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Alois Hudal – ein Anti-Pacelli?

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DOMINIK BURKARD

Alois Hudal – ein Anti-Pacelli?


Zur Diskussion um die Haltung des Vatikans
gegenüber dem Nationalsozialismus
The files that have just recently been made available from Roman archives make it
possible to shed new light on and relativize the often asserted „Pope’s silence.“ It can
be seen, that there was no agreement within the Vatican on how to deal with National
Socialism. Recent publications have constructed an antagonism between Cardinal
Secretary Eugenio Pacelli and Alois Hudal, the politically active principal of the
Collegio Santa Maria dell’Anima and supposedly a representative of ‚appeasement‘.
However, it can be shown that both men initially agreed in principle with their assess-
ment of National Socialism, even though they pursued different strategies. Hudal
insisted on the public denunciation of National Socialism, on a clear positioning of
the school, yet without success. Pacelli, a diplomat by training, was the one who
thwarted nearly all of the Vatican’s public proclamations against National Socialism.
Über Eugenio Pacelli wurde und wird bekanntlich viel gestritten. Als
point de vue der Diskussion gilt seine Haltung gegenüber dem National-
sozialismus. Gerne wurde Pacelli provozierend „Hitlers Papst“ genannt.1
Daß dies der Grundlage entbehrt, konnte anhand von Quellen schon früh
erwiesen werden.2 Richtiger ist, daß er als „deutscher Papst“ gelten kann;
dies nicht nur in Anspielung auf seinen langen Aufenthalt als Nuntius in
Deutschland, zunächst in München, dann in Berlin, sondern aufgrund
seiner inneren Affinität zu Deutschland.3 Als Kardinalstaatssekretär be-
hielt er sich die deutschen Angelegenheiten persönlich vor, so daß sein
Nachfolger als Nuntius in Berlin, Cesare Orsenigo (1873-1946), nie je-
nes Format entfalten konnte, das Pacelli besessen hatte.4 Dazu kam, daß
Pacelli sich auch in Rom mit Deutschen umgab: Mit dem badischen Je-
suiten Robert Leiber (1887-1967) als Geheimsekretär, mit Schwester
Pasqualina Lehnert (1894-1983) als Haushälterin5 und mit dem ehemali-
gen Zentrumsführer Ludwig Kaas (1881-1952) als Berater beim Abschluß
des Reichskonkordats. Daß Pacelli ein „germanofilo“ war, Deutschland
1
Etwa J. Cornwell, Hitler’s Pope. The secret history of Pius XII, London 1999; D. G.
Dalin, The Myth of Hitler’s Pope. How Pope Pius XII rescued Jews from the Nazis, Was-
hington 2005.
2
So wurde zu Recht geltend gemacht, daß Pacelli – schon als Kardinalstaatssekretär –
zahllose Depeschen und Protestnoten an die Reichsregierung gerichtet hat. Vgl. die An-
merkungen bei M. F. Feldkamp, Pius XII. und Deutschland (Kleine Reihe V & R 4026),
Göttingen 2000; Ders., Goldhagens unwillige Kirche. Alte und neue Fälschungen über
Kirche und Papst während der NS-Herrschaft, München 2003. Eine aufschlußreiche Mate-
rialsammlung bietet noch immer: P. E. Lapide, Rom und die Juden, Freiburg u.a. 1967.
3
Vgl. R. Morsey, Eugenio Pacelli als Nuntius in Deutschland, in: H. Schambeck (Hg.),
Pius XII. zum Gedächtnis, Berlin 1977, S. 103-139, hier S. 120 f.
4
Vgl. D. Burkard, Häresie und Mythus des 20. Jahrhunderts. Rosenbergs nationalsozi-
alistische Weltanschauung vor dem Tribunal der Römischen Inquisition (Römische Inqui-
sition und Indexkongregation 5), Paderborn u.a. 2005, S. 194.
5
Vgl. P. Lehnert, Ich durfte ihm dienen. Erinnerungen an Papst Pius XII., Würzburg 1982.

© Koninklijke Brill NV, Leiden ZRGG 59, 1 (2007)


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„liebte“, war schon den Zeitgenossen bekannt. Und möglicherweise ver-


dankte dieser beste Deutschlandkenner an der römischen Kurie seine Wahl
zum Papst im Jahr 1938 nicht zuletzt den besonderen weltpolitischen
Konstellationen, die es den Kardinälen angeraten scheinen ließen, aus-
gerechnet ihn auf die Cathedra Petri zu heben.6
Im Kontext des nunmehr seit Jahrzehnten und noch immer diskutier-
ten Themas „Vatikan und Nationalsozialismus“ taucht immer wieder auch
ein weiterer Name auf: Alois Hudal (1885-1963), langjähriger Rektor
des Collegio Teutonico bei Santa Maria dell’Anima, der deutschen Nati-
onalkirche, Zentrum der Auslandsdeutschen in Rom und eine der wich-
tigsten Anlaufstellen für deutsche Bittsteller beim Vatikan, zumal Hudal
die Agenzie für die deutschen Bischöfe innehatte. Hudal dachte national,
sogar – obwohl slowenischer Abstammung – deutschnational. So sehr,
daß sein Kolleg in den 1940er Jahren in vatikanischen Kirchenkreisen
auch als „Collegio ariano“ bezeichnet wurde.7 Dies hinderte Hudal in-
dessen nicht, in den letzten Kriegsjahren – unter den Augen der deut-
schen Besatzungsmacht in Rom – geflüchteten alliierten Kriegsgefange-
nen in der Anima Unterschlupf zu gewähren: Während im Erdgeschoß
von Kolleg und Kirche sich deutsche Soldaten und Offiziere die Klinke
in die Hand gaben, wurden im Obergeschoß sowie im Keller unterge-
tauchte Alliierte versteckt.8 Hudals Name ist negativ konnotiert, seitdem
seine Verstrickungen in die Flucht von NS-Kriegsverbrechern nach Ar-
gentinien bekannt geworden sind.9
6
Aus diesem besonderen Verhältnis Pacellis zu Deutschland wurde bisweilen ein Anti-
semitismus konstruiert, der über jenen Antijudaismus hinausging, der traditionellerweise im
Katholizismus bzw. im Christentum selbst beheimatet ist. So bei D. J. Goldhagen, Die ka-
tholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne. Aus dem
Englischen von F. Griese, Berlin 22002, S. 59. Zum Streit um einen katholischen Antisemi-
tismus vgl. u. a. M. Langer, Zwischen Vorurteil und Aggression. Zum Judenbild in der deutsch-
sprachigen katholischen Volksbildung des 19. Jahrhunderts (Lernprozeß Christen Juden 9),
Freiburg i.Br. u.a. 1994; O. Blaschke, Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen
Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 122), Göttingen 1997; K. Schatz,
Rezension zu Blaschke, in: F.A.Z. v. 1.7.1998, S. 46; U. Altermatt, Katholizismus und An-
tisemitismus. Mentalitäten, Kontinuitäten, Ambivalenzen. Zur Kulturgeschichte der Schweiz
1918-1945, Frauenfeld u.a. 1999; Ders., Themen und Defizite der katholischen Antisemitis-
musforschung, in: ZSKG 93 (1999), S. 7-17; S. Th. Katz, Kontinuität und Diskontinuität
zwischen christlichem und nationalsozialistischem Antisemitismus, hg. v. V. Drehsen, Tü-
bingen 2001; J. H. Schoeps (Hg.), Goldhagen, der Vatikan und die Judenfeindschaft (Meno-
ra 14), Berlin 2003; Th. Brechenmacher, Der Vatikan und die Juden. Geschichte einer unhei-
ligen Beziehung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2005.
7
A. C. Hudal, Römische Tagebücher. Lebensbeichte eines alten Bischofs, Graz/Stutt-
gart 1976, S. 201, 294.
8
John Burns, Das Leben ist ein Gewundener Pfad. Gefangennahme, Flucht, Entkom-
men und endgültige Zuflucht mit Hilfe der Familie Mattei von Montecelio und Bischof
Alois Hudal von Santa Maria dell’Anima in Rom, Rom 2002. Originalausgabe: Ders., Life
is a twisted path, Rom 2002.
9
Dazu etwa E. Klee, Persilscheine und falsche Pässe. Wie die Kirchen den Nazis halfen,
Frankfurt a.M. 1991, insbes. S. 32-50; R. Giefer/Th. Giefer, Die Rattenlinie. Fluchtwege der
Nazis. Eine Dokumentation, Frankfurt a.M. 21992; P. Godman, Der Vatikan und Hitler. Die
geheimen Archive, München 2004, S. 247. Auch: Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7), S. 21.
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Derzeit rückt Hudal aufgrund neu zugänglich gewordener römischer


Quellen wieder ins Blickfeld der Forschung. Den Anfang machte der
Verfasser 2003 im Rahmen eines F.A.Z.-Artikels, in dem er erstmals
auf die bedeutende Rolle Hudals bei der Indizierung des vom NS-Par-
teidogmatiker Alfred Rosenberg (1893-1946) verfaßten „Mythus des
20. Jahrhunderts“10 und bei dem vatikanischen Plan eines „Syllabus“
nationalsozialistischer Irrtümer hinwies.11 2005 wurden die skizzierten
Linien in einer detaillierten Studie ausgeführt und näher belegt. In ei-
ner Art Indizienbeweis konnte zudem gezeigt werden, wie Pacelli in
Fragen eines öffentlichen Protestes gegen das nationalsozialistische
Deutschland zum „Bremser“ innerhalb der römischen Kurie wurde.12
Eine parallel dazu entstandene Publikation des Professors für mit-
tellateinische Literatur und bekennenden „Nichtgläubigen“ Peter God-
man vermittelt – ebenfalls vatikanische Quellen benützend – ein ganz
anderes Bild. Godman qualifizierte Hudal als Appeaser ab: Dieser war
„überaus ehrgeizig und entschlossen, sich einen Namen zu machen“,
penetrant und streitlustig, obwohl offenbar ein „Anpasser“ und Oppor-
tunist, so doch auch ein „karrieregieriger Außenseiter“, von unglaubli-
cher „Dreistigkeit“, der „braune Bischof“ und Brückenbauer zwischen
Katholizismus und Nationalsozialismus, der die Kirche zum „gleich-
berechtigten Partner des Nationalsozialismus“ habe machen wollen, ein
„selbsternannter Vermittler“, der „nicht im geringsten unter den Hem-
mungen und Skrupeln eines Eugenio Pacelli“ litt, „dickfellig, begriffs-
stutzig und arrogant“, der „Hoftheologe der Partei“.13 Für Pacelli findet
Godman, ganz im Gegensatz zu Hudal, lobende Worte: Dieser sei von
großer Selbstlosigkeit und Pflichterfüllung erfüllt gewesen, ein „hin-
gebungsvoller Diener“ und kein „selbständiger Held“, sondern zurück-
haltend und gewissenhaft, „uneilig und bedächtig […], sehr zum Ver-
druß des ungeduldigen Hudal“.14 Die von manchen vertretene Sicht einer
„Appeasement“-Politik Pacellis, einer Politik der Beschwichtigung, weist
Godmann zurück und reicht den Schwarzen Peter an Hudal weiter:
„Ebenso, wie sich diejenigen, die im Vatikan einen Appeaser ermitteln
wollten, in dessen Person getäuscht haben, hat man auch bei der Suche
nach einem Antisemiten in die falsche Richtung geblickt. In beiden Fällen
lautet der richtige Name nicht Eugenio Pacelli, sondern Alois Hudal“.15
10
A. Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts, Eine Wertung der seelisch-geisti-
gen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, München 1930; bis 1943 in 200. Auflage.
11
D. Burkard, Die Bergpredigt des Teufels. Keine Gnade vor den Augen des Vatikans:
Zur Indizierung von Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“, in: F.A.Z. Nr. 73 vom 27.
März 2003.
12
Burkard, Häresie (wie Anm. 4).
13
Vgl. Godman, Vatikan (wie Anm. 9) S. 73, 75 f., 116, 119 f., 171 ff., 204, 244, 246 f., u.ö.
14
Ebd. 124. Unvermittelt stehen daneben aber auch konträre Urteile: Pacelli habe an
„exzessiver Besonnenheit oder an fehlendem Mut“ gelitten, eine „Vogel-Strauß-Taktik“
verfolgt, d.h. den Kopf in den Sand gesteckt, Opportunismus und Zurückhaltung gezeigt.
Ebd. S. 113, 239, 240.
15
Vgl. ebd. S. 109, 178.
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Erstaunlicherweise wurde das Bild Godmans in seinen Grundzügen


selbst von dessen Kritikern implizit übernommen. Etwa in der insgesamt
äußerst distanzierten Besprechung, die der Vorsitzende der Kommissi-
on für Zeitgeschichte, Karl-Joseph Hummel, beisteuerte. Trotz deutli-
cher Kritik an Godmans Unterfangen läßt Hummel dessen Charakteri-
sierung Hudals und Pacellis letztlich unhinterfragt.16 Auch eine Bespre-
chungen der Untersuchung „Mythus oder Häresie des 20. Jahrhunderts“
des Verfassers, aus der Feder von David Berger in der Beilage „Theo-
logisches“ der katholisch-konservativen „Deutschen Tagespost“, folgt
der Godmanschen Schwarz-Weiß-Zeichnung weitgehend. Berger lässt
der Untersuchung zwar grundsätzlich Lob angedeihen, kritisiert aber
erwartungsgemäß die Zeichnung Pacellis als zu negativ, die Hudals als
zu positiv:
„Obwohl er um Hudals zwielichtige Stellung (er arbeitete etwa mit Rolf
Hochhuth bei der Erstellung seines Dramas Der Stellvertreter zusammen!)
und die Tatsache einer Widersprüchlichkeit bzw. ‚gewissen Unlogik sei-
ner Aussagen‘ weiß, ist seine Beurteilung Pacellis weitgehend durch des-
sen vorurteilsbeladene Aussagen gegen diesen geprägt.“17
Offenbar hat sich für die Beurteilung Hudals und Pacellis ein „exklusi-
ves“ Urteil etabliert, das nur einem von beiden Kandidaten die positive
Rolle zuweisen kann, den anderen notwendigerweise abwertet. „Hoch“
für Pacelli bedeutet dann „Tief“ für Hudal – und vice versa. Doch ist
die Sache wie immer zu komplex, als daß einfache und vorschnell ge-
gebene Antworten genügten. Insbesondere muß die genetische Entwick-
lung des Verhältnisses beider im Auge behalten werden. Im Folgenden
sei versucht, das Hudal- und Pacelli-Bild aufgrund breiter Quellenba-
sis auf gesicherten Boden zu stellen und auf dieser Grundlage ihre Hal-
tung gegenüber dem Nationalsozialismus zu skizzieren.

