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Josef Leisen

Handbuch
Sprachförderung
im Fach
Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis

Grundlagenwissen, Anregungen und Beispiele für die Unterstützung


von sprachschwachen Lernern und Lernern m it Zuwanderungsgeschichte
beim Sprechen, Lesen, Schreiben und Üben im Fach
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Am Bonner Bogen 2 Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)
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Inha lt

A . E in fü h r u n g

S p r a c h f ö r d e r u n g a ls A u f g a b e d e s F a c h u n t e r r ic h t s ...................................................................... 2

Die H e ra u s fo rd e ru n g .................................................................................................................................................2
„Was soll ich denn noch alles können?" Gedanken einer Lehrkraft....................................................................2
Die Einzelaspekte.......................................................................................................................................................... 2
Warum ist die aktuelle Situation so brisant?............................................................................................................3

Sprachsensibier Fachunterricht als A ntw o rt auf die Herausforderung .................................................... 3


Was bedeutet eigentlich „sprachsensibier Fachunterricht"? ............................................................................... 3
Sprachsensibier Fachunterricht zwischen Fach- und Förderunterricht ............................................................... 4
Sprachsensibier Fachunterricht zwischen Schule und beruflicher Bildung.......................................................... 4
Sprachsensibier Fachunterricht als kompetenzbildender U n terricht....................................................................6
Sprachsensibier Fachunterricht als Instrument auf dem Weg zur Bildungssprache.......................................... 6

S p r a c h f ö r d e r u n g a ls T e il d e s L e h r b e r u f s ............................................................................................. 7

Den Stellenwert der Sprachförderung d e fin ie r e n ...........................................................................................7

Angemessen m it der Heterogenität u m g e h e n .................................................................................................. 7

Individuelle Förderung realistisch g e s ta lte n .....................................................................................................8

Förderdiagnostik betreiben ................................................................................................................................... 9

S p r a c h f ö r d e r u n g a ls T e il d e r A u s - u n d F o r t b i l d u n g ......................................................................9

Fachlehrer für die Sprachförderung q u a lifiz ie r e n ............................................................................................ 9


Kompetenzorientiert lehren le rn e n ............................................................................................................................9
M it Sprachschwierigkeiten produktiv umgehen lernen ...................................................................................... 10

Sprachförderung professionell gestalten ........................................................................................................ 11


Das didaktische Dreieck der Sprachförderung.......................................................................................................11
Fünf Leitlinien für die professionelle Sprachförderung......................................................................................... 12
Sprachkompetenzerwerb, Aufgabenstellungen, Grammatiklernen ................................................................. 14

S p r a c h f ö r d e r u n g a ls A u f t r a g d e r B i l d u n g s s t a n d a r d s ...............................................................15

Die Bedeutung der Kommunikation im Fach ................................................................................................. 15

S p r a c h f ö r d e r u n g a ls A u f t r a g d e s G e m e i n s a m e n
E u r o p ä is c h e n R e f e r e n z r a h m e n s ( G E R ) .................................................................................................. 16

Vorgaben für erfolgreiches kommunikatives H a n d e ln .................................................................................16

S p ra c h fö rd e ru n g b e i L e rn e rn m it M ig r a t io n s ­
h in te r g r u n d /Z u w a n d e r u n g s g e s c h ic h te * ........................................................................................... 18

Die V ielfa lt der Lernerbiografien


bei Lernern m it Zuwanderungsgeschichte ......................................................................................................18
Wie sprechen und schreiben Lerner mit Zuwanderungsgeschichte? ............................................................... 21
Welche Sprachprobleme haben Lerner mit Zuwanderungsgeschichte? .......................................................... 24

* Die Begriffe werden im gesamten Handbuch synonym verwendet.

Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur) III


Der Um gang m it Sprachproblemen bei Lernern
m it Zuw anderungsgeschichte..............................................................................................................................27
Wie gehen Sprachlernende mit Sprachproblemen u m ? ...................................................................................... 27
Wie gehen Lehrkräfte angemessen mit Sprachproblemen
von Lernern mit Zuwanderungsgeschichte um? .................................................................................................. 27

S p r a c h f ö r d e r u n g d u r c h s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n t e r r i c h t ........................................................ 29

Zur D idaktik und M ethodik der Spracharbeit


im sprachsensiblen F a c h u n te rric h t.................................................................................................................... 29
Sprachbezogener Fachunterricht oder fachbezogener Sprachunterricht?........................................................ 30
Sprachvereinfachung - eine methodische Lösung?............................................................................................. 32

Darstellungsformen im sprachsensiblen Fachunterricht ............................................................................ 33

Kom petenzentwicklung im (sprachsensiblen) F ac h u n te rric h t.................................................................. 40


Was kennzeichnet den kompetenzorientierten sprachsensiblen Fachunterricht? .......................................... 40
Scaffolding und Cognitive Apprenticeship ............................................................................................................41
Prinzipien und Anregungen zur Gestaltung eines sprachsensiblen Fachunterrichts........................................42
Hinweise zur Erstellung von Lernmaterial im sprachsensiblen Fachunterricht................................................. 42

B . G r u n d la g e n w is s e n

D id a k tik d e r S p r a c h fö r d e r u n g

im s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n te r r ic h t

S p r a c h e im F a c h u n t e r r i c h t .............................................................................................................................. 46

W elche „Sprachen“ werden im Fachunterricht gesprochen?.....................................................................46

W o liegen die Schwierigkeiten m it „der" Sprache


im Fachunterricht?................................................................................................................................................... 49

W ie begegnet man den Herausforderungen


m it der Sprache im Fachunterricht? ..................................................................................................................53
Diagnostik und Lösungen.......................................................................................................................................... 53
Sprachmonster............................................................................................................................................................. 53

M ündlichkeit und S c h riftlich k eit......................................................................................................................... 54


W ie viel Grammatik braucht der Fachunterricht?........................................ ............................................. 55

B a s is w is s e n z u r S p r a c h f ö r d e r u n g im F a c h u n t e r r i c h t ................................................................. 56

Spracherwerb und Zweitspracherwerb ............................................................................................................. 56


Kognitionspsychologische Erkenntnisse...................................................................................................................56
Erklärungsmodelle und Hypothesen zum Zweitspracherwerb ...........................................................................59
BICS und CALP .......................................................................................................................................................... 59
Zweitspracherwerb durch „ Untertauchen" und „Eintauchen" .........................................................................60
Submersion und Immersion im Vergleich ..............................................................................................................62

Sprachlernen und Kognition ................................................................................................................................ 62


Die Bedeutung der Entwicklung kognitiver Fähigkeiten .................................................................................... 63
Die Bedeutung der Entwicklung der Sprachfähigkeit........................................................................................... 65

Strategien der Lerner beim Zweitspracherwerb .............................................................................................67

Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)


Inha lt

Konsequenzen für die Sprachförderung im Fachunterricht ....................................................................... 68

Kompetenzen und K o m p e te n ze rw e rb ............................................................................................................... 69


Was sind eigentlich Kompetenzen? ....................................................................................................................... 69
Wie sieht Kompetenzentwicklung konkret aus? .................................................................................................. 69

M e th o d ik d e r S p ra c h fö rd e ru n g

im s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n te r r ic h t

B a s is w is s e n z u r M e t h o d i k d e r S p r a c h f ö r d e r u n g .......................................................................... 72

B egriffsklärung.......................................................................................................................................................... 72

Den Lehr-Lern-Prozess modellieren und p la n e n ............................................................................................ 73


Das klassische Lehr-Lern-Modell.............................................................................................................................. 73
Lernen als fraktaler Prozess ..................................................................................................................................... 73
Sprachliches Lernen im Sprachbad ..........................................................................................................................76

Ein zeitgemäßes M od ell für die Planung


und Umsetzung des Lehr-Lern-Prozesses 77
Kompetenzorientierte Ausrichtung......................................................................................................................... 77

Lernorientierte Steuerungen ................................................................................................................................77

Materiale Steuerungen.............................................................................................................................................. 77
Personale Steuerungen.............................................................................................................................................. 78

Die Aktivitäten der Lerner


lernsch rittgerecht steuern . . ................................................................................................................................ 79

Materiale Steuerungen des Unterrichts.................................................................... 83


Aufgabenstellungen im sprachsensiblen F ac h u n te rric h t............................................................................83

Aufgabenstellungen und Aufgabenkultur..............................................................................................................83


Didaktische Absicht und Potenziale ....................................................................................................................... 83
Aufgabenarten............................................................................................................................................................ 84

Kompetenzorientierte Lernaufgaben ..................................................................................................................85


Aktivitäten und Steuerungen ...................................................................................................................................85
Zielsetzung................................................................................................................................................................... 86
Was unterscheidet Lernaufgaben von Leistungsaufgaben?............................................................................... 86
Wo haben Lernaufgaben ihre G ren zen ?................................................................................................................ 87
Wie konstruiert man eine Lernaufgabe?................................................................................................................ 87
Individuelle Förderung durch Binnendifferenzierung........................................................................................... 88
Wann eignen sich Aufgaben mit gestuften H ilfe n ? ............................................................................................. 89
Welchen Aufbau und welche Merkmale haben Aufgaben mit gestuften H ilfen ? .......................................... 89

M ethoden-W erkzeuge zur Sprachförderung


im sprachsensiblen F a c h u n te rric h t.................................................................................................................... 90
Was sind Methoden-Werkzeuge?............................................................................................................................90
Was unterscheidet Methoden von Methoden-Werkzeugen? ...........................................................................91
Wann Methoden-Werkzeuge in Lehrer- und wann in Lernerhand?................................................................. 92
Was kann der Gebrauch von Methoden-Werkzeugen im Unterricht bewirken? .......................................... 93
Wo liegen die Grenzen, Risiken und Nebenwirkungen von M ethoden-W erkzeugen?.................................93

Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur) V


94
Personale Steuerungen des Unterrichts
Gesprächsführung und M oderation im sprachsensiblen F ach u n te rric h t............................................... 94
94
Gesprächsformen im F a c h u n te rric h t........................................................................................................................
Die Gesprächsführung im sprachsensiblen F a c h u n te rric h t.................................................................................. 95
Professionalisierung der G esprächsführung............................................................................................................96
96
Standardsituationen der Gesprächsführung ..........................................................................................................
102
Strategien zur Verbesserung der Gesprächsführung .........................................................................................
106
Sprachliche Standardsituationen im F a c h u n te rric h t...................................................................................

Gedanken einer L e h rk ra ft.........................................................................................................................................


Zw ölf sprachliche Standardsituationen im Fachunterricht ................................................................................106
108
Sprachliche Standardsituationen und Grammatiklernen ..................................................................................
Sprachliche Standardsitutationen und Aufgabenstellungen fü r das Sprachlernen........................................^®9

Das Lesen von Sachtexten


im sprachsensiblen Fachunterricht
Basiswissen zum Lesen und zu Sachtexten 111
111
Gedanken einer L e h rk ra ft.........................................................................................................................................
112
Lesekompetenz und Leseverstehen...................................................................................................................
112
Begriffsklärung..........................................................................................................................................................
Die PISA-Lesekom petenzm atrix..............................................................................................................................112
113
Ein M odell des Leseprozesses..................................................................................................................................
114
Einflussfaktoren im Leseprozess ..............................................................................................................................
116
M erkm ale der Sachtexte in den F ä c h e rn .........................................................................................................
116
Gleich oder nicht gleich? Gedanken einer Lehrkraft .........................................................................................

W arum haben Lerner Schwierigkeiten m it der Sprache in Sachtexten?


117
Schwierigkeiten auf der übergeordneten (Text-)Ebene .....................................................................................
118
Schwierigkeiten auf der sprachlichen Ebene ........................................................................................................
121
Der Um gang m it S a c h te x te n ...............................................................................................
121
Anpassung des Lesers an den Text oder um gekehrt? .......................................................................................
„G u te ” und „schlechte" T e x te .................................................................................................................................122
122
Checklisten zur Textanalyse und -b e u r te ilu n g ......................................................................................................

Leseförderung als Aufgabe des Fachunterrichts 125


1 25
Das Lesen von Sachtexten im F a c h u n te rric h t................................................................................................
125
Gedanken einer L e h rk ra ft..........................................................................................................................................
Fragen, die sich Lehrkräften stellen
127
g u te und schwache L eser?..........................................................................
Wodurch unterscheiden sich gut«

W elche spezifischen Probleme haben Lerner


mit Zuwanderungsgeschichte beim Lesen? ...................................................................................................127
127
Grundlegende Probleme des Z w e its p ra c h e rw e rb s ...............................................................................................
128
Spezifische Probleme beim Lesen und W iedergeben von Sachtexten ..........................................................
129
W ie wird Lesekompetenz fü r S ach texte aufgebaut? ..................................................................................

Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)


Inha lt

W ie w ird Lesekom petenz a u f der S trategieebene a u fg e b a u t? ................................................................ 129


. . . ..................................... 130
Lesestrategien ...................................................................................................................
. . . ............................ 132
Leseprinzipien ..........................................................................................................................

W ie in te g rie rt m an Sachtexte e rfo lg re ic h in den F a ch un te rricht? 135


135
Lesesituationen ......................................................................................................................................................
Lesestiie, Leseabsichten und Lesetechniken (Lesearten) ..................................................................................136
136
Hinweise fü r die konkrete Umsetzung ................................................................................................................

W ie kann Lesekom petenz d ia g n o s tiz ie rt w e r d e n ? ..................................................................................... 137

W ie kann d ie Lesekom petenz durch m e ta k o g n itiv e s


OO
T ra in in g g e fö rd e rt w e r d e n ? ................................................................................................................................

F ächerübergreifende K o o rd in a tio n durch ein


C u rricu lu m zur L e s e fö rd e ru n g ........................................................................................................................... 140

K onkrete L eseförderung im F a c h u n te rric h t....................................................................................................141


Leseförderung durch Lesestrategien fü r Sachtexte ........................................................................................... 141
Leseförderung durch Leseübungen im F achunterricht......................................................................................
Leseförderung durch Integration eines Sachtextes in den U n te rric h t.............................................................146
Leseförderung durch Vereinfachung und O ptim ierung von S achtexten........................................................ 152
Anforderungen an Texte fü r sprachschwache Lerner ....................................................................................... 30
155
Konsequenzen ..........................................................................................................................................................

Das Schreiben von Texten


im sprachsensiblen Fachunterricht
Basiswissen zum Schreiben von Sachtexten 156
S chreibkom petenz und T extkom pe te nz ........................................................................................................ 156
Ein M odell zur Entwicklung der Schreibkom petenz........................................................................................... 157
159
Einflussfaktoren auf den Schreibprozess..............................................................................................................
M ündlichkeit und Schriftlichkeit: Unterscheidungsmerkmale...........................................................................160
160
Kriterien fü r die T e x tp ro d u k tio n ............................................................................................................................

S ch re ib fö rd e ru n g als A u fg ab e des F achunterrichts ................................................................................... 160


Gedanken einer Lehrkraft zum Schreiben im F a c h u n te rric h t...........................................................................^60
Was ist das Besondere am Schreiben von Texten im Fachunterricht?.............................................................162
Was spricht fü r das Schreiben im F achunterricht?............................................................................................. 162
Gehört die Entwicklung von Schreibkompetenzen in den D e u tsch u n te rrich t? ............................................ 163
Welche Schreibgelegenheiten und Schreibsituationen kommen im Fachunterricht v o r ? ............................ 163
Welche Schreibaufgaben und Sch reib produkte kommen im Fachunterricht v o r ? ........................................163
W ie w ird Schreibkompetenz aufgebaut? ........................................................................................................... 165
166
Welche Schreibformen g ib t es? ............................................................................................................................
Fächerübergreifende Koordination durch ein Curriculum zur S ch re ib fö rd e ru n g .......................................... 16?
Methoden-W erkzeuge fü r das Schreiben im F a c h u n te rric h t...........................................................................169
Schreibförderung fü r Lerner m it Zuw anderungsgeschichte............................................................................. 170

K o nkrete S ch reibförde ru ng im F ach un te rricht

S ch reibförde ru ng durch S chreibstrategien im F ach un te rricht ................................................................ 171

S ch reibförde ru ng durch S chreibübungen im F ach un te rricht 173

S ch re ib fö rd e ru n g durch In te g ra tio n des Schreibens in den U n te rric h t 173

VII
Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)
Inha lt

Das Üben im sprachsensiblen Fachunterricht

Basiswissen zum Üben im Fachunterricht...................................................................................... 175


Der didaktische Stellenw ert des Übens ........................................................................................................ 175

Grundprinzipien des Übens und Q u a litä ts k rite rie n ................................................................................... 176

Üben in verschiedenen P h a s e n .........................................................................................................................176

Konkrete Sprachförderung durch


Sprachübungen im Fachunterricht 178

Fachliches Lernen kann ohne Sprache nicht gelingen .............................................................................. 178

Was unterscheidet Sprachübungen von Fachübungen? ..................................................................................178


Wie setzt man Sprachübungen erfolgreich im Fach e in ? ..................................................................................178

Fachsprachliche Sprachübungen im F a c h u n te rric h t................................................................................... 180

Zehn fachsprachliche Sprachübungen im engeren S in n e ..................................................................................180


Zehn fachsprachliche Sprachübungen im weiteren Sinne ............................................................................... 180
Fachsprachliche Sprachübungen im weiteren Sinne und Kooperationen ................................................. .. . 183

Kleine „Nachhilfe"
für Fachlehrkräfte in der Sprachförderung 184

Grundlagen der Sprachförderung .................................................................................................................... 184


Anregungen und Leitlinien zu Wortschatzarbeit,
Fehlerkorrektur, Grammatik und Förderdiagnostik
im Fachunterricht......................................................................................................................................................184

W ortschatzarbeit im Fachunterricht ............................................................................................................... 184


Anregungen und Leitlinien..................................................................................................................................... 184
Wortschatzarbeit heißt nicht Vokabellernen .......................................................................................................184
Was bedeutet Wortschatzarbeit konkret?............................................................................................................184

Um gang m it sprachlichen Fehlern bei der Sprachförderung .................................................................. 186

Fehlerdiagnose.......................................................................................................................................................... 187
Hinweise zur Fehlerkorrektur im Fachunterricht ................................................................................................188
Richtlinien für den Umgang mit Fehlern im Fachunterricht............................................................................. 188

Förderdiagnostik ................................................................................................................................................... 189

Kooperation zwischen Fach- und Förderunterricht..................................................................................... 189

Kurzgrammatik für Fachlehrkräfte.................................................................................................................... 190

VIII Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)


In h a lt

C. Praxis der Sprachförderung


im sprachsensiblen Fachunterricht
Hinweis: Teil C (siehe Ordner) enthält eine umfangreiche Sammlung von Beispielen
und Arbeitsblättern zum Sprechen, Lesen, Schreiben und Üben im Fach. Die Materialien
sind auf alle Schulformen, alle Alters- und Klassenstufen (ab Sek I) und alle Sachfächer
anwendbar (Details siehe das ausführliche Inhaltsverzeichnis im Ordner).

Einführung
W as leisten M ethoden-W erkzeuge in der Sprachförderung? .....................................................................5

Welches W erkzeug für welche sprachliche Standardsituation?.................................................................. 5

Werkzeugkasten
Vierzig M ethoden-W erkzeuge für die Sprachförderung m it B eisp ie len ................................................... 7

Übersichten:
40 Methoden-W erkzeuge (Liste und Kurzdefinitionen) ...................................................................................... 8
Sprachliche Kompetenzbereiche und Standardsituationen (Zuordnung) ........................................................ 10
Sprachliche Kompetenzbereiche - Standardsituationen - Werkzeuge (Z u o rd n u n g )..................................... 11

Standardsituationen
Neun sprachliche Standardsituationen des Fachunterrichts m it Beispielen ........................................ 99

Lese- und Schreibstrategien


Zehn Lesestrategien für Fachtexte m it Beispielen ..................................................................................... 139

Zehn Schreibstrategien für Fachtexte m it B e is p ie le n .................................................................................169

Lese-, Schreib- und Sprachübungen


Zw anzig Leseübungen für Fachtexte m it Beispielen ................................................................................ 188

Zehn Schreibübungen für Fachtexte m it B e is p ie le n ...................................................................................235

Zwanzig Sprachübungen für den Fachunterricht m it Beispielen ........................................................... 260

Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur) IX


In h a lt

D. Vertiefung
Ausführliche Beispiele und Ergänzungen ............................................................. 195

Ausführliches Beispiel zum Wechsel der D arstellun g sform .....................................................................196

Ausführliches Beispiel für eine L e rn a u fg a b e ................................................................................................204

Ausführliches Beispiel für eine D iagn oseaufg abe...................................................................................... 206

Ausführliches Beispiel zur M ethode der gestuften Hilfen .....................................................................208

Ausführliches Beispiel zur M ethode der gestuften Anforderungen .................................................... 210

Hilfen und Anregungen


zum Thema Förderdiagnostik 216

Empfehlungen für die Kooperation m it dem Deutschunterricht ........................................................... 216


Textanalysekriterien fü r Deutsch als Zweitsprache ............................................................................................217
Analyseraster fü r sprachliche Kompetenzen .......................................................................................................218

GER (Gem einsamer Europäischer Referenzrahmen) ................................................................................ 220


Die Niveaustufen des GER im Ü b e rb lic k ..............................................................................................................220
Die Niveaustufen beim Lesen im Ü b e rb lic k ......................................................................................................... 222

Literaturverzeichnis.................................................................................................. 225

x Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)


Einführung
in die Sprachförderung
Einführung

Die Einzelaspekte
Sprachförderung
Gesellschaftliche Integration setzt die erfolgreiche Teil­
als Aufgabe habe an Bildung voraus. Hierfür ist die Kompetenz, m it
Sprache zu denken und in ihr zu handeln, eine wesent­
des Fachunterrichts liche Voraussetzung.

Die Herausforderung Wie aber die obigen Aussagen zeigen, ist eine erfolg­
reiche Teilhabe sprachschwacher Lerner an Bildung -
Die Bildungsstandards der Sachfächer geben heute die
und hier insbesondere von Lernern m it Zuwanderungs­
„Kom m unikation im Fach“ als festes Unterrichtsziel
geschichte* - nicht durch allgemeine „Patentrezepte"
vor. Die Forderung, auch Sprachförderung als verbind­
zu erreichen. „Sprachförderung als Aufgabe des Fach­
liches Element in den Fachunterricht zu integrieren,
unterrichts" berührt vielmehr höchst unterschiedliche
stößt jedoch nicht bei allen Fachlehrkräften auf positive
Einzelaspekte:
Resonanz. Dies ist unabhängig davon, ob diese nun
- den angemessenen Umgang m it den Vorgaben der
jugendliche oder erwachsene Lerner unterrichten, als
Bildungsstandards in den Fächern;
Fachlehrkräfte oder als Koordinatoren arbeiten oder an
(allgemein- und berufsbildenden) Schulen bzw. in sons­ - die Umsetzbarkeit dieser Vorgaben unter Berücksich­
tigen Institutionen der Aus- und Fortbildung tätig sind. tigung der curricularen Unterrichtsziele und der zur
Verfügung stehenden Zeit;
Reaktionen wie die folgende sind da kein Einzelfall:
- den angemessenen Umgang m it der Heterogenität
der Lerner;
„Was soll ich denn noch alles können?"
- Gedanken einer Lehrkraft - - das Selbstverständnis der Fachlehrkraft, zum Beispiel
im Hinblick auf das als „norm al" angesehene Maß
„Muss ich jetzt auch noch Sprache unterrichten?
an individueller Förderung (vgl. dazu S. 7)\
Ich bin doch Fachlehrer! Es kann doch nicht meine
Aufgabe sein, den Schülern Deutsch beizubrin­ - die Positionierung von Sprachförderung, insbeson­
gen - schließlich lass' ich mein Fach ja auch nicht dere im Hinblick auf die Kooperation zwischen den
von Deutschlehrern unterrichten ... Fächern sowie auf die Abgrenzung von sprachför-
dernden Maßnahmen im Fach zu Maßnahmen des
Allerdings haben meine Lerner tatsächlich große
Förder- und des Deutschunterrichts.
Probleme m it der Sprache im Fachunterricht - sei
es nun beim Beantworten von Fragen oder beim Betrachtet man die Problematik genauer, so lässt sich
Umgang m it Schulbuchtexten. Besonders die M i­ sie sich auf zwei - allerdings grundsätzliche - Teilaspekte
grantenkinder beherrschen o ft noch nicht einmal reduzieren:
die einfachsten Sprachelemente. Wie aber soll ich 1. die berufliche Qualifizierung von Fachlehrkräften;
' überhaupt m it dem Stoff durchkommen oder die­ 2. die Fragen geeigneter unterstützender Materialien.
sen Lernern mein Fach beibringen, wenn ich auch
noch auf Sprachprobleme eingehen soll? Das alles zu 1 (berufliche Qualifizierung):
kostet doch Zeit! Auch wenn es banal klingen mag, ist es für das Thema
Sprachförderung doch von großer Bedeutung: Fach­
Sicher; die Bildungsstandards schreiben m ir vor,
lehrer sind in erster Linie Fachlehrer und keine Sprach­
dass ich mich auch im Fachunterricht um die 'K om ­
lehrer - m it der Folge, dass sie zwar bestens m it den
munikation im Fach' kümmern muss. Sie weisen
Details ihres Fachs, aber o ft kaum m it den Details der
diese sogar als eigenen Kompetenzbereich aus und
deutschen Grammatik vertraut sind.
fordern, dass ich kompetenzorientiert lehren soll.
Zudem soll ich die Lerner durch angemessene Bin­ Auch verfügen Fachlehrer nur selten über eine Ausbil­
nendifferenzierung individuell fördern. Nur: Wie dung im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Sie sind
soll man denn im e he r,sprachlosen1M athem atik­ deshalb in aller Regel weder für die spezielle Problematik
unterricht die Sprache fördern? Oder gar in den sprachschwacher Lerner sensibilisiert noch können sie
Naturwissenschaften,kommunizieren'? Gerade die korrekt diagnostizieren, warum gerade bei diesen Ler­
Naturwissenschaften leben doch von der Fachspra­ nern die Kommunikation im Unterricht nicht gelingt.
che! Ich vergleiche die Fachsprache im m er m it Damit aber können sie auch keine erfolgreiche Sprach­
einer A rt Fremdsprache, die halt einfach mühsam förderung betreiben bzw. werden - da sie die „rich ­
zu erlernen ist. tigen" (d.h. angemessenen) Maßnahmen meist nicht
kennen - mögliche Hilfen erst gar nicht anwenden.
Außerdem: Wie soll ich das überhaupt machen?
Schließlich habe ich das nie gelernt. Und eigentlich
wäre das dann doch ein Problem aller Fächer -
und somit eine Aufgabe unserer gesamten Schu­ * „ Zuwanderungsgeschichte " und „M igrationshintergrund“
le !" werden im gesamten Flandbuch synonym verwendet.

2 Teil A
Einführung

Dies w irkt sich auch auf das Unterrichtsgespräch aus. Diese Erkenntnis fü hrt zu zwei Feststellungen:
Gerade die Gesprächsführung der Lehrkraft bedarf aber 1. Mangelhafte Sprachleistungen betreffen nicht nur
ebenfalls dringend der Professionalisierung, wie die Pra­ sprachschwache Lerner oder Lerner mit M igrati­
xis zeigt. So kommt es leider häufig vor, dass Lehrkräfte onshintergrund. Mangelhafte Sprachleistungen sind
Maßnahmen ergreifen, die zwar gut gemeint, aber me­ vielmehr ein Thema für alle Lerner, da nicht nur die
thodisch-didaktisch schlicht falsch sind (vgl. S. 12). Dies Verm ittlung von Mindeststandards, sondern auch
schadet dem Ziel der Sprachförderung, da es die Lerner der Lernerfolg der gesamten Gruppe leidet, wenn
verwirrt oder - w eit schlimmer - sogar demotiviert. nicht ein gewisses sprachliches (und fachliches) M in ­
destniveau eingehalten bzw. erreicht werden kann.
zu 2 (geeignete Materialien):
Will man Fachlehrer bei der Sprachförderung im Fach 2. Sprachförderung ist mehr als nur ein Mittel zur Ver­
unterstützen, muss man ihnen konkrete methodische besserung sprachlicher Kompetenzen. Vielmehr soll­
und didaktische Hilfestellungen an die Hand geben. te sie als M öglichkeit verstanden und genutzt wer­
Diese müssen zugleich auf die Problematik zugeschnit­ den, um die M otivation junger Menschen zu stei­
ten, praxisnah und direkt einsetzbar sein. Dies ist gern - und sie auf diese Weise letztlich in die Lage
Voraussetzung, wenn sprachbewusster Unterricht für zu versetzen, ihre persönliche Zukunft zu meistern.
sprachschwache Lerner im fachlichen Regelunterricht
organisiert und realisiert werden soll; denn für M aß­ Sprachsensibier Fachunterricht
nahmen der beruflichen (Nach-)Qualifizierung steht im als Antwort auf die Herausforderung
„laufenden Betrieb" nur begrenzte Zeit zur Verfügung.
Was bedeutet eigentlich
Dennoch ist hierfür die Vermittlung bzw. Wiederholung
„sprachsensibier Fachunterricht“?
von Grundlagenwissen erforderlich, das fü r gelingende
Sprachförderung im Fach besonders w ichtig ist. Dazu Sprachsensibier Fachunterricht ist der bewusste Um­
gehören die Bereiche „Lehr-Lern-Planung", „Kom pe­ gang m it Sprache beim Lehren und Lernen im Fach;
tenzorientierung", „gelingendes Sprachhandeln im für ihn setzt sich das vorliegende Werk ein.
Fach", „unterstützende Aufgabenkultur", „angemes­
Denn Sprache ist nicht nur ein gutes diagnostisches
sener Umgang m it Fehlern" sowie die „Erstellung von
Instrument, um etwaigen Förderbedarf festzustellen
fächerübergreifenden Förderdiagnostiken".
und daran zu arbeiten; sie ist vielmehr Grundvoraus­
Bei all diesen Aspekten leistet das vorliegende Hand­ setzung für das Verstehen und Kommunizieren im Fach
buch wertvolle Unterstützung. überhaupt. Sprache ist somit der Schlüssel (auch) für
einen gelingenden Fachunterricht.
Warum ist die aktuelle Situation so brisant?
Sprachförderung im Fach ist eine Herausforderung; sie
Seit Erscheinen der PISA-Studien wird in Deutschland bietet aber auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Von
das Problem schlechter Lernleistungen von Schülern diesen Chancen profitieren besonders solche Lerner,
m it Zuwanderungsgeschichte von der Bildungspolitik die m otiviert und ehrgeizig sind: Wer beispielsweise ein
ernst genommen. Die Bildungspolitik hat sich daraufhin naturwissenschaftliches Experiment sprachlich richtig
nachhaltig bemüht, geeignete Lösungen zur Bewäl­ wiedergeben kann, erhält dafür eine bessere Note -
tigung der erkannten Herausforderungen für das Bil­ und dies stärkt zugleich die Zufriedenheit, das Kön­
dungssystem zu finden und eine Vielzahl von Maßnah­ nensbewusstsein und die M otivation dieses Lerners.
men zur Qualifizierung von Lehrkräften und Schülern
Bei Lernern m it Zuwanderungsgeschichte bietet sich
im schulischen wie beruflichen Bereich ergriffen.
beispielsweise an, bei ihnen häufig vorhandene Spezi­
Bei der von PISA aufgezeigten Problematik geht es aber alkenntnisse (z.B. in Geografie oder Gesellschaftskunde)
nicht nur um Sprache bzw. bessere Lernleistungen. Viel­ in.den Unterricht zu integrieren. So können auch sie
mehr geht es darum, sprachschwachen Kindern, Ju­
gendlichen und Erwachsenen eine angemessene beruf­
liche und gesellschaftliche Zukunft zu ermöglichen.
Das „Handbuch Sprachförderung im Fach" zeigt neue
Gelingende Sprachförderung ist somit letztlich eine
(Lehr-)Konzepte für den Fachunterricht sowie neue Wege
wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Integration.
der Sprachförderung im Fachunterricht auf. Es unterstützt
Genau dieser Aspekt verbindet sprachschwache mut­ Lehrkräfte insbesondere dabei, sprachschwache Lerner
tersprachig deutsche Lerner und Lerner mit Zuwan­ umfassend und erfolgreich beim Erwerb und Aufbau von
derungsgeschichte: Beide Gruppen müssen in ihren sprachlichen Kompetenzen zu fördern, die für den erfolg­
sprachlichen Kompetenzen gefördert werden, um die reichen Umgang mit der Unterrichts(= Bildungs-)sprache
von den Bildungsstandards geforderten Vorgaben in erforderlich sind. Dabei fo lg t das Handbuch dem Konzept ;
den Fächern zu erfüllen. Denn sprachliche Kompetenzen ; des sprachorientierten Fachunterrichts und erweitert es zum
sind Voraussetzung für eine berufliche Zukunft und für Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts.
angemessene gesellschaftliche Teilhabe.

Teil A 3
Einführung

trotz ihrer nicht immer fehlerfreien Sprache etwas zum Sprachsensibier Fachunterricht
Unterricht beitragen, was wiederum ihr Könnensbe­ zwischen Fach- und Förderunterricht
wusstsein und ihre M otivation nachhaltig e rh öh t „ Das könnt Ihr dann im Förder- oder Deutschunterricht
Im Bereich der (Sprach-)Förderung im Fach stellen je­ machen." ist eine Aussage, die leider häufig nicht nur
doch nicht die motivierten, sondern die nichtmotivierten den Stand der Kooperation zwischen Förder-, Deutsch­
sprachschwachen Lerner die große pädagogische und und Fachlehrkräften, sondern auch das Verhältnis zw i­
sprachdidaktische Herausforderung dar. Will man diese schen Fachlernen und Förderunterricht charakterisiert.
Lerner angemessen unterstützen, müssen Lehrkräfte
Bedauerlicherweise wird der Förderunterricht nach wie
vielfältige und intensive Interventionen und Hilfen zur
vor von vielen Fachlehrern als eine A rt „Problemausla­
Verfügung stellen, diese müssen wiederum sowohl
gerung" verstanden - ganz nach dem M otto, der För­
pädagogisch als auch sprachdidaktisch ausgerichtet sein.
derunterricht möge doch bitte die Sprachstrukturen ein-
Das Handbuch Sprachförderung im Fach ist als Kom­ üben, die von den Lernern im Fachunterricht benötigt
pendium „aus der Praxis für die Praxis" konzipiert und werden. Aus Sicht der Fachlehrer verrichten die Kollegen
aufbereitet. Es beschäftigt sich vornehmlich m it den im Förderunterricht „Zulieferdienste"; aus Sicht der
sprachdidaktischen Hilfen zur Sprachförderung. Lehrkräfte hingegen, die fü r den Förderunterricht ver­
antwortlich sind, werden die Lerner im Fachunterricht
Das Handbuch umfasst eine Broschur und einen Ordner.
systematisch sprachlich überfordert. Das sind denkbar
Dabei enthält die Broschur wichtige, verständlich auf­
schlechte Voraussetzungen für eine gelingende Sprach­
bereitete und beispielbasierte Hintergrundinformationen
zu den spezifischen theoretischen Voraussetzungen und förderung!
Inhalten der Sprachförderung im Fach (Teile A und B), Der sprachsensible Fachunterricht erzielt bei Lernern
weiterführende Erläuterungen und einzelne besonders mit Zuwanderungsgeschichte nachweislich große Erfol­
ausführlich ausgearbeitete Beispiele (Teil D) sowie das ge, da er sich einerseits selbst als Förderunterricht ver­
Literaturverzeichnis. steht, andererseits aber auch um seine Grenzen weiß:
Teil C hingegen, das Herz des Kompendiums, ist als Diese liegen dort, wo es um das „rein" Sprachliche und
Ordner „ausgelagert"; dies soll die Handhabung der das „re in " Grammatische - also das originäre Gebiet
als Arbeitsblätter aufbereiteten Materialien erleichtern. von Sprachunterricht-geht.
Teil C enthält eine Fülle von methodischen Hilfen Diese Grenze des sprachsensiblen Fachunterrichts ist
(„M etho de n-W e rkze ug e ") und Strategien fü r die zugleich die Schnittstelle zum Förderunterricht. Denn
sprachfördernde Aufbereitung von Materialien im Fach­ der sprachsensible Fachunterricht nimmt die spezielle
unterricht sowie eine umfangreiche, nach den sprach­ und individuelle Situation eines jeden Schülers auf und
lichen Kompetenzen Lesen, Schreiben und Sprechen entwickelt daraus ein entsprechendes Förderprogramm.
gegliederte Sammlung von Beispielen aus den Curricula
der allgemein- und berufsbildenden Schulen. Gelingender Förderunterricht setzt voraus, dass die
Kollegen vom Förderunterricht genau wissen, was im
So verlockend der damit angebotene „direkte Zugriff"
Fachunterricht ansteht und wie konzeptionell agiert
auch sein mag: Fachlehrkräften wird empfohlen, sich
wird. Deshalb setzt sich das vorliegende Werk zugleich
aufgrund der Besonderheiten der Sprachförderung im
für eine möglichst fächerübergreifend vereinbarte und
Fachunterricht dennoch zunächst m it den spezifischen
angewandte Förderdiagnostik ein.
theoretischen Voraussetzungen zu beschäftigen. Denn
dies wird sie in die Lage versetzen, die vielfältigen Anre­ Wenn aber eine solche Diagnostik nachhaltig Früchte
gungen des Handbuchs wirklich umfassend zu nutzen, tragen soll, muss sie von den Lehrkräften des Fach-
insbesondere aber eigene Materialien zu erstellen, die und des Förderunterrichts zumindest gemeinsam durch­
nicht nur methodisch richtig, sondern auch auf ihre geführt bzw. aufeinander abgestimmt werden. Erst die­
individuelle Unterrichtssituation zugeschnitten sind. se Arbeitskontakte schaffen die Voraussetzung für gelin­
gende Sprachförderung. Vertiefende Ausführungen und
Die Materialien des Buches richten sich vorrangig an
Anregungen bieten die Seiten 109 f. u. 189.
Lehrkräfte der allgemein- und berufsbildenden Schulen
(ab Sek I); dabei stellen die Lehrkräfte der Haupt-, Real-
Sprachsensibier Fachunterricht
und Gesamtschulen, an denen besonders viele sprach­
zwischen Schule und beruflicher Bildung
schwache Lerner zu beklagen sind, eine Kernzielgruppe
dar. Da aber alle Anregungen beispielorientiert sind und Das Erwerbsleben in einer Wissens- und Informations­
sich sämtliche Materialien in der Praxis bewährt haben, gesellschaft stellt hohe Anforderungen an die Beteilig­
eignet sich das Handbuch wie ein universal anwend­ ten. Insbesondere die Fähigkeit, eigene Fertigkeiten an
barer Leitfaden auch für berufsbildende Schulen, andere die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes
(Sach-)Fächer, die Arbeit von Koordinatoren, Kompe­ anzupassen sowie seinen lebenslangen Lernprozess
tenzcentern und Universitäten sowie die Lehrpraxis von selbstständig zu gestalten und voranzutreiben, zählt
Institutionen der (Lehrer-)Aus- und Fortbildung. heute zu den beruflichen Schlüsselqualifikationen.

4 Teil A
Einführung

Wer aber bereits m it der Lektüre einfacher Texte über­ - der Kölner Modellversuch „Leseförderung in der
fordert ist, hat kaum realistische Chancen, in seinem Berufsbildung" (vgl. w w w .u n i-k o e ln .d e /e w -fa k /
Erwerbsleben qualifizierte Tätigkeiten auszuüben! Deutsch/sprach foerderung/ ) ;

Aus den Angaben des Statistischen Bundesamtes (2009) - das Schweizer Projekt „Deutschförderung in der Leh­
geht hervor, dass beispielsweise im Jahre 2008 rund re " in Zürich (vgl. w w w .iik.ch/)]
21,5 Prozent der Ausbildungsverträge vorzeitig aufge­ - das Berliner M odellprojekt „M odulare Duale Q uali­
löst wurden, davon über die Hälfte im ersten Ausbil­ fizierungsmaßnahme ( M D Q M )“ zur Berufsausbil­
dungsjahr. Diese alarmierende Statistik lässt vermuten, dung und Berufsausbildungsvorbereitung (vgl.
dass viele Auszubildende den fachlichen und sprachli­ h ttp ://z o p e . ebf.hu-berlin. d e /w ip a e d / Forschung/
chen Anforderungen für eine berufliche Qualifizierung abgeschlossene _projekte/M D Q M )]
und Ausbildung nicht gewachsen sind.
- das Berliner Projekt „M eslek Evi Berufsförderung";
„ Vor allem Abgänger und Absolventen aus Hauptschu­ dieses fördert seit 1989 im Rahmen eines ausbil­
len benötigen lange, um eine Ausbildung im dualen dungsbegleitenden Förderunterrichts Deutsch als
System oder im Schulberufssystem beginnen zu können. Zweitsprache in beruflichen Zusammenhängen und
Nach zwei bis zweieinhalb Jahren sind drei Fünftel von entwickelt seit 2003 für die Lehrerfortbildung Studi­
ihnen in eine vollqualifizierende Ausbildung einge- enmaterialien zum Thema „Deutsch als Zweitsprache
mündet. (...) Für Jugendliche m it M igrationshinter­ in der beruflichen Bildung" (vgl. www.meslek-evi.de);
grund stellt der Übergang aus der Schule in die beruf­ - die „Qualitätsoffensive Hauptschule", die angesichts
liche Ausbildung eine besondere Hürde dar. " (Auto­ der besonders alarmierenden Zahlen von Schulab­
rengruppe Bildungsberichterstattung2008, S. 10). Und gängern von Hauptschulen ohne Abschluss ins Leben
weiter: „Im sogenannten Übergangssystem (z.B. Berufs- gerufen wurde (derzeit ca. 10% ).
grundschuljahr) sind vornehmlich (zu 60 Prozent) aus­
ländische Jugendliche zu finden, deutsche Jugendliche Um die geringen Chancen dieser Jugendlichen auf dem
hingegen nur zu 40 Prozent. Die Unterschiede zwischen Ausbildungsmarkt zu verbessern und hohe volksw irt­
ausländischen und deutschen Jugendlichen haben sich schaftliche Folgekosten zu vermeiden, bieten Bundes­
dabei im letzten Jahrzehnt v e rg rö ß e rt(e b d ., S. 11). länder wie z.B. Nordrhein-Westfalen den Hauptschulen
heute zudem zahlreiche neue Möglichkeiten zur schu­
Auch die Chancen von Jugendlichen m it M igrations­
lischen Gestaltung eines erfolgreichen Übergangs von
hintergrund auf einen qualifizierten Ausbildungsplatz
Schule und Beruf an. Diese beinhalten beispielsweise:
haben sich dem Bericht nach in den letzten Jahren deut­
- mehr Handlungsspielraum für Schulen zur abschluss­
lich verschlechtert: „ Während Jugendliche ohne M igra­
bezogenen Ausgestaltung der Doppeljahrgangsstufe
tionshintergrund schon nach drei Monaten zur Hälfte
bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz der dualen 9/10;
Ausbildung erfolgreich waren, erreichten Jugendliche - Profilklassen in Jahrgang 10;
m it Migrationshintergrund eine vergleichbare Vermitt­ - die Einrichtung von abschlussbezogenen Kursen;
lungsquote erst nach 17 M on ate n." (ebd., S. 11).
- die Modularisierung von Prüfungsleistungen;
Diese Disparität habe sich im letzten Jahrzehnt verstärkt. - die Einrichtung sogenannter BUS-Klassen als beson­
50 Prozent der lernschwachen Jugendlichen hätten ders gestützte Überleitung in den Beruf (BUS = Be­
zudem auch zweieinhalb Jahre nach dem Ende ihrer
trieb und Schule);
Schulzeit immer noch keinen qualifizierten Ausbildungs­
- die Einrichtung sogenannter Kooperationsklassen zwi­
platz gefunden, sie würden mit großer Wahrscheinlich­
schen Hauptschulen und Berufskollegs.
keit überhaupt keinen mehr finden. „D ie Selektivität
des allgemeinbildenden Schulsystems w ird also beim Alle diese Maßnahmen sollen Lernern m it verlängerter
Übergang in die Berufsausbildung nicht abgeschwächt, Verweildauer und schlechter Abschlussprognose trotz
sondern fortgeführt. " (ebd., S. 194). Nichtversetzung aus Klasse 8 doch nodi* den Haupt­
schulabschluss ermöglichen und dam it ihre Ausbil­
Um solchen Jugendlichen den Anschluss an die gesell­
schaftliche Teilhabe und an den Arbeitsmarkt über eine dungschancen erhöhen.
berufliche Qualifizierung zu ermöglichen, wurden viele Denn müssen Lerner in den Voraussetzungen für eine
Maßnahmen und Modellprojekte ins Leben gerufen, berufliche Ausbildung nachqualifiziert werden, so ist
so z.B.: dies - im Vergleich zur Erstqualifikation - immer auf­
- der von der Bund-Länder-Kommission (BLK) und dem wändig, mühsam und sehr teuer. Zudem besteht die
Bundesministerium fü r Bildung und Forschung Gefahr, dass nachteilige Lernstrukturen bereits „fossi-
(BMBF) geförderte Modellversuch „V O L I - Vocatio- liert" sind und somit auch diese Maßnahmen ohne
nal Literacy - Methodische und sprachliche Kompe­ Erfolg bleiben. Nachqualifizierungen sollten deshalb
tenzen in der beruflichen Bildung" (vgl. S. 133 f. stets nur als kurzfristige Notmaßnahme verstanden,
sowie www.iq.hessen.de/)] nicht aber zur langfristigen Perspektive werden.

Teil A 5
Einführung

Sprachsensibier Fachunterricht Die allgemeinbildenden Schulen müssen somit


als kompetenzbildender Unterricht 1. ihrem Auftrag noch stärker als bisher nachkommen
Schul- und Lernm üdigkeit sind o ft die Folge einer 2. insbesondere einen Fachunterricht anbieten, der die
schwierigen Schulkarriere. Die Praxisnähe der Berufs­ für eine Ausbildung erforderlichen sprachlichen Kom­
ausbildung im dualen System vermag Lernern aber häu­ petenzen der Lerner möglichst frühzeitig ausbildet.
fig einen neuen Schub zu geben, da sich nunmehr Der sprachsensible Fachunterricht stellt sich dieser
Zukunftsperspektiven auftun und konkretisieren. Aufgabe. Er ist fachlich anspruchsvoll und bildet die
Allerdings können Lerner die m it der Berufsausbildung bei den Lernern für die Bildungssprache erforderlichen
verbundenen Anforderungen nur dann erfolgreich be­ Denk- und Sprachfähigkeiten im CALP-Bereich aus (vgl.
wältigen, wenn sie auch über die entsprechenden Kom­ dazu S. 59 ff.). Gleichzeitig unterstützt der sprachsen­
petenzen verfügen bzw. diese entsprechend anwach- sible Fachunterricht Lehrkräfte dabei, die gestellten
sen. Denn die Kompetenzanforderungen in den neuen Anforderungen erfolgreich zu bewältigen, indem er
wie auch den traditionellen Berufen steigen ständig an: ihnen z.B. geeignete Methoden-Werkzeuge, Sprach-
hilfen, Lesestrategien, Schreibstrategien, Sprachübun­
- im fachlichen Bereich, weil die Produktanforderungen,
gen etc. an die Hand gibt (siehe Ordner/Teil C).
M arketing- und Produktionsverfahren sowie die M a ­
schinen und Geräte zunehmend komplexer werden;
Sprachsensibier Fachunterricht als Instrument
- im sozialen und personalen Bereich, weil Fachkräfte auf dem W eg zur Bildungssprache
in team- und kundenorientierte Arbeitsstrukturen ein­
Die sprachlichen Anforderungen in der beruflichen Aus­
gebunden sind;
bildung sind hoch. Der Fachunterricht an allgemein-
- im schulischen Bereich, weil das Lernen in Lernfeldern bildenden Schulen darf diese Anforderungen deshalb
und an Lernaufgaben spezifische Lern- und Arbeits­ nicht defensiv vermeiden, sondern muss offensiv - also
methoden erfordert. anspruchsvoll-fordernd - m it ihnen umgehen. Dem
trägt der sprachsensible Fachunterricht im allgemein-
wie im berufsbildenden Bereich angemessen Rechnung.
Der sprachsensible Fachunterricht: Nachgewiesenermaßen erzielen Kinder und Jugendliche
Gr undregeln und Leitlinien m it Migrationshintergrund in deutschen Schulen häufig
schlechtere Leistungen als einsprachig lebende Kinder
Gehen w ir LePirenden sensibel m it der Sprache, der Spra-
ohne Migrationshintergrund. Eine der Ursachen ist, dass
che der. Lernei: und der Spräche beim Lehren und Lernen
Schüler m it Zuwanderungsgeschichte in der Familie
um, dann geh«sn w ir auch sensibel m it den Menschen um.
oder in der Freizeit zumeist in einem anderen „Sprach-
Diese Leitidee prägt den sprachsensiblen Fachunterricht.
bad" leben (vgl. hierzu S. 61).
Sprachsensibj er Fachunterricht betreibt sachbezogenes
Allerdings muss sich auch der Unterricht fragen lassen,
Sprachlernen: Hier wird Sprache an und m it der Sache
ob bzw. inwieweit er selbst bislang ausreichend dazu
//-Ion raci
Aqen. lfon\ o'ol/arn
exr*V\\ijriri.ciILtJii/ 'h PoLLi i i ^i ui ci rdLiiuiiiciiiti
fli< intprrir*h11"1
beigetragen hat, dass Lerner die sprachlichen Fähig­
nim m t die Sp rachsituation, wie sie ist, und macht das
keiten, die für die schulische Leistungsfähigkeit relevant
Beste daraus, Dabei fördert er die Sprache an und m it
sind, überhaupt erwerben konnten.
den Fragestell ungen des Fachs. - 1
Forschungsergebnisse aus englischsprachigen Ländern
Sprachsensibller Fachunterricht versteht sich als äus- begründen die Annahme, dass die schulische Leistungs­
drückliche M<ißnahme zur Kompetenzförderung sprach- fähigkeit weniger davon abhängt, ob Lerner über eine
schwacher Lerner mit und ohne Migrationshintergrund allgemeine Kom munikationsfähigkeit verfügen. Ent­
beim Sprecheirir Lesen und Schreiben. Da er konzeptionell scheidend scheint vielmehr, ob sie über die spezifischen
: Kompetenz al:s handelnden Umgang m it Wissen auffasst. Sprachmittel verfügen, die für die schulische Kommu­
schlagt der sp•rachsensible Fachunterricht damit zugleich nikation (also die Bildungssprache) relevant sind.
die Brücke zu m berufsbildenden Unterricht, der grund-
sätzlich händliungsorientiert angelegt ist.
I m

* Der Begriff „Bildungssprache" wurde im Zusammenhang


£ 1 3 V u
-5 -V;

*sen des sprachsensiblen Fachunterrichts


Q N 1

Ö l

u# ---------
CU W Q s

en Förderung von Lernern lauten: m it dem BLK-Modellprogramm „FörM ig - Förderung von


Kindern und Jugendlichen m it Migrationshintergrund" ent­
verden in fachlich authentische, aber bewäl-
§ <

wickelt (vgl. www.blk-foermig.uni-hamburg.de). Erbezeich­


irhcffi iatirinon
uguai c. jp i cILNbllUclLIUl ICH d on r^rnf ;
gcUld-Lul. net die Sprache, die beim Lernen in Schule und Ausbildung
benutzt wird. Diese „bildungsrelevante Form der schulischen
- Die Sprachemforderungen liegen knapp über dem indi-
> l

Kom munikation" setzt eine bestimmte Sprachkompetenz


viduellen Sp>räch vermögen. voraus; nur wenn diese angemessen vorhanden ist bzw. ent­
wickelt wird, sind Lerner in der Lage, die schulischen Anfor­
- D ie Lerner eirhalten so wenige Sprachhilfen wie möglich,
derungen erfolgreich zu bewältigen und zugleich durch Bil­
aber so viel e, wie individuell zum erfolgreichen Bewäl- dungserfolg an der Gesellschaft teilzuhaben. Im europäi­
xKoAnrifi ro'fiAMö»^ noti^*
tigen der Sp)racnsiiuationen n ati nr-
schen Kontext wird der Begriff „Schulsprache" benutzt, vgl.
Vollmer, Thürmann, 2010.

6 Teil A
Einführung

Sprachsensibier Fachunterricht trägt dazu bei, diese


Sprache zu entwickeln: Er fü hrt die Lernenden - ganz
Sprachförderung
unabhängig von einem Migrationsstatus - zur Bildungs­ als Teil des Lehrberufs
sprache hin und macht sie in der Verwendung dieser
Sprache angemessen kompetent. Zugleich bietet er eine Den Stellenwert der
Vielzahl von Hilfen und Anregungen an, um gerade
Sprachförderung definieren
bei sprachschwachen Lernern die erfolgreiche Entwick­
Es ist ureigenster Bestandteil der Lehrtätigkeit und Kern­
lung der Bildungssprache zu fördern und ihnen den
aufgabe einer jeden Lehrkraft, die ihr im Unterricht
erfolgreichen Umgang m it ihr zu ermöglichen.
anvertrauten Lerner so zu unterstützen, dass diese am
Dabei ist zu berücksichtigen: Ende des Schuljahres die geforderten Standards in den
1. Die Bildungssprache besitzt schon per se tendenziell jeweils unterrichteten Fächern erfüllen. Die individuelle
die konzeptionellen Merkmale der Schriftlichkeit - Förderung von Lernern stellt somit ein zentrales A u f­
und zwar offensichtlich auch dann, wenn sie sich gabengebiet im Lehrberuf dar.
mündlich vollzieht (vgl. Gogolin, 2006, S. 5). „Sprachförderung im Fach“ wäre demnach nur eine
2. Gerade im Fachunterricht zeigt sich die Bildungs­ spezifische Ausprägung dieses allgemeinen Förderge­
sprache ausgeprägt in Form der Fachsprache; diese dankens - und die Lehrkraft geradezu verpflichtet, die
trägt alle Merkmale der Schriftlichkeit (vgl. 5. 55). Sprachkompetenz von sprachschwachen Lernern so
zu entwickeln, dass diese in die Lage versetzt werden,
3. Diese Nähe von Schrift- und Fachsprache w irkt sich
die geforderten Standards zu erfüllen. Zugleich wäre
(meist erschwerend) auf den Lehr-Lern-Prozess aus.
Sprachförderung eine Aufgabe aller Fächer.
Kommt jedoch sprachsensibier Fachunterricht zum
Einsatz, gelingt auch das Lernen besser; dies bestä­ Die Praxis zeigt jedoch, wie wenig diese Erkenntnis bis
tigen Lehrende und Lerner immer wieder. heute im Bewusstsein der Fachlehrer verankert ist. Dies
mag drei Ursachen haben:
4. Gelingender sprachsensibier Fachunterricht setzt
fundiertes theoretisches Grundlagenwissen voraus. 1. Der Begriff der „Förderung“ wird in Deutschland
Deshalb führt beispielsweise Teil B des Handbuchs nach wie vor überwiegend als „Förderung lern- und
aus, wie Fachlehrkräfte die sprachlichen Schwächen sprachschwacher Lerner im reinen Sprachunterricht“
ihrer Lerner exakt diagnostizieren und auf dieser (also z.B. im Deutschunterricht) verstanden. Zudem
Basis angemessene Maßnahmen zur sprachlichen wird „Förderung“ häufig immer noch m it „D e fizit­
Förderung entwickeln können. Zudem müssen Fach­ ausgleich“ assoziiert.
lehrkräfte angesichts des hohen Anteils von Lernern Zeitgemäße Förderung lenkt jedoch den Blick auf
m it Migrationshintergrund wissen, welche Bedin­ die Potenziale dieser Förderung und bezieht sich auf
gungen für den (Zweit-)Spracherwerb, den Kompe­ alle Lerner. Zudem findet sie nicht nur im Deutsch­
tenzerwerb im Bereich der Schriftlichkeit sowie für unterricht, sondern auch in den Fächern statt.
das Sprachlernen im Fach herrschen. Darüber hinaus 2. Die Fachsprache jedes Fachs stellt besondere A nfor­
ist wichtig, um die Konsequenzen für das Sprachler­ derungen an die Lerner. Deshalb benötigen gerade
nen im Fach zu wissen, wenn unterschiedliche Abs­ sprachschwache Schüler zur Bewältigung des Fach­
traktionsgrade der Bildungssprache verwendet wer­ unterrichts besondere sprachliche Unterstützung.
den und welche unterschiedlichen Darstellungsfor­ Dies stellt wiederum auch für die Fachlehrkräfte eine
men des Fachunterrichts dazu passen (vgl. S. 33 ff.). große Herausforderung dar, da sie in der Regel keine
5. Sprachsensibier Fachunterricht zieht neben Verän­ Sprachausbildung haben. (Gelingende) Sprachförde­
derungen im Lehr-Lern-Prozess auch Veränderungen rung im Fach ist somit auch eine Frage der berufli­
bei der Aufgabenkultur nach sich. Denn der sprach­ chen Qualifizierung.
sensible Fachunterricht fördert nicht nur die fach­ 3. Zeitgemäße Förderung setzt einen adäquaten Um­
lichen, sondern auch die sprachlichen Kompetenzen gang m it der Heterogenität voraus.
im Fach, indem er Aufgaben stellt, die am Kompe­
tenzstand der Lerner orientiert sind (s. S. 14, 85 f.). Angemessen mit der
Diese Aufgabenstellungen gewinnen im Rahmen der Heterogenität umgehen
sogenannten „Standardsituationen des Fachunterrichts“ Heterogenität ist eine Tatsache und keine Wertung: Sie
besondere Bedeutung (vgl. S. 106 ff.). Gleichzeitig wer­ kann sich auf unterschiedliches Leistungsvermögen,
fen sie die Frage auf, wie im sprachsensiblen Fachun­ unterschiedliches Lernverhalten, unterschiedliche Lern-
terricht mit Fehlern von sprachschwachen Lernern bzw. geschwindigkeiten, unterschiedliche Persönlichkeits­
Lernern m it M igrationshintergrund umzugehen ist. merkmale oder eine unterschiedliche soziale, ethnische
Auch diesbezüglich bietet das vorliegende Handbuch und kulturelle Herkunft der Lerner beziehen. Jeder die­
fundierte Unterstützung (vgl. 5. 27 u. S. 186 f.). ser einzelnen Faktoren hat Auswirkungen auf den Lehr-

Teil A 7
Einführung

Lern-Prozess im Allgemeinen und auf das Sprachlernen Pädagogisch angemessene Maßnahmen zum Umgang
im Besonderen. mit der Heterogenität von Lernern bzw. Lerngruppen
sind individuelle Förderung und Binnendifferenzierung.
Wird der Fördergedanke zeitgemäß verstanden, stellt
sich Heterogenität als etwas Positives dar. Demnach
sollte eine gute Schule nicht das Ziel verfolgen, Hete­ Individuelle Förderung
rogenität abzuschaffen; sie sollte diese vielmehr - auf realistisch gestalten
hohem Niveau - ausdrücklich schaffen, damit alle Lerner
Individuelle F örd e ru n g -ja . Aber wie sollen Lehrkräfte
von den sich daraus ergebenden Chancen profitieren.
auch noch diese zusätzliche Herausforderung ange­
Ob diese Chancen genutzt werden, hängt davon ab, messen bewältigen?
welche Bedeutung die Lehrkraft der Heterogenität
Schon das Fachlernen an sich verfolgt anspruchsvolle
beimisst. Denn je nachdem, ob sie die Heterogenität
Ziele: So sollen Fachlehrkräfte die Lerner zum einen
als (bedrohende) Uneinheitlichkeit oder lediglich als
dazu befähigen, die Unterrichtsinhalte zu verstehen,
(herausfordernde) Verschiedenartigkeit versteht, kann
fachspezifische Aufgaben und Probleme zu lösen und
der Umgang m it ihr durchaus unterschiedlich ausfallen:
diese Aufgaben und Probleme handelnd zu bewältigen.
- Wer den Akzent auf die Uneinheitlichkeit legt, sieht Zum anderen sollen sie aber auch gleichzeitig die per­
zunächst die Probleme, die sich daraus ergeben. Lehr­ sönlichen Kompetenzen der Lerner entwickeln.
kräfte, die eine alters- und herkunftshomogene Lern-
Wenn Fachlehrkräfte nun auch noch sprachliche För­
gruppe gewohnt sind und ihre Anforderungen, In­
derung im Fach betreiben sollen, erhöht sich der An­
halte und Bewertungen auf diese Homogenität aus­
spruch weiter, zumal sie für diese Aufgabe meist nicht
gerichtet haben, werden sich deshalb m it der
ausgebildet sind. Und unabhängig davon stellt sich die
Heterogenität eher schwer tun.
Frage, inwieweit individuelle Förderung unter den aktu­
- Wer hingegen die Verschiedenartigkeit akzentuiert, ellen schulischen Bedingungen überhaupt leistbar ist.
sieht eher die Potenziale und die Chancen, die sich
Bei Klassenstärken von beispielsweise 30 Lernern kann
daraus ergeben.
keine Lehrkraft entsprechend differenzierte oder sogar
Damit stellt sich die Frage, wie es uns Fachlehrern nicht individualisierte Gestaltungen von Sprachsituationen,
nur theoretisch, sondern vor allem in der Praxis gelingen Sprachanforderungen und Sprachhilfen erstellen. Wer
kann, angemessen m it der Heterogenität der Lerner in dies ernsthaft fordert, muss sich fragen lassen, wie dies
unseren Klassen umzugehen. Denn wie im gesamten überhaupt funktionieren und leistbar sein soll.
Bereich der Sprachförderung gibt es auch diesbezüglich
Die Heterogenität der Lerner stellt dabei eine zusätzliche
keine „Patentrezepte". Die nachfolgenden Grundregeln
große Herausforderung fü r die Fachlehrkräfte dar. Zu­
bieten jedoch einige Unterstützung:
dem w irft diese insbesondere fü r den Fachunterricht
einige wichtige Anschlussfragen auf:
- Wenn für die einen Lerner Sprachsituationen bewäl­
Grundregeln für den Umgang tigbar sind, fü r die anderen aber nicht: An welcher
mit der Heterogenität Gruppe orientiert man sich dann?
Lehrkräfte sollten sowohl bei der Vorbereitung des Unter­ - Wenn die von einer Lehrkraft eigentlich zu stellenden
richts als auch im Unterricht Sprachanforderungen derart vom individuellen
Sprachvermögen abhängen: Wonach richtet man
- die Heterogenität als Fakt akzeptieren (und sie zugleich
dann die Sprachanforderungen aus?
als herausfordernde berufliche Aufgabe angehen);
- Wenn Lerner individuell angepasste Sprachhilfen
- die Heterogenität wahrnehmen (und ihr zugleich durch
erhalten sollen: Wie sind diese dann zu gestalten?
entsprechende Diagnostik begegnen, um Über- bzw.
Unterforderung, Verstehens- und Sprachschwierigkeiten Hier bietet der sprachsensible Fachunterricht wertvolle
zu minimieren); Unterstützung, da er bereits grundsätzlich auf indivi­
duelle Förderung ausgelegt ist.
- der Heterogenität gerecht werden (und ihr Potenzial
zugleich durch variantenreiche M ethodik - z.B. M ate- Bei der Umsetzung bieten sich zwei Methoden an (vgl.
■ rialien, Arbeitsform en, M ethoden-W erkzeuge - zu dazu auch die ausführlichen Beispiele ab Seite 208 in
wecken versuchen); Teil D):

- das Potenzial der Heterogenität durch passende Auf- 1. die Methode der gestuften Hilfen
. gabenstellungen produktiv nutzen (indem sie Aufgaben Hier erhalten alle Lerner zunächst dieselbe Aufgabe
stellen, die sowohl das Anspruchs- als auch das Sprach- m it denselben Anforderungen; entsprechend dem
jeweiligen individuellen fachlichen und sprachlichen
Vermögen können die Lerner dann aber auf gestufte

8 Teil A
Einführung

(Sprach-)Hilfen unterschiedlicher Intensität bzw.


Stärke zurückgreifen.
Sprachförderung
2. die Methode der gestuften Anforderungen
als Teil der
Hier werden den Lernern unterschiedliche Aufgaben Aus- und Fortbildung
m it unterschiedlich hohen fachlichen und/oder
sprachlichen Anforderungen gestellt.
Fachlehrer für die Sprach­
förderung qualifizieren
Förderdiagnostik betreiben
„Muss ich als Fachlehrer jetzt auch noch Deutsch unter­
Kein verantwortungsvoller Arzt verschreibt M edika­ richteni?" Die A ntw ort auf diese Frage ist eine klares
mente, bevor er nicht eine sorgfältige Diagnose durch­ „Jein!". Denn einerseits unterrichten Fachlehrkräfte ihr
geführt hat. Für die Schule bzw. den Unterricht hinge­ Fach und nicht die deutsche Sprache als solche. Ande­
gen scheint das o ft nicht zu gelten: Hier tun w ir häufig rerseits gibt es ohne Sprache keinen Fachunterricht,
so, als sei „Lernen" voraussetzungslos - oder gehen denn erst die Sprache ermöglicht das Lehren und Lernen
einfach davon aus, alles zum Lernen Wichtige werde im Fach. Zudem haben Lerner, die nicht verstehen,
schon vorhanden sein. In der Folge unterrichten viele wovon der Lehrer spricht oder was er von ihnen ver­
Lehrkräfte „einfach so", ohne sich damit zu befassen, langt, keine Erfolgserlebnisse. Dies a be rfü hrt nicht nur
welche Lerngeschichte oder welchen Kompetenzstand
dazu, dass sie schlechte Noten erhalten; vielmehr sind
ihre Lerner eigentlich haben.
sie o ft gelangweilt und stören häufig den Unterricht.
Die wachsende Heterogenität der Lerngruppen hin­
Diese für Lehrkräfte wie Lerner unproduktive und unbe­
sichtlich Vorwissen, Sprachvermögen, Arbeits- und
friedigende Unterrichtssituation kann nur dadurch ver­
Lernvermögen, Leistungsvermögen und Leistungsbe­
bessert werden, dass Fachlehrer die Lerner fachlich und
reitschaft zwingt jedoch dazu, dieses Verhalten zu
sprachlich fördern. „ Aber dafür bin ich doch gar nicht
überdenken und zu ändern. Da Deutsch für viele Lerner
ausgebildet! “ mag jetzt mancher Fachlehrer denken.
die Zweitsprache ist und der (Zweit-)Spracherwerb
Das ist richtig: Nur wenige Fachlehrkräfte haben sich
besonderen Bedingungen unterliegt (vgl. 5. 56 ff.), ist
in der Ausbildung m it dem Thema Sprache und Sprach-
es erforderlich, dass sich Fachlehrkräfte zunächst mit
erwerb beschäftigt.
der Lerndiagnostik im Allgemeinen sowie m it der
Sprachdiagnostik im Speziellen beschäftigen. Denn erst Angesichts des aktuell hohen Anteils sprachschwacher
auf dieser Basis kann die Lehrkraft dann eigentlich - Lerner kommen allerdings auch Fachlehrkräfte nicht
in einem zweiten Schritt - eine entsprechende „För­ darum herum, sich der Sprachförderung zu widmen,
derdiagnostik" erstellen, die auch die jeweils passen­ wenn der Unterricht halbwegs erfolgreich sein soll -
den Fördermaßnahmen beinhaltet. ob sie nun wollen oder nicht.

Die Lehreraus- und Lehrerfortbildung hat das Thema Das vorliegende Handbuch wurde so geschrieben,
zwar schon seit einigen Jahren aufgegriffen; gerade für dass auch Lehrkräfte, die sich noch nicht mit Sprach­
den Sekundarstufenunterricht im Fach liegen aber noch förderung auseinandergesetzt haben, einfache und
zu wenige Konzepte und kaum Erfahrungen vor. W äh­ leicht nachvollziehbare Hilfen für die Praxis des Fach­
rend für den „allgemeinen" Unterricht schon zahlreiche unterrichts erhalten und nutzen können.
Hilfen zur Diagnostik angeboten werden (etwa in Form
von Checklisten oder Sprachstandstests), gab es fü r Kompetenzorientiert lehren lernen
Fachlehrer bislang kaum Hilfen, die ihnen ermöglichten,
Fachlehrkräfte sollen heute nicht nur fachliches Wissen
eine Förderdiagnostik fü r den Fachunterricht zu erstel­
vermitteln, sondern auch „kompetenzorientiertes Ler­
len. So konnten Fachlehrkräfte bislang zumeist nur auf
nen" ermöglichen. Dazu wäre natürlich wünschenswert
Diagnoseinstrumente fü r den Förderunterricht in der
und hilfreich, wenn sie selbst einmal Erfahrungen m it
Fremdsprache Deutsch zurückgreifen.
einer solchen Aus- und Fortbildung gemacht hätten.
Dies ändert sich m it dem vorliegenden Buch. Dieses
Im M ittelpunkt dieser kompetenzorientierten Aus- und
stellt in seinem Praxisteil (Teil C) zahlreiche ausgesuch­
Fortbildung stünde die Bewältigung authentischer
te Instrumente ausführlich vor, die sich im Unterricht
(beruflicher) Anforderungssituationen. Denn Kompe­
bewährt haben und auch für die Förderung von Lernern
tenz erwirbt ein Lerner nicht nur durch theoretisches
mit Zuwanderungsgeschichte geeignet sind. Allgemein-
„W issen" und „K ö nn en ", sondern vor allem durch
bildenden Schulen bietet zudem der „Baukasten Lese­
die aktive Anwendung dieses Wissens (vgl. dazu S. 69:
diagnose" wertvolle Unterstützung (vgl. Seite 139), ein
„ Kompetenz = Wissen + Können + Handeln “).
Fundus an Materialien, der im Rahmen des hessischen
Modellversuchs „ VOLI" (Vocational Literacy - M etho­ Dabei gilt diese Definition für jede Form des Lernens
dische und sprachliche Kompetenzen in der beruflichen und fü r jeden Lerner, sei er nun ein Jugendlicher m it
Bildung) für die berufliche Bildung erstellt wurde. Migrationshintergrund oder ein lernender Lehrer.

Teil A 9
Einführung

Schwierigkeiten produktiv umzugehen, müssen Fach­


Damit aber kann Kompetenz erst durch unterrichtliches
lehrer durch geeignete qualifizierende Maßnahmen ent­
und didaktisches Handeln m it berufsrelevantem Wissen
sprechend aus- bzw. fortgebildet werden.
in authentischen beruflichen Situationen entstehen und
anwachsen. Deshalb werden in der kompetenzorien­ Zum Sprachlernen, zum Lesen und zum Schreiben in
tierten Lehrerausbildung beruflich authentische Anfor­ der Fremd- und Zweitsprachendidaktik gibt es mittler­
derungssituationen als Lernsituationen konstruiert und weile eine ansehnliche Anzahl fundierter didaktischer
unter Zugrundelegung unterschiedlich hoher Anforde­ und methodischer Materialien. Diese Materialien wer­
rungen auf der Handlungs- und Wissensebene geübt. den aber meist im Fachunterricht nicht benutzt, da
Professionalität in der Umsetzung wird dabei durch Fachlehrkräfte diese entweder nicht kennen oder in der
sogenannte Standards gewährleistet. Diese bestimmen, qualifizierten Nutzung solcher Materialien nicht ausge­
welches Wissen und Können Lehrkräfte erwerben müs­ bildet sind. Speziell für den Fachunterricht hingegen
sen und welche Qualität die Umsetzung (Performanz) existierten bislang keine oder nur kaum geeignete
haben muss, damit sie unterrichtliche und schulische Unterrichtsmaterialien, da die Forschungsergebnisse
(Standard-)Situationen erfolgreich bewältigen - also im zum Zweitsprachenlernen noch nicht auf den Fachun­
Unterricht und im Schulleben bestehen - können. terricht übertragen sind.
Die „Standards der Lehrerbildung" ruhen auf acht Kom­ Nun kann von Fachlehrkräften nicht erwartet werden,
petenzsäulen (vgl. Kultusministerkonferenz der Länder dass sie sich dies alles selbst aneignen, sich in die um­
2008 sowie nachstehende Grafik). Danach umfasst das fangreiche Literatur der Zweitsprachendidaktik einar-
berufsrelevante Wissen von Lehrkräften „Fachwissen" beiten und anschließend auch noch die erworbenen
(d.h. fachdidaktisches und fachmethodisches Wissen),
Kenntnisse auf den eigenen Fachunterricht übertragen.
„Strategie- und Methodenwissen" und „ Metawissen
Dafür fehlt ihnen schlicht die Zeit.
Künftig gehören auch Leistungen im Bereich „Deutsch
Auch würde eigentlich meist schon eine A rt „Denkge
für Schülerinnen und Schüler m it Zuwanderungsge­
rüst" genügen, das qualifizierte Unterstützung bietet -
schichte" zum Berufswissen aller Lehrkräfte aller Schul-
so beispielsweise in Form einer zusammengefassten
formen (vgl. § 11 (7) des Gesetzes zur Neugestaltung
und übersichtlichen Darstellung der Grundlagen zur
der Lehrerausbildung in NRW). Dies ist erfreulich; es
Sprachförderung und einer Anleitung zur Umsetzung.
wird jedoch noch lange dauern, bis die entsprechende
Kompetenz flächendeckend und über alle Bundesländer Hier leistet das Handbuch Sprachförderung im Fach
hinweg erkennbar und wirksam werden wird. fundierte Unterstützung; Es gibt Lehrkräften umfang­
reiche, klar strukturierte und methodisch korrekt auf­
M it Sprachschwierigkeiten gebaute Materialien für die Sprachförderung im Fach­
produktiv umgehen lernen unterricht an die Hand, die direkt auf ihre Bedürfnisse
Fachlehrkräfte werden heute im Unterricht zunehmend zugeschnitten sind. Dies bietet nicht nur echte Zeit­
auch m it sprachlichen Problemen konfrontiert - so z.B. ersparnis und Arbeitserleichterung; die Materialien
m it Problemen, die ihre Lerner beim Leseverstehen oder
- haben sich zudem bei Fachlehrkräften und Lernern
bei der Textproduktion haben. Da sie aber in der Regel
vielfach in der Praxis bewährt;
nicht darin ausgebildet sind, m it derartigen Sprach-
- ermöglichen der Lehrkraft einen ebenso inhaltlich
fundierten wie gleichzeitig kompetenzorientierten,
binnendifferenzierten und methodisch vielfältigen
Acht Kompetenzsäulen der Lehrerbildung sprachfördernden Fachunterricht;
- basieren auf neuesten sprachdidaktischen Theorien;
- sind speziell auf den Fachunterricht m it sprachschwa­
chen Lernern sowie Lernern m it Zuwanderungsge­
schichte ausgerichtet und
- für den direkten Einsatz im Unterricht konzipiert.

Darüber hinaus bietet das Buch strukturelle und lern-


psychologische „O rientierungshilfen" zur Erstellung
einer Förderdiagnostik und zum Austausch der Erfah­
rungen m it anderen Fächern bzw. dem Förderunterricht.
Die Lehrkraft erhält so u.a. Hinweise für den angemes­
senen Umgang m it Fehlern und fundierte Unterstützung
bei der Verwendung und Erstellung von spezifischen
© Josef Leisen U nterrichtsm aterialien für sprachschwache Lerner.

Teil A
10
Einführung

Sprachförderung
professionell gestalten
Das didaktische Dreieck der Sprachförderung
Will eine Lehrkraft die Sprachprobleme sprachschwa­
cher Lerner richtig diagnostizieren und beheben kön­
nen, muss sie genau wissen, wie der Spracherwerb im
Fachunterricht funktioniert. Dies ist umso wichtiger,
wenn die Lerner und Lerngruppen aus unterschiedlichen
Herkunftsländern stammen.
Das Thema „Spracherwerb im Unterricht" lässt sich
aber nicht isoliert betrachten; denn beim Sprachlernen
gibt es mehrere Faktoren, die sich gleichzeitig sowohl
gegenseitig bedingen als auch beeinflussen: So lernen
im Fachunterricht Lerner die Inhalte des Fachs sowohl
durch als auch m it Sprache; dabei erwerben sie Kom­
petenzen auf der sprachlichen, fachlichen und kom­
munikativen Ebene. Sprache wird somit sowohl benutzt
als auch gleichzeitig neu erworben und zugleich ständig
weiterentwickelt.
Anders formuliert: M ittels Sprache können die Lerner
neue Begriffe und Phänomene begreifen, sich ein Fach­
vokabular aneignen und handelnd dam it umgehen.
Dabei erweitert das neu erworbene Fachvokabular ihren
allgemeinen Wortschatz und verbessert die Fähigkeit,
sich auszudrücken - was wiederum dazu führt, dass
die Lernerauch besser im Fach kommunizieren können.
Dies hatte schon der Fremdsprachendidaktiker W olf­
gang Butzkamm erkannt: „ Sprache (im Unterricht) ist
wie ein Werkzeug, das man gebraucht, während man
es noch schmiedet." (Butzkamm 1989, S. 110). Und
weiter: „(...) Kommunikation ist demnach das gesetzte
Ziel und zugleich der Weg dahin. " (ebd., S. 146).
Beim Thema „Fach und Sprache" treffen aus Sicht des
Lerners drei unterschiedliche Lernbereiche aufeinander:

1. Das Fachlernen soll Lerner befähigen, die Unter­


richtsinhalte zu verstehen, fachspezifische Aufgaben
und Probleme zu lösen und diese handelnd zu bewäl­
tigen. Inhalte eines Fachs sind z.B. Konzepte, wis­ Zweitsprache ist, lernen hier Sprachphänomene, die
senschaftliche Begriffe, Phänomene, Ereignisse, Fak­ weitgehend an Themen und Sachverhalten (i.S.v.
ten, Gegenstände, Experimente, Fachbegriffe, Sach- Gegenständen, Phänomenen, Situationen, Erfahrun­
strukturen, Modelle, Theorieelemente etc. gen, Empfindungen, Geschehnissen ...) dieser ande­
ren Lebens- und Kulturwelt festgemacht sind.
2. Das Sprachlernen im Fach soll Lernern die wissen­
schaftlichen Begriffe sowie die fachkom m unikati­ Aus Sicht des Lerners überschneiden sich bei der Sprach­
ven und sprachlichen Strukturen vermitteln. So, wie förderung im Fachunterricht somit drei Lernbereiche:
fachliches Verstehen und fachliche Denkstrukturen das Fachlernen, das Sprachlernen im Fach und das
untrennbar mit der Sprache im Fach verbunden sind, Fremdsprachenlernen. Folglich enthält auch die Didaktik
ist auch das Sprachlernen im Fach untrennbar mit der Sprachförderung im Fach - hier die Didaktik des
dem fachlichen Kompetenzerwerb verbunden. sprachsensiblen Fachunterrichts-sowohl Elemente der
3. Das Fremdsprachenlernen (hier i.S.v. Deutsch als Fachdidaktik als auch Elemente der Fachsprachen- und
Zweitsprache) soll Lerner zum kompetenten Sprach- der Fremdsprachendidaktik (vgl. Abbildung oben).
handeln in einer anderen Lebens- und Kulturwelt Zahlreiche der in diesem Handbuch vorgestellten
befähigen; es trägt dazu bei, dass Lerner die sich Methoden-Werkzeuge und Übungen zur Sprachförde­
dort ergebenden kommunikativen Lebenssituationen rung sind der Fachsprachendidaktik und Fremdspra­
(allgemein-)sprachlich bewältigen können. Lerner chendidaktik entlehnt. Sie leisten hervorragende Dienste
m it Zuwanderungsgeschichte, fü r die Deutsch eine beim Lernen des Faches und der Sprache.

Teil A 11
Einführung

Fünf Leitlinien für die noch verstärkenden Form. Zudem signalisiert der Lehrer
professionelle Sprachförderung den Schülern nicht, was moniert wird (ob es sich also
Sprachförderung im Fachunterricht muss professionell beispielsweise um einen fachlichen oder einen sprach­
gestaltet werden, sonst sind die Bemühungen vertane lichen Fehler handelt und welcher sprachliche Fehler
Zeit. Fachlehrkräfte müssen dafür die Grundlagen des hier vorliegt). Die Folge sind weitere Fehler, die zudem
Sprachlernprozesses, die Grundzüge der Didaktik der noch eine erhebliche Verunsicherung der Schüler nach
Sprachförderung sowie die jeweils „passenden“ metho­ sich ziehen. Im vorliegenden Fall wäre die unaufgeregte
dischen Möglichkeiten kennen und einsetzen können. Überformung durch den Lehrer nach der ersten Äuße­
rung angemessen gewesen:
Sprachförderung, die ohne einen solchen theoretischen
Unterbau erfolgt, wird trotz bester Absicht häufig deut­ Lehrer: „ Zum Glück hatten w ir beide keinen ernsten
lich misslingen. W eit schlimmer als die vergeudete Zeit Unfall. Jetzt interessiert uns, was denn bei
ist dabei, dass derartige Maßnahmen die Lerner zu­ einem ernsten Unfall hätte passieren kön­
meist auch noch erheblich verunsichern. Dies verdeut­ nen. Imelda, fahre bitte fort. "
lichen die nachfolgenden Beispiele aus der Praxis*.
Besonders gelungene Beispiele für professionelle Sprach­ Leitlinie 2:
förderung finden sich hingegen auf 5. 41 und 94 ff. Gute Sprachförderung schafft Kommunikationssitua­
Soll Sprachförderung im Fachunterricht erfolgreich sein, tionen, die zu umfangreichen Äußerungen veranlassen
sind einige Leitlinien zu beachten: und Ein-Wort-Beiträge vermeiden.

Lehrkräfte wissen, dass Lerner-aus höchst unterschied­


Leitlinie 1: lichen Gründen - lieber Ein-W ort-Antworten geben,
Die beste Sprachförderung ist eine gelingende Kom­ statt in ganzen Sätzen zu sprechen. In der gut gemein­
munikation. Fehlerkorrekturen durch M u t machende ten Absicht, Sprachförderung betreiben zu w ollen,
Überformungen an passender Stelle fördern die Sprach­ beharren Lehrkräfte deshalb häufig auf dem Sprechen
kompetenz und schaffen Sprachbewusstheit. in ganzen Sätzen, obwohl ihre eigene Fragestellung
eigentlich nur Ein-W ort-Antworten zulässt.
Beispiel
Beispiel
Lehrer: „ Lies bitte mal Deinen Satz vor, Im elda!"
Lehrer: „ Welche Größe messen w ir? "
Imelda: „Zum Glück hatten w ir beide keine
ernsten Unfall. " Serkan: „Spannung"

Lehrer: „M om ent, mach' doch bitte noch mal Lehrer: „Sprich in einem ganzen Satz."
den Satz!" Serkan (m it genervtem Unterton):
Imelda: „Zum Glück hatten w ir beide kein ernsten „ W ir messen die Spannung. "
U nfall." Lehrer: „ Welche Spannung? "
Lehrer: „Aha, ich schreib mal an. (Lehrer schreibt) Serkan: „ Hm, Spannung halt. "
Zum Glück hatten w ir beide keine erns­ Lehrer (betont das Wort „ elektrisch "):
ten Unfall. Gibt es dazu was zu sagen?" „D ie elektrische Spannung.
Paul: „Das heißt: Verletzungen!" Also noch mal, im ganzen Satz."
Lehrer: „Nein, ich möchte erstmal dazu (zeigt Serkan (genervt; betont dabei „ elektrisch "
a uf Tafel) etwas wissen; ist das richtig?" unverhältnismäßig stark): „ W ir mes­
Mengü: „Zum Glück hatten w ir beide keine sen die elektrische Spannung."
ernsten Unfälle. "
Bewertung und Optimierungsempfehlung:
Lehrer: „Ja, aber wie muss es heißenr wenn du
Eigentlich ist die fachliche Kommunikation gelungen.
Unfall nimmst? Im elda!"
Auch eine N otwendigkeit zur sprachlichen Präzision
Imelda: „ Verletzungen! "
bestünde eigentlich nicht, denn:
Lehrer: „ Nein, ich möchte noch mal das m it dem
- Eine Verwechslungsgefahr mit nichtelektrischen Span­
Unfall hören!"
nungen besteht nicht, da man sich klar im Gebiet
Bewertung und Optimierungsempfehlung: der Elektrizitätslehre befindet.

Aus fachlicher Sicht ist die Kommunikation gelungen. - Der Lerner hat die Frage korrekt beantwortet.
Es gäbe also eigentlich keinen Grund zu einer Fehler­ - Die Frage lädt zu einer Ein-W ort-Antw ort ein.
analyse, schon gar nicht in der vorliegenden, den Fehler
- Die vom Lehrer geforderte A ntw ort im ganzen Satz
entspricht keiner natürlichen Fachkommunikation;
sein Beharren trägt nur zu einer angespannten A tm o­
* Beispiel 1 aus Ophard, 2006; Beispiele 2-5: J. Leisen sphäre (und nicht zur Sprachförderung) bei.

Teil A
Einführung

Das Sprechen in ganzen Sätzen ist also nur dann zu Daniel: „Ja. "
fordern, wenn es die Kommunikationssituation erfor­ Lehrer: „ Nein, du musst m it der Stromstärke
dert. Dann aber ergibt es sich von selbst und eine ent­ argumentieren."
sprechende Aufforderung dazu erübrigt sich. Im vor­ Daniel: „M e in ich ja, die Voltzahl ist zu hoch."
liegenden Fall wäre eine offenere Fragestellung ange­
Lehrer: „ Was messen w ir in Volt und was in
messen gewesen:
Ampere?"
Lehrer: „D u siehst hier im Stromkreis etliche Mess­ Daniel: „S trom ."
geräte eingebaut Erläutere deinen M itschü­
Murat: „Nee, ist doch dasselbe, oder, beides ist
lern, was m it welchem Gerät gemessen w ird ."
Strom? Sagen Sie noch mal den Unterschied
zwischen Volt und Ampere. "
Leitlinie 3:
Gute Sprachförderung erfasst die M itteilungsabsicht Bewertung und Optimierungsempfehlung:
der Lernenden. Sie ist darauf ausgerichtet, dass Kom­ Im vorliegenden Beispiel scheitert die fachliche Kom­
munikation gelingt und reagiert deshalb in erster Linie munikation, da die Lerner falsche Konzepte zu den
semantisch und erst in zweiter Linie syntaktisch. Fachbegriffen Stromstärke und Spannung und den ent­
sprechenden Einheiten Ampere bzw. Volt haben.
Beispiel
Gute Sprachförderung muss an dieser Stelle fachdidak­
Ismael: „ Es gib t kein recht Winkel nicht. "
tisch und nicht sprachdidaktisch ansetzen. Anders fo r­
Lehrer: „Es gib t also einen rechten W inkel?"
muliert: Hier bestimmen die fachlichen Konzepte die
Ismael: „Nein, es gib t nicht rechten Winkel. " Sprache und nicht umgekehrt; die Lehrkraft muss fo lg ­
Lehrer: „Ja, aber eben hast du gesagt, es gäbe nicht lich erst das entsprechende fachliche Konzept im
keinen rechten Winkel. Das ist eine dop­ Gedächtnis aktivieren:
pelte Verneinung, also sagt du: Ja, es gib t
einen rechten W inkel." Lehrer: „ Warum gibt es in dem Gerät eine Siche­
rung? Das können w ir m it unserem Konzept
Ismael: „Egal."
von Antrieb-Stromstärke-Widerstand ver­
Bewertung und Optimierungsempfehlung: stehen. Schaut in die Hefte und ru ft euch

Durch die doppelte Verneinung des Lerners gelingt die das noch mal ins Gedächtnis."
Kommunikation nicht. Der Lerner benutzt das W ort
Leitlinie 5 ^
„n ic h t" zur Verstärkung des Wortes „keinen", was der
Lehrer jedoch als doppelte Verneinung interpretiert. Gute Sprachförderung zielt - gerade in kognitiv an­
Seine Rückfrage an den Lerner verw irrt mehr, als dass spruchsvollen und sprachlich überfordernden Kommu­
sie klärt. Als der Lehrer den Lerner dann über die dop­ nikationssituationen - zunächst auf die gelingende M it­
pelte Verneinung aufklärt, verstärkt dies die Verwirrung teilung ab; dies erfolgt unter Zuhilfenahme verschie­
noch, und der Lerner resigniert. denster Darstellungsformen und unter Inkaufnahme
von Sprachfehlern jeder Art. Erst anschließend erfolgt
Die Lehrkraft muss um die sprachlichen Eigenheiten
die sprachliche Bereinigung durch die Lehrkraft.
ihrer Lerner wissen, seien es nun herkunftsspezifisch
typische Sprachfehler oder individuelle Eigenarten in Beispiel
den Formulierungen. Im vorliegenden Fall wäre eine
Daniel: „ Wenn man eine Druck a uf das Membran
passende Überformung angemessen gewesen, die der
ausübt, dann werden alle Luftteilchen ver­
Semantik Rechnung trägt:
schoben bis Wasser, die auch verschoben wird
Lehrer: „Ah, du sagst, es gibt keinen rechten Winkel." und w ird nach oben verschoben. Der Höhe
des Wassers zeigt uns im Skala der Druck die
Leitlinie 4: man in dem Membran gemacht h a t."
Gute Sprachförderung im Fach setzt nur an bestimmten Lehrer: „D aniel, das haben w ir nich t verstanden.
Stellen, dann aber fachdidaktisch und nicht sprachdi- Wiederhole es noch mal. "
daktisch an. Das ist immer dann der Fall, wenn fachliche Daniel: „ Nee, ich kanns nicht sagen. "
Basiskonzepte eine Rolle spielen, die an Fachbegriffe
gebunden sind. Bewertung und Optimierungsempfehlung:
Im vorliegenden Beispiel versucht der Lerner, m it dem
Beispiel
Teilchenmodell die Druckweiterleitung und Anzeige in
Lehrer: „ Warum g ibt es in dem Gerät eine einer luftgefüllten Druckdose mit einem wassergefüllten
Sicherung?" U-Manometer zu erklären. Seine Erklärung ist zwar für
Daniel: „Sonst gibt es zuviel V olt." den Lehrer halbwegs verständlich und nachvollziehbar,
Lehrer: „ Du meinst, die Spannung ist zu hoch." nicht aber fü r die Mitschüler.

Teil A 13
Einführung

Schreibprobe von Daniel

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U H -A V & lä £ V v - W « fa i- *z £ * f> - © Josef Leisen

Wie Daniels Aussage zeigt, kann er die kognitiv an­ ses und die A rt der Aufgabenstellung; sie w irkt sich
spruchsvolle Mitteilungssituation ohne weitergehende aber auch auf die Ausgestaltung der Aufgaben und
Unterstützung nicht sprachlich korrekt (und damit ver­ deren Integration in den Unterricht aus. Aufgaben­
ständlich) bewältigen; gute Sprachförderung würde hier stellungen, die den Anforderungen an eine ange­
darin bestehen, ihm die Zuhilfenahme von z.B. non­ messene Kommunikation im Fach genügen, sollten
verbalen Darstellungsformen (Geräte, Bilder, Skizzen - auf das Lernen und Üben ausgerichtet sein (also
...) zu erlauben und bei seiner anschließenden Erklärung nicht nur das Leisten, sondern gezielt auch das
zunächst Sprachfehler jeder A rt in Kauf zu nehmen. Üben ermöglichen, vgl. S. 84 ff.)\
Anschließend könnte die Lehrkraft die Darstellung des - komm unikativ ausgerichtet sein (also Bezug auf
Lerners sprachlich bereinigen und seine Gedanken bei­ das mündliche und schriftliche Sprachhandeln
spielsweise wie folgt in die Klasse tragen: der Lerner nehmen und deren textrezeptive oder
Lehrer: „ Daniel, das hast du physikalisch absolut -produktive Sprachkompetenzen fördern);
richtig erkannt Prima, du bist ein guter Phy­ - kompetenzorientiert ausgerichtet sein (also nicht
siker. Ich wiederhole es für alle verständlich. nur rein kognitiv oder reproduktiv);
Schaut hier auf das Gerät. Die Luft hier drin - auf den Erwerb pragmatischer Grammatikkompe­
stellen w ir uns als Luftteilchen vor. Wenn tenzen ausgerichtet sein.
w ir auf die Membran drücken, dann werden
3. Die Frage, wie viel Grammatik im Fach gelehrt
die Luftteilchen nach unten verschoben und
werden soll (und ob dies überhaupt erforderlich ist),
die drücken a uf das Wasser. Das Wasser
beantwortet der sprachsensible Fachunterricht im­
stellen w ir uns als Wasserteilchen vor, die
mer fachbezogen: Denn Grammatikerwerb findet
eng aneinanderliegen. Die Luftteilchen
nachweislich nur statt, wenn Sprache zu kommu­
drücken a u f die Wasserteilchen und die
nikativen Zwecken verwendet wird (vgl. S. 55 ff.).
drücken auf die nächsten - und die auf die
Grammatikaufgaben im Fach dürfen deshalb kein
nächsten, immer weiter. Die letzten Was­
Selbstzweck und nicht auf ein rein normatives Gram­
serteilchen gehen nach oben und zeigen auf
matikverständnis ausgerichtet sein (also z.B. nicht
der Skala den neuen Druck an. "
nur den exakten Sprachgebrauch und dessen gram­
matische Angemessenheit abprüfen).
Sprachkompetenzerwerb,
Aufgabenstellungen, Grammatiklernen
Bereits an dieser Stelle sei vorab auf diese drei wichtigen
Themenbereiche hingewiesen; sie werden an späterer
Gelingende Sprachförderung setzt eine zeitgemäße
Stelle ausführlich erläutert:
Einstellung zum Fördergedanken sowie Professio­
1. Erfolgreiches Sprachlernen im Fach kann nur dann nalität in der Durchführung voraus. Die Lehrkraft
erfolgen, wenn auch das kognitive System entspre­ muss dabei nicht nur die entsprechenden Leitlinien
chend ausgebaut ist. Grund ist, dass die Kommuni­ kennen, sondern vor allem auch über ein profes­
kation im Fach bzw. das Lösen entsprechender A u f­ sionelles Gespür für die vorliegende Sprachsitua-
gaben von den Lernern ein hohes Maß an abstrak­ tion verfügen. „Gut gemeint" oder „gute Absicht"
tem Denken erfordert. Dies aber setzt entsprechend sind hier nicht gut genug.
entwickelte begrifflich-logische Fähigkeiten voraus
Unabhängig davon lernen besonders sprachschwa­
(vgl. S. 57 ff.). Zudem sollte die Lehrkraft immer be­
che Lerner besser und nachhaltiger, wenn eine posi­
denken, dass die Schritte im Lernprozess Lemschritte
tive, also möglichst freundliche, menschliche sowie
und keine Lehrschritte sind (vgl. dazu S. 72 ff.).
auf Bestätigung und Unterstützung der Lerner hin
2. Passende Aufgaben im Fach sind gerade für sprach­ ausgenchtete Unterrichtsatmosphäre herrscht. Dies
schwache Lerner von großer Bedeutung für das aber ist genau auch Ziel und Inhalt des sprachsensi­
Gelingen der Kommunikation. Diese Tatsache hat blen Fachunterrichts.
Einfluss auf die Gestaltung des Lehr-Lern-Prozes-

14 Teil A
Einführung

tung der Kommunikation als fundamentales Element


Sprachförderung fachlichen Lernens.
als Auftrag der Welche Bedeutung der „Kom m unikation im Fach11

Bildungsstandards jeweils zukommt, belegt die untenstehende Tabelle.


Diese macht zugleich den Stellenwert der Bildungsspra­
che als Bindeglied über alle Fächer hinweg deutlich.
Die Bedeutung der
Kommunikation im Fach Darüber hinaus zeigt die Tabelle auf, dass die für die
Heute weisen die nationalen Bildungsstandards die Kommunikation im jeweiligen Fach erforderlichen Ein­
„Kommunikation im Fach11 in allen Fächern als eigenen zelkompetenzen in ihrer A rt und Gewichtung von Fach
Kompetenzbereich aus. Dies unterstreicht die Bedeu­ zu Fach abweichen können:

© Josef Leisen

Kompetenzbereiche (M athem atik)

Argumentieren Problemlosen Modellieren Darstellen Formalisieren Kommunizieren

Fachwissen Fachmethoden Kommunikation Bewertung

Kompetenzbereiche (Deutsch)

M it Texten Sprache Methodische


Sprechen Schreiben Kompetenzen
umgehen untersuchen

Kompetenzbereiche (Fremdsprachen)

Funktionale kommunikative Kompetenzen Interkulturelle Methodische


Komm. Fertigkeiten Sprachliche Mittel Kompetenzen Kompetenzen

Kompetenzbereiche (Erdkunde)
Erkenntnisgewin­ Räumliche Beurteilung/
Fachwissen Kommunikation Handlung
nung/Methoden Orientierung Bewertung

Sachkompetenz Deutungs- und Reflexionskompetenz Medien-M ethodenkom petenz

Teil A 15
Einführung

Die jeweils geforderten Einzelkompetenzen und Stan­ leren Bildungsabschluss nach der Klassenstufe 10; dabei
dards - also die Breite der geforderten kommunikativen müssen diese Kompetenzen gemäß den Erwartungs­
Kompetenzen - sind im jeweiligen Kompetenzbereich horizonten in den verschiedenen Klassenstufen gestuft
beschrieben. Der untenstehende Kasten stellt diese für aufgebaut werden.
den mittleren Bildungsabschluss im Fach Physik dar. Vergleichbare Regelungen gelten für den Hauptschul­
Dabei macht es jedoch einen großen Unterschied, ob abschluss, z.B. im Fach M athematik am Ende der Klas­
Lerner übereinen einfachen oder über einen komplexen senstufe 9 (vgl. den nachfolgenden Text sowie die
Sachverhalt kommunizieren, Sachverhalte in eingeübten zugehörige Kompetenzmatrix auf 5. 17 M itte):
oder ungeübten Formen darstellen und einfache oder „Dazu bearbeiten sie Probleme, Aufgaben und Projekte
komplexe Texte lesen sollen. Auch innerhalb des Kom­ m it mathematischen M itte ln , lesen und schreiben
petenzbereichs Kommunikation müssen deshalb Stufen mathematische Texte, kommunizieren über mathema­
unterschieden werden, die das Anspruchsniveau - also tische Inhalte u. a. m. Dies geschieht in einem Unter­
die Tiefe der Anforderungen - beschreiben. Hierbei hat richt, der selbstständiges Lernen, die Entwicklung von
es sich als sinnvoll und zweckmäßig erwiesen, drei kommunikativen Fähigkeiten und Kooperationsbereit­
Anforderungsbereiche zu unterscheiden. schaft sowie eine zeitgemäße Informationsbeschaffung,
Dokumentation und Präsentation von Lernergebnissen
Die auf S. 17 oben abgebildete Kompetenzmatrix zeigt
die erwarteten Kompetenzen im Fach Physik beim m itt- zum Ziel hat. " (aus: Bildungsstandards im Fach M athe­
matik, 2005, S. 6)
Sämtliche Anforderungen gelten auch für Lerner m it
Zuwanderungsgeschichte. Da bei ihnen aber zusätzlich
imunikation: Informationen spezifische Sprachprobleme hinzukommen, müssen sich
sach- und fachbezögen Lerner wie Lehrer besonders anstrengen, um die vor­
erschließen und austauschen gegebenen Anforderungen und Standards zu erreichen.
Die Fähigkeit zu adressatengerechter und sachbezogener
Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil physikali­
scher Grundbildung. Hierzu sind moderne Methoden und Sprachförderung
Techniken der Präsentation, das Beherrschen der Regeln
olnö anffompccpnp ^rirprh- und . als Auftrag des GER
(Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen)

Wissen, eigene Ideen und. Vorstellungen in die Diskussjpri: Vorgaben für erfolgreiches
einzubringen und zu entwickeln, den Kommunikations- kommunikatives Handeln
- - ' i.nern m it Vertrauen zu begegnen und ihre Persönlich- Der GER stellt eine europaweit anwendbare Basis für
die Entwicklung von zielsprachlichen Lehrplänen, cur-
ricularen Richtlinien, Prüfungen, Lehrwerken u.a. dar.*
Er beschreibt umfassend, was Lernende lernen müssen,
um eine Sprache fü r kommunikative Zwecke zu benut­
für den Kompetenzbereich Kommunikation*: zen, und welche Kenntnisse und Fertigkeiten sie ent­
Schülerinnen und Schüler wickeln müssen, um in der Lage zu sein, kommunikativ
erfolgreich zu handeln.

messener Verwendung der Fachsprache und „ Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen w ill helfen,
fachtypischer Darstellungen aus, die Barrieren zu überwinden, die sich aus den Unterschieden
zwischen den Bildungssystemen in Europa ergeben und die
beschreiben den Aufbau einfacher techni- . der Kommunikation von Personen, die m it der Vermittlung
scher Geräte und deren Wirkungsweise, moderner Sprachen befasst sind, hinderlich sind. Er stellt
Verantwortlichen im Bildungswesen, Lehrwerkautoren, Leh­
dokumentieren die Ergebnisse ihrer Arbeit, renden, Lehrerausbildern, Prüfungsanbietern und anderen
ein Instrumentarium zur Verfügung, um ihre Bemühungen
einzuordnen und zu koordinieren sowie sicherzustellen, dass
sie die wirklichen Bedürfnisse der Lernenden, für die sie
verantwortlich sind, befriedigen . " (vgl. http://km k-frem d-
5 diskutieren Arbeitsergebnisse und Sachver­ sprachenzertifikat.lernnetz.de/handr/rr.htm). Diesem Thema
halte unter physikalischen Gesichtspunkten. widm et sich das neue Projekt „ Languages o f Education -
Languages for Education " des Europarates (Unterprojekt
*äuch a u f alle anderen Fachbereiche übertragbar „ vulnerable learners"), das Projekt „Language in OtherSub-
jects“ hingegen dem Sprachlernen im Fach, vgl. h ttp ://w w w .
coe. int/t/dg4/linguistic/LangEduc/BoxD2 - OtherSubjan.asp.
aus: Bildungsstandards im Fach Physik, 2005, S. 11.

Teil A
16
Einführung

m it vorgegebenen Darstel­ • geeignete Darstellungs­ Darstellungsformen selbst- '


lungsformen arbeiten formen nutzen ständig auswählen und
nutzen
einfache Sachverhalte in • Sachverhalte fachsprachlich
W ort und Schrift oder und strukturiert darstellen • Darstellungsformen sach-
einer anderen vorgegebe­ und adressatengerecht
• auf Beiträge anderer sach­
nen Form unter Anleitung auswählen, anwenden und
gerecht eingehen
darstellen reflektieren
• Aussagen sachlich begrün­
• sachbezogene Fragen • auf angemessenem Niveau
den
stellen begrenzte Themen disku­
tieren

aus: Bildungsstandards im Fach Physik, 2005, S. 12 (Ausschnitt)

einfache mathematische Überlegungen, Lösungs­ komplexe mathematische


Sachverhalte mündlich wege bzw. Ergebnisse ver­ Sachverhalte mündlich und
und schriftlich ausdrücken ständlich darstellen schriftlich präsentieren

aus kurzen, einfachen komplexe mathematikhalti­ komplexe mathematische


mathematikhaltigen Tex­ ge Texte, Grafiken und Texte sinnentnehmend
ten, Grafiken und Abbil­ Abbildungen sinnentneh­ erfassen
dungen Informationen mend erfassen Äußerungen von anderen
entnehmen die Fachsprache adressa­ zu mathematischen Inhal­
auf Fragen und Kritik tengerecht verwenden ten bewerten
sachlich und angemessen auf Äußerungen von ande­
reagieren ren zu mathematischen
Inhalten eingehen

mit Fehlern konstruktiv


umgehen

aus: Bildungsstandards im Fach Mathematik, 2004, S. 14

Der Referenzrahmen definiert Kompetenzniveaus, so- Der Referenzrahmen bildet den Lernraum in sechs
dass man Lernfortschritte lebenslang und auf jeder Stufe Niveaustufen ab; eine tabellarische Übersicht über diese
des Lernprozesses messen kann. Dabei deckt die Niveaustufen findet sich in Teil D, S. 220 f.
Beschreibung auch den kulturellen Kontext ab, in den Dem GER zufolge finden sprachliche Aktivitäten in vier
Sprache eingebettet ist. verschiedenen Lebensbereichen (Kontext) statt: im
Dem GER zufolge besteht die kommunikative Sprach­ öffentlichen Bereich, im privaten Bereich, im Bildungs­
kompetenz aus linguistischen, soziolinguistischen und wesen und im beruflichen Bereich.
pragmatischen Komponenten. Diese Sprachkompetenz - Der öffentliche Bereich umfasst alles, was m it nor­
wird in verschiedenen kommunikativen Sprachaktivi- maler sozialer Interaktion zu tun hat (in Geschäften
täten aktiviert, die Rezeption, Produktion, Interaktion und Behörden, in öffentlichen Einrichtungen, bei kul­
und Sprachmittlung umfassen; dabei können all diese turellen und bei Freizeitaktivitäten in einem öffent­
Aktivitäten schriftlich und/oder mündlich Vorkommen lichen Kontext, im Umgang m it Medien usw.).
(vgl. CER, S. 25). - Der komplementäre private Bereich umfasst familiäre
Beziehungen und individuelle soziale Gewohnheiten.

Teil A 17
Einführung

- Das Bildungswesen umfasst den Lern- und Lehrkon- derungsprofil in Deutschland auch für die Sprache
text; hier geht es um den Erwerb spezifischer Kennt­ Deutsch gelten.
nisse und Fertigkeiten.
2. Dieses Anforderungsprofil muss dann auch fü r jed­
- Der berufliche Bereich umfasst alles, was m it den wede Aneignungsform gesichert werden - sei es also
beruflichen Aktivitäten eines Menschen zu tun hat für Deutsch als Muttersprache, für Deutsch als Zweit­
(s. http://w w w .goethe.de/Z/50/com m euro/i2. htm). sprache oder für Deutsch als Fremdsprache.
Sprachförderung im Fach betrifft somit sowohl den all­ Damit ergibt sich ein klarer Auftrag, die „Bildungsspra-
gemeinbildenden als auch den beruflichen Bereich, da che" - also die Sprache, die beim Lernen in Schule und
sich diese beiden Bereiche in der Ausbildung über­ Ausbildung benutzt wird - mindestens auf dem Niveau
schneiden. Daraus ergeben sich zwei Folgen: B2+ zu garantieren. Der sprachsensible Fachunterricht,
1. Wenn der GER ein Anforderungsprofil in den Fremd­ für den sich das vorliegende Handbuch nachhaltig ein­
sprachen definiert und fordert, dann muss das Anfor­ setzt, ist ein Instrument dazu.

Sprachförderung bei Lernern mit Migrations­


hintergrund/Zuwanderungsgeschichte
Die Vielfalt der Lerner- der deutschen Sprache vergrößern diese Herausfor­
biografien bei Lernern derung noch. Für deren Bewältigung sind Fachlehr­
mit Migrationshintergrund kräfte in der Regel nicht ausgebildet (zu möglichen
Qualifizierungsmaßnahmen vgl. S. 9 ff., 25 ff.).
H inter den bedeutungsschweren Begriffen „Lerner
(Schüler) m it Zuwanderungsgeschichte" bzw. „m it M it dem Mikrozensus 2005 (Statistisches Bundesamt,
Migrationshintergrund" verbirgt sich für jeden einzelnen 2006) liegen erstmals fü r die gesamte Bevölkerung
Lerner eine eigene - seine - Zuwanderungsgeschichte. Deutschlands repräsentative Daten vor, die Auskunft
Dies hat zweierlei zur Folge: über die jeweilige Zuwanderungskonstellation geben.
Dabei wird nach der individuellen und familialen M i­
1. Diese Gruppe der Lerner ist ausgesprochen inhomo­
grationserfahrung (1., 2. bzw. 3. Generation) sowie
gen; dies allein stellt schon eine große Herausforde­
dem rechtlichen Status (deutsch/nicht-deutsch) unter­
rung fü r den Unterricht sowie fü r die Lehrkräfte dar. schieden.
2. Die individuelle Ausprägung und der individuelle
Hinsichtlich des M igrationsstatus von Kindern und
Umfang der Probleme jedes einzelnen Lerners m it
Jugendlichen unterscheidet der Bildungsbericht (vgl.
Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 138)
Abb. H2-2: Bevölkerung im Alter von unter 25 Jahren 2 0 0 5 nach Migrationshintergrund
folgende drei Gruppen:
und Migrationstypen (in %)
- Jugendliche und Kinder, die m it ihren Eltern zuge­
wandert sind (1. Generation);

4,2% Ausländer der 1. Generation


- die selbst in Deutschland geboren sind, deren Eltern
jedoch zugewandert sind (2. Generation);

>:"*v - die selbst und deren Eltern in Deutschland geboren


Deutsche ohn e r'.i 5 '3% Ausländer der 2. Generation
Migrations­ sind (3. Generation).
hintergrund
72,8% Personen m it 0,5% Ausländer der 3 . Generation
Migrations­ 1,9% (Spät-)Aussiedler der 1 . Generation Dabei spricht man von „einseitigem Migrationshinter­
hintergrund
27,2% 1,2% (Spät-)Aussiedler der 2. Generation grund“ in der entsprechenden Generation, wenn nur
2,6% Eingebürgerte der 1. Generation ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat.

Geht es um die Frage der Sprachförderung, sind fo l­


gende Fragen von Belang:
1,2% Deu tsche der 2. Generation
(iu s-soli-R egelu ng)
- Wie hoch ist der Anteil der Lerner m it und ohne
6,3% Deutsche m it ein seitigem
Migrationshintergrund in der Lerngruppe?
Migrationshintergrund
(2 . Generation) - Wie verteilen sich die verschiedenen Generationen
(Migrationstypen) auf die Lerngruppe?
Quelle: Statistisches Bundesamt. Mikrozensus 2005 (vorläufige Ergebnisse)
- Wie sind die Zuwanderungszeitpunkte bei den Ler­
aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 142 nern der 1. Generation verteilt?

18 Teil A
Einführung

- Welche Muttersprachen (Herkunftsregionen) werden Abb. H2-5: Bevölkerung im Alter unter 25 Jahren m it Migrationshintergrund 2 0 0 5
nach Zuwanderungszeitpunkt und Altersgruppen (in %)
gesprochen?
Alter zum Zeitpunkt der Erhebung

- Welche weiteren Sprachen sprechen die Lerner?


19 bis unter 25

- Wie steht es um die Integration der Lerner aus der


Lerngruppe in das deutschsprachige Umfeld (deut­ 16 bis unter 19

sches Sprachbad, vgl. 5. 67)? 10 bis unter 16

Die folgenden Statistiken aus dem Bildungsbericht 2006


6 bis unter 10
liefern hier aufschlussreiche Erkenntnisse:
0 bis unter 6
Den Erhebungen zufolge weisen mehr als 25 Prozent
der Jugendlichen unter 25 Jahren - das sind etwa 6 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 in %

OB Hier geboren Vor diesem Alter zugezogen E 2 In diesem Alter zug ezo g en s Ohne Angabe zum Zuzugsalter
Millionen Personen-einen Migrationshintergrund auf.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 20 05 (vorläufige Ergebnisse)
Von diesen gehörten 2005 etwa ein Drittel (ca. 2 M il­
lionen Kinder und Jugendliche) der 1. Generation an, aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 145
waren also selbst zugewandert. Der Anteil der daraus
resultierenden Quereinsteiger in das Bildungssystem Abb. H2-3: Anteil der Bevölkerung m it Migrationshintergrund 2 0 0 5 nach Altersgruppen
und H erkunftsregionen (in %)
schwankt in den Altersgruppen bis zum 19. Lebensjahr
zwischen 5 und 10 Prozent (vgl. Abb. H2-2/S. 18).

Die anderen zwei Drittel der Jugendlichen und Kin­


der m it M igrationshintergrund sind überwiegend in
Deutschland geboren; sie gehören somit der 2. Gene­
ration an. Dies gilt insbesondere für den Großteil der
jungen Bevölkerung m it türkischem Migrationshinter­
grund (87 Prozent); der Anteil der 2. Generation bei
anderen Migrantengruppen ist hingegen deutlich nied­
riger (vgl. Abb. H2-5).
Alter
von ...
Dabei wächst der Anteil der schulpflichtigen Kinder und 0 -6 6 -1 0 1 0 -1 6 1 6-25 2 5 -4 5 4 5 u n d § l te r Insgesam t bis unter
... Jahren
8 H Ohne Angabe * § 3 (Spät-)Aussiedler 1 = 2 So n stig e Staaten Son stige EU-15-Staaten
Jugendlichen m it Migrationshintergrund auf nahezu ein
B i So n stige ehem alige A nwerbestaaten -U S Türkei
Drittel der jeweiligen Altersgruppen an. Differenziert Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 20 05 (vorläufige Ergebnisse)

man jedoch nach der nationalen Herkunft, sind die


Unterschiede beträchtlich: Wie aus der Grafik zu erse­ aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 143
hen ist, sind türkischstämmige Schüler in allen Alters­
Tab. H3-1: Migrantenanteil 2 0 0 0 in den Schularten der Jahrgangsstufe 9 nach Herkunfts­
gruppen die größte Einzelgruppe; auch (Spät-)Aussied- regionen (in %)
ler stellen eine große Gruppe dar.
,y^r,

Generell lässt sich sagen: In Deutschland ist der Anteil


J ■' ... tß ■ 3§
der Bevölkerung m it Migrationshintergrund im Durch­ ■ "

Ohne M igratio nsh in tergrund 16 ,6 38,6 11,6 33,2


schnitt deutlich jünger als der Anteil der Bevölkerung 1 4 ,0 24,6
Mit M ig ratio nshintergrund i n s g e s a m t ^ > 3 1,8 . : 29,7
ohne Migrationshintergrund. Auch weist die Bevölke­ davon:

rung m it Migrationshintergrund eine große Heteroge­ Türkei 48,3 22,1 17,0 1 2 ,5

3 0,0 3 1 ,4 1 3 ,6 2 5,1
nität in Bezug auf Status und Zeitpunkt der Zuwande­ S o n s t ig e e h e m a l ig e A n w e r b e sta a te n

(S p ä t-)A u s sie d le r ( e h e m . S o w je tu n io n ) 38,4 3 3,6 9 ,8 1 8 ,2


rung sowie in Bezug auf die ethnische Zugehörigkeit 2 0 ,5 2 9 ,3 1 5 ,5 34,6
S o n s t ig e S ta a te n
auf. Dabei stellt sich die Aufgabe der Integration von
Quelle: PISA E 2000, eigene Berechnungen
Migrantenkindern auf allen Bildungsstufen (vgl. Abb.
H2-3). aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 152

Lerner ohne Migrationshintergrund sowie Lerner aus


der Herkunftsgruppe der sonstigen Staaten besuchen
Staaten hingegen ist ein Drittel an der Hauptschule und
vor allem Realschulen und Gymnasien. Lerner mit min­
ein Viertel an einem Gymnasium.
destens einem Elternteil aus der Türkei, sonstigen ehe­
maligen Anwerbestaaten (z.B. Italien, Griechenland, Migranten der 2. und 3. Generation sind in Deutschland
Spanien usw.) und der ehemaligen Sowjetunion besu­ aufgewachsen und haben ihre Bildungskarriere im deut­
chen vornehmlich Haupt- und Realschulen. Dabei schen Schulwesen absolviert. Wie der Bildungsbericht
bestehen innerhalb dieser Gruppe erhebliche Differen­ aufzeigt, ist dabei das erreichte Bildungsniveau im Ver­
zen: So ist fast jeder zweite türkische Lerner an einer gleich zur Bevölkerung ohne M igrationshintergrund
Hauptschule und nur jeder achte am Gymnasium, von sehr unterschiedlich: Einerseits haben die Migranten
den Lernern aus den sonstigen ehemaligen Anwerbe- der 2. und 3. Generation etwa ebenso häufig die Hoch-

Teil A 19
Einführung

Abb. H2-4: Anteile der Bevölkerung mit Migrationshintergrund 20 0 5 bzw. der schulreife erhalten wie Deutsche ohne Migrationshin­
Ausländerinnen und Ausländer 1995 und 2 0 0 4 nach Landern (in %)
tergrund. Andererseits ist der Anteil der 25- bis unter
Deutschland ■ 65-jährigen Migranten der 2. und 3. Generation, die
Baden-Württemberg
keinen beruflichen Abschluss erworben haben, doppelt
Bayern

Berlin
so hoch wie bei Deutschen ohne Migrationshintergrund
Brandenburg (vgl. Abb. H3-1).
Bremen

Hamburg
Die Bevölkerung m it Migrationshintergrund verteilt sich
Hessen sehr ungleich auf die Länder; dabei sind die M igran­
Mecklenburg-Vorpommern
tenanteile bei jungen Menschen höher als bei der
N iedersachsen
Gesamtbevölkerung. Der Anteil an jungen Menschen
Nordrhein-Westfalen »

Rheinland-Pfalz m it Migrationshintergrund erreichte 2005 in Hamburg


Saarland und Bremen 40 Prozent, in Baden-Württemberg, Berlin,
Sachsen
Hessen und Nordrhein-Westfalen immerhin noch ein
Sachsen-A nhalt
Drittel (vgl. Abb. H2-4).
Schlesw ig-Holsteii

Thürin
In einigen Ländern ist der Anteil von Kindern mit M igra­
0 5 10 15 20 25 30 35
tionshintergrund, die eine verzögerte Schullaufbahn
2005 Migrationshintergrund (0 bis unter 25 Jahre) 2 B 2005 Migrationshintergrund (insgesam t)
E S 2004 A usländer/innen 1995 Ausländer/innen aufweisen (sogenannte Sitzenbleiber), doppelt so hoch
Quelle: Statistisches Bundesamt Bevölkerungsstatistik; Mikrozensus 2 0 05 ( vorläufige Ergebnisse) wie der von Kindern ohne Migrationshintergrund. Die
aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 144 türkischen Kinder weisen hierbei die höchsten Anteile
auf; auch bei den Spätaussiedlerkindern sowie denen
aus den restlichen Anwerbestaaten finden sich relativ
hohe Anteile. Etwa jeder vierte Jugendliche m it M igra­
Abb. H3-4: Verzögerte Schullaufbahnen bei 15-Jährigen 2 0 0 3 nach Ländern und Herkunfts­
regionen (in %)* tionshintergrund, aber nur jeder zwanzigste Jugendliche
ohne M igrationshintergrund besucht eine Schule, in
der Migranten die Mehrheit stellen. Das deutsche Schul­
wesen spiegelt demnach eine hohe Segregation - also
eine sich im Rahmen des Bildungswesens verdeutli­
chende herkunftsbezogene und soziale Ungleichheit
der Gesellschaft - wider (vgl. Abb. H3-4).

