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ee as ae ee gee Denken Adornos Alles in der Welt kann man nachmachen, nu die Wahrheit nicht. Denn eine achgoneee Wahrheit ist keine Wabrheit mehr. , Rabbi Menachem Mendel von Kozk I. logische Motive, zumal solche der jiidischen Tradition, im Denken der Frankfurter Schule Spuren hinterlassen haben, ist pated tens seit den letzten Interviews Max Horkheimers!3! beziehungs- weise der neueren Literatur tiber Walter Benjamin! bekannt. Ob essich bei diesen theologischen Spuren indessen lediglich um begriff- liche Schlacken oder aber um systematische Bestandteile der Theo- rie handelt, ist umstritten. Nicht unverstandlich ist die Befiirchtung so mancher von der Kritischen Theorie inspirierter Sozialwissen- schaftler, daf das Hervorheben theologischer Motive in diesem Denken nur um den Preis von Unverbindlichkeit, leerer Allgemein- heit und damit von Affirmation méglich sei; da also das theolo- gische Beerben der Kritischen Theorie diese um das Beste bringen kénnte, was sie aufzubieten hat: die bestimmte Negation bestehen- der gesellschaftlicher Verhaltnisse. Auf der anderen Seite wird gegen eine riicksichtslose ,Soziologi- sierung“ der Kritischen Theorie ihr eigenes Interesse an Freiheit, Gerechtigkeit und Offenheit ins Feld geftihrt: hode der kritischen Theorie, die Antizipation, Wenn aber die Met! das Experiment ist, welches die christliche Freiheitsidee auf ihre Realisierbarkeit prift, dann diirfen wir vermuten, da Geschichts- philosophie nicht nur aus der Theologie hervorgegangen, sondern nach wie vor nur als solche méglich ist. “15 Ob die Kritische Theorie von theologischen Motiven zehrt oder sich nur mit ihnen schmiickt, ist weder eine Frage des Geschmacks noch der Perspektive, sondern ein Problem, das mit den herkémm- lichen Methoden geistes- und sozialwissenschaftlicher Hermeneutik klarbar sein muf, das heift durch das Rekonstruieren des Entste- hungskontextes der Theorie, das philologische Festhalten einschla- 87 Daf theo giger Au®erungen sowie die Untersuchung der systematischen Funktion entsprechender Motive. Sich mit der Theologie der Kritischen Theorie insgesamt ausein- anderzusetzen, ist ein zu umfangreiches Unterfangen, um es in be- grenztem Rahmen auch nur angehen zu kénnen, Statt dessen soll im folgenden exemplarisch das Denken Theodor W. Adornos unter. sucht werden. Anders als Horkheimer und Benjamin scheint sich Adorno kaum explizit 2u theologischen Motiven bekannt zu haben; anders aber als etwa Marcuse hat er stets auf theologische Fragen Bezug genommen. Seine materialistisch-sinnliche Erkenntnistheo. rie! auf der einen Seite und sein auf das Absolute zielender utopi- scher Wahrheitsbegriff'35 auf der anderen Seite scheinen einander ebenso zu widersprechen wie die radikale Diesseitigkeit und die kompromiflose Erlésungssehnsucht seines Denkens. Diese Wider- sprichlichkeiten und Zweideutigkeiten in Adornos Denken legen es nahe, die schwierige Frage nach den theologischen Motiven in der Kritischen Theorie an seinem Werk abzuhandeln: Trigt doch dieses Werk genau die Zweideutigkeit aus, die der ganzen Frage unterliegt. Ich méchte im folgenden zunachst den geistesgeschichtlichen Hintergrund messianisch-theologischer Motive im Denken junger jadischer Intellektueller der zwanziger Jahre schildern, wobei ich starken Bezug auf Anekdotisches nehmen werde (II). Sodann werde ich einige zentrale, Theologie betreffende Passagen Adornos in einen einheitlichen Kontext stellen (III). SchlieBlich werde ich drei mégliche Interpretationen der Theologie Adornos, wie sie sich in der Literatur finden, namlich als negative Theologie, als verzweifel- te Variante subjektiver Religion und als Christologie, auf ihre Stim- migkeit iiberpriifen (IV), um endlich die These zu vertreten, da es sich bei Adornos Theologie, ja bei seiner ganzen Philosophie um eine Variante des apokalyptischen Messianismus der zwanziger Jah- re handelt, dem durch den Nationalsozialismus und die Vernich- tungslager eine kaum antizipierbare Bestatigung zugefallen ist. In diesem Zusammenhang kann Adornos Denken dann als eine apo- kryphe Form jiidischer Theologie nach Auschwitz gelten. 88 a a ey Adornen jm Jahre 1964 berichtet Theodor Wy, gchaften mit Walter Benjamin: + Adorno iiber erste Bekanne- Ich sah Benjamin recht haufig, ich wiird, stens einmal, wahrscheinlich hdufiger, > neice jede Woche , der er in Frankfurt lebte. Auch a iaaedl “etsy der Banzen jcht nur bei seinen Besuchen hier, sondern vor ame a co glaubes wir waren auch einmal, wohl im Jahre 1925, in rr os wat in Neapel zusammen, aber das kann ich nicht miehe ids gchworen- Von einem ,Zweck* des Zusammenseins kann man wohl hr schwer reden. Wir waren so zusammen, wie vor vierzig Jahren jncellektuelle zusammenzukommen pflegten, einfach, um sich zu ren und so ein bi&chen an jenen theoretischen Knochen zu denen sie eben nagten. So war es auch mit Benjamin und a Ich war damals blutjung, er war immerhin 11 Jahre Alter, und wh habe mich durchaus als den Nehmenden betrachtet. Ich weif, ‘eg ich mit einer ungeheuren Faszination ihm zugehért, ihn dann e achmal Naheres gefragt habe. Recht bald sah ich Sachen von nm, die ef mir gab, ehe sie veroffentlicht waren, und zwar die Ab- handlung, iiber Wahlverwandtschaften, von der ich ein Maschinen- nanuskript, einen Maschinendurchschlag las; (esas ‘Adorno war damals etwa einundzwanzig Jahre alt, stand noch vor seiner Ubersiedlung nach Wien und Jahre vor seiner Arbeit iher Kierkegaard. Benjamins Aufsatz iiber die Wahlverwandtschaf- ten, den er dama Is zu lesen bekam, endet mit jenem beriihmten, die ganze Theologie minde' Zeit, der Kritischen Theorie!” in nuce enthaltenden Sata: ,Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung ge- geben.“ Benjamin verfabte den Essay iiber die Wabhlverwandtschaften inden Jahren 1921/22, wahrend der er durch seinen Freund Ger- stom Scholem auf Franz Rosenzweigs bedeutendes religionsphi- Pe ee Werk Der Stern der Erlésung aufmerksam gemacht biadich hn studierte Rosenzweigs Werk mehr oder minder iher sine ritisch,39 um schlieBlich mit Rosenzweig selbst sberchun a _ Gefahren seines Buches zu diskutieren.14° Tevandtschafnen ¢ Ende von Benjamins Aufsatz iiber die Wahl- 2n Smmbol in dem Benjamin mit den von Goethe iibernom- ibe die Beerife von Himmel, Stern und Hoffnung spielt, steht ¢ von Erlésung und Verséhnung"! in einem deut- “Korres Pondenzverhaltnis zu Rosenzweigs Stern der Erlésung R9Q ‘Theologie und Messianismus im Denken Adornos % und den darin enthaltenen Passagen tiber Goethes kindliches Heldentum, die Hoffnung und die johannaische Kirche der Lie- be.142 Wo Rosenzweig im Bild des Sterns das Reich Gottes und seine Liebe beschwért, antwortet ihm Benjamin mit einem Hinweis auf Goethes erotische Interpretation der Liebe. Rosenzweig beschwért die Kraft des Gebetes und seiner soteriologischen Macht: Der Scheinwerfer des Gebets erleuchtet jedem nur, was er allen erleuchtet: nur das Fernste, das Reich. Alles, was davor liegt, bleibt im Dunkel; das Reich Gottes ist das Nachste. Indem so der sonst in der Ferne der Ewigkeit aufleuchtende Stern hier als das Nachste er- scheint, wendet sich die ganze Liebeskraft ihm zu und zieht sein Licht mit zauberischer Gewalt durch die Nacht der Zukunft hinein ins Heute der betenden Gemeinde. “143 Walter Benjamin, dessen theologische Anstrengung darauf drang, durch die Schalen des Profanen hindurch zum heilbringen- den Kern zu gelangen, beantwortet dies mit einem Hinweis auf jene selbstlose Hoffnung, die in der Hoffnungslosigkeit der Liebenden aufblitht. Der profane Theologe setzt an die Stelle des Gebets die Liebe zwischen Mann und Frau mitsamt ihrem Scheitern: »Jene pa- radoxeste, fliichtigste Hoffnung taucht zuletzt aus dem Schein der Verséhnung, wie im Ma&, da die Sonne verlischt, im Dammer der Abendstern aufgeht, der die Nacht iiberdauert. Dessen Schimmer gibt freilich die Venus.