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Hagen Mi, Jan 18th 2023, 11:56

Critical Philosophy of Race


Ein Reader
Herausgegeben
von Kristina Lepold und
Marina Martinez Mateo

Suhrkamp

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Sally Haslanger
Eine sozialkonstruktivistische Analyse von race

In der zeitgenössischen Welt wird der Ausdruck ›race‹1 sowohl in der


amerikanischen Populärkultur als auch in einer Vielzahl akademi-
scher Disziplinen gebraucht, und als Reaktion auf spezifische Erfor-
dernisse entwickeln sich seine Bedeutungen dort auf unterschied-
liche Weisen. Dieser Aufsatz bringt die philosophische Analyse für
die Debatte zwischen Genetiker:innen, Geisteswissenschaftler:in-
nen und Sozialwissenschaftler:innen über die Bedeutung des Aus-
drucks ›race‹ im Zeitalter des Genoms in Anschlag – eine Debatte,
die sich über unsere unmittelbaren Disziplinen hinaus und in die
Öffentlichkeit hinein erstreckt. Was sind die wirklichen Meinungs-
verschiedenheiten und was sind nur scheinbare Uneinigkeiten, die
auf die Verwendung unterschiedlicher Vokabulare zurückgehen?
Warum spielt es eine Rolle, welche der Positionen wir akzeptieren?
Welche Art von Belegen ist relevant dafür, zwischen den Behaup-
tungen zu entscheiden? Wie sollten wir bei einer Lösung der Kon-
troverse vorgehen? Bei der Beantwortung dieser Fragen entwickle
ich eine realistische, sozialkonstruktivistische Theorie von race. Ich
empfehle sie als eine Theorie, die den Bedeutungen von ›race‹ in
vielen gewöhnlichen Kontexten gerecht wird, und außerdem als
eine Theorie, die weithin geteilten antirassistischen Zielen dient.
Ich behaupte, dass uns in den Auseinandersetzungen über die
Bedeutung von ›race‹ im Zeitalter des Genoms besser gedient ist,
wenn wir von der metaphysischen/wissenschaftlichen Frage »Ist
race real?« zur politischen Frage »Welchen Begriff von race sollten
1 In diesem Aufsatz folge ich der philosophischen Konvention, zwischen dem Ge-
brauch und der Erwähnung eines Ausdrucks zu unterscheiden. Wenn ein Wort
erwähnt wird, d. h. wenn der Gegenstand das Wort oder der Begriff ist, und nicht
das, was das Wort oder der Begriff gewöhnlich bedeutet, wird es in einfache An-
führungszeichen gesetzt. ›Race‹ [und auf Deutsch ›Rasse‹; Anm. d. Ü. u. d. Hg.] in
einfachen Anführungszeichen bezieht sich auf das Wort selbst; ohne die Anfüh-
rungszeichen hat es die konventionelle Bedeutung. Doppelte Anführungszeichen
werden für das Zitat des Textes einer anderen Person verwendet oder als modalisie-
rende Anführungszeichen. Modalisierende Anführungszeichen deuten darauf hin,
dass die:der Autor:in sich von der Wahl des Begriffs distanziert und sich auf einen
bekannten, aber potenziell problematischen Gebrauch stützt.

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wir verwenden, um die antirassistischen Ziele zu erreichen, die wir
teilen?« übergehen. Um diese Frage zu beantworten, behaupte ich,
dass wir uns auch die Semantik des Ausdrucks ›race‹ im öffent-
lichen  – insbesondere nichtwissenschaftlichen – Diskurs ansehen
müssen, denn dieser populäre Begriff von race ist das, was wir
verwenden, um unsere Identitäten und unsere politischen Enga-
gements zu formulieren. Meine Argumentation beruht auf einer
Sichtweise von Sprache als einer kollektiven sozialen Praxis, anstatt
einer Menge von Ausdrücken, die von einer Autorität festgesetzt
werden. Dieser Sichtweise zufolge geht es nicht darum, ob Grup-
pen von Menschen – Expert:innen auf einem bestimmten Gebiet
oder Menschen in einem Stadtviertel – berechtigt sind, den Aus-
druck ›race‹ für die Unterteilungen zu gebrauchen, an denen sie in-
teressiert sind. Natürlich sind sie das: Es gibt keine »Sprachpolizei«,
und Menschen können sich Sprache für ihre eigenen Zwecke an-
eignen und sie umgestalten. Auf ähnliche Weise liegt die Bedeutung
von ›race‹ außerhalb der festgesetzten Bedeutung, die im Biologie-
labor gilt, nicht in der Verfügungsgewalt der:des Biolog:in.2 Ebenso
wie es keine Sprachpolizei gibt, um zu dem Urteil zu kommen, dass
die:der Biolog:in den Ausdruck ›race‹ fälschlicherweise auf eine be-
stimmte Art verwendet, so gibt es auch keine Sprachpolizei oder
gar eine Sprachgesetzgebung, um zu bestimmen, was ein Ausdruck
im öffentlichen Diskurs bedeutet. Sprache entwickelt sich auf kom-
plizierte und subtile Weisen. Daher mache ich geltend, dass jede:r,
die:der den Ausdruck ›race‹ im öffentlichen Leben verwendet, sich
auch seiner gewöhnlichen Bedeutungen bewusst sein sollte; und
wenn wir den Begriff von race ändern oder verfeinern wollen, soll-
ten wir uns bewusst sein, wo wir beginnen, sowie die normative
Basis dafür kennen, wohin wir uns bewegen wollen.

2 Man beachte, dass der Ausdruck ›race‹ [und der deutsche Ausdruck ›Rasse‹;
Anm. d. Ü. u. d. Hg.] nicht als biologischer Ausdruck entstand, sondern wahr-
scheinlich religiöse/metaphysische Ursprünge besitzt. – Vgl. George W. Stocking,
»The Turn-of-the-Century Concept of Race«, in: Modernism/Modernity 1 (1994),
S. 4-16.

