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Handbuch
Sprachförderung
im Fach
Sprachsensibler Fachunterricht in der Praxis
A . E in fü h r u n g
S p r a c h f ö r d e r u n g a ls A u f g a b e d e s F a c h u n t e r r ic h t s ...................................................................... 2
Die H e ra u s fo rd e ru n g .................................................................................................................................................2
„Was soll ich denn noch alles können?" Gedanken einer Lehrkraft....................................................................2
Die Einzelaspekte.......................................................................................................................................................... 2
Warum ist die aktuelle Situation so brisant?............................................................................................................3
S p r a c h f ö r d e r u n g a ls T e il d e s L e h r b e r u f s ............................................................................................. 7
S p r a c h f ö r d e r u n g a ls T e il d e r A u s - u n d F o r t b i l d u n g ......................................................................9
S p r a c h f ö r d e r u n g a ls A u f t r a g d e r B i l d u n g s s t a n d a r d s ...............................................................15
S p r a c h f ö r d e r u n g a ls A u f t r a g d e s G e m e i n s a m e n
E u r o p ä is c h e n R e f e r e n z r a h m e n s ( G E R ) .................................................................................................. 16
S p ra c h fö rd e ru n g b e i L e rn e rn m it M ig r a t io n s
h in te r g r u n d /Z u w a n d e r u n g s g e s c h ic h te * ........................................................................................... 18
S p r a c h f ö r d e r u n g d u r c h s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n t e r r i c h t ........................................................ 29
B . G r u n d la g e n w is s e n
D id a k tik d e r S p r a c h fö r d e r u n g
im s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n te r r ic h t
S p r a c h e im F a c h u n t e r r i c h t .............................................................................................................................. 46
B a s is w is s e n z u r S p r a c h f ö r d e r u n g im F a c h u n t e r r i c h t ................................................................. 56
M e th o d ik d e r S p ra c h fö rd e ru n g
im s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n te r r ic h t
B a s is w is s e n z u r M e t h o d i k d e r S p r a c h f ö r d e r u n g .......................................................................... 72
B egriffsklärung.......................................................................................................................................................... 72
Materiale Steuerungen.............................................................................................................................................. 77
Personale Steuerungen.............................................................................................................................................. 78
VII
Leisen, Handbuch Sprachförderung im Fach (Broschur)
Inha lt
Kleine „Nachhilfe"
für Fachlehrkräfte in der Sprachförderung 184
Fehlerdiagnose.......................................................................................................................................................... 187
Hinweise zur Fehlerkorrektur im Fachunterricht ................................................................................................188
Richtlinien für den Umgang mit Fehlern im Fachunterricht............................................................................. 188
Einführung
W as leisten M ethoden-W erkzeuge in der Sprachförderung? .....................................................................5
Werkzeugkasten
Vierzig M ethoden-W erkzeuge für die Sprachförderung m it B eisp ie len ................................................... 7
Übersichten:
40 Methoden-W erkzeuge (Liste und Kurzdefinitionen) ...................................................................................... 8
Sprachliche Kompetenzbereiche und Standardsituationen (Zuordnung) ........................................................ 10
Sprachliche Kompetenzbereiche - Standardsituationen - Werkzeuge (Z u o rd n u n g )..................................... 11
Standardsituationen
Neun sprachliche Standardsituationen des Fachunterrichts m it Beispielen ........................................ 99
D. Vertiefung
Ausführliche Beispiele und Ergänzungen ............................................................. 195
Literaturverzeichnis.................................................................................................. 225
Die Einzelaspekte
Sprachförderung
Gesellschaftliche Integration setzt die erfolgreiche Teil
als Aufgabe habe an Bildung voraus. Hierfür ist die Kompetenz, m it
Sprache zu denken und in ihr zu handeln, eine wesent
des Fachunterrichts liche Voraussetzung.
Die Herausforderung Wie aber die obigen Aussagen zeigen, ist eine erfolg
reiche Teilhabe sprachschwacher Lerner an Bildung -
Die Bildungsstandards der Sachfächer geben heute die
und hier insbesondere von Lernern m it Zuwanderungs
„Kom m unikation im Fach“ als festes Unterrichtsziel
geschichte* - nicht durch allgemeine „Patentrezepte"
vor. Die Forderung, auch Sprachförderung als verbind
zu erreichen. „Sprachförderung als Aufgabe des Fach
liches Element in den Fachunterricht zu integrieren,
unterrichts" berührt vielmehr höchst unterschiedliche
stößt jedoch nicht bei allen Fachlehrkräften auf positive
Einzelaspekte:
Resonanz. Dies ist unabhängig davon, ob diese nun
- den angemessenen Umgang m it den Vorgaben der
jugendliche oder erwachsene Lerner unterrichten, als
Bildungsstandards in den Fächern;
Fachlehrkräfte oder als Koordinatoren arbeiten oder an
(allgemein- und berufsbildenden) Schulen bzw. in sons - die Umsetzbarkeit dieser Vorgaben unter Berücksich
tigen Institutionen der Aus- und Fortbildung tätig sind. tigung der curricularen Unterrichtsziele und der zur
Verfügung stehenden Zeit;
Reaktionen wie die folgende sind da kein Einzelfall:
- den angemessenen Umgang m it der Heterogenität
der Lerner;
„Was soll ich denn noch alles können?"
- Gedanken einer Lehrkraft - - das Selbstverständnis der Fachlehrkraft, zum Beispiel
im Hinblick auf das als „norm al" angesehene Maß
„Muss ich jetzt auch noch Sprache unterrichten?
an individueller Förderung (vgl. dazu S. 7)\
Ich bin doch Fachlehrer! Es kann doch nicht meine
Aufgabe sein, den Schülern Deutsch beizubrin - die Positionierung von Sprachförderung, insbeson
gen - schließlich lass' ich mein Fach ja auch nicht dere im Hinblick auf die Kooperation zwischen den
von Deutschlehrern unterrichten ... Fächern sowie auf die Abgrenzung von sprachför-
dernden Maßnahmen im Fach zu Maßnahmen des
Allerdings haben meine Lerner tatsächlich große
Förder- und des Deutschunterrichts.
Probleme m it der Sprache im Fachunterricht - sei
es nun beim Beantworten von Fragen oder beim Betrachtet man die Problematik genauer, so lässt sich
Umgang m it Schulbuchtexten. Besonders die M i sie sich auf zwei - allerdings grundsätzliche - Teilaspekte
grantenkinder beherrschen o ft noch nicht einmal reduzieren:
die einfachsten Sprachelemente. Wie aber soll ich 1. die berufliche Qualifizierung von Fachlehrkräften;
' überhaupt m it dem Stoff durchkommen oder die 2. die Fragen geeigneter unterstützender Materialien.
sen Lernern mein Fach beibringen, wenn ich auch
noch auf Sprachprobleme eingehen soll? Das alles zu 1 (berufliche Qualifizierung):
kostet doch Zeit! Auch wenn es banal klingen mag, ist es für das Thema
Sprachförderung doch von großer Bedeutung: Fach
Sicher; die Bildungsstandards schreiben m ir vor,
lehrer sind in erster Linie Fachlehrer und keine Sprach
dass ich mich auch im Fachunterricht um die 'K om
lehrer - m it der Folge, dass sie zwar bestens m it den
munikation im Fach' kümmern muss. Sie weisen
Details ihres Fachs, aber o ft kaum m it den Details der
diese sogar als eigenen Kompetenzbereich aus und
deutschen Grammatik vertraut sind.
fordern, dass ich kompetenzorientiert lehren soll.
Zudem soll ich die Lerner durch angemessene Bin Auch verfügen Fachlehrer nur selten über eine Ausbil
nendifferenzierung individuell fördern. Nur: Wie dung im Bereich Deutsch als Zweitsprache. Sie sind
soll man denn im e he r,sprachlosen1M athem atik deshalb in aller Regel weder für die spezielle Problematik
unterricht die Sprache fördern? Oder gar in den sprachschwacher Lerner sensibilisiert noch können sie
Naturwissenschaften,kommunizieren'? Gerade die korrekt diagnostizieren, warum gerade bei diesen Ler
Naturwissenschaften leben doch von der Fachspra nern die Kommunikation im Unterricht nicht gelingt.
che! Ich vergleiche die Fachsprache im m er m it Damit aber können sie auch keine erfolgreiche Sprach
einer A rt Fremdsprache, die halt einfach mühsam förderung betreiben bzw. werden - da sie die „rich
zu erlernen ist. tigen" (d.h. angemessenen) Maßnahmen meist nicht
kennen - mögliche Hilfen erst gar nicht anwenden.
Außerdem: Wie soll ich das überhaupt machen?
Schließlich habe ich das nie gelernt. Und eigentlich
wäre das dann doch ein Problem aller Fächer -
und somit eine Aufgabe unserer gesamten Schu * „ Zuwanderungsgeschichte " und „M igrationshintergrund“
le !" werden im gesamten Flandbuch synonym verwendet.
2 Teil A
Einführung
Dies w irkt sich auch auf das Unterrichtsgespräch aus. Diese Erkenntnis fü hrt zu zwei Feststellungen:
Gerade die Gesprächsführung der Lehrkraft bedarf aber 1. Mangelhafte Sprachleistungen betreffen nicht nur
ebenfalls dringend der Professionalisierung, wie die Pra sprachschwache Lerner oder Lerner mit M igrati
xis zeigt. So kommt es leider häufig vor, dass Lehrkräfte onshintergrund. Mangelhafte Sprachleistungen sind
Maßnahmen ergreifen, die zwar gut gemeint, aber me vielmehr ein Thema für alle Lerner, da nicht nur die
thodisch-didaktisch schlicht falsch sind (vgl. S. 12). Dies Verm ittlung von Mindeststandards, sondern auch
schadet dem Ziel der Sprachförderung, da es die Lerner der Lernerfolg der gesamten Gruppe leidet, wenn
verwirrt oder - w eit schlimmer - sogar demotiviert. nicht ein gewisses sprachliches (und fachliches) M in
destniveau eingehalten bzw. erreicht werden kann.
zu 2 (geeignete Materialien):
Will man Fachlehrer bei der Sprachförderung im Fach 2. Sprachförderung ist mehr als nur ein Mittel zur Ver
unterstützen, muss man ihnen konkrete methodische besserung sprachlicher Kompetenzen. Vielmehr soll
und didaktische Hilfestellungen an die Hand geben. te sie als M öglichkeit verstanden und genutzt wer
Diese müssen zugleich auf die Problematik zugeschnit den, um die M otivation junger Menschen zu stei
ten, praxisnah und direkt einsetzbar sein. Dies ist gern - und sie auf diese Weise letztlich in die Lage
Voraussetzung, wenn sprachbewusster Unterricht für zu versetzen, ihre persönliche Zukunft zu meistern.
sprachschwache Lerner im fachlichen Regelunterricht
organisiert und realisiert werden soll; denn für M aß Sprachsensibier Fachunterricht
nahmen der beruflichen (Nach-)Qualifizierung steht im als Antwort auf die Herausforderung
„laufenden Betrieb" nur begrenzte Zeit zur Verfügung.
Was bedeutet eigentlich
Dennoch ist hierfür die Vermittlung bzw. Wiederholung
„sprachsensibier Fachunterricht“?
von Grundlagenwissen erforderlich, das fü r gelingende
Sprachförderung im Fach besonders w ichtig ist. Dazu Sprachsensibier Fachunterricht ist der bewusste Um
gehören die Bereiche „Lehr-Lern-Planung", „Kom pe gang m it Sprache beim Lehren und Lernen im Fach;
tenzorientierung", „gelingendes Sprachhandeln im für ihn setzt sich das vorliegende Werk ein.
Fach", „unterstützende Aufgabenkultur", „angemes
Denn Sprache ist nicht nur ein gutes diagnostisches
sener Umgang m it Fehlern" sowie die „Erstellung von
Instrument, um etwaigen Förderbedarf festzustellen
fächerübergreifenden Förderdiagnostiken".
und daran zu arbeiten; sie ist vielmehr Grundvoraus
Bei all diesen Aspekten leistet das vorliegende Hand setzung für das Verstehen und Kommunizieren im Fach
buch wertvolle Unterstützung. überhaupt. Sprache ist somit der Schlüssel (auch) für
einen gelingenden Fachunterricht.
Warum ist die aktuelle Situation so brisant?
Sprachförderung im Fach ist eine Herausforderung; sie
Seit Erscheinen der PISA-Studien wird in Deutschland bietet aber auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Von
das Problem schlechter Lernleistungen von Schülern diesen Chancen profitieren besonders solche Lerner,
m it Zuwanderungsgeschichte von der Bildungspolitik die m otiviert und ehrgeizig sind: Wer beispielsweise ein
ernst genommen. Die Bildungspolitik hat sich daraufhin naturwissenschaftliches Experiment sprachlich richtig
nachhaltig bemüht, geeignete Lösungen zur Bewäl wiedergeben kann, erhält dafür eine bessere Note -
tigung der erkannten Herausforderungen für das Bil und dies stärkt zugleich die Zufriedenheit, das Kön
dungssystem zu finden und eine Vielzahl von Maßnah nensbewusstsein und die M otivation dieses Lerners.
men zur Qualifizierung von Lehrkräften und Schülern
Bei Lernern m it Zuwanderungsgeschichte bietet sich
im schulischen wie beruflichen Bereich ergriffen.
beispielsweise an, bei ihnen häufig vorhandene Spezi
Bei der von PISA aufgezeigten Problematik geht es aber alkenntnisse (z.B. in Geografie oder Gesellschaftskunde)
nicht nur um Sprache bzw. bessere Lernleistungen. Viel in.den Unterricht zu integrieren. So können auch sie
mehr geht es darum, sprachschwachen Kindern, Ju
gendlichen und Erwachsenen eine angemessene beruf
liche und gesellschaftliche Zukunft zu ermöglichen.
Das „Handbuch Sprachförderung im Fach" zeigt neue
Gelingende Sprachförderung ist somit letztlich eine
(Lehr-)Konzepte für den Fachunterricht sowie neue Wege
wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Integration.
der Sprachförderung im Fachunterricht auf. Es unterstützt
Genau dieser Aspekt verbindet sprachschwache mut Lehrkräfte insbesondere dabei, sprachschwache Lerner
tersprachig deutsche Lerner und Lerner mit Zuwan umfassend und erfolgreich beim Erwerb und Aufbau von
derungsgeschichte: Beide Gruppen müssen in ihren sprachlichen Kompetenzen zu fördern, die für den erfolg
sprachlichen Kompetenzen gefördert werden, um die reichen Umgang mit der Unterrichts(= Bildungs-)sprache
von den Bildungsstandards geforderten Vorgaben in erforderlich sind. Dabei fo lg t das Handbuch dem Konzept ;
den Fächern zu erfüllen. Denn sprachliche Kompetenzen ; des sprachorientierten Fachunterrichts und erweitert es zum
sind Voraussetzung für eine berufliche Zukunft und für Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts.
angemessene gesellschaftliche Teilhabe.
Teil A 3
Einführung
trotz ihrer nicht immer fehlerfreien Sprache etwas zum Sprachsensibier Fachunterricht
Unterricht beitragen, was wiederum ihr Könnensbe zwischen Fach- und Förderunterricht
wusstsein und ihre M otivation nachhaltig e rh öh t „ Das könnt Ihr dann im Förder- oder Deutschunterricht
Im Bereich der (Sprach-)Förderung im Fach stellen je machen." ist eine Aussage, die leider häufig nicht nur
doch nicht die motivierten, sondern die nichtmotivierten den Stand der Kooperation zwischen Förder-, Deutsch
sprachschwachen Lerner die große pädagogische und und Fachlehrkräften, sondern auch das Verhältnis zw i
sprachdidaktische Herausforderung dar. Will man diese schen Fachlernen und Förderunterricht charakterisiert.
Lerner angemessen unterstützen, müssen Lehrkräfte
Bedauerlicherweise wird der Förderunterricht nach wie
vielfältige und intensive Interventionen und Hilfen zur
vor von vielen Fachlehrern als eine A rt „Problemausla
Verfügung stellen, diese müssen wiederum sowohl
gerung" verstanden - ganz nach dem M otto, der För
pädagogisch als auch sprachdidaktisch ausgerichtet sein.
derunterricht möge doch bitte die Sprachstrukturen ein-
Das Handbuch Sprachförderung im Fach ist als Kom üben, die von den Lernern im Fachunterricht benötigt
pendium „aus der Praxis für die Praxis" konzipiert und werden. Aus Sicht der Fachlehrer verrichten die Kollegen
aufbereitet. Es beschäftigt sich vornehmlich m it den im Förderunterricht „Zulieferdienste"; aus Sicht der
sprachdidaktischen Hilfen zur Sprachförderung. Lehrkräfte hingegen, die fü r den Förderunterricht ver
antwortlich sind, werden die Lerner im Fachunterricht
Das Handbuch umfasst eine Broschur und einen Ordner.
systematisch sprachlich überfordert. Das sind denkbar
Dabei enthält die Broschur wichtige, verständlich auf
schlechte Voraussetzungen für eine gelingende Sprach
bereitete und beispielbasierte Hintergrundinformationen
zu den spezifischen theoretischen Voraussetzungen und förderung!
Inhalten der Sprachförderung im Fach (Teile A und B), Der sprachsensible Fachunterricht erzielt bei Lernern
weiterführende Erläuterungen und einzelne besonders mit Zuwanderungsgeschichte nachweislich große Erfol
ausführlich ausgearbeitete Beispiele (Teil D) sowie das ge, da er sich einerseits selbst als Förderunterricht ver
Literaturverzeichnis. steht, andererseits aber auch um seine Grenzen weiß:
Teil C hingegen, das Herz des Kompendiums, ist als Diese liegen dort, wo es um das „rein" Sprachliche und
Ordner „ausgelagert"; dies soll die Handhabung der das „re in " Grammatische - also das originäre Gebiet
als Arbeitsblätter aufbereiteten Materialien erleichtern. von Sprachunterricht-geht.
Teil C enthält eine Fülle von methodischen Hilfen Diese Grenze des sprachsensiblen Fachunterrichts ist
(„M etho de n-W e rkze ug e ") und Strategien fü r die zugleich die Schnittstelle zum Förderunterricht. Denn
sprachfördernde Aufbereitung von Materialien im Fach der sprachsensible Fachunterricht nimmt die spezielle
unterricht sowie eine umfangreiche, nach den sprach und individuelle Situation eines jeden Schülers auf und
lichen Kompetenzen Lesen, Schreiben und Sprechen entwickelt daraus ein entsprechendes Förderprogramm.
gegliederte Sammlung von Beispielen aus den Curricula
der allgemein- und berufsbildenden Schulen. Gelingender Förderunterricht setzt voraus, dass die
Kollegen vom Förderunterricht genau wissen, was im
So verlockend der damit angebotene „direkte Zugriff"
Fachunterricht ansteht und wie konzeptionell agiert
auch sein mag: Fachlehrkräften wird empfohlen, sich
wird. Deshalb setzt sich das vorliegende Werk zugleich
aufgrund der Besonderheiten der Sprachförderung im
für eine möglichst fächerübergreifend vereinbarte und
Fachunterricht dennoch zunächst m it den spezifischen
angewandte Förderdiagnostik ein.
theoretischen Voraussetzungen zu beschäftigen. Denn
dies wird sie in die Lage versetzen, die vielfältigen Anre Wenn aber eine solche Diagnostik nachhaltig Früchte
gungen des Handbuchs wirklich umfassend zu nutzen, tragen soll, muss sie von den Lehrkräften des Fach-
insbesondere aber eigene Materialien zu erstellen, die und des Förderunterrichts zumindest gemeinsam durch
nicht nur methodisch richtig, sondern auch auf ihre geführt bzw. aufeinander abgestimmt werden. Erst die
individuelle Unterrichtssituation zugeschnitten sind. se Arbeitskontakte schaffen die Voraussetzung für gelin
gende Sprachförderung. Vertiefende Ausführungen und
Die Materialien des Buches richten sich vorrangig an
Anregungen bieten die Seiten 109 f. u. 189.
Lehrkräfte der allgemein- und berufsbildenden Schulen
(ab Sek I); dabei stellen die Lehrkräfte der Haupt-, Real-
Sprachsensibier Fachunterricht
und Gesamtschulen, an denen besonders viele sprach
zwischen Schule und beruflicher Bildung
schwache Lerner zu beklagen sind, eine Kernzielgruppe
dar. Da aber alle Anregungen beispielorientiert sind und Das Erwerbsleben in einer Wissens- und Informations
sich sämtliche Materialien in der Praxis bewährt haben, gesellschaft stellt hohe Anforderungen an die Beteilig
eignet sich das Handbuch wie ein universal anwend ten. Insbesondere die Fähigkeit, eigene Fertigkeiten an
barer Leitfaden auch für berufsbildende Schulen, andere die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes
(Sach-)Fächer, die Arbeit von Koordinatoren, Kompe anzupassen sowie seinen lebenslangen Lernprozess
tenzcentern und Universitäten sowie die Lehrpraxis von selbstständig zu gestalten und voranzutreiben, zählt
Institutionen der (Lehrer-)Aus- und Fortbildung. heute zu den beruflichen Schlüsselqualifikationen.
4 Teil A
Einführung
Wer aber bereits m it der Lektüre einfacher Texte über - der Kölner Modellversuch „Leseförderung in der
fordert ist, hat kaum realistische Chancen, in seinem Berufsbildung" (vgl. w w w .u n i-k o e ln .d e /e w -fa k /
Erwerbsleben qualifizierte Tätigkeiten auszuüben! Deutsch/sprach foerderung/ ) ;
Aus den Angaben des Statistischen Bundesamtes (2009) - das Schweizer Projekt „Deutschförderung in der Leh
geht hervor, dass beispielsweise im Jahre 2008 rund re " in Zürich (vgl. w w w .iik.ch/)]
21,5 Prozent der Ausbildungsverträge vorzeitig aufge - das Berliner M odellprojekt „M odulare Duale Q uali
löst wurden, davon über die Hälfte im ersten Ausbil fizierungsmaßnahme ( M D Q M )“ zur Berufsausbil
dungsjahr. Diese alarmierende Statistik lässt vermuten, dung und Berufsausbildungsvorbereitung (vgl.
dass viele Auszubildende den fachlichen und sprachli h ttp ://z o p e . ebf.hu-berlin. d e /w ip a e d / Forschung/
chen Anforderungen für eine berufliche Qualifizierung abgeschlossene _projekte/M D Q M )]
und Ausbildung nicht gewachsen sind.
- das Berliner Projekt „M eslek Evi Berufsförderung";
„ Vor allem Abgänger und Absolventen aus Hauptschu dieses fördert seit 1989 im Rahmen eines ausbil
len benötigen lange, um eine Ausbildung im dualen dungsbegleitenden Förderunterrichts Deutsch als
System oder im Schulberufssystem beginnen zu können. Zweitsprache in beruflichen Zusammenhängen und
Nach zwei bis zweieinhalb Jahren sind drei Fünftel von entwickelt seit 2003 für die Lehrerfortbildung Studi
ihnen in eine vollqualifizierende Ausbildung einge- enmaterialien zum Thema „Deutsch als Zweitsprache
mündet. (...) Für Jugendliche m it M igrationshinter in der beruflichen Bildung" (vgl. www.meslek-evi.de);
grund stellt der Übergang aus der Schule in die beruf - die „Qualitätsoffensive Hauptschule", die angesichts
liche Ausbildung eine besondere Hürde dar. " (Auto der besonders alarmierenden Zahlen von Schulab
rengruppe Bildungsberichterstattung2008, S. 10). Und gängern von Hauptschulen ohne Abschluss ins Leben
weiter: „Im sogenannten Übergangssystem (z.B. Berufs- gerufen wurde (derzeit ca. 10% ).
grundschuljahr) sind vornehmlich (zu 60 Prozent) aus
ländische Jugendliche zu finden, deutsche Jugendliche Um die geringen Chancen dieser Jugendlichen auf dem
hingegen nur zu 40 Prozent. Die Unterschiede zwischen Ausbildungsmarkt zu verbessern und hohe volksw irt
ausländischen und deutschen Jugendlichen haben sich schaftliche Folgekosten zu vermeiden, bieten Bundes
dabei im letzten Jahrzehnt v e rg rö ß e rt(e b d ., S. 11). länder wie z.B. Nordrhein-Westfalen den Hauptschulen
heute zudem zahlreiche neue Möglichkeiten zur schu
Auch die Chancen von Jugendlichen m it M igrations
lischen Gestaltung eines erfolgreichen Übergangs von
hintergrund auf einen qualifizierten Ausbildungsplatz
Schule und Beruf an. Diese beinhalten beispielsweise:
haben sich dem Bericht nach in den letzten Jahren deut
- mehr Handlungsspielraum für Schulen zur abschluss
lich verschlechtert: „ Während Jugendliche ohne M igra
bezogenen Ausgestaltung der Doppeljahrgangsstufe
tionshintergrund schon nach drei Monaten zur Hälfte
bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz der dualen 9/10;
Ausbildung erfolgreich waren, erreichten Jugendliche - Profilklassen in Jahrgang 10;
m it Migrationshintergrund eine vergleichbare Vermitt - die Einrichtung von abschlussbezogenen Kursen;
lungsquote erst nach 17 M on ate n." (ebd., S. 11).
- die Modularisierung von Prüfungsleistungen;
Diese Disparität habe sich im letzten Jahrzehnt verstärkt. - die Einrichtung sogenannter BUS-Klassen als beson
50 Prozent der lernschwachen Jugendlichen hätten ders gestützte Überleitung in den Beruf (BUS = Be
zudem auch zweieinhalb Jahre nach dem Ende ihrer
trieb und Schule);
Schulzeit immer noch keinen qualifizierten Ausbildungs
- die Einrichtung sogenannter Kooperationsklassen zwi
platz gefunden, sie würden mit großer Wahrscheinlich
schen Hauptschulen und Berufskollegs.
keit überhaupt keinen mehr finden. „D ie Selektivität
des allgemeinbildenden Schulsystems w ird also beim Alle diese Maßnahmen sollen Lernern m it verlängerter
Übergang in die Berufsausbildung nicht abgeschwächt, Verweildauer und schlechter Abschlussprognose trotz
sondern fortgeführt. " (ebd., S. 194). Nichtversetzung aus Klasse 8 doch nodi* den Haupt
schulabschluss ermöglichen und dam it ihre Ausbil
Um solchen Jugendlichen den Anschluss an die gesell
schaftliche Teilhabe und an den Arbeitsmarkt über eine dungschancen erhöhen.
berufliche Qualifizierung zu ermöglichen, wurden viele Denn müssen Lerner in den Voraussetzungen für eine
Maßnahmen und Modellprojekte ins Leben gerufen, berufliche Ausbildung nachqualifiziert werden, so ist
so z.B.: dies - im Vergleich zur Erstqualifikation - immer auf
- der von der Bund-Länder-Kommission (BLK) und dem wändig, mühsam und sehr teuer. Zudem besteht die
Bundesministerium fü r Bildung und Forschung Gefahr, dass nachteilige Lernstrukturen bereits „fossi-
(BMBF) geförderte Modellversuch „V O L I - Vocatio- liert" sind und somit auch diese Maßnahmen ohne
nal Literacy - Methodische und sprachliche Kompe Erfolg bleiben. Nachqualifizierungen sollten deshalb
tenzen in der beruflichen Bildung" (vgl. S. 133 f. stets nur als kurzfristige Notmaßnahme verstanden,
sowie www.iq.hessen.de/)] nicht aber zur langfristigen Perspektive werden.
Teil A 5
Einführung
Ö l
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CU W Q s
6 Teil A
Einführung
Teil A 7
Einführung
Lern-Prozess im Allgemeinen und auf das Sprachlernen Pädagogisch angemessene Maßnahmen zum Umgang
im Besonderen. mit der Heterogenität von Lernern bzw. Lerngruppen
sind individuelle Förderung und Binnendifferenzierung.
Wird der Fördergedanke zeitgemäß verstanden, stellt
sich Heterogenität als etwas Positives dar. Demnach
sollte eine gute Schule nicht das Ziel verfolgen, Hete Individuelle Förderung
rogenität abzuschaffen; sie sollte diese vielmehr - auf realistisch gestalten
hohem Niveau - ausdrücklich schaffen, damit alle Lerner
Individuelle F örd e ru n g -ja . Aber wie sollen Lehrkräfte
von den sich daraus ergebenden Chancen profitieren.
auch noch diese zusätzliche Herausforderung ange
Ob diese Chancen genutzt werden, hängt davon ab, messen bewältigen?
welche Bedeutung die Lehrkraft der Heterogenität
Schon das Fachlernen an sich verfolgt anspruchsvolle
beimisst. Denn je nachdem, ob sie die Heterogenität
Ziele: So sollen Fachlehrkräfte die Lerner zum einen
als (bedrohende) Uneinheitlichkeit oder lediglich als
dazu befähigen, die Unterrichtsinhalte zu verstehen,
(herausfordernde) Verschiedenartigkeit versteht, kann
fachspezifische Aufgaben und Probleme zu lösen und
der Umgang m it ihr durchaus unterschiedlich ausfallen:
diese Aufgaben und Probleme handelnd zu bewältigen.
- Wer den Akzent auf die Uneinheitlichkeit legt, sieht Zum anderen sollen sie aber auch gleichzeitig die per
zunächst die Probleme, die sich daraus ergeben. Lehr sönlichen Kompetenzen der Lerner entwickeln.
kräfte, die eine alters- und herkunftshomogene Lern-
Wenn Fachlehrkräfte nun auch noch sprachliche För
gruppe gewohnt sind und ihre Anforderungen, In
derung im Fach betreiben sollen, erhöht sich der An
halte und Bewertungen auf diese Homogenität aus
spruch weiter, zumal sie für diese Aufgabe meist nicht
gerichtet haben, werden sich deshalb m it der
ausgebildet sind. Und unabhängig davon stellt sich die
Heterogenität eher schwer tun.
Frage, inwieweit individuelle Förderung unter den aktu
- Wer hingegen die Verschiedenartigkeit akzentuiert, ellen schulischen Bedingungen überhaupt leistbar ist.
sieht eher die Potenziale und die Chancen, die sich
Bei Klassenstärken von beispielsweise 30 Lernern kann
daraus ergeben.
keine Lehrkraft entsprechend differenzierte oder sogar
Damit stellt sich die Frage, wie es uns Fachlehrern nicht individualisierte Gestaltungen von Sprachsituationen,
nur theoretisch, sondern vor allem in der Praxis gelingen Sprachanforderungen und Sprachhilfen erstellen. Wer
kann, angemessen m it der Heterogenität der Lerner in dies ernsthaft fordert, muss sich fragen lassen, wie dies
unseren Klassen umzugehen. Denn wie im gesamten überhaupt funktionieren und leistbar sein soll.
Bereich der Sprachförderung gibt es auch diesbezüglich
Die Heterogenität der Lerner stellt dabei eine zusätzliche
keine „Patentrezepte". Die nachfolgenden Grundregeln
große Herausforderung fü r die Fachlehrkräfte dar. Zu
bieten jedoch einige Unterstützung:
dem w irft diese insbesondere fü r den Fachunterricht
einige wichtige Anschlussfragen auf:
- Wenn für die einen Lerner Sprachsituationen bewäl
Grundregeln für den Umgang tigbar sind, fü r die anderen aber nicht: An welcher
mit der Heterogenität Gruppe orientiert man sich dann?
Lehrkräfte sollten sowohl bei der Vorbereitung des Unter - Wenn die von einer Lehrkraft eigentlich zu stellenden
richts als auch im Unterricht Sprachanforderungen derart vom individuellen
Sprachvermögen abhängen: Wonach richtet man
- die Heterogenität als Fakt akzeptieren (und sie zugleich
dann die Sprachanforderungen aus?
als herausfordernde berufliche Aufgabe angehen);
- Wenn Lerner individuell angepasste Sprachhilfen
- die Heterogenität wahrnehmen (und ihr zugleich durch
erhalten sollen: Wie sind diese dann zu gestalten?
entsprechende Diagnostik begegnen, um Über- bzw.
Unterforderung, Verstehens- und Sprachschwierigkeiten Hier bietet der sprachsensible Fachunterricht wertvolle
zu minimieren); Unterstützung, da er bereits grundsätzlich auf indivi
duelle Förderung ausgelegt ist.
- der Heterogenität gerecht werden (und ihr Potenzial
zugleich durch variantenreiche M ethodik - z.B. M ate- Bei der Umsetzung bieten sich zwei Methoden an (vgl.
■ rialien, Arbeitsform en, M ethoden-W erkzeuge - zu dazu auch die ausführlichen Beispiele ab Seite 208 in
wecken versuchen); Teil D):
- das Potenzial der Heterogenität durch passende Auf- 1. die Methode der gestuften Hilfen
. gabenstellungen produktiv nutzen (indem sie Aufgaben Hier erhalten alle Lerner zunächst dieselbe Aufgabe
stellen, die sowohl das Anspruchs- als auch das Sprach- m it denselben Anforderungen; entsprechend dem
jeweiligen individuellen fachlichen und sprachlichen
Vermögen können die Lerner dann aber auf gestufte
8 Teil A
Einführung
Die Lehreraus- und Lehrerfortbildung hat das Thema Das vorliegende Handbuch wurde so geschrieben,
zwar schon seit einigen Jahren aufgegriffen; gerade für dass auch Lehrkräfte, die sich noch nicht mit Sprach
den Sekundarstufenunterricht im Fach liegen aber noch förderung auseinandergesetzt haben, einfache und
zu wenige Konzepte und kaum Erfahrungen vor. W äh leicht nachvollziehbare Hilfen für die Praxis des Fach
rend für den „allgemeinen" Unterricht schon zahlreiche unterrichts erhalten und nutzen können.
Hilfen zur Diagnostik angeboten werden (etwa in Form
von Checklisten oder Sprachstandstests), gab es fü r Kompetenzorientiert lehren lernen
Fachlehrer bislang kaum Hilfen, die ihnen ermöglichten,
Fachlehrkräfte sollen heute nicht nur fachliches Wissen
eine Förderdiagnostik fü r den Fachunterricht zu erstel
vermitteln, sondern auch „kompetenzorientiertes Ler
len. So konnten Fachlehrkräfte bislang zumeist nur auf
nen" ermöglichen. Dazu wäre natürlich wünschenswert
Diagnoseinstrumente fü r den Förderunterricht in der
und hilfreich, wenn sie selbst einmal Erfahrungen m it
Fremdsprache Deutsch zurückgreifen.
einer solchen Aus- und Fortbildung gemacht hätten.
Dies ändert sich m it dem vorliegenden Buch. Dieses
Im M ittelpunkt dieser kompetenzorientierten Aus- und
stellt in seinem Praxisteil (Teil C) zahlreiche ausgesuch
Fortbildung stünde die Bewältigung authentischer
te Instrumente ausführlich vor, die sich im Unterricht
(beruflicher) Anforderungssituationen. Denn Kompe
bewährt haben und auch für die Förderung von Lernern
tenz erwirbt ein Lerner nicht nur durch theoretisches
mit Zuwanderungsgeschichte geeignet sind. Allgemein-
„W issen" und „K ö nn en ", sondern vor allem durch
bildenden Schulen bietet zudem der „Baukasten Lese
die aktive Anwendung dieses Wissens (vgl. dazu S. 69:
diagnose" wertvolle Unterstützung (vgl. Seite 139), ein
„ Kompetenz = Wissen + Können + Handeln “).
Fundus an Materialien, der im Rahmen des hessischen
Modellversuchs „ VOLI" (Vocational Literacy - M etho Dabei gilt diese Definition für jede Form des Lernens
dische und sprachliche Kompetenzen in der beruflichen und fü r jeden Lerner, sei er nun ein Jugendlicher m it
Bildung) für die berufliche Bildung erstellt wurde. Migrationshintergrund oder ein lernender Lehrer.
Teil A 9
Einführung
Teil A
10
Einführung
Sprachförderung
professionell gestalten
Das didaktische Dreieck der Sprachförderung
Will eine Lehrkraft die Sprachprobleme sprachschwa
cher Lerner richtig diagnostizieren und beheben kön
nen, muss sie genau wissen, wie der Spracherwerb im
Fachunterricht funktioniert. Dies ist umso wichtiger,
wenn die Lerner und Lerngruppen aus unterschiedlichen
Herkunftsländern stammen.
Das Thema „Spracherwerb im Unterricht" lässt sich
aber nicht isoliert betrachten; denn beim Sprachlernen
gibt es mehrere Faktoren, die sich gleichzeitig sowohl
gegenseitig bedingen als auch beeinflussen: So lernen
im Fachunterricht Lerner die Inhalte des Fachs sowohl
durch als auch m it Sprache; dabei erwerben sie Kom
petenzen auf der sprachlichen, fachlichen und kom
munikativen Ebene. Sprache wird somit sowohl benutzt
als auch gleichzeitig neu erworben und zugleich ständig
weiterentwickelt.
Anders formuliert: M ittels Sprache können die Lerner
neue Begriffe und Phänomene begreifen, sich ein Fach
vokabular aneignen und handelnd dam it umgehen.
Dabei erweitert das neu erworbene Fachvokabular ihren
allgemeinen Wortschatz und verbessert die Fähigkeit,
sich auszudrücken - was wiederum dazu führt, dass
die Lernerauch besser im Fach kommunizieren können.
Dies hatte schon der Fremdsprachendidaktiker W olf
gang Butzkamm erkannt: „ Sprache (im Unterricht) ist
wie ein Werkzeug, das man gebraucht, während man
es noch schmiedet." (Butzkamm 1989, S. 110). Und
weiter: „(...) Kommunikation ist demnach das gesetzte
Ziel und zugleich der Weg dahin. " (ebd., S. 146).
Beim Thema „Fach und Sprache" treffen aus Sicht des
Lerners drei unterschiedliche Lernbereiche aufeinander:
Teil A 11
Einführung
Fünf Leitlinien für die noch verstärkenden Form. Zudem signalisiert der Lehrer
professionelle Sprachförderung den Schülern nicht, was moniert wird (ob es sich also
Sprachförderung im Fachunterricht muss professionell beispielsweise um einen fachlichen oder einen sprach
gestaltet werden, sonst sind die Bemühungen vertane lichen Fehler handelt und welcher sprachliche Fehler
Zeit. Fachlehrkräfte müssen dafür die Grundlagen des hier vorliegt). Die Folge sind weitere Fehler, die zudem
Sprachlernprozesses, die Grundzüge der Didaktik der noch eine erhebliche Verunsicherung der Schüler nach
Sprachförderung sowie die jeweils „passenden“ metho sich ziehen. Im vorliegenden Fall wäre die unaufgeregte
dischen Möglichkeiten kennen und einsetzen können. Überformung durch den Lehrer nach der ersten Äuße
rung angemessen gewesen:
Sprachförderung, die ohne einen solchen theoretischen
Unterbau erfolgt, wird trotz bester Absicht häufig deut Lehrer: „ Zum Glück hatten w ir beide keinen ernsten
lich misslingen. W eit schlimmer als die vergeudete Zeit Unfall. Jetzt interessiert uns, was denn bei
ist dabei, dass derartige Maßnahmen die Lerner zu einem ernsten Unfall hätte passieren kön
meist auch noch erheblich verunsichern. Dies verdeut nen. Imelda, fahre bitte fort. "
lichen die nachfolgenden Beispiele aus der Praxis*.
Besonders gelungene Beispiele für professionelle Sprach Leitlinie 2:
förderung finden sich hingegen auf 5. 41 und 94 ff. Gute Sprachförderung schafft Kommunikationssitua
Soll Sprachförderung im Fachunterricht erfolgreich sein, tionen, die zu umfangreichen Äußerungen veranlassen
sind einige Leitlinien zu beachten: und Ein-Wort-Beiträge vermeiden.
Lehrer: „M om ent, mach' doch bitte noch mal Lehrer: „Sprich in einem ganzen Satz."
den Satz!" Serkan (m it genervtem Unterton):
Imelda: „Zum Glück hatten w ir beide kein ernsten „ W ir messen die Spannung. "
U nfall." Lehrer: „ Welche Spannung? "
Lehrer: „Aha, ich schreib mal an. (Lehrer schreibt) Serkan: „ Hm, Spannung halt. "
Zum Glück hatten w ir beide keine erns Lehrer (betont das Wort „ elektrisch "):
ten Unfall. Gibt es dazu was zu sagen?" „D ie elektrische Spannung.
Paul: „Das heißt: Verletzungen!" Also noch mal, im ganzen Satz."
Lehrer: „Nein, ich möchte erstmal dazu (zeigt Serkan (genervt; betont dabei „ elektrisch "
a uf Tafel) etwas wissen; ist das richtig?" unverhältnismäßig stark): „ W ir mes
Mengü: „Zum Glück hatten w ir beide keine sen die elektrische Spannung."
ernsten Unfälle. "
Bewertung und Optimierungsempfehlung:
Lehrer: „Ja, aber wie muss es heißenr wenn du
Eigentlich ist die fachliche Kommunikation gelungen.
Unfall nimmst? Im elda!"
Auch eine N otwendigkeit zur sprachlichen Präzision
Imelda: „ Verletzungen! "
bestünde eigentlich nicht, denn:
Lehrer: „ Nein, ich möchte noch mal das m it dem
- Eine Verwechslungsgefahr mit nichtelektrischen Span
Unfall hören!"
nungen besteht nicht, da man sich klar im Gebiet
Bewertung und Optimierungsempfehlung: der Elektrizitätslehre befindet.
Aus fachlicher Sicht ist die Kommunikation gelungen. - Der Lerner hat die Frage korrekt beantwortet.
Es gäbe also eigentlich keinen Grund zu einer Fehler - Die Frage lädt zu einer Ein-W ort-Antw ort ein.
analyse, schon gar nicht in der vorliegenden, den Fehler
- Die vom Lehrer geforderte A ntw ort im ganzen Satz
entspricht keiner natürlichen Fachkommunikation;
sein Beharren trägt nur zu einer angespannten A tm o
* Beispiel 1 aus Ophard, 2006; Beispiele 2-5: J. Leisen sphäre (und nicht zur Sprachförderung) bei.
Teil A
Einführung
Das Sprechen in ganzen Sätzen ist also nur dann zu Daniel: „Ja. "
fordern, wenn es die Kommunikationssituation erfor Lehrer: „ Nein, du musst m it der Stromstärke
dert. Dann aber ergibt es sich von selbst und eine ent argumentieren."
sprechende Aufforderung dazu erübrigt sich. Im vor Daniel: „M e in ich ja, die Voltzahl ist zu hoch."
liegenden Fall wäre eine offenere Fragestellung ange
Lehrer: „ Was messen w ir in Volt und was in
messen gewesen:
Ampere?"
Lehrer: „D u siehst hier im Stromkreis etliche Mess Daniel: „S trom ."
geräte eingebaut Erläutere deinen M itschü
Murat: „Nee, ist doch dasselbe, oder, beides ist
lern, was m it welchem Gerät gemessen w ird ."
Strom? Sagen Sie noch mal den Unterschied
zwischen Volt und Ampere. "
Leitlinie 3:
Gute Sprachförderung erfasst die M itteilungsabsicht Bewertung und Optimierungsempfehlung:
der Lernenden. Sie ist darauf ausgerichtet, dass Kom Im vorliegenden Beispiel scheitert die fachliche Kom
munikation gelingt und reagiert deshalb in erster Linie munikation, da die Lerner falsche Konzepte zu den
semantisch und erst in zweiter Linie syntaktisch. Fachbegriffen Stromstärke und Spannung und den ent
sprechenden Einheiten Ampere bzw. Volt haben.
Beispiel
Gute Sprachförderung muss an dieser Stelle fachdidak
Ismael: „ Es gib t kein recht Winkel nicht. "
tisch und nicht sprachdidaktisch ansetzen. Anders fo r
Lehrer: „Es gib t also einen rechten W inkel?"
muliert: Hier bestimmen die fachlichen Konzepte die
Ismael: „Nein, es gib t nicht rechten Winkel. " Sprache und nicht umgekehrt; die Lehrkraft muss fo lg
Lehrer: „Ja, aber eben hast du gesagt, es gäbe nicht lich erst das entsprechende fachliche Konzept im
keinen rechten Winkel. Das ist eine dop Gedächtnis aktivieren:
pelte Verneinung, also sagt du: Ja, es gib t
einen rechten W inkel." Lehrer: „ Warum gibt es in dem Gerät eine Siche
rung? Das können w ir m it unserem Konzept
Ismael: „Egal."
von Antrieb-Stromstärke-Widerstand ver
Bewertung und Optimierungsempfehlung: stehen. Schaut in die Hefte und ru ft euch
Durch die doppelte Verneinung des Lerners gelingt die das noch mal ins Gedächtnis."
Kommunikation nicht. Der Lerner benutzt das W ort
Leitlinie 5 ^
„n ic h t" zur Verstärkung des Wortes „keinen", was der
Lehrer jedoch als doppelte Verneinung interpretiert. Gute Sprachförderung zielt - gerade in kognitiv an
Seine Rückfrage an den Lerner verw irrt mehr, als dass spruchsvollen und sprachlich überfordernden Kommu
sie klärt. Als der Lehrer den Lerner dann über die dop nikationssituationen - zunächst auf die gelingende M it
pelte Verneinung aufklärt, verstärkt dies die Verwirrung teilung ab; dies erfolgt unter Zuhilfenahme verschie
noch, und der Lerner resigniert. denster Darstellungsformen und unter Inkaufnahme
von Sprachfehlern jeder Art. Erst anschließend erfolgt
Die Lehrkraft muss um die sprachlichen Eigenheiten
die sprachliche Bereinigung durch die Lehrkraft.
ihrer Lerner wissen, seien es nun herkunftsspezifisch
typische Sprachfehler oder individuelle Eigenarten in Beispiel
den Formulierungen. Im vorliegenden Fall wäre eine
Daniel: „ Wenn man eine Druck a uf das Membran
passende Überformung angemessen gewesen, die der
ausübt, dann werden alle Luftteilchen ver
Semantik Rechnung trägt:
schoben bis Wasser, die auch verschoben wird
Lehrer: „Ah, du sagst, es gibt keinen rechten Winkel." und w ird nach oben verschoben. Der Höhe
des Wassers zeigt uns im Skala der Druck die
Leitlinie 4: man in dem Membran gemacht h a t."
Gute Sprachförderung im Fach setzt nur an bestimmten Lehrer: „D aniel, das haben w ir nich t verstanden.
Stellen, dann aber fachdidaktisch und nicht sprachdi- Wiederhole es noch mal. "
daktisch an. Das ist immer dann der Fall, wenn fachliche Daniel: „ Nee, ich kanns nicht sagen. "
Basiskonzepte eine Rolle spielen, die an Fachbegriffe
gebunden sind. Bewertung und Optimierungsempfehlung:
Im vorliegenden Beispiel versucht der Lerner, m it dem
Beispiel
Teilchenmodell die Druckweiterleitung und Anzeige in
Lehrer: „ Warum g ibt es in dem Gerät eine einer luftgefüllten Druckdose mit einem wassergefüllten
Sicherung?" U-Manometer zu erklären. Seine Erklärung ist zwar für
Daniel: „Sonst gibt es zuviel V olt." den Lehrer halbwegs verständlich und nachvollziehbar,
Lehrer: „ Du meinst, die Spannung ist zu hoch." nicht aber fü r die Mitschüler.
Teil A 13
Einführung
Wie Daniels Aussage zeigt, kann er die kognitiv an ses und die A rt der Aufgabenstellung; sie w irkt sich
spruchsvolle Mitteilungssituation ohne weitergehende aber auch auf die Ausgestaltung der Aufgaben und
Unterstützung nicht sprachlich korrekt (und damit ver deren Integration in den Unterricht aus. Aufgaben
ständlich) bewältigen; gute Sprachförderung würde hier stellungen, die den Anforderungen an eine ange
darin bestehen, ihm die Zuhilfenahme von z.B. non messene Kommunikation im Fach genügen, sollten
verbalen Darstellungsformen (Geräte, Bilder, Skizzen - auf das Lernen und Üben ausgerichtet sein (also
...) zu erlauben und bei seiner anschließenden Erklärung nicht nur das Leisten, sondern gezielt auch das
zunächst Sprachfehler jeder A rt in Kauf zu nehmen. Üben ermöglichen, vgl. S. 84 ff.)\
Anschließend könnte die Lehrkraft die Darstellung des - komm unikativ ausgerichtet sein (also Bezug auf
Lerners sprachlich bereinigen und seine Gedanken bei das mündliche und schriftliche Sprachhandeln
spielsweise wie folgt in die Klasse tragen: der Lerner nehmen und deren textrezeptive oder
Lehrer: „ Daniel, das hast du physikalisch absolut -produktive Sprachkompetenzen fördern);
richtig erkannt Prima, du bist ein guter Phy - kompetenzorientiert ausgerichtet sein (also nicht
siker. Ich wiederhole es für alle verständlich. nur rein kognitiv oder reproduktiv);
Schaut hier auf das Gerät. Die Luft hier drin - auf den Erwerb pragmatischer Grammatikkompe
stellen w ir uns als Luftteilchen vor. Wenn tenzen ausgerichtet sein.
w ir auf die Membran drücken, dann werden
3. Die Frage, wie viel Grammatik im Fach gelehrt
die Luftteilchen nach unten verschoben und
werden soll (und ob dies überhaupt erforderlich ist),
die drücken a uf das Wasser. Das Wasser
beantwortet der sprachsensible Fachunterricht im
stellen w ir uns als Wasserteilchen vor, die
mer fachbezogen: Denn Grammatikerwerb findet
eng aneinanderliegen. Die Luftteilchen
nachweislich nur statt, wenn Sprache zu kommu
drücken a u f die Wasserteilchen und die
nikativen Zwecken verwendet wird (vgl. S. 55 ff.).
drücken auf die nächsten - und die auf die
Grammatikaufgaben im Fach dürfen deshalb kein
nächsten, immer weiter. Die letzten Was
Selbstzweck und nicht auf ein rein normatives Gram
serteilchen gehen nach oben und zeigen auf
matikverständnis ausgerichtet sein (also z.B. nicht
der Skala den neuen Druck an. "
nur den exakten Sprachgebrauch und dessen gram
matische Angemessenheit abprüfen).
Sprachkompetenzerwerb,
Aufgabenstellungen, Grammatiklernen
Bereits an dieser Stelle sei vorab auf diese drei wichtigen
Themenbereiche hingewiesen; sie werden an späterer
Gelingende Sprachförderung setzt eine zeitgemäße
Stelle ausführlich erläutert:
Einstellung zum Fördergedanken sowie Professio
1. Erfolgreiches Sprachlernen im Fach kann nur dann nalität in der Durchführung voraus. Die Lehrkraft
erfolgen, wenn auch das kognitive System entspre muss dabei nicht nur die entsprechenden Leitlinien
chend ausgebaut ist. Grund ist, dass die Kommuni kennen, sondern vor allem auch über ein profes
kation im Fach bzw. das Lösen entsprechender A u f sionelles Gespür für die vorliegende Sprachsitua-
gaben von den Lernern ein hohes Maß an abstrak tion verfügen. „Gut gemeint" oder „gute Absicht"
tem Denken erfordert. Dies aber setzt entsprechend sind hier nicht gut genug.
entwickelte begrifflich-logische Fähigkeiten voraus
Unabhängig davon lernen besonders sprachschwa
(vgl. S. 57 ff.). Zudem sollte die Lehrkraft immer be
che Lerner besser und nachhaltiger, wenn eine posi
denken, dass die Schritte im Lernprozess Lemschritte
tive, also möglichst freundliche, menschliche sowie
und keine Lehrschritte sind (vgl. dazu S. 72 ff.).
auf Bestätigung und Unterstützung der Lerner hin
2. Passende Aufgaben im Fach sind gerade für sprach ausgenchtete Unterrichtsatmosphäre herrscht. Dies
schwache Lerner von großer Bedeutung für das aber ist genau auch Ziel und Inhalt des sprachsensi
Gelingen der Kommunikation. Diese Tatsache hat blen Fachunterrichts.
Einfluss auf die Gestaltung des Lehr-Lern-Prozes-
14 Teil A
Einführung
© Josef Leisen
Kompetenzbereiche (Deutsch)
Kompetenzbereiche (Fremdsprachen)
Kompetenzbereiche (Erdkunde)
Erkenntnisgewin Räumliche Beurteilung/
Fachwissen Kommunikation Handlung
nung/Methoden Orientierung Bewertung
Teil A 15
Einführung
Die jeweils geforderten Einzelkompetenzen und Stan leren Bildungsabschluss nach der Klassenstufe 10; dabei
dards - also die Breite der geforderten kommunikativen müssen diese Kompetenzen gemäß den Erwartungs
Kompetenzen - sind im jeweiligen Kompetenzbereich horizonten in den verschiedenen Klassenstufen gestuft
beschrieben. Der untenstehende Kasten stellt diese für aufgebaut werden.
den mittleren Bildungsabschluss im Fach Physik dar. Vergleichbare Regelungen gelten für den Hauptschul
Dabei macht es jedoch einen großen Unterschied, ob abschluss, z.B. im Fach M athematik am Ende der Klas
Lerner übereinen einfachen oder über einen komplexen senstufe 9 (vgl. den nachfolgenden Text sowie die
Sachverhalt kommunizieren, Sachverhalte in eingeübten zugehörige Kompetenzmatrix auf 5. 17 M itte):
oder ungeübten Formen darstellen und einfache oder „Dazu bearbeiten sie Probleme, Aufgaben und Projekte
komplexe Texte lesen sollen. Auch innerhalb des Kom m it mathematischen M itte ln , lesen und schreiben
petenzbereichs Kommunikation müssen deshalb Stufen mathematische Texte, kommunizieren über mathema
unterschieden werden, die das Anspruchsniveau - also tische Inhalte u. a. m. Dies geschieht in einem Unter
die Tiefe der Anforderungen - beschreiben. Hierbei hat richt, der selbstständiges Lernen, die Entwicklung von
es sich als sinnvoll und zweckmäßig erwiesen, drei kommunikativen Fähigkeiten und Kooperationsbereit
Anforderungsbereiche zu unterscheiden. schaft sowie eine zeitgemäße Informationsbeschaffung,
Dokumentation und Präsentation von Lernergebnissen
Die auf S. 17 oben abgebildete Kompetenzmatrix zeigt
die erwarteten Kompetenzen im Fach Physik beim m itt- zum Ziel hat. " (aus: Bildungsstandards im Fach M athe
matik, 2005, S. 6)
Sämtliche Anforderungen gelten auch für Lerner m it
Zuwanderungsgeschichte. Da bei ihnen aber zusätzlich
imunikation: Informationen spezifische Sprachprobleme hinzukommen, müssen sich
sach- und fachbezögen Lerner wie Lehrer besonders anstrengen, um die vor
erschließen und austauschen gegebenen Anforderungen und Standards zu erreichen.
Die Fähigkeit zu adressatengerechter und sachbezogener
Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil physikali
scher Grundbildung. Hierzu sind moderne Methoden und Sprachförderung
Techniken der Präsentation, das Beherrschen der Regeln
olnö anffompccpnp ^rirprh- und . als Auftrag des GER
(Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen)
Wissen, eigene Ideen und. Vorstellungen in die Diskussjpri: Vorgaben für erfolgreiches
einzubringen und zu entwickeln, den Kommunikations- kommunikatives Handeln
- - ' i.nern m it Vertrauen zu begegnen und ihre Persönlich- Der GER stellt eine europaweit anwendbare Basis für
die Entwicklung von zielsprachlichen Lehrplänen, cur-
ricularen Richtlinien, Prüfungen, Lehrwerken u.a. dar.*
Er beschreibt umfassend, was Lernende lernen müssen,
um eine Sprache fü r kommunikative Zwecke zu benut
für den Kompetenzbereich Kommunikation*: zen, und welche Kenntnisse und Fertigkeiten sie ent
Schülerinnen und Schüler wickeln müssen, um in der Lage zu sein, kommunikativ
erfolgreich zu handeln.
messener Verwendung der Fachsprache und „ Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen w ill helfen,
fachtypischer Darstellungen aus, die Barrieren zu überwinden, die sich aus den Unterschieden
zwischen den Bildungssystemen in Europa ergeben und die
beschreiben den Aufbau einfacher techni- . der Kommunikation von Personen, die m it der Vermittlung
scher Geräte und deren Wirkungsweise, moderner Sprachen befasst sind, hinderlich sind. Er stellt
Verantwortlichen im Bildungswesen, Lehrwerkautoren, Leh
dokumentieren die Ergebnisse ihrer Arbeit, renden, Lehrerausbildern, Prüfungsanbietern und anderen
ein Instrumentarium zur Verfügung, um ihre Bemühungen
einzuordnen und zu koordinieren sowie sicherzustellen, dass
sie die wirklichen Bedürfnisse der Lernenden, für die sie
verantwortlich sind, befriedigen . " (vgl. http://km k-frem d-
5 diskutieren Arbeitsergebnisse und Sachver sprachenzertifikat.lernnetz.de/handr/rr.htm). Diesem Thema
halte unter physikalischen Gesichtspunkten. widm et sich das neue Projekt „ Languages o f Education -
Languages for Education " des Europarates (Unterprojekt
*äuch a u f alle anderen Fachbereiche übertragbar „ vulnerable learners"), das Projekt „Language in OtherSub-
jects“ hingegen dem Sprachlernen im Fach, vgl. h ttp ://w w w .
coe. int/t/dg4/linguistic/LangEduc/BoxD2 - OtherSubjan.asp.
aus: Bildungsstandards im Fach Physik, 2005, S. 11.
Teil A
16
Einführung
Der Referenzrahmen definiert Kompetenzniveaus, so- Der Referenzrahmen bildet den Lernraum in sechs
dass man Lernfortschritte lebenslang und auf jeder Stufe Niveaustufen ab; eine tabellarische Übersicht über diese
des Lernprozesses messen kann. Dabei deckt die Niveaustufen findet sich in Teil D, S. 220 f.
Beschreibung auch den kulturellen Kontext ab, in den Dem GER zufolge finden sprachliche Aktivitäten in vier
Sprache eingebettet ist. verschiedenen Lebensbereichen (Kontext) statt: im
Dem GER zufolge besteht die kommunikative Sprach öffentlichen Bereich, im privaten Bereich, im Bildungs
kompetenz aus linguistischen, soziolinguistischen und wesen und im beruflichen Bereich.
pragmatischen Komponenten. Diese Sprachkompetenz - Der öffentliche Bereich umfasst alles, was m it nor
wird in verschiedenen kommunikativen Sprachaktivi- maler sozialer Interaktion zu tun hat (in Geschäften
täten aktiviert, die Rezeption, Produktion, Interaktion und Behörden, in öffentlichen Einrichtungen, bei kul
und Sprachmittlung umfassen; dabei können all diese turellen und bei Freizeitaktivitäten in einem öffent
Aktivitäten schriftlich und/oder mündlich Vorkommen lichen Kontext, im Umgang m it Medien usw.).
(vgl. CER, S. 25). - Der komplementäre private Bereich umfasst familiäre
Beziehungen und individuelle soziale Gewohnheiten.
Teil A 17
Einführung
- Das Bildungswesen umfasst den Lern- und Lehrkon- derungsprofil in Deutschland auch für die Sprache
text; hier geht es um den Erwerb spezifischer Kennt Deutsch gelten.
nisse und Fertigkeiten.
2. Dieses Anforderungsprofil muss dann auch fü r jed
- Der berufliche Bereich umfasst alles, was m it den wede Aneignungsform gesichert werden - sei es also
beruflichen Aktivitäten eines Menschen zu tun hat für Deutsch als Muttersprache, für Deutsch als Zweit
(s. http://w w w .goethe.de/Z/50/com m euro/i2. htm). sprache oder für Deutsch als Fremdsprache.
Sprachförderung im Fach betrifft somit sowohl den all Damit ergibt sich ein klarer Auftrag, die „Bildungsspra-
gemeinbildenden als auch den beruflichen Bereich, da che" - also die Sprache, die beim Lernen in Schule und
sich diese beiden Bereiche in der Ausbildung über Ausbildung benutzt wird - mindestens auf dem Niveau
schneiden. Daraus ergeben sich zwei Folgen: B2+ zu garantieren. Der sprachsensible Fachunterricht,
1. Wenn der GER ein Anforderungsprofil in den Fremd für den sich das vorliegende Handbuch nachhaltig ein
sprachen definiert und fordert, dann muss das Anfor setzt, ist ein Instrument dazu.
18 Teil A
Einführung
- Welche Muttersprachen (Herkunftsregionen) werden Abb. H2-5: Bevölkerung im Alter unter 25 Jahren m it Migrationshintergrund 2 0 0 5
nach Zuwanderungszeitpunkt und Altersgruppen (in %)
gesprochen?
Alter zum Zeitpunkt der Erhebung
OB Hier geboren Vor diesem Alter zugezogen E 2 In diesem Alter zug ezo g en s Ohne Angabe zum Zuzugsalter
Millionen Personen-einen Migrationshintergrund auf.
Quelle: Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 20 05 (vorläufige Ergebnisse)
Von diesen gehörten 2005 etwa ein Drittel (ca. 2 M il
lionen Kinder und Jugendliche) der 1. Generation an, aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 145
waren also selbst zugewandert. Der Anteil der daraus
resultierenden Quereinsteiger in das Bildungssystem Abb. H2-3: Anteil der Bevölkerung m it Migrationshintergrund 2 0 0 5 nach Altersgruppen
und H erkunftsregionen (in %)
schwankt in den Altersgruppen bis zum 19. Lebensjahr
zwischen 5 und 10 Prozent (vgl. Abb. H2-2/S. 18).
3 0,0 3 1 ,4 1 3 ,6 2 5,1
nität in Bezug auf Status und Zeitpunkt der Zuwande S o n s t ig e e h e m a l ig e A n w e r b e sta a te n
Teil A 19
Einführung
Abb. H2-4: Anteile der Bevölkerung mit Migrationshintergrund 20 0 5 bzw. der schulreife erhalten wie Deutsche ohne Migrationshin
Ausländerinnen und Ausländer 1995 und 2 0 0 4 nach Landern (in %)
tergrund. Andererseits ist der Anteil der 25- bis unter
Deutschland ■ 65-jährigen Migranten der 2. und 3. Generation, die
Baden-Württemberg
keinen beruflichen Abschluss erworben haben, doppelt
Bayern
Berlin
so hoch wie bei Deutschen ohne Migrationshintergrund
Brandenburg (vgl. Abb. H3-1).
