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Montags-Story 125 - Kurt Esmarch und das »Hamburger Hafenkonzert«

Kurt Esmarch und das »Hamburger Hafenkonzert«


Über das Selbstverständnis eines Rundfunkpioniers
und die Gründe für ein erfolgreiches Format
von Dr. Stefan Kiekel, zuerst veröffentlicht in Rundfunk und Geschichte, Nr. 1/2 20 11
Abdruck hier mit freundlicher Genehmigung des Autors
Bis heute ist das »Hamburger Hafenkonzert« diger werdende[s] Interesse der geistig schaffenden
nicht nur eine der beliebtesten Sendungen des Kräfte am Funk und das wachsende Verlangen des
Norddeutschen Rundfunks, sondern eine der tra- Hörers nach bodenständiger Kultur« festgestellt.3
ditionsreichsten Radiosendungen weltweit. 1929
wurde am frühen Sonntagmorgen das erste
»Hafenkonzert« aus dem Hamburger Hafen ge-
sendet. Die Nordische Rundfunk AG (Norag)
beschritt damit einen Weg, der die Tradition des
sonntäglichen Frühkonzerts mit populärer Unter-
haltungsmusik und modernen Formen der Rund-
funkreportage in einem betont maritimen Pro-
gramm vereinigte. Dass die Sendung schon bald
zum akustischen Aushängeschild des Hamburger
Senders avancierte, war vor allem dem Sprecher
Kurt Esmarch zu verdanken. Über drei Jahrzehnte
und durch drei politische Systeme moderierte der
Seemann und Journalist Esmarch die Sendung in
seinem ganz eigenen Stil. Der Aufsatz widmet sich
dem »Hamburger Hafenkonzert« dabei nicht nur
unter radiohistorischen Gesichtspunkten, sondern
bezieht sowohl die Perspektive der Lokalund
Schifffahrtsgeschichte als auch – zum ersten Mal –
die Person Kurt Esmarch mit in die Betrachtung
ein. Er leistet damit einen Beitrag zur Entstehungs-
Esmarch kurz vor seinem Tode 1980.
und Erfolgsgeschichte einer legendären Radio- © Archiv Harro Esmarch
sendung.
1. Vorgeschichte: Norag-Programm-
Die Geburtsstunde des »Hafenkonzerts« 1929 fiel in
die Phase intensiver Programmdiskussionen bei der diskussionen in den 1920er Jahren
Nordischen Rundfunk AG (Norag). Im fünften Jahr Im Rückgriff auf die besonderen regionalen und
seines Sendebetriebes befand sich der Hamburger mentalen Eigenheiten des niederdeutschen Sende-
Sender in einer sowohl organisatorisch-infrastruktu- bezirks zwischen Nord- und Ostsee fanden Boden-
rellen als auch programmatisch-inhaltlichen Grund- stedt und Stapelfeld Ende der 1920er Jahre einen
satzdebatte über die Möglichkeiten des neuen einfachen und doch so naheliegenden Ausweg aus
Mediums Radio.1 Noch fehlte es der Norag an einem der Diskussion über das zukünftige Programmprofil
spezifischen Senderprofil. So verwundert es nicht, der Norag. Sie entwickelten ein Programmprofil, das
dass das Programm sowohl von den Verantwort- niederdeutsche Sprache, Literatur und Kultur för-
lichen als auch von den Hörern zunächst als zu derte und das aus der Region und für die Region
beliebig und zu beziehungslos zu seinem norddeut- kommen sollte. Im Geschäftsbericht des Senders
schen Sendebezirk stehend empfunden wurde. war 1929 nachzulesen:
Trotz des ehrgeizigen Ausbaus des Hamburger »Unter Eigenheit ist nicht nur die Eigenheit der
Senders mit seinen Nebenstellen in Kiel, Hannover, niederdeutschen Sprache und der Volksgebräu-
Bremen und Flensburg ließ die angestrebte »Ent- che zu verstehen, sondern vor allen Dingen die
wicklung zum Eigengesicht der Noragsender«2 noch Besonderheit des niederdeutschen Charakters,
gründlich zu wünschen übrig. Dieser Tatsache der künstlerische und kulturelle Belange ganz
waren sich der Doppelvorstand Hans Bodenstedt anders empfindet als zum Beispiel der Märker oder
und Kurt Stapelfeld schmerzlich bewusst, hatte man der Süddeutsche. Selbst bei einem so inter-
doch durch Hörerbefragungen ein »immer leben- nationalen Begriff, wie es der Sport ist, kann man

1 Zur Vorgeschichte des Rundfunks in Norddeutschland siehe die Dirk Hempel und Friederike Weimar (Hrsg.): Himmel auf Zeit.
erschöpfenden Darstellungen von Horst O. Halefeldt: Ein Sender Die Kultur der 1920er Jahre in Hamburg. Neumünster 2010, S.
für acht Länder: Die Norag. In: Archiv für Sozialgeschichte 177– 201, bes. S. 177–181.
41(2001),S. 145–170, bes. S. 147–151; Wencke Stegemann und 2 Geschäftsbericht der Nordischen Rundfunk AG 1929, Hamburg,
Hans-Ulrich Wagner: Hallo, hallo! Hier Radio!? Ein neues S. 23.
Medium verschafft sich Gehör: Der Rundfunk in Hamburg. In: 3 Ebd.

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das bereits erkennen. Norddeutsche Übertragun- Rentabilität und Massenakzeptanz ausgerichte-
gen (Sportübertragungen) verlangen eine erheb- ten Wirtschaftsunternehmens gegenüber. Die
lich kühlere, sachlichere Behandlung des Stoffes deutschen Rundfunkgesellschaften hatten sich
als Berliner, und das norddeutsche Empfinden für nach anfänglich hitziger Debatte klar positioniert.
Humor ist ein so eigenartiges, daß es schwer aus Pendelte sich der Anteil leichter Unterhaltung
anderen Quellen als aus dem Gebiet selbst
reichsweit bei rund 30 Prozent des Gesamtpro-
gespeist werden kann. Dazu kommt der beherr-
gramms ein, so übersprang der Bildungsanteil nur
schende Einfluß des Meeres und aller Erschei-
nungen, die mit ihm in Zusammenhang stehen selten die Zehnprozentmarke. 6
oder aus ihm ernährt werden: der Schiffahrt und Auch die Norag hatte den Zwiespalt zwischen
der Fischerei zum Beispiel, die im Programm stark unterhaltendem und pädagogischem Anspruch
bevorzugt erscheinen müssen.«4 schließlich mit Rücksicht auf die eindeutigen Prä-
Das »Hafenkonzert« und sein maritimer Kontext ferenzen ihrer Hörer für sich aufgelöst: 1929 be-
sind zweifellos vor dem Hintergrund dieser inhalt- trug der Anteil der Unterhaltungsmusik am Norag-
lichen Neupositionierung zu sehen. Daneben war Programm überdurchschnittliche 37 Prozent, ein
die Programmdiskussion innerhalb der Norag Jahr später waren es sogar 44 Prozent. 7 Neben
geprägt von einem Grundkonflikt, wie er auch in den erklärten Zielen der Norag, ein spezifisch
anderen deutschen Funkhäusern in den Pionier- norddeutsches Programm zu senden und den
jahren des Rundfunks kontrovers ausgetragen Unterhaltungssektor zur Hörerbindung und -
wurde: dem Zwiespalt zwischen Unterhaltung und gewinnung auszubauen, gab es aber noch einen
Bildung. Noch hatte der Rundfunk seine gesell- weiteren Faktor, der ein Zustandekommen eines
schaftliche Rolle und soziale Funktion nicht gefun- Formats wie des »Hafenkonzerts« erheblich be-
den. Die visionären Möglichkeiten und ungeahn- förderte. 1929 verzeichneten die Sendeverant-
ten Kräfte des neuen Mediums schienen noch un- wortlichen ein »ständig gestiegenes Interesse der
gebändigt und schrien geradezu nach Formge- Hörer an dem funkischen ‚Zeittheater‘« und damit
bung und Kanalisierung. Und so glichen die an einer relativ neuen Rundfunkkategorie: der
Programmverantwortlichen dem Zauberlehrling, Reportage.8 Denn: »Reportagen, das ist nicht
der die Kräfte des Mediums genauso heilsam zum mehr zu verkennen, haben eine stark werbende
Volkswohl wie schädlich zur Massenverdummung Wirkung, sie erschließen neue Interessenten-
entfesseln konnte. Entsprechend heftig entbran- kreise und festigen das Zusammengehörigkeits-
nte die Debatte über den Rundfunk als Element gefühl zwischen Hörer und Rundfunkgesell-
der Kulturpolitik. Zwei Schulen standen sich dabei schaft.«9 Gleichzeitig war damit einem festge-
zu Anfang noch unversöhnlich gegenüber. Er- stellten Bedürfnis der Hörer nach Aktualität, ‚Da-
blickten die besorgten Geister im der leichten beisein‘ und Unmittelbarkeit Rechnung getragen.
Muse verpflichteten, massenkompatiblen Rund- Gerade für ein so unternehmungslustiges Format
funk notgedrungen den Zerstörer des höheren wie das »Hafenkonzert« und einen neugierigen
bürgerlichen Bildungsideals, so betonten die pro- Reporter wie Kurt Esmarch bot die Reportage
gressiven Kräfte im Gegensatz gerade den kon- völlig neue Möglichkeiten. »Dem Unternehmungs-
templativen Wert des Radios als Freizeit und Zer- geist des Inszenators sind anscheinend keine
streuungsmedium fernab aller Bildungsabsichten. Grenzen gezogen. Er kann die vielseitigsten
Gerade Intellektuelle und etablierte Kulturtreiben- Bildungsbedürfnisse befriedigen, er hat aber da-
de begegneten der ‚Unterhaltung‘ im Radio zu- rüber hinaus auch die Möglichkeiten zu Vorstößen
nächst mit Misstrauen, meinten sie doch »sie sug- in romantisches Land, in seltsame Milieus und
gerierte Passivität, konventionellen Geschmack, ungewöhnliche Situationen«10, schwärmte die
billigen Humor und Sentimentalität, reißerische Norag-Sendeleitung 1930 von den neuen Frei-
Sensationen, Infantilismus, kitschige Exotik und heiten des Reporters.
voyeuristische Erotik.« 5 Dem gleichsam hehren Das »Hafenkonzert« war so gesehen eine Art
wie wünschenswerten Einsatz des Rundfunks als ‚Konzentrat‘ aus allen diesen Forderungen: Es
ausschließlichem Mittel der Volksbildung standen kam von der Küste, unterhielt und erlaubte den
allerdings die unbezweifelbaren Zwänge eines auf unmittelbaren Einblick in die sonst verschlossene

4 Ebd. Zur Schärfung des niederdeutschen Profils der Norag in den 7 Geschäftsbericht der Nordischen Rundfunk AG 1930, Hamburg, S.
1920er Jahren siehe auch Stegemann und Wagner, 2010 (Anm. 1), 28. Der Anteil ernster Musik sank im gleichen Zeitraum von 12,5
S. 187–189. auf 9 Prozent.
5 Ludwig Stoffels: Kulturfaktor und Unterhaltungsrundfunk. In: 8 Geschäftsbericht der Nordischen Rundfunk AG 1929, Hamburg, S.
Joachim-Felix Leonhard (Hrsg.): Programmgeschichte des Hörfunks 23.
in der Weimarer Republik, Bd. 2, München 1997, S. 623–640, Zitat, 9 Ebd.
S. 630. 10 Norag – das sechste Jahr. Jahrbuch der Nordischen Rundfunk AG,
6 Renate Schumacher: Radio als Vermittler von Gegensätzen: ein Hamburg 1930, S. 13.
Resümee. In: Leonhard, 1997 (Anm. 6), S. 1196–1208; S. 1196.

