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Montags-Story 102 - Die letzten Wikinger in der Hochseefischerei

Die letzten Wikinger fahren in der Ein Wächter der Wach- und Schließgesell-
Hochseefischerei. schaft, der mühsam etwas an Bord schleppte,
sagte uns, daß die Fischer immer erst in der
von Obermaat Günter Burtack, 1963
letzten Minute kommen. Na ja, bis zum
Als ich im Jahr 1963 mit unserem Kom- Ablegen um 07:00 waren ja auch noch gut
paniechef der Schiffsstammkompanie in 20 Minuten Zeit.
Kiel-Wiek mal über Fischdampferreisen
Wir hatten die letzte Nacht in unserer Koje
sprach, da meinte dieser erfahrene See-
auf Geleitboot „Augsburg“ ohnehin schlecht
offizier zu mir, ich sollte das „man nach-
geschlafen und nun fühlten wir einen großen
lassen“, denn schon die Seefahrerei über-
Stein im Magen. Aufregung vor dem, was
haupt sei schwer. Fischdampferreisen aber
uns erwarten sollte. Am Kai stoppte ein
die Hölle auf Erden.
Lieferwagen, der Fahrer und ein junger
Dieser Ausspruch reizte mich. Mein Freund Bursche sprangen heraus und öffneten die
Willi Lincke und ich, beide Obermaate der Persenninge. Der junge Bursche war der
Bundesmarine, entschlossen uns zu einer Koch, erst 17 Jahre alt, wir schätzten ihn auf
Hochsee-Fischdampferreise. Ende 20, ein Bulle von Gestalt.
Wir wollten in unserem Urlaub erkunden
wie hart die Männer, die jahraus jahrein bei
jedem Wetter auf den Atlantik hinausfahren,
ihr Brot verdienen, ein hartes Brot.
Zunächst besorgten wir uns einen Gesund-
heitspaß und ein Seefahrtsbuch. Unser Taug-
lichkeitsgrad l, wir waren bei der Bundes-
marine U-Bootstauglich, wurde in der
Fischereiseefahrt nicht anerkannt.
Im Heuerbüro der Cuxhavener Nordsee-
reederei erfuhren wir, daß für die Reise der
„FRANKEN“ ein Leichtmatrose und als
Assi für den Koch, ein Kochsmaat gesucht
wurden. Der Koch hatte sich auf der letzten
Reise zwei Finger der linken Hand an der
Winsch abgeschert, aber krankgeschrieben
wird nicht.
Fanggebiet war das Gebiet um Island und die
Packeisgrenze vor Grönland. Die Reise
könnte je nach Fang bis 6 Wochen dauern.
Willi und ich hatten nur 21 Tage Urlaub,
aber den Mut zum Risiko, wir heuerten an. Ich stellte mich ihm als sein neuer Kochs-
Die „FRANKEN“ ist ein alter Seitenfänger, maat vor, er brummte kurz und dann
hat 542 BRT und wurde 1940 in Bremer- schleppten wir gemeinsam jede Menge
haven gebaut. Bis 1963 war kaum etwas Proviant an Bord.
modernisiert worden. Es blieb nicht bei diesem Lieferwagen, es
Montag. 23. August 1963 kamen der Schlachter, der Gemüsemann, der
Bäcker und der wichtigste, ohne den es
Morgens um 06:30 gingen Willi und ich mit keinen Fisch gäbe, der Bierkutscher.
unserem Seesack über die angestellte Leiter
an Bord. Wir schienen die ersten zu sein, Es war 07:00 Uhr als wir die letzte Kiste an
jedenfalls erblickten wir keine Menschen- Bord hievten und verstauten.
seele.
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Wir waren einigermaßen erschöpft und Bald war von Cuxhaven, dem Heimathafen
durchgeschwitzt, obwohl wir noch nicht mal der „FRANKEN“, nichts mehr zu sehen.
richtig an Bord waren. Wir passieren Feuerschiff „Elbe 1“.
Jetzt könnte die Fahrt losgehen. Man wartete Otto der Koch, ruft mich in die Küche, er hat
nun noch auf den Käpt'n. den „Alten“. Eine Arbeit für mich, drei Eimer Kartoffeln aus
Taxe hielt, der „Alte“ und der erste Steuer- der Last (Proviantraum des Schiffes) holen
mann stiegen aus. und schälen. Natürlich mit einem normalen
Messer, hier gibt es keine Schälmaschine.
Der Wächter nahm die Festmacherleinen
vom Poller, sie wurden eingeholt, das Für geübte Hände mag das noch zumutbar
Signalhorn dröhnte viermal, ablegen und sein, aber für einen der allenfalls der Mutter
auslaufen. zu Hause mal zur Hand geht, ist es durchaus
ungewohnt und langwierig.
Willi und ich gingen nun auf das Achter-
deck, wo die Fischer standen und ihren Koch Otto sah meinen Kummer. Es ist noch
Frauen am Kai zuwinkten. Von uns nahm kein Meister vom Himmel gefallen und Rom
keiner Notiz. ist auch nicht an einem Tag erbaut worden.
Dieses Wissen erleichterte mir die Arbeit
sehr, am letzten Tag meiner Küchenarbeit
schaffte ich die drei Eimer in zwei Stunden.
Willi kam in die Kombüse und grinste
schadenfroh. Jedenfalls zeigte er sich dann
kameradschaftlich und war mir beim
Schälen behilflich.
Die erste Arbeit war getan. An Steuerbord
sahen wir, kaum sichtbar in der Ferne, den
„Roten Felsen“, Helgoland.
Nun steuerten wir auf die Durchfahrtsstraße
zwischen den Shetland- und den Orkney-
Inseln zu.
Der Koch wollte uns nun unsere Unterkunft
zeigen. Sie befand sich im Achterschiff, wo
auch der Koch und der Maschinenassi unter-
gebracht waren.
Im Vorschiff waren die Fischer und der
Heizer untergebracht, wie wir später er-
Um ein erstes Gespräch zu beginnen, stellten lebten, sah es hier aus wie auf dem
wir uns einem einigermaßen vertrauener- Piratendeck zu Zeiten von Störtebeker. Der
weckend aussehendem Fischer vor. „Alte“, der Steuermann und die Maschi-
nisten hatten ihre Kammern auf dem oberen
Er hieß Fiete und gehörte zum Stamm- Deck.
personal der „FRANKEN.“ Fiete bot uns
eine Zigarre an und erzählte uns das vorerst Willi und ich hatten jeder eine Koje und eine
wichtigste. Backskiste. Ich belegte die obere Koje und
Willi richtete sich unten häuslich ein. Damit
Er hatte eine „Fahne“, stark genug für 3 man bei Seegang nicht aus der Koje fiel
Meilen gegen den Wind. Seine Hand war hatten diese Schiebetüren, die immer einen
geschwollen, aber der Arzt wollte ihn nicht Spaltbreit geöffnet sein mußten, damit im
krankschreiben, von einem Fischer und Falle einer Gefahr von außen geöffnet
Netzmacher wird eben jede Hand gebraucht. werden konnte.
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Neben meiner Koje waren noch Ersatznetze legen. Um 15:00 Uhr wollten wir Abend-
und Fischerbojen untergebracht, hoffentlich essen vorbereiten.
rutschen diese bei starkem Seegang nicht auf Ich legte meine Küchenschürze ab und sah
mich. Gewiß, dieses Deck war nicht so wie nach Willi. Mein Freund war gerade mit
eine Landratte es sich vorstellt und wie wir Reinschiff im Mannschaftsdeck beschäftigt.
es von unseren Marineeinheiten gewohnt Er stöhnte nicht schlecht, denn die Reini-
sind, aber im Vergleich mit den Unter- gung des Bodens von festgetretenen Fisch-
künften auf dem Vorschiff, ist es direkt frikadellen, altem Brot und sonstigen
komfortabel. Essensresten, war keine angenehme Arbeit.
