abrät.
Nun erhebt sich aber sofort die Frage, inwiefern dann diese eschato-
logische Sicht gewisse Konsequenzen für bereits bestehende Ehen habe.
Davon handelt Paulus in den V. 29 ff. Diese Verse sind oft missbräuchlich
verwendet worden, weil der eschatologische Hintergrund nicht beachtet
wurde. Es wäre ein grosses Missverständnis, wenn man aus dem Ausdruck
«die, welche Frauen haben, so seien, als hätten sie keine» den Befehl zu einer
geistlichen Eheführung herauslesen wollteY Sicher ist hier keine Askese
gemeint. Gegen ein solches Verständnis spricht deutlich V. 3, wo Paulus
sagt, dass die Ehe auch körperlich vollzogen werden soll. H. Lietzmann
meinte, im Anschluss an J. Weiss, hier die stoische u'tU(lU;tu finden zu
müssen; er wurde aber von W. G. Kümmel berichtigf.48 Es geht also nicht
darum, dass den Christen die Dinge der Welt und damit auch die Ehe
gleichgültig würden. Nicht «Temperierung der Gefühle» wird verlangt.
Der Christ soll ja im GegenteilleidenschaftIich Anteil nehmen am Leid
der Welt und an der Freude derer, die ihm nahe stehen. Auch die Ehe
fordert den ganzen Einsatz derer, die sich mit ihr einlassen. Es gibt hier
kein Tun als ob. Mit dem w~ I-"T) ist nicht nur eine rein sachliche Dia-
lektik umrissen, sondern es spielt die Dialektik hinein, die durch den
Anbruch des neuen Aeons und seine Spannung mit dem alten gegeben ist.
Während die ersten drei Beispiele (Verheiratet sein, Trauer, Freude) da-
durch, dass sie im Partizipium und im Verbum finitum das gleiche Wort
haben, undurchsichtig sind, ist es beim vierten Beispiel (Kaufen) anders.
Hier heisst es, dass man kaufen soll, und zwar so, als behielte man es
nicht. Der Wechsel von «kaufen» auf «behalten» zeigt nun deutlich, was
Paulus eigentlich meint: Man soll also nicht etwa kaufen nur «als ob»,
etwa mit einem schlechten Gewissen oder im Bewusstsein, dass dies im
Grunde genommen nicht angängig sei. Sondern es geht darum, dass das
Kaufen nicht das Letzte ist. Nicht das Kaufen an und für sich wird von
Paulus abgelehnt, sondern das krampfhafte Festhalten, das Sich-an-den-

47 Vgl. unseren Abschnitt: Geistliche Ehen in Korinth?, S. 175 H.


48 H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a.O., S. 34 und 178.

171
Besitz anklammern. Für die Ehe heisst das sinngemäss, dass die Ehe nie
das Letzte werden darf. Sie ist Vorletztes, sie gehört zur Gestalt dieser
Welt. Diese Welt aber vergeht. Paulus bewegt sich hier ganz auf der
Linie der Evangelien, wo ja auch der Ehe keine letztgültige Bedeutung
zukommt. In der neuen Welt «sind sie wie die Engel. Sie heiraten nicht
und werden nicht verheiratet» (Mk 12, 25 par).
Damit ist jeder Verherrlichung der Ehe im christlichen Raume ein
kräftiger Riegel vorgestossen. Die Struktur der Ehe vergeht; sie ist etwas
Vorläufiges, etwas was dieser Welt anhaftet. Aber insofern, dass die
Parole ja nicht Weltflucht und Weltverneinung heissen kann - die Stel-
lungnahme des Paulus zur Frage des Götzenopferfleisches ist hier weg-
weisend -, gibt es keine Eheflucht oder Eheverneinung, sondern eine Be-
jahung dessen, was Gott in seiner Schöpfertat geordnet hat.
So fassen wir zusammen 49: Angesichts der Endzeit, angesichts dessen,
dass diese Welt jetzt schon im Vergehen ist (V. 31: JtuQayet yaQ 'to oy;rlftU
'toü XOOftOlJ 't01),;OlJ: nicht Futurum, sondern Praesens!) kann die Ehe nicht
das Vordringliche und Gebotene sein. Auf der andern Seite ist die Ehe
aber keineswegs zu verdammen oder abzulehnen, schon gar nicht etwa
aus einer Abwertung der Leiblichkeit heraus. Paulus sagt ja, dass der
Leib ein Tempel Gottes sei (1. Kor 6,19). Somit kann er den Leib und
auch die Leiblichkeit der Ehe nicht verachten. Die Zurückhaltung gegen-
über der Ehe resultiert bei Paulus allein aus der nahen Erwartung des
Endes. Darum sagt er, es sei keine Veränderung anzustreben; jeder soll
so bleiben wie er ist. Wir haben schon früher gesehen, dass Paulus im
ganzen 1. Kor 7 durchgängig von der Ehe redet. Das gilt auch für die
V. 29-31. V. 31 bezieht sich vollumfänglich auf die Ehe. Die Ehe ist Ge-
stalt dieser Welt. Wir sollen als Christen die Welt brauchen, uns ihrer
Formen bedienen, in ihr leben. Aber angesichts des hereinbrechenden
Endes hält Paulus die Ehelosigkeit für die günstigere Lebensform. Der
Ehelose lässt sich eher leiten von dem, was dem Herrn gefällt. Aber im
Grunde genommen ist auch die Ehelosigkeit für Paulus nicht das Letzte
und Entscheidende. Er erhebt die Ehelosigkeit ja gerade nicht zu einer
allgemein verbindlichen ethischen Forderung. Sondern das Entscheidende
ist das «Sorgen um den Herrn» (V. 34).
Hier stehen wir nun an dem Punkt, wo es deutlich wird, dass die Nähe
des Endes nicht nur in formaler Hinsicht die Ehe relativiert, sondern ihr
auch einen bestimmten Inhalt zuweist. Die Verse 32-35 bringen nicht nur

49 V gl. W. Schrage, Die konkreten Einzelgebote in der paulinischen Paränese,


1961, S.24, dem wir voll zustimmen können.

172
die differenzierten Aufgaben von Unverheirateten und Verheirateten zur
Sprache, sondern sie müssen doch als Bezeichnung des Auftrages verstan-
den werden, welchen Unverheiratete und Verheiratete hier auf dieser
Erde angesichts des hereinbrechenden Aeons zu erfüllen haben.
Nun ist aber das Anliegen des Paulus auf den ersten Blick nicht deut-
lich zu erkennen. Ja, man kann sagen, dass eine flüchtige Betrachtung
gerade das Gegenteil dessen, was Paulus eigentlich meint, bewirken
könnte. Die vielen Textvarianten in V. 34 zeigen uns, dass hier tatsächlich
eine schwierige Stelle vorliegt.
Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob Paulus sagen wollte: nur
der Unverheiratete kann dem Herrn dienen; der Verheiratete dagegen
hat andere Sorgen, er sorgt sich um die Frau, den Mann, die Familie, etc.
Dass diese Interpretation nicht richtig ist, zeigt uns schon der Schluss des
Abschnittes. In V.35 betont Paulus, er sage alles (also auch V.32-34)
zum Besten aller Beteiligten. Demnach kann keine Abwertung des Ver-
haltens der einen oder anderen Gruppe vorliegen. Weiter will Paulus
keine Schlinge über die Korinther werfen. Dies kann nur im übertragenen
Sinne gemeint sein. Paulus will nicht, dass die eine oder andere Gruppe
sich in ihrem Leben und Dienst irgendwie behindert vorkomme. Dann
gilt aber auch der Schluss von V. 35 für Unverheiratete und Verheiratete.
Beide sollen wohlanständig sein und ohne Ablenkung beim Herrn ver-
harren.
Unter diesem Gesichtspunkt müssen die V.32-34 gelesen werden.
Paulus sagt runächst, er möchte, dass die Korinther «ohne Sorgen» seien.
Diese Aussage ist sicher im Sinn von V. 28 b zu verstehen: Ich aber
möchte euch schonen. «Ohne Sorge», d. h. nicht ohne Vorsorge, sondern
unbeschwert in Bezug auf die Kümmernisse der Endzeit. Denn Sorgen
im Sinn von Sich-kümmern, Sich-einsetzen, Sich-ereifern, das gibt es. Es
geht darum, ohne Ablenkung beim Herrn zu verharren, und zwar indem
die Unverheirateten sich um die Dinge des Herrn sorgen, die Verheirateten
aber um die Dinge der Welt. Es ist dies allerdings eine gewagte Aussage
und wir können verstehen, dass durch Umformung 50 die Aussage gerade
ins Gegenteil verkehrt wurde.
Was ist nun der eigentliche Sinn der Ausführungen des Apostels Pau-
lus? Wir paraphrasieren: Er möchte, dass die Christen ungeschoren durch
die gegenwärtige Notzeit des Endes hindurchkommen. Darum haben die
Ehelosen gewisse Vorteile. Sie können sich «um die Dinge des Herrn» sor-

50 Vgl. die Lesart 1 auf S. 169, wo schliesslich das Verhalten des Verheirateten
als «geteilt» bezeichnet wird.

173
gen. Sorgen hat hier nicht den fast despektierlichen Sinn von Mt 6, 25 ff.
Es handelt sich nicht um eine Sorg,e, die aus einem Mangel an Glauben
erwächst 5\ sondern hier ist das legitime Bemühen gemeint, sei es nun
in Bezug auf «die Dinge des Herrn» oder in Bezug auf «die Dinge der
Welb>. Sofort wird näher präzisiert, was darunter zu verstehen ist. Der
Unverheiratete «sorgt sich um die Dinge des Herrn, wie er dem Herrn
gefalle». Das Wort UQEO''KEW 52 kann nicht nur eine Handlung bezeichnen
(z. B. jemanden zufriedenstellen), sondern vielmehr ein Verhalten. Letz-
teres ist hier gemeint, wie ja die LXX oft UQEO''KEW braucht im Sinn von:
jemandes Billigung finden, indem man ihm Genüge leistet. 53 So muss der
Unverheiratete dem Herrn «gefallen», d. h. er muss für den Herrn da
sein im Vollsinn des Wortes. Zu beachten ist, dass Paulus auch hier wie-
der die Aussagen über Mann und Frau genau koordiniert .. Bei der un-
verheirateten Frau (V. 34) ersetzt er nun den Ausdruck: mDC; UQEO''YJ 't<}l
'KUQLCP durch die Entsprechung: Lva TI aYLa 'Kat 't<}l O'oolLan 'Kat 't<}l JtvEvlLan.
Die Unverheiratete ist für Gott ausgesondert (= heilig) mit Leib und
Seele. 54 Sie kann alle Kräfte direkt in den Dienst des Herrn stellen. Der
oder die Verheiratete dagegen muss der Frau oder dem Mann «gefallell».
Aber das ist keine Abwertung; denn er (oder sie) verharrt gerade so
beim Herrn (V. 35).
Streng genommen kann man also sagen, dass beide, Verheiratete und
Unverheiratete, die Sache des Herrn betreiben. Während die Unverheira-
teten es direkt tun, geht es für die Verheirateten nur auf dem Umweg
über die «Dinge der WeIb>. Sie suchen, ihrem Ehepartner Genüge zu
leisten. Und das ist recht so, weil eben die Ehe von Gott eingesetzt ist in
den Ordnungen dieser Welt. Hier muss an V.31 erinnert werden, wo
Paulus von denen redet, die die Welt brauchen, als brauchten sie sie
ganz und gar nicht. Offenbar sieht er auch diese Möglichkeit, dass die
Ehe ein Dienst für den Herrn sein kann und sein muss. Wir sind hier
sachlich bereits in der Nähe von Eph 5. Allerdings ist auch hier deutlich,
dass Paulus die Ehelosigkeit und die Dienstmöglichkeit der Unverhei-
rateten höher einschätzt. Aber es liegt weder eine Abwertung der Ehe
noch eine Verherrlichung der Ehelosigkeit vor. Was betont werden soll,
ist die Verschiedenartigkeit der Berufung.

51 J. Hering, La premiere epitre de Saint Paul aux Corinthiens, 1949, S.59.


52 Vgl. ThWb I, S.455.
53 J. Hering, a. a. 0., S.59, A. l.
54 Jtveu[!u meint hier die psychischen Funktionen des Menschen (vgl. E. Schwei-
zer, Art. Jtveu[!u, ThWb VI, S. 433), da ja der Geist Gottes an sich schon «heilig»
wäre, H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a. 0., z. St.

174
4. GEISTLICHE EHEN IN KORINTH? (1. Kor 7,36-38)

In engem Zusammenhang mit dem Vürhergehenden, und düch deutlich


einer neuen Frage gewidmet, fülgen die Verse 36-38. Es ist wahrschein-
lich, dass im Hintergrund hier wieder eine ganz künkrete Anfrage aus
Kürinth steht.
V.36: Wenn aber einer gegenüber seiner Jungfrau schändlich zu han-
deln meint, wenn er brünstig ist, und es sü sein muss, sü süll er
tun, was er will; er sündigt nicht; sie süllen heiraten.
V.37: Wer aber in seinem Herzen fest steht und keine Nüt hat, sündern
Macht hat über seinen eigenen Willen, und dies in seinem Herzen
beschlüssen hat, seine Jungfrau zu bewahren, handelt gut.
V.38: Südass, wer seine Jungfrau heiratet, gut handelt, und wer sie nicht
heiratet, besser handelt.

Der Text ist gut überliefert, ohne nennenswerte abweichende Lesarten. Die
Schwierigkeiten sind inhaltlich bedingt.

Vün was redet Paulus in diesemAbsohnitt? Die traditioneHeAuslegung


sah in diesen Versen eine Vürschrift für den Vater 'Oder für den Vür-
mund eines Mädchens. Dieser wäre dann im Zweifel, üb er seine Tüch-
ter 'Oder sein Mündel verheiraten süll 'Oder nicht. Diese Deutung wurde
vün der Mehrzahl der altchristlichen Väter vertreten.55 Auch in neuester
Zeit hat diese Auslegung Befürwürtung gefunden. 58
Nun ist aber diese Deutung ausgeschlüssen aus zwei gewichtigen
Gründen:
1. Wenn in V. 36 davün die Rede ist, dass «einer gegen seine Jungfrau
schändlich zu handeln meint», sü kann sich dies nur auf ein sittenwidriges
Verhalten beziehen, und zwar auf ein Verhalten, an dem der Betreffende
aktiv und direkt beteiligt ist. Da zudem das Würt &crX'I1!WVELV sich speziell
auf geschlechtliche Fehltritte bezieht, ist sümit ein Vater-Tüchter-Ver-
hältnis als Hintergrund dieses Verses undenkbar.
2. In V. 37 ist davün geredet, dass dasselbe Individuum, welches schün
in V. 36 als Subjekt gedacht werden muss, «Macht habe über seinen
eigenen Willen». Nun hat G. Schrenk nachgewiesen 57, dass der Ausdruck

55 Vgl. die Zusammenstellung bei W. G. Kümmel, Verlobung und Heirat bei


Paulus, Ntl. Stud. f. R. Bultmann, ZNW Beih. 21, S.276, A.2.
58 Vgl. die Zürcher übersetzung (Zwingli-Bibel).
57 Art. iW..'l]'.ux, ThWb III, S. 53 f. und S. 60 f.

175
«Wille» hier ein Terminus technicus für den «Geschlechtstrieb» dar-
ste11t 58, dass also damit die Deutung auf ein Vater-Tochter-Verhältnis
ebenfalls ausgeschlossen ist. übrigens wäre auch ein Vater, der seine
Tochter zur Enthaltsamkeit oder zu einem Eheschluss zwingt, in den da-
maligen Verhältnissen eine sachliche Unmöglichkeit.
Wenn aber die traditionelle Auslegung versagt, dann kommt nur noch
die andere Deutung in Frage, dass es sich hier um zwei Verlobte handeln
müsse.59 Es war um die Jahrhundertwende H. Achelis, der die Sitte der
virgines subintroductae für Korinth postulierte.GO Tatsächlich behebt
diese Auslegung alle Anstösse, die unser Text bisher geboten hat, mit
einem Schlag. Auch sprachliche Bedenken lassen sich beseitigen 61, sodass
die Deutung auf das Vorkommen geistlicher Ehen in Korinth zur Zeit
des Paulus eine überaus weite Verbreitung gefunden hat.62 Wir müssen
darum kurz auf das Phänomen der geistlichen Ehe in der alten Kirche
zu sprechen kommen.

a) Die sogenannte geistliche Ehe in der alten Kirche

In der alten Kirche ist die Institution der geistlichen Ehe fest veran-
kert. An dieser Tatsache kann nicht gerüttelt werden, ob sie uns nun
passt oder nicht. Es geht auch nicht an, aus moralischen, soziologischen
oder theologischen Gründen vorschnell ein Verdikt über diese Institution
zu fällen, sondern wir haben unvoreingenommen den vorliegenden Tat-
bestand zu prüfen und zu werten.

58 Vgl. auch Joh 1, 13.


59 Von einer allegorisierenden Auslegung unserer Stelle, wie sie Methodius
und die lateinischen Väter vertreten haben, können wir absehen.
60 Virgines subintroductae, 1902.
61 Es wurde oft behauptet, das Wort 'Y(l!1t~eL'V lasse nur die Deutung Vater-
Tochter zu, da es «ver-heiraten» bedeute. Man stützte sich dabei auf eine Bemer-
kung des alexandrinischen Grammatikers Apollonius Dyscolos (2. Jhd. n. ehr.),
der von 'Y(l!1eLv das Kausativum 'Y(l!1t~eL'V unterscheidet = sich heiraten lassen.
Ein Vergleich des Sprachgebrauchs im NT (Mk 12, 25 par, Lk 17, 27; aber:
Mt 24,38) ergibt jedoch, dass das Verbum ya!1t~eL'V im NT in seinem Sinn noch
nicht eindeutig festgelegt ist (vgl. W. G. Kümmel, a. a. 0., S.278), es also durch-
aus auch «heiraten» in gewöhnlichem Sinn heissen kann.
62 Vgl. z. B. H. Lietzmann / W. G. Kümmel, An die Korinther I und n, 1949,
z. St.; R. Bultmann, Theologie d. NT, 1953, S.102 und S.564; R. Bohren, Das
.Problem der Kirchenzucht im NT, 1952, S.40, A. 49; u. v. a. m.

176
Bei der geistlichen Ehe handelt es sich darum, dass zwei Partner ver-
schiedenen Geschlechtes, welche beide Enthaltsamkeit gelobt haben, den-
noch beieinander unter einem Dach leben. Das Zusammenleben gleicht
einer ehelichen Gemeinschaft mit Ausnahme des Geschlechtsverkehrs.
Dies zeigen die Verben t11JVOLXfLV oder t11JVft1'tLav, welche eine Haus- oder
Tischgemeinschaft ausdrücken. Während zuerst kein besonderer Name
für die in geistlicher Ehe Lebenden gebraucht wurde, nannte man später
die betreffenden Jungfrauen Syneisakten. Das Wort t11JVe[t1ux'to~, welches
seit dem Jahre 250 auftaucht, scheint ursprünglich ein Spottname ge-
wesen zu sein. B3 Es heisst wörtlich übersetzt: die mit eingeführte, oder:
die zugleich mitgebrachte (sc. Frau oder Schwester). Das Spöttische an
dieser Bezeichnung ergibt sich aus dem profanen Sprachgebrauch, wo
etwa von den t11JVfLt1UX'tOL {}1JYU'tEQf~ geredet wird 64, womit die unehelichen
Töchter gemeint sind, die ein Mann mit in die Ehe bringt. Der lateinische
Terminus «subintroducta» ist nichts anderes als eine gekünstelte über-
setzung des griechischen Wortes t11JVf[t1UX'tO~, die aber erst spät nachzu-
weisen ist und deshalb in der Umgangssprache wohl nie im Gebrauch
war. 65 An weiteren Bezeichnungen für die Syneisakten hat es nicht ge-
fehlt, wobei sich in ihnen entweder eine negative oder positive Beurtei-
lung der ganzen Institution spiegelt.66
Das Syneisaktentum war im Altertum über alle Kirchenprovinzen ver-
breitet. Wir besitzen sichere Zeugnisse für sein Vorkommen in Persien,
Syrien, Palästina, Ägypten, Phrygien (Montanisten), Galatien, Kappa-
dozien, Konstantinopel, Rom, Afrika, Südfrankreich, Spanien und Ir-
land. 67 Es ist dies wirklich ein aussergewöhnlich breites Streuungsgebiet
und beweist, dass es sich beim Syneisaktentum um einen der alten Kirche
63 Dafür spricht, dass dies Wort in Antiochien in Syrien erfunden wurde. Die
Antiochener waren für ihre Spottlust berüchtigt. Es wird in der ganzen alten
Welt bekannt durch den Prozess gegen Paul v. Samosata, siehe S. 179 f.
64 Eustathius, Comm in Od 1954, 8; vgl. F. Passow, Handwörterbuch der grie-
chischen Sprache, 11, 2, 1857, S. 1697.
65 H. Achelis, a. a. 0., S.69. Achelis macht für diese Übersetzung den Dio-
nysius Exiguus verantwortlich, der in dem Codex canonum ecclesiasticorum den
c. 3 von Nicäa so wiedergibt. Zeitlich würden wir uns damit im 6. Jhd. befinden.
66 In negativem Sinn wurden sie aywtl]'tut genannt (Ps-Athanasius, Gregor
v. Nazianz, Epiphanius und Hieronymus). Neutral ist der lateinische Ausdruck
«extranea», der einfach «nicht verwandt» heisst, und den Gegensatz zu den üb-
lichen Haushälterinnen der Kleriker bezeichnet, denen nur verwandte Personen
als Hausgesinde erlaubt waren (von der Synode von Elvira 306 an). Positiv wäre
der Ausdruck «conhospitae» zu werten; er wurde in der britischen Kirche ver-
wendet, setzte sich aber nicht durch. Vgl. H. Achelis, a. a. 0., S. 69 f.
67 Aufstellung nach H. Achelis, a. a. 0., S. 60.

177
offenbar durchaus geläufigen Brauch gehandelt haben muss. 68 Dies kann
umso sicherer behauptet werden, als in Rechnung zu stellen ist, dass wir
von diesem Brauch eigentlich nur darum Ausführlicheres erfahren, weil
die Kirche versuchte, mit diesem Brauch zu brechen und ihn schliess-
lich aufs Heftigste bekämpfte. So ist es heute nicht auszumachen, wann
das Syneisaktentum entstanden ist 69 und ob es auf gewisse Vorbilder im
Judentum zurückgeht. 70
Wir wollen nun die wichtigsten Erwähnungen ges Syneisaktentums in
der alten Kirche kurz aufführen.
Bekannt ist die Szene im Hirt des Hermas, wo Hermas inmitten einer
Schar von christlichen Jungfrauen übernachtet. 71 Wenn es auch sehr
fraglich bleibt, ob hier bereits die Sitte des Syneisaktentums nachzuwei-
sen ist, oder ob hier nicht eine profane erotische Erzählung «christiani-
siert» wurde, so dürfen wir doch vermuten, dass eben die Möglichkeit
einer solchen Anpassung nur gegeben war durch das Vorhandensein
gleicher Vorstellungen wie diejenigen, die schliesslich das Institut der
geistlichen Ehe hervorgebracht haben.
Festeren Boden unter die Füsse gibt uns Irenäus. Er selbst nahm noch
keinen Anstoss an der Sache selbst, berichtet aber, dass bei gewissen Gnosti-
stikern die geistliche Ehe in Zügellosigkeit ausgeartet sei.72 Euseb weiss,
dass bei den Montanisten der Märtyrer Alexander mit einer Prophetin
zusammen lebte. 73 Im 3. Jahrhundert war es dann soweit, dass die Syneis-
akten von der Kirche bekämpft wurden. Ein wichtiges Zeugnis ist der
4. Brief Cyprians von Karthago an den Bischof Pomponius von Diony-

68 Im Mittelalter ist das Syneisaktentum vollständig verschwunden. Aus ver-


schiedenen Gründen! Es zeigt sich eben, dass das Syneisaktentum weitgehend im
Lebensgefühl der Antike verwurzelt war. Siehe unten S. 181 f.
69 A. Adam, Erwägungen zur Herkunft der Didache, ZKG 68, 1957, S.1 H.,
glaubt, schon um 90 n. Chr. mit dem Vorkommen des Syneisaktentums rechnen
zu können.
70 Die Parallelen zu den Therapeuten (Philo, Vit Cont) sind doch nicht schla-
gend, da es sich dort um Gruppen von Männern und Frauen handelt, die nur
wenig Berührung miteinander hatten. V gl. H. Achelis, a. a. 0., S. 29 ff.
71 Sim, IX, 11, 1-4. Vgl. H. Achelis, a. a. 0., S. 14 f. Die Jungfrauen sagen
zum Propheten Hermas: «Bei uns wirst du schlafen wie ein Bruder, nicht wie ein
Mann. Denn du bist unser Bruder, und in Zukunft wollen wir bei dir wohnen,
denn wir lieben dich sehr!» Sie küssen ihn, führen einen Reigen auf und breiten
schliesslich ihre Unterkleider auf dem Boden aus, damit er sich darauf nieder-
legen kann. Sie selbst lagern sich rings um ihn und beten die ganze Nacht, bis
der alte Hirte erscheint in der zweiten Stunde des Morgens.
72 Haer I, 6, 3.
73 Hist Eccl V, 18,6 f.

178
siana. 74 Dieser hatte angefragt, wie er sich gegenüber gelobten Jung-
frauen verhalten müsse, die ihr Lager mit Männern, darunter einem
Diakon, geteilt hätten. Das Problem entstand dadurch, dass die Mädchen
aber gleichzeitig behaupteten, sie seien unberührt, und den Beweis für
ihre Behauptung auch durch das Gestatten einer körperlichen Unter-
suchung erbringen wollten.
Einen weiteren Fall berichtet Euseb im Zusammenhang mit dem Ver-
fahren gegen den Bischof Paul von Samosata. 75 Beiläufig wird diesem
neben seiner Ketzerei auch vorgeworfen, dass er früher mit drei, im
fraglichen Zeitpunkt aber noch mit zwei blühenden Mädchen zusammen-
lebte, die ihn auch auf seinen Reisen begleiteten. Sein Beispiel machte
natürlich Schule bei den ihm unterstellten Priestern und Diakonen. Auf
dem Konzil von Nicäa wurde schliesslich allen Geistlichen verboten, eine
Syneisakte bei sich zu haben. 76 Auch Chrysostomos predigt gegen eine
Spezialform des Syneisaktentums in Konstantinopel. 77
Auf den ersten Blick scheint es, dass die genannten Belege das Syneis-
aktenturn verdammen würden. Eine nähere Prüfung ergibt aber, dass die
alte Kirche wohl bemüht war, das Syneisaktentum abzuschaffen, dass dies
aber darum so schwer war, weil es sich offenbar um einen in der antiken
Christenheit fest verwurzelten urchristlichen Brauch handelte. Wir haben
bereits die allgemeine Verbreitung dieser Sitte beschrieben. Ein solcher
Universalismus ist doch nur zu erklären als Ergebnis einer alten und un-
bedenklich erscheinenden Tradition. In der Tat: Wir finden nirgends
einen Beleg dafür, dass die geistliche Ehe als eine Sünde angesehen
wurde. Höchstens betrachtete man sie als eine Gefahr, indem sie allen-
falls zur Sünde verführen könnte. Als Grundregel gilt auch, dass die
geistliche Ehe als solche nie bestraft wurde (auch nicht beim Klerus),
sondern nur tatsächlich vorgekommene Verfehlungen. Instruktiv ist die
bereits zitierte Antwort Cyprians. Offensichtlich hatten sich die Mädchen
auf die urchristliche Tradition berufen. Seine Entscheidung geht nun

74 Geschrieben ca. um 254 n. Chr. Vgl. H. AcheIis, a. a. 0., S. 7 f.


75 Hist Eccl VII, 30, 12 H. V gl. H. Achelis, a. a. 0., S. 9 H.
76 Can.3; weitere kirchliche Verbote: Elvira, can. 27; Ancyra, can.19; I. Car-
thago, c.3; u. a. m. Vgl. H. Lietzmann / W. G. Kümmel, An die Korinther 1. 11,
1949, z. St.
77 Vgl. H. Achelis, a. a. 0., S. 52 H. Dort war die merkwürdige Gewohnheit
eingerissen, dass reiche Erbinnen nicht heirateten, sondern sich in geistlicher
Ehe mit einem Mönch verbanden. So konnten sie sich ihre Unabhängigkeit be-
wahren, hatten aber trotzdem einen Hausverwalter und zudem noch den Ruhm
eines enthaltsamen Lebens!

179
darauf hinaus, dass er die Syneisakten straflos lässt, wenn keine Verfeh-
lung vorgekommen ist, ihnen aber zugleich die Trennung von den Män-
nern befiehlt, da die Gefahren zu gross seien. Wir sehen also, dass
Cyprian versucht, das Syneisaktentum zu beseitigen, weil es in die dama-
ligen Verhältnisse nicht mehr passt. Er verabscheut es, aber er kann im
Grunde genommen keinen stringenten Beweis gegen das SyneisaHntum
führen, weil es keinen gibt. Veränderte Ansichten über Moral und S ;hick-
lichkeit können sich nur allmählich und nicht prinzipiell durchsetzen.
Das Gleiche wäre auch zum Verhalten der Kirche im Fall des Bischofs
Paul von Samosata zu sagen. Die geistliche Ehe, die er mit zwei jungen
Mädchen führps, wird ihm an sich nicht zum Vorwurf gemacht, sondern
nur zum Anlass genommen, einen Verdacht auszusprechen. Dies ist be-
greiflich, da man einem Ketzer sicher das Schlimmste zutraute. Aber auch
hier muss zwischen den Zeilen doch zugegeben werden, dass das Syneis-
aktentum an sich nichts Ungebührliches darstellt. In diesem Zusammen-
hang ist weiter darauf hinzuweisen, dass z. B. Tertullian anstelle einer
richtigen Ehe ausdrücklich zur geistigen Ehe rät; allerdings denkt er nicht an
junge Mädchen, die ein Mann in sein Haus nehmen soll, sondern an eine
ältere Witwe, die von Tertullian direkt als uxor spiritualis bezeichnet wird. 79
Durch die bisherigen Darlegungen hat das Institut der geistlichen Ehe
vor unseren Augen greifbare Gestalt angenommen. Wenn wir es nicht
durch die Brille der Gegner betrachten, ergibt sich ein durchaus positives
Bild. Unverheiratete Christen, Witwer und solche, welche Enthaltsamkeit
gelobt hatten, nahmen ein oder mehrere Mädchen, die gleichfalls enthalt-
sam leben wollten, zu sich. In der Regel ist es so, dass diese Jungfrauen
in den Häusern bestandener und würdiger Männer leben, welche bereits
in vorgerücktem Alter stehen. SO In Karthago handelt es sich um Konfes-
soren, in Cäsarea lebt Origenes in geistlicher Ehe. Sowohl bei dem Mär-
tyrer Alexander wie bei dem Marcionit Apelles, welche beide Syneisakten
bei sich gehabt haben sollen, wird es sich ebenfalls um gereifte Persön-
lichkeiten gehandelt haben, auch wenn sie als Häretiker in die Geschichte
eingegangen sind. Wohl hätten diese christlichen Jungfrauen auch in
den Häusern verheirateter Christen leben können, aber es braucht keine
grosse Phantasie, um sich auszumalen, warum in der Regel ein frauenloses
Haus bevorzugt wurde. Und man muss es immer wieder betonen: Das

7S Der Grundsatz der Einehe wurde auf die geistige Ehe nicht angewendet.
79 De exhortatione castitatis 12; De monogamia 16.
80 Wir erfahren nichts davon, dass auch junge Männer mit gleichaltrigen,
jungen Mädchen eine geistliche Ehe geschlossen hätten.

180
Syneisaktentum war in der ältesten Zeit sicher eine Lösung, die befrie-
digte und auch gut funktionierte. Verirrungen werden sehr selten vorge-
kommen sein, da sich die Sache ja in aller Offenheit abspielte. Auch wäre
es irrig anzunehmen, dass die geistliche Ehe nur bei Klerikern vorgekom-
men sei. B1 Vielmehr wird das Syneisaktentum erst sekundär im Klerus
Eingang gefunden haben.
Es ist das Verdienst von H. Achelis, in seiner bereits zitierten Schrift
«Virgines subintroductae» sozusagen eine Ehrenrettung der Syneisakten
durchgeführt zu haben. Sehr schön zeigt er in dieser Schrift, wie man die
ganze Einrichtung nur verstehen kann, wenn man das ganz andere gei-
stige Klima des Altertums und die damaligen Lebensumstände in Be-
tracht zieht. Wir werden gerade im Folgenden noch näher auf die zeit-
geschichtlichen Gründe eingehen, die das Syneisaktentum aufleben lies-
sen. Hier halten wir nur noch abschliessend fest: Das Syneisaktentum
muss in der ersten Zeit des Christentums entstanden sein. Sicher wirken
Gedanken, die Paulus im 1. Kor 7 ausspricht, bei seinem Aufkommen
mit. Wenn es besser ist, ehelos zu bleiben wegen der kurzen Zeit dieses
Aeons, wenn die oder der Ehelose dem Herrn dienen kann in ganz an-
derer Weise als der oder die Verheirateten, ist es dann nicht naheliegend,
eben ehelos, aber doch in Verbindung mit anderen auf den Herrn zu
warten? Wird hier nicht etwas sichtbar von dem, was Paulus den Gala-
tern schreibt, dass «nicht Mann und Weib» sei, sondern dass «alle einer
in Christus Jesus» sind (GaI3, 28)? Hier wird dann Ehelosigkeit gelebt
nicht als Krampf, nicht als Spielen mit der Versuchung, sondern als Le-
ben aus dem Geist. Aber was in der ersten Zeit gut war, passte nicht mehr
in die spätere Zeit. «Das Syneisaktentum ist ein Stück Urchristentum, über
dessen Gefahren man sich erst mit der Zeit klar wurde; als man vorsich-
tiger geworden war und schlimme Erfahrungen gemacht hatte, rottete
man es aus.»82 In der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts beginnt das Urteil
über das Syneisaktentum innerhalb der Kirche umzuschlagen. Das hängt
sicher mit dem Wachstum der Gemeinden zusammen. Die Kirche «ver-
weltlicht» mehr und mehr, sie erfasst die grossen Massen, wir wissen, dass
in dieser Zeit die «Fleischessünden» innerhalb der Gemeinden unerhört

Bl Dies wurde gewöhnlich aus der Tatsache gefolgert, dass das Konzil von
Nicäa (c. 3) allen Klerikern verbietet, eine (JlJVEt(Ja.X.O~ bei sich zu haben. Es
sollen die Schwester, die Tante oder solche Personen mit ihnen zusammenleben,
bei denen jeder Verdacht auf Unzucht ausgeschlossen ist. Aber man muss sehen,
dass im gleichen Moment, wo das Syneisaktentum für die Kleriker verboten wird,
sich diese Institution auf das aufkommende Mönchtum übertrug.
B2 H. Achelis, a. a. 0., S. 19.

181
zunahmen. Dies bedingte aber auch, dass das Syneisaktentum nun mehr
und mehr verdächtigt wurde. Es ergibt sich die paradoxe Situation. dass
nicht etwa das Syneisaktentum eine Folge der Verweltlichung der Kirche
darstellt, sondern gerade umgekehrt: weil die Kirche mehr und mehr sich
von ihren Ursprüngen löste oder «verweltlichte», musste das Syneisakten-
turn, das nur möglich war in einer urzeitlichen Kirche, bekämpft werden.
Es sollte aber nicht übersehen werden, dass das Syneisaktentum sicher
eine eigenständige Lösung eines soziologischen Problems der Urchristen-
heit darstellte. Schutzlose Mädchen hatten sich der Gemeinde angeschlos-
sen; sie mussten betreut werden. In einer kühnen Art und Weise wurde
im Syneisaktentum faktisch die Eingliederung der unverheirateten Frau
in die damalige Gemeinde vollzogen. Für den ledigen oder verwitweten
Mann stellten sich damals, wie übrigens auch heute noch, die Ding,e viel
einfacher als für eine allein lebende Frau. Wenn wir heute auch die da-
malige Lösung nicht reproduzieren können, so sollten wir uns doch fra-
gen, ob es uns auch nur annähernd so gut gelungen ist, die Unverheirate-
ten (Ledigen, Geschiedenen und Verwitweten) in der Gemeinde zu inte-
grieren. Müssen wir nicht auch Lösungen anstreben, die vielleicht unseren
Nachkommen ebenso kühn und vielleicht fremd erscheinen könnten, wie
uns heutigen Christen das Syneisaktentum der alten Kirche?
Wir haben es ja auch schwer, uns in die damalige Umwelt der Kirche
hineinzuversetzen. Wir müssen daran denken, dass die christlichen Got-
tesdienste «vor Tagesanbruch» stattfanden, also noch in der Nacht. Man
traf sich an heimlichen Orten, was von selbst eine Abgeschiedenheit der
Christen mit sich brachte; diese verstärkte andererseits aber wieder das
Zusammengehörigkeitsgefühl der kleinen Gemeinden. B3 Die urchristliche
Bruderliebe ging eine merkwürdige Verbindung ein mit antiker Unbe-
fangenheit im Zusammenleben der Geschlechter. 84
Zwei Gründe waren es aber, die vor allem zur Entstehung des
Syneisaktentums beigetragen haben dürften:
1. das Verbot einer zweiten Ehe 85 und 2. die allgemeine Verachtung
des ehelichen Lebens überhaupt, die anknüpfend an Phänomene der neu-
testamentlichen Umwelt auch in die alte Kirche eindrang. 8G

83 H. Achelis, a. a. 0., S. 19.


84 H. Achelis, ibid.; Röm 16, 16; 1. Kor 16, 20, u. ö. So küsste man sich gegen-
seitig, bevor man die Eucharistie feierte, mit dem Friedenskuss. Später wurde
auch dieser Friedenskuss abgeschafft, weil er unverständlich geworden war.
85 B. Kötting, Art. Digamus, RAC III, Sp. 1016 H.
B6 Vgl. dazu unsern Exkurs: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der
neutestamentlichen Umwelt und in der alten Kirche, S.203 ff.

