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ZUR KUNDE SÜDOSTEUROPAS ■BAND II / 24

Harald Heppner (Hg.)

Die Rumänen und Europa


vom Mittelalter bis zur Gegenwart

bohlauWien
bohlauWien
Gedruckt mit Unterstützung durch
den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
und die Steiermärkische Landesregierung

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme

Die Rumänen und Europa vom Mittelalter bis zur Gegenwart /


Harald Heppner (Hg.) - Wien ; Köln ; Weimar : Böhlau, 1997
(Zur Kunde Südosteuropas : 02 ; 24)

ISBN 3-205-98832-9

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt.


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© 1997 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H und Co. KG,


Wien · Köln · Weimar

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefreiem Papier

Satz: Hutz, A-1210 Wien


Druck: Menzel & Chadim Druck Ges.m.b.H., A-1120 Wien
Inhalt

Vorwort des Herausgebers ....................................................... 7

Harald Heppner
»Die Rumänen und Europa«: eine Einleitung ...................... 11

Leon §imanschi, Dumitru Agache


Die Rumänen und Europa:
Vorspiel im ausgehenden M ittela lter...................................... 21

Lucian Nastasä
Das Europa-Bild bei den Klausenburger
Memoirenschreibern des 17. Jahrh un derts........................... 47

Veniamin Ciobanu
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern
des 18. Jahrhunderts.................................................................. 62

Mihai-Qtefan Ceau§u
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der
Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert..................................... 88

Florea Ioncioaia
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern
(1800-1830) ................................................................................. 106

Mihai-Räzvan Ungureanu
»Europa« und die Ehemoral in der rumänischen
Gesellschaft (erste Hälfte des 19. Jahrhunderts) ............... 131

Stela Märie§
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender
(erste Hälfte des 19. J ahrh un derts)........................................ 143
6 Inhalt

Dumitru Vitcu
»Europa« aus der Sicht der rumänischen
1848er-G eneration....................................................................... 165

Vasile Docea
Das »europäische« Modell und die konstitutionelle
Monarchie in Rumänien ............................................................ 185

Lucian Nastasä
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden
rumänischen Jugend (1860-1918)............................................ 215

Gheorghe I. Florescu
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament
(1918-1938) .................................................................................. 232

Gheorghe Oni§oru
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz:
Die Entwicklung des Westeuropa-Bildes in Rumänien
(1 9 4 4 -1 9 8 9 ).................................................................................. 253

Alexandru Zub
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein E s s a y .................. 273

Zeittafel ........................................................................................... 292

Liste der A u to re n ............................................................................296

Bildanhang 301
Vorwort

Die politische Wende im östlichen Europa und die neue Dynamik


der europäischen Integration haben einen Wandel herbeige­
führt, der nicht nur die verschiedensten Organisationsformen,
sondern auch die Denkstrukturen und Identitätsmuster erfaßt
hat. Das Thema »Europa« wird nun zwar von allen möglichen
Seiten fieberhaft betrachtet, doch besteht die Gefahr, daß We­
sentliches außerhalb der Beachtung bleibt. Die Kernländer
Europas sind auf die vielen Fragen ihres zukünftigen Zusam­
menlebens derart fixiert, daß sie die übrigen Teile des Kon­
tinents bestenfalls am Hintergrund ihrer eigenen Probleme
wahrnehmen und der organisatorischen Erweiterung »Europas«
mit Skepsis entgegensehen.
Außer der vom konkreten politisch-wirtschaftlichen Alltag
diktierten Fixierung gibt es noch eine zweite Gefahr für den
Europa-Gedanken - den Mangel an Wissen, dem der Mangel an
Interesse auf dem Fuß folgt. Der Großteil der »Unions-Europäer«
weiß von der östlichen und südöstlichen Peripherie des Kon­
tinents wenig bis nichts, schon gar nicht, in welchen Begriffen
die Völker »dort draußen«, »dort hinten« oder »dort unten« den­
ken und handeln. Folglich besteht ein dringender Bedarf, etwas
dagegen zu unternehmen. Die Nationen am Rande blicken zu
einem Europa hin, das nicht automatisch das ihre ist, dem sie
aber in der einen oder anderen Form angehören wollen. Dem­
zufolge steht es jenen, die durch diese Blicke erfaßt werden, gut
an, ihren eigenen Horizont auszuweiten und neu zu begreifen.
Der vorliegende Band ist als eines der Hilfsmittel in diese
Richtung gedacht. Er soll zeigen, wann und unter welchen
Umständen die Rumänen welchen Bezug zu Europa bekommen
und, daraus folgend, den europäischen Westen zum Ziel ihrer
zukünftigen Orientierung gemacht haben. Ein solches Ziel er­
fordert, den Bogen bis ins Mittelalter zurück zu spannen. Zu den
rumänischen Spezifika, Europa in der einen oder anderen Form
zu rezipieren und in die eigenen Anschauungen einzugliedern,
8 Vorwort

gehört jedenfalls die Zweiteilung des rumänischen Volkes, denn


der westlicher siedelnde Teil hat dank seiner langen Zugehö­
rigkeit zu Ungarn bzw. zur Habsburgermonarchie früher und
länger mit westlichen Einflüssen Berührung gehabt, wogegen
der östlich und südöstlich der Karpaten siedelnde Teil die läng­
ste Zeit den ostkirchlichen und osmanisch-orientalischen Tradi­
tionen verhaftet gewesen ist.
Demzufolge lag es nahe, beim vorliegenden Thema Fachleute
zu Wort kommen zu lassen, die eben jenen vor allem außer-
karpatischen Gesichtskreis ansprechen. Es gibt noch einen zwei­
ten Grund, eine Gruppe von Forschern aus Rumänien (Ia§i) mit
dieser Aufgabe zu betrauen: Mit dem Angebot, die eigene Ge­
schichte in Hinblick auf das Europa-Thema zu durchleuchten,
sollte der Anreiz geschaffen werden, aus den gewohnten Bahnen
der rumänischen Geschichtswissenschaft auszubrechen und
neue stoffliche und methodische Wege zu suchen. Der in diesem
Sammelband vorgelegte Ertrag eines österreichisch-rumäni­
schen Projekts kann deshalb nur als Zwischenergebnis gewertet
werden. Die geschätzten Leser sollten die einzelnen Beiträge
daher nicht als etwas Endgültiges ansehen, sondern als ersten
Schritt - nicht nur innerhalb der rumänischen Geschichts­
forschung, sondern auch für die Völkerverständigung innerhalb
Europas.
Freilich läßt sich das volle Spektrum über das Thema Europa
aus der Sicht der am Rande des Kontinents lebenden Nationen
nicht allein am rumänischen Beispiel illustrieren; weitere Bei­
spiele werden daher zu erarbeiten sein (und sind zum Teil auch
schon in Vorbereitung), damit die Leser erkennen können, wo
Ähnlichkeiten und Unterschiede auftreten und welche Ursachen
ihnen zugrunde liegen.
Dem geschichtlichen Werdegang dieses Sammelbandes ent­
sprechend, richtet sich der Dank zunächst an das Bundesmini­
sterium für Wissenschaft und Forschung (wie es damals hieß),
das im Rahmen der Millenniumsforderung in den Jahren
1995/96 die Finanzierung dieses Projekts ermöglicht hat. Das
weitere Verdienst lag bei den Autoren und dem Übersetzer der
Vorwort 9

Texte, für die dieser Auftrag nicht immer einfach gewesen ist.
Weiters gilt der Dank Frau Birgit Tauscheck, die die EDV-Vor­
lage erstellt hat, dem Verlag für sein Entgegenkommen sowie
dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für
den Druckkostenzuschuß. Zuletzt mögen aber auch die ge­
schätzten Leser im voraus bedankt sein, wenn sie dieses Buch -
hoffentlich - lesen, über seine Aussagen nachdenken und auch
sonst dazu beitragen, daß die gegenseitige Wahrnehmung und
Toleranz in Europa einen neuen Aufschwung erfährt.

Graz, im Juli 1997 Der Herausgeber


HARALD HEPPNER

»Die Rumänen und Europa«: eine Einleitung

ZUR FRAGESTELLUNG

Das Entstehen der modernen Staaten- und Nationenwelt in


Europa hat bewirkt, daß sich die wissenschaftliche Historio­
graphie dem vielschichtigen Stoff über Staat und Nation ange­
nommen hat. Hiebei fällt der Blick einerseits auf die Innenseite
des Themas, d. h. auf die binnenstaatliche und nationale Ge­
schichte, andererseits auf die Außenseite, auf die Geschichte der
internationalen Beziehungen usw. Da sich mit diesem Themen­
komplex schon mehrere Generationen von Forschern auseinan­
dergesetzt haben, sind die Ergebnisse bereits ins unermeßliche
gewachsen: Riesige Bibliotheken könnte man mit jenem Schrift­
tum füllen, das die Geschichte der Staaten und Völker und deren
Beziehungen behandelt.
Deshalb mag es überraschen, wenn der Blick auf das europäi­
sche Ganze - was immer das im einzelnen sein mag - keineswegs
eine adäquate fachliche Befassung erfahren hat, wie es dessen
weltgeschichtliches Gewicht nahelegt; einschlägige Werke zum
Thema Europa sind weit seltener als andere »Geschichten« und
außerdem voll von stofflichen Ungereimtheiten und Defiziten.
Dies legt den Schluß nahe, die Geschichtswissenschaftler hätten
dieses Thema als kein vorrangiges Anliegen verstanden bzw. die
Außenwelt habe der Historiographie keine ausreichenden
Anstöße gegeben, sich mit diesem zweifellos sehr aufwendigen
Gegenstand zu befassen.
Der wirtschaftliche und technologische Wandel und die politi­
schen Umbrüche haben das Thema Europa aus seinem »Dorn­
röschenschlaf« geweckt. Allerdings verläuft die nunmehrige
Beschäftigung ähnlich unkoordiniert wie einstmals das Schür­
fen nach Gold im Wilden Westen. Dürfte sich das Thema Europa
lediglich eines oberflächlichen und daher absehbaren Booms er­
freuen, wäre damit aber weder den Wissenschaften, die in dieser
12 Harald Heppner

Hinsicht noch viel nachzuholen haben, noch der politischen


Außenwelt gedient, denn die Inhalte sind zu gewichtig, als daß
sie einer bloßen Modewelle unterliegen sollten.
Europa gilt seit langem als jener Ort, von dem die Moder­
nisierung und hiemit letztlich auch die sogenannte Globali­
sierung ihren Ausgang genommen haben. Eines der wesentlich­
sten Kennzeichen dieser Entwicklung ist Bewußtheit, d. h. die
aktiv betriebene Selbstreflexion, die dazu benützt wird, das ei­
gene »System« zu überdenken und gegebenenfalls auch zu ver­
ändern. Zu den Vorarbeiten jeglicher Selbstreflexion gehört ohne
Zweifel die Bestandsaufnahme. Für den vorliegenden
Zusammenhang bedeutet das konkret, eine Antwort auf die
Frage zu finden, inwieweit und, wenn ja, wie die einzelnen
Völker des Kontinents objektiv und subjektiv mit Europa - als
bloßem geographischen Raum, als Bewußtseins- und Aktions­
gemeinschaft sowie als zivilisatorische Idee - in Berührung
kamen bzw. an der allgemein-europäischen Entwicklung im Lauf
der Jahrhunderte teilhatten oder nicht teilhatten. Hat man dar­
über eine Vorstellung gewonnen, läßt sich nicht nur der bishe­
rige Hergang der europäischen Geschichte besser verstehen,
sondern auch leichter erkennen, wohin der weitere Weg führen
kann und wie er am besten zu beschreiten ist.

ZUM STAND DER


GESCHICHTSWISSENSCHAFTLICHEN LITERATUR

Der oben geäußerte Standpunkt, daß der Beitrag der Geschichts­


wissenschaft zum Thema Europa bislang eher bescheiden ge­
blieben ist, erweist sich als um so zutreffender, wenn es sich -
mit Ausnahme Italiens - um die Außenzonen des Kontinents
handelt. Die »Geschichte Europas« ist bisher stets auf den soge­
nannten Westen konzentriert geblieben und hat den Norden,
Osten und Südosten bestenfalls als Kulisse am Hintergrund re­
zipiert.1 Dabei spielen offenbar zwei Kriterien eine Rolle: einer­

1 Siehe z. B. Die Identität Europas, hg. v. Werner Weidenfeld, Bonn 1985; Der
»Die Rumänen und Europa«: eine Einleitung 13

seits der Rezeptionshorizont innerhalb der europäischen Kern­


länder, den beharrlich Sprachunkenntnisse und Informations­
mängel aller Art bestimmen, andererseits die Tradition in
»Alteuropa«, in der Gestaltung der Welt einst weitgehend »unter
sich« gewesen zu sein. Wollte man die Defizite um das Europa-
Thema noch weiter verfolgen, müßte man auch eine »Euro­
päische Geschichte« einmahnen, d. h. ein Geschichtswerk, das im
Unterschied zu einer »Geschichte Europas« (= in der Regel der
europäischen Länder) das Wesenhafte im Geschichtsverlauf -
etwa im Vergleich zu anderen Kontinenten - ins Blickfeld rückt.
Das zu bewerkstelligen ist allerdings noch weit mühseliger
(wenngleich methodisch äußerst anregend) als die noch ausste­
hende Horizonterweiterung auf die Ränder Europas.2
Freilich war es auch für die Völker der europäischen Peri­
pherie kein ununterbrochenes Anliegen, sich geistig und kultu­
rell mit der Frage zu beschäftigen, welchen Standort man zum
größeren Ganzen einnehmen wolle. Grund hiefür ist, weil ein
derartiges europäisches Ganzes nicht von vornherein bestanden
hat und weil ein derartiger Vorgang das Bestehen eines Eigen­
bewußtseins voraussetzt, das lange Zeit entweder noch nicht
entwickelt oder ganz spezifisch geprägt gewesen ist. Die histori­
schen Umstände in Südosteuropa haben zur Folge gehabt, daß
das Thema »Europa und Wir« außer während kürzerer Perioden
erhöhter politischer Aktualität in seiner weltgeschichtlichen
Bedeutung nicht aufgegriffen worden ist und die Geschichts­
wissenschaft daher keine entsprechenden Impulse empfangen
hat. Die einzige Ausnahme stellen die Griechen dar, die - einer­
seits ein Volk am Rande Europas, andererseits mit einer jahr-

lange Weg nach Europa. Historische Betrachtungen aus gegenwärtiger Sicht,


hg. v. Wolfgang Mommsen, Berlin 1992; oder die Publikationen im Rahmen
der Serie »Europa bauen«, die vom Beck-Verlag München herausgebracht
werden.
2 Bemühungen in diese Richtungen sind z. B. Jenö Szücs: Die drei historischen
Regionen Europas, Frankfurt/M. 1990; Europa und Rußland - das Euro­
päische Haus, hg. v. Otmar Franz, Göttingen 1993; Das Europa-Verständnis
im orthodoxen Südosteuropa, hg. v. Harald Heppner und Grigorios Larent-
zakis, Graz 1996.
14 Harald Heppner

tausendealten und gewichtigen Tradition behaftet - ihr Ver­


hältnis zu Europa immer wieder neu gesucht und in Worte zu
kleiden versucht haben.3 Bei den anderen Völkern Südosteuro­
pas ist dieser Weg nie in das Stadium des Ausgetretenwerdens
gelangt, so daß derartige Versuche kaum nenneswerte Spuren
hinterlassen haben. Erst seit kürzerem sind bei den Serben4,
Bulgaren5 und Rumänen6 derartige Anläufe festzustellen, und
es gilt abzuwarten, ob sie über die Phase vorübergehender
Euphorie hinaus gedeihen werden.

STREBEPFEILER DES THEMAS

Wenn im Rahmen dieses Bandes von »Rumänen« die Rede ist,


mag der Eindruck entstehen, als hätte es die Rumänen (im Sinn
einer modernen Nation) schon seit vielen Jahrhunderten gege­
ben und alle Konationalen ließen sich in ihrer Einstellung zum
Thema Europa als Einheit betrachten. Dies entspricht nicht den
geschichtlichen Tatsachen, die im vorliegenden Fall noch dazu
besonders kompliziert sind. Wenn die Autoren dieses Sam­
melwerkes ohne eingehende Erläuterung der Termini »Rumäne«
und »rumänisch« operieren, dann deshalb, weil es nicht das Ziel
dieses Kompendiums ist, darauf ausgiebig einzugehen. Immer­
hin ist festzuhalten,

3 Stellvertretend für eine ganze Reihe von Studien: Yorgos Kourvetaris, Betty
Dobratz: A Profile of Modern Greece in Search of Identity, Oxford 1987;
Greece and Europe in the Modern Period: Aspects of a Troubled Relationship,
hg. v. Philipp Carabott, London 1995; Andonis Liakos: The Canon of European
Identity: Transmission and Decomposition. In: Modern Greek Studies
(Australia and New Zealand) 3, Melbourne 1995, S. 129-138.
4 Evropa i Srbi [Europa und die Serben], Meždunarodni naučni skup, hg. v.
Slavenko Terzič, Beograd 1996.
5 Die Frage nach dem Europa-Verständnis der Bulgaren steht nicht so sehr im
Vordergrund wie die Frage nach dem kollektiven Ich, siehe hiezu: Zašto sme
takiva? V tärsene na bälgarskata kulturna identičnost [Wieso sind wir so?
Auf der Suche nach der bulgarischen kulturellen Identität], hg. v. Ivan
Elenkov, Rumen Daskalov, Sofija 1994; Ivan Hadžijski: Bit i duševnost na
našija narod [Wesen und Mentalität unseres Volkes], Sofija 1995.
6 Sud-Estul §i contextul european 1 ff, hg. v. Institutul de studii sud-est euro-
pene, Bucure^ti 1994 ff.
»Die Rumänen und Europa«: eine Einleitung 15

- daß die Ethnogenese der Rumänen viele Jahrhunderte benö­


tigt hat,
- daß die ersten, dem Rumänentum zuzuordnenden politischen
Gebilde (Vojvodschaften, Hospodariate, »Fürstentümer«) erst
im Lauf des 14. Jahrhunderts entstanden sind, ohne für eine
kontinuierliche Entwicklung günstige äußere und innere
Voraussetzungen zu haben,
- daß sich das politische und kulturelle Schicksal des Rumä-
nentums in zwei Richtungen gespalten hat, da der innerhalb
Ungarns lebende Teil der Rumänen (vor allem in Sieben­
bürgen) auf einen seit dem Mittelalter einsetzenden, zwar
wechselhaften, jedoch ziemlich kontinuierlichen Kontakt zum
abendländischen Europa zurückblicken kann, während der
südlich und östlich der Karpaten, d. h. in den Fürstentümern
Moldau und Walachei lebende Teil bis ins 19. Jahrhundert
stark unter dem Einfluß der orthodoxen Kirche und Kultur
(u. a. auch Rußlands) sowie des islamisch-orientalischen Os-
manischen Reiches gestanden ist.

Nicht minder problematisch erweist sich eine unreflektierte


Verwendung des Terminus Europa. Es stellt sich die Frage, ob
damit die relativ unverbindliche geographische Deutung des
Begriffes gemeint ist, ob Europa nur das ist, was mit »Abend­
land«, »Okzident« oder »Westen« umschrieben wird, ob es sich
dabei um eine objektiv oder nur subjektiv faßbare Kategorie han­
delt etc. Welche definitorischen Probleme im historischen Längs­
schnitt auftreten, ist aus den einzelnen Beiträgen ebenso zu ent­
nehmen wie auch die Lösungsansätze, die sich freilich nicht
anwenden lassen, sobald man den jeweiligen Kontext verläßt. Da
sich die Rumänen als außerhalb des europäischen Kernbereichs
Lebende wahrgenommen haben, ist für jene Außenwelt im vor­
liegenden Sammelband das Vokabel »Europa« (mit Anführungs­
strichen) angewandt worden; es soll signalisieren, daß damit in
der Regel der sogenannte Westen gemeint ist, dessen über
Jahrhunderte anhaltende Ausstrahlung nach außen auch die
Rumänen erfaßt und zur Orientierung veranlaßt hat.
16 Harald Heppner

Stellt man sich die Frage, wie man die geistige und physische
Begegnung »Europas« und der Rumänen in einen zeitlichen
Raster einordnen kann, bieten sich folgende Meilensteine an:

- Den Beginn liefert das Spätmittelalter, als das Entstehen


zweier rumänischer Staatswesen an der unteren Donau
(Moldau, Walachei) nahegelegt hat, sich zwischen »West« und
»Ost« irgendwie einzuordnen, sei es im Interesse politischer
Anlehnung, sei es aus Gründen der kulturellen Zugehörigkeit.
- Die nächste Zäsur stellt die Wende vom 17. zum 18. Jahr­
hundert dar, als die Zurückdrängung der Türken aus Ungarn
eine nachhaltig wirkende Modernisierung der Verhältnisse in
Gang gebracht hat, die den davon nicht betroffenen Rumänen
der Moldau und Walachei nach und nach die immer auffälli­
geren Unterschiede zwischen der westlichen Nachbarschaft
und dem eigenen Lebensraum vor Augen geführt hat.
- Den nächsten Einschnitt brachte das etappenweise erfolgende
Einschwenken der beiden Donaufürstentümer in den »euro­
päischen« Weg, der 1859 zur Bildung des neuzeitlichen Ru­
mänien geführt hat.
- Eine einschneidende Zäsur brachte das Ende des Ersten Welt­
krieges, in dessen Folge sich auf Kosten der zerfallenen Groß­
reiche Österreich-Ungarn und Rußland der großrumänische
Nationalstaat gebildet hat; der formale Eintritt in das neue
»Europa« hat jedoch gezeigt, daß die »Europäisierung« damit
nicht abgeschlossen gewesen ist.
- Der nächste Wendepunkt der rumänischen Geschichte er­
folgte nach dem Zweiten Weltkrieg, der Rumänien zu einem
Bestandteil des Sowjetimperiums und der sozialistischen
Weltordnung hat werden lassen.
- Die vorläufig letzte Zäsur stellt schließlich der Fall des
Ceau§escu-Regimes (1989) dar, der den Rumänen den Weg zu
neuen Optionen ebnete.

Zur Abrundung jenes Bildes, das über das Thema »Die Rumänen
und Europa« vermittelt werden soll, sind allerdings noch zwei
Strebepfeiler anzuführen. Der eine betrifft den funktionalen
»Die Rumänen und Europa«: eine Einleitung 17

Sinn des Begriffes Europa. Wie aus den einzelnen Untersu­


chungen dieses Bandes hervorgeht, ist »Europa« einmal nichts
anderes denn eine Möglichkeit, die im Westen gelegene Nach­
barschaft zu benennen. Ein anderes Mal hingegen symbolisiert
»Europa« etwas, das der Orientierung dient, um die eigene
(rumänische) Zukunft zu gestalten. Ein weiteres Mal ist mit
»Europa« etwas Neues, Größeres gemeint, das aus dem Zusam­
menwachsen »Neueuropas« mit »Alteuropa« entsteht - eine fik­
tive Welt des Friedens und des transnationalen Ausgleichs. Der
andere Strebepfeiler betrifft die funktionale Wertigkeit von
»Europa« für die Rumänen. In der älteren Zeit, als der Begriffs­
inhalt mit »Christenheit« gleichgesetzt worden ist, erschien
»Europa« im positiven Lichte, wenn man aus jener Richtung
Hilfe erwarten konnte, jedoch in negativem Lichte, sobald der er­
sehnte Rückhalt ausblieb. In späterer Zeit unterlag die Einstu­
fung »Europas« durch die Rumänen abermals einer Spaltung.
Aus der Sicht der Konservativ-Klerikalen erschien der europäi­
sche Westen als etwas Verworfenes, das der eigenen Tradition wi­
dersprach und daher nicht nachgeahmt werden dürfe; aus der
Sicht der Progressiven hingegen fungierte der Westen als Hort
des Lichts und der Zivilisation. Wenngleich mit ganz anderen
Vorzeichen, bestand während der kommunistischen Periode
abermals eine polarisierte Sicht: Das Regime malte das kapita­
listische Europa in schwärzesten Farben, während der (euro­
amerikanische) Westen unter der rumänischen Bevölkerung -
zum Ausgleich - z. T. hoffnungsvolle Illusionen hervorrief.

DAS RESULTAT

Der Ertrag aus den vorliegenden Beiträgen ist weit größer als
bloß der, über die geschichtliche Entwicklung des Themas
Europa in Verbindung mit den Rumänen erfahren zu können. Im
folgenden seien einige besonders wichtige Aspekte hervorgeho­
ben.
1. Aus nahezu allen Beiträgen wird ersichtlich, daß der Kom­
munikation ein ziemlich großes Gewicht zugewiesen wird. Mit
18 Harald Heppner

anderen Worten, die durch politische und geistige Umstände be­


dingte - selbst gewählte oder von außen/oben auferlegte -
Isolierung zur (auch) westlichen Außenwelt hat den Rumänen in
ihrem Europa-Bewußtsein bzw. in ihrer Europa-Zugehörigkeit
entschieden geschadet - sei es in dem Sinn, daß sie die Wesens­
elemente »europäischer« Entwicklung lange Zeit nicht in sich
aufnehmen und verarbeiten konnten, sei es, daß sie der im 19.
Jahrhundert rascher werdende Entwicklungsrhythmus man­
gels »Trainings« überfordert hat.
2. Aus den Studien geht weiters hervor, daß die Europa-Idee
bei den Rumänen aufgrund der Entwicklungsdefizite und des
Bedürfnisses, die Mängel möglichst rasch auf »europäische«
Weise zu beheben, offenbar nicht weiter reichte als sich dem
Modell »Europa« anzuschließen. Die Rumänen wollten im euro­
päischen Westen aufgenommen werden, machten sich aber nicht
daran, ein neues Europa zu konzipieren, zu dessen Grundlagen
nicht bloß die einseitige Anpassung für die nicht-»europäischen«
Teile gezählt hätte.
3. Die Autoren sind sich - mittels der Einsicht, welche Rolle
die Aufklärung für das moderne Europa übernommen hat -
einig, daß der Weg nach »Europa« für die Rumänen sehr eng mit
Bildung zusammenhängt. Es waren hauptsächlich Gebildete, die
sich in »Europa« umschauten, verglichen und zu dem Schluß
kamen, die dort wahrgenommenen Errungenschaften seien bes­
ser (menschengerechter, schöpferischer?) als die eigene Tradi­
tion und daher zu übernehmen. Es lag, wenn auch keineswegs
ausschließlich, daher an der Tatsache, daß die Schicht der wirk­
lich Gebildeten (und nicht nur der Ausgebildeten) in Rumänien
relativ schwach geblieben ist, weshalb der »Weg nach Europa« zu
einem Langzeitproblem der Rumänen geworden ist.7
4. Die Art, wie die Autoren auf die zeitgenössischen Stimmen
geachtet haben, zeigt, daß die Peripherisierung keine postmo­

7 Siehe hiezu die aufschlußreichen Erläuterungen des ehemaligen rumäni­


schen Staatspräsidenten Ion Iliescu: Aufbruch nach Europa, Köln/Weimar/
Wien 1995.
»Die Rumänen und Europa«: eine Einleitung 19

derne Erscheinung oder gar eine »europäische« Fiktion ist. Ganz


im Gegenteil; es handelt sich darum, aufzuzeigen, daß das Ver­
langen, zu »Europa« zu gehören und »Europa« zu sein, schon weit
älter ist, als dies am Ausgang des 20. Jahrhunderts erscheinen
mag.
5. Trotzdem wäre es falsch, daraus abzuleiten, die Rumänen
hätten nichts anderes im Sinn gehabt, als seit Jahrhunderten
»Europäer« zu werden. Bei diesem Gedanken fällt der Blick auf
Kräfte, die in eine nicht-»europäische« Richtung weisen und die
in Konkurrenz zu »Europa« aufgetreten sind. Diese alternativen
Kräfte schimmern in den Aussagen der Autoren zwar durch, wer­
den aber weder von ihrem gestaltenden Wesen noch von ihrer
Tiefenwirkung her ausreichend erfaßt. Dazu gehören auf jeden
Fall die Ökumene der Orthodoxie ebenso wie jene (bislang viel
zuwenig erforschte) »Welt«, wie sie über Jahrhunderte das Os-
manische Reich symbolisiert hat. Dazu gehört sicherlich auch
das Stadt-Land-Gefälle, das erklärt, warum die »Europäisie-
rung« über Generationen hinweg nicht wirklich greifen konnte,
weil die strukturellen Voraussetzungen »am Land« gefehlt
haben.
6. Dem Leser allein schon des Inhaltsverzeichnisses wird auf­
fallen, daß die Aufmerksamkeit der rumänischen Autoren vor
allem dem 18. und 19. Jahrhundert gewidmet ist, wogegen das
20. Jahrhundert unterbelichtet bleibt. Dafür gibt es zumindest
zwei Erklärungen. Das dem rumänischen Autorenkollektiv ge­
stellte Thema war als neuartige Herausforderung gedacht - neu­
artig deshalb, weil im Zeitalter des Kommunismus ein derarti­
ges Thema, wenn überhaupt, kaum in so unbefangener Weise
hätte bearbeitet werden dürfen. Deshalb fingen die Forscher bei
den Wurzeln an, und diese liegen im vorliegenden Fall im
Aufklärungszeitalter, das seinem Wesen nach bei den Rumänen
weit über das Ende des 18. Jahrhunderts hinaus gereicht hat.
Die »bürgerlich-nationale« Ära Rumäniens seit 1918 sowie die
kommunistische Zeit werden derzeit hingegen erst langsam neu­
artig begriffen, verarbeitet und erklärt; deshalb scheint die Zeit
noch nicht reif, über alle Facetten des Themas »Europa« ausge­
20 Harald Heppner

gorene Erkenntnisse zu übermitteln, die über rumänische In­


terna hinausgehen.
7. Ein Desiderat verbleibt weiters die Klärung der Frage, wel­
che »negativen« Wirkungen der »Europa«-Kontakt hervorgeru­
fen hat. Dabei handelt es sich nicht nur um alle möglichen
Formen des Euro-Skeptizismus, sondern auch um die kollektive
Selbsteinstufung des Rumänentums (Minderwertigkeitsbilder
u. ä.). Auch darüber werden erst künftige Forschungen tiefere
Einblicke zu geben haben.
Will man einst über ein abgerundetes Bild zur Frage »Die
Rumänen und Europa« verfügen, bedarf es jedenfalls folgender
Voraussetzungen:

- einer auf die Wirkungsdimension abgestimmten Synthese


über die rumänischen Beziehungen zur Außenwelt (im her­
kömmlichen Sinn) als Kulisse,
- vertiefender Untersuchungen zur Frage der Europa-Rezep­
tion bei den Rumänen,
- der Berücksichtigung alternativer Brennpunkte für die Iden­
titätsbildung
- und der Beiziehung von Erkenntnissen, die sich aus dem Stu­
dium der Nachbarschaft (z. B. Bulgarien, Ungarn, Rußland,
Serbien, Ukraine etc.) gewinnen lassen,
um daraus zu ersehen, was rein rumänische Spezifika sind und
was nicht.
LEON ÇIMANSCHI und DUMITRU AGACHE

Die Rumänen und Europa:


Vorspiel im ausgehenden Mittelalter

EINLEITUNG

Obwohl der Europa-Begriff im Bewußtsein der rumänischen


Gesellschaft erst gegen Ende des sogenannten Mittelalters auf­
tauchte, kann sein Auftreten ohne den Blick in die Vergan­
genheit nicht verstanden werden. Das vorliegende Unterfangen
- völlig neuartig innerhalb der rumänischen Historiographie1 -
stößt jedoch auf erhöhte Schwierigkeiten, da die Quellen aus
jener Zeit weit davon entfernt sind, die Frage zufriedenstellend
zu beantworten, wie sich der mittelalterliche Rumäne den eu­
ropäischen Kontinent und die Welt, der er angehörte, überhaupt
vorgestellt hat. Man ist daher gezwungen, auf indirekte Quellen
und Belege auszuweichen, um auf diese Weise Etappen und
Wege der Entwicklung eines ansonsten unbestreitbaren Pro­
zesses aufzuhellen. Diese Behauptung beruht auf der Tatsache,
daß die Rumänen einen permanenten Kontakt mit den benach­
barten Staaten und Völkern unterhielten - im Falle der Über­

1 Zur Entwicklung der Europa-Idee im Westen, beginnend mit dem Humanis­


mus und der Renaissance, siehe Bernard Voyenne: Histoire de l’idée eu-
ropéenne. Paris 1964; Federico Chabod: Storia dell ideea d’Europa, Bari 1967.
Zu seiner Genese siehe Fernand Braudel: Gramática civilizapilor, Vol. II,
Bucureçti 1994, S. 9-71. Der rumänische Umkreis wurde aus dieser Per­
spektive vor allem in Hinblick auf das Jahrhundert der Aufklärung in
Betracht gezogen, als die Europa-Idee einen präzisen Inhalt erhielt. Vgl. A.
Dufu: Cultura romänä in civilizaba europeanä moderna, Bucureçti 1978;
Adrian Marino: »Luminile« româneçti §i descoperirea Europei. In: Revista de
istorie §i teorie literarä 28/1, Bucureçti 1979, S. 27-48; derselbe: Pentru
Europa. Integrarea Romäniei. Aspecte ideologice §i cultúrale, Ia§i 1995;
Alexandru Husar: Ideea europeanä sau Noi §i Europa (istorie, cultura, civi-
lizafie), Iaíji-Chiçinãu 1993; Veniamin Ciobanu: Evolufia conceptului de
»Europa« §i »European«. Citeva considerafü istoriografice. In: G. Bädäräu, L.
Boicu, L. Nastasä (Hg.): Istoria ca lecturä a lumii, Iaçi 1994, S. 145-153.
22 Leon ¡jimanschi und Dumitru Agache

fälle und Vorherrschaften von außen einen erzwungenen Kon­


takt, im Falle der vielen Reisenden, Kreuzritter, Missionare,
Kaufleute oder Gesandten, die den von Rumänen besiedelten
Raum besuchten2, einen unerzwungenen Kontakt.
Trotz des Risikos mancher Wiederholungen folgt die Darstel­
lung dem chronologischen Prinzip, und so reicht der Bogen vom
Vorabend rumänischer Staatlichkeit über den Fall Konstan­
tinopels (1453), das bis dahin ein zentraler Bezugspunkt für die
Rumänen gewesen war,3 bis zur Errichtung der osmanischen
Vorherrschaft in der Mitte des 16. Jahrhunderts4, die die Ent­
wicklungsmöglichkeiten sowie die Synchronisation mit dem
europäischen Westen sehr einschränkt hat.
Weiters ist darauf hinzuweisen, daß diese Studie die inner-
karpatische Entwicklung nur am Rande streifen kann, da die
rumänische Bevölkerung Siebenbürgens von Anfang an in einen
Zustand der Inferiorität geriet. Deren Zugang zu gesellschaft­
lichen und kulturellen Rahmenbedingungen, wie sie die Nicht­
rumänen daselbst besaßen, bedeutete in der Regel das Ende tra­
ditioneller Zugehörigkeit, so daß ein Rumäne, zumal wenn er
eine anerkannte Persönlichkeit wurde, nur mehr indirekt das
Volk seiner Herkunft repräsentierte.5
Schließlich gilt festzuhalten, daß sich die folgenden Ausfüh­
rungen nur auf die Führungsschichten beziehen, da sie - wie
überall in Europa - die einzigen waren, die Kontakt mit der
Außenwelt oder die Chance hatten, zu Büchern und Bildung zu

2 Nicolae Iorga: Istoria Romànilor prin càlàtori I—II, Bucure§ti 1981, S. 61-300;
Maria Holban (Hg.): Càlàtori stràini despre (àrde romàne I—Vili, Bucure§ti
1968-1983, passim.
3 Ràzvan Theodorescu: Bizanf, Balcani, Occident. La ìnceputurile culturii me­
dievale romànegti (secolele X-XTV), Bucure§ti 1974, S. 130 f.
4 Regimili dominapei otomane. In: Istoria Romàniei II, Bucure§ti 1962,
S. 776-799; §t. Gorovei: Moldova in »Casa pàcii«. Pe marginea izvoarelor pri-
vind primul secol de relapi moldo-otomane. In: Anuarul institutului de isto­
rie §i arheologie »A. D. Xenopoi« (= AILAI) XVII, Ia§i 1980, S. 659-666.
5 fjerban Papacostea: Geneza statului in Evul Mediu romànesc, Cluj-Napoca
1988, S. 76-96; Victor Neumann: Tentapa lui Homo Europaeus. Geneza spi-
ritului modem in Europa Centrala §i de Sud-Est, Bucure§ti 1991, S. 43 ff.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 23

kommen, denn die Masse der Bevölkerung verharrte bis weit ins
19. Jahrhundert hinein in der traditionellen Autarkie bäuer­
licher Gemeinschaften.