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Welt der Seefahrt. Bereits mit der Erstausstrah- Interesse seines Sohnes für alle naturwissen-
lung des »Hafenkonzerts« am Sonntag, dem 7. schaftlich-technischen Fragen tat dies keinen Ab-
Juni 1929, um 7.00 Uhr [!] von Bord des Dampfers bruch. Im Gegenteil: Esmarch entschied sich,
»Antonio Delfino« erfüllten sich die hohen Erwar- nach dem 1913 bestandenen Abitur und einer
tungen der Sendeleitung: Die Norag konstatierte Ausbildung zum Maschinenschlosser, für die
stolz, dass die neue Sendung »wie zu erwarten Laufbahn eines Marinebaumeisters bei der Kai-
war, in Hörerkreisen stärksten Widerhall gefun- serlichen Marine. Am 1. April 1914 wurde Es-
den« hat.11 Schon zur zweiten Folge übernahm march eingezogen. Dem ehrgeizigen Wunsch,
der Sender Frankfurt die Sendung, bei der dritten später einmal riesige Linienschiffe oder moderne
Folge auch Stuttgart, dann Köln, bis ein deutscher U-Boote zu konstruieren, machte der ausbrechen-
Rundfunksender nach dem anderen folgte. Über- de Erste Weltkrieg einen Strich durch die Rech-
all wurde das »Hafenkonzert« gehört: Sei es in nung. Esmarch fuhr zunächst zur See, wechselte
Hamburg-Altona, Flensburg oder Kiel, sei es bei in die Seeoffizier-Laufbahn und wurde später Or-
den deutschen Auswanderern in Brasilien, in Spa- donnanzoffizier in Kurland. Ohnehin ein ‚Jung von
nien, in Kanada oder New York – und natürlich an der Waterkant‘, prägte Esmarch die Zeit bei der
Bord deutscher Schiffe rund um den Erdball. Marine ein Leben lang. Mit Leib und Seele blieb
Esmarch dem Meer verbunden. Ohne seine Er-
Binnen kürzester Zeit gelang es dabei auch dem
Moderator Kurt Esmarch mit der von ihm entwi- fahrungen als Marineoffizier, ohne das eigene
Erleben der See, ist Esmarchs Enthusiasmus bei
ckelten Sendung die Herzen der Radiohörer zu
der Gestaltung des »Hafenkonzerts« nicht erklär-
erobern. Esmarch selbst avancierte dadurch zu
bar.
einem der populärsten Männer des deutschen
Rundfunks der Vorkriegszeit. Seine ruhige, sono-
re Stimme war aus dem Radioprogramm für den
Sonntagmorgen nicht mehr wegzudenken.

2. Kurt Esmarch – zur Biographie eines


Rundfunkpioniers
Esmarchs Werdegang zeigt exemplarisch Stati-
onen einer Rundfunkkarriere in den Pionierjahren
des Radios, als es noch keine Journalistenschu-
len oder feste Ausbildungsschemata gab. Wie so
viele seiner Berufskollegen in der Frühzeit des
Mediums war Esmarch ein typischer ‚Self-made‘-
Rundfunkmann. Sein Weg zum Rundfunk war kei-
neswegs vorbestimmt, vielmehr ging seine Le-
bensbahn zunächst in eine völlig andere Rich-
tung. Esmarch war Seemann, Soldat, Hilfsschrei-
ber beim Finanzamt, kaufmännischer Angestellter
in einer Tuchgroßhandlung, bis er nebenberuflich
zum Radio fand. Durch diesen anfänglich unste-
ten Lebenslauf schimmert jedoch ein Grundzug
hindurch – die Faszination für die Möglichkeiten
der Technik und die ständige Suche nach krea-
Kurt Esmarch nach seinem Eintritt in die Kaiserliche
tiven Herausforderungen. Marine. © Archiv Harro Esmarch
Geboren wurde Kurt Esmarch am 1. Februar 1894 Sein Drang zur Technik ruhte auch im Krieg nicht,
in Bergenhusen, Kreis Schleswig, wo sein Vater neue Technologien fesselten nach wie vor seine
Harro Esmarch als Pastor tätig war. Dieser, ein Phantasie. Nicht zuletzt deshalb beantragt er im
Neffe Theodor Storms und des bekannten Medizi- Sommer 1918 die Versetzung zur Marinefliegerei,
ners Professor Friedrich von Esmarch, legte be- einer völlig neuen, jungen Waffengattung, die der
sonderen Wert auf eine humanistisch-musikalische Hauch des Abenteuers und des technischen
Bildung seines Sprösslings. Dem ausgeprägten Wagnisses umwehte. Zum 1. November 1918

11 Die Norag. Offizielles Organ der Sender Hamburg, Kiel, Hanno- gebührt nach jüngster Auskunft der Guinness-Redaktion dieser
ver, Bremen und Flensburg 6(1929), Nr. 24, 14.6.1929. Es er- Ehrentitel der Sendung »Grand Ole Opry« des Senders WSM Radio
scheint bei der Gelegenheit angebracht, einen landläufigen Irr- in Nashville, Tennessee, USA, die bereits fast fünf Jahre früher als das
tum aufzuklären. Bis heute schmückt sich die »Hafenkonzert«- »Hafenkonzert«, am 28. November 1925, auf Sendung ging und ebenfalls
Redaktion mit dem gleichsam werbewirksamen wie beeindru- bis heute gesendet wird. Die gleichwohl eindrucksvolle ‚Lebens-leistung‘
ckenden Titel »älteste Radiosendung der Welt«. Tatsächlich des »Hafenkonzerts« schmälert diese Tatsache jedoch nicht.

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wurde Esmarch zur Marineflieger-Abteilung nach leiter der Norag-Zeitung, als Sprecher, Ansager,
Kiel-Holtenau versetzt, bis der Novemberumsturz Reporter – kurz Mädchen für alles, wie es damals
alle Pläne über den Haufen warf: »Durch den für Rundfunkmänner üblich war; Dienst durch-
Ausbruch der Revolution wurden die Marineflieger schnittlich 14 Stunden am Tag. Dafür aber keinen
vor einem begeisterten Fliegerschüler bewahrt« 12, Urlaub, keinen freien Tag. Begeisterung für das
schreibt er später im Rückblick auf sein bewegtes Neue, was da im Äther auftauchte, einfach nicht
Leben. Wie so viele junge Männer seiner Gene- zu zähmen.«14
ration stand Esmarch nach dem verlorenen Welt- Esmarch entwirft Konzepte, verliest die Nach-
krieg zunächst vor dem Nichts. Nach einer kurzen,
richten, geht als ‚rasender Reporter‘ auf Tour,
überbrückenden Zeit bei den Zeitfreiwilligenver- schreibt Hörspiele – endlich ist der knapp 33-
bänden der ehemaligen Kaiserlichen Marine be-
Jährige am Ziel seiner beruflichen Träume. 15 Der
gann Esmarchs anfangs noch unstete Suche
im Deutschen Rundfunkarchiv Frankfurt am Main
nach beruflicher Erfüllung. Er wurde Hilfsschrei- archivierte journalistische Nachlass Kurt Es-
ber beim Finanzamt, kaufmännischer Angestellter
marchs enthält eine Fülle von Zeugnissen seines
in einer Tuchgroßhandlung und über Umwege vielfältigen Schaffens beim Rundfunk. So sind
Journalist. Zeitgleich mit Esmarchs beruflicher
beispielsweise Esmarchs Berichte über die spek-
Orientierung begann der Siegeszug des Rund-
takuläre Rekordfahrt des »Opel-Raketenwagens«
funks in Deutschland. Sofort war Esmarch von der im Juni 1928 (»Im Glühschweif der Rakete«),
neuen revolutionären Technik fasziniert. Unver-
seine regelmäßigen humoristischen Beiträge zur
hofft schien sich für den ‚gestrandeten‘ Marine-
Norag-Zeitung (»Die lachende Norag«) oder das
offizier eine berufliche Perspektive zu eröffnen,
Hörspiel »D 13000« überliefert. Letzteres, 1930
die sowohl seine Faszination für die Technik als
dem Programmausschuß der deutschen Rund-
auch seine kreative Begabung idealtypisch zu- funkgesellschaften angedient, entsprang ganz
sammenführte.
dem rundfunkbegeisterten und technikaffinen Na-
Bereits in seiner Jugend und später bei der Marine turell Esmarchs: Die fiktive Hauptfigur des Hör-
hatte Esmarch die spärliche freie Zeit zum Verfas- spiels, der bekannte Flieger Soltau, hat mit »einer
sen von Gedichten und derb-humorösen Kurzge- Maschine aus eigener Konstruktion die Welt in
schichten genutzt. Früh war Lehrern und Vorge- Erstaunen gesetzt. Seine Maschine fliegt ohne
setzten das literarische Talent des jungen Man- eigenen Betriebsstoff, ist nur mit einer [!] Dynamo
nes aufgefallen. Doch was bringt eine schöpfe- ausgerüstet, die ihre Antriebskraft aus dem Äther
rische Ader, wenn sie keiner mitbekommt? Das holt.« Während eines von der Welt mit Spannung
junge Radio erschien ihm als Ideallösung, die verfolgten Transatlantik-Fluges kommt es zum
seine Leidenschaften perfekt kombinierte: Die Showdown zwischen Befürwortern und Gegnern
Verbindung von menschlicher Kreativität und Soltaus. Letztere versuchen den Flug durch Ab-
technischer Pionierleistung. Als 1924 auch in schalten der Dynamomaschine zum Scheitern zu
Hamburg eine Rundfunkgesellschaft gegründet bringen und Soltau abstürzen zu lassen. »Und
wurde, war Esmarch nur noch schwer im ‚zivilen‘ das Schicksal Soltaus liegt im Dunkel. Bis der
und ohnehin unbefriedigenden Berufsleben zu Rundfunk die Landung des kühnen Piloten auf
halten. Eine nebenberufliche Tätigkeit bei der dem Flugplatz von Mitchelfield aus Amerika über-
Nordischen Rundfunk AG brachte ihn seiner gro- trägt.« Bewusst hatte Esmarch das aus der
ßen Leidenschaft schon etwas näher. Am 1. eigentlichen szenischen Handlung sowie aus
Januar 1927 vollzog sich dann »die große Wen- Rundfunkreportagen und Berichten zusammen-
de«13 in seinem Leben: die ersehnte Fest- gesetzte Hörspiel als mehr oder weniger ver-
anstellung bei der Norag. Endlich, »fester Mitar- deckte Werbungssendung für den Rundfunk ge-
beiter des Rundfunks. Als verantwortlicher Schrift- schrieben:

12 Archiv Harro Esmarch. Maschinenschriftliches Manuskript von ging dafür später. Sonntag gab es nicht. Der arbeits-reichste Tag
Kurt Esmarch: »So was wie’n Lebenslauf«, S. 1. Der Marine blieb war der 24. Dezember, die ‚Weihnacht der Ein-samen‘, wo
Esmarch treu: 1940 wurde Esmarch als Oberleutnant zur See, Bodenstedt [der Norag-Intendant] mit seinen Reportern in der
später Kapitänleutnant, erneut eingezogen und diente als Weihenacht die Menschen besuchte, denen kein Christbaum
Kriegsberichterstatter bei der U-Bootwaffe und als Leiter brannte.« Archiv Harro Esmarch. Kladde »Hafen-konzert«.
verschiedener Soldatensender in Frankreich und Italien. Unveröffentlichtes Manuskript Kurt Esmarchs, o. D. [zirka 1960er
13 Jahre], S. 2.
Ebd.
14 Ebd. In seinen Aufzeichnungen beschreibt Kurt Esmarch die erste 15 DRA. A 26-20/2, 28. August 1930, Hörspiel »D 13000« samt
Zeit beim Rundfunk: »Am 1. Januar 1927 holte die Norag mich als Schreiben Esmarchs an den Programmausschuss der deutschen
festen Mitarbeiter. Der Mitarbeiterstab bestand damals aus Rundfunkgesellschaften. Bemerkenswert ist außerdem die
einigen wenigen Männern. Auf engstem Raum im großen Postamt Vielzahl der von Esmarch benutzten Pseudonyme. Werke von ihm
an der Binderstrasse zusammengepfercht, sassen wir um 8 Uhr finden sich unter den Namen Ernst Alberti, Harro Feddersen, Kurt
morgens an unsern Schreibtischen und gingen um 10 Uhr abends Ernst Gustav oder – hauptsächlich bei den späteren
nach Haus. Wer Sprech- und Ansagedienst hatte, kam früher und humoristischen Schriften – Eusebius Bäffchen.

