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Zur Frage nach dem Ursprünge des Purimfestes.


Von H. Zimmern.

Es könnte fast als gewagt erscheinen, heute mit einer


Abhandlung über den Ursprung des Purimfestes hervorzu-
treten, nachdem P. de L a g a r d e erst vor drei Jahren
eine sehr eingehende und in mehrfacher Hinsicht erschöpfende
monographische Darstellung über diesen Gegenstand ver-
öffentlicht hat1). Wäre das Endresultat der de Lagarde'-
schen Untersuchung, dafs das Purimfest auf das persische
Neujahrs- bezw. Allerseelenfest und der Name Purim auf
persisch farwardigan zurückgehe, gesichert, so läge in
der That keine Berechtigung vor, nach einem ander-
weitigen Ursprünge des Purimfestes und einer anderen
Erklärung des Wortes Purim zu suchen, wie ich es im
Folgenden zu thun beabsichtige. Indefs hält de Lagarde
gegenwärtig selbst nicht mehr so" unbedingt fest an der
erwähnten Herleitung des Purimfestes und seines Namens2),
nachdem mehrfach Bedenken gegen eine Zusammen-
stellung von farwardigan mit ptirim geäufsert worden
waren. Bei dieser Sachlage scheint es geboten, nochmals
unter den Sprachen und Culturen, die hier allein in Be-
tracht kommen können, Umschau zu halten, ob nicht doch
eine andere Erklärung des Purimfestes und seines Namens
ausfindig zu machen ist. Freilich ist das Hebräische selbst,
ferner das Aramäische, Arabische und Persische schon so
gründlich auf diese.Frage hin in Betracht gezogen worden,
dafs von hier aus, sofern sich uns nicht neue, bisher unbe-

*) P a u l de Lagard.e, Purim. Ein Beitrag zur Geschichte der


Religion. 1887. (Abhandlungen der Kgl. Ges. der Wies, zu Göttingen,
Bd. XXXIV.)—Vgl. auch die Selbstanzeige in Mittheilwngen II, 378 ff.
*) S. GGA vom 15. Mai 1890, S. 403 (= künftiger Bd. IV der Mit-
theihwgen, S. 147), Anna. 1.

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158 Zimmern, zur Frage nach dem Ursprünge

kannte Quellen eröffnen; kaum mehr etwas Neues in dieser


Sache wird beigebracht werden können. Die einzige mög-
licherweise noch in Betracht kommende Sprache und Cultur,
welche bisher noch nicht für die Entstehung des Purim-
festes und den Ursprung des Wortes pur befragt worden
ist, auch von de Lagarde noch nicht, ist das Babylonische.
Es erscheint darum nicht unangezeigt, zu untersuchen, ob
von hier aus sich nichts zur Aufhellung der Purimfrage
entnehmen läfst.
Ich bespreche in dieser Hinsicht zunächst das W o r t
pur, purim. de Lagarde selbst hat festgestellt, dafs pur
erst erweicht ist aus einer älteren Form mit h, bezw. einer
noch ursprünglicheren mit h als mittlerem Radical. Er
beweist dies einmal dadurch, dafs das Purimfest im Arabi-
Oo> Oo> 0o j
sehen ^ heifst, und dafs mit diesem ~p auch die Form ^o
(mit ±!) wechselt. Ferner macht de Lagarde darauf auf-
merksam, dafs von 5© nicht zu trennen ist inandäisch
inniD „Mahl*, dem wiederum ein älteres syrisches j^os
entspricht. Hängt syrisch lr-*M „Mahlzeit" mit TI8 zu-
sammen, womit de Lagarde sicherlich Recht hat, so läfst
sich der persische Ursprung des Wortes 1 nur noch
unter der Voraussetzung festhalten, dafs das Wort lf*»&£
erst aus 1 , und zwar zu einer Zeit, in welcher letzteres
noch p u h r gesprochen wurde, abgeleitet wäre. Diese an
sich schon wenig wahrscheinliche Annahme wird dadurch
ganz hinfällig, dafs für das aramäische 1r*as „Mahlzeit"
eine semitische Etymologie und semitischer Ursprung sich
sehr leicht erweisen läfst. Im Assyrischen wird die Wurzel
irfeD im Piel in der Bedeutung „versammeln" überaus
häufig gebraucht. In gleicher Weise ist das Substanti-
vum p u h r u (st. c. p u hu r), in der Bedeutung „Ge-
sammtheit" sowohl, wie „Versammlung" sehr gebräuch-
lich. Es steht für mich aufser allem Zweifel, dafs das