182
In der alten Kirche wurde die zweite Ehe, also die sukzessive Bigamie,
nicht gerne gesehen, obschon Paulus 1. Kor 7, 39 ausdrücklich der Witwe
die Wiederverheiratung gestattet. Es ist dies eine Konsequenz der mono-
gamen Ehestruktur. Demgemäss scheint bereits in neutestamentlicher Zeit
für den Bischof (1. Tim 3,2), den Presbyter (Tit 1, 6) und den Diakon
(1. Tim 3,12) die zweite Ehe verboten gewesen zu sein, wenn sich diese
Worte nicht gegen die Polygamie als solche richten, was unwahrschein-
lich ist. 87 Es war dem Montanismus vorbehalten, die Verwerfung der
zweiten Ehe zum Dogma zu erheben. Sonst war das Verhalten der Kirche
in dieser Frage nicht einheitlich. 88
Wichtiger und folgenschwerer ist aber der zweitgenannte Grund. Wir
wissen, welch grosse Rolle der Gedanke der Enthaltsamkeit in der alt-
christlichen Eheauffassung spielte.89 Von da ist es nur ein kleiner Schritt
zur Ablehnung der natürlichen Ehe überhaupt. Schon sehr früh lässt sich
diese Tendenz im urchristlichen Ehedenken nachweisen. Verschiedene
Stellen in den apokryphen Apostelakten sind in dieser Beziehung bezeich-
nend. 90 Nur auf diesem geistigen Hintergrund kann auch die heute ko-
misch anmutende Erscheinung verstanden werden, dass ein Hochzeiter
seine Hochzeitsnacht dazu verwendet, seiner Braut eine Exegese von
1. Kor 7 zu liefern. 91 Wo aber die natürliche Ehe und der damit ver-
bundene Geschlechtsverkehr aus praktischen 92, philosophischen 93, päda-

87 Diese Stellen müssen wohl so verstanden werden, dass ein zum zweitenmal
verheirateter Mann von diesen Ämtern ausgeschlossen werden sollte. Auch die
«beamtete» Witwe soll nicht zweimal verheiratet gewesen sein (l. Tim 5, 9). Vgl.
dazu unten S. 239 ff.
88 Siehe B. Kötting, a. a. O. In Kleinasien wurden im 4. Jhd. über die Biga-
misten Kirchenstrafen verhängt.
89 Vgl. unsern Exkurs: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der neu-
testamentlichen Umwelt und in der alten Kirche, S. 203 ff.
90 Die Forderung nach Enthaltsamkeit bildet den Hauptinhalt der Acta Thomae
und der Acta Pauli. So werden etwa Acta Thomae 12, 3 zwei Neuvermählte dazu
angehalten, ihre Ehe nicht körperlich zu vollziehen. In den Acta Andrae wird die
Trennung von Männern und Frauen propagiert und in Acta Joh 113 wird be-
richtet, dass Johannes durch besondere Offenbarung dazu geführt worden sei,
nicht zu heiraten. .
91 Es handelt sich dabei um die Geschichte des Amun: Hist. Laus. 8; Socr. h. e.
4,23,3 ff.; Joh. Cassian. coll. 21,9.
92 Unter anderem rät z. B. auch Hieronymus von einer Heirat ab, da Frau und
Kinder einem Christen nur Unannehmlichkeiten bereiten würden. Er wurde
schon im Altertum deswegen von Musonius heftig kritisiert.
93 Schon Seneca und die Neupythagoreer hatten behauptet, dass jede Lust der
Seele schade und dass besonders die sexuelle Lust die Seele zur Erde hinabziehe.

183
gogischen 94, moralischen 95, kultischen 96 oder mystischen 97 Gründen abge-
lehnt oder doch zumindest abgewertet wurden, da lag als eine Spielart
der Enthaltsamkeit die Lösung der sog. geistlichen Ehen förmlich in der
Luft, besonders wenn man weiss, dass ja auch Paulus in Berücksichtigung
der eschatologischen Situation eher zur Ehelosigkeit rät.
Und hier erhebt sich nun die Frage: Hat Paulus bereits die Einrichtung
des Syneisaktentums oder einer seiner Vorformen gekannt? Sind etwa
seine Ausführungen in 1. Kor 7, 36-38 in diesem Sinne zu verstehen?
Es sind sachliche Gründe, die eindeutig gegen die Hypothese von
H. Achelis sprechen. Es ist doch kaum denkbar, dass Paulus, der ja ge-
rade vorher in l. Kor 7, 5 vor der zeitweiligen Enthaltsamkeit in der Ehe
gewarnt hat, nun handkehrum eine dauernde, erzwungene Enthaltsam-
keit in der Ehe als Institution, eben eine geistliche Ehe, gutheissen könnte.
Es ist auch später in der Geschichte des Syneisaktentums nie auf l. Kor 7,
36-38 zurückgegriffen worden.

b} Die Wertung des Verlöbnisses bei Paulus

Damit ist der Weg frei für die einfachste und 'Ilngekünsteltste Deutung
von 1. Kor 7, 36-38 als Vorschriften für ein Brautpaar. Es ist wirklich
schwer verständlich, wieso die naheliegendste Lösung sich so schwer

94 Es ist ein alter Gedanke, dass die geschlechtliche Enthaltsamkeit die Selbst-
zucht fördere und diese sich wiederum in der Zügelung des Triebes beweisen
müsse.
95 Der Gedanke, dass der Geschlechtsverkehr einen Menschen beflecke, taucht
auch bei Origenes (Cornm. in Mt 17, 35) auf. Er verbietet deshalb auch das Beten
im Bett (Orat. 31, 4).
96 Man argumentierte folgendermassen: Wenn heidnische Priester im Zölibat
leben oder sich doch während der Ausübung des Kultes von Geschlechts-
verkehr enthalten, so müssten die Christen a fortiori ebenso handeln (Clern. Alex.
Strom. 3, 48; Tertullian, Monog 17; Exh Cast 13; Origenes, in l. Cor 7, 5; u. s. f.).
97 So wurde das Verhältnis zwischen Christus und der Einzelseele als eine
heilige Ehe verstanden. Um 200 n. Chr. war der Name sponsa Christi (= Chri-
stusbraut) für die Jungfrau aufgekommen. Besonders drastisch schildert Tertullian
den Jungfrauen ihre neue Stellung wenn er zu ihnen sagt: «Du hast Christus ge-
heiratet, ihm dein Fleisch übergeben, ihm deinen reifen Körper anverlobt»
(Virg VelI6). Insofern begreift man, dass dann der Fehltritt einer Jungfrau als
Ehebruch an Christus taxiert wurde (Cyprian, De habitu virginum, 20). Auf die
Spitze getrieben hat dann Basilius diese Vorstellung, wenn er sagt: «Eine Jung-
frau, welche Heiligkeit gelobt hat, und dann zur Ehe zurückkehrt, ist des Ehe-
bruches schuldig» (c. 36). Zum Ganzen vgl. H. Achelis, a. a. 0., S.63.

184
durchsetzen konnte. Doch dürfte nun mit den klaren und erschöpfenden
Ausführungen von W. G. Kümmel 98 die strittige Frage endgültig ent-
schieden sein. W. G. Kümmel versucht, die Frage zu lösen unter Bei-
ziehung des zeitgeschichtlichen Materials in Bezug auf eherechtliche .Fra-
gen. Demnach ist zu postulieren, dass Paulus angefragt worden ist, ob
ein verlobtes Brautpaar die Eheschliessung vollziehen soll oder nicht.
Im Hintergrund stehen wohl gewisse asketische Tendenzen in der korin-
thischen Gemeinde, die auch als Voraussetzung für die Erörterung in
1. Kor 7, 5 zu vermuten sind. Paulus denkt nun sehr wahrscheinlich ganz
vom jüdischen Eherecht her. Weil dort eine offiziell und rechtmässige
Verlobung nur durch eine rechtsgültige Scheidung wieder aufgelöst wer-
den konnte, kommt für Paulus ein Auseinandergehen der beiden Verlob-
ten nicht in Frage. 99 Anderseits ist aber auch nach christlichem Verständ-
nis eine Scheidung ausgeschlossen. Darum rät Paulus den Verlobten, in
ihrem jetzigen Stande auszuharren und eine Heirat wegen dem nahen
Ende dieses Aeons zu unterlassen. 100 Da aber daraus niemals ein Gesetz
gemacht werden soll, erlaubt Paulus ausdrücklich den Eheschluss, wenn
die geschlechtliche Not des Mannes dies verlangen sollte. Denn, so be-
tont Paulus immer wieder, Heiraten ist keine Sünde. Beide handeln gut,
wenn sie sich vermählen; dass diejenigen, die enthaltsam bleiben, besser
handeln in den Augen des Apostels, ist aus seiner Sicht der Gabe und
Aufgabe der Enthaltsamkeit 101 verständlich.
Es geht nun aber nicht an zu behaupten, dass Paulus eben gerade, in-
dem er die Möglichkeit für Verlobte, ihren Brautstand weiterzuführen,
ohne die Ehe zu vollziehen, gutheisst, faktisch die geistliche Ehe befür-
wortet habe. Denn bei dem Syneisaktentum handelt es sich um eine Insti-
tution, während bei Paulus gerade dieser entscheidende Zug fehlt. Bei
Paulus steht alles unter dem eschatologischen Vorzeichen der «kurzen
Frist», und er gibt seine Antworten und Weisungen im Hinblick auf die
Erscheinung des Auferstandenen.

98 Verlobung und Heirat bei Paulus (1. Cor 7, 36-38), Ntl. Stud. f. R. BuHmann,
ZNW Beih. 21, 1954, S.275-295.
99 W. G. Kümmel weist ausdrücklich darauf hin, dass man nicht annehmen
soll, die Brautpaare in Korinth kennten eine jüdische Verlobung. Sie sind nach
ihrer Sitte verlobt, aber Paulus betrachtet diese «griechische Verlobung» von
seinem jüdischen Empfinden her, vgl. seine ähnlichen Entscheidungen in 1. Kor 6,
1 ff. 11, 2 ff.; Röm 13, 1 ff. (Daniel!)
100 Vgl. die Bedeutung der Eschatologie für die Ehe, S. 167 ff.
101 Siehe oben S. 163 f.

185
5. üBER DIE «STÄNDE» (1. Kor 7, 8-16)

Das Wort «Stände» ist ein Notbehelf. Es handelt sich nicht um Stände
im eigentlichen Sinn. Wir haben bei der Gliederung des Kapitels bereits
gesehen, dass es sich um Unverheiratete, Verheiratete und sogenannte
Mischehen handelt.

a) Die Unverheirateten (und Witwen) V.8-9 (V. 39 ,.)

V.8: Ich sage aber den Unverheirateten und den Witwen: Es ist für sie
vorteilhaft, wenn sie so bleiben wie ich.
V.9: Wenn sie sich aber nicht enthalten können, so sollen sie heiraten.
Es ist besser, zu heiraten als zu brennen.

v. 8:zu 'XfJ.'J..6v vgl. V. 1, S. 156, A. 12.


V.9: zu j'fJ.!lELV vgl. S. 61. - 3tuQOÜI1'l)fJ.t meint hier in übertragenem Sinn das
Brennen in geschlechtlicher Begierde.

Paulus beginnt mit der Gruppe der Unverheirateten. Dazu zählt er


auch die Witwen. Es geht also nicht nur um die Ledigen, sondern einfach
um die, die faktisch ohne Ehepartner leben. Man kann sich fragen, ob
Paulus hier auch die Geschiedenen einreihen würde. Es ist dies wohl
anzunehmen, da er in V. 11 die geschiedene Frau (resp. den geschiedenen
Mann) mit dem gleichen Ausdruck a:yaILo; bezeichnet.
Paulus wiederholt, was er schon vorher in V. 7 gesagt hat: der Stand
der Ehelosigkeit ist vorteilhaft in der gegenwärtigen Zeit. Allerdings
auch wieder nicht so vorteilhaft, dass man ein «Brennen» in Kauf nehmen
sollte. Paulus sagt mit aller wünschenswerten Klarheit: Es ist besser zu
heiraten, als in Begierde zu brennen. Es steht also kein Wort da von einer
befohlenen oder gar verdienstlichen Askese; nichts von einer Forderung,
die Begierden abzutöten oder zu unterdrücken. Sondern im Gegenteil: «sie
sollen heiraten!» Denn heiraten ist keine Sünde. Heirat bedeutet keine
Trennung von Gott (V. 28).
Es wird hier nochmals deutlich, dass die Ehelosigkeit im Urteil des
Paulus nicht und niemals den Charakter einer Forderung besitzen darf,
sondern als Gabe Gottes, als Geschenk aufgefasst wird. Es muss ja auf-
fallen, in welch persönlichen Kategorien Paulus immer ~ieder von den
Ehelosen redet: ich wünschte freilich, dass alle Menschen so wären wie

186
ich (V. 7); ... wenn sie bleiben wie ich (V. 8); ich meine nun (diese
schwächste Form der Äusserung ist zu beachten!), dass es gut ist ... so
(unverheiratet) zu sein (V.26); ... nach meiner Meinung (V. 40), etc.
Paulus argumentiert also nicht vom Ideal der Ehelosigkeit her, sondern
von seiner ihm ganz persönlich verliehenen Gabe her. Darum darf man
nicht verallgemeinern. Es scheint im Gegenteil so zu sein, dass auch für
Paulus die Heirat das üblichere ist als das Unverheiratet bleiben.
In V. 39-40 nimmt Paulus die Frage nach der Wiederverheiratung
einer Witwe nochmals auf. Seine Antwort ist klar. Die Frau, deren
Mann gestorben ist, darf wieder heiraten, aber es bleibt analog zu V. 8
der Vorbehalt, dass sie besser daran täte, ehelos zu bleiben. Sie kann hei-
raten, wen sie will (V. 39). Die Einschränkung ~6vov EV X1JgLqJ muss in dem
Sinn verstanden werden, dass sie einen Christen heiraten soll. Wir finden
hier noch keine Spur davon, dass die Witwen ein besonderes Amt zu ver-
sehen hätten oder dass eine zweite Ehe überhaupt minderwertig oder ab-
zulehnen sei.

b) Die Verheirateten V. 10-11

V. 10: Den Verheirateten aber gebiete ich, nicht ich, sondern der Herr,
. dass eine Frau sich von ihrem Manne nicht scheiden lassen soll.
V.ll: Wenn sie sich aber doch geschieden hat, so bleibe sie unverhei-
ratet oder versöhne sich mit dem Manne - und dass ein Mann
seine Frau nicht entlassen soll.

v. 10:ZU XWQLO'~ÜV!XL vgl. S.45. Gemeint ist auch hier eine rechtsgültige Schei-
dung, nicht nur eine «Trennung» im modernen Sinn.

Der Abschnitt über die Verheirateten besteht im Grunde nur aus einem
Satz, d. h. aus dem Herrenwort. V. 11 ab ist als Einschub102 zu betrachten,
bedingt durch die tatsächlich vorliegenden Verhältnisse in der korin-
thischen Gemeinde. In V. 10 setzt Paulus ein mit dem gewöhnlichen:
nuguyy€JJ.oo = ich gebiete, korrigiert sich aber sofort, in dem er sagt:
«nicht ich, sondern der Herr», worauf das Herrenwort als letzte Autorität
angerufen wird.

102 Der Ausdruck «Einschub» soll in keiner Weise in abwertendem Sinn ver-
standen werden, sondern im technischen Sinn.

187
Es erhebt sich hier also die Frage, inwiefern die Verordnungen des
Paulus untereinander verschiedenes Gewicht besitzen, resp. ob Paulus
einen Unterschied macht zwischen seinen Verordnungen aus eigener
Kompetenz und jenen, die er auf ein Herrenwort abstützen kann.
Eine Zusammenstellung bezüglich der Terminologie, welche Paulus zur
Kennntlichmachung der verschiedenen Anordnungen im Kap. 7 verwen-
det, ergibt folgendes Bild:
1. Als schwächste Form der Anordnung kann diejenige aufgefasst
werden, die eigentlich nur in einem Wunsch besteht: il'H.w (V. 7 und 32),
was wohl sinngemäss nicht mit «ich will» zu übersetzen ist, sondern mit
der gemilderten Fassung: «ich wünschte» oder «ich möchte».
2. Darauf folgt die Anordnung in der Form einer einfachen Aussage:
ÄE'(W = ich sage. Wir finden diese Art der Verordnung etwa in V. 8 und
in V. 35 103 , ferner in erweiterter Form in V.6, wo Paulus seine Anord-
nung nicht als Befehl verstanden wissen will, sondern als Zugeständnis.
In V.12 wird mit ÄE'(w ~'(oo deutlich ein Abstand zum Herrenwort in
V. 10 festgestellt.
3. Verschiedentlich charakterisiert Paulus seine Anordnung als in sei-
ner '('voofA.TJ = Meinung begründet (V. 25 und V.40). Man kann sich bei
beiden Formulierungen fragen, ob es sich hier um Aussprüche der Stärke
oder der Schwäche handelt. Das erstere ist doch das Wahrscheinlichere.
Paulus beruft sich ja auf den Geist Gottes (V. 40) oder auf das Erbarmen
Gottes (V. 25).
4. Die nächst stärkere Stufe dürfte dann die eigentliche Verordnung
sein (V. 17: I)LIl'tuO'O'ofA.ClL).Hier handelt es sich dann um die Anordnungen,
welche in den Gemeinden wohl zur eigentlichen Kirchenordnung wurden
(V. 17: so verordne ich in allen Gemeinden!).
5. Grösstes Gewicht hat jedoch die Anführung eines Herrenwortes.
Dies geht aus V. 10 hervor, wo ein solches zur Verfügung steht, ebenso
wie aus V. 25, wo das Fehlen eines entsprechenden Herrenwortes schmerz-
lich vermisst wird. Der Ausdruck 'JtIlQIl'('(EÄÄELV wird für den Befehl des
%UQLO~ selbst gebraucht (V. 10), wobei Paulus an anderer Stelle aber auch
seine eigenen Anordnungen mit demselben Ausdruck versehen kann
(1. Kor 11, 17; 1. Thess 4,11; 2. Thess 3, 4.6.10.12).104

103 Ähnliche Qualität besitzt der Ausdruck 't'oü,;o M IjJTJ/tt = «dies sage ich
aber, ... » in V. 29.
104 Zum ganzen hier angeschnittenen Problem vgl. W. Schrage, Die konkreten
Einzelgebote in der paulinischen Paränese, 1961, S. 241 ff.

188
Unsere kurze übersicht zeigt nun, dass tatsächlich auch in der Termino-
logie ein gewisses Gefälle besteht. Paulus unterscheidet vor allem seine
eigene Anordnung von dem nUQuyyE'J.)..ELV des Herrn (V. 12 und V. 25).
Wenn man sich auch fragen kann, ob zwischen den oben unter 1.-4. auf-
geführte Formulierungen ein sachlich bemerkbarer Unterschied in der
Gewichtigkeit der Verordnungen besteht, so ist doch mit dem 5. Punkt
zweifellos eine höchste Autoritätsstufe erreicht. Deutlich unterscheidet
Paulus seine eigenen Anordnungen von denen des Herrn. 105 Dabei muss
es sich nicht immer um ein zur Verfügung stehendes Herrenwort han-
deln wie hier, denn Paulus kann auch ohne Autorisierung durch aus-
drückliche Herrenworte «im Namen des Herrn» sprechen. 106
Diese Beobachtung ist für die richtige Interpretation unserer Stelle
äusserst bedeutsam. Zeigt sie uns doch, dass Paulus die Weisung des
Herrn nicht aus dem Buchstaben heraus erhebt, sondern aus dem Geiste
Jesu. Darum muss es uns nicht erstaunen, dass sich in den V. 10-11 weder
der genaue Umfang des eigentlichen Herrenwortes ermitteln lässt, noch
auszumachen ist, aus welcher Tradition das fragliche Herrenwort stammt.
Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass das Herrenwort wohl in V. 10 b
beginnt und sich in V. 11 b fortsetzt, dass aber nicht ganz klar ist, ob der
Mv-Satz (V. 11 a) als sekundärer Einschub (und damit bereits als eine
Interpretation des Herrenwortes) aufzufassen ist, oder ob er in den Augen
des Paulus oder der Tradition, welcher Paulus folgt, noch einen festen
Bestandteil des Herrenwortes bildet. Die übergänge werden wohl flies-
send sein. Damit hängt aber zweitens die Tatsache zusammen, dass sich die
streng formale synoptische Herkunft des Wortes nicht nachweisen lässt.
Vom Inhalt des Herrenwortes her liegt die Sache viel einfacher. Und
es ist darum sachgemäss, wenn wir sofort mit der näheren Auslegung
einsetzen.
Paulus sagt ausdrücklich, dass nicht er gebiete, sondern der Herr. Die-
ser Eingang hat etwas Endgültiges an sich, etwas Klares und Unumstöss-
liches. Wir werden sofort erinnert an das Streitgespräch J esu über die
Ehescheidung107, das ja auch in apodiktischer Art und Weise schloss: Was
Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden. Sachlich
nimmt V. 10 bund V. 11 b diese Sicht der Dinge auf: Die Frau soll sich
vom Mann nicht scheiden lassen, und der Mann soll seine Frau nicht
entlassen.

105 W. Schrage, a. a. 0., S.241.


100 Vgl. 1. KorS, 4; 2. Thess 3, 5; W. Schrage, a. a. 0., S.242.
107 Mk 10, 1 H. par.

189
«Das J(.ro!.lLO'{}ijVaL muss parallel dem &.!pLEvaL V. 11 die aktive Hand-
lung der Scheidung bedeuten: die also hier auch bei der Frau als möglich
angenommen wird.»l68 Beachtenswert ist, dass zuerst von der Frau ge-
redet wird, die sich vom Manne scheidet. Wenn auch im Judentum in be-
stimmten Fällen die Frau auf Ausstellung eines Scheidebriefes klagen
kann 109, so ist dies doch nicht das Normale. Da jedoch nach römischer
und griechischer Rechtssprechung eine von der Frau betriebene Schei-
dung durchaus statthaft war 110, so muss geschlossen werden, dass Paulus
hier das Herrenwort bereits in einer umweltbedingten Umformung ge-
brauchU11 Bestehen aber bleibt die unbedingte Ablehnung jeder Scheidung.
V. 11 a scheint nun trotzdem eine Scheidungsmöglichkeit zuzugestehen:
M.v öe )tal. J(.ro!.lLO'% ... Dieser Satz kann übersetzt werden: 1. «wenn sie
sich aber doch 112 scheidet» oder 2. sprachlich ebenso möglich (J(.ro!.lLO'{}n =
aor. conj.): «wenn sie sich aber doch geschieden haben sollte». Es scheint
mir nur die zweite übersetzung richtig zu sein. Paulus würde dann sagen:
das Herrenwort verbietet jede Scheidung. Aber es kann vorkommen,
dass eine Frau (oder ein Mann), die bereits geschieden ist, also sich
scheiden liess, als sie noch Heidin war, der Gemeinde beitritt und damit
die Gemeinde vor eine bereits geschehene Tatsache stellt. In diesem Fall
kann sie ohne weiteres in die Gemeinde aufgenommen werden, aber sie
muss sich verpflichten, nicht wieder zu heiraten, es sei denn, sie würde
zum geschiedenen Mann zurückkehren.
Sachlich ist hier das gleiche ausgedrückt, wie in Lk 16,18.113 Auch dort
ging es ja darum, dass die Ehe nicht geschieden werden kann, wobei
wahrscheinlich erst sekundär als Erleichterung die starke Forderung Jesu
uminterpretiert wurde: die Ehe kann geschieden werden, aber eine Wie-
derverheiratung ist verboten. (Wer seine Frau entlässt, und eine andere
heiratet, bricht die Ehe!) Paulus würde sich dann ähnlich entscheiden wie
die Ehescheidungspraxis der hinter der synoptischen Tradition stehenden
Gemeinden es verlangte!
Es ergibt sich also, dass der M.v-Satz inhaltlich mit der synoptischen
Tradition übereinstimmt. Insofern kann auch er als «Herrenworb> be-

108 H. Lietzmann / W. G. Kümmel, An die Korinther I und IJ, 1949, z. St.


109 V gl. oben S. 37. .
110 Literaturangaben bei H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a. 0., z. St.
111 Zu vergleichen ist die ähnliche Umformung eines Herrenwortes in Mk 10,
12. V gl. S. 66 f.
112 Das )Gut muss hier mit «doch» übersetzt werden. H. Lietzmann I W. G.
Kümmel, a. a. 0., z. St.
113 Siehe dazu oben S. 60 H.

190
zeichnet werden. Schon immer ist beachtet worden, dass dieser Satz nur
die geschiedene Frau anvisiert, und von einem geschiedenen Mann
schweigt. Das ist umso auffälliger, als im gerade folgenden Abschnitt
über die «Mischehen» Paulus sorgfältig jeden einzelnen Fall vom Ge-
sichtspunkt des Mannes und der Frau aus behandelt.
Für unser Problem, ob der Mv-Satz zu der dem Apostel vorliegenden
Tradition des Herrenwortes gehörte oder nicht, ergibt sich aus der obi-
gen Feststellung ein doppelter Aspekt:
1. Die Tatsache, dass nur von der geschiedenen Frau geredet wird,
könnte dafür sprechen, dass der Einschub nicht das Werk des Paulus ist,
da er sonst immer vom Gesichtspunkt des Mannes und der Frau aus for-
muliert. 114
2. Anderseits muss uns aber, gerade wenn man eine dem Paulus vor-
liegende Tradition postulieren möchte, die Tatsache erstaunen, da!!s
nicht vom geschiedenen Mann, sondern nur von der geschiedenen Frau
geredet wird, was doch sicher nicht in erster Linie den palästinensisch-
jüdischen Möglichkeiten entspricht.
Darum scheint es mir am einfachsten anzunehmen, das eigentliche
Herrenwort, welches Paulus zitiert, umfasse nur V. 10 bund V. 11 c.
V. 11 ab ist dann tatsächlich ein Einschub des Paulus, wobei man anneh-
men muss, dass dieser Einschub durch die in Korinth faktisch vorliegen-
den Verhältnisse hervorgerufen wurde. Damit wäre erklärt, warum Paulus
hier nur von der geschiedenen Frau, welche der Gemeinde beitritt, redet.
Paulus entscheidet eben in einem (oder mehreren?) konkreten Fall, ohne
dass er grundsätzlich und allgemein die Scheidungsmöglichkeit für Mann
und Frau gleichsam propagieren möchte. Es handelt sich lediglich um
eine Anweisung, welche aus dem Sinn des Herrenwortes geschöpft ist und
damit also das Herrenwort interpretiert. Praktisch allerdings ergibt sich,
dass Paulus trotz der Autorität des Herrenwortes eine Scheidung konze-
diert. Ganz deutlich wird die Haltung des Paulus zur Ehescheidung ge-
rade im folgenden' Abschnitt über die Mischehen.

c) Die «Mischehen» (V. 12-16)

V.12: Den übrigen aber sage ich, nicht der Herr: Wenn ein Bruder eine
ungläubige Frau hat, und diese lässt ,es sich gefallen, mit ihm zu-
sammenzuleben, so soll er sie nicht entlassen.

114 Vgl. oben S. 158 f.

191
V.13: Und wenn eine Frau einen ungläubigen Mann hat, und dieser
lässt es sich gefallen, mit ihr zusammenzuleben, so soll sie den
Mann nicht entlassen.
V.14: Denn der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau, und die
ungläubige Frau ist durch den Bruder geheiligt. Sonst wären ja
eure Kinder unrein; in Wirklichkeit aber sind sie heilig.
V. 15: Wenn aber der ungläubige (Teil) sich scheidet, so scheide er sich;
der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht ge-
knechtet; in Frieden hat euch Gott berufen.
V.16: Was weisst du, Frau, ob du den Mann retten kannst? Was weisst
du, Mann, ob du die Frau retten kannst?

V. 12: Der Terminus technicus d<PLEV(U meint hier die Scheidung, also das Weg-
schicken oder Entlassen mit einem Scheidebrief.
V.13: Die Lesart EL 'tL~, welche von p46, N, D, G, P, u. a. geboten wird, ist wohl
eine Angleichung an die Formulierung des Parallelsatzes in V. 12 und darum
sekundär. Sachlich ändert sich nichts. - Die Lesart E'Ö-o-OXEL (P", B) an Stelle
von O'UVEUÖOl!.EL dürfte wohl ursprünglich sein. Die reichere Form ist Anglei-
chung an V. 12.
V.14: Alle Varianten sind als Versuche zu einer völligen Parallelisierung der
Aussagen zu verstehen (Lietzmann / Kümmel, z. St.).
V. 15: EV M EiQi)vn l!.El!.A.1'\l!.EV l!.'tA. ist analog V. 18: E'V dl!.QoßuO''tLa l!.El!.A.1'\'taL 'tL~;
zu verstehen, also: «im Zustand des (Gottes-) Friedens hat euch Gott berufen». -
Die beiden Lesarten 'Ö!l-a~ oder fJ!l-a~ sind gleich gut bezeugt. 'Ö!l-a~ würde noch
besser in die ursprüngliche Situation passen und verdient darum den Vorzug.

Schliesslich wendet sich Paulus noch «den übrigen» zu. Gemeint sind
mit «den übrigen» die sog. «Mischehen», d. h. Ehen, die aus einem christ-
lichen und aus einem heidnischen Ehepartner bestehen.
Diesen Ehepaaren sagt nun Paulus, im Gegensatz zum vorher zitierten
Herrenwort (sage ich, nicht der Herr!), dass der christliohe Teil
mit dem heidnischen die eheliche Gemeinschaft aufrechterhalten soll,
wenn dies dem heidnischen Teil genehm sei, dass aber die Ehe geschie-
den werden könne, wenn der heidnische Teil dies verlange. Ausdrücklich
befreit im letzteren Fall der Apostel den christlichen Teil von der Fessel
des Herrenwortes. Es ist mit keinem Wort angedeutet, dass Paulus nur
von einer Trennung rede, wobei das vinculum matrimonii bestehen bleibe.
Gerade der Gegensatz zum Herrenwort, wo es ja unbestritten um die
Scheidung geht, beweist, dass auch hier an eine wirkliche Scheidung ge-

192
dacht wird. Dabei ist aber nicht sicher, ob Paulus eine Wiederverheira-
tung des geschiedenen Teiles zu Lebzeiten des Mannes (oder der Frau)
befürwortet hätte.ll5 Die Begründung für die Möglichkeit einer Scheidung
entgegen der Weisung des Herrenwortes lautet: Der Bruder oder die
Schwester ist in solchen Fällen nicht geknechtet, d. h. sklavisch gebunden.
Entweder ist als Gegenüber der heidnische Ehepartner gemeint oder dann
die Ehe als Institution. Das erstere ist wahrscheinlicher. Denn die Absicht
Gottes ist es, dass Mann und Frau im (Gottes-) Frieden leben, d. h. im
Herrschaftsbereich Gottes (V. 15 c). Wenn nun aber ein Ehepartner sich
aus diesem Herrschaftsbereich lossagt, dann trennt er sich endgültig. Er
bleibt im alten Aeon zurück, wo doch nun der neue Aeon begonnen hat.
Der Bruch zwischen altem und neuem Aeon ist aber so tiefgreifend, dass
in seinem Gefolge auch die Eheordnung zerbrochen werden kann. 1l8 Es
handelt sich bei einer solchen Scheidung aber nicht einfach um Willkür.
Denn erstens einmal ist diese Scheidung im Willen Gottes begründet. Der
Wille Gottes, das ist allein das Entscheidende. Wohl ist die Ehe dem
Willen Gottes gemäss, indem sie zur Schöpfungsordnung Gottes gehört.
Aber Gott ist souverän. Und darum ist es für Paulus denkbar, dass unter
der Botschaft vom Reich Gottes, das in diese Welt hereinbricht, eine Ent-
scheidung fallen kann, die auch allenfalls eine Ehe beendet.
Und zweitens kann es sich nie um Willkür handeln, weil die Initiative
für eine solche Scheidung vom heidnischen Ehepartner ausgehen muss.
Paulus denkt von der «Mischehe» äusserst optimistisch. Es ist auch zu er-
wägen, ob nicht V.16 in positivem Sinn zu verstehen ist. Gewöhnlich
fand man hier einen Ausdruck der Resignation. Paulus sei der Ansicht,
dass es höchst unsicher sei, ob der gläubige Teil den ungläubigen retten
könne. Nun hat aber Joach. Jeremias durch sprachliches Vergleichsmate-
rial aus der profanen Umwelt gezeigt 117, dass die Wendung der Doppel-

115 In V. 39 vertritt Paulus den Grundsatz, dass die Frau erst wieder heiraten
kann, wenn der Mann gestorben ist. Allerdings liegt dort ein anderer Zusam-
menhang vor als hier, wo es um die Scheidung geht. Dort ist die rechtmässige
Witwe ins Auge gefasst, wie in Röm 7, 2.
118 In diesem Zusammenhang ist auch auf das Herrenwort Lk 18, 29 f. hinzu-
weisen: «Wahrlich ich sage euch: es ist niemand, der Haus oder Weib oder Brü-
der ... um des Reiches Gottes willen verlassen hat, der es nicht vielfältig empfangen
würde in dieser Zeit, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.» J esus
meint hier sehr wahrscheinlich nicht nur das zeitweilige Verlassen der Frau, son-
dern es geht um ein Zurücklassen im alten Aeon, somit also um eine Eheschei-
dung, die faktisch und definitiv wird durch die Nachfolge des einen Ehepartners.
117 Die missionarische Aufgabe der Mischehe (1. Kor 7,16), NU. Stud. f. R. Bult-
mann, ZNW Beih.21, 1954, S.255-60.

193
frage: -rl. oll)a~ YUVIlL (llvEQ), d. " = was weisst du, Frau (Mann), ob ...
zu übersetzen ist: Vielleicht nämlich kannst du, Frau, den Mann retten.
Der Gedankengang würde also in V. 16 wieder umbiegen. Nachdem Pau-
lus in den V. 12-14 sehr positiv von den Mischehen und den darin gege-
benen missionarischen Möglichkeiten gesprochen hat, würde er im V. 15
eine Scheidung zugestehen, wobei dann in V. 16 wieder zu dem Anliegen
von V. 12-14 zurückgelenkt würde.
Es ist leicht ersichtlich, dass die Lösung, die Joach. Jeremiasvor-
schlägt, nicht so gut in einen geradlinigen Gedankengang passt. Die oben
erwähnte traditionelle Auslegung macht in dieser Hinsicht weniger
Schwierigkeiten. Aber wer auch dem Vorschlag von Joach. Jeremias nicht
meint zustimmen zu können, der muss doch zugeben, dass Paulus die
Mischehe sehr hoch einschätzt.
Es ist unbestritten, dass Paulus in V. 14 mit einem bestimmten Heilig-
keitsbegriff operiert, der in der Mischehe eine Rolle spielt. Weiterhin
dürfte klar sein, dass dieser Heiligkeitsbegriff nicht nur bei Paulus, son-
dern im ganzen Neuen Testament auf alttestamentlichen Vorbildern be-
ruht. 118 Besonders wichtig ist die kultische Komponente, die in diesem
Heiligkeitsbegriff auf Schritt und Tritt anzutreffen ist. Die Heiligen
(äYLOL) sind «Glieder eines Kultkreises, der im Opfer Christi begründet
isb>.lz0 So ist dann das Leben der Christen eine {}uol.a ~rooa &.yl.a -rep {}Eep.1I!1
Die Heiden werden als eine Opfergabe bezeichnet, «geheiligt im Geisb>.122
Auch in diesen Aussagen ist der Heiligkeitsbegriff immer mit der Opfer-
vorstellung verbunden. Paulus braucht den Heiligungsbegriff meistens
passiv. 123 Er spricht von den Geheiligten (&.YLIlOILE'VOL). Diese haben ihren
Wurzelgrund E'V XQLO-rep.124 Ihre Heiligkeit ist eine gottgewirkte Handlung,
wobei die Taufe eine wichtige Rolle spielt.125 In der Taufgemeinschaft
mit Christus liegt die Begründung der Heiligung und der Rechtfertigung.l~
Man kann das Geheiligt-werden des heidnischen Ehepartners durch
den andern nur von dieser Terminologie her verstehen. Paulus meint hier

118 V gl. etwa Apk 4, 8; 1. Petr 1, 16; u. a.


119 O. Procksch, Art. ÜYLO~, ThWb I, S.108.
120 Vgl. Eph 5,26: Das Wort äf.trof.t0~ (= untadelig) ist ein Terminus technicus
der Opfersprache.
121 Röm 12, 1.
1212 Röm 15, 16.
123 O. Procksch, a. a. O.
124 1. Kor 1, 2.
125 1. Kor 6, 11: UAAU UltEAOUO'llO'itE ist Anspielung auf die Taufe. V gl. ferner
Röm 6, 4 und Ko12, 12.
126 O. Procksch, a. a. 0.; 1. Kor 1, 30.