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»Mit voller Absicht ist der Rundfunk als das aktuelle In jede einzelne Sendung legte Esmarch seine
Nachrichtenmittel herausgestellt. […] Meine Absicht journalistische Seele und plante jede Folge bis ins
beim Verfassen des Hörspiels war die: den Hörern zu kleinste Detail durch. Jede Folge wurde daher von
zeigen, was der Rundfunk wert ist und wie der
den Hörern als homogenes, in seinen einzelnen
Rundfunk arbeitet, wenn ein aktuelles Ereignis sich
Bestandteilen genauestens aufeinander abge-
abspielt.«
stimmtes Gesamtkunstwerk wahrgenommen.
Überregionale Bekanntheit jedoch sollte Esmarch Kein Sendungsthema, keine Reportage, kein Mu-
erst ab Juni 1929 mit ‚seiner‘ Sendung erlangen – sikstück war von ihm ohne Bedacht gewählt
dem »Hafenkonzert«. Die Sendung war ‚sein worden. Esmarch hatte den Erfolg des »Hafen-
Kind‘, er prägte sie und machte sie zu einem in konzerts« auf Grundfesten aufgebaut, an denen
ganz Deutschland bekannten, unverwechsel- nicht gerüttelt werden durfte: das »Hafenkonzert«
baren Markenzeichen des norddeutschen Rund- wird am Sonntagmorgen live gesendet, die Sen-
funks. Als Esmarch sich, mittlerweile 70-jährig, am dung kommt von Schiffen auf hoher See oder
1. März 1964 mit seinem 1.289. »Hafenkonzert« zumindest aus dem Hafen, die Musikkapelle spielt
von den Hörern verabschiedete, endete eine live. Unabdingbar war in seinen Augen außerdem
norddeutsche Rundfunkära. Insgesamt 35 Jahre eines: die Liebe der Beteiligten zur See. In Es-
war Kurt Esmarch verantwortlicher Redakteur des marchs Augen konnte nur der eine gute maritime
»Hafenkonzerts«. Nur selten bildeten Sendung Sendung machen, der wie er dem Meer verfallen
und Moderator eine solche untrennbare Symbiose war. Esmarchs eigenwillige Art zu moderieren,
wie bei der bis heute existierenden Traditions- trug ein Weiteres dazu bei, die Sendung zu einem
sendung. Esmarchs Rundfunkbegeisterung war Alleinstellungsmerkmal des norddeutschen Rund-
dabei der Schlüssel zum Erfolg: »[E]r war einer funks zu machen: »Wer ihn [Kurt Esmarch] einmal
von jenen funkbesessenen Männern, die unter erlebt hat, wie er – das Mikrophon in beiden
Hintansetzung ihrer eigenen Vorteile dazu bei- Händen gepackt – andächtig sich aus sich selbst
trugen, den hohen Stand des deutschen Rund- heraus sammelt, dem springt es ins Bewußtsein:
funks vor dem Jahre 1933 mit zu erarbeiten und Hier ist ein Mensch am Werk, der seiner Arbeit
zu erhalten«, urteilte sein Vorgesetzter Hans verhaftet, der von ihr besessen ist. Er schildert
Bodenstedt über seinen beliebtesten Reporter.16. nicht dieses Milieu aus seinem Verstand heraus,
Charakteristisch war, dass Esmarch niemals sei- er lebt in ihm, ja er ist selbst ein Stück von diesem
ne Tätigkeit für das »Hafenkonzert« als ‚normale‘ Milieu.«19
journalistische Tätigkeit ansah. Für ‚seine‘ Sen-
Mit seiner ruhigen, zurückhaltenden und bewusst
dung war ihm nur das Beste gut genug. Ent-
gefühlsbetonten Art der Moderation, die flüchtige
sprechend hoch waren seine Ansprüche an sich,
Augenzeugen der »Hafenkonzerte« als Scheu vor
die Sendung und an seine Mitstreiter. Die Arbeit
den Mitmenschen missdeuteten, vertrat Esmarch
am »Hafenkonzert« deutete er folgerichtig nicht
eine eigenwillige journalistische Ausdrucksform,
als ‚Arbeit‘ im landläufigen Sinne, sondern er ver-
die das genaue Gegenteil der heute gültigen ober-
langte von allen Beteiligten »reinsten Idealismus«
flächlichen und Effekt heischenden »morning-
bei der Gestaltung der Sendung, denn »ohne den
Idealismus, ohne die innere Begeisterung, ohne show«-Unterhaltungskultur darstellte. Noch heute
malen alte »Hafenkonzert«-Tonbandaufnahmen
die – sagen wir – Besessenheit wären wir nicht so
ein eindrucksvolles Zeitbild, zieht die Stimme Es-
weit gekommen.« 17 Schließlich sollte das »Hafen-
marchs den Hörer genauso in den Bann wie vor
konzert« eine Sendung sein, »die vollkommen
Jahrzehnten: Zunächst ein wenig bedächtig, ge-
aus dem Rahmen der übrigen Programme fiel. Sie
sollte nach Teer und Tang riechen, sie sollte dem radezu jedes einzelne Wort abwägend, nimmt die
ruhige, introvertierte Sprechfolge Esmarchs
Hörer im Binnenland die Schifffahrt, die See und
schließlich ein feierliches Timbre auf, das die Be-
den Menschen der See, und die Häfen und ihre
geisterung über das maritime Sujet spüren lässt.
wirtschaftliche Bedeutung für unser Vaterland
Übertreibungen, Worthülsen, Selbstdarstellung
näherbringen und klarmachen.« 18

16 StA HH. 621-1/144 1458, 18. Februar 1950, Zeugnis des aus: »Er gehört zu den alten Funkhasen, dieser Kurt Esmarch.
ehemaligen Norag-Intendanten Hans Bodenstedt über Kurt Tausende, ach was, Millionen kennen seine Stimme, die Sie
Esmarch. sonntags in aller Herrgottsfrühe aus dem Traum- reich in sein
17 DRA. A 26-20/6, Jubiläumsmappe zum 500. »Hafenkonzert« am Milieu führt: In den Hafen, an das ewige Meer mit seinem Zauber
10. Juli 1938. – In dieser Mappe ein handschriftliches von Romantik und von Weltweite. ‚Sie hören das Hafenkonzert.‘
Redemanuskript Kurt Esmarchs anlässlich der Feierlichkeiten zur Dann ist dieser Zauber da und nimmt gefangen. Man erlebt ein
500. »Hafenkonzert«-Jubiläumssendung, S. 6 f. Stück christlicher Seefahrt, spürt den Hauch des Abenteuers und
18 Ebd., S. 2f der Ferne. Männer und Gestalten treten auf und machen Hafen,
19 »Hafenkonzert«-Redakteur Walter W. Schwedke über Kurt Meer und Schiff lebend nahe. Und so entsteht schlagartig jenes
Esmarch in der 1.000. »Hafenkonzert«-Sendung am 7. März 1953. Milieu, in dem Kurt Es march zu Hause ist, das er geschaffen hat,
Abgedruckt in: Kurt Esmarch: Mensch und Meer. 25 Jahre und das zwei Stunden hindurch fesselt und in den Bann zieht.«
Hafenkonzert. Preetz o.J. [= 1954], S. 17. – Schwedke führte weiter Ebd.

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oder sogar übertriebene Lautstärke sucht man 3. Neue Wege und technisches Wagnis:
vergebens. Esmarchs Moderation wirkt für heu-
Rezepte eines Radioerfolges
tige Ohren wie ‚entschleunigt‘. Sie zeichnet sich
Was ist das Geheimrezept eines Formats, das alle
aus durch in sich ruhendes Einfühlungsvermögen,
äußeren Fährnisse wie Kriege, Inflationen, Dikta-
Selbstzurücknahme und Innerlichkeit. Esmarch
turen scheinbar genauso unbeschadet überstand
selber formulierte es so: »Nie wäre das ‚Hambur-
wie die allgegenwärtigen Anforderungen des un-
ger Hafenkonzert‘ das geworden, was es ist, und
berechenbaren, kurzlebigen und auf massen-
nie wäre es 25 Jahre alt geworden, wenn das
konforme ‚Modernisierung‘ gepolten Rundfunkge-
nicht gewesen wäre: Die restlose Hingabe an die
schäfts? »Schaffen Sie etwas ganz Neues, eine
Sache und das Gefühl: Du sprichst nicht zu Milli-
Sendung, die nach Teer und Tang riecht, eine
onen, sondern nur zu einem Einzigen, der da
Sendung, in der die See zu den Hörern spricht,
irgendwo ganz allein in seinem Zimmer sitzt und
die See und die Männer, die sich ihr verschrieben
lauscht, hineinhorcht in eine Welt, die von Roman-
haben. Nutzen Sie alle Möglichkeiten, die Ihnen
tik umwittert ist, und doch letzten Endes bar jeder
die Technik bietet. Stellen Sie die Technik vor
Romantik ist. Deshalb nehme ich das Mikrophon
neue Probleme. Kurz und gut: Schaffen Sie eine
immer ganz nahe an meinen Mund, spreche ganz
einmalige Sendung für den frühen Sonntag-
leise, damit der intime Charakter bewahrt bleibt.
morgen!« – so lautete der legendenhaft zuge-
Das ist das große Geheimnis. – Und das andere?
spitzte Auftrag von Norag-Intendant Hans Boden-
Nun, ich habe bei allen meinen Reportagen, die
stedt.23 Esmarch berichtete über den Hafen, über
ich in den fast 30 Jahren meiner Zugehörigkeit
die Schiffe, über ihre Ladung, über die fernen
zum Hamburger Rundfunk gemacht habe, immer
Länder, aus denen sie kamen. Er berichtete über
das Herz ein klein wenig mitsprechen lassen, und
die Werften und die Stahlkolosse, die ihre Helgen
habe zu den Hörern nie anders gesprochen wie
verlassen und über die Schlepper, die die
zu einem lieben Menschen, der mir nahesteht.« 20
Seeschiffe geleiten. Und er berichtete über Matro-
Ein Weggefährte überlieferte Esmarchs journalis- senleben, Abenteuer, Fernsucht und Heimweh.
tisches Selbstverständnis folgendermaßen: Auf Hier setzt die Handschrift Kurt Esmarchs ein. Es
den Einwurf »Ewig schade, daß die Hörer Sie wird im besten Wortsinne ‚seine‘ Sendung. Das
nicht sehen können«, entgegnete Esmarch: »Das »Hafenkonzert« ist sein Spielplatz, das selbst-
macht nichts. Dafür sehe ich alle Hörer wie einen geschaffene Paradies jenes jungen Redakteurs,
großen Freundeskreis vor mir. Ich nehme sie an der – erfüllt von den Möglichkeiten der neuen
die Hand, führe sie durch ein Stück lebendige Technik, ausgestattet mit geradezu unendlichen
Wirklichkeit, bringe sie dem Meer nahe, dem Meer gestalterischen Freiheiten und versehen mit
mit seinem Verlocken und Drohen, mit seinem spielerisch-kindlichem Ehrgeiz – die Grenzen des
geschäftigen Alltag und seiner erhabenen Monu- neuen Mediums Radio auszutesten ansetzt.
mentalität.«21
Selten wohl bekam ein Journalist in den Anfangs-
Nicht zuletzt diese eigentümliche, durch tiefes Ein jahren des Rundfunks so viel ‚Spielraum‘ wie Kurt
fühlungsvermögen geprägte menschliche Art zu Esmarch bei der Gestaltung seines »Hafen-
moderieren honorierten die Hörer mit einer wohl konzerts«.
bisher unerreichten emotionalen Bindung an ‚ihr‘
Kein Winkel ist an Bord vor ihm sicher. Esmarch
»Hafenkonzert« 22.
kriecht mit dem Mikrophon durch die Maschinen-
räume, erklettert die Masten der Großsegler, be-
gutachtet die Luxuskabinen der Ozeanriesen
genauso wie die Kammern der einfachen Matro-

