Sie sind auf Seite 1von 121

DIPLOMARBEIT

Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des


akademischen Grades Diplom Ingenieur am
Institut für Baugeschichte und Denkmalpflege
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
Eingereicht am 8. Juni 2021

Romana Federer
01516165
Studiengang: Architektur
Adresse: Tulferberg 4, 6075 Tulfes

DIE SÜDTIROLER
E-Mail: romana.federer@student.uibk.ac.at
Betreuer: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Klaus Tragbar

SIEDLUNGEN IN
TIROL
Ihre historische und architektonische Bedeutung als
gemeinsames Erbe (shared heritage)
Abstract

Thema meiner Diplomarbeit sind die sogenannten Südtiroler Siedlungen. Im Dritten Reich erbaut,
dienten sie zur Neubeheimatung von geschätzten 75.000 SüdtirolerInnen, die sich nach dem Abkommen
zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini 1939 durch die Option zur Umsiedlung ins Deutsche Reich
entschlossen. Zwischen 1939 und 1945 kamen durch die dafür gegründete Siedlungsbaugesellschaft
„Neue Heimat Tirol“ mehr als 30 solcher Siedlungen im Gau Tirol-Vorarlberg mit ca. 5.000 Wohnungen
zur Fertigstellung, was 59,1 % aller für die SüdtirolerInnen errichteten Wohnungen entspricht. Weitere
Südtiroler Siedlungen wurden in Salzburg, Oberösterreich, in der Steiermark, in Kärnten und Osttirol
sowie in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland sowie anderen Teilen des Deutschen Reiches
errichtet.

Trotz großen historischen Wertes nebst hoher architektonischer Qualität stehen heute nur eineinhalb
Siedlung in Tirol unter Denkmalschutz. Eine wachsende Zahl dieser Siedlungen fällt Neuplanungen und
Umbauprojekten zum Opfer, wodurch nicht nur einzigartige Architektur, sondern auch manifestierte
Geschichte unwiderruflich zerstört wird. So ist es mir ein Anliegen, mich nach intensiver Recherche mit
der daraus resultierenden Diplomarbeit für den Erhalt der Südtiroler Siedlungen einzusetzen, auch weil
über das Thema noch keine umfangreiche architektonische Abhandlung vorliegt. Der Forschungsstand
ist demnach ausbaufähig.

Meine Diplomarbeit verfolgt das Ziel einer genaueren Erforschung der Umstände, unter welchen die
Südtiroler Siedlungen erbaut wurden. Fragen nach den politischen Absichten, gesellschaftlichen
Problemen oder infrastruktureller Organisation werden hierbei nicht ausgeklammert. Besonderes
Augenmerk möchte ich auf die architektonischen Aspekte des Themas legen und so Näheres über
Planungsstruktur, ausführende Architekten, Entwurfsvorgaben oder Einsatz verschiedener Bautechniken
untersuchen. Hierfür werden drei Südtiroler Siedlungen genauer beleuchtet. Die Siedlung in Hall-
Schönegg ist ein Beispiel für eine nicht sanierte Südtiroler Siedlung, jene in Reutte steht zur Hälfte unter
Denkmalschutz und ist ein Musterbeispiel für den Erhalt von Südtiroler Siedlungen und als im urbanen
Kontext eingebundenes Exempel dient ein bereits abgetragener Wohnblock in Innsbruck-Pradl. Ein
Vergleich zu anderen Projekten der für die Südtiroler Siedlungen zuständigen Architekten soll das Thema
einordnen.

Durch diese Diplomarbeit soll über die Qualität der Südtiroler Siedlungen informiert und eine
Einordnung in den zeitlichen und architektonischen Kontext versucht werden. Außerdem hoffe ich,
einen Beitrag zur Bewusstseinsschaffung für diese weitgehend unbeachteten Denkmale in Gemeinden
und Bevölkerung leisten zu können und damit die Erinnerungskultur zu stärken.
“The art of the Third Reich is difficult, complex, and
controversial. Whether it be in the form of fine arts,
architecture, film, literature, or music, it cannot be
considered in the same way as the art of other
periods. It must be seen as the artistic expression of a
barbaric ideology. One can only look at the art of the
Third Reich through the lens of Auschwitz.”

-Peter Adam

1
Inhalt

1. Vorwort ............................................................................................................................................ 3
2. Einführung ins Thema ...................................................................................................................... 5
2.1. Kurze Geschichte der Option ........................................................................................................... 8
2.2. Überblick über die Architektur der NS-Zeit ................................................................................... 14
2.3. Die (Erste) Stuttgarter Schule ........................................................................................................ 21
2.4. Das Reichsheimstättenamt ............................................................................................................ 24
2.5. Die „Neue Heimat Tirol“ ................................................................................................................ 25
3. Vorstellung der Protagonisten ....................................................................................................... 30
3.1. Helmut Erdle .................................................................................................................................. 31
3.2. Ludwig Schweizer ........................................................................................................................... 34
3.3. Heinz Möritz ................................................................................................................................... 36
3.4. Peter Koller .................................................................................................................................... 39
4. Analyse der drei Beispielsiedlungen .............................................................................................. 42
4.1. Ein Überblick .................................................................................................................................. 42
4.2. Innsbruck – Am Rain ...................................................................................................................... 50
4.3. Hall – Galgenfeld ............................................................................................................................ 62
4.4. Reutte............................................................................................................................................. 68
5. Vergleich ........................................................................................................................................ 78
5.1. Die „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ ............................................................................... 78
5.2. Der Wiederaufbau Freudenstadts ................................................................................................. 86
5.3. Die Stuttgarter Killesberg-Siedlung ................................................................................................ 88
6. Die Denkmalschutz-Problematik.................................................................................................... 96
7. Katalog der Südtiroler Siedlungen Tirols...................................................................................... 100
8. Fazit und Diskussion ..................................................................................................................... 102
9. Verzeichnis ................................................................................................................................... 105
9.1. Abkürzungsverzeichnis................................................................................................................. 105
9.2. Quellenverzeichnis ....................................................................................................................... 106
9.3. Literaturverzeichnis ..................................................................................................................... 108
9.4. Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................. 111
10. Anhang ......................................................................................................................................... 114

2
1. Vorwort

Mit den Südtiroler Siedlungen kam ich im Laufe meines Lebens immer wieder in Berührung: Bei
ausgedehnten Spaziergängen durch Innsbruck mit meiner Mama, die eine echte „Pradlerin“ ist, über
Erzählungen von „Oma Anni“, die als Südtirolerin mit ihren Pflegeeltern optierte, aber auch über Felix
Mitterers Schauspiel „Verkaufte Heimat“. Nachdem den TirolerInnen, egal ob aus Nord, Süd oder Ost,
nachgesagt wird, über einen ausgeprägten Patriotismus zu verfügen, muss ich mir wohl sagen lassen,
das Thema der Südtiroler Siedlungen, eine Folge der Teilung Tirols, nicht ohne ein gewisses Maß an
Sentimentalität angegangen zu sein. Dem muss ich selbstverständlich widersprechen und möchte
ausdrücklich betonen, dass die emotionalsten Momente während der Bearbeitung meiner Diplomarbeit
viel eher durch die Coronakrise herbeigeführt wurden. Durch „Homeoffice“, „Kurzarbeit“ und
„Lockdowns“ hatte ich oft nicht die Möglichkeit Archivbestände vor Ort einzusehen und war auf die Hilfe
vieler engagierter Menschen in Archiven, Bibliotheken, Ämtern und Vereinen angewiesen.

Je länger und intensiver ich mich mit den Südtiroler Siedlungen beschäftigte, umso mehr wuchsen mir
diese alten, eigenwilligen Häuser ans Herz. Mit ihrer Analyse möchte ich mehr Aufmerksamkeit für sie
erregen und eine Lücke in der Historie der Tiroler Baugeschichte schließen. Noch immer werden
Architektur und Kunst des Nationalsozialismus tabuisiert und vernachlässigt, wobei gerade ihr Studium
einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung unserer Geschichte leisten könnte. Der Nationalsozialismus
und alles Grauen, das er mit sich brachte, lässt sich aus der Geschichte nicht tilgen, indem man seine
Relikte tilgt. Wir müssen mit den Denkmalen, die er uns hinterlassen hat, umgehen und sie als Zeugen
der Geschichte verstehen lernen.

Nur anderthalb Südtiroler Siedlungen stehen in Tirol unter Denkmalschutz. Das Fortbestehen der
übrigen steht verdichteter Bauweise, Kosteneffizienz und gefälligerem neuen Wohnbau gegenüber. Das
Bundesdenkmalamt sieht dieser Entwicklung mit verschränkten Armen zu. Immerhin sind dann doch
anderthalb Siedlungen als Exempel unter Schutz gestellt worden. Reicht das? Wir brauchen nicht noch
mehr unangenehme, negativ behaftete, alte Häuser! Aber sind sie nicht Teil der Tiroler Geschichte,
Zeugen Hitlers „ethnischer Säuberung“, identitätsstiftende Kulturgüter und vor allem … gemeinsames
Erbe?

Bevor ich zur Einleitung schreite, möchte ich noch ein paar Dankesworte niederschreiben. Mein
Betreuer, Herr Professor Tragbar, soll zuallererst Erwähnung finden, denn erst sein Interesse, die
Kontakte, die er herstellte, die Bücher, die er mir lieh und sein Beharren auf das eine oder andere
Kapitel hat die Genese dieser Arbeit möglich gemacht.
Gerhard Kabierske und Mechthild Ebert vom saai in Karlsruhe möchte ich meinen besonderen Dank
aussprechen. Mein Besuch in Karlsruhe war trotz Corona wie eine kleine Kulturreise. Das unkomplizierte
Entgegenkommen und die interessanten Gespräche bleiben mir in besonders guter Erinnerung!
Einen sehr herzlichen Dank darf ich auch an Marcel Glaser aussprechen. Er hat mich teilhaben lassen an
seinem Wissen über Peter Koller, mir aufschlussreiches Material zur Verfügung gestellt und so manchen
Musiktipp noch dazu. Auch Steffi Crain vom Stadtarchiv in Wolfsburg ließ mir riesige Mengen an
Archivmaterial zukommen, die jeden E-Mail-Anhang bei Weitem sprengten. Vielen Dank für die vielen E-

3
Mails und die vielen Mühen! Danke auch dem „Forum Architektur“ der Stadt Wolfsburg und Esther
Orant sowie Katja Steiner vom Wolfsburger Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation.
Für die große Hilfe, ohne die ich diese Arbeit niemals hätte schreiben können, muss ich mich zudem bei
Gerda Embacher und Christina Fally von der „Neuen Heimat Tirol“ bedanken. Auch Hanna Fritz vom
Stadtarchiv Innsbruck hat so viele Pläne für mich herausgesucht und gefunden und verdient meinen
besonderen Dank. Die Arbeit im Landesarchiv gestaltete sich trotz sehr hilfsbereiter MitarbeiterInnen
immer wieder schwierig und mühsam. Nachdem dies aber eine Danksagung ist, möchte ich den
MitarbeiterInnen des Landesarchiv Tirol dennoch meinen Dank aussprechen.
Leider konnte zwar durch die gegebenen Umstände kein persönliches Interview zustande kommen,
dennoch bin ich Michaela Frick vom Bundesdenkmalamt sehr dankbar, dass sie mir so viele Fragen
schriftlich beantwortet hat und sich sogar in ihrer Freizeit mit meinen Belangen beschäftigte.
Freudenstadt konnte ich leider noch nicht besuchen – eine Reise dorthin wird aber auf jeden Fall
nachgeholt, allein schon, um mich persönlich bei Jürgen Schnurr vom Heimat- und Museumsverein für
Stadt und Kreis Freudenstadt bedanken zu können.
Vielen Dank möchte ich auch Silvia Hartl vom Bauamt in Hall aussprechen, ebenso wie Peter Seeber vom
Bildarchiv in Hall.
Auch nach Reutte sende ich ein Dankeschön: Frank Kerber und Robert Umshaus vom Gemeindeamt
haben sich beide darum bemüht, mir Pläne zur Verfügung zu stellen. Auch dem Museumsverein Reutte,
vor allem Ernst Hornstein und Richard Lipp spreche ich meinen Dank aus.
Bei Michael Svehla möchte ich mich herzlich für die Bereitstellung von so vielen seiner Fotos von den
Pradler Siedlungen bedanken. Elmar Widmann, Egon Außerhofer und Bruno Bichler sei ebenfalls
gedankt für die vielen Informationen, die Zeitzeugenberichte und für die netten Geschichten rund um
die Südtiroler Siedlung in Kramsach.
Es war mir eine Ehre mit Andreas Erdle, jüngstem Sohn von Helmut Erdle, in Kontakt gewesen zu sein
und bedanke mich herzlich für die vielen Dokumente aus seinem Privatarchiv.
Stets kommt der Dank für die Familie am Schluss einer jeder Danksagung, wobei doch gerade in Zeiten
wie diesen niemand so wichtig ist wie Familie und Freunde. Deshalb gilt mein größter Dank meinen
motivierenden und geduldigen Eltern, meiner inspirierenden Schwester, meinem wortgewandten
Freund und seiner - meiner zweiten - Familie und meinen fünf Katzen, die mir stets zur Seite … lagen.

4
2. Einführung ins Thema

Die Südtiroler Siedlungen verschwinden fast unmerklich aus den Dörfern und Städten Tirols und auch
aus dem Gedächtnis ihrer BewohnerInnen. Allerorts werden sie umgebaut, saniert, aber mit
zunehmender Häufigkeit auch abgerissen. Das Thema der Südtiroler Siedlungen, welche nicht nur in
Tirol zwischen 1939 und 1943 erbaut wurden, beschränkt sich bei weitem nicht auf die Architektur. Im
Gegenteil, es müssen historische, politische und soziale Aspekte mit angesprochen werden, um die
Geschichte dieser Häuser erzählen zu können.

Mit der Option einer Mehrheit der Südtiroler Bevölkerung ins Deutsche Reich infolge des Hitler-
Mussolini-Abkommens 1939 musste in kurzer Zeit viel Wohnraum geschaffen werden. Ca. 75.000
SüdtirolerInnen folgten dem Ruf „heim ins Reich“. Zwischen 1939 und 1943 wurden so allein in Tirol 34
Südtiroler Siedlungen gebaut. Rund 60 % der Südtiroler OptantInnen konnten hier untergebracht
werden. Dies war nur durch Einsatz von Kriegsgefangenen möglich, die als Arbeiter die auf neuestem
Stand geplanten Siedlungen errichteten.

Die für die OptantInnen entworfenen Siedlungen bilden eine Sonderform des sozialen Wohnbaus. Als für
das Großprojekt verantwortliche Institution wurde die „Neue Heimat Tirol“ eingerichtet. Verschiedene
Architekten und Städteplaner entwarfen dutzende Siedlungen. Auf den ersten Blick könnte man
verleitet sein, sie sofort dem Heimatschutzstil zuzuordnen. Bei genauerer Betrachtung erweisen sich
diese außergewöhnlichen Anlagen aber als modern, vielfältig und durchdacht. Die Südtiroler Siedlungen
verfügen über hohe architektonische und städtebauliche Qualitäten, welche auch heute noch von ihren
BewohnerInnen geschätzt werden. Umso unverständlicher ist ihr vermehrter Abriss, wodurch nicht nur
eine einzigartige Architektur, sondern auch manifestierte Geschichte unwiderruflich verschwindet. Sie
waren die erste Antwort auf die damals aufkommende Frage nach dem „Tiroler Stil“. Dabei wurden
bewusst „Tiroler“ Architekturmotive und bäuerliche Bautradition zu einer Architektur verarbeitet, die
noch heute unsere Vorstellung der Identität Tirols mitprägt.

Der ursprünglich aus Dresden stammende Helmut Erdle muss hier als wichtigster Architekt genannt
werden. Er war zwischen 1939 und 1943 Leiter der Planungsabteilung des Heimstättenamtes in
Innsbruck und war aktiv an den Planungen von beinahe der Hälfte aller Südtiroler Siedlungen Tirols
beteiligt. Ludwig Schweizer und Heinz Möritz arbeiteten meist als Duo und übten großen Einfluss auf die
Gestaltung der Südtiroler Siedlungen aus. Möritz war es, der eine umfangreiche Fotodokumentation in
Nordtirol durchführte, um daraus Haustypen für die Siedlungen entwerfen zu können. Ganze Kataloge
voller Architekturmotive, Materialanalysen und Sonderlösungen flossen in die Komposition neuer
„Tiroler“ Siedlungen ein. Der vierte Protagonist der Südtiroler Siedlungen, Peter Koller, wurde nicht nur
durch seine Stellung als Chef des Stadtbaubüros der „Stadt des KdF-Wagens“, des heutigen Wolfsburg,
bekannt, er war auch verantwortlich für die Neu- und Umgestaltung Innsbrucks und damit auch für
Innsbrucks Südtiroler Siedlungen.

Nach wie vor betreut die gemeinnützige WohnungsGmbH „Neue Heimat Tirol“ die Tiroler Südtiroler
Siedlungen und ist auch verantwortlich für alle baulichen Veränderungen. Trotz großem historischen
Wert nebst hoher architektonischer Qualität steht heute die Südtiroler Siedlung in Kematen als einzige
in Tirol komplett unter Denkmalschutz, jene in Reutte nur zur Hälfte. Tragischerweise plant das

5
Bundesdenkmalamt auch nicht, weiter Siedlungen unter Schutz zu stellen. Die Anlagen werden ständig
durch modernen Wohnbau ersetzt, meist ohne schlüssige Hinweise auf die historischen Umstände,
unter welchen sie erbaut wurden. Auch der Nachhaltigkeitsgedanke spielt hier eine Rolle, könnten doch
bereits vorhandene Ressourcen weiter genützt und Bodenversiegelung verhindert werden.

Das sukzessive Verschwinden der Südtiroler Siedlungen wird medial kaum beachtet. In diesem
Zusammenhang ist es unerlässlich aufzuzeigen, mit welchen Kleinoden wir es hier zu tun haben, wie viel
ihr Erhalt zur Bewahrung der Erinnerung beiträgt und welche architektonischen Qualitäten der Häuser
uns auch heute noch Vorbild sein können. So ist es mir ein persönliches Anliegen, mich durch Recherche
und die daraus resultierende Diplomarbeit für den Erhalt der letzten Südtiroler Siedlungen einzusetzen,
vor allem, weil das Thema betreffend noch keine umfangreiche architektonische Abhandlung vorliegt.

Meine Diplomarbeit verfolgt das Ziel einer genaueren Erforschung der Umstände, unter welchen die
Südtiroler Siedlungen erbaut wurden. Fragen nach den politischen Absichten, gesellschaftlichen
Problemen oder infrastruktureller Organisation werden hierbei nicht ausgeklammert. Besonderes
Augenmerk wird auf die architektonischen Aspekte des Themas gelegt, um Schlüsse über
Planungsstruktur, ausführende Architekten, Entwurfsvorgaben oder Einsatz verschiedener Bautechniken
ziehen zu können. Die Südtiroler Siedlungen werden in ihren historischen Kontext gesetzt, wobei vor
allem die Frage nach Vorbildern und eigener Vorbildwirkung interessant ist.

Leicht zugängliche Quellen wie das Internet bieten lediglich einen groben Überblick über die Südtiroler
Siedlungen und sind somit zu vernachlässigen. Standardliteratur (Adam 1992, DNK 48, Petsch 1976, Teut
1967, Weihsmann 1998) zur Architektur im Nationalsozialismus liefert einen guten Überblick, erfasst die
Südtiroler Siedlungen jedoch nur am Rande.
Als bisher gut strukturierte und detaillierte Quelle profilierte sich die Diplomarbeit von Michael
Astenwald, welcher sich, sein Fach der Geographie verlassend, interdisziplinär einer Südtiroler Siedlung
widmete und diese beispielhaft mit sozialen Wohnbauprojekten in Wien verglich. Die Diplomarbeit von
Fabian Rief bietet in ähnlicher Weise einen Eindruck der Siedlung in Reutte.
Ulrich Höhns kann als Experte für das Baugeschehen in der „Ostmark“ unter nationalsozialistischer
Herrschaft und damit auch für die Südtiroler Siedlungen genannt werden. Seine Beiträge an
Fachtagungen oder Ausstellungskatalogen geben als einzige einen ausführlicheren Überblick über
Entwicklung, Entwurf, Erbauung und Einordnung der Siedlungen sowie ihre Sonderstellung in der
Architektur der NS-Zeit.
Klaus Lugger gibt ebenfalls einen groben Überblick, jedoch beschränken sich seine Ausführungen auf
Innsbruck und klammern damit den Großteil der Südtiroler Siedlungen ganz aus.
Noch nicht aufgearbeitete Information befindet sich in diversen Archiven, wie zum Beispiel im Archiv der
„Neuen Heimat Tirol“, dem Südwestdeutschen Archiv für Architektur und Ingenieurbau in Karlsruhe, in
welchem sich die Nachlässe Helmut Erdles, Ludwig Schweizers und Heinz Möritz‘ befinden, oder dem
Archiv in Wolfsburg.

Zu meiner Aufgabe habe ich die Komplettierung und Erweiterung vorhandener Informationen und die
detaillierte Vertiefung der Überblickswerke gemacht. Noch nicht aufgearbeitete Archivbestände wurden
gesichtet und flossen konzentriert in die Arbeit ein.

Um eine möglichst übersichtliche und verständliche Arbeit vorlegen zu können, kam die Methode „a
generali ad particulare“ zur Anwendung. Die historischen, gesellschaftlichen und politischen
Rahmenbedingungen werden umrissen, damit ein genauerer Blick auf die Architektur dieser Epoche, auf

6
ihre Strömungen und Protagonisten und im nächsten Schritt auf die Lösungen regionaler Probleme
geworfen werden kann und ihre Auswirkung und Bedeutung greifbar wird. Dabei werden die wichtigsten
Architekten Helmut Erdle, Ludwig Schweizer, Heinz Möritz und Peter Koller vorgestellt, bevor die
Südtiroler Siedlungen anhand dreier unterschiedlicher Anlagen in Tirol beschrieben werden. Eine
Siedlung im Innsbrucker Stadtteil Pradl wurde bereits abgerissen und durch modernen verdichteten
Wohnbau ersetzt. Sie war Teil der Neugestaltungsplanungen für Innsbruck durch Peter Koller. Die
Siedlung „Galgenfeld“, errichtet unter Helmut Erdle, befindet sich in Hall und wurde bisher nicht durch
die „Neue Heimat Tirol“ saniert. Ihr Schicksal ist noch ungewiss: Während die Stadtgemeinde Hall und
die BewohnerInnen der Anlage diese erhalten wollen, visiert die „Neue Heimat Tirol“ den Abbruch an.
Die Südtiroler Siedlung in Reutte, ebenfalls auf Helmut Erdle und Ludwig Schweizer zurückzuführen,
steht immerhin zur Hälfte unter Denkmalschutz. Sie stellt die dritte Beispielsiedlung dieser Arbeit und
damit ein Positivbeispiel dar.

Um eine Einordnung der Siedlungen erreichen zu können, wurde ein Vergleich zu anderen Projekten der
Architekten angestellt. Peter Kollers „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“, das heutige Wolfsburg, ist
insofern interessant, als Peter Koller dieses städtebauliche Projekt vor seiner Tätigkeit in Innsbruck
bearbeitete und einige Erfahrungen nach Tirol mitbringen konnte. Die Schwarzwälder Stadt
Freudenstadt wurde nach massiver Zerstörung im Zweiten Weltkrieg durch Ludwig Schweizer und Heinz
Möritz neu aufgebaut. Ihre Architektursprache erinnert an Tirol. Die Siedlung am Killesberg in Stuttgart
ist wiederum eines von Helmut Erdles Nachkriegsprojekten. Auch er verarbeitete hier seinen großen
Erfahrungsschatz aus seiner Tiroler Wirkungszeit.

Die Problematik des oft nicht vorhandenen Denkmalschutzes und des sukzessiven Verschwindens der
Südtiroler Siedlungen als Zeitzeugen habe ich als eigenen Punkt bearbeitet.

7
2.1. Kurze Geschichte der Option

Die Habsburger Monarchie, welche über einen Vielvölkerstaat herrschte, konnte ihre Völker im Ersten
Weltkrieg nicht mehr einig halten. Innere und äußere Konflikte zerrissen Österreich-Ungarn und am
Ende des Krieges blieben Völker und Minderheiten, die eigene Nationalstaaten begründen wollten. Süd-,
Ost- und Mitteleuropa formierte und definierte sich neu. Die Suche nach Identität konnte der neue
Nationalismus als Gegenkonzept zum Vielvölkerstaat beenden. Durch die Pariser Vorortverträge und im
Besonderen den Vertrag von Saint-Germaine-en-Laye 1919 wurde die Gründung der neuen Länder
bestätigt und die Abtretung verschiedener Regionen Altösterreichs beschlossen. Südtirol, „Welschtirol“,
das Kanaltal und Istrien fielen demnach Italien zu. Die Minderheiten, welche sich in genannten Regionen
befanden, konnten nun entweder ermordet werden wie im Fall des Genozids an der armenischen
Minderheit in der Türkei, assimiliert an Bevölkerung des jeweiligen Nationalstaates, wie es vorerst in
Südtirol der Fall sein sollte, oder sie wurden umgesiedelt.1

In den Zwischenkriegsjahren bediente sich die italienische Regierung der zweiten genannten Methode
und unternahm große Anstrengungen, die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols zu „italianisieren“.
Italienische Staatsbürger südlicherer Regionen mussten sich in Südtirol ansiedeln, Ämter, Behörden und
jegliche Staatsorgane wurden von ihnen bekleidet. Die deutsche Sprache und Kultur wurden nicht
geduldet.2

Über eine mögliche Umsiedlung der betroffenen Bevölkerungsgruppe dachte sowohl Italien als auch
Österreich schon in den 1920er Jahren nach. Als Vorbild fungierte die Türkei, die mit Griechenland einen
Pakt zum Austausch von Minderheiten geschlossen hatten. Für Hitler kam es schon 1922 nicht in Frage,
Südtirol zu annektieren. Nach seiner Vorstellung konnte Deutschland nur gemeinsam mit Italien zu dem
Weltreich aufsteigen, welches er sich erträumte. Sich mit einer Annexion gegen Italien zu stellen war
trotz der Hoffnung der SüdtirolerInnen nie eine Option. Italien aber hatte trotz der Zusicherungen
Berlins Bedenken. In den Jahren 1938 und 1939 annektierte Hitler Österreich und das Sudetenland, was
Italien fürchten ließ, dass die Rückgewinnung Südtirols das nächste Desiderat des Deutschen Reichs sein
könnte. Diese Sorge ließ sich erst durch den Beschluss des „Stahlpaktes“ im Mai 1939 aus der Welt
schaffen. Das deutsch-italienische Militärbündnis garantierte, einander im Falle eines Krieges militärisch
zu unterstützen und war ein weiterer Baustein zur Verfestigung der „Achse Berlin-Rom“. Sie war
Gegenstand des sogenannten „Freundschaftsvertrages“ von 1936, den Hitler unter keinen Umständen
gefährden wollte. Die Vorstellung, die deutschsprachigen SüdtirolerInnen ins Großdeutsche Reich
umzusiedeln, war demnach für beide Parteien eine willkommene Lösung für das „Südtirolproblem“.3

Hitlers Ruf „heim ins Reich“ tönte nicht nur nach Südtirol. „Volksdeutsche“ ließen sich in großen Teilen
Süd- und Osteuropas finden. Der Lauf der Geschichte brachte sie sogar auf den asiatischen Kontinent,
nach Südrussland. All diese in der Welt verstreuten Menschen, welche Hitler als die seinen sah, sollten
ab 1939 wiedervereint als ein Volk im Territorium des Dritten Reichs eine endgültige Heimat finden,
wenn auch nicht ganz freiwillig. Selbstredend war diese Idee nicht nur von Zusammengehörigkeitsgefühl

1
Pallaver/Steurer 2011, 14-16.
2
Pallaver/Steurer 2011, 22.
3
Pallaver/Steurer 2011, 17f.

8
getragen. Vor allem materielle Gründe standen hinter dieser weitreichenden Entscheidung, welche das
Schicksal hunderttausender Menschen prägen sollte. Arbeitskräftemangel war wohl der Hauptgrund
hinter der Überlegung, deutschsprachige Bevölkerungsgruppen der verschiedensten Länder und
Regionen in „Großdeutschland“ anzusiedeln. SS-Brigadeführer Ulrich Greifelt vermerkte in einem Bericht
aus dem Jahr 1939 einen Mangel an Arbeitskräften in allen Wirtschaftssektoren in Höhe von 550.000
Personen. Greifelt überlegte weiter, dass das Füllen dieser immensen Lücke durch ausländische Arbeiter
zahlenmäßig gar nicht möglich, und „bevölkerungs- und rassenpolitisch bedenklich“ sei.4 Diese
zweifelhafte Erkenntnis sollte Auslöser für die weitreichende Entscheidung zur Umsiedelung von mehr
als einer halben Million Menschen sein.5

Die Option in Südtirol war demnach keine regionale Sonderlösung, sondern Teil eines übernational
gedachten Konzepts. Dennoch nimmt Südtirol eine Sonderstellung ein. Die Umsiedlung der Südtiroler
Bevölkerung war die erste, die über die Bühne gebracht werden sollte. In die unfreiwillige Rolle des
Vorreiters oder des Versuchskaninchens gedrängt, prüfte man an Südtirol den organisatorischen Ablauf
der Aktion. Vieles wurde beibehalten. Die zuständigen Ämter und Gesellschaften, welche die
Umsiedlung in Südtirol vornahmen, wurden auch in allen weiteren Rück- und Umsiedlungsaktionen
eingesetzt. Die „Deutsche Ansiedlungsgesellschaft“ (DAG) bildete mit dem „Reichskommissariat für die
Festigung deutschen Volkstums“ (RKFdV) und der „Deutschen Umsiedlungs-Treuhandgesellschaft“ (DUT)
den administrativen Apparat.6

Etliche Verträge und Abkommen zwischen Deutschland und den Ländern, aus welchen die
„Volksdeutschen“ emigrieren sollten, mussten geschlossen werden. Am 23.6.1939 wurde die „Berliner
Vereinbarung“ zwischen Deutschland und Italien geschlossen, die als erste aller Verträge die Umsiedlung
der SüdtirolerInnen festlegte. Es folgten Verträge mit Estland und der Sowjetunion. Später folgten
Abkommen mit Rumänien, Kroatien und Bulgarien.7 Wie viele Menschen insgesamt umgesiedelt
wurden, kann nur geschätzt werde. Aus unterschiedlichen Quellen ergeben sich verschiedenste
Darstellungen und Zahlen. Viele derer sind geschönt und verfälscht, je nach Interesse der jeweiligen
Stelle. Die realistischsten Angaben Südtirol betreffend nach Einschätzung von Adolf Leidlmair präsentiert
der vertrauliche Abschlussbericht der „Amtlichen Deutschen Ein- und Rückwandererstelle“. Bis zum 8.
Oktober 1944 sollen laut diesem aus Südtirol insgesamt 81.754 Personen ausgewandert sein. Jüngere
Berechnungen ergaben eine Zahl von 74.500 OptantInnen, die gerundet als 75.000 in der Literatur
überwiegend übernommen wurde.8

Ungefähr 84.000 Baltendeutsche folgten dem Vorbild dieser 75.000 SüdtirolerInnen. Sie stammten aus
Lettland und Estland. Weitere 51.000 Personen wanderten aus Litauen ab. 1941 wurde durch einen
Vertrag mit der Sowjetunion eine Aussiedlung von 136.500 Menschen aus Wolhynien, Galizien und dem
Narew-Gebiet besiegelt. 93.000 Personen stammten aus Bessarabien, 43.600 aus der Nordbukowina, für
deren Umsiedlung ein Vertrag mit der Sowjetunion geschlossen wurde. Die Südbukowina fiel in den
Zuständigkeitsbereich Rumäniens, weshalb die 52.100 Deutschen dieser Region mittels eines Vertrages
mit Rumänien ausgesiedelt wurden. Ein weiterer Vertrag mit demselben Vertragspartner besiegelte das

4
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 16., vgl. Wagner, Rudolf: Die Bukowina und ihre Deutschen, in:
Eckartschriften 1979, 69, 72.
5
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 18.
6
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 20.
7
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 18.
8
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 98f. In meiner Arbeit habe ich mich für die Angabe 75.000 entschieden.

9
Schicksal von 15.400 „Volksdeutschen“ aus der Dobrutscha. 15.000 Personen kamen aus Gottschee und
Laibach im heutigen Slowenien, 20.000 aus Kroatien und Bosnien und 1.950 aus Bulgarien. Die Zahl der
ausgewanderten Personen aus dem „übrigen Südosteuropa“ wird mit 13.000 angegeben.9 Einen
genauen Überblick über die Bevölkerungsbewegungen dieser Jahre finden Interessierte im Werk
„European Population Transfers. 1939-1945“ von Joseph B. Schechtman.10

Zwei Drittel all dieser entwurzelten Personen besiedelten die von Deutschland eroberten Gebiete
Polens. Auch wenigen Südtiroler Familien wurden große Höfe in Galizien zugeteilt, deren frühere
Besitzer enteignet worden waren. Jedoch fand die große Mehrheit in nahegelegeneren Regionen wie
Nordtirol und Vorarlberg eine neue Heimat.11 Dort kamen bis 1945 in etwa 5.000 Wohnungen in
großangelegten Wohnbauprojekten für die OptantInnen aus Südtirol zur Ausführung.12 51,5 % aller
Südtiroler OptantInnen wurden in Nordtirol untergebracht, 7,6 % in Vorarlberg, 21,4 % in anderen Teilen
der Ostmark wie in Salzburg, Oberösterreich oder Kärnten. 14,5 % fanden ihre neue Heimat innerhalb
anderer Teile des Deutschen Reiches, zumeist in Bayern oder auch im besetzten Galizien. Die übrigen
5 % der OptantInnen wurden in anderen Gebieten sesshaft.13

Wie der Begriff „Option“ schon zum Ausdruck bringt, fanden die Umsiedlungsaktionen in allen
genannten Regionen freiwillig statt. Die deutschen oder deutschstämmigen Personen im Ausland hatten
zumindest offiziell die freie Wahl zwischen einem Verbleib am bisherigen Wohnsitz und einer Migration
ins Deutsche Reich. Inoffiziell war der Druck auf die Betroffenen immens. Mehr oder weniger offene
Drohungen, Mahnungen und manipulative Propaganda schüchterten ein und ließen oft den Verlust der
Heimat als einzigen Weg erscheinen.14 Die hohe Zahl der abgewanderten Personen ist dementsprechend
nicht aus deren ideologischen oder politischen Motiven heraus zu begründen. Alle deutschen,
deutschsprachigen oder -stämmigen Personen, die von der Rücksiedlung betroffen waren, bildeten in
ihren jeweiligen Heimatländern Minderheiten. Als solche waren sie oft Unterdrückung und
Diskriminierung ausgesetzt.

Die deutsch- und ladinischsprachige Südtiroler Bevölkerung bildet hier keine Ausnahme. Das
faschistische Regime Italiens drohte mit der hundertprozentigen Italianisierung des „Hochetsch“. Dies
bedeutete Maßnahmen, die von einer Umbenennung der Städte und Dörfer, über ein Verbot der
deutschen Schule und Schrift bis hin zur Änderung der deutschen in italienische Nachnahmen reichten.
Adolf Leidlmair betitelt diesen traurigen Umstand als „heimatlos in der eigenen Heimat“. Mit solch
düsteren Zukunftsaussichten fiel für etliche die Entscheidung nicht für den Nationalsozialismus aus,
sondern gegen das faschistische Italien. Der Nationalsozialismus wurde oft als geringeres Übel in Kauf
genommen.15 16

9
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 17.
10
Schechtman 1946.
11
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 17.
12
Neue Heimat 2013, 34.
13
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 99.
14
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 19.
15
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 24.
16
Ich will die betroffene Bevölkerung Südtirols nicht pauschal in die Opferrolle stellen. Sie war selbstredend nicht
nur Leidtragende zweier Diktaturen. Eine „Schuldzuweisung“ oder die Frage nach einer Aufarbeitung der
Vergangenheit kann aber nicht Teil dieser Arbeit sein. Für detaillierte Überlegungen zu dieser Thematik vgl.:

10
Der Silvestertag 1939 markierte die Frist, in der alle
deutsch- und ladinischsprachigen Familienvorsteher
der Provinz Bozen, des Bozner Unterlandes, aus
dem Trentino, dem ladinischen Buchenstein, von
Cortina d’Ampezzo und dem Kanaltal für sich und
ihre Familien ihre Entscheidung über ein Verweilen
oder Gehen mitzuteilen hatten. „Reichsdeutsche“,
welchen ein Verbleib in Italien prinzipiell nicht zur
Option stand, mussten ebenfalls bis zum 31.12.
dieses Jahres emigrieren. „Volksdeutsche“ konnten
mit ihrer endgültigen Entscheidung bis Jahresende
1942, nach Erweiterung des Zeitrahmens sogar bis
31. Dezember 1943 warten.17

Die konkreten Informationen zur Option, die


Fristen, Rahmenbedingungen, die Vorgangsweise
und zu aller Anfang eine Erklärung dazu, ob eine
Umsiedlung der Südtiroler Bevölkerung überhaupt
geplant gewesen war, wurden verzögert,
unvollständig und vage übermittelt. In den
Zeitungen war solch eine Aktion vorerst nicht
erwähnt worden. Selbst als durch die Berliner
Vereinbarung das Schicksal der deutschen und
ladinischen Sprachgruppe schon lange besiegelt
war, erwähnte der „Völkische Beobachter“ am 13.
Juli 1939 nur, dass in Südtirol befindliche Personen
ohne Wohnsitz sofort das Gebiet zu verlassen
hätten. Personen mit Wohnsitz hätten dafür mehr
Abbildung 1: Artikel: Abkommen über Südtirol, in: Innsbrucker Zeit. Das Wort „Umsiedlung“ war nirgends zu lesen.
Nachrichten 86. 1939, 246, 3 Im September desselben Jahres sollte die
Bevölkerung schließlich aufgeklärt werden. Doch
obwohl sich die „Amtliche Deutsche Ein- und Rückwandererstelle“ bereits in Südtirol installierte, blieb
eine solche Meldung aus.18 Erst nachdem die offiziellen „Richtlinien für die Rückwanderung der
Reichsdeutschen und Abwanderung der Volksdeutschen aus dem Alto Adige in das Deutsche Reich“
herausgegeben wurden, meldeten die „Innsbrucker Nachrichten“, dass ein „Abkommen über die
Umsiedlung von Reichsdeutschen und Volksdeutschen aus Südtirol in das Deutsche Reich“ unterzeichnet
worden wäre. Alle Fragen rund um die Thematik seien „im Sinne der kürzlichen Berliner Vereinbarung“
geklärt worden. Dass die Berliner Vereinbarung an eben jenem Tag der Veröffentlichung dieser

Pfanzelter, Eva: Die (un)verdaute Erinnerung an die Option 1939, in: Geschichte und Region/Storia e regione 22,
2013, 2, 13-40.
17
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 22f.
18
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 33.

11
Kurzmeldung vier Monate alt geworden war und bisher noch keinerlei Information durchgedrungen war,
wurde gekonnt ignoriert.19

Unter der Südtiroler und Nordtiroler Bevölkerung kursierten die wildesten Gerüchte. Vage
Informationen bahnten sich ihren Weg von Nordtirol zu Bekannten, Freunden und Familien nach
Südtirol und umgekehrt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Gaupresse Tirols und Vorarlbergs, vor
allem die „Innsbrucker Nachrichten“, nicht nur in Südtirol gelesen wurde, sondern auch indirekt für
seine Bevölkerung geschrieben wurde.

Am 21. November 1939 erschien dann ein weiterer Artikel in den „Innsbrucker Nachrichten“, eine
„Amtliche Verlautbarung zur Umsiedlung der Südtiroler“. Jene erläuterte die Richtlinien rund um die
Umsiedlung und ließ die Bevölkerung erstmals konkrete Details lesen.20

Während in Südtirol vermehrt Unsicherheit und Verwirrung herrschten, mussten im Gau Tirol und
Vorarlberg Vorkehrungen zur Aufnahme der OptantInnen getroffen werden. Zuständig war neben
Heinrich Himmler vor allem Landeshauptmann und Gauleiter von Tirol und Vorarlberg, Franz Hofer.
Hofer war bestimmt kein Befürworter für Hitlers Lösung der „Südtirolfrage“. In einem persönlichen
Schreiben an Himmler bat er diesen sogar, mit Hitler die „Aufgabe des Raumes Südtirol“ noch einmal zu
überdenken. Der „Führer“ selbst ließ Hofer schließlich wissen, dass seine Umsiedlungspolitik wie geplant
auszuführen sei.

Nachdem dieser, Hofers letzter Versuch zum Erhalt des deutschen Kulturraumes in Südtirol gescheitert
war, startete er die Vorbereitungen zur Aufnahme von so vielen SüdtirolerInnen wie möglich. Genügend
Arbeitsplätze und ausreichend Wohnraum sollten den erwarteten 30.000 OptantInnen zur Verfügung
stehen.

Auch versuchte Hofer, Parteikollegen und Bevölkerung in Tirol auf die Immigrierenden vorzubereiten.
Während die heimische Presse nur Verwirrung stiftete, gelang es Hofer in seinen „Kreisappellen“ im
Sommer 1939, die Bevölkerung positiv zu stimmen. Was genau geplant war, erläuterte Hofer nicht. Mit
keinem Wort erwähnte er eine Umsiedlung, nicht einmal das Wort „Südtirol“. Informationen durfte er
nicht geben, war doch der Inhalt der Berliner Vereinbarung als höchst vertraulich zu behandeln, doch
rhetorisches Geschick und pathostriefendes Wühlen in der Tiroler Geschichtstruhe ließen Hofer den
Zusammenhalt Tirols stärken. Andreas Hofers Freiheitskampf für die Heimat wurde sogleich umgemünzt
auf den Willen der Tiroler, nun auch für das Deutsche Reich einzustehen. Er verkündete, Tirol sei bereit,
„jedes Opfer zu bringen, das das Interesse der Gesamtheit, das Interesse Großdeutschlands erheischt“21.
Durch Franz Hofers Vorarbeit wurden die erst später durchsickernden Informationen zur
bevorstehenden Umsiedlungsaktion relativ gut bzw. unbeeindruckt zur Kenntnis genommen. Größere
Empörung in der Bevölkerung und in den Reihen der NSDAP in Tirol herrschte über die unzulänglichen
Informationen durch die Gaupresse.22

Am 18. November 1939 widmeten die „Innsbrucker Nachrichten“ dem laufenden Wohnbauprogramm
für die „Südtiroler Volksgenossen“ eine Doppelseite. In höchsten Tönen lobte der Gaupresseamtsleiter
Franz Pisecky die entstehenden Siedlungsprojekte. Die neuen Wohnungen seien „neuzeitlich“ geplant

19
Pisecky 1939a.
20
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 33.
21
O. A. 1939.
22
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 29-31.