194
doch offenbar, dass der ungläubige Ehepartner so sehr mit dem gläubigen
verbunden ist 127, dass er sozusagen automatisch mit ihm in die Sphäre
der Christusheiligkeit mit einbezogen ist. Nicht die Welt ist in diesem
Fall stärker, wie in 1. Kor 6, 15 f., sondern die Gemeinschaft mit Christus.
Indirekt ist hier sicher im Ansatz eine ähnliche Vorstellung von der Ehe
bezeugt, wie sie in Eph 5 dann breit entfaltet wird.
Der Beweis, den Paulus führt, dass ja die Kinder aus einer Mischehe
heilig seien, ist leider nicht ganz klar, weil nicht sicher ist, was Paulus
eigentlich meint. Am Wahrscheinlichsten ist es, dass Paulus hier an die
den Korinthern bekannte Tatsache erinnert, dass Kinder von getauften
Eltern nicht getauft wurden, weil sie eben schon «heilig» seien. 128 Es
wäre dies dann eine Analogie zu der Proselytentaufe. 129 Es gibt verschie-
dene Belege dafür, dass bei Proselyten Kinder, die noch im Heidentum
geboren worden waren, nicht für heilig galten, jedoch nach dem übertritt
zum Judentum erzeugte und geborene Kinder galten als heilig. 130 Darum
mussten nach dem übertritt erzeugte und geborene Kinder nicht mehr die
Proselytentaufe empfangen; die Taufe der Mutter galt auch für die
Kinder. 131
Die Argumentation des Paulus würde dann folgendermassen lauten:
I.Die Ehe mit einem heidnischen Ehepartner soll aufrechterhalten wer-
den, weil
2. der heidnische Ehepartner mit dem christlichen Ehepartner zu einem
Leib wird und so an der «Heiligkeit» des christlichen Teils partizipiert.
3. Der Beweis für die Tatsächlichkeit dieser Partizipation sind die aus
dieser Ehe geborenen Kinder, die nicht mehr getauft werden müssen.
Man sieht sofort, dass der zugegebene Unsicherheitsfaktor, welcher
durch die Fraglichkeit des in Punkt 3 vorliegenden Tatbestandes (Tauf-

127 Man muss etwa daran denken, dass in 1. Kor 6, 15 f. Paulus den Geschlechts-
verkehr so bewertet, dass durch diesen die Glieder Christi zu Gliedern der Dirne
werden.
128 Vgl. O. Cullmann, Die Tauflehre des NT's, 1948, S.38 und 47 f.
129 So urteilt O. Cullmann, a. a. O.
130 Billerbeck III, S.374. Typisch ist etwa folgende Bestimmung: Jeb 42 a: Ein
Proselyt und seine Frau, die zum Judentum übergetreten sind, müssen (nach
ihrem Übertritt mit der Vollziehung des Beischlafes) drei Monate lang warten.
W'as gibt es denn in diesem Fall zu prüfen: es ist prüfend zu unterscheiden zwi-
schen dem Samen, der in Heiligkeit (= nach Übertritt) gesät ist, und dem Samen,
der nicht in Heiligkeit (= vor dem Übertritt) gesät ist.
131 Vgl. b Jeb 78 a: Wenn eine Proselytin schwanger war, braucht das Kind,
wenn es geboren wird, nicht getauft zu werden. Zit. n. H. Lietzmann / W. G.
Kümmel, a. a. 0., z. St.

195
verzicht?) hervorgerufen wird, in Bezug auf Punkt 2 vernachlässigt wer-
den darf. Denn die im Zusammenhang der Ehe entscheidende Aussage
stellt Punkt 2 dar. Man kann nicht bestreiten, dass Paulus mit dieser Aus-
sage die Ehe nicht mehr als eine nur diesseitige Angelegenheit betrachtet,
sondern als eine Art «Heilsordnung ... , sodass Mann und Frau im Rah-
men dieser sozialen Struktur einander zum Heil verhelfen sollen».132

132 B. Reicke, Neuzeitliche und neutestamentliche Auffassung von Liebe und


Ehe, Nov Test I, 1956, S.29.

196
Exkurs II: Die Unzucht in Korinth (I.Kor 6,12-20)

Paulus kommt in bei den Korintherbriefen ausser in 1. Kor 7 noch mehr-


mals auf das Problem der Unzucht zu sprechen. 1 Es ist aber deutlich, dass
der Begriff Unzucht von Paulus in verschiedenen Bedeutungen gebraucht
wird. 2 Während in 1. Kor 5,1 der Begriff zur Charakterisierung eines
eherechtlichen Verhältnisses dient, welches von Paulus, eben gerade in-
dem er es als Unzucht deklariert, abgelehnt wird 3, geht es in 1. Kor 6,
12-20 um diejenige Art von Unzucht, die wir mit «Prostitution» bezeich-
nen würden. Paulus führt den Nachweis, dass ein Christ sich nicht der
Unzucht hingeben dürfe, wobei mit Unzucht der aussereheliche Ge-
schlechtsverkehr mit einer Dirne gemeint ist. In dieser Art von Unzucht
sieht Paulus eine spezielle Gefahr für die korinthische Gemeinde. 4 Sicher
nicht zu Unrecht! War doch Korinth ein Zentrum der sakralen Prosti-
tution. Durch Korinth ergoss sich ein für damalige Verhältnisse riesiger
Fremdenverkehr, da diese Stadt, an einer Landenge gelegen, die Verbin-
dung zwischen Italien und dem Osten vermittelte. Hier stand der Haupt-
tempel der Aphrodite Urania, von welchem Strabo berichtet: «Der Tem-
pel der Aphrodite war so reich, dass er mehr als 1000 dem Tempeldienst
gewidmete Dirnen hatte, welche sowohl Männer als Frauen der Göttin
weihten; und auch wegen diesen (Dirnen) wurde die Stadt von vielem
Volk bewohnt und bereichert. Denn die Schiffsherren wurden leicht aus-
gebeutet, und daher sagt das Sprichwort: Nicht jedem Manne frommt die
Reise nach Korinth!»5 Diese Tempeldirnen oder Hierodulen 8 werden von
Herodot «heilige Frauen» genannU Bekannt ist das Skolion des Dichters

1 über 1. Kor 6, 12-20 werden wir gerade im Folgenden handeln; zu 1. Kor 5,


1 ff. vgl. unsere Ausführungen auf S. 100, A. 74. Schon in einem früheren Brief
hatte Paulus das Thema der Unzucht berührt, wie aus 1. Kor 5, 9 hervorgeht.
Paulus präzisiert nun seine Aussagen in dem Sinn, dass kein Unzüchtiger in der
christlichen Gemeinde geduldet werden soll (1. Kor 5, 11). Auch im paränetischen
Zusammenhang spielt die Ermahnung, der Unzucht abzusagen, eine wichtige
Rolle (1. Kor 10, 8).
2 Vgl. unsere Bemerkungen zu 1. Thess 4,3, S.141 ff.
3 Zum Sachverhalt von 1. Kor 5, 1 ff. vgl. besonders S. 100, A.74 ..
4 In diesem Sinn ist auch 2. Kor 12, 21 zu verstehen: « ... ich möchte genötigt
sein, über viele von denen zu trauern, die zuvor gesündigt haben und nicht Busse
getan haben wegen der unsauberen Dinge und der Unzucht und Ausschweifung,
die sie getrieben haben!»
S Strabo, Erdbeschreibung.
6 Strabo, a. a. O.
7 11,56.

197
Pindar, das diese korinthischen Hierodulen besingt und ihnen das Ad-
jektiv ;tOJ:USEVO!;; beilegt, das sich am besten mit «von vielen Fremden be-
sucht» übersetzen lässt. 8 Strabo gibt uns bei der Beschreibung des Aphro-
ditetempels in Komana eine anschauliche Schilderung des Treibens, wie es
auch in Korinth üblich gewesen sein wird. Er sagt: «An den hohen Festen,
wo die Göttin Prozession hält, strömen von allen Seiten, vom Lande und
aus den Städten, Andächtige, so Männer als Weiber zur Feier. Auch fehlt
es ausserdem nicht an Pilgern, die eine Wallfahrt gelobt haben und
Opfer bringen. Die Einwohner sind in Weichlichkeit und Genüssen er-
schlafft, und verwenden alle ihre Ländereien zum Weinbau. Alles wim-
melt hier von Weibern, die mit ihrem Leibe Geld verdienen, und wovon
die meisten dem Heiligtum verpflichtet sind. So mag man wohl Komana
Klein-Korinth nennen. Denn auch in Korinth gab es Scharen von Dirnen,
die der Venus geweiht waren. Alles war mit Fremden angefüllt, die hier
nur an Feste und Sinnenlust dachten».9
Der kultischen Prostitution trat aber auch eine profane zur Seite.
Korinth war im Altertum als Hetärenstadt berühmUo Aus der Rede des
Demosthenes gegen Neaira erfahren wir, dass die Freigelassene Nikarete
eine Hetärenschule betrieb. Im Laufe der Geschichte sind eine ganze An-
zahl korinthischer Hetären weltberühmt geworden, nennen wir hier nur
die Namen der älteren und der jüngeren Lais. l i Waren die Hetären ur-
sprünglich nicht mit gemeinen Prostituierten zu verwechseln, so zeigen
aber bereits die Schilderungen des Lucian in seinen Hetärengesprächen,
dass in der Kaiserzeit die von ihm geschilderten griechischen Hetären
nach heutigem Empfinden als gewöhnliche Dirnen angesprochen werden
müssen. Es bedarf keiner weitern Erörterungen, um darzutun, dass Ko-
rinth als Hafenstadt auch alle Formen der niedrigsten Prostitution be-
herbergte.
Auf diesem Hintergrund werden die Verse Kap. 6,12-20 verständlich.
Wenn irgendwo die Unzucht im Sinne der Prostitution eine Gefahr für
die Gemeinde darstellte, dann sicher in Korinth. Darum die Ermahnung:
Fliehet die Unzucht! Unklar aber bleibt der unmittelbare Anlass, der

8 Athenaeus, XIII, 573 c.


aÜbersetzung nach I. Bloch, Prostitution I, S. 86.
10 Bekannt ist der Ausdruck xOQL'Vl'ha~EL'V = mit Dirnen verkehren (Eustath.
290,23; Hesych. 11, 517). Philetairos (Athen. XIII, 559 a) und Poliochos (Athen.
VII, 313 c) haben unter dem Titel KOQLvfrLf.XO''tf]~ (= Dirnenjäger) Komödien
verfasst.
11 Weitere Namen und historische Angaben mit Belegen bei I. Bloch, Prostitu-
tion I, 1912, S. 288 H.

198
Paulus zu seinen Ausführungen treibt. Eine Frage im korinthischen Ge-
meindebrief scheint hier nicht vorgelegen zu haben. Denn Kap. 7, 1 setzt
neu ein: Was aber das betrifft, wovon ihr mir geschrieben habt ... Sehr
wahrscheinlich muss man diese Formulierung doch so verstehen: Jetzt
komme ich auf eure Frage zu reden, während das vorher noch nicht der
Fall war. Hat Paulus vielleicht sonst davon Kenntnis erhalten, dass Ge-
meindeglieder Unzucht treiben? Wir wissen es nicht. Sicher ist aber, dass
Paulus hier Front macht gegen einen Libertinismus, der behauptete:
«Alles ist mir erlaubt!» und wohl auch diesen Grundsatz auf die ge-
schlechtlichen Beziehungen anwandte. Wir begegnen hier offenbar dem
Gedanken der Umwertung aller Werte, wie er in gewissen Ausprägungen
der Gnosis auftaucht. Belege für diese Haltung sind etwa im Ägypter-
evangelium zu finden. Dort heisst es: «Darüber sagt der Herr im Ge-
heimnis: Wenn ihr nicht das Rechte wie das Linke macht und das Linke
wie das Rechte und das Obere wie das Untere und das Hintere wie das
Vordere, werdet ihr das Reich nicht erkennen».12
Oder: «Denn der Herr selbst, als er von jemandem gefragt wurde,
wann sein Reich käme, sprach: Wenn die zwei eins sein werden, und das
Äussere wie das Innere und das Männliche mit dem Weiblichen, weder
männlich noch weiblich!»13 Wenn auch in diesen Worten ursprünglich
ein Radikalismus in gutem Sinn gelegen haben mag, so sind hier bereits
die Ansätze spürbar, die zu einer beispiellosen Entartung auf geschlecht-
lichem Gebiet führen mussten, wenn einmal die Schranken gefallen
waren. 14 Die Berufung auf die höhere Natur im Menschen hatte auf der
einen Seite Askese, auf der anderen Seite sittliche Indifferenz zur Folge,
da nach gnostischer Anschauung in den «Vollkommenen» der böse Trieb
nicht herrschen konnte, sie alles durchmachen mussten und selbst das
Verwerflichste für sie nicht gefährlich war,15 Wir finden bei den Gnosti-
kern oft die unglaublichsten geschlechtlichen Verirrungen. Bekanntlich
vertraten verschiedene gnostische Sekten eine laszivlibertinische Richtung
bezüglich des Geschlechtslebens, so etwa die Kapokratianer, die Niko-
laiten, die Kainiten und Adamiten, die Basilidianer, etc. 1U

12 Petrusakten c.38. F. Hennecke / W. Schneemelcher, Ntl. Apokryphen, 1959,


S.115. Eine ähnliche Fassung des Wortes findet sich in den Acta Philippi 140.
13 2. Clem 12, 1-2. F. Hennecke / W. Schneemelcher, a. a. 0., S.111.
14 E. v. Dobschütz, Die urchristlichen Gemeinden. Sittengeschichtl. Bilder, 1902.
15 So wörtlich I. Bloch, a. a. 0., S. 625. Vgl. Tertullian, de anima 35; Irenäus I,
25,4-5; I, 62; 11, 14,5.
lß Vgl.l. Bloch, a. a. 0., S.625 H. dort Näheres über die verschiedenen Prak-
tiken dieser Sekten.

199
Paulus hat sicher nicht unbegründet seine Ermahnung gegen die Un-
zucht in Kap. 6, 12 ff. nach Korinth geschrieben. Es ist anzunehmen, dass
gewisse gnostische Irrlehren bekämpft werden sollten 17, und dass wohl
auch der Verkehr mit der Dirne vorkam und entsprechend gerechtfertigt
wurde.
Der Abschnitt 6,12-20 wird mit dem gnostischen Schlagwort: 3tuv,;a.
,LOt E~E(1"tLV eingeleitet. Dieses wird auch noch 1. Kor 10,23 erwähnt; es
scheint also in Korinth weit verbreitet und bekannt gewesen zu sein. Hin-
ter diesem Schlagwort steht der Begriff der E~O'U(JLa., der dreierlei bedeu-
ten kann:
1. Die Möglichkeit oder Kraft, etwas zu tun oder zu lassen.
2. Die Vollmacht oder Erlaubnis, etwas zu tun oder zu lassen, und
3. in übertragenem oder personifiziertem Sinn: die Mächte selbst, die
Macht ausüben. 18
Deutlich handelt es sich in 1. Kor 6, 12 und in 10,23 um die zweite Be-
deutung: «Alles ist mir erlaubt, der ich im Besitz der Gnosis die E~O'U(JLa.
über die Dämonen habe», ein Grundsatz, den der Gnostiker im Blick auf
die «Fleischeshandlungen» aussprach und praktizierte. lU Die Gedanken-
führung des Paulus wird klar unter der Voraussetzung, dass in Korinth
etwa folgendermassen argumentiert wurde: Man darf ohne weiteres alles
essen (Götzenopferfleisch!) und ebenso in jeder Weise ,geschlechtlich ver-
kehren 21J; denn «Leib» und «Bauch» sind vergänglich, 'also spielt es keine
Rolle, was damit angefangen wird! Der spezifische gnostische Einschlag
besteht im Hinweis auf die Vergänglichkeit der Fleischsubstanz, welche
sowohl Bauch als Leib kennzeichnet.21 Paulus gibt zu, dass der Bauch ver-
gänglich sei; darum ist das Essen von Götzenopferfleisch erlaubt! Der
Leib dagegen - und das ist das Wesentliche an der paulinischen Argu-
mentation - gehört dem Herrn; der Herr aber wurde auferweckt von
Gott, also wird auch der Leib, der dem Herrn gehört, auferweckt werden.

17 Vgl. W. Schmithals, Die Gnosis in Korinth, 1956, S. 1955 H.


18 Vgl. dazu W. Schmithals, a. a. 0., S. 194; W. Foerster, Art. e~ouo-ta, ThWb 11,
559 H.
19 W. Schmithals, a. a. 0., S. 195.
20 Es gibt mancherlei Belege dafür, dass der Geschlechtsverkehr mit dem Essen
verglichen wird. Vgl. z. B. die berühmte Antwort des Philosophen Aristippos,
des Stifters der kyrenaischen Schule, der mit der Hetäre Lais verkehrte und auf
die Vorhaltung, die Lais liebe ihn nicht, sagte, er sei überzeugt, dass auch der
Wein und der Fisch ihn nicht lieben, und doch geniesse er Wein und Fisch gern.
1. Bloch, a. a. 0., S. 296.
21 W. Schmithals, a. a. 0., S.197.

200
Insofern ist der Leib eben nicht vergänglich und darum nicht für die
Unzucht bestimmt (V. 13). Es kann kein Zweifel bestehen, dass Paulus
in den V. 12-20 mit dem Ausdruck aW!lu ständig wechselnde Bedeutungs-
nuancen verbindet, die vom Leib als Sitz des sexuellen Lebens bis zur
Person als solcher reichen. 22 Demgemäss fügt er dem Beweis in V. 13 drei
weitere Argumente gegen die Unzucht bei, die in freier Folge aus den
Bedeutungsnuancen des Begriffes aW!lu und z. T. aus zufälligen Assozia-
tionen herauswachsen:
1. V. 15-17: Die Leiber der Christen sind Glieder Christi. Durch den
Verkehr mit der Dirne werden die Glieder Christi zu Gliedern der Dirne,
da «die zwei ein Fleisch werden».23 Dies ist ein Widerspruch in sich sel-
ber. In V. 17 würde man anstatt JtVEV!lU wieder aWWl erwarten. Aber
offenbar soll mit JtVEV!lU der Gegensatz zu aUQs in V. 16 deutlich ge-
macht werden. 24
2. V. 18: Unzucht ist eine besonders schwere Sünde, weil sie sich gegen
den eigenen Leib richtet.
3. V. 19: Der Leib ist ein Tempel des heiligen Geistes in den Christen;
der heilige Geist kommt von Gott, damit gehört der Leib Gott. Hier
kehrt die Argumentation zu V. 15-17 zurück.
Zum Abschluss gibt V. 20 an, für was der Leib da ist; nicht für die
Unzucht, sondern um damit Gott zu ehren und zu verherrlichen.
Dass Paulus so eingehend argumentiert, dürfte seinen Grund darin
haben, dass in Korinth wohl tatsächlich oft Unzucht vorkam und mit dem
Schlagwort «Alles ist mir erlaubt» gerechtfertigt wurde. Man darf sich
darüber nicht entsetzen, da ja das Altertum den geschlechtlichen Dingen
ganz unbefangen gegenüberstand. Paulus sagt in V. 11 ausdrücklich, dass
etliche der Korinther vor ihrer Taufe Unzucht getrieben haben. Offen-
bar knüpfen seine Ausführungen absichtlich an V.9-11 an, resp. sind
sie durch diese Verse veranlasst.
Es muss auffallen, wie vorsichtig Paulus urteilt. Wohl brandmarkt er
di!e Unzucht, aber doch so, dass er den damaligen zeitgeschichtlichen Ver-
hältnissen gerecht wird. Denn die damalige organisierte Prostitution lässt
sich mit der heutigen nur sehr bedingt vergleichen. Das hängt mit der
antiken Sklaverei zusammen. Wir wissen, dass der Sklavenhandel die

22 Vgl. R. Bultmann, Theologie d. NT, 1953, S. 191 f.


23 Hier spielt wohl die rabbinische Interpretation von Gen 2, 24 eine wichtige
Rolle. Vgl. S. 36, A. 9.
24 H. Lietzmann / W. G. Kümmel, a. a. 0., S.175.

201
Grundlage der antiken Prostitution überhaupt war. 25 Durch Kriegshand-
lungen, Menschenraub der Piraten, Aussetzen der Kinder, vor allem der
Mädchen, kamen immer wieder unzählige Knaben und Mädchen als Skla-
ven und Sklavinnen in die Hände der Kuppler.26 Nicht erst das moderne
Empfinden stösst sich daran, dass Menschen wider ihren eigenen Willen
zur Preisgabe ihres Körpers gezwungen wurden, sondern schon im Alter-
tum wurden ähnliche Stimmen laut.27 Es kann nicht anders sein, als dass
auch Paulus diese soziologische Seite der Unzucht bekannt war. Vielleicht
finden wir aus diesem Grund bei ihm keine Verurteilung der Dirne.
Aus V. 15 f. kann man allerdings eine indirekte Bewertung der Dirne
herauslesen, welche wohl mit der allgemeinen gesellschaftlichen Ächtung
der Prostituierten zusammenhängen dürfte. Wesentlich ist aber, dass Pau-
lus nicht von der damaligen Anschauung aus argumentiert, sondern seine
Ablehnung der Unzucht ist christologisch begründet: Wer dem Herrn
anhängt, der ist ein Leib mit ihm (V. 17)! Darum ist ein Verkehr mit der
Dirne ausgeschlossen, da der Verkehr als solcher denjenigen, der ihn aus-
übt, an der Infamität der Dirne teilhaben lässt. Dies steht im Widerspruch
zur Tatsache, dass der Leib des Christen ein Tempel des heiligen Geistes
ist (V. 18).

25 Dies trifft sowohl für die heterosexuelle als auch für die homosexuelle Pro-
stitution zu.
28 Es fehlt uns hier der Platz, die entsprechenden Belege zu bringen. An der
Tatsache im allgemeinen kann nicht gerüttelt werden. Vgl. I. Bloch, a. a. 0.,
S. 364 f.
1!7 Seneca, Contr 1, 2.

202
Exkurs III: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der neutesta-
mentlichen Umwelt und in der alten Kirche 1

Der Begriff Enthaltsamkeit wird im Griechischen mit dem Wort eYX(lu'tELU


umschrieben. In dem Substantiv eyx(lu'tELU und in dem zugehörigen Ad-
jektiv eyx(lu'tfJ(; findet sich die Wurzel X(lU't-, welche Macht oder Herr-
schaft bedeutet.! eyxeu'tfJ(; bezeichnet demnach einen Menschen, der Macht
hat im körperlichen oder geistigen Sinn.
eyx(lu'tELU wird auch absolut gebraucht im Sinne von «Macht über sich
selbst haben»; es bedeutet dann «Selbstbeherrschung» und zwar: 1. im
Sinne von Ausdauer, Standhaftigkeit oder: 2. speziell auf geschlecht-
lichem Gebiet im Sinn von Enthaltsamkeit.
Der Begriff eyxeu'tELU wird zuerst von Sokrates als Grundlage aller
Tugend und Religion in die Ethik eingeführf.3 Plato und dann vor allem
Aristoteles nehmen ihn auf. Plato sagt, dass die eyxeu'tELU als die Be-
herrschung der sinnlichen Triebe im Grunde nichts anderes als ein volks-
tümlicher Ausdruck für die croo<p(lOO'll'V'l'Jsei.4 Nach Aristoteles hat der
Enkrates zwar starke Begierden, doch kann er sie unterdrücken, während
der Sophron über jeden heftigen Trieb erhaben ist. 5 In der Stoa wird die
eyx(lu'teLU als Zeichen der menschlichen Würde aufgefasst; um wirklich
Mensch zu sein, müssen die Begierden gemässigt werden, vor allem der
sexuelle Trieb und die Lust an Essen und Trinken.8 Der Neupythagoreis-
mus entwickelt ein dualistisches System: der Körper muss durch Askese
in Schach gehalten werden, damit die Seele sich zu Gott erheben kann. 7
In der ganzen griechischen Ethik wird die eyx(lu'teLU als Vollendung
des Menschen betrachtet. Sie unterscheidet den Menschen vom Tier und
ist darum absolut notwendig. Dabei spielt sicher auch die Tatsache, dass
die Enthaltsamkeit zum Ausüben des Kultes unerlässlich war, eine grosse
Rolle. Allerdings ist nicht ganz klar, welches dabei das vorherrschende
Moment ist, ob daran gedacht wird, dass der den Kult Ausübende die
Liebe des Gottes geniesst und darum auf die Liebe der Menschen ver-

1 Vgl. H. Chadwiek, Art. Enkrateia, RAC V, Sp. 343-365.


2 W. Grundmannn, Art. eyxQu'te(u, ThWb 11, S. 338 ff.
a Xenophon, Mem 1,5,4.
4 Rep. 430 E.
S Aristoteles, Eth Nie 7, 1, 10 (p. 1145 a, 15/1152 a).
8 Seneca ep. 92,10.
7 Plotin 3,6,5. Die Novizen hatten eine Schweigezeit von 5 Jahren zu absol-
vieren. Dazu wurde das Zölibat oder sexuelle Enthaltsamkeit gefordert, welche
durch sparsame Ernährung garantiert werden sollte.

203
zichten muss, oder ob wohl einfach die Anschauung nachwirkt, dass der
geschlechtliche Umgang den Menschen befleckt. Im Alten Testament je-
denfalls ist das letztere das Wahrscheinlichere.8 In der LXX taucht der
Begriff der Enthaltsamkeit in der Weisheitsliteratur auf (Sir 18, 30;
Sap 8, 21); sonst fehlt er ganz, was äusserst bezeichnend ist. Philo dagegen
preist die Enthaltsamkeit als Überlegenheit über die Begierden und Lei-
denschaften 9, und von den Essenern wissen wir, dass sie das Zölibat emp-
fahlen und Askese übten. lo
Hier ist es nun am Platz, etwas vom Verhältnis der bei den Begriffe
«Enthaltsamkeit» und «Askese» 11 zueinander zu sagen. Ursprünglich be-
deutet aa%eLv «sich bemühen, sich üben» und zwar im Sinn des technischen
Bearbeitens und Verzierens eines Gegenstandes. So wird es schon bei
Homer gebraucht. Bei Xenophon wird es auf körperliche Übungen ange-
wandt, sodass ein Athlet direkt als aa%'Y}'t1)~ bezeichnet werden kann.
Epiktet kennt dann die geistige Askese, also die Übung zum Tun des Gu-
ten. Hier bahnt sich bereits die spätere Bedeutung des Begriffes an. Es
handelt sich im Gegensatz zur Enthaltsamkeit nicht um ein durch eine
bestimmte Situation gefordertes Verhalten, sondern um die prinzipielle
Bezähmung der Begierden und auch der geschlechtlichen Leidenschaften,
also um ein prinzipielles Bestehen von allerhand Entbehrungen.
Im Neuen Testament erscheint aa%ELV nur in Apg 24, 16: «Ich übe mich
auch selbst, allezeit ein unverletztes Gewissen zu habell». Hier würde
noch der ursprünglichere Sinn des Wortes vorliegen, insofern es sich um
eine geistige Bemühung handelt. Es fragt sich allerdings, ob, wenn auch
das Wort selbst fehlt, nicht doch in 1. Kor 9, 25-27 die Sache der Askese
da ist, wobei aber der Verdienstgedanke fehlt. In V.25 taucht das Verb
By%Qu'tEilEa-&m auf: der Wettkämpfer, mit dem Paulus sich vergleicht, ent-
hält sich aller schädlichen Dinge um des Zieles willen, dem er zustrebt.
1. Kor 7, 9 wird Ey%Qu'tEuEa-&m im Sinn der geschlechtlichen Enthaltung
verwendet: «Wenn sie sich jedoch nicht enthalten können, so mögen sie
heiraten» (Zürcher Übersetzung). Dem entspricht in V.5 das Wort
a%Qaatu, welches die geschlechtlichen Ausschweifungen meint. Auch im
Tugendkatalog Ga15, 23 ist Ey%Qu'tdu in Gegensatz zu Unzucht, Un-
keuschheit, Ausschweifung, etc. gestellt. Die anderen Stellen (Apg 24,25;

8 Vgl. Ex 19,15; 1. Sam 21, 5; u. a.


9 Rer DivHer 254; Spec Leg 1, 149/150.
10 Josephus, Bell 2, 120. Bekanntlich ergänzten die Essener ihre Gemeinschaft
nicht durch natürliche Erzeugung von Kindern, sondern sie adoptierten Kinder
armer Eltern.
11 Vgl. H. Windisch, Art. aO'%Effi, ThWb I, S. 492 H.

204
2. Petr 1, 6; Tit 1, 8) verwenden den Begriff im Sinne der hellenistischen
Tugendlehre.
Das Fehlen der ganzen Wortgruppe in den Evangelien und das seltene
Vorkommen im Neuen Testament überhaupt, lassen erkennen, dass der
biblische Boden für die Vorstellungen des enthaltsamen Lebens nicht
sehr fruchtbar war. Wo Gott als der Schöpfer verehrt und gepriesen wird,
darf man seine Gaben unbedenklich geniessen. Umso mehr muss in Er-
staunen versetzen, dass in der nachapostolischen Zeit die Enthaltsamkeit,
besonders im Sinne der geschlechtlichen Abstinenz, die alles beherrschende
christliche Tugend und Forderung wurde. Man macht sich gewöhnlich
kein zutreffendes Bild von der ungeheuren Wucht dieser Gedanken,
welche die Zeit der alten Kirche weitgehend zu prägen scheinen, was das
alltägliche Leben anbetrifft. Besonders schlagend wird dieser Tatbestand,
wenn man sich die betreffenden Zeugnisse in gedrängter Kürze vergegen-
wärtigt. 12
Aus dem 1. Clem erfahren wir, dass in Korinth eine asketische Gruppe
lebte, die sich ihrer ethischen Überlegenheit brüstete. Clemens musste
darauf hinweisen, dass diese Enthaltsamkeit ein Geschenk Gottes sei
(1. Clem 38, 2). Ob dieser Ermahnung Erfolg beschieden gewesen war,
wissen wir nicht. In 2. Clem 14, 3. 5 wird die Verbundenheit der Kirche
mit dem Bräutigam Christus (Eph 5,22 ff.) dahin gedeutet, dass nur die
Reinen im Fleisch an Christus teilhaben können. Mit Tatian setzt ein
neuer Abschnitt in der Geschichte der Enthaltsamkeit ein. Bis zu ihm
wurden die extremen Ansichten meist von Haeretikern vertreten; wir er-
innern an Marcion 13 und an Satornilus 14. Die Jünger von Tatian nannten
sich nun selbst OL EY%Qa.EL~, die EnkratitenY Er selbst schrieb ein Buch
mit dem Titel «über die Vollkommenheit nach der Lehre des Erlösers».
Aus diesem Werk hat uns Clemens von Alexandrien die Exegese von
1. Kor 7, 5 aufbewahrt und überlieferU 6 Tatian erklärt die Enthaltsamkeit
als notwendig für das Gebet. Und aus der Art, wie Paulus nur wider-
strebend den Verkehr erlaube, folgert er, dass Paulus den ehelichen Um-
gang praktisch verboten habe. Dabei steht Tatian mit seinen Ansichten
nicht allein, indem andere orthodoxe Ethiker genau gleich reden konnten
wie erY Überhaupt lebten die Enkratiten des 2.-4. Jahrhunderts ständig

12 Wir folgen dabei, meistens wörtlich, den Ausführungen von H. Chadwick in


seinem S. 203, A. 1 genannten Artikel, aber stark gekürzt.
13 A. v. Harnack, Marcion, 1924, S. 148 f. und 277 f.
14 Irenaeus, Haer 1, 28.
15 Irenaeus, Haer 1,28 und Origenes, Cels 5, 65.
16 Strom 3, 12, 80/1.

205
in dem Grenzland zwischen Orthodoxie und Häresie. 18 Als der Bischof
Pinytos von Knossos auf Kreta lehrte, die Enthaltsamkeit sei heilsnotwen-
dig, forderte er den heftigen Protest des Bischofs Dionysius von Korinth
heraus. 19 Auch Origenes empfahl, sich an die von Paulus Röm 14, 2 f. ge-
übte Toleranz zu halten. Auf der einen Seite rügt er die Lehrer, welche
in ihren Gemeinden absolute Enthaltsamkeit fordern und damit die Män-
ner zur Unzucht treiben. 20 Auf der andern Seite bedauert er aber, dass
ein sektiererischer Enkratit, der in die Kirche eintreten will, gezwungen
werden soll, seine Enthaltsamkeit aufzugeben. 21 Man sieht also deutlich,
dass hier sich die Waagschale bereits zu Gunsten der Enthaltsamkeit
neigt. Ihren Höhepunkt erreichten die Anschauungen des orthodoxen
Enkratitentums in den Sentenzen des Sextus.22 Es kann aber kein Zweifel
bestehen, dass man hier eigentlich von einem Exzess reden muss, und es
ist bezeichnend, dass man in der alten Kirche dies offenbar nicht so emp-
funden hat. Es ist dies auch ein sprechendes Beispiel dafür, welche Rolle
der Zeitgeist in der Prägung des christlichen Selbstverständnisses spielte.
Sextus verlangte, dass alle sexuellen Regungen zu unterdrücken seien.
Ehemann und Ehefrau sollen in der Enthaltsamkeit miteinander wett-
eifern. Schliesslich wird für den Mann die Selbstkastration empfohlen,
um dem Feuer der Hölle zu entgehen.28 Es wird berichtet, dass einige
junge Enthusiasten diese Empfehlung befolgt hätten, wobei es sich nicht
nur um Einzelne gehandelt zu haben scheint. 2' Neben Sextus gilt aber
als wichtigster Vertreter des orthodoxen enkratitischen Ideals Clemens
von Alexandrien. 25 Er nimmt eine merkwürdige Zwitterstellung ein in
unserer Frage. So kann er die Ehe verteidigen mit dem schlagenden Ar-
gument, dass Gott schon wusste, warum er Mann und Frau erschaffen
17 Z. B. Orig. in Num. horn. 23, 3.
18 Es ist bekannt, dass die Montanisten als Ideal eine strenge Askese ver-
traten. Tertullian wollte ja die montanistische Askese als orthodox legitimieren
(lei 15, 1).
19 Euseb, Hist Eccl 4, 23, 7/8.
~ Comm in Mt 10.
111 Comm in Rom 10, 1 (7,373 Lomm.).
22 Neu herausgegeben von H. Chadwick, Cambridge, 1959. Es handelt sich da-
bei sehr wahrscheinlich um das Werk eines christI. Autors, der durch neupytha-
goräische Anschauungen beeinflusst ist.
28 13,273.
24 Origenes, Comm in Mt 15, 3. Gewöhnlich wird angenommen, dass auch
Origenes sich selbst entmannt habe. V gI. zu den Selbstkastrationen unsere Aus-
führungen zu Mt 19, 11 H., S. 106.
25 Seine wichtigsten Äusserungen über unsere Frage finden sich im 3. Buch
der Stromateis.