Der „Brückenbauer“? – Alois Hudal


Nation und Rasse
Anläßlich seiner Bischofsweihe im Juni 1933 wählte Hudal den Wap-
penspruch „Ecclesiae et Nationi“, und dieser Wahlspruch war tatsäch-
lich Programm. In seiner Dankesrede machte er deutlich, daß es ihm in
einer Zeit sich radikalisierender Nationalismen darum ging, den alle
Nationen einenden Charakter der Religion zu betonen:
„Noch ist die Kirche die Hüterin der großen Ideale der Vergangenheit, die
mit dem milden Licht des Evangeliums die Gegensätze ausgleicht und ver-
söhnt, während die Welt mit Kriegsgefahren und Spannungen aller Art
übersättigt ist. Noch hütet die Kirche den großen Menschheitsgedanken,
16
Vgl. K.-J. Hummel, Überraschung im Anhang. Der Vatikan und das „Dritte Reich“
aus neuseeländischer Sicht, in: F.A.Z. vom 10. August 2004.
17
D. Berger, Rezension, in: Theologisches. Katholische Monatsschrift 35/4 (Juni 2005),
S. 454 f.
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die Einheit der Nationen in Religion und Kultur, während überall die Um-
risse neuer militärischer Zusammenstösse sich zeigen. […] Wohl ahnen
viele moderne Menschen nicht, dass sie noch immer von den hohen sittli-
chen und kulturellen Gütern des Christentums zehren, obwohl sie Christus
und die Kirche ablehnen. Ist es nicht wesentlich der stillen Arbeit des Chris-
tentums zu verdanken, dass die Begriffe der Humanität und Caritas, der
Höherwertung des Geistigen über die Welt des Stoffes im modernen Hei-
dentum nicht bereits längst versunken sind?“
Romtreue und nationales Bewußtsein waren für Hudal allerdings kein
Gegensatz,
„denn die Kirche ist nicht international im Sinne des Marxismus. Sie kennt
keine Überfremdung guter nationaler Art, denn alle Völker bedürfen der
Ergänzung durch das Christentum. Auch im 20. Jahrhundert ist die Voll-
endung wahren Menschentums an die Gnade Gottes gebunden, deren gott-
gewollte Ausspenderin die Kirche für alle Nationen ist. [...] Wir wollen
Rom treu bleiben, ohne deshalb etwa die Ideale des Vaterlandes und der
Nation auf Halbmast zu setzen.“18
Angesichts zunehmender Aggressivität des Nationalsozialismus sah Hu-
dal die Kirche in dieser Rolle bedrängt. 1935 nahm er in seiner Studie
„Der Vatikan und die modernen Staaten“ zur Frage nach dem konkur-
rierenden Verhältnis zwischen katholischer Kirche und (nationalsozia-
listischem) Staat Stellung:
„Sind nicht andere Kräfte weltanschaulicher und kulturpolitischer Art be-
müht, diese Führerrolle dem Papsttum und damit der katholischen Kirche
streitig zu machen, um beide aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen?
Wird der moderne Kult von Staat und Nation, der mit seinen Totalitätsan-
sprüchen und einem Mythos von Blut und Rasse die Welt in eine Kultur-
wende hineinführt, neben sich ein anderes Führertum anerkennen, das nicht
von dieser Welt ist, aber doch auf ihr nicht wie ein Anachronismus oder
eine Einrichtung versunkener Geschichtsepochen, sondern als lebendigste
Wirklichkeit aus dem Wesen des Christentums heraus ebenfalls eine ent-
scheidende Stimme beansprucht?“
Der Nationalsozialismus versuche, einen ganz bestimmten Menschen-
typus mit einer einheitlichen Weltanschauung und einem neuen Lebens-
stil zu züchten, der mit den Zielen des Staates sich vollständig decke.
Eine derartige Weltanschauung widerspreche der christlichen Lehre aber
völlig. Niemals könne Kompromiß und Versöhnung möglich sein,
„wo Totalitätsstaaten eine eigene Weltanschauung als Ersatz des Christen-
tums den Bürgern aufzwingen wollen. In einer solchen Lage kann nur der
Kampf die Klärung und Entscheidung bringen, denn es ist eine Auseinan-
dersetzung zweier Welten um Sieg oder Untergang.“19
18
A. Hudal, Ecclesiae et nationi. Katholische Gedanken an einer Zeitenwende, Rom
1934, S. 10-12.
19
A. Hudal, Der Vatikan und die modernen Staaten, Innsbruck/Wien/München 1935,
S. 7, 65 f.
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Noch deutlicher wurde Hudal noch im selben Jahr in seiner Broschüre


„Deutsches Volk und christliches Abendland“, die von Godman als
„Pamphlet“ bezeichnet wird.20 Hier setzte Hudal der nationalsozialisti-
schen Überhöhung des nationalen Elements die Idee des christlichen
Abendlandes entgegen. Abendland, das war für Hudal letztlich Inbe-
griff einer Kultursynthese. Gegen rassische und nationale Hegemonie-
bestrebungen vertrat Hudal die Überzeugung, rein national geformte
Kulturen könnten niemals das hervorbringen, was eine Kultursynthese
zu bieten vermag. „Der Gedanke des Abendlandes verträgt deshalb kei-
nen Radikalismus und keine Superiorität einzelner Nationen, sondern
nur eine Gleichberechtigung von Romanen und Germanen“. In der Ge-
genwart sah Hudal die letzten Reste der Harmonisierung von Antike,
Christentum und Germanentum durch die Gedanken von Nation und
Rasse gefährdet, in Verbindung mit einem Rom-Hass, der „krankhafte
Formen“ angenommen habe. Auch wenn Hudal – völlig konform ge-
hend mit dem deutschen Katholizismus der Nachkulturkampfzeit – dem
nationalen Gedanken hohe Wertschätzung entgegenbrachte und Ras-
sengedanken für „an sich wertvoll“ hielt, so wies er doch jede „Über-
spitzung ins Radikale“ zurück; der Mensch sei „mehr als das Ergebnis
physiologischer Vorgänge“. „Wer Nation und Rasse zur Weltanschau-
ung macht, hört damit auf, Christ zu sein“, denn die „radikale Weiter-
führung der Lehre von der ausschließlichen Formung des Menschen
aus Blut, Nation und Rasse wächst sich heute zu einer der größten Irr-
lehren seit den Tagen der Reformation aus“.21 Werde ein Übergreifen
des nationalsozialistischen Rassenbegriffs ins Religiös-Kulturelle nicht
abgewehrt – so konstatiert er 1936 schließlich in seiner Schrift „Die
Grundlagen des Nationalsozialismus“22 –, so komme es zur Entwick-
lung einer Deutschreligion, die nichts anderes sei als ein pseudoreligi-
öser, anthropologischer Materialismus und Rassenmonismus, eine Im-
manenzreligion mit Ablehnung der Gewissensfreiheit, und einem natu-
ralistischen, unbiblischen Offenbarungsbegriff. Der Rassismus führe zur
Ablehnung des jüdischen Volkes und seiner Geschichte, zur reduktio-
nistischen Betrachtung von Nation, Ehe und Familie unter ausschließ-
lich rassenhygienischen Gesichtspunkten sowie schließlich zu einer
„ungeheuren sittlichen Umwälzung“ durch Lösung des Menschen von
Gott und seine absolute Bindung an Blut und Rasse.
Aufgrund seiner Überlegungen gelangte Hudal zu folgenden Schlüssen:
1. Die Wirklichkeit des Rassenbegriffs ist zwar nicht zu leugnen.
Doch ist er zur Erklärung der Weltgeschichte ungeeignet: „Rasse
ist nicht alles und erklärt auch nicht alles“.

20
Godman, Vatikan (wie Anm. 9) S. 116.
21
A. Hudal, Deutsches Volk und christliches Abendland, Innsbruck/Wien/München
1935, S. 10, 14-16.
22
A. Hudal, Die Grundlagen des Nationalsozialismus. Eine ideengeschichtliche Un-
tersuchung von katholischer Warte, Wien/Leipzig 1936, S. 66-81.
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2. Die Rasse ist ein Gut und steht in der Wertskala der menschli-
chen Güter, aber keineswegs an oberster Stelle: „Nach christli-
cher Weltanschauung ist die natürliche sittliche Wertskala: Gott,
Seele, Familie, Rasse, Volk, Staat, Menschheit“.
3. Das menschliche Geistesleben ist nur sekundär blut- und kör-
perbedingt. Die Vererbungsgesetze können nicht ohne weiteres
auf das geistige Leben übertragen werden. „Kultur ist auch et-
was Metaphysisches“. In christlicher Sicht ist der Mensch eine
geistige Persönlichkeit, nicht nur eine Funktion des rassisch oder
national Vitalen.
4. Rassen sind nichts Starres, sondern in stetem Wandel begriffen.
5. Die Rassenlehre macht ein innerweltliches, subjektives Moment
zum Kriterium der menschlichen Stellung gegenüber der Reli-
gion, während das Christentum als Offenbarungsreligion an kei-
nem innerweltlichen Maßstab zu messen ist.
6. Die „neuen Dogmen“ des Nationalsozialismus müssen wissen-
schaftlich be- bzw. verurteilt werden.

