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Es ist Fastnat, als Vianne Roer mit ihrer kleinen Toter Anouk in das
französise Städten Lansquenet-sous-Tannes kommt und direkt am
Verführung« jedo ein Dorn im Auge: Sokolade, und dazu no in der
Fastenzeit! Er erkärt Vianne Roer den Krieg und untersagt den Mitgliedern
Do Vianne hat ein besonderes Gespür für ihre Kunden: Für jeden weiß sie
das Praliné oder die Sokoladensorte, die am besten seiner Persönlikeit
entsprit. Und so entwielt si ihr Laden son bald zum geheimen
Mielpunkt des Ortes, zu dem jeder seine Sorgen, Hoffnungen und Träume
trägt.
Probe. In diesem Konflikt setzt Pater Reynaud alles auf eine Karte …
Die Autorin
Harris kennt s
Frankrei Lands aen, über die sie sreibt, aus ihrer
Kindheit und von vielen Verwandtenbesu en und Reisen. Chocolat ist ihr
drier Roman.
Chocolat
Roman
Ullstein
Besu en Sie uns im Internet:
wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,
Spei erung oder Übertragung
Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Tas enbu
Dieser Roman ers ien bereits 2000 im
© für die deuts e Ausgabe
Ullstein Bu verlage GmbH, Berlin 2005
by Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG
© 2001 für die deuts e Ausgabe by
Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, Mün en
© 1999 für die deuts e Ausgabe by
© 1997 by Joanne Harris
Ums laggestaltung: HildenDesign, Mün en
(na einer Vorlage von Mi ael Löbel/Bezaubernde Gini, Mün en)
Titelabbildung: Ja et Art © 2001 Miramax Films.
Fastnacht
Wir kamen zu Karneval an, mit dem warmen Februarwind, der den Du
von am Straßenrand gebratenen Pfannku en, Würsten und süßen
Wa ffeln mit si trug, während Konfei von Mantelkragen und
herrst eine fieberhae Aufregung unter den Mensen, die die enge
Hauptstraße säumen und die Hälse reen, um einen Bli auf den mit
Hund und saut mit großen Augen zu. Anouk und i haben son viele
die ihre glitzernden Stäbe dur die Lu wirbeln ließen. Aber im Alter von
ses Jahren erseint einem die Welt no voller Wunder. Ein hölzerner
Wagen, hastig gesmüt mit Goldfolie und buntem Kreppapier, Szenen aus
einem Mären … Ein Draenkopf auf einem Sild, Rapunzel mit einer
wollenen Perüe, eine Meerjungfrau mit einem Swanz aus Cellophan, ein
Lebkuenhaus aus mit Goldfolie überzogener Pappe, über und über mit
Zuerguß bedet, eine Hexe in der Tür, die ihre langen, grünen
Fingernägel na ein paar stummen Kindern ausstret … Mit ses nimmt
man no Feinheiten wahr, die einem vielleit son ein Jahr später nit
mehr zugängli sind. Hinter dem Pappmaé, dem Zuerguß, dem Plastik
sieht sie immer no die ete Hexe, den wahren Zauber. Sie saut zu mir
auf mit leutenden Augen, die so blaugrün simmern wie die Erde aus
großer Höhe.
»Bleiben wir hier? Bleiben wir hier?« I muß sie daran erinnern,
Französis zu spre en. »Bleiben wir denn? Ja?« Sie klammert si an
Tannes mit seinen hö stens zweihundert Seelen ist kaum mehr als ein
geblinzelt, und s on ist man vorbei. Eine Hauptstraße mit graubraunen,
Gabel. Eine Kir e, strahlend weiß getün t, am Dorfplatz einige Läden.
kahle Weinstöe, die in der bleien Februarsonne wie tot wirken, aber in
Jenseits der Felder der Tannes, ein kleiner Nebenfluß der Garonne, der si
dur das sumpfige Weideland slängelt. Und die Mensen? Wie sie da am
Straßenrand stehen, seinen sie si nit von all den anderen Mensen zu
unterseiden, denen wir bisher begegnet sind; vielleit ein wenig blei im
Baskenmützen passend zur Farbe ihrer Haare, braun, swarz oder grau. Die
Gesiter sind zerfurt wie Äpfel vom Vorjahr, die tief in ihren Höhlen
Angehörige einer anderen Rasse. Eine die Frau mit einem breiten,
unglülien Gesit zieht ihren karierten Mantel fest um si und ru
etwas in ihrem kaum verständlien örtlien Dialekt. Auf dem von einem
Fabeltieren seltsam fehl am Platze wirkt, und wir mit kaum verhohlener
Aggressivität Süßigkeiten in die Menge. Mit einem ents uldigenden Bli
hebt ein kleiner älterer Mann mit einem Filzhut anstelle der in der Region
üblien Baskenmütze auf dem Kopf den traurigen braunen Hund auf, der
zwisen Anouk und mir hot. I sehe, wie seine dünnen, eleganten Finger
das Fell des Hundes kraulen; der Hund beginnt zu winseln; im Gesit seines
uns. Es ist, als wären wir unsitbar; an unserer Kleidung kann man uns als
höfli; niemand starrt uns an. Die Frau mit den langen Haaren, die sie unter
den Hals; das Kind in den gelben Gummistiefeln und dem himmelblauen
Regenmantel. Dur ihre Farben fallen sie auf. Ihre Kleider sind exotis ,
ihre Gesiter – sind sie zu blaß oder zu dunkel? –, ihre Haare verraten sie
als Fremde, als auf undefinierbare Weise anders. Die Mensen von
ihre Blie wie Atem in meinem Naen, nit feindselig, aber denno kalt.
Für sie sind wir eine Araktion, ein Teil des Karnevals, befremdli. I
spüre, wie ihre Blie uns folgen, als i an einen der Stände trete, um eine
galette zu kaufen. Das Papier ist heiß und feig, die dunkelbraune Waffel
außen knusprig und innen wei und köstli. I bree ein Stü ab und
reie es Anouk, wise ihr die gesmolzene Buer vom Kinn. Der
Brillengläsern, sein Gesit vom Dampf der Waffeleisen feut und gerötet.
Er zwinkert Anouk freundli zu. Mit dem anderen Auge registriert er jede
Einzelheit, wohl wissend, daß man ihn später na uns ausfragen wird.
großen Wissensdurst. Wissen ist Gold wert, hier im Dorf; Touristen fahren
gewöhnli in die nahe gelegenen Orte Agen und Montauban und verirren
si nur selten hierher.
»Ja.«
mars iert eine kleine Kapelle – zwei erpfeifer, zwei Trompeter, ein
Posaunist und ein Trommler, die einen unde finierbaren Mars spielen. Ein
Dutzend Kinder folgen ihnen und sammeln die liegengebliebenen
Rotkäppen und ein Kind in einem zoeligen Kostüm, das vielleit einen
streiten.
etwa Mie Dreißig, wirkt allerdings von weitem dur seinen steifen Gang
älter. Er saut mi an, und i sehe, daß au er ein Fremder ist, ein Mann
aus dem Norden mit hohen Wangenknoen und blassen Augen. Seine
smale Pianistenhand liegt auf dem silbernen Kreuz, das an einer Kee um
seinen Hals hängt. Vielleit gibt sein Status als Fremder ihm das Ret,
Nur den verstohlen absätzenden Bli eines Mensen, der si seines
Territoriums nit sier ist. I läle ihm zu; er wendet si ersroen
ab, winkt zwei Kinder zu si. Mit einer beredten Geste verweist er auf den
I nehme sie auf den Arm und küsse sie auf die Stirn. Sie riet na
Rau und gebaenen Pfannkuen und warmer Bewäse an einem
Wintermorgen.
flütige Heiterkeit auf, do son ist die Wärme wieder verswunden,
son hat die Menge si aufgelöst. Die Straßenhändler paen ihre Stände
zusammen, die Kinder ziehen ihre Kostüme aus und geben ihre Süßigkeiten
verwunsenes Dorf, das nur einmal im Jahr aus dem Nebel auaut. Häe
es den Karnevalsumzug nit gegeben, häen wir das Dorf nie entdet.
Wir haben Gas, aber bisher no keinen Strom. An unserem ersten Abend
habe i bei Kerzenlit für Anouk Pfannkuen gebaen, und wir haben
sie vor dem offenen Kamin von alten Zeitsrien gegessen, die als Teller
dienten, da unsere Saen erst am nästen Tag kommen. Der Laden war
früher einmal eine Bäerei gewesen, und über der smalen Eingangstür ist
immer no das Zunwappen des Bäers, eine in das Holz des Türrahmens
bedet, und als wir den Laden betraten, mußten wir über Berge von
gewöhnt sind; trotzdem ist mir das Mißtrauen im Bli der Hausverwalterin
neues Zuhause; die alten Öfen, die unter all dem Ruß und Fe no
erstaunli gut in Suß sind, die mit Kiefernholz getäfelten Wände, die
lauter Spinnen aus den Falten des ausgebleiten Segeltus hervor. Unsere
Wohnung liegt im ersten Sto über dem Laden; zwei Zimmer, ein Bad, ein
Sie hat ret. Es ist ein Geru wie von Tageslit, das jahrelang
eingesperrt war, bis es sauer und ranzig wurde, von Mäusedre und dem
Höhle, und die geringe Wärme, die unsere Körper ausstrahlen, läßt jeden
dem seit Jahren niemand gela t hat … Anouks Gesi t wirkte blaß im
Kerzenli t, als sie mi mit großen Augen ansaute und meine Hand ganz
fest hielt.
»Müssen wir hier s lafen?« fragte sie. »Pantoufle gefällt es hier nit. Er
hat Angst.«
Wir zündeten für jedes Zimmer Kerzen an, goldene, rote, weiße und
Zitronengras. Wir nahmen jede eine Kerze in die Hand, Anouk blies auf
ganze Haus, dur jeden Raum, srien und sangen aus voller Kehle – Raus!
Raus! Raus! –, bis die Wände waelten und die entsetzten Geister die Flut
ergri ffen. Zurü blieben ein swaer Geru na Verbranntem und jede
Menge abgefallener Putz. Wenn man hinter die brü igen, ges wärzten
Markise, die mit einemmal bunt au fleutet, wenn man die vers ossenen
und Pantou fle stamp en und sangen, und die blassen Bilder s ienen
Glö en über der Eingangstür. Natürli weiß i , daß es nur ein Spiel ist.
Es liegt Arbeit vor uns, harte Arbeit, bis all das Wirkli keit wird. Do
einen Moment lang genügt es zu wissen, daß das Haus uns willkommen
heißt, so wie wir es au willkommen heißen. Steinsalz und Brot auf der
Später erklärte Anouk, Pantou fle habe jetzt keine Angst mehr, und dann
war es gut.
bede ten Matratze, und als wir aufwa ten, war es Morgen.
12. Februar
Aschermi woch
gewesen, wie nah bei der Kir e wir wohnten, bis i die Glo en hörte, ein
tiefer, s wingender Ton, der si im Takt mit einem hellen Läuten – dong
der Läden rings um den Platz no dunkel waren. Es gab eine Bäerei,
Kirturm wie ein Leuurm in den Himmel, die römisen Ziffern der
Turmuhr leuten um ses Uhr zwanzig rotgolden, als wollten sie den
Miene auf den Platz heruntersaut. Auf der Spitze des gedrungenen Turms
Siel in der Hand die Windritung an – West bis Westnordwest. Von
meinem Balkon mit den toten Geranien aus konnte i die ersten
Kirgänger sehen. I erkannte die Frau mit dem karierten Mantel, die mir
beim Karnevalsumzug aufgefallen war; i winkte ihr zu, do sie eilte
weiter, ohne meinen Gruß zu erwidern, und zog ihren Mantel fest um si.
Der Mann mit dem Filzhut und dem traurigen braunen Hund, der kurz
reagierte nit darauf, sondern ging hastig in die Kire und nahm den
Hund glei mit. Dana saute niemand mehr zu meinem Balkon herauf,
Sutz gegen den unsitbaren Wind tief in die Stirn gezogene Hüte –, do
sluren sie über das Kopfsteinpflaster. Der Mann da hat heute mit dem
Rauen aufgehört, date i; dieser dort hat si vorgenommen, nit
mehr regelmäßig ins Café zu gehen, jene Frau wird auf ihre Lieblingsspeisen
wieder dur . Und wenn man einmal gemerkt hat, daß man in der Lage ist,
Wüns e zu erfüllen, wird man den Impuls nie wieder los. Und außerdem
den Fingern ju en und das Herz höher s lagen … Eine Zeitlang werden
Im Kramladen kau en wir Farbe, Pinsel, Rollen, Seife und Eimer. Wir
begannen im ersten Sto und arbeiteten uns na unten vor, warfen alte
Vorhänge und kapu e Möbel auf den wa senden Haufen in dem kleinen
Garten hinter dem Haus, s rubbten Fußböden und ließen ganze Flutwellen
hörte i die Türglo e läuten, und als i , die Seife in der einen und die
Bürste in der anderen Hand, au li te, sah i den Priester in der Tür
stehen.
Aufwartung ma te.
Er betra tete uns lä elnd. Ein zurü haltendes, gnädiges Lä eln; der
triefenden Sandalen.
auf seine blankpolierten S uhe zu. I sah seinen Bli kurz zu dem Rinnsal
»Francis Reynaud«, sagte er, während er diskret zur Seite trat. »Der Curé
der Gemeinde.«
I mußte la en.
»A so«, sagte i ironis . »Und i
da te s on, Sie gehörten zum
Karnevalsumzug.«
»Vianne Ro er. Und der Kanonier da oben ist meine To ter Anouk.«
Er tat mir plötzli leid, wie er dastand und kramp a versu te, ins
»Ja, wir müssen dieses Haus so s nell wie mögli in Ordnung bringen.
Es gibt no sehr viel zu tun! Aber wir wären sowieso ni t in die Kir e
gekommen, Monsieur le Curé. Wir sind keine Kir gängerinnen, wissen Sie.«
»A so.«
»Aber es ist sehr freundli von Ihnen, uns willkommen zu heißen«, fuhr
i heiter fort. »Viellei t können Sie uns sogar dabei behil fli sein, hier ein
paar neue Freunde zu finden.«
Er hat tatsä li etwas von einer Katze; die kalten, blassen Augen, die
Distanziertheit.
»I werde tun, was i kann.« Das Wissen darum, daß wir keine neuen
Gewissen treibt ihn dazu, mehr anzubieten, als er zu geben bereit ist.
»Nun, wir könnten ein biß en tatkrä ige Hilfe gebrau en«, sage i .
Geld verdienen mö te? Einen Putzer zum Beispiel, jemand, der uns beim
»Mir fällt niemand ein.« Er ist der vorsi tigste Mens , dem i je
erweisen liegt ni t in seiner Natur. Sein Bli gli mißtrauis zu dem Salz
ma te einen Bogen um die kleine Opfergabe, als sei sie eine Beleidigung für
ihn.
»Maman?« In der Tür ers ien Anouks Kopf, die Haare wild in alle
»Bleibt im Garten.« I wis te ihr einen S mutz fle von der Nase. »Du
siehst aus wie ein ri tiger Kobold.« Gerade re tzeitig bemerkte i den
seltsamen Bli , mit dem sie den Priester musterte. »Das ist Monsieur
»Hallo!« rief Anouk auf dem Weg zur Tür. »Ts üs!«
Ein vers wommenes Au litzen ihres gelben Sweatshirts und ihrer roten
Latzhose, als ihre Füße wie wild über die nassen Fliesen s li erten, und
s on war sie vers wunden. Ni t zum erstenmal war i mir fast si er,
Pantou fle zu sehen, der ihr auf den Fersen folgte, ein dunklerer Fle auf
Reynaud
lä elte, die Lippen
s mal zusammengepreßt, als hä e der
Ihnen sind ein Luxus, ja, man könnte fast sagen, der einzige Luxus, den i
mir gönne. I hoffe, daß Ihnen die Blumen gefallen. Sie sind nits
Besonderes, aber sie duen herrli. I stelle sie hierhin, neben Ihren Stuhl,
wo Sie sie sehen können. Von hier aus haben Sie einen sönen Ausbli
über die Felder mit dem Tannes, der si dur das Land slängelt, und in
der Ferne können Sie sogar die Garonne glitzern sehen. Fast könnte man
meinen, wir wären ganz allein. Oh, i will mi nit besweren. Wirkli
nit. Aber Sie müssen wissen, wie swer es für einen Mann ist, die ganze
Last allein zu tragen. Ihre nitigen Sorgen, ihre Klagen, ihre Dummheiten,
Wasserpistole auf mi gesossen, und sein Vater hae nit mehr dazu zu
sagen, als daß er do no klein sei und nur spielen wolle. I will sie do
bloß im reten Glauben leiten, mon père, und sie von ihren Sünden
befreien. Aber sie sind so trotzig wie kleine Kinder, die gesunde Kost
Geduld und Strenge auf Ihren Sultern getragen. Sie haben ihre Liebe
gewonnen. Haben die Zeiten si denn so geändert? I werde geatet und
gefürtet … aber nit geliebt. Ihre Gesiter sind mürris, voller Groll.
Als sie gestern mit Asenkreuzen auf der Stirn die Kire verließen,
wirkten sie zuglei suldbewußt und erleitert. Jetzt können sie si
Begreifen sie denn nits? Der Herr sieht alles. Ich sehe alles. Paul-Marie
Muscat prügelt seine Frau. Er kommt jede Woe zur Beite, betet zehn
je. Seine Frau stiehlt. Letzte Woe ist sie auf den Markt gegangen und hat
ob Tiere eine Seele haben, und weint, wenn i ihm erkläre, daß sie keine
haben. Charloe Edouard glaubt, ihr Mann häe eine Geliebte – i weiß,
daß er drei hat, aber das Bei tgeheimnis zu sweigen. Was
zwingt mi
sind sie do für Kinder! Ihre Erwartungen bringen mi zur Verzweiflung.
Aber i kann es mir nit leisten, Swäe zu zeigen. Safe sind gar nit
so fromm und gutmütig wie auf den Hirtenbildern. Das kann einem jeder
einfältig. Ein nasitiger Hirte riskiert, daß seine Herde aufsässig und
widerspenstig wird. I kann es mir nit leisten, nasitig zu sein.
Deswegen gestae i mir einmal pro Woe diesen Luxus. Ihre Lippen,
mon père, sind so fest versiegelt wie die eines Beitvaters. Sie haben stets
ein offenes Ohr, sind stets voller Milde. Für eine Stunde kann i meine Last
Wir haben ein neues Mitglied in unserer Gemeinde. Eine gewisse Vianne
Roer, eine Witwe, nehme i an, mit einer kleinen Toter. Erinnern Sie
si no an die Bäerei des alten Blaireau? Er ist vor vier Jahren gestorben,
und seitdem verfällt das Haus immer mehr. Nun, sie hat das Haus gemietet
Gesä lange bestehen wird. Wir haben ja son Poitous Bäerei auf der
gegenüberliegenden Seite des Platzes, und außerdem paßt sie einfa nit
zu uns. Sie ist ja ganz ne, aber sie hat nits mit uns gemein. I gebe ihr
zwei Monate, dann kehrt sie wieder in die Stadt zurü, wo sie hingehört.
Komis, sie hat mir gar nit gesagt, woher sie kommt. Wahrseinli aus
Paris, oder vielleit sogar aus dem Ausland. Sie sprit völlig akzentfrei,
mit harten Vokalen wie im Norden, eigentli fast zu akzentfrei für eine
Französin, und ihre Augen könnten darauf sließen lassen, daß sie
i habe sie nit so genau gesehen. Sie hat gestern und heute den ganzen
Plastikplane vor das Saufenster gehängt, so daß der ganze Laden aussieht
wie ein riesiges Gesenkpaket, und ab und zu sieht man sie oder ihre
unbändige kleine Toter vor die Tür treten, um einen Eimer Putzwasser in
daß sie für sie arbeiten. I hae ihr zwar angeboten, sie bei der Sue na
Helfern zu unterstützen, war jedo davon ausgegangen, daß si kaum
jemand aus dem Dorf finden würde. Aber heute morgen habe i gesehen,
wie Clairmont ihr in aller Frühe Bauholz bra te, und später kam Pourceau
mit seiner Leiter. Poitou hat Möbel geliefert; i habe ihn einen Sessel über
den Dorfplatz tragen sehen, im Gesi t den gehetzten Bli eines Mannes,
der ni t bemerkt werden will. Selbst dieses ni tsnutzige Lästermaul
Kir hof umzugraben, ist mit seinem Werkzeug zu ihr gegangen, um ihren
Garten in Ordnung zu bringen. Heute morgen gegen zwanzig vor neun hielt
ein Lieferwagen vor dem Laden. Duplessis, der wie immer um diese Zeit
seinen Hund ausführte, kam gerade vorbei, und sie spra ihn einfa an
und bat ihn, beim Abladen zu helfen. I konnte sehen, daß er über ihr
Ansinnen ziemli verblü war, die Hand, mit der er gerade seinen Hut
si er, daß er ihr die Bi e abs lagen würde. Do dann sagte sie etwas –
i konnte ni t verstehen, was es war –, und i hörte ihr Laen quer über
den Platz. Sie la t überhaupt viel und gestikuliert ausgiebig mit den
Händen. Das ist wohl au typis für eine Städterin. Hier auf dem Land
sind wir es gewohnt, daß die Leute reservierter sind, aber i nehme an, sie
Kopf gebunden, aber ihr Haar war zum größten Teil darunter
hervorgeruts t und voller weißer Farbe. Das s ien sie gar ni t zu stören.
ni ts Besonderes gebra t, nur ein paar Kartons, klein, aber s wer, und
ni t viel anfangen.
tun, als beoba ten, was in der Bä erei vor si geht. Es ist nur so, daß sie
ges rubbt, bis die Neugier mi überkam und i das Ergebnis all der
Pla erei sehen wollte. Und i bin ni t der einzige, der neugierig
geworden ist; i habe gehört, wie Madame Clairmont vor Poitous Bä erei
beri tete;
i hörte sie von roten Fensterläden erzählen, bis sie mi
bemerkte und in einem vers wöreris en Flüsterton weiterredete. Als ob
mi das alles interessierte. Die Neue sorgt auf jeden Fall für Klats . I
unerwarteten Augenbli en aufs neue ins Auge sti t. Das verhängte Fenster
erinnert an ein riesiges Bonbon, das darauf wartet, ausgewi elt zu werden,
wie ein Überbleibsel des Karnevalsumzugs. Die leu tende Farbe und die
Art und Weise, wie die Falten der Plane das Sonnenli t re flektieren, haben
etwas Beunruhigendes; i bin froh, wenn die Arbeiten beendet sind und der
Die S wester s aut zu mir herüber. Sie glaubt, i würde Sie ermüden,
Vater. Wie können Sie sie nur alle ertragen, mit ihren lauten Stimmen und
ihrem Gouvernantenton. Ich glaube, es ist jetzt Zeit für unser Nickerchen.
sie es gut, i kann es an Ihren Augen ablesen, Vater. Vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun. I bin ein Egoist. I komme hierher, um
Erlei terung zu finden, nit, um sie Ihnen zu vers ffa en. Und do habe
i immer den Eindru , daß meine Besu e Ihnen Freude bereiten, daß Sie
froh sind, auf diese Weise den Kontakt zur Wirkli keit ni t zu verlieren,
die für Sie vers wommen und konturlos geworden ist. Eine Stunde pro
mi zu ho ffen.
Valentinstag
Der Mann mit dem Hund heißt Guillaume. Er hat mir gestern geholfen, die
Kisten vom Lieferwagen zu laden, und heute morgen war er mein erster
Kunde. Er ha e seinen Hund Charly dabei, und er grüßte mi mit einer fast
ri
erli en Hö flikeit.
»Es ist wunders ön geworden!« sagte er, als er si umsah. »Sie müssen
I la te.
»Wel eine Verwandlung«, sagte Guillaume. »Wissen Sie, i kann ni t
werden.«
hä e er
si aber bei mir bedankt, wo er do so sehr mit seinem
»Es wirkt«, versi erte i ihm. Dann holte i eine kleine rosafarbene
S a tel mit einer silbernen S leife unter der eke hervor. »Für Sie. Für
So ist es immer, wenn in einem kleinen Dorf ein neuer Laden eröffnet; für
sind reserviert, geben si uninteressiert, obwohl sie innerli vor Neugier
traute si herein. Ein Mann mit dunklen, stark ausgeprägten Zügen, der
drei gleie Sateln Pralinen kaue, ohne si na dem Inhalt zu
erkundigen. Dann kam vier Stunden lang niemand. I hae es nit anders
Vorhängen, das Bemühen, si ein Herz zu fassen. Als sie sließli
ersienen, kamen sie alle zusammen; at Frauen, unter ihnen Caroline
Clairmont, die Frau des Sildermalers. Eine neunte Frau, die etwas später
eintraf, blieb draußen vor dem Laden stehen und berührte die
S aufensterseibe fast mit der Nase, und i erkannte die Frau mit dem
i sah, daß die Frau in dem karierten Mantel immer no draußen vor dem
Fenster stand, fragte i: »Möte Ihre Freundin nit au hereinkommen?«
»Oh, sie gehört nit zu uns«, erwiderte Joline Drou, eine Frau mit
strengen Zügen, die in der Dorfsule unterritet. Sie warf einen kurzen
Bli auf die Frau vor dem Fenster. »Das ist Joséphine Muscat.« Es lag eine
Art mitleidige Veratung in ihrer Stimme, als sie den Namen ausspra.
Als häe sie es gehört, sah i, wie Joséphine leit errötete und den Kopf
senkte. Sie hielt si eine Hand vor den Bau, was wie eine seltsame
so als würde sie ein Gebet spreen oder einen Flu ausstoßen.
Muscat vor si hin, während sie rhythmis vor- und zurüsaukelte und
gerade dabei war, die letzte Kundin zu bedienen, hob sie beinahe trotzig den
Diese letzte Kundin hae spezielle Wüns e. Madame ließ eine
si
mit weißen S leifen und Blumen und goldenen Herz en und dazu eine
gesit. Die eine Hand bleibt in ihre Magengrube gedrüt, die andere
Bis die Damen den Laden mitsamt ihren Päen verlassen haen, ließ
i mir nits anmerken. Joséphine, allein an der eke, tat so, als würde sie
si in Ruhe etwas aussuen, hob hier und da mit nervösen Händen eine
Lauter Bilder gingen mir dur den Kopf; Rau, eine Handvoll glitzernder
Tand, ein blutiger Knöel. Und hinter all dem spürte i tiefen Kummer.
Sie murmelte etwas Unverständlies vor si hin und wandte si zum
Gehen.
glaube, i habe etwas, das Ihnen gefallen wird.« I langte unter die
»I
eke und holte ein silbernes Päen hervor, das etwas größer war als das,
was i sie hae stibitzen sehen. Das Päen war mit einem weißen, mit
gelben Blümen bestiten Band versnürt. Sie starrte mi mit offenem
I weiß, heute ist nit mein üblier Besustag, mon père. Aber i muß
unbedingt mit jemandem reden. Die Bäerei hat gestern eröffnet. Aber es
ist keine Bäerei. Als i morgens um ses Uhr aufwate, war die
orangefarbene Plastikplane nit mehr da, die Markise und die Fensterläden
aussah, wie all die anderen Häuser rings um den Dorfplatz, hat si in ein
rotem Krepp umwi elt. Und über der Tür ein handgemaltes S ild aus
s warzer Ei e:
La Céleste Praline
Chocolaterie Artisanale
üben sollen? Das s eint mir do pervers zu sein, mögli erweise sogar mit
Tüten aus Silber- und Goldpapier ausgestellt, mit Rose en, Glö en,
Rosenblä er, Veil enpastillen … Dur die Markise vor der Sonne
Aladins Höhle. Und in der Mi e hat sie die Haupta raktion aufgebaut. Ein
Lebku enhaus, dessen Wände mit S okolade überzogen sind; Türen und
Fenster sind mit silbernem und goldenem Zu erguß aufgemalt, das Da ist
Kle erp flanzen aus Zu erguß und S okolade empor, an denen kandierte
Frü te wa sen, neben dem Haus stehen Bäume aus S okolade, in denen
Marzipanvögel zwits ern … Und dann die Hexe, von ihrem hohen, spitzen
Hut bis zum Saum ihres langen Umhangs aus dunkler S okolade. Sie reitet
auf einem Besenstil, der dem Kits die Krone aufsetzt, einer von diesen
S aufenster sehen, das wie ein halb ges lossenes Auge zu mir
Caroline Clairmont hat wegen der Waren, die in diesem Laden feilgeboten
werden, ihr Fastengelübde gebro en. Gestern im Bei tstuhl hat sie es mir
gestanden, in diesem atemlosen, mäd enha en Ton, der ihre Beteuerungen
der Reue so unglaubha ma t.
»O mon père, i ma e mir sol e Vorwürfe! Aber was sollte i tun, wo
diese charmante Frau so reizend zu mir war? I meine, i habe ni t mal
…
im Traum daran geda t, bis es zu spät war, obwohl i all das süße Zeug
überhaupt ni t anrühren dür e I meine, in den letzten zwei Jahren bin
…
am liebsten sterben «
»Zwei Ave-Maria.« Go , diese Frau. Selbst dur die Gi erstäbe spüre i
ihre lüsternen Augen. Sie gibt si zerknirs t über meine S ro eit.
»Selbstverständli , Vater.«
»Und denken Sie daran, warum wir in der Fastenzeit enthaltsam sind.
Ni t aus Eitelkeit. Ni t, um unsere Freunde zu beeindru en. Ni t, damit
wir in die teuren Kleider passen, die im nä sten Sommer in Mode
kommen.« I bin absi tli s onungslos. Es ist genau das, was sie
brau t.
»Ja, i bin eitel, ni t wahr?« Ein kurzes S lu zen, eine Träne, die sie
vorsi tig mit dem Zipfel eines Batis as entu s abtup . »Eine dumme,
eitle Frau.«
»Denken Sie an unseren Herrn Jesus. An das Opfer, das er für uns
gebra t hat. An seine Demut.« I rie e ihr Parfüm, irgend etwas
Blumiges, zu intensiv in dieser dunklen Enge. I frage mi , ob es
»Vier Ave-Maria.«
flung.
fl
Es ist eine Art Verzwei Es zerfrißt die Seele, zersetzt sie Stü für
Stü , so wie eine Kathedrale über die Jahre von in der Lu iegenden
Staub- und Sandkörn en allmähli abgetragen wird. I spüre, wie es an
zwis en Gut und Böse personi fiziert in einer di en Frau, die in
winziger Teil en, die das Blut und die Seele mit dem Bösen in filtrieren. Wir
beide, Sie und i , mon père, wurden zu spät geboren. I sehne mi na
der rauhen, klaren Welt des Alten Testaments. Damals wußten wir no , wo
wir standen. Damals war Satan in Fleis und Blut unter uns. Wir trafen
Eigentli denke i kaum an sie. Sie ist nur einer der s le ten Ein flüsse,
gegen die i Tag für Tag kämpfen muß. Aber dieser Laden mit seiner
Zwinkern, das der Enthaltsamkeit spo et, den Glauben unterhöhlt … Wenn
i aus der Tür trete, um mi der Gemeinde zu widmen, bemerke i , wie
si im Inneren des Ladens etwas bewegt. Probier mich. Koste mich. Nasch
mich. In der Stille zwis en zwei Strophen eines Kir enliedes höre i das
Hupen des Lieferwagens, der vor dem Laden hält. Während der Predigt –
während der heiligen Messe, Vater! – fahre i
mi en im Satz zusammen,
Sulranzen auf dem Rüen oder in der Hand – die Größeren, mit
meinem Fenster. Mir fiel ein Junge in einem tadellos sitzenden grauen
Mantel und mit Baskenmütze auf, der allein ging, den S ulranzen korrekt
auf den s malen Rü en ges nallt. Eine ganze Weile blieb er vor dem
Saufenster von La Céleste Praline stehen, do die Sonne spiegelte si so
ungünstig in der Fensterseibe, daß i sein Gesit nit erkennen konnte.
Als ein paar Kinder in Anouks Alter vor dem Laden stehenblieben, ging er
weiter. Zwei Nasen wurden kurz an der Fensters eibe plagedrüt, dann
steten die vier die Köpfe zusammen und leerten ihre Hosentasen, um ihr
hineingehen sollte. I tat so, als sei i hinter der eke mit etwas
besäigt.
ernstes Gesit, denn der Kauf von Süßigkeiten ist eine ernste
entgegen.
Der amerikanise Ausdru kam fast trotzig über die kleinen Lippen, wie
»Sehr cool«, stimmte i zu. »Wenn ihr wollt, könnt ihr mir helfen, es
»Cool!«
»Megacool!«
»Wann?«
I zu te die A seln.
»I werde Anouk bi en, eu Bes eid zu sagen«, verspra i . »Das ist
»Das wissen wir. Wir haben sie gesehen. Sie geht ni t zur S ule.« Die
»Ab Montag wird sie in die S ule gehen. Es ist s ade, daß sie no keine
Freunde hat, denn i habe ihr erlaubt, sie mit na Hause zu bringen. Sie
Füße s arrten, klebrige Hände wurden ausgestre t, jeder wollte der
»Wir können –«
»Ich kann –«
»I heiße Jeannot –«
»Claudine –«
»Lucie –«
I s enkte jedem Kind eine Spe maus, und im nä sten Augenbli sah
Seit seinem P fl i tbesu am ersten Tag ist er ni t mehr bei uns gewesen,
aber i habe viel von ihm gehört. Guillaume spri t respektvoll über ihn,
Narcisse entnervt, Caroline in dem koke en Ton, den sie stets anzus lagen
s eint, wenn sie über einen Mann unter Fünfzig spri t … Es liegt wenig
e te Sympathie in der Art, wie sie über ihn reden. Er ist kein Einheimis er,
wie i gehört habe. Ein Seminarist aus Paris, der sein Wissen aus Bü ern
und Zwänge. Das weiß i von Narcisse, der mit ihm in Fehde lebt, seit er
si weigerte, während der Erntesaison die Messe zu besu en. Ein Mann,
der Dummköpfe vera tet, sagt Guillaume mit einem traurigen Halblä eln
hinter seiner runden Brille, das heißt also, die meisten von uns mit unseren
liebevoll Charlys Kopf, worau in der Hund kurz au ellt, wie um ihn zu
bestätigen.
war Guillaume Lehrer an der hiesigen Grunds ule. Heute gibt es für die
der älteren Leute spre en immer no von Guillaume als dem maître
d’école. I sehe ihm zu, wie er Charly die Ohren krault, und i bin mir
»Jeder hat das Re t, si seine Freunde auszusu en, egal, wie alt er ist«,
Halblä eln.
»Monsieur le Curé tut sein Bestes«, erklärte er mir san . »Mehr können
I sagte ni ts darauf. In meinem Beruf lernt man s nell, daß das Geben
keine Grenzen kennt. Guillaume verließ La Praline mit einer kleinen Tüte
Bourgeois bog, sah i , wie er einen davon seinem Hund gab. Ein Täts eln,
ein Bellen, ein kurzes Wedeln mit dem Stummels wanz. Wie i s on
inzwis en immer mehr Gesi ter und Namen; die ersten Stränge von
kleinen Ges i ten, die si mit der Zeit zu einer uns alle verbindenden
Nabels nur ver fleten werden. Das Dorf ist viels i tiger, als sein
einfa er Grundriß zunä st vermuten läßt. Die Rue Principale, von der
mehrere Seitenstraßen wie die Finger einer Hand abzweigen: die Avenue des
Poètes, die Rue des Francs Bourgeois, die Ruelle des Frères de la Revolution –
irgendein Bürgermeister muß eine ausgeprägt republikanis e Ader gehabt
haben. Der Dorfplatz, die Place Saint-Jérôme, ist der Mi elpunkt, auf dem
diese Straßen zusammenlaufen und wo die Kir e weiß und stolz in den
eine mit rotem Kies bede te Flä e, auf der die alten Männer an lauen
Abenden pétanque spielen. Hinter der Kir e geht es steil den Hügel
hinunter in das Gewirr von engen Gassen, das die Einheimis en nur Les
Kopfsteinp flaster bis hinunter zum Ufer des Tannes. Die Dorfgrenze jedo
liegt weiter draußen, wo das Sumpfgebiet beginnt. Einige Häuser stehen auf
die steinerne Kaimauer, wo die Feu tigkeit des bra igen Wassers wie
lange, kalte Finger bis zu ihren kleinen, s malen Fenstern hinau rie t. In
einer Stadt wie Agen würde ein maleris verfallenes Viertel wie Les
Marauds die Touristen anlo en. Aber hier gibt es keine Touristen. Die
Einwohner von Les Marauds sind Lumpensammler, die von dem leben, was
sie aus dem Fluß fisen. Viele Häuser sind baufällig; hier und da sieht man
Holundersträu er aus Mauerritzen wa sen. I ha e den Laden über die
Mi agszeit für zwei Stunden zugema t und war mit Anouk zum Fluß
ihrem roten Anorak und der roten Mütze rannte über das Kopfsteinp flaster
mit Pantou fle auf den Fersen, dem sie immer wieder aufgeregt etwas zurief.
I habe mi milerweile so sehr an Pantoufle gewöhnt – und an den Rest
der seltsamen Menagerie, die sie stets in ihrem Gefolge führt –, daß i bei
S nurrhaaren und den klugen Augen. In diesen Augenbli en wird die Welt
Weise zu Anouk geworden und sähe mit ihren Augen, liefe in ihren
Fußstapfen. Dann könnte i vergehen vor Liebe für sie, für meine kleine
Fremde; dann s willt mein Herz gefährli an, und i kann mi nur
re en, indem i zu rennen beginne, so daß mein roter Anorak im Wind
fl a ert, als hä e i Flügel bekommen, und mein Haar wie der S weif eines
Eine s warze Katze lief vor mir über den Weg, und i begann, um sie
Où va-t-i, mistigri?
Anouk stimmte mit ein, und die Katze begann zu s nurren und warf si
auf den Rü en, damit wir sie kraulen konnten. Als i mi hinunterbeugte,
sah i eine kleine alte Frau an der E e eines Hauses stehen, die mi
neugierig beoba tete. S warzer
Ro , s warze Ja e, graues Haar, zu
»Sie sind die Frau aus der chocolaterie«, sagte sie. Trotz ihres Alters – i
s ätzte sie auf mindestens a tzig – ha e sie eine klare, feste Stimme und
einem Kopfni en deutete sie auf eines der Häuser am Flußufer, das in
einem etwas besseren Zustand zu sein s ien als der Rest. Es war fris
geweißt, und in den Blumenkästen blühten rote Geranien. Und dann lä elte
sie, und ihr Gesi t legte si in tausend Falten. »I habe Ihren Laden
gesehen. Er ist sehr hübs , das muß i zugeben, aber er taugt ni t für
einfa e Leute wie uns. Viel zu extravagant.« Es lag kein Mißfallen in ihrem
Ton, eher ein amüsierter Fatalismus. »Wie i höre, hat unser M’sieur le
Curé Sie bereits aufs Korn genommen«, fügte sie mit einem spitzbübis en
spö is herausfordernd an. »Weiß er, daß Sie eine Hexe sind?« fragte sie.
Hexe, Hexe. Es ist ni t das ri tige Wort, aber i wußte, was sie meinte.
»Oh, es ist ni t zu übersehen. I nehme an, man muß selbst eine sein,
um eine andere zu erkennen«, sagte sie und stieß ein La en aus wie wildes
ihrem Ton s wang na si tige Vera tung mit. »Er muß no viel lernen,
ni t wahr?«
»I nehme es an. Caro Clairmont. Die hirnloseste eitle Gans in ganz
Lansquenet. ats t den ganzen Tag lang und besitzt ni t den geringsten
Funken Verstand.«
Als i
lä elte, ni te sie fröhli . »Keine Sorge, meine Liebe, in meinem
Vater, wissen Sie. Das ist ein großer Trost.« Sie sah mi seltsam an. »Hier
gibt es ni t viel Abwe slung«, meinte sie. »Vor allem für alte Leute.« Sie
hielt einen Moment lang inne und s aute mi wieder eindringli an.
es genau gespürt. Der Mardi Gras. Der Karneval. In Les Marauds gibt es
selbst ein- oder zweimal erlebt. I mag viellei t alt sein, aber niemand
I ni te.
»Viellei t haben Sie re t«, sagte i . »Kommen Sie do mal zu uns in
den Laden; i kenne die Lieblingssorte jedes Kunden, der den Laden betri .
Armande la te.
»Oh, i darf keine S okolade essen«, sagte sie. »Caro und dieser
idiotis e Arzt erlauben es mir ni t. Sie verbieten mir alles, was mir Spaß
ma t«, fügte sie ironis hinzu. »Zuerst das Rau en, dann den Alkohol,
tiefe Müdigkeit mit, und i sah, wie sie si die Hand vor die Brust s lug,
Vorwürfe«, fuhr sie fort. »Es ist einfa ihre Art. Sie wollen einen vor allem
bes ützen. Vor dem Leben. Vor dem Tod.« Sie setzte ein Grinsen auf, das
ärgern.«
Ihre letzte Bemerkung ging mir no immer dur den Kopf, als sie s on
längst hinter ihrem weißgetün ten Haus vers wunden war. Ein Stü
entfernt ließ Anouk Stein en über das seite, braige Wasser am Flußufer
springen.
Monsieur le Curé. Immer wieder tau te sein Name auf. Eine Weile
Sullehrer, der Kneipenwirt oder der Priester – zum Dreh- und Angelpunkt
der Gemeinde wird. Daß dieser eine Mens zur Ase des Räderwerks
wird, das das Leben des gesamten Dorfes bestimmt, wie die Unruh eines
Uhrwerks, die alle Zahnräder und -räd en antreibt, Pendel s lagen läßt
und die Zeiger dazu bringt, die Uhrzeit anzuzeigen. Wenn die Unruh
bes ädigt wird oder aus dem Takt gerät, bleibt die Uhr stehen. Lansquenet
ist wie diese Uhr. Seine Zeiger sind bei einer Minute vor Miernat
Zifferbla weitertit. Wenn man den Teufel hereinlegen will, muß man die
Kirturmuhr verstellen, hat meine Muer immer gesagt. Aber in diesem
Meine Mu er war eine Hexe. So bezeinete sie si jedenfalls, und zwar so
o und so lange, bis sie es selbst glaubte und das Spiel nit mehr von der
lange Haar, das in ihrer Jugend sierli glänzend swarz gewesen ist, die
Misung aus Wehmut und Zynismus. Was i von ihr gelernt habe, hat
Brauen von Heilsäen, die Überzeugung, daß eine Spinne vor Miernat
Glü und na Miernat Unglü bringt … Vor allem hat sie mir die Lust
am Zigeunern vererbt, die Wanderlust, die uns
dur ganz Europa und
darüber hinaus geführt hat; ein Jahr in Budapest, eins in Prag, se s Monate
in Rom, vier in Athen, dann über die Alpen na Monaco, dann die Küste
entlang; Cannes, Marseille, Barcelona … Bis i atzehn war, konnte i die
Orte nit mehr zählen, in denen wir gelebt, die Spraen, die wir
gesproen haen. Ebenso vielfältig waren ihre Jobs; sie arbeitete als
wir aus den Fenstern von billigen Hotels und zogen weiter, ohne die
Re nung zu bezahlen. Wir fuhren ohne Fahrkarte mit Zügen, fäls ten
Arbeitspapiere, überquerten illegal Grenzen. Unzählige Male wurden wir
freigelassen, ohne daß Anklage gegen sie erhoben worden war. Unsere
Namen änderten
si in jedem Ort, variierten je na Spra e; Yanne,
Jeanne, Johanna, Giovanna, Anne, Anus ka … Wie Diebe waren wir
ständig auf der Flu t, tausten den sperrigen Ballast des Lebens in Francs,
Pfund, Kronen, Dollar, während wir uns vom Wind treiben ließen. I
glaube nit, daß i gelien habe; in jenen Jahren war das Leben ein buntes
Abenteuer. Wir haen einander, meine Muer und i. Einen Vater habe i
ständig zu verstellen. Do über die Jahre zogen wir immer sneller weiter,
wollte Amerika sehen, New York, Florida, die Everglades … Wir zogen jetzt
fast jeden Tag weiter, und meine Mu er legte si nats die Karten, wenn
sie sliefe.
glaubte, i In Lissabon gingen wir an Bord eines
Kreuzfahrtsiffes, auf dem wir uns als Kü enhilfen verdingt ha en. Wir
arbeiteten bis zwei oder drei Uhr früh und standen im Morgengrauen wieder
auf. Jede Na t wurden neben ihr auf der Koje die Karten gelegt, die
inzwis en vom vielen Gebrau klebrig waren. Sie flüsterte ihre Namen vor
hin, während sie immer
si tiefer in der Verwirrung versank, die sie
– Zehn Schwerter, der Tod. Drei Schwerter, der Tod. Zwei Schwerter, der
Der Wagen entpuppte si als ein New Yorker Taxi, als wir eines Abends
mi en in der Hauptverkehrszeit in Chinatown einkaufen gingen. Es war
jedenfalls besser als Krebs. Als meine To er neun Monate später geboren
wurde, nannte i sie na uns beiden. Es sien mir angemessen. Ihr Vater
hat sie nie kennengelernt – ja, i bin mir nit einmal sier, weler von
Miernat einen Apfel sälen und die Sale über meine Sulter werfen
New York verlassen habe? Snürt es mir nit jedesmal ein wenig die Kehle
zu, wenn wir einen Ort verlassen? I glaube son. Fünfundzwanzig Jahre,
immer mehr ermüdete in ihren letzten Jahren. I ertappe mi dabei, wie
i in die Sonne saue und mi frage, wie es wäre, wenn i sie fünf –
oder zehn oder vielleit sogar zwanzig – Jahre lang über demselben
Swindel, ein Gefühl der Angst und der Sehnsut. Und Anouk, meine
kleine Fremde? Seit i selbst Muer bin, sehe i das verwegene Abenteuer,
das wir so viele Jahre lang gelebt haben, mit anderen Augen. I sehe mi
die harte Art lernen, Erdkunde auf die harte Art – Wieviel Brot für fünf
Francs? Wie weit kommen wir mit einer Fahrkarte für fünfzig Mark? –, und
das wüns e i t.
ihr ni Viellei t sind wir deswegen s on seit fünf
au beneidet. Vergiß dich selbst, wenn du kannst, sagte sie immer. Vergiß,
wer du bist. Solange du es ertragen kannst. Aber eines Tages, mein Mädchen,
Heute habe i den Laden zur übli en Zeit geö ffnet. Ausnahmsweise nur
für den Vormi ag – i gönne mir heute zusammen mit Anouk einen freien
Na mi ag –, aber heute ist Messe, und es werden eine Menge Leute auf
dem Dorfplatz sein. Der Februar zeigt si von seiner trübsten Seite, und es
Kopfsteinp flaster bildet und den Himmel graus warz färbt wie
angelaufenes Zinn. Anouk sitzt hinter der eke und liest in einem Bu mit
Kinderreimen; sie paßt für mi auf den Laden auf, während i in der
Lieblingskonfekt: süße Taler aus Vollmil -, Zartbi er- oder weißer
aus der besten, siebzigprozentigen Kuvertüre … Biersüß auf der Zunge mit
einem exotis -geheimnisvollen Beiges ma . Meine Mu
er hä e all das
Am Freitag habe i vor der eke von La Praline ein paar Barho er
aufgestellt, wunderbar kits ige aus Chrom mit roten Kunstledersitzen. Der
Laden erinnert jetzt ein biß en an die Diners, die wir in New York
vorn auf der eke steht eine Speisekarte, in Rot- und Orangetönen von
Anouk handgemalt:
Chocolat chaud 10 F
Den Ku en habe i gestern abend geba en, und die S okolade steht in
einer Kanne auf einer heißen Pla e bereit. I stelle eine zweite Speisekarte
ins Fenster und warte auf meine ersten Kunden.
Gesitern dur den eiskalten Nieselregen eilen. Aus meiner Tür, die einen
Spaltbreit offensteht, duet es süß und verloend. I bemerke hin und
wieder sehnsütige Blie, do dann ein kurzer Bli über die Sulter, ein
au Unmut bedeuten mag, und dann sind sie au son verswunden,
kämpfen mit klägli eingezogenen Sultern gegen den Wind an, als stünde
ein Engel mit flammendem Swert vor der Tür, der ihnen den Zugang
verwehrt.
Und denno befällt mi Ungeduld, ja, beinahe Ärger. Was ist los mit
diesen Leuten? Warum kommen sie nit? Die Kirturmuhr slägt zehn,
dann elf. I sehe Leute in die Bäerei gegenüber gehen und kurz darauf
wieder herauskommen, einen Laib Brot unter dem Arm. Es hört auf zu
regnen, do der Himmel bleibt grau. Halb zwölf. Die wenigen Leute, die bis
jetzt auf dem Dorfplatz herumgetrödelt haben, maen si auf den
Heimweg, zum Miagessen. Ein Junge mit einem Hund kommt um die Ee
der Kire, weit dem Regenwasser aus, das von der Darinne trop. Im
Verdammt. Und das, wo i gerade das Gefühl hae, das Eis sei
gebroen. Warum kommen sie nit? Können sie nit sehen, nit
umarmt mi .
»Ni t weinen, Maman.«
I weine nit. I weine nie. Ihre Haare kitzeln mi im Gesit, und
»Es ist nit deine Suld. Wir haben uns sole Mühe gegeben. Wir
Das stimmt. Wir haben sogar daran gedat, die Tür mit roten Sleifen
slete Einflüsse abzuwehren. I küsse sie auf den Kopf. Mein Gesit ist
feut. Irgend etwas, vielleit das biersüße Aroma der heißen Sokolade,
brennt mir in den Augen.
»Ist s on gut, chérie. Wir dürfen uns das alles nit zu Herzen nehmen.
Laß uns eine Tasse Sokolade trinken, das wird uns aufmuntern.«
Wie zwei New Yorkerinnen sitzen wir auf unseren Barhoern, jede mit
einer Tasse Sokolade vor si. Anouk trinkt ihre mit Sahne und
Sokostreuseln; meine ist heiß und dunkel, stärker als Espresso. Wir
sließen genüßli die Augen über dem köstlien Du und sehen sie
beginnen zu leuten, als sie si zu uns setzen, ihre harten, gleigültigen
reiße die Augen auf, und Anouk steht bei der Tür. Einen Augenbli lang
Verführeris.
I springe auf.
