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DOMINIK BURKARD
die Einheit der Nationen in Religion und Kultur, während überall die Um-
risse neuer militärischer Zusammenstösse sich zeigen. […] Wohl ahnen
viele moderne Menschen nicht, dass sie noch immer von den hohen sittli-
chen und kulturellen Gütern des Christentums zehren, obwohl sie Christus
und die Kirche ablehnen. Ist es nicht wesentlich der stillen Arbeit des Chris-
tentums zu verdanken, dass die Begriffe der Humanität und Caritas, der
Höherwertung des Geistigen über die Welt des Stoffes im modernen Hei-
dentum nicht bereits längst versunken sind?“
Romtreue und nationales Bewußtsein waren für Hudal allerdings kein
Gegensatz,
„denn die Kirche ist nicht international im Sinne des Marxismus. Sie kennt
keine Überfremdung guter nationaler Art, denn alle Völker bedürfen der
Ergänzung durch das Christentum. Auch im 20. Jahrhundert ist die Voll-
endung wahren Menschentums an die Gnade Gottes gebunden, deren gott-
gewollte Ausspenderin die Kirche für alle Nationen ist. [...] Wir wollen
Rom treu bleiben, ohne deshalb etwa die Ideale des Vaterlandes und der
Nation auf Halbmast zu setzen.“18
Angesichts zunehmender Aggressivität des Nationalsozialismus sah Hu-
dal die Kirche in dieser Rolle bedrängt. 1935 nahm er in seiner Studie
„Der Vatikan und die modernen Staaten“ zur Frage nach dem konkur-
rierenden Verhältnis zwischen katholischer Kirche und (nationalsozia-
listischem) Staat Stellung:
„Sind nicht andere Kräfte weltanschaulicher und kulturpolitischer Art be-
müht, diese Führerrolle dem Papsttum und damit der katholischen Kirche
streitig zu machen, um beide aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen?
Wird der moderne Kult von Staat und Nation, der mit seinen Totalitätsan-
sprüchen und einem Mythos von Blut und Rasse die Welt in eine Kultur-
wende hineinführt, neben sich ein anderes Führertum anerkennen, das nicht
von dieser Welt ist, aber doch auf ihr nicht wie ein Anachronismus oder
eine Einrichtung versunkener Geschichtsepochen, sondern als lebendigste
Wirklichkeit aus dem Wesen des Christentums heraus ebenfalls eine ent-
scheidende Stimme beansprucht?“
Der Nationalsozialismus versuche, einen ganz bestimmten Menschen-
typus mit einer einheitlichen Weltanschauung und einem neuen Lebens-
stil zu züchten, der mit den Zielen des Staates sich vollständig decke.
Eine derartige Weltanschauung widerspreche der christlichen Lehre aber
völlig. Niemals könne Kompromiß und Versöhnung möglich sein,
„wo Totalitätsstaaten eine eigene Weltanschauung als Ersatz des Christen-
tums den Bürgern aufzwingen wollen. In einer solchen Lage kann nur der
Kampf die Klärung und Entscheidung bringen, denn es ist eine Auseinan-
dersetzung zweier Welten um Sieg oder Untergang.“19
18
A. Hudal, Ecclesiae et nationi. Katholische Gedanken an einer Zeitenwende, Rom
1934, S. 10-12.
19
A. Hudal, Der Vatikan und die modernen Staaten, Innsbruck/Wien/München 1935,
S. 7, 65 f.
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20
Godman, Vatikan (wie Anm. 9) S. 116.
21
A. Hudal, Deutsches Volk und christliches Abendland, Innsbruck/Wien/München
1935, S. 10, 14-16.
22
A. Hudal, Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Eine ideengeschichtliche Un-
tersuchung von katholischer Warte, Wien/Leipzig 1936, S. 66-81.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 67
2. Die Rasse ist ein Gut und steht in der Wertskala der menschli-
chen Güter, aber keineswegs an oberster Stelle: „Nach christli-
cher Weltanschauung ist die natürliche sittliche Wertskala: Gott,
Seele, Familie, Rasse, Volk, Staat, Menschheit“.