Bremen
Hamburg
Die Bevölkerung m it Migrationshintergrund verteilt sich
Hessen sehr ungleich auf die Länder; dabei sind die M igran
Mecklenburg-Vorpommern
tenanteile bei jungen Menschen höher als bei der
N iedersachsen
Gesamtbevölkerung. Der Anteil an jungen Menschen
Nordrhein-Westfalen »
Thürin
In einigen Ländern ist der Anteil von Kindern mit M igra
0 5 10 15 20 25 30 35
tionshintergrund, die eine verzögerte Schullaufbahn
2005 Migrationshintergrund (0 bis unter 25 Jahre) 2 B 2005 Migrationshintergrund (insgesam t)
E S 2004 A usländer/innen 1995 Ausländer/innen aufweisen (sogenannte Sitzenbleiber), doppelt so hoch
Quelle: Statistisches Bundesamt Bevölkerungsstatistik; Mikrozensus 2 0 05 ( vorläufige Ergebnisse) wie der von Kindern ohne Migrationshintergrund. Die
aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 144 türkischen Kinder weisen hierbei die höchsten Anteile
auf; auch bei den Spätaussiedlerkindern sowie denen
aus den restlichen Anwerbestaaten finden sich relativ
hohe Anteile. Etwa jeder vierte Jugendliche m it M igra
Abb. H3-4: Verzögerte Schullaufbahnen bei 15-Jährigen 2 0 0 3 nach Ländern und Herkunfts
regionen (in %)* tionshintergrund, aber nur jeder zwanzigste Jugendliche
ohne M igrationshintergrund besucht eine Schule, in
der Migranten die Mehrheit stellen. Das deutsche Schul
wesen spiegelt demnach eine hohe Segregation - also
eine sich im Rahmen des Bildungswesens verdeutli
chende herkunftsbezogene und soziale Ungleichheit
der Gesellschaft - wider (vgl. Abb. H3-4).
Abb. H4-3: Sprachpraxis von Schülern der 9 . J ahrgangsstu fe m it Migrationshintergrund Schulen m it sehr hohem Migrantenanteil arbeiten in
und deren Eltern nach M igrantenanteil an der besuchten Schule (in %)
einem sozialen Umfeld, das insgesamt durch Abschot
^ A nteil der Schüler m it Migrationshintergrund
tung sozialer und ethnischer Gruppen geprägt ist. Etwa
ein Fünftel der Hauptschulen in Deutschland arbeitet
in problematischen Lernkontexten, die durch einen sehr
hohen Migrantenanteil in Verbindung m it niedrigem
sozialen Status der Lerner, geringen kognitiven Grund
fähigkeiten, häufigen Lernschwierigkeiten und Verhal
deren Eltern sich zu Hause die zu Hause mit den Eltern die mit Ft die auf Deutsch
tensproblemen gekennzeichnet sind. Über die ungüns
vorwiegend meistens Deutsch sprechen meistens Deutsch sprechen am besten schreiben können
auf Deutsch unterhalten tigen individuellen Eingangsvoraussetzungen hinaus
M igrantenanteil von ...
! Unter einem Viertel 1 Ein V ie rtel bis die Hälfte E S Mehr als die Hälfte } In sgesam t stellen solche schwierigen Kontextbedingungen eine
Quelle: D ESI2004, eigene Berechnungen zusätzliche Belastung dar.
aus: Konsortium Bildungsberichterstattung, 2006b, S. 163 Der Bildungsbericht 2006 zieht folgende Schlüsse (Kon
sortium Bildungsberichterstattung, 2006b S. 149):
- Die Heterogenität der Migrationskonstellationen und
die Unterschiede des erreichten Bildungsstandes der
unterschiedlichen Herkunftsgruppen legen differen
20 Teil A
Einführung
- Dass mehr als zwei Drittel der Gesamtpopulation mit Je nach Migrationsstatus sprechen und schreiben Lerner
Migrationshintergrund und gut ein Drittel der unter m it M igrationshintergrund unterschiedlich. Zudem
25-Jährigen der 1. Zuwanderergeneration angehören haben sie jeweils unterschiedliche sprachliche Schwä
(Quereinsteiger), macht deutlich, dass sprachliche chen und Probleme:
und kulturelle Förderung auf allen Stufen des Bil
a) Sprachprobleme von Lernern der 1. Generation
dungssystems weiterhin einen zentralen Stellenwert
hat, auch wenn der Förderbedarf fü r aktuelle Seiten Ategül ist ein Migrantenkind der 1. Generation. Sie ist
einsteiger überschaubar erscheint. kurdischer Abstammung, 16 Jahre alt und lebt m it ihrer
Familie seit 5 Jahren in Deutschland. Sie ist die älteste
- Obgleich die Mehrzahl der Kinder und Jugendlichen
Tochter und hat noch 4 jüngere Geschwister, die
m it Migrationshintergrund bereits von Geburt an in
- bis auf den jüngsten Bruder, der den Kindergarten
Deutschland aufgewachsen ist, scheint eine frühzei
besucht - auf die Hauptschule gehen.
tige soziale Integration im Bildungswesen nur teil
weise zu gelingen (Details vgl. Konsortium Bildungs Ategül besaß bei ihrem Wechsel in das deutsche Schul
berichterstattung, 2006b). system vor fü n f Jahren keine Deutschkenntnisse und
genoss in ihrem Herkunftsland nur wenig Schulbildung.
Die vorstehend zusammengetragenen Zahlen machen
Zwei Jahre lang nahm sie an einer Fördergruppe für
deutlich: Der hohe Migrantenanteil bei Kindern und
Deutsch m it ca. zw ölf Stunden pro Woche teil.
Jugendlichen stellt eine besondere Herausforderung für
das deutsche Bildungswesen dar. Ategül hatte ein Praktikum in einem Einzelhandelsge
schäft absolviert und erhielt die Aufgabe, den Text auf
Diese Herausforderung kann für alle Beteiligten nur
S. 22 in eigenen Worten wiederzugeben; Ategüls Vor
dann zufriedenstellend, tragfähig und langfristig gelöst
trag wurde dabei auf Band aufgenommen (vgl. h ttp ://
werden, wenn man
w ww .learn-line.nrw.de/angebote/qualitaetsentwick-
1. bildungspolitische Integrationsförderung als Zu lung/ dow nload/ d -interview l .mp3).
kunftsinvestition begreift und
Ategül, die sich im Interview als eine kluge Person zeig
2. entsprechende politische Maßnahmen durch qualifi
te, war m it der sprachlichen Bewältigung der Aufgabe
zierte Lehrkräfte und gezielte Sprachförderung vor
völlig überfordert. Sie hatte den Text in großen Teilen
O rt begleiten und umsetzen lässt.
nicht verstanden und war nicht in der Lage, ihn mit
eigenen Worten wiederzugeben. Im Interview m it der
Schülerin wurde deutlich, warum diese Aufgabe sie
überfordert; zugleich zeigte das transkribierte W o rt
Sprachförderung im Fach ist protokoll, dass Ategül ihre Sprachschwierigkeiten selbst
sehr gut diagnostizieren konnte (Auszug):
- wichtig, weil die Kommunikation ein wichtiges;
Bildungsziel jedes Faches ist;
Beispiel Ategül:
- sinnvoll] weil sich Fachlernen unci Sprachlernen 7. „ Ich kann das nicht so gut sagen ..."
gegenseitig unterstützen;
2. „M eine Schwester, die haben so alleine gemacht,
- unerlässlicht weil der Fachunterricht in und m it ... können das so gut wie Deutsch. ... Vielleicht,
der Sprache stattfindet; w eil ich nie eine deutsch Freund haben. "
- fach übergreifend ,i weil alle Fächer von der Sprach 3. „M e in klein Bruder geht in den Kindergarten,
kompetenz profitieren; der kann besser Deutsch als ich, ... der kann
- verpflichtend, weil die Bildungsstandards das perfekt a lle s ..."
4. „ W ir machen auch Grammatik. Das versteh ich
gar nicht. Ich muss immer auswendig lernen. "
Das Handbuch Sprachförderung im Fach ist auf
die sich daraus ergebenden Förderungen ausge 5. „Ich kann nie Aufsatz schreiben. "
richtet. Es bietet allen Lehrkräften, die sprach 6. „ Rechtschreibung hab ich auch, ... aber ich kann
schwache Lerner im Fach fördern möchten, fun so Wörter nicht alles zusammen schreiben, ..."
dierte und methodisch-didaktisch angemessene
7. „Ich habe noch ein Problem: Wenn ich einen
Unterstützung,
Text lese in der Schule,... dann lachen die ande
ren, ich schäm mich so. Ich habe nie gemeldet,
dass ich auch einmal lesen d arf."
8. „ Förderunterricht war immer gut, das war leich
ter, da schreiben w ir nicht so schwer Arbeiten,
Teil A 21
Einführung
werbs und fü hrt bei ihr zudem zu Schreibhemmungen lichen Texten sowohl als Grundlage fü r das Lernen als
(5). Ategüls Rechtschreibprobleme sind ihr bewusst (6). auch zur Vorbereitung auf die Klassenarbeit. Dabei soll
Sie verfügt über keine Lesestrategien (7), und ihr Selbst ten die Lerner vom untenstehenden Text ausgehen und
bewusstsein wird durch die Unterrichtsmethode des adressatengerecht über den Beruf informieren. Ziel war,
lauten Vorlesens vollends untergraben, weshalb sie sich bei den Adressaten Interesse zu wecken oder diese gar
schämt und Angst hat, überhaupt etwas vorzulesen. davon zu überzeugen, diesen Beruf zu ergreifen. Als
Den Förderunterricht empfindet sie als leichter (8), da Adressaten konnten dabei Mitschüler der Klasse 10,
dort „n u r Deutsch" durchgenommen wird und es des Azubis im Einzelhandel oder die Leser einer Schülerzei-
halb nicht zur Kollision von fachlichen und sprachlichen tung ausgewählt werden.
Schwierigkeiten kommt.
Beispiel Kirill
Die von der Schülerin gezeichneten Sprachprobleme
Kirill, ein deutschstämmiger Russe, ist ein Migrantenkind
sind typisch fü r die Lerner der 1. Generation. Typisch
der 1. Generation. Er besuchte im Herkunftsland sechs
ist auch das nicht entwickelte Könnensbewusstsein.
Jahre lang die Schule und schloss in Deutschland die
Hier muss sprachsensibier Fachunterricht ansetzen.
Haupt- und Realschule m it der Fachoberschulreife ab.
Kirill schreibt fü r einen Azubi als Adressaten. Seine
Schreibprobe auf S. 23 oben zeigt folgende Merkmale:
'
Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel
Kaufleute im Einzelhandel arbeiten vorwiegend im Verkauf: Sie verkaufen die unterschiedlichsten
Konsumgüter - angefangen von Autos über Kleidung und Nahrungsmittel bis hin zu Unterhaltungs-
Neben diesen Tätigkeiten im Verkaufsraum, zu denen auch das Auffüllen und Auszeichnen der Waren
gehören, zählen Sicherstellung des Warenangebotes, Marktbeobachtung und Einkaufsplanung, die
Bearbeitung der Wareneingänge und die fachgerechte Lagerung der gelieferten Waren sowie die
Durchführung von verkaüfsfördernden Maßnahmen, wie zum Beispiel die ansprechende Platzierung
und Präsentation der Waren m it Plakaten und anderen Werbemitteln, zu ihren Aufgaben.
Zunehmend wichtiger wird die Arbeit m it Computern und anderen informationstechnischen Geraten
ünd Systemen: zum Beispiel m it mobilen Datenerfassungsgeräten für die Bestandskon rolle und In
ventur oder m it Scannerkasseh, an denen die Verkaufsdaten der Artikel durch Laserstrahl automatisch
abgelesen werden und die m it Computern im Einkauf oder im Rechnungswesen verbunden sind.
aus- Bundesanstalt für Arbeit, 2000, S. 235; zitiert nach: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 2001a;
Hinweis: Das Berufsbild wurde zwischenzeitlich der technologischen Entwicklung angepasst.
Teil A
22
Einführung
Düsseldorfer Straße,
Welche Sprachprobleme haben
Lerner m it Zuwanderungsgeschichte?
Für Lerner m it Migrationshintergrund tun sich eine Rei
Bei Fragen kommen sie doch einfach vorbei
he von sprachlichen Barrieren im Unterricht auf. Diese
oder rufen sie uns an.
sind je nach Migrationsstatus (Migrantengeneration)
und Herkunftsland unterschiedlich ausgeprägt.
aus: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung, 2001a, S. 144
(Kirill), S. 142 (Serkan) und S. 145 (Manfred); Hinweis: Zeilenfor Für Lerner der 1. Generation, die als Quereinsteiger in
matierung und Silbentrennung entsprechen nicht dem Original. das deutsche Schulsystem einsteigen, ist Deutsch eine
24 Teil A
Einführung
Fremdsprache, die sie - wie andere Sprachen in der Typische Sprachfehler dieser A rt sind meist:
Schule auch - als Fremdsprache lernen. Da diese Lerner - Interferenzfehler (Übertragungsfehler aus der M u t
aber im deutschen „Sprachbad" leben und s o m it- je tersprache auf die Zweitsprache, z.B. Aussprachefeh
nach dem Grad ihrer Integration - ständig im Alltag ler, abweichender Gebrauch der Artikel, Abweichun
von der deutschen Sprache umgeben sind, verstehen gen in der Satzstellung);
sie vergleichsweise schnell fast alles und können sich in
- Regelfehler (Fehler beim Gebrauch grammatikalischer
der Alltagssprache verständlich machen und unterhal
Strukturen, die besonders stark von der Erstsprache
ten, auch wenn sie anfangs o ft nur über rudimentäre
abweichen, z.B. regelmäßige Konjugation und Plu
oder gar keine deutschen Sprachkenntnisse verfügten.
ralbildungen im Türkischen);
Dies täuscht selbst erfahrene Lehrkräfte häufig darüber - Generalisierungsfehler (durch Anw endung einer
hinweg, dass solche Kinder und Jugendliche große Ver Regel auch auf Fälle, für die sie nicht zutrifft, z.B. bei
ständnisschwierigkeiten und Sprachprobleme im Schul Bildung der Vergangenheitsformen des Verbs: er sag
unterricht haben (vgl. auch S. 66). Denn besonders im te/er hat gesagt - er schreibte/er hat geschreibt)]
(Fach-)Unterricht herrscht ein anderes Sprachniveau als
- Bedeutungsfehler (durch Nichterkennen einer W o rt
in der täglichen Umgangssprache (vgl. S. 6).
bedeutung, z.B. Ich bin satt. - Ich bin satt Hosen).
Dies gilt zwar für alle Lerner; bei Lernern m it M igrati
Eine Kenntnis der Hintergründe solcher Fehler könnte
onshintergrund der 1. Generation sind diese Barrieren
sich eigentlich positiv auf den Lehr-Lern-Prozess aus
jedoch gravierender. Denn diese Lerner verbleiben o ft
wirken, da es der Lehrkraft ein sprachkontrastives Arbei
in ihrem Milieu, sprechen also häufig nur in der Schule
ten m it unterstützender Sprachreflexion ermöglichen
Deutsch und zu Hause meist ihre Muttersprache.
würde. Eine konsequente Umsetzung wäre wegen des
Lerner m it M igrationshintergrund der 1. Generation Anspruchs in der Sache und der Vielzahl der Herkunfts
lernen die deutsche Sprache in der Regel „einfach so“ sprachen von Fachlehrkräften aber nicht leistbar.
bzw. „nebenbei" und nur in den seltensten Fällen sys
Im Vergleich zur schulischen Kommunikation im Fach
tematisch als Fremdsprache (DaF) oder als Zweitsprache
unterricht ist die Kommunikation in der Alltagssprache
(DaZ). Sie verfügen deshalb meist über keine elaborierte
viel „fehlertoleranter". Dort verstehen die Gesprächs
Sprache, haben wenig Sprachbewusstheit und kaum
partner einander - trotz fehlerhafter Sprache - , denn:
Kenntnisse über Sprachstrukturen. Sprechsituationen
m it erhöhter Komplexität oder Sprachstrukturen, die in - Die Sprechsituationen sind den Gesprächspartnern
der Alltagssprache selten Vorkommen, können diese bekannt.
Lerner nur schlecht oder o ft gar nicht bewältigen. Dabei - Es wird vorwiegend über Persönliches gesprochen.
hängt die Intensität der jeweiligen Sprachbarrieren sehr
- Es werden eigene Erfahrungen mitgeteilt.
von den Ähnlichkeiten und Differenzen zur M utter
- Die Sprachfehler sind geläufig.
sprache ab.
- Die Gesprächspartner haben gemeinsame Erfahrungs
Zusätzlich generieren die Sprachstrukturen der M utter
bereiche.
sprache (Erstsprache) im Fremdsprachenlernen - hier
dem Deutschen als Zweitsprache - typische herkunfts Alle eingangs dargestellten Sprachprobleme beein
spezifische Fehler. Diese zeigen sich bei Lernern mit trächtigen den Fachunterricht. Es gehört jedoch nicht
Migrationshintergrund der 1. Generation häufig auch zum Kern-Aufgabenbereich des Fachunterrichts, die
in der Alltagskommunikation, wie die nachfolgenden se anzugehen. Hier wäre vielmehr eine gezielte För
Beispiele belegen: derung im Rahmen des Deutsch-als-Zweitsprache-
Unterrichts (DaZ) - u.U. in Kooperation mit dem Fach
- „Frag doch der Lehrer. “ (fehlerhafte Deklination);
Deutsch - wünschenswert, insbesondere, wenn das
- „D e r Gabel" (falscher Artikel/Genus);
Sprachlernen nach den Prinzipien von Deutsch als
- „Sie bringte" - „Ich w ird fragen. " Fremdsprache (DaF) erfolgt. Die wirksamste Lösung
(fehlerhafte Konjugation); böte jedoch die sprachliche Integration: Lerner der
- „ Gestern esse ich zuhause. " 1. Migrantengeneration müssten sich schlicht häufiger
(falsche Verwendung der Zeiten); im deutschen Sprachbad aufhalten, um an korrekten
Sprachmustern zu lernen.
- „Ich nass" - „ A ld i z u " (keine Passivstrukturen);
- „ Er hat groß Erfolg. " Lerner der 2. und 3. Generation zeigen im Gebrauch
(fehlerhafte Deklination von Adjektiven/Adverbien); der deutschen Alltagssprache die oben gezeichneten
sprachstrukturellen Probleme in geringerem Ausmaß;
- „Is t mehr a lt als ... " (falsche Graduierung);
auch treten die genannten Sprachfehler seltener auf.
- „Ich ein Buch haben." (falsche Wortstellung); Grammatik- und Rechtschreibfehler (falsche Artikel, fal
- „Ich abschalte das Gerät. " sche Pluralbildung, falsche Fälle, fehlende oder falsche
(Missachtung trennbarer Verben) Modalverben) kommen zwar vor, werden aber durch
Teil A 25
Einführung
Es war somit noch nie besonders einfach, Sprache im Ein sprachsensibier Fachunterricht erm utigt Lernende
Fachunterricht richtig zu benutzen. Deshalb tun sich zur Nutzung von Erweiterungsstrategien und akzeptiert
viele Lerner seit jeher m it der Fachsprache schwer. vorübergehend Reduktions- und Kompensationsstra
tegien, wenn sie dem Sprachlernen im Einzelfall dienen.
Bei Lernern, die eine Sprachförderung benötigen, weist
Dazu ist sinnvoll, an passender Stelle die Strategien
allerdings der Ausprägungsgrad der Sprachschwierig-
bewusst zu machen und darüber zu reflektieren.
keiten neue Züge auf. Denn fü r Lerner m it M igrations
hintergrund ist Deutsch nicht die Muttersprache, son Ein sprachsensibier Fachunterricht lässt Fehler zu; denn
dern die Zweitsprache - in der sie jedoch meist nicht Menschen lernen auch durch Fehler. „Fast alles, was
über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen, um über er geworden ist, fast alles, was er erworben hat, ver
haupt erfolgreich am Fachunterricht teilnehmen zu kön dankt der Mensch der Irrtumsfähigkeit, dem Prinzip
nen. Die sogenannte Halbsprachigkeit dieser Lerner von Versuch und Irrtum. " (Guggenberger, 1987; er setzt
und die dadurch resultierende unzureichende Sprach sich folgerichtig auch für ein „Menschenrecht auf Irr
kompetenz im Deutschen bringen die Fachlehrkräfte tu m " ein,). Und Popper hat den Versuch-Irrtums-Prozess
im Fachunterricht häufig an ihre Grenzen. auf die griffige Formel gebracht: „ Wir irren uns empor. "
Teil A 27
Einführung
Das aber bedeutet: Lehrkräfte dürfen Lernern nicht sind; das aber heißt: die kognitiven, sprachlichen
nur zeigen, was sie falsch machen, sondern müssen und entwicklungspsychologischen Voraussetzungen.
ihnen vor allem zeigen, welche Stärken und Fähigkei
Für den Umgang mit Sprachproblemen beim Schreiben
ten sie haben. Andernfalls werden sich Lerner ange
gilt: Im Bereich der Schriftlichkeit ist sprachliche Rich
wöhnen, ihre Fehler zu verstecken, imm er nur auf
tigkeit von größerer W ichtigkeit. Sprachfehler können
Bekanntes und Gewusstes zurückzugreifen, neue Erfah
deshalb nicht in gleichem Maße hingenommen werden
rungen zu meiden und nicht m it Sprache zu experi
wie im Bereich der M ündlichkeit (zur Abgrenzung z w i
mentieren. Ein sprachsensibier Fachunterricht verfolgt
schen M ündlichkeit und Schriftlichkeit vgl. S. 54 f.).
das Konzept einer ressourcenorientierten Beurteilung
und Förderung (vgl. Hägi, Müller, Ziebell, 2007). Generell neigen insbesondere sprachschwache Lerner
dazu, bei der Sprachproduktion zu fachlich schwierigen
Die Sprachprobleme von Lernern m it Zuwanderungs
Aufgaben sprachliche Probleme zu umgehen, indem
geschichte beziehen sich auf folgende Teilaspekte:
sie einfache Strukturen und ein reduziertes Vokabular
a) sprachliche Richtigkeit (Grammatik, Rechtschreibung verwenden (vgl. S. 27); dies gilt für das Sprechen und
...), z.B. falsche oder fehlende Artikel, falscher Plural, Schreiben. Wenn sie sich hingegen der sprachlichen
falscher Fall, fehlende oder falsche Modalverben ...; Komplexität stellen, verzichten sie meist auf die sprach
b) sprachliche Komplexität (Wortschatz, Ausdrucksver liche Richtigkeit. Sprachliche Richtigkeit sollte deshalb
mögen, D ifferenziertheit...), z.B. Verständnisproble nur bei einfachen Sachverhalten gefordert werden.
me komplexer Texte und Hörtexte, fehlender W o rt
b) Sprachliche Komplexität
schatz, undifferenzierte Ausdrucksweise ...;
Sprachliche Komplexität kann in der Sache selbst lie
c) Sprachfluss (Sprechgeschwindigkeit, Aussprache,
gen - so etwa, wenn sich fachliche Kom plexität in
Ausdruck, Intonation ...), z.B. abgehacktes Sprechen
sprachlicher Komplexität widerspiegelt. Im Bereich der
und Lesen, Aussprachefehler, A usdrucksnot...;
Bildungssprache, die wesentliche Merkmale der Schrift
d) Sprachwissen (Aufbau von Sprache, Funktionalität, lichkeit aufweist und für den Fachunterricht typisch ist,
Textsortenwissen, grammatisches Wissen ...); ist sprachliche Komplexität jedoch nur dann notwendig,
e) kulturelles Wissen und Weltwissen (Redewendun wenn es der inhaltlichen Differenzierung dient. Inhaltlich
gen, Sprichwörter, Normen, Traditionen ...). einfache Sachverhalte sollten deshalb nicht unnötig
durch sprachliche Komplexität aufgebläht werden.
Die Sprachprobleme, die sich aus diesen einzelnen
Aspekten ergeben, beeinträchtigen Lerner in allen Es kann jedoch durchaus ein didaktisches Ziel sein, die
kommunikativen Kompetenzbereichen der Bildungs sprachliche Komplexität im Fachunterricht zu steigern.
sprache. Sie treten also nicht nur beim Sprechen im Dann sollten Lerner dazu angehalten werden, sprachlich
(Fach-)Unterricht auf, sondern auch beim Lesen (Lese schwierigere Sprachstrukturen oder alternative Aus
strategien, Leseverstehen, Lesefluss ...) und Schreiben drucksformen zu verwenden. Allerdings sollte dies im
(Schreibstrategien, Adressatenbezug, Schreibabsicht, mer so erfolgen, dass die Lerner ihr sprachliches Kön
Kenntnis von Textsorten, Gliederungen ...). nensbewusstsein stärken können; die Lehrkraft sollte
deshalb - beispielsweise durch Einsatz passender M e
Da jeder der genannten Kompetenzbereiche einen eige
thoden-Werkzeuge - Sprachstrukturen anbieten, deren
nen Umgang m it „seinen" Sprachproblemen erfordert,
Nutzung lohnt und positiv bewertet wird.
werden die spezifischen Besonderheiten beim Lesen
und Schreiben in gesonderten Kapiteln (B, C) behandelt. Ist dies nicht der Fall, stellt eine gleichzeitig auftretende
hohe fachliche und hohe sprachliche Komplexität ins
a) Sprachliche Richtigkeit besondere fü r sprachschwache Lerner eine Überforde
Beim Umgang mit sprachlichen Fehlern beim Sprechen rung dar, die diese durch Umgehen von einer der beiden
sollten Fachlehrkräfte grundsätzlich und vorrangig Schwierigkeiten zu lösen versuchen. Denn Sprachpro-
darauf achten, sprachliche Erfolge zu garantieren und zesse und Problemlösungsprozesse finden in verschie
sprachliche Misserfolge zu vermeiden. Dabei gelten denen Gehirnregionen statt und können somit selbst
folgende Besonderheiten: bei sprachstarken Lernern nur bedingt gleichzeitig erfol
gen (Details s. S. 56 ff.). Die Lehrkraft muss sich deshalb
1. Sprachliche Richtigkeit ist ein andauernder Prozess, entscheiden, ob die sprachliche oder die fachliche A u f
der durch anregungsreiche Sprachumgebungen und gabenstellung Vorrang haben soll.
sensible Fehlerkorrektur, z.B. durch Überformungen,
gefördert wird. Die Fehlerforschung mahnt zu einem Zudem lehrt uns die kognitive Spracherwerbsforschung,
„aufgeklärten Umgang m it Fehlern". Etliche Fehler dass Lernende bei schwierigen fachlichen Aufgaben
neue sprachliche Strukturen nicht bemerken und somit
arten wachsen sich m it der Zeit von selbst aus; aller
auch nicht erwerben. Das fachliche Verstehen hat aber
dings können Fehlerauch „fossilieren".
Vorrang; Maßnahmen zur Steigerung der sprachlichen
2. Sprachstrukturen werden nur dann erworben, wenn
Komplexität sollten deshalb erst dann erfolgen, wenn
die erwerbsmäßigen Voraussetzungen dafür gegeben das fachliche Verständnis gesichert erscheint.
Teil A
Ein füh run g
d) und e) Sprachwissen und Weltwissen Dabei klärt die didaktische Seite des sprachsef1^ ^
Fachunterrichts folgende Fragen:
Reines Sprachwissen (wie zum Beispiel Aufbau von
Sprache, Funktionalität, Textsorten wissen, grammati - Welche fachlich zwingenden K om m unikation$5'tUa
sches Wissen ...) zu fördern, ist nicht originäre Aufgabe tionen treten im Lernprozess auf?
des Fachunterrichts. Fachlehrkräfte sind hierfür in der - M it welchen Verstehens- und m it welchen S P r a ^._
Regel nicht ausgebildet. Problemen ist zu rechnen? Inwiefern b ed in ge 1^1 h
stehens- und Sprachprobleme einander und srJ& C &
Kulturelles Wissen und Weltwissen (Redewendungen,
Folgen hat das?
Sprichwörter, Normen, Traditionen ...) unterliegen heute
- Welche Probleme haben sprachschwache L i ß f im
rasanter Veränderung. Die Schule hat nicht nur die A uf
gabe, Traditionslinien nachzuzeichnen, sondern auch, Fachunterricht? Und welche spezifischen s p ra c h '*"
diese an neue Kultur- und Lebensformen anzupassen. und/oder sprachlich bedingten fachlichen Profc?|em e
Das „andere" Weltwissen, das Lerner m it Migrations haben Lerner m it Zuwanderungsgeschichte?
hintergrund mitbringen, sollte deshalb als Ressource Die methodische Seite des sprachsensiblen Fach<-jr l t e r "
entdeckt und für den Unterricht genutzt werden. richts hingegen klärt folgende Fragen:
Viele dieser Sprachprobleme stellen eigentlich keine - M it welchen Methoden und M e th o d e n - W e r k Z ^ ^ 6"
spezifischen Probleme von Zweitsprachen lernern, son kann ich Lerner dabei unterstützen, fachlich L j° er
dern generelle Probleme beim Erlernen der Bildungs lässliche Kommunikationssituationen e r fo lg r e i^ ^
sprache dar. Insbesondere die Sprachprobleme mit der bewältigen?
Schriftlichkeit betreffen nicht nur Lerner mit Migrati
- Welche Methoden der Spracharbeit bieten sich ^ ' e rfÜ ^
onshintergrund, sondern sind auch bei muttersprachig
an? Welche Methoden fördern und üben d ie
deutschen Lernern stark verbreitet. Die in diesem Werk
munikation und welche unterstützen S p r e c h a n ^ SS? ’
enthaltenen Anregungen und Beispiele zur Sprachför Und, im Gegenzug: Welche Methoden v e rb ie te ^ '
derung gelten ausdrücklich für beide Lernergruppen.
weil sie den didaktischen Zielen e n tg e g e n w irk ^ *,1
Teil A
29
Einführung
- Welche methodische Unterstützung und sprachlichen Geht es um die Wirksamkeit der beiden Unterrichts
Hilfen benötigen sprachschwache Lerner und speziell konzepte, so bescheinigen diverse Studien dem sprach-
Lerner m it Zuwanderungsgeschichte? bezogenen Fachunterricht eine höhere W irksamkeit
gegenüberdem fachbezogenen Sprachunterricht:
Ohne sprachliche Hilfen können Lerner m it M igrati
onshintergrund und sprachschwache muttersprachig - „In didaktischer Hinsicht kann davon ausgegangen
deutsche Lerner den Fachunterricht in der Regel nicht werden, dass ein Sprachunterricht, der sich a uf das
bewältigen. Dies steckt den methodischen Aufgaben Lernen von , Sprache an sich' beschränkt, weniger
bereich der Spracharbeit im sprachsensiblen Fachun erfolgreich sein w ird als ein Unterricht, der an
terricht ab. spruchsvolle fachliche Anteile einbezieht und Sprach
erwerb an die Auseinandersetzung m it Fachinhalten
Sprachschwache Lerner sind darauf angewiesen, dass
koppelt." (Bund-Länder-Kommission, 2003, S. 47)
der Unterricht ihnen „sprachliche Leitern" zur Verfü
gung stellt, die ihnen helfen, die Hürden, die sich durch - „Eine didaktisch planvolle Verwendung von (Erst
die im Fachunterricht geforderten Kommunikationssi und Zweit-)Sprache zum Zwecke des Lernens curri-
tuationen auftun, erfolgreich zu bewältigen - und die cularer Inhalte, d.h. die bewusste Entwicklung von
die Lerner „wegstoßen" können, wenn sie oben ange Sprache als M edium zum Erwerb von Kenntnissen
kommen sind. Sprachliche Leitern sind unvermeidbare und Fähigkeiten, ist Erfolg versprechender als bloße
Zugeständnisse der Lehrkraft an die Fremd- oder Z w e i Sprachkurse. " (Reich, Roth et al., 2002, S. 24)
sprachigkeit als Quelle unterrichtlicher Sprachprobleme. - „ Der Zusammenhang von Sprachförderung und Fach
leistungen w ird in einigen Studien deutlich belegt.
Was sich dem Lerner als sprachliche Leiter zeigt, ist für
Dabei g ilt als stärkster Prädiktor für einen erfolgrei
den Lehrer eine Lehrtechnik. Hier bieten sich für die
chen Abschluss der Schullaufbahn der mehrjährige
Umsetzung sogenannte Methoden-Werkzeuge an (vgl.
fachbezogene Unterricht im Medium der Erstsprache.
S. 90 ff. und Teil C).
Von besonderer Bedeutung ist die Hinführung zur
Die M ethodik der Spracharbeit hat zum Ziel, diese Lei ko gn itiv anspruchsvollen Bildungssprache von
tern so schnell wie möglich überflüssig zu machen. Anfang an und durch die gesamte Schulzeit h in
durch. “ (Bund-Länder-Kommission 2003, S. 46)
Sprachbezogener Fachunterricht oder
Das vorliegende Handbuch befürwortet das Konzept
fachbezogener Sprachunterricht?
des sprachbezogenen Fachunterrichts und erweitert es
Sprachförderung als Aufgabe aller Fächer stellt die zum Konzept des sprachsensiblen Fachunterrichts. Dies
Grundfrage nach der Verbindung von sprachlichem und wird m it Forschungsergebnissen sowie m it der fa kti
fachlichem Lernen. In welchem Verhältnis stehen schen Situation begründet, dass es um die Belange des
sprachliches und fachliches Lernen zueinander und was fachlichen Lernens im Fachunterricht geht.
sagt die Lern- und Spracherwerbsforschung? Wird also
Damit sind etliche Fragen zu klären, die die Verbindung
Sprache effektiver erworben, wenn sie zu bestimmten
von sprachlichem und fachlichem Lernen betreffen:
inhaltlichen Zwecken und nicht nur als solche gelernt
wird? Anders formuliert: Fachbezogener Sprachunter - Wie kann der Fachunterricht durch eine bewusste
richt oder sprachbezogener Fach unterricht? Gestaltung des Bezugs von sprachlichem und fachli
chem Lernen verbessert werden?
Betrachtet man das grundsätzliche Verhältnis zwischen
sprachlichem und fachlichem Lernen, so gibt es zwei - Lassen sich bessere Lernergebnisse erzielen, wenn
- vom Ansatz her sehr unterschiedliche - Positionen: die Herkunftssprache als Medium des Fachunterrichts
eingesetzt wird?
- Sprachbezogener Fachunterricht. Um den Zugang zu
fachlichen Lernzielen nicht durch (vermeidbare) - Kann der Unterricht der Zweitsprache Deutsch ver
sprachliche Schwierigkeiten zu verstellen, wird Spra bessert werden, wenn er in stärkerem Maße fachliche
che als Medium bewusst in das fachliche Lernen inte Ziele m it einbezieht?
griert. Dies erfolgt passend und sprachsensibel. Der - Kann der sprachsensible Fachunterricht ganz oder
Fachunterricht wird dabei als sprachbezogener Fach teilweise durch einen Sprachunterricht (DaZ-Unter-
unterricht (language related content learning) auf richt) ersetzt werden?
gefasst. Der Unterricht muss dann von der Fachlehr
Die letzte Frage muss m it einem klaren Nein beant
kraft erteilt werden.
w ortet werden. Denn Sprachunterricht und sprachsen
- Fachbezogener Sprachunterricht: Beim Konzept des sibier Fachunterricht verfolgen jeweils unterschiedliche
„content based language learning" werden die fach Ziele: Im Unterricht der Zweitsprache Deutsch geht es
lichen Ziele gewissermaßen fü r die Ziele des Sprach nicht ausschließlich um fachliche Kommunikation, son
unterrichts instrumentalisiert. Der Unterricht wird als dern um Alltagskom m unikation, Landeskunde, die
fachbezogener Sprachunterricht aufgefasst. Der sprachliche Bewältigung von Lebenssituationen, Sprach
Unterricht wird dann von der SprachIehrkraft erteilt. wissen und den Aufbau einer Sprachbewusstheit.
30 Teil A
Einführung
Warum dann überhaupt zweitsprachiger Fachunter zugleich ihre sprachlichen Leistungen sowie die Unter
richt? Ist Lehren und Lernen im Fach nicht schon in der richtswirklichkeit in Deutsch und Englisch untersucht.
Muttersprache schwer genug? In der Zweitsprache wird
Die DESI-Studie verglich systematisch die Kompetenzen
das Ganze dann doch nur noch schwerer, noch anstren
und Leistungszuwächse in drei Lernergruppen:
gender, noch mühsamer, noch zeitintensiver, noch auf
- Jugendliche m it der Muttersprache Deutsch;
wändiger ...
- Jugendliche m it nicht-deutscher Erstsprache]
Zweitsprachiger Unterricht - hier im Sinne des bilin
- mehrsprachig aufgewachsene Jugendliche.
gualen Unterrichts - schafft Probleme, die w ir ohne
ihn nicht hätten. Und dennoch müssen w ir zweitspra Erwartungsgemäß wiesen Jugendliche m it nicht-deut
chig unterrichten, wenn man Fachunterricht nicht aus scher Erstsprache im Fach Deutsch einen Leistungsrück
schließlich in der Herkunftssprache erteilen will - was stand gegenüber Jugendlichen auf, in deren Elternhaus
allein schon im Hinblick auf die geforderte „berufliche deutsch gesprochen wurde. Die Gruppe der mehrspra
Anschlussfähigkeit" des Fachunterrichts weder sinnvoll chig aufgewachsenen Jugendlichen - in deren Eltern
noch aufgrund der Vielzahl der Herkunftssprachen über haus also Deutsch zusammen mit einer anderen Sprache
haupt möglich wäre. gebraucht wurde - lag dagegen w eit weniger zurück.
Dem zweitsprachigen Fachunterricht wird zudem ein Unter Berücksichtigung der sonstigen Lernvorausset-
M ehrw ert zugesprochen: zungen der Lerner (Bildungsgang, sozioökonomischer
Hintergrund, kognitive Grundfähigkeit und Geschlecht),
- Funktionale Fremdsprachigkeit: Die Zw eit- bzw.
konnte fü r das Rechtschreiben nicht mehr von einem
Fremdsprache wird nicht um ihrer selbst willen
Leistungsrückstand der Jugendlichen m it nicht-deut
gelernt, sondern hat eine Funktion.
scher Erstsprache gesprochen werden. Die mehrsprachig
- Kognitive Fremdsprachigkeit: Die Verbindung von aufgewachsenen Lerner waren sogar fü r orthographi
kognitiven und sprachlichen Tätigkeiten fördert die sche Phänomene besonders sensibilisiert. Dramatisch
schulbezogenen kognitiven Sprachkenntnisse. war der Kompetenzrückstand hingegen beim W ort
- Mitteilungsbezogene, echte Kom m unikation: Der schatz (vgl. Klieme 2006, S. 4).
Fachunterricht schafft authentische Kommunikations
„(...) Der Kompetenzzuwachs innerhalb der neunten
situationen in der Zweit- bzw. Fremdsprache.
Jahrgangsstufe ist jedoch für die drei Sprachgruppen
- Handlungsbegleitendes Sprechen: Die Sachverhalte gleich hoch. Sprachbiografisch bedingte Unterschiede
können handlungsorientiert und in verschiedenen verstärken sich also erfreulicher Weise im Verlauf des
Darstellungsformen behandelt werden; zudem wer Schuljahres nicht. " (Klieme etal., 2006, S. 23).
den die Lerner angeregt, Handlungen situativ zu ver
Zugleich kam die DESI-Studie zu interessanten Erkennt
balisieren.
nissen in Bezug auf die - ursprünglich von der For
- Vergrößertes Sprachbad: Dabei kann eine kritische
schung uneinheitlich beantwortete - Frage, ob sich
Menge an Sprach kontakten überschritten werden
bilingualer Unterricht positiv auf die Zweitsprachen-
(Schwellenhypothese; vgl. S. 65).
kompetenz und die Schulleistungen auswirkt. Hier
Alle Untersuchungen zeigen, dass Fortschritte im konnte die Studie - bezogen auf die Englischleistun
Bereich des kognitiven Gedächtnisses (CALP-Bereich) gen - in einer länderübergreifenden repräsentativen
nur über einen anspruchsvollen, dem Lern- und Sprach- Stichprobe bei bilingualen Klassen in allen Bereichen
stand der Lerner angepassten Unterricht erreicht wer einen deutlichen Kompetenzvorsprung vor vergleich
den können. Das setzt voraus, dass diesem Unterricht baren Klassen ohne bilingualen Unterricht nachweisen.
Inhalte zugrunde liegen, die auf der Basis guter All- Die DESI-Studie hat somit das Erfolgsmodell des bilin
tagssprachfähigkeiten (BICS-Fähigkeiten) vermittelbar gualen Sachfachunterrichts bestätigt.
sind, vgl. S. 59 ff. und 63 f.
Auch wenn sich die Ergebnisse der Studie sicher nicht
Die Korrelation zwischen gemessenen Schriftsprachfer ohne Weiteres auf das Erlernen der deutschen Sprache
tigkeiten und nonverbalen Intelligenztests belegt, dass übertragen lassen, so legen sie doch zumindest eine
der Fachunterricht gerade zum Spracherwerb fü r Bil besondere W irkung des Sachfachunterrichts in deut
dungszwecke unverzichtbar ist, wenn dieser in Form scher Sprache auf das Erlernen der Zweitsprache
eines Fachunterrichts erteilt wird, der sprachsensibel Deutsch nahe (vgl. dazu auch S. 63, 65 f.).
m it dem Zusammenspiel von sprachlichem und fach
In jedem Fall aber schärft die Konfrontation m it den
lichem Lernen umgeht. Problemen der Sprache im Fachunterricht den Blick der
Dies belegt auch die sogenannte D£5/-Studie (Deutsch- Fachlehrkraft für die Bedeutung der sprachlichen Belan
Englisch-Schülerleistungen-International). Sie hat etwa ge „ihres" Fachs. Sie wird dann schnell die Erfahrung
11.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Jahr machen, dass Lerner, die eine Sprachförderung benöti
gangsstufe aller Schularten zu Beginn und am Ende des gen, auf Hilfen zu Sprache im Fachunterricht wie ein
Schuljahres 2003/04 befragt und getestet und dabei besonders sensibles Lackmuspapier reagieren.
Teil A 31
Einführung
Sprachvereinfachung -
eine methodische Lösung?
Ein o ft empfohlenes und praktiziertes methodisches
Element der Spracharbeit ist, Sprache fü r sprachschwa
che Lerner und speziell fü r Lerner m it Migrationshin
tergrund zu vereinfachen.
Kompetenzvorsprung
bei Klassen mit bilingualem Unterricht
2 7 2 0 -n
Klassen m it bilingualem Unterricht Vergleichsgruppe
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c:
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§ 560- T T
& &
&
&
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M ittle re Englisch-Kompetenzen zum Ende des neunten Schuljahres in Klassen m it bilingualem U n te rricht und in einer h in
sichtlich Deutsch (Gesamtleistung, Bildungsgang , sozioökonomischem Status, kog nitiven G rundfertigkeiten , Erstsprache
u nd Geschlecht) parallelen Vergleichsgruppe; aus: N o ld et al., 2008, S. 455
Teil A
32
Einführung
- gibt beim Lesen von Texten Hilfen und übt das Lese Die unterschiedlichen Darstellungsformen erschließen
verstehen. sich jedem Lerner auf individuell unterschiedliche Weise.
Jede Darstellungsform hat dabei zugleich ihre fachlich
Das Ausrichten auf den Sprachstand der jeweiligen Ler
begründeten spezifischen Vorzüge und Nachteile.
nergruppe ist insofern von Bedeutung, als Lerner, die
ein Übermaß an vereinfachter Sprache hören oder lesen, Darstellungsformen sind Mittel und Zweck zur Ver
nachweislich in ihrem eigenem Sprachvermögen nur balisierungfachlicher Sachverhalte. Die hierdurch her
mäßig gefördert werden. Zudem hat die Sprachverein beigeführte Kommunikation leistet einen ausgespro
fachung in der Regel eine Verlängerung der Rede oder chen hohen Beitrag zur Sprachförderung. Es ist deshalb
des Textes zur Folge, da der Lerner ihm unbekannte didaktisch klugr sogar zwingend, die nachfolgend skiz
oder nicht geläufige Begriffe m it anderen W orten zierte Methode „Wechsel der Darstellungsform" in
das Zentrum der Didaktik des sprachsensiblen Fach
umschreibt. Sprachvereinfachung neigt deshalb zur Aus
unterrichts zu stellen.
schweifung und zur sprachlichen Unschärfe, weshalb
sie - isoliert eingesetzt - dem Anliegen der Entwicklung Dadurch, dass Lerner einzelne Darstellungsformen in
einer Fachsprache m it all ihren Besonderheiten sogar eine andere übersetzen, eröffnen sich zusätzliche und
entgegenwirken kann. didaktisch fruchtbare Chancen. Denn was ein Lerner in
Teil A 33
Einführung
der einen Darstellungsform nicht versteht, erschließt Die unterschiedlichen Darstellungsformen gehören
sich ihm vielleicht in einer anderen Darstellungsform zum Begriffs- und Methodenrepertoire des jeweiligen
besser (oder überhaupt erst). Fachs; sie sind somit - wie die fachlichen Inhalte
Somit arbeiten die Darstellungsformen einander wech selbst - Gegenstand des Fachlernens. Lehrkräfte und
selseitig zu; häufig erweist sich sogar deren Wechsel Lerner müssen deshalb zwischen den verschiedenen
als didaktischer Schlüssel zum fachlichen Verstehen. Darstellungsformen wechseln und sie auch wechsel
Zudem bietet jeder Wechsel einen Anlass zur fachlichen seitig ineinander überführen können.
Kommunikation, denn immer dann, wenn eine Dar Zugleich ist diese Methode von derart fundamentaler
stellungsform in eine andere überführt wird, eröffnen Bedeutung für die fachsprachliche Kommunikation, dass
sich Gelegenheiten zum Sprechen, Schreiben und Lesen. ihr der Rang eines übergeordneten Prinzips zukommt
Übersicht 1:
•- 7--
Wechsel der Darstellungsf:orm in verschiedenen
' -- ---r ----- : ~ ~ V —- - Ste
Dar- Biologie Erdkunde Bildende Kunst
stellungs
ebene Kinematik Wachstum Corioliskraft Bildraum
>Josef Leisen/Varus
34
Teil A
E inführung
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(vgl. S. 43). Denn das Prinzip des Wechsels zwischen liche Ziel des Fachunterrichts umzusetzen und Lerner
verschiedenen Darstellungsformen m it jeweils eigener zum Wechsel der Darstellungsformen befähigen.
Funktion und Symbolsprache g ilt nicht nur fü r die
Die schematische Darstellung in Übersicht 2 (s.o.) und
Naturwissenschaften und die M athem atik; vielmehr
lässt es sich ohne viel Aufwand auch auf viele andere, die systematische Zusammenstellung in Übersicht 3
wenn nicht alle Sachfächer übertragen (s. Abb. links). (siehe S. 36) zeigen, dass die verschiedenen Darstel
lungsformen auf unterschiedlichen Darstellungsebenen
Darüber hinaus stellt der Wechsel der Darstellungs
liegen, die sich wiederum in Bezug auf das damit ver
ebenen - von der gegenständlichen Anschauung über
bundene Abstraktionsniveau unterscheiden:
verbalsprachliche Texte bis hin zur formalen Symbol
sprache der Sachfächer - die entscheidende Brücke zwi - Die gegenständliche Darstellung ist konkret und
schen alltagsweltlichem und sachfachlich-wissenschaft- „h a n d g re iflich ". Gegenstände, Experimente und
lichem Weltverstehen dar. Der Wechsel der Darstel Handlungen sind häufig genutzte Formen der Dar
lungsebenen ist dam it die Voraussetzung fü r die stellung im experimentellen Unterricht. Dadurch wird
Integration fachlichen Wissens in die alltagssprachliche Sprache im wahrsten Sinne des Wortes „anschaulich",
Weitsicht und die Teilhabe an alltagsweltlichen Diskur was fremdsprachigen Lernern das Verstehen erleich
sen auf der Grundlage des Fachwissens. Lehrkräfte soll tert und o ft erst ermöglicht. Die gegenständliche Dar
ten somit dazu beitragen, dieses unverzichtbare fach stellung nutzt die nonverbale Sprache. Sie ist für viele
Teil A
35
Einführung
frem dsprachige Lerner ein ausgezeichnetes Aus nur der geschriebene Text, sondern auch das gespro
drucks- und Darstellungsmittel und erleichtert das chene W ort gehört auf diese Ebene.
Verstehen. Im Bereich der sprachlichen Darstellung können Sach
- Die bildliche Darstellung stellt meist Prozesse dar; verhalte in der Alltagssprache oder in der Fachsprache
sie bedient sich der Bildsprache, einer spezifischen fo rm u lie rt sein. Darüber hinaus bietet sich unter
Ausprägung der nonverbalen Sprache. Die Darstel didaktischen und methodischen Gesichtspunkten die
lung oder Symbolisierung erfolgt in Fotos, Bildern, Unterrichtssprache als methodische Zwischensprache
Filmleisten, Zeichnungen und Piktogrammen. an. Dabei bestimmt die A rt der jeweils verwendeten
- Im Bereich der sprachlichen Darstellung sind Texte Verbalsprache (Fach-, Unterrichts- oder Alltagsspra
eine bevorzugte Darstellungsform. Aber auch sprach che) das Sprachniveau.
lich und grafisch orientierte Darstellungen wie M ind- - Die symbolische Darstellung nutzt Formen (Symbo-
Maps und Gliederungen gehören dieser Ebene an, lisierungsformen) wie beispielsweise Strukturdiagram
wenn sie viele sprachliche Anteile enthalten. Nicht me, Flussdiagramme, Grafen, Tabellen usw. Der Um-
i i 0)
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36 Teil A
Einführung
gang m it der Symbolsprache verlangt vom Lerner ein Der Wechsel der Darstellungsform fördert die
höheres Abstraktionsvermögen. Dementsprechend Sprachkompetenz, denn häufig ist der Wechsel der
bedarf der Lerner zur sinnvollen Nutzung dieser Dar Darstellungsform auch verbunden mit einem Wechsel
stellungsformen bereits einer beachtlichen M eth o der Sprachebene. Wenn z.B. gesetzesmäßige Zusam
denkompetenz. Bei fremdsprachigen Lernern erweist menhänge im Rahmen einer Versuchsbeschreibung
sich die symbolische Darstellung bei entsprechender in Textform vorliegen, so können diese in die mathe
Übung als hilfreiche Methode, Sprachprobleme auf matische Sprache (Formelzusammenhänge) übersetzt
zufangen, zu entschärfen oder zu umgehen. werden. Ein Sachverhalt, der im Unterrichtsgespräch
in der Unterrichtssprache erarbeitet und „ausgehan
- Die abstrakteste Symbolisierung eines Sachverhaltes
delt" wurde, kann unter Zuhilfenahme von Fach
findet in der sogenannten mathematischen Darstel
wortlisten in eine druckreife fachsprachliche Fassung
lung durch Formeln statt. Für viele Lerner stellt diese
überführt werden.
mathematische Sprache eine besondere Hürde dar.
Andererseits ist sie für manche Lerner ein ausgezeich Der Wechsel der Darstellungsform fördert und sti
netes Ausdrucks- und Darstellungsmittel; auch sie muliert die kognitive Tätigkeit in besonderem Maße,
muss aber verbalisiert werden. da sie beim Lerner Assoziationen, also Bilder und Vor
stellungen hervorrufen.
Beispiele für den Wechsel von Darstellungsformen:
Der Wechsel der Darstellungsform ermöglicht, einen
- Man blendet zu einem aufgebauten Experiment eine
Sachverhalt verschiedenartig darzustellen; dies birgt
Schaltskizze/eine Versuchszeichnung auf Folie ein.
ein großes didaktisches Potenzial und eröffnet viele
- Vorgänge und deren Bedingungen werden in Struk unterrichtliche Anwendungen.
turdiagrammen und Tabellen übersichtlich dargestellt.
Ein erläuternder Text und Lehrerkommentare eröffnen
weitere Zugänge zu den Sachverhalten.
- Experimentelle Daten werden in einer Tabelle erfasst, Es ist sinnvoll, verschiedene Darstellungsformen !
als Graf dargestellt und anschließend in einer mathe | im Fachunterricht einzusetzen und dabei von einer:
matischen Formel als Gesetz formuliert. Das Gesetz Darstellurigsförm in eine andere zu wechseln. Dies
selbst wird wiederum sprachlich als Text verfasst. lässt sich wie folgt begründen:
- Die zeitlichen Stationen in einem Versuchsablauf oder 1 . fachlich: Es handelt sich Um eine den Sachver- ,
bei technischen Vorgängen werden verständlich und halten angemessene Darstellung.
einprägsam in einer Filmleiste dargestellt. Zum ande
2. didaktisch: Bn Sachverhalt wird leichter und bes- ;
ren können sie Arbeitsgrundlage für eine Versuchs
ser verständen, wenn er über .verschiedene For- ;
beschreibung in sprachlicher Form sein.
-• men der Darstellung angegangen wird.
- Eine Versuchsanleitung in sprachlicher Darstellung
3. methodisch: Ein Wechsel der Darstellungsformen
wird meist durch eine bildliche Darstellung ergänzt;
ist motivierender.
eine Versuchsdurchführung würde dann die sprach
liche Darstellung in eine Handlung „übersetzen". 4. lernpsychologisch: Es werden mehrere Wahr-
nehmungskanäle benutzt und die verschiedenen i
Diese Liste lässt sich unschwer erweitern. Es ist somit
Darstellungsformen sprechen unterschiedliche J
sinnvoll, den Wechsel der Darstellungsform in das
Lernertypen an,
Zentrum des Fachunterrichts zu stellen. Denn:
: 5. pädagogisch; Die Nutzung unterschiedlicher Dar
- Der Wechsel der Darstellungsform dient der Vertie
stellungsformen erlaubt eine ebenso angemes
fung und Übung. Wenn z.B. ein Experiment als Bild
sene wie leistbäre Binnendifferenzierung und-lässt
folge in Form einer Filmleiste vorliegt, so ist es im
die arbeitsteilige Bearbeitung in Gruppen zu.
Rahmen einer Hausaufgabe eine sinnvolle Übung
und Vertiefung, zu dieser Bildfolge einen Text zu for
mulieren und als kleines Referat vorzubereiten. Nachfolgend soll gezeigt werden, wie variantenreich
- Der Wechsel der Darstellungsform ist ein Beitrag Lernszenarien durch den Wechsel der Darstellungsform
zum Methodenlernen. Ein bekannter Sachverhalt, der gebaut werden können:
z.B. als Text vorliegt, kann in eine M ind-M ap „über
setzt" werden, die wiederum als „Spickzettel" für Beispiel 1:
ein Referat dient. So vergrößert sich allmählich das Darstellungsformen
eigene Methodenrepertoire. (am Beispiel des Unterrichtsthemas „Bewegung")
- Der Wechsel der Darstellungsform fördert die Fach Zielsetzung: Die Lerner lernen verschiedene Beschrei
kompetenz. Ein bekannter Sachverhalt, der z.B. als bungsformen kinematischer Bewegungen und deren
Text vorliegt, kann in eine Tabelle „übersetzt" wer Vor- und Nachteile am Beispiel einer Autofahrt kennen,
den. Dabei werden Begriffe und Sachverhalte in neue indem sie die Darstellungsformen beschreiben, verbali
fachliche Zusammenhänge gebracht. sieren und wechselseitig einander übersetzen.
Teil A 37
Einführung
Darstellungsformen
am Beispiel des Unterrichtsthemas „Bewegung"
B e sc h le u n ig u n g
Bericht
Pünktlich um
10 Uhr startet
die Fahrt am
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deutschen Eck.
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Nach 10 M inu
<u ten Fahrzeit...
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W)
) Josef Leisen
- reale Autofahrt (z.B. von Koblenz zur Loreley) - schriftlicher und mündlicher Fahrtbericht;
- Hörtext;
b) Darstellungsformen auf der bildlichen Ebene:
- verkehrstechnischer Fachtext;
- videografierte Autofahrt, Diashow von
- zeitgenössische oder historische
Momentaufnahmen;
Reisebeschreibung;
- Fahrtroute in der Panoramakarte m it
- literarische Reisebeschreibung.
eingeblendeten Tachoabbildungen;
- Fahrtroute in einer Straßenkarte m it d) Darstellungsformen auf der symbolischen Ebene:
eingeblendeten Tachoabbildungen; - Bahnkurve im Koordinatensystem m it
- virtuelle computeranimierte Reise Weg- und Geschwindigkeitsvektoren;
m it Fahrtdaten. - reale Tachoscheibe eines LKW (Fahrtenschreiber);
38 Teil A
Einführung
Beispiel 2: Beispiel 3:
Darstellungsebenen Wechsel der Darstellungsformen
(am Unterrichtsthema „Elektrischer Stromkreis") (am Unterrichtsthema „A uftrieb in Wasser")
- Auf der gegenständlichen Ebene wird ein Experiment Der „A u ftrie b " ist ein vielseitiges Thema im Physikun
zum geschlossenen elektrischen Stromkreis durchge terricht der Klassenstufe 9: reich an Experimenten, in
führt. der Alltagsphysik verankert, historisch spannend, m it
- Der experimentelle Aufbau wird b ild lich in einer vielen Anwendungs- und Technikbezügen. Zugleich
bietet das Thema herausfordernde Denkprobleme und
Schaltskizze dargestellt.
39
Teil A
E inführung
Die Reihenfolge der Bearbeitung verschiedener Dar Es geht somit nicht darum, ob Lerner im Unterricht
stellungsformen legt unterschiedlich anspruchsvolle überhaupt Kompetenzen erwerben, sondern eher
Wege fest. Der Wechsel der Darstellungsform muss darum, welche und wie. Damit stellt sich zugleich die
einen didaktischen Mehrwert haben, das Verstehen Frage, wie die Kompetenzentwicklung systematisch und
und die Sprache fördern und zur didaktisch sinnvollen nachhaltig gefördert werden kann.
Beschäftigung mit dem Sachverhalt herausfordern. Es ist Aufgabe des kompetenzorientierten Unterrichts,
Aus der Erfahrung heraus bieten sich bestimmte Dar diese Fragen zu beantworten und entsprechende Lern
stellungsformen als M ittle r besonders an: szenarien zu entwickeln. Damit aber drängen sich einer
- Die Filmleiste ist ein idealer M ittle r zwischen der Lehrkraft sofort folgende Fragen auf:
gegenständlichen (z.B. Experiment) und der sprach - Kompetenzorientierung - was ist das überhaupt?
lichen Darstellung (z.B. Versuchsbeschreibung);
- Wie sieht kompetenzorientierter Unterricht aus?
- Zeichnungen und Skizzen sind ebenfalls Brückenglie
- Haben w ir das nicht schon immer gemacht?
der zwischen der gegenständlichen und der sprach
lichen Darstellung. Umgekehrt wirken sie unterstüt - Was ist eigentlich so neu daran?
zend beim Wechsel der sprachlichen Darstellung (z.B. - Werden dann nur noch Kompetenzen unterrichtet?
Versuchsanleitung) in die gegenständliche Darstellung - Wo bleiben denn da die Inhalte?
(z.B. Versuchsdurchführung);
- Kann man denn Kompetenzen überhaupt isoliert
- M ind-M aps leisten auf verschiedenen Ebenen gute unterrichten?
Dienste. Werden sie durch die Lehrkraft vorgegeben,
helfen sie beispielsweise bei der Versprachlichung Da die Beantw ortung dieser Fragen im Sinne des
abstrakter Zusammenhänge. Sie können aber auch sprachsensiblen Fachunterrichts didaktisches Vorwissen
zu Zwecken der synoptischen Darstellung eines kom in den Themenfeldern Kompetenzerwerb und Kompe
plexen Zusammenhangs genutzt werden. tenzorientierung sowie ein zeitgemäßes M odell des
Lehr-Lern-Prozesses voraussetzt, werden diese Fragen
Die Lehrkraft kann den Unterrichtserfolg zusätzlich för erst in Teil B eingehend beantwortet (vgl. S. 72 ff.).
dern, wenn sie beim Wechsel der Darstellungsform Nachfolgend jedoch einige allgemeinere, allerdings
sprachliche Hilfen gibt, die sich am individuellen Leis wichtige Aussagen vorab:
tungsvermögen der Lerner und am didaktischen Poten
1. Kompetenzorientiertes Unterrichten im sprachsensi
zial des Gegenstandes orientieren (Binnendifferenzie
blen Fachunterricht
rung, vgl. z.B. S. 8 und 208 ff.). Denn beim Wechsel
der Darstellungsform drängen sich Verbalisierungen ge - wird vom Lernprozess ausgehend geplant;
radezu auf. Dies belegen auch die konkreten Beispiele - stellt die Inhalte in einen (Gesamt-)Kontext, der
zu den sprachlichen Standardsituationen (vgl. Teil C), fachlich und sprachlich ausgerichtet ist;
bei denen verschiedene Darstellungsformen und ver - entwickelt Kompetenzen im handelnden Umgang
schiedene Methoden-Werkzeuge zum Einsatz kommen. mit Inhalten;
- stellt die fachliche und sprachliche Bewältigung
authentischer Anforderungssituationen in den M it
telpunkt;
40 Teil A
Einführung
3. Im sprachsensiblen Fachunterricht wird die Aufga Das Scaffolding ist ein zentrales Element im sprachsen
benkultur entscheidend durch zwei unterstützende siblen Fachunterricht; denn dessen Kernanliegen ist es
Systeme geprägt: ja gerade, in die spezifische Bildungssprache des Faches
m it all ihren Merkmalen einzuführen. Die spezifische
- didaktisch-methodische Maßnahmen - auf sprach
Beschaffenheit dieser fachlichen Bildungssprache und
schwache Lerner ausgerichtet - zur Kompetenz
ihrer Nähe zur Schriftlichkeit bereiten den Lernern im
entwicklung im weiteren Sinne sowie
Fachunterricht sowohl bei der Verwendung neuer Fach
- konkrete Maßnahmen - auf sprachschwache Ler
begriffe als auch infolge ihrer spezifischer Sprachstruk
ner ausgerichtet - zur Sprachförderung im engeren
turen besondere Probleme (vgl. S. 46 f., 49 ff.).
Sinne.
Beim Scaffolding werden die neuen Begriffe und
Scaffolding und Cognitive Apprenticeship Sprachstrukturen nicht isoliert gelernt, sondern sind
Scaffolding und Cognitive Apprenticeship sind zwei immer m it einem sinnstiftenden fachlichen Kontext ver
Ansätze, die im sprachsensiblen Fachunterricht als bunden. Dem Ansatz des Scaffolding liegt die Idee
Unterstützungssysteme sehr lernwirksam eingesetzt zugrunde, dass die Lerner anfangs ihre aktuellen
werden können. Sprachressourcen benutzen und sich in späteren Phasen
auf neue sprachliche M ittel konzentrieren. Die Lehrkraft
Beispiel begleitet sie auf diesem Weg, indem sie sprachliche
Gerüste aufbaut und diese, wenn sie nicht mehr
Der Lehrer führt folgendes Experiment vor: A u f
gebraucht werden, wieder abbaut.
dem Tisch stehen drei nummerierte Bechergläser
m it Wasser, in denen Salz m it unterschiedlicher Ein anderer Ansatz ist der Cognitive-Apprenticeship-
Konzentration gelöst ist. Dementsprechend sind Ansatz von Collins (1989, 1991), der in Deutschland
die Salzwasserlösungen unterschiedlich trüb. Der z.B. in der beruflichen Bildung rezipiert wurde. Der
Lehrer legt ein Hühnerei nacheinander in die didaktische Prozess ist danach in sechs Schritte unter
Becher. Je nach Konzentration sinkt das Ei a uf den gliedert (vgl. Roth 2007, S. 24):
Boden des Glases, schwebt im Wasser oder 1. Darstellung eines (handwerklichen) Produkts m it
schwimmt an der Oberfläche. anschließender Aufgabenstellung oder Präsentation
Lehrer: Jetzt bin ich auf eure Ideen gespannt. eines „Leittextes11 ( „ m odeling");
Ignacio: In 1 geht unter, in 2 oben, in 3 in drin. 2. Anleitung und Betreuung in der Ausführung der Auf
Lehrer: Ja, so kann man das sagen. In 1 geht das gabe ( „ coaching");
Ei unter, in 2 schwimmt es oben und in 3 3. Unterstützung der Lerner durch die Lehrkraft (den
bleibt es in der M itte. Sprich noch einmal Experten) in einzelnen Schritten („scaffolding") und
und benutze die neuen Fachwörter: sin sein - dem jeweiligen Lernstand angepasster - Rück
ken, schwimmen, schweben. zug aus dem Prozess {„fa d in g u)\ die Unterstützung
Ignacio: In 7 singt, in zw ei schwimmt, in 3 verläuft über Situierung und Kontextualisierung des
schwebbt. zu Lernenden;
Teil A 41
Einführung
4. Ausübung der gelernten Fähigkeiten und Fertigkeiten Darstellungsformen betont und Methoden-Werkzeuge
in variierten Situationen und unter veränderten einsetzt.