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des Purimfestes. 159

aramäische ij-nos „Mahl* nichts weiter ist als das assy-


rische p u l j r u „Versammlung", nur mit einer specialisirten
Bedeutung des assyrischen Wortes. Wie leicht ein Wort
mit dem Begriffe Ä Versammlung* die Bedeutung „Mahl"
annehmen kann, dafür braucht ja blos an lateinisch coena
(= ), an lat. c o n v i v i u m , sowie an das deutsche
Wort „Mahl* selbst erinnert zu werden. — Aus dem Bis-
herigen ergibt sich soviel, dafs wenn de Lagarde, woran
ich nicht zweifle, Recht hat, das Wort mit aramäi-
schem |f*aa zusammenzubringen, nothwendig des Weiteren
auch mit assyrischem p u Ij r u zusammengestellt werden
mufs *); so dafs T© eigentlich „Versammlung", speciell eine
Versammlung, bei welcher gegessen und getrunken wird,
bedeutet.
Nachdem somit die semitische Etymologie des Wortes
so gut wie sicher gestellt ist, könnte immer noch die
Sache selbst persischen Ursprungs sein, wiewohl die Haupt-
stütze für die de Lagarde'sehe These, dafs das Purimfest
aus dem persischen Farwardfeste hervorgegangen sei,
mit dem Nachweise fallt, dafs das Wort pur mit farwar-
digdn etymologisch nichts zu thun hat. Denn die sach-
lichen Beziehungen zwischen jenem persischen Feste und
dem jüdischen Purimfeste sind nicht derart, dafs aus ihnen
allein ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Festen
unbedingt folgen würde. Es liegt darum nahe, da das
Purimfest in verhältnifsmäisig früher Zeit auf persischem
Boden, der gewifs vielfach noch von babylonischen An-
schauungen durchtränkt war, nachzuweisen ist, zu unter-
suchen, ob nicht in irgend einem babylonischen Feste das
Prototyp des Purimfestes vorliegt. Bei Weitem das hervor-

*) Die Entstehung von "flg. aus assyr. puferu hat, wie ich nach-
träglich gewahr wurde, auch H o m m e l bereits yermuthet. S. dessen
Anhang zu Nathan W e i s s l o v i t s , Prinz und Derwisch, München
1890, S. 161, Anm. 1.
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160 Z i m m e r n , zur Frage nach dem Ursprünge

ragendste Fest im babylonischen Kalender ist das Neu-


jahrsfest; das im Frühling in den ersten Tagen des Nisan
mit grofsem Gepränge begangen wurde. Der babylonische
Name dieses Festes ist entweder Zagmuku, ein Wort
sumerischer Etymologie mit der Bedeutung „Jahresanfang"l),
oder auch Akitu, ein Wort noch unsicherer Etymologie
und Deutung. Schon der alte südbabylonische Fürst Gudea,
defsen Inschriften spätestens aus dem Anfang des dritten
vorchristlichen Jahrtausends stammen, kennt dieses Fest2) ;
in dem ebenfalls schon aus alter Zeit stammenden Sintflut-
berichte wird seiner Erwähnung gethan 3). Ganz besondere
Bedeutung gewann dieses Fest aber in der letzten Periode
der babylonischen Herrschaft, in der Zeit des sog. neu-
babylonischen Reiches. Nebukadnezar berichtet in seinen
Inschriften ausführlich von der Feier dieses Festes, ebenso
seine Nachfolger bis herab auf Nabonid. Vor allem aus
den Berichten Nebukadnezar's gewinnen wir etwa folgendes
Bild von dem babylonischen Zagmuk- oder Neujahrsfeste.
Dasselbe wurde zu Ehren Marduk-Merodach's, des Haupt-
gottes von Babylon, alljährlich zu Jahresanfang in den
ersten Tagen des Nisan mit grofsem Gepränge gefeiert
und trug durchaus den Character eines Freudenfestes.
Den Mittelpunkt der Feier bildete der grofse Marduk-
Tempel Esagil in Babylon. Besonders reichliche Opfer
wurden an diesem Feste dargebracht. Auch wurde an
demselben auf der geschmückten Feststrafse das Bild des
Gottes Nebo aus dessen Tempel Ezida in Borsippa nach
dem Marduk-Tempel Esagil in Babylon gebracht. Der
wichtigste Vorgang an diesem Feste bestand aber nach
der Vorstellung der Babylonier in einer V e r s a m m l u n g