3. Das menschliche Geistesleben ist nur sekundär blut- und kör-
perbedingt. Die Vererbungsgesetze können nicht ohne weiteres
auf das geistige Leben übertragen werden. „Kultur ist auch et-
was Metaphysisches“. In christlicher Sicht ist der Mensch eine
geistige Persönlichkeit, nicht nur eine Funktion des rassisch oder
national Vitalen.
4. Rassen sind nichts Starres, sondern in stetem Wandel begriffen.
5. Die Rassenlehre macht ein innerweltliches, subjektives Moment
zum Kriterium der menschlichen Stellung gegenüber der Reli-
gion, während das Christentum als Offenbarungsreligion an kei-
nem innerweltlichen Maßstab zu messen ist.
6. Die „neuen Dogmen“ des Nationalsozialismus müssen wissen-
schaftlich be- bzw. verurteilt werden.
Judentum
Die deutliche Ablehnung eines überspitzten Rassegedankens führt zur
Frage, welche Haltung Hudal dem Judentum gegenüber einnahm, und ob
er in dieser Hinsicht ein „Brückenbauer“ zum Nationalsozialismus war.23
Daß sich bei Hudal ein ausgeprägter Antisemitismus findet, ist zu-
nächst aus einer prinzipiellen Überlegung heraus nicht zu erwarten.
Hudal war von Haus aus Alttestamentler und als solcher mit dem Alten
Testament als der göttlich inspirierten Grundlage des christlichen Glau-
bens viel zu sehr vertraut, als daß er extreme Einseitigkeiten hätte ent-
wickeln können. Er wußte, „dass eine Zerreissung des Bandes zwischen
Altem und Neuem Testament aus Gründen der Rassenlehre für beide
das Ende“ bedeutet hätte, denn ihr Zusammenhang war nicht nur ein
geschichtlicher sondern organischer. „Ein von allem ‚Jüdischen’ gerei-
nigtes Evangelium bleibt eine Utopie und wäre eben kein Evangelium
mehr.“24 Die Überprüfung der von Hudal 1920 verfaßten Einleitung ins
Alte Testament25 förderte demzufolge keinerlei antijüdische oder gar
antisemitische Polemik zutage. Hudal bot stattdessen – selbst an Stel-
len, wo problematische Äußerungen durchaus vermutet werden könn-
23
Godman, Vatikan (wie Anm. 9) S. 120 stützt sich auf ein Zitat aus Hudals Schrift
„Der Vatikan und die modernen Staaten“ (1935), spricht von „Hudals Tiraden gegen die
Juden“ und nennt ihn den „Brückenbauer“ zwischen Katholizismus und Nationalsozialis-
mus. Ebd. S. 75 f. Dabei verkennt Godman, daß Hudal hier die russischen, religiös entwur-
zelten Juden (im Sinne einer gesellschaftlichen Gruppierung) als „kulturzersetzend“ be-
zeichnet, während er dem Judentum selbst, das „der Menschheit wertvolle Kulturgüter
und hervorragende Persönlichkeiten geschenkt hat“, größte Hochachtung entgegenbringt.
24
A. Hudal, Das Problem des Rasseneinflusses in der Entwicklung des abendländi-
schen Judentums. Vortrag im Kulturbund – Wien [...] am 17. März 1936, Rom 1936, S. 17.
25
A. Hudal, Einleitung in die heiligen Schriften des Alten Testaments. Lehrbuch für
Theologie-Studierende, Graz u.a. 1920 [195 S.].