Judentum
Die deutliche Ablehnung eines überspitzten Rassegedankens führt zur
Frage, welche Haltung Hudal dem Judentum gegenüber einnahm, und ob
er in dieser Hinsicht ein „Brückenbauer“ zum Nationalsozialismus war.23
Daß sich bei Hudal ein ausgeprägter Antisemitismus findet, ist zu-
nächst aus einer prinzipiellen Überlegung heraus nicht zu erwarten.
Hudal war von Haus aus Alttestamentler und als solcher mit dem Alten
Testament als der göttlich inspirierten Grundlage des christlichen Glau-
bens viel zu sehr vertraut, als daß er extreme Einseitigkeiten hätte ent-
wickeln können. Er wußte, „dass eine Zerreissung des Bandes zwischen
Altem und Neuem Testament aus Gründen der Rassenlehre für beide
das Ende“ bedeutet hätte, denn ihr Zusammenhang war nicht nur ein
geschichtlicher sondern organischer. „Ein von allem ‚Jüdischen’ gerei-
nigtes Evangelium bleibt eine Utopie und wäre eben kein Evangelium
mehr.“24 Die Überprüfung der von Hudal 1920 verfaßten Einleitung ins
Alte Testament25 förderte demzufolge keinerlei antijüdische oder gar
antisemitische Polemik zutage. Hudal bot stattdessen – selbst an Stel-
len, wo problematische Äußerungen durchaus vermutet werden könn-
23
Godman, Vatikan (wie Anm. 9) S. 120 stützt sich auf ein Zitat aus Hudals Schrift
„Der Vatikan und die modernen Staaten“ (1935), spricht von „Hudals Tiraden gegen die
Juden“ und nennt ihn den „Brückenbauer“ zwischen Katholizismus und Nationalsozialis-
mus. Ebd. S. 75 f. Dabei verkennt Godman, daß Hudal hier die russischen, religiös entwur-
zelten Juden (im Sinne einer gesellschaftlichen Gruppierung) als „kulturzersetzend“ be-
zeichnet, während er dem Judentum selbst, das „der Menschheit wertvolle Kulturgüter
und hervorragende Persönlichkeiten geschenkt hat“, größte Hochachtung entgegenbringt.
24
A. Hudal, Das Problem des Rasseneinflusses in der Entwicklung des abendländi-
schen Judentums. Vortrag im Kulturbund – Wien [...] am 17. März 1936, Rom 1936, S. 17.
25
A. Hudal, Einleitung in die heiligen Schriften des Alten Testaments. Lehrbuch für
Theologie-Studierende, Graz u.a. 1920 [195 S.].
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ten – ein nüchternes, auf das Wesentliche reduziertes Referat des wis-
senschaftlichen Forschungsstandes.26
Schon von dieser Warte her mußte Hudal sich gegen die Positionen
eines Theodor Fritsch (1852-1933) und sein „Handbuch zur Judenfra-
ge“ 27 wenden, mit dem dieser – so Hudal – beweisen wolle, daß der
Gott (Jahve) des Alten Testaments nicht mit dem Gott des Neuen Tes-
taments gleichzustellen sei und deshalb die christliche Religion auch
nicht jene der Deutschen sein könne, auf Grund von angeblichen, ger-
manischerseits untragbaren sittlichen Anschauungen des Alten Testa-
ments“. Der Wert des Alten Testaments werde „herabgesetzt, sittliche
Verfehlungen einzelner Persönlichkeiten, die von der Bibel nur berich-
tet, aber nicht gebilligt werden“, würden „als Ausfluß der jüdischen
Dekadenz erklärt, dagegen alle wirklich großen Gedanken auf Perser
und Sumerer zurückgeführt (Weltschöpfung, Gott der Schöpfer, Wel-
tenheiland).“ 28 Im Rahmen eines Gutachtens für das Sanctum Officium
machte Hudal 1934 auf das Werk und seine Gefahren aufmerksam, und
es scheint, daß er noch im selben Jahr diese wohl wichtigste antijüdi-
sche Propagandaschrift des Nationalsozialismus ausdrücklich zur Indi-
zierung angezeigt hat.29
26
1936 konnte Hudals Einleitung in vierter und fünfter Auflage erscheinen. Die Aus-
gabe besorgte der Würzburger Universitätsdozent Joseph Ziegler (1902-1988). Weshalb
Hudal die Arbeit abgegeben hatte, und weshalb gerade an Ziegler, entzieht sich bislang
unserer Kenntnis. Obwohl auch Ziegler durchaus gewisse Ambitionen hinsichtlich des
Nationalsozialismus hegte, zeigt seine Überarbeitung des Hudalschen Handbuchs keiner-
lei antisemitische Ausfälle. A. Hudal, Kurze Einleitung in die Heiligen Bücher des Alten
Testamentes, neu bearb. Auflage v. J. Ziegler, Graz u.a. 1936 [234 S.].
27
Das Handbuch war von Fritsch als „Verteidigungswaffe gegen das Judentum und
das mit ihm gegen Deutschland kämpfende Rom“ gedacht. Im Judentum und im Alten
Testament lagen für ihn die „Wurzeln, die noch immer in das Christentum unserer Zeit
hineingreifen und erst abgelöst werden müssen vom Stamme der deutschen Eiche“ – erst
dann könne „der Eichbaum wieder grünen und blühen“. Was folgt, ist ein Rundumschlag
verschiedener Autoren gegen das „verworfenste aller Völker“, um aufzuzeigen, wie jüdi-
sche Unterwanderung und Zerstörung auf allen Gebieten des Lebens zu einem Verfall
arischer Kultur und Sittlichkeit geführt hätten. Th. Fritsch (Hg.), Handbuch der Judenfra-
ge. Die wichtigsten Tatsachen zur Beurteilung des jüdischen Volkes, Leipzig 371934, S. 3
f., 544, 546. Der Kampf galt „Rom und Juda“, Papsttum und Judentum, den miteinander
verschworenen „Haupt-Weltkriegs- und Revolutionsgewinnlern“. H. Wolf, Geschichte des
Judentums, in: Ebd. S. 39-110, hier S. 109. Der Gedanke wurde in einem eigenen Kapitel
aus der Feder des Rosenberg-Vertrauten Alfred Miller vertieft: Die katholische Kirche sei
die politische Schutzmacht des Judentums, eine Trennung zwischen Judentum und katho-
lischer Kirche sei absolut undenkbar. Selbst jene Katholiken, „die öfter oder gelegentlich
den Mut haben, gegen jüdische Einflüsse und Machenschaften anzukämpfen“ seien „alle
ohne Ausnahme einig, dass der Rassenantisemitismus zu verwerfen, weil er ‚unchristlich’
ist. Der Rassenantisemitismus ist sogar eine ‚Irrlehre’“. A. Miller, Katholizismus, in: Ebd.
S. 245-264, hier S. 247, 256, 259.
28
Hudal, Grundlagen (wie Anm. 22) S. 84.
29
Über den Focus der Kritik läßt sich allerdings näheres nicht sagen, da der Aktenfas-
zikel im Archiv des Sanctum Officium verloren ging. Kenntnis über den Vorgang bietet
allein das vorläufige Archivinventar des ACDF (2004), wo sich der Fall unter der Rubrik
„In questi casi o la documentazione non si è mai prodotta o è andata perduta o brucciata
per varie ragioni“ findet.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 69

In den „Grundlagen des Nationalsozialismus“ äußerte sich Hudal aber


auch grundsätzlich über die Judenfrage.30 Sie sei die notwendige Folge
der nationalsozialistischen Rassenlehre und der „kompromisslose[n]
Durchführung des Dogmas von der Rasse“. Unter Rückgriff auf den
Entstehungskontext des rassischen Antisemitismus versuchte Hudal,
diesen zu erklären und gleichzeitig als Täuschung zu entlarven: Das im
19. Jahrhundert erfolgte Einbrechen des Judentums nach Art einer zwei-
ten Völkerwanderung von Osten in den Westen und das gleichzeitige
Erstarken des nationalen Gedankens in den betroffenen Staaten hätten
– so Hudal – zum Eindruck eines homogenen Judentums, eines ver-
schworenen Geheimbundes geführt. Die Wirklichkeit aber sei anders.
Hudal wies auf die Unterschiede zwischen spanisch-niederländischem
Seraphimjuden und östlichem Aschkenasim hin, auf die Antipathie
zwischen Westjuden und Ostjuden, orthodoxen und getauften, bürger-
lichen und sozialrevolutionären, heimisch gewordenen und zionistischen
Juden. „Die weltanschaulichen wie parteilichen Aufspaltungen des deut-
schen Volkes spiegelten sich exakt auch innerhalb der Judenschaft
wieder.“ Für Hudal war der Antisemitismus „ein auf das Reich übertra-
genes ostdeutsches Grenzlandproblem“. Dem werde die nationalsozia-
listische Rassenideologie nicht gerecht, denn die „Rassenbiologie fragt
nicht nach der Gesinnung des einzelnen Juden gegenüber Staat und
Gastvolk, sondern nach dem Blut“. Rosenbergs „Mythus des 20. Jahr-
hunderts“ trage die Hauptschuld daran, daß das Judenproblem zum gro-
ßen Thema der deutschen Zukunft stilisiert werde. Hudal verwies auf
die geistige Vorbereitung der antijüdischen Haltung des Nationalsozia-
lismus durch Künstler, Politiker, Rassenforscher, Religionsgeschicht-
ler, Philosophen und Liberale, auf evangelische Theologen (Delitzsch,
Fritsch), verschwieg auch die lange Tradition des Antijudaismus im
Christentum (etwa bei Thomas von Aquin) und die kirchlichen Juden-
gesetze seit dem Mittelalter nicht, die durchaus Verwandtschaft mit den
modernen antijüdischen Maßnahmen zeigten. Allerdings verwies er auch
auf den zentralen Unterschied, ihre theologische, nicht rassenbiologi-
sche Begründung. Besonderes Gewicht gewinnen in Hudals Analyse
die mentalen Auslöser antijüdischer Reaktionen, von denen er selbst
nicht frei ist: die „erschütternde“ Ausbreitung des Judentums in den
geistigen Berufen seit 1890 (Jura, Kunst, Presse, Finanzwelt, Unterhal-
tung), die „Vergiftung der deutschen Seele mit fremden Auffassungen
und Lehren“, die starke Verbindung mit Marxismus und Sozialismus.31
Hudals Position läßt sich (1936) folgendermaßen zusammenfassen:
1. Das Christentum kennt keinen Arierparagraphen, da ein solcher
eine wesentliche Grundlage des christlichen Glaubens zerstö-
ren würde. Auch das Kirchenrecht kennt keine antijüdischen
30
Hudal, Grundlagen (wie Anm. 22) S. 81-95.
31
Zit. nach M. Langer, Alois Hudal. Bischof zwischen Kreuz und Hakenkreuz. Ver-
such einer Biographie (Diss. phil. masch.), Wien 1995, S. 264.
70 D OMINIK BURKARD

Bestimmungen. Die Kirche kann deshalb keine rassischen Ar-


gumentationen anerkennen.
2. Die Kirche tritt jedoch für eine Beschränkung des jüdischen Ein-
flusses auf das Staatsleben ein und wird gegen eine staatliche Ge-
setzgebung im Sinne von „Notwehr“ zum Schutz vor Überfrem-
dung, also gegen „gewisse Ausnahmsbestimmungen für Angehö-
rige des jüdischen Volkes“, keinen Einwand erheben, auch wenn
solche nicht den Gesetzen des modernen Rechtsstaats entsprechen.
3. Die nationalsozialistische Überspitzung, die „alle Schattensei-
ten in der Völkergeschichte“ dem Judentum anlastet, führt letzt-
lich zur Ablehnung des Alten Testaments, zur arischen Umdeu-
tung Jesu Christi und zur Aufgabe des Christentums. Der rassi-
sche Antisemitismus will nicht nur das Juden-, sondern auch
das Christentum treffen. Er ist abzulehnen.
4. Das Judentum trägt Mitschuld am rassischen Antisemitismus,
weil es durch eine Überspitzung des Auserwählungsgedanken
im Sinne einer Umdeutung des Gnadenvorzugs in einen „natur-
haften Vorrang seiner Rasse“ der späteren rassischen Argumen-
tation den Weg geebnet hat. Das Christentum hat die in der Spät-
phase Israels erstmals dogmatisierte Rassenvergöttlichung über-
wunden, durch seine Schwächung im 19. Jahrhundert entstan-
den neue Möglichkeiten einer Rassenvergötzung.
5. Der Vorwurf, das Judentum sei eine „zersetzende Macht“, ist
pauschal und wissenschaftlich unbewiesen, und als solcher ab-
zulehnen. Die unter anderem auf Rosenberg gegründete Reichs-
gesetzgebung gegen die Juden zeigt eine gewisse Härte und ist
an sich ungerecht.
Insgesamt wird deutlich: Die Problematik der Rassenlehre betrachtete
Hudal vor allem aus dem Blickwinkel der eigenen christlichen Exis-
tenz, die er gefährdet sah. Die Judenfrage wurde selten um ihrer selbst
willen aufgeworfen. 1942 scheute sich Hudal jedoch auch nicht, ge-
genüber den Nationalsozialisten offen auf die „sofortige Sistierung der
Judenmorde“ zu dringen – eine Forderung, wie sie „so unverblümt an-
klagend weder der Papst noch ein Bischof jemals in einer Protestnote
geschrieben hatten“. 32

Spaltung und „Taufe“ des Nationalsozialismus


Die zentrale „ideengeschichtliche“ Auseinandersetzung Hudals mit dem
Nationalsozialismus fand in seiner Schrift „Die Grundlagen des Natio-
nalsozialismus“ statt.33 Hudal ging davon aus, daß der Nationalsozia-
lismus nicht auf Deutschland begrenzt bleiben würde. Er sah ihn als
32
So H. Stehle, Bischof Hudal und SS-Führer Meyer. Ein kirchenpolitischer Friedens-
versuch 1942/43, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 37 (1989), S. 299-322, hier S.
310, 321.
33
Hudal, Grundlagen (wie Anm. 22) S. 14.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 71

Teil einer europäischen Bewegung an, die nicht mehr zu stoppen war,
mit der das Christentum künftig auf breiter Front zu rechnen haben
würde. Ein Arrangement schien also unabdingbar, doch durfte das Chris-
tentum dabei nicht auf Kirche und Sakristei beschränkt werden, viel-
mehr mußte der Nationalsozialismus in seiner Totalität beschnitten und
auf das politische Gebiet beschränkt werden. Den Nationalsozialismus
als politische Bewegung glaubte Hudal akzeptieren zu können, als
Weltanschauung aber (im Sinne eines Religionsersatzes mit Rassen-
ideologie, Totalität und Gewalt) lehnte er ihn ab. Es galt, eine Spaltung
zu bewirken, den weltanschaulichen Flügel auszuschalten und so den
Nationalsozialismus nach dem Vorbild des italienischen Faschismus zu
„zähmen“. Gleichzeitig sollten Nationalsozialismus und Kirche gezwun-
gen werden, ihr Verhältnis zu klären. Nur so glaubte Hudal das Überle-
ben der Kirche und des Christentums in Deutschland überhaupt sichern
zu können.
Hudals Zentralidee war also die einer Spaltung des Nationalsozia-
lismus in einen politischen („guten“) und einen ideologischen („schlech-
ten“) Flügel. Hudal rechnete in seinem Buch ab mit dem von ihm kon-
struierten „linksradikalen“ Flügel des Nationalsozialismus, der in Ro-
senbergs „Mythus“ seine ideologische Grundlage besaß und auf eine
Entkonfessionalisierung aller Bereiche des öffentlichen Lebens dräng-
te. Diese Gruppierung trug – so Hudals Vorwurf – in das nationale und
sozialreformerische Programm des Nationalsozialismus weltanschau-
liche Probleme hinein und provozierte damit den schweren Konflikt.34
Rosenberg und die christentumsfeindliche Richtung im Nationalsozia-
lismus müßten ausgeschieden werden, „um den großen nationalen Ge-
danken von den weltanschaulichen Bestrebungen zu trennen“, mit de-
nen er nichts zu tun habe.
„Mit anderen Worten, das Wesentliche im Nationalsozialismus muss er-
kannt und in seiner Auswirkung auf ein christliches Deutschland gewür-
digt werden. [...] Der Nationalsozialismus an sich ist eine politische Be-
wegung.“35
In das Hudalsche Konzept gehörte nicht nur das Feindbild Rosenberg,
sondern auch eine prinzipiell positive Sicht Hitlers. Während andere nicht
müde wurden, die völlige Übereinstimmung zwischen Hitler und Rosen-
berg aufzuzeigen36, unternahm Hudal alles, um Hitler aus dieser Ecke
herauszuholen. Möglicherweise handelte es sich hierbei lediglich um eine
34
Ebd. S. 12. Die Flügelkämpfe erreichten im Juni 1934 ihren Höhepunkt: „Damals
haben in Deutschland selbst Freund und Feind während Tagen in bleicher, lähmender Angst
gelebt. Innerhalb der Nazipartei wusste zunächst keiner, wer nun eigentlich wen ermorde,
welche Richtung schließlich obenauf sei“. S. Lang/E. v. Schenck, Portrait eines Mensch-
heitsverbrechers. Nach den hinterlassenen Memoiren des ehemaligen Reichsministers Al-
fred Rosenberg, St. Gallen 1947, S. 232.
35
Hudal, Grundlagen (wie Anm. 22) S. 242.
36
Vgl. etwa der Jesuit J. Nötges, Nationalsozialismus und Katholizismus, Köln
1931.
72 D OMINIK BURKARD