20 Archiv Harro Esmarch. Auf Interviews mit Kurt Esmarch be- extrovertiert. Er wirkte verschlossen und für Außenstehende nur
ruhende schriftliche Ausarbeitung des Hamburger Schülers A.L. schwer zugänglich. Wenn Zuschauer um ihn herumstanden, war
„Die Arbeit des Hamburger Hafenkonzerts in der Sendung des ihm das sichtlich peinlich. Dann flüsterte er ins Mikrophon und
NWDR“, unveröffentlichtes Manuskript, 1954, S. 2. wagte es nie, beim Sprechen einen der Gäste offen ins Gesicht zu
21 Ebd. sehen. Wenn er sich nicht abwenden konnte, sprach er mit
22 Nachfolgenden, anders sozialisierten und durch eine journali- geschlossenen Augen. […] Und noch etwas fiel denen auf, die noch
stische Ausbildung ‚genormten‘ Radio-Moderatoren musste die mit Kurt Esmarch zusammengearbeitet haben: Menschen, die
besondere Art zu moderieren freilich verschlossen bleiben. So nichts mit der Seefahrt zu tun hatten, die nichts von dem Metier
urteilte Kurt Grobecker, Leiter des »Hafenkonzerts« 1982 bis verstanden oder denen Seefahrt gar gleichgültig war, mochte er
2001, ohne jemals mit seinem Vorvorgänger im Dienst zusam- nicht sonderlich gern.« Kurt Grobecker: Hamburger Hafenkonzert.
mengearbeitet zu haben, wenig hanseatisch über den Stil Geschichten um eine erfolgreiche Radiosendung. Hamburg 1996,
Esmarchs: »Dabei war Kurt Esmarch keineswegs der Prototyp S. 17f. Grobecker begann seine Laufbahn beim NDR 1970, sechs
dessen, was man heute unter einem Rundfunkmann versteht. Jahre zuvor hatte sich Esmarch mit seinem letzten »Hafenkonzert«
Zwar war er so eitel, wie es Rundfunkleute wohl sein müssen, um aus dem Dienst verabschiedet.
ihre Rolle in ‚der Öffentlichkeit‘ genießen zu können. Aber er war 23 Ebd.
in seiner Eitelkeit auch äußerst verletzbar und alles andere als

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sen, lässt sich an der Bord-Bar bedienen, schaut Senders zählen. Das »Hafenkonzert« allerdings
dem Smutje über die Schultern, friert in den rie- trieb die Bereitschaft, neue technische Wagnisse
sigen Kühlkammern der Atlantikliner und lässt einzugehen, auf die Spitze. Ohnehin schien ein
sich auf der Kommandobrücke jeden Hebel erklä- verwinkelter, unübersichtlicher und schwanken-
ren. Er befragt junge Auswanderinnen vor ihrer der Ozeandampfer der denkbar ungünstigste
Abfahrt in die Neue Welt, lauscht den abenteuer- Platz für eine Live-Übertragung zu sein. Der
lichen Erlebnissen der Seenotretter, lässt sich von Aufwand war immens. Mobile Mikrophone oder
Seebären und alten Haudegen haarsträubende, gar Übertragungswagen für eine drahtlose Über-
augenzwinkernde Räuberpistolen erzählen, er tragung waren in den ersten Jahren des »Hafen-
begleitet Hafenfeuerwehr und Wasserschutz- konzerts« noch Zukunftsmusik. Mühsam musste
polizei, interviewt die Besatzung großer Schul- die Verbindung vom Ort des Geschehens bis zum
schiffe unmittelbar vor der Weltumseglung – und ausstrahlenden Funkhaus durch reguläre Fern-
der Hörer ist immer live dabei. sprechverbindungen hergestellt werden. Doch
damit nicht genug, bestand doch Esmarch darauf,
Norag-Intendant Hans Bodenstedt lässt Esmarch
gewähren und hält seine Hand über den jungen dass die Musik während der zweistündigen Sen-
dung ebenfalls live und auch von Bord jenes
Redakteur, der sich mit Pioniergeist, einem
Dampfers übertragen wurde, auf dem das
Schuss Übermut und noch mehr Enthusiasmus in
seine erste eigene Sendung stürzt: Der Beginn »Hafenkonzert« zu Gast war. Überdies sollten zu
Beginn einer jeden Sendung die Glocken der
einer lebenslangen, väterlichen Freundschaft, die
Hamburger St. Michaelis-Kirche erklingen, um
auch nicht abbricht, als Bodenstedt nach 1933
diese gebührend ‚einzuläuten‘. Da das Läuten der
von den Nationalsozialisten von seinem Posten
Michel-Glocken in den ersten Jahren der Sen-
bei der Norag entfernt wird. 24
dung noch nicht auf einen Tonträger gebannt
Mit seinen Ansprüchen und Ideen stellte Esmarch werden konnte, musste das Geläut live aus dem
1929 die noch junge Rundfunktechnik im »Hafen- Turm übertragen werden – ein dritter Standort für
konzert« vor ständig neue Herausforderungen. ein Mikrophon neben dem Mikrophon des Mode-
Schon die Anlage der Sendung war schwierig: rators und dem Mikrophon des Orchesters. Dies
Stets sollte das »Hafenkonzert« von Bord eines war für eine regelmäßig ausgestrahlte Sendung
Schiffes kommen – live und am Sonntagmorgen ein gehöriger Aufwand, ganz abgesehen von dem
um 7.00 Uhr.25 Und das zu einem Zeitpunkt, an unerlässlichen Höchstmaß an Koordination und
dem selbst eine Studioübertragung noch tech- blindem Verständnis zwischen Moderator und
nische Ungewissheiten barg und die noch unter- Kapelle, um unangenehme Pausen zwischen
entwickelte Übertragungstechnik eine Direktüber- dem Ende des Wortbeitrages und dem Beginn
tragung ‚von außerhalb‘ lange Zeit zur Vision des Musikstückes unbedingt zu vermeiden. In der
machte. Hier hatte sich die Norag bereits vor 1929 Wochenzeitung der Norag klingt dieses kleine
eine Vorreiterrolle erworben. Früher als andere Wunderwerk der Technik, das die Mannschaft des
Rundfunksender hatte man in Hamburg versucht, »Hafenkonzerts« regelmäßig vollbrachte, freilich
die Mikrophone hinaus aus den Aufnahmestudios spielerischer:
hin zu den Orten des Geschehens zu bringen.
»Dann will man wissen, wie die Übertragung
Bereits 1925 gab es in einer Art Testserie Sen-
dungen aus Hagenbecks Tierpark, vom Brocken technisch vor sich geht. Meist recht einfach!
Jedenfalls solange der Dampfer an der Kaimauer
im Harz oder vom Dampfer »München« auf hoher
liegt. Ein Kabel zum Vorverstärker, der im Karten-
See. Abschluss dieser Versuchsreihe war eine
aufsehenerregende Übertragung aus dem Tau- haus auf der Kommandobrücke steht, bis zum
nächsten Verteiler der Reichspost in einem Kai-
cheranzug vom Meeresgrund vor Helgoland im
gleichen Jahr.26 An diese Erfahrungen konnte die schuppen. Vom Vorverstärker zwei Mikrophon-
leitungen, eine in den Speisesaal oder die Halle, wo
Norag-Mannschaft anknüpfen.
die Kapelle spielt, eine andere bis zur Nock der
So konnte Esmarch 1929 mit seinem Sendungs-
konzept auf die Experimentierfreudigkeit seines Kommandobrücke, wo der Sprecher das Bild des

24 Auch nach der Amtsenthebung durch die Nationalsozialisten hielt Freundschaft ist so stark, daß sie nicht zerbrochen werden kann.
Esmarch seinem geschaßten Intendanten Hans Bodenstedt (1887– Ich hoffe, daß die Zeit kommt, in der ich Ihnen das wieder
1971) weiterhin die Treue, was dieser mit der Dankbarkeit des beweisen kann.« DRA Frankfurt am Main. A 26-20/1, 29. Juni
Verfemten registrierte: »Ich will nicht viel Worte machen, denn 1939, Nachlass Kurt Esmarch, Brief von Hans Bodenstedt an Kurt
wir verstehen uns. Aber ich fühle doch die Notwendigkeit in mir, Esmarch.
Ihnen zu sagen, was für ein wertvoller Kampfgenosse Sie mir 25 Wenig später wurde der Beginn sogar von 7.00 auf 6.00 Uhr
allezeit gewesen sind. […] Trotzdem hoffe ich und sei es auch nach vorgezogen und damit die Dauer der Sendung fast verdoppelt –
Jahren, einmal mein Werk vollenden zu können und dann werden ein weiterer Indikator für den Erfolg der Sendung.
auch Sie wieder dabei sein. Glauben Sie mir, der 26 Vgl. Renate Schumacher: Radio als Medium und Faktor des
Nationalsozialismus als Bewegung ist so stark, daß ihn kein aktuellen Geschehens. In: Leonhard, 1997 (Anm. 6), S. 423–622,
Experiment auf die Dauer schwächen kann. Aber auch unsere bes. S. 451f.

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Hafens und der Geschehnisse malt. Dann ein Legendär wurde der anschließende, von Es-
Kofferempfänger, zwei Kopfhörer dazu, einen für den marchs Ko-Moderator »Käpp’n« Karl Herbert mit
Dirigenten der Kapelle, der zweite für den Mann am Inbrunst gesungene Morgenspruch: »Wachet auf,
Mikrophon. So weiß jeder, wann er beginnen kann: Ihr Schläfer groß und klein / Es wacht schon
der Kapellmeister mit seinem Konzert, der Sprecher längst der Kapitein / Er ruft Euch ‚Guten Morgen‘
mit seiner Schilderung.«27 zu / Wacht auf, wacht auf aus Eurer Ruh / Reise,
Reise, jeder weckt den Nebenmann / Der letzte
4. Gefühl durch den Äther: Anspruch stößt sich selber an.« 28 Es folgten Märsche, Ou-
und Ablauf des »Hafenkonzerts« vertüren und Potpourris, durchmischt von Wort-
Kurt Esmarch selber hatte der Verlockung, zu beiträgen und Reportagen von Bord. 29 Im Prinzip
einer scheinbar unattraktiven Sendezeit eine an- erhielt das »Hafenkonzert« vor allem durch seine
spruchslose und mit möglichst wenig Arbeits- Eröffnungssequenzen einen semi-sakralen Duk-
aufwand verbundene Unterhaltungssendung zu tus, der in seinem Ablauf liturgische Züge trug.
machen, nie nachgegeben. Im Gegenteil: seine Der frühe sonntägliche Sendezeitpunkt unter-
Ansprüche an die Sendung und die Mitwirkenden strich die feierlich-kultische Wirkung noch zusätz-
waren immens, die Pole »Unterhaltung« und »Bil- lich. Die nachfolgenden beschwingenden Ope-
dungsanspruch« für ihn dabei keinesfalls unver- rettenmelodien und vorwärtstreibenden Märsche
einbar. Schon die Anlage der Sendung war eine appellierten am frühen Sonntagmorgen an Le-
Absage an alle Apologeten der seichten Muse. Mit bensfreude, Tatendrang und Schaffenskraft.
seinem traditionellen, hymnischen Ablauf fiel das Dieser direkte Bezug auf die »Aura des Aufbruchs
»Hafenkonzert« deutlich aus dem Rahmen sons- in den Tag«30 wurde zentrales Element der Musik-
tiger Radioformate. Über Hunderte von Sendun- auswahl und verlieh der Sendung während ihrer
gen blieb die Grundstruktur der Sendung nahezu zwei Stunden Sendezeit insgesamt eine positive,
identisch und formte ein geradezu kultisches lebensbejahende Grundstimmung. Gesteigert
Ritual: Dem Glockengeläut des Hamburger wurde die Wirkung zusätzlich durch das behan-
Michel, dem über dem Hamburger Hafen thro- delte Sujet, boten doch die Seefahrt mit ihren
nenden Wahrzeichen der deutschen Seeleute, Attributen Abenteuer, Abschied und Heimweh
und einem feierlichen Choral folgte das Kom- sowie der geheimnisumwitterte, mythische
pagnie-Signal, ein kräftiges Tuten der Dampf- Charakter des Meeres allerlei Anknüpfungs-
pfeife des jeweiligen gastgebenden Schiffes. punkte für eine emotionalisierende und fesselnde
Abgerundet wurde diese Dramaturgie vom »Mor- Berichterstattung. Nicht umsonst betrachtete sich
gengruß«, einer weiteren hymnischen Kompo- Kurt Esmarch, der sich der Wirkung dieses
sition, und der obligatorischen Begrüßung von gefühlsbetonten Ablaufs auf die Hörer sehr wohl
Kurt Esmarch: »Liebe Hörerinnen und Hörer, Wir bewusst war, über Jahrzehnte hinweg als ‚Grals-
grüßen Sie alle in nah und fern, in Stadt und Land, hüter‘ dieser überkommenen Ordnung.
in Nord und Süd, in Ost und West, an der See und Es widersprach außerdem Esmarchs Konzept,
auf der See, diesseits und jenseits des Äquators. die Schattenseiten der Seefahrt aus der Sendung
Wir grüßen alle unsere Hörer im In- und Ausland, auszuklammern. Kehrte ein deutsches Schiff nicht
un all uns leven plattdüütschen Landslüüd binnen in seinen Heimathafen zurück und hatte der un-
und buten.« berechenbare »Blanke Hans« wieder Seemanns-

