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Novum Testamentum 62 (2020) 437–441

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Book Review


Michael Tilly, Matthias Morgenstern and Volker Henning Decroll (eds.),
L’adversaire de Dieu—Der Widersacher Gottes: 6. Symposium Strasbourg, Tübingen,
Uppsala, 27.–29. Juni 2013 in Tübingen (Tübingen: Mohr Siebeck, 2016) xiv + 359 pp.
ISBN: 978-3-16-154236-7, €139,00 (= WUNT 364).

Der vorliegende Band geht auf das sechste gemeinsame internationale Sym­
posium der Evangelisch-Theologischen Fakultät Tübingen, der Teologiska fa-
culteten Uppsala und der Faculté de Théologie Protestante Strasbourg zurück.
Nach Bänden zu Thron Gottes, Hand Gottes, Stadt Gottes, Mahl Gottes und Tag
Gottes geht es hier um den Widersacher Gottes. Zur Themenstellung schrei-
ben die Herausgeber (v):

Vorstellungen von widergöttlichen Kräften sind religionsgeschichtlich


weit verbreitet. Im Zusammenhang mit der biblischen Traditionsbildung
lässt sich eine personalisierte Form dieser Vorstellungen nachweisen, die
insbesondere auf eine besonders herausgehobene Gegengestalt konzen-
triert ist. Dabei variieren durchaus Bezeichnungen und Zuordnungen,
Beschreibungen und Motive. Das Motiv eines „Widersachers“ Gottes er-
weist sich dabei als Feld komplexer Rezeptionsprozesse, die mit inner-
biblischen Fortschreibungs- und Auslegungsvorgängen verschränkt sind.
Zugleich wird dieses Motiv in ganz unterschiedlichen Feldern religiöser
Rede und theologischer Reflexion virulent: als Ausdruck der eigenen
Situation, etwa der Bedrängung und Not und der damit verbundenen
Annahme der Existenz und des Wirkens böser Mächte, ja eben des einen
Widersachers Gottes, als Element theologischer Spekulation, die das
Böse erklären und einordnen, deuten und verstehen will, als Mittel der
Deutung der religiösen Situation des Volkes, der Glaubensgemeinschaft
oder der Kirche, oder aber als Mittel der Geschichtsdeutung, das den
Opponenten Gottes in historisch-politischen Größen wirksam sieht.

© Koninklijke Brill NV, Leiden, 2020 | doi:10.1163/15685365-12341677


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Der Band beginnt mit vier Beiträgen zum Widersacher Gottes im AT und
Frühjudentum: Martin Leuenberger, „Widersacher-Konstellationen in der Le­
vante und im Alten Testament“ (1–26); Göran Eidevall, „The Role of the Enemies
of YHWH in the Book of Isaiah and in the Psalms“ (27–40); Jan Joosten, „‚Pour
mettre fin à l’ennemi et au vindicatif‘: La thématique du Psaume 8“ (41–51) und
Hermann Lichtenberger, „Der Feind Gottes in der frühjüdischen Literatur  –
Antiochus IV. Epiphanes“ (53–74). Diese alttestamentlichen (und andere)
Traditionsbereiche werden im NT in fast allen Schriften aufgegriffen (vi–vii):

Diese breite Rezeption und Ausgestaltung beruht ganz wesentlich dar­


auf, dass der christliche Osterglaube von Anfang an apokalyptische
Kategorien und Bilder verwendet hat. Der „Widersacher Gottes“ erscheint
hier – unter Aufnahme zahlreicher Mythologeme und Motive aus dem
Traditionsinventar benachbarter Kulturen – geradezu als Personifikation
aller moralischen Übel und repräsentiert in seinem Wollen und Handeln
gleichermaßen die Bosheit und Feindschaft gegen Gott, gegen Christus
und gegen die christliche Gemeinde. Er gilt verschiedenen frühchristli-
chen Autoren und den sie umgebenden Gemeinden als die eigentliche
Ursache ihrer (tatsächlichen oder subjektiv wahrgenommenen) umfas-
senden Gefährdung und insofern als eine bestimmende Größe ihrer per-
spektivischen Welt- und Existenzdeutung.