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ten – ein nüchternes, auf das Wesentliche reduziertes Referat des wis-
senschaftlichen Forschungsstandes.26
Schon von dieser Warte her mußte Hudal sich gegen die Positionen
eines Theodor Fritsch (1852-1933) und sein „Handbuch zur Judenfra-
ge“ 27 wenden, mit dem dieser – so Hudal – beweisen wolle, daß der
Gott (Jahve) des Alten Testaments nicht mit dem Gott des Neuen Tes-
taments gleichzustellen sei und deshalb die christliche Religion auch
nicht jene der Deutschen sein könne, auf Grund von angeblichen, ger-
manischerseits untragbaren sittlichen Anschauungen des Alten Testa-
ments“. Der Wert des Alten Testaments werde „herabgesetzt, sittliche
Verfehlungen einzelner Persönlichkeiten, die von der Bibel nur berich-
tet, aber nicht gebilligt werden“, würden „als Ausfluß der jüdischen
Dekadenz erklärt, dagegen alle wirklich großen Gedanken auf Perser
und Sumerer zurückgeführt (Weltschöpfung, Gott der Schöpfer, Wel-
tenheiland).“ 28 Im Rahmen eines Gutachtens für das Sanctum Officium
machte Hudal 1934 auf das Werk und seine Gefahren aufmerksam, und
es scheint, daß er noch im selben Jahr diese wohl wichtigste antijüdi-
sche Propagandaschrift des Nationalsozialismus ausdrücklich zur Indi-
zierung angezeigt hat.29
26
1936 konnte Hudals Einleitung in vierter und fünfter Auflage erscheinen. Die Aus-
gabe besorgte der Würzburger Universitätsdozent Joseph Ziegler (1902-1988). Weshalb
Hudal die Arbeit abgegeben hatte, und weshalb gerade an Ziegler, entzieht sich bislang
unserer Kenntnis. Obwohl auch Ziegler durchaus gewisse Ambitionen hinsichtlich des
Nationalsozialismus hegte, zeigt seine Überarbeitung des Hudalschen Handbuchs keiner-
lei antisemitische Ausfälle. A. Hudal, Kurze Einleitung in die Heiligen Bücher des Alten
Testamentes, neu bearb. Auflage v. J. Ziegler, Graz u.a. 1936 [234 S.].
27
Das Handbuch war von Fritsch als „Verteidigungswaffe gegen das Judentum und
das mit ihm gegen Deutschland kämpfende Rom“ gedacht. Im Judentum und im Alten
Testament lagen für ihn die „Wurzeln, die noch immer in das Christentum unserer Zeit
hineingreifen und erst abgelöst werden müssen vom Stamme der deutschen Eiche“ – erst
dann könne „der Eichbaum wieder grünen und blühen“. Was folgt, ist ein Rundumschlag
verschiedener Autoren gegen das „verworfenste aller Völker“, um aufzuzeigen, wie jüdi-
sche Unterwanderung und Zerstörung auf allen Gebieten des Lebens zu einem Verfall
arischer Kultur und Sittlichkeit geführt hätten. Th. Fritsch (Hg.), Handbuch der Judenfra-
ge. Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes, Leipzig 371934, S. 3
f., 544, 546. Der Kampf galt „Rom und Juda“, Papsttum und Judentum, den miteinander
verschworenen „Haupt-Weltkriegs- und Revolutionsgewinnlern“. H. Wolf, Geschichte des
Judentums, in: Ebd. S. 39-110, hier S. 109. Der Gedanke wurde in einem eigenen Kapitel
aus der Feder des Rosenberg-Vertrauten Alfred Miller vertieft: Die katholische Kirche sei
die politische Schutzmacht des Judentums, eine Trennung zwischen Judentum und katho-
lischer Kirche sei absolut undenkbar. Selbst jene Katholiken, „die öfter oder gelegentlich
den Mut haben, gegen jüdische Einflüsse und Machenschaften anzukämpfen“ seien „alle
ohne Ausnahme einig, dass der Rassenantisemitismus zu verwerfen, weil er ‚unchristlich’
ist. Der Rassenantisemitismus ist sogar eine ‚Irrlehre’“. A. Miller, Katholizismus, in: Ebd.
S. 245-264, hier S. 247, 256, 259.
28
Hudal, Grundlagen (wie Anm. 22) S. 84.