In den Schulen m it insgesamt hohem Migrantenanteil


(mehr als der Hälfte) konzentrieren sich vor allem solche
Jugendliche, die zu Hause kein Deutsch sprechen. Jeder
BW BY Sechste verwendet auch unter Freunden eher seine
ES Deutschland ( 2 Türkei Ei S on stige ehem alige Anwerbestaaten Q A ussiedler/innen £?. S on stige Staaten
Herkunftssprache. Jugendliche m it M igrationshinter­
Quelle: PISA 2003, Nachberechnungen durch das IPN
grund, die eine Schule m it niedrigem Migrantenanteil
aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 151 (unter einem Viertel) besuchen, sprechen hingegen
unter Freunden und sogar m it den Eltern w eit über­
wiegend Deutsch (vgl. Abb. H4-3).

Abb. H4-3: Sprachpraxis von Schülern der 9 . J ahrgangsstu fe m it Migrationshintergrund Schulen m it sehr hohem Migrantenanteil arbeiten in
und deren Eltern nach M igrantenanteil an der besuchten Schule (in %)
einem sozialen Umfeld, das insgesamt durch Abschot­
^ A nteil der Schüler m it Migrationshintergrund
tung sozialer und ethnischer Gruppen geprägt ist. Etwa
ein Fünftel der Hauptschulen in Deutschland arbeitet
in problematischen Lernkontexten, die durch einen sehr
hohen Migrantenanteil in Verbindung m it niedrigem
sozialen Status der Lerner, geringen kognitiven Grund­
fähigkeiten, häufigen Lernschwierigkeiten und Verhal­
deren Eltern sich zu Hause die zu Hause mit den Eltern die mit Ft die auf Deutsch
tensproblemen gekennzeichnet sind. Über die ungüns­
vorwiegend meistens Deutsch sprechen meistens Deutsch sprechen am besten schreiben können
auf Deutsch unterhalten tigen individuellen Eingangsvoraussetzungen hinaus
M igrantenanteil von ...
! Unter einem Viertel 1 Ein V ie rtel bis die Hälfte E S Mehr als die Hälfte } In sgesam t stellen solche schwierigen Kontextbedingungen eine
Quelle: D ESI2004, eigene Berechnungen zusätzliche Belastung dar.

aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 163 Der Bildungsbericht 2006 zieht folgende Schlüsse (Kon­
sortium Bildungsberichterstattung, 2006b S. 149):
- Die Heterogenität der Migrationskonstellationen und
die Unterschiede des erreichten Bildungsstandes der
unterschiedlichen Herkunftsgruppen legen differen­

20 Teil A
Einführung

zierte bildungspolitische Strategien zur Integrations­ W ie sprechen und schreiben Lerner


förderung nahe. mit Zuwanderungsgeschichte?

- Dass mehr als zwei Drittel der Gesamtpopulation mit Je nach Migrationsstatus sprechen und schreiben Lerner
Migrationshintergrund und gut ein Drittel der unter m it M igrationshintergrund unterschiedlich. Zudem
25-Jährigen der 1. Zuwanderergeneration angehören haben sie jeweils unterschiedliche sprachliche Schwä­
(Quereinsteiger), macht deutlich, dass sprachliche chen und Probleme:
und kulturelle Förderung auf allen Stufen des Bil­
a) Sprachprobleme von Lernern der 1. Generation
dungssystems weiterhin einen zentralen Stellenwert
hat, auch wenn der Förderbedarf fü r aktuelle Seiten­ Ategül ist ein Migrantenkind der 1. Generation. Sie ist
einsteiger überschaubar erscheint. kurdischer Abstammung, 16 Jahre alt und lebt m it ihrer
Familie seit 5 Jahren in Deutschland. Sie ist die älteste
- Obgleich die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen
Tochter und hat noch 4 jüngere Geschwister, die
m it Migrationshintergrund bereits von Geburt an in
- bis auf den jüngsten Bruder, der den Kindergarten
Deutschland aufgewachsen ist, scheint eine frühzei­
besucht - auf die Hauptschule gehen.
tige soziale Integration im Bildungswesen nur teil­
weise zu gelingen (Details vgl. Konsortium Bildungs­ Ategül besaß bei ihrem Wechsel in das deutsche Schul­
berichterstattung, 2006b). system vor fü n f Jahren keine Deutschkenntnisse und
genoss in ihrem Herkunftsland nur wenig Schulbildung.
Die vorstehend zusammengetragenen Zahlen machen
Zwei Jahre lang nahm sie an einer Fördergruppe für
deutlich: Der hohe Migrantenanteil bei Kindern und
Deutsch m it ca. zw ölf Stunden pro Woche teil.
Jugendlichen stellt eine besondere Herausforderung für
das deutsche Bildungswesen dar. Ategül hatte ein Praktikum in einem Einzelhandelsge­
schäft absolviert und erhielt die Aufgabe, den Text auf
Diese Herausforderung kann für alle Beteiligten nur
S. 22 in eigenen Worten wiederzugeben; Ategüls Vor­
dann zufriedenstellend, tragfähig und langfristig gelöst
trag wurde dabei auf Band aufgenommen (vgl. h ttp ://
werden, wenn man
w ww .learn-line.nrw.de/angebote/qualitaetsentwick-
1. bildungspolitische Integrationsförderung als Zu­ lung/ dow nload/ d -interview l .mp3).
kunftsinvestition begreift und
Ategül, die sich im Interview als eine kluge Person zeig­
2. entsprechende politische Maßnahmen durch qualifi­
te, war m it der sprachlichen Bewältigung der Aufgabe
zierte Lehrkräfte und gezielte Sprachförderung vor
völlig überfordert. Sie hatte den Text in großen Teilen
O rt begleiten und umsetzen lässt.
nicht verstanden und war nicht in der Lage, ihn mit
eigenen Worten wiederzugeben. Im Interview m it der
Schülerin wurde deutlich, warum diese Aufgabe sie
überfordert; zugleich zeigte das transkribierte W o rt­
Sprachförderung im Fach ist protokoll, dass Ategül ihre Sprachschwierigkeiten selbst
sehr gut diagnostizieren konnte (Auszug):
- wichtig, weil die Kommunikation ein wichtiges;
Bildungsziel jedes Faches ist;
Beispiel Ategül:
- sinnvoll] weil sich Fachlernen unci Sprachlernen 7. „ Ich kann das nicht so gut sagen ..."
gegenseitig unterstützen;
2. „M eine Schwester, die haben so alleine gemacht,
- unerlässlicht weil der Fachunterricht in und m it ... können das so gut wie Deutsch. ... Vielleicht,
der Sprache stattfindet; w eil ich nie eine deutsch Freund haben. "
- fach übergreifend ,i weil alle Fächer von der Sprach­ 3. „M e in klein Bruder geht in den Kindergarten,
kompetenz profitieren; der kann besser Deutsch als ich, ... der kann
- verpflichtend, weil die Bildungsstandards das perfekt a lle s ..."
4. „ W ir machen auch Grammatik. Das versteh ich
gar nicht. Ich muss immer auswendig lernen. "
Das Handbuch Sprachförderung im Fach ist auf
die sich daraus ergebenden Förderungen ausge­ 5. „Ich kann nie Aufsatz schreiben. "
richtet. Es bietet allen Lehrkräften, die sprach­ 6. „ Rechtschreibung hab ich auch, ... aber ich kann
schwache Lerner im Fach fördern möchten, fun­ so Wörter nicht alles zusammen schreiben, ..."
dierte und methodisch-didaktisch angemessene
7. „Ich habe noch ein Problem: Wenn ich einen
Unterstützung,
Text lese in der Schule,... dann lachen die ande­
ren, ich schäm mich so. Ich habe nie gemeldet,
dass ich auch einmal lesen d arf."
8. „ Förderunterricht war immer gut, das war leich­
ter, da schreiben w ir nicht so schwer Arbeiten,

Teil A 21
Einführung

...d a haben w ir nicht Geschichte, Erdkunde, nur W eitere Beispiele

Deutsch. " Die drei Textkästen auf Seite 23 f. geben Klassenarbei­


ten wieder, die im Rahmen einer Unterrichtsreihe zum
Ategül weiß um ihre Ausdrucksschwächen (1) und führt
Thema „Berufsorientierung - Berufswahl" im ersten
diese folgerichtig darauf zurück, dass sie kaum M ög ­
Jahr des zweijährigen Bildungsganges der Berufsfach­
lichkeiten hatte, m it deutschen Muttersprachlern Zeit
schule verfasst wurden. In der Förderklasse 10 wurde
zu verbringen und dabei Deutsch zu lernen (2). Sie
die Unterrichtsreihe in Form des projektorientierten
erkennt, dass sie - anders als ihr kleiner Bruder - keine
Unterrichts durchgeführt; dieser Unterricht schloss die
Frühförderung erfuhr (3). Lernen m ithilfe von Gram­
matik ist ihr keine Hilfe, sondern verunsichert sie (4). Fächer Deutsch und Gesellschaftslehre ein.

Bestandteil der arbeitsmethodischen Unterrichtsanteile


Ategül bestätigt, was alle Lehrkräfte wissen: Die Text­
produktion gehört m it zum Schwersten des Spracher- war die Rezeption und Bearbeitung von berufskund-

werbs und fü hrt bei ihr zudem zu Schreibhemmungen lichen Texten sowohl als Grundlage fü r das Lernen als
(5). Ategüls Rechtschreibprobleme sind ihr bewusst (6). auch zur Vorbereitung auf die Klassenarbeit. Dabei soll­

Sie verfügt über keine Lesestrategien (7), und ihr Selbst­ ten die Lerner vom untenstehenden Text ausgehen und
bewusstsein wird durch die Unterrichtsmethode des adressatengerecht über den Beruf informieren. Ziel war,
lauten Vorlesens vollends untergraben, weshalb sie sich bei den Adressaten Interesse zu wecken oder diese gar
schämt und Angst hat, überhaupt etwas vorzulesen. davon zu überzeugen, diesen Beruf zu ergreifen. Als
Den Förderunterricht empfindet sie als leichter (8), da Adressaten konnten dabei Mitschüler der Klasse 10,
dort „n u r Deutsch" durchgenommen wird und es des­ Azubis im Einzelhandel oder die Leser einer Schülerzei-
halb nicht zur Kollision von fachlichen und sprachlichen tung ausgewählt werden.
Schwierigkeiten kommt.
Beispiel Kirill
Die von der Schülerin gezeichneten Sprachprobleme
Kirill, ein deutschstämmiger Russe, ist ein Migrantenkind
sind typisch fü r die Lerner der 1. Generation. Typisch
der 1. Generation. Er besuchte im Herkunftsland sechs
ist auch das nicht entwickelte Könnensbewusstsein.
Jahre lang die Schule und schloss in Deutschland die
Hier muss sprachsensibier Fachunterricht ansetzen.
Haupt- und Realschule m it der Fachoberschulreife ab.
Kirill schreibt fü r einen Azubi als Adressaten. Seine
Schreibprobe auf S. 23 oben zeigt folgende Merkmale:

'
Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel
Kaufleute im Einzelhandel arbeiten vorwiegend im Verkauf: Sie verkaufen die unterschiedlichsten
Konsumgüter - angefangen von Autos über Kleidung und Nahrungsmittel bis hin zu Unterhaltungs-

elektronik und Wohnbedarf.


Außer in Selbstbedienungsgeschäften, wo die Warenpräsentation einen größeren Raum einnimmt,
ist die Kundenberatung, das Verkaufsgespräch, noch immer,eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Um
Kunden kompetent beraten zu können, brauchen sie gute Waren- und Marktkenntnisse. Sie kennen
die aktuellen Neuheiten und können über die Produktmerkmale - wie technische Details oder uber
SH die Umweltverträglichkeit der Artikel Auskunft geben. " ;

Neben diesen Tätigkeiten im Verkaufsraum, zu denen auch das Auffüllen und Auszeichnen der Waren
gehören, zählen Sicherstellung des Warenangebotes, Marktbeobachtung und Einkaufsplanung, die
Bearbeitung der Wareneingänge und die fachgerechte Lagerung der gelieferten Waren sowie die
Durchführung von verkaüfsfördernden Maßnahmen, wie zum Beispiel die ansprechende Platzierung
und Präsentation der Waren m it Plakaten und anderen Werbemitteln, zu ihren Aufgaben.

Zunehmend wichtiger wird die Arbeit m it Computern und anderen informationstechnischen Geraten
ünd Systemen: zum Beispiel m it mobilen Datenerfassungsgeräten für die Bestandskon rolle und In­
ventur oder m it Scannerkasseh, an denen die Verkaufsdaten der Artikel durch Laserstrahl automatisch
abgelesen werden und die m it Computern im Einkauf oder im Rechnungswesen verbunden sind.

aus- Bundesanstalt für Arbeit, 2000, S. 235; zitiert nach: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 2001a;
Hinweis: Das Berufsbild wurde zwischenzeitlich der technologischen Entwicklung angepasst.

Teil A
22
Einführung

- es wird adressatengerecht als werbende Information


Schreibprobe Kirill:
geschrieben, wobei die Adressaten gewechselt wer­
den (Sie, euch)] Wollen sie ihre Ganze Leben nicht vor dem Computer
verbringen, können auch gut m it Menschen umgehen,
- der Adressat wird direkt (Wollen sie ihre Ganze Leben
offen m it sie sein? Wollen auch einen sicheren Job für -
...) angesprochen;
die Zukunft haben, Dann ist Ausbildung als K a ufm ann/,
- der Beruf des Einzelhandelskaufmanns wird anhand
Kauffräu, den w ir ihnen anbiten genau das richtige für
von Beispielen beschrieben;
\ V e- . ' ~
- es werden Versatzstücke aus der Fachsprache (Daten­ Sie können sich aussuchen in welche-Branche-sie am
erfassungsgeräte, Einkaufsplanung...) verwendet; libsten tätig wollen werden. Sei es Lebensmittel, Unter- .
- es gibt eine grobe Gliederung in zwei sinnvolle Ab­ chaltungselektronik oder Autoferkauf.: Der Ausbildung
schnitte; dauert 3 Jahren. Im diese Zeit werden sie viele neun
- die sprachliche Komplexität und die Ausdrucksweise Sachen erlernen. Sie werden lernen wie mann richtig m it
sind in Ansätzen um eine Differenzierung bemüht Kunden umgeht, wie man zu jedem einzeln Kunden rich­
(Durchführung von verkaufsfördernen Maßnahmen tige Kontakt finden und immer zu den Kunden erlich is t
..., Heutzutage w ir d ..., erleichtern natürlich wesent­ Schließlich wollen sie gut behandelt und. beraten fe rd e p .i;
lich die A r b e it...)-, Während der Ausbildung werden sie überall in alle Abtei-
- die Schreibprobe hat sehr viele Gram m atik- und iungen arbeiten. Anfang w ird das natürlich schwer sein,
Rechtschreibfehler (falsche Artikel, falsche Pluralbil­ aber in einem Geschäft ist Teamarbeit angesägt also wer- :
dung, falsche Fälle, fehlende oder falsche M odal­ den sie niemals allein gelassen und werden im m er Hilfe
verben und sehr viele Verstöße gegen die Recht­ bekommen. Später werden w ir euch vertraut machen m it
schreibung ...). Einkaufsplahnung und Durchführung von verkaufsförder­
nen Maßnahmen, wie man z.B. eine Ware g u t Präsentirt
Die gezeichneten Sprachprobleme sind typisch für Ler­
und alles was dazu gehört. Zur Zeit befinden w ir uns in
ner der 1. Generation.
: Elektronik-Jahrhundert und das e rleicht sehr alle kauf-:
manische berufe. Heutzutage w ird alles über inform ati­
b) Sprachprobleme von Lernern der 2. Generation
onstechnischen Geräten und sySternen gemacht,' solche
Beispiel Serkan Geräte wie Scannerkasse, die m it Laserstrahl Preise able­
Serkan ist ein Migrantenkind der 2. Generation. Er ist sen oder. Datenerfässungsgeräten, die alle Waren ordnen
türkischer Herkunft, in Düsseldorf geboren und hat den erleichten natürlich wesentlich die A rb e it
Hauptschulabschluss der 9. Klasse erworben. Serkan
schreibt seinen Text adressatengerecht fü r einen M it­
schüler der Klasse 10. Seine Schreibprobe rechts unten
zeigt folgende Merkmale: Schreibprobe: Serkan:
- sie hat adressatengerecht den Charakter einer per­ „H i! Rene, ich habe misch jetz endschieden, was für ein
sönlichen M itteilung an einen imaginären Gesprächs­ Beruf ich mache w ill, unzwar Einzelhandelskaufmann
partner (Rene); und habe mich gut darüber in formiert, und glaube das es
- der Gesprächspartner wird direkt (Aber noch aufge­ dir auch gefallen w ird: Unzwar die Kaufleute im Einzel­
passt Rene) und sehr persönlich (Sowie du es drauf handel verkaufen unterschiedliche Sachen, von Autos
hast Rene oder nicht?) angesprochen; über Kleidung, Nahrungsmittel, Unterhaltungselektronik

- der Beruf des Einzelhandelskaufmanns wird erzählend .. und Wohnbedarf. -. . ■ - - -


umschrieben; Also in diesem Job geht es ja um-Einzelhandel, Käufen
und Verkäu fen in manchen Firmen ist das so: wenn mäh
- es wird gesprochene Sprache verwendet (Also in die­
eine Warenpräsentation zeigt in einem Selbstbedienungs­
sem Job geht es ja um Einzelhandel) m it Versatz­
geschäft, muß man den Kunden gut beraten können und
stücken aus der Fachsprache (Datenerfassungsgeräte,
glaubhaft machen das man gute Waren hat.. Und man
Bestandkontrolle...);
muß införmiertsein über die Produktmerkmale, wie tech­
- es gibt keine erkennbare Gliederung;
nische Details dam it man dem Kunden gut informieren
- die sprachliche Komplexität ist gering und die Aus­ känn. Sowie du es dräuf hast Rehe öder nicht?
drucksweise undifferenziert;
Aber noch a uf gepasst Rehe,
- die Probe hat viele Grammatik- und Rechtschreib­ Wenn man neue waren bestellen sollte, sollte mann drauf
fehler (falsche Artikel, falsche Pluralbildung, falsche achten das die Lieferung am richtigen Ort, richtige Zeit­
Fälle, fehlende oder falsche Modalverben und sehr pun kt ankomrht-ünd drauf achten das die richtigen preise
viele Verstöße gegen die Rechtschreibung ...).
dran sind und man sollte seine eigene Waren plazierung
Die aufgezeigten Sprachprobleme sind typisch für Ler­ (Föfts. a uf S. 24)
ner der 2. und 3. Generation.
23
Teil A
Einführung

c) Sprachprobleme von (sprachschwachen)


~(Forts, von S. 23) muttersprachig deutschen Lernern
/präsentieren können z, b. m it Plakaten und noch andere
Beispiel Manfred
Werbemöglichkeiten und die waren in so ein Zustand:
Manfred ist ein muttersprachig deutscher Lerner m it
zu bringen das Schön und Interresant aussehen.
Gesamtschulabschluss. Er schreibt den Text als Stellen­
Das wichtigste ist in der Arbeit man muß g ut m it Com- anzeige im Sinne einer Werbung für einen Azubi. Seine
puter umgehen, z.b. m it'M ob ie len Dateherfassungsge- - Schreibprobe zeigt folgende Merkmale:
räten für die Bestandkontrölle m it Scannkassen w ird der
- Bezug zum Leser, direkte Ansprache des Lesers
Verkaufspreis durch den Laserstrahl automatisch abge­
(„ Wenn sie das alles überzeugt hat, dann ... ")\
lesen und werden m it den Computer bein Einkauf im : .
- erkennbare Gliederung;
Rechnungswesen verbunden."
- der verwendete Sprachstil entspricht der W erbe­
sprache und passt zur gewählten Textsorte (Stellen­
anzeige);

Schreibprobe Manfred: - sprachlich anspruchsvolle Formulierungen


(„verkaufsfördernde Maßnahmen")\
Kaufmann/Kauftrau bei B M W Kesting
■ Wenn sie einen Beruf suchen, in dem sie viel m it M en ­ - viele Rechtschreibfehler;
schen und Autos zu tun haben, nicht den ganzen Tag - kulturelles Halbwissen („D a s ,A h' u n d , O h'
vor dem Computer sitzen und der noch abwechslungs^ unserer Firma . . . “).
reich ist. Dann ist dieser Beruf der richtige für sie.
Die aufgezeigten Sprachprobleme sind typisch fü r
Kauf leute bei Kesting arbeiten vorwiegend im Verkauf. (sprachschwache) muttersprachig deutsche Lerner.
Das „ A h " und „ O h " unserer Firma ist die Kundenbe­
treuung. Daher sollten Sie gerne m itM enschen Arbeiten
:: und keine Scheu vor ihnen haben. Kenntnisse über die ' -
technischen Daten der Autos, der Neuerscheinungen und. Sprachkompetenz ist ein komplexer Bereich und
über die derzeitige M arktsituation müssen sie später be- unterliegt hohen Anforderungen; da sie mehrere
Faktoren umfasst, die sich gegenseitig bedingen:
Aber Sie Arbeiten nicht nur im Verkauf, Sie müssen sich - sprachliche Richtigkeit (Grammatik,
auch um den Bestand(der Autos kümmern. Die Präsen- R echtschreibung...);
, - tation. der Autos gehört auch zu ihren Aufgaben, jedes
sprachliche Komplexität (Wortschatz,
■Auto muss optim al vorgestellt werden. Werbung ist sehr : Ausdrucksvermögen, D ifferenziertheit..,);
wichtig fü r uns, deshalb gehören auch verkaufsfördernde
- Sprachfluss (Sprechgeschwindigkeit, ; ;
Maßnahmen zu ihren Tätikeiten. Werbung an Busen,
~ Aussprache, Ausdruck, Intonation ...); .
Brücken und Schilder sind-einege möglichkeiten dj w ir
- Lesekompetenz (Leseverstehen, Lesefluss,
schon genutzt haben.
Lesestrategien ...);
~ Die Ausbildung zum Kaufmann/Kauffrau dauer dreiein-
- Schreibkompetenz (Gliederung, Adressäten-
halb Jahre. Die schulische Vorraussetzung ist mindestens
bezug, Schreibabsicht, Textsorte .. -);
der Hauptabschluss Klaase 10.
- kulturelles Wissen und ;Weltwissen.
Der Kaufmann w ird auch in Zukunft noch ein gefragter
Beruf sein, da die Dienstleistung fü r den Menschen Fachlehrkräfte sollten deshalb versuchen, ihren
Lernern gezielt Hilfen für die Verbesserung ein­
im m er w ichtigerw ird. Sie können innerbetrieblich auch
zelner Teilkompetenzen anzubieten: Denn dies
auf steigen in eine höhere position.
kann Lerner bereits kurzfristig in die Läge verset­
Wenn sie das alles überzeugt hat, dann senden sie ihre
zen, sich im Fachunterricht mündlich und schrift- ;
Bewerbung an die folgende lieh sprachlich korrekt zu beteiligen und zu äußern.

Düsseldorfer Straße,
Welche Sprachprobleme haben
Lerner m it Zuwanderungsgeschichte?
Für Lerner m it Migrationshintergrund tun sich eine Rei­
Bei Fragen kommen sie doch einfach vorbei
he von sprachlichen Barrieren im Unterricht auf. Diese
oder rufen sie uns an.
sind je nach Migrationsstatus (Migrantengeneration)
und Herkunftsland unterschiedlich ausgeprägt.
aus: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 2001a, S. 144
(Kirill), S. 142 (Serkan) und S. 145 (Manfred); Hinweis: Zeilenfor­ Für Lerner der 1. Generation, die als Quereinsteiger in
matierung und Silbentrennung entsprechen nicht dem Original. das deutsche Schulsystem einsteigen, ist Deutsch eine

24 Teil A
Einführung

Fremdsprache, die sie - wie andere Sprachen in der Typische Sprachfehler dieser A rt sind meist:
Schule auch - als Fremdsprache lernen. Da diese Lerner - Interferenzfehler (Übertragungsfehler aus der M u t­
aber im deutschen „Sprachbad" leben und s o m it- je tersprache auf die Zweitsprache, z.B. Aussprachefeh­
nach dem Grad ihrer Integration - ständig im Alltag ler, abweichender Gebrauch der Artikel, Abweichun­
von der deutschen Sprache umgeben sind, verstehen gen in der Satzstellung);
sie vergleichsweise schnell fast alles und können sich in
- Regelfehler (Fehler beim Gebrauch grammatikalischer
der Alltagssprache verständlich machen und unterhal­
Strukturen, die besonders stark von der Erstsprache
ten, auch wenn sie anfangs o ft nur über rudimentäre
abweichen, z.B. regelmäßige Konjugation und Plu­
oder gar keine deutschen Sprachkenntnisse verfügten.
ralbildungen im Türkischen);
Dies täuscht selbst erfahrene Lehrkräfte häufig darüber - Generalisierungsfehler (durch Anw endung einer
hinweg, dass solche Kinder und Jugendliche große Ver­ Regel auch auf Fälle, für die sie nicht zutrifft, z.B. bei
ständnisschwierigkeiten und Sprachprobleme im Schul­ Bildung der Vergangenheitsformen des Verbs: er sag­
unterricht haben (vgl. auch S. 66). Denn besonders im te/er hat gesagt - er schreibte/er hat geschreibt)]
(Fach-)Unterricht herrscht ein anderes Sprachniveau als
- Bedeutungsfehler (durch Nichterkennen einer W o rt­
in der täglichen Umgangssprache (vgl. S. 6).
bedeutung, z.B. Ich bin satt. - Ich bin satt Hosen).
Dies gilt zwar für alle Lerner; bei Lernern m it M igrati­
Eine Kenntnis der Hintergründe solcher Fehler könnte
onshintergrund der 1. Generation sind diese Barrieren
sich eigentlich positiv auf den Lehr-Lern-Prozess aus­
jedoch gravierender. Denn diese Lerner verbleiben o ft
wirken, da es der Lehrkraft ein sprachkontrastives Arbei­
in ihrem Milieu, sprechen also häufig nur in der Schule
ten m it unterstützender Sprachreflexion ermöglichen
Deutsch und zu Hause meist ihre Muttersprache.
würde. Eine konsequente Umsetzung wäre wegen des
Lerner m it M igrationshintergrund der 1. Generation Anspruchs in der Sache und der Vielzahl der Herkunfts­
lernen die deutsche Sprache in der Regel „einfach so“ sprachen von Fachlehrkräften aber nicht leistbar.
bzw. „nebenbei" und nur in den seltensten Fällen sys­
Im Vergleich zur schulischen Kommunikation im Fach­
tematisch als Fremdsprache (DaF) oder als Zweitsprache
unterricht ist die Kommunikation in der Alltagssprache
(DaZ). Sie verfügen deshalb meist über keine elaborierte
viel „fehlertoleranter". Dort verstehen die Gesprächs­
Sprache, haben wenig Sprachbewusstheit und kaum
partner einander - trotz fehlerhafter Sprache - , denn:
Kenntnisse über Sprachstrukturen. Sprechsituationen
m it erhöhter Komplexität oder Sprachstrukturen, die in - Die Sprechsituationen sind den Gesprächspartnern
der Alltagssprache selten Vorkommen, können diese bekannt.
Lerner nur schlecht oder o ft gar nicht bewältigen. Dabei - Es wird vorwiegend über Persönliches gesprochen.
hängt die Intensität der jeweiligen Sprachbarrieren sehr
- Es werden eigene Erfahrungen mitgeteilt.
von den Ähnlichkeiten und Differenzen zur M utter­
- Die Sprachfehler sind geläufig.
sprache ab.
- Die Gesprächspartner haben gemeinsame Erfahrungs­
Zusätzlich generieren die Sprachstrukturen der M utter­
bereiche.
sprache (Erstsprache) im Fremdsprachenlernen - hier
dem Deutschen als Zweitsprache - typische herkunfts­ Alle eingangs dargestellten Sprachprobleme beein­
spezifische Fehler. Diese zeigen sich bei Lernern mit trächtigen den Fachunterricht. Es gehört jedoch nicht
Migrationshintergrund der 1. Generation häufig auch zum Kern-Aufgabenbereich des Fachunterrichts, die­
in der Alltagskommunikation, wie die nachfolgenden se anzugehen. Hier wäre vielmehr eine gezielte För­
Beispiele belegen: derung im Rahmen des Deutsch-als-Zweitsprache-
Unterrichts (DaZ) - u.U. in Kooperation mit dem Fach
- „Frag doch der Lehrer. “ (fehlerhafte Deklination);
Deutsch - wünschenswert, insbesondere, wenn das
- „D e r Gabel" (falscher Artikel/Genus);
Sprachlernen nach den Prinzipien von Deutsch als
- „Sie bringte" - „Ich w ird fragen. " Fremdsprache (DaF) erfolgt. Die wirksamste Lösung
(fehlerhafte Konjugation); böte jedoch die sprachliche Integration: Lerner der
- „ Gestern esse ich zuhause. " 1. Migrantengeneration müssten sich schlicht häufiger
(falsche Verwendung der Zeiten); im deutschen Sprachbad aufhalten, um an korrekten
Sprachmustern zu lernen.
- „Ich nass" - „ A ld i z u " (keine Passivstrukturen);
- „ Er hat groß Erfolg. " Lerner der 2. und 3. Generation zeigen im Gebrauch
(fehlerhafte Deklination von Adjektiven/Adverbien); der deutschen Alltagssprache die oben gezeichneten
sprachstrukturellen Probleme in geringerem Ausmaß;
- „Is t mehr a lt als ... " (falsche Graduierung);
auch treten die genannten Sprachfehler seltener auf.
- „Ich ein Buch haben." (falsche Wortstellung); Grammatik- und Rechtschreibfehler (falsche Artikel, fal­
- „Ich abschalte das Gerät. " sche Pluralbildung, falsche Fälle, fehlende oder falsche
(Missachtung trennbarer Verben) Modalverben) kommen zwar vor, werden aber durch

Teil A 25
Einführung

den Sprachfluss so überspielt, dass die Kommunikation Bewertung und Optimierungsempfehlung:


gelingt. Der Wortschatz und die sprachliche Komplexität
Die Lerner sprechen stockend, wirr, unsicher und führen
sind indes o ft gering und die Ausdrucksweise undiffe­
ihre Sätze nicht zu Ende. Es fehlen ihnen zentrale fach­
renziert. Im Fachunterricht treten bei diesen Lernern
liche Begriffe, sie machen beim Sprechen viele Gram­
zwar Sprachbarrieren und Sprachprobleme auf; diese
matikfehler und argumentieren sprunghaft und fachlich
sind jedoch unabhängig vom Grad des Migrationsstatus'
falsch. Was passiert eigentlich in dieser Sprechsituation?
und kommen bei muttersprachig deutschen Lernern
gleichermaßen vor. Die Lerner müssen ihr Denken verbalisieren und dabei
ein fachliches Problem lösen. Sie müssen sich gedanklich
Die Sprachprobleme des Fachunterrichts zeigen sich etwas Neues erarbeiten und gleichzeitig anderen mit-
besonders beim Verbalisieren typischer fachlicher teilen. In einer solchen Situation kann kein korrektes
Sachverhalte (sogenannte Standardsituationen des Sprechen erwartet werden, denn Denken und Sprechen
Fachunterrichts, vgl. S. 106 ff.). Sie zeigen sie sich finden in verschiedenen Gehirnregionen m it unter­
zudem immer dann, wenn Lerner angestrengt nach- schiedlichen Geschwindigkeiten statt. Insbesondere
denken und gleichzeitig sprechen sollen (vgl. S. 27): sprachschwache Lerner sind vom Zusammentreffen
fachlicher und sprachlicher Komplexität überfordert.
Beispiel 1:
Sprachnot ist bei intensiven Denkvorgängen unver­
Lernern, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, meidbar; Lehrkräfte sollten deshalb
w ird folgende unbekannte und fachlich schwierige
Aufgabe vorgelegt: - dem Lerner Zeit geben, damit er zuerst denken und
dann sprechen kann;
Eine Kamera steht 1 M eter vor einem Spiegel. Sie
- sprachliche Fehler akzeptieren, ohne sie sofort zu ver­
soll von sich selbst ein scharfes Bild machen. Wel­
bessern;
che Entfernung musst du einstellen?
- Hilfen durch nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten an­
bieten, z.B. indem der Lerner es zeigen oder vorma­
chen kann;
- den Lerner spüren lassen, dass seine Aussagen w ert­
geschätzt werden;
- den Lerner in Ruhe zu Ende sprechen lassen;
- den Lerner ermutigen, sich frei zu äußern, auch wenn
das am Anfang noch nicht so gut funktioniert.

Diese Empfehlungen gelten nicht nur für den sprach­


sensiblen Fachunterricht, sondern für Unterricht gene­
rell. Denn ein sensibler Umgang mit dem Lerner hat
Daniel: „Ich glaube, dass 2 M eter sind, ... w eil immerauch unmittelbaren, positiven Einfluss auf seine
die Kamera muss da gucken (zeigt a u f Motivation.
den Spiegel) und ... und hier (zeigt a uf
die Strecke zwischen Kamera und Spiegel) Beispiel 2:
ist 1 M e te r und ... (zeigt zurück) ... Der Lehrer legt den Schülern zum Thema „ Wär­
reflektiert. "
meausdehnung von Körpern" das Foto einer a u f
Ignacio: „1 Meter. Ich denke, dass v ie lle ic h t... äh Rollen gelagerten Brücke vor. Die Schüler sollen
... ist egal, dass wo ... der ... Größe der das Phänomen erklären.
Kamera ist egal wo der Spiegel ist. "
M ario: „ Unter der Brücke gib t e s... äh ... g ib t es
Maria: „ 3 M eter vielleicht? ... Ich denke, dass
eine ... wie sagt man auf deutsch ... ein
w ir nicht können scharf,. .. scharfer, wenn runde Sache "
sie sehr ... cerca ... (sucht das deutsche
Lehrer: „ eine Rolle "
Wort. Lehrer h ilft m it ,nahe' ) ... nahe
M ario: „Eine Rolle, das ist wie ein Radd, wenn
von der Spiegel ist. "
die Brücke langger w ird im Sommer und
Juan: „1 M ete r 50 ... Die Kamera muss hier
kurzer w ird im Winter, dann sie geht nicht
(zeigt a u f den Spiegel), aber wenn sie kaputt. "
zurück (macht Fingerbewegung zur Wör­
Lehrer: „Ja, die Brücke, ... ü lie g t a u f Rollen,
tersuche) ... äh ... äh ... dann (stockt und
dam it sie sich ausdehnen kann. "
sucht nach Wörtern) das Bild ist (sucht
nach W örtern) ist (sucht) unscharf ... Bewertung und Optimierungsempfehlung:
(denkt) ist so ... ist nicht so genau wie Die in diesem Beispiel zutage tretenden Sprachprobleme
das Kamera." haben folgende Gründe:
Einführung

- dem Lerner fehlen (Fach-)Begriffe und fachtypische W ie gehen Sprachlernende


Sprachstrukturen; mit Sprachproblemen um?
- die Fachsprache verwendet seltene und ungeübte Für nicht muttersprachig deutsche Lerner ist Deutsch
Sprachstrukturen (z.B. Passivkonstruktionen, trenn­ eine Fremdsprache. Fremdsprachenlernen ist aber
bare oder reflexive Verben m it entsprechenden Prä­ anstrengend und erfordert viel Kraft - nicht zuletzt
positionen); wegen der misslichen Fehler, die die Sprachanwendung
- fachtypische logische Verknüpfungen ziehen umfang­ begleiten. Um solche Anstrengung und Fehler zu ver­
reiche Haupt-Nebensatz-Konstruktionen nach sich. meiden, wenden Sprachlernende Vermeidungs- oder
Ausweichstrategien an. Das können Reduktionsstrate­
Wie aber sollen Lehrkräfte m it diesen Problemen ange­
gien oder Kompensationsstrategien sein.
messen umgehen?
Bei der Reduktionsstrategie reduziert der Sprecher oder
Der Umgang mit Sprach­ Schreiber inhaltlich oder formal. Er spricht z.B. nur über
das Thema und will nur sein Kommunikationsziel errei­
problemen bei Lernern
chen. Oder er greift nur auf bekannte Sprachstrukturen
mit Zuwanderungsgeschichte zurück, bildet nur einfache Sätze und benutzt einen
Aus der täglichen Unterrichtsarbeit m it sprachschwa­ eingeschränkten Wortschatz. Er vereinfacht seine Äuße­
chen Lernern im Fachunterricht sind Fachlehrkräften rungsabsicht, wandelt sie ab oder gibt sie sogar ganz
die nachfolgenden Sprachprobleme bestens bekannt. auf. Reduktionsstrategien sind folglich nicht lernför-
Die Lerner dernd, weil viele Fehler verdeckt bleiben.
- vermischen Alltags- und Fachsprache; Bei der Kompensationsstrategie versucht der Sprechen­
- suchen nach (Fach-)Begriffen; de oder Schreibende, das kommunikative Ziel aufrecht­
- verfügen über einen begrenzten (Fach-)Wortschatz; zuerhalten - z.B., indem er auf seine Muttersprache
oder auf andere Fremdsprachen zurückgreift, Gestik
- geben einsilbige Antw orten und vermeiden ganze
und M im ik hinzuzieht und Sprachfehler durch Verein­
Sätze;
fachungen (Weglassen des Artikels, nicht flektierte oder
- sprechen unstrukturiert, holprig, unpräzise und kön­ nicht konjugierte Formen) billigend in Kauf nimmt.
nen ihre Sätze nicht zu Ende führen; Kompensationsstrategien erhalten somit die Kommu­
i
- verwenden fachliche Sprachstrukturen nicht korrekt; nikation aufrecht, sind jedoch nur bedingt lernfördernd.
- sprechen und hören lehrerzentriert; Gute Lerner hingegen wenden Erweiterungsstrategien
- wenden Vermeidungs- oder Ausweichstrategien an; an. Diese dienen der Erweiterung der Kommunikation
und des aktiven Sprachbestandes, z.B. durch das Befra­
- vermeiden zusammenhängendes und diskursives
Sprechen; gen einer „A u to ritä t" (Gesprächspartner, Lehrer, W ör­
terbuch etc.), durch Umschreibungen (Paraphrasierun­
- haben große Schwierigkeiten m it dem Lesen von
gen), eigene W ort- und Regelbildungen, durch Transfer
Fachtexten.
aus der Muttersprache oder aus einer anderen Fremd­
Derartige Sprachprobleme beeinträchtigen fast alle sprache. Diese Lerner beobachten und generieren Spra­
Lerner im Fachunterricht - ganz unabhängig davon, che und erproben sie in sich bietenden Situationen.
ob sie einen Migrationshintergrund haben oder nicht.
Denn jede Fachsprache hat ihr spezifisches Vokabular; W ie gehen Lehrkräfte angemessen
zudem werden viele der dort vorgestellten Verfahren mit Sprachproblemen von Lernern
und Prozesse sprachlich sehr komplex ausgedrückt. mit Zuwanderungsgeschichte um?

Es war somit noch nie besonders einfach, Sprache im Ein sprachsensibier Fachunterricht erm utigt Lernende
Fachunterricht richtig zu benutzen. Deshalb tun sich zur Nutzung von Erweiterungsstrategien und akzeptiert
viele Lerner seit jeher m it der Fachsprache schwer. vorübergehend Reduktions- und Kompensationsstra­
tegien, wenn sie dem Sprachlernen im Einzelfall dienen.
Bei Lernern, die eine Sprachförderung benötigen, weist
Dazu ist sinnvoll, an passender Stelle die Strategien
allerdings der Ausprägungsgrad der Sprachschwierig-
bewusst zu machen und darüber zu reflektieren.
keiten neue Züge auf. Denn fü r Lerner m it M igrations­
hintergrund ist Deutsch nicht die Muttersprache, son­ Ein sprachsensibier Fachunterricht lässt Fehler zu; denn
dern die Zweitsprache - in der sie jedoch meist nicht Menschen lernen auch durch Fehler. „Fast alles, was
über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, um über­ er geworden ist, fast alles, was er erworben hat, ver­
haupt erfolgreich am Fachunterricht teilnehmen zu kön­ dankt der Mensch der Irrtumsfähigkeit, dem Prinzip
nen. Die sogenannte Halbsprachigkeit dieser Lerner von Versuch und Irrtum. " (Guggenberger, 1987; er setzt
und die dadurch resultierende unzureichende Sprach­ sich folgerichtig auch für ein „Menschenrecht auf Irr­
kompetenz im Deutschen bringen die Fachlehrkräfte tu m " ein,). Und Popper hat den Versuch-Irrtums-Prozess
im Fachunterricht häufig an ihre Grenzen. auf die griffige Formel gebracht: „ Wir irren uns empor. "

Teil A 27
Einführung

Das aber bedeutet: Lehrkräfte dürfen Lernern nicht sind; das aber heißt: die kognitiven, sprachlichen
nur zeigen, was sie falsch machen, sondern müssen und entwicklungspsychologischen Voraussetzungen.
ihnen vor allem zeigen, welche Stärken und Fähigkei­
Für den Umgang mit Sprachproblemen beim Schreiben
ten sie haben. Andernfalls werden sich Lerner ange­
gilt: Im Bereich der Schriftlichkeit ist sprachliche Rich­
wöhnen, ihre Fehler zu verstecken, imm er nur auf
tigkeit von größerer W ichtigkeit. Sprachfehler können
Bekanntes und Gewusstes zurückzugreifen, neue Erfah­
deshalb nicht in gleichem Maße hingenommen werden
rungen zu meiden und nicht m it Sprache zu experi­
wie im Bereich der M ündlichkeit (zur Abgrenzung z w i­
mentieren. Ein sprachsensibier Fachunterricht verfolgt
schen M ündlichkeit und Schriftlichkeit vgl. S. 54 f.).
das Konzept einer ressourcenorientierten Beurteilung
und Förderung (vgl. Hägi, Müller, Ziebell, 2007). Generell neigen insbesondere sprachschwache Lerner
dazu, bei der Sprachproduktion zu fachlich schwierigen
Die Sprachprobleme von Lernern m it Zuwanderungs­
Aufgaben sprachliche Probleme zu umgehen, indem
geschichte beziehen sich auf folgende Teilaspekte:
sie einfache Strukturen und ein reduziertes Vokabular
a) sprachliche Richtigkeit (Grammatik, Rechtschreibung verwenden (vgl. S. 27); dies gilt für das Sprechen und
...), z.B. falsche oder fehlende Artikel, falscher Plural, Schreiben. Wenn sie sich hingegen der sprachlichen
falscher Fall, fehlende oder falsche Modalverben ...; Komplexität stellen, verzichten sie meist auf die sprach­
b) sprachliche Komplexität (Wortschatz, Ausdrucksver­ liche Richtigkeit. Sprachliche Richtigkeit sollte deshalb
mögen, D ifferenziertheit...), z.B. Verständnisproble­ nur bei einfachen Sachverhalten gefordert werden.
me komplexer Texte und Hörtexte, fehlender W o rt­
b) Sprachliche Komplexität
schatz, undifferenzierte Ausdrucksweise ...;
Sprachliche Komplexität kann in der Sache selbst lie­
c) Sprachfluss (Sprechgeschwindigkeit, Aussprache,
gen - so etwa, wenn sich fachliche Kom plexität in
Ausdruck, Intonation ...), z.B. abgehacktes Sprechen
sprachlicher Komplexität widerspiegelt. Im Bereich der
und Lesen, Aussprachefehler, A usdrucksnot...;
Bildungssprache, die wesentliche Merkmale der Schrift­
d) Sprachwissen (Aufbau von Sprache, Funktionalität, lichkeit aufweist und für den Fachunterricht typisch ist,
Textsortenwissen, grammatisches Wissen ...); ist sprachliche Komplexität jedoch nur dann notwendig,
e) kulturelles Wissen und Weltwissen (Redewendun­ wenn es der inhaltlichen Differenzierung dient. Inhaltlich
gen, Sprichwörter, Normen, Traditionen ...). einfache Sachverhalte sollten deshalb nicht unnötig
durch sprachliche Komplexität aufgebläht werden.
Die Sprachprobleme, die sich aus diesen einzelnen
Aspekten ergeben, beeinträchtigen Lerner in allen Es kann jedoch durchaus ein didaktisches Ziel sein, die
kommunikativen Kompetenzbereichen der Bildungs­ sprachliche Komplexität im Fachunterricht zu steigern.
sprache. Sie treten also nicht nur beim Sprechen im Dann sollten Lerner dazu angehalten werden, sprachlich
(Fach-)Unterricht auf, sondern auch beim Lesen (Lese­ schwierigere Sprachstrukturen oder alternative Aus­
strategien, Leseverstehen, Lesefluss ...) und Schreiben drucksformen zu verwenden. Allerdings sollte dies im ­
(Schreibstrategien, Adressatenbezug, Schreibabsicht, mer so erfolgen, dass die Lerner ihr sprachliches Kön­
Kenntnis von Textsorten, Gliederungen ...). nensbewusstsein stärken können; die Lehrkraft sollte
deshalb - beispielsweise durch Einsatz passender M e­
Da jeder der genannten Kompetenzbereiche einen eige­
thoden-Werkzeuge - Sprachstrukturen anbieten, deren
nen Umgang m it „seinen" Sprachproblemen erfordert,
Nutzung lohnt und positiv bewertet wird.
werden die spezifischen Besonderheiten beim Lesen
und Schreiben in gesonderten Kapiteln (B, C) behandelt. Ist dies nicht der Fall, stellt eine gleichzeitig auftretende
hohe fachliche und hohe sprachliche Komplexität ins­
a) Sprachliche Richtigkeit besondere fü r sprachschwache Lerner eine Überforde­
Beim Umgang mit sprachlichen Fehlern beim Sprechen rung dar, die diese durch Umgehen von einer der beiden
sollten Fachlehrkräfte grundsätzlich und vorrangig Schwierigkeiten zu lösen versuchen. Denn Sprachpro-
darauf achten, sprachliche Erfolge zu garantieren und zesse und Problemlösungsprozesse finden in verschie­
sprachliche Misserfolge zu vermeiden. Dabei gelten denen Gehirnregionen statt und können somit selbst
folgende Besonderheiten: bei sprachstarken Lernern nur bedingt gleichzeitig erfol­
gen (Details s. S. 56 ff.). Die Lehrkraft muss sich deshalb
1. Sprachliche Richtigkeit ist ein andauernder Prozess, entscheiden, ob die sprachliche oder die fachliche A u f­
der durch anregungsreiche Sprachumgebungen und gabenstellung Vorrang haben soll.
sensible Fehlerkorrektur, z.B. durch Überformungen,
gefördert wird. Die Fehlerforschung mahnt zu einem Zudem lehrt uns die kognitive Spracherwerbsforschung,
„aufgeklärten Umgang m it Fehlern". Etliche Fehler­ dass Lernende bei schwierigen fachlichen Aufgaben
neue sprachliche Strukturen nicht bemerken und somit
arten wachsen sich m it der Zeit von selbst aus; aller­
auch nicht erwerben. Das fachliche Verstehen hat aber
dings können Fehlerauch „fossilieren".
Vorrang; Maßnahmen zur Steigerung der sprachlichen
2. Sprachstrukturen werden nur dann erworben, wenn
Komplexität sollten deshalb erst dann erfolgen, wenn
die erwerbsmäßigen Voraussetzungen dafür gegeben das fachliche Verständnis gesichert erscheint.

Teil A
Ein füh run g

Im Fachunterricht wird sprachliche Richtigkeit durch


M ethoden und Aufgaben gefördert, die stark struktu­ Sprachförderung
riert sind und zum strukturierten Bearbeiten herausfor­
dern. Sprachhilfen (z.B. Methoden-Werkzeuge) unter­
durch sprachsensiblen
stützen diese Bemühungen. M it zunehmender Sicher­ Fachunterricht
heit sollten diese Sprachhilfen aber gelockert werden.

c) Sprachfluss Zur Didaktik und Methodik


Im (eher kommunikativen) Fremdsprachenunterricht
der Spracharbeit im
wird häufig der Sprachfluss gegenüber der sprachlichen sprachsensiblen Fachunterricht
Richtigkeit betont. Im Fachunterricht hingegen sollte f o kus
Im sprachsensiblen Fachunterricht liegt d e r
der Schwerpunkt auf der inhaltlichen Richtigkeit liegen; darauf, gezielt und geplant die sprachliche Hand l^n§S’
der Sprachfluss ist somit nachrangig. Die didaktische fähigkeit der Lerner im jeweiligen Fach zu 0 rder"'
Begründung lautet, dass inhaltlich anspruchsvolle und Das bedeutet, dass sich die Lehrkraft auch um SPraC '
komplexe Aufgaben die kognitiven Ressourcen derart arbeit und Sprachentwicklung kümmern muss-
binden, dass Sprachfluss und Sprachrichtigkeit nicht
Sie wird also zunächst versuchen, die Inhalte des Fach®s
gleichermaßen in hoher Qualität erwartet werden dür­
verständlich zu machen, muss sich aber ander'erse' s
fen. Anders formuliert: Im allgemeinsprachlichen Bereich
darum bemühen, zugleich eine Verbesserung d ^
ist der Sprachfluss für eine gelingende Kommunikation
gemeinen und fach-)sprachlichen Kommunikatio n im
wichtig; dabei können Nachlässigkeiten in der sprach­
jeweiligen Fach zu bewirken.
lichen Richtigkeit in Kauf genommen werden.
Eine solche Spracharbeit ist allerdings nur dann '
Im Bereich der Schriftlichkeit hingegen ist der Sprach­
wenn sie auf die jeweilige Kom munikationssitL ja '° n
fluss nicht zwingend, außer in fachlichen Kommunika­
abgestimmt ist und diese wirkungsvoll u n te rs tü t^ '
tionssituationen, die auf die Präsentation hin ausge­
richtet sind. Soll also der Sprachfluss im Bereich der Viele Lehrkräfte wissen auch ohne umfangreiche
Schriftlichkeit gefördert werden, dann sollte man sich tische Analysen o ft schon intuitiv oder aufgrur1^ 1 ^
ausschließlich ihm widmen und auf reproduzierende, Ausbildung und Erfahrung um die fach- und s Pr d 's
wiederholende, übende Methoden zurückgreifen. An­ daktisch kritischen Stellen im Lernprozess. Gen^*^ ,
sonsten sollte die Lehrkraft die freie und flüssige Rede macht den didaktischen Kern des sprachsensible^
nur zu bekannten und vertrauten, also leichten Inhalten Unterrichts aus: Fachlernen und Sprachlernen b e ^ ' ^ T
und Themen fordern (hier eignen sich Methoden-Werk- sich gegenseitig und sind so eng miteinander v e f^ ^
zeuge, die zur zusammenhängenden Rede zwingen). dass das eine nicht ohne das andere auskommt-

d) und e) Sprachwissen und Weltwissen Dabei klärt die didaktische Seite des sprachsef1^ ^
Fachunterrichts folgende Fragen:
Reines Sprachwissen (wie zum Beispiel Aufbau von
Sprache, Funktionalität, Textsorten wissen, grammati­ - Welche fachlich zwingenden K om m unikation$5'tUa
sches Wissen ...) zu fördern, ist nicht originäre Aufgabe tionen treten im Lernprozess auf?
des Fachunterrichts. Fachlehrkräfte sind hierfür in der - M it welchen Verstehens- und m it welchen S P r a ^._
Regel nicht ausgebildet. Problemen ist zu rechnen? Inwiefern b ed in ge 1^1 h
stehens- und Sprachprobleme einander und srJ& C &
Kulturelles Wissen und Weltwissen (Redewendungen,
Folgen hat das?
Sprichwörter, Normen, Traditionen ...) unterliegen heute
- Welche Probleme haben sprachschwache L i ß f im
rasanter Veränderung. Die Schule hat nicht nur die A uf­
gabe, Traditionslinien nachzuzeichnen, sondern auch, Fachunterricht? Und welche spezifischen s p ra c h '*"
diese an neue Kultur- und Lebensformen anzupassen. und/oder sprachlich bedingten fachlichen Profc?|em e
Das „andere" Weltwissen, das Lerner m it Migrations­ haben Lerner m it Zuwanderungsgeschichte?
hintergrund mitbringen, sollte deshalb als Ressource Die methodische Seite des sprachsensiblen Fach<-jr l t e r "
entdeckt und für den Unterricht genutzt werden. richts hingegen klärt folgende Fragen:
Viele dieser Sprachprobleme stellen eigentlich keine - M it welchen Methoden und M e th o d e n - W e r k Z ^ ^ 6"
spezifischen Probleme von Zweitsprachen lernern, son­ kann ich Lerner dabei unterstützen, fachlich L j° er
dern generelle Probleme beim Erlernen der Bildungs­ lässliche Kommunikationssituationen e r fo lg r e i^ ^
sprache dar. Insbesondere die Sprachprobleme mit der bewältigen?
Schriftlichkeit betreffen nicht nur Lerner mit Migrati­
- Welche Methoden der Spracharbeit bieten sich ^ ' e rfÜ ^
onshintergrund, sondern sind auch bei muttersprachig
an? Welche Methoden fördern und üben d ie
deutschen Lernern stark verbreitet. Die in diesem Werk
munikation und welche unterstützen S p r e c h a n ^ SS? ’
enthaltenen Anregungen und Beispiele zur Sprachför­ Und, im Gegenzug: Welche Methoden v e rb ie te ^ '
derung gelten ausdrücklich für beide Lernergruppen.
weil sie den didaktischen Zielen e n tg e g e n w irk ^ *,1
Teil A
29
Einführung

- Welche methodische Unterstützung und sprachlichen Geht es um die Wirksamkeit der beiden Unterrichts­
Hilfen benötigen sprachschwache Lerner und speziell konzepte, so bescheinigen diverse Studien dem sprach-
Lerner m it Zuwanderungsgeschichte? bezogenen Fachunterricht eine höhere W irksamkeit
gegenüberdem fachbezogenen Sprachunterricht:
Ohne sprachliche Hilfen können Lerner m it M igrati­
onshintergrund und sprachschwache muttersprachig - „In didaktischer Hinsicht kann davon ausgegangen
deutsche Lerner den Fachunterricht in der Regel nicht werden, dass ein Sprachunterricht, der sich a uf das
bewältigen. Dies steckt den methodischen Aufgaben­ Lernen von , Sprache an sich' beschränkt, weniger
bereich der Spracharbeit im sprachsensiblen Fachun­ erfolgreich sein w ird als ein Unterricht, der an­
terricht ab. spruchsvolle fachliche Anteile einbezieht und Sprach­
erwerb an die Auseinandersetzung m it Fachinhalten
Sprachschwache Lerner sind darauf angewiesen, dass
koppelt." (Bund-Länder-Kommission, 2003, S. 47)
der Unterricht ihnen „sprachliche Leitern" zur Verfü­
gung stellt, die ihnen helfen, die Hürden, die sich durch - „Eine didaktisch planvolle Verwendung von (Erst­
die im Fachunterricht geforderten Kommunikationssi­ und Zweit-)Sprache zum Zwecke des Lernens curri-
tuationen auftun, erfolgreich zu bewältigen - und die cularer Inhalte, d.h. die bewusste Entwicklung von
die Lerner „wegstoßen" können, wenn sie oben ange­ Sprache als M edium zum Erwerb von Kenntnissen
kommen sind. Sprachliche Leitern sind unvermeidbare und Fähigkeiten, ist Erfolg versprechender als bloße
Zugeständnisse der Lehrkraft an die Fremd- oder Z w e i­ Sprachkurse. " (Reich, Roth et al., 2002, S. 24)
sprachigkeit als Quelle unterrichtlicher Sprachprobleme. - „ Der Zusammenhang von Sprachförderung und Fach­
leistungen w ird in einigen Studien deutlich belegt.
Was sich dem Lerner als sprachliche Leiter zeigt, ist für
Dabei g ilt als stärkster Prädiktor für einen erfolgrei­
den Lehrer eine Lehrtechnik. Hier bieten sich für die
chen Abschluss der Schullaufbahn der mehrjährige
Umsetzung sogenannte Methoden-Werkzeuge an (vgl.
fachbezogene Unterricht im Medium der Erstsprache.
S. 90 ff. und Teil C).
Von besonderer Bedeutung ist die Hinführung zur
Die M ethodik der Spracharbeit hat zum Ziel, diese Lei­ ko gn itiv anspruchsvollen Bildungssprache von
tern so schnell wie möglich überflüssig zu machen. Anfang an und durch die gesamte Schulzeit h in ­
durch. “ (Bund-Länder-Kommission 2003, S. 46)
Sprachbezogener Fachunterricht oder
Das vorliegende Handbuch befürwortet das Konzept
fachbezogener Sprachunterricht?
des sprachbezogenen Fachunterrichts und erweitert es
Sprachförderung als Aufgabe aller Fächer stellt die zum Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts. Dies
Grundfrage nach der Verbindung von sprachlichem und wird m it Forschungsergebnissen sowie m it der fa kti­
fachlichem Lernen. In welchem Verhältnis stehen schen Situation begründet, dass es um die Belange des
sprachliches und fachliches Lernen zueinander und was fachlichen Lernens im Fachunterricht geht.
sagt die Lern- und Spracherwerbsforschung? Wird also
Damit sind etliche Fragen zu klären, die die Verbindung
Sprache effektiver erworben, wenn sie zu bestimmten
von sprachlichem und fachlichem Lernen betreffen:
inhaltlichen Zwecken und nicht nur als solche gelernt
wird? Anders formuliert: Fachbezogener Sprachunter­ - Wie kann der Fachunterricht durch eine bewusste
richt oder sprachbezogener Fach unterricht? Gestaltung des Bezugs von sprachlichem und fachli­
chem Lernen verbessert werden?
Betrachtet man das grundsätzliche Verhältnis zwischen
sprachlichem und fachlichem Lernen, so gibt es zwei - Lassen sich bessere Lernergebnisse erzielen, wenn
- vom Ansatz her sehr unterschiedliche - Positionen: die Herkunftssprache als Medium des Fachunterrichts
eingesetzt wird?
- Sprachbezogener Fachunterricht. Um den Zugang zu
fachlichen Lernzielen nicht durch (vermeidbare) - Kann der Unterricht der Zweitsprache Deutsch ver­
sprachliche Schwierigkeiten zu verstellen, wird Spra­ bessert werden, wenn er in stärkerem Maße fachliche
che als Medium bewusst in das fachliche Lernen inte­ Ziele m it einbezieht?
griert. Dies erfolgt passend und sprachsensibel. Der - Kann der sprachsensible Fachunterricht ganz oder
Fachunterricht wird dabei als sprachbezogener Fach­ teilweise durch einen Sprachunterricht (DaZ-Unter-
unterricht (language related content learning) auf­ richt) ersetzt werden?
gefasst. Der Unterricht muss dann von der Fachlehr­
Die letzte Frage muss m it einem klaren Nein beant­
kraft erteilt werden.
w ortet werden. Denn Sprachunterricht und sprachsen­
- Fachbezogener Sprachunterricht: Beim Konzept des sibier Fachunterricht verfolgen jeweils unterschiedliche
„content based language learning" werden die fach­ Ziele: Im Unterricht der Zweitsprache Deutsch geht es
lichen Ziele gewissermaßen fü r die Ziele des Sprach­ nicht ausschließlich um fachliche Kommunikation, son­
unterrichts instrumentalisiert. Der Unterricht wird als dern um Alltagskom m unikation, Landeskunde, die
fachbezogener Sprachunterricht aufgefasst. Der sprachliche Bewältigung von Lebenssituationen, Sprach­
Unterricht wird dann von der SprachIehrkraft erteilt. wissen und den Aufbau einer Sprachbewusstheit.

30 Teil A
Einführung

Warum dann überhaupt zweitsprachiger Fachunter­ zugleich ihre sprachlichen Leistungen sowie die Unter­
richt? Ist Lehren und Lernen im Fach nicht schon in der richtswirklichkeit in Deutsch und Englisch untersucht.
Muttersprache schwer genug? In der Zweitsprache wird
Die DESI-Studie verglich systematisch die Kompetenzen
das Ganze dann doch nur noch schwerer, noch anstren­
und Leistungszuwächse in drei Lernergruppen:
gender, noch mühsamer, noch zeitintensiver, noch auf­
- Jugendliche m it der Muttersprache Deutsch;
wändiger ...
- Jugendliche m it nicht-deutscher Erstsprache]
Zweitsprachiger Unterricht - hier im Sinne des bilin­
- mehrsprachig aufgewachsene Jugendliche.
gualen Unterrichts - schafft Probleme, die w ir ohne
ihn nicht hätten. Und dennoch müssen w ir zweitspra­ Erwartungsgemäß wiesen Jugendliche m it nicht-deut­
chig unterrichten, wenn man Fachunterricht nicht aus­ scher Erstsprache im Fach Deutsch einen Leistungsrück­
schließlich in der Herkunftssprache erteilen will - was stand gegenüber Jugendlichen auf, in deren Elternhaus
allein schon im Hinblick auf die geforderte „berufliche deutsch gesprochen wurde. Die Gruppe der mehrspra­
Anschlussfähigkeit" des Fachunterrichts weder sinnvoll chig aufgewachsenen Jugendlichen - in deren Eltern­
noch aufgrund der Vielzahl der Herkunftssprachen über­ haus also Deutsch zusammen mit einer anderen Sprache
haupt möglich wäre. gebraucht wurde - lag dagegen w eit weniger zurück.

Dem zweitsprachigen Fachunterricht wird zudem ein Unter Berücksichtigung der sonstigen Lernvorausset-
M ehrw ert zugesprochen: zungen der Lerner (Bildungsgang, sozioökonomischer
Hintergrund, kognitive Grundfähigkeit und Geschlecht),
- Funktionale Fremdsprachigkeit: Die Zw eit- bzw.
konnte fü r das Rechtschreiben nicht mehr von einem
Fremdsprache wird nicht um ihrer selbst willen
Leistungsrückstand der Jugendlichen m it nicht-deut­
gelernt, sondern hat eine Funktion.
scher Erstsprache gesprochen werden. Die mehrsprachig
- Kognitive Fremdsprachigkeit: Die Verbindung von aufgewachsenen Lerner waren sogar fü r orthographi­
kognitiven und sprachlichen Tätigkeiten fördert die sche Phänomene besonders sensibilisiert. Dramatisch
schulbezogenen kognitiven Sprachkenntnisse. war der Kompetenzrückstand hingegen beim W ort­
- Mitteilungsbezogene, echte Kom m unikation: Der schatz (vgl. Klieme 2006, S. 4).
Fachunterricht schafft authentische Kommunikations­
„(...) Der Kompetenzzuwachs innerhalb der neunten
situationen in der Zweit- bzw. Fremdsprache.
Jahrgangsstufe ist jedoch für die drei Sprachgruppen
- Handlungsbegleitendes Sprechen: Die Sachverhalte gleich hoch. Sprachbiografisch bedingte Unterschiede
können handlungsorientiert und in verschiedenen verstärken sich also erfreulicher Weise im Verlauf des
Darstellungsformen behandelt werden; zudem wer­ Schuljahres nicht. " (Klieme etal., 2006, S. 23).
den die Lerner angeregt, Handlungen situativ zu ver­
Zugleich kam die DESI-Studie zu interessanten Erkennt­
balisieren.
nissen in Bezug auf die - ursprünglich von der For­
- Vergrößertes Sprachbad: Dabei kann eine kritische
schung uneinheitlich beantwortete - Frage, ob sich
Menge an Sprach kontakten überschritten werden
bilingualer Unterricht positiv auf die Zweitsprachen-
(Schwellenhypothese; vgl. S. 65).
kompetenz und die Schulleistungen auswirkt. Hier
Alle Untersuchungen zeigen, dass Fortschritte im konnte die Studie - bezogen auf die Englischleistun­
Bereich des kognitiven Gedächtnisses (CALP-Bereich) gen - in einer länderübergreifenden repräsentativen
nur über einen anspruchsvollen, dem Lern- und Sprach- Stichprobe bei bilingualen Klassen in allen Bereichen
stand der Lerner angepassten Unterricht erreicht wer­ einen deutlichen Kompetenzvorsprung vor vergleich­
den können. Das setzt voraus, dass diesem Unterricht baren Klassen ohne bilingualen Unterricht nachweisen.
Inhalte zugrunde liegen, die auf der Basis guter All- Die DESI-Studie hat somit das Erfolgsmodell des bilin­
tagssprachfähigkeiten (BICS-Fähigkeiten) vermittelbar gualen Sachfachunterrichts bestätigt.
sind, vgl. S. 59 ff. und 63 f.
Auch wenn sich die Ergebnisse der Studie sicher nicht
Die Korrelation zwischen gemessenen Schriftsprachfer­ ohne Weiteres auf das Erlernen der deutschen Sprache
tigkeiten und nonverbalen Intelligenztests belegt, dass übertragen lassen, so legen sie doch zumindest eine
der Fachunterricht gerade zum Spracherwerb fü r Bil­ besondere W irkung des Sachfachunterrichts in deut­
dungszwecke unverzichtbar ist, wenn dieser in Form scher Sprache auf das Erlernen der Zweitsprache
eines Fachunterrichts erteilt wird, der sprachsensibel Deutsch nahe (vgl. dazu auch S. 63, 65 f.).
m it dem Zusammenspiel von sprachlichem und fach­
In jedem Fall aber schärft die Konfrontation m it den
lichem Lernen umgeht. Problemen der Sprache im Fachunterricht den Blick der
Dies belegt auch die sogenannte D£5/-Studie (Deutsch- Fachlehrkraft für die Bedeutung der sprachlichen Belan­
Englisch-Schülerleistungen-International). Sie hat etwa ge „ihres" Fachs. Sie wird dann schnell die Erfahrung
11.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Jahr­ machen, dass Lerner, die eine Sprachförderung benöti­
gangsstufe aller Schularten zu Beginn und am Ende des gen, auf Hilfen zu Sprache im Fachunterricht wie ein
Schuljahres 2003/04 befragt und getestet und dabei besonders sensibles Lackmuspapier reagieren.

Teil A 31
Einführung

Im sprachsensiblen Fachunterricht ist das Fach lernen


tonangebend, vgl. S. 6; die fachlichen Themen, Inhalte,
Lerngegenstände und Kompetenzen bestimmen somit
den Unterricht. Dabei hat der sprachsensible Fachun­
terricht gleichermaßen und gleichzeitig die fachliche,
sprachliche und kommunikative Kompetenzentwicklung
der Lerner im Blick.

Kompetenzentwicklung umfasst aber nicht nur die Ver­


m ittlung von Strategien und Hintergrundwissen zum
Lesen und Schreiben von Sachtexten (siehe dazu Teil
B). Denn Kompetenz wird auch durch handelnden Voll­
zug erworben (vgl. S. 69). Deshalb w idm et sich der
sprachsensible Fachunterricht zugleich den entspre­
chenden Sprach- und Schreibübungen (siehe Teil C).

Sprachvereinfachung -
eine methodische Lösung?
Ein o ft empfohlenes und praktiziertes methodisches
Element der Spracharbeit ist, Sprache fü r sprachschwa­
che Lerner und speziell fü r Lerner m it Migrationshin­
tergrund zu vereinfachen.

Sprachvereinfachung kann eingesetzt werden:


- in der Lehrersprache (vgl. S. 12/Gesprächsführung)-,
- beim Medieneinsatz (z.B. bei Arbeitsblättern) und im .
Rahmen der Aufgabenstellungen);
- bei Fachtexten.

Folgende Elemente machen Sprachvereinfachung aus:


- die Verwendung kurzer Sätze, die nur wenige Aus­
sageelemente enthalten;
- die Verdeutlichung von Sprache an Beispielen und

Kompetenzvorsprung
bei Klassen mit bilingualem Unterricht

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Klassen m it bilingualem Unterricht Vergleichsgruppe
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§ 560- T T
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M ittle re Englisch-Kompetenzen zum Ende des neunten Schuljahres in Klassen m it bilingualem U n te rricht und in einer h in ­
sichtlich Deutsch (Gesamtleistung, Bildungsgang , sozioökonomischem Status, kog nitiven G rundfertigkeiten , Erstsprache
u nd Geschlecht) parallelen Vergleichsgruppe; aus: N o ld et al., 2008, S. 455

Teil A
32
Einführung

an konkreten Gegenständen (was sich in den Sach-


fächern, die zumeist „Vorzeigbares" aufweisen, in
der Regel leicht umsetzen lässt);
1. Sprächvereinfachung ist ein sinnvolles methodi-
- der Verzicht auf v sqhes Element in didaktisch begründbaren Situa­
• Nominalisierungen (z.B. „Legt man ... an" statt tionen. Sie .sollte aber- „nicht .isoliert und nicht
„Das Anlegen der Spannung an einem ..."), durchgängig eingesetzt werden, sondern in ein
Gesämtkonzept zur Sprachförderung im Fach ein­
• M ehrfachkom posita (z.B. „Gesetz zur Überwa­
gebunden sein.
chung der Etikettierung von Rindfleisch" statt
„Rindfleischetikettierungsüberwachungsgesetz"), 2. Sprachvereinfächung ist auch ein methodisches
/ Element des sprachsensiblen Fachunterrichts. Ihr
• verkürzte Nebensätze (z.B. „W enn man ... neben­
einander stellt" statt „beim Nebeneinanderstellen
Lerner
von ..."), tatsächlich hilfreich ist. Nachhaltig /irksamer is t
• attributive Partizipien (z.B. „Menschen, die zu- • es, m it Hilfe der M ethodik „sprachliche Leitern"
schauen“ statt „zuschauende Menschen") sowie - zu konstruieren, m it denen Lerner die 1Hürden,
• unübliche Ausdrücke überall dort, wo sie vermieden ;' die in Kommünikationssituatiohen im Fach äüf-
treten, erfolgreich selbst bewältigen können.
werden können;
- die Nutzung rhetorischer M ittel (z.B. rhetorische Zwi­
schenfragen, passende Intonation, unterstützende
Gestik, verlangsamtes Sprechen). Darstellungsformen im
Leider aber gibt es „d ie " Sprachvereinfachung an sich sprachsensiblen Fachunterricht
nicht. Denn soll eine Vereinfachung den gewünschten Jedes Fach hat spezifische Formen entw ickelt, um
Effekt bewirken, muss sie sich immer auf den konkreten „seine" Sachverhalte darzustellen. So verwendet bei­
Sprachstand einer bestimmten Lernergruppe beziehen. spielsweise das Fach Erdkunde Bilder, Schnittzeichnun­
Insofern ergeben sich Ansatzpunkte zum sprachsensi­ gen, topografische Karten, Klimakarten, Profilschnitte,
blen Fachunterricht; dieser jedoch bietet Lernern deut­ Klimadiagramme, Tabellen, Grafen, synoptische Dar­
lich umfangreichere und grundlegendere Hilfen, da er stellungen, Strukturdiagramme usw. Im Fach Biologie
immer auf fachliche Kommunikation ausgerichtet ist. dagegen sind es Naturobjekte, Präparate, Bilder, Zeich­
Der sprachsensible Fachunterricht nungen, Schnittskizzen, Funktionsmodelle, Strukturdia­
gramme, Flussdiagramme, Listen, Sachtexte, chemische
- verwendet in jeder Lernsituation die jeweils passende
Formeln, mathematische Gleichungen usw.
Sprache;
Wie die auf den Seiten 34 f. aufgeführten Beispiele
- unterstützt das fachliche Verstehen durch eine Vielfalt
zeigen, sind einige Darstellungsformen sehr konkret
von Darstellungsformen;
und anschaulich, andere hingegen sehr abstrakt. Die
- festigt, übt und trainiert fachtypische Sprachstruktu­
unterschiedlichen Darstellungsformen liegen somit auf
ren; Ebenen unterschiedlicher Abstraktion. Dabei sind ab­
- e rm utigt und unterstützt den Lernenden durch strakte Darstellungen o ft - aber nicht immer und nicht
Sprechhilfen beim strukturierten und freien Sprechen; zwingend - schwieriger und unzugänglicher als kon­
- trainiert das Hörverstehen; krete Darstellungen.

- gibt beim Lesen von Texten Hilfen und übt das Lese­ Die unterschiedlichen Darstellungsformen erschließen
verstehen. sich jedem Lerner auf individuell unterschiedliche Weise.
Jede Darstellungsform hat dabei zugleich ihre fachlich
Das Ausrichten auf den Sprachstand der jeweiligen Ler­
begründeten spezifischen Vorzüge und Nachteile.
nergruppe ist insofern von Bedeutung, als Lerner, die
ein Übermaß an vereinfachter Sprache hören oder lesen, Darstellungsformen sind Mittel und Zweck zur Ver­
nachweislich in ihrem eigenem Sprachvermögen nur balisierungfachlicher Sachverhalte. Die hierdurch her­
mäßig gefördert werden. Zudem hat die Sprachverein­ beigeführte Kommunikation leistet einen ausgespro­
fachung in der Regel eine Verlängerung der Rede oder chen hohen Beitrag zur Sprachförderung. Es ist deshalb
des Textes zur Folge, da der Lerner ihm unbekannte didaktisch klugr sogar zwingend, die nachfolgend skiz­
oder nicht geläufige Begriffe m it anderen W orten zierte Methode „Wechsel der Darstellungsform" in
das Zentrum der Didaktik des sprachsensiblen Fach­
umschreibt. Sprachvereinfachung neigt deshalb zur Aus­
unterrichts zu stellen.
schweifung und zur sprachlichen Unschärfe, weshalb
sie - isoliert eingesetzt - dem Anliegen der Entwicklung Dadurch, dass Lerner einzelne Darstellungsformen in
einer Fachsprache m it all ihren Besonderheiten sogar eine andere übersetzen, eröffnen sich zusätzliche und
entgegenwirken kann. didaktisch fruchtbare Chancen. Denn was ein Lerner in

Teil A 33
Einführung

der einen Darstellungsform nicht versteht, erschließt Die unterschiedlichen Darstellungsformen gehören
sich ihm vielleicht in einer anderen Darstellungsform zum Begriffs- und Methodenrepertoire des jeweiligen
besser (oder überhaupt erst). Fachs; sie sind somit - wie die fachlichen Inhalte
Somit arbeiten die Darstellungsformen einander wech­ selbst - Gegenstand des Fachlernens. Lehrkräfte und
selseitig zu; häufig erweist sich sogar deren Wechsel Lerner müssen deshalb zwischen den verschiedenen
als didaktischer Schlüssel zum fachlichen Verstehen. Darstellungsformen wechseln und sie auch wechsel­
Zudem bietet jeder Wechsel einen Anlass zur fachlichen seitig ineinander überführen können.
Kommunikation, denn immer dann, wenn eine Dar­ Zugleich ist diese Methode von derart fundamentaler
stellungsform in eine andere überführt wird, eröffnen Bedeutung für die fachsprachliche Kommunikation, dass
sich Gelegenheiten zum Sprechen, Schreiben und Lesen. ihr der Rang eines übergeordneten Prinzips zukommt

Übersicht 1:
•- 7--
Wechsel der Darstellungsf:orm in verschiedenen
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Dar- Biologie Erdkunde Bildende Kunst
stellungs
ebene Kinematik Wachstum Corioliskraft Bildraum

Fahrtenschreiber Lichtgradient Planetarische Perspektivische


Zirkulation Konstruktionen

Fahrbericht Versuchsprotokoll Reisebericht Fachtext

Karte der Route Fotoserie zu den Satellitenfotos Landschaftsfotos


Versuchen

Versuchsreihe Experiment m it Landschafts­


m it Setzlingen Drehteller und Kugel betrachtung

>Josef Leisen/Varus
34
Teil A
E inführung

Übersicht 2: Die unterschiedlichen Darstellungsebenen


beim Wechsel der Darstellungsform

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(vgl. S. 43). Denn das Prinzip des Wechsels zwischen liche Ziel des Fachunterrichts umzusetzen und Lerner
verschiedenen Darstellungsformen m it jeweils eigener zum Wechsel der Darstellungsformen befähigen.
Funktion und Symbolsprache g ilt nicht nur fü r die
Die schematische Darstellung in Übersicht 2 (s.o.) und
Naturwissenschaften und die M athem atik; vielmehr
lässt es sich ohne viel Aufwand auch auf viele andere, die systematische Zusammenstellung in Übersicht 3
wenn nicht alle Sachfächer übertragen (s. Abb. links). (siehe S. 36) zeigen, dass die verschiedenen Darstel­
lungsformen auf unterschiedlichen Darstellungsebenen
Darüber hinaus stellt der Wechsel der Darstellungs­
liegen, die sich wiederum in Bezug auf das damit ver­
ebenen - von der gegenständlichen Anschauung über
bundene Abstraktionsniveau unterscheiden:
verbalsprachliche Texte bis hin zur formalen Symbol­
sprache der Sachfächer - die entscheidende Brücke zwi­ - Die gegenständliche Darstellung ist konkret und
schen alltagsweltlichem und sachfachlich-wissenschaft- „h a n d g re iflich ". Gegenstände, Experimente und
lichem Weltverstehen dar. Der Wechsel der Darstel­ Handlungen sind häufig genutzte Formen der Dar­
lungsebenen ist dam it die Voraussetzung fü r die stellung im experimentellen Unterricht. Dadurch wird
Integration fachlichen Wissens in die alltagssprachliche Sprache im wahrsten Sinne des Wortes „anschaulich",
Weitsicht und die Teilhabe an alltagsweltlichen Diskur­ was fremdsprachigen Lernern das Verstehen erleich­
sen auf der Grundlage des Fachwissens. Lehrkräfte soll­ tert und o ft erst ermöglicht. Die gegenständliche Dar­
ten somit dazu beitragen, dieses unverzichtbare fach­ stellung nutzt die nonverbale Sprache. Sie ist für viele

Teil A
35
Einführung

frem dsprachige Lerner ein ausgezeichnetes Aus­ nur der geschriebene Text, sondern auch das gespro­
drucks- und Darstellungsmittel und erleichtert das chene W ort gehört auf diese Ebene.
Verstehen. Im Bereich der sprachlichen Darstellung können Sach­
- Die bildliche Darstellung stellt meist Prozesse dar; verhalte in der Alltagssprache oder in der Fachsprache
sie bedient sich der Bildsprache, einer spezifischen fo rm u lie rt sein. Darüber hinaus bietet sich unter
Ausprägung der nonverbalen Sprache. Die Darstel­ didaktischen und methodischen Gesichtspunkten die
lung oder Symbolisierung erfolgt in Fotos, Bildern, Unterrichtssprache als methodische Zwischensprache
Filmleisten, Zeichnungen und Piktogrammen. an. Dabei bestimmt die A rt der jeweils verwendeten
- Im Bereich der sprachlichen Darstellung sind Texte Verbalsprache (Fach-, Unterrichts- oder Alltagsspra­
eine bevorzugte Darstellungsform. Aber auch sprach­ che) das Sprachniveau.
lich und grafisch orientierte Darstellungen wie M ind- - Die symbolische Darstellung nutzt Formen (Symbo-
Maps und Gliederungen gehören dieser Ebene an, lisierungsformen) wie beispielsweise Strukturdiagram­
wenn sie viele sprachliche Anteile enthalten. Nicht me, Flussdiagramme, Grafen, Tabellen usw. Der Um-

Übersicht 3: Die unterschiedlichen sprachlichen Ebenen


beim Wechsel der Darstellungsform

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36 Teil A
Einführung

gang m it der Symbolsprache verlangt vom Lerner ein Der Wechsel der Darstellungsform fördert die
höheres Abstraktionsvermögen. Dementsprechend Sprachkompetenz, denn häufig ist der Wechsel der
bedarf der Lerner zur sinnvollen Nutzung dieser Dar­ Darstellungsform auch verbunden mit einem Wechsel
stellungsformen bereits einer beachtlichen M eth o ­ der Sprachebene. Wenn z.B. gesetzesmäßige Zusam­
denkompetenz. Bei fremdsprachigen Lernern erweist menhänge im Rahmen einer Versuchsbeschreibung
sich die symbolische Darstellung bei entsprechender in Textform vorliegen, so können diese in die mathe­
Übung als hilfreiche Methode, Sprachprobleme auf­ matische Sprache (Formelzusammenhänge) übersetzt
zufangen, zu entschärfen oder zu umgehen. werden. Ein Sachverhalt, der im Unterrichtsgespräch
in der Unterrichtssprache erarbeitet und „ausgehan­
- Die abstrakteste Symbolisierung eines Sachverhaltes
delt" wurde, kann unter Zuhilfenahme von Fach­
findet in der sogenannten mathematischen Darstel­
wortlisten in eine druckreife fachsprachliche Fassung
lung durch Formeln statt. Für viele Lerner stellt diese
überführt werden.
mathematische Sprache eine besondere Hürde dar.
Andererseits ist sie für manche Lerner ein ausgezeich­ Der Wechsel der Darstellungsform fördert und sti­
netes Ausdrucks- und Darstellungsmittel; auch sie muliert die kognitive Tätigkeit in besonderem Maße,
muss aber verbalisiert werden. da sie beim Lerner Assoziationen, also Bilder und Vor­
stellungen hervorrufen.
Beispiele für den Wechsel von Darstellungsformen:
Der Wechsel der Darstellungsform ermöglicht, einen
- Man blendet zu einem aufgebauten Experiment eine
Sachverhalt verschiedenartig darzustellen; dies birgt
Schaltskizze/eine Versuchszeichnung auf Folie ein.
ein großes didaktisches Potenzial und eröffnet viele
- Vorgänge und deren Bedingungen werden in Struk­ unterrichtliche Anwendungen.
turdiagrammen und Tabellen übersichtlich dargestellt.
Ein erläuternder Text und Lehrerkommentare eröffnen
weitere Zugänge zu den Sachverhalten.
- Experimentelle Daten werden in einer Tabelle erfasst, Es ist sinnvoll, verschiedene Darstellungsformen !
als Graf dargestellt und anschließend in einer mathe­ | im Fachunterricht einzusetzen und dabei von einer:
matischen Formel als Gesetz formuliert. Das Gesetz Darstellurigsförm in eine andere zu wechseln. Dies
selbst wird wiederum sprachlich als Text verfasst. lässt sich wie folgt begründen:
- Die zeitlichen Stationen in einem Versuchsablauf oder 1 . fachlich: Es handelt sich Um eine den Sachver- ,
bei technischen Vorgängen werden verständlich und halten angemessene Darstellung.
einprägsam in einer Filmleiste dargestellt. Zum ande­
2. didaktisch: Bn Sachverhalt wird leichter und bes- ;
ren können sie Arbeitsgrundlage für eine Versuchs­
ser verständen, wenn er über .verschiedene For- ;
beschreibung in sprachlicher Form sein.
-• men der Darstellung angegangen wird.
- Eine Versuchsanleitung in sprachlicher Darstellung
3. methodisch: Ein Wechsel der Darstellungsformen
wird meist durch eine bildliche Darstellung ergänzt;
ist motivierender.
eine Versuchsdurchführung würde dann die sprach­
liche Darstellung in eine Handlung „übersetzen". 4. lernpsychologisch: Es werden mehrere Wahr-
nehmungskanäle benutzt und die verschiedenen i
Diese Liste lässt sich unschwer erweitern. Es ist somit
Darstellungsformen sprechen unterschiedliche J
sinnvoll, den Wechsel der Darstellungsform in das
Lernertypen an,
Zentrum des Fachunterrichts zu stellen. Denn:
: 5. pädagogisch; Die Nutzung unterschiedlicher Dar­
- Der Wechsel der Darstellungsform dient der Vertie­
stellungsformen erlaubt eine ebenso angemes­
fung und Übung. Wenn z.B. ein Experiment als Bild­
sene wie leistbäre Binnendifferenzierung und-lässt
folge in Form einer Filmleiste vorliegt, so ist es im
die arbeitsteilige Bearbeitung in Gruppen zu.
Rahmen einer Hausaufgabe eine sinnvolle Übung
und Vertiefung, zu dieser Bildfolge einen Text zu for­
mulieren und als kleines Referat vorzubereiten. Nachfolgend soll gezeigt werden, wie variantenreich
- Der Wechsel der Darstellungsform ist ein Beitrag Lernszenarien durch den Wechsel der Darstellungsform
zum Methodenlernen. Ein bekannter Sachverhalt, der gebaut werden können:
z.B. als Text vorliegt, kann in eine M ind-M ap „über­
setzt" werden, die wiederum als „Spickzettel" für Beispiel 1:
ein Referat dient. So vergrößert sich allmählich das Darstellungsformen
eigene Methodenrepertoire. (am Beispiel des Unterrichtsthemas „Bewegung")

- Der Wechsel der Darstellungsform fördert die Fach­ Zielsetzung: Die Lerner lernen verschiedene Beschrei­
kompetenz. Ein bekannter Sachverhalt, der z.B. als bungsformen kinematischer Bewegungen und deren
Text vorliegt, kann in eine Tabelle „übersetzt" wer­ Vor- und Nachteile am Beispiel einer Autofahrt kennen,
den. Dabei werden Begriffe und Sachverhalte in neue indem sie die Darstellungsformen beschreiben, verbali­
fachliche Zusammenhänge gebracht. sieren und wechselseitig einander übersetzen.

Teil A 37
Einführung

Darstellungsformen
am Beispiel des Unterrichtsthemas „Bewegung"

Modell Fahrten­ Tabelle Formeln


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R eib u n g

B e sc h le u n ig u n g

Bericht

Pünktlich um
10 Uhr startet
die Fahrt am
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<D k-
deutschen Eck.
C Q_
l/i
Nach 10 M inu­
<u ten Fahrzeit...
-Q
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Video Diashow Panorama Karte

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-Q
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a
c
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bJO
W)
) Josef Leisen

a) Darstellungsform auf der gegenständlichen Ebene: c) Darstellungsformen a uf der sprachlichen Ebene:

- reale Autofahrt (z.B. von Koblenz zur Loreley) - schriftlicher und mündlicher Fahrtbericht;
- Hörtext;
b) Darstellungsformen auf der bildlichen Ebene:
- verkehrstechnischer Fachtext;
- videografierte Autofahrt, Diashow von
- zeitgenössische oder historische
Momentaufnahmen;
Reisebeschreibung;
- Fahrtroute in der Panoramakarte m it
- literarische Reisebeschreibung.
eingeblendeten Tachoabbildungen;
- Fahrtroute in einer Straßenkarte m it d) Darstellungsformen auf der symbolischen Ebene:
eingeblendeten Tachoabbildungen; - Bahnkurve im Koordinatensystem m it
- virtuelle computeranimierte Reise Weg- und Geschwindigkeitsvektoren;
m it Fahrtdaten. - reale Tachoscheibe eines LKW (Fahrtenschreiber);

38 Teil A
Einführung

- Weg-Zeit-Diagramm und Geschwindigkeits-Zeit- - Sprachliche Fassungen sind mit Alltagsbegriffen mög­


lich („D ie Lampe leuchtet, wenn man den Schalter
Diagramm;
zumacht."), aber auch m it fachsprachlichen Präzisie­
- tabellarische Darstellung der Fahrdaten;
rungen auf der Basis von M odellvorstellungen.
- eine geschlossene Darstellung der s(t)- und v(t)- („Durch Anlegen der Spannung beginnen die elek­
Funktionen derart komplexer Bewegungen ist nicht trischen Ladungen, die sich im Leiter befinden, zu
möglich und motiviert die Reduktion auf idealisierte fließen und transportieren Energie von der Batterie
einfache Bewegungen (gleichförmige Bewegung, zur Lampe. Dort wird die Energie umgeladen.“ )
gleichmäßig beschleunigte Bewegung) - Der Ladungsfluss und der Energiefluss können sym­
- Modellierung der Fahrt mittels Modellbildungssys- bolisch in Flussdiagrammen dargestellt werden.
temen (z.B. Dynasys); - Der Energiefluss pro Zeit ist in der mathematischen
- Videoanalyse realer Bewegungen (z.B. VIMPS). Fassung gerade die Leistungsformel P = U • I.

Beispiel 2: Beispiel 3:
Darstellungsebenen Wechsel der Darstellungsformen
(am Unterrichtsthema „Elektrischer Stromkreis") (am Unterrichtsthema „A uftrieb in Wasser")

- Auf der gegenständlichen Ebene wird ein Experiment Der „A u ftrie b " ist ein vielseitiges Thema im Physikun­
zum geschlossenen elektrischen Stromkreis durchge­ terricht der Klassenstufe 9: reich an Experimenten, in
führt. der Alltagsphysik verankert, historisch spannend, m it
- Der experimentelle Aufbau wird b ild lich in einer vielen Anwendungs- und Technikbezügen. Zugleich
bietet das Thema herausfordernde Denkprobleme und
Schaltskizze dargestellt.

39
Teil A
E inführung

ist mathematisch handhabbar - ein ideales Beispiel für Kompetenzentwicklung


den Wechsel der Darstellungsformen!
im (sprachsensiblen) Fachunterricht
Es gibt eine ganze Reihe originärer Darstellungsformen
zum Thema „A u ftrie b ", die auf Darstellungsebenen Was kennzeichnet den kompetenzorientierten
verschiedenen Abstraktionsgrades liegen. Damit sind sprachsensiblen Fachunterricht?
beste Voraussetzungen gegeben, um eine methodisch Kompetenzzuwachs wird von jedem als etwas unein­
vielfältige Spracharbeit zu betreiben. geschränkt Positives angesehen., Was aber bedeutet
„Kompetenzzuwachs" eigentlich genau und wie ent­
A uf S. 47 wird zunächst ein Lehrbuchtext zu diesem
wickeln sich Kompetenzen?
Thema sprachlich analysiert. A uf 5. 796 ff. findet sich
dann ein besonders ausführlich ausgearbeitetes Beispiel Kompetenzen sind kein abstraktes Wissen und Können,
zum Wechsel der Darstellungsformen. Dieses zeigt sondern entwickeln sich aus dem handelnden Umgang
zunächst schematisch, dass und wie auf verschiedenen m it Wissen. Sie sind fundamentale Elemente des fach­
Abstraktionsebenen Lernszenarien gebaut werden kön­ lichen Lernens (vgl. S. 15 f.). Deshalb erzielen alle Lehr­
nen und erläutert dann detailliert, welcher Varianten­ kräfte bei ihren Lernern einen Kompetenzzuwachs -
reichtum der verschiedenen Szenarien durch die Ver­ denn Unterricht kann weder verhindern, dass Lerner
bindung von Abstraktionsebenen und Darstellungsfor­ Kompetenzen erwerben, noch fü hrt ein nicht-kompe-
men erzielbar ist. tenzorientierter Unterricht zu Inkompetenz.

Die Reihenfolge der Bearbeitung verschiedener Dar­ Es geht somit nicht darum, ob Lerner im Unterricht
stellungsformen legt unterschiedlich anspruchsvolle überhaupt Kompetenzen erwerben, sondern eher
Wege fest. Der Wechsel der Darstellungsform muss darum, welche und wie. Damit stellt sich zugleich die
einen didaktischen Mehrwert haben, das Verstehen Frage, wie die Kompetenzentwicklung systematisch und
und die Sprache fördern und zur didaktisch sinnvollen nachhaltig gefördert werden kann.
Beschäftigung mit dem Sachverhalt herausfordern. Es ist Aufgabe des kompetenzorientierten Unterrichts,
Aus der Erfahrung heraus bieten sich bestimmte Dar­ diese Fragen zu beantworten und entsprechende Lern­
stellungsformen als M ittle r besonders an: szenarien zu entwickeln. Damit aber drängen sich einer
- Die Filmleiste ist ein idealer M ittle r zwischen der Lehrkraft sofort folgende Fragen auf:
gegenständlichen (z.B. Experiment) und der sprach­ - Kompetenzorientierung - was ist das überhaupt?
lichen Darstellung (z.B. Versuchsbeschreibung);
- Wie sieht kompetenzorientierter Unterricht aus?
- Zeichnungen und Skizzen sind ebenfalls Brückenglie­
- Haben w ir das nicht schon immer gemacht?
der zwischen der gegenständlichen und der sprach­
lichen Darstellung. Umgekehrt wirken sie unterstüt­ - Was ist eigentlich so neu daran?
zend beim Wechsel der sprachlichen Darstellung (z.B. - Werden dann nur noch Kompetenzen unterrichtet?
Versuchsanleitung) in die gegenständliche Darstellung - Wo bleiben denn da die Inhalte?
(z.B. Versuchsdurchführung);
- Kann man denn Kompetenzen überhaupt isoliert
- M ind-M aps leisten auf verschiedenen Ebenen gute unterrichten?
Dienste. Werden sie durch die Lehrkraft vorgegeben,
helfen sie beispielsweise bei der Versprachlichung Da die Beantw ortung dieser Fragen im Sinne des
abstrakter Zusammenhänge. Sie können aber auch sprachsensiblen Fachunterrichts didaktisches Vorwissen
zu Zwecken der synoptischen Darstellung eines kom­ in den Themenfeldern Kompetenzerwerb und Kompe­
plexen Zusammenhangs genutzt werden. tenzorientierung sowie ein zeitgemäßes M odell des
Lehr-Lern-Prozesses voraussetzt, werden diese Fragen
Die Lehrkraft kann den Unterrichtserfolg zusätzlich för­ erst in Teil B eingehend beantwortet (vgl. S. 72 ff.).
dern, wenn sie beim Wechsel der Darstellungsform Nachfolgend jedoch einige allgemeinere, allerdings
sprachliche Hilfen gibt, die sich am individuellen Leis­ wichtige Aussagen vorab:
tungsvermögen der Lerner und am didaktischen Poten­
1. Kompetenzorientiertes Unterrichten im sprachsensi­
zial des Gegenstandes orientieren (Binnendifferenzie­
blen Fachunterricht
rung, vgl. z.B. S. 8 und 208 ff.). Denn beim Wechsel
der Darstellungsform drängen sich Verbalisierungen ge­ - wird vom Lernprozess ausgehend geplant;
radezu auf. Dies belegen auch die konkreten Beispiele - stellt die Inhalte in einen (Gesamt-)Kontext, der
zu den sprachlichen Standardsituationen (vgl. Teil C), fachlich und sprachlich ausgerichtet ist;
bei denen verschiedene Darstellungsformen und ver­ - entwickelt Kompetenzen im handelnden Umgang
schiedene Methoden-Werkzeuge zum Einsatz kommen. mit Inhalten;
- stellt die fachliche und sprachliche Bewältigung
authentischer Anforderungssituationen in den M it­
telpunkt;

40 Teil A
Einführung

- produziert auswertbare Lernprodukte; Lehrer: Gut, die Fachwörter benutzt du richtig.


- fördert die Diagnose, Rückmeldung, Reflexion und Achte auf die Aussprache: sinken, schwim­
M etakognition und men, schweben. Ich schreibe sie an die
Tafel und du merkst den Unterschied.
- integriert sprachliche Belange in das fachliche Ler­
Ignacio: (lacht) Sinken nicht singen! In 7 sinkt es,
nen (z.B. das Aufnehmen, Beobachten, Erproben,
in 2 schwimmt es, in 3 schwebt es.
Anwenden und Generieren von Sprache sowie das
Erzeugen von Sprachbewusstheit). Diese Szene ist nicht nur ein gelungenes Beispiel für
professionell erfolgende Sprachförderung (vgl. dazu
2. Kompetenzorientiertes Unterrichten im sprachsensi­
auch S. 12 ff.); sie zeigt vielmehr auch auf, wie die
blen Fachunterricht basiert entscheidend auf einer
Vorgehensweise strukturell abläuft: So agiert der Lehrer
guten Aufgabenkultur im Unterricht. Eine solche
zum einen zurückhaltend, ermutigend und bietet an
Aufgabenkultur ist letztlich für den Erfolg des sprach­
passenden Stellen Sprachgerüste an. Zum anderen über­
sensiblen Fachunterrichts fundamental; dies bestäti­
form t er, begleitet die Äußerungen des Lerners, greift
gen Lehrer wie Lerner immer wieder.
behutsam ein und gibt Raum für eigene Fehlerkorrektur.
Aufgrund des Umfangs der Thematik und der didak­
tischen Verortung finden sich die Ausführungen zu Das hier vom Lehrer praktizierte Verfahren wird in der
„Aufgaben, Aufgabenstellungen und Aufgabenkul­ englischen Sprachdidaktik „scaffolding11 genannt. Es
tur im sprachsensiblen Fachunterricht“ erst im An­ bedeutet in der Übersetzung „Baugerüst11 und ist hier
schluss an die Ausführungen zum Kompetenzerwerb als Sprachgerüst zu verstehen (vgl. Roth 2007, S. 33;
und zum Lehr-Lern-Prozess (siehe Teil B, S. 83 ff.). Kniffka 2007, S. 108).

3. Im sprachsensiblen Fachunterricht wird die Aufga­ Das Scaffolding ist ein zentrales Element im sprachsen­
benkultur entscheidend durch zwei unterstützende siblen Fachunterricht; denn dessen Kernanliegen ist es
Systeme geprägt: ja gerade, in die spezifische Bildungssprache des Faches
m it all ihren Merkmalen einzuführen. Die spezifische
- didaktisch-methodische Maßnahmen - auf sprach­
Beschaffenheit dieser fachlichen Bildungssprache und
schwache Lerner ausgerichtet - zur Kompetenz­
ihrer Nähe zur Schriftlichkeit bereiten den Lernern im
entwicklung im weiteren Sinne sowie
Fachunterricht sowohl bei der Verwendung neuer Fach­
- konkrete Maßnahmen - auf sprachschwache Ler­
begriffe als auch infolge ihrer spezifischer Sprachstruk­
ner ausgerichtet - zur Sprachförderung im engeren
turen besondere Probleme (vgl. S. 46 f., 49 ff.).
Sinne.
Beim Scaffolding werden die neuen Begriffe und
Scaffolding und Cognitive Apprenticeship Sprachstrukturen nicht isoliert gelernt, sondern sind
Scaffolding und Cognitive Apprenticeship sind zwei immer m it einem sinnstiftenden fachlichen Kontext ver­
Ansätze, die im sprachsensiblen Fachunterricht als bunden. Dem Ansatz des Scaffolding liegt die Idee
Unterstützungssysteme sehr lernwirksam eingesetzt zugrunde, dass die Lerner anfangs ihre aktuellen
werden können. Sprachressourcen benutzen und sich in späteren Phasen
auf neue sprachliche M ittel konzentrieren. Die Lehrkraft
Beispiel begleitet sie auf diesem Weg, indem sie sprachliche
Gerüste aufbaut und diese, wenn sie nicht mehr
Der Lehrer führt folgendes Experiment vor: A u f
gebraucht werden, wieder abbaut.
dem Tisch stehen drei nummerierte Bechergläser
m it Wasser, in denen Salz m it unterschiedlicher Ein anderer Ansatz ist der Cognitive-Apprenticeship-
Konzentration gelöst ist. Dementsprechend sind Ansatz von Collins (1989, 1991), der in Deutschland
die Salzwasserlösungen unterschiedlich trüb. Der z.B. in der beruflichen Bildung rezipiert wurde. Der
Lehrer legt ein Hühnerei nacheinander in die didaktische Prozess ist danach in sechs Schritte unter­
Becher. Je nach Konzentration sinkt das Ei a uf den gliedert (vgl. Roth 2007, S. 24):
Boden des Glases, schwebt im Wasser oder 1. Darstellung eines (handwerklichen) Produkts m it
schwimmt an der Oberfläche. anschließender Aufgabenstellung oder Präsentation
Lehrer: Jetzt bin ich auf eure Ideen gespannt. eines „Leittextes11 ( „ m odeling");
Ignacio: In 1 geht unter, in 2 oben, in 3 in drin. 2. Anleitung und Betreuung in der Ausführung der Auf­
Lehrer: Ja, so kann man das sagen. In 1 geht das gabe ( „ coaching");
Ei unter, in 2 schwimmt es oben und in 3 3. Unterstützung der Lerner durch die Lehrkraft (den
bleibt es in der M itte. Sprich noch einmal Experten) in einzelnen Schritten („scaffolding") und
und benutze die neuen Fachwörter: sin­ sein - dem jeweiligen Lernstand angepasster - Rück­
ken, schwimmen, schweben. zug aus dem Prozess {„fa d in g u)\ die Unterstützung
Ignacio: In 7 singt, in zw ei schwimmt, in 3 verläuft über Situierung und Kontextualisierung des
schwebbt. zu Lernenden;

Teil A 41
Einführung

4. Ausübung der gelernten Fähigkeiten und Fertigkeiten Darstellungsformen betont und Methoden-Werkzeuge
in variierten Situationen und unter veränderten einsetzt.
Bedingungen ( „ articulation");
Der sprachsensible Fachunterricht basiert auf einer Rei­
5. Vergleich und Überprüfung von Lösungen, Produk­
he von Prinzipien, die aus Überlegungen zur Fach- und
ten und Ergebnissen der Lerner untereinander und
Sprachdidaktik resultieren. Diese lassen sich wie im
durch Rückmeldung durch Experten oder Medien,
nebenstehenden Kasten dargestellt für die Unterrichts­
z.B. per Video („reflection'')\
praxis formulieren:
6. selbstständige Übertragung des Gelernten in neuen
Situationen und Kontexten. Das Gelernte ist so weit Ebenfalls im Unterricht bewährt haben sich die unten
abstrahiert, dass es transferiert und ohne Unterstüt­ abgedruckten zehn Anregungen zur Gestaltung eines
zung durch einen Experten verwendet werden kann; sprachsensiblen Unterrichts. Diese sind zugleich lern-
der Lerner ist selbst zum Experten geworden psychologisch abgesichert und stellen eine gute Orien­
(„ exploration“ ). tierung für die professionelle Handhabung der Sprach­
förderung von sprachschwachen Lernern dar.
Scaffolding ist ein Element des Cognitive-Apprentice-
ship-Ansatzes, der längere Lernprozesse strukturiert. Er
Hinweise zur Erstellung von Lernmaterial
korrespondiert aufs Engste m it dem kompetenzorien­
im sprachsensiblen Fachunterricht
tierten Lehr-Lern-Modell, vgl. dazu Teil B, 5. 72 ff.
Soll die Sprachförderung gelingen, ist eine professionelle
Prinzipien und Anregungen zur Gestaltung Umsetzung seitens der Lehrkraft erforderlich. Die
eines sprachsensiblen Fachunterrichts Umsetzung erfolgt insbesondere durch die Erstellung
von Materialien, Aufgabenstellungen und Arbeitsun­
Der sprachsensible Fachunterricht arbeitet m it der Spra­
terlagen. Diese sind professionell aufbereitet, wenn sie
che, die da ist - und sei sie noch so defizitär. Er tu t was
auf die Belange sprachschwacher Lerner ausgerichtet
er kann, vollbringt aber keine Wunder; denn Sprachar­
sind und diese dabei unterstützen, die jeweils diagnos­
beit im Unterricht ist eine mühsame tägliche Dauer­
tizierten sprachlichen Probleme im fachlichen Zusam­
aufgabe, die nur langsam Früchte trägt.
menhang angemessen und binnendifferenziert zu besei­
Der sprachsensible Fachunterricht geht sensibel mit den tigen. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche, sondern
sogenannten „sprachlichen Standardsituationen" im auch um optische Kriterien. Denn insbesondere sprach­
Fachunterricht um (Details siehe Teil B, S. 106 ff.). Er lichen Lernern hilft eine klare optische Aufbereitung,
unterstützt gleichermaßen das Sprachlernen und das sich in Texten und Aufgabenstellungen zu orientieren.
Fachlernen, indem er beispielsweise den Wechsel der Detaillierte Anregungen hierzu finden sich auf S. 44.
Einführung

Prinzipien
des sprachsensiblen Fachunterrichts

Prinzip der G le ich zeitig keit von Fach lernen u nd Sprachlernen


^ Sprachlernen ist durchgängig eine Angelegenheit des Sachfachunterrichts, weil. Fachlernen
und Sprachlernen nicht voneinander getrennt werden können und sich gleichzeitig ent­
wickeln. ■'

{P rinzip des Vorrangs der S achfachdidaktik vo r der Sprachdidaktik


Da es um fremdsprachenbezogenes Inhaltslernen geht, zielt der sprachsensible Fachun­
terricht darauf ab, den Erwerb von Wissen im Fach durch sprachorientierten Fachunterricht
zu unterstützen.

Prinzip der P roblem diagnostik :


Im sprachsensiblen Fachunterricht werden fachliche Verstehensprobleme fachlich und
sprachliche Verstehensprobleme sprachlich gelöst. Dabei wird differenzierend diagnostiziert
-und es wird problemangemessen dam it umgegangen.

Prinzip des sprachlichen Aushandelns-


■ Die Kommunikation im sprachsensiblen Fachunterricht ist ein Prozess des Aushandelns
> . ■ und Austarierens von Bedeutungszuweisungen; in diesem Prozess wird im Unterricht mit
der Sprache und um Sprache gerungen.

. Prinzip der bewussten Sprachenvielfalt


----- Der sprachsensible Fachunterricht nutzt die Sprachenvielfalt der verschiedenen Abstrak-
• r - :.: tionsebenen: nonverbale Sprache, Bildsprache, Alltagssprache, Unterrichtssprache, Fach­
sprache, symbolische Sprache.

_ J Prinzip der sprachlichen E igentätigkeit durch H an dlungsorientierung


•• Die Handlungsorientierung fördert die sprachliche Eigentätigkeit und die mitteilungsbe-
; V zogene Kommunikation im sprachsensiblen Fachunterricht.

~ : Prinzip der verschiedenen D arstellungsform en


Im Wechsel der Darstellungsformen liegt großes fach- und sprachdidaktisches Potenzial,
^das der sprachsensible Fachunterricht für das Fach- und Sprachlernen nutzt.

Prinzip der sprachlichen U nterstützung


Im sprachsensiblen Fachunterricht Wird die Arbeit an der Sprache und m it der Sprache
. : methodisch durch Methoden-Werkzeuge der Spracharbeit unterstützt.

Prinzip der A ufg ab en örien tierun g


- - Der sprachsensible Fachunterricht erfolgt nicht zur Förderung des Erwerbs isolierter Fer-
tigkeiten, sondern basiert auf (unterschiedlich komplexen) Lernaüfgaben, die die Lernen- /
: den inhaltlich, fachmethodisch und sprachlich herausfördern und zu deren Bearbeitung
sie fachliche und sprachliche Kompetenzen anwenden und erweitern müssen.

Teil A 43
Einführung

H in w e is e z u r E r s te llu n g v o n L e r n m a te r ia l
im s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n te r r ic h t

Kriterien für die Q ualität von Lernmaterial


- die Lerner in fachlich authentische Sprachsituationen bringen;
- fachlich und sprachlich angemessene (anspruchsvolle) Aufgaben stellen;
- Sprachanforderungen knapp über dem (individuellen) Sprachvermögen än-/festlegen; '
- den Zugang über passende Darstellungsformen nutzen;
- Arbeitsunterlagen so erstellen, dass sie eine Anschlusskommunikation ermöglichen;
- fachlich und/oder sprachlich binnendifferenzierte Aufgabenstellungen anbieten,
falls möglich und sinnvoll;
- eine erfolgreiche Bearbeitüng ermöglichen; _” 7
- fachliche und sprachliche Hilfen ggf. voneinander trennen;
- gestufte Hilfen anbieten, falls möglich und sinnvoll; • --
- so viele Sprachhilfen geben, wie zum erfolgreichen Bewältigen der Sprachsituationen nötig;
- Berücksichtigung DaZ-spezifischer Elemente (z.B. durch das Angeben von
Artikeln und Pluralendungen, von Geschlecht/Genus in der DaF-Nörm usw.).

- Kriterien für die Q ualität von Aufgaben


- eine altersgemäße und dem Sprachstand angepasste Sprache wählen;
- - möglichst knapp, aber eindeutig formulieren (ggf: Umschreibungen entspr. Sprachvermögen);
- Handlungsanweisungen (z.B. für Experimente, Standbilder) gem. zeitlicher Abfolge gliedern;
- Aufgaben erstellen, die möglichst folgende Elemente enthalten: ..
-• Problemstellung, Zielrichtung (Um was geht es?);
• Verfahren, Wittel, Methode(n) (Was soll ich tun?);
• Ergebnis, Verwertung des Produktes (Wie geht es weiter?);] - -
- Redundanzen vermeiden (z.B. „Lies den Text durch. ")\
-.O peratoren wie, Verfahren, M ittel, M ethode(n) an den Anfang setzen
> (z.B. „Beschreibe „Z e ich n e -:.“, „ Ü b e r s e t z e ggf. Angaben zum
erwarteten Umfang machen (z.B. „Fasse das Ergebnis in drei Sätzen zusammen. ").

Kriterien für die Q ualität der Gestaltung


- Wahrnehmungsregeln beachten und anschaulich gestalten, insbesondere
• Überschrift deutlich hervorheben;
• gliedern, aber nicht zu viele Unterpunkte anführen;
• verschiedene Teile (Informationen, Aufträge ...) in Blöcken anordnen;
• Arbeitsblatt optisch ins Gleichgewicht bringen;
• nicht überladen und nicht „optisch schreien"; .
- möglichst 12 Punkt als Schriftgröße verwenden;
- „Formatierungsmüll" vermeiden (z.B. überflüssige Umrandungen, Kästchen...:);
- m it Hervorhebungen sparsam umgehen (z.B. keine doppelten Hervorhebungen)
und Hervorhebungen m it der Bedeutung (dem Symbolwert) korrespondieren lassen;
- auf Kontraste achten, Raster bzw. Grauwerte vermeiden;
- Tabulatoren benutzen;
- bei längeren Texten die Zeilen nummerieren;
- ~- hinreichend Platz fü r die Bearbeitung lassen; ;
- für hohen Wiedererkennungswert sorgen;
- ggf: Legende beifügen; Diagramme vollständig beschriften.

44 Teil A
G r u n d l a g e n w ig s e n s
der Sprachförderung im
sprachsensiblen Fachunterricht
Grundlagenwissen

Didaktik der Sprachförderung


im sprachsensiblen Fachunterricht

Sprache im Fachunterricht und der Funktion, die Sprache im jeweiligen Kontext


hat - unterschiedliche spezifische Ausprägungen auf­
Welche „Sprachen“ werden weisen. Diese Unterschiede können sich sowohl auf die
Darstellungsform und -ebene als auch auf den Grad
im Fachunterricht gesprochen?
der m it dieser Darstellungsform bzw. Darstellungsebene
„Sprache" umfasst mehr als nur „gesprochene" Spra­ einhergehenden Abstraktion beziehen. Immer aber ist
che. Sprache kann in mündlicher oder schriftlicher Form, Sprache im Fachunterricht Bildungssprache; damit trägt
als Alltagssprache, Unterrichtssprache oder Fachsprache sie sowohl in mündlicher als auch schriftlicher Form
in Erscheinung treten. Zudem muss Sprache nicht un­ die Merkmale der Schriftlichkeit (vgl. dazu S. 54 u.).
bedingt durch W orte geäußert (verbalisiert) werden;
Das Tafelbild, das eng an die Unterrichtssituation ge­
sie kann vielmehr auch nonverbal, bildlich oder sym­
bunden ist, ist zumeist ebenfalls in der Unterrichts­
bolhaft erfolgen. „D ie " Sprache im Fachunterricht gibt
sprache verfasst. Bei Lehrbüchern, die sowohl hoch ver­
es somit nicht; Sprache im Fachunterricht findet viel­
dichtete Fachtexte als auch Erläuterungen enthalten
mehr auf verschiedenen Abstraktions- und Darstel­
können, ist zu unterscheiden: Textpassagen, die fach­
lungsebenen und in verschiedenen Darstellungs- und
liche Sachverhalte darstellen, wollen dem Unterrichts­
Sprachformen statt (vgl. Abb. S. 35 f. und 48).
gespräch nahe kommen; sie erfolgen zumeist in Form
Daraus erwachsen jeweils unterschiedliche Problem­ einer bereinigten und sprachlich verdichteten Unter­
stellungen in sprachlicher und fachlicher Hinsicht, auf richtssprache. Erläuternde und erklärende Passagen
die die Lehrkraft auch unterschiedlich eingehen muss. hingegen bemühen sich, anschaulich und beispielge­
Dies macht schon der erste Blick in ein beliebiges Lehr­ bunden um eine allmähliche, sanfte Hinführung zum
buch deutlich (vgl. Abb. rechts). Fachlichen.

Die in Fachtexten vorkommenden Sprachen sind durch Demgegenüber ist es kaum möglich und .sinnvoll, die
folgende Merkmale gekennzeichnet: im U nterricht verwendete Sprache auch in einem
Lehrbuch zu dokumentieren, denn was im Lehrbuch
Alltagssprache
auf zwei Seiten erscheint, verteilt sich im Unterrichts­
Einführende Texte in Lehrbüchern beschreiben o ft A ll­ geschehen o ft auf mehrere Stunden. Die Unterrichts­
tagserfahrungen und führen auf fachliche Fragestel­ sprache ist also an die jeweilige Unterrichtssituation
lungen hin. Deshalb sind diese Texte zumeist auch in gekoppelt und versucht, den Lehr-Lern-Prozess zum
der Alltagssprache abgefasst. Ausdruck zu bringen.

Fachsprache Symbolische u n d mathem atische Sprache


Fachsprache wird gern bei Merksätzen und Definitio­ Viele Fachtexte enthalten Darstellungen, die der sym­
nen verwendet. Sie ist durch eine hohe Dichte an Fach­ bolischen oder mathematischen Sprache angehören.
begriffen sowie durch Satz- und Textkonstruktionen Dabei handelt es sich zumeist um die Abstrahierung
gekennzeichnet, die in der Allgemeinsprache selten von Sachverhalten und Phänomenen in Form von
Vorkommen (z.B. Fachbegriffe wie „A uftriebskraft", Symbolen, Fachzeichen, Fachskizzen (z.B. Schaltpläne,
„Schweredruck", „eine Kraft erfahren" oder Sätze wie Konstruktionszeichnungen), Formeln, mathematischen
„Taucht ein ... in ... ein, so wird ..."). Termini und mathematischen Darstellungen.

In der Fachsprache verfasste Texte können deshalb von Bildsprache


den Lernern eigentlich erst verstanden werden, wenn
Auch die bildliche Sprache wird im Fachunterricht häufig
sie bereits viel über das jeweilige Thema wissen. Fach­
verwendet. Sie soll Sachverhalte veranschaulichen und
sprachliche Texte sollten somit eher am Ende als am
erklären und komm t beispielsweise in Form von Foto­
Anfang des Lernens eingesetzt werden.
grafien, Skizzen, Zeichnungen, Grafiken, Diagrammen
etc., aber auch in Form gleichnishafter Darstellungen
Unterrichtssprache
und Analogien vor.
Unterrichtssprache ist die Sprache, die vom Vokabular
und ihren Formulierungen her typischerweise beim Leh­ Bildungssprache
ren und Lernen im unterrichtlichen Kontext benutzt Fachsprache, symbolische Sprache, Unterrichtssprache
wird. Sie kann - je nach Fach, Sprachkultur des Fachs und Bildsprache spezifizieren die Bildungssprache.

46
Teil B
Grundlagenwissen

Auftrieb in Flüssigkeiten und Gasen

Alltagssprache Nichtschwimmer kannst du mit einer^ hole die Messungen. Die Form des Körpers
Hand halten, wenn er sich dabei flach im Was-' beeinflusst das Ergebnis nicht
ser ausstreckt Außerhalb des Wassers wird diry
nicht gelingen. ■ V4 Zwei Körper gleicher Masse, aber aus
unterschiedlichem Stoff, sind an einer Balken­
■ V1 In einer mit Wasser gefüllten Flasche soll waage nicht mehr im Gleichgewicht, wenn
ein teilweise mit Luft gefülltes Fläschchen, mit man sie in Wasser eintaucht (->B3). : - Ä
offenem Ende nach unten, gerade eben
schwimmen (-*B1). Die Flasche wird mit einem
Gummistopfen verschlossen. Durch Drücken
des Stopfens kann das Fläschchen zum Sinken,
Unterrichtssprache Schweben oder Steigen gebracht werden.

