Sie sind auf Seite 1von 1

dem Gesocks die Sicht rauben lassen würde«?

Ist es seine V
längst zur zweiten Natur gewordene Attitüde, bei jeder Gele -
genheit das möglichst Auffällige und Auffallende zu tun, da - Liebe Gemeinde, das ist es, was wir in theologischer Sprache
mit der kleine Zachäus mal wieder groß rauskommt – stets ei - die Rechtfertigung des Gottlosen nennen. Die Botschaft von
ne Spur peinlich, aber immerhin im Mittelpunkt? Vielleicht der freien Gnade Gottes. Zachäus erreicht der Blick Jesu, der
von allem etwas und in dem allen vielleicht auch Sehnsucht? seine verborgene Sehnsucht sieht; ihn erreicht der Ruf des -
Vom Ende der Geschichte her wird man sagen müssen: Ge - sen, der ihn nicht bei seinen Untaten behaftet, sondern ihn als
wiss treibt ihn auch eine tiefe Sehnsucht nach Liebe, nach Er - die Person, die er ist, wertvoll sein lässt: »Ich will heute bei Dir
lösung, nach Gott. Er wäre nicht der Erste und beileibe nicht sein«. Und von Zachäus heißt es: Er stieg eilend herunter und
der Einzige, der seine tiefe Sehnsucht hinter einer hässlichen nahm ihn auf mit Freuden.
Außenfassade verpanzert hält. Er kann sie ja nicht äußern. Er Die Geschichte kann damit aber noch nicht ganz zu Ende sein.
kann nicht schreien: »Jesus, du Sohn Gottes, erbarme dich Sonst könnte sich das furchtbare Missverständnis einschlei -
meiner! « Er hat ja gerade gelernt, nie jemanden um etwas bit - chen, Zachäus bekomme zu allem anderen auch noch seine re-
ten zu müssen, keinen Kontakt zu suchen, um wenigstens ligiösen Sehnsüchte erfüllt – gleichsam zu allem Reichtum
verschont zu bleiben vor Zurückweisung und Enttäuschung. nun noch das spirituelle Sahnehäubchen. Ein Vorwurf, der
der kirchlichen Verkündigung durch die Zeiten hindurch
IV immer gemacht worden ist. Bisweilen zu Unrecht, oft leider
auch zu Recht.
Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu Für Zachäus ist die Geschichte eben nicht zu Ende. Dass Jesus
ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in ihn sah und zu ihm durchgedrungen ist, bewirkt bei ihm,
deinem Hause einkehren. dass er seinerseits einen neuen Blick bekommt für die Men -
Liebe Gemeinde, diese Worte zählen zum Feinsinnigsten, schen, und das heißt, auch für das, was er ihnen bisher ange -
Zartesten und Verständnisvollsten des ganzen Neuen Testa - tan hat und fortan eben nicht mehr antun will: Siehe, Herr,
mentes. Sie zeugen von der wirklich göttlichen Hellsichtig - die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn
keit Jesu menschlichem Leid und menschlicher Verstrickung ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück.
gegenüber. Wo Rechtfertigung geschieht, da gedeiht zugleich Gerechtig -
»Komm herunter«, ruft Jesus, »ich möcht heute Abend bei keit. Und was in der Bibel immer schon zusammengehört, dass
Dir bleiben.« Nur diese Worte können Zachäus erreichen. muss im Leben und im Zeugnis der Kirche zusammenwach -
Denn sie bedeuten doch: »Zachäus, warum vergräbst Du Dich sen: Rechtfertigung und Gerechtigkeit. »Gott nimmt Dich an,
hinter Deinem Reichtum und dDeiner Macht, mit der Du alle wie Du bist« – das predigen wir, und das hören wir in der Kir -
Menschen abstößt, obwohl Du sie in Wirklichkeit gewinnen che. Und das ist auch wahr. Aber es ist hundertprozentig nur
wolltest.« Aber so gesagt klänge das peinlich und moralisie - die halbe Wahrheit. Und diese halbe Wahrheit wird zur Lüge,
rend und deshalb demütigend und abstoßend. Solche Worte wenn wir die andere Hälfte verschweigen, die da lautet: Gott
können Zachäus nicht erreichen, deshalb sagt Jesus sie auch nimmt Dich an, wie Du bist, aber er lässt Dich nicht, wie Du
nicht. Stattdessen tut Jesus einfach das, worauf Zachäus in bist. Er holt Dich auf den Weg der Nachfolge, auf den Weg der
seiner Einsamkeit eigentlich immer gewartet hat: dass einmal, Gerechtigkeit. Beides haben wir zu sagen, und es gab in der
einmal nur, jemand käme, der ihm sagt: »Ich brauche Dich, Kirche immer Zeiten der Verwirrung, wenn diese beiden
freiwillig, nicht erpresst. Ich will bei Dir sein. Du bist es mir Hälften der Botschaft auf verschiedene Gruppen aufgeteilt wa-
wert.« ren, die sich dann womöglich noch gegenseitig verdächtigen

112 113

Das könnte Ihnen auch gefallen