12
worden. „Bäder oder zumindest Brauseanlagen“ sollten sich in jeder Einheit befinden. Die in
„bodenständige[r] Bauweise“ ausgeführten Anlagen befänden sich in „gesündester und landschaftlich
prächtigster Lage“. Immer indirekt an die Südtiroler Leserschaft gewandt, blieb eine gewissermaßen
manipulative, propagandistische Note nie aus. So schreibt Pisecky beispielsweise:

„Es sind so alle Vorbedingungen dafür gegeben, daß sich die neuen Bewohner wirklich heimisch
fühlen können. Und das soll ja auch sein. Die Brüder, die zu uns kommen, sollen hier nicht nur
Unterkunft, sondern voll und ganz ihre Heimat finden.“23

Pisecky lässt seinen Artikel mit einer erneuten latenten Aufforderung an die „Südtiroler Brüder“ enden:

„Als im vergangenen Sommer die ersten Nachrichten über die geplante Umsiedlung von
Südtiroler Volksgenossen in die Öffentlichkeit gelangten, mochte wohl da und dort die Sorge
aufkommen, ob die Brüder, die sich entschließen würden, ihre alte Heimat zu verlassen, nicht
ins Ungewisse gehen möchten. Nun, die nationalsozialistische Führung war nicht müßig und im
Gau Tirol-Vorarlberg wurde ohne alle Worte, dafür aber umso energischer geplant und
gearbeitet. [ … ] Die Mauern, die allenthalben aus dem Boden wachsen, die Firste und Dächer,
die auf diese Mauern gelegt werden, sie werden schon in kurzer Zeit denen Obdach und Heim
sein, die treu dem Volke und mannhaft entschlossen den Weg zu uns finden und in den
herrlichsten Alpengau ihrer ewigen Heimat Großdeutschland kommen.“24

Abbildung 2: Skizze der geplanten Siedlung in Landeck, erschienen im Artikel:


Wohnungen für Südtiroler und Volksgenossen, in: Innsbrucker Nachrichten 86.
1939, 269, 4

Mehrere Fotografien und Skizzen illustrierten den Artikel. Tausendfach in Südtirol verteilt, entfaltete er
die Wirkung, auf die Pisecky abzielte.

Der „Völkische Kampfring Südtirols“ (VKS), der vor Ort Stimmung für die Option machte, zielte auf eine
hundertprozentige Auswandererquote ab. Offene Drohungen und auch Gewalt waren die Werkzeuge,

23
Pisecky 1939b.
24
Pisecky 1939b.

13
welcher man sich bediente, um die deutschsprachigen SüdtirolerInnen zum Gehen zu bewegen. Der
„VKS“ war eine illegale Organisation in der Provinz Bozen. Schon ab 1933, also Jahre vor der Option,
formierte sich der NS-nahe Bund. Sein Interesse lag im Erhalt des „Deutschtums“ und dem Widerstand
gegen die „staatliche Entnationalisierungspolitik“.25 Die viel schwächere „Dableiber-Propaganda“, vor
allem durch den „Andreas-Hofer-Bund“ und einen Großteil des Klerus konnte nur wenige zum Bleiben
motivieren. Dennoch bildete der „Andreas-Hofer-Bund“ die wichtigste antinationalsozialistische
Widerstandsbewegung Südtirols.26

Propaganda, latenter Druck aus Deutschland und Italien, Aussichten auf ein Leben in „Freiheit“ und
einen freudigen Empfang durch die Nordtiroler „Brüder und Schwestern“ taten das ihre, um die
Südtiroler Bevölkerung zu beeinflussen. Die Verteilung der für die Option abgegebenen Stimmen ist
homogener als zuerst angenommen. So ist kein unterschiedliches Stimmverhalten zwischen den
Berufsgruppen zu erkennen: Wein-, Obst- und Bergbauern wurden durch ihre verschiedenen
Tätigkeitsbereiche nicht in ihrer Entscheidung beeinflusst. Auch Familien, die auf Erbhöfen lebten,
blieben in Relation zu Familien mit Höfen, die mittels Realteilung vererbt wurden, nicht öfter in der
Heimat. Auch die Größe des eigenen Hofes war statistisch gesehen nicht ausschlaggebend für einen
Verbleib oder eine Abwanderung. Talschaften hingegen zeigen ein unterschiedliches
Emigrationsverhalten. Während im Grödental 73 %, nach Angaben der „Amtlichen Deutschen Ein- und
Rückwandererstelle“ sogar 90 % der deutschsprachigen Bevölkerung optierten, verließen im Gadertal
nur 30 % ihre Heimat.27

Leider erwarteten die hoffnungsvollen Auswandererfamilien meist keine „Brüder“, die „bereit sind jedes
Opfer zu erbringen“. Oft begegnete man den OptantInnen argwöhnisch, beneidete sie um ihre neuen,
modernen Wohnungen und von der prophezeiten Volks- und Schicksalsgemeinschaft war in der
allgemeinen Kriegsnot nicht mehr viel übriggeblieben.28

2.2. Überblick über die Architektur der NS-Zeit

Bereits einige Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialistischen Partei stand die Architektur in
Deutschland am Scheideweg. Die neuartige Strömung der Moderne, des internationalen Stils, der
Fertigbauweise und Vorfertigung stand einer Umkehr zur traditionellen Bauweise, kleinstrukturierterem
Planen und ländlich-verklärten Blut und Boden Motiven gegenüber. 1928 fand die Stuttgarter
Weißenhofsiedlung ihre Fertigstellung durch den „Deutschen Werkbund“ und die illustre Runde des
Berliner „Rings“, allesamt Vertreter des „Neuen Bauens“. Im In- und Ausland wurde sie als Sieg der
Moderne gefeiert und als Meilenstein zeitgenössischer Architektur deklariert. Einige Kritiker formierten

25
Egger 2018, 11f.
26
Egger 2018, 86f.
27
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 25.
28
Alexander/Lechner/Leidlmair 1993, 38.

14
sich zum „Block“ und verfassten 1932 „das erste und einzige Architektur-Programm des
Nationalsozialismus vor 1933“29 unter dem Namen „Die Architektur im Dritten Reich“. In das
Stimmengewirr von gegensätzlichen Meinungen flossen auch die der Heimatschutzverbände mit ein. Sie
fürchteten ebenso um das kulturelle Erbe ihres Vaterlandes, wie es auch einige Hochschulprofessoren
taten. Auch aus den Reihen der Arbeiterklasse tönte Missgunst: Etliche Handwerker fühlten sich durch
die Idee der industriellen Vorfertigung im Bauwesen bedroht. Ebenso das deutsche Kunstgewerbe
kritisierte die ornamentlosen Fassaden des „Neuen Bauens“ und sah sich im internationalen Diskurs
übergangen. Diese Ängste und Feindseligkeiten wurzelten auch in der allgemeinen Depression der
Weltwirtschaftskrise 1929.30

Die aufsteigende NSDAP wetterte gegen die neuen Strömungen in Kunst und Architektur und stempelte
diese mit dem vom Berner Architekten Alexander von Senger geprägten Begriff als
„Kulturbolschewismus“ ab (Senger verfasste zwei Bücher über zeitgenössische Architektur als
mutmaßlich russisches Propagandainstrument). 31 Bald wird vor allem vom „Kampfbund für deutsche
Kultur“, der sich im Februar 1929 als überparteilich bezeichnet, alles als „Kulturbolschewismus“
beschimpft, was laut eigener Definition den Verfall der deutschen Kultur darstellt. Darunter fallen bald
auch Kubismus, Futurismus, neues Theater und zeitgenössische Musik.32

Als die Nachwehen der Weltwirtschaftskrise 1933 langsam abebbten, erklang große Zustimmung für die
Arbeitsbeschaffungsprogramme der Reichsregierung und auch im Bauwesen konnte man hoffnungsvoll
in die Zukunft blicken.33

Durch die Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 steigerte sich die Bedeutung, die der Architektur
beigemessen wurde. Adolf Hitler, der sich selbst gerne als den „Baumeister des Dritten Reichs“
inszenierte, hielt die Disziplin der Architektur wohl für die größte aller Künste. Er war der Meinung, nur
die Architektur könne seiner Macht tatsächlichen Ausdruck verleihen, sie würde politische Ideale
übermitteln, Gemeinschaftsgeist stiften, die Autorität des Staates stärken und den philosophischen und
politischen Wandel der Zeit symbolisieren. Denn Bauwerke würden die Jahrhunderte überdauern, wie
kein anderes Artefakt es könne.34 Architektur müsse im Nationalsozialismus ganz neu gedacht werden
und ein neuartiger Stil solle den politischen und gesellschaftlichen Wandel symbolisieren.35

Hitler war nicht nur faszinierter Betrachter der Architektur, er plante sie auch. Er überwachte Entwürfe
und Planungen seiner Architekten, zeichnete selbst Details oder fertigte Skizzen.36 Auch soll er sich für
eine Art Michelangelo gehalten haben („Wenn Deutschland nicht den Weltkrieg verloren hätte, wäre
ich nicht Politiker, sondern ein berühmter Architekt – eine Art Michelangelo.“37) und hatte für den Fall
einer genialen Idee stets einen Skizzenblock bereitliegen.38 Neobarocke und -klassizistische Opernhäuser
in Wien, Berlin, Dresden und Paris prägten Hitlers Architekturverständnis und färbten seine eigenen

29
Teut 1967, 19.
30
Teut 1967, 18-20.
31
Teut 1967, 60.
32
Teut 1967, 21.
33
Teut 1967, 22.
34
Adam 1992, 211.
35
Petsch 1976, 181.
36
Weihsmann 1998, 21.
37
Teut 1967, 13.
38
Teut 1967, 178.

15
städtebaulichen Planungen im Stil der Wiener Ringstraßenarchitektur und der „Haussmannisierung“ von
Paris.

Hitler fertigte schon lange vor der NS-Machtübernahme alle möglichen Pläne und Skizzen an. Zusammen
mit seinem ersten Baumeister Paul Ludwig Troost konnte er diese nun endlich (zumindest in Ansätzen)
realisieren. Gemeinsam erarbeiteten Hitler und Troost das Parteiforum am Königsplatz in München,
dessen Grundstein schon wenige Wochen nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler gelegt wurde.39
Nicht nur ob seiner Architektur, welche den „Führer“ beeindruckte, sondern auch durch den
besonderen Stellenwert Münchens, als Ort des Putschversuches im November 1923 und als
Gründungsort der NSDAP schien die „Hauptstadt der Bewegung“, München, der Genius Loci zur
Erbauung der ersten Repräsentationsgebäude der NSDAP zu sein.40 In seiner Ansprache zur
Grundsteinlegung des „Hauses der Deutschen Kunst“ huldigte Hitler Ludwig I. und ließ München den
Status der „Hauptstadt der Deutschen Kunst“ zukommen.41 Kurze Zeit nach der Grundsteinlegung im
Januar 1934 verstarb Paul Ludwig Troost. Seine Witwe Gerdy Troost übernahm zusammen mit Leonhard
Gall, einem Mitarbeiter im Atelier, die Bauleitung des „Hauses der Deutschen Kunst“. Es konnte im Juli
1937 eröffnet werden.42

Dem „Haus der Deutschen Kunst“ an der Prinzregentenstraße und der Umgestaltung des Königsplatzes
fällt in der Architekturentwicklung der NS-Zeit eine Schlüsselrolle zu. Ist das „Haus der Deutschen Kunst“
noch in der Nachfolge Schinkels zu lesen, so wurde das Parteiforum am Königsplatz bald zum Leitbild
monumentalen Bauens. Nach seinem Vorbild sollten auch zukünftige Stadtzentren geplant werden.43

Nordwestlich der Altstadt wich ein ganzes Stadtviertel der neuen Planung und den vielen Bauten, die
sich entlang der Hauptachse, der Briennerstraße, am runden Karolinenplatz, dem rechteckigen
Königsplatz und einem weiteren Rundplatz gruppierten. Der Königsplatz wurde nach Vorbild eines
antiken Forums angelegt. Leo von Klenze plante die Glyptothek und die Propyläen, Georg Friedrich
Ziebland die Neue Staatsgalerie, gegenüber der Glyptothek. Vis à vis der Propyläen als Eingangsbauten
nahmen die Ehrentempel 1934 ihren Platz ein. Neben den Ehrentempeln entwarf Leonhard Gall in
Troosts Nachfolge den Führerbau mit seinen vielen Repräsentationsräumlichkeiten und ein
Verwaltungsgebäude. 1937 konnten diese monumentalen Bauten fertiggestellt werden. Der Eindruck,
den das neue Parteiforum vermittelte, war durch den großen Aufmarschplatz, der wie ein steinerner
Sockel die Gebäude auf ihm emporhob, der eines Denkmals. Ernste Feierlichkeit konnte durch riesige
Kandelaber und Feuerschalen erzielt werden, welche die absichtlich bei Dunkelheit abgehaltenen
Veranstaltungen stimmungsvoll einfärbten. Die geradlinigen, ornamentlosen Fassaden aus Werkstein
mit ihrem verschlossenen, festungsartigen Charakter vermittelten Unerschütterlichkeit und erscheinen
als steinernes Symbol für Hitlers Ideologie.44 So erklärt er z.B. am Reichsparteitag 1937:

39
Weihsmann 1998, 21.
40
Weihsmann 1998, 650.
41
Zitiert nach Domarus 1962, 315f: Adolf Hitlers Rede am 15. Oktober 1933 bei der Grundsteinlegung zum Haus
der Deutschen Kunst in München.
42
Rasp 1981, 28.
43
Weihsmann 1998, 650.
44
Petsch 1976, 84-86.

16
„Je größer die Anforderungen des heutigen Staates an seine Bürger sind, um so gewaltiger muß
der Staat auch seinen Bürgern erscheinen.“45

Die einschüchternde, machtvoll-heroische Wirkung war demnach wesentlich für die Gestaltung der
Anlage. Was hier in München erprobt wurde, setzte sich bald im ganzen Reich als vorherrschende
Formensprache durch.46

So auch in Weimar, wo Hermann Giesler als offizieller Nachfolger von Ludwig Troost ab 1936 den Bau
des Gauforums leitete. Es sollte das einzige realisierte, wenn auch nicht ganz vollendete Gauforum
bleiben. Auf dem Forum reihen sich um den großen Aufmarschplatz auf insgesamt 40.000 m2 drei
Verwaltungs- und Repräsentationsgebäude, ein Glockenturm und die lange, als Rohbau bestehende
„Halle der Volksgemeinschaft“. Der gigantischen Anlage fielen 139 Wohnhäuser und weitläufige
Grünflächen zum Opfer. Als Ersatz sollte der Architekt Willem Bäumer eine Wohnstraße mit
Geschäftslokalen zwischen der Halle an der östlichen Seite des Forums und der Altstadt planen. Die
sogenannte „Straße X“, die heutige „Ferdinand-Freiligrath-Straße“, entspricht in ihrer Formensprache
genau dem Gegenteil des introvertierten, neoklassizistischen Gauforums. Die geschwungene
Straßenführung mit heimelig anmutenden Häuschen im Biedermeierstil entwarf Bäumer unter
Vorbildwirkung von Schultze-Naumburg und Schmitthenner.47

Am 4. Oktober 1937 ermöglichte das Gesetz zur „Neugestaltung deutscher Städte“ die Verwirklichung
der Umplanungsarbeiten von „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt Berlin“ Albert Speer.
Vorerst sollten nur vier „Führerstädte“ umgeplant werden, schließlich weitete man diese Überlegung
auf alle Gauhauptstädte aus. Jede dieser Städte sollte demnach über ein eigenes Gauforum verfügen,
wie es in Weimar zu dieser Zeit in Arbeit war.48 Diese neuen Machtzentren waren Symbole der
Gemeinschaft und der Überzeitlichkeit. Sie sollten sich einreihen in die Liste der identitätsstiftenden
Kulturgüter wie die Akropolis oder mittelalterliche Kathedralen. Hitlers monumentales Stadtzentrum
hegte damit dieselbe Absicht, wie sie Bruno Taut schon 1919 für seine „Stadtkrone“ vorsah. Auch sie
entsprang der Suche nach gemeinschaftsstiftenden Bauwerken und dürfte Hitler Vorbild gewesen sein.49
In seinem Buch „Mein Kampf“ bemängelt Hitler 1926 das Fehlen solcher „Stadtkronen“:

„Unsere heutige Großstadt besitzt keine, das ganze Stadtbild beherrschenden Denkmäler, die
irgendwie als Wahrzeichen der ganzen Zeit angesprochen werden können.“50

Ebenso beeindruckte Hitler die Idee der „architecture parlante“ des 19. Jahrhunderts, welche von der
Architektur forderte, durch Suggestionen Assoziationen beim Publikum auszulösen. Die visuelle
Erscheinung stand demnach im Mittelpunkt. Hitler übernahm diese ihm schon von der Wiener
Ringstraße bekannte Strategie, die Konstruktion zu verschleiern und ein appliziertes Äußeres zu
präsentieren, auch als sein architektonisches Ideal.51

45
Zitiert nach Teut 1967, 188.
46
Petsch 1976, 86.
47
Durth 1994, 22f.
48
Weihsmann 1998, 22.
49
Durth 1994, 20.
50
Zitiert nach Teut 1967, 288.
51
Fehl 1994, 74.

17
Eine städtebauliche Umplanung mit derartigen Wahrzeichen und Gauforen war nur für die
Gauhauptstädte vorgesehen. So waren Planungen für insgesamt 46 Gauhauptstädte angedacht.52 Nur
ein Bruchteil der Bauvorhaben wurde umgesetzt. Nicht nur der Ausbruch des Krieges behinderte die
Bauarbeiten. Ressourcen wie Material und Arbeitskräfte wären auch ohne den Krieg nicht ausreichend
vorhanden gewesen und die Kosten für die angedachten Stadterneuerungen hätten nicht aufgebracht
werden können. Letzte Hoffnung, um eine Umsetzung der Neugestaltungspläne für die Gauhauptstädte
noch zu ermöglichen, waren Eroberungen im Laufe des Krieges. Ausländische Arbeitskräfte bauten als
Häftlinge in Konzentrationslagern den Naturstein besetzter Steinbrüche ab. Zu Kriegsbeginn kam durch
den verordneten Baustopp vom 20. 11. 1939 die Bautätigkeit fast ganz zum Erliegen, lediglich
Sonderprogramme machten den Bau „kriegswichtiger“ Einrichtungen möglich, unter welche die
Umgestaltungspläne für die Gauhauptstädte nicht fielen.53

Auch die gigantischen Wohnbauprojekte Hitlers kamen durch diesen Baustopp großteiles nicht mehr zur
Ausführung. Ausgenommen sind auch hier die Sonderprogramme, wie z.B. die Errichtung der Südtiroler
Siedlungen, welche als „kriegswichtig“ eingestuft wurden.
Schon für das erste Nachkriegsjahr war der Bau von 300.000 Wohneinheiten geplant, in den folgenden
Jahren sollte jährlich das Doppelte davon hinzukommen. Zuständig war die „Deutsche Arbeitsfront“
(DAF), die von Robert Ley geleitet wurde. Im November 1940 stieg er zum „Reichswohnungskommissar
für den sozialen Wohnbau“ auf und übernahm damit die Verantwortung für die Planungen. Die
Einrichtung einer Wohnungsbauträgergesellschaft in jedem Gau war der nächste Schritt in Richtung
Umsetzung. Um die enorme Masse an Immobilien in kurzer Zeit errichten zu können, war eine
Industrialisierung im Bauwesen erforderlich. Einst Mitarbeiter von Walter Gropius am Bauhaus,
verfasste Ernst Neufert 1943 die „Bauordnungslehre“ und arbeitete darin die neuen Richtlinien für
typisierte Grundrisse, einheitliche Stockwerkshöhen und Raumtiefen sowie normierte
Bauteilabmessungen aus.54 Somit hielt die von Heimatschützern erst so heftig kritisierte
Standardisierung auch in der nationalsozialistischen Bauwirtschaft Einzug. Von größerer Wichtigkeit
schien die Fassade zu sein, die „Tracht“, wie sie Gerhard Fehl bezeichnet.55 Diese fand man im frühen 19.
Jahrhundert und bekleidete standardisierte Wohngebäude in ländlich-regionaler Manier. Die Optik,
welche sich der soziale Wohnbau zulegte, sollte die Arbeiterklasse zu braven BürgerInnen erziehen.56

Das neue Motto lautete: Moderne Konstruktion in traditioneller Form. Winfried Nerdinger beschreibt
dieses Phänomen treffend:

„Es handelt sich hier letztlich um unterschiedliche Geschwindigkeiten zwischen


gesellschaftlicher, künstlerischer und industrieller Entwicklung, um Durchmischung von
progressiven und regressiven Tendenzen als typischen Phänomenen der Industrialisierung, die
sich bis heute finden …“57

Für Industriebauten, Bahnhöfe oder Autobahnen galt diese Devise nicht. Hier gab es noch keine
Vorbilder, die man hätte rezipieren können. Moderne Bauaufgaben wurden demnach auch modern

52
Weihsmann 1998, 241.
53
Weihsmann 1998, 28.
54
Pallaver /Steurer 2011, 72-74.
55
Fehl 1994, 74.
56
Fehl 1994, 75.
57
Nerdinger/Brüning 1993, 16.

18
geplant – in Form und Konstruktion. Für ihre Autobahnen viel bewundert, war der Enthusiasmus der
Deutschen für die neuen Technologien ungebrochen. Bilder von innovativen Brückenbauten faszinierten
auch im Ausland.58

Die Materialität war bestimmend für den Charakter der Bauten des Dritten Reichs. Bei genannten
modernen Bauaufgaben scheute man sich nicht vor Sichtbeton und Stahl, Repräsentationsbauten und
Wohngebäuden fielen jedoch ausgewählte Materialien je nach gewünschter Wirkung zu. Der Werkstein
stand an erster Stelle für die Verkleidung von Parteigebäuden. Er symbolisierte die ehrliche Handarbeit
des Volkes und schuf tatsächlich Arbeit bei seiner Bearbeitung. Die Verwendung des Werksteins
begründete sich demnach auch durch rationale Überlegung. Zuallererst jedoch spielte seine Optik eine
Rolle. Der Werkstein schien unerschütterlich, standhaft und wehrhaft, Wesensmerkmale, die auch der
„arischen Rasse“ zugeschrieben wurden.

Der Ziegelstein vermittelte manuelle Fertigung. Sein Einsatzbereich war vor allem im Wohn- und
Siedlungsbau und stand für Heimeligkeit und konventionelle ländliche Architektur. Verputzt kam er der
ruralen Tradition entsprechend in Süddeutschland zum Einsatz. Dem Material Holz fiel derselbe
Stellenwert wie dem Ziegelstein zu. Auch ihm wurden bestimmte Charaktereigenschaften
zugeschrieben, welche als „deutsch“ galten. So erfreute sich besonders das Holz der Eiche großer
Beliebtheit.59

Die Architektur, die während des Nationalsozialismus entstand, ist demnach nicht eine einheitlich
monumentale Repräsentationsarchitektur. Je nach Bauaufgabe kamen unterschiedliche Stile,
Materialien und ausgesuchte Symbolik zum Einsatz. Für die geplanten Gauforen war die massive, axial
angelegte Platzarchitektur mit eklektizistischen Elementen der ästhetische Typus der Wahl. Da Hitlers
Architektur den Anspruch auf Überzeitlichkeit erhob, waren Ornamente, die stets einem zeitlichen
Wandel unterliegen, nicht erwünscht. Allein der Hoheitsadler war gestattet. Um die kompakten
Baukörper dennoch zu gliedern, kamen zumeist kannelierte Pfeiler und Pilaster zum Einsatz. Der
Führerbalkon, der auch bei physischer Abwesenheit die Präsenz Hitlers andeutete, entsprang zusammen
mit Gesimsen und Fensterkästen der ansonsten planaren Fassade. Insgesamt strahlt dieser
Architekturtypus Zeitlosigkeit, Härte und Macht aus. Auf eine bildhafte Komponente kann demnach
zugunsten des symbolischen Ausdrucks des Bauwerks per se verzichtet werden. Joachim Petsch
konstatiert:

„Der monumental gestaltete Massenbaukörper avanciert zum Bildträger“.60

Architektonische Motive verweisen auf die jeweilige Aussage eines Gebäudes. Althergebrachte
Architekturzitate und Symbole wirken auf das Publikum in gewünschter Weise einschüchternd, heroisch
und mächtig. Das Motiv der Kuppel verdeutlichte beispielsweise „imperiale Weltherrschaftsansprüche“,
der Adler als wichtigstes Wappentier neben dem Löwen steht seit jeher für Macht, Auferstehung,
Weitblick und ewiges Leben. Ein gerne zitiertes Symbol stellt auch der Triumphbogen dar, dessen Name
schon seinen Erbauer als Sieger bejubelt. Er dient keinem anderen Zweck als dem Durchschrittenwerden
nach einem Sieg. Diese Symbole in Kombination mit gewählten Perspektiven auf die aussagestarke
Repräsentationsarchitektur und dem gezielten „Ausrichten“ der Menschenmasse sollte die Autorität des

58
Adam 1992, 215f.
59
Petsch 1976, 203-205.
60
Petsch 1976, 206f.

19
Staates unmissverständlich darstellen. Diese Komposition von Platzgestaltung und jenem
monumentalen Architekturtypus forderte Unterordnung vom Individuum und diente dadurch als
wichtiges Kontrollinstrument.61

So verschieden wie die Stilrichtungen der NS-Architektur, so unterschiedlich waren auch ihre
Architekten. Besonders in den ersten Jahren des Nationalsozialismus kamen Architekten divergierender
Schulen zum Einsatz. Nicht alle waren Parteimitglieder und nicht alle waren Vertreter einer vernakulären
Architektursprache. Ernst Sagebiels geradlinige „Flugwaffenmoderne“ konnte ohne weiteres neben der
ländlichen, rural angepassten Formensprache Roderich Ficks bestehen. Beide nahmen teil am offiziellen
Bauprogramm. Vertreter des „Neuen Bauens“ wie Hugo Häring oder Mies van der Rohe, sogar offene
Parteigegner wie Peter Behrens, konnten ihre Arbeit zu dieser Zeit noch fortsetzten. Albert Speer stieg
später durch seinen klassizistischen Stil und monumentale Planungen bis zum Lieblingsarchitekten
Hitlers auf.

German Bestelmeyer war zusammen mit Paul Bonatz, Paul Schmitthenner, Paul Schultze-Naumburg und
Wilhelm Kreis Gründungsmitglied der Architektenvereinigung „Der Block“. Bis auf die strikte Ablehnung
der modernen Formensprache verband die Architekten dennoch nicht viel. Paul Bonatz war ein Gegner
moderner Lösungen ganz im Gegensatz zu German Bestelmeyer der, ebenso wie Ludwig Troost,
moderne Technologien für die Konstruktion befürwortete, diese nur eben unsichtbar unter einer
traditionellen oder eklektizistischen Fassade verbarg. Paul Schmitthenner vertrat den ländlichen
Heimatschutzstil ebenso wie Paul Schultze-Naumburg. 62

Die bisher beschriebenen Stile und Richtungen innerhalb der nationalsozialistischen Architektur lassen
sich grob zwei Hauptbereichen zuordnen: Dem Städtebau, welcher durch Monumentalität und klare
Formen auf Einschüchterung aus war, und zum anderen dem in seinem Stil ländlich-traditionell
geprägten Wohnbau, an dem Hitler nie besonderes Interesse zeigte. Versuchte man für diese beiden
Typologien die wesentlichen Charakteristika herauszuarbeiten, beschriebe man den Städtebau mit den
Repräsentationsbauten als klar, kompakt und symmetrisch. Fassaden wurden monoton und gleichmäßig
ausgeführt und axial ausgerichtet, und Grundrisse befolgten eine strenge Geometrie. Der sich daraus
ergebende Gesamteindruck wirkte undurchdringlich, starr, wehrhaft und soldatisch.63 Sehr im Gegensatz
dazu steht der Wohnbau in seiner Kleinteiligkeit und Idylle. Die Formensprache der Wohnhäuser
entsprang der traditionellen Bauernhausarchitektur der jeweiligen Regionen und sollte das Bedürfnis
der BewohnerInnen nach Geborgenheit und Gemütlichkeit befriedigen. Die neu geschaffenen Quartiere
wurden großteiles als Einfamilienhäuser in Angerdorf-förmigen Siedlungen jeweils mit Stall und Garten
ausgeführt. So ließen sich weitere Bedürfnisse nach Gemeinschaft und gesicherter Versorgung mit
Lebensmitteln stillen.64

Der Stilpluralismus der NS-Zeit verminderte die Aussagekraft der Architektur nicht. Im Gegenteil – durch
die Mischung verschiedener Stile konnten alle gesellschaftlichen Gruppen angesprochen werden und die
Botschaft, deren Träger die Architektur war und die alle Stile einte, erreichte eine breite Masse.65

61
Petsch 1976, 208f.
62
Adam 1992, 211-215.
63
Weihsmann 1998, 24f.
64
Weihsmann 1998, 59f.
65
Weihsmann 1998, 25.

20
2.3. Die (Erste) Stuttgarter Schule

Die Architekten der Südtiroler Siedlungen gingen aus der Ersten Stuttgarter Schule hervor und waren
wichtige Vertreter ihrer Lehre. Der sogenannte Heimatschutzstil, dem die Südtiroler Siedlungen
zugeordnet werden, ist eng mit dem der Stuttgarter Schule verwoben, ja die beiden Strömungen sind
kaum trennbar und beeinflussten einander gegenseitig. Die Planung der Südtiroler Siedlungen
übernahmen stets Vertreter der Traditionalisten, sprich der Heimatschützer, bzw. Schüler der
Stuttgarter Technischen Hochschule. Auch Helmut Erdle und Ludwig Schweizer, beide Schüler Heinz
Wetzels, entwerfen ihre Südtiroler Siedlungen klar nach Prinzipien der Stuttgarter Schule.

Spricht man von „Der Stuttgarter Schule“, so wird darunter die Lehre an der Architekturabteilung der TH
Stuttgart und die nach ihren Prinzipien entstandenen Bauten zwischen den beiden Weltkriegen
verstanden. Ihre drei wichtigsten Vertreter und damit auch die prägenden Lehrer an der Hochschule
waren Paul Schmitthenner, Paul Bonatz und Heinz Wetzel, wobei deren Lehrmeister, Theodor Fischer,
als Urvater der Stuttgarter Schule angesehen werden kann. Zu den wichtigsten Merkmalen dieser
Architekturströmung zählen der Bruch mit dem Historismus und das Bestreben, die regionale
Bautradition fortzuführen und weiterzuentwickeln.66

Theodor Fischer unterrichtete zwischen 1901 und 1908 an der TH Stuttgart und wurde anschließend an
die TH München beordert. In den Jahren in Stuttgart prägte sein revolutionärer Zugang zu Lehre und
Architektur seine Studenten nachhaltig. Seine Werke kehrten sich ab von der vorherrschenden Tradition
des Historismus und auf der Suche nach dem neuen Stil, auf die sich die gesamte Architekturwelt gerade
begab, fand Fischer eine Antwort in der Romantik, dem mittelalterlichen Burgenbau sowie dem
traditionellen Handwerk. Die keimende Disziplin des Städtebaus wurde zu einem von Fischers
Schwerpunkten und er verschrieb sich einer landschaftsbezogenen, auf regionale Einflüsse eingehende
Architektur und Stadtbaukunst.67 Paul Bonatz, Theodor Fischers Schüler, späterer Assistent und
Nachfolger, erinnerte sich folgendermaßen an sein großes Idol und dessen Arbeit:

„Er gehörte noch zu denen, die unter Wallot am Reichstagsgebäude, Berlin, gearbeitet hatten.
Von dieser Zeit her behielt er seine ewige Abneigung gegen jede Klassik. […] Für Fischer waren
die Arbeitsjahre bei Gabriel Seidl in München der Beginn der Befreiung. Bei Seidl lernte er, daß
es volksnähere Quellen gäbe als Vitruv und Palladio. Mit dem Bau des Bayrischen
Nationalmuseums erschloß Gabriel Seidl den ganzen Reichtum der Heimat. Um 1900 baute
Fischer den schönen Bismarckturm am Starnberger See, zeitlos gut. Endlich hat einmal wieder
ein Baumeister gezeigt, was Stein ist, wie man ihn zum Leben weckt. Fischers Erneuerung kam
vom Erfassen der Handwerke, der Materialien, er baute vom Empfundenen her, endlich waren
die Dinge wieder plastisch, von Blut erfüllt, es war das Leben, nicht die Geschicklichkeit eines
Schulschemas.“68

66
Hammerbacher/Krämer 2013, 26.
67
Jessen 2015, 18f.
68
Bonatz 1950, 44f.

21
Paul Bonatz übernahm 1908 die Nachfolge Theodor Fischers und konnte in den anschließenden Jahren
Erfolge, sowohl in seiner Lehre als auch als Architekt feiern.69 Sein großer Durchbruch gelang Bonatz
1914 mit dem Bau des Stuttgarter Hauptbahnhofs. Zusammen mit seinem Freund Friedrich Eugen
Scholer gewann Bonatz den ersten Preis von 70 teilnehmenden Büros des Wettbewerbs für den
Bahnhof. Ihr Entwurf mit dem Namen „umbilicus sueviae“ – „der Nabel Schwabens“ überzeugte durch
die Monumentalität des Baus, welche Stuttgart einen modernen, metropolitanen Anstrich verlieh.70

Paul Schmitthenner fiel neben Paul Bonatz die nächste Schlüsselrolle für die Entwicklung der Stuttgarter
Schule zu. 1918 an den Stuttgarter Lehrstuhl für Baukonstruktion und Entwerfen berufen, vertrat
Schmitthenner biedermeierliche Ideale, rurale Motive und einfache Formen.71

1925 wurde das Trio durch Heinz Wetzel und seine Ernennung zum Professor für Städtebau und
Siedlungswesen an der TH Stuttgart vervollständigt. Auch er war Schüler und späterer Mitarbeiter
Theodor Fischers. Wetzels Einfluss auf seine Studenten lässt sich besonders gut am Siedlungsbau der NS-
Zeit ablesen. Seine Schüler waren es, die als hochrangige Planer im Reichsheimstättenamt die Richtung
für das Siedlungswesen im Dritten Reich vorgaben. Man denke nur wieder einmal an das
Mammutprojekt „Südtiroler Siedlungen“, welches großteils der Verantwortung Helmut Erdles, seines
Zeichens Schüler Heinz Wetzels, oblag.72

Während die Stuttgarter Schule ihre Antwort auf die Frage eines neuen Architekturstils scheinbar
gefunden, oder zumindest eine bestimmte Richtung auf der Suche eingeschlagen hatte, fand eine
Berliner Architektenvereinigung eine andere Antwort. „Der Ring“ formte sich rund um Ludwig Mies van
der Rohe, der als radikal modern galt und einen internationalen Stil anstrebte. Der Deutsche Werkbund
plante für 1926 eine großangelegte Ausstellung am Weißenhof in Stuttgart und beauftragte eben diesen
Ludwig Mies van der Rohe als künstlerischen Leiter des Projekts. Die Stuttgarter Schule und ihre
Vertreter wurden nicht eingeladen, und so war ein Eklat bereits vorprogrammiert.73

Ziel der Werkbundausstellung war es, das moderne Wohnen zu skizzieren. 17 geladenen Architekten,
die später als bedeutende Vertreter des „Modernen Bauens“ in die Geschichte eingehen sollten,
leisteten ihren Beitrag. Neben den Häusern der Weißenhofsiedlung beinhaltete die Ausstellung noch
drei weitere Standorte, unter anderem ein Experimentiergelände für neue Baustoffe und -maschinen.74
Sobald erste Modelle und Pläne für die Weißenhofsiedlung fertig waren, fanden die Vertreter der
Stuttgarter Schule - allen voran Paul Bonatz - schon kritische Worte dafür, bezeichneten die Siedlung
süffisant als „Vorstadt Jerusalems“ oder „Araberdorf“.75 So war es naheliegend, dass Bonatz alsbald ein
Gegenprojekt forderte. Er formte zusammen mit German Bestelmeyer, Paul Schmitthenner, Paul
Schultze-Naumburg und Wilhelm Kreis die konservative Architekturvereinigung „Der Block“, welche eine
Siedlung unweit der Weißenhofsiedlung - ebenfalls am Killesberg - plante. Sie sollte die Ideale der

69
Bonatz 1950, 57.
70
Bonatz 1950, 61f.
71
Jessen 2015, 27.
72
Jessen 2015, 28.
73
Jessen 2015, 28.
74
Hammerbacher/Krämer 2013, 140.
75
Jessen 2015, 28f.

22
Stuttgarter Lehre verkörpern und eine Architektur mit autochthoner, bewährter Formensprache
zeigen.76

„Der Block“ war es auch, der 1932 für den Nationalsozialismus ein „Architektur-Programm“ mit dem
Namen „Die Architektur im Dritten Reich“ verfasste.77 1933 war es vergebliches Anliegen der TH
Stuttgart, Adolf Hitler ein Ehrendoktorat zu verleihen. Hitler lehnte die Ehrung ab, nachdem er Ehrungen
zu empfangen aus Prinzip nicht als angemessen für ihn als „Führer“ empfand. Was blieb, ist die
Annahme, dass die damaligen Leiter der Stuttgarter Schule, Rektor Heinz Wetzel und Fakultätsvorstand
Paul Schmitthenner sich besonders bemühten, ihre Reputation im Nationalsozialismus
wiederherzustellen. Nachdem das „Neue Bauen“ von Hitler zunehmend als „entartet“ eingestuft wurde
und die Vorstellung von vernakulärer Architektur, geschaffen durch „ehrliches Handwerk“, sich gut mit
Hitlers Ideologie vereinen ließ, war es naheliegend, dass das Ansehen der Stuttgarter Schule wieder
wuchs.78

So wurde auch die erste NS-Mustersiedlung entsprechend den Leitsätzen der Stuttgarter Schule geplant.
Julius Schulte-Frohlinde leitete als Absolvent der TH Stuttgart und früherer Assistent von Paul Bonatz
den Bau der Siedlung in Mascherode. Ihm war auch die Leitung der Planungsabteilung des
Reichsheimstättenamtes übertragen worden und so bekleidete mit Schulte-Frohlinde ein Vertreter der
Stuttgarter Schule eine der wichtigsten Ämter im damaligen Bauwesen.79

Paul Bonatz sollte der nächste Repräsentant der TH Stuttgart sein, dem ein einflussreicher Posten im
Dritten Reich zufiel. Zusammen mit Fritz Todt und dem Landschaftsgestalter Alwin Seifert sollte Bonatz
an der neuen Reichsautobahn arbeiten. In seine Zuständigkeit fielen die Brücken, derer er sich als
Architekt nicht nur in Bezug auf Technik und Statik, sondern vor allem aus ästhetischen Gründen
annehmen sollte.80

Die Stuttgarter Schule streckte ihre Fühler weit aus im Dritten Reich und formte jene Architekten, die die
Architektur des Nationalsozialismus maßgeblich beeinflussten.

Mit dem Ende des Krieges fand 1945 auch die Erste Stuttgarter Schule ihr Ende. Paul Schmitthenner
musste die TH verlassen und konnte trotz seiner guten Beziehungen nie mehr in die Lehre in Stuttgart
zurückkehren. Paul Bonatz ging nach Kriegsende nach Ankara.

Es war Richard Döcker, Vertreter des „Neuen Bauens“, der 1947 seinen Platz einnahm. Mit ihm änderte
die Architekturabteilung ihren Kurs von Grund auf.81 Langsam entstand die Zweite Stuttgarter Schule,
geformt und geprägt durch die nachrückende Studentengeneration. Sie trachtete nach einer
Wiederaufnahme der durch die Nationalsozialisten verbannten Moderne und verpflichtete sich dem
Wiederaufbau.82

76
Jessen 2015, 29.
77
Teut 1967, 18-20.
78
Jessen 2015, 30.
79
Jessen 2015, 31.
80
Bonatz 1950, 158f.
81
Jessen 2015, 34.
82
Hammerbacher/Krämer 2013, 13.

23
2.4. Das Reichsheimstättenamt

Die Heimstätten waren schon lange vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler 1933 im Deutschen Reich
für den Wohn- und Siedlungsbau zuständig. Die Auswirkungen der sogenannten „Gleichschaltung“ nach
der Machtübernahme der NSDAP brachten auch für die Heimstätten Veränderung. Es erfolgte eine
Neustrukturierung der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften und auch der Heimstätten. Die
Aufsichtsräte dieser mussten neu geformt werden und eine übergeordnete Reichsheimstätte mit Sitz in
Berlin fasste die lokalen Heimstätten zusammen.83 Ihre Leitung oblag Dr. Paul Steinhauser.84

Das Reichsheimstättenamt war eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und zu Beginn
auch der NSDAP. Ihre Zuständigkeit umfasste grob die Schaffung von leistbarem Wohnraum. Diesen
Aufgabenbereich teilte sich das Reichsheimstättenamt mit anderen Ämtern und Parteiorganisationen,
sodass weder eine „klare Abgrenzung der Zuständigkeiten […], noch eine auf Dauer befriedigende
interne Organisation gelang“, 85 wie Ulrike Haerendel es auf den Punkt bringt. Die interne Organisation
der Reichsheimstätte war ebenso unübersichtlich: Jeder Gau verfügte über seine eigene Heimstätte,
jede dieser Gauheimstätten war Unterorganisation der Reichsheimstätte, die wiederum mit allen
Nebenorganisationen dem Reichskommissariat für Siedlungswesen und der NSDAP unterstand. Die
Reichsheimstätte war folglich mit Staat, Partei und der Deutschen Arbeitsfront verflochten. 1936 wurde
sie gänzlich durch die DAF übernommen, jedoch ohne ihr konkrete Zuständigkeitsbereiche zugeordnet
zu haben. Vorrangige Aufgabe sollte die Bewerbung der neuen Siedlungen bei der dafür vorgesehenen
Zielgruppe sein. Tatsächliche Bautätigkeit übernahmen die Heimstätten dieser Zeit kaum. Die staatlichen
Stellen und die „Neue Heimat“, die ebenfalls der DAF unterstand, bedienten diese Funktion bereits.86
Trotzdem herrschten regionale Unterschiede – so waren zwar großteils gemeinnützige
Wohnungsunternehmen wie die „Neue Heimat“ mit ihren Tochtergesellschaften die Bauträger, aber in
Sonderfällen planten auch Heimstätten wie die Hessische Heimstätte selber. 87 Eine zentrale
Organisation für das Wohnungswesen existierte nicht und die ständig konkurrierenden Stellen und
Ämter walteten innerhalb der DAF durcheinander. 88

Ab 1937 bestand die Hauptaufgabe der Reichsheimstätte darin, die potenziellen „Siedlermenschen“,
also jene Personen auszuwählen, welche in Frage kamen, die neu erbauten Siedlungen zu beziehen. Die
Kriterien bezogen sich auf Abstammung, Alter, Familienstand und den Willen, sich an der Erbauung der
Siedlungen zu beteiligen. Darüber hinaus erfüllte die Reichsheimstätte beratende Funktionen in der
Siedlungsplanung für andere Bauträger wie die NS-Kriegsopferversorgung.89

83
Feußner/Fischer 2008, 48.
84
Sommer 1993, 37.
85
Haerendel 1999, 142.
86
Haerendel 1999, 143f.
87
Feußner/Fischer 2008, 50.
88
Haerendel 1999, 145.
89
Haerendel 1999, 145.