27 Die Norag 7(1930), Nr. 23. – Kurt Esmarch beschreibt in seinen delnde Bruttoregistertonne« genannt, war die ideale Ergänzung zu
Aufzeichnungen diese Probleme der frühen Technik: »Und eines Kurt Esmarch. »‚Käppen‘ Herbert, das joviale, ein klein wenig
Tages machte sich das Mikro frei von der Enge des Funk-hauses: nuschelnde wandernde Lexikon, der von 1932 bis zu seinem Tode
Es wanderte hinaus. Und auch hier gab es Probleme noch und im Oktober 1938 dabei war, mit seinem goldigen Humor, der seine
noch für die Technik. Aber auch das schaffte sie, ja, als es noch Leibesfülle prustend die schmale Stiege durch den Schornstein
keine Übertragungswagen gab, erfand sie die Telephon-reportage. schob, wenn ich mal auf die Idee kam, die Männer im
Wir konnten in Fällen, in denen es wegen der Plötz-lichkeit des Maschinenraum zu besuchen, der immer zur Stelle war, […] der
Eintritts eines aktuellen Geschehnisses nicht möglich war, eine Ü- auf allen Meeren und in allen Häfen der Welt zu Hause war.«
Stelle mit Verstärker und Mikro einzurichten und die Leitungen Archiv Harro Esmarch. Kladde »Hafenkonzert«. Unveröffent-
über das Fernmeldeamt ins Funkhaus schalten zu lassen, einfach lichtes Manuskript Kurt Esmarchs, o. D. [zirka 1960er Jahre], S. 5.
an das nächstbeste Telefon gehen, und von dort aus mit Hilfe 29 So bestand die Liedfolge des »Hafenkonzerts« vom 19. Juni 1932
eines normalen Telephonapparates unseren Bericht machen. Und beispielsweise aus folgenden Stücken: Choral »Aus meines
das ging dann natürlich immer direkt: Die laufende Sendung Herzens Grunde«, »Parademarsch Nr. 1«, Ouvertüre zur Operette
wurde, wenn es sich nur irgend vertreten liess, einfach »Die schöne Helena«, Potpourri aus »Das Dreimäderlhaus«,
unterbrochen und dafür eine, selbstverständlich sehr kurzfristige, Marsch »Schneidige Truppe«, »Radetzky-Marsch«, Potpourri
Reportage über den Sender gegeben.« Archiv Harro Esmarch. »Vom Rhein zur Donau«, »Zwei Rosenlieder«, Potpourri »Berlin
Kladde »Hafenkonzert«. Unveröffentlichtes Manuskript Kurt wackelt«, »O sole mio«, Marsch »Treu deutsch«, Walzer »Flott
Esmarchs, o. D. [zirka 1960er Jahre], S. 7. durchs Leben«, »Brucker Lagermarsch«, Marsch »Hoch
28 Kapitän Karl Herbert war 1932 zum »Hafenkonzert« gekom-men, Deutschland«.
1938 verstarb er unmittelbar nach einer »Hafenkonzert«- 30 Ludwig Stoffels: Sendeplätze für Kunst und Unterhaltung. In:
Sendung. Der alte Seebär, wegen seiner Körperfülle »die wan- Leonhard, 1997 (Anm. 6), S. 641–681, XXX S. 673.

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seelen gefordert, fand dies seinen Niederschlag regelmäßig waschkörbeweise bei der Norag ein. In
im »Hafenkonzert«; nicht effektheischend und vielen deutschen Wohnstuben gehörte das »Hafen-
sensationslüstern, sondern zutiefst und ehrlich konzert« zum festen Sonntagsritual. Esmarch und
betroffen darüber, dass wieder Männer ein un- sein Adlatus »Käpp’n« Karl Herbert werden die
bekanntes, nasses Grab gefunden hatten und »wohl bekanntesten Männer des deutschen Rund-
nicht zu ihren Frauen und Kindern zurückkehren funks«.31 Die 500. Sendung im Juli 1938, ein bis
würden. Die »Hafenkonzerte« beispielsweise dahin unerreichter und spektakulärer Radiorekord,
unmittelbar nach den tragischen Untergängen der erregte im In- und Ausland gleichermaßen Auf-
Segelschulschiffe »Admiral Karpfanger« 1938 sehen.32 Es kann bezweifelt werden, dass eine
und »Pamir« 1957 oder nach der verheerenden weitere deutsche Rundfunksendung in den 1920er
Sturmflut 1962 gerieten zu bewegenden Trauer- und 1930er Jahren eine größere Beliebtheit und
kundgebungen der geschockten norddeutschen einen so festen Hörerstamm besaß wie das
Öffentlichkeit und zur Solidaritätsbekundung mit Hamburger »Hafenkonzert«.33
den Hinterbliebenen. Nicht selten waren die auf Doch nicht nur bei ‚normalen‘ Rundfunknutzern traf
See Gebliebenen alte Bekannten und langjährige die Sendung auf begeisterten Widerhall, auch mari-
Interviewpartner der »Hafenkonzert«-Moderato- time Fachkreise erblickten im »Hafenkonzert« ein
ren. Die Behandlung dieser unvorhergesehenen willkommenes Sprachrohr der Schifffahrtsbelange.
tragischen Ereignisse erforderte ein besonderes Angeblich, so die »Zeitschrift des Verbandes Deut-
Pietätgefühl in punkto Wortwahl, Sendungsablauf scher Kapitäne und Schiffsoffiziere« 1931, gab es
und Musikauswahl. Doch war es dieser ehr- bis dahin im Programm des norddeutschen Senders
furchtsvolle Umgang mit dem machtvollen Dop- eine eher beiläufige Behandlung von Schifffahrts-
pelgesicht des Meeres, der zu Glaubwürdigkeit themen. Mit dem »Hafenkonzert« war ein Format
und Erfolg der Sendung beitrug und der der geschaffen, das die Seefahrt und ihre Männer in den
Sendung einen ernsten, dokumentarischen Cha- Mittelpunkt einer regelmäßigen Sendung rückte.
rakter verlieh, der sie weit über eine seichte Das wog umso mehr, als dass sich die maritime
Unterhaltungssendung hinaushob. Wirtschaft bis dahin immer als im Schatten der land-
gebundenen Industrie stehend gefühlt hatte:
5. Auf der Sympathiewelle: »Tagtäglich kann man durch den Rundfunk Vor-
Hörerreaktionen träge über die Landwirtschaft, Handwerk, Indus-
Bei der Hörerschaft stieß das Sendekonzept des trie usw. hören, nur nicht von der Seeschiffahrt,
»Hafenkonzerts« auf begeisterte Reaktionen. Zu oder doch höchst selten. Ist denn die Schiffahrt
besonderen Sendungen mussten Sonderzüge für nicht ebenso wichtig wie die Landwirtschaft für ein
die neugierigen und von weither angereisten hochkultiviertes Volk? Mit dem Mikrophon geht
Zaungäste eingesetzt werden, die einmal einer Live- man in Fabriken und Werkstätten und berichtet
Übertragung der Sendung beiwohnen wollten. Eine über die Herstellung aller möglichen Dinge; vom
Übertragung von einem Spreedampfer anlässlich Schiffsbau und vom werktäglichen Betriebe an
einer Berliner Rundfunkausstellung geriet zur Bord eines Schiffes wird höchst selten ge-
Triumphfahrt: Von allen Brücken, unter denen der sprochen.«34
Dampfer hindurch fuhr, ging ein Blumen- und Bon- Auch erblickte man im »Hafenkonzert« das
bonregen auf die »Hafenkonzert«-Mannschaft her- Organ, um endlich mit den kursierenden aben-
nieder. Reaktionen auf einzelne Sendungen gingen teuerlichen Gerüchten über die Welt der Seefahrt

31 Hamburger Tageblatt, 10./11.7.1938. Zu Karl Herbert siehe »Beide [Kurt Esmarch und Karl Herbert] weigerten sich nicht nur,
Anm. 28. der NSDAP beizutreten, sie stemmten sich auch gegen die Ver-
32 So berichteten sogar norwegische Zeitungen über »den 500. suche, die beliebteste Unterhaltungssendung ‚gleichzuschalten‘
Havnekonsert fra Hamburg«. Radiobladet Oslo, Nr. 28, 1938. Auch und ihr politische Inhalte zu geben. […] Aber Esmarch entwickelte
Esmarch selber war von dem außergewöhnlichen Jubiläum und doch ein erstaunliches Geschick, seine Reportagen immer an
dem damit verbundenen Erfolg seiner Sendung überrascht: Themen der Seefahrt zu orientieren, und seine Sendungen waren
»Wenn ich mal im Stillen darüber nachdenke, daß aus dem ersten deshalb weniger mit Propaganda-Phrasen belastet als andere
Hafenkonzert am 9. Juni 1929 nun im Laufe der Jahre 500 ge- Programme. Immer wieder gelang es ihm, auf die abenteuerliche
worden sind, und daß der Hörerkreis, der damals nur die Hörer oder romantische Seite der Seefahrt zu sprechen zu kommen, und
der Nordischen Rundfunk A.G. umfaßte, heute über unseren da war einfach kein Platz für die oft abstrakte Partei-Termi-
ganzen Planeten verteilt ist, kommt mir das vor wie ein ganz nologie.« Kurt Grobecker: Hamburger Hafenkonzert. Geschichten
großes Geschenk des Schicksals.« Kurt Esmarch zum 500. »Ha- um eine erfolgreiche Radiosendung. Hamburg 1996, S. 63–65.
fenkonzert« in der Zeitschrift Volksfunk, Nr. 28, 1938. Esmarch selber formulierte es kurz und knapp: »Nun wollte man
33 Der Aufstieg des »Hafenkonzerts« wurde auch durch die Zäsur mich 1933 propagandistisch-politisch einfangen. Ich habe allen
von 1933 nicht gebremst. Über den Stellenwert und die Funktion diesen Versuchen mit dem mir eigenen – sprich schleswig-
einer Sendung wie das »Hafenkonzert« im NS-Rundfunk steht eine holsteinischen – Dickkopp widerstanden: Ins Hafenkonzert kam
quellengestützte Untersuchung noch aus. Gleichzeitig existieren keine Politik.« Archiv Harro Esmarch. Maschinenschriftliches
leider nur wenige spätere (Selbst-)Zeugnisse bezüglich des sich am Manuskript von Kurt Esmarch: »So was wie’n Lebenslauf«, S. 2.
Beispiel des »Hafenkonzerts« geradezu idealtypisch abbildenden 34 Seefahrt. Zeitschrift des Verbandes Deutscher Kapitäne und
Spannungsfeldes von Unterhaltung und Politik: Schiffsoffiziere 31(1931), Nr. 2, 1.2.1931, S. 60.