DIE ANFÄNGE RUMÄNISCHER STAATLICHKEIT

Von den Enklaven der orientalischen Romanität südlich der


Donau getrennt, bildete sich - lang nach dem Fall des byzanti­
nischen Limes und lang nach der slawischen Kolonisierung - das
Rumänentum als eine eigenständige ethno-linguistische Entität
heraus, die sich im ehemaligen geto-dakischen Territorium be­
fand. Die Gemeinschaft mit den benachbarten südosteuropäi­
schen Völkern beruhte auf der Zugehörigkeit zur Ostkirche6 und
zur Unterordnung unter das Patriarchat von Konstantinopel.7
Auf diese Beziehungen kommt eine moldauische Chronik des 15.
Jahrhunderts zu sprechen. Dort heißt es, die Nachkommen
Romans und Vlahatas als eponyme Helden des Volkes hätten
nach dem Verlassen der »Festung Venedig« friedlich auf dem
Territorium des »Alten Rom« (d. h. des Byzantinischen Reiches)
gelebt, ehe »Papst Formosus die Trennung zur Orthodoxie zum
lateinischen Gesetz« erhob, wodurch sich diese später, zur Zeit
des Königs Ladislaus von Ungarn, im Nordwesten Siebenbür­
gens niedergelassen hätten.8 Das Bild von der Kirchentrennung
bestand in der Walachei noch im 17. Jahrhundert, als Mihail
Moxa niederschrieb, daß infolge jener Entscheidung »die Grie­
chen mit den Römern brachen«.9 Gemäß dem cantacuzinischen
Anonymus »traten die Rumänen ins Dasein«, nachdem »sie sich

6 Valentin Al. Georgescu: Institupile statelor romäne§ti de-sine-stätätoare. In:


Constituirea statelor feudale romäne§ti, Bucure^ti 1980, S. 209-213.
7 Mircea Päcurariu: Istoria bisericii ortodoxe romäne§ti I, Bucure§ti 1980,
S. 204-211.
8 Cronica moldo-rusä. In: H. P. Panaitescu (Hg.): Cronicüe slavo-romäne din
sec. XV-XVI publicate de Ion Bogdan, Bucure§ti 1959, S. 158. Siehe auch:
Letopiseful de la Putna I, wo korrekt über den »Papst des Alten Rom« be­
richtet wird. Ebenda, S. 48 f.
9 Mihail Moxa: Cronica universalä, Bucure§ti 1989, S. 172.
24 Leon ¡jimanschi und Dumitru Agache

von den Römern trennten und gegen Norden auswanderten«.10


Dies ereignete sich tatsächlich im 9. Jahrhundert, nachdem sich
die Bulgaren zur Christianisierung entschlossen hatten und
Papst Nikolaus I. bei dieser Gelegenheit eine neue Kirche grün­
den hatte wollen, um seine Jurisdiktion zu erweitern. Der Be­
schluß des Ökumenischen Konzils in Konstantinopel (869/870),
wonach das bulgarische Erzbistum zum Patriarchat gehören
solle,11 setzte für das kommende Schisma ein erstes Zeichen. Für
die rumänische Bevölkerung erwies sich dieser Beschluß nach­
träglich von höchster Wichtigkeit, denn in weiterer Folge war sie
angehalten, die lateinische Sprache in den Kulthandlungen auf­
zugeben12 und von den Bulgaren die sogenannte kirchenslawi-
sche (»slawonische«) Sprache, Schrift und Liturgie zu überneh­
men. So entfernten sich die Rumänen von der als häretisch
geltenden westlichen Romanität und übten sich fortan in einem
kulturellen »Slawonismus«13, der sie von einer unmittelbaren
Rezeption abendländischer Werte abhielt.
Das Bestehen des bulgarischen Staates an der unteren Donau
unter den Aseniden (12.-14. Jahrhundert) bedeutete für die
Rumänen eine Vertiefung der Bindungen an den Balkanraum,
während das Vordringen der Magyaren ein Ende jener West­
verbindungen herbeiführte, die zuvor mit dem sogenannten
Großmährischen Reich existiert hatten.14 Die Eroberung Sie­
benbürgens, die Vormachtstellung der Petschenegen und Ru­
mänen in der Steppe15, gefolgt von jener der Tataren16, und

10 C. Grecescu, D. Simonescu (Hg.): Istoria färii Romäne§ti, 1290-1690. Leto-


pisetul cantacuzinesc, Bueure§ti 1960, S. 1.
11 Dimitrie Onciul: Scrieri istorice II, Bucure§ti 1968, S. 9,14 ff.
12 Ebenda, S. 12; A. D. Xenopoi: Istoria Romänilor din Dacia Traianä. III. Ausg.,
Bucure§ti 1925, S. 117 f.
13 R P. Panaitescu: »Perioada slavonä« la Romàni §i ruperea de cultura apusu-
lui. In: Silvia Panaitescu (Hg.): Contributo la istoria culturii romanead,
Bucure§ti 1971, S. 18-48.
14 P. Olteanu: Aux origines de la culture slave dans la Transylvanie du Nord et
de la Maramure?. In: Romanoslavica I, Bucure§ti 1958, S. 172 f.
15 Victor Spinei: Realitäp etnice §i politice in Moldova meridionalä in secolele
X-XIII. Romi §i turanici, Ia§i 1985, S. 147-161.
16 Al. Gon^a: Romänii §i Hoarda de Aur, 1241-1502, München 1983, S. 42 f.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 25

schließlich deren Festsetzung im Südwesten der Moldau und in


Teilen Munteniens (große Walachei) ließen die alten Kontakte zu
Galizien, Wolhynien und Kiew verkümmern.
Diese Umstände bewirkten, daß der Prozeß der rumänischen
Staatsgründung und Identitätsbildung mehrmals unterbrochen
wurde17 und nicht, wie es theoretisch möglich gewesen wäre, in
der Konzentrierung aller Energien auf eine »Karpatenfestung«18
hinauslief, sondern - mit dem Entstehen zweier typologisch
gleichartiger Staaten (Walachei und Moldau) - auf eine Zertei­
lung der Energien. Aus der rumänischen Reaktion auf die tata­
rische Vorherrschaft und auf die ungarische Expansion geboren,
belebten die beiden neuen rumänischen Staaten die Verbin­
dungen zum Balkan wieder, vor allem zum Patriarchat von Kon­
stantinopel, das ihre Eigenständigkeit und kirchliche Autonomie
anerkannte.

RELIGIÖSES GEGEN- UND NEBENEINANDER

Nach der Erringung der Unabhängigkeit gegenüber Ungarn


(1330 bzw. 1359) konnten die Moldau und Walachei bis zur Mitte
des 15. Jahrhunderts ihre Beziehungen zum europäischen We­
sten auf- und ausbauen. Trotz gewisser eigener Initiativen hatte
dieser Prozeß dennoch einen vorwiegend passiven Charakter,
vor allem, wenn es um Abwehr von Eindringlingen und die
Verteidigung der Eigenständigkeit ging.
Ein erster neuartiger Faktor bestand im religiösen Prosely-
tismus, beginnend im 13. Jahrhundert durch die Gründung des
sogenannten Kumanenbistums (später: Bistum von Milcov)19,
dann durch die zeitweilige Präsenz des Deutschen Ritterordens

17 iperban Papacostea: Romänii in secolul al XIII-lea. Intre cruciadä §i Imperiul


mongol, Bucure§ti 1993, S. 186 ff.
18 C. C. Giurescu: Transilvania in istoria poporului romän, Bucure§ti 1967, pas­
sim.
19 Papacostea: Romänii, S. 66-69, 81 ff.; Victor Spinei: Moldova in secolele
XI-XTV, Bucure§ti 1982, S. 264—268.
26 Leon §imanschi und Dumitru Agache

im südostsiebenbürgischen Burzenland oder des Johanniter­


ordens im Severiner Banat20, vor allem aber durch die Aktivität
der lateinischen Mönchsorden, die vor oder nach den ungari­
schen und polnischen Expansionsversuchen auftauchten. Die
erste Reaktion auf diesen Fremdfaktor war Ablehnung, die
manchmal gewaltsam zum Ausdruck kam, wie dies z. B. beim
Rumänischen Erzbistum der Fall war, dessen »Grund, Güter und
Rechte« nach dem Ende des Tatareneinfalls »a potentatibus illa-
rum partium« usurpiert wurden,21 oder in Siret, wo im Jahre
1340 zwei Franziskaner das Martyrium erlitten.22 Die Ver­
festigung der staatlichen Strukturen und eine gewisse persönli­
che Sicherheit lösten eine Zuwanderung katholischer Kolonisten
(Siebenbürger Sachsen und Magyaren) aus, die in den Städten
mit den Ortsansässigen, wie die archäologischen Spuren bele­
gen23, in Toleranz zusammenlebten. Die neue Gemeinschaft­
lichkeit setzte sich um so mehr deshalb durch, weil die Herrscher
gegenüber den Verkündern des katholischen Glaubens eine
wohlwollende Haltung einnahmen, Maßnahmen zu ihren Gun­
sten ergriffen24, ihnen eigene Einkommen einräumten25 und
sogar die Gründung katholischer Bistümer zuließen: in der
Moldau die Bistümer in Siret (1370) und Baia (1420), in der
Walachei in Severin (1369/1381) und in Arge§ (1380).26 Die Ehen
einiger Fürsten mit katholischen Adligen (Vladislav-Vlaicus
1364-1377 mit Fürstin Clara oder Alexanders des Guten 1400-

20 Maria Holban: Din crónica relapilor romäno-ungare in secolele XIII-XTV,


Bucure§ti 1981, S. 9-89.
21 Eudoxiu de Hurmuzaki: Documente privitoare la istoria romänilor I, Bu-
cure^ti 1887, S. 622 f.
22 Gh. I. Moisescu: Catolicismul in Moldova pinä in secolul al XVI-lea, Bucure?ti
1942, S. 87, Anmerkung 2, und S. 91-95.
23 Siehe etwa Eugenia Neampi, Vasile Neamfu, Stela Cheptea: Ora§ul medie­
val Baia in secolele XTV-XV1I, Ia§i 1980, S. 145-156.
24 Documenta Romaniae Histórica. Seria D: Relafii intre färile romane (= DRH
D) I, Bucureijti 1977, S. 98 f.
25 DRH A: Moldova. Vol. I, Bucure^ti 1975, S. 1 f.
26 Stefan Pascu: Contribufii documentare la istoria Romänilor in sec. XIII. §i
XIV, Cluj 1944, S. 40, 64-67.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 27

1431 mit Rimgalia27), vor allem aber die Konversion des Fürsten
La^cu (1368-1375) mit Einwilligung des Papstes von Avignon28
sprechen eine symbolhafte Sprache. Einen günstigen Augenblick
für weitere päpstliche Initiativen gab es in der Moldau kurzfri­
stig nach dem Tode La^cus, als die Regentschaft 1377/1378 in den
Händen von Margareta Mu§ata lag - »Domina Valachiae
Minoris«, wie sie in der päpstlichen Korrespondenz hieß, und an­
scheinend überzeugte Katholikin.29Als Mutter des Thronfürsten
Petru (1376-1391) ließ sie den in Siret niedergelassenen Domi­
nikanern eine effektive Unterstützung zukommen und konnte so
das Schicksal des katholischen Proselytismus auf rumänischem
Boden tatsächlich entscheidend beeinflussen. Äußerst bedeut­
sam ist in dieser Hinsicht auch der Gebrauch der lateinischen
Sprache, die in den offiziellen Kanzleien - in der Moldau bis 1387
sogar exklusiv - sowie bei Siegeln und Münzinschriften ange­
wandt wurde.30
Im Unterschied zu den Erfolgen der katholischen Propaganda
in höfischen Kreisen war das Echo in der rumänischen Land­
bevölkerung gänzlich unbedeutend. Das läßt sich annehmen,
wenn man berücksichtigt, daß fast alle vom Papst ernannten
Priester über fehlende Einkommen klagten und daher im
Ausland residierten. Aus diesem Grunde ließ die katholische
Offensive an Intensität wieder nach, und die Bischöfe trachteten
vor allem danach, die erreichten Positionen zu halten. Dennoch

27 Ungewiß bleibt die erste Heirat Alexanders des Guten, ebenfalls mit einer
Katholikin (Margareta), die später in der Kirche von Baia einen Votivstein
erhalten sollte (siehe Leon §imanschi und Georgeta Ignat: Constituirea can-
celariei statului feudal moldovenesc I. In: AIIAIIX/1972, S. 115, Anmerkung
40).
28 Carol Auner: Episcopia de Siret. In: Revista católica II/2, Bucure§ti 1913,
S. 242 f.
29 Ebenda, S. 244; Pascu: Contribufii documentare, S. 44.
30 Dimitrie Ciurea: Observafii pe marginea documentelor latine romäne§ti,
Alba Iulia 1945, passim; Emil Virtosu: Din sigilografía Moldovei §i a färii
Romäne§ti. In: Documente privind istoria Romäniei. Introducere II, Bu-
cureijti 1956, S. 336; ijimanschi, Ignat: Constituirea cancelariei, S. 113 f.,
117-121,124 f.
28 Leon ¡jimanschi und Dumitru Agache

nahmen am Konzil von Konstanz (1415) auch moldauische


Gesandte teil,31 und am Konzil in Florenz (1439) weilte sogar der
Metropolit Damian selbst, der zusammen mit Erzpriester Con-
stantin und Logofät Neagoe die Unionsurkunde unterschrieb.32
Die ökumenische Synode lehnte diesen Vertrag jedoch ab und
exkommunizierte die Unterzeichner.
Mit dem zweiten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts eröffnete
sich den Rumänen zeitweilig eine neue, abermals von außen
kommende Orientierungsmöglichkeit, und zwar von seiten der
böhmischen Hussiten.33 Obwohl sie sich einer Union mit der or­
thodoxen Kirche geneigt zeigten und obwohl sie den Schutz der
Dynasten gegen die Katholiken genossen, stießen die geflohenen
Hussiten innerhalb der orthodoxen Gegebenheiten auf keine
günstigen Bedingungen für ihre religiöse Propaganda. Immer­
hin propagierten sie die Verwendung der Volkssprache im reli­
giösen Leben.34

HANDELSKONTAKTE ALS BRÜCKE ZUM WESTEN

Umfassender und auch wirksamer als auf religiös-kirchlicher


Ebene kamen die Rumänen über den Handel mit dem Abendland
in Berührung, den dieses nach dem Orient führte. Wie schon
früher hörte die Donau nicht auf, ihre Anrainer zueinander zu
bringen35, und selbst die Wandervölker zeigten sich am Waren­
verkehr, an dem sie großen Gewinn hatten, interessiert.36 Nach

31 Constantin I. Karadja: Delegaci din {ara noasträ la Consiliul de la Constando


(Baden) in anul 1415. In: Analele Academiei Romàne. Secpunea istoricä
(= AARSI). Seria III, Bd. VII, Bucureçti 1927, S. 66 f.
32 C. Auner: Moldova la soborul din Floren{a. In: Revista catolicä IV, Bucureçti
1915, S. 379 f.
33 Mihail P. Dan: Romàni, cehi §i slovaci, Sibiu 1944, S. 64-88, 99-104.
34 I. C. Chipmia: Probleme de bazâ ale literaturii romàne vechi, Bucureçti 1972,
S. 91,108: Implicaci culturale ale miçcârii huiste în Polonia sji Moldova.
35 W. Heyd: Histoire du commerce du Levant au Moyen Age II, Leipzig 1936,
S. 720-730; Paul Gogeanu: Dunârea în relapile internationale, Bucureçti
1970, S. 12-18.
36 Spinei: Moldova, S. 96-102, 202-217; §t. Olteanu: Comer{ul pe teritoriul
Moldovei §i Tàrii Româneçti în secolele X-XTV. In: Studii XXII/5, Bucureçti
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 29

der Gründung der Moldau und Walachei nahm der Handel zu,
weil den Kaufleuten nun bessere Reisewege und erhöhte Si­
cherheit geboten wurden.37 A uf diese Weise verfestigten sich die
Endpunkte der beiden großen Handelswege, die Zentraleuropa
oder gar den Atlantik über Buda und Kronstadt/Bra§ov oder
Lemberg/L’viv und Krakau/Kraköw mit den Donauhäfen Bräila,
Chilia und Vicina oder mit den nordpontischen Städten Cetatea
Albä und Kaffa verbanden. Einer der Wege (»Tatarenweg«)
führte entweder am linken Ufer des Dnjestr entlang oder über
das Territorium des Fürstentums Moldau (»via valachiensis«).38
Der Hafenverkehr, der im wesentlichen in den Händen der
Genueser lag, brachte Waren aus dem Mittelmeerraum oder aus
dem Orient an die Schwarzmeerküste und steigerte die Kon­
takte zu den Anrainerländern39, ebenso wie der Handel der
Ragusaner Kaufleute vor allem in der Walachei ähnliche Brük-
ken zur Adriaküste schlug.40
Die wachsende Intensität des Transithandels ließ die beiden
Fürstentümer fette Gewinne machen. Bezeichnend hiefür sind
folgende Summen: Basarab I. verfügte in der Walachei im Jahre
1330 über 7000 Silbermark, während Petra Mu§at in der Mol­
dau im Jahre 1388 3000 welsche Silberrubel errang.41 Die

1969, S. 849-874; C. C. Giurescu: Le commerce sur le territoire de la Moldavie


pendant la domination tartare (1241-1352). In: Nouvelles études d’histoire
III, Bucureçti 1965, S. 55-70.
37 Çerban Papacostea: începuturile politicii comerciale a 'fårii Româneçti §i
Moldovei (secolele XIV-XVI). Drum §i stat. In: Geneza statului, S. 151-204.
38 N. Iorga: Istoria comerpilui românesc. Epoca veche, Bucure§ti 1937, S. 75 f.,
87-90; Ion I. Nistor: Handel und Wandel in der Moldau bis zum Ende des XVI.
Jahrhunderts, Cernàufi 1912, S. 13.
39 G. I. Brâtianu: La Mer Noire. Des origines à la conquête ottomane, München
1969, S. 171-184; Colocviul româno-italian »Genovezii la Marea Neagrå in
secolele XIII-XTV«, Bucuresti 1977, passim.
40 Nicolae Iorga: Raguse et les Roumains. In: Bulletin de l’Institut pour études
de l’Europe sud-orientale X, Bukarest 1923, S. 34-44; Al. Grecu (R P. Panai-
tescu): Relapile Rårii Române§ti çi ale Moldovei eu Raguza, sec. XV-XVIII.
In: Studii II/3, Bucureçti 1949, S. 105-112.
41 Octavian Iliescu: Despre natura juridicå çi importanza despågubirilor oferite
de Basarab voievod regelui Carol Robert (1330). In: Studii §i materiale de
istorie medie V, Bucuresti 1962, S. 139 ff; derselbe: Le prêt accordé en 1388
30 Leon ¡pimanschi und Dumitru Agache

Kaufleute brachten nicht nur Waren, sondern auch Informatio­


nen über ansonsten unbekannte Städte und Länder, über be­
sondere Ereignisse und Zustände, und gaben hiedurch den An­
stoß zu ähnlichen Entwicklungen.
Obwohl die Ausdehnung des Städte- und Verkehrsnetzes in
den beiden Donauländern42 auf Fortschritt hindeutet, konnte
von einer Synchronisierung mit dem westlichen Europa vorläu­
fig nicht die Rede sein. Die Grenzen der Wahrnehmung des
Auslandes gehen aus dem Privileg Mirceas des Alten (1386-
1418) klar hervor, das er 1413 der Stadt Kronstadt erteilte:
Hierin werden Samt aus Ypern/Ypres, von Löwen/Louvain oder
von Köln erwähnt, weiters böhmisches oder polnisches Tuch
sowie die »welschen« Mützen.43 In einem ähnlichen Sonderrecht
des siebenbürgischen Fürsten Stibor aus dem Jahr 1412 für die
Stadt Bistritz werden die gleichen oder ähnliche Produkte er­
wähnt. Auch die Kanzlei Alexanders des Guten erteilte der Stadt
Lemberg (1408) oder den Kronstädter und Burzenländer Kauf­
leuten ähnliche Privilegien.44 1419 gelangten in die Moldau
sogar englisches Tuch und rote »Scarlatto-Mitren« aus Italien.45
Hiedurch wird erklärlich, wieso die ersten Angehörigen der
Basarab-Dynastie (siehe die Fresken in Cozia und Curtea de
Arge§) oder die moldauischen Abgesandten beim Konstanzer

par Pierre Mu§at a Ladislaus Jagellon. In: Revue roumaine d’histoire 12/1,
Bucuresti 1973, S. 123-138.
42 Nistor: Handel und Wandel, S. 13-33; Iorga: Istoria comerfului románese,
S. 58-74,78-84; Emilian Diaconescu: Vechi drumuri moldovene§ti, Iasji 1939,
S. 6-77; Alexandru I. Gonfa: Legäturile economice dintre Moldova §i Tran-
silvania in secolele XIII-XVII, Bucuresti 1989, S. 15-45.
43 DRH D. I, S. 198, S. 200; siehe auch Radu Manolescu: Comerful Tärii
Romäne§ti cu Bra§ovul (secolele XTV-XV), Bucuresti 1965, S. 147.
44 DRH D. I, S. 190 f.; Mihai Costächescu: Documente moldovene§ti inainte de
¡jtefan cel Mare, Ia§i 1932, S. 634 f., 769; siehe auch Confa: Legäturile eco­
nomice, S. 57 f.
45 Nicolae Iorga: Studii §i documente cu privire la istoria romånilor XXIII,
Bucuresti 1913, S. 293 f.; derselbe: Istoria comerfului románese, S. 84.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 31

Konzil46 vorwiegend westliche Kleidung trugen, wie auch die


Aronsstäbe47, die sich die Wohlhabenden besorgen konnten.

DIE REZEPTION WESTLICHER RECHTSGEWOHNHEITEN

Außer über Religion und Handel beeinflußte der Westen die ru­
mänischen Fürstentümer auch im juridischen Bereich. Obwohl
das Magdeburger Recht nicht angewandt wurde, entliehen die
städtischen Gemeinschaften organisatorische Formen aus Sie­
benbürgen oder Polen, indem sie Bürgermeister einsetzten, die
in der Moldau »§oltuz« (dt. Schultheiss) oder »voit« (dt. Vogt)
hießen. In der Walachei hingegen erhielt dasselbe Organ den
Namen »jude£« (slaw. sudec). Ihm zur Seite stand ein Rat von 12
»pirgari« (dt. Bürger).48 Ein anderes Beispiel von Vorbildwir­
kung sind die moldauischen und walachischen Staatswappen,
deren Ursprung auf die Siegel der von den Sachsen gegründeten
Städte Baia und Cimpulung zurückgehen.49
Die Herrscherhöfe übernahmen noch weitere Praktiken aus
dem Abendland. So besaßen beide Dynastien Wappen ä la Anjou,
auf denen rechts gespaltene Faszes und links in der Moldau
Lilienblüten, in der Walachei hingegen Halbmond und Stern zu
sehen sind.50 Ähnliche Einflüsse beweisen auch einige unge­
wöhnliche Herrschersiegel, die entweder die Hypostase einer

46 Alexandru Alexianu: Mode §i ve§minte din trecut I, Bucuresti 1987, S. 45-66;


Corina Nicolescu: Istoria costumului de curte in {árile románe. Secolele
XTV-XVIII, Bucuresti 1970, S. 86-105; Karadja: Delegap din tara noasträ,
S. 59-63.
47 Hurmuzaki: Documente 1/2, Bucuresti 1890, S. 567; M. Costächescu: Docu-
mente moldovene§ti II, S. 785; siehe auch Dinu Giurescu: Tara Romåneasca
in secolele XTV-XV, Bucuresti 1973, S. 328-331.
48 V. Costächel, R P. Panaitescu, M. Cazacu: Via(a feudalä in Tara Romäneascä
§i Moldova (sec. XIV- XVII). Bucuresti 1957, S. 427-430; Ovid Sachelarie,
Nicolae Stoicescu: Institupi feudale din Tärile Románe. Dicfionar, Bucuresti
1988, S. 363, 464 f.
49 Virtosu: Din sigilografia, S. 459 ff.
50 Dan Cemovodeanu: §tiin(,a §i arta heraldicä in Romånia, Bucuresti 1977,
S. 63-68, 106-112; Lia Bätrina: Märturii heraldice cu privire la inceputurile
statului feudal independent Moldova. In: Constituirea statelor, S. 197-208.
32 Leon Çimanschi und Dumitru Agache

Majestät oder das schräg von einem zweiten Balken geteilte


Kreuz mit Drachen darstellen, wie z. B. das Wappen von Vlad
Dracul, der seit 1431 Mitglied des sogenannten Drachenordens
gewesen ist.51
Diesen Beispielen können die Urkundenformulare hinzugefügt
werden, die in den Kanzleien der beiden Länder Verwendung fan­
den: Sie haben vor allem in der Moldau viele Ähnlichkeiten mit
den lateinischen Urkunden aus Ungarn und Polen52 und sind
Ausdruck der Notwendigkeit, sich nach den benachbarten und ex­
pansiven Reichen zu richten.53 Obwohl sie im Innern die Macht
»Dei gratia« besaßen und in diesem Geiste ausübten, wurden die
rumänischen Vojvoden doch genötigt, die Vasallität gegenüber
Ungarn oder Polen hinzunehmen; einzig das Abkommen zwischen
Mircea dem Alten und Sigismund von Luxemburg, das 1395 in
Kronstadt geschlossen wurde, folgte partnerschaftlichen Grund­
sätzen.54 Sowohl die Fürsten als auch ihre Ratgeber kannten
daher das Zeremoniell der Huldigung, des Treueschwurs und des
Versprechens von »consilium et auxilium«, wie dies zwischen" 1387
und 1456 aus einer Reihe von Urkunden der moldauischen
Fürsten zugunsten der Jagiellonen zu entnehmen ist.55
Um das Verhältnis zur westlichen Nachbarschaft zu illustrie­
ren, bedarf es auch des Blicks nach Süden, woher die Osmanen
im späten 14. Jahrhundert vordrangen und ihren Einfluß auf die

51 Ilie Minea: Vlad Dracul §i vremea sa. In: Cercetári istorice IV/1, Bucureçti
1928, S. 99 f.; Vírtosu: Din sigilografia, S. 354 f., 363-368.
52 N. Grãmadã: Cancelaria domneascã in Moldova pínã la domnia lui Con­
stantin Mavrocordat. In: Codrul Cosminului IX, Iaçi 1935, S. 154 f.; Damian
P. Bogdan: Diplomatka româno-slavà, Bucureçti 1978, S. 35 f.
53 E. Hurmuzaki: Documente 1/2, S. 483-487; Florin Constantiniu, Çerban
Papacostea: Tratatul de la Lublau (15 martie 1412) §i situala internaponalà
a Moldovei la inceputul secolului al XV-lea. In: Štúdii 17/15, Bucureçti 1964,
S. 1129-1140; P. P. Panaitescu: La route commerciale de Pologne à la Mer
Noire au Moyen Âge. In: Revista istoricä romàna III, Bucureçti 1933,
S. 172-193; Papacostea: Geneza statului, S. 151-204.
54 Siehe DRH D. I, S. 138-142.
55 C. RacoviÇã: începuturile suzeranitäpi polone asupra Moldovei. In: Revista
istoricä românã X, Bucureçti 1940, S. 237-332; Sachelarie, Stoicescu: Inšti­
túcii feudale, S. 341, 492 f.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 33

rumänischen Länder auszudehnen versuchten. Mit der »Unter­


werfung« und Zahlung eines Tributs gelang es jedoch, den Status
einer osmanischen Provinz (Paschalik) abzuwenden. So verfuh­
ren Mircea der Alte in seinen letzten Herrschaftsjahren und sein
Sohn Mihail in der Walachei sowie Petru Aron 1456 in der Mol­
dau.56 Obwohl diese neue Abhängigkeit einerseits die Bindung
an den Balkan wiederbelebte, verringerte die türkische Gefahr
andererseits die mentale Distanz der rumänischen Gesellschaft
gegenüber dem katholischen Westen: In Opposition zum nahen
Islam kam es zur Aufwertung der Christengemeinschaft, die als
Vorläuferidee »Europas« gedeutet werden kann.

AUSSENKONTAKTE IN RÜCKGANG

Die militärischen und diplomatischen Aktivitäten seit dem


Entstehen der Moldau und Walachei hatten zum Ziel, die einmal
errichteten Außengrenzen zu verteidigen57 und im Interesse der
Stabilität auch außer Landes aufzutreten. Auf diese Weise ge­
langte das walachische Heer zur Zeit Mirceas des Alten u. a. bis
nach Adrianopel (1411) und Thessaloniki (1416).58 Desgleichen
beteiligten sich die Rumänen an den von Ungarn geführten
Auseinandersetzungen gegen die Osmanen bei Nikopolis (1396)
und Varna (1444) oder an den Aktionen der päpstlich-burgundi-
schen Flotte auf der Donau (1445).5960Nicht weniger aktiv ver­
fuhren auch die moldauischen Streitkräfte in den Schlachten bei

56 Mihai Maxim: Cu privire la infelegerile de pace romäno-otomane din timpul


lui Mircea cel Mare. In: Marele Mircea voievod, Bucure§ti 1987, S. 392-395.
Für die Moldau siehe die Urkunde, die die »Unterwerfung« bestätigt, in: DRH
A. II, S. 85 ff.; siehe auch Mustafa A. Mehmed: Din raporturile Moldovei cu
Imperiul otoman in a doua jumätate a veacului al XV-lea. In: Studii XIII/5,
Bucure§ti 1960, S. 165-168; Gorovei: Moldova, S. 633-639.
57 Papacostea: Geneza statului, S. 64 £, 76,112, etc.
58 Tahsin Gemil: Raporturile romäno-otomane in vremea lui Mircea cel Mare.
In: Marele Mircea voievod, S. 257, 262.
59 Holban (Hg.): Cälätori sträini I, S. 81-122.
60 Jan Dlugosz: Historiae Polonicae. Lipsca I. libr. X-XII, col. 415; C. Cihodaru:
Alexandru cel Bun, Ia§i 1984, S. 244 f, 261 f.
34 Leon Çimanschi und Dumitru Agache

Grünwald (1410) und Marienburg (1422)60, als es darum ging, an


der Seite Polens gegen die Deutschordensritter zu kämpfen, oder
auch gegen Polen bei Kamieniec und Halicz (1431)61, um den von
den Osmanen auferlegten Vasallitätspflichten zu entsprechen.
Die Bemühungen zur Verteidigung der Existenz und territo­
rialen Integrität verliehen den beiden rumänischen Staaten
zwar ausreichendes Gewicht, um bei dem Machtkalkül im Raum
zwischen Karpaten und Schwarzmeerküste nicht außer acht ge­
lassen zu werden, doch eröffneten sich angesichts dieser Lage für
Jahrhunderte keine Chancen mehr, mit dem europäischen We­
sten in näheren Kontakt zu treten. Der Einverleibung der Do-
brudscha in das Osmanische Reich bedeutete für die Walachei
einen schwerwiegenden Substanzverlust, da das Schwarze Meer
nun nach und nach keinen Zugang mehr zum Orient oder zum
Mittelmeerraum erlaubte, sondern letztlich in einen türkischen
Binnensee verwandelt wurde.62
Neben den militärischen Aktionen, die die Rumänen und ihre
Verbündeten oder Feinde sui generis zusammenführten, vermit­
telten die diplomatischen Kontakte die Reflexion der Außenwelt
de visu: Ofen/Buda und Krakau, Konstanz und Florenz, Kon­
stantinopel und Adrianopel, Lublin und sogar Nowgorod waren
Zielpunkte moldauischer oder walachischer Gesandtschaften.
Ähnliche Berührungserlebnisse ergaben sich durch ins Exil ge­
hende Bojaren (erstmals 1359 nachweisbar63) und Thronan­
wärter, deren Zahl mit den längeren Herrschaften von Mircea
dem Alten und Alexander dem Guten beachtlich anwuchs.64
Auch das gesellschaftliche Leben der feudalen Kreise schuf

61 Ilie Minea: Politica orientalà a împâratului Sigismund, Bucureçti 1919,


S. 209-213; Veniamin Ciobanu: Târile române §i Polonia. Secolele XTV-XVI,
Bucureçti 1985, S. 44 f.
62 Brâtianu: La Mer Noire, S. 301 ff.; Michel Balard: Gênes et la Mer Noire
(XIIIe-XTVe siècle). In: Revue historique CCLXX, Paris 1983, S. 31-54.
63 DRHD. I,S. 74.
64 A. D. Xenopol: Lupta între Drâculeçti §i Dàneçti. In: AARMSI Séria II/XXX,
Bucureçti 1907-1908, S. 183-272; Minea: Vlad Dracul, S. 55-276; Leon
Çimanschi: Precizâri cronologice privind istoria Moldovei între 1432 §i 1447.
In: AILAIVII/1970, S. 80; Çt. Gorovei: Muçatinii, Bucureçti 1976, S. 49- 57.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 35

Einblicke: Am Turnier in Ofen (1412) nahmen neben dem König


von Bosnien und französischen, italienischen, polnischen, grie­
chischen und bulgarischen Rittern auch zwei rumänische Käm­
pfer teil.65 Auch die im Ausland studierenden Rumänen (z. B.
Prag, Krakau) trugen dazu bei, in Fühlung mit dem Westen zu
bleiben.66

ZWISCHENBILANZ

Das 14. Jahrhundert und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts
waren für die Rumänen außerhalb der Karpaten eine Zeit der
Selbstfindung und Selbstorganisation ebenso wie der unter
schwierigen Bedingungen ablaufenden Einordnung in das au­
ßenpolitische Umfeld. Dieser Prozeß, den im wesentlichen die
Führungsschichten zu meistern hatten, stand im Banne zweier
Brennpunkte, die zur Orientierung zwangen: einerseits Byzanz,
dessen äußere Macht rapide verfiel, wodurch das Ökumenische
Patriarchat um so mehr zum Sammelpunkt der auf die Ostkirche
ausgerichteten Gesellschaft aufstieg, andererseits des Katholi­
zismus mit seinem Streben, nach Osten vorzudringen. Sosehr die
Kluft zwischen West- und Ostkirche angesichts des am Balkan
auftauchenden Islam den christlichen Gemeinschaftsgedanken
wiederbelebte, rückte die religiöse Frage zugunsten der konkre­
ten Politik in den Hintergrund.67 Außerdem spielte das Bewußt­
sein der gemeinsamen romanischen Herkunft eine Rolle.68
Die Eroberung Konstantinopels durch die Türken (29. Mai
1453) bedeutete eine tiefe Zäsur, die die Beziehungen der Rumä­
nen zu Europa in eine neue Phase eintreten ließ, die von Anfang

65 Dtugosz: Historiae Polonicae, col. 327; Alexianu: Mode §i vegminte, S. 69.


66 Eugen Barwinski: Mironis Costini Chronicon Terre Moldaviae ab Aarone
principe, Bucure§ti 1912, S. VII; Nicolae Draganu: Cei dintii studenti romàni
ardeleni in universitàpie apusene. In: Anuarul Institutului de istorie nafio-
nalà IV, Cluj 1924-1925, S. 420; Dan: Romàni, cehi, S. 58-64.
67 Emil Condurachi, Ràzvan Theodorescu: Europa de est, arie de convergenza a
civilizapilor (II). In: Revista de istorie 34/2, Bucure§ti 1981, S. 186-196.
68 Papacostea: Geneza statului, S. 222-230; Adolf Armbruster: Romanitatea
romànilor. Istoria unei idei, Bucure§ti 1972, S. 42-56.
36 Leon Çimanschi und Dumitru Agache

an durch die Bewahrung des byzantinischen Erbes69 - verankert


auch durch die Schenkungen am Berge Athos70 - geprägt wor­
den sind. »Europa« war in der Mitte des 15. Jahrhunderts auch
für die geistige Elite der Rumänen nichts als eine diffuse Vor­
stellung, die man anhand der politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Erfahrungen gewonnen hatte. Die Grundlagen für
eine solche Vorstellung waren aber immerhin vorhanden und
konnten bei entsprechenden Gelegenheiten den Anstoß geben,
mit dem lateinischen Westen in eine neuartige Beziehung zu tre­
ten.

FUNKTIONSWECHSEL IN DER WELT DER OSTKIRCHE

Es entsprach mehr den Interessen der Metropolien als des Kle­


rus71, wenn die orthodoxe Kirche die Union mit der katholischen
Kirche formell ablehnte. Die Versuche zur Katholisierung gingen
daraufhin zurück, wofür allerdings auch die Haltung der Für­
sten nicht unerheblich beitrug: In der Moldau erfuhren die Mino-
riten im Jahre 1462 als erste das Schicksal der Landesver­
weisung.72 Trotzdem brachen die Beziehungen zum Papsttum
nicht ab, verlagerten sich angesichts der wachsenden Türken­
gefahr jedoch mehr auf die politisch-militärische Ebene: Ein
Beispiel hiefür ist jene Gesandtschaft, die der moldauische Fürst
Stefan der Große 1477 nach Venedig und Rom schickte. Während
einerseits auch der Einfluß der Hussiten, die erneut in der
Moldau Zuflucht gesucht hatten73, abnahm, wirkte sich in der

69 Nicolae Iorga: Byzance après Byzance, Bucureçti 1971, S. 130-134.


70 DRH B: Tara Româneascâ I, Nr. A, S. 499-505 und Nr. 19, S. 46 f. (fur
Cutlumuç); Nr. 74, S. 136 f; A I, Nr. 211, S. 311 f. (beide für Zograf); siehe auch
Petre Ç. Nàsturel: Legàturile fârilor române eu Muntele Athos pînà la mijlo-
cul secolului al XV-lea. In: Mitropolia Olteniei 10, Craiova 1958, S. 735-751;
D. Nàstase, F. Marinescu: Les actes roumains de Simonapetra (Mont Athos).
Catalogue sommaire. Athènes 1987, S. 15, Nr. 1-3.
71 Pâcurariu: Istoria bisericii I, S. 322-327.
72 Iosif Macurek: O §tire inedità despre Çtefan cel Mare. In: Revista istoricâ
X/7-9, Bucureçti 1924, S. 183 f.
73 Dan: Români, cehi, S. 197-206.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 37

Moldau andererseits aber die Reformation aus74, und zwar des­


halb, weil der sächsische und ungarische Teil der Stadtbevöl­
kerung mit dem benachbarten Siebenbürgen engen Kontakt
hielt. Die Lutheraner aus der Moldau hatten sogar einen direk­
ten Draht zu Martin Luther, der beabsichtigte, in Wittenberg die
Bibel ins Rumänische übersetzen zu lassen.75 Die Herrschaft (z.
B. §tefani£ä Rare§ 1551/52) setzte im Interesse der Orthodoxie
jenen neuen Einflüssen jedoch einen z. T. sogar gewaltsamen
Riegel vor.76 Diese religiöse Militanz hatte einen unmittelbaren
Anlaß: Der vorangegangene Vojvode Ilia§ Rare§ (1546-1551) war
zum Islam übergetreten und hatte in der Moldau eine heftige
Abwehr ausgelöst.77 Das Mißtrauen der Orthodoxen vertiefte
sich noch, nachdem der zum Lutheraner gewordene Despot Vodä
(1561-1563) klösterlichen Kirchenschmuck beschlagnahmen
hatte lassen.78
Sosehr auf der einen Seite die Abwehr der katholischen und
protestantischen Einflußnahme der Annäherung an den lateini­
schen Westen entgegenstand, übernahmen die Moldau und Wa­
lachei auf der anderen Seite eine Art Schutzherrschaft über die
auf dem Boden des Osmanischen Reiches verbliebene orthodoxe
Kirche, wodurch sich die Bindungen an den Balkan und an die

74 Andrei O^etea: Renaçterea çi reforma, Bucureçti 1968, S. 147-154.


75 Çerban Papacostea: Moldova în epoca Reformei. In: Studii XI/4, Bucureçti
1958, S. 62 f; derselbe: Diaconul sîrb Dimitrie §i penetrarla Reformei in
Moldova. In: Romanoslavica XV, Bucureçti 1967, S. 211-218.
76 Gr. M. Buiucliu: Cîntec de jälire asupra Armenilor din Tara Valahilor cîntat
de diaconul Minas de Tokat. In: Convorbiri literare XIX/2, Bucureçti 1895,
S. 137 ff.; Ilie Corfus: Documente privitoare la istoria României culese din ar-
hivele polone. Secolul al XVT-lea, Bucureçti 1979, S. 175 (über den Wieder­
aufbau der zerstörten sächsischen und armenischen Kirchen); siehe auch
Rodica Ciocan-Ivänescu: Une épisode de l’histoire des arméniens de
Moldavie au XVI-e siècle. In: Studia et acta orientalia VII, Bucureçti 1968,
S. 215-232.
77 Cronicile slavo-romàne, S. 93 (der Thronanwärter Mehmet wird mit einer
»Natter« verglichen); S. 94 («der dreimal verfluchte Kaiser Suleiman«), S. 101
(«das Heer der Barbaren«).
78 Ebenda, S. 143 (Cronica lui Azarie).
38 Leon Çimanschi und Dumitni Agache

byzantinische Reichsidee vertieften.79 Fast alle Fürsten der Mol­


dau und der Walachei, beginnend mit Stefan dem Großen und
Neagoe Basarab, setzten die von ihren Vorgängern am Heiligen
Berg Athos eingeleiteten Schenkungen fort und wurden so Stif­
ter von Klöstern80 und wahre Herrscher »von Gottes Gnaden«.