»Bie.« Einen Moment lang saut sie mi trotzig an. Der Zauber
glitzert zwisen uns wie goldener Rau. Es könnte so leit sein, sagt sie
mir mit ihren Augen, so leit wie das Streieln unsitbarer Finger, wie
»Das geht nit. Das dürfen wir nit.« I versue, es ihr zu erklären. Es
wir hierbleiben wollen, müssen wir uns so weit wie mögli anpassen.
Pantoufle sieht mi biend an, ein pelziges Etwas in dem goldenen Rau.
I sließe die Augen, um ihn nit zu sehen, und als i sie wieder öffne,
ist er verswunden.
»Es ist in Ordnung«, sage i in entsiedenem Ton. »Es wird alles gut.
sützen, das von der Markise trope, die andere zögernd am Türknauf. Sein
blasses Gesit wirkte gelassen, aber in seinen Augen lag eine Art heimlie
Die Gloe bimmelte, als er eintrat, do er kam nit an die eke. Sta
dessen blieb er in der Tür stehen, so daß der Wind die Falten seiner Soutane
keine Ahnung, wele Art Vorlieben dieser Mann hat. Er ist für mi wie ein
Läeln bra si an ihm wie eine Welle an einer Klippe. Er sah mi
»Wohl kaum.« Seine Stimme klang leise und angenehm, aber unter dem
Armande Voizins Worte – Wie ich höre, hat unser M’sieur le Curé Sie bereits
aufs Korn genommen. Wieso? Eine instinktive Abneigung gegen
läelnder Mund erinnert mi an eine Auster – milig weiß am Rand und
»Sie meinen, am Sonntag?« I gab mi so arglos wie mögli. »I hae
» Mademoiselle Ro er.« Ein kleiner Sieg, aber genug, um ihn aus dem
Er warf einen kurzen Bli zu Anouk hinüber, die immer no mit ihrer
großen Tasse an der eke saß. Ihr Mund war rundherum mit S okolade
bes miert, und plötzli spürte i es wieder wie das Brennen einer
verborgenen Nessel – die Panik, die irrationale Angst, sie zu verlieren. Aber
an wen? Mit wa sendem Unmut s ü elte i den Gedanken ab. An ihn?
Sollte er es ruhig versu en.
um Verzeihung.«
zu verbergen.
»Es tut gut, hier auf dem Land jemandem zu begegnen, der Verständnis
ges ert. Aber hier …« Es gelang mir, zuglei zerknirs t und reuelos zu
wirken. »I meine, es ist wirkli s ön hier, und die Leute haben mir so
geholfen … auf ihre eigenwillige Art. Aber wir sind hier sließli nit in
Paris, ni t wahr?«
Mit dem An flug eines sarkastis en Lä elns p fli tete Reynaud mir bei.
»Es stimmt s on, was man si über das Leben auf dem Dorf erzählt«,
fuhr i fort. »Jeder ist neugierig und will alles von einem wissen. I nehme
an, das liegt daran, daß es hier auf dem Land so wenig Zerstreuung gibt.
Reynaud ni te ernst.
niederzulassen.« Sein öliger Ton triee vor Abseu, seine smalen Lippen
wirkten austernhaer denn je. »Wie Sie son sagten, es ist hier nit ganz
so wie in Paris.« Sein Bli ließ keinen Zweifel daran, daß der Verglei zum
Vorteil von Lansquenet ausfiel. »Ein Laden wie dieser …« Mit einer
Stadt viel erfolgrei er – und schicklicher. In Toulouse, zum Beispiel, oder
ha e, den Laden zu betreten. Schicklich – in dem Wort klang die ganze
ihn aus. Reynaud slug si mit der flaen Hand in den Naen, als häe
»I glaube nit, daß die großen Städte das Vergnügen gepatet haben«,
sagte i spitz. »Jeder braut hin und wieder ein wenig Luxus, ein bißen
Genuß.«
»Aber i denke, in diesem Dorf ist Platz genug für uns beide. Wir haben
verstand. Einen Moment lang starrte i ihn feindselig läelnd an. Reynaud
Leise: »Selbstverständli.«
Oh, i kenne seine Sorte. Wir sind genug von ihnen begegnet, meine
Muer und i, auf unserer Flut dur Europa. Das immer gleie höflie
Läeln, die Veratung, die Gleigültigkeit. Eine kleine Münze, die einer
Frau in der überfüllten Kathedrale von Reims aus der Hand fällt; strafende
e von einer Gruppe Nonnen, als die kleine Vianne herbeispringt, um sie
Bli
aufzuheben, zu Boden stürzt und si die naten Knie aufsür. Ein Mann
im s warzen Habit, der meine Mu er verärgert zur Rede stellt – während
sie mit blei em Gesi t aus der dunklen Kir e flieht und meine Hand so
fest hält, daß es weh tut … Später erfuhr i, daß sie versut hae, bei ihm
zu bei ten. Was ha e sie dazu veranlaßt? Einsamkeit viellei t; das
Gesi tsausdru . Aber konnte sie denn ni t sehen? Sein Gesi tsausdru ,
geben. Wenn sie die kleine – wie hieß sie no? Anne? – liebte, falls sie sie
liebte, müsse sie dieses Opfer unbedingt bringen. Er kenne ein Kloster, in
dem sie gut aufgehoben wäre. Er wisse, was gut für das Kind sei … Er nahm
ihre Hand, zerquets te ihr fast die Finger. Liebte sie ihr Kind denn ni t?
Am nä sten Morgen verließen wir Reims wie die Diebe. Sie trug mi
auf dem Arm, hielt mi fest wie einen gestohlenen S atz, die Augen voller
Angst.
mo te, ja, nein, nein, soo i sie au küßte und ihr beteuerte, daß i
ni ts, überhaupt nichts vermißte, ein wenig von dem Gi blieb immer
zurü . Jahrelang liefen wir vor dem Priester, dem S warzen Mann, davon,
Zeit zu fliehen, dem dunklen Abgrund aus dem Weg zu gehen, den er in
Und jetzt ist er wieder da, gerade als i geglaubt ha e, Anouk und i
hä en endli eine Heimat gefunden. Da steht er in der Tür wie der Engel
er tun mag. Und wenn er alle Leute im Dorf gegen uns au etzt. Sein Gesi t
ist so gla und zweifelsfrei wie eine böse Karte. Und er hat mir seine
Feinds a so deutli erklärt – und i ihm meine –, als hä en wir die
»I bin so froh, daß wir uns verstehen.« Meine Stimme hell und kalt.
»I au .«
Kampf bereit in die Arena treten; in seiner absoluten Gewißheit ist ni t der
der Andeutung eines Ni ens. Einfa so. Hö flie Vera tung. Die gi ige
Wa ffe der Retsaffenen.
»M’sieur le Curé!« Als er si umdreht, drü
e i ihm die kleine, mit
einem S leif en versehene Tüte in die Hand. »Für Sie. Ein Ges enk des
Er runzelt die Stirn, als ob ihn der Gedanke, daß mir etwas Freude
bereitet, ärgert.
I habe den Eindru , daß er trotz seines ruhigen Äußeren verblü ist.
Und dann, na einem weiteren hö flien Ni en, ents windet er, das
weiße Tüt en in der Hand, in den grauen Regen. Mir fällt auf, daß er
gemessenen S
ri es über den Platz geht, ansta so s nell wie mögli
S utz vor dem Regen zu su en,
ni t glei gültig, sondern mit dem
Gesi tsausdru eines Mens en, dem selbst diese kleine Unannehmli keit
willkommen ist …
I stelle mir vor, wie er das Konfekt ißt. Wahrs einli wird er es
Sokolade. Charly war au dabei; er ha e si brav unter einem der
hinauf, der ihm hin und wieder ein Stü braunen Zu er in sein
gehalten, daß die Neuerö ffnung von La Céleste Praline wie ein offener
A ffront gegen die Kir e gewirkt habe. Caroline Clairmont – die gerade
wieder eine neue Diät angefangen hat – fand besonders sneidende Worte,
als sie ihren Freundinnen in der Gemeinde laut erklärte, es sei absolut
schockierend, wie bei den lasterhaften Römern, meine Lieben, und wenn
dieses Weibsbild glaubt, sie könnte sich hier aufführen wie die Königin von
Saba – widerlich, wie stolz sie dieses uneheliche Kind vorführt – und die
…
Pralinen und Trüffel? Nichts Besonderes, meine Lieben, und viel zu teuer
Die Damen kamen zu dem Sluß, daß »es« – was immer es sein mote –
t von Dauer sein könne. In spätestens vierzehn Tagen würde i aus dem
ni
Dorf verswunden sein. Und denno hat si die Zahl meiner Kunden seit
I kenne alle ihre Lieblingssorten. Es ist ein Talent, das zu meinem Beruf
gehört wie die Fähigkeit der Wahrsagerin, aus Händen zu lesen. Meine
Mu er häe darüber gela t, wie i mein Talent vergeude, aber i habe
kein Verlangen, weiter in das Leben der Mens en einzudringen. I
interessiere mi ni t für ihre Geheimnisse und ihre innersten Gedanken.
wirken können. Aber i mag diese Mens en. I mag ihre kleinen,
Aprikosenherzen mit dem wei en Inneren; dieses Mäd en mit dem vom
Wind zerzausten Haar liebt meine mendiants; die lebha e, gutgelaunte Frau
die Mandelspli
er. Für Guillaume die Florentiner, die er in seiner
verspeisen wird. Narcisse ’ Vorliebe für Mokkatrüffel verrät das weie Herz
unter der rauhen S ale. Caroline Clairmont wird heute na t von
Versu ungen, die all die kleinen Heiligen zwis en Pralinen und Trü ffeln
s
wa werden lassen …
Ist das so s limm?
mit seinem Hund spri t, aber au ein biß en traurig. Er hat si den
Hund gekau
, na dem sein Vater gestorben war, erzählt er mir. Aber das
Leben eines Hundes ist kürzer als ein Mens enleben, sagt er, und die beiden
aufmerksam. Sie ist etwa so groß wie ein Hühnerei und zerfur t wie
Suldgefühle misen.
»Nit, daß er« – er ringt na Worten –, »daß er nits mehr vom Leben
häe. Charly leidet nit. Nit ritig.« I nie. I weiß, er versut, si
Sreen liegen in seinem Bli. »I werde wissen, was i zu tun habe.
I werde mi nit fürten.« Wortlos fülle i seine Tasse no einmal
auf und gebe Sokostreusel auf den Saum, aber Guillaume ist zu sehr mit
den Rüen.
»M’sieur le Curé sagt, Tiere häen keine Seele«, murmelte Guillaume. »Er
»Alles hat eine Seele«, erwidere i. »Das hat meine Muer mir immer
gesagt. Alles.«
»Was würde i nur ohne ihn tun?« fragt er, immer no dem Hund
zugewandt, und mir wird klar, daß er mi vergessen hat. »Was würde i
nur ohne di tun?« Hinter der eke balle i vor Wut die Fäuste. I kenne
der Bli, den i auf dem Gesit meiner Muer gesehen habe, an dem
Abend, als der Swarze Mann auf sie einredete. Guillaumes Worte – Was
würde ich nur ohne dich tun? – sind dieselben, die sie während jener ganzen
srelien Nat geflüstert hat. Wenn i abends vor dem Slafengehen
in den Spiegel saue, wenn i morgens aufwae, verfolgt von der
wasenden Angst – dem Wissen – der Gewißheit –, daß meine Toter mir
entgleitet, daß i sie verlieren werde, wenn es mir nit gelingt, ein
Zuhause zu finden … Es ist der Bli, den i auf meinem eigenen Gesit
sehe.
I nehme Guillaume in den Arm. Im ersten Augenbli wird er ganz
Körper geht.
»Es ist in Ordnung, daß Sie sol e Gefühle haben«, sage i bestimmt. »Es
ist erlaubt.«
Charly ma
t si mit eifersü tigem Bellen bemerkbar.
genug, um die Kosten zu de en. I erzählte es Anouk, als sie aus der
S ule kam, aber sie war abwesend und ungewöhnli still. Ihre Augen
»Es ist wegen Jeannot«, sagte sie tonlos. »Seine Mu er hat gesagt, er darf
ni t mehr mit mir spielen.«
Bli . Er und Anouk haben gestern abend zusammen auf dem Dorfplatz
Seine Mu er ist Joline Drou, eine der beiden Grunds ullehrerinnen und
grimmigen Bli zu. »Weil wir ni t in die Kir e gehen. Weil du den Laden
I s aute sie an. I hä e sie gern in die Arme genommen, aber ihre
»Er kann ni ts ma en. Sie ist immer da und paßt auf ihn auf.« Anouks
Stimme wurde s rill, und i ha e das Gefühl, daß sie den Tränen nahe
war. »Warum passiert mir immer so was?« fragte sie. »Warum kann i
nie …« Ihr Kinn begann zu zi ern.
»Du hast do no andere Freunde.« Es stimmte; gestern abend waren
Clairmont. Lise Poitou. Seine Freunde. Ohne Jeannot würde die Gruppe si
son bald verlieren. Plötzli überkam mi ein tiefes Mitgefühl für meine
Toter, die si mit unsitbaren Freunden umgab, um die Welt um sie
herum zu bevölkern. Die Vorstellung, daß eine Muer diesen leeren Raum
»Wir könnten zur Kire gehen, wenn du willst«, slug i san vor.
Vorwurfsvoll: »Und warum nit? Die glauben do au nit an Go.
I läelte bier. Ses Jahre alt, und immer wieder überrast sie mi
Ein Aselzuen, zynis und gleigültig. Sie trat von einem Fuß auf
den anderen, als fürtete sie eine Strafpredigt. I sute na Worten, um
ihr die Situation zu erklären. Aber alles, was mir ein fiel, war das
verzweifelte Gesi t meiner Muer, wie sie mi in ihren Armen wiegte und
fast grimmig flüsterte: Was würde ich nur ohne dich tun? Was würde ich
tun?
Oh, i habe ihr das alles son vor langer Zeit erklärt. Die Heuelei der
Kir e, die Hexenverbrennungen, die Verfolgung von Zigeunern und
Andersgläubigen. Sie versteht das alles. Aber dieses Wissen hil einem nit
unbedingt im Alltag, hil nit, die Einsamkeit und den Verlust eines
Freundes zu ertragen.
»Es ist ni t fair.« Sie war immer no rebellis, wenn au nit mehr
ganz so feindselig.
Verbrennung der heiligen Johanna von Orleans auf dem Seiterhaufen und
au nit die spanise Inquisition. Aber i hütete mi, es auszuspreen.
Ihre Züge waren angespannt, verbissen; ein leises Anzei en von S wä e,
»Aber i will Jeannot.« Ihre Stimme klang seltsam erwa sen, seltsam
müde, als sie si abwandte. Tränen quollen ihr aus den Augen, do sie
ma te keine Anstalten,
si von mir trösten zu lassen. Und mit
überwältigender Klarheit sah i sie plötzli vor mir, das Kind, die
Heranwa sende, die Erwa sene, die Fremde, die sie eines Tages werden
würde, und beinahe hä e i vor Angst und S re en aufges rien, als
wären unsere Positionen irgendwie vertaus t worden, als sei sie mit
Aber i ließ sie wortlos gehen. I sehnte mi dana , sie in die Arme
erwarten als ein wenig Zärtli keit, eine s einbare Fügsamkeit. Do unter
der Ober fläe bleibt die Wildheit, roh, grausam und fremd. Den ganzen
Abend lang spra sie fast kein Wort. Als i sie zu Be bra te, wollte sie
längst ausges altet ha e. Von meinem Be aus hörte i sie in ihrem
Zimmer hin- und hergehen und mit si selbst – oder mit Pantoufle – reden,
kurze, wütend abgeha te Sätze, zu leise, um etwas zu verstehen. Später, als
i mir
si er war, daß sie s lief,
s li i hinüber, um das Li t
auszuma en. Sie lag zusammengerollt am Fußende ihres Be es, einen Arm
ausgestre t, den Kopf auf seltsame und zuglei rührende Weise verdreht.
Mit einer Hand hielt sie eine kleine Figur aus Knetgummi umklammert. I
nahm sie ihr aus der Hand, als i sie zude te, und wollte sie in die
Spielzeugkiste zurü legen. Sie war no warm von ihrer kleinen Hand und
Plakafarbe und Dru ers wärze und halbvergessenen Freunden. Sie war
kaum zwanzig Zentimeter groß, sorgfältig gearbeitet, Augen und Mund mit
einem spitzen Gegenstand eingeritzt, um die Taille einen roten Wollfaden
gebunden und mit einem zo igen Haars opf aus kleinen Stö en oder
Stroh … In den Körper der Puppe, etwa in der Herzgegend, war ein
Bu stabe eingeritzt; ein großes J. Darunter ein großes A, das si mit dem J
übers ni .
I legte die Puppe vorsi tig neben sie auf das Kop issen, s altete das
Li t aus und ging zurü in mein Zimmer. Irgendwann kurz vor dem
Morgengrauen kam sie in mein Be gekro en, so wie sie es früher o getan
ha e, als sie no kleiner war, und im Halbs laf hörte i sie flüstern: »Ist
s on gut, Maman, i bleibe do immer bei dir.«
Sie du
ete na Salz und Babyseife, als sie si im Dunkeln an mi
kus elte. I wiegte sie, wiegte mi selbst, hielt uns beide so fest in den
weinen.«
I weinte ni
t. I weine nie.
I s lief s
le t, von unruhigen Träumen geplagt; wa te mit der
Dämmerung auf, Anouks Arm über meinem Gesi t, und plötzli überkam
mi eine sol e Panik, daß i nur no wegrennen wollte, Anouk auf den
Arm nehmen und weit weg fliehen … Wie sollten wir hier leben? Wie
und seltsam neidis … Lauf, Vianne, lauf. Lauf, Anouk. Vergiß deinen
Mu er und i , haben uns viel zu weit von uns selbst entfernt.
Diese Kunst kann i genießen. Koen ist eine Art Hexerei; das
vertrauten Werkzeuge – der Stößel und der Mörser, von meiner Mu er
benutzt, um die Du stoffe für ihre Räuerstäben zu zermahlen, wird zu
einem profaneren Zwe eingesetzt, ihre Gewürze und Aromen dienen
einem sinnlieren Zauber. Zum Teil ist es die Flütigkeit, die mir
Kunstfertigkeit und Erfahrung für einen Genuß, der nur einen Augenbli
lang währt, und den nur wenige wirkli zu sätzen wissen. Meine Muer
war für sie kein Vergnügen, sondern eine lästige Notwendigkeit, eine Art
zum erstenmal e te Sokolade gekostet habe. Aber die Faszination ist
unterwegs begegnet waren, eigene Kreationen. Mit Hilfe ihrer Karten und
Wahrsagereien bestimmte meine Mu er unseren Kurs kreuz und quer dur
Europa. Meine Ko karten markierten unseren Weg, sie waren die
bekam. Meine Muer hae keine Zeit, Meilensteine zu setzen. All ihre
Landkarten waren in ihrem Kopf, für sie war jeder Ort wie der andere.
Son damals waren wir versieden. Oh, sie hat mir alles beigebrat, was
sie konnte. Wie man zum Kern der Dinge vordringt, wie man Mensen
dur s aut, ihre Gedanken und Sehnsü te errät. Der Autofahrer, der
anhielt und uns mitnahm, einen Umweg von zehn Kilometern in Kauf
nahm, um uns na Lyon zu bringen; die Ladenbesitzer, die kein Geld von
uns nehmen wollten; der Polizist, der ein Auge zudrü te. Natürli klappte
Francis Reynaud ist einer von ihnen. Aber au wenn es hin und wieder
als Anouk geboren wurde, und er hat mir geholfen, meinen ersten Laden zu
verarbeitet. I verwende nur die beste. Die Blo s sind etwas größer als die
Supermarkt kaufen kann. Bei jeder Lieferung ist ein Karton von jeder Sorte
dabei: Zartbi er, Vollmil und weiße S okolade. Man muß sie erhitzen,
damit sie die ri tige Konsistenz erhält, und sie ganz vorsi tig abkühlen
lassen, damit sie hart und gla und glänzend wird. Man e Konditoren
genau die ri tige Temperatur errei t ist, die nötig ist, um den gewüns ten
Ges ma zu erzielen.
Es ist ein al emistises Vergnügen, die ma e Kuvertüre in das
Narrengold zu verwandeln, eine Art laienha er Zauber, der meiner Muer
gefallen hä e. Bei der Arbeit denke i an nits, atme tief und ruhig. Die
ffen, do die Hitze der Öfen, die kupfernen Kasserollen, aus
Fenster stehen o
denen der Dampf der smelzenden Sokolade aufsteigt, halten mi warm.
Das Dugemis aus Kakao, Vanille, heißem Kupfer und Zimt ist sinnli
na Art der Azteken mit ihren heiligen Ritualen; Mexiko, Venezuela,
Kolumbien. Der Hof von Montezuma. Cortez und Kolumbus. Die Speisen
der Gö er sieden und blubbern in geweihten Kelen. Das biere Elixir des
Lebens.
Zeiten, als die Welt no weiter und wilder war. Vor Christus – bevor
sind nits für ihn. Do in den Dämpfen der smelzenden Sokolade
gesagt –, ein aus Dampf geformter Finger, der auf etwas deutet …
Da . Einen Augenbli lang glaubte i es zu erkennen. Über der
er
blei Hau, halb verde end, halb enthüllend … Einen Moment lang
konnte i die Antwort beinahe erkennen, das Geheimnis, das er – sogar vor
si selbst – so ängstli verbirgt, den Slüssel, der ihn – und uns alle – in
und Düe, die den Verstand benebeln. Und i bin nit meine Muer, die
bis zu dem Tag, an dem sie starb, wahrsageris e Fähigkeiten besaß, die so
stark waren, daß wir von Entsetzen gepat vor ihnen davonliefen. Do
bevor die Vision si auflöst, bin i sier, etwas zu erkennen – ein Zimmer,
ein Be, einen alten Mann, der in dem Be liegt, die Augen tief in den
Eine Wo e, mon père. Mehr nit. Eine Woe. Aber es kommt mir länger
vor. I begreife nit, warum sie mi so irritiert; mir ist klar, was sie ist.
Neuli bin i bei ihr gewesen, um mit ihr über die sonntäglien
Veilenpastillen und Rosenbläer aus Sokolade. Der Laden hat etwas von
meiner Muer; all die Sleifen, all der Brokat und das Kristallglas, das in
dem gedämpen Lit funkelte, all die Fläsen und Tiegel auf ihrer
losgelassen zu werden. Soviel Süße auf einmal hat etwas Ungesundes. Eine
vollkommen gerade, was ihr eine gewissen Strenge verleiht, die jedo von
den spö is ges wungenen Lippen Lügen gestra wird. Breite, krä ige
ihr Gesi t etwas Unziemli es. Viellei t es ist die direkte Art, mit der sie
einen ansieht, wie ihre Augen fors end verweilen, der ironis e Zug um
ihre Mundwinkel. Und sie ist groß, zu groß für eine Frau, etwa so groß wie
i . Sie starrt mir geradewegs in die Augen, mit aufre ter Haltung und
trotzig vorgere tem Kinn. Sie trägt einen langen, weiten, flammenfarbenen
Ro und einen engen s warzen Pullover. Diese Farbzusammenstellung
signalisiert Gefahr, wie bei einer S lange oder einem gi igen Insekt, eine
ruhiger, freundli er Stimme spri t. I habe das Gefühl, daß sie auf mi
lauert, um mi in Versu ung zu führen, daß sie irgendein Geheimnis
kennt, das selbst i … Aber das ist Unsinn. Was kann sie s on wissen? Was
kann sie s on tun? Sie stört ledigli meinen Ordnungssinn, so wie es einen
würde. Der Same der Zwietra t ist überall, Vater, und er verbreitet si
unau altsam.
I weiß. I übertreibe. Aber wir müssen immer wa sam sein, Sie und
i . Denken Sie nur an Les Marauds, wie wir die Zigeuner vom Ufer des
Tannes vertrieben haben. Wissen Sie no , wie lange es gedauert hat, wie
meine leidens a li en Predigten? Eine Tür na der anderen wurde ihnen
vers lossen. Einige der Ladenbesitzer haben sofort mit uns am selben
Strang gezogen. Sie wußten no , wie es beim letztenmal war, als die
und die Hurerei. Sie waren auf unserer Seite. Aber i weiß no , daß wir
Narcisse gehörig unter Dru setzen mußten, der ihnen, was mal wieder
typis für ihn war, im Sommer Arbeit auf seinen Feldern angeboten ha e.
enden Männer
Aber am Ende haben wir sie alle verjagt, die düster dreinbli
und ihre fre en Slampen, ihre unversämten, barfüßigen Kinder, ihre
räudigen Hunde. Sließli sind sie alle abgezogen, und Freiwillige aus dem
Dorf haben den Unrat beseitigt, den sie hinterlassen haen. Ein einziges
wissen Sie so gut wie i. Und wenn sie dieses Samenkorn ist …
Gestern habe i mit Joline Drou gesproen. Anouk Roer geht jetzt in
die Grundsule. Ein vorlautes Kind, swarzes Haar, wie die Muer, und
ein breites, frees Grinsen. Offenbar hat Joline ihren Sohn Jean erwist,
wie er mit ihr auf dem Sulhof irgendein Spiel spielte. Etwas Verderblies,
nehme i an, Wahrsagerei oder so ein Unsinn, Knoen und Perlen auf dem
Joline hat Jean verboten, no einmal mit ihr zu spielen, aber der Junge hat
eine halsstarrige Ader und smollt seitdem. In diesem Alter kann man
selbst einmal mit dem Jungen zu reden, aber die Muer wollte nits davon
wissen. So sind sie, mon père. Swa. Swa. I frage mi, wie viele
von ihnen bereits ihr Fastengelübde gebroen haben. I frage mi, wie
viele von ihnen jemals vorhaen, es einzuhalten. I selbst spüre, daß das
Fasten mi läutert. Allein der Anbli der Auslagen im Saufenster des
Fleisers stößt mi ab; i nehme jede Art von Geru mit einer solen
Intensität wahr, daß mir swindelt. Plötzli kann i den Du, der jeden
Morgen aus Poitous Bäerei dringt, nit mehr ertragen; der Geru von
heißem Fe aus der rôtisserie an der Place des Beaux-Arts kommt mir vor
wie Gestank aus der Hölle. Seit über einer Woe habe i weder Fleis
no Fis no Eier angerührt und mi nur von Brot, Suppe und Salat
ernährt, dazu ein einziges Glas Wein am Sonntag, und i bin geläutert,
Vater, geläutert … I wünste nur, i könnte no mehr tun. Das ist kein
Leiden. Das ist keine Buße. Manmal denke i, wenn i ihnen nur das
rete Beispiel sein könnte, wenn ich es sein könnte, der blutend und leidend
am Kreuz hängt … Diese Hexe Voizin mat si über mi lustig, wenn sie
mit ihrem Korb voller Einkäufe an mir vorbeigeht. Als einzige aus dieser
Familie braver Kirgänger verabseut sie die Kire, grinst mi an, wenn
sie an mir vorbeihumpelt, ihren Strohhut mit einem roten Tu
festgebunden, und mit ihrem Sto flaster klop … Nur
auf das Kopfsteinp
wegen ihres Alters, mon père, und weil die Familie mi darum biet, lasse
i sie unbehelligt. Stur verweigert sie jede ärztlie Behandlung und jeden
geistlien Beistand. Wahrseinli glaubt sie, sie würde ewig leben. Aber
eines Tages wird sie zusammenbreen. Das tun sie alle. Und i werde ihr
demütig die Absolution erteilen; trotz all ihrer Verfehlungen, ihres Stolzes
Georges und Narcisse – gegangen waren, dann kam sie herein, die Hände
hae.
brate i ihr die Sokolade mit Sahne und Streuseln garniert und dazu
zwei Mokkatrüffel. Einen Augenbli lang betratete sie die Tasse mit
bezahlen vergessen.«
Widerspru wirken. Jetzt, wo sie entspannt ist, s eint ihr Gesi t etwas
Meine Lieblingssorte.« Und dann sprudeln die Worte hastig aus ihr heraus:
Freundinnen. Lügnerinnen.«
»I habe gehört, Sie gehen ni t zur Kir e.« Ihre Stimme klang gereizt,
zu laut für den kleinen Raum, in dem nur wir beide uns befanden.
I lä elte. »Stimmt. I gehe ni t zur Kir e.«
genauso vertreiben, wie sie jeden vertreiben, der ihnen ni t in den Kram
paßt. Sie werden es ja sehen. All das hier« – eine eher angedeutete, kurze
hinzuweisen – »wird Ihnen nits nützen. I habe sie reden hören. I habe
gehört, was sie über Sie sagen.«
»I
au .« I goß mir aus der silbernen Kanne eine Tasse S okolade
ein. Dunkel und stark wie Espresso, mit einem Lö ffel aus S okolade zum
Umrühren. Dann sagte i san: »Aber i braue ja nit hinzuhören.« I
nippte an meiner Sokolade. »Und Sie au nit.«
Joséphine late.
»Sie behaupten, Sie seien eine Hexe.« Son wieder dieses Wort.
»Joline Drou. Caroline Clairmont. Die Bets western von Curé Reynaud.
I hab sie vor der e
Kir reden hören. Ihre Toter hat den anderen
Kindern was erzählt. Irgendwas von Geistern.« Neugier lag in ihrer Stimme
I starrte auf die dünne, gewundene Tropfenspur, die vom gelben Rand
»I te, Sie würden nit darauf hören, was diese Leute sagen«,
da
bemerkte i.
häe sie Angst, gemot zu werden. »Und Sie haben si neuli mit
»I mag sie«, erwiderte i. »Warum sollte i nit mit ihr reden?«
Joséphine ballte die Fäuste. Sie wirkte erregt; ihre Stimme klang plötzli
brü ig wie gesprungenes Glas. »Weil sie verrü t ist, darum!« Zur
»Verrüt, verrüt, verrückt.« Dann fuhr sie beinahe flüsternd fort: »I will
Ihnen mal was sagen. Dur Lansquenet verläu eine Grenze« – sie
demonstrierte es auf der eke mit einem swieligen Finger –, »und wenn
man die übersreitet, wenn man nicht zur Beichte geht, wenn man seinen
Ehemann nicht achtet, wenn man ihm nicht täglich drei Mahlzeiten kocht
und am Kamin sitzt und si fromme Gedanken mat, bis er abends na
Hause kommt, wenn man keine Kinder bekommt – und wenn man zur
Anstrengung rot angelaufen. Sie war außer si vor Wut. »Dann ist man
verrückt!« stieß sie hervor. »Dann ist man ni t normal und die Leute reden
I bemerkte, daß sie an mir vorbei aus dem Fenster starrte, do wegen der
war, als wäre eine Jalousie vor ihrem Gesi t heruntergelassen worden, ihr
letzten S
lu S okolade. »I sollte überhaupt ni t mit Ihnen reden. Und
»I muß gehen.« Der gequälte Bli war wieder da, sie ö ffnete den Mund
gespro en ha e, war weit davon entfernt, debil zu sein. Was – wen – hae
sie gesehen, was ha e diese Reaktion ausgelöst? Als sie den Laden verließ,
vor dem Kir enportal stand. Reynaud und ein Mann mit Halbglatze, den
Reynaud? Sollte er die Ursa e ihrer Ängste sein? I spürte Ärger in mir
aufsteigen bei dem Gedanken, daß er derjenige gewesen sein könnte, der
Joséphine vor mir gewarnt ha e. Und denno ha e sie verä tli gewirkt,
die Menge geworfen. Beim Karnevalsumzug. Der Nikolaus, der die Bonbons
so wütend in die Menge warf, als ho e er, ein Auge zu tre ffen. In diesem
ist das?«
fünf für zehn Francs. I ste e ein paar mehr in die Papiertüte.
Sie ni t.
»Monsieur Muscat. Aus dem café.« I kenne es; ein düsteres kleines
Lokal am Ende der Avenue des Francs Bourgeois. Ein halbes Dutzend
Metalltis e vor dem Haus, ein vers ossener Orangina-Sonnens irm. Ein
uraltes S ild über dem Eingang: Café de la République. Die Kleine nimmt
ihre Tüte, wendet si zum Gehen, zögert, dreht si no einmal um. »Seine
Lieblingssorte kriegen Sie nie raus«, sagt sie. »Er hat nämli keine.«
Lucie überlegt.
sagt sie. Und s on ist sie aus der Tür und winkt no einmal zum Abs ied
finden. Der Fluß mit seinen braunen, stinkenden Ufern. Die engen Gassen
voller Unrat. Eine Oase für Kinder. Höhlen, kleine, flae Steine, die man
über das Wasser hüpfen lassen kann. Ge flüsterte Geheimnisse, Swerter aus
Stö en und S ilde aus Rhabarberblä ern. Kriegsspiele zwis en dornigen
S ätze … Gestern kam Anouk fröhli und aufgekratzt aus der S ule und
hingekritzeltem s warzem Haar. »Pantou fle.« Das Kaninen sitzt auf ihrer
S ulter wie ein Papagei, die Ohren aufgestellt. »Und Jeannot.« Ein Junge in
»Pantou fle hat mir gesagt, was i tun soll.« Sie hebt ihn auf und hält ihn
wie ein Kind mit S nurrhaaren. Man mal sage i mir, i sollte ihr dieses
und küßte ihren Lo enkopf. »Frag Jeannot, ob er Lust hat, demnä st mit
»Das Lebku enhaus?« Ihre Augen leu teten wie Sonnenli t auf dem
Wasser. »Au ja!« Dann rannte sie ausgelassen los, stieß beinahe einen
’
dann ging s die Treppe hinauf, drei Stufen auf einmal nehmend. »Um die
We e, Pantou fle!« Ein Kra en, als die Tür gegen die Wand flog – bumm-
bumm! Eine Welle der Liebe zu ihr, die mi plötzli und unerwartet
Bewegung.
Türglo e läuten und drehte mi um. Eine Sekunde lang sah i sein
»Was wollte sie?« Er spra leise, mit starkem Akzent. Ungläubig den
Kopf s ü elnd, fuhr er fort: »Was zum Teufel hat sie in einem sol en
Francs die Tüte. »Wahrs einli so was, wie?« Er breitete die Hände aus.
»Ho zeiten und Taufen. Was will sie mit Zeug, das man zu Ho zeiten und
»Meine Frau.« Er spra die Worte mit einem seltsamen Unterton aus, mit
einer Art kategoris er Endgültigkeit. »So sind die Weiber. Man arbeitet si
halb tot, um das Geld ranzus ff a en, und was ma en sie? Werfen es aus
dem Fenster für …« Er deutete erneut auf die Regale voller Pralinen, Trüffel,
Marzipanfrü te, Silberpapier, Seidenblumen. »Was war es, ein Ges enk?«
Mißtrauen lag in seiner Stimme. »Für wen kau sie Ges enke? Für si
selbst?« Er la te kurz auf, als sei allein der Gedanke absurd.
I wußte ni t, was ihn das anging. Aber in seiner Art lag etwas
Aggressives, sein Bli und seine Gesten waren so nervös, daß i bes loß,
dagegen wehren konnte, sah i ein Bild vor mir; ein blutiger Knö el, aus
amüsierte ihn tatsä li , und glei zeitig war er voller Vera tung. » Sie
wollen eine Freundin von Joséphine sein?« Wieder dieser taxierende Bli .
I spürte, wie er uns miteinander vergli , wie sein geiler Bli erneut zu
meinen Brüsten wanderte. Dann erkundigte er si mit smalziger,
smeielnder Stimme, die wohl verführeris klingen sollte: »Sie sind neu
hier, nit wahr?«
I nite.
»Viellei t«, erwiderte i gelassen. »Dann könnten Sie ja au Ihre Frau
mitbringen.«
Kurzes Kopfsüeln.
»Nits, nits. Sie redet einfa viel, das ist alles. Redet ohne Ende.« Der
arrogante Ton war wieder da. »Von morgens bis abends.« Kurzes, freudloses
Au flaen. »Aber das werden Sie bald selber merken«, fügte er mit
Lä eln.
Grinsend nahm er die hübs e silberne Tüte.
werde dafür sorgen, daß sie sie bekommt«, sagte er, während er si
»I
»Sie werden es mit Ihrem Laden nit weit bringen, wenn Sie Ihren Kram
versenken«, sagte er. »Ein Monat, und Sie sind pleite.« Wieder der harte,
auspaen würde.
höfli und sah ihm na, als er den Laden
»Wir werden sehen«, sagte i
verließ und lässig wie James Dean über den Platz davonslenderte. Er war
no nit einmal außer Sitweite, da sah i ihn son das Tüten für
Joséphine aus der Tase ziehen und öffnen. Vielleit date er si, daß i
ihm nasaute. Eins; zwei; drei; seinbar gelangweilt ging seine Hand
immer wieder zu seinem Mund, und bevor er am anderen Ende des Platzes
si beeilt, sein Fu er aufzufressen, um si dann über den Napf eines
anderen Hundes herzuma en. Als er an der Bäerei vorbeikam, warf er die
zerknüllte Tüte in Ritung des Mülleimers neben der Tür, traf jedo nur
den Rand, und die silberne Kugel rollte über das Pflaster. Dann ging er, ohne
Kire vorbei und die Avenue des Francs Bourgeois hinunter. Seine sweren
Stiefel slugen bei jedem Sri über das Kopfsteinpflaster kleine Funken.
warmen roten Anorak und zog ihr trotz ihrer Proteste no eine wollene
Obsts ale.
’
»Wie wär s mit einem Kuß?«
Mit einem vers mitzten Lä eln s lingt sie ihre Arme um meinen Hals,
le t mir das Gesi t ab, springt dann ki ernd los, wir mir von der Tür
aus einen Kuß zu und rennt auf den Dorfplatz hinaus. Mit gespieltem
Entsetzen wis e i mir das Gesi t ab. Sie la t beglü t auf, stre t mir
Nebel. I weiß genau, daß es hö stens eine halbe Minute dauert, bis ihre
und allem, was an die Welt der Erwa senen erinnert. Einen Moment lang
glaube i fast, Pantou fle hinter ihr herrennen zu sehen, beeile mi jedo,
das unwillkommene Bild glei wieder zu vers
eu en. Ein plötzli es
zurü zurufen.
vom Fleis er und hat ein in Papier gewi eltes Stü boudin in der Hand.
»Charly liebt Blutwurst«, erklärt er mir mit ernster Miene. »Er hat in
freundli .
S eunendres er. Ehrli .« Plötzli s aut er mi betro ffen an. »Im
Moment ist natürli Fastenzeit«, sagt er. »Aber Tiere sind do si erli
Gesi t ist klein und feinges ni en. Er gehört zu der Sorte, die ein
Plätz en in zwei Häl en bre en und eine davon für später au eben.
und kaum interessiert an dem Inhalt des Pä ens vom Fleis er, das neben
»Wir kommen ganz gut zure t.« Sein Lä eln kommt genauso
automatis wie die Lüge. »Wirkli .« Er trinkt seine Tasse chocolat espresso
aus.
Gefühl für Anstand und Hö flikeit verbietet es ihm. Er legt das Geld auf die
eke, tippt zum Gruß an seinen Hut und öffnet die Tür. Charly ra si
auf und folgt ihm wankend. Kaum sind sie aus der Tür, sehe
i , wie
Mi ags bekamen wir no einmal Besu . I erkannte sie sofort, trotz des
Mit leu tenden Augen sah sie si bewundernd im Laden um. I spürte,
wie sie alles genau betra tete. Ihr Bli fi el auf Anouks Getränkekarte:
Chocolat chaud 10 F
Chocolat espresso 15 F
Chococcino 12 F
Mocha 12 F
Sie ni te anerkennend.
»Es ist s on Jahre her, daß i so etwas getrunken habe«, sagte sie. »I
ha
e s on fast vergessen, daß es sol e Läden überhaupt gibt.« In ihrer
I s enkte ihr eine große Tasse Mokka ein und gab einen S uß Cognac
oder?«
I la te.
Warten Sie einen Moment.« I ging in die Kü e und holte Poitous alten
Sessel.
’
»Probieren Sie s mal mit dem.«
Armande setzte si auf die Sesselkante und nahm die Tasse in beide
Hände. Sie wirkte begierig wie ein Kind, mit leu tenden Augen und
»Mmmmmm.« Mit ges lossenen Augen probierte sie das Getränk. Es war
»Unübertre ffli.« Einen Augenbli lang hielt sie inne, die Augen halb
ges lossen. »Da ist Sahne drin und – Zimt, würde i sagen – und was
no ? Tia Maria?«
»Fast«, sagte i .
wis te si zufrieden den S aum von den Lippen. »Aber das …« Sie nahm
gierig no einen S
lu . »Das ist besser als alles, an das i mi erinnern
»Warum sollte es verboten sein?« I war neugierig. Klein und rund wie
»A , die Ärzte«, sagte sie wegwerfend. »Sie wissen ja, wie die sind. Die
verbieten einem alles.« Sie trank no einen S lu . »Ah, das ist gut. Gut.
Sie ki erte in si hinein. »Sie behauptet, i sei krank. I könnte nit
auf mi selbst aufpassen. Sit mir diesen asalber, der mir
vorsreiben will, was i essen darf und was nit. Man sollte meinen, sie
I läelte.
»I bin sier, daß Caroline es nur gut mit Ihnen meint«, sagte i.
»A, wirkli?« Sie stieß ein ordinäres Laen aus. »Versonen Sie mi
damit, meine Liebe. Sie wissen ganz genau, daß meine Toter einzig und
allein an ihr eigenes Wohlergehen denkt. Mir kann man nits vormaen.«
Ihr Bli wurde durdringend. »Es geht mir nur um den Jungen«, sagte sie.
»Den Jungen?«
I erinnerte mi vage, ihn son einmal gesehen zu haben; ein farbloser
nite.
mir Armande. »Eine halbe Million Francs, die bis zu seinem atzehnten
»I sehe ihn nie«, fügte sie hinzu. »Caro erlaubt es nit.«
I habe sie zusammen gesehen. Jetzt erinnere i mi wieder; auf dem
Weg zur Kire, die Muer am Arm des Jungen. Er ist der einzige unter den
Kindern von Lansquenet, der no nie etwas in meinem Laden gekau hat,
haben.
»Er hat mi zum letztenmal besu t, als er zehn Jahre alt war.«
Armandes Stimme klang seltsam tonlos. »Es kommt mir so vor, als sei das
hundert Jahre her.« Sie trank ihre Tasse aus und stellte sie dann mit
Na
dru auf die eke. »Es war an seinem Geburtstag. I habe ihm ein
Bu mit Gedi ten von Rimbaud ges enkt. Er war sehr – höfli.« Ihr Ton
wurde bi er. »Natürli bin i ihm seitdem ein paarmal auf der Straße
begegnet«, sagte sie. »I kann mi ni t beklagen.«
»Warum besu en Sie ihn ni t?« fragte i neugierig. »Gehen mit ihm
was sie dem Jungen alles erzählt.« Sie s ü elte den Kopf und s aute ins
wohlerzogener Junge.«
»Wenn i nur wüßte, was er tut«, sagte sie. »Wenn i nur wüßte, was er
»Dann könnte i wenigstens so tun –« Sie war den Tränen nah. Dann
holte sie tief Lu , gewann ihre Fassung wieder. »Wissen Sie was, i glaube,
und au rumpfend die Ellbogen auf die eke zu stützen, während sie ihren
Mokka s lür .
au hier in Ihren Laden?« I erklärte ihr, i sei nit sier, wer seine
Erneutes Sweigen. I begriff, daß Armande alles auf ihre Weise tat, in
ihrem eigenen Tempo, ohne si von irgend jemandem antreiben oder mit
»Hier. Nehmen Sie das.« Sie hae ihre Entseidung getroffen. Energis
»Aber i –«
»Wenn Sie ihn sehen, geben Sie ihm eine Satel von irgendeiner Sorte,
die er mag. Sagen Sie ihm nit, daß das Gesenk von mir kommt.«
»Und lassen Sie si von seiner Muer nit einsütern. Sie ist
einziges Kind, und sie muß ausgerenet eine von Reynauds Betswestern
werden.« Sie kniff verätli die Augen zusammen, so daß si lauter
»Es kursieren bereits Gerüte über Sie«, sagte sie. »Sie kennen ja diese
Sorte. Wenn Sie si au no mit mir einlassen, wird es nur no
slimmer.«
I late.
»Das glaube i au.« Plötzli sah sie mi eindringli an, der
ärgerlie Ton war verswunden. »Es ist irgendwas an Ihnen«, sagte sie
leise. »Irgend etwas Vertrautes. Könnte es sein, daß wir uns früher son
die wir auf unserer rastlosen Wanders a gekreuzt haen. Aber i konnte
es mir ni t vorstellen.
»Und dann dieser Geru . Feuer. Es riet wie kurz na einem
Na
Sie late entzüt und nahm meine Hand. Ihre Haut fühlte si kühl an,
wie Laub. Sie drehte meine Hand um und betratete meine Handfläe.
»I wußte es!« Sie fuhr mit dem Finger an meiner Lebenslinie, der
erstenmal gesehen habe!« Und dann zu si selbst, mit gesenktem Kopf, so
leise, daß es kaum mehr war als ihr Atem auf meiner Haut: »I wußte es.
I wußte es. Aber i hae nie erwartet, Ihnen hier in diesem Ort zu
begegnen.«
»I bin mir nit sier.« Es stimmte. I hae keine Ahnung, wovon sie
redete. Aber i ro es au; den Geru, den der Wind mitbringt, wenn
Geru na Feuer und Ozon. Das ietsen eines Getriebes, das lange
vielleit hae Joséphine ret, und Armande war do verrüt. Immerhin
»Lassen Sie es Reynaud nit wissen«, sagte sie mit verrüt leutenden,
I starrte sie an. I muß geahnt haben, was sie meinte. Oder vielleit
waren wir uns einmal kurz im Traum begegnet, in einer unserer Näte auf
der Flut.
meiner Muer hervor, zum erstenmal seit ihrem Tod. I bewahre sie in
einer Satel aus Sandelholz auf; sie sind vom vielen Benutzen ganz
wei, und ihr Du ist voller Erinnerungen an sie. Beinahe häe i sie
glei wieder weggepat, verwirrt dur die Flut der Erinnerungen, die
Nonne, die vor Notre-Dame ein Eis let. Billige Hotelzimmer, mürrise
Saen der namenlosen, unerbilien Bedrohung, vor der wir ständig auf
I bin nit meine Muer. I bin kein Flütling. Und do ist das
Satel nehme und auslege, genauso wie sie es damals auf ihrem Be
getan hat. Ein Bli über meine Sulter, um sierzugehen, daß Anouk
slä, i möte nit, daß sie meine Unruhe spürt, dann mise i, hebe
Zehn Schwerter, der Tod. Drei Schwerter, der Tod. Zwei Schwerter, der
Es sind die Karten meiner Mu er. Das hat nits mit mir zu tun, sage i
mir, obwohl der Eremit lei t zu deuten ist. Aber der Turm? Der Wagen?
Der Tod?
Die Karte des Todes, sagt die Stimme meiner Mu er in mir, muß nit
immer den physis en Tod bedeuten, sie kann au für das Ende eines
Lebensabs nis stehen. Für si drehende Winde. Könnte es das sein, was
sie mir sagt?
Rationalisierung des inneren Chaos. I höre ihre Stimme, und sie klingt
genauso wie damals auf dem Siff, als ihre Stärke in Sturheit umslug, ihr
Everglades? Es gibt so vieles zu sehen in der Neuen Welt, so vieles, von dem
wir bisher nicht einmal zu träumen gewagt haben. Ist es das? Was meinst
Inzwis en war der Tod auf jeder Karte, der Tod und der S warze Mann,
der mit der Zeit dieselbe Bedeutung angenommen ha e. Wir flohen vor ihm,
und er verfolgte uns, in Sandelholz verpa t.
lernte etwas über das kollektive Unbewußte. Wahrsagerei ist eine Methode,
uns einzugestehen, was wir bereits wissen. Wovor wir uns für ten. Es gibt
keine Dämonen, sondern vers iedene Ar etypen, die in jeder Kultur glei
sind. Die Angst vor Verlust – der Tod. Die Fur t vor Vertreibung – der
Mu er. Hier hört unsere Reise auf. Hier werden wir bleiben, um uns dem zu
stellen, was der Wind uns bringt. I werde die Karten ni t no einmal
befragen.
Vergib mir, Vater, denn i habe gesündigt. I weiß, daß Sie mi hören
können, Vater, und es gibt niemand anderen, bei dem i zu bei ten wagen
würde. Auf keinen Fall würde i den Bis of von Bordeaux zu meinem
Bei tvater wählen, der so weit weg und si er auf seinem Bis ofsstuhl
sitzt. Und die Kir e wirkt so leer. I komme mir vor wie ein Narr, wenn
i vor dem Altar knie und zu unserem Herrn in seinem Bla gold und seiner
Dornenkrone au li e – das Gold ist dur den Kerzenrau ges wärzt,
Gebete, die früher so segensrei und beglü end für mi waren, sind nun
rei am Fuß eines kahlen Berges, von dem jeden Augenbli
eine Last, ein S
Ist das der Zweifel, mon père? Diese Stille in meinem Innern, diese
meine S uld? I saue mi in der Kire um, die mein Lebensinhalt ist,
und möte Liebe für sie empfinden. Liebe, wie Sie sie empfunden haben,
Nase, die läelnde Madonna, Johanna von Orleans mit ihrem Banner, der
heilige Franziskus mit seinen gemalten Tauben. I selbst mag Vögel nit.
Vielleit ist das eine Sünde gegen meinen Namenspatron, aber i kann mir
nit helfen. Der Dre, den sie verursaen – selbst am Kirenportal, die
der Lärm, den sie maen – das Gegurre während der Messe … I lege Gi
aus für die Raen, die in die Sakristei eindringen und die Gewänder
und meine Intelligenz – die der meiner Anbefohlenen weit überlegen ist –
dient nur dazu, meine S wäe zu verstärken, die Unzulängli keit des
Meine Sünde ist die Kleinli keit, Vater. Deswegen sweigt Go in
Seinem Haus. I weiß das, aber i weiß nit, wie i das Übel
Von nun an werde i mir nits als Kaffee und Wasser zu den Mahlzeiten
gestaen, und den Kaffee werde i swarz und ohne Zuer trinken, um
weil selbst meine Entsagung mir Genuß bereitet, und i habe beslossen,
mi der Versuung auszusetzen. I werde fünf Minuten lang vor dem
haben.
i meinen Bli ab. Ihr Gesä geht gut, obwohl Fastenzeit ist und die
mißbilligen, aber das liegt sierli allein daran, daß sol ein Laden etwas
völlig Neues für unser Dorf ist. Das wird si mit der Zeit geben. Unsere
La Céleste Praline. Allein der Name ist ein bewußter A ffront. I werde
mit dem Bus na Agen fahren und mi bei der Vermieterin besweren.