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aufzuräumen. Hielt sich doch landläufig das Vor- schlechten Image der Seefahrt gehörig zu leiden
urteil, dass das unzünftige Seemannsleben gera- hatten. Zu Recht fühlten sich diese zurückgesetzt,
de jene Gestalten anziehen würde, die es an Land »wenn noch immer Schauerromane über das
zu keinem Erfolg bringen würden oder für die es wilde Seevolk, womit alle über ein Kamm ge-
ratsam erscheine, ihre Heimat zu verlassen. Das schoren und kein Rangunterschied gemacht wird,
von Suff und Hurerei gespeiste Zerrbild der in Zeitschriften und sogar in führenden Tage-
blätter zu lesen sind.« 35 Auf das »Hafenkonzert«
konzentrierte sich fortan die große Hoffnung der
seefahrenden Bevölkerung, endlich Licht in die
unbekannte Welt des Seemanns zu bringen: »Im
Interesse unseres Standes und der Seeschiffahrt
ist es aber gerade hier hoch notwendig, durch den
Rundfunk Vorträge zu verbreiten, denn der Rund-
funk ist die richtige Stätte, um bessere Aufklärung
über die Seeschiffahrt zu geben.« 36
Und Esmarch leistet Aufklärung und berichtet von
der Seefahrt, hautnah und ungeschminkt. Er be-
fragt die Offiziere und einfachen Matrosen, lässt
den Menschen zu Wort kommen, der da hinter
dem Ruder oder der Winde oder auf den Rahen
steht. Er beantwortet Zuhörerfragen zu Ausbil-
dungsmöglichkeiten in der Seefahrt und kann so
manches Missverständnis ausräumen, er berich-
tet von dem harten Los der Handelsschiffmatro-
sen, Weltumsegler und Hochseefischer, er be-
richtet von Arbeit, Leistung und Pflichterfüllung
und schafft es letzten Endes, Verständnis zu
Seemännisch: Kurt Esmarch Anfang der 1930er Jahre. wecken für einen vielfach verachteten Berufs-
© Archiv Harro Esmarch zweig und dessen enorme Bedeutung für die
deutsche Volkswirtschaft. 37
Reeperbahn – »und wenn das Geld versoffen ist,
dann fahren wir zu See« – tat das seinige, den Schon vor der ersten Sendung mutmaßte die
Seemann auf der unteren Skala der angesehenen Norag, dass »die Übertragung eines solchen
Berufe zu platzieren. Zum Leidwesen des weitaus Konzerts aus dem Hamburger Hafen werbend für
größten Teils der Fahrensmänner sowie der Hamburg und seinen Hafen wirken wird.« 38 Zu
seegebundenen Wirtschaft, die unter dem Recht, denn schnell bemerkten die Verantwort-

35 Ebd. – Kurt Esmarch persiflierte später die Vorurteile und die 36 Seefahrt. Zeitschrift des Verbandes Deutscher Kapitäne und
Klischees über die Seefahrt in dem Gedicht »Das einzig richtige Schiffsoffiziere 31(1931), Nr. 2, 1.2.1931, S. 60.
Seemannsgedicht«: »Der Seemann heißt Charly und Jonny und 37 Neben der Seefahrt im Allgemeinen galt die Hochachtung Es-
Hein! / Du fragst mich warum? Nun, das muss wohl so sein. / Und marchs der Fischerei im Besonderen: »So ein prachtvoller Ozean-
find’st ein Ahoi in den Reimen Du nicht, / Dann ist es kein richtiges riese, der hat es gar nicht so nötig, daß auf ihn aufmerksam ge-
Seemannsgedicht. / Der Käptn muss trinken – nein, besser noch macht wird, auf den sind die Blicke ohnehin gerichtet. Der macht
saufen! / Und die Mannschaft muss sich egalweg raufen. / Bald seinen Weg von ganz alleine. Aber so ein kleiner, mutiger Fisch-
hätt‘ ich vergessen, das zu erwähnen: Der Matrose muss dampfer, der tagein, tagaus seine harte Pflicht erfüllt, ohne groß
schwimmen in Sehnsuchtstränen / Nach der schwarzen Marie und Aufhebens davon zu machen, der muß den Menschen, für die er ja
der roten Laterne! / Ihr wisst doch, die hat der Seemann so gerne. letzten Endes in Wind und Wetter unermüdlich tätig ist, ins rechte
/ Und der Sturm muss heulen und kochen die See,/ Und das Schiff Licht gerückt werden.« Kurt Esmarch: Mensch und Meer. 25 Jahre
muss kentern, oha und ohe! / Und die Masten müssen wie Hafenkonzert, Preetz o. J. [1954], S. 147. Das Wohlwollen, das
Streichhölzer knicken / Die Segel zerfetzen und splittern die Esmarch in seinen Sendungen der oft zu kurz kommenden
Riggen. / Und die Mann-schaft sitzt in zertepperten Flössen / Fischerei entgegenbrachte, registrierten ‚die Männer am Netz‘ mit
Bekleidet mit Fetzen und Badehösen. / Und der Käptn verlässt als Dankbarkeit. In einer Ehrenurkunde dankten die deutschen
letzter sein Schiff, / Das strandet dann an einem Felsenriff, / Das Hochseefischer »ihrem lieben Kurt Esmarch aus Anlaß seines
nicht in der Karte verzeichnet ist. / Und der Steuermann wettert: 1200. Hafenkonzertes für all das, was er ihnen mit dieser Sendung
‚Verdammter Mist‘, / Bevor er den Hund und die Bordkatze rettet, gegeben hat. Mit dem ewig jungen Hafenkonzert schlug Kurt
/ Und sie liebevoll in seinem Seesack bettet. / Der Kapitän Esmarch eine Brücke, die uns auf unseren Schiffen mit der fernen
schreibt, seiner Mannschaft zum Trost,/ Im letzten Moment noch Heimat verbindet. Als Zeichen unseres Dankes übergeben wir Kurt
die Flaschen-post, / Und schmeißt sie in elegantem Bogen / Hinein Esmarch eine kleine Ehren- gabe, die ihm die gleiche Freude
in die donnernden Meereswogen. / Und richtig, die Schiffsglocke bringen möge, die er uns auf See und unseren Lieben zu Hause
muss noch mal wimmern, / Bevor die Rahen und Spanten zertrüm- immer wieder aufs Neue bereitet.« DRA. A 26-20/6, o. D. [zirka
mern. / Dann erst hat der Dichter die richtige Ruh, / Und 1962/63], Ehrenurkunde der deutschen Hochseefischer für Kurt
hoffentlich Schiff und Besatzung dazu.« Esmarch.
Archiv Harro Esmarch. Manuskript Kurt Esmarchs »Bi- und 38 Die Norag 6(1929), Nr. 23, 7.6.1929.
Zoologisches« mit Gedichten, zirka 1960er Jahre.

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lichen in den norddeutschen Kontoren und lokalen weiterungspläne. Neue Hafenbecken und Um-
Behörden die enorme Propagandawirkung der schlagseinrichtungen sollten den Weg für die
Sendung, die von Folge zu Folge ein größeres prognostizierte weitere Expansion des Hafens
Publikum vor die Radioapparate zog. War zu ebnen. Noch deuteten kaum Anzeichen darauf
Anfang noch eine gewisse Reserviertheit gegen- hin, dass die Krise des ‚Schwarzen Freitags‘ im
über der neuen Sendung zu spüren, so schwamm Oktober 1929 jäh alle Zukunftsplanungen ad
das »Hafenkonzert« bald bei Reedereien, See- absurdum führen würde. Noch florierte zu Beginn
wirtschaft und Hafenbehörden auf einer Woge des Jahres 1929 die maritime Wirtschaft. Die
des Wohlwollens. Zunächst jedoch stieß Kurt deutsche Handelsschifffahrt, einst die zweit-
Esmarch mit seinem Anliegen, von Bord eines größte Handelsflotte der Welt, hatte sich nach
Dampfers senden zu wollen, bei den angefragten ihrer nahezu kompletten Auslieferung an die
Reedereien auf unverständiges Kopfschütteln. alliierten Kriegsgegner nach 1918 schnell erholt
Allein die Reederei Hamburg-Süd hatte zunächst und sich ihre alten Fahrtgebiete wieder zurück-
in kluger Voraussicht dem Projekt ihre Schiffe zur erobert. Mehr noch: Nur wenige Jahre nach
Verfügung gestellt. Wenig später, als sich der Kriegsende konnten sich die beiden deutschen
durchschlagende Erfolg des »Hafenkonzerts« Reedereien Hamburg-Amerika Linie und Nord-
abzeichnete, rissen sich die deutschen Reede- deutscher Lloyd bereits wieder einen prestige-
reien darum, als Gastgeber des »Hafenkonzerts« trächtigen Zweikampf um den Status als größte
zu fungieren.39 Die Sendung wird so zu einem Reederei der Welt liefern. Die »Bremen«, der frisch
Werbeträger für den Hafen in Hamburg, für vom Stapel gelaufene Ozeanriese des Nord-
Hamburg in Deutschland, für Deutschland in der deutschen Lloyd und überdies Aushängeschild der
Welt. wiedererstarkten deutschen Seeschifffahrt, erobert
auf seiner Jungfernfahrt im Juli 1929 das »Blaue
6. Inspiration und Kulisse: Band« für die schnellste Atlantiküberquerung.
Hafen, Küste und Meer Das maritime Deutschland feierte die zivile Rück-
Der Hamburger Hafen bot für eine maritime kehr auf die Weltmeere. Werften, Schifffahrt und
Sendung wie das »Hafenkonzert« die ideale Außenhandel boomten, Schmach und Niederlage
Kulisse. In Deutschlands ‚Tor zur Welt‘ waren im des Ersten Weltkrieges schienen in der Erwartung
Gründungsjahr des «Hafenkonzerts« die durch einer positiven Zukunft nahezu vergessen.
die Inflation verursachten Wirrungen der frühen Deutsche Reedereien bedienten in 209 regel-
1920er Jahre überwunden. mäßigen Diensten mit 777 Abfahrten pro Monat von
Hamburg aus die Häfen in aller Welt; 1913 waren
Zum ersten Mal nach dem verlorenen Ersten es noch 168 Liniendiens te mit 645 Abfahrten ge-
Weltkrieg erreichte 1928/29 der Warenverkehr wesen. Rund 18.000 Schiffe mit zusammen 21,3
wieder das hohe Vorkriegsniveau. 25,5 Millionen Millionen Nettoregistertonnen liefen zum Ende der
Tonnen hatte 1913, im letzten Vorkriegsjahr, der 1920er Jahre jährlich den Hamburger Hafen an
Güterumschlag des Hamburger Hafens betragen. (1913: 15.000 Schiffe mit zusammen 14,2 Millionen
Herabgesunken auf 5,8 Millionen Tonnen im Jahr Nettoregistertonnen). Zum ersten Mal nach dem
1920, kletterte er bis 1928/29 auf rekordverdäch- Weltkrieg übertraf damit 1929 das Hamburger
tige 28,5 Millionen Tonnen: Kohle, Kakao, Tee, Seeschiffaufkommen das der großen Konkurrenten
Baumwolle, Tabake, Futtergetreide, Metalle, Rotterdam und Antwerpen. Allein 1.600 deutsche
Rohöl, Kaffee und Südfrüchte. Hamburg war der Seeschiffe mit insgesamt rund 2 Millionen Brutto-
deutsche Universalhafen für Stück- und Massen- registertonnen führten »Hamburg« als Heimathafen
gut. Optimistisch und zukunftsfroh machte sich am Heck.40
die Hamburger Hafenbehörde an umfassende Er-