29
Über den Focus der Kritik läßt sich allerdings näheres nicht sagen, da der Aktenfas-
zikel im Archiv des Sanctum Officium verloren ging. Kenntnis über den Vorgang bietet
allein das vorläufige Archivinventar des ACDF (2004), wo sich der Fall unter der Rubrik
„In questi casi o la documentazione non si è mai prodotta o è andata perduta o brucciata
per varie ragioni“ findet.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 69
Teil einer europäischen Bewegung an, die nicht mehr zu stoppen war,
mit der das Christentum künftig auf breiter Front zu rechnen haben
würde. Ein Arrangement schien also unabdingbar, doch durfte das Chris-
tentum dabei nicht auf Kirche und Sakristei beschränkt werden, viel-
mehr mußte der Nationalsozialismus in seiner Totalität beschnitten und
auf das politische Gebiet beschränkt werden. Den Nationalsozialismus
als politische Bewegung glaubte Hudal akzeptieren zu können, als
Weltanschauung aber (im Sinne eines Religionsersatzes mit Rassen-
ideologie, Totalität und Gewalt) lehnte er ihn ab. Es galt, eine Spaltung
zu bewirken, den weltanschaulichen Flügel auszuschalten und so den
Nationalsozialismus nach dem Vorbild des italienischen Faschismus zu
„zähmen“. Gleichzeitig sollten Nationalsozialismus und Kirche gezwun-
gen werden, ihr Verhältnis zu klären. Nur so glaubte Hudal das Überle-
ben der Kirche und des Christentums in Deutschland überhaupt sichern
zu können.
Hudals Zentralidee war also die einer Spaltung des Nationalsozia-
lismus in einen politischen („guten“) und einen ideologischen („schlech-
ten“) Flügel. Hudal rechnete in seinem Buch ab mit dem von ihm kon-
struierten „linksradikalen“ Flügel des Nationalsozialismus, der in Ro-
senbergs „Mythus“ seine ideologische Grundlage besaß und auf eine
Entkonfessionalisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens dräng-
te. Diese Gruppierung trug – so Hudals Vorwurf – in das nationale und
sozialreformerische Programm des Nationalsozialismus weltanschau-
liche Probleme hinein und provozierte damit den schweren Konflikt.34
Rosenberg und die christentumsfeindliche Richtung im Nationalsozia-
lismus müßten ausgeschieden werden, „um den großen nationalen Ge-
danken von den weltanschaulichen Bestrebungen zu trennen“, mit de-
nen er nichts zu tun habe.
„Mit anderen Worten, das Wesentliche im Nationalsozialismus muss er-
kannt und in seiner Auswirkung auf ein christliches Deutschland gewür-
digt werden. [...] Der Nationalsozialismus an sich ist eine politische Be-
wegung.“35
In das Hudalsche Konzept gehörte nicht nur das Feindbild Rosenberg,
sondern auch eine prinzipiell positive Sicht Hitlers. Während andere nicht
müde wurden, die völlige Übereinstimmung zwischen Hitler und Rosen-
berg aufzuzeigen36, unternahm Hudal alles, um Hitler aus dieser Ecke
herauszuholen. Möglicherweise handelte es sich hierbei lediglich um eine
34
Ebd. S. 12. Die Flügelkämpfe erreichten im Juni 1934 ihren Höhepunkt: „Damals
haben in Deutschland selbst Freund und Feind während Tagen in bleicher, lähmender Angst
gelebt. Innerhalb der Nazipartei wusste zunächst keiner, wer nun eigentlich wen ermorde,
welche Richtung schließlich obenauf sei“. S. Lang/E. v. Schenck, Portrait eines Mensch-
heitsverbrechers. Nach den hinterlassenen Memoiren des ehemaligen Reichsministers Al-
fred Rosenberg, St. Gallen 1947, S. 232.
35
Hudal, Grundlagen (wie Anm. 22) S. 242.
36
Vgl. etwa der Jesuit J. Nötges, Nationalsozialismus und Katholizismus, Köln
1931.
72 D OMINIK BURKARD
politische Taktik, die auch in einem Strategiepapier für den Umgang mit
dem Nationalsozialismus festgehalten war, das sich in seinem Nachlaß
fand.37 Unter anderem hieß es dort:
„Es muss vermieden werden Hitler selbst, den NS, oder Deutschland, sei es
publizistisch, in Reden oder Ansprachen anzugreifen!!! Das ist nicht gut!
Man verletzt das deutsche Nationalgefühl und fordert Widerspruch und Ra-
dikalismus heraus! Die Feinde der Kirche haben umso leichtere Arbeit! Für
den Vatikan ist lediglich das Religiöse massgebend. Es ist darum besser, die
für die heidnische bezw. antireligiöse Entwicklung in Deutschland Verant-
wortlichen einzeln anzugreifen!! So z.B. Goebbels, Rosenberg, Schirach usw.