KOORDINATENWECHSEL IN DER WELT DES HANDELS

Zu wichtigen Veränderungen kam es auch auf dem Gebiet des


translokalen Handels. Die Entwicklung der Städte und des
Verkehrswesens81 sowie die protektionistischen Maßnahmen
der Vojvoden bewirkten ein deutliches Anwachsen der moldaui­
schen Kaufmannschaft und deren den Markt mitbestimmenden
Rolle. Zeugnis davon geben das Handelsregister der siebenbür-
gischen Stadt Kronstadt82 oder die Anordnungen des ungari­
schen Königs Matthias Corvinus (1489), die Anwesenheit der
moldauischen Kaufleute auf den siebenbürgischen Märkten ein­
zuschränken,83 und beweisen, daß diese Veränderungen zum
Gegenstand von Politik geworden waren. Die Ausweitung des
kommerziellen Horizonts spiegelt sich in der Herkunft der
Handelswaren wider, denn diese kamen aus Städten wie Lund,
Halle, Maastricht, Mecheln und Breslau/W rodaw oder aus di­
versen Ländern (Venedig,Habsburgerreich,Preußen,Polen, Ruß­
land und Türkei). Vielsagend für die Handelsbeziehungen ist
weiters die Tatsache, daß Sultan Mehmed II. den Kaufleuten von
Cetatea Albä ein Privileg (1456) zuerkannte84 und daß die

79 Petre §. Nästurel: Considérations sur l’idée impériale chez les Roumains. In:
Byzantina V, Saloniki 1973, S. 397^113; Dumitru Nästase: »Necunoscute« ale
izvoarelor istoriei româneçti. In: AIIAI XXX/1993, S. 483-497.
80 Virgil Cândea: Màrturii româneçti peste hotare I, Bucureçti 1991, S. 448-546.
81 Nistor: Handel und Wandel, S. 13-33; Dumitru Agache: Restructarea càilor
de comunicape din Moldova medievalä în context central çi sud-est european.
In: Itinerarii istoriografice, Ia§i 1996, S. 315-323.
82 Manolescu: Comerpil Târii Româneçti, S. 187-198.
83 Hurmuzaki: Documente XV/1, S. 60 f., 130 f.
84 Mustafa A. Mehmet: Documente turceçti privind istoria României I
(1455-1774), Bucureçti 1976, S. 2 Nr. 2.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 39

Moldau und England ein Handelsabkommen (1588)85 abschlos­


sen.
Ähnlich wie das religiös-kulturelle Leben war auch der Han­
del der beiden rumänischen Fürstentümer von entgegengesetz­
ten Faktoren geprägt. Trotz der unbestreitbaren Verflechtung
mit den Märkten Siebenbürgens, Polens und der Länder südlich
der Donau gab es für den moldo-walachischen Handel auch eine
bedeutende Einschränkung durch die Türken. Diese hielten die
Meerengen in der Hand, eroberten 1475 Kaffa auf der Krim,
1484 Chilia und Cetatea Albä an der moldauischen Küste86, er­
rangen mit dem Fall Belgrads (1521) und der Errichtung eines
Paschalik in Ungarn (1540) auch im Westen neues Terrain und
umklammerten die Walachei bzw. Moldau so von drei Seiten her.
Der von alters her bestehende und gewinnbringende Transit­
handel zwischen Okzident und Orient schrumpfte immer mehr
zusammen; die alten Handelswege fielen in Vergessenheit und
wurden von jenen abgelöst, die für die Versorgung der Großstadt
Konstantinopel nun wichtig wurden. Die Entdeckung Amerikas
und der Seewege nach Indien besiegelte diesen Prozeß allge­
meiner Umorientierung, in dessen Folge das Abendland andere
geographische Richtungen ins Blickfeld bekam. Die Situation ist
weiters dadurch gekennzeichnet, daß die türkische Regierung
nun zugunsten der aus dem eigenen Bereich kommenden Händ­
ler intervenierte und die Tätigkeit von ausländischen Händlern
(in der Moldau hauptsächlich Polen) eindämmte.87

SELBSTVERTEIDIGUNG ALS ÜBERLEBENSPRINZIP

Der von den Türken ausgehende Druck auf die beiden rumäni­
schen Länder veranlaßte diese, nicht nur weiterhin die Vasallen­

85 Hurmuzaki: Documente III, Nr. CXTV, S. 108.


86 Nicolae Iorga: Studii istorice asupra Chiliei §i Cetäpi Albe, Bucure^ti 1899,
S. 115.
87 A. Veress: Documente privitoare la istoria Ardealului, Moldovei §i Tärii
Romäneijti VII, Bucure§ti 1930, S. 127 (die Reaktion des polnischen Königs
aus dem Jahre 1577).
40 Leon Çimanschi und Dumitru Agache

beziehungen zu Ungarn (bis 1526) und Polen (bis 1499) aufrecht­


zuerhalten88, sondern auch dazu, manchmal die Initiative zu er­
greifen und entscheidende Waffengänge zu suchen. Die inkonse­
quente Haltung des ungarischen Königshofes sowie die Tendenz
der JagieHonen, mit den Türken einen Ausgleich zu treffen
(1460, 146289), erschwerte jede außenpolitische Avance. Auf
diese Weise wurde der walachische Vojvode Vlad TePe§ von
Matthias Corvinus unter Mithilfe des Böhmen Jan Jifkra de
Brandys90 im Jahre 1462 fallengelassen, blieben 1483 die beiden
moldauischen Häfen Chilia und Cetatea Albä im osmanisch-un-
garischen Vertrag ungeklärt (was Sultan Bayazid die Eroberung
ein Jahr später erleichterte91), wurde zwischen Polen und der
Hohen Pforte 1533 ein »ewiger Friede« geschlossen, der den
moldauischen Herrscher 1538 zwang, sein Land besiegt zurück­
zulassen und ins Exil zu gehen.92
Trotzdem gaben die Fürsten der beiden rumänischen Länder
die Idee christlicher Solidarität nicht auf; sie betrieben neue
Verhandlungen und schlossen neue Bündnisse mit dem klaren
Ziel, ihre Länder in der christlichen Staaten- und Kulturgemein­
schaft zu halten. So trachtete Vlad Tepe§, der den Krieg gegen
den Halbmond (1461-1462) allerdings zu früh auslöste, seine
Aktion mit den Vorbereitungen des am Kongreß zu Mantua
beschlossenen Kreuzzuges abzustimmen.93 Desgleichen unter­
nahm Stefan der Große eine Reihe diplomatischer Schritte, um
sich gegen die Türken nicht nur der Unterstützung Ungarns und

88 I. Bogdan: Documéntele lui ¡Jtefan cel Mare II, Bucureçti 1913, S. 417-441.
89 A. Sokolowski, I. Szujski: Codex epistolaris saeculi decimi quinti II, Krakau
1876, S. 105 f.; Çerban Papacostea: La Moldavie état tributaire de l’Empire
ottomane au XV-e siècle. In: Revue roumaine d’histoire XIII/3, Bucureçti
1974, S. 458.
90 Nicolae Stoicescu: Vlad fepe§, Bucureçti 1976, S. 127-134.
91 N. Iorga: Acte çi fragmente III, Bucureçti 1897, S. 64; siehe auch Ion Ursu:
Çtefan cel Mare §i Turcii, Bucureçti 1914, S. 109 ff.
92 Ilie Corfus: Activitatea diplomaticà in jurul conflictului dintre Petru Rare? çi
Polonia. In: Romanoslavica X, Bucureçti 1964, S. 328 ff.
93 Nicolae Iorga: Notes et extraits pour servir à l’histoire des croisades au XVe
siècle IV (1453-1467), Bucuresti 1915, S. 180-184; Louis Pastor: Histoire des
Papes 5, Paris 1925, S. 73-92.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 41

Polens zu versichern, sondern sein Vorgehen an die Pläne Vene­


digs und des Schah von Persien, Uzun Hassan, anzupassen.94
Der an den moldauischen Fürsten gerichtete Brief des persi­
schen Monarchen (wahrscheinlich aus dem Jahre 1474) enthielt
den Aufruf zur Zusammenarbeit mit anderen »christlichen
Herrschern aus jenem Teil Europas«.95 Diese Formulierung ist
der erste Nachweis, daß die fürstliche Kanzlei des moldauischen
Herrschers mit dem Begriff »Europa« befaßt wurde. Im
Rundbrief Stefans des Großen nach der erfolgreichen Schlacht
bei Vaslui (1475) kam allerdings erneut die religiöse Variante des
Terminus für Europa zur Anwendung: »Alla Corona de Ungaria
et a tutte le terre« wurde der Sieg »verso inamici della cristia­
nità«.96 Dieser Rundbrief erging nicht nur nach Ofen und Kra­
kau, wohin auch ein Teil der erbeuteten Fahnen geschickt wurde,
sondern auch nach Wien, Venedig, Mailand, Wilna/Vilnius und
Moskau.
Die Moldau versuchte mithin einen fixen Platz in der eu­
ropäischen Politik zu gewinnen, weshalb der zeitgenössische pol­
nische Historiker Jan Dlugosz deren damaligem Herrscher den
Titel eines »Oberbefehlshabers« aller antiosmanischen Kräfte
Europas zuwies.97 Sowohl das erwähnte Schreiben als auch die
Botschaft Ion Tablacs an den Senat von Venedig98 (1477) sind ein
Beleg für ein Denken, bei dem die Rivalität zwischen Christen­
tum und Islam als weltgeschichtliches Ereignis begriffen wurde.
Stefan der Große bot seinen totalen Einsatz an: »Wir werden bis
zum Tode für die christliche Ordnung kämpfen, auch mit unsrem
eigenen Haupt.« Das Ziel bestand im Zusammenhalt des anti­
osmanischen Lagers, wie dies auch das moldauisch-ungarische

94 Nicolae Iorga: Venefiain MareaNeagrå III. In: AARMSI Seria II, Bd. XXXVII,
Bucuresti 1914, S. 4 f., 17.
95 Manole Neagoe (Hg.): Råzboieni. Cinci sute de ani de la campania din 1476,
Bucuresti 1977, S. 121 ff.
96 Ebenda, S. 128 f.
97 Dlugosz: Historiae Polonicae XIII, Col. 527 f.
98 Bogdan: Documentele lui §tefan II, S. 343-347 (unter dem Datum 1478).
42 Leon §imanschi und Dumitru Agache

Abkommen aus dem Jahre 1475 eindeutig vorsah.99 Der Krieg


hätte sich nicht bloß auf die untere Donau zu beschränken, son­
dern zu Wasser und zu Lande, um dem Feind auch Kaffa und
Cherson (auf der Krim) abzuringen. Dieser Wunsch ging nicht in
Erfüllung, ganz im Gegenteil: Stefan mußte 1484, wie er es vor­
aussah100, den Verlust von Chilia und Cetatea Albä hinnehmen
und schließlich sogar in Tributzahlungen einwilligen (1486).
Trotzdem konnte die Moldau noch immer einiges Gewicht auf die
Waagschale werfen. Infolge des Kongresses in Leutschau/Levoca
(1494) lief dieses rumänische Vojvodat zwar Gefahr, in den Block
des jagiellonischen Machtkomplexes eingegliedert zu werden101,
doch machte es sich die Feindseligkeiten zwischen Ungarn und
Polen bzw. zwischen Moskau und Litauen zunutze. Indem es
Stefan gelang, die türkisch-tatarisch-muntenischen Kräfte zu
seiner Unterstützung zusammenzuführen, konnte er 1497 am
Schlachtenort Codrul Cosminului die Polen Zurückschlagen und
mit ihnen einen Vertrag (1499) abschließen.102 Der hiedurch er­
zielte Erfolg spiegelt sich im ungarisch-osmanischen Vertrag von
1503 wider, in den neben der Moldau auch die Walachei einbe­
zogen wurde - als »Vasall Ungarns«103 und somit den christ­
lichen Staaten zugeordnet.
Leider sollte das mit soviel Beharrlichkeit von Stefan dem
Großen Erreichte bloß einige Jahrzehnte dauern. Nach dem Fall
Belgrads (1521), der Niederlage Ungarns bei Mohäcs (1526) und
der Einrichtung des Paschalik Buda (1540) wurde die europäi­
sche Option der rumänischen Welt erneut blockiert. Freilich, die
diplomatischen Kontakte hörten nicht auf, aber auch die
Gewandtheit eines »machiavellischen« Geistes, wie Petru Rare§

99 Ebenda, S. 331 ff.


100 N. A. Kazakova, I. S. Lurie: Antifeodalnye eretičeskie dviženija na Rusi XIV-
načala XVI veka, Moskva 1955, S. 388.
101 Ciobanu: 'färile románe §i Polonia, S. 85-93.
102 Cronicile slavo-romäne, S. 20 ff.; Hurmuzaki: Documente II/2, S. 421.
103 Ebenda II/l, S. 20.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 43

einer war - er schloß zwei geheime Abkommen gegen die Pforte:


eines mit Ferdinand von Habsburg (1535)104 und eines mit
Joachim von Brandenburg (1542)105, und führte eine verborgene
Korrespondenz mit Karl V.106 konnte die Aktionsfreiheit der
rumänischen Fürsten nicht mehr bewahren. Die osmanisch-pol-
nisch-tatarische Invasion im Jahre 1538 annullierte den mol­
dauischen Widerstand, was dann der Pforte ermöglichte, eine
territoriale Zersplitterung zu betreiben und das Regime der
Herrschaftpolitik zu verschärfen.107
Die Interessen der christlichen Mächte konvergierten aber
auch nicht mehr: Der »hochchristliche König« von Frankreich
Franz I. schloß 1535 das erste Abkommen eines europäischen
Landes mit der Pforte, dem 1533 der »ewige Friede« zwischen
Polen und dem Osmanischen Reich vorausgegangen war. Das
französisch-ungarische Bündnis aus dem Jahre 1528, gefolgt
vom Großwardeiner Frieden (1538) zwischen Johann Zäpolya
und Ferdinand von Habsburg, legte andere Zwistigkeiten offen.
Das Ideal der »Universalmonarchie«, das Karl V. und Suleiman
der Prächtige vielleicht noch anstrebten, erwies sich aber mehr
und mehr als überholt und wich anderen Prinzipien, wie sie das
erneuernde Denken der Renaissance mit sich brachte: dem
Staatsinteresse und dem europäischen Gleichgewicht.
Zu der Distanz zum Abendland kamen noch jene Verände­
rungen hinzu, die die rumänische Gesellschaft selbst betrafen,
Veränderungen, die nach und nach zur »Balkanisierung« führ­
ten.108 Das größte politische Interesse galt mehr und mehr Kon­

104 Ebenda II/l, S. 91-94; Ion Ursu: Die auswärtige Politik des Peter Rare§,
Fürst von Moldau (1527-1528), Wien 1908, S. 123.
105 Alexandru Papiu Ilarian: Tesauru de monumente istorice pentru Romänia
III, Bucuresti 1864, S. 13 ff.
106 Alexandru Cioränescu: Petru Rare§ §i politica orientalä a lui Carol Quintul.
In: AARSI Seria III, Bd. XVII, 1935-1936, S. 241-246.
107 Grigore Ureche: Letopiseful färii Moldovei, Bucuresti 1959, S. 156; Mihai
Guboglu, Mustafa Mehmet (Hg.): Cronici turce§ti privind f'ärile romäne,
Extrase I, Bucuresti 1966, S. 270 (Mustafa Gelalzade), S. 354 (Mustafa Ali),
S. 480 f. (Pecevi).
108 Nicolae Iorga: La place des Roumains dans l’histoire universelle, Bucuresti
1980, S. 210-234.
44 Leon fjimanschi und Dumitru Agache

stantinopel, wo die Thronbesetzungen entschieden wurden. Die


Krönung Alexandra Läpu§neanu (1552) oder des reformierten
Abenteurers Iacob Heraclid Despot (1561) konnte die neue
Orientierung nicht ändern: ersterer gewann seinen Thron am
Ufer des Bosporus wieder109, und letzterer scheiterte jäm mer­
lich, nachdem er das dünkelhafte Gehabe der Bojaren und des
ansässigen Klerus angegriffen hatte.110 Sogar die ersten Initia­
toren einer antiosmanischen Revolte - Ioan Vodä cel Cumplit
(1572-1574) in der Moldau111 und Petra Cercel (1583-1585) in
der Walachei112 - waren, um auf den Thron zu gelangen, auf den
konstantinopolitanischen Hofklüngel angewiesen. Es waren dies
Beweise für die politische Isolierung, in welche die rumänischen
Fürstentümer geraten waren, eine Isolierung, die die Rückstän­
digkeit der allgemeinen Entwicklung gegenüber Westeuropa
vertiefen sollte.

AUSBLICK

Diese Entwicklungen im religiösen, kommerziellen und politi­


schen Bereich wirkten sich auf mentalitärer Ebene aus. Wenn in
der Walachei nach dem Scheitern von Vlad TePe§ die Lösung
einer doppelten Abhängigkeit (sowohl Ofen als auch Konstan­
tinopel gegenüber) die Wahrnehmung Europas praktisch auf
einen einzigen Kanal reduzierte, war dank der fürstlichen Poli­
tik die Rezeption »Europas« in der Moldau viel umfassender.
Dazu trugen sowohl die Bildung der markantesten Thronin­
haber (Stefans des Großen und Petra Rare§’) als auch die
Kenntnis der neuen Gegebenheiten bei. Stefan der Große, auch
wenn er nicht nach Italien gelangte, hatte die Gelegenheit, an

109 A. Veress: Docilmente I, S. 227-235; Gh. Punga: fa rà Moldovei in vremea lui


Alexandru Làpu§neanu, Ia§i 1994, S. 264.
110 Adina Berciu-Dràghicescu: O domnie umanista in Moldova. Despot Vodà.
Bucure§ti 1980, S. 118-133.
111 Dinu C. Giurescu: Ion Vodà cel Viteaz, Bucure§ti2 1966, S. 25-33.
112 fjtefan Pascu: Petru Cercel §i Tara Romàneascà la sfìr§itul sec. XVI, Cluj
1944, S. 21-34.
Die Rumänen und Europa: Vorspiel im ausgehenden Mittelalter 45

der Seite von Jänos Hunyadi (Iancu de Hunedoara) mit den No­
vitäten der Kriegskunst in Kontakt zu kommen: mit der Feld­
artillerie, den runden Festungsbastionen oder mit der »Pro-
fessionalisierung« der Krieger.113
Des Kontakts zum Westen erfreute sich auch der Sohn des
großen Fürsten, Petru Rare§, dessen Qualitäten als Diplomat
und Politiker von Freund und Feind anerkannt wurden. Auch
wenn er nicht die lateinische Sprache beherrschte, wie seine Un­
terschrift aus dem Abkommen mit Joachim von Brandenburg an­
deutet, so sprach er doch polnisch und türkisch und erwies sich
als wahrer »Philosoph« und »weiser Doktor« (Ivan Peresve-
tov).114 Er war von Persönlichkeiten ähnlicher Qualität umge­
ben: von Logofät Teodor (Botschafter zugleich in Konstantinopel
und Wien), von Bischof Macarie (Autor der fürstlichen Chronik),
von Abt Grigore Ro§ca (»Autor« des ikonographischen Pro­
gramms der bemalten Kirchen) oder vom Schatzmeister Ma-
teia§, von dem der Bischof von Lund berichtete: »Ich schloß mit
diesem Menschen große Freundschaft, und wir beschlossen, ein­
ander zu schreiben. Er ist wahrlich ein bescheidener und sehr
guter Mensch, dazu vorsichtig und besonnen in seinen Ge­
schäften, so wie ich keinen anderen finden könnte in diesem
Königreich [Ungarn].«115
Das 16. Jahrhundert bietet natürlich auch zahlreiche andere
Beispiele von Persönlichkeiten der rumänischen Kultur und Spi­
ritualität, denen die Werte der europäischen Renaissance nicht
fremd waren: den Buchdrucker Macarie (der in der Walachei zwi­
schen 1508 und 1512 tätig war), Neagoe Basarab, Luca Cirje,
Diakon Coresi (Autor zahlreicher auch rumänischer Druck­
werke in Kronstadt/Bra§ov), Logofät Luca Stroici, die Chroni­
sten Macarie, Eftimie und Azarie etc. In diesem Zusammenhang
können die Gründung einer lateinischen Schule und der Bau

113 Leon §imanschi: Politica interna a lui §tefan cel Mare. In: Revista de isto­
rie XXXV/5-6, Bucure§ti 1982, S. 592-593.
114 Càlàtori stràini I, S. 452-463.
115 Leon ¡jimanschi (Hg.): Petru Rare§, Bucure§ti 1978, S. 319 f.
46 Leon Çimanschi und Dumitru Agache

einer Bibliothek in Cotnari nicht überraschen. Gerade deswegen


überlebte die Schule auch, erst als protestantisches, dann als ein
katholisches Gymnasium, das den spezifischen Notwendigkei­
ten entgegenkam.116

116 Çtefan Bîrsànescu: »Schola latina« de la Cotnari. Biblioteca de curie §i pro-


iectul de academie al lui Despot Vodâ, Bucureçti 1957, S. 67 f.
LUCIAN NASTASÄ

Das Europa-Bild bei den Klausenburger


Memoirenschreibern des 17. Jahrhunderts

Das westliche Europa des 17. Jahrhunderts übte auf die Sieben­
bürger nicht nur eine starke emotionale und intellektuelle Fas­
zination aus, sondern bot mittels Bereisung die Möglichkeit,
andere politische Organisationsformen, Kulturalternativen ma­
teriellen und geistigen Charakters sowie Ideologien und Insti­
tutionen wahrzunehmen und im eigenen Lande in die Praxis
umzusetzen. Die Reiseerfahrung trug wesentlich dazu bei, daß
Siebenbürgen - zwischen 1541 und 1699 formell ein autonomes
Fürstentum unter osmanischer Suzeränität —an die westlichen
Verhältnisse jener Zeit raschen Anschluß fand. Die Folge davon
war, daß die Unterschiede zur südöstlichen Nachbarschaft nun
zwar größer wurden, die Annäherung an den Westen jedoch ra­
sche Fortschritte machte. Das Ergebnis dieser Annäherung
zeigte sich schon 1691, als die habsburgische Herrschaft in die­
sem Gebiet tatsächlich einsetzte und kaum irgendwelche trau­
matische Spuren hinterließ, zumindest nicht im Alltagsleben der
städtischen Zentren und im Kollektivbewußtsein.
Der vorliegende Beitrag versucht, das Erfahrungsgut der
Memoirenschreiber aus Klausenburg/Cluj/Kolozsvär auszuwer­
ten, die das sogenannte abendländische Europa bereist haben.
Diese Autoren hatten auf ihren Reisen andere Landstriche,
Menschen, Sitten, Sprachen und intellektuelle Produkte ken­
nengelernt, auf die sie sich dann beziehen konnten. Viele von
ihnen identifizierten sich mit den anderswo Vorgefundenen
Idealen und suchten, sich »Europa« zugehörig fühlend, am wirt­
schaftlichen oder geistigen Leben des Kontinents teilzuhaben
und so viele Kontakte wie möglich zu knüpfen bzw. aufrechtzu­
erhalten. Nach Hause zurückgekehrt, versuchten sie in ihrer we­
niger entwickelten Heimat die abendländischen Modelle (z. B.
das Überwinden der Isolierung, die Sozialisierung, den »Fort­
schritt der Sitten«) durchzusetzen.
48 Lucian Nastasä

Natürlich haben die Aussagen dieser Reisenden des 17. Jahr­


hunderts ihre Eigenheiten: Der noch eher mittelalterlich den­
kende Mensch war weniger deklamativ und ausführlich. Bei den
hier untersuchten Memoirenschreibem fallt weiters auf, daß sie
bei ihrer Begegnung mit der »europäischen« Außenwelt mehr die
Unterschiede als die Ähnlichkeiten registrierten. Doch selbst
diese Unterschiede wurden nur selten festgehalten, je nach
deren Grad an Sensation und Wirkung. Die Reisenden scheinen
eher auf ihre eigene Person und ihre Umgebung (vor allem die
Familie) sowie auf die ihre Existenz gefährdenden Übel oder po­
litische Ereignisse fixiert gewesen zu sein. Deshalb dominieren
Nachrichten über persönliche Erfolge oder Mißerfolge, über die
Entwicklung der Preise (vor allem bei Kaufleuten), über das
wechselnde Schicksal einer Stadt, über Feuersbrünste und
Krankheiten usw., während die gar nicht wenigen großen politi­
schen Ereignisse dieses Zeitalters kaum Erwähnung finden.
Derartige Quellen sind: das Tagebuch eines anonymen Autors,
aus dem Details über die Belagerung der Stadt Klausenburg
durch Mözes Szekely (1603) und dessen Divergenzen mit dem
österreichischen General Giorgio Basta zu entnehmen sind1; die
Aufzeichnungen Bahnt Segesväris (siebenbürgisch-sächsischer
Herkunft), die ausschließlich politische und wirtschaftliche
Nachrichten über Klausenburg in der Zeit zwischen 1606 und
1654 festhielten2; das Diarium von Tamäs Borsos mit vielen
Daten über seine Familie und das Leben der Stadt3; das Tage­
buch des Klausenburger Bürgermeisters Jänos Linczigh, das die
Zeitspanne zwischen 1660 und 1675 umfaßt4; die vom »Tischler«

1 Biblioteca Universitarä Cluj: Fond Jözsef Kemeny. Col. minor Bd. XII A. 12
(7), f. 155-161.
2 Elek Jakab: Segesväri Bälint krönikaja, 1606-1654. In: Erdelyi törtenelmi
adatok IV, Cluj 1862, S. 157- 218. Die Aufzeichnungen von 1639-1652 sind
verlorengegangen.
3 Biblioteca Universitarä Cluj: Fond Jözsef Kemeny. Col. minor Bd. XXVIA. 26
(1), f. 1-17.
4 Bälint Jözsef, Pataki Jözsef (Hg.): Kolozsväri emlekirök, 1603-1720,
Bukarest 1990, S. 173-214.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibem ... 49

Ferencz Szakäl registrierten Daten5 von lokalem Interesse für


die Jahre 1698 bis 1718 u. a. Das sind bloß einige Beispiele, die
die Einstellung zu jener Epoche widerspiegeln und die vorwie­
gend persönliche Erlebnisse erfassen. Allzuwenig ist über pro­
funde kollektive Hoffnungen, über Neugier erregende Tatsachen
und geistige Haltungen zu erfahren. Eine Ausnahme bildet
Jänos Apäczai Csere, allerdings nicht durch eine memorialisti-
sche Schrift.
Die Ereignisse aus dem Westen Europas fanden im Horizont
der angeführten Autoren nur langsam Platz: und dann vorwie­
gend nur in politisch-militärischer oder konfessioneller Hin­
sicht. Die Aufmerksamkeit richtete sich jedenfalls sowohl auf
den Südosten als auch auf das Zentrum des Kontinents, woher
Gefahr und Schutz kamen, d. h. auf das Osmanische Reich, auf
das Habsburgerreich sowie auf die übrigen benachbarten Län­
der (Polen, Moldau und Walachei). So erklärt es sich, daß ein
Viertel dieser Zeugnisse uns als bloß persönliche Aufzeich­
nungen (wenn auch spezifisch für das sich herausbildende Bür­
gertum) erscheinen, die einen deutlich erzieherischen Anstrich
besitzen. Jänos Linczigh betonte diesen Aspekt bereits in seinen
ersten Zeilen: »Meine lieben Söhne, auf daß sich nichts im Winde
verstreue, will ich euch kundtun die Erinnerung eurer alten
Eltern.«6 Von allen Texten dieser Zeit näherte sich allein jener
von György Vizaknai Bereczk dem heutigen Begriff eines Tage­
buchs, und ihm werden wir uns in diesem Beitrag auch aus­
führlich widmen.
Zum Verständnis des vorliegenden Gegenstandes sei festge­
halten, daß Memorialistik und Tagebuchführung in dieser Zeit
zur Mode avancierten und daß viele von denen, die schreiben
konnten, versuchten, für die Nachwelt das festzuhalten, was für
sie interessant erschien. Es schrieben gleichermaßen Fürsten,
Adlige, Handwerker, Mönche und Kaufleute, aber auch andere,
so daß uns ein breitgefächerter Fundus von Briefen, Reise­

5 Ebenda, S. 271-298.
6 Ebenda, S. 173.
50 Lucian Nastasä

beschreibungen, Tagebüchern, Memoiren, Randbemerkungen zu


Inventuren etc. erhalten blieb. Sogar die »Rechenschaftsbe­
richte« des Stadtrats von Klausenburg Gäspär Heltai, zwischen
1611 und 1617 nach italienischer oder französischer Manier nie­
dergeschrieben, könnten diesem Quellentypus zugeordnet wer­
den.7
Als wichtige Stadt im Herzen des Fürstentums Sieben-
bürgen/Transsilvanien - ein Territorium von großer ethnischer
und konfessioneller Komplexität erschien Klausenburg wie
ein Staat im Staate. Es ist kein Zufall, wenn auf einer Gravüre
Georg Hofnagels (nach einem Gemälde von van der Rhye, 1617)
zu lesen ist, daß die Stadt (Claudiopolis/Coloswar/Clausenburg)
»Transilvaniae civitas primaria« war.8 Der Memoirenschreiber
Istvän Szamosközy, der 1565 in Klausenburg geboren worden
war und an der protestantischen Universität Heidelberg sowie
an der katholischen Universität Padua studiert hatte, stufte
die Stadt als »geschmackvoll« und »aristokratisch« ein, deren
Bewohner »ehrlich und wohlgesittet, ohnegleichen in Sieben­
bürgen« waren, dazu »fleißig und mit großer Fähigkeit zur
Reichtumsvermehrung«.9 Ähnliche Einschätzungen haben jene
abendländischen Reisenden niedergeschrieben, die bis hierher
gelangt sind, z. B. David Frölich, der über eine zwölfjährige
Reiseerfahrung verfügte und Siebenbürgen 1630 kennenlernte,
als ihn sein Freund J. H. Alstedius, Professor am Karlsburger
Kollegium, einlud.10
Im 17. Jahrhundert war die Stadt nicht das, was sie aufgrund
der historischen Voraussetzungen hätte sein können. Ohne auf
Einzelheiten einzugehen11, sei angemerkt, daß die Stadt Klau­

7 Ebenda, S. 125-135.
8 Stefan Pascu, Viorica Marica: Clujul medieval, Bucuresti 1969, Bild 1.
9 Szäsz Ferenc: Szamosközy adatai az erdélyi värosokröl. In: Erdélyi Muzeum,
Kolozsvär 1909, S. 174.
10 David Frölich: Medulla Geographiae practicae ... 1639. In: M. Holban, M. M.
Alexandrescu-Dersca Bulgaru und P. Cernovodeanu (Hg.): Cälätori sträini
despre färile romäne V, Bucuresti 1973, S. 45-54.
11 Siehe Jakab Elek: Kolozsvär torténete II, Budapest 1888; Pascu-Marica,
Clujul medieval.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibem ... 51

senburg zu jener Zeit von einer ganzen Reihe politisch-militäri­


scher Ereignisse und Unheil heimgesucht wurde: die Verwü­
stungen durch die kaiserlichen Armeen unter der Führung des
Generals Basta (1600-1606); die Einbeziehung in den Dreißig­
jährigen Krieg und die Schwierigkeiten der materiellen Versor­
gung; die unzähligen Überschwemmungen und Zerstörungen
durch den Somesch-Fluß; die Pestepidemien aus den Jahren
1633 und 1661; die großen Feuersbrünste, die 1658 und 1697 die
Stadt verwüsteten12; die Türken- und Tatareneinfälle aus den
Jahren 1658/1662 usw. All diese Ereignisse wie auch viele andere
führten in den wichtigsten Bereichen des städtischen Lebens zu
einer relativen Stagnation. Mehr noch, nachdem Großwardein/
Oradea/Nagyvärad in die Hände der Türken gefallen und zum
Paschalik geworden war (1660), fand sich Klausenburg in der
Situation einer Grenzfestung, die das Statut einer freien könig­
lichen Stadt verlor und statt dessen den Titel einer adeligen
Stadt (Oppidum nobilium) erhielt, ein Umstand, der für die in­
nere Organisation bedeutende Konsequenzen besaß.
Ein »neuer Wind« wehte in Klausenburg und ganz Sieben­
bürgen erst wieder nach der großen politischen Wende am Ende
des 17. Jahrhunderts. Der Sieg über die Türken unter den
Mauern Wiens (1683) schuf für das Zentrum und den Südosten
Europas eine grundlegend neue Situation.13 Die Kaiserlichen
drangen in Siebenbürgen ein, Klausenburg und Deesch/Dej/Dés
wurden von den Truppen General Scherffenbergs (1686) besetzt,
und nach mehreren militärischen Aktionen bestätigte der Friede
von Karlowitz/Sremski Karlovci am 26. Januar 1699 die Herr­
schaft der Habsburger über das Fürstentum. Das sogenannte
Leopoldinische Diplom, das der Kaiser am 31. Dezember 1691
Unterzeichnete, wurde einerseits zu einer veritablen »Verfas­

12 Die Folgen des Brandes von 1697 waren auch 1702 noch sichtbar. Siehe hiezu
das Zeugnis des Engländers Edmund Chishull, in: Cälätori sträini VIII,
Bucureçti 1983, S. 210.
13 Für diesen umfassenderen Kontext siehe Péter Katalin: Erdély rövid torté-
nete, Budapest 1993, S. 266- 317; Szakaly Ferenc: Magyarok Euröpabon II.
Virägkor és hanyatläs, 1440-1711, Budapest 1990, S. 182-242.
52 Lucian Nastasä

sung«, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts Gültigkeit behal­
ten sollte, andererseits zur Garantie für die autonome Ent­
wicklung Siebenbürgens. Gleichzeitig markierte dieser Akt eine
neue Etappe in der Geschichte der Stadt Klausenburg.
Die Stadt behielt die Funktion eines wichtigen politischen,
wirtschaftlichen und kulturell-künstlerischen Zentrums inner­
halb Siebenbürgens; hier tagte im Jahre 1692 jene Kommission,
die die Gegensätze zwischen den vier Religionen (Katholiken,
Protestanten, Unitariern, Orthodoxen) abzuschwächen versuch­
te; hier hatte das Gubem ium des Landes zwischen 1695 und
1697 seinen Sitz. Die habsburgische Herrschaft öffnete das Tor
zur Gegenreformation, indem sie die Katholiken in einer Stadt
kräftig förderte, die seit 1638 zum Zentrum des Calvinismus ge­
worden war. Diesen Vorgang spricht u. a. der Memoirenschreiber
und Tischler Ferencz Szakäl an, indem er die neuartige Reli-
gionspolitik des Wiener Hofes und dessen Methoden bei der
Durchsetzung des katholischen Primats schmerzlich notierte.14
Das auslaufende 17. Jahrhundert hatte für das Bewußtsein
und die Lebensweise der Siebenbürger, insbesondere in der
Mittel- und Oberschicht, einen fundamentalen Wandel herbei­
geführt. Klausenburg, das sich kraft der eigenen Tradition und
der siebenbürgisch-sächsischen Einflüsse entwickelte,15 nahm
in der Geschichte Siebenbürgens eine Sonderstellung ein, und
zwar dadurch, daß es frühzeitig die ideellen Impulse des Puri­
tanismus aufnahm.16 Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts wurde
die Stadt das bedeutendste Zentrum dieser Bewegung, und kei­
neswegs zufällig mußte Jänos Apäczai Csere wegen seiner radi­
kalen Ideen zum Puritanismus das Kollegium von Weissen-

