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Montags-Story 112 - Liberty-Schiff OLIVER EVANS im Konvoi 1944

Liberty-Schiff OLIVER EVANS im des Telemotors (Hydraulik-Servo) war


Konvoi 1944 abgefallen. Das Schiff hinter uns be-
klagte sich jetzt über mein schlechtes
von Capt. Fred Klebingat († 31.03.1985) Positionshalten. »Das werde Ich mal
Als die Ladung der OLIVER EVANS in ganz schnell in Ordnung bringen!«,
Bristol gelöscht war, gaben sie dem sagte ich zu mir. Obwohl Ich keinen
Schiff ein bißchen Ballast für die Rück- Kreiselkompaß und keine Selbststeuer-
reise nach New York; es waren 1 600 t anlage hatte.
Baggersand aus dem Mersey River. Der Ich heißte das Flaggensignal: »Störung
Kapitän konnte 600 t ins Zwischendeck an Rudermaschine. Erbitte Erlaubnis,
nehmen — wenn er das Schlingern des hinter den Konvoi zurückzufallen.« -
Schiffes dämpfen wollte - und 1 000 t in »Bewilligt«, war die Antwort.
den Unterraum. In Wahrheit aber waren
die gesamten 1 600 t nicht genug, um zu Nachdem die Kette der Schiffe an uns
verhindern, daß das Schiff wie ein vorbeigezogen war, signalisierte ich,
leeres Faß auf der Meeresoberfläche daß ich immer noch Schwierigkeiten
trieb. hätte, und erhielt die Antwort, dem
letzten Schiff zu folgen.

So schön gepflegt sahen die Libertyschiffe im


Krieg nicht aus! (hier ein Museums-Schiff)
Die übliche Konvoi-Konferenz fand Liberty-Schiff, wie sie im Kriege aussahen.
statt; es war wieder derselbe Kommo-
Mit westlichem Kurs stampfte und
dore, der die Führung hatte. Der Konvoi
schlingerte der Konvoi weiter; die Sicht
sollte in The Minch zusammengestellt
war schlecht. Die Schiffe, von denen die
werden, dem Seegebiet zwischen den
meisten gänzlich leer waren, boxten
Hebriden und Schottland. Die Sicht war
gegen eine schwere See, die von Stunde
jedoch so schlecht, daß ich mich eine
zu Stunde zunahm. Ihr Bug hob sich so
Zeitlang in einem falschen Konvoi be-
hoch aus dem Wasser, daß der Schiffs-
fand. Es waren zwei Geleitzüge, die an
boden sichtbar wurde, und dann fielen
jenem Tag von Großbritannien ab-
sie mit einem alles erschütternden
gingen; einen halben Tag lang folgte ich
»Bäng« in die See zurück.
dem einen, bis ich merkte, daß er nach
Sierra Leone bestimmt war. Einen Kein Schiff konnte das beliebig lange
ganzen Tag jagte ich dann hinter dem aushalten, das war klar. Mittlerweile
richtigen Konvoi her, bis ich ihn zu war es dunkel geworden, und der
fassen hatte. Später erfuhr ich, daß ein Konvoi kam kaum noch von der Stelle.
Schiff dem falschen Konvoi bis Afrika Da kommt vom Kommodore der Befehl:
gefolgt war. »Geschwindigkeit auf 9 1/2 Knoten
erhöhen!«
Schon am zweiten Tag der Reise gab es
auf OLIVER EVANS Ärger mit dem Er befahl uns volle Fahrt! Der Mann
Rudergeschirr. Ein Nippel im Getriebe gebrauchte nicht den geringsten Ver-
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stand. Wir hatten nicht genug Ballast, Während der Jahre, die ich auf See
und ich war beunruhigt über den wilden verbrachte, bin ich zu der Einsicht
Tanz des Schiffes. Der Gedanke, daß es gekommen, daß das Schiff weiß, in
durchbrechen könne, machte mir welcher Lage es einen Sturm am besten
Sorgen. Zur Hölle mit dem Konvoi! Ich abwettert. Vielleicht will es nicht mit
entschied, daß es Wahnsinn sei, dem dem Kopf gegen die See liegen, viel-
Schiff noch mehr zuzumuten. Ich ging leicht nimmt es die anlaufenden Seen
mit der Fahrt herunter und ließ das lieber von achtern.
Schiff aus dem Konvoi heraussacken. Libertyschiffe sind achtern nicht sehr
Innerhalb einer halben Stunde hörte völlig, ihr Heck ist geeignet, die Seen zu
unser Funker in seinem Kopfhörer spalten und hat Überhänge, die den
SOS-Rufe von einem Dutzend Schiffe. Auftrieb vergrößern. Achtern hat das
»Breche entzwei«... »Boden einge- Libertyschiff auch mehr Gewicht, mehr
drückt, schwimme auf der Tankdecke Substanz, im Gegensatz zum Bug, der
des Doppelbodens. « hoch ist und leer.
»Erbitte Erlaubnis Madeira anzu- »Maschine stop!«, ordnete ich an. Mir
laufen«... »Nehme Kurs auf Azoren«... war klar, daß man ein fast leeres
»Rückkehre nach England«. Ein Schiff Liberty-Schiff bei einem Sturm von
lief nach Halifax ein. dieser Stärke nicht mit dem Kopf auf der