V2 Miss die Gewichtskraft von Quadern


gleicher Größe aus Messing, Eisen und Alu­
minium außerhalb von Wasser und bei ganz
Bildsprache eingetauchtem Quader (->B2). Die Differenz
Kräfte ist für jeden dieser Körper gleich^ ■ V5 Zwei Körper mit deutlich unterschied­
lichem Volumen (*B4) werden in Luft ins
IV 3 Wiederhole den zweiten Versuch mit . Gleichgewicht gebracht Bringt man sie unter
Knetmasse. Verfonne den Körper und wieder: eine Glasglocke und pumpt Luft ab, so geht
das Gleichgewicht verloren.

Symbol­
Die Auftriebskraft Taucht ein Körper in eirj • Durch den Schweredruck erfährt jeder
sprache Flüssigkeit ein, so wird seine Gewichtskrafl eingetauchte Körper eine nach oben wirkende
scheinbar kleiner Diese Erscheinung nennb Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
man Auftrieb. Ursache ist der Schweredruck:"' Gewichtskraft
Zum Verständnis betrachten wir einen Quader,
Fach­
der teilweise in eine Flüssigkeit eingetaucht sprache
ist 0*B5). Der Schweredruck ruft an der Upt£r-
seite des Quaders eine Kraft F = p- A hervor.
SSlSi
10 cm 3
/UrftHebskräff!J' A ü f t r i e i w k i ^ ^
BrnSwassedS»
0,1 N 0,07 N
Diese Kraft ist nach oben, gegen diey&ewichts-
20 cm 3 0,2 N 0,14 N
kraft, gerichtet Sie heißt Auftriebskraft FA.
Der Kraftmesser zeigt eine um denlBetrag der 30 cm 3 0,3 N 0,21 N
Auftriebskraft verringerte Gewichtskraft an. 40 cm 3 0,4 N 0,28 N
Die vom Schweredruck auf die Seitenflächen 50 cm 3 0,5 N 0,35 N
des Quaders ausgeübten Kräfte hebeK^ich
60 cm 3 0,6 N 0,42 N
paarweise auf und beeinflussen deshalbsjie
Kraftanzeige nicht je tiefer der Quader ein* B 6 Z um E n t s t e h e n d e s A u f t r ie b s u n d M e s s u n g e n d e r ^
A u f tr ie b sk r a ft
taucht, desto größer wird die Auftriebskraft
Ist er vollständig eingetaucht, so verändert
sich die Auftriebskraft nicht mehr.
Fach­
sprache Symbol­
5 archimedische Gesetz Der Schwere- Der Faktor pH- Vverdrängt gibt die Masse m
t mit der Tiefe zu. Ist ein Quader der verdrängten Flüssigkeit an. Das Produkt sprache
vollständigTr’reUielFlüssigkeit eingetaucht, m -g ist die Gewichtskraft dieser verdrängten
so ist der Schwerecfrucl<P2 an der unteren Flüssigkeit Damit folgt das archimedische
Fläche des Quaders größ eT ^d er Druck p-, Gesetz^_____________________
an der obergp-ftöehe. Ric^ie Krafl
(->B1)^ • Die Auftriebskraft hat den gleichen Betr
wie die Gewichtskraft der durch den Körpe
F y /p ,' A = pH- V g • A und verdrängten Flüssigkeit
f 2=P2'A =Qn'h2-g-A
Die Differenz F2- £, ergibt die Auftriebskraft FA: Das archimedische Gesetz gilt für beliebig
geformte Körper. So erfährt ein vollständig
F*. = Pnm(^2- ^1)* 9 ’ A eingetauchter Klumpen Knetmasse unab­
= P r • h • A * g = pR* ^Körper’ 9 Symbol­
hängig von seiner Form und seiner Lage in de)
Das Volumen VKörver des Körpers und dasA/olu- Flüssigkeit immer die gleiche Auftriebskraft sprache
men yvenJrängt der durch den Körper verd/äng-
^ten Flüssigkeit sind gleich. Die Auftriebskraft Auch in der Lufthülle der Erde treten Auftriebs­
mathe­ kräfte auf. Sie sind wegen der geringen B lS J ei ga n z e in g e p
^trägt also:
matische Dichte der Luft wesentlich kleiner als in Flüssig­ tem K

Sprache ^verdrängt * 9 keiten. ^ v erd rän gt“ ^Körper

aus: Impulse Physik 2, 2008, S. 5 4 -5 5

Teil B 47
Grundlagenwissen

Bildungssprache ist die Sprache, die vorrangig im Bil­ siehe S. 33 ff.): Denn die Vielfalt und der Reichtum an
dungsbereich vorkom m t und deren Beherrschung zur Darstellungsformen im Fachunterricht bieten nicht nur
Teilhabe an der Bildung erforderlich ist (vgl. S. 6). zahlreiche Lerngelegenheiten, sondern auch einen er­
heblichen M ehrwert in Form zusätzlicher Chancen zum
Bildungssprache beschreibt dabei zum einen die schul-
Lernen.
bezogenen kognitiven Sprachkenntnisse, die im kognitiv
akademischen Bereich gebraucht werden. Zum anderen
beschreibt sie aber auch die sogenannten CALP-Fähig-
R Ä S if iä
keiten (Cognitive Academic Language Proficiency, vgl. _________ ____ ______ _ _ axmt*B&aGS&
5. 59, 66), die zur Bewältigung der Schriftlichkeit (vgl.
f Darst^llüngsformen sind Fachmethoden und somit
5. 54 f.) erforderlich sind und in ihr entwickelt werden.
originärer Bestandteil des Faches. Gerade sprach­
Hier setzt die Sprachförderung im Fach an.
schwachen Lernern erschließt sich häufig erst durch
A bstraktion den Wechsel zwischen den verschiedenen Darstel- :
lungsformen ein tieferes Verstehen des Stoffes.
Die unterschiedlichen sprachlichen Darstellungsformen
:; Lehrkräfte sollteh deshalb ihren Lernern eine „ Lese­
sind zugleich m it unterschiedlich abstrakten (Sprach-)
kompetenz in Darstellungsformen“ vermitteln.
Ebenen verbunden. Dies führt gerade bei sprachschwa­
chen Lernern häufig zu Verstehens- und Sprachproble­ r Da diese Darstellungsformen ein unterschiedlich ho- ^
men. Die Lehrkraft sollte deshalb versuchen, zur jew ei­ hes Maß an sprachlicher Abstraktion aufweisen, ist ;
ligen Unterrichtssituation „passende“ Darstellungsebe­ ■ wichtig, dass Lehrkräfte sölche Darstellungsebenen :
nen und Darstellungsformen einzusetzen. ... und.Darstellungsformen einsetzen, die zür jeweiligen:
Unterrichtssituation „ passen". Dies hilft, Verste­
In diesem Zusammenhang sei Fachlehrern noch einmal hens- und Sprachprobleme sprachschwacher Lerner,
dringend ans Herz gelegt, das didaktische Potenzial des " die sich aus der Abstraktion ergeben, zu verringern.
„Wechsels der Darstellungsform" zu nutzen (Details

Biidungssprache:
Darstellungsformen, Darstellungsebenen und Sprachen

mathematische Sprache

Symbolsprache

Verbalsprache
- Fachsprache
- Unterrichtssprache
- Alltagssprache

Bildsprache

nonverbale Sprache
gegenständliche Ebene

© Josef Leisen

48 Teil B
Grundlagenwisse

zu b) fa c h ty p is c h e S p ra ch s tru ktu re n
Wo liegen die Schwierigkeiten
Die F a c h s p ra c h e jedes Faches is t d u r c h fa c h ty p is c h e
mit „der“ Sprache
S p ra c h s tru k tu re n gekennzeichnet, die d o r t eine a n d e ­
im Fachunterricht? re B e d e u tu n g h a b e n als in d e r A llta g s s p ra c h e (d .h .
Jedes Fach hat seine spezifische Kultur der mündlichen semantisch a n d e rs belegt" sind). So hat beispielsweise
und schriftlichen Kommunikation entwickelt, also eine das Verb u m k ip p e n " im A llta g eine andere Bedeutung
ihm eigene „Sprachwelt", die durch spezifische Aus­ als in d e r B io lo g ie , wenn der See „u m k ip p t". M it dem
drücke und Sprachverwendungen gekennzeichnet ist. Verb h e r r s c h e n " w iederum assoziiert man alltags-
sprach'lich einen Herrscher, e tw a einen König oder einen
In diese Kultur einzuführen, ist eine zentrale Aufgabe
Diktator, ln d e r Physik hingegen „he rrscht" an den
des jeweiligen Fachunterrichts. Jede Fachlehrkraft weiß
Polen e in e r B a tte r ie eine Spannung von 10 Volt.
um die damit verbundenen Mühen bei Lehrenden und
Lernenden: Es ist eine Daueraufgabe, da sich kommu­ Solche f a c h ty p is c h e n Sprachstrukturen finden sich in
nikative Kompetenzen nur schrittweise und übereinen fast jedem S a c h te x t eines Faches (vgl. S. 50 u.). Diese
langen Zeitraum aufbauen. Nachhaltigkeit stellt sich Begriffe müssen dann im Fach neu semantisiert werden.
zudem erst ein, wenn die erworbenen Kompetenzen
Zudem fin de n sich in Sachtexten häufig komplexe fach­
auch angewendet und trainiert werden. Die Vermittlung typische S p ra c h w e n d u n g e n (z.B. „e in e Kraft ausüben
der Kompetenz zum „Lesen“ der unterschiedlichen
auf" eine K ra ft erfahren"). Für Laien und Lernende
Darstellungsformen sollte der Lehrkraft deshalb ein
ist jedoch z u m e is t die - fachlich falsche - alltagssprach­
besonderes Anliegen sein. liche S p ra c h w e n d u n g („eine K ra ft h ab en ") naheliegen­
Viele Lehrkräfte erleben täglich, welche spezifischen der Da K ra ft" aber eine intensive und keine extensive
Schwierigkeiten die Lerner m it der mündlichen und Größe ist als W echselw irkungsgröße keinen Mengen-
schriftlichen Kommunikation im Fachunterricht haben. rharaktpr h a t und somit n icht speicherbar ist, kann nie­
Allerdings ist ihnen o ft nicht klar, auf welcher Ebene mand und n ich ts „K ra ft h a b e n ". Lerner, die die alltags­
bzw. in welchem Bereich diese Schwierigkeiten genau sprachliche Form ulierung v e rw e n d e n , machen somit
angesiedelt sind und welche Besonderheiten daraus deutlich, dass bei ihnen eine falsche fachliche Vorstel­
resultieren, da ihnen dafür die entsprechende Ausbil­ lung vom Kraftkonzept besteht. D a m it liegt ein fachli­
dung fehlt. cher Fehler vo r, der folglich auch fachlich (und nicht
sprachlich) k o rrig ie rt werden muss.
Will eine Lehrkraft also die Probleme der Lerner mit
der Sprache des jeweiligen Faches adäquat diagnosti­
zu c) F a c h in h a lte
zieren und die richtigen Hilfestellungen geben können,
Eine w eitere Q u elle fü r V e rs te h e n s p r o b le m e sind die
muss sie auch die entsprechenden Hintergründe ken­
fachlichen I n h a lt e des Unterrichts. Hierzu gehören auch
nen. Dies gilt aber auch fü r die Lerner: Denn solange
die D a r s te llu n g s fo r m e n des Faches (z.B. Tabellen, Skiz­
ein Lerner nicht erkennt, in welchem Bereich seine
zen, Form eln, Grafen, D iagram m e, Karten, Bilder ...),
sprachlichen Schwierigkeiten liegen, kann er diese
da der s t r u k t u r e lle Aufbau des Faches und die dazuge­
weder selbstreflexiv an der richtigen Stelle angehen
hörige S p r a c h e im m e r Produkte d er jeweiligen Fach­
noch an der richtigen Stelle verbessern.
ku ltursin d. D ie Lerner müssen deshalb in den Umgang
Die Schwierigkeiten m it der Sprache im Fachunterricht m it diesen D arstellungsform en e in g e fü h rt werden.
haben ihren Ursprung in vier Bereichen:
So sind z B S a c h te x te in d e r Regel a rg u m e n ta tiv und
a) in der M orphologie und Syntax der Fachsprache; in der G e d a n k e n f ü h r u n g sehr ve rd ich te t. Gerade
b) in den fachtypischen Sprachstrukturen; s p ra c h s c h w a c h e Lerner können diese Texte o ft nicht

c) in den Fachinhalten; (oder kaum ) verstehen, da die h ohe Verdichtung die


Kom plexität u n d Kom pliziertheit d e r S achverhalte noch
d) in der spezifischen Struktur von Fachtexten.
verstärkt s t a t t das Verstehen zu vereinfachen. Folglich
AufS. 50 o. sind einige Merkmale der Fachsprache bei­
weisen d ie T e x te „Le erste lle n" a u f, also Stellen, an
spielhaft an einem gängigen Lehrbuchtext dargestellt.
denen sich d e m aufmerksamen Leser Fragen auftun,
auf die e r im T ext jedoch keine A n tw o rt findet. Dies
zu a) M o rp h o lo g ie und Syntax wird an d e m T e x t auf S. 51 o. b e is p ie lh a ft verdeutlicht.
Die Fachsprache ist gekennzeichnet durch spezifische
morphologische und syntaktische M erkmale - also zu d) S t r u k t u r vo n F ach te xten
Merkmale, die sich auf die Zusammensetzung und den Fachtexte h a b e n in der Regel einen eigenen spezifischen
Aufbau einzelner W orte sowie auf den Satzbau bezie­ Aufbau (vgl. S. 51 unten). Ihre S tru ktu r ist durch fol-
hen. Diese besonderen Merkmale bereiten Lernern des­
gende M e r k m a l e gekennzeichnet:
halb Schwierigkeiten und Verstehensprobleme, weil sie
- die E in fü h ru n g von Begriffen, Text-Bild-Bezügen bzw.
in der Alltagssprache selten oder nie Vorkommen - und
Bezügen zu anderen D arstellungsform en;
schon gar nicht in dieser Dichte.

Teil B
Grundlagenwissen

a) Merkmale der Fachsprache


verkürzte Neben­ ( komplexe A ttrib u te ^
satzkonstruktion unpersönliche erweiterte anstelle von
Ausdrucksweise Nominalphrase Attributsätzen
fachspezifische
Abkürzungen^

Die Auftriebskraft Taucht ein Körper in eine • Durch den Schweredruck erfährtj ___
Flüssigkeit ein, so wird ^eiRacte^gHffer^ eingetauchte Körper eine nach oben wirkende
V= 60 cm3
scheinbar kleiner. Diese I rfnt Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
man Auftrieb. Ursache ist der Schweredruck: Gewichtskraft.
Zum Verständnis betrachten wir einen Quader,
der teilweise in eine Flüssigkeit eingetaucht
Eingetauchtes Auftriebskraft Auftriebskraft
ist 6»B5). Der Schwexedruck rnft-an der Unter-
w m m m M esser :inSpintus: *
H ite it^ des Quade(s ^ . a hervor.
-Diese Kraft ist nach oben, g e ^ T d ie Gewichts­
10 cm3 0,1 N 0,07 N
raft, gerichtet. Sie heißt Auftriebskraft FA. 20cm3 0,2 N 0,14 N

9m
■3 » -fgwyg?
Der Kraftmesser zeigt eine um den Betrag der
Auftriebskraft verringerte Gewichtskraft an.
30 cm3 0,3 N 0,21 N

fep i • • • Die vom Schweredruck auf hie Seitenflächen


40 cm3 0,4 N 0,28 N

mmpfe y des Quaders ausgeübten KrafW ieben sich


paarweise auf und jb^R ?R te$t deshalb die
50 cm3
60 cm3
0,5 N
0,6 N
0,35 N
0,42 N

IIIIp a l Kraftanzeige nicht.[}e4i®^yfe Cuader ein-


tauch^, desto größer wird die Auftriebskraft.
B6 Zum Entstehen des Auftriebs und Messungen der
Auftriebskraft/
Ist ©^Vollständig eingetaucht, so verändert
B5 siqn jclie Auftriebskraft nicht mehr.
erweiterte =■■
Nominalphrase
Nominalisierüngen J

b) Fachtypische Sprachstrukturen

hach oben, eine Kraft verringern um eine Kraft


gegen ... gerichtet hervorrufen erfahren

D h Auftriebskraft Taucht fein Körper in eine


• Durch den Schfcteredruck erfährt jeder
FlüVsWkeit ein, so wird seine iGewichtskraft eingetauchte Körpe^eine nach oben wirkende
V= 60 cm3 schembar kleiner. Diese Ersmeinung nennt Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
man ftWtrieb. Ursache ist deMSchweredruck: Gewichtskraft.
Zum Verständnis betrachten wir einen Quader,
der teilweise in eine Flüssigkeit eingetaucht
ist (->B5)ADer Schweredruck ruft an der Unter­ Auftriebskraft
Volumen in Spiritus
seite des Quaderseine Kraft F = p -A hervor. imWasser
10 cm3 0,1 N 0,07 N
Diese Kraft ist nach oben, gegen die Gewichts­
kraft, gerichtet. Sie heißt Auftriebskraft FA. 20cm3 0,2 N 0,14 N
Der Kraftmesser zeigt eine um den Betrag der 30cm3 0,3 N 0,21 N
Auftriebskraft verringerte Gewichtskraft an. 40 cm3 0,4 N 0,28 N
Die vom Schweredruck auf die Seitenflächen
50 cm3 0,5 N 0,35 N
des Quaders ausgeübten Kräfte heben sich
paarweise auf und beeinflik^en deshalb die 60 cm3 0,6 N 0,42 N
Kraftanzeige nicht. Je tiefer de^guader ein­ B6 Zum Entstehen des Auftriebs und Messungen der
taucht, desto größer wird die AuftriBS^Jcraft. Auftriebskraft
Ist er vollständig eingetaucht, so veränti
B5 sich die Auftriebskraft nicht mehr.

eine Kraft
I ausüben auf

M uste rte xt aus: Impulse Physik 2, 2008, S. 54

50
Teil B
Grundlagenwissen

c) „Leerstellen" in einem Sachtext

Gilt das für alle Körper? Was w ird\ : - Im Text kommt


r Warum z.B. ein Quader? scheinbar und was Spiritus nicht vo r.,
Was passiert real verringert?
bei ganzem
Eintauchen?
Die Auftriebskraft Taucht ein Körper in £ine • Durch den SciiW ^druck erfährt jecter
Flüsj^gWreWiirebatJB'd ^eine Gewichtskra eingetauchte Körper em^qach oben ywrkende
sch< Erscheinung nei|/nt Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
V/= 60 cm
marji /K ^ ffe g e trfä ^ ^ >3t der Schweredjruck: Gewichtskraft.
m verstäntrms-b^ iten wir einen Quader,
der teilweise in ein< üssigkeit eingetaucht Eingetäuchtes Auftriebskraft
ist (->B5). Der Schwer^ruck ruft an der Unter­ Völümen ; im Wasser
seite des Quaders eine Kraft F= p -A hervor. 10 cm3 0,1 N 0,07 N
Diese Kraft ist nach oben, gegen die Gewichts­
20 cm3 0,2 N 0,14 N
kraft, gerichtet Sie heißt Auftriebskraft FÄ.
Der Kraftmesser zeigyeine um den Betrag der 30cm3 0,3 N 0,21 N
Auftriebskraft vei|n^gp^§e^ichtskraft an. 40 cm3 0,4 N 0,28 N
Die vom Schweremruck auf dre Seitenflächen 50 cm3 0,5 N 0,35 N
des Quaders ausgeübten Kräfte heben sich
60 cm3 0,6 N \ 0,42 N
paarweise auf und beeinflussen deshalb die
K raftanzeig^fcht Je tiefer der Quader ein­ B6 Zum Entstehen des Auftr^?\s und Messungen der
taucht, desto g r e ^ r wird die Auftriebskraft. Auftriebskraft
Ist er vollständig e h ^ t^ u c h t, so verändert
sicb-die Auftriebskrart^chtsmehr.
Was sind diese Pfeile?
Kräfte haben eine Richtung, Gleichgewichts­ So ideale Werte sind
kräfte? . experimentell unglaubwürdig:
- der Druck nicht.

d) Aufbau eines Sachtextes


Zusammenfassung
Anknüpfung an die
■ Erfahrungen des Lesers in einem Merksatz

jcht ein Körper in eine • Durch den Schweredruck erfährt jeder


Flüssigkeit ein, so^tfird seine Gewichtskraft eingetauchte Körper eine nach oben wirkende
scheinbar kleiner Diese Erscheinung nennt Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
60 cm3
man Auftrieb. Ursache ist der Schweredruck: Gewichtskraft.
Zum Verständnis betrachten w if e g ^ j^ a ä ö r ,
der teilweise in eine Flüssigkeit gtlnfShWfl^ Eingetäuchtes .Äüfuiöbskraft ?.^ÄÜftriebSkr^ft "q
ist 0»B5). Der Schweredruck ruft an der Mnrsr- K M saSm H I
seite^ies Quaders eine Kraft F = p -A hervor. 10cm3 0,1 N 0,07 N
■ ■T^ D ig /eHCraft ist nach oben, gegen die (^ewichts-
20 cm3 0,2 N 0,14 N
Text^^ljd-g 3rjchtet. Sie heißt Auftriebskraft FA.
*-e*l5yF^(r5ftmesser zeigt eine um den Betrag der 30cm3 0,3 N 0,21 N
Auftriebskraft verringerte Gewichtskraft an. 40 cm3 0,4 N \ 0,28 N
Die vom Schweredruck auf die Seitenflächen 50 cm3 0,5 N 0,35 N
des Quaders ausgeübten Kräfte heben sich
60 cm3 0,6 N \\ 0,42 N
paarweise auf und beeinflussen deshalb die
Kraftanzeige nicht. Je tiefer der Quader ein­ B6 Zum Entstehen des Auftrie 5 und Messungen der
taucht, desto größer wird die Auftriebskraft. Auftriebskraft
Ist er vollständig ^fingetaucht, so verändert
sich die Atu___ y___
Weitere 1
Fragen Bestätigung des '
Andere Darstellungs­ Zusammenhangs im
form: Skizze " Experiment :

Teil B 51
Grundlagenwissen

- eingefügte Beispiele; Das Lesen eines Fachtextes ist somit ein ausgesprochen
- erläuternde und illustrierende Zusätze; komplexer Vorgang. Deshalb muss der Leser auch in
die Technik des Lesens von Sachtexten eingeführt wer­
- Verallgemeinerungen und Generalisierungen;
den (Details s. S. 111 ff. und Teil C).
- eingebundene Experimente;
Die hierfür jeweils erforderlichen Einzelkompetenzen
- induktives oder deduktives Vorgehen; hängen eng m it der Kultur bzw. der Sprachwelt des
- explizite oder implizite Rückgriffe auf Vorwissen; betreffenden Faches zusammen. Diese Sprachwelt stellt
- hoch verdichtete Merksätze sowie Ausblicke auf die spezifische Bildungssprache des Fachs dar.

weiterführende Fragen.

Besonderheiten der Fachsprache

Morphologische Besonderheiten der Fachsprache:


- substantivierte Infinitive/in ein Nomen umgewandelte Verben
(z. B. „ das Hobeln ", „ das Fräsen ", „das Schlei fen " ) ; \i- V-: :2 -

- Substantive/Hauptworte/Nomen auf -er l ..


(z.B. Fahrer, Drehe^Zeiger, Zahler, Schwimmer, Rechner);
- ; ; - Adjektive auf -bar, -los, -reich, -arm, -frei, -fest usw. Ä - E I--7- J
(z.B. brennbar, nahtlos, vitaminreich, sauerstoffarm, rostfrei, säurefest usw.);
- Adjektive m it dem Präfix/vorangestellten „n ic h t"
(z.B. „n ic h tle ite n d ", „n ich tro ste n d ");

- mehrgliedrige Komposita/zusammengesetzte Begriffe/Substantive - ® -t A R S ® z.ffi r fe i


(z.B. „Zyfinderkopfm utter“); . - ~ : ; - - --

- Zusammensetzungen m it Ziffern, Buchstaben und Sonderzeichen


' (z.B. „T-Träger"; „ 6 0 - Watt-Lampe", „U -R ohr");
- sog. Mehrwortkomplexe • • '' '
(z.B. „elektronische Datenverarbeitung“, „Flachkopfschraube m it Schlitz“);-
- Wortbildungen m it und aus Eigennamen
(z.B „galvanisieren", „röntgen", „Bunsenbrenner", „ O tto m o to r“); f: ^-5T- j*

- fachspezifische Abkürzungen (z.B. „D G L " für Differenzialgleichung).


‘ r “
Syntaktische Besonderheiten der Fachsprache:
- sog. Funktionsverbgefüge iÄ B \ WMS . f •
(z.B. „in Angriff nehmen", „Anwendung finden"; „ in Betrieb nehmen");
- Nominalisierungen
(z.B. „d ie Instandsetzung der Maschine", „d e r Überführungsvorgang") r'Or:.' y-i
- erweiterte Nominalphrasen und Satzglieder anstelle von Gliedsätzen
(z.B. „nach der theoretischen Vorklärung“, „be im Abkühlen des Materials");
_ . - komplexe Attribute anstelle von"Attributsätzen (z.B. „das a uf der Achsefest
' : sitzende Stirnrad“, „d e rv o rfris tig beendete genehmigungspflichtige Vorgang");
- bestimmte, bevorzugt genutzte Nebensatztypen
(z.B. Konditionalsätze, Finalsätze und Relativsätze);

- bestimmte, bevorzugt genutzte Verbkonstruktionen


- (z.B. 3. Person Singular/Plural, Indikativ Präsens, bestimmte Passiv-Formen
wie z.B. Vorgangs- und Zustandspassiv, Imperative);

- unpersönliche Ausdrucksweise (z.B. „M a n n im m t dazu „Strahlungen lassen


sich schwer nachweisen.", „ M i t dem Festzurren erübrigt sich die Kontrolle. “).
-r ’ ~ _~ -

52 Teil B
Grundlagenwissen

Wie begegnet man den Heraus­ schlag-Konzept" gelernt werden, dem die passende

forderungen mit der Sprache Sprache dann mühelos folgt.

im Fachunterricht? Damit aber bestimmt - ganz im Sinne des sprachsensi­


blen Fachunterrichts - das Fachkonzept das Sprechen
Diagnostik und Lösungen und nicht umgekehrt. Hier muss also fachliches Verste­
Eingangs wurde dargestellt, in welchen Bereichen die hen sprachdidaktisch begleitet werden.
Schwierigkeiten m it der Sprache im Fachunterricht lie­
c) bei fachinhaltlichen Schw ierigkeiten:
gen. Allerdings müssen die Lehrkräfte nicht nur die
fachdidaktische und u nterrichtliche Lösungen
Eigenheiten der unterschiedlichen Sprachen im Fach­
unterricht kennen, sondern auch in der Lage sein, diese Schwierigkeiten, die in den Fachinhalten liegen, müssen
Eigenheiten im Einzelnen zu diagnostizieren: Denn nur fachdidaktisch und unterrichtlich angegangen werden.
Das bedeutet: Die Dichte der Kommunikation im Fach­
so können sie adäquat und wirksam m it Sprache im
unterricht kann aufgeweicht werden, indem im Unter­
Fachunterricht umgehen und insbesondere sprach­
richt die Unterrichtssprache (vgl. S. 46) und nicht die
schwache Lerner individuell angemessen, binnendiffe­
rigide Fachsprache genutzt wird. Erfahrungsgemäß ver­
renziert und erfolgreich fachlich wie sprachlich fördern.
flüssigt sich dadurch die Kommunikation und sie wird
Da die Fachsprache in den a uf S. 49 ff. genannten vier diskursiver. Die Darstellungsformen des Fachs (Tabellen,
Bereichen unterschiedliche Schwierigkeiten aufweist, Skizzen, Formeln, Grafen, Diagramme, Karten, Bilder
erfordert auch deren Bewältigung jeweils unterschied­ ...) können gut m it Sprachhilfen unterstützt werden.
liche, spezifische Herangehensweisen und Lösungen.
Dabei empfehlen sich: d )b e i fachtextlichen Schw ierigkeiten:
Textstrategien, Textübungen und
a) bei m orphologischen und syntaktischen Textvereinfachungen
Schwierigkeiten: sprachmethodische Lösungen Schwierigkeiten, die in der Struktur von Fachtexten lie­
Schwierigkeiten, die in der Morphologie und der Syn­ gen, müssen mit Lesestrategien, Leseübungen und Text­
tax der Fachsprache liegen, müssen von der Lehrkraft vereinfachungen angegangen werden. Gerade sprach­
sprachmethodisch angegangen werden. Dies kann schwache Lerner müssen in ihren Kompetenzen in den
erfolgen, indem die Lehrkraft Bereichen Textverstehen und Textproduktion im Fach­
- fachspezifische Abkürzungen erläutert; unterricht gefördert werden; dies ist nicht zuletzt durch
die Ergebnisse der PISA-Studie deutlich geworden.
- Komposita (durch Hinweis auf die einzelnen Bestand­
teile) und komplexe Attribute (durch Umschreibun­
Sprachmonster
gen) vereinfacht;
Sprachmonster kommen in zwei Erscheinungsformen
- verkürzte Nebensätze durch Relativsätze verständ­
vor: als sehr lange, schwer aussprechbare und kaum zu
licher form uliert und
behaltende Fachbegriffe, die selten verwendet werden
- selten gebrauchte Verben durch bekannte ersetzt. (Begriffsmonster), aber auch als Definitionen, Merksät­
Welche Maßnahmen im Einzelfall sinnvoll sind, sollte ze, Regeln, Beschreibungen, Erklärungen etc., die alle
die Lehrkraft möglichst im Vorfeld, sonst im Verlauf möglichen Sonderfälle wissenschaftlich absichern bzw.
des Unterrichtsgeschehens diagnostizieren und prüfen. vollständig sprachlich erfassen möchten und dadurch
zu sprachlichen Ungetümen werden (Satzmonster).
b )b e i fachsprachlichen Schwierigkeiten:
sprachdidaktische Lösungen Beispiele:

Der Umgang m it fachtypischen Sprachstrukturen ist „ Desoxyribonukleinsäure";


zwingend; er ist somit unabhängig davon, ob es sich „D er Kraftmesser zeigt eine um den Betrag der A u f­
um Lerner m it M igrationshintergrund handelt oder triebskraft verringerte Gewichtskraft.";
nicht. Lediglich die (jeweils unterschiedliche) sprach­ „H ängt beim Flaschenzug die Last an n tragenden
methodische Aufbereitung ist davon betroffen. Seilabschnitten, so ist die am Seilende erforderliche
Schwierigkeiten, die in den fachtypischen Sprachstruk­ Zugkraft F gleich dem n-ten Teil der Gewichtskraft
turen liegen, müssen sprachdidaktisch angegangen der Last."
werden. Dies erfolgt insbesondere dadurch, dass fach­ Begriffsmonster lassen sich durch Abkürzungen sprach­
typische Sprachstrukturen m it den dahinter liegenden lich optimieren, Satzmonster durch Umschreibungen.
Konzepten und Vorstellungen verbunden werden. Besonders geeignet sind sogenannte Operationalisie­
rungen in Form von Handlungsanweisungen. Letztere
Beispiel: Methode ist jedoch nur bedingt anwendbar.
Der Fachbegriff „Niederschlag" umfasst mehr als - Optimierung durch Abkürzung:
der Alltagsbegriff „Regen". Es muss das „Nieder- z.B.: Desoxyribonukleinsäure = DNS

Teil B 53
Grundlagenwissen

- Optimierung durch sprachliche Vereinfachung: keit der Syntax) orientieren, sondern müssen auch die
Beispiel: „D ie Kraft, die der Kraftmesser zeigt, ist die Bedeutung (also die Semantik) im Blick haben (vgl.
Gewichtskraft minus die Auftriebskraft. " das Beispiel zu „K ra ft haben" und „K ra ft ausüben").

- Optimierung durch Operationalisierung


und Visualisierung: Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Beispiel: „Am Flaschenzug mache ich es so: Ich zähle Lehrkräfte im Fachunterricht kennen das Phänomen:
die Seilstücke rechts und links von der losen Rolle Lerner, die sich in der alltäglichen Kommunikation gut
und teile das Gewicht durch diese Zahl. Das ist dann und flüssig unterhalten können, verstummen im Fach­
die Zugkraft am Flaschenzug." unterricht und zeigen große sprachliche Defizite in der
Kommunikation über fachliche Sachverhalte. Die Lerner
Zum didaktischen Sinn von Sprachmonstern lässt sich
erweisen sich somit in M ündlichkeit und Schriftlichkeit
Folgendes feststellen: Manche Sprachmonster könnten
unterschiedlich kompetent.
sicher sprachlich entschärft werden, um den Verste­
hensprozess nicht unnötig zu blockieren oder zu er­ Die Unterschiede zwischen M ündlichkeit und Schrift­
schweren. Sie haben jedoch auch ihre didaktische Be­ lichkeit verdeutlicht die Grafik auf S. 55:
rechtigung und machen Sinn, sofern sie der sprachlichen
M ün dlichke it bedeutet, dass die gesprochene oder
Präzision und Exaktheit dienen.
geschriebene Sprache (vgl. Fazit-Kasten unten) die
Dass Fachsprache einen solch hohen Anteil exakter Merkmale der mündlichen Kommunikation trägt. Die
Begriffe aufweist, spiegelt zum einen ihren hohen Sprache der M ündlichkeit ist privat, spontan und situa­
Anspruch an Exaktheit wider. Zum anderen aber - und tionsgebunden, zudem affektiv und subjektiv gefärbt.
das ist der Hauptgrund - ist Fachsprache eigentlich gar Sie wird auch als Sprache der Nähe bezeichnet (vgl.
nicht kommunikativ ausgerichtet, sondern fü r die Ver­ hierzu die Schreibprobe von Serkan, S. 23 f.). Die Spra­
schriftlichung gedacht. Aus diesem Grund kommuni­ che der M ündlichkeit ist zudem weitschweifig, wenig
zieren sogar Fachleute mündlich nicht in der Fachspra­ komplex und kaum elaboriert. Sprachliche Richtigkeit
che, sondern verwenden nur fachsprachliche Versatz­ ist hier nicht unbedingt notwendig und Sprachfehler
stücke. werden in einem gewissen Rahmen hingenommen.
Anders form uliert: Weder die Fachsprache noch die Schriftlichkeit hingegen bedeutet, dass die gesprochene
Sprachmonster sind kommunikativ; fachliche Kommu­ oder geschriebene Sprache die Merkmale der schriftli­
nikation findet vielmehr in der Unterrichtssprache statt. chen Kommunikation trägt. Diese Sprache ist dadurch
Diese wiederum verwendet lediglich fachsprachliche gekennzeichnet, dass die Partner o ft raumzeitlich ge­
Versatzstücke. Für den Lernprozess sind demnach vage
trennt und häufig einander fremd sind; zudem sind sie
Begriffe vorzuziehen: Sie sind deutlich lernfördernder,
auch o ft von der beschriebenen Situation räumlich oder
' da sie die Kommunikation regelrecht herausfordern.
zeitlich entfernt. Die Sprache der Schriftlichkeit wird
Vage Begriffe formulieren also nicht minderwertig, son­
deshalb auch als Sprache der Distanz bezeichnet.
dern lernergemäß. So gelingt die Kommunikation nicht
trotz, sondern wegen der Ungenauigkeit der Begriffe. Die Sprache der Schriftlichkeit ist monologisch, ö ffe nt­
lich und reflektiert, knapp, kompakt, komplex und ela­
Exakte Begriffe taugen somit nicht fü r das Verstehen,
boriert. Sie weist eine hohe Informationsdichte auf und
sondern dienen eher der möglichst genauen Beschrei­
erweckt den Eindruck von O bjektivität und Endgültig­
bung von bereits Verstandenem. Dies legt die Frage
keit. Sprachliche Richtigkeit ist notwendig und Sprach­
nahe, warum sie dann überhaupt benötigt werden.
fehler werden nicht hingenommen. M it ihr geht eine
Der didaktische O rt von Sprachmonstern befindet sich Verlangsamung der Kommunikation einher.
am Ende und nicht am Anfang eines Erkenntnisprozes­
ses. Damit aber bestimmt nicht die Exaktheit des Begriffs
oder der Sprachstruktur das Verstehen, sondern allein
die Denk- und Erkenntnisstruktur des Lernenden. „Kein
Begriff, keine Aussage kann präziser verstanden wer­ Die Begriffe „Mündlichkeit" und „Schriftlichkeit"
den, als es die individuelle Denkstruktur zulässt. " stehen nicht dafür, ob die Kommunikation in
(Muckenfuß 1988, S. 398) mündlicher/gesprochener bzw. schriftlicher Form
stattfindet (Modus), sondern kennzeichnen unter­
Ob und wie viel verstanden wurde, zeigt sich somit in schiedliche (sprachliche und strukturelle) Merkma­
der Sprache der Lerner. Sprache kann aber nicht exakter le, die sowohl in gesprochener als auch in schrift­
sein als das Denken und umgekehrt. Die vom Lerner licher Form Vorkommen können (vgl. Grafik a uf S.
benutzte Sprache ist somit der am häufigsten benutzte 55). Ein Lerner kann deshalb die Merkmale der
Indikator zum Überprüfen des Verstehens. Dabei dür­ Mündlichkeit beherrschen, ohne dass er damit zwin­
fen sich Lehrkräfte aber nicht vornehmlich an der kor­ gend auch die der Schriftlichkeit beherrschen muss.
rekten Verwendung der Fachsprache (also der Richtig­

54 Teil B
Grundlagenwissen

Mündlichkeit und Schriftlichkeit

gesprochene Sprache Die Sprache der


Die Sprache der
Mündlichkeit ist Alltagsgespräche Sacherklärungen Schriftlichkeit ist
geprägt durch: Unterrichtsgespräche Einführungen geprägt durch:
Diskussionen Stellungnahmen
- zirkuläre - lineare
Smalltalk Vorträge Argumentationen
Argumentationen
Schilderungen Reden
- Wiederholungen - wenige
usw. usw.
Wiederholungen
- Gedankensprünge
- keine
- unvollständige Sätze
geschriebene Sprache Gedankensprünge
- grammatikalische
Texte von Kindern literarische Texte - vollständige und
Fehler
E-Mails Geschäftsbriefe komplexe Sätze
- einen unpräzisen
persönliche Briefe offene Briefe - keine grammatika­
Wortgebrauch
Kurzmitteilungen Zeitungstexte lischen Fehler
- Füllwörter Notizen Sachtexte
- einen präzisen
usw. usw. Wortgebrauch
- keine Füllwörter

nach: Schiesser und Nodari, 2007, S. 51

Dies w irft die Frage nach dem Umgang m it Fehlern schen Grammatikw/ssen und Grammatikerwerb, d.h.
auf: Geht es im sprachbezogenen Fachunterricht eher angelerntes Grammatikwissen hat keinen direkten Ein­
um die Förderung der Kommunikation an sich oder fluss auf den Grammatikerwerb. (Manche Menschen
eher um die Förderung nur solcher Kommunikation, können allerdings ihr Grammatikwissen verwenden, um
die auch grammatikalisch richtig ist? ihre sprachliche Produktion auf sprachliche Korrektheit
hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.)

Wie viel Grammatik Zusammengefasst lauten die Hypothesen wie folgt:

braucht der Fachunterricht? 1. Grammatikerwerb vs. Grammatiklernen: Es g ib t


einen Unterschied zwischen Grammatikerwerb und
ln der Fremdsprachendidaktik ist die Diskussion dies­
Grammatiklernen.
bezüglich auch nach 200 Jahren immer noch nicht ent­
schieden - und das, obwohl die Frage von hoher prak­ 2. Input: Grammatikerwerb findet nur dann statt, wenn
tischer Bedeutung ist, wie der folgende Abschnitt zeigt: die Sprache zu kommunikativen Zwecken verwendet
wird.
In den 1990-er Jahren gewann der Ansatz des Natural
3. M o n ito r: Bewusst gelerntes, abstraktes grammati­
Approach im Fremdsprachenunterricht der USA an
sches Wissen wird nur sekundär als M onitor ver­
Bedeutung; er äußerte sich im sogenannten Fünf-Hypo-
wendet und nicht primär zur Initiierung einer Sprach-
thesen-Modell von Krashen. Im vorliegenden Kontext
handlung.
geht es dabei weniger um die Unterrichtspraxis (die
sehr an die kommunikative Methode erinnert), sondern 4. Natürliche Erwerbssequenzen: Beim Grammatiker­
vor allem um den lerntheoretischen Ansatz. werb gibt es natürliche Erwerbssequenzen, die sich
extern nicht oder nur schwer beeinflussen lassen.
Stephen Krashen (1985) und Tracy Terrell (1982) zufol­
5. Affektiver Filter: Grammatikerwerb findet am besten
ge entwickelt sich bei einem Lerner fremdsprachliche
in einer affektiv positiven, d.h. in einer „freundlichen,
Kompetenz auf zwei grundsätzlich unterschiedlichen
aufgeräumten und menschlichen Unterrichtsatmo­
Wegen: durch Erwerben und durch Lernen. Demnach
sphäre" statt.
- so die Hypothesen - haben w ir alle die Grammatik
unserer Muttersprache im kommunikativen Handeln Krashen spricht sich in seinem Modell insbesondere ge­
erworben und nicht als Grammatikw/ssen gelernt. gen die Verwendung normativer „Gram matikmodelle“
Zudem gibt es keinen direkten Zusammenhang zw i­ (also ein isoliertes Lernen von Grammatik um ihrer

Teil B 55
Grundlagen wissen

selbst willen) aus. Vielmehr plädiert er dafür, auch beim


Grammatiklernen die theoretischen Erkenntnisse zum
Basiswissen
Spracherwerb zugrunde zu legen. zur Sprachförderung
Damit bestätigt er den im vorliegenden Handbuch ver­
tretenen Ansatz des sprachsensiblen Fachunterrichts,
im Fachunterricht
der ebenfalls
Spracherwerb und Zweitspracherwerb
- davon ausgeht, dass (Sprach-)Kompetenz im Fach
nur durch den handelnden Umgang m it (Sprach- und Kognitionspsychologische Erkenntnisse
Fach-)Wissen erworben wird; Lehrkräfte können ihre Lerner nur dann m it angemes­
- die Grammatik an sich im Fachunterricht nur insoweit senen, binnendifferenziert und kompetenzorientiert auf­
als Lerngegenstand ansieht, als es um die Regulari- bereiteten Materialien unterstützen, wenn sie
täten der Sprache geht, die beim Spracherwerb der
1. die sprachlichen Schwächen der Lerner korrekt diag­
Fachsprache hilfreich sind;
nostizieren können und
- schon von sich aus gute Sprachsituationen (natürliche
2. wissen, wie der Erwerb von Sprache in der Erst- und
Erwerbssequenzen) für den Grammatikerwerb schafft,
in der Zweitsprache grundsätzlich funktioniert. Denn
da er Sprache im Fachunterricht immer zu kommuni­
die Besonderheiten des Spracherwerbs haben direkte
kativen Zwecken verwendet (Input);
Auswirkungen darauf, ob und welche lernstrategi-
- grammatisches Wissen besonders in der schriftlichen schen Kompetenzen beim jeweiligen Lerner vorhan­
Produktion zum M onitoring (M onitor) nutzt; den sind und welche Bedingungen somit im Einzel­
- auf erfolgreiches Sprachhandeln hin ausgerichtet ist nen gefördert werden müssen, damit überhaupt ein
und Kompetenzzuwachs bei ihm erfolgen kann.
- das Könnensbewusstsein stärkt (affektiver Filter). Wie also lernt man „Sprache" (oder, bezogen auf das
Grammatik wird also nur dann gelernt, wenn sie ge­ Zweitsprachlernen: „eine" Sprache)? Die A n tw ort ist
braucht wird und klärend wirkt. Dies w irkt sich insbe­ kurz und prägnant: Sprache lernt man, indem man sie
sondere auf die Gestaltung von Sprachübungen aus aufnimmt, speichert und benutzt, also in ihr handelt.
(vgl. S. 178 ff. und Teil C). Dies scheint ganz einfach: W ir nehmen Sprache durch
Hören und Lesben auf und wenden sie durch Sprechen
Auch andere moderne fremdsprachendidaktische Ansät­ und Schreiben an.
ze legen diese Ausrichtung nahe. Überlegungen zur
Grammatik bzw. zum Aufbau und Funktionieren von Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht: Denn was
Sprache sollten deshalb von der Lehrkraft an der jeweils an Sprache aufgenommen und gespeichert werden
passenden Stelle im Prozess des Spracherwerbs them a­ kann, ist nicht identisch m it dem „sprachlichen Input",
tisiert werden. So kann sukzessive ein Gerüst aufgebaut dem ein Mensch bzw. ein Lerner insgesamt ausgesetzt
werden, in das Sprachphänomene integriert werden. ist; es ist vielmehr geringer. Denn unser Input durchläuft
In dieses Gerüst ist dann auch die Wortschatzvermitt- drei Filter; aufgenommen wird dabei nur, was
lung integriert (vgl. z.B. Teil C, Sprachübung 1). - unsere Aufmerksamkeit erregt,
- unserem Spracherwerbsstand entspricht und
- zu unserem Vorwissen passt.

Insbesondere beim sprachlichen Lernen im Fachunter­


Grammatiklernen darf niemals Selbstzweck sein. richt spielt das Vorwissen eine ganz entscheidende Rolle.
Der Fachunterricht widmet sieh dem Grammätik- Je nach A rt und Umfang des Vorwissens wird das A u f­
lernen vielmehr nur dann, wenn dadurch das fach­ genommene entweder im Kurz- oder im Langzeitge­
liche und fachsprachliche Lernen gefördert wird. dächtnis gespeichert.
L ~r ’- ~~ "* ;_ - _- - ' _■
Im Zweifel sollte,somit auf „grammatische Nach­ Die Neurobiologie unterscheidet vier Langzeitgedächt­
hilfe“ verzichtet werden, da ’ ^ nisebenen, die in der Evolution nacheinander entstan­
den sind (vgl. nebenstehendeTabelle).

Dabei wird die Aussprache von Lauten und die Abfolge


morphologisch-syntaktischer Sprachelemente in der
Satzproduktion vom prozeduralen Gedächtnis gesteu­
ert. Dessen Erwerb erfolgt unbewusst, scheinbar zufäl­
lig, sein Vorhandensein zeigt sich nur im Können.

Demgegenüber sind die deklarativen Gedächtnisse, die


sich in der menschlichen Evolution zuletzt entwickelt
haben, unabdingbar an Sprache geknüpft. Sie umfassen

56 Teil B
Grundlagenwissen

Sprachverarbeitung zwischen Input und Output

bearbeitet nach: Stern, 2002, S. 5

Gedächtn issysteme
~£ ? . ; f 'r S r 5?!??

Nicht-delklaratives DpH pi r a fiv e c v

(implizites) Gedä<:htnis: unbewusste (explizites, intentionales) Gedächtnis:


oder vorbewusste Wiedererinnerung . □ewussie wie aerermnerung

prözedurales semantisches episodisches


Priming
Gedächtnis Gedächtnis Gedächtnis

• unbewusstes Wiederer­ • Fertigkeitswissen; • Wissenssystem für • Erinnerung an Lebens­


kennen/Wiedererinnern erlernte Bewegungs­ Weltkenntnisse ereignisse („persönli­
bestimmter Reize und abläufe ches Gedächtnis")
• Schul- und Bildungs­
Sinneseindrücke
• Handlungsstrategien, wissen • Speicherung einzelner
• erleichtertes Erinnern Gewohnheitsbildungen Ereignisse geordnet
• Wissen um generelle
von ähnlich erlebten nach O rt und Zeit
• Aussprache Zusammenhänge
Situationen oder früher
wahrgenommenen • Gefühl der Sprach- • Faktengedächtnis
f! Reizmustern
richtigkeit
• sprachlich-grammati­
kalische Kenntnisse

E = m c2
)
J W

%\ E volution der Gedächtnissysteme

nach: Markowitsch, 1996, S. 52-61

Teil B 57
Grundlagenwissen

das semantische und das episodische Gedächtnis, die mitteilen, dann rufen w ir in unserem Gedächtnis nicht
wiederum den Bereich des Wissens und den Bereich einfach gelernte Wörter und eingeübte Sätze ab, die
der Erinnerung an Lebensereignisse beinhalten. Somit in der Situation gerade passen, sondern w ir generieren
gibt es kein Gedächtnis ohne Sprache; vielmehr fu n ­ Wörter, Satzteile und Äußerungen ausgehend von der
gieren W örter als Grundbausteine unseres bewussten Mitteilungsabsicht über Wortwahl, Satz- und Lautpro­
Denkens und unserer Überlegungen. Dies lässt sich bei­ duktion jedes M al von Grund auf neu. " (Stern 2002,
spielsweise dadurch belegen, dass Kinder erst dann ein S. 5 f.)
episodisches Gedächtnis aufzubauen beginnen, wenn
„Das fundamentale Lerngesetz lautet: Die Zielhandlung
sie einen größeren und gesicherten Wortschatz entw i­
selbst, die ganzheitliche Leistung muss immer wieder
ckelt haben.
ausgeführt werden. (...) Eine Fremdsprache lernt man
Beim Sprachgebrauch - also beim Sprechen wie beim nur dann als Kommunikationsmedium benutzen, wenn
Schreiben - aktivieren w ir gespeichertes Wissen. Hier sie ausdrücklich und genügend o ft in dieser Funktion
können w ir aus eigener Erfahrung zwei Fälle unter­ ausgeübt w ird ." (Butzkamm 1989, S. 79)
scheiden:
Diese Ausübung muss jedoch auch erfolgreich stattfin­
- Wenn w ir in einer spontanen Sprechsituation bewusst den können; dies ist der Fall, wenn die Sprechsituation
auf Wissen zurückgreifen müssen, so ist das sehr an­ kognitiv und sprachlich dem Denk- und Sprachniveau
strengend, da es eine hohe Kontrolle der (sprachli­ des Lerners angepasst ist. Funktional erfolglose Sprach-
chen) Produktionsprozesse verlangt (z.B. in Bezug
verwendungen wirken sich negativ aus.
auf W ortwahl, Satzkonstruktion, Aussprache). Unter
Zeit- und Situationsdruck wird deshalb nur beschränkt „ Tatsächlich ist automatisiertes Wissen die Vorausset­
auf semantisches sprachliches Wissen zugegriffen. zung für Verstehensprozesse, eben w eil man für Ver­
stehensprozesse freie Arbeitsgedächtniskapazitäten
- Wenn w ir in einer spontanen Sprechsituation hinge­
braucht. (...) W ir verbessern also unsere allgemeine
gen „einfach so" sprechen, so geschieht das unbe­
Lern- und Denkfähigkeit, indem w ir spezifisches Wis­
wusst, mühelos und automatisch.
sen in anspruchsvollen Inhaltsgebieten erwerben. "
Dafür gibt es Gründe. Denn aus kognitionspsychologi­ (Stern und Neubauer 2007, S. 192)
scher Sicht findet Spracherwerb dann statt, wenn zwei
Stern und Neubauergeben in der Folge auch eine Erklä­
Voraussetzungen erfüllt sind:
rung dafür, warum in Sprechsituationen, die m it hoher
1. die Aufnahme und Speicherung von sprachlichem
kognitiver Anstrengung verbunden sind, Sprachfehler
Wissen (also z.B. W örtern, grammatischen Elemen­
ganz natürlich und unvermeidlich sind: „D ie Aufmerk­
ten und ihren Gebrauchsregeln) und
samkeit ist dabei fast gänzlich von der Bedeutungs­
2. der Aufbau von prozeduralem, d.h. automatisch ver­ produktion (Mitteilungsabsicht, Wortwahl) absorbiert,
fügbarem sprachlichen Wissen. die Bildung der Wort- und Satzformen muss auf pro-
zedurales, automatisiertes Wissen zurückgreifen kön­
Gelingender Spracherwerb setzt somit voraus, dass im
nen und entgleitet weitgehend der bewussten Kon­
semantischen Gedächtnis gespeichertes - also deklara­
trolle. Als Sprachlernende versuchen w ir in dieser Situa­
tives - sprachliches Wissen weitgehend automatisch
tion stammelnd und bruchstückhaft unsere Gedanken
aktiviert und angewendet werden kann, also in proze-
zu äußern und uns verständlich zu machen, und gleich­
durales Sprachwissen umgewandelt wird. Unter w el­
zeitig schaffen w ir dabei die Voraussetzung für weitere
chen Bedingungen aber wird deklaratives Sprachwissen
Automatisierung. Sie passiert nämlich (unbewusst) in
zu prozeduralem Sprachwissen?
dieser Interaktionssituation, während der Interaktion
Üben und Wiederholen sind hierfür zwar wichtig, aber m it Menschen, Texten und M edien." (ebd.)
nicht entscheidend. Eine Automatisierung wird vielmehr
erst dadurch ausgelöst, dass sprachliches Wissen in ech­ Alle Zitate belegen, welche Funktion und welche Bedeu­
ten Kommunikationssituationen gebraucht wird, vgl. tung dem inhaltsbezogenen Sprachlernen als Lernen
hierzu die Definition auf S. 69. von Sprache an und m it Inhalten zukommt. Dies ist
ein eindeutiges Plädoyer für den sprachsensiblen Fach­
Dies hat aufschlussreiche Folgen für sogenannte „Pauk- unterricht.
übungen":-Nicht genau das, was vorher geübt wurde,
wird automatisiert, sondern das, was das innere, indi­
viduelle Sprachsystem des Lerners zur weiteren Ent­
wicklung gerade noch integrieren kann.

Dies belegen auch die Erkenntnisse von O tto Stern und


W olfgang Butzkamm: „U m die Bedingungen zu ver­
stehen, die Automatisierung ermöglichen, müssen w ir
verstehen, wie Sprachproduktion, d.h. Sprechen oder
Schreiben, funktioniert. Wenn w ir jemandem etwas

58 Teil B
Grundlagenwissen

Erklärungsmodelle und Hypothesen durch den sprachlichen Input beeinflusst, der dem Ler­
zum Zweitspracherwerb ner zur Verfügung steht. Dabei fü hrt nur ein Input, der
Die wichtigsten in der Literatur vertretenen allgemei­ vom grammatischen und lexikalischen Schwierigkeits­
nen Theorien zum Zweitspracherwerb sind (nach: Wolff, grad her gerade oberhalb der sprachlichen Kompetenz
2007, S. 18-20): des Lerners liegt, zu Lernprozessen (vgl. dazu die A bbil­
dung auf S. 57 oben).
- die kontrastive Hypothese
(contrastive analysis hypothesis)] Die kreative Konstruktionstheorie ist stark angegriffen
worden. Einige, insbesondere lerntheoretische Aspekte
- die Identitätshypothese
sind jedoch im Kontext des institutionalisierten Ler­
(identity hypothesis)',
nens von Bedeutung, so insbesondere, dass Sprachler­
- die kreative Konstruktionstheorie nen ein Konstruktionsprozess ist, der vom Lerner w eit­
(Creative construction theory); gehend eigenständig durchgeführt wird.
- die Interaktionshypothese
Auch die Interaktionshypothese („interactionist hypo­
(interactionist hypothesis).
thesis") geht davon aus, dass der Zweitspracherwerb
Im Einzelnen: Die kontrastive Hypothese („contrastive ein komplexer Konstruktionsprozess ist. Sie versucht
analysis hypothesis") entwickelte sich auf der Grund­ aber stärker zu erklären, wie der Input beschaffen sein
lage der behavioristischen Lerntheorie. Ihre wichtigste muss, um Konstruktionsprozesse zu initiieren.
Aussage ist, dass jeder zweitsprachliche Lernprozess
Der Interaktionshypothese zufolge lösen Modifikationen
auf der Grundlage der Gewohnheiten der M utterspra­
in den Interaktionen zwischen Muttersprachlern und
che vor sich geht. Diese Gewohnheiten interferieren
Zweitsprachlernern die Erwerbsprozesse aus; dabei ma­
mit den Gewohnheiten, die fü r die zweite Sprache ge­
chen diese M odifikationen den Input erst verständlich.
bildet werden müssen, und führen zu Lernproblemen.
Ein verständlicher Input aber fördert Erwerbsprozesse;
Die kontrastive Hypothese geht davon aus, dass Lerner Modifikationen in der Interaktion fördern somit zugleich
dort, wo es Ähnlichkeiten zwischen der Ausgangs- und auch die Erwerbsprozesse.
Zielsprache gibt, die Zielsprache leichter lernen; wo es
hingegen Unterschiede gibt, werden die zielsprachli­ BICS und CALP
chen Strukturen nur unter Schwierigkeiten gelernt. Die Die Grundlage für die heutige Praxis des Zweitsprach-
kontrastive Hypothese wurde allerdings obsolet, als die lernens legte jedoch Cummins. Seit er detailliert die
Diskussion um die Entwicklungsfehler einsetzte. Frage untersuchte, wie Kinder von kanadischen Sprach-
Der Identitätshypothese („id e n tity hypothesis") liegen minderheiten die jeweilige Zweitsprache am besten in
folgende Annahmen zugrunde: Der Erwerbsprozess der Schule lernen, wurde hierzu viel geforscht und ge­
einer zweiten Sprache, auch wenn er in gesteuerter schrieben. Nachfolgend die Ergebnisse in Kürze:
Form geschieht, läuft identisch m it dem Erwerb der Cummins ging in seinen Untersuchungen von 1979
Muttersprache ab. Der von Chomsky (1977) postulierte (vgl. Cummins 1979, 1980) dem Einfluss von M od i­
Spracherwerbsmechanismus w irk t somit auch beim fikationen in der Interaktion zwischen verschiedenspra­
Erwerb der zweiten Sprache. Während dieses Erwerbs­ chigen Lernern auf Erwerbsprozesse nach. Dabei unter­
prozesses greift der Lerner in der Regel nicht auf die schied er grundlegende konversationelle Sprachfertig­
Muttersprache zurück. keiten und akademisch-schriftsprachliche Sprach­
Die Richtigkeit der Identitätshypothese versuchte man fertigkeiten und führte die Begriffe BICS und CALP als
durch sogenannte Entwicklungsfehler nachzuweisen, Erklärungsmodelle ein.
also Fehler, die zeigen, dass Lerner beim Erwerb der BICS steht fü r Basic Interpersonal Communicative
Zweitsprache die gleichen Lernprozesse durchlaufen Skills. BICS bedeutet in der Übersetzung soviel wie
wie muttersprachige Lerner beim Erwerb der M u tte r­ „grundlegende Kommunikationsfähigkeiten,, und be­
sprache. schreibt die sprachlichen Fähigkeiten im Bereich der
Die kreative Konstruktionstheorie („Creative construct­ Alltagskommunikation, die durch den unmittelbaren
ion theory") ist - wie das Fünf-Hypothesen-Modell, persönlichen Austausch entstehen, also Grundfertig­
vgl. S. 55 - m it dem Namen von Krashen verbunden. keiten im interpersonalen Bereich. BICS-Fähigkeiten
Ihr zufolge ist der Erwerb der zweiten Sprache wie der tragen dazu bei, die M ündlichkeit zu bewältigen.
Erwerb der Muttersprache ein Prozess, bei dem der CALP hingegen steht für Cognitive Academic Language
Lerner aus den zur Verfügung gestellten Sprachdaten
Proficiency, bedeutet übersetzt soviel wie „schul-
das Sprachsystem der neuen Sprache konstruiert. bezogene kognitive Sprachkenntnisse" und beschreibt
Die Erwerbsprozesse des Lerners werden dabei in ihrer die sprachlichen Fähigkeiten, die durch den Umgang
Abfolge eingeschränkt durch die natürliche Ordnung, m it Sprache in kontextreduzierten schulischen Situa­
in der die sprachlichen Items der Zielsprache gelernt tionen -a ls o im kognitiv akademischen bzw. Bildungs­
werden können; zudem werden die Erwerbsprozesse bereich - entstehen. Diese Sprachkenntnisse im Bereich

Teil B 59
Grundlagenwissen

^ c X lp '" 1
(Basic Interpersonal Communicative Skills/
grundlegende Kommunikationsfähigkeiten) schulbezogene kognitive Sprachkenntnisse)
'fs*;r' -1 — ' -----r-£

- beschreibt sprachliche Fähigkeiten - beschreibt sprachliche Fähigkeiten


in der Alltagskommunikation; in der Bildungssprache;
- beschreibt Sprachfähigkeiten
im interpersonalen Bereich. im kognitiv akademischen Bereich.
v i. ■ V \ -- , , . '
BICS-Fähigkeiten bewältigen die Mündlichkeit. CALP-Fähigkeiten bewältigen die Schriftlichkeit.

von Schule und beruflicher Bildung werden heute als Zweitspracherwerb durch
Bildungssprache bezeichnet, vgl. S. 6 und 46 ff. rrUntertauchen,J und „Eintauchen"
M it der Unterscheidung von BICS und CALP wollte In der Literatur werden zwei weitere Ansätze des Zweit-
Cummins erklären, warum M igrantenkinder im Ge­ sprachlernens in der Schule unterschieden:
spräch mit anwesenden Hörern altersübliche konver- 1. das „Untertauchen“ (Submersion) und
sationelle Kenntnisse schon nach relativ kurzer Lernzeit
2. das „Eintauchen“ (Immersion).
von ca. 2 Jahren erwarben, während sie das altersan­
gemessene Schulkenntnisniveau erst nach 5 bis 7 Jah­ Beim Untertauchen werden die Kinder einer Sprach-
ren Lernzeit erreichten. Er entdeckte dabei eine hohe minderheit in der Schule ausschließlich in ihrer Zweit­
Korrelation zwischen „literary skills“ und „general intel- sprache (z.B. Deutsch) unterrichtet, ohne dass sie die
lectual skills“ , also Zusammenhänge zwischen gemes­ Chance bekommen, ihre Muttersprache als „Erklärspra­
senen Schriftsprachfertigkeiten und nonverbalen Intel­ che" zu benutzen. Sie werden sozusagen in der deut­
ligenztests. Daraus folgerte Cummins, dass es eine schen Sprache „erträn kt". In Deutschland ist die Sub­
schnell zu erwerbende sprachabhängige Ebene gibt, mersion die häufigste Form des Sprachlernens für Lerner
die sich besonders in der zwischenmenschlichen Kon­ m it Zuwanderungsgeschichte/Migrationshintergrund.
versation entwickelt, und eine nur über längere Zeit zu
Auch im Fachunterricht werden diese Kinder somit in
erwerbende Ebene der kognitiven Verarbeitung von
die Zweitsprache „hineingew orfen" und müssen die
sprachlichen Informationen in (schriftlichen) Texten, die
Fachinhalte ohne die unterstützenden Bedingungen des
nicht direkt sprachgebunden ist.*
Fremdsprachenunterrichts lernen. Die Lehrkräfte ver­
CALP-Fähigkeiten tragen dazu bei, die Schriftlichkeit stehen die Sprachen dieser Kinder in der Regel nicht.
zu bewältigen. Dabei beziehen sich die Begriffe „M ü n d ­ Zudem verlernen die Kinder oftmals ihre Herkunfts­
lichkeit“ und „Schriftlichkeit“ nicht auf den Modus der sprache schneller, als sie die Zweitsprache lernen (sub-
Kommunikation (also das „Sprechen“ bzw. „Schrei­ traktive Sprachlernsituation). Im ungünstigsten Fall wird
ben“ ), sondern vielmehr auf die spezifischen Merkmale die Erstsprache darüber hinaus weder in der Familie
der im Mündlichen bzw. Schriftlichen jeweils verwen­ noch in der Gesellschaft ausreichend gestärkt. Kinder,
deten Sprache, vgl. S. 54. die unter Submersion-Bedingungen lernen, haben meist
keine großen Probleme m it der Mündlichkeit, aber viel­
fach große Probleme m it der Schriftlichkeit.

Beim Eintauchen hingegen werden die Kinder einer


CALP beschreibt Sprachfähigkeiten im kognitiv Sprachminderheit in der Zweitsprache unterrichtet, kön­
akademischen Bäreich, also in der Bildungssprache. nen aber die Muttersprache als „Erklärsprache“ benut­
Der CALP-Bereich ist der Arbeitsbereich des Fach­ zen. Sie können sich also an Lehrkräfte wenden, die
unterrichts. ihre Muttersprache verstehen und werden somit unter
Hilfestellung in die deutsche Sprache „eingetaucht".

Im Fachunterricht lernen diese Kinder die Zweitsprache


zusammen m it den Fachinhalten unter den unterstüt­
* Cummins hat später einige der Schlussfolgerungen im Rah­ zenden Bedingungen des Fremdsprachenunterrichts.
men seiner „Schwellenhypothese" (vgl. S. 65) relativiert.
Die Immersion-Sprachlernsituation ist ein anregendes
Auf die nachstehende Unterscheidung von BICS und CALP,
ihre Merkmale und ihre Relevanz für den Erwerb der Bil­ Sprachbad, in dem sowohl die Herkunftssprache als
dungssprache bzw. den Erwerb von Kompetenzen im Bereich auch die Zweitsprache gefördert werden (additive
der Schriftlichkeit hat dies jedoch keine Auswirkung. Sprach lernsituation). Die Erstsprache wird im günstigen

60 Teil B
Grundlagenwissen

Fall sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft lichen Fähigkeiten, auf die die B ild u n g s s p ra c h e aufsetzt,
ausreichend gestärkt. somit nicht erproben und generieren.

Die untenstehende Grafik zeigt die verschiedenen Da deutsche Fachlehrkräfte in D e u ts c h la n d die Her-
Sprachlernsituationen nicht muttersprachig deutscher kunftssprache(n) ihrer Lerner in der Regel n i c h t beherr­
Lerner im Umfeld von Schule und Gesellschaft auf. Sie schen (können), ist streng genommen e in e Im m e rs io n
macht deutlich, dass fachliches Lernen immer inmitten im Fachunterricht nicht möglich. Hier e r w e i s t sich der
eines unterrichtlichen (also CALP-)Sprachbades statt­ sprachsensible Fachunterricht als vorteilhaft, d a e r unter­
findet (vgl. auch S. 76). Darin beobachten, erproben stützende Methoden nutzt, die zwar d e m F re m d s p ra ­
und generieren die Lerner (Fach-)Sprache, nehmen sie chenlernen entlehnt sind, aber auf den F a c h u n te r r ic h t
auf, wenden sie an und entwickeln Sprachbewusstheit angepasst werden. So kann auch in der Z w e its p r a c h e
(language awareness) und Sprachlernbewusstheit. All Deutsch erfolgreich Fachunterricht s t a t t f in d e n .
dies geschieht gleichzeitig und - je nach Situation - in
Dabei hängt es offensichtlich entscheidend v o m Anse­
unterschiedlichem Ausmaß.
hen der Erstsprache ab, ob und wie das S p r a c h le rn e n
Immer aber wird dabei unterstellt, dass außerhalb der in beiden Formen gelingt. Dieses u n te rs c h ie d lic h e Anse­
Schule wichtige grundlegende sprachliche Fähigkeiten hen erklärt auch, warum die scheinbar g l e i c h e Beschu­
bereits erworben sind bzw. parallel durch das m utter­ lung bei sozial gut gestellten Lernern ( z . B . D ip lo m a ­
sprachlich-gesellschaftliche Sprachbad erworben wer­ tenkindern) meist zu hohen S p ra c h k o m p e te n z e n in
den. Für Lerner m it Migrationshintergrund, die auch in mehreren Sprachen führt, während sie bei s o z i a l Schwa­
ihrer Freizeit in ihrer Muttersprache verbleiben, trifft chen (wie o ft z.B. bei Migrantenkindern d e r Fall) eher
dies jedoch nicht zu; sie können diese allgemeinsprach­ zu niedrigen Kompetenzen in beiden S p r a c h e n fü h rt.

Das Sprachbad
(Sprachlernsituationen von Lernern im Umfeld von Schule und Gesellschaft)

Abb. 1 Abb.

Schule Schule

CALP-Sprachbad CALP-Sprachbad

Mutter­ Mutter­ Mutter­ Zweit­


sprache sprache sprache sprache

BICS-Sprachbad kein BICS-Sprachbad

Fachunterricht für muttersprachig deutsche Lerner Fachunterricht für Lerner mit M igration s h i ntergrund
in deutscher Schule sowie Freizeit in deutscher Ge­ in deutscher Schule sowie Freizeit in n ic h td e u ts c h e r
sellschaft Gesellschaft und nichtdeutscher Fam ilie

© Josef Leisen

Teil B 61
Grundlagenwissen

M Die Erstsprache hat ein geringes Soziälprestige. ;. - Die Erstspräche hat ein großes Sozialprestige.

- Die Eltern der Lernenden körn men zumeist aüs der ; ; D i e Eltern der Lernenden kommen zumeist aus
unteren M ittelschicht und der Arbeiterklasse; ‘ v der oberen M ittel- und der Oberschicht.

- Die Zweitsprache droht die Bedeutung der : - Die Zweitsprache stellt keine Bedrohung fü r die
Erstsprache zu relativieren oder sie zu verdrängen. . Erstsprache dar. V

- Die Lernenden gehören der/einer sprachlichen - Die Lernenden gehören der sprachlichen
M inderheit an. M ehrheit an.

- Die Zweitsprache ist Schulsprache, die Lernenden - Die Zweitsprache ist fü r alle in der Klasse gleicher­
sitzen m it Muttersprachigen in einer Klasse. maßen eine fremde Sprache.

- Die Lernenden haben eher wenig Selbstvertrauen - Die Lernenden habeneher ein hohes Sei bst-
und finden zu Hause in schulischen Dingen o ft nur vertrauen und genießen häufig große außer- v
wenig Unterstützung. schulische Unterstützung.

- Die Zweitsprache ist Unterrichtssprache und - Die Zweitsprache ist Unterrichtssprache, jedoch
Sprache der Umgebung. nicht Sprache der Umgebung.

- Die Sprache der Umgebung ist o ft nicht die in der ' - Die Lernenden kommen ausschließlich m it der
' 0 -Schule gelernte Variante der Zweitsprache (Dialekt : Standärdvariante der Zweitsprache in Kontakt. --
* und .Umgangssprache vs. Hochsprache).

- Die Lernenden werden am Standard der - Die Lernergebnisse werden nicht direkt m it denen
\ Muttersprachigen gemessen. von Muttersprachigen verglichen.

aus: Portmann-Tselikas, 1998, S. 134, © Oreli Füssii Verlag AG

Submersion und Immersion im Vergleich Sprachlernen und Kognition


Untersuchungen zu den Faktoren, die fü r einen Zw eit­ Auch andere Untersuchungen (vgl. Tiedemann u.a.,
spracherwerb unter Submersions- bzw. unter Immersi­ 2004) belegen die Bedeutung kognitiver Fähigkeiten
onsbedingungen typisch sind, belegen, dass offensicht­ für den erfolgreichen Ausbau der Sprachkompetenz.
lich die gesellschaftlichen Bedingungen maßgeblich die So scheiterten die im Rahmen von IGLU untersuchten
Erwerbsbedingungen der Zweitsprache bestimmen. Ob Grundschüler vor allem an solchen Aufgaben, die ein
Submersions- oder Immersionsbedingungensbedingun- abstraktes Denken erforderten, also Aufgaben, in denen
gen herrschen, ist dabei eine politische Frage (und nicht Vorstellungsbilder entw ickelt werden mussten und
eine der Didaktik des Zweitsprachenerwerbs). höherrangige Denkoperationen sowie b egrifflich­
logische Fähigkeiten erforderlich waren. Aus der Ana­
Nach Sarter (1991) lassen sich vor allem die folgenden
lyse des Schwierigkeitsgrads der Aufgaben des IGLU-
Unterscheidungsfaktoren feststellen (Details s. Tabelle):
Lesetests kann somit geschlossen werden, dass „die
- das Sozialprestige der Erstsprache; Entwicklung des begrifflichen Denkens eine Schlüssel­
- das Ansehen der jeweiligen elterlichen Berufe rolle für die Lesekompetenz darstellt.11 (Blatt und Voss,
(Gesellschaftsschicht); 2005, S. 261, zitiert nach Praxis Deutsch 2007, S. 8).
- die Zugehörigkeit zur sprachlichen Mehr- bzw, Konnten die IGLU-Aufgaben noch weitgehend m it
Minderheit; Erfahrungen und Einfühlung erfolgreich gelöst werden,
- die Gefahr einer Verdrängung der Erst- erforderten die PISA-Aufgaben in w eit höherem Maße
durch die Zweitsprache; ein begrifflich abstraktes Denken. Dies könnte ein w ei­
- ob die Zweitsprache Schulsprache ist oder nicht. terer Erklärungsansatz fü r die mäßigen Leseleistungen
sein, vor allem aber für deren große Streuung.
Bei der Submersion sitzen die Lerner m it Mutterspra­
chigen in einer Klasse und werden an deren Standard Erfolgreiches Sprachlernen im CALP-Bereich geht somit
gemessen. Da die Zweitsprache Unterrichtssprache und einher mit einem Ausbau des kognitiven Systems. Dem­
Sprache der Umgebung ist, leben diese Lerner im CALP- zufolge sind auch im Fachunterricht Sprachlernen und
und (zumindest z.T.) im BICS-Sprachbad. Kognition untrennbar miteinander verbunden.

62 Teil B
Grundlagenwissen

Die Bedeutung der Entwicklung möglichst genaue Einschätzung bzw. korrekte Dia­
kognitiver Fähigkeiten gnose des Sprachstandes der Lerner vornehmen, wenn
sie diese angemessen fördern will. Dabei muss sie
Wie aber entwickeln sich BICS und CALP genau und
zunächst zwischen dem biologischen Alter (= Alter
wie bedingen sie einander? Und welche Folgen hat das
in Lebensjahren) und dem „fremdsprachlichen“ Alter
für den Fachunterricht?
(= Alter in Jahren des Fremdsprachenerwerbs) unter­
Um diese Fragen zu beantworten, wurden in der Lite­ scheiden:
ratur zwei Modelle entwickelt: das sogenannte SUP-
Den kognitionspsychologischen Erkenntnissen zum
und das sogenannte CUP-Modell. Die Grundannahmen
Spracherwerb und den Erkenntnissen zur Entwicklung
der beiden Modelle wurden dabei im Laufe der Zeit
der Gedächtnissysteme zufolge (vgl. 5. 56 ff.) erwerben
durch unterschiedliche Hypothesen verfeinert.
junge Zweitsprachlernende bis zu einem Alter von etwa
Neuere Forschungen zu den neuronalen Grundlagen 5 bis 7 Jahren Sprache - analog dem Erstsprachener-
des Spracherwerbs und der Mehrsprachigkeit haben werb - ganzheitlich und unbewusst; Sprache wird dabei
das gegenseitige Bedingungsgefüge der SUP-/CUP- im prozeduralen Gedächtnis gespeichert. Was erst ein­
Modelle modifiziert (vgl. Grießhaber, 2007, und Grafik mal erworben ist, steht dann automatisch zur Verfü­
unten): gung.

Danach entwickeln sich bis etwa zum 6. Lebensjahr Sprache und Weltwissen entwickeln sich parallel. Das
syntaktische Strukturen für mehrere Sprachen integriert. deklarative sprachliche Wissen besteht aus Begriffen
Nach etwa 6 Lebensjahren hingegen entwickeln sich und Bedeutungsinhalten; grammatisches Wissen hin­
separate syntaktische Zentren. Ältere Lerner können gegen fehlt weitgehend. Eine bewusste Kontrolle des
somit neuronale Einschränkungen bis zu einem gewis­ eigenen Ausdrucks (Wortwahl, Satzbildung) ist deshalb
sen Grad kompensieren (kompensatorische Ressour­ kaum möglich.
cennutzung), woraus große Differenzen im Erfolg des
Schulisches Lernen ist jedoch auf den Erwerb von dekla­
L2-Erwerbs resultieren. rativem Wissen ausgerichtet, was die Schwierigkeiten
Gerade bei sprachschwachen und nicht muttersprachig dieser Lerner im Fachunterricht erklärt. In diesem
deutschen Lernern muss die Lehrkraft deshalb eine Zusammenhang zeigen Untersuchungen, dass in Lern-

Das SUP-Modell Das CUP-Modell


' (Separate Underlying Proficiency) (Common Underlying Proficiency)

( ( CALP l\

( & j L y l r )

l / J

Die SUP-Modellannahmen lauten wie folgt: Die Erst­ Die CUP-Modellannahmen lauten hingegen: Es gibt
sprache (L1) und die Zweitsprache (L2) entwickeln einen übergeordneten, mit Sprache verbundenen, aber
sich in eigenen Bereichen und nehmen sich gegenseitig einzelsprachlich neutralen Wissensspeicher (allgemei­
Platz weg m it der Folge, dass der Unterricht in L1 auf nes Denkvermögen), der über die Erstsprache (L1) und
Kosten von Fortschritten in L2 geht. Die Begründung die Zweitsprache (L2) gespeist werden kann.
lautet, dass ein direkter Zusammenhang zwischen L2-
Lernaufwand und L2-Kompetenzsteigj?rung besteht,
der dann zu Lasten von L1 geht.

nach: Cummins, 1981, S. 30; aus Grießhaber, 2007, S. 38

Teil B 63
Grundlagenwissen

Situationen m it schulischem und außerschulischem lernens durch die Muttersprache über 5 bis 7 Jahre hin­
Zugang zu einer Zweitsprache 10- bis 12-Jährige die weg notwendig.
effizientesten Lerner sind (vgl. Stern, 2002, S. 7). Die Interdependenz-Hypothese entspricht vielen schu­
M it zunehmendem Alter kann das deklarative sprachli­ lischen Erfahrungen - m it der Folge, dass man anhand
che Wissen zunehmend fü r den Zweitsprachenwerb der Kenntnisse, die ein Kind in seiner Muttersprache
genutzt werden. Lernende m it guten Gedächtnisleis­ hat, m it ziemlicher Sicherheit Voraussagen kann, wie
tungen (intellektuellen Fähigkeiten) sind deshalb im sich dessen Zweitsprachkenntnisse entwickeln werden.
schulischen Zweitspracherwerb erfolgreicher als schwä­ Die gute Beherrschung der Muttersprache ist somit
chere Lernen während fü r außerschulisches, ungesteu­ gleichzeitig eine gute Voraussetzung zum raschen und
ertes Sprachlernen schulische Intelligenz kaum ins Ge­ effizienten Erlernen der Zweitsprache.

w icht fällt. Nach dem sogenannten Doppel-Eisberg-Modell sind


Lernende, die sich biologisch im Jugendalter, frem d­ die Sprachprodukte der Kinder in den beiden Sprachen
L1 und L2 auf der Oberfläche beobachtbar. Unter der
sprachlich aber im Kindesalter befinden (vgl. das Bei­
Oberfläche hingegen - in der Tiefenstruktur - verfügen
spiel von Ategül a uf S. 21 f.) müssen jedoch anders,
die Kinder über nicht beobachtbare spezifische Kennt­
nämlich unter Einbeziehung des deklarativen Wissens,
nisse fü r die Sprachen L1 und L2, die sich teilweise
lernen. Nachweislich machen diese Lerner bei entspre­
überschneiden. Dabei handelt es sich um kognitiv-schu­
chender Förderung auch enorme Fortschritte.
lische Sprachfähigkeiten für Lesen, Schreiben, Sprechen
Folgende Hypothesen und Modelle haben diese Phä­ und Verstehen, die dem CALP-Bereich und damit dem
nomene zu erklären versucht: Arbeitsbereich des Fachunterrichts zuzurechnen sind.

Die Interdependenz-Hypothese: Die Interlanguage-H ypothese:


Die sogenannte Interdependenz-Hypothese basiert auf Der Interlanguage-Hypothese zufolge ist der Zw eit­
dem CUP-Modell und geht davon aus, dass sich die spracherwerb L2 stärker als der L1-Erwerb von ent­
beiden Sprachen gegenseitig beeinflussen und speisen. wicklungsspezifischen Zwischensystemen geprägt. Die­
Wenn also ein Kind im L1-Bereich Fortschritte macht, se Zwischensysteme - auch Interlanguage/Zwischen-
hat das zugleich Vorteile auch fü r den L2-Erwerb. Die sprache/Lernersprache genannt - bewirken, dass der
Entwicklung der Erstsprache schadet oder überfordert Lerner beim Zweitspracherwerb zunächst ein spezifi­
also nicht und lenkt auch nicht vom Erlernen der Zweit­ sches Sprachsystem herausbildet; dieses weist Züge von
sprache ab. Damit aber nachhaltig beide Sprachen aus­ Erst- und Zweitsprache, aber auch neue, unabhängige
gebaut werden, ist eine Begleitung des Zweitsprach- sprachliche Merkmale auf. Dabei fo lgt die Zwischen-

Das Doppel-Eisberg-Modell

nach Cummins, 1984

64 Teil B
Grun dlagen wissen

Die Schwellenhypothese

Art der Zweisprachigkeit Auswirkungen auf die


geistige Entwicklung

A. „additive Zweisprachigkeit": positive


hohe Kompetenz
in beiden Sprachen
2. Schwelle
B. „NormalfaH": weder positive
W) gut ausgebildete Erstsprache, noch negative
c
3 schwaches Zweit- oder
-C
o Fremdsprachenniveau

(I)
-Q
-C
u
2 1. Schwelle
Q-
tn C. „doppelte Halbsprachigkeit": negative
0) niedrigere Kompetenz in bei­
-o
den Sprachen, entweder
'S
gleich gewichtet oder
dom inant

nach: Skuttnabb-Kangas und Toukomaa, 1977; vgl. auch Roche, 2001, S. 92

spräche eigenen individuellen Gesetzmäßigkeiten, baut Die Bedeutung der Entwicklung


eigene Strategien und Regeln auf und zeigt sich als der Sprachfähigkeit
sehr flexibel. Als Folge wird diese Zwischensprache/Ler- Der aktuellen Forschung zur Zwei- und Mehrsprachig­
nersprache in einer Folge von Regelhaftigkeiten und keit zufolge erw irbt ein Kind zunächst eine allgemeine
systematischen Normverstößen ständig in Richtung Sprachfähigkeit, die sich dann auf die erste, die zweite
einer immer stärkeren Übereinstimmung m it der Ziel­ und jede weitere Sprache auswirkt. Je besser demnach
sprache verändert. Bei Stagnation auf einer jeweiligen ein Kind in Bezug auf seine allgemeine Sprachfähigkeit
Entwicklungsstufe besteht jedoch die Gefahr der Fossi­ gefördert wird, desto besser entwickelt sich auch seine
lierung. CUP („Common Underlying Proficiency“ , vgl. Abb. auf
S. 63). Anders formuliert: Der Unterricht in der Erst­
Die Schwellenhypothese: sprache L1 legt die Grundlagen für spätere schnelle
Die Schwellenhypothese geht davon aus, dass es ver­ Fortschritte in der Zweitsprache L2.
schiedene Typen von Bilingualismus gibt: additiven Bi­ Dies belegen nicht nur die Untersuchungen zur Mehr­
lingualismus (hohes Niveau in beiden Sprachen), dom i­ sprachigkeit, sondern auch die Hirnforschung: Ihr zufol­
nanten Bilingualismus (muttersprachige Beherrschung ge sieht das Gehirn keine eigenen Gebiete für die eine
einer der beiden Sprachen) und Semilingualismus (nied­ oder die andere Sprache vor; vielmehr ist das entspre­
riges Niveau in beiden Sprachen, Details s. Abb. oben). chende Gehirnareal (Broca-Areal) von vornherein auf
Unterhalb einer gewissen, individuell unterschiedlichen den Erwerb mehrerer Sprachen hin ausgerichtet. Ange­
Schwelle bilingualer Kompetenz hat die Zweisprachig­ boren ist demnach die Sprachfähigkeit an sich, nicht
keit negative Auswirkungen. Zudem muss der Schwel­ aber die Kenntnis eines bestimmten Sprachsystems.
lenhypothese zufolge ein Mindestniveau an Sprach- In diesem Zusammenhang sind auch Forschungen
kenntnissen überschritten sein, dam it eine positive aufschlussreich, die die Unterschiede zwischen soge­
CALP-Entwicklung möglich und somit Fachunterricht nannten Früh- und Spätmehrsprachigen untersuchten:
auch sinnvoll ist. Danach zeigen Frühmehrsprachige beim Gebrauch
Verbindet man die Erkenntnisse der Schwellen- m it unterschiedlicher Sprachen stärker überlappende Ge­
denen der Interlanguage-Hypothese, erhält man die hirnaktivitäten als Spätmehrsprachige; zudem verfügen
Erklärung dafür, warum so viele Jugendliche m it M igra­ Frühmehrsprachige offensichtlich über ein Netzwerk im
tionshintergrund auf niedriger Kompetenzstufe m it Sprachareal, an das man andere Sprachen „andocken"
fossilierten Sprachkenntnissen verbleiben und deshalb kann. So müssen Frühmehrsprachige auch beim Spre­
viele Bemühungen, bei dieser Lernergruppe Sprachför­ chen einer dritten Sprache eine geringere Anzahl von
derung zu betreiben, nicht erfolgreich sind. Gehirnarealen aktivieren.

65
Teil B
Grundlagenwissen

Der CALP-Bereich entwickelt sich auf der Grundlage Pflegt also das Elternhaus beispielsweise schriftsprach­
von BICS. Er umfasst die sprachbezogenen kognitiven liche Traditionen wie das Vorlesen (in der jeweiligen
Fertigkeiten, die erlernt werden müssen, um sicher Muttersprache), so begünstigt dies die Entwicklung der
mit den Anforderungen der Schriftlichkeit umgehen verschiedenen Sprachbereiche. Bei Kindern aus einem
zu können (Bildungssprache, vgl. 5. 59 f.). Zum CALP- Elternhaus m it M igrationshintergrund ist diese gute
Bereich gehören beispielsweise Lesestrategien, Textsor- Ausgangssituation jedoch in der Regel nicht gegeben:
tenkenntnisse und metasprachliches Wissen.
Hier kann sich der BICS-Bereich in der Muttersprache
Dabei entwickelt sich der CALP-Bereich zwar bei allen häufig nur mäßig und in der Zweitsprache Deutsch gar
Lernern unterschiedlich; die in einer Sprache (L1) im nicht altersgemäß entwickeln, weil das Kind beispiels­
CALP-Bereich erworbenen Fähigkeiten sind jedoch auch weise vor Schulbeginn keinen deutschen Kindergar­
in anderen Sprachen (L2, ...) nutzbar. Damit können ten besuchte und sich eventuell auch sonst nicht im
beispielsweise gut geschulte Lesestrategien in der M u t­ deutschen Sprachbad aufhielt. Dadurch fehlen ihm die
tersprache erfolgreich auf eine Fremd- oder Zweitspra­ sprachlichen (BICS-)Grundlagen, um im Unterricht rasch
che übertragen werden. schriftsprachliche Kompetenzen zu erwerben.

Bei einem gut ausgebildeten BICS-Bereich hat das Das Kind kann seinen CALP-Bereich aber auch nicht in
Kind zudem gute Chancen, dass sich auch der CALP- seiner Muttersprache entwickeln, um die Kompetenzen
Bereich in der Schule gut entwickelt. Dies verdeutlicht dann auf die Zweitsprache Deutsch zu übertragen, da
nachstehende Tabelle: es in der Muttersprache nicht beschult wird. Das Kind

Kompetenzen irn BICS-Bereich

Hörverstehen Leseverstehen Sprechen Schreiben Wortschatz Grammatik

• Alltags­ • Informationen • beschreiben • Gedankennotiz • Alltags­ • einfache Sätze


gespräche • persönliche • auffordern • Einkaufsliste objekte • einfache Verb­
• Smalltalk Briefe • Smalltalk • persönlicher • Alltags­ formen
• Aufforde­ • kurze • befehlen Brief handlungen • einfache Nomi­
rungen Erzählungen • erzählen • Tagebuch­ • Gefühls­ nalformen mit
• Erzählungen • Comics eintrag ausdrücke Präpositionen
• erklären
• Blog und einfachen
• Befehle
t Attributen
• E-Mail

Kompetenzen ini CALP-Bereich


^ . ..
Hörverstehen Leseverstehen Sprechen Schreiben Wortschatz Grammatik

• Sach­ • Geschichten • einen Sachver­ • Geschichte • Fach begriffe • komplexe


erklärungen • Romane halt darstellen • Kommentar • komplexe Nominalformen
• Geschichten • Sachtexte • eine Geschichte • Aufsatz und abstrakte mit Partizipial-

• Nachrichten erzählen Begriffe; attributen


• Zeitungsartikel • Vortrag
• einen Vortrag komplexe • Präpositional­
• Vorträge
halten und abstrakte gefüge
Handlungen; • Verbformen
• nacherzählen
schulbezogene in Präteritum,
Objekte und Plusquamperfekt,
Handlungen Futur 1 und II,
Konjunktiv 1
• Passiv
• komplexe
Sätze

nach: Neugebauer und Nodari, 1999, 5. 161-175

66 Teil B
Grundlagenwissen

kann also weder In der Muttersprache noch in der „Strategien“ der Lerner
Zweitsprache die Fertigkeiten ausbilden, die es zur
beim Zweitspracherwerb
Bewältigung der Schriftlichkeit benötigt. Da viele M i­
grantenelternhäuser zudem bildungsfernen Schichten Welche Strategien entwickeln die Lerner beim Erwerb
angehören, erhält ein solches Kind auch nicht genügend der Zweitsprache? Sie suchen im sprachlichen Input
sprachliche Anregungen, um den CALP-Bereich außer­ (vgl. S. 57 oben) nach Regeln für ein dahinter stehendes
System.
halb der Schule zu entwickeln, vgl. Abb. S. 61.
Im günstigsten Fall bildet der Lerner dabei die Regeln
Kinder erwerben die Fertigkeiten, die für die M ün d ­
der Zweitsprache aus, lernt diese also. Häufig überträgt
lichkeit in der Zweitsprache erforderlich sind, erfah­
er aber auch Regeln aus seiner Muttersprache auf die
rungsgemäß innerhalb sehr kurzer Zeit. Das täuscht
Zweitsprache (sogenannte Interferenz) oder bildet
häufig darüber hinweg, dass ihr CALP-Bereich nicht
„eigene" Regeln, die in keiner der beiden Sprachen
hinreichend genug entwickelt ist.
existieren. Daraus resultiert ein Regelsystem, das seinen
In den ersten Jahren der Grundschule, wenn einfache sprachlichen Äußerungen zugrunde liegt und seine Ler-
Inhalte m it einfachen sprachlichen M itteln verm ittelt nersprache darstellt (sogenannte Interlanguage/Zwi-
werden, fallen Defizite in Bezug auf die Schriftlichkeit schensprache, vgl. S. 64 f.). Die Regeln der Lernerspra-
meist noch nicht auf. Sie werden häufig erst in der Se­ che, die nicht m it denen der Zweitsprache übereinstim­
kundarstufe deutlich, in der komplexere und abstraktere men, bemerken w ir als Fehler.
Bildungsinhalte gelehrt werden und gelernt werden
Die Lernersprache ist über einen längeren Zeitraum hin­
müssen.
weg noch form bar und verändert sich. In einer sprach­
Wie die Praxis zeigt, bewerten Lehrkräfte aber auch zu lich anregenden Umgebung findet der Lerner somit
diesem Zeitpunkt die scheinbar guten mündlichen hinreichend Gelegenheit, seine Regeln in Richtung
Sprachkenntnisse eines Kindes zunächst o ft noch über Zweitsprache „anzupassen". Ist aber die Umgebung
und erkennen deshalb die (sozusagen „verdeckten“ ) nicht anregend genug oder endet die Entwicklung einer
Sprachschwierigkeiten in Bezug auf die Schriftlichkeit Lernersprache, bevor sie in all ihren Regeln m it denen
nicht. Insbesondere ungeübten Lehrkräften wird das der Zweitsprache übereinstimmt, so stagniert der Zweit­
Erkennen von sprachlichen Defiziten zusätzlich dadurch spracherwerb oder entwickelt sich sogar auf frühere
erschwert, dass das Kind an Situationen in Sprachnot Stadien zurück. Dies tritt ein, wenn der Zweitsprach-
lerner ein sprachliches Können erreicht hat, das für die
gewöhnt ist und deshalb über Vermeidungs- und Kom­
kommunikativen Bedürfnisse des Lerners ausreichend
pensationsstrategien verfügt, um die Situation irgend­
ist, oder wenn der zweitsprachliche Input den Lerner in
wie zu bewältigen (vgl. S. 27).
einem solchen Maße über: oder unterfordert, dass er
Da das Kind ja „ganz g ut" spricht und scheinbar alles keine neuen Regeln mehr aufnehmen kann. Am Ende
versteht, werden entscheidende Jahre der Sprachför- steht eine fossilierte Lernersprache.
derung nicht genutzt. Eine Förderung von Kindern mit
Fossilierte Lernersprachen sind ausgesprochen resistent.
Migrationshintergrund wurde bislang o ft zu früh be­
Weitere Sprachentwicklung erfolgt nachweislich meist
endet oder setzte gar nicht erst ein, weil die Kinder
nur unter Zwang, z.B. durch neue soziale, persönliche
den BICS-Bereich relativ schnell entwickelten.
oder berufliche Umstände. Fossilierungen aufzubrechen
So kommen viele Jugendliche m it defizitärer Schrift­ ist nur über eine langandauernde individualisierte Arbeit
lichkeit in die berufliche Bildung. Ihr Leseverstehen und möglich; diese muss zugleich gezielt an den individuel­
ihre Schreibkompetenz sind unzureichend entwickelt len Sprachfertigkeiten des Lernenden ansetzen.
und auch einfachere Strukturen bereiten ihnen schon
Diese Erkenntnisse legen nahe, den CALP-Bereich durch
Schwierigkeiten. Das Versäumte muss dann unter gro­ eine früh- und rechtzeitige Sprachförderung im Fach­
ßem Aufwand und m it unsicherem Erfolg aufgefangen unterricht zu entwickeln. Eine solche Förderung muss
werden. Anders formuliert: Lerner müssen dann unter in Form des sprachsensiblen Fachunterricht erfolgen,
hohem Aufwand nachqualifiziert werden, um über­ da dieser auf einem passenden Anregungsniveau statt­
haupt die Chance auf eine Berufsausbildung zu haben. findet und somit weder unter- noch überfordert. Der
Das aber ist angesichts der o ft bereits fossilierten Lehrkraft muss es dabei insbesondere gelingen, die
Sprachstrukturen meist ein mühsames Unterfangen. M otivation des Lernenden zu wecken und bei ihm ein
Bewusstsein für die sprachlichen Phänomene der Zweit­
sprache zu schaffen. Dazu ist der Lerner jedoch erfah­
rungsgemäß nur bereit, wenn er vom Gewinn und Nut­
zen der entsprechenden Maßnahmen überzeugt ist.
Hier befindet sich der Fachunterricht realistischerweise
in einer schlechten Position. Alle Untersuchungen spre­
chen deshalb für einen frühen Zweitspracherwerb.

Teil B 67
Grundlagenwissen

Konsequenzen dern auch über alle Fächer hinweg bestätigt. Sie sind
zugleich ein unüberhörbares Plädoyer für den sprach-
für die Sprachförderung
sensiblen Fachunterricht.
im Fachunterricht
Konzept und Prinzipien des sprachsensiblen Fachun­
Die Forschungsergebnisse zum Zweitspracherwerb ge­
terrichts werden zudem durch Forschungsergebnisse
ben zugleich Hinweise darauf, durch welche Struktur
untermauert, denen zufolge der Transfer von CALP-
des Schulunterrichts dieser begünstigt wird. W eltw eit
Fähigkeiten in beide Richtungen gehen kann (also von
liegen Erfahrungen m it folgenden Schulmodellen vor:
der Erst- in die Zweitsprache und umgekehrt). Über­
- Segregation: Es wird in getrennten Klassen einsprachig einstimmend ist darüber hinaus - beispielsweise in bi­
in der Erstsprache unterrichtet. lingualen Programmen - eine deutliche Beziehung zw i­
- Submersion: Es wird in gemischten Klassen m it ver­ schen Erst- und Zweitsprache bei der Entwicklung der
schiedenen Erstsprachen in der Mehrheitssprache gehobenen Ausdrucksfähigkeit festgestellt worden
unterrichtet. (Interdependenz-Hypothese, vgl. S. 64; vgl. auch die
DESI-Studie, S. 31). Dies gilt fü r verwandte wie für
- Immersion: Es wird in gemischten Klassen m it ver­
nichtverwandte Sprachen.
schiedenen Erstsprachen unterrichtet, wobei der
Fokus je nach Modell auf den Varianten Erstsprache Allen Untersuchungen zufolge kom m t dabei dem
oder Erstsprache plus Zweitsprache liegt. Sprachlernen in der Primarstufe besonders hohe Bedeu­
tung zu. Lerner m it einer Minderheitssprache als M u t­
- Transition: Zunächst wird nur in der Erstsprache und
tersprache konnten ihre CALP-Fähigkeiten in der Erst­
in der Zweitsprache als Fremdsprache unterrichtet.
und Zweitsprache am besten in koordinierten Sprach-
Im weiteren Verlauf der Schulkarriere werden Erst­
und Entwicklungsprogrammen entwickeln, die die
sprache und Zweitsprache zunehmend „gleichge­
Alphabetisierung in der Erstsprache während der Pri­
w ichtet".
marstufe in den Vordergrund stellten. Zudem wurde
Aufgrund der Vielzahl der Herkunftssprachen von Kin­ festgestellt, dass die kontinuierliche Entwicklung der
dern m it Migrations- oder Zuwanderungshintergrund Erst- und Zweitsprache in der Primarstufe die Fähigkeit
ist in Deutschland nur das M odell der Submersion zur Sprachwahrnehmung anwachsen lässt.
durchgängig realisierbar.
Sowohl die Interdependenz- als auch die Schwellen­
Den Stand der Forschung zum Spracherwerb zweispra­ hypothese stellen die Bedeutung der Muttersprache
chig aufwachsender Kinder und Jugendlicher fassen fü r den Zweitspracherwerb heraus, vgl. S. 64 f.] die
Reich und Roth als hinreichend gesichert in vier Thesen Bedeutung des Sozialprestiges der Minderheitssprache
zusammen (vgl. Reich, Roth e t a i, 2002, S. 24): für den Spracherwerb wurde bereits im Abschnitt „Sub­
1. Eine Kombination von Zweitsprachförderung und mersion und Immersion" (vgl. S. 62) erläutert. Somit
Unterricht in der Herkunftssprache (Immersion oder erscheint es sinnvoll, die Muttersprache zu fördern,
Transition) führt zu deutlich besseren Ergebnissen wenn:
als einsprachige Submersion-Programme. - es sich um ethnische Minderheiten handelt;
2. Es gibt kein Idealmuster der Sprachenverteilung für - das Prestige der Muttersprache gering ist;
zweisprachige Lerner. Man weiß nur, dass sog. „Two-
- eine ungünstige sozioökonomische und -kulturelle
w ay"-P rogram m e-also gemischte Lerngruppen aus
Lage vorherrscht (vgl. Lengyel, 2001, S. 38).
Lernern m it der Mehrheitssprache als Erstsprache
und Lernern m it der Minderheitssprache als Erst­ Eine solche Förderung der Muttersprache w irkt sich
sprache - allen anderen Modellen überlegen sind. mutmaßlich positiv aus:
3. Sprachfördernde Maßnahmen, die den Schulerfolg - auf die Entwicklung der Zweitsprache;
zweisprachiger Lerner sichern sollen, müssen lang­ - das Selbstbild, das Selbstvertrauen und die
fristig angelegt sein. Die Vorstellung, durch kurzfris­ Selbstachtung des Lerners;
tige „Liftkurse" könne der Anschluss an die schuli­
- die Einstellungen zur sprachlichen M ajorität
schen Sprachanforderungen ein fü r allemal herge­
und zum Einwanderungsland;
stellt werden, ist eine Illusion.
- die psychische, soziale und kognitive Entwick­
4. Eine didaktisch planvolle Verwendung von (Erst­
lung des Kindes;
und Zweit-)Sprache zum Zwecke des Lernens curri-
cularer Inhalte - also die bewusste Entwicklung von - die Kontakte zu gleichaltrigen Kindern der Majorität;
Sprache als Medium zum Erwerb von Kenntnissen - die Schulmotivation und den Schulerfolg.
und Fähigkeiten - ist Erfolg versprechender als bloße
Die Forschungsergebnisse legen somit nahe, sprach­
Sprachkurse.
sensiblen Fachunterricht für alle Lerner und ein nach
Diese eindeutigen Forschungsergebnisse werden täglich Bedarf abgestimmtes Anfangslernen in der Erstsprache
nicht nur in der Unterrichtspraxis einzelner Fächer, son­ zum verbindlichen Ziel zu erklären.

Teil B
Grundlagenwissen

Kompetenzen und
Kompetenzerwerb Die Einzelelemente der Kompetenz
nach dem Eisbergmodell
Was sind eigentlich Kompetenzen?
Die Referenzdefinition fü r den Kom petenzbegriff
stammt von Weinert (2001, S. 27). Er definierte Kom­
petenzen als „d ie bei Individuen verfügbaren oder
durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fer­
tigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die
damit verbundenen motivationalen, volitionalen (d.h.
absichts- und willensbezogenen) und sozialen Bereit­
schaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen
in variablen Situationen erfolgreich und verantwor­
tungsvoll nutzen zu können." Kompetenzen sind somit
verfügbare Fertigkeiten und die Fähigkeit, bestimmte
Probleme zu lösen und diese Problemlösungen in
variablen Situationen erfolgreich zu nutzen.

Kompetenzen umfassen also mehr als nur abstraktes © Josef Leisen


Können: „Ich muss es nicht nur können, ich muss es
auch zeigen." Dieses Zeigen offenbart sich - ebenso
wie das Erlernen - durch Handeln und im Handeln.
Kompetenzen werden folglich durch Handeln sichtbar. ner A in einem engen vorgegebenen Rahmen und
nutzt sein Wissen nicht in anderen Kontexten. Sein
Damit lässt sich folgende Formel definieren:
Wissen bleibt ein „totes Buchwissen". Sprachlich hält
Kompetenz = Wissen + Können + Handeln
er sich zurück. Wenn er spricht und schreibt, dann
(oder, bezogen auf das Sprachlernen: Sprachkompetenz kurz und knapp; dabei greift er auf bekannte, einfa­
= sprachhandelnder Umgang mit Wissen). che und geübte Sprachmuster zurück.
Dem sogenannten Eisbergmodell zufolge (s. Abb. oben) - Lerner D verfügt wie Lerner C sowohl über ein um­
umfasst Kompetenz einen kleinen, durch Handeln sicht­ fangreiches und komplexes Fachwissen als auch über
baren Teil sowie einen großen Teil, der nicht durch Han­ ein ausgeprägtes Methodenwissen; abstrakte Denk­
deln sichtbar ist. Dieser nicht sichtbare Teil, der Elemente vorgänge fallen im leicht. Wie Lerner B handelt er
wie M otivation, Interesse, Einstellungen, Verantwor­ viel und vielfältig, geht planmäßig vor, findet Lösun­
tungsbewusstsein, Lernwille und das Wissen beinhaltet, gen und ist sich seines strategischen Handelns be­
entspricht den „motivationalen, volitionalen und sozia­ w usst Sprachlich w agt er etwas, verfügt über einen
len Bereitschaften und Fähigkeiten" in der Definition umfangreichen Wortschatz und erprobt sich immer
von Weinert. wieder, auch unter Sprachfehlern, in neuen Verbali­
sierungen.
W ie sieht Kompetenz­
entwicklung konkret aus? Alle vier Lerner befinden sich auf fachlich und sprach­
lich verschiedenen Kompetenzstufen; ihre jeweiligen
Kompetenzen werden im handelnden Umgang mit Wis­
Kompetenzen sind spezifisch ausgeprägt.
sen erworben und zeigen sich im handelnden Umgang
mit Wissen. Dieses Wissen umfasst das Fachwissen, das Ob jemand eine bestimmte Kompetenz hat, zeigt sich
Methoden- und das Strategiewissen. Zur Anschauung: darin, in welchem Ausprägungsgrad er m it welchem
- Lerner A ist sprachschwach und hat ein geringes Wissen handelt, vgl. die Abb. S. 70 oben. „Kompetenz"
wird somit durch die beiden Komponenten Wissen und
Fachwissen, denkt sehr gegenständlich und unstruk­
turiert. In Aufgabenstellungen handelt er unsicher, Handeln bestimmt, vgl. die Achsen des Modells.
unbewusst und in einem nur begrenzten Rahmen. Kompetenzen erwachsen also aus dem handelnden
Sprachlich kann er sich nur rudimentär ausdrücken. Umgang m it Wissen und umfassen auch das konkrete
- Lerner B ist wie Lerner A sprachschwach und hat ein Können in Handlungssituationen (Performanz). Genau
geringes Fachwissen, denkt auch sehr gegenständlich dies ermöglicht, die Kompetenzen der Lerner in der
und unstrukturiert, handelt aber viel und vielfältig, Auseinandersetzung m it fachlichen bzw. sprachlichen
findet praktische Lösungen und ist sich seines situa­ Anforderungssituationen zu entwickeln.
tiven Gespürs im Handeln bewusst. Dabei ist zwischen Lern- und Leistungss\tua.t\or\en zu
- Lerner C verfügt über ein umfangreiches, komplexes unterscheiden: Will die Lehrkraft bestimmte Kompe­
Fachwissen und abstrakte Denkvorgänge fallen ihm tenzen entwickeln und schulen, müssen die Lerner in
leicht. Bei Aufgabenstellungen handelt er wie Ler- entsprechende Lernsituationen gebracht werden (z.B.

Teil B 69
Grundlagenwissen

Kompetenzstufen und Profile von Lernern

Wissen (inkl. Fach-,


Methoden-, Strategiewissen)

hoch
umfangreich
komplex
abstrakt

niedrig
gering
einfach
gegenständlich

erprobend planvoll
unsicher sicher
begrenzt vielfältig
unbewusst bewusst © Josef Leisen

Sprach-, Experimentier-, Übungs-, Anwendungs- oder Wissen und sprachliches Können werden somit nur
Verwendungssituationen). Soll hingegen überprüft wer­ dann miteinander verknüpft, wenn die Lehrkraft sprach­
den, ob bestimmte Kompetenzen erreicht sind, müssen liche Anforderungssituationen schafft, in denen sich die
die Lerner in Leistungssituationen gebracht werden Kompetenzen der Lerner auch tatsächlich entwickeln,
(denn hier müssen sie zeigen, welche Kompetenzen erproben und nachweisen lassen. Ein Kompetenzzu­
auf welchem Niveau erreicht sind). Wenn es um Kom­ wachs im inhaltlichen und im sprachlichen Bereich
petenzentwicklung geht, müssen Lern- und nicht Leis­ erfolgt zudem nur dann, wenn in diesen Situationen
tungssituationen vorherrschen, vgl. auch S. 84 ff. tatsächlich Wissen verm ehrt (angereichert) und das
(Sprach-)Handeln verbessert wird, vgl. Abb. unten.

Die Gestaltung von Lernsituationen


nach dem Kompetenzerwerbsmodell

Wissen (inkl. Fach-,


Methoden-, Strategiewissen)

hoch
umfangreich
komplex
abstrakt

niedrig
gering
einfach
gegenständlich
wenig viel
erprobend planvoll
unsicher sicher
begrenzt vielfältig
unbewusst bewusst >Josef Leisen

70 Teil B
Grundlagenwissen

Entwicklung
der Sprachkompetenzen im Fach

Lernsituationen können nun so gestaltet werden, dass fast ausschließlich auf Handeln hin ausgerichtet ist und
z.B. geringes Wissen erprobend angewendet wird (S1) den Wissenszuwachs außer Acht lässt. Ideal ist es, wenn
oder anspruchsvolles in einem eng begrenzten Bereich sich beide Komponenten gleichzeitig entwickeln und
(S5). Denkbar sind auch Situationen, in denen einfaches sie dabei zugleich aufeinander Bezug nehmen.
und geringes Wissen planvoll, sicher und umfangreich
Erfolgreiches Lernen im Fach setzt zudem voraus, dass
in Handlungssituationen angewendet wird (S6).
die jeweiligen Lerngegenstände zuvor in entsprechen­
Alle Lernsituationen können Vorkommen; ideal sind de fachinhaltliche und -sprachliche Kontexte gebracht
jedoch solche, in denen angemessenes Wissen in ange­ wurden. Fach- und Sprachlernen sind deshalb im Fach­
messen herausfordernden Situationen zum Handeln unterricht eng miteinander zu koppeln. Denn dann
führt, so z.B. im Falle der Lernsituationen S3, S7 oder wird der Unterricht nach inhaltsbezogenen Lernphasen
S8. Kompetenz wächst aber immer nur dann an, wenn strukturiert, aber durch sprachbezogenes Lernen ver­
beim Lernen auch jene Teile aktiviert werden können, vollständigt. (Fach-)sprachliche Kompetenzen sind
die im Eisbergmodell unter Wasser sind, vgl. S. 69. somit kein Nebenprodukt des Unterrichts, sondern
Längsfäden im Geflecht des Lernens. Die Kompetenz­
Kompetenzen werden nur in der Bewältigung authen­
entwicklung beim kompetenzorientierten U nterricht
tischer Anforderungssituationen gelernt und nachge­
setzt dabei nicht erst in der Stunde selbst an, sondern
wiesen. „ Die Verknüpfung von Wissen und Können
ist der Unterrichtsstunde vor- und nachgängig.
d arf also n ich t a uf Situationen jenseits der Schule
verschoben werden. Vielmehr ist bereits beim Wis­
senserwerb die Vielfalt möglicher Anwendungssitua­
tionen m it zu bedenken. " (Klieme et al., 2003, S. 79)
Die Lehrkraft muss sich deshalb bemühen, Lernum-
gebungen zu gestalten, die die Lerner in eine inten­ Kompetenzorientiertes (sprachliches) Lernen
sive, aktive, selbstgesteuerte und kooperative Aus­ - wird vom Lernprozess ausgehend geplant;
einandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen. - stellt die Inhalte in einen Kontext;
Genau dies leistet der sprachsensible Fachunterricht: In - entwickelt (sprachliche) Kompetenzeft im han- ; ^
seinen Lehr- und Lernprozessen werden Fertigkeiten I delnden Umgang m it Inhalten Und Wissen;
ausgebildet, die schon beim Erwerb in sprachpraktischen - stellt die Bewältigung (sprachlich) authenti­
und authentischen Anwendungsbezügen stehen. scher Anforderungssituationen ins Zentrum; .
Ist ein Unterricht vor allem auf Wissenszuwachs hin produziert auswertbare (sprachliche)
angelegt (wird also die Handlungskomponente ver­ Lernprodukte;
nachlässigt), können sich die Kompetenzen nicht hin­ - fördert die (sprachliche) Reflexion und
reichend entwickeln. Die Kompetenzentwicklung ist
aber auch dann eingeschränkt, wenn der Unterricht

Teil B 71
Grundlagenwissen

Methodik der Sprachförderung


im sprachsensiblen Fachunterricht

Unterrichtsmethoden können in verschiedenen Unter­


Basiswissen zur Methodik richts* und Sozialformen sowie innerhalb unterschied­
der Sprachförderung licher Unterrichtsschritte stattfinden. Weder der M etho­
den- noch der Formenbegriff werden jedoch in der
Begriffsklärung Literatur einheitlich benutzt. Die Begriffe werden des­
halb im Kasten unten zunächst kurz definiert.
Die klassischen Fragestellungen im Zusammenhang mit
der Unterrichtsplanung lauten: Unterrichtsmethoden sind Lehrformen und Arbeitswei­
sen im U nterricht Sie stehen für planmäßig und ziel­
1. Warum (m it welchem Ziel) soll das Thema im Unter­
gerichtet gestaltete Wege des Unterrichtens und beant­
richt behandelt werden?
worten die Frage: „W ie unterrichtet man?" Verwandte
2. Was muss (inhaltlich) an diesem Thema im Unterricht Begriffe sind: Lehr-Lern-Methoden, Instruktionsformen,
erlernt werden? Lernarrangements, Lernumgebung.
3. Wie (m it welchen M ethoden) soll das Thema im Eine Unterrichtsmethode ist der (vorgezeichnete) Weg,
Unterricht behandelt werden, damit die Ziele auch auf dem die Lerner das Unterrichtsziel erreichen. Dabei
erreicht werden? beeinflussen sich Weg und Ziel wechselseitig; man
4. W om it (mit welchen Hilfsmitteln und Medien) soll spricht deshalb auch vom dialektischen Charakter von
das Thema im Unterricht behandelt werden, damit Methoden:
die Ziele auch erreicht werden? - (Unterrichts-)Methoden sind M ittel und werden zum
Ziel (zumindest beeinflussen sie dieses entscheidend).
Das vorliegende Handbuch konzentriert sich auf Un­
terrichtsmethoden. - (Unterrichts-)Methoden führen zur Selbstständigkeit
des Lerners und schreiben ihm den Weg vor.
Unterrichtsmethoden sind von den Erkenntnis- und
Arbeitsmethoden des Fachs zu unterscheiden. Beispiele
Begriffsdefinitionen für Erkenntnismethoden sind: Beobachten, intuitiv-spe­
kulatives Entdecken, heuristisches Finden, induktives
iozialformen (Kooperationsformen ...) regeln die Be- oder deduktives Vorgehen, analoges Übertragen, das
iehungs- und Kommunikatiönsstruktur des Unter- Hypothesen-Formulieren und das Modell-Bilden.
fc. u i
Die Arbe/fcmethoden als originärer Bestandteil des
Faches konstituieren das fachliche Arbeiten, die Unter­
richtsmethoden hingegen fördern das inhaltliche Ler­
nen im Fach. Im Fachunterricht gängige Unterrichts­
sene ünd institutioneil verankerte feste Strukturen, die methoden fasst die Tabelle auf S. 73 zusammen.
thematisch zusammenhängende Lehr-Lern-Tätigkei- Der klassische Unterricht fokussiert auf den Lehr-
ten organisieren (z.B. Projekt, Workshop, Gespräch, prozess und plant Unterricht und Unterrichtsmethoden
Lektion, Praktikum, Vorhaben, Arbeit an Stationen ...). auf den Lehrprozess hin. Im kompetenzorientierten
Jnterrichtsschritte (methodischer Gang, Unterrichts- Unterricht hingegen orientiert sich die Lehrkraft an
hasen, Verlaufsformen, Artikulations- und Stufen- den Lernern und plant den Unterricht auf den Lern­
" — • -~ _ .7 _-t ~ „
prozess hin, Details s. S. 73 f. und S. 77 ff.
Schemata ...) sind zeitlich zusammenhängende Pha­
sen, die die sichtbare äußere Seite des Unterrichts Dabei fassen die 5. 73 ff. zunächst die didaktisch und
strukturieren. m Ä fiä methodisch elementaren Grundlagen für den Fachun­
± J|gg Mr. - - -
terricht zusammen; hier wird erläutert, in welchen
Schritten das Lernen stattfindet. Ab S. 77 werden die
Steuerungsmöglichkeiten im Lehr-Lern-Prozess vorge­
ormen und Verfahren, m it denen Lehrer und Lerner
stellt; dabei erklären die 5. 85 ff., welche Leistungen
len U nterricht inszenieren und darin handeln; sie
Lehrkräfte bei Lernaufgaben erbringen müssen und wie
trifktllriprpn Hip
strukturieren in h A ro Seite
die innere Coifo Hoc
des IUnterrichts.
Intomrhfc
sich dies auf die Aktivitäten der Lerner und der Lehrkraft
_r s7- ' . - -V .
in den verschiedenen Lernschritten auswirkt.

72 Teil B
Grundlagenwissen

— V
Gängige Unterrichtsmethodeh im Fachunterricht $U

G esprächsorien­ Fachtypische T extorien tierte S p ielorien tierte P räsentationsorien­


tie rte M e th od en M eth od en M eth od en M eth od en tie rte M e th od en
. ■: . • , -■ :

• gelenktes Gespräch • Beobachtung • Textarbeit • Szenischer Dialog • Lehrervortrag


• Lehrgespräch • Experiment • Textproduktion • Planspiel • Schülerreferat
• Sokratisches • Messung • Arbeit m it Arbeits­ • Rollenspiel • Geschichten
Gespräch • Dokumentation blättern • Streitgespräch erzählen
• Schülerdiskussion • Darstellungsformen • Podiumsdiskussion • Visualisierung
• Debatte • Interpretation • Interview • Präsentation
• Streitgespräch • Modellierung • Lernspiel • Plakat
• Schülergespräch • Erkundungsgang • Standbild • Webseite
• Austausch • Exkursion • Ausstellung
• Unterhaltung • Portfolio

Den Lehr-Lern-Prozess gente Begründungslinie vom Thema zum Unterrichts­


modellieren und planen verlauf gibt. Zudem gibt sie eine Schrittfolge im Pla­
nungsprozess vor, die in dieser Form weder zielführend
Modelle haben den Vorzug, dass sie auch komplizierte
ist noch in der Praxis trägt. Darüber hinaus verführt sie
Prozesse anschaulich und verständlich machen. Deshalb
dazu, vom Lehrprozess aus zu denken und diesen in
greift man auch für das Lehren und Lernen gern auf
den Vordergrund zu stellen, statt vom Lernprozess, also
entsprechende Modelle zurück.
den Lernern aus zu denken und zu planen.