14 Kolozsvári emlékirók, S. 243-268.


15 Jakab Elek: Kolozsvár tôrténete.
16 Siehe Makkai László: A magyar puritánusok harca a feudalizmus eilen,
Budapest 1952; Georg und Renate Weber (Hg.): Luther und Siebenbürgen.
Ausstrahlungen von Reformation und Humanismus nach Südosteuropa,
Köln/Wien 1985; Graeme Murdock: International Calvinism. Ethnie Alle­
giance and the Reformed Church of Transylvania in the Early Seventeenth
Century. In: Maria Cräciun und Ovidiu Ghitta (Hg.): Ethnicity and Religion
in Central and Eastern Europe, Cluj 1995, S. 92-100.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibem ... 53

burg/Alba Iulia/Gyulafehérvar verlassen und nach Klausenburg


wechseln.17
Seit Ende des 16. Jahrhunderts bereisten die zum Prote­
stantismus übergetretenen wohlhabenden Kaufleute und gebil­
deten Jugendlichen aus der Stadt die europäischen Länder und
brachten das Bedürfnis nach einem Leben im Sinne der
Renaissance nach Hause. Es waren daher vor allem sie, die der
Stadt nach und nach eine zunehmend abendländische Färbung
verpaßten, die ein »mondänes« Leben forcierten, wobei sie von
dem gelegentlich in Klausenburg residierenden Fürsten hiezu
ermutigt wurden. Aus den Aufzeichnungen von Jänos Linczigh,
dessen Name sich von der Stadt Linz ableitet und der zwei Jahre
in Wien verbracht hatte, und von Gäspär Heltai gehen etliche
Hinweise des westlichen Lebensstils in Klausenburg hervor.18
Vergeblich versuchte eine Reihe von im Westen ausgebildeten
Intellektuellen - wie z. B. Jänos Apäczai Csere (1625-1659), der
in Holland ein Doktorat erworben hatte19 —, etwas in den unte­
ren Schichten der Bevölkerung zu verändern, die als »verschla­
fen« und »benommen« angesehen wurden. Die antifeudale Ideo­
logie des Puritanismus, die sich die Klausenburger Gelehrten
auf ihren Reisen durch die fortschrittlichsten Länder Europas zu
jener Zeit (England und die Niederlande) angeeignet hatten, er­
freute sich zunächst noch nicht der erhofften Aufmerksamkeit
und stand im Gegensatz zu einem Teil des ungarischen Adels.
1656 stellte Conrad Jacob Hiltebrandt, der Gesandte des schwe­
dischen Königs Karl X. Gustav, sogar fest, die Tracht der Durch­
schnittsbürger und auch einiger Adliger erinnere an die türki­

17 Makkai Läszlo: A magyar puritänusok, S. 177.


18 Kolozsväri emlekirök, S. 173-214,125-135.
19 Jänos Apäczai Csere verbrachte fünf Jahre in Holland (1648-1653), wo er ori­
entalische Sprachen studierte (Hebräisch, Assyrisch und Chaldäisch). Ver­
heiratet mit der Tochter eines wohlhabenden Bürgerlichen, wurde ihm
gleichzeitig eine Stelle an der Universität Utrecht angeboten, die er aber aus­
schlug (zu seiner Biographie: Fäbiän Emö: Apäczai Csere Jänos. Kolozsvär
1975).
54 Lucian Nastasä

sehe Mode.20 Auch das Beispiel des Sándor Károly —er hielt 1711
in Wien vor dem Kaiser, in traditioneller ungarischer Tracht ge­
kleidet, für die allgemeine Amnestie eine Dankrede, die er auf
deutsch auswendig gelernt hatte, und erregte hiemit das Lachen
der Damen bei Hofe - belegt die weitverbreitete Ablehnung von
allem Nichtungarischen und hiemit auch von »Modernisierung«.
Brown, der spätere Hofarzt des englischen Königs Karl II., be­
reiste die Länder »jenseits von Györ und Komárom« und stieß
dabei auf eine vom Abendland deutlich unterscheidbare Welt, in
der »man weder Perücken noch Manschetten sieht, weder Hüte
noch Handschuhe«, wo »kein Bier getrunken wird und man über­
all merkwürdige Kleider, Bräuche und Lebensweisen, völlig ver­
schieden von den unseren, antrifft«.21 Dennoch konnte Klausen­
burg den Reisenden des 17. Jahrhunderts ein ziemlich »abend­
ländisches« Leben bieten, so daß sich die Fremden fast wie zu
Hause fühlten. Es herrschte in der Stadt eine westlich geprägte
Atmosphäre, und die Wohnungen waren voll mit ausländischen
Möbeln und Gegenständen, die das Leben viel angenehmer
machten (Skulpturen, Gemälde, Tapeten, Teppiche, Uhren, Spie­
gel etc.).22
Als Folge der Reformation und der Ausbreitung des Prote­
stantismus in der Klausenburger Ober- und Mittelschicht ent­
standen bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts
höhere konfessionelle Schulen, die damals moderne westliche
Erziehungskonzepte einführten und zur Aneignung eines abend­

20 Franz Babinger: Conrad Jacob Hiltebrandt’s Dreifache schwedische Ge­


sandtschaftsreise nach Siebenbürgen, der Ukraine und Constantinopel
(1656-1658). Leiden 1937, S. 31-32.
21 Ed. Brown: A Brief Account of some Travels in Hungaria, Servia, Bulgaria,
Macedonia, Thessaly, Austria, Styria, Corinthia, Carnolia and Friuli. London
1673.
22 Jako Zsigmond: Az otthon es müveszete. In: Emlekkönyv Kelemen Lajos
születesenek nyolcvanadik efordulöjära, Kolozsvär 1957, S. 361-393; B. Nagy
Margit: Reneszänsz es barokk Erdelyben, Bukarest 1970; Andrei Koväcs,
Mircea Toca: Arhitecp italieni in Transilvania in cursul secolelor al XVT-lea
§i al XVII-lea. In: Studia universitatis Babe§-Bölyai, Series Historia Fasz. 2,
Cluj 1975, S. 19-36 u. a.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibem ... 55

ländischen Lebensstils anhielten. In seiner Rede vom 20. No­


vember 1656 in der Aula des Klausenburger Kollegiums »Sum­
ma scholarum necessitate earumque inter Hungaros barbariei
causis«23 maß Apäczai Csere dem institutionalisierten Unter­
richt und der Bildung für die Gesundung der Gesellschaft in
Siebenbürgen eine fundamentale Bedeutung zu. Er verweist
dabei auf das Beispiel des Kurfürsten Friedrich, der 1502 die
Wittenberger Akademie gegründet hatte. »... was tat Luther«,
fährt Apäczai fort, »was taten unsere Reformatoren, um die
Barbarei zu vertreiben und auszumerzen aus unserem Lande ?
Nichts anderes, als daß sie überall Schulen gründeten.« In die­
sem Zusammenhang wies er auf noch ein anderes Beispiel24 hin,
wo ein anderes Volk seine »Barbarei« mit Hilfe von Bildung ab­
legte: »Nur diese Schulen können die politischen Köpfe hervor­
bringen, die uns zu führen vermögen, die gerechtesten Richter,
die weisesten Beamten.« Deswegen, schlug Apäczai vor, sollte die
öffentliche Hand die Jugendlichen dazu anregen zu studieren,
und dies nicht bloß für das »Erblühen der Kirche« oder für die
Aneignung der schönen Künste, sondern vor allem für die ju ri­
stische Ausbildung. Er bedauerte zutiefst, daß die »Handwerks­
meister« in Siebenbürgen viel angesehener seien als die Ge­
lehrten und daß jene gezwungen waren, »an die ausländischen
Akademien zu flüchten, um den Titel eines Magisters oder Dok­
tors zu erlangen«. »Obgleich die fremden Akademien«, schreibt
Apäczai weiter, »manche von uns mit dem höchsten Grad geehrt
haben, werden wir zu Hause trotzdem die hinteren Plätze bele­
gen, zuhinterst eines jeden Kirchenmannes.«
Als Folge der aus dem Westen bezogenen Ideale insbesondere
seit der Mitte des 17. Jahrhunderts gaben die jungen Adligen die
Offizierskarriere nach und nach zugunsten einer akademischen
Ausbildung im Lande oder vor allem im Ausland auf. Auf ihren
Europa-Reisen erlernten sie mehrere Fremdsprachen und grün-

23 Apäczai Csere Jänos: Välogatott munkäi II, Bukarest 1965, S. 82-115.


24 Er verweist auf die belgischen Niederlande, wo die Akademien eine große
Rolle spielten und die Parlamentsmitglieder allesamt Doktoren der Rechte
waren.
56 Lucian Nastasä

deten nach ihrer Rückkehr Druckereien, Schulen und gut aus­


gestattete Bibliotheken. Weiters legten sie sich neuartige
Kleidung und ein anderes Benehmen zu. So kam es, daß sich
nach und nach ein neuer Geschmack und neue Umgangsformen
durchsetzten. Nachdem die Habsburger den Kuruzzenaufstand
niedergeschlagen hatten, fand auch der aus Wien bezogene ba­
rocke Lebensstil im Lande Eingang. Die neue Mode war teilweise
eine wesentliche Bedingung, um in die Reihen der neuen
Aristokratie aufgenommen zu werden; dennoch beeinflußte pro­
vinzieller Eigensinn auch weiterhin die Lage.
Es war also die Hinwendung zum Protestantismus, die der
Stadt Klausenburg die Brücke zu den Kulturzentren im westli­
chen Europa schlug. Verbindungen in diese Richtung hatte es
zwar bereits im 15. und 16. Jahrhundert gegeben, als sieben-
bürgische Studenten an den Universitäten Bologna, Neapel,
Rom, Perugia, Verona, Pisa, Florenz, Siena, Pavia, Ferrara,
Parma, Padua, Wien, Graz, Heidelberg, Wittenberg, Frankfurt
a. d. Oder, Leipzig, Basel, Paris u. a.25 Erfahrungen gesammelt
hatten, doch wurde die Orientierung zu den höheren protestan­
tischen Schulen des Westens im 17. Jahrhundert viel bewußter
vollzogen. A u f jeden Fall war dies eine Antwort auf die Reka-
tholisierungsversuche der Habsburger in Siebenbürgen. Wäh­
rend die Protestanten bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts deut­
sche Universitäten bevorzugten26, veranlaßte der Dreißigjährige
Krieg die Studenten, vor allem die jungen Calvinisten, ihre

25 Andreas Veress: Matricola et acta Hungarorum in Universitatibus Italiae


studentum 1221-1864, Budapest 1941; derselbe; A Paduai Egy-e-tem ma-
gyarországi tanulóinak anyakönyve és iratai (1264-1864), Budapest 1915;
Johann Andritsch: Studenten und Lehrer aus Ungarn und Siebenbürgen an
der Universität Graz (1586-1782), Graz 1965; Tonk Sándor: Erdélyek egy-
etemjárása a kôzépkorban, Bukarest 1979; Sigismund Jako: Despre cer-
cetärile privind inceputurile intelectualitätü din Transilvania. In: N. Edroiu,
A. Rädupu, P. Teodor (Hg.): Stat, societate, najiune. Interpretäri istorice, Cluj
1982, S. 186-200.
26 Astalos Miklós: A Wittenbergi egyetem magyarországi hallgatoinak névsora,
1601-1812, Budapest 1931; G. Henk van de Graef: A németalfoldi akadémiák
és az erdély protestantizmus a 18. Században, 1690- 1795, Cluj 1979.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibem ... 57

Ausbildung in den Niederlanden, England oder in der Schweiz


zu absolvieren.
Im Zuge dieser Orientierung kamen auch Studenten aus
Klausenburg in den europäischen Westen, lernten dort dessen
Eigenart kennen und machten darüber Aufzeichnungen. Sie
übernahmen von den Siebenbürger Sachsen die Gepflogenheit,
ein Tagebuch (Diarium) zu führen, ohne ausgesprochen literari­
sche Ziele zu verfolgen. Wie schon angemerkt, entstanden solche
Aufzeichnungen vor allem seit der zweiten Hälfte des 17. Jahr­
hunderts. Sie signalisieren, daß das Reisen einen neuen Sinn
bekam - sei es als nützliche »Flucht«, sei es als Quelle des Ver­
gnügens. Hiemit gewann auch die Fremde eine neue Qualität:
Sie diente sowohl dem Sammeln beruflicher und intellektueller
Erfahrung als auch als Ort der Projektion von Träumen für per­
sönliche Ziele ebenso wie für »nationale« Hoffnungen.
Miklös Misztötfalusi Kis (1650-1702) z. B., der Sohn eines
leibeigenen Bauern, machte sich mit mühsam zusammenge­
spartem Geld auf den Weg nach Amsterdam, um seine theologi­
schen Kenntnisse, die er in Siebenbürgen erworben hatte, zu er­
gänzen. Seiner Herkunft eingedenk, konnte er in Wien nicht
umhin, die Ähnlichkeit mit seiner Heimatstadt in Versen fest­
zuhalten: »Klausenburg, voller Schätze, wurde dir Name und
Erinnerung, oder Klein-Wien, denn fast ebenso überhäufte es
der Überfluß. Warst das Grenzhaus Siebenbürgens, bist sein
Organismus jetzt.«27 In Amsterdam angekommen, ließ er das
Interesse für Theologie fahren und erlernte die Druckerkunst.
In den zehn Jahren, die er dort verbrachte, stieg er zu einem der
berühmtesten Letterngraveure in Europa auf. Nach seiner Rück­
kehr nach Klausenburg im Jahre 1690 baute er nach ausländi­
schem Vorbild eine Druckerei auf, die eine reichhaltige Ver­
lagstätigkeit entwickelte. Hiedurch fanden bedeutende abend­
ländische Werke in Siebenbürgen weite Verbreitung.28

27 Kolozsväri emlekirök, S. 258.


28 Szij Rezsö: Misztötfalusi Kis Miklös, Budapest 1943.
58 Lucian Nastasä

Mehr inhaltliche und formale Farbe brachten ins Schaffen der


Klausenburger Memoirenschreiber die Tagebuchaufzeichnun­
gen von György Vizaknai Bereczk (1668-1720).29 1693 reist der
junge Vizaknai nach Holland, um Medizin zu studieren, und fer­
tigte ein wahres »Aide mémoire« seiner Reise an, in dem er seine
Reiseroute genauestens registrierte und der Nachwelt eine Fülle
von Informationen hinterließ - nicht nur über die politischen
Ereignisse, sondern vor allem auch über das Leben und Studium
der Siebenbürger, die sich am Ende des 17. Jahrhunderts den
Hochschulen im Westen zugewandt hatten.
Der Anfang seiner Reisen fiel auf den letzten Tag im August
1693, als er aufbrach, um sein Studium andernorts fortzusetzen,
das er am Kollegium von Straßburg am Mieresch/Aiud/Nagy-
enyed begonnen hatte.30 Der Wunsch wegzugehen war groß (»Mit
Gottes Hilfe möchte ich mich bewegen, in fremde Länder rei­
sen«31), wenngleich ihm die Vorstellung, allein ins Unbekannte
aufzubrechen, gleichermaßen Hoffnung und Bange einflößte:
Mach dich denn auf den Weg, getrieben vom allertraurigsten Los, als
wenn dein wildgewordenes Pferd dich den Gefahren des Lebens in
die Arme geworfen hätte. O bitteres Schicksal, welchen Zerstörungen
führst du mich entgegen!32

Wie auch andere siebenbürgische Studierende machte er nach


37 Reisetagen in Frankfurt an der Oder erst einmal Halt. Hier
fand er »äußerst günstige Bedingungen für die Fortsetzung des
Studiums«. Mehr als vier Monate hörte er die Vorlesungen von
Bernhardus Albinus (seit 1681 Professor für Praktische Medizin
an der dortigen Universität und Erster Arzt am Branden-
burgischen Hofe) und setzt gleichzeitig sein Studium der Car-
tesianischen Philosophie fort. Außerdem machte Vizaknai mit

29 Koloszväri emlekirök, S. 223-256.


30 Nachdem die Türken 1658 Weissenburg in Brand gesetzt hatten, verlegte
Fürst Mihäly Apafi die Hochschule von dort nach Straßburg (Aiud), in die
Nähe Klausenburgs, wo der Geist eines Coccejus und Cartesius weiterlebte.
Siehe Jako Zsigmond, Juhäsz Istvän: Nagyenyedi diäkök, Bukarest 1979.
31 Kolozsväri emlekirök, S. 223.
32 Ebenda, S. 224.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibern ... 59

dem städtischen und universitären Alltag erste Erfahrungen. Er


lernte bis dahin fremde Dinge kennen und war gezwungen, sich
den dortigen gesellschaftlichen Normen und den Verhaltenswei­
sen bei Ernährung und Kleidung anzupassen. »Das neue Bild der
Welt«, notierte er, »zwingt dich, dir selbst auch ein neues Äußeres
zu geben.«33 Er tätigte eine Menge Einkäufe, die er minutiös auf­
listete (Kragen, Krawatten, Spiegel, Hemdknöpfe, Studenten­
mappe usw.), und - eine Ironie des Schicksals - machte wie sein
ehemaliger Professor in Straßburg am Mieresch, Ferenc Päpai
Päriz (einst selbst Reisender durch Deutschland), mit den
Schneidern schlechte Erfahrungen, die ihm etwas »sehr Teures
und Schlimmes« anfertigten, nämlich »deutsche Kleider«. Ob­
wohl manches, was er gesehen und festgehalten hatte, unbedeu­
tend sein mag, zeigt es doch, wie sehr den jungen Siebenbürger,
der zum ersten Mal in der Fremde war, alles beeindruckte. Dabei
brachte Vizaknai der Fremde eine ungestüme Neugier entgegen
und suchte immer von neuem Informationen, die er in seine rei­
che Korrespondenz mit den zu Hause Gebliebenen (Päpai Päriz,
Istvän Enyedi, mit seinen Brüdern u. a.), mit anderen Studenten
oder mit Gelehrten des Auslandes einfließen ließ. Obwohl dieser
Briefwechsel34 größtenteils verlorengegangen ist, enthält das
Tagebuch die aus Utrecht, Leipzig, Berlin, Hamburg, Amsterdam
etc. eingetroffenen Nachrichten, deren Auswahl offenbar auf
Neuheit und Vielfalt beruhte (»sonderbare Dinge, die ich auch
anderen mitteilen möchte«). So hatte er z. B. einen Brief aus
Utrecht erhalten, aus dem zu entnehmen war, daß ein 13 Jahre
altes Mädchen enthauptet wurde, weil es seine Familie vergiftet
hatte35; von zu Hause hatte der Siebenbürger etwas Ähnliches
nie gehört.
Vizaknai blieb aber nicht nur in Frankfurt an der Oder. Über
Berlin reiste er nach Hamburg, wo er mehrere Tage verweilte.
Über »die Größe dieser Stadt« und über »die Menge seiner
Wasser« staunte er, worüber er zwar knappe, aber malerische
33 Ebenda.
34 Ungefähr 50 Briefe zwischen 1693-1696.
35 Kolozsväri emlekirök, S. 226
60 Lucian Nastasä

Aufzeichnungen machte.36 Dann ging seine Reise als das »größ­


te« Erlebnis per Schiff nach Leiden weiter. Die »wunderbare«
Landschaft Hollands, die er im Superlativ beschrieb, lockte ihn
so sehr, daß ihn die auf dem Meer erlittenen, schmerzlichen
Abenteuer nicht abhalten konnten, sich erneut nach Amsterdam
einzuschiffen, »dem zweiten Juwel der Welt«, und dann nach
Utrecht, der Stadt, die er von Apäczai Csere her kannte und
durch die auch Mihaly Töfeus, György Komäromi Csipkés, Istvan
Geleji Katona, Szämuel Enyedi, Janos Sikö, Kalman Igaz, Miklös
Bethlen u. a. gekommen waren. In Leiden hörte er ab Mai 1694
die Vorlesungen von Godofredus Bidloo (1649-1713), Professor
für Anatomie und Chirurgie und späterer Leibarzt des engli­
schen Königs Wilhelm III. Ebenda erweiterte er seine botani­
schen Kenntnisse und registrierte nebenei auch mehrere inter­
essante und lehrreiche Fälle aus der Sezierpraxis.37 Besonders
beeindruckte ihn aber das bunte Alltagsleben, das er äußerst far­
benfroh darstellte: Er schilderte »wunderbare K om ödien«, Thea­
teraufführungen, »Kunstsprünge« und »Schauspiele mit dres­
sierten Tieren«, Gassen voller »Vagabunden«, Bettler und Dir­
nen, Jahrmärkte usw., dabei alles mit einer Aufregung, die
zugleich fesselte und ängstigte.
A u f der ständigen Suche nach Neuem machte er sich
schließlich auf nach Franeker, den »Ort der himmlischen Mi­
nerva« und Sitz der größten Universität Hollands, wo er mit dem
berühmten Chirurgen Abraham Cyprianus arbeiten sollte. Hier
lernte er die Werke Amesius’, des Führers des englischen
Puritanismus, kennen, der zwischen 1622 und 1633 in Franeker
gelehrt hatte. Hier erwarb er schließlich, nachdem er einen »W eg
voller H indernisse« in der Medizin durchmessen hatte, den
Doktorhut (September 1695).
»Diesen schwachen Boden« verlassend, kehrte er nach Sie­
benbürgen zurück, in »unser teures Land«. Er nahm dieselbe
Route, war voller Hoffnung für seine Zukunft und erfüllt von

36 Ebenda, S. 228.
37 Ebenda, S. 230-231.
Das Europa-Bild bei den Klausenburger Memoirenschreibem ... 61

jenem Gedanken, den er einem anderen Reisekollegen kundtat:


»Geh, geh deinen Weg, es erwartet dich der Kämpfe Sturm, brich
die versteinerte Härte der Erde mit Glück.«38 In Klausenburg
angekommen, widmete er sich aber weniger der Medizin als dem
öffentlichen Leben der Stadt, in der er eine wichtige Rolle zu
spielen begann. Sein Tagebuch führte er zwar noch zwei Jahr­
zehnte weiter, jedoch nicht mehr mit jener Regelmäßigkeit wie
zur Studienzeit.
Diese Studie schenkte der Person Vizaknai Bereczk deshalb
breitere Aufmerksamkeit, weil dessen Aufzeichnungen die er­
sten waren, die einem für die damalige Zeit modernen Stil ent­
sprechen. Sie enthalten konkrete Aussagen zu einem für Sieben­
bürger anderen Europa, das für die Klausenburger der zweiten
Hälfte des 17. Jahrhunderts ein modellartiges Reiseziel gewor­
den ist. Vizaknais Aufzeichnungen spiegeln jene Gedanken und
Gefühle, Einsichten und Absichten einer ganzen Generation sie-
benbürgischer Gelehrter wider, die in den Westen kamen und da­
nach trachteten, den Ertrag ihrer Erfahrungen zu Hause nutz­
bringend anzuwenden.

38 Kolozsväri emlekirök, S. 237.


VENIAMIN CIOBANU

Die Europa-Rezeption in den rumänischen


Fürstentümern des 18. Jahrhunderts

EINLEITUNG

Anders als im 17. Jahrhundert hörte Europa im 18. Jahrhundert


auf, »ein einfacher Bezugspunkt« zu sein, sondern wurde »die
zentrale Idee der von den Philosophen der Aufklärung vertrete­
nen Doktrin«.1 Der Triumph dieses Begriffes wurde allerdings
auch als eines der Elemente »der europäischen Bewußtseins­
krise« betrachtet, durch die »Europa vor >die Christenheit« an
erste Stelle rückte«.2 Bis zu Luthers »reformatorischer Aktion«3
wurde Europa mit dem Katholizismus gleichgesetzt und in ideo­
logischer Hinsicht als einheitlich betrachtet, als eine Verkör­
perung der Christenheit. Beginnend mit dem 16. Jahrhundert
wurde der Begriff »Christenheit« jedoch einem fortwährenden
Prozeß der »Desakralisierung«4 unterzogen, so daß der Begriff
»Europa« im 18. Jahrhundert »in den alltäglichen Gebrauch« ein­
ging.5 Dem Verlust der religiösen Einheit folgte nach der Fran­
zösischen Revolution die politische Teilung, auf diese wiederum
durch die »moderne, experimentelle, nomologische, quantitative
Wissenschaft« die Teilung »aus der Sicht der Wissensmodali­
täten«.6 Trotzdem blieb bei den großen Aufklärern die Idee einer
Interessengemeinschaft ganz Europas aufrecht, und zwar des­
halb, weil die Fortschritte bei der Verrechtlichung des politischen

1 Alexandru Duju: Démètre Cantemir et l’image de la civilisation européenne.


In: Dacoromania. Jahrbuch für östliche Latinität 2, Freiburg/München 1974,
S. 22.
2 J. B. Duroselle: L’idée d’Europe dans l’histoire, Paris 1965, S. 105.
3 Andrei Marga: Filosofia unificärii europene, Cluj 1995, S. 27.
4 Vgl. Heinz Gollwitzer: Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deut­
schen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, München 1964, S. 42.
5 Duroselle: L’idée d’Europe, S. 105.
6 Marga: Filosofia, S. 28.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 63

Lebens sowie in den Wissenschaften und der Kultur dem Kon­


tinent eine führende Rolle für eine humanitäre Zukunft ver­
schafften.7
In der Zeit der Aufklärung gehörte zu den Axiomen westlichen
Denkens die Überzeugung, daß »die Zivilisation zutiefst verbun­
den ist mit dem Entwicklungsgrad des gesellschaftlichen
Lebens«.8 Ausgehend von dieser Sichtweise fuhr man fort, den
Südosten des Kontinents aus Europa auszuschließen, wodurch
das Osmanische Reich außerhalb jener »Grenzen, die das Europa
der Aufklärung sich gezogen hat«9 verblieb. Die Beschränkung
des Europa-Begriffs auf den Okzident geht gemäß einigen
Untersuchungen darauf zurück, daß das Osmanische Reich im
Unterschied zum Römischen oder Byzantinischen Reich ein po­
litisches Gebilde gewesen sei, in dem dem asiatischen Element
die Führungsrolle zukam.10 Obwohl der Verfall der türkischen
Macht den kulturellen »Dialog« mit den südosteuropäischen

7 Um diese kosmopolitische Auffassung zu illustrieren, reicht es zu erwähnen,


daß für Voltaire »die Völker Europas Humanitätsprinzipien haben, die man
in anderen Teilen der Welt gänzlich vermißt; sie sind untereinander verbun­
den; sie haben Gesetze, die ihnen gemeinsam sind; alle Herrscherhäuser sind
alliiert; ihre Untertanen reisen beständig und sind in gegenseitiger
Verbindung. Die christlichen Europäer sind das, was die Griechen waren; sie
kämpfen untereinander, aber behalten in diesen Auseinandersetzungen so­
viel guten Willen ..., daß oftmals ein Franzose, ein Engländer, ein Deutscher,
die einander begegnen, in der gleichen Stadt geboren zu sein scheinen«.
Voltaire: Discours préliminaire sur le poème de Fontenay 1745. Zit. nach
Duroselle: L’idée d’Europe, S. 120. In diesem Sinne äußerte sich auch Rous­
seau, für den Europa nicht »eine einfache Völkersammlung« war, wie in
Afrika oder Asien, sondern »eine wirkliche Gesellschaft«; deshalb »gibt es in
Europa nichts als Europäer«. J. J. Rousseau: Considération sur le Gouverne­
ment de Pologne. Zit. ebenda, S. 110,121.
8 Dufu: Démètre Cantemir, S. 21.
9 Ebenda, S. 25, siehe auch Larry Wolff: Inventing Eastern Europe, Stanford
1994.
10 Mihai Moraru: Note eu privire la caracterul european al literaturii romäne
vechi. In: Revista de istorie §i teorie literarä 1, Bucureçti 1982, S. 59. Der zi­
tierte Autor ist mit diesem Gesichtspunkt nicht einverstanden, da er der
Meinung ist, daß das asiatische Element die Strukturen des europäischen
Geistes im Osten des Mittelmeeres im Grunde genommen nicht fundamen­
tal verändern könne, sondern bloß eine temporäre Spaltung (ebenda).
64 Veniamin Ciobanu

Ländern begünstigte, fuhr das europäische Kollektivbewußtsein


trotzdem fort, diesen Raum wegen des osmanischen Faktors »als
eine fremde Welt, als eine Alterität, die nicht zu Europa zu
gehören scheint«, zu sehen.11 Südosteuropa gehörte demnach
deshalb nicht zu »Europa«, weil sich »Europa« gemäß Montes­
quieu und Voltaire aus bestimmten politischen Organisierungs­
formen der europäischen Staaten zusammensetzte, mit denen
das Osmanische Reich nicht die geringste Ähnlichkeit besaß.12
Aus diesem Grund fehlte im europäischen Kollektivbewußt­
sein das Bild über die Rumänen, die Balkanvölker und sogar
über die Ungarn, obwohl der Donauraum den Gelehrten nicht
unbekannt war. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts weitete
sich der Horizont, und zwar dank einiger Ereignisse politischer
Natur, die die Aufmerksamkeit des Westens auf sich zogen.13
Der in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch fehlende
»Dialog« beruht in erster Linie auf der Abgeschlossenheit der os-
manisch geprägten Gesellschaft. Es ist bekannt, daß die Hohe
Pforte in Konstantinopel alles, was eine Verletzung der Autorität
des Padischahs bedeuten konnte, untersagte; deshalb gab es -
ausgenommen während einer kurzen Zeitspanne im 18. Jahr­
hundert - keine Druckereien, die die Verbreitung der neuen
Ideen erleichtert hätten.14 Die Türken glaubten, dem Abendland
noch immer überlegen zu sein, und schlugen die intellektuellen
Vorzüge der europäisch-westlichen Gesellschaft daher aus. Die
Akzentuierung der Unterschiede zwischen »Europa« und dem
Osmanischen Reich konnte auch dadurch nicht gemildert wer­
den, daß die Türken, die keinen kulturellen Imperialismus be-

11 Alexandru Dupi: Cälätorii, imagini, constante, Bucureçti 1985, S. 130.


12 Ebenda, S. 135. »Voltaire ... kam zu der Schlußfolgerung, daß »unser Europa»’
von Thrakien, wo sich die Osmanen installiert haben, verschieden war«, und
»bei Montesquieu findet die Eliminierung des Osmanischen Reiches klarer
statt, da er einen Mythos des Despotismus aufbaut, ausgehend von den
Beispielen Persiens, der Großmongolei und des Osmanischen Reiches«.
Ebenda, S. 36.
13 Dufu: Cälätorii, S. 143 ff. Derselbe: Démètre Cantemir, S. 26.
14 Alexandru Dufu: Communication intellectuelle et image de l’Europe. In:
Revue des étude sud-est européennes (= RESEE) 2, Bucureçti 1983, S. 81 ff.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 65

trieben und den von ihnen beherrschten nichtmoslemischen


Völkern nicht nur deren Religion, sondern auch Sprache, spezi­
fische Bräuche und Traditionen bewahren ließen, den Expo­
nenten dieser Völker die Berührung mit dem im Westen er­
reichten Fortschritt nicht verwehren konnten. Die wiederholten
und immer katastrophaleren Niederlagen der osmanischen
Armeen im Kampf mit »europäischen« Truppen hatten jedenfalls
immer stärkere Grenzkontrollen zur Folge, die die Rezession in
der osmanischen Wirtschaft beschleunigten.15 Es muß darauf
hingewiesen werden, daß die osmanischen Historiker und Geo­
graphen bis ins 19. Jahrhundert die in Europa üblichen Be­
nennungen für die Kontinente ignorierten; sie teilten die Welt
nach wie vor ohne Rücksicht auf politische und kulturelle Kri­
terien nach dem Klima der bewohnten Gebiete ein. Angesichts
der geringen Bedeutung, die der Islam der Einteilung der Welt
in Länder und Völker beimaß, schreibt Bernard Lewis, »many
countries lack a specific country name ... the logic of Islamic law
... does not recognize the permanent existence on any other po-
lity outside Islam«.16
Trotzdem bewirkte das 18. Jahrhundert bei den Osmanen
einen Umschwung in deren Haltung gegenüber »Europa«. Das
Bewußtsein der eminenten Gefahr seitens der europäischen
Heereskräfte bewirkte, daß einige Sultane und hohe türkische
Würdenträger für die Mißerfolge der osmanischen Armee Er­
klärungen und Mittel zu deren Behebung suchten. A uf diesen
Umstand geht das Interesse für die »europäische« Kriegskunst
und auch der Versuch zurück, das Osmanische Reich nach

15 Für Einzelheiten siehe Se?il Akgün: European Influence of the Development


of the Social and Cultural Life of the Ottoman Empire in the 18th Century.
In: RESEE 2/1975, S. 89 ff.
16 Bernard Lewis: The Muslim Discovery of Europe, New York/London 1982,
S. 60 f. »Muslim civilization, proud and confident of its superiority, could af­
ford to despise the barbarous infidel in the cold and miserable lands of the
north, and for the medieval Muslim in the Mediterranean lands, the
European, at least to the north and west, was a remoter and more mysterious
figure than the Indian, the Chinese, or even the inhabitant of tropical Africa.«
Ebenda, S. 89.
66 Veniamin Ciobanu

abendländischem Vorbild zu modernisieren. Dieser Prozeß kam


erstmals 1703 in Gang, als Ahmed III. den Thron bestiegen und
Rami Mehmed Pascha das Amt des Großwesirs eingenommen
hatte; letzterer war türkischer Bevollmächtigter bei den
Friedensverhandlungen von Karlowitz/Sremski Karlovci gewe­
sen. Er - »Kulturmensch und Advokat des Friedens« - stieg mit
seinem persönlichen Berater Nefiyoglu17 zum Anführer einer
kulturellen Bewegung auf, die in der osmanischen Geschichte als
»Tulpenzeit« bekannt geworden ist. Um die Errungenschaften
»Europas« und deren Adaption für die Türken herauszufinden,
reisten etliche osmanische Botschafter nach Paris, London,
Berlin, Wien, Madrid und schließlich auch nach St. Petersburg.
Das Streben nach Öffnung und nach Aufbrechen des moslemi­
schen Ideologiemonopols mittels Gründung von Druckereien
und Periodika scheiterte jedoch, denn ein großer Aufstand in
Konstantinopel (1730) führte zum Sturz von Sultan Ahmed III.
und zum Tod des Großwesirs Damad Ibrahim Pascha.18
Neue Schritte in Richtung Neuorientierung erfolgten in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, nachdem sich Rußland auf
den Weg zu einer europäischen Großmacht gemacht hatte;
Konstantinopel widmete diesem Vorgang viel Aufmerksamkeit.
Die osmanischen Botschafter, die z. B. nach Berlin, Wien oder
Madrid geschickt wurden, bewiesen viel mehr Geschick als ihre
Vorgänger, nicht zuletzt deshalb, weil es ihnen gelang, die wich­
tigsten Elemente »europäischer« Entwicklung herauszufinden.

17 Halil Inalcik: Introducere la Dimitrie Cantemir. Historian of South East


European and Oriental civilisation. Auszug aus: Alexandru Du£u, Paul
Cernovodeanu (Hg.): The History of the Ottoman Empire, Bucarest 1993,
S. 6.
18 Für Einzelheiten siehe Lewis: The Muslim Discovery, S. 114 ff., 168 f.; Anton
C. Schaendlinger: Die Entdeckung des Abendlandes als Vorbild. Ein
Vorschlag zur Umgestaltung des Heerwesens und der Außenpolitik des
Osmanischen Reiches zu Beginn des 18. Jahrhunderts. In: Gernot Heiss,
Grete Klingenstein (Hg.): Das Osmanische Reich und Europa 1681 bis 1789.
Konflikt, Entspannung und Austausch, Wien 1983, S. 91; Akgün: European
Influence, S. 91 ff. Letzterer hielt Damad Ibrahim Pascha für »einen großen
aufgeklärten Wesir«. Ebenda, S. 93; Dufu: Cälätorii, S. 122-125.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 67

Mehr noch, die Einsicht in die Notwendigkeit, »to study this


stränge and now dangerous society«19, führte gegen Ende des 18.
Jahrhunderts zur Einrichtung permanenter osmanischer Bot­
schaften. Aus demselben Grund wurde letztendlich die Einfüh­
rung der Druckpresse akzeptiert, da durch diese »European rea-
lities and ideas could reach the Muslim reader«.20 So gilt, daß
»der Große Türke europäisch wurde in dem Augenblick, da er
sich an die Zivilisation der Aufklärung anpaßte«.21 Dieser die
Türken betreffende Vorgang ist wichtig im Auge zu behalten, will
man die Verhältnisse in den rumänischen Fürstentümern des
18. Jahrhunderts verstehen.