Das Sprichwort: ‚Steter Tropfen höhlt den Stein’, sollte verwirklicht wer-
den! Diese heute einzeln immer wieder angreifen in der Presse oder andern
erreichbaren Kanälen. Nicht aber Deutschland und den Nationalsozialismus
im allgemeinen, der ja eine feststehende Tatsache geworden ist, mit dem
man zu rechnen hat. Viele deutsche Katholiken sind mit der Haltung des
Vatikans nicht einverstanden. Wird aber die obige Linie eingenommen, so
tritt eine Wendung ein, denn sie entspricht den tatsächlichen Verhältnissen,
die sich im günstigen Sinne für die christliche Idee letzten Endes auswirken
wird!“ Das Papier enthält die abschließende Notiz: „Bitte, alle diese Punkte
beim Vatikan durchsetzen; sie sind Mittel zum Ziele!!!“
Um sein Ziel, die Spaltung des Nationalsozialismus nach dem Motto
„divide et impera“ herbeizuführen, entwickelte sich Hudal in der Folge
zum eifrigsten Befürworter einer generellen Verurteilung der national-
sozialistischen Weltanschauung. Dem diente eine Reihe von Maßnah-
men, die von Indizierungen über Vorstöße bei verschiedenen Dikaste-
rien der römischen Kurie bis hin zu einer ausgedehnten Presse- und
Publikationstätigkeit reichten.
fred Rosenberg, die „Erlösung von Jesu Christo“41 von Mathilde Luden-
dorff (1877-1966), die „Germanische Weltdeutung“ 42 von Bernhard
Kummer (1897-1962) sowie der „Völkische Beobachter“. Die Kirche
müsse „mit einer feierlichen Verurteilung solcher Ketzereien und Ver-
irrungen“ jenen Katholiken die Augen öffnen, welche die großen Gefah-
ren für die Jugend noch nicht erkannt hätten. Ein Jahrzehnt Erziehung
junger Katholiken in der Hitler-Organisation Baldur von Schirachs (1907-
1974) genüge, um die Kirchen in Deutschland leerzufegen.
Hudals Gutachten und die sich daran anschließende Debatte in der
Konsultorenversammlung brachten den Stein ins Rollen. Die Konsul-
toren beurteilten die Lage ebenfalls als äußerst ernst, sprachen von
„übertriebenem Nationalismus“, „Rückkehr zum Heidentum“, „Absorp-
tion des Individuums durch den Absolutismus des Staates“ sowie von
„Ketzerei“ der schlimmsten Art. Neben Bergmanns „Nationalkirche“
sollten deshalb auch die anderen von Hudal genannten Bücher über-
prüft werden, namentlich Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“.
Im Übrigen sei eine Verurteilung der gesamten nationalsozialistischen
Bewegung durch die „höchste kirchliche Autorität“ zu erwägen.43
41
M. Ludendorff, Erlösung von Jesu Christo, München 1932.
42
B. Kummer, Die germanische Weltanschauung nach altnordischer Überlieferung.
Vortrag, gehalten im Auftrag der „Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte“
in Detmold am 10. Juni 1930, Leipzig 31933.
43
Zum Ganzen Burkard, Häresie (wie Anm. 4), insbes. S. 105-119.
44
Der Text des Dekretes in: Civiltà Cattolica 85, I (1934), S. 543 f. Er wurde auch in
den Amtsblättern der deutschen Diözesen abgedruckt.
45
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 120.
46
Vgl. H. Wolf, Vertagt auf unbestimmte Zeit, in: F.A.Z. Nr. 87 vom 12. April 2003.
Inzwischen auch: Ders., Pius XI. und die „Zeitirrtümer“. Die Initiativen der römischen
Inquisition gegen Rassismus und Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschich-
te, 53 (2005), S. 1-42.
74 D OMINIK BURKARD
Weitere Einzelindizierungen
Nach wie vor verfolgte Hudal die Absicht, dem Nationalsozialismus
auch mit Hilfe des Instruments der Zensur zu Leibe zu rücken. Wenn-
gleich Hudal mit seinen Anträgen – aus welchen Gründen auch immer
– nicht durchdrang, so zeigen seine unermüdlichen Versuche doch vor
allem eines: Wäre es nach ihm gegangen, hätte der Index in exzessivem
Maße gegen die ideologischen Grundlagen bzw. Verteidigungen des
Nationalsozialismus Anwendung gefunden. Neben der Indizierung Ro-
senbergs und Bergmanns sowie der erfolglosen Anzeige des „Hand-
buchs der Judenfrage“ unternahm Hudal zumindest in zwei Fällen den
konkreten Versuch, eine Indizierung zu erzwingen.