Das klassische Lehr-Lern-Modell Gerade im Bereich der Förderung von sprachschwachen


Im klassischen Planungsprozess fü r den U nterricht Lernern ist es von immenser Bedeutung fü r den Lern­
stehen Fragen folgender A rt im Zentrum: erfolg, dass die Lehrkraft die „richtigen“ Maßnahmen
zur „richtigen" Zeit einbringt. Nachfolgend wird des­
- Was ist das Thema des Unterrichts und wie halb noch einmal erläutert, in welchen Schritten das
ist die fachliche Struktur? (Thema) Lernen erfolgt und was dabei im einzelnen passiert:
- Welches didaktische Potenzial hat der Unter­
richtsgegenstand? (didaktische Analyse) Lernen als fraktaler Prozess*

- Welche Ziele werden m it dem Unterrichts­ Lerner treten m it Vorwissen, Vorerfahrungen und m it
gegenstand verfolgt? (Lernziele) einem Bestand an Kompetenzen in die Lernumgebung
des Unterrichts ein und verlassen diese Lernumgebung
- Welche Relevanz hat er für die Lerner?
wieder - m it hoffentlich mehr Wissen, größerem Kön­
(Zukunftsbedeutung, Relevanz)
nen und zusätzlichen bzw. ausgeprägteren Kompeten­
- Wie kann der Unterrichtsgegenstand methodisch zen (vgl. Abb. 5. 74 oben). Die Lehrselte, also der A u f­
aufbereitet werden? (methodische Planung) gabenbereich der Lehrkraft, schafft dabei geeignete
- Welche Materialien und Medien können ein­ Lernumgebungen, in denen die Lernprozesse optimal
gesetzt werden? (Materialien und Medien) stattfinden können.

- Wie ist die Unterrichtseinheit (die Stunde) Der Lernprozess einer Lerneinheit findet in einer lern-
geplant und strukturiert? (Unterrichtsverlauf) psychologisch abgesicherten Schrittfolge statt (vgl. Abb.
S. 74 unten). Dabei muss die Lerneinheit nicht unbe­
Ganze Lehrergenerationen wurden in diesem Planungs­ dingt eine 45-Minuten-Stunde umfassen.
modell ausgebildet Die heute von den Bildungsstan­
dards geforderte, zunehmend binnendifferenzierte und 1. Schritt: Problem stellung entdecken
kompetenzorientierte Ausrichtung des Fachunterrichts In einem ersten Schritt g ilt es, die Problemstellung
sowie die große Heterogenität der Lerner fü hrt jedoch (Fragestellung, Thema, Aufgabe, Relevanz, Zukunfts­
zu gewandelten Anforderungen an den Lehr-Lern- bedeutung ...) zu entdecken und zu entfalten. Dazu
Prozess, die das klassische Planungsmodell nicht immer muss das affektive und kognitive System des Lerners
befriedigend bedienen kann.

So suggeriert beispielsweise die oben geschilderte Vor­ * fraktal: Wiederholung einer bestimmten Struktur
gehensweise in „Top-Down"-Manier, dass es eine strin­ in sich selbst (Selbstähnlichkeit)

Teil B 73
Grundlagenwissen

„gestört", also ins Ungleichgewicht gebracht werden


Das Anwachsen von Kompetenzen („P erturbation“). Denn genau diese Störung schafft
den Lernanreiz, das affektive und kognitive System wie­
im sprachsensiblen Fachunterricht
der ins Gleichgewicht zu bringen.

Lehrkräfte müssen dabei allerdings darauf achten, dass


die Störung „individuell passt", also eine „kalkulierte
Überforderung“ erfolgt: Denn die Störung muss den
Lerner in ein Ungleichgewicht bringt, das er selbst w ie­
der ins Gleichgewicht bringen kann (z.B. durch Einsatz,
Fordern und Anwachsen seiner Kompetenzen). Ist dies
nicht der Fall, so ist er überfordert, resigniert und bricht
den Lernprozess ab. Diese Erkenntnis ist für den Erfolg
von Maßnahmen zur Sprachförderung von sprach-
schwachen Lernern oder Lernern mit Migrationshin­
tergrund von großer Bedeutung.

2. Schritt: Vorstellungen entw ickeln


In einem zweiten Schritt werden die individuellen Vor­
stellungen der Lerner zum gestellten Problem e nt­
wickelt, verhandelt und in das Plenum gebracht. Dabei
umfassen diese Vorstellungen nicht nur das Vorwissen
der Lerner, sondern auch ihre jeweiligen Vorerfahrun­
gen, Meinungen, Einstellungen ... (vgl. S. 69).

In Lernschritt 2 wird somit der Erfahrungs- und Wis­


© Josef Leisen sensstand der Lerner bewusst und öffentlich gemacht.
Lernschritt 2 ist folglich sowohl selbst ein Lernprozess
als auch die Basis des nachfolgenden Lernens.

3. Schritt: Lernm aterial bearbeiten


Die Schrittfolge im Lernprozess und Lernprodukte herstellen
Ohne neue Informationen, Daten, Erfahrungen und
Kom petenzen ■ gezielte Anstöße von außen kann kein Lernzuwachs
SK: r-d.i im gewünschten Sinne stattfinden. Deshalb stellt die
Lernum gebung Lehrkraft den Lernern entsprechende Informationen
'. ffinjgf (z.B. über Lernmaterialien) zur Verfügung, die diese
Wg&U: .V
| Problemstellung entdecken • dann individuell oder in geeigneten Sozialformen bear­
beiten und auswerten müssen.
Ä * * 8
| Vorstellungen entwickeln 'r,d'
: In Lernschritt 3 werden Lernprodukte erstellt: materiel­
%
.. .•* ler A rt (z.B. Tabelle, M ind-M ap, Text, Skizze, Bild, Dia­
Lernmaterial bearbeiten w. gramm vgl. die Übersicht auf S. 36) oderauch im ­
fW
pj?!Jfßdlifcl materieller (geistiger) A rt (Erkenntnisse). Bei dieser
■ ~ ■~ *
Erstellung und bei der hierfür erforderlichen Auswertung
|
r> ■ Lernprodukt diskutieren %
der Informationen bildet der Lerner neue Vorstellungen
l p _S S R iil i®Ä|M ä f f aus. Dabei werden „alte" (d.h. die vorher vorhandenen)
S B ]| Lernzugewinn definieren Vorstellungen erweitert, ausgeschärft und präzisiert.
S
ä I
SR if Dadurch findet bei den Lernern ein Lernzuwachs (Lern-
- Sicher werden und üben p v :?
1■ mehrwert, Erkenntniszuwachs oder Kompetenzerwei­
§11
;
iMjp
Pjjj

m

terung) statt. Dieser Lernzuwachs ist allerdings zunächst


noch in einem amorphen (also instabilen und flüssigen)
Kompetenzen Zustand und muss in der nachfolgenden Phase erst
noch „gerinnen", sich also stabilisieren und verfestigen.

4. Schritt: Lernprodukte diskutieren


© Josef Leisen In Lernschritt 4 werden die im dritten Lernschritt ge­
wonnenen individuellen neuen Vorstellungen artiku-

74 Teil B
Grundlagenwissen

Lernen als fraktaler (selbstähnlicher) Prozess

Sprachhandeln Kompetenzen

Problemstellung entdecken
- ♦ ___
Vorstellungen entwickeln

Lernmaterial bearbeiten
*
Lernprodukt diskutieren

Lernzugewinn definieren

) Josef Leisen

liert, verbalisiert und umgewälzt; gleichzeitig werden anderen Weg nim mt als das Abrufen und somit auch
sie mit denen anderer Lerner abglichen und verhan­ separat geübt werden muss.
delt. Dabei verständigt sich die Lerngruppe auf gemein­
Nach dem Durchlaufen der Lernschritte 1 bis 6 ist die
same Erkenntnisse im Sinne eines „gemeinsamen
Störung behoben; das affektive und kognitive System
Kerns". Indem also das Lernprodukt in der Gruppe dis­
ist wieder in ein Gleichgewicht gebracht.
kutiert wird, „gerinnen" die individuellen Erkenntnisse
und Lernzuwächse zu einem Konzentrat. Lernen ist somit ein Prozess, der in kleinen wie in großen
Lernsituationen in Schrittfolgen stattfindet. Dabei müs­
5. Schritt: Lernzugewinn definieren sen die Muster nicht immer identisch ablaufen, sondern
In Lernschritt 5 wird der Lernzuwachs definiert. Dies können individuell und situationsbedingt variieren. Die­
erfolgt, indem der Lerner seine in Lernschritt 4 gebilde­ se Schrittfolgen (sogenannte Muster) laufen dabei in­
ten Vorstellungen m it denen vergleicht, die er in Lern­ nerhalb eines Schrittes im Kleinen wie auch in den über­
schritt 2 entwickelt hatte. Damit aber der Lernzuwachs geordneten großen Lerneinheiten fraktal ab.
auch als „Kompetenz im handelnden Umgang mit (dem
Dies gilt für jede A rt des Lernens und für alle kommu­
neuen) Wissen" (vgl. S. 69) erprobt werden kann, muss
nikativen Kompetenzbereiche, also fü r das Sprechen
der Lerner das Gelernte auf neue Aufgabenstellungen
und Lesen wie auch fü r das Schreiben, vgl. Abb. oben.
oder in einem neuen Kontext anwenden. So wird
erprobt, ob der Kompetenzzuwachs einem erfolgreichen
handelnden Umgang standhält und zugleich Lernbe-
wusstheit herstellt, da dem Lerner auf diese Weise sein
Lernzuwachs deutlich und bewusst wird.
Bei jeder Unterrichtsplanung, Unterrichtsvorberei-
tung und -umsetzung ist zu beachten:
6. Schritt: Sicher werden u nd üben
In Lernschritt 6 wird das - bis dahin in einem bestimm­ : 1. Lernen ist;ein fraktaler (selbstähnlicher) Prozess
ten Kontext gelernte - neue Wissen dekontextualisiert u nd erfolgt, in Sch rittfolgen (sog. Mustern).
und in einem neuen Wissensnetz verankert. Damit übt 2. Lernen findet auch innerhalb der einzelnen Lern-
der Lerner zugleich, das Gelernte zu nutzen; er „habi- schritte fraktal, also in Schrittfolgen statt.
tualisiert" somit den handelnden Umgang m it dem : 3. Erfolgreiches Lernen setzt die mehrfache Beschäf­
neuen Wissen. Dieser Schritt ist erforderlich, da das tigung m it dem Lerngegenstand voraus.
Einspeichern ins Gedächtnis gehirnphysiologisch einen

Teil B
Grundlagenwissen

(Sprachsensibler) Fachunterricht
sprachlich
als anregendes CALP-Sprachbad
kognitiv
reichhaltig anregend

© Josef Leisen

Sprachliches Lernen im Sprachbad Fachliches Lernen findet somit in der Sprache und m it
Schulische Kommunikation und fachliches Lernen fin ­ der Sprache statt, und zwar in einem Zustand, in dem
den in der Bildungssprache (Unterrichtssprache, Fach­ diese selbst noch generiert wird. Dabei wiederholt sich
sprache) statt, vgl. S. 46. Die Lerner stehen folglich im der Zyklus „Sprache aufnehmen, beobachten, erproben,
Fachunterricht inmitten eines CALP-Sprachbades. anwenden, generieren und Bewusstheit erzeugen" im

In diesem CALP-Sprachbad beobachten, erproben und Kleinen wie im Großen. Auch im CALP-Sprachbad ist
generieren die Lerner (Fach-)Sprache, nehmen sie auf, der Sprachlernprozess fraktal zu denken, vgl. S. 73 ff.
wenden sie an und entwickeln Sprachbewusstheit. All Erfolgreiches fachsprachliches Lernen setzt voraus, dass
dies geschieht ständig gleichzeitig und - je nach Situ­ das CALP-Sprachbad sprachlich reichhaltig und kog­
ation - in unterschiedlichem Ausmaß; immer aber ist nitiv anregend ist - wie das auf den BICS-Bereich aus­
das fachliche Lernen von einem anregenden Sprach­
gerichtete Fremdsprachenlernen, das ja bekanntlich
bad umgeben, vgl. 5. 61 und 66 f.
dann besonders gut gelingt, wenn es im Sprachbad des
entsprechenden Landes stattfindet.

Sprachlernen im CALP-Sprachbad Die Parallelität von fachlichem und sprachlichem Ler­


nen stellt hohe Anforderungen an die Lerner - aber
auch an die Lehrer, die hierfür in der Regel nicht aus­
gebildet sind. Der sprachsensible Fachunterricht, bei
dem das sprachbezogene Fachlernen im Vordergrund
steht, tu t sich hier leichter und erleichtert Lernern wie
Lehrern das erfolgreiche Arbeiten im Fach, s. Abb. oben.
Lernmaterial bearbeiten Allerdings setzt dies eine Abkehr von der Unterrichts­
i : .
“ _______ > planung in der herkömmlichen Form voraus. Denn eine
Lernprodukt diskutieren
Kompetenzentwicklung im engeren Sinne - also der
^ ^ ~ r. - ~ ^ planvolle, langfristig und systematisch angelegte indi­
| ___ z ^ e£ fty e :-
Lernzugewinn definieren
______-_________ SS viduelle Entwicklungsprozess - findet im klassischen
Lehrprozess nicht (oder bestenfalls beiläufig) statt. Eine
Sicher werden und üben :
zeitgemäße Unterrichtsplanung hingegen nim m t die
gezielte Strukturierung des Unterrichts entlang der
>Josef Leisen Kompetenzentwicklung vor.

76 Teil B
Grundlagenwissen

Ein zeitgemäßes Modell dem Lehren und dem Lernen. Gleichzeitig verdeutlicht
für die Planung und Umsetzung es die für beide Bereiche geltenden Bedingungen und
umreißt den Aktions- und Steuerungsbereich der Lehr­
des Lehr-Lern-Prozesses
kraft (vgl. dazu im Einzelnen S. 79 ff.).
Kompetenzorientierte Ausrichtung Die Steuerungen 1 und 2 des Modells haben materialen
Beim kompetenzorientierten Unterricht sind die Lehr- Charakter (vgl. Abb. u.) und sind wesentlich durch die
prozesse auf die Lernprozesse hin abzustimmen und häusliche Unterrichtsvorbereitung bestimmt. Die Steue­
nicht umgekehrt. Diesem Ansatz fo lgt auch der sprach- rungen 3 und 4 hingegen haben personalen Charakter
sensible Fachunterricht: Er stellt konsequent den Lern­ und werden durch die Unterrichtssituation, das Lern-
prozess in den Vordergrund der Planung des Lehr-Lern- klima und durch die Lehrerpersönlichkeit bestimmt.
Prozesses und unterscheidet sich dam it nachhaltig von
Dabei besteht die Leistung der Lehrkraft darin, die vier
der traditionellen Lehr-Lern-Planung.
„Steuerungen" des Lernprozesses inhaltlich angemessen
Ein zeitgemäßes Modell des Lehr-Lern-Prozesses muss zu planen und nach gewissen qualitativen M indest­
aber nicht nur kompetenzorientiert ausgerichtet, son­ standards umzusetzen, vgl. auch S. 79 ff. Die Lehrauf-
dern auch auf heterogene Lerngruppen anwendbar gabe ist somit professionell zu gestalten.
sein. Um diesen beiden Herausforderungen angemessen
begegnen zu können, konzentriert sich das Modell auf Lernorientierte Steuerungen
die Lernvorgänge im Unterricht (als Form des organi­
sierten Lernens). Es lässt aber zugleich auch die Lehr- Materiale Steuerungen
leistungen der Lehrkräfte (als Teil der Lernumgebung) Steuerung 1:
einfließen. Denn die Lehrkraft schafft die Lernumge- Aufgabenstellungen
bungen und steuert die Lernprozesse von außen. Das Aufgabenstellungen haben materialen Charakter. Sie
Lernen selbst findet zwar autonom im Inneren (beim steuern die Lernumgebung. Dabei ist darauf zu achten,
Lerner) statt; die Lehrkraft hat aber die Möglichkeit, dass es auch tatsächlich Aufgaben zum Lernen und
über materiale und personale Steuerungen Einfluss auf nicht zum Leisten sind (zum Unterschied s. S. 84 ff.).
die möglichen Lernvorgänge zu nehmen (vgl. Abb.
Gute Aufgabenstellungen berücksichtigen den indivi­
unten).
duellen Kompetenzstand der Lerner und sind angemes­
Ein zeitgemäßes Lern-Lehr-Modell trennt somit strikt sen fordernd. Sie sind dann binnendifferenziert (also
zwischen Lehrer- und Lernerleistungen, also zwischen gestuft und individualisiert) gestaltet und beinhalten

Lehren als materiale und personale Steuerungsaufgabe

materiale Steuerung Sprachhandeln Kom petenzen

Gesprächsführung/ ; ' ;
Moderation -

Diagnose/ : ; ’.
Rückmeldung

) Josef Leisen

Teil B 77
Grundlagenwissen

die jeweils passenden Strategien (z.B. Lesestrategien, Personale Steuerungen


Experimentierhilfen ...). Zugleich sind sie ausreichend
Steuerung 3:
komplex, bedeutsam, authentisch und anspruchsvoll Gesprächsführung und Moderation
sowie an die Lerngruppe angepasst („kalkulierte Über­
Der Lernprozess wird von der Lehrkraft moderiert und
forderung", vgl. S. 74).
gesteuert; deshalb ist die Q ualität ihrer Gesprächsfüh­
Aufgabenstellungen zielen auf ein auswertbares Lern­ rung von großer Bedeutung, vgl. S. 72 und S. 41.
produkt ab (z.B. Flussdiagramm, M ind-M ap, Tabelle,
Denn es ist die Lehrkraft, die Aufgabenstellungen und
Versuchsskizze, Text, Organigramm ..., vgl. S. 36); sie
Lernmaterialien in den Lernprozess einbringt und m it
beinhalten Arbeitsaufträge, Lernmaterialien und M etho­
Methoden unterstützt. Dabei ist ihre Arbeit zwar immer
den. Wie Aufgabenstellungen als Steuerungselemente
persönlich gefärbt; sie muss aber professionell erfolgen
im Lernprozess gestaltet und eingesetzt werden können,
(z.B. der Unterrichts- und Sprachsituation angemessen
wird auf S. 83 ff. behandelt; ausführlich ausgearbeitete
sein und qualitativen Mindeststandards entsprechen).
Beispiele für unterschiedliche Aufgabenstellungen fin ­
den sich ab S. 196 (insbes. S. 204 ff.). Dem professionellen Geschick der Lehrkraft obliegt es
zudem, die für den Lernprozesse erforderlichen und
Steuerung 2: auf S. 73 beschriebenen „Störungen" an passender Stel­
Lernmaterialien und Methoden-Werkzeuge le und im passenden Takt einzuleiten, Informationen
Lernmaterialien und Methoden-Werkzeuge sind w ich­ zu geben, Lernmaterialien moderierend in den Lern­
tige Bestandteile von Aufgaben. Sie „materialisieren" prozess einzubinden und Lernprodukte herstellen zu
die Lernumgebung und steuern damit den Lernvorgang. lassen. Auch diese Moderation ist immer persönlich ge­
färbt, muss aber professionellen Standards genügen.
Lernmaterialien sind in der Regel Teil einer Aufgaben­
stellung. Lernmaterialien (z.B. Experimentiermaterialien, Wie professionelle Gesprächsführung aussieht und als
Zeichnungen, Texte, Filme, Comics ...) initiieren und Steuerungselement im Lernprozess eingesetzt werden
begleiten den Lernprozess. Die über sie erfolgende kann, wird ab S. 94 detailliert behandelt. Ausführliche
„Informationseingabe" beeinflusst und steuert, ob und Erläuterungen bieten auch die S. 188 f.
wie neues Wissen konstruiert und Lernen initiiert wird,
vgl. Lernschritt 3, S. 74. Steuerung 4:
Rückmeldung, Diagnose und Reflexion
Lernmaterialien werden von Methoden, Medien und
Die in Steuerung 4 zusammengefassten Aktivitäten ha­
Methoden-Werkzeugen begleitet (z.B. Lehrervortrag,
ben ebenfalls großen Einfluss auf den Lernprozess. Sie
Experiment, Film, Sachtext, Unterrichtsgespräch, mul­
umfassen individuelle qualifizierte Rückmeldungen
timediale Lernumgebung, Internetrecherche, Experten­
durch die Lehrkraft (z.B. Sprachkorrekturen) und die
interview ...). Dabei haben Methoden und Methoden-
Diagnose, die jeder Rückmeldung vorangehen muss.
Werkzeuge unterschiedliche Steuerungspotenziale.

Warum und wie Methoden-Werkzeuge die Lehrkraft Diagnostik ist hier nicht als „Sprachstandsdiagnose“ im
bei der Steuerung des Lernprozesses unterstützen kön­ Sinne von B1 bis C2 zu verstehen; sie erfolgt vielmehr
nen, wird ab S. 90 behandelt; die Methoden-W erkzeu­ durch Vergleichen und Bewerten des Lernzuwachses.
ge selbst werden in Teil C ausführlich vorgestellt. Grundlage für eine Diagnose können das Handeln und
Sprachhandeln der Lerner, besonders aber die
hergestellten Lernprodukte sein, vgl. Abb. links.

Diagnose Der jeweilige Lernzuwachs lässt sich ermitteln,


indem man die Vorstellungen der Lerner und
ihr Wissen vor und nach dem Lernprozess ver­
Kompetenzen
gleicht. Dies kann durch Lerntests erfolgen,
aber auch durch Diagnose des Vernetzungs­
grades in Begriffsnetzen oder durch das Bewer­
ten von Zitaten, Meinungen und Situationen.

Steuerung 4 umfasst auch die Reflexion und


hier besonders die Sprachbewusstheit, also die
Sensibilität fü r Sprache(n) und ihre Formen,
Strukturen, Funktionen sowie deren Gebrauch.

Rückmeldung, Diagnostik und Reflexion als


Steuerungselemente werden ab S. 184 behan­
delt; die dortigen Ausführungen beinhalten
auch Empfehlungen fü r den angemessenen
>Josef Leisen Umgang m it (sprachlichen) Fehlern.

Teil B
78
Grundlagenwissen

Die Aktivitäten der L e r n e r ,^ ^ . Wird die Lerneinheit durch eine Problemstellung initiiert
lernschrittgerecht steueifn j| und bestimmt, ist es fü r die Lerner vorteilhafter, wenn
sie diese selbst (z.B. an gegebenem Material oder be­
Vorbemerkung
schriebener Situation) entdecken. Dies gilt auch, wenn
Wie die Praxis zeigt, lohnt es sich, die auf S. 7 % ^ be­ ein Text oder eine Thematik die Lerneinheit bestim­
reits grundsätzlich skizzierten SteuerungsleistungeMäer men. Alternativ kann die Lehrkraft eine Problemstellung
Lehrkraft noch einmal detailliert zu beleuchten. Denn auch vorgeben, die die Lerner dann nachvollziehen
Lehrkräfte neigen dazu, die Steuerungen in den ver­ müssen.
schiedenen Lernschritten (bzw. Lehrphasen) alle in der
gleichen A rt und Weise anzugehen. Die Lehrkraft steuert den Lernprozess durch offene
Impulsformen (bei einem komplexen Problem z.B. A u f­
Professionalität zeigt sich jedoch in einer lernschritt-
forderung zu einer Meinung, Anregungen zu divergen­
bzw. phasengerechten A ktivitä t der Lehrkraft. Denn
tem Denken), durch engere Impulsformen (Concept
was Lerner tun sollen und müssen, richtet sich im
cartoons, zu bewertendes Zitat, Demonstrationsexpe­
sprachsensiblen Fachunterricht (bzw. einem Unterricht,
riment ...) oder einfach durch eine spannende, durch
der dem kompetenzorientierten Lehr-Lern-Modell folgt)
die Lehrkraft vorgegebene Frage. Nonverbale Aktivie­
nach der Lernsituation im jeweiligen Lernschritt.
rungen eignen sich besonders gut.
Daraus ergibt sich beinahe zwangsläufig, wann die
Lehrkraft zu schweigen hat, wann bzw. wie sie gefordert Die Lerner müssen sich alle einbringen können und
ist und wann sie die Lerner eng bzw. w eit führen muss. äußern sich frei (z.B. ihre Meinungen und Ideen, Hypo­
Nachfolgend werden die Aktivitäten der Lerner in der thesen oder Wirkungen). Die Lehrperson kommentiert
jeweiligen Lernumgebung sowie die Aktivitäten der dabei nicht, sondern beobachtet und erm utigt (s. Abb.
Lehrkräfte bei den jeweiligen Steuerungen für die sechs unten).
Lernschritte einzeln durchdekliniert.
Lernschritt 2:
Lernschritt 1: Vorstellungen entwickeln
Problemstellung entdecken/ In dieser Phase geht es um die Formulierung einer Pro­
Im Lernkontext ankommen/ blemfrage, Hypothese oder Aussage zur Weiterarbeit.
In die Lernsituation einfinden Der Lehrer vollbringt hier Strukturierungsleistungen und
Der Lehrer vollbringt eine Aktivierungsleistung, die er Abstraktionsleistungen in Form von Visualisierungen
materiell (Folien, B ilder...) und/oder personal („Enter- und/oder Zusammenfassungen. Er geht vom offenen
tainer"-Funktion bei der Moderation) steuert. Gespräch in ein selektierendes Gespräch über.

Lernschritt 1
• komplexes Problem • mit Impulsen öffnen
• Aufforderung zu • ansteckend begeistern
Kompetenzen
einer Meinung
• nonverbal aktivieren
• Anregungen zum
Lernumgebung • nicht kommentieren
divergenten Denken

Problemstellung entdecken

äußern £fctefrei a
.alle beMiigenjsieb
AÄ/irküngen r Ein-
drücker-ÄAeinungen;V
... werden geäußert. Diagnose/Rückmeldung

• Karikaturen
• Bilder, Fotos
• Situätionsbilder
• zu bewertendes Zitat
• Demoexperiment Kompetenzen
• Filmszene

© Josef Leisen

Teil B
79
Grundlagenwissen

Lehrkraft diagnostiziert jedoch die Ergebnisse, stellt


Vorstellungen werden verhandelt, ein Vorprodukt (z.B.
Lernchancen fest, merkt sich diese und bringt sie in
in Form einer Problemfrage oder ausgehandelter Vor­
nachfolgende Phasen ein (Details siehe Abb. S. 81
stellungen) entsteht als „Sicherungsprodukt" (z.B. Tafel­
bild, Hefteinträge der Lerner, Notizen ...). Dieses Siche­ unten).
rungsprodukt ist wichtig, um später den Lernzugewinn Lernschritt 5:
definieren zu können (Details siehe Abb. unten). Lernzugewinn definieren/
Lernzugewinn erproben/
Lernschritt 3:
Kompetenzen erproben
Lernmaterial bearbeiten/
In dieser Phase setzt die Lehrkraft in der Moderation
Informationen auswerten
Reflexionsimpulse. Sie greift dabei auf die Phase 2 zu­
In dieser Phase gibt die Lehrkraft eine Aufgabenstellung,
rück und stellt Bezüge zum Vorwissen und zu den Ein­
die auf ein schlüssiges Lernprodukt zielt. Sie inform iert gangskompetenzen her. In dieser Phase werden die
über das Lernmaterial, erläutert M ethoden, gibt ggf. Lernergebnisse auf eine abstraktere Ebene gehoben.
gestufte Erschließungshilfen (evtl. durch schrittweise Dazu muss die Lehrkraft strukturierend moderieren und
geführte Arbeitsaufträge) und nennt Strategien. Das Strukturierungstechniken anwenden. Das Lernprodukt
Lernprodukt muss ggf. vorentlastet werden (minds on wird m it dem Anfangsprodukt verglichen und der Lern­
before hands on). zugewinn wird festgehalten, z.B. im Tafelbild, Heft, ...
Die Lerner müssen wissen, zu welchem Zweck sie das (Details siehe Abb. S. 82 oben).
Lernprodukt hersteilen und welche Anforderungen an
Lernschritt 6:
das Produkt gestellt werden; die Qualitätsmerkmale
Sicher werden und üben/
müssen demnach bekannt sein. Unterstützungsange­
Vernetzen und transferieren/
bote, z.B. durch „Halbfertigprodukte", können gegeben
Vernetzen und bewerten
werden. Die Lehrkraft diagnostiziert die Schwierigkeiten
Der Name des Lernschritts „Sicher werden und üben"
bei der Bearbeitung, unterstützt individuell und meldet
verm ittelt den Eindruck, als sei das Üben vom Lernen
zurück im Sinne einer individuellen Lernbegleitung
abgekoppelt und erfolge erst danach. Dies ist hier
(Details siehe Abb. S. 81 oben).
jedoch weder gemeint noch der Fall; denn das Üben
Lernschritt 4: ist dem Lehr-Lern-Modell immanent, vgl. 5. 75 u. 175.
Lernprodukt diskutieren Somit sind „mechanische", also vom Lernprozess los­
gelöste Übungsstunden, kontraproduktiv. Sie stehen
Diese Phase gehört den Lernern. Die Lehrkraft hält sich
vielmehr dem situierten Sicher-Werden entgegen, da
deshalb zurück; sie moderiert nur die Reihenfolge und
sie nicht m it einer Anwendung von Wissen in Hand-
fördert durch ihre Moderation die Diskursivität. Die

Lernschritt 2
• .selektierendes ^
Gespräch
Kompetenzen • Verhandeln von
. Vorstellungen .
Lernumgebuni H • strukturieren
m m • .fokussieren

Vorstellungen entwickeln gg

• alle äußern ihre .


Vo rstel Iungen --------
. .aUe hören zu '
• alle beteiligen sich an

• diagnostiziert
• Tafel, Flipchart, Folie Pröblemfrliger Hypö-
zum Sichern der ' Vorvyissen und
: ^ u na • : Spektrum der Ideen,
Ideen, Vorstellungen
• Visualisierungen
Kompetenzen1
•' ‘ \ ■ :: ' : ^

) Josef Leisen

Teil B
80
Grundlagenwissen

lungssituationen verknüpft sind (z.B. indem die erwor­ dient somit w eniger dem einschleifenden Üben, sondern
bene Kompetenz auf neue Aufgabenstellungen ange­ markiert den Abschluss der Lernschrittfolge.
wendet wird). Phase 6 sollte deshalb treffender „Lern­ Die letzte Phase des Lernens ist erforderlich, da der
zugewinn in das Wissensnetz einbinden" lauten. Denn neurophysiologische Weg „in das Gedächtnis hinein"
hier wird das Gelernte dekontextualisiert, transferiert nicht identisch m it dem „aus dem Gedächtnis heraus"
und in ein neues Begriffsnetz restrukturiert. Gegebe­ ist. Deshalb ist beides zu üben, ganz im Sinne des Kom­
nenfalls findet dabei die (d.h. eine weitere) Auseinan­ petenzbegriffs (handelnder Umgang m it Wissen, vgl.
dersetzung in einem anderen Kontext statt. Phase 6 S. 69).

Lernschritt 3
• auf ein schlüssiges;, .
L e rn p ro d u k t richten Einzelgespräche.
Kompetenzen.
• Lernprodukt; Moderation der
vorentlasten Organisation
ernumgebung
• Qualitätsanspruch
formulieren
* äHe b ^ b e ite rt Äa&JS
Lernmaterial in :
fv^ässend^ loderätion

Lernmaterial bearbeiten

• über Material • Schwierigkeiten bei


informieren der Bearbeitung
• Methoden erläutern diagnostizieren
• gestufte . ;
• individuell
Erschließungshilfen unterstützen und
Kompetenzen
rückmelden
• Strategien geben .

© Josef Leisen

Lernschritt 4
• zürückhalten und >
wiederholen genau zu hören
kompetenzien
• Reihenfolge
moderieren
ternü i • Diskursivität
befördern

. ;Vielfäft d^r Produkte .

i 'Leriüöen-^'a! b^rbelten' j.

Lernprodukt diskutieren

. jeder yerantvyort^ ; ,
• präsentationsmaterial sein/gemeinsames • Ergebnisse . \
bereitstellen r “ Lernprodukt diagnostizieren:T
V/ ■y.ov.u Jveraen uno ufcen
• Präsentation • Lernchancen
organisieren feststellen und .
merken
Kompetenzen

© Josef Leisen

Teil B
81
Grundlagenwissen

Die bei dem Transfer des Wissens erfolgende Dekon- wirksamer als der unmittelbare Anschluss (das sog.
textualisierung führt meist in einen neuen Modelldurch­ „Lernen im Schlaf"). Synaptische Verbindungen müssen
lauf; auch dies verdeutlicht den fraktalen Charakter des also „re ife n " können; dafür braucht es Zeit und
Modells. „Bedeutsam keit", also emotionale Verknüpfungen
Der Lernschritt 6 kann zwar von den anderen abge­ und/oder häufige Wiederholung (Details s. Abb. unten).
koppelt werden. Die Vernetzung muss aber im Auge Nach dem Durchlaufen der Lernschrittfolge ist die Stö­
behalten werden („kum ulativer Kompetenzerwerb"). rung behoben, das affektive und kognitive System wie­
Der neurobiologischen Forschung zufolge ist zudem der in ein Gleichgewicht gebracht (vgl. S. 74).
eine überschaubare „zeitliche Verzögerung" sogar lern- Die Lernschrittfolge ist fraktal zu denken (vgl. S. 75).

Lernschritt 5
Aufgabenstellung • Reflexionsimpulse
muss den Lern- und - setze ri : •
Kompetenzen
Erkenntriisgewinri, • Strukturieren und.
Kompetenzzuwachs Abstrahieren
verdeutlichen • Bezüge herstellen
Anwendungen stellen •/Rückgriff auf Phase 2

sein eigenes Lernen


Koriz^htfö
Steuerung des Lehrers
hearbelleo
:ö •5
Lernmatenälien/Methöden •jkt fv'
P , '

• Lernprodukt mit • festgestellten


Anfangsprodukt . Mehrwert bewusst
vergleichen machen V -c i
• Tafelbild, Hau.sheft... ••' Beobachtungen -
rückmelden
• Hinweise geben

) Josef Leisen

Lernschritt 6
:• neue Aufgaben- und • akzentuieren,
. Problemstellung strukturieren und
• Dekontextualisierung abstrahieren
des neu Gelernten • neue Beurteilungs­
• Einbindung in das aspekte (Aktualität,
Wissensnetz Werturteil) eingeben

Lern hihweise geben


Ausblicke geben
mit; früherem Lernen
verknüpfen ;::
kumulativer
Kom petenze rwerb

Josef Leisen

82 Teil B
Grundlagenwissen

2. Aufgabenstellungen sollten dem fachlichen und dem


Materiale Steuerungen sprachlichen Kompetenzerwerb sowie der Kompe­
des Unterrichts tenzentwicklung dienen.

3. Soll die Kom petenzentwicklung erfolgreich sein,


Aufgabenstellungen im muss die zugrunde liegende Aufgabenkultur auf die
sprachsensiblen Fachun%rricjbt Förderung der fachlichen sowie der (fach-)sprachli-
chen Kompetenzen im Fach ausgerichtet sein.
Aufgabenstellungen und Aufgabenkultur ^
Wie die Erfahrung zeigt, werden Lernerfolg und Kom­
Vieles kom m t und geht im Unterricht, eines jedoch petenzzuwachs bei sprachschwachen Lernern durch
bleibt: die Aufgaben. Das geschieht aus gutem Grund: sprachsensiblen Fachunterricht nachhaltig begünstigt.
- an und m it Aufgaben wird gelernt; Denn dieser praktiziert eine Aufgabenkultur, die nicht
nur auf die Förderung der fachlichen, sondern auch
- sie fordern zum Sprechen, Handeln, Problemlosen,
der sprachlichen Kompetenzen im Fach ausgelegt ist.
Darstellen, Erklären, Begründen, Verstehen ... heraus;
Dies wird durch Aufgaben erreicht, die am (sprachli­
- Aufgaben initiieren, steuern und begleiten die Lern­ chen) Kompetenzstand der Lerner orientiert sind (soge­
prozesse (vgl. S. 77); nannte sprachliche Kompetenzorientierung des Fach­
unterrichts).
- je nachdem, wie die Lehrkraft m it dem Ergebnis des
Lerners umgeht, spornen sie an oder demotivieren. Aufgaben sollen die Lerner herausfordern und zu inten­
siven kognitiven und enaktiven (sensomotorischen) Ak­
Weitere wichtige Argumente für Aufgaben sind:
tivitäten m it affektiver und emotionaler Färbung anre­
- Sie aktivieren alle Lerner (anders als z.B. beim Unter­ gen. Sie müssen somit zwar kognitiv anspruchsvoll sein,
richtsgespräch, bei dem sich immer nur einige wenige dürfen die Lerner aber auch nicht überfordern (vgl. S.
aktiv beteiligen können). 74). Denn nichts stärkt das Könnensbewusstsein beim
- Sie unterstützen das selbstständige Lernen (denn mit Lerner nachhaltiger als erfolgreiches Aufgabenlösen!
jeder Aufgabe wird ein Stück Lernarbeit in die Ver­ Kognitiv anspruchsvolle Aufgaben
antwortung der Lerner übergeben).
- weisen einen hohen Komplexitätsgrad auf (stellen
- Sie unterstützen die Kooperation der Lerner unterei­ also beispielsweise keine eindimensionalen Fragen,
nander (denn Lerner m it unterschiedlicher fachlicher sondern verknüpfen zwei oder mehr Wissenselemen­
Leistungsfähigkeit tauschen regelmäßig ihre indivi­ te, Regeln oder Gesetze);
duellen Sichtweisen aus; so entwickelt sich ein regel­
- fordern Lerner auf, zuerst den Kern des Problems aus
rechter sachbezogener Dialog). dem Kontext der Aufgabe herauszuarbeiten;
- Sie akzentuieren den Unterricht (und bieten so die - fordern die Reorganisation von Wissen oder die An­
M öglichkeit, die Kompetenzentwicklung der Lerner wendung von Gelerntem auf einen abgewandelten
flexibel, vielfältig und zielgerichtet zu unterstützen). Zusammenhang;
Ob aber Aufgaben dann auch einen Kompetenzzu­ - sprechen unterschiedliche Kompetenzen bei den
wachs bewirken, hängt eng mit der im Fachunterricht Lernern an (z.B. Visualisieren, kausales Verknüpfen,
praktizierten Aufgabenkultur zusammen. Diese regelt, Schlussfolgern oder das Rekonstruieren von Fakten).
welche Aufgaben wann und wie im Unterricht einzu­
setzen sind, damit sie bei den Lernern möglichst hohe Didaktische Absicht und Potenziale
Lernerfolge bewirken. Die Aufgabenkultur eines Fachs Aufgaben sind professionelle Konstruktionen, die im
(bzw. eines Unterrichts) zeigt sich Rahmen eines didaktischen Arrangements m it einer
- in der A rt der Aufgaben (Aufgabenvielfalt)’, bestimmten didaktischen Absicht gestellt werden. Diese
Absichten können höchst unterschiedlich sein, je nach­
- in der Qualität der Aufgaben („g u te " Aufgaben)\
dem, ob sie dem Lernen, Üben, Wiederholen, Vernetzen
- in der Vernetzung der Aufgaben untereinander oder Leisten dienen.
(Aufgabencurriculum)',
Dementsprechend lassen sich die nachfolgenden unter­
- in der Einbettung der Aufgaben in das gesamte Un­
schiedlichen Arten von Aufgaben unterscheiden:
terrichtsgeschehen („ Unterrichts-Choreografie").
- Lernaufgaben;
In diesem Zusammenhang kommt den Aufgabenstel­
- Übungsaufgaben;
lungen (also der konkreten Ausgestaltung der Aufga­
- Diagnoseaufgaben;
ben) eine wichtige Rolle zu:
- Leistungsaufgaben/Evaluationsaufgaben.
1. Aufgabenstellungen sind ein materiales Steuerungs­
element des Unterrichts, indem sie Lernprozesse ini­ Leider wird im Fachunterricht das didaktische Potenzial
tiieren, steuern und evaluieren, vgl. S. 77. von Aufgaben nach wie vor nicht umfassend genutzt.

Teil B 83
Grundlagenwissen

So werden Aufgaben dort immer noch viel zu selten Auch Aufgaben zum Üben und Festigen dienen somit
zum Lernen von etwas Neuem, sondern vorrangig nur dem Lernen.
zum Üben und Wiederholen, Vertiefen und Festigen
Übungsaufgaben haben eine sehr lange Tradition, ob­
sowie zum Prüfen und Testen eingesetzt.
wohl ihr Ansehen und ihre Wertschätzung in der didak­
Damit aber werden Lernpotenziale vertan: Denn gerade tischen Diskussion w ellenförm ig schwanken. Nach
Lernaufgaben bieten die Chance, Lerner so zu führen, Jahren der Geringschätzung entdeckt man heute ihre
dass sie sich möglichst eigenständig neue Inhalte und/ Notwendigkeit und Bedeutung neu.
oder neue Methoden erschließen können. Das Ziel einer
Übungsaufgaben machen dann Sinn, wenn sie „in te lli­
solchen Lernaufgabe darf dann allerdings nicht nur
gent" in den Lernprozess eingebaut werden. Dies ist
darin bestehen, dass die Lerner überhaupt etwas lernen;
dann der Fall, wenn Lerner Könnenserfahrungen
sie muss vielmehr darauf abzielen, dass Lerner etwas
machen und Erfolgserlebnisse haben. Zugleich können
kompetenzorientiert lernen.
Lerner so über ihr eigenes Lernen nachdenken und
Kompetenzorientierte Lernaufgaben sind im sprachsen­ zusätzliche metakognitive Kompetenzen entwickeln.
siblen Fachunterricht von großer Bedeutung; ihnen ist
Um auch sprachschwachen Lernern solche Erfolgser­
deshalb ein eigener Abschnitt gewidmet (s. S. 85 ff.;
lebnisse zu ermöglichen, müssen die Übungsaufgaben
Details zur Binnendifferenzierung s. S. 88 ff.).
in heterogenen Lerngruppen zwingend binnendiffe­
renziert gestellt werden. Im sprachsensiblen Fachun­
Aufgabenarten terricht eröffnen hierfür besonders die Sprachübungen
Je nach Aufgabenart haben Aufgaben höchst unter­ ein breites Anwendungsfeld. Ihnen ist deshalb im vor­
schiedliche Ziele, Merkmale und Bedingungen. Nach­ liegenden Handbuch ein ganzes Kapitel gewidmet (sie­
folgend die Hauptmerkmale der einzelnen Aufgaben­ he 5. 178 ff. und Teil C).
typen im Überblick:
Diagnoseaufgaben:
Lernaufgaben: Diagnoseaufgaben haben zum Ziel, den momentanen
Eine Lernaufgabe ist eine Lernumgebung zur Kompe­ (Sprach-)Lernstand zu ermitteln und daraus Prognosen
tenzentwicklung. Sie steuert den Lernprozess durch über das weitere (Sprach-)Lernen abzuleiten sowie För­
eine Folge von gestuften Aufgabenstellungen m it ent­ dermaßnahmen zu entwerfen. Diagnoseaufgaben dür­
sprechenden Lernmaterialien. In einer Lernaufgabe gibt fen deshalb nicht den Charakter von Prüfungsaufga­
die Lehrkraft die Steuerung des Lernprozesses an die ben erhalten, auch wenn es sich u.U. um dasselbe
Lernaufgabe ab. Durch dieses Wegfallen des „perso­ Aufgabenformat handelt.
nalen" Einflusses wird die Steuerung auf die materiale
Zu Diagnoseaufgaben müssen Unterstützungssysteme
Steuerung beschränkt, vgl. Text und Abb. auf S. 85
angeboten und erfolgsfördernd eingesetzt werden.
i
Lernaufgaben haben das selbstständige Erschließen von Dazu ist zwingend erforderlich, dass die Lehrkraft die
etwas Neuem und den Aufbau verstehensrelevanter Beobachtungen, die sie bei der Lösung der Aufgaben
Wissensnetze zum Ziel. Sie bieten eine Vielzahl von durch die Lerner macht, das Lernen selbst und die
didaktischen Chancen: gestellten Aufgaben mit den Lernern bespricht. Darüber
hinaus sollten mit den Lernern Metareflexionen vorge­
- Lerner können durch Aufgaben gesteuert selbststän­
nommen werden.
dig Neues lernen;
- es sind individuelle Bearbeitungswege möglich; Nähere Ausführungen zur Diagnostik im sprachsensi­
blen Fachunterricht finden sich auf 5. 186 ff., ein aus­
- das Lerntempo kann variieren;
führlich ausgearbeitetes Beispiel steht auf 5. 206 f.
- dem Lehrenden kann sowohl die Rolle des Beraters
als auch des individuellen Betreuers zukommen; Leistungsaufgaben/Evaluationsaufgaben:
- der Lehrkraft werden individuelle Lernstandsdiagno- Evaluationsaufgaben überprüfen den Lernerfolg oder
sen erleichtert; den Erfolg von Fördermaßnahmen; sie sind Leistungs­
- gute und bewährte Lernaufgaben können im Kolle­ aufgaben und treten zumeist in Prüfungssituationen
gium ausgetauscht werden. auf. Evaluationen, die auf einen einzelnen Lerner hin
ausgerichtet sind, sind meist Prüfungen.
Detaillierte Ausführungen zu (kompetenzorientierten)
Lernaufgaben finden sich auf 5. 85 ff.; ein ausführlich Zum grundsätzlichen Unterschied zwischen Leistungs­
und Lernaufgaben s. 5. 87 unten.
ausgearbeitetes Beispiel findet sich auf 5. 204 f.
Gute Prüfungsaufgaben zeichnen sich dadurch aus,
Übungsaufgaben: dass sie dem Lernenden die Chance bieten, zu zeigen,
Übungsaufgaben sind Aufgaben, die dem Aufbau von was er kann. Sie sollten aber nicht dazu benutzt werden,
Routinen dienen. Sie vernetzen und festigen die Lern- ihm zu zeigen, was er alles nicht kann. Evaluationsauf­
inhalte, fördern also die Nachhaltigkeit des Lernens. gaben stehen nicht im Fokus dieses Handbuchs.

84 Teil B
Grundlagenwissen

Kompetenzorientierte
Lernaufgaben Begriffsdefinition
„Eine Lernaufgabe ist eine Lernumgebung zur Kompe-
Aktivitäten und Steuerungen tenzentwicklung: Dabei werden die Lerner durch eine
Lernaufgaben sind Aufgaben für Lernsituationen. Lern­ Folge von gestuften Aufgabenstellungen m it entsprechen­
aufgaben schaffen dabei eine bestimmte Lernumge­ den: Lern materialieh so geführt, dass sie sich' möglichst
bung (durch ihr jeweiliges Setting und die Lernmate­ eigentätig Neues (Inhalte und Methoden) erschließen. "
rialien) und ihre Aufgabenstellungen steuern die Lern­
prozesse in den jeweiligen Lernsituationen. Kompetenzorientierte Lernaufgaben sind im sprachsen­
Im Konzept der Lernaufgaben wird strikt zwischen den siblen Fachunterricht von großer Bedeutung. Sie sind Teil
Aufgabenbereichen von Lehrenden und Lernenden seiner Lern- und Aufgabenkultur, greifen aber nur, wenn
unterschieden: Lehrer konstruieren Lernaufgaben, Ler­ Lernsituationen von Leistungssituationen getrennt sind
ner lernen daran. In einer Lernaufgabe gibt die Lehrkraft
die Steuerung des Lernprozesses an die Lernaufgabe Lehrkräfte sollten deshalb Lern- und Leistungs(überprü-
ab. Die Lehrkraft steuert dann indirekt (in der Planung fungs)situationen bewusst voneinander-trennen und
und der Aufbereitung der Lernaufgabe). Im Unterricht nicht miteinander mischen. Denn Lernaufgaben bringen
selbst hingegen tr itt die Lehrkraft zurück und überlässt
die Steuerung des Lernprozesses der Lernaufgabe, siehe
Abb. unten.
Warum aber verzichtet die Lehrkraft auf die personale
Steuerung zugunsten einer überwiegend (und bisweilen kann als „Reifung" interpretiert werden. Diese „Rei­
sogar ausschließlich) materialen Steuerung? Und warum fu n g " ist aber ein höchst individueller Prozess, der auf
braucht es Lernaufgaben, wenn die Steuerung genauso individuellen Wegen m it einer jeweils eigenen Ge­
gut oder gar besser von der Lehrkraft selbst vorgenom­ schwindigkeit stattfindet. Lernaufgaben bieten hier die
men werden könnte? erforderlichen, individuell passenden Lernumgebun-
gen - sofern sie m it abgestuften Lernhilfen versehen
Die Begründung: A uf der Ebene der Lernpsychologie
sind.
lässt sich die Entwicklung von Kompetenzen als
„Umbau neuronaler Strukturen" beschreiben, die im Lehrkräften kommt somit im Rahmen von Lernaufga­
Kopf des Lerners stattfinden. Dies braucht Zeit und ben vor allem die Rolle der Prozessbegleitung zu. Ihre

85
Teil B
Grundlagenwissen

Kompetenzorientierte Aufgabenstellungen im Fachunterricht

Aufgabenorientierung Kontextorientierung Kompetenzorientierung

Komplexe Lernaufgaben Das Wissen wird in konkreten Der Unterricht ist auf die
Anforderungssituationen erwor­ Kompetenzentwicklung hin
fordern die Lernenden
ben, in denen die Kompetenzen ausgerichtet.
inhaltlich, sprachlich und
fachmethodisch heraus. entw ickelt und erprobt werden.

Inhalte und Lernprozess


Aufgaben

initiieren steuern evaluieren


\ : eien den den
Lernprozess Lernprozess Lernprozess

Aktivitäten und Aufgabenstellungen


) Josef Leisen

Aufgabe ist esr die entsprechenden Lernumgebungen Daraus wird zweierlei deutlich:
zu planen und zu schaffen, in denen Lerner handelnd 1. Die Ablaufstruktur einer Lernaufgabe und die Ab­
m it Wissen umgehen und zu definierten Lernergebnis­ laufstruktur des Lernprozesses im Lehr-Lern-Modell
sen kommen können. Diese Lernergebnisse werden in korrespondieren bzw. stimmen überein. Denn auch
Form von „Lernprodukten" ausgewertet, die auf eine der Lernprozess einer Lerneinheit findet in einer lern-
in dieser Lernumgebung schwerpunktmäßig zu ent­ psychologisch abgesicherten Schrittfolge statt (vgl.
wickelnden Kompetenz ausgerichtet sind. Die Lehrkraft S. 73 f.).
diagnostiziert dabei den jeweiligen Kompetenzstand
2. Aufgaben, in denen ein Lerner nur neues Fakten­
, und kennt Instrumente, die Kompetenzentwicklung zu
wissen lernt, sind keine Lernaufgaben im eigentlichen
steuern und transparent zu machen. Dies leistet sie bei
Sinne. Lernaufgaben sind vielmehr stets als „ko m ­
Lernaufgaben im Vorfeld - am Schreibtisch.
petenzorientierte Lernaufgaben" zu verstehen - also
Zielsetzung Aufgaben, die den Lernprozess, die damit verbun­
dene Selbsttätigkeit, den handelnden Umgang m it
Lernaufgaben haben zum Ziel, dass Lerner möglichst
Wissen und die Kompetenzentwicklung in den Vor­
eigentätig Problemstellungen entdecken, Vorstellungen
dergrund stellen. Dieser Definition fo lg t auch das
entwickeln, ein Lernprodukt erstellen, den Lernzuge­
„Handbuch Sprachförderung im Fach".
winn definieren und sich dann im handelnden Umgang
mit Wissen üben (vgl. Abb. S. 85 u.). Anders formuliert: Was unterscheidet Lernaufgaben
von Leistungsaufgaben?
1. Vorstellung des Kontextes und Entdeckung Lernaufgaben sind Aufgaben in Lernsituationen. Unter­
des Problems; richt in Deutschland ist aber traditionell eher auf Leis-
2. erster Zugriff auf das Problem und Entwick­ tungs- als auf Lernsituationen ausgerichtet. Zudem wird
lung von Vorstellungen; durchweg zu wenig zwischen Lern- und Leistungssi­
3. Reaktivierung des Vorwissens und Auswer­ tuationen unterschieden, sondern ständig beides m it­
tung neuer Informationen; einandervermischt. Dies hat für den Lernprozess unheil­
volle Auswirkungen, weil beide Situationen unterschied­
4. Erarbeitung des Neuen Schritt für Schritt
lichen psychologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen:
und Erstellung eines Lernproduktes;
5. Bewusstmachung des neu Erlernten und - Wer sich in einer Lernsituation wähnt, will Neues ler­
Definition des Lernzugewinns; nen, Lücken schließen, etwas verstehen.

6. Selbstüberprüfung, Verankerung im Wissens- - Wer sich in einer Leistungssituation wähnt, will Erfol­
T netz und Anwendung auf andere Beispiele. ge erzielen und Misserfolge vermeiden.

Teil B
86
Grundlagenwissen

Lernsituationen und Leistungs(überprüfungs)situatio- - das Könnensbewusstsein fördern


nen sollten deshalb streng voneinander getrennt wer­ und den Kompetenzzuwachs zeigen;
den. Denn Lernaufgaben bringen Lerner in Lernsitua­ - die Sprachbewusstheit fördern
tionen und nicht in Leistungssituationen. Schon Weinert und den Sprachzuwachs zeigen;
(1999, S. 33) forderte: „Erfolgreicher Unterricht braucht
- das neu Gelernte im Netz des Wissens
beides, und zwar im Bewusstsein der Schüler möglichst
und der Sprache verankern.
separiert: viele entspannte Gelegenheiten zum inten­
siven Lernen und genügend anspruchsvolle Leistungs­ Die Unterschiede zwischen Leistungs- und Lernaufga­
situationen. " ben im Fremdsprachenunterricht verdeutlicht die unten­
stehende Tabelle.
Gute Lernaufgaben im (sprachsensiblen) Fachunterricht
haben folgende Merkmale: Sie Wo haben Lernaufgaben ihre Grenzen?
- sind eingebettet in eine Atmosphäre des Lernens
Nicht alle Themen und Lerngegenstände sind fü r Lern­
und nicht des Prüfens; aufgaben geeignet; auch kann es schwierig sein, das
- orientieren sich am Kompetenzmodell der Bildungs­ Lernniveau für alle Lerner geeignet einzustellen. Dann
standards; müssen und können verschiedene individuelle Wege
- sind möglichst in einen Kontext eingebettet; angeboten werden (z.B. eng oder weit geführte, offene
oder geschlossene Aufgabenstellungen). Dabei mag es
- knüpfen am Vorwissen der Lerner an;
Schlüsselstellen geben, die ohne Erklärungen und per­
- behandeln Problemstellungen, die Lerner mittels
sonale Hilfen der Lehrkraft fü r viele Lerner unüber­
Arbeitsaufträgen selbstständig bearbeiten;
windbarsind. Hier sind dann Hilfestellungen materialer
- unterstützen die eigenständige Bearbeitung diffe­ A rt erforderlich (z.B. gestufte Lernhilfen, vgl. S. 88 ff.)
renzierend durch abgestufte Lernhilfen; oder ggf. auch personaler Art, vgl. S. 77 ff.
- führen zu einem auswertbaren Lernprodukt;
- fördern das Könnensbewusstsein und zeigen den Wie konstruiert man eine Lernaufgabe?
Lernzuwachs; Bei der Konstruktion von Lernaufgaben hat sich fo l­
- verankern das neu Gelernte im Wissensnetz und gendes Vorgehen bewährt:
dekontextualisieren das Gelernte; 1. das Lernthema (z.B. Erderwärmung) festlegen;
- wenden das neu Gelernte auf andere Beispiele an. 2. Aufgabenteile zusammensuchen,
3. das neu zu Lernende festlegen;
Im Fremdsprachenunterricht hingegen müssen sie
4. klären, ob das neu zu Lernende von den Lernern
- einen bedeutungsvollen Inhalt behandeln;
selbstständig bearbeitbar ist (Knackpunkte erkennen)
- zum authentischen Sprachgebrauch führen; und ob das Lernthema als Lernaufgabe taugt;
- eine integrative Schulung der vier Fertigkeiten 5. Informationen zur Auswertung zusammenstellen
Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben ermöglichen; und Lernprodukte festlegen;
- prozessorientiert sein; 6. eine Ablaufstruktur festlegen;
- nach einem Arbeitsplan vorgehen (task-based)\ 7. Bearbeitungsaufträge formulieren, Materialien
- zu einem auswertbaren Lernprodukt führen; und Hilfen erstellen.

Leistungsaufgaben/Testaufgaben Lernaufgaben
\ ■ (im Fremdsprachenunterricht) (im Fremdsprachenunterricht)

^ decken nur ein Niveau des GER ab; . - decken unterschiedliche Niveaus des GER ab
- haben einen thematischen Zusammenhang; (zum GER siehe S. 16 f. und S. 220 ff.);

— überprüfen immer nur eine kommunikative • - stehen nicht in thematischem Zusammenhang;


Kompetenz (z.B. nur das Hören, Lesen, • - fördern integrativ unterschiedliche Kompetenzen
Schreiben oder Sprechen); über die vier Fertigkeiten (four skills) hinaus;
haben eine eindeutige Lösung; : - sind vielfältig im Lösungsweg und in der
diagnostizieren und stellen den individuellen Lösungsdarstellung;
Förderbedarf fest; : i - unterstützen den individuellen Lernprozess;
____ _________ ______________ ^__ __________ _ i
werden positiv korrigiert (d.h., das Richtige - sind handlungs- und ergebnisorientiert
wird bewertet). - ;'v, (M otto; aus Fehlern lernen).

Teil B 87
Grundlagenwissen

Lehrkräfte sollten Lernern in einer Lernaufgabe Auf­ Im Fachunterricht haben sich folgende Möglichkeiten
gabenteile aller Schwierigkeitsgrade anbieten: binnendifferenzierenden Handelns bewährt:
- Eine einfache Lernaufgabe von niedrigem Schwierig­ - Lerninhalte a u f verschiedenen Erkenntniswegen
keitsgrad erhöht das Erfolgsgefühl und w irkt positiv (deduktiv/induktiv) erschließen lassen;
auf die M otivation.
- unterschiedliche Abstraktionsgrade, verschiedene
- Eine Lernaufgabe von höherem Schwierigkeitsgrad Anforderungsstrukturen sowie zugleich verschiedene
erhöht ebenfalls die M otivation, da hier eine Heraus­
Perspektiven auf die Lerninhalte anbieten;
forderung zu bewältigen ist.
- Lerninhalte durch verschiedene Sinnesmodalitäten
und Handlungsweisen zugänglich machen (z.B. auf
auditivem oder visuellem Weg, durch sensomotori-
sche A ktivitäten, durch praktisches Handeln und
____W E £ S — ^ 15 X4 =^- ._____

Lernaufgaben sollen spezifische Kompetenzen von durch Kommunikation);


Lernern gezielt entwickeln. Die Lehrkraft diagnosti­ - verschiedene Lernformen anbieten, die sich nach dem
ziert dabei den jeweiligen Kompetenzstand und, Grad der Selbstständigkeit unterscheiden, etwa durch
kennt Instrumente, die Kompetenzentwicklung zu unterschiedliche Arten von Hilfsmitteln und Struktu­
: steuern und transparent zu machen. Kompetenz­ rierungshilfen (z.B. bei der Texterschließung: Lexika,
orientierte Lernaufgaben sind Aufgaben, di e' ^ Sacherklärungen, vorstrukturierte Sinneinheiten, Leit­
fragen etc.);
- unterschiedliche Sozialformen des Unterrichts vor­
geben, also als Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit;
- gestufte Lernhilfen anbieten (siehe S. 89 sowie Teil
C, Methoden-Werkzeuge).

Im Rahmen der Binnendifferenzierung stellen die


gestuften Hilfen* ein besonders geeignetes Instrument
dar, um die Herausforderungen zu bewältigen, die
sich aus der Heterogenität von Lernern für den Fach­
unterricht ergeben. Denn beim Lernen tun sich häufig
kognitive Schwellen auf, die es zu überwinden gilt. Dies
Individuelle Förderung ist nur natürlich, denn Lernen ist ein individueller Pro­
durch Binnendifferenzierung zess, der selten bis nie gleichgeschaltet werden kann.
Der Unterricht ist somit immer für einige Lerner genau
Vorbemerkung
richtig, fü r andere hingegen zu schwer bzw. zu leicht.
Einer Lehrkraft, die die Aufgabenkultur eines Fachs be­
wusst nutzen möchte, stellt sich zwangsläufig die Frage, Bei hoher Heterogenität der Lerngruppen nim mt die
wie sie m it der Heterogenität von Lernern im Unterricht Zahl solcher kognitiver Schwellen erheblich zu. Hier
umgehen soll. Denn Heterogenität kann sich nicht nur können Lernaufgaben sowie (Lern-)Aufgaben m it ge­
auf unterschiedliches Leistungsvermögen, unterschied­ stuften Lernhilfen dazu beitragen, eine individuell pas­
liches Lernverhalten, unterschiedliche Lerngeschwin- sende Lernstruktur zu gewährleisten. Im lehrergesteu­
digkeiten und unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale erten Unterricht kommt diese Aufgabe der Lehrkraft
beziehen, sondern auch auf eine unterschiedliche sozia­ zu, vgl. S. 85.
le, ethnische und kulturelle Herkunft der einzelnen Ler­ Die nachfolgend aufgezeigten Anregungen lassen sich
ner in einer Lerngruppe. Jeder dieser Faktoren hat sowohl für den traditionellen Fachunterricht als auch
(unterschiedliche) Auswirkungen - und somit Konse­ für den sprachsensiblen Fachunterricht nutzen. Der
quenzen für den Lehr-Lern-Prozess im Allgemeinen und sprachsensible Fachunterricht jedoch baut in seine
auf die Aufgabenstellungen im Speziellen.
Aufgabenstellungen auch noch das sprachliche Lernen
Eine pädagogische Möglichkeit, mit der Heterogenität ein - und erzielt gerade deshalb im Unterricht mit
von Lernern bzw. heterogenen Lerngruppen umzuge­ einem hohen Anteil nicht muttersprachig deutscher
hen, ist die Binnendifferenzierung. Binnendifferenzie­ Lerner nachweislich hohe Erfolge.
rung kann erfolgen:
- nach Arbeitsweisen;
- nach dem inhaltlichen und zeitlichen Umfang Aufgaben m it gestuften Hilfen sind ein Ergebnis aus der
- sowie dem Schwierigkeits- und Komplexitätsgrad von Arbeit von SINUS-Projekten, die in den Jahren 1998-2007
Aufgabenstellungen; an mehr als 1.800 deutschen Schulen durchgeführt wurden.
Ziel war, Elemente zur Weiterentwicklung des naturwissen­
- nach dem Lern- und Arbeitstempo. schaftlichen Unterrichts zu konstruieren und zu erproben.

88 Teil B
Grundlagenwissen

Folgende Methoden zur binnendifferenzierten indivi­ hier vom Prinzip der kalkulierten Ü berforderung leiten
duellen Förderung haben sich in der Unterrichtspraxis lassen (vgl. S. 74).
bewährt:
- die Methode der gestuften Hilfen: Hier wird allen Welchen Aufbau und welche Merkmale
Lernern zunächst dieselbe Aufgabe m it denselben haben Aufgaben mit gestuften Hilfen?
Anforderungen gestellt. Entsprechend dem individu­ im sprachsensiblen Fachunterricht bietet die L eh rkra ft
ellen fachlichen und sprachlichen Vermögen können zur Bewältigung der Aufgabe insbesondere sprach-
die Lerner dann auf gestufte (Sprach-)Hilfen unter­ schwachen Lernern Hilfen an, die bei Bedarf S ch ritt fü r
schiedlicher Intensität bzw. Stärke zurückgreifen. Schritt zur Entwicklung der Lösung benutzt w erde n
- die Methode der gestuften Anforderungen: Hier wer­ können. Diese Hilfen sollten stets zielgerichtete Im pulse
den den Lernern Aufgaben m it unterschiedlich hohen geben (z.B., das Vorwissen beim Lerner zu aktivieren
fachlichen und/oder sprachlichen Anforderungen ge­ und ihn dann über den zugrunde liegenden Gedanken
stellt. sprechen zu lassen).

Ausführliche Beispiele finden sich in Teil D, S. 208 ff. Die erste Hilfe sollte dabei immer die A u ffo rd e ru n g
beinhalten, die Aufgabe in eigenen Worten w ie d erzu ­
Wann eignen sich Aufgaben geben. Die letzte Hilfe hingegen sollte stets die K o m ­
mit gestuften Hilfen? plettlösung vorstellen. Zu jeder Aufgabe sollten z w i­
Aufgaben m it gestuften Hilfen sind dann angebracht, schen 3 und 6 Hilfen angeboten werden. W ic h tig ist,
wenn die Aufgabe eine komplexe Fragestellung auf­ dass die Lerner stets selbst entscheiden können, o b und
weist und eine möglichst eindeutige Beschreibung des zu welchem Zeitpunkt sie eine Hilfe in Anspruch neh­
men wollen.
Ergebnisses verlangt. Allerdings eignet sich das System
der gestuften Hilfen nicht für alle Arten von Aufgaben. Dabei haben sich folgende Leitlinien bewährt (nach
Bei der Auswahl der Aufgaben und der Erstellung der Stäudel und Wodzinski, 2009, S. 2-5):
Hilfen ist Folgendes zu berücksichtigen:
- Komplexität erhalten: Wenn komplexere A u fgaben
1. Besonders gut eignen sich Problemstellungen, bei notwendig sind, um Lerner kognitiv zu aktivieren,
denen es um die Anwendung von Wissen geht, also muss diese Komplexität so w eit wie möglich erhalten
z.B. um die Aktivierung von Vorwissen, die Reorga­ bleiben.
nisation von Wissen oder die Anwendung von bereits - Anforderungen nicht vermindern: Aufgaben, die sich
Erarbeitetem auf eine veränderte aber verwandte an einer mittleren Leistungsfähigkeit orientieren, w e r­
Fragestellung. Dabei müssen die betreffenden A u f­ den einige Lerner immer noch überfordern, andere
gaben fü r die leistungsstärksten Lerngruppen auch jedoch kaum weiterbringen. Die Anforderungen soll­
ohne Benutzung von Hilfen lösbar sein. ten sich deshalb eher an den Leistungsstarken o rie n ­
2. Bei Aufgaben m it gestuften Hilfen sollen die Hilfen tieren. Voraussetzung ist allerdings, dass grundsätzlich
sukzessive eingesetzt werden. Aus diesem Grund hinreichend Vorwissen zur Bearbeitung und Lösung
sind prozess- und ergebnisoffene Problemstellungen eines Problems in der Lerngruppe vorhanden ist.
ebenfalls nur bedingt geeignet. Wenn sich beim Fort­ - Hilfen zur Verfügung stellen: Weniger leistungsstarke
schreiten der Bearbeitung Verzweigungen ergeben und insbesondere sprachschwache Lerner kö nn en
können, kann dies m it den Hilfen nicht abgebildet komplexe Aufgaben in der Regel nicht ohne H ilfe
werden. In vielen Fällen gelingt es jedoch, durch lösen; die Lehrkraft muss ihnen deshalb angemessene
U m form ulierung der Aufgabe den verbleibenden Hilfen zur Verfügung stellen. Dabei müssen die H ilfen
Bearbeitungsweg eindeutiger zu machen. so gestaltet sein, dass sie Vorwissen aktivieren und
nachvollziehbare Schritte zur Lösung aufzeigen.
3. Aufgaben m it gestuften Hilfen lassen sich auch m it
praktischem experimentellem Handeln kombinieren, - eigenes Lerntempo ermöglichen: Das L ernte m po
wenn die Aufgabe z.B. der Vorbereitung eines Expe­ innerhalb einer Lerngruppe kann sehr verschieden
riments oder der Ausarbeitung einer geeigneten Ver­ sein; die Lerner müssen somit selbst entscheiden k ö n ­
suchsanordnung vorangestellt wird. nen, zu welchem Zeitpunkt sie eine Hilfe in Anspruch
nehmen wollen. Dies setzt voraus, dass diese H ilfe n
4. Nach einem Experiment oder einer Versuchsreihe
durchgängig verfügbar und die Regeln zur N u tzu n g
können Aufgaben m it gestuften Hilfen zur Auswer­
einfach sind.
tung bzw. Interpretation der Ergebnisse eingesetzt
werden, z.B. um eine zuvor aufgestellte Hypothese - eigenen Schwierigkeitsgrad definieren lassen: Jeder
begründet zu verwerfen oder auf Basis der Befunde lernt unterschiedlich; die Lerner müssen somit selbst
anzunehmen. über das Ausmaß der N utzung der angebotenen
Lernhilfen bestimmen können. Damit verändern sie
Da Aufgaben m it gestuften Hilfen dem Lernen dienen, zugleich auch den Schwierigkeitsgrad der A u fg ab e
sollten sich Lehrkräfte wie bei jedem Lernprozess auch (Prinzip der adaptiven Instruktion, vgl. F. E. W einert).

Teil B
89
Grundlagen wissen

- sachbezogene Kom munikation unterstützen: Eine Sache (z.B. durch den Austausch in der Zweier- oder
Aufgabenbearbeitung z.B. in Zweiergruppen regt zu Kleingruppe) erheblich zum Verständnis der Aufgabe
sachbezogenen Gesprächen zwischen den Lernern beitragen.
an; dabei soll der Dialog zugleich die jeweiligen Vor­
M it der Musterlösung können die Lerner am Ende die
stellungen und Begriffe klären und das fachbezogene
Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer eigenen Lösung
Argumentieren fördern.
überprüfen. Für diejenigen, die alle Hilfen in Anspruch
Hilfen können als inhaltliche oder als lernstrategische nehmen mussten, stellt dies eine A rt Gesamtschau auf
Hilfen konzipiert sein. Inhaltliche Hilfen zielen häufig den Lösungsprozess dar. Zugleich verdeutlichen die Hil­
darauf ab, das Vorwissen beim Lerner zu aktivieren; fen, wie man strategisch mit komplexen Aufgaben um­
lernstrategische Hilfen hingegen wollen die Strukturie­ gehen kann. Für die anderen, die keine oder nur eine
rung des Bearbeitungsprozesses unterstützen. Hilfe in Anspruch genommen haben, stellt die Muster­
lösung eine M öglichkeit zur Selbstkontrolle dar.
Beispiel für eine inhaltliche Hilfe
Gerade bei sehr heterogenen Lerngruppen oder einem
- Erinnert euch daran, was ihr aus dem Unterricht hohen Anteil von sprachschwachen Lernern sei jedoch
über Pull-Push-Faktoren wisst darauf hingewiesen, dass lernstrategische Hilfen allein
- Tragt zusammen, was ihr über die soziale M arkt­ nicht geeignet sind. Hier ist vielmehr der sprachsensible
wirtschaft wisst Fachunterricht m it seinen binnendifferenzierenden
Methoden-Werkzeugen gefragt (siehe nachfolgende
Beispiel für eine lernstrategische Hilfe Ausführungen und Teil C).
- Formuliere die Aufgabe in eigenen Worten!
- Suche im Text nach wichtigen Informationen, Methoden-Werkzeuge
die du für die Lösung der Aufgabe nutzen kannst zur Sprachförderung
- Was weißt du bereits über den Sachverhalt und
im sprachsensiblen Fachunterricht
was kannst du daraus folgern?
- Kennst du ähnliche Vorgänge? Was sind Methoden-Werkzeuge?

- Versuche das Problem in einem Schema/einer Vorbemerkung


Skizze zu veranschaulichen!
Sprachförderung ist über weite Teile hinweg unterricht-
liches Handwerk. Wie in einem normalen Handwerks­
Lernstrategische Hilfen tragen dazu bei, dass Unterziele
beruf erfordert deshalb auch der Bereich der Sprachför­
erkannt, beachtet und bearbeitet werden (z.B.: Habe
derung geeignete Werkzeuge, um professionell arbei­
ich alle wesentlichen Informationen im Aufgabentext
ten zu können.
richtig erfasst? Welche Informationen benötige ich noch
, für die Lösung?). Gleichzeitig regen sie häufig an, sich Sogenannte Methoden-Werkzeuge unterstützen den Zu­
über den Bearbeitungszustand zu vergewissern bzw. gang zu Lernmaterialien, die im Rahmen von Aufga­
andere Hilfsmittel zu nutzen (z.B. eine Skizze zum be­ benstellungen verwendet werden (vgl. S. 78). Ob und
reits Erarbeiteten zu erstellen). inwieweit diese Methoden-Werkzeuge angemessen und
(sprach-)fördernd in den unterrichtlichen Lernprozess
Hilfen geben zielgerichtete Impulse; sie veranlassen z.B.
eingebracht und eingebunden werden, ist jedoch eine
den Lerner, sein Vorwissen zu aktivieren und dann den
Frage des professionellen Geschicks bzw. der Profes­
zugrunde liegenden Gedanken weiter auszuführen. Bei
sionalität der Lehrkraft. Dies belegt erneut, wie wichtig
gestuften Aufgabenstellungen sollten zu jeder Aufgabe
der professionelle Umgang der Lehrkraft m it den mate­
zwischen 3 und 6 Hilfen angeboten werden. Dabei soll­
rialen und personalen Steuerungen im Lernprozess ist,
te die erste Hilfe immer die Aufforderung beinhalten,
vgl. S. 77 ff.
die Aufgabe in eigenen Worten wiederzugeben, die
letzte Hilfe immer die Komplettlösung vorstellen. Teil C des Handbuchs stellt Lehrkräften zur Unterstüt­
zung gleich einen ganzen „Werkzeugkasten derSprach-
In diesem Zusammenhang ist die A ufforderung zur
förderung" zur Verfügung; dessen 40 Einzelwerkzeuge
Wiedergabe der Aufgabenstellung in eigenen Worten
sollen die Realisierung eines sprachsensiblen, praxisna­
von besonders großer Bedeutung. Denn das Verständnis
hen und sprachfördernden Fachunterrichts erleichtern
der Aufgabe ist Voraussetzung, um das Problem zu
und ermöglichen. Die Spannweite dieser Werkzeuge
bearbeiten und zu einer Lösung zu gelangen.
reicht vom lehrergelenkten bis zum lerneraktiven Unter­
Durch das Wiederholen der Aufgabenstellung in eige­ richt; der „Werkzeugkasten" enthält eine ausgewogene
nen Worten soll sich der Lerner die genaue Fragestel­ Mischung beider Werkzeugarten.
lung klar machen und überlegen, welcher A rt eine
Lösung sein könnte. Zum anderen soll die Hilfe eine Charakter u nd Besonderheiten
erste Strukturierung der Aufgabenbearbeitung bewir­ Das Spektrum der Methoden-Werkzeuge ist groß; es
ken. Dabei kann das gemeinsame Sprechen über die reicht von einer schlichten Geste des Lehrers bis hin

90 Teil B
Grundlagenwissen

zum vorbereitungsintensiven Lernarrangement, vgl. S. eröffnen, fundierte Unterstützung. Eine Definition der
92. Auch können die meisten Werkzeuge vielfältig ein­ Methoden-Werkzeuge findet sich im Kasten unten.
gesetzt werden, sind also nicht auf eine spezielle Unter­
richtssituation beschränkt (wie z.B. ein Hammer, der Was unterscheidet Methoden
sowohl zum Einschlagen eines Nagels als auch zum von Methoden-Werkzeugen?
Zerschlagen eines Steins genutzt werden kann). Die von den Bildungsstandards geforderte M ethoden­
Methoden-Werkzeuge sind methodische Elemente des kompetenz umfasst zwei Aspekte:
Unterrichts und unterstützen in jedem Fall die Tätigkeit 1. die Kompetenz zur Handhabung von Fach-
der Lehrkraft; denn jeder bewusste didaktische Ge­ bzw. Arbeitsmethoden;
brauch von Werkzeugen erhöht nachweislich die A kti­
vität der Lerner im Fach. 2. die Kompetenz zur Handhabung von Unter-
richts(=Lern)methoden.
Ob dafür „Werkzeuge in Lehrerhand" oder „W erkzeu­
ge in Lernerhand" einzusetzen sind, hängt dabei da­ Methoden-Werkzeuge sind Werkzeuge, die zur Umset­
von ab, wie stark der im Einzelfall gewünschte Grad an zung von Unterrichtsmethoden benutzt werden. Diese
Lehrerlenkung ist bzw. bei wem die Hauptaktivität in Unterrichtsmethoden sind von den fachwissenschaftli­
der jeweiligen Unterrichtssituation liegen soll. Der Ein­ chen Arbeits- und Erkenntnismethoden abzugrenzen:
satz von Methoden-Werkzeugen ist somit situations­ Fachmethoden sind originärer Bestandteil des jeweiligen
spezifisch, also didaktisch zu begründen und muss ziel­ Fachs; sie konstituieren das fachliche Arbeiten, bei­
führend sein, vgl. auch S. 92 f. spielsweise das chemische Experimentieren. Methoden-
Methoden-Werkzeuge kommen o ft in Form von Ar­ Werkzeuge hingegen fördern das Lernen des Fachs.
beitsblättern daher. Bei „Werkzeugen in Lehrerhand" M ethoden-W erkzeuge schulen die Kompetenz zur
unterstützen die Arbeitsblätter die Tätigkeit der Lehr­ Handhabung von Lernmethoden; sie fördern also das
kraft, die m it ihrer Hilfe die Unterrichtsabläufe plant „Lernen lernen". Methodenkompetenz im Bereich der
und vorbereitet und den Lernprozess steuert. In diesem Lernmethoden zielt darauf ab, dass Lerner (entstandene
Fall ist es somit die Lehrkraft, die diese Arbeitsblätter oder geplante) unterrichtliche Situationen, die sich aus
gesteuert im Unterricht einsetzt. originären Situationen des Arbeitens im Unterricht erge­
Bei „Werkzeugen in Lernerhand" hingegen ist dies ben, besser bewältigen können. Methoden-Werkzeuge
anders. Auch sie lassen sich durch Arbeitsblätter bzw. dienen also der Sache und dem Verstehen der Sache;
Folien vorbereiten; dabei können diese sowohl die der unterrichtliche Einsatz von Methoden-Werkzeugen
Gestaltung der Unterrichtsstunde als auch den konkre­ ist somit vorrangig didaktisch und nicht methodisch zu
ten Gebrauch einzelner Werkzeuge im U nterricht begründen.
betreffen. Da die Werkzeuge in Lernerhand jedoch Der adäquate didaktische Einsatz dieser Werkzeuge
grundsätzlich einen offeneren Charakter haben, halten wird sichergestellt, indem sich die Lehrkraft folgende
die Arbeitsblätter bzw. Folien hier zumeist nur den for­ Fragen stellt: „Welche unterrichtliche Situation habe
malen Ablauf des Verfahrens fest. Bei Werkzeugen in ich mit den Lernern zu bewältigen?", „W ozu brauche
Lernerhand organisiert das Werkzeug also den (inhalt­ ich dieses Werkzeug?", „Was will ich erreichen?". Die
lich offenen) Lernprozess und das Arbeitsblatt garantiert Lehrkraft muss also zunächst die Unterrichtssituation
lediglich den reibungslosen Ablauf. analysieren, da es von deren spezifischen Belangen und
Methoden-Werkzeuge bieten der Lehrkraft aber auch didaktischen Absichten abhängt, welches Werkzeug
ein geeignetes Instrumentarium für die gezielte Förde­
rung von kommunikativen Kompetenzen.

Zwar gab und gibt es immer Lerner, die das Kommuni­ Begriffsdefinitionen
zieren im Fach „einfach so" lernen, ohne dass sich der Methoden-Werkzeuge schulen die Kompetenz zur Hand­
Unterricht groß darum kümmert bzw. kümmern müsste. habung von Lernmethoden. Sie sind lehrergesteuerte oder
(Das ist im Grunde auch richtig, denn der Spracher- lerneraktive Verfahren, Materialien und Hilfsmittel zur
werbsforschung zufolge stellen sich komm unikative Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen, weitgehend
Kompetenzen bei vielen Lernern eher beiläufig ein.) inhaltsunabhängig und nicht auf einen Unterricht nach
Allerdings erfolgt dieser Kompetenzerwerb in einem einem bestimmten Konzept beschränkt.
solchen Fall weder kontrolliert noch in einer vorher
definierten Q ualität - und schon gar nicht bei allen Methoden-Werkzeuge zur Sprachförderung erzeugen und
Lernern. Gerade sprachschwache Lerner bedürfen aber unterstützen kommunikative Situationen im Unterricht,
der gezielten Förderung, damit sie die geforderten kom­ und helfen, sie zu bewältigen. Entsprechend dem Kom­
munikativen Kompetenzen überhaupt erwerben kön­ petenzstand der Lerner und der Kommuriikationsäbsicht
nen. Hier leisten Methoden-Werkzeuge, die zugleich führen diese Werkzeuge eng oder sind offen gehalten.
vielfältige M öglichkeiten der Binnendifferenzierung

Teil B 91
Grundlagenwissen

„passt" bzw. seinem Sinn und N utzw ert nach zur Wann Methoden-Werkzeuge in Lehrer­
Bewältigung dieser Unterrichtssituation geeignet ist. und wann in Lernerhand?
Die Werkzeuge müssen ihre Funktion somit in den Lern­ Steht eine effektive Wissensvermittlung im Vordergrund
prozessen legitimieren. - etwa die Erklärung einer Maschine oder die Beschrei­
Für unterrichtliche oder sprachliche Standardsituationen bung der Brutpflege bei Vögeln - bieten sich Werkzeu­
(z.B. Übungs-, Brainstorming- oder Problemfindungs- ge in Lehrerhand an. Dies gilt auch für fachliche und
situationen oder Strukturierungsaufgaben) bieten die sprachliche Übungen.
Seiten 106 ff. gute Unterstützung.
Werkzeuge in Lehrerhand legen die Unterrichtsführung
Die didaktische Funktion der Methoden-Werkzeuge ist in die Hand des Lehrers. Sie sind Elemente der mate­
zugleich ein gutes Kriterium für die Strukturierung. Denn rialen sowie der personalen Steuerung, planbar und in
bei anderen Klassifizierungen - z.B. nach Unterrichts­ Bezug auf ihre Wirkung und Handhabung gut abschätz­
phasen oder äußeren Merkmalen und Darstellungsfor­ bar. Unterricht kann damit konzentriert, straff und zeit­
men _ ergeben sich zahlreiche Mischformen, sodass
ökonomisch durchgeführt werden. In diesen Fällen ist
eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich ist.
der Lehrer das „sprachliche Zentrum " und es kann ein
Wenn eine Lehrkraft die Merkmale und Charakteristika intensives Unterrichtsgespräch stattfinden.
der Methoden-Werkzeuge kennt und diese situations­
Demgegenüber fördern die Werkzeuge in Lernerhand
bezogen und bewusst einsetzen kann, steigt die Wahr­
maßgeblich die Fachkommunikation der Lerner unter­
scheinlichkeit, dass der Unterricht gelingt und zugleich
maßgeblich zur Sprachförderung beiträgt, nachweislich einander. Sie sind deshalb immer dann geeignet, wenn
Lerneraktivitäten gewünscht sind.
an.

sind Werkzeuge, die sind Werkzeuge, die

- vom Lehrer geplant und erstellt werden; - vom Lehrer, aber auch von den Lernern geplant /
und erstellt werden;

- beim Einsatz in der Hand des Lehrers liegen - beim Einsatz in der Hand der Lernern liegen
und ergebnisfester sind. und ergebnisoffener sind.

dienen als methodisches Gestaltungsmittel dienen als didaktisches Anregungsmaterial


für einen lehrergelenkten Unterricht zur fü r einen handlungsorientierten Unterricht zur

- effektiven Wissensvermittlung; - Förderung der Schüleraktivitäten;

- konzentrierten Unterrichtsführung; - Entlastung des Lehrers;

- intensiven Lehrer-Lerner-Fachkom m unikation. - Förderung der Fachkommunikation unter Lernern

sind zeitökonomisch; - sind zeitintensiv im Unterrichtseinsatz


und führen zu großen Zeitdifferenzen;
sind geeignet fü r den Unterricht in gleicher Front;
- sind binnendifferenzierend;
sind gut geeignet für Einzelarbeit;
- sind nur zeitweilig einsetzbar;
haben o ft A rbeitsblattcharakter;
- sind vielfältig und unterschiedlich;
sind o ft als Kopiervorlage wiederverwendbar;
- sind o ft aufwändig in der Vorbereitung;
sind gut geeignet fü r Übungszwecke;
- sind meistens sehr materialaufwändig',
unterstützen den Frontal unterricht.
- sind o ft auf Partner- und Gruppenarbeit
ausgerichtet.

Teil B
92
Grundlagenwissen

Werkzeuge in Lernerhand fungieren als Anregung für Wo liegen die Grenzen, Risiken und
handlungsorientierten Unterricht. Nebenwirkungen von Methoden-Werkzeugen?

Methoden-Werkzeuge haben eine große Bandbreite. Ein nicht auf das Fach ausgerichteter oder nicht didak­
Hieraus ergeben sich unterschiedliche Merkmale, die tisch begründeter Gebrauch von M ethoden-W erkzeu­
gen birgt die Gefahr, zur inhaltslosen Methodenschu­
die Funktion und den Einsatz des jeweiligen M etho-
lung zu verkommen. Die Aktivitäten der Lerner werden
den-Werkzeugs mitbestimmen (Details siehe Teil C).
dann vom Fachlichen weggeleitet. Bei einem didaktisch
begründeten Einsatz hingegen werden die Lerner ziel­
Was kann der Gebrauch
gerichtet in (Lern-)Situationen m it hierfür geeigneten
von Methoden-Werkzeugen
fachlichen Aufgaben und Problemstellungen gebracht.
im Unterricht bewirken?
Methoden-Werkzeuge haben aber auch ihre Grenzen.
Methoden-Werkzeuge unterstützen die Lehrkraft dabei,
So bergen sie beispielsweise das Risiko extensiven Zeit­
anregende, herausfordernde und die Bedürfnisse der
verbrauchs. Lehrkräfte müssen sich deshalb fragen:
Lernenden berücksichtigende Lernsituationen zu gestal­
Wird das Werkzeug zeitökonomisch verantwortbar ein­
ten. Durch die Verlagerung der aktiven Unterrichtsarbeit
gesetzt und genutzt? Gibt es zeitökonomische Alter­
in die Lernergruppe und durch die intensiven Formen
nativen? Stehen Aufwand und Ertrag in einem guten
der Lerner-Lerner-Kommunikation gewinnen die Lehr­
Verhältnis?
kräfte mehr Freiraum, können beobachten, individuelle
Lernwege begleiten und Arbeitsabläufe einzelner Ler­ Methoden-Werkzeuge lösen auch keine fachdidakti­
ner gezielt unterstützen. Der Lehrkraft gelingt eine viel­ schen Probleme; sie tragen nur dazu bei, dass Lerner
fältigere methodische Ausnutzung desselben Lernma- methodische Stolpersteine umgehen lernen. Zudem
terials. können Methoden-Werkzeuge Probleme erzeugen, die
es ohne sie nicht gäbe. Das ist dann der Fall, wenn
Zwar ist der Aufwand zur Herstellung der Materialien komplexe oder komplizierte Werkzeuge ohne entspre­
für den ersten Einsatz zum Teil recht hoch; viele Lehr­ chende Vorbereitung eingesetzt werden (z.B. Partner­
kräfte empfinden dann aberden Gebrauch von M eth o ­ kärtchen, Kettenquiz, Zwei aus Drei, Stille Post, Begriffs­
den-Werkzeugen in der jeweiligen Unterrichtssituation netz, Kartenabfrage, Lehrer-Karussell, Kärtchentisch,
als entlastend. Dies wiegt in gewisser Weise den grö­ Schaufensterbummel, Kugellager, Expertenkongress
ßeren Zeitaufwand der Vorbereitung auf, insbesondere oder Aushandeln, vgl. Teil C).
dann, wenn die Materialien in verschiedenen Lerngrup­
Ohne entsprechende Aufbereitung durch die Lehrkraft
pen eingesetzt und in kollegialer Zusammenarbeit er­
und ohne Einweisung der Lerner besteht die Gefahr,
stellt und genutzt werden.
Verwirrung und Chaos zu erzeugen und damit gute
Methoden-Werkzeuge haben Aufforderungscharakter Absichten zunichte zu machen. Bei kurzer Einweisung
und helfen, die Lerner inhaltsgebunden in kom m uni­ hingegen verläuft der Einsatz auch dieser Methoden-
kative und kooperative Situationen zu bringen, in denen Werkzeuge erfahrungsgemäß reibungslos und fü hrt zu
sie aktiv handeln müssen. Methoden-Werkzeuge tragen den beabsichtigten Wirkungen und Lernerfolgen.
somit zu einer stärkeren Handlungsorientierung des
Unterrichts bei und erhöhen zugleich den Anteil selbst­
regulierten Lernens.

Dies w irft sofort die Frage des Umgangs mit fehler­


Mit Methoden-Werkzeugen können Lernsituatio­
haften Arbeitsergebnissen und Lösungen auf. Hierfür
nen gestaltet werden* die sowohl fachlich und
sei folgende Vorgehensweise empfohlen: sprachlich anregend und herausfordernd sind als
In Fällen, in denen es nicht nur „eine" richtige Lösung auch die jeweiligen Bedürfnisse der Lerner bin­
gibt, können die qualitativ unterschiedlichen, teils feh­ nendifferenzierend berücksichtigen. Der Einsatz
lerhaft erarbeiteten Begriffsnetze verschiedener Grup­ von Methoden-Werkzeugen muss deshalb von der
pen vergleichend zur Fehleranalyse, zur M etareflexion Lernsituation her, also didaktisch begründet werden
und zur Strategieanalyse genutzt werden; dies bietet und erfolgversprechend, also zielführend sein.
. ' — - 1 - ^~ '
großen Lernnutzen für die gesamte Lerngruppe. Methoden-Werkzeuge haben Aufforderungschä-
rakter. Sie helfen, die Lerner inhaltsgebunden in .
In Fällen, in denen es eine eindeutige Lösung gibt, bie­
/ kom m unikative und kooperative Situationen zu
ten sich hingegen Lösungsfolien oder -blätter an. In
bringen, in denen sie aktiv’ handeln müssen. M e-
anderen Fällen sind ggf. Selbst- oder Partnerkontrollen
;■ thoden-W erkzeuge tragen somit zu einer stärke­
ein probater Weg. Auf jeden Fall sollten Fehler als Gele­
ren Handlungsorientierung des Unterrichts bei
genheit zu einer zweiten Lernschleife genutzt werden
und erhöhen zugleich den Anteil selbstregulierten
(vgl. hierzu die Ausführungen zum situationsgerechten
Umgang m it Fehlern, S. 12 ff., 28 f.).

Teil B 93
Grundlagenwissen

rung eine zentrale Rolle zu. Wie diese dann im Einzelfall


Personale Steuerungen abläuft, hängt von den jeweiligen Aktionsformen des
des Unterrichts Unterrichts sowie vom gewünschten Maß an Lehrer­
lenkung ab. Die in der untenstehenden Grafik abgebil­
Gesprächsführung undf^~\%, dete „didaktische Landkarte" der Gesprächsführung
Moderation im s p r a c h il^ J f verdeutlicht dabei schematisch die unterschiedlichen
Möglichkeiten:
sensiblen Fachunterricht2^
So ist die Kommunikationsstruktur naturgemäß davon
Vorbemerkung %,
abhängig, in welcher Sozialform der jeweilige Unterricht
Die Gesprächsführung stellt nicht ohne Grund eine erfolgt: Im Frontalunterricht beispielsweise steuert der
wichtige Steuerung im Lernprozess dar, vgl. S. 77 und Lehrer das Unterrichtsgeschehen. Hier hat er auch das
S. 12 ff. Denn es ist die Lehrkraft, die den Lernprozess Gesprächsmonopol, da die Gesprächsbeiträge meist an
moderiert und steuert, indem sie Aufgabenstellungen ihn gerichtet sind und er seinerseits die Beiträge meist
und Lernmaterialien in die Unterrichtsgestaltung und frontal an die Lerngruppe richtet.
den Lernprozess einbindet und die Lerner mit Methoden
unterstützt, damit diese ihrem Fach- und Sprachstand In der Einzelarbeit (Stillarbeit) bzw. Partner-/Gruppen-
entsprechende Lernprodukte erstellen können. arbeit hingegen dominieren die Lerner das Unterrichts­
handeln: Sie tragen beispielsweise die Ergebnisse ihrer
Diese M oderation ist immer persönlich gefärbt; die
Arbeit (einzeln) vor oder diskutieren die Ergebnisse zu­
Gesprächsführung gehört deshalb zu den personalen
nächst untereinander und tragen sie dann gemeinsam
Steuerungen. Auch die Gesprächsführung muss jedoch
im Plenum vor. Infolgedessen ist hier die Kommunika­
generellen professionellen Mindeststandards genügen.
tion eher lernerzentriert und wird lediglich durch den
Gesprächsformen Lehrer moderiert.
im Fachunterricht Lehrkräfte, die einen sprachsensiblen Fachunterricht
Wenn Sprachlernen und Fachlernen im Fachunterricht gestalten möchten, müssen der Gesprächsführung be­
Hand in Hand gehen sollen, kommt der Gesprächsfüh­ sondere Aufmerksamkeit schenken.

© Josef Leisen

Einflussfaktoren für die Gesprächsführung im Fach


Grundlagenwissen

Dabei sollte die Lehrkraft: Jede dieser Gesprächsformen hat ihre spezifischen Vor­
1. bewusst mit Sprache als Medium umgehen, um fach­ züge und Einschränkungen; es gibt also nicht „d ie “
liches Lernen nicht durch (vermeidbare) sprachliche universelle Gesprächsform, die alles kann. Auch sollte
jeder Lehrkraft zugestanden werden, dass sie nicht alle
Schwierigkeiten zu verstellen. Denn sprachsensibler
Gesprächsformen in gleich hoher Professionalität be­
Fachunterricht arbeitet m it der Sprache, die da ist -
herrschen kann (und auch nicht können muss).
und sei sie noch so defizitär.
2. die sprachliche Aufbereitung der jeweiligen Lernsi­ Immer jedoch lautet die zentrale methodische Frage,
tuation anpassen, vgl. 5. 98 ff. Denn sprachsensibler wie Lehrkräfte die diskursive Einbindung gerade sprach-
Fachunterricht geht auch sensibel mit den sogenann­ schwacher Lerner ermöglichen und gewährleisten kön­
ten sprachlichen Standardsituationen im Fachunter­ nen, damit auch bei diesen die Kommunikation gelingt.
richt (s. S. 106 ff.) um. Diese umfassen alle kommu­ Diese Frage ist immer zu beantworten und im Einzelfall
nikativen Situationen beim fachlichen Lernen im Un­ zu entscheiden, denn das Gelingen der verschiedenen
te rric h t- und somit auch die Gesprächsführung. Unterrichts- und Gesprächsformen stellt gerade für
sprachschwache Lerner meist eine große Herausforde­
Die in der didaktischen Landschaft vorkommenden rung dar, die leicht zur Überforderung auswachsen
Gesprächsformen gehen m it einem unterschiedlichen kann. Denn die erfolgreiche Bewältigung von Unter­
Maß an Lehrerlenkung einher: richtsgesprächen erfordert Kompetenzen, die bei
- Lehrervortrag: Form der direkten Instruktion, in der sprachschwachen Lernern in der Regel nicht einfach
die Lehrperson das Redemonopol hat. Der Lehrer­ vorausgesetzt werden können.*
vortrag ist ein Instrument des darbietenden Unter­
Das Gelingen von Unterrichtsgesprächen erfordert des­
richts. Er dient dem Inform ationsinput und der
halb ein hohes*Maß an individueller Vorbereitung und
Instruktion.
Begleitung durch die Lehrkraft. Dabei sollte sie zunächst
- Fragend-entwickelndes Gespräch: Gesprächsform, in ermitteln, welche Kompetenzen überhaupt bei den ein­
der die Lehrkraft durch geschickte N utzung der zelnen Lernern bzw. den verschiedenen Lernergruppen
Vorkenntnisse der Lerner sowie ihres logischen und vorhanden sind. Denn erst auf Basis dieser Diagnose
psychologischen Argumentationsvermögens einen ist es ihr möglich, etwaige Defizite dieser Lerner gezielt
Sach-, Sinn- oder Problemzusammenhang in der und individuell zu fördern.
Sprache und aus der Sicht der Lerner fragend ent­
„Diagnose und Reflexion" stellen ebenfalls ein perso­
wickelt. Es dient dem Entdecken, dem Generieren
nales Steuerungselement dar, vgl. S. 78. Auf Grund sei­
von Ideen, der unterstützenden Erarbeitung von
ner Bedeutung ist dem Thema ein eigener Abschnitt
Lösungen und der gelenkten Erkenntnisgewinnung.
gewidmet (siehe S. 187 ff.).
- Sokratisches Gespräch: Im sokratischen Gespräch sol­
len die Beteiligten, die untereinander gleichberechtigt Die Gesprächsführung im
sind, durch den Dialog selbstständig Erkenntnisse und sprachsensiblen Fachunterricht
eigene Einsichten zu einer gestellten Frage gewinnen.
Das Unterrichtsgespräch - in konsequenter Umsetzung
Der Leiter, der nicht unbedingt der Lehrer sein muss,
des hier vertretenen Lehr-Lern-Modells zutreffender
beteiligt sich nicht inhaltlich an dem Gespräch, son­
Lerngespräch genannt - ist die wichtigste Unterrichts­
dern achtet (nur) auf dessen Verlauf.
methode und somit das wichtigste Handlungsmuster
- Lernergespräch: Gesprächsform, in der die Lehrkraft des Unterrichts. Dennoch zeigen Unterrichtshospita­
vorwiegend Impulse gibt, die Lernenden diskursiv tionen und Videoaufnahmen, wie schwer es selbst
einbindet und sie zu Interaktionen untereinander erfahrenen Lehrkräften fällt, Unterrichtsgespräche pro­
anregt. Das Lernergespräch dient dem eigenständigen fessionell zu moderieren (vgl. S. 12 ff.).
Entdecken und Generieren von Ideen, einer weitge­
Materialien, Experimente und andere Methoden kön­
hend in der Hand der Lerner liegenden Erarbeitung
nen vorbereitet werden; das Unterrichtsgespräch hin­
von Lösungen und der Erkenntnisgewinnung anhand
gegen hat eine hohe Eigendynamik, da es eigentlich
konkreter Aufgabenstellungen.
erst in und mit der jeweiligen Unterrichtssituation ent­
- Diskussion/Streitgespräch/Debatte/Pro-Contra: Hier
steht. Es lohnt deshalb, sich damit zu befassen, welche
handelt es sich um formal stark geregelte Gesprächs­ Kriterien eine gute Gesprächsführung ausmachen und
formen zur Erörterung umstrittener, kontroverser Fra­ welche Anforderungen an eine professionelle Umset­
gen und Probleme. Diese Gesprächsformen dienen zung zu stellen sind.
vor allem der Schulung der Argumentationsfähigkeit.
- U nterhaltung/Austausch: U nterhaltung und Aus­
tausch sind Gesprächsformen im Zusammenhang mit
* Gelingende Kommunikation im Unterricht ist zwar nicht
Partner- und Gruppenarbeit. Sie dienen der Klärung ausschließlich an gelingende Unterrichtsgespräche gebun­
und der Organisation der gemeinsamen Arbeit und den; ihnen kom m t allerdings bei der Kommunikation im
sind Teil des Lernprozesses. Fach eine tragende Rolle zu, siehe Folgeabschnitt.

Teil B 95
Grundlagenwissen

„Gute" Unterrichtsgespräche erfüllen bestimmte M in­ Anders form uliert: Lehrkräfte lernen „gelingende Ge­
deststandards. In diesem Fall müssen sie: sprächsführung im Unterricht" erst durch die Anwen­
dung von Wissen. Hier erweist sich angeleitetes und
- strukturiert verlaufen (Strukturiertheit);
unterstütztes Training hilfreich; dieses muss aber ebenso
- (sprach-)didaktisch begründet sein (Kohärenz);
theoretisch begründet wie fallbezogen sein. Der Erfolg
- sich für die Lernenden lohnen (Ertrag); solcher Trainings wird durch gegenseitige kollegiale
- diskursiv angelegt sein (Diskursivität) und Hospitation und eine eigene, kritische Überprüfung un­
- den Lernenden Wertschätzung vermitteln ter Nutzung von Videos nachweislich unterstützt.
(Lernatmosphäre). Um professionell m it den Überraschungen umgehen
Bei sprachschwachen Lernern reicht dies jedoch für ein zu können, die sich erfahrungsgemäß aus der Eigendy­
Gelingen des Unterrichtsgesprächs in der Regel nicht namik des Unterrichtsgesprächs ergeben, sollten Lehr­
aus. Hier ist vielmehr ein Unterricht gefragt, der diesen kräfte über flexibles, nicht abgeschlossenes Handlungs­
Lernern zugleich ein Höchstmaß an Unterstützung zur wissen sowie über ein gutes Gespür dafür verfügen,
Bewältigung ihrer sprachlichen Probleme bietet. Dies wie das Unterrichtsgespräch in bestimmten Situationen
leistet der sprachsensible Fachunterricht. angemessen geführt und gelenkt werden sollte.

Sprachsensibler Fachunterricht stellt zusätzliche A nfor­ Ein solches Gespür (vgl. Mühlhausen, 2004) lässt sich
derungen an die Gesprächsführung. Dort muss sie zwar nicht wie Wissen oder „einstudiertes" äußeres
Verhalten trainieren. Je mehr die Lehrkraft aber darauf
- sich am Sprachstand und Sprachvermögen
achtet, welche äußeren situationsgebundenen Faktoren
der Lerner orientieren;
ihr Unterrichtsgespräch prägen, desto erfolgreicher und
- die Komplexität reduzieren; professioneller wird sie m it diesen Situationen umzu­
- inhaltlich wie zeitlich begrenzt sein; gehen lernen.
- eine angenehme Sprachumgebung schaffen (zum Situationsangemessenes menschliches Handeln erfolgt
Beispiel, indem sie sprachliche Anregungen gibt und stets durch die „passende" Kopplung unterschiedlicher
erm utigt oder nonverbale Anschauungs- und Aus­ Prozesse; dies können Prozesse des Wahrnehmens, Füh-
drucksmittel bietet, die sprachlich entlastend wirken); lens, Spürens und Denkens sein. Für die Beantwortung
- Sprachhilfen (Redemittel) für die Lerner bereitstellen; der Frage, ob eine Kopplung situationsangemessen ist
- Sprachvereinfachung angemessen handhaben; oder nicht, bietet die unterrichtliche Kommunikation
- den Lerner (bei Bedarf auch wiederholt) beim sprach­ ein gutes Anwendungs- und Bewährungsfeld.
lichen (Neu-)Einstieg in das fachliche Gespräch unter­ Ein auf Kom m unikation und Diskurs ausgerichteter
stützen (z.B. durch Anbieten eines roten Fadens, Unterricht hängt jedoch in erster Linie von der mentalen
durch Wiederholungen, Zwischensicherungen ...); Einstellung ab. Erst in zweiter Linie ist er eine Frage der
- Geduld und Unterstützungsbereitschaft, aber auch Methodik und der Technik der Gesprächsführung. Dabei
die Erwartungen des Lehrers an die Leistungs- und muss die Lehrkraft Vertrauen und Könnensbewusst­
Sprechbereitschaft der Lerner signalisieren. sein ausstrahlen: „Ich lasse mich auf Situationen ein.
Ich bin offen, aber nicht unvorbereitet auf das, was
Professionalisierung passiert. M ethoden helfen mir und den Lernenden,
der Gesprächsführung Situationen zu initiieren und diese erfolgreich zu be­
Die Anforderung an Lehrkräfte, ihre Gesprächsführung wältigen. Mein Unterricht ist auf verstehende fachliche
zu professionalisieren, ist schwieriger, als es auf den Kommunikation hin angelegt und nicht darauf, lediglich
ersten Blick scheint. Denn erstens zeigt nur der Erfolg, Richtige' Antw orten zu bekom m en."
ob die Gesprächsführung gelungen ist (und somit „g u t"
war). Und zweitens lernt man „gu te Gesprächsfüh­ Standardsituationen
rung" - vergleichbar dem Autofahren - nicht in der der Gesprächsführung
Theorie, sondern vor allem durch (eigenes) Handeln. Gute Gesprächsführung ist gekennzeichnet durch:

Auch die Professionalisierung der Gesprächsführung 1. adäquates Eingehen auf die jeweilige Unterrichtssi­
fo lg t - wie jedes Lernen - den allgemeinen Regeln des tuation - dies ist vor allem eine Frage der Einstel­
Kompetenzerwerbs, s. 5. 69 ff. Demnach erwächst lu n g - und
Kompetenz (hier im Bereich der Gesprächsführung) aus: 2. handwerklich-methodisches Können.
- Theoriewissen: dem Wissen um begründete Regeln, Handwerklich-methodische Kompetenzen kann man
Prinzipien, Verfahrensweisen, Fakten ...; lernen und m it guter Aussicht auf Erfolg trainieren.
- Fallwissen: dem Wissen in Bezug auf dokumentierte Seine Einstellungen hingegen muss jeder selbst über­
Fälle und eigene wie fremde Erfahrungen; denken - im Rahmen seines Menschen- und Weltbildes,
- Handlungswissen: dem Wissen um konkrete Hand­ seiner eigenen Lern- und Berufssozialisation und seiner
lungsoptionen in bestimmten Situationen. eigenen Lehr- und Lernerfahrungen.

96 Teil B
Grundlagenwissen

Dennoch sollte die Lehrkraft stets überlegen, ob das In der unterrichtlichen Kommunikation tauchen immer
Unterrichtsgespräch im jeweiligen Fall tatsächlich eine wieder Situationen auf, die hinsichtlich ihrer Zielset­
adäquate Maßnahme zur Bewältigung der unterrichtli- zung, ihres Zweckes und ihrer Intention ähnlich sind
chen Situation darstellt. Denn wie Erfahrungen zeigen, und im Unterricht in fast jeder Stunde Vorkommen.
wird häufig - fast reflexartig - ein Unterrichtsgespräch Derartige Situationen werden Standardsituationen der
geführt, obwohl vielleicht eine andere Unterrichtsform Gesprächsführung genannt.
und -methode angemessener, effektiver und somit bes­
Gemäß ihrer didaktischen Zielsetzung lassen sich die
ser geeignet gewesen wäre (z.B. Partner- oder Grup­
Standardsituationen der Gesprächsführung in sieben
penarbeit). Lehrkräfte sollten deshalb Unterrichtsge­
Bereiche unterteilen; sie werden ab S. 98 an Beispielen
spräche stets als bewusste Entscheidung und nicht
demonstriert. Die wichtigsten grundsätzlichen Verhal­
als Verlegenheitslösung einsetzen.
tensunterschiede, die sich fü r Lehrkräfte aus unter­
Bei den erforderlichen Vorüberlegungen bieten die schiedlich stark gelenkten Unterrichtsgesprächen erge­
nachfolgenden Ausführungen wertvolle Unterstützung: ben, fasst die nachfolgende Tabelle zusammen:

Die Lehrerrolle im ljnterrichtsgespräcH

Lehrergelenktes Gespräch Lernergespräch

Der Lehrer schaltet sich aktiv in das Gespräch ein. E r... Die Lerner bestreiten das Gespräch.
Der Lehrer hört zu und ...
- überformt Beiträge der Lerner, soweit dies nötig ist;
- fokussiert, indem er den Blick der Lerner auf die Pro­ - fordert die Lerner auf, ihre Vorstellungen/
blemstellung richtet und deren Beiträge akzentuiert; Ideen/Meinungen zu äußern;

- erinnert an Vorwissen, das in dieser Lernsituation - erteilt das W ort oder initiiert eine Aufrufkette;
zu nutzen ist; - lässt M itlerner zu einem Beitrag Stellung
- stellt Transparenz zum weiteren Vorgehen her; nehmen;

- meldet zurück, was gelungen ist und was weniger - fordert den Lerner auf, seinen Beitrag
gelungen ist; zu präzisieren;

- nutzt Fehler als Lerngelegenheiten; - macht sich Notizen zu den Beiträgen;

- gibt Arbeitsaufträge und erläutert diese; - notiert in Stichworten das Gesagte auf Folie/
einem Notizzettel/an der Seitentafel;
- leitet die Lerner zum Kategorisieren an;
- steht nicht im Zentrum, eher am Rand;
- macht unterschiedliche Lösungsansätze für alle
sichtbar; - beobachtet, diagnostiziert und verschafft sich
einen Überblick;
- gibt passende Impulse, die den Denkprozess
der Lerner unterstützen; - fordert einzelne Lerner durch Blickkontakt
zu mehr Aufmerksamkeit auf; ...
- bietet geeignete Sprechbausteine/Begriffe/
Fach begriffe an;
- vernetzt das neue Wissen m it dem Vorwissen;
- fasst zusammen;
- stellt Progression her, indem er die Lerner an­
leitet, zu abstrahieren;
~ sichert die Ergebnisse; ...

Der Lehrer beansprucht die volle Aufmerksamkeit Der Lehrer schaltet sich möglichst nicht
der Lerner. E r... in das Gespräch ein (steht aber als Experte
fü r Nachfragen zur Verfügung) ...
- informiert die Lerner über Inhalte;
- orientiert die Lerner an dem beabsichtigten Vorgehen; - während der Präsentation;

~ klärt einen Sachverhalt, der das Verstehen erschwert; - wenn M itlerner Feedback geben;

- gibt einen Überblick über die Stellung der Stunde - während eines Referates;
in der Unterrichtsreihe; ... - während der Gruppenarbeit; ...

97
Grundlagenwissen

- unterhalb des kognitiven und sprachlichen


Sieben Standardsituationen
Anspruchsniveaus;
der Gesprächsführung
- keine Sprachförderung und ungenutzte
1. Vorwissen wiederholen und aktivieren;
Sprachlernchancen;
2. Merkmale und Eigenschaften sammeln
- kein Vorbild für eine fachliche Kommunikation.
und beschreiben;
3. Hypothesen bilden, Ideen und Vermutungen Gegenvorschlag
äußern; zur Professionalisierung der Gesprächsführung:
4. Begriffe, Regeln, Gesetze und Merksätze Lehrer: W ir haben schon eine ganze Menge von
formulieren; verschiedenen Dreieckssorten kennengelernt (Leh­
5. an Problemstellung und Zielsetzung rer blendet die Folie ein.) Da bringen w ir jetzt ein­
heranführen; mal Ordnung hinein. Bildet Sätze und verwendet
6. zu kognitiven Prozessen anleiten; mindestens zwei Begriffe auf der Folie (s. unten).

7. Generalisierungen herausarbeiten. Die Lerner haben etwas Bedenkzeit in einer M urmel­


phase.
zu 1. Vorwissen wiederholen und aktivieren
Lerner: Ein gleichseitiges Dreieck ist immer ein
(Kontext: M athematikunterricht in Klasse 8
gleichwinkliges Dreieck.
zum Satz des Thaies)
Lerner: Ein gleichseitiges Dreieck ist ein gleich­
Der Lehrer will zur Vorbereitung der anschließenden
schenkliges Dreieck, aber das g ilt nicht
Partnerarbeit am Computer m it GeoGebra® zwecks
andersherum.
Entdeckung des Thaiessatzes das Vorwissen über Drei­
ecke wiederholen. Das nachfolgende (fiktive) Gespräch Lerner: ...
gestaltet sich wie folgt: Der Lehrer hört zu und achtet auf die fachliche und
sprachliche Richtigkeit; ggf. gibt er zur Selbstkorrektur
Beispiel:
an die Lerner zurück.
Lehrer: Welche Dreiecke kennt ihr?
Lerner: Rechtwinklige. Merkmale und Vorteile des Vorgehens:

Lehrer: Gut, weitere. - Auch die etwas langsameren Lerner haben die Chan­
Lerner: Gleichschenklige und gleichseitige. ce, fachlich und sprachlich anspruchsvolle Beiträge

Lehrer: Gleichschenklige und gleichseitige, ja. zu liefern.

Was ist denn der Unterschied? Kannst - In der Murmelphase können sich die Lerner erproben
, du sie voneinander abgrenzen? und sicherer werden.
Lerner: Gleichseitige sind auch gleichschenklige. - Die Lehrkraft kann auf die fachliche und sprachliche
Lehrer: Richtig, welche gibt es noch? Richtigkeit achten und Korrekturen veranlassen.

Lerner: Gleichwinklige.
zu 2. Merkmale und Eigenschaften sammeln und
Lehrer: Ja, gleichwinklige. Wie hängen die m it beschreiben (Kontext: Erdkundeunterricht
den gleichschenkligen zusammen?
in Klasse 6 zum Thema „Inkohlung")
Lerner: . . .
Die Tischgruppen erhalten je ein Tablett m it je einem
Merkmale der Gesprächsführung: Stück Holz, Torf, Braunkohle und Steinkohle. Sie be­
trachten, fühlen und experimentieren m it den Gegen­
- fragend, kleinschrittig und eng durch
ständen, um die Merkmale handelnd zu erfahren.
den Lehrer geführt;
- hoher Sprachanteil des Lehrers m it Lehrerecho; Beispiel:
- Einwort-Antworten der Lerner; Lehrer: So, jetzt nennt m ir mal Merkmale der
Gegenstände. Was habt ihr entdeckt?
Lerner: Das hier (hält die Steinkohle hoch)
Folie zum Beispiel in Standardsituation 1
ist schwarz.

rechtwinklig gleichschenklig gleichseitig Lehrer: (notiert „schwarz" an die Tafel)


Ja, weiter!

stumpfwinklig spitzwinklig gleichwinklig Lerner: Das (hält die Braunkohle hoch)


färbt an den Fingern ab.

schiefwinklig achsensymmetrisch punktsymmetrisch Lehrer: Ja, färbt ab, aber wie?


Lerner: Auch schwarz.

Teil B
98
Grundlagenwissen

Lehrer: Genauer. Gegenvorschlag


Lerner: Nicht ganz so schwarz. zur Professionalisierung der Gesprächsführung:

Lerner: Das hier ist Torf. Da sind kleine Lehrer: So, w ir haben jetzt die vier Stoffe kennen­
Tiere drin. gelernt. Die haben alle etwas miteinander zu tun.
Lehrer: Ja, was ist noch drin? Da gibt es Beziehungen zwischen denen, die hän­
gen miteinander zusammen. Überlegt und macht
Lerner:
Vorschläge dazu, die Geografen sagen: b ild e t
Merkmale der Gesprächsführung: Hypothesen.
- fragend, kleinschrittig und eng durch
Die Lerner erhalten Zeit, um sich in den Tischgruppen
den Lehrer geführt;
auszutauschen.
- hoher Sprachanteil des Lehrers mit Lehrerecho;
Lehrer: Ich bin auf eure Vorschläge gespannt.
- Kurzsätze der Lerner;
Lerner: Das sind alles fossile Brennstoffe.
- unterhalb des kognitiven und sprachlichen
Anspruchsniveaus; Lehrer: Ausgezeichnet, ihr habt erkannt, alle
Stoffe kann man verbrennen, dienen
- keine Sprachförderung und ungenutzte
der Verbrennung, es sind Brennstoffe.
Sprachlernchancen
Ihr habt sogar den richtigen Fachbegriff
- kein Vorbild für eine fachliche Kommunikation;
(Lehrer macht anerkennende Geste)
- ungenutzte Lernchancen für die M erkmal­ genannt: fossile Brennstoffe.
beschreibung. Erläutert das.

Gegenvorschlag Lerner: Fossil heißt, es ist aus Fossilien entstan­


zur Professionalisierung der Gesprächsführung: den.

Lehrer: Ihr habt euch die verschiedenen Stoffe an­ Lehrer: Prima. Erläutere uns, . was Fossilien sind.
geschaut und dam it experimentiert. Stellt jeweils Lerner: Fossilien sind abgestorbene Fische, Kreb­
einen Steckbrief zusammen, den anschließend se, Tiere im Meer.
einer aus der Tischgruppe zusammenhängend und Lehrer: Ich notiere eure Hypothese an der Tafel.
sprachlich gut verständlich vorträgt. (Lehrer notiert „fossile Brennstoffe")
Merkmale und Vorteile des Vorgehens: Lerner: Alle Stoffe liegen in der Erde.
- Auch die etwas langsameren Lerner haben die Chan­ Lerner: Man bekommt sie im Untertagebau.
ce, fachlich und sprachlich anspruchsvolle Beiträge
Lerner: Aber nicht bei dem Holz, Bäume wachsen
zu liefern.
doch auf der Erde.
- Die Beiträge der Lerner sind weniger dem Zufall über­
Lehrer: Sehr schön. Du nutzt den richtigen Fach­
lassen.
begriff, nämlich Untertagebau. Die Lager­
- Die Lehrkraft kann sich aus der Gesprächsführung
stätten liegen unter der Erde, also Unter­
zurückziehen, auf die fachliche und sprachliche Rich­
tagebau. (Lehrer notiert „ Lagerstätte =
tigkeit achten und Korrekturen veranlassen.
Untertagebau ")
zu 3. Hypothesen bilden, Ideen und Vermutungen Lerner: Vielleicht sind sie alle wertvoll und kosten
äußern (Kontext: Erdkundeunterricht in gleich viel.
Klasse 6 zum Thema „ Inkohlung") Lehrer: Dann müssten w ir uns einmal die Preise
ansehen, um das zu überprüfen. Hören
Beispiel:
w ir weitere Hypothesen.
Lehrer: So, w ir haben jetzt die vier Stoffe Holz,
Torf, Braunkohle und Steinkohle kennengelernt. Lerner: Ich habe mal gelesen, wie Kohle entsteht

Jetzt wollen w ir lernen, wie die Zusammenhängen. Die Bäume sterben ab, dann versumpfen

Dazu hab ich euch einen Text mitgebracht, der die sie, dann verkohlen sie und werden ganz

Informationen enthält. schwarz und hart zur Steinkohle.


