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net/publication/282329408
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All content following this page was uploaded by Gerhard Satzger on 30 September 2015.
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DANIEL BEVERUNGEN, CHRISTIAN FABRY, WALTER GANZ, MARTIN MATZNER, GERHARD SATZGER (HRSG.)
Dienstleistungsinnovationen
FÜR ELEKTROMOBILITÄT
Märkte, Geschäftsmodelle, Kooperationen
1
inhalt
3
inhalt
5
1 Vorwort
Ist die Elektromobilität ein Fortbewegungskonzept für Die noch niedrigen Stückzahlen von Elektrofahrzeugen
die ferne Zukunft oder ein bereits heute erfolgreicher führen umgekehrt dazu, dass Anbieter am Standort
Paradigmenwechsel? Ein Blick in die Forschungsland- Deutschland Skaleneffekte bislang nur unzureichend rea-
schaft Deutschlands offenbart, dass Unternehmen und lisieren können. So besteht zwischen der langsamen
Forschungseinrichtungen sich bereits ausgiebig mit der Durchdringung des Marktes mit Elektrofahrzeugen und
Entwicklung neuer Technologien für die Elektromobilität der Geschwindigkeit der technischen Weiterentwicklung
befasst haben. Ganz gleich, ob es sich dabei um For- eine Systemblockade, die zu einer Entwicklungsverzöge-
schungs- und Entwicklungsaktivitäten zu Fahrzeug-, Bat- rung im globalen Wettbewerb um Elektromobilitätskon-
terie- oder Ladetechnik handelt: Deutsche Unternehmen zepte führt. Um das Ziel zu erreichen, Deutschland zu
und Forschungseinrichtungen streben eine weltweite einem Leitanbieter und Leitmarkt für die Elektromobilität
Spitzenstellung in den für die Elektromobilität relevanten zu machen, sind neben dem offensichtlichen Bedarf
Technologiefeldern an. technologischer (Weiter-) Entwicklungen daher vor allem
völlig neue Lösungskonzepte gefordert, welche die Markt-
Die aktuell noch moderate Zunahme der Elektrofahrzeuge durchdringung der Elektromobilität in Deutschland ent-
auf deutschen Straßen legt jedoch nahe, dass bis zu scheidend beschleunigen können.
einer umfassenden Marktdurchdringung grüner Mobilität
noch viele Unwägbarkeiten zu überwinden sind. So be- Die Entwicklung innovativer Dienstleistungen für die Elek
steht in der Bevölkerung ein Akzeptanzproblem, das die tromobilität leistet hierzu wesentliche Beiträge in allen
Vermarktung von Elektrofahrzeugen zu einer Herausforde- Lebenszyklusphasen eines Elektrofahrzeugs. So kann
rung macht. Verschiedene Faktoren sind hierfür ursäch- die Nutzung privater Ladestationen in Ergänzung zu öf-
lich. Einerseits fehlt eine flächendeckenden Service- und fentlichen Ladestationen dabei helfen, eine flächende-
Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge, die verbunden ckende Ladeinfrastruktur kostengünstig und schnell be-
mit der deutlich geringeren Reichweite der Fahrzeuge im reitzustellen. Neue Dienstleistungskonzepte im öffentli-
„Autoland“ Deutschland zu einem reduzierten Mobilitäts- chen Personennahverkehr und in Unternehmen integrie-
empfinden führt. Andererseits ist die Anschaffung eines ren die Elektromobilität in den Alltag der Menschen und
Elektrofahrzeugs meist deutlich teurer als die eines „kon- helfen dabei, die Vorteile einer emissionsarmen und den-
ventionell“ betriebenen Fahrzeugs. Pressemeldungen noch leistungsfähigen Mobilität zu erkennen, zu doku-
über vermeintliche Sicherheitsprobleme bei Elektrofahr- mentieren und zu schätzen. Die Weiternutzung gebrauch-
zeugen tragen zusätzlich zur Verunsicherung der Ver- ter Batterien generiert über den Einsatz im Fahrzeug hin-
braucher bei. aus zusätzliche Einnahmen und macht die Anschaffung
von Elektrofahrzeugen attraktiver. Viele weitere Lösungen
sind denkbar.
Vor diesem Hintergrund präsentiert der vorliegende Her- Wir wünschen Ihnen eine interessante und inspirierende
ausgeberband Ergebnisse aus acht Verbundforschungs- Lektüre und freuen uns auf den weiteren Austausch
projekten im durch das Bundesministerium für Bildung mit Ihnen. Die Elektromobilität hat sowohl unsere Auf-
und Forschung (BMBF) initiierten Förderschwerpunkt merksamkeit als auch unser Engagement verdient.
„Dienstleistungsinnovationen für Elektromobilität“. Die
Projekte haben Ende 2013 ihre Forschungsarbeiten auf-
genommen und sind in zwei Fokusgruppen eng miteinan-
der vernetzt. Sieben der Projekte – EOL-IS, GeNaLog, Aachen, Karlsruhe, Münster und Stuttgart
ProMobiE und SafetE-car (Fokusgruppe „Geschäftspro- im Februar 2015
zess- und Kompetenzentwicklung für Elektromobilitäts-
dienstleistungen”) sowie CrowdStrom, KIE-Lab und RE- Daniel Beverungen, Christian Fabry, Walter Ganz,
MONET (Fokusgruppe „Sharing und kooperative Dienst- Martin Matzner und Gerhard Satzger
leistungsnetzwerke für die Elektromobilität“) – entwickeln
innovative Dienstleistungen für die Elektromobilität, die
neue Mehrwerte für Unternehmen und Verbraucher schaf-
fen. Dies trägt dazu bei, die beschriebene Systemblo-
ckade aufzulösen und die Verbreitung der Elektromobilität
in Deutschland zu beschleunigen. Das Begleitvorhaben
DELFIN untersucht übergeordnete Fragestellungen zur
Elektromobilität und führt die Projektergebnisse vor die-
sem Hintergrund zusammen. Gemeinsam wird so der
Vision „Forschen – Entwickeln – Vernetzen“ folgend ein
großer Schritt in Richtung einer elektromobilen Zukunft
gemacht.
7
2 Dienstleistungen für Elektromobilität:
Förderung von Innovation
und Nutzerorientierung (DELFIN)
Hinweis:
Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse des
Projekts DELFIN aus Sicht der einzelnen Partner dar-
gestellt. Weitere Ergebnisse finden sich in der separaten
Publikation Cocca, S.; Fabry, C.; Stryja, C. (Hrsg.):
Dienstleistungen für Elektromobilität – Ergebnisse einer
Expertenstudie. Fraunhofer Verlag, Stuttgart, 2015.
9
Akteure besonders durch die Verbreitung von Leistungen über
das Internet Mehrwerte schaffen können (vgl. Buxmann
Für die Betrachtung der Marktakteure der Elektromobilität 2014).
und die damit verbundene Identifizierung von Kooperatio-
nen ist eine klare Abgrenzung der Akteure nötig. Diese Elektrotechnik-Unternehmen: Diese Gruppe beinhaltet
werden nachfolgend kurz beschrieben: sämtliche Unternehmen, die als Zulieferer der Energie-
technikbranche fungieren.
Elektromobilhersteller: Diese Gruppe bildet die Elektro-
mobilitätsgrundlage des Marktes und beinhaltet Automo- Städte und Kommunen: Diese Gruppe beinhaltet Ver-
bil- und Zweiradhersteller. waltungsorgane wie beispielsweise Stadträte, Gemeinde-
räte und Ausschüsse sowie ausführende Organe wie bei-
Energieversorger: Diese Gruppe der Energieträger, be- spielsweise Verkehrsbetriebe oder Stadtwerke in öffentli-
stehend aus Versorgern (Stadtwerke) und Produzenten cher Hand.
(Betreiber von Kraftwerken), stellt elektrische Energie für
sämtliche elektromobilen Fahrzeuge zur Verfügung. Carsharing-Unternehmen: Diese Gruppe beinhaltet Ak-
teure, die die gemeinschaftliche und organisierte Nutzung
Nutzer: Die Gruppe der Abnehmer und Nutzer lässt sich von Automobilen ermöglichen, wobei die Fahrzeugnut-
in den Personen- und Wirtschaftsverkehr aufteilen. Hier- zung und nicht der Besitz im Vordergrund steht (vgl.
bei beinhaltet Personenverkehr die Nutzer von Zweirädern Kampker 2013).
und Automobilen. Der Wirtschaftsverkehr hingegen be-
zieht sich im Besonderen auf Anbieter von KEP-Diensten Finanzdienstleister: Diese Gruppe beinhaltet Anbieter
(Kurier-, Express- und Paketdiensten) (vgl. Kampker von Dienstleistungen von der Beschaffung des Fahrzeugs
2013). bis zur Abrechnung an der Ladesäule. Auch konzern
eigene Banken, beispielsweise der Automobilhersteller,
Zulieferer: Diese Gruppe beinhaltet Unternehmen, die finden hier Berücksichtigung.
Komponenten für die Fahrzeugproduktion liefern.
Werkstätten und Wartungsunternehmen: Diese
Informations- und Kommunikationstechnik-Unterneh- Gruppe beinhaltet sämtliche Betriebe, die technische
men (IKT-Unternehmen): Diese Gruppe stellt Unterneh- Überprüfungen, beratende Tätigkeiten, vorbeugende
men dar, die den Bereich der Elektromobilität mit Informa- Arbeiten und Reparaturen an Elektrofahrzeugen durch
tions- und Kommunikationstechnologien versorgen und führen.
Fahrzeughändler: Diese Gruppe beinhaltet Unterneh- Durch die Partnerstruktur im Projekt werden Anlagen-
men, die Neuwagen sowie gebrauchte Fahrzeuge ver betreiber, Stromhändler und -lieferanten, Endverbrau-
kaufen und ankaufen. cher, Energielogistiker sowie Verteilnetz- und Mess-
stellenbetreiber in den Feldtest eingebunden. Im
Vorgehensweise bei der Recherche Fokus steht das intelligente Laden der Fahrzeuge,
kombiniert mit einer Eigenverbrauchsoptimierung.
Nachdem die vorhandenen Akteure identifiziert und in
Gruppen gegliedert wurden, wurde mit der Recherche http://www.erneuerbar-mobil.de/de/projekte/foerde-
der Kooperationen begonnen. Hierzu wurden unter- rung-von-vorhaben-im-bereich-der-elektromobilitaet-
schiedliche Medien, vor allem Meldungen im Internet ab-2012/kopplung-der-elektromobilitaet-an-erneuer-
und Zeitschriftenartikel, genutzt, um Erkenntnisse über bare-energien-und-deren-netzintegration/smart-e
vorhandene Kooperationen von Marktakteuren heraus
zuarbeiten (vgl. Abb. 2-1). Diese wurden in einen kurzen
Steckbrief übertragen, der anhand des nachfolgenden
Beispiels erläutert werden soll:
11
Sämtliche Kooperationssteckbriefe sind wie folgt Die Datenbasis der Auswertung erstreckt sich derzeit
aufgebaut: über 70 Kooperationssteckbriefe, die im Projektverlauf
fortwährend aktualisiert und in ihrer Anzahl erweitert
• Nummerierung und Titel werden (vgl. Abb. 2-2). Aufgrund der teilweise geringen
• Eingebundene Projektpartner Informationen in Meldungen und Nachrichten können
• Laufzeit gelegentlich Steckbriefe nicht vollständig erfasst werden.
• Kurzbeschreibung
• Quellenangabe
Harvey-Balls Beschreibung
Sehr hohe Intensität der Beziehung – Die Verbindung hat für beide Akteure einen
sehr hohen Stellenwert. Dies wird durch unzählige Kooperationen untermauert.
Hohe Intensität der Beziehung – Die Akteure gehen zahlreiche Kooperationen ein.
Geringe Intensität der Beziehung – Die Akteure gehen nur wenige Kooperationen ein.
Sehr geringe bzw. keine Intensität der Beziehung – Die Akteure haben kaum bzw.
keinen Bezug zueinander.
13
Elektromobilhersteller
Bisherige Ergebnisse
Energieversorger
Zweiradhersteller
Automobilhersteller
Automobilhersteller
Elektromobilhersteller
Zweiradhersteller
Energieversorger
Elektromobilzulieferer
IKT-Unternehmen
Elektrotechnikunternehm
Carsharing-Unternehmen
Finanzdienstleister
Verkehrsbetriebe
Fahrzeugvermietung
Fahrzeughändler
Aus der detaillierten Betrachtung der erstellten Intensitäts- Die Ergebnisse der gesamten Matrix sollen durch Exper-
matrix lässt sich folgern, dass es große Unterschiede der ten innerhalb der Fallstudie validiert und zudem mit den
Intensitätsbeziehungen unterschiedlicher Akteure gibt. Einschätzungen der weiteren im Projektverlauf interview-
Diese sollen nachfolgend an drei Beispielen näher erläu- ten Experten abgeglichen werden.
tert werden:
Automobilhersteller -
Automobilhersteller
Die Häufigkeit gemeinsamer Forschungskooperationen
zwischen verschiedenen Automobilherstellern ist hoch,
jedoch ist die Intensität der Kooperationen gering, da es
sich vorwiegend um große Netzwerke handelt, bei denen
diverse Akteure einbezogen werden. Damit ist die Inten
sität der Beziehung als mittelstark einzustufen.
