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Originalausgabe
© 2011 Schirner Verlag, Darmstadt
1. Auflage 2011
Alle Rechte vorbehalten
www.schirner.com
Inhalt
Vorwort........................................................................................................ 7
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zu überwinden hilft. Dabei lernen die Teilnehmer, auch ihre
negativen Gefühle schreibend anzunehmen und auszudrü
cken. Es gibt aber auch reichlich Erfolge und befreiende Er
lebnisse.
Auf sanfte, beiläufige Art bezieht Ruth Maria Wegner den Le
ser in die Schreibgruppe mit ein. Wie in ihren Kursen redet sie
ihn mit dem vertraulichen »Du« an. Immer wieder zeigt sich
ihre Fähigkeit, auch aus verschlüsselten, distanzierten Texten
herauszuhören, was den Schreibenden eigentlich bewegt.
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1. Kapitel
Sei unvorsichtig, sei rücksichtslos!
Sei ein Löwe! Sei ein Seeräuber –
wenn du schreibst!
Brenda Ueland1
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Leben eine neue Richtung. Auf der Suche nach Antworten
bewegen wir uns tief in die Schatzkammer unserer Seele hin-
ein. Indem wir unsere Themen schreibend verarbeiten, kön-
nen wir uns neue Lebensräume erschließen. Und vor allem
dringen wir in ungeahnte Bereiche vor, die in jedem von uns
schlummern und nach Ausdruck dürsten.«
Jetzt fiel mir Ilse ins Wort: »Ich war einmal bei so etwas, das
hat mir aber nicht viel gebracht. Die anderen haben ständig
nur meine Texte kritisiert.« Sie schüttelte den Kopf, und ich
wartete.
Plötzlich strahlte Dorothea über das ganze Gesicht und
schlug vor: »Weißt du was, Ruth, du könntest uns doch das
Schreiben beibringen.«
Annelie räusperte sich: »So was Blödes, ich kann doch schon
schreiben! Das haben sie mir schließlich in der Schule beige-
bracht.«
»Tja«, kommentierte Ute, »vielleicht sollten wir wirklich et-
was Gescheites tun. So herumsitzen, das bringt doch nichts.
Ich habe zwar meinen Fotoapparat gerettet, aber ich kann ja
nicht immer nur Bilder knipsen, die nachher sowieso keiner
anschauen will.«
Ich lächelte ihr zu und warnte: »Es kann sein, dass du auch
Texte schreiben wirst, die keiner lesen will.«
Zum ersten Mal nach der Bruchlandung mussten wir lachen,
und damit war besiegelt, dass wir mit dem Schreiben beginnen
würden. In den nächsten Tagen würde ich sie anleiten, Ideen
für Geschichten zu sammeln. Natürlich wollten alle wissen,
wie man so schreibt, dass es auch Freude bereitet – denn ein
bisschen Spaß brauchten wir in unserer Lage ganz dringend.
Annelie kramte ein knallrotes Schreibmäppchen aus einem
zerfetzten Rucksack hervor.
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ginnst! Wir werden nun jeden Tag eine Fünf-Minuten-Übung
machen … Sie dauert wirklich nur fünf Minuten!«
Alle lachten.
»Nun denn, aber vorlesen müssen wir nichts!« Ilses Worte
verrieten ihre Angst.
»Niemand muss vorlesen, wenn er es nicht wirklich will.
Schreiben und Vorlesen, beides ist freiwillig. Und damit ihr
einen Anfang findet, schaut euch einfach die Buchstaben an.
Ihr kennt das doch noch?«
»Ja, unser Flugzeug.« Annelie hauchte die Worte nur, doch Ute
fiel sofort der Kinderreim ein: »A B C, die Katze lief im Schnee.«
»Im Schnee wohl nicht. Wir befinden uns immer noch an die-
sem gottverlassenen, verdammten Ort«, bemerkte Matthias.
»Ohne Katze.«
1. Schreibübung:
Fünf-Minuten-Text
Schreibe fünf Minuten lang alles auf, was dir in den Sinn kommt,
ohne Punkt und Komma und ohne darüber nachzudenken, ob
es gut oder richtig ist. Du kannst dabei das Bild anschauen oder
mit einem Wort beginnen, das dir im Moment wichtig ist. Dein
Text muss keinen Sinn er
geben, du solltest dabei
deinen Kopf ausschalten.
