Sie sind auf Seite 1von 2

»Botschaftsdrama« in acht Folgen

Gabriel Kuhn, Stockholm

imago/ZUMA/Keystone

Die aktuell ausgestrahlte SVT-Serie baut auf Archivmaterial auf, das


zum größten Teil bekannt ist

In der Reihe »Kriminalarchiv« des öffentlich-rechtlichen schwedischen


Fernsehens SVT nimmt sich Kriminalexperte Lasse Lampers in acht Folgen des
»Botschaftsdramas« von Stockholm 1975 an. Gemeint ist damit die Besetzung
der deutschen Botschaft durch das »Kommando Holger Meins« der »Roten
Armee Fraktion«.

Zu Mittag des 24. April 1975 verschafften sich sechs RAF-Mitglieder unter dem
Vorwand konsularischer Anliegen Zugang zum dreistöckigen Botschaftsgebäude,
wo sie sich mit zwölf Angestellten als Geiseln im obersten Stockwerk
verschanzten. Das Kommando forderte die Freilassung 26 politischer
Gefangener in der BRD. Würden die Forderungen nicht erfüllt, drohte man mit
der Erschießung der Geiseln, im Falle einer Stürmung des dritten Stockes durch
Sicherheitskräfte mit der Sprengung des Gebäudes. Als sich die schwedische
Polizei trotz Aufforderung nicht aus dem Botschaftsgebäude zurückzog, erschoss
das Kommando um 14 Uhr Militärattaché Andreas von Mirbach.

Nachdem klar wurde, dass die Bundesregierung alle Verhandlungen verweigerte,


erschoss das Kommando kurz nach 22 Uhr Wirtschaftsattaché Heinz Hillegaart.
Gegen Mitternacht wurde das Gebäude von einer Explosion erschüttert, der
dritte Stock ging in Flammen auf. RAF-Mitglied Ulrich Wessel wurde bei der
Explosion getötet, der Rest des Kommandos sowie die Geiseln konnten sich ins
Freie retten, wo die verbliebenen RAF-Mitglieder festgenommen wurden. Vier
von ihnen wurden innerhalb von 24 Stunden nach Deutschland überstellt;
Siegfried Hausner, der aufgrund schwerer Verbrennungen 40 Prozent seiner
Haut verloren hatte, fünf Tage später. Er verstarb am 5. Mai im Lazarett des
Hochsicherheitsgefängnisses Stammheim.

Die aktuell ausgestrahlte SVT-Serie baut auf Archivmaterial auf, das zum
größten Teil bekannt ist: die Explosion des Gebäudes, als das schwedische
Fernsehen im Begriff ist, live auf Sendung zu gehen; die Erschießung Heinz
Hillegaarts, während RAF-Mitglied Lutz Taufer mit Regierungsbeauftragtem
Gerhard Heuer am Telefon spricht; Sitzungen der schwedischen Regierung rund
um Ministerpräsidenten Olof Palme. Einzig eine Tonbandaufnahme von RAF-
Mitglied Susanne Albrecht ist neu. Sie nahm einige Wochen nach der
Botschaftsbesetzung an einer Gefangenensoli-Konferenz in Stockholm teil, wo
sie einem verdutzten Publikum erklärte, dass der schwedische Staat während
der Botschaftsbesetzung seinen faschistischen Charakter entlarvt hätte.

Wenig originell sind auch Lampers’ Thesen, etwa wenn er Anwalt Siegfried Haag
als Drahtzieher der Botschaftsbesetzung darstellt, Stefan Wisniewski als siebtes
Kommando-Mitglied außerhalb der Botschaft vermutet oder die Explosion im
Botschaftsgebäude der Unachtsamkeit eines RAF-Mitglieds zuschreibt. Vom
»Kommando Holger Meins« hat Lampers im allgemeinen keine hohe Meinung.
Es habe sich um ein »C-Team« der RAF gehandelt, zusammengewürfelt aus
»Demonstranten, Flugblattverteilern und Hausbesetzern«.

Seine größte Enthüllung spart sich Lampers für den letzten Abschnitt auf, der
sich Anna-Greta Leijon widmet. Die Sozialdemokratin war als Ministerin für
Migrationsfragen für die Auslieferung der RAF-Mitglieder nach der
Botschaftsbesetzung verantwortlich. Eine Gruppe internationaler Aktivisten
plante deshalb, sie in Stockholm zu entführen. Eine zentrale Figur der Gruppe
war Norbert Kröcher, der 1972 als Mitglied der »Bewegung 2. Juni« in
Schweden untergetaucht war. Die Pläne flogen auf, und Kröcher wurde im März
1977 verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert.

Lampers meint nun, aufgrund »neuer Informationen« zu wissen, dass die


Verhaftung Kröchers die Entführung Willy Brandts durch ein RAF-Kommando
verhindert habe. Um was für neue Informationen es sich hier handelt, erfährt
man nicht, außer dass der schwedische Sozialdemokrat Bernt Carlsson, damals
Generalsekretär der Sozialistischen Internationale, eine wichtige Rolle in der
Geschichte spielen soll. Über ihn wollte sich die RAF Brandt nähern, meint
Lampers, doch Kröchers Verhaftung habe Schweden zu einem zu heißen Boden
für die RAF gemacht. Oder so ähnlich.

Wer Schwedisch versteht, in deutsche Tonbandaufnahmen hineinhören will


oder Archivbildern etwas abgewinnen kann, findet »Kriminalarkivet:
Ambassaddramat« auf svtplay.se. Das Programm ist weltweit abrufbar.

Das könnte Ihnen auch gefallen