Wir gingen wieder nach oben, auf mich Die Fischer hausen hier wie die Vandalen, so
wartet neue Arbeit in der Kombüse. Es war unser Eindruck. Aber während der Fischerei
12:00 Uhr, Mittagessen. ist keine Zeit zum Reinschiff und während
Ich mußte der Mannschaft, die nun Mann für der Freizeit haben die Männer besseres zu
Mann an der Kombüse vorbeikamen, den tun.
Teller mit der Suppe herausgeben. Danach Die Fischer hatten inzwischen auch
gab es Kartoffeln mit Erbsengemüse und erfahren, dass ihre beiden “Neuen“ Unter-
leckeres Gulasch, zum Nachtisch Ananas offiziere der Bundesmarine waren, und das
mit Sahne. war für sie ein gefundenes Fressen.
Zu meiner Überraschung aßen die meisten Es bot sich ihnen die Möglichkeit den
der Fischer im Stehen vor der Kombüse, schwelenden Konflikt zwischen ihnen, den
oder sie setzten sich draußen auf einen Fischern, und den Seelords, vorerst einseitig
Poller. Nur für drei oder vier Mann wurde zu bereinigen.
von einem Backschafter Essen ins Vorschiff
geholt. Den Fischern ist es ein Dorn im Auge, wenn
die Lords in die Hafenkneipen kommen,
Der „Alte“, die Steuerleute und die Maschi- Seemannsgarn spinnen und sich darüber
nisten kamen zum Essen in die Offiziers- hinaus als Seehelden aufspielen.
messe, welche direkt neben der Kombüse
gelegen war. Dort mußte ich nach dem Wenn einer sich aufspielen könnte, so wären
Mannschaftsessen aufbacken. es die Fischer, aber die tun es meistens nicht.
Der Käpt’n machte eine finstere Miene. Ich Wenn dann die Lords den Fischern noch die
sah ihn während der Fahrt nur zweimal Mädchen ausspannen, weil sie in ihrer
lächeln. Uniform fescher aussehen, dann ist das Maß
voll und es kommt nicht selten zu ver-
Wie ich aber später mehrmals feststellen hängnisvollen Schlägereien, berühmt be-
konnte, war er ein ganz patenter Mann, der rüchtigte. Da die Lords häufig in der
sein Geschäft des Fischfangs absolut Überzahl sind, hatten die armen Fischer oft
beherrschte. Wo Fische waren, da war auch das Nachsehen.
sein Schiff.
Willi und ich waren uns völlig im Klaren
Nach dem Abwasch, immerhin Geschirr von darüber, daß wir uns hier beweisen mußten.
23 Männern, wurden die Großtöpfe ge-
schrubbt und der Ölofen gereinigt. Zu allem Wir durften uns vor keiner Arbeit drücken
Überfluß verbrannte ich mir am Heiß- und mußten Höchstleistung bringen.
wasserboiler noch den Unterarm, zur Nachdem das Mannschaftsdeck blitzte, wie
Linderung wurde Mehl aufgerieben. wohl lange nicht, gönnten wir uns eine
Es war 13:30 Uhr und für den Koch und kleine Pause. Am Oberdeck lagen wir auf
mich den Kochsmaaten war Pause bis 15:00 den Reservenetzen, die Sonne schien und es
Uhr. wehte eine angenehme Brise. Wenn wir
nicht an das vor uns liegende dachten, hatten
Koch Otto wollte sich bis dahin aufs Ohr wir direkte Urlaubsgefühle. Ja, unsere
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Marinekameraden hatten richtigen Urlaub Der Fischer stellte sich uns dann vor. Er hieß
und lagen wohl mit ihren Bräuten am Strand, Hein und war der Decksälteste, auf einem
aber Willi und ich wollten es nicht anders. Fischdampfer Bestmann genannt.
Unter uns hörten wir das gleichmäßige Auf- In unserem Deck, in dem die Feier stattfand,
und Abstarnpfen der Motorkolben, einer mit wurde es dann voll. Otto und Fiete kannten
Ölbrenner beheizten Dampfmaschine. Die wir schon. Hinzu kamen zwei junge
„FRANKEN“ machte max. 25 Knoten Burschen, Brüder, erst 17 und 19jährig.
Geschwindigkeit, wir machten gerade 20 Arthur, der erste Netzmacher und ein finster
Knoten Fahrt. (hier irrt der Verfasser mit und grimmig dreinschauender, etwa Ende
Sicherheit!) zwanzig Jahre alter Fischer, den sie Emma
Alfred, der Assi, kam an Oberdeck. Er nannten.
erzählte uns, daß er nach dieser Reise 3 Jahre Von den Brüdern hatte der 17-jährige seinen
Fahrenszeit hatte und dann in Cuxhaven die Verstand schon halbwegs versoffen, der
Seefahrtschule besuchen wollte. ältere Bruder schien davon nie viel gehabt zu
haben.
Über die „FRANKEN“ und ihre Mannschaft
erzählte er uns leider nichts Gutes. Wir Emma hatte sich beim letzten Landgang den
merkten, dass Alfred froh war aussteigen zu zwölften Tripper geholt. Die Finger seiner
können. Dabei hatte er hier auf dem rechten Hand waren von der Syphilis schon
Dampfer einen erträglichen Job. gezeichnet, aber Emma schien das weniger
zu stören als seine Umwelt. Er wurde vom 2.
Ich bemühte mich nun wieder langsam zur
Steuermann täglich mit einer Penizillin-
Kombüse, es war kurz vor 15:00 Uhr.
Spritze versorgt. Die anderen Kameraden an
Otto war schon an der Arbeit. Er gab mir Bord waren frei von solchen Krankheiten.
eine Flasche Bier, die ich dankbar entgegen-
Wir holten nun drei Kisten Bier, zwei
nahm, denn meine Kehle war durch die
Flaschen Cognac und Küstennebel aus der
Seeluft ausgetrocknet.
Freilast, welche der 2. Steuermann streng
Ich schnitt Kartoffeln zu Kartoffelsalat, unter Verschluß hielt. Wir wollten uns nicht
putzte Gemüse, schnitt Fleisch und kochte lumpen lassen und so quittierten die Fischer
Eier. Otto bereitete leckere Salate. Man das Getränkeangebot auch mit einem
merkte, die Bordküche versprach ein gutes wohlwollenden Blick.
Essen.
Die Sauferei konnte also losgehen. Assi
Um 17:00 Uhr rief Otto mit der großen Alfred hatte Freiwache und schlief in seiner
Glocke im Gang vor der Kombüse zum Koje.
Abendessen.
Wütend über das laute Palaver, zog er den
Nach dem Abendessen begann für mich der Vorhang zurück und fluchte in die Runde.
Abwasch: Reinigung der Großtöpfe, des
„Halts Maul und sauf mit, oder zieh hier
Ofens und allabendlich Reinigung der
aus“, entgegnete Hein nicht besonders
Kombüsengreting. Sie wurde aufs Deck
freundlich. Der Ton war rauh und nur
gelegt und mit Soda, Salzwasser und
manchmal auch herzlich.
Schrubber bearbeitet.
Alfred kroch brummend aus seiner Kojen-
19:00 Uhr war nun auch für mich Feier-
kiste und griff sich eine Flasche Bier.
abend. Willi und ich gingen noch etwas an
die frische und recht kühle Seeluft. Hein und Fiete, die beiden Oldies der
Fischer, führten anfänglich das Wort.
Ein etwas älterer Fischer fragte uns, ob wir
heute noch unseren Einstand geben wollten, Erst später, als der Alkohol langsam die
oder erst morgen. Wir entschieden uns für Zunge löste, erzählten Emma und Arthur
heute. üble Zoten.

