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Montags-Story 108-Hermann Allmers

Hermann Ludwig Allmers


*11. Februar 1821 in Rechtenfleth, † 9. März
1902 ebenda) war ein deutscher Schriftsteller
und Dichter.
Ein erstaunlicher Mann, der in der 2. Hälfte des
19. Jahrhunderts sehr bekannt in Deutschland
war. In mehr als dreißig norddeutschen Städten
gibt es eine Hermann Allmers Straße. Natürlich
gibt es auch eine Hermann-Allmers-Gesellschaft
und ein Hermann-Allmers-Haus.
Er ist der Erfinder (!) des Wortes Attentäter, der
Dichter des in studentischen Kreisen heute noch
gesungenen sog. Telefonliedes („Dort Saaleck,
hier die Rudelsburg“), Dichter des Gassenhauers
„Sagt, wer war wohl je so frech,
wie der Bürgermeister Tschech.
Der schoß unsrer Landesmutter
durch das gnädge Unterfutter.“
die Augen schloss, sind im letzten Viertel
Befreundet mit berühmten Männern von Ernst
seines Lebens viele Ruhmesopfer geweiht
Haeckel über Ludwig Franzius bis zu Emmanuel
worden. Viele hat er verdient, vieles wurde
Geibel, dem erfolgreichsten Dichter seiner Zeit
übertrieben von Leuten, die ihn erst in den
(„Der Mai ist gekommen“ u.v.m.). Ehrendoktor
allerletzten Jahren kennen gelernt hatten,
der Philosophie und Mitbegründer der Gesell-
ohne recht die eigentliche Natur seines
schaft der Männer vom Morgenstern etc. etc.
Wesens zu erfassen, die aber, einer gewissen
Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Einen Zeitströmung folgend, den Heimatdichter
solchen Mann sollte man sich mal näher feierten. Die Fülle seines Geistes und
ansehen. Dazu geeignet erscheint mir ein Gemüts neben den Schwächen zu ermessen
Nachruf, der in seinem Todesjahr in der und beides gerecht zu würdigen, ist nur
Zeitschrift „Die Grenzboten“, 61. Jg., 1902, Bd. denen beschieden, die viele Jahre ihm
2, veröffentlicht wurde. Durch die uns heute nähergestanden haben. Hermann Allmers
altertümlich anmutende Orthographie (Thätig- war vor allen Dingen ein Mann der leben-
keit, litterarisch, stehn statt stehen usw.) lassen digen Persönlichkeit. Was ihn litterarisch
wir uns nicht stören. überlebt, kommt erst denen zur rechten
Geltung, die diese eigentümliche Persön-
lichkeit genau gekannt haben. Unter diesen
Hermann Allmers vielleicht den jungen Leuten am meisten,
von E.U. v.d. Weser weil sie von ihr überwältigt wurden. Fern-
stehende werden in seinen Schriften nicht
Wie den alten Wikingerkönigen beim Gange
leicht den Grund für das staunenswerte Maß
nach Walhallas Wonnesitz der Holzstoß
von Popularität entdecken, das der Ver-
flammte, so lodert in unsern Tagen dem
ewigte in den letzten Zeiten genoß, am
Menschen, der aus der Menge weit sichtbar
meisten in seiner nordwestdeutschen
hervorgeragt hat, die leuchtende und manch-
Heimat.
mal wärmende Flamme der Nekrologe. Ist
sie erloschen, so behauptet sich ein Glut- Mehr noch als der Dichter selbst hing sein
haufen noch lange Zeit, ein weniger weithin Ruhm von der Scholle ab, die ihn erzeugt,
sichtbarer, aber meistens dauerhafter in und an der er heimatstreu gehangen hat. Er
seiner Wirkung. Dem alten Nachkommen selbst hat sich vielen ganz andern Idealen
der seefahrenden friesischen Bauern, der am zugewandt, die mit seiner Heimat und ihrem
9. März auf seinem väterlichen Marschenhof Kultus nicht das Geringste zu schaffen

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hatten: dem klassischen Altertum, der Kunst die Deiche größere Festigkeit, so daß sich
des romanischen Baustils, der italienischen Häuser, Dörfer auf und hinter ihnen
Malerei, der italienischen Natur und andern ansiedeln konnten. Und doch wurde die
Dingen. Aber er liebte seine nähern Lands- Springflut oft Herr über das Menschenwerk.
leute und seine Gegend, er wurde wieder Sie zerbrach die Deiche und sezte viele
geliebt, er war ihre Berühmtheit, sie trugen Quadratmeilen unter Wasser. Den
ihn auf den Händen. Als seine Leier längst Jahdebusen und den Dollart entriß sie dem
verstummt war, als er nichts mehr schrieb, Menschen wieder; bei beiden Katastrophen
kamen Wallfahrten von Vereinen und verschlang sie viele Dörfer samt den
Schulen auf seinen Rechtenflether Bauern- Bewohnern und ihrem Vieh. Bis um die
hof, - auch eine Erscheinung unsrer ver- Mitte des letzten Jahrhunderts sind solche
kehrserleichternden Zeit - immer mehr in Deichbrüche vorgekommen. Auch der vier-
Gang. Wie einen Patriarchen umstanden ihn jährige Allmers hat eine solche Not in
die Scharen, und mit der Würde eines Patri- seinem Heimatdorfe Rechtenfleth gesehen.