Bedingungen ( „ articulation");
Der sprachsensible Fachunterricht basiert auf einer Rei
5. Vergleich und Überprüfung von Lösungen, Produk
he von Prinzipien, die aus Überlegungen zur Fach- und
ten und Ergebnissen der Lerner untereinander und
Sprachdidaktik resultieren. Diese lassen sich wie im
durch Rückmeldung durch Experten oder Medien,
nebenstehenden Kasten dargestellt für die Unterrichts
z.B. per Video („reflection'')\
praxis formulieren:
6. selbstständige Übertragung des Gelernten in neuen
Situationen und Kontexten. Das Gelernte ist so weit Ebenfalls im Unterricht bewährt haben sich die unten
abstrahiert, dass es transferiert und ohne Unterstüt abgedruckten zehn Anregungen zur Gestaltung eines
zung durch einen Experten verwendet werden kann; sprachsensiblen Unterrichts. Diese sind zugleich lern-
der Lerner ist selbst zum Experten geworden psychologisch abgesichert und stellen eine gute Orien
(„ exploration“ ). tierung für die professionelle Handhabung der Sprach
förderung von sprachschwachen Lernern dar.
Scaffolding ist ein Element des Cognitive-Apprentice-
ship-Ansatzes, der längere Lernprozesse strukturiert. Er
Hinweise zur Erstellung von Lernmaterial
korrespondiert aufs Engste m it dem kompetenzorien
im sprachsensiblen Fachunterricht
tierten Lehr-Lern-Modell, vgl. dazu Teil B, 5. 72 ff.
Soll die Sprachförderung gelingen, ist eine professionelle
Prinzipien und Anregungen zur Gestaltung Umsetzung seitens der Lehrkraft erforderlich. Die
eines sprachsensiblen Fachunterrichts Umsetzung erfolgt insbesondere durch die Erstellung
von Materialien, Aufgabenstellungen und Arbeitsun
Der sprachsensible Fachunterricht arbeitet m it der Spra
terlagen. Diese sind professionell aufbereitet, wenn sie
che, die da ist - und sei sie noch so defizitär. Er tu t was
auf die Belange sprachschwacher Lerner ausgerichtet
er kann, vollbringt aber keine Wunder; denn Sprachar
sind und diese dabei unterstützen, die jeweils diagnos
beit im Unterricht ist eine mühsame tägliche Dauer
tizierten sprachlichen Probleme im fachlichen Zusam
aufgabe, die nur langsam Früchte trägt.
menhang angemessen und binnendifferenziert zu besei
Der sprachsensible Fachunterricht geht sensibel mit den tigen. Dabei geht es nicht nur um inhaltliche, sondern
sogenannten „sprachlichen Standardsituationen" im auch um optische Kriterien. Denn insbesondere sprach
Fachunterricht um (Details siehe Teil B, S. 106 ff.). Er lichen Lernern hilft eine klare optische Aufbereitung,
unterstützt gleichermaßen das Sprachlernen und das sich in Texten und Aufgabenstellungen zu orientieren.
Fachlernen, indem er beispielsweise den Wechsel der Detaillierte Anregungen hierzu finden sich auf S. 44.
Einführung
Prinzipien
des sprachsensiblen Fachunterrichts
Teil A 43
Einführung
H in w e is e z u r E r s te llu n g v o n L e r n m a te r ia l
im s p r a c h s e n s ib le n F a c h u n te r r ic h t
44 Teil A
G r u n d l a g e n w ig s e n s
der Sprachförderung im
sprachsensiblen Fachunterricht
Grundlagenwissen
Die in Fachtexten vorkommenden Sprachen sind durch Demgegenüber ist es kaum möglich und .sinnvoll, die
folgende Merkmale gekennzeichnet: im U nterricht verwendete Sprache auch in einem
Lehrbuch zu dokumentieren, denn was im Lehrbuch
Alltagssprache
auf zwei Seiten erscheint, verteilt sich im Unterrichts
Einführende Texte in Lehrbüchern beschreiben o ft A ll geschehen o ft auf mehrere Stunden. Die Unterrichts
tagserfahrungen und führen auf fachliche Fragestel sprache ist also an die jeweilige Unterrichtssituation
lungen hin. Deshalb sind diese Texte zumeist auch in gekoppelt und versucht, den Lehr-Lern-Prozess zum
der Alltagssprache abgefasst. Ausdruck zu bringen.
46
Teil B
Grundlagenwissen
Alltagssprache Nichtschwimmer kannst du mit einer^ hole die Messungen. Die Form des Körpers
Hand halten, wenn er sich dabei flach im Was-' beeinflusst das Ergebnis nicht
ser ausstreckt Außerhalb des Wassers wird diry
nicht gelingen. ■ V4 Zwei Körper gleicher Masse, aber aus
unterschiedlichem Stoff, sind an einer Balken
■ V1 In einer mit Wasser gefüllten Flasche soll waage nicht mehr im Gleichgewicht, wenn
ein teilweise mit Luft gefülltes Fläschchen, mit man sie in Wasser eintaucht (->B3). : - Ä
offenem Ende nach unten, gerade eben
schwimmen (-*B1). Die Flasche wird mit einem
Gummistopfen verschlossen. Durch Drücken
des Stopfens kann das Fläschchen zum Sinken,
Unterrichtssprache Schweben oder Steigen gebracht werden.
Symbol
Die Auftriebskraft Taucht ein Körper in eirj • Durch den Schweredruck erfährt jeder
sprache Flüssigkeit ein, so wird seine Gewichtskrafl eingetauchte Körper eine nach oben wirkende
scheinbar kleiner Diese Erscheinung nennb Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
man Auftrieb. Ursache ist der Schweredruck:"' Gewichtskraft
Zum Verständnis betrachten wir einen Quader,
Fach
der teilweise in eine Flüssigkeit eingetaucht sprache
ist 0*B5). Der Schweredruck ruft an der Upt£r-
seite des Quaders eine Kraft F = p- A hervor.
SSlSi
10 cm 3
/UrftHebskräff!J' A ü f t r i e i w k i ^ ^
BrnSwassedS»
0,1 N 0,07 N
Diese Kraft ist nach oben, gegen diey&ewichts-
20 cm 3 0,2 N 0,14 N
kraft, gerichtet Sie heißt Auftriebskraft FA.
Der Kraftmesser zeigt eine um denlBetrag der 30 cm 3 0,3 N 0,21 N
Auftriebskraft verringerte Gewichtskraft an. 40 cm 3 0,4 N 0,28 N
Die vom Schweredruck auf die Seitenflächen 50 cm 3 0,5 N 0,35 N
des Quaders ausgeübten Kräfte hebeK^ich
60 cm 3 0,6 N 0,42 N
paarweise auf und beeinflussen deshalbsjie
Kraftanzeige nicht je tiefer der Quader ein* B 6 Z um E n t s t e h e n d e s A u f t r ie b s u n d M e s s u n g e n d e r ^
A u f tr ie b sk r a ft
taucht, desto größer wird die Auftriebskraft
Ist er vollständig eingetaucht, so verändert
sich die Auftriebskraft nicht mehr.
Fach
sprache Symbol
5 archimedische Gesetz Der Schwere- Der Faktor pH- Vverdrängt gibt die Masse m
t mit der Tiefe zu. Ist ein Quader der verdrängten Flüssigkeit an. Das Produkt sprache
vollständigTr’reUielFlüssigkeit eingetaucht, m -g ist die Gewichtskraft dieser verdrängten
so ist der Schwerecfrucl<P2 an der unteren Flüssigkeit Damit folgt das archimedische
Fläche des Quaders größ eT ^d er Druck p-, Gesetz^_____________________
an der obergp-ftöehe. Ric^ie Krafl
(->B1)^ • Die Auftriebskraft hat den gleichen Betr
wie die Gewichtskraft der durch den Körpe
F y /p ,' A = pH- V g • A und verdrängten Flüssigkeit
f 2=P2'A =Qn'h2-g-A
Die Differenz F2- £, ergibt die Auftriebskraft FA: Das archimedische Gesetz gilt für beliebig
geformte Körper. So erfährt ein vollständig
F*. = Pnm(^2- ^1)* 9 ’ A eingetauchter Klumpen Knetmasse unab
= P r • h • A * g = pR* ^Körper’ 9 Symbol
hängig von seiner Form und seiner Lage in de)
Das Volumen VKörver des Körpers und dasA/olu- Flüssigkeit immer die gleiche Auftriebskraft sprache
men yvenJrängt der durch den Körper verd/äng-
^ten Flüssigkeit sind gleich. Die Auftriebskraft Auch in der Lufthülle der Erde treten Auftriebs
mathe kräfte auf. Sie sind wegen der geringen B lS J ei ga n z e in g e p
^trägt also:
matische Dichte der Luft wesentlich kleiner als in Flüssig tem K
Teil B 47
Grundlagenwissen
Bildungssprache ist die Sprache, die vorrangig im Bil siehe S. 33 ff.): Denn die Vielfalt und der Reichtum an
dungsbereich vorkom m t und deren Beherrschung zur Darstellungsformen im Fachunterricht bieten nicht nur
Teilhabe an der Bildung erforderlich ist (vgl. S. 6). zahlreiche Lerngelegenheiten, sondern auch einen er
heblichen M ehrwert in Form zusätzlicher Chancen zum
Bildungssprache beschreibt dabei zum einen die schul-
Lernen.
bezogenen kognitiven Sprachkenntnisse, die im kognitiv
akademischen Bereich gebraucht werden. Zum anderen
beschreibt sie aber auch die sogenannten CALP-Fähig-
R Ä S if iä
keiten (Cognitive Academic Language Proficiency, vgl. _________ ____ ______ _ _ axmt*B&aGS&
5. 59, 66), die zur Bewältigung der Schriftlichkeit (vgl.
f Darst^llüngsformen sind Fachmethoden und somit
5. 54 f.) erforderlich sind und in ihr entwickelt werden.
originärer Bestandteil des Faches. Gerade sprach
Hier setzt die Sprachförderung im Fach an.
schwachen Lernern erschließt sich häufig erst durch
A bstraktion den Wechsel zwischen den verschiedenen Darstel- :
lungsformen ein tieferes Verstehen des Stoffes.
Die unterschiedlichen sprachlichen Darstellungsformen
:; Lehrkräfte sollteh deshalb ihren Lernern eine „ Lese
sind zugleich m it unterschiedlich abstrakten (Sprach-)
kompetenz in Darstellungsformen“ vermitteln.
Ebenen verbunden. Dies führt gerade bei sprachschwa
chen Lernern häufig zu Verstehens- und Sprachproble r Da diese Darstellungsformen ein unterschiedlich ho- ^
men. Die Lehrkraft sollte deshalb versuchen, zur jew ei hes Maß an sprachlicher Abstraktion aufweisen, ist ;
ligen Unterrichtssituation „passende“ Darstellungsebe ■ wichtig, dass Lehrkräfte sölche Darstellungsebenen :
nen und Darstellungsformen einzusetzen. ... und.Darstellungsformen einsetzen, die zür jeweiligen:
Unterrichtssituation „ passen". Dies hilft, Verste
In diesem Zusammenhang sei Fachlehrern noch einmal hens- und Sprachprobleme sprachschwacher Lerner,
dringend ans Herz gelegt, das didaktische Potenzial des " die sich aus der Abstraktion ergeben, zu verringern.
„Wechsels der Darstellungsform" zu nutzen (Details
Biidungssprache:
Darstellungsformen, Darstellungsebenen und Sprachen
mathematische Sprache
Symbolsprache
Verbalsprache
- Fachsprache
- Unterrichtssprache
- Alltagssprache
Bildsprache
nonverbale Sprache
gegenständliche Ebene
© Josef Leisen
48 Teil B
Grundlagenwisse
zu b) fa c h ty p is c h e S p ra ch s tru ktu re n
Wo liegen die Schwierigkeiten
Die F a c h s p ra c h e jedes Faches is t d u r c h fa c h ty p is c h e
mit „der“ Sprache
S p ra c h s tru k tu re n gekennzeichnet, die d o r t eine a n d e
im Fachunterricht? re B e d e u tu n g h a b e n als in d e r A llta g s s p ra c h e (d .h .
Jedes Fach hat seine spezifische Kultur der mündlichen semantisch a n d e rs belegt" sind). So hat beispielsweise
und schriftlichen Kommunikation entwickelt, also eine das Verb u m k ip p e n " im A llta g eine andere Bedeutung
ihm eigene „Sprachwelt", die durch spezifische Aus als in d e r B io lo g ie , wenn der See „u m k ip p t". M it dem
drücke und Sprachverwendungen gekennzeichnet ist. Verb h e r r s c h e n " w iederum assoziiert man alltags-
sprach'lich einen Herrscher, e tw a einen König oder einen
In diese Kultur einzuführen, ist eine zentrale Aufgabe
Diktator, ln d e r Physik hingegen „he rrscht" an den
des jeweiligen Fachunterrichts. Jede Fachlehrkraft weiß
Polen e in e r B a tte r ie eine Spannung von 10 Volt.
um die damit verbundenen Mühen bei Lehrenden und
Lernenden: Es ist eine Daueraufgabe, da sich kommu Solche f a c h ty p is c h e n Sprachstrukturen finden sich in
nikative Kompetenzen nur schrittweise und übereinen fast jedem S a c h te x t eines Faches (vgl. S. 50 u.). Diese
langen Zeitraum aufbauen. Nachhaltigkeit stellt sich Begriffe müssen dann im Fach neu semantisiert werden.
zudem erst ein, wenn die erworbenen Kompetenzen
Zudem fin de n sich in Sachtexten häufig komplexe fach
auch angewendet und trainiert werden. Die Vermittlung typische S p ra c h w e n d u n g e n (z.B. „e in e Kraft ausüben
der Kompetenz zum „Lesen“ der unterschiedlichen
auf" eine K ra ft erfahren"). Für Laien und Lernende
Darstellungsformen sollte der Lehrkraft deshalb ein
ist jedoch z u m e is t die - fachlich falsche - alltagssprach
besonderes Anliegen sein. liche S p ra c h w e n d u n g („eine K ra ft h ab en ") naheliegen
Viele Lehrkräfte erleben täglich, welche spezifischen der Da K ra ft" aber eine intensive und keine extensive
Schwierigkeiten die Lerner m it der mündlichen und Größe ist als W echselw irkungsgröße keinen Mengen-
schriftlichen Kommunikation im Fachunterricht haben. rharaktpr h a t und somit n icht speicherbar ist, kann nie
Allerdings ist ihnen o ft nicht klar, auf welcher Ebene mand und n ich ts „K ra ft h a b e n ". Lerner, die die alltags
bzw. in welchem Bereich diese Schwierigkeiten genau sprachliche Form ulierung v e rw e n d e n , machen somit
angesiedelt sind und welche Besonderheiten daraus deutlich, dass bei ihnen eine falsche fachliche Vorstel
resultieren, da ihnen dafür die entsprechende Ausbil lung vom Kraftkonzept besteht. D a m it liegt ein fachli
dung fehlt. cher Fehler vo r, der folglich auch fachlich (und nicht
sprachlich) k o rrig ie rt werden muss.
Will eine Lehrkraft also die Probleme der Lerner mit
der Sprache des jeweiligen Faches adäquat diagnosti
zu c) F a c h in h a lte
zieren und die richtigen Hilfestellungen geben können,
Eine w eitere Q u elle fü r V e rs te h e n s p r o b le m e sind die
muss sie auch die entsprechenden Hintergründe ken
fachlichen I n h a lt e des Unterrichts. Hierzu gehören auch
nen. Dies gilt aber auch fü r die Lerner: Denn solange
die D a r s te llu n g s fo r m e n des Faches (z.B. Tabellen, Skiz
ein Lerner nicht erkennt, in welchem Bereich seine
zen, Form eln, Grafen, D iagram m e, Karten, Bilder ...),
sprachlichen Schwierigkeiten liegen, kann er diese
da der s t r u k t u r e lle Aufbau des Faches und die dazuge
weder selbstreflexiv an der richtigen Stelle angehen
hörige S p r a c h e im m e r Produkte d er jeweiligen Fach
noch an der richtigen Stelle verbessern.
ku ltursin d. D ie Lerner müssen deshalb in den Umgang
Die Schwierigkeiten m it der Sprache im Fachunterricht m it diesen D arstellungsform en e in g e fü h rt werden.
haben ihren Ursprung in vier Bereichen:
So sind z B S a c h te x te in d e r Regel a rg u m e n ta tiv und
a) in der M orphologie und Syntax der Fachsprache; in der G e d a n k e n f ü h r u n g sehr ve rd ich te t. Gerade
b) in den fachtypischen Sprachstrukturen; s p ra c h s c h w a c h e Lerner können diese Texte o ft nicht
Teil B
Grundlagenwissen
Die Auftriebskraft Taucht ein Körper in eine • Durch den Schweredruck erfährtj ___
Flüssigkeit ein, so wird ^eiRacte^gHffer^ eingetauchte Körper eine nach oben wirkende
V= 60 cm3
scheinbar kleiner. Diese I rfnt Auftriebskraft. Sie verringert scheinbar seine
man Auftrieb. Ursache ist der Schweredruck: Gewichtskraft.
Zum Verständnis betrachten wir einen Quader,
der teilweise in eine Flüssigkeit eingetaucht
Eingetauchtes Auftriebskraft Auftriebskraft
ist 6»B5). Der Schwexedruck rnft-an der Unter-
w m m m M esser :inSpintus: *
H ite it^ des Quade(s ^ . a hervor.
-Diese Kraft ist nach oben, g e ^ T d ie Gewichts
10 cm3 0,1 N 0,07 N
raft, gerichtet. Sie heißt Auftriebskraft FA. 20cm3 0,2 N 0,14 N
9m
■3 » -fgwyg?
Der Kraftmesser zeigt eine um den Betrag der
Auftriebskraft verringerte Gewichtskraft an.
30 cm3 0,3 N 0,21 N
b) Fachtypische Sprachstrukturen
eine Kraft
I ausüben auf
50
Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 51
Grundlagenwissen
- eingefügte Beispiele; Das Lesen eines Fachtextes ist somit ein ausgesprochen
- erläuternde und illustrierende Zusätze; komplexer Vorgang. Deshalb muss der Leser auch in
die Technik des Lesens von Sachtexten eingeführt wer
- Verallgemeinerungen und Generalisierungen;
den (Details s. S. 111 ff. und Teil C).
- eingebundene Experimente;
Die hierfür jeweils erforderlichen Einzelkompetenzen
- induktives oder deduktives Vorgehen; hängen eng m it der Kultur bzw. der Sprachwelt des
- explizite oder implizite Rückgriffe auf Vorwissen; betreffenden Faches zusammen. Diese Sprachwelt stellt
- hoch verdichtete Merksätze sowie Ausblicke auf die spezifische Bildungssprache des Fachs dar.
weiterführende Fragen.
52 Teil B
Grundlagenwissen
Wie begegnet man den Heraus schlag-Konzept" gelernt werden, dem die passende
Teil B 53
Grundlagenwissen
- Optimierung durch sprachliche Vereinfachung: keit der Syntax) orientieren, sondern müssen auch die
Beispiel: „D ie Kraft, die der Kraftmesser zeigt, ist die Bedeutung (also die Semantik) im Blick haben (vgl.
Gewichtskraft minus die Auftriebskraft. " das Beispiel zu „K ra ft haben" und „K ra ft ausüben").
54 Teil B
Grundlagenwissen
Dies w irft die Frage nach dem Umgang m it Fehlern schen Grammatikw/ssen und Grammatikerwerb, d.h.
auf: Geht es im sprachbezogenen Fachunterricht eher angelerntes Grammatikwissen hat keinen direkten Ein
um die Förderung der Kommunikation an sich oder fluss auf den Grammatikerwerb. (Manche Menschen
eher um die Förderung nur solcher Kommunikation, können allerdings ihr Grammatikwissen verwenden, um
die auch grammatikalisch richtig ist? ihre sprachliche Produktion auf sprachliche Korrektheit
hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.)
Teil B 55
Grundlagen wissen
56 Teil B
Grundlagenwissen
Gedächtn issysteme
~£ ? . ; f 'r S r 5?!??
E = m c2
)
J W
Teil B 57
Grundlagenwissen
das semantische und das episodische Gedächtnis, die mitteilen, dann rufen w ir in unserem Gedächtnis nicht
wiederum den Bereich des Wissens und den Bereich einfach gelernte Wörter und eingeübte Sätze ab, die
der Erinnerung an Lebensereignisse beinhalten. Somit in der Situation gerade passen, sondern w ir generieren
gibt es kein Gedächtnis ohne Sprache; vielmehr fu n Wörter, Satzteile und Äußerungen ausgehend von der
gieren W örter als Grundbausteine unseres bewussten Mitteilungsabsicht über Wortwahl, Satz- und Lautpro
Denkens und unserer Überlegungen. Dies lässt sich bei duktion jedes M al von Grund auf neu. " (Stern 2002,
spielsweise dadurch belegen, dass Kinder erst dann ein S. 5 f.)
episodisches Gedächtnis aufzubauen beginnen, wenn
„Das fundamentale Lerngesetz lautet: Die Zielhandlung
sie einen größeren und gesicherten Wortschatz entw i
selbst, die ganzheitliche Leistung muss immer wieder
ckelt haben.
ausgeführt werden. (...) Eine Fremdsprache lernt man
Beim Sprachgebrauch - also beim Sprechen wie beim nur dann als Kommunikationsmedium benutzen, wenn
Schreiben - aktivieren w ir gespeichertes Wissen. Hier sie ausdrücklich und genügend o ft in dieser Funktion
können w ir aus eigener Erfahrung zwei Fälle unter ausgeübt w ird ." (Butzkamm 1989, S. 79)
scheiden:
Diese Ausübung muss jedoch auch erfolgreich stattfin
- Wenn w ir in einer spontanen Sprechsituation bewusst den können; dies ist der Fall, wenn die Sprechsituation
auf Wissen zurückgreifen müssen, so ist das sehr an kognitiv und sprachlich dem Denk- und Sprachniveau
strengend, da es eine hohe Kontrolle der (sprachli des Lerners angepasst ist. Funktional erfolglose Sprach-
chen) Produktionsprozesse verlangt (z.B. in Bezug
verwendungen wirken sich negativ aus.
auf W ortwahl, Satzkonstruktion, Aussprache). Unter
Zeit- und Situationsdruck wird deshalb nur beschränkt „ Tatsächlich ist automatisiertes Wissen die Vorausset
auf semantisches sprachliches Wissen zugegriffen. zung für Verstehensprozesse, eben w eil man für Ver
stehensprozesse freie Arbeitsgedächtniskapazitäten
- Wenn w ir in einer spontanen Sprechsituation hinge
braucht. (...) W ir verbessern also unsere allgemeine
gen „einfach so" sprechen, so geschieht das unbe
Lern- und Denkfähigkeit, indem w ir spezifisches Wis
wusst, mühelos und automatisch.
sen in anspruchsvollen Inhaltsgebieten erwerben. "
Dafür gibt es Gründe. Denn aus kognitionspsychologi (Stern und Neubauer 2007, S. 192)
scher Sicht findet Spracherwerb dann statt, wenn zwei
Stern und Neubauergeben in der Folge auch eine Erklä
Voraussetzungen erfüllt sind:
rung dafür, warum in Sprechsituationen, die m it hoher
1. die Aufnahme und Speicherung von sprachlichem
kognitiver Anstrengung verbunden sind, Sprachfehler
Wissen (also z.B. W örtern, grammatischen Elemen
ganz natürlich und unvermeidlich sind: „D ie Aufmerk
ten und ihren Gebrauchsregeln) und
samkeit ist dabei fast gänzlich von der Bedeutungs
2. der Aufbau von prozeduralem, d.h. automatisch ver produktion (Mitteilungsabsicht, Wortwahl) absorbiert,
fügbarem sprachlichen Wissen. die Bildung der Wort- und Satzformen muss auf pro-
zedurales, automatisiertes Wissen zurückgreifen kön
Gelingender Spracherwerb setzt somit voraus, dass im
nen und entgleitet weitgehend der bewussten Kon
semantischen Gedächtnis gespeichertes - also deklara
trolle. Als Sprachlernende versuchen w ir in dieser Situa
tives - sprachliches Wissen weitgehend automatisch
tion stammelnd und bruchstückhaft unsere Gedanken
aktiviert und angewendet werden kann, also in proze-
zu äußern und uns verständlich zu machen, und gleich
durales Sprachwissen umgewandelt wird. Unter w el
zeitig schaffen w ir dabei die Voraussetzung für weitere
chen Bedingungen aber wird deklaratives Sprachwissen
Automatisierung. Sie passiert nämlich (unbewusst) in
zu prozeduralem Sprachwissen?
dieser Interaktionssituation, während der Interaktion
Üben und Wiederholen sind hierfür zwar wichtig, aber m it Menschen, Texten und M edien." (ebd.)
nicht entscheidend. Eine Automatisierung wird vielmehr
erst dadurch ausgelöst, dass sprachliches Wissen in ech Alle Zitate belegen, welche Funktion und welche Bedeu
ten Kommunikationssituationen gebraucht wird, vgl. tung dem inhaltsbezogenen Sprachlernen als Lernen
hierzu die Definition auf S. 69. von Sprache an und m it Inhalten zukommt. Dies ist
ein eindeutiges Plädoyer für den sprachsensiblen Fach
Dies hat aufschlussreiche Folgen für sogenannte „Pauk- unterricht.
übungen":-Nicht genau das, was vorher geübt wurde,
wird automatisiert, sondern das, was das innere, indi
viduelle Sprachsystem des Lerners zur weiteren Ent
wicklung gerade noch integrieren kann.
58 Teil B
Grundlagenwissen
Erklärungsmodelle und Hypothesen durch den sprachlichen Input beeinflusst, der dem Ler
zum Zweitspracherwerb ner zur Verfügung steht. Dabei fü hrt nur ein Input, der
Die wichtigsten in der Literatur vertretenen allgemei vom grammatischen und lexikalischen Schwierigkeits
nen Theorien zum Zweitspracherwerb sind (nach: Wolff, grad her gerade oberhalb der sprachlichen Kompetenz
2007, S. 18-20): des Lerners liegt, zu Lernprozessen (vgl. dazu die A bbil
dung auf S. 57 oben).
- die kontrastive Hypothese
(contrastive analysis hypothesis)] Die kreative Konstruktionstheorie ist stark angegriffen
worden. Einige, insbesondere lerntheoretische Aspekte
- die Identitätshypothese
sind jedoch im Kontext des institutionalisierten Ler
(identity hypothesis)',
nens von Bedeutung, so insbesondere, dass Sprachler
- die kreative Konstruktionstheorie nen ein Konstruktionsprozess ist, der vom Lerner w eit
(Creative construction theory); gehend eigenständig durchgeführt wird.
- die Interaktionshypothese
Auch die Interaktionshypothese („interactionist hypo
(interactionist hypothesis).
thesis") geht davon aus, dass der Zweitspracherwerb
Im Einzelnen: Die kontrastive Hypothese („contrastive ein komplexer Konstruktionsprozess ist. Sie versucht
analysis hypothesis") entwickelte sich auf der Grund aber stärker zu erklären, wie der Input beschaffen sein
lage der behavioristischen Lerntheorie. Ihre wichtigste muss, um Konstruktionsprozesse zu initiieren.
Aussage ist, dass jeder zweitsprachliche Lernprozess
Der Interaktionshypothese zufolge lösen Modifikationen
auf der Grundlage der Gewohnheiten der M utterspra
in den Interaktionen zwischen Muttersprachlern und
che vor sich geht. Diese Gewohnheiten interferieren
Zweitsprachlernern die Erwerbsprozesse aus; dabei ma
mit den Gewohnheiten, die fü r die zweite Sprache ge
chen diese M odifikationen den Input erst verständlich.
bildet werden müssen, und führen zu Lernproblemen.
Ein verständlicher Input aber fördert Erwerbsprozesse;
Die kontrastive Hypothese geht davon aus, dass Lerner Modifikationen in der Interaktion fördern somit zugleich
dort, wo es Ähnlichkeiten zwischen der Ausgangs- und auch die Erwerbsprozesse.
Zielsprache gibt, die Zielsprache leichter lernen; wo es
hingegen Unterschiede gibt, werden die zielsprachli BICS und CALP
chen Strukturen nur unter Schwierigkeiten gelernt. Die Die Grundlage für die heutige Praxis des Zweitsprach-
kontrastive Hypothese wurde allerdings obsolet, als die lernens legte jedoch Cummins. Seit er detailliert die
Diskussion um die Entwicklungsfehler einsetzte. Frage untersuchte, wie Kinder von kanadischen Sprach-
Der Identitätshypothese („id e n tity hypothesis") liegen minderheiten die jeweilige Zweitsprache am besten in
folgende Annahmen zugrunde: Der Erwerbsprozess der Schule lernen, wurde hierzu viel geforscht und ge
einer zweiten Sprache, auch wenn er in gesteuerter schrieben. Nachfolgend die Ergebnisse in Kürze:
Form geschieht, läuft identisch m it dem Erwerb der Cummins ging in seinen Untersuchungen von 1979
Muttersprache ab. Der von Chomsky (1977) postulierte (vgl. Cummins 1979, 1980) dem Einfluss von M od i
Spracherwerbsmechanismus w irk t somit auch beim fikationen in der Interaktion zwischen verschiedenspra
Erwerb der zweiten Sprache. Während dieses Erwerbs chigen Lernern auf Erwerbsprozesse nach. Dabei unter
prozesses greift der Lerner in der Regel nicht auf die schied er grundlegende konversationelle Sprachfertig
Muttersprache zurück. keiten und akademisch-schriftsprachliche Sprach
Die Richtigkeit der Identitätshypothese versuchte man fertigkeiten und führte die Begriffe BICS und CALP als
durch sogenannte Entwicklungsfehler nachzuweisen, Erklärungsmodelle ein.
also Fehler, die zeigen, dass Lerner beim Erwerb der BICS steht fü r Basic Interpersonal Communicative
Zweitsprache die gleichen Lernprozesse durchlaufen Skills. BICS bedeutet in der Übersetzung soviel wie
wie muttersprachige Lerner beim Erwerb der M u tte r „grundlegende Kommunikationsfähigkeiten,, und be
sprache. schreibt die sprachlichen Fähigkeiten im Bereich der
Die kreative Konstruktionstheorie („Creative construct Alltagskommunikation, die durch den unmittelbaren
ion theory") ist - wie das Fünf-Hypothesen-Modell, persönlichen Austausch entstehen, also Grundfertig
vgl. S. 55 - m it dem Namen von Krashen verbunden. keiten im interpersonalen Bereich. BICS-Fähigkeiten
Ihr zufolge ist der Erwerb der zweiten Sprache wie der tragen dazu bei, die M ündlichkeit zu bewältigen.
Erwerb der Muttersprache ein Prozess, bei dem der CALP hingegen steht für Cognitive Academic Language
Lerner aus den zur Verfügung gestellten Sprachdaten
Proficiency, bedeutet übersetzt soviel wie „schul-
das Sprachsystem der neuen Sprache konstruiert. bezogene kognitive Sprachkenntnisse" und beschreibt
Die Erwerbsprozesse des Lerners werden dabei in ihrer die sprachlichen Fähigkeiten, die durch den Umgang
Abfolge eingeschränkt durch die natürliche Ordnung, m it Sprache in kontextreduzierten schulischen Situa
in der die sprachlichen Items der Zielsprache gelernt tionen -a ls o im kognitiv akademischen bzw. Bildungs
werden können; zudem werden die Erwerbsprozesse bereich - entstehen. Diese Sprachkenntnisse im Bereich
Teil B 59
Grundlagenwissen
^ c X lp '" 1
(Basic Interpersonal Communicative Skills/
grundlegende Kommunikationsfähigkeiten) schulbezogene kognitive Sprachkenntnisse)
'fs*;r' -1 — ' -----r-£
von Schule und beruflicher Bildung werden heute als Zweitspracherwerb durch
Bildungssprache bezeichnet, vgl. S. 6 und 46 ff. rrUntertauchen,J und „Eintauchen"
M it der Unterscheidung von BICS und CALP wollte In der Literatur werden zwei weitere Ansätze des Zweit-
Cummins erklären, warum M igrantenkinder im Ge sprachlernens in der Schule unterschieden:
spräch mit anwesenden Hörern altersübliche konver- 1. das „Untertauchen“ (Submersion) und
sationelle Kenntnisse schon nach relativ kurzer Lernzeit
2. das „Eintauchen“ (Immersion).
von ca. 2 Jahren erwarben, während sie das altersan
gemessene Schulkenntnisniveau erst nach 5 bis 7 Jah Beim Untertauchen werden die Kinder einer Sprach-
ren Lernzeit erreichten. Er entdeckte dabei eine hohe minderheit in der Schule ausschließlich in ihrer Zweit
Korrelation zwischen „literary skills“ und „general intel- sprache (z.B. Deutsch) unterrichtet, ohne dass sie die
lectual skills“ , also Zusammenhänge zwischen gemes Chance bekommen, ihre Muttersprache als „Erklärspra
senen Schriftsprachfertigkeiten und nonverbalen Intel che" zu benutzen. Sie werden sozusagen in der deut
ligenztests. Daraus folgerte Cummins, dass es eine schen Sprache „erträn kt". In Deutschland ist die Sub
schnell zu erwerbende sprachabhängige Ebene gibt, mersion die häufigste Form des Sprachlernens für Lerner
die sich besonders in der zwischenmenschlichen Kon m it Zuwanderungsgeschichte/Migrationshintergrund.
versation entwickelt, und eine nur über längere Zeit zu
Auch im Fachunterricht werden diese Kinder somit in
erwerbende Ebene der kognitiven Verarbeitung von
die Zweitsprache „hineingew orfen" und müssen die
sprachlichen Informationen in (schriftlichen) Texten, die
Fachinhalte ohne die unterstützenden Bedingungen des
nicht direkt sprachgebunden ist.*
Fremdsprachenunterrichts lernen. Die Lehrkräfte ver
CALP-Fähigkeiten tragen dazu bei, die Schriftlichkeit stehen die Sprachen dieser Kinder in der Regel nicht.
zu bewältigen. Dabei beziehen sich die Begriffe „M ü n d Zudem verlernen die Kinder oftmals ihre Herkunfts
lichkeit“ und „Schriftlichkeit“ nicht auf den Modus der sprache schneller, als sie die Zweitsprache lernen (sub-
Kommunikation (also das „Sprechen“ bzw. „Schrei traktive Sprachlernsituation). Im ungünstigsten Fall wird
ben“ ), sondern vielmehr auf die spezifischen Merkmale die Erstsprache darüber hinaus weder in der Familie
der im Mündlichen bzw. Schriftlichen jeweils verwen noch in der Gesellschaft ausreichend gestärkt. Kinder,
deten Sprache, vgl. S. 54. die unter Submersion-Bedingungen lernen, haben meist
keine großen Probleme m it der Mündlichkeit, aber viel
fach große Probleme m it der Schriftlichkeit.
60 Teil B
Grundlagenwissen
Fall sowohl in der Familie als auch in der Gesellschaft lichen Fähigkeiten, auf die die B ild u n g s s p ra c h e aufsetzt,
ausreichend gestärkt. somit nicht erproben und generieren.
Die untenstehende Grafik zeigt die verschiedenen Da deutsche Fachlehrkräfte in D e u ts c h la n d die Her-
Sprachlernsituationen nicht muttersprachig deutscher kunftssprache(n) ihrer Lerner in der Regel n i c h t beherr
Lerner im Umfeld von Schule und Gesellschaft auf. Sie schen (können), ist streng genommen e in e Im m e rs io n
macht deutlich, dass fachliches Lernen immer inmitten im Fachunterricht nicht möglich. Hier e r w e i s t sich der
eines unterrichtlichen (also CALP-)Sprachbades statt sprachsensible Fachunterricht als vorteilhaft, d a e r unter
findet (vgl. auch S. 76). Darin beobachten, erproben stützende Methoden nutzt, die zwar d e m F re m d s p ra
und generieren die Lerner (Fach-)Sprache, nehmen sie chenlernen entlehnt sind, aber auf den F a c h u n te r r ic h t
auf, wenden sie an und entwickeln Sprachbewusstheit angepasst werden. So kann auch in der Z w e its p r a c h e
(language awareness) und Sprachlernbewusstheit. All Deutsch erfolgreich Fachunterricht s t a t t f in d e n .
dies geschieht gleichzeitig und - je nach Situation - in
Dabei hängt es offensichtlich entscheidend v o m Anse
unterschiedlichem Ausmaß.
hen der Erstsprache ab, ob und wie das S p r a c h le rn e n
Immer aber wird dabei unterstellt, dass außerhalb der in beiden Formen gelingt. Dieses u n te rs c h ie d lic h e Anse
Schule wichtige grundlegende sprachliche Fähigkeiten hen erklärt auch, warum die scheinbar g l e i c h e Beschu
bereits erworben sind bzw. parallel durch das m utter lung bei sozial gut gestellten Lernern ( z . B . D ip lo m a
sprachlich-gesellschaftliche Sprachbad erworben wer tenkindern) meist zu hohen S p ra c h k o m p e te n z e n in
den. Für Lerner m it Migrationshintergrund, die auch in mehreren Sprachen führt, während sie bei s o z i a l Schwa
ihrer Freizeit in ihrer Muttersprache verbleiben, trifft chen (wie o ft z.B. bei Migrantenkindern d e r Fall) eher
dies jedoch nicht zu; sie können diese allgemeinsprach zu niedrigen Kompetenzen in beiden S p r a c h e n fü h rt.
Das Sprachbad
(Sprachlernsituationen von Lernern im Umfeld von Schule und Gesellschaft)
Abb. 1 Abb.
Schule Schule
CALP-Sprachbad CALP-Sprachbad
Fachunterricht für muttersprachig deutsche Lerner Fachunterricht für Lerner mit M igration s h i ntergrund
in deutscher Schule sowie Freizeit in deutscher Ge in deutscher Schule sowie Freizeit in n ic h td e u ts c h e r
sellschaft Gesellschaft und nichtdeutscher Fam ilie
© Josef Leisen
Teil B 61
Grundlagenwissen
M Die Erstsprache hat ein geringes Soziälprestige. ;. - Die Erstspräche hat ein großes Sozialprestige.
- Die Eltern der Lernenden körn men zumeist aüs der ; ; D i e Eltern der Lernenden kommen zumeist aus
unteren M ittelschicht und der Arbeiterklasse; ‘ v der oberen M ittel- und der Oberschicht.
- Die Zweitsprache droht die Bedeutung der : - Die Zweitsprache stellt keine Bedrohung fü r die
Erstsprache zu relativieren oder sie zu verdrängen. . Erstsprache dar. V
- Die Lernenden gehören der/einer sprachlichen - Die Lernenden gehören der sprachlichen
M inderheit an. M ehrheit an.
- Die Zweitsprache ist Schulsprache, die Lernenden - Die Zweitsprache ist fü r alle in der Klasse gleicher
sitzen m it Muttersprachigen in einer Klasse. maßen eine fremde Sprache.
- Die Lernenden haben eher wenig Selbstvertrauen - Die Lernenden habeneher ein hohes Sei bst-
und finden zu Hause in schulischen Dingen o ft nur vertrauen und genießen häufig große außer- v
wenig Unterstützung. schulische Unterstützung.
- Die Zweitsprache ist Unterrichtssprache und - Die Zweitsprache ist Unterrichtssprache, jedoch
Sprache der Umgebung. nicht Sprache der Umgebung.
- Die Sprache der Umgebung ist o ft nicht die in der ' - Die Lernenden kommen ausschließlich m it der
' 0 -Schule gelernte Variante der Zweitsprache (Dialekt : Standärdvariante der Zweitsprache in Kontakt. --
* und .Umgangssprache vs. Hochsprache).
- Die Lernenden werden am Standard der - Die Lernergebnisse werden nicht direkt m it denen
\ Muttersprachigen gemessen. von Muttersprachigen verglichen.
62 Teil B
Grundlagenwissen
Die Bedeutung der Entwicklung möglichst genaue Einschätzung bzw. korrekte Dia
kognitiver Fähigkeiten gnose des Sprachstandes der Lerner vornehmen, wenn
sie diese angemessen fördern will. Dabei muss sie
Wie aber entwickeln sich BICS und CALP genau und
zunächst zwischen dem biologischen Alter (= Alter
wie bedingen sie einander? Und welche Folgen hat das
in Lebensjahren) und dem „fremdsprachlichen“ Alter
für den Fachunterricht?
(= Alter in Jahren des Fremdsprachenerwerbs) unter
Um diese Fragen zu beantworten, wurden in der Lite scheiden:
ratur zwei Modelle entwickelt: das sogenannte SUP-
Den kognitionspsychologischen Erkenntnissen zum
und das sogenannte CUP-Modell. Die Grundannahmen
Spracherwerb und den Erkenntnissen zur Entwicklung
der beiden Modelle wurden dabei im Laufe der Zeit
der Gedächtnissysteme zufolge (vgl. 5. 56 ff.) erwerben
durch unterschiedliche Hypothesen verfeinert.
junge Zweitsprachlernende bis zu einem Alter von etwa
Neuere Forschungen zu den neuronalen Grundlagen 5 bis 7 Jahren Sprache - analog dem Erstsprachener-
des Spracherwerbs und der Mehrsprachigkeit haben werb - ganzheitlich und unbewusst; Sprache wird dabei
das gegenseitige Bedingungsgefüge der SUP-/CUP- im prozeduralen Gedächtnis gespeichert. Was erst ein
Modelle modifiziert (vgl. Grießhaber, 2007, und Grafik mal erworben ist, steht dann automatisch zur Verfü
unten): gung.
Danach entwickeln sich bis etwa zum 6. Lebensjahr Sprache und Weltwissen entwickeln sich parallel. Das
syntaktische Strukturen für mehrere Sprachen integriert. deklarative sprachliche Wissen besteht aus Begriffen
Nach etwa 6 Lebensjahren hingegen entwickeln sich und Bedeutungsinhalten; grammatisches Wissen hin
separate syntaktische Zentren. Ältere Lerner können gegen fehlt weitgehend. Eine bewusste Kontrolle des
somit neuronale Einschränkungen bis zu einem gewis eigenen Ausdrucks (Wortwahl, Satzbildung) ist deshalb
sen Grad kompensieren (kompensatorische Ressour kaum möglich.
cennutzung), woraus große Differenzen im Erfolg des
Schulisches Lernen ist jedoch auf den Erwerb von dekla
L2-Erwerbs resultieren. rativem Wissen ausgerichtet, was die Schwierigkeiten
Gerade bei sprachschwachen und nicht muttersprachig dieser Lerner im Fachunterricht erklärt. In diesem
deutschen Lernern muss die Lehrkraft deshalb eine Zusammenhang zeigen Untersuchungen, dass in Lern-
( ( CALP l\
( & j L y l r )
l / J
Die SUP-Modellannahmen lauten wie folgt: Die Erst Die CUP-Modellannahmen lauten hingegen: Es gibt
sprache (L1) und die Zweitsprache (L2) entwickeln einen übergeordneten, mit Sprache verbundenen, aber
sich in eigenen Bereichen und nehmen sich gegenseitig einzelsprachlich neutralen Wissensspeicher (allgemei
Platz weg m it der Folge, dass der Unterricht in L1 auf nes Denkvermögen), der über die Erstsprache (L1) und
Kosten von Fortschritten in L2 geht. Die Begründung die Zweitsprache (L2) gespeist werden kann.
lautet, dass ein direkter Zusammenhang zwischen L2-
Lernaufwand und L2-Kompetenzsteigj?rung besteht,
der dann zu Lasten von L1 geht.
Teil B 63
Grundlagenwissen
Situationen m it schulischem und außerschulischem lernens durch die Muttersprache über 5 bis 7 Jahre hin
Zugang zu einer Zweitsprache 10- bis 12-Jährige die weg notwendig.
effizientesten Lerner sind (vgl. Stern, 2002, S. 7). Die Interdependenz-Hypothese entspricht vielen schu
M it zunehmendem Alter kann das deklarative sprachli lischen Erfahrungen - m it der Folge, dass man anhand
che Wissen zunehmend fü r den Zweitsprachenwerb der Kenntnisse, die ein Kind in seiner Muttersprache
genutzt werden. Lernende m it guten Gedächtnisleis hat, m it ziemlicher Sicherheit Voraussagen kann, wie
tungen (intellektuellen Fähigkeiten) sind deshalb im sich dessen Zweitsprachkenntnisse entwickeln werden.
schulischen Zweitspracherwerb erfolgreicher als schwä Die gute Beherrschung der Muttersprache ist somit
chere Lernen während fü r außerschulisches, ungesteu gleichzeitig eine gute Voraussetzung zum raschen und
ertes Sprachlernen schulische Intelligenz kaum ins Ge effizienten Erlernen der Zweitsprache.
Das Doppel-Eisberg-Modell
64 Teil B
Grun dlagen wissen
Die Schwellenhypothese
(I)
-Q
-C
u
2 1. Schwelle
Q-
tn C. „doppelte Halbsprachigkeit": negative
0) niedrigere Kompetenz in bei
-o
den Sprachen, entweder
'S
gleich gewichtet oder
dom inant
65
Teil B
Grundlagenwissen
Der CALP-Bereich entwickelt sich auf der Grundlage Pflegt also das Elternhaus beispielsweise schriftsprach
von BICS. Er umfasst die sprachbezogenen kognitiven liche Traditionen wie das Vorlesen (in der jeweiligen
Fertigkeiten, die erlernt werden müssen, um sicher Muttersprache), so begünstigt dies die Entwicklung der
mit den Anforderungen der Schriftlichkeit umgehen verschiedenen Sprachbereiche. Bei Kindern aus einem
zu können (Bildungssprache, vgl. 5. 59 f.). Zum CALP- Elternhaus m it M igrationshintergrund ist diese gute
Bereich gehören beispielsweise Lesestrategien, Textsor- Ausgangssituation jedoch in der Regel nicht gegeben:
tenkenntnisse und metasprachliches Wissen.
Hier kann sich der BICS-Bereich in der Muttersprache
Dabei entwickelt sich der CALP-Bereich zwar bei allen häufig nur mäßig und in der Zweitsprache Deutsch gar
Lernern unterschiedlich; die in einer Sprache (L1) im nicht altersgemäß entwickeln, weil das Kind beispiels
CALP-Bereich erworbenen Fähigkeiten sind jedoch auch weise vor Schulbeginn keinen deutschen Kindergar
in anderen Sprachen (L2, ...) nutzbar. Damit können ten besuchte und sich eventuell auch sonst nicht im
beispielsweise gut geschulte Lesestrategien in der M u t deutschen Sprachbad aufhielt. Dadurch fehlen ihm die
tersprache erfolgreich auf eine Fremd- oder Zweitspra sprachlichen (BICS-)Grundlagen, um im Unterricht rasch
che übertragen werden. schriftsprachliche Kompetenzen zu erwerben.
Bei einem gut ausgebildeten BICS-Bereich hat das Das Kind kann seinen CALP-Bereich aber auch nicht in
Kind zudem gute Chancen, dass sich auch der CALP- seiner Muttersprache entwickeln, um die Kompetenzen
Bereich in der Schule gut entwickelt. Dies verdeutlicht dann auf die Zweitsprache Deutsch zu übertragen, da
nachstehende Tabelle: es in der Muttersprache nicht beschult wird. Das Kind
66 Teil B
Grundlagenwissen
kann also weder In der Muttersprache noch in der „Strategien“ der Lerner
Zweitsprache die Fertigkeiten ausbilden, die es zur
beim Zweitspracherwerb
Bewältigung der Schriftlichkeit benötigt. Da viele M i
grantenelternhäuser zudem bildungsfernen Schichten Welche Strategien entwickeln die Lerner beim Erwerb
angehören, erhält ein solches Kind auch nicht genügend der Zweitsprache? Sie suchen im sprachlichen Input
sprachliche Anregungen, um den CALP-Bereich außer (vgl. S. 57 oben) nach Regeln für ein dahinter stehendes
System.
halb der Schule zu entwickeln, vgl. Abb. S. 61.
Im günstigsten Fall bildet der Lerner dabei die Regeln
Kinder erwerben die Fertigkeiten, die für die M ün d
der Zweitsprache aus, lernt diese also. Häufig überträgt
lichkeit in der Zweitsprache erforderlich sind, erfah
er aber auch Regeln aus seiner Muttersprache auf die
rungsgemäß innerhalb sehr kurzer Zeit. Das täuscht
Zweitsprache (sogenannte Interferenz) oder bildet
häufig darüber hinweg, dass ihr CALP-Bereich nicht
„eigene" Regeln, die in keiner der beiden Sprachen
hinreichend genug entwickelt ist.
existieren. Daraus resultiert ein Regelsystem, das seinen
In den ersten Jahren der Grundschule, wenn einfache sprachlichen Äußerungen zugrunde liegt und seine Ler-
Inhalte m it einfachen sprachlichen M itteln verm ittelt nersprache darstellt (sogenannte Interlanguage/Zwi-
werden, fallen Defizite in Bezug auf die Schriftlichkeit schensprache, vgl. S. 64 f.). Die Regeln der Lernerspra-
meist noch nicht auf. Sie werden häufig erst in der Se che, die nicht m it denen der Zweitsprache übereinstim
kundarstufe deutlich, in der komplexere und abstraktere men, bemerken w ir als Fehler.
Bildungsinhalte gelehrt werden und gelernt werden
Die Lernersprache ist über einen längeren Zeitraum hin
müssen.
weg noch form bar und verändert sich. In einer sprach
Wie die Praxis zeigt, bewerten Lehrkräfte aber auch zu lich anregenden Umgebung findet der Lerner somit
diesem Zeitpunkt die scheinbar guten mündlichen hinreichend Gelegenheit, seine Regeln in Richtung
Sprachkenntnisse eines Kindes zunächst o ft noch über Zweitsprache „anzupassen". Ist aber die Umgebung
und erkennen deshalb die (sozusagen „verdeckten“ ) nicht anregend genug oder endet die Entwicklung einer
Sprachschwierigkeiten in Bezug auf die Schriftlichkeit Lernersprache, bevor sie in all ihren Regeln m it denen
nicht. Insbesondere ungeübten Lehrkräften wird das der Zweitsprache übereinstimmt, so stagniert der Zweit
Erkennen von sprachlichen Defiziten zusätzlich dadurch spracherwerb oder entwickelt sich sogar auf frühere
erschwert, dass das Kind an Situationen in Sprachnot Stadien zurück. Dies tritt ein, wenn der Zweitsprach-
lerner ein sprachliches Können erreicht hat, das für die
gewöhnt ist und deshalb über Vermeidungs- und Kom
kommunikativen Bedürfnisse des Lerners ausreichend
pensationsstrategien verfügt, um die Situation irgend
ist, oder wenn der zweitsprachliche Input den Lerner in
wie zu bewältigen (vgl. S. 27).
einem solchen Maße über: oder unterfordert, dass er
Da das Kind ja „ganz g ut" spricht und scheinbar alles keine neuen Regeln mehr aufnehmen kann. Am Ende
versteht, werden entscheidende Jahre der Sprachför- steht eine fossilierte Lernersprache.
derung nicht genutzt. Eine Förderung von Kindern mit
Fossilierte Lernersprachen sind ausgesprochen resistent.
Migrationshintergrund wurde bislang o ft zu früh be
Weitere Sprachentwicklung erfolgt nachweislich meist
endet oder setzte gar nicht erst ein, weil die Kinder
nur unter Zwang, z.B. durch neue soziale, persönliche
den BICS-Bereich relativ schnell entwickelten.
oder berufliche Umstände. Fossilierungen aufzubrechen
So kommen viele Jugendliche m it defizitärer Schrift ist nur über eine langandauernde individualisierte Arbeit
lichkeit in die berufliche Bildung. Ihr Leseverstehen und möglich; diese muss zugleich gezielt an den individuel
ihre Schreibkompetenz sind unzureichend entwickelt len Sprachfertigkeiten des Lernenden ansetzen.
und auch einfachere Strukturen bereiten ihnen schon
Diese Erkenntnisse legen nahe, den CALP-Bereich durch
Schwierigkeiten. Das Versäumte muss dann unter gro eine früh- und rechtzeitige Sprachförderung im Fach
ßem Aufwand und m it unsicherem Erfolg aufgefangen unterricht zu entwickeln. Eine solche Förderung muss
werden. Anders formuliert: Lerner müssen dann unter in Form des sprachsensiblen Fachunterricht erfolgen,
hohem Aufwand nachqualifiziert werden, um über da dieser auf einem passenden Anregungsniveau statt
haupt die Chance auf eine Berufsausbildung zu haben. findet und somit weder unter- noch überfordert. Der
Das aber ist angesichts der o ft bereits fossilierten Lehrkraft muss es dabei insbesondere gelingen, die
Sprachstrukturen meist ein mühsames Unterfangen. M otivation des Lernenden zu wecken und bei ihm ein
Bewusstsein für die sprachlichen Phänomene der Zweit
sprache zu schaffen. Dazu ist der Lerner jedoch erfah
rungsgemäß nur bereit, wenn er vom Gewinn und Nut
zen der entsprechenden Maßnahmen überzeugt ist.
Hier befindet sich der Fachunterricht realistischerweise
in einer schlechten Position. Alle Untersuchungen spre
chen deshalb für einen frühen Zweitspracherwerb.
Teil B 67
Grundlagenwissen
Konsequenzen dern auch über alle Fächer hinweg bestätigt. Sie sind
zugleich ein unüberhörbares Plädoyer für den sprach-
für die Sprachförderung
sensiblen Fachunterricht.
im Fachunterricht
Konzept und Prinzipien des sprachsensiblen Fachun
Die Forschungsergebnisse zum Zweitspracherwerb ge
terrichts werden zudem durch Forschungsergebnisse
ben zugleich Hinweise darauf, durch welche Struktur
untermauert, denen zufolge der Transfer von CALP-
des Schulunterrichts dieser begünstigt wird. W eltw eit
Fähigkeiten in beide Richtungen gehen kann (also von
liegen Erfahrungen m it folgenden Schulmodellen vor:
der Erst- in die Zweitsprache und umgekehrt). Über
- Segregation: Es wird in getrennten Klassen einsprachig einstimmend ist darüber hinaus - beispielsweise in bi
in der Erstsprache unterrichtet. lingualen Programmen - eine deutliche Beziehung zw i
- Submersion: Es wird in gemischten Klassen m it ver schen Erst- und Zweitsprache bei der Entwicklung der
schiedenen Erstsprachen in der Mehrheitssprache gehobenen Ausdrucksfähigkeit festgestellt worden
unterrichtet. (Interdependenz-Hypothese, vgl. S. 64; vgl. auch die
DESI-Studie, S. 31). Dies gilt fü r verwandte wie für
- Immersion: Es wird in gemischten Klassen m it ver
nichtverwandte Sprachen.
schiedenen Erstsprachen unterrichtet, wobei der
Fokus je nach Modell auf den Varianten Erstsprache Allen Untersuchungen zufolge kom m t dabei dem
oder Erstsprache plus Zweitsprache liegt. Sprachlernen in der Primarstufe besonders hohe Bedeu
tung zu. Lerner m it einer Minderheitssprache als M u t
- Transition: Zunächst wird nur in der Erstsprache und
tersprache konnten ihre CALP-Fähigkeiten in der Erst
in der Zweitsprache als Fremdsprache unterrichtet.
und Zweitsprache am besten in koordinierten Sprach-
Im weiteren Verlauf der Schulkarriere werden Erst
und Entwicklungsprogrammen entwickeln, die die
sprache und Zweitsprache zunehmend „gleichge
Alphabetisierung in der Erstsprache während der Pri
w ichtet".
marstufe in den Vordergrund stellten. Zudem wurde
Aufgrund der Vielzahl der Herkunftssprachen von Kin festgestellt, dass die kontinuierliche Entwicklung der
dern m it Migrations- oder Zuwanderungshintergrund Erst- und Zweitsprache in der Primarstufe die Fähigkeit
ist in Deutschland nur das M odell der Submersion zur Sprachwahrnehmung anwachsen lässt.
durchgängig realisierbar.
Sowohl die Interdependenz- als auch die Schwellen
Den Stand der Forschung zum Spracherwerb zweispra hypothese stellen die Bedeutung der Muttersprache
chig aufwachsender Kinder und Jugendlicher fassen fü r den Zweitspracherwerb heraus, vgl. S. 64 f.] die
Reich und Roth als hinreichend gesichert in vier Thesen Bedeutung des Sozialprestiges der Minderheitssprache
zusammen (vgl. Reich, Roth e t a i, 2002, S. 24): für den Spracherwerb wurde bereits im Abschnitt „Sub
1. Eine Kombination von Zweitsprachförderung und mersion und Immersion" (vgl. S. 62) erläutert. Somit
Unterricht in der Herkunftssprache (Immersion oder erscheint es sinnvoll, die Muttersprache zu fördern,
Transition) führt zu deutlich besseren Ergebnissen wenn:
als einsprachige Submersion-Programme. - es sich um ethnische Minderheiten handelt;
2. Es gibt kein Idealmuster der Sprachenverteilung für - das Prestige der Muttersprache gering ist;
zweisprachige Lerner. Man weiß nur, dass sog. „Two-
- eine ungünstige sozioökonomische und -kulturelle
w ay"-P rogram m e-also gemischte Lerngruppen aus
Lage vorherrscht (vgl. Lengyel, 2001, S. 38).
Lernern m it der Mehrheitssprache als Erstsprache
und Lernern m it der Minderheitssprache als Erst Eine solche Förderung der Muttersprache w irkt sich
sprache - allen anderen Modellen überlegen sind. mutmaßlich positiv aus:
3. Sprachfördernde Maßnahmen, die den Schulerfolg - auf die Entwicklung der Zweitsprache;
zweisprachiger Lerner sichern sollen, müssen lang - das Selbstbild, das Selbstvertrauen und die
fristig angelegt sein. Die Vorstellung, durch kurzfris Selbstachtung des Lerners;
tige „Liftkurse" könne der Anschluss an die schuli
- die Einstellungen zur sprachlichen M ajorität
schen Sprachanforderungen ein fü r allemal herge
und zum Einwanderungsland;
stellt werden, ist eine Illusion.
- die psychische, soziale und kognitive Entwick
4. Eine didaktisch planvolle Verwendung von (Erst
lung des Kindes;
und Zweit-)Sprache zum Zwecke des Lernens curri-
cularer Inhalte - also die bewusste Entwicklung von - die Kontakte zu gleichaltrigen Kindern der Majorität;
Sprache als Medium zum Erwerb von Kenntnissen - die Schulmotivation und den Schulerfolg.
und Fähigkeiten - ist Erfolg versprechender als bloße
Die Forschungsergebnisse legen somit nahe, sprach
Sprachkurse.
sensiblen Fachunterricht für alle Lerner und ein nach
Diese eindeutigen Forschungsergebnisse werden täglich Bedarf abgestimmtes Anfangslernen in der Erstsprache
nicht nur in der Unterrichtspraxis einzelner Fächer, son zum verbindlichen Ziel zu erklären.
Teil B
Grundlagenwissen
Kompetenzen und
Kompetenzerwerb Die Einzelelemente der Kompetenz
nach dem Eisbergmodell
Was sind eigentlich Kompetenzen?
Die Referenzdefinition fü r den Kom petenzbegriff
stammt von Weinert (2001, S. 27). Er definierte Kom
petenzen als „d ie bei Individuen verfügbaren oder
durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fer
tigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die
damit verbundenen motivationalen, volitionalen (d.h.
absichts- und willensbezogenen) und sozialen Bereit
schaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen
in variablen Situationen erfolgreich und verantwor
tungsvoll nutzen zu können." Kompetenzen sind somit
verfügbare Fertigkeiten und die Fähigkeit, bestimmte
Probleme zu lösen und diese Problemlösungen in
variablen Situationen erfolgreich zu nutzen.