DAS EUROPA-BILD IM MOLDO-WALACHISCHEN


SCHRIFTTUM DES 18. JAHRHUNDERTS

Gemäß den bisherigen Forschungen über die rumänische Auf­


klärung wurde Europa in den intellektuellen Kreisen der
Moldau und Walachei vor allem als jene Kulturzone begriffen,
die anderen Zonen - vor allem jener unter der Kontrolle des
Osmanischen Reiches - eindeutig überlegen war. Eine aufmerk­
same Untersuchung der zeitgenössischen Quellen deutet jedoch
an, daß der Inhalt des Begriffes »Europa« je nach Kontext einen
geographischen, politischen oder kulturellen Sinn haben konnte.
Soundso oft fielen alle drei Bedeutungsvarianten zusammen,
manchmal nur zwei davon, immer aber so, daß eine Variante do­
minierte.
Es ist nachgewiesen worden, daß die Fortschritte im Bereich
der Geographie bei der Entstehung des Europa-Bildes eine si­
gnifikante Rolle gespielt haben.22 Die ersten rumänischen Über-

19 Lewis: The Muslim Discovery, S. 303; Akgün: European Influence, S. 91.


20 Lewis: The Muslim Discovery, S. 303.
21 Dufu: Cälätorii, S. 153.
22 »Vor allem mittels der Geographie, die zu den Kenntnissen über die physi­
kalischen Aspekte der Kontinente Daten über die Fortschritte der Wissen­
schaft, der Wirtschaft, des politischen Lebens in expansiven Gesellschaften
wie England oder Frankreich hinzufügt. Die geographischen Eroberungen
68 Veniamin Ciobanu

Setzungen geographischer Schriften - wahrscheinlich aus dem


Griechischen - stammen vormutlich aus dem Jahre 1700. Es
geht um »Povestea tärilor §i inpärä^iilor cite-s in pämintul Asiei«
und um »Cozmografie, ce sä zice inpär^eala pämintului pre hartä
§i prea alte semne ce sunt in cercurile ceriului«.23 Vor allem di­
daktische Bedürfnisse führten zur Vervielfältigung derartiger
Arbeiten. Um das Jahr 1711 übersetzte der moldauische Chro­
nist Nicolae Costin nach einer polnischen Version aus dem Jahre
1659 das Werk des italienischen Gelehrten Giovanni Boterò
Benese »Le Relazioni unversali«.24 Der rumänische Übersetzer
überarbeitete die im Original sowie in der polnischen Version
enthaltenen Informationen über die Moldau und die Walachei
jedoch radikal, indem er sie mit Daten aus anderen Quellen25 ak­
tualisierte, weil es ihm offenbar darum ging, die beiden Länder
in geographischer Hinsicht so korrekt wie möglich auf dem eu­
ropäischen Kontinent einzuordnen. Um nur ein Beispiel zu brin­
gen: In seiner Beschreibung der Marktflecken der Moldau hob
Nicolae Costin hervor, daß Cotnari »zu der Zahl der Orte Europas
gehört, wo gute Weine gemacht werden, denn wahrlich der
Wein von Cotnari ist mancherorts so gut wie der ungarische
Wein . ,.«.26 Im gleichen geographischen Sinn hat Nicolae Costin
in seiner Chronik den Begriff »Europa« benützt, wenn er be­
hauptet, daß »auch Konstantinopel und wieviel Länder die
Türken in diesem Teil der Welt halten, der sich Europa nennt,

setzen sich dabei als Resultate einer der beständigsten Aktivitäten der
Europäer durch.« Siehe Dupi: Cälätorii, S. 282.
23 N. A. Ursu: Formarea terminologiei §tiinpfice romäne§ti, Bucure§ti 1962,
S. 13. Der Autor gibt als Ort der Übersetzung »Muntenien oder Südtrans­
silvanien« an. Catalina Velculescu (Animale fantastice §i Tara preo^ului Ioan.
In: Manuscriptum 2—4, Bucure§ti 1991, S.23) nennt als Autor der Überset­
zung Costea Dascälul aus Brasjov.
24 Siehe N. A. Ursu: Nicolae Costin, traducätor al geografici universale a lui
Giovanni Boterò. In: Revista de Istorie §i teorie literarä 3-4/1991, S. 366 ff.
Siehe auch derselbe: Formarea, S. 13 f.
25 Derselbe: Nicolae Costin, S. 370.
26 Biblioteca Academiei Romàne. Ms. 1556 f. 87 v. r. 11-16. Zur Identifizierung
siehe N. A. Ursu: Nicolae Costin, S. 366.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 69

Teil des Römischen Reiches ist«.27 Der Kontinent Europa ist bei
Costin einer der »vier Teile der Welt«, während die anderen drei
Asien, Afrika und Amerika sind, die in ihren geographischen
Abgrenzungen gleichfalls detailliert beschrieben werden.28 Die­
ser Art der Verwendung des Europa-Begriffes steht jener politi­
sche Sinn gegenüber, wenn Costin die Eroberungen Attilas schil­
derte, der unter anderem »ganz ... Europa oder das Tatarenland«
unter seine Herrschaft brachte und an dessen Spitze dann sei­
nen Bruder setzte.29
Eine sowohl geographische als auch politische Bedeutung hat
der Begriff »Europa« auch für einen walachischen Chronisten,
nämlich für den Muntenier Radu Popescu. Den Schilderungen
über die Eroberungen des Sultans Bayazid in Asien fügte er
hinzu, daß jener, »nach Europa zurückkehrend, viele Kriege
führte ...«30; aus »Europa« sammelte auch Sultan Murad einen
großen Teil seiner Truppen, die er 1636 gegen die Perser
sandte.31
Der moldauische Chronist Ion Neculce wußte, daß bei den
Friedensverhandlungen von Karlowitz, deren Ziel die Beendung
des 1683 begonnenen Krieges zwischen der Heiligen Liga und
dem Osmanischen Reich war, sich Abgesandte aus »allen Län­
dern Europas« versammelt hätten, nämlich »aus Polen, aus
Frankreich, aus Venedig, aus England, aus Holland, aus Rußland
und aus anderen Ländern«.32
Im Werk des moldauischen Fürsten-Gelehrten Dimitrie
Cantemir jedoch, das die Grundlagen für die »Terminologie der
rumänischen Geographie« legte, dominiert die geographische
Seite des Europa-Begriffes.33 Wie man weiß, leistete Cantemir

27 Nicolae Costin: Opere I. Letopisepd färii Moldovei de la zidirea lumii pinä


la 1601 §i de la 1609 la 1711, Ia§i 1976, S. 48.
28 Ebenda, S. 49 f.
29 Ebenda, S. 68.
30 Radu Popescu: Istoriile domnilor färii Romäne§ti, Bucuresti 1963, S. 13.
31 Ebenda, S. 99.
32 Ion Neculce: Letopise^ul färii Moldovei de la Dabija Vodä pinä la douä dom-
nie a lui Constantin Mavrocordat §i o samä de cuvinte, Bucuresti 1982, S. 395.
33 Ursu: Formarea, S. 13.
70 Veniamin Ciobanu

auf kartographisch-landeskundlichem Gebiet viel, das später »in


ganz Europa« unleugbare Bedeutung bekam.34 In seiner
»Descriptio Moldaviae« betonte er, als er die Grenzen des Landes
beschrieb, daß die Donau, die seit eh und je die südliche Grenze
bilde, »der größte Strom Europas ist«.35 Ähnlich zu werten ist
auch seine qualitative Einschätzung des Cotnarer Weines, den
er für »ausgewählter und edler als die anderen Weine Europas,
sogar als der Tokayer«, hielt.36 Es fehlt auch nicht der politische
Zusammenhang, wenn Cantemir in seiner »Descriptio« den süd­
osteuropäischen Raum (insbesondere die Moldau) mit allen
Mitteln als integralen Bestandteil Europas aufzuweisen unter­
nahm, der vom europäischen Geist zehre wie er als eine der
Quellen des gleichen Geistes auch ausstrahle.37 In den zwei an­
deren, sehr bekannten Werken des Autors (»Hronicul vechimii a
romano-moldo-vlahilor« und »Istoria imperiului otoman«) taucht
der Begriff »Europa« ebenso in seiner geographischen Bedeu­
tung auf. So verwendete Cantemir bereits in der Einführung zur
»Hronic« den Terminus »Europa«, um die geographische Zone zu
benennen, der auch die »Romano-Moldo-Vlahii« angehörten.
Anders als die Völker Westeuropas, die mit Ausnahme der
Deutschen über ihre ethnische Herkunft keine Kenntnisse hät­
ten, wüßten die Rumänen nach Cantemir um ihre römische
Abkunft.38 Indem er auf die Zeugnisse der antiken Schriftsteller
zurückgriff, gab es für ihn keinen Zweifel, daß die Daker von
Anbeginn an in Europa gelebt hätten.39 Europa bezeichne den
Kontinent als solchen, für dessen Beherrschung die Römer den
Angriffen der Barbaren standhalten mußten. Die Aufgabe

34 Victor Andrei: Cu privire la influenza härpi Moldovei asupra cartografiei


europene din seeolul al XVIII-lea. In: Analele §tiinpfice ale universitäßi »Al.
I. Cuza« (Serie Nouä) secpunea II, geologie-geografie XXXII, Ia§i 1986, S. 87.
35 Siehe Alexandru Husar: Ideea europeanä sau noi §i Europa (istorie, culturä,
civilizaße), Ia§i-Chi§inäu 1993, S. 115.
36 Ebenda, S. 116.
37 Ebenda, S. 122.
38 Dimitrie Cantemir: Hronicul vechimii a romano-moldo-vlahilor, Burniresti
1901, S. 10 ff.
39 Ebenda, S. 71.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 71

Dakiens unter Kaiser Aurelian wurde daher als Folge gerade die­
ser Kriege gewertet.40 Die gleiche Interpretation ist auch jener
Erwähnung zu entnehmen, als sich die Slawen »in Europa« nie­
dergelassen haben, während die Feststellung, daß »die himmli­
sche Ordnung« die Türken zu den »Herren Europas, Asiens und
Afrikas« gemacht habe, auch einen politischen Hintergrund
hatte.41 Cantemir benutzte den Begriff Europa daher auch
schon, als er die Umstände beschrieb, durch die die Türken wie
auch die Tataren erstmals auf den Kontinent kamen42 (die »von
allen anderen Völkern Europas unbesiegten Barbaren«, die sich
allerdings »aus den Gebieten Europas« wieder zurückzogen43).
Im zweiten, äußerst bedeutenden Werk des Gelehrten (»Istoria
imperiului otoman«) ist die geographische Seite des Europa-
Begriffs noch offensichtlicher, da hier das Pendeln der osmani-
schen Armeen zwischen Asien und Europa bis zur Eroberung
Konstantinopels hervorgehoben wird. Das Vordringen der Tür­
ken auf den europäischen Kontinent begann gemäß Cantemir
durch die Kolonisierung einiger Scharen befreundeter Völker,
die Sultan Murad zwang, »nach Europa zu kommen«.44 Darauf
folgten militärische Expeditionen kleineren Ausmaßes, die eher
»die Erforschung« bestimmter Gebiete zum Ziel hatten, wie dies
auch 1338 der Fall war, als Sultan Orhan seinen Sohn Süleyman

40 Aurelian täuschte sich in der Annahme, er werde Dakien gegen die »Tata-
reneinfälle« nicht verteidigen können, und also »kamen die Römer aus
Dakien vergebens über die Donau, richteten doch die Tataren nicht gegen
Europa ihre Raubzüge, auch nicht gegen Dakien (...), sondern bahnten sich
anderen Weg übers Meer nach Asien hin ...«. Ebenda, S. 226 f., auch S. 210,
224.
41 Ebenda, S. 132,170.
42 Nachdem Sultan Orhan 1326 in Asien eine Reihe von Eroberungen vollen­
dete, schickte er seinen Sohn Süleyman »nach Europa«, und Murad, der
Nachfolger Orhans, »kam ganz nach Europa« und machte sich unter ande­
rem auch die Walachei untertan. Ebenda, S. 440 f.
43 Ebenda, S. 465, 478. Vor dieser Episode erwähnte Cantemir die Bulgaren,
»welche schon lange in das Gebiet Europas gekommen und mit der Ortho­
doxie sich erhellt hatten«. Ebenda, S. 455.
44 Dimitrie Cantemir: Istoria Imperiului otoman. Creçterea §i descreçterea
lui I, Bucureçti 1876, S. 17.
72 Veniamin Ciobanu

schickte, »zu versuchen, nach Europa vorzudringen«.45 Süley-


man habe seinen Auftrag sogar übererfüllt, indem es ihm gelun­
gen sei, 3000 Türken von »Asien nach Europa« zu führen.46
Damit habe der siegreiche Feldherr die Serie der weiteren mi­
litärischen Expeditionen eröffnet, die die Eroberung einiger by­
zantinischer Festungen zur Folge hatten, darunter »Gallipoli,
welches sich zu Recht als Schlüssel nicht nur Konstantinopels,
sondern auch ganz Europas versteht«.47 Die gleiche
Doppelbedeutung des Begriffes »Europa« (geographisch und po­
litisch) verwendete Cantemir auch bei jener Beschreibung, als
die Bulgaren auf Antrag des byzantinischen Kaisers Andronikos
Palaiologos durch die Türken im Jahre 1365 besiegt wurden.48
Die Anwesenheit osmanischer Truppen auf europäischer Seite
wurde unter Sultan Bayazid zur Gewohnheit, denn dieser habe
zwischen Asien und Europa gependelt und habe u. a. die
Donaufestungen Nikopolis, Silistra und Rustschuk erobert.49
Die Absicht, den Truppen nach den Kämpfen eine
Verschnaufpause zu gönnen, habe er wieder aufgeben müssen,
da »die Kuriere einer nach dem anderen kamen und ihn nach
Europa riefen«50, um der christlichen Koalition unter dem
Ungarnkönig Sigismund von Luxemburg bei Nikopolis entge­
genzutreten. In Zusammenhang mit der katastrophalen
Niederlage für die christlichen Streiter gebrauchte Dimitrie
Cantemir auch den Begriff »Okzident«, um Europa und seinen
Bewohnern einen politischen Sinn zu geben.51
Das Interesse für die Geographie insbesondere Europas nahm
in den rumänischen Fürstentümern in der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts deutlich zu. Anstöße hiezu gaben neben schu­
lischen Bedürfnissen die immer häufiger werdenden Kontakte

45 Ebenda, S. 34.
46 Ebenda, S. 35 f.
47 Ebenda, S. 36.
48 Ebenda, S. 54 f.
49 Ebenda, S. 61-64.
50 Ebenda, S. 66.
51 Ebenda, S. 66 f.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 73

zwischen den Moldauern und Walachen und dem übrigen Kon­


tinent, herbeigeführt durch Reisen (auch wenn es bis Ende des
Jahrhunderts noch keine Reisebeschreibungen gab52) und durch
den Auftrag der phanariotischen Fürsten, die Hohe Pforte über
alles zu informieren, was sich in »Europa« zutrug. Diesem Ziel
scheint auch das Ansuchen La Roches, des französischen Sekre­
tärs des moldauischen Fürsten Grigore Callimachi, am 13. Sep­
tember 1762 beim polnischen Dolmetscher Giuliani gedient zu
haben, als ihn jener im Auftrag des Fürsten bat, 15 geographi­
sche Karten zu beschaffen, »des plus grandes, de plus exactes et
de plus récentes: trois mappes mondes, trois Asie, trois Europes,
trois Afrique et trois Amériques«, wobei er hinzufügte, daß »il
nous presse fort de les trouver«.53 Vielleicht gerade deswegen
kam Giuliani seiner Bitte nach, wofür ihm La Roche am 21.
Dezember 1762 dankte.54 Es kam zu weiteren Übersetzungen
und Anpassungen geographischer Arbeiten, so daß der geogra­
phische Begriff »Europa« im Bewußtsein der moldo-walachi-
schen Rumänen immer präsenter wurde. So kam es 1766 zur
Erstellung einer Kopie des von Nicolae Costin übersetzten Bu­
ches von Giovanni Botero Benese »Le Relazioni universali«, die
der Ordenspriester Antim aus dem Kloster Cozia auf Geheiß des
dortigen Archimandriten Sofronie angefertigt hat. 1774 wurde
derselbe Text von Diakon Anatolie, einem Mönch des Bistums
Rimnic, nochmals abgeschrieben.55 Die Vervielfältigung des
Werkes von Botero beruhte nur teilweise auf dem Wunsch, ge-

52 Es geht um die Reise nach Karlsbad des oltenischen Bojaren Barbu §tirbei.
Siehe dazu Nicolae Iorga: Un boier oltean la Karlsbad in 1796-1797.
Cälätoria lui Barbu §tirbei in Apus. Auszug aus: Analele Academiei Romane
seria II/XXIX (Memoriile Secpunii Istorice), Bucure§ti 1906, S. 1 ff. Siehe
auch Vlad Georgescu: Istoria romänilor, Los Angeles 1984, S. 119.
53 Nicolae Iorga: Documente privitoare la familia Callimachi II, Bucure§ti 1902,
S. 299.
54 Am 17. Januar schrieb er ihm erneut, diesmal in Zusammenhang mit der
Begleichung der Kosten für die beschafften Landkarten. Siehe ebenda, S. 309,
Anmerkung 1.
55 Ursu: Formarea, S. 12-15.
74 Veniamin Ciobanu

nauere Informationen über die damals insgesamt bekannte Welt


zu liefern: Das Hauptinteresse galt zweifellos Europa.56
Es folgten die Übersetzungen anderer Universalgeographien,
wie z. B. die »Gheografie noao«, die um 1780 in der Moldau über­
setzt wurde und in Manuskriptkopien blieb. Der Übersetzer
konnte noch nicht festgestellt werden, aber man weiß, daß der
Autor des Buches der Engländer Patrick Gordon war. Das Buch,
das auch Europa zum Gegenstand hat, wurde 1760 aus dem
Englischen ins Griechische übersetzt.57 Es folgte »A toatä lumea
cälätorie §i în§tiinÇare de lumea cea veche §i cea nouä«, eine
Übersetzung des berühmten kompilatorischen Werkes »Le voya­
ger français« des Abbé Josef de la Porte in vier Bänden. Der
rumänische Übersetzer wurde in der Person des russischen
Generals rumänischer Herkunft Mihail Cantacuzino herausge­
funden, dem die 1785 erschienene russische Version als Vorlage
gedient hatte.58
Eines der letzten geographischen Werke, das im letzten Jahr­
zehnt des 18. Jahrhunderts in Um lauf kam und die Kenntnisse
über Europa bereicherte, ist die kompilatorische Schrift des
Bischofs Amfilohie Hotiniul »De ob§te gheografie«, die sich, 1795
in Ia§i gedruckt, an dem Werk des Jesuiten P. C. Bufier ausrich­
tete. Es scheint, daß Amfilohie Hotiniuls Schrift bekannt war
und in den Schulen daher Anwendung fand, lange bevor sie in
gedruckter Form veröffentlicht wurde.59 Sie stellte für die Zeit
kurz vor 1800 »einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung und
Verbreitung der rumänischen Geographieterminologie« dar.60
Im ersten Teil mit dem Titel »Über Europa« werden die Längen-
und Breitengrade des Kontinents, dessen geographische Gren­
zen sowie auch dessen Einteilungen wiedergegeben: Nordeuropa

56 Siehe Velculescu: Animale, S. 33.


57 Ursu: Formarea, S. 22.
58 Ebenda, S. 16.
59 Ursu: Formarea, S. 22.
60 »Dieses erste in rumänischer Sprache gedruckte Lehrbuch der Geographie
hatte große Verbreitung nicht nur in der Moldau, sondern auch in den rumä­
nischen Schulen aus Muntenien und Siebenbürgen« (ebenda).
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 75

(Rußland, Schweden, Dänemark, Norwegen, England »mit sei­


nen Inseln«, Irland, Grönland und die Ostsee); Westeuropa
(Polen, Deutschland, Frankreich) und Südeuropa, das »die Ge­
biete umfaßt, die zum türkischen Reich in Europa gehören«, und
zwar die Krim, die Moldau, die Walachei, Rumelien, sowie »an­
dere, die zu anderen gehören«, also die Schweiz, Italien, Spanien,
Portugal, und »alle Inseln des Weißen Meers«, d. h. der Ägäis.61
Das vom Autor verfolgte Ziel bestand nicht nur in der Weiter­
vermittlung von »wissenschaftlichen« Geographiekenntnissen,
sondern vor allem darin hervorzuheben, daß die rumänischen
Fürstentümer, obwohl Teil des Osmanischen Reiches, Bestand­
teile Europas waren. Deswegen begann er die Beschreibung des
Kontinents nicht, wie es normal gewesen wäre, mit dem ersten
Teil, sondern mit dem dritten, gerade »weil wir [die Rumänen]
uns im dritten Teil und im türkischen Reich befinden«.62 Folglich
machte Amfilohie Hotiniul, nachdem er den Vorstoß der Türken
nach Europa geschildert und die geographischen Koordinaten
der europäischen Provinzen des Osmanischen Reiches angege­
ben hatte, im Kapitel »Über die Türkenherrschaft in Europa«
einige Bemerkungen zum Schematismus des Sultansstaates,
wobei er dessen religiöse Toleranz besonders hervorhob. Diese
nämlich ermögliche es den Christen des Reiches, ihre ethnische
und religiöse Identität zu wahren - einigen von ihnen, wie auch
den Rumänen, sogar die staatliche. Die Moldau und Walachei
wurden folgerichtig in den nördlichen Teil der europäischen
Hemisphäre des Osmanischen Reiches plaziert. Die Betonung
der besonderen Lage der beiden Fürstentümer - klare Grenzen
sowie eine eigene Verwaltung63 - erklärt einmal mehr, daß dem
Autor bei der Beschreibung der europäischen Provinzen des
Osmanischen Reiches diese beiden Länder als zentrale Idee vor­
schwebten.

61 Vgl.: De ob§te gheografie. Pe limba romäneascä scoasä de pe gheografie lui


Bufier dupä orinduiala care acum mai pe urmä s-au väzut in Academiia din
Paris, Ia§i 22 august 1795 de Amfilohie Hotiniul arhiereu, S. 6 f.
62 Ebenda, S. 7.
63 Ebenda, S. 8 ff.
76 Veniamin Ciobanu

Obwohl die geographischen Kenntnisse über Europa bereits


ziemlich fortgeschritten waren, gab es noch immer die »Tendenz,
Europa mit der Christenheit gleichzusetzen, mit dem Teil, der
sich außerhalb der osmanischen Oberhoheit befand«.64 Diese
Komponente des Begriffes war auch bei Voltaire präsent, der von
einem »christlichen Europa« sprach.65 Was die Rumänen betraf,
war der politische Sinn der Begriffe »christlich« und »Chri­
stenheit« als Bestandteile des Europa-Begriffes - vor allem in
den Werken der Chronisten - üblich, spitzte sich allerdings
wegen der panorthodoxen Propaganda der Russen während der
russisch-türkischen Kriege und russischen Besatzungen in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts zu. Vom Unterschied zum
nichtosmanischen Teil Europas nicht nur in kultureller, sondern
auch in politischer Hinsicht sprach auch der Gelehrte und reli­
giöse Redner Antim Ivireanu Anfang des 18. Jahrhunderts. Er
glaubte an »die traditionelle Universalität im christlichen Eu­
ropa« und sah die Rettung für sein Vaterland - die Walachei - in
einem Bündnis mit den beiden großen Nachbarreichen: dem or­
thodoxen Zarenreich und dem katholischen Habsburgerreich.66
Um die gleiche Zeit bemerkte der moldauische Chronist
Nicolae Muste, daß es im Gegensatz zu den Türken bei den
Christen die Unveränderlichkeit der Landesherrschaft gebe.
Gerade weil er die Rückkehr zu diesem Brauch wollte, beeilte
sich Dimitrie Cantemir, mit dem Zaren Peter I. ein Bündnis ein­
zugehen, mit jenem »christlichen Kaiser«, dessen Ankunft in Ia§i
1711 das Volk mit Begeisterung bejubelte und hoffte, Gott »hätte
... einen christlichen Kaiser« gesandt, um es »vom Joch der
Heiden« zu befreien.67 Daher auch die Meinung des Chronisten,

64 Alexandru DuÇu: Etapele civilizapei europene în viziunea umaniçtilor


romàni. In: Studii. Revista de istorie 5, Bucureçti 1974, S. 717 f.
65 Duroselle: L’idée d’Europe, S. 110.
66 Alexandru Du(u: Politicâ §i cultura la Antim Ivireanu. In: Buridava. Studii
§i materiale, Rîmnicu Vîlcea 1976, S. 95.
67 Nicolae Muste: Letopisepil ferii Moldovii. De la domnia lui Istratie Dabija
v.v. pînâ la a treia domnie a lui Mihai Racovifâ v.v. (1622-1729). In: Mihail
Kogàlniceanu: Cronicile României sau Letopisefele Moldaviei §i Valahiei III,
Bucureçti 1874, S. 46.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 77

daß der Tod Peters des Großen 1725 bloß den Türken »große
Freude« bereite, während »unter den Christen große Klage und
Trauer« herrsche.68 Aus diesem Grund wurden die Unruhen, die
die 1716 in die Moldau eingedrungenen habsburgischen Trup­
pen hervorriefen, verurteilt, während dem »wahren Christen es
mehr bedeutet, den von Christus auf moldauischem Territorium
geschaffenen Frieden zu wahren denn einen Krieg zu beginnen
zur Begleichung der ihm anhaftenden Ungerechtigkeiten«. Die­
sem Prinzip folgte auch der moldauische Fürst Mihai Racovi^ä,
als er eine Zeitlang zögerte, mit Gewalt zu antworten.69
Ein anderer Chronist, Radu Logofätul Greceanu, notierte mit
Genugtuung, daß die Türken infolge des Friedens von Karlowitz
(1699) die Festung Kamieniec an ihre früheren Besitzer, die
Polen, zurückgeben mußten, denn dies erwecke »in der ganzen
Christenheit - also in ganz Europa« - viel Freude, und die »Chri­
sten« rühmten Gott für dieses »Wunder«.70 Der Chronist unter­
strich den Begriff »christlich-europäisch« jedoch, indem er jenen
der »rechtgläubigen Völker« hinzufügte, worunter er sowohl die
Rumänen als auch die christlich-orthodoxen Völker des Balkans
verstand.71 Der Sieg der in der Heiligen Liga verbündeten
Christen bei Wien im Jahre 1683 hatte zur unmittelbaren Folge,
daß die osmanische Macht auch in der »Ukraine« zurückgehe72,
denn der Türke sei der Feind »der ganzen Christenheit«; sein
»Joch« drücke nicht nur die Moldauer, sondern »auch andere
christliche Gebiete«.73 Andere Belege für die synonyme Bedeu­
tung von »europäisch« und »Europäer« waren »christlicher
Fürst«, »christliche Monarchen«, »Christenreiche«, »die christli­
chen Kaiser und Fürsten«.74 Im gleichen Sinn ging auch der

68 Ebenda, S. 70.
69 Ebenda, S. 59.
70 Radu Logofätul Greceanu: Istoria domniei lui Constantin Brincoveanu voie-
vod (1688-1714), Bucure^ti 1970, S. 130.
71 Ebenda, S. 193.
72 Costin: Opere I, S. 112.
73 Ebenda.
74 Ebenda, S. 118,170,184.
78 Veniamin Ciobanu

Chronist Axinte Uricariul vor, wenn er, bezogen auf den Vertrag
von Karlowitz, schrieb, der Friede sei »zwischen dem Reich [der
Hohen Pforte] und anderen christlichen und Kaiser- und
Königreichen« geschlossen worden.75 Das Osmanische Reich war
für ihn »ein starker und gemeinsamer Feind der ganzen Chri­
stenheit«.76
Zu dieser Zeit tauchte zur Bezeichnung des von den Türken
bedrohten Europa noch ein anderer Begriff auf - der Terminus
»Abendland«. Der anonyme Autor der »Istoria färii Romäne§ti«
wies darauf hin, daß die Türken zu Ende des 18. Jahrhunderts
noch immer viel zu stark seien, um vertrieben werden zu kön­
nen, denn »der Türke erhob sich aus dem Osten und kam lang­
sam, bezwang aber die großen und starken Fürsten, Könige, die
Kaiser sowie auch die Hälfte des Abendlandes ...«,77 Derselbe
Anonymus ging ebenso mit dem Inhalt des Begriffs »christlich«
sorgsam um. Indem er die Absicht des walachischen Fürsten
§tefan Cantacuzino, die Vererbbarkeit der Herrschaft einzu­
führen, kritisierte, klagte er jenen an, die Lösung des Landes aus
der Oberhoheit der Pforte zu betreiben, die, wie man wisse, einen
solchen Weg nicht zulasse, auch nicht »zu bleiben unter der
Herrschaft der Christen, also der Deutschen oder der Mosko­
viten«.78
Umfassender taucht der Begriff »christlich« beim Chronisten
Ion Neculce auf. Als er das Interregnum in Polen nach dem Tode
König Mihail Wi§niowieckis am 10. November 1673 behandelte,
läßt Neculce die Polen um Unterstützung gegen eine mögliche
osmanische Invasion bitten »bei der ganzen Christenheit, wie sie
in Europa existiert, bei den Deutschen wie bei den Moskoviten,
bei den Franzosen wie bei den Venezianern und beim Papst von

75 Axinte Uricariul: A doua domnie a lui Nicolae Alexandru Vodä, Bucure§ti


1940, S. 114.
76 Derselbe: Cronica paralela a £ärii Romäne§ti §i a Moldovei, Bucure§ti 1993,
S. 69 sowie S. 172, 191, 303, 320.
77 Istoria tärii Romäne§ti de la octombrie 1688 pinä la martie 1717 (Cronica
anonima), Bucure§ti 1959, S. 19.
78 Ebenda.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 79

Rom und bei allen Königreichen, die da christlich sind«79, also


bei allen, die im politischem Sinn dem Begriff »Europa« zuzu­
ordnen waren. Im selben Sinn war auch die Behauptung ge­
meint, Fürst Constantin Serban verfolge, »die ganze Christen­
heit von Konstantinopel herauf - nämlich die ganze Balkan­
halbinsel - von türkischer Hand« zu befreien.80 Den gleichen
Europa-Begriff verwendete derselbe Chronist, als er die poli­
tisch-militärischen Auseinandersetzungen am Anfang des 18.
Jahrhunderts erwähnte, nämlich den Nordischen Krieg sowie
den Kampf um die spanische Erbfolge.81 Dabei behauptete
Neculce, der moldauische Fürst Mihai Racovi^ä wolle nach dem
Sieg über die Schweden bei Poltava zu den Russen flüchten, da
er glaubte, »in kurzer Zeit wird die Bezwingung [der Türken]
sein« und Freude bei der »Christenheit«.82 Ähnliche Hoffnungen,
wonach die Russen die Türken besiegen würden, beschleunigten
den offenen Übergang Dimitrie Cantemirs auf die Seite des
Zaren83, während die Antithese Christen-Heiden in der Debatte
zwischen dem Fürsten und Neculce eine Rolle spielte.84
Manchmal sprach der Chronist das politische christliche Europa
klar an, wie etwa im Falle der Erklärung, warum die Pforte zu
einem bestimmten Zeitpunkt darauf verzichtete, Stanislaw
Leszczyriski, den König von Polen und Protegé des schwedischen
Königs Karl XII., gegen August II., den Verbündeten des Zaren
Peter, zu unterstützen: Die türkische Regierung befürchte, »es

79 Neculce: Letopiseful, S. 242 f. Der Großwesir, der damals in Zorawna als


Führer jenes Heeres weilte, das sich ein Jahr zuvor im Feldzug gegen die
Festung Kamieniec befunden hatte, schloß, »sowie er jene Schreiben der
Christenheit sah«, mit den Polen Frieden. Ebenda.
80 Ebenda, S. 295: »Der Gedanke und die Vorbereitung Serban Vodäs war, selbst
Kaiser in Konstantinopel zu werden«; siehe auch Claudiu Paradais, Maria
Paradais: Stiri de istorie universalä ln opera cronicarului Ion Neculce. In:
Cercetäri istorice, Serie nouä III, Ia§i 1972, S. 89.
81 Neculce: Letopiseful, S. 429.
82 Ebenda, S. 483.
83 Ebenda, S. 522.
84 »Denn ihr alle seht euch vor, bei den Christen zu bleiben, und nur ich alleine
soll für euch bei den Heiden bleiben.« Ebenda, S. 539.
80 Veniamin Ciobanu

möge sich die ganze Christenheit Europas erheben und die


Türken ihr Reich verlieren«.85
Mit der gleichen politischen Bedeutung verwendete den Be­
griff »Europa« auch der Autor der »Cronica Ghicule§tilor«, wenn
er feststellte, daß der Tod des polnischen Königs August II. im
Jahre 1733 »große Unruhen in ganz Europa verursachte«.86
Nach seiner Meinung »beunruhigte ganz Europa sehr« der Tod
der Zarin Anna.87 Noch schlimmer schien ihm der Tod des
Habsburgers Karl VI., der keinen männlichen Thronfolger habe,
so daß »gemäß der Pragmatischen Sanktion und den Einigun­
gen, zu denen es einst fast mit allen Mächten Europas gekom­
men war«, seine Tochter Maria Theresia zur Nachfolgerin werde,
eine Entscheidung, die gleich nach seinem Tode vom »größten
Teil der Mächte Europas« angefochten wurde, die die Pragma­
tische Sanktion ursprünglich akzeptiert hatten.88
»Die Fürsten Europas« ist ein anderer Topos des Autors. Er
meinte, der »Europäer« Matei Ghica, der Sohn Grigore Ghi-
cas III., Großdragoman (Dolmetscher) der Pforte und 1751 zum
Fürsten der Walachei ernannt, habe sich den Titel »chiarezza«
gegeben, was soviel wie »aufgeklärt« bedeutete und nur den
»Fürsten Europas« zukam.89 Daß der Begriff »Europa« im politi­
schen Sinn innerhalb der rumänischen Gesellschaft zirkulierte,
zeigen auch die gereimten Chroniken und Geschichten, die in der
Moldau und Walachei Verbreitung gefunden haben.90
»Die politischen Geschäfte Europas« wurden von den fürst­
lichen Höfen in Ia§i und Bukarest aus den erwähnten Gründen
aufmerksam verfolgt. Hohe Würdenträger wie der Hofmarschall
Nicolae Sufu kannten den Inhalt des Syntagmas »christliche

85 Ebenda, S. 641.
86 N. Camariano, A. Camariano-Cioran (Hg.): Cronica Ghicule§tilor. Istoria
Moldovei intre anii 1695-1754. Text grecesc ìnsopt de traducere romàneascà,
Bucure§ti 1965, S. 355.
87 Ebenda, S. 507.
88 Ebenda.
89 Ebenda, S. 617.
90 Vgl. Dan Simonescu: Cronici §i povestiri romàneijti versificate (sec. XVII-
XVIII), Bucure§ti 1967, S. 61 ff.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 81

Mächte« sehr genau.91 Mit demselben Ansatz benützten den


Begriff »Europa« auch Ierache Postelnicul, der seinem Schwager
Nicolae Sufu im Amt folgte, wie auch zahlreiche andere Groß­
bojaren mit guter »europäischer« Bildung. Derartiger Beispiele
gibt es viele.
Die intensive panorthodoxe Propaganda Rußlands, zu deren
Befürworter auch Voltaire gehörte,92 richtete sich vor allem auf
die beiden Fürstentümer, weil diese in den politischen Plänen
Rußlands wesentliche Bestandteile darstellten. Aus diesem
Grunde bekam der Begriff »Europa« auch eine gewisse christ­
lich-orthodoxe Färbung.93 Auf ein solches Europa bezog sich
Chesarie von Rimnic im Vorwort zu dem Ritualbuch »Minei« für
den Januar 1779.94 Häufig stößt man auf derartige Varianten
beim Dichter, Philologen und Historiker Ienächifä Väcärescu,
insbesondere in seiner »Istorie a prea puternicilor impärafi otho-
mani«. In Verbindung mit dem preußisch-österreichischen Krieg
meinte er, daß Maria Theresia »gegen den Willen nicht nur vie­
ler Kronen aus Deutschland, sondern auch vieler aus Europa«
ihren Gatten Franz I. zum Kaiser krönte.95 Auch der Einmarsch
der russischen Truppen in die Fürstentümer im Jahre 1768 er­
weckte in dem Gelehrten die Hoffnung, Rußland werde »aus der
Welt oder doch mindestens aus Europa die ganze türkische
Herrschaft« verdrängen.96 Der Chronist war ein Anhänger des

91 Nicolae Iorga: Documente Callimachi, S. 267, 271, 273, 278.


92 Vgl. auch Ariadna Camariano: Voltaire §i Giovanni del Turco tradu§i in limba
romänä pe la 1772. Auszug aus der Festschrift: C. Giurescu, Bucure§ti 1944,
S. 175 ff.; dieselbe: Spiritul revolutionär §i Voltaire in limba greacä §i romänä,
Bucure§ti 1946, S. 132 ff.
93 Vgl. Mihail Kogälniceanu (Hg.): Arhiva Romäneascä, Ia§i 1860, S. 131, 155,
176, 190, 197 ff; V. A. Urechia: Documente dintre 1769-1800. In: Analele
Academiei Romane Seria II/X (Memoriile secfiunii istorice), Bucure§ti 1889,
S. 269 ff., 280 ff.
94 Chesarie: Prefafä la Mineiul pe ianuarie 1779. In: Alexandra Dufu: Co-
ordonate ale culturii romäne§ti in secolul XVIII (1700-1821). Studii §i texte,
Bucure^ti 1968, S. 182 f.
95 Istorie a prea puternicilor impärap othomani. Adunatä §i alcätuitä pe scurt
de dumnealui Ianache Väcärescul ... In: A. Papiu-Ilarian: Tezaur de monu-
mente istorice pentra Romania II, Bucure§ti 1863, S. 279-280.
96 Ebenda, S. 278.
82 Veniamin Ciobanu

westlichen Europa, der dessen dem osmanischen überlegenes,


politisches Organisationssystem bewunderte.97 Gerade der
Wunsch, »das Mittel kennenzulernen, womit die Länder Europas
regiert wurden«, schien Ienächi^ä Väcärescu eine mögliche
Erklärung für die Flucht der Söhne des walachischen Fürsten
Alexandru Ipsilanti nach Österreich zu sein.98 Einen gewissen
Einblick erhielt er anläßlich seines Aufenthaltes in Wien im
Januar 1782, da ihn der Fürst beauftragt hatte, bei Joseph II. die
Rücksendung seiner beiden Söhne zu erwirken.99
In den letzten drei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts bekam
der Begriff »Europa« allerdings in wachsendem Maß einen kul­
turellen Beigeschmack, da das »aufgeklärte Europa die Auf­
merksamkeit weckt durch die geistigen Fortschritte in der
Erforschung der materiellen Welt und vor allem durch die Folgen
der technischen Errungenschaften«100, weswegen »das Bild der
zivilisierten Welt« eine »große Anziehungskraft in den Reihen
der Intellektuellen« ausübte.101
Trotz der vielen Hindernisse seitens des phanariotischen
Regimes wurden die Kontakte der Rumänen zum Westen immer
intensiver und vielfältiger. Aufschlußreich ist, daß gerade ein
Phanariot selbst Anhänger der Aufklärung war: Constantin
Mavrocordat, Fürst der Walachei, hat 1744 zwölf Bojarensöhne
zum Studium nach Venedig geschickt. Allerdings konnte er seine
Pläne nicht vollständig realisieren, da diese Jugendlichen infolge
politischer Intrigen wieder nach Hause zurückgerufen wur­
den.102 A u f diese Betroffenen bezog sich Grigore Rimniceanu in
seinem Vorwort zum »Triodul« (Meßkanon) aus dem Jahre 1798,
als er schrieb, jene hätten davon profitiert, daß die Walachei »sich