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Die Brüder Hans und Winfried, erzählten runden Füßen, wie sie echten Seeleuten
wirres Zeug. Dieses war aber nicht nur durch eigen sind. Durch die vielen Berufsjahre
den Alkohol bedingt. Hans, der 19-jährige, hatte Hein sich seiner Umgebung angepaßt.
war vor der Fischerei zwei Jahre bei der Man sagt ein Hundebesitzer sieht irgend-
Fremdenlegion. Hier hatte er angeblich im wann aus wie sein Hund. Hein hatte einen
Streit einen Mitlegionär erschossen und Kopf wie ein Kabeljau oder Dorsch.
wurde in ein Straflager gesperrt, aus dem er Hier an Bord hatte Hein viel zu sagen. Als er
dann flüchtete. allerdings nach der Rückkehr von seiner
Arthur wohnte in Bremerhaven, war verhei- Frau abgeholt wurde, hatten wir den un-
ratet und hatte zwei kleine Kinder. trüglichen Eindruck, daß dieses zu Hause
Von seiner Einstellung war er grundsätzlich anders wäre.
gegen die Bundeswehr. Insbesondere die So, das wars fürs erste von den Männern.
Marine haßte er regelrecht. Er ließ es uns Der Abend verlief im Ganzen noch recht
heute Abend noch nicht merken, aber wir harmonisch. Es kamen später noch zwei
sollten es später noch zu spüren bekommen. Kisten Bier und zwei Flaschen Korn hinzu
Wer der Meinung ist das wäre viel, der kennt
die Fischer nicht und auch Angehörige der
Marine nicht.
Dienstag, 24. August.
Die erste Nacht an Bord war gut über-
standen, nach diesem Abend schliefen wir
wie Bären.
Otto weckte mich um 06:15 Uhr. Ich wusch
mich in einem kleinen Waschraum neben
der Kombüse. Das Wasser war braun aber
wenigstens warm, rasieren wollten wir uns
auf dieser Fahrt nicht. Die Brause bestand
aus einem Rohr, unter dem eine gelöcherte
Milchdose mit Draht befestigt war.
Fiete war Junggeselle, ein feiner Kerl mit Nachdem ich wieder meine Schürze
dem man Pferde stehlen konnte. Wenn es umgebunden hatte, begann die Tagesroutine
Streit gab, so war Fiete da um zu schlichten. mit dem Schälen von drei Eimern Kar-
Nur wenn man ihn arg provozierte, konnte er toffeln. Willi war inzwischen auch schon
auch bitterböse werden. aufgestanden und half mir.
Otto, ebenfalls ein feiner Kerl. Trotz seines Es war 07:00 Uhr und wir befanden uns auf
jungen Alters von 17 Jahren, weiß er was er der Höhe der Orkney- und Shetland-Inseln.
will. Die Orkney-Inseln, welche wir an Backbord
Als Koch bekommt er 8/10 % vom Fang gut sehen konnten, gehören zu Schottland.
zusätzlich Festheuer und Lebertrangeld. Bei Wir sahen weite Wiesen und Felder und hin
einem durchschnittlichen Fangergebnis von und wieder ein weißes Haus. Typische
ca. 100 000 DM sind dieses insgesamt 1 200 schottische Landschaft.
DM bei freier Kost und Logis, für einen
17jährigen sehr viel Geld (1963). Wir verließen nun die Nordsee und
dampften auf den Nordatlantik, man merkte
Hein, der Bestmann, ist seiner Art nach ein es gleich an der viel längeren Dünung.
typischer Fischer. Blaurote Knollennase,
Vollglatze mit immer roter Kopfhaut, große Der Rudergänger kam gerade von der
Ohren mit fleischigen Ohrläppchen und den Brücke herunter, um sein Frühstück zu
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holen. Zwölf Spiegeleier, nicht vielleicht für bring’n.“ Dann ging Emma zum 2. Steuer-
alle da oben, nein für sich allein. mann, der in seiner weiteren Funktion als
Sani ihm die tägliche Spritze verpaßte.
Mir blieb vor Staunen der Mund offen-
stehen. Er sah allerdings aus wie ein Heute gab es Brathähnchen, Kartoffelmus
Schwein, kurz vor der Schlachtung. und Karottengemüse. Ich mußte noch einen
Eimer Kartoffeln dazu schälen. Der Magen
Seine Augen waren schon so zugewachsen,
der Mannschaft verlangt sein Recht und
daß man sich wundern mußte wie er
dafür sorgen Koch und Kochsmaat.
überhaupt den Kompaß noch erkennen
konnte. 12:00 Uhr Mittagessen, heute schmeckt es
mir noch ausgezeichnet. Ich gucke aus dem
Otto grinste als er weg war, „das faulste
Bullei, von der schottischen Inselgruppe ist
Schwein an Bord und total verfressen.“ Nun
nichts mehr zu sehen. Wir halten jetzt Kurs
kamen auch die anderen zum Frühstück,
auf die dänischen Färöer-Inseln.
einige hatten Sonderwünsche. Otto kannte
diese und hatte alles vorbereitet. Auch der Nach dem Abwasch liegen wir wieder auf
Heizer kam, ein seltsamer Typ, ich wünschte den Netzen und hängen unseren Gedanken
guten Morgen, er grinste nur. Dann reichte nach.
er Otto seine Thermosflasche, welcher diese
Heute ist es schon deutlich kühler, wir
mit Kaffee füllte und zurückreichte. fahren eben gen Norden. Ein großer
Der Heizer grinste, schraubte den Verschluß Schwarm Seemöwen begleitet uns schon seit
wieder ab, schnupperte, grinste wieder und Cuxhaven. Später beim Fischen werden es
ging. wohl noch viel mehr sein.
An Land, so erzählte Otto, spaziert er immer Wir hatten nun den größten Teil der
mit schwarzer Melone, schwarzem Anzug Besatzung kennengelernt, nicht die übelsten.
mit weißer Nelke im Knopfloch, durch die Der Fischdampfer und die Mannschaft sind
Gegend. Hier an Bord spricht er kaum ein eine Einheit, die ganz auf sich selbst gestellt
Wort. ist.
Nun kamen der „Alte“, der 1. Steuermann Mittwoch, 25. August
und die beiden Maschinisten zum Frühstück Der 1. Steuermann hatte recht, schon in der
in die O-Messe. Ich mußte wieder auf- Nacht bekamen wir schwereres Wetter.
backen. Der 1. Steuermann, ein ziemlich
uriger Typ mit wildem Lockenkopf und Die Ersatznetze in meiner Koje rutschten
buschigen Augenbrauen, fragte wie es mir immer weiter zu mir hin, ich bekam sie kaum
gefiele. noch weggeschoben. Flaschen und
Seestiefel rutschten irgendwo auf dem
„Bisher ganz gut“, antwortete ich. Er lachte Decksboden hin und her und zu allem
und sagte, daß es morgen Sturm gäbe. Überfluß schnarchten Otto und Alfred um
Die beiden Maschinisten waren auch schon die Wette, lauter als das Getöse der See.
ältere Semester. Einer der beiden war bereits 06:00 Uhr war heute Wecken. Frühstück und
Rentner, der zur Aufbesserung der Rente Kartoffelschälen. Ich saß vor der Kombüse
noch etwas fahren wollte. und hatte die Eimer auf einem nassen Feudel
Nach dem Abbacken widmete ich mich gegen rutschen gesichert.
wieder meinen stehengebliebenen Kartoffel- Durch die schwere Dünung, den Bratgeruch
eimern. aus der Küche und das auf und ab meines
Emma kam auf Holzpantinen zu uns nach Sitzschemels wurde mir langsam übel.
achtern geschlurft: Seekrankheit nennt man so etwas.
„Moin, komm mol ein von jüms no vörn, Ein Binnenländer kann sich wohl nicht
beten utfegen und noch en Pott Kaffi vorstellen, unter diesen Umständen in einer
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engen Küche zu arbeiten, wo die Küche zu peiler wird Standort und Kurs bestimmt, ein
Hause doch nicht schwankt und man selbst sicherer und zuverlässiger Rudergänger ist
ruhig steht oder auch sitzt. hier wichtig.