Teil B 69
Grundlagenwissen
hoch
umfangreich
komplex
abstrakt
niedrig
gering
einfach
gegenständlich
erprobend planvoll
unsicher sicher
begrenzt vielfältig
unbewusst bewusst © Josef Leisen
Sprach-, Experimentier-, Übungs-, Anwendungs- oder Wissen und sprachliches Können werden somit nur
Verwendungssituationen). Soll hingegen überprüft wer dann miteinander verknüpft, wenn die Lehrkraft sprach
den, ob bestimmte Kompetenzen erreicht sind, müssen liche Anforderungssituationen schafft, in denen sich die
die Lerner in Leistungssituationen gebracht werden Kompetenzen der Lerner auch tatsächlich entwickeln,
(denn hier müssen sie zeigen, welche Kompetenzen erproben und nachweisen lassen. Ein Kompetenzzu
auf welchem Niveau erreicht sind). Wenn es um Kom wachs im inhaltlichen und im sprachlichen Bereich
petenzentwicklung geht, müssen Lern- und nicht Leis erfolgt zudem nur dann, wenn in diesen Situationen
tungssituationen vorherrschen, vgl. auch S. 84 ff. tatsächlich Wissen verm ehrt (angereichert) und das
(Sprach-)Handeln verbessert wird, vgl. Abb. unten.
hoch
umfangreich
komplex
abstrakt
niedrig
gering
einfach
gegenständlich
wenig viel
erprobend planvoll
unsicher sicher
begrenzt vielfältig
unbewusst bewusst >Josef Leisen
70 Teil B
Grundlagenwissen
Entwicklung
der Sprachkompetenzen im Fach
Lernsituationen können nun so gestaltet werden, dass fast ausschließlich auf Handeln hin ausgerichtet ist und
z.B. geringes Wissen erprobend angewendet wird (S1) den Wissenszuwachs außer Acht lässt. Ideal ist es, wenn
oder anspruchsvolles in einem eng begrenzten Bereich sich beide Komponenten gleichzeitig entwickeln und
(S5). Denkbar sind auch Situationen, in denen einfaches sie dabei zugleich aufeinander Bezug nehmen.
und geringes Wissen planvoll, sicher und umfangreich
Erfolgreiches Lernen im Fach setzt zudem voraus, dass
in Handlungssituationen angewendet wird (S6).
die jeweiligen Lerngegenstände zuvor in entsprechen
Alle Lernsituationen können Vorkommen; ideal sind de fachinhaltliche und -sprachliche Kontexte gebracht
jedoch solche, in denen angemessenes Wissen in ange wurden. Fach- und Sprachlernen sind deshalb im Fach
messen herausfordernden Situationen zum Handeln unterricht eng miteinander zu koppeln. Denn dann
führt, so z.B. im Falle der Lernsituationen S3, S7 oder wird der Unterricht nach inhaltsbezogenen Lernphasen
S8. Kompetenz wächst aber immer nur dann an, wenn strukturiert, aber durch sprachbezogenes Lernen ver
beim Lernen auch jene Teile aktiviert werden können, vollständigt. (Fach-)sprachliche Kompetenzen sind
die im Eisbergmodell unter Wasser sind, vgl. S. 69. somit kein Nebenprodukt des Unterrichts, sondern
Längsfäden im Geflecht des Lernens. Die Kompetenz
Kompetenzen werden nur in der Bewältigung authen
entwicklung beim kompetenzorientierten U nterricht
tischer Anforderungssituationen gelernt und nachge
setzt dabei nicht erst in der Stunde selbst an, sondern
wiesen. „ Die Verknüpfung von Wissen und Können
ist der Unterrichtsstunde vor- und nachgängig.
d arf also n ich t a uf Situationen jenseits der Schule
verschoben werden. Vielmehr ist bereits beim Wis
senserwerb die Vielfalt möglicher Anwendungssitua
tionen m it zu bedenken. " (Klieme et al., 2003, S. 79)
Die Lehrkraft muss sich deshalb bemühen, Lernum-
gebungen zu gestalten, die die Lerner in eine inten Kompetenzorientiertes (sprachliches) Lernen
sive, aktive, selbstgesteuerte und kooperative Aus - wird vom Lernprozess ausgehend geplant;
einandersetzung mit dem Lerngegenstand bringen. - stellt die Inhalte in einen Kontext;
Genau dies leistet der sprachsensible Fachunterricht: In - entwickelt (sprachliche) Kompetenzeft im han- ; ^
seinen Lehr- und Lernprozessen werden Fertigkeiten I delnden Umgang m it Inhalten Und Wissen;
ausgebildet, die schon beim Erwerb in sprachpraktischen - stellt die Bewältigung (sprachlich) authenti
und authentischen Anwendungsbezügen stehen. scher Anforderungssituationen ins Zentrum; .
Ist ein Unterricht vor allem auf Wissenszuwachs hin produziert auswertbare (sprachliche)
angelegt (wird also die Handlungskomponente ver Lernprodukte;
nachlässigt), können sich die Kompetenzen nicht hin - fördert die (sprachliche) Reflexion und
reichend entwickeln. Die Kompetenzentwicklung ist
aber auch dann eingeschränkt, wenn der Unterricht
Teil B 71
Grundlagenwissen
72 Teil B
Grundlagenwissen
— V
Gängige Unterrichtsmethodeh im Fachunterricht $U
- Welche Ziele werden m it dem Unterrichts Lerner treten m it Vorwissen, Vorerfahrungen und m it
gegenstand verfolgt? (Lernziele) einem Bestand an Kompetenzen in die Lernumgebung
des Unterrichts ein und verlassen diese Lernumgebung
- Welche Relevanz hat er für die Lerner?
wieder - m it hoffentlich mehr Wissen, größerem Kön
(Zukunftsbedeutung, Relevanz)
nen und zusätzlichen bzw. ausgeprägteren Kompeten
- Wie kann der Unterrichtsgegenstand methodisch zen (vgl. Abb. 5. 74 oben). Die Lehrselte, also der A u f
aufbereitet werden? (methodische Planung) gabenbereich der Lehrkraft, schafft dabei geeignete
- Welche Materialien und Medien können ein Lernumgebungen, in denen die Lernprozesse optimal
gesetzt werden? (Materialien und Medien) stattfinden können.
- Wie ist die Unterrichtseinheit (die Stunde) Der Lernprozess einer Lerneinheit findet in einer lern-
geplant und strukturiert? (Unterrichtsverlauf) psychologisch abgesicherten Schrittfolge statt (vgl. Abb.
S. 74 unten). Dabei muss die Lerneinheit nicht unbe
Ganze Lehrergenerationen wurden in diesem Planungs dingt eine 45-Minuten-Stunde umfassen.
modell ausgebildet Die heute von den Bildungsstan
dards geforderte, zunehmend binnendifferenzierte und 1. Schritt: Problem stellung entdecken
kompetenzorientierte Ausrichtung des Fachunterrichts In einem ersten Schritt g ilt es, die Problemstellung
sowie die große Heterogenität der Lerner fü hrt jedoch (Fragestellung, Thema, Aufgabe, Relevanz, Zukunfts
zu gewandelten Anforderungen an den Lehr-Lern- bedeutung ...) zu entdecken und zu entfalten. Dazu
Prozess, die das klassische Planungsmodell nicht immer muss das affektive und kognitive System des Lerners
befriedigend bedienen kann.
So suggeriert beispielsweise die oben geschilderte Vor * fraktal: Wiederholung einer bestimmten Struktur
gehensweise in „Top-Down"-Manier, dass es eine strin in sich selbst (Selbstähnlichkeit)
Teil B 73
Grundlagenwissen
m
Iä
74 Teil B
Grundlagenwissen
Sprachhandeln Kompetenzen
Problemstellung entdecken
- ♦ ___
Vorstellungen entwickeln
Lernmaterial bearbeiten
*
Lernprodukt diskutieren
Lernzugewinn definieren
) Josef Leisen
liert, verbalisiert und umgewälzt; gleichzeitig werden anderen Weg nim mt als das Abrufen und somit auch
sie mit denen anderer Lerner abglichen und verhan separat geübt werden muss.
delt. Dabei verständigt sich die Lerngruppe auf gemein
Nach dem Durchlaufen der Lernschritte 1 bis 6 ist die
same Erkenntnisse im Sinne eines „gemeinsamen
Störung behoben; das affektive und kognitive System
Kerns". Indem also das Lernprodukt in der Gruppe dis
ist wieder in ein Gleichgewicht gebracht.
kutiert wird, „gerinnen" die individuellen Erkenntnisse
und Lernzuwächse zu einem Konzentrat. Lernen ist somit ein Prozess, der in kleinen wie in großen
Lernsituationen in Schrittfolgen stattfindet. Dabei müs
5. Schritt: Lernzugewinn definieren sen die Muster nicht immer identisch ablaufen, sondern
In Lernschritt 5 wird der Lernzuwachs definiert. Dies können individuell und situationsbedingt variieren. Die
erfolgt, indem der Lerner seine in Lernschritt 4 gebilde se Schrittfolgen (sogenannte Muster) laufen dabei in
ten Vorstellungen m it denen vergleicht, die er in Lern nerhalb eines Schrittes im Kleinen wie auch in den über
schritt 2 entwickelt hatte. Damit aber der Lernzuwachs geordneten großen Lerneinheiten fraktal ab.
auch als „Kompetenz im handelnden Umgang mit (dem
Dies gilt für jede A rt des Lernens und für alle kommu
neuen) Wissen" (vgl. S. 69) erprobt werden kann, muss
nikativen Kompetenzbereiche, also fü r das Sprechen
der Lerner das Gelernte auf neue Aufgabenstellungen
und Lesen wie auch fü r das Schreiben, vgl. Abb. oben.
oder in einem neuen Kontext anwenden. So wird
erprobt, ob der Kompetenzzuwachs einem erfolgreichen
handelnden Umgang standhält und zugleich Lernbe-
wusstheit herstellt, da dem Lerner auf diese Weise sein
Lernzuwachs deutlich und bewusst wird.
Bei jeder Unterrichtsplanung, Unterrichtsvorberei-
tung und -umsetzung ist zu beachten:
6. Schritt: Sicher werden u nd üben
In Lernschritt 6 wird das - bis dahin in einem bestimm : 1. Lernen ist;ein fraktaler (selbstähnlicher) Prozess
ten Kontext gelernte - neue Wissen dekontextualisiert u nd erfolgt, in Sch rittfolgen (sog. Mustern).
und in einem neuen Wissensnetz verankert. Damit übt 2. Lernen findet auch innerhalb der einzelnen Lern-
der Lerner zugleich, das Gelernte zu nutzen; er „habi- schritte fraktal, also in Schrittfolgen statt.
tualisiert" somit den handelnden Umgang m it dem : 3. Erfolgreiches Lernen setzt die mehrfache Beschäf
neuen Wissen. Dieser Schritt ist erforderlich, da das tigung m it dem Lerngegenstand voraus.
Einspeichern ins Gedächtnis gehirnphysiologisch einen
Teil B
Grundlagenwissen
(Sprachsensibler) Fachunterricht
sprachlich
als anregendes CALP-Sprachbad
kognitiv
reichhaltig anregend
© Josef Leisen
Sprachliches Lernen im Sprachbad Fachliches Lernen findet somit in der Sprache und m it
Schulische Kommunikation und fachliches Lernen fin der Sprache statt, und zwar in einem Zustand, in dem
den in der Bildungssprache (Unterrichtssprache, Fach diese selbst noch generiert wird. Dabei wiederholt sich
sprache) statt, vgl. S. 46. Die Lerner stehen folglich im der Zyklus „Sprache aufnehmen, beobachten, erproben,
Fachunterricht inmitten eines CALP-Sprachbades. anwenden, generieren und Bewusstheit erzeugen" im
In diesem CALP-Sprachbad beobachten, erproben und Kleinen wie im Großen. Auch im CALP-Sprachbad ist
generieren die Lerner (Fach-)Sprache, nehmen sie auf, der Sprachlernprozess fraktal zu denken, vgl. S. 73 ff.
wenden sie an und entwickeln Sprachbewusstheit. All Erfolgreiches fachsprachliches Lernen setzt voraus, dass
dies geschieht ständig gleichzeitig und - je nach Situ das CALP-Sprachbad sprachlich reichhaltig und kog
ation - in unterschiedlichem Ausmaß; immer aber ist nitiv anregend ist - wie das auf den BICS-Bereich aus
das fachliche Lernen von einem anregenden Sprach
gerichtete Fremdsprachenlernen, das ja bekanntlich
bad umgeben, vgl. 5. 61 und 66 f.
dann besonders gut gelingt, wenn es im Sprachbad des
entsprechenden Landes stattfindet.
76 Teil B
Grundlagenwissen
Ein zeitgemäßes Modell dem Lehren und dem Lernen. Gleichzeitig verdeutlicht
für die Planung und Umsetzung es die für beide Bereiche geltenden Bedingungen und
umreißt den Aktions- und Steuerungsbereich der Lehr
des Lehr-Lern-Prozesses
kraft (vgl. dazu im Einzelnen S. 79 ff.).
Kompetenzorientierte Ausrichtung Die Steuerungen 1 und 2 des Modells haben materialen
Beim kompetenzorientierten Unterricht sind die Lehr- Charakter (vgl. Abb. u.) und sind wesentlich durch die
prozesse auf die Lernprozesse hin abzustimmen und häusliche Unterrichtsvorbereitung bestimmt. Die Steue
nicht umgekehrt. Diesem Ansatz fo lgt auch der sprach- rungen 3 und 4 hingegen haben personalen Charakter
sensible Fachunterricht: Er stellt konsequent den Lern und werden durch die Unterrichtssituation, das Lern-
prozess in den Vordergrund der Planung des Lehr-Lern- klima und durch die Lehrerpersönlichkeit bestimmt.
Prozesses und unterscheidet sich dam it nachhaltig von
Dabei besteht die Leistung der Lehrkraft darin, die vier
der traditionellen Lehr-Lern-Planung.
„Steuerungen" des Lernprozesses inhaltlich angemessen
Ein zeitgemäßes Modell des Lehr-Lern-Prozesses muss zu planen und nach gewissen qualitativen M indest
aber nicht nur kompetenzorientiert ausgerichtet, son standards umzusetzen, vgl. auch S. 79 ff. Die Lehrauf-
dern auch auf heterogene Lerngruppen anwendbar gabe ist somit professionell zu gestalten.
sein. Um diesen beiden Herausforderungen angemessen
begegnen zu können, konzentriert sich das Modell auf Lernorientierte Steuerungen
die Lernvorgänge im Unterricht (als Form des organi
sierten Lernens). Es lässt aber zugleich auch die Lehr- Materiale Steuerungen
leistungen der Lehrkräfte (als Teil der Lernumgebung) Steuerung 1:
einfließen. Denn die Lehrkraft schafft die Lernumge- Aufgabenstellungen
bungen und steuert die Lernprozesse von außen. Das Aufgabenstellungen haben materialen Charakter. Sie
Lernen selbst findet zwar autonom im Inneren (beim steuern die Lernumgebung. Dabei ist darauf zu achten,
Lerner) statt; die Lehrkraft hat aber die Möglichkeit, dass es auch tatsächlich Aufgaben zum Lernen und
über materiale und personale Steuerungen Einfluss auf nicht zum Leisten sind (zum Unterschied s. S. 84 ff.).
die möglichen Lernvorgänge zu nehmen (vgl. Abb.
Gute Aufgabenstellungen berücksichtigen den indivi
unten).
duellen Kompetenzstand der Lerner und sind angemes
Ein zeitgemäßes Lern-Lehr-Modell trennt somit strikt sen fordernd. Sie sind dann binnendifferenziert (also
zwischen Lehrer- und Lernerleistungen, also zwischen gestuft und individualisiert) gestaltet und beinhalten
Gesprächsführung/ ; ' ;
Moderation -
Diagnose/ : ; ’.
Rückmeldung
) Josef Leisen
Teil B 77
Grundlagenwissen
Warum und wie Methoden-Werkzeuge die Lehrkraft Diagnostik ist hier nicht als „Sprachstandsdiagnose“ im
bei der Steuerung des Lernprozesses unterstützen kön Sinne von B1 bis C2 zu verstehen; sie erfolgt vielmehr
nen, wird ab S. 90 behandelt; die Methoden-W erkzeu durch Vergleichen und Bewerten des Lernzuwachses.
ge selbst werden in Teil C ausführlich vorgestellt. Grundlage für eine Diagnose können das Handeln und
Sprachhandeln der Lerner, besonders aber die
hergestellten Lernprodukte sein, vgl. Abb. links.
Teil B
78
Grundlagenwissen
Die Aktivitäten der L e r n e r ,^ ^ . Wird die Lerneinheit durch eine Problemstellung initiiert
lernschrittgerecht steueifn j| und bestimmt, ist es fü r die Lerner vorteilhafter, wenn
sie diese selbst (z.B. an gegebenem Material oder be
Vorbemerkung
schriebener Situation) entdecken. Dies gilt auch, wenn
Wie die Praxis zeigt, lohnt es sich, die auf S. 7 % ^ be ein Text oder eine Thematik die Lerneinheit bestim
reits grundsätzlich skizzierten SteuerungsleistungeMäer men. Alternativ kann die Lehrkraft eine Problemstellung
Lehrkraft noch einmal detailliert zu beleuchten. Denn auch vorgeben, die die Lerner dann nachvollziehen
Lehrkräfte neigen dazu, die Steuerungen in den ver müssen.
schiedenen Lernschritten (bzw. Lehrphasen) alle in der
gleichen A rt und Weise anzugehen. Die Lehrkraft steuert den Lernprozess durch offene
Impulsformen (bei einem komplexen Problem z.B. A u f
Professionalität zeigt sich jedoch in einer lernschritt-
forderung zu einer Meinung, Anregungen zu divergen
bzw. phasengerechten A ktivitä t der Lehrkraft. Denn
tem Denken), durch engere Impulsformen (Concept
was Lerner tun sollen und müssen, richtet sich im
cartoons, zu bewertendes Zitat, Demonstrationsexpe
sprachsensiblen Fachunterricht (bzw. einem Unterricht,
riment ...) oder einfach durch eine spannende, durch
der dem kompetenzorientierten Lehr-Lern-Modell folgt)
die Lehrkraft vorgegebene Frage. Nonverbale Aktivie
nach der Lernsituation im jeweiligen Lernschritt.
rungen eignen sich besonders gut.
Daraus ergibt sich beinahe zwangsläufig, wann die
Lehrkraft zu schweigen hat, wann bzw. wie sie gefordert Die Lerner müssen sich alle einbringen können und
ist und wann sie die Lerner eng bzw. w eit führen muss. äußern sich frei (z.B. ihre Meinungen und Ideen, Hypo
Nachfolgend werden die Aktivitäten der Lerner in der thesen oder Wirkungen). Die Lehrperson kommentiert
jeweiligen Lernumgebung sowie die Aktivitäten der dabei nicht, sondern beobachtet und erm utigt (s. Abb.
Lehrkräfte bei den jeweiligen Steuerungen für die sechs unten).
Lernschritte einzeln durchdekliniert.
Lernschritt 2:
Lernschritt 1: Vorstellungen entwickeln
Problemstellung entdecken/ In dieser Phase geht es um die Formulierung einer Pro
Im Lernkontext ankommen/ blemfrage, Hypothese oder Aussage zur Weiterarbeit.
In die Lernsituation einfinden Der Lehrer vollbringt hier Strukturierungsleistungen und
Der Lehrer vollbringt eine Aktivierungsleistung, die er Abstraktionsleistungen in Form von Visualisierungen
materiell (Folien, B ilder...) und/oder personal („Enter- und/oder Zusammenfassungen. Er geht vom offenen
tainer"-Funktion bei der Moderation) steuert. Gespräch in ein selektierendes Gespräch über.
Lernschritt 1
• komplexes Problem • mit Impulsen öffnen
• Aufforderung zu • ansteckend begeistern
Kompetenzen
einer Meinung
• nonverbal aktivieren
• Anregungen zum
Lernumgebung • nicht kommentieren
divergenten Denken
Problemstellung entdecken
äußern £fctefrei a
.alle beMiigenjsieb
AÄ/irküngen r Ein-
drücker-ÄAeinungen;V
... werden geäußert. Diagnose/Rückmeldung
• Karikaturen
• Bilder, Fotos
• Situätionsbilder
• zu bewertendes Zitat
• Demoexperiment Kompetenzen
• Filmszene
© Josef Leisen
Teil B
79
Grundlagenwissen
Lernschritt 2
• .selektierendes ^
Gespräch
Kompetenzen • Verhandeln von
. Vorstellungen .
Lernumgebuni H • strukturieren
m m • .fokussieren
Vorstellungen entwickeln gg
• diagnostiziert
• Tafel, Flipchart, Folie Pröblemfrliger Hypö-
zum Sichern der ' Vorvyissen und
: ^ u na • : Spektrum der Ideen,
Ideen, Vorstellungen
• Visualisierungen
Kompetenzen1
•' ‘ \ ■ :: ' : ^
) Josef Leisen
Teil B
80
Grundlagenwissen
lungssituationen verknüpft sind (z.B. indem die erwor dient somit w eniger dem einschleifenden Üben, sondern
bene Kompetenz auf neue Aufgabenstellungen ange markiert den Abschluss der Lernschrittfolge.
wendet wird). Phase 6 sollte deshalb treffender „Lern Die letzte Phase des Lernens ist erforderlich, da der
zugewinn in das Wissensnetz einbinden" lauten. Denn neurophysiologische Weg „in das Gedächtnis hinein"
hier wird das Gelernte dekontextualisiert, transferiert nicht identisch m it dem „aus dem Gedächtnis heraus"
und in ein neues Begriffsnetz restrukturiert. Gegebe ist. Deshalb ist beides zu üben, ganz im Sinne des Kom
nenfalls findet dabei die (d.h. eine weitere) Auseinan petenzbegriffs (handelnder Umgang m it Wissen, vgl.
dersetzung in einem anderen Kontext statt. Phase 6 S. 69).
Lernschritt 3
• auf ein schlüssiges;, .
L e rn p ro d u k t richten Einzelgespräche.
Kompetenzen.
• Lernprodukt; Moderation der
vorentlasten Organisation
ernumgebung
• Qualitätsanspruch
formulieren
* äHe b ^ b e ite rt Äa&JS
Lernmaterial in :
fv^ässend^ loderätion
Lernmaterial bearbeiten
© Josef Leisen
Lernschritt 4
• zürückhalten und >
wiederholen genau zu hören
kompetenzien
• Reihenfolge
moderieren
ternü i • Diskursivität
befördern
i 'Leriüöen-^'a! b^rbelten' j.
Lernprodukt diskutieren
. jeder yerantvyort^ ; ,
• präsentationsmaterial sein/gemeinsames • Ergebnisse . \
bereitstellen r “ Lernprodukt diagnostizieren:T
V/ ■y.ov.u Jveraen uno ufcen
• Präsentation • Lernchancen
organisieren feststellen und .
merken
Kompetenzen
© Josef Leisen
Teil B
81
Grundlagenwissen
Die bei dem Transfer des Wissens erfolgende Dekon- wirksamer als der unmittelbare Anschluss (das sog.
textualisierung führt meist in einen neuen Modelldurch „Lernen im Schlaf"). Synaptische Verbindungen müssen
lauf; auch dies verdeutlicht den fraktalen Charakter des also „re ife n " können; dafür braucht es Zeit und
Modells. „Bedeutsam keit", also emotionale Verknüpfungen
Der Lernschritt 6 kann zwar von den anderen abge und/oder häufige Wiederholung (Details s. Abb. unten).
koppelt werden. Die Vernetzung muss aber im Auge Nach dem Durchlaufen der Lernschrittfolge ist die Stö
behalten werden („kum ulativer Kompetenzerwerb"). rung behoben, das affektive und kognitive System wie
Der neurobiologischen Forschung zufolge ist zudem der in ein Gleichgewicht gebracht (vgl. S. 74).
eine überschaubare „zeitliche Verzögerung" sogar lern- Die Lernschrittfolge ist fraktal zu denken (vgl. S. 75).
Lernschritt 5
Aufgabenstellung • Reflexionsimpulse
muss den Lern- und - setze ri : •
Kompetenzen
Erkenntriisgewinri, • Strukturieren und.
Kompetenzzuwachs Abstrahieren
verdeutlichen • Bezüge herstellen
Anwendungen stellen •/Rückgriff auf Phase 2
) Josef Leisen
Lernschritt 6
:• neue Aufgaben- und • akzentuieren,
. Problemstellung strukturieren und
• Dekontextualisierung abstrahieren
des neu Gelernten • neue Beurteilungs
• Einbindung in das aspekte (Aktualität,
Wissensnetz Werturteil) eingeben
Josef Leisen
82 Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 83
Grundlagenwissen
So werden Aufgaben dort immer noch viel zu selten Auch Aufgaben zum Üben und Festigen dienen somit
zum Lernen von etwas Neuem, sondern vorrangig nur dem Lernen.
zum Üben und Wiederholen, Vertiefen und Festigen
Übungsaufgaben haben eine sehr lange Tradition, ob
sowie zum Prüfen und Testen eingesetzt.
wohl ihr Ansehen und ihre Wertschätzung in der didak
Damit aber werden Lernpotenziale vertan: Denn gerade tischen Diskussion w ellenförm ig schwanken. Nach
Lernaufgaben bieten die Chance, Lerner so zu führen, Jahren der Geringschätzung entdeckt man heute ihre
dass sie sich möglichst eigenständig neue Inhalte und/ Notwendigkeit und Bedeutung neu.
oder neue Methoden erschließen können. Das Ziel einer
Übungsaufgaben machen dann Sinn, wenn sie „in te lli
solchen Lernaufgabe darf dann allerdings nicht nur
gent" in den Lernprozess eingebaut werden. Dies ist
darin bestehen, dass die Lerner überhaupt etwas lernen;
dann der Fall, wenn Lerner Könnenserfahrungen
sie muss vielmehr darauf abzielen, dass Lerner etwas
machen und Erfolgserlebnisse haben. Zugleich können
kompetenzorientiert lernen.
Lerner so über ihr eigenes Lernen nachdenken und
Kompetenzorientierte Lernaufgaben sind im sprachsen zusätzliche metakognitive Kompetenzen entwickeln.
siblen Fachunterricht von großer Bedeutung; ihnen ist
Um auch sprachschwachen Lernern solche Erfolgser
deshalb ein eigener Abschnitt gewidmet (s. S. 85 ff.;
lebnisse zu ermöglichen, müssen die Übungsaufgaben
Details zur Binnendifferenzierung s. S. 88 ff.).
in heterogenen Lerngruppen zwingend binnendiffe
renziert gestellt werden. Im sprachsensiblen Fachun
Aufgabenarten terricht eröffnen hierfür besonders die Sprachübungen
Je nach Aufgabenart haben Aufgaben höchst unter ein breites Anwendungsfeld. Ihnen ist deshalb im vor
schiedliche Ziele, Merkmale und Bedingungen. Nach liegenden Handbuch ein ganzes Kapitel gewidmet (sie
folgend die Hauptmerkmale der einzelnen Aufgaben he 5. 178 ff. und Teil C).
typen im Überblick:
Diagnoseaufgaben:
Lernaufgaben: Diagnoseaufgaben haben zum Ziel, den momentanen
Eine Lernaufgabe ist eine Lernumgebung zur Kompe (Sprach-)Lernstand zu ermitteln und daraus Prognosen
tenzentwicklung. Sie steuert den Lernprozess durch über das weitere (Sprach-)Lernen abzuleiten sowie För
eine Folge von gestuften Aufgabenstellungen m it ent dermaßnahmen zu entwerfen. Diagnoseaufgaben dür
sprechenden Lernmaterialien. In einer Lernaufgabe gibt fen deshalb nicht den Charakter von Prüfungsaufga
die Lehrkraft die Steuerung des Lernprozesses an die ben erhalten, auch wenn es sich u.U. um dasselbe
Lernaufgabe ab. Durch dieses Wegfallen des „perso Aufgabenformat handelt.
nalen" Einflusses wird die Steuerung auf die materiale
Zu Diagnoseaufgaben müssen Unterstützungssysteme
Steuerung beschränkt, vgl. Text und Abb. auf S. 85
angeboten und erfolgsfördernd eingesetzt werden.
i
Lernaufgaben haben das selbstständige Erschließen von Dazu ist zwingend erforderlich, dass die Lehrkraft die
etwas Neuem und den Aufbau verstehensrelevanter Beobachtungen, die sie bei der Lösung der Aufgaben
Wissensnetze zum Ziel. Sie bieten eine Vielzahl von durch die Lerner macht, das Lernen selbst und die
didaktischen Chancen: gestellten Aufgaben mit den Lernern bespricht. Darüber
hinaus sollten mit den Lernern Metareflexionen vorge
- Lerner können durch Aufgaben gesteuert selbststän
nommen werden.
dig Neues lernen;
- es sind individuelle Bearbeitungswege möglich; Nähere Ausführungen zur Diagnostik im sprachsensi
blen Fachunterricht finden sich auf 5. 186 ff., ein aus
- das Lerntempo kann variieren;
führlich ausgearbeitetes Beispiel steht auf 5. 206 f.
- dem Lehrenden kann sowohl die Rolle des Beraters
als auch des individuellen Betreuers zukommen; Leistungsaufgaben/Evaluationsaufgaben:
- der Lehrkraft werden individuelle Lernstandsdiagno- Evaluationsaufgaben überprüfen den Lernerfolg oder
sen erleichtert; den Erfolg von Fördermaßnahmen; sie sind Leistungs
- gute und bewährte Lernaufgaben können im Kolle aufgaben und treten zumeist in Prüfungssituationen
gium ausgetauscht werden. auf. Evaluationen, die auf einen einzelnen Lerner hin
ausgerichtet sind, sind meist Prüfungen.
Detaillierte Ausführungen zu (kompetenzorientierten)
Lernaufgaben finden sich auf 5. 85 ff.; ein ausführlich Zum grundsätzlichen Unterschied zwischen Leistungs
und Lernaufgaben s. 5. 87 unten.
ausgearbeitetes Beispiel findet sich auf 5. 204 f.
Gute Prüfungsaufgaben zeichnen sich dadurch aus,
Übungsaufgaben: dass sie dem Lernenden die Chance bieten, zu zeigen,
Übungsaufgaben sind Aufgaben, die dem Aufbau von was er kann. Sie sollten aber nicht dazu benutzt werden,
Routinen dienen. Sie vernetzen und festigen die Lern- ihm zu zeigen, was er alles nicht kann. Evaluationsauf
inhalte, fördern also die Nachhaltigkeit des Lernens. gaben stehen nicht im Fokus dieses Handbuchs.
84 Teil B
Grundlagenwissen
Kompetenzorientierte
Lernaufgaben Begriffsdefinition
„Eine Lernaufgabe ist eine Lernumgebung zur Kompe-
Aktivitäten und Steuerungen tenzentwicklung: Dabei werden die Lerner durch eine
Lernaufgaben sind Aufgaben für Lernsituationen. Lern Folge von gestuften Aufgabenstellungen m it entsprechen
aufgaben schaffen dabei eine bestimmte Lernumge den: Lern materialieh so geführt, dass sie sich' möglichst
bung (durch ihr jeweiliges Setting und die Lernmate eigentätig Neues (Inhalte und Methoden) erschließen. "
rialien) und ihre Aufgabenstellungen steuern die Lern
prozesse in den jeweiligen Lernsituationen. Kompetenzorientierte Lernaufgaben sind im sprachsen
Im Konzept der Lernaufgaben wird strikt zwischen den siblen Fachunterricht von großer Bedeutung. Sie sind Teil
Aufgabenbereichen von Lehrenden und Lernenden seiner Lern- und Aufgabenkultur, greifen aber nur, wenn
unterschieden: Lehrer konstruieren Lernaufgaben, Ler Lernsituationen von Leistungssituationen getrennt sind
ner lernen daran. In einer Lernaufgabe gibt die Lehrkraft
die Steuerung des Lernprozesses an die Lernaufgabe Lehrkräfte sollten deshalb Lern- und Leistungs(überprü-
ab. Die Lehrkraft steuert dann indirekt (in der Planung fungs)situationen bewusst voneinander-trennen und
und der Aufbereitung der Lernaufgabe). Im Unterricht nicht miteinander mischen. Denn Lernaufgaben bringen
selbst hingegen tr itt die Lehrkraft zurück und überlässt
die Steuerung des Lernprozesses der Lernaufgabe, siehe
Abb. unten.
Warum aber verzichtet die Lehrkraft auf die personale
Steuerung zugunsten einer überwiegend (und bisweilen kann als „Reifung" interpretiert werden. Diese „Rei
sogar ausschließlich) materialen Steuerung? Und warum fu n g " ist aber ein höchst individueller Prozess, der auf
braucht es Lernaufgaben, wenn die Steuerung genauso individuellen Wegen m it einer jeweils eigenen Ge
gut oder gar besser von der Lehrkraft selbst vorgenom schwindigkeit stattfindet. Lernaufgaben bieten hier die
men werden könnte? erforderlichen, individuell passenden Lernumgebun-
gen - sofern sie m it abgestuften Lernhilfen versehen
Die Begründung: A uf der Ebene der Lernpsychologie
sind.
lässt sich die Entwicklung von Kompetenzen als
„Umbau neuronaler Strukturen" beschreiben, die im Lehrkräften kommt somit im Rahmen von Lernaufga
Kopf des Lerners stattfinden. Dies braucht Zeit und ben vor allem die Rolle der Prozessbegleitung zu. Ihre
85
Teil B
Grundlagenwissen
Komplexe Lernaufgaben Das Wissen wird in konkreten Der Unterricht ist auf die
Anforderungssituationen erwor Kompetenzentwicklung hin
fordern die Lernenden
ben, in denen die Kompetenzen ausgerichtet.
inhaltlich, sprachlich und
fachmethodisch heraus. entw ickelt und erprobt werden.
Aufgabe ist esr die entsprechenden Lernumgebungen Daraus wird zweierlei deutlich:
zu planen und zu schaffen, in denen Lerner handelnd 1. Die Ablaufstruktur einer Lernaufgabe und die Ab
m it Wissen umgehen und zu definierten Lernergebnis laufstruktur des Lernprozesses im Lehr-Lern-Modell
sen kommen können. Diese Lernergebnisse werden in korrespondieren bzw. stimmen überein. Denn auch
Form von „Lernprodukten" ausgewertet, die auf eine der Lernprozess einer Lerneinheit findet in einer lern-
in dieser Lernumgebung schwerpunktmäßig zu ent psychologisch abgesicherten Schrittfolge statt (vgl.
wickelnden Kompetenz ausgerichtet sind. Die Lehrkraft S. 73 f.).
diagnostiziert dabei den jeweiligen Kompetenzstand
2. Aufgaben, in denen ein Lerner nur neues Fakten
, und kennt Instrumente, die Kompetenzentwicklung zu
wissen lernt, sind keine Lernaufgaben im eigentlichen
steuern und transparent zu machen. Dies leistet sie bei
Sinne. Lernaufgaben sind vielmehr stets als „ko m
Lernaufgaben im Vorfeld - am Schreibtisch.
petenzorientierte Lernaufgaben" zu verstehen - also
Zielsetzung Aufgaben, die den Lernprozess, die damit verbun
dene Selbsttätigkeit, den handelnden Umgang m it
Lernaufgaben haben zum Ziel, dass Lerner möglichst
Wissen und die Kompetenzentwicklung in den Vor
eigentätig Problemstellungen entdecken, Vorstellungen
dergrund stellen. Dieser Definition fo lg t auch das
entwickeln, ein Lernprodukt erstellen, den Lernzuge
„Handbuch Sprachförderung im Fach".
winn definieren und sich dann im handelnden Umgang
mit Wissen üben (vgl. Abb. S. 85 u.). Anders formuliert: Was unterscheidet Lernaufgaben
von Leistungsaufgaben?
1. Vorstellung des Kontextes und Entdeckung Lernaufgaben sind Aufgaben in Lernsituationen. Unter
des Problems; richt in Deutschland ist aber traditionell eher auf Leis-
2. erster Zugriff auf das Problem und Entwick tungs- als auf Lernsituationen ausgerichtet. Zudem wird
lung von Vorstellungen; durchweg zu wenig zwischen Lern- und Leistungssi
3. Reaktivierung des Vorwissens und Auswer tuationen unterschieden, sondern ständig beides m it
tung neuer Informationen; einandervermischt. Dies hat für den Lernprozess unheil
volle Auswirkungen, weil beide Situationen unterschied
4. Erarbeitung des Neuen Schritt für Schritt
lichen psychologischen Gesetzmäßigkeiten unterliegen:
und Erstellung eines Lernproduktes;
5. Bewusstmachung des neu Erlernten und - Wer sich in einer Lernsituation wähnt, will Neues ler
Definition des Lernzugewinns; nen, Lücken schließen, etwas verstehen.
6. Selbstüberprüfung, Verankerung im Wissens- - Wer sich in einer Leistungssituation wähnt, will Erfol
T netz und Anwendung auf andere Beispiele. ge erzielen und Misserfolge vermeiden.
Teil B
86
Grundlagenwissen
Leistungsaufgaben/Testaufgaben Lernaufgaben
\ ■ (im Fremdsprachenunterricht) (im Fremdsprachenunterricht)
^ decken nur ein Niveau des GER ab; . - decken unterschiedliche Niveaus des GER ab
- haben einen thematischen Zusammenhang; (zum GER siehe S. 16 f. und S. 220 ff.);
Teil B 87
Grundlagenwissen
Lehrkräfte sollten Lernern in einer Lernaufgabe Auf Im Fachunterricht haben sich folgende Möglichkeiten
gabenteile aller Schwierigkeitsgrade anbieten: binnendifferenzierenden Handelns bewährt:
- Eine einfache Lernaufgabe von niedrigem Schwierig - Lerninhalte a u f verschiedenen Erkenntniswegen
keitsgrad erhöht das Erfolgsgefühl und w irkt positiv (deduktiv/induktiv) erschließen lassen;
auf die M otivation.
- unterschiedliche Abstraktionsgrade, verschiedene
- Eine Lernaufgabe von höherem Schwierigkeitsgrad Anforderungsstrukturen sowie zugleich verschiedene
erhöht ebenfalls die M otivation, da hier eine Heraus
Perspektiven auf die Lerninhalte anbieten;
forderung zu bewältigen ist.
- Lerninhalte durch verschiedene Sinnesmodalitäten
und Handlungsweisen zugänglich machen (z.B. auf
auditivem oder visuellem Weg, durch sensomotori-
sche A ktivitäten, durch praktisches Handeln und
____W E £ S — ^ 15 X4 =^- ._____
88 Teil B
Grundlagenwissen
Folgende Methoden zur binnendifferenzierten indivi hier vom Prinzip der kalkulierten Ü berforderung leiten
duellen Förderung haben sich in der Unterrichtspraxis lassen (vgl. S. 74).
bewährt:
- die Methode der gestuften Hilfen: Hier wird allen Welchen Aufbau und welche Merkmale
Lernern zunächst dieselbe Aufgabe m it denselben haben Aufgaben mit gestuften Hilfen?
Anforderungen gestellt. Entsprechend dem individu im sprachsensiblen Fachunterricht bietet die L eh rkra ft
ellen fachlichen und sprachlichen Vermögen können zur Bewältigung der Aufgabe insbesondere sprach-
die Lerner dann auf gestufte (Sprach-)Hilfen unter schwachen Lernern Hilfen an, die bei Bedarf S ch ritt fü r
schiedlicher Intensität bzw. Stärke zurückgreifen. Schritt zur Entwicklung der Lösung benutzt w erde n
- die Methode der gestuften Anforderungen: Hier wer können. Diese Hilfen sollten stets zielgerichtete Im pulse
den den Lernern Aufgaben m it unterschiedlich hohen geben (z.B., das Vorwissen beim Lerner zu aktivieren
fachlichen und/oder sprachlichen Anforderungen ge und ihn dann über den zugrunde liegenden Gedanken
stellt. sprechen zu lassen).
Ausführliche Beispiele finden sich in Teil D, S. 208 ff. Die erste Hilfe sollte dabei immer die A u ffo rd e ru n g
beinhalten, die Aufgabe in eigenen Worten w ie d erzu
Wann eignen sich Aufgaben geben. Die letzte Hilfe hingegen sollte stets die K o m
mit gestuften Hilfen? plettlösung vorstellen. Zu jeder Aufgabe sollten z w i
Aufgaben m it gestuften Hilfen sind dann angebracht, schen 3 und 6 Hilfen angeboten werden. W ic h tig ist,
wenn die Aufgabe eine komplexe Fragestellung auf dass die Lerner stets selbst entscheiden können, o b und
weist und eine möglichst eindeutige Beschreibung des zu welchem Zeitpunkt sie eine Hilfe in Anspruch neh
men wollen.
Ergebnisses verlangt. Allerdings eignet sich das System
der gestuften Hilfen nicht für alle Arten von Aufgaben. Dabei haben sich folgende Leitlinien bewährt (nach
Bei der Auswahl der Aufgaben und der Erstellung der Stäudel und Wodzinski, 2009, S. 2-5):
Hilfen ist Folgendes zu berücksichtigen:
- Komplexität erhalten: Wenn komplexere A u fgaben
1. Besonders gut eignen sich Problemstellungen, bei notwendig sind, um Lerner kognitiv zu aktivieren,
denen es um die Anwendung von Wissen geht, also muss diese Komplexität so w eit wie möglich erhalten
z.B. um die Aktivierung von Vorwissen, die Reorga bleiben.
nisation von Wissen oder die Anwendung von bereits - Anforderungen nicht vermindern: Aufgaben, die sich
Erarbeitetem auf eine veränderte aber verwandte an einer mittleren Leistungsfähigkeit orientieren, w e r
Fragestellung. Dabei müssen die betreffenden A u f den einige Lerner immer noch überfordern, andere
gaben fü r die leistungsstärksten Lerngruppen auch jedoch kaum weiterbringen. Die Anforderungen soll
ohne Benutzung von Hilfen lösbar sein. ten sich deshalb eher an den Leistungsstarken o rie n
2. Bei Aufgaben m it gestuften Hilfen sollen die Hilfen tieren. Voraussetzung ist allerdings, dass grundsätzlich
sukzessive eingesetzt werden. Aus diesem Grund hinreichend Vorwissen zur Bearbeitung und Lösung
sind prozess- und ergebnisoffene Problemstellungen eines Problems in der Lerngruppe vorhanden ist.
ebenfalls nur bedingt geeignet. Wenn sich beim Fort - Hilfen zur Verfügung stellen: Weniger leistungsstarke
schreiten der Bearbeitung Verzweigungen ergeben und insbesondere sprachschwache Lerner kö nn en
können, kann dies m it den Hilfen nicht abgebildet komplexe Aufgaben in der Regel nicht ohne H ilfe
werden. In vielen Fällen gelingt es jedoch, durch lösen; die Lehrkraft muss ihnen deshalb angemessene
U m form ulierung der Aufgabe den verbleibenden Hilfen zur Verfügung stellen. Dabei müssen die H ilfen
Bearbeitungsweg eindeutiger zu machen. so gestaltet sein, dass sie Vorwissen aktivieren und
nachvollziehbare Schritte zur Lösung aufzeigen.
3. Aufgaben m it gestuften Hilfen lassen sich auch m it
praktischem experimentellem Handeln kombinieren, - eigenes Lerntempo ermöglichen: Das L ernte m po
wenn die Aufgabe z.B. der Vorbereitung eines Expe innerhalb einer Lerngruppe kann sehr verschieden
riments oder der Ausarbeitung einer geeigneten Ver sein; die Lerner müssen somit selbst entscheiden k ö n
suchsanordnung vorangestellt wird. nen, zu welchem Zeitpunkt sie eine Hilfe in Anspruch
nehmen wollen. Dies setzt voraus, dass diese H ilfe n
4. Nach einem Experiment oder einer Versuchsreihe
durchgängig verfügbar und die Regeln zur N u tzu n g
können Aufgaben m it gestuften Hilfen zur Auswer
einfach sind.
tung bzw. Interpretation der Ergebnisse eingesetzt
werden, z.B. um eine zuvor aufgestellte Hypothese - eigenen Schwierigkeitsgrad definieren lassen: Jeder
begründet zu verwerfen oder auf Basis der Befunde lernt unterschiedlich; die Lerner müssen somit selbst
anzunehmen. über das Ausmaß der N utzung der angebotenen
Lernhilfen bestimmen können. Damit verändern sie
Da Aufgaben m it gestuften Hilfen dem Lernen dienen, zugleich auch den Schwierigkeitsgrad der A u fg ab e
sollten sich Lehrkräfte wie bei jedem Lernprozess auch (Prinzip der adaptiven Instruktion, vgl. F. E. W einert).
Teil B
89
Grundlagen wissen
- sachbezogene Kom munikation unterstützen: Eine Sache (z.B. durch den Austausch in der Zweier- oder
Aufgabenbearbeitung z.B. in Zweiergruppen regt zu Kleingruppe) erheblich zum Verständnis der Aufgabe
sachbezogenen Gesprächen zwischen den Lernern beitragen.
an; dabei soll der Dialog zugleich die jeweiligen Vor
M it der Musterlösung können die Lerner am Ende die
stellungen und Begriffe klären und das fachbezogene
Richtigkeit und Vollständigkeit ihrer eigenen Lösung
Argumentieren fördern.
überprüfen. Für diejenigen, die alle Hilfen in Anspruch
Hilfen können als inhaltliche oder als lernstrategische nehmen mussten, stellt dies eine A rt Gesamtschau auf
Hilfen konzipiert sein. Inhaltliche Hilfen zielen häufig den Lösungsprozess dar. Zugleich verdeutlichen die Hil
darauf ab, das Vorwissen beim Lerner zu aktivieren; fen, wie man strategisch mit komplexen Aufgaben um
lernstrategische Hilfen hingegen wollen die Strukturie gehen kann. Für die anderen, die keine oder nur eine
rung des Bearbeitungsprozesses unterstützen. Hilfe in Anspruch genommen haben, stellt die Muster
lösung eine M öglichkeit zur Selbstkontrolle dar.
Beispiel für eine inhaltliche Hilfe
Gerade bei sehr heterogenen Lerngruppen oder einem
- Erinnert euch daran, was ihr aus dem Unterricht hohen Anteil von sprachschwachen Lernern sei jedoch
über Pull-Push-Faktoren wisst darauf hingewiesen, dass lernstrategische Hilfen allein
- Tragt zusammen, was ihr über die soziale M arkt nicht geeignet sind. Hier ist vielmehr der sprachsensible
wirtschaft wisst Fachunterricht m it seinen binnendifferenzierenden
Methoden-Werkzeugen gefragt (siehe nachfolgende
Beispiel für eine lernstrategische Hilfe Ausführungen und Teil C).
- Formuliere die Aufgabe in eigenen Worten!
- Suche im Text nach wichtigen Informationen, Methoden-Werkzeuge
die du für die Lösung der Aufgabe nutzen kannst zur Sprachförderung
- Was weißt du bereits über den Sachverhalt und
im sprachsensiblen Fachunterricht
was kannst du daraus folgern?
- Kennst du ähnliche Vorgänge? Was sind Methoden-Werkzeuge?
90 Teil B
Grundlagenwissen
zum vorbereitungsintensiven Lernarrangement, vgl. S. eröffnen, fundierte Unterstützung. Eine Definition der
92. Auch können die meisten Werkzeuge vielfältig ein Methoden-Werkzeuge findet sich im Kasten unten.
gesetzt werden, sind also nicht auf eine spezielle Unter
richtssituation beschränkt (wie z.B. ein Hammer, der Was unterscheidet Methoden
sowohl zum Einschlagen eines Nagels als auch zum von Methoden-Werkzeugen?
Zerschlagen eines Steins genutzt werden kann). Die von den Bildungsstandards geforderte M ethoden
Methoden-Werkzeuge sind methodische Elemente des kompetenz umfasst zwei Aspekte:
Unterrichts und unterstützen in jedem Fall die Tätigkeit 1. die Kompetenz zur Handhabung von Fach-
der Lehrkraft; denn jeder bewusste didaktische Ge bzw. Arbeitsmethoden;
brauch von Werkzeugen erhöht nachweislich die A kti
vität der Lerner im Fach. 2. die Kompetenz zur Handhabung von Unter-
richts(=Lern)methoden.
Ob dafür „Werkzeuge in Lehrerhand" oder „W erkzeu
ge in Lernerhand" einzusetzen sind, hängt dabei da Methoden-Werkzeuge sind Werkzeuge, die zur Umset
von ab, wie stark der im Einzelfall gewünschte Grad an zung von Unterrichtsmethoden benutzt werden. Diese
Lehrerlenkung ist bzw. bei wem die Hauptaktivität in Unterrichtsmethoden sind von den fachwissenschaftli
der jeweiligen Unterrichtssituation liegen soll. Der Ein chen Arbeits- und Erkenntnismethoden abzugrenzen:
satz von Methoden-Werkzeugen ist somit situations Fachmethoden sind originärer Bestandteil des jeweiligen
spezifisch, also didaktisch zu begründen und muss ziel Fachs; sie konstituieren das fachliche Arbeiten, bei
führend sein, vgl. auch S. 92 f. spielsweise das chemische Experimentieren. Methoden-
Methoden-Werkzeuge kommen o ft in Form von Ar Werkzeuge hingegen fördern das Lernen des Fachs.
beitsblättern daher. Bei „Werkzeugen in Lehrerhand" M ethoden-W erkzeuge schulen die Kompetenz zur
unterstützen die Arbeitsblätter die Tätigkeit der Lehr Handhabung von Lernmethoden; sie fördern also das
kraft, die m it ihrer Hilfe die Unterrichtsabläufe plant „Lernen lernen". Methodenkompetenz im Bereich der
und vorbereitet und den Lernprozess steuert. In diesem Lernmethoden zielt darauf ab, dass Lerner (entstandene
Fall ist es somit die Lehrkraft, die diese Arbeitsblätter oder geplante) unterrichtliche Situationen, die sich aus
gesteuert im Unterricht einsetzt. originären Situationen des Arbeitens im Unterricht erge
Bei „Werkzeugen in Lernerhand" hingegen ist dies ben, besser bewältigen können. Methoden-Werkzeuge
anders. Auch sie lassen sich durch Arbeitsblätter bzw. dienen also der Sache und dem Verstehen der Sache;
Folien vorbereiten; dabei können diese sowohl die der unterrichtliche Einsatz von Methoden-Werkzeugen
Gestaltung der Unterrichtsstunde als auch den konkre ist somit vorrangig didaktisch und nicht methodisch zu
ten Gebrauch einzelner Werkzeuge im U nterricht begründen.
betreffen. Da die Werkzeuge in Lernerhand jedoch Der adäquate didaktische Einsatz dieser Werkzeuge
grundsätzlich einen offeneren Charakter haben, halten wird sichergestellt, indem sich die Lehrkraft folgende
die Arbeitsblätter bzw. Folien hier zumeist nur den for Fragen stellt: „Welche unterrichtliche Situation habe
malen Ablauf des Verfahrens fest. Bei Werkzeugen in ich mit den Lernern zu bewältigen?", „W ozu brauche
Lernerhand organisiert das Werkzeug also den (inhalt ich dieses Werkzeug?", „Was will ich erreichen?". Die
lich offenen) Lernprozess und das Arbeitsblatt garantiert Lehrkraft muss also zunächst die Unterrichtssituation
lediglich den reibungslosen Ablauf. analysieren, da es von deren spezifischen Belangen und
Methoden-Werkzeuge bieten der Lehrkraft aber auch didaktischen Absichten abhängt, welches Werkzeug
ein geeignetes Instrumentarium für die gezielte Förde
rung von kommunikativen Kompetenzen.
Zwar gab und gibt es immer Lerner, die das Kommuni Begriffsdefinitionen
zieren im Fach „einfach so" lernen, ohne dass sich der Methoden-Werkzeuge schulen die Kompetenz zur Hand
Unterricht groß darum kümmert bzw. kümmern müsste. habung von Lernmethoden. Sie sind lehrergesteuerte oder
(Das ist im Grunde auch richtig, denn der Spracher- lerneraktive Verfahren, Materialien und Hilfsmittel zur
werbsforschung zufolge stellen sich komm unikative Unterstützung von Lehr- und Lernprozessen, weitgehend
Kompetenzen bei vielen Lernern eher beiläufig ein.) inhaltsunabhängig und nicht auf einen Unterricht nach
Allerdings erfolgt dieser Kompetenzerwerb in einem einem bestimmten Konzept beschränkt.
solchen Fall weder kontrolliert noch in einer vorher
definierten Q ualität - und schon gar nicht bei allen Methoden-Werkzeuge zur Sprachförderung erzeugen und
Lernern. Gerade sprachschwache Lerner bedürfen aber unterstützen kommunikative Situationen im Unterricht,
der gezielten Förderung, damit sie die geforderten kom und helfen, sie zu bewältigen. Entsprechend dem Kom
munikativen Kompetenzen überhaupt erwerben kön petenzstand der Lerner und der Kommuriikationsäbsicht
nen. Hier leisten Methoden-Werkzeuge, die zugleich führen diese Werkzeuge eng oder sind offen gehalten.
vielfältige M öglichkeiten der Binnendifferenzierung
Teil B 91
Grundlagenwissen
„passt" bzw. seinem Sinn und N utzw ert nach zur Wann Methoden-Werkzeuge in Lehrer
Bewältigung dieser Unterrichtssituation geeignet ist. und wann in Lernerhand?
Die Werkzeuge müssen ihre Funktion somit in den Lern Steht eine effektive Wissensvermittlung im Vordergrund
prozessen legitimieren. - etwa die Erklärung einer Maschine oder die Beschrei
Für unterrichtliche oder sprachliche Standardsituationen bung der Brutpflege bei Vögeln - bieten sich Werkzeu
(z.B. Übungs-, Brainstorming- oder Problemfindungs- ge in Lehrerhand an. Dies gilt auch für fachliche und
situationen oder Strukturierungsaufgaben) bieten die sprachliche Übungen.
Seiten 106 ff. gute Unterstützung.
Werkzeuge in Lehrerhand legen die Unterrichtsführung
Die didaktische Funktion der Methoden-Werkzeuge ist in die Hand des Lehrers. Sie sind Elemente der mate
zugleich ein gutes Kriterium für die Strukturierung. Denn rialen sowie der personalen Steuerung, planbar und in
bei anderen Klassifizierungen - z.B. nach Unterrichts Bezug auf ihre Wirkung und Handhabung gut abschätz
phasen oder äußeren Merkmalen und Darstellungsfor bar. Unterricht kann damit konzentriert, straff und zeit
men _ ergeben sich zahlreiche Mischformen, sodass
ökonomisch durchgeführt werden. In diesen Fällen ist
eine eindeutige Zuordnung nicht immer möglich ist.
der Lehrer das „sprachliche Zentrum " und es kann ein
Wenn eine Lehrkraft die Merkmale und Charakteristika intensives Unterrichtsgespräch stattfinden.
der Methoden-Werkzeuge kennt und diese situations
Demgegenüber fördern die Werkzeuge in Lernerhand
bezogen und bewusst einsetzen kann, steigt die Wahr
maßgeblich die Fachkommunikation der Lerner unter
scheinlichkeit, dass der Unterricht gelingt und zugleich
maßgeblich zur Sprachförderung beiträgt, nachweislich einander. Sie sind deshalb immer dann geeignet, wenn
Lerneraktivitäten gewünscht sind.
an.
- vom Lehrer geplant und erstellt werden; - vom Lehrer, aber auch von den Lernern geplant /
und erstellt werden;
- beim Einsatz in der Hand des Lehrers liegen - beim Einsatz in der Hand der Lernern liegen
und ergebnisfester sind. und ergebnisoffener sind.
Teil B
92
Grundlagenwissen
Werkzeuge in Lernerhand fungieren als Anregung für Wo liegen die Grenzen, Risiken und
handlungsorientierten Unterricht. Nebenwirkungen von Methoden-Werkzeugen?
Methoden-Werkzeuge haben eine große Bandbreite. Ein nicht auf das Fach ausgerichteter oder nicht didak
Hieraus ergeben sich unterschiedliche Merkmale, die tisch begründeter Gebrauch von M ethoden-W erkzeu
gen birgt die Gefahr, zur inhaltslosen Methodenschu
die Funktion und den Einsatz des jeweiligen M etho-
lung zu verkommen. Die Aktivitäten der Lerner werden
den-Werkzeugs mitbestimmen (Details siehe Teil C).
dann vom Fachlichen weggeleitet. Bei einem didaktisch
begründeten Einsatz hingegen werden die Lerner ziel
Was kann der Gebrauch
gerichtet in (Lern-)Situationen m it hierfür geeigneten
von Methoden-Werkzeugen
fachlichen Aufgaben und Problemstellungen gebracht.
im Unterricht bewirken?
Methoden-Werkzeuge haben aber auch ihre Grenzen.
Methoden-Werkzeuge unterstützen die Lehrkraft dabei,
So bergen sie beispielsweise das Risiko extensiven Zeit
anregende, herausfordernde und die Bedürfnisse der
verbrauchs. Lehrkräfte müssen sich deshalb fragen:
Lernenden berücksichtigende Lernsituationen zu gestal
Wird das Werkzeug zeitökonomisch verantwortbar ein
ten. Durch die Verlagerung der aktiven Unterrichtsarbeit
gesetzt und genutzt? Gibt es zeitökonomische Alter
in die Lernergruppe und durch die intensiven Formen
nativen? Stehen Aufwand und Ertrag in einem guten
der Lerner-Lerner-Kommunikation gewinnen die Lehr
Verhältnis?
kräfte mehr Freiraum, können beobachten, individuelle
Lernwege begleiten und Arbeitsabläufe einzelner Ler Methoden-Werkzeuge lösen auch keine fachdidakti
ner gezielt unterstützen. Der Lehrkraft gelingt eine viel schen Probleme; sie tragen nur dazu bei, dass Lerner
fältigere methodische Ausnutzung desselben Lernma- methodische Stolpersteine umgehen lernen. Zudem
terials. können Methoden-Werkzeuge Probleme erzeugen, die
es ohne sie nicht gäbe. Das ist dann der Fall, wenn
Zwar ist der Aufwand zur Herstellung der Materialien komplexe oder komplizierte Werkzeuge ohne entspre
für den ersten Einsatz zum Teil recht hoch; viele Lehr chende Vorbereitung eingesetzt werden (z.B. Partner
kräfte empfinden dann aberden Gebrauch von M eth o kärtchen, Kettenquiz, Zwei aus Drei, Stille Post, Begriffs
den-Werkzeugen in der jeweiligen Unterrichtssituation netz, Kartenabfrage, Lehrer-Karussell, Kärtchentisch,
als entlastend. Dies wiegt in gewisser Weise den grö Schaufensterbummel, Kugellager, Expertenkongress
ßeren Zeitaufwand der Vorbereitung auf, insbesondere oder Aushandeln, vgl. Teil C).
dann, wenn die Materialien in verschiedenen Lerngrup
Ohne entsprechende Aufbereitung durch die Lehrkraft
pen eingesetzt und in kollegialer Zusammenarbeit er
und ohne Einweisung der Lerner besteht die Gefahr,
stellt und genutzt werden.
Verwirrung und Chaos zu erzeugen und damit gute
Methoden-Werkzeuge haben Aufforderungscharakter Absichten zunichte zu machen. Bei kurzer Einweisung
und helfen, die Lerner inhaltsgebunden in kom m uni hingegen verläuft der Einsatz auch dieser Methoden-
kative und kooperative Situationen zu bringen, in denen Werkzeuge erfahrungsgemäß reibungslos und fü hrt zu
sie aktiv handeln müssen. Methoden-Werkzeuge tragen den beabsichtigten Wirkungen und Lernerfolgen.
somit zu einer stärkeren Handlungsorientierung des
Unterrichts bei und erhöhen zugleich den Anteil selbst
regulierten Lernens.
Teil B 93
Grundlagenwissen
© Josef Leisen
Dabei sollte die Lehrkraft: Jede dieser Gesprächsformen hat ihre spezifischen Vor
1. bewusst mit Sprache als Medium umgehen, um fach züge und Einschränkungen; es gibt also nicht „d ie “
liches Lernen nicht durch (vermeidbare) sprachliche universelle Gesprächsform, die alles kann. Auch sollte
jeder Lehrkraft zugestanden werden, dass sie nicht alle
Schwierigkeiten zu verstellen. Denn sprachsensibler
Gesprächsformen in gleich hoher Professionalität be
Fachunterricht arbeitet m it der Sprache, die da ist -
herrschen kann (und auch nicht können muss).
und sei sie noch so defizitär.
2. die sprachliche Aufbereitung der jeweiligen Lernsi Immer jedoch lautet die zentrale methodische Frage,
tuation anpassen, vgl. 5. 98 ff. Denn sprachsensibler wie Lehrkräfte die diskursive Einbindung gerade sprach-
Fachunterricht geht auch sensibel mit den sogenann schwacher Lerner ermöglichen und gewährleisten kön
ten sprachlichen Standardsituationen im Fachunter nen, damit auch bei diesen die Kommunikation gelingt.
richt (s. S. 106 ff.) um. Diese umfassen alle kommu Diese Frage ist immer zu beantworten und im Einzelfall
nikativen Situationen beim fachlichen Lernen im Un zu entscheiden, denn das Gelingen der verschiedenen
te rric h t- und somit auch die Gesprächsführung. Unterrichts- und Gesprächsformen stellt gerade für
sprachschwache Lerner meist eine große Herausforde
Die in der didaktischen Landschaft vorkommenden rung dar, die leicht zur Überforderung auswachsen
Gesprächsformen gehen m it einem unterschiedlichen kann. Denn die erfolgreiche Bewältigung von Unter
Maß an Lehrerlenkung einher: richtsgesprächen erfordert Kompetenzen, die bei
- Lehrervortrag: Form der direkten Instruktion, in der sprachschwachen Lernern in der Regel nicht einfach
die Lehrperson das Redemonopol hat. Der Lehrer vorausgesetzt werden können.*
vortrag ist ein Instrument des darbietenden Unter
Das Gelingen von Unterrichtsgesprächen erfordert des
richts. Er dient dem Inform ationsinput und der
halb ein hohes*Maß an individueller Vorbereitung und
Instruktion.
Begleitung durch die Lehrkraft. Dabei sollte sie zunächst
- Fragend-entwickelndes Gespräch: Gesprächsform, in ermitteln, welche Kompetenzen überhaupt bei den ein
der die Lehrkraft durch geschickte N utzung der zelnen Lernern bzw. den verschiedenen Lernergruppen
Vorkenntnisse der Lerner sowie ihres logischen und vorhanden sind. Denn erst auf Basis dieser Diagnose
psychologischen Argumentationsvermögens einen ist es ihr möglich, etwaige Defizite dieser Lerner gezielt
Sach-, Sinn- oder Problemzusammenhang in der und individuell zu fördern.
Sprache und aus der Sicht der Lerner fragend ent
„Diagnose und Reflexion" stellen ebenfalls ein perso
wickelt. Es dient dem Entdecken, dem Generieren
nales Steuerungselement dar, vgl. S. 78. Auf Grund sei
von Ideen, der unterstützenden Erarbeitung von
ner Bedeutung ist dem Thema ein eigener Abschnitt
Lösungen und der gelenkten Erkenntnisgewinnung.
gewidmet (siehe S. 187 ff.).
- Sokratisches Gespräch: Im sokratischen Gespräch sol
len die Beteiligten, die untereinander gleichberechtigt Die Gesprächsführung im
sind, durch den Dialog selbstständig Erkenntnisse und sprachsensiblen Fachunterricht
eigene Einsichten zu einer gestellten Frage gewinnen.
Das Unterrichtsgespräch - in konsequenter Umsetzung
Der Leiter, der nicht unbedingt der Lehrer sein muss,
des hier vertretenen Lehr-Lern-Modells zutreffender
beteiligt sich nicht inhaltlich an dem Gespräch, son
Lerngespräch genannt - ist die wichtigste Unterrichts
dern achtet (nur) auf dessen Verlauf.
methode und somit das wichtigste Handlungsmuster
- Lernergespräch: Gesprächsform, in der die Lehrkraft des Unterrichts. Dennoch zeigen Unterrichtshospita
vorwiegend Impulse gibt, die Lernenden diskursiv tionen und Videoaufnahmen, wie schwer es selbst
einbindet und sie zu Interaktionen untereinander erfahrenen Lehrkräften fällt, Unterrichtsgespräche pro
anregt. Das Lernergespräch dient dem eigenständigen fessionell zu moderieren (vgl. S. 12 ff.).
Entdecken und Generieren von Ideen, einer weitge
Materialien, Experimente und andere Methoden kön
hend in der Hand der Lerner liegenden Erarbeitung
nen vorbereitet werden; das Unterrichtsgespräch hin
von Lösungen und der Erkenntnisgewinnung anhand
gegen hat eine hohe Eigendynamik, da es eigentlich
konkreter Aufgabenstellungen.
erst in und mit der jeweiligen Unterrichtssituation ent
- Diskussion/Streitgespräch/Debatte/Pro-Contra: Hier
steht. Es lohnt deshalb, sich damit zu befassen, welche
handelt es sich um formal stark geregelte Gesprächs Kriterien eine gute Gesprächsführung ausmachen und
formen zur Erörterung umstrittener, kontroverser Fra welche Anforderungen an eine professionelle Umset
gen und Probleme. Diese Gesprächsformen dienen zung zu stellen sind.
vor allem der Schulung der Argumentationsfähigkeit.