politische Taktik, die auch in einem Strategiepapier für den Umgang mit
dem Nationalsozialismus festgehalten war, das sich in seinem Nachlaß
fand.37 Unter anderem hieß es dort:
„Es muss vermieden werden Hitler selbst, den NS, oder Deutschland, sei es
publizistisch, in Reden oder Ansprachen anzugreifen!!! Das ist nicht gut!
Man verletzt das deutsche Nationalgefühl und fordert Widerspruch und Ra-
dikalismus heraus! Die Feinde der Kirche haben umso leichtere Arbeit! Für
den Vatikan ist lediglich das Religiöse massgebend. Es ist darum besser, die
für die heidnische bezw. antireligiöse Entwicklung in Deutschland Verant-
wortlichen einzeln anzugreifen!! So z.B. Goebbels, Rosenberg, Schirach usw.
Das Sprichwort: ‚Steter Tropfen höhlt den Stein’, sollte verwirklicht wer-
den! Diese heute einzeln immer wieder angreifen in der Presse oder andern
erreichbaren Kanälen. Nicht aber Deutschland und den Nationalsozialismus
im allgemeinen, der ja eine feststehende Tatsache geworden ist, mit dem
man zu rechnen hat. Viele deutsche Katholiken sind mit der Haltung des
Vatikans nicht einverstanden. Wird aber die obige Linie eingenommen, so
tritt eine Wendung ein, denn sie entspricht den tatsächlichen Verhältnissen,
die sich im günstigen Sinne für die christliche Idee letzten Endes auswirken
wird!“ Das Papier enthält die abschließende Notiz: „Bitte, alle diese Punkte
beim Vatikan durchsetzen; sie sind Mittel zum Ziele!!!“
Um sein Ziel, die Spaltung des Nationalsozialismus nach dem Motto
„divide et impera“ herbeizuführen, entwickelte sich Hudal in der Folge
zum eifrigsten Befürworter einer generellen Verurteilung der national-
sozialistischen Weltanschauung. Dem diente eine Reihe von Maßnah-
men, die von Indizierungen über Vorstöße bei verschiedenen Dikaste-
rien der römischen Kurie bis hin zu einer ausgedehnten Presse- und
Publikationstätigkeit reichten.

Indizierung Alfred Rosenbergs und Ernst Bergmanns


Ende 1933 verfaßte Hudal als Konsultor des Sanctum Officium ein Gut-
achten zu dem Buch „Die deutsche Nationalkirche“ (1933)38 des Leip-
ziger Philosophen Ernst Bergmann (1881-1945). Hudal nahm dies zum
Anlaß, weitere Werke anzuprangern. Bergmanns radikale Ideen wür-
den nämlich in ähnlichen Büchern zu Tausenden unter den Leuten ver-
breitet sowie in den Zeitungen der nationalsozialistischen Partei kol-
portiert. Die wichtigsten und am weitesten verbreiteten Schriften sei-
en: „Der falsche Gott“39 und das „Handbuch der Judenfrage“40 von Theo-
dor Fritsch (1852-1933), Der „Mythus des 20. Jahrhunderts“ von Al-
37
Es trägt die Überschrift: Einige Informationspunkte für den Vatikan! = Auf die Tak-
tik kommt es an =. Archiv des Inst. Pont. Santa Maria dell’Anima = ASMA K 65, fol. 208.
Abgedruckt bei Burkard, Häresie (wie Anm. 4) S. 178 f.
38
E. Bergmann, Die deutsche Nationalkirche, Breslau 1933. Das Buch erlebte bereits
1934 eine zweite Auflage.
39
Th. Fritsch, Der falsche Gott, Leipzig 1933. Fritsch behauptete, Jahwe sei nicht
identisch mit dem Gott Jesu, sondern nur eine Vergöttlichung des semitischen Egoismus,
das Alte Testament als Religion bedeute den Ruin der Deutschen.
40
Fritsch, Handbuch (wie Anm. 27).
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 73

fred Rosenberg, die „Erlösung von Jesu Christo“41 von Mathilde Luden-
dorff (1877-1966), die „Germanische Weltdeutung“ 42 von Bernhard
Kummer (1897-1962) sowie der „Völkische Beobachter“. Die Kirche
müsse „mit einer feierlichen Verurteilung solcher Ketzereien und Ver-
irrungen“ jenen Katholiken die Augen öffnen, welche die großen Gefah-
ren für die Jugend noch nicht erkannt hätten. Ein Jahrzehnt Erziehung
junger Katholiken in der Hitler-Organisation Baldur von Schirachs (1907-
1974) genüge, um die Kirchen in Deutschland leerzufegen.
Hudals Gutachten und die sich daran anschließende Debatte in der
Konsultorenversammlung brachten den Stein ins Rollen. Die Konsul-
toren beurteilten die Lage ebenfalls als äußerst ernst, sprachen von
„übertriebenem Nationalismus“, „Rückkehr zum Heidentum“, „Absorp-
tion des Individuums durch den Absolutismus des Staates“ sowie von
„Ketzerei“ der schlimmsten Art. Neben Bergmanns „Nationalkirche“
sollten deshalb auch die anderen von Hudal genannten Bücher über-
prüft werden, namentlich Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“.
Im Übrigen sei eine Verurteilung der gesamten nationalsozialistischen
Bewegung durch die „höchste kirchliche Autorität“ zu erwägen.43

Grundsätzliche Verurteilung nationalsozialistischer Irrtümer


Während am 9. Februar 1934 Bergmanns „Nationalkirche“ sowie nun
auch Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ öffentlich verdammt
wurden44, griffen die Kardinäle den Vorschlag, nicht nur einzelne Bü-
cher zu brandmarken, sondern die grundlegenden Häresien der natio-
nalsozialistischen Bewegung öffentlich zu verurteilen, nicht auf. Hu-
dal sah sich deshalb im Oktober 1934 genötigt, einen anderen Weg zur
Erreichung des Zieles einzuschlagen. In einer Privataudienz unterbrei-
tete er Pius XI. persönlich den bereits in seinem Bergmann-Gutachten
formulierten Vorschlag. Der Papst zeigte sich „stark beeindruckt und
bereit, diese Fragen durch die genannte höchste Kongregation überprü-
fen zu lassen“.45 Nach dieser positiven Zusicherung legte Hudal dem
Sekretär der Kongregation am 7. Oktober 1934 sein Gesuch auch schrift-
lich vor.46 Drei Irrtümer sollten in Form einer Enzyklika oder eines Syl-
labus feierlich verboten werden:

41
M. Ludendorff, Erlösung von Jesu Christo, München 1932.
42
B. Kummer, Die germanische Weltanschauung nach altnordischer Überlieferung.
Vortrag, gehalten im Auftrag der „Vereinigung der Freunde germanischer Vorgeschichte“
in Detmold am 10. Juni 1930, Leipzig 31933.
43
Zum Ganzen Burkard, Häresie (wie Anm. 4), insbes. S. 105-119.
44
Der Text des Dekretes in: Civiltà Cattolica 85, I (1934), S. 543 f. Er wurde auch in
den Amtsblättern der deutschen Diözesen abgedruckt.
45
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 120.
46
Vgl. H. Wolf, Vertagt auf unbestimmte Zeit, in: F.A.Z. Nr. 87 vom 12. April 2003.
Inzwischen auch: Ders., Pius XI. und die „Zeitirrtümer“. Die Initiativen der römischen
Inquisition gegen Rassismus und Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschich-
te, 53 (2005), S. 1-42.
74 D OMINIK BURKARD

1. Der totalitäre Staatsbegriff, der den Persönlichkeitswert des ein-


zelnen Menschen unterdrückt.
2. Der radikale Rassenbegriff, der die Einheit der Menschheit auf-
löst.
3. Der radikale Nationalismus mit Preisgabe des Naturrechts in-
folge ausschließlicher Geltung des positiven von Nation und
Staat dekretierten Rechts. 47
Hudal machte auf die Gefahren dieser Lehren aufmerksam, insbesondere
auch auf die Übertragung der Rassenlehre auf Geschichte, Kultur, Kunst
und Religion. Die Jugend werde zu einer arisch-nordischen Religiosi-
tät ohne Erbsünde und Erlösung, ohne Moral und Aszese verführt, pro-
pagiert werde eine diesseitige, die Grundlagen des Christentums um-
stürzende Naturreligion. Im Grunde waren all dies Punkte, welche Hu-
dal bereits in seinem Gutachten zur Nationalkirche genannt hatte – ein
deutlicher Hinweis darauf, daß die Indizierung vom Frühjahr 1934 und
der geforderte Syllabus für Hudal zusammengehören.
Parallel dazu verfaßte Hudal am 15. Oktober 1934 für Nicola Canali
(1874-1961), den Assessor des Sanctum Officium, einen Vortrag für die
Kongregation für die außerordentlichen kirchlichen Angelegenheiten48,
die zu einem energischeren Kurs bewegt werden sollte. Das Votum
Hudals ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Die Entwicklung
und Verbreitung der nationalsozialistischen Rassen- und Blutlehre zum
Totalinterpretament sei besorgniserregend. Die schlimmsten Sätze müß-
ten kirchlich verurteilt werden.49 Die Verdammung der Bücher von
Rosenberg und Bergmann sei zwar ein erster Schritt gewesen, der je-
doch nicht ausreiche. Insbesondere müßten nach einer Untersuchung
von zuständiger Seite „die drei modernen Häresien radikaler Nationa-
lismus, Rasse und Blut als Grundlagen der Religion (Weltanschauung)
und Totalitärstaat vom heiligen Stuhl in feierlicher Form verdammt
werden, sei es durch eine Enzyklika oder durch einen neuen Syllabus in
der Form desjenigen von Pius IX. In den besonders von diesen Häresi-
en bedrohten Ländern müßten außerdem die Bischöfe damit beauftragt
werden, daß die Katholische Aktion der betreffenden Diözesen, sobald
der heilige Stuhl seine Zensur gegeben, mit allen geeigneten und posi-
tiven Mitteln einen einheitlichen Kampf gegen diese geistigen Strö-
mungen des modernen Lebens zu beginnen hat“.
Endlich kam die Sache in Gang. Im März 1935 lagen die eingehol-
ten Gutachten vor, am 1. Mai eine Liste mit 47 Propositionen, von de-
nen acht den Nationalismus, 15 den Totalitarismus und 24 den Rassis-
mus betrafen. Die Beratungen zogen sich hin. Im April 1936 wurden
47
Vgl. Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 120.
48
Ebd. S. 122-126; hier auch der vollständige Abdruck des Votums in deutscher Über-
setzung.
49
Es handelte sich um folgende Punkte: Auswirkungen der Rasse, Dogmatisierung
von Rassegesetzen, Bindung von Kultur und Religion an bestimmte Rassen, arische Reli-
giosität, Eugenik, Verhältnis zur Welt.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 75

auch Faschismus und Kommunismus mit auf die Tagesordnung genom-


men, im Oktober 1936 lag endlich ein Syllabus mit 24 Propositionen
vor, von denen fünf den Nationalismus und Faschismus, drei den Tota-
litarismus, acht den Rassismus und acht weitere den Kommunismus
betrafen. Damit war eigentlich ein publizierbarer Text entstanden. Doch
dieser blieb vorläufig – und schließlich für immer – in der Schublade.
Denn am 18. November 1936, noch einmal am 17. März 1937 und am
2. Juni 1937 fällte die Kongregation den Beschluß „dilata sine die“ –
vertagt auf unbestimmte Zeit. Die Entscheidung war offenbar allein
politisch motiviert, möglicherweise aufgrund der erschütternden Vor-
gänge im spanischen Bürgerkrieg.50

