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Der schweizerische Robinson.

Nacherzählt von Peter Stamm


Peter Stamm

Wyss, Johann David


Johann David Wyss | Peter Stamm
Der schweizerische Robinson. Nacherzä hlt von Peter Stamm
Mit Bildern von Willi Glasauer
Fischer e-books
und einem Nachwort von Peter von Matt
Fü r Fabio.

1. Kapitel Ein Schiff läuft auf Grund. Eine Familie kann sich auf eine
Insel retten. Erste Erkundungen der Insel und des Schiffswracks.
Der Sturm hatte sechs lange, schreckliche Tage gewü tet. Auch am siebten legte sich das
Unwetter nicht, sondern schien nur noch wilder zu rasen. Wir waren so weit von unserer
Route nach Sü dost abgekommen, dass niemand auf dem Schiff mehr wusste, wo wir uns
befanden. Ein Teil der Masten war zersplittert und verloren, das Schiff leckte, und immer
mehr Wasser drang in den Rumpf. Die Mannschaft war von der harten Arbeit und den
langen Wachen erschö pft und mutlos geworden. Die Matrosen, die sonst fluchten und
schimpften, machten ihre Arbeit still und mit verä ngstigten Gesichtern.
Ich hatte mich an Deck begeben, um vom Kapitä n Genaueres ü ber unsere Lage zu erfahren,
aber er hatte nur ratlos den Kopf geschü ttelt. Als ich klatschnass zurü ck in die Kabine kam,
sah ich, wie meine vier Sö hne sich eng um ihre Mutter versammelt hatten und mit ihr
Lieder aus der Heimat sangen. Mir zerbrach es beinahe das Herz, ihre schwachen Stimmen
zu hö ren, die im Heulen und Brausen des Sturms fast untergingen. Sie hatten die Kabine
seit Tagen nicht verlassen und schauten mich flehend an. Ich versuchte, sie zu trö sten und
ein wenig aufzumuntern. »Der liebe Gott weiß, wo wir sind«, sagte ich, »wenn er will, dass
wir gerettet werden, so wird er uns helfen.«
Katharina, meine Frau, wischte sich die Trä nen aus den Augen und versuchte tapfer zu sein.
Aber in ihrem Gesicht sah ich, dass auch sie das Schlimmste befü rchtete.
Plö tzlich war durch den Lä rm hindurch ein Ruf zu hö ren: »Land! Land!« Im selben
Augenblick ging ein heftiger Stoß durch das Schiff, der mich zu Boden warf. Ein furchtbares
Krachen ertö nte, ein Ä chzen und dann das immer lauter werdende Rauschen von
eindringendem Wasser. Jetzt vernahm ich eine andere Stimme, es musste die des Kapitä ns
sein. »Wir sind verloren«, rief er, »macht die Schaluppen klar!«
Das ä ngstliche Wimmern der Kinder versetzte mir einen Stich. »Verliert nicht den Mut!«,
sagte ich. »Noch ist unser Schiff nicht untergegangen. Und das Land ist nah.«
Ich rannte aus der Kabine und zurü ck an Deck, ich musste herausfinden, was los war. Sofort
wurde ich von einer riesigen Welle umgeworfen. Ich klammerte mich an der Takelage fest,
wä hrend immer neue Wogen ü ber mich weggingen. Als ich endlich aufblicken konnte, sah
ich, dass die Mannschaft in den Rettungsbooten saß und dass eben ein Matrose das Tau des
letzten Bootes lö ste und es vom Schiff abstieß. Ich rief nach ihnen, beschwor sie, mich und
meine Familie nicht zu vergessen, aber meine Stimme schien durch das Heulen des Windes
nicht bis zu ihnen zu dringen.
Immerhin erkannte ich jetzt, dass das Schiff aufgelaufen war und sich so in den Felsen
verkeilt hatte, dass es vorerst nicht sinken konnte. Solange es nicht zerbrach, wü rde der
kleine Aufbau mit unserer Kajü te und jener des Kapitä ns nicht ü berschwemmt werden. Fü r
den Moment waren wir sicher. Durch Gischt und Regenschleier hindurch sah ich dann und
wann die Silhouette einer Kü stenlinie.
Ich kä mpfte mich zurü ck in die Kabine, wo meine Familie mich hoffnungsvoll ansah. »Seid
tapfer«, sagte ich, »wir sind nicht verloren. Vorerst mü ssen wir hierbleiben. Wenn das
Wetter sich bessert, werden wir es schon irgendwie an Land schaffen.«
Die Knaben fassten sofort Vertrauen und schienen schon nicht mehr an unserer Rettung zu
zweifeln. Aber meine Frau schaute mich an und sah, welch große Sorgen ich mir machte.
Sie stellte aber keine weiteren Fragen und schlug vor, wir sollten etwas essen. »Mit dem
Kö rper wird auch die Seele gestä rkt«, sagte sie, »es steht uns eine schwere Nacht bevor.«
Sie hatte recht. Draußen war es schon dunkel geworden und der Sturm tobte unvermindert
weiter. Die Wellen krachten an die Wä nde des Schiffes und ließen den Rumpf erbeben. Es
klang, als rissen sie Bretter und Balken los. Katharina hatte in der Kombü se Brot und Kä se
gefunden. Die Jungen aßen mit gutem Appetit, wä hrend wir Eltern uns zwingen mussten.
Dann legten sich die Kinder in ihre Kojen und waren bald eingeschlafen. Katharina und ich
hielten Wache. Es war die schrecklichste Nacht unseres Lebens. Bei jeder großen Welle
fü rchteten wir, das Schiff wü rde zerbrechen. Das wä re fü r uns alle das Ende gewesen.
Gegen Morgen ließ der Wind etwas nach, und auch die Wellen gingen weniger hoch. Als das
erste Licht des neuen Tages durch eine offene Luke schimmerte, wagten wir uns
gemeinsam an Deck und sahen am Horizont das Morgenrot. Es blies immer noch ein
krä ftiger, kü hler Wind, und auf dem dunklen Wasser waren weiße Schaumkronen, aber er
war nicht mehr so bö ig wie in der Nacht.
»Wo ist denn die Mannschaft?«, fragte Jack.
»Sie hat das Schiff mit den Rettungsbooten verlassen«, sagte ich.
»Und warum haben sie uns nicht mitgenommen?«
Ich wusste nicht, was ich antworten sollte »Lasst uns vorwä rts schauen«, sagte ich
stattdessen. »Die Hauptsache ist, dass wir am Leben und beisammen sind. Jetzt wollen wir
zusehen, wie wir an Land kommen.«
Fritz, mein ä ltester Sohn, schlug vor, ans Ufer zu schwimmen, sobald die See sich noch
mehr beruhigt hä tte. »Du hast gut reden«, sagte Ernst. »Aber was sollen wir tun, die nicht
schwimmen kö nnen? Besser, wir bauen ein Floß und rudern hinü ber.«
»Zuerst wollen wir alles zusammensuchen, was wir brauchen kö nnen«, sagte Katharina.
Die Knaben und ich schwä rmten aus, um nachzusehen, was von der Ladung fü r uns
nü tzlich sein kö nnte. Ich stieg hinunter in die Speisekammer. Katharina und Frä nzchen, der
Jü ngste, sahen nach dem Vieh, das auf einem der Decks im Schiffsbauch untergebracht war.
Fritz eilte in die Waffen- und Munitionskammer, Ernst in die Werkstatt des
Schiffszimmermannes und Jack in die Kajü te des Kapitä ns. Als er diese ö ffnete, schossen
zwei gewaltige Doggen heraus. Vor Freude, einen Menschen zu sehen, sprangen sie so
ungestü m an ihm hoch, dass er hintenü berfiel und vor Schrecken schrie, als hä tten ihn
Raubtiere angefallen. Die Hunde winselten und leckten dem um sich schlagenden Jungen
Gesicht und Hä nde ab. Ich hatte den Lä rm gehö rt und war ihm zur Hilfe geeilt. Schnell
sprang er auf die Beine, packte den grö ßeren der Hunde an den gestutzten Ohren und
schü ttelte ihn wü tend. »Lass ihn los«, sagte ich, »sie haben es nicht bö se gemeint. Bestimmt
sind sie nur hungrig.«
Nach und nach brachten alle die Dinge zusammen, die sie im Moment fü r die brauchbarsten
hielten. Fritz schleppte zwei Jagdgewehre herbei, samt Pulver, Schrot und Blei. Ernst
brachte einen Hut voll Nä gel, ein Beil, einen Hammer und weiteres Werkzeug. Der kleine
Franz hatte eine ziemlich große Schachtel gefunden, mit Hä kchen, wie er sagte. Ich
entdeckte mit Freude, dass es Angelhaken waren.
»Ich bringe gute Nachrichten«, sagte Katharina. »Manche der Tiere sind noch am Leben,
eine Milchkuh, ein Esel, zwei Ziegen, sechs Schafe mit einem Widder und ein trä chtiges
Schwein. Wir haben sie gefü ttert und geträ nkt.«
»Das ist alles wunderbar«, sagte ich, »die Frage ist nur, wie wir unsere Schä tze an Land
bringen.«
»Kö nnen wir uns nicht in alte Zuber setzen?«, sagte Jack. »Ich bin so einmal bei meinem
Patenonkel auf dem Teich herumgerudert, und es war prä chtig.«
»Das Meer ist dafü r viel zu unruhig«, sagte ich, »aber du bringst mich auf eine Idee.«
Wir stiegen in den Laderaum, der halb unter Wasser lag, und fanden einige leere Fä sser.
Mit viel Mü he sä gten wir vier davon in der Mitte entzwei, so dass wir acht kleine Schifflein
erhielten. Aber Katharina seufzte und sagte: »Nie und nimmer setze ich mich in so ein
Ding.«
»Nicht so voreilig«, sagte ich, »unser Schiff ist noch gar nicht fertig.«
Wir suchten ein paar lange, biegsame Bretter zusammen. Auf einem nagelten wir die
halben Fä sser fest, die anderen Bretter befestigten wir an den Seiten der Fä sser, so dass
vorne und hinten ein paar Fuß ü berstanden. Die Enden der Bretter bogen wir zu einem Bug
und einem Heck zusammen und banden und nagelten alles fest. Es entstand ein Schiff, das
uns zumindest bei ruhiger See sicher an Land bringen konnte. Allerdings war das Gefä hrt
so schwer geworden, dass wir es auch mit gemeinsamen Krä ften nicht bewegen konnten.
Aber Fritz hatte in der Waffenkammer eine Seilwinde entdeckt. Ich hatte inzwischen von
einer Segelstange ein paar Walzen abgesä gt. Mit Hilfe der Winde hoben wir das Vorderteil
unseres Schiffs etwas in die Hö he und schoben ein Rundholz nach dem anderen darunter,
bis wir es ins Meer schieben konnten. Es lag ganz gut im Wasser, aber es war leicht zu
sehen, dass es bei der kleinsten Welle zur Seite kippen wü rde. Um das zu verhindern,
banden wir zwei leere Fä sschen an lange Stangen und befestigten diese seitlich am Schiff.
»Die Polynesier haben solche Ausleger an ihren Booten, damit sie nicht kentern«, sagte ich
und betrachtete unser seltsames Gefä hrt. Wir suchten Ruder, aber als wir endlich zur
Abfahrt bereit waren, war es schon Abend geworden. So beschlossen wir, wenn auch
ungern, eine weitere Nacht auf dem Wrack zu verbringen. Der Himmel war immer noch
voller dunkler Wolken, doch die Luft war jetzt klar, und in der Ferne sahen wir eine
abweisende Felsenkü ste.
Wir aßen ausgiebig, nachdem wir tagsü ber vor lauter Arbeit nur dann und wann ein Stü ck
Brot gegessen und ein Glas Wein getrunken hatten. In der Nacht quä lten mich wilde
Trä ume von einer Insel voller Gefahren, von Eingeborenen und wilden Tieren, die uns
bedrohten. Mehrmals schreckte ich vom Lä rm der Wellen hoch, die an den Rumpf des
Wracks schlugen. Dann hielt mich die Ungewissheit unseres Schicksals wach, und ich
machte mir alle mö glichen Sorgen. Erst gegen Morgen fand ich wieder in den Schlaf.
Als die Sonne aufging, waren wir schnell munter. Wir waren alle ungeduldig und wollten
endlich an Land gehen. Wir aßen nur schnell etwas und fü tterten und trä nkten die Tiere.
Dann beluden wir unser Boot mit allem, was es tragen konnte. Diese erste Ladung bestand
aus einem Fä sschen Pulver, drei Vogelflinten, drei Jagdgewehren samt Schrot, Kugeln und
Blei, so viel wir herbeischleppen konnten, zwei Paar Taschenpistolen und einige grö ßere
mit den nö tigen Formen zum Gießen der Kugeln. Dazu kam fü r jeden von uns eine
Jä gertasche mit allerhand nü tzlichen Dingen darin. Wir nahmen eine Kiste mit
Fleischtä felchen mit und eine mit Zwieback, einen eisernen Kochtopf, eine Angelrute und
ein Fä sschen Nä gel. An Werkzeug packten wir Hä mmer, Zangen, Sä gen, Beile und Bohrer
ein, außerdem ein großes Stü ck Segeltuch, aus dem wir ein Zelt bauen wollten.
Wä hrend wir einstiegen, hö rten wir plö tzlich einen Hahn krä hen, als ob er von uns
Abschied nehmen wollte. Katharina meinte, das Geflü gel werde wohl noch Platz haben. So
packten wir zehn Hü hner und zwei Hä hne in unser Boot. Die Gä nse, Enten und Tauben
ließen wir frei. Sie wü rden den Weg an Land durch die Luft finden und schneller und
bequemer hingelangen als wir.
Kurz vor der Abfahrt warf Katharina einen großen Sack in die Tonne, in der Frä nzchen saß.
»Das ist mein Zaubersack, mein geheimer Vorrat«, sagte sie zum Knaben. »Setz dich nur
darauf. Es ist nichts Zerbrechliches darin.«
Dann stieg auch sie ein, und es ging endlich los.
In der vordersten Halbtonne stand meine Frau, eine warmherzige Mutter und
unermü dliche Hausfrau. In der zweiten, gleich hinter ihr, saß Frä nzchen, ein munterer und
lustiger Kerl von sechs Jahren, der immer zu Spä ßen aufgelegt war. In der dritten stand
Fritz, unser Ä ltester, ein aufgeweckter, aber gutmü tiger Krauskopf von vierzehn Jahren.
Hinter ihm kam eine Halbtonne mit dem Pulverfä sschen, dem Segeltuch und den Hü hnern,
dahinter eine mit unserem Mundvorrat. In der sechsten stand Jakob, den wir Jack nannten,
ein leichtsinniges, aber hilfsbereites Bü rschchen von zehn Jahren, in der nä chsten Ernst, ein
gescheiter, aber etwas grü blerischer und manchmal trä ger Junge von zwö lf Jahren. Ganz
hinten schließlich stand ich selbst, ein bescheidener Lehrer und stolzer Vater, um das
Steuer zu fü hren und meine Familie sicher an Land zu bringen. Jeder von uns trug eine
Schwimmweste aus Kork, hatte ein Ruder und neben sich so viel an Gerä ten und
Werkzeugen, wie in die Tonne hineingepasst hatte.
Die Flut war am Steigen, und ich hoffte, dass sie unsere schwachen Ruderkrä fte
unterstü tzen und uns an Land tragen wü rde. Fritz, der die schä rfsten Augen von uns hatte,
erkannte an der felsigen Kü ste schon Bä ume, er sagte, er sei fast sicher, dass auch Palmen
dabei seien. Ernst meinte, er freue sich schon auf die Kokosnü sse, die grö ßer und bestimmt
besser seien als die Walnü sse zu Hause. Wir ruderten krä ftig, aber unser Fahrzeug drehte
sich immer im Kreis. Es kostete mich einige Mü he, es endlich in Richtung des Landes zu
lenken.
Die beiden Hunde auf dem Wrack hatten uns entdeckt. Sie sprangen winselnd ins Wasser
und schwammen uns nach. Aber sie waren zu groß fü r unser Schifflein. Tü rk war eine
englische Dogge, Bill eine dä nische. Sie taten mir leid, und ich fü rchtete, sie kö nnten es
nicht bis ans Ufer schaffen, aber sie waren klug genug, ihre Vorderbeine auf die
Auslegestangen zu legen. So konnten sie uns mü helos begleiten.
Wir kamen nur langsam voran, und je mehr wir uns der Kü ste nä herten, desto trauriger
war der Anblick, der sich uns bot. Die unwirtlichen Felsen sahen nach Hunger und Not aus.
Das Meer war still, das schwarze Wasser krä uselte sich sanft im leichten Wind. Aber die
Sonne stand hoch und brannte erbarmungslos auf unsere Kö pfe. Um uns herum
schwammen Fä sser, Ballen und Kisten aus dem geborstenen Schiff. Vielleicht wü rden wir ja
Lebensmittel darin finden? Also steuerte ich in die Nä he von zwei Tonnen, und Fritz fing sie
mit dem Ruder ein und band sie mit Stricken an, damit wir sie ins Schlepptau nehmen
konnten.
Mit der Zeit verlor sich der raue Anblick der Kü ste immer mehr. Jetzt sah auch ich die
Palmen, von denen Fritz gesprochen hatte. Ich bedauerte, dass wir das große Fernglas des
Kapitä ns nicht mitgenommen hatten. Da zog Jack ein kleines Fernrohr aus der Tasche,
voller Freude, mir helfen zu kö nnen. Ich suchte den Strand ab, bis ich eine geeignete
Landestelle gefunden hatte. Als ich das Schiff dorthin lenken wollte, wurde es von einer
starken Strö mung erfasst und gegen die Felsen getrieben. Wir waren zu erschö pft, das Boot
in eine andere Richtung zu lenken und machten uns schon bereit, uns mit einem Sprung ins
Wasser zu retten. Aber jetzt entdeckte ich in den Felsen eine schmale Einfahrt, auf die auch
unsere Enten und Gä nse zuschwammen. Gleich daneben floss ein breiter, munterer Bach
ü ber das Gerö ll und ergoss sich ins Meer. Mit letzter Kraft ruderten wir gegen die Strö mung
des Baches an und gelangten durch die Felslü cke in eine liebliche, kleine Bucht, die am Fuß
einer Felsenklippe lag. Dort war das Wasser ganz ruhig und so klar, dass wir Schwä rme
kleiner Fische sehen konnten, die im Zickzackkurs vor uns flohen. Behutsam legten wir am
Ufer an und sprangen an Land. Nur der kleine Franz schaffte es nicht aus seiner Tonne
heraus, in der er wie ein gepö kelter Hering lag. Schließlich reichte ihm seine Mutter die
Hand und zog ihn heraus. Die Hunde waren schon vor uns an Land gegangen, schü ttelten
sich das Wasser aus dem Fell und empfingen uns mit freudigem Gebell. Auch die Gä nse und
Enten schnatterten zufrieden.
Als wir endlich festen Boden unter den Fü ßen spü rten, sanken wir alle auf die Knie und
dankten Gott fü r unsere Rettung. Dann packten wir die Sachen aus, die wir vom Schiff
gerettet hatten, und ließen die Hü hner frei, da wir keine Kä fige besaßen. Fü r unser Lager
wä hlten wir eine Stelle, die, etwas vom Wasser entfernt, am Fuß der Felswand lag. Wir
klemmten ein Ende einer langen Stange in eine Felsspalte und stü tzten das andere Ende auf
eine zweite Stange, die wir in den Boden gerammt hatten. Darü ber legten wir das Segeltuch
und spannten es auf beiden Seiten mit Pfä hlen ab. Vorne ließen wir das Tuch ein wenig
herunterhä ngen und banden dü nne Stricke daran, mit denen wir das Zelt in der Nacht
verschließen konnten. Die Knaben suchten so viel Moos und trockenes Gras zusammen, wie
sie finden konnten, und legten es zum Trocknen an die Sonne. Ich selbst baute in der Nä he
des Bachs mit ein paar großen Steinen eine Feuerstelle. Wir sammelten Reisig und Holz,
und bald loderte ein schö nes Feuer. Darü ber kochten wir in einem Topf eine einfache
Suppe aus Fleischtä felchen vom Schiff und Wasser aus dem Bach.
In der Zwischenzeit hatte Fritz unsere Flinten geladen und machte sich auf
Entdeckungsreise. Auch Ernst zog los, wä hrend Jack im seichten Wasser nach Muscheln
suchte. Ich versuchte, die zwei Fä sser ans Ufer zu ziehen, die wir abgeschleppt hatten.
Wä hrend ich mich noch abmü hte, hö rte ich einen entsetzlichen Schrei. Ich griff mir ein
Handbeil und eilte zu Jack. Er hü pfte schreiend im Wasser herum. Ein großer Krebs, eine
Art Hummer, hatte ihn mit seiner Schere in den Fuß gekniffen. Das Tier wollte sich aus dem
Staub machen, aber ich packte es vorsichtig hinten um den Kö rper und hob es aus dem
Wasser. Jack hatte sich von seinem Schrecken erholt und wollte den Hummer selbst zur
Mutter tragen, aber kaum hielt er ihn in der Hand, versetzte dieser ihm einen so krä ftigen
Schlag mit dem Schwanz, dass er ihn fallen ließ. Ich hob das Tier wieder aus dem Wasser
und zeigte es den herbeigeeilten Jungen, die es staunend betrachteten. Ernst schlug vor,
den Hummer gleich in die Suppe zu werfen, aber die Mutter wehrte sich gegen dieses
neumodische Rezept. Ich versprach Jack die mä chtigen Scheren als Belohnung, weil er als
Erster auf der Insel etwas Essbares gefunden hatte.
»Oh«, rief Ernst, »ich habe auch etwas Essbares im Wasser gesehen, aber ich wollte mir
nicht die Fü ße nass machen.«
»Ich habe es auch gesehen«, sagte Jack, »es sind hä ssliche Muscheln. Die mö chte ich nicht
geschenkt.«
»Ich glaube, es sind Austern«, sagte Ernst.
»Gut, du Faulpelz«, sagte ich, »dann kannst du ein paar davon einsammeln fü r unsere
nä chste Mahlzeit. Das Wasser wird dir nicht schaden. Schau, Jack und ich sind von der
Sonne schon fast wieder trocken.«
»Soll ich dann auch gleich Salz mitbringen?«, fragte Ernst. »Ich habe welches in einer
Felsenritze entdeckt. Vermutlich stammt es vom Meerwasser, das die Sonne getrocknet
hat.«
Ich schickte ihn los, fü r unsere Suppe kö nnten wir es gut gebrauchen, aber das Salz, das er
brachte, war vermischt mit Sand und Erde. Ich wollte es schon wegwerfen, da hatte
Katharina eine Idee. Sie lö ste das Salz in einer Blechflasche mit Wasser auf und filterte die
Lö sung dann durch ein feines Tuch, das Erde und Sand zurü ckhielt.
»Hä tten wir nicht gleich Meerwasser nehmen kö nnen?«, fragte Jack.
»Das ist viel zu bitter«, sagte Ernst kopfschü ttelnd. »Ich habe es probiert und musste mich
fast ü bergeben.«
Die Suppe war fertig, und wir ü berlegten uns, wie wir sie essen kö nnten, da wir weder
Geschirr noch Besteck hatten. Ernst schlug vor, wir sollten Muschelschalen nehmen.
Zusammen mit Jack zog er los, aber es war Jack, der ins Wasser stieg, um Ernst die
gesammelten Muscheln zuzuwerfen. Aus der Ferne hö rten wir Fritz rufen. Er kam durch
den Bach auf uns zu gewatet und erzä hlte, er sei ein Stü ck weit den Strand
entlanggegangen. »Er ist voller Fä sser und Kisten, und ü berall liegt Holz, wollen wir das
morgen nicht einsammeln? Und sollten wir nicht noch einmal auf das Wrack, um das Vieh
zu retten? Wenn wir wenigstens die Kuh an Land bringen, dann hä tten wir Milch, um den
harten Zwieback hineinzutunken. Auf der anderen Seite des Bachs gibt es Gras genug fü r
die Kuh und auch ein Wä ldchen, wo wir uns in den Schatten legen kö nnen. Warum bleiben
wir an diesem ö den Ort?«
»Geduld«, sagte ich, »alles hat seine Zeit. Hast du denn Spuren von der Besatzung unseres
Schiffes gesehen?«
»Nein«, sage Fritz traurig, »keine Spur von Menschen, weder an Land noch draußen auf
dem Meer.«
Wä hrend ich mit Fritz sprach, versuchten Jack und Ernst mit einem Messer eine Auster zu
ö ffnen, aber es gelang ihnen nicht. Ich sagte ihnen, sie sollten sie auf die glü henden Kohlen
legen, wo sie bald von selbst aufgingen. »Dann wü nsche ich guten Appetit«, sagte ich und
aß, nicht ohne Widerwillen, eine der Muscheln. Den Knaben war der Appetit vergangen,
aber jeder, der einen Lö ffel haben wollte, musste eine Muschel essen.
Wir waren es nicht gewohnt, direkt aus dem Kochtopf zu essen, und verbrannten uns die
Finger, bis wir es einigermaßen hinkriegten. Wä hrend wir noch lö ffelten, wurde es
allmä hlich Abend, und die Sonne nä herte sich dem Horizont. Das Federvieh versammelte
sich um uns, meine Frau holte ihren geheimnisvollen Sack hervor und fü tterte es mit
Wicken, Erbsen und Hafer. Sie sagte, sie habe auch andere Gartensamen mitgenommen,
damit wir sie sä en kö nnten.
Die Tauben suchten sich eine Felsnische, die Hü hner setzten sich in einer Reihe auf den
First unseres Zeltes, und die Gä nse und Enten versteckten sich im Schilf eines kleinen
Sumpfes. Bevor wir uns auch zur Ruhe legten, luden wir die Gewehre und Pistolen. Die
Sonne stand gerade noch ü ber dem Horizont und war tiefrot. Wir versammelten uns unten
am Ufer und sahen zu, wie sie unterging. Das Einzige, was die Idylle stö rte, waren die vielen
Moskitos, die uns umschwä rmten. Die Bucht befand sich an der Westkü ste der Insel. Die
Passatwinde aber, die in dieser Weltgegend vorherrschen, wehen immer von Ost nach
West. So befanden wir uns im Windschatten der hohen Berge im Inneren der Insel, und
kein Lü ftchen vertrieb die lä stigen Insekten.
Sobald die Sonne untergegangen war, wurde es auch schon dunkel. So nah am Ä quator gibt
es kaum eine Dä mmerung, und die Tage sind deshalb viel kü rzer als in den heimatlichen
Breiten. Wä hrend wir zu unserem Zelt spazierten, krä hte der Hahn uns ein Abendlied.
So heiß der Tag gewesen war, so kü hl wurde die Nacht, und wir mussten uns eng
aneinanderdrä ngen, um nicht zu frieren. Ich hatte wach bleiben wollen, aber auch ich
schlief bald ein, glü cklich, nach langen Wochen auf See die erste Nacht auf festem Boden zu
verbringen.
Am Morgen weckte mich das Geschrei des Hahns. Vor dem Zelt traf ich Katharina, die schon
Feuer gemacht hatte, und wir besprachen, was wir weiter unternehmen wollten. Wir waren
uns einig, dass wir erst nach unseren Gefä hrten Ausschau halten und dann die Insel weiter
erkunden sollten. Ich wü rde mit Fritz losziehen und Katharina mit den Jü ngeren vorerst
hier bleiben.
Wä hrend Fritz und ich unsere Jä gertaschen packten und Pistolen und Proviant einsteckten,
bereitete Katharina das Frü hstü ck zu. Sie kochte Jacks Krebs, aber er schmeckte nach
nichts und war so zä h, dass keiner viel davon essen mochte. Bevor wir uns aufmachten,
ermahnte ich die Kleinen, der Mutter zu gehorchen und die Flinten immer zur Hand zu
haben. Sollte eine Gefahr drohen, wä re das Tonnenschiff der sicherste Ort. Wir
verabschiedeten uns nicht ohne Sorge, denn wir wussten nicht, was uns an diesem
unbekannten Kü stenstrich begegnen wü rde. Zu unserem Schutz nahmen wir Tü rk mit, die
englische Dogge, wä hrend Bill bei den anderen blieb.
Das Ufer des Baches war an beiden Seiten ziemlich felsig, nur unten bei der Mü ndung gab
es eine schmale Stelle, an der man hinü bergelangen konnte. Aber wir wagten nicht, den
reißenden Bach hier zu ü berqueren, und gingen ihn entlang bis zur Stelle, wo er als
Wasserfall von der Felswand stü rzte. Dort hatte sich ein kleines Wasserbecken gebildet,
und wir kamen leicht auf die andere Seite, indem wir von Stein zu Stein sprangen. Dann
gingen wir wieder hinunter zum Strand.
Zwischen der Felswand und dem Meer war ein ziemlich breiter Streifen Land. Teilweise
war er von hohem Gras bedeckt, an manchen Stellen gab es kleine Wä ldchen, die zum Teil
bis zum Strand reichten. Ü ber der Felswand war ein steiler Abhang, der von dichtem
Dschungel ü berwachsen war. Aber wir hatten keine Augen fü r die Schö nheit der
Landschaft und hielten stattdessen Ausschau nach unserer Besatzung. Weder auf dem Meer
noch an Land fanden wir eine Spur von Menschen.
Schweigend gingen wir vielleicht zwei Stunden lang, bis wir einen Wald erreichten, wo wir
uns ausruhten. Die Bä ume waren zerzaust vom Sturm der vergangenen Tage, und ü berall
lagen Blä tter und Ä ste auf dem Boden. An manchen Stellen gab es große Pfü tzen mit
schmutzigem Wasser. Die Luft war unangenehm schwü l, und der Schweiß lief uns nur so
ü ber die Stirn. Wir tranken Wasser aus einem Bach und beobachteten Vö gel, die wir nicht
kannten und die sich eher durch ihre bunten Federn als durch schö ne Stimmen
auszeichneten. Fritz behauptete, er habe in den Ä sten Affen gesehen. Und wirklich hö rten
wir es ü ber uns rascheln, und Tü rk fing an zu bellen. Fritz schlich herum und schaute
suchend in die Baumkronen. Dabei stolperte er ü ber einen runden, faserigen Gegenstand,
den er mir brachte.

»Schau mal, was fü r ein seltsames Vogelnest.«


»Eine Kokosnuss hast du gefunden«, sagte ich lachend. Ich schä lte die Nuss aus den Fasern
und schlug sie auf, aber darin war nur faules ungenießbares Kokosfleisch. Fritz und ich
hatten beide Lust auf Kokosnü sse bekommen, also machten wir uns auf die Suche und
fanden endlich eine frische, in der noch sü ßes Kokoswasser war. Wir tranken es und
packten die zerbrochene Schale mit dem Mark zu unserem Proviant.
Jetzt wurde der Wald dichter, und er war so voller Lianen, dass wir uns mit dem Beil einen
Pfad freihauen mussten. Wir waren froh, als sich der Wald vom Meeresufer zurü ckzog und
wir wieder ü ber freies Gelä nde gehen konnten. Nur hier und da standen noch einzelne
Bä ume, an deren Stä mmen dicke Beulen waren. Als wir uns dem ersten nä herten, erkannte
ich voller Freude, dass es ein Kalebassenbaum war, auf dem eine Art Kü rbis wuchs. Fritz
fand eine dieser Frü chte auf dem Boden, und ich erklä rte ihm, dass man aus der harten
Schale Schü sseln und Flaschen machen kö nne. »Manche Vö lker benutzen sie sogar als
Kochtö pfe.«
»Aber dann wü rden sie ja verbrennen«, sagte Fritz.
»Man stellt sie nicht aufs Feuer«, sagte ich, »man fü llt sie mit Wasser und dem, was man
kochen will, und wirft glü hende Steine hinein, bis das Wasser heiß ist. So bleibt die Schale
unverletzt.«
Fritz wollte gleich ein paar Teller und Schü sseln fü r die Mutter machen und sä belte an
einem Kü rbis herum. Aber er rutschte mit dem Messer immer wieder ab und brachte nichts
Brauchbares zustande. Verä rgert warf er die Frucht auf den Boden.
»Warum schnitzt du aus den Resten nicht ein paar Lö ffel fü r uns«, sagte ich und zeigte ihm,
wie man einen Kü rbis zerteilte, eine Methode, von der ich in einem Reisebericht gelesen
hatte. Ich spannte eine Packschnur um die Frucht, klopfte sie mit dem Schaft des Messers
fest und zog sie dann allmä hlich weiter an, bis sie die Schale ganz durchdrungen hatte. Ich
hatte den Kü rbis nicht in der Mitte zerschnitten, sondern so, dass eine tiefe Schü ssel und
ein flacher Teller entstanden. Wir machten noch mehr Geschirr, fü llten alles mit Sand,
damit es beim Trocknen nicht schrumpfen konnte, und legten es in die Sonne. Dann zogen
wir weiter die Kü ste entlang. Wä hrend wir gingen, versuchten wir ohne großen Erfolg,
Lö ffel zu schnitzen. »Man mü sste einen Mund von einem Ohr zum anderen haben, um diese
Lö ffel gebrauchen zu kö nnen«, sagte Fritz lachend.
Obwohl wir uns unterwegs immer wieder umschauten, fanden wir auch hier keine Spur
von Menschen. Nachdem wir ungefä hr vier Stunden gegangen waren, kamen wir zu einer
kleinen Halbinsel, die weit ins Meer hinausragte und auf der sich ein ziemlich hoher Hü gel
befand. Mit einiger Mü he kletterten wir auf den Gipfel, von wo wir einen weiten Ausblick
hatten. Aber wohin wir mit unserem Fernglas auch schauten, keine Menschenseele war zu
sehen. Vom Meer her wehte ein angenehm kü hler Wind. Wir betrachteten die fremde
Landschaft. Ö stlich von uns lag eine große Bucht, an deren Ende sich ein Vorgebirge im
Dunst verlor. Im Landesinneren sahen wir ausgedehnte Wä lder. Der Anblick dieser
fruchtbaren Gegend beruhigte mich. Bestimmt wü rden wir genug Nahrung finden. Aber das
trö stete uns nicht darü ber hinweg, dass wir anscheinend ganz alleine auf der Insel waren.
Wir stiegen vom Hü gel hinunter und kamen durch ein hü bsches Palmenwä ldchen zu einem
Dickicht von Rohren, die, teilweise geknickt, das Durchkommen schwierig machten. Wir
ließen Tü rk vorausgehen, falls sich Schlangen darin verbargen.
Ich hieb ein Rohr ab, damit ich mich notfalls verteidigen konnte. Nach einer Weile merkte
ich, dass ein klebriger Saft aus der Schnittstelle rann. Ich kostete ein wenig davon. Er war
so sü ß, dass es nur Rohrzucker sein konnte. Ich rief Fritz zu, er solle sich ein Rohr
abschneiden gegen die Schlangen. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich einen Freudenschrei
hö rte: »Vater, Vater, das ist Zuckerrohr!« Er war stehengeblieben und wartete auf mich. Als
ich ihn erreichte, leckte er sich die Finger ab und sagte: »Das wird eine Freude zu Hause,
wenn wir ihnen Zucker mitbringen.« Er schnitt ein Stü ck des Rohres nach dem anderen ab
und sog es aus, bis ihm der sü ße Saft ü ber das Kinn lief. Wir hieben ein Dutzend Rohre ab,
befreiten sie von den Blä ttern und banden sie zusammen, damit wir sie besser tragen
konnten.
Wir drehten um und gingen zurü ck zum Palmenwä ldchen, wo wir zu Mittag essen wollten.
Als wir es erreichten, floh eine Gruppe ziemlich großer Affen kreischend vor uns auf die
Palmen. Von oben schauten sie auf uns herab und spitzten die Lippen, als seien sie erstaunt
ü ber uns Eindringlinge. Ihre Schreie hallten im Wald wider, und aus der Ferne wurde ihnen
geantwortet. Ich betrachtete die Kokosnü sse auf den Palmen und hatte eine Idee. Ich warf
mit Steinen nach den Affen. Obwohl ich keinen traf, wurden die Tiere zornig und fingen an,
mit Kokosnü ssen nach uns zu werfen. Fritz freute sich ü ber den gelungenen Streich und
sammelte so viele Nü sse ein, wie er tragen konnte. Dann suchten wir uns ein schö nes,
schattiges Plä tzchen, schlugen Lö cher in die Nü sse und tranken das Wasser, das uns
allerdings erst richtig schmeckte, nachdem wir es mit Rohrzucker gesü ßt hatten. Die
Schalen zerklopften wir mit unseren Beilen, um an das schneeweiße Fruchtfleisch zu
kommen. Tü rk bekam die Reste des Hummers vom Frü hstü ck und etwas Zwieback, aber da
er noch nicht genug zu haben schien, fing er an, an einem Zuckerrohr zu kauen, das ihm
bestens schmeckte.
Allmä hlich mussten wir an den Heimweg denken. Ich band ein paar Kokosnü sse, die noch
Stiele hatten, zu einem Bü ndel zusammen und nahm es auf die Schulter. Fritz klagte bald
ü ber seine schwere Last und die drü ckende Hitze.
»Kau doch an einem Zuckerrohr«, sagte ich. »So kannst du dich erfrischen, und deine Last
wird erst noch leichter.«
Er folgte meinem Rat, spuckte aber den Saft sofort wieder aus. »Der ist ganz sauer
geworden.«
Ich probierte selbst ein wenig und merkte, dass der Zucker angefangen hatte, sich durch
Gä rung in Alkohol zu verwandeln. »Wir sollten nicht zu viel davon trinken«, sagte ich zu
Fritz, »sonst sind wir betrunken, bis wir nach Hause kommen.
Wir wanderten weiter und redeten ü ber alles Mö gliche und kamen, fast ohne es zu merken,
an den Ort, an dem wir die Kü rbisgefä ße zurü ckgelassen hatten. Sie waren inzwischen
einigermaßen trocken. Wir schü tteten den Sand aus und packten sie ein. Beim Wä ldchen, in
dem wir gefrü hstü ckt hatten, fing Tü rk wie wild an zu bellen und jagte auf eine Gruppe
Affen zu, die im Schatten der Bä ume saß und uns gar nicht bemerkt hatte. Bevor wir den
Hund zurü ckpfeifen konnten, hatte er eine alte Ä ffin gerissen. Ein Junges, das auf ihrem
Rü cken gesessen hatte, kauerte daneben im Gras, fletschte die Zä hne und zitterte vor Angst.
Fritz war sofort hingerannt. Er konnte die Ä ffin nicht mehr retten, aber kaum hatte das
kleine Ä ffchen ihn entdeckt, kletterte es schnell auf seinen Rü cken und klammerte sich an
seinem Hals fest. Sosehr er es auch versuchte, er konnte es nicht abschü tteln.
»Ich glaube, es hat dich zum Pflegevater genommen«, sagte ich lachend. Ich nahm ihm das
Tierchen vorsichtig von den Schultern und hielt es in den Armen wie ein Baby. Es war
kaum grö ßer als eine kleine Katze und musste noch sehr jung sein.
»Was sollen wir nur mit ihm machen?«, fragte ich.
Fritz bat mich, es behalten zu dü rfen.
»Ich werde es mit Kokoswasser fü ttern. Vielleicht kann es uns spä ter beim
Frü chtesammeln helfen.«
Ich war einverstanden, setzte ihm das Kleine wieder auf die Schultern und trug dafü r sein
Bü ndel Zuckerrohr. Als Fritz mü de wurde, versuchte er, das Tierchen auf Tü rks Rü cken zu
setzen.
»Du hast seine Mutter getö tet«, sagte er zum Hund, »also kannst du es wenigstens ein Stü ck
weit tragen.«
Aber Tü rk knurrte und schnappte nach dem Ä ffchen und wä lzte sich schließlich auf dem
Boden, so dass Fritz es wieder auf die Schulter nehmen musste.
Dann hö rten wir schon das Bellen von Bill, und bald waren wir zurü ck an unserem
Lagerplatz, wo Katharina und die anderen Knaben uns freudig empfingen. Neugierig
erkundigten sie sich nach den Dingen, die wir mitgebracht hatten. Aber am meisten
begeisterte sie der kleine Affe, unser neues Familienmitglied. Wir erzä hlten von unseren
Erlebnissen und dass wir niemanden von unserem Schiff gefunden hä tten.
»Wir wollen dankbar sein, dass wenigstens wir gerettet wurden«, sagte Katharina. Fritz
zeigte den anderen Jungen, wie man das Zuckerrohr aussaugte, aber der vergorene Saft
schmeckte ihnen nicht. Meine Frau freute sich ü ber die Schü sseln und Teller, die wir aus
den Kalebassen geschnitten hatten. Sie hatte schon angefangen, eine Mahlzeit zuzubereiten.
Ü ber dem Feuer briet an einem Spieß eine Gans und an einigen Stecken verschiedene
Fische, die Jack und Frä nzchen gefangen hatten. Im großen Topf kochte Fleischbrü he, die
wunderbar duftete. Neben dem Feuer stand eines der Fä sser, die wir aus dem Wasser
gefischt hatten. Es war geö ffnet, und ich sah darin eine große Anzahl hollä ndischer Kä se,
die mit Blei umhü llt waren, um sie vor dem Verderben zu schü tzen. Die Mutter rief die
Knaben zum Essen. Wir setzten uns alle in den Sand und bedienten uns aus den Schü sseln.
Ernst hatte eine Kokosnuss aufgeschlagen und sein Taschentuch in den Saft getaucht. Er
hielt es dem kleinen Ä ffchen hin, das tatsä chlich daran saugte. Jack kam auf eine Idee. Er
holte eine Sä ge und schnitt sorgfä ltig drei Kokosnü sse entzwei, so dass jeder von uns eine
Schale fü r die Suppe hatte. So genossen wir unser Essen, obwohl die Fische etwas trocken
und die Gans ein wenig angebrannt war.
Die Jungen hatten zusammen mit der Mutter noch mehr trockenes Gras gesammelt und
unser Lager im Zelt etwas bequemer gemacht. Gleich nach dem Essen legten wir uns hin,
denn wir waren mü de nach diesem anstrengenden Tag. Sogar der kleine Affe musste mit
ins Zelt. Fritz und Ernst nahmen ihn in ihre Mitte und deckten ihn sorgfä ltig zu, damit er
nicht fror.
Mitten in der Nacht erwachte ich vom Heulen und Bellen der Hunde. Die Hü hner auf dem
First des Zeltes bewegten sich unruhig. Katharina und Fritz waren ebenfalls wach. Wir
griffen zu unseren Gewehren und krochen ins Freie. Da sahen wir im Licht des vollen
Mondes, dass unsere Hunde von einem Dutzend Schakale umringt waren. Tü rk und Bill
hatten schon zwei oder drei der wilden Tiere erlegt, die anderen hatten sich etwas
zurü ckgezogen und heulten und versuchten immer wieder anzugreifen. Fritz und ich
feuerten und erlegten zwei weitere Schakale, die ü brigen flohen erschrocken vom Knallen
der Gewehre. Die Hunde aber machten sich ü ber die toten Schakale her und stillten ihren
Hunger an den Kadavern.
»Schaut«, sagte Fritz und zeigte in den Himmel, »wie wunderschö n.« Unzä hlige Sterne
leuchteten uns entgegen, sogar die Milchstraße zeichnete sich deutlich ab und darin das
Kreuz des Sü dens, das einzige Sternbild dieses fremden Himmels, das ich kannte.
Da jetzt alles ruhig war und wir keinen weiteren Angriff der Schakale fü rchteten, gingen
wir zurü ck ins Zelt und vertrauten auf den Schutz unserer tapferen Hunde. Wir schliefen,
bis uns am Morgen der Hahn mit seinem Krä hen weckte. Noch im Zelt besprach ich mit
Katharina, dass ich heute mit Fritz zum Wrack fahren wollte, um die Tiere zu versorgen
und um zu retten, was zu retten war. Das schien uns im Moment das Wichtigste. Fritz war
schon nach draußen verschwunden, und allmä hlich erwachten auch die anderen Jungen.
Als sie ins Freie krochen, stand vor ihnen ein Schakal. Das Ä ffchen erschrak so sehr, dass es
sich unter dem trockenen Gras verkroch. Die jü ngeren Knaben merkten schnell, dass das
Tier tot war, und fragten verwundert, woher es komme. Fritz lachte sie aus. Er hatte den
starr gewordenen Kadaver vor dem Zelt aufgestellt und erzä hlte jetzt von unserem
nä chtlichen Abenteuer.
Zum Frü hstü ck aßen wir Kä se und Zwieback, der aber so trocken war, dass wir ihn kaum
herunterbrachten. Plö tzlich kam Ernst, der ein wenig herumspaziert war, angerannt und
rief, eines der Fä sser, die wir gestern gerettet hä tten, rieche nach Butter. Wir ü berlegten
uns, wie wir es aufmachen kö nnten, ohne dass die Butter in der Hitze auslaufen wü rde.
Schließlich bohrten wir ein Loch in den Deckel und schabten mit einem Stü ck
Kokosnussschale so viel gesalzene Butter heraus, wie wir brauchten. Wir rö steten den
Zwieback ü ber dem Feuer und bestrichenen ihn mit Butter. Es schmeckte fast so gut wie
das Brot zu Hause. Die Hunde hatten nach ihrem nä chtlichen Mahl keinen Hunger mehr. Sie
lagen ruhig neben dem Feuer, aber wir bemerkten, dass sie vom Kampf einige Verletzungen
davongetragen hatten, vor allem am Hals. Sie leckten sich gegenseitig die Wunden. Fritz
meinte, es wä re gut, wenn wir Stachelhalsbä nder fü r sie machen kö nnten.
»Das mache ich«, sagte Jack, »wenn die Mutter mir mit dem Nä hen hilft.«
Fritz und ich bereiteten uns fü r die Fahrt zum Wrack vor. Wir packten nur unsere Gewehre
ins Boot, weil wir bestimmt genug Lebensmittel finden wü rden. Den kleinen Affen nahmen
wir mit, Fritz wollte ihn mit frischer Milch von einer der Ziegen fü ttern. Dann beluden wir
das Schiff mit Steinen, damit es nicht zu leicht war und kenterte. Katharina bastelte aus
einer langen Stange und einem Stü ck Segeltuch eine Art Fahne, die vom Wrack aus zu
sehen sein mü sste. Wü rde irgendeine Gefahr drohen, wollte sie die Fahne umstoßen und
drei Warnschü sse abfeuern, um uns zurü ckzurufen.
Fritz ruderte los, und ich half mit dem Steuer nach, so gut ich konnte. Ungefä hr in der Mitte
der Bucht bemerkten wir, dass diese außer der Ö ffnung, durch die wir gestern gefahren
waren, noch eine zweite hatte. Dort floss auch der Bach ins Meer. Als wir uns ihr nä herten,
spü rten wir die krä ftige Strö mung, die unser Schiff ins offene Meer hinaus und auf das
Wrack zutrieb. So brauchten wir die Ruder nur noch, um uns in der Strö mung zu halten,
und hatten schon bald unser Ziel erreicht. Wir steuerten in den offenen Bauch des Wracks.
Wä hrend ich unser Schiffchen festmachte, sprang Fritz hinaus und lief mit dem Affen zum
Vieh auf dem Unterdeck. Es war heiß und dunkel in diesem provisorischen Stall, und der
Geruch nach Mist und Jauche war betä ubend. Die verlassenen Tiere blö kten, grunzten und
meckerten vor Freude, als sie uns kommen hö rten. Es schien, als hä tten sie nicht nur das
Futter, sondern auch unsere Gesellschaft vermisst. Fritz befreite die Ziegen aus dem engen
Verschlag, in dem sie eingesperrt waren, und legte das Ä ffchen einer der Ziegen ans Euter.
Sofort fing es an zu saugen. Es machte ein ganz zufriedenes Gesichtchen dabei, die
ungewohnte Milch schien ihm gut zu schmecken. Wir gaben dem Vieh frisches Wasser und
Futter. Danach aßen wir selbst, was wir auf dem Schiff finden konnten.
Zuerst wollten wir fü r unser Schiff ein Segel machen, damit wir weniger zu rudern hä tten.
Ich schaute mich nach einer Stange um, die wir als Mast gebrauchen konnten, und nach
einer dü nneren fü r den Baum. Fritz bohrte inzwischen mit einem Meißel ein Loch in ein
Brett, um den Mast zu befestigen. In der Segelkammer schnitten wir von einer schweren
Tuchrolle ein dreieckiges Segel ab. Oben am Mast befestigten wir einen Flaschenzug, damit
wir das Segel hochziehen und herunterlassen konnten. Wir nagelten das Brett, das Fritz
vorbereitet hatte, auf dem Tonnenschiff fest, steckten den Mast hindurch und zurrten ihn,
so gut es ging, mit Seilen fest. Dann hä ngten wir das Segel auf, banden es am Mastbaum fest
und brachten die nö tigen Taue an, um es in den Wind schwenken zu kö nnen. Fritz hatte
irgendwo eine Kiste mit Signalflaggen gefunden und suchte sich eine blauweiße aus, die
aussah wie eine um neunzig Grad gedrehte Zü rcher Fahne. Er nagelte sie zuoberst an den
Mast. Ich fragte ihn, was der Wimpel bedeute, und er sagte, nach dem Flaggenalphabet, das
er in der Kiste gefunden habe, stehe er fü r die Zahl 6. Er habe sie ausgewä hlt, weil wir zu
sechst auf der Insel seien.
Da es Abend geworden war, entschlossen wir uns, auf dem Wrack zu ü bernachten. Wir
schauten mit dem Fernrohr zum Land und sahen, dass die Fahne noch stand. Unseren
Lieben drohte also keine Gefahr. Bevor es ganz dunkel wurde, warfen wir den Ballast von
unserem Boot und fingen an, uns auf dem Wrack nach Nü tzlichem umzuschauen. Vor allem
schleppten wir Pulver und Blei herbei, damit wir jagen und uns verteidigen kö nnten. Unser
Schiff war in die Sü dsee unterwegs gewesen, um dort eine neue Siedlung zu grü nden, also
war es mit vielen Gegenstä nden beladen, die uns auf der Insel nü tzen konnten. Wir
sammelten alles Werkzeug ein, das wir finden konnten. In der Kapitä nskajü te entdeckten
wir silbernes Besteck und Teller und Schü sseln aus Zinn. Aus der Kü che nahmen wir
Pfannen, Tö pfe und Roste mit. Dort fanden wir auch einen großen westfä lischen Schinken
und einige Sä ckchen mit Getreide, Mais und anderem Saatgut. Fritz packte Hä ngematten
und Wolldecken ein, außerdem ein paar Flinten und einen Arm voll Degen, Sä bel und
Hirschfä nger. Zum Schluss luden wir noch eine Menge Taue, Stricke und eine Rolle
Segeltuch ein und ein Fä sschen Schwefel, um Feuer zu machen.
Unser Schifflein war so schwer beladen, dass es tief im Wasser lag. Aber das Meer war
spiegelglatt, und ich hatte keine Angst, es kö nnte kentern. Immerhin legten wir zwei
Korkschwimmwesten bereit, damit wir uns im Notfall retten konnten.
Am Land sahen wir ein großes Feuer brennen. Damit unsere Familie wusste, dass es auch
uns gut ging, hä ngten wir vier Laternen auf. Dann hö rten wir aus der Ferne zwei Schü sse,
das verabredete Signal, dass alles in Ordnung sei. Fritz und ich legten uns in unser
Kufenschiff. Das war ziemlich unbequem, aber wenigstens waren wir so sicher, falls das
Wrack in der Nacht auseinanderbrechen sollte. Lange schauten wir in den Sternenhimmel
und machten Plä ne fü r die Zukunft, bis wir endlich einschliefen.
Am Morgen weckte uns das Blö ken der Tiere unter Deck. Noch bevor wir sie fü tterten,
schaute ich mit dem Fernrohr, ob an Land alles in Ordnung war. In der Luft lag leichter
Dunst, unsere Kleider waren klamm, und wir froren. Ich sah mit großer Erleichterung, dass
die Mutter und die Knaben schon auf den Beinen und an der Arbeit waren. Eigentlich hatte
ich gleich am Morgen zurü ckfahren wollen, aber da ich jetzt beruhigt war, machte ich mir
Gedanken, wie wir das Vieh an Land bringen kö nnten.
»Warum bauen wir nicht ein Floß?«, sagte Fritz.
»Ich glaube nicht, dass die Tiere sich auf ein Floß wagen«, antwortete ich.
»Das Schwein stoßen wir einfach ins Wasser und ziehen es mit einem Strick an Land«,
sagte Fritz, »mit seinem fetten Bauch wird es im Wasser schwimmen wie ein Korken.«
»Das mag sein«, sagte ich, »aber mir wä re es viel lieber, wenn wir die Ziegen und die Schafe
retten kö nnten.«
Fritz, der nie um eine Idee verlegen war, schlug vor, den Tieren Schwimmwesten
anzuziehen. Ich fand den Einfall nicht schlecht, und wir probierten es gleich aus. Wir zogen
einem Lamm eine der Korkwesten ü ber und warfen es ins Meer. Das Wasser schlug ü ber
seinem Kopf zusammen, aber gleich tauchte es wieder auf und fing heftig zu zappeln an.
Fritz machte einen Freudensprung. Wir zogen das verä ngstigte Lamm mit einem Seil
wieder an Bord und kleideten auch die anderen Tiere ein.
Die Schafe und Ziegen waren schnell bereit. Fü r den Esel und die Kuh ließen wir uns etwas
anderes einfallen. Wir nahmen vier Wasserfä sser, leerten und verschlossen sie wieder.
Dann nagelten wir je ein Stü ck Segeltuch zwischen zwei der Fä sser. Diese Schwimmhilfen
schnallten wir mit Gurten und Riemen so am Esel und an der Kuh fest, dass sie auf den
Tü chern liegen wü rden, sobald sie im Wasser waren. Nach einer guten Stunde waren auch
die zwei ausgerü stet. Mit dem Schwein hatten wir mehr Mü he. Es schnappte nach uns, und
wir mussten ihm das Maul zubinden, bevor wir ihm eine Weste anziehen konnten. Zum
Schluss warfen wir jedem Tier einen Strick um den Hals. Dann schlugen wir dort, wo sie
standen, ein Loch in die Seitenwand des Wracks. Zuerst fü hrten wir den Esel seitwä rts an
diese Ö ffnung heran und gaben ihm einen krä ftigen Stoß. Auch er tauchte unter wie zuvor
das Lamm, aber ebenso schnell war er wieder an der Oberflä che und schwamm so munter
vor sich hin, dass wir ihm Beifall klatschten. Als Nä chstes kam die Kuh an die Reihe. Nach
und nach warfen wir alle Tiere ü ber Bord. Sie blieben in der Nä he des Schiffes, nur das
Schwein zappelte so ungestü m mit den Beinen, dass der Strick sich lö ste und es weit
abtrieb, glü cklicherweise in Richtung des Ufers.
Jetzt zogen auch wir unsere Korkwesten an, stiegen in das Tonnenschiff und ruderten los,
umgeben von der seltsamen schwimmenden Herde. Wir hatten die Stricke an unserem
Boot festgebunden und das Segel hochgezogen. Langsam stieß uns der schwache Wind auf
die Insel zu. Wir fuhren in die Bucht ein, und ich steuerte das Boot an eine flache Stelle, wo
das Vieh mit den Beinen den Grund erreichen konnte. Dann ließ ich die Stricke los, und die
Tiere marschierten von selbst an Land.
Die Mutter und die drei zurü ckgebliebenen Knaben kamen uns entgegen und jauchzten, als
sie sahen, dass wir das Vieh gerettet hatten.
»Ich habe mir den Kopf darü ber zerbrochen, wie es gelingen kö nnte«, sagte Katharina. »Die
Tiere sind das Nü tzlichste, was wir vom Wrack gerettet haben.«
»Ach was«, sagte Frä nzchen, »der Wimpel am Schiff ist viel schö ner.«
Er bewunderte mit den anderen Jungen den Mast und das Segel, und Fritz erklä rte ihnen,
wie wir alles montiert hatten.
Wir luden das Boot aus und befreiten die Tiere von ihren Schwimmhilfen. Jack setzte sich
auf den Esel und ritt stolz vor uns auf und ab.
»Schau dir die Hunde an«, rief er mir zu.
Jetzt erst sah ich, dass beide ein Halsband trugen, aus dem lange Nä gel ragten. »Das hast du
toll gemacht«, sagte ich, »aber woher hattest du das Fell und den Nä hfaden?«
»Faden und Nadel habe ich ohnehin immer dabei«, sagte Katharina. »Und die Haut ist vom
Schakal, den Fritz gestern geschossen hat.«
Fritz war nicht sehr begeistert darü ber, dass seine schö ne Trophä e zerschnitten worden
war, aber er verbarg seinen Ä rger, so gut er konnte.
Es war Zeit fü r das Abendessen, und ich holte den westfä lischen Schinken, den wir
mitgebracht hatten. Die Kinder jubelten, aber die Mutter sagte, der mü sse erst gekocht
werden und das wü rde Stunden dauern. Dafü r zog sie ein Dutzend Eier hervor und sagte,
die hä tten sie auf ihrer Erkundungsreise gefunden, wä hrend wir auf dem Wrack gewesen
seien.
»Ernst behauptet, es seien Schildkrö teneier«, sagte sie. »Ich werde ein Omelett daraus
machen, Butter haben wir ja genug.«
»Das sind bestimmt Schildkrö teneier«, sagte Ernst, »denn sie sind wie Kugeln geformt und
fü hlen sich an wie nasses Pergament. Wir haben sie am Strand gefunden.«
Wä hrend Katharina kochte, befreite ich mit den Knaben die letzten Tiere von ihren Westen.
Dann war der Eierkuchen schon fertig, und wir genossen es, dass wir endlich wieder mit
Messer und Gabel essen konnten. Zur Feier des Tages ö ffnete ich eine Flasche
Kanariensekt, die wir aus dem Weinlager des Kapitä ns mitgebracht hatten, und alle durften
anstoßen. Dann erzä hlte Katharina, was sie und die Knaben wä hrend unserer Abwesenheit
unternommen und erlebt hatten.

