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Montags-Story 118 - Kenterung Viermastbark „Earl of Dalhousie“

Kenterung Viermastbark „Earl of Dalhousie“


Von Eberhard Hewicker

Hier soll die Rede sein von dem schottischen seinen Vorstellungen, zu verbessern. Er ließ
Captain John Charles Barron Jarvis, der mit die Rahsegel nicht mehr zur Mitte hin
seinen entscheidenden Verbesserungen in aufgeien, sondern zu den Rahnocken hin.
der Bedienung der Rahen und Segel in die Das ging leichter, schneller und war weniger
Geschichte der Seefahrt einging. gefährlich.
Auch die langen, bis auf das Deck herunter-
geführten Schotenketten ließ er nur dort,
wo sie unbedingt nötig waren und ersetzte
den Rest durch lehnigen Stahldraht. Auch
die Erfindung der Fall-Winden ging auf sein
Konto.
Als seine wichtigste Erfindung muß die
Jarvis-Brasswinde genannt werden, die mit
drei Paar konischer Trommeln versehen war
und mit deren Hilfe drei Rahen eines Mastes
- Unterrah, Untermars- und Obermarsrah -
gleichzeitig gebrasst werden konnten. Die
Oberrahen drehten sich dann fast von allein
mit.
Im September 1890 meldete er sie zum
Patent an. Die britischen Reeder nahmen
eine ablehnende Haltung gegenüber der
Jarvis-Brasswinde ein, so daß nur wenige
englische Segelschiffe damit ausgerüstet
wurden. Ein finanzieller Erfolg wurde die
Er war der Meinung, daß auch nach Brasswinde für den Erfinder nicht.
jahrhundertelanger Entwicklung bei den
großen, rahgetakelten Segelschiffen noch Im Gegensatz zu ihren britischen Kollegen
keineswegs die letzte Perfektion erreicht erkannten die deutschen Reeder, allen
war, und machte einige Vorschläge für voran F. Laeisz, daß sich die Kosten einer
Jarvis-Brasswinde bald amortisieren

Verbesserungen.
Kaum Kapitän geworden, fing Jarvis an, das
Rigg der von ihm geführten Schiffe nach würden. So eine Winde kostete etwa die

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Cuxhaven e.V. Mai 2023
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Jahresheuer eines Matrosen. Laeisz stellte hätten geladen werden müssen. Um dem
auf dem Vollschiff PREUSSEN probeweise Schiff trotz leerer Laderäume ausreichende
eine Brasswinde auf, und bald folgten Stabilität zu geben, hatte er alle Rahen (mit
weitere Schiffe der Laeisz’schen Flotte, bis Ausnahme der Unterrahen) abgetakelt und
die Brasswinden auf jedem Segler zur Stan- an Deck gegeben. Die oberen Rahen von
dardausrüstung gehörten. Ab 1900 war ein jedem Mast wurden auf beiden Seiten
Großteil der deutschen Tiefwassersegler außenbords gehängt. Das war ein sehr
mit diesen Brasswinden ausgerüstet. Heute ungewöhnliches Verfahren. Senkt das den
werden viele neuerbaute Rahsegler eben- Gewichts-Schwerpunkt? War das sinnvoll?
falls mit Jarvis Brasswinden ausgerüstet. Eine seiner neuen Erfindungen.
Jarvis war mit 12 Jahren zur See gegangen Leider herrschte mehr Wind als erwartet,
und hatte einen sehr interessanten Lebens- und als der Schlepper den Bug herumziehen
lauf. Er arbeitete sich schnell zum Kapitän wollte, legte sich das Segelschiff hart auf die
hinauf. Mit einer 10-jährigen Unter- Seite. Es richtete sich zunächst wieder auf.
brechung als Leiter einer Navigationsschule Erst als eine Böe einfiel, konnte die EARL OF
führte er sein ganzes Leben lang Segel- DALHOUSIE sich nicht wieder aufrichten und
schiffe. kenterte, bis die Masten platt auf dem
Wasser lagen!
Und das brachte auch für diesen fähigen
Mann einige Unfälle mit sich. Im Mai 1885 In der Seeamtsverhandlung befand man
hatte er mit der Viermastbark EARL OF Jarvis für schuldig, durch den Verzicht auf
DALHOUSIE (1677 BRT) ein ernstliches Miß- Ballast den Unfall verschuldet zu haben. Ihm
geschick. Das Schiff kenterte am 12. Mai wurde für 6 Monate das Kapitänspatent
1885 während es leer über die San Francisco entzogen, aber das als Steuermann belas-
Bay zum Ladeplatz geschleppt wurde. sen. Jarvis nutzte die Zeit: innerhalb der
sechs Monate hatte
er den Segler mit
einigen Hilfskräften
wieder aufgerichtet
und für wenig Geld in
Eigenregie repariert.