archen wußte er sie zu behandeln. An der ganzen Küste entlang, von der
Sie sind eine eigentümliche Gegend, diese Zuidersee bis nach der jütischen Grenze
Marschen, denen er entstammt, und in denen wohnten und wohnen die Friesen, ein
sein Geschlecht seit Jahrhunderten nach- deutscher Stamm von meist riesigem
weisbar ist. Wer sie mit Vorstellungen des Körperbau, flachsblonden Haaren und
Thüringer Waldes oder des Rheins zum eigner, nur noch in wenigen Sprachinseln
erstenmal sieht, hält sie leicht für den (Saterland und nordfriesischen Inseln) am
Inbegriff der Langweiligkeit und Aus- Leben gebliebner Sprache. Bis auf diese
druckslosigkeit. Viele Meilen lang begleiten Stellen hat das niedersächsische Plattdeutsch
sie die Weser zu beiden Seiten, am linken die friesische Sprache ganz verdrängt. Der
Ufer von Bremen bis zur Nordsee, ja weiter friesische Stamm fügte sich am wenigsten
an der Küste entlang bis Ostfriesland und von allen in die Staatsordnung des alten
Holland, ohne eine einzige Unterbrechung; Reichs ein. Er saß in seinen schwer zugäng-
am rechten Ufer von Bremen bis Kuxhaven, lichen Niederungen und bekümmerte sich
nur kurz unterbrochen bei Vegesack, das wie weder um Kaiser noch um Herzöge und
Kuxhaven einen Vorsprung diluvialen Grafen. Er bildete freie Bauerngemeinden,
Sandes bildet; dann beginnen die Elb- die nur lockere landschaftliche Verbände
marschen. Die Marschen, die die wenig hatten. Erst nach der Reformation wurden -
fruchtbare Sandebene, die Fortsetzung der die „Häuptlinge“ zu Grafen von Ostfries-
Lüneburger Heide umsäumen, sind An- land, und die Grafen von Oldenburg Herren
schwemmungen aus See- und Flußschlick über das Rüstringerland. Es war ein trotziges
und stehn dem berühmten Nilschlamm an Geschlecht, der friesische Bauernstand.
Fülle der Pflanzennährstoffe nicht nach. In Auch auf der See war es zu Hause; immer-
alten Zeiten konnten sie nur in trockner fort mußten die Hamburger und Bremer
Sommerzeit benutzt werden, und nur zur ihren Handel gegen friesische Seeräuber
Viehtrift, denn die Springfluten gingen über verteidigen; manchmal suchten sie sie in
sie hinweg. Wo nicht etwa eine einsame ihren mit Wall und Wassergraben umzognen
Düne aus dem Schwemmland aufragte (z.B. Burgen auf, und wenn sie sie bezwangen, so
Berne und Blexen), konnten keine Häuser legten sie ihnen die Häupter vor die Füße; so
stehn, und auch das Vieh durfte nicht so weit Bremen mit Dedo und Peto Lübben,
getrieben werden, daß man es nicht bei Hamburg mit. dem trinkberühmten Störte-
plötzlichem Hochwasser rasch hätte auf beker. Auch in der deutschen Dichtung
sicheres Land bringen können. Erst vom taucht ein Mann auf, der die knorrige Art, die
Jahre 1000 an beginnt die Eindeichung, um Mächtigkeit in seinem Wesen verkörpert,
die sich namentlich Erzbischof Friedrich von die seinen Stamm auszeichnet: Friedrich
Bremen große Verdienste erworben hat. Hebbel. Im ganzen aber tritt das an Volks-
Schwer kämpfte der Mensch mit Sturm und zahl ja auch nur kleine Friesentum weder in
Wogenandrang. Erst allmählich gewannen
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Deutschlands Kunst und Wissenschaft noch all dem Sonnenglanz und Lerchenjubel —
in seinen staatlichen Kämpfen stark hervor. dieser und ein fernes Kuhgebrüll ist der
einzige Ton, der die vollkommne Stille
Der Allmers‘sche Stamm ist seit Jahr-
unterbricht —, in dem feinen Spiel des
hunderten in „Osterstade“ (d.h. Osterge-
Lichts und der Farbe ist das eine Szenerie,
stade), am Ostufer der Weser, südlich von
deren Schönheit dem neuen Ankömmling
Bremerhaven, ansässig gewesen. Er gehört
nicht gleich aufgeht, die man aber bei
zu dem friesischen Bauerntum, das auf seine
näherm Eindringen wohl zu würdigen weiß.