Weitere Einzelindizierungen
Nach wie vor verfolgte Hudal die Absicht, dem Nationalsozialismus
auch mit Hilfe des Instruments der Zensur zu Leibe zu rücken. Wenn-
gleich Hudal mit seinen Anträgen – aus welchen Gründen auch immer
– nicht durchdrang, so zeigen seine unermüdlichen Versuche doch vor
allem eines: Wäre es nach ihm gegangen, hätte der Index in exzessivem
Maße gegen die ideologischen Grundlagen bzw. Verteidigungen des
Nationalsozialismus Anwendung gefunden. Neben der Indizierung Ro-
senbergs und Bergmanns sowie der erfolglosen Anzeige des „Hand-
buchs der Judenfrage“ unternahm Hudal zumindest in zwei Fällen den
konkreten Versuch, eine Indizierung zu erzwingen.
In seinen „Römischen Tagebüchern“ teilt er mit, auch die Indizie-
rung Friedrich Nietzsches gefordert zu haben.51 Obwohl in den bis dato
freigegebenen Akten der Kongregation für die Glaubenslehre eine der-
artige Forderung nicht auffindbar ist, kommt Hudals Behauptung hohe
Glaubwürdigkeit zu. Ein Indiz dafür ist die Erwähnung Nietzsches (ne-
ben Rosenberg, Bergmann und Hauer) in einem Brief des Sanctum Of-
ficium vom 23. November 1937 an die Studienkongregation.52 Die Be-
mühung um eine Verurteilung der Schriften Nietzsches durch Hudal ist
umso wahrscheinlicher, als dieser den Philosophen wiederholt in sei-
nen Schriften als Wegbereiter des Nationalsozialismus attackierte. Die
nationalsozialistische Weltanschauung betrachtete Hudal dabei als „das
organisierte Schlussergebnis der kulturellen Dekadenzentwicklung in-
50
Angesichts der Ermordung von 13 Bischöfen und Tausenden katholischer Priester (etwa
jeder siebte) durch die Hand der Kommunisten erschienen die antikirchlichen Maßnahmen
der Nationalsozialisten (damals) geradezu harmlos. Da Hitler und Mussolini sich in Spanien
gegen die Kommunisten engagierten (Achse Berlin – Rom), dürfte für den Vatikan eine
Verurteilung der deutschen Politik Ende 1936 politisch inopportun gewesen sein. Vgl. W. L.
Bernecker, Religion in Spanien. Darstellung und Daten zu Geschichte und Gegenwart (Gü-
tersloher Taschenbücher 636), Gütersloh 1995, insbes. S. 92-100, hier S. 93.
51
„Ein letzter Antrag, die Werke Nietzsches als Grundlage und Kampfursache der
modernen Geistesverwirrung zu verurteilen, ist nicht mehr durchgedrungen.“ Hudal, Ta-
gebücher (wie Anm. 7) S. 120.
52
P. Blet u.a. (Hg.), Actes et Documents du Saint Siège relatifs à la seconde guerre
mondiale, 11 Bde., Città del Vaticano 1965-1981, hier VI, S. 529 f.
76 D OMINIK BURKARD

nerhalb des deutschen Geisteslebens im 19. Jahrhundert.“53 1937 syste-


matisierte Hudal seine Überlegungen in einem Vortrag über „Nietzsche
und die moderne Welt“ vor dem Kulturbund in Wien. Er fand in der
Presse weithin Beachtung und wurde in Rom als Broschüre verlegt.54
Nach Hudal hat Nietzsche als Wegbereiter des russischen Bolschewis-
mus ebenso wie der deutschen Glaubensbewegung zu gelten, die beide
in ihrem Ergebnis („Ruinenfelder zerstörter Gotteshäuser“ und „Ver-
nichtung der christlichen Religion“) identisch waren. Nietzsche sei „der
erste deutsche Terrorist auf literarischem Gebiet“, er stehe am „Beginn
des Barbarentums in Europa“, seine Weltanschauung sei nichts als „ma-
terialistischer Humanismus“ und „biologischer Monismus“. Ausführ-
lich ging Hudal auf die deutsche Glaubensbewegung ein: Dunkler Mys-
tizismus und nordisches Sendungsbewußtsein vermischten sich hier mit
Protest gegen Gott, Christus und Rom. In der deutschen Glaubensbe-
wegung sah Hudal nichts anderes als „die zur Religion erhobene Welt-
anschauung Nietzsches“. 55 Wie sehr Hudal mit diesem Vortrag ins
Schwarze traf, zeigten die heftigen Reaktionen der gegnerischen Seite.
Wenige Tage nach der Drucklegung wurde die Schrift in Rom von der
italienischen Geheimpolizei konfisziert, „weil der Duce eine Kritik sei-
nes ‚Lieblingsschriftstellers‘, dem er nach eigenen Angaben vieles ver-
dankte, nicht zulassen wolle“. 56 Auch in Deutschland wurde die Schrift
verboten.
Ein zweiter Indizierungsversuch richtete sich gegen den Dogmen-
und Kirchenhistoriker Hugo Koch (1869-1940). Dieser hatte im Streit
um Rosenbergs „Mythus“ Ende 1935 im nationalsozialistischen Theo-
dor Fritsch-Verlag ein über hundert Seiten starkes Bändchen mit dem
Titel „Rosenberg und die Bibel“ veröffentlicht, in dem er gegen die
Kölner „Studien zum Mythus“57 antrat und Rosenberg in wesentlichen
Punkten verteidigte. Die Schrift war zwar keine Verteidigung des Nati-
onalsozialismus, sondern eine Auseinandersetzung mit einer kirchlich-
apologetischen Richtung, die nach Kochs Ansicht für historisch-kriti-
sche Wissenschaft nichts übrig hatte. Doch bejahte Koch unverkennbar
die rassischen, antijüdischen Theorien Gobineaus, Chamberlains und
Rosenbergs. Das Jüdische wollte er aus dem Christentum ausgemerzt
wissen.58 Hudal reagierte mit einer Anzeige beim Sanctum Officium,
datiert vom 28. Januar 1936.59 Kochs Buch sei „mit großer Gelehrsam-
keit und Kenntnis der Schriften der Väter geschrieben“, wodurch die
„Studien“ im Kampf gegen Rosenberg an Wert verlören. Außerdem hatte
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 128.
53

A. Hudal, Nietzsche und die moderne Welt, Rom 11937; Lobnig/Freudenthal 21938.
54
55
Vgl. ebd. S. 40-50
56
So Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 182.
57
Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts. Amtliche Beilage zum Amtsblatt für die
Diözese Münster, Köln 1934.
58
H. Koch, Rosenberg und die Bibel. Zum Streit um den Mythus des 20. Jahrhunderts,
Leipzig 1935, S. 84 f.
59
ASMA K 5, fol. 528.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 77

die „Nationalsozialistische Monatsschrift“ in der Dezemberausgabe 1935


das Buch als Werk eines katholischen Priesters bezeichnet. Da viele Gläu-
bigen nichts über die Vergangenheit des Ex-Priesters wüßten, sei Koch
förmlich zu verurteilen bzw. zu exkommunizieren, „damit alle vor einem
ähnlichen Versuch gewarnt seien, Rosenberg, einen großen Feind der
Römischen Kirche, verteidigen zu wollen“. Doch auch mit dieser De-
nunziation hatte Hudal keinen Erfolg; eine Indizierung erfolgte nicht.

Hudals Schrift „Die Grundlagen des Nationalsozialismus“


Hudals Vorstöße nach 1934 brachten keinen Erfolg. Im Gegenteil: Er
sollte bald selbst mit der Indizierung bedroht werden. Das von ihm 1936
publizierte Werk „Die Grundlagen des Nationalsozialismus“ war nach
eigenem Zeugnis „ein letzter Versuch“, „die verantwortlichen Persön-
lichkeiten des Nationalsozialismus zu einer Revision ihres Kirchen- und
Rassenkampfes zu veranlassen, um eine antideutsche Front des Aus-
landes zu verhindern, nachdem das päpstliche Weltrundschreiben über
NS und Kommunismus bereits in Rom vorbereitet wurde“. Wie die
Unterlagen im Nachlaß Hudals zeigen, war sich der Konsultor der dop-
pelten politischen Brisanz seines Schrittes wohl bewußt. Um ein Er-
scheinen in Deutschland zu ermöglichen und nicht sofort den national-
sozialistischen Zensurinstanzen zum Opfer zu fallen, nahm Hudal über
Mittelsmänner Kontakt zu maßgeblichen NS-Stellen auf, um ein staat-
liches Imprimatur zu erhalten. Eine besondere Rolle spielte hierbei Franz
von Papen (1879-1969), der mehrfach persönlich bei Hitler und Goeb-
bels intervenierte.60 Das Manuskript wurde im Propagandaministerium
vorgelegt, von dem Hudal eine Liste mit 17 Beanstandungen bzw. Kor-
rekturvorschlägen erhielt.61

60
Dazu ausführlich Burkard, Häresie (wie Anm. 4) S. 210-214.
61
ASMA K 6, fol. 121-123. Papen erinnerte sich später: „Als ich Hitler das erste ihm
gewidmete Exemplar persönlich überreichte, nahm er es mit Dank entgegen und versprach,
es mit Interesse zu lesen. Da zu jener Zeit die Einfuhr von Büchern bereits von einer hohen
Parteistelle kontrolliert wurde und Hudals Buch – in Österreich gedruckt – einer Einfuhr-
erlaubnis bedurfte, bat ich Hitler, diese Parteistelle anzuweisen, die Einfuhr zu gestatten,
damit eine geistige Auseinandersetzung mit weiten Kreisen der Partei möglich sei. Er ver-
sprach alles. Aber sogleich setzte die Gegenarbeit der Bewegung ein. Vor allem war es
Goebbels, der die Gefahr einer Auseinandersetzung begriff und seine ganze diabolische
Dialektik auf Hitler wirken ließ. Er und Bormann bedrängten diesen, das Buch unter kei-
nen Umständen zuzulassen, da es von gefährlichem Einfluß auf die Partei werden könne.
Hitler schwankte. Unsere Unterhaltung dauerte stundenlang. Immer wenn ich ihn über-
zeugt zu haben schien, öffnete sich die Türe, und Bormann schaltete sich ein. Am Ende
gelang es mir nur, die Einfuhr von zweitausend Exemplaren zu erreichen mit dem Einver-
ständnis, dass diese an die führenden Parteikreise verteilt werden sollten. Der Versuch
einer ernsten Diskussion war damit sabotiert. Monsignore Hudal war bestürzt und tief
enttäuscht“. Franz von Papen, Der Wahrheit eine Gasse, München 1952, S. 432. Neben
Papen hatte sich auch General Karl Haushofer für das Buch eingesetzt und entsprechende
Schritte bei Rudolf Heß unternommen. Vgl. W. Dierker, Himmlers Glaubenskrieger. Der
Sicherheitsdienst der SS und seine Religionspolitik 1933-1941 (VKZG.B 92), Paderborn
u.a. 2002, S. 232.
78 D OMINIK BURKARD

Um Mißverständnissen vor allem im österreichischen Katholizismus62


zu begegnen, ließ Hudal durch den österreichischen Conseiller Minis-
tériel in Rom dem Bundespressedienst in Wien eine entsprechende In-
terpretationshilfe zukommen. Dieser versicherte, das Buch Hudals habe
erst nach Behebung großer Schwierigkeiten erscheinen können und das
„Börsenblatt der Buchhändler“ dürfe das Werk nicht bewerben. Den-
noch finde es reißenden Absatz, „weil darin Kritik geübt wird, die
nirgends mehr zugelassen ist, nicht einmal in den Kirchenblättern“.
Hudal sei kein Nationalsozialist.
„Was nun manche Stellen des hier besprochenen Werkes anlangt, die sich
in anerkennender Weise über einzelne Bestrebungen und Erfolge des Füh-
rers äußern, so schienen sie notwendig, um nicht von Anfang an damit
rechnen zu müssen, dass das neue Buch nicht augenblicklich beim Erschei-
nen gleich zwei früheren Publikationen desselben Verfassers verboten
würde.“63
Gleichwohl wurden die „Grundlagen“ in der Tschechoslowakei, in Lu-
xemburg und Holland verboten, in Deutschland später aus der Öffent-
lichkeit gezogen, in Österreich im März 1938.64 Heftigst reagierte „die
Linkspresse bis nach Nordamerika und die Emigranten, vor allem die
Kreise um Albert Einstein und Thomas Mann. Hudal wurde in ihrer
Propaganda zum Nazibischof“.65 Auch im Vatikan verursachte das Buch
größte Aufregung. Pacelli behauptete, der Papst selbst habe die „Grund-
lagen“ indizieren lassen wollen und sich nur durch seine Beschwichti-
gungen mit einer öffentlichen Distanzierung des Heiligen Stuhls be-
gnügt.66 In Kirchenkreisen verfestigte das Erscheinen der „Grundlagen“
das Bild Hudals als Nationalsozialist und „Deutscher“ – obwohl selbst
kirchliche Gegner dem Buch konzedieren mußten, die „kritisch-analy-
tischen Darlegungen“ seien „zu gut 70 bis 80 Prozent eine scharfe und
geradezu polemische Ablehnung der nationalsozialistischen Ideolo-
62
Zum Streit um Hudals Buch in Österreich vgl. E. Weinzierl-Fischer, Österreichs
Katholiken und der Nationalsozialismus, in: Wort und Wahrheit. Monatsschrift für Religi-
on und Kultur 18 (1963), S. 417-439; S. 493-526, hier S. 498 f.
63
16. November 1936 Frieberger an Bundespressedienst Wien („Sehr vertraulich“).
Abschrift des Österreich-Auswertungs-Kommandos vom 9. September 1938. BAB R 58/
5168.
64
Vgl. Langer, Hudal (wie Anm. 31) S. 95; Langer stützt sich auf eine Notiz von
Hudal.
65
J. Rainer, Bischof Hudal und das Wiedererwachen Österreichs 1944 in Rom, in: R.
Zinnhobler u.a. (Hg.), Kirche in bewegter Zeit. Beiträge zur Geschichte der Kirche in der
Zeit der Reformation und des 20. Jahrhunderts. FS für Maximilian Liebmann zum 60.
Geburtstag, Graz 1994, S. 305-316, hier S. 306.
66
Vgl. Langer, Hudal (wie Anm. 31) S. 81-83. Eine solche erschien noch im Oktober
1936 im „Osservatore Romano“. – An anderer Stelle schreibt Hudal: „Daß es nicht zu
einer öffentlichen Verurteilung des Buches, das nur ein Versuch und nichts Weiteres war,
in Rom gekommen ist, verdanke ich der Furcht vatikanischer Stellen [Staatssekretariat]
vor dem Echo unter den national denkenden deutschen Katholiken. Vielleicht war teilweise
auch die vorsichtige Haltung einzelner deutscher Jesuiten [Leiber] mitentscheidend“. Hu-
dal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 143.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 79

gie“.67 In einem anderen Zeitungsartikel hieß es zum dann doch erfolg-


ten Verbot des Buches durch die Nationalsozialisten:
„Jetzt hat man sich auch an höchster Instanz ausgesprochen, das Verbot ist
offiziell geworden: die parteiamtliche Prüfungsstelle der NSDAP hat den
Stab über Bischof Hudal gebrochen. Die begrenzte Anerkennung, die Bi-
schof Hudal dem NS erwiesen hat, ist also von berufenen Vertretern des
NS selbst abgelehnt worden. Denn das Bild, das sich Bischof Hudal vom
NS zurechtmachen mußte, um ihn überhaupt als verständlich, als verhand-
lungsfähig ansehen zu können, ist eine grobe Verzerrung, auf die die Hü-
ter des wahren Bildes des NS entsprechend reagiert haben.“68