Automobilhersteller -
Zweiradhersteller
Gemeinsame Projekte und Kooperationen zwischen Auto-
mobilherstellern und Zweiradherstellern zeichnen die Be-
ziehung der beiden Akteure nicht aus. Jedoch ist die Ver-
bindung trotzdem von mittlerer Intensität, da der Zweirad-
markt durch den Einstieg der Automobilhersteller an Stel-
lenwert gewinnt.
Automobilhersteller -
Energieversorger
Automobilhersteller und Energieversorger sind die beiden
treibenden Kräfte des Automobilmarkts. Das drückt sich
zum einen durch die zahlreichen Kooperationen aus, zum
anderen durch die starke Konkurrenzsituation der Akteure
aufgrund sich überschneidender Wirtschaftsinteressen.
Die Intensität der Beziehung ist sehr hoch.
15
2.1.2.2 Potenziale, die Veränderungen der Markt- Diese Einflussfaktoren werden in Form eines Steckbriefs
strukturen beeinflussen können gesondert für jeden Marktteilnehmer erfasst, zugeordnet
und abschließend bewertet. Die Bewertung erfolgt an-
Die Betrachtung neu aufkommender Themen und hand einer Skala, die nachfolgend näher erläutert wird:
deren Entwicklung sowie die Abschätzung von Poten-
zialen, die eine Veränderung der Marktstrukturen be sehr negative Auswirkung auf die zukünftige
einflussen können, ist ein weiteres zentrales Element des Entwicklung
Projekts.
negative Auswirkung auf die zukünftige
Hierfür werden, in Vorbereitung zur späteren Bildung Entwicklung
von Grobszenarien, unterschiedliche Einflussfaktoren
und Entwicklungen recherchiert, erfasst und bewertet, positive Auswirkung auf die zukünftige
mit dem Ziel, Potenziale für Marktakteure abzuleiten. Entwicklung
Jeder zehnte der 30- bis 49-Jährigen hatte Die Verbreitung und Nutzung
bereits Kontakt mit Carsharing-Angeboten von Carsharing-Angeboten
(vgl. BITKOM 2014) wird in den kommenden Jahren
weiterhin stark zunehmen. Die
Jeder zweite Bundesbürger konnte sich Bevölkerung befindet sich im
2013 vorstellen, Carsharing-Angebote zu Umschwung von Besitzen zu
nutzen (vgl. BITKOM 2014) Nutzen.
17
2.1.2.3 Monitoring internationaler Aktivitäten Die Ergebnisse wurden im Anschluss dazu verwendet,
Steckbriefe für jede einzelne Aktivität zu entwerfen.
Das Monitoring internationaler Aktivitäten zur Elektromobi- Jeder Steckbrief hat dabei folgende Aufbaustruktur:
lität (Tätigkeiten seitens der Politik, der Nutzer, der Unter-
nehmen etc.) dient dazu, folgende drei Fragestellungen • Thema der Aktivität
zu beantworten: • Ort und Datum der Aktivität
• kurze Zusammenfassung des Inhalts der Aktivität
1. Welche Aktivitäten im Elektromobilitätskontext (Fokus • Kategorisierung der Aktivität (Gesetz, Dienstleistung,
Dienstleistungen) werden im internationalen Umfeld Subvention etc.)
durchgeführt? • (erwartete) Konsequenzen der Aktivität
2. Welche Konsequenzen ergeben sich aus den durch- • Beurteilung der Aktivitäten
geführten Aktivitäten beziehungsweise welche Kon • Quelle
sequenzen sind zu erwarten (falls Aktivität sehr aktuell
ist und deswegen noch keine Konsequenz zu beob- Beispielhaft werden an dieser Stelle drei Steckbriefe auf-
achten ist)? gezeigt, die unterschiedlichen Kategorien zugeordnet
3. In welchen Ländern werden besonders viele Elektro- wurden. In diesem Fall sind dies die Kategorien Dienst-
mobilitätsaktivitäten durchgeführt? leistung, Gesetz und Subvention.
Bildquelle: http://www.focus.de/auto/
elektroauto/wenn-der-akku-leer-ist-wie-ein-
tankflugzeug-jetzt-kommt-die-mobile-
pannenhilfe-fuers-elektroauto_id_4287656.html
19
Monitoring internationaler Aktivitäten
Steckbrief
Bildquelle: http://phys.org/news/2014-08-
booming-electric-car-sales-norway.html
Bildquelle: http://stockholmgroup.org/
2014/02/17/fortum-launched-quick-charge-
stations-for-electric-cars/
21
Alle identifizierten internationalen Aktivitäten wurden ab- Darstellung möglich, einfach und plakativ zu zeigen, wel-
schließend in einem Katalog zusammengefasst und wer- che Länder wie viele Elektromobilitätsaktivitäten durchge-
den zukünftig in einem Demonstrator dargestellt. Dessen führt haben.
Aufbau stellt eine Weltkarte dar, auf der die Aktivitäten
den einzelnen Ländern zugeordnet werden (vgl. Abb. Aufgrund der Tatsache, dass das Monitoring internationa-
2-7). Durch Klicken auf die jeweiligen Markierungen, die ler Aktivitäten zum Verfassungszeitpunkt der Publikation
den Ländern zugeordnet sind, in denen die Aktivität noch nicht abgeschlossen ist, sei folgende Abbildung als
durchgeführt wurde, werden die jeweiligen Steckbriefe mit ein Darstellungsbeispiel zu verstehen.
allen ihren Details dargestellt. Es ist durch diese Art der
Abb. 2-7: Oberfläche des Demonstrators mit Anzeige der internationalen Aktivitäten
23
schiede zwischen Deutschland und den Niederlanden • Gewinn von Erkenntnissen über Kooperationen zwi-
zu identifizieren. schen Akteuren
• Auswertung weiterer internationaler Aktivitäten
3. Testfahrten und Fotostory • Identifizierung von Potenzialen und Hindernissen für
Der eigene Eindruck spielt bei dem „Erlebnis Elektro- Elektromobilität in der jeweiligen Modellregion
mobilität“ eine große Rolle. Aus diesem Grunde soll • Herstellen neuer Kontakte zu innovativen Unternehmen
der Zugang zu sowie die Nutzung von Elektromobilität zur Validierung der momentanen und zukünftigen Pro-
an einem Beispiel veranschaulicht werden und anhand jektergebnisse
einer Fotostory dokumentiert werden. In beiden Mo- • Aufzeigen von Unterschieden der „gelebten“ Elektro-
dellregionen werden dafür Elektrofahrzeuge ausgelie- mobilität und Elektromobilitätsangeboten zweier
hen, mit denen die elektromobile Fortbewegung prak- Länder
tisch erprobt und deren Nutzerfreundlichkeit analysiert • Erkenntnisse über das Nutzungsverhalten der Stadt
wird. Typische Fragestellungen an dieser Stelle lauten: bevölkerung bezüglich Elektromobilität
Welche Hindernisse entstehen beim Ausleihen eines 2.1.3 Entwicklung von Zukunftsszenarien
Elektrofahrzeugs? Wie kann die nächste Ladesäule 2020+
gefunden werden? Ist diese leicht zu erreichen? Wie
verläuft der Ladevorgang, wie dessen Abrechnung? Neben den Fallstudien ist der nächste wichtige Schritt im
Projekt die Entwicklung von Grobszenarien der Elektro-
Ziel ist es, einen Überblick darüber zu geben, wie mobilität als Teil des Mobilitätskonzepts im Jahre 2020+.
nutzerfreundlich die verschiedenen Modellregionen Dafür werden zunächst relevante Einflussfaktoren und
Elektromobilität zur Verfügung stellen, aufzuzeigen, wo Einflussbereiche ermittelt. Dies geschieht unter anderem
Verbesserungspotenziale stecken, und sinnvoll umge- durch Workshops und Interviews mit Experten. Im Fokus
setzte Maßnahmen herauszustellen. Diese Ergebnisse steht die Untersuchung und Zuordnung interner und ex-
werden in Form eines Berichts dargestellt, in dem alle terner Schlüsselfaktoren zu Einflussbereichen der Szena-
gewonnenen Erkenntnisse zu den Modellregionen, riofelder.
unterlegt mit Fotos, zusammengefasst sind.
Die entwickelten Grobszenarien dienen dann als Grund-
Zusammenfassend lassen sich die Ziele, die mithilfe lage für eine nachfolgende systematische und detaillierte
der Fallstudien erreicht werden sollen, folgendermaßen Entwicklung dreier unterschiedlicher Szenarien.
formulieren:
25
schäftsmodell integriert werden kann. Das Resultat soll dells oder des Standardisierungsgrades der in der
eine strukturierte Übersicht über IT-gestützte Elektromobi- Dienstleistung verwendeten elektromobilitätsspezifischen
litätsdienstleistungen sein, die wie eine Landkarte einen IT-Komponenten beschreibt (siehe Abb. 2-8). Als Orien
Überblick über mögliche thematische Überschneidungen tierungshilfe für Entscheidungsträger wie der Bundes
verschiedener Initiativen sowie künftige Forschungspoten- regierung oder Industrieunternehmen kann dieses Bewer-
ziale bieten soll. tungsframework dabei helfen, Innovationspotenziale früh-
zeitig zu erkennen und geeignete Partner aus Forschung
Diese „Landkarte“ entsteht durch die Anwendung des und Industrie zusammen zu bringen. Darüber hinaus
entwickelten Bewertungsframeworks, welches Elektromo- können generelle Handlungsempfehlungen für alle Elekt-
bilitätsdienstleistungen anhand verschiedener Kategorien romobilitätsakteure abgeleitet werden.
wie zum Beispiel des zugrunde liegenden Geschäftsmo-
Kategorie 2 x Kategorie 1
o
x Kategorie 2
o
o Kategorie 3
o Kategorie 4
o Kategorie 5
o Kategorie 6
o Kategorie 7
o Kategorie 8
o Kategorie 9
Kategorie 1 o Kategorie 10
Perspektiven des
Bewertungsframeworks
„Business-Sicht“ „IT-Sicht“
Kundenfokusierung Informationsaustausch
und Geschäftsmodelle und Kommunikation
27
2.2.2.1 Business-Sicht gründen die 100 relevantesten Paper ausgewählt und
anschließend einer tieferen Analyse unterzogen. Hierbei
Um geeignete Bewertungskategorien für das Framework wurden alle Publikationen ausgewählt, die über 100-mal
ableiten zu können, müssen die den Dienstleistungen zu- zitiert wurden. Dies ergab 35 potentiell relevante Publika
grunde liegenden Geschäftsmodelle zunächst umfassend tionen, welche alle englischsprachig waren. Da nur vier
untersucht und verstanden werden. Nur durch eine am der 35 Publikationen nach 2010 veröffentlicht wurden,
Nutzerbedürfnis orientierte Übersicht bestehender Ge- wurde anschließend noch überprüft, ob es seit 2010
schäftsmodelle können Potenziale für neue Dienste identi- weitere relevante, aber aufgrund ihres jungen Alters noch
fiziert und Lücken bezüglich fehlender Geschäftsmodelle wenig beachtete Publikationen gab. Die Auswahl der
aufgezeigt werden. Bisherige Ansätze sind stark techno- für das Bewertungsframework relevanten Publikationen
logiefokussiert und lassen etablierte Ansätze der Ge- ergab sich anschließend nach folgenden Kriterien. Ein
schäftsmodellforschung weitgehend außer Acht (siehe Paper wurde demnach berücksichtigt, falls
u.a. Kley et al. 2011). Zunächst muss eine Taxonomie aus
Komponenten und Ausprägungsmerkmalen erstellt wer- • darin ein eigenes Business Model Beschreibungs-
den, deren Einsatz in einem übergeordneten Framework framework vorgestellt wurde,
eine strukturierte sowie praxistaugliche Übersicht über • die Aufstellung des Frameworks bzw. der Definition
Geschäftsmodelle im Bereich von Elektromobilitätsdienst- genereller Natur, also nicht fachspezifisch (z.B. oft
leistungen ermöglicht. eBusiness-spezifisch), war sowie
• das vorgestellte Modell vom gleichen Autor nicht schon
Analyse der Business-Model-Literatur in einer anderen Publikation vorgestellt wurde.