24
2.5. Die „Neue Heimat Tirol“

Die „Neue Heimat Tirol“ ist eine gemeinnützige Siedlungs- und Wohnbaugesellschaft. Ihre Vorgänger
bilden genossenschaftliche Bauvereinigungen in Tirol ab Anfang des 20. Jahrhunderts, welche durch die
„Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) 1933 aufgelöst und mit ihrem Vermögen in eben jene aufgenommen
wurden. Im Gau Hamburg wurde zu dieser Zeit die gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft
„Neue Heimat“ als eine der zehn Unternehmensgruppen der DAF gegründet.90 Ihre Aufgabe sollte
primär das Schaffen von leistbarem Wohnraum für die deutschen Arbeiter sein, wobei die DAF erst
gegen Ende der 1930er Jahre aktiv an der Erstellung der Arbeiterwohnstätten teilnahm und dafür ihre
40 Wohnungs-Unternehmungen und provinziellen Heimstätten mobilisierte, darunter auch die „Neue
Heimat Tirol“.91

Abbildung 3: Artikel: Eine Wohnbauträgergesellschaft in Innsbruck, in: Wiener


Tagblatt 73. 1939, 40, 15

1939, genauer am 20. Februar, fand die „Neue Heimat“ für die Gaue Tirol-Vorarlberg und Salzburg ihren
Eintrag in das Innsbrucker Handelsregister. Alexander Halder, Geschäftsführer der
Vermögensverwaltung der DAF GmbH., Ludwig Bierlein und Dr. Claus Thormählen, beide
Geschäftsführer der Treuhandgesellschaft für wirtschaftliche Unternehmungen GmbH. ließen zuvor in
einem rechtsbindenden Notariatsakt von Notar Dr. Gustav Bähren in Berlin die Gründung einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der Firma „Neue Heimat gemeinnützige Wohnungs- und
Siedlungsgesellschaft der Deutschen Arbeitsfront in den Gauen Tirol-Vorarlberg und Salzburg“
bestätigen. Dies geschah am 26. Januar 1939 und wurde ebenso zu Protokoll gegeben wie die Namen
der zukünftigen Aufsichtsratsmitglieder Dr. Egon Denz, Innsbrucks Oberbürgermeister und Vinzenz
Giselbrecht, in seiner Position als Gaubeauftragter der DAF.92

Am 9. Februar erschien schließlich eine Anzeige im Wiener Tagblatt, die über die Gründung einer
Wohnungsbauträgergesellschaft informierte. Ein Artikel in der Zeitung „Innsbrucker Nachrichten“ vom
7. Februar benachrichtigte die heimische Bevölkerung, jedoch ist jene Ausgabe nicht mehr auffindbar.93

Bald, so der Gedanke, sollte der Gau Salzburg eine eigene Wohnungsbauträgergesellschaft bekommen,
denn laut DAF bestand der dringende Wunsch, eine solche Gesellschaft für jeden Gau einzurichten. So

90
Neue Heimat Tirol 2013, 13.
91
Teut 1967, 261.
92
Neue Heimat Tirol 2013, 14f.
93
Neue Heimat Tirol 2013, 177.

25
war der Tätigkeitsbereich „Salzburg“ also nur vorübergehender Belang der „Neuen Heimat Tirol-
Vorarlberg“. Am 28. Oktober desselben Jahres kam es noch zur Gründung der „Neuen Heimat“ für den
Gau Salzburg.94 Diese Entscheidung erforderte eine Umstrukturierung der Geschäftsführeretage in der
„Neuen Heimat Tirol-Vorarlberg“ und so wurde, nachdem der am 7. Februar 1939 eingesetzte Heinrich
Eßlinger in den Kriegsdienst beordert worden war, Leo Tusch zum neuen Geschäftsführer bestellt. Bis
zum Ende des Krieges und des Dritten Reichs blieb er in dieser Funktion.95

Am 15. 1. 1940 wurde per Anordnung festgelegt, dass nur noch Bauten vollendet werden sollten,
welchen eine baldige Fertigstellung bevorstand. Für neue Bauvorhaben galt, dass einer Verwirklichung
nur dann stattgegeben wurde, sofern die Bauvorhaben als „kriegswichtig“ eingestuft wurden. Unter die
Bezeichnung „kriegswichtig“ fielen Kasernen, Wohnbau für Armeeangehörige, Fabriken und dergleichen.
Außerdem fanden „Sonderprogramme“ ihre Ausführung, wie zum Beispiel die „Sondermaßnahme S“,
also die Südtiroler Siedlungen, welche zur Unterbringung der umgesiedelten SüdtirolerInnen dienten.96

Bereits am 23. Juni 1939 berieten deutsche und italienische Verhandlungspartner die Umsiedlung der
deutschen Volksgruppe in Südtirol. Diese sogenannte „Berliner Vereinbarung“ konnte noch im Oktober
desselben Jahres von Hitler und Mussolini beschlossen werden. Der Reichsarbeitsminister Franz Seldte
stellte dafür sofort 18 Millionen RM als billige Reichsdarlehn bereit. Bis zu 70 % der gesamten Baukosten
sollten damit übernommen werden. Die „Neuen Heimat“ übernahm somit die Durchführung dieses
Großprojektes, welches die Erbauung von 10.000 Wohnungen bedeutete. Der Großteil von 6.000
Wohnungen sollte, laut dem Gauleiter für Tirol und Vorarlberg, Franz Hofer, in Tirol gebaut werden,
weitere 400 Wohnungen in Vorarlberg und 2.000 waren für den Gau Salzburg vorgesehen. In Vorarlberg
konnten sehr schnell gute Ergebnisse und ein rascher Fortschritt verzeichnet werden, sodass diese
Aufteilung bald zum Vorteil Vorarlbergs abgeändert wurde. In der „Neuen Heimat Tirol“ herrschten im
Gegenteil zur Organisation in Vorarlberg chaotische Zustände. Auch diese Tatsache könnte ein Grund für
die Einberufung des bisherigen Geschäftsführers Heinrich Eßlinger in den Kriegsdienst gewesen sein.97

Unter Leo Tusch begann der Aufstieg der „Neuen Heimat“. Während anfangs das Personal nur sehr
schleppend aufgestockt werden konnte und Projekte nur in kleiner Zahl und langsam bearbeitet
wurden, kam mit der „Sondermaßnahme Südtirol“ eine erfolgsversprechende Aufgabe auf die „Neue
Heimat“ zu, welche durch die Führung Tuschs endlich auch effizient durchgeführt werden konnte.98

Die bislang zehn Mitarbeiter der „Neuen Heimat Tirol“ wurden bis Mitte 1940 auf die Zahl von 96
gesteigert, zusätzliche Büroräume im beschlagnahmten Kolpinghaus im Innsbrucker Stadtteil
Dreiheiligen wurden angemietet und am 26. Juni 1940 konnte der Kauf ebenjenes Gebäudekomplexes
abgeschlossen werden.99

In den folgenden Jahren schwankte die Zahl der Mitarbeiter stark. Diese Tatsache war der Abberufung
etlicher Angestellter in den Kriegsdienst geschuldet. So konnte kaum mehr gebaut werden, da die
verbliebenen Mitarbeiter mit der Betreuung der bislang umgesetzten Projekte beschäftigt waren. Durch

94
Neue Heimat Tirol 2013, 15.
95
Neue Heimat Tirol 2013, 15f.
96
Weihsmann 1998, 74.
97
Neue Heimat Tirol 2013, 21.
98
Neue Heimat Tirol 2013, 20.
99
Neue Heimat Tirol 2013, 22.

26
die 1942 vonstattengegangene Fusionierung der „Neuen Heimat Tirol-Vorarlberg “ mit der „Vorarlberger
gemeinnützigen Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH.“ gingen auch deren Wohnbauanlagen
in den Verwaltungsbereich letzterer über.100 In konkreten Zahlen heißt das, dass in 16 Standorten Tirols
und 11 Standorten Vorarlbergs bis Ende 1942 insgesamt 4.427 Wohnungen fertiggestellt und damit auch
zu betreuen waren. 2.892 dieser Wohnungen waren in Tirol erbaut worden, 1.535 waren in Vorarlberg
zu verorten. Geplant waren ca. 5.950 Wohnstätten im Gau Tirol-Vorarlberg gewesen, von welchen
immerhin 74,4 % vollendet werden konnten.101

Ab Herbst 1943 hatte die „Neue Heimat Tirol“ Schwierigkeiten, den normalen Betrieb aufrecht zu
erhalten. Bombenangriffe auf Feldkirch und Innsbruck forderten nicht nur etliche Tote, sondern
bedeuteten auch, dass Kriegsschäden an den Wohnanlagen der „Neuen Heimat“ schnellstmöglich
wieder behoben werden mussten. Nebenbei sollten mitten im Kriegsgewirr auch noch unvollendete
Projekte abgeschlossen werden. Trotz widrigster Umstände arbeiteten die verbliebenen
MitarbeiterInnen äußerst effizient, auch, um sich selbst unabkömmlich am Arbeitsplatz zu machen und
nicht Gefahr zu laufen, noch in den Kriegsdienst einberufen zu werden.102 Trotzdem mangelte es nicht
nur an Baumaterial und Arbeitskräften zur Schaffung von Neubauten, sondern auch an finanziellen
Mitteln. Die Hauptaufgabe lag hiermit bei der Verwaltung der bis Kriegsende ca. 5.000 Wohnungen in
Tirol und Vorarlberg (im Verhältnis 3:2 verteilt).

Nach Kriegsende wurde Leo Tusch als Geschäftsführer der „Neuen Heimat“ und höherer Parteiführer
verhaftet. Am 6. Juni 1945 hatte Tirol eine provisorische Landesregierung und dieser war es durch eine
Verordnung möglich geworden, das Vermögen der NSDAP zu beschlagnahmen. Dazu zählte auch die
Vermögenswerte der DAF. Für die „Neue Heimat“ bedeutete das, dass die Landesregierung eine neue
Leitung einsetzten konnte. Im Sommer wurde ein neuer Geschäftsführer bestimmt und der Vorstand zu
einem Aufsichtsrat umgeformt. Von nun an änderte sich auch die Bezeichnung der „Neuen Heimat“ von
einer „Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft“ zu einer „Bau- und Siedlungsgesellschaft“. Der Landesrat
Alois Heinz besetzte vom Sommer 1945 bis 1967 den Geschäftsführersessel.103

Aus den Kriegswirren und der chaotischen Zeit nach Kriegsende resultierten für die „Neue Heimat“
einige Probleme. Es war noch nicht vollends geklärt, in wessen Eigentum sich Vermögen und
Liegenschaften der „Neuen Heimat“ befanden. Vorhin genannte Verordnung war Teil des
Verbotsgesetztes von 1945 und ermächtigte den Staat, Besitztümer der aufgelösten NSDAP zu
beschlagnahmen. Somit sollte die „Neue Heimat“ als Unternehmung der DAF auch an den Staat
übergehen, doch das „Staatsamt für soziale Verwaltung“ übergab aufgrund des Verwaltungsgesetztes
alle Vermögenswerte der DAF eigenmächtig dem „Österreichischen Gewerkschaftsbund“. Dieser
beharrte auf seinem Recht, die „Neue Heimat“ zu verwalten, auch mit dem Argument, die „Neue
Heimat“ sei schließlich aus genossenschaftlichen Bauvereinigungen entstanden und ab 1938 von
Beiträgen der Arbeiter finanziert worden. Durch den österreichischen Staatsvertrag vom 15. Mai 1955
wurde die Eigentumsfrage endgültig geklärt. Die Alliierten übergaben dem österreichischen Staat alle
Vermögenswerte der DAF und damit auch offiziell die „Neue Heimat“. Der „Österreichische

100
Neue Heimat Tirol 2013, 24.
101
Neue Heimat Tirol 2013, 28.
102
Neue Heimat Tirol 2013, 29.
103
Neue Heimat Tirol 2013, 36f.

27
Gewerkschaftsbund“ ging aber nicht ganz leer aus. Sollte es zu einem Verkauf von ehemaligem DAF-
Vermögen kommen, würde der ÖGB 60 % des Erlöses erhalten.104

Ein weiteres Problem stellte die nötige Entkopplung der beiden im Krieg fusionierten
Wohnbaugesellschaften von Tirol und Vorarlberg dar. Die frühere „Vorarlberger gemeinnützige
Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft mbH.“ sollte sich wieder von der „Neuen Heimat Tirol“
trennen.105 Erst 1957 konnte die Entflechtungsfrage geklärt werden und die „Neue Heimat, Vorarlberger
gemeinnützige Siedlungsgesellschaft mbH.“ in Dornbirn wiedereröffnen.106

Für die „Neue Heimat“ in Innsbruck brachten die 1960er Jahre wieder Veränderungen. Denn die Stadt
Innsbruck hatte Interesse an einem Kauf der „Neuen Heimat Tirol“ bekundet. Die Kaufsumme von 40
Millionen Schilling konnte die Stadt allein nicht aufbringen. Deshalb wurde mit dem Land Tirol
verhandelt und schlussendlich ein Kauf mit jeweils halber Beteiligung ausgearbeitet. Doch auch andere
Parteien hegten Kaufabsichten, wie beispielsweise die Bau- und Holzarbeitergewerkschaft. Der damalige
Tiroler Landeshauptmann Eduard Wallnöfer wollte daher den Kauf beschleunigen. Am 4. Juni 1968
konnte der Kaufvertrag endlich unterschrieben werden. Für die Stadt Innsbruck und das Land Tirol
bedeutete dieser Kauf Vermögenswerte von 850 Millionen Schilling, darin inbegriffen 6.310 bereits
vorhandene und 536 Liegenschaften, welche sich in Fertigstellung befanden. Mit dem Kaufpreis von nur
40 Millionen Schilling machten Stadt und Land ein außerordentlich gutes Geschäft.107

Als letzten Schritt zur Herstellung des heutigen Zustandes der „Neuen Heimat Tirol“ fehlte noch die
Übernahme der „Neuen Heimat“ in Osttirol. 1976 konnte die Schwestergesellschaft schließlich gekauft
werden.108

In den Folgejahren renovierte die „Neue Heimat Tirol“ etliche Wohnungen aus der NS-Zeit. Diese waren
oftmals mangelhaft gebaut worden. Diese Tatsache resultierte aus damaligem Mangel an qualitativ
hochwertigem Material und dem Fehlen von Fachkräften. Diese Mängel konnten mit der Zeit behoben
werden und so leistete die „Neue Heimat“ einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der
Lebensqualität der BewohnerInnen. Auch wurden ehemals unsichere Gegenden durch eine
Instandsetzung der Gebäude und Anlagen in ansehnliche Siedlungen mit ästhetischer Wirkung
verwandelt.109

Die „Neue Heimat Tirol“ legt bei neuen Bauvorhaben großen Wert auf „architektonisches Niveau“110
ebenso wie auf Kunst am Bau. Werke von Künstlern wie Hellmut Bruch, Prof. Hans Weigand, Peter
Kogler, Heinz Gappmayr, Thomas Feuerstein und weiteren heimischen KünstlerkollegInnen sind in und
an den Wohnbauprojekten zu finden.111 Nicht zuletzt ihretwegen erhielten Projekte der „Neuen Heimat
Tirol“ vermehrt Auszeichnungen und Preise. Zum Beispiel erhielt „Wohnen am Lohbach I und am
Lohbach II“ unter anderem den „Otto-Wagner Städtebaupreis“, den „Tiroler Niedrig-Energiehaus-Preis“,

104
Neue Heimat Tirol 2013, 38-46.
105
Neue Heimat Tirol 2013, 46f.
106
Neue Heimat Tirol 2013, 53.
107
Neue Heimat Tirol 2013, 54-58.
108
Neue Heimat Tirol 2013, 60.
109
Neue Heimat Tirol 2013, 61.
110
Neue Heimat Tirol 2013, 70.
111
Neue Heimat Tirol 2013, 72, 73, 80.

28
„Mies van der Rohe Award“ und den „European union prize for contemporary architecture“. 112 Bis 2014
wurden 44 Architekturwettbewerbe für Projekte der „Neuen Heimat Tirol“ ausgeschrieben.113 Unter der
Schar an Architekten, welche für sie bauten, finden sich Namen wie Carlo Baumschlager, Georg Driendl,
Arno Heinz, Ekkehard Hörmann, Josef Lackner, Johann Obermoser, Horst Parson, Peter Pontiller, Peter
Thurner, Karl Heinz/Dieter Mathoi/Jörg Streli oder, als eine der wenigen Architektinnen, Margarethe
Heubacher-Sentobe.114

Laut dem 2013 veröffentlichtem CSR-Report betreut die „Neue Heimat Tirol“ bis zum jetzigen Zeitpunkt
Wohnbauprojekte in 82 Tiroler Gemeinden und beschäftigt insgesamt 211 MitarbeiterInnen. Laut
eigener Aussage leistet die „Neue Heimat“ wesentliche Beiträge für die Umwelt mit Niedrig-
Energiehäusern und Konzepten wie eigenen Wohnfernheizwerken. Außerdem bestehen Kooperationen
mit mehreren sozialen Einrichtungen wie Lebenshilfe oder Tiroler Blindenverband.115

112
Neue Heimat Tirol 2013, 89.
113
Neue Heimat Tirol 2013, 173.
114
Neue Heimat Tirol 2013, 150-159.
115
Neue Heimat Tirol 2013, 165-174.

29
3. Vorstellung der Protagonisten

Abbildung 4: von links: Heinz Möritz, Eugen Dick und Ludwig Schweizer (zwischen 1950 und 1960)

30
3.1. Helmut Erdle

Helmut Adalbert Erdle war ein deutscher Architekt und


während der Zeit des Nationalsozialismus Gausiedlungsplaner
des Gauheimstättenamtes für Tirol und Vorarlberg. Ihm fiel
demnach die Leitung der Planungsabteilung des Innsbrucker
Heimstättenamtes zu. In dieser Funktion war Helmut Erdle
auch zuständig für die Planung der Südtiroler Siedlungen in
Tirol und plante selbst einen Großteil davon. Vor allem in
Zusammenarbeit mit Ludwig Schweizer und Heinz Möritz war
Erdle maßgeblich am Planungsprozess beteiligt. Von erster
Recherchearbeit bis hin zu Detailplanung kannte Helmut Erdle
alle Tiroler Südtiroler Siedlungen.

Der Einfluss, den Helmut Erdle somit auf die Südtiroler


Siedlungen nahm, ist enorm und seine individuelle Handschrift
nicht zu übersehen. Umso wichtiger ist die Auseinandersetzung
mit der Persona Erdle und seiner Vita, um das Lesen der
Siedlungen erst möglich zu machen.

Am 14. Januar 1906 wurde Helmut Erdle in Dresden als viertes


Abbildung 5: Helmut Erdle (ca. 1960) von fünf Kindern geboren. Sein Vater, der Prediger und
Musiker Immanuel Erdle, verstarb bereits im Oktober des
Folgejahres. Zwischen 1912 und 1922 besuchte Helmut Erdle Schulen im Wuppertal, Stuttgart und
Bochum und entschied sich 1923 für ein Studium an der Handwerker- und Kunstgewerbeschule in
Dortmund, welches er 1925 höchst erfolgreich abschloss. Anschließend sammelte Helmut Erdle
Erfahrungen in einem Praxisjahr als Maurer
und fand kurze Zeit später, zwischen 1926
und 1928 eine Anstellung im
Architekturbüro Curt Wasse in Essen und
wurde in den Bund Deutscher Architekten
aufgenommen.

Zwischen 1928 und 1930 führte die


Mitarbeit im Architekturbüro Volkart und
Trüdinger Erdle zurück nach Stuttgart. 1930
trat er seine Assistentenstelle bei Professor
Kaletsch an der Architekturabteilung der
Handwerker- und Kunstgewerbeschule in
Dortmund an und lehrte dort Fachzeichnen
für Architekten, Schreiner und Bildhauer. In
dieser Stellung verblieb Helmut Erdle nur ein
Abbildung 6: Salon Technique et Industriel Allemand Paris, Arch. Curt
Jahr, bis er 1931 in die Schweiz ging, um ein Wasse 1926-1928, Ausstellungspavillon unter Mitarbeit Helmut Erdles

31
Jahr in Schaffhausen im Architekturbüro Scherrer und Mayer zu arbeiten. Zwischen 1933 und 1934 war
Erdle als freier Architekt tätig und verfolgte eigene Projekte, bis er 1935 wieder eine Anstellung im
Stuttgarter Architekturbüro Reg. Baum. Gonser fand. In diesem Jahr wurde er außerdem als
Hauptassistent Professor Wetzels an die TH Stuttgart berufen.116 Professor Heinz Wetzel war wichtiger
Vertreter der Stuttgarter Schule und prägte Erdles Stil nachhaltig.

Ahnherr der Stuttgarter Schule war Theodor Fischer, der in den 1890er Jahren die Stadterweiterung für
München leitete. Nach seiner Berufung an die TH Stuttgart begründete er die Erste Stuttgarter Schule
und deren charakteristische Reform-Architektur. Direkter Nachfolger Fischers war Paul Bonatz, dessen
Platz 1919 Schmitthenner einnahm und bis 1945 behielt. Immer mit dabei und damit auch stets Einfluss
auf Erdle ausübend war Heinz Wetzel.

Die Stuttgarter Schule prägte die Arbeit von Erdle sichtlich. Nicht nur in Stilfragen, sondern auch in der
Aufbereitung von Plänen finden sich Hinweise, die direkt zu Schmitthenner führen. So betitelte
Schmitthenner den Inhalt seiner Pläne stets mit dem Wort und vorangestelltem Artikel, z.B. „Das Bett“,
nicht nur mit „Bett“. Dieses Verwenden von Artikeln übernahm Erdle auch für seine Pläne. Erdles
Fachbereich an der TH Stuttgart war Städtebau, Siedlungswesen, Gebäudelehre und Entwerfen.117

Die Erfahrung, die Erdle in diesen Bereichen sammelte, bereiteten ihm den Weg ins Heimstättenamt
nach Wien, wo er von 1938 bis 1939 tätig war, bevor er 1939 nach Innsbruck kam. Dort wurde er Leiter
der Planungsabteilung der Innsbrucker Heimstätte und war damit zuständig für den Bau und die Planung
der Südtiroler Siedlungen. Helmut Erdle arbeitete häufig mit den Architekten Ludwig Schweizer und
Heinz Möritz zusammen. Oft tauchten aber auch die Namen Franz Rosenberg und Fritz Vogt auf Plänen
der Südtiroler Siedlungen auf.

Die besondere Herausforderung an diesem Großprojekt, welches 10.000 neue Wohnungen vorsah, war
die zeitliche Knappheit. Neuer Wohnraum musste schnellstmöglich für die erwarteten OptantInnen
bereitgestellt werden. Es blieb demnach kaum Zeit Pläne zu überarbeiten. Nach vorangegangenen
Recherchen musste vom Flächennutzungsplan bis zur Detailplanung und Ausführung alles innerhalb
weniger Jahre erarbeitet werden. Die 5.000 Wohnungen, die von 1939 bis Kriegsende fertiggestellt
waren, lassen in Anbetracht der knappen Ressourcen und der oft erschwerten Umstände während des
Krieges heute noch staunen. 118

Erdle steht für diese Leistung bis 1943. Von da an leistete er Kriegsdienst als Soldat in Nordfinnland bis
zum Ende des Krieges.

Nach Untergang des Dritten Reiches konnte Helmut Erdle trotz seiner hohen Stellungen, die stark mit
dem NS-Regime verbunden waren, seine Karriere als Architekt fortführen. Eine Rehabilitation in
irgendeiner Weise war allem Anschein nach nicht notwendig. In direktem Anschluss ans Kriegsende
sicherte sich Erdle die Zusammenarbeit mit den Architekten Janssen und Barth in München bis 1946 und
bis 1948 eine Kooperation mit dem Architekten Curt Wasse, in dessen Büro in Essen Erdle schon
zwischen 1926 und 1928 gearbeitet hatte. Ab 1946 war Erdle in Stuttgart außerdem bis zu seinem Tod
1991 als freier Architekt tätig.

116
saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand Helmut Erdle.
117
Freundliche Auskunft von Gerhard Kabierske am 24. Juni 2020.
118
Neue Heimat Tirol 2013, 36f.

32
Zwischen 1955 und 1957 lehrte Erdle als Dozent an der Staatsbauschule in Stuttgart im Fachbereich
Städtebau, Siedlungswesen, Entwerfen und Innenausbau. 1959 wurde Erdle in die Deutsche Akademie
für Städtebau und Landesplanung berufen und erhielt im selben Jahr den „Paul Bonatz Preis“ der Stadt
Stuttgart für die Wohnsiedlung Killesberg. Eine weitere Ehrung in Form des Golddukaten der Stadt
Weidenau widerfuhr Erdle 1962. Die Gruppe „Ligne et Couleur“, ein Verband, bestehend aus malenden
Architekten mit Sitz in Paris und Stuttgart, ernannte Erdle 1973 zu ihrem Präsidenten, der er bis 1990
blieb. Ab diesem Jahr fungierte er als Ehrenpräsident der Gruppe. Im Jahr 1982 nahm Erdle gleich zwei
Ehrungen entgegen, einerseits die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik
Deutschland, die ihm durch den Bundespräsidenten verliehen wurde. Andererseits zeichnete ihn die
Stadt Löwenstein mit dem Golddukaten aus. 1987 würdigte das Land Baden-Württemberg Helmut Erdle
durch den Ehrentitel Professor h.c.

Am 25. Juni starb Helmut Erdle in Leonberg. 119

119
saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand Helmut Erdle.

33
3.2. Ludwig Schweizer

Ludwig Schweizer wurde am 8. Dezember 1910 in


Schramberg im Schwarzwald geboren. Seine Liebe für die
Architektur entdeckte er während eines Praktikums, das er in
Weimar im „van den Velde-Gebäude“ absolvierte. Im
Anschluss daran nahm er 1932 das Architekturstudium in
Stuttgart auf. Auch er entstammt somit jener
Architektengeneration, die durch Heinz Wetzel, Paul Bonatz
und Paul Schmitthenner ihre Prägung erfuhr. Wie für Helmut
Erdle war auch für ihn Heinz Wetzel sein wichtigster
Mentor.120 Eine Schwerpunktsetzung in der Disziplin des
Siedlungsbaus war daher auch für Schweizer naheliegend.

1938 schloss Ludwig Schweizer sein Studium ab und damit


zunächst auch seine Zeit in Stuttgart. Durch Heinz Wetzel
erhielt Schweizer eine Anstellung bei der „Neuen Heimat“ in Abbildung 7: Ludwig Schweizer bei der Firstfeier
Kassel, bald darauf wechselte er ins Gauheimstättenamt des Kurhauses in Freudenstadt (1951)
nach Innsbruck. Das Großprojekt der Südtiroler Siedlungen
bot Ludwig Schweizer das ideale Experimentierfeld zur Anwendung von Wetzels Lehren. Zusammen mit
Heinz Möritz, der sich bald als ein enger Mitarbeiter Schweizers hervortat, optimierte er Wetzels
städtebauliche Ansätze und entwickelte sie weiter. Ludwig Schweizer war zwischen 1939 und 1945 als
Leiter der Planungsabteilung der Alpenländischen Heimstätte und Mitarbeiter der Gauheimstätte Tirol-
Vorarlberg an den Planungen der Südtiroler Siedlungen in Kitzbühl, Reutte, Tarrenz, Schwaz, Schruns und
der Volksschule für die Südtiroler Siedlung in Bludenz verantwortlich.121

Nach Kriegsende erhielt Schweizer den Auftrag zum Wiederaufbau der Schwarzwälder Stadt Crailsheim.
Seine städtebauliche Erfahrung kam ihm hier zugute und er entwarf eine Stadt, die sich durch ein
einheitliches Erscheinungsbild auszeichnet. Der Wiederaufbau von Crailsheim wird gemeinhin als Testlauf
für den Wiederaufbau Freudenstadts durch Schweizer gesehen. 1949 wurde ihm die Leitung des
Stadtbauamts in Freudenstadt übertragen, womit er für den hiesigen Wiederaufbau verantwortlich
wurde. Das in Crailsheim angewandte Prinzip der Einheitlichkeit und Harmonie sollte auch in Freudenstadt
zum prägenden Merkmal des Wiederaufbaus werden. Schweizer entschied rasch, Heinz Möritz für den
Wiederaufbau zu gewinnen, dessen Mitarbeit sich schon in Innsbruck als befruchtend herausgestellt
hatte.122

Die Entwürfe für den Wiederaufbau der Renaissancestadt waren viel diskutiert und höchst kontrovers.
Schlussendlich konnte sich Ludwig Schweizer jedoch gegen Kritik und Zweifel behaupten und seine
Vorstellung eines städtebaulichen Hybrids aus historisierender und moderner Stadt verwirklichen. Eine
originalgetreue Rekonstruktion der Renaissancestadt von Heinrich Schickhardt kam für Schweizer nicht in

120
HMF 2019, 44.
121
HMF 2019, 45.
122
HMF 2019, 46.

34
Frage, dennoch orientierte er sich am alten Grundriss der Stadt und baute in Manier der Stuttgarter Schule
traditionalistisch.123 Ein interessanter Punkt, dem jedoch später noch mehr Aufmerksamkeit zukommen
wird, ist, dass Schweizer zwar eine traditionelle Formensprache wählte, jedoch diese nicht der lokalen
Bautradition im Schwarzwald zuzuordnen ist. Vielmehr lassen sich die steinernen Erker und Arkaden, auf
welche man im heutigen Freudenstadt stößt, auf Schweizers Tiroler Stilrepertoire zurückführen.124
Nachdem der Wiederaufbau Freudenstadts abgeschlossen war und allgemeine Wertschätzung erlangt
hatte, erhielt Ludwig Schweizer 1956 den Professorentitel durch Ministerpräsident Gebhard Müller
verliehen. Diverse Angebote von Universitäten in München, Mainz oder Bonn lehnte Schweizer ab, um
auf den Lehrstuhl nach Stuttgart zurückzukehren. Die Stuttgarter Schule jedoch war nicht mehr jene
seiner Studienzeiten. Durch die Neuorientierung der Stuttgarter Schule nach dem 2. Weltkrieg in
Richtung radikaler Moderne deckte sich Schweizers Lehre nicht mit der seiner Kollegen. Obwohl man ihn
heute nicht der Moderne zuordnet, baute Schweizer auch nicht streng nach den Lehren der Ersten
Stuttgarter Schule. Sein Spätwerk verschloss sich nicht einem modernen Einfluss, der jedoch eigenwillig
mit traditionellen Elementen gepaart wurde. Schweizer baute nach seinen eigenen Idealen und
Prinzipien, wobei seine Bauten sich stets auf die Umgebung bezogen, sowohl in ländlichem als auch
urbanem Kontext.125
„Das zeigen seine Bauten der 1960er und 1970er Jahre, die im Vergleich zu seinen früheren
Bauten als »modern« gelten können: Offen für neue Tendenzen, aber konservativ in dem
Anspruch, landschaftsgerecht und den Besonderheiten des Ortes entsprechend zu bauen.“126,
fasst Nils Krieger zusammen.
Als freischaffender Architekt baute Schweizer ab 1967 im süddeutschen Raum aber auch im Irak,
Caracas und Dubai. In seinen letzten Lebensjahren wurde Schweizer das Bundesverdienstkreuz
verliehen. Am 10. Juni 1989 verstarb Ludwig Schweizer im 79 Lebensjahr.127

123
HMF 2019, 45.
124
HMF 2019, 45.
125
HMF 2019, 48.
126
HMF 2019, 47.
127
HMF 2019, 49.

35
3.3. Heinz Möritz

Heinz Möritz war an den drei Siedlungen, die im Rahmen dieser


Abhandlung noch genauer besprochen werden, nicht planerisch
beteiligt. Er findet hier trotzdem Erwähnung, weil er für die
Gestaltung der Südtiroler Siedlungen eine wichtige Rolle spielte
und damit indirekt auch für die Siedlungen in Innsbruck-Pradl, Hall-
Schönegg und Reutte. Es war Heinz Möritz, der in Nordtirol eine
umfangreiche Fotodokumentation anfertigte, in der er
Architekturmotive, Ornamente bis hin zu Dachformen oder
Siedlungsanordnungen der traditionellen Bauernarchitektur
festhielt. Diese Sammlung Tiroler Architekturmotive diente den
Architekten als Vorbild und Inspiration für die Gestaltung der
Südtiroler Siedlungen. Abbildung 8: Heinz Möritz (1980er-Jahre?)
Heinz Möritz wurde am 1. November 1904 in Leipzig geboren. An
der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, die Möritz ab 1923 besuchte, erlernte er verschiedene
Handwerke und legte seinen Fokus auf Innenarchitektur. Nach seinem Abschluss war Möritz fünf Jahre
lang als Innenarchitekt in verschiedenen Büros tätig. Zuerst arbeitete er bei Professor Heinrich Straumer
in Berlin, später ebenda im Büro Mebes und Emmerich und schließlich in Düsseldorf und Zürich. Seine
wichtigste Prägung als Architekt erfuhr Heinz Möritz aber, als er 1932 nach Barcelona und bald darauf
nach Mallorca reiste. Nachdem die Wirtschaftskrise eine Verlängerung seiner Arbeitserlaubnis in der
Schweiz unmöglich gemacht hatte, bewarb sich Heinz Möritz im Büro Luis Sert in Barcelona. Doch schon
wenig später verließ Möritz Barcelona wieder mit Palma de Mallorca als Ziel. Er blieb vier Jahre auf der
Insel Mallorca und plante dort Ferienhäuser und Siedlungen in urbanem Maßstab. 128 Eine der großen
Stärken Möritz` zeigte sich auch in diesen spanischen Arbeiten: Möritz versuchte nicht, seinen eigenen
Stil durchzusetzen, sondern passte vielmehr seinen Stil an die örtlichen Gegebenheiten an. Er bezog sich
stets auf die lokale Bautradition und die unmittelbare Umgebung.

1936 musste Heinz Möritz, bedingt durch den beginnenden spanischen Bürgerkrieg, Mallorca verlassen
und kehrte nach Deutschland zurück. Ab 1939 erhielt er eine Anstellung im Gauheimstättenamt in
Innsbruck unter Helmut Erdle. Eine besonders enge Zusammenarbeit entstand mit Ludwig Schweizer,
die sich auch nach Ende des Krieges fortsetzte.

1943 trat Heinz Möritz den Wehrdienst an. Nach Kriegsende baute er für einige Zeit als freischaffender
Architekt in Grainau. 1946 war er als Mitarbeiter Ludwig Schweizers am Wiederaufbau von Crailsheim
beteiligt und so war es naheliegend, dass Schweizer auch für den Wiederaufbau Freudenstadts, für den
er beauftragt war, auf die Zusammenarbeit mit Heinz Möritz setzte. Der Wiederaufbau Freudenstadts
wurde zum Opus Magnum der beiden Architekten.129 Möritz` Beitrag für den Wiederaufbau in
Freudenstadt wird oft unterschätzt, zumal es seine Aufgabe war, die Pläne der mitwirkenden

128
saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand Heinz Möritz.
129
saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand Heinz Möritz.

36
Architekten zu überarbeiten, um eine harmonisches Gesamterscheinungsbild der Innenstadt zu
generieren. Er zeichnete etliche Fassadenabwicklungen und plante zusammen mit Schweizer das
Kurhaus, Rathaus und Stadthaus von Freudenstadt, deren Innenausbau seine Meisterschaft verraten.130
Nach Abschluss der Wiederaufbauarbeiten blieb Heinz Möritz in Freudenstadt und baute als
freischaffender Architekt Wohnhäuser und Tankstellen, wiewohl er sich immer noch seinem
Schwerpunkt der Innenarchitektur widmete. Am 16. November 1993 verstarb Heinz Möritz in
Freudenstadt. 131 Möritz` zweite Frau Brigitte Möritz war die Enkeltochter Heinz Fischers.132

Abbildung 9: Heinz Möritz: Aquarell einer spanischen Villa (zwischen 1932 und 1936)

130
HMF 2019, 57.
131
saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand Heinz Möritz.
132
HMF 2019, 59.

37
Abbildung 10: Heinz Möritz: Skizze von Haus Hasselwanterin Ehrwald (ca. 1940)

38
3.4. Peter Koller

Peter Koller ist ein österreichisch-deutscher Architekt mit


Wurzeln in Wien und Kärnten. Sein Engagement und seine
Präsenz im Nationalsozialismus verschleiernd, konnte Koller
auch nach Kriegsende seinen Beruf ausüben und sich in der
Rolle des Regimeopfers etablieren.

Peter Koller wurde am 7. Mai 1907 in Wien geboren. Seine


Eltern waren der Zahnarzt Robert Koller und dessen Ehefrau
Josefine Koller. Die Vorfahren der Familie stammten aus
Kärnten, wo Peter Koller in Feldkirchen auch zeitweise zur
Schule ging. Zwischen 1917 und 1925 besuchte er jedoch
ausschließlich das Schottengymnasium in Wien und legte
dort seine Matura ab. In seinen Jugendjahren kam Peter
Koller in Berührung mit völkisch-nationalen Verbindungen,
wie dem Jugendbund der „Adler und Falken“, einer Art
Wandervogelbewegung und Vorläufer der Hitlerjugend. Er
bekleidete sogar das Amt des Gauführers der „Adler und
Falken“ in Österreich. Noch vor Vollendung seines 24.
Lebensjahres, am 1. Januar 1931, trat Peter Koller der
NSDAP bei. Im Jahr 1925 nahm er das Studium der
Abbildung 11: Peter Koller am Steimker Berg (1941)
Architektur an der TU Wien auf, studierte aber ab 1928 an
der TH Berlin-Charlottenburg weiter. Als Bewunderer
Heinrich Tessenows war es ihm ein Anliegen, bei seinem Vorbild lernen zu können. 133 Kollers
Bewunderung galt jedoch weniger Tessenows architektonischer Schule: Er fühlte sich ihm ideologisch
verbunden.134 Tessenows Assistent war Albert Speer, mit dem sich Koller bald anfreundete und
zusammenarbeitete. Diese Freundschaft sollte die weitere Karriere Kollers maßgeblich beeinflussen.135

Ohne Speer hätte Peter Koller 1933 wohl keine Anstellung als Abteilungsleiter in einem KdF-Amt und
anschließend im Heimstättenamt der DAF bekommen. Nach Abschluss seines Studiums 1929 war Koller
ab Anfang 1930 im Architekturbüro Hermann Jansens in Berlin angestellt, bis das Büro im Dezember
1931 aufgelöst wurde und Koller seinen Arbeitsplatz verlor. Ohne Aussicht auf eine andere Stelle ging er
zurück in seine Heimat Kärnten, wo er am Bauernhof seiner Familie mithalf. Vielleicht wäre Peter Koller
sein Leben lang Bauer geblieben, wenn nicht die Nationalsozialisten die Macht übernommen hätten und
Albert Speer Kollers Karriere als Architekt im Dritten Reich erneut vorangetrieben hätte. Bis 1935
arbeitete Koller im Reichsheimstättenamt, bekleidete dann einen Posten an der Reichsstelle für
bäuerliche Siedlungsplanung und avancierte wenig später zum Bezirksplaner in Augsburg.136

133
Glaser 2018, 4.
134
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 1. März 2021.
135
Glaser 2018, 4.
136
StadtA WOB, HA 7945, Teil 1.