Reichsfreiheit und Wehrhaftigkeit stolz war,
Man begreift auch, wie der Marsch-
und zu den verhältnismäßig wenigen dieser
bewohner, der Niederdeutsche überhaupt, an
Bauernfamilien, die seit altersher ein
dieser Landschaft hängt - und an dem
Wappen führten, und zwar sämtlich einen
Dichter, der ihn so oft zur Liebe für die
halben Reichsadler in einem Felde, und
Heimat ermahnt hat.
verschiedne Zeichen im andern. Sie be-
haupten, den halben Reichsadler gemeinsam Hermann Allmers wurde am 11. Februar
von Barbarossa erhalten zu haben, der ihnen 1821 geboren: das einzige Kind seiner
damit eine Art Halbadel zugesprochen habe. Eltern. Er kam so zart auf die Welt, daß
Diese Legende bezeichnet wenigstens das niemand glaubte, er werde am Leben
Selbstgefühl des Bauernstandes. bleiben. Dazu war sein Gesicht durch eine
Hasenscharte sehr entstellt; man glaubte, es
Das Allmers‘sche Heimatsdorf Rechtenfleth
liege ein Unglückskind in den Windeln, und
ist ein echtes Marschdorf. Es besteht nur aus
doch stand eine gütige Fee an seiner Wiege,
etwa einem Dutzend Höfen, sämtlich stroh-
die ihm verlieh, daß ihm sein Unglück zum
gedeckt, und etlichen Häuslings- oder
Glück werden solle. Statt eines Marschen-
Heuerlings- (d.h. Tagelöhner-) Häuschen.
bauers wurde ein Dichter aus ihm; statt eines
Alle ducken sich hinter den Deich, der ihnen
Menschenfeindes eine Natur voll warmer
und den Bäumen der nicht allzu großen
Freundschaft und Hingebung, voll Güte und
Gärten auch gegen den Sturm etwas Schutz
Opferfähigkeit; statt eines menschen-
gewährt. Alle haben hinter dem Haupt-
gemiednen Griesgrams ein von Volksliebe
eingang eine breite, lange Lehmdiele,
umfluteter Optimist. Für die Dorfschule
beiderseits mit Viehständen. Im Sommer
schien er wegen seiner Zartheit und des
stehn sie meist leer, denn Kühe und Pferde
Mundschadens ungeeignet. Man gab ihm
gehn auf die Weide. Die Stallung ist gar
nicht groß genug für die vielen Häupter, die einen Hauslehrer, und später kam er zu
einem Bremer Naturwissenschaftler, dem
im Sommer aufgezogen und gemästet
Konservator der Museumssammlungen, ins
werden. Im Herbst kommen Viehhändler
Haus. Seine naturwissenschaftlichen Kennt-
und holen weg, was der Bauer nicht
nisse sind ein wichtiger Zug in seinem
überwintern kann. Die Aufzucht von
Wesen. Er hat sie später auf den Univer-
Pferden und Rindern, die Mästung von
sitäten von Jena, Berlin und München
Ochsen und Kühen sind das wirtschaftliche
vervollständigt, sie waren wesentlich für
Rückgrat für die Landwirtschaft der
sein „Marschenbuch.“ Schon in seiner Jüng-
Marschen. Dazu bieten sich ihr die unab-
lingszeit entstanden manche hübsche Lieder.
sehbaren Weideflächen dar, strotzend von
Doch sollten Reisen nach Mittel- und Südd-
grünem Gras und gelben Butterblumen.
eutschland bis nach Oberitalien seinen gei-
Weithin dehnt sich der Horizont, hier und da
stigen Horizont sehr erweitern und auch das
ein fernes Dorf am Deich liegend, auf der
Samenkorn des Genusses und der Freude an
andern Seite der Geestrücken, d. h. der Rand
der bildenden Kunst in sein Gemüt legen,
des unfruchtbaren diluvialen Sandes. Der
das hernach so reiche Frucht trug. Im Jahre
Himmel spannt einen weiten Bogen, und
1845 heimgekehrt beteiligte sich Allmers
Wolken von einer das Auge des Land-
schon am litterarischen Leben in Bremen.
schaftsmalers in Entzücken setzenden Mar-
Aufsätze und Gedichte erschienen, auch der
kigkeit kommen majestätisch herangezogen
prächtige Studentengesang „Dort Saaleck,
und entschwinden allgemach dem Auge. In
hier die Rudelsburg“ entstammt schon dieser
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Zeit. Die politische Bewegung von 1848 ein „Erfolg.“ Allmers war ein berühmter
fand den stark für Freiheit und Recht und in Mann. Und der Erfolg behauptete sich, wie
Teilnahme für die Unbegüterten und Be- wiederholte Auflagen des Buchs beweisen.
drückten erglühenden Mann im Lager der Doch in seinem Autor lebte noch ganz etwas
äußersten Linken. Noch jahrzehntelang andres als Heimatkunde.
nachher grollte er, die Professoren hätten die
Schuld, daß der Frühling nicht zum Sommer Zunächst ein Dichter. Allerdings hat
geworden sei. Er selbst widmete sich mit Allmers am kastalischen Quell nur genippt
vollem Eifer den Angelegenheiten seiner (Quelle in Delphi, deren Wasser dem
Gemeinde und wurde Deichhauptmann. Trinkenden die Dichtergabe verlieh E.H.).