Sie hä e nie einen Mietvertrag bekommen dürfen. Die zentrale Lage des
I sehe sie manmal auf der Straße. Sie trägt einen gelben Regenmantel
mit grünen Gänseblümen drauf, ein Kleidungsstü, das für ein Kind
bedet sie ihr Haar, nit einmal bei Regen, wenn es glänzt wie ein
Robbenfell. Wenn sie unter ihre Markise tri, wringt sie es aus wie ein
langes Seil. Häufig stehen Leute unter der Markise, wo sie Sutz vor dem
der Laden mit all seinen Torten und Ku en unter gläsernen Hauben und
den Pralinen und Trü ffeln in Kristallsalen eher wie ein Café. An manen
Tagen sehe i zehn und mehr Leute da drinnen, die herumstehen oder si
an die eke lehnen und plaudern. Sonntags und mi
wo s na mi ags
du et es auf dem ganzen Dorfplatz na Bä erei; dann steht sie in der Tür,
die Arme bis zu den Ellbogen weiß vom Mehl, und spri t einfa
irgendwel e Passanten an. I kann mi nur wundern, wie viele Leute sie
bereits mit Namen kennt –i selbst habe ein halbes Jahr gebrau t, bis i
alle Mitglieder meiner Gemeinde kannte –, und sie s eint stets irgendeine
Frage oder eine Bemerkung zu ihren Sorgen und Problemen parat zu haben.
Blaireaus Arthritis. Lamberts Sohn, der beim Militär ist. Narcisse und seine
preisgekrönten Or ideen. Sie kennt sogar den Hund von Duplessis mit
Namen. Oh, sie ist vers lagen. Man kann sie unmögli übersehen. Man
ist genauso, treibt si mit einer Bande älterer Jungs und Mäd en in Les
Marauds herum. Die meisten sind a t oder neun Jahre alt; sie sind immer
ne zu ihr, behandeln sie wie eine kleine S wester, wie ein Masko en.
Ständig sind sie zusammen, rennen und s reien herum; sie breiten die
Arme aus und tun so, als seien sie Jagdbomber, die si gegenseitig verfolgen
und abs ießen. Jean Drou ist au immer dabei, obwohl seine Mu er es
mißbilligt. Ein- oder zweimal hat sie ihm den Umgang mit ihnen verboten,
aber er wird von Tag zu Tag aufsässiger und kle ert aus dem Fenster seines
Benehmen von ein paar ungezogenen Gören. Als i heute vor der Messe
dur Les Marauds ging, habe i am Ufer des Tannes ein Hausboot
gesehen, eins von der Sorte, die Ihnen und mir wohlbekannt ist. Ein
einem ble ernen S ornstein, aus dem gi iger, s warzer Rau quoll,
bidonvilles von Marseille. Und i weiß genau, was das zu bedeuten hat.
Was auf uns zukommt. Der erste Löwenzahn, der im Frühling aus der
feu ten Erde am Straßenrand sprießt. Jedes Jahr versu en sie es wieder,
meiner Predigt heute morgen habe i gegen sie gewe ert, aber i weiß,
es zulassen, daß sie bleiben, werden sie alles zerstören, wofür wir gearbeitet
haben, Vater. All unsere Erziehung. Ihre Kinder werden mit den unsrigen
spielen, bis alles verdorben, bes mutzt, ruiniert ist. Sie werden die Seelen
unserer Kinder stehlen. Sie lehren, die Kir e zu mißa ten und zu hassen.
vergessen, was in jenem Sommer ges ah? Sind sie dumm genug
aufgehört zu regnen, und zwis en den beiden neuen Booten war eine
Bootes saß ein Mann mit dem Rü en zu mir und angelte. Langes, rotes
S ultern über und über mit Henna bemalt. Eine ganze Weile habe i
dagestanden und mir ihre erbärmli en Behausungen angesehen, ihre
leben? Wir sind ein rei es Land. Eine europäis e Großma t. Diese Leute
Der rothaarige Mann mit der Angel drehte si zu mir um, stre te mir
»Hier können Sie nit bleiben«, rief i über das Wasser. »Das ist
es Geläter von den Booten. Meine Släfen poten vor Wut,
Höhnis
»Mit mir können Sie reden«, rief i. »I bin Priester. Vielleit finden
In den Fenstern und Türen der Boote waren mehrere Gesi ter
aufgetau t. I sah vier Kinder, eine junge Frau mit einem Baby und drei
oder vier ältere Leute, in die typis en grauen, farblosen Kleider gehüllt, ihre
Bli e herausfordernd und feindselig. Sie warteten darauf, wie der
erklären, wenn i nit über das Wasser hinweg brüllen muß«, rief i.
»Erklären Sie nur«, sagte er. Er spra mit einem so starken Marseiller
Akzent, daß i ihn kaum verstand. »I höre Sie gut genug.« Seine Leute
können Sie ni t bleiben. Hier wohnen Leute.« I deutete auf die Häuser an
der Avenue des Marais. Zugegeben, viele dieser Häuser stehen leer und sind
»Hier wohnen au Leute«, sagte er und deutete auf die Boote.
»Das ist mir klar, aber trotzdem –« Er fiel mir ins Wort.
»Keine Sorge. Wir bleiben ni t lange.« Sein Ton war bestimmt. »Wir
müssen die Boote reparieren, unsere Vorräte aufsto en. Das können wir
nit draußen in der freien Landsa. Wir bleiben zwei Woen, höstens
drei. Damit werden Sie ja wohl leben können, oder?«
Das konnte
i mir vorstellen. In Agen ma en sie mit Vagabunden
kurzen Prozeß. Wenn wir nur hier in Lansquenet unsere eigene Polizei
hä en.
»I glaube kaum, daß Sie hier finden werden, was Sie suen«, erklärte
i .
beinahe belustigt. Eine der alten Frauen begann zu ki ern. »Selbst ein
Priester.« No mehr Gelä ter. I wahrte meine Würde. Diese Leute sind
»Sieh mal einer an, Monsieur le Curé!« sagte eine Stimme hinter mir, und
unwillkürli
zu te i zusammen. Armande Voizin stieß ein ga erndes
La en aus. »Nervös, was?« sagte sie bosha . »Und zu Re t. Das hier ist
»Madame.« Trotz ihrer Fre heit grüßte i sie hö fli. »I ho ffe, Sie
»Das ist gut. Weil dieses alte Lämm en nämli niemals zur Herde
zurü kehren wird«, erklärte sie. »Für Sie bin i sowieso zu zäh. I weiß
»I für te, i habe heute keine Zeit zum Plaudern, Madame. I muß
mi –
um diese Leute« i deutete auf die Zigeuner – »kümmern, bevor die
Situation außer Kontrolle gerät. I muß die Interessen meiner Gemeinde
s ützen.«
»Was sind Sie do für ein S wätzer«, bemerkte Armande gelangweilt.
ein kleiner Junge waren und in Les Marauds Indianer gespielt haben. Was
I starrte sie wütend an. Sie ist die einzige in Lansquenet, die si einen
sollten. Wenn sie stirbt, wird sie diese Erinnerungen mit ins Grab nehmen,
»Ihnen mag die Vorstellung, daß die Zigeuner Les Marauds eines Tages
andere Leute – unter ihnen Ihre Toter – wissen ganz genau, daß sie, wenn
sie erst einmal den Fuß in der Tür haben …«
»Sie redet sogar s on wie Sie«, sagte sie. »Kanzel-Klis ees und
einen Kreuzzug gegen sie zu unternehmen, wenn sie sowieso bald wieder
weiterziehen?«
I
zu te die A seln.
seine Freunde hierbleiben können, bis sie ihren Motor repariert und ihre
sie also kaum wegen unbefugten Betretens von Privatbesitz belangen. Sie
haben vor meinem Haus angelegt, und zwar mit meinem Segen.« Das letzte
Wort spra sie mit besonderer Betonung aus, wie um mi zu verspo en.
»Dasselbe gilt für ihre Freunde«, fügte sie hinzu, »sobald sie eintre ffen.«
Sie warf mir no einen unvers ämten Bli zu. »Alle ihre Freunde.«
Nun, i
hä e damit re nen müssen. Es war zu erwarten, daß sie si so
genießt den Ruf, den ihr Verhalten ihr einbringt; sie weiß genau, daß sie als
beide. Sie hä e nur ihren Spaß an einem Streit, genauso wie es ihr Spaß
si von ihrem Leben erzählen zu lassen. Kein Wunder, daß sie sie alle s on
mit Namen kennt. I werde ihr ni t die Genugtuung bereiten und diese
kommen. Wie viele, bleibt abzuwarten. Aber es ist genau so, wie i
befür tet ha e. Heute sind es drei Boote. Wie viele werden es morgen sein?
Auf dem Weg hierher habe i Clairmont einen Besu abgesta et. Er
wird dafür sorgen, daß es si im Dorf herumspri t. I re ne mit lei tem
Widerstand – Armande hat immer no Freunde –, bei Narcisse müssen wir
viellei t ein wenig na helfen. Aber im großen und ganzen gehe i davon
aus, daß die Leute einsi tig sein werden. S ließli genieße i im Dorf
ein gewisses Ansehen. Meine Meinung ist etwas wert. Mit Muscat habe i
au gespro en. Er sieht die meisten Leute in seinem Café. Außerdem ist er
Mann, ein braver Kir gänger. Und sollte eine starke Hand gebrau t
werden – natürli verabs euen wir alle Gewalt, aber bei diesen Leuten
muß man mit allem re nen –, nun, da bin i sier, daß Muscat si nit
lange bi en lassen würde.
Kon flikt eine freudige Erregung in mir auslöst. Sollte das die Aufgabe sein,
für die Go
mi ausersehen hat?
kämpfen. Um sie vor der Versu ung zu bewahren. Und wenn Vianne
Ro er die Ma t der Kir e erkennt – meinen Ein fluß auf jede einzelne
Seele in dieser Gemeinde –, dann wird sie begreifen, daß sie auf verlorenem
Posten steht. Was au immer sie si erho ffen, was für Ziele sie au
verfolgen mag. Sie wird einsehen, daß sie hier ni t bleiben kann. Sie hat
mit dabei, den Ranzen auf dem Rü en, ein großer Junge mit einem blassen,
Karten dabei.
Der Laden war no leer – es war erst halb neun, und die ersten Kunden
kommen gewöhnli ni t vor neun. Nur Anouk saß an der eke, vor si
eine halb ausgetrunkene Tasse Mil und ein pain au chocolat. Sie s aute
den Jungen freundli an, winkte zum Gruß mit ihrem S okocroissant und
Caroline sah si mit einem Ausdru von Neid und Mißfallen im Laden
vers lossen, das Haar fiel ihm so tief in die Stirn, daß seine Augen fast
»Sie können mir einen Gefallen tun.« Ihre Stimme klang gewollt lo er,
voller fals er Freundli keit, und ihr aufgesetztes Lä eln war so süß wie
Zu erguß, der an den Zähnen s merzt. »I bin gerade dabei, diese hier zu
verteilen« – sie zeigte mir das Bündel Karten –, »und i date, Sie könnten
viellei t eine davon in Ihr Fenster hängen.« Sie rei te mir eine Karte. »Alle
anderen haben au s on eine aufgehängt«, fügte sie hinzu, als könnte mir
UNERWÜNSCHTEN PERSONEN
»Sie sind natürli neu hier«, sagte sie mit einem honigsüßen Lä eln.
»Aber wir haben in der Vergangenheit s on häu fig Probleme gehabt. Es ist
nur eine Vorsi tsmaßnahme. I glaube kaum, daß diese Leute es wagen
werden, Ihren Laden zu betreten. Aber Vorsi t ist besser als Na si t,
meinen Sie ni t au ?«
»I verstehe ni t re t.«
»Na ja, diese Zigeuner, diese Leute vom Fluß«, erwiderte sie beinahe
ungehalten. »Sie sind s on wieder da, und, was immer sie vorhaben, sie
aufsto en wollen.«
»Nun, wir müssen ihnen klipp und klar zeigen, daß sie mit uns ni
t
re nen können!« erklärte sie erregt. »Wir müssen ihnen zeigen, daß wir uns
»Oh.« I ließ mir ihre Worte dur den Kopf gehen. » Können wir uns
Ungehalten: »Natürli können wir das. Wer sollte uns denn daran
hindern?«
I überlegte einen Moment lang, dann gab i ihr die gelbe Karte zurü .
»Sie ma en ni t mit?« Ihre Stimme war plötzli eine Oktave höher und
I zu te die A seln.
»Wenn jemand sein Geld in meinem Laden ausgeben will, habe i wohl
mal …«
Erinnerungsfetzen s ießen mir dur den Kopf, finster dreinbli ende
Cœ ur, die Kamera in der Hand, das Gesi t abgewandt, um das be elnde
aufgewa sen ist, weiß genau, wie wi tig es ist, si beim ri tigen modiste
einzukleiden. Das elegante Tu , das sie um den Hals trägt, hat ein Etike
von Hermès, und ihr Parfüm ist von Chanel. Meine Antwort klang s ärfer
kümmern«, sagte i bars . »Es steht weder mir – no irgend jemandem –
zu, darüber zu be finden, wie diese Leute ihr Leben gestalten.«
Caroline starrte mi gi ig an.
»Nun gut, wenn das Ihre Meinung ist« – sie wandte si zum Gehen –,
»dann will i Sie ni t länger au alten.« Sie warf einen herablassenden
Bli auf die leeren Barho er. »I ho ffe nur, daß Sie Ihre Ents eidung
»Warum sollte i ?«
»Na ja, falls es S wierigkeiten gibt oder so.« Aus ihrem Ton s loß i ,
daß das Gesprä damit beendet war. »Diese Leute bringen nur Probleme,
wissen Sie. Drogen, Gewalt …« Ihr säuerli es Lä eln ließ vermuten, daß
sie es begrüßen würde, mi als Opfer sol er Probleme zu sehen. Der Junge
»Sie hat mir viel von dir erzählt.« Der Junge errötete und murmelte etwas
Unverständli es.
slimm genug.«
meinen Bli von dem Jungen zu wenden. »Ritig erfrisend. Und geistig
äußerst fit.«
»Für ihr Alter.«
»Nun, sie mag viellei t auf Fremde so wirken«, sagte Caroline pikiert.
»Aber für ihre Angehörigen …« fuhr sie mit einem kühlen Läeln fort. »Sie
müssen wissen, meine Mu er ist sehr alt. Ihr Verstand ist nit mehr, was er
einmal war. Ihr Sinn für die Realität –« Sie unterbra si mit einer
nervösen Geste. »Das muß i Ihnen sierli nit erklären«, sagte sie.
»Nein, das brauen Sie nit«, erwiderte i freundli. »Es geht mi
Ihre Augen zogen si zu Slitzen zusammen, als sie die Spitze
dursaute. Sie mag vielleit bigo sein, aber sie ist nit dumm.
»I meine …« Einen Moment lang geriet sie ins Stoen. I glaubte, ein
mögli erweise habe i mir das au eingebildet. »I meine, meine Muer
weiß duraus nit immer, was das beste für sie ist.« Sie hae si wieder
in der Gewalt, ihr Läeln war so steif wie ihre Frisur. »Dieser Laden zum
Beispiel.«
I nite.
»Meine Mu er ist Diabetikerin«, erläuterte Caroline. »Der Arzt erklärt ihr
immer wieder, daß sie keinen Zuer essen darf. Aber sie hört nit auf ihn.
Sie lehnt jede Behandlung ab.« Sie warf ihrem Sohn einen triumphierenden
Bli zu. »Was meinen Sie, Madame Roer, ist das normal? Ist es normal,
si so unvernünig zu benehmen?« Ihre Stimme weselte wieder die
Tonlage, wurde srill und gereizt. Peinli berührt, warf ihr Sohn einen
»Hier, eine Tüte Pralinen für di . Eine Spezialität. Ein Ges enk des
»Mein Sohn ißt keine S okolade«, erklärte Caroline streng. »Er ist
kommst du einfa mal in den Laden, wenn sie hier ist. Sie ist eine meiner
Stammkundinnen.«
sagte Caroline ho näsig. »Mein Sohn ist ein talentierter Junge. Er weiß,
was er seinen Eltern s uldig ist.« Ihre Worte enthielten eine Art Drohung,
»Was?«
»Rimbaud. Sie hat dir ein Bu mit seinen Gedi ten zum Geburtstag
Augen an und s
ü elte lei t den Kopf, wie um mi zu warnen. »I ha-
Kleiders ranks verste t. Ein Junge, der die wunderbaren Gedi te beinahe
inbrünstig vor si hin murmelt. Bi e, komm, flüstere i lautlos. Bi e,
Armande zuliebe.
»Bi e, nimm das.« I rei te ihm ein kleines Pä en – drei Pralinés in
Silberpapier gewi elt. Der Junge hat Geheimnisse. I spürte, wie sie aus
ihm heraus wollten. Mit s nellem Gri ff, so daß seine Mu er es ni t sah,
nahm er das Pä en und lä elte. Viellei t habe i mir die Worte nur
F-Friseur geht.«
Besu . Sie s ü elte den Kopf und bra in s allendes Gelä ter aus, als
»Hi hi hi!« Sie ha e es si in dem alten Sessel bequem gema t und hielt
eine Tasse Mokka in den feingliedrigen Händen. »Meine arme Caro. Kann s ’
ni t ertragen, wenn man ihr die Wahrheit sagt, ni t wahr?« Sie nippte
genüßli an ihrer Tasse. »Was hat sie davon, wenn sie so über mi
herzieht?« fragte sie lei t gereizt. »Ihnen zu sagen, was i essen darf und
was ni t. I bin also Diabetikerin, wie? Das mö te ihr Arzt uns alle
glauben ma en.« Sie knurrte verä tli . »Nun, i lebe no , oder? I bin
vorsi tig. Aber das rei t ihnen natürli ni t, o nein. Sie wollen mi
unbedingt unter ihrer Fu tel haben.« Sie s ü elte den Kopf. »Dieser arme
I
ni te.
ihn bloß in Frieden gelassen hä e – aber nein. Ständig muß sie ihn
korrigieren. Immer ist sie hinter ihm her. Und ma t alles nur no
s limmer. Sie gibt ihm das Gefühl, daß irgend etwas an ihm ni t stimmt.«
Sie s naubte. »Der Junge hat ni ts, was ni t sofort vers winden würde,
wenn es ihm gesta et wäre, wie ein normales Kind zu leben«, erklärte sie
mit Na
dru . »Er müßte nur mal drau flos rennen, ohne dauernd zu
befür ten, er könnte stolpern. Sie müßte ihn loslassen. Ihm ni t länger die
I erklärte ihr, es sei normal, wenn eine Mu er ihre Kinder zu
bes ützen versu t.
»A , so nennen Sie das?« sagte sie. »So wie die Mistel einen Apfelbaum
Garten«, erzählte sie. »Die Misteln haben einem na dem anderen den
Garaus gema t. Eine gemeine kleine P flanze, sieht gar nit gefährli aus,
mit ihren s önen Beeren, kann allein ni t überleben, aber wehe, wenn sie
einen Baum erwis t!« Sie nippte an ihrem Mokka. »Sie ist Gi für alles,
was mit ihr in Berührung kommt.« Sie ni te mir vielsagend zu. »Genau wie
meine Caro.«
obwohl er nie ins Kino geht, und er kau si jede Wo e einen ganzen
Stapel davon. Vidéo und Ciné-Club, Télérama und Film Express. Als einziger
die De e mit Video filmen gefüllt ist. Mir fiel auf, daß er seinen Hund
wieder auf dem Arm trug, der mit trüben Augen teilnahmslos dreinbli te.
Auf seine übli e liebevolle Art strei elte er immer wieder Charlys Kopf.
»Oh, er hat seine guten Tage«, sagte Guillaume. »Es ste t immer no
eine Menge Leben in ihm.« Und dann setzten sie ihren Weg fort, der kleine,
elegante Mann und sein trauriger brauner Hund, den er umklammert hielt,
können. Do sie warf mir nur im Vorbeigehen einen ausdru slosen Bli
zu, die Hände tief in den Manteltas en vergraben. Mir fiel auf, daß ihr
Gesi t ges wollen wirkte, die Augen zu S litzen verengt, was allerdings
ha e si ein di es, farbloses Kop u wie einen Verband um den Kopf
gewi elt. I rief sie an, do sie antwortete ni t, sondern bes leunigte
ihren S ri , wie um vor einer Gefahr zu fliehen.
I zu te die A seln. Diese Dinge brau en Zeit. Man mal eine
Ewigkeit.
Später, als Anouk mit den Kindern in Les Marauds spielte und i den
Bourgeois auf das Café de la République zu. Es ist ein kleines, s äbiges
Lokal mit trüben Fensters eiben, auf denen stets dieselbe spécialité du jour
dreinbli enden Gäste ihren café crème oder ihren demi s lürfen und
Zigare enqualm, obwohl niemand zu rau en s eint. Mir fiel eine von
Caroline Clairmonts gelben Karten auf, die an gut si tbarer Stelle neben
unmerkli gli sein Bli kurz zu meinen Beinen, meinen Brüsten – zack-
zack, wie die Leu tanzeigen an den Spielautomaten, die kurz au litzen.
Mit einer Hand gri ff er na dem Zap ahn und ließ die Muskeln seines
Unterarms spielen.
’
»Was darf s denn sein?«
Papier gewielte Zuerwürfel. I nahm den Kaffee und trug ihn zu einem
Tis in der Nähe des Fensters. Ein paar alte Männer – einer von ihnen mit
dem Abzei en der Légion d’Honneur an seinem ausgefransten Revers –
beäugten mi mißtrauis .
»Soll i Ihnen Gesells a leisten?« fragte Muscat grinsend. »Sie wirken
ein biß …
en verloren, wie Sie da so allein am Tis sitzen.«
polieren. »Erst geht sie den ganzen Tag einkaufen, und dann legt sie si ins
Er starrte mi an.
I wüns te nur, die gnädige Frau würde ab und zu ihren fe en Ars
ho kriegen, dann würde dieser verdammte Laden au besser laufen.« Er
bohrte seine mit dem Ges irrtu umwi elte Faust in das Glas und
s
nau e vor Anstrengung.
»I meine … « Er ma te eine ausladende Geste. »I meine, sehen Sie
»He!« Er spra o ffenbar jemanden an, den i von meinem Platz aus
grinste hämis .
»Könnt ihr Idioten ni t lesen?« Er deutete auf ein Exemplar der gelben
Karten, von denen i s on eine an der Tür gesehen ha e. »Los, haut ab!«
standen unsi er vor dem Café, zwei Männer und drei Frauen. Alle fünf
wirkten in ihren ge fl
i ten Hosen, den s weren Stiefeln und den
Bli müßte mir vertraut sein. I ha e ihn au einmal gehabt. Der Mann,
den
i ha e spre en hören, ha e rotes Haar und trug ein grünes
Stirnband. Er s aute si mit vorsi tigem Bli um, sein Tonfall war
betont neutral.
»Wir wollen ni ts verkaufen«, erklärte er. »Wir mö ten nur ein Bier
Eine der Frauen, eine uns einbare, magere Gestalt mit einem Ring in der
Die Dame, die eben no hier war … Ihre Frau … sie wollte uns –«
»Meine Frau kann mi mal!« s rie Muscat. »Die Alte ist do dümmer
als die Polizei erlaubt! Es ist mein Name, der über der Tür steht, und i sage
stand jetzt, die Fäuste in die Hü en gestemmt, in der Tür wie ein
seine gelbli glänzenden Knö el und hörte seinen pfeifenden Atem. Seine
»Verstehe«, sagte Roux mit ausdru slosem Gesi t. Bedä tig betra tete
er die Gäste, die an den Tis en saßen. »Ges lossen.« No einmal bli te
er in die Runde. Unsere Augen trafen si kurz. »Für uns ges lossen«, sagte
er ruhig.
»Ihr seid ja gar ni t so blöd, wie ihr ausseht«, sagte Muscat hämis .
»Das letzte Mal haben wir s on genug Ärger mit eurer Sorte gehabt.
vor, stei einig wie ein Hund, der einen Kampf wi ert.
I ließ meinen halb ausgetrunkenen Ka ffee auf dem Tis stehen und
wirkten verfroren und niederges lagen. Jetzt sah i ihre Boote unten am
Ufer in Les Marauds, etwa zwei Dutzend … eine kleine Floe grüner, gelber,
blauer, weißer, roter Hausboote, einige mit Leinen voller feu ter Wäs e,
andere mit bunten Szenen aus Tausendundeiner Nacht, mit Bildern von
fliegenden Teppien und Einhörnern bemalt, die si in dem trüben grünen
Wasser spiegelten.
»Es tut mir leid, daß man Sie so behandelt«, sagte i . »Die Leute in
»I heiße Vianne«, sagte i
. »I habe eine chocolaterie gegenüber der
einem alles andere ausgetrieben wurde. I wußte, daß Mitgefühl das letzte
»Bei mir gibt es zwar kein Bier, aber dafür sehr guten Ka ffee.«
Er sah mi an, als für tete er, i wollte mi über ihn lustig ma en.
»Sie würden mir eine Freude bereiten«, sagte i . »I würde Ihnen gern
einen Ka ffee und ein Stü Kuen ausgeben. Ihnen allen.« Die magere Frau
sah ihre Freunde an und hob die S ultern, was Roux mit einem
»Mal sehen.«
Ihr roter Anorak flaerte im Wind wie die Flügel eines exotisen Vogels.
»Maman, Maman! S au mal die Boote!«
Eine Weile blieben wir stehen und betra teten die Boote, die flaen
Lastkähne, die Hausboote mit den rostigen Dä ern, den Ofenrohren, den
Beiboote, die ausgelegten Angels nüre, Reusen zum Fangen von
Flußkrebsen, die für die Na t aus dem Wasser gezogen worden waren,
ausgefranste S irme, die als Si ts utz dienten, am Ufer riesige
Ble tonnen, in denen Feuer angezündet worden waren, um die Mü en von
den Booten fernzuhalten. Es ro na Holzfeuer und Benzin und
gebratenem Fis , und vom Fluß her wurde leise Musik zu uns
herübergetragen, die unheimli en, fast mens li klagenden Töne eines
Saxophons. In der Dämmerung konnte i die Gestalt des rothaarigen
Mannes erkennen, der allein an De eines s warzen Hausbootes stand. Als
er mi sah, hob er die Hand. I winkte zurü .
Es war s on fast dunkel, als wir den Heimweg antraten. Unten in Les
Marauds ha e si ein Trommler zu dem Saxophon gesellt, und der Klang
am Café de la République vorbei, ohne hineinzusehen.
Kurz vor dem Ende der steilen Straße spürte i , daß jemand in der Nähe
war. I drehte mi um und sah Joséphine Muscat, ohne Mantel, aber mit
einem Tu um den Kopf, das ihr Gesi t zur Häl e bede te. Im
Halbdunkel wirkte sie blei , wie ein S a enwesen.
»Lauf s on na Hause, Anouk. I komme glei .«
Anouk s aute mi verblü an, dann rannte sie folgsam los.
»I habe gehört, was Sie getan haben«, sagte Joséphine leise. »Sie sind
gegangen wegen dieser Sa e mit den Leuten vom Fluß.«
I ni te. »Genau.«
»Paul-Marie war wütend.« Sie sagte das mit einer Strenge, die fast einen
über Sie gesagt hat.«
I la te.
»Glü li erweise brau e i mir ni t anzuhören, was Paul-Marie zu
sagen hat«, erwiderte i tro en.
»Jetzt darf i ni t mehr mit Ihnen reden«, fuhr sie fort. »Er meint, Sie
hä en fl
einen s le ten Ein uß auf mi .« Sie sah mi nervös und
erwartungsvoll an. »Er will ni t, daß i Freundinnen habe«, fügte sie
hinzu.
»Sie erzählen mir nur, was Paul-Marie will«, sagte i freundli. »Er
interessiert mi
eigentli überhaupt ni t. Aber Sie –« I berührte
ihr stehen.
»I glaube do.« I fuhr mit den Fingerspitzen über ihr Kopu.
erzählen?«
aute
Sie s zuglei ängstli und hoffnungsvoll an und süelte
mi
»Sie sind hübs«, sagte i, als i ihr das Tu abnahm. »Sie könnten
Unterhalb ihrer Unterlippe war ein friser blauer Fle zu sehen. Sie
öffnete den Mund, um mir automatis eine Lüge aufzutisen. I fiel ihr
ins Wort.
ni ts gesagt …«
»Das brauten Sie au nit.«
Sweigen. Vom Fluß her waren jetzt helle Flötentöne zu hören, die die
Trommel begleiteten. Als sie endli zu spre en begann, war es voller
Selbstvera tung.
»Es ist idiotis, nit wahr?« Ihre Augen haen si zu Slitzen verengt.
»I gebe ihm nie die Suld. Nit so ritig. Manmal vergesse i sogar,
was wirkli passiert ist.« Sie holte tief Lu wie eine Tauerin, bevor sie
unter Wasser geht. »I renne dur geslossene Türen, falle die Treppe
hinunter, trete auf R-Reen.« Sie sien einem Laanfall nahe. I spürte
die Hysterie hinter ihren Worten. »I neige zu Unfällen, sagt er jedesmal.
Unfälle.«
»Weswegen ist es denn diesmal passiert?« fragte i san . »Wegen der
Leute am Fluß?«
Sie ni te.
»Sie haen nits Böses im Sinn. I wollte sie einfa nur bedienen.«
Einen Moment lang nahm ihre Stimme einen s rillen Ton an. »I sehe
überhaupt t ein, warum i dieser Clairmont, dieser
ni Gislange,
dauernd na der Pfeife tanzen soll!« Sie begann, Caroline nazuäffen.
Stimme fort. »Gewöhnli grüßt sie mi no nit mal auf der Straße,
sondern tut, als wäre i Lu!« Sie atmete tief dur, um ihre Fassung zu
wahren.
»Dauernd heißt es, Caro hier, Caro da«, zis te sie wütend. »I hab
genau gesehen, wie er sie in der Kir e anstarrt. Wieso bist du nit wie
Caroline Clairmont?« Jetzt ahmte sie die vom Su ff heisere Stimme ihres
Mannes na . Sie bra te es sogar fertig, seine Haltung zu parodieren, das
vorgere te Kinn, die aggressive Art, wie er si in Positur warf. »Neben ihr
siehst du aus wie eine fee Kuh. Diese Frau hat Stil, sie hat Klasse. Sie hat
einen prätigen Sohn, der nit nur wohlerzogen, sondern au no ein
guter Schüler ist. Und du , was hast du, hä? Was zum Teufel hast du zu
bieten?«
entgeistert an.
»Joséphine.« Sie starrte mi
»Tut mir leid. Einen Moment lang hab i ganz vergessen, wo …«
»I weiß.«
»Sie müssen mi für unglaubli dumm halten, daß i all die Jahre bei
ihm geblieben bin«, sagte sie tonlos, ihre Augen dunkel und haßerfüllt.
»Das bin i tatsä li«, sagte sie. »Dumm und s wa. I liebe ihn
mir gefaßt. »I könnte Ihnen nits vormaen – das haben Sie nit
»Nein.« Sie wehrte si verzweifelt und voller Bierkeit gegen die
Aussit, Trost zu finden. »Verstehen Sie denn nit? I bin nits wert. I
»Ja. I weiß.«
Christbaumkugel.
I läelte. Was könnte sie nit alles erreien, wenn sie diesen Trotz
nit na innen, sondern na außen riten würde. I könnte ihr helfen.
I spürte ihre Gedanken, sie war mir so nah, sie war so offen. Es wäre so
Gedanken ab. Es stand mir nit zu, sie zu einer Entseidung zu zwingen.
»Bisher haen Sie niemanden, an den Sie si wenden konnten«, sagte
Marauds spiegelten si in ihren Augen. Erneut fiel mir auf, daß es kaum
eines Aufwands bedure, und sie wäre eine Sönheit.
I wandte mi nit na ihr um, aber i wußte, daß sie mir
nasaute, als i den Hügel hinaufging, und i bin mir sier, daß sie
no lange dort gestanden und hinter mir herges aut hat, als i s on
längst um die E e gebogen und aus ihrem Bli feld vers wunden war.
Der Regen s eint ni t enden zu wollen. Es ist, als würde ein Teil des
Gummistiefeln wie bunte Plastikenten, wats eln lärmend dur die Pfützen
auf dem Dorfplatz, wo ihr Ges rei von den niedrig hängenden Wolken
Hexe, das Lebku enhaus und all die S okoladentiere, die die Szenerie
bevölkerten, und Anouk und ihre Freunde ma ten si zwis en ihren
Aus flügen in die verregneten Gassen von Les Marauds gierig über die
Süßigkeiten her. Mit leu tenden Augen, ein Stü Lebku enhaus in jeder
Hand, sah Jeannot Drou mir in der Kü e bei der Arbeit zu. Hinter ihm
stand Anouk, dahinter die anderen, lauter neugierige Augen und aufgeregtes
Flüstern.
»Und jetzt?« fragt er mit einer für sein Alter tiefen Stimme, ein kleiner
S aufenster?«
I zu e die A seln.
»O nee.« Er läßt ni
t lo er. »Es wird bestimmt was für Ostern. Eier
in Agen.«
Paris mit Körben voller in bunte Folie gewi elter Ostereier, mit Armeen
von Osterhasen, Hühnern, Glo en, Marzipanfrü ten, marrons glacés und
eher an einen orientalis en Harem erinnerten als an die ernste Feierli keit
der Fastenzeit.
»Meine Mu er hat mir früher die Ges i te von den Osterle ereien
aber i bekam jedes Jahr ein cornet surprise, eine spitze Papiertüte mit
eine Mus el aus Pappma é – jedes Jahr dieselbe, bemalt mit Hühn en,
sorgfältig verpa t und für das nä ste Osterfest au ewahrt wurde –, darin
eine kleine Tüte mit S okolade umhüllter Rosinen, die i mir, wenn i auf
dur die Ritzen in den Fensterläden blinkte und in der dunklen Stille ni ts
zu hören war als das regelmäßige Atmen meiner Mu er, die neben mir
s lief.
»Sie hat mir erzählt, daß in der Na t zum Karfreitag die Glo en ihre
Mitra und dem goldenen Hirtenstab auf, große Glo en und kleine
Glö en, clochettes und s were bourdons, carillons und Glo enspiele,
die leeren Kir türme in ganz Frankrei auf ihre Rü kehr warten und bis
Worten bezaubern, laus te mit leu tenden Augen ihren Erzählungen von
Abrakadabra, amen.
Glo en stellen si auf den Kopf, fangen sie auf und nehmen sie mit na
Hause. Sie fliegen die ganze Nat, und wenn sie am Ostersonntag in ihren
Türmen ankommen, drehen sie si um und läuten freudig das Osterfest
ein …«
Die Glo en von Paris, Rom, Köln, Prag. Morgenläuten, Trauerläuten, die
»Und die Süßigkeiten fliegen hinaus über die Felder und die Städte. Sie
wenn sie auf den Boden fallen. Aber die Kinder bauen wei e Nester, um die
Seine Stimme ist voller Begeisterung, die plötzli e Gewißheit läßt ihn
lauter werden.
» Das! Die Ostergesite. Das wär et cool … mit den Gloen und dem
Papst und alles … und dann könnten wir ein S okoladenfest veranstalten,
eine ganze Wo e lang, und wir könnten Nester bauen – und Ostereier
su en und –« Aufgeregt zup er an meinem Ärmel. »Madame Ro er –
bitte.«
eifrig.
einem Monat wird der Flieder blühen. I mae jedes Jahr ein Nest für
Anouk, mit einem großen Ei, auf dem in Zuerguß ihr Name steht. Es
könnte unser eigenes Karnevalsfest sein, ein Fest, mit dem wir unsere
Ents eidung, hierzubleiben, feiern würden. Die Idee ist mir s on früher
gekommen, aber den Vors lag von diesem Kind zu hören, erseint mir
»Und Girlanden –«
»Und Lu slangen –«
»Den Papst aus weißer S okolade –«
»Ein Sokoladenosterlamm –«
»Eierlaufen, eine Satzsue –«
»Megacool –«
hebe laend die Arme, um sie zum Sweigen zu bringen und wirble
I
»Ihr mat die Plakate«, sage i. »Den Rest überlaßt ihr mir.«
Anouk fliegt mir stürmis um den Hals. Sie riet na Salz und Wind,
na Erde und braigem Wasser. Ihr zerzaustes Haar ist naß vom Regen.
»Kommt alle mit rauf in mein Zimmer!« ru sie dit an meinem Ohr.
»Sie dürfen do, nit wahr, Maman, sag, daß sie dürfen. Wir können
Bu staben, lautete:
GROSSES SCHOKOLADENFEST BEI
LA CÉLESTE PRALINE
BEGINN: OSTERSONNTAG
soll wohl den Papst darstellen. Zu seinen Füßen sind aus Buntpapier
s längelt si ein Ba aus blauem Seidenband, auf dem ein paar bunte
Auf dem Berghang, in dunklen E en, sogar auf den Booten. Rosafarbene
Ostereier und Sokoladenfiguren, swere aus Keramik für die Kameen und
Gesitsausdru gestalten und ihn dann auf einen Kopf aus Hohlsokolade
kleben, dazu Haare aus dur eine feine Presse gedrütem Marzipan.
Körper und Gliedmaßen werden extra hergestellt und die Einzelteile zum
Tunika, ein Hut in derselben Farbe mit einer Feder, die den Boden neben
seinen Stiefeln strei . Mit seinem roten Haar und seinem bunten Kostüm
HER. I möte den Mensen etwas geben, möte sie glüli maen;
damit kann i do keinen Saden anriten. Mir ist bewußt, daß dies eine
gesehen, do sie seinen mißtrauis und seu, wie Stadtfüse, die na
Abfällen suen, aber jeden Kontakt mit den Mensen meiden. Meistens
Plastiktüten unter dem Arm –, manmal Zézee, die magere junge Frau
mit dem Ring in der Augenbraue. Gestern abend haben zwei Kinder
versu t, vor der Kire Lavendel zu verkaufen, aber Reynaud hat sie
fortgesit. I rief sie zurü, do sie waren zu sehr auf der Hut und
warfen mir feindselige Blie zu, ehe sie den Hügel hinunterrannten.
Saufensters vertie, daß i die Zeit vergaß. Anouk mate in der Küe
Buerbrote für ihre Freunde, dann zogen sie wieder in Ritung Flußufer ab.
I s altete das Radio ein und sang vor mi hin, während i die Pralinen
und Trü ffel sorgsam zu Pyramiden stapelte. Der Zauberberg hat eine
Ö ffnung, eine mit Sätzen gefüllte Höhle; lauter bunte Süßigkeiten glänzen
und glitzern wie Edelsteine. Dahinter, dur die verkleideten Regale vor dem
Li t
ges ützt, liegen die zum Verkauf vorgesehenen Waren. I muß
der Osterzeit mit mehr Kunds a re ne. Zum Glü bietet der kühle
ihrer Stimme lag eine gewisse S ärfe, eine gewollte Beiläu figkeit, mit der
während sie mit dem ausgestre ten Zeige finger auf einen der Barho er
deutete. »Glauben Sie, es würde mir gelingen, auf einen von diesen Ho ern
»I hole Ihnen einen Stuhl aus der Kü e«, s lug i vor, do die alte
»Unsinn!« Sie beäugte den Ho er. »In meiner Jugend war i sehr
Zweigen beworfen. Ha!« Sie stieß ein zufriedenes Grunzen aus, als sie si ,
mit einer Hand auf die eke gestützt, auf den Ho er s wang. Unter ihrem
Stolz und mit si selbst zufrieden thronte Armande auf dem Ho er und
»Rote Seidenunterwäs e«, sagte sie grinsend, als sie meinen Bli
bemerkte. »Wahrs einli halten Sie mi für eine alte Närrin, aber mir
soweit ist, daß i wieder mit Anstand bunte Farben tragen könnte, fällt der
nä ste tot um –, daß i es inzwisen aufgegeben habe, etwas anderes als
S warz zu tragen.« Sie sah mi strahlend an. »Aber Unterwäsche – das ist
etwas ganz anderes.« Sie senkte vers wöreris die Stimme. »I bestelle
sie per Katalog aus Paris«, sagte sie. »Kostet mi ein Vermögen.« Sie la te
lautlos in si ’
hinein. »So, wie wär s mit einer Tasse S okolade?«
I ma te sie stark und dunkel und wegen ihres Diabetes mit so wenig
»Hier wird ni ts rationiert!« befahl sie. »Geben Sie mir alles, was
»Na also.« Mit si tbarer Genugtuung nippte sie an dem süßen Getränk.
»Gut. Hmmm. Sehr gut. Es heißt, so was bringt Energie, ni t wahr? Das ist
verwegen hinzu, während sie über den Tassenrand lugte. »Diese alten
Kna er aus dem Café da drüben sollten si in a t nehmen. Man ist nie zu
alt, um si zu amüsieren!« Sie bra in s rilles Gelä ter aus. S rill und
aufgekratzt, die knorrigen Hände unruhig. Mehrmals faßte sie an ihre
trotzdem.
Sehnen an ihrem Hals zeineten si ab wie bei einer alten Tänzerin.
Eine Weile plauderten wir über dieses und jenes; über die Dinge, die die
Kinder si für das Fest ausgedat haen – Armande bog si vor Laen,
als i ihr von dem Jesus und dem Papst aus Sokolade erzählte –, über die
Fluß auf ihren Namen bestellt, sehr zum Unwillen von Reynaud. Roux
wollte ihr das Geld ersta en, do sie mö te lieber, daß er ihr dafür ihr
erklärte.
»Er bildet si ein, er sei der einzige, der mir helfen kann«, sagte sie
zufrieden. »Er und Caro stehen si in nits na, sie versuen dauernd,
mir einzureden, mein Haus sei feut und ungesund. In Wirklikeit wollen
sie mi nur da raushaben. I soll mein sönes Haus aufgeben und in so
ein lausiges Altenheim ziehen, wo man um Erlaubnis bien muß, wenn man
zum Klo will!« sagte sie empört. Ihre swarzen Augen funkelten erbost.
»Denen werd i’s zeigen«, fuhr sie fort. »Roux hat auf dem Bau
gearbeitet, bevor er unter die fahrenden Leute gegangen ist. Er und seine
Freunde werden mein Da son riten. Und lieber bezahle i diese Leute
für ihre ehrlie Arbeit, als mir mein Da von diesem Swakopf
»I rene nit mit ihm, wissen Sie.« Ihre Stimme klang wieder so
I wußte, daß sie nit mehr von derselben Person redete. I warf einen
Bli auf meine Uhr. Zwanzig na vier. Es begann bereits dunkel zu
werden. Und i war mir so sicher gewesen … Das kommt davon, wenn man
si einmis t, sagte i mir entnervt. Wie lei t fügt man si selbst und
s arfen Ton fort. »Dafür wird sie s on gesorgt haben. Sie hat ihn gut
in der Tür. Er trägt Jeans und ein Matrosenhemd und auf dem Kopf eine
»I mußte w-warten, bis meine M-Mu er weg war. Sie ist beim Frisör.
komplex, als daß i es benennen könnte, aber i spüre Wärme und Wut,
Verlegenheit und S uldgefühle – und über allem die Freude über das
Wiedersehen.
»Du bist ja völlig dur näßt. I ma e dir etwas Heißes zu trinken«, sage
i und gehe in die Kü e. Beim Weggehen höre i den Jungen etwas sagen,
»Danke für das B-Bu «, sagt er. »I habe es mitgebra t.« Er hält es
ho wie eine weiße Fahne. Es ist ni t mehr neu, sondern so abgegri ffen
wie ein Bu , das immer wieder gelesen wurde. Als Armande es registriert,
ihnen das Gefühl zu geben, daß sie ungestört sind, höre i den Jungen das
Vorsi tig stellte i die beiden Tassen auf die eke. Als er mi dur die
Tür treten sah, bra der Junge mi en im Satz ab und s aute mi zuglei
hö fli und mißtrauis an. Sein Haar fiel ihm in die Stirn wie die Mähne
»Komm s on, mein Junge, zweifelst du denn niemals an dem, was deine
Mu er sagt? Oder hat sie dir das biß en Verstand, das du von mir geerbt
»Also, wenn i hören will, was Caro zu sagen hat, dann verabrede i
mi mit ihr«, sagte sie. »Was hast du denn zu sagen? Du bist do ein
aufgewe tes Kerl en, oder zumindest warst du das früher. Also, was
meinst du?«
»Und i
hab keine Pi el«, sagte Armande.
Er la
te verblü . So ge fiel er mir s on besser, seine Augen leu teten
heller, und sein s elmis es Lä eln ähnelte dem seiner Großmu er. Er war
immer no auf der Hut, aber hinter seiner Reserviertheit s ien ein kluger
Kopf mit einem ausgeprägten Sinn für Humor verborgen. Er trank seine
S okolade aus, lehnte jedo ein Stü Ku en ab, obwohl Armande zwei
aß. Sie redeten eine halbe Stunde lang ausgiebig miteinander, während i
so tat, als ginge i meiner Arbeit na . Ein- oder zweimal bemerkte i , wie
der Junge mi neugierig ansah, do sobald i auf ihn aufmerksam wurde,
Tre ffen vereinbart, aber die selbstverständli e Art, mit der sie si
voneinander verabs iedeten, ließ darauf s ließen, daß sie beide dasselbe
Sie haben die glei e Gestik, dieselbe direkte Art, einen anzusehen, die
hohen Wangenkno en, das kantige Kinn. Wenn er reserviert ist, ist die
entspannt, sein Sto ern wirkt nur no wie ein lei tes Zögern, fällt kaum
ob er sie zum Abs ied küssen soll. Vorerst jedo gewinnt die für sein Alter
typis e Abneigung gegen jede Art Körperkontakt die Oberhand. Er hebt die
gemeinsam hat, und sie klingt gewollt lo er, als sie mit einem ruppigen
Unterton sagt: »Das war s ön, Vianne. Viellei t komme i Sie no mal
besu en.« Dann s aut sie mi auf ihre direkte Art an und berührt meinen
Arm. »Sie haben es ges a , daß er hergekommen ist«, sagte sie. »Allein
I zu te die A seln.
»Irgendwann früher oder später wäre es passiert«, sagte i . »Luc ist kein
»Nein, es liegt an Ihnen«, sagte sie trotzig. Sie stand so di t bei mir, daß
i ihr Maiglö en-Parfüm rie en konnte. »Es weht ein anderer Wind im
Dorf, seit Sie hier sind. I spüre es genau. Jeder spürt es. Alles kommt in
»I kümmere
mi nur um meine eigenen Angelegenheiten. I führe
nur an, was si alles verändert hat; i , Luc, Caro, die Leute unten am
selbst er dort drüben in seinem Elfenbeinturm. Wir alle sind dabei, uns zu
verändern. Wir kommen auf Trab. Wie eine alte Uhr, die man wieder
aufgezogen hat.«
den Kopf.
Plötzli tau te in meinem Kopf ein Bild auf, als hä e i eine Karte
umgedreht. Der S warze Mann in seinem Turm mit der großen Uhr, der
das Uhrwerk immer s neller laufen läßt, der die Veränderung einläutet, vor
Gefahren warnt, uns alle aus der Stadt läutet … Und dann sah i plötzli
einen alten Mann im Be , mit S läu en in Nase und Armen, und der
ist er?«
s eute mi davor, die Worte auszuspre en, die mir von meiner Mu er so
vertraut waren.
»Eine Ahnung.« Armande wirkte neugierig, stellte jedo keine weiteren
Fragen.
Als i heute morgen den Laden aufs loß, stand Roux vor der Tür. Er trug
s ien s on eine Weile gewartet zu haben, denn in seinem Haar und auf
seinen
S ultern ha en si dur den Morgennebel kleine Tröpf en
»Hallo, kleine Fremde«, sagte er. Diesmal war das Lä eln, das sein
ni t gesehen.«
I s enkte ihm eine große Tasse mit einem S uß Cognac ein.
»Nehmen Sie do Platz«, sagte i und deutete auf die Ho er vor der
mir vielleit helfen können. Uns.« Er klang zuglei verlegen und ärgerli.
»Es geht nit um Geld«, fügte er eilig hinzu, wie um einer möglien
»Armande … Madame Voizin … hat gesagt, Sie würden uns helfen«, sagte
er.
unfähig war, si klar und deutli auszudrüen, sondern daß es ihm
swierig und würde nur ein paar Tage in Anspru nehmen. Leider gehöre
der einzige Laden im Ort, wo man Holz, Farbe und alle sonstigen Utensilien
was passieren könne, wenn sie die Zigeuner erst einmal in ihr Haus ließe.
Wertsa en, Geld, sie würden garantiert alles mitgehen lassen, was ni t
nietund nagelfest sei … Es wäre nit das erstemal, daß eine alte Frau um
ihrer bes eidenen Habe willen mißhandelt oder erslagen würde … Nein,
es sei ein absurdes Ansinnen, und er könne beim besten Willen nit …
Beseid zu wissen – er hat keine Ahnung. Wenn man ihm glaubt, sind wir
alle Diebe und Mörder. I habe immer für alles bezahlt. I habe no nie
»Trinken Sie no eine Tasse Sokolade«, sagte i san und senkte
ihm na. »Nit jeder denkt wie Georges und Caroline Clairmont.«
»Das weiß i .« Seine Haltung war immer no abweisend, die Arme vor
Wenn Sie mir eine Liste geben, werde i das Material für Sie bestellen.«
Problem.«
»Selbstverständli ni t.«
»Armande ist gut zu uns«, sagte er. »Sie besorgt uns Lebensmi el und
Medikamente für Zéze es Baby. Und sie hat si für uns eingesetzt, als euer
Seine Augen sind so verhangen wie der Regenhimmel über der Stadt.
Er s ü elte den Kopf.
I legte ein S okocroissant auf einen Teller und stellte ihn neben seine
Tasse.
eke.
»Steen Sie das weg«, sagte i.
I legte meine Hand auf seine. Einen Augenbli lang spürte i seinen
i mit meiner freundsalien Geste seinen Stolz verletzt hae. »I habe
Sie eingeladen.« Er starrte mi unverändert feindselig an. »I habe jeden
eingeladen, der zum erstenmal in meinen Laden kam«, fuhr i fort. »Caro
Sie aus dem Café geworfen hat.« I ma te eine kleine Pause, um meine
Worte sinken zu lassen. »Wieso meinen Sie, meine Einladung auss lagen zu
können?«
»Tut mir leid«, sagte er. »I hae Sie mißverstanden.« Er zögerte
Sie zu mir na Hause ein«, sagte er in entsiedenem Ton. »Und falls Sie
Nadem wir eine Weile über belanglose Dinge geplaudert haen, begann er
von si zu erzählen. I erfuhr, daß Roux seit ses Jahren mit dem
gearbeitet und verdiente sein Geld immer no mit Reparatur- und
Guillaume, wie immer mit Charly auf dem Arm, grüßte ihn hö fli, und
Bleiben zu überreden. Er stope si den Rest seines pain au chocolat in den
Mund und wandte si mit jenem Ausdru stolzer Unnahbarkeit, mit dem
er si von Fremden distanziert, zum Gehen. An der Tür drehte er si
abrupt um.