“!44 Das Denken Franz Rosenzweigs, auf das sich Benjamin keineswegs nur in der Arbeit iiber die Wahlver- poate es bezieht, verkérpert in pragnanter Form das, was als mice mee unter jiingeren jiidischen Intellektuellen der ase eo _ a eres werden kénnte - wenngleich in einet Habs eee ‘ Judentum bezogenen Form. d EARNER — hat in einer bemerkenswerten Arbeit!#5 das meSieeeichtaaa a istischer Haltungen unter Juden im Deutschen dem Schlu8, dag ne perp ea ned analysiert. Er kommt 20 Herte Verachtung i k lurch das religiése Ideal des Lernens gene ee Sdipalen ieee oars Lebensunterhalts sich in er th en Beruf nachgchenden Vane zwischen den einem birget et Rae kritisch eee und den der Sphare vor ; chie ance Konjunkturen erstehenden Séhnen niederschlv8: oe nahm he von Kaiserreich und Donaumom © Opposition gegen den Kommt Zumachst kann Ersten Wy, ulturkriti eltkrie, Sch-konseryati 8) Shatone eee i ch Ge 90 *ionaljiiech-aionateche re Hae ‘ische (erste Weimarer Republik) und endlich antikapitalistisch-sozialistische (Ende der Weimarer Republik) Formen an. Typisch fiir die erste Phase seien Dichter und Schriftsteller wie Hugo von Hoffmannsthal oder Ludwig Sternheim, Rudolf Borch- ardt und Walter Rathenau gewesen, wahrend die zweite Phase durch Philosophen und Wissenschaftler wie Martin Buber, Max Brod, Franz Oppenheimer oder Arthur Ruppin gepragt wurde. Kennzeichnend fiir die dritte Phase waren endlich Mitarbeiter und Umkreis des Frankfurter Instituts fiir Sozialforschung, also Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Friedrich Pollock, Felix Weil, Walter Benjamin, Herbert Marcuse, Leo Léwenthal, Siegfried Kra- cauer, Erich Fromm oder Ernst Bloch. Freilich lassen sich die Phasen weder nach thematischen noch nach personellen Hinsichten genau gegeneinander abgrenzen — Uberschneidungen und Uberlappungen in zeitlicher und themati- scher Hinsicht sind zwar nicht die Regel, doch haufig. So ware etwa Gershom Scholem seiner politischen und kulturellen Uberzeugung, nach eher der zweiten Phase zuzurechnen, wahrend er doch in engem Kontakt zu Walter Benjamin stand. Umgekehrt waren etwa Buber und Rosenzweig fiir Benjamin, Lowenthal und Fromm in jimgeren Jahren auGerordentlich bedeutsam. Mindestens fiir die zweite und die dritte Phase, die beide als Reaktionen auf die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und des sich abzeichnenden Scheiterns der deutsch-jiidischen Integration, als Antworten auf den Zerfall der birgerlichen Kultur und die zu- nehmende Illiberalisierung der Gesellschaft gesehen werden kén- nen, gilt, da sie gleichermaen von messianischem Denken erfiillt waren. ‘Anson Rabinbach stellt in einer vergleichenden Arbeit tiber Ben- jamin und Bloch!#6 den Messianismus als Produkt einer postassimi- latorischen Renaissance des deutschen Judentums in der paradoxen Form einer zugleich sakularen und theologischen Weltanschauung dar, Unter Bezug auf Gershom Scholems Arbeiten zum Messianis- mus!47 sieht Rabinbach diese moderne Form messianischen Den- kens durch vier pores gekennzeichnet: Erstens ist messianisches Denken rest: iv, i danken von Fortschritt und Reform Pcraeee damsel idee ee patna das einzige Ziel einer lebenswer- Zweitens ist messianisches enken utopisc! ‘ jeder Vergangenheit und Gegenwart tadikal pees Zu 91 Theologie und Messianismus im Denken Adornos kunft setzt, die zwar das Ende jeder Geschichte, niemals aber ein Produkt dieser Geschichte darstellen soll. , : Drittens ist messianisches Denken apokalyptisch gepragt, da es den dem Einbruch der supra-historischen Erlésung vorausliegenden Zustand als absolut heillos und katastrophisch sieht; ja mehr noch: die absolute Heillosigkeit der Welt geradezu als eine Bedingung des Eintretens der Erlésung schatzt. Viertens resultiert aus der apokalyptischen und entwicklungs- feindlichen Sicht der Geschichte ein fundamentales ethisches Di- lemma, eine nicht aufhebbare moralische Ambivalenz messianisch engagierter Menschen. In dem Ausma8, in dem die Heillosigkeit der Welt nach veranderndem Handeln schreit, wird jede Handlung durch die Einsicht in ihre Verstrickung mit eben dieser heillosen Gegenwart diskreditiert. Ein utopischer Quietismus ist die Folge - sofern nicht wie bei Ernst Bloch!48 der geschichtliche Proze& selbst — und mit ihm die ihm subsumierten Menschen — als messianisches Geschehen gedeutet werden. Samtliche Elemente dieses apokalyptischen Denkens finden sich in idealtypischer Reinheit in Franz Rosenzweigs Stern der Erlé- sung, der unter Riickgriff auf Nietzsche, Schelling und Kierkegaard Hegels affirmative und fortschrittsglaubige Geschichtsphilosophie ebenso kritisierte, wie er in der Zyklizitat des jiidischen Jahres und damit in der Zeitlosigkeit des jiidischen Volkes einen vorwegge- nommenen Einbruch des Ewigen in das Zeitliche sah. Die bis zu Benjamins geschichtsphilosophischen Thesen'4? reichende Idee ei- nes qualitativen Bruchs mit der historischen Zeit wird von Franz Rosenzweig im Stern der Erlésun, aa zum deutlich formuliert: g ersten Mal in dieser Epoche * das ewige Volk unbekiimmert und unberithrt Jahr um Jahr Ri : Ri i ewigen Lebens. An diesem filles Ring um den Stamm seines a eats der Weltgeschichrn ‘ise, enblicklosen le ae en! €n und die n, a Fe acest ioniee wt €ntmischten Motive ei- So erattereaydistety Mancherlej Hi aod Frankfurt der orthodox ordiniert mae eating tee Nepenwartig. “ > Dilthey px Nehemi der yh, ia Nobel, 92 ee und 1895 in Bont 7 Theologie und Messianismus im Denken Adornos aber yee Theorie des Schénen promoviert hatte, nach Frankfurt erufen, Um Nobel, der einer der ersten deutschen Rab- biner war, die sich zum Zionismus bekannten, scharte sich in Frankfurt eine Gruppe junger jiidischer Intellektueller, zum Beispiel Martin Buber, Franz Rosenzweig, Siegfried Kracauer, Erich Fromm und Ernst Simon.'5! Nobel, ein Mann von charismatischer Aus- strahlung, wurde fiir einige dieser jingeren, zum Teil assimilierten uden zum Anla&, sich wieder dem Judentum zuzuwenden. Leo Lé- wenthal beschreibt die Atmosphiire um Nobel, in der sich der oben beschriebene Messianismus gleichsam lebensweltlich kristallisierte, aus eigener Erfahrung: Es entwickelte sich in dem mir nahestehenden Kreise in Frank- d Heidelberg eine Art jiidischer Kult, in dessen Mittelpunkt furt un Nobel stand. Er war selber nicht der charismatische Rabbiner N. A. orthodox im technischen Sinne, sondern konservativ und philoso- phisch sehr gebildet und zog besonders viele junge begabte (aber nicht nur junge) jiidische Menschen an. Unter dem Einflu dieser jiidischen Atmosphire, in die sich auch Philosophie, etwas Sozialis- mus, etwas Psychoanalyse und auch etwas Mystizismus einmischte, entwickelte sich bei meiner damaligen Frau und mir der Wunsch, wieder als Juden zu leben [eed Dieser Mann war ein aus Ungarn stammender Rabbiner, der auch Philosophie studiert hatte. Er kannte Hermann Cohen und reprasentierte eine merkwirdige Mischung von mystischer Religio- sitat, philosophischer Eindringlichkeit und wohl auch einer mehr oder minder verdrangten homosexuellen Liebe zu jungen Menschen. Es war schon eine Art kultischer Gemeinschaft. Er war ein faszinie- render Redner. Man ging zu seinen Predigten. Er fihrte ein offenes Haus, wo man kommen und gehen konnte, wann man wollte. “152 Die von Lowenthal geschilderte Atmosphare enthielt bereits jene Elemente, die spater die Forschungstatigkeit des Instituts fiir Sozi- alforschung pragen sollten — die innigliche Verbindung von Marxis- mus und Psychoanalyse, die von dem vormals thora-treuen Erich Fromm initiiert wurde.'