Heute Morgen war der Andrang auch nicht Neben einem normalen Radar gibt es auch
so groß, selbst der Rudergänger verzichtete Fischgrund-Sichtgeräte, sogenannte Fisch-
auf seine 12 Spiegeleier. finder.
Für Mittag- und Abendessen wurden kalte Ich habe in der stickigen Brückenluft
Platten und Salate vorbereitet. Allerdings Probleme und suche freiwillig, ohne das
gab es jeweils eine heiße Suppe. Ende der wohlgemeinten Instruktion abzu-
warten, die frische Luft und den Niedergang
Wir hatten inzwischen Windstärke 6-7, für
den Nachmittag war aber schon 7-8 ange- nach unten.
sagt. Donnerstag, 26. August
Die nordischen Meere sind rauh und meist Heute Nacht müssen wir die Färöer passiert
stürmisch und selbst bei rauhem Wetter muß haben, wir nehmen jetzt Kurs auf Island.
der Seefischer draußen arbeiten. Der Wind Der Wind hat Stärke 9-10 erreicht, schwerer
kommt aus Nordost, die gewaltigen Brecher Sturm. Keiner darf mehr aufs Deck, alle
steigen über das Vordeck und klatschen Schotten müssen geschlossen sein. Für die
gegen die Brücke. Küche gilt Notbesetzung, nur noch belegte
Der Fischdampfer ist gegen normale Brote, Obst, Kaffee, Tee. Man kann sich
Frachter verhältnismäßig klein, aber er ist nicht mehr halten und die Gefahr, daß heiße
besonders stabil gebaut und hat einen Suppe oder andere heiße Speisen vom Ofen
dickeren Rumpf. Er fährt nicht nur zur See, fliegen und man sich hierbei verbrüht, ist zu
sondern er ist ein Fabrikschiff, auf dem auch groß.
bei hoher See schwere Netze gezogen Der Dampfer rollt gewaltig von einer Seite
werden, sowie große Winschen und Lade- zur anderen und manchmal hört es sich an
bäume arbeiten. als wenn die Schraube außerhalb des
Es ist Vorschrift, daß ein Fischdampfer ab Wassers dreht.
einer bestimmten Tonnage zweimal jährlich Otto entschließt sich in den Tagen doch zu
zur Inspektion auf die Werft muß. einer Kartoffelsuppe mit Lauch, Sahne und
Mir ist speiübel, meine eigene Verpflegung leckeren Mettenten. Die Fischer wollen auch
besteht heute aus Zwieback und Tee. Willi etwas Warmes in den Magen.
ist den ganzen Tag nicht zu sehen, vermut- Kartoffelschälen ist wieder angesagt. Daß so
lich liegt er in der Koje. mancher saure Rülpser hervorgerufen durch
Ziemlich entkräftet bringe ich die heutige meine nun schon 3 Tage anhaltende
Kaltverpflegung auf die Brücke. Der Seekrankheit in die Kartoffeln wandert,
Rudergänger und die Steuerleute kommen merkt ja keiner. Die Suppe schmeckte
heute nicht in die Messe. Der Alte ist delikat.
ebenfalls seekrank und will nur Tee. Beim Bis Montag den 30. August hält dieses
Hochtragen des Tabletts passiert ein grausame Wetter an. Wir hatten bei diesem
Mißgeschick. Das Schiff holt stark nach Sturm kleine Fahrt gemacht und mußten, wie
Steuerbord über und Teekanne, belegte der Steuermann erzählte, bis 20 Grad
Brötchen und eine Salatschüssel gehen über gegensteuern, um das starke Versetzen
Bord, das Tablett werfe ich noch hinterher. durch Strom und Wind auszugleichen.
Beim zweiten Anlauf kam alles vollständig
an. Am Dienstag den 31. August läßt der Wind
merklich nach, es kann wieder normal
Der dicke Rudergänger erklärt mir die gekocht werden. Nun lerne ich auch das
nautischen Geräte. Mit Sextant und Funk- richtige Schneiden von Fleisch, Filetieren
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von Fisch, Anrichten von Saucen. Gut, in so kommt durch Klingelzeichen von der
kurzer Zeit wird man kein Koch, aber so Brücke der Befehl zum Aufholen (Hieven)
einiges bekommt man mit. des Netzes.
Mittwoch, 01. September Hein bedient sehr konzentriert die Winsch,
die nun rasselnd die Stahltrossen einholt.
Wir sind jetzt östlich von Island mit Kurs auf
Grönland. Das große Schleppnetz wird jetzt Arthur hatte uns „Neuen“, auch Mehlaugen
während der Fahrt zum Fangplatz klar genannt, unsere Aufgaben genau zugeteilt.
gemacht. Auf sein Kommando liefen wir drei, Hans,
Die Glas- und Metallkugeln werden am mein Freund Willi und ich im Galopp los.
Kopftau befestigt, damit dieses beim Willi mußte sein Stahlseilende über eine auf
Fischen einen besseren Auftrieb hat, und das dem Vorschiff befindliche Winsch etwa
Netz wird an den Scherbrettern ange- dreimal herumlegen und dann die Seillose
schlagen. An diesen Scherbrettern sind die vor der Winsch nachholen.
Trossen befestigt, an denen das Netz vom
Dampfer über den Grund geschleppt wird. Als Schlußmann mußte ich das Seil im
Durch den Zug des Dampfers auf der einen Vorbeilaufen hinter eine am Kabelgatt be-
Seite und den Druck des Wassers auf der findliche Laufrolle legen, d.h. besser
anderen Seite, scheren die Bretter ausein- schmeißen. Dies war nicht ungefährlich,
ander und halten das Netz offen. denn schmiß ich vorbei, so surrte das Seil,
weil es jetzt durch die Winsch stramm
Das Netz lag nun fertig angeschlagen an der
durchgesetzt wurde, bis an die Reling und
Reling, wir hatten den ersten Fangplatz zurück bis an die Decksaufbauten, es
erreicht, das sogenannte Gammelloch etwas klatschte dann heftig.
nordöstlich von Island.
Dieses kam gelegentlich vor, und mein Kopf
Der ‚Alte‘ guckte von der Brücke, fluchte war dabei besser in Deckung, unterhalb des
etwas und gab das Zeichen zum Netz- Seils.
aussetzen.
Es war nun während der Fischerei, neben
Das große Schleppnetz mit den Scher- den Arbeiten in der Küche, auch meine
brettern wird im Bogen ausgefahren. Hier Aufgabe an Deck mitzuarbeiten. Bei der
muß sehr aufgepaßt werden, denn das Netz Fischerei heißt der Moses Bootsmann, also
kann leicht unklar werden. Wenn das Netz der niedrigste Decksdienstgrad.
richtig ausgefahren ist, wird der Sliphaken
über die vordere Trosse gehängt, die beiden Alle Fischer standen nun an der Bordwand
Kurrleinen werden achtern an der Reling und holten das Vornetz ein. Eifrig greifen
zusammengeholt und nun schleppt der die großen Hände in die Netzmaschen und
Dampfer das Netz über den Grund. holen Meter für Meter des Netzes über die
Reling.
Hein, unser Bestmann, hat bei diesen
Manövern das Sagen. Sein Platz ist hinter Es kommt allerhand Wasser über, denn wir
der Zentralwinsch, er bedient sie und beob- liegen quer zur See und zum Wind, das Netz
achtet auch gleichzeitig die See. Kommt ein liegt in Luv.
schwerer Brecher über die Vorpiek ge- Der Bestmann Hein singt die Kommandos,
rauscht, so wahrschaut er dir Männer, die auf denn beim Rasseln der Winsch, beim
dem Vordeck arbeiten. Rauschen des Wassers und beim Heulen des
Um uns herum, wenn auch in größerer Windes würde man auch beim Schreien
Entfernung, sahen wir noch andere Fisch- nichts hören.
dampfer vor dem Netz, beim Aussetzen oder Hein singt: „Holt ein die Netze, greift Zug
Einholen. um Zug, ein praller Hol das ist uns genug,
Nach vier Stunden, es ist jetzt 18:00 Uhr, greift und greift, werdet nicht faul, wer nicht
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greift, nicht greift, kriegt eins auf Maul. Holt Fernseher?“


ein die Netze ihr faulen Hunde, wir Fischer Das Netzflicken ging ruckzuck bei diesen
der Franken wir fühl’n uns im Bunde.“ Es Burschen. Sie angelten sich die Lochstellen
gab aber noch viel mehr Singsprüche, auch aus dem Netzgewirr heraus, als holten sie ein
der „Alte‘“ wurde hierbei nicht geschont und Feuerzeug aus der Tasche. Nachdem das
oft mit unflätigen Schimpfworten bedacht, Netz in Ordnung war, ging es wieder ins
hier in der Fischerei hat dieses aber nichts Wasser. Die Winschen liefen nun anders-
mit Meuterei zu tun. herum.