*) -8. Amiaud in Zeitscnr. f. Ass. III, 41 ; J e n s e n , Kosmologie


der Babylonier, Strafsburg 1890, S. 87, Anm. 2.
2
) Gudea G, , 5; s. dazu A m i a u d a. a. O.
3
) Sintfl. 71; s. dazu Jensen, Kosmol. 412,

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des Purimfestes.

der 'Götter unter dem Vorsitze des Marduk, in welcher für


den König und das ganze Land die G e s c h i c k e für das
neue Jahre bestimmt wurden. Diese Götterversammlung
zur Schicksalsbestimmung fand statt in einem besonders
geweihten Räume des Tempels Esagil, der den sumerischen
Namen Duku, d. i. das „herrliche Gemach", trug, eine Be-
zeichnungsweise, welche dadurch noch besonderes Interesse
gewinnt, weil auf sie, wie J e n s e n gesehen hat*), höchst-
wahrscheinlich der Name Marduk's selbst zurückgeht. Denn
Marduku bedeutet wahrscheinlich nichts anderes, als mar-
dukuy d. i. „Sohn von duku*, „Sohn des herrlichen Ge-
machs tf , nämlich des genannten Schicksalsgemaches, in
welchem unter dem Vorsitze Marduk's alljährlich die
Schicksalsbestimmung stattfand. Dieses Schicksalsgemach
Duku lag seinerseits wiederum in einem gröfseren Räume,
welcher den gleichfalls sumerischen Namen Üb s u g in a
fährte. Letzterer Name, U b s u g i n a , ist ebenfalls durch-
sichtig. Der erste Bestandtheil dessfelben, ü b , bedeutet
„abgegrenzter Raum", der zweite, u g in, ist das gewöhn-
liche sumerische Aequivalent von assyrischem p u h r u
„Versammlung*2). U b s u g in a bedeutet demnach „Raum der
Versammlung", „Raum des puhru", eine Bezeichnungs-
weise, durch welche schon allein p u l j r u , bezw. dessen
sumerisches Aequivalent u g i n , sich als terminus tech-
nicus für die Neujahrsversammlung der Götter zur Schick-
salsbestimmung unter dem Vorsitze Marduk's herausstellt.
Eine derartige Vorstellung von den Festräumlichkeiten
und der Götterversammlung in denselben am Zagmuk-Feste,
wie sie soeben entwickelt wurde, gewinnen wir z.B. aus folgen-
den Worten der grofsen Nebükadnezar-Inschrift : „ D u k u ,
den Ort der Geschicke, im U b s u g i n a , dem Gemache

*) s. dessen Kosmol. S. 242-f.


2
) Vgl. zu D u k u (oder Duazaga?) und U b ä u g i n a die ausführ-
lichen Erörterungen hierüber bei J e n s e n , Kosm. 234—243.
Zeitschrift f. d. alttest Wiss. Jahrgang 11. 1891. 11
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der Geschicke, worinnen am Z a g m u k , im Anfang des


Jahres, der König, der Gott Himmels und der Erden, der
Herr-Gott (d. i., wie im Folgenden ausdrücklich gesagt
wird, der Gott Marduk) sich niederläfst, während die
Götter des Himmels und der Erde ehrfurchtsvoll ihn an-
schauen, gebeugt vor ihm stehen und das Schicksal für
ferne Tage, das Schicksal meines Lebens bestimmen" *).
Diese ganze Vorstellung von dem Gemache D u k u
im U b s u g i n a , dem Versammlungsraum, im Tempel
Esagil in Babylon ist jedoch erst eine abgeleitete. Denn
d i e s e s sichtbare D u k u in diesemsichtbarenUbsugina
in Esagil ist nur eine Nachbildung des e i g e n t l i c h e n
D u k u im e i g e n t l i c h e n U b s u g i n a , welche an einem
geheimnifsvollen Orte weit im Osten der Erde unter dem
mythischen „Berg des Sonnenaufgangs* befindlich gedacht
wurden. Hier ist es, wo nach der Vorstellung der Baby-
lonier in Wirklichkeit die Götter alljährlich im Jahres-
anfang zur Schicksalsbestimmung unter dem Vorsitze Mar-
duk's zusammenkommen, während die Feier im Tempel
Esagil nur ein irdisches Nachbild hiervon ist 2).
Was aber so alljährlich im Frühling zu Jahresanfang
geschah, das übertrug der Babylonier auch auf den Anfang
der Weltgeschichte, auf die Zeit der Schöpfung, den Be-
ginn des Weltentages, des Weltenjahres. Ich gebrauche
mit Absicht diesen letzteren Ausdruck für die Schöpfung.
Denn aus der babylonischen Schöpfungslegende geht klar
hervor, dafs dieselbe — und damit zugleich auch die bib-
lische in Gen. l vorliegende — im Grunde nichts anderes
ist, als eine Zurücktragung dessen, was in der Natur an
jedem Morgen, in jedem Frühling vorgeht, in den Anfang