Öffentliche Verurteilung des Nationalsozialismus


Schließlich führten Hudals Vorstöße aber doch noch zu einem gewis-
sen Erfolg. Am 14. März 1937 erließ Pius XI. die Enzyklika „Mit bren-
nender Sorge“.69 Sie war – um eine möglichst breite Wahrnehmung in
Deutschland zu gewährleisten – in deutscher Sprache verfaßt und gilt
als Höhepunkt des katholischen Protests gegen Hitler.70 Im Hintergrund
stand die massive Verschlechterung der Beziehungen zwischen Staat
und Kirche. Seit 1936 wurden kirchliche Eingaben nicht einmal mehr
formal beantwortet. Kardinalstaatssekretär Pacelli signalisierte deshalb
im Juli 1936 dem Episkopat, der Papst wolle, gestützt auf eine umfas-
67
So Alfred Missong im „Christlichen Ständestaat“. Vgl. R. Ebneth, Die österreichische
Wochenschrift „Der christliche Ständestaat“. Deutsche Emigration in Österreich 1933-1938
(VKZG.B 19), Mainz 1976, S. 122. Auch der Generalassistent der Jesuitenkurie für Deutsch-
land und Österreich, P. Brust, betonte, Hudals Buch verteidige die katholischen Grundsätze
„nachhaltig und eingehend“. F. Engel-Janosi, Vom Chaos zur Katastrophe. Vatikanische
Gespräche 1918 bis 1938. Vornehmlich auf Grund der Berichte der österreichischen Ge-
sandten beim Heiligen Stuhl, Wien/München 1971, S. 188. Ganz anders Dietrich von Hilde-
brand: „Es kam so heraus, als ob 95 % Übereinstimmung da wäre oder wenigstens Harmo-
nie, nur 5 % müßten vom Nationalsozialismus geändert werden. Um sich die Ungeheuerlich-
keit dieses Buches voll klar zu machen, muß man realisieren, daß es nach der Encyclika ‚Mit
brennender Sorge’ erschien und daß die Verfolgung der Kirche schon damals in vollem
Gang war in Deutschland. Natürlich reagierten wir in unserer Zeitschrift in energischster
Weise“ [„Der christliche Ständestaat“, insbes. Nr. 46, 15. November 1936, aber auch die
folgenden Nummern]. Vgl. D. v. Hildebrand, Memoiren und Aufsätze gegen den National-
sozialismus 1933-1938, hg. v. E. Wenisch (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitge-
schichte = VKZG.A 43), Mainz 1994, S. 150. Hier irrt Hildebrand allerdings. Hudals Buch
erschien im Oktober 1936, die Enzyklika im März 1937.
68
„Bischof Hudals Buch im Dritten Reich verboten“. Nicht weiter gekennzeichneter
Artikel. Exemplar in ASMA K 17, ohne Paginierung.
69
Dazu vor allem L. Volk, Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Zum hundertsten
Geburtstag Kardinal Michael von Faulhabers am 5. März 1969, in: StZ 94 (1969), S. 174-
194; H. A. Raem, Pius XI. und der Nationalsozialismus. Die Enzyklika „Mit brennender
Sorge“ vom 14. März 1937, Paderborn 1979; D. Albrecht, Der Notenwechsel zwischen
dem Heiligen Stuhl und der Deutschen Reichsregierung. Bd. 1: Von der Ratifizierung des
Reichskonkordats bis zur Enzyklika „Mit brennender Sorge“ (VKZG.A 1), Mainz 1965,
insbes. S. 402-443 (synoptischer Vergleich zwischen Faulhabers Entwurf und dem von
Pacelli fertig gestellten Endtext).
70
So K. Repgen, Judenpogrom, Rassenideologie und katholische Kirche 1938 (Kirche
und Gesellschaft 152/153), Köln 1988, S. 19.
80 D OMINIK BURKARD

sende Dokumentation der Rechtsbeugungen durch den Staat, ein „Pas-


torale“ erlassen. Daraufhin bat die Fuldaer Bischofskonferenz im Au-
gust 1936 Pius XI. förmlich um eine Erklärung an die deutschen Katho-
liken. Pacelli beorderte gegen Jahresende eine fünfköpfige Beratergrup-
pe aus dem Episkopat – die Kardinäle Bertram, Faulhaber und Schulte
sowie die Bischöfe von Berlin und Münster – zur Berichterstattung nach
Rom. Faulhaber erhielt von Pacelli bereits im Vorfeld der Audienz beim
Papst den Auftrag zu einer Gedankenskizze, dann auch zu einem Ent-
wurf des geplanten päpstlichen Rundschreibens. Dessen Tendenz war
weniger kirchenpolitisch als pastoral-dogmatisch, belehrend, ermuti-
gend, in bibelnaher, bildhafter Sprache gehalten und frei von Polemik.
Er wurde von Pacelli mehrfach redigiert, erweitert und ergänzt.71 Dabei
profitierte Pacelli ebenso von der Auseinandersetzung des Sanctum
Officium mit den Büchern von Rosenberg und Bergmann, wie von dem
Votum, das Hudal 1934 für Canali ausgearbeitet hatte. Von Interesse
ist, daß die Enzyklika die bisherige Zurückhaltung des Heiligen Stuhls
hinsichtlich einer Verurteilung des Nationalsozialismus zu rechtferti-
gen sucht. Doch die (vergleichsweise milde) Enzyklika war ein nur
schwacher Ersatz für den nicht realisierten (schärferen) Syllabus des
Sanctum Officium. Dementsprechend hartnäckig verfolgte Hudal wei-
terhin seinen Plan eines Syllabus.72
Ein Jahr später folgte dann schließlich in abgeschwächter Form doch
noch der von Hudal geforderte Schritt einer grundsätzlichen Verurtei-
lung. Am 13. April 1938 erging ein Reskript der Studienkongregation
an alle katholischen Universitäten und Fakultäten.73 Das von Ernesto
Ruffini (1888-1967) unterzeichnete Schriftstück wurde Anfang Mai
1938 durch eine „gezielte Indiskretion“ in der Pariser Presse publik
und sofort als „Syllabus gegen den Rassismus“ bezeichnet.74 Dieser
„kleine Syllabus“ enthielt acht verurteilungswürdige Sätze über Blut
und Rasse und sprach von Begriffsverwirrungen, welche verbreitet
würden, um „die Geister irrezuführen und dadurch die wahre Religion
auszurotten“. Die Adressaten wurden aufgefordert, gegen jene Irrtümer
die Wahrheit zu verteidigen und mit Argumenten aus Biologie, Ge-
schichte, Philosophie, Apologetik, Rechts- und Sittenlehre gegen die
71
R. Voderholzer, Die Enzyklika „Mit brennender Sorge“, in: Kardinal M. v. Faulha-
ber 1869-1952. Eine Ausstellung des Archivs des Erzbistums München und Freising, des
Bayerischen Hauptstaatsarchivs und des Stadtarchivs München zum 50. Todestag, Mün-
chen 2002, S. 311-321, hier S. 311-321, 314, 316.
72
Vgl. Burkard, Häresie (wie Anm. 4) 224 f.
73
Blet u.a. (Hg.), Actes (wie Anm. 52) VI, S. 529 f.; L. Volk, Akten Kardinal Michael
von Faulhabers 1917-1945. Bd. 4 (VKZG.A 30), Mainz 1981, S. 505 f.; Übersetzung (samt
Kommentar) ebd. 564-577; vgl. auch Repgen, Judenpogrom (wie Anm. 70) S. 20; Feld-
kamp, Pius XII. (wie Anm. 2) S. 113 f.
74
Repgen, Judenpogrom (wie Anm. 70) S. 20. Schwarte wies darauf hin, daß das Res-
kript am 3. Mai im „Osservatore Romano“ erschien, von der Kurie also offiziell bekannt
gegeben wurde. Vgl. J. Schwarte, Gustav Gundlach S.J. (1892-1963). Maßgeblicher Re-
präsentant der katholischen Soziallehre während der Pontifikate Pius’ XI. und Pius’ XII.
(Abhandlungen zur Sozialethik 9), München u.a. 1975, S. 75.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 81

abwegigen Thesen vorzugehen. In Gang gekommen war die Sache al-


lerdings tatsächlich erst im Zuge einer erneuten, von Hudal angeregten
Indizierung einer Bergmannschen Schrift. Am 17. November 1937 war
nach Befürwortung der Konsultoren (unter ihnen auch Hudal und Ruf-
fini) Bergmanns Schrift „Die natürliche Geistlehre“75 auf den Index der
verbotenen Bücher gesetzt worden.76 Die Kardinäle hatten darüber hin-
aus beschlossen, eine leicht verständliche und mit Nachweisen verse-
hene Zusammenstellung von Sätzen und Methoden des Nazionalsozia-
lismus zu veranlassen und so eine öffentliche (wissenschaftliche) Aus-
einandersetzung katholischer Universitäten mit den Irrtümern des Natio-
nalsozialismus zu initiieren. Möglicherweise hatte man im Sanctum
Officium der Fall bewußt „engagiert“ behandelt, um im Fahrwasser der
Enzyklika „Mit brennender Sorge“ das umzusetzen, was in der Vergan-
genheit durch das „dilata sine die“ verhindert worden war.
Es dürfte klar geworden sein: In Konsultor Alois Hudal haben wir
die entscheidende Kraft vor uns, welche die Kurie immer wieder dräng-
te, sich vom Nationalsozialismus deutlich zu distanzieren. Die Frage
ist, ob Hudal angesichts dieser Aktionen tatsächlich als „Brückenbau-
er“ zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus bezeichnet wer-
den kann, wie dies üblicherweise geschieht.77 Er selbst bezeichnete sich
nicht als solcher, wies 1936 in einem Schreiben an Pacelli den Vor-
wurf, Brückenbauer sein zu wollen, sogar weit von sich: Aus der stän-
digen Beobachtung der Verhältnisse sei ihm immer klarer geworden,
daß für die katholische Kirche größte Gefahren entstehen müßten, näm-
lich die vollständige Zurückdrängung der Religion auf den engen Raum
der Kirche, wenn es nicht gelinge, „in erster Linie im Reich die Bewe-
gung auf eine Bahn zu drängen, die das Weltanschauliche im strengs-
ten Sinne den Konfessionen überlässt und für sich nur das politisch-
soziale Gebiet etwa nach Art des Faschismus reserviert“. Hudals wollte
durch sein Buch „Wegbereiter“ einer solchen Lösung sein, von deren
Verwirklichung das Schicksal der deutschen Kirche im deutschen Le-
bensraum besonders unter der heranwachsenden Jugend abhänge. Mit
den sogenannten „Brückenbauern“ habe sein Kurs, der auch von Kardi-
nal Schulte und Bischof Galen unterstützt werde, nichts zu tun.78 Und
schon 1935 hatte Hudal öffentlich bekannt:
„Sobald die Klarheit vorhanden ist, dass Rosenberg zugleich das Programm
der Nationalsozialismus bedeutet, helfen auch keine katholischen oder pro-
testantischen Alchimisten, die Zusammenhänge zwischen Christentum und
Nationalsozialismus künstlich konstruieren und, oft gewiss in edler Ab-
sicht, oft aus Schwäche oder Byzantinismus und wie immer die Beweg-
75
E. Bergmann, Die natürliche Geistlehre. System einer deutsch-nordischen Weltsinn-
deutung, Stuttgart 1937.
76
„Condanna di un’opera del Bergmann“, in: Civiltà Cattolica 88, IV (1937), S. 559.
77
Vgl. auch M. Liebmann, Theodor Innitzer und der Anschluß. Österreichs Kirche
1938, Graz u.a. 1988, S. 45-57.
78
11. November 1936 Hudal, Rom, an Pacelli. ASMA K 65, fol. 219.
82 D OMINIK BURKARD

gründe seien, Brücken in die neue Zeit bauen, statt den Abgrund aufzudek-
ken, der beide im wesentlichen – voneinander scheidet und zu erkennen,
dass es zwei Welten sind, die wie Wasser und Feuer sich gegenüberste-
hen.“79
Mit Sicherheit war Hudal kein Brückenbauer zum Nationalsozialismus,
wie er sich in der Realität darstellte. Die von Hudal geforderte und pro-
vozierte Voraussetzung einer Brücke wäre die zwar dem italienischen
Vorbild entlehnte, freilich keineswegs realistische Amputation des
Nationalsozialismus und seine Reduktion auf eine rein politische Be-
wegung gewesen.