2. Kapitel Die Entdeckungsfahrt der Mutter. Wie eine Brücke und ein
Baumhaus gebaut werden. Fritz erweist sich als Held.
»Als ich gesehen habe, dass ihr so bald nicht vom Wrack zurü ckkommt«, erzä hlte
Katharina, »habe ich mich mit den Knaben aufgemacht und nach einem bequemeren
Wohnsitz fü r uns gesucht. Denn hier am Strand ist die Hitze tagsü ber kaum auszuhalten.
Und nachts quä len uns die Moskitos.«
Sie hatten sich mit Gewehren und Proviant ausgerü stet und waren losgezogen. Nachdem
sie den Bach ü berquert hatten, gingen sie den Strand entlang, wo sie unsere Fußabdrü cke
sahen. Sie folgten ihnen ein Stü ck weit, dann wandten sie sich gegen das Landesinnere. Sie
wateten durch hohes Gras und kamen nur langsam voran. Ü berall gab es unbekannte Vö gel.
Die Knaben wollten nach ihnen schießen, aber die Mutter verbot es ihnen. »Wir tö ten nur
die Tiere, die wir auch essen«, sagte sie, »oder jene, die uns bedrohen.« Nach einer Weile
kamen sie zu einer Gruppe von vielleicht einem Dutzend Bä umen. »So große Bä ume habe
ich in meinem Leben noch nicht gesehen«, sagte Katharina, »rings um die Stä mme waren
dicke Wurzeln, die sie wie Strebepfeiler stü tzten.« Jack kletterte an einer der Wurzeln hoch,
um den Umfang des Stammes mit einem Stü ck Schnur zu messen. Er betrug elf Meter. Vom
Boden bis zu den ersten Ä sten mussten es gegen zwanzig Meter sein. Das Laub war dicht
und spendete angenehmen Schatten. Die Blä tter sahen aus wie von Nussbä umen, Frü chte
waren keine zu sehen. Unter den Bä umen war der Boden mit Gras bewachsen und frei von
Dornen oder Buschwerk.
Es gefiel allen so gut an der Stelle, dass sie dort Mittagsrast hielten. Sie nahmen ihre
Proviantsä cke hervor und schö pften Wasser aus einem kleinen Bä chlein in der Nä he. Kurz
darauf kamen die Hunde, die am Strand zurü ckgeblieben waren, aber sie bettelten nicht
nach Futter, sondern schienen satt zu sein und legten sich zum Schlafen ins Gras.
»Ich konnte mich an dem Ort nicht sattsehen«, sagte Katharina. »Wä hrend der ganzen
Wanderung haben wir keine schö nere Stelle gefunden. Wenn wir auf einem der Bä ume ein
Baunmhaus bauen kö nnten, wä ren wir sicher vor allen Angreifern.«
Sie beschlossen umzukehren. Am Strand war einiges vom Wrack angeschwemmt worden,
aber das meiste war zu schwer fü r sie. Sie zogen die Sachen nur so weit wie mö glich vom
Wasser weg, damit es von der Flut nicht wieder hinausgespü lt wü rde. Dabei sahen sie, was
die Hunde zuvor gefressen haben mussten. Denn an einer felsigen Stelle schnappten sie
schon wieder nach Krabben. Bill grub im Sand und zog etwas heraus, das er gierig
verschlang.
»Das werden Schildkrö teneier sein«, sagte Ernst gelassen.
Die Mutter verscheuchte den Hund und konnte zwei Dutzend der Eier retten. Als sie aufs
Meer hinausschaute, sah sie mit Erstaunen ein kleines Segelboot. Frä nzchen meinte, es
seien Eingeborene, die gekommen seien, um sie aufzufressen. Aber bald erkannten sie, dass
wir es waren, und eilten zur Bucht.
»Was hä ltst du davon, in einem Baumhaus zu wohnen«, fragte Katharina.
»Das wä re nicht schlecht«, sagte ich, »aber wie kommen wir ohne Luftballon auf einen so
hohen Baum hinauf?«
Wir beschlossen, uns den Ort bald zusammen anzusehen und dann zu entscheiden, was wir
machen wollten. Ü ber Katharinas Erzä hlungen war es dunkel geworden, und wir verzogen
uns in unser Zelt, wo wir bald wie die Murmeltiere schliefen.
Am nä chsten Morgen schlug ich Katharina vor, vorerst noch im Zelt wohnen zu bleiben und
so viel wie mö glich vom Wrack zu retten. Spä ter kö nnten wir uns eine Hü tte auf einem der
Bä ume bauen und hier unten am Ufer unser Magazin und eine Festung errichten. Die
Felswand in unserem Rü cken und der Bach boten nä mlich gegen die Insel hin guten Schutz.
Nur wü rden wir eine Brü cke bauen mü ssen, damit wir bequemer hinü berkä men.
»Dann werden wir noch ewig hier hausen«, sagte meine Frau, »ich kenne dich doch.«
Schließlich gab ich nach und stimmte dem Umzug zu, weil mir selbst nicht ganz wohl war,
so nah an einer großen Menge Schießpulver zu wohnen. »Aber wenigstens eine Brü cke will
ich erst noch bauen.«
Katharina melkte die Kuh und die Ziegen, und ich bereitete das Tonnenschiffchen vor, um
vom Wrack Bretter fü r die Brü cke zu holen. Nach dem Frü hstü ck fuhr ich mit den zwei
Ä ltesten los. Ernst war ganz begeistert, dass er diesmal mitfahren durfte. Wir mussten aber
gar nicht bis hinaus zum Wrack. Denn unterwegs bemerkten wir ein kleines Inselchen, auf
dem viele angeschwemmte Balken und Bretter lagen. Wir landeten, trugen zusammen, was
wir brauchen konnten, und banden alles zusammen. Dann warfen wir den Bretterstapel ins
Wasser, befestigten ihn mit einem Tau an unserem Schiff und schleppten ihn ab. So waren
wir vier Stunden, nachdem wir losgefahren waren, schon wieder zurü ck. Am Strand kamen
uns Katharina und die zwei Kleinen entgegen. Sie trugen ihre bauchig gefü llten
Taschentü cher vor sich her und zeigten uns darin ein Gewimmel von Flusskrebsen.
»Und es gibt noch viel mehr!«, sagte Jack voller Stolz.
Er war zusammen mit Frä nzchen den Bach entlanggegangen, um eine gute Stelle fü r die
Brü cke zu suchen. Frä nzchen sammelte bunte Steine vom Boden auf. Plö tzlich rief er nach
Jack: »Komm her, hier gibt es ganz viele Krebse!« Es war die Stelle, an der wir die toten
Schakale ins Wasser geworfen hatten, weil sie angefangen hatten zu stinken. Hunderte von
Krebsen nagten an den Kadavern, und die Knaben hatten innerhalb kü rzester Zeit eine
große Zahl davon eingesammelt. Katharina hatte inzwischen Tragsä cke fü r den Esel und
die Kuh genä ht. Sie hatte ein langes Stü ck Segeltuch genommen, das den Tieren ü ber den
Rü cken gelegt werden konnte, und es an den Enden hochgeschlagen und seitlich
festgenä ht.
Die Jungen halfen mir mit dem Holz. Wir warfen der Kuh und dem Esel Stricke um den Hals
und ließen sie die schwereren Bretter und Balken zur Stelle hochziehen, die Frä nzchen und
Jack ausgesucht hatten. Dort war der Bach ziemlich schmal, und beide Ufer waren gleich
hoch und aus fester Erde. Katharina hatte eine Krebssuppe gekocht, und wä hrend des
Essens berieten wir, wie wir die schweren, gegen acht Meter langen Balken ü ber den Bach
legen kö nnten.
Trotz der großen Hitze machten wir uns nach dem Essen an die Arbeit. Wir banden ein Seil
um das Ende eines Balkens. Das Seil fü hrten wir durch einen Flaschenzug, den wir an
einem Baum auf der anderen Seite des Baches befestigt hatten, und wieder ü ber den Bach
zurü ck. Jetzt konnten wir es dem Esel um den Hals legen. Damit der Balken nicht ins
Wasser kippte, ließen wir ihn durch eine Schlaufe gleiten, die wir mit zwei langen Nä geln
im Boden verankert hatten. So gelang es uns, ihn langsam, langsam hinü berzuziehen. Der
zweite und der dritte Balken waren leichter zu verlegen, wir konnten sie einfach ü ber den
ersten hinü berschieben. Wir rollten sie in die richtige Position, legten Bretter darü ber –
und fertig war die Brü cke. Die Bretter nagelten wir nicht fest, damit wir sie in der Nacht
wegnehmen und so den Ü bergang nicht ganz unmö glich machen, aber wenigstens
erschweren konnten. Die Brü cke war mehr als zwei Meter breit, und die Knaben tanzten
darauf herum vor Freude ü ber den gelungenen Bau.
Am nä chsten Morgen trieben wir die Tiere zusammen. Die Kuh und der Esel bekamen die
Tragsä cke ü bergelegt, beide ließen es sich geduldig gefallen. Wir packten Werkzeuge,
Kü chengeschirr und Stricke ein und Proviant fü r ein paar Tage. Eins der Kü rbisgefä ße
fü llten wir mit Butter aus dem Fass. Auch die Decken und Hä ngematten nahmen wir mit. Da
kam Katharina eilig herbei und sagte, die Hü hner kö nnten wir unmö glich alleine hierlassen.
Die Schakale wü rden bestimmt wiederkommen und sie fressen. »Und auch mein
Zaubersack muss mit.«
Die Knaben versuchten, die Hü hner einzufangen, aber sie erwischten kein einziges. Da griff
die Mutter in ihren Sack, zog eine Handvoll Erbsen und Weizenkö rner heraus und lockte
die Hü hner damit herbei. Sie warf etwas Futter ins Zelt, und die Hü hner hü pften hinein, um
es aufzupicken. Schnell schlug sie den Eingang zu, und das Federvieh war gefangen. Fritz
kroch hinein und band den Hü hnern die Beine zusammen, so konnten wir sie oben auf dem
Gepä ck festmachen. Ich legte eine Decke ü ber sie, damit sie sich in der Dunkelheit
beruhigten. Zuletzt verstauten wir die Dinge, die wir nicht mitnehmen konnten, im Zelt und
knü pften den Eingang zu. Rings um das Zelt stellten wir die vollen und leeren Fä sser, um
wilde Tiere abzuhalten.
Ich hob Frä nzchen auf den Rü cken des Esels, und das kleine Ä ffchen kletterte, wie um es
ihm nachzutun, auf den Rü cken einer der Ziegen. So zogen wir los. Als das Schwein sah,
dass wir uns entfernten, grunzte es unzufrieden und folgte uns schließlich doch.
Wir kamen nur mü hsam vorwä rts. Das Vieh freute sich am vielen Gras jenseits des Baches,
und die Hunde mussten sich alle Mü he geben, den Zug zusammenzuhalten. Erst als wir den
Strand erreicht hatten, ging es schneller voran. Fritz ging mit dem Gewehr voraus, vielleicht
wü rde ihm ja ein Tier vor die Flinte laufen. Aber er hatte kein Glü ck.
Ich staunte nicht schlecht, als wir die riesigen Bä ume erreichten, die auf einer Hü gelkuppe
standen. Ich musste Katharina recht geben: Hier ließe es sich bestimmt gut wohnen. Wir
entluden die Tiere und banden ihnen die Vorderbeine so zusammen, dass sie nicht weit
laufen konnten. Die Hü hner und Tauben ließen wir frei. Dann setzten wir uns ins Gras und
ü berlegten, wie wir es anstellen sollten, auf einen der Bä ume zu kommen. Fritz war
losgezogen und erkundete die Umgebung. Plö tzlich hö rten wir einen Schuss, dann einen
weiteren und ein Triumphgeheul. »Getroffen!« Er kam angelaufen und zeigte stolz eine
schö n gemusterte Tigerkatze, die nicht viel grö ßer war als unsere Hauskatzen.
»Gut gemacht«, sagte ich, »die hä tte sich sonst in der Nacht bestimmt unsere Hü hner
geholt.«
Fritz erzä hlte, wie er das Tier im Gebü sch gesehen und angeschossen habe. Als es fliehen
wollte, hatte er es mit einem zweiten Schuss aus der Pistole erlegt.
»Was ist das eigentlich fü r ein Tier?«, fragte er.
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte ich, »aber es kö nnte ein Margay sein, eine
Langschwanzkatze, wie sie in Amerika vorkommt.«
»Darf ich das Fell diesmal behalten?«, fragte Fritz. »Ich weiß nur noch nicht, was ich daraus
machen soll.«
»Du kö nntest dir aus dem Schwanz einen Gü rtel nä hen«, sagte ich, »und aus dem Rest
kö nntest du Futterale fü r unser Essbesteck machen. Ich zeige dir erst mal, wie man das Fell
abzieht.«
Ernst suchte in der Zwischenzeit große Steine fü r eine Feuerstelle zusammen und
Frä nzchen Reisig fü r das Feuer. Als er mit dem Holz ankam, rief er uns mit vollem Mund zu:
»Das schmeckt gut!«
Die Mutter rannte zu ihm und sagte: »Spuck das sofort aus. Du darfst nicht einfach alles in
den Mund stecken. Du kö nntest dich vergiften!« Sie griff ihm mit den Fingern in den Mund
und zog die Reste einer Frucht heraus, die wie eine kleine Feige aussah. »Woher hast du
die?«
»Dort im Gras habe ich sie gefunden«, sagte Frä nzchen, »es gibt ganz viele. Das Schwein
und die Hü hner fressen sie auch, also habe ich gedacht, sie werden schon genießbar sein.«
»Also sind unsere Bä ume Feigenbä ume«, sagte ich, »das ist ja herrlich.« Trotzdem gab ich
meiner Frau recht und warnte die Kinder, nichts zu essen, was sie nicht kannten. Nur was
die Affen frä ßen, dü rften auch sie ohne Bedenken versuchen. Wir hielten unserem Ä ffchen
eine Feige hin. Es sah sie sich von allen Seiten an und steckte sie sich schließlich in den
Mund. Die Knaben klatschten in die Hä nde und fingen sofort an, Feigen einzusammeln.
Wir versuchten kleine Steine ü ber die untersten Ä ste des Baumes zu werfen, den wir fü r
unser Baumhaus ausgewä hlt hatten. Aber es gelang keinem von uns. Fritz hatte inzwischen
das Fell des Margay in den Bach gelegt und mit Steinen beschwert, um es einzuweichen.
»Ich denke, wir mü ssen heute Nacht hier unten schlafen«, sagte ich, »denn ich weiß nicht,
wie wir auf den Baum kommen sollen.«
»Ich mache Zugriemen fü r den Esel und die Kuh«, sagte Katharina, »dann kö nnen wir
morgen frü h gleich das Holz fü r das Baumhaus vom Strand heraufholen.«
Ich befestigte die Hä ngematten an den riesigen Wurzeln, damit wir wenigstens nicht auf
dem Boden schlafen mussten. Darü ber spannte ich ein großes Stü ck Segeltuch, um uns vor
nä chtlichem Tau zu schü tzen. Dann ging ich mit Ernst und Fritz an den Strand, um Bretter
und Balken zusammenzusuchen. Ernst entdeckte ein kleines Bambusdickicht mit Rohren,
die so dick und stabil waren, dass sie sich fü r eine Strickleiter bestens eigneten. Wir
schnitten ein paar davon in Stü cke von einem halben Meter Lä nge und trugen sie hoch zu
unserem Lagerplatz. Auch ein paar dü nnere Rohre hatten wir mitgenommen, um daraus
Pfeile zu machen, denn ich hatte eine Idee, wie wir auf den Baum gelangen kö nnten.
Wä hrend ich die dü nnen Rohre schnitt, war plö tzlich großer Lä rm aus dem Dickicht zu
hö ren, und ein ganzer Schwarm Flamingos flog auf. Fritz, der wie immer mit dem Gewehr
unterwegs war, schoss in den Schwarm und traf mit Glü ck zwei der Vö gel. Einer war sofort
tot, der andere nur an einem Flü gel verwundet. Er sprang auf die Fü ße und lief, so schnell
er konnte, davon. Aber Bill war schneller. Er fing den Flamingo ein und hielt ihn fest, bis ich
herbeigeeilt war und das flatternde Tier packen konnte. Ich nahm es unter den Arm und
brachte es zurü ck zu den Knaben, die ganz begeistert waren.
»Wir versuchen, ihn zu zä hmen«, sagte Ernst.
Ich untersuchte den Vogel. Das Gelenk eines Flü gels war vom Schuss zerschmettert
worden, das des anderen von Bill zerbissen. Ich entschloss mich, beide Flü gelenden mit
einer großen Schere abzuschneiden. Die Wunden bluteten stark, und ich nahm ein Stü ck
glü hender Kohle vom Herd und versengte sie, um die Blutung zu stillen. Dann banden wir
den Flamingo mit einer langen Schnur an einem Pflock fest und ließen ihn erst einmal in
Ruhe.
Jetzt machte ich aus einem langen Bambusrohr einen Bogen. Die Pfeile ließ ich vorne
stumpf und versah sie hinten mit Flamingofedern, damit sie schö n gerade fliegen wü rden.
»Machst du ein Spielzeug fü r uns?«, fragte Frä nzchen.
»Wartet nur«, sagte ich und bat Katharina um einen starken Faden. Sie zog ein ganzes
Knä uel aus ihrem Zaubersack. Ich band ein Ende an einen der Pfeile und wickelte ein paar
Meter Faden ab. Dann legte ich den Pfeil auf den Bogen und versuchte, ihn ü ber einen der
Ä ste zu schießen. Nach ein paar Versuchen gelang es mir. Der Pfeil fiel wieder zu Boden,
aber der Faden hing nun ü ber dem Ast. Wir befestigten ein Seil daran und zogen es
sorgfä ltig hoch. Dabei maßen wir auch gleich die Hö he bis zum ersten Ast und kamen auf
zwö lf Meter.
Nun fertigten wir die Strickleiter an. Wir schnitten zwei Stü cke Seil ab und legten sie
nebeneinander auf den Boden. Alle dreißig Zentimeter wickelten wir die Seile etwas auf,
steckten eins der Bambusrohre zwischen die Strä nge und fixierten es mit Nä geln. Die
fertige Strickleiter banden wir am Seil fest und zogen sie hoch. Jack durfte als Erster hinauf,
weil er leicht und doch flink war. Wie ein Affe kletterte er in die Baumkrone. Als Zweiter
kam Fritz, der die Leiter oben so gut festzurrte, dass sie auch mich tragen wü rde. An einem
etwas hö heren Ast befestigten wir einen Flaschenzug, um das Bauholz hinaufzuziehen.
Aber inzwischen war es schon dunkel geworden, und es blieb uns nur das Licht des
Mondes. Also trieben wir unser Vieh zusammen und streuten etwas Futter fü r die Hü hner.
Diese hatten die Leiter schnell entdeckt und sprangen von Stufe zu Stufe hinauf und
suchten sich oben im Baum ein Nachtlager.
Das Vieh banden wir unter den gewö lbten Wurzeln in der Nä he unserer Hä ngematten an.
Auch den Flamingo vergaßen wir nicht. Wir fü tterten ihn und banden ihn ebenfalls im
Schutz der Wurzeln an, worauf er seinen Kopf unter den rechten Flü gelstummel steckte
und das linke Bein in die Hö he zog. Die Knaben hatten inzwischen rund um den Baum
Brennholz zu Haufen aufgeschichtet. Wir wollten sie wä hrend der Nacht einen nach dem
anderen anzü nden, um immer ein Feuer zu haben. Nach dem Essen legten wir uns in die
Hä ngematten. Aus den Wiesen klang das Zirpen der Zikaden, und die Luft wurde endlich
etwas kü hler. Ich hatte mir vorgenommen, wach zu bleiben und das Feuer zu ü berwachen,
aber gegen Morgen ü bermannte der Schlaf mich doch. Ich war so mü de von der
anstrengenden Arbeit, dass die Knaben die grö ßte Mü he hatten, mich wach zu kriegen.
Nachdem Katharina das Vieh gemolken und wir gefrü hstü ckt hatten, machte sie sich mit
den drei jü ngeren Knaben und dem Esel zum Strand auf, um das Holz zu holen, das wir
gestern zusammengesucht hatten. Fritz und ich stiegen auf den Baum, um alles fü r den Bau
vorzubereiten. Die Ä ste standen fast waagrecht vom Stamm ab und waren ziemlich nah
beieinander. Einige, die uns im Weg waren, sä gten wir ab, andere ließen wir stehen, um
unsere Hä ngematten daran aufzuhä ngen. Die Arbeit ging ziemlich langsam voran. Obwohl
die Ä ste dick waren, war es schwierig, darauf zu balancieren. Oft setzten wir uns rittlings
darauf und schoben uns vorwä rts. Ich versuchte nicht hinunterzuschauen, damit mir nicht
schwindlig wü rde. Glü cklicherweise verdeckte das dichte Laub meist den Blick in die Tiefe.
Einmal fiel mir der Hammer aus der Hand und traf beinahe die Mutter, die unten Bretter
fü r den Boden an das Seil der Winde band.
Fritz’ kleiner Affe war ganz in seinem Element und turnte zwischen uns herum. Er schien
nicht zu verstehen, dass er in eine Familie aus so schlechten Kletterern geraten war, und
wenn er die Zä hne fletschte und mit dem Kopf wackelte, hatte ich das Gefü hl, er lache uns
aus.
Inzwischen hatten die anderen schon zwei Ladungen Holz herbeigebracht, und wir zogen
die Bretter und Balken mit dem Flaschenzug hoch. Zuerst nagelten wir auf die untersten
Ä sten einen großen Fußboden. An seinem Rand brachten wir ein brusthohes Gelä nder an.
Wir banden die Hä ngematten fest, darü ber spannten wir ein großes Stü ck Segeltuch als
Dach auf. An zwei Seiten ließen wir das Tuch herunterhä ngen und nagelten es am Gelä nder
fest, so dass es zwei Wä nde bildete. Die dritte Wand war der Stamm. Vorne, beim Eingang,
blieb unser Baumhaus offen. Von dort hatten wir eine schö ne Aussicht ü ber die Landschaft
und das Meer. So wurde unsere neue Behausung einigermaßen fertig, bevor der Abend
hereinbrach.
Aus einigen ü briggebliebenen Brettern zimmerten wir einen Esstisch und zwei Bä nke, die
wir unten, zwischen den Wurzeln, aufstellten. Allerdings waren wir so mü de, dass wir
etwas pfuschten. Schö n wurden die Mö bel nicht, aber sie waren zu gebrauchen. Erschö pft
legte ich mich auf eine der neuen Bä nke.
»Heute haben wir gearbeitet wie die Pferde«, sagte ich, »morgen wollen wir uns einen
Ruhetag gö nnen.«
»Ich habe nachgerechnet«, sagte Katharina, »morgen ist ohnehin Sonntag.«

Zu Abend aßen wir den Flamingo, den wir gestern geschossen hatten. Da es ein altes, zä hes
Tier war, hatte Katharina ihn nicht gebraten, sondern gesotten. Wir waren so hungrig, dass
uns alles geschmeckt hä tte, und auch noch das kleinste Knö chlein des Vogels wurde
abgenagt. Nach dem Essen machten wir ein großes Feuer, um unser Vieh zu schü tzen, und
kletterten hoch ins Baumhaus. Die drei ä lteren Jungen und das Ä ffchen waren schnell oben,
Katharina mit ihrem langen Rock brauchte etwas lä nger. Ich nahm Frä nzchen auf den
Rü cken und band das untere Ende der Leiter los. Da sie nun schwankend in der Luft hing,
war das Klettern mü hsam. Aber schließlich waren wir alle oben und zogen die Leiter hoch.
Jetzt waren wir vor allen Feinden sicher. In dieser ersten Nacht in unserem neuen Heim
schliefen wir tief und fest.
Am nä chsten Morgen fragten die Knaben gleich nach dem Aufstehen, was heute zu tun sei.
»Nichts, gar nichts«, sagte ich, »heute ist Sonntag, da wird nicht gearbeitet.«
Nur die Tiere mussten versorgt werden, danach waren alle frei und konnten machen, was
sie wollten. Fritz schneiderte aus dem Fell der Tigerkatze die Besteckfutterale. Jack bat
mich um den Bogen und sagte, er wolle Spitzen an die Pfeile machen. Frä nzchen bettelte,
ich mö ge ihm auch einen Bogen basteln. Ich war einverstanden, denn unser Pulvervorrat
wü rde nicht ewig reichen, und ich fand es wichtig, dass die Knaben lernten, mit Pfeil und
Bogen zu jagen. Wir beschafften uns noch mehr Bambus fü r Pfeile und machten Kö cher aus
Rinde, die wir von einem Ast geschä lt hatten.
Nach dem Essen, als wir im Gras lagen und ruhten, hatte ich die Idee, den verschiedenen
Orten auf der Insel Namen zu geben, wie es sich fü r Entdecker gehö rte. Die Knaben waren
begeistert. Jack schlug vor, sich so schwierige Namen auszudenken, wie er sie im
Geographieunterricht in der Schule habe lernen mü ssen. Damit die Leute sich die Zunge
brechen kö nnten an Monomotapa, Zanguebar und Coromandel. Aber wir anderen fanden,
wir wä ren damit selbst am meisten bestraft. Zumal wir nicht wussten, ob jemals jemand die
Namen erfahren wü rde. Also entschieden wir uns, die Orte nach auffallenden Eigenschaften
zu benennen oder nach Erlebnissen, die wir dort gehabt hatten. Katharina wollte die Bucht,
in der wir gelandet waren, die Rettungsbucht nennen. Der Name wurde von allen
angenommen. Auf die ü brigen einigten wir uns nach langen Diskussionen. Unseren ersten
Wohnplatz nannten wir Zeltheim, weil wir dort unser Zelt aufgeschlagen hatten. Das
Inselchen vor der Rettungsbucht sollte Haifischinsel heißen, weil Fritz behauptete, dort
Haifische gesehen zu haben. Dazu passend wurde eine grö ßere Insel, die etwas weiter vom
Land entfernt lag, Walfischinsel getauft. Den Morast, wo wir die Bambusrohre geschnitten
hatten, nannten wir Flamingosumpf, die Baumhü tte Falkenhorst. Das Vorgebirge, von dem
aus Fritz und ich nach anderen Ü berlebenden Ausschau gehalten hatten, sollte Vorgebirge
der getäuschten Hoffnung heißen, der Bach bei Zeltheim Schakalbach.
Den Nachmittag verbrachten die Jungen damit, sich im Bogenschießen zu ü ben. Als die
Hitze etwas nachließ, machten wir einen Spaziergang nach Zeltheim, da uns die Butter
ausgegangen war. Aber diesmal wollten wir nicht am Strand entlanggehen, sondern dem
kleinen Bä chlein hinauf zur Felswand folgen und danach in ihrem Schatten wandern bis zur
Stelle, wo der Schakalbach in einem Wasserfall herabstü rzte. Wir nahmen unsere Waffen
mit, sogar Frä nzchen hing sich seinen neuen Bogen um. Auch der kleine Affe schien
mitkommen zu wollen. Er sprang auf die Schultern von Fritz und ließ sich tragen. Mit der
Zeit wurde das Ä ffchen dem Knaben lä stig, da es dauernd auf ihm herumturnte, von einer
Seite zur anderen wechselte oder sogar auf seinen Kopf kletterte. Er rief Bill herbei und
versuchte, ihm den Affen auf den Rü cken zu setzen. Der klammerte sich so fest an das Fell
des Hundes, dass dieser es nicht schaffte, ihn abzuschü tteln. Bill versuchte alles, um den
Reiter loszuwerden, er rieb sich an einem Baum und wä lzte sich am Boden, aber es half
alles nichts. Schließlich gab er auf und trottete neben uns her.
Die Vegetation an den Ufern des Baches war ü ppig, wir sahen Farne und Schachtelhalme
und eine Art riesiger Rhabarberstauden mit Dornen an den Stielen und Blä ttern, so groß
wie Regenschirme. An manchen Stellen hatte der Bach kleine Tü mpel gebildet. Wir hö rten
das Quaken von Frö schen, aber sobald wir uns nä herten, tauchten sie ab im dunklen
Wasser. Die Knaben streiften durch das Unterholz. Plö tzlich hö rte ich einen Freudenschrei,
und Ernst kam keuchend angerannt, gefolgt von den anderen. Er hielt mir drei hellgrü ne
Knollen vor die Augen und rief: »Erdä pfel, Vater, Erdä pfel!«
»Zeig her«, sagte ich begeistert und untersuchte seinen Fund. »Die sehen tatsä chlich aus
wie Kartoffeln. Was fü r ein glü cklicher Fund.«
»Ernst hat nur Glü ck gehabt«, behauptete Jack. »Ich hä tte sie genauso gut entdecken
kö nnen.«
»Nein«, sagte die Mutter und schü ttelte ä rgerlich den Kopf, »du bist viel zu unaufmerksam.
Ernst gibt viel besser acht auf das, was ihn umgibt. Wenn er etwas findet, so ist es kein
Zufall.«
Wir folgten Ernst zur Stelle, wo er die Knollen gefunden hatte. Der ganze Abhang bis hinauf
zur Felswand war ü ber und ü ber von Kartoffelstauden bedeckt. Schnell gruben wir einen
kleinen Vorrat aus und fü llten unsere Taschen, sogar der Affe half mit und war dabei
geschickter als wir.
Wir gingen weiter die Felswand entlang. An manchen Stellen mussten wir uns durch hohes,
scharfkantiges Gras kä mpfen und holten uns schmerzhafte Schnitte an den Hä nden. Dafü r
wurden wir mit einer schö nen Aussicht auf das Meer belohnt. In den Ritzen und Nischen
der Felsen hatten sich die verschiedensten Pflanzen eingenistet, ich erkannte indianische
Feigen, Aloen, Stachelkerzen und dornige Schlangenwinden. Dazwischen wuchs sogar
Ananas, die Kö nigin der Frü chte. Wir schnitten eine ab, schä lten sie und aßen sie auf der
Stelle. Sie war so sü ß wie Honig, und der Saft troff uns vom Kinn. Aber eine weitere
Entdeckung freute mich noch mehr, eine Pflanze, deren unterer Teil der Ananasstaude
glich und die oben einen schlanken, geraden Stä ngel hatte.
»Schaut Kinder«, sagte ich, »das ist eine Karatte, eine Verwandte der Aloe. Die wird uns
nü tzlicher sein als die Ananas.«
»Wenn man die Pflanze nicht essen kann, ist mir die Ananas lieber«, sagte Ernst und
wischte sich den Mund ab.
Ich brach einen dü rren Stä ngel der Karatte ab, schä lte ihn und brach ein kleines Stü ck des
schwammigen Marks heraus. Ich legte es auf den Feuerstein und schlug mit dem Stahl
darauf. Im Nu fing es an zu brennen. Jetzt begriffen die Knaben, weshalb dieser Fund so
wertvoll war.
»Und das ist noch nicht alles«, sagte ich, »in den Blä ttern der Pflanze findet man die
schö nsten Fä den.«
Ich spaltete ein Blatt, zog einige Fä den heraus und reichte sie Katharina, die sich sehr
darü ber freute.
»Ich habe mir schon Sorgen gemacht, woher ich Faden nehmen soll, wenn mein Vorrat
aufgebraucht ist«, sagte sie, »und habe mich vergeblich nach Flachs oder Hanf umgeschaut.
Die Gewinnung der Fä den ist allerdings ein wenig mü hsam.«
»Es gibt eine einfachere Methode«, sagte ich. »Man dö rrt die Blä tter an der Sonne oder ü ber
einem Feuer und zieht sie danach ü ber einen rauen Strick, um das Mark abzustreifen. So
hat man schnell ein ganzes Bü ndel Fä den beisammen.«
Bald darauf kamen wir zum Wasserfall und sprangen von Stein zu Stein ü ber den
Schakalbach. Kurz darauf waren wir in Zeltheim. Alles war noch so, wie wir es
zurü ckgelassen hatten. Wir packten Pulver und Schrot ein, fü llten ein Sä cklein mit Salz und
die Kü rbisflasche mit Butter. Ernst und Jack wollten ein paar Enten und Gä nse mit nach
Falkenhorst nehmen. Aber die Vö gel waren scheu geworden und ließen sich nur mit einem
Trick einfangen. Ernst brach kleine Brocken von einem Stü ck Kä se, das er in seiner Tasche
gefunden hatte, band sie an Schnü re und warf sie als Kö der aus. Wenn eines der Tiere den
Kä se mit der Schnur verschluckt hatte, konnte Ernst es festhalten und einfangen. Ganz
behutsam zog er die Fä den aus dem Hals der Vö gel und wickelte jeden in ein großes
Taschentuch, so dass nur noch der Kopf herausschaute.
Zurü ck in Falkenhorst, ließen wir die Enten und Gä nse frei, und ich riss ihnen nur die
grö ßten Federn aus, damit sie nicht so leicht davonfliegen konnten. Aus den Federn
bastelte sich Frä nzchen einen Kopfschmuck und erklä rte sich zum Hä uptling der Pataten.
Zum Abendessen gab es gekochte Kartoffeln mit Butter und Kä se, ein Essen, das uns an zu
Hause erinnerte und uns ein wenig wehmü tig stimmte.

3. Kapitel Noch ein Besuch auf dem Wrack. Es wird Maniokbrot


gebacken und eine Pinasse gebaut. Wurfkugeln werden hergestellt.
Wachsbeeren und Gummibäume werden entdeckt.
Am nä chsten Morgen ging ich frü h mit Ernst an den Strand. Ich hatte dort nä mlich ein paar
gekrü mmte Bughö lzer gesehen, aus denen ich eine Art Schlitten zimmern wollte. Auch
wenn dieser keinen Wagen ersetzen konnte, wä re er doch eine Hilfe beim Transport von
schweren Dingen.
Der Sand war noch feucht vom Tau, und das Meer glitzerte im schrä g einfallenden Licht der
Morgensonne, die eben erst ü ber die Berge stieg. Wir hatten den Esel mitgenommen und
ließen ihn die Kufen und eine Kiste, die wir am Strand gefunden hatten, zurü ck nach
Falkenhorst schleppen. Die Knaben brannten darauf, zu erfahren, was in der Kiste war. Ich
ö ffnete sie mit dem Soldatenschlü ssel, das heißt mit der Axt. Sie enthielt nur
Kleidungsstü cke, Tuch und ein paar persö nliche Gegenstä nde, die vermutlich einem
Matrosen gehö rt hatten: eine Pfeife und ein Tabaksbeutel, ein hollä ndisches Gesangbuch
und ein kleines Silbermedaillon, in dem das winzige Porträ t einer jungen Frau und eine
schwarze Haarlocke waren.
Wä hrend Ernst und ich weg gewesen waren, hatten die anderen Knaben Drosseln und
Tauben geschossen. Vier Dutzend tote Vö gel lagen auf dem Boden.
»Komm mit, Ernst«, sagte Jack, »wir jagen noch ein paar mehr.«
»Fertig jetzt«, sagte die Mutter, »ihr habt genug Pulver und Blei verschossen.«
»Ja«, sagte ich, »wir mü ssen sparsam mit der Munition umgehen. In Zukunft fangen wir die
Vö gel ein, statt sie zu schießen. Ich zeige euch, wie ihr aus den Fä den der Karatte Schlingen
binden kö nnt.«
Plö tzlich hö rten wir die Hü hner laut gackern. Als wir hinzutraten, sahen wir, dass der Affe
ihnen ein Ei gestohlen hatte. Er zerschlug es auf dem Boden und leckte den Inhalt gierig auf.
Dann suchte er im Gras und unter den Wurzeln und fand mit seiner guten Spü rnase vier
weitere Eier. Aber Ernst ging immer hinter ihm her und nahm ihm eines nach dem anderen
weg und brachte alle der Mutter. Dem Affen trug dies den Namen Knips ein. Katharina legte
die Eier beiseite, bis die Hü hner zum Brü ten bereit sein wü rden. Dann, meinte sie, wü rden
wir bald Kü ken haben.
Jack war auf den Baum gestiegen und hatte ein paar Schlingen in den Ä sten aufgehä ngt. Als
er herunterkam, berichtete er, dass auch unsere Haustauben dort Nester gebaut hä tten.
»Dann dü rft ihr oben sowieso nicht mehr schießen«, sagte ich. »Und ihr mü sst die
Schlingen hä ufig kontrollieren, falls eine unserer braven Tauben sich in einer verfä ngt.«
Der Schlitten war schnell gebaut. Ich nahm zwei Bughö lzer und verband sie vorne, in der
Mitte und hinten mit Querhö lzern. Vorne befestigte ich zwei Eisenringe fü r die Zugseile,
und schon war das Gefä hrt vollendet.
Katharina und die Knaben rupften inzwischen die am Morgen geschossenen Vö gel und
nahmen sie aus. Sie steckten sie eng hintereinander auf die Klinge eines Degens wie an
einen Spieß, bestrichen sie mit Butter und brieten sie ü ber dem Feuer. Es war ein richtiges
Festmahl.
Nach dem Essen spannte ich den Esel und die Kuh vor den Schlitten und zog mit Ernst los,
um das Butterfass in Zeltheim zu holen. Katharina nahm ein Stü ck Seife aus ihrem
Zaubersack und befahl den anderen Jungen, sich endlich einmal tü chtig zu waschen.
Wir nahmen den Weg den Strand entlang, da der Schlitten sich im Sand besser ziehen ließ
als im Gras. In Zeltheim halfterten wir die zwei Zugtiere ab und ließen sie ein wenig
weiden, wä hrend wir mit einiger Mü he die Butter- und die Kä setonne auf den Schlitten
hievten. Auch ein Fä sschen Pulver luden wir auf, Werkzeuge, Kugeln und Schrot.
Der Esel und die Kuh waren ü ber die Brü cke verschwunden, weil jenseits des Baches das
bessere Gras wuchs. Ich schickte Ernst, um sie zu holen, und suchte inzwischen eine Stelle,
an der auch wir uns waschen konnten. Fast am Ende der Rettungsbucht fand ich einen
kleinen Sumpf, der dicht mit Schilf bewachsen war und um den herum Felsen standen, die
bis ins Meer hineinreichten. Die Stelle schien mir geeignet fü r ein Bad, und ich rief nach
Ernst. Als er nicht kam, wurde ich unruhig und hielt Ausschau nach ihm. Ich fand ihn im
Schatten des Zeltes liegen und dö sen, wä hrend das Vieh unbeaufsichtigt neben ihm graste.
»Du Faulpelz«, sagte ich ä rgerlich und weckte ihn auf. »Du musst auf die Tiere aufpassen,
damit sie nicht wieder davonlaufen.«
»Das werden sie schon sein lassen«, sagte Ernst, »ich habe ein paar Bretter von der Brü cke
entfernt. Ich glaube nicht, dass sie es wagen, ü ber die Lü cke zu springen.«
»Die Faulheit hat dich erfinderisch gemacht«, sagte ich, »aber es gibt noch genug Arbeit.«
Ich trug ihm auf, einen der Bastkö rbe des Esels mit Salz zu fü llen, wä hrend ich mich hinter
dem Felsvorsprung wusch. Als ich fertig war, wechselten wir uns ab.
Es war schon ziemlich spä t, als wir wieder in Falkenhorst ankamen. Wir staunten nicht
schlecht, als uns die Jungen entgegenliefen. Jack war in ein langes, weißes Matrosenhemd
gehü llt, dessen Saum bis auf den Boden reichte, Frä nzchen steckte in einem Paar Hosen,
das so groß war, dass er es bis zu den Schultern hochgezogen hatte, Fritz trug eine Jacke,
die an ihm eher wie ein Mantel aussah.
»Was soll denn die Maskerade?«, fragte ich, »es ist doch nicht Fastnacht.«
»Ich habe die Kleider gewaschen, wä hrend die Jungen im Bach gebadet haben«, sagte
Katharina. »Es war dringend nö tig. Und weil sie noch nicht trocken sind, haben wir Sachen
aus der Matrosenkiste genommen.«
Als wir von unserem Ausflug erzä hlten, schien Fritz etwas verstimmt, und ich musste ihm
versprechen, dass er beim nä chsten Mal wieder mitkommen dü rfe. »Morgen will ich noch
einmal zum Wrack hinaus«, sagte ich, »vermutlich werden wir sogar dort ü bernachten.«
Am nä chsten Morgen brachen wir zeitig auf. Dank der Strö mung des Schakalbaches waren
wir schnell beim Wrack. Dort schauten wir uns nach Material fü r ein Floß um, denn ich
wollte diesmal so viele Dinge wie mö glich mitnehmen, und im Tonnenschiff war nicht
genug Platz. Wir trugen ein Dutzend leere Wasserfä sser zusammen, befestigten sie mit
Stricken und eisernen Klammern aneinander und legten darü ber einen Boden aus Brettern.
So wü rden wir wohl dreimal so viel Platz haben wie in unserem kleinen Boot. Das Bauen
des Floßes dauerte den ganzen Tag. Wir aßen nur etwas kalten Schinken und Zwieback, die
wir mitgebracht hatten. Da das Wrack immer noch ziemlich stabil zu sein schien, legten wir
uns in unserer ehemaligen Kajü te schlafen. Nach den vielen Nä chten in den unbequemen
Hä ngematten schliefen wir auf den weichen Matratzen sofort ein. Mitten in der Nacht
schreckte ich auf. Ich hatte vom Sturm geträ umt und vom Schiffbruch und war nass vor
Schweiß. Von draußen hö rte ich leise die Wellen ans Wrack schlagen und das Knarren und
Ä chzen des Rumpfes. Es dauerte lange, bis ich wieder einschlafen konnte.
Am nä chsten Morgen beluden wir das Floß. Irgendwann wü rde das Wrack
auseinanderbrechen, also nahmen wir mit, was wir konnten. Sogar die Schlö sser der Tü ren
und die Riegel der Fenster montierten wir ab. Wir packten die Koffer ein, die wir in unserer
Kajü te zurü ckgelassen hatten. Auch ein paar Offizierstruhen und die Werkzeugkiste des
Zimmermanns nahmen wir mit. Ein kleiner Schrank in der Kapitä nskajü te war voller
Kostbarkeiten. Die goldenen und silbernen Uhren, Tabaksdosen, Schnallen, Halsketten und
Ringe waren wohl als Geschenke gedacht gewesen. Sogar eine kleine Schatulle mit
Dublonen und Piastern fanden wir. In einem dunklen Winkel des Unterdecks standen ein
paar Dutzend junge Obstbä umchen, die sorgfä ltig in Tü cher eingewickelt und verschnü rt
waren. Jedes war mit einem Etikett versehen. Ich entdeckte Birnen-, Apfel-, Pfirsich-,
Mandel- und Aprikosenbä umchen, einige Kastanien und ein paar Rebstö cke. Wir fanden
Bleibarren, Schleifsteine, Wagen- und Karrenrä der, ein ganzes Schmiedewerkzeug samt
Amboss, Hacken, Schaufeln, Pflugscharen, Ketten und Rollen mit Eisen- und Kupferdraht. In
einem anderen Raum standen große Sä cke voller Mais, Erbsen, Hafer und Wicken, dazu
eine kleine Handmü hle. Kurz gesagt, es gab alles, was zur Grü ndung einer Ansiedlung in
einer fernen Weltgegend nö tig war. Wir konnten unmö glich alles mitnehmen, und die
Auswahl fiel uns schwer.
»Die Goldmü nzen kö nnen wir hierlassen«, sagte Fritz, »was nü tzt uns der Quark auf
unserer Insel!«
Ich musste lachen ü ber seine abschä tzigen Worte, aber ich gab ihm recht. So packten wir
vor allem viel Werkzeug ein, die Bä umchen, die Metalle, so viel Pulver wie mö glich und den
großen Kompass des Schiffes. Auch ein paar Matratzen wollten wir mitnehmen. Wir
beluden das Floß und unser Schiff. Als wir fertig waren, verbanden wir die beiden Gefä hrte
mit einem Seil. Glü cklicherweise wehte der Wind in Richtung Land. Obwohl das Meer ruhig
war, fü rchteten wir zu kentern und halfen mit den Rudern nach, um so schnell wie mö glich
an Land zu kommen.