39
Wieder war es Albert Speer, der Peter Kollers Leben 1938 veränderte. Er sollte die „Stadt des KdF-
Wagens“ planen, eine Aufgabe, die zur bedeutendsten seines beruflichen Schaffens werden würde.
Doch in die Reihe von Kollers Werken gliedert sich nicht nur dieses städteplanerische Großprojekt;
umfangreiche Entwürfe für Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Leoben, Linz, Waldbröl und sogar für Teile der
Berliner Südstadt reihen sich in sein Werkverzeichnis.137

Koller trat 1942 in die Wehrmacht ein und wurde von russischen Streitkräften gefangen genommen.
1945 kehrte er aus der Gefangenschaft heim nach Wolfsburg und konnte alsbald Anstellung bei seinem
ehemaligen Mitarbeiter Titus Taeschner finden. 1955 erhielt Peter Koller eine Berufung zum Stadtbaurat
von Wolfsburg und verblieb bis 1960 in dieser Position. Anschließend hatte er den Lehrstuhl für
Städtebau an der TU Berlin inne.138

1965 erhielt Peter Koller die „Johann Joseph Ritter von Prechtl-Medaille“. Zehn Jahre später wurde er
durch den „Camillo-Sitte-Preis“ geehrt.139

Mit der Fortsetzung seiner Tätigkeit als Architekt hatte Koller nach Kriegsende kaum Probleme. 1948
wurde ein Entnazifizierungsverfahren bei ihm durchgeführt. Koller setzte sich im Zuge dessen nicht sehr
kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinander: Einziger Zweck des Verfahrens aus seiner Sicht war
es, völlige Rehabilitierung zu erlangen. Seine Einstufung in die Kategorie IV als „Unterstützer“ war nur
aufgrund seiner Mitgliedschaft in der NSDAP erfolgt. Ansonsten konnte sich Koller praktisch gänzlich
entlasten.140 Er sei unpolitisch gewesen und habe lediglich in Aussicht auf reichlich berufliche
Betätigungsfelder die NSDAP durch seine Mitgliedschaft unterstützt.141 Nach Kriegsende plante Koller
jedoch kaum mehr. Vielmehr widmete er sich Gutachten und der Preisrichtertätigkeit und übernahm
nur noch vereinzelt städtebauliche Teilplanungen, wie etwa für Wolfsburg.142

Kollers Einfluss auf die Südtiroler Siedlungen war insgesamt eher gering. Er hat lediglich die Siedlungen
in Innsbruck betreut. Große Teile Innsbrucks als Gauhauptstadt sollten angepasst werden. Diese
städtebaulichen Neuplanungen für Innsbruck übernahm Koller, so auch die Grundkonzeption der
Südtiroler Siedlungen in Innsbruck. Bevor der Entschluss zur Umsiedlung der Südtiroler Bevölkerung
getroffen wurde und somit die Planungen für die Erbauung der Südtiroler Siedlungen gestartet wurden
verfügte Innsbruck weder über einen Raumordnungsplan noch über einen Flächennutzungsplan. Da
aber allein für Innsbruck 5.000 neue Wohnungen für die OptantInnen vorgesehen waren, die in eine
ebenfalls neue Infrastruktur eingebettet werden mussten und somit das Entstehen neuer Stadtteile in
Innsbruck zur Folge hatten, wurde das Erstellen eins städtebaulichen Konzepts notwendig. Es war Peter
Koller, der damals den Raumordnungsplan und den Flächennutzungsplan für Innsbruck ausarbeitete.143

Koller müsste eigentlich eher als Städteplaner denn als Architekt bezeichnet werden. Er entwarf in
seinem Leben nur drei Gebäude: zwei Kirchen in Wolfsburg und ein Haus am Ossiacher See in seiner
Studentenzeit.144 Dennoch war er für das städtebauliche Gefüge der Südtiroler Siedlungen in Innsbruck

137
Glaser 2018, 4.
138
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 25. Februar 2021.
139
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 1. März 2021.
140
Glaser 2018, 5.
141
Glaser 2018, 4.
142
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 1. März 2021.
143
Lugger 1993, 103.
144
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 25. Februar 2021.

40
äußerst prägend. Wie Koller diese Siedlungen dimensionierte, ausrichtete, anschloss und in den
städtebaulichen Raum integrierte ist eine völlig andere Vorgehensweise, wie die, die bei den übrigen
Südtiroler Siedlungen in ländlicherer Umgebung verfolgt wurde. Die Südtiroler Siedlungen Kollers
unterscheiden sich somit von allen anderen, nicht nur durch ihren urbanen Standort.

Mehrfach hatte Koller Konflikte mit anderen Planern. Besonders interessant ist jener Konflikt zwischen
Peter Koller und Helmut Erdle. Die beiden Architekten entstammten gänzlich unterschiedlichen Schulen
und verfolgten stets verschiedene Philosophien. Diese Differenzen lassen sich auch aus einem Vergleich
der Südtiroler Siedlungen der jeweiligen Architekten lesen. So unterschiedlich ihre Auffassungen waren,
so unterschiedlich wurden auch ihre Siedlungen. Erdle lehnte Kollers Planungen für Innsbruck ab, wie
auch andere Vertreter der Stuttgarter Schule. Paul Schmitthenner zum Beispiel äußerte sich in einem
Gutachten höchst kritisch. Koller im Gegenzug dazu warf seinen „Stuttgarter“ Kollegen romantische
Verklärung vor.145

Die Entwurfsarchitekten, die für Peter Koller auch an den Südtiroler Siedlungen in Innsbruck gearbeitet
hatten, sind Titus Taeschner und Erwin Streli, aber auch Architekten der „Neuen Heimat“ sowie
freischaffende Architekten arbeiteten die städtebaulichen Konzepte Kollers aus.146

Am 2. März 1996 verstarb Peter Koller in Wolfsburg. Koller war verheiratet und hatte neun Kinder.

2007 wurde zum hundertsten Geburtstag Kollers ein Förderpreis für innovative Studentenprojekte für
junge Architekten gestiftet und nach Peter Koller benannt. Eine kritische Auseinandersetzung mit Peter
Koller als Stadtplaner Wolfsburgs gab es bisher nur teilweise. Nach Kritik am Wolfsburger „Koller-Preis“
wurde dieser 2015 in „Wolfsburg Award for Urban Vision“ umbenannt.147

145
Höhns 1992, 287.
146
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 25. Februar 2021.
147
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 25. Februar 2021.

41
4. Analyse der drei Beispielsiedlungen

4.1. Ein Überblick

Abbildung 12: Artikel: Wohnbauten der Deutschen Arbeitsfront für Südtiroler im Inntal, in: Deutschen Bauzeitung 75. 1941, 3, 1

Die Südtiroler Siedlungen sind ein zeit- und architekturgeschichtliches Dokument des
nationalsozialistischen Städtebaus und entstanden unter schwierigen Bedingungen. Dennoch sind
Gebäude entstanden, die sich als Ausreißer im sozialen Wohnbau der NS-Zeit zeigen. Es existieren keine
vergleichbaren Siedlungen aus der Zeit, die eine derartige Qualität aufweisen. Auch heute noch zeichnen
sich die Siedlungen durch die Weiterentwicklung der regionalen Bauweise mit regionalem Bezug auf die
Bautradition und die umgebende Landschaft, einer großen Vielfalt in Detail und architektonischer
Gestaltung, als auch moderne technischen Lösungen aus und prägen das Erscheinungsbild Tiroler Dörfer
und Stadtteile. Sie setzten neue ästhetische Maßstäbe, die nirgends sonst im „Altreich“ zu finden
waren.148

Die Architekten, die für dieses Sonderprogramm eingesetzt wurden, stammten aus dem „Altreich“, fast
alle aus dem Dunstkreis der Stuttgarter Schule. Der starke Einfluss ihrer Meister Paul Schmitthenner,
Paul Bonatz und besonders jener Heinz Wetzels ist direkt spürbar. 149 Sie waren fast ausschließlich

148
Höhns 1992, 283.
149
Hohns 1992, 285.

42
Schüler Heinz Wetzels und orientierten sich stark an seiner Lehre. Einer seiner Grundsätze beschrieb die
Betonung der Topografie, durch die optisch angepasste Ausarbeitung der Bebauung. Sogenannte
„Visierbrüche“ sollten den Blick der BetrachterInnen lenken.150 Das Äußere der Siedlungen erscheint
zunächst dem Gedanken des Heimatschutzstils verpflichtet, vor allem durch die „Tirolerische“
Durchgestaltung der Siedlungen. Regionale Motive und architektonische Sonderlösungen, wie steinerne
Erker, Arkaden und verstärkte Eckausbildungen werden in vereinfachter Form immer wieder an die
Gebäude appliziert und kommen nicht aus praktischen, sondern aus rein gestalterischen Gründen zur
Anwendung. Der nur wenige Jahrzehnte vor deren Erbauung geprägte Begriff des „Gesamtkunstwerks“
hat auch für die Südtiroler Siedlungen Gültigkeit. Türklinken, Fensterläden, Treppengeländer bis hin zu
Zimmertüren und sogar vereinzelt Mobiliar wurde von den Architekten mitgeplant. Dem konservativem
Heimatschutzstil, der sich der Moderne gänzlich verwehrt, sind die Südtiroler Siedlungen dennoch nicht
hundertprozentig zuzuordnen. Unter enormem zeitlichen Druck wurden neue Standards entwickelt,
moderne technische Lösungen gesucht, rationalisiert und normiert. Dabei sollte die regionale
Bautradition als gestalterische Grundlage dienen. Richtlinien oder Baufibeln standen den Architekten
noch nicht zur Verfügung. So entstand eine höchst interessante Architektursprache, die ihren Vorbildern
oft zum Verwechseln gleicht und noch häufiger einen eigenständigen Charakter hervorbringt.151

Die Südtiroler Siedlungen zeigen eine der vielen Facetten der Moderne. Die enorme Schnelligkeit,
moderne Materialien und Bauteile, welche teilweise standardisiert und genormt fabriziert wurden, als
auch die Bauaufgabe selbst, die so noch nie gestellt worden war, klassifizieren die Südtiroler Siedlungen
eindeutig als moderne Bauten. Selbst ihr Erscheinungsbild, das zunächst traditionell anmuten mag, ist
bei genauerem Hinsehen sehr wohl einer fortschrittlichen Architektursprache verpflichtet. Die leitenden
Architekten wollten nie eine eklektizistische Ausformung der Tiroler Bauernarchitektur schaffen, es war
vielmehr ihr Anliegen, eine eigenständige Weiterentwicklung aus der Tradition und der Dynamik des
Ortes heraus zu erreichen. Das Fundament der vergangenen Jahrhunderte nutzend, bauten sie
landschaftsbezogene, qualitätvolle und anpassungsfähige Siedlungen als ihre Antwort auf eine komplexe
Fragestellung. Die Südtiroler Siedlungen füllen eine Nische in der modernen Architektur, die sowohl den
Ansprüchen der OptantInnen genügen, als auch die kulturellen Konventionen Tirols aufnehmen sollte.
Gleichzeitig konnten moderne Bautechniken weiterentwickelt werden und Rationalisierung Einzug
halten, sowohl im städtebaulichen Maßstab als auch im Detail. Ein geringes Budget und unzureichende
Ressourcen hinderten die Architekten nicht an der Umsetzung qualitätvoller, moderner und dennoch
ihrem Standort verbundener, unpathetischer Architektur. Keine einzige Siedlung gleicht der anderen.
Auch die „quantitative Würdigung“ für das Mammutprojekt der Südtiroler Siedlungen fehlt bis heute.
Das Wohnbauprogramm für die Südtiroler Familien startete einen Bauboom, der durchaus mit der
Bautätigkeit der Zwischenkriegszeit des „Roten Wiens“ konkurrieren kann.152

Alle umgesetzten Südtiroler Siedlungen wurden in weniger als zwei Jahren geplant und errichtet. Sobald
die Umsiedlung der Südtiroler Bevölkerung 1938 beschlossen war, starteten die ersten Analysen für die
möglichen Standorte und die notwendigen Ämter und Stäbe konnten besetzt werden. In aller Eile
erreichten die Architekten dennoch anspruchsvolle städtebauliche und architektonische Lösungen.
Neben der besonderen Beziehung zwischen Architektur und Landschaft war die Miteinbeziehung der
alpinen Bautradition der zweite Grundsatz der Architekten der Südtiroler Siedlungen. Sie studierten den

150
Höhns 1992, 285.
151
Höhns 1992, 283.
152
Höhns 1992, 286.

43
„Tiroler Stil“ minutiös und verarbeitet ihn in den neuen Entwürfen.153 1940 startete eine durch Heinrich
Himmler beauftragte Kulturkommission eine weitreichende Bestandsaufnahme der Südtiroler Kultur.
Diese umfasste eine „volkskundliche“ Erörterung von Sprache, Architektur und Alltagskultur. Ziel dieser
„Inventarisierung“ war eine Grundlage für die Gestaltung der neuen Siedlungsgebiete der Südtiroler
OptantInnen zu erarbeiten.154

Abbildung 13: links: Sammlung Tiroler Architekturmotive, Nachlass Möritz (ca. 1938); rechts: das
umgesetzte Motiv in Hall-Galgenfeld (2020)

Abbildung 14: links: Sammlung Tiroler Architekturmotive, Nachlass Möritz (ca. 1938); rechts: das
umgesetzte Motiv in Hall-Galgenfeld (2020)

153
Höhns 1992, 285.
154
Höhns 1992, 283f.

44
Abbildung 15: oben: Sammlung Tiroler Architekturmotive, Nachlass Möritz (ca. 1938);
unten: das umgesetzte Motiv in Hall-Galgenfeld (2020)

Die planenden Architekten führten ihrerseits eine Bestandaufnahme durch und starteten eine groß -
angelegte Fotodokumentation. Untersuchungsräume waren hier allerdings die Ortschaften und Täler
Nordtirols. Wie man der gut sortierten Fotosammlung aus dem Nachlass von Heinz Möritz155 entnehmen
kann, wurden Fotos nach verschiedenen Themengebieten angefertigt. Die Fotosammlung beinhaltet gut
sortierte Fotos von Brunnen, Haustüren und Eingangssituationen, Dachgauben, Fenstern und
Fensterläden, Siedlungsanordnungen, Dachlandschaften, Balkonen und Umgängen, Laubengängen und
Arkaden, Backöfen, Stadeln – einzeln und gruppenweise, Umzäunungen, Erkern, Mauerwerk und
Innenräumen. Einige Bauernhöfe wurden sogar vermessen. Dieser reiche Fundus an Tiroler Bautradition
fand Einzug in die Gestaltung der Südtiroler Siedlungen. Die verwendeten Motive lassen sich gut den
abfotografierten Tiroler Besonderheiten zuordnen, wenn sie auch meist in vereinfachter oder stilisierter
Form auftreten. Als „Lieblingsmotive“ der Architekten lassen sich der Erker, der Flachbogen, Portale mit
Oberlichten und verstärkte Eckausbildungen feststellen. Die Südtiroler Siedlungen weisen Häuser mit

155
saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand Heinz Möritz.

45
Satteldach auf, zeigen Balkone und kontrastieren dunkles Holz mit weißem oder hellem Putz.
Ursprünglich waren alle Siedlungen weiß verputzt, erhielten als Schutz gegen die Luftangriffe aber bald
einen gelben Tarnanstrich und sind heute in verschiedensten Färbungen anzutreffen.156

Bis auf ihre eigenen Recherchen konnten die Architekten keine Richtlinien, Baufibeln, Typenkataloge
oder etwaige Vorbilder heranziehen, denn erst ab 1941 waren die ersten Veröffentlichungen
erschienen.157 Sie erfassten vornehmlich den Bestand, widmeten sich nur zaghaft neuen Bauaufgaben
und überließen es der Leserschaft, selbst Schlüsse für zukünftiges alpines Bauen aus der dargelegten
Vergangenheit zu ziehen. Kataloge mit den „wichtigsten Hausformen im Gau Tirol-Vorarlberg“ waren
den Architekten der Südtiroler Siedlungen nicht mehr dienlich. Höchstwahrscheinlich hatten sie sogar
selbst zur Entstehung dieser Kataloge beigetragen.158
Geprägt sind diese Erörterungen von der diffusen Sorge, das „ländliche Bauen“ könnte durch seine
fehlende Anpassungsfähigkeit niedergehen, ja durch den modernen Fortschritt überrollt werden. Das
wichtigste Bestreben sei, Rationalisierung und Technisierung, die auch im Landwirtschaftssektor
langsam Einzug hielten, in der neuen Gestaltung ländlicher Architektur zu berücksichtigen, wobei
traditionelle Typen beibehalten und weiterentwickelt werden sollten. Außerdem wurde eine
Standardisierung der Bauteile und eine Normierung der Grundrisse und Baukörper ausdrücklich
befürwortet.159 Das Gauamt in Innsbruck veröffentlichte eine Karte, welche die ermittelten sieben
gängigsten Hausformen für Tirol und Vorarlberg abbildet. Sie sollten als Ausgangspunkt für neue
Planungen herangezogen werden, für die Südtiroler Siedlungen konnten sie freilich keine Orientierung
mehr geben. Die sieben Hausformen wurden bald weiter beschränkt auf die zwei wichtigsten Typen, den
Talhof und den Berghof.160

Abbildung 16: Die wichtigsten Hausformen im Gau Tirol-Vorarlberg, herausgegeben vom Gauamt Innsbruck (1943)

156
Höhns 1992, 293.
157
Zum Beispiel: Helfrich 1941; Rauter 1943; Seifert 1943.
158
Höhns 1992, 289.
159
Rauter 1934, 2 (Vorwort Artur von Machui).
160
Rauter 1934, 27.

46
Die dürftigen Grundriss- und Typenkataloge der DAF wurden für die Südtiroler Siedlungen zwar
übernommen, jedoch enorm erweitert.161 Zunächst entwickelte die „Neue Heimat“ Normgrundrisse, die
standardmäßig geplante Wohnungen nach Mindestmaßen vorsah. Die minimalen Wohnungsgrößen
waren per Führererlass festgelegt worden und sollten auch für die Südtiroler Siedlungen angewandt
werden. Dabei musste die Wohnküche einer Wohnung mindestens 22 m2 groß sein, das
Elternschlafzimmer 16 m2 und jedes weitere Schlafzimmer eine Größe von 10 m2 aufweisen. Eine
Nasszelle mit separatem W. C. musste 5 m2 groß sein, der Flur 6 m2 und ein Balkon 3 m2. So kamen
Mindestgrößen von 62 m2 für eine Dreizimmerwohnung, 74 m2 für eine Vierzimmerwohnung und 86 m2
für eine Fünfzimmerwohnung zustande.162 Diese Größen galten als Richtwerte, konnten aber oft nicht
umgesetzt werden. Wie Peter Kollers enger Mitarbeiter Titus Taeschner 1941 in einem Artikel über die
Tiroler Planungen berichtete, entsprach die durchschnittliche Größe der Wohnungen der Südtiroler
Siedlungen 58-59 m2.163
Helmut Erdle sprach sich stets für die individuelle Ausarbeitung der einzelnen Grundrisse aus und lehnte
eine leichtfertige Übernahme normierter Grundrisse prinzipiell ab. Er entwarf zunächst das an die
Landschaft angepasste äußere Erscheinungsbild und abhängig davon die Grundrisse. Erdle wählte einen
für die Umgebung passenden Haustyp, aus welchem sich die Grundrisse ergaben. Die standardisierten
Typen wurden aber stets an den speziellen Ort angepasst, manchmal mutierten sie bis zur
Unkenntlichkeit, manchmal wurden nur kleinere Adaptionen vorgenommen. Die Folgen dieser
Anpassungen spielgelten sich auch in den Grundrissen wieder. Erdle schloss dabei das Heranziehen von
„Reichsgrundrissen“ aus.164
Für die Südtiroler Siedlungen wurden indes weit mehr Haustypen entworfen als vorgesehen war. Wie
die Typen zustande kamen und nach welchen Kriterien sie wo eingesetzt wurden, ist bislang nicht
erforscht und schwer nachvollziehbar. Auch gibt es keine klare Übersicht über alle entwickelten
Haustypen. Einzig eine nachträgliche Zuordnung kann hier angeführt werden: Helmut Weihsmann
erkennt vier Haupttypen, die zu Siedlungen kombiniert wurden:165

1. Kleine Familienhäuser für eine bis vier Familien stehen solitär und bedienen sich je nach
Ausformung der vollen Palette alpenländischer Stilelemente. Sie orientieren sich am
deutlichsten am Tiroler Bauernhaus als direktem Vorbild.
2. Sehr lange Laubenganghäuser mit Holzarkaden fassen die Siedlungen oft ein und wurden
platzbildend eingesetzt. Auch diese Arkadenhäuser sind „tirolerisch“ durchgestaltet und
weisen einläufige Treppenläufe auf.
3. Reihenhäuser wurden zwei- bis viergeschossig ausgeführt. Sie zeichnen sich durch eine
rhythmische Gliederung der Fassaden mit sich wiederholenden Motiven aus. Durch die
zweispännigen Treppenhäuser im Inneren der Reihenhäuser zeigen die Bauten mehrere
Eingangstüren, die zur Gliederung der Fassade beitragen.
4. Wohnblöcke kommen ausschließlich in urbanem Kontext zum Einsatz, bilden eine
geschlossene straßenbegleitende Bebauung aus und verfügen stets über großzügige
Innenhöfe. Die gartenseitigen Fassaden unterscheiden sich in ihrer Gestaltung von der
Straßenseite.

161
Höhns 1992, 287.
162
Lugger 1993, 104.
163
Taeschner 1941, 128, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
164
Höhns 1992, 288.
165
Weihsmann 1998, 938.

47
Die Standorte der Siedlungen wurden nach bestimmten Kriterien gewählt. So kamen ausschließlich
bereits gut erschlossene Orte in Frage. Südtiroler Siedlungen wurden zumeist als direkte Erweiterung
von Dörfern, Weilern und Städten geplant. Die in der Gegend vorhandenen Arbeitsplätze waren
ausschlaggebend für das Anlegen einer neuen Siedlung. Demnach plante man Siedlungen auch oft in der
Nähe von Industriestandorten oder landwirtschaftlich genutzter Gebiete. Auch erfuhren Gegenden eine
Bevorzugung, in denen ohnedies Wohnungsnot herrschte. Ausschlaggebend waren jedoch die
topografischen Bedingungen. Einerseits mussten die Siedlungen unter Zeitdruck errichtet werden,
andererseits strebten die Architekten eine landschaftsbezogene Architektur an, wobei sich Ressourcen
nur in eingeschränktem Ausmaß boten. Die richtige Wahl eines günstigen Standortes war von größter
Wichtigkeit, um eventuelle Verzögerungen durch schlechte Bodenbeschaffenheit zu vermeiden. Leo
Tusch, Geschäftsführer der „Neuen Heimat Tirol“, legte die endgültige Liste der Standorte an.166 Das
Budget für die „Sondermaßnahme S“ war anfangs mit 50 Millionen RM sehr hoch anberaumt worden,
belief sich aber am Ende auf nur 12 Millionen RM. Davon übernahmen die Reichsgaue selbst lediglich
1,86 Millionen RM.167
Die große Bedeutung der Südtiroler Siedlungen machen auch Ulrich Höhns‘ Worte greifbar:
„Noch heute sind viele der Häuser und kleinen Siedlungen für Südtiroler ästhetisch
ansprechender, als Einzelbauten überzeugender und als Hausgruppen in sich geschlossener als
alle folgenden Versuche, aufs Geratewohl einem nicht näher untersuchten >alpenländischen<
Haus nachempfundene Behausungen zu errichten ...“168
Neben den einzigartigen Umständen, in welchen die Südtiroler Siedlungen entstanden sind, sowie deren
beeindruckender Qualität muss auch ihre historische Bedeutung hervorgehoben werden. Die
Umsiedlungsaktion der Südtiroler Bevölkerung markiert eine politische Entscheidung weitreichenden
Ausmaßes. Sie war ein prestigeträchtiges Unterfangen, in der die Architektur zur Hauptrolle avancierte.
Sie definierte „Heimat“ neu, spielte den OptantInnen eine heile Welt vor, einen fröhlichen Empfang.
Heute sind sie ein Denkmal zweier Nationen und zweier faschistischer Regime. Sie sind Denkmale aus
einer düsteren Zeit, in der folgenschwere Entscheidungen das Schicksal tausender Menschen besiegelte
und werden so auch zum Mahnmal. Jede einzelne Siedlung beherbergte Familien und ihre Schicksale
und wurde so zu manifestierter Geschichte. Diese Geschichte durch den gebührenden Umgang mit den
Siedlungen zu erhalten ist nicht nur notwendig, sondern verpflichtend. Die Südtiroler Siedlungen
bevölkerten Nordtirol nicht nur mit Südtiroler Einwanderern, die zuvor nie in Nordtirol sesshaft waren,
sondern auch mit dem Geist einer Wende. Wie sich Nordtirol in Zukunft definieren würde, fußt zu einem
nicht geringen Teil im Charakter der Südtiroler Siedlungen. Tirols Identität, das Gesicht, welches es „den
Fremden“, „den Gästen“ präsentierte, wurde zum ersten Mal beim Bau der Südtiroler Siedlungen aktiv
gestaltet. Zum ersten Mal wurde ein „Image“ für Tirol entworfen. Die heutige Marke „Tirol“ zehrt noch
immer von diesen ersten Überlegungen zur Identität Tirols.

166
Rief 2012, 25.
167
Weihsmann 1998, 933.
168
Höhns 1992, 293.

48
Abbildung 17: St. Johann in Tirol, Südtiroler Siedlung 1939-1942 (Anfang
1940er Jahre)

Abbildung 18: Kitzbühel, Südtiroler Siedlung 1939-1942 (ohne Datum)

Abbildung 19: Jochberg, Südtiroler Siedlung 1939-1942 (ohne Datum)

49
4.2. Innsbruck – Am Rain

Für die städtebaulichen Planungen in Innsbruck, die zum großen Teil aus den Südtiroler Siedlungen
Innsbrucks bestehen, war Peter Koller verantwortlich. Albert Speer hatte veranlasst, dass Koller für die
Innsbrucker Planungen eingesetzt werden sollte, nachdem Koller 1939 die Planungen in der „Stadt des
KdF-Wagens bei Fallersleben“ aufgegeben hatte.169 Koller trat damit in eine konkurrierende Stellung zu
Helmut Erdle, der als Leiter der Planungsabteilung der Heimstätte in Innsbruck für alle Südtiroler
Siedlungen in Tirol und Vorarlberg verantwortlich war. Gauleiter Franz Hofer wies Koller und Erdle ihre
Zuständigkeitsbereiche zu und fand den Kompromiss, Peter Koller die innerstädtischen Planungen zu
überlassen.170 Innsbrucks Oberbürgermeister Egon Denz verpflichtete Koller vertraglich und sicherte ihm
die Entwurfsarbeiten für die Neugestaltung und den Ausbau Innsbrucks zu.171

Innsbruck wurde als strategisch wichtiger Punkt am südlichen Rand des Großdeutschen Reichs
eingestuft und erfuhr deshalb besondere Zuwendung. Peter Koller charakterisierte es als „Eingangstor
ins Reich auf der wichtigen Nordsüd-Verkehrslinie“ und sah Innsbruck als „Stadt der deutschen
Bergsteiger“ in einer einzigartigen Stellung. Auch fungierte Innsbruck als Knoten zwischen der Ost-West-
und Nord-Süd-Achse. Dieser einmaligen Position an den wichtigsten Handelswegen Mitteleuropas
verdankte Innsbruck seit jeher Wohlstand und Reichtum. Dieses Wissen nicht vernachlässigend und die
neue Bedeutung als Gauhauptstadt einberechnend, waren für Innsbruck großangelegte
Neubauvorhaben geplant.172 Neben einem Gauforum und repräsentativen Bauten umfasste das
Programm die Anlage neuer Stadtteile, die zu Wohngebieten werden sollten. In Innsbruck herrschte
große Wohnungsnot und zusätzlich wurden bis zu 5.000 Südtiroler Familien erwartet. Bei einer

Abbildung 20: Peter Koller: Erhebung der möglichen Baugründe zur Stadterweiterung Innsbrucks (ca. 1940)

169
Höhns 1992, 287.
170
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 1. März 2021.
171
Glaser 2021, 194.
172
Koller 1941, 111, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).

50
Bevölkerung von ca. 80.000
EinwohnerInnen bedeutete das für
Innsbruck einen Zuwachs von 25 %.173
Dieses immense Pensum zu decken war
keine leichte Aufgabe, vor allem durch den
begrenzt zur Verfügung stehenden
Baugrund. Zur Bebauung für groß
angelegten Wohnbau eigneten sich laut
Kollers Erörterungen die Gründe im Nord-
Osten der Stadt, also in der Reichenau und
Abbildung 21: Peter Koller: Darstellung des Wohnungsbedarfs in
Innsbruck, in: Der Soziale Wohnbau in Deutschland 1. 1941, 4, 114 in Pradl. Außerdem sollte eine kleine
Baulücke in Wilten aufgefüllt werden. Nach
Westen hin war schon die Erbauung des Flughafens geplant und die übrigen Bereiche hatten einen zu
hohen Grundwasserspiegel und zur Erschließung über den Inn fehlten Brückenanlagen. Im Norden und
Süden wird Innsbruck durch die alpine Topografie und die steil ansteigenden Hänge begrenzt.174

Koller bearbeitete auch die Verkehrsführung nach und durch Innsbruck und entschied sich dafür, die
Hauptverkehrsader durch die neu geplanten Wohngebiete der Reichenau und Pradl zu führen.175 Diese
Entscheidung stieß vermehrt auf Kritik. Auch der Innsbrucker Hauptbahnhof hätte verlegt werden sollen.
Seine Lage am süd-östlichen Rand der Innenstadt, sowie die Gleisführung, die vom Nord-Osten bis zum
Süd-Westen die Innenstadt umrahmt, würde die Ausdehnung Innsbrucks behindern.176 Zu einer
tatsächlichen Verlegung der Gleisanlagen und des Bahnhofs ist es jedoch nie gekommen.

In Pradl war das höchste Bauaufkommen zu verzeichnen. Hier entstanden mehrere Siedlungen, die
entlang der neuen Achse, der Gumppstraße, angelegt wurden.177 Alle Pradler Siedlungen, der
„Lindenhof“, der „Ahornhof“, „Am Rain“, „Am Roßsprung“, der „Eichhof“ und die Siedlung „Panzing“
waren in den letzten Jahren teils großen Veränderungen unterworfen – sie wurden zum Teil abgerissen
und durch verdichtete Neubauten ersetzt. Die Reste des Altbestands wurden generalsaniert. Neben
Pradl als Stadterweiterungsgebiet entstanden auch in Wilten (nördlich des Westbahnhofes), in der
Reichenau, im Pradler Saggen und im sogenannten „Blocksaggen“ neue Wohngebiete. In Innsbruck
wurden insgesamt 1.311 Wohnungen für die Südtiroler Einwanderer durch die „Neue Heimat“ errichtet
und weitere 548 durch die Stadtgemeinde Innsbruck.178

Die Gumppstraße als Hauptachse durch Pradl erfuhr wie alle Hauptstraßen durch die neuen Stadtteile
besondere Aufmerksamkeit in ihrer Gestaltung. Durch Portalsituationen, welche ein typisches Element
in Kollers Formenkatalog waren, wurde die Straße gegliedert und erhielt ihre urbane Prägung. Die mit
vier Stockwerken relativ hohe Bebauung weist einfache Fassaden auf. Steinerne Erker gliedern die
Straßenflucht und wurden als regionales „Innsbrucker“ Motiv appliziert, ebenso wie handwerklich
gefertigte, steinerne Türstöcke mit Oberlichten und Flachbögen. Diese Elemente bilden zugleich die

173
Koller 1941, 110, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
174
Koller 1941, 115, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
175
Koller 1941, 112, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
176
Koller 1941, 114, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
177
Lugger 1993, 104.
178
Weihsmann 1998, 935.

51
einzigen wesentlichen Unterschiede zur
Gestaltung der Gebäude in Wolfsburg oder
Salzgitter.179 Die „Porschestraße“ in Wolfsburg
hätte sogar nach exakt demselben Schema wie
die Gumppstraße angelegt werden sollen. Die
Gumppstraße entsprach demnach einer Art
Idealstraße für Koller.180 Koller ließ die
geradlinige Straßenführung durch vor- und
zurückspringende Gebäudeflügel schwingen
und wechselt platzartige Situationen mit
schmaleren Passagen ab. In den Erdgeschoßen
waren Läden vorgesehen, vor allem
Nahversorger wie Metzger oder Bäcker. Abbildung 22: Peter Koller: Modell der Porschestraße in der „Stadt
Beschlossen wird die Gumppstraße durch zwei des KdF-Wagens“ (ohne Datum)
quergestellte Gebäude.181

Insgesamt hat Koller sich eines klaren Schemas bedient. Er versuchte weder, das verwinkelte
Gassengewirr der Innsbrucker Altstadt zu kopieren oder fortzuführen, rasterte die neu angelegten
Viertel aber auch nicht am Reißbrett durch. Koller lehnte sich an Speers repräsentativen Städtebau an
und arbeitete vermehrt mit Torsituationen, Innenhöfen als verkehrsberuhigte Zonen, mit breiten,
autogerechten Straßen und arkadendurchzogenen Parterres. Diese wirkungsvolle Gestaltung war
gewöhnlich nicht für reine Wohngebiete vorgesehen. Dass Peter Koller den neuen Stadtteilen dennoch
ein urbanes, repräsentatives Profil verlieh, verweist auf den großen politischen Stellenwert der
Umsiedlung der SüdtirolerInnen.182

Die Siedlungen sind in großen Hofanlagen organisiert. Eine Blockrandbebauung, wie sie sich in Innsbruck
zwischen dem Marktgraben und dem Stift Wilten aus der Gründerzeit findet, wurde dabei nicht mehr
angestrebt. Koller durchbrach die Randbebauung und erschuf so eine durchlässige Siedlungsstruktur.
Fußgängern sind die Höfe geöffnet und durch überbaute Wege, Torsituationen und Baulücken
erreichbar und passierbar. Der Durchzugsverkehr wurde nie ins Innere der Siedlungen geleitet, er
verläuft auf breiten Straßen. In den Innenhöfen gibt es lediglich Abstellmöglichkeiten für Fahrzeuge der
BewohnerInnen. Trotz der aufgebrochenen Bebauung der Grundstücke entstehen intim anmutende
Hofsituationen. Die Fassaden der Häuser weisen einen Unterschied in der hof- und straßenseitigen
Gestaltung auf. So werden Erker öfter straßenseitig appliziert, während sich hofseitig teilweise Balkone
finden. In den Innenhöfen wurden nicht selten kleinere Reihenhäuser als gliedernde Elemente
eingefügt. Die Höfe erstrecken sich teils über mehrere Straßenzüge und wurden so angelegt, dass das
Schema mühelos hätte erweitert werden können. Die Innenhöfe dienten den BewohnerInnen zur
Selbstversorgung durch Obst und Gemüseanbau, der Erholung und körperlichen Ertüchtigung. Auch

179
Höhns 1992, 286f.
180
Freundliche Auskunft von Marcel Glaser am 1. März 2021.
181
Lugger 1993, 108.
182
Lugger 1993, 109.

52
heute werden die grünen Freiflächen, sofern sie nicht überbaut wurden, sehr geschätzt und als
Aufwertung und Bereicherung empfunden.183

Zur Gestaltung der Siedlungen erläuterte Peter Koller in einem Artikel in „Der Soziale Wohnbau in
Deutschland“:

„Unserer heutigen Vorstellung von Weiträumigkeit und Zügigkeit der Straßen mußte auf jeden
Fall Rechnung getragen werden. Trotzdem werden die neuentstehenden Stadtteile
„Innsbruckerisch“ aussehen. Sie sind aus dieser Stadt heraus entwickelt und können nur in
dieser Stadt stehen. Die Verwendung von wohnhofartig bebauten Stichstraßen ergab die
Möglichkeit, auch intimere Raumwirkungen zu erzielen, in denen die typisch durch Erker
aufgegliederten Fassaden Innsbrucks zur guten Wirkung kommen. Hierbei war immer zu
beachten, daß die Richtung Nordsüd bevorzugt ist, weil sie den zu jeder Jahreszeit neu reizvollen
und für Innsbruck typischen Blick auf die Spitzen der Nordkette als einen einmaligen
Hintergrund mit in die städtebauliche Wirkung einbezieht. […] Die entwerfenden Architekten
waren sich der in der Landschaft liegenden Verpflichtung voll bewußt, versuchten aber, und ich
glaube im allgemeinen mit Erfolg, das Ererbte zu der Klarheit der Formen zu bringen, die uns
heute naheliegt, da sie unserem Wesen entspricht“184

Im Planungsteam um Peter Koller arbeiteten im Hochbau die Architekten Guhl, Kubosch, Winter und
Streli und an den städtebaulichen Entwürfen Wolber, Gernhardt und Blazer.185 Die Vornamen dieser
Architekten werden leider nicht genannt. Die Innsbrucker Siedlungen unterscheiden sich vor allem durch
eine urbanere Gestaltung von den durch Erdle und dessen Mitarbeiter geplanten Siedlungen. Während
Erdles Siedlungen eine Prägung durch ländlich-bäuerliche Architektur erhielten, strebte Koller eine
„großstädtische Mietshaus-Architektur“186 an.

Auch Titus Taeschner – Kollers enger Mitarbeiter in Innsbruck und einer der Geschäftsführer der „Neuen
Heimat Tirol“ – war es ein Anliegen, den neuen Siedlungen eine urbane Dimension zu verleihen. Es sei,
so schreibt Taeschner in der Zeitschrift „Der Soziale Wohnbau in Deutschland“, äußerst wichtig, nicht
„zu sehr in das Ländlich-Romantische abzugleiten, sondern dafür zu sorgen, daß der städtische
Charakter gewahrt bleibt und die Bauten bei aller Bodenständigkeit doch Ausdruck unserer Zeit, in der
sie geschaffen wurden, bleiben.“187 Dennoch sollten typisch regionale Motive angewandt werden, allen
voran der Tiroler Erker. Holzbalkone, Fensterfaschen, Fensterläden und Portale aus Werkstein sollten
die neuen Stadtteile wie gewachsen wirken lassen und den Bezug zur hiesigen Architekturtradition
herstellen. Für die vielen mitwirkenden Architekten dürfte es eine große Herausforderung gewesen sein,
den „Tiroler Stil“ auf einen urbanen Maßstab zu skalieren. Ziel war es, ein einheitliches Gesamtbild für
die neuen Viertel zu generieren. Jeder „Hof“ ist anders gestaltet, verfügt über Wohnhäuser mit
variierende Stockwerksanzahl und verschiedensten Gestaltungselemente, dennoch sollte eine
harmonische Bebauung entstehen, die ihre Bezüge in der umgebenden Berglandschaft sucht. Eine axiale
Ausrichtung auf bestimmte Gipfel oder Blickpunkte wurde stets miteingeplant. Neben diesen
gestalterischen Ansprüchen kamen noch Normen und Standards hinzu, die eingehalten werden sollten.

183
Vgl. Lugger 1993, 106.
184
Koller 1941, 117, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
185
Koller 1941, 127, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
186
Höhns 1992, 286.
187
Taeschner 1941, 128, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).

53
Die standardisierte Haustiefe betrug zehn Meter, Türen, Fenster, Treppenaufgänge und
Installationsschächte waren einheitlich genormt und die Materialen zur Ausführung vorgeschrieben. Die
Siedlungen wurden in Ziegelbauweise errichtet mit betonierten Kellern und Zwischendecken, Treppen
und Dachstühle in Holzbauweise. Die Bauarbeiter waren nebst einheimischen und italienischen
Handwerkern zum Großteil Kriegsgefangene.188

Abbildung 23: Übersichtsplan über die Bauvorhaben im Osten Innsbrucks (1940/41)

188
Taeschner 1941, 128, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).

54
Die Durchschnittsgröße der Wohnungen betrug in etwa 60 m2, wobei 2- bis 5-Zimmerwohnungen
geplant wurden und je nach Anzahl der Räume auch die Wohnfläche angepasst wurde. Die Ausstattung
der Wohnungen war für die damalige Zeit sehr modern. Während ein beträchtlicher Teil der
TirolerInnen ohne eigene Badezimmer, moderne Heizungen oder Elektrogeräte lebte, erwarteten die
Optierten Küchen mit Gas- bzw. E-Herd und Warmwasser, Boiler in gut ausgestatteten Nasszellen sowie
Öfen in den Zimmern.189 Die Nahversorgung war durch die Ansiedlung von Fleischern, Bäckern und
kleine Greißlereien gewährleistet. Hierfür wurden in vielen Südtiroler Siedlungen Läden in den Parterres
geplant. Mit einer eigenen Schenke konnte sich die Siedlung „Panzing“ rühmen; die „Tiroler Weinstube“
liegt in der Gumppstraße und ist noch heute in Betrieb.

Die Innsbrucker Siedlungen blieben nicht lange ohne Kritik. Das Lager der Stuttgarter Schüler, vor allem
Helmut Erdle und Paul Schmitthenner, stießen sich an der architektonischen und städteplanerischen
Ausführung der Siedlungen. Erdle und Schmitthenner erstellten ein Gegengutachten für die Siedlungen
in der Reichenau und Pradl. Die Haupteinfallstraße in die neuen Stadtteile zu legen, die ausdrücklich als
Wohngebiete ausgewiesen waren, wurde besonders kritisiert. Auch fehlte es an Abstufungen in der
Gestaltung – konkret empfanden Schmitthenner und Erdle die Vororte als zu großstädtisch,
überdimensioniert und zu wenig ländlich. Es hätte eines sanfteren Überganges zwischen Land und Stadt
bedurft: Eine sich von außen nach innen steigernde Architektursprache.

„Ein gutes Stadtgebilde ist einer Symphonie vergleichbar, in der sich das Vielgestaltige zur
Einheit und Harmonie rundet. Keine Symphonie beginnt mit Pauken und Trommeln, die keine
Steigerung mehr zulassen. Was beim Militärmarsch recht, ist für die Symphonie nicht brauchbar.
Der Zweck darf die Mittel nicht heiligen, er muß sie bestimmen.“190

Erdle geht noch weiter und schreibt an den Reichsstatthalter im März 1942:

„Die gesamten Planungen, gleich ob städtebaulich, grundrißlich oder architektonisch zeigen eine
große innere Leere, Oberflächlichkeit und Fremdheit. Aus nüchternstem Verstande und ohne
Herz sind diese Pläne entstanden, ohne an den tieferen Sinn der Umsiedlungsaufgabe zu
denken. Innerlich zeigen die Grundrisse größte Unübersichtlichkeit und keinerlei Sinn für
Räume, Vorgänge und Erlebnisse, ebenso wie die städtebauliche >Verschachtelung< nur
konstruiert aber nicht >komponiert< ist. Die äußere Gestaltung trägt einen mißverstandenen
Klassizismus zur Schau, der ganz und gar falsch am Platze ist ...
Wer in Innsbruck nicht mit größter Liebe und Verständnis baulich gestaltet, sollte
endlich die Finger von dieser Arbeit weglassen.“191

Die Folgen dieser Konflikte wiesen Erdle als Sieger aus. Während sich Peter Koller immer weiter aus den
Planungen zurückzog und 1942 sogar freiwillig in die Wehrmacht eintrat, wurde Erdle ein Baugrund in
der Reichenau zur Planung zugesprochen. Die Siedlung „An der Furt“ ist nördlich durch die Sill und der
daran entlang verlaufenden „Kärntnerstraße“ begrenzt, östlich von der „Prinz-Eugen-Straße“, westlich
grenzt sie an die „Pembaurstraße“ und wird südlich von der „Reichenauer Straße“ eingefasst.