Ausgangspunkt für die Entwicklung der Taxonomie war Die meisten Frameworks in den ausgewählten Publika
eine umfassende Literaturrecherche zum Status quo tionen bestehen aus Haupt- und Teildimensionen. In Ab-
im Forschungsfeld Geschäftsmodelle. Innerhalb einer bildung 2-10 (Tabelle) sind die entsprechenden Arbeiten
definierten Menge von Datenbanken (Google Scholar, mit ihren Business Model-Bestandteilen aufgeschlüsselt.
EBSCO, Wiley) wurde nach den Suchbegriffen „Business Wenn in der entsprechenden Publikation eine Business-
Model“ und „Geschäftsmodell“ gesucht. Das Gebiet der Model-Dimension als Hauptdimension genannt wurde,
Elektromobilität wurde dabei bewusst ausgeklammert, ist diese in der Tabelle mit einem „X“ gekennzeichnet.
um zunächst einen generellen Eindruck der Literatur zu Immer dann, wenn eine Dimension nicht als Hauptdimen-
erhalten. sion, sondern als Teildimension bezeichnet oder lediglich
im Text genannt wurde, ist sie mit einem „X*“ gekenn-
Bei der Analyse der Ergebnisse wurde wie folgt vorge- zeichnet. Unter „Other elements“ sind alle weiteren Haupt-
gangen. In einer ersten Runde wurden aus Komplexitäts- dimensionen des jeweiligen Papers genannt, die jedoch
• Value proposition/offering
• Key resources
• Key activities
• Market/customer segment
• Revenue stream
• Cost structure
• Value network
• Competitive strategy
29
# Zita Value Market/ Com-
Autoren Key Key Revenue Cost Value Andere
tionen proposition/ customer petitive
Jahr resources activities stream structure network Elemente
4.11.14 offering segment strategy
Johnson et Margin model,
887 X X X* X* X* X*
al., 2008 resource velocity
Al-Debei
Value
and
166 X X X* X* X* X architecture,
Avison,
Pricing methods
2010
Ches-
brough and
Rosen 2067 X X X X X X Value chain
bloom,
2002
Hedman
Competition,
and
531 X X X X X* Scope of
Kalling,
management
2003
Channel,
Osterwal-
1112 X X X X X X X* customer
der, 2004
relationship
Morris et Personal/investor
1032 X X X X X X
al., 2005 factors
Shafer,
Smith, Competitors,
794 X X X X X X X X
Lindner, Mission
2005
Summe 7 5 5 7 6 6 5 3
31
Erhebung des Status Quo elektromobiler weise projektintern sind. Für die Planung und Durchfüh-
Standards und Schnittstellen rung wurde das Vorgehen nach Gläser (Gläser und Lau-
del 2010) gewählt.
Um den Stand der Technik bei IT-Konzepten von Elektro-
mobilitätsdienstleistungen zu ermitteln und einen ersten Die befragten Experten stammten hauptsächlich aus dem
Entwurf für IT-relevante Kategorien und Ausprägungs- Bereich elektromobilitätsnaher Plattformdienstleister (vgl.
merkmale des Bewertungsframeworks zu erhalten, wur- Abb. 2-11). Die folgenden Schlussfolgerungen erheben
den Experteninterviews durchgeführt. Diese Methodik daher noch keinen Anspruch auf Vollständigkeit für alle
eignet sich, da zu dem Themenbereich nur wenig Litera- Elektromobilitätsdienstleistungen, sondern stellen einen
tur existiert und die Informationen firmen-beziehungs- ersten Entwurf der Ergebnisse laufender Forschung dar.
Pseudonym Herkunft
33
Energiebetreiber 1 Energiebetreiber 2 … Energiebetreiber n
? ? ? ?
Optionale
Entitäten
Clearing House / OICP Ladestations Ladestations Ladestations
…
Roamingplattform 1 betreiber 1 betreiber 2 betreiber k
OCHP
? OCHP?
?
ISO-15118
Clearing House /
Roamingplattform m
Legende
Entität
Identifizierter
Standard
Endnutzer 1 Endnutzer 2 … Endnutzer g
Kommunikation
EMAID EMAID
Die Abbildung zeigt, dass ausgehend vom Fahrzeugnut- Lücken bei den Standards gibt es vor allem bei der Kom-
zer dieser zunächst von seinem Service-Provider, seiner munikation zwischen Netzbetreiber und Clearing House
Roamingplattform, dem Ladestation- oder Energienetzbe- beziehungsweise Roamingplattformen (vgl. Experte C
treiber einen e-Mobility Account Identifier (EMAID) zur und H) sowie zwischen den einzelnen Roamingplattfor-
eindeutigen Identifikation erhält. Die Vergabe des ID- men (vgl. Experte H). An diesen Stellen konnten keine
Codes EMAID ist zusammen mit der Electric Vehicle Sup- Standards identifiziert werden. Ebenfalls ist fraglich, wie
ply Equipment ID (EVSEID) Teil der E-Mobility ID, für die standardisierte, anbieterübergreifende Kommunikation
deren Vergabe in Deutschland momentan der Bundesver- zwischen Netzbetreiber und Ladestationsbetreiber funk
band der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. zuständig tioniert. An diesen Stellen ist bereits der Bedarf zu einer
ist. Lädt der Kunde nun ein Fahrzeug an einer – durch die Standardisierung erkennbar.
EVSE ID eindeutig identifizierbaren – Ladestation, so ist
die Verbindung von Ladestation und Elektrofahrzeug über
die ISO/IEC 15118-Norm definiert. Die Norm beschreibt
ein einheitliches Kommunikationsprotokoll zwischen Lade-
35
Implikationen für das Bewertungs- works handelt. Komponenten oder ganzheitliche Soft-
framework warelösungen werden in diesem Kontext als offen be-
trachtet, wenn sie entsprechend einer Gemeinfreiheit,
Im vorausgehenden Kapitel wurde ein Ausschnitt des Copyleft (GNU GPL), Open Source, BSD-ähnlichen,
Status quo der IT-Konzepte von Elektromobilitätsdienst- speziellen Ausprägungen der Creative Commons Lizenz
leistungen, ihrer Standards, Schnittstellen und identifizier- oder vergleichbarer Lizenz lizenziert sind.
ten Lücken gegeben. Nun sollen geeignete Kriterien zur
Einbindung in das übergeordnete Bewertungsframework Ein hoher Standardisierungsgrad ist ebenfalls für den
identifiziert werden. Zunächst gilt es, geeignete Kriterien Erfolg wichtig, da so bereits erfolgte Arbeit nicht erneut
zur IT-seitigen Einordnung von Elektromobilitätsdienst durchgeführt wird, Best Practices verwendet werden und
leistungen zu finden. Ein Teilergebnis aus den Experten die Marktteilnehmer dieselbe Sprache sprechen (vgl.
interviews ist dabei, dass sich IT-Konzepte hinsichtlich Sommerville 2007). Detaillierte Informationen zur Bedeu-
ihrer Standards und der Offenheit (im Sinne von freier tung von Standards in Softwareprojekten finden sich unter
Software) – teilweise stark – unterscheiden. Erkenntnisse anderem in Ainsworth und Reeves (2003), Liggesmeyer
aus der Literatur zeigen ebenfalls, dass Standards und (2009) sowie Sommerville (2007).
die Offenheit der betrachteten Lösungen wichtig sind,
um im Bereich Elektromobilität eine höhere Marktdurch- Neben den zwei durch die Interviews identifizierten Krite-
dringung erlangen zu können (vgl. auch Mayer et al rien gibt es noch weitere mögliche Dimensionen. So wäre
2010). zum Beispiel ebenfalls die Verbreitung von IT-Konzepten
über verschiedene Praxisprojekte von Interesse, eine
Bei der Offenheit handelt es sich insbesondere deshalb regionale Unterscheidung (z.B. USA gegenüber Eu-
um ein wichtiges Kriterium, da offene Softwarelösungen ropa) der Verwendung von identifizierten Konzepten oder
ohne Marketing eine höhere Anzahl an Nutzern erreichen, der Aspekt der (Daten-) Sicherheit. Die im weiteren
als dies bei proprietärer Software der Fall ist (vgl. u.a. beschriebene Clusterung entlang von zwei Kriterien ist
DiBona, Stone und Cooper 2005; Stallman und Gay daher rein exemplarisch und nicht vollständig, da sie
2002). Demgegenüber ergeben sich auch Nachteile wie Gegenstand laufender Forschung ist. Sie soll eine mög
beispielsweise die fehlende Monetarisierung, welche liche Richtung einer Einordnung von IT-Konzepten von
ebenfalls einen Einfluss auf die Marktdurchdringung Elektromobilitätsdienstleistungen aufzeigen. Die zwei
haben könnte. Ohne eine Wertung abzugeben, ob offene Kriterien Grad der Offenheit und Standardisierungs-
Software eine positive oder negative Eigenschaft von grad werden im Folgenden kurz vorgestellt.
IT-Konzepten von Elektromobilitätsdienstleistungen ist,
wird deutlich, dass es sich bei dem Grad der Offenheit
um ein wichtiges Kriterium als Teil des Bewertungsframe-
Standardisierungsgrad
• Proprietär: Das IT-Konzept ist proprietärer Natur, es
finden sich keine offenen Schnittstellen.
• Verfügbar: Das IT-Konzept ist für jeden erfahrbar, es
existieren offene Schnittstellen, die frei verfügbar sind.
hoch
• Teilnehmbar: Das IT-Konzept wird durch eine offene
Community entwickelt, die Entwicklungen beobachten,
auf diese reagieren und sie ändern kann.
Standardisierungsgrad Ladesäulenreservierung
niedrig
Der Begriff Standardisierungsgrad taucht in der Literatur
häufig auf. Besonders in der Organisationstheorie werden
Grad der Offenheit
hier die Ausprägungen niedrig und hoch unterschieden
(vgl. u.a. Becker und Langosch 2002; Siedenbiedel 2010). proprietär verfügbar teilnehmbar
Zur Messung des Standardisierungsgrades von Software
finden sich in der Literatur jedoch nur wenig Hinweise, Abb. 2-13: Erster Entwurf der IT-Sicht des Bewertungsframeworks
woraufhin ein eigenes Maß basierend auf (Computer-
37
2.2.3 Ausblick: Anwendung des Bewertungs- Frameworks ist die Identifizierung von „weißen Flecken“
frameworks in der Forschungs- und Industrielandschaft sowie
eine bessere Nutzung von bestehenden Synergien in
Im weiteren Verlauf des Projekts soll das Bewertungs- den aktuellen Elektromobilitätsinitiativen.
framework auf nationale und internationale Initiativen an-
gewendet und verstetigt werden. Das primäre Ziel des
Mithilfe des Bewertungsframeworks können die Daten • Identifikation sich ergänzender Forschungsansätze
aus dem Atlas nun thematisch und visuell aufbereitet wer- und -methoden für eine spezielle Problemstellung
den. Das Framework identifiziert nicht nur sich ergän- • Förderung des Wissenschaftsaustauschs durch
zende Forschungsinitiativen, sondern legt auch die in den Benchmarking des IT- und Business Models des eige-
Projekten genutzten Technologien offen und vergleicht nen Projekts mit ähnlichen Initiativen
sie, um so ein genaueres Bild über die Elektromobilitäts- • Austauschplattform für aktuelle und künftige Entwick-
landschaft zu generieren. lungsaktivitäten mit der Industrie
• Förderung des Community-Aufbaus für ein spezifi-
Damit ergeben sich vielfältige Verwendungsmöglichkei- sches Forschungsproblem (z.B. Entwicklung eines
ten. Durch die zweigeteilte Sicht auf Business und IT kann benötigten Standards, der noch nicht existiert)
so zum Beispiel eine für die Industrie interessante Kate-
gorisierung der Projekte und ihrer Ergebnisse erfolgen. Die durch das Bewertungsframework gewonnene Trans-
Mögliche Anwendungsszenarien für die Industrie könn- parenz leistet vor allem einen Beitrag zur Verbesserung
ten sein: der Entwicklungsaktivitäten. Um mit der Dienstleistung
später tatsächlich Kunden zu erreichen und langfristig zu
39
halten, ist es jedoch auch wichtig, zu verstehen, welche 2.3 Erfolgsfaktor nutzerfreundliche
tatsächlichen Probleme die Nutzer später bei der alltägli- Dienstleistungen: Elektromobilität
chen Nutzung der Dienstleistungen haben. Die Entschei-
dung, für oder gegen Elektromobilität wird nicht nur rein
aus Kundensicht begreifen
rational getroffen, sondern hat ebenso viel mit emotiona- Sabrina Cocca, Michaela Klemisch,
len Prozessen im Menschen zu tun. Bei der Ausgestal- Thomas Meiren
tung und Wirkung speziell von IT-gestützten Dienstleistun-
gen in der Elektromobilität fehlt diese Erfassung der emo- 2.3.1 Einleitung, Ziele und Vorgehensweise
tionalen Sicht bei der Nutzung bislang völlig. Der Kunde
wird zwar bereits in den Entwicklungsprozess integriert, Elektrisch angetriebene Fahrzeuge – insbesondere Elekt-
eine Analyse der späteren täglichen Nutzung und der roautos, E-Bikes und Elektroroller, aber auch Busse und
dabei empfundenen Emotionen erfolgt jedoch nicht. Um Nutzfahrzeuge – entwickeln sich technologisch gesehen
den im Bewertungsframework identifizierten Initiativen in einer hohen Geschwindigkeit weiter. Fragestellungen
eine Übersicht über diese Probleme sowie eine Ursachen- rund um die Standardisierung von Ladetechnik oder auch
analyse zu ermöglichen, ist im nächsten Schritt unter autonome Fahrzeuge, die Ladepunkte selbsttätig ansteu-
anderem eine umfassende Analyse mithilfe von moderner ern, sind Beispiele, die den aktuellen Fokus zahlreicher
Experimentalforschung geplant, die die Nutzung der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in Deutschland
Dienstleistung simuliert und dabei die emotionalen Reak- aufzeigen. Gleichzeitig stehen Anbieter aber vor der
tionen des Kunden auswerten soll. Herausforderung, dass die Akzeptanz gegenüber Elek
trofahrzeugen auf dem Markt noch nicht hinreichend
vorhanden ist. Diese Betrachtung ist jedoch nur die eine
Seite der Medaille eines Dilemmas zwischen Angebot
und Nachfrage: Potenzielle Nutzer sollen das neue Fort-
bewegungskonzept adaptieren – finden aber keine flä-
chendeckende Versorgung mit Angeboten vor, welche
die Nutzung oder sogar den Kauf von Elektrofahrzeugen
erst sinnvoll und attraktiv werden ließen.