In Falkenhorst wurden wir freudig begrü ßt, aber wir blieben nicht lange dort. Wir machten
nur den Schlitten bereit und gingen dann alle zusammen in die Rettungsbucht, um die zwei
Boote zu entladen. Da Ebbe war, lagen sie auf Grund und es war der beste Moment,
mö glichst viel an Land zu bringen. Zur ersten Ladung des Schlittens gehö rten die
Bä umchen und die Matratzen. Auf dem Weg zurü ck erzä hlten wir von den Schä tzen, die
noch auf dem Wrack lagen, und Frä nzchen bedauerte sehr, dass wir weder das Geld noch
den Koffer mit den Uhren und dem Schmuck mitgenommen hatten.
»Ü brigens hat Frä nzchen auch etwas gefunden«, erzä hlte Katharina, »er hat mit einem
Stecken in einer Baumhö hle herumgestochert, in der sich ein Bienenschwarm eingenistet
hat. Die Bienen haben ihn fü rchterlich zerstochen, aber den Honig werden wir gut
brauchen kö nnen.«
»Und ich habe eine Art Rü ben oder Rettiche entdeckt«, sagte Ernst. »Das Schwein hat
davon gegessen, aber ich habe doch lieber nicht davon probiert.«
Inzwischen waren wir angekommen, und Ernst zeigte mir eine der Wurzeln, die schon
ziemlich welk geworden waren.
»Es kö nnte Maniok sein«, sagte ich, »das wä re ein großes Glü ck. In Westindien wird daraus
eine Art Brot oder Kuchen gemacht.«
Nachdem wir den Schlitten entladen hatten, zogen wir ein zweites Mal los. Nur Katharina
und Frä nzchen blieben zurü ck und bereiteten das Abendessen zu.
Die zweite Ladung enthielt unser Gepä ck, die Handmü hle und vier Wagenrä der. Die vielen
ergatterten Sachen versetzten uns in ausgelassene Stimmung. Gleich zogen wir mit dem
Flaschenzug die Matratzen ins Baumhaus hoch.
Am nä chsten Morgen stand ich vor Tagesanbruch auf, um nach den Schiffen zu sehen. Leise
kletterte ich die Strickleiter hinunter. Die Hü hner und die Hunde waren schon munter, aber
der Esel schien keine große Lust auf einen Spaziergang zu haben. Im Wald lä rmten die
Vö gel, wie ich es tagsü ber noch nie gehö rt hatte.
Inzwischen war die Flut gekommen, aber unsere beiden Gefä hrte waren immer noch da,
wo wir sie gestern festgebunden hatten. Ich lud dem Esel ein paar Dinge auf den Rü cken
und eilte schnell zurü ck nach Falkenhorst, um noch vor dem Frü hstü ck wieder da zu sein.
Als ich ankam, schliefen noch alle, obwohl die Sonne schon seit einer Stunde am Himmel
stand. Ich musste einen ziemlichen Radau veranstalten, bis sie endlich wach wurden. Die
Knaben streckten sich und rieben sich die Augen. »Das ist die Zauberkraft der Matratzen«,
sagte Katharina gä hnend, »so gut habe ich schon lange nicht mehr geschlafen.«
Der Morgen verging, wä hrend wir zwei weitere Ladungen von Zeltheim nach Falkenhorst
brachten. Am Mittag fuhren Fritz, Jack und ich noch einmal hinaus zum Wrack. Wir wollten
vor dem Abend wieder zurü ck sein, also beeilten wir uns und beluden das Floß mit allem,
was uns in die Hä nde kam. Jack fand einen Schubkarren und meinte, damit kö nnten wir
kü nftig die Kartoffeln transportieren. Fritz entdeckte einen Bausatz fü r eine Pinasse, eine
Art Beiboot, mit allem Zubehö r und sogar ein paar kleinen Kanonen als Bewaffnung. Wir
wü rden sie spä ter zusammensetzen und luden stattdessen einigen Hausrat auf das Floß,
einen großen Kupferkessel und ein paar eiserne Platten, zwei Schleifsteine, ein
Pulvertö nnchen und ein Fä sschen mit Flintsteinen fü r unsere Waffen. Die Knaben
wunderten sich, als ich ein paar Tabaksreiben einlud, mit denen man Schnupftabak reiben
konnte. Noch bevor am Abend der Landwind einsetzte, segelten wir wieder zurü ck zur
Insel.
Als wir uns Falkenhorst nä herten, hö rten wir schon von weitem das Gebell der Hunde.
Katharina und die zwei Kleinen zeigten uns stolz einen großen Vorrat Kartoffeln, den sie
ausgegraben hatten. Und Frä nzchen erzä hlte, sie hä tten in die frisch umgegrabene Erde
Mais und Hafer gesä t, außerdem Kü rbisse und Melonen.
»Und wo habt ihr die Samen her?«, fragte ich verwundert.
»Aus meinem Zaubersack«, sagte Katharina lä chelnd. »Warum habt ihr die Tabaksreiben
mitgebracht. Du willst doch wohl nicht mit dem Tabakschnupfen anfangen?«
Ich schü ttelte lachend den Kopf. »Wir brauchen sie zum Brotmachen. Wenn wir gleich
anfangen, kö nnen wir noch heute Abend mit dem Backen beginnen.«
Meine Frau schaute mich mit skeptischem Blick an und setzte zur Sicherheit einen großen
Topf mit Kartoffeln auf.
Inzwischen breitete ich an einer schattigen Stelle ein großes Stü ck Segeltuch auf der Erde
aus. Jeder der Knaben bekam eine Tabaksreibe und ein paar Maniokwurzeln, die Ernst
ausgegraben hatte. Schon nach kurzer Zeit war auf dem Tuch ein großer Haufen fein
geriebener Maniok, der allerdings nicht sehr appetitlich aussah.
»Und wie willst du aus diesen Rü ben Brot machen?«, fragte Jack und wollte davon
probieren, aber ich warnte ihn.
»Rohe Maniokwurzeln sind giftig wie rohe Kartoffeln.«
Die geriebenen Wurzeln stopften wir in ein kleines Segeltuchsä ckchen und legten es
zwischen zwei Bretter. Wir klemmten ein Ende eines langen Astes unter eine Wurzel,
legten die Bretter darunter und hä ngten ans andere Ende den schweren Amboss, den wir
vom Schiff mitgebracht hatten. Frä nzchen hä ngte sich als zusä tzliches Gewicht an diese
Presse, und es floss eine ziemliche Menge Saft aus dem Sä ckchen. Als wir es ö ffneten, war
der Maniok darin zu einem groben, ziemlich trockenen Mehl geworden. Ein paar Hä nde voll
nahmen wir heraus, der Rest kam noch einmal in die Presse. Wir legten eine der
Eisenplatten vom Schiff auf vier Steinen ü ber das Feuer. Sobald sie heiß war, breiteten wir
einen Teil des Maniokmehls flach darauf aus. Als der Kuchen unten schö n braun geworden
war, wendeten wir ihn und backten auch die andere Seite.
»Ach, riecht das gut«, sagte Ernst, »am liebsten wü rde ich das Brot gleich probieren.«
»Zur Sicherheit wollen wir es erst den Hü hnern und Knips verfü ttern«, sagte ich, »dann
werden wir sehen, ob es genießbar ist.«
Ich zerbrö ckelte den abgekü hlten Fladen und warf ihn zweien unserer Hü hner vor, die die
Brocken gierig aufpickten. Den Rest gab ich dem Affen, der ihn betrachtete, daran
schnupperte und ihn dann mit Genuss verspeiste. Dabei schnitt er so lustige Grimassen,
dass wir herzlich lachen mussten.
Als wir am nä chsten Morgen sahen, dass die Maniokkuchen den Tieren gut bekommen
waren, machten wir uns gleich wieder ans Backen. Und so gab es als Frü hstü ck seit langer
Zeit zum ersten Mal wieder Brot, wenn es auch anders schmeckte als jenes zu Hause.
Ich wollte jetzt unbedingt noch einmal auf das Wrack und die Pinasse zusammenbauen.
Katharina wollte auf keinen Fall mitfahren. Sie hatte das Meer noch in zu schlimmer
Erinnerung. Wenigstens war sie einverstanden, dass ich die drei ä lteren Knaben mitnahm,
und bat mich nur, am Abend wieder zurü ck zu sein. Ernst war zufrieden, dass er endlich
auch mitkommen durfte. Frä nzchen hingegen hatte nichts dagegen, bei der Mutter zu
bleiben.
In der Rettungsbucht zogen wir die Korkwesten an und banden das Floß an unser
Tonnenschiff. Auf dem Wrack angekommen, beluden wir erst die beiden Schiffe, damit wir
am Abend nicht mit leeren Hä nden nach Hause kommen wü rden. Dann ü berlegte ich mir,
wie wir es schaffen kö nnten, die Pinasse zusammenzubauen. Die Teile waren ziemlich weit
vorne im Schiff verstaut und so schwer, dass wir sie kaum an Deck bringen konnten. Ernst
schlug vor, die Pinasse gleich da zusammenzusetzen, wo die Teile lagerten. Wir mü ssten
dazu lediglich ein paar Trennwä nde entfernen. War das Schiff fertiggebaut, kö nnten wir ein
Loch in die Wand des Wracks brechen und es so ins Wasser lassen.
Obwohl wir einen Bauplan fanden und alle Teile nummeriert waren, dauerte die Arbeit
mehrere Tage. Wir ü bernachteten an Land und fuhren jeden Morgen hinaus zur Arbeit. Da
wir nun bald ein richtiges Schiff haben wü rden, fand ich es an der Zeit, dass alle Knaben
schwimmen lernten. Sie hatten keine rechte Lust dazu, aber ich sagte, nur wer schwimmen
kö nne, dü rfe mit der Pinasse mitfahren. Der geborstene Bauch des Wracks war der ideale
Ort fü r unsere Ü bungen. Das Wasser darin war ruhig und nicht sehr tief. Da ich selbst nicht
der beste Schwimmer war, ernannte ich Fritz zum Lehrer. Wenn es gegen Mittag
unerträ glich heiß wurde im Unterdeck, rief er uns zusammen und unterrichtete uns. Erst
ließ er uns nach verschiedenen Gegenstä nden tauchen, damit wir die Angst vor dem
Wasser verlö ren. Dann zeigte er uns die Schwimmbewegungen. Wir mü ssen seltsam
ausgesehen haben, wie wir nebeneinander an Deck standen und mit den Armen ruderten.
Jedenfalls kletterte Knips auf den hö chsten Mast und schaute uns verdutzt dabei zu. Die
zwei Jü ngeren stellten sich geschickt an, und sie bekamen so viel Spaß am Baden, dass sie
am Abend mit Frä nzchen an den Strand gingen, um auch ihm das Schwimmen
beizubringen. Bald waren alle vier bessere Schwimmer als ich. Fritz versuchte, auch die
Mutter zu ü berreden, an den Ü bungen teilzunehmen, aber sie sagte, sie fü rchte sich vor den
Fischen und Krebsen und Quallen. Weiter als bis zu den Knien wagte sie sich nie ins
Wasser.
Endlich war die Pinasse fertig. Sie sah sehr hü bsch und stattlich aus. Hinten hatte sie ein
Verdeck, auf dem wir zwei kleine Kanonen angebracht hatten. Den Mast hatten wir noch
nicht aufgerichtet, da wir das Boot erst aus dem Wrack bringen mussten. Als wir ein Loch
in die Außenwand schlagen wollten, merkten wir, dass das Wrack stabiler war, als wir
gedacht hatten. Da hatte ich einen gewagten Einfall. In der Kü che gab es einen großen
eisernen Mö rser. Ich fü llte ihn mit Schießpulver und verschloss ihn mit einem Brett, in das
ich ein kleines Loch gebohrt hatte. Dort hinein steckte ich ein langes Stü ck Lunte, das wohl
zwei Stunden brennen wü rde. Dann dichtete ich alles gut mit Teer ab, mit dem wir auch die
Pinasse dicht gemacht hatten. Diese Petarde befestigte ich dort, wo ich das Loch in der
Wand haben wollte, und spannte dicke Ketten darü ber. Dabei achtete ich darauf, dass der
Rü ckschlag der Sprengladung nicht das neugebaute Schiff beschä digen konnte.
Ich schickte die Knaben voraus ins Tonnenschiff. Dann zü ndete ich die Lunte an und folgte
ihnen. Schnell ruderten wir das Boot in die Rettungsbucht. Noch wä hrend wir die Fracht
ausluden, ertö nte vom Meer her ein gewaltiger Knall. Sofort sprangen wir wieder ins Schiff
und ruderten hinaus. In der Luft lagen noch immer die Rauchwolke der Explosion und der
beißende Geruch des Schießpulvers, aber das Wrack schien unversehrt. Als wir auf die
andere Seite gerudert waren, sahen wir ein riesiges Loch in der Seitenwand klaffen. Im
Wasser schwammen unzä hlige Trü mmer. Die Knaben lachten vor Freude. Wir kletterten
durch das Loch ins Innere und fanden, dass die Pinasse die Explosion ohne Schaden
ü berstanden hatte. Jetzt mussten wir sie nur noch ins Wasser schaffen. Den Kiel hatten wir
von Anfang an auf hö lzerne Walzen gelegt. Wir banden ein langes Seil am Heck des Schiffes
an und befestigten das andere Ende an einem Balken. Zu viert stemmten wir uns gegen den
Rumpf und schoben die Pinasse auf das Loch zu. Endlich kippte sie nach vorn und fiel mit
lautem Platschen ins Wasser. Sie schoss davon, aber nach wenigen Metern hielt das Seil sie
zurü ck, und wir konnten sie um das Schiff herum zu unserem normalen Anlegeplatz ziehen.
Dort gab es einen Balken mit einem Flaschenzug, den wir bisher verwendet hatten, um
schwere Gegenstä nde auf das Floß zu laden. Damit zogen wir den Mast hoch und
befestigten ihn an der dafü r vorgesehenen Stelle. Das Segel war schnell angebracht, aber
die Betakelung und Ausrü stung des Schiffes kosteten uns noch einmal ein paar Tage.
Endlich war alles fertig, und Katharina und Frä nzchen mussten hinunter in die
Rettungsbucht kommen, um die Ankunft der Pinasse, von der wir die letzten zwei Wochen
jeden Abend erzä hlt hatten, mitzuerleben. Die Knaben luden die Kanonen fü r Salutschü sse,
und wir zogen die Segel hoch. Der Wind war gü nstig, und wir kamen so schnell voran, dass
mir fast angst wurde. Als wir uns der Einfahrt zur Bucht nä herten, zog ich das große Segel
ein und dann auch die kleineren.
»Nummer eins, Feuer! Nummer zwei, Feuer!«, kommandierte Fritz. Jack und Ernst
schossen die Kanonen ab, deren Donner von der Felswand als Echo zurü ckkam. Vom Land
her winkten Katharina und Frä nzchen begeistert. Sie sprangen herbei, als wir an einem
leicht erhö hten Fels anlegten, wo das Wasser tief genug war.
»Was fü r ein prä chtiges Schiff«, rief Katharina, »damit wü rde sogar ich mich wieder aufs
Meer hinauswagen.« Sie stieg mit Frä nzchen an Deck, und wir zeigten ihnen alles. »Aber
glaubt nur nicht, dass Frä nzchen und ich in der ganzen Zeit nichts getan hä tten. Kommt
mit.«
Sie fü hrte uns den Schakalbach entlang zur Felswand. An deren Fuß hatte sie einen
Kü chengarten angelegt mit Beeten und kleinen, mit flachen Steinen belegten Wegen. »Hier
haben wir Kartoffeln gepflanzt und hier Maniok. Dort drü ben haben wir Lattich und Salat
gesä t und daneben Platz fü r Zuckerrohr gelassen.« Sie hatten auch ein paar Ananasstauden
versetzt, Melonen, Bohnen und Kohl gesä t und dazwischen Mais, der den anderen Pflanzen
in der heißesten Zeit Schatten geben wü rde. Katharina bat mich, mit ein paar
Bambusrohren eine Leitung vom Wasserfall zum Garten zu bauen, damit sie ihn leichter
bewä ssern kö nnte. Ich gratulierte ihr zu ihrem großen Werk, und auch Frä nzchen war
sichtlich stolz darauf.
Katharina erinnerte mich daran, dass es an der Zeit sei, die Obstbä umchen einzupflanzen,
die wir vom Wrack gerettet hatten. Im Ü brigen halte sie die Hitze und die vielen Moskitos
in Zeltheim nur schwer aus und wü rde gerne zurü ck nach Falkenhorst ziehen. Also
vertä uten wir die Pinasse und verstauten die Gü ter, die wir in den letzten Tagen an Land
gebracht hatten. Dann machten wir uns schwer beladen nach Falkenhorst auf.
Der Tag unserer Ankunft war ein Sonntag, und wir ruhten uns von den Strapazen der
letzten Wochen aus. Am Nachmittag ü bten sich die Knaben im Klettern und Bogenschießen,
wä hrend die Mutter und ich etwas Ordnung machten. Als ich einige kleine Bleikugeln fand,
kam mir eine Idee. Ich nahm ein ungefä hr zwei Meter langes Stü ck Schnur und band an
jedes Ende eine der Kugeln.
»Was machst du?«, fragten die Knaben, die herbeigeeilt waren.
»Das sind Bolas«, sagte ich, »wie sie die Patagonier auf der Jagd brauchen.« Ich zeigte ihnen,
wie sie zu handhaben waren. »Man schwingt eine Kugel ü ber dem Kopf und wirft dann
beide zusammen nach einem flü chtenden Tier. Die Schnur wickelt sich dem Tier um die
Beine und hindert es so am Wegrennen.«
Wir wollten die Bolas gleich ausprobieren und warfen sie nach einem kleinen Bä umchen,
aber es brauchte einige Ü bung, bis ein Wurf gelang und die Schnur sich um das Stä mmchen
wand. Jetzt wollte jeder von den Knaben seine eigenen Wurfkugeln. Ich tat ihnen den
Gefallen, und den Rest des Nachmittags probierten sie ihr neues Spielzeug aus.
Am Morgen darauf war der Himmel bewö lkt. Es wehte ein bö iger Wind, der das Meer
aufwü hlte. Das Wasser war ganz schwarz, und auf den Wellen waren weiße Schaumkronen.
Was waren wir froh, dass wir an Land waren und nicht unterwegs mit der Pinasse. Wir
pflanzten endlich die Obstbä umchen ein, die schon ziemlich mitgenommen aussahen und
halb verdorrt waren. Alle halfen mit, und wir kamen schneller voran, als wir gedacht
hatten.
Am Tag darauf wollten wir zum Kalebassenwald wandern, um ein paar neue Gefä ße
herzustellen. Wir spannten den Esel vor den Schlitten und zogen los. Knips ritt wie ü blich
auf Bill. Der hatte sich inzwischen so gut an den kleinen Reiter gewö hnt, dass er manchmal
von sich aus zu ihm ging, um ihn aufsteigen zu lassen. Nachdem wir am Flamingosumpf
vorbeigewandert waren, kamen wir in eine Gegend, die Katharina und die kleineren
Knaben noch nie gesehen hatten. Sie waren begeistert von der Schö nheit der Landschaft.
Fritz ging mit seinem Jagdgewehr durch das hohe Gras. Er hatte Tü rk vorausgeschickt, um
das Wild aufzuscheuchen. Und tatsä chlich flatterte ein große Vogel auf, den Fritz geschickt
herunterschoss. Aber der Vogel war nicht tot und lief davon. Tü rk preschte ihm nach,
gefolgt von Fritz. Bill wurde vom Jagdfieber gepackt und warf seinen Reiter ab. Er erreichte
den Vogel als Erster und hielt ihn fest, bis Fritz bei ihm eintraf. Das Tier wehrte sich mit
erstaunlicher Kraft. Ich kam dazu und sah, dass es eine Trapphenne war. Um sie zu
beruhigen, warf ich ihr mein Taschentuch ü ber den Kopf. Dann banden wir dem Vogel die
Beine zusammen, damit er nicht mehr ausschlagen konnte. Auch um den Kö rper banden
wir einen Strick. So eingepackt, legten wir die Henne auf den Schlitten.
Wir kamen zum Affenwald, und Fritz musste den anderen zeigen, wie er die Affen dazu
gebracht hatte, Kokosnü sse nach ihm zu werfen. Ernst stand neben einer der Kokospalmen
und bewunderte ihre Hö he, als plö tzlich eine Nuss ganz dicht neben ihm ins Gras plumpste.
Erschrocken sprang er zurü ck, da fiel schon die nä chste Nuss von der Palme. Wir
untersuchten sie und sahen, dass sie noch gar nicht ganz reif waren.
»Warum sie wohl heruntergefallen sind?«, fragte Ernst. »Das ist ja Zauberei.«
Wieder fielen zwei Kokosnü sse herunter. Inzwischen starrte die ganze Familie in die Hö he,
um zu sehen, wie dieses Wunder zustande kam.
»Da!«, rief Fritz plö tzlich und zeigte nach oben, »da kommt ein ganz abscheuliches Tier den
Stamm herunter.«
Frä nzchen versteckte sich schnell hinter dem Rü cken der Mutter. Jetzt sahen wir alle einen
Krebs mit zwei mä chtigen Scheren auf uns zukrabbeln. Als das Tier den Boden erreicht
hatte, schlug Jack mit dem Kolben seines Gewehres nach ihm, aber er verfehlte ihn. Der
Krebs marschierte mutig auf seinen Angreifer los. Jack schlug immer wieder nach ihm, aber
er wich mit erstaunlicher Geschicklichkeit aus. Schließlich brachte sich der Junge mit einem
Sprung in Sicherheit. Seine Brü der lachten ihn aus, da packte ihn die Wut. Er zog seine
Jacke aus und warf sie ü ber das Tier und schlug immer wieder mit dem Gewehrkolben
darauf, bis sich nichts mehr regte. Vorsichtig hoben wir die Jacke hoch und untersuchten
den Krebs.
»Das muss eine Kokoskrabbe sein«, sagte ich, »sie hat so starke Scheren, dass sie damit die
Nü sse knacken kann.« Wir luden sie zusammen mit den Kokosnü ssen auf den Schlitten und
zogen weiter.
Katharina und die jü ngeren Knaben staunten ü ber die Kalebassenbä ume mit ihren
seltsamen Frü chten. Wir machten uns gleich an die Arbeit und sammelten so viele davon
ein, wie wir konnten. Dann sä gten und schnitzten und schnitten wir drauflos. Ich machte
zuerst einen Eierkorb, wobei ich einen Teil der oberen Hä lfte als Henkel stehenließ. Auch
ein paar Milch- und Rahmgefä ße mit Deckeln stellten wir her, flache Teller, Bienenkö rbe,
Tauben- und Hü hnernester. Um Wassergefä ße zu erhalten, bohrten wir in einige große
Kü rbisse fingerbreite Ö ffnungen und schabten das Fleisch mit Schrot und Sand heraus.
Nicht alle Stü cke gelangen gleich gut, aber die Taubennester, die wir auf unserem
Wohnbaum anbringen wollten, sahen so gemü tlich aus, dass Frä nzchen meinte, er mö chte
noch ein wenig kleiner sein und selbst in einem wohnen.
Zum Mittagessen gab es gebratene Kartoffeln. Frä nzchen hatte eine Art Ä pfel entdeckt, die
kö stlich roch. Aber ich kannte sie nicht, und wir wagten nicht, sie zu probieren. Erst als
unser Ä ffchen sich eine der Frü chte schnappte und gierig verschlang, versuchten auch wir
davon. Sie schmeckten sä uerlich, und ihr Geschmack erinnerte uns ein bisschen an jenen
von Erdbeeren. Ich vermutete, dass es sich um Guaven handelte.
Wir legten uns ein wenig ins Gras und ruhten uns aus. Erst als es uns ü berall juckte,
merkten wir, dass wir mitten in einer Ameisenstraße lagen und die Tierchen in unsere
Kleider gekrabbelt waren. Sie waren kleiner als die Ameisen in der Schweiz, aber viel
aggressiver. Die Bisse juckten furchtbar.
»Das mü ssen Feuerameisen sein«, sagte ich und erzä hlte den Knaben, dass diese
faszinierenden Insekten sich bei Ü berschwemmungen zu Tausenden ineinander verbissen
und eine Art Floß bildeten. »So kö nnen sie wochen-, wenn nicht monatelang auf dem
Wasser treiben, ohne zu ertrinken.«
»Im Moment finde ich sie ü berhaupt nicht faszinierend«, erwiderte Jack und kratzte sich
den juckenden Rü cken.
Wir beschlossen, den Schlitten morgen zu holen und beluden den Esel mit dem
Kü rbisgeschirr, das schon trocken war. Das Trapphuhn befreiten wir von seinen Fesseln
und banden ihm nur einen Strick um den Hals, damit es nicht weglaufen konnte. Es folgte
uns ohne großen Widerstand. Als wir in ein Eichenwä ldchen kamen, sahen wir dort unser
Schwein, das sich an den Eicheln mä stete und recht zutraulich war. Auch das Trapphuhn
fraß von den Sü ßeicheln. Wir gö nnten ihnen ihr Nachtessen und sammelten fü r uns selbst
auch einige der Frü chte ein.
Noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichten wir Falkenhorst. Wir fü tterten die Tiere,
wä hrend Frä nzchen ein Feuer machte. Er legte den Krebs auf den Rost und Eicheln und
Kartoffeln in die Glut. Die Mutter lobte ihn und meinte, wenn er so weitermache, wü rde sie
ihn bald zum Kü chenchef ernennen. Als wir ins Baumhaus geklettert waren, bemerkten wir
einen neuen Gast, einen schö n gemusterten, handtellergroßen Gecko, der reglos auf dem
Baumstamm saß. Die Knaben wollten ihn vertreiben.
»Lasst ihn in Ruhe«, sagte ich, »er wird uns noch nü tzlich sein. Er ernä hrt sich von Insekten
und hä lt sie uns vom Leib.«
Der Gecko nistete sich bald fest bei uns ein, er lief ü ber unseren Kö pfen das Zeltdach
entlang und fraß viele Insekten. Allerdings ließ er einiges an Unrat fallen, und zwar immer
auf meinen Kopf, als wolle er sich bei mir fü r seine Rettung bedanken. Er war auch ein
ziemlich lä rmiger Geselle, er krä chzte und kreischte und machte dabei keinen Unterschied
zwischen Tag und Nacht. Wenn er nachts zu sehr lä rmte, vertrieben wir ihn manchmal,
aber spä testens am nä chsten Tag war er wieder da und begrü ßte uns mit einem beleidigten
Brummen.
Am Tag nach unserem Ausflug waren die Ameisenbisse zu roten Knö tchen angeschwollen
und juckten noch mehr. Katharina tauchte Tü cher in ein Gemisch aus Wasser und Milch
und machte uns Umschlä ge, die den Juckreiz etwas milderten. Nach dem Frü hstü ck ging ich
mit Fritz und dem Esel los, um den Schlitten zu holen. Wir liefen so leise durch den
Eichenwald, dass die Vö gel uns nicht bemerkten und wir sie in aller Ruhe beobachten
konnten. Wir sahen Hä her, einen prä chtigen hellroten Ara und Papageien mit grü nem und
gelbem Gefieder. Als wir den Kalebassenwald erreichten, war es noch recht frü h, also
beschlossen wir, einen kleinen Streifzug in der Umgebung zu machen. Wir folgten der
Felswand. Ich wollte herausfinden, ob sie irgendwo eine Lü cke aufwies, durch die wir ins
Landesinnere vordringen konnten, oder ob sie das Stü ck der Kü ste, an der wir lebten, ganz
umschloss.
Wir kamen zu einem großen Wasserfall, der in mehreren Stufen herunterstü rzte und die
Luft mit feiner Gischt erfü llte. Die Felsen waren hier von Moosen und Farnen ü berwuchert,
und in ihrem Schatten wuchsen ganze Felder von Maniok- und Kartoffelpflanzen. Nach
einiger Zeit wurde das Gelä nde flacher und der Boden sumpfig. Wir mussten uns durch
dichtes Gebü sch schlagen. Die Zweige waren voller schwarzer Beeren, die von einer
weißlichen Wachsschicht ü berzogen waren und uns an Kleidern und Hä nden
klebenblieben. Es musste sich um Wachsmyrten handeln, von denen ich in einem Buch
ü ber die amerikanische Flora gelesen hatte.
»Wozu sind die Beeren gut«, fragte Fritz, der meine Freude bemerkt hatte. »Kann man sie
essen?«
»Das nicht. Aber man kann das Wachs in heißem Wasser auskochen. Wenn das Wasser
abkü hlt, bildet sich auf der Oberflä che eine Wachsschicht, aus der man Kerzen gießen kann,
die noch dazu gut riechen sollen.«
Wir fü llten einen der Bastsä cke des Esels mit Beeren, um die Kerzenproduktion zu Hause
auszuprobieren.
Bald darauf gerieten wir in ein Wä ldchen aus mä chtigen Feigenbä umen, deren Frü chte
seltsamerweise kaum grö ßer als Erbsen waren und nicht gut schmeckten. Als wir die
Bä ume genauer untersuchten, bemerkten wir an einigen Stä mmen, die verletzt worden
waren, elastisches Harz, das sie ausgeschwitzt hatten.
»Das erinnert mich an das Harz der Kirschbä ume, das wir zu Hause gesammelt und zum
Kleistern und Leimen verwendet haben«, sagte Fritz.
Er klaubte sich einen kleinen Vorrat zusammen und versuchte, das Harz mit etwas Speichel
aufzuweichen. Es gelang ihm nicht, aber durch die Wä rme seiner Finger wurde die Masse
weich.
»Schau nur, Vater«, sagte er, »ich glaube, das Feigenharz ist Gummi. Wenn ich es
auseinanderziehe und loslasse, nimmt es seine alte Form wieder an.«
»Das wä re eine herrliche Entdeckung«, sagte ich, und erklä rte ihm, wie die Eingeborenen in
Brasilien kleine Gummiflä schchen herstellten. »Sie bestreichen eine Tonflasche immer
wieder mit dem frischen Harz, bis sich eine dicke Schicht gebildet hat. Dann zerschlagen sie
die Tonform und schü tteln die Teile heraus. Zurü ck bleibt ein biegsames, wasserdichtes
Gefä ß. Auf ganz ä hnliche Art lassen sich auch Gummistiefel machen.«
Wir hatten den Rand des Wä ldchens erreicht und sahen vor uns eine große Bucht und links
das Vorgebirge der getä uschten Hoffnung. Weiter waren wir bisher nie gekommen. Ein
undurchdringliches Bambusdickicht versperrte uns den Weg, also kehrten wir um. Beim
Vorgebirge schnitten wir ein dickes Bü ndel Zuckerrohr, das wir dem Esel aufluden. Bei den
Kalebassenbä umen spannten wir ihm den Schlitten an und waren zum Abendessen wieder
in Falkenhorst.
4. Kapitel Das Wrack wird gesprengt. Der Esel findet einen Gefährten.
Ein Büffel, ein Schakal und ein Adler werden gefangen und gezähmt.
Die Regenzeit bricht herein.
Am nä chsten Morgen hatten die Knaben nur einen Gedanken: Sie wollten Kerzen ziehen.
Also leerten wir die Wachsbeeren in unseren grö ßten Topf, fü llten ihn mit Wasser auf und
stellten ihn aufs Feuer. Bis das Wasser heiß war, zogen wir Fä den aus einem Stü ck
Segeltuch und verzwirnten sie zu Dochten.
Als der Topf mit den ausgekochten Beeren abgekü hlt war, hatte sich oben wirklich eine
dicke Schicht aus grü nem Wachs gebildet, die wir ganz leicht abheben konnten. Wir
schmolzen es in einem kleineren Topf und tauchten dann unsere Dochte immer wieder in
das flü ssige Wachs, bis sich dicke Kerzen gebildet hatten. Zum Abkü hlen hä ngten wir sie an
einen Ast in den Schatten. Die Kerzen waren nicht ganz so schö n und gleichmä ßig geformt
wie die gegossenen, die wir zu Hause verwendet hatten, aber als wir am Abend eine
anzü ndeten, verbreitete sie ein helles Licht, und von nun an mussten wir uns nicht mehr im
Dunkeln ausziehen.
Katharina hatte jeweils den Rahm von der Milch abgeschö pft. Bevor er verderben konnte,
wollte sie Butter daraus machen. Sie fü llte den Rahm in einen großen, ausgehö hlten
Flaschenkü rbis und verschloss ihn fest. Dann spannte sie ein Stü ck Segeltuch ü ber vier
Pfosten und legte die Kü rbisflasche in die Mitte. Jetzt ließ sie die Knaben an den vier Ecken
des Tuches ziehen, so dass es sachte zu schaukeln begann. Das war eine Arbeit nach ihrem
Geschmack, sie konnten sogar sitzen dabei und schwatzen und singen. Als wir die
Kü rbisflasche nach einer Weile ö ffneten, fanden wir darin einen schö nen Klumpen gelber
Butter.
Viel schwieriger war unser nä chstes Geschä ft. Ich hatte mir schon lange vorgenommen, aus
dem Schlitten einen Wagen zu machen, damit unsere Tiere ihn leichter ziehen konnten. Wir
hatten die Rä der einiger Schiffskanonen vom Wrack mitgenommen, aber als ich mich an die
Arbeit machen wollte, merkte ich, dass ich nicht wirklich wusste, wie ich vorgehen sollte.
Zwar hatte ich zu Hause jeden Tag Wagen gesehen, mir jedoch nie ü berlegt, wie sie genau
konstruiert waren. Nach vielen Missgriffen stü mperte und pfuschte ich endlich einen
zweirä drigen Leiterwagen zusammen, der uns trotz seiner Schwä chen noch sehr nü tzlich
werden sollte.
Da Zeltheim im Falle eines Angriffs durch wilde Tiere oder Eingeborene nicht besonders
gut geschü tzt war, bepflanzten wir das Ufer des Schakalbaches mit dornigen Pflanzen, die
Eindringlingen das Durchkommen wenigstens etwas erschweren wü rden. Die Umgebung
der Brü cke befestigten wir, und hinter einer kleinen Schanze stellten wir die zwei Kanonen
der Pinasse auf.
Unsere Kleider hielten durch die kö rperliche Arbeit viel weniger lange als zu Hause, und
Katharina bat uns, noch einmal zum Wrack zu fahren, wo viele Kleider der Besatzung
zurü ckgeblieben sein mussten.
Am nä chsten windstillen Tag fuhr ich mit den drei ä lteren Knaben hinaus. Wind und Wetter
hatten dem Wrack schon ziemlich zugesetzt, viele Bretter waren lose, und wir mussten
aufpassen, nirgends einzubrechen. Wir plü nderten die Matrosenkisten und packten zwei
kleine Kanonen ein, die grö ßeren konnten wir nicht von der Stelle bewegen. Wir fuhren ein
paarmal zwischen Land und Wrack hin und her und beluden die Pinasse und das
Kufenschiff mit Brettern, Fenstern, Tü ren, Eisenbeschlä gen und anderen Kostbarkeiten. Als
alles Brauchbare weggeschafft war, entschloss ich mich, das Wrack zu sprengen, in der
Hoffnung, der Wind und das Meer wü rden einen Teil des Holzes an den Strand tragen, wo
wir es leicht bergen kö nnten.
Wir rollten das letzte Pulverfass, das auf dem Wrack verblieben war, in den untersten
Raum, der nicht im Wasser lag und steckten ein langes Stü ck brennender Lunte hinein.
Dann fuhren wir so schnell wie mö glich zurü ck an Land. Zum Abendessen begaben wir uns
auf eine kleine Landzunge, von der aus wir das Wrack sehen konnten. Es war fast windstill,
und nur das Plä tschern der Wellen an den Felsen und das Zirpen der Grillen waren zu
hö ren. Gespannt warteten wir auf die Explosion. Bald nach Einbruch der Dunkelheit schoss
plö tzlich eine Feuersä ule wohl zwanzig Meter in die Luft. Gleich darauf ertö nte ein
mä chtiger Donner. Aber es brach kein Jubel aus. Uns allen wurde wohl plö tzlich bewusst,
dass jetzt das Letzte, was uns mit der Heimat verband, fü r immer verschwunden war.
Schweigend kehrten wir nach Falkenhorst zurü ck und legten uns schlafen. Vom Lager der
Knaben hö rte ich ein verhaltenes Schluchzen, und ich selbst konnte das Weinen nur mit
Mü he unterdrü cken.
Am nä chsten Morgen waren wir wieder guten Mutes und gingen zum Strand, um nach den
Spuren der Explosion zu suchen. Wie wir vermutet hatten, lag ü berall angeschwemmtes
Holz, und im Wasser schwammen weitere Trü mmer. Voller Freude sah ich die
Wassertonnen, an die ich einen großen Kupferkessel gebunden hatte, der fü r unser Floß zu
schwer gewesen war. Eigentlich hatte ich den Kessel zum Zuckersieden bestimmt, aber
vorerst schien er mir ideal zur sicheren Unterbringung des Schießpulvers. Wir rollten ihn
mü hsam in die Nä he des Entensumpfes und stü lpten ihn ü ber die Pulverfä sschen, die wir
dort aufgeschichtet hatten. Dabei entdeckten wir, dass eine Gans und zwei unserer Enten
gebrü tet hatten und mit ihren Jungen stolz im seichten Wasser der Rettungsbucht
schwammen. Wir fü tterten die Vö gel mit Zwieback, um sie zutraulich zu machen und an
uns zu gewö hnen.
Mehrere Tage trugen wir das angeschwemmte Holz zusammen, sortierten es und stapelten
es an einer geschü tzten Stelle auf. Hitze und Mü cken setzten uns zu, und es zog uns wieder
nach unserem luftigeren Falkenhorst. Auf dem Rü ckweg bemerkten wir, dass die frisch
gepflanzten Obstbä umchen noch sehr schwach waren. Wir wü rden bei nä chster
Gelegenheit Bambusrohre holen, um die Bä umchen zu stü tzen. Auch Wachsbeeren mussten
wir ernten, unser Kerzenvorrat ging zu Ende.
An einem schö nen Morgen zogen wir alle zusammen los. Da wir jetzt einen Wagen hatten,
kamen wir schnell voran. Wer mü de war, stieg auf und fuhr, bis er sich etwas ausgeruht
hatte.
Wir fü llten zwei große Sä cke mit Wachsbeeren und machten Einschnitte in die Rinde der
Gummibä ume. Darunter stellten wir die mitgebrachten Nä pfe, in denen die
herausfließende Gummimilch sich sammeln wü rde. Dann wanderten wir weiter zwischen
dem Bambus- und dem Zuckerrohrhain. Erst ging es etwas aufwä rts, dann fiel das Gelä nde
plö tzlich ab und gab den Blick frei auf das Meer und die große Bucht. Der Ort gefiel uns so
gut, dass wir mit dem Gedanken spielten, unseren Wohnsitz von Falkenhorst hierher zu
verlegen. Aber wir hatten die Sicherheit des Baumhauses schä tzen gelernt und wollten
nicht mehr darauf verzichten. Immerhin wollten wir hier fü r einige Zeit unser Lager
aufzuschlagen und die Gegend besser erkunden. Wir spannten das Vieh aus und ließen es
grasen. Wir selbst setzten uns in den Schatten der Palmen und aßen vom mitgebrachten
Proviant. Den Nachmittag ü ber schnitten wir Bambus und Zuckerrohr, sä uberten die Rohre
und schnü rten sie zu ordentlichen Bü ndeln. Von der Arbeit bekamen die Jungen schnell
wieder Hunger. Das Zuckerrohr konnte ihn nur anfä nglich stillen, und die Mutter mochte
nichts von den Vorrä ten abgeben, die sie fü r das Abendessen vorgesehen hatte.
»Wenn wir nur ein paar Kokosnü sse pflü cken kö nnten«, sagte Ernst.
Fritz und Jack versuchten, an einer Palme emporzuklettern, aber sie scheiterten klä glich.
Da fiel mir ein, dass ich einmal auf einer Abbildung gesehen hatte, wie die Inder die
schmalen Stä mme erklimmen.
»Ich weiß, wie ihr ganz bequem zu den Nü ssen kommt«, sagte ich.
»Es muss gar nicht bequem sein«, meinte Jack, »ich will froh sein, wenn ich es ü berhaupt
schaffe.«
Wie um sich ü ber uns lustig zu machen, kletterte Knips, unser Ä ffchen, so schnell an einer
der Palmen empor, dass wir ihm mit den Augen kaum folgen konnten. Oben angekommen,
zerrte es an den Kokosnü ssen, aber es war zu schwach und kam schließlich ganz enttä uscht
wieder herunter und setzte sich auf Ernsts Schulter, der die Rolle des Stiefvaters immer
mehr von Fritz ü bernommen hatte.
Ich holte vom Wagen einen Strick und band Fritz die Knö chel so lose zusammen, dass er
noch kleine Schrittchen machen konnte. Dann band ich ihm einen dicken Strick um die
Hü ften und legte ihn weit genug um den Baumstamm, dass er sich schrä g von der Palme
abstemmen konnte.
»So, jetzt kann es losgehen«, sagte ich.
»Aber wie denn nun?«, fragte Fritz verblü fft, »mit zusammengebundenen Fü ßen?«
»Pass auf«, sagte ich, »stell dich ganz nah an die Palme und spreize die Fü ße. Dann schiebst
du den Strick, den du um die Hü ften trä gst, so weit den Stamm hoch, wie du kannst. Jetzt
lehnst du dich nach hinten in den Gurt und gehst mit kleinen Schrittchen aufwä rts. Dank
dem Strick, mit dem deine Fü ße zusammengebunden sind, kannst du den Stamm mit ihnen
festhalten wie mit einer Zange. Wenn du ein paar Schritte gegangen bist, schiebst du den
Gurt etwas hö her den Stamm hinauf, machst wieder ein paar Schritte und immer so weiter.
Und wenn du mü de bist, lehnst du dich einfach zurü ck und ruhst dich aus.«
Fritz machte alles so, wie ich es ihm gesagt hatte, und kam langsam, aber stetig immer
hö her. Manchmal pendelte er etwas hin und her und schrie erschrocken auf, dann ging es
weiter bis hinauf in den Wipfel
Seine Brü der schauten zu und staunten. Jack war der Erste, der es auch versuchen wollte.
Er wä hlte sich eine Palme aus, und ich band die Stricke wie vorher bei Fritz. Jack war noch
beweglicher als sein Bruder und erreichte das Ziel in kü rzester Zeit. Die beiden Knaben
machten sich sofort mit ihren Ä xten an die Arbeit und bald plumpsten die Kokosnü sse
dutzendweise neben uns auf den Boden. Glü cklich kletterten die Knaben wieder herunter.
Der Bast der frischen Nü sse war viel fester als jener der heruntergefallenen und ließ sich
nur schwer entfernen. Zum Glü ck fiel mir noch ein Trick der Inder ein, von dem ich damals
gelesen hatte. Ich spitzte einen kurzen Stecken auf beiden Seiten an und bohrte ein Ende in
einen morschen Baumstrunk. Dann fasste ich eine der Kokosnü sse mit beiden Hä nden und
stieß sie krä ftig gegen den spitzen Stab. So ließ sich der Bast mü helos abschä len.
Da es schon gegen Abend ging, beschlossen wir, uns aus Zweigen und Palmwedeln eine
kleine Hü tte zu bauen, damit wir in der Nacht vor Tau und Kä lte geschü tzt waren. Wä hrend
wir damit beschä ftigt waren, wurde unser Esel plö tzlich sehr unruhig. Er hielt die Nase in
den Wind, schrie laut und machte lustige Sprü nge. Ehe wir bei ihm waren, um nach ihm zu
sehen, galoppierte er schon davon und verschwand im Bambushain. Wir verfolgten seine
Spur, aber im Dickicht verloren wir sie bald. Da wir Angst hatten, uns in der Dunkelheit zu
verirren, kehrten wir nach einer Weile um.
»Morgen kö nnen wir weitersuchen«, sagte ich. Der Verlust des Esels machte mir doppelt
Sorgen. Erstens hatten wir nun kein Zugtier mehr fü r den Wagen, zweitens befü rchtete ich,
er habe ein gefä hrliches Tier gewittert und sei deshalb geflohen. Aus dem Wald waren laute
Schreie zu hö ren, wir wussten nicht, von was fü r einem Tier sie stammten. Wir waren alle
ziemlich unruhig und schichteten sä mtliches Holz, das wir finden konnten, zu einem
großen Feuer auf. Zusä tzlich machten wir Fackeln aus Zuckerrohr, die wir mit Lianen
zusammenbanden. Da wir die Rohre nicht ausgepresst hatten und sie ziemlich feucht
waren, brannten sie nur langsam ab. Wir stellten die Fackeln um unsere Hü tte herum auf
und fü hlten uns einigermaßen sicher. Angekleidet und die geladenen Gewehre neben uns,
legten wir uns auf das weiche Moos, das die Knaben gesammelt und in der Hü tte
ausgebreitet hatten. Ich schlief nicht gut in dieser Nacht, bei jedem ungewohnten Gerä usch
schreckte ich auf.
Am Morgen machte ich mich mit Jack und den beiden Hunden auf die Suche nach dem Esel.
Katharina und die anderen Knaben wollten in der Zwischenzeit noch mehr Kokosnü sse
einsammeln und Zuckerrohr schneiden. Die Hunde nahmen die Fä hrte des Esels auf, und
wir gelangten durch das Bambusdickicht hinunter in die große Bucht. Hier reichten die
Felsen nah ans Ufer, und der verbleibende Strand war nur noch sehr schmal. Bestimmt war
er bei Flut ü berschwemmt, jedenfalls sahen wir keine Spuren des Esels, und die Hunde
schienen unsicher, in welche Richtung sie gehen sollten. Nach einiger Zeit gelangten wir zu
einem ziemlich breiten Fluss, der ins Meer mü ndete. Er kam aus einem schmalen, felsigen
Tal, dessen Grund fast ganz vom Wasser bedeckt war. Wir tauften es Klus, weil es uns an
die engen Taleinschnitte im heimischen Jura erinnerte. Ich konnte mir nicht vorstellen,
dass der Esel durch den Fluss geschwommen war. Wir gingen das unwegsame Tal hinauf,
bis die Hunde die Fä hrte des Esels wiedergefunden hatten. Immer wieder mussten wir
ü ber große Felsen und loses Gerö ll klettern. Nach einer Weile versperrte uns ein wilder
Bergbach den Weg, der aus einem Seitental in den Fluss mü ndete. Sein Bett war so tief, dass
wir erst nach einigem Suchen einen Ü bergang fanden. Im weichen Boden auf der anderen
Seite des Baches sahen wir zu unserer großen Freude Spuren unseres Esels in einem
Gewimmel ganz ä hnlicher Spuren, die aber von unbeschlagenen Tieren stammten. Die
Schlucht stieg noch etwas an, dann ö ffnete sie sich plö tzlich, und wir gelangten auf eine
riesige, von Hü gelzü gen umgebene Hochebene. Der grö ßte Teil der Ebene schien trockenes
Steppenland zu sein, nur hier und da standen kleine Baumgruppen. In der Ferne glaubten
wir, große Herden zu sehen, aber wir erkannten nicht, was fü r Tiere es waren. Vielleicht
hatte unser Esel sich zu ihnen gesellt. Auf dem flachen Land ging es schneller voran. Als wir
um ein kleines Wä ldchen herumgingen, standen wir plö tzlich vor einer Herde riesiger
Bü ffel. Der Anblick erschreckte mich so sehr, dass ich nicht einmal daran dachte, den Hahn
meines Gewehrs zu spannen. Aber die Bü ffel glotzten uns nur verwundert an und schienen
nicht im Entferntesten daran zu denken, uns anzugreifen. Behutsam zogen wir uns zurü ck.
In diesem Augenblick erreichten uns die Hunde, die etwas zurü ckgeblieben waren. Als die
Bü ffel sie erblickten, fingen sie zu brü llen an, stampften und wü hlten mit ihren Hö rnern im
Staub. Vermutlich hielten sie die Hunde fü r Schakale oder Wö lfe. Ich fü rchtete, die Bü ffel
wü rden auf uns losgehen. Vor allem, als die Hunde unerschrocken ein junges Bü ffelkalb
angriffen, das uns am nä chsten stand. Sie packten es bei den Ohren und versuchten, es zu
uns zu ziehen. Jetzt wurde es ernst. Gegen die Herde hatten wir keine Chance. Selbst wenn
wir ein oder zwei Tiere erlegen kö nnten, wü rden die ü brigen uns unter ihren Hufen
zermalmen. Wir konnten nur hoffen, dass der Lä rm unserer Gewehre sie vertreiben wü rde.
Ich einigte mich mit Jack auf ein Tier, wir zielten und schossen zur gleichen Zeit. Die Herde
stü rzte in Panik davon, nur die verwundete Kuh raste in blinder Wut auf unsere Hunde los.
Aber mein zweiter Schuss traf sie ins Herz, und sie sank auf der Stelle nieder.
Das Bü ffelkalb wehrte sich so ungestü m gegen die Hunde, dass ich befü rchtete, es wü rde
sie verletzen. Da kam Jack auf die Idee, seine Wurfkugeln zu benutzen. Er schleuderte sie
geschickt um die Hinterbeine des Kalbes, und es fiel um. Schnell liefen wir hin und banden
ihm einen starken Strick um den Hals. Aber das Tier bockte und hatte einen wilden
Ausdruck in den Augen. Ich fragte mich, wie wir es jemals von hier wegbringen sollten. Da
fiel mir ein Verfahren ein, das in Italien gebrä uchlich sein soll. Ich ließ die Hunde noch
einmal die Ohren des Kalbes packen, damit es den Kopf nicht bewegen konnte, dann
machte ich mit einem scharfen, kleinen Messer einen Schnitt in die Nasenscheidewand und
zog einen dü nnen Strick hindurch, an dem ich das Tier fü hren wollte. Der Schmerz, den es
bei zu heftigen Bewegungen empfand, machte es endlich zahm, und ich konnte es
wegfü hren.
Die geschossene Kuh weideten wir aus, so gut es ging. Wir schnitten ein paar schö ne Stü cke
Fleisch heraus, rieben sie mit Salz ein und legten sie zum Trocknen in die Sonne. Den Rest
ü berließen wir den beiden Doggen, die mit Heißhunger darü ber herfielen.
Wir machten uns auf den Rü ckweg und kamen bald wieder zum Engpass. Vor uns flü chtete
ein Schakal, aber noch bevor er in seiner Hö hle verschwinden konnte, hatten die Hunde ihn
eingeholt und nach hartem Kampf besiegt. Da es ein Weibchen war, vermuteten wir, es
kö nnten sich Junge in der Hö hle befinden. Jack kroch gleich hinein, und schon kurz darauf
kam er ü ber und ü ber schmutzig wieder heraus. In der Hand hielt er einen ganz jungen
Schakal, der noch kaum die Augen ö ffnen konnte. Er war nicht grö ßer als eine kleine Katze
und hatte ein hü bsches, goldgelbes Fell.
»Darf ich ihn behalten?«, bettelte Jack. »Ich mö chte ihn aufziehen und zä hmen.«
»Einverstanden«, sagte ich, »aber du bist fü r ihn verantwortlich.«
Wir ü berquerten den Bach und kletterten durch die Schlucht zurü ck zum Strand. Gegen
Abend erreichten wir unser Lager und wurden von den anderen stü rmisch empfangen.
Beim Abendessen mussten wir von unseren Abenteuern erzä hlen. Jack ü bertrieb wie
immer ein wenig. Seine Brü der hö rten ihm staunend zu. Dann erzä hlten sie, was sie
unternommen hatten. Sie waren auf das Vorgebirge der getä uschten Hoffnung gestiegen,
hatten Holz gesammelt und neue Fackeln gemacht. Auch Fritz hatte einen Gefä hrten
gefunden. Aus einem Felsennest hatte er einen jungen, herrlich befiederten Adler geraubt.
Er schien zu einer in Europa nicht heimischen Art zu gehö ren, die braune Farbe seiner
Federn und seine weiße Brust erinnerten mich an den malabarischen Adler. Fritz hatte
dem Vogel die Augen mit einer kleinen Lederkappe zugedeckt, die ihm die Mutter genä ht
hatte. Um einen Fuß hatte er ihm eine Schnur gebunden, damit er nicht fliehen konnte. Er
wolle ihn zur Jagd abrichten, sagte er, wie man es zu Hause mit Falken tue. Vorsichtig
entfernte er die Kappe, und sofort fing der junge Adler so fü rchterlich zu flattern und zu
krä chzen an, dass unsere Hü hner in alle Richtungen auseinanderstoben.
»Gib mir den Burschen«, sagte da Ernst, »ich will ihn schon zahm machen.«
Fritz wollte den Vogel nicht hergeben. »Zeig mir, wie du ihn zä hmen willst, dann mache ich
es selbst.«
Das wollte nun Ernst wieder nicht, und es gab Streit. Endlich sagte Ernst: »Ich helfe dir,
wenn du mir dafü r den Affen schenkst.«
»Also gut«, sagte Fritz, »ich weiß sowieso nicht, was ich mit dem Eierdieb anfangen soll.«
»Du musst es machen wie die Kariben mit den Papageien«, sagte Ernst, »blas dem Adler
Tabakrauch in den Schnabel, bis ihm schwindlig ist, dann wird er sich schnell beruhigen.«
Fritz lachte unglä ubig, aber Ernst holte eine Pfeife und Tabak aus einer der Offizierskisten.
Fritz musste dem Adler wieder die Augen verbinden. Ernst zü ndete die Pfeife an, trat ganz
nah vor den Vogel und blies ihm dicke Rauchwolken ins Gesicht. Und wirklich wurde er
langsam ruhiger und hockte endlich ganz still da, auch als Fritz ihm die Kappe wieder
auszog.
Knips schien ganz zufrieden mit seinem neuen Ziehvater. Die Brü der meinten, er spü re die
Verwandtschaft mit Ernst. Aber vermutlich war es die ruhige Art des Jungen, die dem
lustigen, kleinen Kerl gefiel. Er kletterte auf Ernst herum wie auf einem Baum, und dieser
ließ es sich gefallen und schien sogar seine Freude daran zu haben.
Bevor wir uns schlafen legten, warfen wir noch viel grü nes Holz auf das Feuer und hä ngten
das gesalzene Fleisch der Bü ffelkuh in den Rauch, um es haltbar zu machen. Das Kalb
fü tterten wir mit einer Mischung aus Milch und gekochten Kartoffeln und gaben ihm eine
Handvoll Salz, um es an uns zu gewö hnen. Dann banden wir es neben unserer Kuh an und
sahen mit Freude, dass die zwei sich gut vertrugen und friedlich nebeneinanderstanden.
Am nä chsten Morgen war der Himmel bedeckt, und es war etwas kü hler, das richtige
Wetter fü r den Rü ckweg. In Falkenhorst wollte ich mit den drei Ä lteren endlich die
Obstbä umchen mit Stü tzpfä hlen versehen. Frä nzchen und die Mutter sollten inzwischen
die Wachsbeeren sieden und das Mittagessen zubereiten.
Die Obstbä umchen standen entlang des Weges zwischen Falkenhorst und Zeltheim. Einige
von ihnen waren durch den Wind schon ganz schief geworden. Ich ließ das Steckeisen, eine
schwere, zugespitzte Eisenstange, nahe an den schlanken Stä mmen immer wieder auf den
Boden fallen, bis sich ein tiefes Loch gebildet hatte. Die Knaben spitzten Bambusrohre an
und steckten sie in die Lö cher. Dann banden sie die Bä umchen mit Lianen fest. Die Arbeit
war anstrengend und dauerte lä nger, als wir gedacht hatten. Als wir endlich fertig waren,
tat mir der Rü cken weh, und wir hatten einen Wolfshunger.
Wä hrend des Essens bat mich Katharina, den Zugang zu unserem Baumhaus bequemer zu
machen. »Die schwankende Strickleiter ist mir zu mü hsam«, sagte sie, »und wenn ich sehe,
wie hastig die Jungen hinaufklettern, habe ich jedes Mal Angst, dass einer herunterfä llt.«
»Wir kö nnten doch im Inneren des Stammes ein Treppenhaus einrichten«, schlug
Frä nzchen vor.
Die anderen lachten ihn aus.
»Als ich die Bienen in der Baumhö hle gefunden habe, habe ich gesehen, dass der Stamm
innen hohl ist«, sagte er unbeirrt.
Sofort fingen die Knaben an, am Baum herumzuklopfen. Aufgescheucht durch den Lä rm,
schwä rmten die Bienen aus, stü rzten sich auf die Stö renfriede und zerstachen sie
fü rchterlich. Jack, der wie immer zuvorderst gewesen war, bekam am meisten Stiche ab.
Schnell legten wir feuchte Erde auf die Einstiche, aber die Knaben hatten vorerst keine Lust
mehr, sich dem Baum zu nä hern. Die Bienen mussten umgesiedelt werden, sie waren uns
schon mehrfach lä stig geworden. Zusammen mit den Knaben bastelte ich aus einigen
großen Kü rbissen Bienenkä sten, die wir mit Fluglö chern versahen.
Vorsichtig fing ich an, das Loch im Baumstamm, durch das die Bienen ein- und ausflogen,
mit Lehm zu verstopfen, bis nur noch eine ganz kleine Ö ffnung ü brig blieb. Dann steckte ich
das Rö hrchen einer Tabakpfeife hindurch und blies so viel Rauch hinein, bis das Summen
und Brummen im Inneren des Stammes ganz aufhö rte. Mit Jack zusammen meißelte ich um
das Loch herum ein Stü ck des Stammes heraus. Dabei drangen unsere Meißel wirklich bald
in einen Hohlraum, und wir konnten das Stü ck wie ein dickes Brett herausheben. Vorher
rä ucherte ich die Bienen aber noch einmal aus. Im Inneren des Stammes entdeckten wir ein
prä chtiges Nest mit einem großen Vorrat an Wachs und Honig.
Ich schnitt die Waben heraus und wischte die betä ubten Bienen in die Bienenkö rbe, die ich
innen mit Honig bestrichen hatte. Den Rest der Waben und den Honig fü llten wir in zwei
kleine Tö nnchen, die wir gut zudeckten, um sie vor den Bienen zu verstecken. Dann
befestigten wir die Bienenkö rbe an einem großen Ast mö glichst weit vom Baumhaus
entfernt und machten ein Strohdach darü ber, um sie vor Regen zu schü tzen. In der Ö ffnung
im Baum zü ndete ich ein Hä ufchen Tabak an, damit die Bienen nicht wieder dorthin
zurü ckkehrten. Tatsä chlich umschwirrten bald ganze Schwä rme ihr altes Heim, aber der
Rauch vertrieb sie immer wieder. Bis zum Abend legte ich mehrmals frischen Tabak auf das
glü hende Hä ufchen, und mit der Zeit gewö hnten sich die Tiere an ihre neuen Behausungen.
Wir wollten den erbeuteten Honig so bald wie mö glich reinigen und vom Wachs trennen,
aber im Moment waren noch zu viele Bienen unterwegs. Wir wü rden damit bis zum Abend
warten und uns vorerst ein wenig ausruhen.
Als es am Abend kü hler geworden war und die Bienen in ihrem Bau verschwunden waren,
standen wir auf und machten uns an die Arbeit. Wir steckten alle Waben mit ein wenig
Wasser in einen großen Topf und erwä rmten ihn langsam ü ber dem Feuer. Die
geschmolzene Mischung aus Honig und Wachs pressten wir durch einen groben Sack, um
Unreinheiten zu entfernen, und fü llten sie zum Abkü hlen wieder in die Fä sschen. Am
Morgen hatte sich das leichtere Wachs an der Oberflä che gesammelt und war zu einer
Scheibe erstarrt, die wir leicht abheben konnten. Darunter war der reinste, kö stlichste
Honig. Bevor die Bienen ausschwä rmten, hatten wir unseren Schatz schon wieder gut
verstaut.
Jetzt erst untersuchten wir die Hö hle im Baumstamm, und zu unserem Erstaunen fanden
wir, dass der Stamm von den Wurzeln bis hoch zu den ersten Ä sten fast vollstä ndig hohl
war. Es musste recht einfach sein, darin eine Wendeltreppe zu bauen.
Zuerst schnitten wir auf der dem Meer zugewandten Seite eine Ö ffnung in den
Baumstamm. Wir machten sie genauso groß wie die Tü r der Kapitä nskajü te, die wir vom
Wrack gerettet hatten. Danach entfernten wir im Inneren alle Reste von verfaultem Holz,
soweit wir hinaufreichen konnten. In der Mitte des Hohlraumes stellten wir ein ungefä hr
einen Fuß dickes und zwö lf Fuß hohes Bä umchen auf, um das herum wir die Wendeltreppe
bauen wollten. In einer hö her steigenden Spirale brachten wir im Stä mmchen und in den
Außenwä nden Kerben an, in die wir Bretter als Treppenstufen fü gten. Das Loch, das wir
um den Bienenstock herum geschnitten hatten, diente uns als Fenster. Als wir das Ende des
Bä umchens erreicht hatten, befestigten wir darauf ein zweites und bauten unsere Treppe
weiter. Alle paar Meter schnitten wir eine neue Fensterö ffnung in den Stamm, um genug
Licht und frische Luft zu haben.
Es dauerte mehr als zwei Wochen, bis wir mit der Treppe die Hö he unseres Baumhauses
erreichten und dort eine Tü r durchbrechen konnten. Jetzt ließ sich unsere Wohnung ganz
leicht erreichen, und die Knaben bekamen gar nicht genug davon, die Treppe hinauf- und
herunterzurennen. In dieser Zeit warf Bill, die dä nische Dogge, sechs Junge, ü ber die wir
uns sehr freuten. Trotzdem konnten wir nur zwei davon behalten, ein Mä nnchen und ein
Weibchen. Dafü r legte Jack seinen jungen Schakal zu den Welpen, und Bill schien nichts
dagegen zu haben.
Fast zur selben Zeit warfen auch unsere Ziegen ein paar Zicklein und die Schafe vier
Lä mmer, so dass unsere Herde erfreulich wuchs. Damit wir die Tiere wiederfinden
konnten, wenn sie wegliefen, banden wir allen ein Glö cklein um. Auf dem Wrack hatten wir
nä mlich eine ganze Kiste davon gefunden, vermutlich waren sie als Tauschware oder als
Geschenke fü r Eingeborene gedacht gewesen. Das Lä uten der Glocken erinnerte uns an die
Heimat. Wenn ich manchmal nachts wach lag, war es mir, als sei ich auf einer Alp in den
Schweizer Bergen, bis der Schrei eines Schakals oder das Krä chzen des Geckos den Traum
durchkreuzte.
Die Nasenwunde des Bü ffelkalbs war ganz verheilt, und ich steckte ein Stö ckchen durch das
Loch, damit wir das Tier in Zukunft daran fü hren konnten. Wir hatten es geschafft, das Kalb
zusammen mit der Kuh vor den Wagen zu spannen. Die gutmü tige Nachbarin schien einen
beruhigenden Einfluss zu haben. Schwieriger war es, ihm das Lastentragen beizubringen.
Wir fingen damit an, ihm ein Segeltuch ü ber den Rü cken zu legen und dieses mit einem
Gurt festzuschnallen. Das Kalb warf brü llend den Kopf herum und versuchte, sich davon zu
befreien. Aber nach einigen Tagen hatte es sich doch leidlich daran gewö hnt, und wir
versuchten es mit einer leichten und dann immer schwereren Last. Nach ungefä hr vierzehn
Tagen konnten wir dem Kalb die gefü llten Bastkö rbe des Esels anschnallen.
Am schwierigsten aber war es, das temperamentvolle Tier an einen Reiter zu gewö hnen.
Als Erster musste Meister Knips, der Affe, es probieren. Zum einen war er leicht, zum
anderen klammerte er sich sehr geschickt fest. Obwohl das Kalb wilde Sprü nge machte, fiel
er kein einziges Mal auf den Boden und schien sogar seinen Spaß zu haben. Als Nä chster
versuchte es Jack, und auch er schaffte es, auf dem Rü cken des bockenden Tieres zu
bleiben. So gewö hnte sich das Kalb allmä hlich auch daran, geritten zu werden.
Fritz beschä ftigte sich in jeder freien Stunde mit seinem Adler. Er schoss kleine Vö gel, die
er zwischen den Hö rnern des Kalbes, auf dem Rü cken einer Ziege oder sogar der
Trapphenne festband, damit der junge Adler lernte, sich sein Futter selbst zu fangen. Auch
brachte er ihm bei, auf einen Ruf oder ein Pfeifen herbeizukommen. Nur das Beizen, die
freie Jagd, wollte er noch nicht ausprobieren, da er fü rchtete, der Vogel kö nne davonfliegen,
wenn er ihn ganz von seinen Fesseln befreite.
Ernst wurde von dieser Erziehungsarbeit angesteckt und versuchte, den Affen zum
Lastentragen abzurichten. Er flocht einen Korb und brachte zwei Tragriemen an. Knips sah
drollig aus mit dem Korb, aber er wehrte sich gegen das ungewohnte Ding auf seinem
Rü cken. Er fletschte die Zä hne und rollte sich auf dem Boden, machte hohe Sprü nge und
biss an den Riemen herum. Es brauchte viel Zeit und viele Belohnungen, bis er endlich
nachgab.
Jack schließlich wollte seinem Schakal, den er Jager getauft hatte, das Stellen und
Apportieren von Wild beibringen. So sehr er sich bemü hte, das Stellen klappte auch nach
Monaten noch nicht. Aber wenigstens lernte der Schakal, Dinge herbeizubringen, und
wurde zu Jacks treuem Begleiter. Die zwei waren unzertrennlich und konnten stundenlang
zusammen spielen. Ein paarmal beobachtete ich sogar, dass Jack dem Schakal irgendwelche
Geschichten erzä hlte, wie einem Freund oder Schulkollegen. So gut die Knaben sich
meistens vertrugen, so schien ihnen doch oft jemand zu fehlen, dem sie sich eher
anvertrauen konnten als ihren Brü dern.
Neben der Arbeit an der Wendeltreppe fü llten die Erziehungsversuche jeden Tag einige
Stunden. Abends kamen wir alle zusammen und erledigten leichtere Arbeiten. So stellten
wir aus der Gummimilch Stiefel her. Dazu nahmen wir ein paar alte Strü mpfe, fü llten sie
mit grobem Sand, so dass sie ungefä hr die Form meiner Fü ße annahmen, und ü berzogen
sie mit einer dü nnen Schicht Lehm. Aus einem Stü ck Leder schnitt ich zwei passende
Sohlen und befestigte sie an den Socken. Ich band einen Pinsel aus Ziegenhaaren und
bestrich die Stiefelformen rundherum mit einer Lage des flü ssigen Gummiharzes. Nachdem
es getrocknet war, brachte ich eine zweite Schicht an und immer so weiter, bis der Gummi
die nö tige Dicke hatte. Dann leerte ich den Sand aus den Socken, zerschlug die Lehmschicht
und schü ttelte die Bruchstü cke heraus. Schon hatte ich ein Paar wasserdichte
Gummistiefel. Natü rlich wollte jetzt jeder der Knaben auch ein Paar, und wir waren einige
Abende lang damit beschä ftigt.
Eines Morgens, als die Wendeltreppe schon fast fertig war, hö rten wir aus der Ferne ein
schreckliches Gebrü ll und ein seltsames Keuchen und Schnarchen. Wir errieten beim
besten Willen nicht, was fü r ein Tier solch wunderliche Tö ne ausstieß. Selbst unsere Hunde
wurden unruhig und fletschten die Zä hne, als machten sie sich auf einen gefä hrlichen Feind
gefasst. Wir luden unsere Gewehre und Pistolen und verzogen uns in unser Baumschloss.
Als das Gebrü ll aufhö rte, stieg ich hinunter, legte den Hunden ihre stachligen Halsbä nder
an und trieb das Vieh zusammen. Nach einer Weile fing der Lä rm wieder an. Plö tzlich legte
Fritz sein Gewehr zur Seite und sagte lachend: »Das ist doch unser Esel!« Jetzt erkannten
wir alle die Stimme unseres alten Gefä hrten und mussten lachen ü ber unsere Angst.
Tatsä chlich tauchte bald unser lieber, alter Esel zwischen den Bä umen auf. Er kam nur
langsam auf uns zu und hielt immer wieder an, um zurü ckzuschauen. Endlich sahen wir,
dass ihm in einigem Abstand ein Gefä hrte folgte, ein prä chtiges Quagga, ein Waldesel. Fritz
kam vom Baumhaus heruntergeklettert, und wir besprachen, wie wir das schö ne Tier
einfangen kö nnten. Dazu banden wir einen langen Strick an einer Baumwurzel fest und
knü pften am anderen Ende eine große Schlaufe. Diese hä ngten wir an eine dü nne
Bambusstange.
Ich erklä rte Fritz, was ich vorhatte. Als der Esel und das Quagga nä her gekommen waren
und im Schatten unseres Wohnbaumes friedlich weideten, ließ ich Fritz behutsam hinter
dem Stamm hervortreten, in der Hand das Bambusrohr mit der Schlinge. Das Quagga
stutzte, als es den Jungen sah, und machte ein paar Schritte von ihm weg. Aber weil er ganz
ruhig blieb, kam es allmä hlich wieder nä her. Fritz streckte unserem Esel eine Handvoll Salz
hin und dieser eilte herbei und ließ es sich schmecken. Neugierig kam auch das Quagga
nä her, so dass Fritz ihm mit Hilfe des langen Rohrs schließlich die Schlinge um den Hals
legen konnte. Das Tier erschrak, scheute und wollte sich aus dem Staub machen. Aber die
Schlinge zog sich zusammen und nahm ihm die Luft, so dass es zu Boden fiel. Ich sprang
herbei und lockerte das Seil, damit das Quagga nicht erstickte. Dann ü berließen wir es
vorerst sich selbst, damit es sich beruhigte.
Inzwischen war die ganze Familie vom Baumhaus heruntergekommen und bewunderte aus
der Distanz das schö ne Tier, das mit seinem schlanken Kö rper einem Pferd ä hnlicher war
als einem Esel. Jetzt erst kü mmerten wir uns um den Esel, der weiter weidete, als sei nichts
geschehen. Wir warfen ihm ein Halfter ü ber den Kopf, banden ihn in der Nä he seines neuen
Gefä hrten an und legten beiden Futter und einige Hä nde voll Salz hin.
In den folgenden Wochen zä hmten wir auch dieses Tier, und es dauerte gar nicht lange, bis
es Lasten trug und wir sogar auf ihm reiten konnten. Wä hrend dieser Zeit schlü pften etwa
vierzig Kü ken. Da wir nun einen beträ chtlichen Viehbestand hatten und die Regenzeit nicht
mehr lange auf sich warten lassen konnte, mussten wir dringend einen Stall bauen.
Die mä chtigen Brettwurzeln unseres Wohnbaumes sollten die Seitenwä nde des Stalles
bilden. Darü ber errichteten wir ein Dach aus dicken Bambusrohren, die wir mit dü nneren
Rohren verflochten. Das Ganze dichteten wir mit Lehm und Moos ab und bestrichen es mit
einer Schicht Teer, um es wasserdicht zu machen. Das Dach zog sich um den ganzen Stamm
herum, und es war so stabil geworden, dass wir darauf herumspazieren konnten wie auf
einem Balkon. Also brachten wir noch ein Gelä nder an und eine Leiter. Drinnen richteten
wir verschiedene Abteile fü r die Tiere und einen Hü hnerstall ein, und es blieb noch genug
Platz fü r Heu und dü rre Blä tter. Auch fü r uns bauten wir eine kleine Speisekammer mit
einer abschließbaren Tü r, um rä uberische Tiere abzuhalten. Die nä chste Zeit lagerten wir
so viele Nahrungsmittel und Futter fü r die Tiere ein, wie wir zusammentragen konnten.
Als wir eines Abends vom Kartoffelgraben heimkamen und Katharina mit den zwei
jü ngeren Knaben das Abendessen zubereitete, zog ich mit Ernst und Fritz noch einmal los,
um im Sü ßeichelwald ein paar Sä cke Eicheln einzusammeln. Ernst hatte seinen Affen dabei,
Fritz ritt auf dem Quagga, dem wir den Namen Leichtfuß gegeben hatten. Im Wald banden
wir es an einen Baum und fü llten unsere Sä cke. Plö tzlich sprang Knips in ein Gebü sch, und
es war ein lautes Gezeter und heftiges Flü gelschlagen zu hö ren. Ernst, der am Nä chsten
beim Kampfplatz stand, teilte die Ä ste des Gebü schs und rief erfreut: »Hier ist ein
Hü hnernest. Der Affe streitet mit der Henne um die Eier.«
Fritz sprang ebenfalls hinzu und schnappte sich den Vogel, ein braunweiß geflecktes Tier,
vermutlich ein kanadisches Kragenhuhn. Wir banden dem Vogel Flü gel und Beine
zusammen, um ihn am Ausreißen zu hindern. Ernst hatte den Affen verjagt und trug
vorsichtig das volle Nest herbei. In der anderen Hand hielt er ein paar lange Lilienblä tter.
»Die bringe ich Frä nzchen mit«, sagte er, »sie sehen aus wie Schwerter. Da wird er sich
freuen.«
Als wir unsere Sä cke mit Eicheln gefü llt und sie dem Quagga auf den Rü cken geladen
hatten, machten wir uns auf den Rü ckweg. Ich trug das Kragenhuhn, Ernst das Nest mit den
Eiern.
Katharina freute sich sehr ü ber das Huhn und behandelte es so gut, dass es weiter brü tete
und uns nach wenigen Tagen mit fü nfzehn Kü ken beschenkte. Frä nzchens Lilienschwerter
waren inzwischen welk geworden. Da kam Fritz auf einen Einfall. Er las sie zusammen und
sagte zu Frä nzchen: »Ich mache dir eine Peitsche daraus. Damit kannst du die Schafe und
die Ziegen besser beisammenhalten.«
Die Knaben setzten sich nebeneinander. Frä nzchen musste die Blä tter in lange Riemen
reißen, und Fritz flocht sie zu einer tü chtigen Peitsche. Dabei zeigte sich, dass sie sehr zä h
und dabei doch biegsam waren. Als ich eines davon genauer betrachtete, sah ich, dass es
aus langen, starken Fasern zusammengesetzt war. Wahrscheinlich stammten die Blä tter
nicht von Lilien, sondern vom Neuseelandflachs.
Als ich Katharina davon erzä hlte, jubelte sie: »Das ist der beste Fund, den ihr je nach Hause
gebracht habt. Sammelt so viele Blä tter ein, wie ihr kö nnt. Ich werde Fä den daraus spinnen
und Stricke drehen, Kleider nä hen und Strü mpfe stricken.«
Sofort machten Fritz und Jack sich auf, einer sprang auf den Bü ffel, der andere auf das
Quagga, und eine Stunde spä ter waren sie zurü ck mit dicken Bü ndeln. Die lä ngsten Blä tter
waren fast drei Meter lang. Wir legten sie in den Bach, damit das Wasser die weichen
Blattteile verfaulen ließe. Auf Wunsch der Mutter hatten die Knaben auch ein Sä ckchen mit
Samen der Pflanze eingesammelt. Sie rö stete sie am Feuer und erklä rte uns, dass man sie
als Kaffeeersatz verwenden kö nne. Tatsä chlich verbreitete sich bald ein wunderbarer
Rö stgeruch, der mich an die Kaffeehä user in der Heimat erinnerte. Am nä chsten Tag ging
ich mit den Knaben noch einmal in den Eichenwald, um noch mehr von den Samen zu
holen. Die Vorstellung, in der nassen Jahreszeit im Baumhaus zu sitzen und Kaffee zu
trinken, war zu verlockend.
Die Regenzeit kü ndigte sich nun auch schon an. Oft war das Wetter trü b, und es gab
vereinzelte Regenschauer. Es blies ein stü rmischer Wind, der dunkle Wolken ü ber den
Himmel trieb und die Baumkronen bewegte. Unser Baumhaus ä chzte und knarrte in der
Nacht, dass es einem Angst wurde. Da wir nicht wussten, wie lange die Regenzeit dauern
wü rde, legten wir so viele Vorrä te wie mö glich an. Wir sammelten Maniok und Kartoffeln,
aber auch Kokosnü sse und Eicheln. Ü berall, wo wir Wurzeln ausgegraben hatten, sä ten wir
von unserem europä ischen Getreide, da wir noch nicht dazu gekommen waren, einen
richtigen Acker anzulegen. Trotz der vielen sü dlichen Leckerbissen, die wir auf der Insel
gefunden hatten, vermissten wir manchmal das Brot aus der Heimat. Wir pflanzten in der
Nä he von Zeltheim auch ein paar Kokospalmen und eine Menge Zuckerrohre ein.
Frü her als erwartet fing der Regen an. Er war so heftig, dass Frä nzchen mich weinend
fragte, ob jetzt die Sintflut komme. Das Zeltdach des Baumhauses hielt ihm nicht lange
stand, bald tropfte es ü berall durch den Stoff, und auf dem Bretterboden bildeten sich
große Lachen. Auch der Wind war hier oben so krä ftig und kalt, dass wir kurzerhand zu
den Tieren in die Stä lle zogen. Wir schleppten alles hinunter, was durch die Feuchtigkeit
Schaden nehmen konnte. Jetzt waren die Rä ume zu ebener Erde so voll, dass wir uns kaum
noch rü hren konnten. Der Lä rm der Tiere, der Stallgeruch und der Rauch des Feuers
setzten uns zu. Wir verstauten einen Teil unserer Sachen im Treppenhaus im Inneren des
Baumes und bekamen so etwas mehr Platz. Bei unseren Vorbereitungen fü r die Regenzeit
hatten wir vergessen, genug trockenes Holz zu sammeln, und so machten wir nur noch
selten ein Feuer und aßen meistens kalt, obwohl es tagsü ber meist ziemlich kü hl war.
Wir merkten bald, dass das Viehfutter nicht reichen wü rde. Also mussten wir die Tiere
trotz des starken Regens aus dem Stall treiben, damit sie sich ihr Futter selbst suchen
konnten. Der Regen schien sie weniger zu stö ren als uns. Dampfend standen sie im Gras
und fraßen in aller Seelenruhe. Aber wenn wir das Vieh abends zusammentrieben, kamen
wir jedes Mal vö llig durchnä sst und verfroren zurü ck. Das brachte Katharina auf die Idee,
uns einen Regenschutz zu machen. Sie nahm ein langes Matrosenhemd aus einer der
Kleiderkisten und versah es mit einer Kapuze. Den Stoff trä nkte sie mit dem
ü briggebliebenen Gummiharz. So bekamen wir einen vollkommen wasserdichten Mantel,
und von jetzt an gab es fast Streit, welcher der Knaben abends die Tiere hereinholen dü rfe.
Der Boden vor den Stä llen hatte sich in einen Morast verwandelt. Es gab Tage, an denen der
Regen von morgens bis abends niederströ mte, an anderen hö rte er plö tzlich auf, und es
war nur noch das Tropfen des Wassers von den Bä umen zu hö ren. Dann trat eine fast
unheimliche Stille ein, und einzelne Vogelschreie klangen wie Hilferufe. Aber spä testens
nach ein paar Stunden setzte der Regen wieder ein. Der kleine Bach in der Nä he des
Baumhauses schwoll zu einem Strom an, und das sonst klare Wasser war gelb von der
Erde. Wir spannten große Tü cher auf und stellten leergewordene Fä sser darunter, in denen
wir das Regenwasser auffingen. Ein Teil unserer Vorrä te verdarb durch die Feuchtigkeit,
gerä uchertes Fleisch setzte Schimmel an, die Kartoffeln faulten und verbreiteten einen
entsetzlichen Geruch nach verdorbenem Fisch. Nicht einmal mehr als Tierfutter waren sie
zu gebrauchen. Die unterschiedlichsten Insekten suchten unter unserem Dach Schutz vor
der Feuchtigkeit. Schwä rme von Moskitos und kleinen Fliegen schwirrten um unsere Kö pfe,
und in der Vorratskammer entdeckten wir lange Straßen winziger gelber Ameisen, die
ü berall eindrangen und sich ü ber unsere Lebensmittel hermachten. Wir hä ngten die
Vorrä te auf, aber die Ameisen ließen sich davon nicht abhalten und krabbelten in langen
Kolonnen an den dü nnsten Schnü ren entlang. Mehrmals tä glich mussten wir die Vorrä te
kontrollieren und die Insekten abwischen. Auch Tausendfü ßer verirrten sich in unsere
Wohnung. Einige waren fast einen Fuß lang, hatten einen schwarz glä nzenden Kö rper und
rote Beine, die sie wie in Wellen bewegten. Frä nzchen versuchte, die Beine zu zä hlen, aber
er kam nie weiter als bis zweihundert. Eine andere Art von Tausendfü ßern war grü n
gemustert. Wenn man sie anstieß, rollten sie sich blitzschnell zu perfekten Kugeln
zusammen, die groß wie Orangen waren. Wieder andere sonderten bei Gefahr ein Sekret
ab, das nach bitteren Mandeln roch und vermutlich giftig war.
So unangenehm uns diese Eindringlinge waren, sie brachten wenigstens ein bisschen
Abwechslung in die langen Tage. Vor allem die Knaben litten an Langeweile und wussten
immer weniger, wie sie die Zeit in unserem engen Quartier ausfü llen sollten. Schließlich
schlug ich ihnen vor, die Geschichte unseres Lebens auf dieser einsamen Insel
aufzuschreiben, teils um die Zeit totzuschlagen, teils in der Hoffnung, dass irgendwann
jemand anderes als wir sie lesen wü rde. Katharina und die Knaben waren froh ü ber diese
Abwechslung und halfen mir gerne. Durch die vereinigten Beiträ ge und Erinnerungen von
uns allen brachten wir eine ziemlich genaue Chronik der vergangenen Monate zustande.
Die letzte und nü tzlichste unserer Arbeiten wä hrend der Regenzeit war der Bau einer
Flachsbreche und zweier unterschiedlicher Hecheln, einer Art Kä mme, mit denen die
Flachsfasern voneinander getrennt und gereinigt werden konnten. Ich nahm dazu lange
Nä gel und schlug sie eng nebeneinander durch ein Stü ck Eisenblech. Dieses bog ich an den
Rä ndern ein wenig in die Hö he und goss den entstandenen Hohlraum mit geschmolzenem
Blei aus, um das Ganze stabil und schwer zu machen. Katharina hatte grö ßte Lust, das neue
Gerä t sofort auszuprobieren. Sie sehnte sich nach dem Ende der Regenzeit. Dann kö nnte sie
endlich im Freien ein Feuer machen und den feucht gewordenen Flachs trocknen und ihn
verarbeiten.