Nun wird es spannend, es schießt der prall
gefüllte Steert an die Oberfläche, scheinbar
ein guter Hol. Der auf der Reling liegende
Teil des Netzes wird zusammengenommen,
ein Stropp wird herumgelangt und nun tritt
wieder die Winsch in Tätigkeit um den
Steert mit Hilfe des Ladebaumes an Deck zu
hieven.
Der Steert ist mit Ochsenleder verstärkt,
damit er die große Last auch hält. Er hängt
nun über dem Vordeck und Netzmacher
Fiete zieht seitlich am Stropp, so daß sich der
Inhalt in die Fächer entleert.
Unser Hol beträgt ungefähr 80 Korb. Ein
sehr guter Hol sind 120 Korb und ein
schlechter Hol 50 Korb. Der „Alte“ auf der
Brücke ist halbwegs zufrieden und murmelt:
„Faule Säcke, keiner hats gehört“.
Der Kapitän bekommt als Angestellter der
Reederei 5% vom Fangergebnis und zu-
sätzlich eine Erfolgsprämie, wenn die Reise
kürzer ist als angesetzt. Der 1. Steuermann
und der 2. Maschinist bekommen 2%, der
Bestmann und der 1. Netzmacher 1%, alle Das Vorschiff, auf dem die Fische nun
anderen bekommen 7/10 bzw. 8/10 ausgeweidet, gespult und unter Deck ge-
zuzüglich Festheuer und Lebertrangeld. bracht werden, nennt man auf einem Seiten-
fänger, Fischerei. Es ist in acht Fächer
Ich mußte nun wieder ins Kabelgatt zum
aufgeteilt, die durch schwere herausnehm-
Nadeln wickeln. Nadeln zum Flicken der
bare Bretter getrennt sind.
Netze.
Beim Schlachten zieht der Fischer das
So manches geht kaputt, beim Schleppen
scharfe Messer vom Kopf aus längs des
über unreinen Grund. Fiete hat mir das
Bauches durch den Fisch und reißt mit dem
Wickeln beigebracht. Manila einfach,
abgespreizten Daumen gleichzeitig die
Manila gehänkelt, Perlon einfach, Perlon Innereien mit Galle und Leber heraus. Die
gehänkelt. Nach dem Hol mußte ich in Leber wird separiert und vom Heizer unter
Rekordtempo wickeln, denn es wurden oft Deck in einem Spezialofen gleich zu
viele Nadeln gebraucht. Die Fischer waren Lebertran verarbeitet.
stinksauer, wenn ich nicht nachkam und sie
auf Nadeln warten mußten. Schon während des Schlachtens werden die
Fische in die verschiedenen Fächer sortiert.
„Was lernt ihr eigentlich bei eurem Sau-
haufen? Sitzt ihr nur im Warmen vorm Kabeljau, Rotbarsch, Schellfisch, Heilbutt
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und Katfisch. Anderes Getier wie Seesterne, Steuermann sowie die Brüder Hans und
Seeigel und Krebse kommen gleich wieder Winfried für die ordnungsgemäße Ver-
über Bord. Hin und wieder haben wir auch eisung. Eine Schicht Fisch wird bedeckt mit
einen Dornhai oder Silberhai im Netz. einer Schicht geschreddertem Blockeis usw.
Nach dem Ausweiden werden die Fische Für die Fischer gibt es nun bis zum nächsten
gespult, damit sie nicht mit dem Schachtblut Hol eine kleine Ruhepause. Für mich heißt
unter Deck kommen. Dieses war meine es noch Reinschiff. Die schweren Holz-
Aufgabe. bretter werden etwas hochgenommen und
die Fächer werden von Fischresten, mittels
Ich legte mir den 10 cm dicken Schlauch um
Seewasser aus dem mir bestens bekannten
den Nacken, Hein grinste und sagte: „Hold
Schlauch, gereinigt. Willi unterstützt mich
fast“, dann brüllte er zur Brücke hoch:
hierbei, obwohl der Schlauchtanz, oder „der
„Wasser an Deck!“ Auf der Brücke wurde
mit dem Schlauch tanzt“, auch ihn sehr
der Hydrant aufgedreht (das war wohl eher
belustigt hat, ja ja, alte Kameraden.
in der Maschine) , langsam aufgedreht, wäre
richtig. Es ist 21:30 Uhr, wir sind todmüde und
haben Bärenhunger. Die Küche bietet
Der plötzliche Wasserdruck im Schlauch,
Bratkartoffeln mit Spiegeleiem und oder
mein glitschiger Stehgrund, der nur aus
gebratenen frischen Heilbutt. Alkohol gibt
Fischen bestand, und das starke Krängen des
es während der Fischerei nicht, absolut
Dampfers riß mich unbarmherzig von den
verboten, wir trinken Faßbrause.
Füßen.
Ich habe gerade meine nasse Unterwäsche
Es blieb nicht aus, daß die um mich herum-
aus, da schrillt das Brückengeläut, klar zum
stehenden Fischer, welche noch am
nächsten Hol, es ist 22.15 Uhr.
Schlachten waren, aus nächster Nähe den
gewaltigen Wasserstrahl abwechselnd ins Kurz vor Mitternacht erscheint der auf-
Gesicht oder auch in die hohen Fischerstiefel schwimmende Steert im Scheinwerferlicht
bekamen. an der Wasseroberfläche. Wir hieven die
Ladung über das Vordeck. Diesmal ungefähr
Na, nun begann das Gebrülle. „Blöder Hund,
60 Korb, nicht ganz zufriedenstellend.
abgefischter Macker, Drecksau“ usw. waren
Bruchstücke der Schimpfkanonade. Ich lag
Donnerstag, 02. September
noch immer in den Fischen und versuchte
den wild springenden Schlauch in den Griff Die Arbeit fiel mir nun leichter, ich wußte,
zu bekommen. Inzwischen war auch ich bis was auf mich zu kam, und es stellte sich
auf die Knochen klitschenaß, denn das sogar schon etwas wie Routine ein. Es war
Wasser lief oben und unten unter das 07:30 Uhr, Otto hatte frischen Heilbutt
Ölzeug. gebraten. Superfrischen Heilbutt, eben noch
schwimmend im Atlantik, man kann es nicht
Es ging vorbei, ich fand zu meiner eigent-
nachvollziehen wenn man ihn nicht selbst
lichen Aufgabe, nämlich die Fische zu
gegessen hat.
spulen und trampelte energisch in den
Fischen herum, wobei der Schlauch nun Willi saß nun vor den Eimern mit Kartoffeln
meiner Führung gehorchte. und schälte, schälte und schälte. Relativ
betrachtet ist diese Arbeit erholsam, gegen
Die Brücke hatte ihren Spaß und die Naß-
die des Bootsmannes (Moses).
gewordenen beruhigten sich langsam. Diese
Spularbeit ist sehr kräftezehrend und nach Die weiteren Hol’s an diesem Tage waren
dem Seewasser lief mir nun auch noch der alle unter Durchschnitt. 60, 50, 40 und
Schweiß über den Leib. zuletzt 20 Korb und davon die Hälfte noch
Gammel. Der „Alte“ fluchte fürchterlich und
Jetzt wurden die Fische nach Sorten in große
entschloß sich weiter nordwestlich zu
Körbe gesammelt und durch Luken unter
dampfen, Richtung grönländische Küste.