In seinen „Römischen Tagebüchern“ teilt er mit, auch die Indizie-
rung Friedrich Nietzsches gefordert zu haben.51 Obwohl in den bis dato
freigegebenen Akten der Kongregation für die Glaubenslehre eine der-
artige Forderung nicht auffindbar ist, kommt Hudals Behauptung hohe
Glaubwürdigkeit zu. Ein Indiz dafür ist die Erwähnung Nietzsches (ne-
ben Rosenberg, Bergmann und Hauer) in einem Brief des Sanctum Of-
ficium vom 23. November 1937 an die Studienkongregation.52 Die Be-
mühung um eine Verurteilung der Schriften Nietzsches durch Hudal ist
umso wahrscheinlicher, als dieser den Philosophen wiederholt in sei-
nen Schriften als Wegbereiter des Nationalsozialismus attackierte. Die
nationalsozialistische Weltanschauung betrachtete Hudal dabei als „das
organisierte Schlussergebnis der kulturellen Dekadenzentwicklung in-
50
Angesichts der Ermordung von 13 Bischöfen und Tausenden katholischer Priester (etwa
jeder siebte) durch die Hand der Kommunisten erschienen die antikirchlichen Maßnahmen
der Nationalsozialisten (damals) geradezu harmlos. Da Hitler und Mussolini sich in Spanien
gegen die Kommunisten engagierten (Achse Berlin – Rom), dürfte für den Vatikan eine
Verurteilung der deutschen Politik Ende 1936 politisch inopportun gewesen sein. Vgl. W. L.
Bernecker, Religion in Spanien. Darstellung und Daten zu Geschichte und Gegenwart (Gü-
tersloher Taschenbücher 636), Gütersloh 1995, insbes. S. 92-100, hier S. 93.
51
„Ein letzter Antrag, die Werke Nietzsches als Grundlage und Kampfursache der
modernen Geistesverwirrung zu verurteilen, ist nicht mehr durchgedrungen.“ Hudal, Ta-
gebücher (wie Anm. 7) S. 120.
52
P. Blet u.a. (Hg.), Actes et Documents du Saint Siège relatifs à la seconde guerre
mondiale, 11 Bde., Città del Vaticano 1965-1981, hier VI, S. 529 f.
76 D OMINIK BURKARD
A. Hudal, Nietzsche und die moderne Welt, Rom 11937; Lobnig/Freudenthal 21938.
54
55
Vgl. ebd. S. 40-50
56
So Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 182.
57
Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts. Amtliche Beilage zum Amtsblatt für die
Diözese Münster, Köln 1934.
58
H. Koch, Rosenberg und die Bibel. Zum Streit um den Mythus des 20. Jahrhunderts,
Leipzig 1935, S. 84 f.
59
ASMA K 5, fol. 528.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 77
60
Dazu ausführlich Burkard, Häresie (wie Anm. 4) S. 210-214.
61
ASMA K 6, fol. 121-123. Papen erinnerte sich später: „Als ich Hitler das erste ihm
gewidmete Exemplar persönlich überreichte, nahm er es mit Dank entgegen und versprach,
es mit Interesse zu lesen. Da zu jener Zeit die Einfuhr von Büchern bereits von einer hohen
Parteistelle kontrolliert wurde und Hudals Buch – in Österreich gedruckt – einer Einfuhr-
erlaubnis bedurfte, bat ich Hitler, diese Parteistelle anzuweisen, die Einfuhr zu gestatten,
damit eine geistige Auseinandersetzung mit weiten Kreisen der Partei möglich sei. Er ver-
sprach alles. Aber sogleich setzte die Gegenarbeit der Bewegung ein. Vor allem war es
Goebbels, der die Gefahr einer Auseinandersetzung begriff und seine ganze diabolische
Dialektik auf Hitler wirken ließ. Er und Bormann bedrängten diesen, das Buch unter kei-
nen Umständen zuzulassen, da es von gefährlichem Einfluß auf die Partei werden könne.