Sehr produktiv ist er niemals gewesen, und
Mehr und mehr reifte in ihm der Entschluß, daß auch nur einzelne seiner Schöpfungen
seine Marschenheimat der Welt in einem unsterblich seien, ist wenig wahrscheinlich.
eignen Buche zu schildern. Er machte Aber wem auch nur einige Tropfen des
eingehendere Studien, geschichtliche, volks- olympischen Wassers über die Lippen
kundliche (das Wort gab es damals noch gelaufen sind, in dem leuchtet doch gele-
nicht, aber diese Wissenschaft verdankt gentlich die poetische Empfindung so stark
Allmers wirklich viel), auch was das wirt- auf, daß daneben alle matte, angelernte
schaftliche Leben der Marschenbewohner Kunst der Versifexe verblaßt. Die Liebe hat
angeht. Er durchreiste das ganze Gebiet, und
sein Gemüt wenig gestört, und er hatte
da er die allgemeinen Kenntnisse hierfür deshalb keinen Grund, sich mit Liebes-
gleichsam mit der Muttermilch eingesogen liedern an ihr zu rächen. Aber er hat
hatte, so fand er überall das Spezielle und wundervolle Balladen gemacht; die des
Charakteristische schnell heraus. Er hatte Thorbarden Bernolef, der zum Christentum
einen merkwürdig offnen Blick dafür. übergetreten war und im Gewitter auf dem
Daraus erwuchs dann sein „Marschen- Hünenstein in weiter Heide seinen alten
buch,“1) das ihn zuerst in weiten Kreisen Heidengott wieder zu erkennen glaubt, ihn
bekannt gemacht hat. Es ist eine der frühsten mit einer schwungvollen Ode ansingt und
Leistungen heimatlicher Volkskunde, auch vom Blitzstrahl getroffen zu Boden stürzt, ist
eine der besten, wenn man die eigentliche doch eine wahre Perle echter Balladenkunst.
Geschichte ausscheidet, denn für Quellen- Stark ausgebildet war des Dichters Sinn für
kritik hatte er doch nicht genügende Vor- das Sentenziöse, sei es in eignen Sprüchen,
kenntnisse. Ohne lehrhaft und systematisch sei es in größerem Zusammenhange. Den
zu sein, vielmehr in freier, man kann wohl alten friesischen Spruch: „Lieber tot als
sagen künstlerischer Form schildert Allmers Sklav,“ der ihn, wenn er darauf zu reden
Land und Leute der Marschen, ihr all- kam, bis zur höchsten Begeisterung hin-
tägliches Ringen mit den Hochwasser- reißen konnte, hat er wiederholt behandelt.
gefahren, die furchtbaren Deichbruch-
katastrophen, das Erwerbsleben des reichen Du prächtig Wort: „Lieber tot als Sklav!“
Marschbauern, des Stromfischers, des Tage- O brause du wie Nordlandssturm
löhners usw., das Gemütsleben, die Häus- Durch alle deutschen Herzen hin,
lichkeit, die Sitten, die Pflanzen- und Tier- Vom meerbespülten Friesenland
welt. Was heutzutage einen so breiten (zu Bis zu der Alpen Hochgebirg.
breiten) Raum in gewissen Zweigen der Und von den Alpen bis ans Meer
Litteratur einnimmt, der Kultus der engsten Erdröhne donnernd wieder her,
Heimat, das tritt uns in den hingebungs- Rings alles rüttelnd aus dem Schlaf,
vollen Schilderungen des Marschenbuchs in Du stolzes Wort: „Lieber tot als Sklav!“
liebenswürdigster Weise entgegen. Es war

1 durchgesehene Auflage. Oldenburg, Schulzesche


) Marschenbuch. Land- und Volksbilder aus den
Marxschen der Weser und Elbe. Vierte, Hofbuchhandlung, 1902.

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Es war in den fünfziger Jahren, in der So riefen sie laut, so riefen sie alle,
vollsten Reaktion nach Olmütz als Allmers und es dröhnte und schallte die
so sang (der Vertrag von Olmütz beendete 1850 Kirchenhalle.
alle Hoffnungen, die sich an die Revolution von 1848
Allmers hat sich selbst nicht getäuscht, daß
geknüpft hatten E.H.). Mächtig ergriff ihn auch
die zweierlei Mundart doch auf die Dauer
der tragische Heldenkampf der Stedinger,
nicht zu ertragen sei. Er hat das Epos nie
jener friesischen Stammesgenossen am
vollendet, auch nie den Versuch gemacht, es
andern Weserufer in der Mitte des drei-
einheitlich umzugießen. Vielleicht ist ihm
zehnten Jahrhunderts. Die Dominikaner
auch zum Bewußtsein gekommen, daß ihm
waren ins Land gekommen, um überall der
die Kraft, ein Epos im Großen zu gestalten,
Ketzerei nachzuspüren und die unbedingte
nicht ausreichend gegeben war.
Herrschaft der Kirche herzustellen. Wegen
einer lächerlichen Lappalie wurde der Auch wenn er die Heimat ansingt, bleibt er
Kirchenbann über das Stedingerland ver- mit seinen Gedanken noch in dem Bann-
hängt, und als die trotzigen Bauern noch kreise, den wir schon kennen. Prächtige
nicht nachgaben, vom Erzbischof von Worte stehn ihm dafür zugebote.