° Erich Fromms spatere Frau Frieda Reich- mann, die spater eine berithmte, psychoanalytisch orientierte Psy- chiaterin wurde, unterhielt damals ein psychoanalytisch orientiertes Kleinsanatorium in der Nahe von Heidelberg, das auch von Leo Léwenthal und seiner Frau unterstiitzt wurde: s . ewisse Dienste in diesem Sanatori- »Golde, meine Frau, leistete 8! ; It und in der Firsorge der Kinder. Das Sanatorium = we yr es disch-psychoanalytisches Pensionat und Hotel. Es eine 93 ‘Theologle und Messianismus im Denken Adornos q herrschte dort eine schon oa nae bal sate aee all ieda Reichmann analysiert, au . - angele es wurde koscher gekocht und alle ee den gehalten. Die religids jiidische Atmosphire war'ge h It dem Interesse an Psychoanalyse. Irgendwie verbinde ich manc hmal in meiner Erinnerung diese synkretistische Verbindung von jtidi- scher und psychoanalytischer Tradition mit unserer spateren NVerhei- ratung‘ von Marxscher Theorie und Psychoanalyse im Institut, die ja in meinem intellektuellen Leben eine grofe Rolle spielen sollte. “154 Es war Anton Nehemia Nobel, der Franz Rosenzweig auf die Idee brachte, eine in Frankfurt ohnehin schon langere Zeit geplante jiidische Volkshochschule zu iibernehmen.155 In dem 1920 gegriin- deten jiidischen Lehrhaus ging es sowohl um eine Rezeption der ost- jiidischen Kultur als auch um die padagogische Einiibung in eine neue Form jiidischer Existenz. Weniger Belehrung als offene Ge- sprache sollten im Zentrum der Praxis stehen — die Dialogphiloso- phie von Buber und Rosenzweig fand hier ihren ersten Versuchs- boden. Freilich war diesen Versuchen kein allzu grofer Erfolg beschieden. Die Form der Lehre blieb allzuoft traditionellen For- men verhaftet.156 Thematisch behandelte das Lehrhaus Fragen des Klassischen Ju- dentums, der Bibel, des Talmud, der Emanzipationsperiode, des Zionismus und des Antisemitismus, der mittelalterlichen und mo- dernen hebraischen Literatur, des Kults wie der Mystik und der Ethik. Zu seinem Lehrkérper gehdrten in den Jahren 1920-1926 - drei Frankfurter Rabbiner Seligmann, Salzberger und Nobel water wie eine Reihe schon damals und spater bekannter Person- eiten wie die Volkswirtschaftler Franz Oppenheimer und Fritz Erich Fromm, Ernst Simon, Leo Léwen- ‘Biotin ten ~~ und der schon damals héchst beriihm- hebraische Ni Bel v6 Otchterin Margarete Susman und der spatere das nach 1906 reece el Josef Agnon.157 D L heh S, eecsaaae in seiner Tatigkeit nachlie® und 19 one te iain cane seine Tiiren erst im Jahre 1933 i 29 geschlossen wenige Jallsouin Sa Drohung des Natie oars als oe dew a ine erzwungene, fragwiird; tonalsozialismus fiir leutiger Anfang im Untergang* ho, fe ge Renaissance, ein zwei- Theodor W. Adorno, Sohn eines ueden war, tierten Juden iner italienic UM we Sto italienischen K Protestantismus konver- seines frithen Erwachsenseing d, atholikin, i “tchaus den ping, Vat in der Phase 94 imfliissen des messia~ a ‘Theologie und Messianismus | nischen Denkens, der Atmosphire einer jiidischen Renaissance und theologischen Gedankengangen ausgesetzt. Seine Freunde Siegfried Kracauer und Leo Léwenthal gehérten zum Umkreis von Nobel und zum Lehrk6rper des jiidischen Lehrhauses — Verbindungen, die durchaus gegen den Willen seines Vaters waren.!5* Adorno freilich lieS sich damals noch spéttisch iiber den apokalyptischen Messia- nismus Léwenthals aus.'5? Auch lasen Kracauer und Adorno gemeinsam Rosenzweigs Stern der Erlésung, ohne da Adorno indessen mit dieser Lektiire viel an- zufangen vermochte. Eher auferte er Unverstandnis: »Das sind sprachphilosopheme, die ich auch nicht verstinde, wenn ich sie ver- stiinde.“16 Und auch Siegfried Kracauer war sowohl gegeniiber dem idealistischen Duktus als auch dem méglichen Erfolg von Ro- senzweigs Philosophie skeptisch. In einem Brief an Léwenthal heift es: »[Er] ist und bleibt als Denker Idealist [...] und davon erlést ihn auch sein Stern nicht — wie ich auch trotz Scholem und seinem Bru- der Benjamin kaum glaube, da sein Buch einschlagt.“!6! Entspre- chend lehnte auch Adorno damals Benjamins Deutung von Goethes Wablverwandtschaften ab.1 ‘Adornos skeptische bis spéttische Haltung gegeniiber allen még- lichen Formen jiidischer Religionsphilosophie und religidsen Fragen blieb bis in die frithen dreifiger Jahre erhalten. Zwar hatte sich Adorno Anfang der zwanziger Jahre iiberlegt, zum Katholizismus zu konvertieren — ein Schritt, den er allerdings unterlie&, da er ihm ,unrettbar romantisch“ erschien.'© Auch Martin Buber, den Ador- no nach dem Kriege in seinem Jargon der Eigentlichkeit so unge- recht und verstindnislos angegriffen hat,!° war schon vor dem Krieg die Zielscheibe seines Spottes. Adorno nannte Buber einen »Religionstiroler“, erzahlte verletzende Anekdoten ber Buber und verprellte Leo Lowenthal und Erich Fromm, in dem er sie Horkhei- mer gegeniiber als Berufsjuden“ bezeichnete.16> Doch war mit diesen Zuriickweisungen der damals aktuellen jiidischen Religionsphilosophie keine generelle Ablehnung theolo- gischen Denkens verbunden. Immerhin habilitierte sich Adorno im Jahre 1931 bei dem damaligen Frankfurter Professor fiir Soziologie Jogen Paul Tillich, mit einer Arbeit iiber und Phil ie, dem Theo! f einen en christlichen Philosophen, tuber Kierkegaard. Hier gi o sich seinem Gegenstand kritisch naherte, an na da aaceitsideologic biirgerlicher Subjektivitat kritisier- ia SE ai ‘Auch Jahre spater verteidigte Adorno Kierke- pics “pcisrologischen Radikalismus gegen Buber: 95 ‘Theologie und Messianismus im Denken Adornos Seitdem Martin Buber den Kierkegaardschen Begriff des Exj- stentiellen von dessen Christologie abspaltete und zu einer Haltung dehlechthin frisierte, herrscht die Neigung, den metaphysischen Gehalt vorzustellen als an die sogenannte Beziehung von Ich und Du gebunden. Er wird an die Unmittelbarkeit des Lebens itberwie. sen, Theologie festgemacht an Bestimmungen der Immanenz, die ihrerseits wieder durch Erinnerung an Theologie mehr sein wollen, virtuell schon wie die Worte des Jargons. [...] Aus der Theologie wird der Stachel entfernt, ohne den Erlésung nicht gedacht werden konnte. “166 Adorno scheint in seiner rudimentaren Auseinandersetzung mit Buber eine der dialektischen Theologie der zwanziger Jahre gelau- fige Argumentationsfigur ins Spiel zu bringen, namlich eine Kritik der (biirgerlichen) Religion aus der Perspektive einer als unbedingt angesetzten Offenbarung. Ob Adorno tatsachlich in seinem Werk von den genannten theo- logischen Einfliissen Sepragt wurde, wird sich nur schwer entschei- den lassen. Immerhin kann behauptet werden, dag Adorno, sofern Theologie fiir ihn iiberhaupt eine Rolle spielte, an die Debatten um Rosenzweig, apokalyptisches Denken, Kierkegaard und die dialek- tische Theologie anschlieGen konnte — selbst wenn er ihnen gegen- liber ein reserviertes Verhaltnis hatte. Zumindest wissen wir, daf er wahrend der zwanziger Jahre iiber diese Debatten informiert war und einige der wichtigsten Texte und Personen kannte. Ob diese Be- schreibung des Entstehungskontextes seines Denkens zureicht, ihm entsprechende Motive in seinen eigenen Uberlegungen zuzuschrei- ben, muf solange offen bleiben, als sich nicht entweder explizite be- ziehungsweise systematisch-implizite AuBerungen zu theologischen Problemen nachweisen lassen. Ill. Im Jahre 1934 erscheint in der Zeitschrift fir Sozialforschung ein Aufsatz Horkheimers zu Bergsons Metaphysik der Zeit,'67in dem er ein klares Bekenntnis zum Atheismus, zu gens von der Metaphysik freien solidarischen Leben abzulegen scheint: i Et morimur! Der Metaphysiker Bern bateréchlaen den Tod. Wie nur je ein Theologe, der den Menscl 4 es aes Leben ver- spricht, will er die Tatsache des Todes durch das Gerede von einer 96 a ewigen Realitat, mit der wir uns vereini é i motieren und erweist so, daf sein seaihiliagiaphiuedaaeaneale wie die Religion und nach und neben ihr die moderne Philo wr die Menschen iiber das, was ihnen auf der Erde waiitetfiterh de a Vorspiegelung ihrer eigenen Ewigkeit zu trosten. “!6 sai Adorno reagierte auf diesen Aufsatz Anfang des Jahres 