41
Von diesen Beispielen können deutsche Unternehmen des Nutzers verwendet, da keine Beschränkung auf die
lernen, damit neue Technologien hierzulande nicht nur ökonomische Dimension erfolgen soll.
entwickelt werden, sondern die Unternehmen insbeson-
dere auch von deren Vermarktung profitieren. Aus diesem Die Einbindung von Nutzern in die Entwicklung und Ge-
Grund werden Fallstudien mit Fokus auf einzelne Städte staltung von Angeboten – Sachgüter, Software oder
im europäischen Ausland (u.a. Niederlande, Spanien, Est- Dienstleistungen – ist auf unterschiedliche Weise und mit
land, Finnland) sowie in China und USA durchgeführt. Für unterschiedlicher Intensität denkbar. Hierzu liefern ver-
Unternehmen bietet sich somit die Möglichkeit, von inter- schiedene Bereiche in der wissenschaftlichen Forschung
nationalen Erfahrungen zu lernen, ihre Arbeiten am inter- entsprechende Betrachtungen.
nationalen State-of-the-Art auszurichten und zudem die
Besonderheiten internationaler (Export-) Märkte kennen- Customer Co-Creation ist ein Trend in der aktuellen
zulernen. Dienstleistungsforschung. Hierbei wird das Prinzip der
kundenorientierten Anpassung einer Leistung auf indivi-
duelle Kundenbedarfe („Customization“) einen Schritt wei-
2.3.2 Systematische Einbindung von Nutzern ter gedacht: „The difference between “co-creation” and
in die Dienstleistungsentwicklung “customization” lies in the degree of involvement of the
customer; in general terms, the customer plays a less ac-
Zunächst stellt sich die Frage, wie ein Nutzer definiert ist tive role in customization than in co-creation. […] In cont-
und was der Unterschied zu dem häufig synonym ge- rast, co-creation refers to the involvement of the customer
brauchten Begriff Kunde ist. Der Kundenbegriff ist im Ge- as an active collaborator right from the beginning of the
gensatz zum Nutzer in der Regel mit einem ökonomi- innovation process.“ (Kristensson, Matthing und Johans-
schen Fokus verbunden (vgl. Reinicke 2004). Das Ver- son 2008, S. 475).
ständnis des Nutzerbegriffs geht über die rein ökonomi-
sche Definition des Kunden hinaus: „Er umfasst alle Per- Der Begriff der Nutzeranalyse weist auf die dedizierte
sonen, die von dem Produkt eines Unternehmens direkt Betrachtung potenzieller Kunden hinsichtlich ihrer Bedürf-
oder indirekt betroffen sind. Eine direkte Betroffenheit ist nisse und Bedarfe hin. Sie kann also als Vorstufe gesehen
gekennzeichnet durch den willentlichen Kontakt des Nut- werden, um den eigentlichen Entwicklungsprozess vorzu-
zers mit dem Produkt. Eine indirekte Betroffenheit tritt ein, bereiten. Nutzerintegration als nächster Schritt be-
wenn der Nutzer ohne eigene Intention mit dem Produkt schreibt die aktive Miteinbeziehung von Nutzern eines
in Berührung kommt bzw. davon beeinflusst wird (z.B. Produkts, einer Software oder einer Dienstleistung in
durch Stimulation der Sinnesorgane).“ (Reinicke 2004, S. deren Erstellungsprozess und geht daher über die reine
19). Im vorliegenden Beitrag wird einheitlich der Begriff Nutzeranalyse hinaus. Sie wird in unterschiedlichen Dis
ziplinen betrachtet (u.a. Ingenieurwissenschaften, Infor-
Eine zentrale Motivation der Nutzeranalyse beziehungs- Im Forschungsfokus steht die Frage, wie (potenzielle) Nut-
weise -integration ist es, eine entwickelte Lösung mög- zer von Elektromobilitätsdienstleistungen in den Entwick-
lichst auf die Nutzerbedarfe abzustimmen. Messbar ist lungsprozess konkreter Leistungen eingebunden werden
diese Eigenschaft an den Konstrukten User Experience können – langfristig sogar in ein systematisches Innova
(Nutzererlebnis) oder Usability (Nutzerfreundlichkeit). tionsmanagement. Hierzu sind zunächst Methoden zu
Dabei ist die „Usability eines Produktes […] das Ausmaß, erforschen, zu aggregieren und gegebenenfalls neu zu
in dem es von einem bestimmten Benutzer verwendet entwickeln, welche die Einbindung ermöglichen. An-
werden kann, um bestimmte Ziele in einem bestimmten schließend (vgl. Kapitel 2.3.4) können diese dann in Form
Kontext effektiv, effizient und zufriedenstellend zu errei- eines Methodensets in ein Entwicklungsmodell für Elekt-
chen.“ (Definition der Internationalen Organisation für romobilitätsdienstleistungen überführt und je nach Dienst-
Standardisierung, ISO 9241). Der Begriff der User Experi- leistungstyp oder Unternehmensanforderung ausgewählt
ence ist durch die Informationstechnik geprägt und be- und angewandt werden. Zur Identifizierung geeigneter
schreibt „A person‘s perceptions and responses that re- Methoden erfolgt eine Betrachtung sowohl dienstleis-
sult from the use and/or anticipated use of a product, sys- tungsspezifischer Forschungs- und Entwicklungsdiszipli-
tem or service“ (DIN EN ISO 9241, S. 210). Beide Begriffe nen als auch von angrenzenden Disziplinen wie insbeson-
beschreiben also die Erfahrung von Nutzern in der Inter- dere Produkt- und Softwareentwicklung. Letztere bieten
aktion mit Unternehmensangeboten und deren Erleben in das Potenzial der Übertragbarkeit, zumal es sich vor allem
bestimmten Umgebungen. bei der Produktentwicklung um ein älteres und daher stär-
ker etabliertes Feld handelt, welches sich schon länger
Service Engineering ist eine Disziplin der (anwendungs- mit der Nutzerintegration beschäftigt als die jüngere Dis
orientierten) Dienstleistungsforschung und verweist auf ziplin der Dienstleistungsforschung. Außerdem bietet sich
eine zielgerichtete und planvolle Vorgehensweise bei der im Sinne des systemischen Lösungsansatzes, welcher
Entwicklung und Gestaltung von Dienstleistungen sowie eine integrierte Entwicklung von Sachgütern, Software
bei der Beschreibung des zugrunde liegenden Ge- und Dienstleistungen impliziert, auch eine integrierte Be-
schäftsmodells (vgl. Meiren 2006). Da es sich bei der Ent- trachtung möglicher Methoden an.
43
Die Einbindung von Nutzern in die Entwicklung und Ge-
staltung von Dienstleistungen taucht in verschiedenen Level 1:
Nachbardisziplinen des Service Engineering auf. Insbe- DELFIN-Referenzmodell für Service Engineering
sondere sind hier die Forschungsbereiche Service De- Level 2: Vorgehensmodell
sign, Service Innovation und New Service Development
Level 3: Methoden und Tools
zu nennen.
Level 4: Nutzerintegration
Level 5: Organisation
2.3.3 Referenzmodell zur nutzerorientierten Level 6: Fallbeispiele
Entwicklung von Elektromobilitäts-
angeboten
Abb. 2-15: DELFIN-Referenzmodell für die systematische
Um nutzerorientierte Angebote für Elektromobilitätsnutzer nutzerorientierte Entwicklung von Elektromobilitäts-
entwickeln zu können, muss definiert werden, wie und dienstleistungen
an welchen Punkten im Erstellungsprozess Nutzer ein
gebunden werden können. Bevor eine detaillierte Aus
differenzierung (v.a. Nutzertypen bzw. -gruppen, Dienst-
leistungstypen für Elektromobilität) erfolgen kann, die zu
einem umfassenden Referenz- beziehungsweise Innova Generelle Anforderungen an
tionmodell das Service Engineering führt, ist zunächst ein das Framework
grundlegendes Framework aufzustellen Darüber hinaus
müssen die Anforderungen an die eingesetzten Metho- Da es sich bei Elektromobilität um einen sich entwickeln-
den formuliert werden, welche das Rückgrat des Refe- den Markt handelt, auf dem schrittweise neue Angebote
renzmodells darstellen. Abbildung 2-15 skizziert den Auf- entstehen werden, die sich zunächst gegen mangelnde
bau des Referenzmodells, wobei das Referenzmodell den Akzeptanz seitens potenzieller Nutzer und damit gegen
Rahmen (Framework, Level 1) bildet, das durch ein kon ein „Vermarktungsproblem“ durchsetzen müssen, bietet
figurierbares Vorgehensmodell (Level 2), entsprechende sich eine agile Herangehensweise an die Entwicklung
Methoden und Tools (Level 3), mit besonderem Fokus auf entsprechender Elektromobilitätsdienstleistungen an (vgl.
die Nutzerintegration (Level 4), unterfüttert wird. Anschlie- Cocca, Klemisch und Meiren 2015). Ein Framework sollte
ßend, in Folgeaktivitäten, werden Empfehlungen für die dies entsprechend berücksichtigen. Darüber hinaus han-
organisatorische Umsetzung (Level 5) sowie Fallbeispiele delt es sich bei Elektromobilitätsdienstleistungen, in Kom-
zur besseren Verständlichkeit für die Umsetzung in Unter- bination mit Technologieprodukten betrachtet, um ein
nehmen (Level 6) hinter das Referenzmodell gelegt. heterogenes Feld. Aus diesem Grund müssen das Frame-
45
Bewertung der Einsetzbarkeit entlang des Dienstleistungs- suchungsfeld erkundet beziehungsweise beforscht wird:
entwicklungsprozesses: Ideenfindung und -bewertung, Je stärker vordefiniert die Varianten (z.B. Antwortmöglich-
Anforderungsanalyse, Dienstleistungskonzeption, -test, keiten) sind, die Probanden vorgelegt beziehungsweise
-implementierung und Markteinführung mit dem Ziel, eta- die als Auswertungsraster zugrunde gelegt werden, umso
blierte Modelle des Service Engineering mit Methoden geringer ist der Spielraum von Probanden, darauf (be-
zur Nutzerintegration zu unterfüttern. Insgesamt wurden wusst oder unbewusst) zu antworten oder zu reagieren,
72 Methoden identifiziert, die grundsätzlich für die Ent- oder von den Methodenanwendern, nach neuen Erkennt-
wicklung von Dienstleistungen eingesetzt werden können nissen und Strukturen zu suchen. Bei einer offeneren
und die auf eine Integration von Nutzern abzielen, wobei Herangehensweise hingegen ist zwar die Unsicherheit im
in der Literatur zu Service Engineering meist der Kunden- Einsatz größer, allerdings besteht auch die Möglichkeit,
statt Nutzerbegriff verwendet wird (vgl. z.B. Bullinger, Erkenntnisse zu gewinnen, die über den vordefinierten
Scheer und Zahn 2002; Ganz, Satzger und Schultz 2012). Rahmen hinausgehen. Darüber hinaus bieten qualitative
Methoden die Möglichkeit, flexibler auf Probanden zu
In der ersten Auswahl erfolgte bewusst eine Fokussierung reagieren. Für die Entwicklung von Innovationen oder bei
auf qualitative Methoden, wobei jedoch auch quantita- mangelnden Vorkenntnissen über Nutzerbedürfnisse in
tive Elemente (z.B. Messen von Zeiten, Zählen) in der Bezug auf die Elektromobilität kann dies von hohem Nut-
Kombination vorhanden sein können. „Die für den quanti- zen sein. Insgesamt stellen qualitative, offenere Methoden
tativen Ansatz typische Quantifizierung bzw. Messung größere Herausforderungen in der Anwendung bezie-
von Ausschnitten der Beobachtungsrealität mündet in die hungsweise setzen ein größeres Erfahrungswissen sei-
statistische Verarbeitung von Messwerten. Demgegen- tens der Anwender (z.B. Unternehmensvertreter, Wissen-
über operiert der qualitative Ansatz mit Verbalisierungen schaftler) voraus. Dies muss bei der Auswahl und An
(oder anderen nichtnumerischen Symbolisierungen, wendung beachtet werden.
