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Ausstellung in der Beyeler-Fondation

Lüsterne Blüten waren ihre Spezialität


Erotische Blumen und Landschaften: Die Fondation Beyeler zeigt eine grosse
Retrospektive der amerikanischen Malerin Georgia O’Keeffe.

Christoph Heim
Publiziert heute um 06:00 Uhr

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Georgia O’Keeffe: «White Iris No. 7» (1957).


Foto: Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid / 2021, Pro Litteris, Zürich

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Wer denkt nicht bei Georgia O’Keeffe an die geradezu lüsternen Blüten, die sie
weltberühmt gemacht haben. An die mal satten und intensiv kolorierten, dann
wieder weich und diffus gemalten Blütenblätter, Staubblätter und Blütenstem-
pel, die sie so prominent ins Bild rückte wie niemand zuvor.

Mit den «Oriental Puppies» (1927) oder dem Gemälde «Jimson Weed / White
Flower No. 1» (1932) zeigt die grosse Retrospektive in der Fondation Beyeler,
wie plakativ Georgia O’Keeffe sein kann. Sie hat schon in den Zwanzigerjahren
des letzten Jahrhunderts Bilder gemalt, die so bunt, explizit und demonstrativ
sind, wie uns das erst wieder in der Pop-Art der sechziger Jahre begegnen wird.

Fotografischer Blick
Sie zeigen eine Malkunst, die pflanzliche Natur unter die Lupe nimmt, sie einem
technischen Blick unterzieht, der immer auch mit Sinnlichkeit gepaart ist. Nein,
es ist nicht der Blick der Wissenschaftlerin durch das Mikroskop, der diesen Bil-
dern Pate gestanden hat, sondern viel eher die Wahrnehmung einer malenden
Fotografin oder einer fotografierenden Malerin, die mit ihrer Kamera einen
präzisen Ausschnitt wählt und mit ihrem Objektiv die relativ kleinen Erschei-
nungen der Natur ins Riesenhafte vergrössert.

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Georgia O’Keeffe: «Series I, No. 8» (1919).


© Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München / 2021, Pro Litteris, Zürich

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Und dieses malerische Objektiv ist durchlässig für jene eingangs schon er-
wähnte Lüsternheit, die sich in den beinahe obszön erscheinenden, magisch an-
ziehenden Formengebilden Ausdruck verschafft, die an weibliche Genitalien er-
innern. Es gab Kritiker, die sie über den grünen Klee lobten, wie Paul Rosenfeld,
der sie 1922 in «Vanity Fair» als Malerin «exquisiter Feinheiten» bezeichnete
und etwas anzüglich meinte, dass sie «genau fühle, wo sie am meisten Frau sei»
und sich als Malerin mit «gleicher Tiefsinnigkeit in die äussere Natur begebe».
Wohingegen der Kritiker Clement Greenberg feststellte, ihr Werk sei «kaum
mehr als getönte Fotografie».

Ernst Beyeler zum hundertsten Geburtstag

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Die 1887 geborene Künstlerin, die in ärmlichen Verhältnissen auf einer Milch-
farm in Wisconsin aufgewachsen ist, arbeitete, lehrte und studierte zuerst
Kunst in Texas, South Carolina, Illinois und Virginia. Sie hatte ihre Lehr- und
Wanderjahre hinter sich, als eine ihrer Freundinnen in New York am Neujahrs-
tag 1916 dem legendären Fotografen und Galeristen Alfred Stieglitz ihre abs-
trakten Kohlezeichnungen zeigte. Stieglitz war begeistert und rief erfreut aus:
«Endlich eine Frau auf Papier (Finally a woman on paper).» (Die Zitate stam-
men aus dem Katalog.)

Abstrakte Natur
Mit den abstrakten Kohlezeichnungen und anderen Arbeiten aus den 1910er-
Jahren beginnt der erste Saal dieser grossartigen Ausstellung bei Beyeler. Hier
bekommt man in nuce eine Vorstellung davon, was sich in den Werken dieser
Künstlerin, die 99 Jahre alt werden sollte, abspielen wird. Zu sehen sind abs-
trakte Formen, schneckenförmige Gebilde, der Blick aus einer dreieckigen Zelt-
tür, die den Nachthimmel rahmt, sowie wolkige Aquarelle, in denen Landschaf-
ten zu Farbe und Form gerinnen.

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Georgia O’Keeffe: «From the Lake, No. 1» (1924).


© Georgia O’Keeffe Museum / 2021, Pro Litteris, Zürich

85 Ölgemälde, Zeichnungen und Aquarelle sind in Riehen zu sehen. Die aller-


meisten stammen aus den USA, weil sich in den dortigen Privatsammlungen

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und Museen auch die meisten Bilder dieser Ikone der amerikanischen Moderne
befinden. Entstanden ist die Show übrigens in Zusammenarbeit mit dem Centre
Pompidou in Paris, dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid und dem Geor-
gia O’Keeffe Museum in Santa Fe. Dadurch konnten die europäischen Museen
die Transportkosten der Bilder durch drei teilen. Die Koproduktion macht nicht
zuletzt auch unter ökologischen Gesichtspunkten Sinn.