*) Neb. , 54—65. — S. zum babyl. Zagmukfeste Ausführlicheres


bei Pognon, Les inscriptions du Wadi-Brissa, p. 73 ff. u. insbesondere
bei Jensen, Kosm. 84 ff.
*) S. dazu Jensen a. a. 0. S. 234 ff.

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des Purimfestes. 163

aller Zeiten und eine Einkleidung dieses Naturvorgangs in


die Form eines geschichtlichen Hergangs *). Darum wird
auch gerade Marduk, der Gott der Frühsonne am
Tage und der Frühlingssonne im Jahre, als der Gott der
Schöpfung, der am Anfang der Zeiten Himmel und Erde
bildete, gedacht. Unter Berücksichtigung dieses Sachver-
halts kann es nun nichts mehr Auffallendes für uns haben,
wenn wir in der baylonischen Schöpfungslegende lesen,
dafs vor Beginn des eigentlichen Schöpfungsaktes durch
Marduk eine Versammlung der Götter unter dem Vorsitze
Marduk's in dem mythischen U b s u g i n a , dem Versamm-
lungsräume, stattgefunden hat, wobei die Götter dem
Marduk das Schicksal bestimmten und zwar in diesem
Falle dahin lautend, Tihämat zu besiegen und die Schöpf-
ung Himmels und der Erde ins Werk zu setzen2). Mit
anderen Worten : Die Babylonier übertrugen die alljähr-
liche Neujahrsversammlung der Götter zur Schicksals-
bestimmung auch auf den Anfang des Weltenjahres. Von
ganz besonderem Interesse gerade für die uns beschäftigende
Frage ist nun aber Folgendes, dafs, während wir oben
p u h r u als term* techn. für die Götterversammlung am
Zagmuk-Feste im Tempel Esagil nur aus der sumerischen
Bezeichnung U b S u g i n a erschliefsen konnten, hier aus-
drücklich und wiederholt diese Götterversammlung geradezu
mit dem assyrischen Worte p u h r u bezeichnet wird 3 ).
Marduk selbst bekommt in Folge dessen das Epitheton
m u k i n p u h r i §a i l ä n i „der das p u h r u der Gotter ver-
anstaltet 4)". Ferner wird uns von diesem p u h r u nicht
nur berichtet, dafs bei demselben das Schicksal bestimmt
wurde, sondern auch, dafs die Götter dabei afsen und

*) Jensen a. a. O. S. 309.
2
) Schöpfwng, Tafel , Ende; s. dazu Jensen a. a. 0. S. 278 f.
3
) S. die Stellen bei Je nsen a. a. 0. S. 240 f.
4
) Schöpfung, letzte Tafel, Z. 23.
11*
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164 Zimmern, zur Frage nach dem Ursprünge