Deck geschüttet. Unter Deck sorgten der 2.
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Die Fischer sind froh über die kleine durch die zu großen und schweren Gummi-
Ruhepause, denn zwischen den Hol’s gibt es stiefel, bereits Blasen, hinzu kam die
allemal nur 1,5 bis 2 Stunden Pause. Es gibt permanente Übermüdung. Es war wie nach
hier draußen keinen Sonntag und keinen dem 60 Kilometer Härtemarsch nach Ab-
Achtstundentag. schluß der Marinegrundausbildung. Aber
dies ist freiwillig und Urlaub.
Wenn die Hol’s gut sind, wird rund um die
Uhr gearbeitet, bei Wind und Wetter. Am Abend empfing der „Alte“ eine Sturrn-
Während des Dampfens gibt es auch wieder wamung von der Küstenfunkstelle. Die
Alkohol, die Fischer holen nach, was sie Funkanlage ist für den Fischdampfer, der
versäumt haben. Die Küche kann wieder fern von den befahrenen Seestraßen arbeitet,
ruhiger arbeiten, ohne das Dröhnen der nicht nur aus Sicherheitsgründen wichtig,
Winschen, ohne das Rucken beim Schleppen sondern auch für den Nachrichtenaustausch,
und ohne die Hektik beim Essen fassen. sowohl der Dampfer untereinander, wie
auch mit der Reederei.
Mittels Funkpeiler und Sextant muß auf
Samstag, 04. September
einem Fischdampfer besonders sorgfältig
Es war 01:00 Uhr als man mich zum navigiert werden, weil durch das Hin- und
nächsten Hol weckte. Ich hatte mein Ölzeug Herfahren während des Schleppens und
noch nicht an, als das Dröhnen der durch Stromversetzungen leicht die Orien-
Aufschwimmkugeln schon wieder das tierung verloren geht, denn Landmarken
Schiff erschütterte. sind oft nicht vorhanden.
Unser Standort war jetzt die südöstliche Es werden Sicherheitsvorkehrungen gegen
Küste von Grönland in der Höhe von den angekündigten Sturm getroffen, aber es
Angmagssalik. Wir schleppten Richtung wird weiter gefischt. Es wird jetzt nicht so
Labradorbecken und hatten einen Hol von tief geschleppt, weil die Fische durch den
90 Korb. höheren Sauerstoffgehalt mehr nach oben
Ein herrlicher Sonnenaufgang um 03:00 kommen.
Uhr. Zweieinhalb Monate früher wäre es Es ist 21:00 Uhr, 120 Korb Hol, ich
hier im hohen Norden gar nicht mehr dunkel wünschte mir schlechte Beute und mehr
geworden. Jetzt hatten wir immerhin drei- Ruhepausen. Ich durfte aber nicht schlapp-
einhalb Stunden Nacht, wenn auch nicht machen, zur Schadenfreude der Fischer.
nachtschwarz. Dieser Hol ging gut unter Deck, auch noch
Bis Mittag blieb es sonnig, bei azurblauem der nächste. Oft krachte ein Brecher über das
Himmel, jedoch kühlte es dann gegen 14:00 Vordeck und ein Teil der Beute ging wieder
Uhr merklich auf 2 Grad ab. Beim Mittag- in sein Element zurück.
essen hatte der „Alte“ Starkwind angesagt, Sonntag, 05. September
verdammte See.
02:00 Uhr, Windstärke 8, die Netze werden
Die Hol’s bis zum Abend konnten sich sehen jetzt nach 1,5 Stunden Schleppzeit eingeholt.
lassen, unter 80 Korb ging heute kein Fang
Die Gipfel der Brecher schlugen über Deck,
an Deck. Wir schufteten praktisch bis zum
so daß wir immer im Wasser standen.
Umfallen. Keine Pause zwischen den Hol’s.
Kaum war das Deck abgespült, läutete die Mein Platz war vor der Winsch, hier mußte
Schiffsglocke einen weiteren Hol ein. ich die Lose des über eine Führungsrolle
ankommenden Stahlseil’s einholen. Das
Durch Schweiß, Seewasser und das bei der
Schiff tanzte auf und ab, wir waren auf
Kälte harte Ölzeug scheuerten Hals und
einem Wellenberg und rauschten dann in ein
Handgelenke langsam wund. Die Finger
Wellental. Um uns herum hohe Wasser-
waren klamm, denn wir trugen nur dünne
wände, dazu das Heulen des Sturmes, das
Arbeitshandschuhe. An den Füßen hatte ich,
Klatschen der Brecher an Bordwand und
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Decksaufbau, das Kreischen der Winschen schlecht.


und das furchtbare Quietschen der Umlenk- 05:00 Uhr, die Fischer waren am Schlachten,
und Führungsrollen. ich am Spulen, da brüllte Hein singend von
In diesen Lärm das singende Gebrülle von seinem sicheren Ausguck hinter der Winsch:
Bestmann Hein, der wie immer hinter der „Brecher von Steuerbord, alle Mann ins
Winsch stand: „Du mußt ziehen, ziehen, Kabelgatt.“ Die Fischer ließen alles stehen
ziehen!“ Es hatte sich Lose auf der Winsch- und liegen und suchten schnellen Schutz im
trommel gebildet, und das kann zu einem Kabelgatt.
Überläufer führen, der ganze Vorgang des Ich selbst war so kraftlos, daß ich kaum
Hievens würde unterbrochen. meine Füße hochbekam. Durch die über
Tage und Nächte gehende „rund um die Uhr
Arbeit“ war ich, wie es in der Fischerei heißt,
„abgefischt“.
Mental hatte ich das Gefühl, daß es eine
Erlösung wäre, über Bord zu gehen, nur
schlafen, schlafen wollte ich.
Ohne jegliches Sicherheitsbedürfnis setzte
ich mich ins Wasser in dem Fischfach und
hielt mich wie im Schlafwandel an einer
Holzbohle fest. Das Wasser des Brechers
rauschte über mich hinweg und riß mich mit
seiner gewaltigen Kraft mit sich. Nach
Ablaufen der Wassermaßen fand ich mich
unter dem Ankerspill in der Piek (?) wieder.
Sechs kräftige Arme von Hein, Fiete und
Emma packten mich, murmelten etwas von
abgefischt und Selbstmörder und schleppten
mich dann in meine Kammer. Eine leichte
Platzwunde am Hinterkopf und am Schien-
„Ich hab Lose im Seil, du mußt ziehen, bein wurde vom Sanni verarztet.
ziehen du Höllenhund!“ Weitere unflätige
Auch Willi machte sich große Sorgen um
Schimpfworte erreichten mich kaum, ich
mich, aber ich war nur grenzenlos müde. Ich
zog dafür aus Leibeskräften. Die Lose blieb
brauche wohl nicht zu erwähnen, daß ich
auf der Trommel. Zornesrot stürzte Hein
sofort und gut schlief. Ich spürte nur im
hinter der Winsch hervor und zog mit, auch
Unterbewußtsein, daß ich in der Koje bei
Fiete, Arthur und Emma sprangen hinzu und
diesem Seegang hin und her rollte.
zogen mit, Hein gab Kommando.