97 Ebenda, S. 279 f.
98 Ebenda, S. 280, 287.
99 Ebenda, S. 287 ff.
100 Dufu: Cälätorii, S. 283.
101 Ebenda, S. 286.
102 Adrian Marino: Les lumières roumaines découvrent l’Europe. In: Romul
Munteanu (Hg.): La culture roumaine à l’époque des lumières I, Bucureçti
1982, S. 58.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 83

in einem ausgewählten Teil Europas befindet« und »benachbart


ist mit Völkern, die sich loben und verwöhnen mit philosophi­
schen Wissenschaften«, um sich »an berühmten Schulen« auszu­
bilden, einige sogar in fernen Ländern.103 Der Archimandrit be­
tonte, sie hätten dies nicht getan, um »Meisterliches, auch nicht
die Vermessung von Erde und Himmel oder Astronomie, sondern
bloß was sich gehörte zur Verteidigung und Festigung der heili­
gen Christenheit« zu lernen.104 Diese Hervorhebung bedeutete
keine Ablehnung der abendländischen Kultur.105 Im Gegenteil,
es war unverhohlene Bewunderung für jene, die eine solche
Kultur besaßen, auch dann, wenn es keine Rumänen waren, eine
Bewunderung, die der anonyme Autor der »Cronica Ghicu-
leijtilor« für den Großdragoman der Pforte, Alexandru Mavro-
cordat Exapolitul, hegte, da jener »in Europa studiert hat alle
Wissenschaften, vor allem in Padua und Venedig«.106 Ähnlich
überschwenglich berichtete der Anonymus auch vom Jerusa­
lemer Patriarchen Hrisant, der »so gelehrt war, daß ... wenige
waren, die ihm gleichkamen in seiner Gelehrtheit«, die er da­
durch erreicht habe, weil »er fast ganz Europa bereist hat, von
der Walachei bis nach Frankreich und England«.107 Die kultu­
relle Seite des Europa-Begriffs spiegelt sich auch in der Fest­
stellung desselben Autors wider, wonach Fürst Grigore III. Ghica
neben Griechisch und Türkisch auch »die anderen europäischen
Sprachen« beherrsche.108
Für die rumänischen Aufklärer war Europa im wesentlichen
kein geographischer oder geopolitischer Begriff mehr, sondern ein
kultureller, ein geistiger Pol, der repräsentierte: schöpferische
Werte und originelle ideelle Tendenzen; eine neuartige Kultur und

103 Grigore Rimniceanu: Prefajä la Triodul, Bucure§ti 1798. In: Ioan Bianu,
Nerva Hodo§ (Hg.): Bibliografia romäneascä veche 1508-1830 II (1716-
1808), Bucure§ti 1910, S. 406.
104 Ebenda.
105 Dupi: Etapele, S. 119.
106 Cronica Ghicule§tilor, S. 53.
107 Ebenda, S. 177; siehe auch Uricariul: A doua domnie, S. 157.
108 Ebenda, S. 253.
84 Veniamin Ciobanu

Literatur; moderne und fortgeschrittene sozio-politische Institu­


tionen; die Erreichung eines hohen Niveaus des Fortschritts, der
Kultur und der Zivilisation.109 Deswegen suchten die rumäni­
schen Gelehrten in den im Westen erschienenen Schriften »die
Konstanten des Entwicklungsprozesses der menschlichen Gesell­
schaft und die rationalen Gründe für das außerordentliche Auf­
blühen der Wissenschaft und der Kultur im gegenwärtigen Eu­
ropa«.110 Aus diesem Grund wurde um 1783 Julius August
Reiners »Handbuch der allgemeinen Geschichte« übersetzt und
erschien in Wien zwischen 1785 und 1789 in drei Bänden unter
dem rumänischen Titel »A tot de ob§tii istorie a lumii«.111 Im glei­
chen Sinne und mit denselben Beweggründen wurden viele an­
dere Schriften übersetzt, wobei dies oft nur als Vorwand für eine
Lobrede auf das Europa der Aufklärung geschah. Zu diesen Fällen
gehört z. B. die Veröffentlichung der »Lehren« Katharinas II. unter
dem Titel »Inväfäturi«, die Gavril Callimachi, der moldauische
Metropolit, ins Rumänische übersetzte. Er nutzte die Gelegenheit
und lobte überschwenglich »die klügsten Köpfe all der Philoso­
phen aus den Akademien Europas, wo die Geheimnisse des Le­
bens tief erforscht werden und das Wesen all dessen, was es unter
der Sonne gibt, mit Begehren gesucht wird, mit dem Auge reisend
bis zu den höchsten und überwältigendsten Bauten«.112
Die Zunahme direkter und indirekter Kontakte mit dem
Westen legten den rumänischen Aufklärern nahe, sich auf das
»europäische Modell« hin zu orientieren.113 Für Bischof Chesarie
von Rimnic war das »aufgeklärte Europa« jedoch bloß »der Aus­
druck einer Etappe in der Geschichte der Zivilisationen«114,
mehr noch, er sagte den Niedergang Europas voraus, der jenem

109 Manno: Les lumières roumaines, S. 40.


110 Paul Cemovodeanu: Istoria §tiin{elor §i a culturii universale într-un ma-
nuscris românesc din veacul al XVIII-lea. In: Revista de istorie §i teorie li-
terarà 3/1977, S. 431.
111 Ebenda.
112 Bianu-Hodoç: Bibliografia româneascà, S. 202; siehe auch Dufu: Càlàtorii,
S. 283.
113 Marino: Les lumières roumaines, S. 41 f.
114 Dupa: Coordonate, S. 158.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 85

der Griechen zu folgen habe.115 Allerdings dehnte er diese


Prognose nicht auf ganz Europa aus, sondern kündigte ihn bloß
für Teile an; sogar ein Europa der Nationen sah er herankom­
men.116 Der Schüler des Bischofs, Grigore Rimniceanul, stellte
jedoch fest, daß Europa einen kulturellen Aufschwung erlebe.
Informiert über die geographischen Forschungen, kam er zum
Schluß, daß »die Menschen Europas scharfen Verstand haben,
unzögerlich und tapfer sind; und wie daselbst so viele Weise ge­
boren wurden, so viele Gesetzgeber, Doktoren, auserwählte
Redner und Fürsten, die alle anderen Völker der Welt mit der
Kraft ihres Verstandes, ihrer Sprache und ihrer Hände gebän­
digt, gelehrt und bezwungen haben; wie daselbst sich die beiden
berühmten Reiche der Griechen und der Römer befunden; da­
selbst die Wissenschaften, die Handwerke, die guten Sitten und
die gute Unsterblichkeit erblühten und erblühen; wie also es sich
gehört, dieses Europa die Zierde der Welt zu nennen«.117
Der Kulturhistoriker Alexandru Dupi hat sinngemäß ge­
meint, das Volk habe auf der Basis weiser Überlieferung ein un­
zweifelhaftes Streben nach Wiedergeburt; deswegen erscheinen
das im 18. Jahrhundert gespendete Lob für das aufgeklärte
Europa und die Suche nach dem rumänischen Spezifikum nicht
wie zwei Gegensätze, sondern als Ergänzungen, die darauf ab­
zielten, die europäische Rolle der rumänischen Kultur im südöst­
lichen Teil des Kontinents zu bestimmen.118 Das erklärt, warum
die Vorstellung Grigore Rimniceanus von Europa, obwohl die
eines Klerikers, global und laizistisch ausfiel.119 Von derselben
Bewunderung für die kulturellen Werte Europas zeugt auch
Ienächi^ä Väcärescus Bemerkung, daß »die Lehrer Europas

115 Bianu-Hodo§: Bibliografie romäneascä, S. 235; siehe auch Dupi: Coordonate,


S. 359.
116 Vgl. Dupa: Coordonate, S. 158.
117 Vgl. Bianu-Hodoç: Bibliografia romäneascä, S. 406; der Text wird auch bei
Dupi: Coordonate, S. 192, wiedergegeben.
118 Dupi: Coordonate, S. 162.
119 Marino: Les lumières roumaines, S. 42, und Dupi: Coordonate, S. 161 und
359 f.
86 Veniamin Ciobanu

strebsame und lobwürdige Menschen« seien.120 Bei Naum Rim-


niceanu erfreute sich Europa ebenfalls eines besonderen Pre­
stiges, so daß er, obwohl er es nie kennengelernt hatte, die »an­
gemessene Harmonie der Bauten Europas« bewunderte, über­
zeugt, daß »fast alle Erfindungen in Europa gemacht werden«.121
So war er der Meinung, daß »Europa auch mit der unzählbaren
Menge der Menschen überwältigt, unter denen stets die natür­
lichen Gaben strahlten, auch in den guten Sitten, auch in der
Gelehrsamkeit, wie auch in der Waffen Geschicklichkeit und in
allen Dingen von den nützlichsten im Leben der Leute«.122
»Europa«, schrieb Adrian Marino, »Aufklärung und Fort­
schritt werden ... nicht nur zu solidarischen Begriffen, sondern
sogar zu synonymen. Nichteuropäisch zu sein bedeutet, unauf­
geklärt, rückständig, fortschrittsfeindlich, unpatriotisch etc. zu
sein.«123 Deswegen charakterisierte Filaret, Bischof von Rimnic,
im Jahre 1780 das 18. Jahrhundert als ein strahlendes Jahr­
hundert in jenem »neuen, kulturellen und ideologischen Sinn des
Begriffs«, wie er sich ihn aus der »einschlägigen Literatur« an­
geeignet hatte.124

ZUSAMMENFASSUNG

Abschließend kann folgendes gesagt werden. Die detaillierte


Analyse der zur Verfügung stehenden dokumentarischen Quel­
len zeigt klar, daß in den rumänischen Fürstentümern des 18.

120 Marino: Les lumières roumaines, S. 42; derselbe: Ilumini§ti romàni §i »afa-
cerile Europei«. In: Lumea 39, Bucure?ti 1964, S. 25.
121 Derselbe: Les lumières roumaines, S. 42 f.
122 Dupi: Coordonate, S. 166 f.
123 »Dieses europäische Ideal«, führte Marino aus, »stellt die erste Form einer
Äußerung des rumänischen Geistes der Aufklärung in den Fürstentümern
dar. Auf die wesentliche Frage: >Wie ist man Europäer?«, gibt es nur eine
Antwort: durch die Verbreitung der »Aufklärung«. Genauso gültig ist die um­
gekehrte Sicht, denn die Verbreitung der Aufklärung ist die fundamentale
Ideologie der Anfänge der modernen rumänischen Kultur und Zivilisation.«
Siehe Marino: Les lumières roumaines, S. 45 f.
124 Ebenda, S. 47.
Die Europa-Rezeption in den rumänischen Fürstentümern des 18. Jh.s 87

Jahrhunderts das Thema »Europa« in drei großen Bedeutungs­


varianten rezipiert worden ist: geographisch, politisch und kul­
turell. Im Bewußtsein der rumänischen aufgeklärten Gelehrten
gewann die Zugehörigkeit der Moldau und Walachei zu Europa
in jedem der drei oben genannten Sinne die Oberhand. Dahinter
stand »das Streben nach europäischer Integration, nach rumä­
nischer Beteiligung an den geistigen Wohltaten, nach einem
hohen Niveau der »Aufklärung« - eine weitere direkte Kon­
sequenz dieser großen Idee«.125 Deswegen kann »ex occidente
lux« als das ideologische Leitprinzip der rumänischen Aufklä­
rung betrachtet werden.126 Marino schreibt dazu: Weil »Europa
insgesamt durch bessere Einrichtungen und Gesellschafts­
ordnungen, durch seine Wissenschaft und Technik, durch nütz­
liche Lehren und Erfindungen überwältigend beeindruckte«.
Dessen Prestige sei kein imaginäres gewesen, sondern aus der
Realität gewachsen. Dabei zitiert Marino einen zeitgenössischen
rumänischen Gelehrten, und zwar Gheorghe Lazär, der wußte,
daß nur durch die Aneignung der europäischen Kultur das rumä­
nische Volk »den Anspruch erwerben« könne, »in diesen hochge­
lobten freien Raum der anderen aufgeklärten Völker Eingang zu
finden«.127

125 Ebenda, S. 55.


126 Ebenda, S. 52.
127 Adrian Marino: Ilumini§ti romäni, S. 25. »Mit dem Bewußtsein der geogra­
phischen und historischen Zugehörigkeit zum europäischen Kontinent
wurde die rumänische Ideologie aus reinstem patriotischem Gefühl heraus
Anhängerin des universalistischen Konzepts der europäischen Kultur. Was
kann, wenn man sein Land liebt, selbstverständlicher sein, als es aufgeklärt
zu wünschen? Und wenn diese Aufgeklärtheit einen solchen Wert hat, ist es
dann nicht um so besser, sie unmittelbar von ihrer Quelle zu schöpfen?
Dorther, wo sie am kräftigsten hervorquillt und am stärksten leuchtet?«
MIHAI-ÇTEFAN CEAUÇU

Der Wandel des Europa-Bildes


in der Bukowina an der Wende vom
18. zum 19. Jahrhundert

Am Beginn des letzten Viertels des 18. Jahrhunderts hat das


Habsburgerreich den nordwestlichen Teil des Fürstentums Mol­
dau annektiert, der daraufhin den Namen »Bukowina« erhalten
hat. Diese Annexion fand unter komplexen politischen, diploma­
tischen und militärischen Umständen statt - als Ergebnis des
russisch-türkischen Krieges aus den Jahren 1769-1774, der das
im Osten und Südosten Europas bestehende Gleichgewicht zu
zerstören drohte, der ersten Teilung Polens (1772) und nicht zu­
letzt der ernsthaften Verschlechterung des politisch-rechtlichen
Status der rumänischen Fürstentümer in Hinsicht auf die os-
manische Oberhoheit.1
Die Bukowina wurde in einer Zeit Teil der Habsburgermon­
archie, als jene die erneuernden Ideen des Zeitalters aufnahm
und im Rahmen der Politik des aufgeklärten Absolutismus bzw.
Josephinismus umzusetzen versuchte.2 A uf diese Weise kam es

1 Aus einer ziemlich langen Liste von Arbeiten zur Annexion der Bukowina
durch Österreich erwähnen wir bloß einige der neuesten: Karl A. Roider:
Austria’s Eastem Question 1700-1790, Princeton 1982, S. 140-150; Harald
Heppner: Österreich und die Donaufürstentümer 1774-1812. Ein Beitrag zur
habsburgischen Südosteuropapolitik, Graz 1984, S. 9-15; Veniamin Ciobanu:
La granida a trei imperii, Iap 1985, S. 11-40; Mihai Iacobescu: Din istoria
Bucovinei 1774-1862. De la administrapa militara la autonomia provin-
cialã I, Bucureçti 1993, S. 49-82; Mihai-Çtefan Ceau§u: Instituirea admini-
strapei habsburgice in Bucovina. In: Suceava. Anuarul Muzeului Bucovinei
XX, Suceava 1993, S. 125-141; derselbe: Aspecte juridice ale instituirii ad-
ministrapei habsburgice in Bucovina. In: Anuarul Institului de Istorie A. D.
Xenopol XXX, Ia§i 1993, S. 392—402.
2 Über den Josephinismus im allgemeinen siehe: Eduard Winter: Der Jose­
phinismus und seine Geschichte. Beiträge zur Geistesgeschichte Österreichs
1740-1848, Brünn/München/Wien 1943; Fritz Valjavec: Der Josephinismus.
Zur geistigen Entwicklung Österreichs im achtzehnten und neunzehnten
Jahrhundert, München 1945; Ferdinand Maass: Der Josephinismus. Quellen
zu seiner Geschichte in Österreich 1-5, Wien 1951-1961.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 89

zu umfassenden Maßnahmen, die internen Strukturen zu reor­


ganisieren.3 Ähnlich wie in den anderen Reichsprovinzen4 ver­
folgte man auch in der Bukowina das Ziel, die mittelalterlichen
Altlasten zu beseitigen, die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen
und kulturellen Verhältnisse zu modernisieren und diese Pro­
vinz in die Welt der neuen Ideen und Werte westeuropäischer
Prägung einzubinden.
Wie die Bewohnerschaft der Moldau und Walachei machten
auch die Rumänen der Bukowina damals einen Prozeß durch,
der sie das westliche Europa neuartig wahrzunehmen und ein­
zuschätzen lehrte. Obwohl die rumänischen Fürstentümer wei­
terhin in der Hoheitssphäre des unbeweglich gewordenen Os-
manischen Reiches verblieben, setzte sich stufenweise auch dort
jener Gedanke durch, den Paul Hazard als »Krise des europäi­
schen Bewußtseins«5 definierte - ein Gedanke, der gewisser­
maßen den Triumph der Europa-Idee über jene der christlichen
Gemeinschaft bedeutete.
Die Verdrängung des Lateins im 18. Jahrhundert zugunsten
der französischen Sprache in den gebildeten bzw. diplomatischen
Kreisen führte zur Vorstellung eines kosmopolitischen, »französi­
schen« Europa.6 Äußerer Ausdruck dieses Kosmopolitismus war
die Dominanz des Französischen als Universalsprache der eu­
ropäischen Höfe und Eliten. Der Effekt der Verwendung dieser
Sprache bestand darin, daß die Ideen der Aufklärung weiteste
Verbreitung fanden und das »aufgeklärte« Europa engste

3 Für die reformierenden Schritte des Wiener Hofs während der militärischen
Verwaltung der Bukowina siehe: Ferdinand von Zieglauer: Geschichtliche
Bilder aus der Bukowina zur Zeit der österreichischen Militär-Verwaltung
12, Czernowitz 1908; Raimund Friedrich Kaindl: Geschichte der Bukowina
3, Czernowitz 1893; Ion Nistor: Istoria Bucovinei, Bucureçti 1991; Mihai-
§tefan Ceauçu: Instituirea, S. 131 ff.
4 Allgemein über das Reich siehe: Elisabeth Bradler-Rottmann: Die Reformen
Kaiser Josephs II., Göppingen 1973; zu Siebenbürgen und dem Banat siehe:
Mathias Bemath: Habsburg und die Anfänge der rumänischen National­
bildung 1700-1848, Köln/Wien 1982; Nicolae Bocçan: Contribuid la istoria
iluminismului románese, Timiçoara 1986.
5 Paul Hazard: Criza conçtiinlei europene 1680-1715, Bucureçti 1973.
6 Louis Réau: L’Europe française au siècle des Lumières, Paris 1971.
90 Mihai-§tefan Ceau§u

Affinitäten mit Frankreich empfand. Da die Bojaren und der


Klerus in der Moldau und Walachei französisch lernten und diese
Sprache allen anderen modernen Sprachen vorzogen7, war es den
rumänischen Eliten vor allem mittels Büchern und anderer
Druckschriften möglich, zu den Ideen der europäischen Aufklä­
rung Zugang zu haben. Da das Regime der griechischen Phana-
rioten und die osmanischen Behörden den Kontakt der Rumänen
mit der westlichen Nachbarschaft einschränkten, vermittelte vor
allem das Buch den Einblick in das »aufgeklärte« Europa. Das
Bild über dieses Europa, dessen Horizont sich in der Regel auf die
west- und zentraleuropäischen Länder beschränkte, entwickelte
sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stufenweise zum
Vorbild für die rumänische Gesellschaft, als ein Modell, das sich
vom türkisch-orientalischen, das den Rumänen bis dahin aufge­
zwungen worden war, völlig unterschied.8
Am Hintergrund dieses Sachverhalts ist leichter zu verste­
hen, warum sich die Rumänen der Bukowina zur Zeit der
josephinischen Reformen trotz mancher Vorbehalte darum be­
mühten, die Ziele und den Sinn der vom Kaiser initiierten Er­
neuerungen zu begreifen und sie sich auch anzueignen. Ähnlich
wie in Siebenbürgen nahmen auch die Rumänen der Bukowina
wahr, daß Joseph II. für sie gewissermaßen der Anfang einer
neuen und modernen Epoche bedeutete. Deshalb klingen die
Schlußfolgerungen von Mathias Bernath einleuchtend:
Der Josephinismus hat die Rumänen des habsburgischen Macht­
bereichs zum ersten Male in ihrer Gesamtheit zum Gegenstand auf­
klärerischer, von starken »staatspädagogischen« Impulsen getragener

7 Ebenda, S. 59.
8 Siehe hiezu vor allem Alexandru Du{u: Coordonate ale culturii romäne§ti ln
secolul al XVIII-lea (1700-1821). Studii §i texte, Bucure§ti 1968; derselbe:
Sintezä §i originalitate in cultura romänä (1650-1850), Bucureijti 1972; der­
selbe: European Intellectual Movements and Modernization of Romanian
Culture, Bucure§ti 1981; Vlad Georgescu: Ideile politice §i iluminismul in
Principatele Románe 1750-1831, Bucure§ti 1972; Adrian Marino: »Luminile«
romäneíjti descoperirea Europei. In: Revista de istorie §i teórie literarä
28/1, Bucure§ti 1979, S. 27-48.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 91

Regierungstätigkeit gemacht und dadurch ihre gesellschaftliche »Um­


bildung« im Sinne der neuen Reformgedanken eingeleitet. Damit
waren grundlegende Voraussetzungen für die Integration des Rumä-
nentums zur neuzeitlichen ethnischen Großgruppe entstanden.9

Unter den geänderten Bedingungen entstanden im Bewußtsein


der Bukowiner Rumänen gegen Ende des 18. Jahrhunderts neue
Bilder. Es tauchten neue Beweggründe und Solidaritäten auf, die
einen stufenweisen, doch unabänderlichen Wandel hervorbrach­
ten, und zwar von der Idee der Zugehörigkeit zu einem Europa
des orientalischen Christentums, wie sie in den vergangenen
Jahrhunderten dominant gewesen war, zur Idee der Zugehörig­
keit zur Gemeinschaft des »aufgeklärten« Europa. Demzufolge
kam es in dieser Epoche zu einem Orientierungswechsel weg von
konfessionellen Kriterien zu solchen kulturell-zivilisatorischer
Art. Die rumänischen Eliten in der Bukowina mußten begreifen
lernen, daß das Prinzip der Modernisierung mit der Identität in­
nerhalb West- und Zentraleuropas in engem Zusammenhang
stand. Die Zugehörigkeit dieses Territoriums zur Habsburger­
monarchie zwang daher vor allem die Führungsschichten, sich
loszulösen sowohl von der Welt des orthodoxen Traditionalis-
mus, die in kultureller Unbeweglichkeit und Ignoranz verharrte,
als auch von den überkommenen sozialen und politischen
Strukturen, die sich über die Jahrhunderte der türkischen
Oberhoheit verfestigt hatten. Diese Notwendigkeit war die Vor­
aussetzung für ein Hineinwachsen in das Modell abendländi­
scher Kultur und Zivilisation.
Um den Zielen der josephinischen Reformen entgegenzukom­
men, machten die rumänischen Eliten des Landes auch eigene
Vorschläge. Ein Beispiel hiefür ist jene Denkschrift, die der Bojar
Vasile Bal§ (Basilius Balsch)10 im Namen der Stände und des

9 Bemath: Habsburg und die Anfänge, S. 237.


10 Zur Persönlichkeit und der Rolle des Bojaren Vasile Bal§ - fast fünf
Jahrzehnte lang - im gesellschaftspolitischen Leben der Bukowina siehe
Mihai-§tefan Ceau§u: Vasile Bal§ - un iosefmist bucovinean. In: Nicolae
Boc§an, Nicolae Edroiu, Liviu Maior, Aurel Rädufiu, Pompiliu Teodor (Hg.):
D. Prodan. Puterea modelului, Cluj-Napoca 1995, S. 132-142.
92 Mihai-f?tefan Ceau§u

Provinzklerus an den H of von Wien richtete. Diese Denkschrift,


die Balij als Abgeordneter der Bukowina verfaßt und am 13.
November 178011 persönlich an den Hofkriegsratspräsidenten
Hadik übergeben hat, stellt den ersten wichtigen politischen
Schritt der Rumänen dar, auf der Grundlage des historischen
und natürlichen Rechts das Verhältnis zur Staatsmacht neu zu
definieren. Nachdem er die »wahrhafte Lage des Landes, Ge­
bräuche und Mißbräuche der Nation«12 beschrieben hatte,
machte der Autor im Namen »des Wohlstands des Vaterlandes«
und des »Gemeinwohls« eine Reihe von Vorschlägen, die als re­
gelrechtes Programm zur Reorganisierung des gesamten öffent­
lichen Lebens in der Bukowina angesehen werden können.13
Bal§ erfüllte offenbar ein ausgeprägtes Europa-Bewußtsein,
wenn er schreibt, daß die Bukowiner Rumänen »aus dem allge­
meinen Schöpfungs Grund als Mitbürger dieser Welt«14 gewer­
tet werden sollten. Das »europäische« Gefühl, das sich in dieser
ersten Denkschrift eines Bukowiner Rumänen widerspiegelt,
weist auf die Bewußtheit der Alterität hin, auf das Anderssein
jener Kulturformen, die alles zurückwiesen, was anti-»euro-
päisch«, d. h. türkisch-orientalisch war. Ausgehend vom politi­
schen Prinzip der Aufklärung, wonach die Monarchie in »aufge­
klärter«15 Form die passendste und beste Regierungsform sei,
entwarf die Denkschrift ein Bild vom guten und aufgeklärten
Monarchen. Entsprechend den Forderungen der Staatsräson,
daß der Staat nicht mehr als Eigentum des Souveräns, sondern

11 Arhivele Statului Bucure§ti: Fond Consiliul Aulic de Räzboi (= CAR), pachet


VT, doc. nr. 3a; Johann Polek: Josephs II. Reisen nach Galizien und der
Bukowina und ihre Bedeutung für letztere Provinz. In: Jahrbuch des Buko­
winer Landes-Museums III, Czernowitz 1895, S. 103-112.
12 Ebenda.
13 Mihai-§tefan Ceau§u: Idei politice in Bucovina la sfär§itul secolului al
XVIII-lea: Cazul Vasile Bal§. In: Gabriel Bädäräu, Leonid Boicu, Lucian
Nastasä (Hg.): Istoria ca lecturä a lumii. Profesorului Alexandru Zub la im-
plinirea värstei de 60 de ani, Ia§i 1994, S. 491-493.
14 Arhivele Statului Bucure^ti: Fond CAR, pachet VI, doc. nr. 3a.
15 Paul Hazard: Gändirea europeanä in secolul al XVIII-lea. De la Montesquieu
la Lessing, Bucureijti 1981, S. 176.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 93

als Allgemeingut anzusehen sei, für dessen Gemeinwohl der


Monarch zu sorgen habe, stellte Bal§ die »aufgeklärte« Mon­
archie als jene Quelle dar, aus der aller Wohlstand für die
Untertanen entspringe.16Weil der aufgeklärte Absolutismus all­
gemeine »Prosperität« und »Glück« zum Ziel habe, vertrat Bal§
die Meinung, daß sich der Bukowina unter »der beglückten
Regierung unsers Allerdurchlauchtigen Erzhauses« die »be­
glückte Aussicht einer Wonnevollen Zukunft« öffnen werde.17
Demgegenüber wies der Autor darauf hin, daß die schlechte Lage
in der Provinz »von dem alten Gebrauch der türkischen Regie­
rung« herrühre und von jeher eine direkte Folge »des politischen
Systems des orientalischen Gouvernements, die sich auf blose
Geld Erpressungen fusset« sei.18 Die Analyse dieser ersten
Denkschrift enthüllt das zeitgenössische Bedürfnis, sich von der
rückständigen Welt jenseits der habsburgischen Grenzen abzu­
grenzen, deren Schwächen auf das phanariotisch-türkische
Regime zurückgingen. Dieser Welt der »Barbarei« wurde die
Welt der »Zivilisation« gegenübergestellt, zu der die Rumänen
hinstrebten.
Der Brückenschlag zwischen den Rumänen und dem »aufge­
klärten« Europa erfolgte in der Bukowina auf ganz spezifische
Weise. Ehe die mit der Zivilverwaltung ins Land kommenden
Beamten diese Aufgabe übernahmen, war hiefür nämlich die mi­
litärische Verwaltung verantwortlich. Zeugnisse dieses Verdien­
stes sind ähnlich wie im Falle Siebenbürgens19 die umfassenden
»Landesbeschreibungen« der Generäle Spleny20 und Enzen­
berg21, deren Bedeutung nicht allein darin liegt, die reformeri-
schen Bemühungen des Wiener Hofes zu veranschaulichen, son-

16 Ceau§u: Idei politice, S. 493 f.


17 Siehe Anmerkung 14.
18 Ebenda.
19 Zur Rolle der Reichsgeneräle und des Staatsapparats in der Förderung der
Reichsreformen in Siebenbürgen siehe: Bernath: Habsburg und die Anfänge,
passim.
20 Arhivele Statului Bucure§ti: Fond CAR, pachet XXIII doc. nr. 1/1776.
21 Ebenda: Pachet XXI doc. nr. 30/1786.
94 Mihai-ijtefan Ceau§u

dem auch darin, wertvolle dokumentarische Quellen für die


Bukowina am Ende des 18. Jahrhunderts zu sein.
Die Kontakte zwischen den bukowinischen Untertanen und
den Repräsentanten der neuen Staatsmacht führten zu einem
Mentalitätswandel22, bei dem die alten Vorstellungen über
»Europa« von neuen abgelöst wurden. Dieser Wandel, der sich
vor allem bei den rumänischen Eliten vollzog, führte nach und
nach zur Aufgabe der alten Bräuche sowie der orientalisch ge­
prägten Kleidung und Lebensart, wie sie bislang üblich gewesen
waren. Der Einfluß auf den Bauernstand hingegen rührte haupt­
sächlich von den Kolonisten her. Diese waren in die Bukowina
mit der kaiserlichen Besiedlungspolitik aus Zentral- und West­
europa gekommen, um die Effizienz der Landwirtschaft zu
heben, und führten den Rumänen manchen technologischen
Fortschritt vor Augen. Die Vorstellung, daß Einsiedlungen land­
fremder Landwirte mit einer neuartigen Agrartechnik für die
rumänischen Bauern Modellcharakter haben könnten, findet
sich auch bei Vasile Bal§, dem Sprachrohr des rumänischen
Landadels in der Bukowina.23
Außer der Einsicht in die Notwendigkeit der Modernisierung,
die die Rumänen mit Europäisierung gleichsetzten,24 gaben
auch die politischen Ereignisse den Anstoß, das Europa-Bild der
rumänischen Eliten mit einer gewissen Dynamik zu versehen.
Generell stellten das »Studium« und die »Entwicklung« der
Beziehungen zwischen den politischen Kräften des Kontinents
für den gebildeten Adel der rumänischen Fürstentümer in der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine »Beschäftigung« und
ein Gesprächsthema dar, wodurch »Europa immer mehr in das

22 Harald Heppner: Gesellschaftsentwicklung und Mentalität, dargestellt am


Beispiel der Rumänen im Zeitalter der Aufklärung. In: Südost-Forschungen
XLIV, München 1985, S. 146 f.; sowie derselbe: Zur Integration der Fremden.
Habsburg und die Rumänen im 18. Jahrhundert. In: Das achtzehnte Jahr­
hundert und Österreich 10, Wien 1995, S. 116-124.
23 Siehe Anmerkung 14.
24 Georgescu: Ideile politice, S. 39.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 95

rumänische Wissen« einging.25 Es ist daher nicht verwunderlich,


wenn das Interesse für die politischen Entwicklungen in Europa
um so mehr wuchs, nachdem die Bukowina ein Bestandteil des
Habsburgerreiches geworden war. Die geistige Auseinander­
setzung mit den Vorgängen auf internationaler Tribüne erlaubte
es daher auch, über die eigenen Zukunftsperspektiven Schlüsse
zu ziehen.
Derselbe Bojar Vasile Bal§, der als wichtigster Vertreter der
rumänischen Eliten aus der Bukowina gelten kann26 und der die
tiefgreifenden politischen und ideologischen Veränderungen, die
das Gleichgewicht zwischen den Mächten des Kontinents be­
stimmten, aufmerksam verfolgte, legte dem Wiener Hof, als der
russisch-österreichisch-türkische Krieg (1788-1791) zu Ende
ging, eine umfassende Denkschrift27 vor. Aus ihr wird offenbar,
daß der Autor zwischen dem Niedergang des Osmanischen
Reiches und dem kraftvollen Aufstieg Rußlands klare Zusam­
menhänge erkannte.28 Die Tatsache, daß Bal§ die politische
Situation unter dem Blickwinkel einer zyklischen Entwicklung
der Zivilisation im Gegensatz zur Vorstellung von der Unver­
änderlichkeit der sozialen und politischen Formen betrachtete,
zeigt, daß er die evolutionären Ideen eines Montesquieu oder
eines de Vico rezipiert hatte.29 Zu beachten ist ferner, daß Bal§,
wenn er sich auf die Lage in Europa bezog, den Begriff Revo­
lution (»merkwürdige Revolutionen«, »Revolutionen der Welt«30)
im Sinne Montesquieus31 verwendete. Bei der Betrachtung über
den hoffnungslosen Niedergang des Osmanischen Reiches und

25 Adrian Marino: Iluminiçti romàni çi »afacerile Europei«. In: Lumea 39,


Bucureçti 1964, S. 25.
26 Ceauçu: Vasile Bal§, passim.
27 Haus-, Hof- und Staats-Archiv Wien: Kaiser Franz, Akten Karton Nr. 147,
und Arhivele Statului Bucureçti: Coleefia microfilme Austria, rola 276 B,
421- 455.
28 Ceauçu: Idei politice in Bucovina, S. 494.
29 Jean Touchard: Histoire des idées politiques II, Paris 1959, S. 392, 400 f.
30 Haus-, Hof- und Staats-Archiv Wien: Kaiser Franz, Akten Karton 147.
31 Romul Munteanu: Cultura europeanä in epoca luminilor I, Bucureçti 1981,
S. 169-170.
96 Mihai-íjtefan Ceau^u

den spektakulären Aufstieg Rußlands zur Großmacht standen


dem Bukowiner Bojaren außer den neuen Ideen des europäi­
schen Relativismus jedoch auch ältere Gedanken vor Augen, wie
sie der moldauische Stolnic Constantin Cantacuzino und der auf­
geklärte Fürst Dimitrie Cantemir in ihren Schriften formuliert
hatten.32 So schrieb Bal§ u. a.:
Der Anfang dieses Jahrhunderts, wo die Pforte von ihrem Glanze zu
fallen, und in Abnahm zu geraten anfinng, ward durch ein gewöhnli­
ches Schicksal der Zeitläufe gerade derjenige, wo Russland sich
schnell zu entwickeln begann, und den Grund seinem heutigen
Ansehen, Glanze, und seiner Grösse legte.33

Gleichzeitig brachte Bal§ in die Beurteilung der neuen Bezie­


hungen in Südosteuropa neue Ideen ein, die er offenbar aus
Montesquieus Klimatheorie übernommen hatte:
Die Natur scheint dem Menschen, so wie andern Thieren und
Pflanzen gewisse Himmelstriche und Gegenden zu ihrem Aufent­
halte angewisen zu haben ... Der Einfluss des Himmelstrichs und des
Bodens macht den Russen verhärtet, thätig und ämsig; und den
Türken entnervt, weichlich und träg.34

Um seiner Argumentation mehr Überzeugungskraft zu verlei­


hen, setzte der Autor die Lage des Osmanischen Reiches - »durch
den Mangel an Grundsätzen, Künsten, Wissenschaften, durch
Unthätigkeit, Missbräuche, Unterdrückung und Weichlichkeit«
als permanente Systemkrise gekennzeichnet - antithetisch je ­
ner Rußlands gegenüber, das sich die Grundprinzipien des »auf­
geklärten« Europa (»Anwachs der Bildung, Künste, Wissenschaf­
ten, Handlung und Kriegskunst«) angeeignet habe und nun
Macht, Einfluß, Glanz und Prestige erringe.35 Rußlands Er­
scheinen auf der politischen Bühne Europas und sein Aufstieg
zur Großmacht hatte viele Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts

32 Alexandru Dutu: Cälätorii, imagini, constante, Bucure§ti 1985, S. 111 f.


33 Siehe Anmerkung 30.
34 Ebenda.
35 Ebenda.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 97

überrascht und zahlreiche Reaktionen für oder wider diesen


Eintritt in das »zivilisierte« Europa hervorgerufen.36 Rußlands
schneller territorialer Vormarsch bis zum Dnjestr und zum
Schwarzen Meer hatte das Prinzip des Kräftegleichgewichts, das
im Europa des 18. Jahrhunderts mühsam aufgebaut worden war,
durcheinandergebracht und rief die Opposition der anderen
Großmächte hervor, die an das südöstliche Europa Interessen
knüpften.37 Bal§, der die Verhältnisse seiner Zeit kannte, war
überzeugt, daß jedes Ereignis - wie klein und wo auch immer -
Auswirkungen auf den ganzen Kontinent habe, da es das
Machtgefüge verletze, das als »der Zusammenhang der politi­
schen Verhältnisse« gesehen wurde, weshalb »der mindeste
Umstand, und die entfernteste oder geringste Aenderung des
Zustandes eines Staats verhältnismässig von dem grössten
Einflüsse und den ernsthaftesten Folgen für die Übrigen ist und
werden kann«.38 Die häufige Verletzung dieses Prinzips seitens
der Russen durch die Territorialforderungen und die Tendenz,
im Schwarzmeerraum und am Balkan die Vorherrschaft zu
erreichen, versetzte »die entferntesten und mächtigsten See­
mächte, die vor einigen Jahren ebendiesen Russen vielmehr
Hilfe leisteten« in einen Schockzustand.39 Das labile Gleich­
gewicht in diesem Teil Europas ließ Bal§ schlußfolgern:
Schon erheischt das Gleichgewicht und die Sicherheit der Nationen,
dass sie gleiches Recht auf das Schicksal dieses Meeres und gleichen
Theil an seinen Vortheilen, die nicht zu berechnen sind, haben sol­
len«, was »für den Handel und die StaatsVerhältnisse Europens von
den grössten Folgen seyn dürften.40

