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05.2011 c Raphel E.

Bexten

I-II

Was ist wichtig für eine “katholische Exegese”?


Raphael E. Bexten
»Die Interpretation eines Kirchenvaters, eines Heiligen oder eines wahren Mystikers
hat viel mehr Interesse und Gewicht als die eines Professors für Exegese.« (Dietrich von Hildebrand)

Die Wissenschaften machten im vergangenen Jahrhundert senschaftliche Arbeit. [. . . ] Die zweite ist nicht
eine große »Revolution« durch, es gab eine fundamen- in demselben Sinn wissenschaftlich. [. . . ]Wenn
tale Paradigmenverschiebung von der Geisteswissenschaft jemand behauptet, man könne nicht erwarten,
mit der Theologie an der Spitze, als »Königin der Wis- dass ein Mensch von heute an die wirkliche Er-
senschaften«, neben der Königin der natürlichen Wis- scheinung des Engels Gabriel bei der Verkündi-
senschaften der Philosophie, zur Überschätzung der Natur- gung glaubt, so wird seine Position offenbar
wissenschaften als die »eigentliche Wissenschaft«. nicht durch streng wissenschaftliche Argumente
Heutzutage gilt bei vielen nicht mehr die Einsicht, als im ersten Sinn gestützt. [. . . ] Die dritte Art
höchste »Erkenntnismethode«, sie wird oft negiert, an der Schriftauslegung liegt nicht mehr im Bere-
ihre Stelle tritt vermehrt die Grundmethode der Naturwis- ich der Wissenschaft. Hier hängt der Wert der
senschaften, die Induktion, also das »vermutende« Schließen Interpretation völlig vom Genius des individu-
auf bestimmte Proprietäten, bzw. Gegebenheiten von ellen Theologen ab und vor allem von seiner re-
Seienden aufgrund einer »repräsentativen Anzahl von Re- ligiösen Tiefe und einem besonderen Charisma.
alkonstatierungen« (diese beruhen auf der Sinneserfahrung Die Interpretation eines Kirchenvaters, eines
jeglicher Art). Die Grundmethode der Naturwissenschaften Heiligen oder eines wahren Mystikers hat viel
führt jedoch nie zu absolut gewissen Erkenntnissen, da die mehr Interesse und Gewicht als die eines Profes-
Induktion ein »vermutendes« Schließen ist. Wenn aber sors für Exegese. Das tiefere Eindringen in die
das Ungewisse zur gewissesten Erkenntnis erklärt wird, unergründliche Tiefe der Gleichnisse und Worte
das allein Wirkliche auf das sinnlich Erfahrbare reduziert des Herrn ist nicht durch wissenschaftliche Stu-
und dies als Grundmaxime der modernen Wissenschaft aus- dien garantiert, sondern nur durch die religiöse
gegeben wird, so ist die Frage nach Gott wahrhaft unwis- Erkenntnis einer individuellen Person, die im-
senschaftlich und dies gilt auch für die »wissenschaftliche« mer dem unfehlbaren Lehramt der Kirche unter-
Exegese. Um den Weg zu einer »katholischen Exegese« worfen bleibt. (Hans Urs von Balthasar macht
aufzeigen zu können, soll mit Dietrich von Hildebrand zwis- die in diesem Zusammenhang aufschlussreiche
chen drei Bedeutungen und Aufgaben von »Exegese« unter- Bemerkung, dass vor dem Tridentinum die
schieden werden: großen Theologen meistens große Heilige und
Mystiker waren, während diese Einheit nach
»Erstens gibt es eine wissenschaftliche Ex- dem Tridentinum weitgehend zerrissen wurde).
egese, die auf philologischen und historischen Diese dritte Art der Exegese ist also - wie andere
Forschungen beruht, die sprachliche Richtigkeit Teile der Theologie - nicht im strengen Sinn wis-
der Übersetzungen und Texte zu prüfen hat, und senschaftlich, nicht einmal im eingeschränkten
die Chronologie der verschiedenen Evangelien Sinn der zweiten; diese eigentliche Auslegung
oder die Authentizität gewisser Teile des Alten der Heiligen Schrift hängt vielmehr vom Genius
Testaments u. ä. feststellt. und der Heiligkeit des betreffenden Theologen
Zweitens gibt es eine kritische Exegese auf ab. Auf jeden Fall setzt diese Arbeit zumindest
Grund von philosophischen Erwägungen. Die homines religiosi voraus, und nicht bloße Pro-
Infragestellung der historischen Authentizität fessoren.«1
bestimmter Teile der Schrift hängt dabei un-
weigerlich vom eigenen philosophischen Stand- Ganz besonders wichtig für eine gute Auslegung, insbeson-
punkt ab. dere eine gute Auslegung des »unauslegbaren« Liedes der
Drittens gibt es eine spezifisch religiöse Lieder, ist das Berührt-, Betroffenwerden vom unendlich
Schriftauslegung, die z. B. von der Bedeutung heiligen und unendlich großen Gott, der die dreipersonale
der Gleichnisse handelt und die in die uner- Liebe ist und den Menschen in Seinem Bilde als Mann und
schöpfliche Fülle der Worte Christi eindringt. Frau geschaffen hat. Hat der Exeget so sein Herz geöffnet,
Die erste Aufgabe ist eine eigentlich wis- so kann er die Stimme des Hl. Geistes vernehmen, der
1
Dietrich von Hildebrand, Das trojanische Pferd in der Stadt
Gottes, übers. v. Josef Seifert (Habbel, 1968), 68-70. (Hervorhe-
Raphael E. Bexten M.A. - epost@agenteus.eu bungen durch R.B.).

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2 RAPHAEL E. BEXTEN

auch zu ihm spricht »Ich möchte Dich küssen mit dem Kuss »Licht erstrahlt, dem keine Sonn‘ kann gleichen
Meines Mundes« und so wird er durch den Hauch des Kusses – / nach Leiden und Pein, erwacht der Quell,
– den Kuss der Erkenntnis - zur rechten Interpretation des erwacht / vom Traum – kostet, süßer als
ewigen Wortes geführt werden, so wird er mehr und mehr Milch und Honig, / den ewigen Kuss des
in das große Mysterium eindringen, warum Märtyrer, wie Geliebten.«
z.B. St. Agnes von Rom im blutigen Martyrium den Kuss
des Geliebten empfing, wie es etwa in der letzen Strophe aus
einem Gedicht über St. Agnes Martyrium heißt:

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