Bremen der Kreuzzug gegen sie gepredigt. Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
Nun witterten die Geier Aas. Das elendste Wenn der Sturmwind heult, und die See geht hohl,
Wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land,
Gesindel an Rittern und Mannen, schon im O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!
voraus von der Kirche sündenfrei ge-
sprochen, stellte sich dem Bischof und den In dem Dichter Allmers steckte nicht bloß
dominikanischen Eiferern zur Verfügung. der Heimatdichter, sondern namentlich auch
Die benachbarten Grafen waren auch dabei, ein Freidenker, ein Stück von einem Philo-
um unter dem Segensspruch der Kirche sophen. Der radikale Flügel des Hegelia-
freies Bauernland zu rauben. Dritthalb Jahre nismus hat auf ihn gewirkt, namentlich
erwehrten sich die „Ketzer“ in ihrem nassen, Arnold Ruge; wenn ich nicht irre, hat er
von Gräben durchschnittnen Lande der diesen 1849 vor seinen Verfolgern verbor-
fanatisierten Scharen. Am 27. Mai 1234 gen gehalten, doch bin ich meiner Sache
erlagen sie diesen, als sie auf einer Schiff- nicht sicher. Ebenso bedeutsam war die
brücke den Fluß überschritten hatten. Freundschaft, die er im Winter 1858/59 in
Rom mit dem Naturforscher Ernst Haeckel
Ein gräßliches Morden und Rauben begann; schloß. Er kam sehr bald dazu, die Kirche
Frauen und Kinder wurden nicht geschont; völlig zu negieren. Er geriet durch seine
ein großer Teil der Bevölkerung wurde gänzlich freigeistigen Gedichte, Schriften
ausgerottet. Noch heute kann man an diese und Handlungen schon in den fünfziger
That nicht denken, ohne daß sich einem vor Jahren mit der intolerant orthodoxen Kirche
Abscheu und Empörung das Herz im Leibe in Konflikt. Sie weigerte ihm das Abend-
umwendet. Das Ereignis ist mehrfach von mahl, was ihm natürlich wenig ausmachte;
Dichtern behandelt worden, keinem ist es bei seiner Neigung zu theatralischem Wesen
recht geglückt, ein Epos daraus zu machen; gab er sich selbst das Abendmahl, was unter
auch Allmers nicht. Er kam auf den sonder- gewissen Bedingungen kirchenrechtlich
baren Gedanken, die Reden in plattdeutscher zulässig sein soll. Er bekannte sich nicht
Sprache wiederzugeben, den verbindenden etwa zu dem damals aufstrebenden liberalen
Text aber hochdeutsch. Aber das floß und Protestantenverein, sondern machte, obwohl
schmolz nicht recht zusammen. Wir geben seine Mutter eine Pastorentochter war,
eine Probe. reinen Schnitt. Darin hat er sich nie beirren
Da rief ihm alles jubelnd zu: lassen, so viele Anstrengungen auch ge-
„So mot et syn! Ja, Recht hest du! macht wurden, ihn wieder in den Schoß der
Wi moten dem Bischof lehren un wisen, Kirche zurückzuführen. In der „Weihe eines
Dat wi noch syn de olen Friesen. jungen Erdenbürgers“ machte er den Ver-
Is unse Freheit fort, is alles fort; such, ungläubigen Familienkreisen einen
Lewer dod as Sklav, dat is unse Wort!“ Ersatz für die Taufe zu geben, ein Versuch,
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der natürlich fehlschlagen mußte. In den streben zog ihn mächtig an. An den kind-
fünfziger und sechziger Jahren erregte diese lichen Ausdrucksmitteln, z.B. den Klobig-
Haltung Aufsehen. keiten kleiner Kirchen romanischen Stils,
oder byzantinischer Freskomalereien, an den
Die politische und die geistige Entwicklung
langen schmalschultrigen Gestalten der
drängten die Gemüter in eine andre
Gotik, an der Herbigkeit altflorentinischer
Richtung. Das hat Allmers verkannt, als er
Malerei konnte er ein unbezähmbares Gau-
noch 1889 mit derselben Emanzipation von
dium haben. Und dann ahmte er mit seinem
der Vormundschaft der Kirche Effekt zu
großartigen mimischen Talent — ausge-
machen glaubte. Er gab ein Bändchen
bildet wahrscheinlich durch seinen Mund-
Gedichte „Fromm und frei“ heraus, die aber
schaden und die Notwendigkeit, seinen
ziemlich spurlos vorübergingen. Zur Kenn-
Worten durch Gesten Nachdruck zu geben
zeichnung seiner Ansichten geben wir
— und seiner grotesken Figur den Ausdruck
daraus ein Verslein wieder:
byzantinischer und gotischer Heiligen in
Wer fromm das heilge Dogma glaubt, einer Weise nach, daß die anspruchsvollste
Sei glücklich, daß ers glauben kann; Gesellschaft bis zum Bersten lachen mußte.