Montag, 6. September
Die Lose blieb auf der Trommel, und Hein
stürzte jetzt blaß wieder hinter die Winsch, Es war 06:00 Uhr Früh. Ich hatte jetzt 24
um manöverartig vor- und rücklaufen zu Stunden fest geschlafen. Der Sturm war
lassen. Als dann Arthur mich auch noch stark abgeflaut es gab noch ein paar kräftige
anbrüllte: „Du mußt ziehen, ziehen“, hätte Böen, aber wir konnten wieder an Deck
ich ihn liebend gerne über Bord geschmis- arbeiten.
sen. Ich fühlte mich momentan wie das letzte Der Sturm hatte am Schiff jedoch einigen
Arschloch auf dem Dampfer. Schaden angerichtet. In der Fischerei, auf
Irgendwann lief Winsch und Stahlseil dem Vorschiff, waren drei der schweren
wieder normal, der Steert tauchte auf und ein Holzschotten herausgerissen. An der Back-
neuer Hol ging an Bord. 70 Korb, nicht bordseite war die Hälfte der Reling buch-
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stäblich an den unteren Holmen weg- Algen, Muschelbänken oder Quallen-


gerissen. schwärmen unterscheiden.
An der Steuerbordseite war auf dem Der „Alte‘“ steht über Tast- oder Sprechfunk
Achterdeck die Außenwand des Verpfle- auch mit anderen Fischdampfer-Kapitänen
gungsmagazins fast einen halben Meter zwecks Erfahrungsaustausch oder Wetter-
eingedrückt. warnungen in Verbindung. Auch der
Küstenschutz und die Fischereiaufsicht von
Unvorstellbar, welche gewaltigen Kräfte
Grönland und Island geben wichtige
diese Wassermassen doch haben. Ein
Meldungen durch.
Mensch kann der See nicht trotzen, er muß
sie respektieren. Diesem oft wilden Element Dienstag, 07. September
ist man mit Mann und Maus auf Gedeih und Da unser Urlaub am 11. September endet,
Verderb ausgeliefert. müssen wir unsere Einheit per Telegramm
Nun geht es mit Volldampf an die Instand- benachrichtigen denn die voraussichtliche
setzungsarbeiten. Alle Fischer sind nach Ankunft in Cuxhaven wird erst am 15.
dieser unfreiwilligen Ruhepause wieder auf September sein.
Deck und legen Hand an. Der 2. Steuermann setzt ein Telegramm über
Die Reling wird notdürftig repariert, die Reykjavik auf Island mit folgendem Wort-
Fangnetze geflickt und verstärkt. Willi und laut ab: An Schiffsstammkompanie Kiel-
ich stecken auf dem Vorschiff neue Wiek, z.Hd. Kptltn. Müller.
Holzschotten ein. Überall wird heftig ge-
Bitten um Urlaubsverlängerung stop da bis
hämmert, gesägt und verschraubt. zum 15.09. noch auf See stop Obmt. Burtack
Emmas Hand ist geschwollen und steckt in u. Lincke stop.
einem Verband, nur die Fingerspitzen Die Antwort kam 2 Stunden später:
gucken blau heraus. In jedem Betrieb wäre
er hiermit krankgeschrieben, nicht aber in Urlaubsverlängerung genehmigt stop da im
der Fischerei. Hier wird jede Hand gebraucht Sinne der Volksernährung stop Kptltn.
und als Drückeberger von den anderen Müller stop.
Männern gehänselt zu werden, ist nicht Mittwoch, 08. September
Sache der Fischer. Emma empfand es als
selbstverständlich, vollwertig mitzuarbeiten. 02:00 Uhr, wir sind wieder am Garnmelloch,
nordöstlich von Island. Um uns herum sehen
Die nächsten Hols an diesem Tage fielen wir ein einziges Lichtermeer tanzen. Fischer
recht mager aus. Noch weiter nördlich zu verschiedener Nationen, Isländer, Briten,
fischen war sinnlos, denn wir mußten auch Franzosen, DDR-Schiffe, ein paar Finnen
an die Rückreise denken. Der ‚Alte‘ nahm und Norweger und die rabiaten russischen
also wieder Kurs auf Island. Fischereifahrzeuge.
Außer der guten Nase für Fischgründe hat Es kommt oft zu Fangneid und die starken,
der „Alte“ den schon erwähnten Fishfinder, großen Russen fahren dann mit äußerster
ein Radargerät, welches Fischschwärme Kraft über die „westlichen Netze“ um sie mit
sichtbar macht. Der erste Steuermann nahm ihrer Schraube zu zerstören. Fiete erzählte
uns mit auf die Brücke, um uns die uns, daß dieses auf einer der ersten Fahrten
Handhabung des Gerätes zu zeigen. bereits mehrfach passiert sei.
Impulse werden von einer unter dem Die Russen besitzen sogar kleine Bord-
Schiffsrumpf montierten Antenne ausge- MG’s um damit ihre Konkurrenten zu
strahlt. Sobald ein größerer Fischschwarm vertreiben. Ruft man in so einem Falle ein
vorhanden ist, werden die reflektierten Fischereischutzboot zu Hilfe, so ist beim
Impulse auf dem Monitor sichtbar gemacht. Eintreffen des Bootes der Aggressor längst
Mit dem geübten Auge kann man zu anderen außer Sichtweite.
auch reflektierenden Gegenständen z.B.
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Ich war nun wieder bei frischen Kräften und


freute mich über einen guten Hol, ohne
Angst vor der vielen Arbeit, die vor uns lag.
Ein Ende der Plackerei war abzusehen. Die
Beutel waren wieder mehr rot als blau, also
mehr Rotbarsch.
Bis Mittag machten wir noch zwei gute Hols
mit je 80 Korb. Gegen 14:00 Uhr wurde der
Himmel schwarz und es goß derart, daß wir
fast weggespült wurden. Uns machte es
nichts aus, denn wir waren viel Wasser
gewohnt, aber die Fische blieben vorerst
weg.
Wir dampften ein paar Seemeilen weiter
westlich und schleppten nochmals 3
Stunden.
Das Unwetter zog nach Norden ab, und
unsere Freunde, die Fische zogen wieder ins
Netz. Der letzte Hol wurde am Freitag den
10. September um 07:00 Uhr über Deck
gefiert.
Jeder hatte etwas zu tun, allerdings war dies
Nie zuvor fühlte ich mich so stark, ich hätte
eine geruhsame Arbeit, die sogar Spaß
noch lange so weiter machen können, nur
machte.
mit dem Wissen, daß dieses der letzte Hol
war. Emma, unser Invalide, hatte allerdings
Schonzeit. Er saß mit Arthur und dem schon
Alles in allem hatten wir ein recht gutes
besoffenen Hein in der Mannschaftskammer
Fangergebnis erzielt. Der „Alte‘“ stand auf
auf dem Vordeck und pokerte, übrigens eine
der Brücke und schmunzelte sichtlich
Lieblingsbeschäftigung der Fischer während
befriedigt. „Nun geit los, woll’n trüch“,
ihrer Freizeit. So mancher hatte schon seinen
murmelte er und steckte sich genüßlich eine
ganzen Lohn verspielt und auch noch den
Pfeife an. Alle Müh und Plag und alle bösen
Lohn für die nächste Fahrt.
Worte schienen vergessen zu sein.
Am Abend ging dann die Sauferei los. Willi
Nach einem guten und reichhaltigen Früh- und ich wurden offiziell eingeladen, es
stück, von Otto und Willi zubereitet, ver- wurden kistenweise Bier, Schnaps, Cognac
zogen sich erstmal alle in ihre Kojen. Vor und Rum angeschleppt. Otto brachte
morgen Mittag kommen die Burschen nicht Fleisch- und Fischfrikadellen aus der Küche
mehr an Deck und dann wird bis Cuxhaven mit.
nur noch gesoffen, Otto sprach aus Er-
fahrung. Wir prosteten uns zu, sangen, lachten über
Zoten, erzählten Seemannsgarn, aber auch
Am nächsten Tag, Samstag den 10. Septem- halbwegs wahre Geschichten. Auf der
ber begannen die ruhigen Arbeiten an
vorherigen Fahrt hatten sie den Heizer, er
Oberdeck. wollte nicht so wie die Mannschaft wollte,
Die Netze wurden wieder instandgesetzt, die kurzerhand in den Ofen gesteckt. Bei einem
Winschen geschmiert, Schotten ausge- feuchtfröhlichen Gelage, wollten sie einen
bessert und verschlissene Stahlseile längs- renitenten Fischer im Maschinenraum auf-
seits über Bord entsorgt. Der Umweltschutz gehängt haben. Nur durch einen Zufall sollte
läßt schön grüßen. Ich wurde damit be- dieser vom 1. Maschinisten gerettet worden
auftragt einige Reste Farbe zu verpönen. sein.