Lehrer: Prima, was du als Experte schon weißt.
Die Lerner erhalten einen Informationstext, in dem
Das Gemeinsame der Stoffe ist, dass sie
die Entstehungsgeschichte der Steinkohle über die
auseinander heraus entstehen. Wiederho­
Zwischenstoffe erklärt wird.
le noch einmal die Entstehungskette.
Merkmale der Vorgehensweise: (Lerner w ie d erho lt und Lehrer n o tie rt „Entste­
Lernchancen (Vermutungen äußern, Hypothesen bil­ hungsgeschichte ")
den) werden nicht genutzt.

Teil B 99
Grundlagenwissen

Lehrer: Wir haben jetzt vier Hypothesen über den Merkmale der Vorgehensweise:
Zusammenhang der vier Stoffe: Es sind Das Methoden-Werkzeug „Textpuzzle" ist zu diesem
fossile Brennstoffe, der Nutzen ist gleich. Zeitpunkt unterhalb des Anspruchsniveaus. Es bringt
Die Lagerstätte liegt unter Tage, außer wenig Erkenntnisgewinn, wenig Sprachförderung und
beim Holz. Der Geldwert und der Brenn­ ist kognitiv ein Rückschritt.
wert sind gleich. Sie stehen in einer Ent­
stehungskette, haben also eine gemein­ Gegenvorschlag
zur Professionalisierung der Gesprächsführung:
same Entstehungsgeschichte. Der folgende
Text klärt uns m it Informationen auf, um Nach dem Methoden-Werkzeug „Aushandeln" form u­
unsere Hypothesen zu überprüfen. liert jeder Lerner selbst den Thaiessatz auf der Basis
seines Verständnisses und notiert ihn. Die Partner eini­
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung: gen sich anschließend auf einen gemeinsamen Vor­
- Lernende erhalten die Chance zur Ideenentwicklung schlag, anschließend zwei Partnergruppen.
und zum Austausch in der Kleingruppe.
Drei Vorschläge werden langsam und deutlich im Ple­
- Vage, unpräzise und schräge Lernerformulierungen num vorgelesen und bewertet: Was ist bei der einen
werden vom Lehrer überformt. gut, was bei der anderen? Was fehlt bei der einen, was
- Fachsprachlich korrekte Formulierungen werden vom bei der anderen? Gemeinsam wird die beste Formulie­
Lehrer anerkennend rückgemeldet, wiederholt und rung erarbeitet und m it der Formulierung im Lehrbuch
überformt. verglichen.
- Der Lehrer wiederholt in verschiedenen sprachlichen Merkmale und Vorteile der Vorgehensweise:
Abstufungen und Präzisierungsgraden.
- Alle Lerner sind beteiligt und jeder Vorschlag
- Strategisches Wissen (Hypothesenbildung) wird impli­ wird weiterentwickelt.
zit thematisiert.
- Es ist ein sprach produktives Verfahren.
zu 4. Begriffe, Regeln, Gesetze und Merksätze - Die Qualitätssteigerung wird bewusst
formulieren (Kontext: M athematikunterricht - Es wird sprachkontrastiv gearbeitet.
in Klasse 8 zum Satz des Thaies)
- Die Methode spiegelt die genetische Begriffs­
Beispiel: entwicklung wider.
Lehrer: So, w ir haben jetzt den Thaies am Compu­
ter durch Experimentieren erkannt und müssen ihn zu 5. Zur Problemstellung hinführen/
noch formulieren. Hier habt ihr Satzschnipsel, die
an die Zielsetzung heranführen
(Kontext: Naturwissenschaftlicher Unterricht
euch helfen, den Merksatz zu formulieren.
in Klasse 5 zum Thema „ Kläranlage “)
Die Lerner erhalten Satzschnipsel, um die Merksätze
In Partnerarbeit wurden aus einer Vielzahl angebotener
durch Zusammenbau zu formulieren (s. Abb. unten).
Materialien Filter gebaut, um aus schlammigem Wasser
Trinkwasser zu gewinnen. Jetzt soll anhand der Ergeb­
nisse herausgearbeitet werden, für welchen Zweck wel­
Satzschnipsel zum Beispiel in Standardsituation 4 che Materialien besonders geeignet sind und dass die
Abfolge der Materialien beim Filterdurchlauf bedeutsam
um den M ittelpunkt ist. Hierfür sollen Gründe gefunden und vorgetragen
nennt man Thaieskreis
werden.
eines Dreiecks ABC
Beispiel:
auf dem Thaieskreis Lehrer: So, w ir haben jetzt 15 verschiedene Filter.
und den Durchmesser AB
Welcher hat sich denn ganz besonders
einen rechten Winkel bei C bewährt?
hat das Dreieck
Lerner: Unserer. Das könnte man fast trinken.
einer Strecke AB Lehrer: Zeigt mal hoch. - Seid ihr der gleichen
Ansicht?
liegt der Punkt C den Kreis Lerner: Unserer ist besser, gucken Sie mal.
Lehrer: Zeigt mal her! - Nun ja!
Lösung: Lerner: So gut ist unser Trinkwasser schon längst
Den Kreis um den M itte lp u n k t A/I einer Strecke /A B / und den Durch­
Ihr habt ja auch gemogelt.
messer AB nennt man Thaieskreis. Liegt der Punkt C eines Dreiecks
ABC auf dem Thaieskreis, hat das Dreieck einen rechten W inkel bei C. Lehrer: Inwiefern gemogelt?

100 Teil B
Grundlagenwissen

Merkmale der Gesprächsführung Lehrer: Das musst du m ir erklären. Was meinst


- kleinschrittig; du damit?
- unergiebig; Lerner: Ja, erst das Sieb, sonst ist doch alles gleich
verstopft und läuft über.
- ohne Zielrichtung;
Lehrer: Haben die anderen das auch beobachtet?
- führt auf Nebenschauplätze;
- Ahmed!
- fordert die Lerner zum Verteidigen
Lerner: Es gab ja nur zwei Siebe, die hätten w ir
der eigenen Versuche auf.
auch gerne gehabt.
Gegenvorschlag Lehrer: So ist das nun mal! - Wie ist das m it dem
zur Professionalisierung der Gesprächsführung: Verstopfen?

Lehrer: Jede Gruppe hat einen Filter gebaut und Lerner: Ja, schon. M an musste ganz schön auf­
ihn erprobt Einzelne Gruppen haben auch mehrere passen, dass die Brühe n ich t daneben
Filterdurchläufe in Folge durchgeführt. läuft. W ir hatten aber kein Sieb, w ir w o l­
len auch ein Sieb haben.
Entscheidet euch für drei Filter; die aus eurer Sicht
Lehrer: Nu lass mal. Wie habt ihr nun verhindert,
das Schlammwasser besonders wirksam reinigen.
dass die Brühe überläuft?
Notiert die Nummer dieser Filter und welche M ate­
rialien genutzt wurden und wie diese Filter a uf ge­ Merkmale der Gesprächsführung:
baut sind. Anschließend tauschen w ir uns dazu - kein fachsprachliches Niveau: der Lehrer gibt
aus, wie ihr eure Filter optimieren könntet. kein Sprachvorbild;
- engführend: der Lehrer greift viel zu früh ein,
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung:
sollte erst sammeln;
- Die Zielrichtung wird den Lernern deutlich
- ziellos: es findet keine explizite Zuordnung von
gemacht.
Materialeigenschaften zu den Filterergebnissen
- Sie werden zum Vergleichen aufgefordert, statt;
um daraus zu lernen.
- evtl. überfordernd: es ist gefordert, parallel M ateri­
- Die Lerner werden auf der Basis von Beobach­ aleigenschaften und die Abfolge von Filterschritten
tungen zur kritischen Auseinandersetzung mit zu bedenken und miteinander zu verknüpfen;
dem eigenen Produkt herausgefordert.
- der Lehrer unterstützt m it seinen Bemerkungen den
- Es wird den Lernern Freiraum gegeben, sich m it fortwährenden Wechsel auf Nebenschauplätze.
einer selbst bestimmten Auswahl an Materialien
zu beschäftigen. Gegenvorschlag
zur Professionalisierung der Gesprächsführung:
- Der handelnde Umgang m it den Materialien
steht im Vordergrund. Lehrer: W ir wissen jetzt sehr viel mehr über Filter
und Filterstoffe, unser Wissen ist aber noch nicht
- Durch verbale Kommunikation der Erfahrun­
geordnet, sodass es schwer fällt, alles im Blick zu
gen werden diese bewusst gemacht und
behalten. Ordnet bitte euer Wissen
vertieft durchdrungen.
7. über Eigenschaften von Filterstoffen und
- Die Lerner halten als Basis für den
2. über die Abfolge der Filtrierschritte.
folgenden Austausch Notizen bereit.
Wählt bitte eine geeignete Darstellungsform, um
zu 6. Zu kognitiven Prozessen anleiten eure Ordnung sichtbar zu machen. Ihr habt dafür
(Kontext: Naturwissenschaftlicher Unterricht zehn M inuten Zeit.
in Klasse 5 zum Thema „ Kläranlage “)
Einige von euch werde ich bitten, ihre Ergebnisse
Die Beobachtungen und Erfahrungen der Lerner zu den auf Folie zu übertragen. Das w ird nach etwa 7
Filtern sollen jetzt genutzt werden, um strukturiertes M inuten der Fall sein.
Fachwissen zu dem Thema aufzubauen.
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung:
Beispiel:
- Die Lerner sind im notwendigen Umfang
Lehrer: Wir wissen jetzt sehr viel mehr über Filter angeleitet.
und Filterstoffe, unser Wissen ist aber - Sie sind aufgefordert, ihr Wissen gemäß
noch nicht geordnet. Wonach könnte man den Vorgaben selbst zu ordnen.
die Filterstoffe ordnen und welche A b fo l­
- Jeder Lerner muss nach zehn Minuten ein Produkt
ge wäre sinnvoll?
vorzeigen können, das seine Ordnung sichtbar
Lerner: Vom Sieb zur Watte. macht.

Teil b
101
Grundlagenwissen

- Unterschiede sind erwünscht: Fehler eröffnen Lern­ Gegenvorschlag


chancen, die es im nachfolgenden Austausch zu zur Professionalisierung der Gesprächsführung:
nutzen gilt.
Lehrer: W ir haben jetzt aus dem Text ökologische,
soziale und kulturelle Kritikpunkte herausgearbei­
zu 7. Generalisierungen herausarbeiten
tet. Das sind sehr konkrete Punkte, die für viele
(Kontext: Sozialkundeunterricht in Klasse 10
andere stehen. Jetzt sollt ihr zu jedem Kritikpunkt
zum Thema „ Nachhaltigkeit“)
einen Oberbegriff, d.h. einen allgemeinen Begriff
Der Lehrer verteilt einen sozialkritischen Text über eine
finden. Ein Beispiel: Einweggeschirr ist ein Beispiel
Fast-Food-Kette und lässt die Lerner arbeitsteilig in
für Ressourcenvergeudung. (Lehrer schreibt den
Gruppen ökologische, soziale und kulturelle Aspekte
Begriff „ Ressourcenvergeudung" in roter Farbe
herausarbeiten; diese werden anschließend an der Tafel
unter den Begriff „ Einweggeschirr" an die Tafel.)
zusammengetragen. Das Tafelbild bildet ausschließlich
FUer vorne auf dem Tisch liegen Begriffe m it Erläu­
die Textinformationen ab und paraphrasiert sie dort in
terungen, wie in einem Lexikon. Einige Begriffe
Kurznotation.
passen, aber nicht alle. Ihr müsst anschließend die
Im anschließenden Unterrichtsgespräch verbleibt der Oberbegriffe auch erläutern können.
Lehrer mit den Lernern auf dieser konkreten Ebene und
versäumt es, die Begrifflichkeit und die Thematik sprach­
lich zu verallgemeinern und zu abstrahieren. Damit aber Tafelbild- O berbegriffe (mög liehe Lösung)
verschenkt er wertvolle Lerngelegenheiten.
- Ressourcen­ - Lohn­ - kulturelle
Ip ip iig iip g g g vergeudung dumping Monokultur
Tafelbild- Kritikpun k te ; - keine - Betriebs­ - Globalisie­
regionalen verfassungs­ rung
ÖKOLOGISCH SOZIAL KULTURELL
Ressourcen gesetz
- Einweg­ - niedrige - Umwelt­ - Tarif­
- fehlende
geschirr Löhne zerstörung autonomie
Esskultur
- weite Trans­ - schlechte - weltweite - Nord-Süd- - Manipulation
portwege Arbeitsbedin­ kulturelle Konflikt
- Regenwald- gungen Vereinheit­
vernichtung - Behinderung lichung
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung:
- Futtermittel­ von Betriebs­
- Die Zielrichtung wird den Lernern deutlich gemacht.
importe räten
- Beeinflussung - Ein Beispiel verdeutlicht die Absichten und gibt ein
von Kindern klares Muster vor.
- ungesundes - Das beigefügte Begriffslexikon d ie n t-g a n z im Sinne
Essen einer gestuften Lernhilfe - sowohl als Starthilfe als
auch zur Überbrückung von Schwierigkeiten.
- Die Anschlusskommunikation ist schon im Auftrag
Lehrer: So, jetzt haben w ir alles an der Tafel.
vorgezeichnet.
Was könnt ihr dazu sagen?
Lerner: Ja, das ist schon alles negativ.
Strategien zur Verbesserung
Lehrer: Ja, aber was heißt das politisch? der Gesprächsführung
Lerner: Man kann es doch nicht verbieten.
Aus der Lehrerausbildung liegen theoretisch abgesi­
Lehrer: Ich meine auf einer höheren Ebene? cherte und erfolgreich erprobte Strategien zur Verbes­
Lerner: Meinen Sie m it Gesetzen und so? serung der Gesprächsführung vor. Diese Strategien wer­
Lehrer: Nein, ich meine abstrakter, wenn ihr den im Folgenden stichwortartig beschrieben und durch
versteht, was ich meine. Sprechakten verdeutlicht. Es ist Aufgabe der Lehrkraft,
die beschriebenen Prozesse zu steuern und zu mode­
Merkmale der Gesprächsführung rieren.
- unergiebig;
Die Lehrkraft kann sämtliche dieser Strategien ohne
- die Zielrichtung der Fragen ist für die Lerner Einschränkung auch fü r die Gesprächsführung im
nicht erkennbar; sprachsensiblen Fachunterricht verwenden. Bei gerin­
- die Lerner beantworten nicht die Lehrerfragen, gem Sprachstand - wie fü r Klassen m it einem hohen
sondern versuchen, die Absicht des Lehrers heraus­ Anteil von Lernern m it Migrationshintergrund typisch
zufinden. -s in d folgende Strategien zusätzlich zu empfehlen:

102 Teil B
Grundlagenwissen

1. Strategie: Gesprächsbereitschaft signalisieren und zuhören


- Aufmerksamkeit signalisieren;
- sich Notizen machen;
- Beiträge zusammenfassend wiederholen bzw. zusammenfassend wiederholen lassen.

Sprechakte zur Strategie:


- W ir hören uns jetzt drei Vorschläge (Hypothesen, Fragen, Beispiele, Überlegungen, Ideen ...) an.
- Ich wiederhole die Beiträge. Eine Gruppe meinte, dass ... die andere Gruppe hingegen meinte, ...
- Es wurden drei Argumente genannt: Erstens ..., zweitens, ... drittens ...

2. Strategie: Kommunikationssituation öffnen


- Lernerbeiträge weitergeben (nicht sofort antworten, sondern weitere Beiträge annehmen);
- Lernerkette: Jeder Lerner, der einen Beitrag geleistet hat, kann bestimmen,
wer als Nächstes drankommt;
- offene Impulse.

Sprechakte zur Strategie:


- W ir sammeln erst einmal.
- Was sagen die anderen dazu?
- Ich sehe, es gibt noch weitere Vorschläge. Zuerst Du, Alex, dann Du, Mohammed.
- Andere haben ganz andere Ideen. Maria, was meinst Du?
- Damit viele drankommen, machen w ir ein Kettengespräch. Thomas, du beginnst.

3. Strategie: Zeit geben


- ausreichend Zeit zum Nachdenken und Formulieren geben, mindestens 3 Sekunden warten;
- ein „ Murmelgespräch,J anregen. (Der Lehrer gibt zwei M inuten Zeit, im Partneraustausch eine
A ntw ort oder Meinung, einen Lösungsvorschlag oder eine Frage „auszuhandeln".
Anschließend werden etliche Meinungen abgerufen und im Plenum vergleichend diskutiert);
- Notizen machen lassen oder ein Thema aushandeln lassen (vgl. Methoden-Werkzeug 40,
Teil C, S. 96 f.).

Sprechakte zur Strategie:


- Ich gebe euch zwei Minuten für ein Murmelgespräch.
- Ich wiederhole die Frage (das Problem) noch einmal; ihr bekommt zwei M inuten Zeit zum Nach­
denken. M acht euch ein paar Notizen und w ir hören uns vergleichend zwei Vorschläge an.

4. Strategie: Beiträge wieder aufgreifen


- Die Lerner bitten, ihren Beitrag zu wiederholen;
- M itlerner um Stellungnahme bitten;
- an Beiträge von Lernern erinnern und in Beziehung setzen.

Sprechakte zur Strategie:


- Maria, wiederhole deine gute Idee (deine Frage, deinen Vorschlag, deine Überlegung ...)
noch einmal laut und deutlich.
- Ich erinnere noch einmal an den Vorschlag von Maria.
- Johannes, ich sehe, dass du m it Fatimas Vorschlag nicht einverstanden bist.
- Fatima sagte ... und Simon sagte ... Das widerspricht sich doch!
- W ir kommen einen Schritt weiter, wenn w ir den Vorschlag von Fatima m it dem
von Simon verbinden.

Teil B 103
Grundlagenwissen

5. Strategie: Rückmeldung geben


- geeignete Beiträge deutlich wiederholen;
- Hilfen anbieten, einen Beitrag zu präzisieren;
- auf geeignete Anteile in Lernerantworten hervorhebend verweisen.

Sprechakte zur Strategie:


- Ich erinnere noch einmal an den Vorschlag von Lukas.
- Fatima, ich formuliere deinen Vorschlag einmal um.
- Das Entscheidende an deinem Vorschlag i s t ...

6. Strategie: Inhalte strukturieren und kategorisieren


- Kategorien aufzeigen und Beiträge zuordnen lassen,
- Zusammenhang zum Grundsätzlichen hersteilen und Abstraktionsschritte verdeutlichen;

- auf die Abfolge von Arbeitsschritten verweisen.

Sprechakte zur Strategie:


- W ir haben jetzt viele Beispiele gehört. Jetzt sortieren w ir diese in die folgenden Rubriken e in :..

- Vergleicht die Vorschläge von Anna und von Johannes.


- Zuerst haben w ir uns Beispiele angesehen, dann haben w ir sie nach Gemeinsamkeiten sortiert.
Jetzt kleben w ir denen einen (Ober-)Begriff als Label/Etikett an. M acht Vorschläge dazu.

7. Strategie: Beiträge gewichten


- zwei oder drei Lerner auffordern, ihre Beiträge zu wiederholen,
- Beiträge zur Fragestellung der Stunde in Beziehung setzen;
- die Zielrichtung des weiteren Vorgehens verdeutlichen/Transparenz hersteilen.

Sprechakte zur Strategie:


- Maria, Alex und Johannes wiederholen noch einmal ihre Vorschläge.
- Jetzt vergleichen w ir das, was Maria gesagt hat, m it ... (dem Lösungsvorschlag,
der A ntw ort von Johannes; unserer Ausgangsfrage, dem E xperim ent...)
- Ich behaupte: In dem, was Maria sagt, steckt die A ntw ort (Lösung) auf unsere Problemfrage.

8. Strategie: Inhalte (aus-)schärfen


- Inhalte zusammenfassen, um den Lernern Orientierung (ein Sprachvorbild) zu geben;

- Fachbegriffe ergänzen und erläutern;


- komplexe Sachverhalte visualisieren.

Sprechakte zur Strategie:


- Ich fasse das, was Maria sagt, in der Sprache der Biologen zusammen.
- Damit w ir uns eine Vorstellung davon machen können, stelle ich es so dar: ...
- Anna, wiederhole deinen Vorschlag und benutze den F achbegriff...
- Dieses Diagramm h ilft uns, ... besser zu verstehen.

9. Strategie: Phasen miteinander vernetzen


- Transparenz zur Vorgehensweise hersteilen und einen Programmuberblick geben,

- an vorhergehende Phasen erinnern;


- Ergebnisse zu den Hypothesen am Anfang der Stunde in Beziehung setzen.

Sprechakte zur Strategie:


- Das ... haben w ir jetzt geklärt. Jetzt steht noch folgende Frage an ...
- Bezieht das, was Anna gesagt hat, auf unsere Ausgangsfrage.

Teil B
a r\ a
Grundlagenwissen

- W ir vergleichen das Ergebnis aus dem Experiment m it dem Beispiel auf Seite.../
dem Lösungsvorschlag von ...
- Schlagt... im Heft (Buch) nach und nutzt das in Verbindung m it ...

10. Strategie: Ergebnisse sichern


- Ergebnisse zusammenfassen oder zusammenfassen lassen;
- auf die Ausgangsfrage Bezug nehmen;
- neu erworbenes Wissen m it Vorwissen vernetzen.

Sprechakte zur Strategie:


- Fassen w ir zusammen:
- Ich fasse in drei Schritten zusammen: 1. ..., 2. ..., 3. ...
- Jetzt haben w ir alles zusammen, um unsere Ausgangsfrage (unser Problem) zu beantworten.
- Wie verträgt sich das m it dem, was w ir ü b e r... gelernt haben?
- Neu gelernt haben w ir in der Stunde ...

11. Strategie: Sprechhilfen geben


- Sprechbereitschaft durch Mimik/Gestik unterstützen;
- Sprechhilfen (Wortlisten, Sprachmuster...) einblenden;
- in der Sprachnot durch Zuflüstern weiterhelfen.

Sprechakte zur Strategie:


- Hier findest du Sprechhilfen.
- Diese Redemittel helfen dir.
- Ja, was du sagst, ist richtig; nutze den B e g riff...
- Suche dir Hilfe in der Klasse.
- Die Filmleiste hilft dir, darüber zu sprechen.
- Sag es erst einmal in deiner Muttersprache und übersetze es dann auf Deutsch.

12. Strategie: Sprechfehler passend korrigieren


- Fehler durch Gestik korrigieren (z.B. Fingerdrehung für Satzumstellung);
- Möglichkeit zur Selbstkorrektur bieten;
- Sprechfehler übergehen, um den Denkfluss nicht zu unterbrechen.

Sprechakte zur Strategie:


- Ja, das ist gedanklich richtig. Jetzt sag es noch einmal und benutze den B e g riff...
- Korrigiere dich selbst und beachte die Satzstellung.
- Ich formuliere, was du gesagt hast, für die ganze Klasse.

13. Strategie: Das Sprechen vorentlasten


- Murmelgespräche anbieten;
- die Lerner sich inhaltlich und sprachlich vorbereiten lassen;
- m it vorentlastenden Sprechhilfen vorab üben.

Sprechakte zur Strategie:


- Bevor wir ins Gespräch kommen, tauscht euch im Murmelgespräch darüber aus.
- Informiert euch im Heft ü b e r... und überlegt euch Argumente.
- Übt vorab m it diesen Sprechhilfen und dann gehen w ir ins Plenum.

Teil b
105
Grundlagenwissen

Unterscheidet man diese Situationen danach, welche


Sprachliche Standardsituationen
sprachlichen Aufgaben bewältigt werden müssen und
im Fachunterricht wie anspruchsvoll deren Bewältigung ist, lassen sich
zw ölf sprachliche Standardsituationen unterscheiden
Gedanken einer Lehrkraft
(vgl. die Tabelle auf S. 107):
„ Wenn ich überlege, was meine Lerner sprachlich
1. etwas (z.B. einen Gegenstand, Prozess,
alles in einer Unterrichtsstunde zu bewältigen ha­
Sachverhalt, ein Experiment, Verfahren ...)
ben, dann w ird m ir ganz schwindelig: Da müssen
(reproduzierend) darstellen und beschreiben;
sie zum Beispiel ein Experiment beschreiben, mei­
ne Fragen beantworten, Hypothesen bilden, z w i­ 2. eine Darstellungsform (z.B. eine Tabelle, For­
schendurch Tabellen und Skizzen beschreiben, mel, Karte, Skizze, einen Graf, ein Diagramm,
immer wieder klug fragen und noch klüger ant­ Bild ...) in W orte fassen (verbalisieren);
worten - und das alles in deutscher Sprache, die 3. fachtypische Sprachstrukturen anwenden;
sie nur bedingt beherrschen. Das ist doch schon 4. einen Sachverhalt präsentieren
für muttersprachig deutsche Lerner fast eine Über­ und strukturiert vortragen;
forderung! 5. eine Hypothese, Vorstellung, Idee, ...
Obwohl, wenn ich es m ir recht überlege: Es sind äußern;
ausschließlich Situationen, die täglich und immer 6. fachliche Fragen stellen;
wieder Vorkommen und zum Fachunterricht ein­
7. einen Sachverhalt erklären und erläutern;
fach dazugehören, also gewissermaßen „Standard­
situationen ". Die könnte man doch ein Stück w eit 8. ein fachliches Problem lösen und (münd­
trainieren, wie zum Beispiel Fußballspieler, die ja lich oder schriftlich) verbalisieren;
auch bestimmte Standardsituationen immer wieder 9. auf Argumente eingehen und
einüben. Sachverhalte diskursiv erörtern;

Dazu müsste man aber erst einmal die wichtigsten 10. einen Fachtext lesen;
Situationen in einer Liste zusammenstellen und 11. einen Fachtext produzieren/verfassen;
dann abklären, was sprachlich regelmäßig vor­ 12. (Fach-)Sprache üben.
kommt und wie man das durch Sprachhilfen unter­
stützen kann. Dazu könnte man entsprechende Gliedert man diese Standardsituationen nun nach dem
Methoden-Werkzeuge nutzen und so m it den Ler­ Grad der sprachlichen Unterstützung, die sie Lernern
nern gezielt trainieren, wie sie diese Werkzeuge bieten, lassen sich vier Kategorien unterscheiden:
einsetzen und davon profitieren können. - Die Standardsituationen 1, 2 und 3 nutzen in hohem
Ja, das wäre ein Weg, der mich und meine Lerner Maße Standardformulierungen, folgen vorgegebe­
nicht so alleine lässt; denn schließlich müssen w ir nen sprachlichen Mustern und haben eher Wieder­
uns täglich gemeinsam dam it im Unterricht ab­ holungscharakter. Damit können sie gut „eingeschlif-
mühen. Und an den Deutsch- oder Förderunterricht fe n" und trainiert werden und eignen sich besonders
delegieren kann ich diese Aufgabe ja auch nicht. als Übungssituationen für sprachschwache Lerner und
Denn schließlich handelt es sich um Standard­ Lerner m it Migrationshintergrund.
situationen meines Fachunterrichts, deren Bewäl­ - Bei den Standardsituationen 4, 5 und 6 sollen Lerner
tigung meine Expertise als Fachlehrer und den zeigen, ob sie fachlichen Inhalt korrekt erfasst ha­
fachunterrichtlichen Kontext braucht. " ben und fachlich richtig wiedergeben können: Wer
einen Sachverhalt präsentieren soll, der sollte ihn
Zwölf sprachliche Standard­ weitgehend verstanden haben; wer eine fachliche
situationen im Fachunterricht Idee äußern will, muss erst eine solche haben; und
Wie für Lehrkräfte bei der Gesprächsführung (vgl. S. w er fachliche Fragen stellen soll, dem müssen sich
96 f.) gibt es auch für die Lerner im Fachunterricht vorher selbst solche stellen.
sprachliche Situationen, die regelmäßig und in fast Diese sprachlichen Standardsituationen sind demnach
jeder Stunde bewältigt werden müssen (sog. sprach­ eng an die fachliche Situation gebunden; ihre Bewäl­
liche Standardsituationen des Fachunterrichts). Diese tigung ist inhaltlich wie sprachlich anspruchsvoller als
„sprachlichen" Situationen umfassen dabei nicht nur
die Standardsituationen 1 bis 3.
das reine Sprechen, sondern alle kommunikativen
Situationen im Unterricht, die beim fachlichen Lernen - Die Standardsituationen 7, 8 und 9 erfordern zur Be­
zur Anwendung kommen, vgl. S. 54 f. Da Fachsprache wältigung nicht nur ein gewisses (ggf. bereits vor­
zugleich alle Elemente der sog. Schriftlichkeit beinhaltet handenes) fachliches Verständnis, sondern auch eine
gewisse methodische Kompetenz: Wer einen Sach­
(Details s. S. 46, 54 f.), können sprachliche Standard­
verhalt erklären soll, muss diesen vorher verstanden
situationen sowohl in mündlicher wie auch in schrift­
haben; w er ein fachliches Problem lösen und verba-
licher Form Vorkommen.
Teil B
106
Grundlagenwissen

lisieren soll, muss hierfür bereits einen Lösungsweg diese Standardsituationen besonderen Bedingungen
haben; und wer diskursiv argumentieren soll, der soll­ unterliegen und eigene Herangehensweisen voraus­
te diese Argumente herausarbeiten und formulieren setzen, werden sie nachfolgend in gesonderten Kapi­
können.
teln theoretisch vorbereitet und in Teil C durch ent­
Die Standardsituationen 7 bis 9 setzen demnach eine sprechende Übungen ergänzt.
gewisse fachliche Expertise in dem Gebiet voraus;
Jede sprachliche Standardsituation hat ihren eigenen
die Bewältigung ist dabei inhaltlich wie sprachlich
Charakter. Wollen Lehrkräfte also ihren Lernern ermög­
sehr anspruchsvoll.
lichen, die unterschiedlichen Situationen angemessen
- Die Standardsituationen 10 bis 12 beschäftigen sich zu bewältigen, müssen sie unterschiedliche Vorgehens­
m it den Bereichen Texterschließung, Textproduktion weisen (oder, didaktisch formuliert: Handlungsoptionen)
und Sprachübungen. Ihnen kommt besonders große prüfen und einsetzen. Dies erfolgt in der Regel im Rah­
Bedeutung im Rahmen der Sprachförderung zu. Da men entsprechender Aufgabenstellungen.

1. etwas darstellen und beschreiben

2. eine Darstellungsform verbalisieren 1. Wissen


sprachlich darstellen
3. fachtypische Sprachstrukturen anwenden

4. einen Sachverhalt präsentieren


und strukturiert vortragen

2 . Wissenserwerb T
5. eine Hypothese, Vorstellung, Idee äußern
sprachlich begleiten

6. fachliche Fragen stellen

7. einen Sachverhalt erklären und erläutern

8. ein fachliches Problem lösen und verbalisieren : 3. Wissen


mit anderen
9. auf Argumente eingehen und ' sprachlich verhandeln
Sachverhalte diskursiv erörtern

10. Fachtexte lesen (Lesen) ‘


- Informationen ermitteln -
. - textbezogen interpretieren -
reflektieren und bewerten -

11- Fach texte verfassen (Schrei ben)


- Darstellungsformen nutzen
- sach- und adressatengerecht darstellen .. 4. Text- und Sprach-
~ sath- und adressatengerecht argumentieren kompetenz ausbauen
und diskutieren

12. Sprachkompetenz sichern und ausbauen (Üben)


- sicher werden und fertigkeitsbezogen üben
“ kompetenz- und handlungsbezogen üben
~ situativ und integrativ üben

Teil ß
107
Grundlagenwissen

Die Entscheidung für die eine oder andere Handlungs­ Sprachliche Standardsituationen
option lässt sich nur auf der didaktischen und pädago­ und Grammatiklernen
gischen Referenzebene, also im Theoriebezug, recht- Dem bereits erläuterten Fünf-Hypothesen-Modell von
fertigen. Anders formuliert: Ich als Lehrkraft muss die Krashen zufolge (vgl. S. 55 f.) wird die Grammatik
Auswahlentscheidung über die jeweilige Option treffen unserer Muttersprache im kommunikativen Handeln
(und folglich auch didaktisch rechtfertigen). erworben und nicht als Grammatikwissen gelernt.
Gerade Methoden-Werkzeuge leisten zur Bewältigung Bewusst gelerntes, abstraktes grammatisches Wissen
von sprachlichen Standardsituationen ausgezeichnete wird somit nicht primär zur Initiierung einer Sprach-
Dienste; sie stehen somit als Handlungsoptionen zur handlung verwendet, sondern dient vornehmlich dazu,
Verfügung. eine sprachliche Produktion auf sprachliche Korrektheit
hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.
Um aber das jeweils geeignete (d.h. auch didaktisch Immer aber ist grammatisches Wissen zwingend erfor­
„gerechtfertigte11) Methoden-Werkzeug herauszufin­ derlich, um Sprache „richtig " anzuwenden.
den und einzusetzen, müssen Lehrkräfte zunächst um
die Eigenheiten der spezifischen Verwendungssituation Damit stellt sich auch in diesem Zusammenhang die
wissen. Denn im hier vertretenen kompetenzorientierten Frage nach dem Ausmaß des Grammatiklernens im
Lehr-Lern-Modell richtet sich das Lehren nach dem Fach. Denn sprachsensibler Fachunterricht versteht
Lernprozess bzw. den Lernern, vgl. S. 73 ff. O ft werden Grammatiklernen nur als nachgeordnete Aufgabe, sieht
Anforderungen von mehreren Werkzeugen erfüllt. dieses also nur vor, sofern es zum Verständnis des
Faches erforderlich ist, vgl. S. 56.
Da Fachlehrkräfte in der Regel nicht für die Sprachför­
derung ausgebildet sind, fällt ihnen häufig die Zuord­ Interessanterweise gewinnen die hier behandelten
nung schwer, welches Werkzeug für welche sprachliche sprachlichen Standardsituationen des Fachunterrichts
gerade im Zusammenhang m it der Diskussion um Fel­
Standardsituation besonders geeignet ist. Um diese
dergrammatik, Produktionsgrammatik oder operatio­
Arbeit zu erleichtern, bietet das Handbuch in der Ein­
nale Grammatik besondere Bedeutung. Denn der
leitung zu Teil C eine entsprechende Übersicht.
sprachsensible Fachunterricht und der Sprachlernun-
Insbesondere bei Lernern m it Migrationshintergrund terricht weisen ein so hohes Maß an Übereinstimmung
sollten Lehrkräfte zusätzlich darauf achten, dass die hinsichtlich des konzeptionellen Ansatzes zum Gram­
eingesetzten M ethoden-W erkzeuge nicht zu viele matikerwerb auf, dass sich die sprachlichen Standard­
„Baustellen“ gleichzeitig öffnen; sonst besteht Gefahr, situationen des Fachunterrichts ausgezeichnet an den
dass die Lerner überfordert werden. Hier sollte die Lehr­ Sprachlernunterricht (im Sinne von Grammatik-Lern-
kraft den Lernern immer deutlich machen, was bei der unterricht) anschließen lassen.
betreffenden Aufgabe im Vordergrund steht: ob es also
So geht beispielsweise der Sprachlernunterricht bei sei­
beispielsweise vorrangig um die sprachliche Richtigkeit,
nen Ansätzen zur unterrichtlichen Behandlung der
um das Reduzieren der sprachlichen Komplexität oder
Grammatik von sogenannten Inhaltsbereichen aus:
um eine Verbesserung des Sprachflusses geht.
„Diese Inhaltsbereiche, wie beispielsweise eine Ver­
mutung ausdrücken, etwas begründen, etwas verglei­
chen, einen Sachverhalt spezifizieren, werden als Felder
beschrieben, denen in systematischer, aber mehrfach
Sprachliche Standardsituationeh des Fachunter­ verm ittelter Weise bestimmte Sprachmittel entspre­
richts sind Situationen, die jederLerner regelmäßig ; chen." (Buscha/Freudenberg-Findeisen, 2007, S. 9,
und in fast jeder Fächunterrichtsstunde bewältigen ; zitiert nach Kühn, 2008, S. 210). Diese Inhaltsbereiche
: muss. Sie umfassen alle kommunikativen Situatio­ entsprechen aber genau den sprachlichen Standard­
nen im Unterricht, die beim fachlichen Lernen zur situationen des Fachunterrichts.
Anwendung kommen, also sowohl mündliche als
Zudem werden auch beim feldergrammatischen Ansatz
auch schriftliche Formen.
unterschiedliche grammatische, lexikalische und w o rt­
Je nachdem, welche sprachlichen Aufgaben bewäl- bildungsmorphologische M ittel - in der Sprache des
tig t werden müssen und wie anspruchsvoll deren sprachsensiblen Fachunterrichts: Sprachhilfen-zusam ­
: Bewältigung ist, lassen sich zwölf sprachliche Stan­ mengestellt, die dem Sprachlerner als Hilfe fü r die
dardsituationen im Fachu nterricht. un tersch eid en. • Versprachlichung zur Verfügung stehen (vgl. Kühn,
; Diese lassen sich wiederum den vier sprachlichen 2008, S. 210). Und schließlich folgen beide - Sprach­
Kompetenzbereichen zuordnen. lernunterricht wie sprachsensibler Fachunterricht, vgl.
S. 69 ff. - der Auffassung, dass Sprachlernen nur im
Bei der Bewältigung von sprachlichen Standard- ;
handelnden Umgang m it Sprachwissen erfolgen kann.
Situationen leisten sogenannte Methoden-Werk-
zeuge wertvolle Dienste. Anders formuliert: Ein Lerner kann somit fremdsprach­
liche Kompetenz nur entwickeln, indem er Sprache

108 Teil B
Grundlagenwissen

- und m it ihr auch die Grammatik - im kommunika­ Sprachliche Standardsituationen


tiven Handeln erwirbt und nicht als reines Grammatik­ und Aufgabenstellungen für das Sprachlernen
wissen lernt. Grammatische Kompetenzen werden - wie alle ande­
ren sprachlichen Kompetenzen - nur in authentischen
Anwendungssituationen (situativ) und in textuellen
Zusammenhängen erworben und gelernt (vgl. S. 100)\
sie sollten somit auch ebenso überprüft werden. Dies
Aufgründ der höhen konzeptionellen Übereinstim­
ist im Rahmen der Aufgabenstellungen zu berück­
mung lassen sich die; sprachlichen Ständardsituä-
sichtigen, die folglich den Charakter von Lernaufgaben
tionen des Fächunterrithts ausgezeichnet an den
haben sollten, vgl. S. 84 ff.
Sprach-Oni Sinne von Gram m atik-)lernunterricht
änschließen. Das untenstehende Beispiel zu Standardsituation 1
(„Vorgänge beschreiben") zeigt auf, wie der sprach-
sensible Fachunterricht sogar einen Sprachkompetenz-
test als Grundlage fü r das Lernen im Fach verwen­
den kann - sofern dieser dem Konzept des sprach-
bezogenen Fachlernens fo lg t und den Lernern gram­
matische M ittel fü r das fachliche Lernen bereitstellt:

Der Text behandelt die Arbeit von Archäologen. Die


Lerner sollen dabei mithilfe von Abbildungen die Ziele
und Zwecke archäologischer Werkzeuge beschreiben.
Hierzu müssen sie aus vorgegebenen grammatischen
M itteln zunächst die passenden (finale Konjunktionen

Aufgaben für das Sprachlernen im Fach


Im folgenden Text wird erklärt, warum Archäologen diese Gegenstände benutzen:

D
der Plastikbeutel die Hacke
der Spachtel
der Spaten
die Bürste
fr € □

Aufgabe:
Ergänze die Sätze. Suche passende W örter
aus dem Kasten. *

Wenn die Archäologen Ausgrabungen machen,


benutzen sie zunächst eine H acke,.......... die Erde
.......... bearbeiten.............. dem Spaten können sie die
Grammatische Sprachmittel
Erde umgraben. Die Archäologen arbeiten dann m it
- Satzgefüge
einem Spachtel,.......... sie feinere Werkzeuge brauchen
• Nebensatz: m it- d a m it
und vorsichtiger vorgehen müssen.............Reinigung
• Infinitivkonstruktion: m it - um ... zu
der Funde gebrauchen sie eine Bürste............ die Funde • Nebensatz: m it - dass
geschützt transportiert werden können, verpacken die • Feste Satzform: mit - auf dass
Archäologen die Gegenstände in Plastikbeutel......... - Satzverbindungen
......... Archivieren w ird jeder Fund m it einer Nummer • Zweitsatz: m it-d a fü r, dazu, hierfür, hierzu
versehen. Die archäologischen Funde werden im • Zweitsatz: ohne Verbindungswort
Museum ausgestellt,................sie von allen Leuten - Präpositionale Wortgruppe:
bewundert werden können. zu, zugunsten, zwecks, um ... willen, m it

aus: Ministere de l'Education nationale 2003, S. 184; Buscha/Freudenberg-Findeisen/Forstreuter 2002, S. 119

Teil B 109
Grundlagenwissen

und Präpositionen) auswählen bzw. die unpassenden an konkreten Texten diejenigen grammatischen und

(z.B. kausale, konzessive) ausschließen. Die passenden lexikalischen Kategorien und Regeln ermitteln, die für
sind dann in den Lückentext einzusetzen (vgl. Kühn, das Verstehen und Produzieren von Texten wichtig
2008, S. 210). und nützlich sind. Im Vordergrund stehen somit re­
zeptive und produktive Grammatikkompetenzen. Die
Das Beispiel verdeutlicht zugleich die Aufgabenkultur,
Evaluation (und auch der Kompetenzerwerb; Anm. d.
die der sprachsensible Fachunterricht praktiziert: Denn
Verf.) grammatischer Kompetenzen ist demnach nicht
hier werden nicht nur die fachlichen, sondern auch die
wissenschaftssystematisch bestimmt, sondern ergibt
sprachlichen Kompetenzen im Fach gefördert (beim
sich aus den Problemen, die Schüler auf verschiedenen
sprachsensible Fachunterricht, indem er Aufgaben stellt,
Alters- und Klassenstufen m it dem Verstehen und Pro­
die am Kompetenzstand der Lerner orientiert sind, vgl.
duzieren mündlicher und schriftlicher Texte haben.
die Ausführungen zum Kompetenzerwerb, S. 69 ff.).
Authentische Sprech- und Schreibanlässe und Texte
Im Gegenzug stellt der sprachsensible Fachunterricht sind damit Ausgangspunkt und Zielpunkt bei der Eva­
in Bezug auf Aufgaben und Aufgabenstellungen auch luation grammatischer Kompetenzen . " (Kühn, 2008,
eine reiche Fundgrube für den integrativen Sprach­ S. 210).
unterricht dar, da er kontextbezogen ausgerichtet ist.
Denn der integrative Sprachunterricht verlangt genau Unabhängig davon ist in jedem Fall ein konzeptioneller
die inhaltliche Vernetzung von Grammatik- und Sprach- Abgleich zwischen den Sachfächern ratsam und wich­
aufgaben mit den übergeordneten Kompetenzberei­ tig: Denn das parallele Üben gleicher Kompetenzen
chen Textverstehen, Schreiben und Sprechen, die (auch) (bzw. von Lern-, Schreib- und Texterschließungsstrate-
dem sprachsensiblen Fachunterricht immanent ist. gien ...) in verschiedenen Fächern führt zur Dekontex-
tualisierung von Wissen und Lernstrategien; das aber
Beim Textverstehen müsste in einem solchen Fall al­ erhöht den Lernzuwachs beim Lerner. Alternativ lassen
lerdings die Arbeit mit authentischen mündlichen und
sich bestimmte sprachliche Probleme bzw. einzelne Stra­
schriftlichen Texten und Textsorten im Zentrum stehen.
tegien unter Umständen auch zwischen verschiedenen
Dann bietet sich auch hier der Fachunterricht an, da
Fächern aufteilen. Dies bietet die Chance, gewisserma­
seine Texte auf ihre Art authentisch sind.
ßen „aufeinander zu" zu arbeiten und so den extensi­
An „gute Aufgaben" im Sprachunterricht stellt Kühn ven Zeitverbrauch, der für Aufgaben zur Sprachförde­
drei prinzipielle Forderungen (vgl. Kühn, 2008, S. 210): rung charakteristisch ist, „auf mehrere Schultern" zu
1. Aufgaben (im Kompetenzbereich „Sprache und verteilen.
Sprachgebrauch untersuchen'1; Anm. d. Verf.) sollten Auch diese Optionen zur Arbeitserleichterung belegen,
kommunikativ und text(sorten)bezogen sein. Dies dass Sprachförderung eine Aufgabe aller Fächer ist.
schließt selbstverständlich auch authentische Texte
der Lerner ein.

2. Die Aufgaben sollten lernerorientiert, konstruktiv


und kreativ ausgerichtet sein; dies schließt den ope­
rativen Umgang mit grammatischen Kategorien ein. Der sprachsensible Fachunterricht praktiziert eine
Aufgabenkultur, die nicht nur die fachlichen, son­
3. Die Aufgaben sollten auf Textproduktion und Text­
dern auch die sprachlichen Kompetenzen im Fach ;
rezeption ausgerichtet sein. Dabei ist zugleich ratsam,
• fördert, indem er Aufgaben stellt, die am Kompe­
prinzipiell zwischen Aufgaben zur produktiven und
tenzstand der Lerner orientiert sind.
zur rezeptiven Grammatikarbeit zu unterscheiden.
Der sprachsensible Fachunterricht ist zudem: immer -
Diese hohen Übereinstimmungen im Ansatz verpflich­
. kontextbezogen ausgerichtet; er stellt deshalb in
ten einerseits den Sprachlernunterricht (also z.B. den
Bezug auf Aufgaben und Aufgabenstellungen auch
Deutschunterricht), das Potenzial des authentischen eine reiche Fundgrube für den integrativen Sprach-
Sprachgebrauchs (z.B. in fachlichen Mitteilungssitua­
unterricht dar
tionen) stärker in den Blick zu nehmen. Andererseits
verpflichtet es aber auch den sprachsensiblen Fach-
. unterricht, Sprachhilfen zur Verfügung zu stellen, damit
die fachlichen Mitteilungssituationen überhaupt be­
wältigt werden können.
Sprachlernunterricht und Fachunterricht müssen im
sprachsensiblen Fachunterricht konzeptionell zusam­
menpassen: „Die Evaluation der Kompetenzen (und
auch der Kompetenzerwerb; Anm. d. Verf.) darf da­
bei nicht zum Ziel haben, das vollständige gramma­
tische System abzu fragen, die Schüler sollen vielmehr

Teil B
110
Das Lesen von Sachtexten
im sprachsensiblen Fachunterricht

Derartige Reaktionen sind prinzipiell nachvollziehbar;


Basiswissen sie zeigen jedoch zugleich, dass diese Lehrkräfte nicht
zum Lesen und verstanden haben, dass die Forderung nach Leseförde­
rung als Aufgabe aller Fächer im und am Fach selbst
zu Sachtexten ansetzt. Denn der Nutzen einer solchen Leseförderung
Gedanken einer Lehrkraft soll vor allem dem eigenen Unterricht und dem Ver­
stehen der Lerner im eigenen Fach zugute kommen:
„ Die Lerner können doch lesen! Wieso muss ich
M eine Leseförderung in meinem Fachunterricht bringt
mich als Fachlehrer jetzt auch noch um das Lesen
meinen Lernern Lernerfolge in meinem Fach.
kümmern? Was soll ich denn noch alles machen ?"
So oder ähnlich reagieren zunächst viele Fachlehrkräfte Anders formuliert: Leseförderung im Fach ist Aufgabe
der Natur- oder Gesellschaftswissenschaften auf die des Fachs, weil das Fachlernen dabei gewinnt. Sie
Forderung, auch im Fachunterricht Leseförderung zu sollte nicht als Übernahme fremder Aufgaben oder
betreiben. Ihre Begründungen lauten häufig wie folgt: Zugeständnis an andere Fächer angesehen werden,
sondern ist vielmehr ein wichtiger Beitrag und eine
1. gehöre Leseförderung doch wohl in den
Deutschunterricht und sei nicht ihre Sache; große Chance für das Lernen im eigenen Fach.

2. sei das einfach nicht auch noch zu schaffen und Artelt (2008, S. 20) formuliert dies so: „Die Rolle, die
3. seien Fachlehrkräfte für die Leseförderung dem jeweiligen Unterrichtsfach bei der Förderung von
doch gar nicht ausgebildet. Lesekompetenz zukommt, sollte nicht als extracurri-

Elemente der Lesekompetenz

aus: Deutsches PISA-Konsortium 2001, S. 69-78

Teil B 111
Grundlagenwissen

den Hauptgedanken des eine einfache Verbindung


unabhängige, aber
Textes oder die Intention zwischen Textinformationen
ausdrücklich angegebene
des Autors erkennen, wenn und Alltagswissen herstellen
Informationen lokalisieren
das Thema bekannt ist

Aussagen in verschiedenen Vergleiche ziehen und


Einzelinformationen
Textteilen berücksichtigen Verbindungen herstellen,
heraussuchen und
und integrieren Erklärungen geben und
Beziehungen beachten
Merkmale bewerten

einen unbekannten Text einen Text kritisch bewer­


tief eingebettete
in den Details verstehen ten und unter Nutzung
Informationen lokalisieren
von speziellem Wissen
und geordnet wiedergeben
Hypothesen formulieren

Lesekompetenzmatrix (in Anlehnung an die PISA-Studie


auf drei Kompetenzstufen gekürzt, vgl. Deutsches PISA-Konsortium, 2001, S. 89)

Textkompetenz und Reading Literacy. Allerdings sind


culare Aktivität verstanden werden. Es kommt vielmehr
darauf an, die Leseförderung so in den Unterricht zu diese Begriffe nicht immer inhaltsgleich:
integrieren, dass sie - basierend auf den Materialien - Portmann-Tselikas (2005) beispielsweise fasst Lese­
und Anforderungen der Fächer - zum Teil des Unter­ kompetenz als Teil einer allgemeinen Textkompetenz
richtsgeschehens wird. (...) Die Leseförderung in den auf; diese umfasst dann - seinem Ansatz zufolge
Fächern dient also letztlich dem fachlichen Lernen. “ logisch - zugleich auch die Schreibkompetenz.
Was aber bedeutet „Lesekompetenz" und wie sieht
- Die PISA-Studie hingegen folgt dem Ansatz einer
Leseförderung im Fach konkret aus? „Reading Literacy". Danach ist Lesekompetenz „eine
grundlegende Form des kommunikativen Umgangs
Lesekompetenz und m it der W elt" - mit der Folge, dass der Lesebegriff
Leseverstehen der Studie fächerübergreifend zu verstehen ist.
Begriffsklärung Das vorliegende Handbuch folgt der Auffassung der
„Lesen" umfasst Lesenkönnen, Leseverstehen und PISA-Studie. Es sieht das Lesen (bzw. die Leseförderung)
Lesekompetenz. Dabei steht „Lesen/cön/ien” nicht nur als Aufgabe aller Fächer (und somit auch der Sachfä-
für die Fähigkeit zum bloßen Erkennen von Buchstaben cher) an. Damit kann das Lesen nicht einfach an den
und Wörtern oder zum richtigen Aussprechen geschrie­ Deutsch- oder Förderunterricht „delegiert" werden.
bener Worte (wie z.B. beim Ab- oder Vorlesen). „Lesen­
können" meint vielmehr „verstehendes Lesen“ . Lese­ Die PISA-
verstehen aber setzt voraus, dass die im Text enthalte­ Lesekompetenzmatrix
nen Wortbedeutungen und Sinneinheiten erfasst und Die PISA-Studie hat unterschiedliche Aspekte der Lese­
verstanden wurden. kompetenz untersucht und dabei drei Kompetenzbe­
Lesekompetenz hingegen ist „die Fähigkeit, geschrie­ reiche und drei Kompetenzstufen ermittelt.
bene Texte unterschiedlicher Art in ihren Aussagen, Die Kompetenzbereiche beziehen sich auf die Breite
ihren Absichten und ihrer formalen Struktur zu verste­ der Lesekompetenz. Sie beschreiben folgende Einzel­
hen und sie in einen größeren sinnstiftenden Zusam­ aspekte des Lesens:
menhang einzuordnen, sowie in der Lage zu sein, Texte
- A. Informationen ermitteln (d.h., eine oder mehrere
für verschiedene Zwecke sachgerecht zu nutzen. “
(Teil-)Informationen im Text lokalisieren);
(Deutsches PISA-Konsortium, 2001, S. 23). Nach die­
sem Verständnis ist eine lesekompetente Person dazu - ß. textbezogenes Interpretieren (d.h., Bedeutung
befähigt, bestimmte Arten von text- und lesebezogenen konstruieren und Schlussfolgerungen aus einem
Anforderungen erfolgreich zu bewältigen. oder mehreren Teilen des Textes ziehen);

In der Literatur werden für „Lesekompetenz" häufig - C. Reflektieren und Bewerten (d.h., den Text mit ei­
Synonyme verwendet, z.B. die Begriffe Leseverstehen, genen Erfahrungen, Wissensbeständen und Ideen
Grundlagenwissen

in Beziehung setzen und sich kritisch mit dem benötigt der Leser beim verstehenden Lesen auch alle
Gelesenen auseinandersetzen). kognitiven sowie alle metakognitiven Strategien.
Die Kompetenzstufen hingegen beziehen sich auf die Lesen ist somit nicht nur passive Rezeption oder bloße
Tiefe der Lesekompetenz. Sie beschreiben die Fähigkeit, Bedeutungsentnahme dessen, was im jeweiligen Text
innerhalb der genannten Kompetenzbereiche Texte und an Information enthalten ist. Lesen ist vielmehr eine
Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade lesen aktive (Neu-)Konstruktion der Textbedeutung im Kopf
bzw. bearbeiten zu können. des Lesers. Funktioniert diese Sinnkonstruktion nicht
Wie und mit welchem Erfolg die Lerner diese Kompe­ oder nur unzureichend, wird der Text nicht verstanden.
tenzstufen bewältigen, erlaubt der Lehrkraft somit Deshalb wird der Leseprozess modellhaft auch als „dop­
Rückschlüsse darauf, ob ein Text eventuell zu schwer pelt zyklischer Prozess" dargestellt. Denn der Leser
oder zu leicht angelegt ist (vgl. „gute und schlechte konstruiert „sein" Textverständnis (im Sinne einer Sinn­
Texte ", 5. 122). Dabei hängt der Schwierigkeitsgrad konstruktion) erst im Zusammenspiel beider Verarbei­
einer Aufgabe von folgenden drei Faktoren ab: tungsprozesse; der Text wird gewissermaßen „dialo­
- der Komplexität (des Textes); gisch ausgehandelt". Dabei folgt der Prozess einer
- der Vertrautheit (mit dem Thema des Textes); gewissen Hierarchie:

- der Deutlichkeit (z.B. der Anzahl von Hinweisen auf - Das Herauslesen erfolgt als Bottom-Up-Prozess:
relevante Informationen sowie der Anzahl und Auf­ Textgeleitet und aufsteigend konstruiert der Leser
fälligkeit von Elementen, die von den relevanten Vorstellungen aus den Textinformationen, anknüp­
Informationen ablenken könnten). fend an sein Vorwissen.
- Das Hineinlesen hingegen erfolgt als Top-Down -
Kombiniert man nun die Kompetenzbereiche mit den
Prozess: Schemageleitet und absteigend überprüft
entsprechenden Kompetenzstufen, so erhält man die
der Leser die Stimmigkeit seiner Vorstellungen am
auf S. 112 dargestellte Lesekompetenzmatrix. Die Lese-
Text und passt sie ggf. an.
kompetenzmatrix stellt im Unterricht mit sprach-
schwachen Lernern ein ebenso wichtiges wie geeig­
netes Instrument dar, um „passende" Maßnahmen
zur gezielten Unterstützung und Weiterentwicklung
Der Leseprozess als
zu ergreifen; sie ermöglicht der Lehrkraft zugleich eine
gezielte Analyse und Diagnose des (Fach-)Textes in doppelt zyklischer Prozess
Bezug auf folgende unterschiedliche Aspekte:
- den Schwierigkeitsgrad eines Sachtextes;
- die zur Bewältigung des vorliegenden Textes
erforderlichen Lesekompetenzen;
- den Sprachstand der Lerner.

Ein M odell
des Leseprozesses
Der Leseprozess ist von zentraler Bedeutung für das
Leseverstehen - und somit für das Textverstehen im
Fach generell. Die Kenntnis seines Ablaufs unterstützt Sinnkonstruktion
die Lehrkraft nachhaltig bei der Beantwortung der (Hineinlesen)
Frage, wann und wie gerade sprachschwache Lerner
durch Lesen im Fach gefördert werden können.

Leseverstehen ist ein vielschrittiger mentaler Prozess.


Es ist aber keine „Einbahnstraße", sondern ein kom­
plexer Vorgang, bei dem sich die Ergebnisse der Einzel­
schritte wechselseitig aufeinander auswirken. Dies lässt
sich am besten in Form eines schematisierten Modells
verdeutlichen (vgl. Abb. rechts):
Verstehendes Lesen ist „sinnorientierte Informations­
verarbeitung"] dabei werden das Vorwissen des Lesers
(„Hineinlesen'1) und die Informationen des Textes Bedeutungsentnahme
(„Herauslesen") integriert. Verstehendes Lesen ist folg­ (Herauslesen)
lich das Ergebnis eines mentalen Konstruktionsprozes­
ses, bei dem beide Elemente in einer neuen kognitiven ) Josef Leisen
Zwischenstufe zusammengebracht werden. Deshalb

Teil B 113
Grundlagenwissen

ren. Die Lehrkraft sollte dem Lesen im Unterricht des­


halb möglichst Maßnahmen vorausschicken oder
zuschalten, die darauf abzielen, bereits vorhandenes
Verstehendes Lesen setzt voraus, dass sich der Vorwissen zu aktivieren oder inhaltlich relevantes Hin­
Leser mehrfach mit dem Text beschäftig, da er nur tergrundwissen zum Thema des Textes aufzufrischen
so zur eigenen Konstruktion der Bedeutung des bzw. systematisch zu vermitteln.
Textes und des richtigen Textsinris gelangen kann.
b) Wortschatz:
Dies hat Auswirkungen auf die Frage, wie das Lesen
Es ist einleuchtend, dass ein umfangreicher Wortschatz
von (Sach-)Texten in den Unterricht zü integrieren
das Leseverstehen erhöht. Daraus folgern aber viele
ist bzw. welche Anforderungen dabei seitens der
Lehrkräfte fälschlicherweise, Lerner könnten den Text
Lehrkraft zu beachten sind: Soll ein Text im Fach­
nur dann verstehen, wenn sie auch alle Wortbedeu­
unterricht gelesen werden, muss die Lehrkraft folg­
tungen kennen. Im Unterricht werden deshalb nach
lich die Lerner zunächst durch entsprechende, sinn­
der Erstlektüre häufig erst einmal alle unbekannten
volle Aufgabenstellungen dazu anleiten, sich mehr­
Wortbedeutungen geklärt.
fach mit dem Text zu beschäftigen. Für sprach-
schwache Leser, die von dieser Aufgabe oft allein Dies ist aber für das Textverstehen gar nicht notwendig;
aufgrund ihres Sprachstandes überfordert sind, vielmehr erschließen sich den Lernern viele W ortbe­
sollte die Lehrkraft im Sinne des sprachsensiblen deutungen im Verlauf der weiteren Lektüre eigentlich
Fachunterrichts zusätzliche sprachliche Hilfen zur von selbst. Zudem wird durch zu intensive Wortschatz­
Unterstützung in die Aufgäben integrieren. arbeit vielleicht sogar eine Lernchance vertan: Denn
Erkenntnissen der Wissenschaft zufolge bedingen sich
Wortschatz und Lesefähigkeit gegenseitig.

Einflussfaktoren Gute Lesefähigkeiten im Allgemeinen tragen somit auch


im Leseprozess zu einem umfangreichen Wortschatz bei, da die meisten
„Lesekompetenz" - also die Fähigkeit, bestimmte text- neuen Wörter nicht explizit gelernt werden müssen
und lesebezogene Anforderungen erfolgreich zu be­ (z.B. durch Bedeutungserklärung), sondern implizit, also
wältigen, vgl. S. 112 - ist von vielen Faktoren abhän­ aus dem Kontext heraus, verstanden werden.
gig; diese können mit dem Text, seinem Inhalt, der c) Lernstrategiewissen:
Sprache, den textexternen Kenntnissen ... zu tun haben. Das Strategiewissen umfasst besondere Kenntnisse über
Vor allem aber ist Lesekompetenz eng mit der Fach­ die Struktur und den Aufbau der verschiedenen Arten
kompetenz verbunden; diese kann sich neben fachli­ von Sachtexten. Auch Leser mit sogenanntem Strate­
chen Inhalten auch auf sprachliche Inhalte beziehen. giewissen haben nachweislich Vorteile beim Textver­
Der Leseprozess wird maßgeblich durch folgende vier stehen, da ihnen dieses strukturelle Wissen ermöglicht,
Faktoren beeinflusst (vgl. Abb. auf S. 115): vorhandenes Vorwissen zu aktivieren, mit dessen Hilfe
dann wiederum Kohärenzlücken im Text geschlossen
- Merkmale des Lesers
werden können. Diese Erkenntnis ist besonders in
- Aktivitäten des Lesers, Bezug auf sprachschwache Lerner wichtig; hier kann
- Leseanforderungen und die Lehrkraft durch gezielte Vermittlung von struktu­
- Beschaffenheit des Textes. rellem Wissen das Textverstehen nachhaltig fördern.

Innerhalb dieser vier Faktoren gibt es dann jeweils wei­ d) Lexikalischer Zugriff:
tere Einzelmerkmale, die ebenfalls das Ergebnis beein­ Unter lexikalischem Zugriff versteht man die Zuord­
flussen. Dabei können sich die Einzelmerkmale sowohl nung von Bedeutungen zu visuell wahrgenommenen
auf den Leser als auch auf den Text beziehen. Buchstabenfolgen. Buchstaben, die in Wörter einge­
bunden sind, werden dabei schneller identifiziert, weil
1. M e rk m a le des Lesers sie sowohl auf der Buchstaben- als auch auf der W ort­
Die Merkmale des Lesers umfassen höchst unterschied­ ebene eine Aktivierung erfahren, während isolierte
liche Einzelmerkmale, von denen jedes großen Einfluss Buchstaben nur auf der Buchstabenebene aktiviert wer­
auf das Leseverstehen hat: den. So können gute Leser beispielsweise Buchstaben­
dreher problemlos im Text überlesen und merken es
a) Vorwissen:
. nicht einmal. Der lexikalische Zugriff wird durch Vielle­
Leser, die über ein inhaltlich relevantes Vorwissen zum
sen deutlich verbessert.
Thema des Sachtextes verfügen, haben beste Chancen,
ein Textverständnis aufzubauen. Denn wie die Praxis Ebenso wie die Merkmale a) bis d) sind auch die Ein­
zeigt, kann ein großes Vorwissen bzw. eine hohe Exper­ stellung und die Motivation des Lesers von großer
tise des Lesers in Bezug auf den Inhalt des Textes Bedeutung für das Gelingen des Leseprozesses.
schlechte Lesefähigkeiten sogar teilweise kompensie­

114 Teil B
Grundlagen wissen

Einflussfaktoren im Leseprozess

Merkm ale des Lesers


Vorwissen, Wortschatz,
Lernstrategiewissen,
lexikalischer Zugriff,
Motivation, Einstellungen,
Kenntnis von Textmerkmalen

Aktivitäten des Lesers Leseanforderungen


adaptiver Einsatz von verstehendes Lesen,
Lesestrategien, kritisches Lesen,
Verstehensüberwachung, reflexives Lesen,
Selbstregulation involviertes Lesen
^ V

Beschaffenheit des Textes


Inhaltsorganisation und Strukturierung
(Kohärenz, Darstellungsformen,
hierarchisch-sequenzielles
Arrangieren; Vorwissens- und
Erwartungsstrukturen des Lesers)

nach: Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2007, S. 12

2. Leseanforderungen Welterfahrungen, Handlungskompetenzen und Aspek­


ten der Persönlichkeitsentwicklung hergestellt werden.
Dieser Faktor umfasst Merkmale wie verstehendes
Lesen, kritisches Lesen, reflexives Lesen und involviertes Involviertes Lesen bezieht zudem emotionale und moti-
Lesen. Auch die Leseanforderungen haben großen Ein­ vationale Aspekte ein und findet beispielsweise dann
fluss auf das Leseverstehen. statt, wenn der Leser positive Gefühlserlebnisse mit
dem Gelesenen verbindet, die Lesesituation genießt
Verstehendes Lesen umfasst die „sinnorientierte Infor­
oder Könnensbewusstsein aufbaut.
mationsverarbeitung"; dabei werden leserseitiges Vor­
wissen („Hineinlesen") und textseitige Informationen
3. Beschaffenheit des Textes
(„Herauslesen") integriert. Beim verstehenden Lesen
Dieser Faktor umfasst Merkmale wie Inhaltsorganisation
wird ein mentales Modell aufgebaut, in dem leserseiti­
und Strukturierung, Kohärenz, Darstellungsformen, hie­
ges Vorwissen und textseitige Informationen in einer
rarchisch-sequenzielles Arrangieren von Textinhalten
neuen kognitiven Konstruktion zusammengebracht
sowie die Vorwissens- und Erwartungsstrukturen des
werden (vgl. S. 113). Deshalb werden beim verstehen­
Lesers. Auch die Beschaffenheit eines Textes hat somit
den Lesen alle kognitiven sowie metakognitiven Stra­
wichtigen Einfluss auf das Leseverstehen.
tegien gebraucht.

Kritisches Lesen umfasst eine Reihe von Teilfertigkeiten: 4. A ktivitäten des Lesers
Konzentration auf die Fragestellung, Analyse von Argu­ Dieser Faktor umfasst Merkmale wie den adaptiven
menten, Formulierung klärender Fragen an den Text, Einsatz von Lesestrategien, die Verstehensüberwachung
Beurteilungen zur Glaubwürdigkeit der Quelle, Beur­ und die Selbstregulation.
teilung von Beobachtungsberichten, von Definitionen,
Auch die Aktivitäten des Lesers stellen wichtige Ein­
Deduktionen, Induktionen, Handlungen, Interaktionen
flussfaktoren für das Leseverstehen dar. So geht man
und das eigene Fällen von Werturteilen. Das kritische
beispielsweise in der Leseforschung davon aus, dass
Lesen bezieht sich im Wesentlichen auf den Kompe­
Lesestrategien konkrete Techniken darstellen, die das
tenzbereich C (Reflektieren und Bewerten) der PISA-
Verstehen und Behalten von Textinhalten erleichtern
Studie, vgl. s. 112 oben.
und dabei zielführend und flexibel vom Leser eingesetzt
Reflexives Lesen geht über die kognitiven Aspekte der werden können. Obwohl sie zunehmend automatisiert
esekompetenz hinaus, da hier Bezüge zu eigenen ablaufen, bleiben sie dennoch als Technik bewusst. Tun
Grundlagenwissen

sich dem Leser also Widersprüche auf oder scheitert er - Texte im Philosophie-, Ethik- und Religionsunterricht
bei dem Versuch sogenannter lokaler und globaler Ko­ sind oft Auszüge aus Originalschriften und enthalten
härenzbildung (Sinnstiftung), wird er zur aktiven Steue­ neben Bildern häufig Synopsen in Form von Tabellen
rung des Lesens herausgefordert. und Diagrammen.
- Texte in den Fremdsprachen sind - sofern es sich
Die außerordentlich umfangreichen Forschungsergeb­
nicht um literarische Texte handelt - oft mit illustrie­
nisse zu diesem Bereich haben belegt, dass Lesestrate­
renden Situationsbildern, Fotos, authentischem Mate­
gien gut und effektiv trainierbar sind (vgl. Bundesmi­
rial (z.B. Hotelprospekt, Zeitungsnachricht, Brief,
nisterium für Bildung und Forschung, 2007, S. 32).
E-Mail, Werbeanzeige, Stellenangebot...) versehen,
Aufgrund der Bedeutung der Lesestrategien für das
um Sprech- und Schreibanlässe zu erzeugen.
Lernen im Fach ist ihnen ein eigener Abschnitt gewid­
met (vgl. S. 141 ff.)] in diesem Abschnitt finden sich - Texte im Deutschunterricht sind in erster Linie litera­
auch Ausführungen über die Förderung der Lesekom­ rische Texte, aber auch Sachtexte, in die gelegentlich
petenz durch metakognitives Training, vgl. S. 138 f. andere Darstellungsformen integriert sind.

Dennoch gibt es eine Vielzahl struktureller Gemein­


samkeiten, die unabhängig vom jeweiligen Fach beste­
Merkmale der Sachtexte
hen und in der Typologie der jeweils verwendeten Texte
In den Fächern sowie ihrem ähnlichen didaktischen Einsatzzweck im
Gleich oder nicht gleich? Unterricht begründet sind. So haben die Sachtexte aller
Gedanken einer Lehrkraft Fächer in der Regel

„Sind denn die Texte in den Fächern nicht sehr - einen ähnlichen Aufbau;
verschieden? Ein sozialkundlicher Sachtext un­ - fast immer einen deskriptiven und analytischen
terscheidet sich doch sehr von einem Physik- Charakter;
Sachtext ! " - häufig eine ähnliche kommunikative Funktion
(Infomation oder Appell, vgl. Tabelle S. 778);
Diese oder ähnliche Gegenfragen stellen Fachlehrer
häufig, wenn sie gefragt werden, ob es wohl gemein­ - einen großen Überlappungsbereich in den
same Merkmale von Sachtexten „in den Fächern" gibt, verwendeten Darstellungsformen.
die als Grundlage für „die" Sprachförderung im Fach Zudem sind sie häufig sprachlich verdichtet und ver­
dienen könnten - oder ob es gar sinnvoll sei, einheitliche wenden ähnliche sprachliche Strukturen (trotz ihrer
Regeln und Strategien für das Lesen von Sachtexten jeweils eigenen, sehr spezifischen Fachsprache).
im Fach anzuwenden.
Obwohl Fachtexte ein hohes Maß an strukturellen
Wird man sich aber über den grundsätzlichen Charak­ Gemeinsamkeiten aufweisen, bedeutet dies nicht
ter von Sachtexten klar, fällt die Antwort leicht, denn zwangsläufig, dass sich beispielsweise Lesestrategien
Sachtexte sind in erster Linie Arbeitstexte. Sie werden problemlos auf alle Fächer anwenden lassen. Zudem
im Unterricht zu vielen verschiedenen Anlässen und ist die Lesekompetenz „domänen-", also fachspezifisch.
meist als Pflichtlektüre eingesetzt, tauchen irgendwann Jemand, der also beispielsweise geografische Fachtexte
im Unterrichtsgeschehen auf und dienen zumeist der gut lesen kann, muss deshalb nicht automatisch auch
Wiederholung oder der Nachbereitung. physikalische Fachtexte gut lesen können.
Sachtexte sind in der Tat hinsichtlich ihrer Inhalte und Damit muss auch das Lesen von Sachtexten im Fach
der im jeweiligen Fach vorherrschenden speziellen Dar- fachspezifisch geübt werden. Hierfür sind die Merkmale
stellungsformen unterschiedlich (vgl. hierzu die Über­ der Sachtexte für jedes Fach separat herauszuarbeiten.
sicht au f S. 34):
- Sozialkundliche und geografische Texte enthalten
häufig Kartenmaterial, Statistiken, Tabellen, Diagram­
me, Abbildungen, Fotos usw.
Fachtexte-weisen zwar ein hohes Maß an struk­
- Texte im Geschichtsunterricht sind o ft historische
turellen Gemeinsamkeiten auf; Lesekompetenz
Quellen. Viele der im Geschichtsunterricht eingesetz­
ist jedoch „domänen-“, also fachspezifisch. Des­
ten Texte enthalten zudem Strukturdiagramme, Abbil­
halb muss auch das Lesen von Sachtexten im Fach
dungen, Fotos, historische Karten, Personenporträts,
fachspezifisch geübt werden.
Daten, Fakten usw.
- Naturwissenschaftliche Texte enthalten neben Expe­
rimentieranleitungen, Fotos und Skizzen auch viele
Diagramme, Tabellen, mathematische Herleitungen,
Formeln usw.

Teil B
116
Grundlagenwissen

Warum haben Lerner lich zumeist gleich mit einer Vielzahl von Schwierigkei­
Schwierigkeiten mit der ten konfrontiert; diese können gerade sprachschwache
Leser nicht ohne Unterstützung bewältigen.
Sprache in Sachtexten?
Warum tun sich Lerner mit dem Lesen von Fachtexten Schwierigkeiten auf der
so schwer? Die überraschende Antwort: Ursache sind übergeordneten (Text-)Ebene
weniger fachlich-inhaltliche Probleme, sondern eher Im alltagssprachlichen Verständnis sind Texte schrift­
Probleme, die den sprachlichen Bereich betreffen, z.B.: lich fixierte, fließende (kontinuierliche) Zusammenfü­
- die im Fachunterricht typischerweise vorkom­ gungen von Sätzen, die einen inneren (inhaltlichen)
menden Textsorten (allgemeine Ebene), Zusammenhang und somit einen Sinn vermitteln. Die
- die komplizierte Ausdrucksweise und Textlinguistik hat dies präzisiert und versteht unter Tex­
ten „begrenzte Folgen schriftlich oder mündlich m it­
- der spezifische sprachliche Aufbau der Texte
geteilter sprachlicher Zeichen, die in sich kohärent sind
(Detailebene).
und als Textganzes eine erkennbare kommunikative
Die spezifischen Schwierigkeiten von Fachtexten liegen Funktion symbolisieren . " (Staatliches Studienseminar
somit auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. Diese Koblenz, 2009, S. 94).
sind für Sachtexte typisch und können die Wort-, die Die kommunikative Funktion eines Textes (auch als
Satz- und die Textebene betreffen (s. Grafik unten). „Textabsicht,, bezeichnet) lässt sich beispielsweise auf
Ein Leser, der einen Text verstehen will, sieht sich folg­ der Grundlage des Organon-Modells von Bühler (1974,

Prozessebenen des Textverstehens

Textverstehen

durch funktionale Analyse

durch semantische Analyse Der Leser bringt sein Wissen -


und Strukturanalyse über Gliederung, und Aufbau: :
bestimmter Textsorten ein.''-

Der Leser bringt sein seman-


durch syntaktische Analyse tisches Wissen, Kontextwissen,
^se in e kognitiven Schemata.ein. =

durch Wahrnehmung und


Wortidentifikation

nach: Leisen 1994, S. 189

Teil B
117
Grundlagenwissen

S. 24 ff.) bestimmen. Dieses Modell unterscheidet Dar- Schwierigkeiten auf der


stellungs-, Ausdrucks- und Appellfunktionen (vgl. auch sprachlichen Ebene
Searle, 1971, der diese in der Sprechakttheorie als soge­ Fachtexte verwenden zwar dieselben sprachlichen
nannte Sprachhandlungstypen bezeichnet). Strukturen wie die Alltagssprache. Allerdings werden
die dort gebrauchten Strukturen im alltäglichen Sprach­
Sachtexte können ebenfalls unterschiedliche kommu­
gebrauch viel seltener verwendet und sind den Lernern
nikative Funktionen haben. Sie weisen jedoch beson­
damit auch weniger vertraut.
dere Eigenheiten und Merkmale auf, die sie von ande­
ren Texten deutlich unterscheiden und Auswirkungen Auf Seite 119 sind einige der sprachlichen Besonder­
auf die jeweilige kommunikative Funktion haben. heiten an Beispielen dargestellt. Diese verdeutlichen
zugleich, warum sich insbesondere sprachschwache Ler­
Sachtexte sind insbesondere ner mit Fachtexten noch schwerer tun als „normal­
- funktionsabhängig aufgebaut; sprachliche" Lerner: Sie werden von derartigen Texten
- eindeutig (nicht ästhetisch kodiert, schlicht überfordert, da diese Texte eine Kombination
nicht unbestimmt); von Schwierigkeiten auf der Wort-, Satz- und Textebene
aufweisen, der sie sprachlich nicht gewachsen sind.
- zweckhaft (adressatenorientiert);
- situationsabhängig. a) Schwierigkeiten
Sachtexte werden als „offene Klasse von nichtfiktio- a u f der W ortebene
nalen, nichtliterarischen Texten" (vgl. Brinker, 1985, Wesentlicher Bestandteil einer Fachsprache sind Fach­
2001) deklariert. Anders als sogenannte „Erzähltexte" begriffe (Fachtermini). Dabei gibt es Fachbegriffe, die
sind Sachtexte nicht vorrangig ästhetisch oder stilistisch den Lernern noch unbekannt sind und wie eine Vokabel
strukturiert, sondern genügen „nur" den fachlichen oderein Fremdwort gelernt werden müssen (z.B. Induk­
und fachsprachlichen Anforderungen. Sie haben zu­ tion, Push- undPull-Faktoren ...). Je mehr unbekannte
meistdeskriptiven und analytischen Charakter und die­ Begriffe in einem Text Vorkommen, desto schlechter
nen in erster Linie der Informationsvermittlung. Sach­ wird dieser von Lernern verstanden.
texte weisen meist einen (vergleichsweise) unmittelba­ Ein weiteres Problem stellen Fachbegriffe dar, die zwar
ren, nachprüfbaren Wirklichkeits- und Faktenbezug auf auch im Alltag Vorkommen (z.B. Spannung, Kraft, Ver­
und werden deshalb häufig auch als „pragmatische" fassung, M a r k t ...), dort aber eine andere Bedeutung
oder „Gebrauchstexte" bezeichnet. haben, also semantisch anders belegt sind (s. S. 49 ff.).
Auch Sachtexte lassen sich - je nach kommunikativer Fachsprache ist zudem durch eine Vielzahl sprachlich
Funktion - in drei Texttypen unterteilen (vgl. Brinker komplexer Konstruktionen geprägt, z.B. Substantivie­
1985, 2001, sowie Tabelle unten). rungen, fachspezifische Abkürzungen oder Verben mit
Vorsilben, die sich —je nach Satzbau —verselbstständi­
gen. Auch kommen häufig Komposita vor, die als wahre
Wortungetüme wahrgenommen werden (z.B. Gleich­
spannungsquelle, Magnetfeldänderungen, Kohlenstoff-
dioxidkonzentration ..., vgl. S. 53).

Sachtexte

kommunikative Grundfunktion J l j l : Beispiele ^

- Lehrbuchtext
informierender Text - vermittelt deklaratives Wissen - Lexikonartikel

- bewertet bzw. beurteilt - Kommentar


argumentierender Text - Rezension, Glosse
einen Sachverhalt

- Experimentieranleitung
anweisender/ - vermittelt prozedurales Wissen - Gebrauchsanweisung
appellierender Text - informiert und appelliert - Schulordnung

nach: Brinker 1985, 2Q0m

Teil^
118
Grundlagenwissen

Schwierigkeiten auf der Wortebene

schwierige W örter

- viele Fachbegriffe Oszilloskop, Pull- und Push-Faktoren,


Subsidiarität, Cortisol

- die Verwendung von Adjektiven auf -bar, steuerbar, unsichtbar...


-los, -arm, -reich usw. und mit dem Präfix nicht leitend, schwach le ite n d ...
nicht, stark, schwach ...

- viele Komposita luftleer, Rahmengesetzgebung, Anodenquelle,


Braunkohletagebau, Kohlenstoffdioxidkonzentration

- viele Verben mit Vorsilben weiterfliegen, zurückfließen, hindurchtreten,


beschließen, abdampfen, einschmelzen ...

- viele substantivierte Infinitive das Verschieben, das Komprimieren ...

- fachspezifische Abkürzungen 60-Watt-Lampe, ACTFI (adreno-cortico-


tropes-Hormon), DNA ...

Schwierigkeiten ziu f der Satzebene

schwierige Sätze

- Konditionalsätze, Finalsätze und Konsekutiv­ Der Lichtstrahl wird zum Lot hin gebrochen,
sätze als bevorzugte Nebensatztypen wenn er schräg von einem optisch dünneren
in ein optisch dichteres Medium eintritt.
Dam it die Elektronen vom Schirm zur Anode
zurückfließen können, ist der Glaskolben innen
m it einem schwach leitenden Überzug versehen.

- viele verkürzte Nebensatzkonstruktionen Tritt ein Lichtbündel von Luft in Wasser ein, so ...
Taucht ein Körper in eine Flüssigkeit ein, dann ...
Die aus K abgedampften Elektronen werden ...

- unpersönliche Ausdrucksweise In Oszilloskopen und beim Fernsehen benutzt


man Braunsche Röhren.

- Verwendung von komplexen Attributen Die aus K abgedampften Elektronen werden


anstelle von Attributsätzen zu A hin beschleunigt.
... eine nach oben wirkende Auftriebskraft
... die auf der optischen Bank befestigten Linsen

- erweiterte Nominalphrasen Beim Übergang vom optisch dichteren in den


optisch dünneren S to ff...

~ unvermeidliche Verwendung von Sie wird durch die Heizbatterie H zum Glühen
Passiv und Passiversatzformen erhitzt.

Die aus K abgedampften Elektronen werden


zu A hin beschleunigt.
Die Flamme lässt sich regulieren.

119
Grundlagenwissen

- rückverweisende Verwendung eines In Oszilloskopen und beim Fernsehen benutzt


Pronomens auf den vorherigen Satz man Braunsche Röhren. In ihren luftleeren Glas­
kolben [...] ist eine Kathode eingeschmolzen.
Dam it die Elektronen vom Schirm zur Anode
zurückfließen können , ist der Glaskolben innen
m it einem schwach leitenden Überzug versehen.

uneindeutige Verwendung eines Pronomens: Die Stromstärke ist schon ohne Eisenkern geringer
„sie" kann sich sowohl auf „Stromstärke" als als bei Gleichspannung. Schiebt man einen Eisen­
auch auf „Gleichspannung" beziehen kern in die Spule, nimmt sie weiter ab.

b) Schwierigkeiten
a u f der Satzebene
Auf der Ebene des Satzgefüges erschweren weitere, Es sind vor allem die textuellen Merkmale, die ;
für Fachtexte typische Elemente das Lesen und Ver­ entscheidend dazu beitragen, ob ein Text vom j
stehen von Fachtexten (vgl. Tab. S. 119 unten): lange Leser als verständlich eingestuft Wird oder nicht.
und verschachtelte Sätze, mehrfach in sich geschach­ Beim Lesen und Verstehen eines Fachtextes werden i
telte Nebensatztypen, das Vorkommen zahlreicher und ;die diargebotenen"Införmationen vom Leser erfasst v
komplexer (adjektivischer oder Partizipial-)Attribute und in vorhandene Wissensstrukturen eingeordriet; -
(Beispiel: induzierte Spannung) oder sogenannte Funk- dieser Prozess kann jedoch nur dann gelingen, wenn ;
tionsverbgefüge (Beispiel: in Betrieb nehmen). der Leser nicht auf Verstehenswiderstände stoßt.
Weist ein Text derartige Merkmale auf, wird die Kom­ Werden Texte zu Lernzwecken eingesetzt, haben
plexität des Satzes erhöht; zugleich steigt auch die Lerner in der Regel nur ein geringes Vorwissen zu i
Informationsdichte in einem Satz an. Dadurch aber dem Thema. Somit müssen gerade diese Texte ein­
wird der Text über die Wortebene hinaus noch stärker deutig, schlüssig und leicht nachvollziehbar sein.
verdichtet und somit auch schwerer verständlich. Körnmen jedoch - wie bei Lernern mit Migrations- •
Damit haben zwar alle Lerner ihre Probleme; für hintergrund' die Regel - auch noch „allgemeine,,.
sprachschwache Lerner gilt dies aber in erheblich Sprachschwierigkeiten. hinzu, „stolpern" gerade die-
stärkerem Maße. Ihnen muss die Lehrkraft deshalb se Lerner häufig und brechen den Dialog mit dem j
durch gezielte Arbeitshilfen oder sogar Sprachverein­ Text ab. ~^
fachung Unterstützung anbieten. Dabei ist Sprachver­ Vor dem Einsatz eines Fachtextes im Unterricht
einfachung nur in bestimmten Fällen ein probates muss die Lehrkraft deshalb nicht nur prüfen, ob
Mittel (vgl. S. 32 f.). der Text im Unterricht fachlich eingesetzt werden
kann (didaktische Analyse), sondern auch, ob der
c) Schwierigkeiten
Text für die betreffende Adressaterigruppe über- ;
a u f der Textebene haupt verständlich ist (Textverständlichkeitsana-
Der logisch-inhaltliche Zusammenhang eines Textes lyse). Hier bietet die Lesekompeterizmatrix wich­
wird gut erschlossen, wenn die Sätze sinnvoll mitein­ tige und geeignete Unterstützung, vgl. S. 112.
ander verbunden sind und sich folgerichtig aufeinander
beziehen. Fehlt dieser innere Zusammenhang (Kohä­
renz), dann gilt der Text als unverständlich. Hier sind
sprachliche M ittel wichtig, die den erforderlichen
logisch-inhaltlichen Zusammenhang erzeugen (z.B.
Konjunktionen, Wiederaufnahme desselben Wortes,
Pronomen, bestimmter und unbestimmter Artikel, vgl.
Tabelle oben).

120 Teil B
Grundlagenwissen

Der Umgang - Förderung des Leseverstehens


durch Textvereinfachung:
mit Sachtexten
Dieses Vorgehen ist erforderlich, wenn der Sachtext
Es gibt viele Möglichkeiten, Sachtexte sinnvoll im Unter­
für eine Eigenbearbeitung in der vorliegenden Form
richt einzusetzen. Allerdings erfolgt dies in Deutschland
zu lang oder zu schwer ist. Dabei wird der Text ledig­
leider immer noch viel zu selten, wodurch wertvolle
lich gekürzt oder an einigen Stellen vereinfacht und
Lernchancen vertan werden.
umgeschrieben.
Die nachfolgende Aufzählung gibt eine Übersicht über
- Förderung des Leseverstehens
die Fälle, in denen Sachtexte besonders häufig im Unter­
durch Textoptimierung:
richt eingesetzt werden; sie sind nach dem didaktischen
Auch in diesem Fall erweist sich der Text in seiner
Ziel gegliedert, das die Lehrkraft mit dem jeweiligen
vorliegenden Form als ungeeignet. Er ist allerdings
Einsatz verfolgt. Die Aufzählung enthält somit zugleich
so schwer, dass er komplett verworfen und von der
Anregungen, mit welchen Maßnahmen Lehrkräfte das
Lehrkraft neu verfasst werden muss.
Leseverstehen ihrer Lerner verbessern können:

- Förderung des Wissens Anpassung des Lesers


durch Lernen am Text: an den Text oder umgekehrt?
Soll bei den Lernern „nur" Wissen gefördert werden, Will die Lehrkraft bei den Lernern das Leseverstehen
wird der Sachtext einfach aus einem Lehrbuch oder unterstützen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten,
aus einer anderen Quelle ohne weitere Lesehilfen mit Texten umzugehen (vgl. Abb. unten sowie Leisen,
und Aufgabenstellungen in den Unterricht übernom­ 1994, S. 2 0 4 - 2 1 0 und Staatliches Studienseminar
men oder zur Bearbeitung gegeben. Koblenz, 2009, S. 9):

- Förderung der Lesekompetenz - Anpassung des Lesers an den Text (offensives Vor­
durch Lesestrategien: gehen): Hier wird der Leser in seiner Lesekompetenz

Geht es der Lehrkraft darum, die Lesekompetenz bei geschult, indem ihm Lesestrategien vermittelt und
den Lernern zu steigern, wird sie dem Sachtext geeig­ diese trainiert werden.
nete Aufgabenstellungen beifügen oder Lesestrate­ - Anpassung des Textes an den Leser (defensives Vor­
gien zu dessen Bearbeitung empfehlen. gehen): In diesem Fall wird der Text vereinfacht und
an die Fähigkeiten des Lesers angepasst.
- Förderung der Lesekompetenz
durch Lesetraining: Beim offensiven Umgang mit Sachtexten zielt die
In diesem Fall wird die Lehrkraft den Sachtext mit Lehrkraft darauf ab,
einer vorgegebenen Lesestrategie oder Leseübung - das Vorwissen und das vorausgesetzte Weltwissen
zu Trainingszwecken bearbeiten lassen. passend zu aktivieren (evtl. durch Vorentlastungen);

Der Umgang mit Texten im Fachunterricht

durch Strategien \ / durch Eingriffe


zur Verbesserung \ / in den Text zur
des Textverstehens \ / Erleichterung des
Textverstehens

Text­
Lesestrategie Lesetraining alternative Texte
vereinfachung

© Josef Leisen

Teil B 121
Grundlagenwissen

- Wörter, Sätze und Textteile kontextuell zu - - Fazit


erschließen;
- Strategien des Lesens und Erschließens einzu­ Im Fachunterricht sollte der offensive Umgang mit
Sachtexten, also die Anpassung des Lesers an den ,
setzen;
Text, das vordringliche Anliegen sein. Das setzt
- sprachliche und fachliche Stolpersteine zu iden­
voraus, dass die Lehrkraft parallel und gezielt Maß­
tifizieren und Bewältigungshilfen anzubieten;
nahmen entwickelt, die die Lesekompetenz der
- Verstandenes zu artikulieren, dabei andere Dar­ Leser auf bauen und entwickeln. Zugleich muss der
stellungsformen zu nutzen und Leseprodukte Unterricht den Lernern Gelegenheit bieten, diese
zu erstellen; Kompetenz anzuwenden und das Erschließen von
- mentale Modelle zu bilden und ein Lesebewusst­ Texten immer wieder zu trainieren (also ein Lern-
sein zu entwickeln. und kein Leistungsraum sein, vgl. S. 86 f.).

Beim defensiven Umgang m it Sachtexten zielt die


Lehrkraft darauf ab,
„Gute" und „schlechte“ Texte
- den Text an das Leseniveau des Lesers anzupassen;
Wie aber ist mit Texten umzugehen, die die Lerner
- die Fachsprache zu reduzieren; über- bzw. unterfordern? Denn Texte, die den Leser
- die Übersicht und Struktur zu verbessern (z.B. durch „unangemessen” fordern —also sowohl zu schwere als
klare Gliederung und entsprechendes Layout); auch zu leichte -, sind immer „schlechte" Texte.
- Bilder als Semantisierungshilfen einzubinden; Ein „guter” Text tritt mit dem Lesenden in einen Dialog:
- Vorwissen und das vorausgesetzte Weltwissen Der Leser fühlt sich angesprochen, ernst genommen
bereitzustellen; und erwartet, durch die Lektüre bereichert zu werden.
- sprachliche Erschließungsmittel beizufügen „Gute” Texte fordern den Leser „angemessen" heraus.
(z.B. ein Begriffslexikon); Sie bewirken, dass sich beim Leser eine „kognitive
- sprachliche und fachliche Stolpersteine im Lücke” auftut, die nicht nur Neugier weckt, sondern
Vorfeld zu entfernen. auch seinem Könnensniveau entspricht. Dies sollten
Lehrkräfte gerade beim Unterricht mit sprachschwachen
Grundsätzlich hat der offensive Umgang mit Texten
Lernern berücksichtigen; denn diese Leser geben beson­
Vorrang, vgl. S. 32 f. und S. 752. Texte können jedoch
ders schnell auf, wenn sie den Eindruck gewinnen,
tatsächlich so schwer sein, dass sie die Lerner demoti­
überfordert zu sein.
vieren; auch kann es Vorkommen, dass die Bewältigung
der Texte einen so hohen Begleitaufwand erfordert, Lehrkräfte sollten deshalb vor allem sprachschwachen
dass dies den Rahmen des Unterrichts sprengen würde. Lernern verstärkt Lesestrategien an die Hand geben.
Der Text muss dann vereinfacht oder komplett neu ver­ Denn verstehen diese mithilfe der Strategien den Text
fasst oder ggf. ein alternativer Text gesucht werden. besser und haben sie Erfolg bei der Texterschließung,
wird die Lerner das motivieren, auch künftig Lesestra­
Dies gilt leider nach wie vor für viele Sachtexte in Lehr­
tegien einzusetzen, um schwierige Texte zu bewältigen.
büchern. Lehrbuchtexte sind oft schon für mutterspra­
chig deutsche Lerner sehr schwer; schwache Leser oder Wichtig: Ob ein Text „gut" ist oder nicht, richtet sich
Lerner mit Migrationshintergrund sind häufig von ihnen nicht nach objektiven Kriterien. Vielmehr bestimmt
schlicht sprachlich überfordert. Dann ist ein defensiver allein der Leser, ob ein Text - da auf ihn zugeschnit­
Umgang sinnvoll und angemessen. ten - als gut oder schlecht zu bewerten ist. Anders
formuliert: Es sind nur die in der Person des Lesers lie­
Dennoch sollten Lehrbuchtexte aus folgenden Gründen genden Faktoren - also sein Vonwissen, seine Interessen,
auch weiterhin im Unterricht eingesetzt werden: seine Erwartungshaltung und seine Zielsetzungen, sein
- didaktische Ausrichtung (Erstellung durch kognitives Anspruchsniveau, seine Lesekompetenz,
unterrichtserfahrene Autoren); Lesesozialisation, „Gesprächsbereitschaft", emotionale
- curriculare Ausrichtung (auf die Lehrpläne Befindlichkeit und sein Durchhaltevermögen - , die
zugeschnittene Begleitung); darüber entscheiden, ob ein Text „g u t" ist oder nicht.
- Kosten (Amortisation der Anschaffung
Checklisten zur Textanalyse
nur durch Vielnutzung);
und -beurteilung
- Vielseitigkeit (Lehrbücher enthalten eine Vielzahl
Eine Lehrkraft, die Sachtexte im Unterricht verwenden
unterschiedlicher Lernmaterialien. An und mit diesen
möchte, tut deshalb gut daran, diese Texte daraufhin
können die verschiedensten Kompetenzen gelernt
zu beurteilen, ob sie ausreichend verständlich und somit
und geübt werden; allerdings muss dafür meist zu­
für einen Einsatz im Unterricht geeignet sind. Hierbei
nächst der Gebrauch mit den Lehrbüchern selbst ge­
bieten die Checklisten auf S. 123 f. Unterstützung:
lernt werden).
Teil B
122
Grundlagenwissen

~ ' Wi ~ '- a ' j&e | - assss—~— —a


C h e c k lis te z u r T e x tv e r s tä n d 1ic h k e its a h a ly s e

M erkm ale, die das Textverstehen M erkm ale, die das Textverstehen
erleichtern:

kompliziert: einfach:
- (viele) unbekannte Wörter - bekannte Wörter und Fachtermini;
(neue Fach begriffe);
- einfache syntaktische Strukturen
- komplexe syntaktische Strukturen (kurze Sätze);
(lange Sätze, verschachtelte Sätze);
- Sätze mit angemessener
- Sätze mit hoher Informationsdichte; Informationsdichte;
- viele Attribute;

unübersichtlich: übersichtlich:
- ohne erkennbare Gliederung; - deutlich und sinnvoll gegliedert (z.B. durch
- alles durcheinander; Absätze und/oder Teilüberschriften);
- zusammenhanglos (Kohärenzlücken); - in der richtigen Abfolge;
- Wichtiges und Unwichtiges gleichgewichtig - Schlüsselinformationen hervorgehoben;
nebeneinander;

weitschweifig: kurz: Ein Text darf weder zu lang noch zu kurz sein;
- sehr ausführlich; - knappe Ausführungen; die Länge des Textes sollte vielmehr in einem

- Kernpunkte und - auf das Wesentliche angemessenen Verhältnis zu seinem Inhalt stehen.
Nebensächliches beschränkt; Lehrbuchtexte sind in der Regel zu knapp,
werden nicht unter- _ deskriptive Elemente wenn auch prägnant, und damit (oft zu) hoch
schieden, jn angemessenem verdichtet
- redundante Textteile; Umfang;
- Überfülle an deskrip- - ...
tiven Elementen;

nicht anschaulich: anschaulich:


- zahlreiche Einzelinformationen werden - es wird ein einheitliches Vorstellungsbild
ohne Zusammenhang dargeboten; ermöglicht;
- der Erfahrungsbereich des Lesers wird - es werden Beispiele aus dem Erfahrungs­
nicht berücksichtigt; bereich des Lesers angeführt;
- die Darstellung ist allzu abstrakt; - die Darstellung ist anschaulich und um
- die Inhalte werden nicht veranschaulicht; visuelle Informationen ergänzt;
- rhetorische Fragen fordern zum Mitdenken auf;
- der Leser wird unmittelbar angesprochen;

-------------------------------------------------------
überarbeitet nach: LISUM, 2001 und Langer, Schulz von Thun und Tausch, 2002

Teil B
123
pjjndlagenwissen

1. Funktionale didaktische Absicht:


Welcher Textsorte gehört der Text an?
Machen Sie sich die funktionale didaktische Absicht
des Texteinsatzes klar. Soll der Fachtext
- Wissen übermitteln (z.B. informativer Sachtext im Lehrbuch)?
- zum Handeln anleiten (z.B. eine Experimentieranleitung)?
- zur Auseinandersetzung herausfordern (z.B. historischer Quellentext)?
- Verstehen und Erkenntnis bewirken (z.B. erklärender Sachtext)?

2. Didaktischer Ort:
Wie wird der Fachtext didaktisch genutzt?
Bestimmen Sie den didaktischen Ort des Fachtextes.
Dient der Text
- der Motivation oder der Einführung?
- der Neuerarbeitung?
- der Wiederholung/Vertiefung/Übung?
- dem Transfer?
- der Ergänzung?

3. Umgang mit dem Text:


Wie soll der Text gelesen werden?
M it welchem Ziel soll der Text gelesen werden?
- rezeptiv: nur lesen?
- reproduktiv: lesen und wiedergeben?
- produktiv: lesen, wiedergeben und weiterverarbeiten?

M it welchem Lesestil soll der Text gelesen werden?


- total (intensiv): Aufnahme aller Informationen?
- kursorisch (extensiv): Aufnahme nur des inhaltlich Relevanten?
- selektiv: Suche und Aufnahme einer ganz bestimmten Information?
- orientierend: Verschaffen eines Überblicks?

4. Angemessenheit und Verständlichkeit:


Muss der Text verändert werden?
Bevor Sie den Text an die Lerner geben, überprüfen Sie
dessen Angemessenheit. Maßstab für diese Angemessen­
heit können sein:
- die sprachlichen Ziele des Fachunterrichts;
- das fachliche Niveau des Unterrichts;
- die Sozialisation der Lerner;
- die kognitiven Fähigkeiten des Lerners;
- der Sprachstand der Lerner.

aus: Leisen, 1994, S. 213

Teil B
Grundlagenwissen

leren Texten tun sich die Lerner aber nach wie vor
Leseförderung schwer. Ich gebe dann immer Lesehilfen, erläutere

als Aufgabe schwere Begriffe und stelle Verständnisfragen und


natürlich Aufgaben. Das hilft zumindest und sie
des Fachunterrichts bleiben eine Weile am Text dran. Denn Vieles ist
auch eine Frage der Motivation.
Das Lesen von Sachtexten
Ehrlich gestanden enttäuscht es schon, wenn beim
im Fachunterricht Lesen so wenig rumkommt. Und ich persönlich
habe nicht erst PISA gebraucht, um das festzustel­
Gedanken einer Lehrkraft
len ... Eines aber war interessant: Als neulich das
„ Die Lerner können doch lesen! Wieso muss ich Thema Lesen im Kollegium diskutiert wurde, haben
mich als Fachlehrer jetzt auch noch um das Lesen wir festgestellt, dass wir eigentlich voneinander
kümmern ? Was soll ich denn noch alles machen ?" gar nicht wissen, wie es die Lehrer der anderen
Neben diesen Fragen, mit denen das Kapitel „Lesen" Fächer mit Texten in ihrem Unterricht halten. Denn
eingeleitet wurde (vgl. S. 111), gibt es noch viele wei­ die Texte beispielsweise im Biologie- oder Physik­
tere Fragen, die Fachlehrkräfte tagtäglich beschäftigen: unterrichtsind ja häufig noch viel unverständlicher
als die in meinem Fach. Das seh' ich ja bei meinen
„ Eigentlich würde ich gern öfter Texte aus dem
eigenen Kindern: Die Texte sind zwar bunter und
Lehrbuch im Unterricht einsetzen. Aber wann
hübscher als früher, aber genauso verwirrend und
immer ich Texte lesen lasse, bereue ich es später
unverständlich. Deshalb wäre es eigentlich wichtig,
beinahe. Denn häufig reagieren die Lerner wie
für das Lesen in den verschiedenen Fächern einmal
folgt: Die Texte seien viel zu schwer, sie würden
Absprachen zu treffen.
nichts verstehen, es kämen so viele Fachbegriffe
vor und der Text sei so kompliziert geschrieben; Dort kam auch heraus, dass viele Kollegen darüber

außerdem würden sie gar nicht verstehen, warum unzufrieden sind, dass das Fach Deutsch ihrer An­

sie überhaupt solche langweiligen Texte lesen sicht nach zu wenig zum Lesen beisteuert. Viele
denken wie ich: Ich bin doch nicht der Hilfslehrer
müssten.
für Deutsch!
Zudem kommen dabei vor allem die M ig ra n te n ­
Auch im Internet findet man zum Leseverstehen
kinder' oft kaum über den ersten Satz hinaus. Sie
nichts Neues: entweder wissenschaftliche Abhand­
resignieren häufig schon bei den kleinsten sprach­
lungen, die keinen Lehrer interessieren und einem
lichen Schwierigkeiten oder beißen sich in sinnlo­
kein bisschen für den Unterricht weiterhelfen, oder
sen Bemühungen fest Und das Ende vom Lied:
altbekannte Strategien wie: Wichtiges unterstrei­
Sie lernen den Text auswendig, weil sie denken,
chen, m it Zeichen am Rand markieren, Zwischen­
dass sie ihn ohnehin nicht verstehen. Eigentlich ist
überschriften formulieren, Fragen an den Text stel­
das auch kein Wunder; denn oft haben sie Deutsch
len, Schlüsselwörter suchen, Kernaussagen formu­
bislang ohne jede systematische Grundlage gelernt.
lieren, usw. Da frag' ich mich: Wie sollen Lerner
Aber selbst wenn ich mich dann persönlich ein­ Schlüsselwörter finden, wenn sie den Text über­
schalte, das Lesen begleite und Hilfen anbiete, haupt nicht verstanden haben? Da müssten mal
passiert oft nur Folgendes: Die Lerner fragen mich Beispiele her, die zeigen, wie es funktioniert!"
nach dem, was sie nicht verstanden haben - und
dann kommen wir oft so weit vom Text weg, dass Muss das „Lesen im Fach“ tatsächlich so schwer und
ich mich frage, ob ich den Text nicht besser weg­ so frustrierend sein?
gelassen hätte. Aber vielleicht gehe ich es ja auch Vorweg gesagt: Das muss es nicht! Allerdings werden
falsch an oder es gibt bessere Methoden? beim Lesen mehrere ebenso komplexe wie unterschied­
Natürlich könnte ich die Texte auch einfach um­ liche Teilproblematiken berührt, die sowohl inhaltliche
schreiben. Aber das ist beispielsweise in Geschich­ als auch fachsprachliche oder in der Person der Lerner
te, meinem ersten Fach, nur begrenzt möglich, liegende Ursachen haben können.
denn „verfälschen" darf ich hier natürlich nichts. Das Lesen gelingt nachweislich immer dann besonders
Also was mache ich? Ich suche bessere Texte oder gut, wenn Lehrkräfte diese unterschiedlichen Problem­
schreibe selbst welche. Das ist enorm viel A rbeit kreise und ihre Ursachen kennen und es ihnen gelingt,
Das gilt auch für Sozialkunde, mein zweites Fach, diese bei der Vorbereitung und im Unterricht selbst
wo ich aktuelle Texte nehmen muss. Da habe ich gesondert zu behandeln und zu lösen.
dann die Qual der Wahl und suche stundenlang.
Die nachfolgenden Seiten bieten Lehrkräften eine Viel­
M i t Zeitungstexten klappt das allerdings inzw i­ zahl von Anregungen und fundierte Unterstützung bei
schen ganz gut, das haben wir im Unterricht oft der gezielten Förderung von sprachsprachen Lesern im
genug geübt M it abstrakteren oder anspruchsvol­ Fachunterricht.

Teil B 125
Grundlagenwissen

Fragen, die sich zu Frage 4: „ Wie geht man m it den besonderen Pro­
Lehrkräften stellen blemen von Lernern m it Zuwanderungs­
geschichte beim Lesen um?"
Die Schwierigkeiten mit dem Lesen im Fach betreffen
folgende Einzelaspekte: Diese Frage vertieft Frage 2 und behandelt die Proble­
matik der spezifischen Sprachförderung im Fach für
1. Warum tun sich Lerner generell beim Lesen von
Lerner mit Zuwanderungsgeschichte. Zwar kann es hier­
Sachtexten so schwer?
für angesichts der Vielzahl von Herkunftssprachen und
2. Welche Probleme haben insbesondere sprach- individuellen Lernerkonstellationen kein „Patentrezept"
schwache Lerner mit Texten im Fachunterricht? geben; die Ausführungen bieten Lehrkräften aber den­
3. Wie geht man mit „schlechten" Texten im noch wertvolle, direkt in die Unterrichtspraxis umsetz­
Unterricht um? bare methodisch-didaktische Hinweise und Hilfen.
4. Wie geht man mit den besonderen Problemen Die Ausführungen ab S. 127 („ Wodurch unterscheiden
von Lernern mit Zuwanderungsgeschichte beim sich gute und schlechte Leser?") leiten dabei in die spe­
Lesen um? zielle Problematik des Unterrichts mit sprachschwachen
5. Wie kann man einen Sachtext sinnvoll im Lernern ein. Der Folgeabschnitt (,, Welche spezifischen
Unterricht einsetzen? Probleme haben Lerner m it Zuwanderungsgeschich­
te?") baut darauf auf und gibt vertiefende Hinweise
6. Wie kann Lesekompetenz diagnostiziert werden?
zur Steigerung der Text- und Lesekompetenz sprach-
7. Welche Lesestrategien gibt es, was leisten sie schwacher Lerner (Beispiele/Übungen s. S. 146 ff.).
und wie können sie trainiert werden?
zu Frage 5: „ Wie kann man einen Sachtext sinnvoll
8. Wie sieht eine Zusammenarbeit der Fächer
im Unterricht einsetzen?"
zum Thema Lesen aus?
Diese Frage vertieft Frage 3 (bzw. die Ausführungen
Die Fragen 1 bis 3 betreffen Grundlagen; diese wurden
ab S. 121) und betrifft die konkrete Ausgestaltung
überwiegend bereits ab Seite 111 des Handbuchs
des Unterrichts. Dabei erläutern die S. 133 ff., welche
behandelt. Die Fragen 4 und 5 hingegen erfordern ver­
Bedeutung Leseprodukte sowie die Anschluss- und
tiefende Hinweise; diese enthalten neben zahlreichen
Begleitkommunikation für das Leseverstehen haben.
Anregungen zugleich eine Vielzahl beispielhafter Lösun­
Ab S. 135 („ Wie integriert man Sachtexte erfolgreich
gen. Alle Lösungsvorschläge stammen dabei aus der
in den Fachunterricht?) wird dann ausgeführt, welche
Unterrichtspraxis und haben sich dort bewährt. Sie wur­
Funktionen Sachtexte einnehmen können und welche
den aber für das vorliegende Werk so aufbereitet und
Konsequenzen sich daraus für den Einsatz ergeben.
weiterentwickelt, dass sie auch für den Fachunterricht
Dabei werden zugleich einige grundsätzliche Vorüber­
mit sprachschwachen Lernern dienlich sind.
legungen erläutert und Begriffe geklärt, z.B.:
zu Frage 1: „ Warum tun sich Lerner generell mit dem - Welche Lesesituationen kommen im
Lesen von Fachtexten so schwer?" Fachunterricht vor?
Diese Frage behandelt die Problematik, die sich aus der - Welche Leseprinzipien gelten für Sachtexte?
besonderen sprachlichen Struktur von Sachtexten ergibt
- Welche Lesestile, Leseabsichten und
(vgl. S. 4 6 f., 49 ff. sowie 116).
Lesetechniken (Lesearten) gibt es?
zu Frage 2: „ Welche Probleme haben insbesondere Die Fragen 6 und 7 zu den Themen Lesediagnostik und
sprachschwache Lerner mit Texten im Lesestrategien behandeln zentrale Bereiche der Lese­
Fachunterricht?" förderung. Sie werden ab S. 137 bzw. 5. 141 behandelt
Diese Frage behandelt die Problematik, warum gerade und betreffen die Leseförderung im engeren Sinne. Im
sprachschwache Lerner auf sprachsensiblen Fachunter­ Bereich der Diagnostik bietet dabei der (eigentlich für
richt angewiesen sind und welche Auswirkungen der die berufsbildenden Schulen entwickelte) „Baukasten
Aufbau von Lesekompetenz auf die Unterrichtsgestal­ Lesediagnose" auch den allgemeinbildenden Schulen
tung hat (vgl. S. 29 f. und S. 113 f.). wertvolle Unterstützung, vgl. S. 138 f.
Sämtliche Ausführungen werden durch umfangreiche
zu Frage 3: „ Wie geht man m i t ,schlechten' Texten
Erläuterungen und Beispiele zur Leseförderung von
im Unterricht um?"
sprachschwachen Lernern im Fach ergänzt (ab S. 144).
Diese Frage behandelt die Problematik, ob Sprachver­
einfachung ein probates M ittel zum Umgang mit zu Frage 8: „ Wie sieht eine Zusammenarbeit der
„schlechten" Texten darstellt und welche Anforde­ Fächer zum Thema Lesen aus?"
rungen hierbei bestehen (vgl. S. 32 f. und S. 121 f.). Bitte lesen Sie hierzu die Ausführungen ab S. 140
(„ Fächerübergreifende Koordination durch ein Curri­
culum zur Leseförderung").

Teil B
Grundlagenwissen

Wodurch unterscheiden sich keit. Lese-rechtschreibschwache Kinder stammen


gute und schwache Leser? häufig aus bildungsfernen Familien; dabei sind unter
den schwachen Lesern Jungen sowie Lerner mit
Die vielfach untersuchten Unterschiede zwischen guten
Migrationshintergrund überrepräsentiert (vgl. u.a.
und schwachen Lesern (vgl. Bundesministerium für Bil­
den Projektplan von „ProLesen. A uf dem Weg zur
dung und Forschung, 2007, S. 44) geben Hinweise,
Leseschule" , S. 9, 11).
wie eine Lehrkraft schwache und gute Leser unterschei­
den und durch gezielte Maßnahmen Lesestrategien und - Könnensbewusstsein: Leseschwache Lerner zeigten
Lesekompetenzen von sprachschwachen Lernern auf in Studien ein in Bezug auf das Lesen niedriges Selbst­
der Wort-, Satz- und Textebene schulen und üben kann. konzept und eine unterdurchschnittliche Lesemoti­
vation; dies wirkte sich negativ auf ihre Motivation
Danach unterscheiden sich schwache und gute Leser
insgesamt und auf ihr schulisches Selbstvertrauen
durch folgende Merkmale:
aus. Sie zeigten zudem ein vergleichsweise geringes
- Basale Wahrnehmungsprozesse: Die Untersuchung metakognitives Wissen und wussten wenig darüber,
der Blickbewegungsmuster beim Lesen ergab, dass wie man beim Lesen und Behalten von Texten am
schwache Leser einzelne Wörter länger fixieren und sinnvollsten vorgeht. Bei schwachen Lesern sind des­
ihre Blickbewegungen mehr Rücksprünge im Text halb sogenannte metakognitive Übungen, die das
aufweisen. Da sich das Leseverständnis dieser Lerner Selbstbewusstsein (Selbstkonzept) stärken, besonders
trotz entsprechender Trainings nicht verbesserte, wur­ wichtig (siehe dazu S. 138 f.).
de ein solches Blickbewegungsverhalten als charak­
teristisches Anzeichen für Verstehensprobleme auf
Welche spezifischen Probleme
hierarchiehöheren Verarbeitungsebenen gewertet.
haben Lerner mit Zuwanderungs­
- Worterkennung (lexikalischer Zugriff): Gute Leser
zeichnen sich durch einen schnellen, kontextunab­ geschichte beim Lesen?
hängigen Zugriff auf Wortbedeutungen aus. Sprach­
Grundlegende Probleme
schwache Lerner sollte die Lehrkraft deshalb durch
des Zweitspracherwerbs
entsprechende Übungen unterstützen.
„Deutschlandgehört zu den Staaten, in denen die
- Syntaktische und semantische Integration au f Satz­
potenzielle Risikogruppe schwacher und extrem
ebene: Gute Leser entschlüsseln die syntaktische
schwacher Leser relativ groß ist. Ihr Anteil an der
Struktur von Sätzen rasch. Auch bei der semantischen
Alterskohorte beträgt in Deutschland rund 23 Pro­
Integration einzelner Wörter zu Aussagen (Proposi­
zent. Als Risiko faktoren, die die Wahrscheinlichkeit
tionen = elementare Prädikat-Argument-Strukturen)
der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe erhöhen, er­
sind sie schneller. Gezielte Leseübungen können diese
weisen sich niedrige Sozialschicht, niedriges Bil­
Kompetenzen auch bei sprachschwachen Lernern ent­
wickeln helfen. dungsniveau und Migrationshintergrund der Her­
kunftsfamilie sowie männliches Geschlecht.“
- Arbeitsgedächtniskapazität: Schwächere Leser neigen
(Deutsches PISA-Konsortium, 2001, S. 401).
zum innerlich „lauten" Lesen. Damit versuchen sie,
Defizite im Bereich des verbalen Kurzzeit- bzw. Diese Aussage der ersten PISA-Studie aus dem Jahre
Arbeitsgedächtnisses auszugleichen. In diesem Fall 2000 war ebenso eindeutig wie niederschmetternd; sie
sollte die Lehrkraft Übungen zur Steigerung der Kapa­ hatte eine Vielzahl ernsthafter Bemühungen zur Stei­
zität des Arbeitsgedächtnisses anbieten. gerung der Lesekompetenz zur Folge. Demzufolge
- Inhaltliches Vorwissen: Für das Leseverstehen ist es konnte die dritte PISA-Studie aus dem Jahre 2006
(Deutsches PISA-Konsortium, 2006) denn auch erfreu­
von großer Bedeutung, ob Lerner inhaltlich relevan­
tes Vorwissen mitbringen oder nicht, da sie damit licherweise feststellen, bei der Lesekompetenz habe
„die Steigung des sozialen Gradienten abgenommen"
schlechte Lesefähigkeiten zumindest zum Teil kom­
(ebd. S. 17). Dies sei aber nicht in allen Bundesländern
pensieren können (vgl. S. 114 und 138). Die Lehrkraft
sollte deshalb inhaltliche Übungen zum Themenbe­ in der gleichen Stärke der Fall, weshalb die Länderver­
reich anbieten, die das Vorwissen aktivieren und so gleichsstudie eindringlich „ [...] große und flächen­
das Leseverstehen dieser Lerner fördern. deckende Anstrengungen zur Verbesserung der Lese­
kompetenz in den Ländern" forderte (ebd. S. 19).
- Unterschiede beim Schriftspracherwerb: Längs­
schnittstudien zufolge sind die Unterschiede zwischen Diese Anstrengungen haben besonders den Lernern
guten und schwachen Lesern bereits in der Phase mit Migrationshintergrund zu gelten. Denn bei ihnen
des Schriftspracherwerbs offensichtlich. So zeigen wird das Leseverstehen durch spezifische Hürden
lese-rechtschreibschwache Kinder eine vergleichswei­ erschwert, die aus grundlegenden Problemen des Zweit­
se geringer ausgeprägte verbale Intelligenz sowie ein spracherwerbs resultieren (vgl. S. 24 ff., 60 ff., 76):
niedrigeres Niveau in Bezug auf die Bewusstheit in - Interferenzen der Erst- und Zweitsprache
der Aussprache und der sprachlichen Analysefähig­ auf der Ebene des Wortschatzes;

Teil B
127
Grundlagenwissen

- ein geringer Umfang des Wortschatzes; - bei der schriftlichen Reproduktion von Texten:
- eine geringe Vertrautheit mit linguistischen Probleme m it der sprachlichen Richtigkeit (s.o.).
Strukturen der Zweitsprache; Diese sprachlichen Probleme der Lerner haben nicht
- Spezifikader Lebens- und Erfahrungswelten; nur großen Einfluss auf den Unterrichtsablauf; sie kön­
- eine geringe Vertrautheit mit spezifischen nen die erfolgreiche Vermittlung des Fachs sogar kom­
Textstrukturen; plett verhindern. Gleichzeitig ergeben sich aus ihnen
- soziale Milieubedingungen und Förderung weitere Komplikationen für die Lehrkraft, so z.B.
von Kulturtechniken. - die Verlangsamung des Unterrichtstempos;

Zudem haben diese Lerner deshalb Probleme beim - die Notwendigkeit zur intensiveren
Lesen, da bei ihnen meist große Unterschiede zwischen Vorbereitung des Unterrichtsablaufs;
der allgemeinen mündlichen und der schriftlichen Kom­ - die Notwendigkeit zur Beigabe binnen­
petenz bestehen und sie häufig im deutschen Sprachbad differenzierender sprachlicher Hilfen.
„ertränkt" wurden (Submersion, vgl. S. 54 f. und S. 60
Eine Fachlehrkraft, die sich den Problemen stellen will,
ff.). Es verwundert deshalb nicht, dass Lerner mit Migra­
muss deshalb den Unterricht anders als bisher gestal­
tionshintergrund oft bereits mit Texten erhebliche
ten - obwohl die Ursache eigentlich in Sprachproblemen
Schwierigkeiten haben, die nur geringfügig über ein
begründet ist. Hierbei hat sich folgende Vorgehensweise
alltagssprachliches Niveau hinausgehen. bewährt:
Will man Lerner mit Zuwanderungsgeschichte motivie­ - Verlangsamung des Unterrichtstempos berücksichti­
ren, sich überhaupt einmal länger mit einem Text zu gen: Lerner mit Zuwanderungsgeschichte lesen erheb­
beschäftigen und nicht gleich zu resignieren, muss man lich langsameres muttersprachige Leser; die Lehrkraft
ihnen spezielle, teils regelrecht elementare Übungen muss deshalb mehr Zeit einplanen, damit auch diese
an die Hand geben. Diese Übungen haben zum Ziel, Lerner die Chance haben, den Text zu verstehen und
- den Verstehensprozess zu begleiten; entsprechende Erschließungshilfen anbieten (vgl. S.
1 1 3 /M o d ell des doppelt zyklischen Leseprozesses).
- die Lerner an den Text heranzuführen;
- sie einfache Suchaufträge im Text - Zeit für Wortklärungen vorsehen: Mehrfachbedeu­
absolvieren zu lassen; tungen von Worten sind Lernern mit Zuwanderungs­
geschichte häufig entweder nicht bekannt oder nicht
- sie mit der Textstruktur vertraut zu machen;
bewusst (z.B. Schloss = Schließanlage bzw. Bauwerk);
- sie an Satzstrukturen zu gewöhnen; sie verstehen deshalb auch Anspielungen und W ort­
- ein Textverständnis aufzubauen. spiele entweder nicht oder falsch.
- Sprachliche Komplexität reduzieren: Die deutsche
Spezifische Probleme
Sprache ermöglicht eine Vielzahl sehr komplexer
beim Lesen und Wiedergeben
Konstrukte, die sich auf Einzelbegriffe (z.B. Kompo­
von Sachtexten sita, Verben mit Vorsilben, substantivierte Infinitive)
Wie Erfahrungen aus dem Unterricht zeigen, haben oder ganze Sätze beziehen können und gerade für
Lerner zwar generell mit dem Lesen von Sachtexten Lerner mit Zuwanderungsgeschichte große Verständ­
und der Wiedergabe dieser Texte (sog. Textproduktion) nishürden darstellen (z.B. Magnetfeldmessgerät, ent­
Probleme. Für Lerner mit Zuwanderungsgeschichte gegenstellen, das Eintauchen des Körpers ...).
(sowie für sprachschwache muttersprachig deutsche - Umfänge durch optische Gliederung reduzieren: Ler­
Lerner, vor allem an Haupt- und Realschulen) gilt dies ner mit Zuwanderungsgeschichte sind von größeren
jedoch besonders (nur in unterschiedlichem Umfang). Textumfängen schnell überfordert.
Lerner mit Migrationshintergrund haben in diesen - Kognitives Wissen fördern: Lerner mit Zuwande­
Unterrichtskonstellationen ganz spezifische Probleme: rungsgeschichte bringen oft zu wenig Vorwissen oder
kulturelles Wissen mit, um den Text verstehen oder
- beim Verstehen von Texten: Probleme mit der sprach­ dem Unterricht folgen zu können. Unterstützt man
lichen Komplexität (Beispiel: Verständnisprobleme
sie gezielt durch Lern- bzw. Lesehilfen dabei, das er­
bei komplexen Texten und Hörtexten, insbesondere forderliche Wissen aufzubauen, werden sie Texte bes­
infolge fehlenden Wortschatzes; damit einhergehend: ser bewältigen können.
undifferenzierte Ausdrucksweise ...);
- Schwellenangst abbauen: Lerner mit Zuwanderungs­
- bei der (mündlichen) Wiedergabe von Texten: Pro­ geschichte scheuen das laute Vorlesen. Dies gilt erst
bleme mit dem Sprachfluss (Beispiele: abgehacktes recht für das freie Sprechen über den Text, da sich
Sprechen und Lesen, Aussprachefehler, Ausdrucks­ die Lerner der Fehlerhaftigkeit ihrer Ausdrucksweise
not ...) und Probleme m it der sprachlichen Richtig­ bewusst sind und Angst haben, sich vor der Klasse
keit (Beispiele: falsche Artikel, falscher Plural, Dativ­ durch fehlerhafte Aussprache oder sprachlich falsche
fehler, fehlende oder falsche Modalverben ...); Sätze zu blamieren.