Wer kraftvoll sich davon befreit, Genug, schon die Antike begeisterte sein der
Sei glücklich, daß er brach den Bann; Begeisterung so sehr fähiges Gemüt. Zeit-
Und doppelt glücklich, jeder sei's, weilig lebte und webte er in ihr. Dann
Daß er den andern glücklich weiß. schwelgte er wieder in andern Stilen. Für die

Ehe ich eine andre Seite der poetischen ganze Kunstgeschichte entbrannte sein Herz.
Natur unsers Freundes berühre, muß ich Als er 1858 zum viertenmal in München
etwas weiter ausholen. Er war niemals ein weilte, entschloß er sich, über die Alpen zu
einseitiger Romantiker, Germanist und gehn und einen Winter in Italien zu
Lobsänger der Heimat. Schon in seinem verweilen. Wenn man ihn noch in spätern
Jahren von Italien, von seinen Lieblings-
ersten Münchner Aufenthalt war er zu der
städten Verona, Bologna, Rom schwärmen
bildenden Kunst in ein vertrautes Verhältnis
hörte, so konnte man über die tiefen,
getreten. Er umspannte alle ihre Perioden,
glühenden Eindrücke staunen. Und wie er
nur hörte sein Interesse auf, wenn man an die
damals auf der Höhe seiner geselligen
allerhöchsten Gipfel kam. Aber das Empor-
Talente stand, so fand er auch in Rom die
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beste und dankbarste Gesellschaft. Er war in Geschwister nicht erkennt, gegen sie
stetiger Verbindung mit seinem Freunde schwingt. Im Augenblick der höchsten
Ernst Haeckel, dem Maler Willers und dem Katastrophe löst sich der Knoten. Es ist
Bildhauer Kropp, dem Philologen Detlefsen Allmers vollkommen gelungen, sich in den
und vielen andern. Er war auch selbst Geist der Goethischen Auffassung von der
Mitbegründer der berühmten Colonnagesell- Antike hineinzufinden. Aber weiter kommt
schaft (römischer Künstlerbund, der seinen er nicht, und damit ist ihm das Urteil ge-
Namen von dem Tagungsort, einem Café an der sprochen. Man stelle dieses nachempfundne
Piazza Colonna, erhielt. Ein Freundeskreis um Werk der Ursprünglichkeit der Iphigenia an
den Dichter Hermann Allmers, der den die Seite, und die Unermeßlichkeit des Ab-
Nazarenern geistig nahestand, E.H.) stands ist dargethan. Es ist einige Male dem
Nach seiner Heimkehr verfaßte er nach Erin- Dichter zu Ehren aufgeführt worden, ein
nerungen und Aufzeichnungen das Buch, weiteres Leben führte es nicht.
das ihn am meisten bekannt gemacht hat: Damit ist der nicht große Kreis der wichtigen
„Römische Schlendertage“, das 1896 schon Allmers‘schen Schriften umschrieben. Denn
die neunte Auflage erlebt hat, was bei der „Harro Harresen, eine Alpen- und
Breite der deutschen Literatur über Italien Marschengeschichte“, „Hauptmann Böse,
viel sagen will. Es ist so recht ein Buch für ein Buch für das deutsche Volk“ und einige
den behaglich genießenden Romfahrer, der Kleinigkeiten bedürfen keiner eingehenden
gern allerlei lesen will, was auf gründlicher Würdigung.
Kenntnis beruht, ihn selber aber nicht mit
Lehrhaftigkeit und Systematik heimsucht.
Allmers schlendert in Rom umher, und bei
seiner staunenswerten Empfänglichkeit sieht
er viel mehr als andre Menschen. Und er
sieht das, was jeden interessiert, keine
trocknen fachmännischen Dinge. Ohne ge-
suchte Witzereißerei weiß er mit äußerster
Behaglichkeit über das alte Rom, das Rom
des Mittelalters und der Renaissance, sowie
das zeitgenössische zu plaudern. Er geht mit
uns durch Natur und Kunst, durch die
Ruinen der Cäsarenpaläste, die Katakom-
ben, das Ghetto, die Paläste und Villen, die Hermann Allmers 1895 mit den Worpsweder Malern
Otto Modersohn, Fritz Overbeck, Fritz Mackensen,
großen und die kleinen Kirchen, die Volks-
Carl Vinnen, Heinrich Vogeler
belustigungen und Friedhöfe. Und manches
Thema gestaltet sich ihm dabei zu einem Man wird vielleicht staunen, daß damit ein
prächtigen, stimmungsvollen Gedicht. Mann dieses Maß von Popularität errungen
hat, das ihm zuletzt eigen war. Es war der
Der Marschendichter sang nicht bloß von
Mensch Hermann Allmers, der aus seinen
Deichen und Strohdächern, von der
Werken heraus lebte und leuchtete. Darin
Stedinger Kampf und der Freiheit des
liegt das ganze Geheimnis. Einen Punkt
Denkens, auch die klassische Kunst, die
haben wir schon im Eingang berührt: er war
Romantik der Landschaft, das italienische
der Priester des Heimatkultus, eine Art
Volksleben hatten es ihm angethan. Ja er
Patriarch der ganzen Gegend. Aber das
wagte einen noch viel kühnern Sprung.