36 Jean-Baptiste Duroselle: L’idée d’Europe dans l’Histoire, Paris 1965, S. 112-


118.
37 Leonid Boicu: Principatele Române în raporturile politice internationale.
Secolul al XVIII-lea, Iaçi 1986, passim.
38 Siehe Anmerkung 30.
39 Ebenda.
40 Ebenda.
98 Mihai-Çtefan Ceauçu

Die Öffnung des Schwarzen Meeres für den europäischen Han­


del gab dem Autor der Denkschrift die Überzeugung, diese
Tatsachen
eröffnen den handelnden Nationen die Aussichten eines nahen
Amerika, welches seiner Metropole den wohlfeilen Kauf der rohen
Produkte, und den theuren Verkauf der nemlichen aber umgestalte­
ten Erzeugnisse sichert, bieten unübersehbare und neue Schicksale
dar, und konzentriren die Aktivität Europas.41

Die Zerbrechlichkeit des Gleichgewichts der Kräfte in diesem


Raum führe aber dahin, daß
eben diese grossen Verhältnisse werden die Eifersucht des aufge­
klärten freyen Europas auf das höchste anfeuern, und anspannen; sie
enthalten die ersten Endursachen von Kriegsfeuer und Revolu­
tionen.42

In seiner umfassenden Analyse über jene Faktoren, die die geo-


politische Lage des europäischen Ostens und Südostens verän­
derten, berief sich Vasile Bal§ wiederholt auf die Geschichte, die
er eine »für den Staatsmann, wie für den Weltweisen, getreue
und unentbehrliche Lehrmeisterin« hielt.43 Die unzähligen Ab­
schweifungen u. a. in die Geschichte des Mittelalters und vor
allem des antiken Rom, dessen Betrachtung im Geiste des hi­
storischen Kritizismus üblich geworden war,44 belegen eine
gründliche Kenntnis des Bukowiner Bojaren über die Geschichte
Europas. Die Grundlage dieser »modernen« Wahrnehmung von
Geschichte in der Tradition der Aufklärung bildeten die Schrif­
ten der großen Denker des 18. Jahrhunderts, z. B. Montesquieus,
Martinis, Sonnenfels’, Voltaires, de Vicos oder Wolfs, sowie auch
repräsentativer Staatsmänner der Epoche (Friedrichs II. von

41 Ebenda.
42 Ebenda.
43 Ebenda.
44 Siehe hiezu Mousa Raskolnikoff: Histoire roumaine et critique historique
dans l’Europe des Lumières: La naissance de l’hypercritique dans l’historio­
graphie de la Rome antique, Rom 1992.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 99

Preußen).45 Bal§ wies immer wieder darauf hin, welche Bedeu­


tung die Halbinsel Krim und die Navigationsfreiheit auf dem
Schwarzen Meer für Rußland habe, suchte die potentielle Gefahr
hervorzuheben, die eine mögliche russische Hegemonie für den
Osten und Südosten und für Europa im allgemeinen darstelle,
besonders für das Habsburgerreich und für die rumänischen
Fürstentümer.46 Unter diesen Umständen hielt es der adelige
Vertreter aus der Bukowina - er wußte, daß ein großer Teil des
rumänischen Volkes im Banat, in der Bukowina und in Sie­
benbürgen lebte - für zwingend notwendig, daß die Moldau und
Walachei aus der Oberhoheit des Sultans herausgelöst und ein
Teil der »aufgeklärten« Habsburgermonarchie werde:
Bei dieser Stimmung der Staatsverhältnisse Europas, bei dieser
Lage der Angelegenheiten des Nordens und Ostens, bei den folgen­
reichen neuen Konjonkturen des schwarzen Meers, sind die Moldau
und Wallachei die ersten, derer Verhältnisse und Schicksale die k. k.
Erbländer angehen, und die nächsten, denen Revolutionen bevorste­
hen dürften.47

Der Autor der Bukowiner Denkschrift, der dank seiner persön­


lichen Erfahrungen aus früherer Zeit wußte, daß es innerhalb
der Führungsschichten der Fürstentümer auch Anhänger Öster­
reichs gab,48 sah eine solche Vereinigung aller von Rumänen be­
wohnten Länder unter habsburgischem Szepter als möglich an,
um so mehr, als das Osmanische Reich vor seinem unmittelba­
ren Zusammenbruch zu stehen schien. Die Chance für die
Rumänen der Moldau und Walachei, das »türkische« Europa zu
verlassen, hätte den Wiederanschluß an die Welt des »zivilisier­
ten« Europa nach sich gezogen. Im Geiste des politischen
Utilitarismus des 18. Jahrhunderts führte Vasile Bal§ auf meh­
reren Seiten zahlreiche geopolitische, wirtschaftliche und histo­
rische Argumente ins Treffen,49 um den Wiener H of von der

45 Ceauçu: Idei politice în Bucovina, S. 492 ff.


46 Boicu: Principatele Romane, passim.
47 Siehe Anmerkung 30.
48 Ceauçu: Idei politice in Bucovina, S. 497.
49 Touchard: Histoire des idées, S. 390 f.
100 Mihai-Çtefan Ceauçu

Bedeutung und den Vorteilen einer Herrschaft über die rumäni­


schen Fürstentümer zu überzeugen. Sein Schluß war daher:
Die Moldau und Wallachei verbürgen den k. k. Erbländern Vortheile
und Aussichten fast vom gleichen Range und Gewichte mit jenen,
welche die Krimm Russlands gewährt, und dinnt zu einem heilsamen
politischen Lazareth wider jedem fremden Einfluss.50

Die Rumänen der Bukowina zeigten am dramatischen Ablauf


der politischen Ereignisse im Europa des ausgehenden 18. und
beginnenden 19. Jahrhunderts reges Interesse, zumal dem revo­
lutionären Frankreich und Napoleon jener Staat gegenüber­
stand, dem sie angehörten, der das Europa des Ancien Régime
symbolisierte und bereit war, die revolutionären Ideen und
Veränderungen zurückzuweisen.51 Dabei spielte das Bemühen
des Wiener Hofes eine Rolle, mittels der Staatsverwaltung und
der orthodoxen Kirche die rumänische Bevölkerung zur morali­
schen und materiellen Unterstützung für die militärischen
Aktionen der konterrevolutionären Koalition zu gewinnen.52 Die
orthodoxe Kirche der Bukowina legitimierte den Krieg gegen das
revolutionäre Frankreich mit dem Argument, aus dem Atheis­
mus erwachse der Religion große Gefahr, und die Franzosen wur­
den als Feinde des Christentums hingestellt:
Die sind jetzt die gefährlichsten Feinde für die ganze Christenheit
und, indem sie wie Idole auftreten, suchen sie auch andere Christen
in die böse Verirrung zu ziehen.53

Diese sowohl antirevolutionäre als auch antifranzösische Pro­


paganda rechnete mit der traditionellen Mentalität der Land­

50 Siehe Anmerkung 30.


51 Helmut Reinalter: Österreich und die Französische Revolution, Wien 1988;
Gérard Gengenbre: La contre-révolution ou l’histoire désésperante. Histoire
des idées politique, Paris 1989.
52 Mihai-Çtefan Ceauçu: Diseurs §i aepune politicâ contrarevoluponara în
Bucovina în perioada râzboaielor purtate de Imperiul habsburgic împotriva
Franpei revolutionäre §i napoleoniene. In: Gabriel Bädäräu (Hg.): Itinerarii
istoriografice. Profesorului Leonid Boicu la împlinirea vârstei de 65 de ani,
Iaçi 1996, S. 373-384.
53 Arhivele Statului Suceava: Fond Parohia Putna nr. 1, f. 173.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 101

bevölkerung, die in der Moral und den Geboten des Christen­


tums verankert und dem monarchischen Prinzip verbunden war.
Daher kehrte die Anklage gegen die Französische Revolution das
heraus, worauf sich das alte Europa stütze - auf Tradition und
auf Autorität.54 Der revolutionäre Geist und das Streben nach
Hegemonie veranlaßte das Habsburgerreich und das alte Eu­
ropa55, Frankreich als Aggressor hinzustellen:
Bislang endete der Krieg, den unser Reich gegen den Unffeund den
Franzosen führt, nicht, und auch wenn unser hohes Reich alle Be­
mühungen auf sich nimmt zum Nutzen seiner Länder, um Frieden
zu machen, greift der französische Feind mit aller Macht, vom
Kleinsten bis zum Größten, unser christlich Gesetz an, er neigt kei­
neswegs zum Frieden, sondern ist weiterhin kriegsbereit.56

Als Gegensatz dazu fungierte in dieser Zeit die Idee eines be­
freienden und die traditionellen Werte der christlichen europäi­
schen Zivilisation beschützenden Österreich. Dies geht u. a.
aus einem Rundschreiben des Bukowiner Konsistoriums vom
5. April 1799 hervor, wo es heißt:
Weil die französischen Feinde die Christenheit versprengen, vieler­
orts bringen sie Plünderungen und Blutvergießen der Menschheit,
und unlängst haben sie angefangen einen feindlich Krieg gegen
unser barmherziges Reich«, das sich gezwungen sah »zu den Waffen
zu greifen und davon Gebrauch zu machen zur Verteidigung der
Länder des Reiches und aller Christenheit vor dem Feind und vor
dem Verderben.57

In den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts kam eine wei­


tere Komponente des Europa-Bildes hinzu, die auch in der
Bukowina Verbreitung fand, nämlich eine zutiefst patriotische
Bewegung nach Art des Barons Joseph von Hormayr58, die auf

54 Ceauçu: Diseurs §i aeftune, S. 375.


55 Duroselle: L’Idée d’Europe, S. 138 ff.
56 Siehe Anmerkung 53.
57 Ebenda, 196 f.
58 André Robert: L’idée nationale autrichienne et les guerres de Napoléon.
L’apostolat du baron de Hormayr, Paris 1933.
102 Mihai-Çtefan Ceauçu

der Tradition Österreichs mit dessen Mission fußte, in Europa


das Gleichgewicht zu sichern. Im Geiste dieser patriotischen
Idee erging im Sommer des Jahres 1809 an die Bewohner der
Bukowina eine Proklamation, in der jene aufgerufen wurden,
sich zu bewaffnen und sich freiwillig der Reichsarmee an­
zuschließen, um die Habsburgermonarchie und die traditionelle
europäische Zivilisation vor den expansionistischen Aktionen
des napoleonischen Frankreich und dessen Verbündeten zu ret­
ten.59 Einige Jahre später, im September 1813, richteten die kai­
serlichen Behörden einen neuen und ähnlichen Aufruf an die
Bewohner der Bukowina, in welchem diese aufgefordert wurden,
zwei Freiwilligenbataillone aufzustellen, die gegen Napoleon
kämpfen sollten. Abermals wurden die hegemonialen Tendenzen
Frankreichs als Bedrohung für alle Staaten Europas dargestellt:
Der französische Kaiser habe durch seine größere Macht nicht nur
viele Länder des österreichischen Kaiserreiches genommen, sondern
habe auch andere Monarchien geteilt und zerstreut und höre nicht
auf, das Glück der Völker in diesem Teil der Welt zu untergraben ...
wo sie verfolgen das ganze Europa unter seine eigene Herrschaft zu
bringen.60

Erneut versuchte man, den Glauben an die historische Mission


Österreichs für die neue Ordnung zu wecken, die nach der
Besiegung Napoleons errichtet werden müsse und die »die Ruhe
und Sicherheit der Völker Europas und die Beständigkeit der
monarchischen Throne«61 garantieren würde. Das Ende des
Krieges gegen Napoleon wurde von den Rumänen als »großes
Wunder« göttlichen Ursprungs eingestuft, das den russischen
und preußischen Armeen dazu verholfen habe, Paris zu betreten;
nun herrsche »Freude, welche ganz Europa fühlt«.62
Am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts spielten
für die Herausbildung eines neuen Europa-Bildes bei den Rumä­

59 Arhivele Statului Suceava: Colecfta Documente, pachet VIII doc. nr. 47/1809.
60 Arhivele Statului Suceava: Colecfia Documente, pachet IX doc. nr. 47/1813.
61 Ebenda.
62 Ebenda: Pachet IX doc. nr. 15/1814.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 103

nen der Bukowina auch Kulturfragen eine besonders wichtige


Rolle, denn das westeuropäische Kulturmodell begann sich über
Bildung und Schule mehr und mehr in allen Schichten der
Gesellschaft zu verbreiten. Zur Zeit der Annexion der Bukowina
zählten Unterricht und Bildung zu den wichtigsten ideologischen
Komponenten der habsburgischen Politik. Jedes Volk sollte seine
geistigen Grundlagen erweitern und dem Staat hiemit dienlich
sein. Maßgeblich waren hiebei das Prinzip der Einheitlichkeit des
Unterrichts, der Gesamtstaatlichkeit sowie der Toleranz.63 Zur
Institutionalisierung des josephinischen Reformprogramms für
Schule und Bildung ging der Wiener Hof 1781 dazu über, anstatt
der kirchlichen öffentliche Grundschulen einzurichten, die in der
Bukowina noch aus moldauischer Zeit existierten. In kurzer Zeit
sollten außer den Grundschulen (»Trivialschulen«) in Czernowitz
(Cernäufi/Černivci) und Suczawa (Suceava) auch solche mit gym­
nasialem Charakter gegründet werden (»Hauptschulen« und
»Normalschulen«). Ziel des schulischen Unterrichts war es, den
Rumänen den Zugang zu den öffentlichen Ämtern zu eröffnen und
dem Volke die Vorteile von Bildung und sozialem Aufstieg vor
Augen zu führen.64 Dank dieser Maßnahmen begannen viele
junge Rumänen ihre Ausbildung, die später für die rumänische
Nationalität der Bukowina bedeutende Verdienste erwarben (z. B.
Hacman, Hurmuzaki, Isäcescu, Musta^ä u. a.). Den Wunsch nach
Einrichtung öffentlicher Schulen erhoben auch die politischen
Eliten der Rumänen. Der Bojar Vasile Bal§ hat konsequent pro­
pagiert, öffentliche und unentgeltliche Grundschulen zu gründen,
was »der sehnlichste Wunsch aller Landsleute« sei - nicht nur aus
der Bukowina, sondern auch aus dem Fürstentum Moldau.65
Infolge der josephinischen Schulreformen, die in der Bu­
kowina bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts hineinreich­

63 Mihai-§tefan Ceau§u: fjcoala §i educate in Bucovina in perioada iosefinista


§i postiosefinista. In: Anuarul institului de istorie A. D. Xenopol XXXI, Ia§i
1994, S. 219 ff.
64 Ebenda, S. 222 ff.
65 Arhivele Statului Bucure§ti: Fond CAR, pachet VI doc. nr. 3a, nr. 27; pachet
VIII doc. nr. 46.
104 Mihai-Çtefan Ceauçu

ten, wuchs die Alphabetisierung deutlich an. Dieser Vorgang ent­


sprach der allgemeinen Entwicklung in Europa66 und zeigte in
dieser Randprovinz des Reiches eine besonders nachhaltige
Wirkung, denn in relativ kurzer Zeit gab es eine ziemlich be­
deutende gesellschaftliche Schicht mit Mindestbildung (Lesen
und Schreiben). Einen qualitativen Sprung nach oben löste die
Gründung eines Lyzeums mit acht Klassen in Czernowitz (1808)
aus, weil diese Institution den Rumänen neue Möglichkeiten
eröffnete.67 Mit ihrer Hilfe verbreiteten sich die Ideen der eu­
ropäischen Aufklärung sowie das Bild des »aufgeklärten« Eu­
ropa als Träger eines hohen Kultur- und Zivilisationsniveaus.
Die Folge war, daß auch die Rumänen an den Universitäten zu
Lemberg (L’vov, L’viv) oder Wien studieren und einen Teil der
kulturellen Wirklichkeit Europas mit eigenen Augen und Ohren
kennenlernen konnten. Diese Chance hat zum Entstehen einer
intellektuellen rumänischen Elite erheblich beigetragen, die das
Bild eines »zivilisierten« Europa nicht nur als Mittel der Orien­
tierung angenommen, sondern nach und nach auch in andere
Gesellschaftsschichten hineingewirkt hat.
Die Idee der Nachahmung des europäischen Kulturmodells
führte 1803 dank des Lehrers Ioan Bilevici (Johann Billewicz)
zum ersten Versuch, eine Zeitung in rumänischer Sprache her­
auszugeben.68 Einige Jahre nach einem ersten, gescheiterten
Versuch - die Staatsbehörden hatten den Antrag mit der
Begründung zurückgewiesen, daß der Lehrerberuf mit jenem
eines Journalisten nicht vereinbar sei69 - gelang es einem ande­
ren Lehrer, Vasile 'Jintilä, der das orthodoxe Seminar in
Czernowitz besucht hatte, zwischen 1811 und 1820 den ersten

66 Pierre Chaunu: Civilizapa Europei in secolul luminilor I, Bucureçti 1986,


S. 190 ff.
67 Arhivele Statului Suceava: Fond Parohia Putna Nr. 5/1805, S. 99; Rudolf
Wagner: Das multinationale österreichische Schulwesen in der Bukowina II,
München 1986, S. 9 ff.
68 Vasile Miron, Mihai-Çtefan Ceauçu, Ioan Caproçu, Gavril Irimescu: Suceava,
file de istorie. Documente privitoare la istoria oraçului 1388-1918 I, Bucu-
reçti 1989, S. 563-565.
69 Ebenda.
Der Wandel des Europa-Bildes in der Bukowina an der Wende ... 105

rumänischen Kalender zu drucken. Dieser Kalender, der sowohl


einen literarischen Teil als auch Ratschläge für die Dorfbewoh­
ner (im Sinne der Volksaufklärung) beinhaltete, versuchte die
Rolle einer fortlaufenden Publikation zu übernehmen.70 Das
gleiche Bestreben, den Rumänen die Anteilnahme am geistigen
Reichtum des europäischen Westens mittels Druckschriften71 zu
eröffnen, spiegelt sich in dem Antrag Teodor Racoceas wider, den
Druck eines Journals mit dem Titel »Moldauische Zeitung« zu
genehmigen.72 Racocea war der Sohn eines rumänischen Klein­
adligen aus der Bukowina, der dank seines Schulbesuchs Be­
amter im Lemberger Gubernium geworden war. In dessen An­
trag wies er darauf hin, daß er diese Zeitung aus »Liebe gegen
seine in aller wissenschaftlichen Hinsicht so weit zurückgeblie­
bene Nation« herausgeben möchte, damit die Rumänen, die eine
mehrere Millionen zählende Nation bildeten, an Europas Kultur
und seinen Ereignissen teilhaben könnten.73 Er sah sein Anlie­
gen um so begründeter, als
unter allen Nationen Europens bleibt die einzige moldauische oder
walachische, welche bis auf die gegenwärtigen Zeiten weder an den
allgemeinen Begebenheiten in politischer und statistischer Hinsicht,
noch an den wissenschaftlichen den mindesten Antheil nimmt.74

Abschließend läßt sich feststellen, daß die Reformmaßnahmen


in der Bukowina mittels der Modernisierung die Europäisierung
des Landes eingeleitet haben. Während einerseits die Vorgänge
am Kontinent nun weit stärker als früher wahrgenommen wor­
den sind, hat der Wandel andererseits bewirkt, daß sich die
Bewohner die westliche Kultur und Zivilisation anzueignen be­
gonnen haben. Hiemit verloren die ehemaligen orientalischen
Einflüsse allmählich ihre Bedeutung.

70 Constantin Loghin: Istoria literaturii romäne tn Bucovina 1775-1918, Cer-


näup 1926, S. 19-22.
71 Marino: »Luminile« romäne§ti, S. 35 f.
72 Teodor Bälan: Teodor Racoce §i »chrestionaticul romänesc«. In: Codrul
Cosminului II, Cemäup 1925, S. 368.
73 Ion Lupa§: Din trecutul ziaristicii romäne§ti. Arad 1916, S. 70-75.
74 Bälan: Teodor Racoce, S. 368 f.
FLOREA IONCIOAIA

Das Bild Europas in den rumänischen


Fürstentümern (1800-1830)

Die Vorstellung über »Europa« ist nicht bloß ein Bild des einen
vom anderen; es ist fast ein Gemeinplatz, daß gar kein objekti­
ves Bild existieren kann: Die Bilder sind subjektive, oftmals kon­
junkturbedingte Vorstellungen, und die jeweilige imagologische
Aussage hängt sowohl vom Informations- und Rationalitäts­
niveau als auch von Einbildungen ab; deshalb gibt es mehrere
Verstehens- und Vorstellungsebenen.1 Das Bild, das die vorlie­
gende Studie erstellen will, erscheint als Komplex expliziter und
impliziter Vorstellungen, denen sowohl die Widerspiegelung all­
gemeiner Sachverhalte als auch bewußt vollzogene Wahrneh­
mungen zugrunde liegen. Zuerst zur Geschichtlichkeit imagolo­
gischer Aussagen: Haben Bilder eine Biographie? Kann man
einen bestimmten Ursprung und eine bestimmte Entwicklung
für Bilder feststellen, abgesehen von deren gesellschaftlicher
Bedeutung? Weiters: Kann man von einem geschlossenen Bild
als von einer artikulierten, relativ einheitlichen Aussage spre­
chen oder nur von verschiedenartigen Vorstellungen? Handelt es
sich um einen sich selbst reproduzierenden Vorgang, dem eine
innere Dynamik eigen ist, die zwischen den diversen Erschei­
nungsformen eine kausale Beziehung herstellt, oder handelt es
sich um einen rein reaktiven, konjunkturellen Vorgang?
Der vorliegende Beitrag setzt sich weder das Ziel, auf all diese
Fragen zu antworten, noch den Anspruch auf einen systemati­
sierten Charakter zu erheben: Es geht nicht um die Gesamtheit
möglicher Texte und Aussagen. Im Rahmen der Imagologie ist
schwer zu entscheiden, wo Ursache und Wirkung zu finden sind,

1 Einige Daten zur Imagologie und Methodologie von Untersuchungen kollek­


tiver Vorstellungen siehe Klaus Heitmann: Das Rumänienbild im deutschen
Sprachraum 1775-1918, Köln/Wien 1985, Kapitel I (rumänisch: Imaginea
Romänilor in spafiul lingvistic german. Bucure§ti 1995, S. 16 ff.).
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 107

wo Anfang und Ende eines Bildes oder einer Bilderserie existie­


ren. Deswegen bedarf es zur methodologischen Hilfestellung ex­
terner temporaler Bezugspunkte. Der Zeitausschnitt vom Ende
des 18. bis zum Ende der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts
gibt für die rumänische Kulturgeschichte deshalb einen brauch­
baren Abschnitt ab, weil er den Übergang von der »postmittel­
alterlichen« Kultur zur »liberalen« Romantik der Achtund­
vierziger-Generation symbolisiert; diese zeitlichen Grenzen
sind, wenn es der Bedarf erfordert, jedoch keine verbindlichen
Schranken.
Wie die Quellen belegen, stand das Thema »Europa« in der
Walachei und Moldau damals nicht im Mittelpunkt der öffent­
lichen Auseinandersetzungen, weshalb auch kein geschlossener
Korpus einschlägiger Texte vorliegt. Weiters fehlen Wörterbü­
cher, Lehrbücher, populärwissenschaftliche Schriften und Reise­
beschreibungen, die eine breitere Perspektive zuließen. Aus
diesem Grund kommt in der vorliegenden Untersuchung haupt­
sächlich Literatur zweiten Grades zur Anwendung, d. h. diverse
politische und literarische Texte, Briefe und ideologische Mani­
feste, Aufzeichnungen und Chroniken, Texte, die sich manchmal
auf Europa beziehen und bestimmte Vorstellungen in sich schlie­
ßen, aber das Thema »Europa« nicht unbedingt speziell behan­
deln.
Da diese Studie die mündliche Tradition nicht berücksichtigt,
sondern sich auf geschriebene Texte beschränkt, ist klar, daß die
Quellen allein die Anschauungen einer dominanten sozialen
Gruppe ausdrücken: jener der schreibenden Gesellschaft; das
kursierende Bild kann daher nicht für die gesamte Bewohner­
schaft der Fürstentümer verallgemeinert werden.2 Was begün­
stigt oder behindert das Zustandekommen eines solchen Bildes?
Das Zustandekommen einer kollektiven Vorstellung setzt offen­
bar zuerst das - unmittelbare oder vermittelte - Kennenlernen
des jeweiligen Objekts voraus. Oft aber steckt dahinter mehr ein
2 Siehe auch die Bemerkungen zu diesem Thema von Alexandru Du(u: Modele
§i imagini in iluminismul sud-est european. In: Cultura romänä in civilizaría
europeanä modemä, Bucuresti 1978, S. 100.
108 Florea Ioncioaia

Wunsch nach Kennenlernen oder eine gezielte Ablehnung des


Gegenstandes; selten verbirgt sich hinter einer kollektiven
Vorstellung jedoch wirkliche Kenntnisnahme.
Es ist ziemlich schwierig zu definieren, welchen Wissensstand
es in den rumänischen Fürstentümern am Anfang des 19. Jahr­
hunderts über »Europa« gegeben hat. Auch wenn in den gebil­
deten Kreisen Popularisierungsschriften im Umlauf waren,
überstieg der Nachrichtenverkehr in Abwesenheit eines regel­
mäßigen Unterrichts und eines intellektuellen »Marktes« mit
Sicherheit kein anspruchsvolleres Niveau.3 Weiters ist wichtig
festzuhalten, daß den politischen Oberschichten bis zum Ende
des Phanariotenregimes (1821) das Reisen ins Ausland verboten
war und daß es auch danach nur beschränkte Möglichkeiten gab,
die Außenwelt kennenzulernen.4 Zusätzlich bedeutete die Zu­
gehörigkeit zur Ostkirche eine gewisse mentale Barriere, da das
Ökumenische Patriarchat in Konstantinopel gegen den Kos­

3 §tefan Lemny: Romånii in secolul XVIII. O bibliografie I, Ia§i 1988, passim;


was das kulturelle Ambiente betrifft, ist außer auf Dufu zu verweisen auf
Mircea Anghelescu: Preromantismul románese (pinä la 1840), Bucure§ti
1971, S. 31-39, und Paul Cornea: Originile romantismului románese. Spiritul
public, mi§carea ideilor §i literatura intre 1780 §i 1840, Bucure§ti 1972,
S. 35-65. Sehr nützlich ist auch das Buch von Pompiliu Eliade: Influenza
francezä asupra spiritului public din Románia. Originile, Bucure§ti 1982,
S. 262 f.
4 Es ist kein Zufall, daß in den Reformprojekten dieser Zeit sehr häufig die -
manchmal eindringliche - Forderung auftaucht, den freien Personenverkehr,
vor allem jenen der politischen Führung, zu erlauben. Siehe Vlad Georgescu:
Mémoires et projets de réforme das les Principautes Roumaines 1769-1830,
Bucarest 1970, S. 71. Dieselbe Fragestellung erscheint auch in der Korre­
spondenz Grigore Ghicas, des ersten einheimischen Fürsten nach 1821, wie
dies aus dessen Brief (1826) an Gentz hervorgeht: »La Porte regarde comme
un crime les relations des princes avec les étrangers.« Siehe Vlad Georgescu:
Din corespondenja diplomaticä a färii Romänetjti 1823-1828, Bucure§ti o. J.,
S. XIII, 115, 155 und 203. Die Gefahr konnte aber auch von Rußland, der
Schutz- und oftmals Besatzungsmacht der Fürstentümer, kommen, wie dies
eine Aufzeichnung im April 1828 zeigt, die den Einmarsch der Russen in die
Moldau festhält und die Verhaftung eines Bojaren erwähnt, da ihn die
Russen im Verdacht hatten, »Geheimsekretär des Fürsten in französischer
Sprache in seiner Korrespondenz mit Europa, daß er also etwaige Antworten
bei sich trage oder Briefe gegen Rußland«. Siehe Ilie Corfus: Insemnäri de de-
mult, Ia§i 1975, S. 93.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 109

mopolitismus eines Voltaire und gegen die Ideen der Franzö­


sischen Revolution Front machte.5
Trotz dieser Hindernisse begannen die moldauischen und
walachischen Bojaren bereits vor Auflösung des von den Kon-
stantinopler Griechen getragenen Regimes das westliche Eu­
ropa zu entdecken: als politische Flüchtlinge, als Studierende
oder als Touristen. Das Beispiel des Dinicu Golescu ist das be­
kannteste, aber es stellt eine Tendenz dar, die schnell Mode, ja
ein quasi obligatorisches Ritual für die rumänische Elite werden
sollte.6
Neben dem durch Reisen vermittelten direkten Kontakt ka­
men die Kolportageliteratur und auch die Presse in einen stei­
genden Umlauf.7Wegen deren Qualität (oftmals vulgarisierende
Almanache) und deren konservativer Ausrichtung kommen sie
nicht als Quellen erster Ordnung in Betracht, um ein veritables
Bild über »Europa« zu vermitteln.8 In der Regel zirkulierten die
einschlägigen Informationen als Gerüchte, die militärische Sta­
fetten und fürstliche oder kirchliche Beschlüsse ausgelöst
haben.9 Die Verbreitung geschah entweder handschriftlich oder
mittels Mundpropaganda, seltener über den Druck, was dazu
führte, daß die Wege und Inhalte solcher Kommunikation heute
kaum zu rekonstruieren sind. Letztlich war es das westliche
Europa selbst, das von sich reden machte, d. h. als Welt, die ein
Bild von sich in Umlauf brachte.
Hinzuweisen ist weiters auf die Handelsbeziehungen, die ein
unmittelbares Kennenlernen des Westens ermöglichten und den

5 Eliade: Influenza francezä, S. 141 und passim; Du(u: Modele §i imagini,


S. 100.
6 Siehe dazu den Beitrag von Stela Marieç in diesem Band und die dort ange­
gebene Literatur.
7 Siehe Anmerkung 3.
8 Grigore Ghica schrieb dem russischen Botschafter in Konstantinopel, Ri-
beaupierre, im Februar 1827: »Les journaux que je reçois sont Le Con­
stitutioneil et l’Etoile, en français, l’Observateur Autrichien et La Gazette
Universelle, en allemand«, Georgescu: Din corespondenfa, S. 233.
9 Ilie Corfus: Introducere. Cronica meçteçugarului Ioan Dobrescu 1802-1830,
Bucureçti 1966, S. 314.
110 Florea Ioncioaia

Wunsch weckten, die dort wahrgenommene Lebensweise nach­


zuahmen und fallweise auch in das westliche Waren- und
Marktsystem einbezogen zu werden. Es ist bekannt, daß »Eu­
ropa« bereits seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts
für die Bojaren aus den Fürstentümern ein begehrtes Ziel gewe­
sen ist, wie dies aus den diversen Bittschriften und politischen
Projekten ersichtlich ist, in denen man u. a. die Liberalisierung
des Handels mit dem Westen forderte.10
Außer diesen Faktoren waren es bestimmte Gruppen, die für
eine Annäherung an »Europa« sorgten, nämlich vor allem die
Siebenbürger Rumänen und die Griechen. Die transsilvanischen
Intellektuellen studierten nämlich im Okzident und benützten
die Entdeckung ihrer Latinität, um ihren Volksgenossen daheim
eine ehrenhafte Identität zu verschaffen.
»Europa« stellte aus ihrer Sicht ein Modell nationaler Eman­
zipation durch Aufklärung dar, vor allem aber eine natürliche hi­
storische Gemeinschaft. Jedenfalls rief dieses Vorbild ein neues
Identitätsmuster hervor - die Romanität oder, mit anderen
Worten, den Glauben an die Abstammung von einer großen eu­
ropäischen Zivilisation. Dieses Prinzip sollte später das Fun­
dament zu einem messianischen Bewußtsein legen, wonach die
illustre Herkunft und die Volksstärke den Rumänen erlaube,
Anspruch auf Gleichstellung mit den anderen Völkern des
Kontinents zu erheben.11 Das Abendland symbolisierte für diese
Träger der neohellenischen Kultur einen Raum der Freiheit, der
Kultiviertheit und Diaspora und - nicht zuletzt - auch einen
Hebel für die Befreiung von der osmanischen Herrschaft. Es ist
dies kein Zufall, hatte sich »Europa« ja gerade zur Zeit Napoleons
für die Rumänen besonders zu interessieren begonnen.12

10 Vgl. Georgescu: Mémoires et projets, passim.


11 Vgl. Teodor Racoce: înçtiinjare (1817). In: I. Lupa§: Contribupuni la istoria
ziaristicei ardelene, Sibiu 1926, S. 23; für die messianischen Andeutungen der
Siebenbürger siehe auch Adrian Marino: Pentru Europa. Integrarea Romä-
niei. Aspecte ideologice §i culturale, Ia§i 1995, S. 168 f.; sowie auch Eliade:
Influenza francezä, S. 227; für die Haltung Napoleon und der Französischen
Revolution gegenüber S. 191 ff.
12 Cornea: Originile romantismului, S. 48 f ; Marino: Pentru Europa, S. 173 f.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 111

Ende des 18. Jahrhunderts war der Europazentrismus im We­


sten bereits weit gediehen, was sich daran äußert, daß »Europa«
gegenüber den anderen Kontinenten seine Überlegenheit her­
vorkehrte. Denis de Rougement bemerkte in diesem Sinne, die
Aufklärung habe die Vorstellung erzeugt von der Dominanz »der
europäischen Religion, der weißen Rasse und der französischen
Sprache«.13 Hinzu kam noch die Französische Revolution, die so­
wohl zu negativen Reaktionen als auch zum Mythos Napoleons
führte, der ein Art paneuropäisches Ideal repräsentierte.
Die Wahrnehmung des westlichen Europa in den rumäni­
schen Fürstentümern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
muß in Zusammenhang mit der damals auftretenden Identitäts­
krise gesehen werden, die das Ideal der Aufklärung als Instru­
ment für den Zugang zu Zivilisation und Fortschritt auslöste.14
»Seine Hoheit ermutigt euch, einer neuen Epoche würdig zu wer­
den«, verlangte Petrache Poenaru von den Schülern des Buka-
rester Kollegiums Hl. Sava, »indem ihr euch bemüht, den Geist
dieser Zeit aufzunehmen, den Geist der Wissenschaft, der Ruhe,
der Menschenliebe, der Unterordnung gegenüber dem Gesetz
und gegenüber den Herrschenden«.15 Der Weg ins Neue ver­
langte einerseits das Verlassen des griechisch-osmanischen kul­
turellen Kontexts, andererseits einen neuen und attraktiven
Bezugspunkt. »Als süßeste Beschäftigung hatte ich ... das Lesen
der Geschichtsbücher, die Kunde von den Einrichtungen, den
Verfassungen und Gesetzen anderer Völker, um die Ursachen
der Übel zu finden, unter denen wir uns beugen, und um die
Heilung von ihnen zu erfahren«, schrieb Ionicä Täutul, einer der
bedeutendsten Ideologen, im August 1829 in einem Brief.16 Wir

13 D. de Rougement: Vingt-huit siècles d’Europe. La conscience européenne à


travers des textes. Depuis Hésiod à nos jours, Paris 1961, S. 143 f.
14 Zur Wichtigkeit dieser Vorstellung in jener Zeit vgl. Dufu: Modele §i imagini,
S. 97 f.; Marino: Pentru Europa, S. 168 f. und passim.
15 Es geht um eine Rede zur Eröffnung des Schuljahres, vgl. V. A. Urechia:
Istoria çcoalelor de la 1800-1864, Bucureçti 1892, S. 317.
16 Ionicä Täutu: Scrieri social-politice. Cuvînt înainte, studiu introductiv, note
de Emil Vîrtosu, Bucureçti 1974, S. 261. Die gleiche Ansicht finden wir auch
112 Florea Ioncioaia

finden in dieser Zeit nicht allein das Vertrauen in neuartige


Vorbilder, sondern auch den Glauben an die Kraft des Bildes als
pädagogische Quelle.17
Es ist schwer zu sagen, ab wann der Begriff »Europa« im öf­
fentlichen Diskurs der Walachei und Moldau in Verwendung
kam. In der Tradition des 18. Jahrhunderts assoziierte man mit
Europa noch die Christenheit, die im positiven Sinn den antiis­
lamischen Block, im negativen Sinne die katholisch-protestanti­
sche Welt bedeutete. Das Bild paneuropäischer christlicher
Solidarität blieb zwar noch bestehen,18 verlor an Intensität und
Bedeutung aber in dem Maße, wie das Osmanische Reich nicht
mehr wie ehedem eine elementare Gefahr darstellte. Dieses
»christliche« Europa wurde von der Metapher des »aufgeklärten«
Europa abgelöst, das den symbolischen Sinn eines kulturellen
Modells erwarb.19 Es ist offensichtlich, daß das Interesse an
Europa damals unendlich größer war; Asien geriet nur selten
und dann meist in negativem Sinne ins Blickfeld, während
Amerika lediglich hin und wieder, aber auch nur in Zusam­
menhang mit Europa erwähnt worden ist. Im allgemeinen zeigte
die stetig wachsende Benutzung des Terminus ein wachsendes
Interesse an, doch steht diesem paradoxerweise ein hohes Maß
an UnVertrautheit gegenüber: Was war Europa wirklich? Wo
gehörten die beiden Fürstentümer hin?