»Vergessen Sie ni t, daß Sie eingeladen sind«, sagte er. »Samstag abend
um sieben. Und bringen Sie die kleine Fremde mit.«
egoistis von mir, nit auf den Tierarzt zu hören. Slimmer no, er hält
mi für verrüt. Charly ist sließli kein Mens.« Er hielt inne, und i
Augen an.
»I glaube son.«
»Verstehe.«
»Curé Reynaud ist kein s le ter Mens . Er meint es ni t so brutal, wie
Jahren zum Narren ma en mit dem Hund. Er meinte, ihm wäre es ja egal,
vers wenden.«
»Er versteht das ni t«, sagte er no einmal. »Er mag einfa keine Tiere.
seit zwanzig Minuten leer auf der eke. »Es muß ja no ni t heute sein,
ni t wahr?« Es lag fast so etwas wie Verzwei flung in seiner Stimme. »Er ist
do no ganz munter. Neuerdings frißt er au wieder besser. Niemand
kann mi dazu zwingen.« Jetzt klang er wie ein störris es Kind. »Wenn es
Kno en unter dem dünnen Fell. Man e Dinge können geheilt werden.
Wärme strömte aus meinen Fingern, während i vorsi tig das Ausmaß des
Tumors zu erspüren versu te. Der Knoten war größer geworden. I wußte,
es war ho ffnungslos.
»Es ist Ihr Hund, Guillaume«, sagte i . »Sie wissen am besten, was gut
Na t.«
I mußte daran denken, wie es meiner Mu er in ihren letzten Monaten
gegangen war. Wie blei sie gewesen war, wie ihr Fleis von den Kno en
zu s melzen s ien, bis sie s ließli wie ein zartes, zerbre li es Skele
wirkte. Ihre großen, fiebrigen Augen – Florida, Liebes, New York, Chicago,
der Grand Canyon, es gibt so viel zu sehen! –, ihr leises Wimmern in der
Na t.
»Irgendwann muß man einfa au ören«, sagte i . »Es ist zwe los.
Lieben. Sta dessen, viel zu häu fig, die kurze, verwirrende Begegnung, die
Hintergrund der aufgehenden Sonne, die wie ein Pendel auf einen
zus wingt, egal wie s nell man versu t, vor ihr davonzurennen.
Die s merzlose Spritze. Die freundli e Hand. Besser so, als mi en in der
Na t auf der Straße unter die Räder eines Taxis zu geraten, wo keiner
Dann hob er Charly auf, nahm seinen Hut und ging, ein wenig gebeugter
als gewöhnli , eine kleine, uns einbare Gestalt mit einem Bündel unter
dem Arm, das genausogut eine Tüte mit Einkäufen, ein alter Regenmantel
Samstag, 1. März
I beobate ihren Laden. I gebe zu, daß i das tue, seit sie im Dorf
angekommen ist; i sehe, wer ein- und ausgeht, wer si Zeit nimmt, um
mit ihr zu plaudern. I beobate das Treiben in ihrem Laden, so wie i als
Junge das Gewimmel in einem Wespennest verfolgt habe, fasziniert und
Abenddämmerung oder früh am Morgen. Taten so, als seien sie ganz
normale Kunden. Hier eine Tasse Ka ffee, dort eine Tüte Süßigkeiten für die
Kinder. Aber jetzt ist die Heimlituerei vorbei. Die Zigeuner gehen
die magere junge Frau und das junge Mäden mit den gebleiten Haaren
und der Araber mit dem kahlgesorenen Sädel. Sie kennt sogar ihre
Namen; Roux und Zézee und Blane und Mamhed. Gestern hat der
Lieferwagen von Clairmont Baumaterial bei ihr abgeladen; Holz und Farbe
und Da pappe. Der Fahrer hat das Material wortlos vor ihre Tür gestapelt.
Sie hat ihm einen Se ausgestellt. Und dann mußte i zusehen, wie ihre
Freunde die Kisten und Kartons und Eimer grinsend auf ihre Sultern
paten und sie na Les Marauds abtransportierten. Das Ganze war ein
ist sie entslossen, sie zu unterstützen. Das mat sie natürli nur, um mir
eins auszuwisen. Und mir bleibt nits anderes übrig, als würdevoll zu
sweigen und dafür zu beten, daß sie seitert. Aber sie mat meine
kümmern muß, die ihnen auf ihre Renung Lebensmiel kau. Leider bin
Vorräten für mindestens zwei Woen eingedet. Was sie für den täglien
si flußaufwärts in Agen. Bei dem Gedanken, daß sie no länger bleiben
könnten, kommt mir die Galle ho. Aber was soll i tun, wenn diese Leute
si au no mit ihnen anfreunden? Sie könnten mir sagen, was i tun
soll, Vater, wenn Sie nur spreen könnten. Und i weiß, Sie würden ohne
zu zögern Ihre Pflit tun, wie unangenehm sie au sein möte. Wenn Sie
mir nur sagen könnten, was i tun soll. Ein leiter Händedru würde mir
genügen. Ein Zu en mit den Augenlidern. Irgend etwas, das mir zeigte, daß
mir vergeben wird.
die Sie am Leben hält, indem sie Sauerstoff in Ihre gesundenen Lungen
pumpt. I weiß, daß Sie son bald aufwaen werden, geheilt und
geläutert, und daß mein Name das erste Wort sein wird, das Sie ausspreen.
Sehen Sie, i glaube an Wunder. I, der i dur das Feuer gegangen bin.
I glaube.
I hae mir vorgenommen, heute mit ihr zu spreen. Ganz sali, ohne
ihr Vorwürfe zu maen, wie von Vater zu Toter. I war mir sier, daß
sie mi verstehen würde. Unsere erste Begegnung hae unter sleten
Vorzeien gestanden. Aber i date, wir könnten no einmal von vorne
Verständnis zu zeigen. Aber als i auf den Laden zuging, sah i, daß dieser
Roux bei ihr war. Er fixierte mi mit seinen harten Augen und dem für
und einen Augenbli lang war i um das Wohl der Frau besorgt. Ist ihr
denn gar nit klar, auf wele Gefahr sie si einläßt, wenn sie mit diesen
Leuten verkehrt? Sorgt sie si denn nit um si und um ihr Kind? I
wollte gerade kehrtmaen, als mir ein Plakat im Fenster auffiel. Eine Weile
lang tat i so, als würde i es studieren, während i sie – die beiden –
heimli beobatete. Sie hae ein weinrotes Kleid an, und sie trug ihr Haar
Dann las i, was auf dem Plakat stand. Es war in einer ungelenken
Kindersri gesrieben.
LA CÉLESTE PRALINE
BEGINN: OSTERSONNTAG
Gesprä vertie, daß sie mi no gar nit bemerkt hae. Sie stand mit
dem Rüen zur Tür, einen Fuß abgewinkelt wie eine Balleänzerin. Sie trug
Ihre Bosheit, ihre Gehässigkeit. Sie muß es von Anfang an geplant haben,
Fesag. Seit dem Tag ihrer Ankun zu Karneval muß sie es im Silde
zu aufgebrat und betrat den Laden. Ein höhnises Geklingel ertönte, als
i die Tür öffnete, und sie drehte si läelnd zu mir um. Häe i nit
gerade erst mit eigenen Augen den unwiderlegbaren Beweis für ihre
Niedertra t gesehen, i häe swören können, daß das Läeln et war.
»Monsieur Reynaud.«
Im ganzen Laden du et es na Sokolade. Es riet ganz anders als der
löslie Kakao, den i als Junge getrunken habe, es ist ein sweres Aroma,
so betörend wie von den fris gerösteten Kaffeebohnen auf dem Markt,
vermist mit dem Du von Amareo und Tiramisu, ein kräiger, rauiger
Wohlgeru, der mir das Wasser im Mund zusammenlaufen läßt. Auf der
eke steht eine silberne, mit dem Gebräu gefüllte Kanne, aus der heißer
Dampf aufsteigt. Mir wird bewußt, daß i no nit gefrühstüt habe.
ausdrüen. Aber die Wut snürt mir die Kehle zu, und sta der Worte
anbieten?«
»Nein!«
»Mein chococcino tut gut, wenn man einen rauhen Hals hat.«
Eindru , Sie seien ein biß en heiser. Mö ten Sie viellei t lieber einen
feine, weiße Linien an den Knö eln und Hand fläen. Hat er irgendwo
Arbeit gefunden? frage i mi beunruhigt. Und falls ja, bei wem? Wenn
Eine Hausdur su ung auf seinem Boot würde genug Beweise zutage
sta gefunden hä e.
»I habe Ihr Plakat gesehen.« Mit soviel Würde, wie i au ringen kann,
Galle son wieder in den Hals gestiegen ist –, »i muß sagen, daß i den
Zeitpunkt, den Sie für Ihr … für Ihre Veranstaltung … gewählt haben,
lä
elt mi s elmis an. »I da te, das wäre Ihr Gebiet«, sagt sie
tro
en. »Sie sollten si mit dem Papst auseinandersetzen.«
»I
glaube, Sie wissen genau, was i meine.«
S fl
on wieder dieser hö i fragende Bli .
überko ende Mil , unkontrollierbar. In diesem Augenbli fühle i mi
stark,
meine Wut verleiht mir Kra . I zeige mit dem Finger auf sie.
»Glauben Sie ja ni t, i würde ni t dur s auen, was Sie vorhaben.«
»Lassen Sie mi raten.« Ihre Stimme ist san, sie klingt interessiert. »Es
ist ein persönlier Angriff auf Sie. Ein Versu, die Fundamente der
katholisen Kire zu unterminieren.« Sie lat so srill auf, daß sie si
obwohl i mir nit sier bin, wovor sie si fürtet. Der Rothaarige
starrt mi feindselig an. Dann faßt sie si mit Mühe, und die Furt, die
»I bin mir sier, daß in diesem Ort genug Platz für uns beide ist«, sagt
sie ruhig. »Wollen Sie wirkli keine Tasse Sokolade? I könnte Ihnen
I süele heig den Kopf, wie ein Hund, der von einem Swarm
Wespen aaiert wird. Ihre Ruhe mat mi rasend, in meinem Kopf
beginnt es zu summen, und es kommt mir so vor, als würde si der ganze
Raum um mi herum drehen. Der süße Sokoladendu raubt mir den
riee ihr Parfüm, einen Hau von Lavendel, den Du ihrer Haut. Hinter
ihr swebt eine andere Duwolke, der Geru na Sumpf, na
»I … nein … i …« Es ist wie ein Alptraum, i habe vergessen, was i
sagen wollte. Irgend etwas über Respekt, glaube i, über Verantwortung der
Retsaffenheit, Anstand und Moral. Sta dessen ringe i na Lu, und
»I … i …« I bin mir sier, daß sie das alles bewirkt, daß sie mir den
Verstand vernebelt … Sie beugt si mit gespielter Besorgnis vor, und erneut
»Geht es Ihnen nit gut?« I höre ihre Stimme wie aus weiter Ferne.
»Es ist nits.« Endli finde i meine Sprae wieder. »Eine … leite
Unpäßlikeit. Nits weiter. Guten Tag.« Und dann stürze i blindlings auf
die Tür zu. Mein Gesit strei ein rotes Säen, das im Türrahmen
baumelt – ein weiterer Beweis für ihren Aberglauben –, und i kann mi
des absurden Eindru s ni t erlie Ding mein
erwehren, daß dieses lä
Unbehagen ausgelöst hat, ein Säen voller Kräuter und Knoen, das dort
bis zu Ihnen, Vater. Mein Herz klope wie wild, und der Sweiß lief mir in
Strömen über den Rüen, aber endli fühlte i mi von ihrer Gegenwart
gereinigt. Ist es das, was Sie gefühlt haben, mon père, damals in der alten
t der Versuung?
Kanzlei? Ist das das Gesi
Der Löwenzahn breitet si aus, seine bieren Bläer durbreen die
swarze Erde, seine weißen Wurzeln fressen si tief ins Erdrei hinein.
Vater, und mir das swimmende Dorf ansehen, das immer größer wird, das
si immer weiter auf dem Tannes ausbreitet. Seit meinem letzten Besu
sind no mehr Boote eingetroffen, und der Fluß ist regelret mit ihnen
gepflastert. Man könnte troenen Fußes von einem Ufer zum anderen
gehen.
Ist es das, was sie beabsi tigt? Will sie diese Leute anlo en, der
Symbole des Heidentums entlarvt. Eine Zeitlang waren wir makellos. Aber
sie zwingt uns, von neuem mit der Säuberung zu beginnen. Diesmal sind sie
stärker, bieten uns einmal mehr die Stirn. Und meine Herde, meine dumme,
vertrauensselige Herde, wendet si ihr zu, hört auf ihre Worte … Armande
Voizin. Mi el Narcisse. Guillaume Duplessis. Joséphine Muscat. Georges
sie hören. I werde ihnen sagen, daß das Sokoladenfest nur ein Teil des
sündigen Ganzen ist. Ihre Freundsa mit den Zigeunern. Ihre Veratung
für unsere Si en e. Ihr Einfluß auf unsere Kinder. All dies sind
und Bräu
Ihr Fest wird nit stafinden. Läerli, anzunehmen, daß sie damit
werde jeden Sonntag in meiner Predigt gegen das Fest weern. I werde
die Namen der Kollaborateure laut vorlesen und für ihre Erlösung beten. Die
beswert si, daß sie ihm die Kunden vergraulen. Der Lärm von ihren
Booten, die Musik, die Feuer haben Les Marauds in eine s wimmende
Holzbudenstadt verwandelt, der Tannes ist mit einem glänzenden Ölfilm
überzogen, und lauter Abfall treibt den Fluß hinunter. Und seine Frau wollte
sie tatsäli in ihrem Café freundli bedienen, wie i höre. Zum Glü
läßt Muscat si von diesen Leuten nit einsütern. Clairmont hat mir
erzählt, er hat sie sofort rausgeworfen, als sie es letzte Woe gewagt haben,
sein Café zu betreten. Sie sehen also, mon père, sie sind Feiglinge, au wenn
sie no so großspurig aureten. Muscat hat den Weg, der na Les Marauds
hinunterführt, bloiert, damit sie nit mehr ins Dorf kommen. Im Moment
sind sie no vorsitig, legen eine Verslagenheit an den Tag, die für diese
Leute typis ist, jederzeit bereit, die geringste Swäe auszunutzen. Aber
wie alle Aasfresser sind sie nur mutig, solange sie si auf ihrem eigenen
Territorium bewegen. Vier von ihnen haben die Flut ergriffen – unter
ihnen Roux –, ansta si einem offenen Kampf mit Muscat zu stellen. I
häe i einen Vorwand, die Polizei aus Agen kommen zu lassen. I werde
no einmal mit Muscat reden. Er wird wissen, was zu tun ist.
Samstag, 1. März
gegrilltem Fleis in die Nase. Armandes Fenster standen weit offen, und das
Lit aus dem Haus warf unregelmäßige Muster auf das Wasser. Mir fiel auf,
daß keinerlei Müll herumlag, wie sorgfältig selbst der kleinste Abfall
hören. Roux saß auf der kleinen Mole und saute ins Wasser. Ein paar von
seinen Freunden haen si bereits zu ihm gesellt, unter ihnen Zézee, eine
junge Frau namens Blane und Mamhed, der Nordafrikaner. Neben ihnen
Anouk rannte sofort auf das Feuer zu. I hörte, wie Zéze e sie mit
Der Wein war süß und krä ig, mit Zitrone und Muskat gewürzt, und so
stark, daß er in der Kehle brannte. Zum erstenmal seit Woen herrste
klares Weer, und unser Atem bildete weiße Wölken in der stillen
Abendlu. Über dem Fluß lag eine dünne Nebelsit, die hier und da von
»Pantoufle will au was davon«, sagte Anouk und deutete auf den Topf
»Pantou fle?«
»Anouks Kanin en«, erkläre i ihm. »Ihr … imaginärer kleiner Freund.«
»I weiß nit ret, ob Pantoufle das smeen würde«, sagte er.
Buer karamelisiert, die Pfannkuen mit Honig. Wir aßen mit den
Fingern von Ble tellern und tranken Cidre und Glühwein. Ein paar Kinder
»Wenn i nur ein biß en jünger wäre«, seufzte sie. »So etwas würde i
mir jeden Abend gefallen lassen.« Sie fiste eine Kartoffel aus der Glut und
jonglierte damit zwis en beiden Händen, um sie abkühlen zu lassen. »Als
Kind hab i immer von so einem Leben geträumt. Ein Hausboot, lauter gute
Freunde, jeden Abend eine Party …« Sie s aute Roux spitzbübis an. »I
glaube, i werde einfa mit Ihnen dur brennen«, sagte sie. »I hab s on
immer eine S wä e für rothaarige Männer gehabt. I mag zwar alt sein,
aber i we
e, i könnte Ihnen immer no das eine oder andere
beibringen.«
Roux grinste. Heute abend war ni t die geringste Spur von Befangenheit
an ihm zu entde en. Gut gelaunt s enkte er Cidre und Glühwein aus, auf
la te. Er bra te Anouk bei, wie man flae Steine über das Wasser hüpfen
läßt. Und s
ließli zeigte er uns sein Boot, die kleine Kü e, den
»Es war das reinste Wra , als i es gekau habe«, erzählte er. »I hab
es wieder in Ordnung gebra t, und jetzt ist es genausogut wie ein Haus an
»Mir gefällt es«, erklärte sie. »I fi nd es ganz toll! Und es ist überhaupt
kein S ro -, kein S
ro -, überhaupt ni t das, was Jeannots Mu er immer
sagt.«
aber er la te. »Nein, nein, wir sind gar ni t so s le t, wie man e Leute
glauben.«
blies auf ihrer Plastiktrompete, und die Kinder tanzten so wild und so di t
am Flußufer, daß wir sie ermahnen mußten, t
ni so nah am Wasser
seinem Bli zu sehen, als er an mir vorbei den Hügel hinaufsaute. Eine
vor dem Café de la République ist die einzige Beleu tung in der smalen
Gasse, die den Hügel hinaufführt. Dahinter weitet si die Avenue des
Francs Bourgeois zu einer hell erleuteten Allee aus. No einmal starrte er
I trug Anouk den Hügel hinauf. Hinter uns sane Musik. Zézee tanzte
auf der Mole, und ihr Saen huste im Sein des nur no swa
im Café kein Lit brannte. Dann wurde sie leise geslossen, wie wenn
jemand eben no die Straße beobatet häe. Es häe aber au der Wind
Der März hat dem Regen ein Ende gema t. Der Himmel ist jetzt klar, ein
leu tendes Blau zwisen snell dahintreibenden Wolken, und über Nat
ist ein kräiger Wind aufgekommen, der in den Een pfei und an den
Fenstern rüelt. Die Kirengloen läuten wie wild, als häen au sie die
und her, ihr rostiges Sarnier quietst unablässig. In ihrem Zimmer singt
Märzwinde sind s lete Winde, pflegte meine Muer zu sagen. Aber der
Wind tut gut, er riet na Frühling und Ozon und Meersalz. Der März ist
ein guter Monat, er treibt den Februar dur die Hintertür hinaus, während
vor dem Haus son der Frühling wartet. Ein guter Monat für
Veränderungen.
Fünf Minuten lang stehe i mit ausgebreiteten Armen allein auf dem
Dorfplatz und lasse mir den Wind dur die Haare gehen.
I habe
vergessen, mir eine Jae anzuziehen, und der Wind baust meinen roten
Ro. I bin ein Drae, spüre den Wind, lasse mi von ihm über den
Kirturm hinweg, über mi selbst hinaus tragen. I verliere kurz die
Orientierung, sehe die rote Gestalt dort unten auf dem Dorfplatz, zuglei
hier und dort – dann bin i wieder ganz bei mir. Außer Atem entdee i
Reynauds Gesit ganz oben an einem Fenster, seine dunklen Augen, die
herausfordernde Geste au ffassen, aber heute morgen ist mir das egal. Der
seinem Turm zu, und der Wind zup spieleris an meinem Ro. I bin in
haben. I beobate sie auf ihrem Weg zur Kire – die Kinder rennen mit
ausgebreiteten Armen dur den Wind, die Hunde bellen aus Übermut, und
selbst die Gesiter der Erwasenen wirken trotz der vom Wind tränenden
Augen fröhli. Caroline Clairmont am Arm ihres Sohnes mit neuem Hut
und Mantel. Luc saut kurz zu mir herüber, läelt mir verstohlen hinter
vorgehaltener Hand zu. Joséphine und Paul-Marie Muscat Arm in Arm wie
verkni ffen und trotzig wirkt. Ihr Mann starrt mi das Saufenster
dur
ohne Charly, die bunte Plastikleine baumelt sinnlos an seinem Arm, und er
wirkt seltsam verloren ohne seinen Hund. Anouk s aut mi an und nit.
Narcisse bleibt stehen, um die Geranien vor dem Laden zu begutaten, reibt
ein Bla zwisen den Fingern, snuppert an dem grünen Sa. Trotz seiner
ruppigen Art ist er ein Leermaul, und i bin mir sier, daß er na der
Messe auf eine Tasse Mokka und ein paar Trüffel hereinkommen wird.
Der Klang der Gloen geht in ein tiefes, eindringlies Döhnen über –
dong! dong! –, während die Leute auf die offene Kirentür zuströmen. Vor
dem Portal steht Reynaud in einer weißen Soutane, die Hände gefaltet, mit
herübersaut, ein kurzer Bli über den Dorfplatz, ein leites Straffen der
Mit einer Tasse Sokolade in der Hand, mae i es mir hinter der
besonders groß sind. Erst na mehr als anderthalb Stunden kamen die
ersten Leute aus der Kire, die Köpfe gegen den Wind gesenkt, der fre an
Röe fuhr und die kleine Herde über den Dorfplatz seute.
do er war no wortkarger als sonst, zog eine Zeitung aus seinem
Tweedjae und beugte si lesend über seine Tasse. Eine Viertelstunde
später war die Häle der Gemeinde immer no in der Kire, und i nahm
an, daß sie auf die Beite warteten. I senkte mir no eine Tasse
Sokolade ein und wartete. Sonntags kommt das Gesä nur langsam in
die halboffene Kirentür slüpfen. Joséphine saute si na allen Seiten
um, und als sie si vergewissert hae, daß niemand auf dem Dorfplatz war,
kam sie auf den Laden zugelaufen. Als sie Narcisse auf seinem Hoer sitzen
sah, zögerte sie einen Moment. Dann trat sie ein, die Fäuste sützend in die
Magengegend gedrüt.
»I kann nit bleiben«, sagte sie ohne zu grüßen. »Paul ist gerade bei
der Beite. I hab nur zwei Minuten.« Ihre Stimme klang gehetzt, die
»Sie müssen si von diesen Leuten fernhalten«, sagte sie. »Von diesen
Zigeunern. Sie müssen ihnen sagen, sie sollen weiterziehen. Sie müssen sie
warnen.« Ihr Gesit war angespannt, und sie rang nervös die Hände.
I saute sie an.
»Joséphine, bie, nehmen Sie Platz. I mae Ihnen eine Sokolade.«
»Nein, das geht nit!« Sie süelte heig den Kopf, und ihr vom Wind
zerzaustes Haar fiel ihr ins Gesit. »I hab Ihnen do gesagt, i hab
keine Zeit. Tun Sie einfa, was i Ihnen sage. Bie.« Sie klang gehetzt und
ersöp und saute immer wieder zur Kire hinüber, als fürtete sie, bei
und leise. »Und gegen Sie. Er spri t über Sie. Verbreitet Gerüte über Sie.«
I zute gleigültig die Aseln.
»Na und? Was kümmert mi das?«
»Sie müssen sie warnen«, wiederholte sie. »Sagen Sie ihnen, sie sollen
weggehen. Und Sie müssen Armande warnen. Sagen Sie ihr, er hat heute in
der Kir e ihren Namen vorgelesen. Und Ihren au . Und meinen wird er
»Sagen Sie es ihnen einfa , ja?« Ihr Bli soß wieder ängstli zur
Kir e hinüber. Ein paar Leute traten gerade aus der Tür. »I kann ni t
länger bleiben«, sagte sie. »I muß weg.« Sie wandte si zum Gehen.
»Joséphine, warten Sie –«
Als sie si umdrehte, war ihr Gesit ein Abbild des Grams. I sah, daß
sie den Tränen nahe war.
»Wenn i mal ein Freundin finde, mat er mir alles kapu. Es wird so
kommen wie immer. Und dann werden Sie längst fort sein, aber i …«
I trat einen Sri auf sie zu, wollte sie in den Arm nehmen. Aber
»Nein! I kann nit! I weiß, Sie meinen es gut, aber i kann einfach
nicht!« Sie riß si mit Mühe zusammen. »Sie müssen das verstehen. I lebe
hier. I muß hier leben. Sie sind frei, Sie können gehen, wohin Sie
wollen –«
»Sie au «, unterbra i sie san.
Sie saute mi an und berührte meine S ulter ganz lei t mit den
Fingerspitzen.
Die Erregung war mit einemmal von ihr gewien, und sie starrte
es ist ni t Ihre S uld.« Einen Augenbli lang verrieten ihre Züge wieder
ängstli e Erregung. »Reden Sie mit den Leuten vom Fluß«, sagte sie
eindringli . »Sagen Sie ihnen, sie müssen vers winden. Es ist ni t ihre
I zu te die A seln.
Wieder dieses gequälte Lä eln. Als sie an mir vorbei zur Tür ging, sah i
etwas Glänzendes in ihrer Hand und bemerkte, daß ihre Manteltas en mit
verheddert.
»Hier, das ist für Sie«, sagte sie lei thin und hielt mir eine Handvoll ihrer
Dann drehte sie si mit einem strahlenden Lä eln um und ließ mi mit
Später am Na mi ag
ma te i mit Anouk einen Spaziergang zum
Flußufer hinunter. Die kleine Flo e der fahrenden Leute wirkte fröhli im
Leinen, und die Sonne spiegelte si in den Fenstern und den bunt
einem S aukelstuhl und s aute auf den Fluß hinaus. Roux und Mamhed
leu tend gelb gestri en worden waren. I winkte den beiden Männern zu
Die alte Frau wirkte müde, und ihr Gesi t unter der breiten Hutkrempe
war lei t aufgedunsen. Ihre Handarbeit lag unberührt auf ihrem S oß. Sie
ni te mir zu, sagte jedo ni ts. Ihr Stuhl s aukelte fast unmerkli , tick-
tick-tick, auf dem Gartenweg. Ihre Katze s lief zusammengerollt zu ihren
Füßen.
S aukeln.
Tick-tick-tick-tick.
»Für wen hält die si eigentli ?« raunzte sie unvermi elt. »Marie-
Antoine e?« Eine Weile versank sie in wütendes Grübeln, ihr S aukeln
S leppt mir ihren Arzt ins Haus –« Sie unterbra si und starrte mi
dur dringend wie ein Raubvogel an. »Mis t si in meine
Angelegenheiten ein. Das hat sie s on immer versu t, wissen Sie. Ihrem
Vater hat sie sonstwas erzählt.« Sie la te kurz auf. »Jedenfalls hat sie das
nehmen. I hab in meinem ganzen Leben keinen Arzt gebrau t – und au
keinen Priester –, der mir gesagt hat, was i tun und lassen soll.«
Armande re te ihr Kinn vor und s aukelte no energis er.
»Nein.« Sie s ü elte den Kopf. »Er ist zu einem S a turnier in Agen
gefahren.« Ihr starrer Bli wurde wei er. »Sie weiß ni t, daß er neuli
im Laden war«, sagte sie zufrieden. »Und sie wird es au ni t erfahren.«
Sie lä elte. »Er ist ein guter Junge, mein Enkel. Er weiß, wann er den Mund
halten muß.«
genannt«, sagte i . »Es heißt, man wir uns vor, mit unerwüns ten
Elementen zu verkehren.«
»Was i in meinem eigenen Haus tue, geht niemanden etwas an«, sagte
sie knapp. »Das hab i Reynaud gesagt, und das hab i damals au Père
»Allerdings.« Sie ni
te na drü li . »Vor Jahren. Reynaud muß damals
fahrende Leute hiergewesen, aber sie sind nie geblieben. Jedenfalls bis jetzt
ni
t.« Sie s aute zu ihrem halb fertiggestri enen Haus auf. »Es wird
ri
tig s ön, ni t wahr?« sagte sie zufrieden. »Roux sagt, bis heute abend
werden sie es ges a haben.« Plötzli runzelte sie die Stirn. »Es geht
keinen etwas an, ob i ihn für mi arbeiten lasse«, erklärte sie gereizt. »Er
ist ein ehrli er Mann und ein guter Handwerker. Georges hat kein Re t,
Sie nahm ihre Handarbeit auf, legte sie jedo wieder weg, ohne einen
genug, daß man in aller Herrgo sfrühe von diesem Glo engebimmel
gewe t wird, da fehlt es mir gerade no , daß i mir als erstes Caros
s einheiliges Gesi t ansehen muß. Wir beten jeden Tag für dich, Mutter«,
solche Sorgen um dich machen. In Wirkli keit sind sie um ihren guten Ruf
erinnert«, sagte sie. »Die S wierigkeiten, die sie bekam, na dem sie si
mit diesem Jungen eingelassen ha e. Wer hat denn dafür bezahlt, hä? Und
er – Reynaud, der Mann mit der blütenweißen Weste …« Ihre Augen
funkelten bosha
. »I we e, i bin die einzige, die si no an diese alte
gehalten hä e.« Sie warf mir einen vers mitzten Bli zu. »Und s auen Sie
»Kaum jemand erinnert si daran«, sagte sie. »Er ist aus Lansquenet
weggegangen, als er no ein Junge war. Es war für alle Beteiligten besser
so.« Einen Moment lang hing sie ihren Erinnerungen na. »Aber diesmal
soll er si in at nehmen«, fuhr sie düster fort. »Er soll es nit wagen,
etwas gegen Roux oder seine Freunde zu unternehmen.« Der Humor war
wunden;
vers sie wirkte mit einemmal älter, zänkis , krank. »I freue
mi, daß sie hier sind«, erklärte sieriger Stimme. »In ihrer
mit zi
zupen nervös an der Stierei in ihrem Soß herum. Die Katze wate
dur die Bewegung auf und sprang snurrend auf ihren Soß. Als
Armande ihr den Kopf kraulte, langte sie verspielt mit der Pfote na ihrem
Kinn.
»Lari flete«, sagte Armande. Na einer Weile wurde mir klar, daß das der
Name der Katze war. »I habe sie son neunzehn Jahre. In Katzenjahren
ist sie also fast genauso alt wie i.« Sie snalzte mit der Zunge, und die
erstien würde, als mi von meinen Katzen zu trennen. Allerdings gibt es
einige Menschen, auf die i gut und gerne verziten könnte.« Lariflete
rollte si zufrieden auf Armandes Soß zusammen. I saute zum Fluß
hinunter und sah Anouk mit zwei swarzhaarigen Kindern an der Mole
spielen. Anouk, die jüngste von den dreien, sien das Kommando
übernommen zu haben.
»Bleiben Sie do zum Kaffee«, slug Armande vor. »I wollte sowieso
welen aufsetzen. I hab au Limonade für Anouk.«
und setzte den Kaffee selbst auf. Alles ist blitzblank, do dur das einzige
winzige Fenster, das zum Fluß hinausgeht, fällt grünlies Lit herein, so
daß eine Atmosphäre entsteht wie unter Wasser. Von den dunklen
Rand ein Lo gesägt, damit die Katzen si überall frei bewegen können.
Eine Katze saß auf dem Kü ens rank und beoba tete mi , während i
in einer emaillierten Ble
ffee aurühte. Mir fiel auf, daß die
kanne den Ka
Limonade zuerfrei war, und in der Zuerdose befand si Süßstoff. Trotz
tre ffen.
»Ekliges Zeug«, kommentierte sie ohne Groll, während sie ihren Ka ffee
aus einer ihrer handbemalten Tassen s lür e. »Es heißt, man s me e den
»Caro bringt es immer mit, wenn sie kommt. Sie kontrolliert meinen
Kü ens rank. Wahrs einli meint sie es gut. Sie ist eben eine dumme
Gans.«
»Wenn man erst mal in meinem Alter ist«, sagte sie, »geht es los mit den
Zipperlein. Dauernd hat man irgendwas anderes. So ist das nun mal im
se zehn Jahren hat Rimbaud erklärt, er wolle soviel wie mögli so intensiv
wie mögli erleben. Nun, i gehe auf die A tzig zu, und langsam komme
wie jugendli ihr Gesi t wirkte. Eine Jugendli keit, die weniger mit der
Hautfarbe oder den Konturen zu tun hat, als vielmehr mit einer inneren
Lebensfreude; es war der Bli einer Frau, die gerade erst dabei ist, zu
»I s ätze, Sie sind zu alt, um in die Fremdenlegion einzutreten«, sagte
»Ri tig«, erwiderte sie. »Ein paar Exzesse könnte i au gebrau en.
I mußte la en.
»Sie sind wirkli unglaubli «, sagte i mit gespieltem Ernst. »Kein
Übermut.
an den i mi kaum erinnern konnte, wußte i, wo i diesen Bli son
Wie wär’s mir Florida, Liebes? Die Everglades? Die Keys? Was hältst du
von Disneyland, chérie, oder New York, Chicago, dem Grand Canyon,
Aber Armande fehlte die Angst, von der meine Mu er getrieben wurde,
das verzweifelte Ringen mit dem Tod, die Flu t in immmer wieder neue
Phantasiereisen. Bei Armande spürte i nur den Hunger, die Gier, das
hae, und wieviel sie wirkli begriff. No lange lag i wa und grübelte
über alles na, und als i endli einslief, träumte i, i sei mit
entgegenkamen, sie als die Rote Königin und er als der Weiße Hase aus Alice
im Wunderland verkleidet, beide mit großen weißen Hands uhen wie die
Hände von Comic figuren. Caro trug eine rote Krone auf ihrem riesigen
Kopf, und Armande hae in jeder Hand einen Stiel mit Zuerwae.
Von irgendwo aus der Ferne hörte i die New Yorker Verkehrsgeräuse
Armande stope si mit beiden Händen gierig die Zuerwae in den
Mund. I versute, sie vor dem Taxi zu warnen, do sie saute mi nur
an und sagte mit der Stimme meiner Muer: »Das Leben ist ein Fest, chérie,
erwiesen.« Dann mate sie si wieder auf diese srelie, gefräßige Art
über die Zu erwae her, und Reynaud wandte si mir zu und kreis te
mit einer Stimme, die wegen ihrer s rillen Höhe um so bedrohlier klang:
»Das ist alles deine Schuld! Du mit deinem Schokoladenfest! Alles war in
Ordnung, bis du aufgetaucht bist, und jetzt sterben alle – sie STERBEN
Spiegel, und die Karten flogen in alle Ritungen um mi herum – Neun
Schwerter, DER TOD. Drei Schwerter, DER TOD. Der Turm, DER TOD. Der
I wa te reiend
s auf. Anouk stand über mir, das t
Gesi
Ihre Arme legen si warm um meinen Hals. Sie riet na Sokolade
und Vanille und friedliem Slaf.
Sie tröstet mi mit ihrer sanen Kinderstimme, und i komme mir vor
wie in einer verkehrten Welt, als würde i in ihr versinken wie eine
drehen, während ihre Hand kühl auf meiner Stirn liegt, ihr Mund in meinem
Haar.
aufsnappt. Meine Muer sagte sole Dinge, aber i kann mi nit
erinnern, sie Anouk je beigebrat zu haben. Und do benutzt sie sie wie
vertraute Formeln. Einen Moment lang klammere i mi an sie, vor Liebe
wie gelähmt.
t wahr, Anouk?«
»Es wird alles gut, ni
»Na klar.« Ihre Stimme klingt klar und erwasen und selbstsier. »Klar
wird alles gut.« Sie legt ihren Kopf an meine Sulter und kuselt si an
halte meine Toter fest in den Armen, während sie wieder einslä, und
ihr Loen kitzeln mi im Gesit. Ist es das, wovor meine Muer si
immer fürtete? I frage mi, während i dem Zwitsern der Vögel
lause – zuerst ein einzelnes Krah-krah, dann ein ganzes Konzert –, ist es
das, wovor sie flütete? Nit ihr eigener Tod, sondern die zahllosen
Jahre vor unseren Gefühlen davongelaufen, vor unseren Freunds aen, den
beiläu fig ausgesproenen Worten, die ein Leben verändern können?
I versu e, mi an meinen Traum zu erinnern, an Reynauds Bli –
den verzweifelten Ausdru in seinem Gesit, ich komme zu spät, ich
Sisal, zu dessen Teil i unabsitli geworden bin. Aber der Traum hat
si aufgelöst, seine Teile haben si wie Karten im Wind zerstreut. Swer
zu sagen, ob der Swarze Mann der Verfolger oder der Verfolgte ist. Swer
zu sagen, ob er wirkli der Swarze Mann ist. Sta dessen sehe i wieder
das Gesit des weißen Kaninens vor mir – wie das Gesit eines
auszusteigen.
In meiner Verwirrung halte i die Stimme für die eines anderen; eine
wieder in den Slaf sinke, bin i mir fast sier, daß i eine andere
Stimme antworten höre, eine Stimme, die mi sowohl an Armande als au
Du.
Dienstag, 4. März
Das erste Grün auf den Feldern ma t die Landsa lieblier, als wir beide
es gewohnt sind. Von weitem wirkt es üppig und saig – ein paar frühe
Bienen sti eln die Lu über den zarten Halmen, so daß die Felder wie
heißer Wind fegt alles weg, was an frutbarem Boden no übrig ist, und
bringt Dürre ins Land, und darauf folgt eine stiige Windstille, in der
père, an die glühende Hitze und den heißen weißen Himmel. In jenem
Sommer folgte Plage auf Plage. Zuerst die Zigeuner, die in ihren
smuddeligen Booten über den halb ausgetro neten Fluß angekro en
kamen und in Les Marauds im S lamm auf Grund liefen. Und dann die
Krankheit, die erst ihre Tiere und dann die unsrigen be fiel; eine Art
Wahnsinn. Zuerst verdrehten sie die Augen, zu ten hilflos mit den Beinen,
weigerten si trotz ihrer aufgedunsenen Körper zu trinken, sließli
swarzen Fliegen, o Go, es lag ein Gestank in der Lu, durdringend und
süßli wie von verfaulendem Obst. Erinnern Sie si? Das war der Sommer,
als Sie hierherkamen, Vater. So heiß, daß die wilden Tiere aus dem
ausgetro neten Sumpf bis an den Fluß kamen. Fü se, Iltisse, Wiesel,
Hunde. Die meisten tollwütig, vom Hunger und Durst aus ihren
angestammten Revieren getrieben. Wir s ossen sie ab, wenn sie auf das
Ufer zuwankten, s ossen sie ab oder töteten sie mit Steinen. Die Kinder
bewarfen au die Zigeuner mit Steinen, aber sie waren genauso gefangen
und verzweifelt wie die Tiere und kamen immer wieder zurü . Die Lu
war s warz vor Fliegen und verpestet von dem Gestank der Feuer, mit
denen sie versu ten, die Krankheit abzuwehren. Zuerst gingen die Pferde
ein, dann die Kühe, Ziegen und Hunde. Wir versu ten, sie in S a zu
halten, weigerten uns, ihnen Lebensmi el oder Wasser oder Medikamente
Marauds aus beoba tete, gebeugte Gestalten, die abends still um ihre
Lagerfeuer ho ten, und wie i jemanden – eine Frau oder ein Kind – vom
dunklen Wasser her s lu zen hörte.
Einige Leute, S
wä linge – unter ihnen Narcisse –, fingen an, von
Nä stenliebe zu faseln. Von Mitleid. Aber Sie sind hart geblieben. Sie
In der Messe haben Sie die Namen derjenigen verlesen, die si weigerten
mitzuma en. Muscat – der alte Muscat, Pauls Vater – hat sie so lange vor
dem Café vers eu t, bis sie Vernun angenommen haben. Na ts gab es
Prügeleien zwis en den Zigeunern und den Dor ewohnern. Die Kir e
Eines Tages sahen wir, wie sie versu ten, ihre Boote in tieferes Wasser zu
S lamm, versu ten, auf den s leimigen Steinen Halt zu finden. Einige
ha en si Taue wie Ges irr umgelegt und zogen die Boote, andere
s oben von hinten. Als sie bemerkten, daß wir sie beoba teten,
ver fluten sie uns mit ihren harten, heiseren Stimmen. Aber es dauerte
no weitere zwei Wo en, bis sie endli abzogen und ihre ruinierten Boote
zurü ließen. Ein Feuer, haben Sie gesagt, Vater, ein Feuer, das der Säufer
und die S lampe, denen das Boot gehörte, unbeaufsi tigt gelassen ha
en.
Es gab Gerede; wie immer. Es hieß, Sie hä en das Unglü mit Ihren
den beiden, die stets so fromm in der ersten Bank saßen und alles sahen und
und gehört ha en. Vor allem jedo war man erlei tert. Und als der Winter
kam und der Tannes wieder mehr Wasser führte, versanken sogar die
Wra s.
I bin heute morgen no einmal hingegangen, Vater. Dieser Ort geht mir
ni t aus dem Sinn. Es ist fast genauso wie vor zwanzig Jahren.
Heimtü is e Stille liegt über dem Fluß, eine Stimmung, die ni ts Gutes
anhaltendes Gelä ter aus den Booten zu hören. Werde i stark genug sein,
Vater? Werde i trotz meines guten Willens versagen?
Drei Woen. I habe jetzt drei Woen in der Wüste verbrat.
sein. Aber die Angst ist immer no da. Letzte Nat habe i von ihr
geträumt. Oh, es war kein wollüstiger Traum, vielmehr fühlte i mi auf
unbegreiflie Weise bedroht. Die Unruhe, die sie ins Dorf bringt, ist es, was
Joline Drou sagt, ihre Toter sei au slet. Sie treibe si in Les
Wenn sie der Kleinen von Ostern und der Auferstehung erzählt, plappere sie
Saufenster hängt inzwisen eins von ihren Plakaten. Die Kinder sind jetzt
»Lassen Sie sie do, Vater, man ist nur einmal jung«, sagt Georges
»Es kann do wirkli nits saden«, sagt sie mit einem affektierten
Läeln. I habe den Verdat, daß sie nur deswegen so nasitig sind,
weil ihr Sohn für das Fest Interesse zeigt. »Und alles, was die Osterbotsa
bekräigt …«
jedem Tag wäst ihr Einfluß. Teilweise liegt es an dem Laden. Halb Café,
sind ganz verrüt na den Sokoladenfiguren, die sie si von ihrem
Tasengeld leisten können. Die Erwasenen genießen die leit verrute
Atmosphäre, in der man si Geheimnisse zuflüstert und gegenseitig das
Sonntagskaffee Kuen bei ihr zu bestellen; i sehe genau, wenn sie na
der Messe die mit Sleifen zugebundenen Sateln abholen. No nie
Atem ro na Sokolade, aber als Beitvater war i gezwungen, die
Anonymität zu respektieren.
»Schegnen Sie misch, Vater, denn isch habe geschündigt.« I hörte sie
kauen, hörte das saugende Geräus zwisen ihren Zähnen. Blanke Wut
spürte, wie mir das Wasser auf der Zunge zusammenlief. Sließli konnte
»Nein, Vater«, erwiderte sie beinahe empört. »Essen? Warum sollte i –«
»I bin sicher, daß i Sie essen höre.« I mate mir nit die Mühe,
leise zu spreen, sondern erhob mi von meinem Stuhl und umklammerte
den Sims mit beiden Händen. »Für was halten Sie mi eigentli, für einen
Troel?« Son wieder hörte i ein smatzendes Geräus, und die Wut
übermannte mi vollends. »I höre Sie essen, Madame«, sagte i sarf.
»Oder glauben Sie etwa, Sie seien weder zu sehen no zu hören?«
Zweifel. Und dann wurde mir das Absurde an der ganzen Situation bewußt,
rebellierte. Der plötzli e Gedanke, daß sie die einzige wäre, die das
Komis e an der Situation erkennen würde, rei te aus, um mir den Magen
Übelkeit zu ents uldigen und die Bei te abzubre en. Mit unsi eren
Bei tstuhl auf ein lei tes Fieber zurü , das mi während der Na t
Vorsi tsmaßnahme habe i meine Abendmahlzeiten no weiter reduziert,
Unsi erheit – beinahe so etwas wie gespannte Erwartung. Der Wind mat
die Kinder ausgelassen, sie rennen mit ausgestre ten Armen auf dem
Dorfplatz herum und kreis en wie Vögel. Au die Erwa senen wirken
flaerha, fallen von einem Extrem ins andere. Die Frauen reden zu laut,
Muscat vor dem Café de la République an, und diese sonst so stille, einsilbige
angeri tet?«
antworten, aus Fur t, in einen hitzigen Disput verwi elt zu werden. Aber
sie hat si verändert; sie ist härter geworden, ihr ehemals unbeteiligter
Bli ist nun konzentriert und haßerfüllt. Au sie ist ins Lager des Feindes
übergelaufen.
Zusammenhalt. Sie nutzt die Fehler und Swäen der Mensen aus. Und
erntet damit Zuneigung und Loyalität, die i – Go steh mir bei! – in
meiner Swäe für mi selbst begehre. Es ist ein Hohn, wie sie von
Wohlwollen und Toleranz, von Mitleid für die armen Heimatlosen vom Fluß
Der Teufel tut sein Werk nit dur das Böse, sondern dur Swäe,
Vater. Sie wissen das am allerbesten. Wo wären wir ohne die Kra und
Reinheit unserer Überzeugungen? Wie sier können wir sein? Wie lange
wird es dauern, bis das Geswür bis in die Kire vordringt? Wir haben
gesehen, wie snell die Fäulnis si ausbreitet. Son bald werden sie
verherrli en, und ehe sie si ’s versehen, werden sie si mit all ihrem
einbar
s fortsrilien Denken und ihren harmlos liberalen Ansi ten
auf dem direkten Weg in die Hölle be finden.
ironis, nit wahr? No vor einer Woe habe i meinen
Es ist do
eigenen Glauben in Frage gestellt. I war zu sehr mit mir selbst besäigt,
Bibel sagt uns unmißverständli, was wir zu tun haben. Unkraut und
Mi woch, 5. März
Luc ist heute wieder dagewesen, um mit Armande zu reden. Er wirkt jetzt
Aber er ist so weit aufgetaut, daß er hier und da eine serzhae Bemerkung
mat, über die er dann selbst grinst, als sei er die Rolle des Spaßmaers
nit gewohnt. Armande war in Hoform und trug sta des swarzen
rosig – obwohl i annahm, daß dies, ebenso wie ihre ungewöhnli roten
verdanken war. In dieser kurzen Zeit haben sie und ihr Enkel entdet, daß
sie mehr Gemeinsamkeiten haben, als sie vermutet haen; ohne die
miteinander um. Swer vorstellbar, daß sie no bis vor einer Woe kaum
Kontakt haen. Man spürt eine tiefe Vertrautheit zwisen ihnen, wenn sie
Rugby, Lyrik – sie sweifen von einem ema zum nästen, wie Gourmets
Armande konzentriert all ihren Charme und ihre volle Aufmerksamkeit auf
gehen.«
Luc hielt mien im Satz inne und saute sie betroffen an.
»I-i-i habe gar nit gemerkt«, sagte er und blite auf seine Uhr, »d-
daß es son so spät ist.« Er saute si ziellos um, als sträubte er si zu
zu spät komme, d-dreht meine M-muer dur. D-du weißt ja, wie sie ist.«
Kommentars über Caro. Auf diese eindeutige Kritik hin jedo läelte sie
spitzbübis.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte sie. »Sag mal, Luc, ist dir denn
Armande la te.
»Also dann, bis nä ste Wo e?« Diesmal drü te er ihr einen Kuß auf die
»Aber wenn Caro was dagegen hat«, meinte sie ironis und s aute ihn
herausfordernd an.
»M-mir fällt bestimmt eine Ausrede ein«, sagte Luc, von ihrem
alle dasein. Außer natürli Reynaud und seine Bibel-Groupies.« Sie lä elte
farblos unter der s malen Hutkrempe. Förmli wie immer, grüßte er uns
mit ausgesu ter Hö fli keit, do i sah, daß er bedrü t war. Seine
darunter ste en. Seine Augen waren rot gerändert, seine Wangen
Kü e.
»I weiß, Sie ma en Feierabend.« Er spra beherrs t und akzentuiert,
liebte. »I werde Sie ni t lange au alten.«
I s enkte ihm eine halbe Tasse meines besten chocolat espresso ein und
legte ein paar seiner geliebten Florentiner auf die Untertasse. Anouk
kle
erte auf einen Ho er und beäugte sie neidis .
»I habe keine Eile«, sagte i .
»I au ni t«, erklärte Armande in ihrer direkten Art. »Aber i kann
Guillaume s ü elte den Kopf.
»Nein, natürli ni t.« Er s enkte ihr ein wenig überzeugendes Lä eln.
»Es ist ni ts Weltbewegendes.«
Obwohl i ahnte, was ges ehen war, wartete i , bis er soweit war, uns
aufzufangen.
I ni te.
»Ganz bestimmt.«
I konnte seine Trauer rie en, einen s arfen, sauren Geru wie na
Erde und Mehltau. Er ha e s warze Erde unter den Fingernägeln der Hand,
mit der er den Florentiner hielt. Anouk s aute ihn mit ernster Miene an.
»Es mußte s ließli sein«, fuhr er fort. »Er konnte ni t mehr laufen,
und er winselte jedesmal, wenn i ihn ho nahm. Gestern abend hörte er
s uldbewußt, von einer Trauer überwältigt, für die er keine Worte fand.
»I weiß, es ist albern«, sagte er. »Er war nur ein Hund, wie Monsieur le
Charly war ein guter Freund. Von diesen Dingen versteht Reynaud eben
ni ts.«
Guillaume saute sie dankbar an.