1935 mit einem auergewohnlichen Schreiben, das derzeit den einzigen Beleg dafar liefert, da Adorno sich explizit theologischem Denken ver- schrieb: wich fin dere ist es die Ste! hochsten MaBe ergriffen hat - Konsequenzen Ihres ,Atheismus‘ ( glaube, je vollkommener er sich expliziert: denn mit jeder Explika- tion steigt seine metaphysische Gewalt) solchen aus meinen theolo- hen Intentionen begegnen, die Ihnen so unbehaglich sein mégen aber deren Konsequenzen jedenfalls eben in nichts heiden — kénnte ich doch das Motiv der Ret- Js Zentralversuch aller meiner Versuche u sagen bliebe; es sei denn, da ichnung des Leidens und des Nichtgewordenen von dem Sie schweigen und der doch der ein- Geschichte des kreatiirlichen Leidens zu- gecignet ware. Und freilich glaube ich: so wie keiner meiner Gedan- ken das Recht zu atmen hatte, wenn er nicht, Ihrem Atheismus konfrontiert, sich als verhiillend und wahr erwiese, so sicher ware keiner Ihrer Gedanken zu denken ohne dies Wozu als Kraftquelle durch den Tod hindurch, die um so gewaltiger in ihre Erkenntnisse hineinwirkt, je dichter Sie diese dagegen absperren; wie eine Art Strahlen, die nicht nur von keiner Mauer aufgehalten werden, son- dern gerade die Macht besitzen, das Innerste der Mauer selbst zu zeigen, 169 age —_ ~ auf eine SchluSpassage von Horkheimers da Ewig a a , eae nach dem Zerfall des Vertrauens auf gen der vergangen oe oglichkeit zugeschrieben wird, den Ankla- Adorn eee ] ae Gehér zu schenken.17° lcolosibedieial aa in an Schreiben uniibersehbar zu einer Solidaritat mit d netischen Solidaritat, 17! der eingedenkenden sie it den Abgeschiedenen und Erschlagenen, ja beh f 8eradezu als Mitte seines bisherigen We a Rape ‘t meiner Versuche, ohne da mir : Si (Zentralversuch ein mehr zu sagen bliebe [...]“) de den Bergsonaufsatz ganz auGerordentlich. Insbeson- lle iiber den Historiker als Retter, die mich im es ist erstaunlich, wie vollig hier die an den ich freilich je weniger gisc. wie sie wollen, yon Ihren sich untersc! tung des Hoffnungslosen a einsetzen, ohne da mir ein mehr z ich zu jener Verze: den Leser hinzudenke, tige Leser ware, dem diese 97 a us tim n Adorno: Hierbei scheint er sich der Verwegenheit und mangelnden Plausibj. litat seines Unterfangens deutlich bewuSt zu sein und scheut auch nicht Begriffe und Worte, die er spater zweifelsohne als Jargon ge. brandmarkt hatte: ,,[...] dies Wozu als Kraftquelle durch den Tog hindurch [...]“! Die Bildersprache des letzten Absatzes bemiiht zudem kabbalj. stisch-mystische Hinweise wie die einer verhillenden Wahrheit durchdringender Strahlen und einer Mauer vor der Wahrheit, deren Innerstes diese Wahrheit selbst ist. Kafkas Erzahlungen sind hier ebenso gegenwartig wie die kabbalistische Lehre vom Bruch der Ge- fae und den Schalen, in die die géttlichen Funken geschlagen sind, Daf eine Theologie der Rettung des Hoffnungslosen sich an Benjamins Doktrin von der um der Hoffnungslosen willen gegebe- nen Hoffnung anschlieft, ist unschwer zu ersehen. Freilich verschrankt sich dieses messianisch-soteriologische Mo- tiv spater mit einem eher traditionell-,,gesetzlichen“ Motiv, dem Bilderverbot. Geschichtsphilosophie und Asthetik, Dialektik der Aufklarung und Negative Dialektik leben aus dem Spannungsver- haltnis eines restaurativ-utopischen Messianismus und einer nega- tivistischen Kritik alles Bestehenden um der rettenden Wahrheit willen, die, um iiberhaupt den geschichtlichen Verfallsprozef iiber- stehen zu kénnen, der Verhiillung — und das heif$t dem Bilderver- bot — anheimfallen mu&. Die verfallsgeschichtlichen Konstruktio- nen der Dialektik der Aufkldrung, die genau dem entsprechen, was Rabinbach als apokalyptischen Messianismus bezeichnete, lassen die seit dem Erscheinen des Buches nicht mehr verstummende Frage iibrig, was denn angesichts einer von triumphalem Unheil und uni- verseller Verblendung iiberschatteten Menschheit noch Rettung ver- heiGt, wenn jede Form der Praxis selbst von den Spuren des Ver- blendungszusammenhangs geschlagen ist. Neuere Kritiken dieser Position haben darauf verwiesen, da ein instrumentalistisch verengter Vernunftbegriff, der deren kommu- nikative Potenzen iibergeht, an diesem Dilemma schuld sei...172 Ur- sache dieser Verengung sei eine ungeniigende Reflexion auf die Seon a heift Intersubjektivitat der Vernunft. vate kalyptischer Weltsiche ne Zusammenhang zwischen on f einem unzureichend explizierten Ver nunftbegriff. Adornos Werk scheint jedoch vorrangig durch al Erfahrung gestérter Intersubjektivitat konstitui Be —eine fahrung, die kaum durch den Hinweis auf (j See bare) Prasuppositionen sprachlicher Intersubj % se eins jektivitat ruhigzustellen ‘ &e ei une Messianismus im Denken Adornos diirfte. Intersubjektivitat konnte fiir Adorno deshalb kei aus dem Dilemma einer verfallenen Welt sein, da doch gerade ver- letzte Intersubjektivitat, wenn schon nicht Ursache, so doch ent- scheidender Ausdruck des Unheils ist. Es scheint, als habe Adorno dem Gedanken miftraut, Erlésung ausgerechnet dort zu suchen, wo die Wunde am starksten klafft. Da Reziprozitat, anerkennende Liebe und Hingabe nicht mehr méglich sind, war fiir Adorno zwei- felsfreie GewiSheit. In einer erneuten Auseinandersetzung mit Kier- kegaard und dessen Lehre von der Liebe setzt sich Adorno mit dem Problem von Liebe (und das heiSt auch: Intersubjektivitit) und Er- lésung auseinander. In einer auf Englisch erschienenen Arbeit iiber Kierkegaards Doctrine of Love!?3 widmet sich Adorno dem Thema von Sozialitat und Mitmenschlichkeit bei Kierkegaard. Neben dem Nachweis, daf Kierkegaards Begriff selbstloser Liebe letzten Endes auf eine beziehungslose, asoziale Innerlichkeit Adorno sein besonderes Augenmerk auf Kie liche Lehre, da8 die vollkommene Liebe den dieser Lehre sieht er den addquaten Ausdrui Zustands menschlicher Beziehungen: ,,The paradox that the only true love is love for the dead is the perfect expression of our situa- tion.“174 Kierkegaards Ansicht, da& Gott der letzte Beistand der Sterbenden sei, wird von Adorno als verstellter Ausdruck wahrer Menschlichkeit gedeutet; Bilder einer unversehrten menschlichen Solidaritat sind ihm durchaus gelaufig. Mit Kierkegaard halt Ador- no an der Idee einer Erlésung der Ernsthaftigkeit der Ewigkeit zum Trotz fest: »The hope that Kierkegaard put against the ,seriousness of the eternal‘ is nothing but the hope of the reality of redemption.‘175 Die Frage nach der Méglichkeit und Wirklichkeit einer solchen Erlésung zu wahrer Humanitat, also nach der Sachhaltigkeit der Rede von der ,,Rettung der Hoffnungslosen“ wird seitdem das Mo- vens, die Unruhe theologischen Denkens bei Adorno sein. i In der Dialektik der Aufklarung, zumal in den Abschnitten iiber die ,Elemente des Antisemitismus“ versuchen sich Bloshemnescnd Adorno an einer geschichtsphilosophischen Deutung HS ie We nisses von Judentum und Christentum; pei en ag ete dentums gegeniiber den regressiven Ziigen eines verm: Gottes verteidigt wird: it Sohnes »Die Anke der Vaterreligion mene a es des gehaft als die, welche es besser paca EN eeniatey sich als Heil verhartenden Geistes gegen n Ausweg, hinauslauft, lenkt tkegaards eigentiim- Verstorbenen gilt. In ick des gegenwartigen 99 Theologie und Messianismus im Denken Adornos die christlichen Judenfeinde ist die Wahrheit, die dem Unheil stand- halt, ohne es zu rationalisieren und die Idee der unverdienten Selig. keit gegen Weltlauf und Heilsordnung festhilt, die sie angeblich be- wirken sollen. “176 Die Geschichtslosigkeit des Judentums, die Franz Rosenzweig als Einbruch des Ewigen in die Jetztzeit interpretierte, ersteht bei Hork- heimer und Adorno als Praxis eines verschnenden Gedachtnisses wieder, das noch in seiner rituellen Form einen Einspruch gegen die listige Unterwerfung der Natur darstellt: »Den Juden schien gelungen, worum das Christentum vergebens