Der „Pontifex“– Eugenio Pacelli


Pacelli als „Bremser“
In der Phase vor dem vollständigen Wirksamwerden der rassischen und
totalitären Politik des Nationalsozialismus – dies zeigt die hier vorge-
legte Skizze – gab es innerhalb der römischen Kurie zahlreiche Versu-
che, sich öffentlich und mit dem ganzen Gewicht des Lehramts von
zentralen Irrtümern des Nationalsozialismus zu distanzieren. Eine
Schlüsselrolle spielte hierbei Alois Hudal. Deshalb ist die Behauptung
Godmans, der im Sanctum Officium vorbereitete Syllabus habe Hudal
erschreckt, und er habe ihn daher unterminiert,80 absurd. Allerdings fand
Hudal mit seinen Initiativen von Ende 1934 an, spätestens jedoch ab
1936, nur mehr wenig Gehör. Das Resultat seiner Bemühungen war
deshalb, gemessen an den unternommenen Anstrengungen, kaum be-
friedigend. Die Frage lautet: Warum?
Ein zentraler Grund liegt in der Inhomogenität der Römischen Ku-
rie. Es gab nicht den Vatikan, denn der Vatikan war kein in sich ge-
schlossener, einheitlicher Block. Vielmehr lassen sich an der Kurie der
1930er Jahre in Bezug auf unsere Frage mindestens drei verschiedene
Richtungen eruieren. Für die erste Richtung steht Hudal. In der Hoff-
nung, das Überleben der Kirche und des Christentums in Deutschland
sichern zu können, strebte er eine „Reinigung“ des Nationalsozialis-
mus durch Verurteilung seiner Weltanschauung an. Eine andere, zweite
Richtung vertrat Pius XI. – und diese war wesentlich kompromißloser.
Wie Hudal betrachtete Pius XI. den extremen Nationalismus als die
„Erzhäresie“ des 20. Jahrhunderts, verurteilte die Staatstotalität des
Faschismus (in seiner Enzyklika „Non abbiamo bisogno“) als mit dem
Naturrecht nicht vereinbar und war ein „erklärter und offener Gegner
der nationalsozialistischen Rassenideologie“. Anders als Hudal glaub-
te Pius XI. allerdings nicht an die Möglichkeit einer Verständigung
zwischen Kirche und Nationalsozialismus. Er war überzeugt, der Natio-
nalsozialismus müsse in seiner Gesamtheit abgelehnt werden. Fast alle
79
Hudal, Volk (wie Anm. 24) S. 26 f.
80
Vgl. Godman, Vatikan (wie Anm. 9) S. 157.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 83

Ansätze hierzu scheiterten jedoch. Sie wurden – wie Hudal durchaus


glaubhaft behauptet – „im Interesse einer friedlichen Entwicklung mehr-
mals durch das Dazwischentreten des Staatssekretariates und der päpst-
lichen Kongregation für die außerordentlichen Angelegenheiten durch-
kreuzt und abgeschwächt“. 81 Kardinalstaatssekretär Pacelli steht für
diese dritte, vor allem in den alten Bahnen der Diplomatie denkenden
Richtung. Viele Hinweise deuten darauf hin, daß er es war, der fast alle
öffentlichkeitswirksamen Proklamationen des Heiligen Stuhls gegen den
Nationalsozialismus zu verhindern suchte.
In der Beurteilung des Nationalsozialismus und seiner Gefahren an
sich scheinen sich dabei Pacelli und Hudal grundsätzlich einig gewe-
sen zu sein. So rezipiert das äußerst umfang- und kenntnisreiche Pro-
mermoria Pacellis an die deutsche Reichsregierung vom 14. Mai 1934,
das den Legitimationsprinzipien des nationalsozialistischen Regimes
den Kampf ansagte und von Vergöttlichung der Rasse und Verabsolu-
tierung der Nation sprach, weitgehend die Urteile Hudals, die dieser
Anfang des Jahres im Verfahren um die Indizierung Bergmanns vorge-
tragen hatte: Daß es innerhalb des Nationalsozialismus einen „linken“,
weltanschaulichen Flügel gab, der sich aus liberalistischen, marxisti-
schen und kommunistischen (im Sinne von glaubensfeindlichen) Ele-
menten speiste. Daß es eine reale Möglichkeit gebe, diese Richtung zu
eliminieren. Daß die Reichsregierung gezwungen werden müsse, sich
von Rosenberg und seinen Gefolgsleuten zu trennen und die Verspre-
chen Hitlers endlich einzulösen.82 Und selbst die Enzyklika von 1937,
die hauptsächlich im Staatsekretariat ausgearbeitet wurde, stützt sich
noch in weiten Teilen Material auf Akten des Sanctum Officium mit
den Ausführunge Hudals. Entsprechend gut war anfänglich auch das
Verhältnis Pacellis zu Hudal. Deutliches Indiz dafür ist etwa die Bi-
schofswürde für den Rektor der deutschen Nationalkirche. Die Weihe
am 18. Juni 1933 durch Kardinalstaatssekretär und Protektor von Santa
Maria dell’Anima Eugenio Pacelli war alles andere als eine Selbst-
verständlichkeit. Mit dem Amt Hudals als Rektor der Kirche und des
zur Kirche gehörenden Kollegs war kein Titularepiskopat verbunden,
keiner seiner Vorgänger war Bischof gewesen. Hudal erhielt Titel und
Weihe vielmehr aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund seiner Verdiens-
te, die er Pacelli und dem Heiligen Stuhl bei den Verhandlungen über
das Österreichische Konkordat von 1933 geleistet hatte.83
Allerdings scheinen Pacelli schon bald Zweifel über die geeignete
Art des Umgangs mit dem Nationalsozialismus gekommen zu sein.
Auslöser dürfte hier wohl die wiederholte Erfahrung gewesen wein, daß
jede Form der Kritik mitnichten zu einer Lösung führte, sondern die
81
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 118.
82
Dies kann an dieser Stelle nicht näher nachgewiesen werden. Das „Promemoria“
findet sich abgedruckt bei Albrecht, Notenwechsel (wie Anm. 69) I, S. 125-164.
83
Diese Zusammenhänge sowie die Verhandlungen über das österreichische Konkor-
dat selbst sind bislang noch nicht genügend erforscht.
84 D OMINIK BURKARD

Situation nur verschlimmerte (Bumerang-Erfahrung). Dies galt für die


Indizierung Rosenbergs, dies galt im noch stärkeren Maße für die En-
zyklika 1937. Sie war ein nur schwacher Ersatz für den nicht realisier-
ten (schärferen) Syllabus des Sanctum Officium. Trotzdem war das Echo
darauf groß, die Lage der deutschen Katholiken verschärfte sich zuse-
hends, wodurch – ähnlich wie 1934 nach der Indizierung Rosenbergs –
eine Situation entstand, die so von kirchlicher Seite nicht gewollt wer-
den konnte.
Der Beginn der Entfremdung zwischen Hudal und dem Staatssekre-
tär ist offenbar im Jahr 1935 anzusiedeln. So berichtet Dietrich von
Hildebrand – ein unverdächtiger Zeitgenosse, da er Hudals Position
rundweg ablehnte84 – in seinen Memoiren von einem Gespräch mit Pa-
celli aus diesem Jahr. Dabei soll dieser gesagt haben:
„Es sieht sehr ernst aus, es wird schlimm werden, wenn nicht die gemäßig-
ten Elemente im Nationalsozialismus Oberwasser bekommen“.
Als Hildebrand entgegnete:
„Sagen Sie das nicht, Eminenz! Die gemäßigten Elemente sind die gefähr-
lichsten. Viel besser die Rosenbergs, die die Maske ablegen und die abso-
lute Unverträglichkeit mit dem christlichen Glauben offen zeigen, als die-
jenigen, die die Katholiken verwirren und verführen, weil sie den Kampf
gegen Christus verschleiern“,
antwortete Pacelli:
„Ja, Sie haben recht – Rassismus und Christentum sind absolut un-
verträglich, wie Feuer und Wasser. Es kann keinen Frieden geben,
keine Brücke.“85
Hildebrand interpretierte diese Entgegnung als Zustimmung. Der Vor-
gang zeigt deutlich, daß Pacelli noch 1935 Hudals Argumentation als
seine eigene präsentierte und erst auf den Widerspruch Hildebrands hin
auf die Position Pius‚XI. einschwenkte. Daß nun möglicherweise die
ersten größeren Zweifel an Hudals Vorgehen kamen, zumal die von
Hudal vorangetriebene Indizierung Rosenbergs im Ganzen äußerst un-
erfreuliche Folgen für die Kirche hatte („Bumerang-Erfahrung“), än-
dert nichts an der Tatsache weitgehender Übereinstimmung in der Ana-
lyse. Von daher ist es falsch und irreführend, etwa einen Gegensatz
zwischen Hudals „Illusion von einem ‚gemäßigten Hitler‘“ und Pacel-
lis Position zu konstruieren, wie dies Godman tut.86 Hudal und Pacelli
waren in ihrer Einschätzung des Nationalsozialismus nach wie vor in
vielem einig, auch wenn ihre Taktik zunehmend auseinanderlief. Vie-
les, was von Godman Pius XI., Pacelli oder „Rom“ schlechthin zugute
84
Vgl. die Kontroverse um Hudals berüchtigten Artikel in der „Reichspost“. Dazu
Liebmann, Innitzer (wie Anm. 77) S. 53 f.
85
Hildebrand, Memoiren (wie Anm. 67) S. 121.
86
Godman, Vatikan (wie Anm. 9) 117.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 85

gehalten wird,87 sind ureigenste Gedanken Hudals, die dieser öffentlich


äußerte und an der Kurie auch praktisch verfolgte. Das drängende und
ungestüme Vorgehen des Rektors mußte dem vorsichtigen Diplomaten
jedoch zunehmend unangebracht erscheinen.
Daß sich Pacelli und Hudal sich in der einzuschlagenden Strategie
zunehmend auseinander entwickelten, läßt sich an verschiedenen Indizi-
en ablesen. Stimmt Hudals spätere Behauptung, er habe 1935 in gewis-
sen Kreisen des Vatikans allen Kredit verloren, so könnte dies auf Hu-
dals Forderung nach Klarheit und sein stetes Arbeiten daran, den Kon-
flikt nicht zu verdecken, sondern auf die Spitze zu treiben, zurückzufüh-
ren sein. So wurde 1935 die Schrift „Der Vatikan und die modernen Staa-
ten“, die Hudal dem Kardinalstaatssekretär persönlich gewidmet hatte
und in der Hudal sehr pointiert Klarheit über das Verhältnis zum Natio-
nalsozialismus forderte, als „Taktlosigkeit“ empfunden. Hudal behaup-
tete später, beanstandet worden sei der Satz, viele Katholiken erwarten,
„daß nach den Weltrundschreiben über Familie und Erziehung nunmehr
ein drittes folge, in dem die Hauptirrtümer unserer Zeit, radikaler Nationa-
lismus, Staatstotalität und Rassenwahn, feierlich verurteilt werden“.88
Vermutlich hatte Hudal gehofft, mit seiner Schrift die soeben ins Stok-
ken geratene Arbeit der Syllabus-Kommission voranzutreiben. Dem
Diplomaten Pacelli kam diese fast unverhüllte Handlungsaufforderung
dagegen offenbar mehr als ungelegen. Das Staatssekretariat (!) verbot
die italienische Übersetzung der Schrift mit der Bemerkung „Come si
poteva dare l’Imprimatur a un tal libro, che non è opportuno?“ und ließ
sie durch die Faschisten beschlagnahmen.
Die 1936 veröffentlichten „Grundlagen des Nationalsozialismus“
waren so verfaßt, daß sie unter der gegebenen Konstellation an der Kurie
und zumal im Sanctum Officium nur eine Reaktion auslösen konnten:
Abwehr und Verdammung. Pacelli behauptete Hudal gegenüber, der
Papst selbst habe die Indizierung der „Grundlagen“ veranlassen wollen
und sich nur durch Pacellis Beschwichtigungen mit einer öffentlichen
Distanzierung des Heiligen Stuhls von dem Buch begnügt.89 An ande-
rer Stelle schreibt Hudal:
„Daß es nicht zu einer öffentlichen Verurteilung des Buches, das nur ein
Versuch und nichts Weiteres war, in Rom gekommen ist, verdanke ich der
Furcht vatikanischer Stellen [Staatssekretariat] vor dem Echo unter den na-
tional denkenden deutschen Katholiken. Vielleicht war teilweise auch die
vorsichtige Haltung einzelner deutscher Jesuiten [Leiber] mitentscheidend“.90
Und wieder an anderer Stelle behauptet er, die Indizierung sei nur un-
terblieben aus „Rücksicht auf meine bischöfliche Stellung und eventu-