39 So beschwerte sich die Hamburger Reederei Hamburg-Amerika der höflich formulierten Aufforderung, »dass Sie es für richtig
Linie (Hapag) 1931 beim Leiter der Hamburgischen Staatlichen halten werden, sich damit zu befassen.« Dieses Anliegen wirft ein
Pressestelle, Hamburgischen Staatsrat und gleich-zeitigem Norag- genauso amüsantes wie bezeichnendes Licht auf das traditionell
Aufsichtsratsmitglied Alexander Zinn darüber, mit ihren Schiffen von Konkurrenz geprägte Verhältnis zwischen den Hafenstädten
beim »Hafenkonzert« angeblich nicht gebührend berücksichtigt zu Hamburg und Bremen, das sich bei den Reedereien Hapag und
werden. Von Schiffen der Hapag würde zeit-weise nur noch einmal Norddeutscher Lloyd in einem fortwährenden Wettkampf um die
im Monat, von Schiffen der Bremer Reederei Norddeutscher Lloyd größte deutsche Schifffahrtsgesellschaft und eben auch um die
allerdings manchmal zweimal im Monat gesendet. »Hier hat sich Medienpräsenz fortsetzte. StA HH. 135-1 I-IV 587, 11. November
Bremen in etwas hineingedrängt, was von Hamburg geschaffen 1931, Schreiben der Hamburg-Amerika Linie an Staatsrat Zinn.
und zur allgemeinen Zufriedenheit viele Monate lang durchgeführt 40 Für das Vorstehende: Helmut F.H. Hansen: Im Auf und Ab der
wurde. Es ist kaum verständlich, weshalb die Norag dem Bremer Geeiten. Die wechselvolle Geschichte des Hamburger Hafens,
Drängen überhaupt und sogar in einem Maße nachgegeben hat, Herford 1989, S. 66–73; Arved Bolle: Erinnerungen aus 40 Jahren
das angesichts der Grössenunterschiede zwischen Hamburg und Arbeit für den Strom- und Hafenbau und den Hamburger Hafen
Bremen und mithin wohl auch der Zahl der Noraghörer durchaus (=Jahrbuch der Hafenbautechnischen Gesellschaft Bd. 36), Berlin
nicht gerechtfertigt ist.« Der Brief der Hapag an Zinn schließt mit u.a. 1979, S. 45–74, Zi- tat, S. 56ff; Hamburger Baubehörde,

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Montags-Story 125 - Kurt Esmarch und das »Hamburger Hafenkonzert«

Romantik über dem Hafen, auch jetzt, wo keine


Live-Übertragung von Bord, rechts Kurt Esmarch.
Segel mehr im Winde rauschen, keine Fetzen eines
© NDR. Fotoarchiv
melancholischen Quetschkommodenliedes mehr
Augenscheinlich knüpfte – zumindest auf zivilem verloren über das Wasser geistern, kein Shanty aus
Gebiet – Deutschland 1929 wieder an die glanz- rauhen Seemannskehlen im Takt der Arbeit mehr
vollen Vorkriegszeiten an, in denen das Reich zu aufklingt.«42
den dominanten Seemächten gezählt hatte. Vor
diesem Hintergrund waren Handel und Schifffahrt Folge für Folge malte Kurt Esmarch mit Worten ein
das global agierende Aushängeschild einer poten- Bild von der See, zeichnete für die Ohren und Augen
ten, wiedererstarkenden Industrienation sowie der Radiohörer ein plastisches Bild. Bewusst spielte
Symbol für einen auch durch die Weltkriegs- Esmarch dabei mit der Phantasie und der Suggesti-
niederlage nicht gebrochenen »Willen zur See- onskraft der Hörer:
fahrt«.41 »Vor uns und neben uns liegen größere und kleinere
Geradezu zwangsläufig befand sich Hamburg als Dampfer, die aus aller Welt kommen und die in alle Welt
das deutsche ‚Tor zur Welt‘ im Kristallisationskern fahren. Über die Dächer der Schuppen hinweg sehen wir
dieses neuerstandenen Interesses an den Welt- auf die gewaltigen Werftanlagen von Blohm & Voss, die
meeren. Mit seinem gleichsam faszinierenden wie die Wiege waren für die größten Dampfer der Welt. […]
Sie hören die Signale der Dampfer, die Schlepper ant-
unentwirrbaren Geflecht aus Hafenbecken, See-
worten; mit langsamer Fahrt ziehen die gedrungenen
schiffen und Umschlagseinrichtungen war der Ham-
stählernen Schleppdampfer die Ozeanriesen ins Fahr-
burger Hafen die ideale ‚Keimzelle‘ für eine unter- wasser. […] Dort zieht ein deutsches Schiff in die Welt
haltende maritime Radiosendung. Feuilletonistisch hinaus, der Hamburger Hafen wartet auf seine glückliche
urteilte Esmarch 1934 über die Geburtsstadt des Heimkehr. Der Hafen mit seinem Rasseln der Winden,
»Hafenkonzerts«: Hamburg, »das bedeutet: nie ras- dem Knirschen der Kräne, dem Schnauben der kleinen
tende Tätigkeit, bedeutet: Lärm und Getöse bei Tag Motorboote, dem Rauschen der Kielwasser, dem Klopfen,
und Nacht, bedeutet: qualmende Schlote, hastende Hämmern, Nieten und dem metallischen Klingen auf den
Menschen. Und doch – es schwebt ein Hauch von Großwerften, das sich vereinigt zu einer Symphonie der

Strom- und Hafenbau: Der Hafen von Hamburg 1929, o.J. [ca. Kurt Esmarch: Alle deutschen Sender übertragen Sonntags mor-
1929]; Reinhart Schmelzkopf: Die deutsche Handelsschiffahrt gens das Hafenkonzert aus Hamburg. In: Funkstunde 11(1934), Nr.
1919-1939, Bd. 1, Oldenburg/Hamburg 1974. 12, 29. März 1934, S. 522 f.
41 Vgl. dazu auch Stefan Kiekel: Die deutsche Handelsschifffahrt im 42 Kurt Esmarch: Alle deutschen Sender übertragen Sonntags
Nationalsozialismus. Unternehmerinitiative und staatliche morgens das Hafenkonzert aus Hamburg. In: Funkstunde
Regulierung im Widerstreit 1933 bis 1940/41 (=Deutsche Maritime 11(1934), Nr. 12, 29. März 1934, S. 522 f.
Studien Bd. 12), Bremen 2010.

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Montags-Story 125 - Kurt Esmarch und das »Hamburger Hafenkonzert«
Arbeit, zu einem Hohelied des unermüdlichen Schaffens. nis entwickeln hätte können. Zunehmend wurde
Hier ist einer der Brennpunkte der deutschen Wirtschaft, außerdem in einem sich modernisierenden Norddeut-
die Verkörperung des Wiederaufbaus der deutschen schen Rundfunk die Fortexistenz einer gleichzeitig so
Schifffahrt, hier ist eines der wichtigsten Tore der Welt –
aufwendigen (Sonntagsarbeit!) wie vordergründig ‚alt-
Hamburg.« 43
backenen‘ Sendung wie des »Hafenkonzerts« in Frage
Die atmosphärische Reportage wurde schnell zum gestellt. Besonders der seit 1961 amtierende Chef-
Markenzeichen Esmarchs. Zu einem Zeitpunkt, als redakteur des NDR, Olaf von Wrangel, schien – anders
das Fernsehen noch ferne Zukunftsmusik war, soll- als alle seiner Amtsvorgänger – wenig bereit, die bis
te der Hörer das Gefühl bekommen, unmittelbar da- dahin bestehende ‚Narrenfreiheit‘ Kurt Esmarchs bei
bei zu sein, ja auf der Brücke eines Dampfers neben der Gestaltung der Sendung, weiterhin zu tolerieren.
Esmarch zu stehen, während dieser mit dem Mikro-
Zunehmend geriet Esmarch zu Beginn der 1960er
phon in den Händen in den Hafen spähend berichtet:
Jahre mit seinem »Hafenkonzert« in die Defensive.
»Dort kommt ein Dampfer zurück von langer Fahrt rund Unvermeidlich eingeordnet in die überbordende, be-
um Afrika. Fast ein Vierteljahr war er vom Heimathafen hördenähnliche Organisationsstruktur des Norddeut-
fort. Hier löscht ein anderer wertvolles Gut, das er aus schen Rundfunks, blieb der Hafenkonzertredaktion
Westindiens Gewässern mitbrachte. Dort zieht einer
zunehmend weniger inhaltliche Bewegungsfreiheit.
hinaus nach Ostasien. Hier macht einer seeklar, der die
Esmarch musste sich Kürzungen des »Hafenkonzert«-
argentinische Flagge im Vortopp führt. Und dort macht
einer fest, der vor 7 Tagen noch an den Piers von Hoboken Etats sowie einen immer stärkeren inhaltlichen Einfluss
lag. Schlepper, Barkassen, Fähren dazwischen – es ist ein von – in seinen Augen unberufenen, da seefahrts-
ewiges Hin und Her. Pausenlos pulst hier das Leben.«44 fremden – Programmdirektoren gefallen lassen. Unge-
fragt wurden ihm junge Ko-Moderatoren an die Seite
Bald schon griff die Sendung über den Hamburger
gegeben, deren Eignung für so ein besonderes Format
Hafen hinaus. Sendungen kamen aus anderen nord-
wie das »Hafenkonzert« in Augen Esmarchs zumindest
deutschen Hafenstädten, von Inseln und Halligen.
zweifelhaft war. Plädierte die Funkhausleitung außer-
Gezielt baute Esmarch die Lärmkulisse des Über-
dem vehement für eine Modernisierung der Sendung
tragungsortes in seine Sendungen ein und schuf so
samt Reorganisation der inhaltlichen Schwerpunkt-
ein ‚Hafenkonzert‘ im wahrsten Sinne des Wortes.
setzung, so hielt Esmarch umso störrischer an der
Überall im Binnenlande ertönten nun Sonntags-
überkommenen Struktur des »Hafenkonzerts« fest.
morgens live die fremden und geheimnisvollen
Gegensätze zwischen Senderführung und Esmarchs
Geräusche der Seefahrt:
Vorstellungen wurden offensichtlich. Spätestens 1962
»Das dumpf dröhnende Geheul eines Ozeanriesen, das war klar, dass eine Weiterführung des bewährten
schrille Pfeifen eines Schleppers oder sonstigen Hafen- Vorkriegs-Sendungskonzepts mit einer auch unter dem
dampfers, das Ertönen einer Sirene, eines Nebelhorns, Einfluss des langsam sich wandelnden gesell-
das Knattern eines vorbeifahrenden Motorfahrzeuges, das schaftlichen Zeitgeistes sich ‚progressiv‘ gebenden
Aufschlagen einer Schraube und dergleichen Geräusche
Senderleitung nicht zu machen war.
mehr sind für den Inländer und auch Küstenbevölkerung
Grüße von Hamburg, vom größten Hafen Deutschlands, Als Eingriffe ‚von oben‘ in die musikalische und thema-
von der Wasserkante und von der Seeschiffahrt, die zu tische Gestaltung der Sendung überhandnahmen,
hören des Sonntags morgens keiner vermissen möchte«45 wurde für Kurt Esmarch der Bruch mit dem Nord-
deutschen Rundfunk unausweichlich: »1964 im Febru-
7. Die Trennung – Das »Hafenkonzert« ar wollte mir der wenig seebefahrene Leiter der Ab-
ohne Kurt Esmarch teilung Wort, Olaf von Wrangel, nachdem ich 35 Jahre
War Kurt Esmarch jahrzehntelang Garant für den Er- lang das ‚Hafenkonzert‘ gemacht hatte, klarmachen,
folg der Rundfunksendung und Wächter über den wie man so ein ‚Hafenkonzert‘ machen müsste. Da
überkommenen und bewährten Ablauf ‚seines Kin- habe ich kapituliert. Ich war nun inzwischen 70 Jahre alt
des‘, so zeichnete sich in den 1960er Jahren ab, geworden. Und sagte ganz einfach dank meines
dass die innige Bindung Esmarchs an seine Sendung prächtigen Dickkopps: ‚Ohne mich!‘ Und ging an Land,
auch Schattenseiten barg. Zu sehr hing sein Herz an in die wohlverdiente Pension.«46
der Sendung, als dass er dazu ein rationales Verhält-