189
Taeschner 1941, 128, (StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 467).
190
Zitiert nach Höhns 1992, 287: Brief und Gutachten, gez. Paul Schmitthenner, an Gauleiter Franz Hofer vom 1.
Dezember 1941.
191
Zitiert nach Höhns 1992, 287: Helmut Erdle an den Reichsstatthalter, Innsbruck, 21. März 1942.

55
Abbildung 24: Helmut Erdle: Plan der Siedlung " An der Furt" in der Reichenau (Februar 1943)

Auch lange nach Abschluss der Bauarbeiten in Innsbruck erfuhren die neuen Stadtviertel und ihre
Südtiroler Siedlungen harte Kritik. Clemens Holzmeister, der 1948 erstmals wieder seine Heimat
Österreich besuchte, nachdem er während des Zweiten Weltkrieges im Exil in der Türkei und in Brasilien
gelebt hatte, berichtete in der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ über seine Erlebnisse nach
seiner Rückkehr. In Österreich angekommen, besuchte Holzmeister verschiedene Städte, unter anderem
auch Innsbruck. Wenig erfreut berichtete er über die Veränderungen, die er hier wahrgenommen hatte:

„Das Erlebnis von Innsbruck war dreifacher Art: der tieftraurig stimmende Anblick der
Kriegszerstörungen in der Altstadt und in Wilten; ebenso aber auch die während des gewesenen
Regimes entstandenen Neubauten, wie etwa der geschmacklose und rüde Klotz des neuen
Landhauses neben dem alten, ehrwürdigen und so richtigem Tiroler Werk von Martin Gumpp.
Und so auch die erbarmungswürdigen öden und menschenfeindlichen Wohnblocks in Wilten
und Pradl, welche zur Aufnahme der ausgesiedelten Südtiroler gebaut wurden, wahrlich auch sie
ein Symbol für diese Art von Völkerbeglückung!“192

Peter Koller kann als von sich selbst überzeugte Person charakterisiert werden, weshalb es wenig
verwunderlich ist, dass sich in seinem Nachlass eine Kontaktaufnahme zu Clemens Holzmeister findet.
Koller muss sich durch diese knappe Erwähnung der Innsbrucker Siedlungen durch Holzmeister stark

192
Holzmeister 1948, 8.

56
angegriffen gefühlt haben und bittet in einem höflichen, dennoch trotzig wirkenden Brief um genauere
Erläuterung. So schreibt Koller:

„Ich möchte immer gern dazulernen. Und selbstverständlich erkenne ich Sie als Meister an.
Schauen Sie daher durch all die vielen Ressentiments und über die allzugrosse Entfernung hin als
Mensch nur auf den Menschen und schreiben Sie mir, wenn Ihre Zeit es gestattet, Ihre Kritik so
ausführlich, dass sie mir zum Vorteil gereicht. Und wenn es Ihnen zu schwer fallen sollte, sich
den andern da oben vorzustellen, so sollen folgende Stichworte nachhelfen, die aber durchaus
keine captatio benevolentiae sein sollen: Ein Kärntner, Heiligbluter Abstammung, der auch heut
noch mit seinen sieben Kindern um den blanken Tisch auf der Eckbank sitzt und der seinerzeit
mit einigen alpenländischen Mitarbeitern (Urlasberger, Streli, Kritsch u. a.) hier die
Volkswagenstadt und dann u. a. auch die neuen Wohnviertel Innsbrucks zu bauen begonnen
hatte.“193

Holzmeisters Antwort entbehrt nicht gewisser Spitzen und rückt nicht von seinem ersten Eindruck ab.
Seine Kritik bezog er nicht nur auf die Architektur, sondern auch auf die Umstände, unter welchen die
Siedlungen entstanden waren und für die er Koller mitverantwortlich machte:

„Mein Urteil über die Innsbrucker Wohnbauten von 1940/41 für die Sie sich als verantwortlich
bekennen (neu und schmerzlich war für mich Ihre Mitteilung, dass hiebei meine ehemaligen
Schüler Urlasberger, Streli und Kritsch mitgearbeitet haben) war, zugegeben, sehr hart.
Verständlich aus meiner Einstellung, und genauem Kennen der Südtiroler Verhältnisse, dass alles
was mit der verbrecherischen Aktion der Umsiedlung der Südtiroler in Verbindung stand,
schärfstens abzulehnen ist. Auch über anderen so ähnlicher Siedlungen im Lande Tirol wie z.B. in
der Nähe von Kitzbühel, obwohl sie viel gefälliger erscheinen, liegt vor meinen Augen der Fluch
der bösen Tat. Die Innsbrucker Siedlung mag durch die Kriegsschäden, durch das Fehlen jeglicher
Gartenanlagen besonders deprimierend wirken. Die übertriebene Kasernierung in zu engen
Wohnungen und beängstigenden Treppenhäusern war Befehl, dieser erstreckte sich
wahrscheinlich auch auf die viel zu kleinen Fenster. Das war so die Mode dieser Jahre.
Wahrscheinlich nicht von Ihnen ist der zum Teil dunkel graue Anstrich und eine Qualität der
Bauausführung zum Gott derbarmen. Sie sehen, ich kann die schändliche Tat von der
architektonischen Leistung nicht trennen. Sie wollten ein offenes Wort von mir, ich setze aber
noch gerne dazu, dass ich der Meinung bin, dass Sie in Ihrem Leben noch einmal beweisen
werden, dass Sie als Architekt vor eine von vornherein unbelastete Aufgabe gestellt, diese
anständig durchführen werden.“194

Um eine eigene Meinung über Kollers Siedlungsbau in Innsbruck bilden zu können, wird eine bereits
abgetragene Siedlung im Stadtteil Pradl in einer genaueren Analyse Aufschluss geben.195

Sie war als „Bauabschnitt XVI“, genannt „Am Rain“, Teil des Bauvorhabens „Innsbruck-Pradl“. Die
Siedlung „Am Rain“ bestand aus zwei zweistöckigen Baukörpern, die insgesamt 40 Wohnungen
enthielten. Sie waren zu einer U-Form angeordnet worden, sodass die Hauptfassade an der
„Türingstraße“ lag und die beiden rückwärtigen Baukörper „Am Roßsprung“ und „Am Rain“. Das

193
StadtA WOB, S 11 (Koller privat), 63.
194
StadtA WOB, S 11 (Koller privat), 63.
195
Alle weiteren Informationen des Kapitels erschließen sich aus den Quellen: Digitales Archiv Neue Heimat Tirol,
Stadtarchiv Innsbruck und den Fotos von 2015, die mir Michael Svehla zur Verfügung gestellt hat.

57
Bauvorhaben „Pradl“ war Teil von Peter Kollers Neugestaltungs- und Ausbauplänen für Innsbruck und
wurde zwischen 1941 und 1942 umgesetzt.

In einem ersten Schritt sahen Kollers Planungen eine Bebauung nördlich der „Amraser Straße“ vor. Pradl
war vor seiner Eingemeindung 1904 ein Dorf an der Sill gewesen, in welchem sich durch seine Lage nahe
des Innsbrucker Bahnhofs schon ab Ende des 19. Jahrhunderts Fabriken ansiedelten. Südlich und östlich
des damaligen Dorfzentrums entstanden Mietshäuser für die Fabrikangestellten.
Kollers Bebauungsplan für Pradl schloss an die bereits vorhandenen Bauten an, verlängerte die Straßen
und kreierte einen Straßenraster, welcher durch die diagonal verlaufende „Amraser Straße“ beschlossen
wurde. Die rechteckigen Grundstücke, die durch Kollers Plan entstanden, erhielten keine herkömmliche
Blockrandbebauung. Die Siedlungen wurden in Höfen organisiert, an welchen sich die Wohngebäude
locker gruppieren. Die Freiflächen wurden dabei öfters durch eingeschobene Baukörper unterteilt. Die
Gebäude, die einem Hof, bzw. einer Siedlung zufallen, bilden eine gestalterische Einheit und
unterschieden sich optisch von anderen Höfen. Die drei- und viergeschossigen Wohnblöcke Pradls
wurden symmetrischer und in ihrer Wirkung urbaner gestaltet, während die zweigeschossigen Bauten in
„Panzing“, „Am Roßsprung“, „Am Rain“ und entlang der „Türingstraße“ ländlicher anmuten und über
eine größere Vielfalt in der Fassadengestaltung verfügen.

Abbildung 25: Bebauungsplan Innsbruck Pradl (1940) zeigt nicht die endgültige Version, "Am Rain" orange hinterlegt

58
Die wichtigste neue Achse
des Viertels war die
„Gumppstraße“. Die
Südtiroler Siedlungen Pradls
liegen ihr zu beiden Seiten.
Für die
Vermessungsarbeiten in
Innsbruck war das
Neumessungsamt „Preuß“
aus der „Stadt des KdF-
Wagens“ zuständig. Die
Pläne für das Bauvorhaben
Saggen zeichneten zwei, bis
auf ihre Nachnamen
unbekannten Mitarbeiter
Kollers: Gebhardt und
Gimbel.
Abbildung 26: Innsbruck, Pradl „Am Rain“, Planausschnitt, Lageplan (1940), tatsächliche
Bebauung in orange
Der Hof „Am Rain“ entstand an der nach Norden abzweigenden „Türingstraße“. Er bestand aus einem L-
förmigen Baukörper, der an der Ecke „Türingstraße“/ „Am Rain“ lag (Block 1) und einem länglichen
Gebäude, welches den Hof an der Südseite beschloss (Block 2+3). Die beiden Gebäude wurden
zweigeschossig ausgeführt. Das L-förmige Wohnhaus „Block 1“ wurde in den Plänen in die Häuser A-F
unterteilt, wobei ein „Haus“ jeweils die Wohnungen, die durch dasselbe Treppenhaus erschlossen
wurden, zusammenfasst.
Das längliche Wohngebäude im Süden, bestehend aus „Block 2“ und „Block 3“, wurde pro Block in Haus
a und Haus b unterteilt. Die einzelnen Bauvolumina wurden teilweise ineinander verschoben und
standen in leicht geneigtem Gelände, weshalb interessante, abwechslungsreiche Fassaden entstanden
und die Dächer, die stets als Walmdach ausgeführt wurden, optisch ansprechende Verschneidungen
produzierten.

Der „Block 1“ wurde straßenseitig über sechs Rundbogentüren erschlossen: Von der „Türingstraße“ aus
gelangte man zu den Eingängen der Häuser E und F, über „Am Rain“ zu den Häusern A, B, C und D. Alle
Keller waren auch über den Hof durch Treppen zugänglich.
Der „Block 2“ war ausschließlich über den Hof, durch zwei einflüglige Rundbogentüren erschlossen,
während der „Block 3“ sowohl vom Hof aus als auch von der Straße „Am Roßsprung“ betreten werden
konnte. Der Flur war demnach durchgängig. Die beiden Eingangstüren, welche an der Straße „Am
Roßsprung“ lagen, waren einflüglige Rundbogentüren mit Oberlichten und Doppeltreppen, ihre
Pendants dagegen Türen mit einem Segmentbogen und einem Sprossenfenster. Jedes Haus verfügte
über ein zweispänniges Treppenhaus und enthielt damit immer vier Wohneinheiten. Insgesamt wurden
40 Wohnungen in der Siedlung „Am Rain“ angelegt, davon 24 im „Block 1“ und jeweils acht in „Block
2+3“.
Alle Eingangstüren zu den Blöcken verfügten über steinerne Portale und unterschieden sich in der
Gestaltung ihrer Türblätter.

59
Im „Block 1“ ergaben sich im Haus A pro
Stockwerk eine Dreizimmerwohnung und eine
Vierzimmerwohnung. Das Haus B war identisch
zu Haus A angelegt. Auch das Haus C verfügte
über dieselben Aufteilung, spiegelte die
Grundrisse jedoch. Das Haus D enthielt pro
Stockwerk eine Vierzimmerwohnung und an der
Ecke eine Sonderlösung mit einer Abstell- oder
Speisekammer ohne Fenster, weshalb sie als 3,5-
Zimmerwohnung anzusehen ist. Die Häuser E und
F sind deckungsgleich und verfügen je über vier
Vierzimmerwohnungen. Im „Block 2“ finden sich
im Haus a pro Etage zwei Vierzimmerwohnungen,
jeweils eine mit separater Küche und eine mit
Wohnküche. Diese Raumaufteilung wurde für
Haus b übernommen. Die beiden Etagen des
„Block 3“ unterscheiden sich als einzige der Abbildung 27: Innsbruck, Pradl „Am Rain“, Planausschnitt,
Siedlung voneinander. Durch die besondere Form Grundriss im Erdgeschoss des Hauses C im „Block 1“ (1940)
der Erschließung mit einem durch die Querseite
des Hauses durchgängigem Flur ergibt sich für
das Erdgeschoss jeweils ein Raum weniger als für
die Wohnungen des Obergeschosses. So finden
sich im Erdgeschoss des Hauses a und des Hauses
b jeweils zwei Vierzimmerwohnungen, während
in den oberen Etagen pro Haus eine Vier- und
eine Fünfzimmerwohnung angelegt wurden.
Die Größen der Wohnungen bewegten sich
innerhalb der vorgegebenen Standards. Die
Dreizimmerwohnungen lagen zwischen 62 und
70 m2, die beiden 3,5-Zimmerwohnungen im
Eckhaus des „Block 1“ verfügten über
verhältnismäßig großzügige 90,26 m2, während
die Vierzimmerwohnungen durchschnittlich
knappe 75 m2 groß waren. Die beiden
Fünfzimmerwohnungen der Siedlung breiteten Abbildung 28: Innsbruck, Pradl „Am Rain“, Planausschnitt,
sich auf 94,46 m2 aus. Die Kellergeschosse des Schnitt durch den „Block 3“ (1940)
gesamten Hofes waren in etwa gleich aufgeteilt.
Schutzräume, Waschküchen und Fahrradplätze waren für jedes Haus vorhanden. Jeder Wohnung war
außerdem ein Kellerabteil zugeordnet.

Die Raumhöhen der Gebäude liegen im Durchschnitt über jenen der Südtiroler Siedlungen ländlicher
Regionen. Die Keller waren alle 2,30 m hoch, die Erdgeschosse 2,90 m und die Obergeschosse verfügten
über eine Höhe von 3,15 m. Nur die Obergeschosse der Häuser E und F des „Block 1“ waren mit 3,05 m
etwas niedriger.
Die Fassaden der Siedlung „Am Rain“ wurden aufwendig gestaltet und trugen eine beachtliche Auswahl
an verschiedenen Erkern zur Schau. Hofseitig waren teilweise Balkone angebracht und die
Sprossenfenster wurden von Stuckfaschen umrahmt.

60
Der „Block 1“ verfügte straßenseitig über Fensterläden
im Erdgeschoss. Die Fenster über den Eingangstüren
betonten durch die Verschiebung aus der horizontalen
Linie der Fenster ins Zwischengeschoss des
Treppenhauses die vertikalen Achsen der Fassaden.
Über diesen Fenstern war Ochsenaugenfenster mit
stuckierten Ohrenrahmen angebracht. Entgegen der
Pläne erhielt die Nordseite des „Block 1“ keine Erker.
Der Eckerker an der Ecke „Türingstraße“/ „Am Rain“
wurde aber umgesetzt. Die hofseitigen Fassaden kamen
Abbildung 29: Innsbruck Pradl, „Am Rain“, Süd- und
Westfassade des „Block 1“ an der Türingstraße (2015) nur Bogenfenster zur Anwendung, die alle mit
Fensterläden ausgestattet waren. Im Obergeschoss
wurde ebenfalls hofseitig ein Kastenerker und sechs
Holzbalkone angebracht. Diese Variante der
Fassadengestaltung stammt von Gebhardt. Gimbel hatte
für die Hofseite eine andere Lösung vorgesehen. An der
kleinen Südfassade des Blockes war ein Trapezerker im
Obergeschoss platziert worden.
Den „Block 2“ zierten ähnliche Fenster in
Rechteckformaten, wie die straßenseitigen Fassaden des
„Block 1“ und auch des „Block 3“. Hofseitig wurden über
Abbildung 30: Innsbruck Pradl, „Am Rain“, Hofseitige
den beiden einflügligen Rundbogentüren hölzerne
Südfassade des „Block 1“ mit Kastenerker, Balkone angebracht, ebenso wie an der Westfassade, wo
Bogenfenster und Balkone (2015) ebenfalls ein Balkon platziert war. An der überstehenden
Ecke der Verschneidung mit dem „Block 3“ war ein
zweigeschossiger Kastenerker in einer Verdrehung um
45 Grad über die Gebäudeecke gesetzt worden.
Straßenseitig betonten zwei Trapezerker, einer nur im
Obergeschoss, der andere zweigeschossig ausgeführt,
die Achsen des Blocks, anstelle der nicht vorhandenen
Eingangstüren.
Der „Block 3“ zeigte an der Südfassade, wieder an der
überstehenden Ecke durch die Verschiebung aus der
Abbildung31: Innsbruck Pradl, „Am Rain“, Hofanlage Gebäudeachse des „Block 2“, denselben
mit zweigeschossigem Kastenerker an der zweigeschossigen Kastenerker, wie er auch an der
Gebäudeecke (2015) Nordfassade des „Block 2“ zu finden war. Über den
beiden straßenseitigen Eingangstüren mit den
Doppeltreppen wurde jeweils ein kleiner Trapezerker
appliziert.
Ein weiterer kleiner polygonaler Erker war an der
nordöstlichen Ecke des „Block 3“ angebracht. An der
Hofseite erhielt er ebenfalls hölzerne Balkone.
Der „Block 2“ und der „Block 3“ verfügten über ein
durchlaufendes Traufgesims.
Die Farbgebung des Hofes „Am Rain“ wurde im Laufe
der Jahre des Öfteren geändert. Schon 1943 erhielten
Abbildung 32: Innsbruck Pradl, „Am Rain“, Südfassade die Gebäude einen gelben Tarnanstrich wegen der
des „Block 3“ (2015) Bombenangriffe auf Innsbruck.

61
4.3. Hall – Galgenfeld196

Hall in Tirol zählte durch das Salz, welches im Halltal abgebaut wurde, schon seit dem 13. Jahrhundert zu
den bedeutendsten Städten des Habsburgerreichs. Der enorme Bedarf an Holz für den Ausbau des
Bergwerks und die Erhitzung der Salzpfannen wurde durch den Bezug von Holz aus ganz Tirol gedeckt,
welches über Flöße und Schiffe über den Inn nach Hall gelangte. Hall war damit Ausgangspunkt und
Zentrum der Innschifffahrt und konnte sich zum Handelszentrum Nordtirols emporschwingen. 1477
wurde sogar die Münzprägestätte von Meran nach Hall überführt, was der Stadt weiteren Einfluss
einbrachte. Erst 1858 bremste den Bau der Eisenbahn die Erfolgsgeschichte Halls: Die Innschifffahrt fand
ein jähes Ende und Hall verlor als Warenumschlagplatz seine Bedeutung. Große Wohnungsnot führte bis
1890 zur Verdichtung der Altstadt durch Aufstockung der Gebäude und schließlich zur Schleifung der
Stadtbefestigung und den ersten neuen Stadtvierteln im Norden der Stadt.197 Dort besteht seit 1910 das
Provinzhaus der Kreuzschwestern, welches an der Salzbergstraße von Hall nach Absam den
Ausgangspunkt nach Osten für den späteren Stadtteil Schönegg bildete. Zum nächsten Eckpunkt wurde
das Spital, welches zwischen 1913 und 1914 am östlichen Rand der Altstadt vom Baumeister Hans Illmer
erbaut wurde.198 Der Bereich, der sich zwischen dem Provinzhaus der Kreuzschwestern im Norden und
dem Krankenhaus im Osten aufspannte und der später zum Ortsteil Schönegg werden würde, begann
seine Entwicklung erst nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich. Auf dem sogenannten
„Galgenfeld“, einem mittelalterlichen Richtplatz in jenem nord-östlichen Areal der Stadt, entstand 1938
ein Barackenlager der Wehrmacht. In der direkten Nachbarschaft des Lagers begann 1940 der Bau der
Südtiroler Siedlung. Nach dem Krieg wurde das neue Stadtviertel durch Wohnhäuser für Bedienstete der
Bahn und der Heilanstalt erweitert. 1968 erhielt Schönegg eine Doppelschule und vier Jahre später
wurde es zum Standort der Handelsakademie. Bis zum heutigen Tag wird Schönegg laufend erweitert. Es
entstanden neben einer großen Menge an Wohnanlagen auch eine eigene Kirche, Sportanlagen und
infrastrukturelle Einrichtungen. 1984 wurde der Stadtgemeinde Hall der erste Österreichische
Staatspreises für Denkmalschutz verliehen.199

In der Südtiroler Siedlung „Galgenfeld“ im Haller Ortsteil Schönegg errichtete die „Neue Heimat“
insgesamt 117 Wohnungen200 mit einem Laden auf einer Fläche von 27.897 m2. Die Wohneinheiten
verteilen sich auf 16 Baukörper. Die Siedlung liegt im leicht nach Süden hin abfallenden Gelände und
wurde an drei Straßen angelegt. Die damalige „Krankenhausstraße“ war bereits vorhanden gewesen und
wurde 1942 in „Milserstraße“ umbenannt. Ihr entlang wurden drei Häuser Typ 31 und ein Haus Typ 24
angeordnet, die zur „Milserstraße“ hin erschlossen sind. Zwischen den ersten beiden Wohnhäusern
mündet die neu angelegt „Kranewitterstraße“ in die Siedlung und verläuft Richtung Süden und biegt

196
Alle Informationen dieses Kapitels, die nicht eigens gekennzeichnet sind, erschließen sich aus den Quellen:
Bauamt Hall, Mappen Südtiroler Siedlung, Hall-Schönegg und einem Lokalaugenschein vor Ort.
197
Grass 1996, 8-20.
198
Grass 1996, 44-46.
199
Grass 1996, 285f.
200
Die Bauakte von 1940 gibt 115 Wohnungen für die Siedlung „Galgenfeld“ an, Helmut Weihsmann oder auch
Helmut Alexander zählen 114 Wohnungen. Laut Plänen und meiner Kenntnis der Siedlung sind aber mit Sicherheit
117 Wohnungen festzustellen, wobei nach Auflösung des Ladens in Typ 23 eine weitere Wohnung dazukam.

62
auch nach Osten ab. Sie erschließt sechs Häuser. Nach den vier Baukörpern an der „Milserstraße“ biegt
eine weitere neu angelegte Straße, die „Gilmstraße“, nach Süden in die Siedlung ein. Ihr entlang sind
ebenfalls sechs Baukörper angeordnet. Zwischen den Gebäuden sind großzügig angelegte Freiflächen.
Auch heute noch werden diese als Gemüsegärten, Spielfläche und Gemeinschaftsraum verwendet.
Einige Parteien haben private Gärten durch Hecken vom Gemeinschaftsraum abgegrenzt, eine
Entwicklung, die so zwar nicht vorgesehen war, aber auch nicht verhindert wurde. Die BewohnerInnen
hatten stets große Freiheit in der individuellen Gestaltung ihrer Wohnstätten, weshalb viele Details der
Siedlung nicht mehr im Original erhalten sind.

Zur Anwendung kamen die Typen 23, 24, 26 und 31 in folgender Quantität: einmal der „Ladentyp“ 23,
zehnmal Typ 24, einmal Typ 26 und viermal Typ 31. Die Ausstattung der Wohnungen lag über den
Standards der Zeit. So wurden Kohle- und Elektroherde in jeder Küche eingebaut, Heißwasserspeicher in
den Bädern sowie W. C. mit Kastenspülung und Badewannen. Beheizt wurden die Gebäude durch
Kohleöfen. Die Fenster hatten für heutige Verhältnisse kleine Formate von 100 x 100 cm und verfügten
alle über Fensterläden und Faschen. Die Farbgebung der Fassaden in hellgelb ist nicht mehr im Original
erhalten.

Abbildung 33: Helmut Erdle: Lageplan der Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld (April 1940)

63
Der Haustyp 23 ist zweigeschossig ausgeführt. Er
weist ein Satteldach mit auskragenden Pfettenköpfen
auf. Die Unteransicht des Dachüberstandes ist
dunkelbraun lasiert. Typ 23 verfügt als Besonderheit
über einen Laden im Erdgeschoss. Das Gebäude wird
an der Traufseite erschlossen. Neben der
zweiflügligen Rundbogentür mit Sprossenfenstern, die
zum Laden und zu einem einspännig erschlossenen
Treppenhaus führt, gibt es noch eine weitere, in ihrer
Gestaltung einfachere eckige Eingangstür an
derselben Fassade. Sie erschließt ein weiteres
zweispänniges Treppenhaus. Fliesen bildeten den
Bodenbelag für den Verkaufsraum des Ladens sowie
für die Treppenhäuser. Das Gebäude ist vollständig
unterkellert, wobei im Keller eine Waschküche,
Trockenräume, Lagerräume für Holz und Kohle,
Abbildung 34: Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld,
Luftschutzräume und Kellerabteile geplant wurden. Planausschnitt, Schnitt durch Typ 23 (2020)
Die Raumhöhe der Kellerräume liegt bei 2 m. Im
Erdgeschoss weist der Laden mitsamt Nebenräumen
eine Fläche von 68,71 m2 auf. Er ist damit ungefähr
gleichgroß, wie die fünf Wohnungen des Gebäudes.
Im Parterre finden - neben dem Laden - zwei der fünf
Wohneinheiten Platz, das Obergeschoss verfügt über
drei Wohnungen und ebenso wie im Parterre über
eine Raumhöhe von 2,50 m. Die Dachböden waren
ursprünglich nicht ausgebaut.

Die Fundamente, die Umfassungs- und


Zwischenmauern des Kellers, die Keller- und alle
Baddecken sowie die Kellertreppe sind betoniert,
während die Wände des Parterres und der Abbildung 35: Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld,
Obergeschosse aus 38 cm starkem Ziegelmauerwerk Nordfassade Typ 23 (2020)
bestehen. Die Kelleraußenwände sind 50 cm stark.
Die Zwischendecken, die Treppen, sowie der
Dachstuhl sind in Fichtenholz ausgeführt. Das Dach ist
mit Ziegeln eingedeckt.

Die Fassadengestaltung ist auf einfache Motive


beschränkt. So erhielten die Fenster breite farblich
abgesetzte Faschen und Fensterläden. Die
Einfassungen der Eingangstüren sind steinern
ausgeführt und heben sich dadurch vom
ockerfarbenen Verputz ab. An der rückwärtigen
Traufseite des Gebäudes kragt im Obergeschoss ein Abbildung 36: Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld, Fassade
Erker aus der ansonsten schlichten Fassade. Typ 24 (2020)

64
Abbildung 37: Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld, Planausschnitt, Grundriss des Erdgeschosses von Typ 24 (1940)

Als am häufigsten in der Siedlung „Galgenfeld“ eingesetzter Haustyp wurde das kompakte
Mehrfamilienhaus „Typ 24“ eingesetzt. Insgesamt zehn Gebäude, die nach dem Vorbild des Mustertyps
24 errichtet wurden, stehen am Areal des „Galgenfelds“. Sie verfügen über sechs Wohnungen auf zwei
Etagen unter einem Satteldach, welches über einen Balkon hinaus zu einem Schleppdach verlängert ist.
Der Balkon in seiner Gestaltung sehr „tirolerische“, an der Traufseite gelegene Balkon ist die einzige
Besonderheit des Typ 24. An der gegenüberliegenden Traufseite des Gebäudes befindet sich eine
Eingangstür, leicht aus der Mittelachse der Fassade versetzt. Sie wurde als zweiflüglige Rundbogentür
mit Oberlichte in einem steinernen Portal ausgeführt. Über das Treppenhaus werden pro Stockwerk je
drei Wohnungen erschlossen. Der Bodenbelag des Flurs besteht stets aus bräunlichem Klinker, während
die Wohnungen, bis auf die Nasszellen und Küchen einfache Dielenböden aufweisen. Die Grundrisse von
Erdgeschoss und Obergeschoss sind deckungsgleich. Das Gebäude beherbergt zwei Wohnungen mit 2,5
Zimmern auf 47,81 m2, zwei Dreizimmerwohnungen mit 53,49 m2 und zwei weitere Wohnungen mit vier
Zimmern und 64,29 m2. Das Kellergeschoss verfügt über dasselbe Raumprogramm, wie auch bei
anderen Typen üblich und stellt neben Kellerabteilen eine Waschküche und einen Luftschutzraum zur
Verfügung. Der Keller hat eine Raumhöhe von 2,20 m, die Wohnungen 2,80 m. Auch die Materialien und
Konstruktionsweise unterscheiden sich nicht von jener anderer Haustypen. Die Fassade des Typ 24 weist
bis auf den hölzernen Balkon keine Auffälligkeiten auf. Die Gestaltung dieser Balkone wurde dem

65
traditionellen Tiroler Bauernhaus entlehnt. So verfügen hölzerne
Balkone von Bauernhäusern des Öfteren über verlängerte
Pfosten der Brüstung, die bis zum Dach reichen. Dieses Motiv
wurde auch für Typ 24 übernommen.

Das Musterhaus „Typ 26“ wird einmal in der Siedlung


„Galgenfeld“ angewandt, allerdings stark abgewandelt. Das
langgezogene Wohngebäude ist zweigeschossig und verfügt über
ein Satteldach. Während in den Plänen ein Holzgiebel
eingezeichnet ist, wurde die Giebelwand des Gebäudes wie alle
anderen Giebelwände der unterschiedlichen Häuser der Siedlung
„Galgenfeld“ komplett gemauert und nicht mit Holz verblendet.
Die Eingangstüre an der südseitigen Giebelseite wurde am
realisierten Bau auf die Westfassade verschoben. Dort finden
sich deshalb insgesamt vier Türen. Für diese Westfassade wäre
Abbildung 38: Südtiroler Siedlung Hall
laut Plänen ein hölzerner, rechteckiger Erker über der mittigen
Galgenfeld, Eingangstür mit Betongeländer
Eingangstüre vorgesehen gewesen. Dieser wurde durch einen und Trapezerker an der Westfassade (2021)
steinernen Trapezerker ersetzt. Eine hölzerne Außentreppe hätte
zu einem umlaufenden Balkon führen sollen. Dieser Balkon
wurde allerdings nur an der Ostfassade und ohne die
Außentreppe ausgeführt. Wie beim Typ 24 wurde die Tiroler
Sonderform des Balkons mit verlängerten Pfosten verwendet.
Eine Eingangstüre verfügt über eine Stufe mit massivem,
betonierten Geländer. Die Ostfassade des Gebäudes kommt
dem Plan am nächsten, wobei der Eckerker weggelassen wurde.

Die Erschließung des Baukörpers erfolgt wie oben erwähnt an


der westseitigen Traufseite des Gebäudes durch vier
Abbildung 39: Südtiroler Siedlung Hall
Eingangstüren. Die erste Tür von links erschließt pro Stockwerk Galgenfeld, Ostfassade (2021)
eine Wohnung. Sie ist wie die zweite und vierte Eingangstür
rechteckig und verfügt über eine Oberlichte. Das zweite Treppenhaus ist zweispännig, während das
dritte wieder einspännig angelegt wurde. Die Eingangstüre zu diesem Treppenhaus ist eine zweiflüglige
Rundbogentür ohne Oberlichte, dafür mit einem betonierten Geländer, welches den Eingangsbereich an
zwei Seiten umfasst. Das vierte Portal des Hauses führt erneut zu einem Einspänner. Der Flur des
Erdgeschosses überwindet einen Niveausprung mittels dreier Stufen. Insgesamt verfügt das Gebäude
über zehn Wohneinheiten.

Das Beispiel dieses Gebäudes und seiner starken Abweichung vom vorgesehenen Typ zeigt, wie
individuell geplant wurde. Der ursprüngliche Typenkatalog wurde etliche Male erweitert, teilweise
entwarfen die Architekten eigene Typen für einzelne Siedlungen oder wandelten Mustertypen bis zur
Unkenntlichkeit ab, wie es auch in der Siedlung „Galgenfeld“ mit dem Typ 26 geschah.

66
Auch der letzte in Hall zur Anwendung gekommene Typ 31
erfuhr kleinere Veränderungen. Insgesamt wurde er viermal
ausgeführt. Er ist wie alle Gebäude der Siedlung „Galgenfeld“
zweigeschossig mit Satteldach. Ein Drittel des Baukörpers springt
an der Nordfassade um 1,65 m vor, weshalb sich an dieser Stelle
das Dach zu einem Schleppdach ausformt. Über diese Traufseite
des Gebäudes mit diesem Fassadensprung erfolgt auch die
Erschließung. Zwei eckige Türen mit Oberlichte ermöglichen den
Zugang zu den zweispännigen Treppenhäusern. Eine weitere
Eingangstür an der Traufseite des verbreiteten Gebäudeteils
hebt sich durch seine Ausgestaltung als Rundbogentür ohne
Oberlichte von den anderen Türen ab und erschließt einen
Einspänner. Der Typ 31 enthält demnach auf zwei Geschossen
insgesamt zehn Wohnungen. Die beiden Wohnungen, die durch
den Einspänner erschlossen werden, sind mit 58,61 m2 und vier
Abbildung 40: Südtiroler Siedlung Hall Zimmern größer als die anderen acht Einheiten. Sie verfügen
Galgenfeld, Eckerker an der südwestlichen
über drei Zimmer auf 46,18 m2. Die Grundrisse von Erd- und
Ecke des Typs 31 (2020)
Obergeschoss sind identisch. Auch im Typ 31 finden sich im
Kellergeschoss die üblichen Einrichtungen wie Waschküche, Abteile und Luftschutzraum. Im
Obergeschoss des Gebäudes ist an der rückwärtigen Traufseite ein langer Holzbalkon angebracht, auch
dieser in Tiroler Stil. Er erstreckt sich über vier Wohnungen. Die fünfte Wohnung im Obergeschoss, jene
im breiteren Gebäudeteil, verfügt anstatt eines Balkonzuganges über einen Eckerker. Er ergibt sich aus
zwei Trapezerkern, die im rechten Winkel zueinander stehen und über die Gebäudeecke
hinausgeschoben wurden. Dieser Erker wurde in der Siedlung „Galgenfeld“ nur an einem der vier
Gebäude, die nach dem Typ 31 errichtet wurden, angebracht.

Die Bautechnik, Materialien und Dimensionierung der Wandstärken, Fenster und Raumhöhen ist
identisch mit jenen der Typen 24 und 26. Auch die Gestaltung der Fassade mit den Fensterläden und
den farblich abgesetzten Fensterfaschen wurde einheitlich zu den anderen Gebäuden der Siedlung
vorgenommen.

Die Pläne für die Siedlung wurden durch den Landrat des Kreises Innsbruck am 8. August 1940 zur
Ausführung zugelassen.

Abbildung 41: Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld, Planausschnitt, Grundriss des Erdgeschosses Typ 31 (Mai 1940)

67
Abbildung 42: die im Bau befindliche Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld, Fotoausschnitt (ca. 1942)

4.4. Reutte201

Reutte ist eine Marktgemeinde Tirols und Hauptort des Bezirks Außerfern. Seit jeher ist das Außerfern
durch den Fernpass, seinen Namensgeber, ein wichtiges Transitgebiet auf der Nord-Süd-Achse. Der
Handel entlang der alten Römerstraße sicherte das wirtschaftliche Überleben der Region, nährte sie
aber nie genug, um großen Wohlstand oder bemerkenswerten Zuzug zu generieren. 202 Erst im 20.
Jahrhundert wuchs die Bevölkerung des Außerferns durch die Arbeitsmigration, vorrangig durch
türkische und jugoslawische Gastarbeiter.203 Zur Zeit des Deutschen Reiches wurde Reutte durch die neu
erlangte Funktion als Kreishauptstadt zur Stadt erhoben und wurde 1945 wieder zur Marktgemeinde.204

Der Bezirk Außerfern litt in den Zwischenkriegsjahren unter besonders großer Not. Vor allem Nahrung
und Wohnraum waren nicht ausreichend vorhanden. Mehrmals bemühte sich die Gemeinde, mehr
Wohnraum zu generieren, wobei alle Anstrengungen fruchtlose Versuche bleiben sollten. Bis 1939
verschlimmerte sich die Situation im Außerfern immer weiter, sodass schließlich der Wohnungsmangel
in der Region Anlass für Standort und Bau einer Südtiroler Siedlung in Reutte war. Arbeitsplätze waren
genug vorhanden, nachdem das Plansee-Werk für die Rüstungsindustrie modifiziert worden war.

201
Alle Informationen dieses Kapitels, die nicht eigens gekennzeichnet sind, erschließen sich aus den Quellen:
Marktgemeinde Reutte (Hausverwaltung, Umweltabteilung, Wohnungsamt) und einem Lokalaugenschein vor Ort.
202
Lipp 1994, 36.
203
Lipp 1994, 16.
204
Lipp 1994, 41.

68
Weitere Arbeitgeber der Region waren die Reuttener Textilfabrik und eine neu angesiedelte
Uniformschneiderei, die vor allem Arbeit für die Frauen bot.205

In Reutte wurden durch die „Neue Heimat“ und die „Alpenländische Heimstätte“ insgesamt 155
Wohnungen und ein Laden für rund 600206 OptantInnen errichtet.207 Die Bevölkerung Reuttes stieg mit
dem Zuzug der Südtiroler OptantInnen um ein Viertel.208 Dementsprechend schwierig war die Wahl
eines geeigneten Bauplatzes für die verhältnismäßig großen Siedlung. Das Areal „Kleinfeldele“, welches
schlussendlich durch den damaligen Bürgermeister Reuttes, Lothar Klez, ausgewählt wurde, liegt
südwestlich des Ortszentrums. Die neue Siedlung ist direkt von der Reuttener Hauptstraße aus über die
„Südtiroler Straße“ zu erreichen.209

Die Durchführung des Projektes übernahm nicht die „Neue Heimat Tirol“, sondern die Gemeinde selbst,
wobei die „Alpenländische Heimstätte“ die Bauarbeiten durchführte. Im Juli 1940 konnte die Baustelle
eröffnet werden.210 Auch auf dieser Baustelle wurden Zwangsarbeiter eingesetzt. Insgesamt waren ca.
50 Serben am Bau der Siedlung bzw. ihrer Kanalisation beteiligt.211

Die Siedlung besteht aus 18 Gebäuden unterschiedlichster Typen. Die Gebäude verfügen dabei über
flache, mit engobierten Pfannen eingedeckte Satteldächer auf traditionell gestalteten Pfettenköpfen
und wurden zwei- oder dreigeschossig ausgeführt. Alle Fenster wurden mit Fensterläden ausgestattet
sowie durch farblich abgesetzte Putzfaschen umrahmt. Letzteres gilt auch für alle Eingangstüren, die
nicht in sichtbare steinerne Portalen eingefasst sind, wie sie in anderen Südtiroler Siedlungen häufig
anzutreffen sind. Die Südtiroler Siedlung Reuttes zeichnet sich durch eine besonders aufwändige
künstlerische Ausarbeitung und ein breites Spektrum an architektonischen Motiven in der
Fassadengestaltung aus. Die Fresken vieler Fassaden wurden von Carl Heinrich Walther Kühn
angefertigt, hätten aber nicht ausgeführt werden sollen: Wandmalereien waren für Südtiroler
Siedlungen nicht vorgesehen und wurden in Reutte nur deshalb umgesetzt, weil das Heimstättenamt zu
spät über deren Ausführung informiert worden war. Die Südtiroler Siedlung in Reutte stellt somit einen
Sonderfall dar.212 Die Gebäude sind an zwei sich kreuzenden Achsen angelegt: Die „Südtiroler Straße“
zweigt direkt von der Reuttener Hauptstraße ab und wird im rechten Winkel von der parallel zur
Hauptstraße verlaufenden „Wolkensteiner Straße“ durchschnitten. Um dieser Kreuzung herum
gruppieren sich die Wohngebäude der Siedlung und bilden entlang der „Wolkensteiner Straße“ eine Art
Anger aus. Die einzelnen Wohnhäuser sind locker um diese zentrale Fläche arrangiert, die
Zwischenräume durchgrünt und ein umfangreicher Baumbestand ist in die Siedlung integriert. Großteils
werden die Gartenflächen auch heute noch gemeinschaftlich genutzt. Ursprünglich enthielten sie zudem
Holzarbeitsplätze, Spielplätze und eine mannigfaltige Gartengestaltung mit Gemüsebeeten. In ihrer
Struktur entspricht die Anlage einem Angerdorf, dem präferierten Siedlungstypus der NS-Zeit.

205
Rief 2012, 26-31.
206
Rief 2012, 34.
207
Weihsmann 1998, 935.
208
Berechnung aufgrund Daten der Statistik Austria.
209
Rief 2012, 34, 39.
210
Rief 2012, 46.
211
Rief 2012, 56.
212
Rief 2012, 116f.

69
Während es heute schwierig zu rekonstruieren ist, welche Architekten an den jeweiligen Planungen der
Siedlungen beteiligt waren und welche konkreten Entwürfe ihnen zuzuordnen sind, ist für die Siedlung
in Reutte zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit festzustellen, wer an ihrer Planung mitwirkte: Helmut
Erdle entwarf allem Anschein nach den städtebaulichen Grundriss der Anlage und den Bebauungsplan,
während Ludwig Schweizer zusammen mit Georg Förnzler die Ausarbeitung der Entwürfe für die
einzelnen Wohnhäuser übernahm. Diese Informationen erschließen sich aus dem Planmaterial.

Abbildung 43: Südtiroler Siedlung Reutte, Planausschnitt Lageplan bzw. Grünflächenplan


(zwischen 1940 und 1950); in orange die Haustypen, in weiß die ursprünglichen Hausnummern
(bearbeitet: in Graustufen gesetzt)

70
Der Haustyp, der am häufigsten in Reutte anzutreffen ist, ist der Typ VT 3: Er wurde sechsmal eingesetzt.
Typ VT 2 fand zweimal Platz am Areal und VT 1 einmal. Neben den „VT“-Typen wurde der Typ A mit
Laden einmal eingesetzt, der Typ B dreimal. Wie in den meisten anderen Südtiroler Siedlungen auch
ergaben sich viele der ausgeführten Gebäude, indem Typen kombiniert, stark verändert oder sogar
eigens entworfen wurden.

Die Architekten der Siedlungen strebten stets eine individuelle, auf die Landschaft und den Ort
abgestimmte Architektur an, weswegen der ursprüngliche Typenkatalog schon lange gesprengt worden
war. So entstanden auch für die Südtiroler Siedlung in Reutte Sonderformen: Der Typ B erfuhr eine
Abwandlung zum sogenannten Typ B1, außerdem wurde er dreimal mit dem Typ C und einmal mit dem
Typ C1 kombiniert, wobei die Typen „B+C“ dann noch einmal durch Elemente des Typ C erweitert
wurden.