tranken; ja ein so solennes Festgelage abhielten; dafs sie


am Schlufse desselben „gar sehr taumelten" J).
Es erscheint mir nach dem bisher Angeführten nicht
zu gewagt, nicht blos einen etymologischen Zusammenhang
zwischen 1 und aseyr. p u h r u , sondern auch einen sach-
lichen zwischen dem Purimfeste und dem babylonischen
Zagmuk-Feste mit der Götterversammlung; welche den
Namen p u h r u trägt; anzunehmen 2). Insbesondere erklärt
sich ein Rathsel in der Purimfrage, das bisher jeder Lösung
spottete, ziemlich einfach bei der Annahme; dafs *V»Q sprach-
lich und sachlich auf bab. p u h r u zurückgeht. Esth. 3, 7
wird 110 durch ^TÜ „Loos" glossirt. Weder aus den semi-
tischen Sprachen, noch aus dem Persischen liefs sich trotz
allen Bemühens bisher erklären, wie zu der Bedeutung
„Loos" kommen sollte. Entspricht dagegen " dem p u h r u ,
der Festversammlung der Götter, bei welcher die Geschicke,
die „Loose" für das neue Jahr bestimmt wurden; so er-
scheint die Gleichung ? 3 1 "119 durchaus nicht mehr
so befremdlich, wie dies bisher der Fall sein mufste.
Freilich bleiben auch bei der Annahme, dafs das Purim-
fest im Grunde auf das babylonische Zagnmk-Fest zurück-
geht, noch allerlei Schwierigkeiten zu erledigen, die mir
indessen nicht so unüberwindlich erscheinen, dafs defswegen
der genannte Zusammenhang, für welchen andererseits so
Vieles spricht, überhaupt zu leugnen wäre. Zunächst
könnte es auffällig erscheinen, dais nicht der eigentliche
Name Zagmuk oder Alatu des babylonischen Neujahrsfestes
sich für ein davon abgeleitetes Fest erhalten hätte. Dem-

*) Schöpfung, Tafel III, Ende; s. dazu J e n s e n a. a. 0. S. 279.


2
) Ohne noch etwas von der Beziehung zwischen p u ^ r u und
zu wissen, hatte J e n s e n bereits vor länger aus sachlichen Gründen
einen Zusammenhang zwischen dem babylonischen Zagmuk- und dem
Purimfeste vermutet.

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gegenüber ist jedoch zu bemerken, dafs in dem Ausdrucke


Q^Bil ^O? »die Tage der p u r ' s a offenbar nicht der
ursprüngliche Eigenname des Festes vorliegt, sondern nur
eine appellativische Bezeichnungsweise desselben. An Ana-
logien zu derartigen Nebenbezeichnungen gerade bei Festen
zu erinnern, ist kaum notwendig; da dieselben sich zahl-
reich darbieten. Es ist sehr wohl denkbar, freilich bis bis
jetzt inschriftlich noch nicht belegt, dafs die Babylonier
ihr Zagmuk- oder Akitu-}?est daneben auch noch appella-
tivisch als u m 6 p u h r u , d. i. »Tage der Versammlung*
(seil, der Götter) bezeichneten.
Eine zweite Schwierigkeit bietet der Plural des
zweiten Gliedes in dem Ausdrucke , ) H?1.· Ginge
1 direct auf die Götterversammlung p u l j r u am baby-
lonischen Neujahrsfeste zurück, so sollten wir "VID *V&} statt
^ i£P erwarten. Indefs könnte der Plural ^ ziem-
lich leicht dadurch entstanden sein, dafs sich bei "fiS aus
der ursprünglichen Bedeutupg „Versammlung (in welcher
geloost wird)" die weitere „Loos" selbst entwickelt hätte,
wofür die Gleichung 1 T)B angeführt werden
könnte. Eben so nahe liegt es aber auch, daran zu denken,
dafs in Nachahmung des e i n e n mit Schicksalsbestimmung
verbundenen Gelages der Götter am Neujahrsfeste die
Babylonier selbst noch, oder diejenigen, welche von ihnen
dieses Fest überkommen haben, in den Neujahrstagen Fest-
gelage abhielten, wohl auch in Verbindung mit Loosen für
das beginnende Jahr. Dann würde der Plural in O^
ünien sich aufs Natürlichste erklären. Jedenfalls waren
Festgelage charakteristisch für das jüdische Purimfest, und
im Aramäischen hat ja ?H*o3, wie oben hervorgehoben,
geradezu die Bedeutung ÄMaHa. — Als auf eine weitere Un-
ebenheit könnte ferner darauf aufmerksam gemacht werden,
dafs das Purimfest ja nicht im Nisan stattfindet, sondern
zwei Wochen vorher, in der Mitte des Monats Adar. In-
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166 Zimmern, zur Frage nach dem Ursprünge