wurde er erst sehr spät, eigentlich erst auf
Goethe hat in seiner Italienischen Reise die
Grund seines Ruhmes. Die Anfänge seiner
Skizze zu einem Drama „Elektra“ hinter-
Popularität wurzeln ganz und gar nicht in
lassen. Orestes und Iphigenia kommen aus
dem Verständnis der niederdeutschen
Tauris heim und erliegen beinahe dem
Bauern und Kleinbürger für ihn. Das kam
fürchterlichen Mordbeil des Atridenhauses,
erst ganz spät. Wenn man ein Jahr setzen soll
das die leidenschaftliche Elektra, die die
— natürlich fing die Sache nicht eines Tags
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plötzlich an —, so kann man vielleicht 1880 z.B. sah man alle Beteiligten aufmar-
nennen. Aber schon 1860 war Allmers der schieren, erst den „niemand, der Böses
erklärte Liebling geistig hochstehender dacht, “ dann „kam ein Mann im grauen
Kreise, die keinerlei Heimatkult betrieben, Mantel,“ dann den erst „noch etwas dämlich
schon weil sie aus allen Weltgegenden aussehenden,“ ferner den tief erschrocknen,
zusammengewürfelt waren. Außer der hernach aufatmenden König, den gepackten
„Colonna-Gesellschaft“ in Rom nennen wir Wüterich, die keilenden Gendarmen, den
das „Krokodil“ in München (Mitglieder nicht in Berlin befindlichen Duncker usw. Es
waren u.a. Felix Dahn, Emmanuel Geibel hat wohl niemand gegeben, der sich der
und Paul Heyse, der den Literatur- überwältigenden Komik hätte entziehen
Nobelpreis erhielt E.H.). Das waren Leute, können, niemand, der den Vortrag nicht gern
die sämtlich mit der Zunge fertig werden noch einmal gehört hätte, und wenn er ihn
konnten, und die zu Allmers tiefe Zuneigung noch so oft gehört hatte. Jahrzehnte sind
faßten, nicht weil er aus einem stroh- vergangen, seit er, zum letzten Mal den
gedeckten Bauernhause stammte, sondern Bitten seiner Freunde nachgebend, das Lied
weil er an Humor in der Gesellschaft, an gesungen hat.
sprühendem Geist bei herüber und hinüber Höchstes Glück der Erdenkinder
fliegendem Gespräch alle übertraf. Er hatte Sei nur die Persönlichkeit.
ein großartiges schauspielerisches Talent.
Wäre er bei seiner Begabung körperlich Hermann Allmers war eine Persönlichkeit.
normal gewesen, er wäre ein Meteor am Im Leben wirkte er viel mehr als seinen
Theaterhimmel geworden. Das Groteske in Schriften je beschieden sein wird, wo er
seiner Figur, der hünenhafte Mensch mit nicht mehr als die Persönlichkeit von Fleisch
dem großen Kopf, dem spärlichen hell- und Blut hinter ihnen steht. Auch in seiner
gelben Haupthaar, dem abenteuerlich ge- Gesinnung war er ganz und gar er selbst.
bildeten Munde, die schwer verständliche Seine Gutmütigkeit artete in Charakter-
Sprache, das alles trug viel dazu bei, die schwäche aus. Sein väterliches Erbe war ein
Empfänglichkeit des Publikums zu wecken. sogar für großbäuerliche Verhältnisse an-
Einst trat er mit einer Dame in den schon sehnliches Vermögen. Eine Weide nach der
überfüllten Hofbräukeller in München. In andern verkaufte er, um in Not geratnen
seiner lebhaften, lauten Weise fing er an zu Freunden zu helfen. Von seinen ihm geistig
sprechen und zu gestikulieren. Darauf wurde gleichstehenden Künstler- und Schrift-
für einige Minuten der Hofbräukeller still - stellerfreunden hat niemals einer seine Mild-
wer die Verhältnisse kennt, weiß danach, thätigkeit in Anspruch genommen, ge-
welches Staunen der fremde Gast erweckt schweige denn mißbraucht. Aber bis zu
haben muß. Seine hellen Augen waren nur seinem hohen Alter hin war er das Opfer von
klein, aber wer darin zu lesen verstand, Schmarotzern, die seine Schwäche aus-
fühlte die Geistesfunken, die daraus hervor- beuteten. Er selbst hatte nicht die Kraft,
blickten. solche Leute abzuschütteln; noch in den
letzten Jahren bedurfte es großer Anstren-
Und nun erst wenn er sang! Bei ernsten gung von Verwandten, solches Gelichter
inbrünstigen Liedern war er tief ergriffen. unschädlich zu machen. Dem Bittenden
Am größten war er bei Ulkliedern, z.B. dem versagte er nie die Gabe.
berühmten „Wer war jemals wohl so frech,
wie der Bürgermeister Tschech,“ (siehe So schmolz sein Vermögen stark zusammen.