- U nterhaltung/Austausch: U nterhaltung und Aus
tausch sind Gesprächsformen im Zusammenhang mit
* Gelingende Kommunikation im Unterricht ist zwar nicht
Partner- und Gruppenarbeit. Sie dienen der Klärung ausschließlich an gelingende Unterrichtsgespräche gebun
und der Organisation der gemeinsamen Arbeit und den; ihnen kom m t allerdings bei der Kommunikation im
sind Teil des Lernprozesses. Fach eine tragende Rolle zu, siehe Folgeabschnitt.
Teil B 95
Grundlagenwissen
„Gute" Unterrichtsgespräche erfüllen bestimmte M in Anders form uliert: Lehrkräfte lernen „gelingende Ge
deststandards. In diesem Fall müssen sie: sprächsführung im Unterricht" erst durch die Anwen
dung von Wissen. Hier erweist sich angeleitetes und
- strukturiert verlaufen (Strukturiertheit);
unterstütztes Training hilfreich; dieses muss aber ebenso
- (sprach-)didaktisch begründet sein (Kohärenz);
theoretisch begründet wie fallbezogen sein. Der Erfolg
- sich für die Lernenden lohnen (Ertrag); solcher Trainings wird durch gegenseitige kollegiale
- diskursiv angelegt sein (Diskursivität) und Hospitation und eine eigene, kritische Überprüfung un
- den Lernenden Wertschätzung vermitteln ter Nutzung von Videos nachweislich unterstützt.
(Lernatmosphäre). Um professionell m it den Überraschungen umgehen
Bei sprachschwachen Lernern reicht dies jedoch für ein zu können, die sich erfahrungsgemäß aus der Eigendy
Gelingen des Unterrichtsgesprächs in der Regel nicht namik des Unterrichtsgesprächs ergeben, sollten Lehr
aus. Hier ist vielmehr ein Unterricht gefragt, der diesen kräfte über flexibles, nicht abgeschlossenes Handlungs
Lernern zugleich ein Höchstmaß an Unterstützung zur wissen sowie über ein gutes Gespür dafür verfügen,
Bewältigung ihrer sprachlichen Probleme bietet. Dies wie das Unterrichtsgespräch in bestimmten Situationen
leistet der sprachsensible Fachunterricht. angemessen geführt und gelenkt werden sollte.
Sprachsensibler Fachunterricht stellt zusätzliche A nfor Ein solches Gespür (vgl. Mühlhausen, 2004) lässt sich
derungen an die Gesprächsführung. Dort muss sie zwar nicht wie Wissen oder „einstudiertes" äußeres
Verhalten trainieren. Je mehr die Lehrkraft aber darauf
- sich am Sprachstand und Sprachvermögen
achtet, welche äußeren situationsgebundenen Faktoren
der Lerner orientieren;
ihr Unterrichtsgespräch prägen, desto erfolgreicher und
- die Komplexität reduzieren; professioneller wird sie m it diesen Situationen umzu
- inhaltlich wie zeitlich begrenzt sein; gehen lernen.
- eine angenehme Sprachumgebung schaffen (zum Situationsangemessenes menschliches Handeln erfolgt
Beispiel, indem sie sprachliche Anregungen gibt und stets durch die „passende" Kopplung unterschiedlicher
erm utigt oder nonverbale Anschauungs- und Aus Prozesse; dies können Prozesse des Wahrnehmens, Füh-
drucksmittel bietet, die sprachlich entlastend wirken); lens, Spürens und Denkens sein. Für die Beantwortung
- Sprachhilfen (Redemittel) für die Lerner bereitstellen; der Frage, ob eine Kopplung situationsangemessen ist
- Sprachvereinfachung angemessen handhaben; oder nicht, bietet die unterrichtliche Kommunikation
- den Lerner (bei Bedarf auch wiederholt) beim sprach ein gutes Anwendungs- und Bewährungsfeld.
lichen (Neu-)Einstieg in das fachliche Gespräch unter Ein auf Kom m unikation und Diskurs ausgerichteter
stützen (z.B. durch Anbieten eines roten Fadens, Unterricht hängt jedoch in erster Linie von der mentalen
durch Wiederholungen, Zwischensicherungen ...); Einstellung ab. Erst in zweiter Linie ist er eine Frage der
- Geduld und Unterstützungsbereitschaft, aber auch Methodik und der Technik der Gesprächsführung. Dabei
die Erwartungen des Lehrers an die Leistungs- und muss die Lehrkraft Vertrauen und Könnensbewusst
Sprechbereitschaft der Lerner signalisieren. sein ausstrahlen: „Ich lasse mich auf Situationen ein.
Ich bin offen, aber nicht unvorbereitet auf das, was
Professionalisierung passiert. M ethoden helfen mir und den Lernenden,
der Gesprächsführung Situationen zu initiieren und diese erfolgreich zu be
Die Anforderung an Lehrkräfte, ihre Gesprächsführung wältigen. Mein Unterricht ist auf verstehende fachliche
zu professionalisieren, ist schwieriger, als es auf den Kommunikation hin angelegt und nicht darauf, lediglich
ersten Blick scheint. Denn erstens zeigt nur der Erfolg, Richtige' Antw orten zu bekom m en."
ob die Gesprächsführung gelungen ist (und somit „g u t"
war). Und zweitens lernt man „gu te Gesprächsfüh Standardsituationen
rung" - vergleichbar dem Autofahren - nicht in der der Gesprächsführung
Theorie, sondern vor allem durch (eigenes) Handeln. Gute Gesprächsführung ist gekennzeichnet durch:
Auch die Professionalisierung der Gesprächsführung 1. adäquates Eingehen auf die jeweilige Unterrichtssi
fo lg t - wie jedes Lernen - den allgemeinen Regeln des tuation - dies ist vor allem eine Frage der Einstel
Kompetenzerwerbs, s. 5. 69 ff. Demnach erwächst lu n g - und
Kompetenz (hier im Bereich der Gesprächsführung) aus: 2. handwerklich-methodisches Können.
- Theoriewissen: dem Wissen um begründete Regeln, Handwerklich-methodische Kompetenzen kann man
Prinzipien, Verfahrensweisen, Fakten ...; lernen und m it guter Aussicht auf Erfolg trainieren.
- Fallwissen: dem Wissen in Bezug auf dokumentierte Seine Einstellungen hingegen muss jeder selbst über
Fälle und eigene wie fremde Erfahrungen; denken - im Rahmen seines Menschen- und Weltbildes,
- Handlungswissen: dem Wissen um konkrete Hand seiner eigenen Lern- und Berufssozialisation und seiner
lungsoptionen in bestimmten Situationen. eigenen Lehr- und Lernerfahrungen.
96 Teil B
Grundlagenwissen
Dennoch sollte die Lehrkraft stets überlegen, ob das In der unterrichtlichen Kommunikation tauchen immer
Unterrichtsgespräch im jeweiligen Fall tatsächlich eine wieder Situationen auf, die hinsichtlich ihrer Zielset
adäquate Maßnahme zur Bewältigung der unterrichtli- zung, ihres Zweckes und ihrer Intention ähnlich sind
chen Situation darstellt. Denn wie Erfahrungen zeigen, und im Unterricht in fast jeder Stunde Vorkommen.
wird häufig - fast reflexartig - ein Unterrichtsgespräch Derartige Situationen werden Standardsituationen der
geführt, obwohl vielleicht eine andere Unterrichtsform Gesprächsführung genannt.
und -methode angemessener, effektiver und somit bes
Gemäß ihrer didaktischen Zielsetzung lassen sich die
ser geeignet gewesen wäre (z.B. Partner- oder Grup
Standardsituationen der Gesprächsführung in sieben
penarbeit). Lehrkräfte sollten deshalb Unterrichtsge
Bereiche unterteilen; sie werden ab S. 98 an Beispielen
spräche stets als bewusste Entscheidung und nicht
demonstriert. Die wichtigsten grundsätzlichen Verhal
als Verlegenheitslösung einsetzen.
tensunterschiede, die sich fü r Lehrkräfte aus unter
Bei den erforderlichen Vorüberlegungen bieten die schiedlich stark gelenkten Unterrichtsgesprächen erge
nachfolgenden Ausführungen wertvolle Unterstützung: ben, fasst die nachfolgende Tabelle zusammen:
Der Lehrer schaltet sich aktiv in das Gespräch ein. E r... Die Lerner bestreiten das Gespräch.
Der Lehrer hört zu und ...
- überformt Beiträge der Lerner, soweit dies nötig ist;
- fokussiert, indem er den Blick der Lerner auf die Pro - fordert die Lerner auf, ihre Vorstellungen/
blemstellung richtet und deren Beiträge akzentuiert; Ideen/Meinungen zu äußern;
- erinnert an Vorwissen, das in dieser Lernsituation - erteilt das W ort oder initiiert eine Aufrufkette;
zu nutzen ist; - lässt M itlerner zu einem Beitrag Stellung
- stellt Transparenz zum weiteren Vorgehen her; nehmen;
- meldet zurück, was gelungen ist und was weniger - fordert den Lerner auf, seinen Beitrag
gelungen ist; zu präzisieren;
- gibt Arbeitsaufträge und erläutert diese; - notiert in Stichworten das Gesagte auf Folie/
einem Notizzettel/an der Seitentafel;
- leitet die Lerner zum Kategorisieren an;
- steht nicht im Zentrum, eher am Rand;
- macht unterschiedliche Lösungsansätze für alle
sichtbar; - beobachtet, diagnostiziert und verschafft sich
einen Überblick;
- gibt passende Impulse, die den Denkprozess
der Lerner unterstützen; - fordert einzelne Lerner durch Blickkontakt
zu mehr Aufmerksamkeit auf; ...
- bietet geeignete Sprechbausteine/Begriffe/
Fach begriffe an;
- vernetzt das neue Wissen m it dem Vorwissen;
- fasst zusammen;
- stellt Progression her, indem er die Lerner an
leitet, zu abstrahieren;
~ sichert die Ergebnisse; ...
Der Lehrer beansprucht die volle Aufmerksamkeit Der Lehrer schaltet sich möglichst nicht
der Lerner. E r... in das Gespräch ein (steht aber als Experte
fü r Nachfragen zur Verfügung) ...
- informiert die Lerner über Inhalte;
- orientiert die Lerner an dem beabsichtigten Vorgehen; - während der Präsentation;
~ klärt einen Sachverhalt, der das Verstehen erschwert; - wenn M itlerner Feedback geben;
- gibt einen Überblick über die Stellung der Stunde - während eines Referates;
in der Unterrichtsreihe; ... - während der Gruppenarbeit; ...
97
Grundlagenwissen
Lehrer: Gut, weitere. - Auch die etwas langsameren Lerner haben die Chan
Lerner: Gleichschenklige und gleichseitige. ce, fachlich und sprachlich anspruchsvolle Beiträge
Was ist denn der Unterschied? Kannst - In der Murmelphase können sich die Lerner erproben
, du sie voneinander abgrenzen? und sicherer werden.
Lerner: Gleichseitige sind auch gleichschenklige. - Die Lehrkraft kann auf die fachliche und sprachliche
Lehrer: Richtig, welche gibt es noch? Richtigkeit achten und Korrekturen veranlassen.
Lerner: Gleichwinklige.
zu 2. Merkmale und Eigenschaften sammeln und
Lehrer: Ja, gleichwinklige. Wie hängen die m it beschreiben (Kontext: Erdkundeunterricht
den gleichschenkligen zusammen?
in Klasse 6 zum Thema „Inkohlung")
Lerner: . . .
Die Tischgruppen erhalten je ein Tablett m it je einem
Merkmale der Gesprächsführung: Stück Holz, Torf, Braunkohle und Steinkohle. Sie be
trachten, fühlen und experimentieren m it den Gegen
- fragend, kleinschrittig und eng durch
ständen, um die Merkmale handelnd zu erfahren.
den Lehrer geführt;
- hoher Sprachanteil des Lehrers m it Lehrerecho; Beispiel:
- Einwort-Antworten der Lerner; Lehrer: So, jetzt nennt m ir mal Merkmale der
Gegenstände. Was habt ihr entdeckt?
Lerner: Das hier (hält die Steinkohle hoch)
Folie zum Beispiel in Standardsituation 1
ist schwarz.
Teil B
98
Grundlagenwissen
Lerner: Das hier ist Torf. Da sind kleine Lehrer: So, w ir haben jetzt die vier Stoffe kennen
Tiere drin. gelernt. Die haben alle etwas miteinander zu tun.
Lehrer: Ja, was ist noch drin? Da gibt es Beziehungen zwischen denen, die hän
gen miteinander zusammen. Überlegt und macht
Lerner:
Vorschläge dazu, die Geografen sagen: b ild e t
Merkmale der Gesprächsführung: Hypothesen.
- fragend, kleinschrittig und eng durch
Die Lerner erhalten Zeit, um sich in den Tischgruppen
den Lehrer geführt;
auszutauschen.
- hoher Sprachanteil des Lehrers mit Lehrerecho;
Lehrer: Ich bin auf eure Vorschläge gespannt.
- Kurzsätze der Lerner;
Lerner: Das sind alles fossile Brennstoffe.
- unterhalb des kognitiven und sprachlichen
Anspruchsniveaus; Lehrer: Ausgezeichnet, ihr habt erkannt, alle
Stoffe kann man verbrennen, dienen
- keine Sprachförderung und ungenutzte
der Verbrennung, es sind Brennstoffe.
Sprachlernchancen
Ihr habt sogar den richtigen Fachbegriff
- kein Vorbild für eine fachliche Kommunikation;
(Lehrer macht anerkennende Geste)
- ungenutzte Lernchancen für die M erkmal genannt: fossile Brennstoffe.
beschreibung. Erläutert das.
Lehrer: Ihr habt euch die verschiedenen Stoffe an Lehrer: Prima. Erläutere uns, . was Fossilien sind.
geschaut und dam it experimentiert. Stellt jeweils Lerner: Fossilien sind abgestorbene Fische, Kreb
einen Steckbrief zusammen, den anschließend se, Tiere im Meer.
einer aus der Tischgruppe zusammenhängend und Lehrer: Ich notiere eure Hypothese an der Tafel.
sprachlich gut verständlich vorträgt. (Lehrer notiert „fossile Brennstoffe")
Merkmale und Vorteile des Vorgehens: Lerner: Alle Stoffe liegen in der Erde.
- Auch die etwas langsameren Lerner haben die Chan Lerner: Man bekommt sie im Untertagebau.
ce, fachlich und sprachlich anspruchsvolle Beiträge
Lerner: Aber nicht bei dem Holz, Bäume wachsen
zu liefern.
doch auf der Erde.
- Die Beiträge der Lerner sind weniger dem Zufall über
Lehrer: Sehr schön. Du nutzt den richtigen Fach
lassen.
begriff, nämlich Untertagebau. Die Lager
- Die Lehrkraft kann sich aus der Gesprächsführung
stätten liegen unter der Erde, also Unter
zurückziehen, auf die fachliche und sprachliche Rich
tagebau. (Lehrer notiert „ Lagerstätte =
tigkeit achten und Korrekturen veranlassen.
Untertagebau ")
zu 3. Hypothesen bilden, Ideen und Vermutungen Lerner: Vielleicht sind sie alle wertvoll und kosten
äußern (Kontext: Erdkundeunterricht in gleich viel.
Klasse 6 zum Thema „ Inkohlung") Lehrer: Dann müssten w ir uns einmal die Preise
ansehen, um das zu überprüfen. Hören
Beispiel:
w ir weitere Hypothesen.
Lehrer: So, w ir haben jetzt die vier Stoffe Holz,
Torf, Braunkohle und Steinkohle kennengelernt. Lerner: Ich habe mal gelesen, wie Kohle entsteht
Jetzt wollen w ir lernen, wie die Zusammenhängen. Die Bäume sterben ab, dann versumpfen
Dazu hab ich euch einen Text mitgebracht, der die sie, dann verkohlen sie und werden ganz
Teil B 99
Grundlagenwissen
Lehrer: Wir haben jetzt vier Hypothesen über den Merkmale der Vorgehensweise:
Zusammenhang der vier Stoffe: Es sind Das Methoden-Werkzeug „Textpuzzle" ist zu diesem
fossile Brennstoffe, der Nutzen ist gleich. Zeitpunkt unterhalb des Anspruchsniveaus. Es bringt
Die Lagerstätte liegt unter Tage, außer wenig Erkenntnisgewinn, wenig Sprachförderung und
beim Holz. Der Geldwert und der Brenn ist kognitiv ein Rückschritt.
wert sind gleich. Sie stehen in einer Ent
stehungskette, haben also eine gemein Gegenvorschlag
zur Professionalisierung der Gesprächsführung:
same Entstehungsgeschichte. Der folgende
Text klärt uns m it Informationen auf, um Nach dem Methoden-Werkzeug „Aushandeln" form u
unsere Hypothesen zu überprüfen. liert jeder Lerner selbst den Thaiessatz auf der Basis
seines Verständnisses und notiert ihn. Die Partner eini
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung: gen sich anschließend auf einen gemeinsamen Vor
- Lernende erhalten die Chance zur Ideenentwicklung schlag, anschließend zwei Partnergruppen.
und zum Austausch in der Kleingruppe.
Drei Vorschläge werden langsam und deutlich im Ple
- Vage, unpräzise und schräge Lernerformulierungen num vorgelesen und bewertet: Was ist bei der einen
werden vom Lehrer überformt. gut, was bei der anderen? Was fehlt bei der einen, was
- Fachsprachlich korrekte Formulierungen werden vom bei der anderen? Gemeinsam wird die beste Formulie
Lehrer anerkennend rückgemeldet, wiederholt und rung erarbeitet und m it der Formulierung im Lehrbuch
überformt. verglichen.
- Der Lehrer wiederholt in verschiedenen sprachlichen Merkmale und Vorteile der Vorgehensweise:
Abstufungen und Präzisierungsgraden.
- Alle Lerner sind beteiligt und jeder Vorschlag
- Strategisches Wissen (Hypothesenbildung) wird impli wird weiterentwickelt.
zit thematisiert.
- Es ist ein sprach produktives Verfahren.
zu 4. Begriffe, Regeln, Gesetze und Merksätze - Die Qualitätssteigerung wird bewusst
formulieren (Kontext: M athematikunterricht - Es wird sprachkontrastiv gearbeitet.
in Klasse 8 zum Satz des Thaies)
- Die Methode spiegelt die genetische Begriffs
Beispiel: entwicklung wider.
Lehrer: So, w ir haben jetzt den Thaies am Compu
ter durch Experimentieren erkannt und müssen ihn zu 5. Zur Problemstellung hinführen/
noch formulieren. Hier habt ihr Satzschnipsel, die
an die Zielsetzung heranführen
(Kontext: Naturwissenschaftlicher Unterricht
euch helfen, den Merksatz zu formulieren.
in Klasse 5 zum Thema „ Kläranlage “)
Die Lerner erhalten Satzschnipsel, um die Merksätze
In Partnerarbeit wurden aus einer Vielzahl angebotener
durch Zusammenbau zu formulieren (s. Abb. unten).
Materialien Filter gebaut, um aus schlammigem Wasser
Trinkwasser zu gewinnen. Jetzt soll anhand der Ergeb
nisse herausgearbeitet werden, für welchen Zweck wel
Satzschnipsel zum Beispiel in Standardsituation 4 che Materialien besonders geeignet sind und dass die
Abfolge der Materialien beim Filterdurchlauf bedeutsam
um den M ittelpunkt ist. Hierfür sollen Gründe gefunden und vorgetragen
nennt man Thaieskreis
werden.
eines Dreiecks ABC
Beispiel:
auf dem Thaieskreis Lehrer: So, w ir haben jetzt 15 verschiedene Filter.
und den Durchmesser AB
Welcher hat sich denn ganz besonders
einen rechten Winkel bei C bewährt?
hat das Dreieck
Lerner: Unserer. Das könnte man fast trinken.
einer Strecke AB Lehrer: Zeigt mal hoch. - Seid ihr der gleichen
Ansicht?
liegt der Punkt C den Kreis Lerner: Unserer ist besser, gucken Sie mal.
Lehrer: Zeigt mal her! - Nun ja!
Lösung: Lerner: So gut ist unser Trinkwasser schon längst
Den Kreis um den M itte lp u n k t A/I einer Strecke /A B / und den Durch
Ihr habt ja auch gemogelt.
messer AB nennt man Thaieskreis. Liegt der Punkt C eines Dreiecks
ABC auf dem Thaieskreis, hat das Dreieck einen rechten W inkel bei C. Lehrer: Inwiefern gemogelt?
100 Teil B
Grundlagenwissen
Lehrer: Jede Gruppe hat einen Filter gebaut und Lerner: Ja, schon. M an musste ganz schön auf
ihn erprobt Einzelne Gruppen haben auch mehrere passen, dass die Brühe n ich t daneben
Filterdurchläufe in Folge durchgeführt. läuft. W ir hatten aber kein Sieb, w ir w o l
len auch ein Sieb haben.
Entscheidet euch für drei Filter; die aus eurer Sicht
Lehrer: Nu lass mal. Wie habt ihr nun verhindert,
das Schlammwasser besonders wirksam reinigen.
dass die Brühe überläuft?
Notiert die Nummer dieser Filter und welche M ate
rialien genutzt wurden und wie diese Filter a uf ge Merkmale der Gesprächsführung:
baut sind. Anschließend tauschen w ir uns dazu - kein fachsprachliches Niveau: der Lehrer gibt
aus, wie ihr eure Filter optimieren könntet. kein Sprachvorbild;
- engführend: der Lehrer greift viel zu früh ein,
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung:
sollte erst sammeln;
- Die Zielrichtung wird den Lernern deutlich
- ziellos: es findet keine explizite Zuordnung von
gemacht.
Materialeigenschaften zu den Filterergebnissen
- Sie werden zum Vergleichen aufgefordert, statt;
um daraus zu lernen.
- evtl. überfordernd: es ist gefordert, parallel M ateri
- Die Lerner werden auf der Basis von Beobach aleigenschaften und die Abfolge von Filterschritten
tungen zur kritischen Auseinandersetzung mit zu bedenken und miteinander zu verknüpfen;
dem eigenen Produkt herausgefordert.
- der Lehrer unterstützt m it seinen Bemerkungen den
- Es wird den Lernern Freiraum gegeben, sich m it fortwährenden Wechsel auf Nebenschauplätze.
einer selbst bestimmten Auswahl an Materialien
zu beschäftigen. Gegenvorschlag
zur Professionalisierung der Gesprächsführung:
- Der handelnde Umgang m it den Materialien
steht im Vordergrund. Lehrer: W ir wissen jetzt sehr viel mehr über Filter
und Filterstoffe, unser Wissen ist aber noch nicht
- Durch verbale Kommunikation der Erfahrun
geordnet, sodass es schwer fällt, alles im Blick zu
gen werden diese bewusst gemacht und
behalten. Ordnet bitte euer Wissen
vertieft durchdrungen.
7. über Eigenschaften von Filterstoffen und
- Die Lerner halten als Basis für den
2. über die Abfolge der Filtrierschritte.
folgenden Austausch Notizen bereit.
Wählt bitte eine geeignete Darstellungsform, um
zu 6. Zu kognitiven Prozessen anleiten eure Ordnung sichtbar zu machen. Ihr habt dafür
(Kontext: Naturwissenschaftlicher Unterricht zehn M inuten Zeit.
in Klasse 5 zum Thema „ Kläranlage “)
Einige von euch werde ich bitten, ihre Ergebnisse
Die Beobachtungen und Erfahrungen der Lerner zu den auf Folie zu übertragen. Das w ird nach etwa 7
Filtern sollen jetzt genutzt werden, um strukturiertes M inuten der Fall sein.
Fachwissen zu dem Thema aufzubauen.
Merkmale und Vorteile der Gesprächsführung:
Beispiel:
- Die Lerner sind im notwendigen Umfang
Lehrer: Wir wissen jetzt sehr viel mehr über Filter angeleitet.
und Filterstoffe, unser Wissen ist aber - Sie sind aufgefordert, ihr Wissen gemäß
noch nicht geordnet. Wonach könnte man den Vorgaben selbst zu ordnen.
die Filterstoffe ordnen und welche A b fo l
- Jeder Lerner muss nach zehn Minuten ein Produkt
ge wäre sinnvoll?
vorzeigen können, das seine Ordnung sichtbar
Lerner: Vom Sieb zur Watte. macht.
Teil b
101
Grundlagenwissen
102 Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 103
Grundlagenwissen
Teil B
a r\ a
Grundlagenwissen
- W ir vergleichen das Ergebnis aus dem Experiment m it dem Beispiel auf Seite.../
dem Lösungsvorschlag von ...
- Schlagt... im Heft (Buch) nach und nutzt das in Verbindung m it ...
Teil b
105
Grundlagenwissen
Dazu müsste man aber erst einmal die wichtigsten 10. einen Fachtext lesen;
Situationen in einer Liste zusammenstellen und 11. einen Fachtext produzieren/verfassen;
dann abklären, was sprachlich regelmäßig vor 12. (Fach-)Sprache üben.
kommt und wie man das durch Sprachhilfen unter
stützen kann. Dazu könnte man entsprechende Gliedert man diese Standardsituationen nun nach dem
Methoden-Werkzeuge nutzen und so m it den Ler Grad der sprachlichen Unterstützung, die sie Lernern
nern gezielt trainieren, wie sie diese Werkzeuge bieten, lassen sich vier Kategorien unterscheiden:
einsetzen und davon profitieren können. - Die Standardsituationen 1, 2 und 3 nutzen in hohem
Ja, das wäre ein Weg, der mich und meine Lerner Maße Standardformulierungen, folgen vorgegebe
nicht so alleine lässt; denn schließlich müssen w ir nen sprachlichen Mustern und haben eher Wieder
uns täglich gemeinsam dam it im Unterricht ab holungscharakter. Damit können sie gut „eingeschlif-
mühen. Und an den Deutsch- oder Förderunterricht fe n" und trainiert werden und eignen sich besonders
delegieren kann ich diese Aufgabe ja auch nicht. als Übungssituationen für sprachschwache Lerner und
Denn schließlich handelt es sich um Standard Lerner m it Migrationshintergrund.
situationen meines Fachunterrichts, deren Bewäl - Bei den Standardsituationen 4, 5 und 6 sollen Lerner
tigung meine Expertise als Fachlehrer und den zeigen, ob sie fachlichen Inhalt korrekt erfasst ha
fachunterrichtlichen Kontext braucht. " ben und fachlich richtig wiedergeben können: Wer
einen Sachverhalt präsentieren soll, der sollte ihn
Zwölf sprachliche Standard weitgehend verstanden haben; wer eine fachliche
situationen im Fachunterricht Idee äußern will, muss erst eine solche haben; und
Wie für Lehrkräfte bei der Gesprächsführung (vgl. S. w er fachliche Fragen stellen soll, dem müssen sich
96 f.) gibt es auch für die Lerner im Fachunterricht vorher selbst solche stellen.
sprachliche Situationen, die regelmäßig und in fast Diese sprachlichen Standardsituationen sind demnach
jeder Stunde bewältigt werden müssen (sog. sprach eng an die fachliche Situation gebunden; ihre Bewäl
liche Standardsituationen des Fachunterrichts). Diese tigung ist inhaltlich wie sprachlich anspruchsvoller als
„sprachlichen" Situationen umfassen dabei nicht nur
die Standardsituationen 1 bis 3.
das reine Sprechen, sondern alle kommunikativen
Situationen im Unterricht, die beim fachlichen Lernen - Die Standardsituationen 7, 8 und 9 erfordern zur Be
zur Anwendung kommen, vgl. S. 54 f. Da Fachsprache wältigung nicht nur ein gewisses (ggf. bereits vor
zugleich alle Elemente der sog. Schriftlichkeit beinhaltet handenes) fachliches Verständnis, sondern auch eine
gewisse methodische Kompetenz: Wer einen Sach
(Details s. S. 46, 54 f.), können sprachliche Standard
verhalt erklären soll, muss diesen vorher verstanden
situationen sowohl in mündlicher wie auch in schrift
haben; w er ein fachliches Problem lösen und verba-
licher Form Vorkommen.
Teil B
106
Grundlagenwissen
lisieren soll, muss hierfür bereits einen Lösungsweg diese Standardsituationen besonderen Bedingungen
haben; und wer diskursiv argumentieren soll, der soll unterliegen und eigene Herangehensweisen voraus
te diese Argumente herausarbeiten und formulieren setzen, werden sie nachfolgend in gesonderten Kapi
können.
teln theoretisch vorbereitet und in Teil C durch ent
Die Standardsituationen 7 bis 9 setzen demnach eine sprechende Übungen ergänzt.
gewisse fachliche Expertise in dem Gebiet voraus;
Jede sprachliche Standardsituation hat ihren eigenen
die Bewältigung ist dabei inhaltlich wie sprachlich
Charakter. Wollen Lehrkräfte also ihren Lernern ermög
sehr anspruchsvoll.
lichen, die unterschiedlichen Situationen angemessen
- Die Standardsituationen 10 bis 12 beschäftigen sich zu bewältigen, müssen sie unterschiedliche Vorgehens
m it den Bereichen Texterschließung, Textproduktion weisen (oder, didaktisch formuliert: Handlungsoptionen)
und Sprachübungen. Ihnen kommt besonders große prüfen und einsetzen. Dies erfolgt in der Regel im Rah
Bedeutung im Rahmen der Sprachförderung zu. Da men entsprechender Aufgabenstellungen.
2 . Wissenserwerb T
5. eine Hypothese, Vorstellung, Idee äußern
sprachlich begleiten
Teil ß
107
Grundlagenwissen
Die Entscheidung für die eine oder andere Handlungs Sprachliche Standardsituationen
option lässt sich nur auf der didaktischen und pädago und Grammatiklernen
gischen Referenzebene, also im Theoriebezug, recht- Dem bereits erläuterten Fünf-Hypothesen-Modell von
fertigen. Anders formuliert: Ich als Lehrkraft muss die Krashen zufolge (vgl. S. 55 f.) wird die Grammatik
Auswahlentscheidung über die jeweilige Option treffen unserer Muttersprache im kommunikativen Handeln
(und folglich auch didaktisch rechtfertigen). erworben und nicht als Grammatikwissen gelernt.
Gerade Methoden-Werkzeuge leisten zur Bewältigung Bewusst gelerntes, abstraktes grammatisches Wissen
von sprachlichen Standardsituationen ausgezeichnete wird somit nicht primär zur Initiierung einer Sprach-
Dienste; sie stehen somit als Handlungsoptionen zur handlung verwendet, sondern dient vornehmlich dazu,
Verfügung. eine sprachliche Produktion auf sprachliche Korrektheit
hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu verbessern.
Um aber das jeweils geeignete (d.h. auch didaktisch Immer aber ist grammatisches Wissen zwingend erfor
„gerechtfertigte11) Methoden-Werkzeug herauszufin derlich, um Sprache „richtig " anzuwenden.
den und einzusetzen, müssen Lehrkräfte zunächst um
die Eigenheiten der spezifischen Verwendungssituation Damit stellt sich auch in diesem Zusammenhang die
wissen. Denn im hier vertretenen kompetenzorientierten Frage nach dem Ausmaß des Grammatiklernens im
Lehr-Lern-Modell richtet sich das Lehren nach dem Fach. Denn sprachsensibler Fachunterricht versteht
Lernprozess bzw. den Lernern, vgl. S. 73 ff. O ft werden Grammatiklernen nur als nachgeordnete Aufgabe, sieht
Anforderungen von mehreren Werkzeugen erfüllt. dieses also nur vor, sofern es zum Verständnis des
Faches erforderlich ist, vgl. S. 56.
Da Fachlehrkräfte in der Regel nicht für die Sprachför
derung ausgebildet sind, fällt ihnen häufig die Zuord Interessanterweise gewinnen die hier behandelten
nung schwer, welches Werkzeug für welche sprachliche sprachlichen Standardsituationen des Fachunterrichts
gerade im Zusammenhang m it der Diskussion um Fel
Standardsituation besonders geeignet ist. Um diese
dergrammatik, Produktionsgrammatik oder operatio
Arbeit zu erleichtern, bietet das Handbuch in der Ein
nale Grammatik besondere Bedeutung. Denn der
leitung zu Teil C eine entsprechende Übersicht.
sprachsensible Fachunterricht und der Sprachlernun-
Insbesondere bei Lernern m it Migrationshintergrund terricht weisen ein so hohes Maß an Übereinstimmung
sollten Lehrkräfte zusätzlich darauf achten, dass die hinsichtlich des konzeptionellen Ansatzes zum Gram
eingesetzten M ethoden-W erkzeuge nicht zu viele matikerwerb auf, dass sich die sprachlichen Standard
„Baustellen“ gleichzeitig öffnen; sonst besteht Gefahr, situationen des Fachunterrichts ausgezeichnet an den
dass die Lerner überfordert werden. Hier sollte die Lehr Sprachlernunterricht (im Sinne von Grammatik-Lern-
kraft den Lernern immer deutlich machen, was bei der unterricht) anschließen lassen.
betreffenden Aufgabe im Vordergrund steht: ob es also
So geht beispielsweise der Sprachlernunterricht bei sei
beispielsweise vorrangig um die sprachliche Richtigkeit,
nen Ansätzen zur unterrichtlichen Behandlung der
um das Reduzieren der sprachlichen Komplexität oder
Grammatik von sogenannten Inhaltsbereichen aus:
um eine Verbesserung des Sprachflusses geht.
„Diese Inhaltsbereiche, wie beispielsweise eine Ver
mutung ausdrücken, etwas begründen, etwas verglei
chen, einen Sachverhalt spezifizieren, werden als Felder
beschrieben, denen in systematischer, aber mehrfach
Sprachliche Standardsituationeh des Fachunter verm ittelter Weise bestimmte Sprachmittel entspre
richts sind Situationen, die jederLerner regelmäßig ; chen." (Buscha/Freudenberg-Findeisen, 2007, S. 9,
und in fast jeder Fächunterrichtsstunde bewältigen ; zitiert nach Kühn, 2008, S. 210). Diese Inhaltsbereiche
: muss. Sie umfassen alle kommunikativen Situatio entsprechen aber genau den sprachlichen Standard
nen im Unterricht, die beim fachlichen Lernen zur situationen des Fachunterrichts.
Anwendung kommen, also sowohl mündliche als
Zudem werden auch beim feldergrammatischen Ansatz
auch schriftliche Formen.
unterschiedliche grammatische, lexikalische und w o rt
Je nachdem, welche sprachlichen Aufgaben bewäl- bildungsmorphologische M ittel - in der Sprache des
tig t werden müssen und wie anspruchsvoll deren sprachsensiblen Fachunterrichts: Sprachhilfen-zusam
: Bewältigung ist, lassen sich zwölf sprachliche Stan mengestellt, die dem Sprachlerner als Hilfe fü r die
dardsituationen im Fachu nterricht. un tersch eid en. • Versprachlichung zur Verfügung stehen (vgl. Kühn,
; Diese lassen sich wiederum den vier sprachlichen 2008, S. 210). Und schließlich folgen beide - Sprach
Kompetenzbereichen zuordnen. lernunterricht wie sprachsensibler Fachunterricht, vgl.
S. 69 ff. - der Auffassung, dass Sprachlernen nur im
Bei der Bewältigung von sprachlichen Standard- ;
handelnden Umgang m it Sprachwissen erfolgen kann.
Situationen leisten sogenannte Methoden-Werk-
zeuge wertvolle Dienste. Anders formuliert: Ein Lerner kann somit fremdsprach
liche Kompetenz nur entwickeln, indem er Sprache
108 Teil B
Grundlagenwissen
D
der Plastikbeutel die Hacke
der Spachtel
der Spaten
die Bürste
fr € □
Aufgabe:
Ergänze die Sätze. Suche passende W örter
aus dem Kasten. *
Teil B 109
Grundlagenwissen
und Präpositionen) auswählen bzw. die unpassenden an konkreten Texten diejenigen grammatischen und
(z.B. kausale, konzessive) ausschließen. Die passenden lexikalischen Kategorien und Regeln ermitteln, die für
sind dann in den Lückentext einzusetzen (vgl. Kühn, das Verstehen und Produzieren von Texten wichtig
2008, S. 210). und nützlich sind. Im Vordergrund stehen somit re
zeptive und produktive Grammatikkompetenzen. Die
Das Beispiel verdeutlicht zugleich die Aufgabenkultur,
Evaluation (und auch der Kompetenzerwerb; Anm. d.
die der sprachsensible Fachunterricht praktiziert: Denn
Verf.) grammatischer Kompetenzen ist demnach nicht
hier werden nicht nur die fachlichen, sondern auch die
wissenschaftssystematisch bestimmt, sondern ergibt
sprachlichen Kompetenzen im Fach gefördert (beim
sich aus den Problemen, die Schüler auf verschiedenen
sprachsensible Fachunterricht, indem er Aufgaben stellt,
Alters- und Klassenstufen m it dem Verstehen und Pro
die am Kompetenzstand der Lerner orientiert sind, vgl.
duzieren mündlicher und schriftlicher Texte haben.
die Ausführungen zum Kompetenzerwerb, S. 69 ff.).
Authentische Sprech- und Schreibanlässe und Texte
Im Gegenzug stellt der sprachsensible Fachunterricht sind damit Ausgangspunkt und Zielpunkt bei der Eva
in Bezug auf Aufgaben und Aufgabenstellungen auch luation grammatischer Kompetenzen . " (Kühn, 2008,
eine reiche Fundgrube für den integrativen Sprach S. 210).
unterricht dar, da er kontextbezogen ausgerichtet ist.
Denn der integrative Sprachunterricht verlangt genau Unabhängig davon ist in jedem Fall ein konzeptioneller
die inhaltliche Vernetzung von Grammatik- und Sprach- Abgleich zwischen den Sachfächern ratsam und wich
aufgaben mit den übergeordneten Kompetenzberei tig: Denn das parallele Üben gleicher Kompetenzen
chen Textverstehen, Schreiben und Sprechen, die (auch) (bzw. von Lern-, Schreib- und Texterschließungsstrate-
dem sprachsensiblen Fachunterricht immanent ist. gien ...) in verschiedenen Fächern führt zur Dekontex-
tualisierung von Wissen und Lernstrategien; das aber
Beim Textverstehen müsste in einem solchen Fall al erhöht den Lernzuwachs beim Lerner. Alternativ lassen
lerdings die Arbeit mit authentischen mündlichen und
sich bestimmte sprachliche Probleme bzw. einzelne Stra
schriftlichen Texten und Textsorten im Zentrum stehen.
tegien unter Umständen auch zwischen verschiedenen
Dann bietet sich auch hier der Fachunterricht an, da
Fächern aufteilen. Dies bietet die Chance, gewisserma
seine Texte auf ihre Art authentisch sind.
ßen „aufeinander zu" zu arbeiten und so den extensi
An „gute Aufgaben" im Sprachunterricht stellt Kühn ven Zeitverbrauch, der für Aufgaben zur Sprachförde
drei prinzipielle Forderungen (vgl. Kühn, 2008, S. 210): rung charakteristisch ist, „auf mehrere Schultern" zu
1. Aufgaben (im Kompetenzbereich „Sprache und verteilen.
Sprachgebrauch untersuchen'1; Anm. d. Verf.) sollten Auch diese Optionen zur Arbeitserleichterung belegen,
kommunikativ und text(sorten)bezogen sein. Dies dass Sprachförderung eine Aufgabe aller Fächer ist.
schließt selbstverständlich auch authentische Texte
der Lerner ein.
Teil B
110
Das Lesen von Sachtexten
im sprachsensiblen Fachunterricht
2. sei das einfach nicht auch noch zu schaffen und Artelt (2008, S. 20) formuliert dies so: „Die Rolle, die
3. seien Fachlehrkräfte für die Leseförderung dem jeweiligen Unterrichtsfach bei der Förderung von
doch gar nicht ausgebildet. Lesekompetenz zukommt, sollte nicht als extracurri-
Teil B 111
Grundlagenwissen
In der Literatur werden für „Lesekompetenz" häufig - C. Reflektieren und Bewerten (d.h., den Text mit ei
Synonyme verwendet, z.B. die Begriffe Leseverstehen, genen Erfahrungen, Wissensbeständen und Ideen
Grundlagenwissen
in Beziehung setzen und sich kritisch mit dem benötigt der Leser beim verstehenden Lesen auch alle
Gelesenen auseinandersetzen). kognitiven sowie alle metakognitiven Strategien.
Die Kompetenzstufen hingegen beziehen sich auf die Lesen ist somit nicht nur passive Rezeption oder bloße
Tiefe der Lesekompetenz. Sie beschreiben die Fähigkeit, Bedeutungsentnahme dessen, was im jeweiligen Text
innerhalb der genannten Kompetenzbereiche Texte und an Information enthalten ist. Lesen ist vielmehr eine
Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade lesen aktive (Neu-)Konstruktion der Textbedeutung im Kopf
bzw. bearbeiten zu können. des Lesers. Funktioniert diese Sinnkonstruktion nicht
Wie und mit welchem Erfolg die Lerner diese Kompe oder nur unzureichend, wird der Text nicht verstanden.
tenzstufen bewältigen, erlaubt der Lehrkraft somit Deshalb wird der Leseprozess modellhaft auch als „dop
Rückschlüsse darauf, ob ein Text eventuell zu schwer pelt zyklischer Prozess" dargestellt. Denn der Leser
oder zu leicht angelegt ist (vgl. „gute und schlechte konstruiert „sein" Textverständnis (im Sinne einer Sinn
Texte ", 5. 122). Dabei hängt der Schwierigkeitsgrad konstruktion) erst im Zusammenspiel beider Verarbei
einer Aufgabe von folgenden drei Faktoren ab: tungsprozesse; der Text wird gewissermaßen „dialo
- der Komplexität (des Textes); gisch ausgehandelt". Dabei folgt der Prozess einer
- der Vertrautheit (mit dem Thema des Textes); gewissen Hierarchie:
- der Deutlichkeit (z.B. der Anzahl von Hinweisen auf - Das Herauslesen erfolgt als Bottom-Up-Prozess:
relevante Informationen sowie der Anzahl und Auf Textgeleitet und aufsteigend konstruiert der Leser
fälligkeit von Elementen, die von den relevanten Vorstellungen aus den Textinformationen, anknüp
Informationen ablenken könnten). fend an sein Vorwissen.
- Das Hineinlesen hingegen erfolgt als Top-Down -
Kombiniert man nun die Kompetenzbereiche mit den
Prozess: Schemageleitet und absteigend überprüft
entsprechenden Kompetenzstufen, so erhält man die
der Leser die Stimmigkeit seiner Vorstellungen am
auf S. 112 dargestellte Lesekompetenzmatrix. Die Lese-
Text und passt sie ggf. an.
kompetenzmatrix stellt im Unterricht mit sprach-
schwachen Lernern ein ebenso wichtiges wie geeig
netes Instrument dar, um „passende" Maßnahmen
zur gezielten Unterstützung und Weiterentwicklung
Der Leseprozess als
zu ergreifen; sie ermöglicht der Lehrkraft zugleich eine
gezielte Analyse und Diagnose des (Fach-)Textes in doppelt zyklischer Prozess
Bezug auf folgende unterschiedliche Aspekte:
- den Schwierigkeitsgrad eines Sachtextes;
- die zur Bewältigung des vorliegenden Textes
erforderlichen Lesekompetenzen;
- den Sprachstand der Lerner.
Ein M odell
des Leseprozesses
Der Leseprozess ist von zentraler Bedeutung für das
Leseverstehen - und somit für das Textverstehen im
Fach generell. Die Kenntnis seines Ablaufs unterstützt Sinnkonstruktion
die Lehrkraft nachhaltig bei der Beantwortung der (Hineinlesen)
Frage, wann und wie gerade sprachschwache Lerner
durch Lesen im Fach gefördert werden können.
Teil B 113
Grundlagenwissen
Innerhalb dieser vier Faktoren gibt es dann jeweils wei d) Lexikalischer Zugriff:
tere Einzelmerkmale, die ebenfalls das Ergebnis beein Unter lexikalischem Zugriff versteht man die Zuord
flussen. Dabei können sich die Einzelmerkmale sowohl nung von Bedeutungen zu visuell wahrgenommenen
auf den Leser als auch auf den Text beziehen. Buchstabenfolgen. Buchstaben, die in Wörter einge
bunden sind, werden dabei schneller identifiziert, weil
1. M e rk m a le des Lesers sie sowohl auf der Buchstaben- als auch auf der W ort
Die Merkmale des Lesers umfassen höchst unterschied ebene eine Aktivierung erfahren, während isolierte
liche Einzelmerkmale, von denen jedes großen Einfluss Buchstaben nur auf der Buchstabenebene aktiviert wer
auf das Leseverstehen hat: den. So können gute Leser beispielsweise Buchstaben
dreher problemlos im Text überlesen und merken es
a) Vorwissen:
. nicht einmal. Der lexikalische Zugriff wird durch Vielle
Leser, die über ein inhaltlich relevantes Vorwissen zum
sen deutlich verbessert.
Thema des Sachtextes verfügen, haben beste Chancen,
ein Textverständnis aufzubauen. Denn wie die Praxis Ebenso wie die Merkmale a) bis d) sind auch die Ein
zeigt, kann ein großes Vorwissen bzw. eine hohe Exper stellung und die Motivation des Lesers von großer
tise des Lesers in Bezug auf den Inhalt des Textes Bedeutung für das Gelingen des Leseprozesses.
schlechte Lesefähigkeiten sogar teilweise kompensie
114 Teil B
Grundlagen wissen
Einflussfaktoren im Leseprozess
Kritisches Lesen umfasst eine Reihe von Teilfertigkeiten: 4. A ktivitäten des Lesers
Konzentration auf die Fragestellung, Analyse von Argu Dieser Faktor umfasst Merkmale wie den adaptiven
menten, Formulierung klärender Fragen an den Text, Einsatz von Lesestrategien, die Verstehensüberwachung
Beurteilungen zur Glaubwürdigkeit der Quelle, Beur und die Selbstregulation.
teilung von Beobachtungsberichten, von Definitionen,
Auch die Aktivitäten des Lesers stellen wichtige Ein
Deduktionen, Induktionen, Handlungen, Interaktionen
flussfaktoren für das Leseverstehen dar. So geht man
und das eigene Fällen von Werturteilen. Das kritische
beispielsweise in der Leseforschung davon aus, dass
Lesen bezieht sich im Wesentlichen auf den Kompe
Lesestrategien konkrete Techniken darstellen, die das
tenzbereich C (Reflektieren und Bewerten) der PISA-
Verstehen und Behalten von Textinhalten erleichtern
Studie, vgl. s. 112 oben.
und dabei zielführend und flexibel vom Leser eingesetzt
Reflexives Lesen geht über die kognitiven Aspekte der werden können. Obwohl sie zunehmend automatisiert
esekompetenz hinaus, da hier Bezüge zu eigenen ablaufen, bleiben sie dennoch als Technik bewusst. Tun
Grundlagenwissen
sich dem Leser also Widersprüche auf oder scheitert er - Texte im Philosophie-, Ethik- und Religionsunterricht
bei dem Versuch sogenannter lokaler und globaler Ko sind oft Auszüge aus Originalschriften und enthalten
härenzbildung (Sinnstiftung), wird er zur aktiven Steue neben Bildern häufig Synopsen in Form von Tabellen
rung des Lesens herausgefordert. und Diagrammen.
- Texte in den Fremdsprachen sind - sofern es sich
Die außerordentlich umfangreichen Forschungsergeb
nicht um literarische Texte handelt - oft mit illustrie
nisse zu diesem Bereich haben belegt, dass Lesestrate
renden Situationsbildern, Fotos, authentischem Mate
gien gut und effektiv trainierbar sind (vgl. Bundesmi
rial (z.B. Hotelprospekt, Zeitungsnachricht, Brief,
nisterium für Bildung und Forschung, 2007, S. 32).
E-Mail, Werbeanzeige, Stellenangebot...) versehen,
Aufgrund der Bedeutung der Lesestrategien für das
um Sprech- und Schreibanlässe zu erzeugen.
Lernen im Fach ist ihnen ein eigener Abschnitt gewid
met (vgl. S. 141 ff.)] in diesem Abschnitt finden sich - Texte im Deutschunterricht sind in erster Linie litera
auch Ausführungen über die Förderung der Lesekom rische Texte, aber auch Sachtexte, in die gelegentlich
petenz durch metakognitives Training, vgl. S. 138 f. andere Darstellungsformen integriert sind.
„Sind denn die Texte in den Fächern nicht sehr - einen ähnlichen Aufbau;
verschieden? Ein sozialkundlicher Sachtext un - fast immer einen deskriptiven und analytischen
terscheidet sich doch sehr von einem Physik- Charakter;
Sachtext ! " - häufig eine ähnliche kommunikative Funktion
(Infomation oder Appell, vgl. Tabelle S. 778);
Diese oder ähnliche Gegenfragen stellen Fachlehrer
häufig, wenn sie gefragt werden, ob es wohl gemein - einen großen Überlappungsbereich in den
same Merkmale von Sachtexten „in den Fächern" gibt, verwendeten Darstellungsformen.
die als Grundlage für „die" Sprachförderung im Fach Zudem sind sie häufig sprachlich verdichtet und ver
dienen könnten - oder ob es gar sinnvoll sei, einheitliche wenden ähnliche sprachliche Strukturen (trotz ihrer
Regeln und Strategien für das Lesen von Sachtexten jeweils eigenen, sehr spezifischen Fachsprache).
im Fach anzuwenden.
Obwohl Fachtexte ein hohes Maß an strukturellen
Wird man sich aber über den grundsätzlichen Charak Gemeinsamkeiten aufweisen, bedeutet dies nicht
ter von Sachtexten klar, fällt die Antwort leicht, denn zwangsläufig, dass sich beispielsweise Lesestrategien
Sachtexte sind in erster Linie Arbeitstexte. Sie werden problemlos auf alle Fächer anwenden lassen. Zudem
im Unterricht zu vielen verschiedenen Anlässen und ist die Lesekompetenz „domänen-", also fachspezifisch.
meist als Pflichtlektüre eingesetzt, tauchen irgendwann Jemand, der also beispielsweise geografische Fachtexte
im Unterrichtsgeschehen auf und dienen zumeist der gut lesen kann, muss deshalb nicht automatisch auch
Wiederholung oder der Nachbereitung. physikalische Fachtexte gut lesen können.
Sachtexte sind in der Tat hinsichtlich ihrer Inhalte und Damit muss auch das Lesen von Sachtexten im Fach
der im jeweiligen Fach vorherrschenden speziellen Dar- fachspezifisch geübt werden. Hierfür sind die Merkmale
stellungsformen unterschiedlich (vgl. hierzu die Über der Sachtexte für jedes Fach separat herauszuarbeiten.
sicht au f S. 34):
- Sozialkundliche und geografische Texte enthalten
häufig Kartenmaterial, Statistiken, Tabellen, Diagram
me, Abbildungen, Fotos usw.
Fachtexte-weisen zwar ein hohes Maß an struk
- Texte im Geschichtsunterricht sind o ft historische
turellen Gemeinsamkeiten auf; Lesekompetenz
Quellen. Viele der im Geschichtsunterricht eingesetz
ist jedoch „domänen-“, also fachspezifisch. Des
ten Texte enthalten zudem Strukturdiagramme, Abbil
halb muss auch das Lesen von Sachtexten im Fach
dungen, Fotos, historische Karten, Personenporträts,
fachspezifisch geübt werden.
Daten, Fakten usw.
- Naturwissenschaftliche Texte enthalten neben Expe
rimentieranleitungen, Fotos und Skizzen auch viele
Diagramme, Tabellen, mathematische Herleitungen,
Formeln usw.
Teil B
116
Grundlagenwissen
Warum haben Lerner lich zumeist gleich mit einer Vielzahl von Schwierigkei
Schwierigkeiten mit der ten konfrontiert; diese können gerade sprachschwache
Leser nicht ohne Unterstützung bewältigen.
Sprache in Sachtexten?
Warum tun sich Lerner mit dem Lesen von Fachtexten Schwierigkeiten auf der
so schwer? Die überraschende Antwort: Ursache sind übergeordneten (Text-)Ebene
weniger fachlich-inhaltliche Probleme, sondern eher Im alltagssprachlichen Verständnis sind Texte schrift
Probleme, die den sprachlichen Bereich betreffen, z.B.: lich fixierte, fließende (kontinuierliche) Zusammenfü
- die im Fachunterricht typischerweise vorkom gungen von Sätzen, die einen inneren (inhaltlichen)
menden Textsorten (allgemeine Ebene), Zusammenhang und somit einen Sinn vermitteln. Die
- die komplizierte Ausdrucksweise und Textlinguistik hat dies präzisiert und versteht unter Tex
ten „begrenzte Folgen schriftlich oder mündlich m it
- der spezifische sprachliche Aufbau der Texte
geteilter sprachlicher Zeichen, die in sich kohärent sind
(Detailebene).
und als Textganzes eine erkennbare kommunikative
Die spezifischen Schwierigkeiten von Fachtexten liegen Funktion symbolisieren . " (Staatliches Studienseminar
somit auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. Diese Koblenz, 2009, S. 94).
sind für Sachtexte typisch und können die Wort-, die Die kommunikative Funktion eines Textes (auch als
Satz- und die Textebene betreffen (s. Grafik unten). „Textabsicht,, bezeichnet) lässt sich beispielsweise auf
Ein Leser, der einen Text verstehen will, sieht sich folg der Grundlage des Organon-Modells von Bühler (1974,
Textverstehen
Teil B
117
Grundlagenwissen
Sachtexte
- Lehrbuchtext
informierender Text - vermittelt deklaratives Wissen - Lexikonartikel
Teil^
118
Grundlagenwissen
schwierige W örter
schwierige Sätze
- Konditionalsätze, Finalsätze und Konsekutiv Der Lichtstrahl wird zum Lot hin gebrochen,
sätze als bevorzugte Nebensatztypen wenn er schräg von einem optisch dünneren
in ein optisch dichteres Medium eintritt.
Dam it die Elektronen vom Schirm zur Anode
zurückfließen können, ist der Glaskolben innen
m it einem schwach leitenden Überzug versehen.
- viele verkürzte Nebensatzkonstruktionen Tritt ein Lichtbündel von Luft in Wasser ein, so ...
Taucht ein Körper in eine Flüssigkeit ein, dann ...
Die aus K abgedampften Elektronen werden ...
~ unvermeidliche Verwendung von Sie wird durch die Heizbatterie H zum Glühen
Passiv und Passiversatzformen erhitzt.
119
Grundlagenwissen
uneindeutige Verwendung eines Pronomens: Die Stromstärke ist schon ohne Eisenkern geringer
„sie" kann sich sowohl auf „Stromstärke" als als bei Gleichspannung. Schiebt man einen Eisen
auch auf „Gleichspannung" beziehen kern in die Spule, nimmt sie weiter ab.
b) Schwierigkeiten
a u f der Satzebene
Auf der Ebene des Satzgefüges erschweren weitere, Es sind vor allem die textuellen Merkmale, die ;
für Fachtexte typische Elemente das Lesen und Ver entscheidend dazu beitragen, ob ein Text vom j
stehen von Fachtexten (vgl. Tab. S. 119 unten): lange Leser als verständlich eingestuft Wird oder nicht.
und verschachtelte Sätze, mehrfach in sich geschach Beim Lesen und Verstehen eines Fachtextes werden i
telte Nebensatztypen, das Vorkommen zahlreicher und ;die diargebotenen"Införmationen vom Leser erfasst v
komplexer (adjektivischer oder Partizipial-)Attribute und in vorhandene Wissensstrukturen eingeordriet; -
(Beispiel: induzierte Spannung) oder sogenannte Funk- dieser Prozess kann jedoch nur dann gelingen, wenn ;
tionsverbgefüge (Beispiel: in Betrieb nehmen). der Leser nicht auf Verstehenswiderstände stoßt.
Weist ein Text derartige Merkmale auf, wird die Kom Werden Texte zu Lernzwecken eingesetzt, haben
plexität des Satzes erhöht; zugleich steigt auch die Lerner in der Regel nur ein geringes Vorwissen zu i
Informationsdichte in einem Satz an. Dadurch aber dem Thema. Somit müssen gerade diese Texte ein
wird der Text über die Wortebene hinaus noch stärker deutig, schlüssig und leicht nachvollziehbar sein.
verdichtet und somit auch schwerer verständlich. Körnmen jedoch - wie bei Lernern mit Migrations- •
Damit haben zwar alle Lerner ihre Probleme; für hintergrund' die Regel - auch noch „allgemeine,,.
sprachschwache Lerner gilt dies aber in erheblich Sprachschwierigkeiten. hinzu, „stolpern" gerade die-
stärkerem Maße. Ihnen muss die Lehrkraft deshalb se Lerner häufig und brechen den Dialog mit dem j
durch gezielte Arbeitshilfen oder sogar Sprachverein Text ab. ~^
fachung Unterstützung anbieten. Dabei ist Sprachver Vor dem Einsatz eines Fachtextes im Unterricht
einfachung nur in bestimmten Fällen ein probates muss die Lehrkraft deshalb nicht nur prüfen, ob
Mittel (vgl. S. 32 f.). der Text im Unterricht fachlich eingesetzt werden
kann (didaktische Analyse), sondern auch, ob der
c) Schwierigkeiten
Text für die betreffende Adressaterigruppe über- ;
a u f der Textebene haupt verständlich ist (Textverständlichkeitsana-
Der logisch-inhaltliche Zusammenhang eines Textes lyse). Hier bietet die Lesekompeterizmatrix wich
wird gut erschlossen, wenn die Sätze sinnvoll mitein tige und geeignete Unterstützung, vgl. S. 112.
ander verbunden sind und sich folgerichtig aufeinander
beziehen. Fehlt dieser innere Zusammenhang (Kohä
renz), dann gilt der Text als unverständlich. Hier sind
sprachliche M ittel wichtig, die den erforderlichen
logisch-inhaltlichen Zusammenhang erzeugen (z.B.
Konjunktionen, Wiederaufnahme desselben Wortes,
Pronomen, bestimmter und unbestimmter Artikel, vgl.
Tabelle oben).
120 Teil B
Grundlagenwissen
- Förderung der Lesekompetenz - Anpassung des Lesers an den Text (offensives Vor
durch Lesestrategien: gehen): Hier wird der Leser in seiner Lesekompetenz
Geht es der Lehrkraft darum, die Lesekompetenz bei geschult, indem ihm Lesestrategien vermittelt und
den Lernern zu steigern, wird sie dem Sachtext geeig diese trainiert werden.
nete Aufgabenstellungen beifügen oder Lesestrate - Anpassung des Textes an den Leser (defensives Vor
gien zu dessen Bearbeitung empfehlen. gehen): In diesem Fall wird der Text vereinfacht und
an die Fähigkeiten des Lesers angepasst.
- Förderung der Lesekompetenz
durch Lesetraining: Beim offensiven Umgang mit Sachtexten zielt die
In diesem Fall wird die Lehrkraft den Sachtext mit Lehrkraft darauf ab,
einer vorgegebenen Lesestrategie oder Leseübung - das Vorwissen und das vorausgesetzte Weltwissen
zu Trainingszwecken bearbeiten lassen. passend zu aktivieren (evtl. durch Vorentlastungen);
Text
Lesestrategie Lesetraining alternative Texte
vereinfachung
© Josef Leisen
Teil B 121
Grundlagenwissen
M erkm ale, die das Textverstehen M erkm ale, die das Textverstehen
erleichtern:
kompliziert: einfach:
- (viele) unbekannte Wörter - bekannte Wörter und Fachtermini;
(neue Fach begriffe);
- einfache syntaktische Strukturen
- komplexe syntaktische Strukturen (kurze Sätze);
(lange Sätze, verschachtelte Sätze);
- Sätze mit angemessener
- Sätze mit hoher Informationsdichte; Informationsdichte;
- viele Attribute;
unübersichtlich: übersichtlich:
- ohne erkennbare Gliederung; - deutlich und sinnvoll gegliedert (z.B. durch
- alles durcheinander; Absätze und/oder Teilüberschriften);
- zusammenhanglos (Kohärenzlücken); - in der richtigen Abfolge;
- Wichtiges und Unwichtiges gleichgewichtig - Schlüsselinformationen hervorgehoben;
nebeneinander;
weitschweifig: kurz: Ein Text darf weder zu lang noch zu kurz sein;
- sehr ausführlich; - knappe Ausführungen; die Länge des Textes sollte vielmehr in einem
- Kernpunkte und - auf das Wesentliche angemessenen Verhältnis zu seinem Inhalt stehen.
Nebensächliches beschränkt; Lehrbuchtexte sind in der Regel zu knapp,
werden nicht unter- _ deskriptive Elemente wenn auch prägnant, und damit (oft zu) hoch
schieden, jn angemessenem verdichtet
- redundante Textteile; Umfang;
- Überfülle an deskrip- - ...
tiven Elementen;
-------------------------------------------------------
überarbeitet nach: LISUM, 2001 und Langer, Schulz von Thun und Tausch, 2002
Teil B
123
pjjndlagenwissen
2. Didaktischer Ort:
Wie wird der Fachtext didaktisch genutzt?
Bestimmen Sie den didaktischen Ort des Fachtextes.
Dient der Text
- der Motivation oder der Einführung?
- der Neuerarbeitung?
- der Wiederholung/Vertiefung/Übung?
- dem Transfer?
- der Ergänzung?
Teil B
Grundlagenwissen
leren Texten tun sich die Lerner aber nach wie vor
Leseförderung schwer. Ich gebe dann immer Lesehilfen, erläutere
außerdem würden sie gar nicht verstehen, warum unzufrieden sind, dass das Fach Deutsch ihrer An
sie überhaupt solche langweiligen Texte lesen sicht nach zu wenig zum Lesen beisteuert. Viele
denken wie ich: Ich bin doch nicht der Hilfslehrer
müssten.
für Deutsch!