Der Typ A kam in der Reuttener Südtiroler Siedlung einmal für das Haus 13 zur Anwendung. Zusammen
mit dem Haus 12 formt er eine Eingangssituation zur Siedlung. Der Typ A verfügt neben 17 Wohnungen
über ein Geschäftslokal im Erdgeschoss. Der Laden an der südseitigen Fassade an der „Südtiroler Straße“
war das erste, was beim Betreten der Anlage ins Auge fallen sollte. Haus 12 und 13 sind die einzigen
Gebäude der Siedlung, die dreigeschossig angelegt wurden, während die übrigen lediglich über zwei
Stockwerke verfügen. Damit wird erneut die Torwirkung verstärkt.

Der Typ A besteht aus drei Häusern, die jeweils traufseitig durch ein
zweispänniges Treppenhaus erschlossen werden. Der Abschnitt des
Gebäudes, welcher den Laden beinhaltet, hat im Gegensatz zu den
anderen keinen durchgängigen Hausflur im Erdgeschoss. Der Laden
misst eine Geschäftsfläche von 36 m2 und eine „Ladenstube“ mit
6,30 m2. Laut den Plänen hätte der Zugang hierfür über eine Laube
mit 30,10 m2 erfolgen sollen. Dieser halboffene Bereich wurde
allerdings (nachträglich?) geschlossen. Alle Wohnungen im
Erdgeschoss des Typ A bieten drei Zimmer, wobei bei dreien eine
Wohnküche den Hauptraum darstellt. In zwei Wohnungen finden
sich separate Küchen. In den beiden Obergeschossen erschließen
Abbildung 44: Südtiroler Siedlung Reutte,
die Holztreppen jeweils eine Vier- und eine Dreizimmerwohnung,
Südfassade des Typs A mit Laden (2021)

Abbildung 45: Südtiroler Siedlung Reutte, Westfassade des Typs A (2021)

71
wobei letztere über eine Wohnküche verfügt. Die
Vierzimmerwohnungen haben separate Küche und einen als
Kinderzimmer ausgewiesenen Raum mit 6,30 m2. Die
Wohnungen sind trotz variierender Zimmeranzahl mit ca.
50 m2 ungefähr gleich groß. Allein die beiden Wohnungen im
Erdgeschoss, die über eine getrennte Küche verfügen, sind um
8 m2 größer, wie auch vier Wohnungen in den
Obergeschossen mit 72,10 m2 bzw. 64,90 m2 über dem
Durchschnitt liegen. Im Keller wurden neben den üblichen
Luftschutzräumen mit Schleusen auch Trockenräume, Abbildung 46: Südtiroler Siedlung Reutte, Fresko
Waschküchen und Kellerabteile angelegt. Die Raumhöhen des am Haus 13 -Typ A (2021)
Gebäudes belaufen sich in den Wohngeschossen auf ca.
2,70 m und im Keller auf 2,20 m. Unter dem Laden befand sich ein Magazin für Waren. Wie es für das
„Sonderprogramm S“ die Norm war, wurden auch hier Fundamente, Kellermauern und Kellerdecken
betoniert. Aufbauendes Mauerwerk wurde in Backstein ausgeführt, Geschossdecken, Treppen und
Dachstühle in Holz.

Die Fassade des Typs A ist durch die Fensterlinien, die durch die Fensterläden den Eindruck von
Fensterbändern machen, stark horizontal strukturiert. Mehrere Erker an der Westseite setzen dem
jedoch vertikale Komponenten entgegen. So sind zwei zweigeschossige Dreieckserker, die sich über die
beiden Obergeschosse erstrecken, und ein eingeschossiger Trapezerker im 1. Obergeschoss angebracht.
Die Parapetflächen des Trapezerkers sind von Malereien geziert. Sie zeigen einen Mann in bäuerlicher
Bekleidung, den Südtiroler Adler und eine Frau mit Blumen in den Händen. Zwei weitere Fresken
wurden an der Westfassade angebracht: Sie zeigen idealisierte Szenen aus dem Salzhandel, dem
bäuerlichen Landleben und der Weinerzeugung. Die rückwärtige Ostfassade ist schlicht gehalten. Zwei
der drei Eingangstüren sind rechteckig ohne Oberlichten und mit einem Podest ausgeführt. Sie verfügen
über das typische „Diamantmuster“. Die dritte Haustür der Fassade unterscheidet sich lediglich durch
die halbrunde Oberlichte von den anderen. Die südöstliche Gebäudekante verläuft konisch. Diese
verstärkten Eckausbildungen finden sich auch in der traditionellen Tirol Architektur des Öfteren als
Vorkehrung für Erdbeben. In den Südtiroler Siedlungen, die ausnahmslos über betonierte Fundamente
verfügten, wurden diese Eckausbildungen jedoch als rein optisches Architekturmotiv ohne statische
Funktion eingesetzt. Die Südseite ist vor allem durch die großen Rundbögen der Ladenlaube geprägt.
Zudem ziert auch diese Fassade ein Fresko, quasi ein „Empfangsbild“, gleich in der Eingangssituation zur
Siedlung. Die Malerei zeigt eine Familie in Südtiroler Tracht und wurde mit einem Schriftband
„Umsiedlung Südtirol 1942“ versehen.

Der Typ B wurde in der Siedlung viermal eingesetzt, wobei er einmal zur Variante B1 abgewandelt
wurde. Die Gebäude dieses Typs sind zweigeschossig und ihre Wohnungen werden jeweils über zwei
Zweispänner erschlossen. Die Variante B1 unterscheidet sich durch die beiden Flure im Erdgeschoss, die
durch die gesamte Breite des Hauses verlaufen. Damit ist die Sonderform B1 von beiden Traufseiten aus
zugänglich. In der Raumaufteilung bleibt B1 allerdings seinem Muttertyp B treu: Alle Häuser des Typs B
bieten jeweils 8 Wohnungen mit knapp über 50 m2. Die Wohnungen verfügen über je zwei Schlafzimmer
und eine Wohnküche. Die ebenerdig gelegenen Einheiten haben über eine Terrassentür Zugang zum
rückwärtigen Garten. Die Aufteilung des Kellers in Waschküchen, Luftschutz- und Vorratsräume ist

72
geläufig. Die Lagerräume wurden gemeinschaftlich verwendet
und nicht in Abteile aufgegliedert. Das Kellergeschoss mit ca.
1,90 m Höhe und auch Erd- und Obergeschoss sind mit jeweils
um die 2,40 m Höhe eher niedrig gehalten. Die Bauart
unterscheidet sich nicht von den übrigen Typen.

Die Fassadengestaltung erfolgte für den Typ B nicht einheitlich


für alle Gebäude. Die Eingangstüren wurden sowohl als
Rundbogentüren als auch in rechteckiger Form mit und ohne
Oberlichten ausgeführt. Am Haus 16 wurde beispielsweise ein
Abbildung 47: Südtiroler Siedlung Reutte,
Wandmalerei am Typ B1 über einer Dreieckserker im Obergeschoss schräg über einer
Eingangstür (2021) Hauseingangstür platziert, der jedoch an den anderen Gebäuden
des Typs B fehlt. Dafür verfügt das Haus 7 über einen ebenerdig
applizierten Dreieckserker an der Giebelseite des Hauses. Einen
ebensolchen Erker trägt auch das Haus 15, welches dem Typ B1
entspricht. Seine Südfassade fällt außerdem wegen zweier
Fresken über den Eingangstüren auf. Sie zeigen einerseits das
Bild einer Frau, die mit Schilden ausgestattet ist, welche eine
germanische Rune sowie das nationalsozialistische Mutterkreuz
zeigen, andererseits einen Mann mit denselben Schilden, die
hier die Attribute handwerklicher Berufe tragen.

Der Typ VT 1 kam nur einmal für das Haus 14 in der Reuttener
Südtiroler Siedlung zur Anwendung. Er ist zweigeschossig und
beinhaltet drei Wohnungen pro Stockwerk, die über ein
Treppenhaus zugänglich sind. Dabei ergeben sich nach Eintritt in
das Gebäude auf der linken Seite des Flurs eine
Abbildung 48: Südtiroler Siedlung Reutte, Dreizimmerwohnung mit Wohnküche auf 47,78 m2 und auf der
Fresko an der Südfassade des Typs VT 1 (2021)
rechten Flurseite zwei Dreizimmerwohnungen ebenfalls mit
2
Wohnküchen auf jeweils 50,48 m . Diese beiden Wohnungen wurden aufgrund der Schmalheit des
Gebäudes in Zimmerfluchten angelegt, wodurch die Wohnküche ebenso wie das Kinderzimmer zum
Durchgangszimmer werden. Die Raumhöhen sind ident zu jenen des Typs B. An der dem „Anger“
zugewandten Fassade im Obergeschoss des Gebäudes wurde ein Balkon angebracht, der die ganze

Abbildung 49: Südtiroler Siedlung Reutte, Planausschnitt, Abbildung 50: Südtiroler Siedlung Reutte, Planausschnitt,
Westansicht VT 1 (1940) Grundriss Obergeschoss VT 1 (1940)

73
Länge einer dieser Zimmerfluchten-
Wohnungen einnimmt. Ähnlich wie an den
Typen 24 in der Siedlung in Hall wurden
auch hier die Pfosten der Balkone bis zur
Traufe verlängert, hier sogar mit
beidseitigen Kopfbändern verstrebt. Für ca.
ein Drittel des Gebäudes springt die
Fassade nach vorne und schließt zur
Brüstung des Balkons auf. An der nord-
östlichen Ecke wurde ein eingeschossiger
Eckerker im Obergeschoss angebracht. Die
Eingangstür an der östlichen Traufseite des
Abbildung 51: Südtiroler Siedlung Reutte, Planausschnitt, Grundriss
Hauses ist als Rundbogentür ausgeführt.
Obergeschoss VT 2 (1940)
Die Südfassade trägt ein Fresko, das drei
verschiedene Zeitalter symbolisiert: Das Mittelalter der Ritterturniere, die Neuzeit beginnend mit Kaisers
Maximilian I. und die im damaligen Zeitgeist „gedeihende Familie“.

Der Typ VT 2 findet sich zweimal in der Siedlung und stellt eine Sonderform speziell für Reutte dar. Die
Gestaltung dieses Typs ist in Anlehnung an ein zentrales Gebäude in Reutte entstanden, in dem der
Amtssitz der Marktgemeinde Platz findet. Besonders auffällig ist dabei die doppelte Außentreppe in
Trapezform. Während aber das Marktgemeindeamt dreigeschossig ist, wirkt der Typ VT 2 mit seinen
zwei Geschossen wie eine Stilisierung, nicht aber wie eine Kopie. Der Typ VT 2 stellt jedoch auch eine
Seltenheit innerhalb des Formenkatalogs für die Südtiroler Siedlungen dar: Seine Hauptfassade ist die
Giebelseite und nicht wie üblich die Traufseite. Der Typ setzt sich aus zwei Gebäudeteilen zusammen.
Die markante Hauptfassade wurde verbreitert, während der rückwärtige Teil schmäler angelegt wurde.
Beide Teile wurden separat erschlossen. Während die Erschließung des vorderen Hauses offensichtlich
über die mittige Eingangstür und die große Außentreppe erfolgt, fällt die Eingangstüre an der Traufseite
des Gebäudes weniger schnell ins Auge. Sie erschließt pro Stockwerk zwei Dreizimmerwohnungen. Die
Außentreppe und die ebenerdige Eingangstür an der Hauptfassade machen jeweils zwei
Zweiraumwohnungen zugänglich. Insgesamt finden demnach acht Wohnungen im Typ VT 2 Platz. Die
Kellerräume sind entweder über den absteigenden Treppenlauf unter der Außentreppe oder das
Treppenhaus im rückwärtigen Gebäudeteil zu erreichen. Die vier Wohneinheiten, die nur über zwei
Zimmer verfügen, breiten sich auf 36,45 m2 aus. Sie sind für maximal zwei Personen ausgelegt. Mit

Abbildung 52: links: Marktgemeindeamt Reutte, rechts: Südtiroler Siedlung Reutte, Hauptfassade des Typs VT 2 -
Haus 11 (2021)

74
Abbildung 53: Südtiroler Siedlung Reutte, Haus 4 und 5 (Typ VT 3) Abbildung 54: Südtiroler Siedlung Reutte, Westfassade des
mit Garten, Blickrichtung Nord-Ost (2021) Hauses 10 (Typ VT 3) mit Fresko im Giebelbereich (2021)

51,25 m2 liegen die vier Dreizimmerwohnungen des Gebäudes in der Norm. So auch mit den
Raumhöhen von 2,20 m im Kellergeschoss und jeweils 2,70 m in den Wohngeschossen.

Die Fassadengestaltung des Typs VT 2 konzentriert sich vornehmlich auf die große gemauerte
Außentreppe. Ein ausgeschnittener Rundbogen gibt Zugang zur Kellertreppe und zu einer rechteckigen
Eingangstür. An der linken Ecke der Hauptfassade wurde noch ein Eckerker im Obergeschoss
angebracht. Dieser und die rechteckige Eingangstür mit Oberlichte im ersten Stock auf der Außentreppe
wurden im Gegensatz zum Haus 18 am Haus 11 künstlerisch bemalt. So erhielt die Putzfasche der
oberen Eingangstüre am Haus 11 ornamentale Malereien, welche an die Lüftlmalerei, die vor allem in
Oberbayern und Tirol weit verbreitet ist, erinnert. Die Parapetflächen des Eckerkers wurden mit
germanischen Runenzeichen bemalt. Eine Traufseite des Gebäudetyps weist einen Holzbalkon im selben
Stil wie am Typ VT 1 auf. Auch er schließt mit dem vorspringenden Gebäudeteil ab. Die Eingangstür zu
den hinteren Wohnungen wurde für das Haus 11 nicht an derselben Traufseite mit dem Balkon
angebracht, wie es bei Haus 18 der Fall ist. Zudem weist das Haus 11 ein weiteres Fresko an der
Traufseite mit dem Balkon auf: Es zeigt ein idealisiertes Familienbild mit Wiege und einem Baum, den
der Familienvater einsetzt.

Der Typ VT 3 wurde mit Abstand am häufigsten in der Siedlung verbaut. Die Häuser dieses Typs sind
eher schlicht und funktionell gehalten und bringen sechs Wohnungen auf zwei Geschossen unter. Das
Gebäude kann sowohl von einer Giebelseite als auch von einer Traufseite aus betreten werden.
Giebelseitig erschließt ein einspänniges Treppenhaus zwei Dreizimmerwohnungen mit jeweils 53,80 m2.
Traufseitig sind über einen Zweispänner jeweils zwei Zweizimmerwohnungen à 40,30 m2 und zwei
Dreizimmerwohnungen mit jeweils 55,20 m2 zugänglich. Kelleraufteilung, verwendete Baumaterialien
sowie Raumhöhen stimmen mit jenen des Typs TV 2 überein. Die Fassaden weisen bis auf die
standardmäßig verwendeten Fenster- und Türfaschen sowie Fensterläden keine Besonderheiten auf. Die
Eingangstüren wurden variabel gestaltet, in den Giebelfeldern wurden kleine ovale Dachbodenfenster –
Ochsenaugen – eingesetzt. Einige Häuser des Typs VT 3 erhielten Fresken, wie z.B. das Giebelfeld des
Hauses 10. Hier werden bäuerliche Szenen dargestellt, die oft von Wahlsprüchen begleitet werden. Für
das Fresko am Haus 10 lautet ein solcher Spruch beispielsweise: „Glück hat auf die Dauer nur der
Tüchtige“.

75
Abbildung 55: Südtiroler Siedlung Reutte, Planausschnitt, Grundriss Erdgeschoss Typ B+C (1940)

Die Häuser 3, 6, 8 und 12 können keinem bestimmten Typen zugeordnet werden. Sie wurden aus
Elementen der Haustypen B und C zusammengesetzt.

Zweimal kommt eine Kombination aus Typ C und B, (=Typ B+C), in der Südtiroler Siedlung Reuttes zur
Anwendung. Hierbei wurde der komplette Typ B verwendet, wie er dreimal in der Anlage vorkommt,
daran wurde ein breiteres Element angereiht. Dieser verbreiterte Gebäudeteil entstammt dem Typ C,
der per se nicht in der Siedlung anzutreffen ist. Er erweitert den Typ B um zwei Dreizimmerwohnungen
mit Wohnküche und weiteren zwei Dreizimmerwohnungen mit separater Küche. Das Gebäudeelement C
wird nicht an der gleichen Traufseite erschlossen wie der Typ B, verfügt aber über dieselben
zweispännigen Treppenhäuser. Die Wohnungen des Gebäudegliedes verfügen über 62,85 m2 bzw.
51,27 m2. Der Keller unter diesen Wohnungen wird vom selben Treppenhaus erschlossen und verfügt
über bekannte Strukturen. Die Raumhöhen und die Baumaterialien stimmen mit jenen des Typs B
überein. Die Häuser des Typs B+C verfügen über je einen Dreieckserker an einer Giebelseite im
Erdgeschoss und über verstärkte Eckausbildungen. Hier wurden Tanzszenen aufgemalt.

Das Haus 8 setzt sich zwar ebenfalls aus den Typ B und dem Typ C zusammen, wurde aber
spiegelverkehrt ausgeführt. Zu diesem Haus existieren keine Pläne, wobei jedoch anzunehmen ist, dass
die Grundrisse jenen der Häuser 3 und 6 entsprechen. Die Fassade des langgestreckten Reihenhauses
zeigt über jeder Eingangstüre ein Spruchband. An der nordöstlichen Ecke wurde ein Eckerker
angebracht. Auch er wurde mit germanischen Runen bemalt.

Abbildung 56: Südtiroler Siedlung Reutte, Planausschnitt, Grundriss Erdgeschoss Typ B+C1 (1940)

76
Das Haus 12, welches mit dem Haus 13 die Torsituation an der
„Südtiroler Straße“ bildet, wurde dreistöckig ausgeführt. Es verbindet
die Typen B und C1, wobei ein Element des Typs B durch ein Geschoss
erweitert wurde. So finden sich im Element B des Gebäudes sechs
Wohneinheiten mit jeweils 51,58 m2. Das Element C1 wird ebenfalls
durch ein zweispänniges Treppenhaus erschlossen, allerdings von der
gegenüberliegenden Traufseite zum Element B. C1 beinhaltet drei
Dreizimmerwohnungen mit Wohnküchen auf 48,68 m2 und drei
Dreizimmerwohnungen mit separater Küche auf 65,05 m2, wobei ein
Abbildung 57: Südtiroler Siedlung
Reutte, Blick Richtung Süden, links: zweigeschossiger Eckerker in den beiden Obergeschossen die
Haus 12 (Typ B+C1), geradeaus: Haus Wohnfläche zweier Wohnungen in den Obergeschossen um jeweils
11 - Typ VT 2 (2021) einen Quadratmeter erweitert. Das Kellergeschoss beinhaltet auch im
Typ B+C1 Trockenräume und Waschküchen, Luftschutz- und
Lagerräume sowie Holzlegen. Die Kellerräume sind 2 m hoch, während
die übrigen Geschosse eine Raumhöhe von 2,45 m aufweisen. Die
Fassade des Baukörpers springt traufseitig im Bereich des
Gebäudeteils C1 um knapp 70 cm vor. An dieser Ostfassade wurde
eine rechteckige Eingangstür eingesetzt. Die Westfassade wurde als
Sichtseite des Gebäudes durch Malereien und einen zweigeschossigen
Eckerker an der nordwestlichen Gebäudekante geschmückt. Die
einflüglige Rundbogentür wurde mit strahlenförmigen Schnitzereien
und ornamentalen Malereien auf der weißen Putzfasche geziert.
Zudem wurde die Hausnummer, wie auch bei vielen anderen Häusern
der Siedlung aufgemalt. Die Parapetfelder des Erkers zeigen Wappen
mit germanischen Runen. Eine weitere Besonderheit stellt ein Fresko
an der Nordfassade des Gebäudes dar: Die Wappen von zwölf
Südtiroler Gemeinden in einem Wappenbusch, gekrönt durch
Abbildung 58: Südtiroler Siedlung Ritterhelm und Südtiroler Adler, stellen die Herkunftsgemeinden der
Reutte, Wappenbusch an der
OptantInnen dar.
Nordfassade des Hauses 12 - Typ
B+C1 (2021)
Die ersten Wohnhäuser der Südtiroler Siedlung in Reutte wurden im
Frühsommer des Jahres 1942 fertiggestellt. Nachdem sich die Bauarbeiten immer wieder auf Grund von
Ressourcen- und Arbeitskräftemangel verzögert hatten, konnten die letzten Gebäude der Gemeinde erst
1943 übergeben werden. Die Südtiroler Familien, die bereits vor Ort waren und auf die Fertigstellung
ihrer Wohnungen warteten, wurden in der Zwischenzeit in diversen Gasthöfen untergebracht. Allerdings
waren es nicht nur ausgewanderte SüdtirolerInnen, die in der neuen Siedlung ein neues Obdach fanden:
Bis zu 50 % der Wohnungen durften unter bestimmten Bedingungen auch an „Nicht-Umsiedler“
vergeben werden.213 10 % der Wohnungen fielen automatisch Personen in politischen Positionen zu. Sie
übernahmen in den Siedlungen eine Kontrollfunktion und beobachteten das Verhalten der neuen
EinwohnerInnen genau. Von 155 Wohneinheiten gingen nur 83 an Südtiroler Familien, während 72
Wohnungen Einheimischen und anderweitig Begünstigten zufielen.214

213
Rief 2012, 60-67.
214
Rief 2012, 70f.

77
5. Vergleich

5.1. Die „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“

Als Wolfsburg zum Standort für die Produktion des „Kraft-durch-Freude-Wagens“ ausgewählt wurde,
erhielt es den holprigen provisorischen Namen „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“. Die Stadt war
eine Neugründung und umfasste neben der Produktionsstätte des KdF-Wagens Wohngebiete für die
ArbeiterInnen sowie deren Familien. Im Mai 1945 wurde die Stadt umbenannt und erhielt ihren
heutigen Namen „Wolfsburg“.215 Die „Stadt des KdF-Wagens“ war als Musterstadt geplant worden und
erlangte deshalb große Bedeutung.216

Schon in „Mein Kampf“ hatte Adolf Hitler seine Ideen zur „Volksmotorisierung“ dargelegt und kam
seinem Ziel nach anfänglicher Zusammenarbeit mit Ferdinand Porsche immer näher. Hitler hatte
beschlossen, den „Volkswagen“ als billiges Automobil für alle Deutschen entwickeln zu lassen. Nach der
24. Automobilausstellung in Berlin erhärtete sich das Vorhaben und der Reichsverband der
Automobilindustrie, der „RDA“, erklärte sich bereit, die Entwicklung des Volkswagens zu übernehmen.
Porsche fertigte für den Volkswagen drei Prototypen an, welche der RDA inspizierte. Wer die Produktion
des neuen Volkswagens schließlich übernehmen sollte, war zunächst unklar. Opel und Ford wären als
einzige Automobilhersteller in Frage gekommen. Nachdem aber beide in amerikanischem Besitz waren,
entschied Hitler gegen beide Hersteller und erwog die Produktion durch ein eigenes deutsches
Automobilwerk. Robert Ley, Leiter der DAF, sollte die Gründung eines solchen Werkes durchführen.
Dazu installierte Ley am 28. Mai 1937 die „Gesellschaft zur Vorbereitung des deutschen Volkswagens
m.b.H.“ (Gezuvor) in Stuttgart. Das Stammkapital betrug 480.000 RM.217

Bodo Lafferentz, Leiter des KdF-Amtes für Reisen, Wandern und Urlaub, hatte die Idee, für das in
Planung befindliche Werk des KdF-Wagens eine eigene Stadt anzulegen. Als Standort für das Werk und
seine Stadt gab es mehrere Vorgaben. Eine günstige Verkehrslage und Anbindung an die
Reichsautobahn mussten gegeben sein, ebenso wie eine ausreichend große, ebene Fläche.
Fürstenwalde-Storkow bei Berlin kam ebenso in Frage wie Stendal-Tangermünde an der Elbe, dann das
Industriegebiet von Mannheim und ein Gebiet nahe Regensburg sowie Fallersleben-Gut Wolfsburg.
Letzteres verfügte über ein weites Hinterland und eine ausgezeichnete Lage, weshalb Bodo Lafferentz‘
Wahl darauf fiel.218 Die Nähe zu Braunschweig, welches in nur 29 km Entfernung liegt, erwies sich zudem
als günstig, da angedacht war, dass die neu angesiedelte Bevölkerung der „Stadt des KdF-Wagens“
während der ersten Zeit die Infrastruktur Braunschweigs mitnutzen könnte, ohne die junge Stadt in ihrer
eigenen Entfaltung zu stören.219

Das Werk und die Stadt wurden von unterschiedlichen Architektengruppen geplant. Emil Rudolf Mewes
aus Köln, Karl Kohlbecker aus Gaggenau und Fritz Schupp & Martin Kremmer aus Essen und Berlin
entwarfen das Automobilwerk. Für die Planung der Stadt fragte Lafferentz bei Albert Speer an und ließ

215
Glaser/Grieger 2017, 128.
216
Glaser/Grieger 2017, 133.
217
Schneider 1979, 29f.
218
Schneider 1979, 30.
219
Schneider 1979, 32.

78
sich passende Architekten vorschlagen. Speer empfahl seinen Studienfreund Peter Koller. Drei
Professoren der TH Braunschweig wurden für den Entwurf ebenfalls beauftragt. Peter Koller war zur
damaligen Zeit noch unbekannt, hatte abgelehnt, mit Speer an den monumentalen Plänen für Berlin zu
arbeiten und war sich sicher, dass gerade dieser Umstand die Wahl auf ihn lenken würde. Tatsächlich
interessierte sich Lafferentz für Koller und engagierte ihn für die Vorplanung im Oktober 1937 ebenso
wie die drei Professoren der TH Braunschweig, mit welchen Koller nun im Wettstreit lag. Ob Kollers
Absage für das Projekt in Berlin tatsächlich der Grund für Lafferentz` Neugier war, ist zu bezweifeln.220

Koller nahm den Lokalaugenschein vor und startete die Recherchen am 14. November 1937. Lage,
Ausrichtung und ein Vorentwurf für das Werk selbst waren schon vorhanden, sodass Koller diese als
Ausgangspunkt für seine Planungen heranziehen konnte.221 Zunächst plante Koller mit Hilfe zweier
befreundeter Architekten, Herbert Neumeister und Norbert Schlesinger und stets auch in Abstimmung
mit Albert Speer. Am 11. Dezember 1937 wurden Hitler die Pläne für das Werk vorgelegt und Koller
wurde Hitler zum ersten Mal vorgestellt. Bei diesem Treffen bekam er die Möglichkeit, Hitler seine Ideen
für die neue Stadt anhand eines Geländemodells darzulegen. Dies war ein klarer Vorteil für Koller
gegenüber den Professoren aus Braunschweig, die zu diesem Treffen nicht eingeladen worden waren.
Hitler stimmte bei diesem Treffen auch der Stadtgründung zu. Er sprach sich für eine lockere,
durchgrünte Stadt mit breiten Straßen aus.222

Wer die Finanzierung des Werkes und der Stadt übernehmen sollte, blieb lange unklar. Die DAF nahm
einen Kredit von 50 Millionen RM bei der „Bank der Deutschen Arbeit“ auf, wovon aber die neue
Stadtgründung nur marginal profitierte. Reichsmittel wurden Lafferentz verweigert. Bis zum 3. Februar
1938 konnte Robert Ley der erste Vorentwurf vorgestellt werden und einen Monat später, am 2. März,
präsentierten Peter Koller und die drei Professoren aus Braunschweig ihre Pläne vor Adolf Hitler, Albert
Speer, Bodo Lafferentz, Ferdinand Porsche und Jakob Werlin. Porsche sprach sich sofort für Kollers
Entwurf aus und auch Hitler begrüßte dessen Pläne.223 Schnellstmöglich wurde ein Stadtbaubüro
installiert, dessen Leitung Peter Koller übernahm. Titus Taeschner, der bald zum engen Mitarbeiter
Kollers avancierte, wurde als Abteilungsleiter für Hochbau eingesetzt. 224 Um rechtliche Probleme zu
umgehen setzte sich Lafferentz im Juli 1938 bei Speer dafür ein, die „Stadt des KdF-Wagens“ als
„Neugestaltungsstadt“ zu behandeln. Damit unterstand das Projekt direkt Albert Speer, der die
Verantwortung an Peter Koller deligierte. Koller hatte dadurch freie Hand und konnte die weiteren
Planungen eigenständig durchführen.225

220
Schneider 1979, 31f.
221
Schneider 1979, 31f.
222
Glaser 2021, 128f.
223
Schneider 1979, 40.
224
Schneider 1979, 43.
225
Glaser/Grieger 2017, 134.

79
Im Frühjahr 1938 starteten die Bauarbeiten für das Automobilwerk226, Ende Juli wurden Kollers Pläne für
die „Stadt des KdF-Wagens“ bestätigt und die Großbaustelle eröffnet.227 Bereits im Herbst meldete das
Stadtbaubüro erste Schwierigkeiten. Im September mussten italienische Arbeiter für die Baustelle des
Werkes eingesetzt werden, wobei zusätzlich massiver Baumaterial- und Arbeitskräftemangel herrschte.
Bald wurde ein Defizit von mehr als 1.500 Arbeitskräften festgestellt. Die Bauarbeiten gerieten ins
Stocken, vor allem der Wohnbau hinkte dem Ziel von 4.000 Wohnungen bis Ende 1941 immer weiter
hinterher. Insgesamt konnten bis Kriegsende nur 2.915 Wohneinheiten vollständig errichtet werden,
wobei ab 1942 kaum mehr Wohnbau in der neuen Stadt entstand.228 Koller erkannte die fatale Situation
früh und widmete sich daher schon ab September 1939 vermehrt den Neugestaltungsplänen Innsbrucks,
bis er sich weitgehend aus dem Projekt „Stadt des KdF-Wagens“ zurückzog, um sich den
Stadtneuplanungen in Innsbruck oder seinem Lieblingsprojekt Graz zu widmen.229

Abbildung 59: Peter Koller: Gesamtbebauungsplan für die "Stadt des KdF-Wagens
bei Fallersleben" (1938)

226
Schneider 1979, 41.
227
Schneider 1979, 45.
228
Glaser/Grieger 2017, 136f.
229
Glaser/Grieger 2017, 136.

80
Abbildung 60: Peter Koller: Übersichtsplan der Siedlungen der „Stadt des KdF-Wagens“ (1941)

Peter Koller zog in seinen Planungen für die „Stadt des KdF-Wagens“ verschiedene Vorbilder heran. Die
Gartenstadt als grüner, weitgehend autarker Stadtraum verkörperte ein Ideal, welches Koller in hohem
Maße in seine Entwürfe miteinfließen ließ. Jedoch hießen die NS-Stadtplaner die Gartenstadtbewegung
aus anderen Gründen als ihre Erfinder gut: In einem in kleine Einheiten strukturierten urbanen Raum
sollten die Bürger besser überwacht und etwaige Querulanten schnell ausgeforscht werden können.230

Einen ebenso großen Einfluss auf Kollers Entwurf hatten die Pläne für Berlin-Charlottenburg. Albert
Speer hatte Koller die Pläne gezeigt, welcher sich ob der Monumentalität überwältigt und vom Schema
der Anlage durchaus begeistert zeigte. Für die Stadtstruktur der „Stadt des KdF-Wagen“ dürften die
Pläne für Charlottenburg-Nord Modell gestanden haben.231 Auf diese Weise verschmolzen die Ideen der
Gartenstadt mit nationalsozialistischen städteplanerischen Motiven zu einem axial gegliederten Plan mit
Grünflächen und Naherholungsgebieten ebenso, wie mit Aufmarschplätzen und repräsentativen
Elementen wie der „Stadtkrone“.232 Die „Stadtkrone“ als Machtzentrum war im Nationalsozialismus

230
Glaser/Grieger 2017, 130f.
231
Schneider 1979, 34.
232
Jank/Smrcek 2009, 7.

81
Symbol der Gemeinschaft und der Überzeitlichkeit. Den Begriff der „Stadtkrone“ prägten deutsche
Expressionisten im frühen 20. Jahrhundert, allen voran Bruno Taut durch sein gleichnamiges 1919
erschienenes Buch. Taut´s „Stadtkrone“ sollte, wie die Akropolis oder Kathedralen des Mittelalters das
kulturelle oder spirituelle Zentrum einer Gemeinschaft symbolisieren. Hitlers monumentales
Stadtzentrum hegte dieselbe Absicht, jedoch war dieser die Stadt überstrahlende Ort ausschließlich der
Demonstration der nationalsozialistischen Macht vorbehalten.233

Kollers Plan war für ca. 90.000 – 100.000 EinwohnerInnen ausgelegt. Die Stadt war zweigeteilt auf
beiden Seiten des Mittellandkanals angelegt worden. Dem Kanal entlang verläuft die Eisenbahntrasse,
sodass eine starke Abgrenzung zwischen dem industriell genutzten Norden und der südlichen Hälfte der
Wohngebieten mit der „Stadtkrone“ als Zentrum entstand. Für die Leitung des Verkehrs, der in Kollers
Planungen stets hohe Priorität besaß, ersann er ein ringförmiges Leitsystem rund um die
Wohngebiete.234 Der Verkehr sollte hauptsächlich von Süden her, aus Richtung Braunschweig, dem
wichtigsten Einzugsgebiet der Stadt, einfahren. Diese Nord-Süd-Achse hatte ihren nördlichen
Fluchtpunkt auf dem Klieversberg, der als repräsentative „Stadtkrone“ mit Parteigebäuden die höchste
Erhebung und damit das politische Zentrum der Stadt markierte. Das industrielle Zentrum verkörpert
das Automobilwerk, welches das Gegenüber der „Stadtkrone“ im Norden bildete. Um die „Stadtkrone“
als südlichen Angelpunkt sollten sich neue Wohngebiete gruppieren.235 Koller plante hierfür eine
ringförmige Stadtanlage rund um den Klieversberg. Die Wohngebiete sollten sich in kleine
Siedlungskomplexe strukturieren, insgesamt aber offen und durchgrünt gestaltet werden. Koller
orientierte die Wohnsiedlungen so an der „Stadtkrone“, dass diese und die durch sie symbolisierte
nationalsozialistische Macht stets für die Bevölkerung sichtbar waren. Die Kontrolle der Bevölkerung war
demnach ein fixer Entwurfsparameter. Peter Koller strebte übersichtliche Einheiten an, in denen großer
sozialer Zusammenhalt und dadurch auch ein gewisses Maß an nachbarschaftlicher Kontrolle erzielt
werden sollte. Die jeweiligen Siedlungszellen wurden durch parkartige Bereiche miteinander verbunden
und ihre Größen kamen durch die Analyse demographischer Daten zustande.236

Die einzelnen Siedlungszellen der „Stadt des KdF-Wagens“ lassen sich für einen direkten Vergleich mit
den Südtiroler Siedlungen in Nordtirol heranziehen. Auch die Südtiroler Siedlungen bezweckten, durch
ihre Architektursprache Gemeinschaftssinn zu stiften. Die Neuankömmlinge sollten sich so schnell wie
möglich heimisch fühlen. Die Anordnung der Südtiroler Siedlungen in kleinen dorfartigen Anlagen mit
eigener Infrastruktur und großen gemeinschaftlich genutzten Flächen und Räumen ließ wenig Platz für
Privatsphäre. Nachbarschaftlicher Zusammenhalt und Identifikation mit „deutschen“ Werten und
„deutscher“ Kultur, für die sich die Südtiroler Familien angeblich entschieden hatten, sollten dazu
beitragen, sich als Teil von Hitlers Reich zu fühlen. Während die SüdtirolerInnen ihre neuen Wohnungen
in Tirol aufgrund der Größe der Familien zugeiteilt bekamen und aufgrund der enormen Menge an
OptantInnen keine gezielte Auswahl der Familien getroffen werden konnte, trachtete Peter Koller in der
„Stadt des KdF-Wagens“ nach sozialer Durchmischung der WohnungsanwärterInnen.237

233
Durth 1994, 20.
234
Jank/Smrcek 2009, 7.
235
Schneider 1979, 43.
236
Glaser/Grieger 2017, 130.
237
Glaser/Grieger 2017, 131.

82
Abbildung 61: Wolfsburg, Siedlung am Steimker Berg, Panoramaaufnahme des Marktplatzes (2010)

Abbildung 62: „Stadt des KdF-Wagens“, Siedlung am Steimker Berg, Entwurf für Haustyp mit Fleischerei und Bäckerei (1940)

Obwohl Koller für die „Stadt des KdF-Wagens“ zunächst ländlich anmutende Siedlungen geplant hatte,
ähneln vor allem die innerstädtischen Wohngebiete in ihrer urbanen Gestaltung den Südtiroler
Siedlungen in Innsbruck. Die straßenbegleitende Bebauung war geschlossen und wies mehr Geschosse
auf als die abseits der größeren Straßen gelegenen Häuserblöcke. Sie wurden zwei- oder dreigeschossig
ausgeführt. Wie in Tirol sollten auch hier die Wohnungen genügend Platz für große Familien bieten.
Durch effizient angelegte Grundrisse verfügen die Wohnungen bei kleiner Quadratmeterzahl über zwei
bis fünf Räume, in Ausnahmen sogar noch mehr. Insgesamt zeigt sich die Ausführung der neuen Stadt
sehr modern, sollte sie doch der fortschrittlichen Industrie, für welche sie geplant war, entsprechen.
Funktionalität und Rationalisierung waren nicht nur notwendig, sondern wurden bewusst angestrebt,
was die Siedlungen der „Stadt des KdF-Wagens“ ebenfalls mit den Innsbrucker Planungen verbindet.
Auch der besseren Möglichkeiten zur Standardisierung wegen rückte Koller von seiner ursprünglichen
Idee einer dörflich strukturierten Siedlungsform mit Eigenheimen ab und errichtete günstige
Wohnblöcke mit kurzen Wegen zum Automobilwerk. Für den Bau der „Stadt des KdF-Wagens“ waren
zwei eigens gegründete Wohnungsbaugesellschaften verantwortlich: Die Gemeinnützige Wohnungs-
und Siedlungsgesellschaft „Neuland“, die für den sozialen Wohnungsbau eingesetzt wurde und die
Allgemeine Hausbau- und Grundstücksgesellschaft mbH, welche mitunter öffentliche Bauten
errichtete.238

Die Wohnungen verfügen über variierende Grundrisse von zwei bis fünf Zimmern mit einer
Gesamtfläche von 56 bis 115 m2. Für jede Person wurden in einer Wohneinheit ca. 15 m2 anberaumt. In
der Ausstattung der Wohnungen finden sich erneut Parallelen zu jener der Südtiroler Siedlungen. In
beiden Fällen sollten moderne Sanitäranlagen, fortschrittliche Heizsysteme und hochwertiges
Kücheninventar zukünftigen BewohnerInnen die Entscheidung für einen Umzug erleichtern. In der

238
Glaser/Grieger 2017, 134f.

83
„Stadt des KdF-Wagens“ verfügten die
Wohnungen über einen Anschluss an das
Fernheizungsnetz, betrieben durch das
Kraftwerk des Automobilwerks und über
einen Elektroboiler in einer eigenen
Nasszelle mit Badewanne. Den Familien
standen außerdem eine Wäscherei und
Gartenanlagen zwecks Eigenversorgung mit
Lebensmitteln zur Verfügung.239 Die
verschiedenen Haustypen, die in den
Siedlungen zur Anwendung kamen, waren
in Anlehnung an den Heimatschutzstil Abbildung 63: „Stadt des KdF-Wagens“, Siedlung am Steimker
verwirklicht worden. Architekturmotive wie Berg, Unter den Eichen am Steimker Berg (ca. 1940)
Dachgauben, Zwerchhäuser und Fensterläden treten an den Gebäuden als gliedernde Elemente auf. Die
einzelnen Gebäude sind meist symmetrisch strukturiert, verfügen über Fenster in stehenden
Rechteckformaten mit Sprossenteilung und über steile Satteldächer.240

Eine dieser Siedlungen ist jene am Steimker Berg im Süd-Osten der Stadt. Sie war die erste, die es im
Sommer 1939 zur Fertigstellung schaffte und 483 Wohneinheiten bereitstellte. Die angestrebte soziale
Durchmischung der Bevölkerung in den neuen Siedlungen konnte am Steimker Berg nicht erreicht
werden. Die Wohnungen gehobenen Standards fielen an die besser situierten deutschen
Verwaltungsangestellten und Ingenieure des Automobilwerkes. Die ein- bis zweigeschossigen Gebäude
der Siedlung gruppieren sich locker um einen zentralen Marktplatz mit an drei Seiten geschlossener
Randbebauung. Die Wohnhäuser, die nicht direkt an den Marktplatz angrenzen, sind locker über eine
begrünte Fläche verteilt und erzeugen durch ihre bewusste Anordnung immer wieder kleinere
Hofsituationen und gemeinschaftliche Gartenbereiche. Besonders der Typus des Einfamilienhauses mit
angrenzendem Garten ist am Steimker Berg vertreten, teilweise auch zu Reihen- oder Doppelhäusern
zusammengeschlossen. Der Autoverkehr wird an der Siedlung vorbeigeleitet, wobei der Anrainerverkehr
über kleine geschwungene Straßen zu den Häusern geführt wird.241

Einflüsse der Gartenstadt sind in dieser Siedlung deutlich spürbar. Peter Koller erlaubte hier der
Topografie des Ortes auf die Struktur der Siedlung einzuwirken und band die angrenzenden Waldgebiete
und die bestehenden Baumkolonie in die Planungen mit ein. Für die Gestaltung der Grünflächen und
parkartigen Naherholungsgebiete zeichnete der Landschaftsarchitekt Wilhelm Heintz verantwortlich.
Diese am Steimker Berg anzutreffende lockere, landschaftsbezogene Bebauung behielt sich Koller für die
äußeren Wohngebiete vor. Das Stadtzentrum sollte zwar ebenfalls großzügig angelegt werden, dennoch
aber auf geschwungene Straßenführung und ländlich anmutende Vorort-Idylle verzichten. Die
innerstädtischen Wohngebiete orientieren sich an den Achsen und dem ringförmigen
Verkehrssystem.242

239
Schneider 1979, 50.
240
Stadt Wolfsburg 2002, 8-11.
241
Schneider 1979, 47.
242
Stadt Wolfsburg 2012, 19.

84
Die Siedlung am Steimker Berg steht seit dem
8. März 1978 als Ensemble unter
Denkmalschutz. Dieser Schutz beschränkt sich
nicht nur auf die Architektur, sondern dehnt
sich auf die gesamte Anlage aus,
einschließlich der Grünflächen,
Gemeinschaftsbereiche und der
landschaftsarchitektonischen Gestaltung samt
Wegenetz und Baumbestand. Neben der
hohen Lebensqualität, für welche die Siedlung
als Wohngebiet von seinen BewohnerInnen
noch heute hohe Wertschätzung erfährt,
spricht für den authentischen Erhalt der
Siedlung auch ihre Rolle als architektur- und
zeitgeschichtliches Denkmal.243

Die Siedlung am Steimker Berg ist eines der


wenigen Positivbeispiele für den Wohnbau in
der „Stadt des KdF-Wagens“. Viele der
anderen geplanten Wohngebiete konnten nur
mangelhaft, unvollendet oder gar nicht
errichtet werden. Warum aber scheiterte der
Wohnbau großteils in der „Stadt des KdF-
Wagens“, während in Tirol eine enorme
Menge an Wohnhäusern und neuen
Abbildung 64: „Stadt des KdF-Wagens“, Lageplan der Siedlung am Siedlungen in guter Qualität realisiert werden
Steimker Berg (1940)
konnte? Die Ausgangslage war, bis auf die in
der „Stadt des KdF-Wagens“ ungeklärte Frage nach der Finanzierung, dieselben: Für beide Projekte
waren weder genügend Ressourcen noch Arbeitskräfte vorhanden, es wurden Kriegsgefangene und
ZwangsarbeiterInnen eingesetzt. In der „Stadt des KdF-Wagens“ ergaben sich aber im Gegensatz zu den
Südtiroler Siedlungen erhebliche Baumängel und Koller wurde für teils fehlerhafte Planungen kritisiert.
Koller habe demzufolge hauptsächlich nach optischen Gesichtspunkten geplant, dabei aber die
technischen und statischen Gegebenheiten vernachlässigt. Doch auch den Baufirmen fiel eine Teilschuld
am Misslingen der Wohnbauprojekte zu, weil die Qualität ihrer Arbeiten nicht oder nur partiell gegeben
war. Die Kostenvoranschläge wurden laufend überschritten, die Zahl der fertiggestellten Wohnungen
unterschritten. Der Tiefbau sowie der Hochbau wiesen enorme Mängel auf, Mieten wurden lange nicht
festgelegt und dann falsch berechnet. Die Siedlungen am Steimker Berg, eines der wenigen planmäßig
erstellten Wohngebiete der neuen Stadt, brachten nicht die gewünschte soziale Durchmischung,
sondern wurden zum Domizil der Führungskräfte des Automobilwerkes.244

Am 15. 1. 1940 wurde durch die Reichskanzlei verfügt, dass Bauten, sofern sie als „kriegswichtig“
eingestuft wurden, geplant werden dürfen. Unter die Bezeichnung „kriegswichtig“ fielen Kasernen,
Wohnbau für Armeeangehörige, Fabriken und auch die „Sonderprogramme“ wie die „Sondermaßnahme

243
Stadt Wolfsburg 2012, 26.
244
Glaser/Grieger 2017, 137f.

85
S“, also die Südtiroler Siedlungen.245 Im Dezember des Folgejahres fielen die Stadtneugestaltungen nicht
mehr in die Kategorie „kriegswichtig“ und da der Bau der „Stadt des KdF-Wagens“ als Neugestaltung
definiert worden war, hatte diese Verfügung den sofortigen Baustopp für die unfertige Stadt zur
Folge.246

5.2. Der Wiederaufbau Freudenstadts

Ludwig Schweizer ist mit der Geschichte Freudenstadts


verbunden wie kein zweiter und gleichzeitig sähen die
Südtiroler Siedlungen in Nordtirol wohl ohne sein Mitwirken
anders aus. Diese zwei Lebensprojekte Schweizers stehen
insofern miteinander in Verbindung, als viele der
Architekturmotive, die Schweizer in seiner „Tiroler Zeit“
kennenlernte, in Freudenstadt wieder auftauchen. Die
Südtiroler Siedlungen beeinflussten somit unmittelbar das
äußere Erscheinungsbild des wiederaufgebauten
Freudenstadts.