5. Kapitel Die Mutter spinnt Garn. Die Wohnung im Fels. Der


Heringszug kommt. Baumwolle wird gefunden und ein Boot gebaut.
So zähmt man Tauben.
Ich kann nicht beschreiben, wie glü cklich wir waren, als nach langen, trü bseligen Wochen
der Regen nachließ, der Himmel sich aufklä rte und die Sonne wieder ö fter zu sehen war.
Wir verbrachten so viel Zeit wie mö glich im Freien. Ü berall spross frisches Grü n, es sah aus,
als sei die Natur neu entstanden. Unsere Obstbä umchen hatten ausgetrieben, und auch das
Getreide, das wir vor der Regenzeit gesä t hatten, wuchs krä ftig. Ü berall blü hten die
verschiedenartigsten Blumen, die herrlich dufteten.
Voller Tatendrang richteten wir das Baumhaus wieder her, putzten es und rä umten auf.
Der Regen und das heruntergefallene faulende Laub hatten viel Schaden angerichtet, aber
nach wenigen Tagen war es wieder so weit instand gesetzt, dass wir hinaufziehen konnten.
Jetzt wollte Katharina endlich den Flachs verarbeiten. Die Bü ndel waren noch feucht und
dampften in der Sonne, aber mit einigen Bambusrohren bauten wir eine Darre, auf der wir
die Blä tter zum Trocknen ausbreiteten. Danach bearbeiteten die Knaben sie mit dicken
Prü geln und schlugen die sprö den Teile heraus, was ihnen viel Spaß machte. Mit der
Flachsbreche, die ich im Winter gebaut hatte, brach Katharina die hö lzernen Teile der
Halme, und ich kä mmte sie mit der Hechel aus. So brachten wir bald große Knä uel sauberer
Fasern zusammen.
Ich musste Katharina eine Spindel schnitzen, mit der sie aus den Fasern Fä den spann, und
eine Haspel, auf der diese aufgewickelt wurden. Als die Gerä te bereit waren, fing Katharina
sofort zu spinnen an und war so bei der Sache, dass sie uns nicht einmal mehr auf einen
Spaziergang begleiten mochte. Sie war froh, wenn wir sie in Ruhe arbeiten ließen. So ging
ich mit den Knaben nach Zeltheim, um nachzusehen, wie das Lager dort die Regenzeit
ü berstanden hatte.
Die Schä den in Zeltheim waren grö ßer als in Falkenhorst. Das Zelt war durch die Stü rme
zusammengebrochen und ein großer Teil unserer Vorrä te darin verdorben. Am meisten
schmerzte mich der Verlust von drei Fä sschen Schießpulver, die wir im Zelt gelassen
hatten, statt sie, wie die anderen, unter dem Kupferkessel in Schutz zu bringen. Unser
Tonnenschiffchen war in einem erbä rmlichen Zustand und gar nicht mehr zu gebrauchen.
Wir zogen es an Land und zerschlugen es zu Feuerholz. Wenigstens hatte die Pinasse
keinen Schaden genommen.
Diese Verluste ließen uns wieder ernsthaft ü ber ein besseres Quartier fü r die Regenzeit
nachdenken.
»Wir kö nnten uns in der Felswand eine Hö hle graben«, schlug Fritz vor.
»Oder sprengen«, sagte Jack mit leuchtenden Augen.
»Dafü r dü rfen wir unser Pulver nicht vergeuden«, sagte ich.
Als die Knaben nicht lockerließen, willigte ich ein, auszuprobieren, wie leicht sich der Stein
bearbeiten ließe. »Vielleicht bringen wir ja wenigstens eine kleine Kammer fü r die
Pulverfä sschen zustande.«
Eines Morgens ging ich also mit Fritz und Jack nach Zeltheim. Wir hatten Pickel, Brecheisen
und Meißel dabei. An der Felswand suchten wir eine Stelle aus, die etwas besser gelegen
war als unser Zelt und von der aus man die ganze Rettungsbucht und das Ufer vom
Schakalbach bis zum Entensumpf ü berblicken konnte. Mit Kohle zeichnete ich den Umriss
einer Ö ffnung auf den Fels, und wir fingen an, den Stein mit unserem Werkzeug
herauszubrechen.
Wä hrend der ersten Tage kamen wir so langsam voran, dass wir schon aufgeben wollten.
Aber je tiefer wir drangen, desto weicher wurde der Stein. Die Hö hlung war schon ein paar
Fuß tief, als Jack, der an der hinteren Wand arbeitete, plö tzlich rief: »Vater, ich bin durch!«
»Wohin durch?«, fragte ich erstaunt. »Wohl nicht durch den ganzen Berg?«
»Doch!«, jubelte Jack.
Tatsä chlich war sein Brecheisen durch den Fels in einen offenen Raum gedrungen und ließ
sich in alle Richtungen bewegen. Schnell arbeiteten wir weiter und vergrö ßerten die
Ö ffnung. Nach einer Viertelstunde konnte ein Mensch hindurchkriechen.
Die Knaben wollten die Hö hle sofort erkunden, aber ich hielt sie zurü ck, denn aus dem
Loch drang entsetzlich stickige Luft.
»Weg, weg!«, rief ich und zog sie ins Freie. »Die Luft in der Hö hle ist verdorben, ihr kö nntet
darin ersticken.«
Die Knaben waren sehr enttä uscht, aber ich sagte, wir wü rden versuchen, die Luft zu
reinigen.
»Und wie soll das gehen?«, fragte Jack.
»Zuerst machen wir die Feuerprobe«, sagte ich.
Ich holte ein Bü ndel dü rres Gras, zü ndete es an und warf es in die Hö hle. Sofort erlosch es.
Jack schlug vor, es mit Pulver zu versuchen.
»Oder mit Granaten«, rief Fritz.
Wir hatten nä mlich vom Schiff eine Kiste mit Feuerwerksraketen und Granaten gerettet,
die dazu bestimmt gewesen waren, nachts Signale zu geben. Wir liefen zum Zelt und fanden
die Kiste unversehrt.
Wir trugen die Feuerwerkskö rper zur Hö hle und warfen eine Granate hinein. Ein
gewaltiger Donner kam aus dem Inneren. Dann brannten wir ein paar Raketen ab, die
zischend bis zur Rü ckwand flogen, dort abprallten und mit einem Knall und buntem
Leuchten explodierten. Die Knaben hatten das grö ßte Vergnü gen an diesem Feuerwerk und
wollten gar nicht mehr aufhö ren. Schließlich warfen wir noch einmal ein brennendes
Grasbü schel in die Hö hle, und diesmal erlosch es nicht, sondern verbrannte zu weißer
Asche. Jetzt schickte ich Jack nach Falkenhorst, um den anderen von unserer Entdeckung zu
berichten und alle Kerzen mitzubringen, die er finden konnte. Inzwischen vergrö ßerten
Fritz und ich das Loch, und als Jack nach ein paar Stunden mit der Mutter und seinen
Brü dern eintraf, war der Eingang so groß, dass man sich kaum mehr bü cken musste.
Jeder bekam eine brennende Kerze in die Hand und eine Ersatzkerze samt Feuerzeug in die
Tasche. So ausgerü stet traten wir in die Hö hle. Nur Knips, den Ernst auf den Schultern trug,
wollte um keinen Preis hinein. Kaum hatte Ernst den ersten Schritt in die Dunkelheit getan,
schrie der Affe gellend laut auf und zerrte an Ernsts Kragen und, als dieser weiterging, auch
an seinen Ohren und Haaren. Schließlich nahm Ernst ihn von seinen Schultern und setzte
ihn vor dem Eingang der Hö hle in den Sand, wo er zitternd und schnatternd sitzen blieb.
Ernst war etwas verunsichert, trotzdem folgte er uns in die prä chtige Grotte. Von der
hohen Decke und den Wä nden funkelten zahllose Kristalle im Licht unserer Kerzen. Der
Boden war fest und von feinem Sand bedeckt, es gab in der ganzen Hö hle keine Spur von
Feuchtigkeit.
»Was haltet ihr davon, wenn wir uns hier drin ein Winterquartier einrichten?«, fragte ich.
Meine Worte hallten an den Wä nden der Hö hle wider.
»Ich weiß nicht«, sagte Katharina. »Ich finde es ein bisschen unheimlich. Und es ist
schrecklich dunkel.«
»Wir kö nnten den Eingang vergrö ßern«, sagte Fritz, »und Fenster in die Felswand
schlagen.«
»Wir sollten es wenigstens versuchen«, sagte ich.
Ich hatte einen Verdacht und schlug ein Stü ck eines Kristalls von der Wand. Und
tatsä chlich: Es war Salz. So hatten wir nicht nur ein Winterquartier gefunden, sondern
zugleich mehr Salz, als wir fü r uns und unser Vieh jemals brauchen wü rden.
Trotz des Zö gerns der Mutter fingen ich und die Knaben an, Plä ne zu schmieden, wie wir
die Hö hle einrichten kö nnten. Wir vermaßen den Raum und zeichneten Plä ne, die wir
immer wieder ä nderten, bis auch Katharina zufrieden war. In den kommenden Monaten
kü mmerten wir uns kaum noch um etwas anderes. Zwar blieben wir den Sommer ü ber in
Falkenhorst wohnen, aber die Tage verbrachten wir in Zeltheim und arbeiteten an unserem
kü nftigen Winterquartier.

Zuerst schlugen wir ein paar Fenster in die Wand, um Licht und Luft hereinzulassen. Dazu
mussten wir die Felswand dü nner machen, damit die Fenster nicht bloß Schießscharten
wü rden und kaum Licht hereinließen. Das Gestein im Inneren war ziemlich weich,
trotzdem war die Arbeit mü hsam und kostete uns viele Wochen. Die Ö ffnungen machten
wir genauso groß wie die Fensterflü gel, die wir in den Offizierskabinen des Wracks
abmontiert hatten. Auch eine Tü r brauchten wir, damit die Moskitos nicht in die Hö hle
gelangen konnten. Wir nahmen jene von Falkenhorst, die wir dort durch eine aus Rinde
ersetzten. Das hatte den Vorteil, dass der Eingang zu unserem Baumhaus nun fast
unsichtbar war.
Die Hö hle war sehr gerä umig, und so teilten wir sie mit Trennwä nden in zwei Hä lften,
zwischen denen ein Gang verlief. Rechts vom Eingang sollte unsere Wohnung sein, links die
Kü che und Arbeitsrä ume. Im hinteren Teil, wo es keine Fenster gab, wurden Vorratsrä ume,
Magazin und Stä lle untergebracht. Wir wollten die Rä ume mit Wä nden trennen, um die
Hö hle einer normalen Wohnung so ä hnlich als mö glich zu machen. Es gab ein Eltern- und
ein Kinderschlafzimmer und dazwischen das Esszimmer. In der Kü che bauten wir einen
Herd mit einem Rauchfang und einer Art Backofen. Der grö ßte Raum sollte unsere
Werkstatt sein, in der wir uns im Winter beschä ftigen wü rden. Sie war so groß, dass wir
sogar mit dem Wagen hineinfahren konnten. Da die Grotte viel hö her war als unsere
Trennwä nde, bekamen alle Rä ume genug frische Luft. In ungefä hr fü nfzehn Fuß Hö he
schlugen wir eine zweite Reihe Fenster in den Fels, die wir aber nur vergitterten. Dahinter
brachten wir auf stabilen Pfä hlen einen mehrere Fuß breiten Boden an. Links und rechts
fü hrten in den Fels gesprengte Treppen zu diesem Laufgang, von dem aus man durch die
oberen Fenster eine gute Fernsicht hatte und die Felsenwohnung zur Not verteidigen
konnte.
Eines Morgens, als wir von Falkenhorst zu unserer Hö hle unterwegs waren, sahen wir weit
draußen auf dem Meer einen Teil des Wassers sprudeln und schä umen, als koche es.
Darü ber schwebten unzä hlige Mö wen, Tö lpel und Albatrosse. Die Vö gel stü rzten sich ins
Wasser, erhoben sich hoch in die Luft, wirbelten wild umeinander. Im Glanz der
Morgenrö te blitzten dicht ü ber dem Wasser kleine silberne Lichter auf und erloschen
sofort wieder, um anderen zu weichen. Dieser Strudel kam von der offenen See direkt auf
die Rettungsbucht zu. Wä hrend wir hinuntereilten, rä tselten wir, was die Ursache dieser
seltsamen Erscheinung sein konnte.
»Vielleicht ist es ein Vulkan«, meinte Fritz, »der unter Wasser ausgebrochen ist.«
»Bestimmt ist es ein Seeungeheuer«, sagte Ernst, »ein Riesenoktopus.«
»Ich habe gelesen, dass sie mit ihren acht Armen große Schiffe auf den Grund ziehen
kö nnen«, sagte Jack begeistert.
Frä nzchen schaute mich verä ngstigt an.
»Unsinn«, sagte ich, »ich glaube, es ist ein Fischzug. Vielleicht ein Schwarm Heringe, der
von jagenden Vö geln und Seehunden begleitet wird.«
Wir rannten fast das letzte Stü ck des Weges. Und tatsä chlich, kaum waren wir am Ufer
angekommen, waren auch die Heringe da. Sie schwammen so dicht gedrä ngt, dass
manchmal einer ü ber den anderen sprang und dabei sein silberner Bauch in der Sonne
aufblitzte. Aber wir hatten keine Zeit, das Schauspiel zu bewundern, sondern beschlossen,
zur Ergä nzung unserer Wintervorrä te so viele Fische als mö glich zu fangen. Schnell
verteilten wir die Aufgaben. Fritz stand im Wasser und schö pfte die Heringe mit großen
Kö rben auf. Um ihn herum sprangen die Fische in die Hö he und Mö wen flogen kreischend
um seinen Kopf. Wä hrend er mit einem vollen Korb an Land watete, sprang die Hä lfte der
Heringe wieder hinaus, aber es blieben immer noch genug, die er in den Sand kippte. Ernst
und Jack weideten sie aus und wuschen sie in einem Wasserbecken. Ich zerstieß im Mö rser
Salz, und Katharina pö kelte die Fische ein. Frä nzchen war der Handlanger von uns allen
und eilte flink hin und her. In kü rzester Zeit waren wir alle klitschnass, aber die Knaben
lachten vor Freude ü ber den Fischzug.
Zum Einpö keln verwendete Katharina eines unserer alten Wasserfä sser. Sie bestreute den
Boden mit Salz und legte eine Lage Heringe hinein, so dass alle Kö pfe in die Mitte zeigten.
Als die erste Lage fertig war, bestreute sie auch diese mit reichlich Salz und legte eine
zweite darauf, diesmal mit den Kö pfen nach außen. Sie schichtete so viele Heringe in die
Tonne, bis sie fast voll war. Zuletzt breitete sie große Blä tter darü ber, deckte sie mit einem
Stü ck Segeltuch und Brettern zu und beschwerte alles mit Steinen. Die vollen Fä sser
stellten wir in die kü hle Hö hle, damit sich das Ganze setzen und wir sie endgü ltig
verschließen konnten. Vier Tage lang dauerte der Heringszug. Jeden Tag fü llten wir zwei
Fä sser, bis wir genug Fisch fü r zwei Winter hatten.
Als ich das Salz von der Wand unserer Hö hle geklopft hatte, hatte ich bemerkt, dass sich
darunter Gipsspat befand. Da ich Gips daraus gewinnen wollte, legte ich einen kleinen
Vorrat davon an. Unsere Hö hle war schon groß genug, also baute ich den Gipsspat bei
unserem Pulvermagazin ab, das so gleichzeitig etwas tiefer in den Berg hineingetrieben
wurde. Ich schichtete die Brocken neben unserer Feuerstelle auf, und jedes Mal, wenn wir
kochten, ließ ich ein paar Stü cke davon ausglü hen. Wenn sie erkaltet waren, zerstieß ich sie
zu feinem Gips und verstaute diesen an einem trockenen Ort.
Ungefä hr einen Monat nach dem Heringszug tauchten vor der Mü ndung des Schakalbaches
Stö re und Lachse auf, die den Bach hinaufzogen, um im Sü ßwasser ihren Laich abzulegen.
Die Fische waren so riesig, dass wir sie nicht wie die Heringe in Kö rben fangen konnten.
Fritz schnappte sich die Harpune, ich mir einen Dreispitz wie Neptun, Ernst nahm sich
einen großen Angelhaken, und Jack rü stete ein paar seiner Pfeile mit Schwimmblasen aus,
die den getroffenen Fisch am Tauchen hindern sollten, und befestigte lange Schnü re daran.
Nachdem wir einen ersten Lachs gefangen hatten, warfen wir dessen Eingeweide als Kö der
ins Wasser, was noch mehr Fische anzog. Jack schoss mit seinen Pfeilen ein paarmal
daneben, bis er endlich einen Lachs erwischte und mit viel Mü he an Land zog. Fritz traf mit
der Harpune einen riesigen Thunfisch, und Frä nzchen und die Mutter mussten ihm helfen,
das Tier am Seil festzuhalten, bis ich mit meinem Dreizack hinzugeeilt war. Ernst
schließlich, der bis zum Bauch im Wasser gestanden hatte, brachte ganz allein einen jungen
Stö r ans Ufer.
Wir nahmen die Fische aus, zerschnitten das Fleisch in Stü cke und salzten einen Teil davon
ein wie die Heringe. Den Rest kochten wir in Salzwasser und legten ihn in einem Fass mit
Ö l ein, wie man es am Mittelmeer mit dem Thunfisch macht. Ein paar schö ne Stü cke hatte
Katharina fü r das Abendessen beiseitegelegt. Sie schnitt sie in kleine Wü rfel und tischte sie
uns roh auf.
»So essen die Japaner den Fisch«, sagte sie.
Die Knaben und ich waren etwas skeptisch, aber vor allem der Thunfisch schmeckte besser,
als ich gedacht hatte.
Die Fischblasen wurden gereinigt und ausgekocht. Aus dem Wasser schä umten wir die
Gallerte ab und ließen sie erkalten. So bekamen wir durchsichtigen Fischleim. Wir gossen
ihn zu flachen Platten, die wir statt Glas fü r Fensterscheiben verwenden wollten.
Seit wir mit Bambusrohren ein Bewä sserungssystem verlegt hatten, gedieh der
Kü chengarten von Zeltheim prä chtig. Dabei war die Ernte in diesem warmen Klima nicht
an eine bestimmte Jahreszeit gebunden, und wir hatten wä hrend des ganzen Sommers
frische Bohnen, Ebsen und anderes Gemü se. Auch Gurken und Melonen gab es in Fü lle, der
Mais und das Zuckerrohr schlugen krä ftig aus, und selbst die hierher verpflanzten
Ananasstauden schienen sich an den neuen Standort gewö hnt zu haben.
Wir entschlossen uns, auch nach den weiter entfernten Pflanzungen zu sehen, die wir lange
nicht besucht hatten. Außerdem wollte ich nach einem Baum Ausschau halten, aus dessen
Rinde wir ein kleines, leichtes Boot bauen kö nnten. Eines Morgens brachen wir auf nach
Falkenhorst. Unterwegs kamen wir am Feld vorbei, wo wir die Kartoffeln ausgegraben und
Katharina verschiedene Getreidearten gepflanzt hatte, Gerste und Weizen, Roggen, Hirse,
Hafer und Linsen. Am besten wuchs, wie wir erwartet hatten, der Mais. Allerdings gab es
hier auch die meisten Schmarotzer und Schä dlinge. Als wir uns der Pflanzung nä herten,
ergriff ein halbes Dutzend Trapphü hner die Flucht. Die Hunde nahmen eine Witterung auf
und verschwanden zwischen den hohen Stä ngeln. Bald flog ein ganzer Schwarm von
kleinerem Geflü gel mit lautem Geschrei davon.
Fritz riss schnell seinem Adler die Kappe von den Augen, zeigte mit der Hand nach den
fliehenden Trappen und warf ihn in die Luft. Dann sprang er auf das Quagga und ritt
seinem Gefä hrten hinterher. Der Adler erhob sich weit ü ber die Trapphü hner. Als diese ihn
bemerkten, landeten sie und versuchten zu Fuß nach allen Seiten zu entwischen. Aber der
Adler ließ sie nicht aus den Augen. Plö tzlich stü rzte er sich aus der Hö he auf das grö ßte
Tier, packte es mit den Krallen und hackte mit seinem scharfen Schnabel auf es ein. Fritz
erreichte den Kampfplatz gerade noch rechtzeitig. Schnell warf er dem Trapphuhn sein
Taschentuch ü ber den Kopf, zog dem Adler seine Kappe an und machte ihn vom Rü cken
seiner verä ngstigten Beute los.
Den Rest des Tages ernteten wir einen Teil des Getreides, droschen es und fü llten es in
Sä cke, die wir nach Falkenhorst schafften. Wir ü bernachteten im Baumhaus und zogen am
nä chsten Morgen weiter. Die Kuh, den Bü ffel und den alten Esel spannten wir vor den
Wagen. Fritz trabte auf dem Quagga voraus und erkundete, wo am leichtesten
durchzukommen war. Wir probierten einen neuen Weg aus, um die Gegend besser
kennenzulernen. Nach einem ziemlich beschwerlichen Marsch traten wir aus einem Gehö lz
auf eine kleine Ebene, die grö ßtenteils mit niedrigem Buschwerk bewachsen war.
»Du lieber Himmel«, rief Frä nzchen, »hier hat es ja geschneit. Das ist aber schö n.«
Wir mussten lachen, aber auf den Strä uchern und dem Boden lag tatsä chlich eine flaumig
weiße Decke. Katharina bü ckte sich und hob eine Hand voll Flocken auf.
»Das muss Baumwolle sein«, sagte sie begeistert.
Wir untersuchten die Stauden genauer und sahen, dass die reifen Samenkapseln
aufgebrochen waren und der Wind den weißen Flaum davongetragen und ü berall verteilt
hatte. Katharina zä hlte auf, was sie alles aus den Fasern machen wollte, und wir fü llten
unsere leeren Sä cke damit. Auch einige Samen nahmen wir mit, um sie bei Zeltheim zu
pflanzen.
Wir gelangten auf einen kleinen Hü gel mit einer Lichtung, einem verwunschenen stillen
Ort. Auf einer Seite der Erhö hung wuchsen Bä ume unterschiedlichster Arten, auf der
anderen floss ein schmaler Bach. Der Ort war so friedlich, dass wir uns entschlossen, hier
einen Wohnplatz anzulegen. Als wir die Gegend erkundeten, fanden wir eine Gruppe von
vier Bä umen, die ein lä ngliches Viereck bildeten und die wir als die Eckpfeiler unserer
Hü tte wä hlten. In die zwei Stä mme, die dem Meer am nä chsten waren, schnitten wir auf
der Hö he von zehn Fuß Fugen, in die wir eine Querstange legten. Die Fugen in den hinteren
zwei Bä umen brachten wir zwei Fuß tiefer an und legten auch da eine Stange hinein. Die
beiden Stangen verbanden wir mit dü nnen Ä sten zu einem Rost. Darauf nagelten wir
Stü cke von Baumrinde fest, und schon hatten wir eine Art Schindeldach. Die Seitenwä nde
der Waldhü tte flochten wir aus biegsamen Ruten, damit Licht und Luft hindurchdringen
konnten. Gegen das Meer hin ließen wir eine Tü rö ffnung. Das Innere der Hü tte teilten wir,
ebenfalls mit einer geflochtenen Wand, in einen Stall fü r das Vieh und einen Schlafraum fü r
uns, so dass wir in Zukunft bequem ein paar Tage hier wü rden verbringen kö nnen.
Die Arbeit an der Waldhü tte dauerte mehrere Tage. In dieser Zeit unternahmen wir einige
Streifzü ge in die nä here Umgebung. Einmal folgten wir dem Bach hinauf zur Felswand.
Aber bald kamen wir in einen Morast am Ufer eines kleinen Sees. Mit Freude entdeckten
wir dort wilden Reis und viele Vö gel, die davon fraßen. Als wir uns nä herten, flogen sie auf,
und es gelang uns, vier Kragenhü hner im Flug zu schießen. Der Schakal, der mit uns
gekommen war, sprang in den Sumpf und apportierte die Vö gel. Wir nahmen einen Korb
voller Reisä hren mit. Da er nicht schwer war, banden wir ihn Meister Knips auf den
Rü cken. Der versuchte, ihn wieder loszuwerden, drehte sich wie wild im Kreis, aber er
konnte ihn nicht erwischen. Dann machte er ein bedrohlich bö ses Gesicht. Erst nachdem
Ernst ihm den Kopf gestreichelt und ihm ein paar Feigen zugesteckt hatte, gab er nach und
trug den Korb zurü ck zu unserem Lagerplatz. Als die Hü tte fertig war, tauften wir sie auf
den Namen Waldegg.
Am nä chsten Morgen fü tterten wir die Schafe, Ziegen und Hü hner, die zurü ckbleiben
sollten, und zogen weiter. Bald kamen wir in einen wunderschö nen Wald. Die Bä ume
hatten lange, astlose Stä mme und bildeten oben ein dunkelgrü nes Dach, das so wenig
Sonne durchdringen ließ, dass unten nichts wuchs. Der Boden war mit einer dicken Schicht
trockener Nadeln bedeckt und war so weich, dass wir bei jedem Schritt tief einsanken. In
den Baumkronen lä rmten unzä hlige Affen und bewarfen uns mit großen Zapfen. Erst
nachdem wir ein paarmal in die Luft geschossen hatten, hö rten sie damit auf. Fritz hob
einen der Zapfen auf, und wir sahen, dass es die Frü chte der Pinie waren, aus deren Samen
man ein gut schmeckendes Ö l gewinnen kann. Also sammelten wir so viele wie mö glich
davon ein.
Unser Weg fü hrte uns weiter in die Nä he des Vorgebirges der getä uschten Hoffnung. Dort
bestiegen wir einen kleinen Hü gel, von dem aus wir in alle Richtungen die schö nste und
weiteste Aussicht hatten. Der Ort gefiel uns so gut, dass wir beschlossen, auch hier eine
Hü tte zu bauen.
»Meinst du nicht, dass wir langsam genug Wohnungen haben?«, fragte die Mutter
skeptisch.
Aber die Knaben ließen sich nicht von dem Vorhaben abbringen. Da wir nun schon geü bte
Baumeister waren, vollendeten wir die Arbeit in sechs Tagen. Diesmal verwendeten wir
vor allem Bambus, den wir aus dem Dickicht in der Nä he holten. Diesen Ort nannten wir
nach Ernsts Vorschlag Hohentwiel.
Nachdem wir die Hü tte fertiggestellt hatten, erforschte ich mit den Knaben den Wald in der
Umgebung, der reich an seltenen Bä umen war. Wir fanden eine Gruppe prä chtiger Eichen,
die ledrige, gezahnte Blä tter und etwas kleinere Frü chte hatten als ihre europä ischen
Verwandten. Die Rinde fü hlte sich an wie Kork, aber sie war zä her und schien bestens
geeignet fü r ein leichtes Boot.
Wir warfen unsere Strickleiter ü ber einen der unteren Ä ste. Fritz kletterte hinauf und
durchtrennte oben die Rinde rings um den Stamm herum mit einer Handsä ge. Am Fuß des
Baumes machten wir einen zweiten Einschnitt und verbanden beide mit einem
Lä ngsschnitt. Mit hö lzernen Meißeln schä lten wir die Rinde sorgfä ltig vom Stamm. Es
gelang uns, sie unversehrt abzulö sen und ins Gras zu legen. Wir verarbeiteten sie gleich
weiter, bevor sie trocken und sprö de werden konnte. Dazu spannten wir die Rö hre mit
Keilen auseinander. Vorne und hinten machten wir etwa fü nf Fuß lange Einschnitte. Die
zwei dadurch entstandenen Seitenteile schoben wir so ü bereinander, dass sich der Rumpf
nach und nach verengte und in einer Spitze auslief. Der mittlere Teil des Schiffchens war
jetzt etwas zu flach geworden, also zogen wir ihn mit starken Lianen wieder zusammen, bis
die Seitenwä nde senkrecht standen. Leider fehlte uns das nö tige Werkzeug, um das Schiff
ganz fertigzustellen. Also schickte ich Fritz und Jack nach Zeltheim, um den Wagen zu
holen.
Wä hrend sie unterwegs waren, suchte ich mit Ernst und Frä nzchen nach Holz fü r den Bug
und die Spanten. Dabei entdeckten wir an einem Baumstamm ein Harz, das wir noch nicht
kannten. Es wurde beim Eintrocknen sehr hart, und Katharina und Frä nzchen sammelten
gleich einen Vorrat davon ein, um das Boot spä ter damit abzudichten.
Es war schon spä t, als Fritz und Jack mit dem Wagen zurü ckkamen. So konnten wir unsere
Forschungsreise erst am nä chsten Morgen fortsetzen. Unterwegs kamen wir an einem
Bambuswald vorbei, in dem die Pflanzen hö her wuchsen, als wir es je zuvor gesehen
hatten. Wir schlugen ein armdickes Rohr ab als Mast fü r unser Schiff. Als wir aus dem
Dickicht traten, sahen wir links von uns den großen Fluss und rechts die Felswand. Es war
die Klus, die Fritz und ich auf unserer Suche nach dem Esel entdeckt hatten. Wir ließen den
Wagen zurü ck und stiegen die Schlucht hoch bis zur Stelle, wo der Bergbach in den Fluss
mü ndete. Dies war die schmalste Stelle des Durchgangs zu den Steppen im Inneren der
Insel. Wir sicherten sie mit einem Erdwall und bepflanzten diesen mit Dornbü schen. So
konnten wir wilde Tiere und andere ungebetene Gä ste hoffentlich von unserem Teil der
Insel fernhalten. Nur einen kleinen Durchschlupf ließen wir frei, der kaum zu finden war,
wenn man nicht wusste, wo er war. Die mitgenommenen Ferkel setzten wir jenseits des
Baches aus, in der Hoffnung, sie wü rden sich im Landesinneren ansiedeln und vermehren.
Die Stelle, an der wir sie ü ber den Bach trieben, nannten wir Eberfurt.
Nach den anstrengenden Tagen zogen wir eines Morgens ü ber Falkenhorst zurü ck nach
Zeltheim. Unterwegs stritten sich die Knaben, wer auf dem Wagen mit dem Korkschiff
sitzen durfte. Am spä ten Nachmittag kamen wir mü de und abgearbeitet an. Wir legten uns
ein wenig in den Schatten, um uns auszuruhen, aber die Knaben waren schnell wieder auf
den Beinen und bettelten, ich solle mit ihnen das Rindenboot fertigbauen. Ich gab nach, und
wir verstrebten die Hü lle mit Rippen, befestigten einen Kiel und verstä rkten die Spitzen.
Um die Reling herum zogen wir biegsame Latten, an die wir eiserne Ringe fü r das Tauwerk
des Mastes schraubten. Den Boden des Bootes beschwerten wir mit einer Schicht Lehm,
ü ber die wir Bretter legten. Schließlich brachten wir Sitzbä nke und ein Steuerruder an und
stellten den Mast auf, fü r den Katharina ein dreieckiges Segel nä hte.
Nach dem Ende der Regenzeit hatte unsere Kuh ein Stierkalb geboren. Inzwischen war es
schon so groß, dass es keine Muttermilch mehr brauchte, und ich hielt es fü r ratsam, es an
seine zukü nftigen Aufgaben zu gewö hnen.
»Wir kö nnten es zu einem hottentottischen Reitochsen ausbilden«, schlug Fritz vor.
»Dann soll Frä nzchen es reiten«, sagte die Mutter, »wir anderen sind viel zu schwer.«
Frä nzchen war sofort einverstanden, das Kalb aufzuziehen und zu zä hmen.
»Und wie willst du es nennen?«, fragte ich. »Wie wä re es mit August oder Ulrich? Das klingt
doch nach einem krä ftigen Stier.«
»Nein«, sagte Frä nzchen. »Ich werde es Brummer nennen oder einfach nur Brumm. Denn
bis es gezä hmt ist, wird es noch viel Geknurr und Gebrumme geben.«
Jetzt wollten die Jungen auch dem Bü ffelkalb und den jungen Doggen Namen geben. Es gab
lange Diskussionen. Schließlich wurden die Hunde nach ihrem Aussehen benannt, der
hellere Falb, der dunklere Braun. Jack fand den Namen Sturm fü r das Bü ffelkalb. »Das wird
prä chtig klingen, wenn ich sagen kann, ich sei auf dem Sturm dahergeritten.«
Katharina brannte darauf, die eingesammelte Baumwolle zu verarbeiten, aber zuerst
mussten die Fasern von den Samen befreit werden. Die Arbeit war so mü hsam, dass wir
uns ü ber eine mechanische Hilfe Gedanken machten. Von den Indern und Persern wusste
ich, dass sie eine sogenannte Tschurka verwendeten, und ich versuchte, ein solches
Maschinchen nachzubauen. Ich befestigte zwei Latten auf einem schweren Brett, bohrte
Lö cher hinein und fü hrte zwei fingerdicke Walzen hindurch, so dass sie sich fast berü hrten.
Ich schnitzte zwei Zahnrä der und brachte sie an einem Ende der Walzen an. Am anderen
befestigte ich eine Kurbel. Drehte man jetzt an einer der Walzen, so drehte sich die andere
in die Gegenrichtung. Mein Maschinchen war ziemlich primitiv geworden, aber als wir es
mit einer Hand voll Baumwolle ausprobierten, funktionierte es tatsä chlich. Die Fasern
wurden von den Walzen erfasst und mitgezogen, wä hrend die Kerne nicht durch den engen
Spalt passten und zurü ckblieben. Die Knaben hatten so viel Freude an der Tschurka, dass
sie innerhalb kü rzester Zeit unseren ganzen Vorrat an Baumwolle von den Kernen befreit
hatten.
Die nä chsten zwei Monate arbeiteten wir wieder in der Salzhö hle. Wir trennten die
verschiedenen Rä ume mit geflochtenen Wä nden voneinander ab. Diese bestrichen wir mit
Lehm und bewarfen sie mit Gips, um sie dicht zu machen und uns vor Zugluft und dem
Geruch des benachbarten Stalls einigermaßen zu schü tzen. Der Sand in der Hö hle war
weniger praktisch, als wir gedacht hatten, und so schaufelten wir ihn weg, bis wir den Fels
erreichten. Dann holten wir eimerweise Lehm aus dem Entensumpf und stampften ihn mit
bloßen Fü ßen zu einem schö nen, glatten Boden. Fü r das Esszimmer stellten wir aus
Schafswolle einen Filzteppich her. Dazu legten wir die gewaschene und getrocknete Wolle
auf ein Stü ck Segeltuch. Wir begossen sie mit kochendem Wasser, in dem wir eine Menge
Fischleim aufgelö st hatten. Dann rollten wir das Segeltuch auf und schlugen mit hö lzernen
Keulen darauf herum. Das Tuch wurde abgerollt, die Wolle noch einmal mit heißem Wasser
begossen und mit den Fü ßen gestampft, bis sich ein dicker Filz gebildet hatte, der sich
leicht vom Segeltuch ablö sen ließ.
Eines Tages sahen wir große Schwä rme von Tauben, die sich auf den Bä umen niederließen.
Vermutlich rasteten sie hier, bevor sie ihre Reise fortsetzten. Schon letztes Jahr hatten wir
die Schwä rme beobachtet und auf sie Jagd gemacht. Katharina hatte die gebratenen Vö gel
in Butter aufbewahrt, und wir hatten das ganze Jahr ü ber davon gegessen. Jetzt waren
unsere Vorrä te aufgebraucht, und wir wollten sie erneuern. Ich ü berlegte mir, wie wir
Pulver sparen kö nnten, und mir fiel ein, dass ich gelesen hatte, die Bewohner der
Palauinsel wü rden aus flü ssigem Gummi und Ö l einen so starken Vogelleim mischen, dass
man damit selbst Pfauen und Truthü hner fangen kö nne. Wir waren fü r die Jagd nach
Falkenhorst gezogen. Von dort schickte ich Fritz und Jack los, um das nö tige Federharz zu
sammeln. Als sie in der Nacht zurü ckkamen, waren wir alle schon im Bett. Ich hö rte ihre
Schritte und ihr Tuscheln, aber ich war zu mü de, um noch einmal aufzustehen.
Am nä chsten Morgen stiegen wir frü h aus den Federn, da es ein anstrengender Tag werden
wü rde. Die Jungen schnitten Ruten, und ich mischte auf kleinem Feuer Ö l und etwas
Terpentin in den flü ssigen Gummi, rü hrte alles krä ftig und bekam wirklich eine ä ußerst
zä he und klebrige Masse. Wir bestrichen die Ruten damit und suchten nach einem
geeigneten Ort, wo wir sie anbringen konnten. Der Boden im benachbarten
Eichenwä ldchen war dicht mit Vogelmist bedeckt, also durften wir annehmen, dass viele
Tauben dort ü bernachteten. Die Knaben stiegen auf die Bä ume und befestigten die
Leimruten an den Ä sten. Kaum waren sie wieder unten, kamen schon die ersten Tauben
angeflogen. Wenn eine kleben blieb, zappelte und flatterte sie, bis die Rute sich lö ste und
mit ihr auf den Boden fiel. Katharina und Frä nzchen fingen schon an, die gefangenen Vö gel
zu rupfen, wä hrend die drei Großen immer wieder auf die Bä ume kletterten, um die
gesä uberten Ruten ein zweites und drittes Mal anzubringen. Allerdings wurden die Vö gel
dadurch etwas scheu, und wir fingen immer weniger. Also beschloss ich, eine Nachtjagd zu
veranstalten, wie die amerikanischen Siedler in Virginia. Wir fertigten Fackeln aus dü rrem
Holz, das wir mit Terpentin trä nkten.
Als der Abend anbrach, zogen wir mit langen Bambusstangen und Jutesä cken los. Bald ging
die Sonne unter, und es wurde ganz finster. Riesige Schwä rme von Tauben hatten sich in
den Kronen der Eichen zum Schlafen niedergelassen. Als wir die Fackeln anzü ndeten,
erwachten die Vö gel und hü pften unruhig herum. Das Licht blendete sie und manche
verletzten sich im dichten Geä st und stü rzten zu Boden. Mit den Stangen schlugen wir auf
die Ä ste ein und machten die Verwirrung noch grö ßer. Wie reife Frü chte stü rzten die
Tauben von den Bä umen, und wir mussten sie nur noch einsammeln und in die Sä cke
stecken. Noch bevor die Fackeln ganz heruntergebrannt waren, hatten wir genug gefangen,
um unser Fä sschen fü r die Regenzeit damit zu fü llen. Wir banden die Sä cke an die
Bambusstangen und trugen sie im Triumphzug zurü ck nach Falkenhorst, wo wir die
Tauben tö teten. Fast den ganzen nä chsten Tag verbrachten wir damit, unsere Beute zu
rupfen und zu braten.
Nach der Arbeit gingen wir noch einmal in das Eichenwä ldchen, um die Leimruten
einzusammeln. Zu unserer Freude fanden wir dort auf dem Boden drei große Vö gel, die
kleben geblieben waren. Ich untersuchte sie und war mir ziemlich sicher, dass wir eine
molukkische, eine nikobarische und eine Riesentaube gefangen hatten.
»Wir sollten versuchen, sie zu zä hmen«, sagte ich.
»Das wird nicht ganz einfach sein«, meinte Fritz.
»Mit ein wenig Zauberei kann man vieles erreichen«, sagte ich nur und steckte die Vö gel in
einen geflochtenen Kä fig.
Am nä chsten Tag ging es zurü ck nach Zeltheim, wo wir unsere Felsenwohnung durch einen
Taubenschlag ergä nzen wollten. Ungefä hr auf der Hö he der zweiten Fensterreihe pickelten
wir eine Nische in die Felswand und kleideten sie mit Holz aus. Darin machten wir mehrere
Fä cher fü r die Nester und befestigten an den Seitenwä nden ein paar Stangen als
Sitzgelegenheiten fü r die Vö gel. Den Verschlag verschlossen wir mit einer Bretterwand, in
die wir eine kleine Tü r sä gten, damit wir hineinkriechen und den Schlag reinigen konnten.
Wir bohrten drei Fluglö cher in die Bretterwand. Diese ließen sich durch einen Schieber
ö ffnen und schließen, den wir mit einer Schnur vom Boden aus betä tigen konnten. Unter
den Lö chern brachten wir ein Flugbrett an und darunter eine Strickleiter.
Als die Arbeit fertig war, sagte ich zu Fritz: »Jetzt werde ich dir zeigen, wie man mit
Zauberei eine wilde Taube zahm machen und vielleicht sogar noch weitere anlocken kann.«
Fritz schaute mich mit großen Augen an.
»Es ist ein Kunststü ck der Taubenhä ndler, das ich versuchen will«, sagte ich. »Wir
brauchen dafü r Salz, Lehm und Anis, dessen Geruch soll den Tauben sehr angenehm sein.«
Wir hatten vor einiger Zeit Anis entdeckt und einen Vorrat der Samen angelegt. Einen Teil
davon zerstießen wir in einem Mö rser und gossen etwas Ö l darü ber. Nachdem wir diese
Mischung eine Zeitlang hatten ziehen lassen, pressten wir sie durch eine feine Leinwand
und erhielten so ein stark nach Anis duftendes Ö l. Dann kneteten wir aus Lehm, Salz und
Anissamen einen Klumpen, den wir am Feuer ein wenig trockneten und in den
Taubenschlag legten. Die Fluglö cher bestrichen wir mit dem Ö l, so dass die Tauben beim
Durchschlü pfen den Geruch annehmen wü rden.
Die Mutter war mit den anderen Knaben zum Kartoffelfeld gegangen. Als sie zurü ckkamen,
zeigten wir ihnen den fertigen Taubenschlag, aber sagten nichts von unserer Zauberei. Die
Tauben schienen sich in ihrem neuen Heim ganz wohl zu fü hlen. Sogar wenn jemand von
uns hineinkroch, blieben sie ruhig und ließen sich nicht stö ren. Leider schien auch Knips
den Geruch des Anisö ls zu mö gen. Wann immer er nicht bei Ernst war, kletterte er die
Strickleiter hoch, setzte sich auf das Flugbrett und schnupperte an den Fluglö chern.
»Das Ä ffchen hat sich in eine der Tauben verguckt«, sagte Jack. »Vielleicht meint er gar, er
sei selbst ein Tä ubchen.«
»Hol ihn herunter«, sagte ich zu Ernst, »und pass auf, dass er nicht mehr hochklettert und
die Tauben verschreckt.«
Zwei Tage lang blieb der Schieber des Taubenschlags geschlossen. Am Morgen des dritten
Tages bestrich ich noch einmal heimlich das Flugloch mit Anisö l. Dann rief ich die Familie
zusammen.
»Ich werde nun mein Zauberkunststü ck zu Ende fü hren«, verkü ndete ich feierlich. Ich
murmelte ein paar unverstä ndliche Worte und ließ Jack an der Schnur ziehen, um die
Fluglö cher zu ö ffnen. Es dauerte nicht lange, da steckten die ersten Tauben ihre Kö pfe
heraus. Eine Weile lang tummelten sie sich auf dem Flugbrett, schlü pften in den Schlag
zurü ck, kamen wieder heraus. Sie flatterten ein wenig mit den Flü geln, wie um sie
auszuprobieren, dann, wie auf ein heimliches Kommando, erhob sich der ganze Schwarm.
In kü rzester Zeit waren die Tauben so weit weg, dass die Knaben erschrocken aufstö hnten.
»Die sehen wir nie wieder«, sagte Jack. »Die haben die Freiheit gerochen.«
Aber nach ein paar Kreisen, hoch oben in der Luft, kamen die Tauben zurü ck und setzten
sich wieder auf das Flugbrett.
»Ich wusste schon, dass sie nicht wegkö nnen«, sagte ich, »schließlich habe ich sie an den
Schlag gebannt.«
Die Knaben schauten mich skeptisch an, vor allem als die drei wilden Tauben wieder
aufflogen und gegen Falkenhorst hin verschwanden.
»Adieu, ihr Herren!«, rief Fritz lachend. »Auf Nimmerwiedersehen.«
Ich legte ihm den Arm um die Schultern und sagte: »Du wirst sehen, spä testens morgen
sind sie zurü ck.« Allerdings zweifelte ich selbst ein wenig daran.
Wir arbeiteten weiter in der Felsenhö hle und redeten nicht mehr ü ber die Tauben. Aber am
nä chsten Mittag kam Jack plö tzlich angerannt und rief: »Er ist da! Er ist da!«
»Wer ist da? Wer? Was ist los?«, fragten alle durcheinander.
»Der blaue Tauber«, rief Fritz.
Wir stü rmten hinaus und sahen, dass der Vogel noch dazu eine Gefä hrtin mitgebracht hatte
und dass die beiden auf dem Flugbrett saßen und schnä belten. Dann schlü pfte das
Mä nnchen in den Schlag und nach einigem Zö gern wagte sich auch das Weibchen hinein.
Noch wä hrend wir die zwei beobachteten, erspä hte Fritz in der Ferne das zweite
Taubenpaar. Das Jubelgeschrei der Knaben ließ die neuen Heimkehrer zö gern. Sie setzten
sich in die Ä ste eines nahen Baumes. Aber als wir still waren, kamen auch sie heran und
verschwanden im Schlag. Nun fingen die Jungen doch an, an meine Zauberkrä ften zu
glauben. Nur der vernü nftige Ernst blieb misstrauisch. »Seltsam ist es«, sagte er, »aber es
ist bestimmt nichts Ü bernatü rliches im Spiel.«
Wä hrend wir in der Hö hle weiterarbeiteten, blieb Frä nzchen als Beobachter draußen.
Gegen Abend kam er angerannt und verkü ndete: »Hochverehrte Damen und Herren, ich
habe die Freude Euch kundzutun, dass der molukkische Goldflü gler mit seiner Frau
Gemahlin in seiner Residenz eingetroffen ist.« Lachend liefen wir hinaus und sahen
tatsä chlich die zwei prä chtigen Vö gel.
»Jetzt musst du sagen, wie du es gemacht hast«, bat Ernst, der um keinen Preis an Zauberei
glauben mochte, und ich erklä rte ihm den Trick. In den nä chsten Tagen konnten wir
beobachten, wie die fremden Tauben immer zutraulicher wurden und mit unseren
europä ischen allmä hlich eine feste Wohngemeinschaft bildeten.
Bald darauf warf unser Esel ein Junges. Es war schon nach wenigen Tagen so gut auf den
Beinen und so lebendig, dass wir es Rasch tauften.
Wir fingen diesmal frü her an, Heu und anderes Tierfutter fü r die Regenzeit zu sammeln.
Mit Salz hatten wir unser Vieh daran gewö hnt, auf den Ruf unserer Stimmen oder das
Tuten einer großen Schneckenmuschel herbeizukommen. Nur die Schweine kü mmerten
sich nicht darum. Wollten wir sie einfangen, mussten wir die Hunde losschicken, die sie
herbeitrieben.
Die Witterung wurde immer unbestä ndiger. Am Himmel waren oft dunkle Wolken, der
Wind blies bö ig, und es gab jetzt hä ufig heftige Platzregen und Gewitter mit Blitz und
Donner. Das Meer war aufgewü hlt, meterhohe Wellen schlugen gegen die Klippen, und die
Luft war voller salziger Gischt. Die Regenzeit begann Ende Mai, und wir mussten damit
rechnen, dass sie zwö lf Wochen dauern wü rde. Es regnete nicht stä ndig, aber es war nie
lä nger als ein paar Stunden trocken. Trotzdem ließen wir den grö ßten Teil des Viehs im
Freien. In der Hö hle blieben nur die Kuh wegen der Milch und der Esel, weil er erst vor
kurzem geworfen hatte. Sturm und Brummer behielten wir in der Nä he, damit die Jungen
nach Falkenhorst reiten konnten. Dort waren das ü brige Vieh, die Hü hner und auch der
Futtervorrat fü r die Tiere. Fast jeden Tag ritt jemand hin, um nach den Tieren zu schauen.
Die Hunde, der Schakal, der Adler und der Affe wohnten bei uns in Felsenheim und
verkü rzten uns die Regenabende. Wir verbrachten viel Zeit damit, uns in der Hö hle
hä uslich einzurichten. Ernst und Frä nzchen waren fü r die Bibliothek zustä ndig. Sie
trennten einen Teil des Knabenzimmers ab und bastelten lange Regale. Jack machte mit der
Mutter die Kü che und das Wohnzimmer zurecht, Fritz und ich kü mmerten uns um die
Werkstatt. Wir stellten die Drehbank des Kapitä ns an die Stelle, wo das Licht am besten
war. In einem kleinen Nebengewö lbe bauten wir eine Feuerstelle aus Speckstein und
richteten eine Schmiede ein. Auch die Hobelbank stellten wir auf und rü steten sie mit den
Werkzeugen des Schiffszimmermanns und des Bö ttchers aus.
Nachdem die wichtigsten Arbeiten gemacht waren, gab es noch viele Kleinigkeiten zu
erledigen. Hier fehlte ein Regal, dort eine Bank oder ein Tisch. Wir bauten Treppen ein und
schreinerten Kä sten, um unsere Dinge aufzubewahren. Das Gestein, das wir in der Hö hle
herausgebrochen hatten, schü tteten wir vor dem Eingang auf und erhielten so eine Art
Terrasse, ü ber die wir ein Dach aus Bambusrohren und Schilf bauten.
Ernst und Frä nzchen hatten inzwischen die Bibliothek fertiggestellt. Wir besaßen ziemlich
viele Bü cher, die teils uns selbst, teils dem Kapitä n oder den Offizieren gehö rt hatten. Das
meiste waren Reisebeschreibungen und naturgeschichtliche Werke mit farbigen
Illustrationen, aus denen wir viel lernten. Außerdem gab es einige Seekarten,
mathematische und astronomische Instrumente und sogar einen Globus. Auch
Wö rterbü cher und Romane in verschiedenen Sprachen hatten wir vom Wrack
mitgenommen. Die langen Regentage verwendeten wir dazu, Sprachen zu lernen, damit wir
uns verstä ndigen kö nnten, sollte einmal ein Schiff unsere Insel erreichen. Franzö sisch
lernten alle. Katharina und die zwei ä lteren Knaben beschä ftigten sich außerdem mit
Englisch und Hollä ndisch. Ernst hatte schon in der Schule Lateinunterricht gehabt und
setzte hier seine Studien fort. Diese Sprache war vor allem nü tzlich beim Lesen der
wissenschaftlichen und medizinischen Bü cher. Ich selbst versuchte mich am Malaiischen,
da ich es durchaus fü r mö glich hielt, dass ostindische Eingeborene hier landen wü rden.
Zum Spaß ü bernahmen wir sogar ein paar malaiische Ausdrü cke in unseren Wortschatz,
Sama-sama fü r bitte und Hati-hati fü r Vorsicht.
Vielleicht eine Woche lang vergnü gten sich die Knaben damit, aus einem kleinen Kanister
Leinö l, den wir vom Schiff mitgebracht hatten, Ö lfarben zu mischen. Sie experimentierten
mit allen mö glichen Pigmenten, mischten das Ö l mit Staub von Holzkohle, mit Ton und
verschiedenen im Mö rser zerstoßenen Steinen. Ernst hatte in einem Buch eine Anleitung
zur Herstellung von Bleiweiß gefunden. Er legte eine Bleiplatte in ein Gefä ß mit Essig. Nach
einiger Zeit bildete sich auf dem Metall eine weiße Schicht, die er abkratzte und mit Ö l
vermischte. Ein schö nes Grü n ließ sich mit der Patina herstellen, die sich auf unseren
Kanonen gebildet hatte.
Die Mutter bastelte aus dü nnen Bambusrohren und Ziegenhaar feine Pinsel fü r die Knaben,
und diese malten aus der Erinnerung Landschaften aus der Heimat. Allerdings merkte man
auf manchen der Bilder schon den Einfluss unseres Inseldaseins. So wuchsen im Berner
Oberland plö tzlich Feigenbä ume und Kokospalmen, und am Ufer des Thunersees weidete
eine Herde Quaggas.
Wir packten in aller Ruhe die Schä tze aus, die wir vom Wrack gerettet und vorerst unter
einer großen Plane aufbewahrt hatten. Dabei entdeckten wir manches, von dem wir gar
nicht mehr gewusst hatten, dass wir es besaßen: Spiegel, Kommoden mit polierten
Marmorplatten, ein paar Sessel und sogar zwei hü bsche Schreibtische. Wir fanden eine Uhr
mit Glockenspiel und eine Seeuhr zur Bestimmung der geographischen Lä nge, mit der ich
aber leider nicht gut umzugehen verstand. Viele der Dinge mussten geputzt und repariert
werden.
Wir zimmerten auch ein Joch fü r die Ochsen, Karden zum Kä mmen der Baumwolle und ein
Spinnrad. So vergingen die Wochen der Regenzeit schneller als im letzten Jahr. Und wir
lebten in der Hö hle so fü rstlich, dass wir Zeltheim nach einigen Diskussionen in Felsenheim
umbenannten.
Ende August wurde das Wetter noch einmal stü rmischer. Das Meer brach in ungeheuren
Wellen gegen den Strand, und Orkane rissen die Schilfabdeckung von unserem Vordach. Es
blitzte und donnerte ohne Unterbrechung, und der Regen plä tscherte wie ein Wasserfall
vom Himmel. Jetzt waren wir doppelt froh, dass wir eine sichere Wohnung hatten. In
Falkenhorst hä tten wir die Unwetter bestimmt nicht unbeschadet ü berstanden.
Dann ließen die Stü rme allmä hlich nach, und der Himmel klä rte sich auf. Die Regenzeit
schien nun endgü ltig vorbei zu sein, und nach langen Monaten in der Hö hle konnten wir
endlich wieder an die frische Luft.
6. Kapitel Eine Schildkröte als Zugtier. Ein Kampf mit einer
Riesenschlange. Der Esel bringt Rettung und kommt um. Eine weitere
Höhle wird entdeckt. Von Rohrdommeln, Capybaras und Pekaris.
Es war einer der ersten schö nen Tage nach der Regenzeit. Schon am Morgen war der
Himmel wolkenlos. In den Salzgeruch des Meeres mischte sich der Duft von Blumen, die
ü berall aus dem Boden schossen. Alle waren gut gelaunt und nahmen den Vorschlag der
Mutter begeistert an, auf dem kleinen Walfischinselchen eine neue Ansiedlung zu grü nden.
»Dort sind wir sicher vor wilden Tieren und geschü tzt vor den Zerstö rungen der
Affenrudel«, sagte sie.
Die Knaben wollten gleich ins Schiff springen, um hinauszusegeln und sich an die Arbeit zu
machen.
»Nicht so schnell«, sagte ich. »Fü r heute ist in Felsenheim noch genug zu tun. Wir kö nnen
morgen zur Walfischinsel fahren und unterwegs beim Vorgebirge der getä uschten
Hoffnung haltmachen und in Hohentwiel nachschauen, ob alles in Ordnung ist. Vor allem
mö chte ich wissen, ob die Tiere dort die Regenzeit gut ü berstanden haben.«
Wir verbrachten den Tag mit Aufrä umarbeiten. Da sich alle auf die bevorstehende Reise
freuten, kamen wir gut voran. Gegen Abend packten wir unsere Sachen, damit wir am
nä chsten Morgen zeitig aufbrechen konnten.
Schon vor Sonnenaufgang waren wir auf den Beinen. Wä hrend wir Eltern noch beim
Morgenessen saßen, warfen die Knaben unser Gepä ck ins Boot und schoben das Gefä hrt
vom Strand ins Wasser. Ungeduldig riefen sie nach uns.
Die Strö mung des Schakalbaches trug uns schnell aus der Rettungsbucht und an der
Haifischinsel vorbei hinaus auf die ruhige See. Vor uns lag der unendliche dunkle Ozean,
dessen Weite uns immer wieder erschreckte. Vor allem Katharina fü rchtete das Wasser
und hielt sich bei der kleinsten Welle mit beiden Hä nden an der Sitzbank fest. Also hielten
wir uns nahe an der schü tzenden Kü ste. Es war fast windstill, und die Knaben wechselten
sich an den Rudern ab. Bald sahen wir Hohentwiel vor uns auftauchen. Zuerst wollten wir
unseren Vorrat an Kokosnü ssen auffrischen. Auf der Suche nach einer geeigneten
Anlegestelle steuerte ich die Pinasse weiter als bei unseren frü heren Fahrten dem Ufer
entlang. Von hier aus hatten wir einen guten Blick auf die malerische Kü ste, auf die
Feigenbä ume und den Sü ßeichelwald bei Falkenhorst. Dahinter stieg der Abhang steil
gegen die Berge hin an. Dort war dichter Urwald, den wir noch nie erkundet hatten.
Auf der Hö he des Palmenwaldes legten wir an. Was freuten wir uns, als wir das Krä hen des
Hahns hö rten und das Gackern der Hü hner, die wir in Waldegg zurü ckgelassen hatten. Die
vertrauten Gerä usche gaben mir einen Moment lang das Gefü hl, zurü ck in der Schweiz zu
sein, und ich hatte heftiges Heimweh. Aber ich sagte nichts, um die anderen nicht zu
betrü ben. Zusammen beluden wir das Schiff mit so vielen Nü ssen, wie wir tragen konnten.
Dann ging die Fahrt weiter, und schon kurz darauf landeten wir in einer kleinen Bucht bei
Hohentwiel. Ich wusste, dass dort schwarze Mangrovenbä ume standen, die gerne am Ufer
des Meeres wachsen. Aus ihrer Rinde lä sst sich ein Stoff gewinnen, mit dem man Leder
gerben kann. Wir gruben ein Dutzend kleiner Bä umchen aus und packten sie mit den
Wurzeln in große Blä tter, damit sie nicht austrockneten. Ich wollte sie auf der Walfischinsel
pflanzen, um das Ufer vor der Brandung zu schü tzen.
Nachdem wir die Bä umchen im Schiff verstaut hatten, kletterten wir den steilen Abhang
hoch nach Hohentwiel. Die Schafe, Ziegen und Hü hner waren etwas scheu, weil sie so lange
keinen Kontakt zu uns gehabt hatten. Dafü r waren die Herden grö ßer geworden, es gab
Lä mmer und Zicklein und viele Kü ken, die bei unserem Auftauchen ä ngstlich zu ihren
Mü ttern flohen. Die Hü tte schien auf den ersten Blick in gutem Zustand, aber als wir sie
betraten, sahen wir, dass alles von sehr feinem, weißem Staub bedeckt war. Ernst tupfte ein
wenig davon auf seine Zungenspitze.
»Das schmeckt nach Holz«, sagte er.
Jetzt sahen wir, dass ü berall im Bambus winzige runde Lö cher waren.
»Da hat ein Wurm den Kopf aus einem Loch gesteckt«, rief Frä nzchen aufgeregt. »Ein ganz
winziger schwarzer Wurm.«
»Vermutlich hä tten wir fü r den Bau der Hü tte keinen grü nen Bambus verwenden dü rfen«,
sagte ich. »Das war eine Einladung an die Holzwü rmer.«
Katharina hatte begonnen, den weißen Staub zusammenzuwischen, aber ich sagte ihr, es
habe wohl keinen Sinn, die Hü tte werde nicht zu retten sein.
Die Schifffahrt hatte die Knaben hungrig und durstig gemacht. Sie ließen Knips im Gras
nach Eiern suchen. Er hatte auch wirklich schnell ein gutes Dutzend gefunden und, da er
inzwischen wusste, dass er seinen Anteil bekommen wü rde, gab er sie bereitwillig Ernst,
der mit einem Kö rbchen hinter ihm herging. Die Ziegen waren so scheu, dass wir nicht an
sie herankamen. Da holten die Knaben die Kugelriemen hervor, und kurz darauf lag eine
von ihnen mit gefesselten Beinen auf dem Boden. Frä nzchen gab ihr etwas Salz zu lecken,
und bald war sie wieder so zutraulich, dass sie sich melken ließ.
Katharina fü tterte die Hü hner mit Reis und Hafer, bis es uns gelang, ein paar von ihnen
einzufangen. Wir banden ihnen die Fü ße zusammen, um sie mit nach Felsenheim zu
nehmen. Wä hrend die Mutter unsere Vorrä te einpackte, ging ich mit Fritz zum
Zuckerrohrfeld und grub einige Rohre aus. Wir wollten auch diese auf der Walfischinsel
anpflanzen, obwohl ich bezweifelte, dass der Boden dort fruchtbar genug sei.
Unser Schiff war voll beladen, als wir vom Ufer abstießen. Wir wollten um das Vorgebirge
der getä uschten Hoffnung herumzufahren und uns in der großen Bucht etwas umsehen.
Aber vom Vorgebirge aus zog sich eine Sandbank weit ins Meer hinaus. An ihrem Ende
waren Klippen und Riffe, die nur wenig aus dem Wasser ragten. Ich wagte nicht, mich ihnen
zu nä hern und womö glich die ganze Familie in Gefahr zu bringen. Also gaben wir das
Vorhaben auf und segelten direkt zur Walfischinsel. Als wir uns ihr nä herten, sahen wir
zum ersten Mal, dass sie nicht nur aus Felsen bestand, sondern dass darauf auch Strä ucher
und selbst einige kleinere Bä ume wuchsen. Wir entluden das Boot und fingen gleich damit
an, die Mangroven zu pflanzen. Den Knaben wurde die Graberei bald langweilig. Einer nach
dem anderen verschwand, wohl um nach Muscheln und Korallen zu suchen, bis nur noch
Katharina und ich an der Arbeit waren.
Plö tzlich tauchte Fritz hinter einem Felsen auf und schrie ganz aufgeregt: »Vater! Komm!
Eine ungeheure Schildkrö te! Komm doch, komm! Sie will ins Meer zurü ck, und wir kö nnen
sie nicht aufhalten!«
Ich nahm schnell zwei Ruder aus dem Boot und eilte Fritz hinterher zum
gegenü berliegenden Ufer des Inselchens. Dort kroch tatsä chlich eine riesige Schildkrö te auf
das Wasser zu. Ernst hatte sie an einem Fuß gepackt, aber er konnte sie nicht richtig
festhalten. Ich gab Fritz eins der Ruder, wir sprangen hinunter zum Strand und schoben die
Stangen unter den Panzer des Tieres. Trotz der Hebel kostete es uns viel Kraft, die
Riesenschildkrö te auf den Rü cken zu drehen. Sie war um die fü nf Fuß lang, ihr Gewicht
schä tzte ich auf drei bis vier Zentner. Da sie sich nicht selbst zurü ck auf den Bauch drehen
konnte, ließen wir sie erst einmal liegen und gingen zurü ck an unsere Arbeit.
Am Abend auf der Rü ckfahrt steuerten wir unser Schiff zur Stelle, wo noch immer die
Schildkrö te auf dem Rü cken lag. Ich wollte sie auf keinen Fall hier zurü cklassen, aber ich
musste lange ü berlegen, wie wir das schwere Tier nach Felsenheim bringen kö nnten. »Der
Bursche kann ja selber schwimmen«, rief ich endlich, »der rudert besser als wir.«