Das macht dich frei und
lädt den »inneren Schreib
freund« in dein Leben ein.
2 Cameron, Julia: Der Weg des Künstlers. München: Droemer Knaur, 1996
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Zeit ist ein unendliches Thema. Oft vergessen wir die Zeit
beim Erzählen – und natürlich auch beim Schreiben! Du
kannst die Zeit nicht anfassen, nicht hören und nicht essen,
nicht sehen und nicht festhalten. Die Zeit ist mächtig, und
niemand kann sich ihren Gesetzen entziehen. Unser Planet,
das Gestein in unserer Erde, Felszeichnungen, ein Skelett,
Pflanzen, Menschen, Tiere, Bakterien – alles wird durch un
terschiedliche und doch voneinander abhängige Zeitabläufe
bestimmt und geformt. Ebbe und Flut, Wachstum und Zer
fall, Geburt und Tod – alles braucht seine Zeit. Alles beginnt
und endet mit dem Lauf der Zeit.
Ich schaute auf meine Armbanduhr. Zum Glück hatte sie das
Unglück überlebt. Ohne Uhr bin ich nichts, denke ich manch-
mal. Doch hier war Zeit nicht so wichtig – ich musste ja nicht
pünktlich sein, es gab keinen Fahrplan, nichts, was ich hätte
versäumen können. Dieses Thema eignete sich gut für eine
Schreibübung.
4. Schreibübung:
Zeit
Sammle einige Ideen, die mit dem
Thema »Zeit« zusammenhängen.
Langsam – schnell. Eilen – verweilen
usw. Schaue dann eine Weile auf den
Zeiger einer Uhr oder auf dieses Bild,
und schreibe einen Text über die Zeit.
Bildersprache
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Er erwiderte etwas apathisch: »Als ich meine Augen öffnete,
sah ich ein grünes Blatt aus der schwarzen Lava sprießen.«
»Hast du das geschrieben, oder steht das in deinem Buch?«
»Quatsch, das habe ich nur so gesagt.« Matthias schaute da-
bei in die Ferne.
Ich fand den Satz einmalig und wiederholte ihn leise. »Leu-
te, das bringt mich auf eine Idee«, sagte ich dann. Nachher
meinte Dorothea, meine Augen hätten dabei so sehr gestrahlt
wie drei Sonnen auf einmal. Ich sah das kleine grüne Blatt
direkt vor mir.
5. Schreibübung:
Malen und schreiben
Nimm Buntstifte, und male zuerst das Bild: schwarze Lava mit
einem grünen sprießenden Blatt. Das kann jedes Kind, und das
Bild muss keinen Preis gewinnen. Beginne deinen Text mit dem
Satz »Als ich meine Augen öffnete, sah ich ein grünes Blatt aus
der schwarzen Lava sprießen.«
Beim Betrachten eines Bildes sollten wir auf alle dabei ent
stehenden Empfindungen reagieren. Wir können versuchen,
das Bild mit den Augen eines Kindes anzuschauen und alle
Gedanken, die auftauchen, fließen lassen, sie eventuell stich
punktartig notieren. Wir können an das Bild bestimmte Fra
gen stellen und es auf seine Weise antworten lassen.
Früher wurden Geschichten gemalt. Denken wir nur an die
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Höhlenmalereien, die heute bewundert und erforscht wer
den. Viele Wissenschaftler verwenden ihre Zeit darauf, die
se Zeichnungen zu interpretieren. Diese Forscher machen
(eine) Geschichte daraus.
Andere Bildergeschichten finden wir an den Decken von
Kirchen und anderen Heiligtümern. Manche sind als Runen
in Steine geritzt worden, und in den alten ägyptischen Tem
pelanlagen finden wir Hieroglyphen, die jeden Besucher in
ihren Bann ziehen.
Die Bildersprache ist eine der ersten Sprachen überhaupt.
Heute kann jeder Schreibende ein solches Bild auf seine Art
erkennen und interpretieren. Wir können neue Geschichten
darüber erfinden und erzählen. Frage das Bild nach seiner
Wahrheit für dich, es wird dir Antworten geben. Schreibe al
les auf, was dir einfällt.