sich miihte: die Entmachtigung der Magie vermége ihrer eigenen Kraft, die als Gottesdienst sich wider sich selbst kehrt. Sie haben die Angleichung an Natur nicht sowohl ausgerottet als sie aufgehoben in den reinen Pflichten des Rituals. Damit haben sie ihr das versdh- nende Gedachtnis bewahrt, ohne durchs Symbol in Mythologie zuriickzufallen. “177 Das Unterpfand eines solchen Eingedenkens ist das Bilderverbot, das am Gedanken der Erlésung gerade deshalb festhalten kann, weil es strikt verbietet, sie auszumalen und vorzustellen. Nur dort, wo durch die Askese des Bilderverbots der Gedanke der Erlésung nicht an die Gegenwart beziehungsweise an eine lediglich als Ver- langerung der Gegenwart gedachte Zukunft verraten wird, besteht auch die Méglichkeit des rettenden Eingedenkens an die Opfer der Geschichte - bekommt der Gedanke einer ,,Rettung des Hoff- nungslosen“ einen Sinn. Die Autoren der Dialektik der Aufklarung interpretieren das Bilderverbot als ,,das Verbot, das Falsche als Gott anzurufen, das Endliche als das Unendliche, die Liige als Wahrheit. Das Unterpfand der Rettung liegt in der Abwendung von allem Glauben, der sich ihr unterschiebt, die Erkenntnis in der De- nunziation des Wahns. Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchfiihrung seines Verbots, “178 Auf diese Weise wird unnachsicht tige Ideologiekritik i Nach- folge Freuds und Marx’ zur Vorbedingung raaneeal auc voreili 6 i lung alles Sterblichen treibt ein pda eae a a auf den Gedanken der Erlésung verzichten Noch ce om cae - but an eine Affirmation der verfallenen Gegen gf eS E Se Tis eine Spannung, der sich nur noch durch Absa ae zollen will, in eine Flucht ins Mégliche standhalten lat. ae ans Wirkliche und Aphorismus der Minima moralia findet ith a beriihmten letzten mulierung eines gleichsam konjunktivistischen ee dBtanteste For- €ssianismus: 100 Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch yu verantworten ist, ware der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlésung aus sich darstellten. Erkennt- nis hat kein Licht, als das von der Erlésung her auf die Welt scheint: alles andere erschépft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein stiick Technik. Perspektiven miiSten hergestellt werden, in denen die Welt ahnlich sich versetzt, verfremdet, ihre Risse und Schriinde offenbart, wie sie einmal als bediirftig und entstellt im Messiani- schen Lichte daliegen wird, Ohne Willkiir und Gewalt, ganz aus der Fihlung mit den Gegenstanden heraus solche Perspektiven zu ge- winnen, darauf allein kommt es dem Denken an. Es ist das Aller- einfachste, weil der Zustand unabweisbar nach solcher Erkenntnis ruft, ja weil die vollendete Negativitit, einmal ganz ins Auge gefat, zur Spiegelschrift ihres Gegenteils zusammenschieft. Aber es ist auch das ganz Unmégliche, weil es einen Standort voraussetzt, der dem Bannkreis des Daseins, ware es auch nur um ein Winziges, ent- riickt ist, wahrend doch jede mégliche Erkenntnis nicht blo& dem, was ist, erst abgetrotzt werden mu, um verbindlich zu geraten, sondern eben darum selber auch mit dergleichen Entstelltheit und Bediirftigkeit geschlagen ist, der sie zu entrinnen vorhat. Je leiden- schaftlicher der Gedanke gegen sein Bedingtsein sich abdichtet um des Unbedingten willen, um so bewuBtloser, und damit verhangnis- voller, fallt er der Welt zu. Selbst seine eigene Unmoglichkeit mu& er noch begreifen um der Méglichkeit willen. Gegeniiber der Forde- rung, die damit an ihn ergeht, ist aber die Frage nach der Wirklich- keit oder Unwirklichkeit der Erlésung selber fast gleichgiiltig. “17? Dem Verfasser dieses Aphorismus scheint nur zweierlei gewifs zu sein: Wahre Erkenntnis ist nicht méglich, da sie des messianischen Lichts bediirfte, das noch nicht scheint - sowie: Dies messianische Licht!80 wird einmal scheinen! Woher riihrt aber dann die Kraft des Unterscheidens, die Méglichkeit zu wissen, da die gegenwartige Welt noch unerlést ist, wenn nicht einmal ein Vorschein, ein Vor- wissen von der Erlosung moglich ist? Eine Unterscheidung zwi- schen dem Glauben, es werde einmal das messianische Licht schei- nen, und dem stets falschen Wissen, wie es scheinen wiirde, kénnte diesen Widerspruch Jésen. Dann verbleibt aber immer noch die Frage nach der Quelle dieses Lichts, nach jenem Wozu“, von dem Adorno in seinem Brief an Horkheimer spricht. ; J »Kein Licht ist auf den Menschen und Dingen, in dem nicht Transzendenz widerschiene. Untilgbar am Widerstand gegen die fungible Welt des Tauschs ist der des Auges, das nicht will, da8 die 101 Theologie und M Farben der Welt zunichte werden. Im Schein verspricht sich das Scheinlose. “18! ; : . Die Quelle des Scheins der Erlosung scheint der Wille des Men- schen zu sein, es nicht bei der Trostlosigkeit einer unheilvollen Immanenz zu belassen. Die somatische Leidensfahigkeit der Men- schen und die Fahigkeit, sich erlittenen Unrechts zu erinnern, ware jene Instanz, die ansonsten das Thema von Theologie ist. Die Ver- zweiflung des menschlichen Bewuftseins alleine wird zum Anla& und Garanten jener Hoffnung, die wiederum der Verzweiflung wi- derstehen la&t: »BewuStsein kénnte gar nicht iiber das Grau verzweifeln, hegte es nicht den Begriff von einer verschiedenen Farbe, deren verspreng- te Spur im negativen Ganzen nicht fehlt. Stets stammt sie aus dem Vergangenen, Hoffnung aus ihrem Widerspiel, dem, was hinab muBte oder verurteilt ist; solche Deutung ware dem letzten Satz von Benjamins Text iiber die Wahlverwandtschaften, ,Nur um der Hoff- nungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben‘, wohl angemes- sen. “182 Die Frage, woher dem Bewu6tsein der Begriff eines anderen Zu- standes gegeben wird, scheint fiir den hedonistischen Materialisten Adorno nicht weiter interessant zu sein. Die Folie somatisch und psychisch erlittenen Leids und Unrechts scheint hierzu vollauf zu Sets ae an ee schlie8en sich hedonisti- zusammen — dieesnteees ieee oe ee Thesiie ti Sache THSGIOMIAINORGR ee eologie bleibt bestehen, wenn sie sich nicht gar Venken Adornas IV. Zur Deutung von Adornos theologischen Intentionen liegen im wesentlichen drei Interpretationsvorschlage vor: - als konsequent zu Ende gedachte negative Theologie; = als eine am subjektiven Leiden orientierte Variante biirgerlich- subjektivistischer Religiositat; nicht konsequent zu Ende gebrachte Form einer esoterischen Christologie. Theologische Argumentationsfiguren lassen sich danach unter- scheiden, ob sie sich vornehmlich mit Wesen und Willen Gottes in bezug auf die Menschen (thematischer Aspekt) oder aber mit der Bedeutung des Glaubens an Gott fiir die Menschen (funktionaler Aspekt) auseinandersetzen. In der Sprache der dialektischen Theologie der zwanziger Jahre ware dies zugleich die Unterscheidung von Theologie und Religion, wobei jede Religion — als Menschenwerk — einer theologischen Kri- tik zu unterziehen ist. Die systematische Schwierigkeit, die sich aus dieser Differenz ergibt, liegt in der Frage, wie die absolute Gottlich- keit Gottes beibehalten werden kann, ohne dariiber die Haupttat und zentrale Verheifung Gottes, namlich die Rechtfertigung und Erlésung der leidenden Siinder auf deren Wunsch nach Erlésung zu reduzieren. Das trinitarische Christentum mit seiner Lehre vom Mensch gewordenen Wort Gottes scheint hierauf eine Antwort zu geben, als in der Fleischwerdung des Wortes, in Kreuz und Aufer- weckung Offenbarung und Erldsung zusammenschiefen. Im Juden- tum, in dem die Offenbarung Gottes durch die Weisung vom Sinai und Erlésung als noch vorausliegende messianische, verhei&ene Zeit auseinandertreten, entsteht entsprechend weniger ein Vermitt- lungs- denn ein Tapesliconconion : et Herdi auch das Christentum vor einer — sog: . tach Warum ist der Weltlauf immer noch — und zunehmend mehr - von Unheil gepragt, wenn ore Mea und Auferweckung doch Offenbarung und Erlésung