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Gegen den Strom schwimmen

„Manch einer verdankt seinen Erfolg den Ratschlägen, die er


nicht befolgte.“ Betrand Russel
Gegen den Strom zu schwimmen, ist vor allem eines: sehr anstrengend. Es erfordert eine bestimmte Haltung, eine bestimmte Einstellung,
welche man nicht von jedem erwarten kann. Schaut man sich aber die Geschichte an, merkt man schnellt, wie wichtig es ist, gegen den
Strom zu schwimmen. Gegen den Strom zu schwimmen ist wichtig in allen Bereichen des Lebens, angefangen vom eigenen Leben, der Wahl
von Freunden und Partners bis hin zu politischen Idealen und wissenschaftlichen Theorien. Doch wo lernen wir diese einzigartige und
wichtige Fähigkeit? Im Folgenden werde ich versuchen zu erklären, warum es wichtig ist, gegen den Strom zu schwimmen, warum unsere
Erziehung hierbei versagt hat, wie gefährlich eine falsche Definition von Erfolg ist und wie und vor allem von wem man wirklich lernt, gegen
den Strom zu schwimmen.
Wie wichtig Einzigartigkeit ist, zeigt sich bei jedem von uns im Alltag, bei der Wahl unserer Freunde. Niemand möchte mit langweiligen
Durchschnittsmenschen befreundet sein. Warum? Weil wir uns selbst nicht für langweilige Durchschnittsmenschen halten. Wir halten uns für
interessante Individuen mit wichtigen Eigenheiten und möchte mit passenden Menschen befreundet sein. Niemand interessiert sich für den
langweiligen Alltag. Selbst bei einem Kriminellen ist ein durchschnittlicher Donnerstag Nachmittag eher uninteressant, was zählt ist der
Montag, an dem eine Bank ausgeraubt wird.
Ob es bei der Partnerwahl wichtig ist, gegen den Strom zu schwimmen, ist eine höchst individuelle Entscheidung, die ich nicht pauschal
beantworten kann. Fakt ist aber, dass aus hier sehr viele Menschen gegen den Strom schwimmen. Die klassische Lebensgeschichte ist immer
eine, in der sich zwei Menschen ineinander verlieben, welche laut der Meinung des Umfelds eigentlich nicht zusammengehören. Romeo und
Julia sind das hierbei vielleicht bekannteste Beispiel, aber auch Geschichten wie Homers Ilias oder die Geschichte Indiens und Pakistan als
reale Beispiele zeigen, dass nonkonforme Liebesbeziehungen verbreitet sind und einen großen Einfluss haben können.
Warum Nonkonformismus gerade im politischen Sinne sehr wichtig ist, zeigt auch die Figur der Mia Holl aus Juli Zehs Corpus Delicti: Ein
Prozess. Ohne einen potenziellen Leser zu sehr zu spoilern, wird klar, dass die politische Realität auch scheinbar unbeteiligte schnell
einholt.
Der Roman spielt in einer nicht allzu fernen Zukunft in der Gesundheit die zentrale politische Doktrin ist. Mia Holl, die Hauptperson, ist
eine junge Naturwissenschaftlerin und spielt ihre Rolle in diesem dystopischen politischen System eigentlich recht gut. Sie ist politisch
unauffällig und eigentlich eine Konformistin, welche kein Interesse hat, viel selbst nachzudenken. Dies ändert sich aber schnell, als ihr
Bruder angeklagt wird, obwohl er seine Unschuld beteuert. Mia Holl befindet sich nun im offenen Konflikt mit dem System, obwohl sie selbst
nichts falsch gemacht hat. Dies zeigt, wie auch Unbeteiligte schnell zu politischen Dissidenten werden. Ein solches plötzliches
Dissidententum ist nur durch vorherige Unaufmerksamkeit und Systemtreue zu erklären. Schnell wird klar, dass ein Schwimmen gegen den
politischen Strom zwar anstrengend, aber von Anfang an sehr wichtig für eine offene Gesellschaft ist.Wie wichtig es ist, anders zu sein und
damit anders zu denken, zeigt auch ein Blick auf die Geschichte der Ideen. Schon Sokrates, der Erste, der den Titel Philosoph verdiente,
war ganz anders als seine Zeitgenossen. Er war laut, badete selten, sagte seine Meinung immer gerade hinaus, und im Gegensatz zu seinem
Umfeld war ihm sein Status in der Gesellschaft ziemlich egal - genau hierdurch aber ist er in die Geschichte eingegangen. Schaut man
weiter auf bekannte Wissenschaftler von Galileo über Newton bis hin zu Einstein, sieht man fast nur individuelle Denker. Sie alle waren
anders und mussten es auch sein. Ihre Ideen standen immer diametral gegenüber der etablierten wissenschaftlichen Meinung. Genau hierin
liegt das besondere in Ideen zur Bewegung von Himmelskörper, der Gravitationstheorie oder der Relativitätstheorie, deswegen werden diese
Ideen heute als revolutionär bezeichnet.
Wirft man einen Blick auf die Wissenschaftstheorie, wird schnell klar, dass die Entwicklung von nicht etablierten Erklärungsansätzen einer der
wichtigsten Aspekte der Wissenschaft ist. Hierzu gibt es drei Ansätze. Karl Poppers Falsifikationismus geht davon aus, dass eine Idee oder
Theorie niemals bewiesen werden kann, sie kann nur falsifiziert werden.Das heißt, eine Theorie gilt so lange als richtig, bis es genug
Gegenbeweise gibt. Thomas Kuhns Theorie der Paradigmenwechsel geht davon aus, dass wahrer wissenschaftlicher Fortschritt erst geschieht,
wenn es genügend Beweise gegen das aktuelle Paradigma gibt und es von einem neuen abgelöst wird. Paul Feyerabends, erkenntnistheoretische
Anarchismus geht noch weiter. Laut dieser Theorie hat Wissenschaft nämlich gar keine Methode, sondern alles ist erlaubt (“anything goes“ )
und nur die Nachwelt kann die Qualität wissenschaftlicher Theorien beurteilenBetrachtet man diese Denker und die Theorien, welche es zum
Erfolg wissenschaftlicher Theorien gibt, wird schnell klar, dass Denker, welche zeitlebens verspottet wurden, letztlich in die Geschichte
eingehen aufgrund ihrer Andersartigkeit. Um es prägnant auf den Punkt zu bringen: Die Menschheit würde immer noch in Höhlen leben, gäbe