Ich leerte unsere Wassertonne und verschloss sie sorgfä ltig. Dann nahm ich ein starkes Seil,
band ein Ende vorne an unser Schiff und schlang das andere erst um die Tonne, dann um
den Panzer der Schildkrö te. Gemeinsam wä lzten wir das Tier wieder auf den Bauch, und
sofort watschelte es auf das Wasser zu. Schnell sprangen wir ins Schiff. Ich setzte mich an
den Bug und legte ein kleines Beil bereit, damit ich bei der geringsten Gefahr das Seil
kappen kö nnte. Aber die leere Tonne hinderte die Schildkrö te am Untertauchen, und so
schwamm sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit an der Wasseroberflä che und zog unser
Schiff hinter sich her. Die Jungen lachten und schrien vor Vergnü gen. Mit der langen
Bootsstange, die ich rechts und links von der Schildkrö te ins Wasser klatschen ließ, lenkte
ich sie in Richtung Rettungsbucht. Bald landeten wir glü cklich bei Felsenheim. Dort
befreiten wir die Schildkrö te von der Wassertonne und banden sie mit ein paar starken
Stricken fest.
Am nä chsten Morgen tö teten wir sie, da ich nicht wusste, wie lange sie außerhalb des
Wassers ü berleben wü rde. Aus ihrem Panzer wollte ich irgendwann einen Brunnentrog fü r
unsere Felsenwohnung machen. Das Fleisch der Schildkrö te, das sehr schmackhaft war,
wurde eingesalzen und lieferte uns noch manche gute Suppe.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, gleich nach der Regenzeit einen ordentlichen Acker
anzulegen und mit verschiedenen Getreidearten zu bepflanzen. Aber es kamen immer
wieder andere Arbeiten dazwischen. Auch hatten sich unsere Tiere noch nicht genug an das
Joch gewö hnt, um uns beim Pflü gen und Eggen eine Hilfe zu sein. Deshalb verschoben wir
den Plan auf spä ter und wollten Katharina endlich den versprochenen Webstuhl bauen.
Glü cklicherweise hatte ich mich in meiner Jugend oft in den Werkstä tten der Weber und
anderer Handwerker umgesehen. Aber die Arbeit war langwierig und erforderte viel
Schnitzerei. Der Webstuhl, den wir schließlich zustande brachten, war dann auch ziemlich
primitiv, aber er genü gte, um schmale Bä nder groben Stoffs zu weben.
Als Nä chstes wollten wir Sä ttel und Reitzeug herstellen. Wir verwendeten dazu einige
unserer Felle und zum Ausstopfen langes Bartmoos. Damit es nicht allzu schnell
austrocknete und sprö de wü rde, flochten wir das Moos zu Zö pfen und tauchten diese in
eine Lauge aus Wasser, Asche und etwas Fischtran. Tatsä chlich blieb das Moos nach dem
Trocknen elastisch genug, dass es uns das fehlende Rosshaar ersetzte. Wir fertigten
Holzrahmen an, die wir mit den Hä uten ü berzogen. Katharina nä hte alles zusammen. Die
Jungen halfen ihr dabei, so gut sie konnten. So entstanden in wenigen Tagen nicht nur
Sä ttel, sondern auch eine Menge Riemen, Bauchgurte, Steigbü gel-, Joch- und Zugriemen fü r
unsere Tiere. Frä nzchen hatte bei unserem Werkzeug einige Punziereisen gefunden und
verzierte das Leder geduldig mit den schö nsten Mustern.
Ermutigt durch unsere handwerklichen Erfolge, machten wir uns ans Kö rbeflechten. Denn
es fehlten uns oft die nö tigen Behä lter, um all die Frü chte, Wurzeln und Sä mereien
einzusammeln, zu transportieren und aufzubewahren. Wir schnitten einen großen Vorrat
an elastischen Ruten. Das Flechten war schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten. Die
ersten Kö rbe wurden ganz hä sslich und unbrauchbar. Aber nach einigem Ü ben gelangen
uns schließlich ein paar Vorratskö rbe, die wir fü r die bevorstehende Getreideernte
dringend brauchten. Sie hatten oben einen starken Rand und auf jeder Seite einen fest
eingearbeiteten Handgriff.
Kaum war der erste dieser Kö rbe fertig, stü rzten sich die Knaben darauf. Frä nzchen stieg
hinein, Jack und Ernst steckten Bambusstangen durch die Handgriffe und trugen ihren
Bruder herum. Das brachte Fritz auf eine Idee.
»Wir sollten fü r die Mutter eine Sä nfte flechten«, sagte er, »dann kann sie uns auf unseren
Ausflü gen viel bequemer begleiten.«
Katharina lachte. »Ich habe keine Lust, in so einem Korb zu hocken wie ein Huhn.
Außerdem kann ich sehr gut selber gehen.«
»Keine Angst«, sagte ich, »wir werden eine richtige Sä nfte fü r dich entwerfen, in der du
sitzen kannst wie eine feine Dame.«
»Aber wie sollen wir sie tragen?«, fragte Ernst. »Wir sind viel zu schwach.«
»Wir kö nnen doch die Rinder dazu abrichten«, sagte Jack.
Die Jungen holten Sturm und Brummer und legten ihnen die neuen Sä ttel auf. Obwohl sich
die Tiere noch nicht daran gewö hnt hatten, ging es ganz gut. Aus den Riemen fü r die
Steigbü gel wurden Schleifen gemacht, um die Tragestangen des Korbes aufzunehmen.
Damit die Stangen nicht hinausrutschen konnten, wurde alles mit Schnü ren festgebunden.
Jetzt schwang sich Jack auf den Bü ffel, Frä nzchen auf das Rind, und Ernst stieg in den Korb.
Jack gab das Kommando, die Tiere erhoben sich bedä chtig und setzten sich langsam in
Bewegung. Ernst sah ganz zufrieden aus in seinem Korb, der angenehm schaukelte wie eine
Kutsche. Aber nach einer Weile wurde den Reitern die Sache langweilig, und sie trieben die
Lasttiere zum Trab an. Selbst der sonst eher ä ngstliche Ernst hatte seinen Spaß. Er jubelte
und klammerte sich nur etwas fester am Rand des Korbes fest.
Ich selbst saß mit Katharina und Fritz unter der Laube und arbeitete am nä chsten Korb, als
Fritz plö tzlich aufstand und zum bewaldeten Hang hinter der Schakalbrü cke blickte.
»Was um alles in der Welt ist das dort?«, rief er. »Etwas Riesiges. Es bewegt sich in unsere
Richtung.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was das sein soll«, sagte ich. »Unsere großen Tiere sind ja
alle hier.«
»Ich weiß nicht, was es ist«, sagte Fritz. »Manchmal sieht es aus wie ein Ankertau, das sich
ü ber den Boden ringelt, manchmal wie ein Mast, der sich von selbst aus dem Staub hebt.«
»Kinder«, rief Katharina erschrocken, »kommt sofort in die Hö hle.«
Wä hrend sie drinnen die Waffen bereitmachten, holte ich schnell das Taschenfernrohr. Die
Knaben verschanzten sich mit den Gewehren hinter den oberen Fenstern von Felsenheim,
und ich hielt mit dem Fernrohr Ausschau.
»Kannst du etwas erkennen?«, fragte Fritz, der neben mich getreten war.
»Es ist eine ungeheure Schlange«, sagte ich. »Sie kommt direkt auf uns zu.«
Fritz eilte in die Hö hle und kam kurz darauf mit zwei Flinten und ein paar Ä xten zurü ck.
»Sei nur vorsichtig mein Junge!«, sagte ich. »Schlangen sind sehr zä h und unglaublich stark.
Geh hinein zu den anderen und mach unser grö ßtes Gewehr bereit. Ich komme gleich
nach.«
Fritz ging ungern, aber schließlich gehorchte er. Ich beobachtete weiter den scheußlichen
Lindwurm. Er kroch gerade auf den Schakalbach zu. Kurz dachte ich daran, die Bretter von
der Brü cke zu entfernen um ihm den Weg abzuschneiden. Aber er war schon viel zu nah,
und ich wagte es nicht. Manchmal hielt die Schlange an und hob ihren Vorderkö rper wohl
acht bis zehn Fuß in die Hö he, zü ngelte schnell und drehte den Kopf hin und her, als suche
sie nach etwas. Ich hatte genug gesehen. Als die Schlange auf unsere Brü cke kroch, rannte
ich in die Hö hle, wo meine Sö hne mit den Gewehren bereitstanden. Fritz reichte mir meine
Waffe, und wir warteten mit klopfenden Herzen. Von den vergitterten Fensterö ffnungen
aus konnten wir den ganzen Platz ü berblicken und waren dabei von draußen kaum zu
sehen.
Die Schlange hatte die Brü cke ü berquert. Sie zö gerte, es sah aus, als habe sie unsere
Anwesenheit gespü rt und ü berlege sich, was sie unternehmen solle. Ungefä hr hundert
Schritte von uns entfernt bä umte sie sich auf und ließ sich wieder auf den Boden sinken. Sie
musste wohl dreißig Fuß lang und einen Fuß dick sein. Sie hatte schon den Kopf von uns
weggedreht und schlug eine andere Richtung ein. Da feuerte Ernst plö tzlich einen Schuss
ab, wohl eher aus Angst als aus Jagdlust. Auch Jack schoss jetzt und zu meinem Erstaunen
selbst Katharina. Keiner der drei schien das Tier getroffen zu haben. Es zö gerte nur kurz
und kroch dann in Richtung des Entensumpfes. Fritz und ich feuerten ihm hinterher, aber
auch wir trafen nicht. Bevor wir nachladen konnten, war die Schlange im ü ppigen
Rohrwuchs neben unserem Wohnplatz verschwunden.
Erlö st atmeten wir auf, und erst jetzt wagten wir wieder zu sprechen. Alle redeten
durcheinander, behaupteten, sorgfä ltig gezielt und mit Bedacht geschossen zu haben.
»Knips hat sich so fest an mich geklammert, dass ich gar nicht richtig zielen konnte«,
behauptete Ernst. »Und dann hat er mich gekniffen, deshalb ist mein Gewehr losgegangen.«
»Habt ihr gesehen, wie rot ihre Augen waren?«, rief Jack. »Die war bestimmt zehn Meter
lang.
»Fü nfzehn«, ü berbot ihn Frä nzchen. »Und ihre Haut hat ausgesehen wie ein Panzer.«
Nach der anfä nglichen Erleichterung wurde uns bald bewusst, dass die Gefahr noch lange
nicht ausgestanden war. Die Schlange war noch immer in unserer unmittelbaren Nä he, sie
konnte jederzeit wieder aus dem Entensumpf herauskommen und uns angreifen.
»Vorlä ufig verlä sst niemand die Hö hle ohne meine ausdrü ckliche Erlaubnis«, sagte ich.
Drei lange, angstvolle Tage blieben wir in unserer Felsenwohnung versteckt. Selbst
Katharina und ich verließen sie nur in ganz dringenden Fä llen, um etwas zu holen, was wir
in der Eile draußen liegengelassen hatten oder um die Hü hner in die Hö hle zu treiben.
Dabei behielten wir den Entensumpf immer im Auge. Vom Feind war in dieser ganzen Zeit
nicht das Geringste zu sehen oder zu hö ren. Man hä tte glauben kö nnen, die Schlange habe
sich auf der anderen Seite des Sumpfes durch irgendeine Felsspalte davongemacht, wenn
wir nicht die Unruhe unserer inzwischen halbwilden Gä nse und Enten bemerkt hä tten, die
sich im Sumpf angesiedelt hatten. Jeden Abend, wenn sie von ihren Streifzü gen an der
Kü ste zurü ckkehrten, umkreisten sie lange in mä ßiger Hö he ihren alten Wohnplatz, bevor
sie in Richtung Haifischinsel davonflogen, wo sie die Nacht verbrachten.
Die selbstauferlegte Gefangenschaft quä lte uns immer mehr. Als wir sie nicht mehr
auszuhalten glaubten, rettete uns endlich unser altes Eselchen durch seinen dummen
Ü bermut. Das wenige Heu, das von der Regenzeit ü briggeblieben war, war am Abend des
dritten Tages aufgebraucht. Also entschloss ich mich, das Vieh ins Freie zu treiben, damit es
auf der Weide frisches Futter suchen konnte. Um von der Schlange nicht bemerkt zu
werden, wollte ich die Tiere nicht ü ber die Brü cke fü hren, sondern durch den Schakalbach
ganz oben beim Wasserfall. Am vierten Tag unserer Belagerung banden wir unser Hausvieh
in einer langen Reihe zusammen, immer eins an das Hinterbein oder den Schwanz des
anderen. Fritz, der mutigste und geistesgegenwä rtigste der Jungen, wü rde auf dem Quagga
vorausreiten und das vorderste Tier am Halfter fü hren. Falls die Schlange auftauchte, sollte
er das Vieh zurü cklassen und sofort nach Falkenhorst fliehen. Die anderen Knaben und
Katharina wü rden mit geladenen Gewehren an den Fenstern stehen und ihm Feuerschutz
geben, ich selbst wollte mich draußen hinter einem Felsvorsprung verstecken, von wo aus
ich den Rand des Sumpfes ü berblicken und im Falle einer Gefahr doch schnell in die Hö hle
fliehen konnte.
Wä hrend die jü ngeren Knaben die Gewehre luden, band ich mit Fritz die Tiere zusammen.
Dem Esel schienen die langen Tage in der Hö hle nicht bekommen zu sein. Er bockte, riss
sich vom Halfter los und sprang mit ein paar schnellen Sä tzen aus der Pforte, die Katharina
etwas zu frü h geö ffnet hatte. Der dumme Geselle machte draußen so wilde Sprü nge, dass
wir laut lachen mussten. Fritz wollte ihn einfangen und galoppierte auf Leichtfuß hinter
ihm her. Dabei geriet auch das ü brige Vieh in Unruhe, und bevor wir sie aufhalten konnten,
machten sich ein paar Zicklein aus dem Staub und folgten dem Esel auf den Vorplatz und in
Richtung Entensumpf.
»Komm sofort zurü ck«, rief ich Fritz mit scharfer Stimme zu.
Kaum war er wieder bei uns, rief Jack, der die ganze Zeit am Fenster gestanden hatte: »Seht
doch!«
Das Schilf bewegte sich. Ein Schauer lief uns ü ber den Rü cken. Da stieg die Riesenschlange
auch schon kerzengerade in die Hö he. Sie zü ngelte und starrte mit ihren funkelnden Augen
auf die ausgerissenen Tiere. Der Esel schien die Gefahr zu bemerken und blieb bocksteif
stehen. Plö tzlich schoss die Schlange blitzschnell nach vorn und schnappte sich eines der
Zicklein. Sie wickelte es mit ihrem krä ftigen Kö rper ein wie ein Paket und wü rgte es immer
fester. Das arme Tierchen schrie verzweifelt. Die anderen Zicklein stoben davon, und der
Esel machte ein paar panische Sprü nge, bis er in den Sumpf fiel und unterging.
»Himmel!«, rief Jack. »Er ersä uft, und wir kö nnen ihm nicht helfen.«
»Wir mü ssen hinaus«, sagte Fritz. »Wenn wir die Schlange erschießen, kö nnen wir den Esel
vielleicht noch retten.«
»Aber wenn unsere Schü ssen sie nicht tö ten, machen wir sie nur noch wü tender und
bringen uns selbst in Gefahr«, sagte ich. »Das Zicklein ist ohnehin verloren. Und der Esel ist
bestimmt schon im Schlamm ertrunken. Wir mü ssen warten, bis die Schlange anfä ngt, ihr
Opfer zu verschlingen. Dann hat sie das Gebiss nicht mehr frei, und wir kö nnen sie
gefahrlos angreifen.«
Jack starrte auf den Platz hinaus. »Sie wird das Zicklein doch nicht ganz
hinunterschlingen?«, fragte er. »Das wä re ja schauderhaft.«
»Schlangen haben nur Fangzä hne, aber keine Backenzä hne zum Kauen«, erklä rte ich. »Es
bleibt ihnen nichts anderes ü brig, als ihre Beute in einem Stü ck zu schlucken.«
»Wie bekommt sie dann das Fleisch von den Knochen?«, fragte Frä nzchen mit zitternder
Stimme.
»Das tut sie nicht«, sagte ich. »Sie schluckt das ganze Tier mit Haut und Haar, Fleisch und
Knochen. Ihr werdet ja sehen.«
»Ich begreife nicht, wie das Zicklein ins Maul der Schlange passen soll«, sagte Jack.
Noch bevor ich antworten konnte, sah er es selbst. Die Schlange drü ckte den Kö rper des
Tierchens mit solcher Kraft zusammen, dass alle seine Knochen brachen. Das Zicklein
musste lä ngst tot sein, es bewegte sich nicht mehr. Katharina war von dem schrecklichen
Anblick ganz erschü ttert. Sie nahm Frä nzchen an der Hand und zog ihn weg vom Fenster.
Auch ich konnte nur mit Mü he zuschauen, wie die Schlange ihr Opfer langsam zu einem
mundgerechten Bissen zusammenquetschte. Schließlich ließ sie es los und fing an, es mit
ihrem schleimigen Geifer zu ü berziehen. Dann streckte sie den Kadaver mit Schieben und
Stoßen vor sich aus, riss den Rachen weit auf und fing an, ihn zu verschlingen. Unendlich
langsam verschwand unser armes Zicklein im Rachen des Ungeheuers, bis nach mehreren
Stunden des Wü rgens und Schlingens nur noch der kleine Kopf herausschaute. Die
Schlange war von der Anstrengung vollstä ndig ermü det und bewegte sich kaum noch.
»Vorwä rts!«, rief ich den Jungen zu, trat mit vorgehaltenem Gewehr und gespanntem Hahn
aus unserem Versteck und nä herte mich vorsichtig der starr ausgestreckten Schlange. Fritz
folgte dicht hinter mir, Jack blieb ä ngstlich zehn Schritte zurü ck. Ernst schließlich wagte
sich gar nicht aus der Hö hle heraus.
Als ich nä her kam, konnte ich mir die Schlange endlich genauer ansehen. Aufgrund der
Zeichnung ihrer Haut nahm ich an, es handle sich um eine Boa. Der vordere Teil ihres
Kö rpers lag starr und verdickt vom eben verschluckten Zicklein, der hintere Teil bewegte
sich in krampfhaften Wellenbewegungen. Aus ungefä hr zwanzig Schritt Entfernung
schossen Fritz und ich unsere Gewehre ab. Die beiden Kugeln trafen den Schä del der
Schlange, ihre Augen erloschen, aber sie zuckte heftiger als zuvor und wand sich hin und
her. Wir traten nä her und schossen auch unsere Pistolen ab, um der Schlange den Rest zu
geben. Sie zitterte noch ein wenig, dann blieb das Ungeheuer bewegungslos liegen.
Jack und Ernst traten nun ebenfalls heran, brachen in ein Siegesgeheul aus und tanzten um
den Kadaver. Sogar die Mutter und Frä nzchen, die inzwischen die Tiere losgebunden
hatten, kamen herbei. Wir hatten schon befü rchtet, dass wir Felsenheim aufgeben mü ssten,
wenn die Schlange sich endgü ltig im Entensumpf eingenistet hä tte. Umso befreiter waren
wir jetzt.
Frä nzchen war gleich zum Sumpfloch gerannt, wo der Esel verschwunden war. Traurig
kam er zurü ck und sagte: »Es ist nichts mehr von ihm zu sehen. Er ist ganz im Sumpf
verschwunden.«
»Wenigstens ist es schnell gegangen, und er musste nicht leiden«, trö stete ich ihn.
»Was um alles in der Welt machen wir mit dem schrecklichen Tier?«, fragte Jack. »Wir
werden sein Fleisch wohl nicht essen mü ssen?«
»Wir kö nnten es ausnehmen und ausstopfen«, sagte Fritz, »und als Merkwü rdigkeit
aufbewahren.«
»Das wä re wunderbar«, rief Jack. »Wir stellen es mit aufgesperrtem Rachen vor unserer
Hö hle auf.«
»Das geht nicht«, sagte Fritz. »Unsere armen Haustiere wü rden sich nicht mehr in die Nä he
wagen. Aber wir kö nnen es in der Bibliothek aufstellen, da wo auch die Korallen und die
Muscheln liegen.«
Wir konnten uns gar nicht vom Anblick des Tieres losreißen. Katharina hatte sich als Erste
vom Schreck erholt und kochte eine ü ppige Mahlzeit, nachdem wir in den vergangenen
Tagen nur von der Hand in den Mund gelebt hatten. Ich bat Fritz und Jack, die Ochsen zu
holen, wä hrend ich mit Ernst und Frä nzchen aufpasste, dass sich keine Aasvö gel ü ber den
Kadaver hermachten.
Nach dem Mittagessen zogen wir mit Hilfe eines Stricks das tote Zicklein aus dem Schlund
der Schlange. Sein Anblick war zu schrecklich, also beschwerten wir das arme Tier mit ein
paar Steinen und warfen es ins Sumpfloch, in dem der Esel verschwunden war. Dann
besprachen wir, wie wir unsere Beute ausnehmen kö nnten. Wir warfen einen Strick ü ber
einen hohen Ast und banden ein Ende um den Kopf der Schlange. Wä hrend Jack sie mit
Hilfe der Ochsen langsam in die Hö he zog, stand Fritz rittlings ü ber ihrem Kö rper und
schnitt die Haut mit einem scharfen Messer der Lä nge nach auf. Es kostete einiges an Mü he,
das Fleisch von der Haut zu lö sen, diese zu reinigen und den Schä del freizulegen. Die Haut
behandelten wir mit Salz und Asche und ließen sie trocknen. Dann nä hten wir sie wieder
zusammen und stopften sie dabei mit Bartmoos aus. Die Arbeit dauerte mehrere Tage, aber
die Knaben waren mit Begeisterung dabei. Den grö ßten Spaß machte es ihnen, die Schlange
am Ende in einer mö glichst furchterregenden Pose aufzustellen. Wir bauten eine Art Gerü st
aus einem Bodenkreuz und einem starken, mannshohen Pfahl. Auf das obere Ende des
Pfahls legten wir den Kopf der Schlange, so dass es aussah, als halte sie nach einem Opfer
Ausschau. Den Rachen des Tieres ö ffneten wir, so weit es ging, und ließen die Zunge
heraushä ngen. Beides fä rbten wir mit dem blutroten Saft indianischer Feigen. Da wir keine
Glasaugen zur Verfü gung hatten, formten wir aus Lehm zwei Kugeln und bemalten sie
ebenfalls rot. Wir bestrichen sie mit durchsichtigem Fischleim, wodurch sie gefä hrlich
funkelten. Den Kö rper des Tieres wanden wir ein paarmal um den Pfahl.
Die ausgestopfte Schlange sah so lebensecht aus, dass unsere Hunde jedes Mal ä ngstlich
winselten und knurrten, wenn sie in ihre Nä he kamen. Nur Knips schien zu spü ren, dass
keine Gefahr mehr von ihr ausging. Er benutzte sie im Gegenteil als Kletterbaum, setzte sich
auf ihren Kopf und stieß ein Triumphgeschrei aus, als habe er sie erlegt. Nachdem wir das
Prä parat in der Sonne gut getrocknet hatten, stellten wir es in der Bibliothek auf, direkt
gegenü ber dem Eingang. Ü ber die Tü r hä ngten die ü bermü tigen Jungen ein Schild, auf das
sie geschrieben hatten: Kein Esel kommt hier herein!
Die Gefahr war nun zwar gebannt, aber wir konnten nicht ausschließen, dass sich in der
Nä he noch andere Schlangen befanden oder dass das erlegte Tier, das ein Weibchen war,
vielleicht sogar ein Nest mit Eiern zurü ckgelassen hatte. Ich beschloss also, zwei
Expeditionen durchzufü hren, eine in den Entensumpf, eine in die Richtung, aus der das
Untier gekommen war. Die Knaben hatten keine große Lust, mich zu begleiten.
»Es ü berlä uft mich jedes Mal ein Schauer«, sagte Ernst, »wenn ich daran denke, wie die
sterbende Schlange gezuckt und mich fast zu Boden geworfen hat.«
»Du hast dich doch in der Hö hle versteckt«, spottete Fritz.
Ich redete ihnen Mut zu und erklä rte ihnen, wie wichtig es sei, nach dem Schlangennest zu
suchen. »Finden wir es, so kö nnen wir die Brut leicht zerstö ren«, sagte ich. »Drü cken wir
uns vor der Suche, dann kann es sein, dass die jungen Schlangen uns einmal viel
unerwarteter ü berfallen, als es ihre Mutter getan hat.«
Wir bewaffneten uns und rü steten uns mit Bambusrohren, Brettern und aufgeblasenen
Schlä uchen aus Tierfellen aus, die uns im Notfall vor dem Untergehen im schlammigen
Grund bewahren sollten. Dann drangen wir in den Sumpf ein, indem wir die Bretter auf den
unsicheren Boden legten. Hatten wir ein Brett ü berquert, hoben wir es hoch und legten es
vor uns wieder hin. So kamen wir zwar langsam, aber sicher voran, bis wir auf der anderen
Seite des Sumpfes auf festen Boden gelangten.
Hin und wieder entdeckten wir Spuren der Schlange, doch zu unserer großen Erleichterung
fanden wir keine anderen Exemplare und keine Eier. Jenseits des Sumpfs, wo die Schlange
sich am lä ngsten aufgehalten haben musste, fanden wir eine Art Nest aus ein paar
geknickten Pflanzen und etwas niedergedrü cktem Gras. Einige Schritte weiter entdeckten
wir eine ziemlich große Grotte, aus der ein Bä chlein mit glasklarem Wasser
hervorsprudelte. Sie war wohl zwanzig Schritte breit, aber nicht sehr tief. An der Decke und
am Boden hatten sich Tropfsteine von unterschiedlichster Form und in den
verschiedensten Farben gebildet. Einige waren sogar zusammengewachsen zu
richtiggehenden Sä ulen.
Wir betraten die Grotte, um nach der Herkunft des Bä chleins zu suchen. Es entsprang einer
ziemlich großen Felsspalte einige Fuß ü ber dem Boden. Das Gestein dort war so locker,
dass wir es mit den Hä nden beiseiterä umen konnten. Als die Ö ffnung groß genug war und
wir uns ü berzeugt hatten, dass die Luft im Inneren frisch war, kroch Frä nzchen, als der
Kleinste, hinein. Nach kurzer Zeit rief er uns zu, der Gang erweitere sich zunehmend. Da ich
sicher sein wollte, dass auch hier keine Schlangenbrut zurü ckblieb, vergrö ßerte ich die
Ö ffnung, bis ich selbst hindurchpasste. Ich kroch Frä nzchen nach, der in der Dunkelheit auf
mich gewartet hatte, wä hrend die drei Großen draußen warteten. Nach einigen Metern
wurde der Gang so hoch, dass wir aufrecht stehen konnten.
Als ich Frä nzchen erreicht hatte, feuerte ich, ohne viel nachzudenken, meine Pistole in die
Dunkelheit. Im kurzen Blitz des Mü ndungsfeuers konnten wir nichts erkennen, aber der
lange Widerhall verriet uns, dass wir uns in einem mä chtigen Gewö lbe befinden mussten.
Glü cklicherweise waren in unseren Jagdtaschen immer Feuerzeug und ein paar Kerzen.
Wir zü ndeten zwei an, auch um die Qualitä t der Luft zu ü berprü fen. Im schwachen Licht
der Kerzen setzten wir tastend einen Fuß vor den anderen.
»Schau, Vater«, rief Frä nzchen plö tzlich. »Eine neue Salzhö hle! Wie alles glitzert und
glä nzt.«
»Das kö nnen keine Salzkristalle sein«, sagte ich. »Sonst mü sste das Wasser, das
darü berfließt, salzig sein und trü b. Ich glaube viel eher, es sind Bergkristalle.«
»Das wä re wunderbar«, sagte Frä nzchen. »Dann hä tten wir einen kostbaren Schatz
entdeckt.«
»Er wird uns hier so wenig nü tzen wie Robinson sein Goldklumpen.«
»Ich nehme trotzdem ein Stü ck mit«, sagte Franz, »damit wir es draußen genau
untersuchen kö nnen.« Er schlug einen Kristall ab, aber als er ihn im Licht der Kerze
betrachtete, war dieser ganz trü b geworden.
»Du hä ttest ihn nicht einfach abbrechen dü rfen«, sagte ich. »Alle diese Kristalle bestehen
aus sechseckigen Sä ulen, die in Gruppen auf dem Gestein, der Kristallmutter, gewachsen
sind. Wenn du genau hinschaust, kannst du in den Kristallen ein feines Gewebe von
Spä ltchen und Adern sehen. Schlä gt man einen Kristall mit Gewalt von der Mutter los, kann
er trü be werden.«
»Und wie schafft man es, einen reinen, durchsichtigen Kristall zu bekommen?«, fragte
Frä nzchen.
»Du musst ihn behutsam zusammen mit der Mutter ausgraben.«
Wä hrend wir sprachen, erkundeten wir die Kristallhö hle in alle Richtungen. Schließlich
kratzte Frä nzchen ganz vorsichtig einen wunderschö nen, wohl zehn Pfund schweren
Kristall fü r unsere Bibliothek frei. Wir feuerten noch einige Schü sse ab und schlossen aus
dem Widerhall, dass das Hö hlensystem sehr weitlä ufig sein musste und wir es noch lange
nicht zu Ende erforscht hatten. Aber unsere Kerzen waren fast heruntergebrannt, deshalb
beschlossen wir, ans Tageslicht zurü ckzukehren und ein andermal wiederzukommen.
Als wir aus der Hö hle traten, sahen wir die ä lteren Knaben mit trü bseligen Gesichtern dort
sitzen. Aber kaum sahen sie uns, stü rzten sie voller Freude auf uns zu.
»Wo habt ihr nur so lange gesteckt?«, fragte Fritz erleichtert. »Wir haben schon gemeint,
ihr hä ttet euch in der Hö hle verirrt und fä ndet den Ausgang nicht mehr.«
Wä hrend unseres Ausflugs unter die Erdoberflä che hatte sich Ernst mit Flechtarbeiten die
Zeit vertrieben. Er hatte aus dü nnen Rohren eine Art Trichter geflochten und erklä rte mir,
er wolle diesen in der Ö ffnung eines langen bauchigen Korbes befestigen.
»Wenn ein Fisch durch den Trichter schwimmt, ist er in der Reuse gefangen und kann nicht
mehr entkommen.«
»Gut gemacht«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schultern.
»Nebenbei habe ich auch noch eine junge Riesenschlange geschossen«, sagte er
unbeschwert, »sie ist vier Fuß lang und so dick wie mein Arm.«
Dabei hob er ein Bü schel Schilf auf, mit dem er das tote Tier bedeckt hatte.
»Das ist keine Schlange«, lachte ich erleichtert, »sondern ein Aal. Der wird uns heute Abend
einen vortrefflichen Braten abgeben.«
Wir packten unsere Sachen zusammen und durchquerten wieder den Sumpf. Diesmal
hielten wir uns etwas nä her an der Felswand, wo der Boden trockener war und wir
schneller vorankamen. Am Abend brieten wir den Aal ü ber dem Feuer. Er schmeckte uns
ausgezeichnet, sein Fleisch war sehr fett und wü rziger als andere Fische.
Aus dem Sumpf schien also keine Gefahr von Riesenschlangen zu drohen. Wir mussten
allerdings noch eine zweite Expedition zur Klus machen, von wo die Schlange gekommen
war. Bei dieser Gelegenheit wollten wir den Durchgang etwas besser befestigen. Bestimmt
wü rden die Arbeiten einige Wochen dauern, also packten wir fü r eine lä ngere Abwesenheit.
Wir legten Werkzeug bereit und Fackeln, um nachts wilde Tiere fernzuhalten, und luden
auch das Zelt auf das Fuhrwerk.
Am nä chsten Morgen zogen wir los. Jack und Frä nzchen saßen auf Sturm und Brummer, die
wir vor den Wagen gespannt hatten. Fritz ritt auf Leichtfuß immer ein wenig voraus. Wir
anderen gingen, von den Hunden begleitet, neben dem Wagen her und setzten uns nur
manchmal darauf, um uns ein wenig auszuruhen.
Die Reise ging zunä chst nach Falkenhorst. Unterwegs sahen wir immer wieder die Spuren
der Schlange. In Falkenhorst angekommen, fü tterten wir das Geflü gel und schauten nach
den anderen Tieren, dann zogen wir weiter nach Waldegg, wo wir ü bernachten wollten. Die
Spuren der Schlange wurden immer seltener und verloren sich schließlich ganz. Auch von
den Affen war nichts zu sehen. Es war ganz still, nur dann und wann hö rten wir einen
entfernten Hahnenschrei oder das Geblö k unserer Tiere.
In Waldegg war alles noch so, wie wir es bei unserem letzten Besuch zurü ckgelassen
hatten. Die Schafe und Ziegen lockten wir mit etwas Salz und Getreide heran, und sie
wurden schnell wieder zutraulich. Wir richteten uns ein. Wä hrend Katharina das
Mittagessen kochte, durchstreifte ich mit den Jungen die Gegend. Dabei sammelten wir
etwas Baumwolle als Fü llung fü r unsere Kissen.
Nach dem Essen setzten wir unsere Erkundungen fort. Ich tat mich mit Frä nzchen
zusammen. Zum ersten Mal bekam er sein eigenes kleines Gewehr. Ich hatte ihm erklä rt,
wie er es laden und abfeuern musste, und er trug es wie einen wertvollen Schatz vor sich
her. Wir wollten zusammen die linke Seite des Sees erforschen, wä hrend Fritz und Jack sich
die rechte vornahmen und Ernst bei der Mutter blieb, um im Reissumpf reife Ä hren
einzusammeln.
Frä nzchen und ich schlenderten am linken Seeufer dahin. Wegen des sumpfigen Bodens
und des Schilfs waren wir immer ein Stü ck vom offenen Wasser entfernt. Wir wurden
geplagt von Schwä rmen winziger Fliegen, die uns in Mund und Nase kamen. Die Hunde
durchstreiften das Schilf und scheuchten einige Reiher und Schnepfen auf, aber meist
flohen die Vö gel ü ber das Wasser und waren fü r unsere Gewehre zu weit entfernt.
Frä nzchen wurde ganz ungeduldig. Er wollte endlich sein Gewehr ausprobieren. Als wir
den Ruf einer Rohrdommel hö rten, der dem Schrei eines Esels ä hnelt, jagte ich die Hunde in
die Richtung. Vielleicht wü rden sie den Vogel aufscheuchen. Frä nzchen hielt sich mit dem
Gewehr bereit, wä hrend ich weiterging. Plö tzlich hö rte ich ein Rascheln im Schilf, gleich
darauf einen Schuss und Frä nzchens Jubelgeschrei: »Getroffen! Getroffen!«
»Was hast du getroffen?«, rief ich zurü ck und eilte zu dem Jungen.
»Eine Wildsau!«, rief er.
»Wenn du nur nicht ein Ferkel von unseren Schweinen erlegt hast«, sagte ich und trat zu
ihm. Das Tier, das vor ihm auf dem Boden lag, hatte wirklich Ä hnlichkeit mit einem jungen
Schwein, es war braunrot und borstig. Aber als ich es nä her untersuchte, sah ich, dass es
eine gespaltene Oberlippe und Schneidezä hne wie ein Kaninchen hatte. Es fehlte ihm der
Schwanz, dafü r waren Schwimmhä ute zwischen seinen Zehen.
»Das muss ein Capybara sein«, sagte ich.
Frä nzchen war sehr stolz auf seine Beute, auch als ich ihm sagen musste, dass es kein
Wildschwein war.
»Du hast etwas viel Selteneres erlegt«, sagte ich, »ein sü damerikanisches Wasserschwein,
das mit dem Meerschweinchen, dem Aguti und dem Paka in dieselbe Familie gehö rt.«
Wir mussten weiter. Frä nzchen wollte seine Beute auf keinen Fall zurü cklassen, aber sie
war zu schwer fü r ihn.
»Ich will es ausweiden«, sagte er und machte sich gleich an die Arbeit.
Ich wunderte mich, wie geschickt er sich dabei anstellte, er musste gut aufgepasst haben,
wenn seine Brü der Tiere ausgeweidet hatten. Die Innereien warf er den Hunden hin, die sie
gierig verschlangen.
Nach einer Weile wurde Frä nzchen auch das ausgeweidete Tier zu schwer. »Ich habe eine
Idee«, sagte er, »ich werde es einem der Hunde aufladen.« Wir steckten das tote
Wasserschwein in einen Sack, den ich bei Jagdausflü gen immer dabeihatte, und banden es
einem der Hunde auf den Rü cken, der es ohne zu mucken vor uns hertrug.
Wir kamen in das Pinienwä ldchen und fü llten unsere Taschen mit Kernen, dann kehrten
wir nach Waldegg zurü ck, wo Fritz und Jack schon auf uns warteten. Unterwegs waren wir
auf die Spuren von Affenhorden gestoßen, aber von einer Riesenschlange oder ihrer Brut
hatten wir nichts gesehen.
Mü de von den vielen Eindrü cken legten wir uns frü h schlafen. Zeitig am nä chsten Morgen
setzten wir unsere Reise fort. Wir nahmen den Weg ü ber Zuckertop, den Hü gel zwischen
dem Zuckerrohrdickicht und der Klus, auf dem wir bei einem frü heren Aufenthalt eine Art
Laube errichtet hatten. Dort rasteten wir und schnitten einige frische Zuckerrohre. Die
Hunde hatten die Gegend durchstreift, und plö tzlich hö rten wir ihr lautes Gebell und die
Gerä usche einer wilden Jagd. Es war schwer auszumachen, woher genau die Gerä usche
kamen. Wir sprangen auf und packten unsere Gewehre, da wir nicht wussten, was auf uns
zukam. Da brach eine ganze Herde kleingewachsener Schweine aus dem Zuckerrohr und
stü rmte an uns vorbei. Ich feuerte zwei Schü sse ab und erlegte zwei Tiere, aber die anderen
ließen sich dadurch nicht beirren und rannten weiter. Fritz und Jack schossen ebenfalls
und trafen einige der kleinen Schweine.
Als ich nä her trat, sah ich, dass es sich um Pekaris handelte, und ich erinnerte mich, dass in
ihrem Kö rper eine Drü se mit einer schmierigen Flü ssigkeit war, die das Fleisch verdarb,
wenn man sie nicht vorsichtig heraustrennte. Wir weideten die Tiere aus und machten uns
daran, das Fleisch zu verarbeiten. Zuerst brannten wir die Borsten ab, daraufhin schnitt ich
die Schinken heraus und trennte auch die anderen guten Stü cke von den Knochen. Den Rest
bekamen die Hunde und der Adler. Wir wuschen das Fleisch sorgfä ltig und rieben es mit
Salz ein. Dann steckten wir die Stü cke in einen Sack und hä ngten ihn an einen Baum.
Darunter stellten wir ein Kü rbisgefä ß, um das herunterträ ufelnde Salzwasser aufzufangen
und wieder ü ber das Fleisch zu gießen. In der Zwischenzeit bauten wir eine Rauchhü tte aus
grü nen Ä sten, was einen ganzen Tag dauerte. Sie wurde so gerä umig, dass wir alle
Fleischstü cke gleichzeitig darin aufhä ngen konnten. Auf dem Boden der Hü tte zü ndeten wir
ein Feuer an und warfen feuchtes Gras und frische Blä tter darauf, so dass dichter,
beißender Rauch entstand. Das Feuer hielten wir drei Tage lang in Gang, bis das Fleisch
durchgerä uchert und trocken war.
In dieser Zeit machten wir weitere Streifzü ge und kamen jedes Mal mit neuen Dingen
zurü ck. Im Bambusdickicht entdeckten wir Rohre, die mehr als hundert Fuß hoch waren
und so dick, dass wir daraus Fä sser und Tö pfe herstellen konnten. Wir schnitten die Rohre
unter einem der Knoten durch, so hatten unsere Behä lter schon einen Boden. Bei einem
Besuch in Hohentwiel fanden wir, dass die Insekten die Hü tte inzwischen vollkommen
zerstö rt hatten. Es war kaum noch zu erkennen, dass dort jemals eine Behausung
gestanden hatte, nur ein paar zerfressene Bambusrohre lagen auf dem Boden. Die Ziegen
und Schafe hatten sich zerstreut, und die Hü hner waren ganz verwildert.
Ein paar Schinken packten wir ein, aber den grö ßten Teil des Pekarifleisches ließen wir in
der Rä ucherhü tte zurü ck. Um es vor Rä ubern zu schü tzen, breiteten wir Rasenziegel ü ber
die Ä ste, so dass das ganze wie ein kleiner Hü gel aussah. Darü ber legten wir Disteln und
dornige Zweige. Dann zogen wir endlich weiter zur Klus, dem Ziel unserer Reise.
7. Kapitel Eine Expedition ins Landesinnere. Von der Straußen- und
der Bärenjagd. Ein Strauß wird gefangen und gezähmt.
Nach zweistü ndigem Marsch erreichten wir unser Ziel und machten am Rand des kleinen
Wä ldchens beim Eingang der Klus halt. Der Ort war kü hl und ziemlich geschü tzt, da das
Wä ldchen an einer Seite bis an die Felswand reichte, an der anderen von der Mü ndung des
Flusses in die große Bucht begrenzt wurde. Wir befreiten die Tiere von ihren Lasten und
richteten uns fü r einen lä ngeren Aufenthalt ein. Statt eine neue Hü tte zu bauen, stellten wir
unser Reisezelt auf.
Am folgenden Morgen machte ich mich mit den drei ä lteren Knaben auf und erkundete das
Innere der Insel. Wir kletterten durch die schmale Ö ffnung, die wir in der Klus gelassen
hatten, und durchquerten den Bergbach oberhalb der Eberfurt. Als sich die Schlucht
weitete, sahen wir jenseits des Flusses, den wir den Ostfluss nannten, einen langen
Bergrü cken, der mit schö nen Laubbä umen und mit hohen Palmen bewachsen war. Auf
unserer Seite war die Ebene von schroffen, unü berwindlichen Felswä nden begrenzt, so
dass sie wie ein weiter Kessel vor uns lag. Die Luft war dunstig, und der Blick verlor sich in
der Ferne.
Je weiter wir vorrü ckten, desto trockener wurde die Steppe. Das Gras war vertrocknet, und
die wenigen grö ßeren Bü sche verdorrt von der Hitze. Nur die Eispflanzen, die hier und da
den Boden bedeckten, schienen gut zu gedeihen. Mit ihren weißen Blü ten und den vielen
wä ssrigen Blä schen an den Blä ttern sahen sie seltsam frisch aus in dieser trockenen
Umgebung. In einer mit Sand bedeckten Mulde entdeckte Frä nzchen eine noch seltsamere
Pflanze. In der Mitte hatte sie eine Art halbrunden, verholzten Strunk, aus dem zwei Blä tter
wuchsen, die sich wie Schlangen mehrere Meter ü ber den Boden wanden und an den
Enden vertrockneten. Das musste die wunderbare Welwitschie oder Tumboa sein, die in
der Wü ste Namib wä chst und von der es heißt, sie lebe nur vom Tau, den sie mit ihren
Blä ttern auffä ngt. Ich hatte in der Reisebeschreibung eines Englä nders gelesen, dies sei
zugleich die faszinierendste und eine der hä sslichsten Pflanzen, die er je gesehen habe. »Sie
soll mehrere hundert Jahre alt werden«, sagte ich, »aber sie hat immer nur zwei Blä tter, die
endlos weiterwachsen.«
Zum Glü ck hatten wir unsere Kü rbisflaschen am Bach gefü llt. Wir schwitzten und litten
unter der gnadenlosen Sonne. Vor allem der hellhä utige Ernst war schon ganz verbrannt im
Gesicht. Er hatte seinen Hut nicht mitgenommen, also bastelte ich ihm eine Kopfbedeckung
aus einem Taschentuch, in dessen vier Ecken ich Knoten machte.
Nachdem wir einige Stunden gewandert waren, legten wir uns erschö pft in den Schatten
eines ü berhä ngenden Felsens, wo wir ein wenig rasteten und die Landschaft betrachteten.
Der Ostfluss schlä ngelte sich durch die unwirtliche Ebene vor uns. Nur seine Ufer waren
grü n. Einen oder zwei Tagesmä rsche entfernt sahen wir gewaltige blaue Berge, die uns ein
wenig an jene aus der Heimat erinnerten.
Als wir weitergehen wollten, hielt Fritz uns plö tzlich an. Er hob die Hand schü tzend ü ber
die Augen und spä hte in die Ferne.
»Dort«, sagte er und zeigte in Richtung der Berge, »es sieht aus, als kä men zwei Reiter in
vollem Galopp auf uns zu. Nein, es sind noch mehr.«
Da er die schä rfsten Augen von uns hatte, reichte ich ihm mein Fernglas. Nachdem er
durchgeschaut hatte, sagte er, es sehe aus, als seien es fliegende Heuhaufen. Die anderen
lachten. Das Fernglas ging von Hand zu Hand. Endlich hatte sich die Erscheinung so weit
genä hert, dass wir eine Herde Strauße erkannten. »Das wä re ein Fang!«, rief ich. »Wenn wir
einen dieser Prachtkerle erwischen kö nnten.«
Die Strauße waren nicht weit von uns stehengeblieben, und wir sahen mit bloßem Auge,
dass es vier Weibchen und ein Mä nnchen waren. Das Mä nnchen hatte schwarze Federn,
und wir waren uns einig, dass wir dieses Tier fangen wollten. Vorsichtig schlichen wir uns
an die Strauße heran, bis sie uns bemerkten und unruhig wurden. Wir standen still, und sie
beruhigten sich wieder. Aber unsere Hunde waren weniger geduldig als wir. Plö tzlich
preschten sie auf das Mä nnchen zu, das uns am nä chsten stand. Die Strauße stoben
auseinander, ihre Beine schienen kaum den Boden zu berü hren, so schnell rannten sie
davon. Fritz hatte seinem Adler die Kappe vom Kopf gerissen und ihn den Flü chtenden
nachgeschleudert. Der Raubvogel erhob sich in die Luft, stieß dann auf das
Straußenmä nnchen nieder und hackte auf seinen Hals ein, bis es zu Boden ging. Die Hunde
waren uns weit voraus und fielen ü ber das Tier her. Als wir es endlich erreicht hatten, war
es nicht mehr zu retten, und es blieben uns nur ein paar schö ne Federn, mit denen wir
unsere Hü te schmü ckten. Erst jetzt sahen wir, wie groß der Strauß war. Sein Kö rper war
fü nf Fuß hoch, der Hals noch einmal drei Fuß lang.
»Der hä tte mich zweimal tragen kö nnen«, meinte Fritz. Er war untrö stlich ü ber den Verlust.
Jack und Ernst waren inzwischen dem Schakal gefolgt, der in die Bü sche geschlichen war.
»Ein Straußennest«, rief Ernst plö tzlich und winkte uns herbei. Tatsä chlich fanden wir in
einer Erdmulde ein Dutzend großer Eier.
»Berü hrt die Eier nur ja nicht«, rief ich den Knaben zu, »sonst gibt die Bruthenne das Nest
auf. Wir kö nnen die Eier ja ohnehin nicht mitnehmen.«
Die Knaben waren gar nicht einverstanden, und ich versprach ihnen, spä ter
wiederzukommen, um wenigstens ein paar Eier mitzunehmen.
Nach einer Weile kamen wir zu einem Sumpf am Rand der Ebene. Er wurde offenbar von
einer verborgenen Quelle in den Felsen gespeist. An einem Ende war ein kleiner Abfluss. An
dieser Wasserstelle fanden wir viele ä ltere und neuere Spuren von Antilopen, Bü ffeln und
Quaggas, glü cklicherweise aber keinen Hinweis auf Riesenschlangen. Wir fü llten unsere
Kü rbisflaschen und setzten unseren Streifzug fort. Das Bä chlein floss durch ein fruchtbares
Tal voller Wiesen und lauschiger Wä ldchen. Nach dem langen Marsch ü ber die Steppe
waren wir froh, endlich etwas Schatten zu haben, und wir tauften den Ort Grü ntal. Hin und
wieder sahen wir in der Ferne Herden von Bü ffeln und Antilopen, die friedlich weideten.
Sobald wir uns ihnen aber nä herten, flohen sie in das felsige Gebiet, das hoch zur Steppe
fü hrte.
Das Tal zog sich in einem weiten Bogen nach Westen hin. Irgendwann kamen wir zu einer
Anhö he und merkten, dass es dieselbe war, an deren anderer Seite wir am Vormittag
gerastet hatten. Also waren wir fast im Kreis gegangen. Den ganzen Tag lang hatten wir
nichts gejagt. Trotzdem beschlossen wir, zu unserem Zelt bei der Klus zurü ckzukehren. Da
die voraustrabenden Hunde alles Wild verscheuchten, nahmen wir sie an die Leine. Nur Bill
durfte frei gehen, da er auf dem Rü cken Meister Knips trug und nicht ganz so wild
herumstreunte.
Ernst, der manchmal gerne ein wenig fü r sich allein war, um in Ruhe nachzudenken, sagte,
er gehe mit Falb voraus. Wir verabredeten, dass wir bei der Schakalhö hle Rast machen
wü rden und dass er dort auf uns warten solle. Als wir noch ungefä hr eine halbe Stunde von
der Hö hle entfernt waren, hö rten wir ein jä mmerliches Gezeter, heftiges Hundegebell und
ein unwilliges Brummen. Wir rannten in Richtung des Lä rms, als Ernst uns entgegenkam.
Er war totenbleich. »Ein Bä r!«, rief er und flü chtete sich zitternd in meine Arme. »Er
kommt! Er kommt!«
Wir ließen die Hunde von den Leinen und hielten unsere Gewehre schussbereit. Da trottete
auch schon ein riesiger Bä r auf uns zu und dicht hinter ihm ein zweiter. Fritz und Jack
hoben ihre Gewehre, wä hrend Ernst ganz verschreckt weiter floh. Die Hunde griffen die
zwei Bä ren von allen Seiten an. Im wilden Kampfgetü mmel war es schwierig fü r uns, richtig
zu zielen. Zwei Schü sse trafen die Bä ren, aber sie verletzten sie nur. Immerhin hatten die
Hunde nun leichteres Spiel. Ich wagte mich so nah an einen der Bä ren heran, dass ich ihn
mit einem Pistolenschuss tö ten konnte. In diesem Moment richtete sich der andere hoch
auf. Er war fast so groß wie ich und kam mit taumelnden Schritten auf mich zu. Rasch
sprang ich zur Seite und Fritz traf ihn mit einem sicheren Schuss ins Herz. Die Hunde ließen
nicht von den erlegten Tieren ab, und um ganz sicher zu sein, dass sie auch wirklich tot
waren, schoss ich noch einmal jedem eine Kugel in den Kopf.