Zudem kommen dabei vor allem die M ig ra n te n
Auch im Internet findet man zum Leseverstehen
kinder' oft kaum über den ersten Satz hinaus. Sie
nichts Neues: entweder wissenschaftliche Abhand
resignieren häufig schon bei den kleinsten sprach
lungen, die keinen Lehrer interessieren und einem
lichen Schwierigkeiten oder beißen sich in sinnlo
kein bisschen für den Unterricht weiterhelfen, oder
sen Bemühungen fest Und das Ende vom Lied:
altbekannte Strategien wie: Wichtiges unterstrei
Sie lernen den Text auswendig, weil sie denken,
chen, m it Zeichen am Rand markieren, Zwischen
dass sie ihn ohnehin nicht verstehen. Eigentlich ist
überschriften formulieren, Fragen an den Text stel
das auch kein Wunder; denn oft haben sie Deutsch
len, Schlüsselwörter suchen, Kernaussagen formu
bislang ohne jede systematische Grundlage gelernt.
lieren, usw. Da frag' ich mich: Wie sollen Lerner
Aber selbst wenn ich mich dann persönlich ein Schlüsselwörter finden, wenn sie den Text über
schalte, das Lesen begleite und Hilfen anbiete, haupt nicht verstanden haben? Da müssten mal
passiert oft nur Folgendes: Die Lerner fragen mich Beispiele her, die zeigen, wie es funktioniert!"
nach dem, was sie nicht verstanden haben - und
dann kommen wir oft so weit vom Text weg, dass Muss das „Lesen im Fach“ tatsächlich so schwer und
ich mich frage, ob ich den Text nicht besser weg so frustrierend sein?
gelassen hätte. Aber vielleicht gehe ich es ja auch Vorweg gesagt: Das muss es nicht! Allerdings werden
falsch an oder es gibt bessere Methoden? beim Lesen mehrere ebenso komplexe wie unterschied
Natürlich könnte ich die Texte auch einfach um liche Teilproblematiken berührt, die sowohl inhaltliche
schreiben. Aber das ist beispielsweise in Geschich als auch fachsprachliche oder in der Person der Lerner
te, meinem ersten Fach, nur begrenzt möglich, liegende Ursachen haben können.
denn „verfälschen" darf ich hier natürlich nichts. Das Lesen gelingt nachweislich immer dann besonders
Also was mache ich? Ich suche bessere Texte oder gut, wenn Lehrkräfte diese unterschiedlichen Problem
schreibe selbst welche. Das ist enorm viel A rbeit kreise und ihre Ursachen kennen und es ihnen gelingt,
Das gilt auch für Sozialkunde, mein zweites Fach, diese bei der Vorbereitung und im Unterricht selbst
wo ich aktuelle Texte nehmen muss. Da habe ich gesondert zu behandeln und zu lösen.
dann die Qual der Wahl und suche stundenlang.
Die nachfolgenden Seiten bieten Lehrkräften eine Viel
M i t Zeitungstexten klappt das allerdings inzw i zahl von Anregungen und fundierte Unterstützung bei
schen ganz gut, das haben wir im Unterricht oft der gezielten Förderung von sprachsprachen Lesern im
genug geübt M it abstrakteren oder anspruchsvol Fachunterricht.
Teil B 125
Grundlagenwissen
Fragen, die sich zu Frage 4: „ Wie geht man m it den besonderen Pro
Lehrkräften stellen blemen von Lernern m it Zuwanderungs
geschichte beim Lesen um?"
Die Schwierigkeiten mit dem Lesen im Fach betreffen
folgende Einzelaspekte: Diese Frage vertieft Frage 2 und behandelt die Proble
matik der spezifischen Sprachförderung im Fach für
1. Warum tun sich Lerner generell beim Lesen von
Lerner mit Zuwanderungsgeschichte. Zwar kann es hier
Sachtexten so schwer?
für angesichts der Vielzahl von Herkunftssprachen und
2. Welche Probleme haben insbesondere sprach- individuellen Lernerkonstellationen kein „Patentrezept"
schwache Lerner mit Texten im Fachunterricht? geben; die Ausführungen bieten Lehrkräften aber den
3. Wie geht man mit „schlechten" Texten im noch wertvolle, direkt in die Unterrichtspraxis umsetz
Unterricht um? bare methodisch-didaktische Hinweise und Hilfen.
4. Wie geht man mit den besonderen Problemen Die Ausführungen ab S. 127 („ Wodurch unterscheiden
von Lernern mit Zuwanderungsgeschichte beim sich gute und schlechte Leser?") leiten dabei in die spe
Lesen um? zielle Problematik des Unterrichts mit sprachschwachen
5. Wie kann man einen Sachtext sinnvoll im Lernern ein. Der Folgeabschnitt (,, Welche spezifischen
Unterricht einsetzen? Probleme haben Lerner m it Zuwanderungsgeschich
te?") baut darauf auf und gibt vertiefende Hinweise
6. Wie kann Lesekompetenz diagnostiziert werden?
zur Steigerung der Text- und Lesekompetenz sprach-
7. Welche Lesestrategien gibt es, was leisten sie schwacher Lerner (Beispiele/Übungen s. S. 146 ff.).
und wie können sie trainiert werden?
zu Frage 5: „ Wie kann man einen Sachtext sinnvoll
8. Wie sieht eine Zusammenarbeit der Fächer
im Unterricht einsetzen?"
zum Thema Lesen aus?
Diese Frage vertieft Frage 3 (bzw. die Ausführungen
Die Fragen 1 bis 3 betreffen Grundlagen; diese wurden
ab S. 121) und betrifft die konkrete Ausgestaltung
überwiegend bereits ab Seite 111 des Handbuchs
des Unterrichts. Dabei erläutern die S. 133 ff., welche
behandelt. Die Fragen 4 und 5 hingegen erfordern ver
Bedeutung Leseprodukte sowie die Anschluss- und
tiefende Hinweise; diese enthalten neben zahlreichen
Begleitkommunikation für das Leseverstehen haben.
Anregungen zugleich eine Vielzahl beispielhafter Lösun
Ab S. 135 („ Wie integriert man Sachtexte erfolgreich
gen. Alle Lösungsvorschläge stammen dabei aus der
in den Fachunterricht?) wird dann ausgeführt, welche
Unterrichtspraxis und haben sich dort bewährt. Sie wur
Funktionen Sachtexte einnehmen können und welche
den aber für das vorliegende Werk so aufbereitet und
Konsequenzen sich daraus für den Einsatz ergeben.
weiterentwickelt, dass sie auch für den Fachunterricht
Dabei werden zugleich einige grundsätzliche Vorüber
mit sprachschwachen Lernern dienlich sind.
legungen erläutert und Begriffe geklärt, z.B.:
zu Frage 1: „ Warum tun sich Lerner generell mit dem - Welche Lesesituationen kommen im
Lesen von Fachtexten so schwer?" Fachunterricht vor?
Diese Frage behandelt die Problematik, die sich aus der - Welche Leseprinzipien gelten für Sachtexte?
besonderen sprachlichen Struktur von Sachtexten ergibt
- Welche Lesestile, Leseabsichten und
(vgl. S. 4 6 f., 49 ff. sowie 116).
Lesetechniken (Lesearten) gibt es?
zu Frage 2: „ Welche Probleme haben insbesondere Die Fragen 6 und 7 zu den Themen Lesediagnostik und
sprachschwache Lerner mit Texten im Lesestrategien behandeln zentrale Bereiche der Lese
Fachunterricht?" förderung. Sie werden ab S. 137 bzw. 5. 141 behandelt
Diese Frage behandelt die Problematik, warum gerade und betreffen die Leseförderung im engeren Sinne. Im
sprachschwache Lerner auf sprachsensiblen Fachunter Bereich der Diagnostik bietet dabei der (eigentlich für
richt angewiesen sind und welche Auswirkungen der die berufsbildenden Schulen entwickelte) „Baukasten
Aufbau von Lesekompetenz auf die Unterrichtsgestal Lesediagnose" auch den allgemeinbildenden Schulen
tung hat (vgl. S. 29 f. und S. 113 f.). wertvolle Unterstützung, vgl. S. 138 f.
Sämtliche Ausführungen werden durch umfangreiche
zu Frage 3: „ Wie geht man m i t ,schlechten' Texten
Erläuterungen und Beispiele zur Leseförderung von
im Unterricht um?"
sprachschwachen Lernern im Fach ergänzt (ab S. 144).
Diese Frage behandelt die Problematik, ob Sprachver
einfachung ein probates M ittel zum Umgang mit zu Frage 8: „ Wie sieht eine Zusammenarbeit der
„schlechten" Texten darstellt und welche Anforde Fächer zum Thema Lesen aus?"
rungen hierbei bestehen (vgl. S. 32 f. und S. 121 f.). Bitte lesen Sie hierzu die Ausführungen ab S. 140
(„ Fächerübergreifende Koordination durch ein Curri
culum zur Leseförderung").
Teil B
Grundlagenwissen
Teil B
127
Grundlagenwissen
- ein geringer Umfang des Wortschatzes; - bei der schriftlichen Reproduktion von Texten:
- eine geringe Vertrautheit mit linguistischen Probleme m it der sprachlichen Richtigkeit (s.o.).
Strukturen der Zweitsprache; Diese sprachlichen Probleme der Lerner haben nicht
- Spezifikader Lebens- und Erfahrungswelten; nur großen Einfluss auf den Unterrichtsablauf; sie kön
- eine geringe Vertrautheit mit spezifischen nen die erfolgreiche Vermittlung des Fachs sogar kom
Textstrukturen; plett verhindern. Gleichzeitig ergeben sich aus ihnen
- soziale Milieubedingungen und Förderung weitere Komplikationen für die Lehrkraft, so z.B.
von Kulturtechniken. - die Verlangsamung des Unterrichtstempos;
Zudem haben diese Lerner deshalb Probleme beim - die Notwendigkeit zur intensiveren
Lesen, da bei ihnen meist große Unterschiede zwischen Vorbereitung des Unterrichtsablaufs;
der allgemeinen mündlichen und der schriftlichen Kom - die Notwendigkeit zur Beigabe binnen
petenz bestehen und sie häufig im deutschen Sprachbad differenzierender sprachlicher Hilfen.
„ertränkt" wurden (Submersion, vgl. S. 54 f. und S. 60
Eine Fachlehrkraft, die sich den Problemen stellen will,
ff.). Es verwundert deshalb nicht, dass Lerner mit Migra
muss deshalb den Unterricht anders als bisher gestal
tionshintergrund oft bereits mit Texten erhebliche
ten - obwohl die Ursache eigentlich in Sprachproblemen
Schwierigkeiten haben, die nur geringfügig über ein
begründet ist. Hierbei hat sich folgende Vorgehensweise
alltagssprachliches Niveau hinausgehen. bewährt:
Will man Lerner mit Zuwanderungsgeschichte motivie - Verlangsamung des Unterrichtstempos berücksichti
ren, sich überhaupt einmal länger mit einem Text zu gen: Lerner mit Zuwanderungsgeschichte lesen erheb
beschäftigen und nicht gleich zu resignieren, muss man lich langsameres muttersprachige Leser; die Lehrkraft
ihnen spezielle, teils regelrecht elementare Übungen muss deshalb mehr Zeit einplanen, damit auch diese
an die Hand geben. Diese Übungen haben zum Ziel, Lerner die Chance haben, den Text zu verstehen und
- den Verstehensprozess zu begleiten; entsprechende Erschließungshilfen anbieten (vgl. S.
1 1 3 /M o d ell des doppelt zyklischen Leseprozesses).
- die Lerner an den Text heranzuführen;
- sie einfache Suchaufträge im Text - Zeit für Wortklärungen vorsehen: Mehrfachbedeu
absolvieren zu lassen; tungen von Worten sind Lernern mit Zuwanderungs
geschichte häufig entweder nicht bekannt oder nicht
- sie mit der Textstruktur vertraut zu machen;
bewusst (z.B. Schloss = Schließanlage bzw. Bauwerk);
- sie an Satzstrukturen zu gewöhnen; sie verstehen deshalb auch Anspielungen und W ort
- ein Textverständnis aufzubauen. spiele entweder nicht oder falsch.
- Sprachliche Komplexität reduzieren: Die deutsche
Spezifische Probleme
Sprache ermöglicht eine Vielzahl sehr komplexer
beim Lesen und Wiedergeben
Konstrukte, die sich auf Einzelbegriffe (z.B. Kompo
von Sachtexten sita, Verben mit Vorsilben, substantivierte Infinitive)
Wie Erfahrungen aus dem Unterricht zeigen, haben oder ganze Sätze beziehen können und gerade für
Lerner zwar generell mit dem Lesen von Sachtexten Lerner mit Zuwanderungsgeschichte große Verständ
und der Wiedergabe dieser Texte (sog. Textproduktion) nishürden darstellen (z.B. Magnetfeldmessgerät, ent
Probleme. Für Lerner mit Zuwanderungsgeschichte gegenstellen, das Eintauchen des Körpers ...).
(sowie für sprachschwache muttersprachig deutsche - Umfänge durch optische Gliederung reduzieren: Ler
Lerner, vor allem an Haupt- und Realschulen) gilt dies ner mit Zuwanderungsgeschichte sind von größeren
jedoch besonders (nur in unterschiedlichem Umfang). Textumfängen schnell überfordert.
Lerner mit Migrationshintergrund haben in diesen - Kognitives Wissen fördern: Lerner mit Zuwande
Unterrichtskonstellationen ganz spezifische Probleme: rungsgeschichte bringen oft zu wenig Vorwissen oder
kulturelles Wissen mit, um den Text verstehen oder
- beim Verstehen von Texten: Probleme mit der sprach dem Unterricht folgen zu können. Unterstützt man
lichen Komplexität (Beispiel: Verständnisprobleme
sie gezielt durch Lern- bzw. Lesehilfen dabei, das er
bei komplexen Texten und Hörtexten, insbesondere forderliche Wissen aufzubauen, werden sie Texte bes
infolge fehlenden Wortschatzes; damit einhergehend: ser bewältigen können.
undifferenzierte Ausdrucksweise ...);
- Schwellenangst abbauen: Lerner mit Zuwanderungs
- bei der (mündlichen) Wiedergabe von Texten: Pro geschichte scheuen das laute Vorlesen. Dies gilt erst
bleme mit dem Sprachfluss (Beispiele: abgehacktes recht für das freie Sprechen über den Text, da sich
Sprechen und Lesen, Aussprachefehler, Ausdrucks die Lerner der Fehlerhaftigkeit ihrer Ausdrucksweise
not ...) und Probleme m it der sprachlichen Richtig bewusst sind und Angst haben, sich vor der Klasse
keit (Beispiele: falsche Artikel, falscher Plural, Dativ durch fehlerhafte Aussprache oder sprachlich falsche
fehler, fehlende oder falsche Modalverben ...); Sätze zu blamieren.
128 Teil B
Grundlagenwissen
Lehrkräfte, die Sachtexte im Unterricht einsetzen möch rungen zur Förderung der Lesekompetenz durch meta
te, sollten deshalb nicht nur darum wissen, wie Text- kognitives Training folgen auf 5. 138 ff.
und Lesekompetenz entsteht. Sie sollten vielmehr auch
Der Kompetenzaufbau auf der Ebene der Anschluss-
wissen, wie Lesekompetenz aufgebaut werden kann,
und Begleitkommunikation ist die Domäne des Fach
da sonst keine gezielte Leseförderung möglich ist.
unterrichts. Dabei lassen sich nachweislich besonders
große Erfolge erzielen, wenn die Lektüre von Sachtex
Wie wird Lesekompetenz ten passend in den (Fach-)Unterricht integriert wird.
für Sachtexte aufgebaut? Allerdings erfolgt diese Integration derzeit noch nicht
optimal; infolgedessen wird hier noch viel Potenzial
Lesekompetenz befähigt Personen dazu, text- und lese
verschenkt (siehe 5. 134 f., „ Begleitkommunikation ").
bezogene Anforderungen erfolgreich zu bewältigen,
vgl. S. 112. In diesem Zusammenhang sei aber noch Der Kompetenzaufbau auf der Ebene der Motivation
mals daran erinnert, dass es „d ie" Lesekompetenz ist ebenfalls von großer Bedeutung. Denn mit jeder
eigentlich nicht gibt. Lesekompetenz wächst vielmehr schulischen Aufgabenstellung sind Erfolgs- bzw. Miss
auf verschiedenen Ebenen und dort wiederum unter erfolgserlebnisse verbunden. Es ist deshalb wichtig und
schiedlich an; zudem unterliegt sie zahlreichen Einfluss vordringlich, beim Lesen von Sachtexten das Könnens
faktoren, die in der Person des Lesers oder auf Seiten bewusstsein der Leser positiv zu entwickeln.
des Textes liegen können (vgl. 5. 114).
Könnensbewusstsein entsteht ausschließlich durch
Dies wirkt sich auf die Förderung der Lesekompetenz Erfolge beim verstehenden Lesen. Will eine Lehrkraft
aus. Diese kann auf fünf Ebenen aufgebaut werden: ihren Lernern diese Erfolge ermöglichen, muss sie
Leseaufgaben stellen, die auf dem passenden Anfor
1. auf der Wort-, Satz- und Textebene
derungsniveau ansetzen, Interesse wecken und zudem
(vgl. S. 117 ff.);
ein passendes Problempotenzial entfalten.
2. auf der Strategieebene (vgl. unten/S. 129 ff.);
3. auf der Ebene der Anschluss- und
Wie wird Lesekompetenz
Begleitkommunikation (vgl. S. 133 ff.);
auf der Strategieebene
4. auf der Ebene der Metakognition und
Verstehensüberwachung (vgl. S. 138 ff.); aufgebaut?
5. auf der Ebene der Motivation. Die größte Bedeutung im schulischen Unterricht nimmt
der Kompetenzaufbau auf Strategieebene ein. Die Be
Der Kompetenzaufbau a u f der Ebene der Metakogni deutung des schulischen Strategielernens wird durch
tion und Verstehensüberwachung gewinnt an Bedeu verschiedene Studien untermauert.
tung, seit festgestellt wurde, dass sich schwache und
gute Leser in ihren Gedanken und Vorgehensweisen Untersuchungen zufolge (vgl. Bundesministerium für
sehr unterscheiden, wenn es um die internen Prozesse Bildung und Forschung 2007, S. 38) bauen Lerner
geht, die bei ihnen vor, beim und nach dem Lesen beim Lernen zunächst spezifisches inhaltliches Wissen
ablaufen. Dies hängt damit zusammen, dass für das und erst danach ein (anfangs noch spezifisches) Stra
verstehende Lesen sowohl kognitive als auch metako tegiewissen auf. Diese - zunächst „domänenspezifisch",
gnitive Strategien benötigt werden und diese internen vgl. S. 776-erworbenen Einzelstrategien konnten von
Prozesse in unterschiedlichen Gedächtnissystemen statt ihnen aber erst dann allgemeiner und flexibler genutzt
finden (vgl. S. 56 ff.). Dabei ist das (lesespezifische) werden, wenn sie wiederholt auch in anderen Kontex
ten angewendet wurden.
deklarative Metagedächtnis für das bewusste, verbali-
sierbare Wissen über angemessene Vorgehensweisen Der Transfer von Lesestrategien kann durch Üben er
beim Lesen und Verarbeiten von Texten zuständig; das höht werden. Ein solches Strategielernen unter spezifi
(lesespezifische) prozedurale Metagedächtnis hingegen scher Anleitung verbessert und unterstützt zugleich
für das Überwachen und die Steuerung des Lesepro nachhaltig die Effektivität. Dafür ist erforderlich, beste
zesses bei einer aktuellen Leseaufgabe. hende und ggf. ungeeignete Strategien durch bessere
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge verbessern zu ersetzen und dann auch nachhaltig zu üben.
sich beide Gedächtnissysteme erst im Laufe der späten Kompetenzaufbau auf der Strategieebene ist nur mit
Kindheit und im frühen Jugendalter deutlich, vgl. S. 57. einem entsprechenden Übungsaufwand zu erreichen.
Diese Verbesserung wird auf die spezifischen Anforde Dabei können jedoch selbst Lerner mit Zuwanderungs
rungen der Schule zurückgeführt, bei denen der Ge geschichte häufig die hierfür von der Fachlehrkraft
dächtnisaktivität und besonders dem genauen Erinnern angebotenen Lesehilfen und Lesestrategien nicht im
eine besondere Bedeutung zukommt. Die Untersu gewünschten Maße nutzen, weil sie bereits vorher
chungsergebnisse unterstreichen somit die Bedeutung „stolpern". Für diese Gruppe sind deshalb Vorentlas
der Bildungssprache und die damit verbundene Ent tungen und einfache zusätzliche Leseübungen im Vor
wicklung des CALP-Bereiches (vgl. S. 62 ff.). Ausfüh feld besonders wichtig. Gleichzeitig schulen derartige
Teil B 129
Grundlagenwissen
Teil B
130
Grundlagenwissen
_■ ' ftp vor der Textrezeption während der Textrezeption naclr der Textrezeption _
Teil B 131
Grundlagenwissen
Grundlage für die Empfehlung einer Strategie sollten Diese Leseprinzipien machen zugleich deutlich, welche
deshalb einerseits die /.eseprinzipien und andererseits zentrale Bedeutung die unterschiedlichen Aspekte für
die didaktischen Prinzipien sein (vgl. Kästen unten und das Leseverstehen einnehmen. Sie werden deshalb
aufS. 133). Beide leiten sich aus der modellhaften Ver nachfolgend ausführlicher erläutert:
anschaulichung des Leseprozesses und aus den Über
- Eigenständige Auseinandersetzung
legungen zum Aufbau der Lesekompetenz ab (vgl. S.
113); ein Umsetzungsbeispiel findet sich auf S. 136. Kompetenzen zeigt und lernt man durch Handeln,
vgl. S. 69 ff. Dabei wird der Leser durch gute Auf
Leseprinzipien gaben und geeignete Lesestrategien zur eigenstän
Beim Aufbau der Lesekompetenz in Bezug auf Sach digen Bearbeitung des Textes angeleitet und kann so
texte im Fachunterricht muss die Lehrkraft fünf zen Lesekompetenz aufbauen. Es reicht somit nicht aus,
trale Leseprinzipien berücksichtigen. Andernfalls besteht einen Sachtext nur zu lesen; der Leser muss sich mit
die Gefahr, dass sämtliche sich an das Lesen anschlie tels entsprechender Aufgaben vielmehr eigenständig
ßende Bemühungen ohne Erfolg bleiben. daran „abarbeiten".
132 Teil B
Grundlagenwissen
neuen Textes. Diese Textproduktion kann mündlich Die Übertragung des Sachverhalts in eine andere
oder schriftlich und in einer Vielzahl von Darstel Darstellungsform bietet der Lehrkraft ein großes
lungsformen erfolgen. Potenzial an Möglichkeiten, um gerade sprachschwa
che Leser bei Bedarf durch eine Vielzahl ergänzender
Wie ein solches Verfahren abläuft, ist schematisch in
Hilfen angemessen und binnendifferenziert zu unter
der untenstehenden Abbildung dargestellt. Bei der
stützen.
Textproduktion durch Übertragung eines Sachverhalts
in eine andere Darstellungsform gibt die Lehrkraft - Leseprodukte
den Lernern einen Text 7, den diese in der Bearbei Sachtexte nehmen im Lernprozess eine Schlüsselrolle
tung in eine andere Darstellungsform übertragen sol ein. Denn anhand von Texten setzen sich Lerner zum
len. Mithilfe dieser neuen Darstellungsform erstel einen gezielt mit bestimmten Sachverhalten ausei
len die Lerner dann einen eigenen Text 2, ohne da nander, zum anderen erhalten sie durch die Texte
bei auf den ursprünglichen Text 7 zurückzugreifen neuen „Input", der ein Weiterlernen eröffnet. Lese
(vgl. die hell- und dunkelgrauen Pfeile in der Abbil aufgaben mit eingebundenen Lesestrategien leiten
dung). dazu an und lenken den Lernprozess.
Teil B 133
Grundlagenwissen
Leseprodukte haben mehrere Funktionen. Diese kön- Um zu überprüfen, ob bzw. inwieweit die Lerner den
nene sowohl dem Lerner als auch der Lehrkraft zu Inhalt des Textes verstanden haben, muss die Lehr
gute kommen: kraft den Leseprozess diagnostizieren und auswerten.
• Intensive Beschäftigung: Wenn ein Leseprodukt Leseprozesse werden durch Leseaufgaben auswert
erstellt werden muss, so beschäftigen sich die Ler bar, die - z.B. durch einen Wechsel der Darstellungs
ner intensiver und eingehender mit dem Text. form - zu einem Leseprodukt führen. Daraus folgt:
Leseaufgaben führen zu einem Leseprodukt, das der
• Textumwälzung: Der Text wird durch eine entspre
Lehrkraft Rückschlüsse auf die Lesekompetenz des
chende Aufgabenstellung mehrfach umgewälzt und
Lerners ermöglicht. Leseprodukte nehmen deshalb
mit verschiedenen Aufträgen aus verschiedenen
im Lernprozess mit Sachtexten eine Schlüsselrolle
Perspektiven angegangen.
ein.
• Diagnoseinstrument: Das Leseprodukt ist die sicht
Allerdings machen Lehrkräfte dabei oft die Erfahrung,
bare und damit auswertbare Seite des Lesepro
dass Lerner im Leseprozess stecken bleiben oder Texte
zesses und ist damit ein diagnostisches Instrument,
nur teilweise nutzen können. Der Grund: Lesepro
an dem die Lehrkraft den Stand der Lesekompe
bleme sind so individuell wie das Lesen selbst; sie
tenz erkennen kann.
bedürfen demnach immer einer individuellen Diag
• Anschlusskommunikation: Das in Einzel- oder in nose durch die Lehrkraft.
Gruppenarbeit erstellte Leseprodukt muss im Ple
num kommuniziert, verglichen, ausgewertet und - Anschluss- und Begleitkom m unikation
bewertet werden. Leseprodukte sind ideale Instru Texte ermöglichen unterschiedliche Formen der Kom
mente, um eine Anschlusskommunikation zu ini munikation im Zusammenhang mit der Textlektüre;
tiieren. diese kann geplant oder ungeplant, formell oder infor
mell erfolgen.
Die Anschluss- und Begleitkommunikation im Unter
richt dient vorrangig dazu, das Textverständnis bei
7 didaktische Prinzipien den Lernern zu kontrollieren und zu überwachen.
Gerade sprachschwache Lerner brauchen dafür im
Prinzip der Einbindung
Unterricht Anstoß und Unterstützung.
Die Lehrkraft sollte den Textinhalt sinnstiftend in
Gutes Beispiel für Begleitkommunikation im Kindes
den Ünterrichtskontext einbiriden.
alter sind die Gespräche zwischen Eltern und Kindern
Prinzip der Aktivierung beim Betrachten oder Vorlesen eines Bilder- oder Kin
derbuches. Ein Beispiel für informelle Anschlusskom
Die Lehrkraft sollte das Vorwissen der Lerner durch
munikation wäre, wenn sich jugendliche Leser über
Vorübungen und Wiederholungsphasen aktivieren.
ein Buch in ihrer Gruppe austauschen, ein Beispiel
Prinzip der Verbalisierung
für formelle Anschlusskommunikation das von der
Lehrkraft geleitete Unterrichtsgespräch über den Text.
Die Lehrkraft sollte die Erstrezeption dadurch ein
Anschlusskommunikation kann Unterhaltung und
leiten, dass die Lerner verbalisieren, was schon
ein Genusserlebnis sein; sie trägt in jedem Fall zur
Steigerung und Stabilisierung der Leseintensität und
-motivation bei. Dies gilt insbesondere für literarische
Texte und solche, die im Interessenbereich der Leser
Die Lehrkraft sollte durch gezielte Leseaufträge
liegen.
zur Detailrezeption anleiten.
Die informelle Anschlusskommunikation zu Sachtex
ten findet in der Regel in Gruppen von Lesern statt,
die sich für ein gemeinsames Thema oder Hobby
Die Lehrkraft sollte das Verständnis der Lerner durch
interessieren, z.B. Computer, Sport, Fotografie etc.
Fragen oder Austausch in der Gruppe überprüfen.
Diese Kommunikation bewegt sich innerhalb eines
kleinen abgeschlossenen Kreises und wird oftmals
Prinzip der Kontextualisierung
auf einem hohen Expertenniveau geführt.
Die Lehrkraft sollte den Text in relevante Kontexte
Die Anschluss- und Begleitkommunikation zu einem
Sachtext im Unterricht richtet sich an alle lesenden
Lerner der Klasse. Sie hat die Funktion, den Verste
Prinzip der Eigenerstellung
hensprozess zu unterstützen und zu vertiefen.
Die Lehrkraft sollte die Lerner dazu motivieren und
Der Unterricht in deutschen Schulen wird jedoch nach
anleiten, einen eigenen Text zu erstellen, und ihnen
wie vor durch ein Unterrichtsgespräch dominiert,
hierfür ggf. entsprechende Hilfen an die Hand geben
das vornehmlich der Erarbeitung von Sachverhalten
dient. Das aber bedeutet, dass die Anschluss- und
134 Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 135
Grundlagenwissen
- Thematische Erarbeitung durch orientierendes, exten - intensives (detailliertes, totales) Lesen: intensives
sives und intensives Lesen: Zur Vorbereitung eines Lesen des Textes unter Anwendung von Lesestrate
Referates erhalten die Lerner Texte, Datenmaterialien gien, um ihn als Ganzes im Detail zu verstehen und
und etliche Internetadressen. zu bearbeiten;
- Texterschließung durch orientierendes, selektives, - zyklisches Lesen: zunächst orientierendes Lesen eines
extensives, intensives und zyklisches Lesen: Im Rah Textes, dann extensives und danach intensives Lesen,
men eines Lesetrainings der gesamten Jahrgangsstufe manchmal wiederholt extensiv und intensiv.
bearbeiten die Lerner verschiedene Texte mit der
jeweils passenden Lesestrategie. Hinweise für die
konkrete Umsetzung
Die geschilderten Situationen decken ein breites Spek
trum der möglichen Lesesituationen im Unterricht der Die nachfolgenden Ausführungen stellen Empfehlun
Fächer ab; die Liste ist aber keineswegs vollständig. Die gen für die Lehrkraft dar. Alle Maßnahmen haben sich
nachstehenden Ausführungen finden jedoch uneinge dabei mit ausgezeichneten Erfolgen auch im Rahmen
schränkt auf alle Lesesituationen Anwendung. der Sprachförderung von sprachschwachen Lernern in
der Unterrichtspraxis bewährt.
Lesestiler Leseabsichten
Gestuftes Vorgehen
und Lesetechniken (Lesearten)
Will die Lehrkraft einen Sachtext erfolgreich in den
Der Lesestil muss zur Leseabsicht passen. Denn diese
legt fest, mit welchem Ziel der Leser den Text liest, ob Fachunterricht integrieren, sollte sie dies gestuft (also
er also beispielsweise in aufeinander aufbauenden Schritten und mit anstei
gendem Schwierigkeitsgrad) sowie in verschiedenen
- nur prüfen will, ob sich ein Weiterlesen lohnt;
Phasen des Unterrichts tun. Zudem sollten sich die
- nur eine bestimmte Information im Text sucht, oder Phasen, in denen der Text eingebaut wird, an der Lese
- ob es ihm nur um das Detailverständnis geht, da didaktik der Sprachfächer orientieren.
daraus ein neuer Text erstellt werden soll.
Damit empfiehlt sich die nachfolgende Reihenfolge
Der Verwendungszweck des Textes und die Leseabsicht (Details s. Beispiel S. 146 ff.):
bestimmen den Lesestil und die Lesetechniken (Lese
1. Einführung: In dieser Phase werden die Lerner über
arten). Die Kompetenz, diese Merkmale zu erkennen,
den Leseprozess vorinformiert.
ist für das Verständnis von Sachtexten im Fachunterricht
von zentraler Bedeutung. Lerner in genau dieser Kom 2. VonA/issensaktivierung: In dieser Phase wird das Vor
petenz zu schulen, ist somit auch Aufgabe der Sach- wissen zu dem Thema aktiviert, das beim Leseprozess
fächer. eingebunden werden muss.
* Dabei sollte die Lehrkraft jedoch Leseanlass und Lese 3. Erstrezeption: Diese Phase dient dem Überblick und
auftrag immer klar formulieren, damit dem Leser implizit der Vorbereitung der späteren Detailrezeption.
oder explizit mitgeteil wird, welche Leseart zu wählen 4. Wirkungsgespräch: In dieser Phase äußern sich die
ist. Denn nur so können Lerner entsprechende Kom Lerner reihum zum Text. Dabei erfährt der Lehrer
petenz aufbauen und bei künftigen Aufgabenstellun Näheres über den Verstehensgrad und kann das wei
gen eigenständig die zum Text passende Leseart aus tere Vorgehen darauf abstimmen.
wählen.
5. Detailrezeption: In dieser Phase werden Details des
Die wichtigsten dieser Lesetechniken sind: Textes erschlossen; die Detailrezeption erfolgt über
- selektives (suchendes) Lesen (scanning): gezieltes eine zum Text passende Lesestrategie.
Heraussuchen gewünschter Informationen (Wörter, 6. Verständnisüberprüfung: In dieser Phase werden offe
Daten, Fakten) durch Überfliegen, um Aufgaben zu ne Fragen gestellt und soweit wie möglich von den
bearbeiten; Mitlernern beantwortet; ggf. greift der Lehrer ein.
- orientierendes Lesen (skimming): ein Überfliegen des 7. Anschlusskommunikation: In dieser Phase wird der
Textes, um - ausgehend von Überschriften, grafischen Textauf Eigen- und Fremderfahrungen bezogen und
Hervorhebungen oder Bildern - entscheiden zu kön in weitere Kontexte gesetzt.
nen, was man sich genauer anschauen möchte;
8. evtl. Textproduktion: In dieser Phase wird - ggf. mit
- extensives (kursorisches) Lesen: häufiges und schnel
Hilfestellung - ein eigener Text von den Lernern
les, flüchtiges „Draufloslesen" umfangreicher oder
erstellt. Dabei sollte die Lehrkraft wissen, dass die
vielfältiger Texte, um möglichst schnell ein globales
Textproduktion den Lernern erfahrungsgemäß noch
Textverständnis zu erreichen (Beispiel: Zunächst den
viel schwerer fällt als die Textrezeption.
Text nur überfliegen, dann den ersten und letzten
Satz jedes Textabschnitts lesen und eventuell Notizen Dieser Vorgehensweise liegen die bereits genannten
anfertigen); sieben didaktischen Prinzipien zugrunde (s. S. 133).
136 Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 137
Grundlagenwissen
2. Das Thema „Lesediagnostik" geht weit über die all Wie kann Lesekompetenz
gemeinbildenden Schulen hinaus: Die Problematik
durch metakognitives Training
ist vielmehr auch für die Berufsschulen und sogar
für die Universitäten von großer Bedeutung. Es gefördert werden?
macht deshalb bei der Erörterung der Grundlagen Manches im Leben wird intuitiv gelernt, manches
Sinn, sich am sogenannten „ Gemeinsamen Europäi braucht den Nachdruck durch Schule und Unterricht.
schen Referenzrahmen (GER)" zu orientieren. Dazu gehört auch das Nachdenken über das Gelesene
und Verstandene. Im metakognitiven Training werden
Ursprünglich zur Diagnostik von Sprachleistungen beim
Leser durch bestimmte Instruktionen gezielt zur Refle
Fremdsprachenerwerb gedacht, diente der GER Schies
ser und Nodari (2007) als Grundlage, um mutterspra
xion ihrer eigenen Leseprozesse angeleitet, damit sie
„ihre Lesefortschritte selber kontrollieren, Verstehens
chige Kompetenzen von Lernern an Berufsschulen unter
Einbezug von Lernern mit Migrationshintergrund zu illusionen aufdecken und somit auf die Organisation
diagnostizieren.* Der hessische Modellversuch „VOLI" ihres Wissens beim Lesen Einfluss nehmen " (vgl. Schu
(Vocational Literacy - Methodische und sprachliche macher, 2008).
Kompetenzen in der beruflichen Bildung, 2003-2006; Die Struktur des menschlichen Gedächtnissystems (vgl.
vgl. www.iq.hessen.de), der Ergebnisse der PISA-Studie dazu S. 57) wirkt sich auch auf den Kompetenzaufbau
zum Anlass nahm, einen „Baukasten Lesediagnose" zu aus: So umfasst das (lesespezifische) deklarative Meta
entwickeln, greift auf diese Untersuchungen von Schies gedächtnis das bewusste, verbalisierbare Wissen über
ser und Nodari zurück. angemessene Vorgehensweisen beim Lesen und Ver
Der „Baukasten Lesediagnose'1 hat sich in der Praxis arbeiten von Texten. Das (lesespezifische) prozedurale
vielfach bewährt. Er Metagedächtnis hingegen umfasst das Überwachen
- diagnostiziert den Einsatz von Lesestrategien; und die Steuerung des Leseprozesses bei einer aktuellen
Leseaufgabe. Diese beiden Kompetenzen werden als
- testet das Vorhandensein von Teilkompetenzen ab;
Strategiewissen bezeichnet.
- bietet Texte auf unterschiedlichen Niveaustufen an
Dabei entsteht zuerst ein spezifisches - das sogenannte
und lässt sich somit - obwohl eigentlich für die berufli „domänenspezifische11- Strategiewissen und erst all
che Bildung konzipiert - auch hervorragend an allge mählich ein allgemeines, auch auf andere Bereiche über
meinbildenden Schulen (und hier insbesondere an tragbares Strategiewissen. Beide Strategieformen ent
Haupt- und Realschulen) einsetzen.
wickeln sich nur allmählich beim Lerner: Sie verbessern
Nach aktuellem Kenntnisstand gibt es keine qualitativ sich zudem beide erst deutlich im Laufe der späten
vergleichbare und zugleich ähnlich praxisorientierte Kindheit und des frühen Jugendalters.
Unterstützung für die Lesediagnostik. Es sei hier des
Die Schulzeit ist demnach ein günstiges Zeitfenster zur
halb auf die wichtigsten Elemente verwiesen (siehe
Förderung des Strategielernens und der Verstehens
auch S. 139; Hervorhebungen nachträglich, Anm. d.
überwachung ganz allgemein. Lerner brauchen den
Verf.). Der „Baukasten Lesediagnose"
Nachdruck des Unterrichts, um an Texte strategisch
- basiert auf der aktuellen Forschungsliteratur und heranzugehen und um zu überprüfen, ob und was sie
auf empirischen Untersuchungen;
in welcher Tiefe verstanden haben. Für sprachschwache
- orientiert sich am Europäischen Referenzrahmen Lerner ist die damit einhergehende Entwicklung und
für Sprache; Förderung der Fähigkeit zum grundsätzlichen Erken
- eignet sich zur Diagnostizierung standardsprach nen - und in der Folge auch bereichsübergreifenden
licher und fachsprachlicher Kompetenzen; Anwenden - von Strategien besonders wichtig.
- ermöglicht eine differenzierte Einschätzung der
Ob beim Strategiewissen metakognitives Wissen akti
Lese(teil)kompetenzen;
viert wird oder nicht, hängt sehr vom bereichsspezifi
- misst die Fähigkeit, Lesestrategien zu nutzen; schen Vorwissen ab. So konnten beispielsweise Fuß
- präsentiert Materialien für viele unterschied ballexperten der dritten Klassenstufe zu Fußballthemen
liche Tests; lesestrategisch gut mit Fußballnovizen der siebten Klas
- ermöglicht das Abtesten von Teilkompetenzen senstufe mithalten; sie waren jedoch nicht in der Lage,
auf unterschiedlichen Niveaustufen; dieses Strategiewissen auch auf andere Themen oder
- hat Angebotscharakter (vgl. Hessisches Bereiche zu übertragen. Der Entwicklungs- und Trans
Kultusministerium, 2006, S. 3 -8 ). ferprozess können durch spezifische Anleitung im Un
terricht erheblich unterstützt werden (vgl. Bundesmi
nisterium für Bildung und Forschung, 2007, S. 3 7 f.).
* Das anzustrebende Niveau zur Bewältigung von Aufgaben
Die Fragen auf S. 140 fordern den Lerner auf, seine
stellungen im Unterricht liegt dabei im Bereich B2 m it
Angrenzungen an die Bereiche B1 und C1 (Details zu den Aufmerksamkeit im Sinne einer Verstehensüberwa
Niveaustufen vgl. S. 220 ff.). chung auf den eigenen Leseprozess zu richten:
138 Teil B
Grundlagenwissen
„ Der ,Baukasten Lesediagnose1 enthält sowohl stan D e r ,Baukasten Lesediagnose' enthält fünf große Bau
dardsprachliche als auch fachsprachliche Texte. [...] steine, die jeweils einen oder mehrere authentische
Der Einsatz dieses Baukastens ermöglicht die Diagnose Texte enthalten. Die meisten dieser Texte wurden durch
der individuellen Lesekompetenz einzelner Berufsschü Tabellen und Schaubilder ergänzt. Die Aufgaben, die
lerinnen und -schüler. Wenn man einen oder mehrere zu den Texten formuliert wurden, entsprechen unter
Tests aus diesem Baukasten zusammengestellt, durch schiedlichen Schwierigkeitsgraden.
geführt und ausgewertet hat, kann man die Lesekom
Die Bausteine sind weitgehend nach dem Prinzip der
petenz einzelner Jugendlicher differenziert einschätzen
sprachlichen und fachlichen Progression angeordnet.
und in Anlehnung an den GER benennen.
Die Anforderungen, die m it der Bearbeitung der je w e i
Dabei lassen sich folgende Teilkompetenzen diagnos ligen Aufgaben verbunden sind, steigen also allmählich
tizieren: an. D e r , Baukasten Lesediagnose' ist folgendermaßen
aufgebaut:
- das Leseverstehen auf der Wortebene;
- das Leseverstehen auf der Satz- und Abschnitts Baustein I besteht aus mehreren kleineren Einheiten,
ebene, d.h. die Fähigkeit, Texte im Hinblick auf die ausschließlich standardsprachliche Elemente be
bestimmte Informationsgehalte selektiv zu lesen inhalten. M it diesem Baustein kann das Leseverstehen
(gezieltes/selektives Leseverstehen); au f der Satzebene (Satzlogik), das Verstehen nicht
- das Leseverstehen auf der Textebene, d.h. die Fähig kontinuierlicher Texte und das globale Textverstehen
keit, einen Text global zu lesen und dabei im Großen getestet werden.
und Ganzen zu verstehen (globales Leseverstehen); Baustein II basiertaufeinem längeren, ca. 8 5 0 W örter
- das detaillierte Leseverstehen, das eine gründliche umfassenden standardsprachlichen Text, der sprachlich
Lektüre beinhaltet und darauf abzielt, einen Text bis recht anspruchsvoll ist. Die Aufgaben, die zu diesem
ins Einzelne zu verstehen. Text gestellt werden, betreffen alle Ebenen des Lese
verstehens.
Die Auswertungen der Tests, die mithilfe des Baukas
tens durchgeführt wurden, lassen nicht nur deutlich Baustein III beinhaltet einen kurzen, etwa 3 5 0 W örter
werden, wie die Sprach- und Lesekompetenzen ein umfassenden fachsprachlichen Text aus dem Bereich
zelner Schülerinnen und Schüler einzuschätzen sind. der Biologie. Bei der Bearbeitung der Aufgaben werden
die Schülerinnen und Schüler vor allem in lexikalischer
Aus ihnen geht auch hervor, inwieweit die Jugendli
Hinsicht (Fachwortschatz) gefordert. So müssen sie
chen dazu in der Lage sind, unterschiedliche Lesestra
etwa die Bedeutung von Fachbegriffen aus dem Kon
tegien anzuwenden und einen Text - je nach Aufga
text erschließen und nicht-kontinuierliche Texte bear
benstellung - global, selektiv oder detailliert zu lesen.
beiten. Dieser Baustein enthält also auch Aufgaben,
Darüber hinaus zeigen die Ergebnisse an, welcher För
mit denen methodische Kompetenzen getestet werden
derbedarf besteht Da die Testunterlagen auch Schau
können.
bilder und Grafiken enthalten, erlauben die Testergeb
nisse außerdem Rückschlüsse auf die Methodenkom Baustein IV hat die Fachsprache des Arbeitsrechts zum
petenzen der Schülerinnen und Schüler. [...] Gegenstand. Die fachsprachlichen Merkmale kom m en
dabei nicht nur au f der lexikalischen sondern auch a u f
Den einen Test, der jedem Zweck und jeder Lerngruppe
der syntaktischen Ebene (z.B. in den im Text e n th a lte
gerecht wird, der jede Teilkompetenz des Leseverste
nen Passiv-Konstruktionen) zum Tragen. Allerdings
hens auf jedem Niveau abprüft und der in einem ver
beschränken sich die Aufgaben dieses Bausteins ke i
nünftigen Zeitrahmen m it einem vertretbaren Korrek
nesfalls nur auf den fachsprachlichen Aspekt.
turaufwand durchgeführt werden kann, gibt es nicht
und kann es nicht geben. D e r, Baukasten Lesediagnose' Baustein V basiert auf einem anspruchsvolleren Text
präsentiert daher keinen fertigen Lesetest, sondern die aus dem Bereich des Arbeitsrechts. Das Verständnis
Materialien für viele Tests, die je nach Bedarf und dieses Textes erfordert vor allem eine analytische und
Erkenntnisinteresse zusammengestellt werden können. detaillierte Lektüre.
Diese Materialien lassen sich an das Niveau der jew ei Der Baukasten schließt m it einem Lösungsteil ab. Zu
ligen Lerngruppe, an spezifische zeitliche Rahmenbe Aufgaben, die auf unterschiedliche Weise gelöst w er
dingungen und an bestimmte Zielsetzungen anpassen. den können, werden in diesem Lösungsteil verschie
[ ...] dene Lösungsvorschläge angeboten."
Teil B 139
Grundlagenwissen
Teil B
140
Grundlagenwissen
Teil B 141
Grundlagenwissen
Teil B
142
Grundlagenwissen
Das Fünf-Phasen-Schema
(Ablauf)
Das Fünf-Phasen-Schema nutzt die bereits beschriebenen Lesetechniken:
- Schritt 1/Phase 1: Vorbereitende Orientierung (durch orientierendes Lesen - skimming)]
- Schritt 2/Phase 2: Aufsuchen von Verstehensinseln (durch extensives Lesen und selektives Lesen)]
- Schritt 3/Phase 3 (zentraler Schritt): Erschließung der inhaltlichen Details (durch intensives Lesen)]
- Schritt 4/Phase 4: Reflexion des Textes und Einbindung in das Wissensnetz;
- Schritt 5/Phase 5: Überprüfung des Verstandenen.
Das Fünf-Phasen-Schema ist zugleich die Standardform des zyklischen Lesens;
dieses ist Voraussetzung für verstehendes Lesen, vgl. S. 113.
3. Erschließe abschnittsweise
- Setze die Verstehensinseln zueinander in
Beziehung und integriere sie in das, was
du schon weißt.
- Gehe dabei detailliert und gründlich vor. Ein
genaues Lesen und Mitdenken ist wichtig.
- Nutze Hilfsmittel, mache dir Schemata,
schreibe dir Dinge anders auf, etc.
4. Suche den roten Faden
- Nun hast du vielleicht den roten Faden
verloren. Suche ihn, indem du den den Text
noch einmal liest und dabei die Abschnitte
geistig miteinander verbindest.
- Erstelle dir eine kleine Gliederung
als roten Faden.
- Fasse den Text in wenigen Sätzen zusammen.
Teil B 143
Grundlagenwissen
Teil B
144
Grundlagenwissen
Teil B 145
Grundlagenwissen
1. Einführung
75. Sätze berichtigen
Lehrer: „In den vergangenen Stunden haben wir
leicht veränderte Sätze textbasiert berichtigen
die Allgemeine Gasgleichung kennengelernt. In
76. Verschiedene Texte vergleichen dem Text, den w ir gleich im Buch lesen werden,
lernt ihr eine Anwendung dieser Gasgleichung ken
' Informationen im Text Satz für Satz mit
nen, nämlich den Otto-Motor, das Herz eines Au
denen in einem anderen Text vergleichen
tos. In mehreren Schritten werdet ihr euch immer
77. Text-B iId-Inform ationen vergleichen eingehender m it dem Text auseinandersetzen."
Didaktischer Kommentar:
Die Lerner haben bereits Vorwissen zu dem Thema;
dieses muss beim Leseprozess eingebunden werden.
146 Teil B
Grundlagenwissen
Heute werden die meisten Straßenfahrzeuge Die Arbeitsweise eines Ottomotors erfolgt in
durch Motoren angetrieben, die auf einer vier nacheinander ablaufenden Vorgängen, die
Erfindung des deutschen Ingenieurs Nikolaus Takte genannt werden (->B2):
Otto beruhen. Daher werden die Motoren
häufig auch Ottomotoren genannt. Das Prinzip, 1.Takt (Ansaugen): Der Kolben bewegt sich in
mit denen sie die zum Antrieb notwendige Richtung Kurbelwelle. Durch das geöffnete
Energie umwandeln, zeigt folgender Versuch Einlassventil wird das vom Vergaser erzeugte
(-»B1): Ein Papprohr wird am unteren Ende fest Benzin-Luft-Gemisch angesaugt.
verschlossen, oben liegt ein Deckel nur lose 2. Takt (Verdichten): Der Kolben bewegt sich in
Nikolaus Otto auf. Seitlich befindet sich im Rohr ein Loch. Richtung Zündkerze. Da beide Ventile geschlos
(1832-1891) Einige Tropfen Benzin werden mit einer Pipette sen sind, wird das Volumen des Gases ver
ins Rohr getropft, anschließend wird es einige kleinert, die Temperatur steigt auf etwa 400 °C.
Male mit festgehaltenem Deckel geschüttelt. 3. Takt (Arbeiten): Ein elektrischer Funke der
Danach führt man einen Gasanzünder in das Zündkerze löst eine Explosion des Benzin-Luft-
Loch und zündet. Es kommt zu einer explosions Gemisches aus. Die Temperatur steigt auf etwa
artigen Verbrennung des Benzin-Luft- 2 000 °C, der Druck erhöht sich auf etwa
Gemisches und der obere Deckel fliegt davon. 80000 hPa. Da beide Ventile geschlossen sind,
treibt das Gas den Kolben zur Kurbelwelle.
Benzinmotoren werden meistens als Viertakt 4. Takt (Ausstößen): Der Kolben bewegt sich in
motoren konstruiert. In B2 ist ein Vierzylinder- Richtung Zündkerze und stößt durch das Aus
Viertakt-Ottomotor dargestellt. Im Motorblock lassventil das verbrannte Gas aus.
befinden sich zylinderförmige Hohlräume, in
denen sich ein durch Kolbenringe abgedichteter Danach schließt sich wieder der erste Takt an.
Kolben auf und ab bewegen kann. Die Be Lediglich im dritten Takt verrichtet der Kolben
wegung des Kolbens wird mit Hilfe der Pleuel Arbeit an der Kurbelwelle! In den anderen
stange auf die Kurbelwelle übertragen, so dass Takten muss dem Motor Energie von außen
eine Drehbewegung entsteht. Jeder Zylinder zugeführt werden. Dazu dient ein Schwungrad.
besitzt für die Zufuhr des Benzindampf-Luft- In den verschiedenen Zylindern laufen gleich
Gemisches bzw. das Ausstößen der Verbren zeitig unterschiedliche Takte ab. Dadurch ist
nungsgase mindestens ein Ein- und ein garantiert, dass sich immer ein Zylinder im
Auslassventil. In jeden Zylinder ragt eine Zünd Arbeitstakt befindet und so der Motor gleich
kerze, die zum richtigen Zeitpunkt einen Zünd mäßig Energie abgibt. Die im Benzin chemisch
funken erzeugt. Alle Zylinder werden vom gebundene Energie wird von einem Ottomotor
Kühlwasser ümströmt, da sich der Motor beim nur zu etwa 30% in mechanische Energie um
Verbrennen des Benzin-Luft-Gemisches stark gewandelt 0*B3). Ein Dieselmotor kann über
erhitzt. 40% erreichen. Die Luft wird viel stärker
als beim Ottomotor verdichtet, so dass sich der
Kraftstoff beim Einspritzen von selbst ent
Zündkerze zündet. Der bessere Wirkungsgrad des Diesel
Einlassvöritii
motors liegt am größeren Temperaturunter
schied zwischen Verbrennungs- und Abgasen.
Zyiinderbiöä^__^S •Auslassventil
.Wassermantel
Kolbenringe.
Schwungrad
Kolben.
Pleuelstange
147
Teil B
Grundlagenwissen
Der Austausch im Partnergespräch, ein Blättern in kehrt. Überlegt euch zusammen, was ihr danach
den Unterlagen, die Bildung von Hypothesen zu an in der Klasse fragen wollt, um mehr bzw. alles zu
stehenden Problemen und Fragen fördern den verstehen. "
anschließenden Leseprozess.
Didaktischer Kommentar:
Die Detailrezeption erfolgt hier über einen detaillier
3. Erstrezeption
ten Text-Bild-Vergleich. Die Unterstreichungen ver
Lehrer: „Jeder liest für sich au f Seite 198 den Text langsamen und intensivieren die Lektüre und geben
über den Otto-Motor. A uf mein Signal hin schließt Anlass zum Austausch mit dem Partner. Erst in der
ihr dann die Bücher und wir vergleichen, was ihr Detailrezeption wird das noch nicht Verstandene an
alles schon verstanden habt. Anschließend tauchen gesprochen. Die Vorarbeiten lassen auf eine weitge
wir tiefer in den Text ein. Ihr habt nun fünf M in u hende Selbsterschließung hoffen.
ten Zeit zum Lesen. "
Didaktischer Kommentar:
4. Wirkungsgespräch
Im ersten Schritt werden offene Fragen geklärt und
Lehrer: „ Wir schließen nun die Bücher und hören
möglichst von Mitlernern beantwortet; ggf. greift der
reihum, was jeder im Text schon verstanden hat
Lehrer ein.
und was er jedem von euch bislang bringt. Wer
fängt an?" Lehrer: „A uf dieser Folie (diesem Arbeitsblatt, an
der Tafel) findet ihr Fragen, mit denen jeder über
Didaktischer Kommentar:
prüfen kann, was er verstanden h a t "
Die Lerner äußern sich reihum zum Text. Dies
geschieht zunächst, ohne dass der Lehrer eingreift Fragen zum Verständnis:
und auf Strukturen verweist. Er erfährt dabei Näheres 1. Wann baute Otto den ersten Viertakter?
über den Verstehensgrad der einzelnen Lerner und 2. Nach welchem Prinzip baute Otto den Motor?
kann das weitere Vorgehen darauf abstimmen.
3. M i t welchem Gas arbeitet der Otto-M otor?
Durch das assoziative Zusammentragen setzen sich
4. Warum heißt der O tto -M o to r auch Viertakter?
die Lerner ein weiteres Mal mit dem Text auseinander.
Das Schließen der Bücher bezweckt, dass die Lerner 5. Wie heißen die vier Takte?
nicht Passagen aus dem Buch vorlesen, sondern sich 6. Wodurch wird das Benzin-Luft-Gemisch
aktiv an Inhalte erinnern. im 1. Takt in den Zylinderraum gesaugt?
Zur Erleichterung kann auch eine Wortliste mit Begrif 7. Warum ist eine hohe Verdichtung
fen aus dem Text, ggf. auch eine Rohskizze an der wünschenswert?
Tafel oder auf Folie, gegeben werden. Der Blick sollte 8. Warum kommt es im 3. Takt zu einer
dabei auf das Verstandene und nicht auf das Nicht- großen Temperaturerhöhung und einem
verstandene gerichtet werden. Die nachfolgende Druckanstieg?
Detailrezeption erfolgt in zwei Phasen.
9. Warum kühlt das Gas am Ende des
3. Taktes ab?
5. Detailrezeption
10. Warum bewegt sich der Kolben wieder
Lehrer: „Im Text sind Informationen enthalten, die
nach oben und bleibt nicht unten?
nicht im Bild notiert sind, und umgekehrt. Das Bild
11. Welche Aufgabe hat die Pleuelstange?
hilft dir, den Text besser zu verstehen. Im Folgen
den liest du den Text, wobei du sehr genau auf 12. Wie oft dreht sich die Kurbelwelle
das Bild schaust. Unterstreiche im Text die Begriffe, während einer Periode?
die im Bild eingetragen sind. Ergänze im Bild 13. Welche Energieträger kommen in
Begriffe, die im Text stehen. Überlege dir anschlie den vier Takten vor?
ßend, was dir am Text weiterhin nicht klar ist. "
14. Welches sind die Gründe für den geringen
Didaktischer Kommentar: Wirkungsgrad des Otto-Motors?
Die Lerner arbeiten in Einzelarbeit. Danach fordert
Didaktischer Kommentar:
der Lehrer zur Partnerarbeit auf: Im Anschluss folgt die Textproduktion. Lehrkräfte
„Lass dir von deinem Partner die Fragen beant wissen, dass diese den Lernern noch erheblich schwe
worten, die du noch an den Text hast, und umge rer fällt als die Textrezeption. Die Textproduktion ist
148 Teil B
Grundlagenwissen
Aufgaben
1. Beschrifte den O tto-M otor mithilfe der Abbildung im Text auf S. 147.
2. Benenne die vier Takte.
3. Lies die 2. Spalte im Text auf S. 147 und fülle die Tabelle zu den
technischen Vorgängen und physikalischen Größen wie im Beispiel aus.
© Josef Leisen
Teil B 149
Grundlagenwissen
evtl. als weiterer (letzter) Schritt der Textarbeit mög Träger und Eltern zusammen? Was sind
lich, ihr Einsatz muss aber bereits bekannt sein oder die Pflichten und Rechte der Beteiligten?
schrittweise eingeübt werden. Dies verdeutlichen die • Finanzierung: Wer ist der Träger? Wer
nachstehende Aufgabe sowie das zugehörige Arbeits finanziert den Kindergarten? Was bezah
blatt auf 5. 749: len die Eltern?
• Ziele: Welche Ziele hat der Kindergarten
7. Textproduktion
der Zukunft?
Lehrer: „ A uf dem Arbeitsblatt bekommt ihr eine
Tabelle, die euch hilft, als Hausaufgabe einen eige 2. Orientieren Sie sich im Text.
nen Text zum O tto -M o to r zu verfassen bzw. einen a) Lesen Sie die Überschrift, die Zwischenüber
Vortrag zu halten . " schriften und das Impressum rechts unten.
Die Lerner werden in die Lage versetzt, nach der Sie müssen nicht alle Details verstehen.
Notieren Sie Ihre Vorstellungen und Wünsche, wie a) Markieren Sie m it Farbe die Informationen im
der Kindergarten in der Zukunft sein soll. Nutzen Text, die etwas über die Struktur, Ziele, Aufgaben
und das Programm eines Kindergartens der
Sie die Stichwortliste.
Zukunft aussagen.
• Öffnungszeiten: An welchen Tagen
b) Formulieren Sie für einen Politiker eine Stich
und in welchen Zeiten ist er geöffnet?
punktliste m it den wichtigsten Merkmalen des
• Aufnahmealter: Wie alt sind die Kinder? Kindergartens der Zukunft und üben Sie damit
• Gruppengröße: Wie groß sind die Gruppen? eine politische Rede.
• Raumsituation: Welche verschiedenen
• Der Kindergarten der Z ukunft...
Räume gibt es?
• ... ist familienfreundlich, m it...
• Gruppenzusammensetzung: Wie werden
• ... ist ein Familienzentrum, wo ...
die Gruppen zusammengesetzt?
• ... hat altersgemischte Gruppen von ...
• Betreuungsverhältnis: Wie viele Betreuer
gibt es für wie viele Kinder? •...ist...
• Programm: Was tun die Kinder? Wie ist Didaktischer Kommentar:
der Tagesablauf? Was müssen sie, sollen Der journalistische Text verbindet konkrete Beispiele
sie, dürfen sie? von Minimax mit abstrakten Strukturen des Kinder
• Zusammenarbeit: Wie arbeiten Betreuer, gartens der Zukunft.
150 Teil B
Grun dlagenwissen
in NRW der Aufbau der Familienzentren beginnt, ist vgen wie die Betreuung während Dienstreisen müssen
dieser Traum in der Bielefelder Gruppe' „M inim ax11 Eltern selbst bezahlen.
bereits Wirklichkeit geworden.
„W ir müssen weg
So viel Ordnung muss sein: Um 12.30 Uhr hat Konrad
vom Basteltanten-image"
eine frische Hose bekommen. Auf einer Tafel wird über
den Windelwechsel der Schützlinge Buch geführt. Eben „Ein gutes Modell11, findet Klaus Dreyer vom Landes-.
so sorgfältig notieren die Erzieherinnen die Schlafzeiten, Jugendamt Westfalen-Lippe. Auf die Frage „Warum es
denn für M utter sind das wichtige Informationen. Ab- ; nicht mehr.'Einrichtungen wie Minimax gibt?11weiß der
gesehen von den „buchhalterischen Pflichten11 hat Referatsleiter keine Antwort. Quantitativ sei NRW gut
Susanna Hoffmann alle Hände voll zu tun: Rechts kräht aufgestellt. „W ir haben bei den Kindern von drei bis
Konrad
- IN l / Z JJahreV
UI II Q.VJ \(AVo link«;
C4lII V^/| 1 <;nprrt
11li\0 O Carl1\MYdpn
UuI 1l VUl 1/ Mund
1/V auf
1UI IU CIU1.. sechs Jahren eine Voll Versorgung11, sagt-Dreyer. , •
Die Erzieherin füttert stereö; Im Nachbarzimmer ist es - Seitdem es seit 1996 den Rechtsanspruch auf einen;
still. Dort stehen sieben Betten. Nur gleichmäßige Atem - :M iInI.U.CI
rlp rorii
g a lr lf ep ini pn iI c^t t7 nrikt \a/i
i z &l|Jtr W U iIr U
HCp H e F\l
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anU cbagpc hUrdi U
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züge sind zu hören. Mittagszeit bei Minimax; ; Angesichts des Geburtenrückgangs gelte es, umzu- -
15 Kinder von vier Monaten bis sechs Jahren werden jcfri
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InLUiriprpn
I 1C 1 C II 1hin 711llpYihlpfpn
1111 Z.U 11C Ä 1U 1C i C 11 T p i1fLC11
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11U rUl CI RC r pCiUi-• - -
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in der Modellgruppe ,,Minimax11im Bielefelder Kinder ung der Unter-Drei-Jährigen, sagt Dreyer. Die Land
garten Flachsfarm betreut. Ziel: Vereinbarkeit von Fami schaft verändere sich - langsam.
lie und Beruf. Prädikat: bundesweit einzigartig. Pro Für Beschleunigung möchte das Fämilienministerium
jektleiterin Martina Ritzenhoff umreißt die Aufgabe so: sorgen. Mitte Mai hat Minister Armin Laschet sein Pilot-
„W ir kümmern uns um alles, was Eltern ins Schwitzen P rojekt gestartet und 250 Kindertagesstätten in NRW
bringt.11 zu Familienzentren erklärt. Neben Betreuung werden
sie den Eltern Bildung und Beratung, aber auch Service
Öffnungszeiten wie die Vermittlung von Tagesmüttern bieten. 3.000
von 6.30 bis 20.3 0 Uhr - der 9.700 Kindertagesstätten sollen bis 2012 Familien
Die maximalen Öffnungszeiten von 6.3Ö bis 20.30 Uhr zentren werden.
“ sind.nur ein Kennzeichen von Minimax. Hinzu kommen Was das Ministerium derzeit mit den Familienzentren
ein Bring- und Abholdienst, Betreuung auch nachts und olant p-ehört bei Minimax längst
J L zum
U 1 1 1 1Programm*
1 W W l U I 111 11. f r Wir
■ p i U l . l . l f w y i IV/.I.L UVxl I V. 111 11l.l. ICl/\ 1U.I 1w V V1 ,v."~
am Wochenende ... Die flexible Dienstleistung für be wollen die M ütter und Väter mit ihren Sorgen und Fra
rufstätige Eltern macht Minimax ungewöhnlich. Ein gen auffangen11, sagt Ritzenhoff. Es gibt ein Bildungs-
zigartig aber wird das Modell durch seine Finanzierung und Freizeitangebot; Halbjährliche Gespräche mit den
als Public-Private-Partnership-Modell, Eltern sind Pflicht.