206
habe. Während gewisse haeretische Enkratiten behaupteten, der ledige
Stand sei höher einzuschätzen als der verheiratete, argumentiert er ge-
rade umgekehrt. Er sagt, dass sich dem Junggesellen weniger Gelegen-
heit zur Selbstverleugnung biete als dem Verheirateten. Der Ehemann
muss ,sich bewähren, indem er die täglichen Prüfungen meistert, die ihm
durch Frau und Kinder, Dienerschaft und Haushalt auferlegt werden. 28
Wenn die Enkratiten behaupten, sie würden dem Beispiel Christi fol-
gen 27, so ist dem entgegenzuhalten, dass die Apostel durch ihr Beispiel
die Berechtigung, eine Ehe zu führen, deutlich belegen. 28 Der springende
Punkt für Clemens liegt an anderer Stelle. Er glaubt nämlich, dass die
verheirateten Apostel keinen Geschlechtsverkehr ausübten. 29 Man würde
allerdings gern erfahren, woher Clemens dies weiss. Auf alle Fälle ist so
die Enthaltsamkeit als höchstes Ideal gerettet, ohne dass die Schöpfungs-
ordnung der Ehe preisgegeben werden muss. Die besten Christen sind
demnach diejenigen, die wohl verheiratet sind, aber keinen Geschlechts-
verkehr mit ihren Frauen haben. 30
Wenn es dennoch zum geschlechtlichen Umgang kommen sollte, so ein-
zig und allein um Kinder zu erzeugen, niemals aber aus sinnlicher Liebe
und zur Lustbefriedigung. Diese Einstellung findet sich nicht nur bei
Clemens 31, sondern auch noch bei anderen 32 • Die Begründung für ein sol-
ches Verhalten mutet uns heute merkwürdig an. Der Christ, so wird ge-
sagt, soll nicht sinnliche Leidenschaft suchen, sondern allein die Schön-
heit der Seele; denn nur so erhält er einen Vorgeschmack des Himmels,
wo sich die Eheleute ja auch in engelgleicher Gestalt ohne Gedanken an
die Vereinigung begegnen.33 Weiter wird darin eine Nachahmung der
Vita Jesu gesehen; seine Enthaltsamkeit war ja so gross, dass er nur ass
und trank, um die doketische Haeresie widerlegen zu können. 34 In seinem
Kampf gegen die Haeretiker stellt Clemens daher folgende Merkmale
wahrer Enthaltsamkeit auf:

u Strom 7,70,7/8.
~7 Strom 3, 49, 1.
28 1. Kor 9, 1 ff. Ferner wird in Bezug auf Paulus PhiI4, 3 f. in diesem Sinn
von Clemens interpretiert (Strom 3,53,1).
2D Strom 3, 53, 3.
30 Strom 6, 100,3. Vgl. Methodius, Symp 9, 4, 252; über die geistlichen Ehen
vgl. Geistliche Ehen in Korinth?, S. 175 ff.
31 Strom 6, 100,3; 3,58,2; 2, 107,3; paed 2,95,3.
32 Muson frg. 12 Rense; Athenag.Ieg. 33; resurr. 21; Justin, Apoli, 29; Ori-
genes, Cels 5, 42; Rom in Gen 3,6; in Rom comm 2,13; Clem rec 6,12; etc.
33 Strom 6, 105, 1.
34 Strom 6, 71,2.

207
1. Die sexuelle Seite der Enthaltsamkeit darf nicht allein betont wer-
den; ebenso wichtig ist Enthaltsamkeit in Bezug auf Zunge, Geld, Luxus,
Essen und Trinken.
2. Wahre Enthaltsamkeit geschieht aus Liebe zum Herrn, nicht aus
Verachtung der Dinge.
3. Es muss anerkannt werden, dass wahre Enthaltsamkeit ein Geschenk
Gottes ist. Daraus folgt aber sofort, dass sie nicht verallgemeinert werden
darf, und dass auch Verheiratete gerettet werden. 35
Man sieht, dass diese Folgerungen durchaus akzeptabel sind und es be-
rührt uns sehr sympathisch, dass Clemens die orthodoxen Enkratiten vor
Hochmut warnt. 3B
Tatsächlich war die heidnische Welt von den Leistungen der Christen
auf dem Gebiet der Enthaltsamkeit beeindruckt und die Apologeten sahen
in der Enthaltsamkeit eine Garantie für den göttlichen Ursprung der
Kirche.37 Justin brüstet sich g,eg;enüber den Heiden mit folgenden Worten:
«Gar viele Männer und Frauen, die von Jugend auf Schüler Christi ge-
wesen sind, sechzig- oder siebzigjährige, sind bis zur Stunde keusch ge-
blieben, und ich getraue mir, solche in jedem Lande aufzuweisen, ganz zu
schweigen von der unzähligen Menge derjenigen, die von Ausschweifun-
gen abgelassen und solche Grundsätze angenommen haben.»38
Die ganze nachapostolische Zeit beruft sich bei ihrer Wertschätzung
der Enthaltsamkeit und der Ehelosigkeit auf 1. Kor 7. Augustin versteht
V.5 f. in dem Sinn, dass Paulus denjenigen Eheleuten Verzeihung ge-
währe, die den Geschlechtsverkehr aus Vergnügen ausüben, obwohl sie es
eigentlich nicht tun sollten.3D Gewöhnlioh wurden die Ausführungen in
diesem Kapitel so verstanden, dass der Apostel die Eheschliessung über-
haupt, oder dann den Vollzug der ehelichen Gemeinschaft ablehne. Eine

35 Strom 3, 105, 1.
88 Ähnliche Warnungen finden sich: 1. Clem 38,2: «Der Keusche rühme sich
nicht, sondern erkenne, dass ein anderer ihm die Gnadengabe der Enthaltsamkeit
verliehen hat.» - Ebenso Ignatius, ad PoIyc 5, 2 : «Wenn jemand es vermag, in
Keuschheit zu verharren, so verharre er auch zur Ehre des Fleisches des Herrn in
Bescheidenheit. Wenn er sich damit rühmt, ist er verloren!»
37 Da es aber auch heidnische Asketen gab, musste hier eine Aporie entstehen.
Die Apologeten lösten sie durch folgende Behauptungen: 1. In den heidnischen
Asketen ahmt der Teufel die christlichen Tugenden nach (Tert praescr 40).
2. Heidnische Asketen handeln nicht aus freien Stücken. Sie werden entweder
dazu gezwungen, dafür bezahlt oder nehmen magische Drogen ein (Origenes c.
Cels 7, 48; vgl. Philo v. cont 68; Ambros. ep 18, 11 f.; Prudent. c. Symm 2, 1064 H.).
38 Apol I, 15.
8D bono com. 11.

208
solche Exegese von 1. Kor 7 wurde aber nur möglich, weil die eschato-
logische Situation, aus der heraus Paulus schreibt, vollständig in Verges-
senheit geriet und übersehen wurde. Unsere Ausführungen zu 1. Kor 7
haben aber klar gemacht, dass das ganze Kapitel nur unter dem Blick-
winkel der hereinbrechenden Endzeit richtig verstanden werden kann.

209
C. Kolosserbrief
(Kap. 3, 18-19)

Die Abgrenzung von Ko13, 18-19 ist willkürlich und nur im Thema
unserer Untersuchung motiviert. Es ist hier von der Ehe, resp. vom Ver-
halten der Ehefrauen zu ihren Ehemännern und umgekehrt die Rede.
Diese Erörterungen gehören aber ihrerseits in den grösseren Zusammen-
hang des «Hauses». Wenn auch zuerst mit dem Begriff Or%O~ nur das
Haus der Christen im eigentlichen Sinn gemeint war (nämlich in dem
Moment, als man diese Ermahnungen in der Gemeinde zum ersten Mal
adoptierte), allenfalls noch die weitere Familie und die Sippe 1, so geht
es doch schliesslich um mehr. Mit Ko13, 18 H. beginnt eine sog. Haus-
tafel. Wir stehen hier vor dem Versuch, das Verhältnis der Christen zur
Welt zu regeln. Das Problem der Haustafeln im Neuen Testament impli-
ziert im Kern das Problem der neutestamentlichen Ethik überhaupt. 2

Kol.3, 18 f.

V.18: Ihr Frauen seid den Männern untertan, wie es sich gebührt 1m
Herrn.
V. 19: Ihr Männer, liebet die Frauen, und seid nicht bitter gegen sie.

V.18: Zur Anrede im Nominativ mit Artikel vgl. Moulton, Einl. S. 107 f., und
Blass-Debr., § 147,5; sie ist demnach im Griechischen durchaus möglich. -
Die Lesarten «den eigenen Männern» (L) und «euren Männern» (D, G, it, sy) sind
deutliche Erleichterungen und darum sekundär. - Ähnlich V.19: eure Frauen
(D, G, it, sy, u. a.). ,);tO';UCII1ELV kommt auch sonst noch vor in der profanen
Sprache und bezeichnet das schickliche Verhalten der Frauen gegenüber dem
Manne (Plut. Praec Conjug. 142 D [Almquist 121]). Im Neuen Testament wird es
auch im allgemeinen Sinn gebraucht; z. B. Röm 13, 1. 5; Tit 3, 1: dem Staat unter-
tan sein, oder Jak 4, 7; 1. Kor 15, 27 f.: Gott untertan sein. Zum Begriff des Un-
tertanseins vgl. unten S.221.
V. 19: m%QuLvEcr{}UL: bitter werden, sich erbittern lassen (vgl. W. Michaelis,
m%Qo<;, ThWb, VI, S.125). m%QLu meint die Bitterkeit, übertragen dann den Zorn
und die grausame Härte des Sklavenhalters; der Begriff taucht auf im Laster-
katalog Eph 4,31 und in Jak 3,14, wo die bittere Eifersucht und Zanksucht damit
gemeint ist.

1 Vgl. O. Michel, 01%0<;, ThWb V, S. 132 f.


2 Vgl. dazu unsern Exkurs IV: Die Haustafeln im Neuen Testament, S.213 ff.

210
Dass V. 18 f. in den grösseren Zusammenhang von 3, 18 - 4, 1 gehören,
haben wir schon erwähnt. Im Gesamten des Kol erscheint die Haustafel
unvermittelt eingefügt. Man erwartet sie nicht. Lohmeyer meint, dass
kaum eine Lücke zu spüren wäre, wenn dieser Abschnitt überhaupt fehlen
würde. s Das Motiv des Dankens, mit dem 3, 17 schliesst und das in 4,2
wieder aufgenommen wird, kennzeichnen 3, 18 - 4, 1 als eine in sich ge-
schlossene Paränese, die mit dem Kontext in keinem direkten Zusammen-
hang stehU
Die Haustafel im Kolosserbrief enthält Mahnungen an die Frauen, die
Männer, die Kinder, die Väter, die Sklaven und die Herren. Man sieht
auf den ersten Blick, dass paarweise zusammengestellt wird, wobei der
«schwächere» Teil, d. h. der Teil, der sich unterordnen muss, zuerst ge-
nannt wird. 5 Wie schon gesagt, interessiert uns das Verhältnis Frau-Mann
hier besonders. Wir dürfen ohne weiteres annehmen, dass es sich um Ehe-
frauen und Ehemänner handelt. 6 Es handelt sich ja um eine Haustafel.
Die Wendungen «es gebührt sich» (bei den Frauen) und «es ist wohl-
gefällig» (bei den Kindern) erinnern uns mit ihrer profan-gesellschaft-
lichen Note an andere ähnliche Wendungen, die uns noch ab und zu be-
gegnen. 7 Sind unsere allgemeinen Erwägungen zum Problem der Haus-
tafeln richtig 8, dann kann aber gerade nicht von einer bereits feststehen-
den christlichen Etikette oder dergleichen geredet werden in dem Sinn,
dass nun sich langsam herauszukristallisieren beginne, was ein Christ tun
müsse und was er nicht tun dürfe. Sondern es geht ums Ganze. Das Alte
wird gesamthaft übernommen und gesamthaft unter das neue Vorzeichen
gesetzt: EV XUQLip. Die Wälle der Festung werden nicht zaghaft an einzel-
nen Stellen aufgeschürft, sondern vom innersten Kern her mit einem ein-
zigen Schlag aufgebrochen.
Konkret wird gefordert, dass sich die Frau unterordnet. Sicher darf
man dies hier schon im Sinn von Eph 5 verstehen. 9 Dasselbe gilt von der
Liebe der Männer zu den Frauen. Hier wird allerdings die Liebe der
Männer zu den Frauen durch den Gegensatz: «und seid nicht bitter gegen

3 E. Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, Kolosser und an Philemon, 1956,


S,153.
4 E. Lohmeyer, ibid.
5 V gl. K. Weidinger, Die Haustafeln, 1928, S. 51.
6 V gl. die erwähnten sekundären Zusätze «eure Männen> und «eure Frauen»,
die sicher das Richtige treffen.
7 V gl. etwa Phil 4, 8 (K. Weidinger, a. a. 0., S. 51).
8 V gl. S. 215 ff.
9 Siehe dort S.221.

211
sie» näher charakterisiert. Die Männer sollen nicht «zornig sein, nicht
gereizt sein».lO Wir gehen nicht fehl, wenn wir hier das Verbot einer
Behandlung sehen, die die Frau herabwürdigt, sie als Ding behandelt,
kurz über sie verfügt, wie man über Sklaven zu verfügen pflegt. Der
Herr-im-Hause-Standpunkt hat darum kein Recht, weil der 'K.U(lW(; der
Herr aller und über alles ist.

10 W. Michaelis, ThWb VI, S. 125.

212
Exkurs IV: Die Haustafeln im Neuen Testament

a) Vorkommen und Vergleich

Haustafeln finden wir an folgenden Stellen im Neuen Testament: Ko13,


18 - 4,1; Eph 5,22 - 6,9; 1. Tim 2,8-15; 6, 1. 2; Tit 2,1-10; 1. Petr 2,
13 - 3, 7. Sie drangen auch sofort in die frühchristliche Literatur ein.
Folgende Belege in den apostolischen Vätern sind zu nennen: Did 4, 9-11;
Barn 19, 5-7; 1. eIern 1,3 und Ign ad Polyc 5,1. 2. Jedoch können wir bei
den apostolischen Vätern deutlich eine sekundäre Weiterbildung gegen-
über den neutestamentlichen Texten feststellen. 1 Uns interessieren hier
vor allem die kanonischen Texte. Eine vergleichende Zusammenstellung
gibt folgendes Bild:

KaU!, 18-4,1 I Eph 5, 22-6, 9 1. Tim 2, 8 I Tit2,1-1O 1. Petr. 2, 13


-15; 6,1. 2 -3,7
Kaiser (13)
Statt-
halter (14)
Männer (8) alte
Männer (2)
alte
Frauen (3)
Frauen (18) Frauen (22) Frauen (9) [Frauen (4)] Frauen (1)
Männer (19) Männer (25) Männer (7)
Kinder (20) Kinder (1) junge
Väter (21) Väter (4) Männer (6)
Sklaven (22) Sklaven (5) Sklaven (1) Sklaven (9) Sklaven (18)
Herren (1) Herren (9) [Herren (2)]

Die Zahlen in Klammern bedeuten die Vers angaben. In eckigen Klammern stehen
die nur indirekt erwähnten Glieder, die jeweils keinen eigenen Paragraphen
erhalten haben.

Die übersicht zeigt, dass den neutestamentlichen Haustafeln offenbar


ein einheitliches Schema zu Grunde liegt. Es reicht vom öffentlichen
Leben (Kaiser, Statthalter) bis zum privaten Bereich (Hausstand: Ehe,
Eltern, Dienstboten).

1 Vgl. E. Kähler, Die Frau in den paulinischen Briefen, 1960, S.94-97. Ferner
unten S.216.

213
Am gleichmässigsten durchgebildet sind die Haustafeln des Kolosser-
und Epheserbriefes. Allerdings lassen sie die Obrigkeit weg. Alle Mah-
nungen treffen zuerst den schwächeren Tei1. 2
In der Haustafel des 1. Petrusbriefes folgt auf Kaiser und Statthalter
sofort die Ermahnung an die Sklaven. Da eine Ermahnung an die Herren
fehlt, kann man vielleicht schliessen, dass hier die Sklaven als Glieder
einer gesellschaftlichen Institution angeredet werden und nicht mehr als
Glieder des Hauses. Darum werden sie im Anschluss an die Obrigkeit ab-
gehandelt; dann folgt die mehr private Sphäre der Ehe.
Die beiden Haustafeln der Pastoralbriefe sind bereits Weiterbildungen
in dem Sinn, dass das Haustafelschema seinem ursprünglichen Zweck
entfremdet und auf die Gemeindeordnung angewandt wird. Dabei ist der
1. Timotheusbrief mehr an der gottesdienstlichen Ordnung interessiert,
während der Titusbrief das allgemeine Leben der christlichen Gemeinde
im Alltag im Auge hat.
Es erhebt sich nun die Frage, ob wir heute noch Näheres über die
Herkunft des festgestellten Haustafelschemas aussagen können.

b) Der Ursprung des Haustafelschemas

Grundlegend für die Beurteilung der Haustafeln überhaupt sind die


Arbeiten von Martin Dibelius und Karl Weidinger. 3 Es gelang ihnen,
wenn auch auf verschiedene Art, nachzuweisen, dass in den «Haustafeln»
ein Schema vorliegt, welches aus der hellenistischen und jüdischen Propa-
ganda stammt. 4 So entspricht das von der stoischen Morallehre ausge-
bildete Schema demjenigen der neutestamentlichen Haustafeln. Wir
können sogar die Reihenfolge der verschiedenen «Paragraphen» ver-
folgen und rekonstruieren: Götter, Vaterland, Eltern, Frau und Kinder
(nicht erhalten), Verwandte, ferner Abschnitte :rtcQL o'L%ov und :rtEQL yUftffiV.
Allerdings sind die Belege nicht zahlreich. Aber auch in anderen Stil-
gattungen, nicht nur in paränetischen, findet sich das Schema wieder. So
wird es z. B. verwendet in 1. Clem I, 3, wo der Reihe nach Gott, die
Oberen, Alte, Junge, Ehemänner und Ehefrauen gelobt werden.

2 Vgl. dazu unten S.215.


3 M. Dibelius / H. Greeven, An die Kolosser, Epheser, an Philemon, 1953,
Exkurs: Haustafeln S.48-50; K. Weidinger, Die Haustafeln, 1928.
4 Die Belege sind bequem zugänglich bei M. Dibelius / H. Greeven, a. a. 0.,
S. 48 ff.

214
Auch im hellenistischen Judentum wird das Schema angewandt, sei es
in paränetischem Zusammenhang 5 oder bei anderer Gelegenheit, z. B. bei
der Aufzählung der jüdischen Gesetze. 6 Es ist nun nicht sicher auszu-
machen, ob das Schema aus der hellenistischen Umwelt vom Judentum
übernommen wurde 7 oder ob es im hellenistischen Judentum aus jüdi-
scher Tradition heraus geformt worden ist. 8 Lohmeyer weist darauf hin,
dass die Haustafeln im Neuen Testament ständig mit den Mahnungen an
den schwächeren Teil, nämlich an Frauen, Kinder und Sklaven beginnen.
Tatsächlich bilden diese drei Gattungen seit dem Dt eine bemerkenswerte
Einheit. 9 Frauen, Kinder und Sklaven sind im Kultus und in der Gesetzes-
verpflichtung einer Sonderregelung unterworfen. Gegenüber den Män-
nern sind sie benachteiligt, resp. gelten für sie leichtere Bestimmungen.
Es ist darum verständlich, dass man für diese besondere Vorschriften
zusammenstellte, um sie an ihre Pflichten zu mahnen. Lohmeyer ver-
mutet, dass unsere Haustafeln ganz aus dieser jüdisch-katechetischen Tra-
dition herausgewachsen seien und darum eine Ableitung aus hellenisti-
schen Einflüssen entbehrlich sei. Die Mahnungen an die Männer, die Vä-
ter und die Herren ,seien spätere Ergänzungen.
Lässt sich auch völlige Sicherheit hier noch nicht gewinnen, so gibt
uns doch die letzte Annahme Lohmeyer's zu denken. Warum wurde die
jüdische Liste in den Gemeinden mit hellenistischen Einflüssen erweitert?
Doch offenbar darum, weil dies eben in der Luft lag. Hier würde sich
wieder der Einfluss der stoischen Morallehre bemerkbar machen, wenn
auch mehr indirekt. So oder so wird man den Einfluss der hellenistischen
Umwelt nicht abstreiten können.

c) Das Problem der «Verchristlichung» der Haustafeln

W eidinger versuchte nun nachzuweisen - und dies ist seine eigent-


liche These -, dass man eine Entwicklung in der fortlaufenden Ver-
christlichung der Haustafeln im Neuen Testament und bei den apostoli-
schen Vätern wahrnehmen könne. Er stellte sich das so vor, dass das
profane Schema in den Raum der urchristlichen Gemeinde hineingenom-
men wurde und durch christliche Zusätze mehr oder weniger gut inte-
5 Ps Phoklides, v.175-227.
6 Josephus, Ap 2,198-210 (24-28), Philo, DecaI165-167.
1 So Dibelius, Weidinger, u. a.
8 So E. Lohmeyer, Die Briefe an die Philipper, Kolosser und an Philemon,
1956, S. 155.
g Besonders instruktive Beispiele bei Billerbeck IV, S.727, d-e.

215
griert worden sei. Im Kolosserbrief wäre dann dieser Prozess noch in sei-
nem Anfangsstadium zu beobachten, indem sich hier nur minimale Zu-
sätze christlicher Prägung finden. 10
Tatsächlich kann Weidinger eine gewisse Rangordnung der Haustafeln
nach ihrer «Verchristlichung» aufstellen. Auf die Haustafel des Kol, die
einzig durch die Wendung B'V 'X.U(ltcp integriert worden ist, folgt diejenige
des Titusbriefes (Tit 2,1 ff.). Auch hier ist die Verchristlichung sehr ge-
ring. Ermahnt werden, allerdings in der Form des Indikativs, der Reihe
nach: alte Männer, alte Frauen, junge (Ehe-) Frauen, junge Männer
und Sklaven. Greifen wir in unserem Zusammenhang die jungen Frauen
und Männer heraus, so beschränkt sich hier das spezifisch Christliche auf
die Motivierung der Verhaltensforderung: das Wort Gottes soll nicht
gelästert werden können (V. 5; ähnlich V.8). Auf die Haustafel in
l. Clem 21,6-9 folgen die haustafelähnlichen Gebilde in l. Clem 1, 3;
Barn 19, 5-7 und Did 4,9-11. Sie lassen es spüren, dass sie alle aus einer
Zeit stammen, wo damit gerechnet werden muss, dass schon eine gewisse
Tradition an christlich bearbeiteten Haustafeln sich durchgesetzt hatte.
Pol. ad. Phil4, 2 ff. bringt die Mahnung an die Frauen, die Kinder in
Gottesfurcht zu erziehen. Einen enormen Fortschritt zeigt die Haustafel
des Epheserbriefes (Eph 5, 22 ff.). Im Aufbau, d. h. in der Reihenfolge
der Glieder entspricht sie genau der Haustafel des Kol. Aber nun wird
in ganz neuer Art und Weise das Verhalten der Frauen und Männer zu-
einander und gegeneinander von Christus und seiner Gemeinde her mo-
tiviert. Innerhalb der neutestamentlichen Haustafeln ist in dieser Hin-
sicht hier sicher ein Höhepunkt erreicht. Wenn 1. Petr 2,13 - 3,7 und
1. Tim 2,8 ff.; 6,1 f. bei Weidinger nach Eph genannt werden, so nur
darum, weil hier offensichtlich durchwegs schon mit Gemeindesituation
als Hintergrund gerechnet werden muss. So werden im l. Petr nur in der
Mahnung an die Männer christliche Ehen berücksichtigt, und im l. Tim
bildet überhaupt die Ordnung des Gemeindelebens den beherrschenden
Gesichtspunkt.
Soviel zum vorliegenden Material im Neuen Testament und bei den
apostolischen Vätern. Für alle Einzelheiten der Analyse und Argumen-
tation verweisen wir auf die genannte Literatur und die einschlägigen
Kommentare für die aufgeführten Texte. Wir werden auf die für unsere

10 Bei den Männern und den Vätern fehlt jeglIche Verchristlichung; am aus-
geprägtesten ist die christologische Motivierung bei den Sklaven und Herren.
Bei Frauen und Kindern könnte das EV %1JQLq> fehlen, ohne dass die Aussagen
sinnlos würden.

216
Arbeit wichtigen Einzelheiten der Ehetexte noch bei deren Besprechung
zurückkommen müssen.
Weidinger hat durch seine Untersuchung gezeigt, dass ein Haustafel-
schema in der hellenistischen Morallehre vorliegt und nachgewiesen wer-
den kann. Es muss damit gerechnet werden, dass dieses Schema auf direk-
tem Weg oder durch Vermittlung (und entsprechende Umformung) des
hellenistischen Judentums in die neutestamentlichen Schriften Eingang
gefunden hat.
Wird diese Annahme bejaht - und wir sehen keinen Grund, warum
man sie ablehnen müsste -, dann hat das für die Einzelexegese wichtige
Konsequenzen. Man muss sehr vorsichtig sein mit der Auswertung der
Einzelzüge. Es wäre verkehrt, einen Text, dem das Haustafelschema zu-
grunde liegt, zu fest zu pressen. Mehr als ein konkretes Verhältnis in
den einzelnen Gemeinden spiegelt sich in ihm seine literarische Vorlage.
Und es ist heute nicht mehr sicher auszumachen, ob das Auftauchen
einer Mahnung im zeitlosen Schema oder in der damals vorliegenden
Aktualität begründet ist.
Eine weitere Beobachtung Weidingers ist richtig. Es kann nicht geleug-
net werden, dass die Haustafeln sich in der Intensität der christlichen
Durchdringung unterscheiden. Aber kann man daraus schliessen, dass
darum in der Sache ein Text «christlicher» sei als der andere, wie Wei-
dinger doch offenbar annimmt? Bei Weidinger liegt eine fatale Ver-
wechslung vor. Die literarische Durchgestaltung zeigt wohl, dass an die-
sen Texten weitergearbeitet wurde, dass der Prozess der Integration un-
aufhaltsam weiter abrollte. Aber die grundlegende und ganze Sache war
schon abgeschlossen da in dem Moment, wo das Haustafelschema, ob
verchristlicht oder nicht, in der christlichen Paränese erscheint. Man ver-
kennt die Situation völlig, wenn man etwa sagen würde, dass in dem
kleinen Zusatz EV 'XuQLfV sich langsam und schüchtern etwas Neues an-
bahne. Nein, dieser Zusatz als solcher ist schon «Ausdruck des Herein-
bruchs des völlig Neuen, der Christuswirklichkeib, in die «alte WeIb, in
das «Vorfindliche».11 Es geht hier nicht um eine Nebensächlichkeit, son-
dern um die Mitte alles Geschehens. Der Imperativ ist nicht denkbar
ohne den Indikativ. Die Ethik wird nicht auch noch zu einem Anliegen,
sondern das Verhalten des Christen ist unablöslich von seinem Sein in
Christus. Für die Ehe wird dieser Zusammenhang dann ganz klar aus-
gesprochen im Epheserbrief. Aber sachlich ist von Anfang an die Konse-
quenz gezogen.

11 E. Kähler, a. a. 0., S.91.

217
D. Epheserbrief
(Kap. 5, 22-32)

Eine der klassischen Stellen für die neutestamentliche Ehelehre ist Eph 5.
Die Echtheit des Epheserbriefes ist bis heute umstritten.1 Wir müssen hier
deutlich sagen, dass das Problem der Verfasserschaft für unsere Frage-
stellung nicht entscheidend sein kann. Wir untersuchen ja nicht nur die
Einstellung des Paulus zur Ehe, sondern diejenige des Neuen Testa-
mentes überhaupt. Innerhalb des Kanons kommt aber unserer Perikope
sicher eine entscheidende Bedeutung zu. Wir werden sehen, dass sich nur
von hier aus eine legitime theologische Ehelehre entwickeln lässt.2

1. ABGRENZUNG UND GLIEDERUNG DER PERIKOPE

Wenden wir uns nun unserem Text zu, so taucht als Vorfrage sofort
diejenige der Abgrenzung der Perikope auf. Genauer handelt es sich um
die Frage, ob die eigentliche Haustafel in Eph 5 mit V. 21 oder V. 22
beginne.
Ein Blick auf den Gesamtzusammenhang des Eph ergibt folgendes Bild:
In Kap. 5, 15 beginnt der zweite, positive Teil der Paränese. 8 Die
ganze Haustafel und damit auch die Ermahnung an die Frauen und an
die Männer (V. 22-33) stellt kein isoliertes Stück dar, sondern gehört in
den grösseren Zusammen.1J.ang 5, 15 - 6, 9 hinein. Vor den Frauen und
Männern sind alle Gemeindeglieder angeredet (V. 15-21), nachher die
Kinder, die Väter, die Sklaven und die Herren (6,1 ff.). Bei der Aus-
legung ist dieser Kontext im Auge zu behalten.
Mit V. 22 setzt die eigentliche Haustafel ein. Es tauchen konkrete Mah-
nungen auf. Zuerst werden die Frauen angeredet, wie in Ko13, 18. Die
Verbindung von V. 21 zum Folgenden ist aber sehr eng. Aus V. 21 ist so-
1 Bis vor kurzem war die Meinung vorherrschend, der Eph sei unecht. In
letzter Zeit sind wieder Stimmen laut geworden, die zumindest mit der Möglich-
keit rechnen, dass der Eph in der uns vorliegenden Gestalt doch von Paulus
selbst stammen könnte. Vgl. G. Schille, Der Autor des Eph, ThLZ 82, 1957,
Sp. 325-334; M. Barth, Israel und die Kirche im Brief des Paulus an die Eph,
1959; E. Percy, Die Probleme des Kolosser- und Epheserbriefes, 1946. Mit der
Verfasserschaft eines Paulusschülers rechnet N. A. Dahl, Der Epheserbrief und
der verlorene erste Brief des Paulus an die Korinther, Abraham unser Vater,
Festschr. f. O. Michel, 1963, S.63-77.
2 V gl. unten S. 260.
3 M. Dibelius / H. Greeven, An die Kolosser, Epheser, an Philemon, 1953, S. 92.

218
gar für V. 22 das Verbum zu ergänzen. Aber auch die Verbindung zurück
ist beachtlich. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich geht die
Verknüpfung zu V. 18 zurück, indem u:rco';(lQ'O'''!LEVOL als Partizip von
:rcÄ11Qoul1'frs abhängig ist.
Entscheidend für die definitive Abgrenzung können aber nur inhalt-
liche Erwägungen sein. Die Mahnung: «Seid einander untertan ... »
(V. 21) geht auf die persönlichen Beziehungen innerhalb der Gemeinde
ohne Unterschied des Alters und des Geschlechtes. Das Untertan-sein gilt
also ohne Ansehen der Person. Dadurch wird dieser Begriff weitgehend
«entschärft», indem er nicht nur die Haltung der Frau gegenüber dem
Manne bezeichnet. Wenn man sich gegenseitig untertan ist, dann kann es
also kein Unten und Oben geben im Sinne eines Vorranges. u:rco,;aO'O'EO'{}at
ist wohl im weitesten Sinne als «sich unterstellen» zu verstehen.' Der Aus-
druck &:ÄÄ1)ÄOL~ relativiert faktisch jede Rangordnung. Anstelle eines
starren Ordnungsprinzips tritt ein neues Motiv: die Furcht Christi.5
Dann erhalten wir folgendes Ergebnis: Zwischen V.21 und V. 22 ff.
besteht eine inhaltliche Spannung.6 V.21 scheint bereits im Gedanken
an einen übergang formuliert worden zu sein. Daher die enge sprachliche
Beziehung zwischen V. 21 und V.22! Sachlich beginnt aber mit V.22 ein
neuer Abschnitt. Man kann nicht einmal sagen, dass V. 21 das Thema
des Folgenden angibt, da ja gerade nicht mehr vom gegenseitigen Unter-
ordnen die Rede ist (Ewald). In Kap. 6, 1. 3 wird der Begriff U:rcIX%OELV
(= gehorchen) gebraucht. Dort wird von einer unumkehrbaren Beziehung
geredet. So wäre also V. 22 eine Anwendung des allgemeinen Prinzips
von V.21 auf Mann und Frau.
Setzen wir mit V. 22 ein, so ergibt sich folgende Gliederung: Zuerst
geht die Ermahnung an die Frauen (V.22-24). Diese zerfällt in drei
Teile:
1. Die Aufforderung an die Frauen, sich den Ehemännern unterzu-
ordnen wie dem Herrn (V. 22);
2. Die christologische Begründung der Unterordnung (V. 23);

, H. Schlier, Der Brief an die Epheser, 1958, z. St. Das Wort «untertan sein»
ist darum zur Bezeichnung des eigentlich Gemeinten ungeeignet, weil es die
Vorstellung einer letztgültigen, unveränderlichen Rangordnung erweckt. Zum
Begriff UltO,;uO'O'EO'ihxt, vgl. die Begriffsanalyse in dem Buch von E. Kähler, Die
Frau in den paulinischen Briefen, 1960.
5 Vgl. dazu H. Schlier, a. a. 0., z. St.: «eine Unterordnung, die von dem Chri-
stus als Richter fürchtenden Gewissen diktiert ist».
6 V.21 redet vom gegenseitigen Unterordnen, V. 22 ff. jedoch deutlich vom
Unterordnen der Frau unter den Mann!

219
3. Die Folgerung: Wie die Gemeinde dem Christus untergeordnet ist,
so die Frau dem Mann in allem (v. 24).
Darauf kommt die Ermahnung an die Männer. Wenn wir auch hier das
in den V. 22-24 gefundene Schema anwenden, erhalten wir folgende
Gliederung:
1. Die Aufforderung an die Männer, die Frauen zu lieben (V. 25 a).
2. Die christologische Begründung dieser Liebe (V. 25 b - 27);
3. Die Folgerung: wie Christus die Gemeinde als seinen Leib liebte
und sich für sie hingab, so sollen die Männer ihre Frauen lieben (V. 28 a).
Man kann sich fragen, ob V. 28 a nicht schon zu dem Folgenden ge-
hört oder ob umgekehrt nicht V. 28 b ff. direkt aus V. 28 a erwachsen. Die
Grenzen sind hier tatsächlich fliessend. Doch empfiehlt es sich aus for-
malen Gründen, die Ermahnung an die Frauen abzugrenzen. Dann er-
halten wir als weiteren Abschnitt V. 28 b - 32. Diese Verse reden von
dem grossen Geheimnis (V.32). V.33 schliesst die ganze Perikope. Er
führt zurück zu V. 28 a (auch zu V.29!), an den er anschliessen könnte.
Auch inhaltlich bringt er nichts Neues: V. 33 a nimmt das Anliegen von
V.28 auf (<<jeder einzelne soll seine Frau so lieben wie sich selbst!»),
V. 33 b jedoch weist zurück nach V.21, wo von der Furcht Christi die
Rede ist. Durch diese Komposition werden V. 28 b - 32 deutlich als Ein-
schub gekennzeichnet, wobei die Grenze nach vorn fliessend ist, weil die
Vorstellungen vom eigenen Leib, dem Leib der Frau und dem Leib
Christi einander bedingen.
Als Ergebnis unserer überlegungen können wir darum folgende Glie-
derung festhalten:
V. 22 -24 Ermahnung an die Frauen
V. 25 -28 a Ermahnung an die Männer
V. 28 b-32 Einschub über das grosse Geheimnis (mit enger Anknüp-
fung an v. 28 a)
V. 33 Schlussvers
überblicken wir aber den ganzen Abschnitt V. 22-33, so muss uns auf-
fallen, dass eine Steigerung bis zum V.32 führt; darauf fällt die Span-
nung wieder ab. Offenbar soll der Hörer oder Leser zum Höhepunkt ge-
führt werden, welcher im alttestamentlichen Zitat und seiner geheimnis-
vollen Deutung besteht. Eine Hinführung auf das Zitat kann man auch
darin sehen, dass in V. 29 a vom «Fleisch» die Rede ist, und nicht vom
«Leib», wie man eigentlich erwarten müsste. Das grosse Geheimnis bildet
offenbar den Schwerpunkt der ganzen Perikope. Der Einschub ist nicht
nur Erläuterung, sondern Hauptsache.

220
2. AUSLEGUNG VON EPH 5,22-32

a) Die Ermahnung an die Frauen (22-24)

(v. 21: Ordnet euch einander unter in der Furcht Christi!)


V.22: Die Frauen den eigenen Männern wie dem Herrn.
V.23: Denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das
Haupt der Gemeinde ist, er der Erlöser des Leibes.
V. 24: Wie nun aber die Gemeinde dem Christus untergeordnet ist, so
auch die Frauen den Männern in allem.

V. 22: tötOL~ vertritt hier, wie auch sonst oft das Possessivpronomen (vgl. 1. Kor
7,2; Tit 2, 5). Der vorfindliche Gebrauch entspricht demjenigen von V. 28 'ta~
EU1J't(iiv YUVUL%U';. Es wird also von den Ehemännern geredet. - Die Ergänzung
durch das Verbum finitum, welche einige Handschriften bezeugen ( ~, C:
lJ1W'tUO"O"EO"i}OOO"UV; Koine: uJtO'tuO"O"!;O"i}s), ist gut begreiflich als leichtere Lesart,
da sonst die Satzaussage aus V.21 ergänzt werden muss. - w~ 't0 %UQLf(l ent-
spricht sachlich Ko13, 18: EV %U(lLf(l. Die Formulierung scheint aber ganz auf
christlichem Boden gewachsen zu sein, während das EV %UQLf(l von Kol eher den
Eindruck eines mehr oder weniger improvisierten Zusatzes erweckt. (Vgl. K.
Weidinger, a. a. 0., S.51.)
V.24: uJto'tuO"O"cO"i}UL besitzt im Griechischen den Akzent der Ordnung, nicht
denjenigen des Herrschens. Darum die Übersetzung: sich unterordnen. Vgl.
E. Kähler, a. a. O.