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Eliminativismus, Konstruktivismus
und Naturalismus mit Blick auf race
Fragen mit Bezug darauf, was der Ausdruck ›race‹ bedeutet und ob
race real ist, sind mit verschiedenen politischen Zielen und Stra-
tegien zu ihrer Erreichung verknüpft worden.3 Eliminativist:innen
behaupten, dass die Rede von races oder Rassen nicht besser ist als
die Rede von Hexen oder Gespenstern, und um Gerechtigkeit zu
erreichen, sollten wir aufhören, uns an einer Fiktion zu beteiligen,
die dem Rassismus zugrunde liegt.4 Konstruktivist:innen behaupten,
dass races real sind, dass sie aber vielmehr gesellschaftliche als na-
türliche Gruppen sind; der konstruktivistischen Sichtweise zufolge
verlangt die Gerechtigkeit von uns, dass wir die Mechanismen der
Bildung von races erkennen, sodass wir den von ihnen verursachten
Schaden wiedergutmachen können.5 Die heutigen Naturalist:innen
stimmen mit den Eliminativist:innen und Konstruktivist:innen da-
rin überein, dass races oder Rassen nicht das sind, wofür sie einst
gehalten wurden – sie sind keine Gruppen mit einer gemeinsamen
»rassischen« Wesenheit, die ein breites Spektrum psychologischer
und moralischer Merkmale der Mitglieder der Gruppe erklärt –,
aber sie sind anderer Meinung als die beiden anderen Positionen,

3 Manchmal formuliere ich die Frage, ob race/Rasse real ist im Gegensatz zu der
Frage, ob races/Rassen existieren, weil die Debatte manchmal von denjenigen in
Verwirrung gebracht wird, die zwar einräumen wollen, dass races/Rassen existieren
(z. B. »im Kopf« oder »in der Gesellschaft«), aber dass sie nicht real sind. Wenn
races/Rassen nur im Kopf existieren, dann existieren sie meiner Ansicht nach nicht
(ebenso wie Menschen an Einhörner glauben können, ohne dass sie existieren);
und wenn races/Rassen in der Gesellschaft existieren, dann existieren sie, da soziale
Kategorien real sind. Aber um potenzielle Meinungsverschiedenheiten mit Bezug
darauf zu vermeiden, was es heißt zu sagen, dass etwas existiert, frage ich danach,
ob races/Rassen real sind.
4 Vgl. Kwame Anthony Appiah, »Race, Culture, Identity. Misunderstood connec-
tions«, in: Kwame Anthony Appiah, Amy Gutmann (Hg.), Color Conscious. The
Political Morality of Race, Princeton 1996, S. 30-105; Naomi Zack, Philosophy of
Science and Race, New York 2002.
5 Vgl. Michael Omi, Howard Winant, »Racial Formation«, in: Michael Omi, Ho-
ward Winant, Racial Formation in the United States, New York 1994, S. 53-76;
Charles W. Mills, The Racial Contract, Ithaca, NY 1997; Sally Haslanger, »Gen-
der and Race. (What) Are They? (What) Do We Want Them to Be?«, in: Sally
Haslanger, Resisting Reality. Social Construction and Social Critique, Oxford 2012,
S. 221-247.

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insofern sie behaupten, dass die menschliche Spezies auf der Grund-
lage natürlicher (biologischer, genetischer, physischer) Merkmale in
eine kleine Menge von Gruppen eingeteilt werden kann, die den
gewöhnlichen Unterteilungen in races oder Rassen entsprechen,6
und dass diese natürliche Unterteilung gesellschaftlich und poli-
tisch von Bedeutung ist für den Zweck der Erreichung von Gerech-
tigkeit, indem sie uns beispielsweise ermöglicht, auf die medizini-
schen Bedürfnisse unterschiedlicher races oder Rassen einzugehen.7
Obwohl die Entscheidung zwischen diesen Ansätzen mit Bezug
auf den Begriff von race manchen als »bloße Semantik« (im pe-
jorativen Sinn) erscheinen mag, spielt die Debatte eine Rolle bei
der Formulierung und Bewertung von Sozialpolitik. Betrachten wir
beispielsweise die Genehmigung von BiDil, einem Medikament
zur Behandlung von Herzversagen, für Schwarze8 Patient:innen
durch die FDA (Food and Drug Administration). Eliminativist:in-
nen, Naturalist:innen und Konstruktivist:innen verfolgen sehr un-
terschiedliche Ansätze gegenüber dieser Entscheidung. Wenn bei-
spielsweise, wie die Eliminativistin geltend macht, race oder Rasse
nicht real ist, dann ist die Genehmigung von BiDil für Schwarze
ebenso (un)gerechtfertigt wie die Genehmigung von BiDil für
Hexen. Die Kategorie Schwarzer ist der eliminativistischen Sicht-
weise zufolge eine Fiktion, die auf die Welt projiziert wird, und die
FDA hat einen gesellschaftlichen Schaden verursacht, indem sie die
Illusion verstärkt hat, dass die Kategorie wissenschaftlich begründet
ist. Im Gegensatz dazu könnte ein Naturalist die Handlung der
FDA unterstützen – oder wenn nicht in dem besonderen Fall von

6 Vgl. Philip Kitcher, »Race, Ethnicity, Biology, Culture«, in: Leonard Harris (Hg.),
Racism, New York 1999, S. 87-117; Robin O. Andreasen, »Race. Biological Reality
or Social Construct?«, in: Philosophy of Science 67 (2000), S. S653-S666; Noah
A. Rosenberg u. a., »Genetic Structure of Human Populations«, in: Science 298
(2002), S. 2381-2385; Joanna L. Mountain, Neil Risch, »Assessing Genetic Con-
tributions to Phenotypic Differences Among ›Racial‹ and ›Ethnic‹ Groups«, in:
Nature Genetics 36 (2004), S. S48-S53.
7 Vgl. Neil Risch u. a., »Categorization of Humans in Biomedical Research. Genes,
Race, and Disease«, in: Genome Biology 3 (2002), S. 2007.1-2007.12; Sandra Soo-Jin
Lee u. a., »The Meanings of ›Race‹ in the New Genomics. Implications for Health
Disparities Research«, in: Yale Journal of Health Policy, Law and Ethics 1 (2001),
S. 33-75.
8 In diesem Aufsatz werden Großbuchstaben für die Namen von races verwendet,
d. h. Schwarz und Weiß; Kleinbuchstaben werden für Farbausdrücke verwendet.

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BiDil, dann in einem ähnlichen Fall – mit dem Argument, dass
Kategorien von race oder Rasse biologische Kategorien abbilden,
die bedeutende gesundheitliche Folgen haben können und bei der
Entwicklung neuer Medikamente nicht ignoriert werden sollten.
Der Sichtweise des Naturalisten zufolge ist es für die FDA politisch
von Bedeutung, sich den biologischen Implikationen von race- oder
rassebasierten Unterschieden zuzuwenden, genauso wie es wichtig
ist, sich den biologischen Implikationen irgendwelcher anderer
genetischer Unterschiede, die medizinische Implikationen haben,
zuzuwenden; die realen Unterschiede zwischen den races oder Ras-
sen zu ignorieren wäre tatsächlich eine Form von Ungerechtigkeit.
Die Konstruktivistin würde dem Naturalisten darin widersprechen,
dass es natürliche Unterschiede zwischen races gibt, die eine unter-
schiedliche medizinische Behandlung rechtfertigen, könnte aber
einräumen, dass die sozialen Unterschiede, die auf race zurückge-
hen, bei der Entscheidung über einen Behandlungsverlauf oder die
Genehmigung eines Medikaments berücksichtigt werden müssen.
Obwohl sie mit der Ablehnung von races durch die Eliminativistin
nicht einverstanden wäre, hätte die Konstruktivistin Verständnis
für die Sorge der Eliminativistin, dass die FDA einen schädlichen
Glauben an die natürliche Grundlage für Kategorien von race ver-
stärkt hat. Aber wie sollten wir diese unterschiedlichen Positionen
beurteilen?