87
So etwa ebd. S. 82, 108, 110 ff., 123, 133, 198, 210, 222, 248.
88
Vgl. Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 292 f.
89
Vgl. Langer, Hudal (wie Anm. 31) S. 81-83.
90
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 143.
86 D OMINIK BURKARD

elle Rückwirkungen im 3. Reich, dem gegenüber Kardinalstaatssekre-


tär Pacelli eine mildere Haltung einnahm“.91 Falls die Behauptung Hans-
jakob Stehles, die Anregung zu Hudals Buch sei von Pacelli ausgegan-
gen, 92 der Wahrheit entspricht, würde auch dies die These inhaltlicher
Affinität aber zunehmender taktischer Entfremdung noch einmal stüt-
zen.
Nur einige wenige Indizien zum Agieren Pacellis:
1. Von den Büchern, die Hudal beim Sanctum Officium zur Indizie-
rung vorbrachte, hatten nur die beiden ersten Anzeigen Anfang
1934 Erfolg. Die in diesem Zusammenhang eingebrachten wei-
teren Titel wurden offenbar überhaupt nicht berücksichtigt, die
in der Folgezeit nachweislich gemachten Anzeigen (Fritsch, Nietz-
sche, Koch) blieben erfolglos. Erst Bergmanns „Geistkirche“
gelangte 1938 wieder auf den Index und profitierte dabei offen-
bar von einem Richtungswechsel der päpstlichen Politik, der sich
mit der Enzyklika 1937 angekündigt hatte.
2. Die Anfang 1934 von Hudal formulierte Forderung, neben we-
sentlichen Schriften des Nationalsozialismus auch die Idee an
sich zu verurteilen, wurde trotz Zustimmung der Konsultoren
von der Kongregation nicht aufgegriffen. Erst durch den von
Hudal über den Papst selbst ausgeübten Druck sahen sich die
Kardinäle im Sanctum Officium ab Oktober 1934 gezwungen,
den Nationalsozialismus selbst als Ideologie zum Gegenstand
eigener Beratungen zu machen. Das vorgegebene Ziel eines
„Syllabus“ wurde trotz intensiver Beratungen nicht erreicht,
vielleicht weil das Vorhaben bewußt „aufgebläht“, damit aber
schwerfällig und aus politisch-diplomatischen Erwägungen un-
durchführbar wurde.
3. Anstelle des Syllabus publizierte der Heilige Stuhl Anfang 1937
die Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Diese war im Wesentli-
chen von Pacelli formuliert, nicht vom Sanctum Officium, und
sie war nur ein schwacher Ersatz für den entfallenen Syllabus.
Allerdings war selbst die Enzyklika innerhalb der Kurie umstrit-
ten. Aus österreichischen Diplomatenkreisen stammt die Nach-
richt, Pius XI. habe sich „trotz verschiedener Abratungs- und
Milderungsversuche von anderer Seite“ – man denkt sofort an
Pacelli – durchgesetzt: „Es komme, was da wolle“. Für Pius XI.
sei die Enzyklika auch „nur ein erster Schritt“ gewesen. 93
4. Die Vorarbeiten des Sanctum Officium zum Syllabus, die 1936
versandeten, wurden stärker als in der Enzyklika in dem soge-
nannten „kleinen Syllabus“ (Reskript) der Studienkongregati-
Zit. nach Langer, Hudal (wie Anm. 31) S. 95.
91

H. Stehle, Die Ostpolitik des Vatikans 1917-1975, München/Zürich 1975, S. 197.


92
93
F. Engel-Janosi, Vom Chaos zur Katastrophe. Vatikanische Gespräche 1918-1938,
Wien/München 1971, S. 155 f.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 87

on von 1938 rezipiert. Statt einer offenen Verurteilung wählte


man die Form einer publik gemachten Anfrage an katholische
Hochschulen. Ein Kompromiß also: Klare Nennung der wich-
tigsten Beanstandungen, aufgrund politischer Überlegungen
jedoch nur in Form eines internen Schreibens, das aber der Presse
zugespielt wurde. Der Beschluß zu diesem Schritt in die Öf-
fentlichkeit war im Sanctum Officium gefaßt worden und ging
eigentlich wesentlich weiter, doch mußte die Studienkongrega-
tion bei der Durchführung wiederum den „diplomatischen Fil-
ter“ in Kauf nehmen.94
5. Den letzten Anlauf zu einer öffentlichen Positionierung des Hei-
ligen Stuhls unternahm Pius XI., als er ebenfalls 1938 und un-
ter Wiederaufgreifen des früheren Plans Hudals einigen Jesui-
ten den Auftrag zur Ausarbeitung einer Antirassismus-Enzykli-
ka gab. 95 Pacelli wurde offenbar bewußt nicht in das Vorhaben
eingeweiht. Diese Enzyklika wäre – zumal nach den Erfahrun-
gen bei der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ – zweifelsohne
ein Politikum ersten Ranges gewesen. Doch bevor sie publi-
ziert werden konnte, starb Pius XI. Sein Nachfolger – Eugenio
Pacelli – ließ die Antirassismus-Enzyklika in der Schublade ver-
schwinden.
Daß das Staatssekretariat und Kardinalstaatssekretär Pacelli die Unter-
nehmungen Hudals boykottierten, wurde von letzterem erkannt und in
seinen Erinnerungen – wenngleich mal mehr, mal weniger verklausu-
liert – bitter vermerkt. Hudal charakterisierte Pacelli (und die Gruppe
um ihn) als „Umfaller“. So etwa bei der zwar sehr allgemeinen, jedoch
94
Pius XI. entschärfte – auf Pacellis Anraten hin – den Plan: Nur jene wissenschaftli-
chen Institutionen sollten mit der Angelegenheit befaßt werden, welche der Studienkon-
gregation unterstanden. Außerdem sei das Thema lediglich theoretisch-abstrakt zu behan-
deln, ohne Deutschland oder andere Staaten direkt zu nennen. Pacelli legte Ruffini auch
nahe, die Einzelpunkte der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ zu entnehmen. Dies heißt:
Pacelli wollte die Aktion der Studienkongregation keineswegs als „Syllabus“, d.h. als
Fortsetzung oder Abschluß der im „Sanctum Officium“ geführten Debatte verstehen, viel-
mehr als praktische Weiterführung der Enzyklika „Mit brennender Sorge“. Sein Rat zeigt
ebenso wie die Anweisung Pius’ XI., wie sehr die Taktik der politisch-diplomatischen
Zurückhaltung Raum gewonnen hatte. Vgl. Blet u.a. (Hg.), Actes (wie Anm. 52) hier VI,
S. 529 f.
95
Dazu insbesondere G. Passelecq/B. Suchecky, Die unterschlagene Enzyklika. Der
Vatikan und die Judenverfolgung, Berlin 2 1999; A. Rauscher (Hg.), Wider den Rassismus.
Entwurf einer nicht erschienenen Enzyklika (1938). Texte aus dem Nachlass von Gustav
Gundlach SJ, Paderborn u.a. 2001. Bereits 1976 hatte Johannes Schwarte in seiner kennt-
nisreichen Monographie über Gustav Gundlach ausführlich die einschlägigen Quellen zu
Wort kommen lassen: Schwarte, Gundlach (wie Anm. 74) S. 72-100. Unklar scheint
allerdings, inwieweit die äußerst intensiven (letztlich offenbar erfolglosen) Bemühungen
des früheren deutschen Reichskanzlers Joseph Wirth um ein vatikanischen Vorgehen ge-
gen den international verbreiteten Antisemitismus Pius XI. zu diesem Schritt bewegten.
Dazu U. Hörster-Philipps, Joseph Wirth 1879-1956. Eine politische Biographie (VKZG.B
82), Paderborn u.a. 1998, insbes. S. 493-506, außerdem Burkard, Häresie (wie Anm. 4) S.
232-238.
88 D OMINIK BURKARD

nicht minder aussagekräftigen Charakterisierung des Staatssekretariats


als wichtigste Zentralbehörde der römischen Kurie neben dem Sanctum
Officium:
„In gewisser Hinsicht übertrifft es an Einfluss die letzte Kongregation, weil
die Entscheidungen wesentlich von politischen Erwägungen des Augen-
blicks beeinflusst werden müssen. [...] Im Staatssekretariat werden auch
die vom Heiligen Offizium, der obersten Stelle für das Gebiet des Glaubens
und der Sitten, ausgearbeiteten Maximen, wenn sie nicht rein religiös-spe-
kulative Wahrheiten von Theologenschulen beinhalten, auf ihre augenblick-
liche politische Tragbarkeit und Opportunität einer Veröffentlichung über-
prüft, um allen Schwierigkeiten mit den Staaten auszuweichen. So kann
heute etwas an sich absolut Richtiges als inopportun verurteilt werden,
was übermorgen, wenn ein parteipolitischer Szenenwechsel eintritt, von
der gleichen Stelle als eigene Auffassung vertreten wird.“ 96
1952 wurde Alois Hudal gegen seinen Willen vom Vatikan seines Am-
tes als Rektor der Anima enthoben. 97 Offenbar waren an seiner „Kalt-
stellung“ nicht nur deutsche und österreichische Bischöfe beteiligt, son-
dern auch höchste vatikanische Stellen – mit ziemlicher Wahrschein-
lichkeit sogar der Papst selbst. Besondere Brisanz erhält dieser Aspekt
dadurch, daß Hudal offenbar einer der wichtigsten „Kronzeugen“ und
Informanten für Hochhuths umstrittenes Bühnenstück „Der Stellver-
treter“ wurde, das – obwohl von Hochhuth selbst als Fiktion bezeichnet
– auf Pacelli einen großen Schatten warf.98

Abschließende Thesen
1. Die Bemühungen Hudals in Bezug auf den Nationalsozialismus
sollten nüchtern dargestellt werden, ohne ihn deswegen zum
„Heiligen“ und Helden zu stilisieren oder aber in den Verdacht
zu geraten, seine Haltung kritiklos zu billigen. Die Wirklich-
keit ist auch hier zu komplex, als daß sie in vorgeformte Scha-
blonen paßte.

96
Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 47 f. Hervorhebungen vom Verfasser.
97
Vgl. dazu ausführlich Hudal, Tagebücher (wie Anm. 7) S. 292-321. Nach Godman,
Vatikan (wie Anm. 9) S. 247 angeblich auf Druck der Alliierten.
98
Hochhuth besuchte Grottaferata, „wo der seltsame Alois Hudal seine verbitterten
letzten Jahre verbrachte – jener Bischof, der von einer Versöhnung der Hitlerbewegung
mit der Kirche einmal die Rettung vor Bolschewiken, Juden und Liberalen erhofft hatte,
der dann viele Juden vor ihren Mördern, später manche Mörder vor ihren Richtern retten
half, indem er für sie Rot-Kreuz-Pässe besorgte … Nur wenn er über den Pacelli-Papst
sprach, der ihn einst angeregt, dann wieder fallengelassen hatte, kam Hudal die „caritas“
etwas abhanden … Und so entstand Rolf Hochhuths „Stellvertreter“; das Bild eines eisi-
gen Skeptikers, eines Papstes, der sich – eins mit der Institution, die er verkörpert – nicht
mehr den Luxus von Gefühlen erlaubt, sondern nur kalt und nüchtern, mit selbstbewußtem
Hochmut politisch kalkuliert: Hitlers Verbrechen dürfen nicht verurteilt werden, damit
Deutschland für den Westen verhandlungswürdig bleibt, damit die Front gegen den Osten
nicht zusammenbricht …“. Stehle, Ostpolitik (wie Anm. 92) S. 236 f.
Alois Hudal – ein Anti-Pacelli? 89

2. Es ist nicht nötig – und ebenso wenig historisch verantwortet


möglich – Hudal zum extravaganten Sonderling zu stempeln,
um den Vatikan oder Pacelli zu „retten“. Vertiefte Forschungen
dürften zeigen, was hier nur angedeutet werden konnte: daß
Hudal eine Position vertrat, die im Katholizismus der damali-
gen Zeit und auch in der Hierarchie keineswegs extraordinär
war. Dies gilt etwa für die Vorstellung, man könne oder müsse
sich nach dem italienischen Vorbild mit dem Nationalsozialis-
mus arrangieren, indem man in diesem das Weltanschauliche
zurückdränge. Dies gilt auch von der relativ positiven Einschät-
zung Hitlers, egal ob diese nun tatsächlich vorlag oder nur aus
strategischen Gründen erfolgte.99
3. Pacelli und Hudal waren beide auf weite Strecken der Überzeu-
gung, daß der Nationalsozialismus prinzipiell zu zähmen sei.
Trotz dieser gemeinsamen Grundüberzeugung gab es zunehmend
ein prinzipielles Auseinanderdriften in Fragen der einzuschla-
genden Taktik. Hudal war der Überzeugungstäter, der mit Hilfe
der Öffentlichkeit zu agieren suchte, Pacelli der Diplomat, der
das Licht (und freilich auch die unkalkulierbaren Folgen) der
Öffentlichkeit scheute.
4. Es bleibt eine traurige Tatsache, daß im Archiv des römischen
Sanctum Officium so gut wie keine Akten über eine inhaltliche
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu finden
wären, hätte Hudal das Thema nicht geradezu penetrant immer
wieder in Erinnerung gerufen. Seine Initiativen liefen zwar oft
ins Leere oder wurden von der Kurie (bzw. dem Staatssekreta-
riat) als Provokation aufgefaßt, weil die Strategie eine andere
war. Ohne die Hudalschen Vorstöße hätte es aber möglicher-
weise weder die Enzyklika „Mit brennender Sorge“ noch den
„kleinen Syllabus“ der Studienkongregation gegeben.

99
Hierfür finden sich in meiner Studie „Häresie und Mythus des 20. Jahrhunderts“
zahlreiche Hinweise. Vgl. aber auch Ph. Chenaux, Pie XII. Diplomate et pasteur, Paris
2003, 213.

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