z.B. grafischen Abbildungen) der Erfahrungswirklichkeit,
die interpretativ ausgewertet werden.“ (Bortz und Döring Im Folgenden werden Beispiele für Methoden der Nutzer-
2006, S. 296). Es geht beim qualitativen Ansatz also da- integration dargestellt, die für die Entwicklung von Elektro-
rum, verbale Daten zu sammeln und auszuwerten, wobei mobilitätsangeboten eingesetzt werden können. Dabei
qualitatives Material als „reichhaltiger“ gilt als reine Mess- erfolgt eine Konzentration auf die Phasen, welche zur Er-
werte, also quantitative Informationen (vgl. ebd.). Es wird stellung der Dienstleistung führen, also Ideenfindung, An-
folglich davon ausgegangen, dass dieser Typus einen forderungserhebung und Konzeption inklusive Test. Die
höheren Explorationsgrad aufweist als quantitative Me- Grundsammlung umfasste auch „klassische“, das heißt
thoden und daher den Vorteil eines höheren Erkenntnis- vor allem häufiger eingesetzte, in der Praxis etablierte
gewinns hat. Unter dem Explorationsgrad wird hierbei das Methoden wie Befragungen, Interviews oder Workshops.
Ausmaß an Offenheit verstanden, mit dem ein Unter Allerdings erfolgte für die hier dargestellten Beispiele
47
(Group-based) Expert Walkthrough Suche auf Sicht), kommt bei einem Ladepunkt an und so
weiter. Für die Bewertung und Aufzeichnung werden mög-
Diese Szenario-Methode stammt aus der Softwareent- liche positive und negative Emotionen in unterschiedli-
wicklung und hat das Ziel, Benutzerprobleme, mögliche chen Abstufungen aufgelistet, aus denen der betreffende
Design-Verbesserungen und erfolgreiche Design-Lösun- Proband wählen kann (z.B. Freude, Stolz, Belustigung,
gen an der Benutzerschnittstelle zu identifizieren (vgl. Geborgenheit, Ärger, Angst, Langeweile, Sorge, Verwir-
Følstad 2007). Die Methode funktioniert als Einzel- oder rung, Frustration, Unzufriedenheit). Alternativ können Pro-
Gruppenmethode, in der bestimmte Nutzungsszenarien banden das Erlebnis im Prozess laut aussprechen (z.B.
in einem frühen Stadium der Entwicklung von Experten „Jetzt fahre ich schon seit fünf Minuten im Kreis und finde
(z.B. Nutzer oder Personen, die Nutzer repräsentieren) einfach keine freie Ladesäule.“, „Wird meine Bankkarte
geprüft und diskutiert werden (vgl. auch Cognitive Walk dieses Mal vom Terminal erkannt werden?“, „Toll, hier
through in der Softwareentwicklung). Die Methode lässt kann ich kostenlos laden.“), sodass daraus in einem
sich auf die Konzeptions- und frühe Testphase der Ent- nächsten Schritt dahinter liegende Emotionen abgeleitet
wicklung von Elektromobilitätsangeboten übertragen. werden können. Für die Entwicklung von Elektromobili-
Ursprünglich dient die Methode vor allem dazu, Fehler tätsangeboten kann diese Methode zu einem tieferen Ver-
oder fehlende Funktionalitäten aufzudecken und in frühen ständnis von Nutzerverhalten beitragen und die Anforde-
Phasen zu beheben und so Frustrationsquellen für Nutzer rungsanalyse, Konzeptionsphase und den Test unter
zu vermeiden, ohne dahinter liegende Begründungen stützen. Außerdem können durch die Beobachtung neue
(z.B. Einstellungen, Emotionen) zu erfragen. Aus diesem Ideen abgeleitet werden, welche geäußerte Emotionen
Grund sollte sie mit weiteren Methoden kombiniert werden gezielt adressieren und die Möglichkeit der Kundenbe-
wie zum Beispiel der Emotional Journey Map. geisterung bieten. Im Unterschied zur zuvor genannten
Methode „Expert Walkthrough“, die eher auf die funktio-
Emotional Journey Map nale Prüfung und Fehlerbehebung abzielt, können bei
der Emotional Journey Map folglich auch Begeisterungs-
Hierbei handelt es sich um eine Darstellung, die emotio- faktoren identifiziert werden.
nale Erfahrungen von Personen mit einem zu untersuchen-
den Bereich (z.B. Dienstleistung, Technologieprodukt, Ideenwettbewerb
Marke) visuell illustriert (vgl. Kozinets 2002, S. 135). Da es
sich um eine „Journey“ (Reise) handelt, erfolgt die Doku- Ideenwettbewerbe sind Veranstaltungen, die über ver-
mentation der Emotionen entlang einer Prozessdarstel- schiedene Kanäle ausgerichtet werden können (z.B. on-
lung, zum Beispiel: Batterie des Elektrofahrzeugs ist na- line, postalisch, persönliches Zusammentreffen) und die
hezu leer, Nutzer entscheidet sich zu laden, führt Suche es zum Ziel haben, möglichst viele und verwertbare Ideen
nach nächstgelegener Ladestation durch (z.B. via App, für einen bestimmten Bereich von unterschiedlichen Teil-
49
Vor dem Hintergrund des Ziels einer möglichst integrati- zur Generierung und Auswahl möglicher Elektromobili-
ven Verwendung von Methoden der Nutzerintegration im tätsangebote, Einsatz der Day-in-the-Life-Methode und
Entwicklungsprozess zeigt Abbildung 2-16 eine Anord- einer Emotional Journey Map mit Probanden, welche die
nung der oben genannten Beispielmethoden entlang der Zielgruppen des Angebots repräsentieren, zur Erhebung
primären Phasen, die in einem nächsten Schritt inhaltlich von Anforderungen und zur Grobkonzeption, Wieder
auf den Kontext der Elektromobilität angepasst werden holung der zuletzt genannten Methoden zum Test, Ergän-
müssen. zung durch einen Expert Walkthrough.
Ideenwettbewerb
Hackathon
Netnography
Shadowing / Day in the Life
Emotional Journey Map
Living Labs, (Internationale) Testbeds, Large-Scale-Demonstratoren
Expert Walkthrough
Abb. 2-16: Ausgewählte Methoden der Nutzerintegration nach Einsatzphasen im Entwicklungsprozess i.e.S.
51
3 End-Of-Life Solutions für Traktions-
batterien (EOL-IS)
Daniel Beverungen, Sebastian Bräuer, André Gierke, Kei Hirose, Benjamin Klör, Markus Monhof,
Sascha Nowak, Shahmahmood Obeidi, Florian Plenter, Timo Ratzke, Alexander Stieger,
Christoph Wieczorek, Simon Zenz
80 %
Zeit
Abb. 3-1: Schematische Darstellung der Alterung einer Lithium-Ionen-Batterie und möglicher Anwendungsgebiete
in einem Sekundärmarkt
53
ABB nutzen gebrauchte Batterien aus Chevrolet Volts zur szenarien von gebrauchten Batterien im Rahmen der
Absicherung privater Haushalte mit Notstrom und zur Ge- Netzregulierung oder Stabilisierung von Strom aus Wind-
währleistung einer unterbrechungsfreien Stromversorgung und Solarparks denkbar (WEMAG AG 2014).
(Howard 2013). Vor dem Hintergrund der jüngst erfolgten
Einweihung eines im Vergleich zu der Chevrolet-Lösung Sollten diese Pilotvorhaben erfolgreich verlaufen, kann
um den Faktor 200 leistungsstärkeren Batteriespeicher- angenommen werden, dass die Weiterverwendung ge-
systems auf Lithium-Ionen-Basis in Mecklenburg-Vorpom- brauchter Traktionsbatterien zusätzliche Einzahlungen
mern sind auch größer dimensionierte Nachnutzungs generiert, die sich mindernd auf die Lebenszykluskosten
250.000
Anz. Neuzulaassungen
200.000
150.000
100.000
50.000
0
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015* 2020*
Hybrid 3.589 5.278 7.591 6.464 8.374 10.66112.622 21.438 26.348 27.435
60.000 220.00
Eletrofahrz. 47 19 8 36 162 541 2.154 2.956 6.051 8.522
* Erwartete Neuzulassungen enthalten Zahlen für sämtliche Elektrofahrzeuge, also Vollelektrofahrzeuge, Hybride und Plugin-Hybride
Quellen: Kraftfahrt-Bundesamt (2005-2014), Proff et al. 2013 (2015, 2020)
55
3.2 Modellierung des Leistungs- pack ist der eigentliche Energiespeicher und setzt sich
angebots aus parallelgeschalteten Batteriemodulen zusammen, um
die gesamte Stromstärke des Packs zu erhöhen. Batterie-
module bestehen wiederum aus einzelnen in Reihe
3.2.1 Modellierung von Traktionsbatterien geschalteten Batteriezellen, um die gesamte Spannung
des Packs zu erhöhen. Zur Kontrolle der grundlegenden
Traktionsbatterien sind elektrotechnische Bauteile und Funktionen einer Batterie (z.B. der Auflade- und Entlade-
werden vorrangig zur Energieversorgung der zum Antrieb prozesse) ist ein (2) Batteriemanagementsystem (BMS)
von Elektrofahrzeugen benötigten Elektromotoren einge- vorhanden. Das BMS ist ein eingebettetes System, das
setzt. Exponierte Charakteristiken einer Traktionsbatterie die Betriebssicherheit der Traktionsbatterie gewährleistet.
sind insbesondere in ihrem Aufbau, Formfaktor und ihrer Eine beispielhafte Aufgabe der Betriebssicherung be-
Leistungsfähigkeit zu finden. steht in der Temperaturkontrolle der Batteriezellen, die
aufgrund ihrer hohen Temperatursensitivität durch ein (3)
Eine Traktionsbatterie besteht aus vier wesentlichen Ele- Thermosystem gekühlt oder gewärmt werden müssen,
menten (Schlick et al. 2011) (Abb. 3-3). Das (1) Batterie- um eine optimale Betriebstemperatur der Zellen zu ge-
Gehäuse 4
Batteriepack 1
Batteriemanagementsystem
Batteriemodul Batteriemodul Batteriemodul
Thermosystem
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
Batteriezelle
2 3
Abb. 3-3: Abstrakter Aufbau einer Traktionsbatterie (Klör et al. 2015) nach (Schlick et al. 2011)
Size: 1024 kb
57
Lösung mit dem Anwendungskontext des Weiternutzungs- leistungsprozesse und ihre Zuordnung zu verschiedenen
szenarios hergestellt werden kann. Die Modellierungs- Prozessbeteiligten in zeitlicher beziehungsweise sach
sprache stellt Konstrukte zur Berücksichtigung des Auf- logischer Abfolge beschrieben werden (Prozesssicht).
baus des Batteriesystems (Stammdaten), der Nutzungs- Drittens sind die zur Leistungserstellung erforderlichen
historie des Batteriesystems (Transaktionsdaten) sowie Produktionsfaktoren (z.B. Maschinen, Mitarbeiter, Infor
des Status der Batterie (Statusdaten) bereit (Klör et al. mationen, Material und Hilfsmittel) zu explizieren und den
2015). Anhand dieser Parameter können unter anderem Aktivitäten im Dienstleistungsprozess zuzuordnen, damit
eine mögliche Rekonfiguration der Batterie geplant oder der Leistungserstellungsprozess geplant und nachverfolgt
auch ein geeignetes Recyclingverfahren ausgewählt werden kann (Potenzialdimension).
werden. Die Modellierungssprache wurde exemplarisch
zur Modellierung eines realen Batteriesystems verwendet Im Projekt EOL-IS wurde eine bestehende Modellierungs-
(Abb. 3-4). Analog lassen sich weitere Batteriesysteme sprache für Dienstleistungen um neue Konstrukte erwei-
der unterschiedlichen Hersteller abbilden. tert, um die im Projekt entwickelten Dienstleistungen im
Rahmen eines Leistungskatalogs einheitlich beschreiben
zu können. Dies ist erforderlich, um mit Hilfe des zur ent-
3.2.2 Modellierung von Dienstleistungen wickelnden Entscheidungsunterstützungssystems eine
Leistungsbündelkonfiguration vornehmen zu können, in
Genau wie physische Güter können auch Dienstleistun- deren Rahmen die zur Verfügung stehenden Batterie
gen im Rahmen eines ingenieurmäßigen Prozesses ent systeme gezielt um ein Dienstleistungsangebot erweitert
wickelt werden (sog. Service Engineering). Eine Kern- werden können. So könnte zum Beispiel ein Batteriesys-
aufgabe hierbei ist die Modellierung verschiedener As- tem, dessen Alterung bereits zu weit fortgeschritten ist,
pekte der Dienstleistungen, für die spezifische Modellie- als dass ein Kunde zum Kauf bereit wäre, in Verbindung
rungstechniken entwickelt und erprobt wurden (Becker mit einem Mietmodell angeboten werden. So müsste der
et al. 2011; Becker, Beverungen et al. 2009; Becker, Kunde die Batterie nicht kaufen, sondern entrichtet ein
Knackstedt et al. 2009). Häufig werden drei Aspekte her- nutzungsabhängiges Entgelt, zum Beispiel eine Gebühr
vorgehoben, die bei der Modellierung von Dienstleistun- für jeden durchgeführten Ladezyklus. Hierdurch könnten
gen zu berücksichtigen sind. Erstens sind die für die be- auch Batteriesysteme weiterverwendet werden, für
teiligten Akteure generierten Nutzenpotenziale zu be- die keine ausreichende Kaufbereitschaft mehr besteht.
schreiben, sodass der Mehrwert der Dienstleistungen ein-
geschätzt und bewertet werden kann (Ergebnissicht).