sich zuglei ae Adorno jedenfalls richteten sich genau gegen i =. izeefrage: " diese Lésung der Sone Momente, durch welche das Christen- »Aber kraft ber Racurreligion fortnimmt, bringt es die Idolatrie, tum den Bann nochmals hervor. Um soviel wie das Absolute dem als vergeistigtes " 103 — Theologie und Messianismus im Denken Adornos 7 Endlichen genihert wird, wird das Endliche verabsolutiert, Chri. stus, der fleischgewordene Geist, ist der vergottete Magier, Die menschliche Selbstreflexion im Absoluten, die Vermenschlichung Gottes durch Christus ist das proton pseudos. Der Fortschritt iiber das Judentum ist mit der Behauptung erkauft, der Mensch Jesus se; Gott gewesen. “183 Vor dem Hintergrund dieser gemeinsamen Deutung des Chri- stentums kann dann der mittlerweile nicht mehr atheistische Max Horkheimer den ganzen Adorno als negativen Theologen deuten, das heift als einen Denker, der die Verfallenheit und das Unheil der Welt als solche nur vor der Folie eines als ganz anders gedeuteten Gottes verstehen kann. Erst der Gedanke beziehungsweise der Glaube an Gott erméglicht es, der Verfallenheit der Welt als solcher inne zu werden, ohne da deswegen das Wesen Gottes selbst be- kannt ware — im Gegenteil! Erst die Anerkennung seiner absoluten Verhiilltheit erlaubt es, das Unheil der Welt in seinem ganzen Um- fang zu erkennen. In einem Gesprach zum Tode Adornos kenn- zeichnet Horkheimer, der eine Theologie eigenen Typs entwickelt hat,184 ihn ohne Umschweife als ,,negativen Theologen“: »Denken Sie etwa einfach daran, da man etwa fragt: Existiert Gott, und was la&t sich iiber ihn sagen? Dann wiirde er auf diese Frage geantwortet haben, und die Antwort wiirde den grofen Ge- danken der Vergangenheit entsprechen: Ich kann nicht einfach ant- worten, indem ich sage: Gott gibt es, und Gott ist gerecht, und Gott ist gut, weil er sowohl das Wort gerecht und gut wie das Wort Gott selber letzten Endes — wie er in der Negativen Dialektik erklart und wie es in der kritischen Theorie gedacht ist - gar nicht positiv for- mulieren kann, sondern nur durch das, was eigentlich nicht Gott ist. Trotzdem steckt in diesem Negativen die Bejahung eines ,anderen’, da man nur durch eben dieses Wort des ,anderen‘ bezeichnen kann. [...] Er hat immer von der Sehnsucht nach dem ,anderen‘ gespto- chen, ohne das Wort Himmel oder Ewigkeit oder Schénheit oder sonst was zu benutzen. Und ich glaube, das ist sogar das Grofartige an seiner Fragestellung, da8 er, indem er nach der Welt gefragt hat, leon Ends ds ander gem bt aber der Obercugung Wa C grei fen lat, ine lem man dieses andere beschreibt, sondern indem man die Welt, so wie sie ist, im Hinblick darauf, da& sie nicht das einzige ist, darstellt, nicht das einzige, wohi a re Gedanken zielen. [...] Ganz richtig, eine negatiye 7: Ue ss : ae . Bative Theol ber nicht negative Theologie in dem Sinn, da& es Go, eo OE dern in dem Sinn, daf er nicht darzustellen isdaaasy nicht gibt, son- 104 ow MD WICSANISIIUS HH LORKEH NECIOS Tatsachlich kann sich Horkheimers Deutung auf eine Reihe sehr deutlicher Belegstellen sowohl aus der Minima Moralia als auch aus der Negativen Dialektik stitzen.186 In allen Passagen geht es um ein Bild, wonach auf den versehrten Dingen ein Schein liegt, der auf das Scheinlose, selbst nicht Erkenn- bare zuriickweise. Dieses Scheinlose selbst kann noch nicht einmal gedacht, sondern allenfalls aus Spuren der Hoffnung, die in der Sprache selbst enthalten sind, erschlossen werden. Im Jahre 1939 war fiir Adorno die Verzweiflung das Tor der Er- kenntnis, die Verzweiflung iiber die Faktizitat einer Welt, die die Hille ware, ware sie auf immer so, wie sie beschrieben wird. ,,Auf der anderen Seite“ — so fahrt Adorno in einer Diskussion mit Hork- heimer fort - »habe ich aber auch keine Geheimlehre. Ich glaube aber, da die Art Blick, die ich habe, so ist, da& sie an den Dingen den Widerschein eben jener Lichtquelle findet, die nicht Gegenstand yon Intentionen und Gedanken sein kann. “187 Damit spricht sich die Kraft der versehrten Subjektivitat selbst das Vermégen zu, den Abglanz des Géttlichen als solchen zu erken- nen und damit jenes unerkennbar Gottliche indirekt zu bestimmen. Eben dieser ganz und gar subjektive Zugang zum ,,ganz ande- ren“ fihrt nach Koch und Kodalle!** dazu, Adornos Denken der Verséhnung als eine allerletzte Form biirgerlich-subjektivistischer Theologie zu kritisieren, die mit genuin theologischem Denken al- lenfalls noch spielt und sich bestenfalls mit Tolstoi auf eine besin- nungslose Nachfolge Christi beziehen kénne.'* Ansonsten schwan- ke Adorno zwischen einem unausgewiesenen Appell an die erlésende Kraft der Natur sowie einem Glauben an die Transzen- denz erlangende Kraft des Denkens. Ob diese Transzendenz als sei- end ausgewiesen oder nur als Fiktion ersehnt werden kann, gerate dann zum Schliisselproblem Negativer Dialektik. Fir Koch und Kodalle ist es der Widerspruch in Adornos Denken, namlich an je- nem Gedanken des transzendierenden Lichts festzuhalten und ihn gleichwohl an die Immanenz (des Subjekts) zu binden: also jene Verquickung von thematischem und funktionalem Aspekt theologi- schen Denkens, der zum ‘Ausgangspunkt fiir eine neue theologische Besinnun a konnte. Da dieser Widerspruch in Kochs und Lhe A i It, miissen sie Kodalles A: tation die entscheidende Rolle spielt, mii i ee doxe“ Interpretation derartiger Ge- Sich gegen eine ,adorno-ortho! i n. : danken entschieden ge s Interpretation bringt Schweppen- d Kodalle: é 1 ee Zug Adornos ins Spiel.'”° 105 - Theologie und Messianismus im Denken Adornos i st auratisches, gebrochenes, ist Schein ~ dey Seecectianes Geistes; der aus den geistlosen Schriinden dringt. Von oben, von andersher scheint es herunterzubrechen, wenn es das Antlitz der leidenden, der prekar sich freuenden Men. schen verklart. Aber es bricht aus ihrem Leiden, ihrem Prekaren Gliick hervor, bedeutet in ihm und in dem, was sie davon festhalten da& Leiden nicht sein soll. Es verspricht Erlésung, ohne sie ander, verbiirgen zu kénnen als im Versprechen.“191 Nur weil Koch und Kodalle ihrerseits einer Art (von Hegel be- lehrter) Immanenztheologie anhangen, kénnen sie Schweppenhiu- sers materialistische Interpretation Adornos so zuriickweisen, dag Adorno ~ bei aller Fragwiirdigkeit — gegen den Materialismus recht behalt. Andernfalls wiirde auch ihn mit voller Wucht jenes Urteil treffen, das sie tiber Schweppenhauser glauben fallen zu miissen: »Er rekurriert auf einen doxalen Selbstermachtigungsakt des subjektiven Denkens. Der Egoitat des Subjekts wird noch einmal die Kraft zugemutet und zugetraut (beides!), sich von dem Bann des Unheils und der Verblendung, den sie in der Intransigenz der Selbst- behauptung doch erwirkte, zu lésen. [...] Entgegen Schweppenhiu- sers Uberzeugung bekundet das seiner selbst innewerdende Leiden nicht ,von sich aus‘, ,da& es nicht sein will‘. Vielmehr reicht das wache Bewuftsein kraft seiner transzendentalen Struktur an das Leidfreie heran, hat es teil an der Idee des Gliicks, “192 Spatestens hier zeigt sich, da die Auseinandersetzung zwischen Koch und Kodalle, Schweppenhauser und Adorno (der sich an die- ser Auseinandersetzung nicht mehr beteiligen konnte) innerhalb der Engfiihrung biirgerlicher Religion gefiihrt wird, fiir die seit Schleiermacher typisch ist, ihren Ausgang vom Bewuftsein der Sub- jektivitat und eben nicht von Gottes Offenbarung zu nehmen. Indem Koch und Kodalle sich auf die transzendentale Struktur des BewuStseins als Bedingung fiir die Erfahrung von Glick und Frei- heit vom Leiden beziehen, ersetzen sie nur die kreatiirliche Erfah- rung des Leidens durch die Selbstreflexion des modernen Subjekts und verfallen dabei gerade jenem Pseudos, das sie Schweppenhauser Case auf der Basis des Selbstbewuftseins hatte i i i 1. entworfen; Religion war ihm zundachst ciate SE aca mrieeale angeborene Sinn und Ge- En fe fir das Unendliche!