defs lehrt wohl schon das Estherbuch selbst, dafs die


DniBH W ursprünglich in den Nisan, nicht in den Adar
fallen, denn Haman wirft ja im Monate Nisan das Loos.
Ferner dürfte daran zu erinnern sein, dafs wenigstens nach
der einen griechischen Version des Estherbuches der im
kanonischen Estherbuche fehlende Traum des Mardochäus
auf den ersten Nisan fällt. Vielleicht ist das bereits im
Monat Nisan stattfindende jüdische Passahfest die Ursache
gewesen, wefshalb man bei der Annahme des Purimfestes
dasselbe nicht im Nisan selbst, sondern etwas früher, im
Adar, feierte. Auch de Lag a r d e stellt ja ohne Bedenken
gegen die Zeitdifferenz das Purimfest mit dem persischen
Farward - Feste zusammen. Dafs heutzutage .ji im
Neuarabischen noch die Bedeutung „Neujahrsfest" hat,
soll nicht zu sehr betont werden, da es schwer nachzuweisen
sein wird, ob diese Bezeichnungsweise auf alter Tradition
beruht, wiewohl dies nicht unmöglich wäre.
Während sich meine Untersuchung, wie mir scheint,
im Bisherigen nur auf ziemlich gesicherten Daten auferbaut
hat und es möglichst vermied, kühnen, aber ungesicherten
Combinationen, zu welchen man gerade bei einer derartigen
Frage leicht verleitet werden könnte, Rechnung zu tragen,
so erscheint es mir doch als Pflicht, der Vollständigkeit
halber wenigstens auf einen Punkt noch näher aufmerksam
zu machen, der unter Umständen noch von grofser Wich-
tigkeit für die Frage nach dem Prototyp des Purimfestes
und der Legende des Estherbuches werden könnte. Jedoch
möchte ich dabei nicht unterlassen, zuvor ausdrücklich zu
betonen, dafs ich die folgenden Ausführungen bis jetzt nur
als mehr oder weniger wahrscheinliche Hypothese betrachte,
und dafs die bisherige Erörterung über den sprachlichen
und sachlichen Zusammenhang des Purimfestes mit dem
babyionischen Neujahrsfeste ihre vollständige Berechtigung
behalten kann, selbst für den Fall, dafs die folgende Hypo-
these sich doch als unhaltbar herausstellen sollte.
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des Purimfestes. 167

Ich darf es mir an diesem Orte füglich ersparen, erst


wieder von neuem zu beweisen, was schon wiederholt be-
wiesen worden ist, dafs wir in der Erzählung des Esther- .
buches nicht wirkliche Geschichte vor uns haben, welche
über den Ursprung des Purimfestes Aufschlufs gäbe, son-
dern dafs umgekehrt hier nur eine ad hoc gedichtete Le-
gende vorliegt, die dem Bestreben ihren Ursprung ver-
dankt, die Herkunft des Purimfestes, welche zur Zeit der
Abfassung des Estherbuches bereits unbekannt war, auf
eine plausible Art zu erklären. Aller Wahrscheinlichkeit
nach entsprang aber diese Legende nicht bloiser freischaf-
fender Phantasie, sondern es werden - in derselben alte
Traditionen, die mit dem Purimfest bezw. dessen Prototyp
verknüpft waren, zu einer neuen einheitlichen und den
jüdischen Verhältnissen angepafsten Erzählung verwoben
sein. Wenn nun das Purimfest sprachlich und sachlich
mit dem babylonischen Neujahrsfeste zusammenhängt, so
werden wir förmlich genötigt, Umschau zu halten, ob
nicht auch in dem Erzählungsstoffe des Estherbuches
solches sich findet, das auf das babylonische Neujahrsfest
und die mit demselben verknüpften mythologischen An-
schauungen zurückgeht. Da ist es nun auf den ersten
Blick auffällig, dafs der Held des Estherbuches den sonst
nur selten zu belegenden Namen Mardochai führt, der
fraglos von dem babylonischen Gottesnamen Marduk ab-
geleitet ist, während ja das babylonische Neujahrsfest vor
allem ein Fest des Gottes Marduk ist. Der Gedanke liegt
darum recht nahe, dafs in Mardochai, dem Helden des
Purimfestes, eine natürlich in jüdischem Sinne umgestaltete
Reminiscenz an Marduk, den Veranstalter des p u h r u am
babylonischen Neujahrsfeste, vorliegt. Dazu kommt noch
ein Weiteres. Es wurde oben bereits angedeutet, in welch'
engem Zusammenhange die babylonische Schöpfungslegende
zum babylonischen Neujahrsfeste steht, wie die Schöpfung
geradezu als das allererste Neujahrsfest gedacht wird, an
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168 Z i m m e r n , zur Frage nach dem Ursprünge