es nicht Individuen, welche persönliche Risiken eingegangen wären, um Erfolge zu erzielen. Dieses anders denken kann die Menschheit als
Ganzes voranbringen, aber auch im politischen Sinne etwas bewirken, andere schützen. Doch wo und wie lernt man es gegen den Strom zu
schwimmen?
Fragt man Eltern, nach welchen Idealen sie ihre Kinder erziehen oder was diese genau lernen sollen, so gehören Selbstbewusstsein,
Selbstvertrauen und Selbstrealisation zu den am häufigsten genannten Erziehungszielen. Kurzum, die eigenen Kinder sollen selbstständig sein
und individuell genug, um sich von der breiten Masse abzuheben. Ein kurzer Blick auf die realen Erziehungspraktiken der meisten Eltern
offenbart aber ein gänzlich anderes Bild. Möglichst konfliktfrei sollte eine Kindheit verlaufen, auf die besten Schulen sollte ein Kind gehen,
um den besten Job zu haben..Natürlich möchten alle Eltern für ihr Kind nur das Beste. Eltern möchten den größtmöglichen Erfolg für ihre
Kinder. Doch dass genau diese eine Art von Erfolg ein großes Problem darstellt, ist vielen Eltern nicht klar.
Die Art von Erfolg, den sich die meisten Eltern für ihre Kinder wünschen, bedeutet vor allem eines: auf ausgetreten Pfaden entlanglaufen und
Reibung möglichst vermeiden. Eltern schauen sich aus ihrer Sicht erfolgreiche Menschen an und wollen für ihre Kinder einen ähnlichen
Lebensweg. Was hierbei oftmals ignoriert wird, ist die Tatsache, dass erfolgreiche Menschen gerade deswegen erfolgreich sind, weil sie Dinge
tun, die vorher niemand getan hat. Sie sind erfolgreich, weil sie eben nicht auf ausgetreten Pfaden laufen, sondern ihren eigenen Weg gehen.
Kurz muss hier auch unsere Definition von Erfolg eingegangen werde. Die Definition von Erfolg, welche heutzutage verbreitet ist, ist sehr
ambivalent. Einerseits wissen wir, dass es belohnt wird, Dinge anders anzugehen, andererseits haben wir große Angst, aus dem Raster zu
fallen. Ein ähnliches Phänomen ist bei wohlhabenden Menschen zu beobachten. Fragt man, warum es lohnenswert ist, reich zu sein, kommt vor
allem eine Antwort: persönliche Freiheit, die Freiheit zu tun und lassen, was man möchte. Schaut man sich aber an, wie reiche Menschen
wirklich leben, bekommt man einen ganz anderen Eindruck. Man muss eine Jacht haben, den teuren Sportwagen vor dem Haus, Urlaub in
Monaco machen und den teuren Champagner trinken. Alles Dinge, die viele andere auch tun, also nicht wirklich etwas Besonderes. Es wird
klar, auch Menschen mit großer finanzieller Freiheit lassen sich ihre Präferenzen von ihrem Umfeld diktieren und werden dafür auch noch
ordentlich zur Kasse gebeten. Niemals kann ein solcher Lebensstil das sein, was wir unter Erfolg verstehen.
Eine andere Herangehensweise kann aus der Geschichte abgeleitet werden. Im antiken Griechenland gab es eine andere Definition von Erfolg,
damals waren die Leute erfolgreich, welche einen heroischen Tod für die Polis (den Stadtstaat) starben. Natürlich leben wir heute in deutlich
weniger kämpferischen Gesellschaften, dennoch kann man hieraus etwas lernen. Erfolgreich ist derjenige, welcher etwas Gutes für die
Gesellschaft tut, auch wenn es ihm persönlich schadet. Jemand, der Gefahr läuft ausgegrenzt zu werden und persönliche Risiken aufnimmt,
nur um anderen zu helfen, ist erfolgreich. Jemand, der die Courage besitzt, unbeliebt zu sein und nicht-konforme Ansichten öffentlich zu
vertreten. Jemand, der bereit ist, auf persönliche Komfort und Konsum zu verzichten.
Doch wie lernt man nun gegen den Strom zu schwimmen? Nun, das ist schwierig zu beantworten, aber es gibt ein paar vielversprechende
Lösungsansätze. Ein ist jedoch klar: Es hat nichts mit konventionellen Methoden und gut gemeinten, moralisierenden Ratschlägen des Umfelds
zu tun. Nur wer eine eigene Meinung, einen eigenen Standpunkt entwickelt und diesen auch vertritt, kann die Courage aufbringen, gegen den
Strom zu schwimmen.
Es ist also ein Prozess des Probierens und Scheiterns, es kann hier keine genaue Blaupause geben. Per Definition von „gegen den Strom
schwimmen“, kann es diese auch nicht geben. Gäbe es eine Blaupause dafür, wäre sie ein Paradoxon. Aber es gibt zwei Ideen, welche uns
leiten können.
Die erste bezieht sich auf die Ausbildung von Geschmacksurteilen. Eine Idee, die sehr gut in Hannah Arendt Werk „Über das Urteilen“
dargestellt ist. Für die meisten Menschen braucht es ein, zwei andere, für manchen vielleicht eine ganze Gruppe, die eine Meinung zu etwas
äußert, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Viele von uns finden nur Serien, Bücher und allgemein Meinungen gut, wenn andere auch so
empfinden. Dies ist offensichtlich eine ganz falsche Herangehensweise. Man muss sich eine eigene Meinung zu den Dingen bilden, auch wenn
man Gefahr läuft, dass diese Meinung falsch ist und das wird sie vor allem anfangs sein. Man muss sich darin üben, eigene Meinungen zu
bilden und diese zu vertreten. Natürlich soll man nicht auf Krampf versuchen, zu allem anderer Meinung zu sein, aber die Fähigkeit, eigene
Ansichten zu vertreten, auch auf die Gefahr hin, sich unbeliebt zu machen, ist sehr wichtig auf dem Weg ein Individuum zu werden
Die zweite Idee beruht auf einem Zitat von Steve Jobs. Jobs gehörte als Gründer von Apple zu einem der Vorreiter des Silicon Valley und
mit der Entwicklung des Smartphones zu einem der einflussreichsten Menschen aller Zeiten. Steve Jobs war aber nicht nur ein Marketing und
Technik Genie, wie er oftmals gerne dargestellt wird, sondern jemand, der zeitlebens gegen den Strom schwamm. Zum Thema gegen den
Strom schwimmen und wie man die passende Denkweise entwickelt, gab er folgendes Zitat von sich:

“Simple can be harder than complex: You have to work hard to get your thinking clean to make it
simple. But it’s worth it in the end because once you get there, you can move mountains.”

Jobs war ein großer Fan von Einfachheit. Doch Einfachheit hatte laut ihm ein großes Problem, die Komplexität. Laut Jobs denken die meisten
Menschen viel zu komplex, sie sind voller Ideen, welche nicht von ihnen selber stammen. Ideen, welche ihnen von anderen in den Kopf
gesetzt wurden und damit das eigene Denken gefährden. Eigenes Denken ist nach Jobs eigentlich immer simpel, aber es ist schwer selbst zu
denken, wenn der Kopf voller fremden Ideen und Vorstellungen ist. Es erfordert eine Menge Anstrengung, das eigene Denken von den
Vorstellungen andere zu befreien, es zu vereinfachen, aber es lohnt sich. Der Apple Gründer geht so weit zu behaupten, dass eigenes und
von anderen befreites Denken einen sogar Berge versetzen lässt. Dies mag zwar nur im übertragenen Sinne wahr sein, ist aber sicherlich
einer der Gründe für Apples Erfolgs und Jobs Vermächtnis.
Letztendlich wird klar, dass sich der erste Satz bewahrheitet, gegen den Strom zu schwimmen ist sehr anstrengend. Es ist so anstrengend,
weil der Widerstand so hoch ist. Es ist so anstrengend, weil man seine Komfortzone verlassen muss und auch persönliche Niederschläge erleben
wird. Es ist anstrengend, weil man ausgetretene Pfade verlässt und neue Denkweisen entwickeln muss. Eines ist klar, nur jemand, der gegen
den Strom schwimmt, wird es zu etwas bringen! Es ist und bleibt wichtig, gegen den Strom zu schwimmen. Es ist das, was uns persönlich,
aber auch die Menschheit als Ganzes voranbringt. Dieses zu etwas bringen, hat nichts mit der konventionellen Definition von Erfolg zu tun.
Jeder, der gegen den Strom schwimmt oder schwamm, hat seine eigene Definition von Erfolg und ist seinen eigenen Weg gegangen.

Lejla Cicak

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