Jetzt erst jubelten die Knaben ü ber unser Jagdglü ck. Sie untersuchten die Kadaver und
staunten ü ber die starken Zä hne, die mä chtigen Krallen und das dichte Fell. Die dunklen
Haare glä nzten weißlich an den Spitzen, so dass ich an die Silberbä ren denken musste, die
an den nordwestlichen Kü sten Amerikas leben sollen.
»Was fangen wir an mit unserer Beute?«, fragte ich die Jungen.
»Ausziehen«, meinte Fritz, »wenigstens die Felle sollten wir mitnehmen.«
Da es aber schon Abend wurde und wir an die Heimkehr denken mussten, schleppten wir
die Tiere vorerst in ihre Hö hle zurü ck und bedeckten sie mit Zweigen. Vor dem Eingang
brachten wir eine Art Zaun an, damit keine Aasfresser uns die Beute rauben konnten.
Die Sonne ging gerade unter, als wir unser Zelt erreichten. Wir waren froh, dass Katharina
schon mit dem Abendessen auf uns wartete. Nachdem wir gegessen hatte, schickte sie Fritz
los, er solle einige Aloeblä tter holen. Als er damit zurü ckkam, presste sie den schleimigen
Saft aus den Blä ttern und bestrich damit Ernsts verbranntes Gesicht und seinen Nacken.
Verwundert sahen wir sie an.
»Ihr seid nicht die Einzigen, die Reisebü cher lesen«, sagte sie lachend. »Schon die alten
Ä gypter haben den Saft der Aloe zur Hautpflege verwendet.«
Am nä chsten Morgen war es noch kü hl, als wir uns mit den Zugtieren auf den Weg zur
Bä renhö hle machten. Vor deren Eingang hatten sich schon einige Geier eingefunden, die
vom Aasgeruch angelockt worden sein mussten. Fritz verscheuchte sie mit einem Schuss
aus der Pistole.
Das Ausweiden und Zerlegen der Bä ren war eine aufwendige Arbeit. Wir lö sten die
Schinken heraus. Das restliche Fleisch schnitten wir in fingerdicke Streifen, die wir
einsalzten und rä ucherten. Die Bä rentatzen, die eine Delikatesse sind, schmorten wir
langsam auf der Glut und aßen sie am ersten Abend. Am nä chsten Tag schmolzen wir das
Fett aus, um es wie die Nordlä nder zum Kochen zu verwenden oder statt Butter aufs Brot
zu streichen. Zusammen mit dem Fett der Pekaris bekamen wir ein Bambusfä sschen
Schmalz zusammen, das wohl einen Zentner wog. Die Gerippe und Eingeweide der Bä ren
schleppten wir mit unseren Zugtieren ein Stü ck weg und ü berließen sie den Geiern. Diese
kamen in Schwä rmen herbei und sä uberten die Knochen so grü ndlich, dass wir die beiden
Schä del bald ganz rein und von der Sonne gebleicht fü r unsere Naturaliensammlung
mitnehmen konnten. Die Felle schließlich salzten wir ein und ließen sie eine Zeitlang
liegen. Danach wuschen wir sie im Bergbach, schabten das restliche Fleisch ab und
bestreuten sie mit Asche. Fertig gerben wü rden wir sie zu Hause.
Diese Arbeiten nahmen einige Tage in Anspruch. Wir ü bernachteten in der Bä renhö hle und
zü ndeten jeden Abend Wachtfeuer und Fackeln an, da wir hier im Inneren der Insel mit
allen mö glichen Raubtieren rechnen mussten, die vom Geruch des Fleisches angelockt
wurden. Aber glü cklicherweise bekamen wir keinen nä chtlichen Besuch.
Da die Regenzeit schon wieder nahte, entschlossen wir uns, so bald wie mö glich zurü ck
nach Felsenheim zu ziehen. Zuvor wollte ich aber noch die Straußeneier holen und sehen,
ob wir vielleicht doch noch eines der Tiere fangen kö nnten. Ich ritt auf dem Quagga von
Fritz, er nahm den jungen Esel. Jack und Frä nzchen kamen ebenfalls mit. Sie ritten auf
Sturm und Brummer. Nur Ernst blieb bei der Mutter, weil er ihr eine grö ßere Hilfe war als
sein kleiner Bruder. Auf unseren Reittieren kamen wir viel schneller voran als zu Fuß, und
bald waren wir beim Sumpf, wo wir nur kurz haltmachten, um die Tiere zu trä nken und
unsere Wasserflaschen aufzufü llen. Als wir zur Stelle kamen, von der aus wir zum ersten
Mal die Strauße gesehen hatten, stü rmten Jack und Frä nzchen voraus. Fritz und ich ritten
gemä chlich hinterher. Aus der Ferne sahen wir, wie die zwei Knaben den Ort des
Straußennestes in weitem Bogen umritten, um sich ihm von der anderen Seite zu nä hern.
Sollte ein Strauß sich im Nest befinden, wü rden sie ihn so in unsere Richtung treiben. Fritz
war fest entschlossen, einen der Vö gel lebendig einzufangen, also hatte er dem Adler den
Schnabel verbunden. Ich ü berließ dem Jungen fü r die Jagd das Quagga, da er so schneller
die Verfolgung aufnehmen konnte.
Wir mussten nicht lange warten. Plö tzlich sahen wir, wie sich etwas in den Bü schen
bewegte, und dann eine Staubwolke, die, wie von einem Wirbelwind getrieben, mit
unglaublicher Geschwindigkeit auf uns zukam. Nach einiger Zeit erkannten wir vier
Strauße, ein Mä nnchen und drei Weibchen. Jack und Frä nzchen waren auf ihren Reittieren
dicht hinter ihnen her. Fritz und ich standen ganz still, und es schien, als wü rden die
Strauße uns nicht bemerken. Als das Mä nnchen bis auf einen Pistolenschuss an uns
herangekommen war, schleuderte ich meine Wurfkugeln nach ihm. Aber ich hatte nicht viel
Ü bung und traf statt den Beinen den Kö rper. Die Riemen wickelten sich um die Flü gel und
behinderten das Tier kaum. Stattdessen ä nderte es jetzt die Richtung und rannte noch
schneller. Fritz warf dem Strauß seinen Adler nach, aber dieser schien so gestö rt durch den
verbundenen Schnabel, dass er die Beute nicht angriff, sondern sie nur verfolgte. Immerhin
wurde der Strauß von den vielen Verfolgern so verwirrt, dass er ziellos hin- und herrannte
und wir uns an ihn heranpirschen konnten. In diesem Augenblick schoss der Adler herab
und blieb dicht ü ber dem Kopf des Straußes flatternd in der Luft stehen. Betä ubt vor
Schreck machte er keinen Schritt mehr. Jack warf seine Wurfkugeln und traf so glü cklich,
dass der Riesenvogel stü rzte. Wir rannten schnell zu ihm hin, um ihn vor den Hunden zu
schü tzen. Aber er zappelte heftig mit den Beinen, und wir konnten uns ihm nur auf ein paar
Meter nä hern. Eine Weile lang standen wir ratlos da und hatten schon Angst, der Strauß
kö nne seine Fesseln zerreißen. Ich warf ihm meine Jacke ü ber den Kopf, und sofort wurde
das Tier ruhiger. Wir fesselten ihm die Beine so eng zusammen, dass er zwar aufstehen und
gehen konnte, aber weder rennen noch ausschlagen. Dann band ich ihm ein breites Stü ck
Seehundhaut um den Leib, in das ich zwei Lö cher fü r die Flü gel schnitt. An diesem Gurt
konnten wir den Vogel sicher fü hren.
»Ich glaube nicht, dass wir ihn jemals bä ndigen kö nnen«, sagte Fritz.
»Weißt du denn nicht, wie die Singhalesen einen wilden Elefanten zä hmen?«, fragte ich.
»Doch«, sagte Fritz, »sie binden ihn zwischen zwei zahmen an und fesseln ihm den Rü ssel,
damit er nicht um sich schlagen kann. Und wenn er sich nicht benimmt, wird er von seinen
zwei Kumpanen mit dem Rü ssel gehauen.«
»Aber wo nehmen wir zwei zahme Strauße her?«, fragte Jack.
»Wir versuchen es mit zwei anderen krä ftigen Tieren«, sagte ich.
Wir befestigten am Leibgurt des Straußes zwei Riemen und wanden den einen Brummer,
den anderen Sturm um die Hö rner. Jack und Frä nzchen setzten sich auf die beiden Rinder.
Jetzt lö ste ich die Wurfkugeln von den Beinen des Riesenvogels und zog auch meine Jacke
von seinem Kopf. Einige Zeit lang blieb er ruhig auf der Erde liegen und starrte uns mit
bö sen Blicken an. Dann sprang er plö tzlich auf die Beine und glaubte wohl, er kö nne uns
entkommen. Er wollte einen großen Sprung machen und verfing sich dabei in seinen
Fesseln und fiel hin. Gleich sprang er wieder auf und versuchte noch einmal zu fliehen, aber
die zwei Rinder waren zu schwer, um sich dadurch stö ren zu lassen. Ein paarmal
strauchelte der Strauß noch bei seinen Fluchtversuchen, dann schien er sich endlich in sein
Schicksal zu ergeben und lief vorwä rts, so schnell es ihm seine zwei Leibwä chter erlaubten.
Fritz und ich gingen inzwischen zum Straußennest. Wir hatten ein paar Sä cke mit
Baumwolle dabei, in denen wir die Eier sicher nach Hause bringen wollten. Als wir uns dem
Nest nä herten, sprang plö tzlich eine Straußenhenne auf und stü rmte davon. Da wir jetzt
wussten, dass das Nest nicht verlassen war, nahmen wir nur vier Eier mit und hofften, die
Henne wü rde ihr Brutgeschä ft fortsetzen.
Wir machten uns auf den Heimweg durch das Grü ntal zur Bä renhö hle.
»Was sollen wir denn mit diesem Vielfraß«, rief Katharina, als sie uns kommen sah. »Wozu
ist er zu gebrauchen?«
»Ich werde die Expresspost mit ihm austragen«, sagte Jack lachend.
»Warum kriegt Jack den Vogel?«, fragte Frä nzchen weinerlich. »Fritz und ich haben doch
auch bei der Jagd mitgeholfen.«
»Dann wollen wir ihn gerecht teilen«, sagte ich. »Ich bekomme den Leib, den mein
Wurfriemen umschlungen hat, Fritz den Kopf, auf den er seinen Adler gehetzt hat, Jack die
Beine und du die Schwanzfedern.«
Die Knaben mussten lachen, und ich trö stete Frä nzchen. »Der Strauß ist nicht nur eine
Gabe, sondern auch eine Plage. Jack ist jetzt fü r den Vogel und seine Zä hmung
verantwortlich. Das wird ihn viel Mü he und Arbeit kosten.«
Da es schon zu spä t war, verschoben wir unsere Heimreise nach Felsenheim auf den
nä chsten Tag. Wir banden den Strauß zwischen zwei Bä umen fest und packten unsere
Sachen.
Es war ein lustiger Zug, der da am nä chsten Morgen durch die Landschaft trabte. Den
Strauß hatten wir wieder zwischen seine zwei Leittiere gebunden, dahinter kam der
Wagen, der diesmal von der Kuh gezogen wurde, gefolgt von Fritz auf dem Quagga,
Frä nzchen auf dem jungen Esel, den Hunden und dem Fußvolk.
Unterwegs luden wir die Pekarischinken auf und erreichten kurz vor Einbruch der Nacht
die Waldegghü tte. Dort ü bernachteten wir, und da wir am nä chsten Tag frü h aufbrachen,
waren wir schon vor dem Mittagessen wieder in Felsenheim.
Der Strauß war trotz der zweitä gigen Wanderung noch immer sehr wild und stö rrisch. So
banden wir ihn vorerst an zwei der Bambussä ulen unserer Terrasse fest. Die Straußeneier
legten wir auf einem Bett aus Baumwolle in unseren Dö rrofen und versuchten, die
Temperatur mö glichst konstant zu halten.
Jetzt mussten wir uns endlich um unsere Ä cker kü mmern, aber nach dem Wanderleben der
vergangenen Wochen kam uns diese Arbeit mü hsam und langweilig vor. Wir waren uns
einig, dass das Leben der Jä ger und Sammler viel angenehmer war als jenes der
Ackerbauern.
»Ich frage mich, weshalb die Menschen ü berhaupt je sesshaft geworden sind«, sagte
Frä nzchen.
Neben der Zuckerrohrpflanzung der Mutter sä ten wir auf zwei Morgen Land Weizen, Mais
und Gerste. Jenseits des Schakalbaches legten wir zwei Ä cker mit Kartoffeln und Maniok an.
Das Pflü gen war hier schwieriger, da der Boden vorher noch nicht bearbeitet worden und
voller Wurzeln war. Tagsü ber war es so heiß, dass wir nur jeweils am Morgen und am
Abend einige Stunden auf den Feldern arbeiten konnten. Dabei quä lten uns die Moskitos.
Wir hatten vor einiger Zeit einen Gewü rznelkenbaum entdeckt, und aus den noch
geschlossenen Knospen, die wir an der Sonne trocknen ließen, ein stark duftendes
Nelkenö l hergestellt. Dieses hatte uns schon mehrfach geholfen, Zahnschmerzen zu lindern,
und jetzt erwies es sich auch als brauchbares Mittel gegen die Moskitos.
Jack verbrachte jede freie Minute mit dem Strauß, den er Brausewind nannte. Zur Zä hmung
benutzte er, wie Fritz fü r die Erziehung seines Adlers, viel Tabakrauch, mit dem er den
Vogel betä ubte. Wenn dieser dann schwindlig und benommen auf dem Boden hockte,
bestieg Jack ihn wie ein Pferd, damit der Vogel sich an einen Reiter gewö hnte. Wir hatten
ihm ein Bett aus Schilf gemacht und ließen die Fesseln so lang, dass er ü berall auf dem
Vorplatz herumspazieren konnte. Die ersten Tage wollte er gar nichts essen und wurde
immer schwä cher. Da machte ihm Katharina aus gehackten Maiskö rnern und frischer
Butter sogenannte Kapaunenkü gelchen, die sie ihm in den Mund steckte. Knips hatte die
neue Speise gerochen und sich hinter Katharina geschlichen. Als sie einen Moment lang
nicht aufpasste, schnappte er sich das Kü rbisgefä ß mit der Leckerei, kletterte auf das
Vordach und aß die Kü gelchen mit grö ßtem Genuss. Die Mutter musste Ernst herbeirufen,
der es mit ein paar strengen Zurufen schaffte, den Dieb vom Dach herunterzuholen.
Wä hrend Katharina dem Strauß die ü briggebliebenen Maiskugeln fü tterte, saß Knips ganz
betrü bt in einiger Entfernung. Kaum aber war die Schü ssel leer, schnappte er sie sich und
leckte sie gierig aus.
Nach und nach erholte sich der Strauß und wurde immer zutraulicher. Er probierte jetzt
alles, was wir ihm als Futter hinstellten, und fast alles schien ihm zu schmecken. Sogar
Kieselsteinchen schlang er hinunter, als seien sie eine Delikatesse. Am liebsten aber hatte
er Mais und sü ße Eicheln.
Nach einem Monat war der Strauß so zahm, dass wir daran denken konnten, ihm Zaumzeug
zu machen. Das war allerdings gar nicht so einfach, wir konnten ihm ja keine Maulstange in
den Schnabel stecken wie dem Esel oder dem Quagga. Da er so empfindlich auf den Verlust
der Sehkraft reagiert hatte, kam ich auf die Idee, ihn damit zu lenken. Katharina nä hte eine
Lederkappe. Ü ber den Lö chern, die sie fü r die Augen gelassen hatte, brachte sie zwei
Lederklappen an, die sich mit Schnü rchen ö ffnen ließen. Zwei Federn aus Fischbein
drü ckten die Klappen zu, wenn man nicht an den Schnü ren zog. Ö ffnete man nur eine
Klappe, so lief der Strauß in die Richtung, in die er schauen konnte, ö ffnete man beide, lief
er einigermaßen geradeaus. Wenn beide geschlossen wurden, stand er sofort still und
wagte sich keinen Schritt weiter. Die Vorrichtung war etwas kompliziert und ziemlich
empfindlich. Wir mussten sie mehrmals verä ndern und verbessern, bis sie leidlich
funktionierte. Einen Sattel zu nä hen war nicht einfacher. Vor allem musste hinten eine
Lehne angebracht werden, damit der Reiter nicht herunterfiel, wenn der Strauß sich
aufrichtete. Die Gewö hnung des Tieres an die Ausrü stung dauerte lange und bereitete uns
viel Mü he. Aber als es endlich geschafft war, brauchte der Strauß fü r die Strecke nach
Falkenhorst weniger als ein Drittel der Zeit, die wir zu Fuß benö tigten.
Fritz hatte inzwischen darauf geachtet, dass die Temperatur im Brutofen immer
einigermaßen gleich blieb. Ein Ei schien den Transport nicht ü berstanden zu haben, aber
aus dreien schlü pften nach einiger Zeit junge Strä ußchen. Sie sahen mit ihrem grauen
Flaum wie Gä nsekü ken aus und waren auf ihren Stelzbeinen so unbeholfen, dass man sich
schwer vorstellen konnte, wie einmal so große und schnelle Tiere aus ihnen werden
konnten. Eines starb schon nach einem Tag, aber die anderen beiden zogen wir auf, erst mit
in Milch eingeweichtem Maniok, dann mit gehackten Maiskö rnern und Eicheln.
8. Kapitel Ein Kajak wird gebaut. Die italienische Art, Getreide zu
dreschen. Fritz erlegt ein Walross und gerät in einen Sturm. Die
Knaben rüsten sich zu einer großen Expedition.
Wir befanden uns erst in der Mitte der Regenzeit. Unaufhö rlich fiel der Regen, und der
Vorplatz hatte sich in einen Morast verwandelt. Selbst im Inneren von Felsenheim war das
laute Prasseln des Regens zu hö ren. Wir hatten uns eine Zeitlang damit beschä ftigt, die
Hö hle noch besser auszubauen und alles nach unseren Wü nschen herzurichten, aber
langsam machten sich Langeweile und Ü berdruss breit. In regenfreien Stunden war es
draußen drü ckend und schwü l wie in einem Treibhaus. Es war, als kö nne man den Pflanzen
beim Wachsen zusehen. Die Knaben vertrieben sich diese Zeit mit dem Zureiten des
Straußes, aber bald fing es wieder zu regnen an, und sie lagen untä tig herum, faulenzten
oder stritten sich wegen Kleinigkeiten. Ich ü berlegte mir, wie ich sie beschä ftigen kö nnte.
Fritz schlug vor, ein grö nlä ndisches Kajak zu bauen, um auf dem Wasser schneller
voranzukommen.
Seine Brü der waren begeistert von diesem Vorschlag, und wir machten uns gleich an die
Arbeit. Vor dem Ende der Regenzeit wollten wir wenigstens das Gerippe des Bootes
fertiggestellt haben. Allerdings wollten wir das Kajak nicht genauso wie die Grö nlä nder
bauen, sondern es unseren eigenen Bedü rfnissen anpassen.
Zuerst fertigten wir zwei ungefä hr zwö lf Fuß lange Kiele aus leicht gekrü mmtem Holz an.
In diese schnitten wir zwei Kerben, in denen wir metallene Rä dchen aus einem alten
Flaschenzug versenkten, um das Fahrzeug bequem ü ber Land ziehen zu kö nnen. Wir
verbanden die Kiele mit Bambusrohren wie eine Leiter und bogen die Enden zu Spitzen
zusammen, die wir mit einem Stü ck Kupferblech fest verbanden. Vorne brachten wir einen
eisernen Ring an, daran konnte das Kajak festgebunden werden. Als Bughö lzer
verwendeten wir gespaltene Bambusrohre, die sich leicht in die gewü nschte Form biegen
ließen. Auch fü r die Beplankung verwendeten wir gespaltenen Bambus. Nur als Reling
brachten wir zuoberst ein ganzes Rohr an. Wir verschlossen das Schiff mit einem Verdeck,
in dem wir nur ein Sitzloch fü r den Fahrer offen ließen. Um diese Ö ffnung herum machten
wir eine Kerbe, um spä ter die Spritzdecke befestigen zu kö nnen. Unter das Sitzloch stellten
wir ein kleines Schemelchen als Sitzgelegenheit. Durch den Bambus wurde das
Bootsgerippe sehr elastisch. Als wir es zur Probe auf den Boden fallen ließen, federte es
hoch wie ein Lederball. Jetzt musste es aber noch eine wasserdichte Haut bekommen. Dazu
wä hlten wir zwei der grö ßten Hä ute, die wir hatten, und nä hten sie zu Schlä uchen
zusammen, die wir von beiden Seiten ü ber das Gerippe streiften. In der Mitte und an den
Enden nä hten wir alles fest zusammen. Die Nä hte bestrichen wir mit elastischem Gummi,
um sie abzudichten. Den Boden im Inneren des Bootes belegten wir mit jenem korkartigen
Material, aus dem wir unser Rindenboot gebaut hatten, die Seitenwä nde kleideten wir mit
Fellen aus, um sie gegen Kä lte zu isolieren. Auf dem Verdeck brachten wir einige Querstä be
aus Bambus an, um daran Lasten zu befestigen. Das Paddel schnitzten wir aus einem
dü nnen Brett. Wir machten es etwas lä nger als gewö hnlich und brachten an einer Seite eine
Fischblase an. Drohte das Kajak zu kentern, konnte man das Ruder so als eine Art Ausleger
benutzen.
Wä hrend wir am Boot arbeiteten, schneiderte Katharina die dazu passende
Schwimmweste. Diese war eine Art weiter Jacke, die sie mit Gummimilch wasserdicht
machte und die an den Armen und am Hals mit Bä ndern verschlossen werden konnte. Um
die Hü ften herum war ein Stü ck Stoff angebracht, das wie ein kurzer Rock aussah. Diese
Spritzdecke konnte, wenn der Ruderer im Boot saß, in die Kerbe um das Sitzloch geschoben
und mit einer Schnur festgezurrt werden. So wü rden Kajak und Fahrer zu einer Einheit
verbunden, und selbst bei hohem Wellengang konnte kein Wasser eindringen. Im Rü cken-
und im Brustbereich der Weste waren Luftschlä uche aus mit Gummi abgedichtetem Stoff.
Durch ein Rö hrchen aus Darmhaut konnte man sie aufblasen. Wenn das Kajak kenterte,
wü rden sie den Fahrer ü ber Wasser halten.
Diese Arbeiten beschä ftigten uns alle bis zum Ende der Regenzeit. Als das Wetter sich
etwas gebessert hatte, wollten die Jungen das Boot natü rlich erproben. Aber es war noch
nicht ganz fertig, und außerdem gab es vorerst Dringenderes zu tun. Vor allem musste das
Getreide geerntet und gedroschen werden. Die Knaben stö hnten ü ber die bevorstehende
harte Arbeit.
»Wir machen es diesmal nach Art der Italiener«, trö stete ich sie, »dabei geht zwar etwas
mehr Korn verloren, dafü r ist sie viel weniger anstrengend.«
Dazu machten wir vor Felsenheim eine Art Tenne. Wir bespritzten den lehmigen Boden mit
stark verdü nnter Jauche und ließen ihn von den Tieren feststampfen. Die Sonne trocknete
den Boden schnell, und wir begossen und stampften ihn noch ein paarmal, bis er ganz fest
war und keine Spalten mehr hatte.
Dann zogen wir mit Sicheln ausgerü stet auf die Felder. Mit uns kamen Sturm und
Brummer, die zwischen sich die Sä nfte trugen, die die Jungen fü r die Mutter geflochten
hatten. Darin wollten wir die Ä hren nach Hause bringen.
»Wie wollen wir denn die Garben zusammenbinden«, fragte Katharina, als wir auf dem Feld
angelangt waren, »wir haben ja gar keine Stricke dabei.«
»Die Italiener machen keine Garben«, sagte ich und zeigte ihr und den Knaben, wie sie
vorgehen sollten. Ich fasste mit einer Hand ein paar Ä hren und schnitt die Halme eine
Handbreit darunter ab. Das Bü schel umwand ich mit einem der Halme und warf es in den
Tragkorb. Diese Methode gefiel der Familie vor allem, weil man sich dabei nicht zu bü cken
brauchte. Innerhalb kurzer Zeit waren der Acker abgeerntet und drei volle Tragkö rbe nach
Felsenheim gebracht. Dort ging es gleich ans Dreschen. Ernst und Frä nzchen breiteten die
Ä hrenbü ndel auf der Tenne aus. Dann bestiegen die Knaben ihre Reittiere und trabten
darauf herum. Katharina und ich standen mit hö lzernen Gabeln am Rand der Tenne und
hä uften die Bü ndel immer wieder auf. Die Tiere nahmen dann und wann ein Maul voll vom
Getreide, aber wir gö nnten es ihnen. Immerhin stand schon in der Bibel, dass man dem
Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden solle.
Nachdem das Getreide genü gend gedroschen war, machten wir uns an seine Reinigung. Wir
harkten die Ä hren zu kleinen Hä ufchen zusammen und warfen sie mit Schaufeln hoch in die
Luft. Wä hrend die Kö rner wieder zu Boden fielen, blies der Wind die leichten Spelzen und
den Staub weg. Knips schien das Spiel zu gefallen. Jedenfalls ä ffte er uns nach und warf mit
beiden Hä nden Ä hren in die Luft und freute sich, wenn die Kö rner auf ihn niederprasselten.
Bei der Arbeit wurde viel Staub aufgewirbelt, der uns in Mund und Nase drang. Wir banden
uns Tü cher vor das Gesicht, um ein wenig geschü tzt zu sein, und lö sten uns hä ufig bei der
Arbeit ab. Nur Knips war unermü dlich und schien sich am Staub nicht zu stö ren. Das
Geflü gel kam herbei und raubte sich seinen Teil der Ernte, aber auch sie ließen wir
gewä hren. Als wir das gesä uberte Korn am Abend in große Kö rbe abfü llten, fanden wir,
dass wir sechzig- bis achtzigmal mehr geerntet als gesä t hatten.
Die Maisernte war weniger anstrengend. Wir brachen die Kolben auf dem Feld von den
Stä ngeln, schä lten sie und legten sie auf der Tenne in die Sonne. Nachdem sie ganz
getrocknet waren, peitschten wir sie mit langen Ruten, bis die Kö rner von den Strü nken
absprangen. Auch hier war der Ertrag grö ßer, als wir erwartet hatten. Da wir in diesem
milden Klima auf eine zweite Ernte hofften, rä umten wir die Felder ganz ab und sä ten sie
gleich wieder mit Roggen, Dinkel und Hafer an. Die getrockneten Maisblä tter fü llten wir in
unsere Matratzen, da sie viel elastischer und dauerhafter waren als Stroh. Die Stä ngel
verfeuerten wir und sammelten die Asche ein, da sie reich an Laugensalz war und
Katharina sie zum Waschen unserer Kleider verwenden wollte.
Eines Morgens sagte sie, sie wolle Seife sieden. Sie fü llte einen großen Topf mit Schmalz
von den Pekaris und mischte von der Maisasche hinein. Es war schwer vorstellbar, wie aus
dem ü belriechende Gebrä u Seife werden sollte. Nach dem Sieden gab Katharina Salzlö sung
in den Topf, worauf sich die Masse trennte und sie die Seife abschö pfen konnte. Diese
kochte sie noch einmal mit etwas Wasser auf und gab ein paar Tropfen Duftö l hinzu, das sie
aus den Blü ten wilder Rosen gewonnen hatte. Die wohlriechende Masse goss sie in einen
Holzrahmen, den ich auf ihre Beschreibung hin gemacht hatte. Nachdem die Seife
getrocknet war, ließ sie sich mit einem Draht in handliche Stü cke schneiden. Frä nzchen
hatte einen kleinen Stempel geschnitzt, auf dem ein Pekari zu sehen war. Diesen drü ckte er
wie ein Markenzeichen in die noch weichen Blö cke. Den Knaben hatte die Seifensiederei
viel Spaß bereitet. Als die Mutter sagte, sie sollten die Seife jetzt aber auch benutzen, waren
sie jedoch weniger begeistert.
Dann traf schon wieder der Heringszug ein, aber da wir so viele Vorrä te angelegt hatten,
fingen wir diesmal nur wenige Fische, um etwas Abwechslung in unseren Speiseplan zu
bringen. Auf die Seehunde, die den Heringen folgten, wollten wir dieses Jahr allerdings Jagd
machen. Dazu stellten wir das Kajak endgü ltig fertig, und Katharina nä hte wieder an der
Schwimmweste. Fritz sollte der erste Fahrer sein, da es seine Idee gewesen war, das Kajak
zu bauen. Die anderen Knaben lachten, als sie ihn in der seltsamen Bekleidung sahen, und
noch mehr, als er die Schlä uche aufblies und vorne und hinten dicke Hö cker bekam. Er
marschierte ins Wasser, aber als es tiefer wurde, sank er nicht weiter ein als bis zur Mitte
der Brust. Er schwamm so aufrecht davon, als wü rde er spazieren gehen. Seine Brü der
winkten ihm jubelnd zu und bettelten, die Mutter mö ge auch ihnen so eine Schwimmweste
nä hen.
Vorne auf dem Kajak brachten wir einen wasserdichten Behä lter an, in dem ein Paar
Pistolen, Munition und Proviant Platz fanden. An den Seiten schnallten wir zwei Harpunen
fest, die mit luftgefü llten Seehundsblasen versehen waren. Dann war das Boot bereit zur
Jungfernfahrt. Fritz bekam von der Mutter eine grö nlä ndische Wasserkappe aus einer
Seehundsblase und eine Schwimmhose aus Seehundsdä rmen. Er kletterte ins Kajak, das
unten am Strand bereitstand. Wir halfen ihm, die Spritzdecke zu befestigen, dann schoben
und zogen seine Brü der das Boot ins Wasser, was dank der Rä dchen ganz leicht ging.
Katharina schaute dem Spektakel etwas besorgt zu, aber ich beruhigte sie. Fritz war ein
guter Schwimmer und ü berhaupt der zuverlä ssigste und vernü nftigste der vier Knaben.
Immerhin machte ich die Pinasse bereit, damit wir ihm zu Hilfe eilen konnten, wenn ihm
etwas zustoßen sollte.

Fritz vollfü hrte in der Zwischenzeit allerhand Kunststü cke in der Rettungsbucht. Er fuhr
vor- und rü ckwä rts, drehte das Kajak auf der Stelle in jede beliebige Richtung. Endlich ließ
er sich sogar zur Seite kippen. Katharina stieß einen Schreckensruf aus, aber es zeigte sich,
dass das Boot unsinkbar war und die aufgeblasene Weste auch den Fahrer nicht
untergehen ließ. Mit einer schnellen Ruderbewegung richtete Fritz sich wieder auf und
paddelte in die Strö mung des Schakalbaches. Diese riss ihn sofort mit und trieb ihn mit
großer Geschwindigkeit in die offene See hinaus. Ich hielt es nun doch fü r ratsam, ihm
nachzufahren, und bestieg zusammen mit Jack und Ernst unser bereitstehendes Boot. Als
wir die Bucht verlassen hatten, war von Fritz nichts mehr zu sehen. Wir fuhren zum Riff
hinaus, an dem unser Schiff damals aufgelaufen war und wohin die Strö mung Fritz
getragen haben musste. Hier gab es Felsen, die kaum vom Wasser bedeckt waren, und wir
mussten ganz langsam fahren, um nicht aufzulaufen. Nach einigem Suchen fanden wir eine
Durchfahrt im Riff, gerieten dann aber in ein Labyrinth von Klippen und kleinen
Felseninseln, durch das wir uns nur sehr vorsichtig bewegen konnten. Dabei hielten wir
stä ndig Ausschau nach Fritz, doch ein kleines Vorgebirge verdeckte die Sicht. Plö tzlich
hö rte ich in einiger Entfernung einen schwachen Knall und sah eine Rauchsä ule aufsteigen.
»Das ist Fritz«, rief ich erleichtert.
»Wo, wo?«, fragten Jack und Ernst, als schon ein zweiter Knall zu hö ren war. Jetzt feuerten
auch wir einen Signalschuss ab und fuhren auf die Stelle des Vorgebirges zu, von wo der
Rauch aufgestiegen war. Bald darauf sahen wir Fritz, der auf einer Klippe stand. Neben ihm
lag das Kajak und ein stattliches, wenn auch nicht ausgewachsenes Walross, das fast drei
Meter lang sein musste.
»Ich habe es mit den Harpunen erlegt«, erklä rte er stolz, als wir ihn erreicht hatten.
»Du hä ttest nicht so schnell davonfahren dü rfen«, sagte ich vorwurfsvoll. »Du hast uns in
Angst und Schrecken versetzt.«
»Die Strö mung des Schakalbaches war so stark«, sagte er. »Dann sah ich die Walrosse und
konnte an gar nichts anderes mehr denken, als eins zu erlegen. Ich verfolgte sie und
erwischte eins mit der ersten Harpune im Rü cken. Durch die Schwimmblase wurde es am
Abtauchen gehindert, und die Wunde ermü dete es. Ich verfolgte es und traf es mit der
zweiten Harpune. Es konnte sich gerade noch auf diese Klippe retten, dann war es tot. Die
Pistolenschü sse habe ich abgefeuert, um euch herbeizurufen. Ich hatte ein wenig Angst
wegen der Brandung, aber das Kajak hat keinen Schaden genommen, obwohl es ein
paarmal gegen die Felsen gestoßen ist. Es ist ein großartiges Boot. Nur ein Kompass fehlt
noch und vielleicht eine Lanze und ein Beil fü r alle Fä lle.«
»Da hast du die Jungfernfahrt gut ü berstanden«, sagte ich, »seien wir froh, dass sie so
glü cklich ausgegangen ist. Wenn ich nur wü sste, was wir mit dem Walross anfangen
sollen.«
»Wenn wir es nicht abtransportieren kö nnen, dann lass mich wenigstens den Kopf mit den
riesigen Stoßzä hnen mitnehmen«, bettelte Fritz. »Ich mö chte ihn an der Spitze des Kajaks
befestigen und es Walross nennen.«
Ich war einverstanden, und wä hrend er den Kopf abtrennte, schnitt ich aus der zä hen und
dicken Haut ein paar tü chtige Zugriemen. Die dicke Fettschicht nahmen wir mit, um daraus
Tran fü r Ö llampen zu machen. Das Fleisch zerlegten wir in große Stü cke, um es zu
trocknen. Sogar die Flossen trennten wir ab. Ich hatte nä mlich gelesen, sie seien eine
Delikatesse. Die Eskimos vergrü ben sie in der Erde und ließen sie monatelang
fermentieren.
Wir beeilten uns, da es seltsam schwü l geworden war und am Horizont Gewitterwolken
aufzogen. Als wir fertig waren, wollte ich Fritz samt dem Kajak an Bord nehmen, aber er
bat, den Heimweg alleine machen zu dü rfen.
»Ich will der Mutter und Frä nzchen von meinem Abenteuer berichten. Ich bin bestimmt vor
euch an Land.«
Die schwarzen Wolken waren schnell nä her gekommen, und kaum hatten wir die Pinasse
bestiegen, brach ganz plö tzlich ein fü rchterlicher Sturm los. Kurz darauf fing es heftig zu
regnen an. Fritz war so weit voraus, dass wir ihn durch die dichten Regenschleier nicht
mehr sehen konnten. Auch unsere Stimmen schienen ihn durch das heftige Brausen des
Windes nicht zu erreichen. Wir zogen unsere Schwimmwesten an und banden uns mit den
Riemen, die sich daran befanden, am Boot fest, damit die Wellen uns nicht ü ber Bord
spü len konnten. Das Segel mussten wir einholen, da wir fü rchteten, der Mast kö nnte
brechen. So blieb uns nichts ü brig, als uns festzuklammern und unser Schifflein dem Wetter
und der Vorsehung zu ü berlassen.
Blitze durchzuckten den Himmel, der mitten am Tag dunkel geworden war wie in der
Nacht. Die Wellen gingen haushoch. Eine Windbö e nach der anderen wü hlte das Meer auf,
und innerhalb kü rzester Zeit hatten wir jede Orientierung verloren. Manchmal sausten wir
auf dem Rü cken einer Woge dahin, dann wieder verschwanden wir tief in einem Wellental,
und das Wasser brach ü ber uns herein und fü llte unser Boot. Bei aller Angst, die ich
ausstand, war es doch ein Trost, wie gut die Pinasse dem Sturm trotzte. Selbst wenn eine
Welle sie niedergedrü ckt hatte, richtete sie sich durch den schweren Kiel sofort wieder auf.
Und das Wasser, das hereinschlug, ließ sich mit ein paar Zü gen an der Pumpe schnell
wieder hinauspumpen. Auch ließ sich das Boot mit dem Steuerruder einigermaßen auf
Kurs halten. Viel mehr Angst als um unser Schicksal hatte ich um jenes von Fritz. Ich sah
ihn vor meinem geistigen Auge schon an einer Klippe zerschmettert oder mit dem Kajak
weit ins Meer hinausgetrieben und verloren.
So schnell das Unwetter gekommen war, so schnell ließ es nach. Aber der Himmel war
immer noch schwarz, und die Wellen gingen hoch, als vor uns die Rettungsbucht
auftauchte. Mit ein paar krä ftigen Ruderschlä gen waren wir in der Bucht, wo das Wasser
viel ruhiger war. Als wir auf das Ufer zufuhren, sahen wir am Strand die Mutter, die Fritz in
den Armen hielt.
»Junge!«, rief ich und konnte die Trä nen nicht zurü ckhalten. Noch ehe Jack die Pinasse
festgemacht hatte, sprang ich ins seichte Wasser, rannte zu ihm und schloss ihn in die
Arme. Die lä ngste Zeit sagte keiner von uns ein Wort.
»Jetzt hä tte ich gern trockene Kleider und etwas Warmes zu essen«, sagte Fritz schließlich.
Beim Essen besprachen wir das Abenteuer.
»Ich habe keinen Moment lang Angst gehabt«, sagte Fritz. »Ich habe schnell gemerkt, dass
das Kajak unsinkbar ist. Wenn ein Wasserschwall ü ber mich hereinschlug, hielt ich einfach
die Luft an, und schon hoben mich die Wellen wieder empor an die Oberflä che. Meine
einzige Sorge war, dass ich das Paddel verlieren kö nnte. Dann wä re es schlimm um mich
bestellt gewesen. Der Wind hat mich gegen das Land getrieben, und manchmal bin ich die
Wellen hinuntergesaust wie ein Schlittenfahrer einen Abhang. Ich bin so schnell an Land
gewesen, dass ich den grö ßten Teil des Wolkenbruchs mit Frä nzchen und der Mutter in der
Hö hle verbracht habe.«
»Wir waren eben erst wieder an den Strand gekommen, um nach euch Ausschau zu
halten«, sagte Katharina, »da kamt ihr schon angerudert.«
Nach dem Essen zogen wir das Kajak ganz an Land und entluden es. Den Walrosskopf
brachten wir in die Werkstatt, um ihn einzubalsamieren. Er sah wirklich großartig aus.
In einer der folgenden Nä chte weckte mich heftiges Hundegebell und ein wildes Getrampel
und Gequieke. Ich sprang von meinem Bett auf, warf meine Kleider ü ber und trat mit dem
Gewehr in der Hand vor die Hö hle. Der Mond schien hell vom wolkenlosen Himmel, und ich
sah, dass Fritz den Kopf zum Fenster herausstreckte.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich glaube, es sind die Schweine. Komm schnell, bevor die Hunde eins davon totbeißen.«
Fritz sprang aus dem Fenster, und zusammen liefen wir ü ber den Vorplatz in Richtung des
Schakalbaches.
Dort sahen wir, dass unsere verwilderten Schweine die Brü cke ü berquert hatten und in
unsere Pflanzungen einbrechen wollten. Aber die Hunde hielten sie in Schach, zwei hatten
den Eber bei den Ohren gepackt, die anderen jagten die Bache und die Frischlinge zurü ck
ü ber die Brü cke und ins Gebü sch. Ich befreite den Eber von den Hunden, was gar nicht so
einfach war. Ich wollte schon schimpfen, dass niemand die Bretter von der Brü cke entfernt
hatte, da sah ich, dass die Schweine mit einer Geschicklichkeit ü ber die Balken balanciert
sein mussten, die ich ihnen nicht zugetraut hä tte. So entschlossen wir uns noch in der
Nacht, die Brü cke zu einer Zugbrü cke umzubauen, damit wir keine ungebetenen Besucher
mehr bekä men.
Am nä chsten Tag machten wir uns gleich an die Arbeit. Zuerst rammten wir zwei starke
Pfosten in die Erde und verbanden sie oben mit einem Querholz. Auf beiden Seiten des
Baches machten wir mit flachen Steinen eine Art Podest, auf dem die heruntergelassene
Brü cke ruhen wü rde. Dann bohrten wir Lö cher in die Pfosten und in die bestehende Brü cke
und steckten eine lange Eisenstange hindurch. Oben an die Pfosten montierten wir zwei
ebenfalls bewegliche Balken, an denen wir mit Ketten die Brü cke aufhä ngten. Drü ckte man
hinten auf diese Waagbalken, so hoben sie sich vorne in die Hö he und zogen die Brü cke mit
hoch. Schließlich befestigten wir als Gegengewicht schwere Steine an den Balken, so dass
selbst Frä nzchen die Brü cke ohne große Mü he heben und senken konnte. Obwohl die ganze
Konstruktion ziemlich primitiv und plump geworden war und ein einziger Kanonenschuss
sie umgeworfen hä tte, gab sie uns ein Gefü hl der Sicherheit, und wir waren ganz zufrieden
mit unserem Werk.
Wä hrend der Arbeit kletterten die Knaben oft auf die Pfosten und berichteten danach, sie
hä tten am anderen Ufer Antilopen und Gazellen gesehen. Manchmal weideten die Tiere in
Gruppen, manchmal allein am Waldrand. Aber beim kleinsten Gerä usch flohen sie. »Wir
sollten eine Salzlecke anlegen«, sagte Ernst, »vielleicht werden sie dann zutraulicher.«
Allmä hlich regte sich in uns allen wieder die Wanderlust. Da das Wetter jetzt bestimmt gut
bleiben wü rde, hatte ich nichts gegen einen Ausflug, und die Knaben machten sich gleich an
die Planung und die Reisevorbereitungen. Ich bekam immer mehr das Gefü hl, sie wollten
gern einmal alleine losziehen. Katharina und ich fanden, es wü rde ihnen guttun, selbst
Verantwortung zu ü bernehmen, also beschlossen wir, in Felsenheim zu bleiben.
»Ich mache aus dem Rest des Bä renfleisches Pemmikan«, sagte Fritz und bat die Mutter,
ihm zu helfen.
»Erst musst du mir verraten, was das ist«, sagte Katharina.
»Das ist ein nordamerikanischer Proviant«, sagte Fritz, »den die Indianer auf ihre
Wanderungen mitnehmen. Er besteht aus Bä ren- oder Rehfleisch, das man mit Fett
vermischt.«
Die Mutter war nicht begeistert von diesem Rezept, trotzdem half sie Fritz bei der
Zubereitung. Sie hackten das Fleisch, zerrieben es im Mö rser, trockneten und siebten es.
Danach mischten sie es mit Schmalz und gaben etwas Mehl und Salz dazu. Den fertigen
Pemmikan schnitten sie in kleine Barren, die leicht mitgenommen werden konnten. Bevor
Fritz selbst davon probierte, reichte er Knips ein Stü ck. Dieser drehte es hin und her,
musterte es lange und schnupperte daran. Schließlich schü ttelte er den Kopf und gab es
Fritz zurü ck. Ernst meinte, sein Affe sei eben ein Feinschmecker. Fritz wollte die
Beleidigung nicht auf sich sitzen lassen und nahm einen großen Bissen vom Pemmikan.
Seine Brü der schauten ihm gespannt zu, wie er daran herumkaute.
»Und? Wie schmeckt es?«, fragte Frä nzchen.
»Das sieht man seinem Gesicht an«, sagte Jack lachend, »aber wenigstens kann man den
Pemmikan lange aufbewahren. Dann mü ssen wir ihn nicht essen.«
Die anderen Knaben hatten in der Zwischenzeit Schlingen fü r den Vogelfang geknü pft und
runde Kö rbe zusammengesucht, wie man sie zum Transport von kleinem Geflü gel
verwendet. Frä nzchen ü berwachte das Beladen des Fuhrwerks. Die Brü der packten
genü gend Essen fü r ein paar Tage ein, Waffen und Munition, das Reisezelt und das Kajak.
Am Morgen der Abreise sah ich, wie Jack heimlich zwei Paare von unseren Tauben in die
runden Kö rbe steckte und diese oben auf den Wagen lud. Ich dachte, er nehme sie als
lebenden Vorrat mit und fand, es hä tte ihm etwas Schmackhafteres einfallen kö nnen als ein
paar alte, zä he Tauben. Aber ich ließ ihn gewä hren.
Kurz vor der Abreise erklä rte Ernst zu meinem Erstaunen, er gehe nicht mit auf die Reise
und wolle mir stattdessen helfen, die Zuckerrohrpresse zu bauen, die ich der Mutter schon
lange versprochen hatte. Wir entließen die drei anderen Brü der mit vielen guten
Ratschlä gen. Aber sie waren ungeduldig und hö rten kaum zu. Dann ritten sie los, Fritz und
Frä nzchen auf den Zugtieren, Jack auf dem Strauß. Begleitet wurden sie von Falb und
Braun, den jungen Doggen.
Der Bau der Zuckerrohrpresse, die ä hnlich wie eine Weinpresse funktionieren sollte, nahm
einige Tage in Anspruch. Vor allem das Schnitzen der Spindel brauchte viel Zeit, aber Ernst
war mir eine große Hilfe dabei. Er war nicht der flinkste, aber wä hrend seine Brü der rasch
das Interesse an einer angefangenen Sache verloren, arbeitete er geduldig und mit großer
Sorgfalt, bis er etwas zu Ende gebracht hatte.
9. Kapitel Ein Jagdabenteuer. Wozu die Taubenpost gut ist. Elefanten!
Fritz macht eine Kajakfahrt und trifft auf Flusspferde. Die Haifischinsel
wird zu einer Festung.
Die Abenteuer der drei Brü der erfuhren wir eine Woche spä ter, als wir bei der Klus zu
ihnen stießen. Im Schein des Lagerfeuers ü berboten sie sich gegenseitig mit ihren
Erzä hlungen, die ich hier nur kurz zusammenfassen will.
Die Reise hatte sie zuerst nach Waldegg gefü hrt, wo sie die ersten zwei Tage verbringen
wollten. Als sie sich der Hü tte nä herten, hö rten sie ein schreckliches Lachen, wie von einem
verrü ckt gewordenen Menschen. Sturm und Brummer wurden unruhig, und die Hunde
fingen an zu knurren. Der Strauß machte ganz einfach kehrt und rannte samt seinem Reiter
in den Reissumpf am Waldeggsee. Das Lachen wiederholte sich alle paar Minuten und
schließlich wurden die Zugtiere so scheu, dass Fritz und Franz absprangen. Fritz blieb bei
den Ochsen und redete beruhigend auf sie ein, wä hrend Franz weiterging, um
herauszufinden, woher das Lachen kam. Er nahm eine Pistole und ein Gewehr mit und
schlich mit den zwei Hunden durch das Unterholz. Nach ungefä hr hundert Schritten sah er
durch das Gebü sch in Schussweite entfernt eine ungeheure Hyä ne, die einen Widder
gerissen hatte und dabei war, den Kadaver aufzufressen. Entsetzt blieb Frä nzchen stehen.
Das Ungeheuer hob den blutverschmierten Kopf und starrte mit funkelnden Augen in seine
Richtung. Aber statt ihn anzugreifen, stieß es nur sein grä ssliches Lachen aus und fraß in
aller Seelenruhe weiter. Einen Moment lang war Frä nzchen wie erstarrt, dann hob er seine
Bü chse, legte den Lauf in eine Astgabel, um besser zielen zu kö nnen, und drü ckte ab. Die
Hyä ne brü llte laut auf. Eine ihrer Vordertatzen war zerschmettert. Jetzt aber brachen die
Hunde wie rasend los, und im nä chsten Augenblick wä lzten sie sich mit ihrem Feind am
Boden. Frä nzchen wagte nicht, noch einmal zu schießen, weil er ebensogut die Hunde wie
die Hyä ne hä tte treffen kö nnen.
Fritz hatte die zwei Ochsen festgebunden und kam hinzugelaufen, aber auch er wagte nicht
zu schießen. Die Hunde hatten jedoch gar keine Hilfe nö tig. Nach wenigen Minuten brach
die Hyä ne mit einem schauerlichen Ä chzen zusammen. Braun hatte ihr die Gurgel
regelrecht durchgebissen. Zur Sicherheit schoss Fritz dem Tier noch eine Pistolenkugel in
den Kopf. Die Hunde ließen sich fast nicht beruhigen. Knurrend und zä hnebleckend
umkreisten sie den Kadaver. Die Knaben konnten sie nicht genug fü r ihre Heldentat loben.
Jetzt tauchte auch Jack wieder auf, der es endlich geschafft hatte, den Strauß zu beruhigen
und ihn aus dem Sumpf zu seinen Brü dern zu lenken.
Die drei weideten die Hyä ne aus und zogen ihr die Haut ab, was fast den ganzen Tag in
Anspruch nahm. Dann richteten sie sich in Waldegg ein und legten sich auf den zwei
Bä renhä uten schlafen, die die Schlingel ohne mein Wissen und meine Erlaubnis
mitgenommen hatten.
Inzwischen saßen wir Eltern mit Ernst beim Abendessen und redeten ü ber die drei
Abenteurer.
»Schaut«, rief plö tzlich Ernst, »da kommt eine Taube geflogen.«
Ich wunderte mich ü ber den spä ten Heimkehrer, aber Ernst kletterte zum Taubenschlag
empor und kam kurz darauf mit einem Brieflein zurü ck.
 
Liebste Eltern, lieber Ernst!
Eine gewaltige Hyäne hat zwei Schäfchen und einen Widder gerissen, aber Fränzchen hat sie
schwer verwundet, und unsere Hunde haben ihr den Rest gegeben. Fast den ganzen Tag
haben wir für das Abstreifen des Fells gebraucht. Es ist sehr schön. Unser Pemmikan schmeckt
nicht besonders. Lebt wohl, wir küssen euch alle herzlich. Waldegg, am fünfzehnten.
Euer Fritz.
 
»Ein echter Jä gerbrief«, sagte ich lachend. »Aber wie ist das Raubtier nur in unser Revier
eingedrungen? Es kann erst kü rzlich durch die Klus eingebrochen sein, sonst hä tte es schon
lä ngst unsere Schafe gerissen.«
»Wenn die Jungen nur vorsichtig sind«, sorgte sich Katharina. »Wollen wir ihnen nicht
nachreisen und sie zurü ckholen?«
Aber Ernst beruhigte sie und sagte, wir wü rden ja schon in einem Tag den nä chsten Brief
bekommen. Und wirklich, am nä chsten Abend kam wieder eine Taube in schnellem Flug
angeflogen, und Ernst holte die Nachricht, die uns Eltern etwas beruhigte:
 
Die Nacht ruhig. – Der Morgen heiter. – Kajakfahrt auf dem Waldeggsee. – Unbekanntes
Sumpftier auf rascher Flucht. – Morgen geht es nach Hohentwiel. – Lebt wohl! Eure Fritz, Jack
und Franz.
 
Was fü r ein Tier die Knaben gesichtet hatten, erfuhren wir Tage spä ter aus ihren
Erzä hlungen am Lagerfeuer. Fritz war mit dem Kanu auf dem Waldeggsee herumgepaddelt
und hatte ein paar junge Schwä ne eingefangen, die sie in der Rettungsbucht aussetzen
wollten. Plö tzlich brach am Ufer ein schweres, dunkles Sumpftier durchs Gebü sch und
stü rzte sich ins Wasser. Die Welle, die dadurch entstand, hä tte das Kanu mit Fritz fast
umgeworfen. Er hatte das Tier nur kurz gesehen und konnte es nicht genau beschreiben. Es
habe ein Gesicht fast wie ein Mensch gehabt, sagte er, nur mit einem seltsamen kurzen
Rü ssel. Ich nahm an, dass es ein sü damerikanisches Tapir gewesen war.
Auch der dritte Brief enthielt nur beruhigende Nachrichten, und wir beschlossen, die
Abenteurer gewä hren zu lassen. Wir ä nderten unseren Entschluss jedoch, als am vierten
Tag schon mittags eine Brieftaube eintraf.
 
Der Durchgang in der Klus ist durchbrochen. Bis nach Zuckertop liegt alles zerstört. Die
Rauchhütte ist zerschmettert. Die Zuckerrohre sind teils ausgerissen, teils zertrampelt, und
das Hirsefeld ist abgefressen. Auf dem Boden sind gewaltige Fußspuren. Lieber Vater, komm
uns zu Hilfe! Wir trauen uns weder vorwärts noch rückwärts, auch wenn es uns gutgeht.
 
Man kann sich vorstellen, wie schnell ich mich aufmachte. Ich verabredete mit Katharina,
dass sie und Ernst am nä chsten Tag mit dem Wagen nachkommen und alles Nö tige fü r
einen lä ngeren Aufenthalt mitbringen sollten. Dann sprang ich auf das Quagga und
galoppierte davon.
Fü r den Weg, der sonst sechs Stunden dauerte, brauchte ich diesmal keine vier. Die
verä ngstigten Knaben waren erstaunt, wie schnell ich bei ihnen ankam, und begrü ßten
mich mit großer Erleichterung. Sofort untersuchte ich die Schä den an unseren Kulturen
und die Fußspuren. Sie konnten nur von Elefanten stammen. Die Verwü stung war noch
schlimmer, als ich sie mir vorgestellt hatte. Die Schlagbä ume, mit denen wir die Klus
versperrt hatten, lagen geknickt wie Strohhalme auf dem Boden. Das Flechtwerk der
Laubhü tte war zum Teil zerrissen. Wenigstens fanden wir außer den Spuren der Elefanten
und der Hyä ne keine von anderen wilden Tieren.
Wir stellten das Reisezelt auf und trugen eine Menge Holz zusammen, um in der Nacht ein
besonders großes Feuer machen zu kö nnen. Trotz der Sicherheitsvorkehrungen wurde es
eine kurze Nacht. Lange saß ich mit den Knaben am Feuer und redete mit ihnen ü ber die
Elefanten.
Katharina und Ernst kamen am nä chsten Mittag an, und wir beschlossen, die Sperre in der
Klus neu aufzurichten und zu verstä rken. Die Arbeiten kosteten uns einen vollen Monat.
Damit wir nicht die ganze Zeit im Zelt schlafen mussten, bauten wir nach einigen Tagen
eine neue Hü tte. Dazu suchten wir vier Bä ume aus, die in einem ziemlich regelmä ßigen
Quadrat ungefä hr zwö lf Fuß auseinanderstanden. In einer Hö he von ungefä hr fü nfzehn Fuß
verbanden wir die Stä mme mit Bambusrohren und zimmerten auf diesem Gerü st einen
stabilen Boden. Darü ber brachten wir acht Fuß hohe Wä nde aus dü nnen Bambusrohren an
und ein spitzes Dach, das wir mit Baumrinde belegten und abdichteten. Gegen die Klus hin
sparten wir ein paar Schießscharten aus, damit wir uns verteidigen konnten, wenn wieder
einmal wilde Tiere aus dem Inneren der Insel einbrechen wü rden. Als Treppe zu unserer
neuen Wohnung nahmen wir einen Balken, in den wir Stufen hineinsä gten und den man
mit einem Seil auch von unten in die Hü tte hineinziehen konnte. Auf ebener Erde stellten
wir zwischen den vier Stä mme einen fü nf Fuß hohen Zaun aus Holz von Kokospalmen auf.
Darü ber befestigten wir ein Gitter aus gespaltenen Bambusrohren. So bekamen wir einen
luftigen Stall fü r unser Vieh. Die Knaben verzierten das neue Heim mit allerhand
Bambusarbeiten nach chinesischer Art, und so hatten wir fü r unseren Aufenthalt eine
hü bsche, kleine Bleibe.
Wä hrend der Bauarbeiten machte Fritz dann und wann Ausflü ge mit dem Kajak. Er fuhr
weit den Ostfluss hinauf und erzä hlte nach seiner Rü ckkehr von der großen Fruchtbarkeit
des Gelä ndes am anderen Ufer und von den majestä tischen Wä ldern, an denen er
vorbeigefahren war. Dort habe er das Kollern von Truthä hnen und das Quä ken, Schnarren
und Krä chzen von Perlhü hnern, Pfauen und anderem Geflü gel gehö rt. Einen Mimosenwald
hatte er gesehen und darin Elefantenherden, die die Ä ste bü ndelweise abrissen. Einige der
Tiere wä lzten sich am Flussufer im Schlamm, andere bespritzten sich gegenseitig mit ihren
Rü sseln.
»Mich haben sie kaum beachtet«, sagte Fritz. »Aber als ich weiterfuhr, war es plö tzlich, als
brodle das Wasser vor mir. Und dann tauchte langsam und mä chtig ein dunkles, grä ssliches
Tier vor mir auf. Es riss den Rachen weit auf, als ob es mich mitsamt dem Kajak
verschlucken wollte. Da habe ich wie der Blitz gewendet und bin davon.«
Ernst meinte, das sei bestimmt ein Hippopotamus, ein Nilpferd gewesen. »Du hast dich
vergeblich gefü rchtet«, sagte er. »Soviel ich weiß, sind Nilpferde Pflanzenfresser.«
»Gefä hrlich sind sie trotzdem«, sagte ich und lobte Fritz fü r seine Vorsicht.
Von jedem seiner Ausflü ge kam Fritz mit reicher Beute zurü ck. Einmal hatte er ein
Sultanshuhn gefangen und ü bergab es der Mutter fü r ihre Geflü gelzucht, ein anderes Mal
brachte er einen ganzen Sack Kakaofrü chte mit. Er wusste nicht recht, was er damit
anstellen sollte. Ernst sagte, er solle sie ihm geben, er werde versuchen, Schokolade daraus
zu machen. Fritz war einverstanden. Etwas skeptisch beobachtete er seinen Bruder, der die
gelben Frü chte zwischen großen Blä ttern in die Sonne legte. Nach einer Weile fingen sie zu
gä ren an, das Fruchtfleisch wurde flü ssig und tropfte zwischen den Blä ttern hervor. Die
ü briggebliebenen Bohnen rö stete Ernst vorsichtig auf einer unserer Eisenplatten, bis sich
ein wunderbarer Duft verbreitete, der uns an Schokolade erinnerte. Er zerkleinerte die
Bohnen und entfernte die Schalen. Die Bruchstü cke zerstieß er im Mö rser. Dabei mussten
ihn die Brü der ablö sen, da es sehr lange dauerte, bis endlich eine fettige und sehr bittere
Paste entstanden war. Diese vermischte Ernst mit Honig und Zuckerrohrsaft und bekam so
zwar keine richtige Schokolade, aber doch eine weiche Masse, die recht ä hnlich schmeckte.
Seine Brü der verspeisten sie mit Begeisterung.

»Das ist eine richtige Gö tterspeise«, sagte Jack.