Freudenstadt wurde am Ende des Zweiten Weltkrieges


zerstört. Fast die gesamte Innenstadt lag in Schutt und
Asche. Freudenstadt war keine gewöhnliche Stadt im
Schwarzwald. Sie war die erste Stadt mit einem Grundriss
nach den Idealen der Renaissance, die nördlich der Alpen
ihre Verwirklichung fand.247
Abbildung 65: Heinrich Schickhardt: Plan
Freudenstadts mit dem geplanten Schloss am
Die Stadt war unter Herzog Friedrich I. von Württemberg im
Stadtplatz, Aquarellierte Federzeichnung (ca. 1600)
Jahre 1599 angelegt worden. Herzog Friedrichs Baumeister
Heinrich Schickhardt plante Freudenstadt nach italienischem Vorbild. Zusammen mit seinem Herrn
bereiste er Italien und lernte den Stil der Renaissance kennen. Ausschlaggebend für Schickhardts
Entwurf für Freudenstadt dürfte aber schlussendlich Albrecht Dürers Abhandlung über
Stadtbefestigungen gewesen sein. Dass er für den Entwurf Freudenstadts schließlich einen
Dreizeilenplan mit einem großzügigen Marktplatz wählte, war wohl in der Idee, Dürers Idealstadt
auszuführen, begründet. Der eben genannte Marktplatz war jedoch ursprünglich nicht als solcher
gedacht; Herzog Friedrich wollte anfänglich seine Residenz nach Freudenstadt verlegen, und zwar in die
Mitte des Platzes. Hier hätte das herzogliche Schloss errichtet werden sollen. Dieses teure Vorhaben

245
Weihsmann 1998, 74.
246
Schneider 1979, 51.
247
HMF 2019, 11.

86
wurde nach dem Tod Herzog Friedrichs 1608 mit demselben begraben. Der Platz blieb einstweilen
unbebaut. Mit Dimensionen von 219 x 216 Metern zählt er zu den größten Stadtplätzen Europas.248

Protestantische Glaubensflüchtlinge aus der Steiermark, Kärnten und der Krain hatten sich schon bald
nach der Gründung in großer Zahl in Freudenstadt angesiedelt. 249 Trotz des alpenländischen Zuzugs
fanden sich an den Bürgerhäusern keine „mitgebrachten“ Spuren alpenländischer Bautradition. Die
Innenstadt Freudenstadts bestand vor Ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg aus württembergischen
Giebelhäusern.250

Durch den Beschuss Freudenstadts durch französische Truppen am 16. April 1945 wurde praktisch die
gesamte historische Innenstadt zerstört. Die Folgejahre entfachten wilde Diskussionen darüber, wie ein
Wiederaufbau durchgeführt werden sollte. Mehr als 30 Entwürfe heischten um Aufmerksamkeit, unter
ihnen auch Beiträge oder Gutachten namhafter Architekten wie von Paul Schmitthenner oder Adolf
Abel. Abels Vorschlag hätte eine verdichtete moderne Bebauung mit Ausbau des halben Stadtplatzes
und einer großzügigen Sonnenterrasse vorgesehen. Dieser Entwurf wurde von der Bevölkerung, wie
auch viele andere, strikt abgelehnt. Das Denkmalamt vertrat – im Gegensatz zu vielen modernen
Architekten – den Standpunkt, Freudenstadt müsse möglichst originalgetreu rekonstruiert werden. Nach
vier Jahren, etlichen Vorschlägen, Forderungen, Entwürfen und einem neuen Bürgermeister wurde
Ludwig Schweizer einstimmig als Stadtbaurat Freudenstadts eingesetzt. Seine Erfahrungen, die er aus
Crailsheim, aber auch aus Tirol mitbrachte, überzeugten die Bürgerversammlung.251

Heinz Möritz stieß 1949 zum Planerteam Freudenstadts und arbeitete eng mit Ludwig Schweizer
zusammen. Sein Einfluss auf die architektonische Gestaltung Freudenstadts wird oft unterschätzt.252
Auch zu Helmut Erdle bestand immer wieder Kontakt, wenn auch nicht in Freudenstadt selbst. Eine
Einflussnahme Erdles ist damit eher unwahrscheinlich.253

Schweizer konzipierte für das neue Freudenstadt ein Hybridmodell. Unter großer Anteilnahme der
Bevölkerung erarbeitete Schweizer einen Entwurf, der Schickhardts Grundriss mit dem großzügigen
Stadtplatz beibehielt und neu interpretierte. Der Wiederaufbau sollte keine Rekonstruktion werden, sich
jedoch so harmonisch und zeitlos gestalten wie möglich.254 Die Änderungen, die Schweizer für die
Bebauung vorgesehen hatte, sind deshalb nicht im Grundriss der Stadt, sondern vielmehr an den
Gebäuden selbst zu beobachten. Die Randbebauung des Marktplatzes erhielt statt der bisherigen zwei
nun drei Stockwerke an drei Seiten des Platzes. Außerdem wurden die Giebel um 90 Grad gedreht,
sodass die Bürgerhäuser nun traufständig zum Platz ausgerichtet sind. Auf der großen Freifläche
platzierte Schweizer das Stadthaus und seitlich das Rathaus mit seinem markanten Turm. Die Gebäude
Freudenstadts wurden aus Backstein und Ziegeln errichtet. Die Finanzierung des Wiederaufbaus
übernahm eine Stiftung, die zu Beginn Eigentümerin der neuen Häuser und Wohnungen war. Sehr bald

248
HMF 2019, 39f.
249
HMF 2019, 23f.
250
HMF 2019, 11.
251
HMF 2019, 53f.
252
HMF 2019, 59.
253
Freundliche Auskunft von Jürgen Schnurr am 11. März 2021.
254
HMF 2019, 60.

87
nach Fertigstellung gingen die einzelnen Einheiten in Privatbesitz über. Demnach gab es auch keine
übergeordnete Hausverwaltung, wie das für die Südtiroler Siedlungen in Tirol der Fall ist.255

Aus Ludwig Schweizers Lösung für den Wiederaufbau Freudenstadts kann man sehr deutlich Vorbilder
und Einflüsse herauslesen. Den großen Eindruck, den sein Stuttgarter Lehrmeister Heinz Wetzel auf ihn
gemacht hatte, erkennt man zum Beispiel an den „Visierbrüchen“, die Schweizer als
Gestaltungsinstrument im Entwurf der Randbebauung des Stadtplatzes übernahm. Durch diese
„Visierbrüche“, von Wetzel auch „optische Leitung“ genannt, sollen topografische Besonderheiten in der
architektonischen Umsetzung deutlich werden.256

Andererseits verarbeitete Schweizer auch sein in Tirol erworbenes Wissen in Freudenstadt. Er entschied
sich für einen einfachen und dennoch abwechslungsreichen Stil, der insgesamt harmonisch und
einheitlich wirkt. Die durchlaufenden Arkaden am Hauptplatz einen die ansonsten individuell gestalteten
Häuser. Jedes Haus verfügt über eine eigene Farbgebung, die auch heute noch originalgetreu vorhanden
ist. Auf Ornamente oder Stuck wurde bis auf die Putzfaschen der Fenster und die farbigen Fensterläden
weitgehend verzichtet.257 Dennoch wurde auf die Ausarbeitung der Arkaden viel Wert gelegt, wobei die
Säulen und Pfeiler stets unterschiedlich entworfen wurden und ihre Kapitelle sehr wohl über
ornamentale Qualitäten verfügen. Trotz der so großen Formenvielfalt wirken die Arkaden am Marktplatz
einheitlich und harmonisch, geeint durch das ihnen allen gleichermaßen eigene Material, den
Buntsandstein.258

Der steinerne Erker, der im Schwarzwald untypisch ist, wird in Freudenstadt als wichtiges
Architekturmotiv verwendet. Er ist ein Souvenir aus Tirol, wo sich Schweizer so eingehend mit dem
„Tiroler Stil“ beschäftigt hatte. Die Türen und Portale in Freudenstadt erinnern ebenfalls an jene der
Südtiroler Siedlungen Nordtirols. Vergleicht man Ansichten der Freudenstädter Randbebauung des
Marktplatzes und Ansichten der Tiroler Siedlungen, werden Ähnlichkeiten in Stil, Proportion,
Architekturmotiven und Materialien sichtbar.

Abbildung 66: links: Südtiroler Siedlung Innsbruck Pradl "Am Rain" (2015); rechts: Freudenstadt
(ca. 2019)

255
Freundliche Auskunft von Jürgen Schnurr am 11. März 2021.
256
HMF 2019, 63.
257
HMF 2019, 67.
258
HMF 2019, 68f.

88
Abbildung 67: oben: Südtiroler Siedlung Hall Galgenfeld (2020); unten:
Freudenstadt (ca. 2019)

Abbildung 68: links: Südtiroler Siedlung Innsbruck Reichenau „Am der Furt“
(2021); rechts: Freudenstadt (ca. 2019)

89
Abbildung 69: links: Südtiroler Siedlung Innsbruck Pradl "Eichhof" (2019); rechts: Freudenstadt (ca. 2019)

Abbildung 70: links: Planausschnitt der Südtiroler Siedlung Reutte (1940); rechts: Freudenstadt (ca. 2019)

90
Abbildung 71: links: Südtiroler Siedlung Innsbruck Pradler Saggen (2020); rechts: Freudenstadt (ca. 2019)

Abbildung 72: links: Südtiroler Siedlung Innsbruck Pradler Saggen (2020); rechts: Freudenstadt (ca. 2019

91
5.3. Die Stuttgarter Killesberg-Siedlung

Helmut Erdle plante die Siedlung am Killesberg in Stuttgart für die Gartenschau 1950. Als Baugrund
wurde der Osthang des Killesberges vorgesehen. Die Ausstellung lag großteils am ehemaligen Gelände
der Reichsgartenschau 1939. Nachdem das Ausstellungsgelände durch den Krieg stark in Mitleidenschaft
gezogen worden war, erfuhr es durch die Planungen des Landschaftsarchitekten Hermann Mattern 1950
eine Revitalisierung. Er arbeitete das Konzept für die Gartenschau 1950 aus und erbaute unter anderem
einen gläsernen Aussichtsturm und eine Seilbahn durch das „Tal der Rosen“, von dem aus auch die
Killesberg-Siedlung zu erreichen war. Rolf Gutbrod entwarf für die Ausstellung die „Milchbar“. Sie steht
beispielhaft für eine neue Nachkriegsarchitektur, die sich abwendet von der Zeit des
Nationalsozialismus, wie die gesamte Gartenschau 1950 symbolhaft für einen hoffnungsvollen Blick in
die Zukunft steht. Dies gilt auch für die Killesberg-Siedlung, die als Mustersiedlung gedacht war. Sie
hatte als eines der ersten siedlungsplanerischen Projekte nach dem Zweiten Weltkrieg besondere
Bedeutung. An der Mustersiedlung sollten Maßstäbe des modernen Wohnens entwickelt und
ausgestellt werden.259

Die Stadt Stuttgart, welche das Areal für die Gartenschau zur Verfügung stellte, hatte Helmut Erdle
anscheinend für die Planung der Siedlung vorgeschlagen, denn er wurde ohne die Ausschreibung eines
Wettbewerbs mit dem Projekt beauftragt. Im Herbst des Jahres 1948 konnte Helmut Erdle bereits die
Gesamtplanung präsentieren.260 Erdle hatte nur wenige Jahre zuvor in Tirol als Leiter der
Planungsabteilung der Alpenländischen Heimstätte eine der einflussreichsten Positionen für den Bau der
Südtiroler Siedlungen inne. Geprägt durch seinen Lehrmeister Heinz Wetzel entwickelte er die Idee einer
stark landschaftsbezogenen Architektur. Für die Siedlungen in Tirol und Vorarlberg gelang es Erdle, eine
Architektursprache zu entwickeln, welche sich aus der regionalen Bautradition nährt, sie aber nicht
kopiert. Alle Siedlungen Erdles nehmen stets Bezug auf die umgebende Topografie und den natürlichen
Kontext, in welchen sie hineinwachsen zu scheinen. Eben diese Sensibilität für die historische
Kulturlandschaft, aber auch für den urbanen Raum, zeichnet Erdles gesamtes Œuvre aus, so auch die
Siedlung am Killesberg. Mit seiner weitreichenden Erfahrung war Helmut Erdle eine ausgezeichnete
Wahl für den Entwurf der Mustersiedlung.

Die Siedlung am Killesberg wurde durch den Ausbau zweier bereits vorhandener Straßen erschlossen.
Außerdem führen Treppen vom Gartenschaugelände hinauf zur höhergelegenen Killesberg-Siedlung. Die
Häuser der Siedlung sind entlang zweier Straßen, der Menzel- und der Lenbachstraße, angeordnet. Es
hätte noch die „Kuppe“ am Areal entstehen sollen, die aber nie realisiert wurde. Sie hätte den höchsten
Punkt des Geländes markiert und einer Kirche, einem Kindergarten und weiteren Einfamilienhäusern
Platz geboten. An der Menzelstraße reihen sich vier Kettenwohnhäuser entlang der Straße, zu der sie
giebelseitig ausgerichtet sind, ein Einfamilienhaus und das sogenannte Ladenhaus mit mehreren
Wohnungen und zwei Geschäftslokalen. An das Ladenhaus ist ein Künstleratelier angeschlossen. Auch
entlang der Lenbachstraße staffeln sich Reihen- und Kettenhäuser am Hang. Die Bebauung ist so

259
Kabierske 1998, 2.
260
Kabierske 1998, 3.

92
angelegt, dass durch kein Haus
die Aussicht für die anderen
versperrt ist.261 Hangseitig bildet
eine Reihe von in den Hang
gebauten Garagen eine niedrige
Stufe vor den höher liegenden,
durch einläufige Treppen, die
sogenannten
„Weinbergtreppen“,
erschlossenen Wohnhäusern.262
Talseitig erscheinen die direkt
an der Straße stehenden Häuser
durch das abfallende Gelände,
auf dem sie errichtet wurden,
niedriger, als sie tatsächlich
sind.263 Zwischen der lockeren
Bebauung des Areals liegen
ausgedehnte Grünflächen, die
den angrenzenden Park schon
Abbildung 73: Helmut Erdle: Siedlung am Killesberg, Skizze Lageplan (1949) ankündigen. Abgegrenzte
Grundstücke oder umzäunte Gärten waren nicht Teil von Erdles Konzept und wurden demnach bewusst
vermieden. Helmut Erdle bediente sich noch häufig des Formen-Repertoires der Stuttgarter Schule,
jedoch ohne in der Vergangenheit zu verharren. Er verwendet zum Beispiel Giebeldächer, die er jedoch
asymmetrisch ausführt. Neben Böschungsmauern aus Naturstein wählt Erdle Holz und Putz als sichtbare
Materialien.264 Die Gebäude verfügen über Fertigbalkendecken und Bimshohlblocksteine für die
Außenmauern. Erdle versuchte eine Verschmelzung des Außen- und Innenraumes in der Siedlung.
„Wohngärten“ stellen die Erweiterung des zentralen Wohnraumes dar. Die schräg eingebauten
Innenwände öffnen sich zu den Fenstern und zum dahinter liegenden Garten hin.265 Diesen starken
Bezug zur umgebenden Natur verstärken große Lichtöffnungen und Freiflächen zwischen den
Gebäuden, die Erdle als „Wohnhöfe“ bezeichnete. Die relativ flachen Dachneigungen und der Verzicht
auf Dachausbauten verbessern die Sonneneinstrahlung in diese „Wohnhöfe“ und die rückwärtigen
Gärten.266 Zwar wirkt die Siedlung auf den ersten Blick schlicht in ihrer Gestaltung, bei genauerer
Betrachtung erweisen sich die Häuser aber als sehr detailreich und individuell durchgestaltet.

Diese Individualität ist es auch, was die Killesberg-Siedlung mit den Tiroler Siedlungen Erdles verbindet.
Erdle gelang es in Tirol und Vorarlberg, eine weit größere Varianz in der Gestaltung der Siedlungen
durchzusetzen als zu Beginn der „Sondermaßnahme S“ als Standard für die Wohnhäuser gedacht war.
Mit seinen Mitarbeitern gelang es Helmut Erdle, für jede Siedlung eigenständige Lösungen zu erarbeiten
und eine an die Landschaft angepasste Formensprache zu generieren. Festgelegte Grundrisse und

261
Kabierske 1998, 3.
262
Erdle 1950, 291.
263
Kabierske 1998, 3.
264
Kabierske 1998, 3.
265
Erdle 1950, 294.
266
Erdle 1950, 291.

93
Häusertypen, wie sie von den Heimstätten vorgeschrieben wurden, lehnte Erdle ab. Er war der
Auffassung, dass sich das Äußere einer Siedlung bzw. eines Hauses aus den unmittelbaren
landschaftlichen Gegebenheiten und der besonderen Topografie jedes Standortes entwickeln müsse. Da
jedoch der Grundriss mit der Außenhaut eines Gebäudes in Abhängigkeit stehe, könne niemals ein
standardisierter Grundriss zur Anwendung kommen. Das äußere Erscheinungsbild verkäme demnach zu
einem Kostüm.267 Dieser tiefen Überzeugung blieb Helmut Erdle sein Leben lang treu, so auch bei der
Planung der Siedlung am Killesberg. 1959 wurde die Siedlung mit dem „Paul-Bonatz-Preis“
ausgezeichnet.268

Abbildung 74: Geschnittene Isometrie eines Wohnhauses an der Menzelstraße mit


Garage, Pergola und „Wohngarten“, ca. 1949/50

267
Höhns 1992, 288.
268
Kabierske 1998, 4.

94
Abbildungen 75, 76, 77 und 78: Killesberg-Siedlung in Stuttgart,
Fotoausschnitte (zwischen 1950 und 1980)

95
6. Die Denkmalschutz-Problematik269

Die Zahl der Südtiroler Siedlungen in Nordtirol sinkt seit ca. 15 Jahren rasant. Die „Neue Heimat Tirol“
hat es sich zum Ziel gemacht, den Altbestand zu erneuern und nachzuverdichten.270 Dabei geht ein
kulturelles Erbe Tirols unwiderruflich verloren. Von den 34 Südtiroler Siedlungen in Tirol sind bis zum
heutigen Tag nur noch 18 wenigstens teilweise erhalten. Unter Denkmalschutz stehen nur anderthalb
Südtiroler Siedlungen: Die Siedlung in Kematen steht seit 2016 als komplette Anlage unter Schutz,
während in Reutte nur der nördliche Teil der Siedlung seit 2018 geschützt ist. Der Denkmalschutz
umfasst hier auch die Gartenanlagen, die für die Südtiroler Siedlungen charakteristisch sind. Die
Gemeinde Reutte erhob Einspruch gegen die Unterschutzstellung der Reuttener Südtiroler Siedlung,
weshalb ein Verfahren eingeleitet wurde, dessen Ausgang einen Kompromiss vorsah: Nur die Hälfte der
Anlage wurde geschützt. Für die Siedlungen in Reutte sowie in Kematen gilt lediglich der Schutz für
Fassaden und Freiflächen, weswegen Stiegenhäuser und Wohnungen umgebaut werden können. In St.
Johann in Tirol wurde einem Teil der Siedlung der Status „Schutzzone“ im Rahmen des Ortsbildschutzes
zugesprochen.

Die Unterschutzstellung der Südtiroler Siedlungen konnte schon in der Vergangenheit öffentliches
Interesse und das Bewusstsein der Bevölkerung erregen und fördern. Weitere Unterschutzstellungen
verbunden mit einer öffentlichen Debatte über die Bedeutung der Siedlungen als Konsequenz
rassenpolitischer Verbrechen könnten daher einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leisten,
sind aber laut Landeskonservatorat Tirol nicht geplant.

Leider ist noch immer der Irrglaube anzutreffen, dass Gebäude oder Denkmale der NS-Zeit nicht
schützenswert wären. Ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Erhalts von sogenannten „unbequemen
Denkmalen“, welches eine Aufarbeitung der Vergangenheit erst ermöglicht und eine Erinnerungskultur
schaffen kann, fehlt bedauerlicherweise großteils.

So protestierte der Bürgermeister Kematens, Rudolf Häusler, 2014 gegen die Unterschutzstellung der
dortigen Südtiroler Siedlung, indem er das Argument ins Treffen führte, der Denkmalschutz müsse nichts
aus der Zeit vor Bestehen der Zweiten Österreichischen Republik schützen. Aus dieser Zeit gäbe es auch
nichts Schützenswertes, so Häusler in einem Zeitungsinterview.271 Leider kursiert diese Meinung nicht
nur in den Reihen der Lokalpolitik, sondern hält sich nicht selten auch in höhere Instanzen. Die Bauten
der NS-Zeit in Tirol sind vom Land Tirol bis heute noch nicht vollständig erhoben worden. Einige dieser
Gebäude stehen zwar schon unter Denkmalschutz, allerdings konnte noch keine zufriedenstellende
Aufarbeitung dieser nationalsozialistischen Relikte stattfinden.

Häusler argumentierte 2014 auch mit der Sorge, Kematen könnte durch den Schutz der Siedlung der Ruf
einer „NS-Kulturgemeinde“ anhaften.272 Die Beseitigung von nationalsozialistischer Architektur ist

269
Alle Informationen dieses Kapitels, die nicht eigens gekennzeichnet sind, erschließen sich aus dem schriftlichen
Interview mit Dr. Michaela Frick, welches in Anhang nachzulesen ist.
270
Brüggeller/Thurner 2019.
271
Daum 2014.
272
Daum 2014.

96
allerdings kein adäquater Weg, um sich mit jenem düsteren Kapitel der Tiroler Geschichte
auseinanderzusetzten. Nur der Erhalt von Zeugnissen des Dritten Reichs und ihre Entschärfung durch
der Bevölkerung zugängliche Information sowie eine historische Einordnung der Objekte können hierzu
beitragen.

Andererseits eröffnet sich bezüglich Thema Wohnbau der NS-Zeit auch oft eine Lücke im öffentlichen
Bewusstsein. NS-Architektur wird mit repräsentativen Monumentalbauten assoziiert, nicht aber mit
heimelig anmutender Siedlungsarchitektur. Sofern die Siedlungen nicht durch Bombenangriffe zerstört
wurden, setzte sich ihre Bewohnung nach Kriegsende übergangslos fort und die Gebäude wurden bald
nicht mehr mit den Umständen ihrer Entstehung in Zusammenhang gebracht. Während in Österreich
eine Banalisierung dieser Alltagsarchitektur ungehindert fortschritt, fand in Deutschland schon ab den
1970er-Jahren eine Auseinandersetzung mit der Thematik statt.273

Auch die „Neue Heimat Tirol“ bekundet kein Interesse am Erhalt der Siedlungen. Statt zu sanieren setzt
die NHT auf Binnenverdichtung und Neubau. Sanierungen der Südtiroler Siedlungen werden von Seiten
der „Neuen Heimat Tirol“ beispielsweise aus Kostengründen abgelehnt. Mittels diverser Förderungen,
die durch das Denkmalschutzgesetz ermöglicht werden, würde laut Dr. Michaela Frick,
Landeskonservatorin in Tirol, eine Sanierung aber nicht an der Finanzierung scheitern. Gern gebrauchte
Argumente für einen Abbruch der Siedlungen beziehen sich auch auf den angeblich maroden Zustand
der einzelnen Wohnhäuser. Die schlechte Energieeffizienz der Gebäude durch undichte Fenster, das
Fehlen einer Zentralheizung, schlechte Isolierung und veraltete Installationen könnte allerdings
problemlos verbessert werden. Stattdessen werden betroffene Siedlungen trotz teils massiver Kritik der
BewohnerInnen schrittweise demontiert und verdichtet neugebaut. Zusätzlich steigen die Mieten in den
neuen Wohngebäuden von bisher ca. 4 Euro pro Quadratmeter auf das Doppelte.274

In Innsbruck konnte 2016 eine eigens ins Leben gerufene Bürgerinitiative den Abbruch einiger Pradler
Siedlungen nicht stoppen. Die NHT und die Stadt Innsbruck setzten sich über die BewohnerInnen hinweg
und rissen Teile der Siedlungen schon ab, während die Nachbargebäude noch bewohnt wurden. Die
Kritik an der NHT wurde immer lauter, nachdem die MieterInnen nicht über die Vorgänge informiert
worden waren. Das Verhalten der „Neuen Heimat Tirol“ gegenüber der Mieterschaft wurde als
„Mobbing“ bezeichnet.275 MieterInnen betroffener Gebäude beklagten in Interviews mit der Tiroler
Tageszeitung immer wieder enormen psychischen Druck, der durch die NHT auf diese Weise ausgeübt
würde. Die „Neue Heimat Tirol“ konterte und sprach von der Notwendigkeit, die leerstehenden
Gebäude abzureißen, um illegaler Bewohnung durch Obdachlose vorzubeugen.276 Die Anschuldigung,
die NHT wolle die letzten Übriggebliebenen zum Gehen zwingen, kam auch ein Jahr später wieder auf,
als im Pradler Saggen Wohnblöcke abgebrochen wurden. Auch in diesem Fall wurden einige
Mietparteien nicht über den bevorstehenden Abriss ihrer Wohnblöcke in Kenntnis gesetzt, während die
Gebäude bei der Stadt schon abgemeldet wurden. Laut NHT geschah die Abmeldung allerdings
versehentlich.277 BewohnerInnen der Siedlung Panzing in Innsbruck klagten 2015, die NHT würde bereits
durch die Mieterschaft finanzierte Erneuerungen im Bereich des Dachbodens und der Balkone schon

273
Rief 2012, 82.
274
Hinterwaldner 2018, 36.
275
Domanig 2016.
276
Domanig 2017.
277
Czingulszki 2017.

97
nach kurzer Zeit wiederum auf Kosten der MieterInnen renovieren, statt den Erhalt der Bausubstanz zu
gewährleisten. Die NHT wurde demnach beschuldigt, den Altbestand absichtlich verfallen zu lassen.278

Auch in Hall entbrannte erst kürzlich wieder eine Diskussion rund um die Südtiroler Siedlung Galgenfeld.
Die NHT will die Anlage abtragen, während BürgerInnen und Bürgermeisterin Dr. Eva Mario Posch klar
für den Erhalt der Siedlung einstehen und sich eine Sanierung wünschen. Für die NHT steht fest, dass
eine Sanierung unrentabel wäre, worauf die Bürgermeisterin konterte:

„Die Haller Altstadt ist ein Musterbeispiel, wie man Bausubstanz, die sogar deutlich älter ist,
bewohnbar halten kann“.

Außerdem wolle man die geringe Baudichte erhalten und die hohe Lebensqualität der Siedlung für die
BewohnerInnen, die ihre Wohnungen über die Jahre renoviert, umgebaut und gepflegt hätten, auf
keinen Fall zerstören. Die Siedlung, so Posch, sei „charakteristisch“ für die Stadt Hall. Der schlechte
Zustand der Bausubstanz, den die NHT als Hauptgrund für den gewünschten Abriss nennt, wurde, so die
Anrainer, wider besseres Wissen durch fehlende Erhaltungsmaßnahmen von Seiten der NHT
herbeigeführt.279

Wird die „Neue Heimat Tirol“ mit der historischen Bedeutung der Südtiroler Siedlungen konfrontiert,
wird meist sehr schnell das Thema „Kunst am Bau“ angesprochen. Die NHT legt großen Wert auf
künstlerische Beiträge für ihre Neubauprojekte.280 Oft sollen diese Kunstwerke an die Geschichte der
Südtiroler Siedlungen erinnern. Beispielsweise pflanzte der Haller Künstler Franz Wassermann 2019 vor
die neu erbauten Wohnblöcke am Gebiet der ehemaligen Südtiroler Siedlung in Telfs eine auf den Kopf
gestellte Weide ein, welche medienwirksam gegossen wurde. 281 Die Symbolik dieses Kunstwerks
erschließt sich nicht sofort und ob es Kunstprojekte wie dieses überhaupt vermögen, die Komplexität
und Tragweite, aber auch die emotionale und soziale Geschichte der Südtiroler Siedlungen zu erzählen,
ist fraglich. Die Südtiroler Siedlungen lassen sich als Teil des Gesamtzusammenhangs nur dann korrekt
ausmachen, wenn ihre Aussagekraft an den dinglichen Zeugen per se nachvollzogen werden kann.
Manfred F. Fischer fasst die Bedeutung des Erhalts von Relikten der NS-Zeit aus denkmalpflegerischer
Sicht zusammen:

„Das Aufarbeiten von Geschichte kann zur verdrängenden Schuldzuweisung an historische


Personen und Gruppen werden, um sich nicht mit sich selbst zu beschäftigen. Alle Trauerarbeit
kann nur stellvertretend an einigen Orten geschehen. […] In diesem Bezugsfeld kann und muß
die Denkmalpflege darauf dringen, daß für jedwede Aufarbeitung von Geschichte deren Quellen
in ihrer historischen Authentizität erhalten bleiben. Nur so kann die jetzige und kann jede
künftige Generation sich mit diesem Kapitel deutscher Geschichte beschäftigen. Erinnerung geht
schnell verloren. Erinnerung muß aber von jedem Einzelnen und von der gesamten Gesellschaft
geleistet werden.“282

Die Südtiroler Siedlungen stehen beispielhaft für die Umsiedlung der SüdtirolerInnen aus ihrer Heimat.
Die rassenpolitisch motivierte Umsiedlungsaktion von mehr als 75.000 Personen manifestierte sich in

278
Domanig 2015.
279
Domanig 2021. 23.
280
Neue Heimat Tirol 2013, 73.
281
Brüggeller/Thurner 2019.
282
Fischer 1994, 45.

98
den Südtiroler Siedlungen, die eigens für ihre Unterbringung errichtet worden waren. Ihr Erhalt ist nicht
nur aus historischer Sicht von großer Wichtigkeit; auch, um die Erinnerungskultur in den Gemeinden zu
stärken und eine Aufarbeitung der Geschichte zu ermöglichen, muss den Südtiroler Siedlungen endlich
die große Bedeutung zugeschrieben werden, die sie innerhalb der Tiroler Geschichte innehaben. Aus
bauhistorischer Sicht sind die Gebäude höchst erhaltenswert als die ersten Träger des künstlich
geschaffenen „Tiroler Stils“, der die Identität Tirols bis heute prägt. Auch die Lebensqualität der
Siedlungen und die große Wertschätzung, die sie von ihren BewohnerInnen erfahren, stehen klar für
einen Erhalt der Anlagen.

99
7. Katalog der Südtiroler Siedlungen Tirols283

1. Absam 71 Wohneinheiten abgerissen ab 2007


2. Flirsch 10 Wohneinheiten abgerissen 2011
3. Fulpmes 18 Wohneinheiten noch erhalten
4. Hall-Galgenfeld 117 Wohneinheiten noch erhalten
5. Hopfgarten 41 Wohneinheiten noch erhalten
6. Imst-Am Grettert 86 Wohneinheiten abgerissen 2012-2016
7. Imst-Oberstadt 48 Wohneinheiten noch erhalten
Innsbruck insgesamt 1.859 Wohneinheiten
8. IBK-Ahornhof - im Abbruch befindlich
9. IBK-Amthorstraße - im Abbruch befindlich
10. IBK-Am Rain 40 Wohneinheiten abgerissen 2019
11. IBK-Am Roßsprung - abgerissen ab 2014
12. IBK-An-der-Furt - noch erhalten
13. IBK-Eichhof - noch erhalten
14. IBK-Lindenhof - noch erhalten
15. IBK-Panzing - noch erhalten
16. IBK-Pradler Saggen - im Abbruch befindlich seit 2016
17. IBK-Saggen-Ost - noch großteils erhalten
18. IBK-Wilten-West - noch erhalten
19. Jenbach-Tratzbergsiedlung 259 Wohneinheiten noch erhalten (Abbruch in Planung)
20. Jenbach-Prantlsiedlung 126 Wohneinheiten abgerissen ab 2014
21. Jochberg 40 Wohneinheiten abgerissen ab 2014
22. Kematen 129 Wohneinheiten noch erhalten, unter DMS

283
Diese Erhebung beruht auf den Veröffentlichungen von Helmut Weihsmann und Helmut Alexander und wurde
durch meine eigenen Recherchen ergänzt. Weihsmann und Alexander zählen allerding die ursprünglichen
Bauabschnitte, wodurch sie auf die Zahl 43 kommen. Ich habe mich dafür entschieden, die tatsächlichen
Siedlungen zu zählen, die formal und im örtlichen Kontext als zusammengehörig in Erscheinung treten und nenne
34 Siedlungen. Weitere Quellen: Marktgemeinde Brixlegg, Marktgemeinde Fulpmes und Dorfchronist Florian
Huter, Marktgemeinde Hall in Tirol, Stadtgemeinde Imst, Gemeindeamt Kramsach und Dorfchronist Elmar
Widmann, Altbürgermeister Egon Außerhofer und Bruno Bichler, Gemeindeamt Pfunds und Auskunftsperson
Thomas Petrasch, Marktgemeinde Völs, Marktgemeinde Wattens.

100
23. Kitzbühel-Badhaussiedlung 68 Wohneinheiten abgerissen 2014
24. Kramsach 32 Wohneinheiten nicht mehr im Originalzustand erhalten
25. Kufstein 418 Wohneinheiten abgerissen ab 2015
26. Landeck-Perjen 89 Wohneinheiten abgerissen ab 2018
27. Lienz 239 Wohneinheiten noch erhalten
28. Reutte 155 Wohneinheiten noch erhalten, z. T. unter DMS
29. Schwaz-Freiheitssiedlung 102 Wohneinheiten zum Teil abgerissen ab 2015
30. St. Johann 118 Wohneinheiten teilweise abgerissen ab 2015, teilweise
……………. als Schutzzone ausgewiesen
31. Telfs 156 Wohneinheiten abgerissen ab 2009
32. Wattens 60 Wohneinheiten noch erhalten
33. Wörgl 205 Wohneinheiten abgerissen ab 2017
34. Zams 122 Wohneinheiten im Abbruch befindlich seit 2008

101
8. Fazit und Diskussion

Durch umfangreiche Recherchen unter Miteinbeziehung des bisherigen Standes der Forschung konnte
durch die vorliegende Arbeit ein besonderes Kapitel in der Tiroler Architekturgeschichte beleuchtet
werden. Die Einordnung der Südtiroler Siedlungen in die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen
Gegebenheiten ihrer Entstehungszeit ist nicht nur wichtig für ein generelles Verständnis der Siedlungen,
es ist sogar essenziell, um die Tragweite des gesamten Unterfangens zu erfassen: Die Südtiroler
Siedlungen erfüllen selbstverständlich ihre vermeintlich vorrangige Funktion – die Schaffung von
Wohnraum – markieren aber bei genauerer Betrachtung eine Ausnahme im sozialen Wohnbau im
Rahmen der NS-Architektur. Sie dienten als Propagandawerkzeug, waren die sichtbare Folge Hitlers und
Mussolinis „völkischer Flurbereinigung“, schufen die Voraussetzungen für die erste organisierte
Einwanderungswelle nach Tirol dieser Größenordnung und provozierten erstmals einen
architektonischen Diskurs über die Identität Tirols.

Tirol war nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie nach dem Ersten
Weltkrieg geteilt worden. Südtirol fiel Italien zu und seine Bevölkerung sollte „italianisiert“ werden, was
auf großen Widerstand stieß. Im Deutschen Reich hingegen herrschte durch den wirtschaftlichen
Aufschwung unter Hitler Arbeitskräftemangel. Die „Reichsdeutschen“ konnten diesen Mangel nicht
decken, weswegen auf sogenannte „Volksdeutsche“ zurückgegriffen werden sollte. Für Mussolini und
Hitler ergab sich eine „Win-Win-Situation“: Die in Italien unerwünschte Südtiroler Bevölkerung sollte ins
Deutsche Reich umgesiedelt werden, wo sie gut gebraucht werden konnte. Das Schicksal vieler
Südtiroler Familien wurde auf diese Weise am 23. Juni 1939 besiegelt.

Das Unterfangen war gewagt und sorgte für kontroverse Diskussionen hinter verschlossenen Türen. Die
Medien berichteten nur sehr zögerlich über die Pläne Hitlers und Mussolinis und ließen die betroffene
Bevölkerung lange Zeit im Dunklen. Auch der Gauleiter für Tirol und Vorarlberg, Franz Hofer, bekundete
seine Bedenken und drängte mehrmals darauf, die Umsiedlungspläne aufzugeben. Hofer musste sich
schließlich fügen und trat ab diesem Zeitpunkt persönlich für das Gelingen der Aktion ein. In
großangelegten Kampagnen versuchte er die einheimische Nordtiroler Bevölkerung für das Projekt zu
gewinnen.

Während Hofers Propagandafahrten durch Tirol wurde bereits an der Organisation des Riesenprojektes
gearbeitet. Die „Neue Heimat Tirol“ war eingerichtet und zusammen mit dem Innsbrucker
Heimstättenamt mit dem Projekt betraut worden. Architekten der Heimstätte, freie Architekten sowie
unzählige Ingenieure stellten Recherchen an und das Reichsheimstättenamt und die DAF fixierten
Normen und Kataloge. Während des gesamten Unterfangens herrschte enormer Zeitdruck. Mehrere
große Wellen an OptantInnen kamen am Innsbrucker Hauptbahnhof an und mussten untergebracht
werden. Insgesamt verlangten um die 75.000 Menschen nach dem Obdach, das ihnen versprochen
worden war. Sie wurden zuerst in Hotels und Notunterkünften untergebracht, bevor sie ihre endgültigen
Wohnungen beziehen konnten.

Umso erstaunlicher scheint die Qualität der Siedlungen verglichen mit dem sozialen Wohnbau, der in
der NS-Zeit ansonsten üblich war. Die Südtiroler Siedlungen fallen aus den gewohnten Normen und
Standards der NS-Architektur, sie markieren ein Extrem. Die Anlagen halten sich an die grundlegenden

102
baulichen Prinzipien der Zeit. So waren eine handwerkliche Ausführung, das Arrangement in einem
Angerdorf, starke Durchgrünung und nachbarschaftliche Strukturen die Grundpfeiler des
nationalsozialistischen Siedlungsideals. Dennoch übersteigen der große Detailreichtum, die überlegte
Gestaltung, die umfangreiche Erweiterung des Typenkatalogs und die Individualisierung der Grundrisse
und Fassaden die Standards der Siedlungsarchitektur der NS-Zeit.