welchem, ebenso wie sonst an jedem Neujahr, die Götter


unter Vorsitz Marduk's sich zu einem p u h r u versammeln,
um das Schicksal zu bestimmen. Obwohl wir noch keine
directe inschriftliche Notiz darüber haben, so liegt es doch
äufserst nahe, anzunehmen, dafs die babylonische Schöpfungs-
legende, in welcher Marduk eine so hervorragende Rolle
spielt, gerade am Mardukstage, dem Neujahrsfeste, in be-
sonderem Mafse in aller Munde war, dafs sie, wenn ich
mich so ausdrücken darf, gleichsam die Pericope des Zag-
mukfestes bildete. Dafs übrigens die babylonischen Schöpf-
ungslegenden nicht etwa blos in mythologischen Werken
aufgezeichnet standen, sondern auch in k u l t i s c h e m Ge-
brauche waren, geht klar einmal daraus hervor, dafs der
seit länger bekannte „epische" babylonische Schöpfungs-
bericht am Schlüsse geradezu in einen Hymnus an Marduk
ausläuft, sodann zeigt dies auch der erst neuerdings be-
kannt gewordene „lyrische* babylonische Schöpfungs-
bericht *), welcher die Einleitung zu einer Beschwörungs-
formel bildet. Nun spielt bekanntlich in der babylonischen
Schöpfungslegende eine grofse Rolle der Kampf zwischen
Marduk und Tihamat, den Principien des Lichtes und der
Finsternifs, mit der endlichen siegreichen Ueberwindung
Tihämat's durch Marduk. Die Legende des Estherbuches
dreht sich im Wesentlichen um den Kampf zwischen
Mardochai und Haman und die siegreiche Ueberwindung
Haman's durch Mardochai. Es erscheint mir darum nicht
allzu gewagt, die Frage aufzuwerfen, ob nicht in dem
Kampfe zwischen Mardochai und Haman eine jüdische
Umgestaltung der babylonischen Schöpfungs- bezw. Neu-
jahrslegende, speciell des Kampfes zwischen Marduk und
Tihämat vorliegt.
Schwierig ist die Beantwortung der Frage, ob das

*) S. die vorläufige Mittheilung von P in ehe s in der Academy


vom 29. Nov. 1890.

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des Purimfestes. 169

Purimfest direct aus dem babylonischen Zagmukfeste her-


vorgegangen ist, oder erst auf Umwegen. Ja, es w re a n
sich nicht unm glich, dais babylonische u n d persische
Vorstellungen hier in einen gemeinsamen Strom zusammen-
geflossen w ren; und sogar f r den Namen ΟΉ;© k nnte,
was wenigstens die griechische Form Φρονραία, Φονρόαία
anbelangt, m glicher Weise eine Beeinflussung des Per-
sischen n e b e n dem Babylonischen anzunehmen sein. Auf
alle F lle aber d rfte im Hinblick auf meine obigen Aus-
f hrungen die de Lagarde'sche These jetzt dahin zu modi-
ficiren sein, dafs ein Zusammenhang zwischen dem Purim-
feste und dem babylonischen Neujahrsfeste als ziemlich
gesichert angenommen werden darf, w hrend ein (gleich-
zeitiger) Zusammenhang mit dem persischen Farwardfeste
wenn auch nicht als unm glich ? so doch zum Mindesten
als noch sehr problematisch bezeichnet werden mufs.
H a l l e a. S., im Dezember 1890r

Miscellen,
Von Friedrich Schwally.

Im Folgenden lege ich eine Reihe von Beobachtungen


vor, die sich mir in gr fseren Zusammenh ngen ergeben
haben, die aber andererseits so sehr auf sich stehen, dafs
sie allein ver ffentlicht werden konnten.

A, Ideologisches.

Die Herausgeber des Handw rterbuches von Wilhelm


Gesenius bemerken in der 8. Aufl. : „[Die] GB. [ist nicht
schlagen, wie Gesenius annahm, sondern] anhangen, sich
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