, daß Sie das sagen.« Er wandte si an mi. »Und Ihnen danke i
»Ne
au, Madame Roer. Sie haben letzte Woe versut, mi zu warnen,
aber i wollte nit auf Sie hören. Wahrseinli hab i mir eingebildet,
swarzen Augen.
Guillaume nite.
»I häe ihn früher gehen lassen sollen«, sagte er. »Ihm ein bißen
Würde lassen sollen.« Sein Gesit verzog si zu einem Läeln, das fast
ersparen sollen.«
wußte nit, was i ihm sagen sollte. Irgendwie hae i das Gefühl,
I
verzitete auf die üblien Klisees und sagte nits. Guillaume aß seinen
solen Appetit. Es ist, als häe i seit Woen nits gegessen. Gerade
habe i meinen Hund begraben, und jetzt könnte i essen wie –« Er bra
Armande mußte laen und legte Guillaume eine Hand auf die Sulter.
»Sie kommen jetzt mit zu mir!« befahl sie. »I habe Brot und rillettes und
einen guten, reifen Camembert. Oh, und Vianne« – mit einer gebieterisen
Geste an mi gewandt –, »i nehme no eine Satel von diesen
Satel.«
Wenigstens das kann i ihm geben. Au wenn es für einen Mann, der
mate i mit der Fingerspitze ein Zeien auf die Satel. Es sollte ihm
Glü bringen.
Guillaume wollte protestieren, aber Armande sni ihm das Wort ab.
auf den kleinen müden Mann. »Was wollen Sie denn sonst tun? Zu Hause
»Und das können Sie au glei hierlassen.« Vorsi tig nestelte sie die
Hundeleine von Guillaumes Handgelenk. Sie ist auf eine ruppige Art
I sehe zu, wie sie Guillaume aus der Tür bugsiert. Beim Hinausgehen
dreht sie si no einmal um und zwinkert mir zu. Eine Welle der
Anouk den ganzen Abend sehr ernst, ohne ihre übli e Ausgelassenheit. Sie
hat die Tür zwis en unseren Zimmern offengelassen, und i warte
t auf die unvermeidlie Frage; i habe sie mir selbst o gestellt, in
bedrü
den Näten, nadem meine Muer gestorben war, und habe keine
Antwort gefunden. Do die Frage kommt nit. Sta dessen krabbelt sie,
obwohl i date, sie sliefe son lange, unter meine Dee und siebt
»Maman?« Sie weiß, i bin no wa. »Nit wahr, du stirbst nit?«
I lae leise in der Dunkelheit.
»Das kann niemand verspreen«, sage i san.
»Aber du stirbst no lange nit«, beharrt sie. »No ganz, ganz lange
nit.«
»Hm.« Das muß sie erst einmal verdauen. Sie kus elt si no diter
. »Mensen leben länger als Hunde, nit wahr?«
an mi
»I weiß es nit, Nanou. I stelle mir gern vor, daß wir wiedergeboren
werden. In einem neuen, gesunden Körper. Oder als Vogel oder als Baum.
Eifrig: »Dann können wir Guillaumes Hund do suen. Morgen. Dann
I versue, ihr zu erklären, daß das nit ganz so einfa ist, aber sie
gerade Junge bekommen hat. Glaubst du, wir würden Charly erkennen?«
»Er würde ihn erkennen, das weiß i ganz genau. Pantoufle sieht alles.«
»Ss.«
Sließli wird ihr Atem regelmäßig. Ihr Gesit ist dem Fenster
au nit gereet; alles, was wir erlebten, häe au dur Zufall
gesehen sein können. Nits ist leiter als das, sage i mir; die Karten,
mir vor, wie wir uns morgen auf eine sinnlose Sue maen, wie wir alle
möglien Welpen begutaten, und es zerreißt mir das Herz. I häe ihr
Vorsitig, um sie nit zu ween, slüpfe i aus dem Be. Die Dielen
fühlen si gla und kühl unter meinen Füßen an. Als die Tür beim Öffnen
ein bißen quietst, murmelt Anouk im Slaf, wat jedo nit auf. I
Die Saen meiner Muer sind immer no in ihrer Kiste, sie duen na
Sandelholz und Lavendel. Ihre Karten, ihre Kräuter, ihre Büer, ihre Öle, die
duende Tinte, die sie für ihre Wahrsagerei benutzte, Runen, Amulee,
würde i die Kiste kaum jemals öffnen. Zu sehr riet sie na verlorener
vor. Eigentli müßte i jetzt slafen und mi für den morgigen Tag
stärken. Aber Guillaumes Gesit verfolgt mi. Anouks Worte rauben mir
den Slaf. Es ist gefährli, sage i mir verzweifelt; indem i auf diese
beinahe vergessenen Fähigkeiten zurü greife, setze i mi no mehr von
ihnen ab und ma e es um so swerer für uns, hierzubleiben …
Das vertraute Ritual, das i vor so langer Zeit aufgegeben habe, geht mir
erstaunli leit von der Hand. Den Kreis auf dem Boden zu ziehen, in die
Mie ein mit Wasser gefülltes Glas, ein Sälen mit Salz und eine
brennende Kerze – es hat fast etwas Tröstlies, es ist wie die Rükehr in
eine Zeit, als es no für alles eine einfae Erklärung gab. I setze mi im
Sneidersitz auf den Boden, sließe die Augen, lasse meinen Atem fließen.
I sei gehemmt, pflegte sie dann zu kiern. Jetzt, mit geslossenen Augen
und ihrem Du an den Fingerspitzen, fühle i mi ihr sehr nahe. Vielleit
fällt mir das alles deswegen heute nat so leit. Mensen, die nits von
eter Zauberei verstehen, stellen si vor, der Vorgang erfordere eine
Menge Brimborium. I nehme an, daß meine Muer, die eine ausgeprägte
ledigli darum, si mit allen Sinnen auf das gewünste Ziel zu
sehe Guillaumes Hund deutli vor meinem geistigen Auge, umgeben von
orangefarbene Sessel oder die roten Barhoer, die wir uns am ersten Tag
Ein Bli auf meine Armbanduhr, die i auf den Boden gelegt habe, sagt
mir, daß es bereits kurz vor halb vier ist. I muß son länger hier sitzen,
als i angenommen habe, denn die Kerze ist fast heruntergebrannt, und
meine Glieder sind kalt und steif. Denno ist das ungute Gefühl
breitgemat, ihre Arme auf den Kissen ausgestret – und kusele mi
unter die warme Dee. Meine ansprusvolle kleine Fremde wird zufrieden
sein. Beim Eins lafen meine i einen Moment lang, die Stimme meiner
Freitag, 7. März
Die Zigeuner ziehen ab. I bin heute morgen am Ufer entlanggegangen und
habe sie bei ihren Vorkehrungen beoba tet, wie sie ihre
Fis reusen
einholten und ihre endlosen Wäs eleinen abnahmen. Einige sind gestern
Signalpfeifen und Nebelhörner wie eine letzte Geste des Hohns ertönen
ließen –, do die meisten sind so abergläubis, daß sie es nit wagen, vor
der Dämmerung aufzubre en. Es war kurz na sieben, als i vorbeiging.
Morgendämmerung wirkten sie blei und mürris , wie Flü tlinge, als sie
feu tkalten Lu liegt ein Geru von Mas inenöl und Verbranntem. Man
hört das Kna ern von Segeltu , das Wummern der S ff i smotoren. Mit
finsterer Miene versehen sie ihre Arbeit, und kaum einer s aut zu mir
herüber. Keiner sagt ein Wort. Roux ist ni t unter den Na züglern.
Viellei t ist er
s on mit den anderen abgefahren. Es sind no etwa
dreißig Boote übrig, sie liegen tief im Wasser, belastet mit all den Vorräten,
Flo e, wie sie irgendwel e unidenti fizierbaren verkohlten Gegenstände auf
ihr Boot hievt. Auf einer versengten Matratze und einer Kiste voller
Zeits ri en steht gefährli wa elig ein Kä fig mit Hühnern. Sie wir mir
einen haßerfüllten Bli zu, sagt jedo
ni ts.
Glauben Sie ni
t, i hä e kein Mitgefühl mit diesen Leuten, mon père.
I emp finde keinen persönli en Groll, aber i muß an meine Gemeinde
denken. I kann meine Zeit ni t mit unerbetenen Predigten für Fremde
I habe letzte Na t slet geslafen. Seit dem Beginn der Fastenzeit
leide i an Slafstörungen. O stehe i vor dem Morgengrauen auf in der
Hoffnung, in einem Bu, auf den stillen, dunklen Straßen von Lansquenet
oder am Ufer des Tannes Slaf zu finden. Letzte Nat war i no
slafen können, bin i gegen elf aus dem Haus gegangen und eine Stunde
Gestalten im gelben Sein der Flammen. Als i einen Bli auf meine Uhr
warf, stellte i fest, daß i son seit fast einer Stunde unterwegs war, und
mate mi auf den Heimweg. I hae nit vorgehabt, dur Les
Marauds zu gehen, sondern wollte denselben Weg zurü dur die Felder
häe, und mir war vor Müdigkeit flau und swindlig. No slimmer
jedo war, daß i dur die Kombination aus friser Lu und
Imbiß aus Brot und Kaffee kaum zu stillen sein würde. Aus diesem Grund
slug i do den Weg dur Les Marauds ein, Vater. Meine Stiefel sanken
tief in den Slamm am Ufer des Tannes, und mein Atem simmerte weiß
im Lit ihrer Feuer. Son bald war i nah genug, um zu erkennen, was
dort vor si ging. Sie feierten eine Art Party. I sah Laternen, Kerzen, die
sie an den Relings befestigt haen, was der ganzen Szene einen beinahe
verloend na gegrillten Sardinen; und darunter miste si der sarfe,
biere Du von Vianne Roers Sokolade. I häe mir denken können,
daß sie dort war. Wenn sie ni t wäre, hä en die Zigeuner si längst
davongema t. I sah sie auf dem Steg vor Armande Voizins Haus. In
ihrem langen, roten Mantel und mit ihrem offenen Haar sah sie aus wie eine
heidnise Priesterin. Als sie si kurz in meine Ritung wandte, sah i
Brennendes zwisen ihren Fingern, das die Gesiter der anderen blei
erleutete …
in dem tiefen Slamm hinter den Slehenbüsen entlang, die mi vor
Sam über meine eigenen absurden Gedanken, als sie si no einmal in
»Mutter Gottes!«
Meine Erlei terung war so groß, daß meine Beine beinahe unter mir
na gaben.
»Pfannkuen. Flambierte Pfannkuchen. Das ist alles.«
I begann hysteris und lautlos zu laen. Mein Magen verkrampe
Pfannkuen.
Was haben sie mir angetan, Vater! Sie haben mi so weit gebrat, daß
i Dinge höre – und Dinge sehe –, die gar nit da sind. Das hat sie mir
Klang ihrer Stimme, der vom Fluß her an meine Ohren dringt – ihr Laen,
das i aus dem der anderen heraushöre –, ist verführeris, voller Humor
unter den Stimmen dieser Leute klingen würde, mein Laen vermist mit
ihrem, und mit einemmal fühle i mi einsam, plötzli ist die Nat kalt
und leer.
nur könnte, date i. Aus meinem Verste kommen und mi
Wenn i
Essen mi rasend, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wenn i mi
nur an diesen Pfannkuen laben, mi nur an dem Feuer und dem Lit auf
meine innere Kra hat sie besiegt, mein Gebet – bitte, o bitte, bitte, bitte –
war ein Flehen um Erlösung, nit Ausdru des Verlangens.
Haben Sie ebenso gefühlt? Haben Sie au gebetet? Und als Sie der
Versuung damals in der Sakristei erlagen, war der Genuß hell und warm
wie die Lagerfeuer der Zigeuner, oder war es ein ersöpes Aufsluzen,
I häe Ihnen keinen Vorwurf maen dürfen. Ein Mann – selbst ein
des Neids. I war sehr jung, mon père. I habe zu Ihnen aufgeblit. Es
war weniger der Akt selbst – oder die Person, mit der Sie ihn vollzogen –,
sondern die simple Tatsa e, daß Sie fähig waren zu sündigen. Selbst Sie,
Vater. Und in diesem Augenbli wurde mir klar, daß es keine Si erheit
gibt. Für niemanden. Ni t einmal für mi selbst.
I weiß nit, wie lange i zugesehen habe, Vater. Zu lange, denn als i
sließli ging, waren meine Hände und Füße taub. I sah Roux in der
Gruppe, die beiden Frauen Blane und Zézee, Armande Voizin, Luc
Clairmont, Narcisse, den Araber, Guillaume Duplessis, die junge Frau mit
den Tätowierungen, die die Frau mit dem grünen Kopu. Sogar die
Kinder waren da – hauptsäli Zigeunerkinder, aber au Jeannot Drou
und natürli Anouk Roer –, einige sliefen son fast, andere tollten am
ungewöhnli srill, wie das eines übermüdeten Kindes. Die Laternen und
Anfangs hielt i den Alarmruf für einen Freudensrei. Ein kurzer, heller
Augenbli lang date i, eines der Kinder sei ins Wasser gefallen. Dann
Es war auf einem der Boote ausgebroen, die in einiger Entfernung von
das auf einen Ballen troenen Segeltus getrop war. Was immer es war,
es breitete si in Windeseile aus. Son war es auf dem Da des Bootes,
und glei darauf griff es auf das De über. Anfangs waren die Flammen
genauso blaßblau wie auf den flambierten Pfannkuen, aber je mehr sie
Augustnat. Der Rothaarige, Roux, war der erste, der reagierte. I nahm
an, daß es si um sein Boot handelte. Die Flammen haen kaum Zeit
gehabt, die Farbe zu weseln, da war er au son auf den Füßen, sprang
von Boot zu Boot um das Feuer zu erreien. Eine der Frauen rief ihm na,
ein hoher, spitzer Srei voller Angst und Sorge. Aber er kümmerte si
Sekunden hae er zwei Boote überquert, riß die Taue los, mit denen sie
anderen auf das Wasser hinaus. I sah Vianne Roer mit wie flehend
auf dem Steg herum. Die Barken, die von ihrer Vertäuung gelöst waren,
trieben langsam stromabwärts, und das Wasser wurde von ihrem S aukeln
aufgewühlt. Roux‘ Boot war nit mehr zu reen, verkohlte Teile braen ab
und drieten auf den Wellen dahin. I sah, wie er trotzdem einen halb
verbrannten Ballen Segeltu ergri ff und auf die Flammen eins lug, aber
die Hitze war zu groß. Seine Hose und sein Hemd fingen Feuer, und er ließ
das Segeltu lug die Flammen an seinem Körper mit den
fallen und s
Händen aus. Einen Arm sützend vor das Gesit gehalten, versute er
no einmal, die Kajüte zu erreien; i hörte ihn in seinem Dialekt laut
fluen. Armande rief ihm etwas zu, ihre Stimme srill vor Sorge. I hörte
sie etwas von Benzin und Siffstank sreien.
Erinnerungen stiegen in mir auf, süß und warm. Es war fast genauso wie
damals, der Gestank na brennenden Reifen, das dumpfe Tosen des Feuers,
das zuende Lit … Es kam mir fast so vor, als wäre i wieder ein kleiner
Junge, als wären Sie der curé, und als seien wir beide wie dur ein Wunder
Zehn Sekunden später sprang Roux von dem brennenden Boot ins Wasser.
I sah ihn auf das Ufer zuswimmen, do der Siffstank explodierte erst
ein paar Minuten später, und es war nur ein dumpfer Knall, nit das
Feuerwerk, das i erwartet hae. Einen Moment lang war er nit mehr zu
sehen, verdet von den Flammen, die über die Wasseroberfläe rasten. I
stand auf, denn jetzt fürtete i nit mehr, gesehen zu werden, und rete
Sie sehen also, Vater, i bin nit ohne Mitgefühl. I fürchtete um sein
Leben.
Vianne Roer war bereits im Wasser, bis zu den Hüen in den braunen
Fluten des Tannes, ihr roter Mantel bis unter die Arme durnäßt. Eine
Hand über den Augen sute sie den Fluß ab. Neben ihr stand Armande und
srie; ihre Stimme klang srill und alt. Und als sie ihn sließli triefnaß
auf den Steg zerrten, war i so erleitert, daß meine Beine nagaben und
i wie zum Gebet auf den Boden sank. Aber dieses Hogefühl, als i ihr
Lager brennen sah – es war herrli, wie eine Kindheitserinnerung, die Lust,
mätig, Vater, es war, als häe i das alles irgendwie verursat – das
Feuer, die Verwirrung, die Flut des Mannes –, als häe meine heimlie
Erwasenen, die si stumm an den Händen hielten und das lodernde Feuer
unbemerkt davonzukommen.
verdret. Er hae die Ärmel seines karierten Hemdes bis über die Ellbogen
aufgekrempelt, und im geisterhaen Lit des Feuers wirkte seine Haut gla
und rot wie poliertes Zedernholz. Er zeigte si über meine Anwesenheit
wie das eines Kindes, das von einem nasitigen Vater bei einer
Dummheit erwist wird. Mir fiel auf, daß er stark na Benzin ro.
»n’Abend, Vater.«
I wagte nit, seinen Gruß zu erwidern, als könnte i mi dur mein
Sweigen einer Verantwortung entledigen. Sta dessen neigte i den Kopf
wie ein stiller Mitverswörer und eilte weiter. I spürte, wie Muscat mir
nasaute, das Gesit glänzend vor Sweiß, aber als i mi sließli
Eine Kerze, tropfendes Wa s. Eine Zigaree, die, atlos fortgeworfen, auf
einem Stapel Brennholz landet. Ein Lampion, dessen buntes Papier Feuer
gefangen hat und kleine Funken auf das De regnet. Alles mögli e hä e
das Feuer auslösen können.
Alles möglie.
Samstag, 8. März
Heute morgen war i wieder bei Armande. Sie saß in ihrem niedrigen
Wohnzimmer in ihrem S aukelstuhl, eine ihrer Katzen auf dem S oß. Seit
dem Brand in Les Marauds wirkt sie zuglei zerbre li und verbi ert, ihr
trug ein graues Hauskleid und di e, s warze Strümpfe, und ihr o ffenes
Haar hing ma und stumpf über ihre S ultern.
»Sie sind fort.« Ihre Stimme klang tonlos, beinahe teilnahmslos. »Kein
»I weiß.«
Wenn i
na Les Marauds hinuntergehe, ist der Anbli immer no ein
S o , wie der häßli e gelbe Fle auf dem Feld, wo einmal ein Zirkuszelt
gestanden hat. Nur das Wra von Roux‘ Boot ist no da, ein
Wasserober fläe.
»Blan e und Zéze e haben ein Stü weiter flußabwärts festgemat. Sie
haben gesagt, sie wollen heute no einmal herkommen, um na dem
Re ten zu sehen.«
Sie begann, ihr langes, graues Haar zu einem Zopf zu fleten. Ihre Finger
wirkten so steif und unbeholfen wie kleine Stö en.
Und das zu Re t. Er weiß, daß das Feuer kein Zufall war, er weiß, daß er
er zuerst no erledigen. I selbst habe seit dem Brand ni t mehr mit ihm
gespro en. I habe ihn einmal kurz am Ufer gesehen, wo er dabei war, den
mürris und vers lossen, die Augen vom Rau gerötet. Als i ihn grüßte,
reagierte er ni t. Sein Haar war im Feuer teilweise verbrannt, und den Rest
in der Straße. Gestern abend hab i ihm was zu essen vor die Tür gestellt,
und heute morgen war es weg. I hab ihm au Geld angeboten, aber er
wollte es nit annehmen.« Sie zupe nervös an ihrem fertigen Zopf. »Sturer
Bengel. Was nützt mir das ganze Geld in meinem Alter? I würde viel
lieber ihm einen Teil davon geben, ansta es alles dem Clairmont-Clan in
den Raen zu werfen. Wie i die kenne, landet es sowieso nur in Reynauds
Klingelbeutel.«
naubte verätli.
Sie s
»Der Kerl ist ein Dikopf. Go bewahre uns vor rothaarigen Männern.
Die lassen si einfa nits sagen.« Sie süelte verdrießli den Kopf.
mehr gesehen.«
andere.«
I fand ihn nit, obwohl i eine Stunde lang an den Ufern des Tannes
na ihm sute. Selbst die Methoden meiner Muer halfen nit. I
entdete jedo seinen Slafplatz. In einem Haus nit weit von Armandes
Häusern in der Straße. Die Wände glänzen vor Feu tigkeit, aber die obere
eint no einigermaßen in Suß zu sein, und in mehreren Fenstern
Etage s
sind die Seiben erhalten. Im Vorbeigehen fiel mir auf, daß die Tür
aufgebroen worden war, und als i einen Bli hinein warf, bemerkte i,
Da i um halb neun den Laden öffnen mußte, gab i die Sue sließli
auf. Roux würde son von allein auauen, wenn er soweit war. Als i
unverslossen war.
»Sie häen ruhig drinnen auf mi warten können«, sagte i.
Windbeutel probieren.«
Seit Charlys Tod wirkt er eingefallen, als sei er auf die Häl e seiner
Humor nit verloren, seine wehmütig spöise Art, die ihn vor
»Reynaud hat heute in der Messe kein Wort darüber verloren«, sagte er,
Interesses, das der curé bis dahin an den fahrenden Leuten gezeigt hae.
Er erzählt mir, daß er Roux gesehen hat, der si mit Narcisse vor dessen
hoffe es zumindest.
»Er ist verwitwet. Hat nie Kinder gehabt. Außer einem Neffen in Marseille
gibt es niemanden, der den Betrieb übernehmen könnte. Und Narcisse ist es
egal, wer im Sommer für ihn arbeitet, wenn er alle Hände voll zu tun hat.
Solange einer zuverlässig ist, interessiert es ihn ni t, ob er zur Kire geht.«
Guillaume lä elte entsuldigend, wie immer, wenn er etwas sagt, was er
als gewagt empfindet. »Manmal frage i mi«, fuhr er nadenkli fort,
»ob Narcisse nit ein besserer Christ im eigentlien Sinne ist als i oder
Georges Clairmont – oder sogar curé Reynaud.« Er trank einen Slu. »I
meine, Narcisse hil, wo er kann«, sagte er ernst. »Er gibt Leuten, die Geld
brauen, Arbeit. Er läßt Zigeuner auf seinem Land kampieren. Alle wissen,
daß er die ganzen Jahre mit seiner Haushälterin geslafen hat, und er geht
nie in die Kire, außer um seine Kunden zu treffen, aber er ist immer
hilfsbereit.«
I nahm den Deel von dem Table mit den Windbeuteln und legte ihm
einen auf den Teller.
»I glaube nit, daß es so etwas gibt wie gute und slete Christen«,
sagte i. »Nur gute und slete Mensen.«
Er nite und nahm das kleine runde Gebä zwisen Daumen und
Zeigefinger.
»Vielleit.«
Likör und Haselnußbläen. Es duete warm und betörend wie ein Stapel
Genuß und sammelte die Krümel mit einem befeu teten Finger von seinem
Teller.
geglaubt habe – Sünde und Erlösung und Auferstehung des Fleises –, daß
»I würde sagen, Sie haben si mit Armande unterhalten«, sagte i
freundli. »Und i würde sagen, daß Sie und Armande das Ret haben,
»Oh.« Er saute mi mißtrauis an, als erwartete er, daß mir jeden
Augenbli Hörner sprießen würden. »Und an was – wenn i mir die Frage
–, an was glauben Sie?«
erlauben darf
Go es-Ers einungen, Astralreisen und das Deuten der Zukun aus dem
wär’s?
Wandlung. Dorothy und Toto. Der Osterhase. Marsmens en. Das Gespenst
im S rank. Die Auferstehung und das Leben, das die Karten verheißen …
Irgendwann in meinem Leben habe i an all das geglaubt. Oder es
»I glaube, das einzige, was zählt, ist, daß man glü li und zufrieden
Glü . So simpel wie eine Tasse S okolade oder so kompliziert wie das
anfangen sollte zu regnen. Die Lu ist s wer und rie t s arf wie fris
ges lagenes Holz. Joséphine trug ihren karierten Mantel, den sie bis zum
Hals zugeknöp
ha e, die rote Baskenmütze und ein neues rotes Halstu ,
das ihr ins Gesi fl t a erte. Sie betrat den Laden mit einem trotzig-
selbstsi eren Bli , und einen Augenbli lang stand eine strahlend s öne
Frau vor mir, mit vom Wind geröteten Wangen und funkelnden Augen.
Dann löste si das Trugbild auf, und sie war wieder sie selbst, die Hände
tief in den Tas en vergraben, den Kopf gesenkt, als müßte sie si gegen
einen unsi tbaren Angreifer verteidigen. Als sie ihre Mütze abnahm,
kamen ihr zerzaustes Haar und eine fris e Strieme an ihrer Stirn zum
»I ’
hab s ges a «, verkündete sie. »Vianne, i ’
hab s ges a .«
Eine S re sekunde lang da te i , sie würde mir gestehen, daß sie
leidens a li en Bli – , und sie zeigte ihre Zähne, als hä e sie gerade in
eine Zitrone gebissen. I spürte ihre Angst wie abwe selnd heiße und
Ihr Bli war messers arf. Zum erstenmal, seit i sie kennengelernt
ha e, sah i Joséphine, wie sie zehn Jahre zuvor gewesen sein mußte, bevor
sie dur Paul-Marie Muscat farblos und uns einbar geworden war. Halb
wahnsinnig vor Angst, aber unter dem Wahnsinn lag ein gesunder Verstand,
»Er glaubt, i sei einkaufen gegangen«, sagte sie atemlos. »Uns war die
Haushaltskasse mitgenommen«, fuhr sie fort. »Er bewahrt das Geld in einer
Keksdose unter der eke auf. Neunhundert Francs.« Unter dem Mantel trug
sie einen roten Pullover und einen s warzen Faltenro . Zum erstenmal sah
i sie ni t in Jeans. Sie warf einen Bli auf ihre Uhr.
»Einen chocolat espresso, bi e«, sagte sie. »Und eine große Tüte
»Ihr Bus?« I
war verblü . »Wohin?«
»Agen.« Sie s
aute mi trotzig an. »Wohin es ans ließend geht, weiß
i
no ni
t. Viellei t na Marseille. So weit weg von ihm wie mögli .«
Sie sah mi zuglei
mißtrauis und überras t an. »Sagen Sie bloß ni t,
i
soll es ni t tun, Vianne. Sie haben mi
s ließli dazu ermutigt. Von
allein wäre i nie auf die Idee gekommen.«
»I weiß, aber –«
Ihre Worte klangen wie ein Vorwurf.
aufzubre en, abzuheben wie ein losgebundener Lu ballon, der mit dem
Wind davontreibt. Die Angst s nürte mir plötzli das Herz zusammen.
War das der Preis dafür, daß i bleiben dure? Daß sie an meiner Stelle in
die Welt hinaus ging? Wele Möglikeiten hae i ihr eigentli eröffnet?
»Aber Sie fühlten si do in Sierheit.« I brate die Worte kaum
heraus, denn i sah das Gesit meiner Muer in ihrem. Ihre Sierheit
aufzugeben für ein paar neue Erfahrungen, für einen flütigen Bli auf das
Meer … und dann? Der Wind wir uns immer wieder zurü an dieselbe
Wand. Ein Taxi in New York. Eine dunkle Gasse. Ein strenger Frost.
»Sie können nit einfa vor allem davonlaufen«, sagte i. »I weiß es.
I habe es versut.«
snippis, und i sah, daß sie den Tränen nahe war. »Nit, solange er
hier ist.«
»I erinnere mi no gut, wie es war, als wir ein soles Leben geführt
haben. Immer unterwegs. Immer auf der Flut.«
besitzt die Stimme der Autorität, die keinen Widerspru duldet, eine
trügerise Logik, die einen starr, gehorsam und ängstli mat. Si von
Innern mit si trägt wie ein bösartiges Kind … Am Ende wußte meine
Muer es. Sie sah ihn an jeder Straßenee, im Bodensatz jeder Tasse. Er
grinste sie von Plakatwänden an, beobatete sie aus jedem Auto heraus,
und wenn es no so snell vorüber fuhr. Und mit jedem Herzslag kam er
näher.
»Wenn Sie davonlaufen, werden Sie Ihr Leben lang auf der Flu t sein«,
sagte i eindringli. »Bleiben Sie lieber bei mir. Bleiben Sie und kämpfen
Sie mit mir gemeinsam.«
Zeitlang, bis Sie etwas anderes finden, bis Sie einen Job finden –«
»Einen Job? I kann do nits. Außer putzen – und koen – und
Asenbeer leeren und – B-Bier zapfen und den G-Garten umgraben und
mi jeden F-Freitagabend von m-meinem Mann fien lassen …« Sie late
nit zu –«
»Sie müßten ihn mal sehen.« Sie late immer no, jedes Wort soß aus
ihrem Mund wie eine biere Kugel, ihre Stimme war voller
plötzli weinte sie ebenso heig, wie sie gelat hae, die Augen fest
zugekniffen und die Hände an die Wangen gepreßt, als versute sie, eine
I wartete.
um und fängt an zu snaren. Und
»Und wenn er fertig ist, dreht er si
am nästen Morgen versue i«, fuhr sie mit vor Ekel verzerrtem Gesit
fort, mühsam die Worte formend, »versue i, seinen Gestank aus den
Laken zu süeln, und jedesmal habe i mi gefragt: Was ist mit mir
geschehen? Mit Joséphine Bonnet, d-die so gut in der Sule war und einmal
Irrtum sein müsse, daß eines Tages jemand kommen und mir sagen würde,
das alles sei ni t wahr, das alles sei der Alptraum einer anderen Frau, und
daß mir das niemals zustoßen würde …«
I erte. Ein
nahm ihre Hand. Sie war kalt und zi Fingernagel war tief
andere erinnere i mi – an das erste Mal, als er mi geslagen hat, das
weiß i no ganz genau –, aber man sollte meinen, daß es selbst bei Paul-
Marie etwas geben müßte, an das i mi gern erinnere. Irgend etwas, das
»I hab viel zuviel geredet«, sagte sie überrast. »Wenn i den Bus
»Trinken Sie, und lassen Sie den Bus fahren«, sagte i. »I spendiere
»I muß gehen«, sagte sie störris. Ihre Fäuste bohrten si wieder in
ihre Magengrube. Sie senkte den Kopf wie ein angriffslustiger Stier.
»Nein.« I sah sie an. »Sie müssen bleiben. Sie müssen ihm offen die
Stirn bieten. Sonst häen Sie au glei bei ihm bleiben können.«
»Das stehe i nit dur. Er wird mi besimpfen, mir jedes Wort im
Mund herumdrehen –«
»Sie haben Freunde hier im Dorf«, erwiderte i san . »Und Sie sind
I ließ sie gewähren. I sagte ihr nit, daß alles gut werden würde. I
versute nit, sie zu trösten. Manmal ist es besser, die Dinge nit zu
beeinflussen, Trauer und Leid ihren Lauf nehmen zu lassen. Sta dessen
ging i in die Küe und bereitete in aller Ruhe chocolat espresso für uns
beide zu. Bis i die Tassen gefüllt, Cognac und Sokostreusel hinzugefügt,
einen Zuerwürfel auf jede Untertasse gelegt hae und die beiden Tassen
auf einem gelben Table hinaustrug, hae sie si beruhigt. I weiß, es ist
Diesmal wirkte sie überras t. Sie fuhr si mit der Hand an die Stirn und
»Nein.«
»Warum dann?«
Sie wandte den Bli wieder ab. Mit den Fingerspitzen berührte sie die
»I weiß ni t.«
Es hat keinen Zwe , sie zu bedrängen. Joséphine ist starrköp fig. Und sie
ist eine s le te Lügnerin. Aber etwas in ihr sträubt si dagegen, si
hetzen zu lassen. Irgendwann wird sie es mir sagen. Wenn sie will.
Es wurde Abend, bis Muscat sie su en kam. Inzwis en ha en wir Anouks
Be für sie bezogen – Anouk wird vorerst in meinem Zimmer auf dem
s wer fiel, ihr erstes eigenes Zimmer zu opfern, do i verspra ihr, daß
»I habe mir etwas überlegt«, sagte i ihr. »Wir könnten den Da boden
Die Vorstellung ist zuglei verlo end und gefährli . Sie bedeutet, daß
»Kann i von dort oben aus die Sterne sehen?« fragte Anouk begierig.
»Natürli .«
»In Ordnung!« sagte Anouk und lief zusammen mit Pantou fle die Treppe
hinauf.
s werer Tis aus Kiefernholz, übersät mit einem Netzwerk von feinen,
die der Tis pla e eine gla e, marmorartige Ober fläe verleihen. Die Teller
sind kunterbunt zusammengewürfelt; einer ist grün, einer weiß, Anouks
geblümt. Au die Gläser sind alle vers ieden; ein hohes, s lankes, ein
s weres, breites und eines, das immer no den Aufdru Moutarde Amora
trägt. Und denno ist es das erste Mal, daß wir sol e Dinge tatsä
li
Plastikbeste . Selbst in Nizza, wo wir über ein Jahr gelebt haben, waren
Ges irr und Mobiliar gemietet, gehörten zur Einri tung des Ladens. Besitz
ist immer no etwas Neues für uns, etwas Kostbares, Beraus endes. I
beneide den Tis um seine Narben, die Brand fleen, die von den heißen
Fle habe i gema t, diesen Ring dort, der von einer nassen Ka ffeetasse
stammt, diese kleine, von einer Zigare e verursa te Brandstelle, diese
Kerben an der Tis kante. Dort hat Anouk ihre Initialen in das Tis bein
geritzt, als sie se s Jahre alt war. Das da hab i vor sieben Jahren an einem
Weißt du no ?
gehört hierher.
Joséphine half mir beim Zubereiten des Abendessens; einen Salat aus grünen
Paul-Marie Muscat. I erzählte ihr von uns, von Anouk und mir, von den
Orten, in denen wir gelebt ha en, von der chocolaterie in Nizza, von der
Zeit in New York, kurz na Anouks Geburt, und von der Zeit davor, von
Paris und Neapel, von all den provisoris en artieren, in denen meine
Muer und i uns auf unserer endlosen Flut kreuz und quer dur die
Welt häusli eingeritet haen. Heute abend will i mi nur an die
guten Dinge erinnern, an all die guten, lustigen Erlebnisse. Es liegen son
genug traurigen Gedanken in der Lu. I stelle eine weiße Kerze auf den
vom Pantheon, von der Place des Artistes, der Pratstraße Unter den
Linden, von der Fähre na Jersey, von knusprigen Wiener Pasteten, die wir
no warm auf der Straße aus dem Papier aßen, von der Strandpromenade
in Juan-les-Pins und von San Pedro, wo wir auf der Straße getanzt haben.
I sah, wie ihre Züge si langsam entspannten. I erzählte ihr davon, wie
meine Muer einmal einen Esel an einen Bauern in einem Dorf in der Nähe
von Rivoli verkaue, und wie das Tier immer wieder zu uns zurüfand, uns
fast bis na Mailand nalief. Und dann die Gesite von den
Es gab Zeiten, da haen meine Muer und i Geld, und Europa ersien
von dem vornehmen Araber in der weißen Limousine, der meiner Muer an
dem Abend in San Remo ein Ständen brate, wie wir laten und wie
glüli sie war und wie lange wir naher von dem Geld lebten, das er uns
gegeben hae.
»Sie haben so viel erlebt«, sagte sie mit einem Unterton von Neid und
Abenteurerin«, sagte sie. »Dann würde i der Sonne folgen mit nits als
würde … «
Es stimmt nit ganz. Jeder Ort hat seinen Charakter, und an einen Ort
zurüzukehren, an dem man einmal gelebt hat, ist wie einen alten Freund
na langer Zeit wiederzusehen. Aber die Menschen fangen an, überall
Das kühle, feindselige Starren des Beamten. Der neugierige Bli der Bauern.
Taxifahrer, Zuhälter. Na einer Weile wird man regelret paranoid, es ist,
als würden diese Mensen einen heimli von Stadt zu Stadt verfolgen, die
überlegen vor. Wir sind ein besonderer Slag, wir Unsteten. Wir haben so
viel mehr gesehen, so viel mehr erlebt als die anderen. Die anderen, die es
kommt der Neid. Beim erstenmal ist es beinahe komis; ein plötzlier
Sti, der beinahe augenblili vergessen ist. Eine Frau im Park, die si
über ein Baby im Kinderwagen beugt, beider Gesiter strahlen, aber nit
vom Sonnensein. Dann kommt das zweite Mal, dann das drie; zwei
junge Leute Arm in Arm am Strand; eine Gruppe von jungen Sekretärinnen
begleitet. Nein, Orte verlieren ihre Identität ni t, egal, wie weit man
herumkommt. Es ist das Herz, das mit der Zeit verkümmert. Man mal
wie verblaßt dur die vielen flütigen Bli e. Bis zehn sind die Be en
ändern si von Ort zu Ort. Wir hinterlassen keine Spur auf unserer Reise.
Joséphine sprang auf, die Augen angstvoll geweitet, die Fäuste gegen die
Rippen gepreßt. Wir ha en es die ganze Zeit erwartet; das Abendessen, die
Sie lä elte s wa .
»I weiß genau, wie er ist«, sagte i in ents lossenem Ton. »Und was
immer Sie denken mögen, er ist ni t einzigartig. Das Gute am Reisen ist,
»Es wird bald vorbei sein«, sagte i , als das ungeduldige Klopfen wieder
gewöhnt, habe i sie angebra t, als wir hierherzogen, do bis jetzt haben
besser, ihn glei in seine S ranken zu verweisen. »I für te, sie hat Sie
verlassen, Monsieur Muscat. I habe ihr angeboten, bei mir zu wohnen, bis
seine S läue die Oberhand, er fixiert mi mit seinem Bli, hält mir seine
o ffenen Hände entgegen, um mir zu zeigen, daß er harmlos ist, eher verwirrt
und amüsiert. Einen Augenbli lang wirkt er beinahe armant. Dann tri
er einen S ri näher an die Tür. I rie e seinen ranzigen Atem, der na
Bier und Rau stinkt.
sofort rauskommen, sonst bekommt sie es mit mir zu tun. Und wenn Sie si
einbilden, Sie könnten si mir in den Weg stellen, Sie Emanzenhexe –«
Er rü elt an der Tür.
während seine Wut wie ein übler Gestank aus ihm herausströmt. »I hab
gesagt, Sie sollen die verdammte Ke e losma en, bevor i die Tür
eintrete!« Seine Stimme ist s rill vor Rage, sie klingt wie das ieken eines
wütenden S weins.
kreis t seinen Frust heraus. Mehrmals tri er gegen die Tür, so daß die
meiner Kü e habe i eine Dose Contre-Attaq ’, die i immer bei mir trug,
als i in Paris lebte. I habe das Gas ein- oder zweimal ausprobiert. Es ist
äußerst e ffektiv.«
Die Drohung läßt ihn innehalten. Wahrs einli glaubt er, er sei der
»Sie verstehen das ni t«, jammert er. »Sie ist do meine Frau. I liebe
verdanken, Sie S lampe. Sie haben ihr diese Flausen von Emanzipation und
all dem S eiß in den Kopf gesetzt.« Er ahmt Joséphines Stimme mit einem
wütenden False na . »Dauernd heißt es Vianne sagt dies, Vianne sagt das.
Lassen Sie mi nur eine Minute mit ihr reden, dann werden wir ja sehen,
S okolade in beiden Händen, als wollte sie si wärmen. »I muß mit ihm
I s aue sie an. Sie ist ruhiger geworden, ihr Bli klar. I ni e.
»In Ordnung.«
I trete zur Seite, und Joséphine geht an die Tür. Muscat beginnt zu
reden, do sie fällt ihm ins Wort, ihre Stimme überras end s arf und
ruhig.
»Geh. I habe dir ni ts mehr zu sagen. Kapiert?«
plötzli ri tig stolz auf sie und drü e ihr ermutigend den Arm. Einen
Augenbli lang s weigt Muscat. Dann verlegt er si wieder aufs
S
mei eln, do i höre die Wut in seiner Stimme wie das Raus en in
können wir in Ruhe über alles reden. Du bist meine Frau, José. Hab i ni t
»Zu spät, Paul«, sagt sie in einem Ton, der Endgültigkeit ausdrü t. »Tut
mir leid.«
Dann ma te sie ganz langsam, ganz bestimmt die Tür zu, und obwohl er
Gegen Mi erna t hörte i ihn vor dem Haus brüllen, dann flog ein
Erdklumpen gegen das Fenster, der eine s mierige Lehmspur auf der
abspielte, und sah Muscat wie einen viers rötigen, bösen Kobold mi en auf
dem Dorfplatz stehen, die Hände tief in den Hosentas en, so daß i seinen
Bau sehen konnte, der ihm über den Gürtel hing. Er wirkte betrunken.
»Ihr könnt ni t ewig da drin bleiben!« Seine Stimme klang gehässig und
s rill. I sah, wie in einem der Fenster hinter ihm das Li t anging.
dann krieg i eu !«
Strei hölzer in der anderen Hand.
Sonntag, 9. März
einem roten Band und wirkte friser und vitaler als gestern. Den
Spaziersto nimmt sie wohl nur aus Affektiertheit mit; mit dem leutend
roten Tasentu, das sie stets darum bindet, sieht er aus wie eine kleine
Rebellenflagge. Sie bestellte chocolat viennois und ein Stü von meinem
bequem. Joséphine, die mir im Laden aushil, bis sie etwas anderes
gefunden hat, verfolgte das Gesehen von der Küe aus mit leit
besorgter Miene.
ma en ihr betont fors es Aureten immer wieder we. »Muscat, dieser
aufmerksam zu.
»I frage mi bloß, warum sie ihm nit son vor Jahren den Laufpaß
gegeben hat«, meinte sie, als i geendet hae. »Sein Vater war keinen Deut
besser. Der konnte seine Meinung au nit für si behalten. Und seine
Hände genausowenig.« Sie nite Joséphine freundli zu, die mit einer
Kanne heißer Mil in der Hand in der Tür ersien. »I hab son immer
gewußt, daß Sie eines Tages zur Besinnung kommen würden, meine Liebe«,
federnden S ri en und trug einen leu tend roten S al um den Hals, der
ihm etwas Verwegenes verlieh. Mir fiel auf, daß immer no Charlys Leine
um sein Handgelenk gewi elt war. Aus dem Augenwinkel sah i etwas
»Maman!« trompetete sie mir ins Ohr. »Guillaume hat seinen Hund
gefunden.«
neben der Tür, mit freudig geröteten Wangen. Zu seinen Füßen wuselte ein
»Roux hat ihn gefunden«, rief sie. »Hat ihn unten am Fluß weinen hören.
Zuhause geben wollen.« Guillaume beugte si hinunter und zog den Hund
zärtli an den Ohren. »Er ist ein freundli er kleiner Kerl, und so lebha .«
Anouk warf mir einen seltsamen Bli zu, und i s ü elte den Kopf.
date, Sie könnten vielleit einen Zeel ins Saufenster hängen«,
»I
sagte Guillaume und setzte si an die eke. »Vielleit meldet si sein
Besitzer ja do.«
I senkte ihm eine Tasse Mokka ein und stellte sie zusammen mit ein
seinem Soß und ließ si Florentiner füern. Anouk saute mi an und
Seit Anouk und i hier eingezogen sind, haben wir no an keinem Sonntag
so viele Kunden gehabt wie heute. Unsere Stammkunden – Guillaume,
freundli zu und benahmen si wie immer. Narcisse hae mir einen Korb
voll Endiviensalat aus seinem Gewäshaus mitgebrat, und als er
Joséphine sah, reite er ihr ein kleines Sträußen Anemonen, das er aus
seiner Jaentase zog. »Die bringen ein bißen Farbe in den Laden«,
murmelte er dazu.
herumgesproen, daß Joséphine Muscat bei mir eingezogen war, und den
ganzen Vormiag über riß der Strom der Kunden nit ab. Joline Drou und
»Sieh mal einer an, die sonntäglie Modensau!« rief sie amüsiert aus.
est eigentli gar nit hier sein, Maman«, sagte sie mit einem
»Du dür
leit vorwurfsvollen Unterton. »Du weißt do, was der Doktor gesagt hat,
nit wahr?«
»Allerdings weiß i das«, erwiderte Armande. »Was ist los, sterbe i dir
Auf Caros gepuderten Wangen ers ien ein An flug von Röte.
»Wirkli , Maman, wie kannst du so etwas –«
»I halte den Mund, sobald du di um deine eigenen Angelegenheiten
Laden zu verlassen.
»Nur für alle Fälle«, sagte sie mit neugierig funkelnden Augen. »Wo Sie
do jetzt einen Gast haben und so.« I versi erte ihr, wenn uns das Brot
bedienen. Sie trug eine meiner gelben S ürzen, um ihre Kleider vor
gut. Sie hat si heute besonders sorgfältig zure tgema t. Der rote
Pullover und der s warze Faltenro sind adre und ges ä smäßig, das
dunkle Haar wird von einem Tu aus der Stirn gehalten. Ihr Lä eln ist
professionell, ihre Haltung aufre t, und obwohl ihr Bli hin und wieder
ängstli zur Tür wandert, wirkt sie kaum wie eine Frau, die um si und
»Sie ist s amlos«, zis te Joline Drou, als sie mit Caro Clairmont no
einmal am Laden vorbeiging, »einfa s amlos. Wenn man si überlegt,
Joséphine stand mit dem Rü en zu ihnen, aber i sah, wie ihre S ultern
ha e.
Es entstand betretenes S weigen.
wissen Sie, daß Sie es ges a haben«, sagte sie ke . »Willkommen auf der
anderen Seite!«
Joséphine warf ihr einen mißtrauis en Bli zu. Dann, als sie merkte,
daß der S erz ni t gegen sie geri tet war, la te sie. Ein o ffenes,
unbefangenes La en. Verblü fuhr sie mit der Hand an ihren Mund, wie
sie no mehr la en, und die anderen la ten mit ihr. Wir la ten immer
no , als die Türglo e läutete und Francis Reynaud den Laden betrat.
Reynaud ni te ernst.
Joséphine murmelte etwas Unverständli es. Als Reynaud auf die eke
»Gut so, meine Liebe«, sagte Armande anerkennend. »Lassen Sie si von
Reynaud und gestikulierte streng mit einem Stü Croissant. »Lassen Sie
diese Frau in Frieden, Francis. Wenn überhaupt, sollten Sie ihr Ihren Segen
geben.«
kurzer, kalter Bli in meine Ritung. »Sie sind swa geworden. Sie
haben es zugelassen, daß andere Sie auf Abwege leiten. Das Sakrament der
Ehe –«
Mit einem verätlien Aufsrei fiel Armande ihm erneut ins Wort.
»Das Sakrament der Ehe? Wo haben Sie das denn ausgegraben? I häe
Stimme. Seine Augen waren frostig. »I würde es sehr begrüßen, wenn
Sie –«
»Reden Sie do ni t
wollen«, faute Armande. »Ihre Muer
so ges
hat Ihnen nit beigebrat zu spreen, als häen Sie eine Kartoffel im
Mund, oder?« Sie kierte in si hinein. »Wir halten uns wohl für was
Besseres, wie? Auf dieser vornehmen Sule haben wir ganz vergessen, wo
seinen hohlen Släfen wie die Membran eines Tamburins, die Bewegungen
seines Unterkiefers sind unter dem mageren Fleis gut zu verfolgen. Eine
Haarsträhne, die ihm sräg in die Stirn hängt, läßt ihn auf trügerise
sloß er die anderen Anwesenden aus, als wäre er mit Joséphine allein. »I
weiß, daß Sie meine Hilfe wünsen. I habe mit Paul-Marie gesproen.
Er sagt, Sie seien in letzter Zeit sehr unter Dru gewesen. Er sagt –«
sie war ruhig und gelassen. »I weiß, daß Sie es gut meinen. Aber i bleibe
»Aber das Sakrament der Ehe –« Er war jetzt deutli erregt, beugte si
eke. No ein verstohlener Bli in Ritung des roten Säens. »I
weiß, Sie sind verwirrt. Sie haben si von anderen beein flussen lassen.«
Dann, bedeutungsvoll: »Wenn wir do nur unter vier Augen miteinander
reden könnten –«
bleibe hier bei Vianne.«
»Nein«, erwiderte sie mit fester Stimme. »I
Entsetzen in seiner Stimme. »Madame Roer mag zwar Ihre Freundin sein,
aber sie ist eine Gesäsfrau, sie muß ihren Laden führen, si um ihr Kind
kümmern. Wie lange wird sie eine Fremde in ihrem Haus dulden?« Das
Warum, zum Teufel, sollten wir die Hilfe von anderen in Anspruch nehmen?
Tapfere Worte, und sollte sie Tränen vergossen haben, waren sie in der
Dunkelheit nit zu sehen. Do i spürte, wie sie fast unmerkli zierte,
während sie mi unter der Dee in den Armen hielt, als würde sie von
Fieber gesüelt. Vielleit war das der Grund, warum sie vor ihnen
davonlief, vor den freundlien Männern und Frauen, die si mit ihr
anfreunden, sie lieben, sie verstehen wollten. Wir waren wie Aussätzige, von
Mißtrauen getrieben; der Stolz, den wir vor uns hertrugen, die letzte
fort. »Außerdem kann sie mi im Laden vertreten, wenn i in der Küe
»Sie tut mir einen Gefallen, und i bin si er, daß sie das Geld gut
gebrau en kann«, sagte i ruhig. »Und was ihre Wohnsituation angeht …«
I saute ihr direkt in die Augen. »Joséphine, Sie können so lange bei mir
wohnen, wie Sie wollen. Es ist uns ein Vergnügen, Sie bei uns zu haben.«
Ihre Zeit. Es sieht so aus, als würde si alles au ohne Sie wunderbar
Täßen Sokolade würde Ihnen au guun«, sagte sie. »Sie wirken ein
genast?«
»Sehr witzig, Madame. Wie sön, daß Sie Ihren Sinn für Humor no
nit verloren haben.« Dann drehte er si auf dem Absatz um, und mit
Laden.
Ihr Gelä ter folgte mir bis auf die Straße wie ein Vogelswarm. Mein
Unmut und der S okoladendu maten mi swindlig, i fühlte mi
beinahe euphoris vor Wut. Wir haben die ganze Zeit ret gehabt, Vater.
Damit hat sie uns vollkommen bestätigt. Indem sie die drei Bereie
Feiertage und nun das Sakrament der Ehe –, hat sie si sließli selbst
entlarvt. Ihr Einfluß ist verderbli, und er wird immer größer, der Samen ist
bereits in ein oder zwei Dutzend Köpfen auf frutbaren Boden gefallen.