Der Kommodore hatte den Schiffen See halten konnte. Wir würden bald
befohlen zu schweigen, das heißt sehen, was das Schiff wollte. Das Schiff
Funkstille zu halten, wegen des even- drehte langsam und manchmal heftig
tuell mithörenden Feindes. Aber die schlingernd vor den Wind. Es hörte auf
Schiffe in Not hielten sich nicht daran. mit seinen tollen Possen und lag ruhig
Infolge der Nichtbeachtung des Befehls wie in einem Trockendock. Es hatte sich
war meine OLIVER EVANSaus der um 180° gedreht.
größten Gefahr heraus; aber mir war Ich ließ den Maschinentelegraphen auf
klar, daß ich ihren verrückten Bock- »langsam zurück« legen. Wir machen
sprüngen sehr bald ein Ende machen gerade genug Umdrehungen, um sicher
müßte, um sie vor Schäden zu be- zu sein, daß das Schiff in seiner selbst-
wahren. gewählten Lage bleibt, aber dabei keine
Man kann die Maschinenumdrehungen Fahrt aufnimmt. Wind und See kontro-
steigern, mehr und mehr, um den Bug llierten die Lage des Schiffes wie bei
im Wind zu halten; aber dabei wird das einem beigedrehten Segelschiff: Der
Stampfen zu heftig. Deshalb drosselt Bug wurde ein wenig nach dieser Seite
man die Maschine wieder, nur ein paar gedrückt, dann mal wieder nach der
Umdrehungen weniger, und schon anderen - aber das Schiff gab keinen
drückt der Wind den Bug seitwärts weg. Anlaß zur Sorge. Wir lagen so ähnlich
wie in der Oakland-Bucht.
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Morgens kamen alle Ingenieure zu mir Das Wetter wurde schließlich besser.
rauf, der Chief mitsamt den nach- Wir änderten Kurs, um den Konvoi
folgenden Dienstgraden. Sie schüttelten wieder zu treffen, das heißt, wir
mir die Hand und bedankten sich für die steuerten den nächsten Treffpunkt an.
Art, wie ich das Schiff beigedreht hatte. Aber der Konvoi war nicht mehr dort.
Sie waren sehr erfreut und sagten, so Ich hätte jetzt einen geraden Kurs in
etwas hätten sie noch nie erlebt. Es ist Richtung New York steuern können,
nämlich kein Vergnügen unten im aber dann wären wir möglicherweise in
Maschinenraum, wenn ein Schiff mit einen entgegenkommenden Geleitzug
großer Kraft gegen hohen Seegang von geraten. Deshalb versuchten wir es mit
vorn getrieben wird – es kann fürchter- dem nächsten Treffpunkt; aber es war
lich sein. wieder vergebens. Also dampften wir