Die Ehefrauen sollen sich den Ehemännern unterordnen «wie dem


Herrn» (V. 22). Beim Unterordnen liegt der Hauptton auf der Ordnung.
Es ist so, dass der Mann als der erste gesehen wird, die Frau als die
zweite. Einem eventuellen Missbrauch dieser Ordnung wird gewehrt
durch das «wie dem Herrn». Denn dieses «Wie» ist von den Versen 23
und 24 her zu verstehen. Dabei ist zu beachten, dass der Ausdruck «wie
dem Herrn» zugleich die formale Art und Weise der Unterordnung be-
schreibt, als auch diese selbst motiviert.
Zwei Begründungen werden vorgebracht für die Forderung der Unter-
ordnung der Frau unter den Mann:
1. Die Stellung des Mannes aLs Haupt der Frau.
2. Die Unterordnung der Kirche unter Christus.
Beide Argumente gehen ineinander über.

221
Woher die Anschauung, dass der Mann das Haupt der Frau sei, ur-
sprünglich stammt, lässt sich nicht ausmachen. Man könnte diesen Satz
als naturrechtlich unmittelbar einleuchtend bezeichnen, wenn nicht die
Tatsache des Matriarchates dagegen sprechen würde. Allerdings ist er
auf dem Boden des Alten Testamentes und des Judentums von der all-
gemein geltenden Vorstellung her legitimiert. In Gen 3, 16 heisst es ja
ausdrücklich, dass der Mann der Herr sein soll über die Frau. In 1. Kor
11,3 argumentiert Paulus ganz von der Schöpfung her, wenn er Christus
das Haupt des Mannes nennt, den Mann aber das Haupt der Frau. Wir
werden später noch auf die Art seiner Argumentation zurückkommen.
Es stellt sich aber sofort die Frage, ob in V.23 nicht der Vordersatz
aus dem Nachsatz erwachsen ist. Dann würde eine bewusste übertragung
des Verhältnisses von Christus - Gemeinde auf dasjenige von Mann und
Frau vorliegen. Christus wird ja im Eph mehrmals als «Haupt der Ge-
meinde» bezeichneU Bei Paulus taucht die gleiche Terminologie aufS,
oder auch die ähnliche Vorstellung. 9
Der Ausdruck %EqJUAl] begegnet seit Homer im Profangriechischen,
später auch in Inschriften und Papyri. Er bezeichnet neben dem Kopf
oder Haupt eines Tieres oder eines Menschen die Spitze, die Höhe oder
das Ende einer Sache (z. B. die Spitze eines Schiffes, das Kapitell einer
Säule, die Höhe einer Mauer, die Mündung eines Flusses).1o Dass im
Raume des zyklischen Denkens die Bedeutung des Endes leicht in die-
jenige des Anfangs umschlagen kann und umgekehrt, dürfte einleuch-
ten (z. B. das Ende eines Monats ist zugleich der Anfang eines neuen
Monats, usf.). Dazu kommt eine zweite Bedeutungsnuance. %EqJUAl] ist
nicht nur das Oberste, Höchste, etc., sondern auch das Hervorragende,
überlegene und Bestimmende. Das Haupt ist z. B. das erste und vor-
nehmste Glied eines Menschen. So kann es denn im profanen Sprach-
gebrauch zur Bezeichnung des ganzen Menschen, der Person dienen.
Während im profanen Griechisch die soziologische Bedeutung des Be-
griffes fehlt, wird in der LXX mit «Haupt» der Anführer einer Ge-
meinschaft bezeichnet. Ri 10, 18 ist dieser Gebrauch von «Haupt» deut-
lich vorhanden; ferner auch Ri 11, 8. Dt 28,13 ist dem Volk Israel ver-
heissen, dass Gott es zum Haupte und nicht zum Schwanze machen werde
unter allen Völkern!
7 Z. B. Eph. 1, 22; 4, 15 f.
8 Koll, 18; 2,10. 19.
9 Gemeinde als Leib mit Gliedern (1. Kor 12, 12. 26 f.).
10 Belege bei Schlier, %ECPUÄf], ThWb III, S. 673 H. Vgl. auch zum Ganzen bei
E. Kähler, a. a. 0., S. 47 H.

222
Eine in unserem Zusammenhang wichtige Bedeutungsnuance bekommt
der Begriff in der hellenisti'Schen Gnosis. 1oa Dort spielen die Vorstellungen
von Urmenschen und vom höchsten Gott, dessen Leib der Kosmos dar-
stellt, eine wichtige Rolle. Wir nennen die wichtigsten Motive, ohne auf
deren Zusammenhang eingehen zu können:
1. Der Kosmos wird als Körper des höchsten Gottes verstanden. Im
orphischen Fragment 168 heisst es: Zeu(; 3tQw'tO(; YBve'tO, Zeu(; uO''t(l'tO(;
clQYL'X.EQUUVO(;, Zeu(; 'X.e<puÄ.~, Zeu(; f1.EO'O'U, ~LO(; Ö' B'X. 3tllv'tu 'tE'tU'X.'tIlL ...l l
Zeus stellt das Weltall dar, welches aus seinem Haupt und Leib besteht,
und welches wieder aus ihm entsteht. Es lassen sich noch weitere Belege
für diese Vorstellung beibringen. 12 Gemeinsam ist allen, dass die Welt
oder der Aion 18 als Person vorgestellt wird, welche aus Gliedern besteht
(z. B. Himmel = Kopf, Luft = Leib, Erde = Füsse, Meer = Bauch,
etc.). Es liegt ein kosmologisch orientierter Aionmythos vor.
2. In der Gnosis ist ferner der soteriologisch orientierte Urmensch-
mythos lebendig, der sich der Sprache des Aion- oder Weltmythos be-
dient. In der christlichen Gnosis wurde Christus, der himmlische Mensch,
zur 'X.e<puÄ.~, welche in Jesus seinen Leib zu sich selbst zuruckbringU'
Auch sonst finden sich noch Belege für diese 'X.e<puÄ.~-O'wf1.u-Vorstellung.15
Es ergibt sich also, dass die 'X.e<puÄ.~-()'('ö!LU-Vorstellung ihren festen Sitz
in der Gnosis hat, sowohl in ihrer heidnisch-hellenistischen, wie in ihrer
christlichen Ausprägung. Man kann wohl nicht leugnen, dass wenigstens
diese Terminologie hier hineinspielt. Das muss noch nicht eine inhaltliche
Kongruenz oder auch nur eine Nähe des Epheserbriefes zu dieser Gnosis
bedeuten. Aber es scheint doch, dass von jener Vorstellung her die Aus-
sagen als solche qualifiziert werden. Praktisch heisst das, dass nicht an
das Bild des natürlichen menschlichen Leibes gedacht wird, sondern an
jenes des gnostischen Erlösermythos. 16 Dann liegt also der Ton gerade
nicht auf dem Unterschied zwischen Haupt und Leib. Auch nicht die
überlegenheit des Hauptes ist das Thema, sondern es soll die Einheit zwi-

lOa Vgl. dazu P. Pokorny, Der Eph und die Gnosis, 1965.
11 Orphicorum Fragmenta, hrsg. v. O. Kern, 1922, S. 201 L, zit. bei Schlier,
ThWb III, S.675.
12 Vgl. bei H. Schlier, ThWb III, S.675; Orph Fr 167; Serapisorakel an den
König Nikokreon von Cypern: Macrobius Sat I 20, 17; Leidener Zauberpapyrus:
P Leid V, Preis Zaub XII 243.
13 Aion nimmt in der Gnosis die Bedeutung «Welt» an, vgl. Bauer, Sp.55.
14 Exc Theod 42, 1-3 (bei Cl Al.).
15 Belege bei H. Schlier, ThWb III, S.677.
16 H. Schlier, ThWb III, S. 679.

223
sehen Haupt uqd Leib herausgestellt werden, ebenso die Tatsache, dass
der Leib zum Haupt hin wächst.
V.23 schliesst nun aber nicht, wie zu erwarten wäre, mit der Aussage
von Christus als dem Haupt der Gemeinde, sondern es wird noch eine
Apposition zu Christus angeführt: (Xi)'t'o; O'ro'tTjQ 'tOU O'WIL(X'tou (V. 23 c).
I1ro't~Q begegnet auch sonst im Neuen Testament als Titel für Christus.
Der Einfluss der orientalischen Soterreligionen ist in terminologischer
Hinsicht durchaus möglich. Aber es ist wahrscheinlich, dass der Ge-
brauch des Titels primär aus der alttestamentlich-jüdischen Sphäre
stammtP Bei Paulus begegnet O'ro't~Q nur in Phil3, 20; Schlier vermutet
eine bewusste Zurückhaltung. 18 Nur im Eph findet sich O'ro't~Q 'tOU I1WIL(X'tOU;
bekannter ist I1ro't~Q 'tOU %OO'ILOU (Joh 4, 42; 1. Joh 4,14).
Auch hier ist der Einfluss gnostischer Terminologie nicht zu beweisen,
aber doch zu vermuten. Dann würde hier der gnostische Erlösermythos
eine Rolle spielen in Bezug auf das Verhältnis vom Haupt zum Leib.
Gedacht wird daran, dass das Haupt seine Glieder holt und sich mit
ihnen zum himmlischen Menschen verbindet. Der O'ro't~Q-Begriff weist
auf die Erhöhung hin. Instruktiv sind die Verse aus den Oden Salomos,
wo es heisst: V. 11: Und ich ging hin zu allen den Meinen, die einge-
schlossen waren, sie zu befreien ... V.14: Und sie empfingen meinen
Segen und wurden lebendig und sie versammelten sich bei mir und wur-
den erlöst. V. 15: Denn sie sind mir Glieder geworden und ich ihr Haupt.
V. 16: Preis dir, unserm Haupte, Herr, Christus! Halleluja!
Sicher wirken in der Aussage von V. 23 c die geschilderten gnosti-
schen Vorstellungen nach. Das heisst aber nicht, dass damit;schon über
die Bedeutung dieser Worte im Epheserbrief entschieden sei. Es sind
noch alle Möglichkeiten offen. Wir nennen die wichtigsten:
1. Die Worte (Xi;'o; I1ro't~Q 'tOU I1WIL(X'tO; sind einfach liturgisches Gut.
Sie wurden als blosse Formel an das Stichwort «Christus» angehängt.
Darum darf man ihren Aussagewert in unserem Zusammenhang nicht
überschätzen. Sie haben das Gewicht einer Floskel.
2. Die Worte haben einen belehrenden oder erklärenden Sinn nur in
Bezug auf Christus: Er ist wohl das Haupt der Gemeinde, er ist aber
noch mehr, er ist ihr Erlöser; dies im Gegensatz zum Mann, der nicht
der Erlöser der Frau ist.

17 Vgl. zur ganzen Frage: O. Cullmann, Die Christologie des NT, 1957,
S. 246 ff.
18 Brief an die Epheser, S. 254, A. 3.

224
3. Die Worte sind wohl in eminentem Sinn zu verstehen, aber es liegt
eine übertragene Bedeutung vor: Christus ist das Haupt der Kirche, und
zwar so, dass er als Haupt ihr Erlöser ist. Christus ist zu gleicher Zeit
der Herr der Gemeinde (Haupt) und der Diener der Gemeinde (Erlöser).
Übertragen auf das Verhältnis von Mann und Frau würde das heissen:
Die Unterordnung der Frau soll dem Manne gelten, der zugleich ihr Herr
und Diener ist.
4. Die Worte gelten als eine volle Aussage, die ohne Einschränkung
auf das Verhältnis von Mann und Frau angewendet werden muss: Chri-
stus ist der Erlöser seines Leibes, d. h. seiner Gemeinde, also ist auch der
Mann der Erlöser oder der Befreier der Frau. 19
Die erste (und zweite) Lösung liegt, wenn man den sprachlichen und
inhaltlichen Duktus der ganzen Per~kope beachtet, sehr nahe. 20 Dann
aber wird die unter Punkt 4 vorgetragene Erklärung unmöglich. Auch
erübrigt sich die Frage, inwiefern nun Christus seinen Leib (d. h. die
E%%A'l'jola) retten muss, wo doch nach Kap. 3, 10 diese als Kundgebung
der Weisheit Gottes den feindlichen, gottwidrigen Mächten gegenüber-
tritt.!1 Der Zusatz wäre wohl am besten im Sinn von Punkt 3 zu deuten.
Er will klar machen, dass es nicht um ein Sein geht, sondern um einen
Lebensvollzug. Das Hauptsein aktualisiert sich im Gehorsam der Ge-
meinde. Christus kann von der Gemeinde Gehorsam fordern, weil er ihr
Haupt ist. Dies ist nicht nur geistig zu verstehen, sondern auch in ganz
handgreiflichem Sinn, wenn wir etwa an das Martyrium denken (loh 21,
18 f.). Der Begriff O(OL~Q hat also im Rahmen des Ganzen eine wichtige
Funktion zu erfüllen. Wenn auch im Hintergrund der gnostische Er-
lösermythos formal anklingen mag, so geht es doch inhaltlich um etwas
ganz anderes. Der Begriff O(OL~Q schlägt die Brücke zwischen der Vor-
stellung vom Hauptsein J esu Christi und der folgenden Schilderung vom
Heilswerk Jesu Christi. Es wird hier also bereits das heilsgeschichtliche
Schema angetönt, das später breit entfaltet wird (V. 25 b - 27).
Die Unterordnung der Frau unter den Mann soll also von Christus her
verstanden werden (V.24).22 Sie erstreckt sich auf alle Lebensgebiete
(EV n:aVLl). V. 24 b kehrt direkt zu V.22 zurück. Beide Verse betonen die
Unterordnung der Frau unter den Mann. Der Einschub (V. 23 und

19 Eine solche Interpretation des Verhältnisses zwischen Mann und Frau könnte
in 1. Tim 2, 15 vorliegen, in dem ja die Frau durch den Mann in der Ehe zur
Kindergebärerin wird und dadurch ihre Rettung erlangt, welche sie also dem
Manne verdankt.
!O Cl1ho,; als betontes Pronomen für Christus ist auch sonst im Eph beliebt,
vgl. 2,14.

225
V. 24 a) aber zeigt, dass es sich nie um eine Unterordnung im Sinne einer
statischen Bewertung handeln kann, sondern nur im Sinne eines Lebens-
vollzuges.

b) Die Ermahnung an die Männer (25-28 a)

V.25: Ihr Männer, liebet die Frauen, wie auch der Christus die Ge-
meinde geliebt und sich selbst für sie dahingegeben hat,
V.26: damit er sie heilig machte, nachdem er sie gereinigt hat durch das
Wasserbad im Wort,
V. 27: damit er selbst die Gemeinde vor sich hinstellte in herrlicher Ge-
stalt (die Gemeinde), die weder Flecken noch Runzel noch etwas
dergleichen hätte, sondern damit sie heilig und untadelig sei.
V. 28a: So sollen die Männer ihre eigenen Frauen lieben wie ihre eigenen
Leiber.

Ausser einigen Wortumstellungen im V.28 sind keine Textvarianten zu ver-


zeichnen.

Die Ermahnung an die Männer ist ganz bestimmt von der Aussage über
die Liebe, mit der Christus die Gemeinde geliebt hat. Dass Christus die
Gemeinde geliebt hat, ist eine im Neuen Testament einmalige Aussage. 23
Die Formulierungen von V. 25-27 sind stark liturgisch geprägt. Offenbar
wurde ein vorliegendes Gerippe «aufgefüllt». Die logische Konstruktion
des Anschnittes ist kompliziert, aber durchsichtig. Auf die Aussage in
V. 25 folgen drei Lva-Sätze, wobei die zwei letzten einander parallel ge-
ordnet sind. Darnach ergibt sich folgender Sinnzusammenhang:
1. Christus «liebte» die Kirche, d. h. er hat sich für sie dahingegeben. 24

21 Diese Frage stellt H. Schlier, Brief an die Epheser, S.255.


22 Wie anders die Argumentation in 1. Kor 11, 2 H. läuft, ist beachtlich. Dort
wird von einem naturalistisch verstandenen Schöpfungsglauben her gewertet:
Gott ist der höchste Wert, sein Abglanz ist der Mann, dessen Abglanz die Frau
u. s. f. Eine solche Wertskala macht aber das Bild von Haupt und Leib un-
möglich, indem das eine nicht ohne das andere sein kann.
23 H. Schlier, Brief an die Epheser, S. 255.
24 Der Ausdruck JtUQEI\Ol%EV zeigt stark liturgische Prägung Er stammt aus
der Gemeindetradition der Leidensgeschichte (Mt 17,22; 26,2; 27,2. 18.26 par.).

226
2. Die Absicht dabei war, die Heiligung 2S der Gemeinde zu erreichen.
(Diese Heiligung geschah in der Taufe).26
3. Dies wiederum geschah alles zu dem Zweck,
dass a) Christus die Gemeinde in herrlicher Gestalt vor sich hin-
stellte und
dass b) die Gemeinde heilig und untadelig 27 sei.
Nimmt man nun zu diesem Vorstellungskreis noch die Aussage von
V. 29 hinzu (Christus nährt und pflegt seine Gemeinde), dann kann man
wohl nicht leugnen, dass hier ein Gesamtzusammenhang besteht. Auch
wenn in V.27 nicht ausdrücklich von einer Braut geredet wird, so ist
doch die Terminologie eindeutig. V. 31 f. vollends lassen dann keinen
Zweifel mehr aufkommen, dass im Hintergrund der Aussagenreihe die
Vorstellung des Hieros Gamos steht.
Wir sind in der glücklichen Lage, dass in den letzten Jahren über das
Problem des Hieros Gamos eine ausgezeichnete Zusammenfassung er-
schienen ist, die zudem noch den Vorteil der leichten Zugänglichkeit be-
sitzt.28 Wir können uns deshalb einen eigenen Exkurs ersparen und ver-
weisen für alle Belege auf H. Schlier.
Die Ergebnisse, zu welchen H. Schlier kommt, sind die folgenden: Von
einem Hieros Gamos wird geredet, weil in Eph 5 offensichtlich die Vor-
stellung einer Ehe Christi mit der Gemeinde vorliegt. Diese Vorstellung

2S Deutlich ist hier (und später in V. 27) der kultische Gedanke im Begriff der
Heiligung. Christus hat sich als Opfer gegeben, darum sind die Christen «ge-
heiligt». Vgl. oben S. 194 und unten A.27.
26 Für die Heiligung ist also die Taufe äusserst wichtig, vgl. 1. Kor 6, 11. In der
Taufgemeinschaft mit Christus liegt die Begründung für die Heiligung. - Mit
dem «Wasserbad» ist sicher die Taufe gemeint (vgl. Tit 3, 5). Fraglich ist, was
mit dem Ausdruck EV Ql)ftU'tL gesagt werden soll. Zwei Möglichkeiten bieten sich
zur Erklärung an:
1. Es handelt sich um das bei der Taufe gesprochene Wort (also um den Na-
men des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes) und gehört damit zum
Wasserbad.
2. Es ist mit der Vorstellung der Reinigung verbunden und würde dann im
Sinn von «Wort und Sakrament» verstanden.
Klarheit ist nicht mehr zu gewinnen; die grammatikalische Beziehung kann
wegen der Kürze des Ausdrucks nicht sichergestellt werden. Die Wortstellung
lässt eher den Schluss zu, dass die erstere Erklärung das Richtige trifft.
27 (lftCOfto<; ist ein Terminus technicus für das Opferwesen und bezeichnet das
fehlerlose Opfertier. Von da her ergibt sich ein enger Zusammenhang der beiden
Begriffspaare üyw<; und (lftCOfto<;. Vgl. oben S.194.
28 H. Schlier, Brief an die Epheser. Exkurs: Hieros Gamos, S.264-276. Vgl.
ferner noch J. Schmid, Art. Brautschaft, hl., RAC 11, Sp. 537 ff.

227
stammt nun - immer nach H. Schlier -, weder aus dem Alten Testament
noch aus rabbinischen oder überhaupt jüdischen Quellen. Anderseits fin-
den sich ähnliche Aussagen ausser in Eph 5 noch bei Paulus in 1. Kor 11,
2 f. (der Apostel als Brautführerl); doch sind die Unterschiede beider
Vorstellungskreise beträchtlich, indem in Eph 5 Christus selbst sich die
Gemeinde als Braut zuführt in einem rettenden Geschehen, welches Hin-
gabe, Reinigung, Hinführung, Einigung und Fürsorge umfasst. 29
In der neutestamentlichen Umwelt findet sich der Hieros Gamos im
Hellenismus. Die Götterehe spielte in vielen Kulten eine grosse Rolle, wo-
bei es wahrscheinlich einen mysterienhaften Nachvollzug der Götterehe
gab. Die rationale Um deutung des Hieros Gamos bei Plato und dann
auch im hellenistischen Judentum (Philo) ist bekannt.
Der eigentliche Hintergrund aber, auf welchem die Aussagen des Eph
zu sehen sind, stellt die Gnosis dar. Im Hirt des Hermas und im 2. Clem
findet sich der Gedanke einer himmlischen Syzygie Christi und einer ana-
logen Syzygie auf Erden. Bei bei den Schriften sind es nur Andeutungen,
offenbar aus dem Kontakt mit jüdisch-gnostischen Kreisen herausgewach-
sen. Irenäus berichtet verschiedentlich von Gnostikern (Valentianer,
Ophiten, Sinonianer), die an den Mythus von der gefallenen und gerette-
ten Sophia anknüpfen. H. Schlier schreibt dazu abschliessend: «die V or-
stellungen, die den Hintergrund von Eph 5, 22 ff. abgeben können, sind
überaus vielfältig, mehr oder weniger ausgebildet, weitverbreitet, über-
schreiten die an sich noch labilen Grenzen zwischen kirchlichen und
haeretischen Schriften und reichen von der Mitte des 1. Jahrhunderts vor
Christus bis in die zweite Hälfte des 2. Jahrhunderts. Sie kommen meist
aus dem Umkreis einer mit einem hellenisierten Judentum zusammen-
hängenden ,Gnosis'. Ihre Vorstellung bezieht sich auf eine himmlische
Hochzeit bzw. Syzygie des Soter im Zusammenhang eines Gesamtheils-
geschehens und auf eine irgendwie geartete menschliche Nachahmung
(sakramentale, asketische, libertinistische, spirituelle). Berührungen mit
Adamsspekulationen sind sichtbar».30
Man muss also keine Abhängigkeit des Eph von diesen Vorstellungen
konstruieren. Sondern im Gegenteil: Diese Vorstellungen geben gleichsam
das Baumaterial ab, mit dem gebaut wird. Der Bau aber, der entsteht, ist

29 H. Lietzmann I W. G. Kümmel, An die Korinther I und 11, 1949, S.209


weist noch auf die spät jüdische Vorstellung von Messiaszeit - Hochzeit hin.
J esus hätte diese Vorstellung zum Selbstprädikat «der Bräutigam» erweitert
(Mt 9,15).
30 H. Schlier, Brief an die Epheser, S.275.

228
sowohl nach Plan und nach Ausführung etwas Neues und Eigenständiges.
Das zeigt sich schon darin, dass dieses ganze Christusgeschehen nicht für
sich allein steht, sondern in den Dienst der Paränese gestellt wird. Wir
werden im gerade folgenden Abchnitt nochmals auf den ganzen Sach-
verhalt eingehen müssen. Hier wollen wir nur festhalten, dass das Ver-
halten von Christus zu seiner Gemeinde das Vorbild abgeben muss für
die Ermahnung an die Ehemänner. Sie sollen ihre Frauen in gleicher
Weise lieben. Man kann sich fragen, ob von den Männern nicht mehr
verlangt wird als von den Frauen in V. 22. Gewiss, die Frauen sollen
sich unterordnen; die Männer aber sollen so lieben, wie Christus die Ge-
meinde geliebt hat. Sicher ist hier an eine Lebenshingabe gedacht, die
nicht gesetzlich fixiert werden kann. Im Judentum hatte die Frau zu ge-
horchen; der Mann aber war verpflichtet, ihr _Kleider zu geben, sie zu
speisen und auch im geschlechtlichen Umgang nicht zu vernachlässigen.
Ja, es konnte sogar auch im Judentum gesagt werden, dass die Ehefrau
für den Mann wie der eigene Körper sei. Sl Aber hier geht die Aussage
viel weiter. Denn Christus liebte ja die Gemeinde mehr als sein eigenes
Leben; er hat sich für sie «dahingegeben» usw. Es ist schwer, sich vorzu-
stellen, wie alle einzelnen Stationen des Christusgeschehens im Verhält-
nis zwischen Mann und Frau beschrieben werden sollen. Es zeigt sich,
dass die christologischen Aussagen in Bezug auf das Ehegeschehen «über-
höht» sind. Dies kann man nur aus dem bereits erwähnten liturgisch aus-
geprägten Stil der ganzen Perikope erklären. Man muss sich also vor
einer Überbewertung wie vor einer Verharmlosung des Textes hüten.
Dies gilt es im Auge zu behalten, wenn wir uns nun dem Höhepunkt der
ganzen Darstellung zuwenden.

c) Das grosse Geheimnis (28 b - 32)

V. 28 b: Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.


V.29: Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern
er nährt es und hegt es, wie auch Christus die Gemeinde.
V. 30: Denn wir sind Glieder seines Leibes.
V.31: Deswegen wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und
seiner Frau anhangen und die zwei werden ein Fleisch sein.
V.32: Dieses Geheimnis ist gross. Ich aber deute es auf Christus und
die Gemeinde.

31 b Jeb 26 b.

229
V.29: Die Koine fügt vor dem hier wohl als Nomen verstandenen XQLo"t6<; den
Hoheitstitel %UQLO<; ein. Es wäre dies eine liturgische Bereicherung.
V . .30: Der Zusatz: «von seinem Fleisch und von seinem Gebein» (Koine, D, G,
u. a.) ist als Erweiterung verständlich. Er stammt aus Gen 2, 2.3 und ist sinn-
gemäss umgeformt. Es soll die Wesensverwandtschaft mit Christus unterstrichen
werden.
V . .31: Das Zitat Gen 2, 24 ist hier auch wieder in einer Kurzform und in voller
Fassung überliefert, analog zu Mk 10, 7 und Mt 19,5 (s. d.). Am Sinn ändert
sich nichts.

Die V. 28 b - 30 stehen in engem Zusammenhang mit dem Vorher-


gehenden. Schon in V. 28 a klang ein neuer Gedanke an, der nun hier
entfaltet und mit dem Christusgeschehen verknüpft wird: Der eigene
Leib ist einem am liebsten! Darum soll er gepflegt werden. Dieses Ar-
gument aus der Natur (Niemand hat jemals sein eigenes Fleisch ge-
hasst!) verbindet sich mit der christologischen Begründung. Auch Chri-
stus nährt und hegt seinen Leib, d. h. die Gemeinde. Ob hier in concreto
an das Abendmahl gedacht wird, lässt sich natürlich nicht beweisen, ist
aber sehr wahrscheinlich, weil der Gesamtzusammenhang, in dem auch von
der Taufe geredet wurde, bis hieher reicht.
Wir sind Glieder seines Leibes! Diese Aussage tönt ganz paulinisch.
Hier wird nun das alttestamentliche Zitat angefügt.· Der Anschluss &V-tL
'toln;o'U wirkt nicht recht einleuchtend; er gehört offenbar zum Zitat.
Der durch das. alttestamentliche Zitat ausgedrückte Sachverhalt wird
als [L'UO''tf]QLOV (= Geheimnis) 32 bezeichnet, und 2Jwar als ein «grosses Ge-
heimnis». Dadurch soll das Geheimnis besonderes Gewicht gewinnen.
Der Bezug von [L'UO''tf]QLOV ist aber umstritten. 33 Es lassen s,ich drei ver-
schiedene Deutungen anführen. [L'UO''tf]QLOV meint
1. die Schriftstelle Gen 2, 24 und deren Sinn als solchen,
2. Den ganzen Abschnitt V. 22-31, also die christliche Ehe überhaupt 34,
3. den in der Schriftstelle Gen 2,24 berichteten Vorgang als solchen,
der ein Typos auf Christus hin ist. 35
Die erste Deutung ist die wahrscheinlichste. Denn es ist ganz deutlich,
dass ja aus der Schriftstelle paränetische Folgerungen für das eheliche

32 Zur Bedeutung von ftlJO'tf]QLOV vgl. G. Bornkamm, Art. ftlJO'tf]QLO'V, ThWb IV,
S. 809-8.34; W. Bieder, Das Mysterium Christi und die Mission, 1964, S. 60 H.
33 V gl. H. Schlier, Brief an die Epheser, S.262.
34 Dies ist die traditionelle römisch-katholische Auslegung.
35 Diese modifizierte, römisch-katholische Auslegung wurde zuletzt vorgetra-
gen von H. Schlier.

230
Leben gezogen werden. 36 Dann würde also gesagt: «Dieses Mysterium -
oder diese geheimnisvolle Offenbarung, nämlich das angeführte Genesis-
wort über Mann und Frau - ist gross: ich meine es meinerseits in Bezug
auf Christus und die Kirche».37 Es gibt offenbar noch andere Deutungen
dieser Genesisstelle.
Wo finden wir noch solche andere Deutungen? Während meist all-
gemein zu diesem Zweck «Vertreter einer gnostischen Syzygienlehre»
postuliert werden 38, hat J. B. Schaller zum ersten Mal auf eine Stelle
im Liber Antiquitatum Biblicarum des Ps. Philo aufmerksam gemacht 39,
die - so viel ich sehe - auch von H. Schlier in seinem Exkurs «Hieros
. Gamos» 40 nicht berücksichtigt worden ist. Das Liber Antiquitatum Bibli-
carum ist uns nur noch in einer lateinischen übersetzung bekannt, obwohl
es wahrscheinlich hebräisch abgefasst und später ins Griechische übersetzt
worden war. Das hebräische Original ist vermutlich gerade nach der
Zerstörung Jerusalems entstanden,u Sein Inhalt ist eine Haggada, wobei
die biblische Geschichte bis zum Tode Sauls rekapituliert wird. Es wird
uns hier ein Lied der Debora überliefert, ein Hymnus, der Anspielungen
auf Gen 2,7 und 2,21 ff. enthält. Der betreffende Text lautet folgender-
massen:
Et tu Debora incipe loqui que vidisti
in campo, quoniam populi, securi am-
bulantes profecti sunt et astra
pugnabant pro eis. Gratulare terra
super habitantes in te, quoniam adest
concio Domini, que thurificat in te, non
enim iniuste accepit Deus de te
costa eius nasceretur Israel.
Erit enim in testimonium plasmatio
tua, quid fecerit Dominus populo SUO.'2

36 G. Bomkamm, a. a. 0., S. 829.


37 B. Reicke, Neuzeitliche und neutestamentliche Auffassung von Liebe und
Ehe, Nov Test I, 1956, S.30.
38 So z. B. G. Bomkamm, a. a. 0., S. 830.
39 J. B. Schaller, Gen 1, 2 im antiken Judentum. Diss. Göttingen 1961 (Ma-
schinenschrift), S. 101 f.
40 Vgl. S. 227, A. 28.
41 Vgl. L. Cohn, An Apocryphal Work ascribed to Philo of Alexandria, JQR 10,
1898, S. 311 f. und 327.
42 Lib Ant 32, 15. Text zit. nach G. Kisch, Pseudo-Philo's Liber Antiquitatum
Biblicarum, 1949, S. 206 f.

231
Der Inhalt dieser Stelle ist bezeichnend: «Das Bild von der Erschaffung
Evas aus der Rippe Adams (Gen 2,21 ff.) ist hier übertragen auf die Er-
schaffung Adams aus der Erde (Gen 2, 7) und das Gegenüber Adam -
Israel. Gleichsam als eine Entwicklungsreihe ist eine unmittelbare Ver-
bindung zwischen Erde - Adam - Israel hergestellb. 43 Da der ganze
Hymnus eine Zusammenfassung der Erwählungs- und Heilsgeschichte des
Gottesvolkes darstellt, wird durch unsere Stelle die Geschichte Israels
unmittelbar mit der Schöpfungsgeschichte verknüpft: «Gott erschuf aus
der Rippe der Erde Adam und aus der Rippe Adams Israel». Wir treffen
hier also auf eine typologische Auslegung der Schöpfungsgeschichte. Die
Erwählung Israels wird nicht heils geschichtlich, sondern schöpfungs-
geschichtlich begründet. 44
Interessant ist nun die Tatsache, dass eine formale Entsprechung zwi-
schen Eph 5,31 f. und dem Lib Ant 32, 15 besteht. Sie äussert sich
1. in der Typologie Eva- Israel / Kirche
2. in dem Bezug auf Gen 2
3. in der Bezeichnung:
concio ('ili') für Israel.
E%%Ä1lcrLU für die christliche Gemeinde.
Es scheint, dass sowohl Eph 5 wie Lib Ant 32, 15 abhängig sind von
einer gemeinsamen Auslegungstradition. 45
Das grosse Geheimnis in Eph 5 besteht also darin, dass im Wort Gottes
über die schöpfungsmässige Einheit des Menschenpaares eine prophetische
Andeutung der Einheit von Christus und der Kirche gesehen wird 46,
welche heils geschichtliche Dimensionen hat. Es entsteht dadurch eine
merkwürdige Wechselwirkung. Fest steht, dass das Genesiswort ursprüng-
lich von der Ehe, von Mann und Frau, redet. Wenn es nun auf Christus
und die Gemeinde angewendet wird, so nicht einfach darum, um als
Allegorie verwendet zu werden, sondern um von daher wieder zum ur-
sprünglichen Sinn, zum Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe zu-

43 J. B. SchaUer, a. a. 0., S. 101.


44 Eine ähnliche Verbindung von Heils- und Schöpfungsgeschichte ist auch
anzutreffen im Jubiläenbuch, in der Esra-Apokalypse, sowie vereinzelt in der
Überlieferung des Talmud und Midrasch. V gl. J. B. SchaUer, a. a. 0., S. 101.
Nach seinem Urteil findet sich aber im Lib. ant. der einzige Beleg einer unmittel-
baren typologischen Deutung der Schöpfungsgeschichte.
45 J. B.SchaUer, a. a. O.
46 B. Reicke, a. a. 0., S.30. Vgl. ferner R. Batey, The !1La cruQ; Union of
Christ and the Church, NTS 13, S.270-281.

232
rückzukehren. Also ist in Christus und seinem Verhältnis zur Gemeinde
das Verhältnis von Mann und Frau vorgebildet, wobei dieses Verhältnis
als das in der Schöpfung Gottes eigentlich Gemeinte verstanden wird.