Den größten Einfluss auf die Gestalt der Südtiroler Siedlungen übte ohne Zweifel Helmut Erdle aus. Ihm
ist es zu verdanken, dass die Siedlungen mit großer Feinfühligkeit auf die Landschaft abgestimmt
wurden und sich in den jeweils gegebenen ruralen sowie urbanen Kontext einfügten. Zu gleichen Teilen
zeichnen auch Ludwig Schweizer und Heinz Möritz verantwortlich für die detaillierten Entwürfe der
Wohngebäude. Schweizer und Möritz gelang es, den Genius Loci der Tiroler Gemeinden zu erfassen und
in ihren Entwürfen einzufangen. Die Fotodokumentation, die eigens angefertigt wurde, um die Tiroler
Architektur kennen und verstehen zu lernen, zeugt von den Bestrebungen, die Siedlungen bestmöglich
in das vorhandene Milieu einzupassen. Die Architekten wollten also Tirol nicht ihren Stempel
aufdrücken, sondern ordneten sich der lokalen Bautradition unter, ohne diese aber blind zu kopieren.
Durch Standardisierung der Treppenhäuser, Tür- und Fenstermaße, Raumhöhen und Dachstühle, durch
die Verwendung von immer gleichen Materialien sowie Bodenbelägen und Dacheindeckungen, erweisen
sich die Südtiroler Siedlungen durch ihre fortschrittliche Ausstattung in den Küchen und Bäder als
moderne Gebäude. Auch die Bauaufgabe per se war einen moderne. In so kurzer Zeit unter massivem
Arbeitskräfte- und Ressourcenmangel Wohnraum für 75.000 ImmigrantInnen zu schaffen war eine
große Herausforderung. Eine kurze Rückbesinnung auf das Jahr 2015 und die massive Flüchtlingskrise
Europas lassen Bilder von Traglufthallen und Containergebäuden aufkommen. Eine menschenwürdige
Unterbringung ist auch heute für viele der Flüchtlinge nicht gewährleistet.

Die Südtiroler Siedlungen hingegen funktionieren heute noch, 80 Jahren nach ihrer Erbauung und bieten
ihren BewohnerInnen intelligente, kompakte Grundrisse, eine lebenswerte, durchgrünte Umgebung,
ästhetisch ansprechende Siedlungsarchitektur sowie nachbarschaftliche Gemeinschaft. Das Gelingen des
Projektes „Südtiroler Siedlungen“ ist meines Erachtens zum überwiegenden Teil den daran beteiligten
Architekten und Stadtplanern zu verdanken.

Die Analyse der drei Beispielsiedlungen konnte die Annahme bestätigen, dass die Siedlungen auf
individuelle Ansprüche abgestimmt, stringent an die vorhandenen Siedlungsstrukturen angeschlossen
sowie ästhetisch in die Kulturlandschaft eingefügt wurden.

Der moderne soziale Wohnbau strebt viele der Eigenschaften an, die die Südtiroler Siedlungen
verkörpern: Gemeinschaftsgärten als „urban gardening“-Konzepte, Gemüseanbau und dadurch ein
erster Schritt in Richtung Lebensmittelautarkie, alte Baumbestände, um eine Abkühlung des urbanen
Klimas herbeizuführen und dadurch die Lebensqualität zu steigern, die Stärkung des nachbarschaftlichen
Gemeinschaftslebens, regionaler Handel durch integrierte „Dorfläden“, gute Anbindung an öffentliche
Verkehrsmittel und Infrastrukturen. Einsteigerwohnungen, kompakte und smarte Grundrisse für den
immer größer werdenden Bedarf an Kleinwohnungen sowie Wohnraum für junge Familien waren
Themen, die heute noch immer aktuell sind.

Im Vergleich zu späteren Projekten von Erdle, Schweizer und Möritz ist der große Einfluss zu erkennen,
den die Planung der Südtiroler Siedlungen auf die Architekten ausübte. Lehrsätze konnten
weiterentwickelt werden und in der Folge wurden Begrünung und lockere Bauweise zum Standard und
werden bis heute von den BewohnerInnen der behandelten Vergleichsprojekte geschätzt. In

103
Freudenstadt war es sowohl der Bevölkerung als auch den Architekten ein großes Anliegen, den riesigen
Marktplatz in seiner Großzügigkeit zu erhalten und nicht zu überbauen. Auch Erdles Killesberg-Siedlung
in Stuttgart zeigt einen großen Landschaftsbezug und bindet die Natur in die Siedlung ein. Peter Koller
war zwar nach seiner Tätigkeit als NS-Stadtplaner nicht mehr aktiv an Planungen beteiligt, weswegen
keine Rückschlüsse auf den Einfluss der Südtiroler Siedlungen auf ihn gezogen werden können, hatte
aber schon für die „Stadt des KdF-Wagens“ eine durchgrüntes Schema mit sogenannten „Grünwegen“
als Prinzip für Wohnsiedlungen angewandt.

Der zukünftige Umgang mit den Siedlungen muss von diesen Überlegungen geleitet werden. Mit dem
Erhalt der Siedlungen ist es jedoch nicht getan. In der Bevölkerung herrscht noch immer zu wenig
Bewusstsein für die Denkmale der NS-Zeit. Der erste Schritt müsste sein, die Südtiroler Siedlungen auch
als solche anzusehen. Durch ihre ständige Benutzung und übergangslose Weiterverwendung nach Ende
des Zweiten Weltkriegs erhielten sie als „Alltagsarchitektur“ nie dieselbe Aufmerksamkeit wie
repräsentative Gebäude – im Gegenteil sie wurden sogar banalisiert. Ihr hoher politischer Stellenwert
als Propagandawerkzeug Hitlers geriet damit in Vergessenheit und wird sogar tabuisiert. Werden die
Südtiroler Siedlungen erhalten und weiter genutzt, müsste auch gewährleistet werden, dass eine
historische Einordnung in Form von Informationstafeln, Kunstwerken und dergleichen für die
Bevölkerung im Allgemeinen sowie ihre BewohnerInnen im Besonderen ermöglicht wird. Keinesfalls
aber sollen die Südtiroler Siedlungen unkommentiert bleiben.

Diese Arbeit stellt keine vollständige Erforschung der Südtiroler Siedlungen dar. Sie soll den Grundstein
für zukünftige, detailliertere Forschungsarbeiten legen, die sich mit diesem Thema befassen. Ein
Vergleich der Südtiroler Siedlungen mit der nationalsozialistischen Besiedlungsvision für den Osten des
Deutschen Reichs könnte weitere Aufschlüsse geben. Die Arbeitsmigration durch Anwerbung von
„Gastarbeitern“ in den 1960er und 1970er Jahren lassen eine ähnliche Ausgangssituation vermuten, was
sich eventuell auch in der Frage der Unterbringung widerspiegeln könnte. Doch auch die Gegenwart
eignet sich für diverse Vergleiche: Die Behausungen, die für Flüchtlinge an den Außengrenzen der EU
installiert wurden, sind großteils menschenunwürdig und elend. Wie kann hier sozialer Wohnbau neu
definiert werden?

Das Thema der Südtiroler Siedlungen Tirols ist in Anbetracht dieser Überlegungen ein äußerst aktuelles.
Durch die Umweltkrise werden immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen auf der Suche nach einer
neuen. Ebenso zwingt politische oder religiöse Verfolgung, Terror und Krieg ganze Volksgruppen zur
Flucht. Die Unterbringung dieser Menschen in sicheren, menschenwürdigen und nachhaltigen
Gebäuden muss gewährleistet werden. Die Südtiroler Siedlungen können hier vielleicht einen
gedanklichen Anstoß geben, aber auch zum Mahnmal gegen Vertreibung, Ausgrenzung, Rassismus und
machtpolitisches Kalkül werden.

104
9. Verzeichnis

9.1. Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung

CSR Corporate Social Responsibility

DAF Deutsche Arbeitsfront

DAG Deutsche Ansiedlungsgesellschaft

DMS Denkmalschutz

DUT Deutsche Umsiedlungs-Treuhandgesellschaft

ETH Eidgenössische Technische Hochschule

EU Europäische Union

IBK Innsbruck

KdF Kraft durch Freude

NHT Neue Heimat Tirol

NS Nationalsozialismus/nationalsosialistisch

NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

o. A. ohne Autor/Autorin

ÖGB Österreichischer Gewerkschaftsbund

RKFdV Reichskommissariat für die Festigung deutschen Volkstums

RM Reichsmark

SS Schutzstaffel

TH Technische Hochschule

TU Technische Universität

UK United Kingdom

VKS Völkischer Kampfring Südtirols

z. T. zum Teil

105
9.2. Quellenverzeichnis

Gemeindeamt Kramsach

Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation:

Bildersammlung IZS, Stadt Wolfsburg

Interviews:

Dr. Michaela Frick, Bundesdenkmalamt, Abteilung für Tirol (siehe Anhang)

Marcel Glaser am 1.März 2021. Marcel Glaser ist Doktorand an der Universität Kassel am
Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte bei Prof. Dr. Winfried Speitkamp. Der Titel seiner
Dissertation ist „Peter Koller (1907-1996). Stadtplaner in Diktatur und Demokratie“. Sie wurde
im März 2021 eingereicht.

Jürgen Schnurr, zweiter Vorsitzender des Heimat- und Museumsverein für Stadt und Kreis
Freudenstadt am 11. März 2021

Florian Huter, Dorfchronist der Marktgemeinde Fulpmes am 3. Mai 2021

Elmar Widmann, Dorfchronist der Gemeinde Kramsach mit Egon Außerhofer, Altbürgermeister
der Gemeinde Kramsach und Bruno Bichler, Bewohner eines Hauses der Südtiroler Siedlung in
Kramsach am 26. Mai 2021

Thomas Petrasch, Auskunftsperson und Zeitzeuge am 25. Mai 2021

Marktgemeinde Brixlegg

Marktgemeinde Reutte:

Pläne Südtiroler Siedlung (Hausverwaltung, Umweltabteilung, Wohnungsamt)

Marktgemeinde Völs

Neue Heimat Tirol:

Digitales Archiv Neue Heimat Tirol

NHT Archiv

Privatarchiv A. Erdle:

106
Erdle, Helmut: Bauen in der Landschaft. Die Wohnungsbauten der Deutschen Gartenschau, in:
Die Bauzeitung (Stuttgart) 54. 1950, 7, 290-298.

Erdle, Helmut: Erinnerungen an die tiroler Zeit 1939 – 1943 (handschriftliche


Tagebuchaufzeichnung), Innsbruck 1945

Fotografien der Killesberg Siedlung

Stadtarchiv Hall:

StaH/Bauamt, Mappen Südtiroler Siedlung, Hall-Schönegg

StaH/Bildarchiv (1_2-25)

StaH/Bildarchiv (1_2-45)

StaH/Bildarchiv (1_2-46)

Stadtarchiv Innsbruck:

Planbestand Südtiroler Siedlungen

Stadtarchiv Wolfsburg:

StadtA WOB, HA 7945, Teil 1

StadtA WOB, S 11 (Koller privat), 63, Korrespondenz Peter Kollers mit Clemens Holzmeister
wegen dessen Kritik an den Wohnungsbauten in Innsbruck (1948-1949).

StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 344 Planungsunterlagen Kollers für das zusammen mit
Rudolf Hillebrecht und Wilhelm Wortmann erstellte Gutachten zur Porschestraße (1955). Enthält:
Fotografien und Skizzen Kollers sowie Lagepläne der Porschestraße.

Stadtgemeinde Imst

Süddeutsches Archiv für Architektur und Ingenieurbau:

saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand
Heinz Möritz; Bestand Helmut Erdle; Bestand Ludwig Schweizer

Tiroler Landesarchiv:

Tiroler Landesarchiv, Firmenarchiv der Neuen Heimat Tirol, Repertorium 751, 62/IBK (XII
Saggen), Box 15, Mappe 2

107
9.3. Literaturverzeichnis

Alexander/Lechner/Leidlmair 1993 – Alexander, Helmut/Lechner, Stefan/Leidlmair, Adolf: Heimatlos.


Die Umsiedlung der Südtiroler. Wien 1993

Adam 1992 – Adam, Peter: Art of the Third Reich. New York 1992

Bonatz 1950 – Bonatz, Paul: Leben und Bauen. Stuttgart 1950

Brüggeller/Thurner 2019 – Brüggeller, Monika/Thurner, Claudia: Bewegte Geschichte. Südtiroler


Siedlungen: Heimat für Heimatlose, in Kronen Zeitung online 26. 07. 2019,
(https://www.krone.at/1966727, zuletzt abgerufen am 01. 05. 2021)

Czingulszki 2017 – Czingulszki, Agnes: NHT-Mieter: "Man will uns rausekeln", in: meinbezirk.at (das
Online-Portal der Bezirksblätter) 29. 04. 2017, (https://www.meinbezirk.at/innsbruck/c-lokales/nht-
mieter-man-will-uns-rausekeln_a2088307, zuletzt abgerufen am 01. 05. 2021)

Daum 2014 – Daum, Denise: Schützenswert oder nicht – das ist strittig, in: Tiroler Tageszeitung online
25. 07. 2014, (https://www.tt.com/artikel/8681119/schuetzenswert-oder-nicht-das-ist-strittig, zuletzt
abgerufen am 01. 05. 2021)

DNK 48 – Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.): Architektur und Städtebau der 30er/40er
Jahre. Ergebnisse der Fachtagung in München, 26.-28. November 1993, des Deutschen
Nationalkomitees für Denkmalschutz (Band 48). Bonn 1994

Domanig 2015 – Domanig, Michael: Mieter kritisieren die Neue Heimat, in Tiroler Tageszeitung online
19. 05. 2015, (https://www.tt.com/artikel/10025053/mieter-kritisieren-die-neue-heimat, zuletzt
abgerufen am 01. 05. 2021)

Domanig 2016 – Domanig, Michael: Konflikt um Südtiroler Siedlung, in: Tiroler Tageszeitung online 18.
05. 2016, (https://www.tt.com/artikel/11455497/konflikt-um-suedtiroler-siedlung, zuletzt abgerufen
am 01. 05. 2021)

Domanig 2017 – Domanig, Michael: Abriss in Pradl stößt Mietern sauer auf, in: Tiroler Tageszeitung
online 19. 08. 2017, (https://www.tt.com/artikel/13329150/abriss-in-pradl-stoesst-mietern-sauer-auf,
zuletzt abgerufen am 01. 05. 2021)

Domanig 2021 – Domanig, Michael: Patt in Sachen Südtiroler Siedlung, in: Tiroler Tageszeitung 76. 2021,
72, 23

Domarus 1962 – Domarus, Max: Hitler. Reden und Proklamationen 1932 – 1945. Kommentiert von
einem deutschen Zeitgenossen. 4 Bde., Neustadt a. d. Aisch 1962-1963, hier Bd. 1, 1962

108
Durth 1994 – Durth, Werner: Stadtplanung 1930-1950. Zwischen Kontinuität und Bruch, in: Deutsches
Nationalkomitee für Denkmalschutz (Hg.): Architektur und Städtebau der 30er/40er Jahre. Ergebnisse
der Fachtagung in München, 26.-28. November 1993, des Deutschen Nationalkomitees für
Denkmalschutz (Band 48). Bonn 1994

Egger 2018 – Egger, Tobias: Der „Völkische Kampfring Südtirols“ (VKS) als Organisation und seine
Aktionsweise im mittleren Pustertal während der Optionszeit. Diplomarbeit Universität Innsbruck 2018

Erdle 1950 – Erdle, Helmut: Bauen in der Landschaft. Die Wohnungsbauten der Deutschen Gartenschau,
in: Die Bauzeitung (Stuttgart) 54. 1950, 7, 290-298

Fehl 1994 – Fehl, Gerhard: Typisierter Wohnungsbau im „Dritten Reich“, in: Deutsches Nationalkomitee
für Denkmalschutz (Hg.): Architektur und Städtebau der 30er/40er Jahre. Ergebnisse der Fachtagung in
München, 26. - 28. November 1993, des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (Band 48).
Bonn 1994

Feußner/Fischer 2008 – Feußner, Helmut/Fischer, Friedhelm: Von der "Heimstätte" zur Wohnstadt.
Transformationen eines Unternehmens zwischen "Weimarer Republik" und 21. Jahrhundert. Kassel
2008

Fischer 1994 – Fischer, Manfred F.: Denkmalpflege zwischen Verdrängung und Trauerarbeit, in: Durth,
Werner/Nerdinger, Winfried (u. A.): Architektur und Städtebau der 30er/40er Jahre. Ergebnisse der
Fachtagung in München, 26. - 28. November 1993, des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz.
Bonn 1994

Glaser/Grieger 2017 – Glaser, Marcel/Grieger, Manfred: Die „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“.
Ein Musterraum der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft?, in: Süß, Winfried/Thießen, Malte (Hg.):
Städte im Nationalsozialismus. Urbane Räume und soziale Ordnungen. Göttingen 2017

Glaser 2018 – Glaser, Marcel: Stillschweigende Lernprozesse. Der Architekt Peter Koller und der
Nationalsozialismus, in: Das Archiv. Zeitschrift für Wolfsburger Stadtgeschichte 2. 2018, 008, 4-6

Glaser 2021 – Glaser, Marcel: Peter Koller (1907-1996). Stadtplaner in Diktatur und Demokratie.
unveröffentlichte Dissertationsschrift, Kassel 2021

Grass 1996 – Grass, Nikolaus (Hg.): Stadtbuch Hall in Tirol. Innsbruck21996 (1981)

Haerendel 1999 – Haerendel, Ulrike: Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie,


Kleinhausbau und "Wohnraumarisierung" am Beispiel Münchens. München 1999

Hammerbacher/Krämer 2013 – Hammerbacher, Valérie/Krämer, Anja: Stuttgart. Architektur des 20. Und
21. Jahrhunderts. 22 Stadtspaziergänge. Karlsruhe 2013

Helfrich 1941 – Helfrich, Sepp: Der Weg zum neuen Bauen, in: Papesch, Josef/Riehl, Hans/v.
Semetkowski, Walter (Hg.): Heimatliches Bauen im Ostalpenraum. Graz 1941, 175f

Hinterwaldner 2018 – Hinterwaldner, Karl: Operation Abriss, in: ff. Das Südtiroler Wochenmagazin 40. 4.
10. 2018, 36-39

109
HMF 2019 – Heimat- und Museumsverein für Stadt und Kreis Freudenstadt e. V. (Hg.): Ludwig
Schweizer. Architekt zwischen Tradition + Moderne. Der Wiederaufbau von Freudenstadt. Das Wunder
im Quadrat. Freudenstadt 2019

Höhns 1992 – Höhns, Ulrich: Grenzenloser Heimatschutz 1941. Neues, altes Bauen in der „Ostmark“ und
der „Westmark“, in: Magnago Lampugnani, Vittorio/Schneider, Romana (Hg.): Moderne Architektur in
Deutschland 1900–1950. Reform und Tradition. Stuttgart 1992, 283-301

Holzmeister 1948 – Holzmeister, Clemens: Wiedersehen mit der Heimat, in: Die Furche 4. 1948, 8, 8

Jank/Smrcek 2009 – Jank, Ann-Kristin/Smrcek, Mandy: Konzept zur Innenstadtentwicklung Wolfsburg.


Die Autostadt im stadtplanerischen Umbruch. Hamburg 2009

Jessen 2015 – Jessen, Johann (Hg.): Der Städtebau der Stuttgarter Schule. Berlin 2015

Kabierske 1998 – Kabierske, Gerhard: Helmut Erdle (1906-1991) und die Stuttgarter Killesberg-Siedlung.
Eine Ausstellung des Südwestdeutschen Archivs für Architektur und Ingenieurbau an der Universität
Karlsruhe in der Architektur-Galerie am Weißenhof, Stuttgart, 27. März - 19. Mai 1996 (Notizen aus dem
saai, 2). Karlsruhe21998 (1996)

Koller 1941 – Koller, Peter: Zusammenhang von Städtebau und Wohnungsbau. Erläutert an der Planung
Innsbruck, in: Der soziale Wohnungsbau in Deutschland 1. 1941, 4, 110-127

Lipp 1994 – Lipp, Richard: Außerfern. Der Bezirk Reutte. Wien-Innsbruck 1994

Lugger 1993 – Lugger, Klaus: Wohnbau sozial. Innsbruck von 1900 bis heute. Innsbruck 1993

Neue Heimat Tirol 2013 – Neue Heimat Tirol (Hg.): Die Geschichte der „Neuen Heimat Tirol“. 1939-2014.
Innsbruck-Wien 2013

Nerdinger/Brüning 1993 – Nerdinger, Winfried (Hg.)/Brüning, Ute: Bauhaus-Moderne im


Nationalsozialismus. Zwischen Anbiederung und Verfolgung. München 1993

O. A. 1939 – o. A.: Tirol zu jedem Opfer für Deutschland bereit, in: Innsbrucker Nachrichten 86. 1939,
156, 5

Pallaver /Steurer 2011 – Pallaver, Günther/Steurer, Leopold (Hg.): Deutsche! Hitler verkauft euch!. Das
Erbe von Option und Weltkrieg in Südtirol. Bozen 2011

Petsch 1976 – Petsch, Joachim: Baukunst und Stadtplanung im Dritten Reich.


Herleitung/Bestandsaufnahme/ Entwicklung/Nachfolge. München-Wien 1976

Pisecky 1939a – Pisecky, Franz: Abkommen über Südtirol, in: Innsbrucker Nachrichten Nr. 246, vom
23.10.1939, 3

Pisecky 1939b – Pisecky, Franz: Wohnungen für Südtiroler und Volksgenossen, in: Innsbrucker
Nachrichten Nr. 269, vom 18.11.1939, 3f

Rasp 1981 – Rasp, Hans-Peter: Eine Stadt für tausend Jahre. München, Bauten und Projekte für die
Hauptstadt der Bewegung. München 1981

110
Rauter 1943 – Rauter, Otto: Das Bauernhaus im Gau Tirol und Vorarlberg. Schriften für neues
Bauerntum. Berlin 1943

Rief 2012 – Rief, Fabian: Die Südtiroler Siedlung in Reutte. Die Entstehung eines Reuttener Ortsteils im
Zuge des „NS-Volkswohnungsbaus“ für Südtiroler Umsiedler im Gau Tirol-Vorarlberg, ergänzt durch eine
Oral History-Untersuchung. Diplomarbeit Leopold-Franzens-Universität Innsbruck 2012

Schechtman 1946 – Schechtman, Joseph B.: European Population Transfers. 1939-1945. New York 1946

Schneider 1979 – Schneider, Christian: Stadtgründung im Dritten Reich. Wolfsburg und Salzgitter.
Ideologie, Ressortpolitik, Repräsentation. München 1979

Seifert 1943 – Seifert, Alwin: Das echte Haus im Gau Tirol-Vorarlberg. Innsbruck 1943

Sommer 1993 – Sommer, Ingo: Die Stadt der 500 000: NS-Stadtplanung und Architektur in
Wilhelmshaven. Wiesbaden 1993

Stadt Wolfsburg 2012 – Stadt Wolfsburg (Hg.): Gestaltungsfibel. Siedlung Steimker Berg in Wolfsburg.
Wolfsburg 2002

Taeschner 1941 – Taeschner, Titus: Über die Bauten der Südtiroler Rückwanderer in Innsbruck, in: Der
soziale Wohnungsbau in Deutschland 1. 1941, 4, 128-131

Teut, Anna 1967 – Teut, Anna: Architektur im Dritten Reich. 1933-1945. Frankfurt/M-Berlin 1967

Weihsmann 1998 – Weihsmann, Helmut: Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs. Wien
1998

9.4. Abbildungsverzeichnis

Abb. Auf der Titelseite: StaH/Bildarchiv (1_2-46), Urheber: Foto Stockhammer, Hall in Tirol

Abb.1: Innsbrucker Nachrichten 86. 1939, 246, 3

Abb.2: Innsbrucker Nachrichten 86. 1939, 269, 4

Abb.3: Neues Wiener Tagblatt 73. 1939, 40, 15

Abb.4: Heimat- und Museumsverein für Stadt und Kreis Freudenstadt e. V. (Hg.): Ludwig Schweizer.
Architekt zwischen Tradition + Moderne. Der Wiederaufbau von Freudenstadt. Das Wunder im Quadrat.
Freudenstadt 2019, 56. (Stadt Freudenstadt, Stadtarchiv)

Abb.5, 6: saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand
Helmut Erdle

111
Abb.7: Heimat- und Museumsverein für Stadt und Kreis Freudenstadt e. V. (Hg.): Ludwig Schweizer.
Architekt zwischen Tradition + Moderne. Der Wiederaufbau von Freudenstadt. Das Wunder im Quadrat.
Freudenstadt 2019, 58. (Stadt Freudenstadt, Stadtarchiv)

Abb.8, 9, 10: saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand
Heinz Möritz

Abb.11: StadtA WOB Sammlung Nolte

Abb.12: Deutsche Bauzeitung 75. 1941, 3, 1

Abb.13, 14, 15: links: saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie,
Bestand Heinz Möritz; rechts: Romana Federer

Abb.16: Rauter 1943 – Rauter, Otto: Das Bauernhaus im Gau Tirol und Vorarlberg. Schriften für neues
Bauerntum. Berlin 1943

Abb.17, 18, 19: NHT Archiv

Abb.20: Koller 1941 – Koller, Peter: Zusammenhang von Städtebau und Wohnungsbau. Erläutert an der
Planung Innsbruck, in: Der soziale Wohnungsbau in Deutschland 1. 1941, 4, 114

Abb.21: Koller 1941 – Koller, Peter: Zusammenhang von Städtebau und Wohnungsbau. Erläutert an der
Planung Innsbruck, in: Der soziale Wohnungsbau in Deutschland 1. 1941, 4, 123

Abb.22: StadtA WOB, S 11 (Nachlass Peter Koller II), 344

Abb.23, 24: Stadtarchiv Innsbruck

Abb.25, 26: Stadtarchiv Innsbruck, bearbeitet: Romana Federer

Abb.27, 28: Digitales Archiv Neue Heimat Tirol

Abb.29, 30, 31, 32: Michael Svehla

Abb.33, 34: StaH/Bauamt, Mappen Südtiroler Siedlung, Hall-Schönegg

Abb.35, 36: Romana Federer

Abb.37: StaH/Bauamt, Mappen Südtiroler Siedlung, Hall-Schönegg

Abb.38, 39, 40: Romana Federer

Abb.41: StaH/Bauamt, Mappen Südtiroler Siedlung, Hall-Schönegg

Abb.42: StaH/Bildarchiv (1_2-45), Urheber: Foto Stockhammer, Hall

Abb.43: Marktgemeine Reutte, bearbeitet: Romana Federer

Abb.44, 45, 46, 47, 48: Romana Federer

Abb.49, 50, 51: Marktgemeine Reutte

Abb.52, 53, 54: Romana Federer

112
Abb.55, 56: Marktgemeine Reutte

Abb.57, 58: Romana Federer

Abb.59: Bildersammlung IZS, Stadt Wolfsburg

Abb.60: StadtA WOB, Planarchiv, 76

Abb.61: Foto aufgenommen von Benutzer de:Benutzer:jt_wob, Juli 2010</a>, Copyrighted free use, via
Wikimedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Marktplatz_steimker_berg.jpg, zuletzt
abgerufen am 9. 4. 2021)

Abb.62: StadtA WOB, Planarchiv, K3875

Abb.63: Bildersammlung IZS, Stadt Wolfsburg

Abb.64: Bauen, Siedeln, Wohnen 20. 1940, 20, 660

Abb.65: Heimat- und Museumsverein für Stadt und Kreis Freudenstadt e. V. (Hg.): Ludwig Schweizer.
Architekt zwischen Tradition + Moderne. Der Wiederaufbau von Freudenstadt. Das Wunder im Quadrat.
Freudenstadt 2019, 38. (HStAS, N220, A177)

Abb.66, 67, 68, 69, 70, 71, 72: jeweils: links: Romana Federer; rechts: Heimat- und Museumsverein für
Stadt und Kreis Freudenstadt

Abb.73: saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau, Karlsruher Institut für Technologie, Bestand
Helmut Erdle

Abb.74: Erdle, Helmut: Bauen in der Landschaft. Die Wohnungsbauten der Deutschen Gartenschau, in:
Die Bauzeitung (Stuttgart) 54. 1950, 7, 290-298. (Privatarchiv A. Erdle)

Abb.75, 76, 77, 78: Privatarchiv A. Erdle

113
10. Anhang

Schriftliches Interview zur Denkmalschutz-Problematik an Dr. Michaela Frick,


Bundesdenkmalamt Tirol (20.4.2021)
1. Welche Kriterien müssten die Südtiroler Siedlungen erfüllen, um in die Liste der
denkmalgeschützten Objekte aufgenommen zu werden?
Gemäß §1 DMSG gelten die im Denkmalschutzgesetz definierten Bestimmungen für von
Menschen geschaffene unbewegliche und bewegliche Gegenstände (einschließlich Überresten
und Spuren gestalteter menschlicher Bearbeitung sowie künstlich errichteter oder gestalteter
Bodenformationen) von geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung,
wenn ihre Erhaltung dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist.
In Österreich gibt es jedoch keine Aufnahme in die Liste von denkmalgeschützten Gebäuden
wie beispielsweise in Südtirol.
In Österreich müssen Denkmäler mittels Verordnung (§2a DMSG) oder mittels
Unterschutzstellungsverfahren (§3 DMSG) unter Denkmalschutz gestellt werden.
2. Können die Südtiroler Siedlungen insgesamt geschützt werden oder nur jede Siedlung separat?
Es kann nur jede Siedlung separat geschützt werden oder auch nur Teile einer Siedlung
3. Wie könnte ein Ensembleschutz für die Südtiroler Siedlungen aussehen? Ist die Siedlung in
Kematen z.B. unter Ensembleschutz?
Siedlungen fallen nicht unter den Begriff „Ensemble“, sondern vielmehr unter den Begriff
„Anlage“. Anlagen sind Mehrheiten von unbeweglichen oder beweglichen Denkmalen, die
bereits von ihrer ursprünglichen oder späteren Planung her als im Zusammenhang hergestellt
wurden). Diese Anlagen gelten dann als Einzeldenkmal. Als Teil dieser Siedlungsanlage zählen
auch die mit dieser in Verbindung stehenden befestigten oder in anderer Weise
architektonisch mit einbezogenen Freiflächen (bei den Südtiroler Siedlungen die wichtigen
Vor- und Nutzgärten, die von Anfang an Teil der Siedlung waren). Die Siedlung Kematen stellt
eine Denkmalanlage dar.
4. Wie wurde entschieden, dass die Südtiroler Siedlung in Kematen schützenswert ist? Wer hat
den Denkmalschutz für diese Siedlung beantragt? Wann wurde sie unter Denkmalschutz
gestellt?
Das Bundesdenkmalamt kann von Amts wegen tätig werden. Die Unterschutzstellung wurde
vom Bundesdenkmalamt eingeleitet und steht seit 2016 unter Denkmalschutz.
5. Wie wurde entschieden, dass die halbe Südtiroler Siedlung in Reutte schützenswert ist? Wer hat
den Denkmalschutz für diese Häuser beantragt? Wann wurden sie unter Denkmalschutz
gestellt? Warum wurde nur ein Teil der Siedlung unter Denkmalschutz gestellt und nicht die
gesamte Siedlung?
Die Südtiroler Siedlung Reutte steht im Eigentum der Gemeinde. Von daher stand sie kraft
gesetzlicher Vermutung gemäß §2 DMSG ex lege unter Denkmalschutz. Diese gesetzliche
Vermutung endete mit 31. Dezember 2009. Gegen die vorläufige Unterschutzstellung durch
Verordnung (§2a DMSG) erhob die Gemeinde Einspruch, worauf ein
Unterschutzstellungsverfahren gemäß §3 DMSG eingeleitet wurde. Dass nur ein Teil der
Siedlung geschützt ist, ist das Ergebnis des Verfahrens und wurde in letzter Instanz vom
Bundesverwaltungsgericht entschieden. Dieser Teil steht seit 2018 unter Denkmalschutz.

114
6. Können die unter Denkmalschutz stehenden Siedlungen in Reutte und Kematen als vorbildlich
angesehen werden?
ja
7. Weshalb wurden die übrigen Südtiroler Siedlungen bisher übergangen?
Die übrigen Siedlungen wurden nicht übergangen, sondern geprüft. Man kann jedoch nicht
alle Siedlungen unter Denkmalschutz stellen, in Tirol entstanden zwischen 1940 und 1944
immerhin 43 Siedlungen für Südtiroler Optanten. Zusätzlich zu den Siedlungen in Reutte und
Kematen ist ein Teil der Südtiroler Siedlung St. Johann in Tirol durch das Stadt- und
Ortsbildschutzgesetz als Schutzzone ausgewiesen.
8. In Deutschland wäre es undenkbar, dass so wichtige architektonische Zeugnisse, bzw. Denkmale
aus der NS-Zeit einfach abgerissen werden können. Sind sie nicht ein Mahnmal, welches
erhalten werden muss? Wie beurteilen Sie die historische Bedeutung der Südtiroler Siedlungen
und den Umgang mit Ihnen?
Die historische Bedeutung der Südtiroler Siedlungen ist sehr hoch. Es gibt aus dieser Zeit Orte
der Opfer und Orte der Täter. Südtiroler Siedlungen sind kein Mahnmal, sie sind Dokumente
des Umsiedlungsprozesses der Südtiroler Optanten, die eben in den Siedlungen von Kematen
und Reutte dokumentiert werden.
9. Wie wird in Tirol mit anderen Bauten aus der NS-Zeit umgegangen?
Die Bauten der NS-Zeit werden zurzeit vom Land erhoben.
10. Welche anderen Bauten, die durch das NS-Regime errichtet wurden, stehen bereits unter
Denkmalschutz?
Es stehen in Tirol einige Bauten unter Schutz etwa Innsbruck, Neues Landhaus, Innsbruck,
Haydnplatz 5, ehem. NSV-Schwesternheim, Lienz, Dolomitenstraße 36-40, Neue
Polizeikaserne, Lienz, Wolkensteinerstraße 5-7, SS-Häuser, Sölden, Universitätszentrum
Obergurgl (ehem. Bundessportzentrum), Hall in Tirol, Freischwimmbad, Wiesing,
Achenseestraße, Innbrücke, Sölden, Schießstand, Jenbach, Südtiroler Aussiedlerdenkmal, Flak-
Stellung Lanserkopf (in Planung)…
11. Wie beurteilen Sie die Haltung der BewohnerInnen zu „ihren“ Südtiroler Siedlungen?
Die BewohnerInnen genießen die Struktur mit den Gärten und die geringe Baudichte.
12. Gibt es in der Tiroler Bevölkerung ein Bewusstsein für die Südtiroler Siedlungen als historisch
bedeutendes Erbe?
Teilweise. Das Bewusstsein ist jedoch mit der Unterschutzstellung der zwei Siedlungen und
der Ausweisung als Schutzzone in St. Johann gewachsen.
13. Wenn Sie sehen, wie Südtiroler Siedlungen in Kufstein oder Telfs abgerissen werden (um zwei
aktuellere Beispiele zu nennen) und noch dazu unter Protesten der Bevölkerung, was geht Ihnen
durch den Kopf? Würden Sie diese Siedlungen gerne „retten“? Warum können Sie in diesen
Fällen nicht handeln?
Wir können leider nicht die Welt umarmen. Im Falle der Südtiroler Siedlungen sind diese
durch den Schutz der zwei Siedlungen gut dokumentiert, die Siedlungen in Telfs oder Kufstein
sind nicht und waren nie für einen Schutz vorgesehen.
14. Felix Mitterer hat in seinem Theaterstück bzw. Film „Verkaufte Heimat“ die Geschichte der
Südtiroler AuswanderInnen erzählt. Vor einiger Zeit wurde es neu inszeniert und fand eine
überwältigende Kulisse in den halb abgebrochenen Häusern der Südtiroler Siedlung in Telfs. Der
Untertitel dieser Neuinszenierung lautete „Das Gedächtnis der Häuser“. Wie stehen Sie zu

115
Aktionen wie dieser? Fühlen Sie sich verantwortlich? Kommt Ihnen ein mediales Interesse für
die Südtiroler Siedlungen nicht zugute, um für die Siedlungen aktiv werden zu können?
Siehe Frage 13.
15. Neulich erschien ein Artikel in der „Tiroler Tageszeitung“, welcher über das Schicksal der
Südtiroler Siedlung in Schönegg in Hall berichtete. Die „Neue Heimat Tirol“ will diese Siedlung
abreißen und stark verdichtet wiederaufbauen. Neben der historischen Bedeutung der Siedlung
gingen auch die Grünflächen und Gärten verloren und der Boden würde durch Beton- und
Asphaltflächen versiegelt werden. Die Haller Bürgermeisterin Eva-Maria Posch sprach sich klar
gegen einen Abriss der Siedlung aus und für eine Sanierung, was die „Neue Heimat Tirol“
aufgrund von zu hohen Kosten und dadurch steigenden Mieten ablehnt. Wie beurteilen Sie
diese konkrete Situation? Gibt es Ihrerseits Gespräche mit Bürgermeisterin Posch? Könnte man
in diesem Fall eine Art „Not“-Denkmalschutz verhängen?
Nein. Von Seiten des Denkmalschutzes ist es nicht geplant, die Siedlung in Hall unter
Denkmalschutz zu stellen. Diese Gespräche müssten zwischen der Stadt Hall in Tirol und der
Neuen Heimat stattfinden. Es geht dabei auch um Raumordnungsfragen. Die Größe des
Neubauprojektes und das Ausmaß der „Bodenversiegelung“ durch den Bauwerber könnte
durch Raumordnungswidmungen beeinflusst werden.
16. Wie könnte aus Ihrer Sicht das Finanzierungsproblem maroder Bausubstanz gelöst werden? Wie
geht man damit bei anderen Denkmälern um?
„Marode Bausubstanz“ ist kein Begriff in der Denkmalpflege. Grundsätzlich können alle
Baudenkmäler saniert werden. Dafür können gemäß Denkmalschutzgesetz Förderungen
gewährt werden. Es gibt jedoch noch zahlreiche andere Fördergeber (Land Tirol,
Althaussanierung etc.). Wenn man in Tirol will, dann scheitert die Sanierung historischer
Bausubstanz sicherlich nicht an der Finanzierung. Abbruch und Neubau müssen auch
finanziert werden.
17. Der ökologische Fußabdruck, den ein Abriss und Neubau von ganzen Siedlungen hinterlässt, ist
beträchtlich. Bauschutt muss entsorgt werden, für den Neubau werden große Mengen an
Wasser benötigt (z.B. für Betonfundamente) und unbebaute Freiflächen, die vor Überhitzung im
Sommer schützen und nebenbei durch ihre Bepflanzung einen Beitrag gegen das Artensterben
leisten und regionalen Nahrungsbezug gewährleisten können, werden versiegelt. Wie schätzen
Sie die ökologische Bedeutung des Denkmalschutzes ein? Spielt Nachhaltigkeit eine Rolle in
Ihrem Betätigungsfeld?
Nachhaltigkeit ist ein Thema in der Denkmalpflege. Durch die Nutzbarmachung historischer
Bausubstanz können natürlich vorhandene Ressourcen genützt werden. Trotzdem kann man
nur das schützen, was auch die Kriterien des Denkmalschutzes erfüllt.
18. Könnte mehr Öffentlichkeitsarbeit für eine Bewusstsein Schaffung in der Bevölkerung für die
Südtiroler Siedlungen geleistet werden? Wenn ja, wie?
Südtiroler Siedlungen sind nur ein Teil des baukulturellen Erbes aus der NS-Zeit. Die
Aufarbeitung der Bauten der NS-Zeit, die derzeit beim Land Tirol läuft, wird sicherlich zur
Bewusstseinsbildung beitragen.
19. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der „Neuen Heimat Tirol“ in Bezug auf die bereits
geschützten Objekte? Würden Intentionen, die Südtiroler Siedlungen der „Neuen Heimat Tirol“
unter Denkmalschutz zu stellen auf offene Ohren stoßen?

116
Gute Zusammenarbeit. Die Südtiroler Siedlung Reutte steht im Besitz der Gemeinde, wie
bereits ausgeführt. Es ist nicht angedacht, die „Südtiroler-Siedlungen der Neuen Heimat“ Tirol
unter Denkmalschutz zu stellen.
20. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit dem Land Tirol? Gib es von Seiten des Landes
Interesse für die Südtiroler Siedlungen?
Siehe Antwort 18.
21. Wäre es aus Ihrer Sicht wünschenswert, die Südtiroler Siedlungen (sofern sie noch erhalten sind)
durch den Denkmalschutz zu erhalten?
Es ist von Seiten der Denkmalpflege nicht geplant, weitere Siedlungen aktiv unter
Denkmalschutz zu stellen.
22. Was würden Sie sich für die Zukunft der Südtiroler Siedlungen erhoffen? Wie soll mit dem
Altbestand umgegangen werden? Sind Generalsanierungen, Teilsanierungen oder Ergänzungen
durch Neubauten oder Liftanlagen sinnvoll?
Wir können uns nur um die Zukunft der denkmalgeschützten Siedlungen kümmern. In
Kematen ist eine denkmalgerechte Weiterentwicklung geplant (thermische und bauliche
Sanierung, technische Infrastruktur, Nutzungssicherheit). Es wird an wenigen vordefinierten
Punkten Erweiterungen geben. Es ist auch geplant, eine Wohnung museal zu nutzen.
Diese Vorgangsweise ist auch für Reutte angedacht. Auch hier wird eine Wohnung von der
Gemeinde zur musealen Präsentation der Südtiroler Siedlung zur Verfügung gestellt und
adaptiert.

117
Eidesstattliche Erklärung
Ich erkläre hiermit an Eides statt durch meine eigenhändige Unterschrift, dass ich die vorliegende
Arbeit selbständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet
habe. Alle Stellen, die wörtlich oder inhaltlich den angegebenen Quellen entnommen wurden, sind als
solche kenntlich gemacht.

Die vorliegende Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form noch nicht als Magister-/Master-
/Diplomarbeit/Dissertation eingereicht.

Datum Unterschrift

118

Das könnte Ihnen auch gefallen