Die EARL OF DALHOUSIE


im Hafen. Die Bagien-
Rah hängt schräge.
Diese Rah wird ge-
rade als Ladebaum
„mißbraucht“!
Ein damals bei Rah-
Seglern übliches
Verfahren.
Kapitän J.C.B. Jarvis wollte für die kurze
Überfahrt über die Bay die Kosten und die War die Maßnahme von Capt. Jarvis nun
Verzögerung für das Laden und Löschen von sinnvoll, obwohl sie letztlich keinen Erfolg
Ballast vermeiden. Die Segelschiffe damals hatte? Oder war er völlig auf dem falschen
hatten keinen Doppelboden für Wasser- Wege?
ballast, weshalb als Ballast Sand und Steine

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Nehmen wir mal an, er habe die Rahen so Der gleiche Effekt kann auch mit nicht
außenbords befestigt, dass sie gerade eben schwimmfähigen Gewichten erreicht
werden, allerdings sind die aufrichtenden
Kräfte dann geringer, weil Gewicht 2 immer
noch krängend wirkt, auch wenn es schon
ganz eingetaucht ist (es kommt keine Lose
in die Aufhängung!).
Als Jarvis vor dem Auslaufen nach
England hörte, welch horrende Preise die
örtlichen Heuerbaase in San Francisco für
eine neue Mannschaft forderten, segelte er
die EARL OF DALHOUSIE nur mit seinen
Offizieren, Unteroffizieren und Apprentices
– insgesamt waren das 12 Mann - nach
Iquique in Chile, wo gute Mannschaften un-
vergleichlich billiger zu bekommen waren.
Mit einer Ladung Salpeter und der in Chile
ergänzten Mannschaft kehrte Jarvis dann
schwammen (Die Oberrahen waren aus nach England zurück.
Holz). Wenn nun das Schiff durch eine Kraft Mit der DUNTRUNE versegelte Jarvis im
(z.B. Wind) gekrängt wird, dann wird die September 1891 mit einer Ladung Kohle
Leine, an der Gewicht 2 hängt, lose, und von England nach Valparaiso. Doch auch
dieses Gewicht hat keinen Einfluß mehr auf Captain Jarvis blieb von den Tücken der
den Schiffskörper. Kohleladungen nicht verschont. Auf der
Das Gewicht 1 taucht aus, wird dabei Höhe des Rio de la Plata hatte sich die
zunehmend schwerer und wirkt aufrichtend Ladung soweit erhitzt, daß Jarvis gezwun-
gegen die krängende Kraft bis es ganz aus- gen war, 500 t brennend über Bord zu
getaucht ist. Dieser Zustand ist in der werfen, um den restlichen Teil zu retten.
Abbildung oben dargestellt. Bei weiter (Die armen Seeleute mußten 500 t bren-
steigender Krängung bleibt sein Gewicht nende Kohle mit der Hand schippen!)
konstant und es wirkt weiterhin aufrichtend Auf der Heimfahrt von Iquique rammte
auf das Schiff. die DUNTRUNE östlich der Falklands einen
Das Überbordhängen von Gewichten ist Eisberg. Die Vorpiek lief voll, die Vor-
also eine zwar ungebräuchliche, aber durch- Marsstenge brach, und zwei Boote wurden
aus sinnvolle Maßnahme. Allerdings war beschädigt. Doch Captain Jarvis gab nicht
der Effekt im Falle der EARL OF DALHOUSIE auf. Er wußte, daß auf den Falkland Inseln
nicht ausreichend, um die Kenterung zu ver- seine Landsleute auf den Havaristen
hindern. Die stabilisierende Wirkung der warteten, um ihm mit überteuerten Repa-
Gewichte beginnt dann, wenn sie beginnen raturrechnungen das Geld seines Reeders
ein- oder auszutauchen. Eine Senkung des aus der Tasche zu ziehen. Jarvis aber setzte
Gewichtsschwerpuntes ist nicht zu er- seine Takelage so gut es ging mit Bord-
warten, denn dafür ist der Angriffspunkt des mitteln selbst instand und segelte die
Gewichtes am Rumpf entscheidend. Und DUNTRUNE mit Notrigg und gefluteter Vor-
der war nicht tiefer, als wenn die Rahen an piek ohne weitere Zwischenfälle nach Dün-
Deck gelegen hätten. kirchen.

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