Natürliche und soziale Arten


Manche sind versucht, die Debatte zwischen Eliminativist:innen,
Konstruktivist:innen und Naturalist:innen als eine (in erster Linie)
metaphysische/wissenschaftliche Debatte über die Realität von race
anzusehen. Dieser Auffassung zufolge besteht die Frage darin, ob
races natürliche Arten sind. Eliminativist:innen und Naturalist:in-
nen stimmen darin überein, dass races, wenn es sie gibt, natürliche
Arten sind. Naturalist:innen meinen, dass races oder Rassen eine
natürliche Unterteilung von Menschen sind, also eine Untertei-
lung, die vollständig auf natürlichen Eigenschaften beruht; Eli-
minativist:innen bestreiten das. Konstruktivist:innen lehnen die
Behauptung ab, dass races natürliche Arten sind; sie räumen zwar
ein, dass races Arten sind, meinen aber, dass die Unterteilung zu-
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mindest zum Teil auf sozialen Eigenschaften der fraglichen Entitä-
ten beruht (auf eine bestimmte Weise angesehen und behandelt zu
werden, eine bestimmte gesellschaftliche Rolle zu spielen etc.). Das
erfordert, dass man soziale Arten als ebenso real versteht wie na-
türliche Arten (siehe Tabelle 1). Dabei gibt es semantische Fragen:
Was bedeutet ›race‹? Gehört es zur Bedeutung von ›race‹, dass races
natürliche Arten sind? Es gibt wissenschaftliche/metaphysische Fra-
gen: Ist race real? Existieren races? Und es gibt moralische/politische
Fragen: Wie sollten wir als Nation das Problem der race-basierten
Ungerechtigkeit angehen?
Aristoteles zufolge wird der Ausdruck ›Art‹ manchmal benutzt,
um die Klassifikation von Objekten anhand ihres Wesens zu erfassen.
Dieser Ansicht nach sind Objekte – echte Objekte im Gegensatz
zu Haufen oder eigenartigen, verstreuten Stücken und Teilen von
Dingen – unverwechselbar, weil sie ein Wesen haben. Der Rosen-
strauch in meinem Garten ist ein Objekt aufgrund seines Rosenwe-
sens; die Ansammlung von Blüten, Blättern, Schmutz, Steinchen,
Kaugummiverpackungen und Dünger darunter ist kein Objekt,
das ein Wesen besitzt. Das Wesen des Individuums ist (grob gesagt)
jene Menge von Eigenschaften, ohne die das Objekt nicht existie-
ren kann und die für Erklärungen des charakteristischen Verhaltens
des Objekts wichtig sind.
Tabelle 1: Quellen der Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung
Eliminativismus Konstruktivismus Naturalismus
Ist race eine Ja Nein Ja
natürliche Kategorie?
Ist race real? Nein Ja Ja

Sind races aristotelische Arten? Herkömmliche Theoretiker:innen


von race würden wahrscheinlich denken, dass sie das sind:9 Weiße
und Schwarze haben unterschiedliche Naturen, die ihre charakte-
ristischen Verhaltensweisen erklären, und diese Natur ist wesent-
lich dafür, wer sie sind. Diese Auffassung ist jedoch zum heutigen
Zeitpunkt nicht mehr glaubwürdig. Es wäre unplausibel zu be-
haupten, dass ein Individuum nicht als Angehöriger einer anderen

9 Vgl. Kwame Anthony Appiah, »Illusions of Race«, in: ders., In My Father’s House.
Africa in the Philosophy of Culture, New York 1993, S. 28-46.

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race hätte existieren können. Tatsächlich können Menschen von
den Vereinigten Staaten nach Brasilien reisen und gesellschaftlich
als Angehörige einer anderen race fungieren; und so oberflächliche
Merkmale wie Hautfarbe, Haartextur und Augenform sind eindeu-
tig nicht wesentlich (auch sie können durch chemische Stoffe und
chirurgische Eingriffe verändert werden). Wenn man meint, dass
man die eigene genetische Konstitution notwendig besitzt (etwas,
das nur einen geringen Unterschied zu Ihrer genetischen Konstitu-
tion aufwiese, wäre nicht mehr identisch mit Ihnen), dann könnte
man vielleicht ein Argument für die Behauptung entwickeln, dass
man kein Angehöriger einer anderen race hätte sein können. Aber
von Wesenheiten wird erwartet, dass sie reichhaltige explanatori-
sche Ressourcen für die Erklärung des charakteristischen Verhaltens
des Individuums sind, und es gibt keine Grundlage für die Idee,
dass es »rassische« Wesenheiten dieser Art gibt.
Locke hat eine andere Auffassung von Arten als Aristoteles. Für
ihn sind Arten zwar in hohem Maß einheitlich, aber nicht auf-
grund der Wesenheiten ihrer Vertreter:innen. So bilden beispiels-
weise rote Dinge eine Art (ihre Einheit besteht darin, dass sie alle
rot sind), auch wenn Röte nur selten eine wesentliche Eigenschaft
der Dinge ist, die sie besitzen. Der lockeschen Auffassung zufol-
ge ist der wichtigste Gegensatz, den man berücksichtigen muss,
der zwischen »realen« und »nominellen« Arten. Reale Arten sind
diejenigen Typen, die durch Eigenschaften vereinheitlicht werden,
die eine grundlegende Rolle in der Kausalstruktur der Welt und
idealerweise auch in unseren Erklärungen spielen. Nominelle Ar-
ten sind Typen, die durch Eigenschaften vereinheitlicht werden,
die für uns zufällig nützlich oder interessant sind. Ob es reale Arten
gibt, die den nominellen Arten entsprechen (und zugrunde liegen),
die wir herausgreifen, ist eine offene Frage. Dieser Ansicht zufolge
haben Begriffe oder Eigenschaften (und im Gegensatz zu Aristoteles
nicht Individuen) Wesenheiten.
Sind races lockesche Arten? Können wir notwendige und hin-
reichende Bedingungen für die Mitgliedschaft in einer bestimmten
race angeben? Diese Frage eröffnet tatsächlich eine lange Debatte
zwischen Realist:innen und Nominalist:innen, auf die wir (zum
Glück!) nicht eingehen müssen, nämlich im Hinblick auf die Fra-
ge, ob man je notwendige und hinreichende Bedingungen für die
Zugehörigkeit zu einer Art angeben kann. Wenn unser Ziel darin
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besteht, unseren vortheoretischen Urteilen über die Zugehörigkeit
zu einer bestimmten race gerecht zu werden, dann gibt es Gründe,
um daran zu zweifeln, ob races im erforderlichen Sinne definier-
bar sind. Wenn wir jedoch eine Definition entweder als nominelles
Wesen festsetzen, um eine Gruppe von Dingen herauszugreifen, an
denen wir interessiert sind, oder indem wir explanatorische Kate-
gorien als Teil eines theoretischen Projekts postulieren, dann wird
die Definition die lockesche Wesenheit der Art angeben.
Man beachte, dass sowohl nach der lockeschen als auch nach
der aristotelischen Auffassung Arten oder Typen entweder sozial
oder natürlich sein können. Typen sind natürlich, wenn die Eigen-
schaften, die ihre Einheit konstituieren, natürlich sind, und sozial,
wenn die Eigenschaften sozial sind. Es ist bekanntlich schwierig,
die Unterscheidung zwischen natürlichen und sozialen Eigenschaf-
ten (und Relationen) zu charakterisieren, aber für unsere Zwecke
könnten wir die natürlichen Eigenschaften von Dingen als die-
jenigen annehmen, die von den Naturwissenschaften untersucht
werden, und die sozialen Eigenschaften als diejenigen, die von den
Sozialwissenschaften untersucht werden. Daher ist die Menge der
Quarks ein natürlicher Typ und die Menge von Adoptivfamilien
ein sozialer Typ. Es ist plausibel anzunehmen, dass es einen gewissen
Grad von Einheit bei den Angehörigen einer race gibt. Beispielswei-
se könnte man ein Cluster von körperlichen, historischen, soziolo-
gischen Eigenschaften anführen, die mit jeder race verbunden sind,
sodass die Angehörigen der race eine gewichtete Teilmenge dieser
Eigenschaften gemein haben. Wenn die Realität einer Kategorie
darin besteht, eine Menge herauszugreifen, deren Mitglieder eine
bestimmte lockere Verbindung untereinander haben, dann gibt es
einen Sinn, dem zufolge races nach jeder nichtleeren Deutung von
race real sind. Ein objektiver Typ in diesem Sinne zu sein erfordert
sehr wenig.