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Selbst der eher wortkarge Arthur erzählte Laßt das Schwein los, ich mach ihn fertig.“
und war redselig wie nie. Später setzte er Mit glasigem Blick stürzte er sich nun auf
sich zwischen Willi und mich, klopfte uns ihn und verdrosch ihn, daß dem Hören und
auf die Schenkel und sagte: „Jungs, ihr habt Sehen verging. Nach dieser Lektion erhob
euch gut gehalten, wenn alle Kumpels bei sich der Beatle ohne einen Mucks von sich
der Navy so wären wie ihr, hätte ich auch zu geben und verschwand in seiner Koje.
keine Vorurteile mehr.“ Arthur stieß mit uns Fiete kühlte seine schwellende Wange mit
an und wir freuten uns, nun doch noch kaltem Bier und das Gelage nahm seinen
Freunde geworden zu sein. Auch die anderen Lauf mit sehr friedlichem Ausgang.
Fischer ließen es sich nicht nehmen, mit uns
zu prosten und uns ihre Bewunderung über Außer, daß Treibstoff sowie Wasservorrat
unsere Haltung während der Reise aus- knapp wurden, geschah während der Rück-
zusprechen. Wir waren mächtig stolz und dampferei nichts Besonderes mehr. Routine-
unser Selbstbewußtsein stieg wieder arbeit für Brücke, Maschine und Küche, und
mächtig. die Fischer konnten vorwiegend gammeln,
auf den Kojen liegen und lesen, pokern oder
Hein, der Bestmann, war inzwischen voll ein Pfeifchen rauchen, nach der vielen
wie die Haubitzen. Er setzte sich zu uns und schweren Arbeit.
murmelte etwas von: „Oberlippe, Unter-
lippe, Seitenstücke, V....kajohle, Brause.“ Er Der Wasservorrat wurde rationiert, pro
brachte noch ein paar häßliche Worte gegen Mann und Tag 5 Liter. Würde der Treibstoff
den „Alten“ und die Maschinisten vor, dann tatsächlich ausgehen, so könnten wir notfalls
rutschte er lautlos unter die Back. mit Lebertran bis Cuxhaven fahren.
Im Laufe des Abends sollte er nicht der Mittwoch, 15. September
einzige sein, der dort lag. Bald gesellten sich 03:00 Uhr, wir hatten nur ein paar Stunden
die irren Brüder Hans und Winfried hinzu. geschlafen. An Deck wurde jetzt ein Arbeits-
Ich hatte das Gefühl, daß auch Obermaat zelt über den Ladeluken errichtet. Dieses
Burtack bald hier liegen würde, jedenfalls Zelt hatte den Zweck, die nachher beim
war mein Maß überschritten. Gedacht, Entladen an Deck arbeitenden Männer, vor
gemacht, wenig später stand ich mit Willi an herunterfallenden Fischen oder Körben zu
der Reling und wir fütterten die Fische. schützen. Es wurde schon alles zum Löschen
So ein Saufgelage geht natürlich nicht ohne vorbereitet.
Streit aus, wäre auch abnorm, fast aka- Gerade passieren wir Feuerschiff Elbe I.
demisch. Willi und ich sind jetzt beim Einlaufen
Ein junger Fischer mit Beatlefrisur hatte sich genau so aufgeregt wie vor dreieinhalb
auf Emma gestürzt. Er schrie: „Hau ab du Wochen beim Auslaufen. Unsere Seesäcke
alter Saufkopp, sonst schlag ich dir in deine sind gepackt und liegen schon auf Deck
häßliche Visage.“ Emma langte ihm mit bereit.
seiner noch heilen Hand kräftig ins Gesicht, Unsere im Freilager gekauften Getränke,
was auch gleich deutliche Spuren hinterließ. Tabakwaren und Konfitüren haben wir im
Jetzt wurde der Beatle wild und stürzte sich Rettungsboot auf dem Oberdeck versteckt.
mit einer leeren Bierflasche in der Hand auf Wir wollten nicht alles verzollen und die
Emma. Herren vom Zoll würden gleich an Bord
Der sonst so zurückhaltende Fiete, auch kommen.
schon schwer schwankend, wollte die Nochmal laufen meine Gedanken wie ein
Kampfhähne trennen. Der Beatle sah rot und Film in mir vorbei. Die Tage, die Nächte,
so landete die Flasche auf Fietes Wange. Nebel, Sturm, Tag fiir Tag, kein Sonntag
Andere schnappten sich nun den Raufbold und kein Achtstundentag. Dazwischen kurze
und hielten ihn fest, doch mit Fietes Beher- Zeit für Ruhe und Mahlzeit. Und in Cux-
rschung war es vorbei. haven bleiben unseren neuen Kameraden 24
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Stunden Zeit, dann heißt es wieder hinaus in unser kerniger Bestmann, hielt sich noch
die See, dem Meer die Beute abjagen. versteckt, seine Angst war berechtigt. Kurze
Zeit darauf saß Hein neben der Fregatte im
Das Zollboot legt nun an, längsseits, und
schmalen BMW, die Haubentür knallte zu
zwei Zollbeamte kommen an Bord. Jeder
und ab ging’s Richtung Bremerhaven.
muß die Waren, die er mit von Bord nehmen
will anmelden und eventuell verzollen Emma ging von Bord, hakte sich bei einer
lassen. Die Zoll-Last wurde verplombt, und zahnlosen, abgetakelten, aber grell ge-
wir waren den Zoll wieder los. schminkten Dockschwalbe ein und mar-
schierte Richtung Hafenstraße davon.
06:30 Uhr, die Kaianlagen vom Fischerei-
hafen Cuxhaven tauchen im Morgennebel Willi und ich sahen aus wie die Seeräuber,
auf. Wir wurden sogar von zwei kleinen mit wildem Bart und nach Fisch riechenden
Bugsierschleppem eingeschleppt. Nach 24 Klamotten. Alles in allem wollten wir diesen
Tagen Wasser und nochmals Wasser freuten Urlaub nicht missen, es war für uns ein
wir uns nun doch wieder auf das schöne großes Erlebnis und wir hatten bestimmt
Landleben. vieles gelernt.
Uns erwartete zwar keine hübsche Braut am Später hatte ich den Wunsch, nach meinem
Kai, aber wir freuten uns doch über die Tagebuch von den Männern in der Fischerei
dummen Gesichter unserer Kameraden auf zu berichten. Von den Männern, die als
der „Augsburg,“ die wohl unseren Berichten letzte Wikinger in der Hochseefischerei
mit offenen Mündern lauschen werden. fahren.
Noch einige Meter trennten uns vom Kai, die 1965 machte ich nochmals eine Fisch-
Festmacherleinen gingen rüber und wurden dampferreise nach Grönland, mit einem
belegt. Die Fischer winkten ihren Frauen zu. moderneren Heckfänger, der „HESSEN“
Wir verabschiedeten uns von unseren neuen Dieses Schiff zog die Netze über das Heck,
Freunden und verabredeten uns zu einem und die Fische wurden gleich mittels
Zug durch Cuxhavens Nachtbars. Maschinen verarbeitet. Es gab auch eine
Kartoffelschälmaschine, aber auf dieser
Tatsächlich stand am Kai auch eine schwere
Fahrt hatte ich mit der Küche nichts zu tun.
Fregatte neben einer BMW-Isetta. Hein,
Ich war als „Bootsmann“ angeheuert.

(Abdruck mit freundlicher Genehmigung des heute bei Lübeck lebenden Autors,
Fotos: Günter Burtack, 1963)

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