Entscheidungen
Entscheidungen 101
lierst den Zugang zu deiner Intuition. Das übermäßige Den
ken schneidet dich vom Fluss der Kreativität ab.
Doch du kannst dich täglich neu entscheiden. Du kannst
das ständige Plappern deiner Gedanken zur Ruhe bringen,
indem du dir deiner Macht darüber bewusst wirst! Du kannst
dich deiner Kraft bedienen, indem du laut »Stopp« sagst. Ent
scheide dich bewusst für eine ruhige Zeit, gehe spazieren,
oder tue, was du sonst gerne tust. Du selbst weißt am besten,
was deine Kreativität stärkt.
Die Luft ist bewegt, klar, kühl, erfrischend und belebend. Dei
ne Gedanken fliegen wie eine Schar Vögel am Horizont ent
lang. In deiner linken Gehirnhälfte befindet sich eine ganze
Welt der Abstraktion, der Mathematik, der Logik. Du möch
test eine Vielzahl von Standpunkten einnehmen und kannst
dich nicht entscheiden, bist unzuverlässig und wechselst
dauernd deine Meinung. Wenn du keinen Zugang zur rech
ten Gehirnhälfte hast, lebst du in der Welt der tausend Worte,
der Begriffe, der Mathematik.
Vor allem in unserer westlichen Welt ist die Kopfbetonung so
ausgeprägt, dass ein verkümmertes Seelenleben zur Selbst
verständlichkeit geworden ist. Die Dominanz des Intellekts
wird überall in den Schulen gelehrt.
Oft übernimmst du Gedanken, die andere, dir nahestehende
Menschen, über dich gedacht haben und die du nie hinter
fragt hast. Immer wieder hast du bestimmte Dinge gehört und
verinnerlicht, und nun beeinflussen sie dein ganzes Leben.
Beim kreativen Schreiben kannst du die alten Denkstruktu
ren durch neue, bessere ersetzen. Du kannst neue Leitsätze
entwickeln, die dich stärken und aufbauen, anstatt dich her
unterzuziehen.
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35. Schreibimpuls:
Über Brücken gehen
Betrachte das Bild, und
schreibe einen »Brücken
text«. (Es können auch sie
ben Brücken sein, und du
kannst die Melodie dazu
summen.)
36. Schreibimpuls:
Wendezettel (für eine Gruppe)
Jeder schreibt auf einen Zettel eine Frage oder ein Problem, das
ihn gerade beschäftigt, und reicht seinem Nachbarn verdeckt
den Zettel. Dieser schreibt auf die Rückseite ein x-beliebiges
Wort. Dann bekommt jeder seinen eigenen Zettel wieder zurück
und schreibt einen Text, in dem die Frage und das Wort vorkom
men müssen.
Weitere Schreibideen
Entscheidungen 103
Dieser Denksport entfaltet vor dir eine Fülle von weiteren
Wörtern – oft ist unser Denken einfach nur eingerostet.
Schreibe unlogische Sätze ohne Zusammenhang. So wirst
du in einen freien Raum geführt, in dem sich der enge Geist
wieder weiten kann.
Probleme zu wälzen, bringt dich nicht weiter. Lasse den Streit
zwischen Herz und Kopf zu, aber entscheide dich bewusst
für das Herz. Gönne dir eine Verschnaufpause, auch wenn
du immer noch meinst, dass etwas verändert werden muss.
Wenn deine Gedanken stets nur um die Probleme kreisen,
blockierst du dich selbst. Du musst ihnen Einhalt gebieten,
denn du bist Herr im Haus deines Herzens.
Nach einer Weile ist es Zeit, für Klarheit und Ruhe zu sorgen.
Damit du nicht alles in dich hineinfrisst, kannst du deinen
Frust aufschreiben. Das musst du wirklich nicht »gut« ma
chen.
Manche von uns haben immer noch Worte von Vater und
Mutter im Ohr, auch wenn diese schon längst gestorben sind.
Manchmal ist es ein verletzendes Wort, oder es sind heilen
de Worte. Worte, die unseren späteren Lebensweg geprägt
haben. Manche Worte können die Kreativität töten – sie tö
ten das kleine Pflänzchen, das gerade angefangen hat, sich
in Richtung Licht zu strecken. Deshalb musst du mit Worten
behutsam umgehen.
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