3. CHRISTUS UND DIE EHE

Die Einzelbetrachtung der V. 22-32 hat gezeigt, dass unserem Ab-


schnitt das Schema einer Haustafel zugrunde liegt. Dieses Schema wurde
aufgefüllt mit mancherlei liturgischem Gut, das jeweils bei passender Ge-
legenheit eingefügt wurde. Leider lässt sich nicht mehr genau sagen, wo
die übergänge liegen. Sie sind fliessend und lassen sich nur erahnen.
Wie schon im Kolosserbrief, erhalten hier die verschiedenen Forderun-
gen der Haustafel eine neue Motivierung und Begründung. Weil Jesus
das Haupt der Gemeinde ist, darum sollen die Frauen sich ihren Männern
unterordnen. Weil Jesus die Gemeinde liebte und sich für sie hingab,
darum sollen die Männer ihre Frauen lieben. Freilich, es gibt dafür auch
noch andere Gründe! Aber entscheidend ist, dass das Wort Gen 2, 24
nicht nur von der Ehe redet, sondern von Christus und der Gemeinde.
Wie wir gesehen haben, ist hier die Vorstellung vom Hieros Gamos
aufgenommen worden, aber wahrscheinlich in negativem Sinn. Im Ephe-
serbrief würde dann gegen die gnostischen Erlöserspekulationen und
gegen eine irgendwie himmlische Syzygie Front gemacht und an deren
Stelle das Christusgeschehen zwischen Christus und seiner Gemeinde ge-
setzt. Dann würde also von dem Verhältnis zwischen Christus und seiner
Gemeinde das Verhältnis von Mann und Frau in der Ehe seinen spezifi-
schen Charakter erhalten. Wie wir gesehen haben 47, ist aber das Schema
Vorbild - Abbild nicht zureichend, um den vorliegenden Sachverhalt zu
erfassen, da ja auch in Gen 2, 24 ursprünglich von der Ehe ausgegangen
wird.
Allerdings kann die katholische Auffassung auch nicht befriedigen.
H. Schlier betont in seinem Kommentar 48, dass die katholische Ehe-Sakra-
mentslehre sich nicht nur auf die Wiedergabe von !L1JO"r~!;lLOV durch das
lateinische Wort «sacramentum» in der Vulgata stütze. Nicht V. 32 ist
Belegstelle für das sakramentale Verständnis der Ehe, wohl aber erweisen
die gesamten Ausführungen der V. 21-33 prinzipiell die Möglichkeit, ja
die Notwendigkeit, die Ehe als ein Sakrament im späteren Sinn zu ver-

47 Vgl. S. 232.
48 H. Schlier, Brief an die Epheser, S.263, A. 1.

233
stehen! Denn nach katholischer Anschauung würde das eheliche Verhält-
nis und der Vollzug der Ehe mit dem Verhalten Christi zur Kirche nicht
nur verglichen, sondern es würde erklärt, dass dieses jenes vorbilde und
in jenem nachzuvollziehen sei. Demnach handle es sich also nicht nur um
Vorbild (Christus und die Gemeinde) und Abbild (Ehe), sondern das Ab-
bild würde durch das Vorbild in seinem Wesen konstituiert.49
Hier ist nun der Punkt erreicht, wo wir der Auslegung von H. Schlier
nicht mehr folgen können. Denn offenbar bezeichnet er mit dem Aus-
druck «Sakramentalität der Ehe» die Auffassung, dass die Ehe irgendwie
wesensgleich ist mit dem Christusgeschehen, und darum als solche das
Heil in sich schliesst und in sich trägt. Davon steht aber nichts da! Wir
haben vielmehr erkannt, dass Eph 5 uns in eine andere Richtung weist.
Es geht gar nicht um das Wesen der Ehe, sondern um das Verständnis
der Ehe als Lebensvollzug. Sie ist begründet in Gottes Schöpfungsordnung
und darum etwas Eigenständiges. Aber nun wird von Christus her die
Ehe als eine Vergegenwärtigung von Christus und seiner Gemeinde ver-
standen. Darum wird hier das ganze heilsgeschichtliche Schema lebendig.
Man kann den Sachverhalt am besten mit dem Begriff der Repräsentation
bezeichnen. In der Ehe der Christen wird das Verhältnis von Christus
und seiner Gemeinde vergegenwärtigt. Darum kann sich hier an diesem
Ort auch tatsächlich Heil ereignen (vgl. 1. Kor 7, 12-16). Aber das alles
geschieht nicht im Sinn einer christlichen Überhöhung der Ehe, sondern
so, dass nun rückwirkend hier das eigentlich schon in der Schöpfungs-
ordnung der Ehe Gemeinte sichtbar wird.
Es gibt also nicht eine christliche Ehe, die so zu verstehen wäre, dass
gleichsam zu der gewöhnlichen Ehe noch das Christliche dazukommen
würde. Das Alte wird nicht durch das Christliche überhöht. Sondern es
gibt nur eine Ehe von Christen. Sie führen genau so eine Ehe wie alle
andern Menschen, aber nun dürfen sie, eben weil sie Christen sind, ihre
Ehe sehen als etwas ganz Neues. Wie der Herr in der Gemeinde lebendig

49 H. Schlier, a. a. 0., S.263, A. l. Man kann sich allerdings fragen, ob hier


einerseits nicht überinterpretiert wird, anderseits aber wieder eine merkwürdige
Verengung eintritt. W. Bieder schreibt dazu in seinem bereits zitierten Buch:
«Wenn die Ehe als ganzheitliche Verbindung zweier verschiedenartiger Men-
schen zum Gleichnis wird für das Liebeshandeln J esu Christi gegenüber seiner
Kirche, so könnte man in der Tat fragen, ob auf ihr nicht so etwas wie ein
sakramentaler Gehalt ruhe. Dieser sakramentale Gehalt kann aber niemals im
Sinn der späteren katholischen Sakramentslehre interpretiert werden», da diese,
sowie auch die reformierte Sakramentslehre, sich in viel zu engen Grenzen be-
wegen. W. Bieder, a. a. 0., S.62.

234
ist, so ist er auch in der Ehe lebendig, und vom Christusgeschehen her
wird nun auch das Ehegeschehen bestimmt. Es wird nicht ein Ideal vor
uns aufgerichtet, das einer steilen Wand gleichen würde, sondern über
der unvollkommenen irdischen Ehe geht die Verheissung der Vergebung
und der Gemeinschaft auf, welche in Christus begründet ist. Die Ehe
wird somit losgelöst aus aller nur natürlichen Betrachtungsweise und vom
Christusgeschehen her neu konzipiert.
Es ist klar, dass im Epheserbrief christliche Eheleute, die zur Gemeinde
gehören, angeredet werden. 50 Die Frage nach der Stellung der Ehe von
Nichtchristen wird nicht aufgeworfen. Es kann aber kein Zweifel darüber
bestehen, dass erst in der Ehe des Christen die Schöpfung ihr Ziel findet.
Dies ist ja der Inhalt des «grossen Geheimnisses».

50 B. Reicke, a. a. 0., S. 32 f.

235
E. Pastoralbriefe
(1. Tim 2, 8-3, 12; Tit 2, 1-4)

Die Auslegung der Pastoralbriefe wird weitgehend vom Entscheid in der


Verfasserfrage präjudizierU Am Wahrscheinlichsten drängt sich doch
die Annahme auf, dass es sich um pseudonyme Schriften handelt, wobei
der Verfasser, ein Paulusschüler, zwei Absichten verfolgt: Er will einer-
seits verschiedene nicht näher beschriebene Irrlehren bekämpfen; auf der
andern Seite bemüht er sich, bestimmte Gemeindeordnungen mit Hilfe
der Autorität des Apostels Paulus durchzusetzen. 2 Diese Sicht der Dinge
muss sich darin bewähren, dass sie für viele sonst schwer erklärliche
Tatbestände eine sinnvolle Auslegung im Rahmen der Gesamtsituatiön
ermöglicht. In den Pastoralbriefen spiegeln sich die Verhältnisse der Ge-
neration nach Paulus wieder.

1. DIE RETTUNG DER FRAU


DURCH DAS KINDERGEBXREN (1. Tim. 2, 9-15)

Im 1. Timotheusbrief finden sich Vorschriften für Männer und Frauen


(2,8-15). Der ganze Zusammenhang hat den CharakteI einer Gemeinde-
ordnung. 3 Besonders 2, 1 f.: Fürbitte für alle Menschen, dann für Kaiser
und Obrigkeit, haben offenbar ihren Platz in den Versammlrungen der
Gemeinden. Das Gebet der Männer (V. 8) erinnert an das Gemeinde-
gebet; auch das verbotene Lehren der Frau kann man sich nur in öffent-
licher Versammlung vorstellen. Vollends die Erwähnung der Bischöfe
1 Die Echtheit der Pastoralbriefe nimmt in neuerer Zeit an: W. Michaelis, Ein-
leitung in das Neue Testament, 1961 (mit Ergänzungsheft). - Die Sekretärs-
hypothese (d. h. dass Paulus einem «Sekretär» sagte, was er schreiben sollte, die-
ser die Briefe aber selbständig verfasst hat) vertreten: Joach. Jeremias, Die Briefe
an Timotheus und Titus, 196.3; G. Holtz, Die Pastoralbriefe, 1965. - Die Un-
echtheit der Briefe behaupten· neben vielen andern: M. Dibelius / H. Conzel-
mann, Die Pastoralbriefe, 1955. - Zum ganzen Problem vgl. P. Feine / J. Behm /
W. G. Kümmel, Einleitung in das Neue Testament, 1965, S. 265 H. - Schwer zu
erklären sind bei Annahme einer pseudonymen Verfasserschaft die persönlichen
Situationsangaben (z. B. 2. Tim 4, 9-22; u. a.). Diese lassen sich aber wohl am
besten so erklären, dass der unbekannte Verfasser autobiographische Notizen
des Paulus besass, die er in die Briefe einarbeiten konnte.
2 H. W. Bartsch, Die Anfänge urchristlicher Rechtsbildungen, 1965, S. 10.
3 G. Holtz, a. a. 0., S. 5.3 H. bestreitet allerdings, dass hier kirchenrechtliche
Bestimmungen vorliegen. Er sieht in 1. Tim 2-.3 vielmehr eine liturgisch-sakra-
mentale Ordnung.

2.36
(3, 1 ff.) und der Diakone (3,8 ff.) lässt keinen Zweifel am gemeindlichen
Charakter des Zusammenhanges.
Nun ist aber gerade in Bezug auf die Ermahnungen an die Frauen
(2,9-15) zu beachten, dass hinter der heutigen Form eine allgemeine
Frauenregel steht. 4 Diese wäre dann auf den Kult, d. h. auf das Beten an-
gewandt.S Ist diese Vermutung richtig, dann wäre hier im 1. Tim ein
Haustafelschema zu finden, das erst sekundär durch verschiedene Ein-
fügungen in den kultischen Bereich übernommen worden wäre.
Es ist darum richtig, die Ermahnungen an die Frauen losgelöst vom
gottesdienstlichen Bereich zu betrachten. überall schimmern jüdische
Vorstellungen über die Rolle der Frau hindurch. Was als Gebetshaltung
der Frauen bezeichnet wird (V. 9-10), galt im Judentum allgemein von
den Frauen: sie sollen keusch und züchtig sein und sich nicht mit äusserem
Schmuck schmücken 6, sondern mit guten Werken. Dass die Frau sich in
Gegenwart der Männer still zu verhalten habe, dass sie sich nicht über
den Mann erheben dürfe (V. 12), galt im Judentum als Selbstverständlich-
keit; «die alte Synagoge hat den Frauen das öffentliche Sprechen in den
gottesdienstlichen Versammlungen nicht prinzipiell, aber doch tatsächlich
verboten».7 Auch finden wir viele Belege dafür, dass Männer möglichst
wenig im alltäglichen Leben mit Frauen reden sollen.8 Ganz jüdisch ist
auch die Begründung für solches Verhalten (V. 13): Adam wurde zuerst
erschaffen. Dahinter steht die überlegung, dass das zuerst Erschaffene
das Bessere sei. 9 Und wieder - wie zum Beweis für die letztere Behaup-
tung - wird angeführt, dass ja Adam nicht verführt wurde, sondern Eva,
und dass Eva der Verführung erlag und in Sünde geriet (V. 14).

4 H. W. Bartsch, a. a. 0., S.60, weist mit Recht auf die Unmöglichkeit hin,
eine klare Trennungslinie zwischen dem Verhalten der Frau im Gottesdienst und
im allgemeinen zu ziehen. Der Verfasser der Pastoralbriefe will es eben selbst
nicht tun!
5 M. Dibelius / H. Conzelmann, a. a. 0., S.36.
6 Zum Schmuck der Frau vgl. zu 1. Petr 3, 3 ff., S.245 f. und 250 ff.
7 Billerbeck IU, S.467. Vgl. 1. Kor 14, 34.
8 Z. B. Aboth 1, 5: Jose b. Jochanan (um 150 v. Chr.) pflegte zu sagen: ... Un-
terhalte dich nicht viel mit dem Weibe. Vom eigenen Weibe meint er es, wie viel
mehr vom Weibe eines andern! Von hier aus haben die Gelehrten gesagt: Wenn
sich der Mensch viel mit dem Weibe unterhält, verursacht er sich selbst Unheil,
und er lässt ab von den Worten der Thora und schliesslich ererbt er den Ge-
hinnom. Billerbeck IV, 2, S. 1073. Vgl. auch G. Delling, Paulus' Stellung zu Frau
und Ehe, 1931, S.51, wo eine Ausnahme besprochen wird, die aber ihrerseits
wieder die Regel bestätigt.
9 V gl. die Belege bei Billerbeck IU, S. 645 f.

237
Eine kurze überlegung der Sachlage zeigt, dass hier mit der Verfüh-
rung nicht einfach eine allgemeine Verführung zur Sünde gemeint sein
kann; denn Adam ist ja auch gefallen und musste zusammen mit Eva
das Paradies verlassen. Es wird hier vielmehr die Rede sein von einer
Verführung zu geschlechtlicher Unzuchpo Nach einer mehrfach bezeug-
ten jüdischen Haggada wird die Szene der Verführung E~as im Para-
dies durch die Schlange so ausgemalt, dass die Eva sich zu widernatür-
licher Unzucht mit der Schlange hinreissen liess, geschlechtlich mit ihr
verkehrte und so ihrer Keuschheit beraubt wurde. Es heisst: «Denn als
die Schlange der Eva beiwohnte, übertrug sie auf sie (die Eva) einen
Schmutz».ll Der Ausdruck Esoot(l't'l1{teLcr(l kann nur auf diesem Hinter-
grund sinnvoll erklärt werden. Jetzt ist auch verständlich, warum nur
von Eva gesagt wird, dass sie «in Sünde geriet». Gemeint ist die durch
jenen unzüchtigen Verkehr konstituierte :It<J.(lI1ß(l()'Lt;.
Nun wird auch sofort der Sinn des Folgenden verständlich: Die Frau,
und zwar die Frau als Nachfahrin der Eva, soll gerettet werden durch
das Kindergebären. 12 Offenbar soll sie nun gerade auf dem Gebiet, auf
welchem die übertretung geschah, wieder gutmachen, was sie gefehlt,
nach dem Grundsatz: quo quis peccat, eo salvatur. Ursprünglich ist dies
wohl ganz allgemein verstanden worden im Hinblick auf alle Frauen
überhaupt. Durch den einschränkenden Zusatz, «wenn sie bleiben in
Glaube und Liebe und Heiligung mit Sittsamkeit» (V. 15) wird aber eine

10 So M. Dibelius / H. Conzelmann, a. a. 0., S.39. Und ähnlich 2. Kor. 11,3:


H. Lietzmann / W. G. Kümmel, An die Kor I und I1, 1949, S. 145; ferner W.
Nauck, Die Herkunft des Verfassers der Pastoralbriefe, Diss. Göttingen, 1950,
S.96f.
11 b Jeb 103 b, Aboda Zara 22 b, Sab 146 a.

12 H. W. Bartsch, a. a. 0., S. 71 H. geht noch einen Schritt weiter. Er bringt das


Kindergebären in Zusammenhang mit der messianischen Zeit und den voraus-
gehenden messianischen Wehen. Er sagt wörtlich: «Gewiss ist das Gebären ein
Übel, seine Schmerzen gehören zu den Wehen der Endzeit, aber wie diese Wehen
notwendig sind, damit das Heil hereinbricht, so sind auch die Schmerzen der
Geburt notwendig, und wie es gilt die messianische Drangsale in Glauben und
Geduld zu überstehen, so gilt es auch die Schmerzen der Geburt in Glaube und
Liebe und Heiligung (Sperrung von mir!) zu überstehen. Wenn die Frauen der-
art die Schmerzen ertragen, so wird es ihnen zum Heil gereichen» (S.74). -
G, Holtz, a. a. 0., S. 71, möchte das ÖLU nicht im Sinn von «durch, wegen», son-
dern im Sinn von «durch, hindurch» verstehen, wobei er auf Stellen wie Apg 14,
22; Apk 21,24 und 1. Kor 3,15 hinweist. Aber es wird dann unverständlich, in-
wiefern in Gen 3 ein Unterschied zwischen der :n:IXQ6.ßIXO'L<; des Adam und der-
j enigen der Eva bestehen soll.

238
«Verchristlichung» erreicht1 3 ; offenbar wird so der ursprünglich all-
gemeingültige Sachverhalt auf die Christinnen in der Gemeinde bezogen.
Die Rettung gilt nun nur ihnen, nicht allen Frauen überhaupt
Es wäre verkehrt, wenn die Aussage des 1. Tim mit dem Hinweis auf
die zugrundeliegenden jüdischen Vorstellungen als für das christliche
Eheverständnis irrelevant abgetan würde. Gerade die Einpassung in das
christliche Eheverständnis durch V. 15 zeigt, dass man hier etwas aus-
gesprochen sah, was dem christlichen Eheverständnis entgegenkam oder
sogar entsprach. Es ist dies die Vorstellung, dass, ähnlich wie wir es in
Eph. 5 fanden, auch hier eine natürliche Ordnung - nämlich das Kinder-
gebären - «geheiligt» werden kann, und so über seinen ursprünglichen
Sinn hinausweist. Gehört die Formel mOTo~ I) A6yo~ (3, 1) als bekräfti-
gender Abschluss noch in unseren Zusammenhang, was aber nicht sicher
ist, dann würde die Bedeutsamkeit unserer Stelle noch unterstrichen.

2. DER AUSDRUCK «MANN EINER FRAU»


(1. Tim 3, 2. 12; Tit 1, 6)

Ein weiteres Problem in den Pastoralbriefen stellt die Frage dar, was
mit dem Zusatz !-Ha yuvm%o~ üvöQu (1. Tim 3,2. 12; Tit 1, 6) gemeint sei.
Dieser Zusatz «eines Weibes Mann» wird auf die Bischöfe und die Dia-
kone angewendet. Auf die Fragen, welche sich im Zusammenhang mit
diesen Ämterbezeichnungen ergeben, können wir hier nicht eingehen.
Wir müssen uns auf den unmittelbaren Wortsinn beschränken.
Der fragliche Ausdruck kann verschieden gedeutet werden:
1. Es soll damit beim Bischof ein polygames Eheverhältnis ausge-
schlossen werden. Da im Neuen Testament nirgends gegen die Eheform
der Polygamie geredet wird, wäre dies dann im Fall des Bischofs eine
ausdrückliche Forderung monogamer Ehe. 14
2. Es ist ein Verbot der Unzucht. Es soll verlangt werden, dass ein
Bischof neben seiner Frau nicht noch mit andern Frauen (z. B. mit seinen
Sklavinnen) verkehre. Allerdings wäre diese Forderung in unserem Zu-
sammenhang darum merkwürdig, weil ihre Erfüllung von jedem Christen
erwartet wurde.
3. Es soll eine zweite Heirat nach dem Tode der ersten Frau ausge-
schlossen werden. Dies ist die altkirchliche Auslegung dieser Stelle. 15
13 Man beachte auch den Wechsel im Subjekt von der kollektiven Einzahl
in V. 14 zur Mehrzahl im V. 15.
14 So Billerbeck III, S. 647 H.
15 Theodor v. Mopsvestia 11, 9.

239
4. Es soll eine Wiederverheiratung nach einer allfälligen Scheidung
verhindert werden. Das Wort würde sich also gegen die sog. sukzessive
Polygamie richten, nicht aber gegen eine Wiederverheiratung nach dem
Tode der ersten Gattin. 16
Es ist nun fast unmöglich, mit letzter Bestimmtheit sich für eine dieser
Möglichkeiten zu entscheiden.17 Jedoch dürfte uns die überlegung weiter-
helfen, dass, wenn auch die Vorlage unseres Bischofspiegels nicht unbe-
dingt auf einen Kleriker zielte, so doch im heutigen Zusammenhang etwas
gemeint sein muss, was den Bischof aus der Masse der gewöhnlichen
Christen heraushebt. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt die Auf-
stellung der möglichen Lösungen, so ergibt sich eine weitgehende Klä-
rung. Schon im Alten Testament hat die Polygamie faktisch im Alltag
keine grosse Rolle gespielt; man lebte weitgehend monogam. 18 So wird
es auch bei den ersten Christen gewesen sein. Folglich scheidet die erste
Lösung aus. Die zweite Lösung hat sich schon beim Aufstellen als Forde-
rung an alle Christen erwiesen. So bleiben wohl nur die beiden letzten
Lösungen möglich, die in gewissem Sinn miteinander zusammenhängen.
Berücksichtigt man jedoch, dass sich eine klare generelle Ablehnung der
Wiederverheiratung Geschiedener in der neutestamentlichen Tradition
nachweisen lässt 19, anderseits aber doch offen zugegeben wird, dass
der Tod die Ehe endgültig löst und darum dann wieder geheiratet wer-
den darf 20 , so wird wohl die altkirchliche Auslegung das Richtige tref-
fen, wenn sie vom Bischof und dem Diakon den Verzicht auf eine zweite
Ehe nach dem Tode der ersten Frau verlangt. Insofern würde dann von
ihnen mehr gefordert, als von der Masse der Christen.
Die Vorschrift für die Witwen (1. Tim 5, 9) bestimmt ebenfalls unter
anderem, dass die «wirkliche» Witwe, die eine Beamtung erfährt, «eines
Mannes Frau» gewesen sein soll. Auch hier ist anzunehmen, dass eine
zweite Verheiratung nach dem Tode des ersten Mannes ausgeschlossen
werden soll.21 Hinter diesen Anschauungen in den Pastoralbriefen steht

18 A.Oepke, Art. YUVIJ, ThWb I, S. 779, 789.


17 Vgl. G. Holtz, a. a. 0., S.76. Nach Holtz ist es möglich, dass sowohl jede
Form von Nebenehe als auch die Wiederverheiratung nach Scheidung oder nach
dem Tod der Frau verboten werden soll.
18 V gl. S. 27 ff.
19 Vgl. S. 61 f. und 190 f.
20 1. Kor 7, 39.
21 Eine andere Deutung vertritt M. Dibelius / H. Conzelmann, a. a. 0., z. St.:
es sei hier nur verlangt, dass die Witwe früher kein ehebrecherisches Leben ge-
führt habe.

240
wohl bereits der Anfang einer gewissen asketischen Haltung, welche spä-
ter das Eheleben der alten Kirche weitgehend prägte. 22

3. DIE EHEFRAU IN DER HAUSTAFEL DES TITUSBRIEFES


(2,1-10)

Wir haben oben bereits festgehalten, dass in den Pastoralbriefen das


Haustafelschema auf die Gemeindeordnung übertragen wurde.28 Beson-
ders deutlich ist dies auch im Titusbrief zu sehen. Die Weisungen an die
jüngern Frauen, d. h. an die Ehefrauen, sind eingekleidet und erscheinen
nun in der Form von Ermahnungen der ältern Frauen an die jüngern.
Inwiefern die älteren Frauen eine gemeindliche Funktion ausüben, ist
nicht ganz klar, aber doch zu vermuten. Wie dann später im 1. Petrus-
brief, so spielt aber auch hier die Ehefrau eine bedeutsame Rolle im Hin-
blick auf die Gemeinde des Christus und deren Ruf in der Welt. «Da-
mit das Wort Gottes nicht gelästert werde» (V. 5 b), darum sollen die
Ehefrauen sich ihren Männern unterordnen und die anderen sittlichen
Forderungen erfüllen. Der Abstand zum Epheserbrief ist beachtlich: Durt
wurde das Verhalten in der Ehe bestimmt vom innersten Zentrum der
Erlösung her; hier aber gibt die Peripherie, d. h. die Einschätzung durch
die Umwelt, den Ausschlag. Man kann diese Aenderung in der Argumen-
tation nur aus der missionarischen Situation der Gemeinde erklären.
Trotzdem bleiben aber die Eigenschaften, die von der Ehefrau erwartet,
erhofft und sicher auch erfüllt werden, sehr beachtenswert. Natürlich
hat die oben erwähnte Einkleidung vor allem literarische Bedeutung. Da
die Ermahnungen zudem nicht in der Befehlsform erscheinen, sondern
in der Aussageform, gleicht das Ganze eher einem TugendspiegeI. Aller-
dings gehen gewöhnlich Haustafel und Tugendspiegel insofern parallel,
dass beide von übernommenem Material leben. Darum muss es uns nicht
wundern, wenn hier auch von den christlichen Ehefrauen sozusagen
Selbstverständlichkeiten erwartet werden.
Im einzelnen sieht das so aus: Die Ehefrau soll q'LAUVÖQtU (den Mann
liebend) und tpLAO'tE%VtU (<<kinderlieb») sein (V. 4). Diese Eigenschaften
werden auch 'sonst in der Literatur (4. Makk 15,4 H.) und in Inschrif-
ten erwähnP' Auch das Adjektiv O'wtpQoov (sittsam) ist Allgemeingut.

22 V gl. oben S. 203 ff.


28 Vgl. S. 214.
24 Belege bei M. Dibelius / H. Conzelmann, a. a. 0., S. 105.

241
In l. Tim 2, 9 wird die oco<PQOOUV'll als Frauentugend genannt; schon
dort spürt man die Bedeutungswandlung auf die Keuschheit hin. Auch in
der neutestamentlichen Umwelt lässt sich dieses Gefälle erkennen. 25 So
sagt etwa Philo, dass die Dirne nichts von X00I-lLOT'llS;, ULÖOOS; und oco<PQOOUV'll
wisse. 26
In der gleichen Richtung ist auch &.yvoS; zu interpretieren. &.yvoS; ist ein
Verbaladjektiv zu üt;OI-lUL (= Scheu haben vor jem.) und bedeutet ur-
sprünglich: das, was (religiöse) Scheu erweckt. Als sakrales Wort be-
zeichnet es von Haus aus eine Eigenschaft der Gottheit, dann einfach
Dinge, die mit dieser in einer Beziehung stehen. 27 So ergibt sich die Be-
deutung «heilig» im Sinn von «rein», wobei an die rituelle Sphäre gedacht
wird: Enthaltung von Blutschuld, Leichenberührung, u. ä. Da nach
primitiven Vorstellungen auch der Geschlechtsverkehr kultisch unrein
macht, bekommt &.yvoS; die Bedeutung von «keusch». Der ursprünglich
kultisch-religiöse Begriff wird dann auf das sittliche Gebiet übertragen
und im Hellenismus häufig auch gebraucht im Sinn von «schuldlos» oder
«sittlich tadellos», z. B. als ehrende Bezeichnung für tadellose Amts-
führung. 28
Das Adjektiv OLX01JQYOS; kehrt nach diesem Ausflug in das Spezielle
wieder zu den alltäglichen Pflichten der Frau zurück. Sie soll häuslich
oder besser: «haushälterisch» sein, also tüchtig in der Haushaltführung. 29
Auch uyu{}QS; (= gütig, vgl. l. Petr 2, 18) ist so allgemein gehalten, dass
versucht worden ist, es als nähere Bestimmung zu OLX01JQYouS; aufzufassen,
im Sinn von «gut haushaltend».3u
Zusammenfassend können wir sagen: Es zeigt sich hier, dass von den
christlichen Ehefrauen nicht etwas grundsätzlich Anderes gefordert wird,
als was sonst dem üblichen Ideal entspricht. Wo diese Tugenden aber in
den Dienst des Christus gestellt werden, erhalten sie ihre Bedeutung für
die Auferbauung der Gemeinde. Davon handelt auch der folgende, letzte
Abschnitt über den 1. Petrusbrief.

25 Belege bei M. Dibelius / H. Conzelmann, a. a. 0., S. 35 f.


26 Spec Leg III, 51.
27 F. Hauck, o:yvor;, ThWb I, S. 123 f.
28 Zu der Weiterentwicklung des Begriffes siehe unten zu 1. Petr 3, 2, S. 244 f.
29 obwlJ(lor; lesen H, die Koine, u. a. Dann wäre mehr das «häusliche Wesen»
gemeint.
30 So M. Dibelius / H. Conzelmann, a. a. 0., z. St.

242
F. Erster Petrusbrief
(Kap. 3, 1-7)

Für die Besonderheiten der Haustafel des 1. Petrusbriefes verweisen


wir auf unseren Exkurs: Die Haustafeln im Neuen Testament,! Wir be-
schränken uns hier auf die Ermahnungen an die Ehefrauen und an die
Ehemänner.

1. DIE ERMAHNUNG AN DIE FRAUEN (V. 1-6)

V. 1: Gleicherweise ihr Frauen, (lebt), indem ihr euch euren eigenen


Männern unterordnet, damit sie, wenn sie dem Wort nicht ge-
horsam sind, durch den Wandel der Frauen gewonnen werden ohne
Wort.
V.2: Wenn sie euern reinen Wandel in der Furcht beobachten.
V. 3: Euer Schmuck sei nicht der äussere durch Flechten der Haare und
Umhängen von Gold oder Anziehen von Gewändern,
V.4: sondern der verborgene Mensch des Herzens in dem unvergäng-
lichen Wesen des sanftmütigen und stillen Geistes. Das ist köst-
lich vor Gott!
V. 5: Denn so schmückten sich vor Zeiten auch die heiligen Frauen, die
ihre Hoffnung auf Gott setzten und waren ihren Männern untertan.
V.6: Wie Sara dem Abraham gehorsam wurde, indem sie ihn Herr
nannte; deren Kinder ihr geworden seid, wenn ihr recht tut und
keine Furcht hegt.

V. 1: Of.lotQ)~ knüpft an die Ermahnung der Sklaven. Diese sollen ja auch den
Herren untergeordnet sein (2, 18). - Das Partizip uJto'&U!H1Of.l€VUL könnte man
sich abhängig denken von dem Verb ~~(j'tof.l€V in V.24.
V.2: Das alleinstehende EV <poßCfl ist auffällig; es erinnert sachlich an Eph 5,21.
Die Lesart EV A6yCfl (Minuskel38) ist sicher sekundär, da ja der Begriff des
«Wortes» gefüllt und selbstverständlich ist.
V.3: Handschrift D lässt die Erwähnung der Haare weg und ersetzt '1ml durch 1];
dann heisst es: «euer Schmuck sei nicht der äussere durch Geflecht oder Um-
hang von Gold oder Anziehen von Gewändern». Das Haargeflecht gehört aber
zum Schmuck der Frau, vgl. unseren Exkurs S.252.

1 Vgl. oben S.213 ff.

243
V.5: Hier liegen nur kleine Textänderungen vor, indem an Stelle von Eie; i}EoV
gelesen wird: 81&t i}EoV (Koine) oder 81&t ,;ov i}. (N).

Die Ermahnung an die Frauen gliedert sich in drei Teile!; jeder Teil
umfasst zwei Verse. Es besteht jedoch ein durchgehender Zusammenhang.
Im ersten Teil V. 1 f. handelt es sich um Gemeindesituation: Eine
Christin ist mit einem ungläubigen Mann verheiratet. Es besteht Missions-
absicht. Auch hier in der Mischehe wird keineswegs resigniert 3, sondern
erwartet, dass die Frau den heidnischen Mann «gewinnt». Dies soll so ge-
schehen, dass sich die Frau auch dem heidnischen Mann unterordnet.
Die Frau bekennt auf diese Art ihren Glauben, und solcher Glaube hat
Verheissung. Es liegt offenbar eine «Mahnung zum Glauben im Ehe-
leben» vor.' Beachtlich ist, dass hier für die Unterordnung der Frau
wieder eine neue Begründung auftaucht. War es im Epheserbrief die
christologische Begründung, im Titusbrief jedoch eine gemeindlich-
soziologische, so ist es hier eine missionarische Begründung.
Entscheidend ist für die Frau der Wandel; er soll in der Furcht erfol-
gen. Gedacht ist sicher an die Furcht Gottes, wie das in 2,18 von den
Sklaven gesagt wurde, oder an die Furcht Christi (Eph 5, 22). Das geht
aus dem Begriff des «reinen Wandels» (V. 2) hervor.
Das Adjektiv o.yvor;5 findet sich im profanen Sprachgebrauch seit
Homer vor allem auch in Inschriften. In der Septuaginta erscheint es
nur selten, da als eigentliches Wort für kultische Reinheit '){.(l1}(l(lor; ge-
braucht wird. Häufiger begegnet in der Septuaginta das von o.yvor; abge-
leitete Verb ayvttELV, welches die Massnahmen zur Erlangung der Kult-
fähigkeit bezeichnet.
Im Neuen Testament begegnen nur noch o.yvttELV (und o.YVLI1f.LOr; Apg 21,
26) in der eigentlichen Bedeutung der kultischen Reinigung. o.yvor; taucht
nur in den Briefen auf, wo hellenistischer Sprachgebrauch spürbar wird
und hat übertragene Bedeutungen. 6 Hier im 1. Petrusbrief meint es den
sittlich reinen Wandel der Christinnen.
Dabei ist aber nicht an eine ideale Sittlichkeit gedacht. Gerade die
Herkunft des Wortes aus der kultischen Sphäre verwehrt ein solches

2 H. Windisch, Die katholischen Briefe, 1930, S.66: 3 Strophen!


3 Vgl. 1. Kor 7,13 ff.
, E. Schweizer, Der erste Petrusbrief, 1949, z. St.
ö Zur Ethymologie des Wortes vgl. S. 242.
6 So z. B. keusch (Tit 2, 5; 1. Kor 11, 2), unschuldig in Bezug auf eine Sache
(2. Kor 7,11), sittlich rein und lauter (1. Tim 5,22; 1. Petr 3,2; Phil4,8; auch
von Jesus: 1. Joh 3, 3), als sittliches Ideal (Jak 3,17).

244
Verständnis. Als Schlüsselvers kann 1. Joh 3,3 gelten: Wir werden ihn
(Christus) sehen wie er ist. Und jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat,
reinigt sich, wie er rein (ayv6r;) ist. Wir haben bereits gesehen, dass ayv6r;
ursprünglich rein im kultischen Sinn bedeutete.7 Die kultische Reinigung
spielt aber in der ersten Christenheit keine gros se Rolle mehr, höchstens
noch in der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem, die ja noch am
Tempelgottesdienst teilnahm (z. B. Apg 3).
Für die übrigen Christen wurde der Begriff der kultischen Reinigung
überflüssig 8, weil ja Christus durch seinen Opfertod den Tempeldienst
überboten hatte (Hebr 9, 11-14). Er schenkt nun seine Reinheit den Sei-
nen, indem durch ihn und sein Leben der eigentliche Zweck aller kulti-
schen Reinheit erfüllt wird. Die Christen haben aber Anteil an Christus.
So zeigt sich, dass der von den Frauen geforderte «reine Wandel»
(V. 2) nicht das Ergebnis menschlicher Tugend ist, sondern die Bezie-
hung des Menschen zu Gott bezeichnet. Nur so ist es verständlich, dass
durch den «reinen Wandel» die Männer gewonnen werden sollen. Sie
erkennen in ihm nicht nur die Verdienste ihrer Frauen, sondern deren
Zugehörigkeit zu Gott.
Der zweite Teil der Ermahnung (V. 3-4), in dem es um den wahren
Schmuck der Frauen geht, gehört sehr eng mit dem dritten (V. 5-6) zu-
sammen, da dieser als Beispiel für den «wahren» Schmuck den Gehorsam
der Sara gegenüber Abraham anführt. Wir können also beide Teile mit-
einander besprechen.
Im Judentum gehörte es zu den Pflichten der Frau, sich zu schmücken. 9
Hier wird nun gesagt, dass es nicht auf den äusseren Schmuck ankomme.
Zum Schmuck gehörten nicht nur Schmuckstücke im eigentlichen Sinn,
also Geschmeide, Halsketten, etc., sondern im Judentum verstand man
darunter auch Kleider, dann all die Dinge, die in das Gebiet der Hygiene
und Kosmetik gehören. Es ist anzunehmen, dass auch in der ersten Chri-
stenheit ganz ähnlich gedacht wurde. Es wäre verkehrt, wenn man aus
unserer Stelle herauslesen wollte, dass es den Frauen verboten sei sich zu
schmücken. Der Akzent liegt auch nicht darauf, dass sich die Christinnen
nur bescheidenen Schmuck erlauben dürften, sondern «dass der wahre
Schmuck nicht der äussere ist».lO

7 Vgl. S. 242.
8 Eine Ausnahme in gewissem Sinn stellt das Aposteldekret dar, vgl. S. 92 H.
o V gl. dazu und zum Folgenden unseren Exkurs S.250 H.
10 M. Dibelius / H. Conzelmann, Die Pastoralbriefe, 1955, S.38.

245
Sofort erhebt sich die Frage, gegen welche Front hier geredet wird.
Sind es römische Sitten, die angeprangert werden sollen, und hatte man
Angst, dass sie eventuell auch in der Gemeinde Eingang finden könnten?
Gegen Kleiderluxus wendet sich auch noch 1. Tim 2, 9, und in den Evan-
gelien wird der übertriebene Kleideraufwand scheinheiliger Personen
erwähnt (Mt 23,5; Lk 20,46). Abc;:r es ist doch so, dass der jüdische
Luxus hinter demjenigen, welchen sich die Römer leisteten, bei weitem
zurückblieb.
Als Beispiel gegen den äussern Schmuck, d. h. gegen die Verschwen-
dungssucht und den Luxus, wird Sara angeführt. Wir haben bereits ange-
tönt, dass für die damalige Zeit Schmuck und Schönheit immer zusam-
mengehören. Das Beispiel Saras ist nun insofern problematisch, als Sara
zu den vier schönsten Frauen des Alten Testaments gezählt wurde. «Vier
schöne Frauen hat es in der Welt gegeben: Sara, Abigail, Rahab und
Esther.»l1 Die Zusammenstellung mit Rahab und Esther zeigt, dass Sara
als eine äusserst begehrenswerte Schönheit galt. Da es sich dabei um
Schönheit im äussern Sinn handelt, kann der Sinn von V. 3 f. nicht der
sein, dass innere Schönheit die äussere ausschliessen müsste. Sondern
V.4 sagt deutlich, was gemeint ist: Der verborgene Mensch ist wichtiger
als der äussere Mensch. Es spielt hier das alte jüdische Frauenideal eine
Rolle, welches die erstrebenswerten fraulichen. Eigenschaften in der
Sanftmut, im stillen Wesen und im Gehorsam sieht. (V.4) Sara wird
nicht in ihrer Eigenschaft als Schönheit angeführt, sondern in ihrer
Eigenschaft als gehorsame Frau. Als Beweis für ihren Gehorsam muss
ihre Anrede dienen: Sie nennt Abraham «Herf» (Gen 18, 12). Dies ist
allerdings die bei den Juden übliche Anrede.
Der Grund für die Herausstellung Saras als Beispiel muss also tiefer
liegen. Die Christinnen werden als Kinder der Sara angesprochen. Dies ist
offenbar eine Parallele zur Abrahamskindschaft (GaI3, 7. 29). Damit ist
auch gegeben, dass die Adressatinnen nicht Judenchristinnen, sondern
Heidenchristinnen sind; sie müssen ja sich ihre Sarakindschaft erwerben. 1!
Die Christen müssen glauben, wie Abraham geglaubt hat; genau so
muss von den Christinnen gehorcht werden, wie Sara gehorcht hat. Es
taucht also für die Unterordnung der Frau nochmals eine neue Begrün-
dung auf: Sara ist der Typus der christlichen Ehefrau, wobei sie aber
die «heiligen Frauen» der Vorzeit überhaupt vertritt. Sie alle waren ihren
Männern «untertan». Also soll es auch die Ehefrau in der christlichen Ehe
so halten.
11 Meg 15 a; Billerbeck I, S.20.
12 So H. Windisch, a. a. 0., S. 67.