Montags-Story 107-Überraschungen der Unverdrossen gab er sich hin, wenn er einem
Sprachlehre!! E.H.) oder „Es waren einmal Freunde nützen konnte oder nützen zu
zwei Knaben, die hatten ein Mädchen so können glaubte. Dann lief er zu Ministern
lieb.“ Es gibt Leute, die können mit Hand und Millionären, zu Behörden und zu Privat-
und Mund und Fuß und Ellenbogen ganze leuten, um durch seinen Einfluß irgend
Orchesterstücke mit ihren Klangfarben auf- einem „wackern Kerl“ (das war sein stehen-
führen. Allmers konnte derartiges in der der Ausdruck) vorwärts und zu der allemal
Mimik leisten. Im Bürgermeister Tschech „wohlverdienten“ Anerkennung zu ver-
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Montags-Story 108-Hermann Allmers

helfen. Und es war seine höchste Wonne, ein verzichten und der Kunst oder der Litteratur
wahrhaft reines Herzensvergnügen, wenn er nachzugehn, ist eine andre Sache.
einem Manne von wirklichem Nutzen Wir können von dem Manne nicht scheiden,
gewesen war. Damit war eine Charakter- ohne seines Hauses, seines „Marschenhofs“
schwäche nahe verbunden. Er sonnte sich so zu gedenken. Das väterliche Haus war wie
sehr in dem Glanze, der Helfer verkannter alle der Gegend; vorn die lange Diele, zu
Talente oder sonst „wackrer junger Kerle" beiden Seiten Viehstände; quer davor die
zu sein, daß er nicht gerecht und ehrlich dem Wohndiele mit den Schlaf- und Wohn-
Hilfesuchenden sagte, wie er über seine zimmern, alles zu ebner Erde; der Herd mit
Aussichten, seine Talente dachte, sondern offnem Rauchfang mitten in der Wohndiele.
ihm ohne weiteres ein glänzendes Zukunfts-

bild ausmalte und von vornherein in Be- Das war ihm zu eng. Er baute ein zweites
geistrung geriet über die durchschlagenden Stockwerk, legte den Herd in eine eigne
Küche und schuf dadurch die Wohndiele zur
Allmers’s Haus in Rechtenfleth
„Halle“ um. Hier an den eichengetäfelten
Erfolge, die sein neuer Freund einst erringen Wänden hatte er sein „Schartekeum, “ alte
werde. Und wenn das Talentchen noch so Geräte, Waffen, Wappen, ein Harmonium,
klein war, Allmers konnte schwelgen in dem auf dem er gelegentlich, namentlich am
Traum von dem Siegeszuge, den er machen Weihnachtsabend vor seinem Gesinde,
werde, und von dem Glanze, der auf ihn, als musizierte. Auch in den gewonnenen neuen
den Förderer, fallen werde. Die Wirkung auf Zimmern hatte er Sammlungen, die sich auf
schüchterne junge Leute kann man sich seine Reisen bezogen, Gipsabgüsse nach
denken. Nicht wenige sind mit ganz andern Antiken, Mineralien, Zeichnungen,
Ansichten über sich selbst aus seinem Hause Photographien, Stiche usw. In seinem
weggegangen, als sie gekommen waren. Er gastfreien Hause ging es von guten Freunden
blieb ihr Abgott. Seine Popularität wuchs aus und ein, manche wohnten längere Zeit
damit unermeßlich. Ob die kleinen Talente bei ihm. Die Maler verewigten sich dort auf
wirklich Ursache hatten, ihm dankbar zu ihre Weise. Fr. von Dörnberg und „Otto
sein, wenn er sie veranlaßte, auf einen Knille zeichneten auf Wandkartons die
philisterhaften bürgerlichen Beruf zu Geschichte der Marschen von der
Römerlandung bis zur Ochsenausfuhr.
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Arthur Fitger malte im „Saal“ einen Seinen mildthätigen Sinn bekundete Allmers
antiksierenden Plafond und über dem Kamin noch in seinem Testament, denn von seinem
eine Frau Saga. Der Marschenhof mit seinen sehr zusammengeschmolznen Vermögen
Sammlungen soll nun zum Besten der Be- sind noch Legate für die Bedürftigen Rech-
völkerung der Gegend erhalten werden. Auf tenfleths ausgesetzt.
dem Deich vor seinem Hause hat er eine Diese werden den Mann mit dem über-
Nische mit einem Mosaikbildnis Karls des quellend warmen Herzen nie vergessen; der
Großen aufgestellt. Es war sein Lieblings- friesische Stamm wird in ihm immer seinen
gedanke, daß der Frankenkönig bei seinem Herold sehen; der Same seiner Schriften
Heimatsdorfe die Weser überschritten habe. wird wohl nie üppig ins Kraut schießen, aber
Nach den Chronisten soll das bei Alisne auch nie untergehn. Untergehn muß das, was
geschehn sein; Rechtenfleth gegenüber liegt
von dem lebendigen Menschen untrennbar
ein altes Dorf Alsen; darin erblickte er war, und was seine Freunde am allermeisten
Alisne. Er selbst mußte freilich später die an ihm schätzten: Der geistsprühende Mann,
Berechtigung von Zweifeln zugestehn, denn der bezaubernde Gesellschafter, der aus Ulk
in dem damals noch uneingedeichten Lande und Grandezza zusammengesetzte Mimiker.
konnte kaum ein „Dorf Alisne“ liegen.

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