Können »Tatsachen« die Frage entscheiden?


Manche mögen die Antwort verlockend finden, dass wir uns zur
Lösung dieses Problems einfach nur die Tatsachen ansehen müssen:
Entweder es gibt races oder es gibt keine; entweder sind races sozial
oder nicht. Ein bedeutendes Problem dieses Ansatzes besteht darin,
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dass wir nur dann bestimmen können, ob es »wirklich« races gibt,
wenn der Ausdruck ›race‹ eine klar bestimmte Bedeutung hat; und
seine Bedeutung – zumindest für die vorliegenden Zwecke – ist Teil
des Problems. Betrachten wir ein anderes Beispiel. Angenommen,
wir fragen »Welcher Prozentsatz der US-amerikanischen Bevölke-
rung bezieht Sozialhilfe?« Nun, das hängt davon ab, was man mit
›Sozialhilfe‹ meint. Berücksichtigen wir nur diejenigen, die TANF
(Temporary Assistance for Needy Families [zeitlich befristete Hilfe
für bedürftige Familien], der Nachfolger der früher üblichen So-
zialhilfe) beziehen? Oder berücksichtigen wir auch diejenigen, die
Sozialversicherungsleistungen empfangen? Wie steht es mit »Unter-
nehmenssozialhilfe« in Form von Steuererleichterungen? Genauso,
wenn wir fragen: »Ist race real?« Nun, das hängt eben davon ab, was
man mit ›race‹ meint.
Das heißt nicht, dass die Kontroverse sich auflöst, sobald wir
unsere festgesetzten Definitionen klären. Wenn ich behaupte, dass
99 Prozent der US-amerikanischen Bevölkerung Sozialhilfe bezieht,
dann verwende ich vermutlich eine unkonventionelle Definition
von ›Sozialhilfe‹. Um meine Behauptung zu rechtfertigen, würde es
nicht ausreichen zu sagen, dass ich relativ zu meinen Bedeutungen
eine Wahrheit geäußert habe, wenn meine Bedeutung von ›Sozial-
hilfe‹ idiosynkratisch ist und nicht zur Sache gehört. Aber es mag
auch sein, dass das, was ich sage, wahr und besonders nützlich im
Kontext der Debatte ist, an der ich mich beteilige. In einem solchen
Fall läge die Aufgabe der Rechtfertigung darin zu zeigen, dass meine
Definition von ›Sozialhilfe‹ das, was für die vorliegenden Zwecke
wichtig ist, besser darstellt.10
Der Grund, warum Tatsachen die Frage nicht entscheiden, liegt
darin, dass die einfache Feststellung, dass es mit Bezug auf etwas
Tatsachen gibt, nicht zugleich auch beweist, dass es sich um eine
bedeutende oder relevante Tatsache für die vorliegenden Zwecke
handelt. Angenommen, ich sage, dass ich den Ausdruck ›Weißer‹
für alle und nur für die verwende, die blonde Haare haben. Weiße
sind dann eine natürliche Art. Wenden wir uns nun dem öffent-
lichen Kontext zu, in dem wir beispielsweise die Förderung von
Minderheiten erörtern. Wenn ich behaupte, dass Nicht-Weiße auf-

10 Vgl. Elizabeth Anderson, »Knowledge, Human Interests, and Objectivity in Fe-


minist Epistemology«, in: Philosophical Topics 23 (1995), S. 27-58.

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grund der historischen Ungerechtigkeit eine bevorzugte Behand-
lung genießen sollten, klingt meine Behauptung zwar vertraut, aber
die Kategorie, die ich verwende, ist nicht die am besten geeignete,
um die Gerechtigkeit der Förderung von Minderheiten zu erwä-
gen. Die Tatsache, dass ›Weißer‹, so wie ich den Ausdruck definiert
habe, eine wirkliche Art erfasst, auch wenn sie mit der Wahrheit
verknüpft wird, dass (manche) Nicht-Weiße ungerecht behandelt
wurden, bringt die Debatte nicht zweckdienlich weiter, weil ich
zur Behandlung des Problems Kategorien gewählt habe, die für die
Aufgabe ungeeignet sind.11 Die Wahrheit allein macht uns nicht
frei; es gibt zu viele irrelevante und irreführende Wahrheiten. Die
Auswahl von Wahrheiten muss – allermindestens – aufschlussreich
und umsichtig sein.