Konvoi-Szene mit US-4-Schornstein-Zerstörer weiter, manchmal Zickzack steuernd,


USS BARRY und Liberty-Schiff JOHN W. manchmal auch geraden Kurs. Als wir
BROWN, 1944. Gemälde von John Stobart.
uns Halifax in Nova Scotia näherten,
Man ist da unten dem Schiffsboden sichtete ich Rauch in der Kimm. Wir
näher als an jedem anderen Ort des sollten auf keinen Fall unsere Schorn-
Schiffes. Wenn das Schiff sich vorne steine rauchen lassen; auf beiden
hebt, um dann krachend wieder herab- Konvoi-Konferenzen waren die Anwei-
zuschlagen, geht es einem durch und sungen des Kommodore in dieser Hin-
durch. Einer der Ingenieure muß ständig sicht sehr deutlich gewesen. Jedoch der
an der Drosselklappe stehen, um die Rauch, den ich dort sah, kam aus dem
Maschinenumdrehungen zu drosseln, Schornstein unseres Kommodores
sobald der Propeller austaucht, sonst selber! Ich mußte lachen; wir hatten
würde die Maschine »durchdrehen«, mit unseren Konvoi gefunden.
der Gefahr, Schaden zu nehmen oder
Neun Tage hatten wir gebraucht, um ihn
gar den Propeller zu verlieren.
einzuholen, und stellten fest, daß es nur
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noch halb so viele Schiffe waren wie bei ich, »vielleicht eine Beschwerde, daß ich
der Aufstellung in The Minch. Wir den Anschluß an den Konvoi verloren
nahmen unseren Platz wieder ein. habe?«
»Nicht im Geringsten«, sagt der Marine-
mann, »wir wünschen nur Auskunft
über den Kommodore, wir wollen
wissen, was mit dem Konvoi passiert
ist. Es war eine Katastrophe, aber nicht
durch Feindeinwirkung.«
Ich fühlte mich erleichtert und sagte
meine Meinung über die Leistungen
unseres Kommodores. Ich bin sicher,
daß er Ähnliches auch von den anderen
Kapitänen zu hören bekam, die er
Man beachte die merkwürdigen (und typischen) interviewte. Ich nahm die Gelegenheit
drei kleinen Brückenfenster! wahr, ihn außerdem auf ein grund-
Wir nähern uns New York, stehen etwa sätzliches Problem der westwärts
100 sm östlich vom Ambrose-Feuer- laufenden Konvois aufmerksam zu
schiff. Es ist ein schöner Tag, klar und machen, indem ich ihm erklärte, daß es
kalt. Aber am nächsten Morgen über- alles andere als ein Vergnügen sei,
fällt uns ein heulender Schneesturm. Es mitten im Winter mit einem leeren
ist nichts mehr zu sehen. Befehl vom Liberty-Schiff westwärts über den
Kommodore: »Versuchen Sie Ambrose- Nordatlantik zu fahren. Das Quantum
Feuerschiff zu erreichen und zu Sand, das ich im Laderaum hatte, er-
ankern!« füllte seinen Zweck nicht.
Man stelle sich vor: Alle diese 100 Während der Kriegsjahre gab es von
Schiffe suchen an derselben Stelle Großbritannien als Exportland nur den
einen Ankerplatz im dichten Schnee- schottischen Whisky. Aber der war zu
gestöber! Mit anderen Worten, der wertvoll, dachten sie, um ihn einem
ganze verwünschte Konvoi saß in der Liberty-Schiff anzuvertrauen.
Patsche. Und noch eine Bemerkung dazu: Als wir
Ich ließ mein Schiff vorsichtig weiter- ostwärts fuhren, hatten wir in dem
laufen. Da mir eine Funkpeilung vom Konvoi zwei norwegische Tanker, die
Ambrose Feuerschiff gelang, wußte ich, mit einer guten Sorte Alkohol beladen
wo ich war. Ich setzte die Fahrt durch waren. Er sollte bei der Herstellung des
das Schneegestöber fort, lotete ständig schottischen Whiskys als Beigabe
und ließ den Anker fallen, als ich noch dienen. Es erscheint überraschend, daß
ein paar Meilen vor der Küste stand. Die ein gewöhnlicher Tanker benutzt wurde,
Atlantikküste fällt nur allmählich ab, so um Alkohol nach Schottland zu bringen;
daß das Ankern vor der Küste keine aber man stelle sich vor, was für eine
Schwierigkeiten macht. Einen halben Kette von Libertyschiffen man ge-
Tag lang lag ich dort und wartete auf braucht hätte, wenn man stattdessen
Befehle, die aber nicht kamen. Also Getreide zur Destillierung nach Schott-
hievte ich den Anker und lief ein. Das land gebracht hätte.
Wetter klarte auf, als ich den »Haken«
vor der Battery wieder fallen ließ.
Ein Mann vom Marine-Nachrichten-
dienst kommt an Bord. »Hallo«, sage
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»Nun gut, wir