128 Teil B
Grundlagenwissen

Lehrkräfte, die Sachtexte im Unterricht einsetzen möch­ rungen zur Förderung der Lesekompetenz durch meta­
te, sollten deshalb nicht nur darum wissen, wie Text- kognitives Training folgen auf 5. 138 ff.
und Lesekompetenz entsteht. Sie sollten vielmehr auch
Der Kompetenzaufbau auf der Ebene der Anschluss-
wissen, wie Lesekompetenz aufgebaut werden kann,
und Begleitkommunikation ist die Domäne des Fach­
da sonst keine gezielte Leseförderung möglich ist.
unterrichts. Dabei lassen sich nachweislich besonders
große Erfolge erzielen, wenn die Lektüre von Sachtex­
Wie wird Lesekompetenz ten passend in den (Fach-)Unterricht integriert wird.
für Sachtexte aufgebaut? Allerdings erfolgt diese Integration derzeit noch nicht
optimal; infolgedessen wird hier noch viel Potenzial
Lesekompetenz befähigt Personen dazu, text- und lese­
verschenkt (siehe 5. 134 f., „ Begleitkommunikation ").
bezogene Anforderungen erfolgreich zu bewältigen,
vgl. S. 112. In diesem Zusammenhang sei aber noch­ Der Kompetenzaufbau auf der Ebene der Motivation
mals daran erinnert, dass es „d ie" Lesekompetenz ist ebenfalls von großer Bedeutung. Denn mit jeder
eigentlich nicht gibt. Lesekompetenz wächst vielmehr schulischen Aufgabenstellung sind Erfolgs- bzw. Miss­
auf verschiedenen Ebenen und dort wiederum unter­ erfolgserlebnisse verbunden. Es ist deshalb wichtig und
schiedlich an; zudem unterliegt sie zahlreichen Einfluss­ vordringlich, beim Lesen von Sachtexten das Könnens­
faktoren, die in der Person des Lesers oder auf Seiten bewusstsein der Leser positiv zu entwickeln.
des Textes liegen können (vgl. 5. 114).
Könnensbewusstsein entsteht ausschließlich durch
Dies wirkt sich auf die Förderung der Lesekompetenz Erfolge beim verstehenden Lesen. Will eine Lehrkraft
aus. Diese kann auf fünf Ebenen aufgebaut werden: ihren Lernern diese Erfolge ermöglichen, muss sie
Leseaufgaben stellen, die auf dem passenden Anfor­
1. auf der Wort-, Satz- und Textebene
derungsniveau ansetzen, Interesse wecken und zudem
(vgl. S. 117 ff.);
ein passendes Problempotenzial entfalten.
2. auf der Strategieebene (vgl. unten/S. 129 ff.);
3. auf der Ebene der Anschluss- und
Wie wird Lesekompetenz
Begleitkommunikation (vgl. S. 133 ff.);
auf der Strategieebene
4. auf der Ebene der Metakognition und
Verstehensüberwachung (vgl. S. 138 ff.); aufgebaut?
5. auf der Ebene der Motivation. Die größte Bedeutung im schulischen Unterricht nimmt
der Kompetenzaufbau auf Strategieebene ein. Die Be­
Der Kompetenzaufbau a u f der Ebene der Metakogni­ deutung des schulischen Strategielernens wird durch
tion und Verstehensüberwachung gewinnt an Bedeu­ verschiedene Studien untermauert.
tung, seit festgestellt wurde, dass sich schwache und
gute Leser in ihren Gedanken und Vorgehensweisen Untersuchungen zufolge (vgl. Bundesministerium für
sehr unterscheiden, wenn es um die internen Prozesse Bildung und Forschung 2007, S. 38) bauen Lerner

geht, die bei ihnen vor, beim und nach dem Lesen beim Lernen zunächst spezifisches inhaltliches Wissen
ablaufen. Dies hängt damit zusammen, dass für das und erst danach ein (anfangs noch spezifisches) Stra­
verstehende Lesen sowohl kognitive als auch metako­ tegiewissen auf. Diese - zunächst „domänenspezifisch",
gnitive Strategien benötigt werden und diese internen vgl. S. 776-erworbenen Einzelstrategien konnten von

Prozesse in unterschiedlichen Gedächtnissystemen statt­ ihnen aber erst dann allgemeiner und flexibler genutzt
finden (vgl. S. 56 ff.). Dabei ist das (lesespezifische) werden, wenn sie wiederholt auch in anderen Kontex­
ten angewendet wurden.
deklarative Metagedächtnis für das bewusste, verbali-
sierbare Wissen über angemessene Vorgehensweisen Der Transfer von Lesestrategien kann durch Üben er­
beim Lesen und Verarbeiten von Texten zuständig; das höht werden. Ein solches Strategielernen unter spezifi­
(lesespezifische) prozedurale Metagedächtnis hingegen scher Anleitung verbessert und unterstützt zugleich
für das Überwachen und die Steuerung des Lesepro­ nachhaltig die Effektivität. Dafür ist erforderlich, beste­
zesses bei einer aktuellen Leseaufgabe. hende und ggf. ungeeignete Strategien durch bessere
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge verbessern zu ersetzen und dann auch nachhaltig zu üben.
sich beide Gedächtnissysteme erst im Laufe der späten Kompetenzaufbau auf der Strategieebene ist nur mit
Kindheit und im frühen Jugendalter deutlich, vgl. S. 57. einem entsprechenden Übungsaufwand zu erreichen.
Diese Verbesserung wird auf die spezifischen Anforde­ Dabei können jedoch selbst Lerner mit Zuwanderungs­
rungen der Schule zurückgeführt, bei denen der Ge­ geschichte häufig die hierfür von der Fachlehrkraft
dächtnisaktivität und besonders dem genauen Erinnern angebotenen Lesehilfen und Lesestrategien nicht im
eine besondere Bedeutung zukommt. Die Untersu­ gewünschten Maße nutzen, weil sie bereits vorher
chungsergebnisse unterstreichen somit die Bedeutung „stolpern". Für diese Gruppe sind deshalb Vorentlas­
der Bildungssprache und die damit verbundene Ent­ tungen und einfache zusätzliche Leseübungen im Vor­
wicklung des CALP-Bereiches (vgl. S. 62 ff.). Ausfüh­ feld besonders wichtig. Gleichzeitig schulen derartige

Teil B 129
Grundlagenwissen

Übungen die Fähigkeit der Lerner, (bestimmte) Text­ Lesestrategien


merkmale überhaupt wahrzunehmen; zugleich erhöhen Vorweg gesagt: „Die" eine Lesestrategie für alle Tex­
sie ihre Motivation, sich überhaupt einmal längere Zeit te und über alle Fächer hinweg gibt es nicht. Die Lehr­
mit einem Text zu befassen. kraft sollte deshalb den Lernern eine für den jeweiligen
Sachtext geeignete Lesestrategie empfehlen, um ihnen
Die nachfolgenden Ausführungen fassen wichtige
den Zugang zum Text zu erleichtern.
grundsätzliche Überlegungen zusammen. Sie sollen
der Lehrkraft helfen, die Lesekompetenz ihrer Lerner In der Tabelle unten sind zahlreiche Strategien zusam­
angemessen zu diagnostizieren und dem Sprachstand mengetragen, die sich bei der Erschließung von Sach­
angemessene Sachtexte in den Unterricht zu integrie­ texten bewährt haben. Welche Strategie die Lehrkraft
ren. Konkrete Beispiele und Übungen zur Leseförderung dann im Einzelfall einsetzt bzw. den Lernern einzusetzen
für Lerner mit Zuwanderungsgeschichte finden sich auf rät, wird vornehmlich durch den didaktischen Zweck
S. 144, Beispiele zu den Lesestrategien auf S. 146 ff. bestimmt, der mit dem Sachtext erzielt werden soll.

Ein Überblick ül>er wichtige Lesestrategien


j ■ . . ' nacn ucr lexirezcpuun
M A /U y l/v r T o v f K O T O n f i/S n
vor der Textrezeption 2 ^ ä h re n d der Textrezeption
- —fttii ®

erarbeitende • das Vorwissen aktivieren Die 10 Lesestrategien • eine Anschlusskom­


Strategien (z.B. im Gespräch, durch (siehe 5. 142 f.) munikation im Plenum
ß _-:r - M S ® ffl Mind-Map, Begriffsnetz) veranlassen
• Fragen zum Text
i S Ä S S M i • Vermutungen über den beantworten • (das Gelesene) zum
j- 1 Textinhalt anhand der Weiterlernen nutzen
~ • Fragen an den Text stellen
•• - - ■ Überschrift, der Textsorte, • weiterführende Fragen
• Textteile kategorisieren
des Kontextes äußern notieren
und den Text sinnvoll
strukturieren • den Text bewerten
.'\r ■'■.'g ''-' V • den Text mit dem Bild lesen • den Text mit anderen
Texten bzw. Informa­
• (Fach-)Begriffe farbig
■ : ■ ' •Ä tionen aus anderen
markieren
Quellen vergleichen
; r • den Text in eine an­
1S P S 2 P B dere Darstellungsform
1 1 übertragen
--' 1 • den Text expandieren
• verschiedene Texte zum
i i l l | ä ä |h Thema vergleichen
■ ■■ \ • Schlüsselwörter suchen und
den Text zusammenfassen
• das Fünf-Phasen-Schema
i : ■ | ; anwenden

markierendef • Textstellen hervorheben • zusammenfassende


ordnende, • Textstellen unterstreichen Notizen machen
organisierende • Schlüsselwörter markieren • eine Stichwortliste
Strategien erstellen
• (den Text) in Abschnitte
gliedern • exzerpieren
• Teil- bzw. Zwischenüber­ • eine Zusammen­
schriften formulieren fassung/Inhalts­
angabe schreiben
S i l l « ® • Kernaussagen oder
■■ Oberbegriffe formulieren
• Verknüpfungen von
Informationen (z.B. durch
. Zeichnen von Verbin­
dungslinien) markieren

Teil B
130
Grundlagenwissen

Ein Überblick über wichtige Lesestrategien (Forts.) -

_■ ' ftp vor der Textrezeption während der Textrezeption naclr der Textrezeption _

wiederholende • mehrmaliges Lesen • abschreiben


Strategien • Informationen/Text­ • herausschreiben
abschnitte sinngemäß (z.B. wesentlicher
wiedergeben Textstellen)
• memorieren/leises
und lautes Wiederholen
• Memotechniken
anwenden
• Stichworte aus dem
Gedächtnis notieren
• Fragen beantworten
• eine Skizze (aus dem
Gedächtnis) anfertigen

metakognitive • die Lese-Intention • die zweck- und text­


Strategien festlegen angemessene Lese­
• Erwartungen an den technik festlegen
Text formulieren • das Textverständnis
• sich das Vorwissen laufend überprüfen
sowie etwaige Infor­ • Ursachen für Verständ­
mationslücken nisprobleme klären
■ ’ ''Ti % bewusst machen • Lesegeschwindigkeit
• Zeit- und Arbeits­ und die Nutzung von
planung erstellen Hilfsmitteln (z.B. Nach­
schlagewerke) an die
Textschwierigkeit
:■ . ■ -:- an passen
• die Aufmerksamkeit
steuern
. . • • .

affektive und • eine Lese-Intention • die Leseaktivität und


motivatiönale aufbauen die Aufmerksamkeit
Strategien • eine geeignete aufrechterhalten
Lesesituation/ • gegen Störungen
' . • ; ■' ;•. •••..• J
-atmosphäre abschirmen
aufbauen • die Leseatmosphäre
...• .. .. •: • sichern
■ h • bei Leseschwierig­
keiten die Selbst­
motivation stärken
• sich die Emotionen
beim Lesen bewusst
. I' . ;. - - . machen
-. - • Selbstwirksamkeits-
überzeugungen bezüg­
lich des Lesens bzw.
-r%1~J5 Hi | Lernens aufbauen
V' . . •i
abgeändert nach: Kunze, 2007, S. 7

Teil B 131
Grundlagenwissen

Grundlage für die Empfehlung einer Strategie sollten Diese Leseprinzipien machen zugleich deutlich, welche
deshalb einerseits die /.eseprinzipien und andererseits zentrale Bedeutung die unterschiedlichen Aspekte für
die didaktischen Prinzipien sein (vgl. Kästen unten und das Leseverstehen einnehmen. Sie werden deshalb
aufS. 133). Beide leiten sich aus der modellhaften Ver­ nachfolgend ausführlicher erläutert:
anschaulichung des Leseprozesses und aus den Über­
- Eigenständige Auseinandersetzung
legungen zum Aufbau der Lesekompetenz ab (vgl. S.
113); ein Umsetzungsbeispiel findet sich auf S. 136. Kompetenzen zeigt und lernt man durch Handeln,
vgl. S. 69 ff. Dabei wird der Leser durch gute Auf­
Leseprinzipien gaben und geeignete Lesestrategien zur eigenstän­
Beim Aufbau der Lesekompetenz in Bezug auf Sach­ digen Bearbeitung des Textes angeleitet und kann so
texte im Fachunterricht muss die Lehrkraft fünf zen­ Lesekompetenz aufbauen. Es reicht somit nicht aus,
trale Leseprinzipien berücksichtigen. Andernfalls besteht einen Sachtext nur zu lesen; der Leser muss sich mit­
die Gefahr, dass sämtliche sich an das Lesen anschlie­ tels entsprechender Aufgaben vielmehr eigenständig
ßende Bemühungen ohne Erfolg bleiben. daran „abarbeiten".

Beim kompetenzorientierten Lehr-Lern-Modell, dem - Verstehensinseln


das vorliegende Handbuch folgt (vgl. S. 77 f.), wird Eine Texterschließung, die von dem ausgeht, was
vom Lerner aus gedacht. Folglich muss auch bei der schon verstanden wird, wird durch Fachtexte begüns­
Vorbereitung des Lesens nicht der Lehrprozess, sondern tigt, denn in jedem Fachtext gibt es sogenannte
der Lernprozess im Vordergrund stehen. Die fünf Lese­ „Inseln des Verstehens" bzw. „Verstehensinseln".
prinzipien lauten wie folgt: Dies sind Textteile, die von den Lesern bereits ver­
- Prinzip der eigenständigen Auseinandersetzung standen werden, aber umgeben sind von Textteilen,
die ihnen noch unverständlich erscheinen. Die Unter­
- Prinzip der Verstehensinseln
stützung des Leseverstehens besteht darin, ausge­
- Prinzip der zyklischen Bearbeitung
hend von den „Verstehensinseln" das noch Unver­
- Prinzip des Leseprodukts standene verständlich zu machen.
- Prinzip der Anschluss- und Begleitkommunikation. Häufig stellen bereits bekannte Fachbegriffe (Fach­
nomen, Fachverben, Fachadverbien) solche Verste­
hensinseln dar; allerdings sind gerade diese oft auch
„Abgründe im Meer des Nichtverstehens". Die Lehr­
5 Leseprinzipien kraft muss folglich prüfen, ob der Anteil bekannter
Begriffe ausreichend hoch ist, um als Verstehensinseln
zu dienen; andernfalls muss sie den Lernern entspre­
chende Hilfen zur Vorentlastung bereitstellen.
Der Leser wird durch geeignete Lesestrategien ünc
gute Aufgabenstellungen zur eigenständigen Beärbei: - Zyklische Bearbeitung
(Wechsel der Darstellungsform)
Dieses Prinzip erweitert das Prinzip der eigenständi­
- Prinzip der Verstehensinseln
gen Auseinandersetzung. Es wird umgesetzt, indem
Die Texterschließung geht von dem aus, was schon der Leser mit jeweils unterschiedlichen (also immer
verstanden; wird (sogenannte Verstehensinseln), und anderen) Aufträgen in Zyklen zur erfolgreichen pro­
fragt nicht umgekehrt zuerst nach dem, was noch nicht duktiven Bearbeitung des Textes angeleitet wird.
Als besonders geeignet zur Unterstützung des Lese­
verstehens hat sich dabei die „Übertragung des Sach­
verhalts in eine andere Darstellungsform" erwiesen
zur erfolgreichen produktiven Bearbeitung des Textes (vgl. S. 33 und 1 4 2 /Lesestrategie 6). Lesestrategie 6
fördert das zyklische und reziproke Lesen, indem sie
den Leser dazu anhält, von einer anderen Seite an
den Text heranzugehen und so das Textverständnis
Der Leser erzeugt beim Lesen ein Leseprodukt, z.B. aus- oder ggf. ein neues aufzubauen. Da sie den
durch Umwandlung in eine andere Darstellungsform. Leser in besonderem Maße zur aktiven und eigen­
ständigen Auseinandersetzung mit dem Text heraus­
Prinzip der Anschluss- un d fordert, ist sie so wichtig, dass ihr zugleich der Rang
eines Leseprinzips zukommt.
Das Textverständnis wird durch eine Anschluss- und Der produktive Umgang mit Texten im Unterricht
Begleitkommunikation im Unterricht überwacht und umfasst aber nicht nur die Wiedergabe von gelesenen
Texten, sondern auch die sich an das Lesen ggf.
anschließende (eigenständige) Produktion eines

132 Teil B
Grundlagenwissen

neuen Textes. Diese Textproduktion kann mündlich Die Übertragung des Sachverhalts in eine andere
oder schriftlich und in einer Vielzahl von Darstel­ Darstellungsform bietet der Lehrkraft ein großes
lungsformen erfolgen. Potenzial an Möglichkeiten, um gerade sprachschwa­
che Leser bei Bedarf durch eine Vielzahl ergänzender
Wie ein solches Verfahren abläuft, ist schematisch in
Hilfen angemessen und binnendifferenziert zu unter­
der untenstehenden Abbildung dargestellt. Bei der
stützen.
Textproduktion durch Übertragung eines Sachverhalts
in eine andere Darstellungsform gibt die Lehrkraft - Leseprodukte
den Lernern einen Text 7, den diese in der Bearbei­ Sachtexte nehmen im Lernprozess eine Schlüsselrolle
tung in eine andere Darstellungsform übertragen sol­ ein. Denn anhand von Texten setzen sich Lerner zum
len. Mithilfe dieser neuen Darstellungsform erstel­ einen gezielt mit bestimmten Sachverhalten ausei­
len die Lerner dann einen eigenen Text 2, ohne da­ nander, zum anderen erhalten sie durch die Texte
bei auf den ursprünglichen Text 7 zurückzugreifen neuen „Input", der ein Weiterlernen eröffnet. Lese­
(vgl. die hell- und dunkelgrauen Pfeile in der Abbil­ aufgaben mit eingebundenen Lesestrategien leiten
dung). dazu an und lenken den Lernprozess.

Teil B 133
Grundlagenwissen

Leseprodukte haben mehrere Funktionen. Diese kön- Um zu überprüfen, ob bzw. inwieweit die Lerner den
nene sowohl dem Lerner als auch der Lehrkraft zu­ Inhalt des Textes verstanden haben, muss die Lehr­
gute kommen: kraft den Leseprozess diagnostizieren und auswerten.
• Intensive Beschäftigung: Wenn ein Leseprodukt Leseprozesse werden durch Leseaufgaben auswert­
erstellt werden muss, so beschäftigen sich die Ler­ bar, die - z.B. durch einen Wechsel der Darstellungs­
ner intensiver und eingehender mit dem Text. form - zu einem Leseprodukt führen. Daraus folgt:
Leseaufgaben führen zu einem Leseprodukt, das der
• Textumwälzung: Der Text wird durch eine entspre­
Lehrkraft Rückschlüsse auf die Lesekompetenz des
chende Aufgabenstellung mehrfach umgewälzt und
Lerners ermöglicht. Leseprodukte nehmen deshalb
mit verschiedenen Aufträgen aus verschiedenen
im Lernprozess mit Sachtexten eine Schlüsselrolle
Perspektiven angegangen.
ein.
• Diagnoseinstrument: Das Leseprodukt ist die sicht­
Allerdings machen Lehrkräfte dabei oft die Erfahrung,
bare und damit auswertbare Seite des Lesepro­
dass Lerner im Leseprozess stecken bleiben oder Texte
zesses und ist damit ein diagnostisches Instrument,
nur teilweise nutzen können. Der Grund: Lesepro­
an dem die Lehrkraft den Stand der Lesekompe­
bleme sind so individuell wie das Lesen selbst; sie
tenz erkennen kann.
bedürfen demnach immer einer individuellen Diag­
• Anschlusskommunikation: Das in Einzel- oder in nose durch die Lehrkraft.
Gruppenarbeit erstellte Leseprodukt muss im Ple­
num kommuniziert, verglichen, ausgewertet und - Anschluss- und Begleitkom m unikation
bewertet werden. Leseprodukte sind ideale Instru­ Texte ermöglichen unterschiedliche Formen der Kom­
mente, um eine Anschlusskommunikation zu ini­ munikation im Zusammenhang mit der Textlektüre;
tiieren. diese kann geplant oder ungeplant, formell oder infor­
mell erfolgen.
Die Anschluss- und Begleitkommunikation im Unter­
richt dient vorrangig dazu, das Textverständnis bei
7 didaktische Prinzipien den Lernern zu kontrollieren und zu überwachen.
Gerade sprachschwache Lerner brauchen dafür im
Prinzip der Einbindung
Unterricht Anstoß und Unterstützung.
Die Lehrkraft sollte den Textinhalt sinnstiftend in
Gutes Beispiel für Begleitkommunikation im Kindes­
den Ünterrichtskontext einbiriden.
alter sind die Gespräche zwischen Eltern und Kindern
Prinzip der Aktivierung beim Betrachten oder Vorlesen eines Bilder- oder Kin­
derbuches. Ein Beispiel für informelle Anschlusskom­
Die Lehrkraft sollte das Vorwissen der Lerner durch
munikation wäre, wenn sich jugendliche Leser über
Vorübungen und Wiederholungsphasen aktivieren.
ein Buch in ihrer Gruppe austauschen, ein Beispiel
Prinzip der Verbalisierung
für formelle Anschlusskommunikation das von der
Lehrkraft geleitete Unterrichtsgespräch über den Text.
Die Lehrkraft sollte die Erstrezeption dadurch ein­
Anschlusskommunikation kann Unterhaltung und
leiten, dass die Lerner verbalisieren, was schon
ein Genusserlebnis sein; sie trägt in jedem Fall zur
Steigerung und Stabilisierung der Leseintensität und
-motivation bei. Dies gilt insbesondere für literarische
Texte und solche, die im Interessenbereich der Leser
Die Lehrkraft sollte durch gezielte Leseaufträge
liegen.
zur Detailrezeption anleiten.
Die informelle Anschlusskommunikation zu Sachtex­
ten findet in der Regel in Gruppen von Lesern statt,
die sich für ein gemeinsames Thema oder Hobby
Die Lehrkraft sollte das Verständnis der Lerner durch
interessieren, z.B. Computer, Sport, Fotografie etc.
Fragen oder Austausch in der Gruppe überprüfen.
Diese Kommunikation bewegt sich innerhalb eines
kleinen abgeschlossenen Kreises und wird oftmals
Prinzip der Kontextualisierung
auf einem hohen Expertenniveau geführt.
Die Lehrkraft sollte den Text in relevante Kontexte
Die Anschluss- und Begleitkommunikation zu einem
Sachtext im Unterricht richtet sich an alle lesenden
Lerner der Klasse. Sie hat die Funktion, den Verste­
Prinzip der Eigenerstellung
hensprozess zu unterstützen und zu vertiefen.
Die Lehrkraft sollte die Lerner dazu motivieren und
Der Unterricht in deutschen Schulen wird jedoch nach
anleiten, einen eigenen Text zu erstellen, und ihnen
wie vor durch ein Unterrichtsgespräch dominiert,
hierfür ggf. entsprechende Hilfen an die Hand geben
das vornehmlich der Erarbeitung von Sachverhalten
dient. Das aber bedeutet, dass die Anschluss- und

134 Teil B
Grundlagenwissen

Begleitkommunikation vornehmlich im Stil des fra- Wie integriert man


gend-erarbeitenden Unterrichtsgesprächs erfolgt und
Sachtexte erfolgreich
somit eher lehrer- als lernerzentriert ist.
in den Fachunterricht?
An einem derartigen Unterrichts„gespräch" beteiligen
sich zudem meist nur die leistungsstarken Lerner (oder Will die Lehrkraft bei den Lernern Lesekompetenz in
solche, die gerne kommunizieren); demnach „profi­ Bezug auf Sachtexte im Fachunterricht aufbauen, muss
tieren" auch überwiegend nur sie davon. Darüber sie nicht nur den Unterricht entlang der Leseprinzipien
hinaus schafft das fragend-erarbeitende Unterrichts­ gestalten. Sie muss vielmehr auch wissen, welche unter­
gespräch häufig zu wenig Verbindlichkeit, da die schiedlichen Funktionen Sachtexte einnehmen können
Ergebnisse entweder nicht systematisch oder nicht und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.
oft genug kontrolliert werden.
Sachtexte sind in erster Linie Arbeitstexte und Pflicht­
lektüre. Sie werden im Unterrichtzu vielen verschiede­
Fazit nen Anlässen eingesetzt, so beispielsweise:
- als Informationsquelle;
Fragend-erarbeitende Ünterrichtsgespräche im
Fachunterricht nutzen daher nur einen Teil der
- als Grundlage für Aufgaben;
Optionen, die Unterrichtsgespräche vom Grund­ - als Hausaufgabe;
satz her bieten. Unterrichtsgespräche; stellen aber - zur Wiederholung oder zur Nachbereitung.
ein wertvolles Instrument zur Förderung der Sprach- •
Da sich aber - je nach Lesesituation - auch die zuge­
aktivität aller Lerner im Fach dar. .Gerade im Fach­
hörigen Lesestile und Leseabsichten unterscheiden (vgl.
unterricht sind der Austausch und das Sprechen
hierzu auch Staatliches Studienseminar Koblenz, 2009),
über Sachtexte in Form von Unterrichtsgesprächen
dürfen Sachtexte nicht „einfach so", also ungezielt und
unerlässlich.
unvorbereitet, im Unterricht eingesetzt werden. Eine
Leider wird zudem häufig zu frühzeitig und vor­
Lehrkraft, die die nachfolgenden Empfehlungen umfas­
schnell im Plenum über deri Sachtext bzw. über
send nutzen möchte, muss folglich die unterschiedlichen
dessen Inhalte gesprochen - mit der Folge, dass /
Lesesituationen sowie die zugehörigen Lesestile, Lese­
sich insbesondere sprachschwache Lerner noch nicht
absichten und Lesetechniken kennen.
hinreichend selbstständig mit dem Sachtext ausei-
riandersetzen konnten.
Lesesituationen
Damit auch diese Lerner am Unterrichtsgespräch
Lesesituationen im Unterricht sind Situationen, in denen
teilnehmen können, sollten solche Gespräche erst
Sachtexte mit einer spezifischen Absicht eingesetzt wer­
im Anschluss an eine intensive Eigenlektüre und
den. Folgende Lesesituationen treten im Fachunterricht
erst nach einer Aufgabenbearbeitung am Sachtext
besonders häufig auf:
erfolgen. Denn Leseverstehen und Textverständnis
setzen immer eine mehrmalige Beschäftigung mit - Informationssuche durch selektives Lesen: Die Ler­
dem Text voraus, vg/: -Sr 113, 727. Gerade sprach- ; ner suchen gezielt Informationen aus einem Abschnitt
schwache Lerner benötigen h ie r-g g f. erhebliche- im Lehrbuch heraus, die sie in der nachfolgenden
' sprachliche Unterstützung im Vorfeld, damit sie von Unterrichtsphase nutzen.
den Texten nicht übetrfordert werden. - Inhaltsverstehen durch intensives Lesen: Die Lerner
erhalten einen Text mit Aufgabenstellungen; die Er­
gebnisse werden im Plenum vorgestellt und diskutiert.
- Thematische Erarbeitung durch intensives Lesen: In
arbeitsteiliger Gruppenarbeit erschließen sich die
Lerner anhand von Texten selbstständig neue Inhalte;
diese notieren sie stichpunktartig auf einer Folie und
präsentieren sie anschließend im Plenum.
- Textbearbeitung durch selektives Lesen: Als Haus­
aufgabe lesen die Lerner einen Abschnitt im Lehrbuch
und beantworten dazu gestellte Fragen.
- Textproduktion durch intensives und zyklisches
Lesen: Als Hausaufgabe müssen die Lerner eine
Zusammenfassung zu einer Doppelseite aus dem
Lehrbuch anfertigen.
- Wirkungsgespräch durch extensives Lesen: Nach
überfliegendem Lesen findet im Plenum ein W ir­
kungsgespräch als Anschlusskommunikation statt.

Teil B 135
Grundlagenwissen

- Thematische Erarbeitung durch orientierendes, exten­ - intensives (detailliertes, totales) Lesen: intensives
sives und intensives Lesen: Zur Vorbereitung eines Lesen des Textes unter Anwendung von Lesestrate­
Referates erhalten die Lerner Texte, Datenmaterialien gien, um ihn als Ganzes im Detail zu verstehen und
und etliche Internetadressen. zu bearbeiten;
- Texterschließung durch orientierendes, selektives, - zyklisches Lesen: zunächst orientierendes Lesen eines
extensives, intensives und zyklisches Lesen: Im Rah­ Textes, dann extensives und danach intensives Lesen,
men eines Lesetrainings der gesamten Jahrgangsstufe manchmal wiederholt extensiv und intensiv.
bearbeiten die Lerner verschiedene Texte mit der
jeweils passenden Lesestrategie. Hinweise für die
konkrete Umsetzung
Die geschilderten Situationen decken ein breites Spek­
trum der möglichen Lesesituationen im Unterricht der Die nachfolgenden Ausführungen stellen Empfehlun­
Fächer ab; die Liste ist aber keineswegs vollständig. Die gen für die Lehrkraft dar. Alle Maßnahmen haben sich
nachstehenden Ausführungen finden jedoch uneinge­ dabei mit ausgezeichneten Erfolgen auch im Rahmen
schränkt auf alle Lesesituationen Anwendung. der Sprachförderung von sprachschwachen Lernern in
der Unterrichtspraxis bewährt.
Lesestiler Leseabsichten
Gestuftes Vorgehen
und Lesetechniken (Lesearten)
Will die Lehrkraft einen Sachtext erfolgreich in den
Der Lesestil muss zur Leseabsicht passen. Denn diese
legt fest, mit welchem Ziel der Leser den Text liest, ob Fachunterricht integrieren, sollte sie dies gestuft (also
er also beispielsweise in aufeinander aufbauenden Schritten und mit anstei­
gendem Schwierigkeitsgrad) sowie in verschiedenen
- nur prüfen will, ob sich ein Weiterlesen lohnt;
Phasen des Unterrichts tun. Zudem sollten sich die
- nur eine bestimmte Information im Text sucht, oder Phasen, in denen der Text eingebaut wird, an der Lese­
- ob es ihm nur um das Detailverständnis geht, da didaktik der Sprachfächer orientieren.
daraus ein neuer Text erstellt werden soll.
Damit empfiehlt sich die nachfolgende Reihenfolge
Der Verwendungszweck des Textes und die Leseabsicht (Details s. Beispiel S. 146 ff.):
bestimmen den Lesestil und die Lesetechniken (Lese­
1. Einführung: In dieser Phase werden die Lerner über
arten). Die Kompetenz, diese Merkmale zu erkennen,
den Leseprozess vorinformiert.
ist für das Verständnis von Sachtexten im Fachunterricht
von zentraler Bedeutung. Lerner in genau dieser Kom­ 2. VonA/issensaktivierung: In dieser Phase wird das Vor­
petenz zu schulen, ist somit auch Aufgabe der Sach- wissen zu dem Thema aktiviert, das beim Leseprozess
fächer. eingebunden werden muss.

* Dabei sollte die Lehrkraft jedoch Leseanlass und Lese­ 3. Erstrezeption: Diese Phase dient dem Überblick und
auftrag immer klar formulieren, damit dem Leser implizit der Vorbereitung der späteren Detailrezeption.
oder explizit mitgeteil wird, welche Leseart zu wählen 4. Wirkungsgespräch: In dieser Phase äußern sich die
ist. Denn nur so können Lerner entsprechende Kom­ Lerner reihum zum Text. Dabei erfährt der Lehrer
petenz aufbauen und bei künftigen Aufgabenstellun­ Näheres über den Verstehensgrad und kann das wei­
gen eigenständig die zum Text passende Leseart aus­ tere Vorgehen darauf abstimmen.
wählen.
5. Detailrezeption: In dieser Phase werden Details des
Die wichtigsten dieser Lesetechniken sind: Textes erschlossen; die Detailrezeption erfolgt über
- selektives (suchendes) Lesen (scanning): gezieltes eine zum Text passende Lesestrategie.
Heraussuchen gewünschter Informationen (Wörter, 6. Verständnisüberprüfung: In dieser Phase werden offe­
Daten, Fakten) durch Überfliegen, um Aufgaben zu ne Fragen gestellt und soweit wie möglich von den
bearbeiten; Mitlernern beantwortet; ggf. greift der Lehrer ein.
- orientierendes Lesen (skimming): ein Überfliegen des 7. Anschlusskommunikation: In dieser Phase wird der
Textes, um - ausgehend von Überschriften, grafischen Textauf Eigen- und Fremderfahrungen bezogen und
Hervorhebungen oder Bildern - entscheiden zu kön­ in weitere Kontexte gesetzt.
nen, was man sich genauer anschauen möchte;
8. evtl. Textproduktion: In dieser Phase wird - ggf. mit
- extensives (kursorisches) Lesen: häufiges und schnel­
Hilfestellung - ein eigener Text von den Lernern
les, flüchtiges „Draufloslesen" umfangreicher oder
erstellt. Dabei sollte die Lehrkraft wissen, dass die
vielfältiger Texte, um möglichst schnell ein globales
Textproduktion den Lernern erfahrungsgemäß noch
Textverständnis zu erreichen (Beispiel: Zunächst den
viel schwerer fällt als die Textrezeption.
Text nur überfliegen, dann den ersten und letzten
Satz jedes Textabschnitts lesen und eventuell Notizen Dieser Vorgehensweise liegen die bereits genannten
anfertigen); sieben didaktischen Prinzipien zugrunde (s. S. 133).

136 Teil B
Grundlagenwissen

Zeitpunkt Lautes Vorlesen


Die Lehrkraft sollte darauf achten, Maßnahmen der Lehrkräfte lesen im Unterricht oft selbst oder lassen
Anschluss- und Begleitkommunikation nicht zu früh einen solchen Text von einem Lerner laut vorlesen. Die
in das Plenum zu bringen. Sie sollte vielmehr den Pro­ Begründung lautet zumeist:
zess des Leseverstehens bewusst verlangsamen, da - Durch lautes Vorlesen werde Konzentration
dies sprachschwache Lerner begünstigt und dazu bei­ erzeugt und das Mitlesen garantiert;
trägt, dass alle Leser nach und nach zur metakogni­
- könne der Lehrer betonen und sinnstiftend
tiven und damit bewussten Überwachung ihres Lese­ vorlesen;
prozesses gelangen können.
- durch das laute Vorlesen eines Lerners erfahre
Zur Verlangsamung des Leseverstehens ist die Methode der Lehrer etwas über etwaige Schwierigkeiten
des reziproken Lesens besonders gut geeignet: des Lerners mit dem Text;
- Lerner - insbesondere jüngere - läsen gerne vor.
Reziprokes Lesen
Lautes Vorlesen ist jedoch aus folgenden Gründen
Das reziproke Lesen basiert auf einem diskursiven Dia­
kritisch zu sehen und nicht zu empfehlen:
log zwischen Lerner und Lehrer. Angeleitet durch den
Lehrer werden hier zunächst die Prozesse des Textver­ - Sachtexte sind nicht für das laute Lesen verfasst.
stehens auf Seiten der Lerner in der sozialen Interaktion (Es ist weder Poesie noch sind es Vorlesetexte.)
mit anderen angestoßen. Dabei werden diese Prozesse - Lesen ist eine „einsame" und individuelle Tätig­
bei den Lernern zunehmend verinnerlicht und - durch keit, die ein individuelles Lesetempo erfordert.
das gleichzeitig anwachsende Können - auch zuneh­ - Sachtexte mit komplexen Strukturen, unbe­
mend selbstständig ausgeführt. Diese „Vorarbeit" kannten Begriffen etc. überfordern die Lerner
ermöglicht den Lernern nicht nur selbstständiges Text­ und hemmen den Erstkontakt mit dem Text.
verständnis, sondern auch die eigene metakognitive - Schlechtes und/oder holpriges Vorlesen
Überwachung des Lese- und Verstehensprozesses. mindert die Textwirkung.
Das reziproke Lesen ist in vier Schritte unterteilt. Dabei - Gerade sprachschwache Lerner schämen sich oft für
sollte die Lehrkraft zunächst selbst modellhaft die Text­ die ihnen bewusste Schwäche und ziehen sich zurück.
bearbeitung und den Einsatz der vier Schritte vorführen,
Will man das laute Vorlesen üben, suche man dafür
damit dann die Lerner in Kleingruppen abwechselnd
geeignete Texte aus und bereite das Vorlesen durch
die Rolle des „Lehrers" übernehmen sowie einzelne
eine Übephase vor. Die üblichen Lehrbuchtexte sind
Textpassagen mit den jeweiligen „Lernern" bearbeiten
für das Vorlesen nicht geeignet. Vorlesen im engeren
können. Der Ablauf geht wie folgt vor sich: Sinne gehört in den Deutschunterricht.
1. Fragen stellen: Das Formulieren von Fragen dient
der eigenständigen Verstehenskontrolle und der Er­
Wie kann Lesekompetenz
arbeitung der gelesenen Inhalte.
diagnostiziert werden?
2. Zusammenfassen: M ithilfe von Zusammenfassun­
gen soll der Text auf wesentliche Inhalte reduziert Dass dem Thema Lesediagnostik heute eine derart gro­
werden. ße Bedeutung beigemessen wird, ist der PISA-Studie
zu verdanken. Sie hatte im Jahre 2000/2001 nicht nur
3. Klären: Hier werden noch unklare Wortbedeutungen
aufgedeckt, dass die Lesekompetenz von Lernern an
oder Textpassagen erläutert.
allgemeinbildenden Schulen zu wünschen übrig ließ,
4. Vorhersagen: Hier sollen sich die Lerner dazu äußern, sondern stellte auch fest, dass Lehrkräfte nur wenig
wie der Text weitergehen wird. über den Lesekompetenzstand ihrer Lerner und über
Lesediagose wussten.
Die Methode des reziproken Lesens hat sich bei Perso­
nen unterschiedlichster Altersstufen als sehr erfolgreich Zwar hat sich die Lesekompetenz der Lerner seitdem
erwiesen, und zwar sowohl bei „schwachen" als auch nachweislich verbessert (wenn auch bundesweit nicht
bei „starken" Lesern (vgl. Bundesministerium für Bil­ in gleichem Maße, vgl. S. 127)] für den Wissensstand
dung und Forschung, 2007, S. 59). Dabei kann die der meisten Fachlehrkräfte in Bezug auf Kompetenz-
Methode auch auf Sachtexte angewendet werden, und Lesediagnostik gilt dies jedoch nicht. Dies ist aus
obwohl diese Texte in der Regel kurz und in sich abge­ zwei Gründen bedenklich:
schlossen verfasst sind und der vierte Schritt deshalb 1. Lesediagnostik ist nicht nur im Hinblick auf die an­
nicht immer anwendbar ist. Durch Weglassen des gemessene Sprachförderung von Lernern mit Migra­
Schlussteils lässt sich aber manchmal eine Leerstelle tionshintergrund relevant. Denn auch muttersprachig
erzeugen, die für den vierten Schritt genutzt werden deutsche Lerner haben oft mit ähnlichen Schwierig­
kann bzw. Gelegenheit für eine Anschlusskommunika­ keiten im Rahmen der Fachsprache zu kämpfen -
tion bietet. wenn auch in geringerem Ausmaß (vgl. S. 3).

Teil B 137
Grundlagenwissen

2. Das Thema „Lesediagnostik" geht weit über die all­ Wie kann Lesekompetenz
gemeinbildenden Schulen hinaus: Die Problematik
durch metakognitives Training
ist vielmehr auch für die Berufsschulen und sogar
für die Universitäten von großer Bedeutung. Es gefördert werden?
macht deshalb bei der Erörterung der Grundlagen Manches im Leben wird intuitiv gelernt, manches
Sinn, sich am sogenannten „ Gemeinsamen Europäi­ braucht den Nachdruck durch Schule und Unterricht.
schen Referenzrahmen (GER)" zu orientieren. Dazu gehört auch das Nachdenken über das Gelesene
und Verstandene. Im metakognitiven Training werden
Ursprünglich zur Diagnostik von Sprachleistungen beim
Leser durch bestimmte Instruktionen gezielt zur Refle­
Fremdsprachenerwerb gedacht, diente der GER Schies­
ser und Nodari (2007) als Grundlage, um mutterspra­
xion ihrer eigenen Leseprozesse angeleitet, damit sie
„ihre Lesefortschritte selber kontrollieren, Verstehens­
chige Kompetenzen von Lernern an Berufsschulen unter
Einbezug von Lernern mit Migrationshintergrund zu illusionen aufdecken und somit auf die Organisation

diagnostizieren.* Der hessische Modellversuch „VOLI" ihres Wissens beim Lesen Einfluss nehmen " (vgl. Schu­
(Vocational Literacy - Methodische und sprachliche macher, 2008).
Kompetenzen in der beruflichen Bildung, 2003-2006; Die Struktur des menschlichen Gedächtnissystems (vgl.
vgl. www.iq.hessen.de), der Ergebnisse der PISA-Studie dazu S. 57) wirkt sich auch auf den Kompetenzaufbau
zum Anlass nahm, einen „Baukasten Lesediagnose" zu aus: So umfasst das (lesespezifische) deklarative Meta­
entwickeln, greift auf diese Untersuchungen von Schies­ gedächtnis das bewusste, verbalisierbare Wissen über
ser und Nodari zurück. angemessene Vorgehensweisen beim Lesen und Ver­
Der „Baukasten Lesediagnose'1 hat sich in der Praxis arbeiten von Texten. Das (lesespezifische) prozedurale
vielfach bewährt. Er Metagedächtnis hingegen umfasst das Überwachen
- diagnostiziert den Einsatz von Lesestrategien; und die Steuerung des Leseprozesses bei einer aktuellen
Leseaufgabe. Diese beiden Kompetenzen werden als
- testet das Vorhandensein von Teilkompetenzen ab;
Strategiewissen bezeichnet.
- bietet Texte auf unterschiedlichen Niveaustufen an
Dabei entsteht zuerst ein spezifisches - das sogenannte
und lässt sich somit - obwohl eigentlich für die berufli­ „domänenspezifische11- Strategiewissen und erst all­
che Bildung konzipiert - auch hervorragend an allge­ mählich ein allgemeines, auch auf andere Bereiche über­
meinbildenden Schulen (und hier insbesondere an tragbares Strategiewissen. Beide Strategieformen ent­
Haupt- und Realschulen) einsetzen.
wickeln sich nur allmählich beim Lerner: Sie verbessern
Nach aktuellem Kenntnisstand gibt es keine qualitativ sich zudem beide erst deutlich im Laufe der späten
vergleichbare und zugleich ähnlich praxisorientierte Kindheit und des frühen Jugendalters.
Unterstützung für die Lesediagnostik. Es sei hier des­
Die Schulzeit ist demnach ein günstiges Zeitfenster zur
halb auf die wichtigsten Elemente verwiesen (siehe
Förderung des Strategielernens und der Verstehens­
auch S. 139; Hervorhebungen nachträglich, Anm. d.
überwachung ganz allgemein. Lerner brauchen den
Verf.). Der „Baukasten Lesediagnose"
Nachdruck des Unterrichts, um an Texte strategisch
- basiert auf der aktuellen Forschungsliteratur und heranzugehen und um zu überprüfen, ob und was sie
auf empirischen Untersuchungen;
in welcher Tiefe verstanden haben. Für sprachschwache
- orientiert sich am Europäischen Referenzrahmen Lerner ist die damit einhergehende Entwicklung und
für Sprache; Förderung der Fähigkeit zum grundsätzlichen Erken­
- eignet sich zur Diagnostizierung standardsprach­ nen - und in der Folge auch bereichsübergreifenden
licher und fachsprachlicher Kompetenzen; Anwenden - von Strategien besonders wichtig.
- ermöglicht eine differenzierte Einschätzung der
Ob beim Strategiewissen metakognitives Wissen akti­
Lese(teil)kompetenzen;
viert wird oder nicht, hängt sehr vom bereichsspezifi­
- misst die Fähigkeit, Lesestrategien zu nutzen; schen Vorwissen ab. So konnten beispielsweise Fuß­
- präsentiert Materialien für viele unterschied­ ballexperten der dritten Klassenstufe zu Fußballthemen
liche Tests; lesestrategisch gut mit Fußballnovizen der siebten Klas­
- ermöglicht das Abtesten von Teilkompetenzen senstufe mithalten; sie waren jedoch nicht in der Lage,
auf unterschiedlichen Niveaustufen; dieses Strategiewissen auch auf andere Themen oder
- hat Angebotscharakter (vgl. Hessisches Bereiche zu übertragen. Der Entwicklungs- und Trans­
Kultusministerium, 2006, S. 3 -8 ). ferprozess können durch spezifische Anleitung im Un­
terricht erheblich unterstützt werden (vgl. Bundesmi­
nisterium für Bildung und Forschung, 2007, S. 3 7 f.).
* Das anzustrebende Niveau zur Bewältigung von Aufgaben­
Die Fragen auf S. 140 fordern den Lerner auf, seine
stellungen im Unterricht liegt dabei im Bereich B2 m it
Angrenzungen an die Bereiche B1 und C1 (Details zu den Aufmerksamkeit im Sinne einer Verstehensüberwa­
Niveaustufen vgl. S. 220 ff.). chung auf den eigenen Leseprozess zu richten:

138 Teil B
Grundlagenwissen

___ .... .... _...... . .. _T ■

„ Der ,Baukasten Lesediagnose1 enthält sowohl stan­ D e r ,Baukasten Lesediagnose' enthält fünf große Bau­
dardsprachliche als auch fachsprachliche Texte. [...] steine, die jeweils einen oder mehrere authentische
Der Einsatz dieses Baukastens ermöglicht die Diagnose Texte enthalten. Die meisten dieser Texte wurden durch
der individuellen Lesekompetenz einzelner Berufsschü­ Tabellen und Schaubilder ergänzt. Die Aufgaben, die
lerinnen und -schüler. Wenn man einen oder mehrere zu den Texten formuliert wurden, entsprechen unter­
Tests aus diesem Baukasten zusammengestellt, durch­ schiedlichen Schwierigkeitsgraden.
geführt und ausgewertet hat, kann man die Lesekom­
Die Bausteine sind weitgehend nach dem Prinzip der
petenz einzelner Jugendlicher differenziert einschätzen
sprachlichen und fachlichen Progression angeordnet.
und in Anlehnung an den GER benennen.
Die Anforderungen, die m it der Bearbeitung der je w e i­
Dabei lassen sich folgende Teilkompetenzen diagnos­ ligen Aufgaben verbunden sind, steigen also allmählich
tizieren: an. D e r , Baukasten Lesediagnose' ist folgendermaßen
aufgebaut:
- das Leseverstehen auf der Wortebene;
- das Leseverstehen auf der Satz- und Abschnitts­ Baustein I besteht aus mehreren kleineren Einheiten,
ebene, d.h. die Fähigkeit, Texte im Hinblick auf die ausschließlich standardsprachliche Elemente be­
bestimmte Informationsgehalte selektiv zu lesen inhalten. M it diesem Baustein kann das Leseverstehen
(gezieltes/selektives Leseverstehen); au f der Satzebene (Satzlogik), das Verstehen nicht­
- das Leseverstehen auf der Textebene, d.h. die Fähig­ kontinuierlicher Texte und das globale Textverstehen
keit, einen Text global zu lesen und dabei im Großen getestet werden.

und Ganzen zu verstehen (globales Leseverstehen); Baustein II basiertaufeinem längeren, ca. 8 5 0 W örter
- das detaillierte Leseverstehen, das eine gründliche umfassenden standardsprachlichen Text, der sprachlich
Lektüre beinhaltet und darauf abzielt, einen Text bis recht anspruchsvoll ist. Die Aufgaben, die zu diesem
ins Einzelne zu verstehen. Text gestellt werden, betreffen alle Ebenen des Lese­
verstehens.
Die Auswertungen der Tests, die mithilfe des Baukas­
tens durchgeführt wurden, lassen nicht nur deutlich Baustein III beinhaltet einen kurzen, etwa 3 5 0 W örter
werden, wie die Sprach- und Lesekompetenzen ein­ umfassenden fachsprachlichen Text aus dem Bereich

zelner Schülerinnen und Schüler einzuschätzen sind. der Biologie. Bei der Bearbeitung der Aufgaben werden
die Schülerinnen und Schüler vor allem in lexikalischer
Aus ihnen geht auch hervor, inwieweit die Jugendli­
Hinsicht (Fachwortschatz) gefordert. So müssen sie
chen dazu in der Lage sind, unterschiedliche Lesestra­
etwa die Bedeutung von Fachbegriffen aus dem Kon­
tegien anzuwenden und einen Text - je nach Aufga­
text erschließen und nicht-kontinuierliche Texte bear­
benstellung - global, selektiv oder detailliert zu lesen.
beiten. Dieser Baustein enthält also auch Aufgaben,
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse an, welcher För­
mit denen methodische Kompetenzen getestet werden
derbedarf besteht Da die Testunterlagen auch Schau­
können.
bilder und Grafiken enthalten, erlauben die Testergeb­
nisse außerdem Rückschlüsse auf die Methodenkom­ Baustein IV hat die Fachsprache des Arbeitsrechts zum
petenzen der Schülerinnen und Schüler. [...] Gegenstand. Die fachsprachlichen Merkmale kom m en
dabei nicht nur au f der lexikalischen sondern auch a u f
Den einen Test, der jedem Zweck und jeder Lerngruppe
der syntaktischen Ebene (z.B. in den im Text e n th a lte ­
gerecht wird, der jede Teilkompetenz des Leseverste­
nen Passiv-Konstruktionen) zum Tragen. Allerdings
hens auf jedem Niveau abprüft und der in einem ver­
beschränken sich die Aufgaben dieses Bausteins ke i­
nünftigen Zeitrahmen m it einem vertretbaren Korrek­
nesfalls nur auf den fachsprachlichen Aspekt.
turaufwand durchgeführt werden kann, gibt es nicht
und kann es nicht geben. D e r, Baukasten Lesediagnose' Baustein V basiert auf einem anspruchsvolleren Text
präsentiert daher keinen fertigen Lesetest, sondern die aus dem Bereich des Arbeitsrechts. Das Verständnis
Materialien für viele Tests, die je nach Bedarf und dieses Textes erfordert vor allem eine analytische und
Erkenntnisinteresse zusammengestellt werden können. detaillierte Lektüre.
Diese Materialien lassen sich an das Niveau der jew ei­ Der Baukasten schließt m it einem Lösungsteil ab. Zu
ligen Lerngruppe, an spezifische zeitliche Rahmenbe­ Aufgaben, die auf unterschiedliche Weise gelöst w er­
dingungen und an bestimmte Zielsetzungen anpassen. den können, werden in diesem Lösungsteil verschie­
[ ...] dene Lösungsvorschläge angeboten."

aus: Hessisches Kultusministerium, 2006, S. 3 - 7

Teil B 139
Grundlagenwissen

1. Verständnisfragen: Habe ich die zentralen Begriffe Fächerübergreifende


und die Aufgabenstellung verstanden?
Koordination durch ein
2. Verknüpfungsfragen: Habe ich Ähnliches schon in Curriculum zur Leseförderung
anderen Texten gelesen, mit welchem Wissen kann
ich das Gelesene verknüpfen? Da Lesekompetenz nur gestuft erworben werden kann
(vgl. S. 113 f.), muss sie auch gestuft geschult werden.
3. Strategiefragen: Welches ist die beste Lesestrategie
Lesenlernen ist zudem ein langwieriger Lernprozess^
für diesen Text und warum ist sie die beste Strate­
der nur dann zum Erfolg führt, wenn er auch kontinuä
gie?
ierlich gefördert wird.
4. Reflexionsfragen: Ist mein Verständnis des Textes
Diese Erkenntnis gilt für den Deutschunterricht wie
tatsächlich plausibel? Welche Bedeutung besitzt die­
für alle Sachfächer. Deshalb sollten sich alle Beteilig-
ser Text in einem größeren Zusammenhang?
ten auf eine Kooperation einigen, die - beispielsweise
Die positiven Wirkungen des metakognitiven Trainings in Form eines Lesecurriculums - fächerübergreifend
lassen sich folgendermaßen begründen: (und möglichst in Abstimmung mit dem Fach Deutsch)
1. Metakognitives Training lenkt die Aufmerksamkeit verbindlich festlegt, nach welchen Regeln eine Lese­
auf die eigenen Lernprozesse. Durch die metako­ förderung im Fach erfolgen kann und soll.
gnitive Überwachung vergewissert sich der Leser Hierbei sind folgende Fragen zu klären:
ständig darüber, ob er den Text auch wirklich ver­
- Welche Texte (Art, Umfang, Schwierigkeitsgrad) wer­
standen hat; Fehleinschätzungen in Bezug auf (ver­
den in der jeweiligen Klassenstufe eingesetzt?
meintliches) Verstehen werden dabei durch Verständ­
nisfragen reduziert. - Welche Lesestrategien werden in welcher Klassen-J
stufe ein ge übt?
2. Metakognitives Training leitet den Leser zur Kon­
- Wie kann der Grad der Selbstständigkeit beim Einsatz
struktion von Selbsterklärungen an sowie dazu, neue
dieser Strategien schrittweise erhöht werden?
Informationen in bereits bestehendes Vorwissen zu
integrieren. Der konstruktivistischen Auffassung zu­ - Wie und mit welchen Leseaufgaben wird die Lese­
kompetenz in den verschiedenen Klassenstufen
folge (vgl. S. 59 ff.) setzt der Erwerb von Wissen
stets die aktive Konstruktion einer intelligenten Wis­ geübt?
sensorganisation durch den Lernenden voraus. Ver­ - Wie wird der Stand der Lesekompetenz in den ver­
knüpfungsfragen fördern deshalb die Fähigkeit des schiedenen Klassenstufen diagnostiziert und über­
Lesers, Analogien zu bilden, was ihm wiederum bei prüft?
der Konstruktion und Organisation seines Wissens Geht es hingegen um die fächerübergreifende Ver­
hilft. mittlung von Lesestrategien, ist dieser Weg nicht
Lehrkräfte sollten jedoch immer darauf achten, dass gangbar. Denn der Leseforschung zufolge ist Lese­
metakognitive Trainings in einen spezifischen inhaltli­ kompetenz domänenspezifisch (vgl. S. 129).
chen Zusammenhang eingebettet sind. Hier hat sich Ein Lesecurriculum, das dazu beitragen möchte, dass
die Kombination von metakognitiven und inhaltsbezo­ sprachschwache Lerner verschiedene Textsorten durch
genen Aufgaben als besonders wirksam herausgestellt. fächerübergreifende Lesestrategien erschließen können,
Aufgabenstellungen hingegen, bei denen sich Lesende muss deshalb vor allem dafür sorgen, dass die jeweiligen
mit metakognitiven Fragen sowie mit konkreten inhalt­ Fachlehrer zunächst die geforderten Kompetenzen an
lichen Fragen auseinandersetzen müssen, sollten mög­ Inhalten ihres eigenen Faches vermitteln. Dabei ist noch
lichst vermieden werden, da dies den Lernenden erfah­ einmal hervorzuheben, wie wichtig es ist, Lernern dabei
rungsgemäß überfordert, vgl. auch S. 188. Erfolgserlebnisse zu vermitteln. Denn dies wird sie moti­
vieren, sich auch an schwierigere Texte heranzutrauen
(vgl. S. 122).
Begriffsdefinition Leseförderung ist in jedem Fall zeitaufwändig. Lehr­
Eih Lesecürricujum für Sachtexte ist ein Konzept, durch kräfte sollten deshalb überlegen, auf welche ihrer
das Lerner systematisch und gestuft in möglichst allen anderen Aufgaben sie verzichten können, wenn sie
Unterrichtsfächern den Umgang mit Sachtexten lernen die Lesekompetenz der Lerner stärken wollen.
und üben. Ziel dabei ist, die geforderten Lesekompetenzen Zudem hängt der Erfolg stark von der eingesetzten
zu erreichen. Dabei können vorrangig-Texte der einge­ Lehrstrategie ab. So ist es bei der Leseförderung anhand
führten Lehrwerke^ aber auch zusätzliche Materialien ge­ von Sachtexten von Vorteil, wenn die Lehrkraft im Rah­
nutzt werden. . men der Arbeit am Text mehrere Phasen miteinander
- - . . ‘v • • .. 7 ;• ^ : • . "
: Das Lesecurriculum wird fächerübergreifend unter Feder­ kombiniert, die ein unterschiedlich hohes Maß an selbst­
führung des Fachs Deutsch umgesetzt. ständiger Tätigkeit der Lerner aufweisen (z.B. Phasen
gut vermittelter Lehrerinstruktionen und Phasen selbst-

Teil B
140
Grundlagenwissen

ständiger Erarbeitung durch die Lerner). Die Lehrkraft Leseförderung


muss somit im Vorfeld das richtige Verhältnis von so­ durch Lesestrategien
genannten beschleunigten und entschleunigten Lehr- für Sachtexte
Lern-Phasen ausloten. Will eine Lehrkraft Leseförderung anhand von Sach­
texten betreiben, bieten sich ihr eine Vielzahl von Lese­
Wie ein Blick über die nationalen Grenzen zeigt, kann
strategien an. Diese unterscheiden sich zwar in Bezug
auch schon eine andere Form der Unterrichtsgestaltung
auf Umfang, Anspruchsniveau und Unterstützungsgrad;
dazu beitragen, das knappe Zeitbudget sinnvoller als
allen Strategien gemeinsam ist jedoch das Ziel, dem
bisher einzusetzen. In Finnland beispielsweise hat der
Leser das systematische und gestufte Erschließen von
Einsatz von Sachtexten im Fachunterricht einen erheb­
Sachtexten zu erleichtern.
lich größeren Stellenwert als in Deutschland. Auch in
anderen Ländern ist Lernen - viel stärker als in Deutsch­ Dabei können Lehrkräfte Lerner entweder durch Lese­
land - ein Lernen aus und mit Sachtexten. hilfen und Arbeitsaufträge gezielt leiten oder die Ler­
ner unterstützend durch die Texterschließung führen.
Dies mag daran liegen, dass Fachunterricht in Deutsch­
Vorrangiges Ziel sollte aber sein, dass sich Lerner die
land immer noch vorrangig in fragend-erarbeitender
Texte möglichst weitgehend selbstständig erschließen
Form stattfindet; denn dieser Unterricht ist oft mühselig
(vgl. die fünf Leseprinzipien, S. 132). Für den Fall, dass
und schreitet nur langsam voran. Es kann jedoch nur
sich verschiedene Fachlehrer untereinander auf ein
empfohlen werden, verstärkt Texte im Fachunterricht
Lesecurriculum verständigt haben, ist sogar der fächer­
einzusetzen und die Lerner im Umgang mit ihnen zu
übergreifende Erwerb von Lesestrategien möglich.
schulen, da dies eine gute Gelegenheit darstellt, die
Kompetenzen der Lerner in der Bildungssprache zu AufS. 142 f. werden zunächst zehn Strategien zur Text­
fördern. Dies gilt sowohl für die didaktische Forschung erschließung kurz vorgestellt und erläutert, die sich bei
als auch für die Lehreraus- und -Weiterbildung. Sachtexten in allen Fächern bewährt haben (vgl. auch
Staatliches Studienseminar Koblenz, 2009, S. 18 ff.).
Dabei sind die Strategien (soweit möglich) dem Schwie­
Konkrete Leseförderung
rigkeitsgrad nach geordnet.
im Fachunterricht
M it zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Strategie
Lehrkräfte haben vier Möglichkeiten, Sachtexte im
steigt auch der Anspruch an die Eigentätigkeit des Le­
Unterricht bzw. zur Eigenlektüre so einzusetzen, dass
sers. Deshalb werden im Anschluss an eine allgemeine
anhand dieser Texte das Lesen gefördert werden kann:
einführende Erläuterung alle Strategien an einem Bei­
1. Eigenständige Erschließung des Sachtextes (ggf. m it spiel kommentiert und demonstriert (vgl. S. 143 ff.).
Erschließungshilfen): Hier werden dem Sachtext ent­
Natürlich wird die Lehrkraft nur jeweils einzelne und
weder geeignete Aufgabenstellungen beigefügt oder nicht alle zehn Strategien auf einmal auf denselben
es werden Lesestrategien empfohlen bzw. mitgege­ Text anwenden. Sie muss deshalb zunächst diagnosti­
ben, damit sich der Lerner ohne begleitenden Unter­ zieren, welche Lesestrategie zur Erreichung des Unter­
richt den Text eigenständig erschließen kann. richtsziels besonders gut geeignet ist. Dabei muss sie
2. Übung von Lesestrategien und Lesekompetenzen: die folgenden drei Faktoren überprüfen:
In diesem Fall ist der Sachtext nur Mittel zum Zweck. - die Lesekompetenz der Zielgruppe,
Hier wird eine zu übende Lesestrategie entweder
- die didaktische Absicht und
anhand eines Sachtextes geübt oder es werden Lese­
- den Schwierigkeitsgrad des Textes.
kompetenzen trainiert. Dabei wird der Sachtext in
einer evtl. vom Unterrichtskontext isolierten, kon­ Bei mehreren möglichen Strategien sollte die Lehrkraft
struierten Lernumgebung eingesetzt. die bestgeeignete auswählen, siehe S. 142 ff.
3. Integration des Sachtextes in den Unterricht: Bei
dieser Alternative wird der Sachtext ohne weitere
Lesehilfen und Aufgabenstellungen in den laufenden Begriffsdefinition
Unterricht integriert. Dabei wird der Leseprozess in Eine Lesestrategie ist ein Handlungsplan, dier dem Leser
hohem Maße vom Lehrer gesteuert. hilft, einen Text „richtig" und schnell zu verstehen. Lese-
4. Vereinfachung und Optimierung von Sachtexten: Ist strategieh unterscheiden sich in der Tauglichkeit für be-
der Text für die Lerner so schwer, dass er selbst mit stimmte Textsorten und werden von den Lernern sukzes­
Lesestrategien und beigefügten Hilfen nicht zu sive im Laufe der Lesetätigkeiten im Unterricht erworben.
bewältigen ist, muss dieser Text auf der Textebene Lesestrategien zielen auf einen eigenständigen Umgang
vereinfacht oder so optimiert werden, dass er ge­ m it Texten,. Aus Sicht der Lerner sind diese Strategien das
winnbringend einsetzbar ist. Herzstück des Leseverstehens, da sie ihnen die gewünsch­
In den nachfolgenden Abschnitten werden die Arten ten (und oft dringend benötigten) Hilfen bieten. .
der Leseförderung im Fachunterricht beschrieben.

Teil B 141
Grundlagenwissen

- Lesestrategie 1: Fragen zum Text beantw orten


Strategie 1 ist eine herkömmliche und oft eingesetzte Strategie: Dem Text sind Fragen
beigefügt, die den Leser anleiten, sich mit dem Text intensiver zu beschäftigen.

- Lesestrategie 2: Fragen an den Text stellen


Bei dieser Strategie stellt der Leser (ggf. nach einem Vorbild) selbst Fragen an den
Text und beantwortet diese auch (teilweise) selbst.

- Lesestrategie 3: D en Text strukturieren


Strategie 3 leitet den Leser dazu an, den Text in Sinnabschnitte einzuteilen und
Überschriften zu formulieren.

- Lesestrategie 4: Den Text m it dem Bild lesen


Strategie 4 leitet den Leser zur vergleichenden Text-Bild-Lektüre an; diese Strategie
hat sich bei nicht kontinuierlichen Sachtexten mit Bildern, Tabellen, Grafiken oder
Zeichnungen bewährt.

- Lesestrategie 5: D en Text farborientiert markieren


Sachtexte sind gekennzeichnet durch Fachbegriffe, Objekte und Personen sowie
Gegenstände, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten in vielfältigen
Relationen zueinander stehen. Um Ordnung und Übersicht zu erhalten, markiert der
Leser die Begriffe verschiedener Kategorien in unterschiedlichen Farben. Dadurch ent­
steht ein übersichtliches Beziehungsgefüge im Text, das zur weiteren Arbeit einlädt.

- Lesestrategie 6: D en Text in eine andere Darstellungsform übertragen


Die Übertragung in eine andere Darstellungsform ist Prinzip und Strategie gleicher­
maßen. Bei dieser sehr effizienten und oft einsetzbaren Strategie übersetzt der Leser
den Text in eine andere Darstellungsform (Skizze, Bild, Tabelle, Strukturdiagramm,
Prozessdiagramm, Mind-Map, Graf ...; Details vgl. S. 132 f.).

- Lesestrategie 7: D en Text expandieren


Viele Fachtexte sind derart verdichtet, dass man sie kaum zusammenfassen kann.
In diesen Fällen ist Strategie 7 - das Expandieren des Textes durch Beispiele und
Erläuterungen - die angemessene Strategie.

- Lesestrategie 8: Verschiedene Texte zum Thema vergleichen


In den Lehrbüchern der verschiedenen Verlage finden sich zu den gängigen Unter­
richtsthemen Texte, die sich im Hinblick auf das Anspruchs- und Sprachniveau,
den Textumfang, die Gestaltung, Textverständlichkeit und didaktische Absicht
deutlich unterscheiden. Die vergleichende Bearbeitung verschiedener Texte zum
selben Thema bringt einen lernfördernden Mehrwert.

- Lesestrategie 9: Schlüsselwörter suchen und den Text zusammen fassen


Diese Strategie ist zwar fester Bestandteil im Repertoire vieler Lehrkräfte, muss
aber mit Bedacht eingesetzt werden: Denn enthalten Fachtexte viele Fach­
begriffe, die alle als Schlüsselwörter markiert werden könnten, ist diese Strategie
unergiebig. Darüber hinaus lassen sich derartige Texte dann meist auch kaum
weiter zusammenfassen. Strategie 9 bietet sich somit vorzugsweise bei breit
angelegten und expandierten Texten an.

- Lesestrategie 10: Das „Fünf-Phasen-Schem a" anw enden


Das Fünf-Phasen-Schema ist ein bewährtes Texterschließungsverfahren und nutzt
viele der vorangehenden Strategien als Teilstrategien. Es ist ein umfangreiches Erschlie­
ßungsverfahren, das komplett auf eigenständige Erschließung abzielt. Dazu werden
den Lernenden Lesehilfen in Form einer Anleitung bereitgestellt (Details s. S. 143).

Teil B
142
Grundlagenwissen

Das Fünf-Phasen-Schema
(Ablauf)
Das Fünf-Phasen-Schema nutzt die bereits beschriebenen Lesetechniken:
- Schritt 1/Phase 1: Vorbereitende Orientierung (durch orientierendes Lesen - skimming)]
- Schritt 2/Phase 2: Aufsuchen von Verstehensinseln (durch extensives Lesen und selektives Lesen)]
- Schritt 3/Phase 3 (zentraler Schritt): Erschließung der inhaltlichen Details (durch intensives Lesen)]
- Schritt 4/Phase 4: Reflexion des Textes und Einbindung in das Wissensnetz;
- Schritt 5/Phase 5: Überprüfung des Verstandenen.
Das Fünf-Phasen-Schema ist zugleich die Standardform des zyklischen Lesens;
dieses ist Voraussetzung für verstehendes Lesen, vgl. S. 113.

1. Orientiere dich im Text


Überfliege den Text.
Hier beginnt der Text./
Suche das Thema.
Dies ist der zweite Abschnitt ,
Suche zugehörige Bilder, Skizzen,
in diesem Text./
Tabellen etc.
Ende/ Registriere Abschnitte.
Registriere Besonderheiten.
2. Suche Verstehensinseln
Starte von dem, was du verstehst.
Kreise diese Verstehensinseln ein.
(Verstehensinseln sind die Teile, die
du schon verstehst und von denen
die Erschließung ausgeht.)

3. Erschließe abschnittsweise
- Setze die Verstehensinseln zueinander in
Beziehung und integriere sie in das, was
du schon weißt.
- Gehe dabei detailliert und gründlich vor. Ein
genaues Lesen und Mitdenken ist wichtig.
- Nutze Hilfsmittel, mache dir Schemata,
schreibe dir Dinge anders auf, etc.
4. Suche den roten Faden
- Nun hast du vielleicht den roten Faden
verloren. Suche ihn, indem du den den Text
noch einmal liest und dabei die Abschnitte
geistig miteinander verbindest.
- Erstelle dir eine kleine Gliederung
als roten Faden.
- Fasse den Text in wenigen Sätzen zusammen.

- Suche den Sinn des Textes


Thema
und ordne ihn für dich neu.
- Überprüfe, was du verstanden hast.
- Schreibe einen eigenen Text.

Teil B 143
Grundlagenwissen

Alle Lesestrategien sind grundsätzlich auch für Lerner Beispiel


mit Zuwanderungsgeschichte geeignet; dabei muss die Leseaufträge
Lehrkraft allerdings im Bedarfsfall durch mündliche oder (zum Text „Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel")
schriftliche Hilfen Unterstützung geben. Das nebenste­
hende Beispiel zeigt, wie dies gelingen kann. 7. Ordne die folgenden vier Teilüberschriften
den Abschnitten zu.
Auf S. 27 f. wurden die Schwierigkeiten eines Migran­
• Was Kauf leute können müssen
tenkindes der 1. Generation (Ategül), mit einem Text
(das Verkaufsgespräch als wichtigste
beschrieben. Anhand dieses Textes (s.u. sowie S. 22)
Aufgabe von Kaufleuten)
sollen nun Leseaufträge und Lesehilfen vorgestellt wer­
den, die Lehrkräften verschiedene Möglichkeiten des • Was Kaufleute im Einzelhandel tun.
strategischen Texterschließens aufzeigen: • Die moderne Technik im Einzelhandel.
• Was Kaufleute auch noch tun müssen.
(Sonstige Aufgaben der Kaufleute)

2. Formuliere Fragen oder gib Beispiele zu den


Aufgaben einer Kauffrau/eines Kaufmanns.
Der Text ist sehr kompakt; die Aufgaben einer
Kauffrau/eines Kaufmanns werden m it schwieri­
gen Begriffen benannt. Fragen oder Beispiele zu
Kaufleute im Einzelhandel arbeiten vorwiegend im Ver­ diesen Aufgaben helfen dir, den Text besser zu
kauf. Sie verkaufen die unterschiedlichsten Konsum- verstehen.
güter - .angefangen von Autos über Kleidung und Nah-
— ___I L u ' V. . ' l i « V « | 4 - i:i m < r r ö l ö l / f r « n i l > u n r l 3. Beschreibe einen typischen Arbeitstag
einer Kauffrau.
Der Text soll eine Seite umfassen, die verschiede­
Außer in Selbstbedienüngsgeschäften, wo die Warenprä-
nen Aufgaben sollen an Beispielen beschrieben
sentatiön einen größeren Raum einnimmt, ist die Kun­
werden. Wähle selbst aus, in welcher Art von
denberatung, das Verkaufsgespräch, noch immer eine
Geschäft (Textilgeschäft, Lebensmittelgeschäft...)
ihrer wichtigsten Aufgaben .Um Kunden kompetent bera­
sie arbeitet.
ten zu können, brauchen sie gute Waren- und M arkt­
kenntnisse. Sie kennen die aktuellen Neuheiten und >
Lesehilfen
können über die. Produktmerkmale - wie technische
~ ■ ■* I •• 1 • • . _I •. _ I I _____ . I -L. - _ t I> ^ A.i^4»» ly r v l Aufgaben einer Kauffrau/
eines Kaufmanns im Verkauf
Kundenberatung:
Neben diesen Tätigkeiten im Verkaufsraum, zu denen
auch das Auffüllen und Auszeichnen der Waren gehö­ • Wozu benötigen Sie das Gerät?
ren, zählen Sicherstellung des Warenangebotes, Markt­ • Haben Sie das Vorgängermodell?
beobachtung und Einkaufsplanung, die Bearbeitung der • Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist
Wareneingänge und die fachgerechte Lagerung der ge­ bei dem Gerät besonders g u t...
lieferten Waren sowie die Durchführung von verkaufs­
fördernden Maßnahmen, wie zum Beispiel die anspre­ Sonstige Aufgaben einer Kauffrau/
chende Platzierung und Präsentation der Waren mit eines Kaufmanns
' Plakaten und anderen Werbemitteln, zu ihren Aufgaben.
Marktbeobachtung:
Zunehmend wichtiger wird die Arbeit mit Computern • Was verkaufen die anderen Geschäfte?
und anderen informationstechnischen Geräten und Sys­
• Welche Preise haben die anderen
temen: zürn Beispiel mit mobilen Datenerfassungsgeräten
Geschäfte?
für die Bestandskontrolle und Inventur oder mit Scanner­
kassen, an denen die Verkaufsdaten der Artikel durch • Welche Artikel „laufen" gut, welche
Laserstrahl automatisch abgelesen werden und die mit „laufen" schlecht? (d.h.: Welche Artikel
Computern im Einkauf oder im Rechnungswesen verbun- werden oft verkauft, welche nur selten?)
• Wie viele andere Geschäfte gibt es,
die dieselben Artikel verkaufen?
aus: Bundesanstalt fü r Arbeit, 2000, S. 235; (d.h.: Wo gibt es Konkurrenz und
Hinweis: Das Berufsbild wurde inzwischen überarbeitet. wieviel?)

Teil B
144
Grundlagenwissen

Leseförderung Die Leseübungen


durch Leseübungen im Einzelnen
im Fachunterricht Die nachstehend vorgestellten 20 Leseübungen dienen
sämtlich der Leseförderung; sie unterliegen aber unter­
Förderung der Texterschließung
schiedlichen Bedingungen (Details s. Teil C):
oder der Lesekompetenz?
So sind die Leseübungen 1 bis 10 einfach, an fast allen
Übungen sollen den Lernern in erster Linie Erfolgs­
Texten durchführbar und für alle, vorzugsweise aber
erlebnisse im Umgang mit Texten ermöglichen. Die­
schwache Leser geeignet. Diese Übungen wollen in
ses Ziel kann auch durch Leseübungen erreicht werden,
erster Linie das Detail- und Sprachverstehen üben.
sofern die Übungen das „passende" Anspruchsniveau
haben (kalkulierte Überforderung , vgl. S. 74).

Eine Leseübung ist eine Übung, bei der Texterschlie­


ßung, also das Verstehen des jeweiligen Textes im Vor­
dergrund steht. Dabei wird das Leseverstehen durch
die Anwendung unterschiedlicher Lesestrategien oder
Lesekompetenzen im Sinne eines Methoden- oder
Kompetenztrainings geübt und fördert. Denn ebenso,
wie in einem Fach Inhalte und Methoden geübt werden 7. W ö rter suchen
müssen, müssen auch Lesestrategien und Lesekompe­ Wörter einer vorgegebenen Wortliste
im Text wiederfinden und unterstreichen
tenzen geübt werden. Derartige Übungen dienen oft
der Vorentlastung des Lesetextes. 2. Textlücken ausfüllen
Wann aber ist eine Übung „nur" eine Leseübung (zur im Text vorgegebene Lücken ausfüllen
Verbesserung des Textverstehens) und wann übt sie
3. Textänderungen vergleichen
eine Lesestrategie (verbessert also die Kompetenz zur
zwei fast wortgleichß Texte miteinander
Texterschließung)?
vergleichen und Unterschiede erkennen
Beispiele für Leseübungen sind:
4. Zeichnungen und Bilder beschriften
- Lückentexte Zeichnungen und Bilder mit den Begriffen
(schulen das selektive Lesen/Scanning); aus dem Text beschriften und ergänzen
- zerschnittene Texte
5. Textpuzzle bearbeiten
(fördern das Erkennen der Kohärenz);
verwürfelte Sätze im Text wiederfinden und
- das Zuordnen von Bildern
unterstreichen oder den Text wiederherstellen
(fördert die Text-Bild-Lektüre).
6. Inform ationen suchen
Wenn hingegen Lesestrategien geübt werden, ist die
explizit vorgegebene und im Text enthaltene
Strategie und nicht das Verstehen des vorliegenden
Informationen suchen und herausschreiben
Textes der eigentliche Lerngegenstand.

M it Leseübungen können zudem Lesestrategien so 7. Satzhälften zusammenfügen


vorgegebene Satzhälften zusammenfügen
geübt oder angelegt werden, dass spezifische Lese­
kompetenzen trainiert werden. Dabei können sich sol­ 8. Richtigkeit überprüfen
che Übungen beispielsweise gezielt den spezifischen Aussagen oder vorgegebene Informationen
Schwierigkeiten widmen, die bei Lernern mit Migrati­ mithilfe des Textes auf Richtigkeit überprüfen
onshintergrund häufig auftreten.
9. Sätze aussuchen
Lerner mit Migrationshintergrund können „normale"
aus einer Auswahl von Sätzen einen inhaltlich
- also für muttersprachig deutsche Lerner durchaus
passenden Satz heraussuchen und einfügen
geeignete - Lesehilfen und Lesestrategien oft nicht
im gewünschten Maße nutzen, weil sie bereits vorher 70. Überschriften zuordnen
stolpern. Für sie sind Vorentlastungen und einfache den Textabschnitten vorgegebene Zwischen­
Leseübungen besonders wichtig, da diese gezielt Hil­ überschriften zuordnen
fen zur Bewältigung der Verstehensprobleme beim
Lesen bieten.

Teil B 145
Grundlagenwissen

Die nachstehend aufgeführten Leseübungen 10 bis 20 Leseförderung durch


hingegen sind anspruchsvoll, nicht an allen Texten Integration eines
durchführbar und nicht direkt bzw. nicht ohne zusätz­ Sachtextes in den Unterricht
liche Hilfen für schwache Leser bzw. Lerner mit Zuwan­ O ft werden Sachtexte aus dem Lehrbuch oder aus
derungsgeschichte geeignet. Dabei trainieren die Übun­ anderen Quellen in den laufenden Unterricht integriert,
gen 11 bis 15 das textbezogene Interpretieren und die indem der Lehrer einen Text aus dem Lehrbuch lesen
Übungen 16 bis 20 das Reflektieren und Bewerten. lässt und anschließend im Plenum bespricht. Dieses
Vorgehen hat jedoch in der Praxis seine Tücken, da
die Gefahr besteht, dass der Unterricht „abdriftet" und
der Text Probleme erzeugt, die es ohne ihn nicht gäbe.
Dies verdeutlicht nochmals, wie wichtig es ist, dass die
Lehrkraft den Leseprozess im Unterricht steuert und
den Unterricht sorgfältig vorbereitet, vgl. S. 79, 94 ff.

Das nachfolgende Beispiel stellt dar, wie ein Sachtext


77. Bildüberschriften form ulieren schrittweise im Unterricht so erschlossen werden kann,
zu selbst erstellten oder vorgegebenen dass dabei den Erkenntnissen zum Leseverstehen Rech­
Bildern Überschriften formulieren nung getragen wird. Grundlage ist ein typischer Text
aus einem Physiklehrbuch der 9. Klasse, in dem der
72. Darstellungsformen ausfüllen
Aufbau und die Funktionsweise eines technischen Gerä­
vorgegebene Darstellungsformen (Tabelle, tes (des Otto-Motors) beschrieben und erklärt werden.
Diagramm, Grafik, Bild etc.) mit Textinfor­ Dieser Text wird im Anschluss an die Bearbeitung des
mationen füllen betreffenden Fachwissens (Allgemeine Gasgleichung)
im Unterricht gelesen.
13. Fragen beantw orten
Fragen zu Informationen im Text beantworten
Beispiel 1

14. Fragen stellen Vorgehen und Leseaufträge zur Erschließung


selbst Fragen zu Informationen im Text stellen eines Sachtextes (s. S. 147):

1. Einführung
75. Sätze berichtigen
Lehrer: „In den vergangenen Stunden haben wir
leicht veränderte Sätze textbasiert berichtigen
die Allgemeine Gasgleichung kennengelernt. In
76. Verschiedene Texte vergleichen dem Text, den w ir gleich im Buch lesen werden,
lernt ihr eine Anwendung dieser Gasgleichung ken­
' Informationen im Text Satz für Satz mit
nen, nämlich den Otto-Motor, das Herz eines Au­
denen in einem anderen Text vergleichen
tos. In mehreren Schritten werdet ihr euch immer
77. Text-B iId-Inform ationen vergleichen eingehender m it dem Text auseinandersetzen."

Informationen im Text und in den Bildern Didaktischer Kommentar:


vergleichen und markieren Die Lerner werden über den Leseprozess vorinfor­
miert.
18. Begriffe zuordnen
vorgegebene synonyme oder ergänzende 2. Vorwissensaktivierung
Begriffe, die nicht im Text enthalten sind, Lehrer: „Bevor ihr den Text lest, klärt bitte vorab
den Textteilen zuordnen im Partnergespräch, was ihr über das Thema wisst,
und entwickelt eigene Ideen zu folgenden Fragen,
79. Schlüsse ziehen
die ich hier an die Tafel geschrieben/über den
aus einer Tabelle, einer Grafik, einem Bild Overheadprojektor eingeblendet habe:
etc. Informationen entnehmen und eine
• Was weißt du über den O tto-M otor?
Schlussfolgerung formulieren
• Wie lautet die Allgemeine Gasgleichung?
20. Situationsbezogen interpretieren • Habt ihr eine Idee, warum der O tto -M o to r auch
vorgegebene Situationen mit Textaussagen als Verbrennungsmotor bezeichnet wird?
reflektieren und zuordnen • Habt ihr eine Idee, warum der O tto -M o to r auch
als Viertakter bezeichnet wird?“

Didaktischer Kommentar:
Die Lerner haben bereits Vorwissen zu dem Thema;
dieses muss beim Leseprozess eingebunden werden.

146 Teil B
Grundlagenwissen

Physik überall Der Vierzylinder-Viertakt-Ottomotor

Heute werden die meisten Straßenfahrzeuge Die Arbeitsweise eines Ottomotors erfolgt in
durch Motoren angetrieben, die auf einer vier nacheinander ablaufenden Vorgängen, die
Erfindung des deutschen Ingenieurs Nikolaus Takte genannt werden (->B2):
Otto beruhen. Daher werden die Motoren
häufig auch Ottomotoren genannt. Das Prinzip, 1.Takt (Ansaugen): Der Kolben bewegt sich in
mit denen sie die zum Antrieb notwendige Richtung Kurbelwelle. Durch das geöffnete
Energie umwandeln, zeigt folgender Versuch Einlassventil wird das vom Vergaser erzeugte
(-»B1): Ein Papprohr wird am unteren Ende fest Benzin-Luft-Gemisch angesaugt.
verschlossen, oben liegt ein Deckel nur lose 2. Takt (Verdichten): Der Kolben bewegt sich in
Nikolaus Otto auf. Seitlich befindet sich im Rohr ein Loch. Richtung Zündkerze. Da beide Ventile geschlos­
(1832-1891) Einige Tropfen Benzin werden mit einer Pipette sen sind, wird das Volumen des Gases ver­
ins Rohr getropft, anschließend wird es einige kleinert, die Temperatur steigt auf etwa 400 °C.
Male mit festgehaltenem Deckel geschüttelt. 3. Takt (Arbeiten): Ein elektrischer Funke der
Danach führt man einen Gasanzünder in das Zündkerze löst eine Explosion des Benzin-Luft-
Loch und zündet. Es kommt zu einer explosions­ Gemisches aus. Die Temperatur steigt auf etwa
artigen Verbrennung des Benzin-Luft- 2 000 °C, der Druck erhöht sich auf etwa
Gemisches und der obere Deckel fliegt davon. 80000 hPa. Da beide Ventile geschlossen sind,
treibt das Gas den Kolben zur Kurbelwelle.
Benzinmotoren werden meistens als Viertakt­ 4. Takt (Ausstößen): Der Kolben bewegt sich in
motoren konstruiert. In B2 ist ein Vierzylinder- Richtung Zündkerze und stößt durch das Aus­
Viertakt-Ottomotor dargestellt. Im Motorblock lassventil das verbrannte Gas aus.
befinden sich zylinderförmige Hohlräume, in
denen sich ein durch Kolbenringe abgedichteter Danach schließt sich wieder der erste Takt an.
Kolben auf und ab bewegen kann. Die Be­ Lediglich im dritten Takt verrichtet der Kolben
wegung des Kolbens wird mit Hilfe der Pleuel­ Arbeit an der Kurbelwelle! In den anderen
stange auf die Kurbelwelle übertragen, so dass Takten muss dem Motor Energie von außen
eine Drehbewegung entsteht. Jeder Zylinder zugeführt werden. Dazu dient ein Schwungrad.
besitzt für die Zufuhr des Benzindampf-Luft- In den verschiedenen Zylindern laufen gleich­
Gemisches bzw. das Ausstößen der Verbren­ zeitig unterschiedliche Takte ab. Dadurch ist
nungsgase mindestens ein Ein- und ein garantiert, dass sich immer ein Zylinder im
Auslassventil. In jeden Zylinder ragt eine Zünd­ Arbeitstakt befindet und so der Motor gleich­
kerze, die zum richtigen Zeitpunkt einen Zünd­ mäßig Energie abgibt. Die im Benzin chemisch
funken erzeugt. Alle Zylinder werden vom gebundene Energie wird von einem Ottomotor
Kühlwasser ümströmt, da sich der Motor beim nur zu etwa 30% in mechanische Energie um­
Verbrennen des Benzin-Luft-Gemisches stark gewandelt 0*B3). Ein Dieselmotor kann über
erhitzt. 40% erreichen. Die Luft wird viel stärker
als beim Ottomotor verdichtet, so dass sich der
Kraftstoff beim Einspritzen von selbst ent­
Zündkerze zündet. Der bessere Wirkungsgrad des Diesel­
Einlassvöritii
motors liegt am größeren Temperaturunter­
schied zwischen Verbrennungs- und Abgasen.
Zyiinderbiöä^__^S •Auslassventil

.Wassermantel

Kolbenringe.
Schwungrad
Kolben.

Pleuelstange

7% Abstrahlung des Motors


Kurbelwöile'
5% Reibung (Getriebe, Achslager)
3% Eigenbedarf (Lichtmaschine, Heizung)

B2 Aufbau eines Vierzylinder-Viertakt-Ottomotors B3 Nutzung der Energie beim Benzin-Auto

aus: Impulse Physik 2, 2008, 5. 198

147
Teil B
Grundlagenwissen

Der Austausch im Partnergespräch, ein Blättern in kehrt. Überlegt euch zusammen, was ihr danach
den Unterlagen, die Bildung von Hypothesen zu an­ in der Klasse fragen wollt, um mehr bzw. alles zu
stehenden Problemen und Fragen fördern den verstehen. "
anschließenden Leseprozess.
Didaktischer Kommentar:
Die Detailrezeption erfolgt hier über einen detaillier­
3. Erstrezeption
ten Text-Bild-Vergleich. Die Unterstreichungen ver­
Lehrer: „Jeder liest für sich au f Seite 198 den Text langsamen und intensivieren die Lektüre und geben
über den Otto-Motor. A uf mein Signal hin schließt Anlass zum Austausch mit dem Partner. Erst in der
ihr dann die Bücher und wir vergleichen, was ihr Detailrezeption wird das noch nicht Verstandene an­
alles schon verstanden habt. Anschließend tauchen gesprochen. Die Vorarbeiten lassen auf eine weitge­
wir tiefer in den Text ein. Ihr habt nun fünf M in u ­ hende Selbsterschließung hoffen.
ten Zeit zum Lesen. "

Didaktischer Kommentar: 6. Verständnisüberprüfung


Die Erstrezeption dient dem Überblick und der Vor­ Lehrer: „ Wir hören nun Fragen, die für euch selbst
bereitung der späteren Detailrezeption. Eine Zeitbe­ noch offen geblieben sind. Sie sollen zunächst von
grenzung ist sinnvoll. Die Lerner werden an einen Klassenkameraden beantwortet werden; im Notfall
gestuften Leseprozess gewöhnt. stehe ich aber zur Verfügung. "

Didaktischer Kommentar:
4. Wirkungsgespräch
Im ersten Schritt werden offene Fragen geklärt und
Lehrer: „ Wir schließen nun die Bücher und hören
möglichst von Mitlernern beantwortet; ggf. greift der
reihum, was jeder im Text schon verstanden hat
Lehrer ein.
und was er jedem von euch bislang bringt. Wer
fängt an?" Lehrer: „A uf dieser Folie (diesem Arbeitsblatt, an
der Tafel) findet ihr Fragen, mit denen jeder über­
Didaktischer Kommentar:
prüfen kann, was er verstanden h a t "
Die Lerner äußern sich reihum zum Text. Dies
geschieht zunächst, ohne dass der Lehrer eingreift Fragen zum Verständnis:
und auf Strukturen verweist. Er erfährt dabei Näheres 1. Wann baute Otto den ersten Viertakter?
über den Verstehensgrad der einzelnen Lerner und 2. Nach welchem Prinzip baute Otto den Motor?
kann das weitere Vorgehen darauf abstimmen.
3. M i t welchem Gas arbeitet der Otto-M otor?
Durch das assoziative Zusammentragen setzen sich
4. Warum heißt der O tto -M o to r auch Viertakter?
die Lerner ein weiteres Mal mit dem Text auseinander.
Das Schließen der Bücher bezweckt, dass die Lerner 5. Wie heißen die vier Takte?
nicht Passagen aus dem Buch vorlesen, sondern sich 6. Wodurch wird das Benzin-Luft-Gemisch
aktiv an Inhalte erinnern. im 1. Takt in den Zylinderraum gesaugt?
Zur Erleichterung kann auch eine Wortliste mit Begrif­ 7. Warum ist eine hohe Verdichtung
fen aus dem Text, ggf. auch eine Rohskizze an der wünschenswert?
Tafel oder auf Folie, gegeben werden. Der Blick sollte 8. Warum kommt es im 3. Takt zu einer
dabei auf das Verstandene und nicht auf das Nicht- großen Temperaturerhöhung und einem
verstandene gerichtet werden. Die nachfolgende Druckanstieg?
Detailrezeption erfolgt in zwei Phasen.
9. Warum kühlt das Gas am Ende des
3. Taktes ab?
5. Detailrezeption
10. Warum bewegt sich der Kolben wieder
Lehrer: „Im Text sind Informationen enthalten, die
nach oben und bleibt nicht unten?
nicht im Bild notiert sind, und umgekehrt. Das Bild
11. Welche Aufgabe hat die Pleuelstange?
hilft dir, den Text besser zu verstehen. Im Folgen­
den liest du den Text, wobei du sehr genau auf 12. Wie oft dreht sich die Kurbelwelle
das Bild schaust. Unterstreiche im Text die Begriffe, während einer Periode?
die im Bild eingetragen sind. Ergänze im Bild 13. Welche Energieträger kommen in
Begriffe, die im Text stehen. Überlege dir anschlie­ den vier Takten vor?
ßend, was dir am Text weiterhin nicht klar ist. "
14. Welches sind die Gründe für den geringen
Didaktischer Kommentar: Wirkungsgrad des Otto-Motors?
Die Lerner arbeiten in Einzelarbeit. Danach fordert
Didaktischer Kommentar:
der Lehrer zur Partnerarbeit auf: Im Anschluss folgt die Textproduktion. Lehrkräfte
„Lass dir von deinem Partner die Fragen beant­ wissen, dass diese den Lernern noch erheblich schwe­
worten, die du noch an den Text hast, und umge­ rer fällt als die Textrezeption. Die Textproduktion ist

148 Teil B
Grundlagenwissen

Aufgaben

1. Beschrifte den O tto-M otor mithilfe der Abbildung im Text auf S. 147.
2. Benenne die vier Takte.
3. Lies die 2. Spalte im Text auf S. 147 und fülle die Tabelle zu den
technischen Vorgängen und physikalischen Größen wie im Beispiel aus.

© Josef Leisen

Teil B 149
Grundlagenwissen

evtl. als weiterer (letzter) Schritt der Textarbeit mög­ Träger und Eltern zusammen? Was sind
lich, ihr Einsatz muss aber bereits bekannt sein oder die Pflichten und Rechte der Beteiligten?
schrittweise eingeübt werden. Dies verdeutlichen die • Finanzierung: Wer ist der Träger? Wer
nachstehende Aufgabe sowie das zugehörige Arbeits­ finanziert den Kindergarten? Was bezah­
blatt auf 5. 749: len die Eltern?
• Ziele: Welche Ziele hat der Kindergarten
7. Textproduktion
der Zukunft?
Lehrer: „ A uf dem Arbeitsblatt bekommt ihr eine
Tabelle, die euch hilft, als Hausaufgabe einen eige­ 2. Orientieren Sie sich im Text.
nen Text zum O tto -M o to r zu verfassen bzw. einen a) Lesen Sie die Überschrift, die Zwischenüber­
Vortrag zu halten . " schriften und das Impressum rechts unten.

Didaktischer Kommentar: b) Lesen Sie den Text einmal zügig durch.

Die Lerner werden in die Lage versetzt, nach der Sie müssen nicht alle Details verstehen.

Textrezeption eine Textproduktion durchzuführen. c) Nennen Sie eine Information im Text,


die Sie besonders überrascht hat.
Natürlich gibt es zahlreiche andere Möglichkeiten, einen
Text in den Unterricht einzubinden. Unter lesedidakti­ 3. Lesen Sie den Text im Detail.
schen Gesichtspunkten empfiehlt sich jedoch die schritt­ Der Text hat 11 Absätze. Nummerieren Sie die Ab­
weise und gestufte Vorgehensweise. sätze und streichen Sie die beiden Zwischenüber­
schriften durch. Schreiben Sie die passende Über­
Dabei wird die Textlektüre zunächst als ein Dialog des
schrift aus der Liste über den Absatz:
Lesers mit sich selbst bzw. mit dem Text verstanden; in
diesem Sinne ist Lesen eine „einsame" Tätigkeit. Durch • Die Finanzierung des Modells
die Einbindung des Textes in den Unterricht wird der • Die Zusammenarbeit mit den Eltern
Dialog dann ein Stück weit in das Plenum verlagert. bei Minimax
Dadurch entstehen neue Anregungen und Gelegenhei­ • Einige Szenen aus Minimax
ten zur erneuten Auseinandersetzung mit dem Text.
• Die Entwicklung bei den Kindergärten
Das folgende Beispiel zeigt, wie ein Zeitungstext für
fortgeschrittene Lerner in sprachorientierten Fächern • Das Programm für die Kinder.
in den Unterricht integriert werden kann. • Die Wünsche der Eltern
• Die Kooperation der Partner
Beispiel 2
• Eine Bewertung des Modells
Vorgehen und Leseaufträge zur Erschließung
• Die politischen Absichten
eines Zeitungstextes (s. S. 151):
• Einige Kennzeichen von Minimax
1. Aktivieren Sie Ihr Vorwissen
• Das Ziel der Modells Minimax
und Ihre Vorstellungen.
Sie werden einen Text m it der Überschrift „Der 4. Erarbeiten Sie am Text die Strukturen
Kindergarten der Zukunft " lesen und bearbeiten.
des Kindergartens der Zukunft.

Notieren Sie Ihre Vorstellungen und Wünsche, wie a) Markieren Sie m it Farbe die Informationen im

der Kindergarten in der Zukunft sein soll. Nutzen Text, die etwas über die Struktur, Ziele, Aufgaben
und das Programm eines Kindergartens der
Sie die Stichwortliste.
Zukunft aussagen.
• Öffnungszeiten: An welchen Tagen
b) Formulieren Sie für einen Politiker eine Stich­
und in welchen Zeiten ist er geöffnet?
punktliste m it den wichtigsten Merkmalen des
• Aufnahmealter: Wie alt sind die Kinder? Kindergartens der Zukunft und üben Sie damit
• Gruppengröße: Wie groß sind die Gruppen? eine politische Rede.
• Raumsituation: Welche verschiedenen
• Der Kindergarten der Z ukunft...
Räume gibt es?
• ... ist familienfreundlich, m it...
• Gruppenzusammensetzung: Wie werden
• ... ist ein Familienzentrum, wo ...
die Gruppen zusammengesetzt?
• ... hat altersgemischte Gruppen von ...
• Betreuungsverhältnis: Wie viele Betreuer
gibt es für wie viele Kinder? •...ist...
• Programm: Was tun die Kinder? Wie ist Didaktischer Kommentar:
der Tagesablauf? Was müssen sie, sollen Der journalistische Text verbindet konkrete Beispiele
sie, dürfen sie? von Minimax mit abstrakten Strukturen des Kinder­
• Zusammenarbeit: Wie arbeiten Betreuer, gartens der Zukunft.

150 Teil B
Grun dlagenwissen

Der Kindergartern der Zukunft Ausgangstext

Bielefeld (RP). Eltern träumen von flexiblen Kindergär­ beitrag


UV/ 111 U v • Undw 1 1\A die
VJ 1v Unternehmen
V«/ 1 1Ly 1 1 III 11 W£eben J II eine
V-»V 11 1 1Pauschale
UU OK*1 1Ul v
ten - mit großzügigen Öffnungszeiten, Bring- und Hol- von 345 Euro - für den Betreuungsplatz und für die
nioncfon Betreuung
aiensien, ßofrai li in rr aucn
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am A /aA'nnnnnrin \ A / ö r»v nrJ
vvanreno aha / a i 4*a r4*ö
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uiensiieisiungen. . 11 i k r\Ar4* I m m4 *A 1 ni
Desummte Leistun- in

in NRW der Aufbau der Familienzentren beginnt, ist vgen wie die Betreuung während Dienstreisen müssen
dieser Traum in der Bielefelder Gruppe' „M inim ax11 Eltern selbst bezahlen.
bereits Wirklichkeit geworden.
„W ir müssen weg
So viel Ordnung muss sein: Um 12.30 Uhr hat Konrad
vom Basteltanten-image"
eine frische Hose bekommen. Auf einer Tafel wird über
den Windelwechsel der Schützlinge Buch geführt. Eben­ „Ein gutes Modell11, findet Klaus Dreyer vom Landes-.
so sorgfältig notieren die Erzieherinnen die Schlafzeiten, Jugendamt Westfalen-Lippe. Auf die Frage „Warum es
denn für M utter sind das wichtige Informationen. Ab- ; nicht mehr.'Einrichtungen wie Minimax gibt?11weiß der
gesehen von den „buchhalterischen Pflichten11 hat Referatsleiter keine Antwort. Quantitativ sei NRW gut
Susanna Hoffmann alle Hände voll zu tun: Rechts kräht aufgestellt. „W ir haben bei den Kindern von drei bis
Konrad
- IN l / Z JJahreV
UI II Q.VJ \(AVo link«;
C4lII V^/| 1 <;nprrt
11li\0 O Carl1\MYdpn
UuI 1l VUl 1/ Mund
1/V auf
1UI IU CIU1.. sechs Jahren eine Voll Versorgung11, sagt-Dreyer. , •
Die Erzieherin füttert stereö; Im Nachbarzimmer ist es - Seitdem es seit 1996 den Rechtsanspruch auf einen;
still. Dort stehen sieben Betten. Nur gleichmäßige Atem­ - :M iInI.U.CI
rlp rorii
g a lr lf ep ini pn iI c^t t7 nrikt \a/i
i z &l|Jtr W U iIr U
HCp H e F\l
U di b A n I cg rCpUhUhLf d
anU cbagpc hUrdi U
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züge sind zu hören. Mittagszeit bei Minimax; ; Angesichts des Geburtenrückgangs gelte es, umzu- -
15 Kinder von vier Monaten bis sechs Jahren werden jcfri
LI Uit+i
InLUiriprpn
I 1C 1 C II 1hin 711llpYihlpfpn
1111 Z.U 11C Ä 1U 1C i C 11 T p i1fLC11
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11U rUl CI RC r pCiUi-• - -
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in der Modellgruppe ,,Minimax11im Bielefelder Kinder­ ung der Unter-Drei-Jährigen, sagt Dreyer. Die Land­
garten Flachsfarm betreut. Ziel: Vereinbarkeit von Fami­ schaft verändere sich - langsam.
lie und Beruf. Prädikat: bundesweit einzigartig. Pro­ Für Beschleunigung möchte das Fämilienministerium
jektleiterin Martina Ritzenhoff umreißt die Aufgabe so: sorgen. Mitte Mai hat Minister Armin Laschet sein Pilot-
„W ir kümmern uns um alles, was Eltern ins Schwitzen P rojekt gestartet und 250 Kindertagesstätten in NRW
bringt.11 zu Familienzentren erklärt. Neben Betreuung werden
sie den Eltern Bildung und Beratung, aber auch Service
Öffnungszeiten wie die Vermittlung von Tagesmüttern bieten. 3.000
von 6.30 bis 20.3 0 Uhr - der 9.700 Kindertagesstätten sollen bis 2012 Familien­

Die maximalen Öffnungszeiten von 6.3Ö bis 20.30 Uhr zentren werden.
“ sind.nur ein Kennzeichen von Minimax. Hinzu kommen Was das Ministerium derzeit mit den Familienzentren
ein Bring- und Abholdienst, Betreuung auch nachts und olant p-ehört bei Minimax längst
J L zum
U 1 1 1 1Programm*
1 W W l U I 111 11. f r Wir
■ p i U l . l . l f w y i IV/.I.L UVxl I V. 111 11l.l. ICl/\ 1U.I 1w V V1 ,v."~
am Wochenende ... Die flexible Dienstleistung für be­ wollen die M ütter und Väter mit ihren Sorgen und Fra­
rufstätige Eltern macht Minimax ungewöhnlich. Ein­ gen auffangen11, sagt Ritzenhoff. Es gibt ein Bildungs-
zigartig aber wird das Modell durch seine Finanzierung und Freizeitangebot; Halbjährliche Gespräche mit den
als Public-Private-Partnership-Modell, Eltern sind Pflicht.
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n r i H 11ICIII
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Das .Programm für die Kinder ist situationsabhängig.
Unternehmen an einem Tisch11, sagt die Diplompäda­ „W ir müssen weg vom Basteltanten-1mage11, sagt die
gogin. „Es setzt voraus, dass der Träger güte Kontakte ; Erzieherin- Die Kinder dürfen viel. „ Bei uns gehen sie •
zur Wirtschaft hat14, erklärt Ritzenhoff. Bei der Von- schon mal über Tische und Stühle11, sagt Ritzen hoff.
. Laer-Stiftung, engagiert in mehreren Einrichtungen der lDoch
- ' V / v l 1 wer
V.V V /1 vom
V V i 1 1 Tisch
1 1J y l 1 Jsorinet
m 1.11 1Q L f 1lernt
t i i l » auch
U U y l 1 f dass das
U J J :U U. J weh-
VV v l •
Jugendhilfe, ist das der Fall.
tun kann. O ft geht's raus in den Gärten. Bei Wind und
Die Rechnung klingt nicht schwierig: Die Kommune­ Wetter wird die Gummihose angezogen. Und dann
fördert eine kleine ältersgemischte Gruppe. Die Eltern rauf aufs Dreirad! Ordnung ist da nur noch Neben-' ^ ;
zahlen den üblichen, ein.kommehsabhängigen.Eltern- säche.
■ ' p : i .• - _ .■-- ■- v •: ^ .• ■.

Quelle: Janssen, 2006

5. Reflektieren Sie über den Text. Didaktischer Kommentar:


Im Text lesen Sie: „ Wir müssen weg vom Bas- Bei der Einbindung eines Sachtextes in den laufenden
teltanten-lmage ". Beschreiben Sie das Bild vom Unterricht sind die Anschlusskommunikation Und die
Beruf der Kindergärtnerin (= Berufsbild) in der Verbreiterung in das Plenum zentral.
Vergangenheit und in der Zukunft. Der hier vorgestellten Vorgehensweise liegen die im
Kasten auf S. 152 aufgeführten Prinzipien zugrunde:

Teil B 151
Grundlagenwissen

Leseförderung durch
Prinzipien zur Einbindung Vereinfachung und
Optim ierung von Sachtexten
eines Sachtextes in den Fachunterricht
Wieso kann durch die Vereinfachung und Optimierung
Prinzip der Kontextualisierung eines Sachtextes das Lesen gefördert werden? Wurde
nicht an anderer Stelle (vgl. S. 32 f.) eine generelle und
den Textinhalt sinnstiftend iri den Unterrichtskontext
ungezielte Vereinfachung von Sachtexten abgelehnt
und stattdessen die Bedeutung einer möglichst selbst­
Prinzip der A ktivierung ständigen, durch Lesehilfen und Lesestrategien unter­
das Vorwissen durch Vorübungen und Wiederho- : stützten Textbearbeitung als vordringliches Ziel der
Jungsphasen aktivieren Leseförderung hervorgehoben?

Prinzip der Verbalisierung Diese Feststellung ist richtig. Manche Texte sind aber
für Lerner so schwer, dass sie selbst mit Lesestrategien
die Erstrezeption durch Verbalisierung dessen, was i
und beigefügten Hilfen nicht zu bewältigen sind. Die
schön verstanden wurde,.einleiten
Lehrkraft muss solche Texte dann dem Könnensniveau
Prinzip der A nleitung _ der Lerner anpassen und sie ggf. vereinfachen oder
einen ganz neuen Text schreiben. Andernfalls besteht
die Gefahr, dass Lerner Misserfolgserlebnissen ausge­
setzt werden, die sich immer fatal auf das Könnensbe­
Prinzip der Überprüfung wusstsein auswirken. Misserfolge können Leser sogar
das Verständnis durch Fragen öder Austausch in der in eine Negativspirale bringen, mit der Folge, dass sich
gerade sprachschwache Lerner Sachtexten gegenüber
gänzlich verweigern.

Beim Umgang mit Texten im Unterricht gibt es grund­


einen eigenen Text, ggf. mit Hilfestellung, erstellen sätzlich zwei Möglichkeiten (vgl. Grafik S. 121 u. 153):
- Anpassung des Lesers an den Text:
Der Leser wird in seiner Lesekompetenz geschult,
indem Strategien zur Verbesserung des Textverste­
hens trainiert werden.
; Sowohl die durchweg positiven Erfahrungen aus der :i - Anpassung des Textes an den Leser:
Der Text wird vereinfacht und an die Fähigkeiten des
Lesers angepasst.

Lesekompetenz ist das Ergebnis eines Prozesses, Nachfolgend wird beschrieben, wie eine solche Anpas­
der gestuft abläuft. Maßnahmen zum Aufbau der sung des Textes an den Leser erfolgen kann. Dabei hat
Lesekompetenz müssen diese Stufung berücksich­ die Lehrkraft zwei Möglichkeiten:
tigen und ebenfalls gestuft erfolgen Wenn Lehr­ - Textvereinfachung: Der Text wird im Wesentlichen
kräfte die Erkenntnisse zum Leseverstehen berück- beibehalten. Er wird ggf. gekürzt, zerschnitten und
:f: sichtigen und Lesestrategien sowie bewährte Lese­ neu geklebt, retuschiert, ergänzt oder teilweise
prinzipien einsetzen (vgl. S. 130 u. 1 4 2 f.), wird ersetzt.
dies bei den Lernern zu einem Anwachsen der
- Textoptimierung: Der vorliegende Text wird verwor­
fen und ein neuer erstellt, der den Kriterien der Text­
Sachtexte spllten möglichst im Anschluss an das : optimierung genügt. Der Text wird also auf die Lern­
„einsame'- Lesen in den Unterricht integriert wer­ gruppe zugeschnitten und ist somit für diese ange­
den. Dies hat den Vorteil, dass eine Anschluss- messen und verständlich.
und Begleitkommunikation stattfinden kann, die
Ob eine Textvereinfachung vorgenommen werden muss
den Austausch über das Gelesene; die Integration
oder nicht, hängt entscheidend von der didaktischen
des eigenen und fremden Vorwissens und die Ver-
Zielsetzung der Lehrkraft ab. Den vereinfachten Text
balisierung des Verstandenen und des Nichtver- :
standenen fördert.
an sich, ohne Bezug auf den Leser und ohne Bezug auf
die didaktische Absicht, gibt es somit nicht.
Durch die Integration des Textes, in den Unterricht
So kann es durchaus Bestandteil der Aufgabenstellung
beschäftigen sich die Lesenden zudem länger und
intensiver mit dem Text. Die Anschluss- und Begleit—: sein, dass sich Lerner durch einen nicht vereinfachten
kommunikation fördern damit das Verstehen: des Text „durchbeißen" müssen-sofern beispielsweise die
Textes in hohem Maße. Erschließung authentischer Texte das Lernziel ist. Hin­
gegen muss eine Textvereinfachung vorgenommen wer­

152 Teil B
Grundlagenwissen

Der Umgang mit Texten im Fachunterricht

Sachtexte

offensiv defensiv

Anpassung des Lesers Anpassung des Textes


an den Text an den Leser

/ durch Strategien \ / durch Eingriffe \


/ zur Verbesserung \ / in den Text zur \
/ des Textverstehens \ / Erleichterung des \
/ Textverstehens \

Text­
Lesestrategie Lesetraining alternative Texte
vereinfachung

© Josef Leisen

den, wenn die Lektüre eines erklärenden Sachtextes ten11Texte aber dennoch einsetzen; sie muss diese dann
fachliches Verstehen bewirken soll, dieses Ziel aber ohne nur vereinfachen oder den Zugang zu ihnen dadurch
Vereinfachung an den aus dem Text resultierenden erleichtern, indem sie die Texte auf das Sprachvermögen
Schwierigkeiten scheitern würde. der Leser zuschneidet. Einen solchen „Zuschnitt auf
das Sprachvermögen der Leser11verdeutlicht beispielhaft
Problematisch sind Textvereinfachungen aber allemal.
die Bearbeitung des nachfolgenden Textes zum Otto-
Denn zumeist entfernt man sich dadurch von der Fach­
Motor. Dabei zeigen die eingestreuten Sprechblasen,
sprache im engeren Sinne und baut u.U. neue Text­
an welchen wichtigen Stellen und wie eine Vereinfa­
schwierigkeiten ein; in jedem Fall erhöht man den
chung erfolgen kann (siehe Abb. au f S. 154):
Sprach- und den Textumfang.
Vergleicht man diesen vereinfachten Text zum Otto-
Welche Form der Vereinfachung sinnvoll istr muss die
Motor mit dem Originaltext (S. 147), so zeigt sich deut­
Lehrkraft immer im Einzelfall und immer im Hinblick
lich, dass eine Textvereinfachung die Möglichkeit zur
auf die Zielsetzung, die didaktische Absicht und den
Textentlastung bietet, ohne dabei inhaltliche Abstriche
methodischen Aufwand entscheiden.
zu machen.

Anforderungen Bei der Konstruktion und Anlage eines vereinfachten


an Texte für Textes haben sich folgende Empfehlungen bewährt (in
sprachschwache Lerner der Textvereinfachung zum O tto-M otor berücksich­
Welchen Anforderungen müssen Texte genügen, damit tigt):
sie auch bei sprachschwachen Lernern im Fachunterricht 1. den Leser unmittelbar ansprechen und eine
einsetzbar sind? Fragehaltung erzeugen;
1. Die Texte sollten „ansprechend" sein, also die Ler­ 2. eine „Programmvorschau11 geben;
nenden als „Dialogpartner11 ernst nehmen; 3. Erklärungen einschieben, mit „d.h.11 oder „z.B.11;
2. Die Texte sollten nicht abschrecken, sondern durch 4. kurze Sätze bilden;
ihr sprachliches und inhaltliches Niveau angemessen
5. Ausdrucksformen, die der gesprochenen Sprache
herausfordern und beeindrucken;
nahe kommen (sogenannte Verbale) einsetzen;
3. Die Texte sollten nicht durch Länge und Detailreich­ 6. bei denselben Begriffen bleiben und einen
tum verwirren und entmutigen; unnötigen Ausdruckswechsel vermeiden;
4. Die Texte sollten nicht „exaltiert11 sein, also durch 7. schwierige Wörter, Gedankengänge und Aussa­
ihren Sprachstil künstlich und abstoßend wirken. gen in den nachfolgenden Sätzen wiederholen;
Nicht jeder Lehrbuchtext ist für den Einsatz im Unter­ 8. Beispiele aus dem Erfahrungsbereich des Lesers
richt geeignet. Die Lehrkraft kann solche „ungeeigne­ einbringen;

Teil B 153
Grundlagenwissen

Ansprache des Herstellung einer


Lesers und Programmvorschau Der Otto-Motor - das Herz des PKW J Fragehaltung
Weißt du, warum der M otor das Herz des PKW ist und wie er funktioniert? In ihm wird chemische Ener­
gie in mechanische Energie gew echselt^a^g^yjeliL.uuf^n ciirs „explosionsartige" Verbrer^vng.
der Verbrennung s€ ® 3 Ä I ' y S rst )ff < °xidation)- Wen" uBent in bp E u n g e nn
angezündet wird, Idann feegriffees nurjarkiejüsHpr Ohprfl^rhp, da va/q^ s Kontakt mit der Luft hat. bim — :—-----■
wen get man, <
Benzin mehr Kontakt mit den>^aaH!stoff der Luft zu geben, wendct.mar emcn ^Rrick an: Das Benzin
J Anschaulr eit I
/T A Jji^ e f^ a s e r „vergast'^fBenzin wird in^Sprayform mit Luftwermiscnr. ^handelt sich also um winzi-
L / Rpnzintrö Dfchen mit viel Eu ^ s Benzin-Luft-Gemisch wird zur „Explosion" gebracht.