% und schlieBlich das BewuStsein ae Ey hinni er Abhangigkeit.'% Die systematische und genetische Se kms Subjektivitat und ihrer Erfahrung ist bei 4, dase 106 *eologie und Messianismus im Denken Adornos kaum weniger kons: ‘ ,neuzeitlichen bhietedtutaeh nil aa _ Schlelermacher und den dalle, Indem sie, wie Schleier- macher und Adorno, eine von der Offenbarung zuni a ace Religionsphilosophie betreiben, geht ihr Angriff innit —— sogar den radikalen und konsequenten Mate Galisrniiaimiehs = Beharren auf dem Leiden dem biblischen Zeugnis vom edges Gott und den ungliicklichen Menschen noch naher stehen als ie Ree die als Basis das transzendentale BewuStsein at. Immerhin ist an dieser Auseinandersetzung deutlich geworden, da& Adornos Theologie - eben auch — in die Tradition biirgerlicher Religionsphilosophie gehért, wenngleich sie diese biirgerliche Reli- gionsphilosophie darin dementiert, daf sie jede Erbaulichkeit und jeden Fortschrittsglauben zugunsten eines apokalyptischen Be- wutseins aufgegeben hat. Die messianischen Motive, mit denen Adorno im Umkreis Rosenzweigs und Benjamins bekannt wurde, werden von ihm einer negativistischen Subjektivitatsphilosophie anverwandelt, in der das Subjekt vom Konstrukteur der Welt zur Sonde ihres Unheils geworden ist. Franz Rosenzweigs unzweifelhaft existentialistisch geténte Religionsphilosophie ging demgegeniiber »subjektivistisch“ von der Angst vor dem Tode aus,!°5 von einer Theologie des Nichtwissens von Gott, um alsbald im Ja der Offen- barung vorlaufige Ruhe zu finden. Adorno, der weder eine Offenbarung erfahren noch das be- wahrende Vertrauen in die biblische Botschaft hatte (deshalb aus dem Bannkreis seiner Subjektivitit nicht heraustreten und daher Theologie nur noch ideologiekritisch angehen konnte), bleibt daher nur noch die Anstrengung, die Unméglichkeit des eigenen Denkens um der Méglichkeit der Erlésung willen zu denken - eine Méglich- keit, deren Verwirklichung in diesem Kontext beinahe gleichgiiltig wird. Am Ende steht daher das Paradox: ,, Wer an Gott glaubt, kann deshalb an ihn nicht glauben. Die Méglichkeit, fiir welche der g6tt- liche Name steht, wird festgehalten von dem, der nicht glaubt. “16 In duSerster Zuspitzung ist damit nichts anderes gesagt, als da es alleine eine bestimmte Form des menschlichen Denkens ist, von der die Méglichkeit Gottes, des ,ganz anderen“, abhangt. Ein Gott, der angesichts der Verzweiflung von einer Wirklichkeit zu einer Méglichkeit depotenziert und in dieser Méglichkeit alleine von der Askese ideolo: jekritischen Denkens bestimmt wird, ist, was er im- mace eee mehr der Gott ay ae ap ee sondemniden Gott der Philosophen; und zwar so, wie ihn ein 107 Theologie und Messianismus ft 7 on der Metaphysik ebenso Abschied genommen hat pertrophie des modernen BewuBtseins, in ihrem Beharren auf der Kraft subjektiver Erfahrung und negativen Denkens nicht anders erfassen kann. Ein Denken, dessen ganze Anstrengung dem Aufweis der negativen Folgen einer nicht iiber sich selbst belehrten Subjektivitat galt, mu am Ende, um sej- ner eigenen Erlésung willen, der Anmafung unterliegen, durch sein Denken der Méglichkeit Gottes den Weg zu bereiten. Wie angesichts dieser Ausgangslage der Gedanke einer ja eben- falls nur offenbarungstheologisch fa&baren Christologie in bezug auf Adornos Werk soll gefa&t werden kénnen, ist schwer einzuse- hen. Und doch hat sich Michael Theunissen nicht gescheut, gerade unter Bezug auf Adornos Negative Dialektik, auf eine solche Chri- sophie, die v wie von der Hy; alternativenlosen stologie anzuspielen: »Adorno hebt Metaphysik negativ und positiv zugleich auf, in- dem er sie, jedenfalls nach seinem Selbstverstandnis, als Ontologie verabschiedet und als Theologie in verwandelter Form fortfihrt. Mit anderen Worten: Im Gegenzug gegen den hegelianisierenden Marxismus im Stil von Lukdcs, der Totalitait ohne das Absolute wahren will, halt er am Absoluten ohne Totalitat fest. Das Absolu- te wird ihm zum Gegenteil des Ganzen, zu dem Kleinsten, als das es nur noch mikrologischer Untersuchung zuganglich ist. Dazu ist ja nach Adorno — und dieser Proze& ist Gegenstand seiner von Meta- physik getragenen Geschichtsphilosophie - das Absolute, zuriick- weichend vor dem Zugriff des Denkens, real geworden, nicht nur als der Widerschein der Transzendenz selber, die sich gleichsam punktualisiert hat, ,;wie wenn sie in einer aufersten Spitze iber allen Vermittlungen sich konzentrierte* (ND 392), sondern auch als der Widerschein der Transzendenz, der gerade aus dem ,Geringsten und Schabigsten‘ (ND 392) hervorleuchtet. So endet negative —— in einer Negativitatstheorie, die das Seinsollende von dem is was der Welt als das Nichtseinsollende gilt, vom Kafkaesken Ker 4 ae set. iber metaphysische Theolo- richt der Realitat*. Ihr rr ea me oe “dea . i s SiC 7 < a aaa verdient diese Unterpretation; die'vor- | ,,Christolog: unkt“ negativer Dialektik spricht, ichti i Fluchtp chtig genug von einem » ices ‘anti edi sie zweierlei behaupten kénnte: Das Absolute“ ist wirklich. ea tes enn sane das Absolute wirklich ist, dan? Lo pemaeeneee 3 on si ree und Schabigsten“ und sur »Gerins gie hinaus, Den Tite! nD Mag man auch noch die zweite Behauptung zugeben kénnen, da die Spuren und Zeichen des Absoluten und damit es selbst nicht mehr in den triumphalistischen Darstellungen eines metaphy- sischen Gottesbegriffs enthalten sind, sondern nur noch dort, wo angesichts von Leiden und Unheil Erlésung bezichungsweise der Gedanke an sie besonders dringlich zu sein scheint, so wird doch die erste Pramisse zunehmend fragwiirdig. Was soll unter diesen Bedingungen noch heifen, da das Absolute wirklich ist? Legt man die Elle einer negativen Theologie an, wie sie Horkheimer anstreb- te, so werden das Absolute und der Wunsch nach ihm miteinander identisch. Da& aber der Wunsch nach etwas und die Faktizitaét von etwas nicht miteinander identisch sind, entspricht der Regel der formalen Logik ebenso wie den Regeln unseres Sprachgebrauchs. Und da& der Wunsch nach Gott, interpretiert als das kreatiirliche Bediirfnis nach einem Ende des Leidens, letzten Endes das mensch- liche Bewuftsein zur Geburtsstatte und zur Ursache Gottes macht und damit in die Aporien biirgerlicher Religion fihrt, wurde oben dargelegt. Zu beheben ware dieses Dilemma nur dann, wenn der von Theu- nissen angefiihrte Begriff vom ,,Geringsten und Schabigsten“ auf die modalen Kategorien des Denkens selbst angelegt wiirde, wenn also in einer verantwortbaren Weise behauptet werden kénnte, da& das ,Mégliche“ geringer als das ,,Wirkliche*, der Wunsch nach einem besseren Leben schabiger als das bessere Leben selbst ist. Be- kanntlich hat es im Rahmen des Hegelmarxismus mindestens zwei Versuche gegeben, die Kategorie der Méglichkeit der Geschichts- philosophie zu imputieren, namlich bei Georg Lukacs, der von Max Weber die Kategorie der ,,objektiven Méglichkeit* entlehnt hat, und bei Ernst Bloch, der den Begriff des , Méglichen* im Begriff des »Noch-Nicht-Seienden® ontologisiert hat.1?