Dieser Grundlegung folgen sieben Beiträge zu Widersachern Gottes im Neuen


Testament. Christian Grappe schreibt zu „Éclairage sur les récits du baptême
de Jésus, de son épreuve au désert et de sa victoire sur Satan à partir sur-
tout de la littérature intertestamentaire“ (75–94, die Berichte von der Taufe
und Versuchung Jesu auf dem Hintergrund frühjüdischer Literatur, insb. der
Qumran-Schriften und der Testamente der Zwölf Patriarchen).
In seiner Skizze „Baal-zevul – the History of a Name“ (95–106) untersucht
Tord Fornberg die Vorkommen dieser Bezeichnung in den Evangelien in ihrem
jeweiligen Kontext, die Verwendung der Bezeichnung vor den Evangelien (uga-
rit. Ursprünge) bis in die patristische Literatur, den Gott Israels als Baal šamen
sowie die Identifizierung oder den Ersatz von JHWH mit Zeus Olympios. Dies
findet sich auch in der jüdischen Polemik gegen Zeus. Daraus ergeben sich in-
teressante Perspektiven (104):

When Zeus Hypsistos or Zeus Olympios became a real competitor to the


God of Israel, he was given the derogatory name Baal-zevul. As we have
seen, this epithet can be understood as a Hebrew translation of the Greek
name Zeus Olympios. Since assimilation with Hellenism was a serious

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threat to Judaism, Zeus Olympios or Baal-zevul was even identified with


the chief of demons. For „ordinary“ demons, a wide variety of other
names were available. Later the name Baal-zevul was evidently also used
by Jesus’s opponents, who identified him with „the ruler of the demons“,
thus proving their own total spiritual blindness.

Gudrun Holtz („Die Zeit der Verkündigung des Reiches Gottes und das Wirken
des Widersachers im lukanischen Doppelwerk“, 107–133) untersucht den
Widersacher als Versucher Jesu (Lk 4,1–13), die Entmachtung Satans durch
Jesus, die Jünger und die Apostel, sowie die Entfesselung der Macht des
Widersachers in Passion und Tod Jesu (Lk 22,1–53). Von einer „satansfreien“
Zeit kann nicht die Rede sein; zu unterscheiden habe man das Wirken des
Satans in der Passion („Die Zeit der Passion ist die Zeit der Entfesselung der
Macht Satans, deren Umfang und Reichweite jedoch im Horizont des Reiches
Gottes begrenzt sind. Gott macht den Widersacher hier zu seinem Werkzeug,
damit das geschehen kann, was seinem Ratschluss gemäß geschehen muss-
te“, 130) von der Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu und der Apostel, in der
das Reich Gottes in der Kraft des Heiligen Geistes verkündigt wird. Diese Zeit
„fällt zeitlich und sachlich mit der Bekämpfung des Widersachers zusammen,
wie dieser sich nach seinem Sturz im Wandel der Zeiten in unterschiedlicher
Weise manifestiert“ (130f).
In „Der Verfolger als Gottes Widersacher in der Apostelgeschichte“ (135–145)
analysiert James A. Kelhoffer Apg 6,1–7,50; 9,1–30 und 23,12–35 und schließt
(144):

Eine Implikation dieser Untersuchung ist, dass das Satans-Verständnis ei-


nes Verfassers am besten im Vergleich mit seinem Gegner-Verständnis zu
verstehen sein kann. Diese hermeneutische Hypothese kann auch umge-
kehrt formuliert werden: Das Gegner-Verständnis eines Verfassers kann
im Vergleich mit seinem Satans-Verständnis am besten zu verstehen sein.
Die Absicht hinter dieser Hypothese ist, dass wir Gottes menschliche
Widersacher und Gottes jenseitige Widersacher in Beziehung zueinan-
der setzen.