Das geschieht in vier Schritten, auch Takte genannt. Aus diesem Grund heißt dieser Verbrennungsmotor
auch „Viertakter". Die Verbrennung (Oxidatiop; ^^täh'dnM ö^d'em ^e0 iäufti. Dazu wird das Gas-Luft-
Gemisch über eine Leitung mit einem Einlassventil .in; d(Brk^(fn^naüm gebracht, siehe Abbildung.
1. Ansaugtakt: Der Kolben bewegt sich nach unten. Das Ventil Abgeschlossen, das|pntil E wird
geöffnet. Dadurch wird das Benzin-Luft-Gemisch in den Z^tfiderraurn gesaugfer^pij.cin Unterdrück
Dildbezogene
entsteht. (So wie beim Trinken von Cola mit dem Strohhalm.)
Beschreibung
2. Verdichtungstakt: Der Kolben bewegt sich, unten angekommen, durch den Säiwung n'duiubcn. Bei­
de Ventile sind geschlossen. Das Gemisch wird „verdichtet". Dabei steigt die Temperatur des Gemi­
sches auf 300°C bis 400°C, denn nach dem Gadgesetz steigt die Temperatur, wenn das Volumen ver­
kleinert wird. (So wie eine Luftpumpe warm wMa, wenn sie zusammengedrückt wird.) Eine hohe
Temperatur bereitet die explosionsartige VedDretinung & al vor.
^fcfe:ehutsame
3. Arbeitstakt: Beide Ventile sind geschlosse on möglichst heftig wird, wenn die Zün­
dung- erfolgt.
- Der Treibstoff verbrennt sem erreicht^ mPef p i | i p
Das Gasgesetz besagt, dass es bei der grolSeirTeiiiperaturemöhung zu einem s»:a
kommt. Dadurch wird der Kolben sehr schnell nach unten gestoßen. Dieser Vorgang treibt dij?
des Autos an. (Genaueres unten.) Das Gasgesetz besagt, dass sich Gas abkühlt, wenn seiir^dlumen
rasch vergrößert wird. (So wie die Luft deine Hand kühlt, wenn du heftig gegen sie blästfDie warme
Luft aus denjflAund bekommt ein großes Volumen.)
4. Auspuftekf:aE (Lbgn bewegt sich nach oben. Das Ventil A ist geöffnet und die Abgase werden
herausg Pi itz für neues Gas-Luft-Gemisch geschaffen wird.

Nun kann qer Ä b fM i^ fle u t ff eginnen. Wenn die vier Takte einmal durchlaufen werden, nennt man
das eine Periode. Der Kolben bewegt sich während einer Periode zweimal nach unten und zweimal
nach oben. Die Räder des Autos sollen sich aber drehen. Wie überführt man also eine Oben-Unten-
Bewegung in eine Drehbewegung? Das geschieht technkch mit der Pleuelstange. Die geradlinige
Bewegung des Kolbens wird von de^leuelstanz e an elnefe-^nde aufgenommen und am anderen
Ende mithilfe einer Kurbd FöfFb^wegung übergeführt. Während einer
fördernde
Periode dreht sich die Kl
_____________ |§rtiärüngen
Ein M otor mit einem Zylinder gibt also immer nur stoßweiser nämlich im 3. Takt seine Energie an die
Räder ab. Das Auto würde also nur Stöße bekommen, Das Problem löst man mit dem „Vierzylinder".
Der Motor hat vier I ^ h f a : r i ger r dass immer einer gerade im Arbeitstakt ist.
Damit arbeitet das Herz des PKW immer.

Dieser M otor wurde von Nikolaus


Otto um 1870 nach vielen Versu-
chen^funden. Deshalb wird er
r'Otto-Motor genannt. Trotz
Sprüngen konnte die
rtgie des Treibstoffes
wbüeäüfcire^eto en nicht zu mehr
alsFMgigri'nechj/nisch genutzt wer-
den. 75% der Energie geht unge­
nutzt über die Abgase und die
Wärme (durch die Kühlung) in die 1. Ansaugtakt 2. Verdichtungstakt 3. Arbeitstakt 4. Auspufftakt
Umwelt
Wirkungsweise eines Viertakters

154 Teil B
Grundlagenwissen

9. ergänzende Details an den Schluss stellen; Das aber kann nur gelingen, wenn ihnen auch sprach­
10. anschaulich argumentieren durch Anbin­ lich und fachlich anspruchsvolle Texte „zugemutet"
dung an bekannte Gegenstände, Vorgänge, werden. Allerdings müssen die Lerner dann auch - wie
Ereignisse ...; an dem obigen Beispiel detailliert erläutert - durch ent­
sprechende Strategien und Übungen in ihrer Kompetenz
11. durch Bilder unterstützen;
geschult und gefördert werden, sich diese schwereren
12. rhetorische Fragen zum Mitdenken stellen; Texte zu erschließen.
13. den Text klar gliedern und zur Ausgangs­ Lehrbuchtexte werden heute leider noch viel zu selten
frage zurückkehren. im Unterricht eingesetzt, obwohl sie durchaus geeignet
Einer Lehrkraft bieten sich vielfältige Möglichkeiten, sind, das Leseverständnis zu fördern. Dies gilt selbst
das Textverständnis der Lerner zu erleichtern. Dies er­ dann, wenn die Lesekompetenz der Lerner nicht dazu
folgt, indem sie in einen Text eingreift; z.B. durch ausreicht, den Text auf Anhieb zu verstehen. Denn Ver­
stehensprobleme sind auch Lerngelegenheiten, die die
- Lesehinweise
Lerner herausfordern. Lehrkräfte sollten sie nutzen, um
- Ergänzungen die Lerner anzuregen, sich mit den Inhalten auseinan­
- oder gar die adressaten-orientierte derzusetzen.
Neufassung des Textes. Dazu ist erforderlich, dass die Lehrkraft insbesondere
Alle diese Eingriffe sind aber nicht Selbstzweck, sondern sprachschwachen Lernern hilft, diesen also Verstehens­
dienen einzig und allein dazu, den Lese- und Lernpro­ hilfen bereitstellt. Ganz nebenbei werden die Lerner
zess beim Lesenden zu optimieren. Deshalb sei auch auf diese Weise zugleich mit der Fachsprache vertraut
noch einmal daran erinnert, dass einfache Texte nicht und benutzen sie zunehmend auch selbst. Eine zusätz­
zwingend auch gute Texte sind (vgl. 5. 32, 122). Denn liche Unterstützung kann darstellen, dass der Text im
Einfachheit ist ein Merkmal, aber kein Qualitätsurteil. Lehrbuch eine Struktur hat, das Wissen geordnet dar­
bietet und jederzeit zugänglich ist.
Je nach Lesesituation und Lesekompetenz des Lesers
kann ein komplizierter Text sogar eine wertvolle Lern- Diese Überlegungen gelten natürlich nicht für Texte,
gelegenheit darstellen. Dies ist aber im Einzelfall zu die derart ungeeignet sind, dass weder eine Texter­
prüfen. Denn ebenso, wie kompetente Leser an sprach­ schließung noch eine Textvereinfachung angebracht
lich wie inhaltlich anspruchsvollen Texten wachsen, ist. In diesen Fällen wird die Lehrkraft einen geeigneten
werden Leser mit unzureichender Kompetenz daran Text entwerfen müssen, also einen, der auf die jeweilige
verzweifeln. Vordringliches Ziel der Lehrkraft sollte es Lesergruppe passt. Dabei sollte sie darauf achten, den
ursprünglichen Text nicht zu „verschlimmbessern11.
deshalb sein, Leser zu einer möglichst hohen Lesekom­
petenz im eigenständigen Umgang mit nicht verein­ Passende Lehrbuchtexte mit entsprechenden Leseauf­
fachten Texten zu bringen (vgl. die Ausführungen zum gaben steuern unterrichtliche Lernprozesse. Lehrkräfte
offensiven Umgang m it Sachtexten, S. 122), so unter­ in Deutschland nehmen aber den Unterricht leider
schiedlich am Ende die dann individuell entstandene immer noch lieber selbst (frontal) in die Hand, statt ihn
Lesekompetenz auch sein mag. dem Lehrbuch zu überlassen. Sie sind häufig überzeugt,
dass die Lerner mit dem Text nicht klarkommen werden.
Konsequenzen Zudem gehen sie davon aus, dass es zum Wohle der
Welche Konsequenzen müssen daraus für das Lesever­ Klasse sei, wenn sie als Lehrkraft den Lernern das Wis­
stehen gezogen werden? Hierzu sollte sich die Lehrkraft sen selbst vermitteln. Außerdem müsse man den Ler­
zunächst vor Augen halten, dass es sich bei der Text­ nern am Schluss ja doch wieder alles erklären - dann
könne es die Lehrkraft auch gleich selbst vortragen.
vereinfachung um eine defensive Strategie handelt, vgl.
Abb. S. 153. Da es den vereinfachten Text an sich - Bei dieser Form des Unterrichts jedoch können Lerner
also ohne Bezug auf den Leser und die didaktische kein Vertrauen in ihre Fähigkeit entwickeln, sich Sach­
Absicht - nicht gibt, wird jede Textvereinfachung mit texte eigenständig zu erschließen. Und wie sollen sie
didaktischen Nachteilen erkauft. Der Einsatz verein­ die selbstständige Erschließung von Sachtexten lernen,
fachter Texte anstelle eines Originaltextes bedarf des­ wenn ihnen die Gelegenheiten dazu vorenthalten wer­
halb im Einzelfall immer abwägender Überlegungen. den?

Es kann nicht Aufgabe einer Lehrkraft sein, Texte für


die Lerner um- oder gar neu zu schreiben; dies muss
die Ausnahme sein und bleiben. Ziel sollte vielmehr
sein, die Lerner im Umgang mit Texten so zu trainie­
ren, dass diese in die Lage versetzt werden, auch mit
sprachlich und inhaltlich schwierigeren Texten „fer­
tigzuwerden“.

Teil B 155
Das Schreiben von Texten
im sprachsensiblen Fachunterricht

Basiswissen „ wie ein Werkzeug, das man gebraucht, während man


es noch schmiedet " (vgl. S. 11).
zum Schreiben Für das Schreiben im Fach gelten jedoch einige Beson­
von Sachtexten derheiten. Denn Schreiben im Fach stellt eine spezielle
Form des Kommunizierens dar, das auf einen „imagi­
Schreibkompetenz und nären Gesprächspartner" hin ausgerichtet ist. Dieser
kann zwar nicht antworten, kann (und soll) aber ver­
Textkompetenz
stehen.
Lesen ist schon schwer genug - und dann auch noch Die mit dem Schreiben einhergehende Verlangsamung
das Schreiben! Schreiben im und für den Unterricht der Kommunikation (vgl. S. 162) hat große Vorzü­
gehört für die Lernenden zum Schwierigsten überhaupt. ge für den Verfasser: Er kann die eigenen Gedanken
Hierfür gibt es mehrere Gründe: ordnen, in einen logischen Zusammenhang bringen,
1. Gelingendes Schreiben setzt voraus, dass die Lerner bewusst und reflektiert argumentieren, überzeugend
die Bildungssprache beherrschen bzw. überwiegend und gegliedert darstellen sowie einen Sachverhalt prä­
beherrschen. Dies ist aber gerade bei sprachschwa­ zise und sprachbewusst verbalisieren, ohne dem Zeit­
chen Lernern bzw. denen mit Zuwanderungsge­ druck der mündlichen Kommunikation ausgesetzt zu
schichte nicht der Fall. sein. /

2. Unter „Schreiben" wird sowohl der Prozess der Text­ Genau diese „Endgültigkeit und Dauerhaftigkeit" der
produktion als auch die Schreibkompetenz an sich schriftlichen Kommunikation führt aber auch dazu, dass
verstanden. Beide Elemente unterliegen aber unter­ es bei manchen Schreibern zu Schreibhemmungen
schiedlichen Einflussfaktoren, die sich zum Teil auch kommt oder sie regelrecht um die logische und sprach­
noch gegenseitig bedingen. Das Beherrschen der liche „Eindeutigkeit" des Geschriebenen „ringen".
beiden Elemente ist für den Lerner somit sehr an­ Dann tritt oft das Gegenteil ein: Der Text wird durch
spruchsvoll und komplex. zu akribische Formulierungen unverständlich.

Beim Schreiben sind folglich - wie beim Sprechen - Der wissenschaftliche Ansatz zu diesem Thema ist
Sprachlernen und Fachlernen untrennbar miteinander unterschiedlich: Paul Portmann-Tselikas (vgl. S. 112)
verbunden; denn auch hier fallen das Kommunizieren versteht unter dem Begriff „Textkompetenz" sowohl
über das Fach und das Kommunizieren-Lernen im Fach
die Lese- als auch die Schreibkompetenz: „Textkom-
petenz ermöglicht es, Texte selbstständig zu lesen, das
zusammen. Schreiben im Unterricht ist daher ebenfalls
Gelesene m it den eigenen Kenntnissen in Beziehung
zu setzen und die dabei gewonnenen Informationen
und Erkenntnisse für das weitere Denken, Sprechen
Begriffsdefinition und Handeln zu nutzen. Textkompetenz schließt die
Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit
Schreibkompetenz ist die grundsätzliche und zielgerichtete
Gedanken, Wertungen und Absichten verständlich und
Fähigkeit, Texte unterschiedlicher Art in ihren Absichten,
adäquat mitzuteilen." (Portmann-Tselikas, 2005, S. 1)-
ihren Adressaten und ihrer formalen Struktur situations­
angemessen und erfolgreich herzuistellen und dabei die Folgt man hingegen der PISA-Studie bzw. ihren Über­
eigene Schreibhandlung kognitiv und reflexiv zielgerichtet legungen zum Erwerb einer generellen „Reading Lite­
zu steuern und zu bewerten. racy" und überträgt diese analog auf das Schreiben,
. .-- - -
ergibt sich die Notwendigkeit einer generellen „ Writing
Schreiben im Fach hingegen - verstanden als das Verfas-
Literacy" von Lernern. Diesem Ansatz zufolge ist
sen von Texten - i s t ein ebenso kreativer wie produktiver
Schreibkompetenz eine grundlegende Form des kom­
Lernprozess, der zudem auch noch äuf.zwei unterschied-
munikativen Umgangs mit der Welt.
v liehen Ebenen stattfindet. Denn beim Schreiben bringen
: wir fachliches und sprachliches Lernen zusammen, da wir Dieser „kommunikative Umgang mit der Welt" in Form
; das Fach gleichzeitig //? c/er Sprache.sowie m it der Sprache des Schreibens kann aber nur fächerübergreifend erfol­
lernen. gen; die Förderung der Schreibkompetenz ist somit
zwangsläufig eine Aufgabe aller Fächer.

156 Teil B
Grundlagenwissen

Will die Lehrkraft eine fachlich wie sprachlich mög­ der Lehrkraft, den Schwierigkeitsgrad einer Schreibauf­
lichst angemessene Förderung sprachschwacher Lerner gabe zu ermitteln.
betreiben, sollte sie die nachfolgenden grundlegenden
Forschungsergebnisse kennen und berücksichtigen: Ein M odell zur Entwicklung
der Schreibkompetenz
1. Schreibkompetenz ist eng mit der individuellen
Fach- und der individuellen Sprachkompetenz des Nach dem Modell von Becker-Mrotzek (2004) ent­
jeweiligen Lerners verbunden. Zudem scheint ein wickelt sich die Schreibkompetenz in einem „ parallelen,
mehrdimensionalen Prozess". Er weist der Schreibent­
enger Zusammenhang zwischen der Schreib- und
der Lesekompetenz eines Lerners zu bestehen. wicklung eine kognitive, eine sprachliche und eine orga­
nisatorische Dimension zu.
2. Beim Schreiben entwickeln sich alle Kompetenzen
Die kognitive Dimension fokussiert darauf, wie die Sach­
parallel - also die Fachkompetenz, die Sprachkom­
verhalte im Text dargestellt werden (Perspektive, Ab­
petenz, die Lesekompetenz und die Schreibkompe­
straktionsgrad, Gereralisierungsgrad ...). Die sprachliche
tenz. Auch durch Schreiben werden also kognitive
Dimension fokussiert auf die sprachliche Gestaltung
Prozesse gefördert, die an Fachinhalten festgemacht
des Textes (Aufbau, Stil, Adressatenbezug ...). Die orga­
werden und die Sprache brauchen. Die jeweils beim
nisatorische Dimension setzt sich mit der Organisation
Lerner vorhandene Schreibkompetenz gibt der Lehr­
der Schreibhandlung (Reflektiertheit im Schreibprozess,
kraft dabei wichtige Anhaltspunkte dafür, in welchem
Revision, Strukturiertheit ...) auseinander. Empirische
Umfang die Effizienz des Schreibprozesses gefördert
Untersuchungen zur Entwicklung instruktiver Schreib­
werden kann und muss.
kompetenzen bestätigen die Annahme einer weitge­
Auf die Bedeutung und Notwendigkeit einer entspre­ hend parallelen Entwicklung der drei Dimensionen (vgl.
chenden Diagnose zur Ermittlung des Sprachstands Becker-Mrotzek, 2004, S. 208 ff.).
gerade sprachschwacher Lerner wurde bereits mehrfach Die Ergebnisse zur Textsorte „Beschreibung" (konkret:
hingewiesen. Überträgt man die Lesekompetenzmatrix eine Bedienungsanleitung) sind in der nachfolgenden
der PISA-Studie (vgl. 5. 112) analog auf das Schreiben, Tabelle skizziert. Die Ausführungen liefern auch inte­
lässt sich die untenstehende Schreibkompetenzmatrix ressante Anhaltspunkte dafür, wie eine Lehrkraft sprach­
erstellen. schwache Lerner fördern und gezielt zur Beseitigung
Dabei geben auch bei der Schreibkompetenzmatrix ihrer Sprachdefizite beitragen kann.
die Kompetenzbere/c/7e die Breite und die Kompetenz- Der Prozess ist zu den Entwicklungsphasen von Kindern
stufen die Tiefe der (Schreib-)Kompetenz wieder. Die und Jugendlichen in Beziehung gesetzt; dabei entspre­
Matrix ist somit ein gutes Instrument, um festzustellen, chen die Altersangaben der Regelentwicklung von Kin­
welche Schreibkompetenzen bei Lernern zur Bewälti­ dern und Jugendlichen ohne Entwicklungsstörungen
gung einer Schreibaufgabe erforderlich sind, und hilft (vgl. Akhtari, 2006, S. 2 9 -3 3 u. Richter, 2008, S. 28-33).

ompetenzbereiche

Darstellungsformen nutzen Darstellen Argumentieren und Diskutieren

mit vorgegebenen einfache Sachverhalte in Wort sachbezogene Fragen stellen


Darstellungsformen und Schrift oder einer anderen
arbeiten vorgegebenen Form unter
Anleitung darstellen

geeignete Sachverhalte fachsprachlich auf Beiträge anderer sachgerecht


Darstellungs­ und strukturiert darstellen eingehen, Aussagen sachlich
formen nutzen begründen

Darstellungsformen Darstellungsformen sach- und auf angemessenem Niveau


selbstständig auswählen adressatengerecht auswählen, begrenzte Themen diskutieren
und nutzen anwenden und reflektieren

Schreibkompetenzmatrix (in Anlehnung an die PISA-Studie


auf drei Kompetenzstufen gekürzt, vgl. Deutsches PISA-Konsortium, 2001, S. 89)

Teil B 157
Grundlagenwissen

m m gg . -----| 7~^ gg W BS 1
- - Phasen der Entwic klung der Schreibkompetei17 ' ~f
' -T- 5 ,4 r " Hl

- ; Ausbauphase 1: Ausbauphase 2: Ausbauphase 3:


Orientierung am Erlebten Orientierung an der Sache und Literale Orientierung
(etwa 7-10 Jahre) am Leser (10-14 Jahre) - 1 (ab Adoleszenz)

1 • Im Text werden vor allem • Die Beschreibung zeichnet • Der beschriebene Sach­
kognitive
Dimension wahrnehmbare Sachverhalte sich nicht mehr nur durch verhalt wird verall­
geschildert. eine Ereignisfolge aus, son­ gemeinert dargestellt.

| • Der beobachtbare Sach- dern wird als bewusste • Er wird aus der individu­
| verhalt wird aus der Ich- Handlung dargestellt. ellen Veranlassung gelöst
| Perspektive beschrieben. • Es findet eine Perspektiv­ und generalisiert.
• Die Beschreibungen sind übernahme statt. Der • Es werden grundsätzliche
I sehr konkret und wenig Schreiber spricht den Leser Verwendungszwecke des
j§ abstrakt. in der Du-Perspektive an. Gegenstandes erläutert.
• Die Distanz des Schreibers
zum Text vergrößert sich.
• Die Beschreibung wird
zunehmend abstrakter.

ffi • Es überwiegen Alltags­ • Neben der verwendeten • Sprachlich stellt sich der
sprachliche
Dimension begriffe im Text und der Du-Perspektive wird verstärkt Schreiber auf die Eigen­
§ Sachverhalt wird beschrei- die Infinitivkonstruktion schaften der Leser ein
§ bend dargestellt. „um ... zu" verwendet. und weiß um die unter­
• Der Schreiber verarbeitet schiedliche Wirksamkeit
. • Die Beschreibung besteht
die Kommunikationssituation von sprachlichen Mitteln.
aus einer Folge von ver­
ketteten und anweisen- nicht mehr nur textlich,
|§ den Äußerungen. sondern auch zunehmend
RI • Es fließen keine anderen sprachlich.
H Textelemente (z.B. Eröff- • Der Schreiber nutzt außer­
jj nung)m itein. dem mehr Fachbegriffe.
• Die einzelnen Handlungen
werden erklärt, wodurch
unterstrichen wird, dass
der Schreiber den Leser zu
konkreten Handlungen
bewegen will.

- - ...
-i-r'----“-' • Der Schreiber ist sich des
organisatori­ j j | • |m Text wird deutlich, dass • Der Text wird durch
sche der Schreiber den Text andere Textelemente Schreibprozesses bewusst.
Dimension U wenig geplant hat. stärker strukturiert. • Die Planung ist gründlich
H • Dennoch erkennt er die • Das Vorhaben des Schreibers und der Text wird als
g Kommunikationssituation wird durch eine Einführung Ganzes reflektiert.
|f und das Ziel der Beschrei- beschrieben oder es werden
Ü bung. Zwischenüberschriften und
- ;=' ~V~v 'i Absätze benutzt.
• Der Schreiber richtet sich
stärker auf den Leser ein. Der
Text wird jedoch noch nicht
als Ganzes wahrgenommen
und entsprechend reflektiert.

Teil ß
158
Grundlagenwissen

Einflussfaktoren - Die Schreibanforderungen (Schreibabsicht, Adressa­


auf den Schreibprozess tenbezug, Anspruchsniveau, Umfang) entscheiden
maßgeblich darüber, wie hoch der Schwierigkeitsgrad
Überträgt man die Ausführungen der PISA-Studie zur
der Schreibaufgabe ist, den der Lerner beim Schreiben
Lesekompetenz auf das Schreiben, gibt es auch dort
Einflussfaktoren, die für den Schreibprozess von Bedeu­ bewältigen muss. Aufgrund der besonderen Beschaf­
tung sind, sich aber zugleich auf die Schreibkompetenz fenheit des Schreibens als ein auf den Dialog mit dem
von Lernern im Ganzen auswirken (vgl. S. 114, 168): Leser (hier: das Verstehen) ausgerichteter (Kommu-
nikations-)Prozess muss sich der Schreiber beim Erstel­
- Die Merkmale des Schreibers (Vorwissen, Wortschatz,
len des Textes in die Gedankenwelt des Adressaten,
lexikalisches Wissen, Motivation, Einstellungen,
dessen Kompetenz, Niveau und Auffassungsvermö­
Kenntnis von Textmerkmalen, Schreibstrategiewissen)
gen hineindenken können.
haben großen Einfluss auf das Schreiben und das
Schreibprodukt. Untersuchungen zufolge haben Das erfordert eine Loslösung von den eigenen Vor­
Schreiber, die überein inhaltlich relevantes Vorwissen lieben und Absichten des Schreibers und ist nur mög­
zu dem Thema des jeweiligen Sachtextes verfügen, lich, wenn eine entsprechende Sachkompetenz vor­
die besten Chancen, auch ein gutes Schreibprodukt liegt. Oder, anders formuliert: Der Schreiber muss ein
zu verfassen. Insbesondere im Fachunterricht und bei Stück weit über der Sache und in Distanz zu sich
sprachschwachen Lernern ist deshalb die Aktivierung selbst stehen.
bereits vorhandenen Vorwissens und die Auffrischung - Die Beschaffenheit des Schreibproduktes (beispiels­
bzw. systematische Vermittlung inhaltlich relevanten weise in Bezug auf Inhaltsorganisation und Struktu­
Hintergrundwissens zum Textthema geboten. rierung, Kohärenz, Darstellungsformen, hierarchisch­
Auch ein vorhandener umfangreicher Wortschatz und sequenzielles Arrangieren von Textinhalten, Vorwis-
ein gutes Ausdrucksvermögen begünstigen die Fähig­ sens- und Erwartungsstrukturen des Lesers) ist ein
keit, Texte zu erstellen. Gleiches gilt für Kenntnisse weiterer wichtiger Faktor mit Einfluss auf das Schreib­
über Struktur und Aufbau der verschiedenen Arten produkt. Im Fachunterricht sind die Schreibprodukte
von Sachtexten und der Textstrukturen, da dies dem (z.B. das Erstellen eines Versuchsprotokolls in der
Schreiber das strukturierte und zielgerichtete Verfas­ Chemie, Biologie oder Physik) meist sowohl hinsicht­
sen von Texten erleichtert. lich des inhaltlichen Aufbaus wie auch der logischen

Einflussfaktoren auf den Schreibprozess*

M erkmale des Schreibers


Vorwissen, Wortschatz,
Ausdrucksfähigkeit,
Motivation,
Einstellungen, Kenntnis von
Textmerkmalen

Aktivitäten des Schreibers Schreibanforderungen

adaptiver Einsatz von Schreibabsicht,


Schreibstrategien, Adressatenbezug,
Schreibüberwachung, Anspruchsniveau,
Selbstregulation Umfang

Beschaffenheit des
Schreibproduktes
Inhaltsorganisation und Strukturierung
(Kohärenz, Darstellungsformen,
sequenzielles Arrangieren,
Vorwissensaktivierung)

* analog zu den Einflussfaktoren auf den Leseprozess (vgl. S. 115)

Teil B 159
Grundlagen wissen

Struktur formal vorgegeben. Hier bieten vom Lehrer des Textes in Abschnitte mit Überschriften niedrigerer
angebotene Schreibübungen gerade sprachschwa­ Ordnung wider.
chen Lernern die Chance, eine gewisse Routine zu - Q u a litä t hinsichtlich der Inhalte: Der Text muss
entwickeln (vgl. S. 168). inhaltlich korrekt sein.
- Die Aktivitäten des Schreibers (adaptiver Einsatz von - Relevanz für die Textabsicht: Die Aussagen müssen
Schreibstrategien, Schreibüberwachung, Selbstregu­ relevant für die Absicht des Textes sein. Er sollte nur
lation) wirken sich auf die Schreibhandlung aus. Wie relevante Sachverhalte enthalten.
sich herausgestellt hat, erleichtern Schreibstrategien
- Angepasstheit an den Adressaten: Bei der Erstellung
gerade sprachschwachen Lernern den Schreibvorgang
des Textes muss der Adressat berücksichtigt werden.
enorm. Unter Schreibstrategien sind konkrete Tech­
niken zu verstehen, die zielführend und flexibel vom Sein Wissens- und Sprachniveau müssen berücksich­
Schreiber eingesetzt werden können und zunehmend tigt werden, damit der Informationsgehalt des Textes
automatisiert ablaufen, aber dennoch Sprachbewusst- vom Leser verstanden werden kann.
heit erzeugen und erhalten.

Die Schreibkompetenz im Allgemeinen sowie alle vor­ Schreibförderung


stehend beschriebenen Teilkompetenzen lassen sich als Aufgabe
einzeln bis zu einem gewissen Grad trainieren und üben. des Fachunterrichts
Mündlichkeit und Gedanken einer Lehrkraft
Schriftlichkeit: zum Schreiben im Fachunterricht
Unterscheidungsmerkmale „ Wenn ich meinen Lernern aufgebe, einen Text
Es wurde bereits erläutert, welche Merkmale die Spra­ zu verfassen, tun sie sich unglaublich schwer damit.
che der Mündlichkeit und die der Schriftlichkeit kenn­ Sie wissen oft nicht, wie sie überhaupt anfangen
zeichnen und welche Bedeutung diese beiden Sprachen sollen, oder sind sich unsicher, ob ihr Text dann
zu unterschiedlichen Zeiten im und für den Spracher­ dem entspricht, wie ich es gerne hätte. Meistens
werb haben (vgl. S. 54 f., 66 f.). Eine Lehrkraft, die die aber beschweren sie sich daüber, dass sie im Fach­
Kompetenz sprachschwacher Lerner zur Produktion von unterricht überhaupt schreiben müssen - es sei ja
Texten angemessen und binnendifferenziert fördern schließlich kein Deutschunterricht.
möchte, sollte sich deshalb noch einmal die Unterschie­
Und die Migrantenkinder - die kommen m it dem
de bewusst machen (siehe Tabelle auf S. 161).
Schreiben sowieso nicht zurecht. Sie kommen über
den Anfang kaum hinaus und schreiben sich ziem­
Kriterien für die
lich schnell in sprachliche Sackgassen hinein, aus
Textproduktion
denen sie dann nicht mehr herausfinden. Ich kann
Wenn Lerner ein Schreibprodukt erstellen, sollte es das oft kaum entziffern und verstehe es nicht; zu
gewissen qualitativen Kriterien genügen. Dies gilt aber
korrigieren ist es schon gar nicht. Am Ende schrei­
auch für Texte, die seitens der Lehrkraft zum Einsatz
ben die Kinder einfach irgendwo irgendetwas ab.
im Unterricht ausgewählt oder erstellt wurden. „Lehr-
texte" sollten in Anlehnung an die Verständlichkeits­ Ich frage mich dann schon, warum ich das eigen­
kriterien des sogenannten „Hamburger Verständlich­ ständige Schreiben im Fachunterricht überhaupt
keitsmodells" (vgl. Langer et al., 2002) folgenden Kri­ mit den Lernern üben soll. Wer schreibt denn schon
terien genügen: später Versuchsbeschreibungen oder gar Fachbü­
cher? Welche Kompetenzen werden überhaupt
- Prägnanz: Der Text sollte, um einen Sachverhalt mög­
dabei trainiert? Lohnen sich die Mühen denn?
lichst effizient darzustellen, keine Ausschweifungen
enthalten und möglichst direkt formuliert sein. Der M eine Kollegin ist dazu übergegangen, ihren Ler­
Text ist demnach kurz, wobei er aber alle wichtigen nern Schreibhilfen anzubieten, sei es eine Gliede­
Inhalte enthalten muss, die für die Absicht des Textes rung, eine Art Archiv m it Materialien, ein Struk­
von Bedeutung sind. turdiagramm, eine M in d -M a p oder ein Begriffs­
- Einfachheit der Sprache: Der Text sollte eine einfache netz. Die Lerner verbalisieren diese Materialien
Sprache verwenden, sodass er leicht verständlich ist. und nutzen sie als Grundlage für ihre Verschriftli­
Die Fachsprache sollte an unverzichtbaren Stellen c h u n g -u n d melden ihr unisono zurück, dass ihnen
passend eingesetzt werden. das hilft, sie ein brauchbares Ergebnis erhalten und
das Gefühl eines Erfolgs verspüren.
- Gliederung des Textes: Die Verständlichkeit wird
durch eine inhaltliche und äußere Gliederung des Das alles hört sich ermutigend an; vielleicht sollte
Textes sehr unterstützt. Die inhaltliche Gliederung ich das auch einmal versuchen. Leider findet man
umfasst die logische Abfolge der Informationen, die in der Richtung noch sehr wenig in der Literatur
äußere Gliederung spiegelt sich in der Organisation und im Internet . "

160 Teil B
Grundlagenwissen

, , ,

Unterschiede de r Merkmale von


mündlicher Kommunikation urid schriftlicher Textproduktion
ä Igfe _ , _ ~c __

Mündliche Kommunikation Textproduktion

wechselseitige Kommunikation im Gespräch, die einseitige schriftliche Kommunikation, die der


den Teilnehmern ständig neue Anstöße verleiht monologischen Entwicklung von Assoziationen
und Gedanken bedarf

überwiegend durch Spontaneität, statische Kommunikationssituation,


Interaktion und Assoziationen geleitet, die eine selbstgeleitete monologische
dadurch dynamische Gesprächssituation Kommunikation bedingt

wechselnde, in der Regel nicht ein durchgängiges, differenziert


erschöpfend behandelte Themen zu behandelndes Thema

hoher Anteil an situationsgebundenen sprachliche Ausgestaltung von Situationen;


nonverbalen Verständigungsmitteln, Darstellung von Zusammenhängen durch
die eine Verbalisierung überflüssig machen Gebrauch von Proformen (Pronomina, Prono­
minaladverbien (wobei, womit, darauf) und
Demonstrativpronomina (dieser, der), die für das
Gemeinte stehen) und weiteren Strukturwörtern

zeitlich rasche, vorläufige Sprachplanung, zeitlich längere gedankliche und sprachliche


infolgedessen wenig präzise, oft verkürzte Planung, infolgedessen strukturierte, sprachlich
Darstellungsformen differenzierte, komplexe und präzise Darstellung

Verwendung von sprachlichen Versatzstücken, syntaktisch vollständige, ausführliche,


unvollständigen Sätzen, nichtsprachlichen akusti­ stilistisch überarbeitete Darstellungen
schen Artikulationen (Wut, Ärger, Erstaunen, Lust),
ohne dass dadurch die Verständigung leidet

Körpersprache und Blickkontakt als wesentliche nonverbale Verständigungsmittel müssen durch


Verständigungsmittel sprachliche Signale kompensiert werden.

Neigung zu umschreibender, präzise, komprimierte Darstellungsform mit


narrativer Darstellungsform geringer Redundanz, hohem Verallgemeinerungs­
grad, dadurch Neigung zur Nominalisierung

Gesprächsteilnehmer erhalten kontinuierlich kein Feedback, mögliche Reaktionen müssen


Feedback, sowohl verbal als auch nonverbal, vorweg genommen, mögliche Einwände
Möglichkeit der Rückfrage mitgedacht werden

einmalige Augenblickshandlung konservierte, auf Wiederholbarkeit und


von geringem Gültigkeitswert Überprüfbarkeit angelegte Handlung von
hohem Gültigkeitswert

mehrkanalig durch Gebärden und Tonfall einkanalig

aus: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 2001, S. 15

Teil B 161
Grundlagenwissen

Was ist das Besondere den, aber auch für den Lehrenden deutlich, ob das
am Schreiben von Texten Thema auch wirklich inhaltlich verstanden wurde.
im Fachunterricht? Das Schreiben stellt dazu gewissermaßen ein „Labor
von Denkinstrumenten" zur Verfügung: „Ich schrei­
Ganz selbstverständlich wird in jedem Fachunterricht
be, also denke ich.“
geschrieben: Beispiele für das Schreiben sind Aufga­
benstellungen wie Tafelabschrieb, Hefteinträge, das - Bewusste Wahrnehmung
Ausfüllen von Arbeitsblättern, das Aufschreiben von Das regelmäßige Schreiben - z.B. von Versuchsbe­
Hypothesen, Beobachtungen, Erklärungen und Begrün­ obachtungen, Bildbeschreibungen, Zusammenfassun­
dungen, das Anfertigen von Versuchsbeschreibungen gen etc. - trainiert nicht nur das Schreiben; es ver­
und Protokollen etc. bessert vielmehr auch die Fähigkeit, Dinge bewusst
Trotz der Nähe von Lesen, Sprechen und Schreiben gel­ aufzunehmen, zu beobachten oder die jeweiligen
ten für das Schreiben besondere Regeln. Denn Schrei­ Bedingungen zu beachten. Dies hat zur Folge, dass
ben und Sprechen als Kommunikationsformen verfolgen Lerner diese Dinge dann anschließend auch besser
unterschiedliche Ziele und fördern unterschiedliche beschreiben können. Zugleich wird auf diese Weise
Kompetenzen: So ist das Sprechen situationsgebun­ die Sprachbewusstheit und die Reflexion über das
den flüchtig und auf gelingende Kommunikation hin eigene Denken geschärft.
angelegt. Mimik, Gestik, persönliche Ausstrahlung, - Optimierung/Präzision des Schreibprodukts
Sympathie u. a. unterstützen oder behindern das Gelin­ Schreiben ermöglicht viel deutlicher als jede mündli­
gen der Kommunikation im Gespräch. Das Schreiben che Darstellung, Rückschau auf das Geschriebene zu
hingegen ist dauerhaft und auf gelingendes Interpre­ nehmen, den aufgeschriebenen Gedankengang noch­
tieren hin angelegt. Das Sprechen ist unmittelbar, das mals Revue passieren zu lassen und notfalls Ergän­
Schreiben mittelbar; damit hat der Schreiber andere zungen vorzunehmen. Schreiben stellt damit für den
Möglichkeiten und vor allem mehr Zeit, sein Anliegen
Lerner einen Prozess dar, in dessen Ergebnis er bis
zu formulieren. Deshalb ist ein guter Sprecher nicht
zur Abgabe noch eingreifen kann.
zwangsläufig auch ein guter Schreiber (und umgekehrt).
- Konzentration au f das Wesentliche
Wie bereits geschildert, verlangsamt sich die Kommu­
Durch die Verlangsamung beim Schreiben ist der Ver­
nikation. Dies hat große Vorzüge für den Verfasser:
fasser in der Regel zu höheren Abstraktionsleistun­
Das Schreiben ermöglicht ihm, die eigenen Gedanken
gen fähig. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das
zu ordnen, sie in einen logischen Zusammenhang zu
Wesentliche, auf das logische Ordnen und Unter­
bringen, bewusst und reflektiert zu argumentieren, die
scheiden, auf das sprachliche Herausarbeiten des
Argumente überzeugend und gegliedert darzustellen
fachlichen Gegenstandes, auf die Sprache selbst und
sowie präzise und sprachbewusst zu formulieren, ohne
auf die Art und Weise, wie der Sachverhalt gegliedert
dem Zeitdruck der mündlichen Kommunikation ausge­
und überzeugend dargestellt werden kann. Das
setzt zu sein.
Schreiben unterstützt somit das (strukturierte) Den­
Für den Fachunterricht mit einem hohen Anteil sprach­ ken.
schwacher Lerner bedeutet dies: Allen, aber besonders
den schreiblangsameren Lernern muss genug Zeit gelas­ - Ermöglichen eines persönlichen Stils
sen werden, ihre Texte zu schreiben. Außerdem muss („persönliche Handschrift")

die Lehrkraft ihren Lernern die Angst vor der „Endgül­ Nicht nur in literarischen Schreibprodukten, sondern
tigkeit und Dauerhaftigkeit" der schriftlichen Ausfüh­ auch in Sachtexten entwickeln Autoren erfahrungs­
rungen nehmen und daraus resultierende Schreibhem­ gemäß im Laufe der Zeit einen eigenen Stil. Die
mungen abbauen. Insbesondere ist wichtig, dass die Schreibprodukte tragen somit die „persönliche Hand­
Lehrkraft den Lernern bewusst macht, dass man durch schrift" des Autors. Wird die Palette der Schreibpro­
Üben seine Schreibkompetenz verbessern kann und es dukte im Fachunterricht über Versuchsbeschreibun­
nicht so schlimm ist, wenn am Anfang noch nicht alles gen und Protokolle hinaus erweitert, zum Beispiel auf
perfekt klappt. szenische Dialoge, fachliche Erzählungen, adressa-
ten- und situationsgerechte Schreibprodukte, persön­
Was spricht für das Schreiben liche Bewertungen, Einträge in Logbücher und Lern-
im Fachunterricht? tagebücher etc., so gibt es reichlich Möglichkeiten,
den etwaigen persönlichen Interessen nach eigenem
Das Schreiben im Fachunterricht bietet viele Lernmög­
Ausdruck und Stil nachzukommen. Das Schreiben
lichkeiten zur Kompetenzentwicklung:
wird damit auch einem bestimmten Lerntyp gerecht.
- Intensive und vertiefte Auseinandersetzung
m it dem Thema - Kompetenzentwicklung in Konformität
Das Schreiben über ein fachliches Thema bewirkt, mit den Bildungsstandards

dass sich der Lerner bewusst und tiefgehend mit dem Schreiben ist ein M ittel, um Ideen zu generieren,
Thema auseinandersetzt. Damit wird für den Lernen­ Gedanken zu klären, das Nachdenken zu stützen und

Teil B
162
Grundlagenwissen

Sprachbewusstheit zu schaffen. Zudem aber ist es Welche Schreibgelegenheiten


ein Mittel, um Sprache und die Sprachkompetenz all­ und Schreibsituationen
gemein zu fördern. Sowohl die Nationalen Bildungs­ kommen im Fachunterricht vor?
standards für den Mittleren Schulabschluss als auch Der Fachunterricht bietet unterschiedlichste Schreibge­
die Einheitlichen Prüfungsanforderungen für die Abi­ legenheiten. Besonders häufig kommen dabei vor:
turprüfung (EPA) weisen Kommunikation einschließ­
lich der Schriftlichkeit deshalb als eigenen Kompe­ - das Schreiben zur Wiederholung;
tenzbereich aus. - das Schreiben zur Vergewisserung über
Zwischenstände oder Teilergebnisse;
- Möglichkeit zur Differenzierung und M otivation
Schreiben kann auch als Instrument zur Differenzie­ - das Schreiben zur Vorbereitung auf ein
rung angesehen und genutzt werden. Lerner, die gern Gespräch oder eine Diskussion;
schreiben, können damit ermutigt und im Ausbau - das Schreiben zur Vorbereitung auf kleinere
ihrer Schreibkompetenz gefördert werden. Bei jenen, und größere planvolle Redebeiträge;
die ungern schreiben, können gezielt auf ihr Kompe­ - das Schreiben zum Festhalten von Redebeiträgen
tenzniveau abgestimmte Schreibaufträge Erfolgser­ bei der Betrachtung von Bildern, Zeichnungen,
lebnisse bewirken; dies trägt erfahrungsgemäß dazu Experimenten oder beim Lösen von Problemen;
bei, dass diese Lerner ihre Einstellung zum Schreiben
- das Schreiben als Teil einer Präsentation und
ändern.
- das Schreiben als Rückblick auf den Unterricht.
- Förderung selbstständigen Lernens
In der didaktischen Diskussion gilt das selbstständige Die im Fachunterricht vorkommenden Schreibsituatio­
Lernen als ein Schlüssel zur Verbesserung des Unter­ nen können ein sehr unterschiedliches Kompetenz­
richts. Selbstständiges oder gar selbstorganisiertes niveau aufweisen, was der Kasten auf S. 164 verdeut­
Lernen erhöht den Anteil eigener Textproduktionen licht (vgl. auch die Nationalen Bildungsstandards). Die
und erzwingt in besonderem Maße das Lesen und Grafik auf S. 165 stellt hingegen für den Fachunterricht
Schreiben. typische Schreibsituationen dar.

Gerade bei den Schreibsituationen mit Kompetenzni­


Gehört die Entwicklung veau II und III wird deutlich, warum sprachschwache
von Schreibkompetenzen Lerner häufig vom Schreiben überfordert sind. Denn
in den Deutschunterricht? das Schreiben im Fach und über das Fach setzt neben
„Schreiben" ist eigentlich ein zentraler Kompetenzbe­ fachlichen auch sehr komplexe sprachliche Fähigkeiten
reich des Deutschunterrichts. Dies w irft die Frage auf, voraus, die solche Lerner aufgrund ihres (zweit-)sprach-
ob damit nicht auch die Entwicklung von Schreibkom­ lichen Werdegangs oft nicht mitbringen.
petenzen „automatisch" in den Aufgabenbereich des
Sollen Lerner also beispielsweise diskursiv argumentie­
Deutschunterrichts fällt.
ren, verschiedene Perspektiven einnehmen, Pro-Kon-
Dies ist jedoch nicht der Fall. Denn den Bildungsstan­ tra-Situationen bewältigen, zusammenhängende Argu­
dards zufolge müssen auch im Fach kontextgebundene mentationsketten gestalten oder rhetorische Elemente
kommunikative Kompetenzen entwickelt werden. Denn beim Schreiben nutzen, muss die Lehrkraft zusätzlich
ein Anwachsen der fachlichen Kompetenz ist somit binnendifferenziert ausgestaltete Unterstützung anbie­
untrennbar mit einem Anwachsen auch der (fach-) ten, um auch sprachschwachen Lernern Erfolgserleb­
sprachlichen Kompetenz verbunden. Die Fächer können nisse zu verschaffen und deren entmutigtes Resignieren
sich folglich dem Schreiben nicht entziehen. zu verhindern.
Die Entwicklung von Schreibkompetenzen ist zwar
vorrangig eine Aufgabe des Deutschunterrichts, aber Welche Schreibaufgaben
auch eine Aufgabe aller Fächer. Eine Zusammenarbeit und Schreibprodukte kommen
mit den Lehrkräften im Fach Deutsch ist deshalb emp­ im Fachunterricht vor?
fehlenswert und dem Schreibanliegen im Fachunterricht Im Fachunterricht können unterschiedlichste Schreib­
dienlich. aufgaben gestellt werden. Einige Beispiele sind: Ver­
suchsbeschreibung, Prozessbeschreibung, Diagramm­
beschreibung, Beschreibung eines Ablaufs, einer Hand­
lung, einer Beobachtung, eines Ergebnisses, eines
Gedankenganges, Formulierung einer Hypothese, Erklä­
rung, Schlussfolgerung ...

Schreibaufgaben gehen mit jeweils unterschiedlichen


Schreibsituationen einher; letztere bestimmen wiederum
die Schreibprodukte, vgl. Abb. S. 165.

Teil B 163
Grün dlagen wissen

Im Unterricht sind Schreibprodukte in der Regel das gangs, Bildes, einer Apparatur, Handlung etc. ist
Ergebnis einer Aufgabenstellung und somit Lernpro­ eine der sogenannten Standardsituationen des
dukte. Meistens ist der Schreibauftrag dabei Teil einer Fachunterrichts (vgl. hierzu S. 106 ff.). Die Qualität
umfassenderen Aufgabe. Schreibprodukte lassen sich des Schreibprodukts (also der Beschreibung) wird
in drei Kategorien einteilen: dabei durch folgende Kriterien bestimmt: klare
Struktur, übersichtlicher Aufbau, passende Gliede­
- Schreibprodukte m it Sachbezug rung, präzise Sprache und ggf. die Einbindung von
• Kurze eigene Formulierungen: Der Unterricht ist Bildmaterial. Für das Gelingen des Schreibprodukts
reich an Gelegenheiten für kurze eigene schriftliche ist es hilfreich und förderlich, den Lernenden
Formulierungen, die vom Umfang her nur einen Schreibhilfen zu geben, die ihren jeweiligen Vorer­
Satz (oder wenige kurze Sätze) umfassen. Beispiele fahrungen und ihrem Leistungsvermögen entspre­
dafür sind: Formulierung einer Hypothese, Vermu­ chen. Beispiele für Schreibhilfen sind: Mind-Map,
tung, Überlegung, Idee etc. Strukturdiagramm, Flussdiagramm, Filmleiste,
• Beschreibung: Die Beschreibung eines Versuchs- Wortliste, Wortgeländer, Wortfeld etc.*
aufbaus, Experiments, Gerätes, Prozesses, Vor­ • Schriftliche Erklärung eines Sachverhalts: Auch die
schriftliche Erklärung eines Sachverhalts ist eine
Standardsituation des Fachunterrichts. Sie erfolgt
unter Einbindung fachlichen Wissens und schließt
sich meist an eine Beschreibung an. Qualitätskrite­
rien für eine „gute" Erklärung sind: fachliche Kor­
rektheit, logischer Aufbau, argumentative Klarheit,
- schriftliches Darstellen von Sachverhalten in ver-. überzeugende Darstellung. Bei diesem Schreibpro­
schiedenen Darstellungsformen (z.B. Tabelle, Graf, dukt kann die Unterstützung durch Schreibhilfen
. Skizze,Text, Bild, Diagramm, Mind-Map, Formel); ... dienlich und förderlich sein.
Boant\A/rirHv=>n v / o n Prpaph 711 ^ : • Facharbeit: Die Facharbeit ist eine umfangreichere
kleine wissenschaftspropädeutische Arbeit entspre­
chenden Umfangs, die vorgegebenen Kriterien
genügt.
• Schreibprodukte m it Adressatenbezug
• Adressatengerechte Darstellung: In der Regel wer­
den Sachtexte im Stil des Lehrbuches verfasst. Eine
reizvolle und anspruchsvolle Aufgabe ist es, gelern­
te und verstandene Sachverhalte adressatengerecht
Situationsgerechtes Anwenden für andere Personen darzustellen, z.B. für die jün­
von Kommunikationsformen gere Schwester, die Eltern, eine blinde Person ...
• Adressatengerechte Replik: Im Unterricht gibt es
auch Situationen, in denen der Lerner adressatenl
gerecht Stellung beziehen muss, also z.B. als Laie,
als Lernpartner, als Fachmann etc.

umgangssprachlich formulierter Sachverhalte; - Schreibprodukte m it Ichbezug


• Erfahrungsbericht: Lernende machen eine Vielzahl
von Erfahrungen, über die sich zu berichten lohnt;
dies kann gewinnbringend in den Unterricht inte­
griert werden.
• Kreative Schreibformen: Anlass für Schreibprodukte
gerecht auswählen und einsetzen
dieser Kategorie ist ein fachlicher Sachverhalt, der
- schriftliches Beziehen einer Position zu einem in spielerisch kreative Schreibform gebracht wird.
»XVÜv, |4- D'ÄrrWVrvV-liar» •I irirl \/orfÖ »rli CT^n .'
Beispiele sind: szenische Dialoge, fiktive Erlebnis­
geschichten physikalischer Objekte, fiktive Begeg­
nungen mit historischen Personen, fiktive fachliche
Konferenzen ...

fachlicher Argumentationsketten. ( Hinweis: Die hier erläuterten Methoden-Werkzeuge werden


auf S. 169 skizziert und in Teil C ausführlich erläutert.

Teil B
164
Grundlagenwissen

Wie w ird Schreib­ Zugleich wird der Schreibprozess durch die Schreibum­
kompetenz aufgebaut? gebung veranlasst und gesteuert. Zur Schreibumgebung

Entscheidend für den Aufbau einer Schreibkompetenz gehören:


ist die erfolgreiche Bearbeitung von Schreibaufgaben. 1. die Schreibaufgabenstellung
Dies ist zwar ein lang andauernder Prozess, der von (Thema, Adressat, Anlass ...);
allen Beteiligten viel Geduld erfordert. Er bietet aber 2. Schreiberfahrungen
die Chance (und ist zugleich die einzige Möglichkeit), (bisher produzierte Texte, Versatzstücke ...);
das Könnensbewusstsein der Lerner nachhaltig aufzu­
3. Schreibhilfen (Schreibgeräte, Unterlagen, Schreib­
bauen.
und Formulierungshilfen, Methoden-Werkzeuge).
Da beim Schreiben verschiedene Prozesse gleichzeitig
stattfinden - so insbesondere der Prozess der fachlichen Schreiben ist also nicht voraussetzungslos. Soll es gelin­
Klärung und der Prozess des sprachlichen Ausdrückens gen, benötigt der Lerner vielmehr umfassendes und
- und dabei auch unterschiedliche Bereiche des Gehirns differenziertes Wissen in verschiedenen Bereichen. Diese
in Anspruch genommen werden, besteht die Gefahr, Bereiche umfassen:
sprachschwache Lerner damit zu überfordern (vgl. auch - Weltwissen (Allgemeinwissen, themen­
S. 27, 56 ff., 67 und die Tabelle auf S. 166). Deshalb bezogenes Wissen);
sollten die verschiedenen Prozesse voneinander ge­
- Sprachwissen (Orthografie, Grammatik,
trennt und die Schreibaufgabe entsprechend gegliedert
Syntax, Lexik, Stil- und Textsortenwissen);
werden (vgl. auch Müller, 2005, S. 5).
- Selbstwissen (über die eigenen Schreib­
Will eine Lehrkraft bei ihren Lernern Schreibkompetenz
fähigkeiten, über seine Ziele etc.);
aufbauen, empfiehlt es sich, den Schreibprozess in drei
Teile zu gliedern: - Adressaten wissen (z.B. über Vorwissen, Einstellun­
gen, Absichten oder Gewohnheiten des/der Adres­
1. Planung
saten);
(Ideen generieren und ordnen, Ziele setzen ...);
- Situations- bzw. Kontextwissen (über Schreib­
2. Umsetzung in geschriebene Sprache;
anlass, Schreibaufgabe, Rahmenbedingungen);
3. kritische Betrachtung (Bewertung und Korrektur).
- Methodisches Wissen (über den Arbeits- und
Wie der Leseprozess wird auch der Schreibprozess maß­ Schreibprozess, über Schreibstrategien);
geblich durch das Metawissen des Schreibenden beein­
- Diskurswissen (über Normen und Traditionen,
flusst, vgl. S. 114. Hierzu gehören beispielsweise Sach­
z.B. Bewertungsmaßstäbe).
wissen (Wissen zum Thema), Textwissen, Welt- und
Kulturwissen sowie das Wissen um Schreibkonventio­ Es ist somit nachvollziehbar, warum Schreiben eine
nen etc. anspruchsvolle Tätigkeit ist und von der Lehrkraft sorg­

Teil b 165
Grundlagenwissen

fältig vor- und nachbereitet werden muss. Dies wirkt verschiedene Teilprozesse unterscheiden lassen, die sich
sich auch auf eine eventuelle Förderung aus; denn will gegenseitig beeinflussen (Details s. Grafik auf S. 167).
man die Schreibkompetenz fördern, so muss man in
allen oben genannten Bereichen fördern. Welche Schreibformen g ib t es?
Dabei lassen sich das Diskurswissen und das methodi­ Ebenso, wie es verschiedene Formen des Lesens gibt
sche Wissen (insbesondere das Strategiewissen) am ein­ (z.B. selektives Lesen, orientierendes Lesen, extensives
fachsten trainieren; hier führt ein Training zudem rasch Lesen, intensives Lesen, zyklisches Lesen; vgl. S. 135
zu vorzeigbaren Ergebnissen. Der Schreibprozess sollte f.), gibt es auch verschiedene Formen des Schreibens.
jedoch permanent überwacht werden. Unabhängig davon hat das Schreiben immer auch eine
Welche Bedeutung die Schreibumgebung für das Gelin­ sehr individuelle Ausprägung: Während die einen bei­
gen des Schreibprozesses hat, zeigt das 1980 in den spielsweise gern nach Textmuster(n) und mit Schreib­
USA veröffentlichte Modell von Hayes und Flower hilfen schreiben, schreiben andere ungebunden, asso­
(1980, S. 3 -3 0 ). Das Modell hat seine Wurzeln in der ziativ und nach ihren eigenen Einfällen. Während die
Kognitionspsychologie; es versucht, die verschiedenen einen einfach drauflos schreiben, schreiben die anderen
kognitiven Aktivitäten, die ein routinierter Schreiber ausschließlich systematisch. Es gibt somit eine Vielzahl
während des Schreibvorganges ausführt, in einen möglicher Schreibformen.
Zusammenhang zu bringen. Die Forscher ließen dazu
Texte schreiben und veranlassten die Schreibenden, Die nachfolgende Auflistung ist danach geordnet,
während des Schreibens ihre Gedanken nach der welchen Grad an Selbstständigkeit die unterschiedlichen
Methode des „lauten Denkens“ zu verbalisieren. Schreibformen beim Schreibenden voraussetzen.

Die Untersuchungen wollten herausfinden, was beim - Schreiben nach Textmuster(n): Der Text wird analog
Verfassen von Texten tatsächlich passiert; dies sollte zu einem Musterbeispiel strukturiert und ausformu­
ermöglichen, Rückschlüsse auf die Möglichkeiten zur liert.
Förderung der Schreibkompetenz zu ziehen. Die Ergeb­ - Schreiben mit Schreibhilfe: Es liegt eine Schreibhilfe
nisse wurden in einem Modell festgehalten. in Gestalt einer anderen Darstellungsform vor (z.B.
Das Modell betrachtet dabei Schreiben als einen ziel­ Tabelle, Diagramm, Mind-Map ...); diese wird als
gerichteten Problemlöseprozess, innerhalb dessen sich Strukturierungs- und als Formulierungshilfe genutzt.

Schreibaufgaben: Vorsicht vor Überforderung!

M ögliche Aufteilungeii einer Schreibaufgabe

in th ematische Aufgaben: in sprachliche Aufgaben:


Klärung des Sachverhaltes für sich selbst Vertextung der Gedanken zum Sachverhalt

Unterstützung des Klärungsprozesses durch Unterstützung des Schreibprozesses


didaktische Reduktion und Verstehenshilfen: durch Schreib- und Formulierungshilfen
(Methoden-Werkzeuge, vgl. Teil C):
- sprachlich entlastete Aufgabenstellung
durch Sprachvereinfachung - Informationen zum Adressaten,
- inhaltliche Strukturierung des Themas zum Schreibziel ...
durch Gliederungen, Übersichten, - Vorschlag für einen Textbauplan
Synopsen ... - Hinweise zur Gliederung durch
- thematische Klärung der Sachverhalte Mind-Map, Strukturdiagramm
durch niveaugerechte Materialien - Unterstützung im Wortschatz
- Vernetzung des Themas im Wissensnetz durch Wortlisten, Wortfelder
durch: Begriffsnetz, Mind-Map, Fluss­ - Unterstützung im Ausdruck durch
diagramm, Grafik ... Wortgeländer, Blockdiagramme, Satz­
baupläne, Mustertexte, Redemittel ...
- Unterstützung in der Schreibung
durch Lexika, W örterbücher...

166 Teil B
Grundlagenwissen

Die Bedeutung der Schreibumgebung


für den Schreibprozess

Schreibumgebung Schreibprozess :
- • . WM v r-;
1 - *•

y ih schriftliche Aufgabe äS planen


Thema, wm. : “_r- Ideen generieren und
Adressat, Anlass ordnen; Ziele setzen
B
• 1- Langzeit­
• gedächtnis
Kenntnis
r. ; bisher MS in geschriebene
von Thema,
- . produzierter Text - Sprache umsetzen ,
Adressaten,
!: •; . ;
Schreibkon­
. : V ' v; ventionen
. v \ v'..
•■
■ • 3.1: .
Hilfen kritisch betrachten
Schreibgeräte; Ratschlä­ iffi bewerten; ;
ge; Texte; Duden etc. verändern ’
yu IB
figp Milik: Ä -
ilf i

I 1
überwachen

nach: Ulrich, 2001, S. 85

- Systematisches Schreiben: Die Teilschritte des Schreib­ Alle genannten Schreibformen können mit Schreibstra­
prozesses werden planvoll nacheinander nach Auftrag tegien gefördert und geübt werden, siehe S. 171 f.
oder nach vorgegebener Gliederung ausgeführt.
- Optimierendes Schreiben: Es wird eine erste Version Fächerübergreifende Koordination
verfasst, die vom Autor selbst, von einem Mitlerner durch ein Curriculum
oder der Lehrkraft mit Schreibempfehlungen begut­ zur Schreibförderung
achtet wird. Anschließend werden verbesserte Ver­ Kompetenzen werden nicht in einem Akt gelernt, son­
sionen erstellt. dern entwickeln sich über die Jahre hinweg. Dabei geht
- Zusammentragendes Schreiben: Aus verschiedenen die Entwicklung der Schreibkompetenz - wie die der
Texten und Materialien wird ein eigener Gedanken­ Lesekompetenz - mit der allgemeinen Kompetenzent­
gang in Form eines eigenen Textes dargestellt. wicklung einher und baut sich gestuft auf.

- Kooperatives Schreiben: Der Text wird zunächst in Für die Entwicklung der Schreibkompetenz sind Schreib­
Partner- oder Gruppenarbeit verfasst. In einer soge­ strategien nützlich und hilfreich. Ein Schreibcurriculum
nannten Schreibkonferenz wird dann über das Thema der nachstehend vorgestellten Art baut die Schreib­
beraten und es werden Schreibaufgaben verteilt. kompetenzen über die Jahre hinweg verteilt auf und
Nach der Einzelarbeit werden die Texte in der Schreib­ geht hinsichtlich der Formate, des Anspruchsniveaus
konferenz beraten und ein Schlusstext erstellt. und des Umfangs an die Schreibprodukte gestuft und
- Assoziatives Schreiben: Aus nicht-linear notierten spiralförmig vor.
Assoziationen und Gedankennetzen, die assoziativ Lehrkräfte, die das Schreiben lehren möchten, sollten
erstellt werden, wird ein gegliederter Text erstellt. einige didaktische Prinzipien kennen, die sich als vor­
- „ Drauflosschreiben'': Nach einer kurzen Phase des teilhaft für das Lehren und Lernen des Schreibens er­
Überlegens wird ein Text verfasst. wiesen haben:

Teil B 167
Grundlagenwissen

1. Schreiben lernt man durch Lesen, indem man vor­ nung auf den methodischen Aspekt erneut ausge­
bildliche Texte analysiert. führt.

2. Schreiben lernt man durch Schreiben, indem man 4. Rückblick: Nach Abschluss des Schreibens wird das
zahlreiche kleinere Schreibaufgaben erfolgreich Produkt nochmals in Form eines Rückblicks bewertet;
bewältigt. dabei wird die Schreibstrategie klar gekennzeichnet.

3. Beim Schreibenlehren empfiehlt sich ein schrittweises 5. Festigung: Die gewählte Schreibstrategie wird als
Vorgehen, vgl. S. 73 ff.\ dabei müssen die einzelnen Lernwissen bewusst gemacht und explizit festgehal­
Schritte zur Entwicklung von Schreibstrategien im ten.
Unterricht immer explizit betont werden.
6. Transfer: In weiteren Schreibsituationen werden
Schreibstrategien angewendet. Dabei begleiten
Systematisch das Schreiben lehren
Überlegungen zur Methodik den Lernprozess.
1. Schreibsituationen: Soll das „Schreiben" gelehrt wer­
Der Schreibanlass bestimmt die Form des Schreibens.
den, so sind hierfür-w ie für jedes Lernen - günstige
Es ist deshalb sinnvoll, zunächst zwischen kleinen und
(Lern-)Situationen erforderlich. Diese liegen vor,
großen Formen des Schreibens zu unterscheiden, weil
wenn das Schreiben ein notwendiger Bestandteil des
diese unterschiedlich gelernt und geübt werden müssen.
Unterrichts ist und sich das Schreiben aus der Sache
Es empfiehlt sich zudem, die Komplexität des Schreib­
heraus motiviert.
prozesses zu reduzieren, indem dieser Prozess (vgl. die
2. Modellbeobachtung: An gelungenen Beispielen wer­ Aufteilung von Sprachaufgaben) in Teilaufgaben auf­
den Schreibstrategien vorgeführt und die Aufmerk­ geteilt und trainiert wird.
samkeit auf die Merkmale des Schreibens gelenkt.
Schreibenlernen ist ein langsamer Prozess. Mithilfe guter
3. Anwendung: In ähnlichen Situationen wird in engem Schreibstrategien erfahren die Lernenden aber das Dre­
zeitlichen Zusammenhang das Schreiben mit Beto­ hen und Wenden der Gedanken, das Ordnung-Schaf-

Die Entwicklung der Schreibkompetenz

kurze und umfang­


einfache : umfang- :' längere
reichere
Beschrei­ reichere K l^ B s a d lS I
Beschrei­
bungen Beschrei-
bungen
Repliken
........... . . .. _
.-y. ;
Abschrif­ umfang- c Formulie­
ten von
reichere rung einer Formulie­
Tafel und umfang­
Erfahr Hypothe­ rung einer |
Texten
rungs- ; se, Ver- ; reichere Hypothese,
L L berichte :• mutung Erfahrungs- [ Vermutung
r ■'
Formulie- R berichte - [
5?
rung einer i kleine schriftli­
Vermu- || freie Texte che Erklä­
tung fe rung eines schriftliche
Sachver­ umfang- .
Erklärung
haltes reiche
eines Sach­
Fachärbeit
verhaltes

A n fan gsu n terrich t M itte ls tu fe S eku n d arstu fe II

i Josef Leisen

168 Teil B
Grundlagenwissen

fen, das Strukturieren und das probeweise Formulieren Diese Materialien und Methoden leiten eng und vor­
in unterstützender Anleitung. Und daraus entsteht dann schreibend, haben oft den Charakter von „drill and
- hoffentlich erfolgreich - das Schreibprodukt practice1', führen aber zu Sprachprodukten mit hoher
sprachlicher Richtigkeit. Hauptziel ihres Einsatzes ist,
M ethoden-W erkzeuge sprachliche Erfolge zu garantieren und sprachliche Miss­
für das Schreiben erfolge zu vermeiden.
im Fachunterricht
M it zunehmender Sicherheit des Lerners muss das
Methoden-Werkzeuge sind lehrergesteuerte oder ler-
sprachliche Korsett jedoch gelockert werden. Die Feh­
neraktive Verfahren, Materialien und Hilfsmittel zur Un­ lerforschung mahnt in diesem Stadium zu einem „auf­
terstützung von Lehr- und Lernprozessen, vgl. S. 90 ff.
geklärten Umgang mit Fehlern". Etliche Fehlerarten
Methoden-Werkzeuge zum Schreiben von Sachtexten wachsen mit der Zeit von selbst aus.
sind solche, die Schreibsituationen im Unterricht erzeu­
Die sprachliche Komplexität wird gesteigert, wenn die
gen, unterstützen und bewältigen helfen. Je nach Kom­
Lerner angehalten werden, sprachlich schwierigere
munikationsabsicht und Kompetenzstand werden die
Sprachstrukturen oder alternative Ausdrucksformen zu
Lerner mithilfe der Werkzeuge beim Schreiben eng
verwenden. Solche Methoden-Werkzeuge sind: Satz­
geführt oder können frei gestaltend damit umgehen.
baukasten, Begriffsnetz und M in d -M a p .
Bei der Auswahl der in Frage kommenden Werkzeuge
Die Lehrkraft sollte bei der Auswahl der Werkzeuge
sollte die Lehrkraft beachten, dass die von ihr ausge­
darauf achten, dass produktiv-kreative Tätigkeit und
wählten Methoden-Werkzeuge den Lernern einerseits
Freiraum für eigene Gedanken, Argumente und Wer­ übend-festigende Tätigkeit im richtigen Verhältnis zuei­
tungen lassen, ihnen aber andererseits auch angemes­ nander stehen. Ist dies nicht der Fall, kann das Schreiben
sene Unterstützung anbieten müssen, damit das Schrei­ nicht gelingen. Denn Sprach- und Problemlösungspro­
ben im Fluss bleiben kann. Hier können orientierende zesse finden in verschiedenen Gehirnregionen statt.
Raster und Schreibhilfen nützliche Dienste tun. Geht
es hingegen darum, die Nachhaltigkeit des Schreiben­
lernens zu unterstützen, sind lerneraktive Werkzeuge
mit Wiederholungseffekten empfehlenswert. Welche Werkzeuge
Im Folgenden werden einige einfache und elementare für welches Kompetenzniveau?
Methoden-Werkzeuge vorgestellt, die sich besonders Kompetenzniveau I:
gut für die Förderung der Sprach- und der Lesekompe­ Darstellen von Sachverhalten
tenz von sprachschwachen Lernern und Lernern mit in vorgegebenen Formen
Zuwanderungsgeschichte eignen. Für diese Lerner ist Für dieses Kompetenzniveaü eignen sich sprachlich „eng
darüber hinaus zusätzlich eine intensive Spracharbeit Werkzeuge. Ihre Anwendung setzt einen Sachverhalt v
erforderlich. aus, der in einer bestimmten Darstellungsform geget
Viele dieser Methoden und Werkzeuge sind aus dem ist und vom Lerner verbalisiert und verschriftlicht werc
Fremdsprachenlernen adaptiert. Wie beim Einsatz von müss. Folgende Werkzeuge tun hier gute Dienste: Wc
Methoden und Werkzeugen beim Lesen, dürfen auch liste, Wortgeländer,- Wortfeld, Sprechblasen, Satzmus-,
Satzbaukasten, Bildsequenz, Fiimleiste, B ild e r"'-"‘~:' 1'
Schreibübungen im Fachunterricht niemals Selbstzweck
sein; sie sollten vielmehr nur dann und nur insoweit Strukturdiagramm, Flussdiagramm.

eingesetzt werden, als sie „im fachlichen Kontext ste­


Kompetenzniveaü II:
hen", also tatsächlich dem Fachlernen und der Kom­
Situationsgerechtes Anwenden
munikation im Fach und über das Fach dienen. Kon­
von Kommunikationsformen
textlose Schreibübungen verkommen zur reinen Be­
. Hier eignen sich sprachlich offenere Werkzeuge, die
schäftigungstherapie, vgl. auch S. 109 f.
situationsgerechte Schreiben im Anforderungsbereich
Die nachfolgenden Methoden und Werkzeuge lassen ff r,r*4*i’*i4— t V A / ä i ^ L - v / m • /v/\ I»

sich danach unterscheiden, ob sie darauf abzielen, die


sprachliche Richtigkeit beim Schreiben zu verbessern
oder die sprachliche Komplexität beim Schreiben zu Komp^n^jgemffUll_ ^ __
steigern. Die sprachliche Richtigkeit beim Schreiben Kommunikationsformen situations­
wird durch Methoden und Aufgaben gefördert, die gerecht auswählen und einsetzen
stark strukturiert sind und zum strukturierten Bearbeiten Auf diesem Kompetenzniveau ist kreativ-produktiv
herausfordern. Solche Methoden-Werkzeuge sind: Schreiben für anspruchsvolle Kommunikationssituat
Wortliste, Worterklärungen, Wortfeld, Wortgeländer,
Satzmuster, Lückentext, Kreuzworträtsel, Textpuzzle
und M ultiple Choice. r- ■■

Teil B 169
Grundlagenwissen

Insbesondere sprachschwache Lerner bemerken deshalb Da die für den Fachunterricht typischen Schreibsitua­
bei schwierigen fachlichen Aufgaben neue sprachliche tionen - je nach Kompetenzniveau - unterschiedliche
Strukturen nicht (und können sie somit auch nicht er­ Anforderungen aufweisen, ist es möglich, diesen Anfor­
derungen entsprechende (d.h. zu deren Bewältigung
werben).
geeignete) Methoden-Werkzeuge zuzuordnen. Dabei
Zugleich versuchen diese Lerner beim Sprechen und können manche Werkzeuge auf verschiedenen Niveau­
Schreiben sprachliche Probleme durch Vermeidungs­ stufen genutzt werden, vgl. S. 90 ff.
strategien zu umgehen, da die Gleichzeitigkeit hoher
fachlicher und hoher sprachlicher Komplexität sie über­ Schreibförderung für Lerner
fordert (vgl. hierzu die Ausführungen a uf S. 27, 56 ff., m it Zuwanderungsgeschichte
67). Der Lehrer muss sich demnach für eine der beiden Das Schreiben von Texten im Fachunterricht bereitet
Aufgabenstellungen entscheiden. schon muttersprachig deutschen Lernern Probleme; für
Lerner mit Migrationshintergrund gilt dies aber in erheb­
Entscheidend ist, dass sich die Lernenden mit Sprach-
lich stärkerem Maße. Lerner, deren Muttersprache nicht
material auseinandersetzen, das knapp über ihrem je­
Deutsch ist bzw. die Deutsch als Zweitsprache lernen,
weiligen sprachlichen Entwicklungsstand liegt, vgl. S
brauchen deshalb bei der Textproduktion besondere
74. Im klassischen Fremdsprachenunterricht beispiels­
Unterstützung und Förderung.
weise ist dies vergleichsweise einfach, da sich dort die
gesamte Lerngruppe auf einem dem Lehrer bekannten, Lerner mit Zuwanderungsgeschichte haben häufig Pro­
weitgehend gleichen Sprachniveau befindet. bleme mit der sprachlichen Komplexität; sie verfügen
meist nur über einen relativ geringen Wortschatz und
Im Fachunterricht hingegen ist das anders; denn die verwenden weitgehend einfache Syntax und Lexik.
Lerner mit Zuwanderungsgeschichte, für die die Unter­ Zudem haben sie meist Probleme mit der sprachlichen
richtssprache meist die Zweitsprache ist, weisen in der Richtigkeit. Das Schreiben im Fachunterricht bringt diese
Regel ein sehr unterschiedliches Sprachniveau auf. Dies Schwächen zutage (vgl. 5. 21 ff., 27 f., 59 f.):
macht eine gemeinsame einheitliche Problembearbei­
Auf den Seiten 21 ff. wurden Schreibprodukte von Ler­
tung im Fachunterricht schwer. Hier kann nur eine indi­
nern vorgestellt und analysiert, die teilweise über einen
vidualisierte Behandlung durch Binnendifferenzierung Migrationshintergrund verfügten (Serkan, Kirill, Man­
das probate Mittel sein. fred). Den jeweiligen Schreibaufgaben ging dabei die
Lektüre des Textes „Kauffrau/Kaufmann im Einzelhan­
del" (siehe S. 144; vgl. S. 22,) voraus.
Die nachfolgenden Schreibaufträge beziehen sich auf
diesen Text und wurden in Anlehnung an die Leseauf­
Aufgabe einer Kauffrau/
träge auf den Seiten 144 ff. erstellt. Sie zeigen auf, wie
eines Kaufmanns im Verkaufsraum
die Lehrkraft durch entsprechende Aufgabenstellungen
speziell Lernern mit Migrationshintergrund die Erschlie­
Verkauf Kundenberatung/ ßung und Bearbeitung erleichtern kann:
von Konsumgütern Verkauf sgespräch
Beispiel
Waren- und Markt­
kenntnisse, z.B. ... Du sollst den Text lesen und einen eigenen Text
dazu schreiben, ohne den O riginaltext zu benut­
Aktuelle Neuheiten, z.B
zen. Dam it d ir das gelingt, nutze die nebenste­
Produktmerkmale, z.B. '.
hende Tabelle.

1. Fülle die nebenstehende Tabelle aus.


Sonstige Aufgaben einer Kauffrau/ 2. Schreibe einen eigenen Text m ithilfe der
eines Kaufmanns Tabelle.
Auffüllen und Auszeichnen der Wären, d.h. die Regale 3. Beschreibe einen typischen Arbeitstag einer
werden aufgefüllt und die Preisschilder befestigt. Kauffrau.

Der Text soll eine Seite umfassen, die verschiede­


nen Aufgaben sollen an Beispielen beschrieben
werden. Entscheide selbst, in welcher A rt von
Die moderne Technik im Einzelhandel Geschäft (Textilgeschäft, Lebensmittelgeschäft...)
Arbeit mit Computern, z.B. .... die Kauffrau/der Kaufmann arbeitet.

170 Teil B
Grundlagenwissen

Konkrete Schreibförderung
- Ausgangstext (vgl. S. 22) -
im Fachunterricht
Kauffrau im Einzelhandel/
Zu unterscheiden sind drei Arten der Schreibförderung
Kaufmann im Einzelhandel
im Unterricht:
Kaufleute ini Einzelhandel arbeiten vorwiegend im Verkauf.
1. Schreiben m it Schreibstrategien: Dem Schreibauftrag
: Sie verkaufen die unterschiedlichsten Konsumgüter - ange-
werden geeignete Arbeitsaufträge beigefügt; alter­
fängen von Autos über Kleidung und Nahrungsmittel bis
nativ werden Schreibstrategien empfohlen oder mit­
hin zu Unterhaltungselektronik und Wohnbedarf.
gegeben, damit der Lerner eigenständig ein Schreib­
produkt erstellt. Außer in Selbstbedienungsgeschäften, wo die Warenprä­
sentation einen größeren Raum einnimmt, ist die Kun­
2. Übung von Schreibstrategien und Schreibkompe­
denberatung, das Verkaufsgespräeh, noch immer eine ihrer
tenzen: Eine zu übende Schreibstrategie wird anhand
wichtigsten Aufgaben. Um Kunden kompetent beraten­
eines Schreibauftrages geübt; alternativ werden
zukönnen, brauchen sie gute Waren- und Marktkennt­
Schreibkompetenzen trainiert. Das Schreibprodukt
nisse. Sie kennen die aktuellen Neuheiten und können
ist dann Mittel zum Zweck. Es wird in einer evtl.
über die Produktmerkmale - wie technische Details - oder
vom Unterrichtskontext isolierten, konstruierten
über die Umweltverträglichkeit der Artikel Auskunft geben.
Lernumgebung erstellt.
Neben diesen Tätigkeiten im Verkaufsraum, zu denen
3. Integration des Schreibens in den Unterricht: Der
auch das Auffüllen und Auszeichnen der Waren gehören,
Schreibprozess wird in den laufenden Unterricht inte­
zählen Sicherstellung des Warenangebotes, Marktbeob­
griert und dabei in beachtlichem Maße vom Lehrer
achtung und Einkaufsplanung, die Bearbeitung der Waren- ■
gesteuert.
eingänge und die fachgerechte Lagerung der gelieferten-
Will die Lehrkraft das Schreiben im Fachunterricht för­ Waren sowie die Durchführung von verkaufsfördernden
dern, muss sie - wie beim Lesen (vgl. S. 185 f.) - wich­ Maßnahmen, wie zürn Beispiel die ansprechende Platzie­
tige zentrale Begriffe und ihre Unterschiede kennen: rung und Präsentation der Waren mit Plakaten und ande­
ren Werbemitteln, zu ihren Aufgaben.
Eine Sch re ib Strategie ist ein Handlungsplan, um einen
Text zu verfassen. Da es verschiedene Sorten von Texten Zunehmend wichtiger wird die Ärbejt mit Gomputern und
gibt, ist nicht jede Schreibstrategie für jeden Text geeig­ anderen informationstechnischen Geräten und Systemen:
net. Schreibstrategien unterscheiden sich somit in Bezug zum Beispiel mit mobilen Datenerfassüngsgeräten für die
auf ihre jeweilige Tauglichkeit für bestimmte Textsorten Bestandskontrolle und Inventur oder mit Scannerkassen,
und nach dem Maß ihrer jeweiligen Unterstützung für an denen die Verkaufsdaten der Artikel durch Laserstrahl
den Schreiber. Schreibstrategien haben zum Ziel, Ler­ automatisch abgelesen werden und die mit Computern - •
nern die eigenständige Produktion von Texten zu er­
möglichen. Die von der Lehrkraft zur Verfügung gestell­
ten Schreibhilfen und Aufgabenstellungen leiten und aus: Bundesanstalt für Arbeit, 2000, S. 235;
führen dabei den Lerner unterstützend zur Textproduk­ Hinweis: Das Berufsbild wurde zwischenzeitlich geändert.
tion.

Eine Schreibübung hingegen ist eine Übung, in der Da sich mit Schreibübungen sowohl Schreibstrategien
bestimmte Schreibstrategien oder spezifische Schreib­ als auch spezifische Schreibkompetenzen üben lassen,
kompetenzen im Sinne eines Methoden- oder Kompe­
kann sich die Lehrkraft durch ihren Einsatz gut den
tenztrainings geübt werden. Denn ebenso, wie in einem
besonderen Schwierigkeiten widmen, die beispielsweise
Fach Inhalte und Methoden geübt werden müssen,
Lerner mit Migrationshintergrund beim Schreiben von
müssen auch Schreibstrategien und Schreibkompeten­
Texten haben.
zen geübt werden. So erweitern beispielsweise Schreib­
übungen unter Rückgriff auf das Methoden-Werkzeug
„Lückentext" den Wortschatz, Satzbaupläne fördern Schreibförderung
das strukturierte Schreiben, die Ergänzung von Satzan­ durch Schreibstrategien
fängen fördert die Schreibroutinen etc.
im Fachunterricht
Wenn Schreibstrategien geübt werden, dann ist die
Manche Lerner „können" schreiben - „einfach so";
Strategie selbst und nicht das Schreiben eines Textes
andere hingegen müssen dies mühsam erlernen. Im
der eigentliche Lerngegenstand. Solche Übungen die­
Fachunterricht aber wird verlangt, dass jed e r Lerner
nen häufig der Vorentlastung des Schreibprozesses.
das Schreiben von Sachtexten „können" (also beherr­
Nicht jede Schreibübung ist aber zugleich eine Schreib­
schen) muss.
strategie. Eine Schreibübung wird vielmehr dann zur
Schreibstrategie, wenn sie, selbstständig eingesetzt, der Wie die Erfahrung zeigt, ist das „Schreibenkönnen"
Entwicklung von Schreibkompetenzen dient. ebenso wie das „ Lesenkönnen" bis zu einem gewissen

Teil B 171
Grundlagenwissen

- Schreibstrategie 1: Nach einem M u ste rte xt schreiben


Bei dieser Schreibstrategie erhalten die Lerner einen Mustertext, der ihnen als Vorlage
dient, und müssen auf dessen Grundlage einen ähnlichen Text erstellen. Schreibstrategie 1
ist die sicherste Strategie, um gerade sprachschwachen Lernern zu einer erfolgreichen
Bearbeitung zu verhelfen. Der Anteil erforderlicher inhaltlicher und sprachlicher Änderun­
gen bestimmt das Anspruchsniveau.

- Schreibstrategie 2: M it Versatzstücken schreiben


Bei dieser Schreibstrategie erhalten die Lerner Text-Versatzstücke. Diese sind so gestaltet,
dass die Lerner mit ihrer Hilfe erfolgreich einen Text erstellen können. Die Lerner müssen
die Verbindungen und Anschlussstellen aber selbst formulieren. Bei Bedarf können Formu­
lierungen als Angebot bereitgestellt werden.

- Schreibstrategie 3: M it anderen gemeinsam schreiben


Das gemeinsame Schreiben hat zahlreiche Vorteile, insbesondere, wenn es in Partnerarbeit
erfolgt: Schreibhemmungen werden abgebaut, zusätzliche Ideen und Ansätze generiert
und Formulierungen ausgehandelt. Zudem verbessert sich erfahrungsgemäß die Qualität
der Rechtschreibung und der Umfang der Schreibprodukte erhöht sich.

- Schreibstrategie 4: Darstellungsform en vertexten


Die Vertextung von Darstellungsformen (vgl. S. 134) ist eine Standardsituation im
Fachunterricht (vgl. S. 106/Standardsituation 2), und die Reichhaltigkeit der Darstellungs­
formen bietet viele Möglichkeiten, diese Strategie nutzbringend einzusetzen. Welches
Anspruchsniveau die Lerner dabei zu bewältigen haben, wird vom Abstraktionsgrad der
Vorlage und dem Umfang an zur Verfügung gestellten sprachlichen Hilfen bestimmt.

- Schreibstrategie 5: M it Schreibhilfen schreiben


Bei dieser Schreibstrategie werden seitens der Lehrkraft Methoden-Werkzeuge
(z.B. Wortliste, Wortgeländer, Wortfeld, Sprechblasen, Satzmuster, Satzbaukasten,
Bildsequenz, Filmleiste, Bildergeschichte, Strukturdiagramm, Flussdiagramm, Mind-
Map, Begriffsdiagramm u. a.) als Schreibhilfen eingesetzt. Dabei sollen die Methoden-
Werkzeuge den Schreibprozess in Gang bringen oder in Gang halten und bilden eine
Art Geländer, an dem sich der Schreibende „festhalten" kann.

- Schreibstrategie 6: Einen gegebenen Text anpassen


Diese Strategie ist eine Erweiterung von Strategie 1 („Nach einem Mustertext
schreiben"). Dabei müssen die Lerner einen vorgegebenen Mustertext auf eine
andere vorgegebene Situation anpassen.

- Schreibstrategie 7: M it einer vorgegebenen G liederung schreiben


Diese Strategie ist Schreibstrategie 5 „M it Schreibhilfen schreiben" sehr ähnlich.
Dabei wird eine Gliederung als Schreibhilfe aufgefasst und bildet eine Art Geländer,
an dem sich der Schreibende „festhalten" kann.

- Schreibstrategie 8: Verschiedene Texte zum Thema nutzen


Diese Strategie ist eine Erweiterung von Schreibstrategie 1 „Nach einem Mustertext
schreiben". Statt eines kompletten Textes erhält der Schreiber jedoch mehrere Textbau­
steine, die er kompilierend zu einem eigenen Text verarbeiten soll. Dabei können die
verschiedenen Texte entweder verschiedene inhaltliche Aspekte beleuchten und sich
in den Informationen gegenseitig ergänzen oder sich alle auf das gleiche Thema bezie­
hen, aber verschiedene Darstellungs- und Anspruchsniveaus aufweisen.
Forts, auf S. 174

172 Teil B
Grundlagen wissen

Grad erlernbar. Beim Schreibenlernen bieten Schreib­ Folgende kleinere Schreibübungen lassen sich gut in
strategien eine gute Unterstützung. den laufenden Unterricht integrieren:

Auf S. 772 und 5. 174 werden zehn wichtige Schreib­ - Brainstorm ing a u f einem E xtrablatt
strategien vorgestellt, die der eigenständigen Textpro­ oder einer Extraseite im H e ft
duktion dienen. Sie sind - soweit möglich - dem Bei dieser Schreibübung erhalten die Lerner die Auf­
Schwierigkeitsgrad nach geordnet, werden jeweils kurz gabe, eine Begriffsdefinition, Meinung, Hypothese,
beschrieben und dann mit Bemerkungen erläutert. Vermutung, vorläufige Erklärung, These, Lösung ...
M it zunehmender Strategienummer steigen die Ansprü­ selbstständig „zur Probe" zu notieren. Durch Einsatz
che an die Eigentätigkeit des Lesers. Alle Schreibstrate­ des Methoden-Werkzeugs „Aushandeln" kann an­
gien werden nachfolgend anhand von Beispielen kom­ schließend in Partnerarbeit eine gemeinsame Notiz
mentiert und demonstriert. ausgehandelt werden, die dann in das Plenum ge­
bracht wird.
Natürlich wird die Lehrkraft nicht alle zehn Strategien
auf denselben Text anwenden; sie wird vielmehr dieje­ - Kurztext nach einer D em onstration
nige Strategie auswählen, die am besten geeignet ist Bei dieser Schreibübung sollen Lernereinen Probetext
und dem Einsatzzweck am meisten dient. Kriterien für von wenigen Zeilen verfassen, nachdem ihnen zuvor
die Auswahl sind: etwas vorgeführt/gezeigt/demonstriert bzw. vorge­
- die jeweilige Schreibkompetenz der Schreiber, lesen/vorgetragen/präsentiert wurde. Dies können
z.B. sein: ein Gegenstand, ein Experiment, ein Bild
- die schreibdidaktische Absicht,
oder eine Filmszene, ein Bericht, eine Geschichte oder
- die Textsorte und eine Information.
- der im Unterricht zu behandelnde fachliche Inhalt.
Damit diese Übung gelingt, sollten die Lerner vorab
Alle Schreibstrategien sind grundsätzlich auch für Lerner über Umfang, Form und Zweck des Kurztextes infor­
mit Migrationshintergrund geeignet, vornehmlich die miert werden. (Beispiele: zum Umfang z.B. die Vor­
ersten fünf Strategien. Alle zehn Schreibstrategien wer­ gabe der Zeilenzahl, zur Form z.B. die Vorgabe als
den in Teil C im Kapitel „Zehn Schreibstrategien im Stichwörter oder ausformulierte Sätze, zum Zweck
Fachunterricht mit Beispielen" erläutert. Jede Strategie z.B. die Vorgabe als Ideensammlung, Vorbereitung
wird dabei zusätzlich auch hinsichtlich ihrer Eignung auf das Kommende, Übung im Formulieren, Übung
für schreibschwache Lerner bewertet. im Rechtschreiben). Anschließend werden Beispiele
von Kurztexten verglichen (z.B. in Form des Partner-
tauschs) oder im Plenum vorgelesen. Sollte die Lehr­
Schreibförderung
kraft planen, einige besonders gelungene Ergebnisse
durch Schreibübungen über einen Overhead-Projektor einzublenden, sollte
im Fachunterricht sie daran denken, zuvor Leerfolien in der Klasse zu
Übungen im Unterricht sollen Lernern Erfolgserlebnis­ verteilen.
se ermöglichen. Auch Schreibübungen können diesem - gemeinsame E ntw icklung eines Langtextes
Ziel dienen, vorausgesetzt, sie treffen das passende An­
Bei dieser Schreibübung wird - gemeinsam unter Lei­
spruchsniveau.
tung der Lehrkraft - in der Klasse ein Langtext an
Die auf5. 174 vorgestellten zehn Schreibübungen sind der Tafel zur synchronen Mitschrift im Heft erarbeitet.
an fast allen Texten durchführbar. Sie sind für alle, ins­ Hierfür bieten sich beispielsweise folgende Schreib­
besondere aber für schreibschwache Leser geeignet gelegenheiten an: Versuchsbeschreibungen, Gegen­
und dienen in erster Linie dazu, das Detail- und Sprach- standsbeschreibungen, Zusammenfassungen, Fluss­
verstehen zu üben. diagramme, Synopsen, Thesenpapiere. Dabei sollten
vorab die Gliederung, das Format und der Umfang
Schreibförderung durch geklärt werden.

Integration des Schreibens Das Schreiben im Unterricht hat eine entschleuni-


gende Wirkung und schafft Inseln der Eigentätigkeit.
in den Unterricht
Durch das Schreiben werden zudem die Inhalte wie­
Im laufenden Unterricht bieten sich viele Möglichkeiten,
derholt und ermöglichen, dass sich diese beim Lerner
das Schreiben sinnvoll zu integrieren. Hier ist insbeson­
durch das Schriftbild besser einprägen. Zu guter Letzt
dere das Tafelbild zu nennen, das in jeder Hinsicht Vor­
hat das Schreiben auch Vorbildcharakter für fach­
bildcharakter hat und als Muster für bestimmte Text­
sprachliche Formulierungen. Es gibt also gute Gründe,
sorten gilt. Es bietet die klassische Form des Ab- und
sich dem Schreiben und der Schreibförderung im Fach
Mitschreibens. Die Lehrkraft sollte dehalb immer wieder
zu widmen.
auf den Muster- und Vorbildcharakter des Tafelbildes
hinweisen.

Teil B 173
Grundlagen wissen

- Schreibstrategie 9: Nach einem Frageraster schreiben


Bei dieser Schreibstrategie erhält der Schreiber ein Frageraster, das er sukzessive
im Sinne einer Checkliste abarbeiten muss. Schreibstrategie 9 stellt eine anspruchs­
vollere Form von Schreibstrategie 7 („Nach einer Gliederung schreiben") dar,
sofern das Frageraster in der Abfolge eine sinnvolle Gliederung hergibt. Andernfalls
stellt das Frageraster einen Steinbruch dar, der im Sinne von Schreibstrategie 2 zu
Versatzstücken führt, die der Schreiber erst einmal herstellen muss.

- Schreibstrategie 10: Nach einem Schreibplan schreiben


Diese Strategie gibt dem Schreiber bei umfangreichen Schreibprodukten eine Hilfe,
um in vorgesehener Zeit systematisch zu einem Schreiberfolg zu gelangen.

10 S chreibungen für den Fachunterricht

- Schreibübung 1: Texte abschreiben


(einen gegebenen Text evtl. mit Veränderungsaufträgen abschreiben)

- Schreibübung 2: Textlücken ausfüllen


(die in einem Text vorgegebenen Lücken ausfüllen)

- Schreibübung 3: Textabschnitte ordnen u n d abschreiben


(verwürfelte Textabschnitte ordnen und den Text abschreiben)

- Schreibübung 4: Satzhälften zusammenfügen


(vorgegebene Satzhälften mit passenden Satzgliedern verbinden
und abschreiben)

- Schreibübung 5: Satzanfänge ergänzen


, (Sätze mit fehlenden Satzanfängen vervollständigen)

- Schreibübung 6: Sprech- u n d Denkblasen ausfüllen


(die Denk- und Sprechblasen in einer fachlichen Bildergeschichte ausfüllen)

- Schreibübung 7: Texte ko m p le ttie re n


(einen angefangenen Sachtext mit größeren Textlücken vervollständigen)

- Schreibübung 8: Texte erläutern


(einen vorgegebenen Sachtext mit Beispielen, Ergänzungen,
Erklärungen ergänzen).

- Schreibübung 9: Darstellungsform en vertexten


(vorgegebene Darstellungsformen vertexten)

- Schreibübung 10: M it Schreibhilfen schreiben


(einen Text mit beigefügten Schreibhilfen verfassen)

Hinweis: Alle zehn Schreibübungen werden detailliert in Teil C (Kapitel


„Zehn Schreibübungen im Fachunterricht m it Beispielen") erläutert.

174 Teil B
Grundlagenwissen

Das Üben
im sprachsensiblen Fachunterricht

haltig erworben und Inhalte schnell wieder verlernt hat­


Basiswissen zum Üben ten. Getreu dem alten Sprichwort „einmal ist keinmal“
im Fachunterricht mussten diese Inhalte dann letztlich mühsam wiederholt
werden.
Der didaktische Stellen­ Üben ist also fester Bestandteil des Lernens, vgi. S. 75.
wert des Übens Dabei festigt Üben jedoch nicht nur Kompetenzen, über
Warum ist Üben so wichtig? Neueren Erkenntnissen die man teilweise bereits verfügt, sondern wiederholt
der gehirnbiologischen Forschung zufolge werden ein­ auch Kompetenzen, die man sich erhalten will. Üben
gespeicherte Lerninhalte durch das Abrufen erneut akti­ ist somit kein lästiger Zusatz, sondern eine originäre
viert und vielfältiger mit bekannten Inhalten vernetzt. Lerntätigkeit. Richtig eingesetzt und durchgeführt, muss
Dadurch werden die Aktivitätsmuster der Neuronen­ Üben zudem nicht demotivierend und „öde“ , sondern
netze stabilisiert und die Erinnerungen „haltbarer“ . kann motivierend und spannend sein.

Gleichzeitig verbessert sich die Effizienz, da diese Erin­ Nachfolgend deshalb noch einmal die wesentlichen
nerungen schneller und müheloser rekonstruiert werden Argumente für das Üben im Unterricht:
können. Lerner können sich also nach vermehrtem - Wiederholendes Üben schafft Perfektion und Routine.
Üben nicht nur schneller und besser an den eingespei­ Was man kann, macht man auch gerne.
cherten Inhalt erinnern, sondern sie erinnern sich auch - Verständiges und intelligentes Üben ist motivierend.
müheloser, da hierfür weniger Energie erforderlich ist.
- Üben macht in besonderem Maße Kompetenzzu­
Dies erhöht die positiven Rückkopplungen beim Lern­
wachs erfahrbar. Nichts ist befriedigender, als zu mer­
prozess und führt zu Erfolgserlebnissen.
ken, dass man kompetenter geworden ist. Gelingen­
Anders formuliert: Weil Informationen durch häufiges des Üben schafft Erfolge und Erfolge befriedigen.
Üben stärker präsent sind, werden sie auch häufiger
- Üben bedarf der zielgerichteten Vorbereitung und
mit neu Erlebtem vernetzt. Lerner, die Erfolge verspüren,
Kontrolle durch die Lehrkraft. Da auch das Üben
lernen aber nachweislich besser. Dies gilt besonders für
selbst geübt werden muss, sollte es als Teil des Lern­
sprachschwache Lerner.
prozesses integriert werden, vgl. S. 73 ff., 84. Denn
Leider kommt das Üben im Unterricht aber häufig nur so besteht die Möglichkeit, sprachschwache Ler­
immer noch zu kurz. Hierfür gibt es zwei sehr unter­ ner binnendifferenzierend zu unterstützen. Damit
schiedlich gelagerte Gründe: aber sollte Üben nur in Ausnahmefällen als Hausauf­
1. Zeitknappheit: Viele Lehrkräfte wissen ohnehin gabe gegeben werden, da „richtiges Üben“ Kompe­
kaum, wie sie angesichts des engen Zeitplans das tenzen voraussetzt, die sprachschwache Lerner häufig
vom Lehrplan des Fachs verlangte umfangreiche überfordern.
Fachwissen vermitteln sollen. Diese Problematik wird Beim Üben können viele verschiedene Lernmethoden
durch die Vorgaben der Bildungsstandards verschärft; angewandt werden. Dabei werden zunächst zwei
denn Fachlehrkräfte müssen sich seit PISA auch den Grundformen des Übens unterschieden:
neu aufgenommenen Kompetenzbereichen Erkennt­
- das „ einschleifende " Üben:
nisgewinnung, Kommunikation und Bewertung wid­
men. Da scheint zum Festigen kaum Zeit. Einschleifendes Üben sorgt für eine gewisse Routine
in der Kompetenzausübung. Es dient nicht nur der
2. Akzeptanz: Üben war lange Zeit wenig angesehen. Automatisierung des Lernprozesses, sondern vermit­
Es galt als Drill und wurde von vielen Lehrern abge­ telt dem Lerner zugleich Sicherheit.
lehnt: Es verursache Langeweile und ermögliche den
Lernenden zu wenig Selbstständigkeit. - das „ verständige " Üben:
Verständiges Üben reflektiert das Tun. Es verankert
Heute hingegen wird der didaktische Wert des Übens
den Prozess des Übens sowie das Geübte in bereits
nicht mehr angezweifelt; vielmehr weiß man, dass auch
vorhandenen Wissensstrukturen; dabei wird Wissen
und gerade durch das Üben gelernt wird. Und in der
sowohl transferiert als auch variiert.
Tat: Viele Lehrkräfte, die ursprünglich auf das Üben
verzichtet hatten, mussten nach einiger Zeit feststellen, Für beide Übungsformen gilt: Üben heißt Wiederholen.
dass ihre Lerner Kompetenzen tatsächlich nicht nach­ Diese Wiederholung dient der Ausbildung eines gesi­

Teil B 175
Grundlagenwissen

cherten und verfügbaren Wissens. Anders formuliert: - die Lerner Übungskompetenz entwickeln und die
Das Durcharbeiten erzeugt Klarheit und Beweglichkeit, richtigen Lernstrategien nutzen;
das Üben und Wiederholen konsolidiert das Wissen. - die Lehrer gezielte Hilfestellungen beim Üben geben
Interessanterweise scheint die Einstellung zum Üben (Binnendifferenzierung, vgl. S. 88 ff.).
kulturabhängigzu sein: So haben Helmke und Schräder Intelligent gestaltete Übungsphasen tragen Hilbert
(1999) festgestellt, dass Lerner und Studierende in west­ Meyer zufolge (2004, S. 106 f.) folgende Merkmale:
lichen Ländern das Wiederholen eher als Mittel zur Fes­
- Es wird oft, aber kurz geübt. Dafür steht im Unterricht
tigung und Sicherung von bereits Verstandenem nutzen;
bei asiatischen Lernern hingegen werden Wiederholen, ausreichend Zeit zur Verfügung.
Einprägen und Memorieren bereits im frühen Stadium - Es gibt gemeinsam vereinbarte, vom Lehrer und von
des Lernprozesses mit großer Ausdauer eingesetzt, um den Lernern eingehaltene Regeln (z.B. zum Zugriff
den Lerninhalt zu verstehen. auf knappe Materialien, zur Lautstärke, zum Herum­
laufen usw.).
- Es herrscht eine angenehm ruhige und konzentrierte
Arbeitsatmosphäre.
Üben heißt Wiederholen. Dabei ist einschleifendes - Unterrichtsstörungen sollten vermieden werden; dort,
: Üben b\s zu einem gewissen Grad notwendige Vor­ wo sie dennoch auftreten, werden sie von Lehrern
aussetzung für das Weiterlernen im Fach. Die Lehr- und Lernern diskret und beiläufig behoben.
'. kraft sollte; jedoch bestrebt sein; angeleitetes Üben .
- Die Lerner haben verstanden, was sie üben sollen;
durch selbstständiges Üben zu ersetzen,-sobald es -
sollte doch etwas unklar sein, wenden sie sich an ihre
der Lernfortschritt erlaubt.
Mitlerner oder den Lehrer.
Verständiges Üben hingegen ist notwendige Voraus­ - Es gibt personen-, ziel- und themen- oder metho­
setzung für das Versteheri im Fach; Dabei motiviert dendifferenzierte Übungsaufträge.
die Rückkopplung mit bereits vorhandenem Wissen
- Es gibt ansprechende, sich selbst erklärende Übungs­
den Lerner und macht M ut für künftiges Lernen.
materialien.
- Die Lernerhaben ihre Übungsutensilien (Materialien,
Hefte, Lernmittel) dabei.
Grundprinzipien des Übens
- Die den Lernern zur Verfügung gestellten Materialien
und Qualitätskriterien ermöglichen - z.B. anhand einer Überprüfungsauf­
Die Literatur kennt eine Vielzahl von Grundprinzipien, gabe -, den Lernerfolg zu kontrollieren. Diese Kon­
Maximen, Grundsätzen und Regeln des Übens. Je nach trolle erfolgt allein oder in Zweiergruppen.
Autor sind diese ausführlicher gefasst, grundsätzlicher - Der Lehrer beobachtet die Übungsversuche und gibt
gehalten oder umfänglich kommentiert. Allen Ausfüh- . einzelnen Lernern fachliche Hilfestellungen, wo bzw.
rungen gemeinsam sind folgende Grundsätze: sofern dies notwendig ist.
- Üben setzt Wissen und Können voraus. - Die Übungsleistungen der Lerner werden anerkannt
- Üben braucht Übungsbereitschaft. und die Hausaufgaben kontrolliert und gewürdigt.

- Üben braucht Übungserfolge.


Üben in verschiedenen Phasen
- Üben setzt Selbstständigkeit voraus.
Auf die Problematik, angesichts des Lehrplans und der
- Üben erfordert Konzentration. Anforderungen der Bildungsstandards genug Zeit für
- Üben braucht Zeit und Ziel. das Üben zu finden, wurde bereits hingewiesen. Den­
- Üben braucht angemessene Verteilung noch geht am Üben kein Weg vorbei; denn geübtes
und Abwechslung. (Sprach-)Handeln ermöglicht dem Lerner, dass er nicht
unnötig Ressourcen für Routinetätigkeiten binden muss,
- Üben benötigt Kontrolle und Bestätigung.
sondern diese für kreative und weitergehende Tätig­
Hilbert Meyer zufolge (2004, 5. 104-112) ist Üben keiten einsetzen kann. Ungeübte binden ihre Kräfte
dann besonders erfolgreich, wenn die Übungsphasen unnötigerweise; dies gilt insbesondere für sprachschwa­
des Unterrichts intelligent gestaltet sind. Dies ist der che Lerner bzw. Lerner mit Migrationshintergrund.
Fall, wenn In der Lernschrittfolge nach dem Lern-Lehr-Modell wird
- ausreichend oft und im richtigen Rhythmus geübt deshalb aus gutem Grund eine eigene Phase „Sicher
wird; werden und üben“ ausgewiesen (Phase 6, s. S. 73 ff.).
- die Übungsaufgaben passgenau zum Lernstand for­ In dieser Phase geht es darum, das Gelernte zu perfek­
muliert werden, vgl. S. 84\ tionieren und Routine zu erreichen. Dies legt die Basis

176 Teil B
Grundlagenwissen

dafür, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich gerade Die sechs Phasen des Lernprozesses sind jedoch durch
dadurch später auftun. Denn erst das Üben in dieser unterschiedliche Merkmale gekennzeichnet, vgl. 5. 73
Phase schafft die Beweglichkeit, die einen Transfer (des ff. Deshalb kann und muss je nach Phase auch das
Wissens, der Strategie, des Gelernten) ermöglicht Üben unter verschiedenen Gesichtspunkten stattfinden.
Hier bietet sich eine Orientierung an der didaktischen
Untersuchungen zeigen allerdings, dass Transfereffekte
Ausrichtung der jeweiligen Phase an, vgl. Grafik unten
seltener sind als angenommen. Ein Grund mag darin
und S. 79 ff.:
liegen, dass sich diese Effekte erst ab einer gewissen
- In der Einstiegsphase können wiederholende Übun­
Könnensstufe einstellen. Für dieses Können aber ist
gen dazu genutzt werden, den Sachverhalt/Lern-
Üben wiederum eine unabdingbare Voraussetzung.
gegenstand erneut in den Horizont der Lerner zu
Deshalb sollte im Unterricht ständig und dauerhaft
rücken, Vorwissen (deklaratives Wissen) zu aktivieren
geübt werden. Doch was heißt das genau?
oder bereits Gelerntes zu sichern. Zugleich wird auch
Übungen sind nicht nur in der letzten Phase des Lehr- prozedurales Wissen geübt: Die Lerner verbalisie­
Lern-Prozesses sinnvoll und notwendig, sondern in ren die Problemstellung und schlagen dazu Lösungs­
allen Phasen. Die Begründung dafür lautet wie folgt: wege vor (z.B. Analyseschritte oder die „Überset­
1. Dinge effektiv und routiniert zu tun oder Experte zu zung11 von Sachverhalten in verschiedene Darstel­
sein, macht den meisten Menschen Freude. lungsformen, vgl. dazu S. 33 ff.).
- In der Erarbeitungsphase wird vor allem prozedurales
2. Das Gehirn trachtet immer danach, Dinge zu auto­
Wissen implizit wiederholt: Hier werden Strategien
matisieren und Gewohnheiten auszubilden. Es be­
angewandt und geübt.
setzt deshalb den Gelingensprozess, also die erfolg­
reiche und wiederkehrende Anwendung, mit deut­ - In der Sicherungsphase dient das Üben dem wieder­
lichen Lustgefühlen. Deshalb sollte die Lehrkraft holenden Durcharbeiten des Gelernten; dieses wird
darauf achten, dass den Übungen immer eine Erar­ dadurch in einer weiteren Schleife gesichert.
beitung des Wissens und der einzuübenden Fähig­ - In der Festigungsphase schließlich dient das Üben
keiten und Fertigkeiten vorangeht. dem Einschleifen und Automatisieren.

Üben als notwendiges Element


in allen Phasen des Lernprozesses
(vgl. S. 73 ff.)

Phasen 4 und 5 /
Sicherurigsphase:

In der Festigungsphase gilt


es, geistige und handwerk­
haSen 1 und 2, In der Sicherungsphase des liche Beweglichkeit herzü-
Einstiegsphase: stellen, mit dem Ziel, sicher
Lernprozesses gilt es, das
Präsentieren und Darstellen zu werden und Fertigkeiten
In der Erärbeitungsphase gilt zu perfektionieren.;
es, Fach methodisches zu sowie die Reflexion des
üben, um Erkenntnisse zu Lernzugewinns (z.B. durch
In der Einstiegsphase des entsprechende Sprachfor-
generieren und Lernproduk­
Lernprozesses soll der Lerner me'n) zu üben.
üben, ungezwungen und te herzustellen; hier.werden
spontan sein Vorwissen, sei­ beispielsweise Darstellungs­
ne VorsteiIüngen, Ideen, formen geübt.
Hier sind Übungen zur Prä­ Hier sind Übungen zum
Vermutungen, etc. auszu­
sentation von Lernproduk- „Einschleifen", Automati­
drücken.
Hier sind Übungen zur Nut­ ten und -ergebnissen sowie sieren und Anwenden so­
Hier sind Brainstorming- und, zung ünd Auswertung von; Sprachübungen für das Prä­ wie Sprachübungen, die die
Assoziationsü hu ngen. sowie - Informationen sowie Sprach- ; sentieren und Verbalisieren sprächliche Korrektheit, den
Sprachühungen für das freie Übungen für das Verbalisie­ von Ergebnissen und Pro­ Ausdruck und die sprach^-
spontane Sprechen geeignet ren von Erkenntnissen geeig­ dukten geeignet und sinn-: liche Flüssigkeit trainieren, ,
Und sinnvoll. net und sinnvoll. voll geeignet und sinnvoll.

Teil B 177
Grundlagenwissen

Übungen zur Pluralbildung oder zum Konjunktiv ge­


Konkrete Sprachförderung hören somit eher nicht in den Aufgabenbereich des
Fachunterrichts. Denn nimmt man die Fremdsprachen­
durch Sprachübungen didaktik ernst, sollen grammatische Strukturen nicht
im Fachunterricht isoliert, sondern immer in Verwendungskontexten ge­
lernt und geübt werden. Übungen zum Passiv hinge­
gen können durchaus sinnvoll sein, da beispielsweise
Fachliches Lernen kann
die Sachtexte in den naturwissenschaftlichen Fächern
ohne Sprache nicht gelingen eine hohe Anzahl an Passivkonstruktionen aufweisen.
Dass im Fachunterricht Fachliches geübt werden muss,
Anders formuliert: Wenn es der fachliche Verwendungs­
ist klar und einsichtig. Dass im Fachunterricht aber auch
kontext hergibt, kann auf sprachliche Phänomene
Sprachliches zu üben ist, war vielen Fachlehrkräften
durchaus „nebenher" hingewiesen werden. In jedem
bisher weniger klar und noch weniger einsichtig; denn
Fall ergeben sich hier aber Schnittstellen zum Förder­
für viele von ihnen gehörte sprachliches Üben eher in
oder zum Deutschunterricht. Einer solchen —prinzipiell
den Aufgabenbereich des Faches Deutsch.
wünschenswerten - Kooperation sollte jedoch immer
Die Zeiten haben sich jedoch geändert: Heutzutage eine vorherige Diagnose der Lernergruppe durch die
haben schon viele „durchschnittliche" Lerner Probleme, Fachlehrkraft vorangehen, damit eine gezielte Abspra­
sich sprachlich oder gar schriftlich korrekt in der deut­ che dessen möglich ist, was sprachlich gelernt bzw.
schen Sprache auszudrücken. Diese Probleme stellen geübt werden soll.
sich somit für alle Lerner, für sprachschwache Lerner
Unabhängig davon hilft es immer, wenn in die Fach­
und solche mit Zuwanderungsgeschichte allerdings in
übungen allgemeine ergänzende Sprachhilfen integriert
erheblich stärkerem Ausmaß, vgl. Teil A.
sind (z.B. Wortlisten, Wortgeländer, Filmleisten, Fach-
Jede Lehrkraft wird sofort einsehen, dass Fachübungen sprachmuster...; vgl. Teil C), da Lerner so zugleich die
sinnlos sind, wenn die Lerner sprachlich wenig oder Sprache nebenher mitüben können.
gar nichts verstehen. Auch Fachlehrkräfte kommen also
um in den Fachunterricht integrierte Sprachübungen W ie setzt man Sprachübungen
nicht herum, ob sie nun wollen oder nicht. erfolgreich im Fach ein?

In den Teilen A und B wurden bereits zahlreiche Mög­ Wie bereits ausgeführt, wird Sprache dann besonders
lichkeiten aufgezeigt, mit denen Fachlehrkräfte ihren effektiv gelernt, wenn sie (z.B. in Form einer Sprach­
Lernern angemessene Hilfestellungen geben können. übung) in fachlichen Mitteilungssituationen benutzt
Dies versetzt Fachlehrkräfte in die Lage, diesen Lernern wird. Sprachübungen müssen somit
einen ebenso fachlich richtigen wie auch sprachsensibel - fachdidaktisch und sprachdidaktisch sinnvoll in den
ausgerichteten Unterricht anbieten zu können - und Unterricht integriert sein;
das, obw ohl sie Fach- und keine Sprachlehrer sind. Teil - darauf abzielen, den fachlichen und den sprachlichen
C setzt diese Möglichkeiten in systematisch metho­ Kompetenzbereich gleichzeitig und zielgerichtet zu
disch-didaktisch aufbereiteten Arbeitsblättern und entwickeln.
Übungen um.
Das aber erfordert ein komplexes Wechselspiel von
Alle Hilfestellungen in Teil C (sowie die ausführlichen fachbezogener und sprachbezogener Arbeit im Unter­
Beispiele in Teil D) sind in einen didaktisch-methodi­ richt. Um dieses Wechselspiel methodisch umzusetzen,
schen Gesamtkontext eingebettet, der auf alle Fächer empfiehlt es sich, einige Grundsätze zu beachten:
anwendbar ist und zudem in besonderer Weise die
- Die Sprachübungen sollten zwanglos in den Fachun­
Belange sprachschwacher Lerner berücksichtigt.
terricht integriert und nicht von ihm getrennt sein.
Sie sollten keinen Fremdkörper darstellen.
Was unterscheidet Sprachübungen
- Die Sprachübungen sollten so viele Sprechhilfen wie
von Fachübungen?
nötig, aber so wenige wie möglich enthalten.
Es ist nicht immer leicht, zwischen Sprach- und Fach­
- Die Sprachübungen sollten keine neuen Probleme
übungen zu trennen. Auch laufen Sprachübungen
schaffen (also weder fachliche noch sprachliche), son­
schnell Gefahr, zum Selbstzweck zu werden, wenn
dern diese überwinden helfen.
Sprachstrukturen losgelöst vom jeweiligen fachlichen
Lerngegenstand eintrainiert werden. Es kann deshalb - Fachliche und sprachliche Probleme dürfen sich nicht
nicht oft genug betont werden, dass Übungen und überschneiden. Dies gilt insbesondere bei einer
unterstützende Lernhilfen (z.B. Strategien und Metho- Sprachförderung sprachschwacher Lerner, da bei
den-Werkzeuge) möglichst immer kontextgebunden ihnen Sprachförderung sonst rasch zu einer Über­
eingesetzt werden sollten, da sie nur so dem Fach und forderung führt, vgl. S. 27, 67. Damit aber werden
dem Verstehen des Faches dienen, vgl. S. 56, 108 ff. neue Probleme geschaffen statt alte gelöst. Zudem

Teil B
178
Grundlagenwissen

verhindern derartige Überschneidungen, dass auftre­ Sprachübungen gibt es viele; der Wunsch vieler Lehr­
tende Probleme lokalisiert werden können; es wird kräfte nach Hilfen zur (Ein-)Ordnung und Systemati­
für den Lerner somit nicht deutlich, ob ein Problem sierung ist daher verständlich. Sprachübungen lassen
im fachlichen oder im sprachlichen Bereich liegt, was sich jedoch nicht nach hierarchischen Ordnungen ty-
in aller Regel zu einer Verunsicherung führt. pologisieren; ihre jeweilige Eignung ergibt sich viel­
mehr allein aus dem Anwendungszweck (vgl. S. 91 ff./
Methoden- Werkzeuge).

Faustregel: In Übungsphasen mit hohem fach­ Sprachübungen lassen sich jedoch nach gewissen for­
lichem Niveau sollte sich die Lehrkraft darauf malen Merkmalen einteilen; hierzu gehören z.B.
beschränken, die vorhandenen sprachlichen Fä- : Übungszweck, Übungsformen, Merkmale, Organisa­
higkeiten der Lerner zu festigen, um diese nicht tionsformen, Sozialformen sowie die durch sie geför­
zu überfordern. In Übungsphasen mit geringerem derten Kompetenzen. Die folgende Checkliste zeigt
fachlichem Niveau sollte sie hingegen das Sprach- - den Variationsreichtum der daraus resultierenden Übun­
lernen und Sprache-Üben stärker betonen. gen; sie dient zugleich als Anregung bei der Auswahl
geeigneter Übungen und Übungsvarianten.