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Das .Programm für die Kinder ist situationsabhängig.
Unternehmen an einem Tisch11, sagt die Diplompäda „W ir müssen weg vom Basteltanten-1mage11, sagt die
gogin. „Es setzt voraus, dass der Träger güte Kontakte ; Erzieherin- Die Kinder dürfen viel. „ Bei uns gehen sie •
zur Wirtschaft hat14, erklärt Ritzenhoff. Bei der Von- schon mal über Tische und Stühle11, sagt Ritzen hoff.
. Laer-Stiftung, engagiert in mehreren Einrichtungen der lDoch
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V.V V /1 vom
V V i 1 1 Tisch
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U J J :U U. J weh-
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Jugendhilfe, ist das der Fall.
tun kann. O ft geht's raus in den Gärten. Bei Wind und
Die Rechnung klingt nicht schwierig: Die Kommune Wetter wird die Gummihose angezogen. Und dann
fördert eine kleine ältersgemischte Gruppe. Die Eltern rauf aufs Dreirad! Ordnung ist da nur noch Neben-' ^ ;
zahlen den üblichen, ein.kommehsabhängigen.Eltern- säche.
■ ' p : i .• - _ .■-- ■- v •: ^ .• ■.
Teil B 151
Grundlagenwissen
Leseförderung durch
Prinzipien zur Einbindung Vereinfachung und
Optim ierung von Sachtexten
eines Sachtextes in den Fachunterricht
Wieso kann durch die Vereinfachung und Optimierung
Prinzip der Kontextualisierung eines Sachtextes das Lesen gefördert werden? Wurde
nicht an anderer Stelle (vgl. S. 32 f.) eine generelle und
den Textinhalt sinnstiftend iri den Unterrichtskontext
ungezielte Vereinfachung von Sachtexten abgelehnt
und stattdessen die Bedeutung einer möglichst selbst
Prinzip der A ktivierung ständigen, durch Lesehilfen und Lesestrategien unter
das Vorwissen durch Vorübungen und Wiederho- : stützten Textbearbeitung als vordringliches Ziel der
Jungsphasen aktivieren Leseförderung hervorgehoben?
Prinzip der Verbalisierung Diese Feststellung ist richtig. Manche Texte sind aber
für Lerner so schwer, dass sie selbst mit Lesestrategien
die Erstrezeption durch Verbalisierung dessen, was i
und beigefügten Hilfen nicht zu bewältigen sind. Die
schön verstanden wurde,.einleiten
Lehrkraft muss solche Texte dann dem Könnensniveau
Prinzip der A nleitung _ der Lerner anpassen und sie ggf. vereinfachen oder
einen ganz neuen Text schreiben. Andernfalls besteht
die Gefahr, dass Lerner Misserfolgserlebnissen ausge
setzt werden, die sich immer fatal auf das Könnensbe
Prinzip der Überprüfung wusstsein auswirken. Misserfolge können Leser sogar
das Verständnis durch Fragen öder Austausch in der in eine Negativspirale bringen, mit der Folge, dass sich
gerade sprachschwache Lerner Sachtexten gegenüber
gänzlich verweigern.
Lesekompetenz ist das Ergebnis eines Prozesses, Nachfolgend wird beschrieben, wie eine solche Anpas
der gestuft abläuft. Maßnahmen zum Aufbau der sung des Textes an den Leser erfolgen kann. Dabei hat
Lesekompetenz müssen diese Stufung berücksich die Lehrkraft zwei Möglichkeiten:
tigen und ebenfalls gestuft erfolgen Wenn Lehr - Textvereinfachung: Der Text wird im Wesentlichen
kräfte die Erkenntnisse zum Leseverstehen berück- beibehalten. Er wird ggf. gekürzt, zerschnitten und
:f: sichtigen und Lesestrategien sowie bewährte Lese neu geklebt, retuschiert, ergänzt oder teilweise
prinzipien einsetzen (vgl. S. 130 u. 1 4 2 f.), wird ersetzt.
dies bei den Lernern zu einem Anwachsen der
- Textoptimierung: Der vorliegende Text wird verwor
fen und ein neuer erstellt, der den Kriterien der Text
Sachtexte spllten möglichst im Anschluss an das : optimierung genügt. Der Text wird also auf die Lern
„einsame'- Lesen in den Unterricht integriert wer gruppe zugeschnitten und ist somit für diese ange
den. Dies hat den Vorteil, dass eine Anschluss- messen und verständlich.
und Begleitkommunikation stattfinden kann, die
Ob eine Textvereinfachung vorgenommen werden muss
den Austausch über das Gelesene; die Integration
oder nicht, hängt entscheidend von der didaktischen
des eigenen und fremden Vorwissens und die Ver-
Zielsetzung der Lehrkraft ab. Den vereinfachten Text
balisierung des Verstandenen und des Nichtver- :
standenen fördert.
an sich, ohne Bezug auf den Leser und ohne Bezug auf
die didaktische Absicht, gibt es somit nicht.
Durch die Integration des Textes, in den Unterricht
So kann es durchaus Bestandteil der Aufgabenstellung
beschäftigen sich die Lesenden zudem länger und
intensiver mit dem Text. Die Anschluss- und Begleit—: sein, dass sich Lerner durch einen nicht vereinfachten
kommunikation fördern damit das Verstehen: des Text „durchbeißen" müssen-sofern beispielsweise die
Textes in hohem Maße. Erschließung authentischer Texte das Lernziel ist. Hin
gegen muss eine Textvereinfachung vorgenommen wer
152 Teil B
Grundlagenwissen
Sachtexte
offensiv defensiv
Text
Lesestrategie Lesetraining alternative Texte
vereinfachung
© Josef Leisen
den, wenn die Lektüre eines erklärenden Sachtextes ten11Texte aber dennoch einsetzen; sie muss diese dann
fachliches Verstehen bewirken soll, dieses Ziel aber ohne nur vereinfachen oder den Zugang zu ihnen dadurch
Vereinfachung an den aus dem Text resultierenden erleichtern, indem sie die Texte auf das Sprachvermögen
Schwierigkeiten scheitern würde. der Leser zuschneidet. Einen solchen „Zuschnitt auf
das Sprachvermögen der Leser11verdeutlicht beispielhaft
Problematisch sind Textvereinfachungen aber allemal.
die Bearbeitung des nachfolgenden Textes zum Otto-
Denn zumeist entfernt man sich dadurch von der Fach
Motor. Dabei zeigen die eingestreuten Sprechblasen,
sprache im engeren Sinne und baut u.U. neue Text
an welchen wichtigen Stellen und wie eine Vereinfa
schwierigkeiten ein; in jedem Fall erhöht man den
chung erfolgen kann (siehe Abb. au f S. 154):
Sprach- und den Textumfang.
Vergleicht man diesen vereinfachten Text zum Otto-
Welche Form der Vereinfachung sinnvoll istr muss die
Motor mit dem Originaltext (S. 147), so zeigt sich deut
Lehrkraft immer im Einzelfall und immer im Hinblick
lich, dass eine Textvereinfachung die Möglichkeit zur
auf die Zielsetzung, die didaktische Absicht und den
Textentlastung bietet, ohne dabei inhaltliche Abstriche
methodischen Aufwand entscheiden.
zu machen.
Teil B 153
Grundlagenwissen
Das geschieht in vier Schritten, auch Takte genannt. Aus diesem Grund heißt dieser Verbrennungsmotor
auch „Viertakter". Die Verbrennung (Oxidatiop; ^^täh'dnM ö^d'em ^e0 iäufti. Dazu wird das Gas-Luft-
Gemisch über eine Leitung mit einem Einlassventil .in; d(Brk^(fn^naüm gebracht, siehe Abbildung.
1. Ansaugtakt: Der Kolben bewegt sich nach unten. Das Ventil Abgeschlossen, das|pntil E wird
geöffnet. Dadurch wird das Benzin-Luft-Gemisch in den Z^tfiderraurn gesaugfer^pij.cin Unterdrück
Dildbezogene
entsteht. (So wie beim Trinken von Cola mit dem Strohhalm.)
Beschreibung
2. Verdichtungstakt: Der Kolben bewegt sich, unten angekommen, durch den Säiwung n'duiubcn. Bei
de Ventile sind geschlossen. Das Gemisch wird „verdichtet". Dabei steigt die Temperatur des Gemi
sches auf 300°C bis 400°C, denn nach dem Gadgesetz steigt die Temperatur, wenn das Volumen ver
kleinert wird. (So wie eine Luftpumpe warm wMa, wenn sie zusammengedrückt wird.) Eine hohe
Temperatur bereitet die explosionsartige VedDretinung & al vor.
^fcfe:ehutsame
3. Arbeitstakt: Beide Ventile sind geschlosse on möglichst heftig wird, wenn die Zün
dung- erfolgt.
- Der Treibstoff verbrennt sem erreicht^ mPef p i | i p
Das Gasgesetz besagt, dass es bei der grolSeirTeiiiperaturemöhung zu einem s»:a
kommt. Dadurch wird der Kolben sehr schnell nach unten gestoßen. Dieser Vorgang treibt dij?
des Autos an. (Genaueres unten.) Das Gasgesetz besagt, dass sich Gas abkühlt, wenn seiir^dlumen
rasch vergrößert wird. (So wie die Luft deine Hand kühlt, wenn du heftig gegen sie blästfDie warme
Luft aus denjflAund bekommt ein großes Volumen.)
4. Auspuftekf:aE (Lbgn bewegt sich nach oben. Das Ventil A ist geöffnet und die Abgase werden
herausg Pi itz für neues Gas-Luft-Gemisch geschaffen wird.
Nun kann qer Ä b fM i^ fle u t ff eginnen. Wenn die vier Takte einmal durchlaufen werden, nennt man
das eine Periode. Der Kolben bewegt sich während einer Periode zweimal nach unten und zweimal
nach oben. Die Räder des Autos sollen sich aber drehen. Wie überführt man also eine Oben-Unten-
Bewegung in eine Drehbewegung? Das geschieht technkch mit der Pleuelstange. Die geradlinige
Bewegung des Kolbens wird von de^leuelstanz e an elnefe-^nde aufgenommen und am anderen
Ende mithilfe einer Kurbd FöfFb^wegung übergeführt. Während einer
fördernde
Periode dreht sich die Kl
_____________ |§rtiärüngen
Ein M otor mit einem Zylinder gibt also immer nur stoßweiser nämlich im 3. Takt seine Energie an die
Räder ab. Das Auto würde also nur Stöße bekommen, Das Problem löst man mit dem „Vierzylinder".
Der Motor hat vier I ^ h f a : r i ger r dass immer einer gerade im Arbeitstakt ist.
Damit arbeitet das Herz des PKW immer.
154 Teil B
Grundlagenwissen
9. ergänzende Details an den Schluss stellen; Das aber kann nur gelingen, wenn ihnen auch sprach
10. anschaulich argumentieren durch Anbin lich und fachlich anspruchsvolle Texte „zugemutet"
dung an bekannte Gegenstände, Vorgänge, werden. Allerdings müssen die Lerner dann auch - wie
Ereignisse ...; an dem obigen Beispiel detailliert erläutert - durch ent
sprechende Strategien und Übungen in ihrer Kompetenz
11. durch Bilder unterstützen;
geschult und gefördert werden, sich diese schwereren
12. rhetorische Fragen zum Mitdenken stellen; Texte zu erschließen.
13. den Text klar gliedern und zur Ausgangs Lehrbuchtexte werden heute leider noch viel zu selten
frage zurückkehren. im Unterricht eingesetzt, obwohl sie durchaus geeignet
Einer Lehrkraft bieten sich vielfältige Möglichkeiten, sind, das Leseverständnis zu fördern. Dies gilt selbst
das Textverständnis der Lerner zu erleichtern. Dies er dann, wenn die Lesekompetenz der Lerner nicht dazu
folgt, indem sie in einen Text eingreift; z.B. durch ausreicht, den Text auf Anhieb zu verstehen. Denn Ver
stehensprobleme sind auch Lerngelegenheiten, die die
- Lesehinweise
Lerner herausfordern. Lehrkräfte sollten sie nutzen, um
- Ergänzungen die Lerner anzuregen, sich mit den Inhalten auseinan
- oder gar die adressaten-orientierte derzusetzen.
Neufassung des Textes. Dazu ist erforderlich, dass die Lehrkraft insbesondere
Alle diese Eingriffe sind aber nicht Selbstzweck, sondern sprachschwachen Lernern hilft, diesen also Verstehens
dienen einzig und allein dazu, den Lese- und Lernpro hilfen bereitstellt. Ganz nebenbei werden die Lerner
zess beim Lesenden zu optimieren. Deshalb sei auch auf diese Weise zugleich mit der Fachsprache vertraut
noch einmal daran erinnert, dass einfache Texte nicht und benutzen sie zunehmend auch selbst. Eine zusätz
zwingend auch gute Texte sind (vgl. 5. 32, 122). Denn liche Unterstützung kann darstellen, dass der Text im
Einfachheit ist ein Merkmal, aber kein Qualitätsurteil. Lehrbuch eine Struktur hat, das Wissen geordnet dar
bietet und jederzeit zugänglich ist.
Je nach Lesesituation und Lesekompetenz des Lesers
kann ein komplizierter Text sogar eine wertvolle Lern- Diese Überlegungen gelten natürlich nicht für Texte,
gelegenheit darstellen. Dies ist aber im Einzelfall zu die derart ungeeignet sind, dass weder eine Texter
prüfen. Denn ebenso, wie kompetente Leser an sprach schließung noch eine Textvereinfachung angebracht
lich wie inhaltlich anspruchsvollen Texten wachsen, ist. In diesen Fällen wird die Lehrkraft einen geeigneten
werden Leser mit unzureichender Kompetenz daran Text entwerfen müssen, also einen, der auf die jeweilige
verzweifeln. Vordringliches Ziel der Lehrkraft sollte es Lesergruppe passt. Dabei sollte sie darauf achten, den
ursprünglichen Text nicht zu „verschlimmbessern11.
deshalb sein, Leser zu einer möglichst hohen Lesekom
petenz im eigenständigen Umgang mit nicht verein Passende Lehrbuchtexte mit entsprechenden Leseauf
fachten Texten zu bringen (vgl. die Ausführungen zum gaben steuern unterrichtliche Lernprozesse. Lehrkräfte
offensiven Umgang m it Sachtexten, S. 122), so unter in Deutschland nehmen aber den Unterricht leider
schiedlich am Ende die dann individuell entstandene immer noch lieber selbst (frontal) in die Hand, statt ihn
Lesekompetenz auch sein mag. dem Lehrbuch zu überlassen. Sie sind häufig überzeugt,
dass die Lerner mit dem Text nicht klarkommen werden.
Konsequenzen Zudem gehen sie davon aus, dass es zum Wohle der
Welche Konsequenzen müssen daraus für das Lesever Klasse sei, wenn sie als Lehrkraft den Lernern das Wis
stehen gezogen werden? Hierzu sollte sich die Lehrkraft sen selbst vermitteln. Außerdem müsse man den Ler
zunächst vor Augen halten, dass es sich bei der Text nern am Schluss ja doch wieder alles erklären - dann
könne es die Lehrkraft auch gleich selbst vortragen.
vereinfachung um eine defensive Strategie handelt, vgl.
Abb. S. 153. Da es den vereinfachten Text an sich - Bei dieser Form des Unterrichts jedoch können Lerner
also ohne Bezug auf den Leser und die didaktische kein Vertrauen in ihre Fähigkeit entwickeln, sich Sach
Absicht - nicht gibt, wird jede Textvereinfachung mit texte eigenständig zu erschließen. Und wie sollen sie
didaktischen Nachteilen erkauft. Der Einsatz verein die selbstständige Erschließung von Sachtexten lernen,
fachter Texte anstelle eines Originaltextes bedarf des wenn ihnen die Gelegenheiten dazu vorenthalten wer
halb im Einzelfall immer abwägender Überlegungen. den?
Teil B 155
Das Schreiben von Texten
im sprachsensiblen Fachunterricht
2. Unter „Schreiben" wird sowohl der Prozess der Text Genau diese „Endgültigkeit und Dauerhaftigkeit" der
produktion als auch die Schreibkompetenz an sich schriftlichen Kommunikation führt aber auch dazu, dass
verstanden. Beide Elemente unterliegen aber unter es bei manchen Schreibern zu Schreibhemmungen
schiedlichen Einflussfaktoren, die sich zum Teil auch kommt oder sie regelrecht um die logische und sprach
noch gegenseitig bedingen. Das Beherrschen der liche „Eindeutigkeit" des Geschriebenen „ringen".
beiden Elemente ist für den Lerner somit sehr an Dann tritt oft das Gegenteil ein: Der Text wird durch
spruchsvoll und komplex. zu akribische Formulierungen unverständlich.
Beim Schreiben sind folglich - wie beim Sprechen - Der wissenschaftliche Ansatz zu diesem Thema ist
Sprachlernen und Fachlernen untrennbar miteinander unterschiedlich: Paul Portmann-Tselikas (vgl. S. 112)
verbunden; denn auch hier fallen das Kommunizieren versteht unter dem Begriff „Textkompetenz" sowohl
über das Fach und das Kommunizieren-Lernen im Fach
die Lese- als auch die Schreibkompetenz: „Textkom-
petenz ermöglicht es, Texte selbstständig zu lesen, das
zusammen. Schreiben im Unterricht ist daher ebenfalls
Gelesene m it den eigenen Kenntnissen in Beziehung
zu setzen und die dabei gewonnenen Informationen
und Erkenntnisse für das weitere Denken, Sprechen
Begriffsdefinition und Handeln zu nutzen. Textkompetenz schließt die
Fähigkeit ein, Texte für andere herzustellen und damit
Schreibkompetenz ist die grundsätzliche und zielgerichtete
Gedanken, Wertungen und Absichten verständlich und
Fähigkeit, Texte unterschiedlicher Art in ihren Absichten,
adäquat mitzuteilen." (Portmann-Tselikas, 2005, S. 1)-
ihren Adressaten und ihrer formalen Struktur situations
angemessen und erfolgreich herzuistellen und dabei die Folgt man hingegen der PISA-Studie bzw. ihren Über
eigene Schreibhandlung kognitiv und reflexiv zielgerichtet legungen zum Erwerb einer generellen „Reading Lite
zu steuern und zu bewerten. racy" und überträgt diese analog auf das Schreiben,
. .-- - -
ergibt sich die Notwendigkeit einer generellen „ Writing
Schreiben im Fach hingegen - verstanden als das Verfas-
Literacy" von Lernern. Diesem Ansatz zufolge ist
sen von Texten - i s t ein ebenso kreativer wie produktiver
Schreibkompetenz eine grundlegende Form des kom
Lernprozess, der zudem auch noch äuf.zwei unterschied-
munikativen Umgangs mit der Welt.
v liehen Ebenen stattfindet. Denn beim Schreiben bringen
: wir fachliches und sprachliches Lernen zusammen, da wir Dieser „kommunikative Umgang mit der Welt" in Form
; das Fach gleichzeitig //? c/er Sprache.sowie m it der Sprache des Schreibens kann aber nur fächerübergreifend erfol
lernen. gen; die Förderung der Schreibkompetenz ist somit
zwangsläufig eine Aufgabe aller Fächer.
156 Teil B
Grundlagenwissen
Will die Lehrkraft eine fachlich wie sprachlich mög der Lehrkraft, den Schwierigkeitsgrad einer Schreibauf
lichst angemessene Förderung sprachschwacher Lerner gabe zu ermitteln.
betreiben, sollte sie die nachfolgenden grundlegenden
Forschungsergebnisse kennen und berücksichtigen: Ein M odell zur Entwicklung
der Schreibkompetenz
1. Schreibkompetenz ist eng mit der individuellen
Fach- und der individuellen Sprachkompetenz des Nach dem Modell von Becker-Mrotzek (2004) ent
jeweiligen Lerners verbunden. Zudem scheint ein wickelt sich die Schreibkompetenz in einem „ parallelen,
mehrdimensionalen Prozess". Er weist der Schreibent
enger Zusammenhang zwischen der Schreib- und
der Lesekompetenz eines Lerners zu bestehen. wicklung eine kognitive, eine sprachliche und eine orga
nisatorische Dimension zu.
2. Beim Schreiben entwickeln sich alle Kompetenzen
Die kognitive Dimension fokussiert darauf, wie die Sach
parallel - also die Fachkompetenz, die Sprachkom
verhalte im Text dargestellt werden (Perspektive, Ab
petenz, die Lesekompetenz und die Schreibkompe
straktionsgrad, Gereralisierungsgrad ...). Die sprachliche
tenz. Auch durch Schreiben werden also kognitive
Dimension fokussiert auf die sprachliche Gestaltung
Prozesse gefördert, die an Fachinhalten festgemacht
des Textes (Aufbau, Stil, Adressatenbezug ...). Die orga
werden und die Sprache brauchen. Die jeweils beim
nisatorische Dimension setzt sich mit der Organisation
Lerner vorhandene Schreibkompetenz gibt der Lehr
der Schreibhandlung (Reflektiertheit im Schreibprozess,
kraft dabei wichtige Anhaltspunkte dafür, in welchem
Revision, Strukturiertheit ...) auseinander. Empirische
Umfang die Effizienz des Schreibprozesses gefördert
Untersuchungen zur Entwicklung instruktiver Schreib
werden kann und muss.
kompetenzen bestätigen die Annahme einer weitge
Auf die Bedeutung und Notwendigkeit einer entspre hend parallelen Entwicklung der drei Dimensionen (vgl.
chenden Diagnose zur Ermittlung des Sprachstands Becker-Mrotzek, 2004, S. 208 ff.).
gerade sprachschwacher Lerner wurde bereits mehrfach Die Ergebnisse zur Textsorte „Beschreibung" (konkret:
hingewiesen. Überträgt man die Lesekompetenzmatrix eine Bedienungsanleitung) sind in der nachfolgenden
der PISA-Studie (vgl. 5. 112) analog auf das Schreiben, Tabelle skizziert. Die Ausführungen liefern auch inte
lässt sich die untenstehende Schreibkompetenzmatrix ressante Anhaltspunkte dafür, wie eine Lehrkraft sprach
erstellen. schwache Lerner fördern und gezielt zur Beseitigung
Dabei geben auch bei der Schreibkompetenzmatrix ihrer Sprachdefizite beitragen kann.
die Kompetenzbere/c/7e die Breite und die Kompetenz- Der Prozess ist zu den Entwicklungsphasen von Kindern
stufen die Tiefe der (Schreib-)Kompetenz wieder. Die und Jugendlichen in Beziehung gesetzt; dabei entspre
Matrix ist somit ein gutes Instrument, um festzustellen, chen die Altersangaben der Regelentwicklung von Kin
welche Schreibkompetenzen bei Lernern zur Bewälti dern und Jugendlichen ohne Entwicklungsstörungen
gung einer Schreibaufgabe erforderlich sind, und hilft (vgl. Akhtari, 2006, S. 2 9 -3 3 u. Richter, 2008, S. 28-33).
ompetenzbereiche
Teil B 157
Grundlagenwissen
m m gg . -----| 7~^ gg W BS 1
- - Phasen der Entwic klung der Schreibkompetei17 ' ~f
' -T- 5 ,4 r " Hl
1 • Im Text werden vor allem • Die Beschreibung zeichnet • Der beschriebene Sach
kognitive
Dimension wahrnehmbare Sachverhalte sich nicht mehr nur durch verhalt wird verall
geschildert. eine Ereignisfolge aus, son gemeinert dargestellt.
| • Der beobachtbare Sach- dern wird als bewusste • Er wird aus der individu
| verhalt wird aus der Ich- Handlung dargestellt. ellen Veranlassung gelöst
| Perspektive beschrieben. • Es findet eine Perspektiv und generalisiert.
• Die Beschreibungen sind übernahme statt. Der • Es werden grundsätzliche
I sehr konkret und wenig Schreiber spricht den Leser Verwendungszwecke des
j§ abstrakt. in der Du-Perspektive an. Gegenstandes erläutert.
• Die Distanz des Schreibers
zum Text vergrößert sich.
• Die Beschreibung wird
zunehmend abstrakter.
ffi • Es überwiegen Alltags • Neben der verwendeten • Sprachlich stellt sich der
sprachliche
Dimension begriffe im Text und der Du-Perspektive wird verstärkt Schreiber auf die Eigen
§ Sachverhalt wird beschrei- die Infinitivkonstruktion schaften der Leser ein
§ bend dargestellt. „um ... zu" verwendet. und weiß um die unter
• Der Schreiber verarbeitet schiedliche Wirksamkeit
. • Die Beschreibung besteht
die Kommunikationssituation von sprachlichen Mitteln.
aus einer Folge von ver
ketteten und anweisen- nicht mehr nur textlich,
|§ den Äußerungen. sondern auch zunehmend
RI • Es fließen keine anderen sprachlich.
H Textelemente (z.B. Eröff- • Der Schreiber nutzt außer
jj nung)m itein. dem mehr Fachbegriffe.
• Die einzelnen Handlungen
werden erklärt, wodurch
unterstrichen wird, dass
der Schreiber den Leser zu
konkreten Handlungen
bewegen will.
- - ...
-i-r'----“-' • Der Schreiber ist sich des
organisatori j j | • |m Text wird deutlich, dass • Der Text wird durch
sche der Schreiber den Text andere Textelemente Schreibprozesses bewusst.
Dimension U wenig geplant hat. stärker strukturiert. • Die Planung ist gründlich
H • Dennoch erkennt er die • Das Vorhaben des Schreibers und der Text wird als
g Kommunikationssituation wird durch eine Einführung Ganzes reflektiert.
|f und das Ziel der Beschrei- beschrieben oder es werden
Ü bung. Zwischenüberschriften und
- ;=' ~V~v 'i Absätze benutzt.
• Der Schreiber richtet sich
stärker auf den Leser ein. Der
Text wird jedoch noch nicht
als Ganzes wahrgenommen
und entsprechend reflektiert.
Teil ß
158
Grundlagenwissen
Beschaffenheit des
Schreibproduktes
Inhaltsorganisation und Strukturierung
(Kohärenz, Darstellungsformen,
sequenzielles Arrangieren,
Vorwissensaktivierung)
Teil B 159
Grundlagen wissen
Struktur formal vorgegeben. Hier bieten vom Lehrer des Textes in Abschnitte mit Überschriften niedrigerer
angebotene Schreibübungen gerade sprachschwa Ordnung wider.
chen Lernern die Chance, eine gewisse Routine zu - Q u a litä t hinsichtlich der Inhalte: Der Text muss
entwickeln (vgl. S. 168). inhaltlich korrekt sein.
- Die Aktivitäten des Schreibers (adaptiver Einsatz von - Relevanz für die Textabsicht: Die Aussagen müssen
Schreibstrategien, Schreibüberwachung, Selbstregu relevant für die Absicht des Textes sein. Er sollte nur
lation) wirken sich auf die Schreibhandlung aus. Wie relevante Sachverhalte enthalten.
sich herausgestellt hat, erleichtern Schreibstrategien
- Angepasstheit an den Adressaten: Bei der Erstellung
gerade sprachschwachen Lernern den Schreibvorgang
des Textes muss der Adressat berücksichtigt werden.
enorm. Unter Schreibstrategien sind konkrete Tech
niken zu verstehen, die zielführend und flexibel vom Sein Wissens- und Sprachniveau müssen berücksich
Schreiber eingesetzt werden können und zunehmend tigt werden, damit der Informationsgehalt des Textes
automatisiert ablaufen, aber dennoch Sprachbewusst- vom Leser verstanden werden kann.
heit erzeugen und erhalten.
160 Teil B
Grundlagenwissen
, , ,
Teil B 161
Grundlagenwissen
Was ist das Besondere den, aber auch für den Lehrenden deutlich, ob das
am Schreiben von Texten Thema auch wirklich inhaltlich verstanden wurde.
im Fachunterricht? Das Schreiben stellt dazu gewissermaßen ein „Labor
von Denkinstrumenten" zur Verfügung: „Ich schrei
Ganz selbstverständlich wird in jedem Fachunterricht
be, also denke ich.“
geschrieben: Beispiele für das Schreiben sind Aufga
benstellungen wie Tafelabschrieb, Hefteinträge, das - Bewusste Wahrnehmung
Ausfüllen von Arbeitsblättern, das Aufschreiben von Das regelmäßige Schreiben - z.B. von Versuchsbe
Hypothesen, Beobachtungen, Erklärungen und Begrün obachtungen, Bildbeschreibungen, Zusammenfassun
dungen, das Anfertigen von Versuchsbeschreibungen gen etc. - trainiert nicht nur das Schreiben; es ver
und Protokollen etc. bessert vielmehr auch die Fähigkeit, Dinge bewusst
Trotz der Nähe von Lesen, Sprechen und Schreiben gel aufzunehmen, zu beobachten oder die jeweiligen
ten für das Schreiben besondere Regeln. Denn Schrei Bedingungen zu beachten. Dies hat zur Folge, dass
ben und Sprechen als Kommunikationsformen verfolgen Lerner diese Dinge dann anschließend auch besser
unterschiedliche Ziele und fördern unterschiedliche beschreiben können. Zugleich wird auf diese Weise
Kompetenzen: So ist das Sprechen situationsgebun die Sprachbewusstheit und die Reflexion über das
den flüchtig und auf gelingende Kommunikation hin eigene Denken geschärft.
angelegt. Mimik, Gestik, persönliche Ausstrahlung, - Optimierung/Präzision des Schreibprodukts
Sympathie u. a. unterstützen oder behindern das Gelin Schreiben ermöglicht viel deutlicher als jede mündli
gen der Kommunikation im Gespräch. Das Schreiben che Darstellung, Rückschau auf das Geschriebene zu
hingegen ist dauerhaft und auf gelingendes Interpre nehmen, den aufgeschriebenen Gedankengang noch
tieren hin angelegt. Das Sprechen ist unmittelbar, das mals Revue passieren zu lassen und notfalls Ergän
Schreiben mittelbar; damit hat der Schreiber andere zungen vorzunehmen. Schreiben stellt damit für den
Möglichkeiten und vor allem mehr Zeit, sein Anliegen
Lerner einen Prozess dar, in dessen Ergebnis er bis
zu formulieren. Deshalb ist ein guter Sprecher nicht
zur Abgabe noch eingreifen kann.
zwangsläufig auch ein guter Schreiber (und umgekehrt).
- Konzentration au f das Wesentliche
Wie bereits geschildert, verlangsamt sich die Kommu
Durch die Verlangsamung beim Schreiben ist der Ver
nikation. Dies hat große Vorzüge für den Verfasser:
fasser in der Regel zu höheren Abstraktionsleistun
Das Schreiben ermöglicht ihm, die eigenen Gedanken
gen fähig. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf das
zu ordnen, sie in einen logischen Zusammenhang zu
Wesentliche, auf das logische Ordnen und Unter
bringen, bewusst und reflektiert zu argumentieren, die
scheiden, auf das sprachliche Herausarbeiten des
Argumente überzeugend und gegliedert darzustellen
fachlichen Gegenstandes, auf die Sprache selbst und
sowie präzise und sprachbewusst zu formulieren, ohne
auf die Art und Weise, wie der Sachverhalt gegliedert
dem Zeitdruck der mündlichen Kommunikation ausge
und überzeugend dargestellt werden kann. Das
setzt zu sein.
Schreiben unterstützt somit das (strukturierte) Den
Für den Fachunterricht mit einem hohen Anteil sprach ken.
schwacher Lerner bedeutet dies: Allen, aber besonders
den schreiblangsameren Lernern muss genug Zeit gelas - Ermöglichen eines persönlichen Stils
sen werden, ihre Texte zu schreiben. Außerdem muss („persönliche Handschrift")
die Lehrkraft ihren Lernern die Angst vor der „Endgül Nicht nur in literarischen Schreibprodukten, sondern
tigkeit und Dauerhaftigkeit" der schriftlichen Ausfüh auch in Sachtexten entwickeln Autoren erfahrungs
rungen nehmen und daraus resultierende Schreibhem gemäß im Laufe der Zeit einen eigenen Stil. Die
mungen abbauen. Insbesondere ist wichtig, dass die Schreibprodukte tragen somit die „persönliche Hand
Lehrkraft den Lernern bewusst macht, dass man durch schrift" des Autors. Wird die Palette der Schreibpro
Üben seine Schreibkompetenz verbessern kann und es dukte im Fachunterricht über Versuchsbeschreibun
nicht so schlimm ist, wenn am Anfang noch nicht alles gen und Protokolle hinaus erweitert, zum Beispiel auf
perfekt klappt. szenische Dialoge, fachliche Erzählungen, adressa-
ten- und situationsgerechte Schreibprodukte, persön
Was spricht für das Schreiben liche Bewertungen, Einträge in Logbücher und Lern-
im Fachunterricht? tagebücher etc., so gibt es reichlich Möglichkeiten,
den etwaigen persönlichen Interessen nach eigenem
Das Schreiben im Fachunterricht bietet viele Lernmög
Ausdruck und Stil nachzukommen. Das Schreiben
lichkeiten zur Kompetenzentwicklung:
wird damit auch einem bestimmten Lerntyp gerecht.
- Intensive und vertiefte Auseinandersetzung
m it dem Thema - Kompetenzentwicklung in Konformität
Das Schreiben über ein fachliches Thema bewirkt, mit den Bildungsstandards
dass sich der Lerner bewusst und tiefgehend mit dem Schreiben ist ein M ittel, um Ideen zu generieren,
Thema auseinandersetzt. Damit wird für den Lernen Gedanken zu klären, das Nachdenken zu stützen und
Teil B
162
Grundlagenwissen
Teil B 163
Grün dlagen wissen
Im Unterricht sind Schreibprodukte in der Regel das gangs, Bildes, einer Apparatur, Handlung etc. ist
Ergebnis einer Aufgabenstellung und somit Lernpro eine der sogenannten Standardsituationen des
dukte. Meistens ist der Schreibauftrag dabei Teil einer Fachunterrichts (vgl. hierzu S. 106 ff.). Die Qualität
umfassenderen Aufgabe. Schreibprodukte lassen sich des Schreibprodukts (also der Beschreibung) wird
in drei Kategorien einteilen: dabei durch folgende Kriterien bestimmt: klare
Struktur, übersichtlicher Aufbau, passende Gliede
- Schreibprodukte m it Sachbezug rung, präzise Sprache und ggf. die Einbindung von
• Kurze eigene Formulierungen: Der Unterricht ist Bildmaterial. Für das Gelingen des Schreibprodukts
reich an Gelegenheiten für kurze eigene schriftliche ist es hilfreich und förderlich, den Lernenden
Formulierungen, die vom Umfang her nur einen Schreibhilfen zu geben, die ihren jeweiligen Vorer
Satz (oder wenige kurze Sätze) umfassen. Beispiele fahrungen und ihrem Leistungsvermögen entspre
dafür sind: Formulierung einer Hypothese, Vermu chen. Beispiele für Schreibhilfen sind: Mind-Map,
tung, Überlegung, Idee etc. Strukturdiagramm, Flussdiagramm, Filmleiste,
• Beschreibung: Die Beschreibung eines Versuchs- Wortliste, Wortgeländer, Wortfeld etc.*
aufbaus, Experiments, Gerätes, Prozesses, Vor • Schriftliche Erklärung eines Sachverhalts: Auch die
schriftliche Erklärung eines Sachverhalts ist eine
Standardsituation des Fachunterrichts. Sie erfolgt
unter Einbindung fachlichen Wissens und schließt
sich meist an eine Beschreibung an. Qualitätskrite
rien für eine „gute" Erklärung sind: fachliche Kor
rektheit, logischer Aufbau, argumentative Klarheit,
- schriftliches Darstellen von Sachverhalten in ver-. überzeugende Darstellung. Bei diesem Schreibpro
schiedenen Darstellungsformen (z.B. Tabelle, Graf, dukt kann die Unterstützung durch Schreibhilfen
. Skizze,Text, Bild, Diagramm, Mind-Map, Formel); ... dienlich und förderlich sein.
Boant\A/rirHv=>n v / o n Prpaph 711 ^ : • Facharbeit: Die Facharbeit ist eine umfangreichere
kleine wissenschaftspropädeutische Arbeit entspre
chenden Umfangs, die vorgegebenen Kriterien
genügt.
• Schreibprodukte m it Adressatenbezug
• Adressatengerechte Darstellung: In der Regel wer
den Sachtexte im Stil des Lehrbuches verfasst. Eine
reizvolle und anspruchsvolle Aufgabe ist es, gelern
te und verstandene Sachverhalte adressatengerecht
Situationsgerechtes Anwenden für andere Personen darzustellen, z.B. für die jün
von Kommunikationsformen gere Schwester, die Eltern, eine blinde Person ...
• Adressatengerechte Replik: Im Unterricht gibt es
auch Situationen, in denen der Lerner adressatenl
gerecht Stellung beziehen muss, also z.B. als Laie,
als Lernpartner, als Fachmann etc.
Teil B
164
Grundlagenwissen
Wie w ird Schreib Zugleich wird der Schreibprozess durch die Schreibum
kompetenz aufgebaut? gebung veranlasst und gesteuert. Zur Schreibumgebung
Teil b 165
Grundlagenwissen
fältig vor- und nachbereitet werden muss. Dies wirkt verschiedene Teilprozesse unterscheiden lassen, die sich
sich auch auf eine eventuelle Förderung aus; denn will gegenseitig beeinflussen (Details s. Grafik auf S. 167).
man die Schreibkompetenz fördern, so muss man in
allen oben genannten Bereichen fördern. Welche Schreibformen g ib t es?
Dabei lassen sich das Diskurswissen und das methodi Ebenso, wie es verschiedene Formen des Lesens gibt
sche Wissen (insbesondere das Strategiewissen) am ein (z.B. selektives Lesen, orientierendes Lesen, extensives
fachsten trainieren; hier führt ein Training zudem rasch Lesen, intensives Lesen, zyklisches Lesen; vgl. S. 135
zu vorzeigbaren Ergebnissen. Der Schreibprozess sollte f.), gibt es auch verschiedene Formen des Schreibens.
jedoch permanent überwacht werden. Unabhängig davon hat das Schreiben immer auch eine
Welche Bedeutung die Schreibumgebung für das Gelin sehr individuelle Ausprägung: Während die einen bei
gen des Schreibprozesses hat, zeigt das 1980 in den spielsweise gern nach Textmuster(n) und mit Schreib
USA veröffentlichte Modell von Hayes und Flower hilfen schreiben, schreiben andere ungebunden, asso
(1980, S. 3 -3 0 ). Das Modell hat seine Wurzeln in der ziativ und nach ihren eigenen Einfällen. Während die
Kognitionspsychologie; es versucht, die verschiedenen einen einfach drauflos schreiben, schreiben die anderen
kognitiven Aktivitäten, die ein routinierter Schreiber ausschließlich systematisch. Es gibt somit eine Vielzahl
während des Schreibvorganges ausführt, in einen möglicher Schreibformen.
Zusammenhang zu bringen. Die Forscher ließen dazu
Texte schreiben und veranlassten die Schreibenden, Die nachfolgende Auflistung ist danach geordnet,
während des Schreibens ihre Gedanken nach der welchen Grad an Selbstständigkeit die unterschiedlichen
Methode des „lauten Denkens“ zu verbalisieren. Schreibformen beim Schreibenden voraussetzen.
Die Untersuchungen wollten herausfinden, was beim - Schreiben nach Textmuster(n): Der Text wird analog
Verfassen von Texten tatsächlich passiert; dies sollte zu einem Musterbeispiel strukturiert und ausformu
ermöglichen, Rückschlüsse auf die Möglichkeiten zur liert.
Förderung der Schreibkompetenz zu ziehen. Die Ergeb - Schreiben mit Schreibhilfe: Es liegt eine Schreibhilfe
nisse wurden in einem Modell festgehalten. in Gestalt einer anderen Darstellungsform vor (z.B.
Das Modell betrachtet dabei Schreiben als einen ziel Tabelle, Diagramm, Mind-Map ...); diese wird als
gerichteten Problemlöseprozess, innerhalb dessen sich Strukturierungs- und als Formulierungshilfe genutzt.
166 Teil B
Grundlagenwissen
Schreibumgebung Schreibprozess :
- • . WM v r-;
1 - *•
I 1
überwachen
- Systematisches Schreiben: Die Teilschritte des Schreib Alle genannten Schreibformen können mit Schreibstra
prozesses werden planvoll nacheinander nach Auftrag tegien gefördert und geübt werden, siehe S. 171 f.
oder nach vorgegebener Gliederung ausgeführt.
- Optimierendes Schreiben: Es wird eine erste Version Fächerübergreifende Koordination
verfasst, die vom Autor selbst, von einem Mitlerner durch ein Curriculum
oder der Lehrkraft mit Schreibempfehlungen begut zur Schreibförderung
achtet wird. Anschließend werden verbesserte Ver Kompetenzen werden nicht in einem Akt gelernt, son
sionen erstellt. dern entwickeln sich über die Jahre hinweg. Dabei geht
- Zusammentragendes Schreiben: Aus verschiedenen die Entwicklung der Schreibkompetenz - wie die der
Texten und Materialien wird ein eigener Gedanken Lesekompetenz - mit der allgemeinen Kompetenzent
gang in Form eines eigenen Textes dargestellt. wicklung einher und baut sich gestuft auf.
- Kooperatives Schreiben: Der Text wird zunächst in Für die Entwicklung der Schreibkompetenz sind Schreib
Partner- oder Gruppenarbeit verfasst. In einer soge strategien nützlich und hilfreich. Ein Schreibcurriculum
nannten Schreibkonferenz wird dann über das Thema der nachstehend vorgestellten Art baut die Schreib
beraten und es werden Schreibaufgaben verteilt. kompetenzen über die Jahre hinweg verteilt auf und
Nach der Einzelarbeit werden die Texte in der Schreib geht hinsichtlich der Formate, des Anspruchsniveaus
konferenz beraten und ein Schlusstext erstellt. und des Umfangs an die Schreibprodukte gestuft und
- Assoziatives Schreiben: Aus nicht-linear notierten spiralförmig vor.
Assoziationen und Gedankennetzen, die assoziativ Lehrkräfte, die das Schreiben lehren möchten, sollten
erstellt werden, wird ein gegliederter Text erstellt. einige didaktische Prinzipien kennen, die sich als vor
- „ Drauflosschreiben'': Nach einer kurzen Phase des teilhaft für das Lehren und Lernen des Schreibens er
Überlegens wird ein Text verfasst. wiesen haben:
Teil B 167
Grundlagenwissen
1. Schreiben lernt man durch Lesen, indem man vor nung auf den methodischen Aspekt erneut ausge
bildliche Texte analysiert. führt.
2. Schreiben lernt man durch Schreiben, indem man 4. Rückblick: Nach Abschluss des Schreibens wird das
zahlreiche kleinere Schreibaufgaben erfolgreich Produkt nochmals in Form eines Rückblicks bewertet;
bewältigt. dabei wird die Schreibstrategie klar gekennzeichnet.
3. Beim Schreibenlehren empfiehlt sich ein schrittweises 5. Festigung: Die gewählte Schreibstrategie wird als
Vorgehen, vgl. S. 73 ff.\ dabei müssen die einzelnen Lernwissen bewusst gemacht und explizit festgehal
Schritte zur Entwicklung von Schreibstrategien im ten.
Unterricht immer explizit betont werden.
6. Transfer: In weiteren Schreibsituationen werden
Schreibstrategien angewendet. Dabei begleiten
Systematisch das Schreiben lehren
Überlegungen zur Methodik den Lernprozess.
1. Schreibsituationen: Soll das „Schreiben" gelehrt wer
Der Schreibanlass bestimmt die Form des Schreibens.
den, so sind hierfür-w ie für jedes Lernen - günstige
Es ist deshalb sinnvoll, zunächst zwischen kleinen und
(Lern-)Situationen erforderlich. Diese liegen vor,
großen Formen des Schreibens zu unterscheiden, weil
wenn das Schreiben ein notwendiger Bestandteil des
diese unterschiedlich gelernt und geübt werden müssen.
Unterrichts ist und sich das Schreiben aus der Sache
Es empfiehlt sich zudem, die Komplexität des Schreib
heraus motiviert.
prozesses zu reduzieren, indem dieser Prozess (vgl. die
2. Modellbeobachtung: An gelungenen Beispielen wer Aufteilung von Sprachaufgaben) in Teilaufgaben auf
den Schreibstrategien vorgeführt und die Aufmerk geteilt und trainiert wird.
samkeit auf die Merkmale des Schreibens gelenkt.
Schreibenlernen ist ein langsamer Prozess. Mithilfe guter
3. Anwendung: In ähnlichen Situationen wird in engem Schreibstrategien erfahren die Lernenden aber das Dre
zeitlichen Zusammenhang das Schreiben mit Beto hen und Wenden der Gedanken, das Ordnung-Schaf-
i Josef Leisen
168 Teil B
Grundlagenwissen
fen, das Strukturieren und das probeweise Formulieren Diese Materialien und Methoden leiten eng und vor
in unterstützender Anleitung. Und daraus entsteht dann schreibend, haben oft den Charakter von „drill and
- hoffentlich erfolgreich - das Schreibprodukt practice1', führen aber zu Sprachprodukten mit hoher
sprachlicher Richtigkeit. Hauptziel ihres Einsatzes ist,
M ethoden-W erkzeuge sprachliche Erfolge zu garantieren und sprachliche Miss
für das Schreiben erfolge zu vermeiden.
im Fachunterricht
M it zunehmender Sicherheit des Lerners muss das
Methoden-Werkzeuge sind lehrergesteuerte oder ler-
sprachliche Korsett jedoch gelockert werden. Die Feh
neraktive Verfahren, Materialien und Hilfsmittel zur Un lerforschung mahnt in diesem Stadium zu einem „auf
terstützung von Lehr- und Lernprozessen, vgl. S. 90 ff.
geklärten Umgang mit Fehlern". Etliche Fehlerarten
Methoden-Werkzeuge zum Schreiben von Sachtexten wachsen mit der Zeit von selbst aus.
sind solche, die Schreibsituationen im Unterricht erzeu
Die sprachliche Komplexität wird gesteigert, wenn die
gen, unterstützen und bewältigen helfen. Je nach Kom
Lerner angehalten werden, sprachlich schwierigere
munikationsabsicht und Kompetenzstand werden die
Sprachstrukturen oder alternative Ausdrucksformen zu
Lerner mithilfe der Werkzeuge beim Schreiben eng
verwenden. Solche Methoden-Werkzeuge sind: Satz
geführt oder können frei gestaltend damit umgehen.
baukasten, Begriffsnetz und M in d -M a p .
Bei der Auswahl der in Frage kommenden Werkzeuge
Die Lehrkraft sollte bei der Auswahl der Werkzeuge
sollte die Lehrkraft beachten, dass die von ihr ausge
darauf achten, dass produktiv-kreative Tätigkeit und
wählten Methoden-Werkzeuge den Lernern einerseits
Freiraum für eigene Gedanken, Argumente und Wer übend-festigende Tätigkeit im richtigen Verhältnis zuei
tungen lassen, ihnen aber andererseits auch angemes nander stehen. Ist dies nicht der Fall, kann das Schreiben
sene Unterstützung anbieten müssen, damit das Schrei nicht gelingen. Denn Sprach- und Problemlösungspro
ben im Fluss bleiben kann. Hier können orientierende zesse finden in verschiedenen Gehirnregionen statt.
Raster und Schreibhilfen nützliche Dienste tun. Geht
es hingegen darum, die Nachhaltigkeit des Schreiben
lernens zu unterstützen, sind lerneraktive Werkzeuge
mit Wiederholungseffekten empfehlenswert. Welche Werkzeuge
Im Folgenden werden einige einfache und elementare für welches Kompetenzniveau?
Methoden-Werkzeuge vorgestellt, die sich besonders Kompetenzniveau I:
gut für die Förderung der Sprach- und der Lesekompe Darstellen von Sachverhalten
tenz von sprachschwachen Lernern und Lernern mit in vorgegebenen Formen
Zuwanderungsgeschichte eignen. Für diese Lerner ist Für dieses Kompetenzniveaü eignen sich sprachlich „eng
darüber hinaus zusätzlich eine intensive Spracharbeit Werkzeuge. Ihre Anwendung setzt einen Sachverhalt v
erforderlich. aus, der in einer bestimmten Darstellungsform geget
Viele dieser Methoden und Werkzeuge sind aus dem ist und vom Lerner verbalisiert und verschriftlicht werc
Fremdsprachenlernen adaptiert. Wie beim Einsatz von müss. Folgende Werkzeuge tun hier gute Dienste: Wc
Methoden und Werkzeugen beim Lesen, dürfen auch liste, Wortgeländer,- Wortfeld, Sprechblasen, Satzmus-,
Satzbaukasten, Bildsequenz, Fiimleiste, B ild e r"'-"‘~:' 1'
Schreibübungen im Fachunterricht niemals Selbstzweck
sein; sie sollten vielmehr nur dann und nur insoweit Strukturdiagramm, Flussdiagramm.
Teil B 169
Grundlagenwissen
Insbesondere sprachschwache Lerner bemerken deshalb Da die für den Fachunterricht typischen Schreibsitua
bei schwierigen fachlichen Aufgaben neue sprachliche tionen - je nach Kompetenzniveau - unterschiedliche
Strukturen nicht (und können sie somit auch nicht er Anforderungen aufweisen, ist es möglich, diesen Anfor
derungen entsprechende (d.h. zu deren Bewältigung
werben).
geeignete) Methoden-Werkzeuge zuzuordnen. Dabei
Zugleich versuchen diese Lerner beim Sprechen und können manche Werkzeuge auf verschiedenen Niveau
Schreiben sprachliche Probleme durch Vermeidungs stufen genutzt werden, vgl. S. 90 ff.
strategien zu umgehen, da die Gleichzeitigkeit hoher
fachlicher und hoher sprachlicher Komplexität sie über Schreibförderung für Lerner
fordert (vgl. hierzu die Ausführungen a uf S. 27, 56 ff., m it Zuwanderungsgeschichte
67). Der Lehrer muss sich demnach für eine der beiden Das Schreiben von Texten im Fachunterricht bereitet
Aufgabenstellungen entscheiden. schon muttersprachig deutschen Lernern Probleme; für
Lerner mit Migrationshintergrund gilt dies aber in erheb
Entscheidend ist, dass sich die Lernenden mit Sprach-
lich stärkerem Maße. Lerner, deren Muttersprache nicht
material auseinandersetzen, das knapp über ihrem je
Deutsch ist bzw. die Deutsch als Zweitsprache lernen,
weiligen sprachlichen Entwicklungsstand liegt, vgl. S
brauchen deshalb bei der Textproduktion besondere
74. Im klassischen Fremdsprachenunterricht beispiels
Unterstützung und Förderung.
weise ist dies vergleichsweise einfach, da sich dort die
gesamte Lerngruppe auf einem dem Lehrer bekannten, Lerner mit Zuwanderungsgeschichte haben häufig Pro
weitgehend gleichen Sprachniveau befindet. bleme mit der sprachlichen Komplexität; sie verfügen
meist nur über einen relativ geringen Wortschatz und
Im Fachunterricht hingegen ist das anders; denn die verwenden weitgehend einfache Syntax und Lexik.
Lerner mit Zuwanderungsgeschichte, für die die Unter Zudem haben sie meist Probleme mit der sprachlichen
richtssprache meist die Zweitsprache ist, weisen in der Richtigkeit. Das Schreiben im Fachunterricht bringt diese
Regel ein sehr unterschiedliches Sprachniveau auf. Dies Schwächen zutage (vgl. 5. 21 ff., 27 f., 59 f.):
macht eine gemeinsame einheitliche Problembearbei
Auf den Seiten 21 ff. wurden Schreibprodukte von Ler
tung im Fachunterricht schwer. Hier kann nur eine indi
nern vorgestellt und analysiert, die teilweise über einen
vidualisierte Behandlung durch Binnendifferenzierung Migrationshintergrund verfügten (Serkan, Kirill, Man
das probate Mittel sein. fred). Den jeweiligen Schreibaufgaben ging dabei die
Lektüre des Textes „Kauffrau/Kaufmann im Einzelhan
del" (siehe S. 144; vgl. S. 22,) voraus.
Die nachfolgenden Schreibaufträge beziehen sich auf
diesen Text und wurden in Anlehnung an die Leseauf
Aufgabe einer Kauffrau/
träge auf den Seiten 144 ff. erstellt. Sie zeigen auf, wie
eines Kaufmanns im Verkaufsraum
die Lehrkraft durch entsprechende Aufgabenstellungen
speziell Lernern mit Migrationshintergrund die Erschlie
Verkauf Kundenberatung/ ßung und Bearbeitung erleichtern kann:
von Konsumgütern Verkauf sgespräch
Beispiel
Waren- und Markt
kenntnisse, z.B. ... Du sollst den Text lesen und einen eigenen Text
dazu schreiben, ohne den O riginaltext zu benut
Aktuelle Neuheiten, z.B
zen. Dam it d ir das gelingt, nutze die nebenste
Produktmerkmale, z.B. '.
hende Tabelle.
170 Teil B
Grundlagenwissen
Konkrete Schreibförderung
- Ausgangstext (vgl. S. 22) -
im Fachunterricht
Kauffrau im Einzelhandel/
Zu unterscheiden sind drei Arten der Schreibförderung
Kaufmann im Einzelhandel
im Unterricht:
Kaufleute ini Einzelhandel arbeiten vorwiegend im Verkauf.
1. Schreiben m it Schreibstrategien: Dem Schreibauftrag
: Sie verkaufen die unterschiedlichsten Konsumgüter - ange-
werden geeignete Arbeitsaufträge beigefügt; alter
fängen von Autos über Kleidung und Nahrungsmittel bis
nativ werden Schreibstrategien empfohlen oder mit
hin zu Unterhaltungselektronik und Wohnbedarf.
gegeben, damit der Lerner eigenständig ein Schreib
produkt erstellt. Außer in Selbstbedienungsgeschäften, wo die Warenprä
sentation einen größeren Raum einnimmt, ist die Kun
2. Übung von Schreibstrategien und Schreibkompe
denberatung, das Verkaufsgespräeh, noch immer eine ihrer
tenzen: Eine zu übende Schreibstrategie wird anhand
wichtigsten Aufgaben. Um Kunden kompetent beraten
eines Schreibauftrages geübt; alternativ werden
zukönnen, brauchen sie gute Waren- und Marktkennt
Schreibkompetenzen trainiert. Das Schreibprodukt
nisse. Sie kennen die aktuellen Neuheiten und können
ist dann Mittel zum Zweck. Es wird in einer evtl.
über die Produktmerkmale - wie technische Details - oder
vom Unterrichtskontext isolierten, konstruierten
über die Umweltverträglichkeit der Artikel Auskunft geben.
Lernumgebung erstellt.
Neben diesen Tätigkeiten im Verkaufsraum, zu denen
3. Integration des Schreibens in den Unterricht: Der
auch das Auffüllen und Auszeichnen der Waren gehören,
Schreibprozess wird in den laufenden Unterricht inte
zählen Sicherstellung des Warenangebotes, Marktbeob
griert und dabei in beachtlichem Maße vom Lehrer
achtung und Einkaufsplanung, die Bearbeitung der Waren- ■
gesteuert.
eingänge und die fachgerechte Lagerung der gelieferten-
Will die Lehrkraft das Schreiben im Fachunterricht för Waren sowie die Durchführung von verkaufsfördernden
dern, muss sie - wie beim Lesen (vgl. S. 185 f.) - wich Maßnahmen, wie zürn Beispiel die ansprechende Platzie
tige zentrale Begriffe und ihre Unterschiede kennen: rung und Präsentation der Waren mit Plakaten und ande
ren Werbemitteln, zu ihren Aufgaben.
Eine Sch re ib Strategie ist ein Handlungsplan, um einen
Text zu verfassen. Da es verschiedene Sorten von Texten Zunehmend wichtiger wird die Ärbejt mit Gomputern und
gibt, ist nicht jede Schreibstrategie für jeden Text geeig anderen informationstechnischen Geräten und Systemen:
net. Schreibstrategien unterscheiden sich somit in Bezug zum Beispiel mit mobilen Datenerfassüngsgeräten für die
auf ihre jeweilige Tauglichkeit für bestimmte Textsorten Bestandskontrolle und Inventur oder mit Scannerkassen,
und nach dem Maß ihrer jeweiligen Unterstützung für an denen die Verkaufsdaten der Artikel durch Laserstrahl
den Schreiber. Schreibstrategien haben zum Ziel, Ler automatisch abgelesen werden und die mit Computern - •
nern die eigenständige Produktion von Texten zu er
möglichen. Die von der Lehrkraft zur Verfügung gestell
ten Schreibhilfen und Aufgabenstellungen leiten und aus: Bundesanstalt für Arbeit, 2000, S. 235;
führen dabei den Lerner unterstützend zur Textproduk Hinweis: Das Berufsbild wurde zwischenzeitlich geändert.
tion.
Eine Schreibübung hingegen ist eine Übung, in der Da sich mit Schreibübungen sowohl Schreibstrategien
bestimmte Schreibstrategien oder spezifische Schreib als auch spezifische Schreibkompetenzen üben lassen,
kompetenzen im Sinne eines Methoden- oder Kompe
kann sich die Lehrkraft durch ihren Einsatz gut den
tenztrainings geübt werden. Denn ebenso, wie in einem
besonderen Schwierigkeiten widmen, die beispielsweise
Fach Inhalte und Methoden geübt werden müssen,
Lerner mit Migrationshintergrund beim Schreiben von
müssen auch Schreibstrategien und Schreibkompeten
Texten haben.
zen geübt werden. So erweitern beispielsweise Schreib
übungen unter Rückgriff auf das Methoden-Werkzeug
„Lückentext" den Wortschatz, Satzbaupläne fördern Schreibförderung
das strukturierte Schreiben, die Ergänzung von Satzan durch Schreibstrategien
fängen fördert die Schreibroutinen etc.
im Fachunterricht
Wenn Schreibstrategien geübt werden, dann ist die
Manche Lerner „können" schreiben - „einfach so";
Strategie selbst und nicht das Schreiben eines Textes
andere hingegen müssen dies mühsam erlernen. Im
der eigentliche Lerngegenstand. Solche Übungen die
Fachunterricht aber wird verlangt, dass jed e r Lerner
nen häufig der Vorentlastung des Schreibprozesses.
das Schreiben von Sachtexten „können" (also beherr
Nicht jede Schreibübung ist aber zugleich eine Schreib
schen) muss.
strategie. Eine Schreibübung wird vielmehr dann zur
Schreibstrategie, wenn sie, selbstständig eingesetzt, der Wie die Erfahrung zeigt, ist das „Schreibenkönnen"
Entwicklung von Schreibkompetenzen dient. ebenso wie das „ Lesenkönnen" bis zu einem gewissen
Teil B 171
Grundlagenwissen
172 Teil B
Grundlagen wissen
Grad erlernbar. Beim Schreibenlernen bieten Schreib Folgende kleinere Schreibübungen lassen sich gut in
strategien eine gute Unterstützung. den laufenden Unterricht integrieren:
Auf S. 772 und 5. 174 werden zehn wichtige Schreib - Brainstorm ing a u f einem E xtrablatt
strategien vorgestellt, die der eigenständigen Textpro oder einer Extraseite im H e ft
duktion dienen. Sie sind - soweit möglich - dem Bei dieser Schreibübung erhalten die Lerner die Auf
Schwierigkeitsgrad nach geordnet, werden jeweils kurz gabe, eine Begriffsdefinition, Meinung, Hypothese,
beschrieben und dann mit Bemerkungen erläutert. Vermutung, vorläufige Erklärung, These, Lösung ...
M it zunehmender Strategienummer steigen die Ansprü selbstständig „zur Probe" zu notieren. Durch Einsatz
che an die Eigentätigkeit des Lesers. Alle Schreibstrate des Methoden-Werkzeugs „Aushandeln" kann an
gien werden nachfolgend anhand von Beispielen kom schließend in Partnerarbeit eine gemeinsame Notiz
mentiert und demonstriert. ausgehandelt werden, die dann in das Plenum ge
bracht wird.
Natürlich wird die Lehrkraft nicht alle zehn Strategien
auf denselben Text anwenden; sie wird vielmehr dieje - Kurztext nach einer D em onstration
nige Strategie auswählen, die am besten geeignet ist Bei dieser Schreibübung sollen Lernereinen Probetext
und dem Einsatzzweck am meisten dient. Kriterien für von wenigen Zeilen verfassen, nachdem ihnen zuvor
die Auswahl sind: etwas vorgeführt/gezeigt/demonstriert bzw. vorge
- die jeweilige Schreibkompetenz der Schreiber, lesen/vorgetragen/präsentiert wurde. Dies können
z.B. sein: ein Gegenstand, ein Experiment, ein Bild
- die schreibdidaktische Absicht,
oder eine Filmszene, ein Bericht, eine Geschichte oder
- die Textsorte und eine Information.
- der im Unterricht zu behandelnde fachliche Inhalt.
Damit diese Übung gelingt, sollten die Lerner vorab
Alle Schreibstrategien sind grundsätzlich auch für Lerner über Umfang, Form und Zweck des Kurztextes infor
mit Migrationshintergrund geeignet, vornehmlich die miert werden. (Beispiele: zum Umfang z.B. die Vor
ersten fünf Strategien. Alle zehn Schreibstrategien wer gabe der Zeilenzahl, zur Form z.B. die Vorgabe als
den in Teil C im Kapitel „Zehn Schreibstrategien im Stichwörter oder ausformulierte Sätze, zum Zweck
Fachunterricht mit Beispielen" erläutert. Jede Strategie z.B. die Vorgabe als Ideensammlung, Vorbereitung
wird dabei zusätzlich auch hinsichtlich ihrer Eignung auf das Kommende, Übung im Formulieren, Übung
für schreibschwache Lerner bewertet. im Rechtschreiben). Anschließend werden Beispiele
von Kurztexten verglichen (z.B. in Form des Partner-
tauschs) oder im Plenum vorgelesen. Sollte die Lehr
Schreibförderung
kraft planen, einige besonders gelungene Ergebnisse
durch Schreibübungen über einen Overhead-Projektor einzublenden, sollte
im Fachunterricht sie daran denken, zuvor Leerfolien in der Klasse zu
Übungen im Unterricht sollen Lernern Erfolgserlebnis verteilen.
se ermöglichen. Auch Schreibübungen können diesem - gemeinsame E ntw icklung eines Langtextes
Ziel dienen, vorausgesetzt, sie treffen das passende An
Bei dieser Schreibübung wird - gemeinsam unter Lei
spruchsniveau.
tung der Lehrkraft - in der Klasse ein Langtext an
Die auf5. 174 vorgestellten zehn Schreibübungen sind der Tafel zur synchronen Mitschrift im Heft erarbeitet.
an fast allen Texten durchführbar. Sie sind für alle, ins Hierfür bieten sich beispielsweise folgende Schreib
besondere aber für schreibschwache Leser geeignet gelegenheiten an: Versuchsbeschreibungen, Gegen
und dienen in erster Linie dazu, das Detail- und Sprach- standsbeschreibungen, Zusammenfassungen, Fluss
verstehen zu üben. diagramme, Synopsen, Thesenpapiere. Dabei sollten
vorab die Gliederung, das Format und der Umfang
Schreibförderung durch geklärt werden.