Lektionen aus der Sprachphilosophie


Daher sieht es so aus, als müsse der nächste Schritt in unserer Un-
tersuchung darin bestehen zu entscheiden, was der Ausdruck ›race‹
bedeutet. Wie schon erwähnt, braucht er nicht nur eine einzige
Bedeutung zu haben. Aber für den Zweck der Beteiligung an einer
Diskussion über Dinge, die die biologische Erforschung von races
betreffen, wäre es hilfreich, ein gemeinsames Verständnis von ›race‹
zu haben. Und um das zu erreichen, sollten wir ein Gefühl dafür
bekommen, was der Alltagsbegriff von race ist. Der Grund dafür
ist nicht, dass ich glaube, dass wir den Alltagsbegriff als die wahre
Bedeutung honorieren sollten, sondern, dass es in jedem Kontext,
in dem die Verständigung schwierig ist, nützlich ist, die miteinan-
der konkurrierenden, zur Debatte stehenden Bedeutungen zu ver-
stehen. Wenn es ein sozial vorherrschendes Verständnis von ›race‹
gibt, dann sollten wir wissen, worin es besteht, auch wenn wir eine
Änderung des Begriffs anstreben.
Das deutet darauf hin, dass wir nicht einfach nur semantische
Meinungsverschiedenheiten auflösen müssen, um in der Debatte
weiterzukommen. Wir müssen uns unsere Zwecke genauer ansehen
und die Art und Weise, wie wir sie erreichen könnten: Sollten wir
als Biolog:innen, Sozialwissenschaftler:innen, Gelehrte, Bürger:in-

11 Vgl. ebd.

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nen und als Menschen, denen an sozialer Gerechtigkeit gelegen ist,
unseren Dialog – unsere Narrative der Erklärung, Rechtfertigung
und Gerechtigkeit – in Begriffen von race formulieren? Und wenn
ja, welchen Begriff von race sollten wir verwenden? Diese Fragen
lassen sich weiter aufschlüsseln:
– Gibt es gegenwärtig eine einzige oder vorherrschende öffentliche
Bedeutung (oder einen Alltagsbegriff ) von ›race‹? Wenn ja, wo-
rin besteht sie (oder was sind die anderen Kandidaten)?
– Brauchen wir den Begriff von race beim Streben nach sozialer
Gerechtigkeit, beispielsweise bei der Erörterung von Gesund-
heitspolitik? Zu welchen Zwecken? Wenn ja, können wir uns
mit dem Alltagsbegriff begnügen, oder sollten wir diesen Begriff
modifizieren?
– Wenn der Alltagsbegriff von race kein angemessenes Werkzeug
zur Erreichung von sozialer Gerechtigkeit ist (wenn er vielleicht
sogar ein Hindernis dafür ist), wie sollten wir dann vorgehen?
Im Folgenden werde ich nahelegen, dass eine Antwort insbeson-
dere auf die erste Frage nicht unkompliziert ist; doch wenn wir in
einem öffentlichen Kontext sinnvoll sprechen wollen, müssen wir
die Kraft und Implikationen unserer Worte in diesem Kontext er-
kennen. In der Wissenschaft ist es gang und gäbe, Ausdrücke auf
alle möglichen Weisen, die der betreffenden Theorie angemessen
sind, zu definieren oder umzudefinieren (zum Beispiel. ›Atom‹,
›Masse‹, ›Energie‹, ›Zelle‹), ohne sich groß um die gewöhnlichen
Bedeutungen dieser Ausdrücke oder um die politische Tragweite
der Festsetzung neuer Bedeutungen zu kümmern. Aber man kann
der:dem Biolog:in keine semantische Autorität bei der Erwägung
eines Ausdrucks wie ›race‹ zugestehen, der eine solche wichtige Rol-
le in unserem Selbstverständnis und politischen Leben spielt.
Wenn wir eine Begriffsanalyse von beispielsweise Fheit (in unse-
rem Fall könnte Fheit ›Schwarzheit‹, ›Weißheit‹, ›Asiatischheit‹ oder
die breitere Kategorie ›race‹ sein) vornehmen, dann wird typischer-
weise angenommen, dass es genügt, kompetente Sprecher:innen
des Deutschen zu fragen, unter welchen Bedingungen jemand F
ist. Wenn kompetente Sprecher:innen die Bedeutung ihrer Aus-
drücke kennen, dann braucht man schließlich nur Sprachkom-
petenz, um sie zu analysieren. Dieser Standpunkt ist jedoch nicht
plausibel, wenn man Argumente aus der Sprachphilosophie der
letzten 30 Jahre berücksichtigt, die die Annahme in Frage stellen,
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dass kompetente Benutzer:innen eines Ausdrucks ein vollständiges
Wissen darüber haben, was der Ausdruck bedeutet. Diese Annah-
me wird insbesondere durch die Tradition des semantischen Exter-
nalismus in Frage gestellt. Externalist:innen behaupten, dass der
Inhalt dessen, was wir denken und meinen, nicht einfach durch
das, was wir denken oder intendieren, bestimmt ist, sondern zu-
mindest auch teilweise durch Tatsachen, die unsere soziale und
natürliche Umgebung betreffen. Man kann zum Beispiel den Aus-
druck ›Wasser‹ kompetent verwenden, ohne zu wissen, dass Wasser
H2O ist; man kann den Ausdruck ›Ulme‹ sinnvoll verwenden, auch
wenn man den Unterschied zwischen einer Buche und einer Ulme
nicht zu sagen weiß. Wenn ich sage, »Ulmen werfen ihr Laub ab«,
sage ich etwas Sinnvolles und Wahres, auch wenn ich eine Ulme
nicht identifizieren oder keine deutliche Beschreibung von einer
solchen geben kann. Die:der Externalist:in behauptet, dass diese
Art von Fällen auf zwei Merkmale der Sprache hinweisen, die das
herkömmliche Bild ignoriert hat: den Magnetismus der Referenz und
die sprachliche Arbeitsteilung. Diese Ideen lassen sich ganz grob fol-
gendermaßen ausdrücken:
Der Magnetismus der Referenz:12 Typen-Begriffe (wie allgemeine Substan-
tive) greifen einen Typ heraus, ob wir das Wesen des Typs formulieren
können oder nicht, und zwar aufgrund der Tatsache, dass ihre Bedeutung
durch eine Auswahl von Paradigmen zusammen mit einer impliziten Aus-
weitung der eigenen Bezugnahme auf Dinge desselben Typs wie die Para-
digmen bestimmt wird. Angenommen, die Marketingabteilung und die
Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Spielzeugherstellers haben
ein Meeting. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung hat eine neue
»weiche, dehnbare Substanz, die sich in nahezu jede Form bringen lässt«,
hergestellt, und präsentiert eine Probe. Der Marketingleiter zeigt auf diese
Probe und sagt: »Nennen wir dieses Zeug ›Schwaum‹.« Bingo. ›Schwaum‹
bezieht sich jetzt auf eine ganze Art von Zeug, wovon ein Teil noch nicht
hergestellt wurde und dessen Bestandteile völlig rätselhaft sind. Was für
Zeug? Vermutlich bezieht sich ›Schwaum‹ auf den einheitlichsten objek-
tiven Typ, von dem das Muster ein paradigmatisches Exemplar ist. Dieses
Beispiel ist zwar künstlich, aber das Phänomen des Referenzmagnetismus
ist allgegenwärtig.

12 Vgl. Hilary Putnam, »Meaning and Reference«, in: The Journal of Philosophy 70
(1973), S. 699-711; Hilary Putnam, Die Bedeutung von »Bedeutung«, Frankfurt/M.
2004; Saul A. Kripke, Name und Notwendigkeit, Frankfurt/M. 2005.