- - • ■■
Möglichkeiter zur Systematisierung von Sp rachübungen

Übungsformen M erkm ale

- Sicherung - Hörübung - interaktiv


- Vertiefung - Sprechübung - spielerisch
- Konsolidierung - Leseübung - erfindungsreich
- Wiederholung - Schreibübung - abwechslungsreich
- Erweiterung/Ergänzung - Rechenübung - monoton
- Sicherheit im Umgang - Zeichenübung - zeitökonomisch
- Einschleifen - Zuordnungsübung - selbsttätig
- Konzentrationstraining - Markierungsübung - routinebildend
- Motivation - Rekonstruktionsübung - materialaufwändig
- Methodentraining - Auswahlübung - zeitintensiv
- Beschäftigung - Ausfüllübung - handlungsorientiert
- Prüfungsvorbereitung - Umformungsübung - wettbewerbsorientiert
- Ergänzungsübung - offen
- geschlossen
- perfektionierend
- differenzierend

^rnr^nSc^ti Anpr/irmon '


urgamsaiionsTormen v~—- I f or mpn .
r JUfclCLIlvlIMCII Kompetenzen

- unpersönliche Ausdrucksweise - Einzelarbeit/Stillarbeit Kompetenzbereich:


- Arbeitsaufträge - Partnerarbeit - Fachwissen
- Vor-/Nachmachen - Gruppenarbeit - Fachmethoden
- Lösungsfolie - Plenum/Klasse - Kommunikation
- Musterlösungen - Reflexion/Bewertung
- Lösungshilfen / Anforderungsniveau:
- Starthilfen - 1 (Reproduktion)
- gegenseitiger Bericht - II (Reorganisation)
- gegenseitige Kontrolle - III (Transfer)

© Josef Leisen

Teil B
179
Grun dlagen wissen

Fachsprachliche Sprachübungen Zehn fachsprachliche Sprachübungen


im engeren Sinne
im Fachunterricht
-Sprachübung 1: Wortschatzarbeit betreiben
Bestimmte Sprachstrukturen kommen nur im spezifi­
schen Kontext eines bestimmten Faches vor; sie müssen - Sprachübung 2: Fachbegriffe erkennen und ordnen
folglich auch im Fach selbst geübt werden, um den - Sprachübung 3: Fachbegriffe üben
Verwendungsgrad dieser Strukturen zu erhöhen. Glei­ - Sprachübung 4: Fachbegriffe definieren
ches gilt für Sprachstrukturen, die besonders häufig in - Sprachübung 5: Fachsätze vervollständigen
den Fächern, aber darüber hinaus auch in der Alltags­ - Sprachübung 6: M it Beispielsätzen üben
sprache Vorkommen.
- Sprachübung 7: M it Sprechhilfen üben
Zudem sollten Sprachübungen im Fachunterricht mög­ - Sprachübung 8: Darstellungsformen verbalisieren
lichst nie rein sprachbezogene Übungen sein, sondern
- Sprachübung 9: Situationen verbalisieren
sich immer auf das jeweilige Fach beziehen. Denn nur
- Sprachübung 10: An Situationsbildern und
dann wird Sprache auch in fachlichen Verwendungs­
Fachcomics argumentieren
kontexten geübt. Diese Herangehensweise ist für den
sprachsensiblen Fachunterricht typisch. Zehn fachsprachliche Sprachübungen
Die folgenden Ausführungen geben einen Überblick im weiteren Sinne
über die wichtigsten Sprachübungen, die eine Fach­ - Sprachübung 11: Zahlen, Maße und Mengen üben
lehrkraft kennen und durchführen (können) muss. Dies
- Sprachübung 12: Signale üben
gilt auch und gerade dann, wenn sie - wie meist - kei­
- Sprachübung 13: Komplexe Sätze aufgliedern und
ne sprachliche Ausbildung besitzt.
verkürzen
Dabei sind Sprachübungen im engeren und im weiteren
- Sprachübung 14: Komplexe Sätze bilden
Sinne zu unterscheiden (vgl. Kästen S. 180 ff.):
- Sprachübung 15: Nominalphrasen und Nominalisie-
Fachsprachliche Sprachübungen im engeren Sinne rungen vereinfachen
haben enge fachliche und fachsprachliche Bezüge.
- Sprachübung 16: Fachnomen zerlegen
Fachsprachliche Sprachübungen im weiteren Sinne hin­
- Sprachübung 17: Abgeleitete Adjektive erkennen
gegen weisen deutliche allgemeinsprachliche Bezüge
auf und gehören eher in den Bereich zwischen Fach­ und umformen
unterricht und Sprachförderunterricht. Alle 20 fach­ - Sprachübung 18: Paraphrasierungen zuordnen
sprachlichen Sprachübungen werden anhand konkreter - Sprachübung 19: Ersatzformen üben
Beispiele ausführlich in Teil C vorgestellt. - Sprachübung 20: Passivstrukturen üben

- Sprachübung 1: W ortschatzarbeit betreiben


Aufgrund der hohen Anzahl von fachspezifischen Begriffen ist Wortschatzarbeit im Fachunterricht
von großer Bedeutung; dies gilt besonders dann, wenn neue Fachbegriffe eingeführt werden sollen.
Für diese Arbeit bietet die Fremdsprachendidaktik eine Vielzahl von Methoden an, die sich hervor­
ragend auch für fachsprachliche Übungen heranziehen lassen. Ihnen ist deshalb im vorliegenden
Buch ein eigener Abschnitt gewidmet (siehe S. 185 sowie Teil C, S. 260 ff.).

- Sprachübung 2: Fachbegriffe erkennen u nd ordnen


Jeder kennt die Situation: Bestimmte Fachbegriffe werden auch im Alltag verwendet, haben dort
aber eine andere Bedeutung oder werden in einem anderen Kontext verwendet (z.B. Spannung als
Merkmal eines Vorgangs (Filmszene) versus Spannung als physikalische Größe in der Einheit Volt-
Schloss als Verriegelung oder als Sitz eines Fürsten ). Dies kann manchmal zu erheiternden Missver­
ständnissen führen. Sprachübung 2, auch „Teekesselchen" genannt, fördert die Sprachkompetenz
und dient dazu, solche Fach- und Alltagsbegriffe im Fachunterricht zu unterscheiden. Sie ist als Spiel
angelegt, bei dem Spieler einen Begriff mit mehreren Bedeutungen aufgrund der vom Mitspieler
gelieferten Umschreibung erraten müssen. Übenswert ist neben der Unterscheidung von Fach- und
Alltagsbegriffen auch die Verwendung fachbegrifflicher Synonyme sowie das Kategorisieren und
Ordnen in begrifflichen Hierarchiegefügen (Beispiel: Familie der Vielecke , Teil C, S. 265).

180 Teil B
Grundlagenwissen

Forts, von S. 180

- Sprachübung 3: Fachbegriffe üben


Fachbegriffe sollten nicht isoliert, sondern zum einen immer in fachlichen Kontexten und zum an­
deren möglichst immer im handelnden Vollzug geübt werden, vgl. S. 41, 56, 69 ff. Sprachübung 3
macht Sinn, wenn die Verwendung der Fachbegriffe zwangsläufig aus der Sache heraus erfolgt.
Dies erfordert fachliche Aufgabenstellungen, die eine begleitende Verbalisierung verlangen.
(z.B.: „Ih r sagt: M it den Tastborsten haben w ir im Partnerexperiment folgendes herausgefunden:
A u f den verschiedenen „ Körperteilen " g ib t es unterschiedlich viele Sinneszellen. Das ist richtig.
Und jetzt sprecht mal so, wie Biologen sprechen. Benutzt dazu den Begriff „D ich te".) Beim Üben
von Fachbegriffen sollte man möglichst viele Darstellungsformen (vgl. S. 33 ff.) nutzen.

- Sprachübung 4: Fachbegriffe definieren


Fachbegriffe werden in der Regel durch einen umschreibenden Satz oder mehrere umschreiben­
de Sätze definiert. Diese Umschreibungen können sich auf fachlich und sprachlich unterschied­
lichen Niveaus bewegen, was als Quelle für Definitionsübungen genutzt werden kann. Übungen
zum Definieren und Erklären von Fachbegriffen sind - je nach Bekanntheit des Fachbegriffs -
unterschiedlich anspruchsvoll. Hier kann die Lehrkraft sprachschwache Lerner zusätzlich durch
Angabe des Artikels und des Plurals unterstützen.

- Sprachübung 5: Fachsätze vervollständigen


Diese Übung kann in der einfachsten Form als Lückentext gestaltet werden. In erweiterten
Formen können angefangene Fachsätze auch umgeformt oder für andere Adressaten formu­
liert werden. Erweiterte Formen dieser Übung sind Wortgeländer (Methoden-Werkzeug 2)
oder Blockdiagramme (Methoden-Werkzeug 13), s. Teil C.

- Sprachübung 6: M it Beispielsätzen üben


Beispielsätze für fachsprachlich korrektes Sprechen sind übenden Lernern eine große Hilfe
und führen zu erfolgreichen Übungsprodukten. Es empfiehlt sich dabei, sowohl Beispiele
für einfache, als auch für anspruchsvolle Übungen anzugeben. Anregungen für Variationen
und Erweitungen stimulieren und wirken binnendifferenzierend.

- Sprachübung 7: M it Sprechhilfen üben


Diese Übung ist besonders für Lerner mit Migrationshintergrund wichtig und notwendig, weil das
Sprechen sonst oft nicht gelingt; das aber wirkt sich negativ auf die Motivation der Lerner aus,
da so auch keine Erfolgserlebnisse vermittelt werden. Sprechhilfen in Form von Verbalisierungshil­
fen (z.B. Wortliste, Wortfeld, Satzanfänge, Wortgeländer, s. Teil C) sind hier besonders geeignet.

- Sprachübung 8: Darstellungsform en verbalisieren


Die Verbalisierung vorgegebener Darstellungsformen ist eine klassische Sprachübung; sie ist zu­
gleich die am häufigsten angewandte Sprachübung im Fach. Durch beigefügte Verbalisierungshilfen
(s. Sprachübung 7) kann das Anforderungsniveau genau auf das Lernerniveau angepasst werden.

- Sprachübung 9: Situationen verbalisieren


Eine lose, nicht zusammenhängende Folge von Situationsbildern wird zu einer fachlichen
Geschichte verbunden (vgl. Bildergeschichte, Methoden-Werkzeug 16). Die Geschichte
kann in Form von Sprechblasen oder als fortlaufender Text verfasst werden.

- Sprachübung 10: An Situationsbildern und Fachcomics argum entieren


Fachcomics sind Situationsbilder mit Sprechblasen (vergleichbar mit Bildergeschichten,
Methoden-Werkzeug 16). Die Sprechblasen verschiedener Sprecher drücken fachliche
Positionen aus, zu denen argumentierend Stellung genommen werden soll. Hier treffen
fachinhaltliche und fachsprachliche Übungen zusammen.

Teil B 181
Grundlagenwissen

- Sprachübung 11: Zahlen, M aße u n d M engen üben


Fachunterricht ohne Zahlen bzw. ohne Maß- und Mengenangaben ist kaum denkbar. Die Ver­
wendung solcher Angaben muss somit geübt werden, damit die Lerner sicher im Umgang mit
diesen Aufgaben werden und die entsprechenden Verben und Begriffe möglichst oft anwenden.

- Sprachübung 12: Signale üben


Die Fachsprache enthält eine Vielzahl von Signalen, die logische Verknüpfungen, Verneinungen,
Bedingungen und Folgen deutlich machen. Das Erkennen derartiger Signale kann durch viel­
fältige Übungen geschult werden; dies erweitert darüber hinaus den Wortschatz und fördert
die sprachliche Differenzierung.

- Sprachübung 13: Kom plexe Sätze a u f gliedern und verkürzen


Fachtexte sind gekennzeichnet durch komplexe Satzstrukturen. Will man Lernern das Verständ­
nis dieser Texte erleichtern, sollten sie üben, diese aufzugliedern und sprachlich verständlicher
zu formulieren.

- Sprachübung 14: Kom plexe Sätze b ilden


Fachtexte sind durch lange und komplexe Sätze gekennzeichnet. Die Umkehrung der Sprach­
übung 13 bietet Lernchancen für sprachschwache Lerner, wenn einfache und kurze Sätze vor­
gegeben sind. So wird auch das Verständnis komplexer Sachverhalte geschult.

- Sprachübung 15: Nom inalphrasen u n d N om inalisierungen vereinfachen


Fachtexte weisen eine hohe Anzahl von Nominalisierungen auf; diese bereiten gerade sprach­
schwachen Lernern zumeist große Schwierigkeiten. Vereinfachungsübungen bieten sich somit
an; sie fördern zugleich das Fachverständnis.

- Sprachübung 16: Fachnomen zerlegen


Zusammengesetzte Fachbegriffe sind zentrale Elemente der Fachsprache; dies können Fach­
adjektive und Fachnomen sein. In den entsprechenden Fachübungen werden die Ableitungen
geübt (Beispiel: flüssig - Flüssigkeit; brennbar - Brennbarkeit).

- Sprachübung 17: A bgeleitete A d je ktive erkennen und um form en


In Fortführung der Sprachübung 16 werden die Zusammensetzungen der Adjektive in ihrer
Bedeutung beschrieben oder umgeformt. (Beispiel: säurefest = ist fest gegen Säuren)

- Sprachübung 18: Paraphrasierungen zuordnen


Fachtexte weisen besonders viele Merkmale der Schriftlichkeit auf, s. S. 54 f.; Paraphrasierungen
hingegen nutzen die Mündlichkeit. Zuordnungsübungen zwischen Beispielen beider Sprachstile
bieten sich somit als Übungen an; sie erhöhen die Geschmeidigkeit des sprachlichen Ausdrucks.

- Sprachübung 19: Ersatzformen üben


Viele Fachtexte enthalten Verkürzungen, die bei sprachschwachen Lernern zu Verständnisschwierig­
keiten führen, so z.B. Nominalphrasen oder die Verwendung komplexer Attribute anstelle von A ttri­
butsätzen. Derartige Verkürzungen aufzuschlüsseln und damit verständlicher zu machen, ist deshalb
eine sinnvolle fachsprachliche Übung. (Beispiel: „Durch den Schweredruck erfährt jeder eingetauch­
te Körper eine nach oben wirkende Auftriebskraft. "; Umformung: „ Wenn man einen Körper ein­
taucht, erfährt er durch den Schweredruck eine Auftriebskraft, die nach oben gerichtet ist. ")

- Sprachübung 20: Passivstrukturen üben


Komplexe Passivstrukturen sind für die Fachsprache bzw. für Fachtexte typisch. Da gerade
sprachschwache Lerner damit erfahrungsgemäß Probleme haben, können im Einzelfall Aktiv-
Passiv-Umformungsübungen Sinn machen.

182 Teil B
Grundlagenwissen

Fachsprachliche Sprachübungen Nominalisierungstransformation (im Fachunterricht


im weiteren Sinne und Kooperationen allerdings besser in umgekehrter Richtung, also als
Die folgenden zehn fachsprachlichen Sprachübungen Entnominalisierungstransformation, zu üben): „D ie
im weiteren Sinne weisen fließende Übergänge zu soge­ Behandlung von Kopfschmerzen m it Entspannungs­
nannten allgemeinsprachlichen Übungen auf. techniken ..." wird zu „ W ill man Kopfschmerzen
m it Entspannungstechniken behandeln,
Allgemeinsprachliche Übungen gehören eigentlich nicht
in den Aufgabenbereich des Fachunterrichts. Sie gehö­ Adjektiv-Transformation: „D ie ansteckende Krank­
ren idealerweise in einen eventuell begleitenden För­ h e it" w ird zu „D ie Krankheit ist ansteckend."
derunterricht, ansonsten in den begleitenden Deutsch­ Nebensatztransformationen: „D ie ansteckende
unterricht. Dieser kann als DaF- oder DaZ-Unterricht Krankheit11 wird zu „D ie Krankheit, die ansteckend
erfolgen*. ist, ...".
Dennoch sollte die Fachlehrkraft zumindest um die Partizip-1- und Partizip-Il-Transformationen: „D e r
Besonderheiten wissen, da die dort behandelten - meist behandelnde A r z t .. ." wird zu „D e r Arzt, der mich
komplexen - sprachlichen Konstellationen auch in den behandelt h a t ... "; „D ie geimpften K in d e r... " wird
verschiedenen Sachfächern gehäuft Vorkommen. Die zu „D ie Kinder, die geim pft wurden,
entsprechenden sprachlichen Strukturen müssen des­
halb geübt werden, um den Verwendungsgrad im Fach Aktiv-Passiv-Transformationen (im Fachunterricht
zu erhöhen. allerdings besser in umgekehrter Richtung, also als
Passiv-Aktiv-Transformation, zu üben): „Das M e d i­
Die im vorliegenden Handbuch ausgewählten fach­ kament wurde vom Arzt verordnet." wird zu „D e r
sprachlichen Übungen im weiteren Sinne sind bewusst
Arzt hat das M edikam ent verordnet."
so angelegt, dass sie sich im Bereich zwischen Fachun­
terricht und Sprachförderunterricht ansiedeln lassen.
Zudem eignen sie sich ausdrücklich für die Kooperation
mit dem Förderunterricht.

Die auf S. 182 abgedruckte Übersicht will Fachlehr­ Fächsprachliche Übungen dienen in erster Linie
kräften zunächst nur einen ersten Überblick ermög­ der fachlichen und sprachlichen Kompetenzent-
lichen und dem besseren Verständnis dienen. Zudem J Wicklung im Fach. Die Übungen haben aber den
will sie nur an derartige Übungen heranführen und das ; positiven Nebeneffekt, dass damit zugleich auch
für den Fachunterricht mögliche Spektrum verdeutli­ ( fundierte allgemeine Sprachförderung betrieben
chen, nicht aber zum Einsatz im Fachunterricht ermun­
tern oder gar dazu auffordern.
Bei fachsprachlichen Sprachübungen sollte die . :
In Anlehnung an die in der Fremdsprachendidaktik am ; Lehrkraft möglichst immer:
häufigsten vorkommenden Übungsformen lassen sich
auch bei den fachsprachlichen Übungen im weiteren -- die fachsprachlichen Übungen in einen fach-!
Sinne zwei Arten von Sprachübungen unterscheiden: h liehen Kontext setzen;;

- fachsprachliche Sprachübungen und - keine sprachlichen Strukturen „auf Vorrat"


en, sondern nur solche* die im unmittelbaren
- fachsprachliche Umformungsübungen.
.. Gebrauch überzeugenden Nutzen bringen;
Fachsprachliche Sprachübungen beziehen sich typi­
scherweise auf folgende Kategorien:
- Wortschatz (Begriffe, Lexik),
- Grammatik (Sprachformen, Syntax),
- Semantik (Bezüge, Bedeutungen) und In Übungsphasen mit hohem fachlichem Niveau
- Pragmatik (Verwendungskontexte). sollte die Lehrkraft auf zusätzliche sprachliche
Übungen verzichten, Übungsphasen mit geringe­
Fachsprachliche Umformungsübungen hingegen be­
rem fachlichem Njveäu hingegen durch sprachliche
ziehen sich vornehmlich auf folgende Bereiche (vgl.
Übungen an reichern. Sonst droht Überforderung!
Müller, 2005, S. 2 8 **):

* DaF-Unterricht: Unterricht in Deutsch als Fremdsprache;


DaZ-Unterricht: Unterricht für Deutsch als Zweitsprache
* * zum DaZ-Unterricht

Teil B 183
Grundlagenwissen

Kleine „Nachhilfe" Wortschatzarbeit


heißt nicht Vokabellernen
für Fachlehrkräfte Wortschatzarbeit wurde in den letzten Jahrzehnten
sowohl im Fremdsprachen- als auch im Fachunterricht
Grundlagen der Sprachförderung vernachlässigt. Dies ist bedauerlich, denn Untersuchun­
gen belegen, dass ein großer aktiver Wortschatz auch
Anregungen und Leitlinien zu
von großer praktischer Bedeutung ist: Bei Texten in
Wortschatzarbeit, Fehlerkorrektur,
Physikschulbüchern beispielsweise ist jedes sechste
Grammatik und Förderdiagnostik
W ort ein Fachbegriff und etwa jedes 25. ein neuer
im Fachunterricht
Fachbegriff; allerdings wird rund die Hälfte solcher
Die Ausführungen haben gezeigt: Der Heterogenität Begriffe in einem solchen Buch nur jeweils einmal ver­
der Lerner kann durch binnendiferenzierende Sprach­ wendet.
förderung im Fach angemessen Rechnung getragen
Die Forschungslage ist uneinheitlich und vieldeutig. Ein­
werden. Diese ist zwar ein komplexer Aufgabenbereich,
deutig ist: Der „Wortschatz" ist ein Schatz, der erst
kann aber sehr gut gelingen, wenn sich Fachlehrkräfte
einmal gehoben werden muss. Genauer gesagt: Sollen
auf die Entwicklung von sprachlichen Strukturen im
Lerner über einen bestimmten Wortschatz verfügen
und am Fach beschränken (vgl. Kasten unten).
und diesen aktiv verwenden können, muss er durch
Dennoch gibt es einige elementare Grundlagen, die so die Lehrkraft erst einmal herbeigeschafft werden.
bedeutsam für die tägliche Praxis sind, dass auch die
Leider reduziert die Schulpraxis Wortschatzarbeit häufig
Fachlehrkraft mit ihnen vertraut sein sollte. Diese immer noch auf das Auswendiglernen von Vokabeln.
Grundlagen beziehen sich auf die Wortschatzarbeit, die Damit aber vergeben Lehrkräfte wichtige Lernchancen;
Fehlerkorrektur, die Grammatik und die Förderdiagnos­ denn eine Förderung des Wortschatzes kann zugleich
tik im Fachunterricht. In diesem Zusammenhang sei ausgezeichnet zur Förderung der allgemeinen kogni­
auch noch einmal auf die Bedeutung des Übens für tiv-schulischen Fähigkeiten genutzt werden (CALP, vgl.
erfolgreiches Lernen im Fach verwiesen, s. S. 175 ff. S. 59, 63). Wortschatzarbeit ist somit in jedem Fach­
unterricht wichtig - und zwar ganz unabhängig von
Wortschatzarbeit der Frage der Fremdsprachigkeit. Die Sprachübung 1
in Teil C ist deshalb der Wortschatzarbeit gewidmet.
im Fachunterricht
Als CALP-abhängige Fähigkeit ist „Wortschatz" aber
Anregungen und Leitlinien nicht erlernbar, sondern nur erwerbbar. Das bedeutet,
Zur Methodik der Wortschatzarbeit liegen aus dem dass ein bestimmter Wortschatz nur „in der Anwendung
Fremdsprachenunterricht viele praktische Erfahrungen und im Gebrauch" - also nur im fachlichen Zusam­
vor, die gut in den Fachunterricht übertragen werden menhang- erworben wird (und nicht etwa durch stures
können. Ebenso bietet die Fremdsprachendidaktik Anre­ Vokabellernen im traditionellen Sinn). „W irg e h e n von
gungen für eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden, der These aus: Gebt den Schülern Wortschatz, die
die zur Wortschatzarbeit genutzt werden können. Die Grammatik finden sie von a lle in !" (Hölscher, Piepho
Zusammenfassung auf S. 185 soll Fachlehrkräften dabei und Roche 2006, S. 14)
als Leitlinie zur Orientierung dienen. Wortschatzlernen kann somit nur dann gelingen, wenn
eine Lehrkraft in der Lage ist, dabei zugleich die erfor­
derlichen fachlichen Zusammenhänge herzustellen.
Denn „W örter einführen" ist eine Sache; aus einem
passiven Wortschatz einen aktiven zu machen, eine
andere.
^oh grammatischer Nachhilfe (weil sie davon zu
Da Fachlehrkräfte in der Regel weder gelernt haben,
wenig verstehen);
wie man richtige Wortschatzarbeit betreibt, noch die
- von belehrenden Fehlerkorrekturen (weil sie die Zeit haben, sich mit der entsprechenden Literatur aus­
Lerner demotivieren und somit für das Weiterler­ einanderzusetzen, laufen sie Gefahr, dabei ungewollt
nen fatal sind); Fehler zu machen. Dabei gilt auch hier der Grundsatz
- v o n isolierten, nicht didaktisch begründeten „G ut gemeint ist nicht gut genug!" Fachlehrkräfte, die
Übungen (weil das damit erlangte Wissen nicht dazu ermutigt werden, Wortschatzarbeit zu betreiben,
in kommunikativen Situationen verwendet werden ; sollten deshalb zugleich auf Gefahren und Stolpersteine
hingewiesen werden.

Was bedeutet Wortschatzarbeit konkret?


(weil dies den vielfältigen Erwerbsprozessen nicht
Wortschatzarbeit hat viel damit zu tun, wie Begriffe
gebildet werden. Gerade deshalb hat Wortschatzarbeit

184 Teil B
Grundlagenwissen

Wortschatzarbeit
- führt neue Begriffe und Sprachstrukturen nicht isoliert ein;
- semantisiert im fachlich relevanten Kontext;
- verwendet neue Begriffe und Sprachstrukturen und grenzt sie
in bekannten Wortfeldern ab;
- führt neue Begriffe und Sprachstrukturen über mehrere Stufen
sprachlicher Fassungen ein;
- liegt knapp über dem jeweiligen Entwicklungsstand der Lerner;
- führt zu relevanten mündlichen und schriftlichen Äußerungen;
- verbindet sprachliche Unterweisung und interaktives,
kommunikatives Handeln;
- vermeidet mechanischen Sprachgebrauch;
- fördert die Sprachbewusstheit.

- Begriffe nicht fragend erarbeiten, sondern im Gebrauch einführen;


- verschiedenste Darstellungsformen nutzen;
- Wortschatzarbeit methodisch abwechslungsreich gestalten
(z.B. mit Methoden-Werkzeugen);
- eine überformende Fehlerkorrektur bevorzugen;
- Wortschatz im Verwendungszusammenhang üben.

* der Frem dsprachendidaktik entlehnt aus: Müller, 2005b, S. 7

185
Teil B
Grundlagen wissen

für den Fachunterricht (und hier insbesondere bei der


Begriffsbildung und Einführung neuer Fachbegriffe) eine große Bedeutung.
Denn Lerner, die neue Begriffe herleiten können, ver­
Begriffsausschärfung über Stufen
stehen fachliche Zusammenhänge nachweislich besser.
sprachlicher Fassungen Dies gilt ebenso für sprachstarke wie für sprachschwa­
che Lerner (für diese allerdings in weit größerem Maße).
Stufe 1: Sich Phänomenen, Gegenständen,
Sachverhalten nähern Müssen viele neue Begriffe eingeführt werden, sprechen
fachdidaktische Gründe für ein gestuftes Vorgehen. Die
Die Lerner nähern sich fachlichen Phänömenen/Gegen-
Bildung von Begriffen erfolgt dabei in verschiedenen
ständen/Sachverhalten fragend, einkreisend, assoziierend
sprachlichen Fassungen. Diese könnte man wie folgt
und noch stockend, erprobend auf der Basis ihrer Vorstel­
beschreiben: annähernd formuliert - auf Probe formu­
lungen. (Beispiel: „D a ist die Luft drin. Wenn ich die dann
liert - endgültig formuliert (siehe Kasten links oben).
zusammendrücke, dann geht das imm er schwerer. ")
Nun tauchen bekanntlich in der schulischen Praxis
Stufe 2: Bedeutungen ausschärfend und immer wieder Situationen auf, in denen Lerner (Fach-)
zunehm end genauer form ulieren Begriffe zu kennen (und auch zu verstehen) glauben,
Fragen, Aussagen und Bedeutungen-werden zunehmend dies aber nicht der Fall ist, weil der jeweilige Begriff im
durch Einbindung neuen Wissens und auf der Basis von Alltag in einem anderen Zusammenhang gebraucht
Modellen ausgeschärft, präzisiert und genauer formuliert. wird (d.h. semantisch anders belegt ist). Bei der Erar­
(Beispiel: „D ie Luft hat immer weniger Platz. Und je weni­ beitung solcher Bedeutungsdifferenzen leisten sog.
ger Platz; die L uft hat, umso mehr Stößen sich die Luft­ „Teekesselchen "-Übungen gute Dienste; ihnen ist des­
teilchen ab. “ - „Je weniger Platz die Luft hat, desto halb die Sprachübung 2 gewidmet (vgl. Teil C, S. 264).
größer ist ih r Druck".) Die im Kasten links unten aufgeführten Beispiele zeigen
einige semantische Probleme der Wortschatzarbeit auf,
Stufe 3: Fachsprache verwenden die durch Bedeutungsdifferenzen von Begriffen im Fach-
Das, was erprobt, erfahren, verhandelt und in der Um­ und Alltagskontext entstehen.
gangssprache herausgearbeitet wurde, wird fachsprachlich
Sämtliche vorangegangenen Beispiele unterstreichen
gefasst und überformt. (Beispiel: „ Wenn das Volumen
noch einmal die Relevanz der „Leitlinien zur W ort­
des Gases fünfmal kleiner wird, dann w ird der Druck in
schatzarbeit" auf S. 185: Lehrkräfte sollten fachliche
ihm fünfmal größer. " oder „D ruck • Volumen: ist immer
Begriffe im fachlichen Kontext einführen und mithilfe
konstant" oder „ p • v = const.")
fachlicher Handlungssituationen semantisieren, um
W m ____ ihnen so die passende fachliche Bedeutung zu geben.

Umgang mit sprachlichen Fehlern


bei der Sprachförderung
Die Konfrontation mit eigenen sprachlichen Defiziten
Semantische Probleme ist für jeden Sprachlerner eine unangenehme und bloß­
stellende Situation; dies gilt unabhängig davon, ob es
fachspezifischer Wortschatzarbeit
sich bei diesem Lerner nun um einen Jugendlichen oder
Semaritische ProbJeme der Wortschatzarbeit können einen Erwachsenen handelt. M it Fehlern muss deshalb
höchst unterschiedliche Aspekte betreffen. Beispiele: behutsam und einfühlsam umgegangen werden.
- „ Der See: kipp t u m ." : umgangssprachliche Es sollte aber auch keine Scheu bestehen, Dinge beim
vs. ökologische Bedeutung von- „ümkippen". - Namen zu nennen und Fehler anzusprechen. Wichtig
- „Multipliz-ieren ünd Dividieren m it der gleichen ist dabei nur, eine offene und angstfreie Unterrichts­
\ Zahl heben einander a u t u mgangssprachIiche atmosphäre zu schaffen, in der Lerner die helfende
-V vs. mathematische Bedeutung von „aufheben". ; - also positive - Grundhaltung des Lehrenden spüren.
Dazu muss die Lehrkraft die Lerner in eine Lern- (und
- „ Welch eine Tragödie!": umgangssprachliche.
nicht in eine Leistungs-)umgebung bringen, vgl. S. 86.
• vs. literarische Bedeutung von „Tragödie".,
Denn Lerner, die sich in einem Lernraum wähnen, wol­
- „ Die Katze säugt ihre Jungen. ": Unterscheidung len auch Fehler machen dürfen. Lerner, die sich in einem
von „der Junge" und „das Junge“ . Leistungsraum wähnen, wollen hingegen gerade keine
- „ Die Datei steht zum Download b ereit.": Fehler machen.
Entlehnungen, Ableitungen und Wortelemente Ziel muss sein, das Könnensbewusstsein der Lerner zu
aus anderen Sprächen. :V stärken, Fortschritte deutlich zu machen, Hilfen zu
geben und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

186 Teil B
Grundlagenwissen

Je mehr die Fehlerarbeit als selbstverständlicher Teil des Fehlerdiagnose


Unterrichts empfunden wird, desto weniger wird diese Nur wenn eine Lehrkraft korrekt einschätzen kann, wo
von den Lernern als diskriminierend empfunden. Es gilt genau die Ursache für einen sprachlichen Fehler liegt,
somit, eine entsprechende „Fehlerkultur" im Unterricht kann sie dem jeweiligen Lerner auch entsprechende
zu etablieren (idealerweise in Übereinstimmung mit der Hilfen anbieten (individuelle Förderung durch Binnen­
praktizierten Aufgabenkultur, vgl. S. 83 f.). differenzierung, vgl. S. 88). Leider ist aber für Fach­
Gute Anregungen dafür, wie hierbei vorzugehen ist, lehrkräfte, die nicht als Fremdsprachenlehrer ausgebil­
bietet der sprachsensible Fachunterricht (vgl. hierzu die det sind, eine Fehlerdiagnostik gar nicht so einfach.
Beispiele auf S. 41 und 98 ff. dieses Buches, die eine Nachfolgend deshalb einige einführende Hinweise:
unaufgeregte Überformung von Fehlern empfehlen). - Fachlehrkräfte bekommen in der Regel einen gro­
Karin Kleppin (1998, S. 29-40) hat untersucht, welche ßen Schreck, wenn sie erstmals schriftliche Arbeiten
Fehler für Lernende von Deutsch als Fremdsprache häu­ ihrer fremdsprachigen Lerner zu Gesicht bekommen.
fig sind. Dabei hat sie folgende Ursachentypen für Feh­ Denn häufig täuscht die mündliche Kompetenz vieler
ler ermittelt (angepasst nach Kaminski, 2005, S. 3; vgl. Lerner mit Zuwanderungsgeschichte (jedenfalls zu­
auch 5. 25 des vorliegenden Buchs): nächst) über Schwächen in der Schriftlichkeit hinweg,
vgl. S. 67 und 59 ff. Fachlehrkräfte neigen deshalb
- Interferenzfehler: dazu, die vermeintliche, im Mündlichen wahrgenom­
Interferenzfehler entstehen, wenn fremdsprachige mene Kompetenz kurzerhand auch auf die Schrift­
Lerner Regeln aus der Erstsprache auf die Zweitspra­ lichkeit zu übertragen. Die Kompetenzen im Schrift­
che übertragen (sog. Interferenz der soziolinguisti- lichen hinken jedoch in aller Regel jenen des Münd­
schen Normen der Herkunftssprache). lichen hinterher; davon mögen sich Fachlehrkräfte
also nicht beunruhigen lassen.
- Fehler durch Übergeneralisierungen,
- Der Umgang mit Fehlern - die Fehlerkorrektur -
Regularisierungen und S im plifizierungen:
braucht Unterrichtszeit, die evtl. beim fachlichen Ler­
Solche Fehler entstehen, wenn fremdsprachige Lerner
nen fehlt. Zu diesem Dilemma gibt es leider keine
ihnen aus der Muttersprache bekannte Regeln auf
Alternative. Der Sprachstand der Lerner ist, wie er
Phänomene übertragen, auf die diese nicht zutref­
ist; und das ist die Ausgangsbasis. Ein Fortschreiten
fen, Unregelmäßiges zu Regelmäßigem machen und
ohne sprachsensible Fehlerkorrektur schafft nur kurz­
komplexe Strukturen in nicht normgemäßer Weise
fristige Zeitersparnisse.
vereinfachen.
- Fehlerarbeit führt erst langfristig zu Erfolgen. Fossi­
- Fehler a ufgrund von Kom pensations­ lierte Sprachstrukturen aufzubrechen und zu korri­
und Vermeidungsstrategien: gieren ist mühsam, kostet viel Zeit, erfährt Rückschlä­
Diese Fehler sind häufig nicht als Fehler auszuma­ ge und braucht einen langen Atem aller Beteiligten.
chen, da der Lernende die Strukturen, die er nicht - Ein guter Umgang mit Fehlern schafft eine Sprach-
oder vermeintlich nicht beherrscht, gar nicht ver­ bewusstheit, die den Lernern ermöglicht, die eigenen
wendet. Im schlimmsten Fall kann er dadurch seine sprachlichen Äußerungen selbst zu bewerten und
Kommunikationsabsicht nicht realisieren. gegebenenfalls zu korrigieren. Somit spielen sowohl
die Fehlerarbeit selbst als auch die Atmosphäre, in
- Lernstrategien:
der diese erfolgt, eine große Rolle für die aktuelle
Lernstrategien können die Ursache für Fehler sein, und künftige aktive Ermunterung von Lernern zur
wenn der Lernende in einer „ Sprachnotsituation1' Beteiligung am Sprachförderprozess.
sprachliche Mittel ausprobiert, obwohl er weiß, dass
- Fehlerarbeit ist immer nur Arbeit an solchen Fehlern,
diese wahrscheinlich nicht normgerecht sind; er hofft
dann auf das korrigierende Eingreifen seines Kom­ die besonders häufig Vorkommen oder besonders
munikationspartners. gravierend sind, also schwerpunktmäßig Vorkommen.
Da niemand alle seine Fehler auf einmal verbessern
- Fehler durch (schlechten) Übungstransfer: kann, setzt Sprachförderung auch nur an jeweils ein­
Diese Fehler werden von der Lehrkraft verursacht. zelnen Fehlerschwerpunkten an, geht gestuft vor und
Sie können auftreten, wenn die Lehrkraft z.B. einem bietet dazu gezielte Hilfen an.
Phänomen zu viel Raum im Unterricht gibt und die So sollte sich beispielsweise die Fehlerkorrektur der
Lerner dadurch zu Übergeneralisierungen verleitet, Lehrkraft
ein Phänomen falsch platziert oder es falsch erklärt.
- durch Überformung nicht zu sehr vom Original ent­
- Persönliche Faktoren: fernen und nicht zu elaboriert sein. (Beispiel: Original:
„Spannung großer." Überformung: „D ie Spannung,
z.B. Lustlosigkeit, Stress und Aufregung sowie
die an den Messpunkten A und B anliegt, hat sich
- sozio kultu re lle Faktoren. a uf den Wert 12 Volt vergrößert. " Die Überformung

Teil B 187
Grundlagenwissen

muss zudem im Sprach- und Verstehenshorizont (z.B. Lerner liest Tafelanschrieb ab, spricht nach, wie­
der Lerner bleiben (vgl. Kaminski, 2005). derholt) sollte sofort korrigiert werden.
- Bei Transferleistungen (Lerner formuliert selbststän­
Hinweise zur Fehlerkorrektur dig) sollte die Lehrkraft Fehler nur notieren und ggf.
im Fachunterricht später besprechen, um den Gedankengang des Spre­
Es ist sinnlos, sprachliche Fehler an Stellen zu verbes­ chenden nicht zu unterbrechen.
sern, an denen sprachliche Richtigkeit nicht erwartet Im schriftlichen Bereich:
werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Ler­ - Hier sollte eine „Schwerpunkt-Korrektur" (z.B. bei
ner frei und spontan über komplizierte Sachverhalte der Rückgabe von Tests) erfolgen; am erfolgreichsten
sprechen sollen. hat sich dabei die anonymisierte Besprechung von
Eine Sprachkorrektur ist insbesondere auch dann zu ein bis zwei typischen Fehlern erwiesen.
unterlassen, wenn dadurch das Fachlernen behindert
Auf welche Weise ist zu korrigieren?
oder gar verhindert wird. Dies ist beispielsweise bei
komplexen Gedankengängen der Fall, in denen die Verfahren fü r die mündliche Korrektur:
Lehrkraft den Lerner durch die Korektur „aus dem - Überformungen und Lehrer-Echo (berichtigte Wie­
Konzept" bringt oder bringen könnte. Ein Lerner in derholung einer Lerneräußerung ohne Kommentar);
Sprachnot braucht vom Lehrer vielmehr Ermutigung; den Sachverhalt aufgreifen und in einer sprachlich
das können sowohl eine ermutigende Grundhaltung, richtigen Form positiv verstärkend fortführen (vgl.
ein sympathischer Blick oder auch die befreiende, vom hierzu die Empfehlungen auf S. 98 ff.)',
Ziel her gedachte Hilfe sein. Ein „sezierender", fehler­ - „rekonstruierende Fehlerkorrektur" durch die Lehr­
suchender Lehrer hilft dem Lerner nicht. kraft: berichtigte Rekonstruktion als Bezugssystem,
Bei folgenden Sprachfehlern sollte die Lehrkraft hinge­ insbesondere bei gebrauchshäufigen Formen und
gen eingreifen: Strukturen;
- wenn das Fachlernen durch die Korrektur des Sprach­ - „Fehlerecke" an der Tafel (für sprachliche und fach­
fehlers klärend und vorantreibend unterstützt wird; liche Korrekturen);
- wenn Fachlernen und Sprachlernen eng Zusammen­ - stumme Hinweise auf sichtbare Sprachhilfen (z.B. Bei­
gehen und spielsätze, Vokabelhilfen, Wortgeländer, Satzbauplan
etc. auf Tafel, OH-Folie, Lernplakatim Klassenraum);
- wenn Sprachfehler zu fossilieren drohen, d.h. wenn
die Gefahr besteht, dass sich diese durchsetzen und - „stumme Impulse" (nonverbale Hinweise: Einsatz
verfestigen. von ritualisierter Gestik und Mimik);
- Anonymisierung und Bündelung: Lehrer notiert sich
Bei der Umsetzung in die Praxis helfen die folgenden
sprachliche Fehler und bespricht sie (anonymisiert
und summarisch) später.
Richtlinien für den Umgang m it Fehlern
im sprachsensiblen Fachunterricht Verfahren für die schriftliche Korrektur:
- farblich unterschiedliche Markierung: fachliche und
Grundhaltung zum Fehler prüfen:
sprachliche Fehler (Tests, Hausaufgaben etc.) mit un­
- Beim Umgang mit Sprachfehlern hängt der ange­
terschiedlichen Korrekturzeichen oder -färben mar­
strebte Erfolg beim Lerner stärker von der Grundhal­
kieren;
tung des Lehrers als von der Methode ab.
- anonymisiertes Arbeitsblatt mit typischen Fehlern als
- Für nachhaltigen Erfolg beim Lerner ist sprachpsy-
Unterrichtsthema: Lerner korrigieren Lerner, Auswer­
chologisch und pädagogisch auf Dauer eine helfende
tung mit Overhead-Folie(n);
Grundhaltung am wirksamsten.
- sprachliche Korrekturphase vor der Präsentation der
Welche Fehler sind zu korrigieren? Arbeitsergebnisse anbieten (dieses Verfahren hat sich
besonders bei Gruppen- oder Projektarbeit bewährt);
- häufig auftretende Fehler;
- bedeutungsverfälschende Fehler; - Fehler beim Vorlesen von Arbeitsergebnissen: Lerner
nicht unterbrechen, sondern Fehler notieren und spä­
- fachsprachliche Fehler.
ter besprechen.
Wann und wie häufig ist zu korrigieren? Fehlerkorrektur durch Dauerplakate:
Im mündlichen Bereich: - Dauerplakate haben sich durch ihre ständige Präsenz
- Im mündlichen Bereich hat die sogenannte „Neben- im Klassenraum für die Sicherung und Einübung fach­
bei-Korrektur“ grundsätzlich Vorrang; Lieber regel­ sprachlicher Wendungen als hilfreich erwiesen. Sie
mäßig ein bisschen korrigieren, als alles auf einmal können Fachbegriffe, Fachsätze, Fach- und Sprach-
besprechen wollen. Bei reproduktiven Leistungen beispiele aufweisen.

Teil B
188
Grundlagenwissen

- Lernern in Sprachnot kann dabei ein kurzer, auch von Checklisten oder Sprachstandstests), gibt es für
nonverbaler Hinweis auf das Plakat nicht nur aus sei­ Fachlehrer kaum Hilfen, die ihnen ermöglichen, eine
ner Sprachnot „heraushelfen", sondern auch die Förderdiagnostik für den Fachunterricht zu erstellen.
selbstständige Fehlerkorrektur ermöglichen. Fachlehrkräfte können bislang nur auf Diagnoseinstru­
mente für den Förderunterricht in der Fremdsprache
- Eine farbliche Gestaltung der Dauerplakate (z.B. glei­
Deutsch zurückgreifen.
che Farben für Wörter gleichen Geschlechts) bietet
visuelle Unterstützung bei der Nutzung. Da die korrekte Aufbereitung und Anwendung der un­
- Je mehr die Lehrkraft mit spracharmen Mitteln und terschiedlichen Analysekriterien ein ausgeprägtes Hin­
Dauerplakaten arbeitet, desto mehr entwickelt sie tergrundwissen zu sprachlichen Konstruktionen erfor­
sich vom rein fehlersuchenden hin zum helfenden dert, wird dringend empfohlen, für diese Aufgabe mit
Lehrer. Lehrkräften für Deutsch bzw. Förderlehrkräften zu
kooperieren. Deutschlehrkräften werden dabei die DaZ-
Was man besser vermeiden sollte: Studienbriefe (vgl. Teil D sowie Kaminski, 2005, S.
- bloßstellende sprachliche Fehler selbst wiederholen 10-12) bei der Vorbereitung von großem Nutzen sein.
oder wiederholen lassen (negativer Einprägeeffekt); Ein„erster Einstieg" für Fachlehrkräfte findet sich auf
- ironisch, verwundert, „genervt" oder tadelnd auf den Seiten 184 ff.
Fehler reagieren (wirkt lernhemmend).

Was Fachkonferenzen tun können: Kooperation zwischen Fach-


- eine Liste typischer Sprachfehler erstellen und neuen und Förderunterricht
Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung stellen; „Das könnt ih r dann im Förderunterricht machen."
- Korrekturzeichen vereinbaren; Diese Aussage charakterisiert leider häufig nach wie
vor den Stand der Kooperation zwischen den Pädago­
- gegenseitige Hospitationen (ggf. mit Videoaufzeich­
gen im Fach- sowie im Förderunterricht. Der Förder­
nungen) vereinbaren.
unterricht wird von vielen Fachlehrern als eine Art
Problemauslagerung verstanden, frei nach dem M ot­
Förderdiagnostik to: „Soll doch der Förderunterricht (oder der Deutsch­
Kein verantwortungsvoller Arzt verschreibt Medika­ unterricht) die Sprachstrukturen einüben, die von den
mente, bevor er nicht eine umfangreiche Anamnese Lernern im Fachunterricht benötigt werden."
und eine sorgfältige Diagnose durchgeführt hat. Im
Aus der Sicht der Fachlehrer verrichten die Kollegen
Unterricht hingegen scheint das ganz anders zu sein:
im Förderunterricht „Zulieferdienste"; aus der Sicht
Viele Lehrkräfte unterrichten, ohne recherchiert zu ha­
der Kollegen hingegen, die für den Förderunterricht
ben, wen sie eigentlich unterrichten bzw. ohne die Lern-
verantwortlich sind, werden die Lerner im Fachunter­
geschichte und den Kompetenzstand der Lerner diag­
richt systematisch sprachlich überfordert. Das sind denk­
nostiziert zu haben. Leider tun wir in der Schule oft so,
bar schlechte Voraussetzungen für eine gelingende
als sei Lernen voraussetzungslos bzw. gehen davon aus,
Sprachförderung der Lerner!
dass alles zum Lernen Wichtige schon vorhanden sei.
Sprachsensibler Fachunterricht, für den das vorliegende
Die wachsende Heterogenität der Lerngruppen hin­
Werk plädiert, versteht sich hingegen selbst als Förder­
sichtlich Vorwissen, Sprachvermögen, Arbeits- und
Lernvermögen, Leistungsvermögen und Leistungsbe­ unterricht. Er weiß aber auch um seine Grenzen: Diese
reitschaft etc. zwingt jedoch dazu, dieses Verhalten zu liegen dort, wo es in das „rein" Sprachliche, in das
überdenken und zu ändern. Es ist insbesondere drin­ „rein" Grammatische und somit um das originäre
gend geboten, sich der Themen „Lerndiagnostik“ im Gebiet von Sprachunterricht geht. Er nimmt die Sprach-
Allgemeinen und der „Sprachdiagnostik" im Speziellen situation, wie sie ist, und macht das Beste daraus, för­
anzunehmen. Erst daraus erwächst - quasi in einem dert die Sprache an und mit den Fragestellungen des
zweiten S chritt-die „Förderdiagnostik" (hier nicht als Fachs und betreibt somit sachbezogenes Sprachlernen.
auf künftige Einstufung ausgerichtete Sprachstands- Genau hier ist die Schnittstelle zum Förderunterricht:
messung verstanden, sondern als Analyse zur Auswahl Der Förderunterricht nimmt die spezielle und individu­
der entsprechenden Fördermaßnahmen). Die Förder­ elle Situation eines jeden Lerners auf und entwickelt
diagnostik beinhaltet somit zugleich auch die entspre­ daraus ein entsprechendes Förderprogramm. Das setzt
chenden Fördermaßnahmen bzw. gibt diese vor. voraus, dass die Kollegen vom Förderunterricht genau
Die Lehreraus- und Lehrerfortbildung hat das Thema wissen, was im Fachunterricht ansteht und wie kon­
zwar schon seit einigen Jahren aufgegriffen; gerade für zeptionell agiert wird. Soll die angestrebte Diagnostik
den Sekundarstufenunterricht im Fach liegen aber noch also Früchte tragen, muss sie von beiden Lehrkräften
zu wenige Konzepte und kaum Erfahrungen vor. Wäh­ gemeinsam durchgeführt bzw. aufeinander abgestimmt
rend für den „allgemeinen" Unterricht schon zahlreiche werden. Erst diese Arbeitskontakte schaffen die Voraus­
Hilfen zur Diagnostik angeboten werden (etwa in Form setzung für gelingende Sprachförderung.

Teil B
189
Grundlagenwissen

lichen Handeln zugleich Regeln aus, die sich in der


Kurzgrammatik Sprachpraxis bewähren (oder auch nicht). Hier kommt
für Fachlehrkräfte dem Fachlehrer eine wichtige Rolle zu, die sich vor
Fachlehrkräfte beherrschen die Grammatik ihrer M ut­ allem beim Umgang mit Sprachfehlern äußert.
tersprache Deutsch. Sie sprechen grammatikalisch kor­ Um eine „passende", also dem einzelnen Lerner und
rekt, kennen aber meist nicht die Regeln im Detail. Dies der Lerngruppe individuell angemessene Spracharbeit
ist eigentlich unproblematisch, da es auch nicht in den betreiben zu können, ist es wichtig, dass Fachlehrkräfte
Aufgabenbereich der Fachlehrkraft fällt, Grammatik im zumindest über die entsprechenden grammatikalischen
Fachunterricht zu vermitteln. Grundlagen Bescheid wissen. Die nachfolgenden Aus­
Die Lerner hingegen müssen oft bewusst regelorientiert züge aus einer Kurzgrammatik geben einen ersten Über­
an die Sprache herangehen. Sie bilden dabei im sprach­ blick und bieten Unterstützung.

Grammatische Fachbegriffe
Sl8

1 Das Verb: Tätigkeitswort (»Tu-Wort«)


- Vollverb = sehen, schreiben, waschen, trinken ...
- Modalverb = dürfen, können, mögen /möchten, müssen, sollen, wollen
- Hilfsverb = haben, sein, werden
- Trennbares Verb = abfahren - Sie fährt morgen ab.
Beachte die Unterscheidung zwischen finitem (konjugiertem) Verb und infinitem
Verb (Verb im Infinitiv)! Beispiel: „Sie k o m m t“ /„S ie wird/muss kom m en."
Die meisten Verben fordern einen bestimmten Kasus (Fall)!
Beispiel: beobachten (+ Akk.); folgen (+ Dativ)

2 Das Nomen/das Substantiv: das Hauptwort


Nomen werden am Wortanfang immer groß geschrieben!
Nomen verändern oft ihren Artikel (Kasus)!
Beispiele: Mann, Frau, Kind

3 Der Artikel: der Begleiter des Nomens


Angabe über das grammatische Geschlecht!
Beispiele: der (r) Mann, die (e) Frau, das (s) Kind:

4 Die Nominalisierung
Fast jede Wortart kann im Deutschen in ein Nomen überführt werden.
Dies bezeichnet man als Nominalisierung. Beispiele:

Man muss hygienisch arbeiten.


-* Hygiene ist ein Muss im Bereich der Krankenpflege.

Der blaue Kittel


-> Das Blau des Kittels g efällt m ir wenig.

Sie pflegt die kranke Nachbarin.


-* Die Pflege zahlt die Pflegekasse.

Das sagte ich d ir doch schon gestern.


-> Das Sagen hat die Pflegedienstleitung.

Beachte die Großschreibung am Wortanfang!

5 Das Adjektiv: das Eigenschaftswort (»W ie-Wort«)


Beispiele: schnell, langsam, laut, leise, hautfreundlich, elastisch ...
Forts, a uf S. 191

Teil B
190
Grundlagenwissen

Forts, von S. 190


6 Die Konjunktion: das Verbindungswort
Gleichordnende Konjunktionen verbinden Sätze, Satzglieder und einzelne Wörter.
Beispiele:
Er hat Fieber und sein Umzug ist morgen.
Er hat Fieber, aber er geht trotzdem zur A rb eit
Er hat Karies, denn er hat sich nie gründlich die Zähne geputzt.

Unterordnende Konjunktionen schließen Nebensätze an den Hauptsatz an.


Beachte die Stellung des konjugierten Verbs! Beispiele:
Sie ist glücklich, w eil sie die Prüfung bestanden h a t
Sie ist zufrieden, obwohl sie in diesem Jahr keinen Urlaub nehmen konnte.
Sie muss sehr viel arbeiten, sodass sie seit Wochen ihre Freunde
nicht mehr getroffen h a t

7 Die Präposition: das Fügewort (fügt Satzglieder in den Satz ein)


Fast alle Präpositionen fordern einen bestimmten Fall! Beispiele:
a uf dem Tisch.
Das Stethoskop liegt unter dem Tuch.
neben dem Blutdruckmessgerät.

8 Der Hauptsatz
Beispiel: Der Zug fuhr ab, als sie den Bahnsteig erreichte.

9 Der Nebensatz
Beispiel: Der Zug fuhr ab, als sie den Bahnsteig erreichte.

10 Das Kompositum (zusammengesetzte Wort)


Beispiele: Tages/pflege, Blut/kreis/lauf, durch/blutung/s/fördernde
und haut/freundliche Körper/milch ...

11 Der Kasus (Fall)


führt zur Veränderung (Deklination) des Nomens, des Pronomens und des Adjektivs.
Nominativ: Wer/was schläft?
Beispiel: Der Mann, die Frau, das Kind schläft.
Akkusativ: Wen/was sehe ich?
Beispiel: Ich sehe den Mann, die Frau, das Kind.
Dativ: Wem gehört das?
Beispiel: Das gehört dem Mann, der Frau, dem Kind.
Genitiv: Wessen Buch ist das?
Beispiel: Das Buch des Mannes, der Frau, des Kindes
nach: M üller, 2007, S. 161-1 63

Teil B 191
Grundlagenwissen

Deklinationstabe Ile
.
Singular - Einzahl Plural - Mehrzahl

maskulin feminin neutrum


:
der - männlich die - weiblich das - sächlich

Nom inativ der Arzt das Kind die Menschen

wer guter Arzt gutes Kind gute Menschen


der gute Arzt das gute Kind die guten Menschen
die Ärztin
. ' -' ■ ein guter Arzt ein gutes Kind
gute Ärztin
die gute Ärztin
Akkusativ den Arzt
eine gute Ärztin
wen/was guten Arzt
den guten Arzt
einen guten Arzt

Dativ dem Arzt dem Kind den Menschen

wem gutem Arzt gutem Kind guten Menschen


dem guten Arzt dem guten Kind den guten Menschen
der Ärztin
einem guten Arzt einem guten Kind
guter Ärztin
der guten Ärztin der Menschen
Genitiv des Arztes des Kindes
einer guten Ärztin guter Menschen
wessen guten Arztes guten Kindes
des guten Arztes des guten Kindes der guten Menschen
eines guten Arztes eines guten Kindes
■■; ■ G-G: J
aus: Müller, 2005b, S. 24

192 Teil B
Grundlagenwissen

semantische Attribut
Deklination Deklination Wortstellung
Konjugation Klasse

sie bringte " / „ er hat „Frag doch Anfangspunkt,


Ich w ird fragen großes Erfolg der Lehrer" z.B. temporal:

»räp. + Verb-
Graduierung Satzgliedstellüng
Tempora Verbindung

„ Gestern esse „sie ist mehr der Gabel z.B. halten für
ich zu Hause. ‘ alt als...“

semantische Nebensatz­
Passiv/
Kasus konstruktion
Konjunktiv

„sie geht „Er schreibt z.B.: er geht


heraus“ / seinen Vater a uf den Berg/
„N im m das fort. ein B rief." ... steht
auf dem Berg

Pro-Adv./ Adverbialsatz
Funktionsverben ronomina
Prowörter

z.B. deshalb, temporal/lokal/


z.B.: Einfluss
damit, darüber, modal/kausal/
ausüben/Herr­
dieser substitutiv/
schaft ausüben/
adversativ
die Fähigkeit
besitzen
Konjunktion
Rektion

mit einem Verb


ist ein bestimmter
Kasus verbunden,
z.B.: jemanden
verfolgen

Modalverben

Lexi k/Wortschatz

nach: Landesinstitut fü r Schule und W eiterbildung, 2001a, S. 83

193
Teil B
C. Praxis der Sprachförderung
im sprachsensiblen Fachunterricht

Hinweis: Teil C (siehe Ordner) enthält eine umfangreiche Sammlung


von Beispielen und Arbeitsblättern zum Sprechen, Lesen, Schreiben
und Üben im Fach. Die Materialien sind auf alle Schulformen, alle
Alters- und Klassenstufen (ab Sek I) und alle Sachfächer anwendbar.
D., Vertiefung
Ausführliche Beispiele
und Ergänzungen
Vertiefung

^^Ausfphclj chesB eisp m


zum Wechsel der Darstellungsform

Vorbemerkung wird erläutert, welcher Variantenreichtum in den ver­


schiedenen Szenarien durch die Verbindung von Abs­
Als Grundlage für ein ausführlich ausgearbeitetes Bei­
traktionsebenen und Darstellungsformen erzielbar ist.
spiel zum Wechsel der Darstellungsform bietet sich
Die unterschiedlichen Darstellungsformen lassen sich
das Fachthema „Auftrieb1' an. Dieses wird im Physik­
beispielsweise wie folgt umsetzen:
unterricht der Klassenstufe 9 behandelt und ist inhalt­
lich wie fachdidaktisch ausgesprochen vielseitig: reich - Gegenständliche Ebene: Auf dieser Darstellungs­
an Experimenten, in der Alltagsphysik verankert, his­ ebene kann ein Realexperiment durchgeführt und
torisch spannend, mit vielen Anwendungs- und Tech­ verbalisiert werden (vgl. Anwendungsbeispiel 7; mit
nikbezügen sowie herausfordernden Denkproblemen Knete als Gold und mit einem Holzring als minder­
und zugleich mathematisch handhabbar. wertigem Metall, einer Balkenwaage und einer was­
sergefüllten Wanne). Spracharbeit findet hier durch
Der „Auftrieb" bietet eine ganze Reihe originärer das handlungsbegleitende Sprechen statt.
Darstellungsformen, die auf Darstellungsebenen ver­
- Bildliche Ebene: Auf dieser Darstellungsebene kann
schiedenen Abstraktionsgrades liegen. Damit sind bes­
das Experiment in Form einer Filmleiste beschrieben
te Voraussetzungen gegeben, um an diesem Thema
werden (vgl. Anwendungsbeispiel 2). Hier wird die
methodisch vielfältige Spracharbeit zu betreiben.*
Textproduktion gefördert.
Zugleich lässt sich am Beispiel des Auftriebs verdeutli­ - Sprachliche Ebene: Auf dieser Darstellungsebene
chen, wie das Zusammenspiel von Materialien, Expe­ kann das Experiment in Form eines szenischen Dia­
rimenten und verschiedenen Methoden-Werkzeugen logs in verteilten Rollen vorgetragen und auf der
funktionieren kann. Anwendung finden hier Textgrundlage erschlossen werden (vgl. Anw en­
- ein Modellexperiment zur Veranschaulichung; dungsbeispiel 3). Hier werden das Hörverstehen,
- eine Filmleiste zur Beschreibung des Experiments das Leseverstehen und die Textarbeit gefördert.
(Wkz. 8); - Symbolische Ebene: Auf dieser Darstellungsebene
- ein szenischer Dialog zur Darstellung des Gedan­ können mittels des archimedischen Auftriebskörpers
kengangs (Wkz. 22); Experimente zur symbolischen Kraftvektordarstel-
lung durchgeführt werden. Spracharbeit findet hier
- eine Bildsequenz mit Lücken zur Darstellung des
in der Verbalisierung und Versprachlichungder Bild­
Experiments (Wkz. 4);
folgen und der symbolischen Darstellung statt (vgl.
- ein Lückentext zur Herleitung der Auftriebsformel Anwendungsbeispiel 4).
(Wkz. 4);
- Mathematische Ebene: Auf dieser Darstellungsebene
- ein Lehrbuchtext zur Darstellung des Sachverhalts. kann die Herleitung der Auftriebsformel sprach-
Unter sprachlichen Gesichtspunkten kommt dabei dem unterstützt anhand eines Arbeitsblattes erfolgen (vgl.
szenischen Dialog eine besondere Bedeutung zu. Diese Anwendungsbeispiel 5). Hier wird das erläuternde
Literaturform lässt sich ausgezeichnet zum Fach- und Sprechen gefördert.
Sprachlernen nutzen, da sie ermöglicht, Fachinhalte Wie die Anwendungsbeispiele zeigen, umfasst die
narrativ zu verkleiden oder in einen fachlichen Disput Spracharbeit somit alle wichtigen Bereiche: handlungs­
zwischen verschiedenen Protagonisten einzubinden. begleitendes und erläuterndes Sprechen, Textproduk­
Das nachfolgende, ausführlich ausgearbeitete Beispiel tion, Textarbeit und Versprachlichung. Dabei drängt
zum Wechsel der Darstellungsformen zeigt zunächst sich Sprache dem Lerner in unterschiedlichen Kontex­
schematisch, wie auf verschiedenen Abstraktionsebe­ ten immer wieder auf: Handlungen erfordern eine Ver­
nen Lernszenarien gebaut werden können. Danach sprachlichung, eigene Ideen und Fragen die Verbali­
sierung, Hörtexte und Sachtexte zwingen zur Textar­
beit und Experimente zum Nachfragen und Erläutern.
* Zum fachlichen Einstieg sei der Lehrbuchtext auf S. 47
empfohlen, der dort zugleich sprachlich analysiert wird Lehrkräfte sollten berücksichtigen, dass sich ein Ler­
und somit einen guten Einstieg in die Problematik der ner immer erst durch mehrfache Beschäftigung mit
Fachsprache generell b ie te t Eine Einführung und grund­
einem Gegenstand auf verschiedenen Abstraktions­
sätzliche Überlegungen zum Wechsel der Darstellungsform
sowie die fachdidaktische Begründung des Prinzips finden
ebenen so intensiv mit der Materie befasst, dass er
sich auf den 5. 33 ff. sie letztlich auch versteht, vgl. S. 37, 73 ff.

196 Teil D
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung

Schematische Darstellung
zum Wechsel der Darstellungsform
Thema: „Auftrieb in Wasser"

XI
cd
W)
Abstraktions

© Josef Leisen

Teil D 197
Vertiefung Wechsel der Darstellungsform

Anwendungsbeispiel 1
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: gegenständliche Ebene
(Durchführung eines Realexperiments)

Fotos: © Josef Leisen

198 Teil D
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung

Anwendungsbeispiel 2
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: bildliche Ebene
(Filmleiste zur Beschreibung des Realexperiments, vgl. W kz. 8)

Aufgabe:
Schreibe die im Filmstreifen dargestellten Sachverhalte auf.

D e r K ö n ig ...

D er G o ld s c h m ie d ...

D ie M is ch u n g (Legierung) aus ...

D e r G o ld s c h m ie d ...

D ie K rorie ...

W ..

Teil D 199
Vertiefung Wechsel der Darstellungsform

Anwendungsbeispiel 3
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: sprachliche Ebene
(Dialog zwischen Archimedes und König Hieron II von Syrakus
zum Thema „Auftrieb", vgl. Wkz. 22

nackt kamst du zum Palast gelaufen und riefst:


„Heureka, Heureka!" Die ganze Stadt lief zu­
sammen, zu lustig. Ich denke so gerne daran,
mein lieber Archimedes. Wie kamst du bloß
auf diese Idee? Du hast es ja auch in deinem
Buch „Ü ber schwimmende Körper" beschrie­
ben, aber ich höre es lieber von dir selbst.

Archimedes: Das war so: Während ich in der


Badewanne saß, stellte ich mir das Stück Seife
immer wieder als Goldklumpen vor. Ich brach
ein Stück davon ab. Ich dachte es mir als das,
was der Goldschmied Ihnen stahl. Damit das
(Hinweis: Der folgende Dialog ist frei erfunden.) G ewicht der Krone stim m te, musste er das
abgebrochene Stück durch ein anderes Metall
ersetzen.
König Hieron: Mein lieber Archimedes. Nun
herrsche ich schon seit fast 50 Jahren über König Hieron:... ja, aber wieso sieht man das
unser schönes Sizilien. Erinnerst du dich noch nicht?
an die Geschichte, als w ir den Goldschmied Archimedes: Das ist leicht zu verstehen. Das
erwischten? Na ja, das hat ihn sein Leben Gold wird m it dem Metall eingeschmolzen, die
gekostet. Verdient, nicht wahr? beiden Metalle vermischen sich so, dass man
Archimedes: Ja, ja, ich erinnere mich genau, das nicht sieht.
als wäre es gestern gewesen. Ihr hattet Euch
König Hieron: Und wie hast du ihm den Betrug
eine neue Krone anfertigen lassen. Wie üblich
nachgewiesen?
bekam der Goldschmied das Stück Gold und
lieferte eine fertige Krone ab. Eine schöne Archimedes: Ich habe mir den Goldklumpen
Krone, das muss ich schon zugeben. Aber man durch das minderwertige Metall ersetzt vor­
ist misstrauisch. Es ist ja bekannt, dass die Gold­ gestellt. Aber Gold ist das schwerste M etall,
schmiede von dem Gold immer etwas stehlen das w ir kennen, das heißt: Gold hat bei glei­
und auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Aber chem Gewicht ein kleineres Volumen als jedes
der war besonders schlau. Die Goldkrone wog andere Metall. Also nimmt das Ersatzmetall ein
ganz genau so viel, wie Ihr ihm als Goldklum ­ größeres Volumen ein als das gestohlene Gold.
pen gabt. Das machte ihn sicher. Wenn ich nun beides unter Wasser tauche,
dann ist das Ersatzmetall unter Wasser leichter
König Hieron: ... zu sicher, denn er hat nicht als das Gold. Ihr habt doch bestimmt schon
m it deiner List gerechnet. Ich gab dir damals mal beim Baden festgestellt, dass das Wasser
den Auftrag, den Kerl zu überführen. Du hast beim Tragen hilft: Die Beine und Arme sind
nachgedacht und nachgedacht, nichts fiel dir unter Wasser leichter als in der Luft, die Seife
ein. Du warst sehr verärgert. Und dann plötz­ und alles ist in Wasser leichter. Das Wasser
lich, in der Badewanne, fiel es dir ein. Fast hilft beim Tragen. Das nenne ich „A u ftrie b ".

Forts, auf S. 201

200 Teil D
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung

Forts, von S. 200

Je mehr Wasser von dem eingetauchten Ge­ Archimedes: Sehr gut! Majestät hatten ihn in
genstand verdrängt wird, umso größer ist der den Festsaal gebeten. Dort hatten Sie eine gro­
Auftrieb, also die Hilfe des Wassers beim Tra­ ße Badewanne mit Wasseraufstellen lassen. A uf
gen. Das ist ein Naturgesetz und ich hab' es in der rechten Waagschale lag ein Goldklumpen.
meinem Buch aufgeschrieben. Er war genauso schwer wie der, den Sie ihm da­
mals gaben. Der Goldschmied kam herein. Sie
König Hieron: Ach so, ich verstehe. Das Ersatz­ fragten ihn, ob er alles Gold in der Krone ver­
metall verdrängt mehr Wasser als der gestoh­ arbeitet hätte. Er sagte: „Ja, Eure Majestät, wie
lene Goldklumpen, weil Gold die größte Dichte könnte ich Sie betrügen. Ich schwöre es bei
hat. Zeus." Dann nahmt Ihr die Krone vom Kopf,
legtet Sie auf die linke Waagschale und sie kam
Archimedes: Oh, Ihre M ajestät beherrschen
ins Gleichgewicht. „Seht Ihr, Eure Majestät, der
die Fachausdrücke: Dichte. Gut, gut!
Beweis. Ich habe keine Schuld", rief der Gold­
schmied.
König Hieron: Ja, wenn man ständig m it dir
zu tun hat, dann lernt man doch eine Menge. König Hieron: Und dann kamst du, senktest die
Aber lass mich verstehen, wie der Kerl erwischt Waage langsam in das Wasser, und sie kam aus
wurde. Weil das Ersatzmetall mehr Wasser ver­ dem Gleichgewicht. Das Gesicht des Gold­
drängt als Gold, hat das Ersatzmetall einen schmieds werde ich nie vergessen. Er hatte es
größeren Auftrieb. Deshalb hat das Ersatzme­ physikalisch nicht verstanden, aber er hatte ver­
tall unter Wasser ein kleineres Gewicht als der standen, dass w ir ihn überführt haben. Er kennt
gestohlene Goldklumpen. Dann müsste also deine List, deinen genialen Verstand. Trotzdem
beides, an eine Balkenwaage gehalten, in der kostete es ihn das Leben. Lange ist es her. Schö­
Luft gleich schwer sein und, wenn es in die ne Zeiten! W ir haben schwere Zeiten vor uns.
Badewanne eingetaucht wird, müsste sich die Mich wird man vergessen, aber von dir wird
Waagschale m it der Krone heben. Genau das man auch noch in 2000 Jahren reden, von dem
haben w ir dann gemacht. Du erinnerst dich? großen Archimedes von Syrakus.

Archimedes (287-212 v. Chr.): Auftrieb:


griechischer Mathematiker, Denker, Erfinder der scheinbare Gewichtsverlust
in einer Flüssigkeit
Hieron II. (275-215 v. Chr.):
König von Sizilien in der Hauptstadt Syrakus Dichte:
Dichte = Masse/Volumen
Goldklumpen:
ein großes Stück Gold Balkenwaage:
siehe Bild
List
eine schlaue Idee Waagschale:
Teller an der Balkenwaage
Heureka:
griechisch für: M ajestät
Ich hab's gefunden! So sagt man zu einem König.

minderwertig: Zeus:
billig, nicht viel wert griechischer Gott

Teil D 201
Vertiefung Wechsel der Darstellungsform

Anwendungsbeispiel 4
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: symbolische Ebene
(Bildsequenz zum Experiment „Archimedischer Auftriebskörper“ , vgl. Wkz. 7)

Aufgabe:
Zeichne die Kräfte und Kraftvektoren in die nachfolgende Bildfolge zum Experiment
„Archimedischer Auftriebskörper"ein.

Lösung:
Bildfolge mit Kräften und Kraftvektoren

Auftriebskraft =
Gewichtkraft 9
^ A u ftrie b des verdrängten
Wassers
- scheinbare ^ Auftrieb
Gewichtskraft / Auftrieb
scheinbare
i Gewichtskraft scheinbare
' Gewichtskraft

Pf
iS
verdrängtes
1
s
i verdrängtes
Wasser Wasser

Varus/Josef Leisen

Teil D
202
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung

Anwendungsbeispiel 5
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: mathematische Ebene
(Herleitung der Auftriebsformel)

Das Gesetz des Archimedes kann man mit Formeln herleiten. Dabei geht man
folgendermaßen vor:
- Man startet mit einer speziellen, übersichtlichen und vertrauten Situation.
- Man schreibt passende, bekannte Formeln hin, formt um, setzt ein, klammert
aus, kürzt, erw eitert... , bis man die „gewünschte Endformer hat.
Meistens ahnt der Physiker schon, was herauskommen soll, denn oft
hat er vorher Experimente gemacht und sich intensiv damit beschäftigt.
Kurzum: Herleitungen sind oft mathematisch-physikalische Puzzle.

Herleitung des Gesetzes von Archimedes:

Spezialisieren:
Wir denken uns einen eingetauchten Quader.

Ansetzen:
Auf seiner Bodenfläche herrscht der Schweredruck
P2 = 9 ' P n ' h 2

Auf seiner Deckfläche herrscht der Schweredruck


P i = 9 * Pf i * h2
Auf seine Bodenfläche wirkt dann die Kraft
F2 = P29Ä
Auf seine Deckflläche wirkt dann die Kraft
F j = P i mA

Die Differenz der beiden Kräfte (die resultierende)


ist die Auftriebskraft
Fa = F2 - F i

Einsetzen: FA = g • pF/» h2 • A - g • pF/ • hx • A

Umformen: = g • pF/ • A • (h2 - hx) = g • pF/ • A • h = g • pF/ • V

Interpretieren:
- Beim Quader ist Grundfläche • Höhe = Volumen, also A * h = V
- Dichte • Volumen = Masse, also pF/ • V = mF/
- Masse • Erdbeschleunigung = Gewichtskraft, also
mF/. g = Gewichtskraft des Wassers, das vom Quader verdrängt wurde.
Die Auftriebskraft ist gleich der Gewichtskraft der verdrängten Flüssigkeit

Verallgemeinern:
Was für den Quader gilt, gilt auch für den Zylinder, die Zylinder-Quader-
Kombination, den Kegel, die Kugel, einen beliebigen Körper.
Man denkt sich dazu den beliebigen Körper aus vielen kleinen Miniquadern
aufgebaut. Diesen Trick wenden Physiker sehr oft an.

Teil D 203
Vertiefung

Ausführliches Beispiel
für eine Lernaufgabe

Vorbemerkung Bemerkungen
Lernaufgaben nehmen eine zentrale Bedeutung im (zum Anwendungsbeispiel)
Lehr-Lern-Prozess ein. Eine Lernaufgabe ist eine Lern­ Was kennzeichnet die Lernaufgabe auf 5. 204 f.?
umgebung zur Kompetenzentwicklung, die den Lern­
a) Die Lerner erschließen sich in Kleingruppen etwas
prozess durch eine Folge von gestuften Aufgabenstel­
Neues, nämlich den physikalischen Auftrieb.
lungen mit entsprechenden Lernmaterialien steuert;
Zur Einführung in den Themenbereich wird die Lektüre b) Die für die Physik relevanten Fachmethoden (z.B.
der S. 84 ff. empfohlen. Hypothesenbildung, Experiment, Erklärung, Transfer,
Problemlösung) werden thematisiert und verbali-
Folgende lerntheoretisch begründete Ablaufstruktur
siert.
einer Lernaufgabe hat sich bewährt (vgl. S. 86):
1. Die Aufgabe wird zunächst thematisch gerahmt c) Die Aufgabe ist gestuft aufgebaut und ermöglicht
(Thema, Einordnung, Ausblick). die Binnendifferenzierung (z.B. durch Hilfskarten).

2. Dann machen sich die Lernenden in einem ersten d) Die operationalisierten Formulierungen verweisen
Zugriff mit der Problemstellung vertraut. darauf, dass die Aufgabe auf handelnden Kompe­
tenzerwerb und Kommunikation in der Lerngruppe
3. Nun wird das notwendige Vorwissen reaktiviert.
hin ausgerichtet ist.
4. Es folgt eine Erarbeitungsphase (durch eine Folge
von Bearbeitungsaufträgen). e) Entsprechend der Zielsetzung des sprachsensiblen
Fachunterrichts enthält die Aufgabe hohe Sprach-
5. Das neu Erlernte wird kontrastiv zum Vorwissen ins
anteile.
Bewusstsein gerückt.
6. Durch weitere Übungen werden das neu entstan­
dene Wissensnetz gefestigt und bereits bestehende
Wissensnetze mit neuen Lerninhalten verknüpft.

Anwendungsbeispiel
für eine ausführliche Lernaufgabe
Thema: „Auftrieb in Wasser"

Einleitung/Vorbemerkung der Lehrkraft:


Bei der folgenden Aufgabe arbeitet ihr in Dreigruppen zusammen. Ihr erarbeitet Euch
selbstständig den physikalischen Sachverhalt, der hinter dem Problem steht.
Die Reihenfolge der Aufgaben leitet Euch durch die Erarbeitung, ist aber nicht zwingend.
In Notfällen stehe ich als Helfer zur Verfügung. Die Aufgabe rechts hat folgenden Ablauf:

1. Euch wird ein physikalisches Problem vorgestellt.


2. Ihr entwickelt Ideen und Hypothesen dazu.
3. Ihr führt das Experiment im Modell selbst durch, wiederholt euer Vorwissen
und nutzt neue Informationen und erklärt euch das Ergebnis.
4. Ihr vergleicht euer Ergebnis mit anderen Gruppen.
5. Ihr stellt fest, was ihr dazugelernt habt.
6. Ihr übt euer neues Wissen und wendet es auf andere Beispiele an.
Forts. aufS. 205

204 Teil D
Lernaufgabe Vertiefung

Forts, von S. 204

Abb. aus: Leisen, 2005c

Aufgaben:
1. Das physikalische Problem: In einem Boot auf einem See befinden sich (A) ein Stein,
(B) ein Holzstück, (C) Wasser im Eimer, (D) ein Eisblock, (E) ein Sandhaufen, (F) eine Person.

2. Bildet eine Hypothese zu folgender Frage:


Was passiert m it dem Wasserspiegel des (winzigen) Sees, wenn die einzelnen Teile
in den See geworfen bzw. geschüttet werden? Steigt er, sinkt er oder bleibt er gleich?

3. a) Führt das Experiment im Modell mit den Materialien auf dem Experimentiertisch
durch und überprüft eure Hypothese.
b) Beschreibt das Experiment.
c) Wiederholt euer Wissen zum Begriff der Dichte und gebt es schriftlich wieder.
d) In dem Dialog zwischen Archimedes und König Hieron (siehe S. 200 f.) findet ihr
Erklärungen und Argumente, um das Ergebnis im Experiment zu verstehen.
e) Begründet das Ergebnis mit dem folgenden Gedankenexperiment:
Ein wassergefüllter Luftballon wird in den See getaucht. Was passiert mit ihm
unter Wasser? Denkt euch nun das Wasser in dem Luftballon durch Sand ersetzt,
anschließend durch Styropor.
f) Formuliert ein Gesetz:
Jeder Körper wird in einer Flüssigkeit um so viel leichter, wie ...

4. Vergleicht euer Ergebnis mit dem einer anderen Gruppe und mit dem auf dem Lehrertisch.

5. a) Schreibt das, was ihr noch nicht verstanden habt, in eine Frage um und gebt sie dem Lehrer.
b) Macht es einen Unterschied, ob es ein Süßwassersee, Salzwassersee oder ein Ölsee ist?
c) Was unterscheidet das Modellexperiment vom Realexperiment auf dem See?
d) freiwillige Aufgabe:
Fertigt eine Zeichnung an und zeichnet die wirksamen Kräfte ein.
Argumentiert mit den eingezeichneten Kräften.
e) freiwillige Aufgabe:
Leitet eine Formel für die Auftriebskraft an einem eingetauchten Quader her.

6. Beantwortet folgende Fragen:


a) Wir tauchen 2 Körper mit demselben Volumen, aber mit verschiedener Gewichtskraft
in Wasser ein. Wo ist der Auftrieb größer?
b) Wir tauchen 2 Körper mit derselben Gewichtskraft, aber mit verschiedenem Volumen
in Wasser ein. Wo ist der Auftrieb größer?
c) Eine Figur aus Bronze hat die Gewichtskraft F=7500 N. Wenn die Figur an einem Faden
vollständig in Wasser eingetaucht wird, muss man sie mit der Kraft F=5200 N am Faden
halten. Prüft durch Rechnung, ob die Figur massiv oder hohl ist.

Teil D 205
Vertiefung

, Ausführliches Beispiel ^ „ wro ^


für eine Diagnoseaufgabe

Vorbemerkung Bemerkungen
(zum Anwendungsbeispiel)
Diagnoseaufgaben haben den Zweck, den momen­
tanen (Sprach-)Lernstand zu ermitteln. Ziel solcher Was kennzeichnet die Diagnoseaufgabe auf S. 207?
Aufgaben ist es, daraus Prognosen über das weitere
a) Fachliche Diagnose und sprachliche Diagnose sind
(Sprach-)Lernen abzuleiten und Fördermaßnahmen zu
voneinander getrennt.
entwerfen.
b) Die Verbalisierung kann zunächst allgemeinsprach­
Diagnoseaufgaben gehören dem Lernraum und nicht
lich formuliert werden.
dem Leistungsraum an. Sie dürfen deshalb nicht den
Charakter von Prüfungsaufgaben haben, wenngleich c) Der Anspruch bei der fachsprachlichen Formulierung
es sich u.U. um dasselbe Aufgabenformat handelt. wird durch nutzbare Fachbegriffe angegeben.
Zur Einführung in diesen Themenbereich empfiehlt
d) Probleme und Unterstützungen werden zusammen
sich die Lektüre der Seiten 84 ff.
in Angriff genommen.
Zu den Diagnoseaufgaben muss ein Unterstützungs­
system angeboten und erfolgsfördernd eingesetzt
werden. Dazu ist es zwingend erforderlich, dass die
Lehrkraft ihre Beobachtungen bei der Lösung der Auf­
gaben sowie das Lernen und die aufgegebenen
Anstrengungen mit den Lernern bespricht. Darüber
hinaus sollten mit den Lernern Metareflexionen vor­
genommen werden.
Gute Diagnoseaufgaben zeigen folgende Merkmale:

- Jede Aufgabe bzw. Teilaufgabe lässt ganz spezifisch


eine Aussage über den Grad der Kompetenzerrei­
chung, über Lernfortschritte, Bearbeitungsstrategien
und die Bearbeitungsgeschwindigkeit zu.
- Die Aufgaben ermöglichen Aussagen über die Leis­
tungsfähigkeit, Gewissenhaftigkeit und Anstren­
gungsbereitschaft.
- Die Aufgaben sind kurz und leicht auszuwerten.
- Die Aufgaben lassen sich in verschiedenen Klassen­
stufen und über längere Zeiträume hinweg einset­
zen, um zu einem Datenbestand für Vergleichs­
zwecke zu kommen.
- Die Aufgaben enthalten bereits Unterstützungs­
möglichkeiten und Bezüge zum Unterricht.

Teil D
206
Diagnoseaufgabe Vertiefung

Anwendungsbeispiel
für eine ausführliche Diagnoseaufgabe
Thema: „Geschwindigkeit"

Aufgabe:
M it den folgenden Aufgaben kannst Du selbst testen, inwieweit du das Thema fachlich
verstanden hast und wo Du sprachliche Stärken und Schwächen bei dem Thema hast.

G e schw ind igke it

Ali, Beate, Carl und Dirk fahren denselben Weg mit dem Fahrrad.

- Ali fährt zunächst recht gemütlich. Dann merkt er, dass er sich beeilen muss.
Er gibt deshalb Gas und fährt immer gleich schnell weiter.
- Beate will unbedingt die Schnellste sein und fährt den anderen zunächst voraus;
dann wird sie müde und fährt immer langsamer.

Aufgaben:

1. Zu Ali gehört der Graf ... und zu Beate gehört der Graf ...

2. Schreibe zu den anderen beiden Grafen eine Geschichte.

3. Beschreibe die vier Grafen und benutze die Fachbegriffe: steigen, fallen, Geschwindigkeit,
Beschleunigung, gleichmäßige Bewegung, beschleunigte Bewegung, Wegstrecke, Zeit,
Geschwindigkeitszuwachs, doppelt so schnell wie ...

4. Notiere, wo du physikalische Probleme und wo du sprachliche Probleme hast.


Wo brauchst du Unterstützung und wer soll dir helfen?

Teil D 207
Vertiefung

Ausführliches Beispiel
zur Methode der gestuften Hilfen

Vorbemerkung der Stärke 1 (sehr schwach) bis Stärke 5 (sehr stark).


Alle Lerner sollen den Druckmesser beschreiben. Dazu Zur Einführung in diesen Themenbereich empfiehlt
erhalten sie - je nach Sprachvermögen - Hilfen von sich die Lektüre der Seiten 89 ff.

Hilfe Stärke 5:
Die Lerner erhalten ein Arbeitsblatt mit den Bezeich­
nungen der Fachbegriffe sowie ihrer jeweiligen Artikel
und Pluralendungen (vgl. nebenstehende Abbildung
und S. 209). Das Arbeitsblatt enthält zudem Formu­
lierungshilfen sowie ein Strukturdiagramm, das die
(logische) Struktur der Beschreibung weitgehend absi­
chert. In einem ersten Zwischenschritt werden die Pfei­
le mit den passenden Verben aus den Formulierungs­
hilfen beschriftet. Dies kann wahlweise in der Infini­
tivform oder in der gebeugten Form erfolgen.

Hilfe Stärke 4:
Die Lerner erhalten dasselbe Arbeitsblatt, jedoch in
sprachlich veränderter Form: So können z.B.
- bei den Formulierungshilfen weniger oder keine Hil­
fen angegeben sein;
- überzählige Hilfen angegeben sein (dies erhöht den
Schwierigkeitsgrad);
- im Strukturdiagramm nicht alle Begriffe angegeben
sein; hier können z.B. einige Begriffsfelder leer blei­
ben oder die Merkmale der Geräteteile (Adjektive)
in den Klammern fehlen (die entsprechenden Begrif­
fe sind dann in einer Wortliste aufgeführt).

Hilfe Stärke 3:
Der obere Teil des Arbeitsblattes wird in der Form der
Hilfe 4 gegeben. Die Lerner erhalten dabei die Begriffe
auf kleinen Kärtchen in einem Briefumschlag und müs­
sen das Strukturdiagramm selbst legen. Damit hat die
Aufgabenstellung einen fachlich erhöhten Anspruch,
der in Partnerarbeit oder Kleingruppenarbeit erledigt
werden sollte.

Hilfe Stärke 2: -e Drucksonde s U-Manorneter

Die Lerner erhalten die Geräteskizze mit den Bezeich­


nungen.

Hilfe Stärke 1:
Die Lerner erhalten die Geräteskizze ohne die Bezeich­
nungen.

Teil D
208
Gestufte Hilfen Vertiefung

Arbeitsblatt
(zu den Hilfen Stärke 5, 4 und 3; vgl. auch Teil C, S. 56 f.):

Anwendungsbeispiel
zur Methode der gestuften Hilfen
Thema: „ Der Druckmesser11

Bezeichnungen:

-e S ka la

Formulierungshilfen:

-s Wasser bestehen aus

sein

enthalten
vor / hinter
-e L u ft sich befinden
über / unter
-s R ohr befestigt sein mit
innen / außen
verbunden sein mit
an / auf
gefüllt sein mit
rechts / links
-e M e ta lld o se bespannt sein mit
K__________ J
"V --------- V drehbar sein um
-e D rucksonde -s U -M an o m e ter

J verschiebbar sein nach

v
-r Druckmesser

Aufgaben:
1. Schreibe die Verben an die Pfeile des Diagramms.
2. Beschreibe die Druckdose mit Hilfe des Strukturdiagramms.

Strukturdiagramm: -r Druckmesser,

Teil D 209
Vertiefung

Ausführliches Beispid -—,..— ___


zur Methode der gestuften Anforderungen*

Anwendungsbeispiel 1
Leseaufgabe zur Methode der gestuften Anforderungen
Thema: „Die Fortpflanzung der M oose“

Moose haben eine besondere Art der Fortpflanzung entwickelt.


Darüber informiert dich diese Leseaufgabe.

Aufgabe 1:
Aktiviere dein Vorwissen zur Fortpflanzung von Blütenpflanzen.
Informiere dich im Biologieunterricht über die zwei Arten der Fortpflanzung
der Blütenpflanzen.

- Es gibt eine vegetative Vermehrung durch Knospung, Knollen, Zwiebeln oder Ableger.
Alle Pflanzen haben somit dieselben Eigenschaften, weil sie dasselbe Erbgut haben.
- Es gibt eine sexuelle Vermehrung (Blüte, Frucht), bei der Pflanzen mit neuen Eigenschaften
entstehen, da sich hier das Erbgut zweier verschiedener „Eltern" verbindet.

Aufgabe 2:
Informiere dich mit folgendem Text über die Fortpflanzung der Moose.
Moose haben keine Blüten. Es sind Sporenpflanzen, das heißt, sie vermehren sich nicht
über Früchte, sondern über Sporen. Sporen keimen auf dem Boden, dabei entstehen
entweder männliche oder weibliche Moospflanzen. Man kann erst im Frühjahr sehen,
ob man es mit einem Männchen- oder Weibchenmoos zu tun hat:

- Die Weibchen bilden an der Spitze sogenannte Archegonien.


Wenn man den Querschnitt mikroskopiert, so erkennt man eine Eizelle,
die in einem Schutzgewebe eingebettet ist.
- Die Männchen bilden Antheridien, sogenannte „Schwärmer".
Sie sehen aus wie das Sperma der Tiere.
- Wenn die Moose nass genug sind, schwimmen die Schwärmer
aus dem Antheridium zum Archegonium des Mooses bis zur Eizelle.
(Sie finden dorthin durch spezielle Lockstoffe).
- Nach der Befruchtung (= Verschmelzung der Zellkerne von Eizelle
und Schwärmer) wächst das „Mooskind" heran.
- Sein Sporenträger mit der Sporenkapsel bildet neue Sporen. Der Sporenträger
(= Sporophyt) ist also die neue Moosgeneration. Er hat andere Erbanlagen
als die Mutterpflanze, auf der er sich bildet. Auf ein und derselben Pflanze
findet also ein Generationswechsel statt.
- M it den neuen Sporen beginnt die Moosentwicklung von neuem.

Aufgabe 3: Bearbeite das Arbeitsblatt (s. S. 211 oben).

Aufgabe 4: Überprüfe dein Wissen anhand der Tabelle (s. S. 211 unten).

Forts, auf S. 211

* Zur Einführung in diesen Themenbereich empfiehlt sich die Lektüre der Seiten 88 ff.

210 Teil D
Gestufte Anforderungen Vertiefung

Arbeits­
blatt zu Generationswechsel bei Moosen
Aufg. 3
Aufgaben:
1. Beschrifte die Abbildung mit Hilfe der Wortfelder.
2. Suche in den Wortfeldern Begriffe, die zusammen passen.
Schreibe sie untereinander und finde einen Oberbegriff.
3. Schreibe mit allen Wörtern einen Text.

Abbildung: Beschriftung:

1 .....................

2 ...................
3
4

6
7

8
9 ...................
10 ...................
11 ..................
12 ..................
13 ..................

Wortfeld 1: Wortfeld 2:

Abb. aus: Schroedel, „ Biologie heute ",


Lehrerband Sek 7, S. 114

Tabelle Aussagen w l

Aüfg. 4 1. Sporen sind die Früchte der Moose.

2. Sporen sind die Pollen der Moose.

3. Sporen sind die Samen der Moose.

4. Der Sporenträger ist das Kind (= die zweite Generation) der Moospflanze.

5. Ein Antheridium hat dieselbe Funktion wie der Pollensack der Blütenpflanzen.

6. Die Fortpflanzung der Moose ist wie die Fortpflanzung der Amphibien an Wasser ge­
bunden. Das zeigt, dass Moose in der Evolution sehr alte pflanzliche Organismen sind.

Teil D 211
Vertiefung Gestufte Anforderungen

Anwendungsbeispiel 2
Experimentieraufgabe zur Methode der gestuften Anforderungen
Thema: „W ie viel und wie schnell nimmt das Moos Wasser auf?"

Moose können viel Wasser aufnehmen. Sie können ein Vielfaches ihres Trocken­
gewichtes an Wasser aufnehmen. Das könnt ihr im Experiment entweder mit einem
Messbecher oder mit einer Waage zeigen.

Experimentierfragen:
Hier sind einige Fragen, die mit den Experimenten beantwortet werden:
1. Wie viel Wasser kann (trockenes) Moos speichern?
2. Wie schnell nimmt Moos das Wasser auf?
3. Wie nimmt das Moos so schnell und so viel Wasser auf?
4. Nehmen alle Moosarten gleich schnell Wasser auf?
5. Welche Bedeutung hat die Wasserspeicherung für den Wald?
6. Welche Bedeutung hat die Wasserspeicherung für den Menschen?

Experiment mit dem Messbecher:


Legt trockenes Moos in einen Trichter und übergießt das Moos sehr langsam mit Wasser,
z.B. 100 ml. Messt das Volumen des ablaufenden Wassers im Messzylinder und berechnet,
wie viel Wasser im Moos gespeichert ist. Übergießt dann das nasse Moos wieder mit 100 ml
Wasser und berechnet, wie viel Wasser jetzt im Moos gespeichert ist. Wiederholt das
Experiment noch einige Male.

Experiment mit der Waage:


Ihr könnt den Versuch auch mit einer Waage machen, indem ihr Moos in Wasser legt und
jede Minute nachwiegt, wie viel Wasser es aufgenommen hat.

, Aufgabe 1:
Erstellt eine Wertetabelle und eine Grafik.

Aufgabe 2:
Formuliert ein Versuchsergebnis.
Benutzt dabei folgende Begriffe: Zeit, Wasseraufnahmegeschwindigkeit,
Wasserspeicherkapazität, Sättigung. Das Begriffslexikon hilft dabei.

Begriffslexikon:
-e Wasseraufnahmegeschwindigkeit; -en:
die Geschwindigkeit, mit der das Moos Wasser aufnimmt

-e Wasserspeicherkapazität; -en:
die maximale Menge (= Volumen) an Wasser, die das Moos speichern kann.
Die Kapazität wird auch in Prozent angegeben. Wenn 100 g Moos
z.B. 400 g Wasser speichern, ist das 400 Prozent seines Eigengewichts.
-e Sättigung, -en:
Wenn der Speicher voll ist, ist er gesättigt.

Forts, auf S. 213

212 Teil D
Gestufte Anforderungen Vertiefung

Forts, von S. 212


Aufgabe 3:
Die Moose nehmen mit den Wurzeln kein Wasser auf, denn sie
haben keine richtigen Wurzeln, sondern nur Scheinwurzeln, die sich
im braunen Polsterteil befinden. Grüner und brauner Polsterteil
bestehen aus kleinen Stämmchen, an denen sich Ästchen und
Blättchen befinden, zwischen denen sich Wassertropfen sammeln.
Beschreibe mit den Skizzen und den Begriffen, wie das Moos
so schnell so viel Wasser aufnimmt.

-e Sporenkapseln,

-s Stämmchen
mit feinen Blättchen,

-s Ästchen
mit feinen Blättchen,

Wenn man Torfmooszellen unter dem Mikroskop betrachtet,


dann kann man schematisch folgende Strukturen zeichnen:

assimilierende wasserspeichernde
Zellen Zellen
Zellwand einer Zelle mit Chloroplasten;
hier handelt es sich folglich um eine assi­
milierende, also stoffaufbauende Zelle

Chloroplasten
(= stärkebildende Organellen)

Pore in einer Wasserspeicherzelle

Verstärkungsleiste in der
Wasserspeicherzelle (wie beim
Badewannenschlauch)

beide Abb.: © Waltraud Suwelack

Teil D 213
Vertiefung Gestufte Anforderungen

Forts, von S. 213

Aufgabe 4:
Überprüfe dein Wissen und finde die richtigen Zuordnungen.

Speicherkapazität 1 Maßeinheit: Sekunde A

Messzylinder 2 ist eine Messgröße B

Ein Versuchsprotokoll 3 dient der Volumenmessung C

hilft, ein Versuchsergebnis


Eine Auswertegrafik 4 D
schnell zu durchschauen.

Gewicht 5 Maßeinheit: g E

zeigt auf der X-Achse das, was man


Volumen 6 schon weiß, und auf der y-Achse F
den Messwert, den man ermittelt.

Masse 7 Maßeinheit: Liter G

Zur Messung braucht man


Zeit 8 H
eine Stoppuhr.

gibt an, wieviel Wasser von


Speichergeschwindigkeit 9 100 g maximal aufgenommen I
werden kann.

ermittelt man mit einer Waage J

ermöglicht dem Forscher,


den Versuch noch einmal K
exakt zu wiederholen

Maßeinheit: g/s oder ml/s L

Lösung:

11, B / 2C / 3K / 4Df F / 5J, B / 6G, B / 7E, B / 8Af H, B / 9Lf B

Das Anwendungsbeispiel basiert auf Ideen und Ausarbeitungen


von Waltraud Suwelack, Studienseminar Koblenz.

214 Teil D
Gestufte Anforderungen Vertiefung

Anwendungsbeispiel 3
Forschungsaufgabe zur Methode der gestuften Anforderungen
Thema: „M oospolster sind Lebensraum für andere Lebewesen"

Bärtierchen leben in Moospolstern. Du kannst herausfinden, wie und wo


man Bärtierchen finden und fangen kann. Die Anleitung zur Bärtierchen-
jagd findest du im Internet unter: www.baertierchen.de/august.html.

Du kannst auch per E-Mail mit Martin Mach Kontakt aufnehmen,


der ein Experte auf dem Gebiet der Bärtierchenforschung ist:
webmaster@baertierchen. de.

Aufgabe 1: Finde Bärtierchen.


1. Lies die Anleitung durch wie man Bärtierchen findet und stelle zusammen,
welche Geräte du benötigst.

2. Mache Notizen über deine Arbeit in dein Heft.

Aufgabe 2: Stelle Forschungsfragen.


Moospolster haben einen grünen und einen braunen Polsterteil. Der braune
Polsterteil enthält die sogenannten „Rhizoide" (= Scheinwurzeln), die aber keine
echten Wurzeln sind. Als Forscher stellt man sich immer Forschungsfragen:
- Welche Lebewesen leben in Moospolstern?
- Findet man im braunen und grünen Polsterteil verschiedene Lebewesen?
- Findet man im feuchten Moos andere Lebewesen als im trockenen Moos?
- Wovon ernähren sich die Mooslebewesen? Wer frisst wen?
Welche Nahrungsbeziehungen gibt es im Moospolster?
Stelle noch mehr Forschungsfragen.

Aufgabe 3: Bearbeite die Forschungsfragen experimentell.

A nleitung:

Um die Lebewesen im Moos zu isolieren, werden Moospflänzchen in ein Zentrifugen­


röhrchen gegeben. M it der Handzentrifuge wird nun zentrifugiert. Viele Lebewesen
setzen sich unten im Zentrifugenglas ab. Entnimm nun sehr vorsichtig mit Hilfe der
Pasteurpipette einen Tropfen aus der Spitze des Zentrifugenröhrchens.
(Achte darauf, dass du das Hütchen der Pipette vor dem Eintauchen zusammendrückst.)

Arbeitsschritte:
1. Suche im Buch, wie die Lebewesen heißen, die du siehst.
(Hinweis: Suche im Kapitel „Das Leben im Wassertropfen")
2. Mache mit der Digitalkamera Fotos von den Tieren.
3. Wie viele Tiere sind in der Moospflanze? Diese Aufgabe ist nicht einfach.
Überlege Dir eine Methode, wie man die Forschungsfrage beantworten könnte.

Aufgabe 4: Erstelle ein Begriffsnetz.


Im Briefumschlag findest du auf Schnipseln Begriffe. Erstelle damit ein Begriffsnetz.

Produzent, Mineralsalze, Destruent, Fleischfresser, Konsumenten, autotroph, heterotroph,


Rädertierchen, Moose, abgestorbene Tier- und Pflanzenteile, Dünger, Nährstoffe,
Fotosynthese, Kohlenstoffdioxid, Sauerstoff, Wasser, Licht, Bärtierchen, Bakterien,
Lebensgemeinschaft im Moospolster

Teil D
215
Vertiefung

HiIfen und Anregungen


zum Thema Förderdiagnostik

Empfehlungen für die Kooperation liegen bislang gerade für den Sekundarstufenunterricht
im Fach kaum Konzepte und Erfahrungen oder gar
mit dem Deutschunterricht
Hilfen vor, die Fachlehrkräften ermöglichen, eine För­
Das Erstellen einer „Förderdiagnostik" und die darauf derdiagnostik für den Fachunterrichtzu erstellen. Dem­
aufbauende Entwicklung von angemessen binnendif­ entsprechend können Fachlehrkräfte bislang nur auf
ferenzierenden Fördermaßnahmen für sprachschwache Diagnoseinstrumente für den DaF-Förderunterricht
Lerner ist für Fachlehrkräfte ohne entsprechende be­ zurückgreifen (DaF = Deutsch als Fremdsprache).
rufliche Weiterqualifizierung kaum möglich, da sie
Einige ausgesuchte Instrumente werden nachfolgend
dafür ursprünglich nicht ausgebildet wurden.
vorgestellt. Dabei geht es auf Seite 217 um Kriterien
Während für den „allgemeinen“ Unterricht bereits für die Anlayse von Texten und auf den Seiten 218 f.
zahlreiche Hilfen zur Diagnostik angeboten werden um Kriterien für die Analyse von sprachlichen Kom­
(etwa in Form von Checklisten oder Sprachstandstests), petenzen.

216 Teil D
Hilfen und Anregungen zur Förderdiagnostik Vertiefung

Textanalysekriterien für Deutsch als Zweitsprache nein

1.1 Ist der Inhalt des Texts verständlich?

1.2 Ist das Thema erkennbar?


1.3 Entspricht das Thema der Aufgabenstellung?
1.4 Genügen die gegebenen Informationen für ein genaueres Verständnis des Textes/des Themas?

1.5 Sind die Inhalte im erwarteten Umfang dargestellt?


1.6 Ist ein logischer Aufbau im Text zu erkennen? (innere Gliederung)
1.7 Werden Verweis- und Verknüpfungsmittel angemessen verwendet?
1.8 Entspricht die grafische Darstellung der inneren Gliederung des Texts? (äußere Gliederung)

1.9 Entspricht der Text der erwarteten Textsorte?

2 Wortschatz

2.1 Ist der Inhaltswortschatz differenziert?


2.2 Sind die verwendeten Inhaltswörter semantisch korrekt?
2.3 Entspricht der verwendete Wortschatz dem schriftlichen Sprachgebrauch?

2.4 Sind die Wortbildungen korrekt?

2.5 Sind die Funktionswörter korrekt?

3 Syntax

3.1 Weist der Text einen komplexen Satzbau auf?


3.2 Ist der Satzbau der Hauptsätze korrekt?

3.3 Ist der Satzbau der Nebensätze korrekt?


3.4 Entsprechen die verwendeten Satzstrukturen dem schriftlichen Sprachgebrauch?
— ------------ ——. .'-" ■ -
4 Morphologie ÄBK ' ’L-XK
4.1 Sind die Verbalformen korrekt?
4.2 Sind die Zeitformen des Verbs korrekt?

4.3 Ist die Valenz korrekt?


4.4 Sind die komplexen Nominalphrasen korrekt? (nach Präposition, mit Adjektiv usw.)

4.5 Sind die Genera korrekt? (Genus = lat. für Geschlecht)

4.6 Werden die Präpositionen korrekt benutzt?

' 5 Orthografie 18®


5.1 Wird Groß- und Kleinschreibung korrekt unterschieden?

5.2 Werden Schärfungen korrekt geschrieben?


5.3 Werden Dehnungen korrekt geschrieben?
5.4 Werden die spezifischen Laute des Deutschen korrekt geschrieben?

5.5 Weist der Text phonologische Fehler auf?

6 Interpunktion ; V- Ä H
6.1 Werden die Satzenden korrekt markiert?
6.2 Werden zwischen Teilsätzen Kommas gesetzt?
6.3 Werden bei Aufzählungen und Appositionen Kommas gesetzt?

6.4 Wird die direkte Rede korrekt markiert?

Teil D 217
H ilfen und Anregungen zur Förderdiagnostik
Vertiefung

Analyseraster für sprachliche Kompetenzen


Sprachliche Phänomene

- Verbzweitstellung im Hauptsatz
-
Anme,kunsenUSB
- Verbendstellung im Nebensatz
- o-Position von „und", „oder“ , „aber“ , „denn” , „sondern“

- Stellung der Negation


- Stellung der Objekte
- Stellung der adverbialen Bestimmungen

- Satzklammer
- Verbstellung im Fragesatz
- Verbstellung im indirekten Fragesatz
- Normgerechter Gebrauch der Konjunktionen

2 Morphologie
: ' - - '■ -- -
- Konjugation/Kongruenz
- unregelmäßige Formen
- trennbare Verben
- Tempusgebrauch
- Verbvalenz
- reflexive Verben
- Infinitivkonstruktionen

- Aktiv/Passiv
- Konjunktiv II
- Modalverben und modalverbähnliche Verben

- Funktionsverbgefüge

2 2 Substantiv ~ . ~ \

- Genus
- Pluralbildung
- Deklination
- n-Deklination
- substantivierte Infinitive
- substantivierte Adjektive und Partizipien

2.3 Artikel i®SS Spffi 1 H fflW S W 5 P


- Differenzierung von bestimmtem, unbestimmtem und Nullartikel

- Deklination
2.4 Adjektive
- Deklination
- Komparation
- Differenzierung von attributivem und prädikativem Gebrauch
- Deklination von substantivierten Adjektiven und Partizipien

Teil D
218
Hilfen und Anregungen zur Förderdiagnostik Vertiefung

Forts. Analyseraster für sprachliche Kompetenzen

Anmerkungen
2^5 Pronomen P 8

- Personalpronomen
- Possessivpronomen/-artikel
- Indefinitpronomen

- es
- man
=
2.6 Präpositionen
- Kasus nach Präpositionen
- lokale Präpositionen/Wechselpräpositionen

- temporale Präpositionen
- Verb mit Präpositionalobjekt
- Präpositionalpronomen

3 Orthografie
- Groß- und Kleinschreibung
- Zusammen- und Getrenntschreibung
- Dehnung
- Schärfung
- Schreibung der s-Laute
- Schreibung spez. Grapheme (sch, ch, eu, ei, ä, ö, ü)
- Schreibung gleich klingender Laute
- Phonologische Fehler
4 Interpunktion WM IH P IP ® e A ® r t®

- Zeichensetzung am Satzende
- Komma zwischen Teilsätzen
- Komma bei Aufzählung
- Komma bei Apposition
- Zeichensetzung bei direkter Rede

5 Textebene
- Pro-Formen
- es/das
: 6 Wortschatz !M e Ä f f l s m I B s i i p p s a h m S

6.1 Wortbildung

aus: Kaminski, 2005, S. 10-12 (nach: Nodari, 2002; Nussbaum und Siebert, 1994)

Teil D
219
Vertiefung

("■FR (Gememsamer-Europäischer Referenzrahmen) Ä

Die Niveaustufen des GER im Überblick*

- Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und
verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen.
- Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen
- z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben -
und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben.
- Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder
Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.

Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von
ganz unmittelbarer Bedeutung Zusammenhängen (z.B. Informationen zur Person
und zur Familie, Einkäufen, Arbeit, nähere Umgebung).
Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es
um einen einfachen und direkten Austausch von Informationen über vertraute
und geläufige Dinge geht.
Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft und Ausbildung, die direkte Umge­
bung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbaren Bedürfnissen beschreiben.

Kann die Hauptpunkte verstehen, wenn klare Standardsprache verwendet wird


und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. geht.
Kann die meisten Situationen bewältigen, denen man auf Reisen im Sprachgebiet
begegnet.
Kann sich einfach und zusammenhängend über vertraute Themen und persönliche
Interessengebiete äußern.
Kann über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele be­
schreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

Kann die Hauptinhalte komplexer Texte zu konkreten und abstrakten Themen


verstehen; versteht im eigenen Spezialgebiet auch Fachdiskussionen.
Kann sich so spontan und fließend verständigen, dass ein normales Gespräch mit
Muttersprachlern ohne größere Anstrengung auf beiden Seiten gut möglich ist.
Kann sich zu einem breiten Themenspektrum klar und detailliert ausdrücken, einen
Standpunkt zu einer aktuellen Frage erläutern und die Vor- und Nachteile verschie­
dener Möglichkeiten angeben.

Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch
implizite Bedeutungen erfassen.
Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach
Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen
Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen.
Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern
und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.

- Kann praktisch alles, was er / sie liest oder hört, mühelos verstehen.
- Kann Informationen aus verschiedenen schriftlichen und mündlichen Quellen
zusammenfassen und dabei Begründungen und Erklärungen in einer zusammen­
hängenden Darstellung wiedergeben.
- Kann sich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken und auch bei komplexeren
Sachverhalten feinere Bedeutungsnuancen deutlich machen.

220 Teil D
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER) Vertiefung

- Ich kann einzelne vertraute Namen, Wörter und ganz einfache Sätze verstehen,
z.B. auf Schildern, Plakaten oder in Katalogen.

Ich kann ganz kurze, einfache Texte lesen.


Ich kann in einfachen Alltagstexten (z.B. Anzeigen, Prospekten, Speisekarten
oder Fahrplänen) konkrete, vorhersehbare Informationen auffinden und ich
kann kurze, einfache persönliche Briefe verstehen.

Ich kann Texte verstehen, in denen vor allem sehr gebräuchliche Alltags­
oder Unterrichtssprache vorkommt.
Ich kann private Briefe verstehen, in denen von Ereignissen, Gefühlen und
Wünschen berichtet wird.

Ich kann Artikel und Berichte über Probleme der Gegenwart lesen und verstehen,
in denen die Schreibenden eine bestimmte Haltung oder einen bestimmten Stand­
punkt vertreten.
Ich kann zwischen Tatsachen, Meinungen und Schlussfolgerungen unterscheiden.
Ich kann Sachtexte aus meinem Interessensbereich bis ins Detail verstehen.
Ich kann schwierige Aufgabenstellungen im Unterricht und Handlungsanweisungen
verstehen.
Ich kann in einem erzählenden Text verstehen, warum die Personen so handeln
und was für Folgen das hat.
Ich kann zeitgenössische literarische Prosatexte verstehen.

- Ich kann lange, komplexe Sachtexte und literarische Texte verstehen und
Stilunterschiede wahrnehmen. Ich kann Fachartikel und längere technische
Anleitungen verstehen, auch wenn sie nicht in meinem Fachgebiet liegen.

- Ich kann praktisch jede Art von geschriebenen Texten mühelos lesen, auch wenn
sie abstrakt oder inhaltlich und sprachlich komplex sind, z.B. Handbücher, Fach­
artikel und literarische Werke.

* aus: Goethe-Institut, 2001

Teil D 221
Vertiefung Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER)

Die Niveaustufen beim Lesen im Überblick*

Raster zur Selbstbeurteilung

Niveau Lesen A l

Lesen Ich kann in einem Text (z.B. in einer Zeitung) Informationen über Personen verstehen
und Fragen beantworten (Wie heißt sie? Wie alt ist sie? Wo wohnt sie?).

Ich kann auf einem Plakat oder in der Zeitung ein Konzert oder einen Film aussuchen
und die wichtigsten Informationen verstehen (Wann beginnt die Veranstaltung?
... » 1 ® » -r: Wo findet sie statt? Wo kann ein Ticket reserviert werden?).

. Ich kann Wörter und Ausdrücke auf Schildern verstehen, die man häufig sieht
(z.B. „Bahnhof“ , „Aufzug", „Rauchen verboten“ , „Nicht berühren“ , „Sportartikel“ ,
.. „Damenmode“ , „Zum Ausgang“ ).

Ich kann Anweisungen/Anleitungen verstehen und nachvollziehen


(wenn mir z.B. jemand den Weg zum Sportplatz aufschreibt).

Strategie ^ Ich kann die Wörter unterstreichen, die ich verstehe.


beim Lesen

Verstehen Ich kann ein Wörterbuch benutzen.

Fachwort- Ich kann die wichtigsten Fachbegriffe aus meinem Beruf verstehen.
schätz
Ich kann in einem zusammengesetzten Wort die einzelnen Wörter erkennen.

Ich kann in einem einfachen Text gesuchte Informationen finden und verstehen.

Ich kann in einem einfachen Sachtext gesuchte Begriffe und Zahlen finden und verstehen.

Ich kann Gebrauchsanweisungen und Arbeitsvorschriften verstehen, wenn sie ganz einfach
geschrieben sind oder wenn es Bilder dazu gibt (z.B. Benutzung eines elektrischen Gerätes,
Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz usw.).

Ich kann in einer Zeitung Kleinanzeigen überfliegen und etwas heraussuchen (z.B. Wohnung,
Computer, Auto) und verstehe dabei die wichtigsten Informationen über Größe, Leistung,
Preis und Extras.

Ich kann in einem einfachen Text gesuchte Informationen finden und unterstreichen.

Ich kann Bilder und Zahlen benutzen, um besser zu verstehen.

Ich kann neue Fachbegriffe aus meinem Beruf verstehen, wenn ein Bild dabei ist.

Ich kann Fachbegriffe verstehen, die aus zwei oder mehr Wörtern zusammengesetzt sind,
wenn ich diese Wörter kenne.

* aus: Hessisches Kultusministerium, Institut für Qualitätsentwicklung, 2 0 0 6 ; siehe auch: Goethe-Institut, 2001

222 Teil D
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER) Vertiefung

Niveau Lesen B1
■ .: ....... ■ - : v ■: - ■■. -. - .- ■' . '■ .-.-:■ ^ ■ - - ..- ..
Ich kann die wichtigsten Punkte in kürzeren Texten aus Zeitungen, Zeitschriften,
Broschüren usw. finden und die Grundaussage des Textes verstehen.

Ich kann einfache Sachtexte lesen und die wichtigsten Informationen verstehen.

Ich kann Mitteilungen und Briefe von Firmen oder Vereinen und einfache amtliche
Mitteilungen von Behörden oder von der Schule verstehen.

" Ich kann eine einfache, klar aufgebaute Geschichte lesen und die Handlung verstehen.
Ich kann wichtige Personen und Ereignisse von unwichtigen unterscheiden.

Strategie Ich kann die Abschnitte eines einfachen Textes mit wenigen Worten zusammenfassen.
beim Lesen
und Ich kann die Schlüsselinformationen in einem Text heraussuchen. Im Fachrechnen
Verstehen kann ich in den Sachaufgaben die gegebenen Zahlen und Einheiten finden.

Fachwort­ Ich kann die Fachbegriffe aus meinem Beruf verstehen, die häufig benutzt werden.
schatz
Ich kann ein spezielles Fachwörterbuch für meinen Beruf benutzen.

Niveau Lesen B2

Lesen Ich kann Artikel und Berichte verstehen, in denen die Schreibenden besondere
Haltungen und Standpunkte vertreten. Ich kann zwischen Tatsachen, Meinungen
und Schlussfolgerungen unterscheiden.

Ich kann Texte aus meinem Fach- und Interessenbereich bis ins Detail verstehen.

Ich kann schwierige Darstellungen (z.B. schriftliche Aufgaben in der Schule) und
Handlungsanweisungen (z.B. Arbeitsvorschriften) verstehen.

Ich kann in einem erzählenden Text verstehen, warum die Personen so handeln
und was das für Folgen hat.

Strategie Ich kann die Bedeutung einzelner unbekannter Ausdrücke aus dem Kontext
beim Lesen erschließen und so den Sinn ableiten, wenn mir das Thema vertraut ist.

Verstehen Ich kann den inhaltlichen Aufbau eines Textes erkennen.

Fachwort­ Ich kann neue Fachbegriffe aus meinem Beruf lernen und verstehen, wenn sie
schatz beschrieben werden, auch wenn kein Bild dabei ist.

Ich kann abgeleitete Wörter erkennen und verstehen (Ableitungen zu Nomen,


Verben und Adjektiven).

Forts. aufS. 224

223
Teil D
Vertiefung Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER)

Forts, von S. 223

-- -------------- ------------ —----- —


------—
-- -T.-r-—,--------- -.-.r— |g p S l
Leisen Ich kann längere, anspruchsvolle Texte wie Berichte, Analysen und Kommentare
verstehen und zusammenfassen.

Ich kann hoch spezialisierten Texten aus dem eigenen Fachgebiet (z.B. Forschungs­
- | | - berichten) Informationen, Gedanken und Meinungen entnehmen.

Ich kann längere und komplexe Anleitungen und Anweisungen verstehen, z.B.
zur Bedienung eines neuen Geräts, auch wenn diese nicht aus meinem Fachgebiet
stammen, sofern ich genug Zeit zum Lesen habe.

Ich kann Ideen und Zusammenhänge erfassen, die im Text einer Erzählung enthalten
■ » ü
sind, auch wenn sie nicht wörtlich beschrieben werden.

Strategie Ich kann zwischen Überschrift und anderen Hervorhebungen und Text einen Bezug
beim Lesen ; herstellen.
und
Verstehen Ich kann die Bedeutung von Redewendungen im Wörterbuch finden.

Fachwort- Ich kann Fachbegriffe aus meinem Beruf aus dem Zusammenhang heraus verstehen.

Ich kann zusammengesetzte Nomen, Adjektive und Verben auch dann verstehen,
■ .
wenn sie im Wörterbuch nicht zu fjnden sind.

Niveau Lesen C2
Lesen; : Ich kann zeitgenössische und klassische Texte verschiedener Gattungen lesen
(Gedichte Prosa, Dramen) und die unterschiedlichen literarischen Stilmittel
(Metapher, Symbol, Konnotation, Mehrdeutigkeit) erkennen.

Ich kann Wortspiele erkennen und Texte richtig verstehen, deren eigentliche
- - :
Bedeutung nicht in dem liegt, was explizit gesagt wird (Ironie, Satire).

Ich kann Handbücher, Verordnungen und Verträge verstehen, auch wenn mir
das Gebiet nicht vertraut ist.

Ich kann Texte verstehen, die stark umgangssprachlich sind und zahlreiche
idiomatische Ausdrücke (Redewendungen) oder Slang enthalten.

Strategie Ich kann den Inhalt eines Textes mit verschiedenen grafischen Mitteln zusammen­
beim Lesen fassen und darstellen: Mind-Map, Assoziagramm, Raster, Flussdiagramm.

Verstehen Ich kann mir über das Inhaltsverzeichnis ein Bild machen über Inhalt und Aufbau
eines Buches oder einer Zeitschrift.

Fächwort- Ich kann praktisch alle Fachwörter aus meinem Fachbereich mühelos verstehen.

Ich kann neue Fachbegriffe aus dem Kontext heraus verstehen, auch wenn ich
das Fachgebiet nicht genau kenne.

224 Teil D
Literaturverzeichnis
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