Wir hatten unsere Arbeiten in der Klus abgeschlossen und waren zur Rü ckreise bereit.
Fritz bat mich, das Kajak nehmen zu dü rfen. Er wollte um das Vorgebirge der getä uschten
Hoffnung herumfahren und dann immer der Kü ste entlang nach Felsenheim. Ich erlaubte
es ihm, und er paddelte los, wä hrend wir anderen den Landweg nahmen. Wir kamen ohne
Zwischenfä lle nach Felsenheim, und kurz nach uns landete auch Fritz und erzä hlte von den
rauen Klippen des Vorgebirges und den unzä hligen Wasservö geln, die in den Felsen
nisteten.
Unser nä chstes Unternehmen war eines, das Fritz schon lange am Herzen gelegen hatte.
Wir wollten nä mlich auf der Haifischinsel ein Wachthaus bauen und eine
Vierpfü nderkanone aufstellen, um vorbeifahrenden Schiffen Signale geben zu kö nnen. Das
Bretterhä uschen war schnell gebaut. Daneben richteten wir ein langes Bambusrohr als
Fahnenmast auf. Bei Gefahr konnte daran eine rote Fahne aufgezogen werden. Am meisten
Mü he machte es uns, die schwere Kanone an ihren Platz zu bringen. Aber schließlich stand
sie da, die Mü ndung gegen das Meer gerichtet. Als die Arbeit vollbracht war, zogen wir eine
weiße Fahne auf und feuerten sechs Kanonenschü sse ab. Als ihr Echo verstummt und Stille
eingekehrt war, wurde mir wieder einmal bewusst, wie einsam und verloren wir hier
waren.
10. Kapitel Nach zehn Jahren. Jack verliert den Kampf mit einem Eber.
Löwen werden erlegt. Fritz löst das Rätsel der rauchenden Klippe.
Miss Jenny wird gerettet.
Nach fast acht Jahren schlage ich unser Erinnerungsbuch wieder auf. Ich durchblä ttere die
geschriebenen Kapitel und denke an die vielen ungeschriebenen. Sie hä tten den ersten
geglichen, wie die vergangenen Jahre einander geglichen haben. Jagd- und Streifzü ge
reihten sich an Wochen schwerer Arbeit in den Pflanzungen, Entdeckungen und Erfolge
wechselten sich ab mit Enttä uschungen und Langeweile. Zehn Jahre sind wir schon auf
dieser Insel, zehn Jahre der Einsamkeit, aber auch des Friedens und des Glü cks. Die Zeit hat
ihre Spuren hinterlassen, wir haben Krankheiten und Unfä lle ü berstanden, die Haare von
uns Eltern sind grau geworden, unsere Hä nde rau und schwielig. Von den vielen Stunden,
die wir draußen verbringen, ist unsere Haut braungebrannt, sollte jemals ein Fremder auf
dieser Insel landen, kö nnte er uns fast fü r Eingeborene halten.
Aus den Knaben sind vier krä ftige junge Mä nner geworden. Die vielen Abenteuer haben
ihren Verstand lebendig und ihren Charakter frisch und frö hlich erhalten. Und auch wenn
sie vielleicht etwas wilder sind als ihre Altersgenossen in der Heimat, so begegnen sie uns
Eltern doch mit Respekt und Hilfsbereitschaft. Sie kö nnen nicht Walzer tanzen und sind
keine Meister der hö flichen Konversation, aber die Natur war ihnen eine gute Schule. Ich
kann auf ihre Vernunft und ihre Urteilskraft vertrauen. Sie fragen mich lä ngst nicht mehr
vor jedem Ausflug um Erlaubnis, und oft weiß ich ganze Tage lang nicht, wo sie
herumschwä rmen.
Der blonde Ernst hat die Trä gheit seiner Knabenzeit ü berwunden und ist mit seinen
zweiundzwanzig Jahren nun ebenso entschlossen wie Fritz. Obwohl er zwei Jahre jü nger ist
als sein Bruder, ist er einen Kopf grö ßer. Er studiert viel in unserer Bibliothek und hat sich
zu einem wahren Experten der Tier- und Pflanzenwelt entwickelt. Fritz trä gt einen
Schnurrbart und eine dunkle Mä hne und ist der krä ftigste der vier. Jack schlä gt eher Fritz
nach, auch er ist klein und beweglich geblieben und ist schnell im Begreifen und Handeln.
Franz schließlich ist eine Mischung seiner Brü der. Er ist sechzehn Jahre alt und trä gt als
einziger noch keinen Bart. Da er sich immer gegen die ä lteren behaupten musste, ist er der
schlagfertigste der vier. Sogar Knips, unser Affe, ist erwachsen geworden. Aber er ist
zutraulich geblieben und treibt noch immer viel Schabernack. Inzwischen ist er so krä ftig,
dass er uns beim Pflü cken der Kokosnü sse eine große Hilfe ist und uns auch sonst einiges
an Kletterei abnimmt.
Unsere Bibliothek hat sich in den Jahren als wahrer Schatz erwiesen, aus dem wir viel
gelernt haben. Unser kleines Naturmuseum enthä lt viele ausgestopfte Tiere, gepresste
Pflanzen und seltene Steine, um die uns mancher europä ische Professor beneiden wü rde.
Felsenheim ist immer noch unsere Winterresidenz, wä hrend Falkenhorst uns als
Sommerwohnung dient. Wir besitzen ausgedehnte Stä lle fü r allerlei Vieh, haben die
Bienenzucht vergrö ßert und einige neue Taubenschlä ge gebaut.
Vor Felsenheim haben wir eine Galerie errichtet mit einem Dach, das auf vierzehn
stattlichen Baumsä ulen ruht. An diesen ranken sich Vanille- und Pfefferpflanzen. Ein
Versuch mit Weinreben ist wegen der prallen Sonne leider nicht gelungen. Dafü r haben wir
an einer schattigeren Stelle unter der Felswand einen kleinen Weinberg angelegt. Aus den
Trauben keltern wir unseren eigenen Wein. Auf der Veranda plä tschert ein Brunnen,
dessen Becken der Panzer der Schildkrö te bildet. Dort essen wir oft zu Abend oder halten
Rast, wenn die Sonne am Mittag zu heiß vom Himmel brennt.
Von der einstigen Schroffheit der Rettungsbucht ist nicht mehr viel zu ahnen. Im Lauf der
Jahre haben wir aus dem wilden und kahlen Fleck ein kleines Paradies geschaffen mit
Pflanzungen, Gä rten und Wegen. Auch die Haifischinsel ist keine ö de Klippe mehr. Das
Wachhä uschen und die Kanone stehen im Schatten von Kokospalmen und Pinien, die
sandigen Ufer werden von Mangrovebä umen geschü tzt.
Jenseits des Schakalbaches gibt es ein kleines Getreidefeld, eine noch kleinere
Baumwollpflanzung und ein Feld mit Zuckerrohr. Die europä ischen Obstbä ume entlang des
Weges nach Falkenhain haben sich zum grö ßten Teil schö n entwickelt. Besonders gut
wachsen Pistazien, Mandeln und Walnü sse, Pfirsiche, Bitterorangen und Zitronen. Fü r
Ä pfel, Birnen, Kirschen und Pflaumen ist das heiße Klima weniger geeignet. Aber obwohl
die Ernte kaum den Aufwand lohnt, pflegen wir diese Bä ume besonders liebevoll, da uns
ihre Frü chte an die Heimat erinnern.
Wir haben einiges an neuen Gerä ten gebaut, eine Einrichtung zum Zuckersieden und eine
Presse zur Gewinnung von Ö l aus Nü ssen und Oliven, die Ernst auch zur
Schokoladenherstellung verwendet. Alle unsauberen und ü belriechenden Arbeiten, wie das
Gerben und das Kerzenziehen aus Talg, erledigen wir auf der Walsfischinsel, wo wir eine
kleine Werkstatt in den Fels gesprengt haben. In Waldegg gibt es eine grö ßere
Baumwollpflanzung. Den Reissumpf haben wir zu einem ordentlichen Reisfeld umgestaltet.
In Hohentwiel ernten wir regelmä ßig die Knospen der Kapernsträ ucher, die wir mit Pfeffer
wü rzen und in Weinessig einlegen. Auch Teesträ ucher gibt es dort, die uns mit ihren
wunderschö nen weißen Blü ten erfreuen und deren Blä tter wir nach der Regenzeit ernten.
Wir machen regelmä ßig Ausflü ge in die Klus, um zu kontrollieren, ob Elefanten oder
andere gefä hrliche Tiere die Verbauung durchbrochen haben.
Unser Vieh und unser Geflü gel hat sich beträ chtlich vermehrt. Besonders die Tauben und
Hü hner sind inzwischen so zahlreich, dass wir jeden Tag gebratene Hä hnchen essen
kö nnten und immer genug Eier haben. Von den Kä lbern, die jeweils nach der Regenzeit
geboren werden, haben wir nur zwei großgezogen, einen Bullen von großem Mut und
ungeheurer Kraft, den wir Brü ll genannt haben, und eine Milchkuh, die Blass heißt. Beide
haben wir auch zum Reiten, Tragen und Ziehen von Lasten abgerichtet, ebenso wie Pfeil
und Flink, zwei junge Esel. Die Schweine haben sich so stark vermehrt, dass wir einen Teil
davon im Landesinneren ausgesetzt haben. Auch einen neuen Hund haben wir, einen
Sprö ssling von Jager, den Jack Koko genannt hat.
Wir haben etwas mit der Kä seherstellung experimentiert. Aus dem Magen eines
geschlachteten Kalbes haben wir Lab gewonnen, aber in diesem warmen Klima ist es nicht
ganz einfach, eine genü gende Menge Milch zu sammeln, ohne dass sie verdirbt. Immerhin
haben wir einige kleine Laibe zustande gebracht, die ä hnlich schmecken wie der Alpkä se zu
Hause und die wir im hintersten und kü hlsten Winkel von Felsenheim reifen lassen. Aus
Ziegen- und Schafsmilch machen wir Frischkä se, den wir zusammen mit Frü chten und
Honig zum Frü hstü ck essen.
Ich habe schon erwä hnt, dass die vier Burschen immer ö fter loszogen, ohne mich um
Erlaubnis zu fragen. Eines Tages war Fritz offenbar zu einem Ausflug aufgebrochen.
Jedenfalls bemerkten wir am Abend, dass das Kajak fehlte, und nahmen an, er sei auf dem
Meer unterwegs. Wir ruderten hinaus zur Haifischinsel, um uns nach ihm umzusehen. Es
dauerte eine ganze Weile, bis wir am Horizont einen kleinen schwarzen Punkt entdeckten.
Die Sonne stand tief und blendete uns, aber nach einiger Zeit sahen wir durch das Fernrohr,
dass es Fritz war, der mit regelmä ßigen Paddelschlä gen auf uns zukam. Wir zogen die
Fahne hoch und schossen zwei Salutschü sse ab. Schnell ruderten wir zurü ck zur
Rettungsbucht. Kaum hatten wir sie erreicht, landete auch Fritz. Auf dem Deck des Kajaks
war ein großer Sack angebracht, und an der Seite im Wasser schwamm ein erlegtes Seetier.
Wir halfen ihm, die Sachen an Land zu bringen. Dann setzten wir uns auf die Terrasse,
tranken ein Glas Wein und ließen uns von Fritz seine Abenteuer erzä hlen.
»Du bist mir hoffentlich nicht bö se, dass ich einfach so losgefahren bin, ohne mich zu
verabschieden«, sagte er. »Ich wollte nä mlich schon lange einmal die Klippen erforschen,
die hinter jenen liegen, bei denen ich damals das Walross erlegt habe. Und da ich nicht
sicher war, ob du einverstanden wä rst, habe ich mich ganz frü h am Morgen
davongeschlichen.
Die Strö mung des Schakalbachs trug mich schnell ins Meer hinaus, aber ich kontrollierte
immer wieder die Richtung auf dem Kompass, damit ich den Weg zurü ckfinden wü rde. Als
ich an der Stelle vorbeikam, wo wir das Wrack gesprengt haben, sah ich durch das klare
Wasser die Kanonen unseres Schiffes auf dem Grund liegen und bedauerte, dass wir keine
Vorrichtung haben, um sie an die Oberflä che zu holen. Ich fuhr weiter nach Westen durch
eine wilde Kü stenlandschaft mit vielen Felsen und kleinen Inselchen. Auf manchen sind
Brutplä tze unzä hliger Meeresvö gel, die die Luft erfü llten und ohrenbetä ubend schrien. Auf
den flacheren Klippen sah ich ganze Kolonien von Seelö wen, Seeelefanten und Walrossen,
die in der Sonne lagen, schnaubten und brü llten. Ich muss zugeben, dass es mir unter all
diesen großen Tieren etwas mulmig wurde, und ich versuchte, mö glichst unbemerkt an
ihnen vorbeizupaddeln. Nach ungefä hr eineinhalb Stunden kam ich zu einem riesigen Tor,
das die Brandung wie eine Brü cke aus dem Fels gewaschen haben muss. Ich fuhr hindurch
und gelangte in eine liebliche Bucht mit einem schö nen Sandstrand. Von hier aus sah ich
eine weite Steppe, auf der an manchen Stellen kleine Gehö lze standen und die auf einer
Seite von Felsen, auf der anderen von einem Fluss begrenzt wurde. Jenseits des Stromes
schien Sumpfland zu sein, dahinter versperrte ein Zedernwald den Blick.
Ich fuhr am Ufer entlang. Die See war ganz ruhig und das Wasser so klar, dass ich bis auf
den Grund sehen konnte, wo es große Muschelbä nke gab. Die Muscheln glichen Austern,
aber sie waren viel grö ßer. Ich riss mit dem Bootshaken ein paar vom felsigen Boden los,
um zu probieren, ob sie genießbar sind. Nachdem ich eine erste Ladung an den Strand
gebracht hatte, fuhr ich noch einmal hinaus, um eine zweite zu holen. Als ich zurü ck an
Land kam, waren die Muscheln in der Hitze der Sonne aufgegangen und sahen nicht mehr
sehr appetitlich aus. Aber ich wollte sie wenigstens untersuchen und schnitt mit dem
Messer hinein. Das Fleisch war so zä h, dass ich es nicht fü r genießbar hielt. Auf einmal stieß
ich mit der Klinge auf etwas Hartes. Ich klaubte es aus dem Fleisch und fand eine
wunderschö ne Perle. Jetzt untersuchte ich auch die anderen Muscheln und bekam eine
ganze Handvoll schö nster Perlen zusammen.«
»Lass sehen, Fritz!«, riefen die Brü der, und die Perlen gingen von Hand zu Hand. Ernst
erzä hlte, nach einer polynesischen Legende seien die Perlen dem Menschen von Oro, dem
Gott des Friedens, geschenkt worden, der ü ber einen Regenbogen auf die Erde
herabgestiegen sei. Und die Chinesen hä tten ihren Kaisern nach deren Tod eine große Perle
in den Mund gelegt.
»Da hast du wirklich einen schö nen Schatz gefunden«, sagte ich, »allerdings wird er uns
nicht viel nü tzen, da es niemanden gibt, mit dem wir Handel treiben kö nnen. Aber wir
wollen den Fundort dieser Kostbarkeiten trotzdem bald einmal besuchen. Jetzt erzä hl
weiter.«
»Ich beschloss, den Ort Perlbai zu nennen«, sagte Fritz. »Nachdem ich etwas gegessen und
getrunken hatte, setzte ich meine Fahrt entlang der Kü ste fort. Ich kam zur Mü ndung eines
Flusses, der nur sehr wenig Strö mung hatte. Auf dem Wasser wuchsen Pflanzen, es sah aus
wie eine schwimmende Wiese, auf der alle mö glichen Wasservö gel herumliefen. Schließlich
erreichte ich ein Vorgebirge, das dem Felstor gegenü berlag. Fü r die Fahrt ü ber die Bucht
hatte ich fast zwei Stunden gebraucht. Sie ist vom Meer durch ein Felsenriff abgetrennt, das
nur eine schmale Einfahrt offen lä sst und so einen prä chtigen Hafen bildet. Ich versuchte,
die Bucht durch die Einfahrt zu verlassen, aber die Flut stieg gerade an und die Strö mung
war so stark, dass ich es nicht schaffte. Also fuhr ich wieder zum Vorgebirge und fand dort
auf den Klippen eine Menge Seeotter, die ungefä hr so groß wie Seehunde waren und am
Land und im Wasser lustig miteinander spielten, sich gegenseitig jagten, unter- und wieder
auftauchten. Sie waren sehr neugierig und ü berhaupt nicht scheu. So gelang es mir ganz
leicht, mit Hilfe des Adlers eines der Tiere zu erlegen.«
»Aber wie hast du geschafft, es nach Hause zu bringen?«, fragte ich. »Es muss doch viel zu
schwer gewesen sein fü r dein Kajak.«
»Ja, das hat mir einiges Nachdenken bereitet«, sagte Fritz, »bis mir eingefallen ist, wie die
Grö nlä nder es machen. Die Felsen waren voller Seevö gel, und am Boden lagen Federn
herum. Ich brach eine so entzwei, dass ich ein kleines Rö hrchen erhielt. Das steckte ich
zwischen die Haut und das Fleisch des Tieres und blies Luft hinein, bis es wie ein Ballon auf
dem Wasser schwamm. Ich band es ans Kajak und machte mich auf den Heimweg. Die Flut
stieg inzwischen nicht mehr an, und ich gelangte ohne weiteres hinaus aufs offene Meer.
Und bald darauf sah ich schon die Flagge, die ihr aufgezogen hattet, und hö rte die
Salutschü sse.«
Wä hrend die Brü der die Beute von Fritz bewunderten, nahm er mich und die Mutter
beiseite.
»Stellt euch vor, was mir auf der Klippe passiert ist«, sagte er aufgeregt. »Von den
Seevö geln war ein Albatros besonders zutraulich, er schien gar keine Angst vor mir zu
haben. Als ich genauer hinschaute, sah ich, dass um eines seiner Beine ein kleiner Lappen
gebunden war. Ich lockte den Vogel zu mir und konnte das Stü ck Leinen an mich bringen.
Als ich es untersuchte, sah ich, dass jemand mit purpurner Farbe etwas darauf geschrieben
hatte: Rettet eine unglückliche Engländerin von der rauchenden Klippe.«
»Was sagst du da?«, fragte ich erschrocken.
»Nicht wahr?«, sagte Fritz mit heiserer Stimme und fasste mich am Arm. »Mir war, als treffe
mich ein elektrischer Schlag. Ich las und las immer wieder die paar Worte! Mein Gott,
dachte ich, kann es sein, dass auf dieser Insel noch ein Mensch lebt? Noch eine
Schiffbrü chige wie wir? Ich tauchte die Feder in das Blut des Seeotters und schrieb auf den
Stoff: Nur Gott vertraut! Hilfe ist hoffentlich nah. Dasselbe schrieb ich auf ein Stü ck meines
Taschentuchs und band die beiden Lappen um die Beine des Albatros, damit die arme
Englä nderin sofort sehen wü rde, dass jemand ihr eine Nachricht schickt, sollte der Vogel zu
ihr zurü ckkehren. Der Albatros flog wirklich bald davon, und ich sah, wie er nach Westen
verschwand. Ich hatte gehofft, ich kö nne ihm mit dem Kajak folgen, aber er war so schnell,
dass ich ihn bald aus den Augen verlor. Jetzt quä lt mich der Gedanke, ob meine Nachricht
ankommt, ob wir zur Unglü cklichen gelangen und sie retten kö nnen.«
»Das ist wirklich das Seltsamste, was uns auf dieser Insel passiert ist«, sagte ich, »und du
hast klug und besonnen gehandelt. Es ist gut, dass du nur uns davon erzä hlt hast. Wir
wissen ja nicht einmal, ob die Schiffbrü chige noch lebt oder ob die Nachricht vor langer Zeit
geschrieben wurde. Es ist auch gut mö glich, dass sie so weit von uns entfernt ist, dass wir
sie niemals erreichen kö nnen. Albatrosse kö nnen riesige Distanzen zurü cklegen.«
Wir gingen zurü ck zu den anderen, und ich machte eine feierliche Ankü ndigung: »Fritz hat
in letzter Zeit und besonders bei seinem heutigen Ausflug immer wieder bewiesen, dass er
selbst fü r sich entscheiden und handeln kann. Von nun an soll er alleine ü ber seine Zeit
verfü gen. Ich will ihn in Zukunft nicht mehr wie einen Sohn, sondern wie einen Freund
behandeln.«
Fritz war von meinen Worten ganz betroffen, und in den Augen Katharinas sah ich Trä nen
der Rü hrung. Sie gab Fritz einen Kuss und ging dann rasch davon, um, wie sie sagte, zur
Feier des Tages ein besonders herrliches Mahl zu kochen. Wir saßen an diesem Abend noch
lange zusammen, redeten und sangen Lieder aus der Heimat.
»Lass uns auf Perlensuche gehen«, bestü rmten mich die vier Brü der am nä chsten Morgen.
»Einverstanden«, sagte ich, »aber wenn ihr nicht wie die Sü dseeinsulaner nach den
Muscheln tauchen wollt, mü ssen wir erst das richtige Werkzeug herstellen.«
Wir schmiedeten also zwei Rechen mit langen Bambusstielen und befestigten eiserne Ringe
daran. Durch die Ringe zogen wir Stricke. Diese wollten wir an unserem Boot befestigen,
damit wir die Rechen ü ber den Grund schleppen konnten. Franz nä hte mit der Mutter lange
Netzbeutel, die an den Rechen angebracht werden konnten, um die abgekratzten Muscheln
aufzunehmen. Fritz sä gte wä hrenddessen eine zweite Sitzö ffnung in das Kajak. Die Brü der
meinten, er mache einen Platz fü r sie, aber ich wusste, an welchen Passagier er dachte.
Mit Proviant und Werkzeug ausgerü stet, machten wir uns einige Tage spä ter auf die Reise.
Nur Katharina und Franz blieben zurü ck. Der Wind war gü nstig und die See ruhig. Noch vor
dem Abend kamen wir in der Perlbai an. Wir entzü ndeten am Ufer ein Feuer, aber wir
schliefen im Boot, das wir in der Bucht vor Anker gelegt hatten. Wä hrend die Wellen uns in
den Schlaf wiegten, hö rten wir vom Land her das Geheul einiger Schakale.
Nach einem schnellen Frü hstü ck fingen wir am nä chsten Morgen gleich mit der
Muschelfischerei an. Schon nach kurzer Zeit hatten wir eine beträ chtliche Menge geerntet
und am Strand aufgeschichtet. Auch die nä chsten zwei Tage fischten wir weiter. An den
Abenden erkundeten wir die Ufergegend und schossen uns den einen oder anderen Vogel
fü r das Abendessen. Am letzten Abend der Perlfischerei drangen wir etwas tiefer als sonst
in das benachbarte Wä ldchen ein, da wir glaubten, Truthä hne und Pfauen gehö rt zu haben.
Ernst ging diesmal mit dem wackeren Falb voraus, Jack folgte ihm in einiger Entfernung mit
Jager durch das hohe Gras. Fritz und ich waren am Ufer zurü ckgeblieben, um unseren
Muschelrechen zu reparieren, der auf dem felsigen Meeresgrund Schaden genommen hatte.
Da hö rten wir plö tzlich einen Schuss, einen Aufschrei und gleich darauf einen zweiten
Schuss. Bill und Braun stü rmten los in Richtung des Lä rms, Fritz und ich ließen alles stehen
und liegen und rannten ihnen nach. Im Laufen nahm Fritz seinem Adler die Kappe ab und
warf ihn in die Luft. Im selben Moment hö rten wir einen Jubelruf aus dem Wä ldchen. Fritz
war vorausgelaufen, kurz darauf sah ich die drei Brü der auf mich zukommen. Jack wurde
von den anderen gestü tzt und wankte in ihrer Mitte wie ein Betrunkener. Als sie mich
erreicht hatten, sah ich erst, wie ü bel er zugerichtet war. Ü berall hatte er blaue Flecken.
Wenigstens schien er nicht ernsthaft verletzt zu sein.
»Was um Himmels willen ist denn passiert?«, fragte ich.
»Ach!«, rief Ernst, »es war ein grä ssliches afrikanisches Wildschwein mit Hauern, die einen
halben Fuß lang waren, und einem riesigen Rü ssel, mit dem es in der Erde wü hlte. Aber wir
haben es zum Glü ck erlegt.«
Ich gab Jack einen Becher von unserem selbstgekelterten Wein. Dann zogen wir uns aufs
Boot zurü ck, wo er sich bald hinlegte, wä hrend Ernst uns die ganze Geschichte erzä hlte.
»Ich war als Erster ins Wä ldchen getreten. Plö tzlich riss Falb sich von mir los und stü rzte in
ein Gebü sch hinein. Da muss das Wildschwein gelegen haben, denn jetzt brach es mit
Schnauben und Schnaufen aus dem Unterholz. Es wetzte seine Hauer an einem Baum und
sah recht fü rchterlich aus dabei. Inzwischen war Jack nachgekommen. Die Hunde kreisten
das Wildschwein ein, und wir nä herten uns von Baum zu Baum, um in sichere
Schussdistanz zu gelangen. Jack war etwas unvorsichtiger als ich, er trat aus der Deckung
und schoss. Leider streifte der Schuss den Eber nur und machte ihn so wü tend, dass er auf
Jack losstü rzte. Jetzt schoss ich, aber auch ich traf nur schlecht. Jack rannte davon und wä re
bestimmt entkommen, wenn er nicht ü ber eine Wurzel gestolpert und hingefallen wä re.
Zum Glü ck haben die Hunde das Wildschwein gepackt, bevor es ihn ernsthaft verletzen
konnte.«

Am nä chsten Morgen ließen wir Jack schlafen und machten uns auf, um den toten Eber zu
besichtigen. Als ich sah, wie groß er war, erschrak ich. Er hä tte es wohl leicht mit einem
wilden Bü ffel oder gar einem Lö wen aufgenommen.
»Jetzt kö nnen wir endlich unseren westfä lischen Schinken ersetzen«, rief Fritz frö hlich,
»den wir vor langer Zeit vom Wrack gerettet haben.«
»Ich bringe Jack den Kopf mit als Trophä e«, sagte Ernst. »Wir prä parieren ihn und hä ngen
den Schä del in unser Museum.«
Fritz brach ein paar Zweige von einem Baum und breitete sie nebeneinander auf dem
Boden aus. Wir schnitten die vier Keulen und den Kopf des Ebers ab und legten sie auf die
Ä ste. Mit einem Strick banden wir alles zusammen und konnten es so einigermaßen
bequem zum Strand hinunterschleifen.
Jack war inzwischen aufgestanden und an Land gekommen. Er half seinen Brü dern dabei,
den Schweinskopf zu sä ubern, wä hrend ich die Keulen von den Borsten befreite, was keine
sehr angenehme Tä tigkeit war.
Wä hrend wir noch an der Arbeit waren, ging die Sonne unter. Plö tzlich zerriss ein
entsetzliches Gebrü ll die Luft. Wir waren wie gelä hmt. Was war das? Wieder hö rten wir das
Brü llen, grollend, drohend, dann war es totenstill. Wir starrten in die Dunkelheit, aber wir
konnten nichts erkennen. »Das muss … das muss ein Lö we sein!«, stieß Fritz schließlich
hervor. Er griff nach seiner Bü chse und sprang mit einem Satz ins Kajak. »Feuer anfachen«,
rief er kurz, »zurü ck ins Boot. Gewehre bereit. Ich rudere dort herum und komme von der
Seite.«
Mit diesen Worten paddelte er auch schon pfeilschnell das Ufer entlang und verschwand in
der Dunkelheit. Wir folgten seinen Befehlen, warfen Holz ins Feuer, griffen nach unseren
Flinten und sprangen ins Boot. Knips, der Affe, hü pfte zä hnefletschend am Ufer auf und ab,
da er uns nicht erreichen konnte, ohne ins Wasser zu springen. Schließlich watete Ernst
noch einmal ans Ufer, um seinen wasserscheuen Freund zu holen.
Jetzt kamen die Hunde und unser Schakal vom Wald her gelaufen. Mit gesträ ubten Haaren
suchten sie hinter dem Feuer Schutz und starrten winselnd hinü ber zum Waldrand. Das
Brü llen war inzwischen immer ö fter zu hö ren, es schien nä her zu kommen, offenbar aus
der Gegend, wo wir den Eber erlegt hatten. Vermutlich hatte der Aasgeruch den Feind
angelockt. Ich zweifelte nicht mehr daran, dass es ein Lö we war, obwohl wir all die Jahre
auf der Insel noch keinem einzigen begegnet waren. Aber diese Stimme konnte keinem
Geringeren gehö ren. Da! Am ä ußersten Rand des Lichtkreises war ein Schatten zu sehen.
Und jetzt, ein durch Mark und Bein gehendes Aufbrü llen. In ein paar Sä tzen kam es auf uns
zu gesprungen, ein gewaltiges Tier. Es war ein Lö we! Ein Schauder lief mir ü ber den
Rü cken.
Einen Moment lang blieb der Lö we reglos stehen. Dann ließ er sich nieder wie eine Katze,
aber sein Blick wanderte unaufhö rlich zwischen unseren Hunden und den aufgehä ngten
Schweinskeulen hin und her. Schließlich erhob er sich und ging mit gemessenen Schritten
auf und ab, blieb stehen, brü llte kurz und setzte dann seine Wanderung fort. Mit jeder
Wendung kam er dem Feuer nä her, wurde sein Gang gespannter, sein Brü llen bedrohlicher.
Die Hunde winselten und duckten sich. Ich wagte nicht zu schießen, das flackernde Licht
und die Bewegungen des Tieres gestatteten kein ruhiges Zielen. Als der Lö we endlich
stehen blieb, hob ich das Gewehr. Da knallte aus der Dunkelheit ein Schuss. Der Lö we
bä umte sich mit einem kreischenden Brü llen hoch auf, wankte und brach zusammen.
»Gerettet!«, rief ich, noch halb erstickt vor Aufregung, »ein Meisterschuss! Bleibt im Boot,
ich gehe hin und schaue nach.«
Ich sprang ins seichte Wasser und watete ans Ufer, wo mich die Hunde freudig empfingen.
Dabei spä hten sie immer wieder in die Dunkelheit. Also war die Gefahr noch nicht vorü ber?
Ich blieb hinter dem Feuer stehen, die Bü chse schussbereit im Arm. Und wahrhaftig!
Wieder kam aus der Dunkelheit in langen, mä chtigen Sä tzen ein krä ftiges, aber etwas
kleineres Tier, die Lö win. Einen Augenblick nur stutzte sie vor dem Lagerfeuer, kü mmerte
sich dann aber weder darum noch um die Hunde und ging unruhig umher, als suche sie
ihren Gefä hrten. Schon hatte sie ihn entdeckt. Mit zwei Sprü ngen war sie an seiner Seite,
beroch ihn, stupste ihn mit der Schnauze, leckte seine blutende Wunde. Dann richtete sie
sich auf und stieß ein langgezogenes, entsetzliches Jammergeheul aus. Paff!, knallte ein
Schuss und die rechte Vorderpfote des Tieres sank gelä hmt herab. Ich riss die Bü chse hoch
und schoss, aber ich traf nur den Unterkiefer der Lö win. Jetzt stü rzten sich die Hunde auf
das verletzte Tier, und ein schrecklicher Kampf begann. Ein wirres Knä uel springender,
rollender, sich windender Gliedmaßen war zu sehen im unsteten Feuerschein. Die Lö win
brü llte, die Hunde keuchten. Ich konnte nicht schießen, sonst hä tte ich womö glich einen
unserer Gefä hrten getroffen. Da schlug die Lö win mit ihrer unverletzten Pranke nach Bill,
der sie an der Gurgel gepackt hatte und riss ihm mit ihren scharfen Krallen den Bauch auf.
Außer mir sprang ich hinzu und stieß ihr meinen Hirschfä nger in die Brust. Die Lö win war
tot, aber mit ihr auch unser treuer Bill.
Auf unsere Zurufe kamen Ernst und Jack aus dem Boot. Schweigend umarmten wir uns
nach dieser angstvollen halben Stunde.
Wir zü ndeten am Feuer Fackeln an und betrachteten in ihrem Licht die zwei toten Lö wen.
Sie hatten furchterregende Gebisse, und ihre Krallen waren scharf wie Messer.
»Das Fell kö nnen wir den Lö wen morgen abziehen«, sagte Fritz, »aber Bill sollten wir gleich
jetzt begraben.«
Fritz und Jack hoben im Sand ein Loch aus. Ich lö ste Bills Gebiss von der Gurgel der Lö win
und legte ihn sachte in sein Grab. Ernst untersuchte inzwischen die anderen Hunde und
fand, dass keiner von ihnen ernsthaft verletzt war.
Es war spä t geworden, und wir waren mü de, aber wir waren noch so aufgeregt, dass wir
unmö glich schlafen konnten. Dafü r hatten wir Hunger bekommen. Wir setzten uns ans
Feuer und merkten, dass der Schweinskopf, den wir dort zum Schmoren in eine Grube
gelegt hatten, durch das Schü ren des Feuers ganz verkohlt war. Die Brü der waren
enttä uscht, aber nachdem ich die ä ußere Kohleschicht abgekratzt hatte, fanden wir
darunter den zarten Schweinsrü ssel, der uns außerordentlich schmeckte. Schließlich legten
wir uns fü r die verbleibenden Nachtstunden ins Boot.
Am folgenden Tag hä uteten wir die beiden Lö wen ab, was nach ein paar Stunden geschafft
war. Die Kadaver blieben liegen, und bald kamen aus allen Richtungen Aasvö gel
angeflogen, manche Arten hatte ich noch nie gesehen, und selbst Ernst, unser Zoologe,
erkannte sie nicht.
Je hö her die Sonne stieg und je heißer sie brannte, desto mehr begannen die am Strand
aufgeschichteten Austern zu riechen. Sie verbreiteten einen furchtbaren Gestank, und wir
beschlossen, gleich nach dem Abhä uten der Lö wen vorerst nach Hause zu fahren. Fritz
paddelte mit dem Kajak voraus und machte den Lotsen. Nachdem wir durch die Ö ffnung im
Riff gerudert waren, legte er an unserem Boot an und reichte mir einen Brief, von dem er
behauptete, die Post habe ihn heute Morgen gebracht. Die Brü der trieben oft solche Spiele
mit Briefen, und ich dachte mir nichts dabei. Ich nahm das Schreiben und ging in unser
Kajü tenzelt, um es in Ruhe zu lesen. Fritz schrieb, er habe vor, nach der schiffbrü chigen
Englä nderin zu suchen und erbat sich meine Zustimmung fü r dieses Abenteuer. Ich konnte
nicht recht glauben, dass er das Mä dchen finden wü rde, aber ich hatte nicht das Herz, ihm
die Hoffnung zu nehmen. Als ich wieder ins Freie trat, um ihm die Fahrt zu erlauben, war er
schon losgefahren, und es blieb mir nichts ü brig, als ihm durch das Sprachrohr
nachzurufen: »Fahr wohl, Fritz, sei vorsichtig und komm bald zurü ck.« Er drehte sich nicht
einmal um und verschwand bald hinter dem Vorgebirge, an dem er einst den Seeotter
gefangen hatte. Wir beschlossen, den Ort das Kap Lebewohl zu nennen, und machten uns
auf den Heimweg.
Die Mutter und Franz hießen uns herzlich willkommen, als wir gegen Abend ankamen.
Aber die Wiedersehensfreude vermischte sich mit der Trauer ü ber Bills Tod und der Angst
um Fritz. Die folgenden Tage waren wir alle niedergedrü ckt. Wir verkü rzten uns das
Warten mit dem Gerben der Lö wenhä ute. Dabei musste ich immer an Fritz denken, und
den anderen schien es genauso zu gehen. Als ich nach fü nf Tagen vorschlug, unserem
Ä ltesten bis zur Perlenbai entgegenzufahren, waren jedenfalls alle begeistert. Selbst
Katharina wollte diesmal mitkommen, also nahmen wir die Pinasse.
Wir brauchten etliche Tage, um alles fü r die Reise vorzubereiten. Eines schö nen Morgens
segelten wir endlich los, angetrieben von einem gü nstigen Ostwind. Als wir uns der Perlbai
nä herten, rafften wir ein Segel nach dem anderen, da die Durchfahrt im Riff so schmal war,
dass wir sie nur sehr langsam passieren konnten. In der Bucht sahen wir einige Delphine
und schauten ihren frö hlichen Spielen und Sprü ngen eine Weile zu. Plö tzlich entdeckte ich
in der Ferne ein Boot, in dem ein Eingeborener zu sitzen schien. Erschrocken wies ich
meine Sö hne an, die Kanonen zu laden. Das Kajak war hinter den Felsen verschwunden und
tauchte bald darauf schon viel nä her auf, dann verschwand es wieder hinter einer Klippe.
Wir zogen die weiße Flagge hoch, allerdings bezweifelte ich, dass die Eingeborenen dieses
Zeichen verstehen wü rden. Langsam segelten wir in Richtung der Stelle, an der wir den
Eingeborenen zuletzt gesehen hatten. Als wir etwas nä her waren, rief ich durch das
Sprachrohr einige malaiische Grü ße, die ich mir fü r solche Zwecke gemerkt hatte. Jack
nahm mir das Sprachrohr aus der Hand und schickte meinen Grü ßen ein paar derbe
englische Matrosenflü che hinterher. Das schien zu wirken, denn sofort kam der
Eingeborene mit einem grü nen Zweig in der Hand wieder zum Vorschein und ruderte
geradewegs auf uns zu. »Aber das ist ja Fritz!«, rief Jack lachend. »Was macht der Kerl denn
fü r Faxen?«
Wahrhaftig: Jetzt erkannten wir ihn deutlich, wie er auf seinem walrosskö pfigen Kajak
daherkam mit schwarz gefä rbtem Gesicht und Hä nden und einem Kopfschmuck aus Federn
und Zweigen. Er winkte und warf uns Kusshä nde zu und benahm sich auch sonst ganz
verrü ckt. Als er uns erreicht hatte, holten wir ihn samt dem Kajak an Deck und begrü ßten
ihn stü rmisch, so dass einiges von der Farbe, mit der er sich bemalt hatte, an uns haften
blieb. Wir bedrä ngten ihn, uns seine Abenteuer zu erzä hlen, und ich fragte, ob er das Ziel
seiner Fahrt erreicht hä tte, von dem seine Brü der ja nichts wussten.
»Ja«, sagte er, »ich bin vollkommen glü cklich!«
Seinen Aufputz erklä rte er damit, dass er uns fü r malaiische Seerä uber gehalten habe. »Ich
wollte euch von dem Inselchen fernhalten, auf dem ich mein Lager aufgeschlagen habe.«
Gerne hä tte ich gleich die ganze Geschichte gehö rt, aber Katharina bestand darauf, dass wir
uns erst die Farbe von den Gesichtern wuschen. Dann stieg schon die Flut und trieb uns
gegen das Land, so dass wir einen Ankerplatz suchen mussten. Fritz schlug eben jene Insel
vor, von der er gekommen war. Vorsichtig wendeten wir die Pinasse, aber Fritz war so
ungeduldig, dass er wieder ins Kajak sprang und uns vorausfuhr. Er lotste uns in eine
hü bsche kleine Bucht, deren Wasser tief genug fü r die Pinasse war. Wir legten an und
banden das Boot an einem Baum fest. Fritz war schon an Land gegangen und in einem
Palmenwä ldchen verschwunden. Dort stand eine kleine, ganz einfach gebaute Hü tte. Als
wir nä her kamen, sahen wir davor eine Feuerstelle, auf der ein Topf mit Riesenmuscheln
stand. Fritz hatte in den Wald hineingerufen. Als wir ihn erreichten, errö tete er heftig. Fast
im selben Augenblick hö rten wir ein Rascheln aus den Palmenwipfeln, und eine schlanke
Gestalt in Kadettenuniform kletterte am Stamm herunter und blieb scheu am Fuß des
Baumes stehen.
Und wir? Auch wir standen da wie vom Donner gerü hrt. Ein Mensch! Nach zehn langen
Jahren der Einsamkeit ein Bote aus einer fernen Welt! Ein sonderbares Glü cksgefü hl
verschloss mir den Mund, und wir starrten uns die lä ngste Zeit nur an. Fritz war der Erste,
der das Schweigen brach. Plö tzlich riss er sich den Hut vom Kopf, schleuderte ihn in die
Luft und rief: »Es lebe der junge Lord Montrose von der rauchenden Klippe! Er sei uns
willkommen als Freund und Bruder in unserem Familienkreis.«
Jetzt lö ste sich die Spannung mit einem Schlag, und seine Brü der umringten den neuen
Gefä hrten. Fritz wollte seinen Brü dern wohl vorerst verschweigen, dass es sich um ein
Mä dchen handelte. Und obwohl ich kaum glauben konnte, dass sie es nicht merkten, spielte
ich mit. Ich gab Katharina ein Zeichen, nahm den Fremdling bei den Hä nden und fü hrte ihn
zu ihr. Sie schloss ihn in die Arme. »Willkommen bei uns, mein liebes Kind«, sagte sie und
kü sste es auf den Mund. Das Mä dchen brach in Trä nen aus und barg ihr Gesicht am Hals
der Mutter. Fritz schien zwischen Ergriffenheit und Jubel zu schwanken und blickte, die
Unterlippe kauend, zur Seite. Ich wandte mich an die etwas verblü fften drei anderen und
bedeutete ihnen, ihre Fragen vorerst fü r sich zu behalten und sich dafü r um einen Imbiss
zu kü mmern. Man mü sse dem Fremdling Zeit lassen, sich an uns zu gewö hnen.«
»Das fä llt mir schwer«, rief Jack, »ich bin so entsetzlich glü cklich, dass ich gar nicht weiß,
was ich vor Vergnü gen anfangen soll.«
»Komm«, sagte Ernst, »wir gehen zum Boot und holen etwas zu essen und zu trinken. Wenn
Hunger und Durst gestillt sind, wird Fritz sicher Lust zum Erzä hlen haben.«
Damit rannten sie davon und kamen bald mit allem Nö tigen zurü ck. Beim Kochen hä tte sich
unser angeblicher Lord Eduard Montrose beinahe verraten. Denn er stellte sich viel
geschickter dabei an als meine Sö hne, die trotz der langen Ü bung mit der Zeit immer
weniger Lust an der Kochkunst gezeigt hatten und auch nicht eben talentiert darin waren.
Bald saßen wir an unserem Feldtisch und verspeisten nach Jacks Urteil ein wahres
Gö tteressen. Dazu tranken wir ein paar Krü ge von unserem besseren Met und einige der
letzten Flaschen des alten Kanariensektes vom Wrack, die ich vorsorglich eingepackt hatte.
Die vier Brü der wurden vom Wein unbä ndig lustig, und da sie dem Lord gefallen wollten,
machten und sprachen sie allerhand Unsinn. Fritz zeigte eine Mischung aus Ü bermut und
Eifersucht. Schließlich schien es mir an der Zeit, die Tafel aufzuheben, bevor es zu Streit
kam. Lord Eduard wollte wieder auf seinen Baum klettern, aber Katharina ließ es nicht zu
und bestand darauf, dass er mit uns auf dem Schiff ü bernachtete.
»Ach«, sagte Fritz, »unser Freund ist keineswegs verwö hnt, hier hat er stets in den Ä sten
eines Baumes geschlafen, wä hrend ich in der Hü tte die Nacht verbracht habe. Auf unserer
Reise aber ging es noch unbequemer zu. Denn stets ü bernachteten wir auf Klippen im
Meer, um vor wilden Tieren sicher zu sein. Wir zogen das Kajak an Land, schlü pften so weit
in die Sitzlö cher, wie es ging, und deckten uns mit Schilf notdü rftig zu. Auf diesem
Inselchen haben wir nur haltgemacht, weil ich das Kajak ausbessern musste.«
Katharina brachte unseren Gast zum Schiff, da man dem Mä dchen ansah, wie mü de es war.
Die vier Brü der hingegen, die durch die Erzä hlung von Fritz neugierig geworden waren,
hatten ü berhaupt keine Lust, sich schlafen zu legen. Lange saßen wir noch am Feuer, aßen
Pinienkerne und plauderten. Die drei Jü ngeren bestü rmten Fritz mit Fragen, und er gab
bereitwillig Auskunft, erzä hlte vom Albatros und von seiner Reise. Dabei verwechselte er
immer ö fter Sir Eduard mit Miss Jenny. Die Brü der hö rten ihm belustigt zu und machten
sich Zeichen. Als Jack fragte, ob Fritz denn meine malaiischen Zurufe nicht verstanden
habe, meinte er: »Freilich. Aber umso mehr glaubte ich, dass ihr Seerä uber seid. Denn Sir
Eduard hatte mir erzä hlt, dass diese sich hä ufig in der Gegend herumtreiben. Als ich aber
die englischen Matrosenflü che hö rte, dachte ich, ein Schiff kö nnte gekommen sein, um Miss
Jenny zu retten und da …«
»Verraten! Verraten!«, riefen seine Brü der lachend, »Sir Eduard hat sich in einem Satz in
eine Miss Jenny verwandelt.«
Fritz gab die Tä uschung endlich zu, und alle waren zufrieden und legten sich endlich
ebenfalls schlafen.
Am folgenden Morgen machten sich die drei jü ngeren Brü der einen Spaß daraus, Miss
Jenny Lord Eduard zu nennen, so dass ihre zukü nftige Schwester errö tete und kaum
aufzusehen wagte. Schließlich gab sie sich einen Ruck und reichte jedem die Hand. Knips,
der die Szene beobachtet hatte, sprang zu Jenny hin und streckte ebenfalls die Hand aus,
die sie lachend schü ttelte.
»Pass auf Fritz. Er hä lt um ihre Hand an«, sagte Jack, was ihm von seinem Bruder einen
bö sen Blick eintrug.
Das Frü hstü ck aßen wir in munterer Stimmung. Ernst hatte in letzter Zeit weiter mit
Kakaobohnen experimentiert. Vor allem hatte er es geschafft, durch Pressen der Masse die
Kakaobutter zu entfernen. So entstand eine festere Schokolade, in die er Nü sse, Mandeln
und Rosinen mischte und die er zu Tafeln goss. Besonders Miss Jenny war begeistert, als er
ihr ein Stü ck davon als Willkommensgeschenk reichte. »Die schmeckt vorzü glich«, sagte
sie, »besser als die Schokolade zu Hause.«
Ernst strahlte vor Stolz. Wir beschlossen, so bald wie mö glich nach Felsenheim
zurü ckzukehren. Den Nachmittag verbrachten wir mit Packen. Miss Jennys Sachen hatte
Fritz in einem leeren und halbierten Fä sschen hinter dem Kajak hergeschleppt. Die meisten
ihrer Besitztü mer hatte sie selbst gemacht. Mit Hilfe eines starken Messers, das sie
glü cklicherweise bei sich gehabt hatte, hatte sie in den fast drei Jahren ihrer
Abgeschiedenheit eine erstaunliche Menge nü tzlicher Gegenstä nde hergestellt, die wir
sorgfä ltig in der Pinasse verstauten.
Am Tag der Heimreise war Jenny als Erste wach. Bevor wir losfuhren, holte sie aus einer
kleinen Bucht ihr einziges Haustier, von dem wir noch gar nichts gewusst hatten, einen
zahmen Kormoran.
»Ich habe ihn nur versteckt, weil er so schlecht riecht«, sagte Jenny. »Aber er ist mir eine
große Hilfe gewesen. Ich habe ihn nach chinesischer Art zum Fischfang abgerichtet.«
Endlich bestiegen wir die Pinasse und steuerten in Richtung Perlbai, der wir vor unserer
Rü ckkehr noch einen kurzen Besuch abstatten wollten.
11. Kapitel Wie Jenny auf die rauchende Klippe kam. Endlich ein
Schiff. Neu-Schweizerland!
Fritz, der wieder sein Kajak bestiegen hatte, diente uns als Lotse, und nachdem wir mit
seiner Hilfe glü cklich durch das Riff gekommen waren, gelangten wir bald an Land. Am Ufer
war alles noch so, wie wir es zurü ckgelassen hatten. Die Muscheln waren in der Sonne
getrocknet und stanken nicht mehr. Von den Gerippen des Ebers und der zwei Lö wen
hatten die Aasvö gel alles Fleisch gepickt, und sie lagen weiß gebleicht in der Sonne.
Wir bauten unser Zelt am Strand auf, um tagsü ber vor der Sonne, in der Nacht vor kü hlem
Wind geschü tzt zu sein. Dann ging es ans Ö ffnen der Perlmuscheln. Jedes Mal, wenn jemand
eine besonders schö ne Perle fand, brach er in Jubel aus. Miss Jenny schien sich mehr fü r die
feinen Fasern oder Fä den an den Muschelschalen zu interessieren als fü r die Perlen, die uns
hier auf der Insel ohnehin nichts nü tzten. Als Katharina sich ans Kochen des Mittagessens
machte, eilte Jenny ihr nach und sagte lä chelnd: »Heute Mittag gibt es ein schö nes
Fischgericht.«
»Ich glaube nicht, dass die Zeit reicht, um Fische zu fangen«, sagte Katharina.
»Doch, doch«, sagte Jenny lä chelnd. Sie nahm ihren Kormoran, sprang ins Kajak und
ruderte ein paar Steinwü rfe in die Bucht hinaus. Hier legte sie dem Vogel einen Ring um
den Hals, damit er seinen Fang nicht verschlingen konnte, und ließ ihn frei. Der Kormoran
flatterte ü ber dem Wasser, tauchte ab und kam kurz darauf mit einem silbern glä nzenden
Fisch zurü ck. In kurzer Frist hatte Miss Jenny mehr Fische zusammen, als wir essen
konnten. Sie befreite den Kormoran von seinem Halsring und fü tterte ihn zur Belohnung
fü r seine Arbeit mit den kleineren Fischen.
»Wahrhaftig«, sagte Katharina, »unsere neue Gefä hrtin ist eine richtige Fee!«
Nach dem Abendessen kamen wir endlich dazu, uns Fritz’ Erzä hlung anzuhö ren. Jenny
legte sich schlafen, da sie die Geschichte schon kannte und mü de war von der ungewohnten
Gesellschaft.
»Als ich mich von euch trennte, war die See ruhig«, erzä hlte Fritz, »aber in meinem Inneren
war ich aufgewü hlt. Zum einen fragte ich mich, ob ich die rauchende Klippe jemals finden
wü rde, zum anderen fü rchtete ich mich vor den hundert Gefahren, die mir unterwegs
lauerten.
Anfangs ruderte ich krä ftig in die offene See hinaus, aber es kam Wind auf, und ich hatte
Angst, zu weit von der Insel weggetrieben zu werden. Als ich mich dem Land wieder etwas
genä hert hatte, brach auch wirklich ein Sturm los. Jetzt waren es die Klippen und die starke
Brandung, die ich fü rchtete. Aber gegen Abend legte sich der Sturm. Sehr weit gekommen
war ich nicht, da ich jeder Biegung der Kü ste gefolgt war. An Land wagte ich nicht zu
schlafen, weil ich fü rchtete, von wilden Tieren angefallen zu werden, also ü bernachtete ich
auf einem Fels draußen im Meer.
Am folgenden Morgen setzte ich meine Suche nach der rauchenden Klippe fort. Ich fuhr um
jedes Inselchen und jede Klippe herum, fand aber keine Spur von einem Menschen. Die
Kü ste war jetzt flach und sandig. In einiger Entfernung vom Strand sah ich dichte Wä lder.
An den Bä umen wuchsen zahlreiche Schlingpflanzen. Große Schwä rme von Tukanen mit
riesigen gelben Schnä beln nisteten in den Bä umen. Etwas weiter die Kü ste entlang gab es
keine Klippen mehr, und ich gelangte in eine weite Bucht. Erst dachte ich, es sei ein
schmaler Meeresarm, durch den ich meinen Weg fortsetzen konnte. Wohl eine Stunde lang
paddelte ich an ihm entlang, bis ich merkte, dass ich auf einem Fluss unterwegs war und
dass ich die Strö mung nur nicht gespü rt hatte, weil gerade Flut war. Aber die Gegend war
so hü bsch, dass ich trotzdem weiterfuhr. Auch hier wuchsen an den Bä umen viele
Schlingpflanzen, Lianen und Pfefferranken. In den Ä sten sah ich Baumratten, kleine Affen
und Meerkatzen. Besonders komisch kam mir eine Art großer Wasservö gel vor, die sich,
wenn ich mich nä herte, wie tot ins Wasser fallen ließen. Sobald ich sie aber mit dem Paddel
anstieß, tauchten sie blitzschnell unter und steckten nur dann und wann den Kopf aus dem
Wasser, um zu sehen, ob ich noch da war.
Nach einer Weile kam ich zu einer kleinen Bucht und beschloss, an Land zu gehen und mich
ein wenig auszuruhen. Ich wollte einen Vogel fü r den Adler schießen und erwischte auch
schnell einen Tukan, aber was fü r ein entsetzliches Konzert fing da an, ein Pfeifen,
Krä chzen, Schnattern und Schreien. Ich hatte schon Angst, die Vogelarmee wü rde ü ber
mich herfallen und sich fü r ihren toten Artgenossen rä chen, also sprang ich schnell zurü ck
ins Kajak. Die Vö gel wurden bald wieder still und ließen mich in Ruhe, aber plö tzlich hob
sich ganz in meiner Nä he aus dem Schilf eine riesige dunkle Masse. Ich erkannte sofort,
dass es ein Nilpferd mit einem Jungen war. Zum Glü ck schienen die beiden aber genauso
erschreckt von mir zu sein wie ich von ihnen, und so flohen wir gleichzeitig voreinander in
unterschiedliche Richtungen. Jedenfalls hatte ich jetzt genug von der Flussfahrt und kehrte
um. In der Bucht fand ich nur eine winzige Klippe, auf der ich die Nacht verbringen konnte.
Zu Abend aß ich ein paar Austern, die ich auf dem Felsen mü hsam zusammensuchte.
Ich schlief nicht gut auf dem harten Lager. Am nä chsten Morgen war ich frü h wach und fuhr
weiter nach Westen die Kü ste entlang. Der Landstrich war schö ner als alle, die ich bisher
gesehen hatte. Wasserfä lle stü rzten von mä chtigen Felswä nden herab, kleine Bä che
schlä ngelten sich durch grü nes Hü gelland. Die Luft war erfü llt von Vogelgezwitscher, und
es roch wunderbar nach allen mö glichen Blumen. Ü berall grasten Herden von Lamas und
Vikunjas. Ich ging an diesem lieblichen Ort an Land und schoss zwei entenartige Vö gel. Ich
hatte die ganze Zeit das seltsame Gefü hl gehabt, beobachtet zu werden. Als die Vö gel am
Spieß ü ber dem Feuer brieten, sah ich in den Gebü schen um mich herum einige hö chst
verdä chtige Augenpaare. Ich konnte nicht genau sehen, wem sie gehö rten, aber ich fü hlte
mich doch ziemlich unheimlich. Also sprang ich in mein Boot und fuhr ein Stü ck weit
hinaus. Kaum war ich davon, hü pften zwei haarige, rotbraune Gesellen aus dem Gebü sch.
Jetzt erkannte ich, dass es große Affen waren, vermutlich Orang-Utans. Sie untersuchten
neugierig meine Lagerstelle, wü hlten in den Vogelfedern herum und beschnü ffelten mein
Messer, das ich vergessen hatte. Endlich setzten sie sich in einiger Entfernung vom Feuer
auf den Boden und betrachteten andä chtig meine zwei brutzelnden Enten. Langsam bekam
ich Angst um meinen Braten. Wenn die zwei Onkel noch lange da saßen, wü rde mein
Mittagessen verkohlt sein. Endlich ging das Feuer aus. Den Affen schien es langweilig zu
werden, und sie verschwanden im Gebü sch, wie sie gekommen waren. Ich wartete noch
einen Moment, dann ging ich an Land. Mein armer Braten! Auf der einen Seite verkohlt, auf
der anderen halb roh. Ungenießbar! Wenigstens fraß der Adler ein wenig davon. Ich
hingegen jagte noch einmal zwei Enten, aber bis die gerupft und zubereitet waren, war der
grö ßte Teil des Nachmittags verstrichen. Die Zeit reichte gerade noch, um mir eine Insel
zum Ü bernachten zu suchen.
Das Ufer, das ich am nä chsten Tag entlangfuhr, war unfruchtbar und einfö rmig. Aber die
seichte Bucht war ein Paradiesgarten, wie ich ihn noch nie gesehen habe. Das Wasser war
ruhig und so klar, dass ich auf dem weißen Sandboden unzä hlige Muschelarten sehen
konnte, die dort lagen wie in den Schaukä sten einer Naturaliensammlung. Ich sah
Tritonshö rner, Leoparden- und Turbanschnecken, Kahnfü ßer und Abalonen. Dazwischen
Seesterne und in den Ritzen einiger dunkler Felsen ganze Kolonien von Seeigeln und
Seeanemonen. Dazwischen schossen Schwä rme winziger leuchtender Fischchen herum,
aber auch grö ßere bunt gefleckte und gestreifte. Als ich an Land ging, sah ich, dass der
schneeweiße Sand aus zermalmten Korallen und Muscheln bestand.
Obwohl ein Fluss in die Bucht mü ndete, schien der Boden im Landesinneren trocken und
wenig fruchtbar zu sein. Ich paddelte in den Fluss hinein, da sah ich ein paar
Bü chsenschü sse entfernt eine Herde Elefanten, die sich an einer morastigen Stelle im
Schlamm wä lzten. In der Nä he gab es Mimosengebü sche, die den Riesenviechern wohl als
Futter dienten. Ich beschloss, mir auch diesen Landstrich nä her anzusehen.
Glü cklicherweise machten sich die Elefanten gerade davon. Sie mussten dabei den ziemlich
tiefen Fluss durchqueren und taten es in einer langen Reihe, wobei jeder seinem
Vordermann den Rü ssel auf den Rü cken legte, wohl um besser atmen zu kö nnen.
Nachdem sie außer Sichtweite waren, fuhr ich weiter den Fluss hinauf, der sich zusehends
verengte und bald nur noch zwanzig oder dreißig Fuß breit war. Der Boden war von der
Sonne hart gebrannt und von einem Netz von Spalten ü berzogen, die seltsame Muster
bildeten. In der Ferne entdeckte ich ganze Herden von Antilopen und Giraffen, die mit
eleganten Bewegungen ü ber die Steppe trabten. Auch ein Rhinozeros sah ich, das mit
seinem Horn Kakteen aufschlitzte und dann mit seiner dicken Oberlippe das Mark
herausklaubte und fraß, ohne sich um die Stacheln zu kü mmern. Ich bekam es nun doch ein
wenig mit der Angst zu tun, denn ein solches Tier hä tte mein Schiffchen ohne Mü he
zertrampeln kö nnen. Also kehrte ich um und fuhr zurü ck zur Mü ndung. In der Nä he der
morastigen Stelle, wo vorhin die Elefanten gewesen waren, sah ich ein paar Kaimane oder
Alligatoren, die blitzschnell ins Wasser glitten, als ich mich nä herte. Zum Nachtessen
harpunierte ich einige Fische, von denen der Fluss voll war. Die Nacht verbrachte ich auf
einer Sandbank und trä umte von baumlangen Alligatoren, die mich umringten und nach
mir schnappten.
Auch am nä chsten Tag ging ich an Land, um fü r den Adler einen Vogel zu schießen. Ich
erlegte einen Papageien und schaute dem Adler zu, wie er sein Mahl verzehrte. Dabei
vergaß ich vö llig, mein Gewehr nachzuladen. Auf einmal hö rte ich ein Knistern hinter mir,
und als ich mich umdrehte, erstarrte ich fast vor Schreck. Nur wenige Meter von mir
entfernt stand ein riesiger Tiger, der mich mit einem Sprung hä tte niederwerfen kö nnen.
Da hö rte ich plö tzlich das Flattern des Adlers. Er schoss ü ber meinen Kopf hinweg und
stü rzte sich auf den ü bermä chtigen Feind. So wü tend hackte er nach dessen Augen, dass ich
Zeit hatte, eine Pistole aus dem Gü rtel zu ziehen. In diesem Moment warf der Tiger seinen
Oberleib in die Hö he, packte den Adler mit beiden Pranken und riss ihn zu Boden. Dort
blieb er liegen und rü hrte sich nicht mehr, ich war sicher, dass der Tiger ihn getö tet hatte.
Es zerschnitt mir das Herz, aber ich durfte keine Sekunde verlieren. Ich feuerte die Pistole
ab, und der Tiger brach zusammen. Aber noch bevor ich nachladen und ihm den Rest geben
konnte, sprang er wieder hoch und verschwand mit großen Sä tzen im Unterholz. Ich hob
den toten Adler auf und zog mich langsam zum Ufer zurü ck, den Dschungel ließ ich dabei
nicht aus den Augen. Ich band den toten Adler vorne auf dem Kajak fest und machte mich
davon. Mein Herz klopfte wie wild nach der ü berstandenen Gefahr.
Jetzt ging es wieder um Felsen und Klippen herum. Ich war nah daran, die Suche
aufzugeben, da sah ich – nein, ich tä uschte mich nicht – ü ber einer kleinen Felseninsel eine
dü nne Rauchsä ule aufsteigen! Ich schrie laut auf vor Freude und Aufregung. Das musste die
rauchende Klippe sein! Dort wü rde ich die schiffbrü chige Englä nderin finden! Ich ruderte,
so schnell ich konnte, auf die Insel zu. Keinen Moment lang dachte ich daran, dass
Seerä uber oder Eingeborene das Feuer gemacht haben kö nnten.
Als ich etwas nä her kam, sah ich, dass der Rauch von der mir abgewandten Seite des
Eilands kam. Ich fand eine Stelle, an der ich mit dem Kajak anlegen konnte und sprang aus
dem Boot. Ein paar wie von Menschenhand aufgeschichtete Steine fü hrten empor, und im
Nu hatte ich die hö chste Stelle erreicht. Mir stockte der Atem. Dort, am rauchenden Feuer,
saß eine schlanke junge Gestalt in einer Kadettenuniform. Hä tte sie nicht in diesem
Moment ihr langes, blondes Haar zurü ckgeworfen, so hä tte ich geglaubt, es sei ein Mann.
Am liebsten hä tte ich laut aufgeheult vor Freude, aber ich wollte das Mä dchen nicht
erschrecken. Ich wusste ja nicht, wie lange es schon auf dieser Insel lebte und keinen
Menschen mehr gesehen hatte. So stieß ich mit dem Fuß ein Steinchen an, das den Berg
hinunterkollerte. Die junge Frau wandte den Kopf, sah das Steinchen und folgte mit dem
Blick dem Weg, den es gekommen sein musste. Da entdeckte sie mich. Sie wurde
leichenblass, stand auf und blieb reglos stehen, den Blick immer auf mich geheftet.
Langsam nä herte ich mich ihr. Ein paar Schritte von ihr entfernt blieb ich stehen. Ich
konnte kaum sprechen und sagte nur mit zitternder Stimme: ›Ich bin der Retter. Ich habe
den Albatros gefangen und die Nachricht an seinem Bein entdeckt. Und jetzt habe ich auch
die rauchende Klippe gefunden und dich.‹ Da wurde ihr Gesicht plö tzlich ganz rot vor
Freude, sie streckte mir die Hä nde entgegen und sagte halb weinend, halb lachend:
›Willkommen!‹ Mein Englisch ist ja wirklich nicht das beste, aber sie hatte mich verstanden.
Anfangs dachten wir nicht ans Essen und nicht ans Trinken, nicht an ein Schiff oder ein
Obdach. Wir konnten nicht aufhö ren, uns zu umarmen, uns gegenseitig auszufragen und
uns unsere Geschichten zu erzä hlen. Jenny fasste sich als Erste und sagte, sie werde etwas
fü r uns kochen. Wä hrend des Essens redeten wir weiter. Als wir uns endlich schlafen
legten, zog sich Jenny ins hintere Ende einer kleinen Grotte zurü ck, das sie mit einer Art
Vorhang aus Schilf und Grashalmen vom vorderen Teil abgetrennt hatte. Vorne verbrachte
ich die Nacht, aber ich tat kein Auge zu, immer musste ich an Jenny denken. Am Morgen, als
ich endlich doch eingeschlafen war, schlü pfte sie hinter dem Vorhang hervor und weckte
mich lachend und scherzend wieder auf.
Da die See an diesem Tag unruhig war und ich Jenny ü berzeugt hatte, gleich mit ihrem
ganzen Hausrat mit mir zu kommen, verschoben wir die Abreise und packten in Ruhe ihre
Sachen. Ich konnte nur immer wieder staunen, was sie in den Jahren auf diesem Eiland
alles zustande gebracht hatte. Was mir Jenny am vorigen Abend, an diesem Tag und auf der
Heimreise erzä hlt hat, das ergä be noch einmal ein Buch.
Am dritten Tag war alles zur Abreise bereit. Wir mussten nur ein Kistchen voll Muscheln
und ein Fass mit gerä uchertem Fleisch zurü cklassen, das der Sturm an die Insel gespü lt und
das viel zu Jennys Ü berleben beigetragen hatte. Die See war wieder ruhig, und wir wä ren
wohl bald zu Hause gewesen, wenn das Kajak nicht durch einen Fels so stark beschä digt
worden wä re, dass wir einen Halt einlegen mussten, um es zu reparieren. Das war auf jener
Insel, auf der ihr Jenny zum ersten Mal getroffen habt. Ich will sie Freudenau nennen.«
Die Erzä hlung von Fritz hatte bis nach Mitternacht gedauert. Wir waren alle noch hellwach
vor Aufregung und vor Freude, trotzdem legten wir uns hin. Aber ich war wohl nicht der
Einzige, der in dieser Nacht nicht schlafen konnte.
Am nä chsten Morgen ging es weiter mit dem Erzä hlen, denn die drei jü ngeren Brü der
ließen Jenny keine Ruhe, bis sie auch ihre Geschichte wenigstens in groben Zü gen erfahren
hatten.
Jenny war die einzige Tochter eines englischen Oberst, der in Indien Kriegsdienst geleistet
hatte. Der Oberst hatte fü r eine gute Erziehung seiner Tochter gesorgt, sie lernte neben den
ü blichen Fertigkeiten auch Reiten, Fechten, Schießen und Jagen. Vor einigen Jahren hatte
der Oberst den Befehl erhalten, einige ausgemusterte Soldaten zurü ck in die Heimat zu
begleiten. Da entschloss er sich, selbst seinen Abschied zu nehmen und mit seiner Tochter
nach England zurü ckzukehren. Auf dem Kriegsschiff konnte er Jenny nicht mitnehmen, so
musste sie, nur von einer Gesellschafterin begleitet, mit der Dorcas reisen, die ebenfalls
nach England in See stach. Die Bark geriet in eine Reihe von Stü rmen und wurde weit von
ihrem Kurs abgetrieben, so dass der Kapitä n nicht mehr wusste, wo sie sich befanden. In
einer finsteren Sturmnacht lief das Schiff auf einem Fels auf. Die Mannschaft sprang in die
Rettungsboote, die aber sofort von der See verschlungen wurden. Nur Jenny wurde von
einer Welle an Land gespü lt, wo sie besinnungslos liegenblieb. Als sie zu sich kam, war sie
ganz allein auf dem Inselchen und sah kein Lebenszeichen der Mannschaft oder ihrer
Gesellschafterin.
Die ersten Tage war sie wie gelä hmt und ernä hrte sich nur von ein paar Eiern, die sie den
Strandvö geln aus den Nestern stahl. Am dritten Tag besserte sich das Wetter endlich und
Jenny hoffte, dass eines der Rettungsboote den Sturm ü berstanden hatte. Sie musste nur
ein Feuer entfachen, damit die Mannschaft sie finden kö nnte. An Bord der Dorcas hatte sie
aus Bequemlichkeit die Kleider eines Seekadetten getragen und auch ein Messer und ein
Feuerzeug mit sich gefü hrt. Das kam ihr jetzt zugute. Um ihren wenigen Zunder zu sparen,
hielt sie das Feuer immer am Brennen, erst mit angeschwemmtem Holz vom Wrack der
Dorcas, spä ter mit trockenem Gras oder Seetang. Im Gegensatz zu uns hatte das tapfere
Mä dchen kaum etwas vom untergegangenen Schiff retten kö nnen. Nur einige Lebensmittel
wurden angespü lt, ein Fass mit Fleisch und eines mit Bier. Aus den angetriebenen Brettern
konnte sie ein paar Nä gel ziehen, die sie als Werkzeuge benutzte. Mit großer
Erfindungskraft und voller Zuversicht stellte sie alles Mö gliche her, um das Leben auf der
kleinen Insel erträ glicher zu machen.
Als Material fü r Hausrat und Kleider dienten ihr Knochen, Federn, Schnä bel, Fü ße,
Gedä rme und Hä ute verschiedener Tiere. An einigen zierlich geflochtenen Schnü ren aus
ihren eigenen Haaren befestigte sie Angelhaken aus Perlmutt. Aus dicken Fischgrä ten mit
durchgebranntem Ö hr hatte sie Nadeln gemacht. Eine große, mit Seehundfett gefü llte
Herzmuschel mit einem Docht aus einem baumwollenen Halstuch diente ihr als Lampe,
eine grö ßere Muschel als Kochtopf. Auch ein paar feine Pinsel aus Seehundshaar in
Federkielen besaß sie, dazu ein Mü schelchen voll der schö nsten Purpurfarbe, die sie aus
einer Art Flechte gewonnen hatte. Damit hatte sie die Botschaft geschrieben, die Fritz am
Bein des Albatros gefunden hatte. Aus Seehundfellen und Vogelhä uten hatte sie sich
Kleider, Gü rtel und Strü mpfe genä ht und zwei Paar Sandalen aus einem Stü ck doppelt
genommener Seehundshaut.
In all der Zeit der Not und Entbehrung hatte Jenny nie daran gezweifelt, dass sie
irgendwann gerettet werden wü rde. Alle Robinsone, von denen man lese, das war ihre
drollige Erklä rung, seien ja irgendwann gerettet worden.
Viel Arbeit hatte ihr die Zä hmung und Erziehung einiger Vö gel bereitet, die sie als Kü ken
aus den Nestern stahl. Immer wieder waren diese Vö gel jedoch durch Unfä lle gestorben
oder einfach nicht mehr von einem Ausflug zurü ckgekehrt. Das war auch mit dem Albatros
geschehen, den Fritz gefunden und mit einer Nachricht an Jenny zurü ckgeschickt hatte.
Seine Botschaft hatte sie nie erreicht.
»Wo mag er jetzt wohl herumfliegen?«, sagte sie lä chelnd. »Am Ende hat ihn schon wieder
jemand gefangen und liest nun viele hundert Meilen entfernt unsere beiden Nachrichten.«
Damit streckte sie dem glü cklich lä chelnden Fritz die Hand hin und umarmte dann zä rtlich
die Mutter.
Am nä chsten Tag machten wir uns endgü ltig auf den Heimweg. Jenny brannte vor Neugier
auf das Felsenhaus und das Baumschloss, von denen ihr die Brü der die tollsten Dinge
erzä hlt hatten. Ü berhaupt wetteiferten sie darin, dem Mä dchen zu gefallen. Ich hatte sie
schon lange nicht mehr so vergnü gt und munter gesehen.
Wir fuhren auf offener See nach Hohentwiel, wo wir die Nacht verbringen wollten. Fritz
und Franz ruderten im Kajak weiter nach Felsenheim, um dort alles fü r einen festlichen
Empfang vorzubereiten. Als ich dies vorgeschlagen hatte, hatte Fritz nur kurz gezö gert,
weil er sich ungern von seiner neuen Freundin trennte. Aber die Aussicht, fü r sie das Heim
vorzubereiten, schien ihm wohl ebenso schö n wie ihre Gesellschaft.
Als wir anderen am nä chsten Tag in die Rettungsbucht einfuhren, donnerten von der
Haifischinsel Salutschü sse. Dann sahen wir Fritz und Franz ins Kajak springen und
blitzschnell ans Ufer rudern, wo sie noch vor uns anlangten, uns willkommen hießen und
uns beim Ausschiffen halfen.
Jenny kam nicht aus dem Staunen heraus ü ber unsere prä chtigen Anlagen. Uns selbst
wurde durch ihr Lob das alte Heim ganz neu und doppelt lieb. Als nun auch noch aus allen
Ecken unser Geflü gel hervorkam, das eine zahm, das andere scheu, traten Jenny Trä nen in
die Augen und sie rief: »Nein, wie schö n es bei euch ist!«
In der kü hl beschatteten Galerie entdeckten wir zu unserer Freude einen reich gedeckten
Tisch, auf dem alles stand, was wir an neuem und altem Geschirr besaßen, Kokosschalen,
Becher von Straußeneiern, Kalebassenteller und Bambusbesteck, aber auch Teller,
Flaschen und Glä ser, die wir vom Wrack gerettet hatten. Ü ber dem Tisch hatten Fritz und
Franz die ausgestopften Vö gel aus unserem Naturmuseum aufgehä ngt und dazwischen eine
mit Blumen geschmü ckte Tafel, auf die sie geschrieben hatten: Hoch lebe Miss Jenny
Montrose. Willkommen im Heim der schweizerischen Robinsons! Die Szene hatte etwas
Paradiesisches. Die Gefä ße waren reich gefü llt, mit allem, was die zwei Kö che in der Eile
aufgetrieben hatten: Feigen, Ananas und Orangen, Pistazien und Honig, außerdem Kä se aus
Schafs- und aus Kuhmilch, verschiedene Nü sse und eingelegte Kapern. Dazu gab es ein
warmes Fischgericht, Thunfisch in Ö l, Sardinen und ein Spanferkel auf einer wä rmenden
Kohlenpfanne. Die Krü ge waren gefü llt mit Met, Wein und Milch. Fritz und Franz lä chelten
uns mü de, aber glü cklich an. Ich nahm an, dass sie die ganze Nacht mit den
Festvorbereitungen zugebracht hatten.
Miss Jenny erhielt den Ehrenplatz zwischen mir und Katharina. Ernst und Jack setzten sich
ebenfalls. Fritz und Franz ließen es sich nicht nehmen, uns zu bedienen. Dabei hä ngten sie
sich Handtü cher ü ber die Arme wie richtige Kellner, schnitten das Spanferkel auf und
wechselten unsere Teller mit einer Geschicklichkeit und einem Eifer, die ich selten bei
ihnen gesehen hatte.