Zweitens sind die Geschäftsprozesse der Dienstleistungs-
erbringung darzustellen, indem die Aktivitäten der Dienst-
Sobald eine Traktionsbatterie den Ansprüchen einer auto- Für viele Batterien scheint die Umwidmung und Weiter-
mobilen Anwendung nicht mehr genügt, stellt sich die verwendung die vielversprechendste Strategie zu sein.
Frage, ob und wie die Batterie weiterverwendet werden Aufgrund ihrer Eigenschaften eignen sich Lithium-Ionen
kann. Zwei Begriffe sind hierbei von zentraler Bedeutung Batterien nach ihrer Erstverwendung sowohl für mobile
für das EOL-IS-Konzept: End-Of-Life-Strategien und (z.B. Betrieb in kleineren Elektrofahrzeugen) als auch für
Nachnutzungsszenarien. stationäre Nachnutzungsszenarien (z.B. zur Energie-
versorgung in Haushalten) (Elkind 2014). Die Anwen-
End-Of-Life-Strategien dungsbereiche stellen variierende Anforderungen an die
Betriebs- und Leistungsdaten sowie die Qualität bezie-
Die zentralen End-Of-Life-Strategien wurden im Projekt hungsweise verbleibende Leistungsfähigkeit der Batterie.
EOL-IS wie folgt systematisiert. Soll die Batterie nach ihrer Während beispielsweise zentrale Speicherkraftwerke auf
automobilen Anwendung in einem Fahrzeug verwendet eine hohe Leistungsfähigkeit der elektrischen Speicher
werden, kommt gegebenenfalls die direkte Wiederver- angewiesen sind, ist für die Elektromobilität vor allem eine
wendung (Reuse) in Frage. Hier werden kaum bean- hohe Energiedichte entscheidend (Stan et al. 2014). Für
spruchte Batteriesysteme, etwa von verunfallten Fahrzeu- eine ökonomische Betrachtung sind vor allem die Kosten
gen, ohne größere Aufbereitung wieder in ein Automobil pro installierter Energie- und Leistungskapazität und die
eingebaut. Alternativ lässt sich das Batteriesystem zu- in dem jeweiligen Nachnutzungsszenario noch erreich-
nächst in seine Komponenten zerlegen, die dann für eine bare Lebensdauer wichtig. Für alle Nachnutzungsszena-
erneute automobile Verwendung aufbereitet werden (Re- rien ist die Lebensdauer der Batterie ein entscheidender
manufacturing and Reuse). Ist eine automobile Verwen- Faktor. Entsprechend sollte die bereits erfolgte Alterung
dung ökonomisch nicht sinnvoll, erfolgt die Umwidmung der Batterie berücksichtig werden, um eine ausreichende
und Aufbereitung der Batterie für eine Verwendung in Zyklenstabilität zu gewährleisten. Hier sind historische
einem Nachnutzungsszenario (Repurposing and Further Daten über die Batterienutzung im Fahrzeug von großem
Use). Sind weder eine Aufbereitung noch eine Nachnut- Vorteil, die man aus einem eEOL-Pass entnehmen kann.
zung möglich, können die Einzelbestandteile und Grund- Der eEOL-Pass bezeichnet eine im Forschungsprojekt zu
stoffe der Batterie erneut in den Herstellungsprozess zu- entwickelnde Datenstruktur. Er dient zur Erfassung der
rückgeführt werden (Recycling). Nicht wiederverwertbare Bewegungsdaten, die zu einer Traktionsbatterie während
59
der automobilen Erstanwendung kontinuierlich erzeugt eine Reduzierung von Einspeisespitzen und eine Glättung
werden. Mit dieser in der Datenstruktur abgebildeten Nut- der Lastkurve (Garche et al. 1999; Struth et al. 2013). Das
zungshistorie wird der Entscheidungsprozess hinsichtlich permanente Laden und Entladen, das heißt die zyklische
der Wiederverwendbarkeit einer gebrauchten Traktions- Belastung, stellen dabei hohe Anforderungen an die Le-
batterie ermöglicht. bensdauer der Batterien. Wünschenswert sind dabei eine
hohe Energieeffizienz, während die Selbstentladerate ty-
Mobile Nachnutzungsszenarien: pischerweise, bedingt durch das regelmäßige Laden und
Die Anforderungen an elektrische Energiespeicher unter- Entladen des Speichers, kein kritischer Parameter ist.
scheiden sich deutlich im mobilen Bereich zu jenen im
stationären Bereich. Im mobilen Bereich und dem Einsatz Werden gebrauchte Traktionsbatterien zur Gewährleis-
in Fahrzeugen müssen die Energiespeicher zur Gewähr- tung einer Unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV)
leistung einer hohen Reichweite eine hohe Kapazität eingesetzt, sind die Belastungen durch regelmäßiges
aufweisen und sowohl intrinsische als auch jahreszeitlich Beladen und Entladen hingegen erheblich geringer. Statt-
bedingte Temperaturschwankungen überdauern. Optio- dessen muss der Energiespeicher mit minimaler Verzö
nen für die Installationen von Maßnahmen zur Temperatur gerung aktiviert werden können und dann meist für einen
regelung werden dabei durch die maximale Größe und begrenzten Zeitraum von mehreren Minuten bis wenigen
das zulässige Gewicht des Fahrzeuges limitiert. Bei hoch Stunden eine hohe Leistung bereitstellen. Während die
frequentem Einsatz der Fahrzeuge muss zudem eine pas Energieeffizienz in diesem Szenario nicht so ausschlag-
sable Schnell-Ladefähigkeit mit hohen Strömen gewähr- gebend ist, sollte die Selbstentladerate des Speichers
leistet sein, um die Betriebsbereitschaft der Fahrzeuge aufgrund des seltenen Gebrauchs möglichst gering sein,
sicherzustellen. Um weitere zwei bis drei Jahre in elek damit die Absicherung der Leistungsbereitschaft nicht
trisch betriebenen Fahrzeugen nützlich zu sein, müssen zu kostspielig ist.
die Batterien weiterhin eine hohe Zyklenstabilität aufwei-
sen (Chau und Wong 2002). Für beide Szenarien gilt, dass sich die Dimensionierung
des elektrischen Energiespeichers durch das Zusammen-
Stationäre Nachnutzungsszenarien: schalten mehrerer Module relativ flexibel gestalten lässt.
Die Einsatzmöglichkeiten und auch die mögliche Dimen Somit können durch diese Art der Weiterverwendung
sionierung der Energiespeicher im stationären Bereich gleich mehrere Module oder ganze Batteriepacks Ver-
sind sehr vielfältig. Werden gebrauchte Traktionsbatterien wendung finden. Zusammenfassend muss festgehalten
etwa als Zwischenspeicher in Verbindung mit photovoltai- werden, dass die Entscheidung für oder gegen ein spezi-
schen Systemen eingesetzt, liefern diese bei schwacher fisches Nachnutzungsszenario selbst bei der ausschließ
Sonneneinstrahlung oder nachts die Energie, um die ge- lichen Berücksichtigung der physikalischen Eigenschaf-
wünschten Verbraucher zu versorgen. Die Folgen sind
3.3.2 Entscheidungsproblem
61
3.3.3 Das EOL-IS-Entscheidungs- der einem im weiteren Projektverlauf zu entwickelnden
unterstützungskonzept eEOL-Pass entnommen werden oder müssen über ein
geeignetes Batterieprüfverfahren bestimmt werden. An-
Das EOL-IS-Entscheidungsunterstützungskonzept für hand dieser Informationen können technisch geeignete
die Auswahl der besten EOL-Strategie ist zweistufig Nachnutzungsszenarien gefunden werden. Der unstruktu-
aufgebaut (Abb. 3-5). Zunächst werden in einer struktu- rierte Teil der Entscheidung fügt der Batterie passgenaue
rierten Entscheidung jeder einzelnen Batterie geeignete Dienstleistungen hinzu, zum Beispiel den Transport der
Nachnutzungsszenarien zugeordnet. In einem folgenden Batterie zum Nachnutzungsort, die Wiederaufbereitung
unstrukturierten Entscheidungsschritt wird ein passendes einzelner Batteriemodule oder eine Gewährleistung, die
Dienstleistungspaket konfiguriert. auf die Leistung der gebrauchten Batterie gegeben wird.
Darüber hinaus werden die Lösungsangebote insbeson-
Die strukturierte Entscheidung basiert dabei auf den elek- dere vor ökonomischen und ökologischen Gesichtspunk-
trischen Eigenschaften der Batterie, ihrem aktuellen Zu- ten bewertet, um die Entscheidung des Anwenders zu
stand und den Anforderungen der einzelnen Nachnut- vereinfachen.
zungsszenarien. Diese Daten zur Batterie können entwe-
2 DL
SL
DL
2
DL
DL
Zustandsbewertung DL
SL
3
DL
€
DL DL
63
Die Kennzeichnung durch eine UN-Nummer ist von Be- Da das Konzept der Nachnutzung gebrauchter Traktions-
deutung, da diese im Fall eines Unfalls Sachverständigen batterien noch neu ist, existieren zurzeit keine eigens
wichtige Informationen liefern, wie mit dem Gefahrgut um- entwickelten Prüfverfahren zur Bestimmung des Zustands
zugehen ist. Nach Bestimmung der Batterie können rele- der Batterien. Es existieren jedoch Prüfverfahren zur Be-
vante Daten wie die aktuelle Spannung und Stromstärke urteilung von neuen Lithium-Ionen-Batterien für den Ein-
aus dem Batteriemanagementsystem ausgelesen werden. satz in Elektrostraßenfahrzeugen. Dabei unterscheidet
Die Demontage erfolgt durch qualifiziertes Fachpersonal, man zwischen Prüfverfahren, die für Batteriepacks und
das im Besitz eines sogenannten Hochvoltscheins ist. Im -systeme entwickelt worden sind und solchen, die auf Zel-
ausgebauten Zustand wird die Batterie einer Sichtprüfung lebene eingesetzt werden sollen. Das maßgebliche aktu-
unterzogen und auf mögliche Defekte überprüft. Laut De- elle Prüfverfahren ist in der DIN EN 62660-1 beschrieben.
finition des BMVI (2014) sind defekte und beschädigte Für Batteriepacks und -systeme gibt es die auf Englisch
Zellen beziehungsweise Batterien, (1) Zellen bzw. Batte- erschienenen Standards ISO 12405-1 und ISO 12405-2,
rien, bei denen Defekte festgestellt werden, die die wobei ersterer für Hochleistungsanwendungen und letzte-
Sicherheit beeinträchtigen; (2) auslaufende Zellen bzw. rer für Hochenergieanwendungen bestimmt ist. In diesen
Batterien oder Zellen bzw. Batterien mit Gasaustritt; (3) Normen werden anhand von Eigenschaften und Parame-
Zellen bzw. Batterien, bei denen keine Diagnose vor der tern Prüfungen festgelegt, die an Lithium-Ionen-Batterien
Beförderung durchgeführt werden kann oder (4) Zellen vor ihrem Einsatz in Elektrofahrzeugen durchgeführt
bzw. Batterien, die eine bauliche oder mechanische Be- werden sollten. Diese reichen von Kapazitäts-, Leistungs-
schädigungen aufweisen. und Energiemessungen bis hin zur Lagerungsprüfung,
Prüfung der zyklischen Lebensdauer und Prüfung des
energetischen Wirkungsgrads.