* Wenn der Preis an Plausibilitat und Nachvollziehbarkeit fiir eine Ontologisierung von »Méglichkeit* zu hoch ist, sogar dann, wenn sie bei Adorno, an- ders als bei Bloch, nicht als das noch ausstehende Erlésende, son- dern als das schon existierende Absolute gesehen wird, das durch kompromi€loses Denken gerettet werden muf, der wird einer chri- 5 on Adornos nicht zustimmen kénnen. Wer stologischen Interpretation ™ ied sich die Mée- freilich bereit ist, diesen Prets zu zahlen, dem wird sich die te lich eee > zu behaupten, da& sich das Absolute in den eit eroffnen, 7 ch ihm zuriickgezogen hat, und damit An- Wunsch des Menschen "Christologie, sondern auch an die kabbali- Schlu8 nicht nur an ¢© iedrigenden Gott finden, dessen Funken Stische Lehre vom sich erm! 109 Theologie und Messianismus im Denken Adornos I nach dem Bruch der Gefafe in die Welt eingeschlossen wurden und durch das Handeln der Menschen aus ihrer Verbannung befrejt werden kénnen. Die Anwesenheit Gottes in der Welt, seine Schechj- nah, wird in dieser Lehre als Exil gefaft, dem nur die Menschen, hier solidarisch mit Gott, ein Ende setzen kénnen. Dieses solidari- sche Handeln der Menschen mit dem verbannten Gott bezeichnen die Kabbalisten als ,,Tikkun“, als ,,Wiederherstellung*. Gershom Scholem hat den Begriff des Tikkun fiir die lurianische Kabbala er- lautert: »Alles Tun des Menschen und speziell des jiidischen Menschen also ist im Grunde Arbeit am Prozef des Tikkun. In diesem Zusam- menhang wird dann begreiflich, da& der Messias fiir diesen kabba- listischen Mythos nurmehr die Rolle eines Symbols, eines Garanten der vollzogenen messianischen Restitution aller Dinge aus ihrem Exile hat. Denn es ist ja nicht die Tat des Messias als einer mit der besonderen Funktion der Erlésung beauftragten Person, der der Trager des Tikkun ware, sondern meine und deine Tat, die die Erl6- sung bringt. Die Geschichte der Menschheit in ihrem Exil ist also als ein in allen Riickschlagen doch stetiger Fortschritt gegen das messianische Ende verstanden. Die Erlésung tritt hier nun nicht mehr als eine Katastrophe ein, in der die Geschichte selbst ver- schwindet und ihr Ende hat, sondern als die logische Konsequenz eines Prozesses, bei dem wir alle Partner sind.“199 Diese optimistischen, beinahe fortschrittsglaubigen Momente der lurianischen Kabbala sind nach den Katastrophen des zwanzig- sten Jahrhunderts, zumal nach der industriellen Massenvernich- tung von Menschen durch den Nationalsozialismus, nicht langet einsichtig. Negative Dialektik ist, selbst wenn sie von einer Lehre vom sich erniedrigenden Gott ihre letzte Plausibilitat erhielte, vor allem Phi- losophie beziehungsweise Theologie nach Auschwitz. Vv. Adornos vom Messianismus der zwanzi, und an einer Logik des Zerfalls der biirgerlichen Kul d ihrer Kategorien interessiertes Denken erhielt in der Wi nf tur und il Z tionalsozislismus eine grauenhafte Bestatigung irklichkeit des Na die das eigene Werk nicht unberihrt lie, Ronhtey ra ee lorno noc] ‘ger Jahre mitbeeinfluftes 110 eine Messianismus im Denken Adornos nach Beginn des Zweiten Weltkrieges davon sprechen, da& Hoff- nung, die Hoffnung auf Utopie jene Lichtquelle sei, kenntnis erméglichen kénnte, aufgegeben werden: »Erstreckte einst das Bilderverbot sich auf die Nennung des Na- mens, so ist es in dieser Gestalt selbst der Superstition verdachtig geworden. Es hat sich verscharft. Hoffnung auch nur zu denken, frevelt an ihr und arbeitet ihr entgegen, “201 Nach Auschwitz wird der Tod selbst ein Moment von Adornos Philosophie,2°2 wird das Grauen der Lager, das schlimmer als der Tod war, unmittelbares Thema seines Denkens. Die Erfahrung von Hinfalligkeit, Schwache und Verganglichkeit, die Einsicht in die Kontingenz menschlicher Substanz lassen das Philosophieren kon- kret und anschaulich verzweifeln-ein Sinn kann all dem nicht mehr abgerungen werden; alle Versuche, Auschwitz einen Sinn winnen, miissen hilflos bleiben. Wie soll das Denken des beschadigten Lebens sich angesichts des Verbots von Hoffnung und der Erfahrung von der Sinnlosigkeit der industriellen Massenvernichtung auch nur in seiner eigensten Spha- re, im Weiterdenken behaupten? Adorno postuliert in letzter In- stanz einen nicht naher erlauterten — vorgeblich nicht-metaphysi- schen — Begriff von Wahrheit der alleine dem Tod widerstreitet: »Ware der Tod jenes Absolute, das die Philosophie positiv ver- gebens beschwor, so ist alles iiberhaupt nichts, auch jeder Gedanke ins Leere gedacht, keiner laSt mit Wahrheit sich denken. Denn es ist cin Moment von Wahrheit, da sie samt ihrem Zeitkern dauere; ohne alle Dauer ware keine, noch deren letzte Spur verschlange der absolute Tod. Seine Idee spottet des Denkens kaum weniger als die Unsterblichkeit, «203 sien So scheinen Wahrheit und Leben, Unwahrheit und Tod in einem internen Bedingungsverhaltnis zu stehen, genauer: snes ee aE da8 eine Behauptung oder ein Werk, wenn sie denn ee Be- ten, immer und iiberall wahr sind. Anders ist ein unve stiff von Wahrheit nicht zu dane aie Se ARN OIE RAD Wiederum — ein allerletztes Fae eee ieee eeehen sas figenen Schopf aus dem eae Denken stets auf Wahrheit hin aus- Kant ware die Feststellungs da die dem Denken immanenten Vor- Serichtet ist, eine Anan aan werden missen, gleichwohl 8aben, regulative ae Erkenntnis darstellen. Die Rreavonpdy Selbst keine wahrheits.* ‘der Behauptung verbiirgt noch lange nicht, tion von Wahrheit int) die wahre Er- 299 so muf auch dies nach Auschwitz abzuge- lll Theologie und Messianismus im Denken Adornos ™ g, der Gedanke tatsichlich wahr sind, ja gar iiberstehen, Nur weil Adorno trotz aller Be- teverungen nicht sorgfiltig zwischen der regulativen Idee der Wahr- heit, ihrer prisuppositionalen Funktion und ihrer metaphysischen, gleichsam platonischen Bedeutung unterscheidet, kann er in ihr einen letzten Einspruch gegen die Verzweiflung des Denkens erken- nen; nur deshalb scheint sich das Denken aufgrund seiner eigenen Bedingungen, seiner transzendentalen Struktur, dem erfahrenen Tod entziehen zu kénnen. Nach Auschwitz freilich scheint der Wunsch des Denkens nach Erldsung einer auch philosophischen Rehabilitation fahig, scheint die verlachte Annahme, da& der Wunsch der Vater des Gedankens, also von Wahrheit sei, einer Reformulierung und Restitution fahig. Indem das Denken sich seine eigene Bediirftigkeit eingesteht und sich somit seiner Immanenz und Stofflichkeit versichert, vermag es dem verlassenen und hilflosen Absoluten, das alleine Rettung ver- heift, solidarisch zur Seite zu treten. Dies ist der Gedanke der luria- nischen Kabbala — abziiglich ihrer geschichtsoptimistischen Inter- pretation. Die faktische Ineinssetzung von jener Wahrheit, nach der jedes Denken strebt, und jenem Absoluten, das dem Bediirfnis nach Erlosung Unterpfand sein kénnte, setzt den sensiblen Blick auf die Einzelheiten der Welt in seine soteriologische Funktion ein: »Die kleinsten innerweltlichen Ziige“ — so endet Adornos Nega- tive Dialektik — ,,hatten Relevanz fiirs Absolute, denn der mikrolo- gische Blick zertriimmert die Schalen des nach dem Maf des subsu- mierenden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten und sprengt seine Identitat, den Trug, es ware blo& Exemplar. Solches Denken ist s0- lidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes. “20 Nur Solidaritat mit dem unscheinbar gewordenen Absoluten scheint das Denken der Verzweiflung entreifen zy kénnen. Dieser aus der Not entsprungene Gedanke des Absoluten wird jedoch in ei- ner letzten Anstrengung dem theologischen ae eae soll nicht vergott ilder der lurianischen Kabbala let; schreibung eines Denkens guiepreMenvae i ny bree des Weltlaufs das Vertrauen in den Glauben oe ees aes - lichkeit von Offenbarung als ideologisch g Verloren hat, die Mog” her — beim besten Willen — den Namen Sec getee mute und da- dient. Sollte also nach den nationalsozial;, Theologie nicht vet Todesfabriken auch Theologie an ihr Ende istischen Greueln un! Ende — gekommen sein? Oder zeigt sich esi Ali £in unwiderrufliches h, da die Ablehnung daf die Behauptun, Anfalligkeit und Kritik Zugriff entzogen; auc! et werden, 205 womit die 112 + heologie und Messianismus im Denken Adornos der Vergottung der Immanenz und Kontingenz, also des ,,sich er- niedrigenden Gottes“ auf eine Wahrheit verweist, die der Verzweif- lung entzogen ist und es dem Denken erlaubt, weiterzudenken? Diese Wahrheit zu benennen, hat Adorno sich um ihrer selbst willen stets enthalten. Denn wie sollte sie angesichts des fiir bea stets giilti- gen Bilderverbots auch ausgesprochen werden kénnen? 113

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