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Die sprachliche Arbeitsteilung:13 Die Bedeutung eines Ausdrucks, der von
einer:einem Sprecher:in benutzt wird, wird zumindest zum Teil durch den
sprachlichen Gebrauch in seiner Gemeinschaft bestimmt, einschließlich,
wenn nötig, des Expert:innengebrauchs. Vor der Erfindung der Chemie
benutzten Menschen beispielsweise den Ausdruck ›Wasser‹, um auf H2O
Bezug zu nehmen, weil die Art H2O ein »Referenzmagnet« für ihren Aus-
druck war. In Fällen jedoch, in denen man nicht einmal ein Paradigma
vorweisen kann, zum Beispiel wenn ich den Unterschied zwischen einer
Ulme und einer Buche nicht angeben kann, erhält meine Verwendung
des Ausdrucks ›Ulme‹ ihre Bedeutung nicht von meinen Paradigmen, son-
dern von der sprachlichen Arbeit anderer in meiner Gemeinschaft, unter
anderen von Botaniker:innen. Die sprachliche Arbeitsteilung kann auch
eine wichtige Rolle spielen, wenn ich idiosynkratische Paradigmen habe.
Die Grundidee ist, dass das, was ich meine, wenn ich einen Ausdruck wie
›Ulme‹ oder ›Arthritis‹ verwende, nicht nur davon abhängt, was in meinem
Kopf ist, sondern von einem Prozess bestimmt wird, der andere aus meiner
Sprachgemeinschaft einbezieht.
Meist wurden externalistische Analysen benutzt, um naturalistische
Auffassungen von Erkenntnis, Geist und so weiter zu entwickeln;
diese versuchen, die natürliche (nichtsoziale) Art zu entdecken,
zu der die ausgewählten Paradigmen gehören. Es ist jedoch auch
möglich, einen externalistischen Ansatz innerhalb eines sozialen
Bereichs zu verfolgen, solange man zugesteht, dass es soziale Arten
oder Typen gibt wie beispielsweise ›Demokratie‹ und ›Völkermord‹
oder ethische Ausdrücke wie ›Verantwortung‹ und ›Autonomie‹.
Natürlich lässt sich eine externalistische Analyse eines sozialen
Ausdrucks nicht mechanisch durchführen, und sie mag auch eine
raffinierte Gesellschaftstheorie erfordern, und zwar sowohl, um die
Paradigmen auszuwählen, als auch, um ihre Gemeinsamkeit zu
analysieren. Es mag eine raffinierte Gesellschaftstheorie erfordern,
um zu bestimmen, was ›Elternteil‹ oder ›Schwarzer‹ bedeutet. Bei
einem externalistischen Projekt sollten Intuitionen mit Bezug auf
die Anwendungsbedingungen des Begriffs als zweitrangig gegen-
über dem betrachtet werden, was die Fälle tatsächlich gemein ha-
ben: In dem Maße, in dem wir mehr über die Paradigmen erfahren,
erfahren wir auch mehr über unsere Begriffe.

13 Vgl. Putnam, Die Bedeutung von »Bedeutung«; Tyler Burge, »Individualism and
the Mental«, in: Midwest Studies in Philosophy 4 (1979), S. 73-121.

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Ist race eine Fiktion?


Wenn wir Bedeutungsexternalist:innen sind – der Ansatz, den ich
empfehle –, dann ist der Eliminativist in einer sehr schwachen Posi-
tion. Wir können alle getrost Angehörige unterschiedlicher races
identifizieren: Martin Luther King, Nelson Mandela, Malcolm X,
Toni Morrison, Oprah Winfrey, W. E. B. Du Bois, Kofi Annan,
Thabo Mbeki (fügen Sie hier wahlweise noch Freund:innen und
Verwandte hinzu) sind Schwarz. George Bush, Arnold Schwarzen-
egger, Margaret Thatcher, Golda Meir, Bertrand Russell, Vincent
van Gogh (fügen Sie hier wahlweise noch Freund:innen und Ver-
wandter hinzu) sind Weiß. Ähnliche Listen lassen sich für Asiat:in-
nen, Latin:as und andere Gruppen bilden, die gewöhnlich als races
betrachtet werden. Aber wenn das der Fall ist, dann greifen die
Ausdrücke ›Schwarze‹ und ›Weiße‹ den am besten passenden und
einheitlichsten objektiven Typ heraus, von dem die Mitglieder der
Liste Paradigmen sind – auch wenn ich den Typ nicht beschrei-
ben kann oder meine Überzeugungen mit Bezug darauf, was die
Paradigmen gemein haben, falsch sind. Worin dieser Typ besteht,
ist noch nicht klar. Aber angesichts dessen, wie schwach die ein-
schränkenden Bedingungen für einen objektiven Typ sind, gibt es
zweifellos einen solchen. Der Ausdruck ›race‹ greift folglich den all-
gemeineren Typ oder die Kategorie heraus, relativ zu dem (zu der)
›Schwarze‹, ›Weiße‹ und so weiter Untertypen sind.
Ich glaube, dass diese Überlegungen zur Bedeutung zeigen, dass
der Eliminativismus der falsche Ansatz ist, um die öffentliche oder
Alltagsbedeutung von ›race‹ zu verstehen. Damit kompatibel ist das
Bestreben, dass wir daran arbeiten sollten, die öffentliche Bedeu-
tung von ›race‹ in Übereinstimmung mit der eliminativistischen
Strategie zu verändern, sodass deutlich wird, dass die Begriffe von
race leer sind. Mit anderen Worten, der Eliminativismus kann im-
mer noch ein Ziel sein, das man anvisieren sollte. Aber wie die
Dinge jetzt stehen, ist race etwas, das wir in den Gesichtern und
Körpern anderer sehen; wir sind umgeben von Fällen, die für uns
wie Paradigmen fungieren und unsere Bedeutungen begründen.
Der Vorschlag der:des Eliminativist:in, dass »unser« Begriff von race
leer ist, wird nicht gestützt durch die Beobachtung, dass wir dazu
neigen, uns races als natürliche Arten vorzustellen, weil die Bedeu-
tung von ›race‹ nicht einfach durch das bestimmt ist, was unserer
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Meinung nach races sind. Das eliminativistische Projekt muss also
überdacht werden.