3.4.2 Prüfung des Batteriezustands
In Anbetracht der möglichen Alternativanwendungen in
Für die Beurteilung des Zustands einer gebrauchten Trak- der Zweitnutzungsphase ist offensichtlich die Anwendung
tionsbatterie aus dem Bereich der Elektromobilität sind dieser Prüfungsverfahren in ihrer Ganzheit nicht notwen-
neben der visuellen Begutachtung auch die elektrischen dig und auch nicht durchführbar. Daher werden im Rah-
Parameter erforderlich. Im Idealfall wäre die gesamte men des Projekts zunächst die Parameter identifiziert be-
Historie der Batterie im BMS gespeichert, aus dem die ziehungsweise festgelegt, die eine große Aussagekraft
benötigten Informationen ausgelesen werden könnten. bezüglich der Eignung der gebrauchten Batterien für eine
Sind diese Daten im BMS nicht oder nur teilweise vorhan- mögliche Zweitanwendung besitzen. Zu diesen Parame-
den oder können sie nicht ausgelesen werden, so müs- tern zählt neben der Kapazität der innere Widerstand (Ri),
sen die Daten manuell bestimmt werden, was mit einem der vor allem bei hohen Strömen eine wichtige Rolle
sehr viel größerem Aufwand verbunden ist. spielt. Neben diesen beiden Parametern ist die Selbst
10 s 10 s
HEV I max BEV I max
10 s 10 s
10 It 5 It
Ruhephase Ruhephase
10 s
10 s
5 It
2 It
10 s 10 s
Strom
Strom
10 s 1 It 10 s 1 It
1/3It 1/3It
10 s 10 s
-1/3It 10 s -1/3It 10 s
-1 It -1 It
10 s 10 s
-5 It -2 It
10 s 10 s
-10It 10 s -5 It 10 s
-I max -I max
Zeit Zeit
Abb. 3-6: Prüfreihenfolge der Strom-Spannungskennlinienprüfung für den Einsatz in Hybridfahrzeugen (HEV)
und Batteriefahrzeugen (BEV) nach DIN EN 62660-1
65
stärken (∆I) aufgetragen und aus der Steigung der innere einziger Strompuls ausreichen würde. Dieser sollte jedoch
Widerstand bestimmt. möglichst hoch gewählt werden, um die Messfehler zu mi-
nimieren. Aus diesem Maximalstrom und der dadurch ver-
Die Spannungsänderung wird dabei aus der Differenz ursachten Spannung kann dann auch die Leistung der
zwischen dem Ende des Pulses und dem Ende der Zelle bestimmt werden. Durch die Anwendung nur eines
darauffolgenden Ruhepause bestimmt (Abb. 3-7, links). einzigen Strompulses würden zudem die Messdauer und
Das kann aber dazu führen, dass mit der Alterung trotz der Aufwand bei der Auswertung verringert, was insbe-
der höheren ∆U–Werte bei den einzelnen Strompuls sondere bei der Zustandsprüfung von gebrauchten Trak-
stärken der Wert für den inneren Widerstand kleiner wird, tionsbatterien von Vorteil wäre. Des Weiteren wird durch
weil die Steigung der Kurve flacher ausfällt als vor der die Anwendung der SOC einer Zelle verändert und bei
Alterung (Abb. 3-7, rechts). Daher stellt sich die Frage, ob stark SOC-abhängigem Innenwiderstand würde diese Art
die in dem Prüfverfahren angegebenen verschiedenen von ∆U –Bestimmung den Wert Ri stark beeinflussen be-
Strompulse zur Bestimmung des inneren Widerstands ziehungsweise verfälschen. Um dies zu vermeiden, wurde
notwendig sind. Testergebnisse haben gezeigt, dass ein im nächsten Schritt die Spannungsänderung zu Beginn
0.6
3.4
0.5
2.5
∆U (w. E.)
3.3
Spannung
∆U 0.4
Strom
∆U
3.2 0.3
0.2
3.1 0.0
Gealterte Zelle
0.1 Frische Zelle
3.0 0.0
1800 2000 2200 2400 2600 2800 3000 0 1 2 3 4 5
Zeit ∆I (A)
Abb. 3-7: Bestimmung von ∆U (links) und des inneren Widerstands aus der Steigung von ∆U vs. ∆I (rechts).
Die rechte Abbildung ist zur besseren Verdeutlichung überzeichnet dargestellt.
67
kalischen Parameter der Batterien bestimmt werden. Der narien zunächst instandgesetzt werden. Im Instandset-
in diesem Verbundprojekt zu entwickelnde eEOL-Pass zungsprozess werden die Traktionsbatterien auf Module-
ermöglicht es, sowohl aktuelle Werte als auch Nutzungs- bene zerlegt. Daraufhin werden die Komponenten einer
daten (historische Daten) der Batterie beizusteuern. Die optischen Begutachtung unterzogen. Hierbei werden die
Daten werden mit einem elektronischen Auslesegerät ex Komponenten und ihre Verbindungsstellen auf Schäden
trahiert. Der eEOL-Pass, welcher im Batteriemanagement- untersucht, ob an den Kontakten Korrosion vorhanden ist
system implementiert ist, muss hierzu mit einer entspre- oder Anzeichen für den Austritt von Chemikalien beste-
chenden Hardwareschnittstelle ausgestattet sein, um Bat- hen. Sollte eines dieser Prüfmerkmale vorhanden sein, so
teriedaten auf mobile Geräte wie Mobiltelefone, Laptops müssen die betroffenen Komponenten aus dem Batterie-
sowie Tablets übertagen zu können. Die technische Spe- pack entfernt werden. Des Weiteren werden degenerierte
zifikation unterliegt den vom Hersteller vorgegebenen An- Batteriemodule, die auf der Grundlage der Testergeb-
gaben. Eine Prüfung wird abgebrochen, sobald bei einem nisse ermittelt wurden, aus dem Pack ausgebaut. Am
Test herstellerbedingte Grenzwerte überschritten werden. Ende des Zerlegungsprozesses werden lediglich intakte,
Die Prüfung gilt in diesem Fall als nicht bestanden und das heißt funktionsfähige Komponenten im Instandset-
das Batteriepack muss dem Recycling zugeführt werden. zungsprozess weiterverarbeitet.
Andernfalls werden Batteriepacks dem Prozess zur Selek-
tion eines geeigneten Nachnutzungsszenarios überführt. Ohne eEOL-Pass ist es nicht möglich, auf die historischen
Vor der elektrischen Prüfung wird jedes Batteriepack Zustandsdaten einer Traktionsbatterie zuzugreifen. Da-
identifiziert. Anhand einer Identifikationsnummer werden durch schränkt sich die Genauigkeit der Zustandsbestim-
die für die anstehenden elektrischen Tests notwendigen mung auf die aktuellen Zustandswerte der Batterie ein,
Informationen wie Zelltechnologie, Nennkapazität und was besonders die Alterungsuntersuchung vernachläs-
Nennspannung ausgelesen. Ist eine entsprechende Iden- sigt. Mit dem Hintergrundwissen, dass die technisch
tifikationsnummer nicht vorhanden oder nicht ablesbar, schlechteste Batterie die Maximalleistung des Packs defi-
wird der Hersteller kontaktiert. Mit den Informationen aus niert, muss beim Zusammenfügen von mehreren Batterien
der Identifikationsnummer kann beim Dienstleister be- darauf geachtet werden, dass alle Komponenten eine na-
stimmt werden, ob dieser die betroffenen Traktionsbatte- hezu ähnliche Qualität bezüglich Kapazität, Innenwider-
rien behandeln kann. stand und Batteriealterung aufweisen. Aus diesem Grund
ist zu beachten, dass die Batterien (ohne historische Zu-
Die Batteriepacks, bei denen sowohl aus dem eEOL- standsdaten) im Rahmen des Instandsetzungsprozesses
Pass als auch aus der elektrischen Überprüfung, unzurei- mit keinen weiteren Batterien kombiniert werden können.
chende Messergebnisse hervorgehen beziehungsweise Bevor die instandgesetzten Batterien für eine zukünftige
keine fehlerfreie Diagnose durchgeführt werden kann, Anwendung freigegeben werden, durchlaufen sie erneut
müssen vor der Auswahl geeigneter Nachnutzungssze den Prozess einer elektrischen Prüfung zur Sicherstellung
Visuelle
Begutachtung
außen
Batterie
Eingang
nein
Fachpersonal mit Hochvolt-Qualifizierung
Bestimmung
erfolgreich?
ja
Prozessmodell für die Instandsetzung
Prüfung
erfolgreich?
nein
ja
nein
Instandsetzung
Instandsetzung
erfolgreich? ja
Zuordnung
nein
Lagerung
ja
nein
Transport
Auslieferung
69
ihrer Funktionalität. Nach erfolgreicher Prüfung werden mierte Zuordnung relevanten Parameter in einem zusätz
die Komponenten einem Nachnutzungsszenario zugeord- lichen Prozessschritt aufgenommen werden müssen.
net. Die für ihr jeweiliges Nachnutzungsszenario vorge Außerdem lässt sich nur mit dem eEOL-Pass auf die Nut-
sehenen Batterien werden nach ihrer Zuordnung im Zwi- zungsdaten zurückgreifen, die in der Vergangenheit de-
schenlager deponiert und für den Transport vorbereitet. tektiert wurden. Anhand der vollständigen Betriebsdaten
der verfügbaren Traktionsbatterien kann eine intelligente
Der beschriebene Ablauf (Abb. 3-8) hebt den Vorteil des Kombination ihrer verwendbaren Komponenten für die
zu entwickelnden eEOL-Passes hervor. Ein Versäumnis nachfolgenden Nachnutzungsszenarien umgesetzt wer-
dieser erweiterten Batterieinformationen zieht einen er- den. Die für die Entscheidung relevanten Kriterien werden
höhten Prozessaufwand nach sich, da die für eine opti- in Abbildung 3-9 noch einmal zusammengefasst.
71
Versender/Abfallerzeuger
Transportdienstleister
Tiefentladen
Zustand:
Fachpersonal mit Hochvoltqualifikation
Sichtkontrolle Identifikation
Recycling Vorbereitung
Prüfen der auf des Systems Bestimmung
Dokumenta- Transport- und des Demontage
tion beschädigungen Sortierung nach Ladezustandes
Eingang des Zellchemie Recycling
Restladung
Batteriesystems
Zustand:
bei Recycling-
dienstleister
-Gehäuse
Entladen -Kabel
Zellchemie Rest- -Elektronik
spannung [V] -Platinen
-Stromleitschienen
-Schrauben
Rückspeise-
fähiger Strom
Anlagentechniker, Verfahrens-/Chemieingenieure,...
Cu-/Al-
Folien-
fragmente
Ferro- Schwerfraktion:
magnetische Separator
Bestandteile Stahl-/Al-
Gehäuse Thermo-
mechanische
Elektroden-
separation
Aktivmaterial/
Beschichtung
Recycling (am Beispiel des LithoRec-Prozesses)
Mechanische
Elektroden
Separation
Cu-/Al-
Folien-
fragmente
Zellchemie Ionen-
Salztrennung
Abb. 3-10: Prozess zum Recycling von austausch
73
zum Beispiel Edelstahl oder Aluminium der Zellgehäuse Lithium-Salzlösung und andererseits ausgefällte Über-
abzutrennen. Die verbleibende Mischfraktion, bestehend gangsmetallsalze (Nickel-, Kobalt- und Manganhaltig), er-
aus Separatorfolie und beschichteten Elektrodenfolien, zeugt. Durch Ionen-Austausch und einen salztrennenden
kann durch eine Dichteseparation voneinander getrennt Schritt kann aus der Li-Salzlösung Lithiumhydroxyd be
werden. ziehungsweise Lithiumcarbonat gewonnen werden. Die
Übergangsmetallsalze werden in weiteren Schritten auf-
Um nun die Beschichtungsmaterialien, welche wertvolle gearbeitet. Im Anschluss an die Hydrometallurgie sieht
Übergangsmetalle wie zum Beispiel Kobalt enthalten, von der LithoRec-Prozess, im Sinne des Closed-Loop-Recy-
den Substratfolien (Kupfer bzw.Aluminium) abzulösen, clings, die Herstellung neuer Aktivmaterialien aus den
können zwei verschiedene Verfahrensoptionen eingesetzt Produkten der hydrometallurgischen Aufbereitung (Kalzi-
werden. Im Falle der mechanischen Elektrodenseparation nierungsprozess) vor.
wird die Beschichtung in einer Art Nachzerkleinerung
(Schneidmühle) durch mechanische Einwirkung von den Nach Abschluss des technischen Prozesses können die
Substratfolien abgelöst. Bei der thermo-mechanischen entstandenen Fraktionen vertrieben werden. Dies kann
Variante wird zunächst die Zersetzung des Binders (funk- als eine mögliche nachgeschaltete Dienstleistung des Re-
tioneller Bestandteil der Beschichtung zur Haftvermitt- cyclings angesehen werden. Auch die Einlagerung von
lung) durch einen Ofenprozess erreicht, woraufhin die zurückgewonnenen Rohstoffen kann eine Art Dienstleis-
mechanische Beanspruchung innerhalb eines Luftstrahl tung im Anschluss an das Recycling darstellen. Hierdurch
separators das Ablösen der Beschichtung ermöglicht und könnten durch einen zeitlich nach hinten verschobenen
gleichzeitig die Trennung von Metallfolien und Beschich- Verkauf höhere Verkaufserlöse durch steigende Rohstoff-
tungsmaterial erfolgt (Hanisch, Diekmann et al. 2014; preise erreicht werden.