Teil B 173
Grundlagen wissen
174 Teil B
Grundlagenwissen
Das Üben
im sprachsensiblen Fachunterricht
Gleichzeitig verbessert sich die Effizienz, da diese Erin Nachfolgend deshalb noch einmal die wesentlichen
nerungen schneller und müheloser rekonstruiert werden Argumente für das Üben im Unterricht:
können. Lerner können sich also nach vermehrtem - Wiederholendes Üben schafft Perfektion und Routine.
Üben nicht nur schneller und besser an den eingespei Was man kann, macht man auch gerne.
cherten Inhalt erinnern, sondern sie erinnern sich auch - Verständiges und intelligentes Üben ist motivierend.
müheloser, da hierfür weniger Energie erforderlich ist.
- Üben macht in besonderem Maße Kompetenzzu
Dies erhöht die positiven Rückkopplungen beim Lern
wachs erfahrbar. Nichts ist befriedigender, als zu mer
prozess und führt zu Erfolgserlebnissen.
ken, dass man kompetenter geworden ist. Gelingen
Anders formuliert: Weil Informationen durch häufiges des Üben schafft Erfolge und Erfolge befriedigen.
Üben stärker präsent sind, werden sie auch häufiger
- Üben bedarf der zielgerichteten Vorbereitung und
mit neu Erlebtem vernetzt. Lerner, die Erfolge verspüren,
Kontrolle durch die Lehrkraft. Da auch das Üben
lernen aber nachweislich besser. Dies gilt besonders für
selbst geübt werden muss, sollte es als Teil des Lern
sprachschwache Lerner.
prozesses integriert werden, vgl. S. 73 ff., 84. Denn
Leider kommt das Üben im Unterricht aber häufig nur so besteht die Möglichkeit, sprachschwache Ler
immer noch zu kurz. Hierfür gibt es zwei sehr unter ner binnendifferenzierend zu unterstützen. Damit
schiedlich gelagerte Gründe: aber sollte Üben nur in Ausnahmefällen als Hausauf
1. Zeitknappheit: Viele Lehrkräfte wissen ohnehin gabe gegeben werden, da „richtiges Üben“ Kompe
kaum, wie sie angesichts des engen Zeitplans das tenzen voraussetzt, die sprachschwache Lerner häufig
vom Lehrplan des Fachs verlangte umfangreiche überfordern.
Fachwissen vermitteln sollen. Diese Problematik wird Beim Üben können viele verschiedene Lernmethoden
durch die Vorgaben der Bildungsstandards verschärft; angewandt werden. Dabei werden zunächst zwei
denn Fachlehrkräfte müssen sich seit PISA auch den Grundformen des Übens unterschieden:
neu aufgenommenen Kompetenzbereichen Erkennt
- das „ einschleifende " Üben:
nisgewinnung, Kommunikation und Bewertung wid
men. Da scheint zum Festigen kaum Zeit. Einschleifendes Üben sorgt für eine gewisse Routine
in der Kompetenzausübung. Es dient nicht nur der
2. Akzeptanz: Üben war lange Zeit wenig angesehen. Automatisierung des Lernprozesses, sondern vermit
Es galt als Drill und wurde von vielen Lehrern abge telt dem Lerner zugleich Sicherheit.
lehnt: Es verursache Langeweile und ermögliche den
Lernenden zu wenig Selbstständigkeit. - das „ verständige " Üben:
Verständiges Üben reflektiert das Tun. Es verankert
Heute hingegen wird der didaktische Wert des Übens
den Prozess des Übens sowie das Geübte in bereits
nicht mehr angezweifelt; vielmehr weiß man, dass auch
vorhandenen Wissensstrukturen; dabei wird Wissen
und gerade durch das Üben gelernt wird. Und in der
sowohl transferiert als auch variiert.
Tat: Viele Lehrkräfte, die ursprünglich auf das Üben
verzichtet hatten, mussten nach einiger Zeit feststellen, Für beide Übungsformen gilt: Üben heißt Wiederholen.
dass ihre Lerner Kompetenzen tatsächlich nicht nach Diese Wiederholung dient der Ausbildung eines gesi
Teil B 175
Grundlagenwissen
cherten und verfügbaren Wissens. Anders formuliert: - die Lerner Übungskompetenz entwickeln und die
Das Durcharbeiten erzeugt Klarheit und Beweglichkeit, richtigen Lernstrategien nutzen;
das Üben und Wiederholen konsolidiert das Wissen. - die Lehrer gezielte Hilfestellungen beim Üben geben
Interessanterweise scheint die Einstellung zum Üben (Binnendifferenzierung, vgl. S. 88 ff.).
kulturabhängigzu sein: So haben Helmke und Schräder Intelligent gestaltete Übungsphasen tragen Hilbert
(1999) festgestellt, dass Lerner und Studierende in west Meyer zufolge (2004, S. 106 f.) folgende Merkmale:
lichen Ländern das Wiederholen eher als Mittel zur Fes
- Es wird oft, aber kurz geübt. Dafür steht im Unterricht
tigung und Sicherung von bereits Verstandenem nutzen;
bei asiatischen Lernern hingegen werden Wiederholen, ausreichend Zeit zur Verfügung.
Einprägen und Memorieren bereits im frühen Stadium - Es gibt gemeinsam vereinbarte, vom Lehrer und von
des Lernprozesses mit großer Ausdauer eingesetzt, um den Lernern eingehaltene Regeln (z.B. zum Zugriff
den Lerninhalt zu verstehen. auf knappe Materialien, zur Lautstärke, zum Herum
laufen usw.).
- Es herrscht eine angenehm ruhige und konzentrierte
Arbeitsatmosphäre.
Üben heißt Wiederholen. Dabei ist einschleifendes - Unterrichtsstörungen sollten vermieden werden; dort,
: Üben b\s zu einem gewissen Grad notwendige Vor wo sie dennoch auftreten, werden sie von Lehrern
aussetzung für das Weiterlernen im Fach. Die Lehr- und Lernern diskret und beiläufig behoben.
'. kraft sollte; jedoch bestrebt sein; angeleitetes Üben .
- Die Lerner haben verstanden, was sie üben sollen;
durch selbstständiges Üben zu ersetzen,-sobald es -
sollte doch etwas unklar sein, wenden sie sich an ihre
der Lernfortschritt erlaubt.
Mitlerner oder den Lehrer.
Verständiges Üben hingegen ist notwendige Voraus - Es gibt personen-, ziel- und themen- oder metho
setzung für das Versteheri im Fach; Dabei motiviert dendifferenzierte Übungsaufträge.
die Rückkopplung mit bereits vorhandenem Wissen
- Es gibt ansprechende, sich selbst erklärende Übungs
den Lerner und macht M ut für künftiges Lernen.
materialien.
- Die Lernerhaben ihre Übungsutensilien (Materialien,
Hefte, Lernmittel) dabei.
Grundprinzipien des Übens
- Die den Lernern zur Verfügung gestellten Materialien
und Qualitätskriterien ermöglichen - z.B. anhand einer Überprüfungsauf
Die Literatur kennt eine Vielzahl von Grundprinzipien, gabe -, den Lernerfolg zu kontrollieren. Diese Kon
Maximen, Grundsätzen und Regeln des Übens. Je nach trolle erfolgt allein oder in Zweiergruppen.
Autor sind diese ausführlicher gefasst, grundsätzlicher - Der Lehrer beobachtet die Übungsversuche und gibt
gehalten oder umfänglich kommentiert. Allen Ausfüh- . einzelnen Lernern fachliche Hilfestellungen, wo bzw.
rungen gemeinsam sind folgende Grundsätze: sofern dies notwendig ist.
- Üben setzt Wissen und Können voraus. - Die Übungsleistungen der Lerner werden anerkannt
- Üben braucht Übungsbereitschaft. und die Hausaufgaben kontrolliert und gewürdigt.
176 Teil B
Grundlagenwissen
dafür, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich gerade Die sechs Phasen des Lernprozesses sind jedoch durch
dadurch später auftun. Denn erst das Üben in dieser unterschiedliche Merkmale gekennzeichnet, vgl. 5. 73
Phase schafft die Beweglichkeit, die einen Transfer (des ff. Deshalb kann und muss je nach Phase auch das
Wissens, der Strategie, des Gelernten) ermöglicht Üben unter verschiedenen Gesichtspunkten stattfinden.
Hier bietet sich eine Orientierung an der didaktischen
Untersuchungen zeigen allerdings, dass Transfereffekte
Ausrichtung der jeweiligen Phase an, vgl. Grafik unten
seltener sind als angenommen. Ein Grund mag darin
und S. 79 ff.:
liegen, dass sich diese Effekte erst ab einer gewissen
- In der Einstiegsphase können wiederholende Übun
Könnensstufe einstellen. Für dieses Können aber ist
gen dazu genutzt werden, den Sachverhalt/Lern-
Üben wiederum eine unabdingbare Voraussetzung.
gegenstand erneut in den Horizont der Lerner zu
Deshalb sollte im Unterricht ständig und dauerhaft
rücken, Vorwissen (deklaratives Wissen) zu aktivieren
geübt werden. Doch was heißt das genau?
oder bereits Gelerntes zu sichern. Zugleich wird auch
Übungen sind nicht nur in der letzten Phase des Lehr- prozedurales Wissen geübt: Die Lerner verbalisie
Lern-Prozesses sinnvoll und notwendig, sondern in ren die Problemstellung und schlagen dazu Lösungs
allen Phasen. Die Begründung dafür lautet wie folgt: wege vor (z.B. Analyseschritte oder die „Überset
1. Dinge effektiv und routiniert zu tun oder Experte zu zung11 von Sachverhalten in verschiedene Darstel
sein, macht den meisten Menschen Freude. lungsformen, vgl. dazu S. 33 ff.).
- In der Erarbeitungsphase wird vor allem prozedurales
2. Das Gehirn trachtet immer danach, Dinge zu auto
Wissen implizit wiederholt: Hier werden Strategien
matisieren und Gewohnheiten auszubilden. Es be
angewandt und geübt.
setzt deshalb den Gelingensprozess, also die erfolg
reiche und wiederkehrende Anwendung, mit deut - In der Sicherungsphase dient das Üben dem wieder
lichen Lustgefühlen. Deshalb sollte die Lehrkraft holenden Durcharbeiten des Gelernten; dieses wird
darauf achten, dass den Übungen immer eine Erar dadurch in einer weiteren Schleife gesichert.
beitung des Wissens und der einzuübenden Fähig - In der Festigungsphase schließlich dient das Üben
keiten und Fertigkeiten vorangeht. dem Einschleifen und Automatisieren.
Phasen 4 und 5 /
Sicherurigsphase:
Teil B 177
Grundlagenwissen
In den Teilen A und B wurden bereits zahlreiche Mög Wie bereits ausgeführt, wird Sprache dann besonders
lichkeiten aufgezeigt, mit denen Fachlehrkräfte ihren effektiv gelernt, wenn sie (z.B. in Form einer Sprach
Lernern angemessene Hilfestellungen geben können. übung) in fachlichen Mitteilungssituationen benutzt
Dies versetzt Fachlehrkräfte in die Lage, diesen Lernern wird. Sprachübungen müssen somit
einen ebenso fachlich richtigen wie auch sprachsensibel - fachdidaktisch und sprachdidaktisch sinnvoll in den
ausgerichteten Unterricht anbieten zu können - und Unterricht integriert sein;
das, obw ohl sie Fach- und keine Sprachlehrer sind. Teil - darauf abzielen, den fachlichen und den sprachlichen
C setzt diese Möglichkeiten in systematisch metho Kompetenzbereich gleichzeitig und zielgerichtet zu
disch-didaktisch aufbereiteten Arbeitsblättern und entwickeln.
Übungen um.
Das aber erfordert ein komplexes Wechselspiel von
Alle Hilfestellungen in Teil C (sowie die ausführlichen fachbezogener und sprachbezogener Arbeit im Unter
Beispiele in Teil D) sind in einen didaktisch-methodi richt. Um dieses Wechselspiel methodisch umzusetzen,
schen Gesamtkontext eingebettet, der auf alle Fächer empfiehlt es sich, einige Grundsätze zu beachten:
anwendbar ist und zudem in besonderer Weise die
- Die Sprachübungen sollten zwanglos in den Fachun
Belange sprachschwacher Lerner berücksichtigt.
terricht integriert und nicht von ihm getrennt sein.
Sie sollten keinen Fremdkörper darstellen.
Was unterscheidet Sprachübungen
- Die Sprachübungen sollten so viele Sprechhilfen wie
von Fachübungen?
nötig, aber so wenige wie möglich enthalten.
Es ist nicht immer leicht, zwischen Sprach- und Fach
- Die Sprachübungen sollten keine neuen Probleme
übungen zu trennen. Auch laufen Sprachübungen
schaffen (also weder fachliche noch sprachliche), son
schnell Gefahr, zum Selbstzweck zu werden, wenn
dern diese überwinden helfen.
Sprachstrukturen losgelöst vom jeweiligen fachlichen
Lerngegenstand eintrainiert werden. Es kann deshalb - Fachliche und sprachliche Probleme dürfen sich nicht
nicht oft genug betont werden, dass Übungen und überschneiden. Dies gilt insbesondere bei einer
unterstützende Lernhilfen (z.B. Strategien und Metho- Sprachförderung sprachschwacher Lerner, da bei
den-Werkzeuge) möglichst immer kontextgebunden ihnen Sprachförderung sonst rasch zu einer Über
eingesetzt werden sollten, da sie nur so dem Fach und forderung führt, vgl. S. 27, 67. Damit aber werden
dem Verstehen des Faches dienen, vgl. S. 56, 108 ff. neue Probleme geschaffen statt alte gelöst. Zudem
Teil B
178
Grundlagenwissen
verhindern derartige Überschneidungen, dass auftre Sprachübungen gibt es viele; der Wunsch vieler Lehr
tende Probleme lokalisiert werden können; es wird kräfte nach Hilfen zur (Ein-)Ordnung und Systemati
für den Lerner somit nicht deutlich, ob ein Problem sierung ist daher verständlich. Sprachübungen lassen
im fachlichen oder im sprachlichen Bereich liegt, was sich jedoch nicht nach hierarchischen Ordnungen ty-
in aller Regel zu einer Verunsicherung führt. pologisieren; ihre jeweilige Eignung ergibt sich viel
mehr allein aus dem Anwendungszweck (vgl. S. 91 ff./
Methoden- Werkzeuge).
Faustregel: In Übungsphasen mit hohem fach Sprachübungen lassen sich jedoch nach gewissen for
lichem Niveau sollte sich die Lehrkraft darauf malen Merkmalen einteilen; hierzu gehören z.B.
beschränken, die vorhandenen sprachlichen Fä- : Übungszweck, Übungsformen, Merkmale, Organisa
higkeiten der Lerner zu festigen, um diese nicht tionsformen, Sozialformen sowie die durch sie geför
zu überfordern. In Übungsphasen mit geringerem derten Kompetenzen. Die folgende Checkliste zeigt
fachlichem Niveau sollte sie hingegen das Sprach- - den Variationsreichtum der daraus resultierenden Übun
lernen und Sprache-Üben stärker betonen. gen; sie dient zugleich als Anregung bei der Auswahl
geeigneter Übungen und Übungsvarianten.
- - • ■■
Möglichkeiter zur Systematisierung von Sp rachübungen
© Josef Leisen
Teil B
179
Grun dlagen wissen
180 Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 181
Grundlagenwissen
182 Teil B
Grundlagenwissen
Die auf S. 182 abgedruckte Übersicht will Fachlehr Fächsprachliche Übungen dienen in erster Linie
kräften zunächst nur einen ersten Überblick ermög der fachlichen und sprachlichen Kompetenzent-
lichen und dem besseren Verständnis dienen. Zudem J Wicklung im Fach. Die Übungen haben aber den
will sie nur an derartige Übungen heranführen und das ; positiven Nebeneffekt, dass damit zugleich auch
für den Fachunterricht mögliche Spektrum verdeutli ( fundierte allgemeine Sprachförderung betrieben
chen, nicht aber zum Einsatz im Fachunterricht ermun
tern oder gar dazu auffordern.
Bei fachsprachlichen Sprachübungen sollte die . :
In Anlehnung an die in der Fremdsprachendidaktik am ; Lehrkraft möglichst immer:
häufigsten vorkommenden Übungsformen lassen sich
auch bei den fachsprachlichen Übungen im weiteren -- die fachsprachlichen Übungen in einen fach-!
Sinne zwei Arten von Sprachübungen unterscheiden: h liehen Kontext setzen;;
Teil B 183
Grundlagenwissen
184 Teil B
Grundlagenwissen
Wortschatzarbeit
- führt neue Begriffe und Sprachstrukturen nicht isoliert ein;
- semantisiert im fachlich relevanten Kontext;
- verwendet neue Begriffe und Sprachstrukturen und grenzt sie
in bekannten Wortfeldern ab;
- führt neue Begriffe und Sprachstrukturen über mehrere Stufen
sprachlicher Fassungen ein;
- liegt knapp über dem jeweiligen Entwicklungsstand der Lerner;
- führt zu relevanten mündlichen und schriftlichen Äußerungen;
- verbindet sprachliche Unterweisung und interaktives,
kommunikatives Handeln;
- vermeidet mechanischen Sprachgebrauch;
- fördert die Sprachbewusstheit.
185
Teil B
Grundlagen wissen
186 Teil B
Grundlagenwissen
Teil B 187
Grundlagenwissen
muss zudem im Sprach- und Verstehenshorizont (z.B. Lerner liest Tafelanschrieb ab, spricht nach, wie
der Lerner bleiben (vgl. Kaminski, 2005). derholt) sollte sofort korrigiert werden.
- Bei Transferleistungen (Lerner formuliert selbststän
Hinweise zur Fehlerkorrektur dig) sollte die Lehrkraft Fehler nur notieren und ggf.
im Fachunterricht später besprechen, um den Gedankengang des Spre
Es ist sinnlos, sprachliche Fehler an Stellen zu verbes chenden nicht zu unterbrechen.
sern, an denen sprachliche Richtigkeit nicht erwartet Im schriftlichen Bereich:
werden kann. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Ler - Hier sollte eine „Schwerpunkt-Korrektur" (z.B. bei
ner frei und spontan über komplizierte Sachverhalte der Rückgabe von Tests) erfolgen; am erfolgreichsten
sprechen sollen. hat sich dabei die anonymisierte Besprechung von
Eine Sprachkorrektur ist insbesondere auch dann zu ein bis zwei typischen Fehlern erwiesen.
unterlassen, wenn dadurch das Fachlernen behindert
Auf welche Weise ist zu korrigieren?
oder gar verhindert wird. Dies ist beispielsweise bei
komplexen Gedankengängen der Fall, in denen die Verfahren fü r die mündliche Korrektur:
Lehrkraft den Lerner durch die Korektur „aus dem - Überformungen und Lehrer-Echo (berichtigte Wie
Konzept" bringt oder bringen könnte. Ein Lerner in derholung einer Lerneräußerung ohne Kommentar);
Sprachnot braucht vom Lehrer vielmehr Ermutigung; den Sachverhalt aufgreifen und in einer sprachlich
das können sowohl eine ermutigende Grundhaltung, richtigen Form positiv verstärkend fortführen (vgl.
ein sympathischer Blick oder auch die befreiende, vom hierzu die Empfehlungen auf S. 98 ff.)',
Ziel her gedachte Hilfe sein. Ein „sezierender", fehler - „rekonstruierende Fehlerkorrektur" durch die Lehr
suchender Lehrer hilft dem Lerner nicht. kraft: berichtigte Rekonstruktion als Bezugssystem,
Bei folgenden Sprachfehlern sollte die Lehrkraft hinge insbesondere bei gebrauchshäufigen Formen und
gen eingreifen: Strukturen;
- wenn das Fachlernen durch die Korrektur des Sprach - „Fehlerecke" an der Tafel (für sprachliche und fach
fehlers klärend und vorantreibend unterstützt wird; liche Korrekturen);
- wenn Fachlernen und Sprachlernen eng Zusammen - stumme Hinweise auf sichtbare Sprachhilfen (z.B. Bei
gehen und spielsätze, Vokabelhilfen, Wortgeländer, Satzbauplan
etc. auf Tafel, OH-Folie, Lernplakatim Klassenraum);
- wenn Sprachfehler zu fossilieren drohen, d.h. wenn
die Gefahr besteht, dass sich diese durchsetzen und - „stumme Impulse" (nonverbale Hinweise: Einsatz
verfestigen. von ritualisierter Gestik und Mimik);
- Anonymisierung und Bündelung: Lehrer notiert sich
Bei der Umsetzung in die Praxis helfen die folgenden
sprachliche Fehler und bespricht sie (anonymisiert
und summarisch) später.
Richtlinien für den Umgang m it Fehlern
im sprachsensiblen Fachunterricht Verfahren für die schriftliche Korrektur:
- farblich unterschiedliche Markierung: fachliche und
Grundhaltung zum Fehler prüfen:
sprachliche Fehler (Tests, Hausaufgaben etc.) mit un
- Beim Umgang mit Sprachfehlern hängt der ange
terschiedlichen Korrekturzeichen oder -färben mar
strebte Erfolg beim Lerner stärker von der Grundhal
kieren;
tung des Lehrers als von der Methode ab.
- anonymisiertes Arbeitsblatt mit typischen Fehlern als
- Für nachhaltigen Erfolg beim Lerner ist sprachpsy-
Unterrichtsthema: Lerner korrigieren Lerner, Auswer
chologisch und pädagogisch auf Dauer eine helfende
tung mit Overhead-Folie(n);
Grundhaltung am wirksamsten.
- sprachliche Korrekturphase vor der Präsentation der
Welche Fehler sind zu korrigieren? Arbeitsergebnisse anbieten (dieses Verfahren hat sich
besonders bei Gruppen- oder Projektarbeit bewährt);
- häufig auftretende Fehler;
- bedeutungsverfälschende Fehler; - Fehler beim Vorlesen von Arbeitsergebnissen: Lerner
nicht unterbrechen, sondern Fehler notieren und spä
- fachsprachliche Fehler.
ter besprechen.
Wann und wie häufig ist zu korrigieren? Fehlerkorrektur durch Dauerplakate:
Im mündlichen Bereich: - Dauerplakate haben sich durch ihre ständige Präsenz
- Im mündlichen Bereich hat die sogenannte „Neben- im Klassenraum für die Sicherung und Einübung fach
bei-Korrektur“ grundsätzlich Vorrang; Lieber regel sprachlicher Wendungen als hilfreich erwiesen. Sie
mäßig ein bisschen korrigieren, als alles auf einmal können Fachbegriffe, Fachsätze, Fach- und Sprach-
besprechen wollen. Bei reproduktiven Leistungen beispiele aufweisen.
Teil B
188
Grundlagenwissen
- Lernern in Sprachnot kann dabei ein kurzer, auch von Checklisten oder Sprachstandstests), gibt es für
nonverbaler Hinweis auf das Plakat nicht nur aus sei Fachlehrer kaum Hilfen, die ihnen ermöglichen, eine
ner Sprachnot „heraushelfen", sondern auch die Förderdiagnostik für den Fachunterricht zu erstellen.
selbstständige Fehlerkorrektur ermöglichen. Fachlehrkräfte können bislang nur auf Diagnoseinstru
mente für den Förderunterricht in der Fremdsprache
- Eine farbliche Gestaltung der Dauerplakate (z.B. glei
Deutsch zurückgreifen.
che Farben für Wörter gleichen Geschlechts) bietet
visuelle Unterstützung bei der Nutzung. Da die korrekte Aufbereitung und Anwendung der un
- Je mehr die Lehrkraft mit spracharmen Mitteln und terschiedlichen Analysekriterien ein ausgeprägtes Hin
Dauerplakaten arbeitet, desto mehr entwickelt sie tergrundwissen zu sprachlichen Konstruktionen erfor
sich vom rein fehlersuchenden hin zum helfenden dert, wird dringend empfohlen, für diese Aufgabe mit
Lehrer. Lehrkräften für Deutsch bzw. Förderlehrkräften zu
kooperieren. Deutschlehrkräften werden dabei die DaZ-
Was man besser vermeiden sollte: Studienbriefe (vgl. Teil D sowie Kaminski, 2005, S.
- bloßstellende sprachliche Fehler selbst wiederholen 10-12) bei der Vorbereitung von großem Nutzen sein.
oder wiederholen lassen (negativer Einprägeeffekt); Ein„erster Einstieg" für Fachlehrkräfte findet sich auf
- ironisch, verwundert, „genervt" oder tadelnd auf den Seiten 184 ff.
Fehler reagieren (wirkt lernhemmend).
Teil B
189
Grundlagenwissen
Grammatische Fachbegriffe
Sl8
4 Die Nominalisierung
Fast jede Wortart kann im Deutschen in ein Nomen überführt werden.
Dies bezeichnet man als Nominalisierung. Beispiele:
Teil B
190
Grundlagenwissen
8 Der Hauptsatz
Beispiel: Der Zug fuhr ab, als sie den Bahnsteig erreichte.
9 Der Nebensatz
Beispiel: Der Zug fuhr ab, als sie den Bahnsteig erreichte.
Teil B 191
Grundlagenwissen
Deklinationstabe Ile
.
Singular - Einzahl Plural - Mehrzahl
192 Teil B
Grundlagenwissen
semantische Attribut
Deklination Deklination Wortstellung
Konjugation Klasse
»räp. + Verb-
Graduierung Satzgliedstellüng
Tempora Verbindung
„ Gestern esse „sie ist mehr der Gabel z.B. halten für
ich zu Hause. ‘ alt als...“
semantische Nebensatz
Passiv/
Kasus konstruktion
Konjunktiv
Pro-Adv./ Adverbialsatz
Funktionsverben ronomina
Prowörter
Modalverben
Lexi k/Wortschatz
193
Teil B
C. Praxis der Sprachförderung
im sprachsensiblen Fachunterricht
196 Teil D
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung
Schematische Darstellung
zum Wechsel der Darstellungsform
Thema: „Auftrieb in Wasser"
XI
cd
W)
Abstraktions
© Josef Leisen
Teil D 197
Vertiefung Wechsel der Darstellungsform
Anwendungsbeispiel 1
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: gegenständliche Ebene
(Durchführung eines Realexperiments)
198 Teil D
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung
Anwendungsbeispiel 2
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: bildliche Ebene
(Filmleiste zur Beschreibung des Realexperiments, vgl. W kz. 8)
Aufgabe:
Schreibe die im Filmstreifen dargestellten Sachverhalte auf.
D e r K ö n ig ...
D er G o ld s c h m ie d ...
D e r G o ld s c h m ie d ...
D ie K rorie ...
W ..
Teil D 199
Vertiefung Wechsel der Darstellungsform
Anwendungsbeispiel 3
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: sprachliche Ebene
(Dialog zwischen Archimedes und König Hieron II von Syrakus
zum Thema „Auftrieb", vgl. Wkz. 22
200 Teil D
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung
Je mehr Wasser von dem eingetauchten Ge Archimedes: Sehr gut! Majestät hatten ihn in
genstand verdrängt wird, umso größer ist der den Festsaal gebeten. Dort hatten Sie eine gro
Auftrieb, also die Hilfe des Wassers beim Tra ße Badewanne mit Wasseraufstellen lassen. A uf
gen. Das ist ein Naturgesetz und ich hab' es in der rechten Waagschale lag ein Goldklumpen.
meinem Buch aufgeschrieben. Er war genauso schwer wie der, den Sie ihm da
mals gaben. Der Goldschmied kam herein. Sie
König Hieron: Ach so, ich verstehe. Das Ersatz fragten ihn, ob er alles Gold in der Krone ver
metall verdrängt mehr Wasser als der gestoh arbeitet hätte. Er sagte: „Ja, Eure Majestät, wie
lene Goldklumpen, weil Gold die größte Dichte könnte ich Sie betrügen. Ich schwöre es bei
hat. Zeus." Dann nahmt Ihr die Krone vom Kopf,
legtet Sie auf die linke Waagschale und sie kam
Archimedes: Oh, Ihre M ajestät beherrschen
ins Gleichgewicht. „Seht Ihr, Eure Majestät, der
die Fachausdrücke: Dichte. Gut, gut!
Beweis. Ich habe keine Schuld", rief der Gold
schmied.
König Hieron: Ja, wenn man ständig m it dir
zu tun hat, dann lernt man doch eine Menge. König Hieron: Und dann kamst du, senktest die
Aber lass mich verstehen, wie der Kerl erwischt Waage langsam in das Wasser, und sie kam aus
wurde. Weil das Ersatzmetall mehr Wasser ver dem Gleichgewicht. Das Gesicht des Gold
drängt als Gold, hat das Ersatzmetall einen schmieds werde ich nie vergessen. Er hatte es
größeren Auftrieb. Deshalb hat das Ersatzme physikalisch nicht verstanden, aber er hatte ver
tall unter Wasser ein kleineres Gewicht als der standen, dass w ir ihn überführt haben. Er kennt
gestohlene Goldklumpen. Dann müsste also deine List, deinen genialen Verstand. Trotzdem
beides, an eine Balkenwaage gehalten, in der kostete es ihn das Leben. Lange ist es her. Schö
Luft gleich schwer sein und, wenn es in die ne Zeiten! W ir haben schwere Zeiten vor uns.
Badewanne eingetaucht wird, müsste sich die Mich wird man vergessen, aber von dir wird
Waagschale m it der Krone heben. Genau das man auch noch in 2000 Jahren reden, von dem
haben w ir dann gemacht. Du erinnerst dich? großen Archimedes von Syrakus.
minderwertig: Zeus:
billig, nicht viel wert griechischer Gott
Teil D 201
Vertiefung Wechsel der Darstellungsform
Anwendungsbeispiel 4
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: symbolische Ebene
(Bildsequenz zum Experiment „Archimedischer Auftriebskörper“ , vgl. Wkz. 7)
Aufgabe:
Zeichne die Kräfte und Kraftvektoren in die nachfolgende Bildfolge zum Experiment
„Archimedischer Auftriebskörper"ein.
Lösung:
Bildfolge mit Kräften und Kraftvektoren
Auftriebskraft =
Gewichtkraft 9
^ A u ftrie b des verdrängten
Wassers
- scheinbare ^ Auftrieb
Gewichtskraft / Auftrieb
scheinbare
i Gewichtskraft scheinbare
' Gewichtskraft
Pf
iS
verdrängtes
1
s
i verdrängtes
Wasser Wasser
Varus/Josef Leisen
Teil D
202
Wechsel der Darstellungsform Vertiefung
Anwendungsbeispiel 5
zum Wechsel der Darstellungsform, hier: mathematische Ebene
(Herleitung der Auftriebsformel)
Das Gesetz des Archimedes kann man mit Formeln herleiten. Dabei geht man
folgendermaßen vor:
- Man startet mit einer speziellen, übersichtlichen und vertrauten Situation.
- Man schreibt passende, bekannte Formeln hin, formt um, setzt ein, klammert
aus, kürzt, erw eitert... , bis man die „gewünschte Endformer hat.
Meistens ahnt der Physiker schon, was herauskommen soll, denn oft
hat er vorher Experimente gemacht und sich intensiv damit beschäftigt.
Kurzum: Herleitungen sind oft mathematisch-physikalische Puzzle.
Spezialisieren:
Wir denken uns einen eingetauchten Quader.
Ansetzen:
Auf seiner Bodenfläche herrscht der Schweredruck
P2 = 9 ' P n ' h 2
Interpretieren:
- Beim Quader ist Grundfläche • Höhe = Volumen, also A * h = V
- Dichte • Volumen = Masse, also pF/ • V = mF/
- Masse • Erdbeschleunigung = Gewichtskraft, also
mF/. g = Gewichtskraft des Wassers, das vom Quader verdrängt wurde.
Die Auftriebskraft ist gleich der Gewichtskraft der verdrängten Flüssigkeit
Verallgemeinern:
Was für den Quader gilt, gilt auch für den Zylinder, die Zylinder-Quader-
Kombination, den Kegel, die Kugel, einen beliebigen Körper.
Man denkt sich dazu den beliebigen Körper aus vielen kleinen Miniquadern
aufgebaut. Diesen Trick wenden Physiker sehr oft an.
Teil D 203
Vertiefung
Ausführliches Beispiel
für eine Lernaufgabe
Vorbemerkung Bemerkungen
Lernaufgaben nehmen eine zentrale Bedeutung im (zum Anwendungsbeispiel)
Lehr-Lern-Prozess ein. Eine Lernaufgabe ist eine Lern Was kennzeichnet die Lernaufgabe auf 5. 204 f.?
umgebung zur Kompetenzentwicklung, die den Lern
a) Die Lerner erschließen sich in Kleingruppen etwas
prozess durch eine Folge von gestuften Aufgabenstel
Neues, nämlich den physikalischen Auftrieb.
lungen mit entsprechenden Lernmaterialien steuert;
Zur Einführung in den Themenbereich wird die Lektüre b) Die für die Physik relevanten Fachmethoden (z.B.
der S. 84 ff. empfohlen. Hypothesenbildung, Experiment, Erklärung, Transfer,
Problemlösung) werden thematisiert und verbali-
Folgende lerntheoretisch begründete Ablaufstruktur
siert.
einer Lernaufgabe hat sich bewährt (vgl. S. 86):
1. Die Aufgabe wird zunächst thematisch gerahmt c) Die Aufgabe ist gestuft aufgebaut und ermöglicht
(Thema, Einordnung, Ausblick). die Binnendifferenzierung (z.B. durch Hilfskarten).
2. Dann machen sich die Lernenden in einem ersten d) Die operationalisierten Formulierungen verweisen
Zugriff mit der Problemstellung vertraut. darauf, dass die Aufgabe auf handelnden Kompe
tenzerwerb und Kommunikation in der Lerngruppe
3. Nun wird das notwendige Vorwissen reaktiviert.
hin ausgerichtet ist.
4. Es folgt eine Erarbeitungsphase (durch eine Folge
von Bearbeitungsaufträgen). e) Entsprechend der Zielsetzung des sprachsensiblen
Fachunterrichts enthält die Aufgabe hohe Sprach-
5. Das neu Erlernte wird kontrastiv zum Vorwissen ins
anteile.
Bewusstsein gerückt.
6. Durch weitere Übungen werden das neu entstan
dene Wissensnetz gefestigt und bereits bestehende
Wissensnetze mit neuen Lerninhalten verknüpft.
Anwendungsbeispiel
für eine ausführliche Lernaufgabe
Thema: „Auftrieb in Wasser"
204 Teil D
Lernaufgabe Vertiefung
Aufgaben:
1. Das physikalische Problem: In einem Boot auf einem See befinden sich (A) ein Stein,
(B) ein Holzstück, (C) Wasser im Eimer, (D) ein Eisblock, (E) ein Sandhaufen, (F) eine Person.
3. a) Führt das Experiment im Modell mit den Materialien auf dem Experimentiertisch
durch und überprüft eure Hypothese.
b) Beschreibt das Experiment.
c) Wiederholt euer Wissen zum Begriff der Dichte und gebt es schriftlich wieder.
d) In dem Dialog zwischen Archimedes und König Hieron (siehe S. 200 f.) findet ihr
Erklärungen und Argumente, um das Ergebnis im Experiment zu verstehen.
e) Begründet das Ergebnis mit dem folgenden Gedankenexperiment:
Ein wassergefüllter Luftballon wird in den See getaucht. Was passiert mit ihm
unter Wasser? Denkt euch nun das Wasser in dem Luftballon durch Sand ersetzt,
anschließend durch Styropor.
f) Formuliert ein Gesetz:
Jeder Körper wird in einer Flüssigkeit um so viel leichter, wie ...
4. Vergleicht euer Ergebnis mit dem einer anderen Gruppe und mit dem auf dem Lehrertisch.
5. a) Schreibt das, was ihr noch nicht verstanden habt, in eine Frage um und gebt sie dem Lehrer.
b) Macht es einen Unterschied, ob es ein Süßwassersee, Salzwassersee oder ein Ölsee ist?
c) Was unterscheidet das Modellexperiment vom Realexperiment auf dem See?
d) freiwillige Aufgabe:
Fertigt eine Zeichnung an und zeichnet die wirksamen Kräfte ein.
Argumentiert mit den eingezeichneten Kräften.
e) freiwillige Aufgabe:
Leitet eine Formel für die Auftriebskraft an einem eingetauchten Quader her.
Teil D 205
Vertiefung
Vorbemerkung Bemerkungen
(zum Anwendungsbeispiel)
Diagnoseaufgaben haben den Zweck, den momen
tanen (Sprach-)Lernstand zu ermitteln. Ziel solcher Was kennzeichnet die Diagnoseaufgabe auf S. 207?
Aufgaben ist es, daraus Prognosen über das weitere
a) Fachliche Diagnose und sprachliche Diagnose sind
(Sprach-)Lernen abzuleiten und Fördermaßnahmen zu
voneinander getrennt.
entwerfen.
b) Die Verbalisierung kann zunächst allgemeinsprach
Diagnoseaufgaben gehören dem Lernraum und nicht
lich formuliert werden.
dem Leistungsraum an. Sie dürfen deshalb nicht den
Charakter von Prüfungsaufgaben haben, wenngleich c) Der Anspruch bei der fachsprachlichen Formulierung
es sich u.U. um dasselbe Aufgabenformat handelt. wird durch nutzbare Fachbegriffe angegeben.
Zur Einführung in diesen Themenbereich empfiehlt
d) Probleme und Unterstützungen werden zusammen
sich die Lektüre der Seiten 84 ff.
in Angriff genommen.
Zu den Diagnoseaufgaben muss ein Unterstützungs
system angeboten und erfolgsfördernd eingesetzt
werden. Dazu ist es zwingend erforderlich, dass die
Lehrkraft ihre Beobachtungen bei der Lösung der Auf
gaben sowie das Lernen und die aufgegebenen
Anstrengungen mit den Lernern bespricht. Darüber
hinaus sollten mit den Lernern Metareflexionen vor
genommen werden.
Gute Diagnoseaufgaben zeigen folgende Merkmale:
Teil D
206
Diagnoseaufgabe Vertiefung
Anwendungsbeispiel
für eine ausführliche Diagnoseaufgabe
Thema: „Geschwindigkeit"
Aufgabe:
M it den folgenden Aufgaben kannst Du selbst testen, inwieweit du das Thema fachlich
verstanden hast und wo Du sprachliche Stärken und Schwächen bei dem Thema hast.
Ali, Beate, Carl und Dirk fahren denselben Weg mit dem Fahrrad.
- Ali fährt zunächst recht gemütlich. Dann merkt er, dass er sich beeilen muss.
Er gibt deshalb Gas und fährt immer gleich schnell weiter.
- Beate will unbedingt die Schnellste sein und fährt den anderen zunächst voraus;
dann wird sie müde und fährt immer langsamer.
Aufgaben:
1. Zu Ali gehört der Graf ... und zu Beate gehört der Graf ...
3. Beschreibe die vier Grafen und benutze die Fachbegriffe: steigen, fallen, Geschwindigkeit,
Beschleunigung, gleichmäßige Bewegung, beschleunigte Bewegung, Wegstrecke, Zeit,
Geschwindigkeitszuwachs, doppelt so schnell wie ...
Teil D 207
Vertiefung
Ausführliches Beispiel
zur Methode der gestuften Hilfen
Hilfe Stärke 5:
Die Lerner erhalten ein Arbeitsblatt mit den Bezeich
nungen der Fachbegriffe sowie ihrer jeweiligen Artikel
und Pluralendungen (vgl. nebenstehende Abbildung
und S. 209). Das Arbeitsblatt enthält zudem Formu
lierungshilfen sowie ein Strukturdiagramm, das die
(logische) Struktur der Beschreibung weitgehend absi
chert. In einem ersten Zwischenschritt werden die Pfei
le mit den passenden Verben aus den Formulierungs
hilfen beschriftet. Dies kann wahlweise in der Infini
tivform oder in der gebeugten Form erfolgen.
Hilfe Stärke 4:
Die Lerner erhalten dasselbe Arbeitsblatt, jedoch in
sprachlich veränderter Form: So können z.B.
- bei den Formulierungshilfen weniger oder keine Hil
fen angegeben sein;
- überzählige Hilfen angegeben sein (dies erhöht den
Schwierigkeitsgrad);
- im Strukturdiagramm nicht alle Begriffe angegeben
sein; hier können z.B. einige Begriffsfelder leer blei
ben oder die Merkmale der Geräteteile (Adjektive)
in den Klammern fehlen (die entsprechenden Begrif
fe sind dann in einer Wortliste aufgeführt).
Hilfe Stärke 3:
Der obere Teil des Arbeitsblattes wird in der Form der
Hilfe 4 gegeben. Die Lerner erhalten dabei die Begriffe
auf kleinen Kärtchen in einem Briefumschlag und müs
sen das Strukturdiagramm selbst legen. Damit hat die
Aufgabenstellung einen fachlich erhöhten Anspruch,
der in Partnerarbeit oder Kleingruppenarbeit erledigt
werden sollte.
Hilfe Stärke 1:
Die Lerner erhalten die Geräteskizze ohne die Bezeich
nungen.
Teil D
208
Gestufte Hilfen Vertiefung
Arbeitsblatt
(zu den Hilfen Stärke 5, 4 und 3; vgl. auch Teil C, S. 56 f.):
Anwendungsbeispiel
zur Methode der gestuften Hilfen
Thema: „ Der Druckmesser11
Bezeichnungen:
-e S ka la
Formulierungshilfen:
sein
enthalten
vor / hinter
-e L u ft sich befinden
über / unter
-s R ohr befestigt sein mit
innen / außen
verbunden sein mit
an / auf
gefüllt sein mit
rechts / links
-e M e ta lld o se bespannt sein mit
K__________ J
"V --------- V drehbar sein um
-e D rucksonde -s U -M an o m e ter
v
-r Druckmesser
Aufgaben:
1. Schreibe die Verben an die Pfeile des Diagramms.
2. Beschreibe die Druckdose mit Hilfe des Strukturdiagramms.
Strukturdiagramm: -r Druckmesser,
Teil D 209
Vertiefung
Anwendungsbeispiel 1
Leseaufgabe zur Methode der gestuften Anforderungen
Thema: „Die Fortpflanzung der M oose“
Aufgabe 1:
Aktiviere dein Vorwissen zur Fortpflanzung von Blütenpflanzen.
Informiere dich im Biologieunterricht über die zwei Arten der Fortpflanzung
der Blütenpflanzen.
- Es gibt eine vegetative Vermehrung durch Knospung, Knollen, Zwiebeln oder Ableger.
Alle Pflanzen haben somit dieselben Eigenschaften, weil sie dasselbe Erbgut haben.
- Es gibt eine sexuelle Vermehrung (Blüte, Frucht), bei der Pflanzen mit neuen Eigenschaften
entstehen, da sich hier das Erbgut zweier verschiedener „Eltern" verbindet.
Aufgabe 2:
Informiere dich mit folgendem Text über die Fortpflanzung der Moose.
Moose haben keine Blüten. Es sind Sporenpflanzen, das heißt, sie vermehren sich nicht
über Früchte, sondern über Sporen. Sporen keimen auf dem Boden, dabei entstehen
entweder männliche oder weibliche Moospflanzen. Man kann erst im Frühjahr sehen,
ob man es mit einem Männchen- oder Weibchenmoos zu tun hat:
Aufgabe 4: Überprüfe dein Wissen anhand der Tabelle (s. S. 211 unten).
* Zur Einführung in diesen Themenbereich empfiehlt sich die Lektüre der Seiten 88 ff.
210 Teil D
Gestufte Anforderungen Vertiefung
Arbeits
blatt zu Generationswechsel bei Moosen
Aufg. 3
Aufgaben:
1. Beschrifte die Abbildung mit Hilfe der Wortfelder.
2. Suche in den Wortfeldern Begriffe, die zusammen passen.
Schreibe sie untereinander und finde einen Oberbegriff.
3. Schreibe mit allen Wörtern einen Text.
Abbildung: Beschriftung:
1 .....................
2 ...................
3
4
6
7
8
9 ...................
10 ...................
11 ..................
12 ..................
13 ..................
Wortfeld 1: Wortfeld 2:
Tabelle Aussagen w l
4. Der Sporenträger ist das Kind (= die zweite Generation) der Moospflanze.
5. Ein Antheridium hat dieselbe Funktion wie der Pollensack der Blütenpflanzen.
6. Die Fortpflanzung der Moose ist wie die Fortpflanzung der Amphibien an Wasser ge
bunden. Das zeigt, dass Moose in der Evolution sehr alte pflanzliche Organismen sind.
Teil D 211
Vertiefung Gestufte Anforderungen
Anwendungsbeispiel 2
Experimentieraufgabe zur Methode der gestuften Anforderungen
Thema: „W ie viel und wie schnell nimmt das Moos Wasser auf?"
Moose können viel Wasser aufnehmen. Sie können ein Vielfaches ihres Trocken
gewichtes an Wasser aufnehmen. Das könnt ihr im Experiment entweder mit einem
Messbecher oder mit einer Waage zeigen.
Experimentierfragen:
Hier sind einige Fragen, die mit den Experimenten beantwortet werden:
1. Wie viel Wasser kann (trockenes) Moos speichern?
2. Wie schnell nimmt Moos das Wasser auf?
3. Wie nimmt das Moos so schnell und so viel Wasser auf?
4. Nehmen alle Moosarten gleich schnell Wasser auf?
5. Welche Bedeutung hat die Wasserspeicherung für den Wald?
6. Welche Bedeutung hat die Wasserspeicherung für den Menschen?
, Aufgabe 1:
Erstellt eine Wertetabelle und eine Grafik.
Aufgabe 2:
Formuliert ein Versuchsergebnis.
Benutzt dabei folgende Begriffe: Zeit, Wasseraufnahmegeschwindigkeit,
Wasserspeicherkapazität, Sättigung. Das Begriffslexikon hilft dabei.
Begriffslexikon:
-e Wasseraufnahmegeschwindigkeit; -en:
die Geschwindigkeit, mit der das Moos Wasser aufnimmt
-e Wasserspeicherkapazität; -en:
die maximale Menge (= Volumen) an Wasser, die das Moos speichern kann.
Die Kapazität wird auch in Prozent angegeben. Wenn 100 g Moos
z.B. 400 g Wasser speichern, ist das 400 Prozent seines Eigengewichts.
-e Sättigung, -en:
Wenn der Speicher voll ist, ist er gesättigt.
212 Teil D
Gestufte Anforderungen Vertiefung
-e Sporenkapseln,
-s Stämmchen
mit feinen Blättchen,
-s Ästchen
mit feinen Blättchen,
assimilierende wasserspeichernde
Zellen Zellen
Zellwand einer Zelle mit Chloroplasten;
hier handelt es sich folglich um eine assi
milierende, also stoffaufbauende Zelle
Chloroplasten
(= stärkebildende Organellen)
Verstärkungsleiste in der
Wasserspeicherzelle (wie beim
Badewannenschlauch)
Teil D 213
Vertiefung Gestufte Anforderungen
Aufgabe 4:
Überprüfe dein Wissen und finde die richtigen Zuordnungen.
Gewicht 5 Maßeinheit: g E
Lösung:
214 Teil D
Gestufte Anforderungen Vertiefung
Anwendungsbeispiel 3
Forschungsaufgabe zur Methode der gestuften Anforderungen
Thema: „M oospolster sind Lebensraum für andere Lebewesen"
A nleitung:
Arbeitsschritte:
1. Suche im Buch, wie die Lebewesen heißen, die du siehst.
(Hinweis: Suche im Kapitel „Das Leben im Wassertropfen")
2. Mache mit der Digitalkamera Fotos von den Tieren.
3. Wie viele Tiere sind in der Moospflanze? Diese Aufgabe ist nicht einfach.
Überlege Dir eine Methode, wie man die Forschungsfrage beantworten könnte.
Teil D
215
Vertiefung
Empfehlungen für die Kooperation liegen bislang gerade für den Sekundarstufenunterricht
im Fach kaum Konzepte und Erfahrungen oder gar
mit dem Deutschunterricht
Hilfen vor, die Fachlehrkräften ermöglichen, eine För
Das Erstellen einer „Förderdiagnostik" und die darauf derdiagnostik für den Fachunterrichtzu erstellen. Dem
aufbauende Entwicklung von angemessen binnendif entsprechend können Fachlehrkräfte bislang nur auf
ferenzierenden Fördermaßnahmen für sprachschwache Diagnoseinstrumente für den DaF-Förderunterricht
Lerner ist für Fachlehrkräfte ohne entsprechende be zurückgreifen (DaF = Deutsch als Fremdsprache).
rufliche Weiterqualifizierung kaum möglich, da sie
Einige ausgesuchte Instrumente werden nachfolgend
dafür ursprünglich nicht ausgebildet wurden.
vorgestellt. Dabei geht es auf Seite 217 um Kriterien
Während für den „allgemeinen“ Unterricht bereits für die Anlayse von Texten und auf den Seiten 218 f.
zahlreiche Hilfen zur Diagnostik angeboten werden um Kriterien für die Analyse von sprachlichen Kom
(etwa in Form von Checklisten oder Sprachstandstests), petenzen.
216 Teil D
Hilfen und Anregungen zur Förderdiagnostik Vertiefung
2 Wortschatz
3 Syntax
6 Interpunktion ; V- Ä H
6.1 Werden die Satzenden korrekt markiert?
6.2 Werden zwischen Teilsätzen Kommas gesetzt?
6.3 Werden bei Aufzählungen und Appositionen Kommas gesetzt?
Teil D 217
H ilfen und Anregungen zur Förderdiagnostik
Vertiefung
- Verbzweitstellung im Hauptsatz
-
Anme,kunsenUSB
- Verbendstellung im Nebensatz
- o-Position von „und", „oder“ , „aber“ , „denn” , „sondern“
- Satzklammer
- Verbstellung im Fragesatz
- Verbstellung im indirekten Fragesatz
- Normgerechter Gebrauch der Konjunktionen
2 Morphologie
: ' - - '■ -- -
- Konjugation/Kongruenz
- unregelmäßige Formen
- trennbare Verben
- Tempusgebrauch
- Verbvalenz
- reflexive Verben
- Infinitivkonstruktionen
- Aktiv/Passiv
- Konjunktiv II
- Modalverben und modalverbähnliche Verben
- Funktionsverbgefüge
2 2 Substantiv ~ . ~ \
- Genus
- Pluralbildung
- Deklination
- n-Deklination
- substantivierte Infinitive
- substantivierte Adjektive und Partizipien
- Deklination
2.4 Adjektive
- Deklination
- Komparation
- Differenzierung von attributivem und prädikativem Gebrauch
- Deklination von substantivierten Adjektiven und Partizipien
Teil D
218
Hilfen und Anregungen zur Förderdiagnostik Vertiefung
Anmerkungen
2^5 Pronomen P 8
- Personalpronomen
- Possessivpronomen/-artikel
- Indefinitpronomen
- es
- man
=
2.6 Präpositionen
- Kasus nach Präpositionen
- lokale Präpositionen/Wechselpräpositionen
- temporale Präpositionen
- Verb mit Präpositionalobjekt
- Präpositionalpronomen
3 Orthografie
- Groß- und Kleinschreibung
- Zusammen- und Getrenntschreibung
- Dehnung
- Schärfung
- Schreibung der s-Laute
- Schreibung spez. Grapheme (sch, ch, eu, ei, ä, ö, ü)
- Schreibung gleich klingender Laute
- Phonologische Fehler
4 Interpunktion WM IH P IP ® e A ® r t®
- Zeichensetzung am Satzende
- Komma zwischen Teilsätzen
- Komma bei Aufzählung
- Komma bei Apposition
- Zeichensetzung bei direkter Rede
5 Textebene
- Pro-Formen
- es/das
: 6 Wortschatz !M e Ä f f l s m I B s i i p p s a h m S
6.1 Wortbildung
aus: Kaminski, 2005, S. 10-12 (nach: Nodari, 2002; Nussbaum und Siebert, 1994)
Teil D
219
Vertiefung
- Kann vertraute, alltägliche Ausdrücke und ganz einfache Sätze verstehen und
verwenden, die auf die Befriedigung konkreter Bedürfnisse zielen.
- Kann sich und andere vorstellen und anderen Leuten Fragen zu ihrer Person stellen
- z.B. wo sie wohnen, was für Leute sie kennen oder was für Dinge sie haben -
und kann auf Fragen dieser Art Antwort geben.
- Kann sich auf einfache Art verständigen, wenn die Gesprächspartnerinnen oder
Gesprächspartner langsam und deutlich sprechen und bereit sind zu helfen.
Kann Sätze und häufig gebrauchte Ausdrücke verstehen, die mit Bereichen von
ganz unmittelbarer Bedeutung Zusammenhängen (z.B. Informationen zur Person
und zur Familie, Einkäufen, Arbeit, nähere Umgebung).
Kann sich in einfachen, routinemäßigen Situationen verständigen, in denen es
um einen einfachen und direkten Austausch von Informationen über vertraute
und geläufige Dinge geht.
Kann mit einfachen Mitteln die eigene Herkunft und Ausbildung, die direkte Umge
bung und Dinge im Zusammenhang mit unmittelbaren Bedürfnissen beschreiben.
Kann ein breites Spektrum anspruchsvoller, längerer Texte verstehen und auch
implizite Bedeutungen erfassen.
Kann sich spontan und fließend ausdrücken, ohne öfter deutlich erkennbar nach
Worten suchen zu müssen. Kann die Sprache im gesellschaftlichen und beruflichen
Leben oder in Ausbildung und Studium wirksam und flexibel gebrauchen.
Kann sich klar, strukturiert und ausführlich zu komplexen Sachverhalten äußern
und dabei verschiedene Mittel zur Textverknüpfung angemessen verwenden.
- Kann praktisch alles, was er / sie liest oder hört, mühelos verstehen.
- Kann Informationen aus verschiedenen schriftlichen und mündlichen Quellen
zusammenfassen und dabei Begründungen und Erklärungen in einer zusammen
hängenden Darstellung wiedergeben.
- Kann sich spontan, sehr flüssig und genau ausdrücken und auch bei komplexeren
Sachverhalten feinere Bedeutungsnuancen deutlich machen.
220 Teil D
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER) Vertiefung
- Ich kann einzelne vertraute Namen, Wörter und ganz einfache Sätze verstehen,
z.B. auf Schildern, Plakaten oder in Katalogen.
Ich kann Texte verstehen, in denen vor allem sehr gebräuchliche Alltags
oder Unterrichtssprache vorkommt.
Ich kann private Briefe verstehen, in denen von Ereignissen, Gefühlen und
Wünschen berichtet wird.
Ich kann Artikel und Berichte über Probleme der Gegenwart lesen und verstehen,
in denen die Schreibenden eine bestimmte Haltung oder einen bestimmten Stand
punkt vertreten.
Ich kann zwischen Tatsachen, Meinungen und Schlussfolgerungen unterscheiden.
Ich kann Sachtexte aus meinem Interessensbereich bis ins Detail verstehen.
Ich kann schwierige Aufgabenstellungen im Unterricht und Handlungsanweisungen
verstehen.
Ich kann in einem erzählenden Text verstehen, warum die Personen so handeln
und was für Folgen das hat.
Ich kann zeitgenössische literarische Prosatexte verstehen.
- Ich kann lange, komplexe Sachtexte und literarische Texte verstehen und
Stilunterschiede wahrnehmen. Ich kann Fachartikel und längere technische
Anleitungen verstehen, auch wenn sie nicht in meinem Fachgebiet liegen.
- Ich kann praktisch jede Art von geschriebenen Texten mühelos lesen, auch wenn
sie abstrakt oder inhaltlich und sprachlich komplex sind, z.B. Handbücher, Fach
artikel und literarische Werke.
Teil D 221
Vertiefung Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER)
Niveau Lesen A l
Lesen Ich kann in einem Text (z.B. in einer Zeitung) Informationen über Personen verstehen
und Fragen beantworten (Wie heißt sie? Wie alt ist sie? Wo wohnt sie?).
Ich kann auf einem Plakat oder in der Zeitung ein Konzert oder einen Film aussuchen
und die wichtigsten Informationen verstehen (Wann beginnt die Veranstaltung?
... » 1 ® » -r: Wo findet sie statt? Wo kann ein Ticket reserviert werden?).
. Ich kann Wörter und Ausdrücke auf Schildern verstehen, die man häufig sieht
(z.B. „Bahnhof“ , „Aufzug", „Rauchen verboten“ , „Nicht berühren“ , „Sportartikel“ ,
.. „Damenmode“ , „Zum Ausgang“ ).
Fachwort- Ich kann die wichtigsten Fachbegriffe aus meinem Beruf verstehen.
schätz
Ich kann in einem zusammengesetzten Wort die einzelnen Wörter erkennen.
Ich kann in einem einfachen Text gesuchte Informationen finden und verstehen.
Ich kann in einem einfachen Sachtext gesuchte Begriffe und Zahlen finden und verstehen.
Ich kann Gebrauchsanweisungen und Arbeitsvorschriften verstehen, wenn sie ganz einfach
geschrieben sind oder wenn es Bilder dazu gibt (z.B. Benutzung eines elektrischen Gerätes,
Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz usw.).
Ich kann in einer Zeitung Kleinanzeigen überfliegen und etwas heraussuchen (z.B. Wohnung,
Computer, Auto) und verstehe dabei die wichtigsten Informationen über Größe, Leistung,
Preis und Extras.
Ich kann in einem einfachen Text gesuchte Informationen finden und unterstreichen.
Ich kann neue Fachbegriffe aus meinem Beruf verstehen, wenn ein Bild dabei ist.
Ich kann Fachbegriffe verstehen, die aus zwei oder mehr Wörtern zusammengesetzt sind,
wenn ich diese Wörter kenne.
* aus: Hessisches Kultusministerium, Institut für Qualitätsentwicklung, 2 0 0 6 ; siehe auch: Goethe-Institut, 2001
222 Teil D
Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER) Vertiefung
Niveau Lesen B1
■ .: ....... ■ - : v ■: - ■■. -. - .- ■' . '■ .-.-:■ ^ ■ - - ..- ..
Ich kann die wichtigsten Punkte in kürzeren Texten aus Zeitungen, Zeitschriften,
Broschüren usw. finden und die Grundaussage des Textes verstehen.
Ich kann einfache Sachtexte lesen und die wichtigsten Informationen verstehen.
Ich kann Mitteilungen und Briefe von Firmen oder Vereinen und einfache amtliche
Mitteilungen von Behörden oder von der Schule verstehen.
" Ich kann eine einfache, klar aufgebaute Geschichte lesen und die Handlung verstehen.
Ich kann wichtige Personen und Ereignisse von unwichtigen unterscheiden.
Strategie Ich kann die Abschnitte eines einfachen Textes mit wenigen Worten zusammenfassen.
beim Lesen
und Ich kann die Schlüsselinformationen in einem Text heraussuchen. Im Fachrechnen
Verstehen kann ich in den Sachaufgaben die gegebenen Zahlen und Einheiten finden.
Fachwort Ich kann die Fachbegriffe aus meinem Beruf verstehen, die häufig benutzt werden.
schatz
Ich kann ein spezielles Fachwörterbuch für meinen Beruf benutzen.
Niveau Lesen B2
Lesen Ich kann Artikel und Berichte verstehen, in denen die Schreibenden besondere
Haltungen und Standpunkte vertreten. Ich kann zwischen Tatsachen, Meinungen
und Schlussfolgerungen unterscheiden.
Ich kann Texte aus meinem Fach- und Interessenbereich bis ins Detail verstehen.
Ich kann schwierige Darstellungen (z.B. schriftliche Aufgaben in der Schule) und
Handlungsanweisungen (z.B. Arbeitsvorschriften) verstehen.
Ich kann in einem erzählenden Text verstehen, warum die Personen so handeln
und was das für Folgen hat.
Strategie Ich kann die Bedeutung einzelner unbekannter Ausdrücke aus dem Kontext
beim Lesen erschließen und so den Sinn ableiten, wenn mir das Thema vertraut ist.
Fachwort Ich kann neue Fachbegriffe aus meinem Beruf lernen und verstehen, wenn sie
schatz beschrieben werden, auch wenn kein Bild dabei ist.
223
Teil D
Vertiefung Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen (GER)
Ich kann hoch spezialisierten Texten aus dem eigenen Fachgebiet (z.B. Forschungs
- | | - berichten) Informationen, Gedanken und Meinungen entnehmen.
Ich kann längere und komplexe Anleitungen und Anweisungen verstehen, z.B.
zur Bedienung eines neuen Geräts, auch wenn diese nicht aus meinem Fachgebiet
stammen, sofern ich genug Zeit zum Lesen habe.
Ich kann Ideen und Zusammenhänge erfassen, die im Text einer Erzählung enthalten
■ » ü
sind, auch wenn sie nicht wörtlich beschrieben werden.
Strategie Ich kann zwischen Überschrift und anderen Hervorhebungen und Text einen Bezug
beim Lesen ; herstellen.
und
Verstehen Ich kann die Bedeutung von Redewendungen im Wörterbuch finden.
Fachwort- Ich kann Fachbegriffe aus meinem Beruf aus dem Zusammenhang heraus verstehen.
Ich kann zusammengesetzte Nomen, Adjektive und Verben auch dann verstehen,
■ .
wenn sie im Wörterbuch nicht zu fjnden sind.
Niveau Lesen C2
Lesen; : Ich kann zeitgenössische und klassische Texte verschiedener Gattungen lesen
(Gedichte Prosa, Dramen) und die unterschiedlichen literarischen Stilmittel
(Metapher, Symbol, Konnotation, Mehrdeutigkeit) erkennen.
Ich kann Wortspiele erkennen und Texte richtig verstehen, deren eigentliche
- - :
Bedeutung nicht in dem liegt, was explizit gesagt wird (Ironie, Satire).
Ich kann Handbücher, Verordnungen und Verträge verstehen, auch wenn mir
das Gebiet nicht vertraut ist.
Ich kann Texte verstehen, die stark umgangssprachlich sind und zahlreiche
idiomatische Ausdrücke (Redewendungen) oder Slang enthalten.
Strategie Ich kann den Inhalt eines Textes mit verschiedenen grafischen Mitteln zusammen
beim Lesen fassen und darstellen: Mind-Map, Assoziagramm, Raster, Flussdiagramm.
Verstehen Ich kann mir über das Inhaltsverzeichnis ein Bild machen über Inhalt und Aufbau
eines Buches oder einer Zeitschrift.
Fächwort- Ich kann praktisch alle Fachwörter aus meinem Fachbereich mühelos verstehen.
Ich kann neue Fachbegriffe aus dem Kontext heraus verstehen, auch wenn ich
das Fachgebiet nicht genau kenne.
224 Teil D
Literaturverzeichnis
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996 Teil D
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