Race als soziale Art


Jüngere Arbeiten in der Genetik und Biologie führen mich zu der
Überzeugung, dass es keine sehr einheitlichen natürlichen Typen
gibt, die gute Kandidaten für die Referenz von Begriffen von race
sind, wobei die Referenz dieser Ausdrücke durch allgemein akzep-
tierbare Paradigmen jeder race/Rasse fixiert wird.14 Was »wir« im
öffentlichen Diskurs als race bezeichnen, ist keine natürliche oder
genetische Kategorie. Vielmehr greift der gewöhnliche Ausdruck
›race‹ einen sozialen Typ heraus, das heißt, der objektive Typ, der
unsere Referenz anzieht, wird durch soziale und nicht durch natür-
liche Merkmale vereinheitlicht.15 In diesem Sinne möchte ich gerne
einen Vorschlag skizzieren.
14 Vgl. Marcus W. Feldman, Richard C. Lewontin, »Race, Ancestry, and Medicine«,
in: Barbara A. Koenig u. a. (Hg.), Revisiting Race in a Genomic Age, New Bruns-
wick, NJ 2008, S. 89-101; Deborah A. Bolnick, »Individual Ancestry Inference
and the Reification of Race as a Biological Phenomenon«, in: Koenig u. a. (Hg.),
Revisiting Race in a Genomic Age, S. 70-85.
15 Es ist eine strittige Frage, was als »soziale Tatsache« gilt und in welchem Sinne
das Soziale »konstruiert« ist. In meiner Erörterung nehme ich ganz grob an,
dass soziale Tatsachen »interpersonale« Tatsachen sind oder Tatsachen, die auf
solchen Tatsachen supervenieren. Wenn wir beträchtlich vereinfachen, ist da-
her Ich bin Debs Freundin eine soziale Tatsache, weil sie auf einer bestimmten
Grundmenge von interpersonalen Handlungen und Einstellungen superveniert.
Andere, wie beispielsweise John Searle, haben viel höhere Anforderungen an das,
was als soziale Tatsache gilt, unter anderem kontroverse »Wir-Intentionen«, die
Zuschreibung einer Funktion und die Erzeugung konstitutiver Regeln. Es ist
plausibler, dass diese Elemente für die Erzeugung institutioneller oder konven-
tioneller Tatsachen erforderlich sind (sein Standardbeispiel ist die gesellschaft-
liche Konstitution von Geld); sie sind zu anspruchsvoll, um einen Großteil des
gewöhnlichen, informellen Soziallebens zu erfassen. Beispielsweise können wir
koordinierte Intentionen haben, ohne dass es sich um »Wir-Intentionen« han-
delt, Dinge können eine soziale Funktion haben, auch wenn ihnen keine zuge-
schrieben wurde, und die Zugehörigkeit zu einer sozialen Art wird nicht immer
von Regeln beherrscht. Searles Analyse passt nicht gut zu dem Projekt der Ana-
lyse von sozialem Geschlecht und race, die (sozusagen!) das Herz und die Seele
des gewöhnlichen, informellen Soziallebens ausmachen. – Vgl. John Searle, Die
Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit, Frankfurt/M. 2005.

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Feminist:innen definieren ›Mann‹ und ›Frau‹ als soziale Geschlech­
ter (genders), anstatt als (biologische) Geschlechter (männlich und
weiblich). Das Motto für das Verständnis des sozialen Geschlechts
ist folgendes: Das soziale Geschlecht ist die soziale Bedeutung des
(biologischen) Geschlechts. Meiner Ansicht nach ist ein Vorzug
dieser Auffassung von sozialem Geschlecht, dass das Geschlecht
einer Person je nach Kontext eine ganz unterschiedliche Bedeutung
haben kann, und es kann eine Person in ganz unterschiedlichen
Arten von Hierarchien verorten. Die Variation wird eindeutig von
Kultur zu Kultur auftreten (und von Subkultur zu Subkultur); so
kann beispielsweise die Tatsache, dass man eine chinesische Frau
der 1790er Jahre, eine brasilianische Frau der 1890er Jahre oder
eine amerikanische Frau der 1990er Jahre ist, ganz unterschiedliche
soziale Beziehungen und ganz unterschiedliche Arten von Unter-
drückung beinhalten. Doch der vorgeschlagenen Analyse zufolge
gelten diese Gruppen als Frauen, insofern ihre untergeordneten
Positionen durch den Bezug auf das (weibliche) Geschlecht mar-
kiert und gerechtfertigt werden.
Mit dieser Strategie zur Definition von sozialem Geschlecht im
Hinterkopf wollen wir erwägen, ob sie dabei helfen kann, der sozia-
len Kategorie von race einen gewissen Gehalt zu verleihen. Der fe-
ministische Ansatz empfiehlt Folgendes: Man suche nicht nach ei-
ner Analyse, die annimmt, dass die Bedeutung der Kategorie immer
und überall dieselbe ist; vielmehr betrachte man, wie die Mitglieder
der Gruppe sozial positioniert sind und welche physischen Marker als
unterstellte Grundlage für eine solche Behandlung dienen.16
Ich verwende den Ausdruck ›Farbe‹, um auf die (kontextuell va-
riablen) physischen Marker von race Bezug zu nehmen, genauso
16 Diese Analyse ist Teil eines größeren Projekts, das darauf abzielt, Orte der struk-
turellen Unterordnung zu identifizieren; andere Projekte, wie beispielsweise die-
jenigen, die versuchen, eine Grundlage für race-bezogene oder ethnische Iden-
tität zu definieren (Lionel K. McPherson und Tommie Shelby) oder jene, die
Rekonstruktionen des Begriffs von race anbieten (Robert Gooding-Wil­liams,
Linda Martín Alcoff ), sind damit verträglich. – Vgl. Lionel K. McPherson,
Tommie Shelby, »Blackness and Blood. Interpreting African-American Identity«,
in: Philosophy & Public Affairs 32 (2004), S. 171-192; Robert Gooding-Williams,
»Race, Multiculturalism, and Democracy«, in: Constellations 5 (1998), S. 18-41;
Linda Martín Alcoff, »Is Latino/a Identity a Racial Identity?«, in: Jorge J. E. Gra-
cia, Pablo De Greiff (Hg.), Hispanics and Latinos in the United States. Ethnicity,
Race, and Rights, New York 2000, S. 23-44.

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wie der Ausdruck ›Geschlecht‹ sich auf die (kontextuell variablen)
physischen Marker des sozialen Geschlechts bezieht. ›Farbe‹ ist
mehr als nur Hautfarbe: Race-bezogene Marker können die Form
von Augen, Nase und Lippen, die Textur der Haare, den Körper-
bau und so weiter beinhalten. So gut wie jedes Cluster körperlicher
Merkmale, von denen man annimmt, dass sie von Personen geerbt
wurden, die eine bestimmte geografische Region oder Regionen be-
wohnen, können als ›Farbe‹ gelten. (Obwohl der Ausdruck ›People
of Color‹ so gebraucht wird, dass er sich auf Nicht-Weiße bezieht,
gelten die Marker für ›Weißheit‹ ebenfalls als ›Farbe‹). Wenn wir
das zuvor benutzte Motto übernehmen, können wir folglich sagen,
dass race die soziale Bedeutung des ›farbigen‹, das heißt geografisch
markierten Körpers ist (siehe Abbildung 1).

Soziale Position: soziales Geschlecht race

Anatomie
oder Phänotyp: biologisches Geschlecht Farbe

Abbildung 1: Bedeutungen, die man dem Körper zuweist, erzeugen soziale


Positionen, die ihrerseits neue Interpretationen (und manchmal Verände-
rungen) des Körpers hervorbringen.