Hanisch, Haselrieder et al. 2014; Hanisch, Loellhoeffel et
al. 2014). Bei der mechanischen Elektrodenseparation
konnten hierbei Rückgewinnungsquoten von bis zu 91
Gewichtsprozent und bei der thermo-mechanischen Vari-
ante von über 99 Gewichtsprozent der zugeführten, auf
den Elektroden befindlichen Beschichtungsmasse er-
reicht werden. Durch diesen letzten Abtrennungsschritt ist
die mechanische Aufbereitung abgeschlossen und das
Beschichtungsmaterial kann der hydrometallurgischen
Aufbereitung zugeführt werden. Hier findet zunächst ein
Laugungsschritt statt. Durch eine anschließende Fällung
werden die austretenden Stoffströme, einerseits eine
4.1 Einleitung
Die Distributionslogistik sieht sich aktuell mit zahlreichen
Herausforderungen konfrontiert. So führen der zuneh-
mende Trend zur Re-Urbanisierung in Deutschland sowie
die demografische Entwicklung und ein Wandel von Le-
bensstilen dazu, dass sich der Konsum zunehmend lokal
beziehungsweise im urbanen Raum abspielt, da Konsu-
menten weniger bereit beziehungsweise in der Lage sind,
Das diesem Beitrag zugrunde liegende Ver- weite Distanzen für Einkäufe zu akzeptieren (vgl. Kulke
bundprojekt „Geräuscharme Nachtlogistik – 2014). Dadurch steigt der Bedarf zur Versorgung städti-
scher Bereiche mit Waren. Hinzu kommt die zunehmende
Geräuscharme Logistikdienstleistungen für
Digitalisierung des Handels, was zu einer Reduzierung
Innenstädte durch den Einsatz von Elek von Liefergrößen im Bereich der Logistik führt.
tromobilität“ (GeNaLog) wird mit Mitteln des
Bundesministeriums für Bildung und For- Häufig ist die städtische Verkehrsinfrastruktur aber bereits
schung (BMBF) unter den Förderkennzeichen mit dem momentanen Verkehrsaufkommen überlastet,
wodurch sich Engpässe für Logistikdienstleister ergeben
01FE13011, 01FE13012, 01FE13015 und
können (vgl. Gleißner und Wolf 2011). Strenge gesetzliche
01FE13016 gefördert. Projektpartner sind das Regularien hinsichtlich Lärm- und Schadstoffemissionen
Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Lo- und entsprechende (Nacht-) Fahrverbote für Lastkraft
gistik IML (Dortmund), Fraunhofer-Institut für wagen (Lkw) auf bestimmten Strecken, insbesondere im
urbanen Raum, stellen die Distributionslogistik vor weitere
System- und Innovationsforschung ISI (Karls-
Herausforderungen (vgl. Clausen und Thaller 2013; Leh-
ruhe), REWE-Zentralfinanz eG (Köln), DOEGO macher 2013). Die Umweltschutzziele stehen damit zu-
Fruchthandel und Import e.G. - Abt. Logistik nächst im Gegensatz zu den steigenden Leistungsan
(Dortmund) und TEDi Logistik GmbH (Dort- forderungen an das Dienstleistungssystem Distributions-
mund). Umsetzungspartner sind die Städte logistik wie zum Beispiel geringere Kosten und kürzere
Lieferzeiten (vgl. Nyhuis und Wiendahl 2012). Um diesen
Karlsruhe, Dortmund und Köln sowie die
Anforderungen auch in Zukunft gerecht werden zu kön-
LOGIBALL GmbH (Herne). nen, ist der Einsatz neuer Technologien in der logisti-
schen Leistungserbringung essenziell. So besteht durch
elektrische Nutzfahrzeuge die Möglichkeit, lokale Emis
77
4.2 Herausforderungen Für die Belieferung der Handelsfilialen gelten die Richt-
werte der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm
Der Umweltschadstoff „Lärm“ wird durch die Logistik in (TA Lärm 1998). Die Technische Anleitung dient dem
die Fläche getragen. Die Lärmbelastung durch den Gü- Schutz der Allgemeinheit und der Nachbarschaft vor
terverkehr wird von den Städten und dem Europäischen schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche. Sie
Parlament als hohes Gesundheitsrisiko für die Bevölke- definiert die für die Belieferung relevanten Immissions-
rung eingeschätzt. Die Europäische Union schätzt die richtwerte und Beurteilungszeiten.
jährlichen Kosten, die durch Verkehrslärm volkswirtschaft-
lich entstehen, auf rund 40 Milliarden Euro europaweit. Die folgende Abbildung führt die Immissionsrichtwerte
Hiervon entfallen 90 Prozent auf den Straßenverkehr (Um- für den Beurteilungspegel für Immissionsorte außerhalb
weltbundesamt 2013). Laut einer Umfrage des Umwelt- von Gebäuden auf. Einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen
bundesamtes fühlen sich über die Hälfte (54%) der Men- dürfen die Immissionsrichtwerte in der Nacht um nicht
schen in ihrem Wohnumfeld durch Straßenverkehr beläs- mehr als 20 dB(A) überschreiten. Als Beurteilungszeiten
tigt (Umweltbundesamt 2013). Die Weltgesundheitsorga- gelten für den Tag 06:00 bis 22:00 Uhr und für die Nacht
nisation (WHO) empfiehlt zur Vermeidung von Gesund- 22:00 bis 06:00 Uhr.
heitsschäden, dass die nächtliche Lärmbelastung einen
Mittelungspegel von 40 dB(A) nicht überschreitet (WHO
2009).
Abb. 4-1: Immissionsrichtwerte nach Immissionsort außerhalb von Gebäuden (TA Lärm 1998)
Interventionswerte Umweltbundesamt
L DEN > L NIGHT > L DEN > L DEN >
70 dB(A) 60 db(A) 65 dB(A) 55 dB(A)
Straße 8.408 12.985 37.006 48.409
Schiene Bund 2.210 4.850 6.980 13.620
Schiene 1.468 2.508 4.827 6.610
kommunal
Abb. 4-2: geschätzte Anzahl der Menschen nach Schallpegeln an der Fassade
ihrer Wohngebäude getrennt nach Lärmquellen (nach Stadt Dortmund 2011)
79
4.3 Ziel des Projektes – leise Prozesse Verantwortung grundsätzlicher Art, ressourcenschonend
zu arbeiten. Darüber hinaus gibt es ökonomische As-
Ziel des Projektes ist es, ein dienstleistungsbasiertes pekte, die in einer Unternehmung natürlich auch immer
Logistikkonzept „Geräuscharme Nachtlogistik“ zur Redu- eine Rolle spielen sowie politische Rahmenbedingungen,
zierung der Lärmbelastung, der Verkehrsüberlastung beispielsweise Zufahrtsbeschränkungen oder Zufahrts-
und der Umweltverschmutzung in urbanen Gebieten zu verbote in Innenstädten. Diese Restriktionen sind in
entwickeln und dieses in Pilotversuchen zu erproben. Zu Deutschland im Übrigen nicht bundesweit einheitlich ge-
diesem Zweck werden bestehende Distributionslogistik- regelt, sondern in lokaler Hand. Das Ziel des Projektes ist
konzepte verändert und erweitert mit dem Ziel, e-Nfz es deshalb, e-Nfz wirtschaftlich in neue Dienstleistungs-
nachhaltig in eine urbane Logistikkette zu integrieren. systeme zu integrieren beziehungsweise diese Dienstleis-
Insbesondere werden dabei die Bezüge und Wechselwir- tungen um die e-Nfz herum aufzubauen.
kungen zwischen den relevanten Akteuren (Anwohner,
sonstige benachbarte Liegenschaften, sowie die Kommu- Neben der Antriebstechnologie der e-Nfz spielt auch das
nen in Gänze) und dem Dienstleistungssystem urbane eingesetzte Equipment zur Be- und Entladung eine ent-
Distribution betrachtet. scheidende Rolle bei der Geräuschemission. In Kombina-
tion mit Straßenbelägen, Beschaffenheit von Laderampen
Die neu zu entwickelnde Dienstleistung wird schwer- und Toren kann durch den Einsatz des falschen Materials
punktmäßig auf vier Ebenen betrachtet – das Distribu erheblicher Lärm verursacht werden. Ziel des Projektes
tionskonzept, der Fahrzeugeinsatz, der Technikeinsatz ist es deshalb, leise Technologien zu finden, zu ent
und die Akzeptanzuntersuchung. wickeln und so einzusetzen, dass der Gesamtprozess
den strengen Anforderungen der TA Lärm entspricht.
Die neue Belieferungsform erfordert von den Handels
unternehmen ein an vielen Stellen angepasstes Distribu Wenn der Prozess der leisen Belieferung mit Elektro-Nutz-
tionskonzept. Angepasst werden müssen sowohl Lager- fahrzeugen den rechtlichen Anforderungen genügt, be-
als auch Transport- und Filialprozesse. Ziel des Projektes deutet dies aber noch nicht, dass auch in der Praxis ein
ist die Entwicklung eines Unterstützungsinstrumentes Einsatz ohne weiteres erfolgen kann. Die nächtliche Belie-
für die Auswahl und Anpassung der relevanten Prozess- ferung mit schweren Lkw könnte – auch wenn sie leise
schritte. ist – durch die Anwohner als störend empfunden werden.
Um den Schutz der Anwohner vor zusätzlichen Belastun-
Der Einsatz von alternativen Antrieben ist momentan so- gen zu gewährleisten, ist die Akzeptanz der neuen Dienst-
wohl Populärthema als auch aus verschiedenen Gründen leistung von großer Bedeutung. Das Ziel des Projektes
notwendig. Das Ende fossiler Brennstoffe ist zwar nicht ist deshalb, die Akzeptanz einer nächtlichen Belieferung
eindeutig definierbar, aber absehbar. Es gibt eine soziale sicherzustellen.
Zur Analyse des Dienstleistungssystems „Geräuscharme Im Rahmen der Ist-Aufnahme der aktuellen Belieferungs-
Nachtlogistik“ und zur Erstellung eines Anforderungskata- prozesse wurden Prozessaufnahmen vor Ort bei den
logs wurden auf der einen Seite Prozessaufnahmen bei Praxispartnern im Lager und der Filialanlieferung vor
den Praxispartnern durchgeführt und auf der anderen genommen. Ein speziell hierfür entwickelter Gesprächs
Seite Gespräche mit den Städten, Kommunen und Wirt- leitfaden ging auf die spezifischen Anforderungen der
schaftsförderungen geführt. Ziel war es, alle einzuhalten- unterschiedlichen Belieferungen von Frischeprodukten
den Regeln und Vorschriften zu identifizieren und zu wie Obst und Gemüse über Trockenprodukte bis hin zu
analysieren und alle anzupassenden Prozessschritte und Discountartikeln ein. Aufgeteilt wurde diese Aufnahme
Geräuschquellen zu kennen und zu beschreiben. Diese in die drei Teilbereiche:
Angaben bilden die Grundlage zur Entwicklung eines
Geschäftsmodellkonzepts für die „Geräuscharme Nacht- • Lagerprozesse
logistik“ und zur Erstellung eines begleitenden Bewer- • Transportprozesse
tungsmodells. Neben der Anforderungsanalyse der ge- • Filialprozesse
setzlichen Regularien und Untersuchung der Akzeptanz
lag der Fokus daher auf der Identifikation technischer, Ziel der Prozessaufnahme war es auf der einen Seite die
organisatorischer und logistischer Anforderungen. Prozessschritte zu ermitteln, die bei der Anlieferung Lärm
verursachen, und auf der anderen Seite die Identifikation
der Prozessschritte, die für eine Nachtanlieferung ange-
passt werden müssen.
81
Lager
Kommissionierung
Transport
Filiale
Ist-Prozesse
Anzupassende
Wertstoffe bereitstellen Waren annehmen Waren verräumen Prozesse
83
ld - - Log