246
Es kann keine Frage sein, dass diese alttestamentliche Begründung der
Unterordnung der Frau gegenüber der christologischen Begründung im
Epheserbrief einen deutlichen Rückschritt darstellt.

2. DIE ERMAHNUNG AN DIE MÄNNER (V. 7)

V. 7: Ebenso ihr Männer, wohnet zusammen (mit ihnen) mit Einsicht,


als dem schwächeren Gefäss erweiset dem weiblichen Ehre
als solche, die ihr auch Miterben seid der Gnade des Lebens, damit
eure Gebete nicht gehindert werden.

V.7: Der Text bietet einige Schwierigkeiten, vgl. die Untersuchung: B. Reicke,
Die Gnosis der Männer nach 1. Petr 3,7, Nt!. Stud. f. R. BuItmann, ZNW Beih. 21,
1954, S.296-304. Wir übernehmen im folgenden seine Analyse und Rekon-
struktion des Textes. - öflotro~ meint die Entsprechung im Benehmen zwischen
Männern und Frauen; es bezieht sich auf das unmittelbar vorher Gesagte. -
O'UVOLxeLV kann gut absolut gebraucht werden. Dann ist nach "'(VOOO'LV eine erste
Zäsur zu machen. Die zweite Periode reicht bis nach "CLflT}V; sachlich besteht ein
Zusammenhang zwischen O'xeiio~ und "CLflft (vgl. unten!) - Den Nom. O'U"'(xÄ'I']-
QOV6/l0L anstelle des Dativs lesen: A, C, die Koine, u. a. Es ist dies lectio
difficilior und darum zu bevorzugen. O'lJ"'(xÄ'I']QOVQflOL bezieht sich darum auf die
Männer, nicht auf die Frauen. - Die Erweiterung ltOLXtJ..'I']~ :x:. (mannigfaltige
Gnade): ~,A, u. a., ist sicher eine Bereicherung und darum sekundär.

Die Ermahnung an die Männer ist im Verhältnis zu derjenigen an die


Frauen unverhältnismässig kurz. Eventuell könnte man, parallel zu den
drei Teilen bei den Frauen, auch hier eine Dreiteilung sehen. 13 Gleich
ist ebenfalls, dass es auch hier um den Aufbau der Gemeinde geht. Es
sind wohl nur christliche Männer ins Auge gefasst; deren Gebete 14 sollen
nicht gehindert werden. Es handelt sich offenbar um die Vorstellung, dass
durch ein gewisses menschliches Verhalten die Gebete Gott nicht mehr
erreichen 15 können. Im Neuen Testament finden sich verschiedene Paral-

13 Vgl. die Darstellung der übersetzung!


14 Der Ausdruck «eure Gebete» bezieht sich wahrscheinlich nur auf die Ge-
bete der Männer, nicht auf diejenigen der Männer und Frauen, was auch denk-
bar wäre.
15 E"'(x6lt"CEO''fraL bedeutet: abgesperrt werden, vgl. Röm 15, 22, 1. Thess 2,18.

247
lelen dafür, dass «die Geringschätzung des Nächsten den Erfolg der
geistlichen Bemühung verhindert».16
Neben diesem mehr äussern Grund für das Verhalten der Männer steht
aber noch der viel gewichtigere: Die Männer sind nicht Alleinerben der
«Gnade des Lebens».17 Auch die Frauen «erben das Leben». Es ist nicht
gesagt, daß dies nur die christlichen Frauen betrifft, aber nach V.I-6
doch zu vermuten. Der Grund für die besondere Behandlung der Frau
liegt in ihrer Bestimmung für das Heil, ist also soteriologisch gefärbt.
Die Männer sollen mit den Frauen zusammenwohnen mit Einsicht! Hier
ist wohl nicht nur an die Beiwohnung im geschlechtlichen Sinn gedacht,
sondern an das gemeinsame Leben überhaupt, sehr wahrscheinlich nicht
nur in Bezug auf die Ehefrau, sondern auch in Bezug auf alle Glieder
des Haushaltes. Dies Zusammenwohnen soll mit Einsicht oder mit Ver-
ständnis geschehen. 18 Im Ausdruck %u'tu "(VWOL'V liegt in ihrem Zusam-
menhang die Nuance von Achtung und Rücksicht, eventuell formuliert
in bewusstem Gegensatz zur offiziellen Gnosis, welche bekanntlich die
Gnostiker stolz machte. 19 Liebe und Güte wird von den Männern gegen-
über den Frauen gefordert. Sie sollen den Wert der Frau erkennen und
darnach handeln.
Die Frau wird als das schwächere Gefäss bezeichnepo Gemeint ist das
schwächere «Wesen», da ja auch an andern Stellen O%EUOS; das leibliche
Wesen meint.21 Es scheint eine überlieferte Bildsprache insofern vor-
zuliegen, als an verschiedenen Belegstellen die Begriffe von O%EUOS; und
'ttlllJ miteinander verknüpft sind. 22 So auch hier: «Gerade weil die Frauen
schwächer sind, soll man ihnen Ehre erweisenl»23 Wir denken daran,

16 B. Reicke, a. a. 0., S. 296 H. Er denkt an folgende Stellen: 1. Kor 11, 20-29;


13,1; Jak 4, 3; 5,23.
17 Dieser Ausdruck «Gnade des Lebens» ist sehr wahrscheinlich eine ge-
prägte Übernahme von Gemeindeterminologie: eine Zusammensetzung aus
%A'I]QOVOf.tELV ~O)f]v (Mt 10,17, u. ö.) und der Vorstellung, dass die ~O)f] eine Gna-
dengabe sei. H. Windisch, a. a. 0., S. 68.
18 Der Artikel vor YVOOCJLV fehlt; offenbar ist nicht an die christliche Erkenntnis
gedacht; sonst wäre der Artikel zu erwarten, da es sich um eine bekannte Grösse
handeln würde. B. Reicke, a. a. O.
19 B. Reicke, a. a. O.
20 Gefäss in der Bedeutung Frau vgl. 1. Thess 4, 4; siehe S. 136, besonders
auch A.8.
21 2. Kor 4,7.
22 B. Reicke, a. a. 0., weist besonders darauf hin: Röm 9,21, das eine Gefäss
zur Ehre; 2. Tim 2,20: Gefässe, die einen zur Ehre; ferner 1. Kor 12,22 H.;
Irenaeus, Haer I, 21,5.
23 B. Reicke, a. a. O.

248
dass auch im Judentum der Mann verpflichtet war, seine Frau zu ehren,
d. h. ihr Kleider zu geben.24
Umso beachtlicher ist aber die schon vorhin erwähnte Begründung für
die Liebe der Männer in der Miterbenschaft des Lebens. Es hätte eigent-
lich nahegelegen, allein von der Schwachheit der Frau her zu argumen-
tieren. Wie eine solche Argumentation aussehen könnte, zeigt uns -
mutatis mutandis - 1. Kor 11, 7-9. Es ist die Grösse der Ermahnung an
die Männer, dass sie nicht in der alttestamentlichen Vergangenheit stek-
ken bleibt, sondern einen eschatologischen Bezug erhält. Die Erwähnung
der Tatsache des miterbenschaftlichen Verhältnisses zwischen Mann und
Frau weist hin auf jene Zeit, wo die Unterschiede zwischen Mann und
Frau aufgehoben sein werden (Mk 12, 25 par). Es ist die künftige Welt,
die hier ihren Schatten vorauswirft.

24 Vgl. unsern Exkurs, S.251. Einen ähnlichen Gedanken finden wir in 1. Kor
12,22 H.: Gerade die in sozialer und hierarchischer Hinsicht schwächeren Glieder
des Körpers, d. h. der Gemeinde, sollen mit Ehre umgehen werden.

249
Exkurs V: Schönheit, Schmuck und Kleidung in der jüdischen Umwelt
des N euen Testamentes und in der alten Kirche

Die Erwähnung des Schmuckes der Frauen im 1. Petrusbrief zeigte


uns, dass alle Aussagen und Anschauungen von jüdischen Vorstellungen
über diesen Gegenstand geprägt sind. Es ist darum nicht unnütz, wenn
wir uns kurz die Gegebenheiten vor Augen führen.! Denn sicher war
das jüdische Brauchtum für die meisten Christengemeinden besonders
dort, wo auch Judenchristen vertreten waren, normativ, wenn nicht klare
evangelische Weisungen entgegenstanden.
Auch die Israeliten besassen ihr männliches und weibliches Schönheits-
ideal. Vorbilder waren Adam und Eva, die man sich in Statur, Vernunft
und Schönheit als vollendet vorstellte.! Allgemein galten die Juden als ein
schönes Volk, besonders auch im Hinblick auf die Männer. Von R. Joa-
chanan wird erzählt, dass er sich an den Eingang des Badhauses setzte,
damit die Frauen sich an ihm versehen und dann schöne Kinder zur
Welt bringen könnten. Es wird auch berichtet, dass die' Jünglinge Israels
den Chaldäerinnen als ungewöhnlich schön erschienen und die Sonne
mit ihrer Schönheit beschämten. 3 Ein hoher Wuchs war Vorbedingung
für die Aufnahme ins Synhedrium. 4 Schwarzes, reichliches Haar (Locken-
haar) galt als unentbehrlich, ebenso natürlich der Bart.
Auch das weibliche Schönheitsideal war festgelegt. Die Frauen wer-
den als «schwarzhaarig»5 geschildert. Blondheit hatte Seltenheitswert. 6
Ferner verlangte man grosse Augen (also keine Schlitzaugen!), einen run-
den Kopf (keinen länglichen!), anliegende Ohren, keine eingedrückte
Nase und schwungvoll geschnittene Lippen. Von den Rabbinen wurde

1 Wir folgen in der Darstellung weitgehend den Ausführungen von S. Krauss,


Talmudische Archäologie 1-111, 1910-1912, wo das Material zusammengetragen
ist.
2 Man nahm an, dass sie etwa im Alter von 20 Jahren in die Welt getreten
seien. S. Krauss, a. a. O. I, S. 244 H. Auch die Israeliten besassen ihr männliches
und weibliches Schönheitsideal. Vorbilder waren Adam und Eva, die man sIch
in Statur, Vernunft und Schönheit als vollendet vorstellte.
3 b Sanh 92 b.
4 Wegleitend war die Vorstellung, dass der göttliche Abglanz nur auf einem
weisen, starken, reichen und hochgewachsenen Manne ruhen könne (b Sab 92 a;
72 a; b Sanh 17 a; b Ber 45 b).
5 Unter diesem Ausdruck ist wohl eher «braun» zu verstehen, da z. B. in
h Nidda 47 a die weibliche Brustwarze als «schwarz» bezeichnet wird.
6 Esther gehört zu den vier schönsten Frauen und gilt als blond (b Meg 15 a).

250
auch die Frauenschönheit anderer Völker neidlos anerkannt und zum
Anlass für die Lobpreisung Gottes des Schöpfers genommen.
Die Gefahr war natürlich gross, dass äussere Schönheit überschätzt
wurde. Wenn es heisst: «Drei Dinge machen den Menschen wohlgemut:
eine schöne Wohnung, eine schöne Frau und schöne Hausgeräte» 7, dann
muss man fast schliessen, dass die Frau nur als «Hausgegenstand» einge-
schätzt wurde. Die Auffassung war weit verbreitet, dass die Frau nur da
sei wegen ihrer Schönheit, um Kinder zu gebären und um weiblichen
Schmuck zu tragen. Allerdings brachte wohl das tägliche Leben von
selbst die nötige Korrektur, weil ja die Frau bestimmte Arbeiten für den
Mann verrichten musste; sie mahlt das Getreide, kocht, bäckt, wäscht,
richtet das Bett, säugt das Kind und macht Handarbeiten. Stammt sie aus
reichem Hause, dann bringt sie gewöhnlich Sklavinnen mit, die ihr diese
Arbeiten abnehmen.
Nach der überlieferung waren es die Töchter der Kainiten, die sich
zuerst schmückten und herausputzten, um die Männer zu verführen. Die-
ser negative Zug verschwand aber bei den Rabbinen später vollständig.
Sie loben im Gegenteil die Anwendung von Schmuck bei den verheirate-
ten Frauen. Diese waren direkt verpflichtet, sich für ihre Männer schön
zu machen. 8 Der Mann dagegen wird angehalten, den für die Frau pas-
senden Schmuck anzuschaffen. Allerdings wurde der eigentliche Schmuck
nur an Feiertagen getragen, wobei es sich um Perlenhalsbänder, Ringe,
Ohrringe, Spangen, Schellen an den Füssen, am Hals oder am Kleid,
usw. handelte.
Wie schon erwähnt, ist es eine Besonderheit des jüdischen Lebens, dass
unter den Begriff des Schmuckes nicht nur die Geschmeide fallen, son-
dern auch die Kleider und andere kosmetische Produkte. Der Mann soll
seine Frau lieben und ehren, d. h. er soll sie mit Kleidern und mit Schmuck
versehen. Als Begründung wird auf Ex 21, 10 f. verwiesen, wo ausdrück·
lich bestimmt wird, dass der Mann seiner Frau das Essen, die Kleidung
und den ehelichen Umgang schuldet. Im allgemeinen liebten die Frauen
wertvolle Kleider. Der Mann soll denn auch der Frau dasjenige Kleid
geben, das zu ihr passt. Also nicht einer jungen Frau das Kleid, das zu

7 b Ber 57 b.
8 Berühmt ist der Ausspruch der Rabbinen: Einer verheirateten Frau, ob sie
sich schmückt oder nicht, blickt nicht alles nach - Fluch über sie, wenn sie sich
nicht schmückt! Aber einer ledigen Frau, ob sie sich nun schmückt oder nicht,
blickt alles nach - Fluch über sie, wenn sie sich schmückt! (S. Krauss, a. a. O. I,
S. 198 f.). Wegleitend für die Aufzählung des Schmuckes wurde Jes 3,18-24, wo
der Brautstaat einer jüdischen Jungfrau beschrieben ist.

251
einer alten passt, und umgekehrt. Auch nicht Sommerkleider im Winter
oder Winterkleider im Sommer. Dabei soll der Mann an seine eigenen
Bedürfnisse zuletzt denken. 9
Was die Kleidung im einzelnen anbetrifft, so bestanden natürlich grosse
Unterschiede in Bezug auf die verschiedenen Volksschichten. Unter der
armen Bevölkerung herrschte eine Kleidernot, von der man sich nur
schwer eine zutreffende Vorstellung machen kann. lo Schwere Arbeiten
verrichteten Mann und Frau ohne Kleider, d. h. sie waren nur mit einem
Lendenschurz bedeckt. Die Frau konnte jedoch durch das Herablassen
ihrer Haare den Oberkörper verhüllen. Sie soll sich niemals ohne Kleider
in der tHfentIichkeit zeigen, auch wenn sie damit eventuell das Leben
eines kranken Mannes retten könnteY Darum wurde auch den Frauen die
Bitte um Kleider ohne lange Untersuchung erfüllt, während die Bitte um
Speise zuerst auf ihre Berechtigung hin geprüft werdenmusste. 12
In Bezug auf die einzelnen Kleidungsstücke herrschte grosse Einheit-
lichkeit. Für Männer und Frauen, ob arm oder reich, bestand ein voll-
ständiger Anzug für einen normalen Ausgang oder auch für einen feier-
lichen Anlass aus einem sack- oder hemdartigen Unterkleid, worüber ein
weites, faltenreiches Oberkleid gelegt wurde. 13 Neben dem Schuhwerk,
dem Gürtel und der Kopfbedeckung trugen die Frauen zusätzlich Auf-
putz und Schmuck, während die Männer sich mit Stab oder Waffe ver-
sahen. Wichtig für die Frauen war der Kopfbund, ein Stirnband, das von
einem Ohr zum andern reichte und das Haarnetz zusammenhielt. Die
Frauen liebten langes Haar, welches in Zöpfen kunstvoll um das Haupt
gelegt wurde. Das Lösen der Haare galt als äusserst schimpflich. 14

9 Der Mann spricht: Ich mag lieber nackt sein, nur kleide sich meine Frau!
jKeth 6, 5, 30 d. 32.
10 Auch bei verschiedenen Rabbinen war dies der Fall. R. Juda b. Illaj hatte
z. B. nur einen Rock zusammen mit seiner Frau, den sie abwechslungsweise
trugen. S. Krauss, a. a. O. I, S. 134 f.
11 b Sanh 75 a; dagegen wurde völlig nackt geschlafen: b Ber 24 a und b Sukka
10 b. Neben dem Bett liegen Sandalen und Ärmelrock, die anderen Kleider aber
zusammengefaltet unter dem Kopf. S. Krauss, a. a. 0.1., S. 518, A. 8. Mit Abscheu
wird berichtet, dass die Perser den Geschlechtsverkehr in Kleidern ausführen.
Bei den Israeliten wäre dies ein Scheidungsgrund. (Bar b Keth 48 a; Jalk Ex 21,
11, § 321).
12 S. Krauss, a. a. O. I, S. 128 f.
13 Über die spezielle weibliche Unterkleidung vgl. S. Krauss, a. a. O. I, S. 174
und S. 616, A.635.
14 Eine Ausnahme bildete die Braut, die zum Zeichen ihrer Jungfräulichkeit
am Hochzeitstag gelöstes Haar trug. S. Krauss, a. a. O. I, S.195.

252
Grosser Wert wurde auf Hygiene und Kosmetik gelegt. Zum Begriff
des Sich-Schmückens gehörte das Salben mit m als vorbeugendes Mittel
gegen Körpergeruch. Ferner war die Sitte des Schminkens im ganzen
Orient verbreitet und gelangte von da nach Griechenland und Rom. Eine
besonders wichtige Rolle spielte die Augenschminke. Auch die Haut-
pflege wurde nicht vernachlässigt. Die Frauen erstrebten die Entfernung
der Körperhaare.1 5 Diese Gewohnheit wurde wichtig für die Auslegung
von Dt 22,5. 16 Als Haarentfernungsmittel wurde Kalk und Myrrhenöl
verwendet. Vorbild wurde hier wieder die Gestalt der Königin Esther,
von der es heisst, dass sie ein halbes Jahr lang mit Myrrhenöl behandelt
worden sei (Esth 2, 12).
In der Urchristenheit hatte sicher anfänglich das ganze Problem des
Schmuckes und der Kleider keine grosse Bedeutung. Die Gemeinden
waren relativ klein und setzten sich vermutlich aus Leuten zusammen, die
nicht der privilegierten Schicht entstammten. Darum konnten Mahnungen,
auf äussern Schmuck und schöne Kleider zu verzichten, weitgehend unter-
bleiben. Dies änderte sich jedoch schlagartig, als die Gemeinden von der
zweiten Generation an sich vergrösserten und Angehörige des gehobenen
Standes zum Glauben kamen. Mit zunehmender geographischer Verbrei-
tung stiess das Christentum auch in begüterte Kreise vor, die sehr wohl
in der Lage waren, sich einen gewissen Luxus leisten zu können. So kann
es nicht verwundern, dass in den Pastoralbriefen und im 1. Petrusbrief
die Frauenwelt vor dem Gebrauch von Haarflechten, Gold, Perlen und
kostbarem Gewand gewarnt wird.
Es wäre nun sicher verkehrt, wenn man die Wurzel dieser Verbote in
allgemein-moralischen Erwägungen sehen wollte. Es ist nicht zutreffend,
wenn gesagt wird, dass der Putz reicher Damen die Aufmerksamkeit im
Gottesdienst störe, dass Frisuren, Gold und Perlen zu erotischer Begehr-
lichkeit verleiten könnten und dass durch den Reichtum gewisser Frauen
der Neid der ärmeren erweckt werden könnte. 17 Obwohl alle diese Ver-
mutungen nicht ganz am Kern der Sache vorbeigehen werden, so sind
15 S. Krauss, a. a. O. I, S. 240 f.
16 Dt 22, 5 wurde von den Rabbinen so verstanden, dass der Mann sich nicht
wie die Frau «herrichten» soll. «Der Mann schere sich nicht ab das Raa!" der
Achselhöhle, der Schamteile und des Gesichtes, um wie Frauen auszusehen»
(Trg Ps-Jon, z. St.; S. Krauss, a. a. O. I, S.694, A.305). Daneben gab es aber
auch noch weitergehende Deutungen von Dt 22, 5: Der Mann soll keine Augen-
schminke und keine andere Schminke verwenden und keine bunten Kleider
tragen (Bar b Nazir 59 a). Alle diese Vorschriften sind als Abwehr homosexueller
Praktiken zu verstehen.
11 So G. Roltz, Die Pastoralbriefe, 1965, S. 66 f.

253
doch die Mahnungen in erster Linie aus folgenden theologischen Motiven
erwachsen:
1. Die prächtigen Kleider werden darum bekämpft, weil der wahre
Schmuck der Christen in ihren guten Werken bestehen soll. Dieser Grund-
satz ist in der frühchristlichen Literatur sehr oft zu belegen. 1B So wird im
Martyrium des Polykarp berichtet, dass der Märtyrer vor der Verbren-
nung seine Kleider ablegt, weil er mit keinem andern Schmuck angetan
sterben will als «bekleidet» mit seinen guten Werken. n
2. Eng mit dieser Vorstellung verbunden 20 ist die andere, dass der
Schmuck im Kult keinen Platz hat. Wenn man vor Gott tritt, dann musste
alles andere nebensächlich werden. H. W. Bartsch weist auf Bestimmun-
gen in alten Kirchenordnungen hin, welche besagen, dass sich die Frauen
ihres Schmuckes entledigen müssen, bevor sie in das Bad der Taufe stei-
gen. 21 Das heisst aber implizit, dass die Frauen die Gewohnheit hatten,
sich zu schmücken. «In der Taufe aber wird dem Täufling der Geist
Gottes vermittelt, darum muss er den Schmuck vorher ablegen.»22
Es kann nun kein Zweifel darüber bestehen, dass diese ursprünglich im
gottesdienstlichen Leben beheimateten Vorstellungen in den Alltag hin-
überwirkten. So werden z. B. in der Syrischen Didaskalia die Vorschriften
über Kleider und das sittsame Verhalten der Frau verallgemeinert und lassen
keinen besondern Bezug zum Gottesdienst mehr erke~nen.23 Auf der an-
dern Seite geht die Beeinflussung auch in umgekehrter Richtung. All-
gemeingültige bürgerliche Verhaltensweisen (6 3tQE3tCL) werden konstitutiv
für den gottesdienstlichen Bereich. Die christlichen Gemeinden erlagen
in Bezug auf die Kleiderfrage den Einflüssen der Umwelt. überall in den
hellenistischen Kulten wurde vor Luxus gewarnt. Konnten sich die christ-
lichen Gemeinden diesem allgemeinen Trend entziehen? Wohl kaum!
Als heidnisches Beispiel seien hier die Vorschriften der Mysterien-
gemeinde in Andania auf dem Peloponnes genannt:
«Die Frommen, die die Mysterien feiern, sollen barfuss gehen und
weis ses Gewand tragen, die Frauen Kleider, die nicht durchscheinend

1B 1. elem 2, 8; 33, 7; 43, 7: Ignatius, Eph 9, 2: Diogn 12, 1; Henn Vis IV, 2, 1;
Sim IX, 1,10 und 28,1; H. W. Bartsch, Die Anfänge urchristlicher Rechts-
bildungen, 1965.
19 13, 2.
211 H W. Bartsch, a. a. 0., S.63 macht darauf aufmerksam, dass dem Martyrium
in jener Zeit ein sakramentaler Wert zukam.
21 A. a. 0., S. 63.
2)! H. W. Bartsch, ibid.

23 H. W. Bartsch, a. a. 0., S. 66.

254
sind und deren Säume nicht mehr als Halbfingerbreite haben; und zwar
sollen die Laienfrauen ein leinenes Unter- und Oberkleid, nicht mehr
als 100 Drachmen Wert, haben, die Mädchen ein linnenes oder baum-
wollenes Untergewand und ein Obergewand, nicht mehr als eine Mine
(= 100 Drachmen); die Sklavinnen ein linnenes oder baumwollenes Un-
terkleid und ein Oberkleid nicht mehr wert als 50 Drachmen; von den
heiligen Frauen, die an der Leitung teilhaben, die Verheirateten ein linne-
nes oder sonstiges Unterkleid, das nicht schillert, und ein Oberkleid, nicht
mehr wert als zwei Minen, die Mädchen ein linnenes Unterkleid und
Oberkleid, nicht mehr wert als 100 Drachmen ... keine soll Goldschmuck
oder rote oder weisse Schminke oder eine Haarbinde oder eine kunstvolle
Frisur oder Sandalen tragen, ausser solchen von Filz oder aus Leder von
Opfertieren ... wenn eine Frau sich anders kleidet als vorgeschrieben ist,
oder sonst etwas Verbotenes trägt, so soll der Frauenaufseher es nicht
gestatten und das Recht haben, sie zu rügen; das Verbotene soll den
Göttern verfallen sein.»24
Von hier aus wird es verständlich, dass auch im Neuen Testament vor
Luxus gewarnt wird. Allerdings ist zu beachten, dass kein direktes Ver-
bot des Schmückens ausgesprochen wird. Wohl aber finden sich Ermah~
nungen, den äussern Schmuck nicht überzubewerten. Man soll «den ver-
borgenen Menschen des Herzens in dem unvergänglichen Wesen des
sanftmütigen und stillen Geistes» pflegen (1. Petr 3, 4). Denn nach alt-
kirchlicher Anschauung ist «die Liebe zum Schmuck eine Besonderheit
nicht der Frau, sondern der Hetäre».25

24 Zitiert nach G. Holtz, a. a. 0., S.67 (J. Leipoldt, Die Frau in der antiken
Welt und im Urchristentum, 1954, S. 50 f.).
25 Clemens v. Alexandrien, Paidag III, 2; G. Holtz, a. a. 0., S.67.

255
IV. ERGEBNISSE

Wir hatten uns die Aufgabe gestellt, alle wichtigen Ehetexte des Neuen
Testamentes zu untersuchen. Dabei standen exegetische Fragen im Vor-
dergrund; systematische Erwägungen mussten zurücktreten. Die Reich-
haltigkeit des Stoffes erfordert es aber, dass wir zum Abschluss doch
noch die wichtigsten Ergebnisse festhalten. Dabei denken wir nicht zuerst
an die Resultate der einzelnen Abschnitte (wir waren bemüht, jeweils am
Ende eines Abschnittes das Wesentliche herauszustellen, wo dies nicht im
Verlaufe der Darlegungen klar geworden wad), sondern es handelt sich
hier um die Zusammenstellung der Grundstrukturen, also um diejenigen
Ergebnisse unserer exegetischen Untersuchungen, die heute wegleitend
sein müssten für eine neu zu formulierende neutestamentliche Lehre von
der Ehe.
Zudem erhalten wir die Möglichkeit, hier einige Gedanken zu äussern,
die in den vorhergehenden Abschnitten nicht untergebracht werden konn-
ten, aber nun hier ihren Platz finden sollen.

257
A. Ehe

1. Nirgends im Neuen Testament finden wir eine systematisch aufge-


baute Ehelehre. 1 Auffällig ist, dass anderseits Verschiedenes fehlt, was
in einer normalen Ehelehre unbedingt erwähnt sein müsste:
a) Es fehlt jedes Wort gegen die polygame Eheform. Wenn auch
faktisch monogame Verhältnisse vorausgesetzt werden, so ist doch keine
klare Absage an die Polygamie erteilt.lI
b) Es fehlen gesetzliche Bestimmungen über den Eheschluss. Man muss
annehmen, dass die Christen entweder jüdisch oder heidnisch heirateten.
Dies ist erstaunlich, da ja gerade die Heirat mit religiösen Vorstellungen
aller Art verbunden war.
Es ergibt sich aus diesen Beobachtungen, dass das Neue Testament
offenbar nicht primär an ehegesetzlichen Bestimmungen interessiert ist.
Die alten Formen werden mit einem neuen Geist gefüllt.3 Erst in nach-
neutestamentlicher Zeit werden neue Formen geschaffen; z.B. eine eigene
Form für die Eheschliessung.
2. Die Ausserungen Jesu zur Ehe liegen genau auf dieser Linie: kein
neues Ehegesetz verkündet er, aber er betont den Willen Gottes in Bezug
auf die Ehe. So gibt das Streitgespräch über die gesetzliche Ehescheidung
(Mk 10, 2 ff., par) Jesus den Ansatzpunkt für eine Ehebelehrung. Die
Forderung, dass der Mensch die Ehe nicht scheiden soll, will Jesus als
Hinweis auf den Ernst und die Grösse der Ehe verstanden wissen. Jesus
bleibt mit seiner Ansicht durchaus im Rahmen des Judentums; aber er
lehnt die gängige jüdische Ehescheidungspraxis ab mit dem Hinweis auf
die Schöpfertat Gottes. Nach Jesu Meinung darf jedes Ehepaar sich auf
Gottes Tat berufen, denn Gott hat beide «zusammengefügt». Diese Tat
Gottes macht die Forderung J esu erst sinnvoll.
3. In der Gemeinde des Markus entsteht nun die Frage, wie die For-
derung Jesu sich mit der Wirklichkeit verträgt. Die Antwort wird ge-
geben in der Komposition von Mk 10, 1-12. Zwei ganz verschiedene
Dinge werden hier zusammengekoppelt: a) die Forderung Jesu als Er-

1 Auch 1. Kor 7 ist nicht in diesem Sinn gemeint. Vgl. unten!


II Es wird immer wieder behauptet, dass die Formulierung «die zwei werden
ein Leib sein» Mk 10, 8 par. eine Begründung der monogamen Eheform dar-
stelle. Unsere Untersuchung hat aber gezeigt, dass die Zusammenstellung der
beiden Zitate Gen 2, 24 und 1,27 in der jüdischen Auslegungstradition ihren
Grund hat und nicht auf die Monogamie, sondern auf die Unscheidbarkeit der
Ehe hinzielt.
3 Siehe z. B. die Haustafeln!

258
gebnis des Streitgesprächs (<<soll der Mensch nicht scheiden» Mk 10, 9)
und b) die Feststellung, dass die Ehe gar nicht geschieden werden kann
(Mk 10, 11 f., par). Es spiegelt sich hierin das Problem, wie sich die
Forderung, welche sich an die Jünger richtet, verträgt mit der Wirk-
lichkeit, welche nach einem Ehegesetz verlangt. Markus versteht es, durch
seine Komposition die Spannung zwischen Forderung und Gesetz durch-
zuhalten. Beide heben sich nicht auf, sondern interpretieren sich gegen-
seitig. Markus will die Gemeinde davor bewahren, einerseits die Forde-
rung Jesu zu individualisieren und damit der letzten Verbindlichkeit zu
berauben, anderseits aber auch davor, das Herrenwort Mk 10, 11 f. bereits
in gesetzlichem Sinn misszuverstehen.
4. Matthäus formt gegenüber Markus deutlich im lehrhaften Sinn um.
Sachfragen treten in den Vordergrund. Besonders auffällig ist seine Zu-
ordnung des Eunuchenspruches (Mt 19, 10 f.) zu der ganzen Perikope. Es
spiegelt sich hier bereits eine Akzentverschiebung wieder, die eine Wer-
tung enthält: Die Ehe ist etwas Unerhörtes, etwas Schweres. Das Pro-
blem der Ehelosigkeit kommt in Sicht. Der historische Ort des Eunuchen-
spruches ist sicher im Leben Jesu zu suchen und zu finden. Sehr wahr-
scheinlich handelte es sich um den Vorwurf an Jesus, er sei ein Eunuch,
weil er ehelos lebte! Obwohl ursprünglich nicht so gemeint, liegt die Ge-
fahr nahe, dass der Eunuchenspruch zur Höhereinschätzung der Ehe-
losigkeit missbraucht wird. Jesus stellte sich dagegen sicher ganz positiv
zur Ehe.
5. Auch bei Paulus liegt keine negative Einschätzung der Ehe vor,
wie die Einzeluntersuchung deutlich gezeigt hat. Denn die Xusserungen
in 1. Kor 7 sind alle situationsbedingt und darum nur indirekt syste-
matisierbar. Dabei antwortet Paulus auf die ihm gestellten Ehefragen
durchgängig von seinen jüdischen Vorstellungen und Voraussetzungen
her, was die Einzelheiten der Eheführung betrifft. Grundsätzlich neu bei
ihm ist aber der eschatologische Bezug der Ehe. Insofern denkt Paulus
ganz unjüdisch. Nicht mehr die Sicherung der Nachkommenschaft ist der
Zweck der Ehe, sondern die Ehe wird vom Ziel des Lebens her konzipiert.
Dieses Ziel heisst Gott dienen. Allerdings gehört auch für Paulus die Ehe
zur Gestalt dieser Welt, wie für Jesus (Mk 12, 25). Diese Welt vergeht;
mit ihr die Ordnung der Ehe. Obwohl die Ehe dieser vergänglichen Welt
angehört, sollen aber die Christen die Ehe «brauchen». Sie ist aber nicht
mehr das schlechthin Gebotene, sondern eine Möglichkeit, um Gott zu
gefallen. Eine andere, sogar noch bessere Möglichkeit, bietet der ehelose
Stand (vgl. unten über Ehelosigkeit). Bei Paulus trägt die Ehe ihr Ziel

259
nicht mehr in sich selber. Paulus sagt wohl, dass der Mann z. B. ver-
suche, der Frau zu gefallen, aber es ist zu beachten, dass auch dieses
Verhalten dazu dienen muss, dass beide - Verheiratete und Ehelose -
«ohne Ablenkung beim Herrn verharren», d. h. eben Gott dienen. Der
Verheiratete dient Gott mittelbar, indem er seinem Ehepartner dient.
(Insofern ist er gegenüber dem Ehelosen, welcher Gott unmittelbar dient,
benachteiligt!) Es lässt sich von der paulinischen EheauHassung her eine
«Familien- oder Eheplanung» im modernen Sinn begründen, insofern das
Ziel dieser Planung Gott ist. Paulus stellt die Ehe in den Dienst Gottes.
Die hohe Wertung der Ehe in den Augen des Paulus zeigt sich auch in
der Frage der Mischehe, von der Paulus sehr optimistisch denkt. Der
heidnische Teil wird von dem christlichen in die Sphäre der «Christus-
heiligkeit» miteinbezogen und dies allein auf Grund der Ehe als Insti-
tution. Hier finden wir wohl Vorstellungen sich Bahn brechen, die in
letzter Konsequenz zu den Aussagen des Epheserbriefes führen.
6. Ein weiterer Schritt in Bezug auf eine Ehelehre findet sich in den
sog. Haustafeln (Kol 3, 18-4,1; Eph 5,22-6,9; 1. Tim 2, 8-15; 6,1.2;
Tit 2, 1-10; 1. Petr 2, 13-3, 7). Hier wird profanes Material aus der neu-
testamentlichen Umwelt übernommen und schlagartig in die christliche
Paränese integriert. Nur wenn ganz gewichtige Gründe entgegenstehen
(1. Thess 4, 3-8!), werden eherechtliche Bestimmungen der Umwelt ab-
gelehnt. In Bezug auf die Ehe ist in den sog. Haustafeln das beherr-
schende Moment die Unterordnung der Frau, welcher die Liebe des
Mannes entsprechen soll. Ganz neu ist gegenüber dem übernommenen
Gut die Motivierung solchen Verhaltens. Es wird nicht mehr von der
Schöpfung her (ev. auch naturrechtlich!) begründet (so noch 1. Kor 11 und
1. Tim 2, 13!), sondern von der Würde der Gemeinde her (Tit 2,5; damit
das Wort Gottes nicht gelästert werde!); oder vom Missionsauftrag her
(1. Petr3, 1: damit sie durch den WandeL .. gewonnen werden!); oder
es wird streng christologisch argumentiert (Eph 5, siehe unten!).
7. Die christologische Begründung der Unterordnung und Liebe in der
Ehe ist entscheidend. Nur von Eph 5, 22 H. her lässt sich legitim eine
christliche Ehelehre aufbauen. Denn hier wird nicht einfach die Ehe als
Schöpfungsordnung verstanden (wie bei Jesus!), sondern mit dem Chri-
stusgeschehen verbunden, und so gerade ihr wahres, schon in der Schöp-
fung beabsichtigtes Wesen enthüllt. Die Exegese hat gezeigt, dass die
katholische Auffassung der Ehe als Sakrament nicht begründbar ist. Aber
auch das Schema Vorbild - Abbild kann nicht befriedigen, wenn es sich
darum handelt, den Sachverhalt richtig wiederzugeben. Wir haben ge-

260
sehen, dass uns vielleicht der Begriff der Repräsentation weiterhelfen
kann. Wie die Gemeinde als solche den Christus auf dieser Erde reprä-
sentiert, so repräsentiert oder vergegenwärtigt die Ehe der Christen das
Christusgeschehen unter den Menschen.