Von Anna Maria Schwemer stammt die vergleichende Studie „Agrippa I. – sein
Tod als ‚Gottesfeind‘ bei Josephus und Lukas“ (147–173). Nach Überlegungen zur
Definition des Gottesfeindes bei beiden Autoren und der Quellenlage geht es
um Agrippas Tod bei Josephus (Agrippas Aufstieg zur Macht, seine Legitimität
als jüdischer König, sein Verhältnis zur Theaterkultur und zum Kaiserkult,
Agrippas Tod und der Kaiser- und Herrscherkult) und in Apg 12 (Agrippa als

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Verfolger der Urgemeinde in Jerusalem, die göttliche Stimme und die Kritik am
Herrscherkult, der Würmertod als Strafe für den Verfolger und Gottesfeind).
Im Vergleich mit Josephus ist der Fall Agrippa klarer: „Dieser Herodes genoss
die göttliche Verehrung und war ein Verfolger; er war aber auch ein erster Nero,
wie Lukas dies verschlüsselt und mit Anspielung auf die vox caelestis andeutet“
(170).
Michael Theobald („Der Widersacher im Johannesevangelium“, 175–199)
untersucht die „Verteufelung“ des Judas in der Passionserzählung und in Joh 6,
„die Juden“ als „Kinder des Teufels“ (Joh 8,44), den „Herrscher dieser Welt“ und
seine Entmachtung sowie Judas als Verkörperung des „Herrschers der Welt“
(14,30; 18,3). Theobald schließt mit der Deutung des Todes Jesu als eschato-
logischem „Pesach“ und dem „Verderber“ (Ex 12,23, u.a. zur inneren Logik einer
satanologischen Deutung des Todes Jesu: „Der Satan scheint hier als ‚Herr des
Todes‘ zu triumphieren, wird aber in Wahrheit durch Jesu Hingang zum Vater
entmachtet. Das am Kreuz aus seinem Leib hervortretende Paschablut könnte
die Vorstellung von der Abwehr des ‚Verderbers‘ assoziieren“, 197).
Madeleine Wieger („‚Celui qu’on appelle διάβολος‘ (Apocalypse 12,9): L’his­
toire du nom grec de l’Adversaire“, 201–218) beleuchtet die ersten Vorkom­
men in der LXX, die Bedeutung im außerbiblischen Griechisch und in der
LXX, die Transformation des διάβολος in der LXX und im Neuen Testament
und bei den Kirchenvätern. Beiträge zu Paulus oder weitere Beiträge zur Jo­
hannesoffenbarung sucht man vergeblich.
Zur Funktion dieser Vorkommen im Neuen Testament schreiben die Her­
ausgeber (vii):

Die Rede vom „Widersacher Gottes“ dient nicht nur der Bewältigung ak-
tueller Bedrängungs- und Verfolgungserfahrungen von Christen durch
die Völkerwelt, sondern auch der Deutung eines als verfehlt angesehe-
nen Glaubens und Handelns bzw. des drohenden Abfall eines Teils der
eigenen Gemeinde von Glaubensinhalten und Verhaltensweisen, die von
den frühchristlichen Autoren als allgemein verbindlich erachtet wurden.
Die weltdeutende Funktion dieser unterschiedlichen Motive, die sich aus
der kritischen Relativierung der Gegenwartssituation speist, erklärt denn
auch ihre je besondere Entfaltung.

Die übrigen fünf Beiträge des Bandes sind: Gabriella Beer, „‚Whoever is not
with me is against me‘ – Accounts of Rituals Securing the Loyalty of Individual
Gods in Republican Rome“ (219–229); Matthias Morgenstern, „Auf der Suche
nach der ‚anderen Seite‘ Gottes in der rabbinischen Literatur – Erwägungen
zu einigen Stellen im Babylonischen Talmud“ (231–252); Gabriella Aragione,

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„L’ange premier-né et les theomachoi dans l’écrit Aux Grecs de Tatien“ (253–
287); Volker Henning Drecoll, „Saklas“ (289–304) und Mikael Larsson, „Whose
enemy? Lars von Triers Anti-Christ in Dialogue with Biblical Creation and
Passion Narratives“ (305–327). Verschiedene Register beenden diesen anregen-
den, interdisziplinären Sammelband.

Christoph Stenschke
Biblisch-Theologische Akademie Wiedenest & Department of Biblical and
Ancient Studies, University of South Africa, Pretoria, Republic of South Africa
stenschke@wiedenest.de

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