Heute morgen habe i auf dem Friedhof den ersten Löwenzahn gesehen,
der si hinter einem Grabstein aus einer Ritze zwängte. Die Wurzel ist
bereits fingerdi und hat si so tief in den Boden gegraben, daß i nit
mehr drankomme, wühlt si in die Dunkelheit unter den Stein. In einer
Wo e wird die P flanze wieder na gewasen und no zäher sein als
zuvor.
verlassen hat.
»Diese sture Kuh«, sagte er, warf seinen Zigare enstummel auf den
Boden und zertrat ihn mit dem Absatz. »Verzeihen Sie meine
Ausdru sweise, Vater, aber so ist es nun mal. Wenn i mir überlege, was
i alles für diese Slampe aufgegeben habe – das Geld, das sie mi
gekostet hat –«
»Sie hat es nit leit gehabt«, entgegnete i mit einem
au
»I bin kein Engel«, sagte er. »I kenne meine Swäen. Aber sagen
Sie mir eins, Vater« – er hob biend die Hände –, »habe i nit meine
vollgestop mit Zeug, das sie auf dem Markt geklaut hat, mit Lippenstien
mi alle angestarrt und über mi gelat.« Er saute mi Zustimmung
heisend an. »Was meinen Sie, Vater? Habe i nit au mein Kreuz zu
tragen gehabt?«
Das alles hörte i ni t zum erstenmal. Seine Bes werden über ihre
Aufgabe ist es, Rat und Beistand zu geben. Aber er widert mi an mit
tadelnden Unterton. »Wir sollten lieber na Mögli keiten su en, wie wir
bemühte si , si ernstha geben, zeigte mir seine Zähne, die so gelb waren
O ja. Damit sie ihm sein Essen ko t. Und seine Kleider bügelt. Im Café
Muscat zum Narren hält, niemand. I vera te diese Heu elei. Er muß sie
tatsä li zurü gewinnen, in diesem Punkt zumindest stimme i ihm zu.
»Wenn Sie sie wiederhaben wollen, Muscat«, sagte i spitz, »dann haben
Mein Go , mon père, wie haben Sie es bloß ges a , soviel Geduld mit
Und diese S lampe Ro er …« Seine bösen Augen zogen si hinter den
Es war zu nah an dem, was mir au son dur den Kopf gegangen ist,
Vater. Go steh mir bei, aber als i das Boot brennen sah … Es ist ein
Gelüst, das i eigentli gar nit empfinden düre. I habe mit mir
wieder neue Wurzeln. Vielleit klang meine Stimme härter als gewollt, als
in mir wasen. Mein Mund füllte si mit einem Gesma, der zuglei
metallis und süßli faul war. »Wie das Feuer, das die Zigeuner vertrieben
hat?«
Er grinste.
leisesten Verdat söpfe, daß Sie so etwas vorhaben – wenn mit diesem
Laden irgend etwas passiert –« I hae ihn bei den Sultern gepat,
»Ich habe überhaupt nichts gesagt!« I hörte meine Stimme auf dem
Platz widerhallen und beeilte mi, leiser zu spreen. »I habe niemals
gewollt, daß Sie –« I hae plötzli einen Kloß im Hals und mußte mi
»Wir legen Goes Gesetze nit na eigenem Gutdünken aus. Oder die
Gesetze dieses Landes«, fügte i mühsam hinzu, während i ihm in die
Augen sah. Seine Augäpfel waren ebenso gelb wie seine Zähne. »Haben wir
uns verstanden?«
»Wenn nämli irgend etwas ges ieht, Muscat, irgend etwas, eine
einges lagene Fensters eibe, ein kleines Feuer, egal was …« I bin einen
Kopf größer als er. I bin jünger, krä iger als er. Instinktiv reagiert er auf
die physis e Bedrohung. I versetze ihm einen Stoß, der ihn gegen die
Lage, meine Wut zu beherrs en. Daß er es wagt – daß er es wagt! –, meine
Rolle zu übernehmen, Vater. Ausgere net er, dieser erbärmli e,
Frau zu bes ützen, die meine Feindin ist. Mühsam gewinne i die Fassung
wieder.
»Ja, Vater.«
I bin ni
t verantwortli für die Verblendung meiner
und ihm, der si in ihnen suhlt. Und denno geht mir die Sa e ni t mehr
aus dem Kopf. Ein Unglü sfall – ein a tlos fortgeworfenes Strei holz,
Vianne Ro er bes ützen. Es liegt eine bi ere Ironie darin, Vater, etwas, das
mir den Magen versäuert und den Mund austro net. Jedesmal, wenn i
über den Platz hinweg zu der rot-goldenen Markise hinübers aue, die in
der Sonne glitzert, spüre i ihr La en. Irgendwie hat sie es ges a , mi
Kir e gegen sie gepredigt, mit dem einzigen Erfolg, mi selbst lä erli
gema t zu haben. S okolade, hat man mir erklärt, habe ni ts mit Moral
Anderssein zur S au, grüßt mi fre quer über den Platz hinweg, fördert
die S rullen von Leuten wie Armande und hat dauernd alle Kinder um si
herum, die unter ihrem Ein fluß immer ausgelassener werden. Selbst in einer
großen Mens enmenge fällt sie sofort auf. Andere gehen die Straße
entlang – sie rennt. Ihr Haar, ihre Kleidung; immer zerzaust, immer bunt –
orange und gelb und gepunktet und geblümt. Wenn si ein Wellensi i in
der Wildnis unter die Spatzen mis te, würde er s on bald wegen seines
bunten Federkleids zerrissen. Aber hier wird sie mit Wohlwollen akzeptiert,
ja, man hat sogar Vergnügen an ihr. Was anderswo Empörung auslösen
würde, wird hier toleriert, denn es ist ja nur Vianne. Selbst Clairmont erliegt
ihrem Charme, und seiner Frau ist sie ni t etwa ein Dorn im Auge, weil sie
si moralis überlegen fühlt, nein, Caro ist eifersü tig, was ni t gerade
für sie spri t. Zumindest ist Vianne Ro er keine Heu lerin, die Go es
kann.
I darf keine Sympathie emp finden. Zuneigung ist ebenso
unangemessen wie Haß. Um der Gemeinde und der Kir e willen muß i
unvoreingenommen sein. Nur der Kir e und der Gemeinde bin i zu
Seit Tagen haben wir ni t mehr mit Muscat gespro en. Na dem
Joséphine
si anfangs weigerte, das Haus zu verlassen, traut sie si
inzwis en, allein zum Bä er am Ende der Straße oder zum Blumenladen
wagt, das Café de la République zu betreten, habe i ihr ein paar von
meinen Kleidern geliehen. Sie sieht hübs aus in dem blauen Pullover und
Fris e. In den wenigen Tagen hat sie si völlig verändert; der stumpfe,
feindselige Bli ist vers wunden, ebenso die abwehrend geballten Fäuste.
Sie wirkt größer, ges meidiger, ni t mehr so unförmig wie zuvor, als sie
Hände sind flink und geübt. La end erinnere i sie daran, mit wel er
Ges
i li keit sie damals am ersten Tag die Mandeln ha e in ihrer Tas e
»Natürli ni t.«
–
»Sie wissen do , i «
»Natürli .«
Sie und Armande, die si bisher kaum kannten, sind gute Freundinnen
geworden. Die alte Dame kommt jetzt jeden Tag in den Laden, man mal
zum Plaudern, man mal, um si eine Tüte von ihren Lieblingstrü ffeln zu
kaufen. Häu fig ist sie in Begleitung von Guillaume, der sie inzwis en
regelmäßig besu t. Heute war Luc au hier, und die drei saßen zusammen
in einer E e mit einer großen Kanne S okolade und einem Teller voll
Eclairs. Es waren immer wieder Gelä ter und freudige Ausrufe von der
verhalten. Zum erstenmal seit dem Brand sah i ihn von nahem, und i
war bestürzt darüber, wie sehr er si verändert ha e. Er wirkt s lanker,
sein Haar ist mit Pomade streng aus dem mürris en Gesi t frisiert. An
Sonnenbrand.
Gehen.
»Nein, bi e. Sie ist in der Kü e.« Sie ist wesentli lo erer geworden,
Roux zögerte.
»Sie sind die Frau aus dem Café«, sagte er s ließli . »Sie sind …«
»Joséphine Bonnet«, unterbra sie ihn. »I wohne jetzt hier.«
»A .«
Als i aus der Kü e trat, sah i , wie er sie mißtrauis betra tete.
in die Kü e zurü .
bi en.«
»So?«
»Es müssen ein paar Umbauarbeiten am Haus dur geführt werden, und
fi
I nde es s wierig, die ri tigen Worte zu finden, denn i weiß, daß
er alles ablehnen wird, was er als Almosen betra tet.
»Hat das viellei t etwas mit unserer Freundin Armande zu tun?« Sein
Ton war zuglei beiläu fig und hart. Er s aute zu dem Tis in der E e
hinüber, an dem Armande, Luc und Guillaume saßen. »Wir versu en wohl
wieder, heimli Gutes zu tun, wie?« sagte er sarkastis.
Als er si mir wieder zuwandte, war sein Gesit ausdruslos.
sehen.«
»Moment, warten Sie –« rief i. »Wollen Sie nit wenigstens eine Tasse
»Ein andermal.« Sein Ton war sroff, beinahe grob. I spürte, daß seine
»Wir sind immer no Ihre Freunde«, sagte i, als er die Tür erreite.
»Armande und Luc und i. Seien Sie do nit so abweisend. Wir wollen
Ihnen helfen.«
auszulassen?«
I zute die Aseln.
»Er ist hilflos und wütend, und er weiß nit, wer der Suldige ist«, sagte
i. »Das ist eine natürlie Reaktion. Und er glaubt, wir würden ihm unsere
Mann da te. »I bin froh, daß er weg ist. Glauben Sie, er wird jetzt aus
Lansquenet fortgehen?«
verfallene Haus ist von innen mit einem Vorhängesloß gesiert, und die
Fensterläden sind geslossen. I stelle mir vor, wie er si mit seiner Wut
und i wußte, daß er mi hörte, aber er antwortete nit. I wollte ihm
Wenn er mi spreen will, dann muß er das von si aus tun. Anouk war
mitgekommen; sie hae ein Papiersiff dabei, das i ihr aus dem Umslag
einer Zeitsri gebastelt hae. Während i vor Roux’ Tür stand, ließ sie es
im Fluß swimmen und hielt es mit einem langen, biegsamen Zweig davon
ab, zu weit vom Ufer abzutreiben. Als Roux nit auaute, überließ i
»Nimm di vor den Krokodilen in at«, sagte i ihr mit ernster Miene.
Anouk grinste mi an. Ihre Spielzeugtrompete in der einen und den
langen Zweig in der anderen Hand, begann sie, laut Alarm zu blasen,
während sie aufgeregt von einem Fuß auf den anderen hüp e.
»Krokodile! Die Krokodile greifen an!« krähte sie. »Ma t die Kanonen
klar!«
Mit theatralis er Geste warf sie mir einen Kuß zu und konzentrierte si
wieder auf ihr Spiel. Als i mi am oberen Ende der steilen Straße no
einmal umdrehte, war sie gerade dabei, die Krokodile mit Erdklumpen zu
blinzele, kann
i die Krokodile fast ausma en, die langen,
so zwis en den Häusern herumläu und das Rot und Gelb ihres Anoraks
und ihrer Mütze immer wieder aus den S a en au au en, kann i
beinahe die ganze Menagerie erkennen, die sie um si versammelt hat. Als
sie bemerkt, daß i ihr zusehe, winkt sie mir zu, ru : Ich hab dich lieb! und
hart, um genug Pralinen und Trü ffel für den Rest der Wo e herzustellen.
I habe bereits angefangen, die Osterle ereien herzustellen, und Joséphine
hat gelernt, die Tier figuren zu dekorieren und vorsi tig in S a teln zu
verpa en, die sie mit bunten S leifen zubindet. Der Keller ist der ideale
Lagerraum. Kühl, aber ni t so kalt, daß die S okolade den weißen Film
bekommt, der entsteht, wenn man sie im Kühls rank au ewahrt, dunkel
und tro en. In Kartons verpa t, können wir alle unsere Waren hier lagern
und haben dabei immer no Platz für Kü envorräte. Der Boden ist mit
alten Feldsteinen ge fliest, gla und braun wie Ei enholz und an den Füßen
besteht aus rohem Kiefernholz, mit einem Lo am unteren Rand für die
längst vers wundene Katze. Selbst Anouk mag den Keller, der na
Gemäuer und altem Wein du et, und sie hat mit bunter Kreide Figuren auf
die Steine und die geweißten Wände gemalt; Tiere und S lösser und Vögel
und Sterne.
Heute morgen kamen Armande und Luc kurz na einander in den Laden,
um ein biß en zu plaudern, dann gingen sie gemeinsam fort. Sie tre ffen si
jetzt häu figer, ni t nur in meinem Laden. Luc hat mir erzählt, daß er
»Die B-Beete müssen hergeri tet werden, jetzt, w-wo das Da fertig
ist«, erklärte er mir ernst. »Sie s a die G-Gartenarbeit ni t mehr so wie
f-früher, aber sie sagt, sie will dieses Jahr ein paar B-Blumen haben und
ni t n-nur Unkraut.«
Gestern hat er eine Kiste mit P flanzen aus Narcisse’ Gewä shaus
»Am liebsten hat sie die bunten und die, d-die besonders s ön du en. S-Sie
»Am a tundzwanzigsten März«, sagte er. »Dann wird sie einunda tzig.
»So?«
Er ni te.
I bemühte mi , ein Lä eln zu unterdrü en, und sagte ihm, das sei
feiern.«
»Wir können sie ja mal fragen, was sie davon hält«, s lug i vor.
Um vier kam Anouk müde und glü li und von Kopf bis Fuß mit Slamm
bedet na Hause, und Joséphine mate Zitronentee, während i das
stete sie in das warme, na Honig duende Wasser. Ansließend setzten
wir uns gemeinsam an den Tis und aßen pains au chocolat und brioche
»I muß immer wieder an diesen Mann denken«, sagte sie sließli.
»Roux.«
Sie ni te.
»Daß sein Boot abgebrannt ist –« sagte sie zögernd. »Sie glauben ni t,
daß das ein Unfall war, ni t wahr?«
»Er glaubt es ni t. Er sagt, es habe na Benzin geroen.«
»Was denken Sie, würde er tun, wenn er heraus finden würde« – sie holte
–, »wer es getan hat?«
tief Lu
»I weiß es wirkli nit. Warum fragen Sie, Joséphine? Können Sie si
simmern.
»Nein.«
anders.«
»Ist s on gut. Niemand mat Ihnen einen Vorwurf«, sagte i san.
»I weiß überhaupt nits!« wiederholte sie mit sriller Stimme.
»Wirkli nit. Außerdem hat er do gesagt, er würde von hier fortgehen,
er ist nit von hier, und er häe nie herkommen sollen und –« Sie sni
»I hab ihn heute namiag gesehen«, sagte Anouk mit vollem Mund.
»Er hat mir sein Haus gezeigt.«
»Na klar. Er hat gesagt, nästesmal baut er mir ein Boot, ein ritiges aus
Holz, eins, das nit untergeht. Das heißt, wenn die Bastarde es nit au
abfaeln.« Sie gibt seine Sprae treffend wieder. Seine Worte knurren und
verbergen.
»Sein Haus ist cool«, fuhr Anouk fort. »Er hat ein Lagerfeuer mi en auf
dem Teppi . Er hat gesagt, i darf kommen, wann i will. Oh.«
roen hielt sie si die Hand vor den Mund. »Er hat gesagt, solange
Ers
i dir nits davon erzähle.« Sie seufzte theatralis. »Und jetzt hab i’s
’
dir doch erzählt, stimmt s, Maman?«
kennst diesen Mann do gar nit ritig. Vielleit ist er ja böse.«
»I glaube, sie kann ruhig zu ihm gehen«, sagte i und zwinkerte Anouk
Stü flußabwärts war gestorben –, und aus Angst oder Respekt blieben die
meisten Kunden weg. Die alte Dame war vierundneunzig, erzählt Clothilde
warze Krawae zu
sah Narcisse, der als Zugeständnis an den Anlaß eine s
seinem alten Tweedjae trug, am Eingang der Kire stehen. Neben ihm
kamen nur wenige. Vielleit ein Dutzend alte Frauen, von denen i keine
gesoben, einige waren so rundli wie Armande, andere hager mit der für
vor die Brust gepreßt wie die Jungfrauen auf den Gemälden von Grünewald.
I sah vor allem ihre Köpfe, als sie, di t zusammengedrängt und leise
raunend, auf die Kir e zugingen; hin und wieder ein kurzer, mißtrauiser
Bli aus swarzen funkelnden Augen, aus der Sierheit der Gruppe
Prozession den Rollstuhl sob. Sie sienen nit von Trauer überwältigt.
Die Frau im Rollstuhl hielt ein Gebetbu in einer Hand und begann mit
hoher, ziriger Stimme zu singen, als sie die Kire betraten. Die anderen
niten Reynaud stumm zu, und ein paar Frauen reiten ihm, bevor sie in
Dorfes kam ein bißen zu spät. Dur die Seitenfenster des Wagens konnte
i den Sarg sehen, der mit einem swarzen Tu bedet und mit einem
über den Dorfplatz. Dann begann die Orgel zu spielen, traurige, lustlose
von Ba –, den billigen, glänzenden Sarg, den Du na Bohnerwas und
Blumen. Der Pfarrer spra den Namen meiner Mu er
fals aus – Jean
Wenn meine Zeit gekommen ist, will ich in die Luft gehen wie eine Rakete
und wie eine Sternenwolke vom Himmel regnen und hören, wie alle sagen:
Aaah!
Pier gab es ein Feuerwerk und Zuerwae für die Kinder, Chinaböller
wurden abgefeuert, und die Lu war erfüllt von dem sarfen Geru na
Kordit, dem Du von Grillwürsten und fritierten Zwiebeln und dem
Amerika, von dem sie immer geträumt hae, ein Riesenrummel mit
des Feuerwerks, und als der Himmel ein einziges Meer aus Lit und Farbe
war, ließ i die Ase langsam in den Lustrom rieseln. Sie fiel in einem
sagte nits, sondern saute still auf den leeren Platz hinaus und
I
lauste der Orgelmusik. Zumindest spielten sie nit die Toccata. Jetzt
wurde der Sarg in die Kire getragen. Er wirkte sehr leit, die Männer
»I wünste, wir wären nit so nah bei der Kire«, sagte Joséphine
»In China gehen die Leute in Weiß zu Beerdigungen«, sagte i. »Sie
bringen. Sie zünden Feuerwerkskörper an. Sie plaudern und laen und
tanzen und weinen. Und am Ende springen alle naeinander über die Glut
»Nein. Aber wir haben in New York viele Chinesen kennengelernt. Für sie
war eine Beerdigung ein Fest, bei dem das Leben des Verstorbenen gefeiert
wurde.«
»I kann mir ni t vorstellen, wie man den Tod feiern kann«, sagte sie
s ließli .
»Man feiert ni t den Tod«, erklärte i ihr. »Man feiert das Leben. Das
no warm und innen wei waren, und servierte sie mit Sahne und
aß trotzdem.
Es war s on fast Mi ag, als die Trauergäste benommen und in der Sonne
blinzelnd die Kir e verließen. Die Pralinen und Baisers waren alle fertig,
wieder am Portal stehen. Dann fuhren die alten Damen in ihrem Minibus
ab – auf der Seite stand in leutend gelben Bustaben Les Mimosas –, und
auf dem Dorfplatz kehrte der Alltag wieder ein. Na dem er die Trauergäste
verabs iedet ha e, kam Narcisse in den Laden, völlig vers witzt in seinem
S ultern.
Großtante von meiner verstorbenen Frau. Sie war s on seit zwanzig Jahren
Das Sterbehaus. I sah, wie Joséphine das Gesi t verzog, als das Wort
liebli klingenden Namen Les Mimosas verbirgt. Ein Haus, in dem man auf
den Tod wartet. Narcisse hält si an die im Volksmund gebräu li e
I s enkte S okolade ein, dunkel und bi ersüß.
»Mö ten Sie ein Stü Ku en?«
»Lieber ni t, solange i Trauer trage«, sagte er unsi er. »Was für ein
Ku en ist es denn?«
I s aute aus der Tür. Roux stand direkt im Eingang von St. Jérôme. Er
wirkte erregt, trat nervös von einem Fuß auf den anderen, die Arme fest um
Irgend etwas S limmes war passiert. Dann sah i , wie Roux si abrupt
umdrehte und wieder auf meinen Laden zukam. Er blieb kurz stehen, rieb
fast auf die Tür zugerannt, wo er mit gesenktem Kopf und unglü li
Einen Moment lang starrten wir ihn alle an. Er ma te eine hil flose Geste
mit den Händen, wie um s limme Gedanken zu vers
eu en.
»I wollte den Priester holen. Sie hat kein Telefon, und i da te, er
könnte viellei t –« Er bra ab. Vor lauter Streß spra er so starken
Dialekt, daß seine Worte kaum zu verstehen waren, die kehligen Laute
hä en genausogut Arabis oder Spanis oder verlan oder eine Mis ung
»I konnte sehen, daß sie – sie hat mir gesagt, i soll an den
Kühls rank gehen – da hat sie ihre Medikamente drin –« Die Aufregung
I
will ni –«
t
Auf dem Weg na Les Marauds erfuhr i den Rest der Ges i te. Roux,
ents lossen, sie zu besu en. Er fand sie halb bewußtlos in ihrem
S aukelstuhl vor. Es gelang ihm, sie soweit wa zurü eln, daß sie ein paar
stand eine Flas e Brandy. Er füllte ein Glas und flößte ihr etwas von dem
Brandy ein.
mehr wa bekommen.« Die Verzwei flung drang ihm aus allen Poren.
»Dann ist mir eingefallen, daß sie zu erkrank ist. Wahrs einli hab i
sie umgebra t, weil i versu t hab, ihr zu helfen.«
»Was ist, wenn sie stirbt? Wer wird mir dann no glauben?« Panik
trop Regenwasser. I sehe, wie Roux einen kurzen, prüfenden Bli na
oben wir: Das muß ich reparieren. Er bleibt an der Tür stehen, als wartete
Armande liegt auf dem Teppi vor dem Kamin, das Gesi t ma und
dunkel wie Waldpilze, die Lippen bläuli verfärbt. Zumindest hat er sie in
Seitenlage gebra t, ein Arm stützt Kopf und Hals, um die Atemwege frei zu
halten. Sie rührt si nit, do an einem leiten Beben ihrer Lippen sehe
i, daß sie atmet. Ihre Stiarbeit liegt neben ihr, ihre Kaffeetasse ist zu
Boden gefallen, und der Kaffee hat einen kommaförmigen Fle auf dem
Teppi gebildet. Die Szene ist seltsam profan, wie ein Standbild aus einem
Stummfilm. Ihre Haut fühlt si kalt und fisig an, ihre dunklen Augäpfel
sind dur die Augenlider, die so dünn sind wie eine Crêpe, deutli zu
erkennen. Unter ihrem swarzen Ro, der bis über die Knie hogerutst
ist, sauen rote Rüsen hervor. Eine Welle des Mitgefühls überkommt
mi beim Anbli ihrer arthritisen Knie in den swarzen Strümpfen und
»Sie muß Insulin im Kühls rank haben«, sage i ihm. »Das wird es sein,
was sie gemeint hat. Holen Sie es, snell!«
Sie bewahrt es bei den Eiern auf. Die Tupperdose enthält ses Ampullen
Insulin und einige Einmalspritzen. Auf der anderen Seite eine Satel
Trüffel mit der Aufsri La Céleste Praline. Ansonsten hat sie kaum etwas
Eßbares im Haus; eine offene Dose Sardinen, ein Stü Pergamentpapier mit
einem Rest rillettes, ein paar Tomaten. I injiziere ihr das Insulin in die
griffen wir sließli auf das gute alte Morphium zurü, kauen es auf
geworden war und die Wolkenkratzer von New York wie eine Fata Morgana
vor ihren Augen vers wammen, dankbar für die erlösenden Spritzen.
ts in meinem Arm, ihr Kopf rollt willenlos hin und her.
Sie wiegt fast ni
Eine Spur Rouge auf ihren Wangen verleiht ihrem Gesit etwas
ihre Finger.
» Vianne
.«
Augenbli li war Roux auf den Knien neben uns. Sein Gesi t war
groß, daß sie smerzte. »I weiß, daß du da bist, Armande. I weiß, daß
»Sie hat do was gesagt, oder? I hab mir das nit eingebildet, nit
wahr?«
ins Koma gefallen ist. Lassen Sie dem Insulin Zeit zu wirken. Reden Sie
»Du mast uns nits vor, Armande, du alte Hexe. Du bist so stark wie
ein Pferd. Du könntest ewig leben. Außerdem hab i gerade erst dein Da
repariert. Du glaubst do nit etwa, i häe das alles getan, damit deine
Toter ein anständiges Haus erbt, oder? I weiß, daß du mir zuhörst,
letzten Worte hae er fast gesrien, Tränen liefen ihm über die Wangen.
Bastard, und es tut mir leid. Und jetzt wa endli auf und –«
»I hab eu einen Sreen eingejagt, was?« sagte sie mit dünner,
brüiger Stimme.
»Nein.«
»Hab i do «,
beharrte sie mit einem Ausdru von Genugtuung und
Übermut.
Roux wis te si mit dem Handrüen über die Augen.
»Sie haen mir meine Arbeit no nit bezahlt«, sagte er mit ziernder
Stimme. »I hae bloß Angst, i würde mein Geld nie kriegen.«
gemeinsam hoben wir sie in ihren Saukelstuhl. Sie war immer no sehr
blaß, ihr Gesit eingesunken wie ein fauler Apfel, aber ihre Augen waren
klar. Roux saute mi an; zum erstenmal seit dem Brand lag keine
Einen Augenbli lang sah i sein Gesit im Mondlit vor mir, seine
nate Sulter im Gras, zarter Fliederdu stieg mir in die Nase … Meine
Augen weiteten si vor Erstaunen. Roux muß au etwas gespürt haben,
denn er wi verlegen zurü. Hinter uns hörte i Armande leise kiern.
»I habe Narcisse gebeten, den Arzt zu rufen«, sagte i. »Er wird jeden
Augenbli hiersein.«
Armande saute mi an. Ihr Bli war eindringli, und nit zum
»Aber Sie sind krank«, protestierte i. »Wenn Roux nit zufällig
»Vianne«, sagte sie geduldig. »So ist das nun mal mit alten Leuten. Sie
»Ja, aber –«
»Und i gehe nit in dieses Sterbehaus«, fuhr sie fort. »Das können Sie
denen von mir ausriten. Niemand kann mi zwingen, dorthin zu gehen.
I lebe seit sezig Jahren in diesem Haus, und hier werde i au
sterben.«
»Niemand wird Sie zu irgend etwas zwingen«, sagte Roux bestimmt. »Sie
haben Ihre Medizin ni t retzeitig genommen, das ist alles. Nästes Mal
werden Sie slauer sein.«
Armande läelte.
lange mit ihm unterhalten. Er versteht das.« Sie klang jetzt fast wieder
normal, obwohl sie immer no swa war. »I will diese Medizin nit
jeden Tag nehmen müssen«, sagte sie ruhig. »I habe keine Lust, mi an
versorgt werden, die mit mir reden, als wäre i im Kindergarten. I bin
atzig Jahre alt, verdammt no mal, und wenn i in meinem Alter nit
Geräus eines Wagens, der auf dem holprigen Weg vorfuhr. Der Arzt.
»Wenn das einheilige asalber ist, sagen Sie ihm, er
dieser s
verswendet seine Zeit«, giete Armande. »Sagen Sie ihm, es geht mir gut.
Sagen Sie ihm, er soll si jemand anders zum Behandeln suen. I will
ruhig. Das Auto, ein blauer Citroën, platzte fast aus den Nähten. Außer dem
»Ich hab’s ihr tausendmal gesagt! Stimmt’s George, ich hab’s ihr gesagt!
Keiner kann mir vorwerfen, ich hätte meine Pflichten als Tochter
vernachlässigt, ich tue alles für diese Frau, und seht euch bloß an, was sie –«
Knirs en von S rien auf den P flastersteinen, dann eine Kakophonie
entlang, Monsieur Cussonnet, hier geht’s ins … a so, ja, Sie kennen si ja
aus, nit wahr? Meine Güte, wie o habe i ihr ins Gewissen geredet – i
kamen Caroline und Joline mit ihren perfekten chignons, ihren Twinsets und
Hermès-Halstü ern, t
di gefolgt von Clairmont – dunkler Anzug und
Krawa e, ungewöhnli für einen Arbeitstag in der Holzhandlung, oder
sollte sie ihn überredet haben, si für den Anlaß umzuziehen? –, dann der
Arzt, der Priester. Wie in einer Szene in einem Melodram blieben sie alle wie
Hand verbunden, das feutklebrige Haar in den Augen, i stand bei der
würden endli Ihre Chance bekommen, wie?« sagte sie giig. »Sie haben
wohl geglaubt, Sie könnten mir snell Ihren Segen erteilen, solange i
nit bei Sinnen war, hä?« Sie stieß ein ordinäres Laen aus. »Pe gehabt,
»Das ist nit zu übersehen«, sagte er. Ein kurzer Bli in meine Ritung.
»Ein Glü, daß Mademoiselle Roer so … gesit ist … im Umgang mit
»Maman, chérie, du siehst do, was gesieht, wenn wir di dir selbst
»Die Zeit, die uns das alles kostet! Du hast uns völlig aus der Fassung
gebra t –« Lariflete sprang auf Armandes Knie, während Caro redete, und
die alte Frau streielte die Katze gedankenverloren. »Verstehst du jetzt,
Armande den Satz tro en. »Wirkli , Caro. Du gibst wohl niemals auf,
was? Du bist genau wie dein Vater, weißt du das? Dumm, aber hartnä ig.
Das war eine seiner liebenswürdigsten Charaktereigens aen.«
Caroline wirkte verdrossen.
»Les Mimosas ist kein Sterbehaus, sondern ein Altenheim, und wenn du
Armande late.
»Du führst di auf wie ein Kleinkind«, sagte Caro eingesnappt. »Les
Mimosas ist ein sehr gutes, sehr exklusives Seniorenheim. Du könntest di
dort mit Leuten in deinem Alter unterhalten, an Aus flügen teilnehmen, alles
würde für di geregelt –«
»Klingt ja phantastis.« Armande saukelte weiterhin gemäli in
ihrem Stuhl. Caro wandte si an den Arzt, der den Disput verlegen verfolgt
hae. Dem hageren, nervösen Mann sien es peinli zu sein, Zeuge dieses
deinem Zustand und in deinem Alter kannst du einfa nit weiter allein
leben. Stell dir das bloß mal vor, du könntest jederzeit –«
»Ja, Madame Voizin.« Jolines Stimme klang freundli ig.
und vernün
»Sie sollten si einmal überlegen, was Caro sagt … i meine, natürli ist
sweigend an. Joline wirkte zunäst entrüstet, dann errötete sie und wi
Armandes Bli aus.
»Aber Maman –«
»Alle«, wiederholte Armande kategoris . »Dem a salber hier gebe
i zwei Minuten unter vier Augen – es s eint, als müßte i Sie no mal
Lä eln.
geri tet, der immer no am anderen Ende des Zimmers stand und ein
»Mit mir?« Roux war nervös. Caro warf ihm einen unverhohlen
musterte ihn von Kopf bis Fuß, und i sah, wie er lei t zusammenzu te.
Hosentas en, wie um eine kleinere Angri ffsfläe zu bieten. Unter diesem
dur dringend prüfenden Bli wird jeder Makel si tbar. Einen Augenbli
lang sieht er si mit ihren Augen – s mutzig, ungehobelt. Wie in einem
perversen Re flex spielt er die Rolle, die sie ihm zugeda t hat: »Was zum
»Wir sehen uns später«, sagt sie zu mir. »Und vielen Dank no mal.«
Neugier und ihrem Widerwillen, mit mir zu reden, gab sie si s ro ff und
herablassend. In knapper Form s ilderte i ihr, was vorgefallen war.
Reynaud stand daneben und hörte zu, sein Gesi t so ausdru slos wie das
der Heiligen figuren in seiner Kir e. Georges, um Diplomatie bemüht,
Heute morgen bin i no einmal bei Armande Voizin gewesen, um mit ihr
zu reden. Aber sie hat si wieder geweigert, mi ins Haus zu lassen. Ihr
hindern. Es gehe Armande gut, sagt er mir. Ein biß en Ruhe, und sie werde
si wieder vollständig erholen. Ihr Enkel sei bei ihr, und ihre Freunde
besu en sie jeden Tag. Letzteres sagt er mir mit einem Sarkasmus, der mir
das Mark in den Kno en gefrieren läßt. Armande will ni t gestört werden.
Es widerstrebt mir zutiefst, diesen Mann um etwas zu bi en, mon père, aber
i kenne meine P flit. Egal, wele primitiven Individuen sie ihre Freunde
nennt, egal, wieviel Spo und Hohn sie mir entgegens leudert, meine
Mann über die Seele zu reden – seine Augen sind so ausdru slos und
glei gültig wie die eines Tieres. Die zarte Seele, die heilige Flamme im
Innern des unwürdigen Fleis es, die dur ein Leben in Sünde zerstört
wird … Das ist unsere heiligste P flit, Vater. Die Re ung der Seele ist das
alt, sage i ihm. Alt und störris . Es bleibt nur no so wenig Zeit. Kann er
das denn ni t einsehen? Will er zusehen, wie sie si dur ihre Arroganz
Er zu t die A seln.
Roulee mit ihren Medikamenten. Sie weigert si, auf den Arzt zu hören.
Sie ißt Schokolade, Herrgo no mal! Haben Sie si überhaupt son mal
»Ist Ihnen das denn gleigültig? Mat es Ihnen nits aus, daß sie si
Er zut mit den Sultern. I spüre seinen Haß hinter der dünnen
Fassade seinbarer Gleigültigkeit. Es ist zwelos, an seinen guten Kern
wurde. Armande hat ihm Geld angeboten, sagt Muscat. Vielleit möte er,
daß sie stirbt. I kenne ihren perversen Charakter. Ihre Familie zu enterben
regnen. I hae keinen Sirm, und meine Soutane wurde immer swerer,
je mehr sie si mit Feutigkeit vollsaugte. Mir war swindelig, und i
fühlte mi benommen. Na einer Weile wurde ein Fenster geöffnet, und
der Du na frisem Brot und Kaffee, der aus der Küe kam, mate
Au bei Joséphine Muscat habe i versagt. Obwohl sie si weigert, zur
Messe zu gehen, habe i mehrmals mit ihr gesproen, aber ohne Erfolg.
Sie hat einen harten, widerspenstigen Kern entwielt, eine Art Trotz,
obwohl ihr Ton immer respektvoll und san bleibt, wenn wir miteinander
reden. Sie wagt si nie weit weg von dem Laden, La Céleste Praline, und
heute traf i sie direkt vor der Ladentür. Sie war gerade dabei, den Gehweg
zu fegen, und sie ha e ihr Haar mit einem gelben Tu zusammengebunden.
Während i auf sie zuging, hörte i sie leise vor si hin singen.
Später, wenn unsere Arbeit getan ist, kann sie immer no bereuen.
Sie senkte mir ein smallippiges Läeln. Sie wirkt jetzt wesentli
selbstbewußter, ihre Haltung ist aufret, sie trägt den Kopf ho, wie sie es
»Dann sind Ihre Gebete erhört worden, Vater. I bin no nie in meinem
Sie seint unerreibar. Seit einer knappen Woe steht sie unter dem
Einfluß dieser Frau, und son höre i deren Stimme aus Joséphines
Worten. Das Laen der beiden ist unerträgli. Ihr Spo, ebenso wie
Armandes, ein Stael, der mi rasend mat. I spüre bereits, wie etwas
in mir darauf reagiert, Vater, eine Swäe, gegen die i mi gefeit
glaubte. Wenn i die chocolaterie auf der anderen Seite des Platzes
betrate, das hell erleutete Saufenster, die Kübel mit den rosa- und
orangefarbenen und roten Geranien auf den Balkonen und links und rets
über der Tür, fühle i, wie der Zweifel si in mein Herz sleit, und
mein Mund füllt si mit der Erinnerung des Dus von Sahne und Caramel
Kakaobohnen. Es ist der Du von Frauenhaar, von zartem Flaum im Naen
einer Frau, von reifen Aprikosen, von warmen brioches und Zimtsneen,
von Zitronentee und Maiglöen. Es ist der Du von Räuerstäben, der
si im Wind entfaltet wie das Banner des Aufruhrs. Der Stael des Teufels
stinkt nit na Swefel, so wie wir es als Kinder gelernt haben, sondern
wie ein betörendes Parfüm, vermist mit dem Du von tausend Gewürzen,
der einem den Kopf verdreht und die Sinne benebelt. Man mal stehe i
vor der Kir e und halte meinen Kopf in den Wind, um einen Hau von
diesem Du zu erhasen. Er verfolgt mi bis in meine Träume, bis i
verswitzt und ausgehungert aus dem Slaf fahre. In meinen Träumen esse
i bergeweise Sokolade, wälze mi in Pralinen, und sie fühlen si wei
an wie menslies Fleis, wie tausend Münder auf meinem Körper, die
mi mit tausend winzigen Bissen verslingen. Unter ihrer zärtlien Gier
zu sterben ist der Gipfel der Versuung, und in solen Augenblien kann
i beinahe verstehen, warum Armande Voizin mit jedem Bissen ihr Leben
riskiert …
sagte beinahe.
I
I kenne meine Pflit. I slafe nur no sehr wenig, denn au für
Körperlie Freuden sind die Risse, in die der Teufel seine Wurzeln slägt.
I hüte mi vor lieblien Düen. I esse nur no eine Mahlzeit am Tag,
die nur aus den einfasten, fast gesmalosen Zutaten besteht. Wenn i
dem Friedhof, grabe die Beete um und jäte das Unkraut auf den Gräbern.
Der Friedhof ist in den letzten beiden Jahren ziemli verna lässigt
worden, und es s merzt mi zu sehen, was für ein Chaos si in dem
Pflanze die andere ersti t, in einem vergebli en Kampf um die
a. In der Bibel steht, wir sollen uns die Erde untertan maen.
Vorherrs
Do i fühle mi nit stark genug. Was i empfinde, ist Hilflosigkeit,
denn soviel i au umgrabe und jäte und besneide, das Unkraut ist
immer sneller als i, die grüne Armee füllt die Lüen hinter meinem
Rüen, no während i arbeite, stret ihre lange, grüne Zunge heraus
zum Spo über meine Bemühungen. Narcisse beoba tet mi mit
»Sie sollten lieber anfangen zu p flanzen, Vater«, sagt er. »Füllen Sie die
Lü en mit etwas, das Ihnen gefällt, sonst wird das Unkraut es für Sie tun.«
weißen Begonien und die Zwerglilien und die blaßgelben Dahlien und die
Osterglo en, die ni t du en, aber so s öne, gekräuselte Blüten haben. Sie
sind
hübs , aber
sie wu ern ni t, hat Narcisse mir versi ert. Von
Piraten flagge.
»Sie haben einen s önen Garten«, sagt sie. Mit einer Hand fährt sie über
die P flanzen; dann ma t sie eine Faust und bringt den geballten Du an
ihre Nase.
»So viele Kräuter«, sagt sie. »Zitronenmelisse und Minze und Salbei –«
»I kenne ihre Namen ni t«, erwidere i s ro ff. »I bin kein Gärtner.
Außerdem ist das alles nur Unkraut.«
»I mag Unkraut.«
Natürli . Der Unmut ließ meinen Puls s neller gehen – oder lag es am
Du ? Als i mi inmi en von kniehohem Gras aufri tete, kna ten
Sie s aute mi
lä elnd an.
»Sagen Sie mir, was Sie damit bezwe en, daß Sie meine
Si erheit aufzugeben –«
Sie sah mi verblü an.
»Entwurzeln?« Sie warf einen Bli auf den Berg Unkraut am Wegrand.
»Und jetzt, wo sie ihr Ehegelübde gebro en, alles zurü gelassen hat,
was sie besaß, jetzt, wo sie ihr altes Leben aufgegeben hat, glauben Sie, wird
»Natürli .«
glauben.«
Sie la te.
daß i endli zu ihr vorgedrungen war. Ein kleiner Punkt für mi . »Was
Go betri – « Sie bra den Satz ab. »I glaube ni t, daß dieser weiße
Kragen Ihnen das Alleinre t auf den Zugang zu Go gibt«, sagte sie etwas
freundli er. »I denke, es ist Platz genug da für uns beide, meinen Sie
ni t?«
I ließ mi zu keiner Antwort herab. Ihre gespielte Toleranz ist allzu
fadens einig.
»Wenn Sie wirkli die Absi t haben, Gutes zu tun«, erklärte i ihr
»Vernun ?« Sie tat so, als verstünde sie ni t, aber sie wußte genau, was
i meinte.
Armande begreife ni t, wie wi tig es ist, eine Diät einzuhalten und
»Dazu hat sie kein Re t!« I hörte meine Stimme wie eine Peitse über
den Platz knallen. »Diese Entseidung steht ihr nit zu. Wer weiß, wie
»Das kann gut sein«, sagte sie mit ironisem Unterton. »Sie ist immer
» «
Unabhängig! Es gelang mir kaum no, meine Veratung zu
verbergen. »Und wenn sie in einem halben Jahr stoblind ist? Was mat
sie dann?«
eine Brille –«
I sah sie durdringend an. Sie wußte es nit. »Sie haben si no
nit mit dem Arzt unterhalten, nit wahr?«
I fiel ihr ins Wort. »Armande hat ein Problem«, erklärte i ihr. »Eines,
das sie systematis ignoriert. Da sehen Sie, wie eigensinnig sie tatsäli
ist. Sie weigert si, ihrer Familie und sogar si selbst gegenüber
einzugestehen –«
»Bi e, sagen Sie’s mir.« Ihre Augen waren hart wie Aate.
I sagte es ihr.
Armande tat zunä st so, als verstünde sie nit. Dann verlangte sie in
einem selbstherrlien Ton zu wissen, wer »geplappert« habe, während sie
»Armande«, sagte i, als sie sließli eine Atempause mate. »Reden
Sie mit mir. Erklären Sie mir, was es bedeutet. Diabetise Erkrankung der
Netzhaut –«
Sie zute seln.
die A »Wenn dieser verdammte Doktor es s on im
ganzen Dorf rumerzählt, kann i ’s Ihnen au sagen.« Sie wirkte gereizt.
»Er behandelt mi, als könnte i nits mehr für mi selbst entseiden.«
Sie sah mi durdringend an. »Und Sie sind au nit besser, Madame«,
»Also gut.« Sie langte na ihrer Teetasse. I sah, wie vorsitig sie sie
anfaßte, si vergewisserte, daß sie sier zwisen ihren Fingern lag, bevor
sie sie anhob. Nit sie, sondern i bin blind gewesen. Der Spaziersto mit
der roten Sleife, die vorsitigen Srie, die unfertige Stiarbeit, die
»Man kann mir sowieso nit helfen«, sagte Armande etwas freundlier.
niemanden etwas an.« Sie trank einen Slu von ihrem Tee und verzog das
Gesit.
Katzenpisse.« Mit derselben Vorsit stellte sie die Tasse wieder ab.
»Das Lesen fehlt mir«, sagte sie. »I kann die Bustaben nit mehr
erkennen. Aber Luc liest mir manmal was vor. Wissen Sie no, wie er mir
I nite.
»Ist es au.« Ihre Stimme klang swa, fast tonlos. »I habe
bekommen, was i nie zu hoffen gewagt hae. Mein Enkel besut mi
jeden Tag. Wir reden miteinander wie Erwasene. Er ist ein guter Junge
»Er liebt Sie, Armande«, unterbra i sie. »Wir alle lieben Sie.«
Sie la te in si hinein.
»Na ja, viellei t ni t alle«, sagte sie. »Aber das ist ni t so wi tig. I
habe alles, was i mir je gewüns t habe. Mein Haus, meine Freunde,
Laserte nik und was weiß i – « Ihre Vera tung für sol e Dinge war
ist, daß i blind werde, und da ist wohl ni ts dran zu ma en.« Sie
unterstrei en.
»I hä e früher zu ihm gehen sollen«, sagte sie ohne Bi erkeit. »Jetzt ist
es ni t mehr heilbar und wird immer s limmer. Ein halbes Jahr gibt er mir
hö
stens, bis i völlig erblindet bin, dann kommt das Sterbehaus, ob s mir ’
gefällt
oder ni t, bis i die Augen zuma e.« Sie ma te eine Pause.
wiederholen, was i zu Reynaud gesagt ha e.
ff
I ö nete den Mund, um sie zu beruhigen, um ihr zu sagen, daß es
»S
auen Sie mi ni t so an.« Armande knu e mi aufmunternd mit
dem Ellbogen. »Na einem fünfgängigen Menü will man Ka ffee und Likör,
’
stimmt s? Da hat man do keine Lust, das Festmahl mit einer S üssel
Hafers leim zu krönen, oder? Nur damit man no einen Gang kriegt.«
»Armande –«
»Unterbre en Sie mi
ni t.« Ihre Augen leu teten. »Was i sagen
will, ist, man muß wissen, wann man aufzuhören hat, Vianne. Man muß
wissen, wann man den Teller wegs ieben und den Likör bestellen muß. In
»Nein«, sagte Armande leise. »Und i kann selbst für mi ents eiden.«
New York ist eine unwirtli e Stadt, trotz all ihrer glitzernden Verlo ungen;
bi
erkalt im Winter und drü end heiß im Sommer. Na drei Monaten hat
Geräus kulisse, die wie Nieselregen über der Stadt liegt. Sie kam aus einem
Deli mit unserem Mi agessen in einer braunen Papiertüte in den vor der
Brust vers ränkten Armen; i lief ihr entgegen, unsere Bli e begegneten
si über die stark befahrene Straße hinweg, hinter ihr ein Plakat mit einer
War es die Angst, die mir die Zunge lähmte? War es einfa die Trägheit des
das Gehirn errei t hat? Oder war es Ho ffnung, die Art von Ho ffnung, die
entsteht, wenn alle Träume zerplatzt sind und ni ts geblieben ist als die
Ihr Gesi t, zu einem Lä eln erstarrt, in ihren Augen ein viel zu helles
Was würde ich tun? Was würde ich bloß tun, wenn ich dich nicht hätte?
Ist schon gut, Maman. Wir schaffen es. Ich verspreche es dir. Verlaß dich
auf mich.
Der S warze Mann steht da und s aut ruhig zu, seine zu enden
Sekunde begreife i , daß es S limmeres gibt, viel S limmeres als den Tod.
Dann ist die Lähmung vorbei, und i beginne zu s reien, aber der Warnruf
kommt zu spät. Sie wendet si mir zu, ein Lä eln bildet si auf ihren
»Florida!« Es klingt wie ein Frauenname, der über die Straße hallt, die
junge Frau rennt quer dur den Verkehr, läßt ihre Tüten mit den Einkäufen
fallen – ein paar Lebensmi el, eine Tüte Mil – , ihr Gesi t verzerrt. Es
klingt wie ein Name, als hieße die ältere Frau, die da auf der Straße stirbt,
Florida, und sie ist tot, bevor i sie errei e, ganz still und undramatis , so
daß es mir beinahe peinli ist, daß i so ein Au ebens darum ma e. Eine
aufges ni enen Eiterbeule laufen mir Tränen der Erlei terung über die
Wangen, bi
ere Erlei terung darüber, daß i endli am Ende
beinahe unversehrt.
mir ein
Tas entu . Es du ete na Lavendel. »I werde an meinem
Geburtstag eine Party geben«, verkündete sie. »Lucs Idee. Kosten spielen
»Der letzte Gang meines Menüs«, erklärte Armande. »Bis dahin werde i
wie ein braves Mäd en regelmäßig meine Medizin nehmen.
I werde
lade i sogar meine bes euerte To ter ein. Wir werden Ihr
glei gültiges A selzu en. »Ni t jeder hat das Glü «, bemerkte sie. »Die
Verstanden?«
I ni te.
»Verspro en?« Sie spra mit mir wie mit einem aufsässigen Kind.
»Verspro en.«
Zufriedenheit breitete si auf ihrem Gesi t aus, wie immer, wenn sie
Joséphine fiel auf, wie still i war, während wir gemeinsam in der Kü e
so viele ma en. Wenn wir sie alle verkaufen, werden wir einen guten
We erfahne mi von ihrem Turm aus laut ausla t. Roux hat bereits mit
der Arbeit an Anouks Da zimmer begonnen. Das Fest ist ein Risiko, aber
unser Leben ist s on immer von sol en Dingen bestimmt gewesen. Und
wir s euen keine Mühe, um dem Fest zu einem Erfolg zu verhelfen. Überall
der Osterwo e wird tägli im Radio für das Fest geworben. Es wird Musik
geben – ein paar alte Freunde von Narcisse haben eine Kapelle gegründet –,
Blumen und Spiele. I habe mit einigen der Händler gespro en, die
donnerstags immer auf dem Markt stehen, und es wird ein paar Stände auf
Wir werden eine Ostereiersu e für die Kinder veranstalten, angeführt von
Anouk und ihren Freunden, und es gibt cornets surprise für jeden
und in der anderen einen Korb mit Ostereiern, die an alle, die mit uns feiern,
verteilt werden. Nur no zwei Wo en. Von den zarten Likörpralinen, den
Rosenblä ern aus S okolade, den in Goldfolie verpa ten Münzen, den
kandierten Veil en, den Kirs pralinen und den Mandelspli ern ma en
wir jeweils fünfzig Stü und legen sie dann zum Auskühlen auf gefe ete
Ble e. Große Eier und Tier figuren aus Hohls okolade werden vorsi tig
geö ffnet und mit kleinen Pralinen und Trü ffeln gefüllt. Es gibt Nester aus
gesponnenen Karamelfäden mit Zu ereiern, auf denen eine di e
S okoladenhenne thront; gesete Hasen, mit gebrannten Mandeln
Regalbreer. Das gesamte Haus ist erfüllt vom Du na Vanille und
Und nun muß au no Armandes Party vorbereitet werden. Das
I habe eine Liste mit allem, was sie aus Agen bestellen will – foie gras,
Champagner, Trü ffel und fris e chantrelles aus Bordeaux, Meeresfrü te
vom Fis händler in Agen. Für Kuen und Pralinen werde i selbst sorgen.