261
B. Ehescheidung

1. Jesus hat im Streitgespräch über die Ehescheidung (Mk 10, 2 ff., par)
die Forderung erhoben, dass die Ehe nicht geschieden werden soll. Wir
haben bereits gesehen, dass diese Forderung nicht für sich allein genom-
men werden darf, sondern sie gehört in den Gesamtzusammenhang der
Botschaft Jesu (Bergpredigt!). Das bedeutet, dass Jesus diese Forderung
nicht gesetzlich versteht, sondern sie soll den wahren Gotteswillen ent-
hüllen. - Ähnlich verhält es sich mit dem Herrenwort Mk 10,11 par. Wir
konnten wahrscheinlich machen, dass sich in diesem Wort eine Stellung-
nahme Jesu zur Affäre zwischen Herodes und Herodias erhalten hat.
(Lk 16,18, die wohl älteste Form des Wortes, findet sich heute im Kon-
text mit Spruchgut, welches mit Johannes dem Täufer zusammenhängt!)
Dann würde Jesus den «Fall Herades» benützen, um klar zu machen,
worum es in der Ehe geht: die Ehe kann gar nicht geschieden werden, sie
kann nur gebrochen werden. Die Scheidung ist nicht nur unmöglich, sie ist
Sünde. Wieder will Jesus damit aber nicht ein Ehegesetz geben, son-
dern die Grösse und Heiligkeit der Ehe herausstellen.
2. Die Entwicklung in der ersten Gemeinde läuft zwangsweise in der
anderen Richtung. Man will aus den Äusserungen Jesu Weisung für das
alltägliche Leben gewinnen; das Herrenwort wird im Sinn eines Ehe-
gesetzes interpretiert. Für jüdisches Denken (und die erste Gemeinde be-
stand aus Judenchristen!) war aber offenbar das Herrenwort zu stark; es
wurde in kasuistischer Weise erleichtert. Der Akzent wurde auf den
Zusatz «und eine andere heiratet» oder auf die Bestimmung «wer eine
Geschiedene heiratet» verlegt. Schon bei Lukas, wo wir wahrscheinlich
die älteste Form des Herrenwortes finden, zeichnet sich ein solches dif-
ferenziertes Verständnis ab. Die Sünde wird zuletzt nicht mehr allein
in der Scheidung, sondern in der Wiederverheiratung gesehen. Man kann
so oder so interpretieren. Dieses gesetzliche Denken spiegelt sich in den
verschiedenen Varianten des genannten Herrenwortes, die alle als An-
passung an die veränderten sozialen Verhältnisse zu verstehen sind,
3. Einen Sonderfall bietet Matthäus. Die sog. Unzuchtsklauseln (19,9;
5, 32) stellen im Grunde genommen eine Absage an die rabbinische Ka-
suistik im Zusammenhang mit Proselytenehen dar. (Der historische Ort
dieser Klauseln ist in der Auseinandersetzung der Gemeinde [oder Jesu?]
mit den rabbinischen Ehebestimmungen für Proselyten zu suchen!) Sobald
aber dieser Hintergrund verloren ging (z. B. in einer veränderten Um-
welt!) wurden die Klauseln nicht mehr verstanden und trugen nun ihrer-

262
seits zur Entstehung einer christlichen Kasuistik in Bezug auf die Ehe-
scheidung viel bei.
4. Paulus entscheidet sich wohl in vielen Stücken ähnlich wie die Ur-
gemeinde. Er kennt (und anerkennt) das Herrenwort über die Eheschei-
dung, lehnt darum prinzipiell eine Ehescheidung ab (1. Kor 7, 10 f.).
Faktisch jedoch gesteht er sie zu, allerdings nicht unter Christen, aber
in einer «Mischehe» (1. Kor 7, 15). Wer schon vor dem Beitritt zur Ge-
meinde geschieden war, soll bleiben wie er ist, oder dann den früheren
Ehepartner wieder heiraten. Eine andere Art von Wiederverheiratung
wird offenbar abgelehnt. Ferner ist die Scheidung möglich, wenn in einer
Ehe der unchristliche Teil diese betreibt. Die Begründung dafür ist neu
und beachtlich: der nichtchristliche Teil bleibt im alten Äon zurück! So-
mit ist eine solche Scheidung letztlich in dem eschatologischen Ehever-
ständnis des Paulus begründet. Eine solche Scheidung entspricht dem
Willen Gottes (Der Bruder oder die Schwester sind nicht geknechtet;
in Frieden hat uns Gott berufen! 1. Kor 7,15). Paulus redet hier ähnlich
wie Jesus (Lk 18,29 f.).
5. Paulus versteht also das Herrenwort gegen die Ehescheidung nicht
gesetzlich. Er folgt ein Stück weit der Praxis der Synoptiker, die das
Wort ebenfalls «anpassen». Er kann eine Scheidung unter den oben ge-
nannten Bedingungen erlauben, weil es ein Mittel gibt, um das Abgleiten
ins Bodenlose zu verhindern: das Verbot einer Wiederverheiratung
(1. Kor 7,11). In einer Umwelt, wo ein Geschiedener in selbstverständ-
licher Art und Weise sofort wieder heiratet, muss dieses Verbot eine
grosse Bedeutung gehabt haben. Es zeigt die Tragweite einer Scheidung
auf, indem der Geschiedene ehelos und damit «gezeichnet» bleibt.
6. Man kann sich fragen, ob unter den veränderten Umständen die
heutige Christenheit nicht ähnlich reagieren müsste wie die ersten Ge-
meinden. Eine gesetzliche Handhabung des Ehescheidungsverbotes im
N amen des Evangeliums ist abzulehnen als eine nicht der eigentlichen
Intention des Neuen Testamentes entsprechende Lösung. Ebenso ist aber
das Verbot einer Wiederverheiratung (nach der Scheidung) nur ver-
ständlich aus der damaligen soziologischen Gesellschaftsstruktur. Wir
dürfen es ebensowenig gesetzlich verstehen wie das Ehescheidungsverbot
selbst. Sondern es würde sich darum handeln, dass wir - analog zum
Vorgehen der ersten Gemeinde - Massnahmen treffen, die uns die Grösse
und Schönheit der Ehe, aber auch die Tragweite einer allfälligen Ehe-
scheidung ins Bewusstsein rufen.

263
C. Ehelosigkeit

1. Im Neuen Testament steht nicht mehr die Sicherung der Nach-


kommenschaft als Sinn der Ehe im Vordergrund. Die familia Dei (Mk 3,
31-35) tritt neben die natürliche Familie. Darum kommt auch die Ehe-
losigkeit als eine neue Lebensmöglichkeit ins Blickfeld. Wichtig ist Gal 3,
26-28, wo Paulus unter deutlicher Anspielung auf die erste Schöpfung
sagt, dass in Christus kein Unterschied mehr sei zwischen Mann und Frau.
Damit ist der Weg frei in der Gemeinde für das gleichberechtigte Wirken
aller.
2. Jesus redet im sog. Eunuchenspruch (Mt 19, 10 ff.) von der Eheuntaug-
lichkeit einiger, die vom Reich Gottes ergriffen sind. Wir haben gesehen,
dass Jesus wohl mit diesem Wort auf sich selbst anspielt (vgl. oben
S. 259). Eheuntauglichkeit um des Reiches Gottes wil1en meint nicht ein-
fach Ehelosigkeit als Opfer und Verzicht, sondern stellt einfach fest, dass
die Freude am Reich Gottes so gross werden kann, dass daneben alles
andere unbedeutend wird, auch die Lebensordnung der Ehe.
3. Paulus selbst lebt ehelos (1. Kor 7, 7). Neu ist, dass ehelos nicht mit
unserem Begriff «ledig» gleichgesetzt werden muss, sondern dass darun-
ter auch die verwitweten Menschen verstanden werden. Ob Paulus zudem
noch die Geschiedenen dazurechnen würde, bleibt unsicher. Ehelosi.gkeit
ist für Paulus kein Makel mehr wie im Alten Testament, sondern im
Gegenteil eine ausgezeichnete Möglichkeit, Gott direkt zu dienen
(1. Kor 7, 34). Paulus sieht in seiner eigenen Ehelosigkeit einen Vorzug.
Er betrachtet sie als eine Gnadengabe, wobei er aber nicht die Ehelosig-
keit an sich meint, sondern die ihm durch seine Ehelosigkeit gegebene
Möglichkeit, für Gott mehr zu wirken, als es ihm sonst vergönnt wäre.
Er gibt allen Gemeindegliedern den seelsorgerlichen Rat, wenn möglich
ehelos zu bleiben wegen der Drangsale der angebrochenen Endzeit
(1. Kor 7,26). Seine Hochschätzung der Ehelosigkeit ist also rein eschato-
logisch bedingt, und hat nichts zu tun mit einer wesensmässigen Be-
wertung.
4. Gerade im Hinblick auf die frühkirchliche überschätzung der Ehe-
losigkeit, welche sich im Anschluss an Mt 19, 10 ff. breit machte (vgl. das
Virginitätsideal Apk 14, 4!), ist es bemerkenswert, dass Paulus die Ehe-
losigkeit konsequent von ihrer Funktion im Gemeindeleben her wertet.
Auch wir müssen heute in dieser Richtung weiter vorgehen und der
Ehelosigkeit jeden asexuellen Beigeschmack nehmen. Dazu würde ge-
hören, dass wir auch die Geschiedenen, welche allein stehen, zu den Ehe-

264
losen rechnen und ihnen alle Vorteile zugänglich machen, welche ihnen
dieser «Stand» bieten kann. Zudem wäre zu fragen, ob wir in der Rich-
tung, in der uns Paulus gewiesen hat, nicht weitergehen müssten: Ehe-
losigkeit nicht nur als eine geistliche Berufung, sondern unter den heuti-
gen soziologischen Verhältnissen (Emanzipation und BerufstätigkeIt der
ehelosen Frauen, Abbau der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur), eine
auch von der Kirche anerkannte, profane sinnvolle Lebensform.
5. Dass sich im Protestantismus eine überbewertung des Ehestandes
breit machen konnte, ist dem Schwund des eschatologischen Bewusstseins
zuzuschreiben. Es scheint, dass die Einschätzung der ehelos lebenden Ge-
meindeglieder in den protestantischen Kirchen einen untrüglichen Grad-
messer darstellt für die Rolle, welche die Endzeit in unserem Glauben
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ZimmerliW., 1. Mosel-11. Die Urgeschichte, Zürich 1943.

273
B IBELSTELLENVERZEICHNI S

Die Ziffern geben die Seiten an, die kursiv gedruckten jene Seiten, wo sich eine
ausführliche Besprechung der genannten Stelle befindet.

Altes Testament 35 25
28,9 29
29,20 26
Genesis 23 29
27 26
1,27 ff. 24
28 29
27f. 22 ff.
30,1 24 f.
27 45, 50, 52, 54 If., 258
4 25,29
28 160
2,7 231 f. 9 29
11 H. 25
15-17 19
12 26
18-25 19 ff., 23, 54
38,6 25
18 156
8 27
21 H. 231 f.
39,1 104
23 230
41,45 28
24 23,36,45,50,52,54 ff.,
83,85,201,230,233,258
3 238 Exodus
7 20
8 29 2,16 H. 25
15 20 21 f. 27
16 222 21 28
4, 19-23 29 19, 15 204
6,18 28 20,14 114
7,9 55,57 17 116
16, 1 ff. 26 21,4 H. 26
18,2 127 10 f. 251
12 246 10 31, 158, 160
23,3 75 22, 15 f. 25
24 26,28 31, 18 127
2 25
50 50
53 26 Levitikus
58 26
60 24 17-26 141
61 26 17,8f. 92
65 26 10-12 92
26,34 29 13 92

274
18 99,101 Josua
4 137
6-18 93, 141 15, 16 25
6-24 141 19 26
7-18 27
16 71 Richter
19-23 93
30 137 1, 12 25
19,2 141 5,30 26
10-21 141 8,30 30
20,10 123, 128 10,4 29
11 f. 27 18 222
21 71 11,8 222
21,7 39 12,9 29
13 30 14 29
14 27,34 14,2 25
22,3 160 3 26
13 34,39 4 50
24 f. 104 11 26
12 26
17,3 135
Numeri 19,25 31
5,11-31 115 21, 19 H. 26
12, 1 28
15,39 115 Ruth
36,5-12 27
1, 14 28
2,7 H. 25
Deuteronomium 3,9 26
9, 10 127 4, 10 28
10, 16 45,48 13 28
14,3 H. 34
17, 17 30,55 1. Samuel
21,15-17 30 f.
22,5 253 1 f. 29
13-19 34 1,6 H. 24f.
22 25,38,123,128 14,50 29
23 f. 123, 128 17,25 25
28 f. 34 18,20 26
23, 1 lO4 25 25
14 161 21,5 204
24, 1-4 33 If., 46, 47, 25,44 26
52,74,85
1 38,44,47,61,89 2. Samuel
3 44
25,5-10 27 3, 7 29,31
11 f. 117 12,8 31
28, 13 222 16,21 f. 31

275
1. Könige Psalter
9, 16 26 79,6 137
11,3 30 127,4 f. 24
128,3 28
2. Könige
25, 19 104 Sprüche (Prov)
5,18 f. 25,28
12,4 28
1. Chronik
18,22 28
2,34 f. 27 19,14 28,50
2,9 29
21 29
4,5 29 Prediger (Koh)
18 29 9,9 28
8,8 29 31,10 H. 28

2. Chronik
Hoheslied
11,21 30
13,21 3,11 26
30
24,3 29
Jesaja
Esra 1,15 117
2,61 27 3, 18-24 251
10, 11 H. 32 8,3 28
47,9 25
49, 14 32
Nehemia 54,4 H. 32
4 32
2,6 30 6 34
7,63 27 8 32
13,23 H. 32 56,3-5 104
60, 15 32
Esther 61,10 26

1,11 136
2,3 30 Jeremia
12 253
3, 1 32
14 30,102
6 H. 29
6 32
Hiob 12 32
4,4 45
13, 1 117 9,2 31
24, 15 115 10,25 137

276
17,13 125 Weisheit (Sap)
18,21 25
31,32 31 8,21 163,204
38,23 30

Ezechiel N eues Testament


3, 7 45,48
11,19 f. 48 Matthäus
16 32
18 26 1,20 117
32 116 22 83
38-40 123 24 117
23 32 3,7 ff. 81
2 29 4,25 75
4 29 5, 18 80
24, 16-18 28 20 123
36,26 48 21-48 80,113
21 113
Daniel 22 116
27 ff. 125
5,2 f. 30 27-32 112 ff.
23 30 27 113
28 117
29-30 117
Hosea 29 108
1,2 31 30 108
31 117
32 59,61,62,67,68 f., 86,
Maleachi 87 f., 142, 262
33 113
2,11 114 38 113
14 32 43 113
16 33,37 6,25 H. 174
33 107
Tobit 7,29 110
8,11 H. 95
7,14 26 11 83
8,6 H. 37 9, 15 228
20 117
10,17 248
Jesus Sirach 11,1 110
H. 72
7,23 26 19 108
31 135 12,5 83
16,10 45 6 83
18,30 204 15 111
36,24 137 36 83

277
38 123 Markus
13,33 117
44 107 1,44 48
45 107 2, 10 132 .
53 110 13 76
14,3 f. 71 3,20 f. 76
3 117 31-35 43,264
12 f. 72 5,21 76
15 83 6,3 49
15,1 123 11 48
16,1 83 18 71
17,10 83 35 83
12 83 7,2 ff. 46
22 226 22 43
35 184 24 75
18,8 f. 113,117 8,11 44, 83
25 117 16 49
19, 1-12 110 ff. 38 43
1-9 82 ff. 9,5 46
1 75,110 11 83
2 111 29 153
3 44 30-50 44
5 45,230 30-32 73
8 45,83 33-10,3173
9 59, 60, 67, 68, 86, 33 76
87 ff., 142,262 35 75
10-12 64,73,102 ff., 167,264 43-48 113
10 f. 43 108
259
45 108
19,10 156
11 ff. 47 108
206
12 103 ff.
10-12 59 ff., 74
21,4 83 166,189,258
16 83 1 75 ff.
35 123 2-9 44 ff., 74, 76, 84,
43 95 130,258,262
23,2 123 3 83
5 246 7 230
37 123 8 258
24,21 45,83 9 83,148,259
38 176 10-12 59 ff., 74
25,6 83 10 73f·
26,2 226 11 f. 65 If., 259, 262
29 83 11 46,52,69
27,2 226 12 190
18 226 17 ff. 131
26 226 20 131
55 117 25 64
28,19 f. 95 32-34 73

278
51 46 4,42 224
11,21 46 7 121
12,4 123 7,53-8,11 1201f.
12 49 8,3-9 124 fI.
13-17 45,53,127 10-11 131 f.
13 44 15 121
15 44,125,172 12,36 81
18-27 43 13 128
25 172,176,249,259 16,33 169
37 76 21, 18 f. 225
13,17 43 25 121
19 45,83
14,45 46
16,14 48
Apostelgeschichte

3 245
Lukas
4,31 161
7,58 f. 123
3,19 71
12, 12 161
6,7 123
14,5 123
7,36-50 132
22 238
11,53 123
15,20 92, 142
13,34 123
23-29 148
14,26 64
28 f. 92".
16, 1-31 78
29 142
8 81
21,25 92, 142
14-18 78
26 244
1H. 78, 79
24, 16 204
15 79
25 204
16-18 78 ff.
26,29 90
16 f. 72
16 79
18 59, 60 ff., 65, 67, 68, 69,
70, 73, 78 If., 190,262 Römer
29 ff. 79
17,27 176 1,26-32 141
18,29 f. 193,263 3,28 169
19,29 64 6,4 194
20,46 246 7,1 ff. 79
21,36 160 2 193
37 123 9,21 248
22,39 123 12, 1 194
13, 1 ff. 185
1 210
Johannes 5 210
14,2 f. 206
1, 13 176 15, 16 194
27 128 22 247

279
1. Korinther 18-24 150
18 192
1,2 194 20 150
11 155 21-24 151
12 156 25-40 152
3,4 156 25-35 152,167 ff.
15 238 25 156,188 f.
21 168 26 167,187,264
22 169 27 64, 167
5,1 H. 197 28 166 f., 186
1 100, 136, 142 29-31 150
4 189 29 188
9-13 148 32 188
9 197 34 264
11 197 35 188
6,1 ff. 185 36-38 152,175 ff.
1 137 38 166 f.
8 153 39 f. 152,186 f.
9-11 201 39 183,193,240
9 134, 148 40 188
11 194,201,227 8, 1-13 148
12-20 141,148,157,197 ff. 1 156
12 156 4 156
15f. 195 9,1 ff. 207
18 136, 153 1 156
19 147, 172 24-27 166
7 183, 208 f., 258 f. 25-27 204
1-7 150, 153 ff., 170 10,8 197
2 136,140,221 11 167,170
5 184 f., 205 23 200
5f. 208 25 f. 168
6 188 11 260
7 187 f., 264 2 ff. 185,236
8-16 186 ff. 2f. 228
8-9 150,186 f. 2 244
8 167,187 f. 7-12 19
9 157,204 7-9 249
10-11 150, 187 ff., 263 7 188
10 45,90,166 20-29 248
11 263 12,1 156
12-16 150,191 ff., 234 7-10 155, 164
12 188 f. 12 222
13 ff. 244 22 H. 248f.
14 166 26 f. 222
15 263 13,1 248
17-24 151 14,34 237
17-20 151 15,12 156
17 188 24 168

280
27f. 2lO 32 233
16,20 182 33 220
6,1 ff. 218
1 219
2. Korinther 3 219
18 160
4,4 167
7 136,248
11,3 22,238 Philipper
12,21 136, 197 4,3 f. 207
8 211,244
Galater
Kolosser
1,4 167, 169
2,1-lO 94 1,18 222
6 94 2, lO 222
3, 7 246 12 194
26-28 264 19 222
28 23, 181 3,17 211
29 246 18-4, 1 211,213,260
5, 19 134 18 f. 210 ff.
23 204 18 218,221
4,2 211

Epheser
1. Thessalonicher
1,22 222
2, 14 225 2,18 247
3, lO 225 4, 1-8 138 f.
4,15 f. 222 1f. 147
31 2lO 3-8 135 ff., 260
5 174, 195,211 3 197
15-21 218 4 248
15 218 9-12 139, 147
18 219 9 156
21 218 f., 243 11 188
22-6,9 213,216,218,260 13 H. 139, 147
22 229 5,1 ff. 139, 147
22-32 205,218 ff., 260 f. 1 156
22-24 219, f., 221 ff. 5 81
25-28a 220,226 ff.
25-27 225 f. 2. Thessalonicher
26 194
27 227 3,4 188
28a 230 5 189
28b-32 220,229 ff. 6 188
29 227 lO 188
3lf. 227,232 12 188

281
1. Timotheus 2. Petrus
2,3 236 1,6 205
2,1 f. 236 3,4 45
8-15 213,216,236,260
8 236
9-15 236 H. 1. Johannes
9 242,246 3,3 244 f.
13 260 4, 14 224
15 225
3,1 ff. 237
1 239 Jakobus
2 239 ff., 183
8 ff. 236 3, 14 210
12 183,239 ff. 17 244
5,9 183,240 4,3 248
22 244 7 210
6,1 f. 213,216,260 5,23 248

2. Timotheus Offenbarung (Apk)


2,20 248 4, 8 194
14,4 264
21,24 238
Titus
1,6 183,239 ff. 1. Clemensbrief
8 205
2,1-10 213,216,241 f., 260 1,3 213 f., 216
5 221,244,260 2,8 254
3,1 210 21,6-9 216
5 227 33, 7 254
38,2 205,208
43, 7 254
Hebräer
9,11-14 245
13,4 134, 143 2. Clemensbrief
12, 1 f. 199
1. Petrus 14,3 205
5 205
1,16 194
2, 13-3, 7 213,216,260
18 242 f. Barnabas
3,1-7 243 ff.
1 260 19,5-7 213,216
2 242,244
3 f. 237 Didache
4 255
7 136,247 ff. 4,9-11 213,216

282
AUTORENVERZEICHNIS

Achelis, H. 176 H. Boman, Th. 93


Adam, A. 178 Bonnard, P. 101, 117
Alkiphron 146 Bonsirven, J. 99
Allgeier, A. 90 Bornhauser, K. 89, 116 f., 118
v. Allmen, J. J. 16 Bornkamm, G. 16,230 f.
Almquist, H. 210 Bovet, Th. 13
Aristoteles 145, 203 Braun, H. 55
Athanasius 105 Büchler, A. 128
Athenagoras 198,207 Büchsel, F. 137
Augustin 133, 208 Bultmann, R. 46,47,51,59,84,91,
124, H., 155, 164, 176,201
Busolt, G. 143 f.
Baillet, N. 55
Baltensweiler, H. 46,87,92, 135, 141
Barth, K. 22 Chadwick, H. 166, 203, 205 H.
Barth, M. 218 Clemens v. Alexandrien
Bartsch, H. W. 236 H., 254 184,205 H., 255
Batey, R. 232 Cohn, L. 231
Bauer, W. 45,49,65, 66, 88, 102, 105, Conzelmann, H. (s. a. Dibelius, M.)
121, 123, 131, 135 f., 169 132
Becker, U. 120 H. Cullmann, O. 195,224
Beckmann, J. 33
Behm, J. (s. a. Feine, P.) 49
Benoit, P. 99 Dahl, N. A. 218
Benoit, P. / Milik, J. T. / de Vaux, R. Daube, D. 55 f., 74, 128, 130
64 Delling, G. 14 f., 17, 35, 40, 59 H., 66,
Berrouard, F. F. 99 69,70,88,90 f., 137, 149,160, 164,
Bieder, W. 230, 234 237
Billerbeck, P. 35,36,37,38,39,50,56, Delz, J. 146
89,93 f., 95 f., 99 H., 103 f., 114 H., Demosthenes 40, 142
117, 126, 128 f., 136 f.,143, 155 ff., Dibelius, M. 54, 136 H., 141, 147
161,195,215,237,239,246 Dibelius, M. / Conzelmann, H.
Blass, F. / Debrunner, A. 169,210 236 H., 240 H., 245
Blau, L. 37 Dibelius, M. / Greeven, H. 214 f., 218
Blinzler, J. 103, 107 H., 110, 128 f. Diderichsen, B. K. 47, 52, 58, 64
Bloch, I. 198 H. Diodor 56
Blümmer, H. 96 v. Dobschütz, E. 199
Bohren, R. 176 Dupont, J. 16, 88 f.

283
Eckart, K. G. 138 Kees,H.96
Eichrodt, W. 32 Kern, O. 223
Eisler, R. 123, 126, 128 Kisch, G. 231
Erdmann, W. 142,144 f., 147 Klostermann, E. 54, 75, 78, 79, 88,91,
Eustathius 177,198 102
Euseb 106, 178 f., 206 König, Ed. 33
Kötting, B. 182 f.
Fascher, E. 163 Kornemann, E. 96 f.
Feine, P. / Behm, J. / Kümmel, W. G. Krauss, S. 35, 250 ff.
236 Krieger, N. 71
Foerster, W. 200 Kümmel, W. G. (s. a. Lietzmann, H.
Fridrichsen, A. 88 f., 169 und Feine, P.) 92,139,152,175 f.,
185
Gabriel, W. 89,91
Giet, St. 92 Leenhardt, F.- J. 17
Goessler, L. 41 Leipoldt, J. 40, 255
Greeven, H. (s. a. Dibelius, M.) Lietzmann, H. / Kümmel, W. G.
16,17,48 f., 88 H. 100 f., 148, 154, 158, 160, 163, 165,
Grundmann, W. 50, 66, 79, 134, 203 169,171,174,176,179,190,192,
195,201,228,238
Haenchen, E. 92 f., 94,142 Linnemann, E. 107
Hafter, E. 145 f. Lohmeyer, E. 47,65,211,215
Hasler, V. 89 Lohmeyer, E. / Schmauch, W.
Hauc~F. 61,65,242 88,91,113 f., 116
Hauck, F. / Schulz, S. 87 H., 141 Lövestam, E. 15, 64
Heitmüller, W. 120 Lysias 142
Hempel, J. 55
Hennecke, F. / Schneemelcher, W.199 Macrobius 223
Hering, J. 156,174 Manson, T. W. 126
Herodot 104, 142 Marxsen, W. 76
Hesychius 198 Maurer, ehr. 136 f., 140
Holtz, G. 236, 238, 240, 253, 255 Menander 41
Holzmeister, U. 88,90 Menoud, Ph. H. 16
Horst, F. 23 Methodius 207
Meyer, E. 106
Ignatius 208,213,254 Michaelis, W. 164,211,236
Irenäus 178,205 Michel, O. 15, 141, 143,210
Isaksson, A. 16,64, lOt) Minucius Felix 105
Moulton, J. H. 210
Jeremias, Joach. 55, 78, 126, 128, 163, Musonius 41, 207
193 f., 236
J ervelI, J. 56 Nauck, W. 238
Josephus 71,97,105,204,215 Nordin, J. 35
Jülicher, A. 79
Justin 105,207 f. Oepke,A.40,41, 137, 140, 163,240
Origenes 106, 184,215 f.
Kähler, Else 17,158,213,217,219, Ott, A. 88, 90 f., 98
221 f. Ovid 56

284
Passow, F. 177 Smaltz, VV. M. 92
Percy, E. 218 Soden, H. v. 120
Philo 56,178,204,208,215,231,242 Spicq, C. 99
Piper, O. A. 13 Staab, K. 88 H.
Plato 147 Stauffer,E. 54,81, 129, 165
Plautz, VV. 22,26,28,29 Stendahl, K. 94
Plotin 203 Strack, H. L. 57
Plutarch 97,142,144,210 Strabo 197
Pokorny,P.223 Strathmann, H. 120
Pollux 145 Sucker, VV. / LeU, J. / Nitzsche, K. 16
Polykarp 216,254 Sueton 96
Preisker, H. 13 f., 17, 35, 36, 40, 165 Suhl, A. 53
Procksch, O. 20,22, 135 f., 194
Properz 117 Tacitus 96
Prudentius 208 Tertullian 180, 184,206,208
Thalheim, Th. 143
Rad, G.v. 21 Theodor v. Mopsuestia 239
Reicke, B. 16, 129 f., 136, 196,231 f., Thierfelder, H. 97 f.
235,247 f. Thurian, M. 99, 155 f.
Rengstorf, K. H. 16 f.
Rienecker, F. 28 van Oyen, H. 13
Ringeling, H. 25 Verschüer, O. v. 98
Rossbach, A. 96 Vischer, VV. 110
Rowley, H. H. 55 Vogt, F. 90
Rudolph, VV. 31
VVahrmund, L. 96
SchaUer, J. B. 36, 55 f., 58, 83, 99, 231 f. VVaitz, H. 92
Schille, G. 218 Weidinger, K. 211,214 f., 217, 221
Schlatter, A. 76 VVellhausen, J. 76
Schlier, H. 219,222 f. VVendland, P. 40,41
Schmid, J. 227 VVensink, A.J. 126
Schmidt, K. L. 106 VVindisch, H. 204, 244, 246, 248
Schmithals, VV. 200 VVinter, P. 55 f.
Schneider, J. 102, 137 VVolff, H. VV. 31
Schniewind, J. 110, 113 VVrede, VV. 38
Schrage, VV. 143, 167,172, 188f.
Schrenk, G. 135, 175 f. Xenophon 203
Schweizer, E. 174, 244
Seneca 202 f. Zahn, Th. 78
Sextus 206 Ziegler, J. 32
Sickenberger, J. 89 Zimmerli, VV. 21

285
INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort 7
Abkürzungsverzeichnis 9

Einleitung 11

1. Ehe und Ehescheidung im Alten Testament und in der Umwelt


des N euen Testaments. 19

A. Altes Testament 19
1. Das Wesen der Ehe 19
a. Gen 2, 18-25 19
b. Gen 1, 27 f. 22
2. Die Phänomenologie der Ehe 24
a. Ehesitten und Eheformen 24
b. Polygamie . . . . . . 27
3. Die Ehe als Gleichnis für den Gottesbund 31
4. Die Ehescheidung im Alten Testament 32

B. Judentum . . . . . . . . . . 35
1. Bemerkungen zur Eheauffassung 35
2. Die Ehescheidung 37

c. Hellenistische Umwelt 40

II. Evangelien . . . . . 43

A. Markusevangelium (Kap. 10, 1-12) 43


1. Analyse von Mk 10, 1-12 43
2. Das Streitgespräch über die Ehescheidung (Mk 10,2-9 44
a. Form und Inhalt des Streitgesprächs . . . . . . . 45
b. Die Historizität des Streitgesprächs ....... 51
c. Funktion und Bedeutung der alttestamentlichen Zitate Gen 1, 27 und
Gen 2, 24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54
3. Die Jüngerbelehrung über die Ehescheidung (Mk 10, 10-12) 59
a. Das Herrenwort Mk 10, 11 f. und seine Parallelen 59
aa. Lk 16, 18 60
bb. Mk 10, 11. 12 65
cc. Mt 19, 9 67
dd. Mt 5, 32 68
ee. Beurteilung 69
b. Ein möglicher historischer Ort des Herrenwortes 71
4. Komposition und Bedeutung von Mk 10,1-12 73

286
Exkurs I: Zum Kontext vonLk 16,18 78

B. Matthäusevangelium (Kap. 19, 1-12; 5,27-32) 82


1. Das Streitgespräch über die Ehescheidung (Mt 19, 1-9) 82
a. Die Abhängigkeit von Markus . . . . . . . . . . 83
b. Die Eigenart des Streitgesprächs bei Matthäus . . . 84
2. Die sog. Ehebruchs- oder Unzuchtsklauseln (Mt 19, 9; 5,32) 87
a. Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . 87
b. Der Begriff der Unzucht im Aposteldekret (Apg 15, 28 f.) 92
c. Die sog. Verwandtenehen und ihre Verbreitung in der neutestament-
lichen Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . 95
d. Das Problem der Verwandtenehe bei Proselyten 98
e. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1
3. Die Jüngerbelehrung über die Ehelosigkeit (Mt 19, 10-12) 102
a. Eigenart und Gliederung von V.10-12 . 103
b. Der Eunuchenspruch V.12 ...... 103
c. Der historische Ort des Eunuchenspruches 108
4. Komposition und Redaktion von Mt 19, 1-12 110
5. Die Antithesen vom Ehebruch und von der Ehescheidung (Mt 5, 27-32) 112

C. Aus einem unbekannten Evangelium (Joh. 7, 53-8,11) 120


1. Bemerkungen zur Textgeschichte . . . . 120
2. Der vorliegende Text . . . . . . . . . . 121
3. Stil und Struktur des vorliegenden Textes 124
4. Das eigentliche Streitgespräch (Joh 8, 3-9) 124
5. Jesus und die Ehebrecherin (Joh 8, 10-11) 131
6. Historizität und spätere Bedeutung der Ehebrecherinperikope 132

IH. Brie/texte. . . . . . . . . . . . . . 135

A. Erster Thessalonicherbrief (Kap. 4, 3-8) 135


1. Gliederung und Kontext ...... 138
2. Bisherige Deutungsversuche . . . . . 140
3. Die Begriffe «Heiligung» und «Unzucht» 141
4. Das griechische Erbtochterrecht 143
5. Paulus' Stellung zum Erbtochterrecht 146
6. Ergebnis ......... 149

B. Erster Korintherbrief (Kap. 7) 150


1. Aufbau und Gliederung des Kapitels 150
2. über die Ehe (1. Kor 7, 1-7) 153
a. Auslegung von 1. Kor 7,1-7 153
b. Die Wertung der Ehe bei Paulus 164
3. Die Bedeutung der Eschatologiefür die Ehe (1. Kor 7, 25-35) 167
4. Geistliche Ehen in Korinth? (1. Kor 7, 36-38) 175
a. Die sog. geistliche Ehe in der alten Kirche 176
b. Die Wertung des Verlöbnisses bei Paulus 184

287
5. Über die «Stände» (1. Kor 7,8-16). . . . . . . . . . 186
a. Die Unverheirateten (und Witwen) V.8-9 (V. 39 f.) 186
b. Die Verheirateten V. 10-11 187
c. Die «Mischehen V. 12-16 . . . . . . . . . . . 191

Exkurs 1I: Die Unzucht in Korinth (1. Kor. 6,12-20) 197


Exkurs IlI: Begriff und Phänomen der Enthaltsamkeit in der neutesta-
mentlichen Umwelt und in der alten Kirche 203

C. Kolosserbrief (Kap. 3, 18-19) 210


Auslegung von Kol 3, 18. 19 210

Exkurs IV: Die Haustafeln im Neuen Testament 213


a. Vorkommen und Vergleich . . . . . . . . 213
b. Der Ursprung des Haustafelschemas 214
c. Das Problem der «Verchristlichung» der Haustafeln 215

D. Epheserbrief (Kap. 5, 22-32) 218


1. Abgrenzung und Gliederung der Perikope 218
2. Auslegung von Eph 5, 22-32 ..... 221
a. Die Ermahnung an die Frauen (V. 22-24) 221
b. Die Ermahnung an die Männer (V. 25-28a) 226
c. Das grosse Geheimnis (V. 28b-32) 229
3. Christus und die Ehe . . . . . . . . . . . 233

E. Pastoralbriefe (1. Tim 2,8-3,12; Tit 2, 1-10) 236


1. Die Rettung der Frau durch das Kindergebären (1. Tim 2,9-15) 236
2. Der Ausdruck «Mann einer Frau» (1. Tim 3, 2.12; Tit 1, 6) . 239
3. Die Ehefrau in der Haustafel des Titusbriefes (Tit 2,1-10) 241

F. Erster Petrusbrief (Kap. 3, 1-7) 243


1. Die Ermahnung an die Frauen (V. 1-6) 243
2. Die Ermahnung an die Männer (V. 7) 247

Exkurs V: Schönheit, Schmuck und Kleidung in der jüdischen Umwelt


des Neuen Testamentes und in der alten Kirche . . . . . . . . . . 250

IV. Ergebnisse 257

A. Ehe 258
B. Ehescheidung 262
C. Ehelosigkeit . 264

Benützte Literatur 267


Bibelstellenverzeichnis 274
Autorenverzeichnis 283

288

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