Um dies kurz zu entwickeln, betrachten wir folgenden Ansatz.17


Eine Gruppe wird rassifiziert (im Kontext K) genau dann, wenn
(per Definition) ihre Mitglieder (in K) gesellschaftlich auf einer
bestimmten Dimension (ökonomisch, politisch, rechtlich, sozial
etc.) als untergeordnet oder privilegiert positioniert werden (oder
würden) und die Gruppe als Gegenstand dieser Behandlung durch
beobachtete oder vorgestellte Körpermerkmale ›markiert‹ wird, von
17 Dafür schulde ich Jacqueline Stevens, Michael Omi und Howard Winant gro-
ßen Dank. – Vgl. Jacqueline Stevens, Reproducing the State, Princeton, NJ 1999;
Omi, Winant, »Racial Formation«, insb. S. 53-61. Ich entwickle diese Definition
ausführlicher in Haslanger, »Gender and Race«. Man beachte, dass races nicht
nur objektive Typen, sondern auch lockesche (soziale) Arten sind, wenn diese
Definition adäquat ist.

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denen man annimmt, dass sie Belege für Abstammungsbeziehun-
gen zu einer bestimmten geografischen Region sind.
Mit anderen Worten: races sind jene Gruppen, die durch die
geografischen Verknüpfungen abgegrenzt werden, die den wahr-
genommenen Körpertyp begleiten, wenn diese Verknüpfungen
eine bewertende Bedeutung im Hinblick darauf annehmen, wie
Mitglieder der Gruppe angesehen und behandelt werden sollen.
Vor dem Hintergrund dieser Definition können wir sagen, dass S
der Weißen (Schwarzen, Asiatischen etc.) race (in K) genau dann
angehört, wenn (per Definition) Weiße (Schwarze, Asiat:innen
etc.) eine rassifizierte Gruppe (in K) sind und S ein Mitglied dieser
Gruppe ist.18
Man beachte, dass dieser Auffassung zufolge die Frage, ob eine
Gruppe rassifiziert ist und folglich wie und ob ein Individuum
einer bestimmten race zugeordnet wird, vom Kontext abhängt.
Beispielsweise sind Schwarze, Weiße, Asiat:innen und die Urein-
wohner:innen Amerikas gegenwärtig in den Vereinigten Staaten
rassifiziert, insofern sie alle Gruppen sind, die anhand von kör-
perlichen Merkmalen definiert werden, die mit Herkunftsorten
verknüpft sind; und die Mitgliedschaft in der Gruppe fungiert als
Bewertungsgrundlage. Einige Gruppen sind gegenwärtig jedoch in
den Vereinigten Staaten nicht rassifiziert, waren es aber in der Ver-
gangenheit und könnten möglicherweise erneut rassifiziert werden
(was sie in anderen Kontexten tatsächlich auch sind), zum Beispiel
Italiener:innen, Deutsche und Ir:innen.
Ich biete die eben skizzierte konstruktivistische Analyse von
›race‹ als eine an, die unseren gewöhnlichen Gebrauch des Aus-
drucks erfasst. Die sozialkonstruktivistische Analyse von race stellt
den stärksten begrifflichen Rahmen und Punkt des Konsenses für
fachübergreifende und öffentliche Diskussionen über race und für
die genetische Forschung dar. Ich glaube, dass sie auch wichtige
Ressourcen liefert, um das Problem der race-basierten Ungerechtig-
keit politisch anzugehen; insbesondere stellt sie uns eine Möglich-
18 Wie im Fall des sozialen Geschlechts empfehle ich, dass wir die Zugehörigkeit zu
einer rassifizierten/ethnischen Gruppe im Hinblick darauf verstehen, wie jemand
regelmäßig und zum größten Teil im fraglichen Kontext angesehen und behandelt
wird; man könnte unterscheiden zwischen: ein Angehöriger einer bestimmten
race zu sein und als ein solcher im Sinne des Grades der Verankerung in der
rassifizierten sozialen Position zu fungieren.

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keit zur Verfügung, diejenigen Gruppen zu erfassen, die aufgrund
von Annahmen mit Bezug auf ›Farbe‹ Unrecht erlitten haben. Das
sind Gruppen, die eine Rolle spielen, wenn wir soziale Gerechtig-
keit erreichen wollen. Darüber hinaus benutzen wir bereits race-be-
zogene Begriffe auf solche Weisen, die diese Gruppen (oder Grup-
pen, die ihnen sehr nahe sind) herauszugreifen scheinen. Indem wir
also eine konstruktivistische Auffassung übernehmen, können wir
politisch fortfahren, ohne zugleich eine semantische Revolution zu
empfehlen.

Schluss
Ich habe dafür argumentiert, dass die Debatte zwischen Elimina-
tivist:innen, Konstruktivist:innen und Naturalist:innen mit Bezug
auf race so verstanden werden sollte, dass sie sich nicht einfach nur
darauf bezieht, ob races real sind oder ob sie natürliche Arten sind,
sondern auch darauf, wie wir in unserem öffentlichen Diskurs races
verstehen und auf race bezogene Begriffe verwenden sollten. Ich
habe geltend gemacht, dass die Debatte nicht einfach dadurch
entschieden werden kann, dass man »die Tatsachen« der Genetik
berücksichtigt, sondern dass sie besondere Aufmerksamkeit gegen-
über der Sprache von ›race‹ und ›Art‹ sowie der gegenwärtigen Poli-
tik mit Blick auf race erfordert. Mit dieser Neuformulierung der
Frage habe ich dargelegt, dass sich unser gewöhnlicher Begriff von
race auf eine soziale Art bezieht, und für eine bestimmte Analyse
von race argumentiert, die die soziale Hierarchie hervorhebt. Ange-
sichts der Geschichte von Ungerechtigkeit mit Blick auf race und
der Notwendigkeit, sich dieser Geschichte zuzuwenden, kommt es
für uns darauf an, öffentlich jenen Beachtung zu schenken, die an
etwas gelitten haben, das wir als Farbhierarchie bezeichnen können.
Da wir Gründe dafür haben, Ungerechtigkeit mit Blick auf race
aufzuspüren, und da die naturalistischen und eliminativistischen
Auffassungen unserem gewöhnlichen Begriff von race nicht nahe-
kommen, ist der Konstruktivismus gegenwärtig der beste Kandi-
dat der betrachteten drei Sichtweisen. Meine Schlussfolgerungen
gelten jedoch nur eingeschränkt: Ich behaupte nicht, dass meine
Auffassung von race die Bedeutung von ›race‹ (oder das, was wir mit
›race‹ meinen sollten) für alle Zeiten und in allen Kontexten erfasst;
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es wäre töricht, so etwas zu versuchen, und insbesondere würde es
ein Missverständnis mit Bezug darauf offenbaren, wie Sprache als
kollektive soziale Praxis funktioniert.
Aus dem Englischen von Jürgen Schröder

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