»Das wird bestimmt eine tolle Party«, meint Joséphine begeistert, als i
»Sie sind eingeladen«, erkläre i ihr. »Das hat sie mir ausdrüli
gesagt.«
Optimismus nit zerstören können. Wie er si aufführt, sagt sie, sei
teilweise ihre Suld. Er habe einen swaen Charakter; sie häe si viel
früher gegen ihn zur Wehr setzen müssen. Für Caro Clairmont und ihre
Wel slites Gemüt. Sie ist jetzt vollkommen gelassen, im Frieden mit
si und der Welt. Gleizeitig stelle i fest, daß i selbst immer weniger
werden zu lassen. Ein bißen Wärme, ein paar geliehene Kleider und die
Sierheit eines eigenen Zimmers … Wie eine Blume wäst sie auf das Lit
geführt habe. Was ihn antreibt, ist mir na wie vor ein Rätsel. Neuerdings
wie ein Wilder gräbt und ha – t man mal reißt er zusammen mit dem
Unkraut die Blumen und Sträu er glei mit aus –, wenn ihm der Sweiß
den Rü en hinunterläu , und ein dunkles Dreie auf seiner Soutane
entsteht. Die harte Arbeit ma t ihm keine Freude. Sein Gesi t ist vor
Anstrengung verzerrt. Es ist, als würde er die Erde hassen, die er umgräbt,
die P flanzen, dur die er si kämp . Er wirkt wie ein Geizhals, der
gezwungen ist, Berge von Gelds einen in einen Ofen zu s aufeln; Gier,
Er ist wie eine Mas ine, dieser Mann, mein Feind. Wenn i ihn ansehe,
s reit und sträubt si und versu t zu fliehen. Es ist nit nur einfa das
S okoladenfest, das ihn so in Rage versetzt. Das spüre i so deutli , als
könnte i seine Gedanken lesen. Es ist meine Anwesenheit hier im Dorf, die
ihn aus der Fassung bringt. Für ihn bin i eine lebende S ande. Er
beoba tet mi unau ffällig während der Arbeit auf dem Friedhof; sein Bli
wandert immer wieder zu meinem Fenster und dann wieder zurü , voll
Augen erkenne i , daß er glaubt, er sei der Grund dafür. Soll er es ruhig
Anouk hat mir erzählt, daß er gestern in der S ule war. Er hat den
Kindern von der Bedeutung des Osterfests erzählt – harmloses Zeug, und
do läu mir bei der Vorstellung, daß meine To ter seinem Ein fluß
ausgesetzt ist, ein S auer über den Rü en –, hat ihnen eine Ges i te
vorgelesen, ihnen verspro en, wiederzukommen. I fragte Anouk, ob er
besuen und mir die Kire ansehen, wenn i Lust hab. Dann zeigt er mir
daß meine Ängste völlig irrational sind. Was kann er uns son anhaben?
Wie könnte er uns weh tun, wenn das in seiner Absit liegt? Er weiß nits.
Er kann nits über uns wissen. Er hat keine Mat über uns.
Natürlich hat er das, sagt die Stimme meiner Muer in mir. Er ist der
Schwarze Mann.
Anouk wälzt si unruhig im Slaf hin und her. Feinfühlig, wie sie ist,
spürt sie, daß i wa bin, und versut, si dur einen Morast von
Träumen zu kämpfen und au aufzuwaen. I atme ganz ruhig, bis sie
Der Swarze Mann ist nits als Einbildung, sage i mir nadrüli.
Sta einer Antwort entsteht das Bild erneut vor mir, hell und leutend
wie ein Transparent: Reynaud am Be eines alten Mannes, seine Lippen
bewegen si, als betete er, hinter ihm lodern Flammen wie Sonnenlit in
eine gewisse Ähnlikeit, das dunkel glühende Lit der Flammen wirkt
nehmen. Der Swarze Mann symbolisiert den Tod, ein Aretyp, der meine
Teil in mir, der immer no zu meiner Muer gehört, sprit deutlier zu
mir.
Du bist meine Tochter, Vianne, sagt sie mir unerbi li. Du weißt, was es
bedeutet.
Es bedeutet, daß wir weiterziehen müssen, wenn der Wind si dreht, daß
wir die Zukun aus den Karten lesen, daß unser Leben eine permanente
Flu t ist …
»I bin nits Besonderes.« Unwillkürli habe i laut gesproen.
»Ss«, sage i. »Es ist no nit Morgen. Slaf no ein bißen.«
»Sing mir was vor, Maman«, murmelt sie und stret in der Dunkelheit
einen Arm na mir aus. »Sing no mal das Lied vom Wind.«
Also singe i, lause meiner eigenen Stimme, die von dem leisen
Na einer Weile höre i Anouk wieder regelmäßig atmen, und i weiß,
sie ist wieder einges lafen. Ihre Hand liegt immer no in meiner, wei
und s wer. Wenn Roux mit der Arbeit am Da fertig ist, wird sie wieder
ihr eigenes Zimmer haben, dann werden wir beide wieder ruhiger slafen.
denen meine Muer und i geslafen haben, umhüllt von der Feutigkeit
unseres eigenen Atems, die beslagenen Fenster, und draußen der stete
Dorf gesehen habe. Sie hat si wieder re t gut erholt, bewegt si mit
fors en Srien und ist kaum auf ihren Sto angewiesen. I sehe sie
daß ihr Sohn Armande seit einiger Zeit heimli besut, läelte Caroline
Clairmont gequält.
»I habe keinen Ein fluß mehr auf ihn, Vater«, jammerte sie. »Er war
die Brust.
»I habe ihm – auf die allersanfteste Art – erklärt, er häe mir sagen
müssen, daß er seine Großmu er besut –« Sie seufzte. »Als häe er
von ihr erben … Und plötzli sreit er mi an, das Geld würde ihn nit
genau gewußt häe, daß i ihm alles verderben würde, i sei eine
mein Leben verween –« Sie betupe si vorsitig die Augen, ängstli
»Was habe i nur fals gemat?« jammerte sie. »I habe alles für
diesen Jungen getan, er hat alles von mir bekommen. Daß er si jetzt so von
mir abwendet, mir alles vor die Füße wir wegen dieser Frau …« Trotz der
Tränen war ihre Stimme hart. »Sie ist slimmer als eine Gislange«,
lamentierte sie. »Sie können si nit vorstellen, was das für eine Muer
bedeutet, Vater.«
»Oh, Sie sind ni t die einzige, die darunter leidet, daß Madame Ro er
si überall mit gutgemeinten Ratslägen einmist«, sagte i. »Sehen Sie
si do bloß einmal an, was sie alles in wenigen Woen ausgelöst hat.«
Caroline sniee.
»Gut gemeint! Sie sind wirkli zu liebenswürdig, Vater«, höhnte sie. »Sie
ist bösartig, lassen Sie si das von mir gesagt sein. Sie hä e meine Mu er
»Ganz zu s weigen davon, daß sie die Ehe der Muscats zerstört hat«,
fuhr sie fort. »I kann mi nur wundern, wieviel Geduld Sie immer wieder
au ringen, Vater.« Ihre Augen funkelten haßerfüllt. »Es wundert mi , daß
»A , i bin nur ein Dorfpfarrer«, erwiderte i . »I besitze keinen
Caroline. »Wir hä en von Anfang an auf Sie hören sollen, Vater. Wir hä en
Sie errötete.
»Nun, wir könnten Sie unterstützen«, s lug sie vor. »Paul Muscat,
Georges, die Arnaulds, die Drous, die Prudhommes … Wir könnten uns
»Aus wel em Grund? Die Frau hat kein Gesetz gebro en. Es wäre ni ts
»Auf jeden Fall können wir ihr großartiges Fest ruinieren«, sagte sie.
»A ja?«
Ein fluß. Er hat mit vielen Leuten zu tun, und er besitzt Überzeugungskra .
genötigt sein –«
»Viellei t«, erwiderte
i freundli. »I kann mi natürli t
ni
maen.«
An ihrem Gesi tsausdru erkannte i, daß sie mi genau verstanden
ha e.
, Vater.« Ihre Stimme klingt eifrig und gehässig. Einen
»Selbstverständli
Augenbli lang empfinde i tiefe Veratung für sie, wie sie snau und
switzt wie eine läufige Hündin, aber mit Hilfe von solen
Das Da ist fast fertig. Der Putz ist hier und da no feut, aber das neue
Fenster, rund und mit Messingbeslägen wie ein Bullauge, ist eingebaut.
Morgen will Roux die Dielen verlegen, und wenn sie abgezogen und
gibt keine Tür, nur die Falltür und eine Leiter, die mit einem Dutzend
Sprossen zu ihr hinau fführt. Anouk ist son ganz aufgeregt. Immer wieder
steigt sie auf die Leiter, stet ihren Kopf dur die Falltür, beobatet Roux
bei der Arbeit und gibt ihm Anweisungen. Meistens jedo ist sie bei mir in
der Küe und sieht bei den Ostervorbereitungen zu. Jeannot ist au o da.
muß sie besteen, damit sie mi ab und zu in Ruhe lassen. Roux ist seit
Armandes Kollaps wieder ganz der alte, er pfei vergnügt vor si hin,
während er Anouks Zimmer den letzten Sliff verpaßt. Er hat seine Arbeit
sehr gut gema t, bedauert allerdings, daß er sein Werkzeug verloren hat.
Das von Clairmont gemietete sei minderwertig, sagt er. Er will si so bald
wie mögli wieder eigenes Werkzeug besorgen.
»In Agen gibt es eine Wer, wo man gebraute Hausboote bekommen
kann«, erzählte er mir heute bei heißer Sokolade und Eclairs. »I könnte
mir einen alten Kahn kaufen und ihn während der Wintermonate in Suß
bringen.«
»Nein.« In dieser Frage ist er unerbi li. »Sie hat son genug für mi
getan.« Mit dem Zeige finger fuhr er um den Rand seiner Tasse. »Außerdem
hat Narcisse mir einen Job angeboten«, sagte er. »Vorerst im Gewäshaus,
und später bei der Weinlese, dann kommen die Kartoffeln, die Bohnen,
besäigen.«
ohne diesen feindseligen, mißtrauisen Bli, der sein Gesit wie ein
»Für den Fall, daß i no mal so einen Anfall habe«, sagt sie ernst und
wir mir dabei hinter seinem Rüen einen seltsamen Bli zu. Ob die
Gefahr nur eingebildet ist, oder nit, i bin froh, zu wissen, daß er bei ihr
ist.
reden. Roux saß an der eke lüre seinen Mokka. Joséphine, die
und s
si immer no vor Roux zu fürten seint, war in der Küe dabei,
Pralinen zu verpaen. Anouk war no beim Frühstüen und saß an der
eke, eine gelbe Tasse chocolat au lait und ein halbes Croissant vor si.
Die beiden Frauen senkten Anouk ein honigsüßes Läeln und bedaten
Roux mit einem verätlien Bli. Roux starrte sie homütig an.
»I hoffe, wir kommen nit ungelegen.« Jolines weie, geübte Stimme
trie vor Sorge und Mitgefühl. Dahinter verbirgt si jedo nits als
Gleigültigkeit.
etwas anbieten?«
besäigt war.
»I würde mi gern mit Ihnen unterhalten«, sagte Joline betont
»Nun, das wäre sierli kein Problem«, erwiderte i, »aber i bin
sier, daß das nit nötig ist. Können Sie mir hier nit sagen, was Sie auf
»Sind Sie denn sier, daß i die Ritige bin, um darüber zu reden? I
»Es handelt si um Ihre Toter.« Sie läelte gekünstelt. »Wie Sie
»Das weiß i.« I senkte Roux no eine Tasse Mokka ein. »Was ist
I weiß ganz genau, daß Anouk keine Probleme hat. Seit sie viereinhalb
ist, liest sie ein Bu na dem anderen. Ihr Französis ist tadellos, und seit
»Nein, nein«, versiert Joline mir eilig. »Sie ist ein sehr geseites
Mäden.« Sie saut kurz zu Anouk hinüber, aber meine Toter ist mit
ihrem Croissant besäigt. Weil sie si unbeobatet glaubt, stibitzt sie
»Stört sie den Unterri t? Ist sie ni t folgsam? Ist sie unhö fli?«
»Nein, nein. Natürlich nit. Es ist nits dergleien.«
»Was ist es dann?«
unterri tet sie mi . »Er hat mit den Kindern über die Bedeutung des
»Nun, Anouk s eint« – ein erneuter Bli in Anouks Ritung –, »nun ja,
sie stört ni t gerade, aber sie hat ihm einige äußerst seltsame Fragen
I bin si er, daß Sie es begrüßen, wenn S üler wißbegierig sind.
»So?«
»Ans einend hat Anouk ihnen erzählt, Ostern sei eigentli gar kein
ristli es Fest, und die Lehre von unserem Herrn« – sie unterbra si
verlegen – »und seiner Auferstehung stelle einen Rügriff dar auf eine Art
Go des Getreides, auf eine Fru tbarkeitsgö
in aus heidnis en Zeiten.«
»Ja.« I strei elte Anouks Lo en. »Sie ist ein sehr belesenes Mäd en,
ni t wahr, Nanou?«
Reynaud sagt, keiner feiert heute mehr ihr Fest, aber i hab gesagt, wir
s on.«
besten, du stellst ihm ni t mehr so viele Fragen, wenn ihn das irritiert.«
»Nein, das stimmt gar ni t«, konterte Anouk. »Jeannot sagt, wir sollen
ein Feuer anzünden, wenn das Fest kommt, und rote und weiße Kerzen und
»Sie s einen das alles ni t besonders ernst zu nehmen«, sagte sie, wobei
I zu te die A seln.
beteiligt si an der Klassendiskussion. Das ist es do , was Sie mir erzählen,
ni t wahr?«
»Es gibt emen, die dür en eigentli
gar ni t zur Diskussion stehen«,
fau te Caro, und einen Moment lang sah i unter der pastellfarbenen
Maske ihre Mu er in ihr, herris und tyrannis . Daß sie mal etwas
eine Frage des Glaubens, und wenn dieses Kind eine anständige Erziehung
»Aber es liegt mir fern, Ihnen erzählen zu wollen, wie man ein Kind
streiten.«
Caros Bli wanderte sehnsü tig über die Auslagen, die Pralinen, Trü ffel,
Mandelspli er und Nougatherzen, die Eclairs, Florentiner, Likörkirs en und
gebrannten Mandeln.
»Ein Wunder, daß dieses Kind keine faulen Zähne hat«, sagte sie spitz.
Anouk grinste und zeigte ihre Zähne. Daß sie makellos weiß waren,
sagte nits, und Roux kierte in si hinein. In der Küe hörte i
Joséphines kleines Kofferradio dudeln. Ein paar Sekunden lang war nits zu
hören als die Musik, die bleern von den Fliesen widerhallte.
»Komm, wir gehen«, forderte Caro ihre Freundin auf. Joline wirkte
klaren sind, was auf Sie zukommt«, giete sie zum Absied, dann waren sie
zusammengeknüllt auf die Straße geworfen, und Joséphine hob es auf, als sie
den Gehweg fegte, und bra te es mit in den Laden. Eine
I über flog weitgehend dem, was die
die Zeilen. Der Inhalt entspra
und die Bedeutung von Absolution und Gebet. Do etwa in der Mie des
erregte.
Es wird immer eine kleine Minderheit geben, die versu t, unsere heiligen
Traditionen zum persönlichen Vorteil auszunutzen. Die
Spiele heidnische Praktiken beibringen. Zu viele unter uns betra ten diese
ädli und begegnen ihnen mit Toleranz. Warum sonst häe
Dinge als uns
Es ist ein Hohn auf alles, was Ostern bedeutet. Wir fordern Sie auf, um
unserer uns uldigen Kinder willen dieses sogenannte Fest und alle
»Kire sta Sokolade.« I mußte laut laen. »Das ist gar kein
»I verstehe Sie nit«, sagte sie. »Das seint Sie überhaupt ni t zu
beunruhigen.«
»Es ist do nur ein Flugbla. I bin mir beinahe sier, daß i weiß, von
Sie ni te.
»Caro«, sagte sie nadrüli. »Caro und Joline. Das ist genau ihr Stil.
Dieses Gefasel über unsuldige Kinder.« Sie snaubte verätli. »Aber
die Leute hören auf sie, Vianne. Da werden es si einige no einmal
überlegen, ob sie kommen sollen oder nit. Joline ist Lehrerin hier im Dorf.
»Wirkli ?« I hae gar nit gewußt, daß es einen Gemeinderat gab.
Witigtuerise Frömmler mit einer Vorliebe für jede Art von Klats.
»Was können sie denn son tun? Alle Leute verhaen lassen?«
»Und?«
»Sie wissen ja, was er tun kann«, sagte Joséphine verzweifelt. Mir fiel auf,
daß sie unter Streß wieder in ihre alten Angewohnheiten zurüfiel. Sie
drüte ihre Daumen in ihr Brustbein wie sie es anfangs getan hae. »Er ist
verrüt, das wissen Sie do. Er ist einfa –«
Gequält bra sie den Satz ab, die Fäuste vor der Brust geballt. Wieder
hae i den Eindru, daß sie mir etwas erzählen wollte, daß sie etwas
wußte. I berührte ihre Hand, versute, ihre Gedanken zu errei en,
konnte aber ni t mehr erkennen als zuvor; Rau , grau und fe ig, vor
Rauch! Meine Hand klammerte si um ihre. Rau! Jetzt wußte i, was
i sah, konnte Einzelheiten erkennen; sein Gesit blei und
»Das brauten Sie nit. Ist das der Grund, warum Sie si vor Roux
»Aber Sie weigern si, mit ihm zu reden. Sie trauen si nit einmal,
si im selben Raum aufzuhalten wie er. Sie können ihm nit in die Augen
sehen.«
Joséphine vers ränkte die Arme vor der Brust wie eine Frau, die ni ts
mehr zu sagen hat.
»Joséphine?«
»Na gut.« Ihre Stimme klingt sroff. »I hab’s gewußt, okay? I wußte,
was Paul vorhae. I hab ihm gesagt, i würde ihn verraten, wenn er
Sie warf mir einen giigen Bli zu, ihr Gesit verzerrt von unvergossenen
Tränen. »I bin also ein Feigling«, sagte sie tonlos. »Jetzt wissen Sie, was
i für eine bin, i bin nit so mutig wie Sie, i bin eine Lügnerin und ein
Feigling, und i hab ihn nit aufgehalten. Jemand häe dabei umkommen
können, Roux häe sterben können, oder Zézee oder ihr Baby, und es wäre
alles meine Schuld gewesen!« Sie holte tief und mühsam Lu.
»Sagen Sie es ihm nit«, bat sie. »I könnte es nit ertragen.«
»Ich werde es ihm nit sagen«, erwiderte i san. »Das werden Sie
tun.«
Sie süelte heig den Kopf.
»Nein, das ma i nit. Das kann i nit.«
»Ist son gut, Joséphine«, beruhigte i sie. »Es war ni t Ihre S uld.
Und es ist niemand umgekommen, oder?«
glauben.«
»Was soll i ihm denn sagen?« Sie rang verzweifelt die Hände. »I
wüns te, er würde einfa verswinden«, sagte sie wütend. »I wünste,
er würde sein Geld nehmen und woanders hingehen.«
Boot in Agen beri tet hae. »Er hat es wenigstens verdient zu erfahren,
wer ihm das angetan hat«, beharrte i . »Dann wird er begreifen, daß allein
Muscat suldig ist und daß niemand sonst im Dorf ihn haßt. Das müßten
Sie do verstehen, Joséphine. Sie wissen do selbst, wie man si in einer
Joséphine seufzte.
»Aber ni t heute«, sagte sie. »I werd’s ihm sagen, aber ein andermal.
In Ordnung?«
»Es wird ni t leiter, wenn Sie es vor si hersieben«, warnte i sie.
»Möten Sie, daß i mit Ihnen komme?«
»Nun, er wird bald eine Pause einlegen müssen«, erklärte i. »Sie
Sweigen. Ihr Gesit war blei und ausdruslos. Ihre Hände zierten.
I nahm einen Trüffel aus einer Sale und stete ihn in ihren halboffenen
»Das wird Ihnen Mut maen«, sagte i und drehte mi um, um eine
große Tasse mit Sokolade zu füllen. »Also los, beißen Sie zu.« I hörte ein
winziges Geräus, wie ein halbes Laen. I reite ihr die Tasse. »Sind Sie
bereit?«
»I glaub son«, sagte sie mit vollem Mund. »I werd’s versuen.«
I las no einmal das Flugbla, das Joséphine auf der Straße gefunden
hae. Kirche statt Schokolade. Eigentli ziemli lustig. Der Swarze
Obwohl ein kräiger Wind wehte, war es warm draußen. Die Däer in
Tannes hinunter und genoß die Sonne auf meinem Rüen. Die Vorboten des
Frühlings sind da, und in den Gärten und an den Straßenrändern blühen mit
einemmal Narzissen, Iris und Tulpen. Selbst die winds iefen Häuser von
Les Marauds sind mit lustigen Farbtupfern gesprenkelt, allerdings sind die
ehemals gep flegten Gärten alle verwildert; auf einem Balkon, der über den
Rot über Orange in eine ganz blasse Malvenfarbe verwandelt. Nur wenige
Tage Sonnens ein en aus, um sie aus ihrem Winterslaf zu ween;
rei
na dem Regen riten sie si auf und reen die Köpfe dem Lit
entgegen. Man braut nur eine Handvoll von diesem angeblien Unkraut
auszurupfen, und man findet Salbei und Iris, Nelken und Lavendel zwisen
Joséphine und Roux Zeit zu lassen, miteinander ins reine zu kommen, dann
wanderte i langsam dur die kleinen Gassen zurü, die Ruelle des Frères
de la Révolution hinauf, und dann die Avenue des Poètes, eine enge, düstere
Gasse zwis en beinahe fensterlosen Fassaden, aufgeloert nur von den von
Balkon zu Balkon gespannten Wäseleinen und hier und da einem
zwisen si auf der eke. Joséphine hae verweinte Augen, wirkte jedo
erleitert, beinahe glüli. Roux late gerade über etwas, das sie gesagt
gehabt.
»Es war gut, daß sie diesen Bastard sitzengelassen hat«, sagt er mit
unverhohlener Vera tung. »Was dieser Kerl ihr angetan hat –« Einen
Augenbli lang wird er verlegen, siebt seine Tasse auf der eke hin und
her. »So ein Mann hat es nit verdient, eine Frau zu haben«, brummt er.
»Es gibt nits zu tun«, erwidert er troen. »Er wird alles leugnen. Die
Polizei interessiert si nit für den Fall. Außerdem bin i sowieso nit
Er geht nit weiter auf das ema ein. I nehme an, daß es in seiner
Seitdem haben Joséphine und er viele lange Gespräe geführt. Sie bringt
ihm Sokolade und Kuen, wenn er Pause mat, und o höre i sie
fällt auf, daß sie si sorgfältiger kleidet. Heute morgen verkündete sie sogar,
»I saff das son allein.« Sie wirkte glüli, beinahe hogestimmt
über ihre Entseidung. »Außerdem sagt Roux, wenn i mi Paul nit
stelle –« Sie bra verlegen ab. »I wollte einfa no mal rübergehen, das
ist alles«, sagte sie störris. Ihre Wangen waren gerötet. »I hab no
Büer, Kleider … I will meine Saen holen, bevor Paul auf die Idee
I nite.
Sie nite.
wußte, was sie meinte. Es war sein Territorium – ihr Territorium –, auf
»I saff das son.« Sie läelte. »I weiß, wie i mit ihm umgehen
»Das wird es nit.« Sie nahm meine Hand, wie um mi zu beruhigen.
Palmsonntag
Das Läuten der Gloen hallt dumpf von den geweißten Wänden der Häuser
und Läden wider. Selbst die Pflastersteine vibrieren; i spüre das leite
Beben dur meine Suhsohlen. Narcisse hat die rameaux geliefert, die
Palmsträußen, die i na der Messe verteilen werde, und die die Leute
für den Rest der Karwoe an ihren Kragen tragen oder an ihre Kruzifixe
über dem Kamin oder dem Be steen werden. I werde Ihnen au eins
mitbringen, mon père, und eine Kerze für Ihren Nais; warum sollen Sie
Belustigung. Nur die Angst und ihr Respekt vor meiner Soutane hält sie
davon ab, laut über mi zu la en. Ihre rosigen S westerngesi ter
Er glaubt, der Alte könnte ihn hören … er meint, der würde noch mal
aufwachen … nein, wirklich? … o nein! … er redet die ganze Zeit mit ihm …
einmal hab ich ihn beten hören – und dann mäd enha es Geki er –
hihihihihi! – wie Perlen, die über den Boden kullern.
Natürli wagen sie es ni t, mir ins Gesi t zu la en. In ihren makellos
weißen Ki eln, das Haar unter gestärkten Hauben verborgen, den Bli
gesenkt, könnte man sie für Nonnen halten. Klosters ülerinnen, die
respektvoll ihre Floskeln murmeln – oui, mon père, non, mon père –,
während sie si heimli amüsieren. Au die Mitglieder meiner Gemeinde
sind ni t mit dem re ten Ernst bei der Sa e – während der Messe sind sie
unkonzentriert und können es hinterher kaum erwarten, in die chocolaterie
zu eilen –, do heute ist alles, wie es sein soll. Sie grüßen mi mit Respekt,
beinahe fur tsam. Narcisse ents uldigt si dafür, daß die Palmsträuß en
mürris en Stimme. »Der gedeiht hier ni t. Der Frost ma t ihn kapu .«
Finger.
»So eine s öne Messe«, plappert Georges ihr na . Luc steht neben ihr
und ma t ein verdrießli es Gesi t. Dahinter die Drous mit ihrem Sohn,
unter den Leuten, die die Kir e verlassen, nehme jedo an, daß er au da
ist.
»Sieht so aus, als hä en wir es ges a «, sagt sie mit Genugtuung. »Wir
verteilt, und die Häle der Einwohner von Lansquenet hat bereits
darüber reden.«
Der Pralinenladen ist seit Tagen so gut wie leer. In so einer kleinen
mehr Widersprusgeist, als diese Hexe Roer es ihnen wert ist. Wie lange
wohnt sie überhaupt son hier? Das verirrte Lamm findet stets zur Herde
zurü, Vater. Ganz instinktiv. Sie ist nits weiter als eine kurzlebige
Abweslung für die Leute im Dorf. Aber am Ende kommen sie alle wieder
zur Besinnung. I gebe mi nit der Illusion hin, daß sie es aus Reue oder
Einsit tun – Safe sind von Natur aus dumm –, aber sie besitzen einen
gesunden Instinkt. Ihre Füße tragen sie na Hause, au wenn ihre
Gedanken in die Irre gehen. Mit einemmal verspüre i eine tiefe Zuneigung
Ist das die Antwort auf meine Gebete, Vater? Ist das die Lektion, die i
lernen mußte? Auf der Sue na Muscat lasse i meinen Bli no
einmal über die Menge sweifen. Er kommt jeden Sonntag in die Kire, er
haben … Do die Kire leert si, und i kann ihn immer no nit
entde en. I erinnere mi au nit, daß er die Kommunion empfangen
hat. Er wird do sierli nit gegangen sein, ohne ein paar Worte mit
mir. Die Sae mit seiner Frau hat ihn sehr mitgenommen. Vielleit braut
Der Korb mit den Palmsträußen wird immer leerer. Jedes einzelne wird
murmelt wütend irgend etwas vor si hin. Seiner Muer ist das offenbar
peinli, und sie läelt mir über die gebeugten Köpfe hinweg
entsuldigend zu. Immer no keine Spur von Muscat. I werfe einen Bli
in die Kire: sie ist leer, bis auf ein paar ältere Leute, die immer no vor
dem Altar knien. Der heilige Franziskus steht neben dem Eingang; umringt
müßte würdevoller sein, mehr Eindru maen. Sta dessen seint dieser
ausgestret, mit der anderen wiegt er eine Taube vor seinem dien Bau,
Statue son dort gestanden hat, als wir beide aus Lansquenet fortgegangen
sind, mon père. Wissen Sie es no? Oder ist sie vielleit verrüt worden,
Hieronymus, dem diese Kire geweiht ist, hat keinen solen Ehrenplatz: in
der düsteren Nise, wo er vor einem dunklen Ölgemälde steht, ist er kaum
zu sehen, der Marmor, aus dem die Figur gemeißelt wurde, ist vom Rau
Tausender Kerzen verfärbt. Der heilige Franziskus dagegen na wie vor so
weiß wie frise Champignons, trotz der Feutigkeit, die den guten Franz
vergnügt zerbröeln läßt. I nehme mir vor, ihn so bald wie mögli an
Annahme, daß er womögli auf mi wartet, aber er ist nit zu finden.
Vielleit ist er krank, überlege i. Nur eine ernste Krankheit würde einen
meine Soutane. Den Kel und die Patene sließe i sierheitshalber ein.
Zu Ihrer Zeit wäre das nit nötig gewesen, Vater, aber heutzutage muß man
unserem Dorf ganz zu sweigen – würden si dur die Aussit auf
Mit zügigen Srien gehe i na Les Marauds hinunter. Muscat ist seit
letzter Woe ziemli wortkarg, und i bin ihm nur ein paarmal flütig
begegnet. Aber er wirkt teigig und krank, gebeugt wie ein verdrossener
Büßer, die Augen halb verborgen unter den ges wollenen Lidern. In letzter
Zeit besuen nur no wenige Leute sein Café; vielleit aus Furt vor
i selbst dort; das Café war so gut wie leer. Seit Joséphine ausgezogen ist,
ist der Boden nit mehr gefegt worden und mit Zigareenkippen und
Bonbonpapieren übersät. Überall auf den Tisen und der eke standen
leere Gläser. In der Vitrine lagen ein paar alte Sandwies und etwas Rotes,
»A , ’
Sie sind s.« Sein Ton war mürris , beinahe aggressiv. »Sie sind
hinhalten, was?« Er nahm einen tiefen Zug an der Zigare e, die halb
mir sein. I halte mi seit Tagen von der Slampe fern.«
feindselig. »Das ist do mein Café, ni t wahr, Vater? I meine, Sie wollen
ihr do wohl ni
t au no den Laden auf einem silbernen Table
servieren, oder?«
an seiner Zigare e und hustete mir höhnis la end seinen fauligen Atem
ins Gesi t.
»Das ist gut, Vater.« Er stank wie ein Tier. »Das ist phantastis Natürlich
.
verstehen Sie mi . Gar keine Frage. Als Sie Ihr Gelübde abgelegt haben,
oder was au immer, hat die Kir e Ihnen die Eier abges ni en. Da kann
die Zigare e hielt. »Sie brau t si nur anzusehen, wie der Laden jetzt
dem typisen Selbstmitleid des Säufers –, »zu wissen, daß sie unsere Ehe
zum Gespö des Dorfes gemat hat –« Er stieß einen obszönen Laut aus,
halb S lu zen, halb Rülpsen. »Zu wissen, daß sie mir das verdammte Herz
gebro en hat.«
na seinen drei oder vier verbliebenen Gästen um, die ihn neugierig
»Geben Sie die Ho ffnung ni t auf, Muscat«, sagte i , meinen Ekel
überwindend. »Auf diese Weise können Sie sie ni t zurü gewinnen. Sie
Vater? Geben Sie mir fünf Minuten allein mit dieser S lampe, dann werd
i ihr die Krise son austreiben. I hole sie mir zurü, da können Sie Gi
drauf nehmen.«
Er wirkte dumm und bösartig, kaum in der Lage, seine Worte bei dem
»Das werden Sie nicht«, sagte i ihm ins Gesit, ohne mi um die
anständig verhalten, Muscat, Sie werden korrekt vorgehen, wenn Sie etwas
unternehmen wollen, und Sie werden die beiden Frauen nicht anrühren!
Kapiert?«
warne Sie, Muscat«, sagte i. »I habe Ihnen eine Menge
»I
durgehen lassen, aber i werde es nicht hinnehmen, wenn Sie si in aller
sagte, Es wird Ihnen noch leid tun. Seine Augen funkelten böse dur seine
halbvergossenen Tränen.
verhindern, nit gesehen haben, daß der Mann am Rande der Verzweiflung
war? Als i vor dem Café de la République ankam, war es geslossen, do
ein paar Leute standen vor dem Haus und sauten zu einem der Fenster im
ersten Sto hinauf. I sah Caroline Clairmont und Joline Drou unter
ihnen. Au Duplessis war da, eine kleine, würdige Gestalt in seinem Filzhut
und mit dem Hund, der um ihn herumtollte. Über dem allgemeinen
»Es ist Joséphine«, sagte Caro aufgeregt. »Muscat hat sie oben in dem
kreiste in Tönen, die Glas häen zum Zerbersten bringen können – jedo
nit vor Angst, wie mir sien, sondern vor wilder, unbändiger Wut –,
Gemütlikeit.
»Muscat!«
Es kam keine Antwort aus dem Haus. Die Stimmen der beiden
Kontrahenten klingen beinahe unmens li – wie die eines Trolls und einer
Harpyie –, und einen Moment lang fühle i mi unwohl in meiner Haut,
als wäre die Welt no ein Stü weiter in den Saen gerüt und die
Dunkelheit, die uns vom Lit trennt, größer geworden. Was würde i zu
Eine srelie Sekunde lang kehrt die Erinnerung zurü, und i bin
wieder dreizehn und öffne die Tür zu dem alten Kirenanbau, den einige
heute immer no die Kanzlei nennen, trete von dem dämmrigen Zwielit
der Kire in tiefere Düsternis, meine Füße fast lautlos auf dem Parke, und
Nebenraum. I öffne die Tür mit wild poendem Herzen, die Fäuste
geballt, die Augen aufgerissen … und plötzli sehe i vor mir das blei e,
Weise verdoppelt, zwei Gesi ter, die mi voller Wut und Entsetzen
anstarren –
Maman! – Père!
Gesi t sehe, ob sie es au spürt, den erotis en Kitzel der Gewalt, den
Augenbli der Ma t, wenn das Strei holz angerissen wird, der S lag
gefrieren ließ und die Haut an den S läfen stra e wie das Fell auf einer
Trommel. Die Sünde – die Sünde des Fleis es – war für mi etwas
die Vereinigung mit Tieren. Daß sie au Genuß bereiten konnte, war für
ni t ganz na t, nein, gerade die in der Hast nur halb heruntergerissenen
Kleider gaben der Szene etwas besonders Obszönes – die Bluse o ffen, der
Ro und die Soutane ho ges oben … Nein, es war ni t das Fleis , das
mi abstieß, denn i betra tete das Ges ehen mit distanziertem Ekel. Es
Vater, meine Seele für Sie bes mutzt ha e – die Öl flase glits ig in
meiner Hand, das erregende Gefühl der Ma t, der Seufzer der Verzü ung,
als die Flas e dur die Lu fl iegt und si entzündet, das brennende Öl
ausbreiten, an dem tro enen Segeltu le en, das alte, tro ene Holz
vermutete Brandsti ung, Vater, aber niemand kam auf die Idee, Reynauds
guten, stillen Jungen zu verdä tigen, der im Kir en or sang und während
der Messe stets so blaß und brav in der Bank saß. Ni t den s euen Francis,
der no nie ein Fenster eingeworfen ha e. Muscat, viellei t. Der alte
Muscat und sein draufgängeris er Sohn, ja, die konnten es getan haben.
Eine Zeitlang wurden sie im Dorf ges nien, man tuselte hinter ihrem
Rü en. Diesmal waren sie zu weit gegangen. Aber sie leugneten standha,
und sließli gab es keine Beweise. Die Opfer waren keine von uns.
Veränderungen im Hause Reynaud – die Eltern ließen si seiden, und der
Junge wurde auf eine Elitesule im Norden gesit … I tat es für Sie,
stolpern über die ausgedörrte Erde am Ufer des Tannes, einige maen den
dem Fluß zu söpfen und damit das Feuer zu lösen, während i aus
meinem Verste hinter den Büsen zusaue, mein Mund troen, mein
I konnte nit wissen, daß in dem Boot no Leute sliefen, sage i
mir. Sturzbetrunken, so daß selbst das Feuer sie nit wet. Später habe i
Liebende … Monatelang fuhr i nats sreiend aus dem Slaf, sah ihre
flehend na mir ausgestreten Arme, hörte ihre Stimmen – ein aus der
Ase gehautes Atmen –, sah bleie Lippen, die lautlos meinen Namen
formten.
Aber Sie haben mir die Absolution erteilt, Vater. Es waren nur ein Säufer
und seine S lampe, sagten Sie mir. Wertloses Treibgut auf dem smutzigen
Fluß. Zwanzig Vaterunser und ebenso viele Ave-Maria reiten als
Bezahlung für ihr Leben. Diebe, die unsere Kire entweiht und unseren
Priester beleidigt haen, sie haen nit mehr verdient. I war ein junger
Mens mit einer großen Zukun vor mir, mit liebevollen Eltern, die si
Außerdem, sagten Sie, häe es au ein Unglüsfall sein können. Man
I glaubte Ihnen. Oder tat jedenfalls so. Und i bin Ihnen immer no
dankbar.
fixieren mi
. Neben ihr steht Duplessis.
»Werden Sie nun endli etwas unternehmen, Francis, oder wollen Sie es
zulassen, daß dieses Untier Muscat einen Mord begeht?«
Sie spri t mit klarer, kalter Stimme. Mit einer Klaue hält sie ihren Sto
umklammert, mit der anderen deutet sie wie eine Hexe auf die ges lossene
–
Tür.
»Es ist ni t « Meine Stimme klingt ni t wie meine eigene, sondern wie
–«
die eines Kindes. »Es ist ni t meine Aufgabe, einzu
»Blödsinn!« Sie berührt meine Hand mit ihrem Sto . »I werde diesem
Wahnsinn ein Ende bereiten, Francis. Kommen Sie mit mir, oder wollen Sie
Ohne auf eine Antwort zu warten, geht sie auf die Tür des Cafés zu.
»Sie ist abges lossen«, sage i zagha .
Sie zu t die A seln. Mit ihrem Sto s lägt sie die S eibe in der Tür
ein.
»Der S lüssel ste t im S loß«, sagt sie unwirs . »Drehen Sie ihn für
mi um, Guillaume.« Sobald der S lüssel si im S loß dreht, s wingt
die Tür auf. I folge Armande die Treppe hinauf. Das Ges rei und das
Gepolter sind hier lauter zu vernehmen, verstärkt dur den Hohlraum des
Treppenhauses. Muscat steht vor der Tür des oberen Zimmers, sein massiger
Körper füllt den halben Treppenabsatz aus. Das Zimmer ist von innen
verbarrikadiert; dur einen kleinen Spalt zwis en Tür und Rahmen fällt
ein heller Li tstreifen auf die Stufen. I sehe, wie Muscat si gegen die
blo ierte Tür wir ; man hört etwas poltern, und zufrieden grunzend s iebt
er si in das Zimmer.
Eine Frau s reit.
Sie drü t si ängstli an die gegenüberliegende Wand. Mehrere
–
Möbelstü e sind vor der Tür gestapelt eine Kommode, ein S rank,
–,
Stühle aber Muscat hat es endli do ges a , in den Raum
einzudringen. Das s were, s miedeeiserne Be ha e sie ni t verrü en
können, aber sie benutzt die Matratze als S utzs ild, hinter den sie si
kauert, einen Berg Wurfges osse gri ereit neben si . Seit die Messe
begonnen hat, hält sie s on dur , geht es mir voller Erstaunen dur den
Kopf. I sehe die Spuren ihrer Flu t; Glass erben auf der Treppe, die
Kerben in der Tür, den Wohnzimmertis , den er als Rammbo benutzt hat.
»Muscat!«
»Muscat!«
Er starrt mi ausdru slos an. Seine Augen sehen aus wie winzige Lö er
in einem Hefeteig.
Armande steht neben mir, ihren Sto wie ein S wert erhoben. Sie sieht
aus wie der älteste Haudegen der Welt. Sie ru Joséphine an.
Muscat zeigt mir seine blutigen Hände. Er wirkt wütend und zuglei
verwirrt und ers
öp , wie ein Kind, das in einen Streit zwis en zwei
»Sehen Sie, was i meine, Vater?« lamentiert er. »Was hab i Ihnen
»Sie haben keine Chance, Muscat.« Sie klingt jünger und stärker als i ,
und i muß mi daran erinnern, daß sie alt und krank ist. »Sie können die
Muscat spu t sie an und zu t verblü zurü , als Armande s nell und
gezielt wie eine Kobra zurü spu t. Wütend wis t er si das Gesi t ab.
verso ffenen Vater verste te. Außer daß Sie fe er und häßli er geworden
sind, haben Sie si kaum verändert. Und jetzt lassen Sie mi vorbei!«
bi en zu wollen.
’
»Vater. Sagen Sie s ihr.« Seine Augen sehen aus, als hä e ihm jemand Salz
I tue so, als ob i ihn ni t höre. Es gibt ni ts, was uns verbindet,
diesen Mann und mi . Wir haben ni ts gemein. I kann ihn rie en, den
s alen Gestank seines vers witzten, ungewas enen Hemdes, den fauligen
Bieratem. Er pa t mi am Arm.
Sie mag viellei t halb blind sein, aber sie sieht alles, verdammt. Alles. I
sehe ihren Bli zu mir herübers nellen.
»A so ist das?« Sie stößt ein vulgäres La en aus. »Zwei von einer Sorte,
was, Curé?«
»I weiß ni t, wovon Sie reden, Muscat«, sage i tro en. »Sie sind
sinnlos betrunken.«
»Überhaupt nichts!«
begleiten sie hinaus. Joséphine wir mir einen seltsam dur dringenden
Bli zu, der mi fast ers re t. Ihr Gesi t ist s mutzig, ihre Hände sind
Weise s ön. Sie sieht mi an, als könnte sie bis in mein Innerstes bli en.
blasphemis.
Dann führt Armande sie die Treppe hinunter, und i bleibe allein mit
Muscat zurü. Seine Tränen benetzen meinen Hals, seine heißen Arme
swabbeligen Bau mit den Händen von mir, bearbeite ihn mit den
Fäusten, den Ellbogen … Und dabei sreie i gegen sein Flehen an, mit
einer Stimme, die nit meine eigene ist, einer hohen, zornigen Stimme:
verstaue mir den Knöel, als i über einen Teppi stolpere, während er
hinter mir her jammert und greint wie ein verlassenes Kind …
Später fand i Zeit, mit Caro und Georges zu spreen. Mit Muscat werde
i nit mehr reden. Außerdem geht das Gerüt, er häe alles, was er in
der Eile zusammenraffen konnte, in seinen alten Wagen gepat und si
davongemat. Das Café ist jetzt geslossen, nur die eingeslagene Seibe
in der Eingangstür erinnert no an das, was si heute vormiag dort
abgespielt hat. Als es dunkel wurde, bin i no einmal hingegangen und
habe lange vor dem Fenster gestanden. Der Himmel über Les Marauds war
kühl und s immerte grünli, nur über den Horizont zog si ein miliger
Streifen. Der Fluß war dunkel und still.
habe Caro erklärt, daß die Kire ihre Kampagne gegen das
I
werde. Begrei sie es denn nit? Na dem, was Muscat getan hat, hat der
wissen –, ist eine Sae. Aber die Brutalität in all ihrer Häßlikeit hautnah
mitzuerleben … Nein. Er wird es nit überleben. Caro erzählt bereits jedem,
der es hören will, sie hä e ihn s on immer dur s aut, sie hä e es von
diese arme, betrogene Frau! –, ebenso, wie i es tue. Wir haben uns zu sehr
mit ihm eingelassen, erkläre i ihr. Wir haben ihn benutzt, wenn es uns
unserem eigenen S utz müssen wir uns zurü ziehen. Die andere Sa e,
anfangen zu reden, und sei es nur aus Gehässigkeit. Und dann diese andere
Sa e, die längst vergessen ist und einzig in ihrem Kopf no herumspukt …
Nein. I fühle mi hil flos. Slimmer no, i bin gezwungen, mi na
außen hin na si tig zu geben und so zu tun, als hä e i ni ts gegen das
Fest. Andernfalls wird es Gerede geben, und wer weiß, was dabei alles ans
die Flut, die i ins Rollen gebra t habe, au alten und dafür sorgen, daß sie
Die Plakate, die von Lansquenet bis Montauban geklebt werden sollten,
müssen ebenfalls verni tet werden. Es bri t mir das Herz, Vater, aber was
Es ist Karwo e. Nur no eine Wo e bis zum Fest. Und sie hat
gewonnen, mon père. Sie hat gewonnen. Nur ein Wunder kann uns jetzt
no re en.
no einmal zum Café zu gehen. Diesmal hat Roux sie begleitet, do sie
fanden nits anderes vor als das Chaos von Sonntag. Anseinend stimmt
Roux ist inzwisen fertig mit Anouks Zimmer unter dem Da und hat
bereits mit der Arbeit am Café angefangen. Er hat ein neues Sloß in die
vergilbten Gardinen von den Fenstern genommen. Mit ein biß en Mühe,
meint er – fris es Weiß an den Wänden, ein biß en Farbe für die alten,
abgewetzten Möbel, jede Menge Wasser und Seife –, könne man das Café
angeboten, kostenlos für sie zu arbeiten, aber davon will sie ni ts wissen.
Muscat hat natürli ihr gemeinsames Konto leergeräumt, aber sie hat no
ein bißen eigenes Geld, und sie ist davon überzeugt, daß das neue Café ein
Erfolg werden wird. Das alte, verblaßte Sild mit der Aufsri Café de la
République hat sie von Roux entfernen und an seiner Stelle ein
handgemaltes S ild mit dem neuen Namen Café des Marauds und eine rot-
weiß-gestreie Markise – die gleie wie an meinem Laden – anbringen
bepflanzt, deren leutend rote Knospen si in der warmen Sonne bereits
geöffnet haben. Von ihrem Garten am Fuß des Hügels aus betratet
»Sie ist eine tü tige Frau«, erklärt sie mir auf ihre brüske Art. »Sie wird
es s affen, jetzt, wo sie endli diesen versoffenen Ehemann losgeworden
ist.«
gerade auf dem Dorfplatz, als die beiden aus der Kire kommen, Luc in
bekommen.«
»Blödsinn!« erwidert sie wegwerfend. »I kann dir sagen, was sie will.
Sie versu t, einen Keil zwisen uns beide zu treiben. I verbiete dir, diese
Woe bei ihr zu bleiben. Und was diese läerlie Party angeht –«
»Und warum nit? Du bist mein Sohn, verflixt no mal, wie kommst du
dazu, mir ins Gesit zu sagen, daß du lieber auf diese verrüte Alte hörst
als auf mi?« Tränen der Wut sießen ihr in die Augen. Ihre Stimme
ziert.
»Ist son gut, Maman.« Ohne si von ihrem eater beeindruen zu
lassen, legt er ihr einen Arm um die Sultern. »Es ist ja nit für lange. Nur
bis zur Party. I v-verspre’s dir. Du bist übrigens au eingeladen. Sie
»I will aber nit hingehen!« Ihre Stimme klingt nun trotzig und
»Dann eben nit. Aber dann erwarte au nit, daß sie h-hinterher auf
»I meine, i k-könnte mit ihr reden. S-Sie überzeugen.« Er kennt seine
Muer. Er versteht sie besser, als sie ahnt. »I könnte sie zur V-Vernun
»Das hab i nit gesagt.« Einem plötzlien Impuls folgend, nimmt sie
ihn in den Arm. »Du bist ein kluger Junge«, sagt sie, wieder gefaßt. »Du
auf die Wange, was er geduldig über si ergehen läßt. »Mein guter, kluger
Junge«, wiederholt sie liebevoll, und dann maen sie si Arm in Arm auf
den Heimweg. Luc ist bereits größer als seine Muer und sieht sie an wie
müssen nur no ein paar Dutzend Sateln verpat werden. I arbeite
abends in der Küe und mae die Kekse, die Trüffel, die Lebkuengloen
Gesi im Verpaen und Dekorieren, aber Anouk hil mir, so gut sie
Cellophantüten.
I habe das S aufenster für die Zeit, in der i an der Dekoration für
Sonntag arbeite, mit Silberpapier verhängt, und der Laden sieht fast wieder
so aus wie zu Anfang, als wir hierherkamen. Anouk hat die Fensters eibe
mit Ostereiern und lauter Tieren ges müt, die sie aus buntem Papier
nien
ausges hat, und in der Mi e hängt ein riesiges Plakat mit der
Aufsri:
Seit die Osterferien angefangen haben, wimmelt es auf dem Platz von
Kindern, die si immer wieder die Nase am Fenster pla drüen in der
Ho ffnung, einen Bli auf die Vorbereitungen zu erhas en. Es sind bereits
will, aber irgendwas hat ihm den Gistael genommen. I versue, etwas
aus Armande herauszubekommen. Sie weiß mehr, als sie preisgibt, aber sie
ni t mehr das beste.« Sta dessen will sie jede Einzelheit über das Menü
wissen, das
i für ihre Party geplant habe. Sie ist ganz aufgeregt vor
Vorfreude und sprudelt über vor Ideen. Brandade truffée, vol-aux-vents aux
trois champignons in Wein und Sahne geko t und mit chantrelles garniert,
gegrillte langoustines mit Krautsalat, fünf versiedene Sorten
»Als junges Mäden habe i nie ein Geburtstagsfest gehabt«, erklärt sie.
»Nit ein einziges Mal. Einmal bin i zu einem Ball gegangen, drüben in
Montauban, mit einem Jungen von der Küste. Hui!« Sie mate eine
eindeutige Geste. »Er war so dunkel wie Sirup und genauso süß. Es gab
»Damals hä en Sie mi mal sehen sollen, Vianne. Das können Sie si
heute gar nit mehr vorstellen. Er hat gesagt, i sähe aus wie Greta Garbo,
dieser Charmeur, und wir taten beide so, als häe er es ernst gemeint.« Sie
late in si hinein. »Natürli war er kein Mann zum Heiraten«, sinnierte
I liege fast jeden Abend no lange wa, während Trüffel und Pralinen
vor meinen Augen tanzen. Anouk slä in ihrem neuen Zimmer unter dem
Da, und i träume mit offenen Augen, nie ein, wae träumend auf,
döse vor mi hin, bis meine Augenlider smerzen und das Zimmer um
mi herum swankt wie ein Siff auf hoher See. Nur no ein Tag, sage
Letzte Nat bin i no einmal aufgestanden und habe die Karten aus
sie nit mehr anzurühren. Sie fühlten si kühl an, kühl und gla wie
Elfenbein, zeigten si in ihren bunten Farben, als i sie auffäerte, und
Glasseiben gepreßte Blumen. Der Turm. Der Tod. Die Liebenden. Der Tod.
Sechs Schwerter. Der Tod. Der Eremit. Der Tod. I sage mir, es hat nits zu
bedeuten. Meine Muer glaubte an die Karten, aber was hat es ihr gebrat?