43 Moderation von Kurt Esmarch beim »Hafenkonzert« vom 28. Juli Kurt Esmarch: »So was wie’n Lebenslauf«, S. 2. Die Ausein-
1931. Verschriftlichung eines Tondokumentes von der Audio-CD andersetzungen setzten schon Jahre vorher ein. Bereits 1962
»70 Jahre Hamburger Hafenkonzert. Sternstunden einer hatte Esmarch – noch ohne Folgen – gedroht, sich aus dem
Kultsendung«, er- schienen 1999, CD 2, Titel 1. »Hafenkonzert« zu verabschieden. »Das viele Hin und Her über
44 Kurt Esmarch: Alle deutschen Sender übertragen Sonntags das Hafenkonzert von der diesjährigen Kieler Woche, die Miss-
morgens das Hafenkonzert aus Hamburg. In: Funkstunde verständnisse und -leider auch- was sich hinter den Kulissen
11(1934), Nr. 12, 29. März 1934, S. 522 f. abgespielt hat […], geben mir Veranlassung, um des lieben Frieden
45 Seefahrt. Zeitschrift des Verbandes Deutscher Kapitäne und willens endgültig auf die weitere Durchführung der Ha-
Schiffsoffiziere 31(1931), Nr. 2, S. 1. Februar 1931, S. 59. fenkonzerte nach dem 1. Juli zu verzichten.« Archiv Harro
46 Archiv Harro Esmarch. Maschinenschriftliches Manuskript von Esmarch. Schreiben Kurt Esmarchs an Dr. B. Schneider-Holberg

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Montags-Story 125 - Kurt Esmarch und das »Hamburger Hafenkonzert«
Ein letzter Vorstoß Esmarchs bei der Leitung des Hamburg zu senden, enttäuschte Esmarch zusätzlich,
Hamburger Senders, in dem er die zunehmende der weiterhin den direkten Kontakt zur See suchte.
Verflachung des »Hafenkonzerts« beklagte, war zuvor
Doch auch seine Mahnung an die NDR-Senderleitung,
fehlgeschlagen. Neben dem schrumpfenden Etat des
die Sendung wieder an Bord zu verlagern, blieb un-
»Hafenkonzerts« monierte Esmarch vor allem den
gehört: »Das gesamte musikalische Programm muss
oktroyierten inhaltlichen Modernisierungskurs der
sich an dem Ort abwickeln, von wo aus das Wort
Sendung, der am Hörerwillen vorbeigehen würde. Die
kommt.
Forderungen, die Esmarch aufstellte, fassten seine
Auffassung des »Radiohandwerks« geradezu beispiel- Was ich in dieser Beziehung sowohl an eigenen als
haft zusammen: »Es müssen Sprecher vor das Mikro auch an Enttäuschungen der Hörer an den betref-
gestellt werden, die mit dem Herzen sprechen. Denn fenden Orten erlebt habe, ist ein Kapitel, das an
nur der Sprecher gewinnt die Herzen der Hörer, der die Traurigkeit einfach nicht zu überbieten ist, es grenzt
grosse Kunst versteht, mit dem Herzen zu sprechen, teilweise ans Groteske.«50 Während andere Sender
sodass jeder Hörer das Gefühl hat: Der dort vor dem mit ‚mobilen‘ Orchestern die besten Erfahrungen
Mikrophon spricht mich persönlich an.«47 Außerdem machen würden, »musizieren unsere Männer in dem
sollten Organisation, Vorbereitung und Durchführung verdammten Plüschsaal des Schulauer Fährhau-
der Sendung in der Hand eines Verantwortlichen ses.«51 Folgenlos appellierte Esmarch: »Wenn wir jetzt
liegen. Dieser müsse »das Hafenkonzert als seine nicht aufwachen und die größten Anstrengungen
Hauptaufgabe betrachten. Er muss mit der Sendung machen, das inzwischen leider verlorene Terrain
stehen und fallen und für sie leben.«48 Besonderes wiederzuerobern, dann sind wir in ganz kurzer Zeit
Missfallen aber erregte der oktroyierte ‚aufgeweichte‘ abgehängt, und es bleibt uns nur noch die Alternative,
musikalische Kurs. »Das musikalische Programm das Hafenkonzert einzustellen.«52
muss völlig reorganisiert werden! Nicht dadurch, dass
So schied Esmarch von der Sendung, an der sein Herz
man mit meist zweit- oder drittrangigen Kabarettisten
hing und der er sein journalistisches Leben gewidmet
oder -tinnen das Programm zu beleben versucht,
hatte, mit Groll. Schmerzlich musste Esmarch be-
sondern dass man dem Programm angepasste sehr
merken, dass sich die Rahmenbedingungen des
abwechslungsreiche Spezialarrangements in Auftrag
Rundfunks in Deutschland grundlegend gewandelt
gibt. […] Wir müssen schnellstens wieder davon
hatten. An die Stelle der semi-professionellen, von
abkommen, aus dem H.K. [Hafenkonzert] eine ‚Blas-
wenigen wagemutig-enthusiastischen Radiopionieren
musik mit eingestreuten Reportagen‘ zu machen, […]
aus der Taufe gehobenen Rundfunksender der 1920er
sondern eine homogene Sendung, die mit Humor
Jahre war der öffentlich-rechtliche Medienkonzern
gewürzt ist, und die belehrend ist, ohne doktrinär zu
getreten. Im stark expandierenden Medienbetrieb der
wirken.«49
jungen Bundesrepublik geriet Esmarch zunehmend
Komplett gegen die Grundüberzeugung Esmarchs ging zum Außenseiter, zum Dinosaurier der untergegan-
vor allem die sich abzeichnende Tendenz, die Sendung genen Pionierzeit des Radios, der mit seinem unbe-
immer häufiger nicht mehr von Bord, sondern von Land quemen und in vielen Augen überholten Berufs-
aus geschlossenen Räumen zu senden. Bis dahin verständnis nahezu zwangsläufig als quer zum jour-
hatte Esmarch, wann immer es ging, von der offenen nalistischen Mainstream des modernen bundes-
Kommandobrücke eines Schiffes moderiert, egal ob republikanischen Rundfunks erscheinen musste. Die
bei Eis, Schnee, Regen, Dunkelheit, Hagel oder bewusste Betonung alles Traditionell-Hanseatischen
Sturm. Selbst im gröbsten Hagelschauer wurde die sowie der stets gepflegte konservativ-distanzierte
Sendung nicht von Oberdeck in den warmen Salon Habitus eines ehemaligen kaiserlichen Marineoffiziers
verlegt. Von unter Deck zu senden war ein Vorrecht taten das Ihrige, dass Esmarch der aufstrebenden und
der Musikkapelle, das Esmarch als ehemaliger Marine- ihren Raum fordernden jungen Nachkriegs-Journa-
angehöriger für sich stets ablehnte. Eine maritime listengeneration zwangsläufig fremd blieb.
Sendung konnte man in Esmarchs Augen nur in
Nach seinem letzten »Hafenkonzert« am 1. März 1964
direktem Kontakt zur salzigen Meeresluft und zu den
verfolgte er noch jahrelang mit dem kritischen Blick des
Elementen machen. Nun entferne sich die Sendung
Enttäuschten den weiteren Werdegang ‚seines‘
nicht nur physisch von ihrem eigentlichen maritimen
Formats, den er später mit der Bemerkung abkanzelte:
Kern. Dass auch die Kapelle – immerhin bis zu 35
»Überhaupt fehlt der Sendung die Nähe zum See-
Mann stark – es vorzog, ab Mitte der 1950er Jahre aus
mann und zur Schiffahrt.«53
dem warmen Saal des Schulauer Fährhauses bei

(NDR-Abteilung Unterhaltungsmusik), 17. April 1962. 50 Ebd.


47 Archiv Harro Esmarch. Schreiben Kurt Esmarchs an Olaf von 51 Ebd. S. 3 f.
Wrangel (Chefredakteur des NDR), 26. April 1964, S. 3. 52 Ebd. S.2.
Hervorhebung im Original. 53 Vater des Hafenkonzerts geht auf Tauchstation. Kurt Esmarch –
48 Ebd. der Mann, der alles möglich machte. In: Hamburger Morgen-
49 Ebd. Hervorhebung im Original. post, 15.5.1979

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Montags-Story 125 - Kurt Esmarch und das »Hamburger Hafenkonzert«
zu Kurzgeschichten aus den 1960er Jahren. Neben
Aufzeichnungen zum »Hafenkonzert« sind dies unter
Hafenstrasse anderem »Aufzeichnungen aus meinem Bunker-
Schwarzer Rauch quillt aus den Schloten - stübchen. Artiges und Unartiges, Gereimtes und
Mädchen kreischen über Zoten – Ungereimtes von Leutchen, die ich liebgewann, für
Irgendwo tönt Bumsmusik – solche die nicht zimperlich sind« (1942/43), das
Ein Inferno von Gerüchen: Roman-Manuskript »Aufruhr um Boller« (1947), die
Essensdünste aus den Küchen, Gedichtsammlung »Bi- und Zoologisches« (zirka
Ölgestank und Dunst von Schlick. 1960er Jahre) oder »Herr Meyer. Die Geschichte einer
Alkoholgetränkte Lieder – wonniglichen Promenadenmischung in Erzählungen
Büstenhalter, Schlüpfer, Mieder, und Tagebuchblättern«, eine Sammlung von humor-
Ein veralteter Sextant, vollen Erlebnissen, geschrieben aus der Sicht des (real
Neben breiten Seemannshosen. existierenden) Esmarch’schen Haushundes namens
»Herr Meyer« (1960er Jahre).
Abgemusterte Matrosen
Mit ‘nem Mädel an der Hand. Seine düstere Zukunftsprognose für das »Hafenkon-
Schauerleute, Kohlentrimmer, zert« erfüllte sich vordergründig nicht – bis heute wird
Heuerbase. – Fremdenzimmer das »Hamburger Hafenkonzert« gesendet. Ob die
Für ‘ne Stunde oder zwei – heutige Sendung allerdings noch viel mit der von
Abgehärmte Bleichgesichter, Esmarch aus der Taufe gehobenen gemeinsam hat,
Eckensteher und Gelichter – steht auf einem anderen Blatt.
Hundekläffen, Kinderschrei, Am 14. November 1980 verstarb Kurt Esmarch in ei-
Autohupen, Dampfertuten – nem Pflegeheim bei Bad Bramstedt. Standesgemäß
Abgehetzte Menschen sputen erhielt er das gewünschte Seemannsgrab und blieb
Fährenwärts mit schnellem Gang – damit auch im Tode dem Element verbunden, dem er
Thermowagen mit Bananen, sein Leben gewidmet hatte. In der Kieler Bucht, gleich-
Vollbesetzte Strassenbahnen, zeitig nahe seiner norddeutschen Heimat und doch in
LKWs mit Fischgestank – den Kontinent verbindenden Strömen des Meeres, ruht
seine Urne. Mit ihm starb einer der letzten Rund-
Weltenweite Warenwunder
funkpioniere, einer der volkstümlichsten Reporter des
Neben Schrott und altem Plunder
deutschen Hörfunks, ein Chronist der deutschen See-
Speit die See kranwärts an Land.
fahrt, ein Mann, der sich als ‚Besessener‘ dem Meer
Alles lebt hier nur vom Wasser: verschrieben hatte.
Hungerleider, Weib und Prasser,
Sie umschlingt das weite Band
Oceangetrennter Welten. –
Warum lenkst Du denn so selten
Hafenstrassenwärts den Schritt?
STEFAN KIEKEL, Dr. phil., geboren 1978, Nach einem
Irgend etwas von dem Trubel, Studium der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mit dem
Lärm, Gejohle, Elend, Jubel Studienschwerpunkt Schifffahrts- und Marinegeschichte, der
Nimmst nach Haus Du immer mit. Politischen Wissenschaft sowie der Volkswirtschaftslehre an
der Universität Hamburg war er 2004 freier Mitarbeiter am
KURT ESMARCH
Deutschen Marinemuseum, Wilhelmshaven und von 2009
bis 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Internationalen
Zurückgezogen auf seinem Ruhesitz bei Hamburg,
Maritimen Museum Hamburg. Von 2005 bis 2008 pro-
schrieb Esmarch weiterhin humorvolle Kurzge-
movierte er als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen
schichten und Gedichte. So finden sich im Nachlass Volkes mit einer Arbeit zum Thema: »Die deutsche Handels-
Esmarchs zahlreiche bislang unveröffentlichte Zeug- schifffahrt im Nationalsozialismus«. Zum Zeitpunkt der
nisse eines lebenslangen literarischen Schaffens, Entstehung des Artikels [2011] forschte er mit
angefangen von 1917 verfassten Gedichten über das einem Stipendium der Gerda-Henkel-Stiftung zur
Seemannsleben bei der Kaiserlichen Marine bis hin maritimen Geschichte des Dritten Reiches.

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