Aktmodell für Stieglitz


O’Keeffe verbrachte die ersten Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung in der
Metropole New York. Sie hatte in Alfred Stieglitz, der mit seiner grossen Galerie
291 an der Fifth Avenue die Kunst der europäischen Moderne propagierte, ei-
nen einflussreichen Förderer, grossen Bewunderer und zwanzig Jahre älteren
Liebhaber, der sich nicht nur für ihre Kunst erwärmte, sondern unzählige Akt-
fotos von ihr machte, die er dann auch ausstellte. 1924 heirateten die beiden.

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Georgia O’Keeffe: «Lake George with Crows» (1921).


© Georgia O’Keeffe Museum / 2021, Pro Litteris, Zürich

Die von Theodora Vischer kuratierte Ausstellung bei Beyeler widmet dem Bild
von dieser schönen und eigenwilligen Künstlerin, die für viele auch eine modi-
sche Stilikone war, einen ganzen Raum. Danach begibt sich die Schau mit
O’Keeffe und ihrer Kunst auf eine geografische Reise durch die USA. Dabei ler-
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nen wir auf relativ kleinem Raum die Blumenmalerin kennen. Noch beschränk-
ter ist die Auswahl von Stadtbildern, die bei O’Keeffe oft aus schemenhaften
Wolkenkratzern vor wolkigen Himmeln bestehen, auf denen Lampen und
Leuchten besondere Akzente bilden. Viel wichtiger sind in dieser Show aber die
Gemälde, die am Lake George entstanden sind, einem See in der Nähe New
Yorks, an dem die Familie Stieglitz ein Haus hatte.

Landschaft am Lake George


In den 1920er-Jahren hielt sich O’Keeffe dort regelmässig allein oder mit ihrem
Mann auf und malte den See, die Bäume, die Herbstblätter. Sie fand dabei im-
mer wieder den Weg ins Abstrakte, stellte ungemein bunte und farbenfrohe,
wellenartige Berge dar, liess verschlungene, ja geradezu schlangenförmige
Bäume und Sträucher entstehen und zeichnete Herbstblätter, in denen man, so
man will, auch weibliche Körperformen erkennen kann.

Georgia O’Keeffe: «Black Hills with Cedar» (1941).


© Hirshhorn Museum an Sculpture Garden / 2021, Pro Litteris, Zürich

Das Anthropomorphe begegnet einem auch wieder in den Bildern aus New Me-
xico, das O’Keeffe 1929 zum ersten Mal mit ihrem Mann besuchte und wo sie

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dann 1949, drei Jahre nach dem Tod von Alfred Stieglitz, Wohnsitz nimmt. Hier
wird sie in ihrer «Ghost Ranch» bis zu ihrem Lebensende 1986 wohnen. Sie
macht immer wieder Ausflüge in die «Bisti Badlands» im Navajo-Gebiet mit ih-
ren kargen, aussergewöhnlichen Gesteinsformationen, die sie «The Black Place»
nennt.

Die Berge in New Mexico


Während des Zweiten Weltkriegs entstehen hier mehrere Werkserien, welche
die grauschwarze Hügellandschaft mit einer ungewohnt dunkeln Farbpalette
wiedergeben. O’Keeffes wellenförmige Berge erinnern an faltige Haut. Der sym-
metrische Aufbau der Gemälde an liegende Menschen. Es kommt einem vor,
wie wenn das moderne, städtische Künstlerinnensubjekt in der gebirgigen, den
Indianern heiligen Natur sich gespiegelt gesehen hätte.

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Verbrachte die ersten Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung in der Metropole New York, später
zog es sie nach New Mexico: Georgia O'Keeffe.
Foto: AP Photo/Copyright Georgia O'Keeffe Museum, Albuquerque Journal

Das Spätwerk schliesslich, das bei Beyeler rund um ein Mobile von Alexander
Calder gruppiert ist, teilt sich in die berühmten Gemälde von ihrem Haus in
New Mexico, die wie Vorläufer der Farbfeldmalerei wirken, und hinreissend
sanften, nahezu abstrakten Landschaftsbildern aus der Vogelperspektive, in de-
nen Flüsse oder Strassen geschwungene Linien zeichnen.

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Georgia O’Keeffe: «Patio with Cloud» (1956).


© Georgia O’Keeffe Museum / 2021, Pro Litteris, Zurich

Die Ausstellung dauert vom 23.1. bis zum 22.5.2022. Der Katalog zur Ausstellung
kostet 62.50 Franken.

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Tages-Anzeigerin | EP4
Georgia O'Keeffe – oder warum viele …

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Christoph Heim ist Redaktor im Ressort Leben und schreibt am liebsten über Kunst und Kultur.
Er arbeitet seit dreissig Jahren im Journalismus und war zehn Jahre lang Ressortleiter Kultur bei
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