Der Nachmittag war ein neues Fest, wobei Jenny fast nicht zu Atem kam. Denn rechts und
links, vorne und hinten hieß es: »Jenny komm hierher! Steig da hinauf! Sieh dies! Schau dir
das an!« Das Mä dchen wurde nicht mü de, alles mit Bewunderung und Beifall zu betrachten.
Ein wenig war es mir, als wü rden wir unseren Reichtum jetzt erst schä tzen, wo wir ihn mit
jemandem teilen konnten.
In Haus und Hö hle, auf dem Vorplatz und im Garten blieb kein Winkel ungezeigt. Endlich
ließ Jenny die vier eifrigen Herren stehen und ging zu Katharina in die Kü che, um ihr zu
helfen, aber wohl auch, um endlich ein wenig Ruhe zu haben.
Am folgenden Tag zogen wir alle zusammen nach Falkenhorst, zum einen, um den lange
vernachlä ssigten Wohnsitz wieder instand zu setzen, zum anderen, um ihn Jenny
vorzufü hren. In der Tat war dort alles ziemlich verwahrlost. Aber nie war uns die Arbeit so
leicht von der Hand gegangen wie jetzt, wo Jenny mithalf und ihr frö hliches Lachen uns
begleitete. Die Brü der wetteiferten darum, von ihr gelobt zu werden. Kaum aber war das
Baumhaus einigermaßen hergestellt, ging es nach Waldegg und Hohentwiel. So vergingen
die Tage und Wochen. Jenny war immer mit uns, und wir hatten uns bald so an sie
gewö hnt, dass wir uns gar nicht mehr vorstellen konnten, wie wir einst ohne sie
ausgekommen waren.
Als die Regenzeit kam, wurden auch diese trü ben Wochen aufgehellt durch ihre
Gesellschaft. Wir lernten viel voneinander, und es war schö n zu sehen, wie meine Jungen
sich bemü hten, ihr tapsiges, und manchmal grobes Wesen abzulegen und feinere Manieren
anzunehmen. Keiner leckte mehr sein Messer ab, griff mit den Fingern in die Schü sseln
oder wischte sich die schmutzigen Hä nde an den Hosen ab. Auch stutzten die jungen
Mä nner ihre Bä rte und reinigten vor dem Essen ihre Fingernä gel.
»So viel Seife wie in den letzten Wochen haben wir die ganzen Jahre nicht verbraucht«,
sagte die Mutter lachend. »Ich hoffe, unser Vorrat reicht, bis die Regenzeit vorü ber ist.«
Jenny veranstaltete Englischkurse, die wir alle begeistert besuchten. Dabei zeigte es sich,
dass das Mä dchen nicht nur klettern und reiten konnte, sondern sich auch in der Literatur
bestens auskannte. Sie brachte uns Sonette bei und las uns aus einigen englischen
Romanen vor, die wir vom Wrack gerettet, aber bisher kaum beachtet hatten. In den
folgenden Wochen zogen sie und die vier jungen Mä nner sich immer wieder zurü ck und
schienen etwas auszuhecken. Eines Tages ü berraschten sie Katharina und mich mit einer
Theatervorfü hrung. Sie spielten eine Komö die des großen Schriftstellers Shakespeare, die
ich nicht kannte. Sie hieß Der Sturm und handelte vom Zauberer Prospero und seiner
Tochter Miranda, die auf eine einsame Insel verschlagen werden. Am Schluss des Stü ckes
werden sie gerettet und fahren zusammen nach Hause zurü ck. Die Brü der spielten diese
Szene mit so viel Begeisterung, dass mir wieder einmal bewusst wurde, wie sehr sie sich
insgeheim danach sehnten, unsere Insel verlassen zu kö nnen. Katharina und ich klatschten
vor Begeisterung. Alle waren sehr bewegt, und Jenny, die noch im Kostü m der Miranda
war, hatte Trä nen in den Augen. Das Schauspiel gefiel uns so gut, dass wir die Kinder baten,
es am nä chsten Tag gleich noch einmal aufzufü hren.
So ging die Regenzeit diesmal viel schneller vorü ber als in frü heren Jahren, und wir wurden
fast ü berrascht von der schö nen Jahreszeit. Wie Tauben schlü pften wir aus dem Schlag und
genossen die frische Luft und den blauen Himmel. Es gab viel zu tun in den Gä rten und auf
den Feldern. Dann wurde das Wetter noch einmal stü rmisch, wie oft am Ende der
Regenzeit, und wir mussten ein paar Tage in der Hö hle bleiben. Am ersten schö nen Tag
beschloss Fritz, zur Haifischinsel zu rudern, um nachzusehen, ob die Stü rme das
Wachthä uschen beschä digt hä tten. Jack begleitete ihn.
Ich saß am Strand und genoss die Sonne. Nur dann und wann schaute ich hinü ber zu den
beiden Brü dern und staunte ü ber die Geschicklichkeit, mit der sie auf den Felsen
herumkletterten. Wir hatten abgemacht, dass sie zwei Kanonenschü sse abfeuern sollten,
wie wir dies all die Jahre von Zeit zu Zeit gemacht hatten, um vorü berfahrenden Schiffen
ein Signal zu geben oder Notleidenden die Richtung anzuzeigen. Ich hö rte die zwei Schü sse
und sah die zwei jungen Mä nner reglos neben der Kanone stehen. Da machte einer von
ihnen – das musste Fritz sein – eine heftige Armbewegung und der andere sprang in die
Luft. Die beiden umarmten sich und standen wohl eine Minute so umschlungen. Ich fragte
mich, was los war. Da sah ich sie schon mit atemberaubender Geschwindigkeit die Felsen
herunterklettern und ins Kajak springen.
Sie ruderten genau auf mich zu. Fritz stieg als Erster aus dem Boot. Er wankte und war
kreidebleich.
»Was gibt’s?«, rief ich bestü rzt.
»Vater«, keuchte er heiser, »hast du nichts gehö rt?«
»Hast du denn nichts gehö rt?«, schrie auch Jack, dem Trä nen ü ber das Gesicht liefen.
»Was soll ich denn gehö rt haben außer eurem Geknalle?«
»Es kam eine Antwort!«
»Unsinn«, sagte ich, »das muss das Echo eurer Schü sse gewesen sein.«
»Aber Vater«, sagte Fritz, »wir kö nnen doch das Echo von einem Antwortschuss
unterscheiden. Wir haben doch schon fü nfzigmal von der Warte geschossen. Der Knall kam
viel zu spä t fü r ein Echo. Und es waren drei Schü sse!«
»Habt ihr denn etwas gesehen? Ein Schiff? Oder wenigstens den Rauch der Kanonen?«
»Nichts, gar nichts«, sagte Jack, »die Schü sse schienen von Westen zu kommen. Aber Schall
kann tä uschen. Vater, was sollen wir tun?«
Ich war ganz erschü ttert und wusste nicht, was ich sagen sollte. Wir hatten die Kanone
abgefeuert, um Schiffe anzulocken, aber ich hatte mir nie ü berlegt, was wir tun wü rden,
wenn tatsä chlich eines antwortete. Waren es Europä er oder Malaien? Waren es Piraten,
arme Verlorene oder glü ckliche Entdecker? Sollten wir uns zu erkennen geben oder uns
verstecken? Ich versammelte die ganze Familie, da ich mich selbst nicht entscheiden
konnte. Mittlerweile brach die Nacht herein, und wir beschlossen, die Entscheidung auf den
nä chsten Tag zu verschieben. Aber wir hielten die ganze Nacht Wache, um mö gliche Signale
nicht zu verpassen.
Die Nacht war stü rmisch und es regnete. Außer dem Wind und dem Prasseln des Wassers
auf unser Vordach war nichts zu hö ren. Zwei Tage und zwei Nä chte wü tete der Sturm so
heftig, dass nicht daran zu denken war, auf die Haifischinsel hinauszufahren. Erst am
dritten Tag wagten wir es, obwohl die See noch immer unruhig war. Diesmal fuhr ich mit
Jack hinü ber, und wir verabredeten, dass ich bei Gefahr einen Wimpel dreimal schwingen
wü rde. Schwang ich ihn nur zweimal und zog ihn dann an der Fahnenstange hoch, so gab es
gute Neuigkeiten, und die Familie brä uchte nicht zu fliehen.
Wir landeten mit klopfenden Herzen auf der Haifischinsel und stiegen eilig zum Wachthaus
hoch. Dunkel und leer lag das Meer vor uns. Ich hatte immer grö ßere Zweifel, ob Jack und
Fritz sich nicht getä uscht und das Gerä usch der Wellen oder einen Felssturz gehö rt hatten.
Also beschloss ich, drei Kanonenschü sse abzufeuern. Ich lud die Kanone, Jack feuerte sie ab.
Zwischen den Schü ssen ließen wir zwei Minuten verstreichen. Dann spitzten wir die Ohren
und – ein dumpfer Knall! – eine Pause von ein paar Minuten – ein zweiter Knall, ein dritter!
Sieben Schü sse hintereinander! Jack tanzte wie ein Betrunkener. Schnell schwang ich den
Wimpel zweimal und hisste ihn. Dann erst wurde mir bewusst, dass wir ja gar nicht
wussten, wer gefeuert hatte. Also luden wir die Kanone nach, und Jack stand mit
brennender Lunte Wache, wä hrend ich nach Felsenheim zurü ckfuhr.
Alle waren in grö ßter Erregung. Als ich anlegte, sprang Fritz mit einem Satz zu mir ins Boot.
»Wo sind sie? Sind es Englä nder? Was ist es fü r ein Schiff?«, riefen alle durcheinander. Zwar
hatten sie die Antwortschü sse nicht gehö rt, aber unser Signal hatte ausgereicht, sie vor
Erwartung fast außer sich zu bringen. Jetzt musste ich sie enttä uschen, da ich noch nichts
Genaueres wusste. Aber ich schlug vor, mit Fritz die Kü ste entlangzupaddeln, um nach dem
Schiff Ausschau zu halten. Die sonst so besonnene Jenny hatte den Kopf ganz verloren. Sie
lief hin und her und sang vor sich hin.
»Bestimmt ist mein Vater gekommen, um mich zu retten«, sagte sie.
Ich erinnerte mich daran, wie Fritz uns getä uscht hatte, als er meinte, wir seien malaiische
Seerä uber. Deshalb suchte ich allerlei Felle, Federn und Stoffe zusammen, damit wir uns
verkleiden kö nnten.
»Als Eingeborene wird man uns viel weniger beachten«, sagte ich, »und niemand wird
vermuten, dass bei uns Schä tze zu finden sind.«
Trotz dieser Vorkehrungen wies ich Jack und Franz an, das Vieh nach Falkenhorst zu
treiben, und Jenny und Katharina, Mä nnerkleider anzuziehen. Vor allem aber sollten sich
alle bewaffnen.
Es war gegen Mittag, als ich endlich mit Fritz ins Kajak stieg und vom Ufer abstieß.
Katharina hatte Trä nen in den Augen, aber Jenny trö stete sie und machte Spä ße ü ber »die
zwei wilden Mä nner«, wie sie sagte. In unserer Verkleidung mü ssen wir wirklich
absonderlich ausgesehen haben, zwei bä rtige Eingeborene mit rußverschmierten
Gesichtern und Federschmuck. Sollten wir gefangen werden, wollten wir im rausten
Schweizerdeutsch sprechen, im sicheren Vertrauen darauf, dass man es fü r eine
Eingeborenensprache halten wü rde. Wir hatten Gewehre und Pistolen dabei, aber wir
wü rden sie nur im ä ußersten Notfall gebrauchen, um uns nicht zu verraten.
Schweigend und etwas bange ruderten wir aus der Rettungsbucht und die felsige Kü ste
entlang. Nach ungefä hr einer Stunde kamen wir zu einem Vorgebirge, hinter dem wir das
Schiff vermuteten. Viel weiter entfernt konnte es nicht sein, sonst hä tten wir die
Kanonenschü sse kaum gehö rt. Wir ü berprü ften noch einmal unsere Verkleidung, nahmen
einen Schluck Wein und umfuhren das Felskap.
Was wir erblickten, lö ste sofort unsere Beklemmung und ließ alle Angst verschwinden: In
der kleinen, von einer hohen Felswand umgebenen Bucht, die sich vor uns auftat, lag ein
europä isches Schiff, das zwar teilweise abgetakelt war, aber an dessen Flaggenstock die
englische Fahne wehte. Gerade fuhr eine Schaluppe vom Schiff dem Strand zu.
Fritz war kaum zu bremsen. Am liebsten wä re er ins Wasser gesprungen und
hinü bergeschwommen. Aber ich hielt ihn zurü ck, denn es hä tte ja sein kö nnen, dass das
Boot von Seerä ubern gekapert worden war. Oder die Mannschaft kö nnte die Offiziere
ü berwä ltigt, gemeutert und das Schiff deshalb in diese abgelegene Gegend gesteuert haben.
Wir fuhren mit dem Kajak hinter einen Fels und kletterten so hoch hinauf wie mö glich. Von
hier aus konnten wir mit den Fernglä sern bequem zum Schiff und zum Strand
hinü bersehen. Es war eine nicht sehr große Fregatte, die leicht ausgerü stet, aber doch mit
acht oder zehn Kanonen bewaffnet war. Die Segel waren heruntergelassen, das Schiff lag
vor Anker. Am Land sahen wir drei Zelte und den Rauch einer Feuerstelle. Die Seeleute
schienen nicht sehr zahlreich zu sein, auf dem Schiff sahen wir nur zwei Wachen.
Mir schien es nicht allzu gewagt, wenn wir uns endlich zeigten. Doch wollten wir auf keinen
Fall unser Kajak verlassen und uns vorerst auch nicht als Europä er zu erkennen geben. Es
muss ein seltsames Schauspiel gewesen sein, wie wir hinter dem Fels hervorruderten und
ganz verwundert taten. Der Kapitä n und einige Seeleute beobachteten uns vom Land aus
und winkten uns mit ihren Taschentü chern, nä her zu kommen. Sie streckten ihre leeren
Hä nde in die Hö he, wohl um uns zu zeigen, dass sie unbewaffnet waren. Wir fuhren nä her
zum Schiff und sahen, dass auf der uns abgewandten Seite grö ßere Ausbesserungsarbeiten
im Gang waren.
Durch ein Sprachrohr rief der Kapitä n uns zu, wer wir seien, woher wir kä men und wie die
Kü ste genannt wü rde. Ich antwortete so laut ich konnte mit den drei Worten: »Englishmen,
good men!« Dabei nä herten wir uns dem Strand ein wenig. Die Seeleute zeigten uns rotes
Tuch, Beile und andere Kostbarkeiten, wie sie im Tauschhandel mit Eingeborenen oft
verwendet werden. Sie baten uns rufend um Kokosnü sse, Feigen und Pataten, worauf ich
antwortete: »Yes, yes! Many, many!« Fritz konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen.
»Schnell zurü ck jetzt!«, raunte ich ihm zu.
Wir winkten den Englä ndern, krä chzten immer wieder »Englishmen! Englishmen!«, und
paddelten um die Felsnase herum. Kaum waren wir außer Sichtweite, mussten wir herzlich
lachen.
»Ist es denn mö glich!«, rief ich. »Menschen! Ein Schiff! Europä er!«
»Vater, du weinst«, sagte Fritz ergriffen. Aber auch ihm standen Trä nen in den Augen.
»Komm, nach Hause«, sagte ich und fasste mich, »so schnell wie mö glich. Die Mutter! Was
wird die Mutter sagen?!«
Mit aller Kraft paddelten wir heimwä rts. Sobald die Rettungsbucht in Sicht war, schossen
wir als ein glü ckliches Zeichen gleichzeitig unsere Pistolen ab. Sofort kam die Antwort vom
Land, und die Familie versammelte sich jubelnd und Taschentü cher schwenkend am
Strand.
Jenny war mit unserer Erzä hlung nicht sonderlich zufrieden. Sie fand, wir hä tten uns zu
erkennen geben sollen. Bestimmt sei auf dem Schiff ihr Vater. Katharina aber lobte unsere
Vorsicht und meinte, wir zwei seltsamen Gestalten hä tten wohl nicht den besten Eindruck
gemacht, wenn wir an Land gegangen wä ren. Unter allgemeinem Beifall beschlossen wir,
alle zusammen mit der Pinasse zur Bucht zu segeln.
Ich kann die Aufregung kaum beschreiben, die jetzt in Felsenheim ausbrach. Alle
schmiedeten und verwarfen Plä ne, malten sich unsere Rü ckkehr nach Europa aus,
sprachen von Hoffnungen und Wü nschen. Keiner schien daran zu zweifeln, dass wir in
Kü rze wieder zu Hause in der Schweiz sein wü rden. Nur Katharina schaute mich manchmal
forschend an. Ich selbst war hin- und hergerissen. Zum einen sehnte ich mich nach der
alten Heimat, zum anderen war unsere Insel mir zu einer neuen geworden. Ich merkte, wie
lieb und teuer sie mir nach all den Jahren der Arbeit und des Aufbaus war. So sehr ich
meinen Sö hnen gö nnte, die Welt kennenzulernen und mit anderen Menschen in Kontakt zu
treten, so ä ngstlich war ich, sie kö nnten schlechten Einflü ssen ausgesetzt sein und ihre
Natü rlichkeit und Lebensfreude verlieren. Endlich entschloss ich mich, nicht weiter ü ber
diese Dinge zu grü beln und abzuwarten, was geschehen wü rde.
Der ganze folgende Tag verging mit der Ausrü stung der Pinasse. Vor allem beluden wir sie
mit viel frischen Frü chten und Gemü se. Wir brauchten auch noch den nä chsten Morgen fü r
unsere Vorbereitung. Gegen Mittag fuhren wir endlich los. Fritz machte mit seinem Kajak
den Lotsen, diesmal allerdings in einer Offiziersuniform aus einer der geretteten Kisten.
Behutsam durchfuhren wir mit halb gerafftem Segel die felsigen Stellen, dann ging es
hinaus aufs Meer, und wir kamen schneller voran. Wir brauchten keine halbe Stunde bis
zur Ankerstelle der englischen Fregatte. Kurz bevor wir sie erreichten, kletterte Fritz zu
uns an Bord. Wir hatten die englische Flagge hochgezogen und fuhren nahe an das fremde
Schiff heran. Die Mannschaft staunte nicht schlecht, als wir so stolz in die Bucht segelten.
Wä ren wir Seerä uber gewesen, ich glaube, wir hä tten das Schiff leicht entern kö nnen, denn
es war noch schwä cher besetzt als bei unserem ersten Besuch. Aber wir hatten friedliche
Absichten und begrü ßten die Englä nder mit Jubelgeschrei. Dann stieg ich mit Fritz ins
Kajak, und wir paddelten hinü ber.
Der Kapitä n befand sich an Bord. Er empfing uns mit großem Erstaunen, aber sehr
freundlich. Er lud uns in seine Kabine ein und ließ alten Kapwein auftragen. Dann fragte er
uns, welchem Glü ck er es verdanke, an dieser unbekannten Kü ste die englische Flagge zu
sehen. Ich erzä hlte in kurzen Worten, woher wir kamen und wer wir waren. Vor allem
erwä hnte ich Miss Jenny Montrose, da ich annahm, eine Landsmä nnin wü rde eher die
Teilnahme des Kapitä ns erwecken als eine Familie aus der Schweiz. Ich hatte mich nicht
getä uscht. Der Kapitä n erkundigte sich genau nach der jungen Miss und sagte, bei seinem
letzten Besuch in England habe er mit dem Kapitä n des Schiffes gesprochen, mit dem
Oberst Montrose aus Indien nach Hause gefahren sei. Er selbst nannte sich ü brigens
Littlestone, war Oberleutnant der kö niglichen Marine und Kapitä n der Unicorn. Sein Schiff
war unterwegs zum Kap der guten Hoffnung, wohin es Depeschen aus Sydney in
Neusü dwales zu bringen hatte. Er habe zudem den Auftrag erhalten, sich auf der Hinfahrt
nö rdlich zu halten, um nach der Dorcas zu suchen, die vor ungefä hr drei Jahren gesunken
sei. Es hatten sich nä mlich nach unsä glichen Leiden drei Matrosen und ein Bootsmann vom
Schiff retten und bis nach Sydney durchschlagen kö nnen. Und aus ihren Erzä hlungen habe
man hoffen dü rfen, dass noch weitere Passagiere ü berlebt hatten.
»Es hä tte nicht viel gefehlt, und wir wä ren weitergefahren«, sagte Kapitä n Littlestone,
»aber der Sturm hat uns drei Tage lang an diese felsige Kü ste gebannt. Schließlich haben
wir Schutz in dieser Bucht gefunden.« Sie hatten frisches Wasser und etwas Holz geladen,
als sie unerwartet die zwei Kanonenschü sse hö rten. Sie nahmen an, diese stammten von
der Mannschaft der Dorcas und machten sich auf, die Schiffbrü chigen zu suchen, als ein
neuer Sturm losbrach und die Fregatte an einen Fels warf und sie beschä digte. Seither
waren sie mit Reparaturarbeiten beschä ftigt.
Die unruhige See hatte einigen Mä nnern so zugesetzt, dass sie krank geworden waren und
an Land gebracht werden mussten. Darunter sei ein Master Wolston, sagte der Kapitä n, ein
sehr geschickter Mechaniker, der mit seiner Frau und seinen zwei Tö chtern als Passagier
auf dem Schiff mitfuhr.
Ich lud den Kapitä n auf unser Schiff ein, damit er die ganze Familie kennenlernen kö nne. Er
nahm die Einladung gerne an und schickte uns voraus, um die Damen von seinem Besuch
zu unterrichten. Fritz und ich ruderten zurü ck. Der Kapitä n kam erst eine halbe Stunde
spä ter nach, da er die Schaluppe vom Land hatte kommen lassen mü ssen. Er brachte seinen
Steuermann, Master Willis, und den Seekadetten Dunsley mit. Sie bewunderten unser Boot
und unsere Ausrü stung, und wir boten ihnen Erfrischungen an. Kurz, es knü pfte sich
schnell ein Band des Wohlwollens und Vertrauens zwischen uns. Bald war der Entschluss
gefasst: Wir wollten den Abend gemeinsam an Land verbringen, die Kranken besuchen und
dort ü bernachten.
Wir ruderten alle zusammen mit der Schaluppe an Land. Der Kapitä n gab den Befehl, Zelte
fü r uns aufzurichten. Dann stellte er uns der liebenswü rdigen Familie Wolston vor. Die
Mutter war sanft und verstä ndig, sie hatte zwei reizende Tö chter, von denen eine zwö lf, die
andere vierzehn Jahre alt war. Besonders Jenny schloss sofort Freundschaft mit den
Mä dchen. Zu dritt bereiteten sie aus unseren mitgebrachten Lebensmitteln ein kleines
Festessen vor. Es wurde ein wunderschö ner Abend mit freundlichen Gesprä chen. Erst spä t
verabschiedeten wir uns und zogen uns in die Zelte zurü ck. Aber Katharina und ich lagen
noch lange wach und berieten flü sternd die Zukunft. Je lä nger wir redeten, desto klarer
wurde uns, dass wir die neue Heimat nicht verlassen wollten. Katharina hatte Angst vor der
langen Seereise, und wir empfanden beide nicht die geringste Sehnsucht nach dem
unruhigen Treiben Europas. Hier hatte nach den langen Jahren unseres glü cklichen
Einsiedlerlebens jeder Stein sein Gesicht, jeder Baum seine Stimme bekommen. Katharina
wü nschte sich, dass auch zwei der Sö hne bei uns blieben. Die zwei anderen wollte sie der
alten Heimat zurü ckgeben. Dort wü rden sie vielleicht rechtschaffene Menschen finden, die
zu uns kommen wollten, um mit uns eine glü ckliche Kolonie zu grü nden, fü r die sie den
Namen Neu-Schweizerland vorschlug.
Ich stimmte ihr aus voller Seele zu, und wir beschlossen, gleich am nä chsten Tag mit
Kapitä n Littlestone zu sprechen und ihm gleichzeitig anzubieten, unsere Insel unter die
Schutzherrschaft von England zu stellen. Allerdings mussten wir noch entscheiden, wer
hierbleiben, wer zurü ckkehren sollte. Eigentlich konnten wir keinen unserer lieben,
großen, wilden Sö hne entbehren. Und was wü rde mit Jenny geschehen? Wü rde Fritz sie
alleine ziehen lassen? Aber diese Fragen mussten wir alle zusammen als Familie
beantworten.
Schon der folgende Tag brachte die Entscheidung. Beim Frü hstü ck wurde nä mlich
beschlossen, dass der Kapitä n, der Steuermann und der Kadett uns in Felsenheim besuchen
sollten. Den kranken Mechaniker und seine Familie wollten wir ebenfalls mitnehmen, da
sie es dort viel bequemer hä tten als in den Zelten.
Es war eine frö hliche Fahrt zurü ck. Fritz und Jack waren wieder mit dem Kajak
vorausgefahren. Welch ein Erstaunen sahen wir in den Gesichtern unserer Gä ste, als wir in
die Rettungsbucht einfuhren und sie Felsenheim in der Morgensonne strahlen sahen.
»Hier lä sst es sich wohnen«, rief der kranke Wolston und lebte richtig auf. »Glü ckliche,
glü ckliche Menschen!«
»Mutter, war hier nicht das Paradies?«, fragte die jü ngere seiner Tö chter strahlend.
»Nein, es war nicht, es ist!«, erwiderte die Mutter begeistert.
Nach der Landung wurden die Gä ste herumgefü hrt, und alles wurde ihnen gezeigt. Der
Steuermann und ich brachten den kranken Wolston in mein Zimmer. Katharina stellte ein
Feldbett fü r seine Frau hinein, damit sie auch in der Nacht bei ihm sein und ihn pflegen
konnte.
Nach dem Mittagessen machten wir einen Besuch in Falkenhorst, und auch dort staunten
die Gä ste ü ber unseren Wohlstand und unsere Einrichtung. Trotz Jennys Sprachkursen
haperte es vor allem bei den vier Burschen ein wenig mit dem Englisch, aber wir
verstanden einander auch so, und wenn uns die Worte fehlten, redeten wir mit Hä nden und
Blicken. Beim Abendessen bat uns der gute Wolston, seine volle Genesung bei uns
abwarten und auch die im Moment etwas schwä chliche ä ltere Tochter hier behalten zu
dü rfen. Die jü ngere sollte zu ihrem in Kapstadt wohnenden Bruder reisen, mit dem sie
dann zurü ckkehren kö nnte, um den Vater und die Schwester abzuholen. Es gefalle ihm
ausgezeichnet bei uns, und er hoffe, wenn er wieder gesund sei, uns mit Rat und Tat fü r die
Gastfreundschaft danken zu kö nnen.
»Es ist doch ein Glü ck, dass ich Mechaniker geworden bin und nicht Klavierlehrer«, sagte er
lachend. »So kann man mich hier bestens gebrauchen.«
Katharina und ich willigten gerne ein, und wir erzä hlten von unserem Entschluss, Neu-
Schweizerland nie mehr zu verlassen. Jetzt jubelte die ganze Gesellschaft und stieß mit
Kanariensekt an.
»Auch ich will hier leben und sterben«, sagte Ernst zu meiner Ü berraschung und stieß erst
mit der Mutter, dann mit mir und schließlich mit der jungen Betty Wolston an, die sanft
errö tete, ihn aber nicht unfreundlich anblickte.
»Und was haben die anderen vor?«, fragte Jenny. »Mich zieht es heim und drä ngt es
zugleich, hier zu bleiben.«
Rasch ergriff Fritz das Wort und sagte, er wü rde zu gerne nach Europa fahren. Dabei
schaute er Jenny, die ihn wohl verstanden hatte, in die Augen.
»Es ist nur anstä ndig«, sagte ich jetzt, »wenn Fritz an meiner Stelle die verlorene Tochter
ihrem Vater zurü ckbringt. Ernst dagegen wird bei uns bleiben und die Stelle des ersten
naturwissenschaftlichen Professors von Neu-Schweizerland einnehmen. Was ist mit euch,
Jack und Franz?«
»Jack bleibt hier«, antwortete der Ä ltere, »hier ist er der beste Reiter, der beste Kletterer,
der beste Schü tze, wenn Fritz einmal fort ist. Und es ist lustig hier. Von Europa mag ich gar
nichts hö ren. Dort wä ren sie imstande und wü rden mich in die Schule schicken. Brrr!«
»In eine rechte Schule mö chte ich gern«, sagte hingegen Franz. »In einer grö ßeren
Gesellschaft kann man auch etwas Grö ßeres werden als unter einem halben Dutzend
Robinsons. Es wä re ja vielleicht auch ganz gut, wenn wenigstens ein Mitglied unserer
Familie in die Schweiz zurü ckkehrt. Ich bin der Jü ngste und kann mich am leichtesten
wieder eingewö hnen. Was meinst du, Vater?«
»Du hast recht«, sagte ich, »ü berhaupt habt ihr alle gut entschieden. Jetzt mü ssen wir nur
noch Kapitä n Littlestone fragen, ob er unsere Wü nsche erfü llen kann.«
Wir schwiegen in gespannter Erwartung. Da erhob sich Kapitä n Littlestone und sagte: »Es
fü gt sich alles zum Besten. Ich hatte den Befehl, Schiffbrü chige zu suchen, und habe sie
gefunden, wenn auch nicht jene, die ich gesucht habe. Ich soll drei Personen zurü cklassen
und drei andere mitnehmen. Alle hä tten auf der Fregatte nicht Platz gehabt, umso
glü cklicher bin ich, dass keiner zurü ckbleiben muss, der es nicht will. Und vielleicht haben
wir eben den Grundstein fü r eine blü hende Ansiedlung gelegt. Es lebe Neu-Schweizerland!«
Jetzt standen auch wir auf. Die Mutter umarmte besonders zä rtlich die zwei Sö hne, die uns
verlassen wollten. Mir jedoch war ein großer Stein vom Herzen gefallen, da jeder das tun
konnte, was er sich wü nschte.
Ich will nicht von den Tagen der Vorbereitung erzä hlen, man kann sie sich leicht ausmalen.
Der Kapitä n drä ngte zur Eile, er fü rchtete, neue Stü rme kö nnten die Abfahrt weiter
verzö gern. Trotzdem ließ er uns genug Zeit, um voneinander Abschied zu nehmen. Dies fiel
uns nicht leicht. Katharina stattete Fritz und Franz mit Kleidern fü r Europa aus. Ich
ü bergab ihnen, was wir entbehren konnten, Muskatnü sse, Vanille, Korallen, einige unserer
prä parierten Tiere und vor allem den grö ßten Teil der Perlen, die in Europa ein Vermö gen
wert waren. Der Kapitä n schenkte uns als Dank fü r die Lebensmittel einige fast neue
Gewehre und ein paar Fä sschen Pulver. Wir gaben ihm Papiere, Geld und Uhren mit, die
wir vom Wrack gerettet hatten, damit er sie an die Hinterbliebenen der ertrunkenen
Mannschaft weitergeben kö nne. Ein kurzer Bericht und ein Verzeichnis der Mannschaft
unseres Schiffes, das ich in den Papieren des Kapitä ns gefunden hatte, ü bergab ich ihm
ebenfalls. Ernst schließlich ü berreichte ihm eine Liste der Tiere und Pflanzen, die wir auf
der Insel angetroffen hatten und eine detailgetreue Karte des Teils der Insel, den wir
kannten. Er hatte alle Ortsnamen eingetragen, auch das Kap Lebewohl und die Insel
Freudenau. In eine Ecke der Karte hatte er eine Windrose gezeichnet und darunter eine
englische und eine Schweizer Flagge.
Am meisten lag mir am Herz, meine scheidenden Sö hne mit all meiner Liebe auf die Reise
zu schicken. Fritz gestand mir, er wolle Oberst Montrose um die Hand seiner Tochter
bitten. Ich war nicht sehr erstaunt darü ber und gab den beiden meinen Segen.
Wir waren alle wehmü tig wegen des nahen Abschieds, zugleich freuten wir uns auf eine
vielversprechende Zukunft. Und wir durften hoffen, dass wir uns irgendwann wiedersehen
wü rden. Außerdem hatten wir so viel zu tun mit den Reisevorbereitungen, dass wenig Zeit
blieb, uns zu grä men.
Am letzten freud- und leidvollen Abend wollten alle tapfer sein, und so luden wir den
Kapitä n und die Schiffsoffiziere zum Abendessen ein. Dabei ü bergab ich Fritz feierlich
dieses Tagebuch, um es in Europa zu verö ffentlichen.
»Ich hoffe«, sagte ich, »der Bericht ü ber unser Leben auf dieser entlegenen Insel wird die
Menschen in der Heimat und vor allem die Kinder interessieren. Denn alle Kinder gleichen
sich, ob sie nun auf einer einsamen Insel leben oder in einem Dorf oder einer Stadt. Wir
gerieten in eine Lage, auf die uns keine Schule vorbereiten konnte. Am meisten geholfen
haben uns drei Dinge: Zuversicht und Lebensmut, harte Arbeit und schließlich die
Kenntnisse, die wir uns beim Lesen erworben hatten, ohne immer gleich daran zu denken,
wozu sie einmal gut sein wü rden. Den Kindern, die dieses Buch lesen, mö chte ich sagen:
Macht die Augen auf und seht euch um in der Welt. Freut euch am Leben und lernt! Wissen
ist Macht, Wissen ist Freiheit.«
Lange saßen wir an diesem Abend zusammen, redeten und sangen englische und
schweizerische Lieder. Als die Englä nder zu Bett gegangen waren, ging ich mit Fritz und
Franz hinunter zum Strand. Schweigend betrachteten wir den Sternenhimmel. »Wie weit
entfernt wir auch voneinander sein werden«, sagte ich schließlich, »wir leben unter
demselben Himmel. Und immer, wenn ich die Sterne betrachte, werde ich in Gedanken bei
euch sein. Was ich euch beibringen konnte, habe ich euch beigebracht. In Zukunft werdet
ihr euch auf euren eigenen Verstand verlassen mü ssen. Aber ich bin sicher, dass ihr euren
Weg machen und euer Glü ck finden werdet.«
 
Es ist spä te Nacht. Morgen frü h werde ich Fritz auch dieses letzte Kapitel ü bergeben. Gott
sei mit ihm und mit uns. Sei gegrü ßt, Alt-Schweizerland! Mö ge Neu-Schweizerland einst so
glü cklich erblü hen, wie du geblü ht hast in meiner Jugendzeit: brü derlich, freudig und frei.

Editorische Notiz
Ich habe den Schweizerischen Robinson als Kind gelesen und nie vergessen. Als ich das Buch
vor einiger Zeit meinen Kindern vorlesen wollte, fand ich, dass es in den USA. zwar immer
noch ä ußerst populä r war, im deutschen Sprachraum aber vergriffen und nahezu
vergessen. Also entschloss ich mich, eine neue, fü r Kinder geeignete Fassung zu schreiben.
Das Originalmanuskript von Johann David Wyss, das viele Zeichnungen seiner Sö hne
enthä lt, liegt heute in der Burgerbibliothek in Bern. Allerdings ist die Handschrift nur
schwer zu entziffern und wurde nie transkribiert. Schon die Erstausgabe, die von einem
seiner Sö hne zwischen 1812 und 1827 in vier Bä nden herausgebracht wurde, ist stark
gekü rzt und bearbeitet. Seither gab es die unterschiedlichsten Versionen. Sogar Jules Verne
schrieb eine Art Fortsetzung unter dem Titel »Das zweite Vaterland«.
Bei meiner Arbeit habe ich mich auf das Buch gestü tzt, das ich in meiner Kindheit gelesen
habe, eine Bearbeitung von Prof. Dr. Franz Reuleaux, die 1895 zum ersten Mal erschien und
bis 1962 in vielen Auflagen gedruckt wurde. Sie kommt der Erstausgabe am nä chsten und
wurde vom Verlag als die »einzige Originalausgabe« bezeichnet. Es ging mir nicht darum,
das Buch neu zu schreiben, sondern es Kindern wieder zugä nglich zu machen. Dazu habe
ich den Text gestrafft, einiges herausgestrichen und weniges hinzugefü gt, wie die
Herstellung von Schokolade, Ö lfarben und Seife, die im Original nicht beschrieben werden.
Von den 164 Tier- und den 102 Pflanzenarten, die in der Erstausgabe vorkommen, habe ich
so viele wie mö glich beibehalten, auch wenn sie unmö glich alle auf derselben Insel
vorkommen kö nnten.
Da die Mutter im Buch keinen Namen hatte, habe ich ihr jenen der zweiten Frau von Johann
David Wyss, Katharina, gegeben. Sie war die Mutter der vier Knaben, fü r die er den
Schweizerischen Robinson schrieb, und starb 1792, ein Jahr bevor er mit der Niederschrift
des Manuskripts begann.
Nachwort
Von Peter von Matt
Robinson kennt jeder. Selbst wer nie ein Buch gelesen hat. Aber warum eigentlich? Die
Antwort ist gar nicht so einfach. Gewiss ist die Geschichte vom Schiffbrü chigen auf einer
unbewohnten Insel spannend. Aber spannende Geschichten gibt es zu Tausenden. Warum
ragt diese eine aus der Flut des weltweiten Erzä hlens so unü bersehbar heraus? Nur das
Trojanische Pferd und Don Quijote vor den Windmü hlen sind ä hnlich berü hmt.
Es mü ssen uralte und gewaltige Ä ngste sein, die sich im Bild von Robinson mit ebenso
uralten und gewaltigen Lustvorstellungen verbinden. Diese paradoxe Mischung erfasst
unsere Phantasie und versetzt sie in schö pferische Tä tigkeit. Kein anderer Stoff der
Weltliteratur hat so viele Nachahmungen hervorgerufen. Und rasch gab es fü r diese auch
einen Namen: Robinsonaden. Welche Angst der Gedanke auslö st, allein auf einer fernen
Insel leben zu mü ssen, versteht sich. Wo findet man Unterschlupf, wovon kann man sich
nä hren, wie zü ndet man Feuer an, wie schü tzt man sich gegen gefä hrliche Tiere, wie
kommt man zu Werkzeugen und Waffen? Und was, wenn ein Unfall passiert? Wenn man
krank wird? Das Register der Nö te und Gefahren scheint endlos. Was aber fasziniert daran
trotz allem? Man ist die andern Menschen endlich einmal los! Man lebt kö niglich frei. Es
gibt keine Befehle mehr, keine Gesetze, keine beobachtenden Augen! Niemand, der mich
verachten, beschimpfen, schuldig sprechen kann. Das ist ein Wunsch, der tief in uns allen
wohnt. Dadurch wird der Schrecken verlockend und der Horror ein Genuss. Was Robinson
unsterblich gemacht hat, ist diese erregende Mischung der Gefü hle.
Wenn aber die Magie, die von Robinson ausgeht, so tief in der menschlichen Natur wurzelt,
dann kann Daniel Defoes Roman von 1719 nicht das erste Werk sein, das diesen seelischen
Komplex dichterisch umsetzt. Tatsä chlich gibt es das Motiv vom Schiffbrü chigen, der seine
Gefä hrten verliert, gibt es das Stranden auf einer unbekannten Insel und die Abenteuer
daselbst, seit die Menschen anfingen, einander Geschichten zu erzä hlen. Sofern sie denn am
Meer wohnten und Schiffe bauen konnten. Schon in der Odyssee findet sich eine Kette
solcher Berichte, wobei auf den Inseln jeweils Ungeheuer hausen wie der Kyklop oder aber
schö ne, liebeswillige Frauen wie Kirke oder Kalypso. Der totalen Einsamkeit auf einem
wü sten Eiland begegnen wir im Schicksal von Philoktet, das Sophokles einer seiner
Tragö dien zugrunde gelegt hat. Zu den Seefahrern gehö ren immer auch die einsamen
Inseln. Ein prä chtiges Beispiel ist Sindbad der Seefahrer aus dem Umkreis von
Tausendundeiner Nacht. Da liest man sich von einem Wunderland zum nä chsten. Auch
Shakespeares letztes Werk, Der Sturm, spielt auf einem solchen Schauplatz, mehr als
hundert Jahre vor Daniel Defoes Robinson Crusoe.
Wenn es das alles immer schon gab, was machte dann diesen Robinson so sensationell?
Dass er so sachlich ist, so nü chtern realistisch, ohne alles Wunderbare und Mä rchenhafte.
Das Unglü ck passiert hier einem, der ist wie wir alle; es hilft ihm kein Zauberer und keine
Fee. Er muss sich durchschlagen von Tag zu Tag, und das wird vom Erzä hler so prä zis
registriert, wie ein Verhaltensforscher das Leben eines Insekts beobachtet. Dieser
naturwissenschaftlich genaue Blick auf jede Stunde des Ü berlebenskampfes ist das Neue an
Robinson. Er macht aus dem Mä rchen ein Dokument, wenn auch ein erfundenes, und wir
wissen beim Lesen: So wä re es auch uns ergangen; so hä tten auch wir uns in der Not zu
helfen versucht. Wobei wir mit einigem Bangen zweifeln, ob wir auch ü ber Robinsons
Geschicklichkeit verfü gt hä tten.
Es gibt Robinsonaden, in denen unter den Hä nden der Inselbewohner eine neue Welt
entsteht, die besser ist als die unsrige, und andere, in denen das Gegenteil geschieht. Die
Grundsituation, dass einer anfangen muss, als wä re er der erste Mensch, ist auf viele
Lö sungen hin offen. Darin spiegelt sich von Fall zu Fall das Bild, das der Autor oder die
Autorin vom Menschen ü berhaupt hat. Das Inselleben wird zum Test auf dessen Fä higkeit,
die Welt schrittweise besser zu machen oder aber in immer neues Unheil zu stoßen.
Insofern ist jede Robinsongeschichte auch ein philosophisches Experiment.
Der schweizerische Robinson ist die weltweit berü hmteste Robinsonade in der Nachfolge
von Defoes Roman. Merkwü rdigerweise ist er aber in der Schweiz, wo er entstanden ist,
und im ü brigen deutschen Sprachgebiet, zu dessen Literatur er gehö rt, kaum mehr
bekannt. In den USA und Kanada hingegen liebt ihn jedes Kind. The Swiss Family Robinson
ist dort nicht nur der Name eines immer neu aufgelegten Romans und seiner zahlreichen
Verfilmungen, dieser Titel ist auch das eingebü rgerte Stichwort fü r jene inhaltliche
Einzelheit, mit welcher das Buch kurzerhand identifiziert wird: das Baumhaus. Das
Baumhaus aus dem Schweizerischen Robinson wurde zu einer mythischen Grö ße in der
Welt der internationalen Jugendliteratur, allen englischsprachigen Halbwü chsigen so
selbstverstä ndlich vertraut wie Huckleberry Finns Floß auf dem Mississippi. Deshalb bauen
jedes Jahr begeisterte Jugendliche in Tausenden von amerikanischen Hintergä rten solche
Baumhä user.
Der Grundeinfall des Verfassers, gleich eine ganze Familie auf einer exotischen Insel
stranden zu lassen, lö st ein Problem, das die Robinsonaden-Schreiber seit langem hatten.
Defoes Roman, durchaus fü r Erwachsene geschrieben, war rasch ein beliebtes Jugendbuch
geworden und auch in entsprechenden Bearbeitungen verbreitet. Da musste der Gedanke
naheliegen, auch einmal ein einsames Kind auf so eine Insel zu bringen. Weil dieses aber
nur gegen alle Wahrscheinlichkeit ü berlebt hä tte, blieben die vielen unfreiwilligen
Inselbewohner bis zu Johann David Wyss durchweg junge Erwachsene. Mit der Idee vom
Schiffbruch einer vielkö pfigen Familie konnte Wyss das Dilemma bewä ltigen. Nun gab es
gleich ein Quartett von kleinen Robinsonen – wohlbeschü tzt allerdings von einem
besonnenen Vater und einer tatkrä ftigen Mutter.
Vier Jungen also – und warum kein Mä dchen? Dachte der Verfasser so patriarchalisch, dass
er sich wissentlich um die vielen Mö glichkeiten eines geschlechterdifferenzierten
Erzä hlens brachte? Die Antwort hä ngt mit der Entstehung des Buches zusammen. Johann
David Wyss, Pfarrer am ehrwü rdigen Berner Mü nster, hatte vier Sö hne im gleichen Alter
wie die Jungen auf der Insel. Fü r sie dachte er sich die Geschichte aus. Dabei gab er den
Kindern im Roman die Charakterzü ge seiner Sö hne. An einen Druck dachte er nicht. Es war
das innerfamiliä re Bildungsunternehmen eines aufgeklä rten Erziehers. Den Burschen
sollte, wä hrend sie der spannenden Story lauschten, ein Spiegel vorgehalten werden. Einer
von ihnen, Johann Rudolf Wyss, wurde Professor der Philosophie in Bern. Er war ein
gewandter Publizist und verö ffentlichte nach vielen Jahren das Manuskript des Vaters. Vier
Bä nde wurden es insgesamt; der erste erschien 1812, der letzte 1827. Der Erfolg setzte nur
zö gernd ein, zog dann aber immer mä chtiger an, und im fremdsprachigen Ausland war er
bald grö ßer als in der Heimat.
Jede Robinsonade ist ein philosophisches Experiment. Sie deckt die Natur des Menschen
auf, so wie der jeweilige Autor sie versteht. Eine moderne Variante, Herr der Fliegen von
William Golding, in der eine Gruppe Halbwü chsiger auf eine Insel verschlagen wird, legt die
Abgrü nde von Gewalt und Grausamkeit im Menschen frei. Von so etwas kann bei Johann
David Wyss keine Rede sein. Er ist ein frommer Aufklä rer; der Mensch ist fü r ihn auf das
Gute und Vernü nftige angelegt. Diese Anlagen entwickeln sich durch Belehrung und das
vorgelebte Beispiel. Im Roman handeln die Eltern so ihren Kindern gegenü ber, und der
Herr Pfarrer Wyss unternahm dies gegenü ber seinen Sö hnen mithilfe des Romans.
Verstand und Klugheit, Geschicklichkeit und Phantasie zeichnen den vernü nftigen
Menschen aus. Diese Eigenschaften ermö glichen ihm das Ü berleben im Urwald. Die ebenso
naturhafte Gü te des Menschen aber verhindert Streit und Eifersucht; an deren Stelle treten,
von den Eltern behutsam gefö rdert, Eintracht und Hilfsbereitschaft.
Keine Gewalt also, nichts Bö ses auf dieser Insel, soweit das Auge reicht? Das denn doch
nicht. Und damit ist vom heikelsten Punkt des Buches fü r heutige Leser zu reden. Gewalt
droht hier von den wilden Tieren. Ihnen begegnet man ganz selbstverstä ndlich mit
Gegengewalt. Da wird geschossen, was das Zeug hä lt. Und entsprechend gejubelt, wenn die
Bestien zur Strecke gebracht sind. Heute, wo alle freie Natur bedroht ist und die seltenen
Arten dahinsterben, mö gen sich manche an diesem rabiaten Jagdglü ck stoßen.
Jahrtausendelang aber lebte der Mensch am Rand einer wilden, grausamen und
unerschö pflichen Natur. Gegen sie grenzte er sich ab. Mit seinen Gä rten zeigte er, wie sie
sein sollte. Auf der Jagd ü bte er sich in der Verteidigung gegen ihre Gefahren. Das Buch
zeugt von einer Naturerfahrung, die sich erst im 20. Jahrhundert geä ndert hat. Dies
allerdings grundlegend. Heute sind Parks nicht mehr der Wildnis abgetrotzte Formen der
Zivilisation, sondern wir schü tzen die Reste der Wildnis, indem wir sie zu Parks erklä ren.
Der schweizerische Robinson ist also auch ein historisches Zeugnis fü r die Begegnung von
Mensch und Natur. Und da fä llt es denn ins Gewicht, dass diese Robinsone nie blindlings
gegen die Tiere wü ten. Vielmehr gilt ihre hö chste Leidenschaft und Freude dem sorgsamen
Zä hmen der wilden Wesen. Darü ber werden sie zu Freunden: das Ä ffchen, der Strauß, der
Bü ffel, der Adler …
Peter Stamm, ein herausragender Erzä hler der Gegenwart, hat es gewagt, das sperrige
Werk fü r heutige Leser zu bearbeiten. Er hat dem seltsamen Klassiker vieles von seiner
Fremdartigkeit belassen. Nun kann sich zeigen, wie die Kraft, mit der das Buch die
jugendliche Phantasie seit zweihundert Jahren immer neu entzü ndet hat, auch in unseren
Tagen fortwirkt.
Über Johann David Wyss & Peter Stamm
Johann David Wyss, geboren 1743 in Bern, lebte als Pfarrer in Bern. Er starb 1818 in seiner
Geburtsstadt.
 
Peter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und
Psychopathologie. Er arbeitete in verschiedenen Berufen, unter anderem in Paris und New
York. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor und Journalist. Er verö ffentlichte Romane,
Erzä hlungen, Theaterstü cke und Kinderbü cher. Den ›Schweizerischen Robinson‹ hat er
schon als Kind gelesen. Seither trä umt er davon, auf einer einsamen Insel zu leben. Die
neue Fassung hat er geschrieben, um sie seinen beiden Sö hnen vorzulesen.
 
Willi Glasauer, 1938 in Bö hmen geboren, arbeitet als freier Kü nstler fü r Fernsehen,
Zeitschriften, franzö sische sowie deutsche Verlage, mit dem Schwerpunkt Buchillustration.
Er schuf Illustrationen zu zahlreichen Bü chern, darunter Werke von Heinrich von Kleist,
Daniil Charms, Hans Fallada, Edgar Allen Poe und Hans Christian Andersen. Er lebt und
arbeitet im Wechsel in den Pyrenä en und in Berlin.
 
Weitere Informationen zum Kinder- und Jugendbuchprogramm der S. Fischer Verlage, auch
zu E-Book-Ausgaben, gibt es bei www.fischerverlage.de.

Impressum
Covergestaltung: Buchholz / Hinsch / Hensinger
CoveriIllustration: Willi Glasauer
 
›Der schweizerische Robinson‹ von Johann David Wyss erschien erstmals 1812/1813 in
zwei Bä nden unter dem Titel ›Der Schweizerische Robinson oder Der schiffbrü chige
Schweizer-Prediger und seine Familie. Ein lehrreiches Buch fü r Kinder und Kinder-Freunde
zu Stadt und Land‹ bei Orell, Fü ssli & Co., Zü rich.
 
Fü r diese Ausgabe:
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2012
Lektorat: Alexandra Rak
Satz: Dö rlemann Satz, Lemfö rde
Repro: Fotolito Longo, Bozen#
 
Nach den Regeln der neuen Rechtschreibung
 
Abhä ngig vom eingesetzten Lesegerä t kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom
Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschü tzt.
ISBN 978-3-10-402262-8
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