Hitler schwankte. Unsere Unterhaltung dauerte stundenlang. Immer wenn ich ihn über-
zeugt zu haben schien, öffnete sich die Türe, und Bormann schaltete sich ein. Am Ende
gelang es mir nur, die Einfuhr von zweitausend Exemplaren zu erreichen mit dem Einver-
ständnis, dass diese an die führenden Parteikreise verteilt werden sollten. Der Versuch
einer ernsten Diskussion war damit sabotiert. Monsignore Hudal war bestürzt und tief
enttäuscht“. Franz von Papen, Der Wahrheit eine Gasse, München 1952, S. 432. Neben
Papen hatte sich auch General Karl Haushofer für das Buch eingesetzt und entsprechende
Schritte bei Rudolf Heß unternommen. Vgl. W. Dierker, Himmlers Glaubenskrieger. Der
Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933-1941 (VKZG.B 92), Paderborn
u.a. 2002, S. 232.
78 D OMINIK BURKARD
gründe seien, Brücken in die neue Zeit bauen, statt den Abgrund aufzudek-
ken, der beide im wesentlichen – voneinander scheidet und zu erkennen,
dass es zwei Welten sind, die wie Wasser und Feuer sich gegenüberste-
hen.“79
Mit Sicherheit war Hudal kein Brückenbauer zum Nationalsozialismus,
wie er sich in der Realität darstellte. Die von Hudal geforderte und pro-
vozierte Voraussetzung einer Brücke wäre die zwar dem italienischen
Vorbild entlehnte, freilich keineswegs realistische Amputation des
Nationalsozialismus und seine Reduktion auf eine rein politische Be-
wegung gewesen.
87
So etwa ebd. S. 82, 108, 110 ff., 123, 133, 198, 210, 222, 248.
88
Vgl. Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 292 f.
89
Vgl. Langer, Hudal (wie Anm. 31) S. 81-83.
90
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 143.
86 D OMINIK BURKARD
Abschließende Thesen
1. Die Bemühungen Hudals in Bezug auf den Nationalsozialismus
sollten nüchtern dargestellt werden, ohne ihn deswegen zum
„Heiligen“ und Helden zu stilisieren oder aber in den Verdacht
zu geraten, seine Haltung kritiklos zu billigen. Die Wirklich-
keit ist auch hier zu komplex, als daß sie in vorgeformte Scha-
blonen paßte.
96
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 47 f. Hervorhebungen vom Verfasser.
97
Vgl. dazu ausführlich Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 292-321. Nach Godman,
Vatikan (wie Anm. 9) S. 247 angeblich auf Druck der Alliierten.
98
Hochhuth besuchte Grottaferata, „wo der seltsame Alois Hudal seine verbitterten
letzten Jahre verbrachte – jener Bischof, der von einer Versöhnung der Hitlerbewegung
mit der Kirche einmal die Rettung vor Bolschewiken, Juden und Liberalen erhofft hatte,
der dann viele Juden vor ihren Mördern, später manche Mörder vor ihren Richtern retten
half, indem er für sie Rot-Kreuz-Pässe besorgte … Nur wenn er über den Pacelli-Papst
sprach, der ihn einst angeregt, dann wieder fallengelassen hatte, kam Hudal die „caritas“
etwas abhanden … Und so entstand Rolf Hochhuths „Stellvertreter“; das Bild eines eisi-
gen Skeptikers, eines Papstes, der sich – eins mit der Institution, die er verkörpert – nicht
mehr den Luxus von Gefühlen erlaubt, sondern nur kalt und nüchtern, mit selbstbewußtem
Hochmut politisch kalkuliert: Hitlers Verbrechen dürfen nicht verurteilt werden, damit
Deutschland für den Westen verhandlungswürdig bleibt, damit die Front gegen den Osten
nicht zusammenbricht …“. Stehle, Ostpolitik (wie Anm. 92) S. 236 f.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 89
99
Hierfür finden sich in meiner Studie „Häresie und Mythus des 20. Jahrhunderts“
zahlreiche Hinweise. Vgl. aber auch Ph. Chenaux, Pie XII. Diplomate et pasteur, Paris
2003, 213.