Flut, immer wieder Flut. Die Weerfahne auf dem Kirturm sweigt,
es herrst eine fast unheimlie Stille. Der Wind hat si gelegt. Die Stille
beunruhigt mi mehr als das ietsen des alten Eisens. Die Lu ist warm
und duet süß na dem herannahenden Sommer. Der Sommer kommt
snell na Lansquenet, folgt dem Märzwind auf dem Fuß, und er riet
na Zirkus; na Sägemehl und in heißem Fe brutzelndem Teig und fris
Zeit zum Aufbruch. Bei Armande brennt no Lit; i kann das kleine
gelbe Viere ihres Fensters, das si im Tannes widerspiegelt, von hier aus
sehen. I frage mi, was sie gerade tut. Seit jenem ersten Mal hat sie nit
mehr mit mir über ihre Pläne gesproen. Sie redet nur no von Rezepten,
erklärt mir, wie man einen Bisquitkuen flambiert und weles für in
Brandy eingelegte Kirsen das beste Verhältnis von Zuer zu Alkohol ist.
Diabetes steht. Der Fajargon ist au eine Art Flutweg, dunkel und
hypothetis wie die Karten. Unvorstellbar, daß diese Sprae si auf
menslie Körper beziehen soll. Ihr Augenlit läßt immer mehr na,
swarze Fleen treiben über ihr Gesitsfeld, so daß alles, was sie sieht,
geset und gesprenkelt und sließli nit mehr zu erkennen ist. Dann
Verschwendung zu nennen – ein Begriff, den meine Muer na Jahren der
Einsränkung und der Ungewißheit häufig benutzte –, ist hier sierli
Gelage, ein Feuerwerk und dann die totale Finsternis. Und do sreit
irgend etwas in mir: unfair!, die kindise Hoffnung auf ein Wunder. Au
Tag und Nat, und ihre Augen waren nur no glasig – verlor sie
Hirngespinst wie ein Smeerling von einer Blume zur anderen. Mane
war er ein Taxifahrer; eine Baseballmütze tief in die Augen gezogen, saß er
die ihm son einmal entwist waren, aber man konnte ihm nit für
immer entkommen, sagte sie und süelte wissend den Kopf, niemals für
zeigte sie mir. Sie war gefüllt mit Zeitungsauss nien, überwiegend aus
den späten se ziger und frühen siebziger Jahren. Die meisten waren auf
französis , andere auf italienis , deuts oder grie is. In allen ging es
großen Städten. Es passiert so leit, daß man ein Kind wie di verliert.«
Sie zwinkerte mir ersöp zu. I streielte ihre Hand.
»Ist son in Ordnung, Maman«, sagte i. »Du hast ja immer gut auf
Dann starrte sie eine Zeitlang ins Leere, das Gesit grinsend verzerrt, ihre
sie abwesend und begann zu weinen. I tröstete sie, so gut i konnte, und
ste te die Zeitungsartikel zurü in die Mappe. Dabei fiel mir auf, daß in
Muer hae sie zwei Minuten lang im Auto allein gelassen, während sie
etwas aus der Apotheke besorgte, und als sie zurü kam, war das Baby nit
mehr da. Mit dem Kind vers wunden waren die Tase mit den Windeln
und die Spielsaen, ein roter Plüselefant und ein brauner Teddybär.
Als meine Mu er sah, wie i den Artikel las, begann sie wieder zu
lä eln.
Ton. »Oder beinahe zwei. Und sie ha e viel helleres Haar als du. Du
»Lei tsinnig«, sagte sie leise. »Einfa lei tsinnig. Die hat so ein ne es
»I war keine s le te Mu er, ni t wahr, Vianne?« fragte sie wie ein
Kind.
Mir lief ein S auer über den Rü en. Das Zeitungspapier fühlte si rauh
an.
»Nein«, versi
erte i ihr. »Du warst keine s le te Mu er.«
»I hab mi gut um
di gekümmert, stimmt’s? I hab
di nie
hat. Nie.«
einzige, was mir dur den Kopf ging, war der Name , dem meinen so
diesen Elefanten, dessen Plüs fell so abgewetzt war, daß der rote Sto ff
überall dur s immerte, den wir unermüdli von Paris na Rom, von
Selbs
äus ung sein. So vieles im Leben meiner Mu er basierte auf
Selbs
äus ung. Und was spielte es für eine Rolle … na so langer Zeit?
Um drei stand i auf. Das Be war vers witzt und zerwühlt; an S laf
herausnahm. Die Liebenden. Der Turm. Der Eremit. Der Tod. I setzte mi
im S neidersitz auf den Holzboden und miste die Karten. Den Turm mit
den herabstürzenden Mensen, den bröelnden Mauern, konnte i
deuten. Es ist meine ständige Angst vor der Vertreibung, die Angst vor der
Straße, vor Verlust. Der Eremit mit seiner Kapuze und der Laterne erinnert
und Mielfinger über der Karte aus … Sei gebannt! Aber die Liebenden? I
date an Roux und Joséphine, die si so ähnli waren, ohne es zu wissen,
und verspürte einen kurzen Sti der Eifersut. Do mit einemmal war i
davon überzeugt, daß die Karte no nit alle ihre Geheimnisse
No ein Tag. Was immer es sein mag, kann no einen Tag warten. I
miste die Karten erneut, aber i bin nit so versiert wie meine Muer,
und die Karten glien mir aus den Händen und fielen auf den Boden. Der
gewonnen, aber ich werde dich kriegen. I spürte seine Bosheit in den
Fingerspitzen.
nahm i die Karte und hielt sie in die Kerzenflamme. Einen Moment lang
umspielte die Flamme das harte Papier, dann begann es Blasen zu werfen.
»I werd’s dir zeigen«, flüsterte i. »Wag es, mir was anzutun, und
i –«
Plötzli loderten die Flammen bedrohli auf, und i ließ die Karte
fallen. Das Feuer verlos, und Funken und Ase stoben über die Dielen.
I war in Hostimmung.
was besser unberührt geblieben wäre. I habe do nits getan, sage i
fühle mi ganz leit, körperlos wie Löwenzahnsamen. Bereit, mi mit
Karfreitag
der Kire ist swer vom Weihrau, es herrst Grabesstimmung, alles ist
mit swarzen und violeen Tüern verhängt, nit eine einzige Blume ist
geblieben. I müßte dort sein. Heute ist mein größter Tag, Vater, die
dröhnt – die Gloen selbst sweigen natürli, aus Trauer über Christi Tod
am Kreuz. I selbst in Swarz und Viole, zur Begleitung der Orgel die
Choräle anstimmend. Sie sauen mi mit großen, dunklen Augen an.
und mit Pomade im Haar. Ihre Bedürftigkeit, ihre Erwartungen füllen die
Leere in mir. Einen Augenbli lang emp finde i ete Liebe; i liebe sie
wegen ihrer Sünden, wegen ihrer Erlösung, ihrer nitigen Sorgen, ihrer
Bedeutungslosigkeit. I weiß, daß Sie mi verstehen, denn Sie sind au
ihr Vater gewesen. In gewissem Sinne sind Sie genauso für sie gestorben wie
unser Herr Jesus. Um sie vor Ihren und ihren eigenen Sünden zu bewahren.
Sie haben es nie erfahren, ni t wahr, Vater? Von mir jedenfalls ni t. Aber
als i Sie mit meiner Mu er in der Kanzlei entde t habe … Ein s werer
S laganfall, sagte der Arzt. Der S o muß zu groß gewesen sein. Sie
zuvor. Und i weiß, daß Sie eines Tages zu uns zurü kehren werden. I
habe gefastet und gebetet, Vater. I habe mi in Demut geübt. Und
Na der Messe kam ein Kind auf mi zu, Mathilde Arnauld. Sie nahm
Es ist zu einer fixen Idee geworden. Ein Refrain, ein geflüsterter Kehrreim,
der jedem Gedanken folgt. I konnte meine Wut ni t beherrs en, und ihr
und das Kind rannte weinend über den Platz davon, während der kleine
Heute abend werden Kinder aus der Gemeinde die letzten Augenbli e im
vollziehen und Kerzen anzünden, wenn es dunkel wird. Gewöhnli ist dies
für mi eines der wi tigsten Ereignisse des Jahres, der Augenbli , in dem
sie ganz mir gehören, meine Kinder, ganz ernst und ganz in S warz
Messe ein fließen zu lassen, aber die dunkle Herrli keit der Kir e kommt
hat heute Geburtstag, und in ihrem Haus herrs te reges Treiben. I wußte
Caro hat es mir gegenüber ein- oder zweimal erwähnt – sie hat eigentli
keine Lust hinzugehen, aber sie ho , die Gelegenheit nutzen zu können, um
au sie hat keine Ahnung, wel e Ausmaße diese Party o ffenbar annimmt.
Vianne Ro er war in der Kü e und s on den ganzen Tag dabei, das Essen
aufwendige Vorbereitungen, und als i ankam, war eine ganze Phalanx von
Helfern dabei, Pla en, Töpfe und Terrinen vom Café zu Armande zu tragen.
Aus dem o ffenen Fenster du ete es köstli na gutem Wein, und gegen
meinen Willen lief mir das Wasser im Mund zusammen. Im Garten war
Narcisse dabei, eine Art Pergola, die er zwis en dem Haus und dem
das das Sonnenli t auf san e Weise filtert. Armande war nirgendwo zu
sehen.
in Eis gepa t bis vor die Tür geliefert wurde – ist eine Blasphemie, ein
»Es wundert mi , daß Sie si für so etwas einspannen lassen«, sagte i
in sarfem Ton. »Ausgerenet am Karfreitag! I finde wirkli, daß
»Sie hat ein Ret auf eine kleine Feier«, erwiderte er san.
»I fürte eher, daß sie si mit dieser Völlerei umbringt!« raunzte i.
»I denke, sie ist alt genug, um zu tun, was ihr gefällt«, sagte Guillaume.
I saute ihn mißbilligend an. Er hat si verändert, seit er mit dieser
Roer verkehrt. Sein demütiger Bli ist verswunden, und jetzt liegt sta
»Es gefällt mir nit, wie Armandes Familie si dauernd in ihr Leben
»Es wundert mi, daß ausgerenet Sie si auf ihre Seite slagen«,
sagte i.
Karfreitag
Irgendwann vergaß i , was die Party zu bedeuten hae, und begann mi
zu freuen. Während Anouk unten in Les Marauds spielte, traf i die letzten
Vorkehrungen für das größte und üppigste Essen, das i je zubereitet hae,
und war nur no mit den Einzelheiten des Festmahls besäigt. I hae
i die Kuen bate, die Küe des Café des Marauds für die
Soßen und Garnierungen. Joséphine bot Armande an, ihr Gesirr und
»Dafür ist bereits gesorgt«, erwiderte sie. Und so war es au; am frühen
Limoges und bra te zwei Kisten mit Gläsern und Beste und eine mit
Porzellan, alles in Holzwolle verpa t. Der Fahrer des Wagens grinste, als
Armande la te.
»Gut mögli«, erwiderte sie. »Gut mögli.«
Den ganzen Freitag über war sie bester Laune, wollte alles überwa en,
war dabei jedo meistens im Weg. Wie ein ungezogenes Kind stete sie die
Finger in jede Soße, hob jeden Deel ho, bis i sließli Guillaume
an flehte, sie für ein paar Stunden zum Friseur in Agen zu entführen, damit
i in Ruhe arbeiten konnte. Als sie zurü kehrte, war sie wie verwandelt:
das Haar modis kurz gesnien, einen verwegenen neuen Hut auf dem
Kopf, neue Handsuhe, neue Suhe. Suhe, Handsuhe und Hut waren
zu kaufen. Stellen Sie si bloß vor, wie i damit in die Kire gehe!«
»Ruhen Sie si ein bißen aus«, sagte i streng. »Sie müssen heute
abend eine Party überstehen. I möte nit, daß Sie mien beim Dessert
einslafen.«
und die anderen na Hause gingen, um si auszuruhen und für den Abend
umzuziehen. Der Eßtis ist groß, eigentli zu groß für Armandes kleines
Zimmer, und wenn i es gesit anstelle, müßten wir alle Platz daran
finden. Wir mußten zu viert anfassen, um das swere Möbel aus massivem
Eienholz hinauszutragen und unter das Da aus Blumen und Bläern zu
stellen, das Narcisse erritet hat. Die Tisdee ist aus Damast mit einer
Bordüre aus feiner Spitze und duet na dem Lavendel, auf den Armande
sie na ihrer Hozeit gelegt hat – ein Gesenk ihrer Großmuer, das sie
no nie benutzt hat. Die Teller aus Limoges sind weiß mit kleinen, gelben
Blüten auf dem Rand; die Gläser – drei versiedene Sorten – sind aus
das weiße Tistu werfen. In die Mie des Tiss kommt eine Vase mit
Serviee. Auf den Servieen Tiskarten mit den Namen der Gäste:
anfangen, do dann erinnerte i mi an Blane und Zézee, die immer
no flußabwärts mit ihrem Boot warteten. Mir fiel auf, daß i bisher Roux’
Namen gar nit gekannt hae, daß i davon ausgegangen war, es sei ein
Die Gäste kamen gegen at. Um sieben war i kurz na Hause
Spitze, Zéze e in einem alten s warzen Abendkleid, die Arme mit Henna
bemalt und einen Rubin in der Augenbraue, Roux in sauberen Jeans und
einem weißen T-Shirt. Jeder von ihnen hae ein Ges enk dabei, bunt
im Knop flo, dann die Clairmonts, sehr bemüht, gut gelaunt zu wirken.
Caro beäugte die fahrenden Leute mit mißtrauis en Blien, sien jedo
ents lossen, si zu amüsieren, da nun mal ein soles Opfer von ihr
Plätz en sahen wir Armande beim Auspa en ihrer Ges enke zu: von
Anouk ein roter Ums lag mit einem selbstgemalten Bild von einer Katze
darin, von Blan e ein Glas Honig, von Zézee mit dem Bustaben »B«
bestite Säen mit Lavendel – »I bin nit mehr dazu gekommen,
neue Säen mit Ihren Initialen zu bestien«, erklärte sie heiter, »aber bis
zum nästen Jahr saffe i es« –, von Roux ein gesnitztes Eienbla,
so zart, als sei es et, mit ein paar am Stiel befestigten Eieln, von Narcisse
ein Korb mit Früten und Blumen. Au die Clairmonts haben Gesenke
mitgebrat; ein Halstu – nicht von Hèrmes, fiel mir auf, aber trotzdem
aus Seide – und eine silberne Blumenvase; von Luc etwas Rotes, Glänzendes
in einem Ums lag aus Kreppapier, das er so gut er kann vor den Bli en
seiner Mu er verbirgt, indem er es unter einen Stapel Ges enkpapier
iebt …
s Armande grinst und wir mir einen vers mitzten Bli zu. Mit
goldenes Medaillon.
Armande hängt es si um den Hals, drüt Joséphine kurz ans Herz und
senkt großzügig Champagner aus. I höre die Gespräe von der Küe
aus; soviel Essen zuzubereiten ist eine knifflige Angelegenheit und erfordert
große Konzentration, aber i bekomme trotzdem einiges mit von dem, was
draußen vor si geht. Caro gibt si freundli, aufgeslossen; Joséphine
ist still; Roux und Narcisse haben ihr gemeinsames Interesse an exotisen
Obstbäumen entde t. Zéze e singt ein Volkslied mit ihrer hohen Stimme,
während sie das Baby lässig in einem Arm wiegt. Mir fällt auf, daß sogar
das Baby zur Feier des Tages mit Henna bemalt ist, so daß es mit seiner
das er gerade liest. Caros Stimme wird ein bißen särfer – i vermute,
daß Armande si gerade ein weiteres Glas St. Raphaël eingesenkt hat.
»Maman, du weißt do, daß du das nit –« höre i sie sagen, aber
nit, daß auf meinem Fest irgend jemand unglüli ist, am allerwenigsten
i selbst.«
Damit ist das ema vorerst erledigt. I höre Zézee mit Georges flirten.
na die beste. Süß und klein, mit Blüten wie Smeerlingsflügel –« Aber
Roux läßt si nit beirren.
en ist eine Leidensa von mir, und i habe es mir selbst
Ko
veredelt. Wir sind uns nie sehr ähnli gewesen, meine Muer und i. Sie
geklaut hae, wo zu essen wir uns nie leisten konnten. Immer wieder
»Zum Glü haben wir kein Geld«, sagte sie zu mir. »Sonst würdest du
no so fe werden wie ein Swein.« Arme Muer. Als der Krebs sie son
halb zerfressen ha e, konnte sie si immer no über jedes Pfund freuen,
das sie abnahm. Und während sie ihre Karten deutete und vor si hin
der exotisen Gerite auf wie Mantras, wie eine geheime Formel, die
geheimen Kü e meiner Phantasie bereitete i sie alle zu, probierte sie aus,
kostete sie, erweiterte meine Rezeptsammlung an jedem Ort, in den wir
kamen, klebte sie in mein He wie Fotos von alten Freunden. Sie verliehen
unserer Wanders a Bedeutung; die glänzenden Bilder, die aus den
Jetzt trage i die Geri te auf wie lange vermißte Freunde. Soupe de
méridonales mit einem hau dünnen Boden aus pâte brisée, gewürzt mit
Olivenöl und belegt mit Anovis und saigen, einheimisen Tomaten, die
zuvor zusammen mit Oliven langsam wei gedünstet wurden und dadur
slanke Gläser mit 85er Chablis. Mit betont gezierter Geste trinkt Anouk
aus ihrem Glas Limonade. Narcisse interessiert si für die Zutaten der
Seiten des Tises an und besprenkelt sie mit Zitronellöl, um die Insekten
beobatet. I esse nur wenig. Die Küendüe, die mi den ganzen Tag
umgeben haben, sind mir in den Kopf gestiegen, i fühle mi aufgekratzt
Chablis ist kühl und troen, und i trinke mehr, als i sollte. Farben
trage den Kräutersalat auf, um den Gaumen wieder freizumaen, dann foie
gras auf warmem Toast. Mir fällt auf, daß Guillaume seinen Hund
mitgebra t hat und ihn heimli unter dem Tis mit kleinen Leerbissen
füert. Wir kommen von der Politik zum Problem mit den baskisen
Separatisten, von der ETA über die neueste Damenmode zur Frage, wie man
Rauke am besten anp flanzt, und zu den Vorzügen von wildem Salat. Dazu
fließt rei li Chablis. Dann kommt der vol-aux-vents auf den Tis , so
einem mit derselben Leitigkeit, mit der i einen Stiel Rosmarin pflüe,
ein riesiger swarzer Hummer, königli auf seinem Be aus Seetang. Die
Meer. Wir verteilen Zangen für die Krebsseren, kleine Gabeln für die
der Lampions, die an dem Gierwerk über unseren Köpfen hängen. Die
gesit wie die einer Spitzenklöpplerin; der Teller mit den leeren Salen
vor ihr füllt si mühelos. I hole Nasub an Chablis; Augen leuten,
Gesiter glänzen rosig beim Pulen der Salentiere. Diese Leerbissen muß
man si erarbeiten, das erfordert Zeit. Joséphine wird langsam entspannter,
unterhält si sogar mit Caro, während sie mit einer Krebssere kämp.
Caros Hand rutst aus, ein feiner Strahl Salzwasser sießt ihr ins Auge.
Joséphine lat. Einen Augenbli später lat Caro mit. Au i unterhalte
mi. Der Wein ist hell und trügeris, seine berausende Wirkung wegen
seiner Weiheit kaum wahrnehmbar. Caro ist bereits leit beswipst, ihre
Wangen sind gerötet, kleine Löen lösen si aus ihrer strengen Frisur.
Georges streielt mein Knie unter dem Tis und zwinkert mir lüstern zu.
Blane erzählt vom Leben der fahrenden Leute; es gibt nit wenige Orte,
on gesehen haben, sie und i. Nizza, Wien, Turin. Zézees
die wir beide s
Baby fängt an zu weinen; sie taut einen Finger in den Chablis und läßt das
Baby daran saugen. Armande diskutiert mit Luc, der um so weniger stoert,
leergegessene Plae und die Teller mit den perlmufarbenen Abfällen ab. Es
gibt Salen mit Zitronenwasser für die Finger und Minzesalat für den
Gaumen. I sammle die Gläser ein und verteile die coupes à champagne.
Caro wirkt wieder besorgt. Auf dem Weg in die Küe höre i sie leise und
feiern.«
»Darüber können wir später reden. Heute abend will i
Zum Dessert gibt es Sokoladenfondue. Der klare Tag ist wie gesaffen
Augenbli ein Suß Sahne dazu und san über einem Reaud erhitzt.
Dann werden kleine Stüe Kuen oder Obst aufgespießt und in die
Kuen mitgebrat, allerdings ist nur der gâteau de savoie zum Tunken
gedat. Caro erklärt, sie würde keinen Bissen mehr herunterbringen, nimmt
und sie wird immer aufgekratzter. Joséphine erklärt Blane gerade, warum
sie ihren Mann verlassen hat. Hinter vorgehaltener Hand und mit
Sokolade an den Fingern grinst Georges mir lüstern zu. Luc zieht Anouk
auf, die auf ihrem Stuhl beinahe einslä. Der Hund beißt spieleris in ein
seint eine Bemerkung dazu maen zu wollen, zut jedo dann die
»Geht es dir wirkli gut?« erkundigt Luc si ruhig bei Armande. »I
meine, ist dir wirkli nit slet oder so? Du hast do deine Medizin
genommen, oder?«
Armande la t.
»Du ma st dir viel zu viele Gedanken für dein Alter«, sagt sie. »Du
ansta einen alten Hund das Bellen lehren zu wollen.« Sie ist immer no in
Stimmung, wirkt aber milerweile leit ersöp. Wir sitzen son seit fast
mein Erbe antreten.« Sie tätselt ihm die Hand und senkt ihm no ein
Glas Champagner ein. Ihre Hand ziert ein wenig, und sie versüet etwas
»Keine Sorge«, sagt sie fröhli. »Es ist no genug da.«
winzigen Tassen, dazu Calvados aus heißen Gläsern. Anouk verlangt ihren
canard, erwürfel mit ein paar Tropfen Calvados, und dann no
einen Zu
einen für Pantoufle. Tassen und Teller sind snell geleert. Die
immer no redet und lat, wenn au weniger aufgekratzt als zuvor. Ihre
Augenlider sind swer geworden, unter dem Tis hält sie Lucs Hand.
Sie seufzt.
mehr die Jüngste.« Sie erhebt si mühsam und sammelt die Gesenke ein,
die unter ihrem Stuhl liegen. I sehe, wie Guillaume sie aufmerksam
beobatet. Er weiß Beseid. Sie wir ihm einen seltsam liebevollen Bli
zu.
»Glaubt ja ni t, i würde jetzt eine Rede halten«, sagt sie gespielt
habe. Das war mein s önstes Geburtstagsfest. Die Leute meinen immer,
man hat keinen Spaß mehr, wenn man alt wird. Aber das ist alles ats.«
Ho rufe von Roux, Georges und Zézee. Armande nit weise. »Aber
wet mi morgen nit zu früh«, sagt sie und verzieht das Gesit. »I
glaube, seit i zwanzig war, hab i nit mehr so viel getrunken, und i
brau e meinen S laf.« Sie wir mir einen kurzen Bli zu, fast wie eine
ma
t si auf den Weg ins Haus.
Caro stand auf, um sie zu stützen, aber Armande s ü elte sie unwirs
ab.
deine Art gewesen. Dauernd meinst du, du müßtest mi bemu ern.« Sie
s aute mi an. »Vianne kann mir helfen«, erklärte sie. »Ihr anderen könnt
I bra te sie in ihr Zimmer, während die Gäste si langsam auf den
Georges eingehakt; Luc stützte sie auf der anderen Seite. Ihre Frisur ha e
si mi lerweile völlig aufgelöst, so daß sie jünger und wei er wirkte. Als
»Es muß ein Kreuz sein, so eine aufmüp fige Muer zu haben«, sagte sie.
»Bringen Sie mi ins Be , Vianne. Bevor i umfalle.« I half ihr beim
»Ges enke«, sagte Armande. »Legen Sie sie dort hin, wo i sie sehen
kann.« Eine vage Geste in Ri tung Kommode. »Hmm. Das tut gut.«
au mehr getrunken, als mir bewußt war, denn i war vollkommen ruhig.
i festgestellt, daß sie vor einigen Tagen aufgehört ha e, das Medikament
wirkli genau wußte, was sie tat. Sta dessen hängte i Lucs Ges enk –
ein seidener S lüpfer in verwegen leu tendem Rot – über die Stuhllehne,
so daß sie es gut sehen konnte. Ki ernd stre te sie eine Hand aus, um die
Seide zu befühlen.
»Sie können jetzt gehen, Vianne.« Ihre Stimme klang san , aber bestimmt.
»Es war wunderbar.« I zögerte. Einen Augenbli lang sah i uns beide
im Spiegel über der Frisierkommode. Mit ihrer neuen Frisur sah sie aus wie
die alte Frau in meiner Vision, aber ihre Hände waren leu tend rot, und sie
läelte. Sie hae die Augen geslossen.
»Lassen Sie das Lit an, Vianne.« Es war eine endgültige Aufforderung
I gab ihr einen Kuß auf die Wange. Sie duete na Lavendel und
Roux war no geblieben, um mir zu helfen. Die anderen Gäste waren
gegangen. Anouk slief auf dem Sofa, einen Daumen im Mund. Sweigend
spülten wir das Gesirr, und i stellte die neuen Teller und Gläser in
anzufangen, aber i konnte nit mit ihm reden; nur das Klappern des
»Geht es Ihnen gut?« fragte er sließli und legte zärtli eine Hand auf
»I wußte gar nit, daß Sie Miel heißen«, sagte i sließli.
Er zute die Aseln.
blaß und wei wie Frauenhände. I fragte mi, ob all das, was er mir
über si erzählt hae, stimmte. In dem Augenbli war es mir egal. I
küßte ihn. Er ro na Farbe und Seife und Sokolade. I smete
Beltane vom Berg mitbringen, in diesem Jahr ein bißen früh. Ein kleiner
Trost zum Trotz gegen die Dunkelheit. Seine Hände tasteten unter meinem
meinen Brüsten.
Pullover na
was würde es ihnen antun? Was würde es mir antun? Sein Mund war san,
Er saute zu Anouk hinüber, die no immer auf dem Sofa slief, und
Blumen an Narcisse’ Pergola umhüllten uns mit ihrem Du. Wir lagen im
Gras wie Kinder. Wir verspraen uns nits, er flüsterte mir keine
liebkoste er mi mit sanen Händen, erkundete meinen Körper mit seiner
Zunge. Der Himmel über seinem Kopf war so viole wie seine Augen, und
i sah das breite Band der Milstraße, das wie ein Pfad um die Welt
sein, do der Gedanke verursate nur einen Hau von Melanolie. Sta
dessen überkam mi ein Gefühl der Unmielbarkeit, der Erfüllung, das
stärker war als meine Einsamkeit und mi sogar meinen Kummer über
Armande vergessen ließ. Später würde no genug Zeit zum Trauern
bleiben. Für den Augenbli simples Erstaunen; über mi selbst, wie i da
so nat im Gras lag; über den stillen Mann neben mir, über die
Unermeßlikeit über mir und die Unermeßlikeit in mir. Wir lagen no
lange dort, Roux und i, bis unser Sweiß abkühlte und kleine Insekten
na Lavendel und ymian. Wir hielten uns an den Händen und
eine Gewißheit, die i no nie zuvor empfunden habe. Und endli
verstand i, warum i die Liebenden gezogen hae. Mit diesem Wissen im
Herzen sloß i die Augen und versute, von ihr zu träumen, so wie
damals während der Monate vor Anouks Geburt, träumte von einer kleinen
Fremden mit leu tend roten Wangen und funkelnden swarzen Augen.
Als i aufwate, war Roux fort, und der Wind hae si wieder gedreht.
Sünden gelien? I habe auf beispielhae Weise Buße getan. Vom vielen
Fasten und vom Slafmangel ist mir ständig swindelig. Ist die Karwoe
nit die Zeit der Erlösung, in der alle Sünden vergeben werden? Die
silbernen Leuter stehen wieder auf dem Altar, die Kerzen brennen in
smüen Blumen die Kire. Selbst der verrüte Franziskus ist mit Lilien
gekrönt, die na natem Fleis duen. Wir haben so lange gewartet, Sie
und i. Ses Jahre sind seit Ihrem ersten Slaganfall vergangen. Son
damals haben Sie nit mit mir gesproen, sondern nur mit anderen. Dann,
letztes Jahr, der zweite Slaganfall. Man sagt mir, Sie seien unerreibar,
aber i weiß, daß das nur Täus ung ist, ein Wartespiel. Wenn Sie bereit
Vielleit bin i der einzige, der in solen Dingen no Trost findet.
Sie wollte sterben, sie hae für den gestrigen Abend alles minutiös
geplant, das Essen, die Getränke, die Gäste. Sie hae ihre Familie um si
versammelt und hat sie mit dem Verspreen, si zu bessern, hinters Lit
ziere immer no vor Wut. I kann ihr nit mit Mäßigung begegnen. Am
Dienstag ist die Beerdigung. I stelle mir vor, wie sie daliegt, in der
immer no auf den bleien Lippen. Aber der Gedanke erfüllt mi weder
mit Mitleid no mit Befriedigung, sondern mit srelier, hilfloser Wut.
Wir wissen natürli, wer dahinterstet. Diese Hexe Roer. Oh, Caro
hat mir alles erzählt. Sie ist der böse Ein fluß, mon père, der Parasit, der in
unseren Garten eingedrungen ist. I häe auf meinen Instinkt hören sollen.
Häe sie vertreiben sollen, als i sie das erstemal zu Gesit bekam. Diese
Frau, die mir Knüppel zwisen die Beine wir, wo sie nur kann, die hinter
ihrem verhängten Fenster über mi lat und alle möglien Troel dazu
Armande Voizin ist wegen meiner Dummheit gestorben. Das Übel lebt unter
uns. Das Übel trägt ein gewinnendes Lä eln und grellbunte Farben. Als
Kind lauste i mit Entsetzen dem Mären von dem Lebkuenhaus, von
der Hexe, die kleine Kinder hereinlote und sie aufaß. Wenn i ihren
Laden sehe, mit buntem Papier verhüllt wie ein Gesenk, das darauf wartet,
ausgewielt zu werden, dann frage i mi, wie viele Leute, wie viele
Seelen sie bereits soweit verdorben hat, daß sie nit mehr erlöst werden
Narcisse. Luc Clairmont. Sie muß verjagt werden. Und ihr Gör ebenfalls.
Egal wie. Für Ne igkeiten ist es zu spät, Vater. Meine Seele ist son
gezei net.
I wüns te,
i wäre wieder zwölf. I versu e, mi an
der i einmal war. Der Junge, der die Flas e geworfen und das Übel aus
der Welt ges a hat. Aber diese Zeiten sind vorbei. I muß klug
Denno hat er die Gefahr lange vor mir erkannt. Was würde er tun? I
muß mir Muscat zum Vorbild nehmen, Muscat, das S wein. Er ist brutal,
I darf mir ni t das geringste zus ulden kommen lassen. Hinter dem
Schokolade! Ostereier! Aber was wäre, wenn es gar keine S okolade und
Der Gedanke dur zu t mi wie ein Blitz. Einen Augenbli lang bin
i von Freude überwältigt. Das s laue S wein in mir grinst und tanzt. I
könnte in ihr Haus einbre en, sagt es zu mir. Die Hintertür ist alt und
s
lei en. S okolade ist zerbre li , lei t zu zerstören. Fünf Minuten
würden ausrei en. Sie s lä in der oberen Etage. Viellei t würde sie es
mir eine Maske überziehen, so daß sie, selbst wenn sie mi sieht … Alle
würden Muscat für den Täter halten – ein Ra eakt. Der Mann ist ni t
I habe kaum ges lafen. Ihr Fenster war bis gegen zwei Uhr erleu tet,
Sessel sitzen und döste no zwei Stunden vor mi hin, ha e jedo den
obwohl i sie damals gar ni t gekannt habe –, sah sie in einem roten Kleid
über die Felder jenseits von Les Marauds laufen, das lange, s warze Haar
flog wie ein Banner im Wind. Oder viellei t war es au Vianne, und i
verwe sle die beiden. Dann träumte i von dem Feuer in Les Marauds,
von der S lampe und ihrem Kerl, von den roten, ausgetro neten Ufern des
Tannes und von Ihnen, Vater, von Ihnen und meiner Mu er in der Kanzlei …
Die ganze bi ere Ernte jenes Sommers drang in meine Träume ein, und i
wühlte genüßli darin wie ein S wein, das mit seiner gierigen S nauze
na Trü ffeln su t.
ges lafen und lege Soutane und Kragen ab. Die Kir e hat mit dieser Sa e
werde i ein gutes Frühstü zu mir nehmen; Eier, S inken und Bröt en
von Arnauld. Bei dem Gedanken läu mir das Wasser im Mund zusammen.
I s alte das Radio ein und su e einen Sender, der klassis e Musik spielt.
verä tli en Grinsen. Dies ist ni t die Zeit für S äferspiele. Dies ist die
Stunde des S weins, des s lauen S weins. I drehe die Musik ab.
Es ist fünf vor fünf. Wenn i aus dem Fenster s aue, sehe i den ersten
hellen Streifen der Dämmerung am Horizont. I habe rei li Zeit. Der
wollene Skimaske über, die i mir für den Zwe zure tgelegt habe; im
mi sieht.
5.10 Uhr.
Die Tür ist unvers lossen. I kann mein Glü kaum fassen. Es zeigt,
wie si er sie si fühlt, wie sehr sie davon überzeugt ist, niemand könne ihr
etwas zuleide tun. I lege den großen S raubens lüssel weg, mit dem i
die Tür ha e au re en wollen, und nehme das s were Kantholz – es ist
Teil eines Fenstersturzes, Vater, der während des Krieges abgebro en ist –
in beide Hände. Die Tür ö ffnet si geräus los. Eins von ihren roten
werfe es verä tli auf den Boden. Zunä st fehlt mir die Orientierung. Das
Haus hat si verändert, seit es keine Bä erei mehr ist, und im übrigen
ein, und einen Moment lang werde i regelre t geblendet von all dem
weißen Email – die Arbeitsfläen, die Spülbeen, die alten Baöfen, alles
glänzt und s immert im s malen Li tkegel der Tas enlampe. Es ist keine
S okolade zu sehen. Natürli . Das ist nur die Kü e, wo die Pralinen und
ffel
Trü hergestellt werden. I bin mir ni t si er, warum i mi
wundere, daß es hier so sauber ist; i ha e sie für eine S lampe gehalten,
die Pfannen und Töpfe ungespült herumstehen läßt, gebrau te Teller
turmho im Spülbe en stapelt, lange s warze Haare in den Essensresten.
Aber alles ist makellos sauber und ordentli ; die Kasserollen stehen na
Größe geordnet in den Regalen, Kupfer neben Kupfer, Email neben Email,
Porzellans üsseln stehen gri ereit, und diverse Utensilien – große Kellen,
–
Pfannen hängen an den geweißten Wänden. Auf dem mit
Gebrau sspuren übersäten alten Tis stehen mehrere Brotformen aus
Keramik. In der Mi e eine Vase mit einem Strauß halb verwelkter Dahlien,
die einen unheimli en S a en werfen. Aus irgendeinem Grund ma en
die Blumen mi wütend. Wel es Re t hat sie auf Blumen, wenn Armande
Voizin tot in der Kapelle liegt? Das S wein in mir wir die Blumenvase um
5.20 Uhr.
Die S okolade muß im Laden sein. Leise s lei e i dur die Kü e
ffne
und ö die s were Kiefernholztür, die in den vorderen Teil des Hauses
führt. Zu meiner Linken führt eine Treppe zu den im oberen Sto werk
…
gelegenen Wohnräumen. Zu meiner Re ten die eke, die Regale, die
Auslagen, die S a teln I bin ers ro en über den intensiven Du von
S okolade, obwohl i mit ihm gere net habe. Die Dunkelheit s eint ihn
sei
no zu verstärken, so daß es mir einen Moment lang so vorkommt, als
der Du die Dunkelheit, die si wie di ter, brauner Staub über mi legt
und mir die Sinne vernebelt. Im S ein meiner Tas enlampe entstehen
kleine Inseln des Li ts, buntes Papier, S leifen, glitzerndes Cellophan
leu ten abwe selnd auf. I bin mi en in der S atzhöhle. Ein S auer der
Erregung läu mir über den Rü en. Hier zu sein, im Haus der Hexe, ein
…
Eindringling, unbemerkt. Heimli , während sie s lä , ihre Sa en zu
anzusehen, das Papier, das die Auslagen verbirgt, herunterzureißen und der
–
erste zu sein ein absurder Wuns , da i sowieso vorhabe, alles zu
5.30 Uhr.
tig ziehe i das Papier weg, das das Fenster verhüllt. Es löst
Ganz vorsi
angestrengt na Geräusen im ersten Sto lause. Alles ist still. Mit
Enten, Hühner, Küken und Lämmer aus Sokolade sauen mi mit ihren
Sokoladenaugen an wie die Terracoa-Armeen aus den inesisen
Süße. Die Frau mit der Weizengarbe läelt kaum merkli, als sinnierte sie
Der Gesang ist lauter denn je, hier an der elle der Versu ung. I
bräu te nur die Hand auszustre en, dann könnte i eine dieser
verbotenen Frü te nehmen und ihr geheimes Fleis kosten. Der Gedanke
läßt mi nit mehr los.
Probier mich. Koste mich. Nasch mich.
I werde wahllos irgend etwas herausgreifen. I darf mi ni t von
meinem Vorhaben ablenken lassen. Eine einzige Praline – das ist kein
Diebstahl, sondern Rettung; sie ist die einzige unter all ihren Brüdern und
Swestern, die der Zerstörung entgehen wird. Gegen meinen Willen zögert
meine Hand; wie eine Libelle swebt sie über diesem Berg von
Auf den Deeln kleine Silder mit den Namen der einzelnen
ganz heiß unter meiner Maske. Wie soll man sol e Namen ausspre en,
wenn man so etwas kaufen will? Aber sie sehen so wundervoll aus im
mir unter die Nase; sie riet na Sahne und Vanille. Niemand wird es je
erfahren. Mir wird bewußt, daß i seit meiner Kindheit keine Sokolade
mehr gegessen habe, i weiß kaum, wie viele Jahre das her ist. Und damals
war es billige Sokolade mit einem Nagesma na Zuer und Fe.
Sokolade gekau, aber sie war fünfmal so teuer wie die billige Sorte, und
i konnte mir diesen Luxus nur selten leisten. Dies hier ist etwas ganz
Die Praline verströmt ein Aroma wie das Bouquet eines guten Weins, ein
Hau von Zartbier, von frisgemahlenem Kaffee, Aroma, das si dur
die Wärme voll entfaltet und mir verführeris in die Nase steigt; sie zergeht
mir auf der Zunge wie ein Gesmassukkubus, der mi aufstöhnen läßt.
5.45 Uhr.
sage mir, daß es auf eine weitere Praline nit ankommt, und probiere
I
no eine. Au diesmal verweile i zunäst bei den Namen. Crème-de-
Sandelholz und Zimt mit Limone weeifern … I nehme no eine Praline,
diesmal aus einer Sale mit der Aufsri Pêche au miel millefleurs. Ein
I weiß, i müßte jetzt eigentli damit beginnen, mein gere tes Werk
zu tun. Die Auslagen im Laden, so vielfältig und verwirrend sie sein mögen,
rei en ni t aus, um die Hunderte von Bestellungen zu erfüllen, die bei ihr
Präsents a teln, ihre Vorräte au ewahrt. Dies hier dient vor allem
Champagnertrü ffel mit einer zarten Hülle aus weißer S okolade. Die Zeit
5.55 Uhr.
Rei weite ist. I habe keine Zeit, die S ilder zu lesen; wahllos ste e i
mir eine Praline na der anderen in den Mund. Angesi ts all dieser
Köstli keiten verliert das S wein seine S läue, wird wieder zum S wein,
au ören. Das hat ni ts mit Hunger zu tun; i zwinge alles hinunter, mit
6.00 Uhr.
Verzü ung. I sitze auf dem Boden, inmi en von Pralinen, als hä e i
mi tatsä li in ihnen gewälzt. Der Knüppel liegt neben mir, i habe ihn
vergessen. Die hinderli e Maske habe i abgenommen. Das erste
die ersten Gläubigen zur Messe kommen. Sie müssen mi bereits vermißt
Plötzli weiß i , wo sie ihre Vorräte au ewahrt. Der alte Keller, der kühle,
tro ene Keller, wo früher die Mehlsä e gelagert wurden. Dorthin kann i
es s ff a en. I weiß es.
Er ist auferstanden!
Den Knüppel in der Hand drehe i mi um, i habe keine Zeit mehr,
keine Zeit …
Sie steht hinter dem Perlenvorhang und erwartet mi bereits. I habe
keine Ahnung, wie lange sie mi s on beoba tet hat. Ein kaum
wahrnehmbares Lä eln umspielt ihre Lippen. Ganz vorsi tig nimmt sie
mir den Knüppel aus der Hand. Zwis en den Fingern hält sie etwas, das
aussieht wie ein verbranntes Stü buntes Papier. Viellei t eine Karte.
… Und so haben sie mi gesehen, Vater, auf den Knien in der zerstörten
Auslage ihres Fensters, das Gesi t mit S okolade vers miert, die Augen
beizustehen. Duplessis mit seiner Hundeleine in der Hand hielt bei der Tür
rief die Neugierigen herbei, damit sie es alle sehen konnten. Die Clairmonts
Und das Gelä ter. Mein Go ! Das Gelä ter. Und die ganze Zeit läuteten
Er ist auferstanden.
Ostermontag
Als die Glo en verstummten, s ite i Reynauld fort. Die Messe las er
ni t. Sta dessen rannte er ohne ein Wort na Les Marauds hinunter.
Kaum jemand hat ihm eine Träne na geweint. Wir begannen einfa ein
bißen früher mit dem Fest, es gab heiße Sokolade und Kuen vor dem
Laden, während i in aller Eile den Slamassel beseitigte. Zum Glü war
es nit so slimm; ein paar Hundert Pralinen und Trüffel auf dem Boden,
aber keine Präsentsateln besädigt. Na ein paar Handgriffen sah das
Das Fest war ein voller Erfolg. Es gab Verkaufsstände für Kunsthandwerk,
zurü gekommen – zumindest für den Tag –, und ihre bunten Gestalten
belebten das Straßenbild. Einige bauten ihre eigenen Stände auf, floten
Perlen in die Haare der Mäd en, verkau en Marmelade und Honig,
verkaue Puppen, die er aus Treibholz gesnitzt hae. Nur die Clairmonts
fehlten, aber i meinte immer wieder, Armande unter den Leuten zu sehen,
so als könne sie bei einer solen Gelegenheit einfa nit fehlen. Eine Frau
mit einem roten Halstu, ein gebeugter Rüen unter einer grauen
Kielsürze, ein mit Kirsen dekorierter Stohhut, der si zwisen den
empfand i keine Trauer. Nur die wasende Überzeugung, daß sie jeden
Augenbli auauen und die Deel von den Sateln heben würde, um
nazusehen, was si darin befand, si genüßli die Finger leen und
vor Freude über all den Spaß laut jauzen würde. Einmal meinte i sogar,
ihre Stimme zu hören, ganz dit neben mir, als i mi vorbeugte, um eine
Tüte Rumrosinen aus einem Korb zu nehmen, do als i mi umsah, war
Hieronymus zu tanzen, und den ganzen Tag lang sien die Sonne.
mir, daß es nits weiter ist als die plötzlie Leere, die unvermeidli auf
Leute … Und au Trauer um Armande, die mi nun überkommt, da die
seltsam ruhiges Bewußtsein, daß alles seine Ritigkeit hat … Meine liebe
Armande. Es häe dir so viel Spaß gemat. Aber du hast dein eigenes
Spuren des Festes beseitigt haen. Anouk wollte gerade zu Be gehen, in
maen, und wartet brav vor der Tür. Guillaume hält etwas in der Hand.
Einen Brief. »Armande hat mi gebeten, Ihnen das zu geben. Na dem
Fest.«
werde nit bleiben.« Er saut mi einen Augenbli lang an, dann
»I
stret er die Hand aus, eine steife, seltsam rührende Geste. Sein
Händedru ist fest und kühl. I spüre ein Brennen in den Augen; etwas
Glitzerndes fällt auf den Ärmel des alten Mannes – seine oder meine Träne,
i weiß es nit.
»Gute Nat, Vianne.«
markant.
Liebe Vianne,
danke für alles. Ich weiß, wie Sie sich fühlen müssen. Reden Sie mit
Guillaume, wenn Sie mögen – er versteht mich besser als jeder andere. Es tut
mir leid, daß ich nicht an Ihrem Fest teilnehmen konnte, aber ich habe es so
oft in meiner Phantasie erlebt, daß es nicht mehr so wichtig war. Geben Sie
Anouk einen Kuß von mir und eine von den Münzen – die andere ist für das
Ich bin müde, und ich spüre, daß der Wind sich dreht. Ich glaube, Schlaf
wird mir guttun. Und wer weiß, vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.
P.S. Gehen Sie lieber nicht zur Beerdigung, alle beide. Das ist Caros Party,
und ich nehme an, sie hat ein Recht darauf, wenn ihr so etwas wichtig ist.
Laden Sie lieber alle Ihre Freunde auf eine Tasse Schokolade ein. Ich liebe
euch alle. A.
Na dem i den Brief gelesen habe, lege i ihn weg und su e die
Münzen. Eine liegt auf dem Tis , die andere auf einem Stuhl; zwei
Louisdors, die golden in meiner Hand glänzen. Einer für Anouk – und der
andere? Instinktiv lege i eine Hand auf die warme, dunkle Stelle in mir,
Anouks Kopf lehnt san an meiner S ulter. S läfrig summt sie ein Lied für
Mein liebevoll konstruiertes Bild von einem seßha en Leben ist wie die
Sandburgen, die wir früher am Strand bauten und die von der Flut
fortgespült wurden. Selbst wenn das Meer sie ni t errei t, werden sie von
der Sonne ausgehöhlt, und am nä sten Tag sind sie fast vers wunden.
Trotzdem emp finde i Unmut, fühle i mi gekränkt. Und denno lot
mi der Karnevalswind, der warme Wind aus … woher? Aus dem Süden?
Dem Osten? Amerika? England? Es ist nur eine Frage der Zeit. Lansquenet
und alles, was dazugehört, ers eint mir mit einemmal ein wenig
miteinander verke et sind, daß wir einander Gegengewit sind, daß i
ohne ihn hier keine Aufgabe habe. Was immer es sein mag, der Ort hat seine
der Säigung, das mi nit mehr braut. Überall in den Häusern von
Lansquenet lieben si die Ehepaare, spielen die Kinder, bellen die Hunde,
plärren die Fernseher … Ohne uns. Guillaume streielt seinen Hund und
saut si Casablanca an. Luc, allein in seinem Zimmer, liest laut und ohne
zu stoern Gedite von Rimbaud. Roux und Joséphine sind dabei, si in
hat heute abend einen Beitrag über das Sokoladenfest gebrat und stolz
Der Wind riet na Meer, na Ozon und gegrilltem Fis, na der
Küste vor Juan-les-Pins, na Pfannkuen und Kokosöl und Holzkohle und
Sweiß. So viele Orte, die darauf warten, daß der Wind si dreht. So viele
bedürige Mensen. Wie lange wird es diesmal dauern? Ein halbes Jahr?
Ein Jahr? Anouk kuselt si an meine Sulter, und i halte sie in
meinem Arm, zu fest, denn sie wat halb auf und murmelt irgend etwas
irgendwo neu anzufangen. In Nizza viellei t, oder Cannes, London oder
Paris. Anouk murmelt im Slaf. Sie spürt es au.
Süden auf Geheiß einer Tarotkarte. Endli haben wir uns dem Swarzen
Mann gestellt, Anouk und i, ihn endli als den erkannt, der er ist; einer,
der si selbst zum Narren hält, eine Karnevalsmaske. Wir können nit für
immer hierbleiben. Aber vielleit hat er uns den Weg bereitet zu einem
anderen Ort, an dem wir bleiben können. Eine Küstenstadt vielleit. Oder
ein Dorf an einem Fluß, umgeben von Maisfeldern und Weinbergen. Unsere
Namen werden si ändern. Und au der Laden wird einen anderen Namen
haben. Truffe Enchantée, vielleit. Oder Tentations Divines, in Erinnerung
Gold simmert rötli, beinahe wie Roux’ Haar. Erneut frage i mi,
woher sie es wußte – wie hellsitig sie gewesen ist. No ein Kind –
diesmal nit vaterlos, sondern das Kind eines guten Mannes, au wenn er
nie davon erfahren wird. I wüßte gern, ob sie seine Haarfarbe haben wird,
seine raugrauen Augen. I bin mir beinahe sier, daß es ein Mäden
Andere Dinge werden wir zurülassen. Der Swarze Mann ist fort.
Meine Stimme klingt jetzt anders, mutiger. Sie hat einen Ton, den i, wenn
Anouk läelt im Slaf. I könnte hier bleiben, Maman. Wir haben ein
Zuhause, wir haben Freunde. Die Weerfahne vor meinem Fenster dreht
si unermüdli. Stell dir vor, wir würden sie jede Woe hören, in jeder
Fenster auen.
s Die neue Stimme in mir t,
la und es klingt fast wie
Nahausekommen. Das neue Leben in mir bewegt si zart. Anouk sprit
im Slaf, unverständlies Zeug. Ihre kleinen Hände klammern si an
meinen Arm.
»Bie.« Ihre Stimme ist dur meinen Pullover gedämp . »Maman, sing
mir ein Lied.« Sie ö ffnet die Augen. Aus sehr weiter Entfernung gesehen, hat
die Erde dieselbe blaugrüne Farbe.
»In Ordnung.«
Sie ma t die Augen wieder zu, und i beginne leise zu singen:
I ho ffe, daß es diesmal nur ein S la flied ist. Daß der Wind es diesmal
ni t hört. Daß er diesmal – bitte, nur dieses eine Mal – ohne uns
weiterziehen wird.
Danksagung
Mein Dank gilt allen, die zur Entstehung dieses Bu s beigetragen haben:
die etwas verdutzte Ermutigung; Kevin für all die mühevolle Sreibarbeit;
Liversidge, Jennifer Luithlen und Lora Fountain, und allen Mitarbeitern von