wollten wissen,
was da los war«,
sagte der Nach-
richtenoffizier, an-
scheinend zufrie-
den mit meiner
Aussage. »Ich erin-
nere mich an kei-
nen Konvoi, der
mehr unter dem
Wetter gelitten hat.
Die William Manning,
eines der Liberty-
Schiffe, strandete
im Schneesturm
bei Fire Island. Ein
anderes lief St.
Johns auf Neufundland an und ist dort Liberty-Schiff in Nordatlantik-Sturm.
eingefroren. Es wird dort bis zum
Frühling liegen müssen, und durch-
fiel ab«, sagte ich. »Wahrscheinlich ein
gebrochen ist es auch! «
wenig Nachlässigkeit des Werftmecha-
Um den Trübsinn all dieser schlechten nikers, vielleicht ein 90-Tage-Wunder
Nachrichten aufzuhellen, warf ich ein sozusagen. Alles andere war in Ord-
freundliches Wort für die OLIVER nung - das Schiff benahm sich gut.«
EVANS in die Unterhaltung: »Beladene
Aber der Leutnant roch überall Sabo-
Liberty-Schiffe sind gute Seeschiffe«,
tage. Noch am selben Tag wurde ich
sagte ich und fügte hinzu: »Ich möchte
vorgeladen, um von seinen Vorge-
noch ein oder zwei Reisen mit diesem
setzten verhört zu werden. Ich begab
Schiff machen. Falls ich wieder dorthin
mich zum Hauptquartier der Coast
komme, wo ich letztes Mal war, kann ich
Guard am Broadway. Der Coast Guard
vielleicht dem Agenten etwas mehr
Commander, vor dem ich zu erscheinen
Mersey-Sand abschwatzen, bevor ich
hatte, war eine Frau. Sie war grauhaarig
wieder auslaufe. Aber wenn ich mir
und klug und überraschte mich durch
alles durch den Kopf gehen lasse,
ihr Wissen. Ich berichtete ihr, was ich
komme ich zu dem Resultat, daß ein
auch dem Leutnant über den abge-
Tanker doch wohl am besten zu mir
fallenen Nippel erzählt hatte: ein wenig
passen würde. Wenn man Tanks hat,
Nachlässigkeit, ein bißchen Malheur.
steht einem der ganze Ballast der Welt
zur Verfügung.« Sie lächelte und ließ die Angelegenheit
fallen: »Captain, Sie müssen ein bißchen
Den nächsten Besuch erhielt ich von der
geduldig sein mit diesen jungen Leuten
»Coast Guard«. Ein junger Leutnant
- die haben nämlich von nichts eine
wollte alles über den Defekt an unserer
Ahnung.«
Ruderanlage wissen. »Der Nippel am
Telemotor hat sich lose gearbeitet und

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