bei seinem muntenischen Pendant, Dinicu Golescu: »Und dann werden wir,
jeder von uns, die wahre Ehre und Beglückung gewinnen, das Volk wird in
wenigen Jahren zweifellos auf jenen Stand gelangen, auf dem sich die ande­
ren Völker Europas befinden, sowie auch zu jener angemessenen Aufklärung
reifen, wenn wir uns an anderen Völkern ein Beispiel nehmen.« Siehe Dinicu
Golescu: tnsemnare a cälätoriei mele. In: Scrieri, Bucureijti 1990, S. 52.
17 »Ach, könnte ich dir doch die Ikone dieser unbescholtenen Schweiz beschrei­
ben«, schreibt der junge Bräiloiu seinem Vater, einem hervorragenden mun­
tenischen Bojaren, im Mai 1828, »Du würdest fühlen, wie in Dir mit größerer
Kraft jenes patriotische Gefühl erwacht, von dem ich weiß, daß es Dir ange­
boren ist, und das mich beseelt.« P. Eliade: Histoire de l’esprit public en
Roumanie I (1821-1828), Paris 1905, S. 268.
18 Es geht um Antim Ivireanul, einen hohen orthodoxen Prälaten aus Mun-
tenien, mit seinen Sfaturi cre§tine-politice. Vgl. Du(u: Modele §i imagini,
S. 157.
19 Siehe hiezu den Beitrag von Veniamin Ciobanu in diesem Band.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 113

Aus geographischer Sicht erschien Europa als ein vager Raum


mit nur schlecht umreißbaren Grenzen. Gewöhnlich war damit
die nichtosmanische Welt gemeint, die jenseits der Karpaten
(Siebenbürgen) begann,20 doch zählte man manchmal auch die
Türkei und Rußland dazu. Die ersten Versuche, die Grenzen
Europas zu definieren, kennen wir bereits aus dem späten 18.
Jahrhundert. »Und dieses Wasser, das Don heißt, teilt Asien von
Europa, so wie bei Konstantinopel der Bosporus: diesseits
Konstantinopel mit Galatha in Europa, jenseits Skutari in
Asien«, heißt es in einer Aufzeichnung des moldauischen Hof­
marschalls Toader Jora (1786).21 Um das Jahr 1800 war Naum
Rämniceanu wohl einer der ersten, der Europa aus geographi­
scher Sicht definierte und seine Grenzen und seine politisch­
staatliche Zusammensetzung beschrieb.22 Obwohl »Europa« in
den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch als imaginäre
Einheit erschien, kam es mit dem Kennenlernen des Kontinents
sowie unter dem Einfluß kultureller und politischer Konjunk­
turen nach und nach zu einer Differenzierung. Wien, noch mehr
aber Paris - »Europas Vaterland« (Dionisie Eclesiarhul) - gehör­
ten sowohl kulturell als auch geographisch und politisch zu die­
ser Welt.23 Trotz gewisser Schwankungen wurde »Europa« an­
hand seiner Zivilisation definiert.
»Europa« bedeutete jedoch nicht nur Geographie oder Zivi­
lisation, sondern auch Politik. Es gab nämlich auch ein »Europa«,
das weder das große geographische Europa noch das zivilisierte

20 Siehe hiezu die Briefe einiger muntenischer Bojaren aus den ersten Jahr­
zehnten des Jahrhunderts, in denen die Schulen aus Hermannstadt, oftmals
bloß private Pensionate, als europäische Schulen bezeichnet wurden. N.
Iorga: Contribupi la istoria ¡nväjämintului in farä §i sträinätate 1780-1830.
In: Analele Academici Romäne. Memoriile secfiunii literare (= AARMSL)
XXIX, Bucuresti 1906, S. 45 und passim.
21 Corfus: Insemnäri de demult, S. 17.
22 Diesem niederen Kleriker verdanken wir in den ersten Jahrzehnten des 19.
Jahrhunderts die vollständigste Vision von »Europa«. Vgl. Cronica ineditä a
protosinghelului Naum Rämniceanu I a. Text insopt de un studiu introduc-
tiv de Stefan Bezdechi, Cluj-Sibiu 1944, vor allem die Kapitel 5-10.
23 Dionisie Eclesiarhul: Hronograf 1764-1815. Hg. v. Dumitru Bäla§a und
Nicolae Stoicescu, Bucuresti 1981, S. 116.
114 Florea Ioncioaia

Europa (Abendland) war, sondern jene Bühne, auf der die be­
deutendsten Mächte auftraten. Dieses »Europa« war ein Raum
des Mächtespiels, in dem das Maß der Teilnahme an den poli­
tisch-diplomatischen Geschäften zählte; hieraus erklärt sich,
daß Rußland und die Türkei oft in das europäische »Konzert« der
Großmächte einbezogen wurden.24
Meist erschien das politische Europa als eine Gemeinschaft
der Souveräne - der Kaiser, Könige und eventuell auch der
Fürsten. Die napoleonischen Kriege wurden daher vornehmlich
als Konflikte zwischen einzelnen europäischen Führern einge­
stuft. Mit »Europa« wurde meist dann operiert, wenn es um eine
allgemeine Gefahr ging, sei es Napoleon, seien es die Türken oder
dann die Griechen mit ihren revolutionären Versuchen.25 Dio-
nisie Eclesiarhul übernahm in diesem Sinne aus einer Bekannt­
machung des Zaren Alexanders II. die Formulierung, Napoleon
mache »in ganz Europa Aufruhr«, indem er sich außerhalb des
gängigen Kanons (»ohne Wissen der Kaiser Europas«) zum
»Empéreur« proklamierte.26
Außer der Vielzahl von Souveränen tauchte damals bereits
eine neue Macht auf, die »Europa« in gewissem Sinne zu einer
fiktiven Einheit machte: die öffentliche Meinung. »Europa« war
ein Raum geworden, in dem die Ereignisse ein Echo hatten: Es
gab ein moralisches Bewußtsein, ein öffentliches Gewissen. Weil
die Vernunft, bestimmte Ideen und moralische Werte politische
Gesten begründen konnten, schien »Europa« nun verstehbarer
und seine Taten vorhersehbarer zu sein.27

24 Wie dies in einer anonymen muntenischen Bittschrift (etwa 1820) heißt.


Siehe Georgescu: Mémoires et projets, S. 100 f., 108 und passim; vgl. auch der­
selbe: Din corespondenfa, S. 165, 198 und passim.
25 Sich an Alexander I. von Rußland wendend, nannten die nach Kronstadt
(Bra§ov) emigrierten muntenischen Bojaren diesen 1821 »Souverän, den das
anerkennungsvolle Europa als seinen Befreier ausgerufen hat«, siehe
Georgescu: Mémoires et projets, S. 106; »unserem barmherzigen Beschützer,
der in seinen Händen die Waage der Gerechtigkeit ganz Europas hält«, siehe
Emil Virtosu: 1821. Date §i fapte noi, Bucuresti 1932, S. 140.
26 Dionisie Eclesiarhul: Hronograf, S. 89, 95 f.
27 Vgl. die häufigen diesbezüglichen Ausführungen der im dritten Jahrzehnt
nach Kronstadt emigrierten Bojaren. Ebenda, S. 123 und passim.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 115

Trotz dieser Tendenz zum Brückenschlag innerhalb Europas


blieben die traditionellen Trennlinien erhalten, die da waren:
zwei Richtungen innerhalb der Christenheit, zwei gegensätz­
liche kulturelle Paradigmen, zwei politische Grundmodelle - das
durch die Türkei repräsentierte Modell des orientalischen Des­
potismus und das Modell des rationalen Staates, der sich auf das
Glück seiner Bürger und auf die Werte der Zivilisation stützte.
Zu diesem die Türkei ausschließenden Europa gehörte auch der
Habsburgerstaat. Aus einem antigriechischen Pamphlet (1822?)
geht hervor, daß das u. a. von Griechen bewohnte Rumelien zwar
zum türkischen Europa, aber nicht zu »Europa« gehöre28, und
Ionicä Täutul sah die Moldau als »dem osmanischen Reiche un­
tertan und von Provinzen zweier verschiedener europäischer
Reiche umgeben«.29 Dinicu Golescu sprach von den Christen,
»die unglücklicherweise im türkischen Europa wohnen«, und von
der glücklichen Lage, »in der sich die Völker des anderen Europa
befinden«.30
Was die europäischen Staaten in ihrer Vorbildwirkung betraf,
dominierte anfangs wegen der gemeinsamen antiken lateini­
schen Kultur Italien oder wegen der Vernunftbetonung in der
staatlichen Politik die Monarchia Austriaca. Im dritten Jahr­
zehnt des 19. Jahrhunderts waren es dann jedoch die Schweiz,
Bayern und - ab den dreißiger Jahren - ganz besonders Frank­
reich, das aus rumänischen Augen schlechthin zum Symbol
Europas aufstieg. Teilweise an diese Wahrnehmung gebunden,
entstand auch das Bild eines Europa als Ort der Zuflucht, das
die Mitglieder der politischen Oberschichten während der mi­
litärischen Invasionen oder ziemlich häufigen internen Unruhen
aufsuchten.31

28 Ebenda, S. 55.
29 Georgescu: Mémoires et projets, S. 108.
30 Golescu: însemnare a cälätoriei mele, S. 61.
31 Das Thema taucht in einer Bittschrift der muntenischen Bojaren an den
Wiener Hof auf, ist aber vor allem nach 1821 häufig präsent, obwohl der
Bezug auf »Europa« bloß ein impliziter ist, siehe Georgescu: Mémoires et pro­
jets, S. 45; sowie derselbe: Din corespondenfa, passim.
116 Florea Ioncioaia

Bedeutsam ist weiters die Sinnentwicklung der Begriffe


»Abendland« bzw. »Okzident«, die im Lauf der Zeit ein regel­
rechtes Synonym für das westliche Europa wurden. »Abendland«
bedeutete damals sowohl das katholische Europa als auch das
außerhalb der osmanischen Welt befindliche Territorium des
Kontinents, d. h. eine Welt, in der die Großmächte ihre Gegen­
sätze austrugen. Die Verwendung von »Abendland« zeigt, daß
dieser Begriff nicht immer nur positiv gebraucht worden ist,
z. B. wenn es darum ging, die Legitimität der orthodoxen Glau­
bensrichtung hervorzuheben bzw. die katholische oder prote­
stantische Variante des Christentums als Abweichung hinzu­
stellen. Bei Naum Rämniceanu war das Abendland ein Raum, wo
die Häresie, die Eigenliebe und der Atheismus zu Hause waren,
denn, so meinte er, wo Weisheit ist, sei auch der Irrsinn.32 Diese
Begriffsführung hatte den Vorteil, Rußland als Protektions­
macht der Orthodoxie nicht einschließen zu müssen.
Das Bild über »Europa« im kulturellen Sinne beruhte auf den
Kriterien der Aufklärung, der Wissenschaften, der Zivilisation
und des Fortschrittsdenkens und bezog sich auf einen kleineren
territorialen Umkreis als jener des Abendlandes. Der Ursprung
dieses Bildes geht auf das 18. Jahrhundert zurück und hat sich
zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den rumänischen Fürsten­
tümern bereits gefestigt. Der Herrscher der Walachei, Constan­
tin Ipsilanti, sagte zur Begleiterin des französischen Konsuls
Reinhard im Jahre 1806: »Sie werden in Jassy [im Gegensatz zu
Bukarest] zufriedener sein, wo Sie alles an das zivilisierte Eu­
ropa erinnern wird.«33 Der Bojar und Historiker Ienächifä
Väcärescu hatte schon 1794 gemeint: »Die Lehrer Europas sind
strebsame und lobwürdige Menschen.« Auch Grigore der Archi-
mandrit notierte in seinem etwa 1798 erschienenen »Triodul«,
daß

32 Cronica protosinghelului Naum Rämniceanu, S. 66 f.


33 Vgl. Christian Reinhardt: O paginä din via^a romäneascä sub Moruzi §i
Ipsilanti. Scrisori. Bucuresti o. J., S. 18.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 117

die Menschen Europas scharfen Verstand haben, unzögerlich und


tapfer sind; und wie daselbst so viele Weise geboren wurden, so viele
Gesetzesgeber, Doktoren, auserwählte Redner und Fürsten, die alle
anderen Völker der Welt mit der Kraft ihres Verstandes, ihrer Spra­
che und ihrer Hände gebändigt, gelehrt und bezwungen haben; wie
daselbst sich die beiden berühmten Reiche der Griechen und der
Römer befunden; daselbst die Wissenschaften, die Handwerke, die
guten Sitten und die gute Unsterblichkeit erblühten und erblühen;
wie also es sich gehört, dieses Europa die Zierde der Welt zu nen­
nen.34

Erst die Schriften Naum Rämniceanus bewirkten die regelrechte


Mythologisierung »Europas« bei den Rumänen. Er baute die
Vorstellungen über die griechisch-römische heidnische Ver­
gangenheit in der Antike, über das christliche Mittelalter und
über die Zivilisation der Neuzeit zu einem Bild über Europa zu­
sammen, das sich noch nicht eindeutig nur auf den Westen bezog.
Wie auch einer seiner Vorgänger, der moldauische Kleriker
Amfilohie Hotiniul, war er ein diskreter »Philo-Abendländer«,
der dem Orient durch seinen orthodoxen Glauben aber doch ver­
bunden blieb. Andere Autoren schlugen in dieselbe Kerbe.
»Obwohl die meisten von uns ohne Mittel und arm sind, lassen
wir alles, auch das Vaterland, auch die Blutsverwandten und
alles Häusliche, mißachten jedwedes Unglück und Leid und
gehen an die Universitäten Europas, um uns aufzuklären«, ge­
stand der große Hofmarschall Alexandra Mavrocordat.35 Über
die phanariotischen Griechen hieß es in einer muntenischen
Bittschrift, sie hätten »im Laufe einiger Jahrhunderte, indem sie
aus Europa Gelehrtheit bezogen«, ihre natürlichen diabolischen
Neigungen [sic!] verbergen können.36 »Wir sehen mittels des
Lichts der Wissenschaften, das wir bei ihnen [den Europäern] be­

34 Vgl. Ion Bianu, Nerva Hodo§: Bibliografie romäneascä veche II. Bucure§ti
1910, S. 406.
35 Derselbe: Amänunte din istoria invä(ämintului in (arä §i sträinätate 1780-
1830. In: ARMSL XXXVII/1916, S. 381 f.
36 Virtosu: 1821, S. 119.
118 Florea Ioncioaia

ziehen«, bemerkte der Dichter Barbu Paris Mumuleanu.37 Der­


selbe schrieb 1825 in seinen »Caracteruri« euphorisch:
Wenn wir alle Völker Europas betrachten, sehen wir, daß durch das
Licht der Lehre sie das Fahren auf dem Meer wie auf dem Festland
gefunden, sie haben die Höhe und die Größe der Sonne gemessen,
haben Wissenschaften noch und noch vollendet und Mengen von
nützlichen Handwerken erfunden in der Gesellschaft, worüber unser
Verstand nur erschrecken kann.

Ein Scheitern beim Erwerb westlicher Bildung war besonders


schmerzlich. Dies brachte z. B. Nicolae Bräiloiu (ca. 1823) aus
Craiova zum Ausdruck, der mit den schulischen Leistungen sei­
nes Sohnes unzufrieden war: »Ich schäme mich zu sagen, daß ich
Kinder in der Schule hatte, in Europa, schade um die Ausgaben,
die wir gemacht haben!«38
Der funktionelle Übergang »Europas« vom Brennpunkt einer
höheren Zivilisation zum Ziel eines politischen Programms
(Europäisierung) fiel innerhalb der rumänischen Fürstentümer
in die zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts. »Europa« war nun
der wahre Ort, an dem »sich die aufgeklärten Völker bemühen,
ihr Glück durch Wohlstand zu begründen«, wie Naum Räm-
niceanu meinte, während Constantin Moroiu glaubte, daß »die
Liebe zur Menschheit als Grundlage sozialer Tugenden jetzt in
fast ganz Europa bei allerlei Personen anzutreffen ist« das
Charakteristische sei.39
Dinicu Golescu formulierte als einer der ersten, daß Europa
aus zwei Hemisphären bestehe. Er sprach von der tragischen
Lage, in der sich die Christen des »türkischen Europa« befanden,
und von der glücklichen Lage »des anderen Europa«, des wahren
und aufgeklärten Europa; dieses begann in seinen Augen jen ­
seits der Karpaten, in engerem Sinne erst ab Wien.40 »Europa«

37 Marino: Pentru Europa, S. 174.


38 Iorga: Contribuii la istoria inväpmintului, S. 45.
39 Cornea: Originile romantismului romänesc, S. 240.
40 Golescu: Ìnsemnare a cälätoriei mele, S. 3 f., 61 und passim.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 119

war für ihn ein symbolischer Raum, der sich in groben Zügen mit
der westlichen Welt deckte.
Das Bewußtsein der Gemeinschaftlichkeit mit »Europa« war
bei den Eliten des 18. Jahrhunderts präsent, löste jedoch noch
kein Signal für eine Vorbildhaftigkeit aus. In einem fürstlichen
Beschluß aus dem Jahre 1797 über die Abfassung einer Ge­
schichte und Geographie der Walachei wurde verlangt, »die Geo­
graphie des Landes« zusammenzustellen, »wie es sich fügt mit
denen außerhalb seiner, also: mit dem Allmächtigen Reich und
mit dem fremden Boden, sowie die Grenzen des Landes zum
Banat und zu Transilvanien«; der europäische Westen befand
sich offenbar noch außerhalb des Horizonts.41
In den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts wurde die Ord­
nung der Dinge noch immer von Konstantinopel vorgegeben. Es
gab zwei Zeitmaße - die türkische Zeit (die gewöhnlich in Ge­
brauch war) und die europäische Zeit - sowie zwei Arten von
Kleidung, wobei die Kleider europäischer Art mit Fremdsein as-
soziert wurden; ganz zu schweigen von den Konfessionen, politi­
schen Praktiken und kulturellen Mentalitäten.42 Sogar die
Schrift (kyrillisch) oder das Notensystem waren von den »eu­
ropäischen« Normen verschieden.43
Demgegenüber ist es paradox, wenn die Vorstellung über die
tiefe kulturelle Differenz zu »Europa« in der öffentlichen Mei­
nung kaum erörtert worden ist. Dies deshalb, weil »Europa« vor­
wiegend nicht als kulturelle Entität erschien und weil die Ein­
sicht in die Notwendigkeit von Reformen erst langsam wuchs.

41 V. A. Urechia: Istoria Romänilor VII, Bucure§ti 1894, S. 55.


42 Vgl. Georgescu: Din corespondenfa, S. 77 und passim. Zur Wahrnehmung der
Kleidung vgl. Stela Märie§: Importan(a catagrafiei din anii 1824-1825 pen-
tru problema sudiplor evrei din Moldova. In: Silviu Sanie, Dumitru Vitcu
(Hg.): Studia et acta Historiae Judaerom Romaniae, Bucure§ti 1996, S. 51-
135.
43 Erst 1829 wurde ein Lehrbuch veröffentlicht mit dem Titel »Gramaticä romä-
neascä de note pentru fundamentul chitarei, compusä dupä cea europe-
neascä, de Teodor Burada, sluger, anul 1829«. Diese Schrift war bis in die
sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in kirchenslawischer Schrift­
sprache abgefaßt.
120 Florea Ioncioaia

Die Übernahme des österreichischen Zivilgesetzbuchs in die


Moldau oblag dem praktischen Bedürfnis und verlangte keine
tiefere Erklärung.
Deshalb ist schwer zu sagen, ab wann »Europa« für die Gesell­
schaft in den Fürstentümern zum regelrechten Modellvergleich
herangezogen worden ist. Am wahrscheinlichsten ist, daß dieser
Vorgang auf das Echo der Französischen Revolution und der na-
poleonischen Kriege zurückging, wenngleich der Westen damals
eher als Unruheherd empfunden worden ist.44 Die Figur Napo­
leons entpuppte sich als Symbol für eine andere Welt, die uner­
wartet viel Aufmerksamkeit auf sich zog: »Europa« kam nun als
mögliches politisches Gegengewicht zu den traditionellen Kräf­
ten aus der Nachbarschaft in Betracht.45
Es handelte sich aber noch keineswegs um ein Gefühl ge­
meinschaftlicher Verbundenheit oder um den Ausdruck bewuß­
ter Wertschätzung. Bojaren und Intellektuelle wie Ienächi^ä
Väcärescu, Amfilohie Hotiniul, Alexandru Mavrocordat, Dionisie
Eclesiarhul u. a. wandten sich zwar schon am Ende des 18. Jahr­
hunderts dem Abendland zu und hegten Sympathien, doch han­
delte es sich damals um die Wertschätzung von Ideen und
Gelehrsamkeit, allenfalls um das zeitgenössische politische »Eu­
ropa«, aber noch nicht um die Ausrichtung nach einem fremden
Modell.
Die erste tiefe Bresche im postmittelalterlichen Vorstellungs­
system verdanken wir, wie bereits oben gesagt, Naum Rämni-
ceanu und insbesondere dem Jahr 1821, als im Augenblick feh­
lenden Schutzes vor der türkischen Willkür die Zugehörigkeit zu
»Europa« als wünschenswertes Ziel erschien. Allerdings domi­
nierte angesichts der politischen Umstände das politische
Kalkül (Hilfeforderungen, Zuflucht etc.).46

44 Vgl. auch Radu Rosetti: Arhiva senatorilor din Chiçinâu §i ocupapa ruseascä
delà 1806-1812 I, Bucureçti 1909, S. 36, 71 ff., 79.
45 Zum allgemeinen Kontext vgl. Eliade: Influenza francezä, Kap. III, Teil III;
vgl. auch Georgescus Einführung zu: Mémoires et projets, S. VI.
46 Vgl. Virtosu: 1821, S. 189, passim.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 121

Naum Rämniceanu ging davon aus, daß die Rumänen durch


ihre biblische Abstammung zu Europa gehörten (»aus dem
Geschlechte Jafets ... neben den anderen Sprachen Europas,
außer den Türken, Juden und Griechen«). Die Zugehörigkeit der
Rumänen zum Westen beruhte demnach auf der Latinität bzw.
Romanität. Rämniceanu meinte, geographisch und politisch
»zählen zu den Fürstentümern Europas auch die Herrschaft der
Moldau und die Herrschaft der Walachei«, da sie einer europäi­
schen Ordnung angehörten.47
Die Hinwendung zur »richtigen Aufklärung« implizierte nicht
automatisch schon einen entschiedenen, freiwilligen Bruch mit
dem »türkischen Europa«. Nachahmung bedeutete daher mehr
mechanische Geste als scharfe Kenntnis und klares Wollen eines
neuartigen Modells. Wohin versetzten die Zeitgenossen demnach
die beiden rumänischen Fürstentümer?
Die Antwort erfolgte erst am Ende des dritten Jahrzehnts, zu­
erst bei Dinicu Golescu, der zwei Varianten von Europa vor Au­
gen hatte: ein unaufgeklärtes und ein aufgeklärtes Europa. Mit
den Idealen dieses zweiten Europa identifizierte er sich zwar,
doch registrierte er schmerzlich die Getrenntheit seines Landes
vom »aufgeklärten Europa«.
Kaum wahrgenommen, wurde das Gefühl des Ausgeschlos­
senseins aus dieser Welt zum Drama. »Müssen wir Rumänen«,
fragte sich ein naher Bekannter Dinicu Golescus, »von den auf­
geklärten Völkern, von unseren europäischen Brüdern ewig
getrennt bleiben?«48 Aus der Erkenntnis, hiefür erst reifen zu
müssen, schrieb der Fabeldichter Dimitrie 'J’ichideal:
Aus der Dummheit, aus der Kindheit werden wir uns herausziehen
und vollendete und weise Männer werden ... in einer Linie mit den
weisen, aufgeklärten und großen Völkern Europas.49

47 Cronica protosinghelului Naum Rämniceanu, S. 63, 65, 68.


48 Vgl. G. Dem. Teodorescu: Viea(a §i operile lui Eufrosin Poteca, Bucure.'jti
1889, S. 576.
49 D. fichindeal: Filosofice|ti §i politice§ti prin moralnice Inväfäturi, Bucure§ti
1838, S. 271 (Fabel 120: Inväfätura).
122 Florea Ioncioaia

Alsbald wurde diese Einsicht zur Plattform für den Weg der
Rumänen in die Zukunft. In diesem Sinne meinte Grigore
Ple§oianu im Vorwort zu seiner Übersetzung von Marmontel
(1829):
Gebe Gott von nun an, daß wir den Europäern folgen, auf daß auch
wir »Europäer« genannt werden können, nicht nur dem Namen nach,
sondern auch gemäß den Taten.50

»Europa« wurde nun zu dem Bezugspunkt jedweden reformeri-


schen Ansatzes. Ausdrücke wie: »wie es auch bei den anderen
Völkern Europas befolgt wird«, tauchen in jenen Texten, die eine
Veränderung der Zustände in den Fürstentümern verlangten
oder die eine oder andere Erfindung zu erklären versuchten, lau­
fend auf.51 In diesem fieberhaften und zugleich hoffnungslosen
Zustand erschien die Nachahmung als messianisches Projekt,
als Gebot der Pflicht, ja als zivilisatorische Tat. Aus London
schrieb Petrache Poenaru (1831?), es erwarte ihn nach seiner
Rückkehr »eine der härtesten Arbeiten, muß ich mich doch
bemühen, meinem Vaterland für seine Hilfe Dankbarkeit zu er­
weisen, indem ich ihm von dem Lichte der zivilisierten Nationen
irgendwie weitergebe«.52 C. Su(u, Mitglied der Schul-Ephorie,
verlangte 1832 einen raschen Anschluß an »dieses starke und
aufgeklärte Europa, zu dem wir geographisch gehören und das
wir nachzuahmen wünschen in den Institutionen, dem Glück, in
den Wissenschaften«53, und Eufrosin Poteca fragte sich: »Können
wir denn neben dem, was wir wissen, nicht noch einiges von
ihnen [den Europäern] entlehnen?«54 Das Streben, »Europa«
nachzuahmen, drückte somit nicht nur den Wunsch nach
Angleichung aus, sondern auch nach Anerkennung, d. h. nach
einem Status, auch einmal Subjekt und nicht nur Objekt der
Geschichte zu sein.

50 Marino: Pentru Europa, S. 183.


51 Virtosu: 1821, S. 164, 200, 204, 209 und passim.
52 N. Iorga: Contribupi la istoria literaturii romäne in veacul al XVIII-lea §i al
XIX-lea II: Scriitori mireni. In: AARMSL XXVII/1906, S. 18 f.
53 Urechia: Istoria §coalelor, S. 260; Marino: Despre Europa, S. 182.
54 Vgl. Anmerkung 53.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 123

Mit diesem Streben ist auf rumänischer Seite die Wahr­


nehmung verknüpft, daß das Abendland u. a. die beiden Donau­
länder betrachte und beurteile, d. h. über sie reflektiere. Dieser
Beobachtungsvorgang hing einerseits mit dem Philhellenismus
zusammen, der die Aufmerksamkeit der »Europäer« auf die
Griechen nicht nur in Hellas, sondern auch in der Walachei und
Moldau lenkte,55 andererseits mit der allmählich wachsenden
Kenntnisnahme der Existenz zweier rumänischer Staatsgebilde.
Um integriert zu werden, verlangte »Europa« von den Rumänen
jedoch ein bestimmtes Profil: Die Idee von »Europa« mutierte
demzufolge zum Verhaltenskodex. Im Vorwort zu einem Buch
über den Patriotismus (1822) hieß es: »So wir alle einen Wunsch
haben und einig sind im Vermehren alles Guten für die ganze
Gemeinschaft, sollen wir gewünschtes Glück erreichen mit der
Erhöhung des rumänischen Volkes, auf daß es gelobt werde in
ganz Europa.«56 In einem ähnlichen Geiste war auch der »Aufruf
zur Vereinigung« verfaßt, ein anonymer Text aus dem Jahre
1822. Er drückte die Überzeugung jener Epoche aus:
Die Griechen haben sich aufjede erdenkliche Weise bemüht, der Welt
zu beweisen, daß sie in Europa ein großes und glanzvolles, von den
alten Hellenen abstammendes Volk sind, auf daß hiedurch auch sie
diejenigen Rechte erringen könnten, die andere Völker haben. Doch
sie mußten lernen, daß ihr Bemühen vergebens sei, und verstanden,
daß Europa über sie anders urteilt, die sie ehemals zwar ein Volk ge­
wesen waren, aber, unter den siegreichen Waffen des Osmanischen
Reiches in Sklaverei gefallen ... seither aufhörten ... ein Volk zu
heißen; an ihrer Stelle kennt man in Europa als glanzvolles Volk die
Türken, so daß in allen Geographien Europas die Türkei und nicht
Griechenland gezeigt wird. Anders das Volk der Rumänen und

55 Vgl. Virtosu: 1821, S. 144.


56 Naum Rämniceanu (mutmaßlich): Predoslovie la o carte despre patriotism.
In: Virtosu: 1821, S. 222. Einen identischen Aufruf finden wir im gleichen
Jahr auch in einem anderen Vorwort (von C. Herescu) zu einer Übersetzung
aus dem Griechischen eines anderen Buches über Patriotismus: »... unser
Vaterland, das ganze rumänische Volk und gesamt Europa setzen gute
Zuversicht in die Person« eines jeden Rumänen und Patrioten, vgl. ebenda,
S. 143 ff.
124 Florea Ioncioaia

Moldauer [sic!], das, auch wenn es sich unter der Herrschaft der os-
manischen Pforte weiß, diese Herrschaft selbst gefordert und akzep­
tiert hat, bloß zum Schutze und in Verträgen abgehandelt und fest­
gesetzt. Deshalb haben diese ihre Regierung mit eigenen Häuptern,
bodenständigen Gesetzen und Bräuchen ... Auch noch ganz Europa
wird über das, was es sieht, in Staunen versetzt werden!57

Mit den folgenden Jahrzehnten wurde die Vorstellung, »Europa«


sei der Zensor, im öffentlichen Gespräch zum Gemeinplatz.58 Wie
Adrian Marino feststellte, erwartete man in den Fürstentümern
vom europäischen Westen drei Dinge: 1. das Ende des Vergessen­
seins, 2. Ansporn für das eigene Aufholen und 3. Vorbildhaftig­
keit zur Nachahmung.
Die Notwendigkeit so viel nachholen zu müssen, erzeugte je ­
doch auch den Komplex kultureller Inferiorität und die Vision
des unschuldigen Opfers. Dinicu Golescu z. B. erzählte vom Ent­
schluß eines walachischen Bojaren, in sein Heimatland nicht
zurückzukehren, sondern vorzuziehen, lieber Gärtner in Wien
als Würdenträger in der Walachei zu sein. In einem anonymen
Text (1822) wurde die fehlende Selbstachtung der Rumänen be­
klagt:
Sollte es stimmen, daß die Rumänen weniger ehrwürdig sind, als
Menschen, wie die Menschen der anderen Völker? ... Welchen Ru­
mänen seines Standes und Rangs man auch nehme, und sei er auch
ungebildet, er ist gleich einem Europäer zu beurteilen, ja mitunter
viel besser als jeder aus Europa in der Reinheit seines Herzens, wel­
ches der teuerste Schatz ist, der dem Menschen geschenkt worden.59

Mit der Zeit verwandelte sich die Vorstellung der eigenen Rück­
ständigkeit zum Gefühl des betrogenen Opfers. Den »Europäern«
wurde vorgeworfen, die spezifischen Verhältnisse in den Für­
stentümern nicht gut genug zu kennen, weshalb ihre Ent-

57 Ebenda, S. 192 f.
58 Iancu, einer der Dichter aus der Familie Väcärescu, schrieb Ende des dritten
Jahrzehnts: »Cite curind vä inäljati/Europa vä prive§te« (Iancu Väcärescu:
Mar§ul romänesc. In: Poefti Väcäre§ti: Serien alese. Ed. Elena Piru, Bucure§ti
1961, S. HO).
59 Virtosu: 1821, S. 200.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 125

Scheidungen manchmal unglücklich ausfielen. In Zusammen­


hang mit dem Abkommen von Akkerman (1827) über die Wahl
des Herrschers in den Fürstentümern z. B. zweifelte Ionicä
Täutul an deren Wirksamkeit und stellte fest:
Die Europäer wissen nicht, daß unser Diwan nichts anderes als ein
Gericht ist und keineswegs Leib der Nation, wie sie es glauben.60

In späteren Jahren sollte sich die Kritik zu harten Vorwürfen


steigern, weil sich »Europa« gegenüber der Moldau und Walachei
gleichgültig verhalte.
Innerhalb des hier zu behandelnden Zeitraumes bekam der
Westen aus rumänischen Augen, ungeachtet einzelner Stimmen,
noch keine abartigen Züge, wie dies in späteren Jahrzehnten
z. T. der Fall war. Vorläufig trat die Negation erst in geringer
Dosis auf, indem »Europa« auch als Ort des Ephemeren, der
Unordnung oder der Revolution erschien. Wenn Naum Räm-
niceanu z. B. vom »Abgrund der Häresien des Abendlandes« oder
vom Atheismus sprach, den er vor allem in Frankreich identifi­
zierte,61 lag noch kein Versuch der Dämonisierung vor.
Immerhin war aber ein natürliches Gefühl der Vorsicht vor
allem hinsichtlich der Übernahme politischer Praktiken vor­
handen. Die vergleichende Lektüre veranlaßte Täutul z. B. fest­
zustellen, eine bloße Übernahme »europäischer« Institutionen
sei in den Fürstentümern nicht möglich:
Die Nachbarschaft Rußlands, Österreichs und der Türkei kann nicht
die gleichen Dinge zulassen, die in Amerika, in England oder in
Frankreich eingerichtet werden können.62

Die Gruppe der Traditionalisten, die ein konservativer Ton und


gewachsene Überzeugungen kennzeichnet, repräsentiert den
niederen Klerus, die Kleinbojaren aus der Provinz oder aus den
städtischen Mittelschichten. Deren Interesse an »Europa« oblag
Konjunkturen, deren Horizont war konzentrisch, deren Wahr­

60 Täutu: Serien social-politice, S. 267.


61 Cronica protosinghelului Naum Rämniceanu, S. 66-77, 100 und 101.
62 Vgl. den Brief an Ilie Uschi (August 1829), in: Täutu: Scrieri, S. 262.
126 Florea Ioncioaia

nehmung intuitiv und spontan, so daß »Europa« eine nebulöse


Kulisse für das abgab, was sich auf die Fürstentümer bezog.
Diese Gruppe nahm im allgemeinen eine antikatholische, pro­
russische und panorthodoxe Haltung ein63 und sah in »Europa«
gewöhnlich die nichtosmanische Umgebung außerhalb des eige­
nen Gesichtskreises. Zu den herausragendsten Vertretern dieser
Anschauung gehörte Dionisie Eclesiarhul, der seine Chronik
Mitte des 18. Jahrhunderts begann und 1815 abschloß. Sein
Europa war das der Kaiser und Könige, und das Interesse an den
internationalen Beziehungen rührte hauptsächlich von der Fran­
zösischen Revolution und der Verwicklung Rußlands in den
dadurch entstandenen europäischen Konflikten her. Die von Na­
poleon geführten Kriege stellten sich als Konflikte zwischen
Kaisern dar, zwischen den Exzessen des menschlichen Stolzes
und dem strengen göttlichen Urteil. Über den Feldzug des Kor­
sen nach Rußland (1812) und die Gründe der Niederlage schrieb
Dionisie Eclesiarhul:
... denn zu hoch hinaus habe er sich in seinem Stolz gehoben, da er
dachte, ganz Europa zu unterwerfen. Und Gott, der die Mächtigen
von ihren Thronen holt, wird auch ihn herunterholen, um seinen
Stolz zu brechen.64

Dionisie rezipierte »Europa« bloß, ohne zu versuchen, es sich vor­


zustellen oder es zu erklären.
Die Anschauungen Tudor Vladimirescus hingegen, des Prota­
gonisten des Umsturzversuches im Jahre 1821 in der Walachei,
beruhen auf eigener Erfahrung: Für ihn war Europa ein Herd
der Frivolität, wo die Kleidung »sich jeden Tag ändert«, ebenso
die Bürokratie und die Formalitäten.65 Gleich vielen seiner
Zeitgenossen suchte auch er mehr die Ähnlichkeit als den

63 Wir beziehen uns hier auf eine relativ homogene Kategorie von Texten, zu­
sammengesetzt aus den von Ilie Corfus edierten Chroniken, aus Dionisie
Eclesiarhuls Chronik, den Chroniken und Pamphleten Naum Rämniceanus,
den Briefen Tudor Vladimirescus.
64 Dionisie Eclesiarhul: Hronograf, S. 111.
65 Vladimirescu: Serien, S. 24, 26 für den Brief vom Juli 1814, passim für den
Rest der Korrespondenz der Jahre 1814-1815.
Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 127

Unterschied: Die Attentat hatte keine didaktische, sondern eher


eine opressive Funktion. Was ihn von der westlichen Welt
trennte, schien ihm nicht immer wert, in sein Land übertragen
zu werden.
Eine betont skeptische Einstellung zu »Europa« spiegelt sich
auch in der »Cronica Androneçtilor«66 wider, doch war die Vor­
stellung des Handwerkers Ioan Dobrescu, Autor einer Chronik
aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, noch radikaler.
Dieser hielt den Ideen und Vorbildern von außen einschließlich
jenen aus dem westlichen Europa entgegen, Gottes Zorn und des
Landes Katastrophe herbeigerufen zu haben.676 0Ioan Dobrescu
7
9
8
erweist sich als Feind sowohl moralischer als auch technischer
Neuerungen, wenn er u. a. schrieb:
... Die Leute gaben ihre Tracht auf und nahmen eine fremde an wie
die Heiden, einige die französische, andere sonst etwas, mit ge­
schnittenem Haar, mit Locken wie die Weiber. Dann vermengten wir
uns mit ihnen, und die beschlagensten lernten ihre Bücher, einige
französisch, andere deutsch, andere italienisch. Und es drang die
Lehre des von Gott gehaßten Voltaires ein, den sie, die Heiden, wie­
derum für einen Gott hielten ... In die Kirche gingen wir wie zu einer
Schau, ein jeder mit seinen besten Kleidern, die Weiber mit vielerart
teuflischem Schmucke ... Wir glaubten nicht an Gott, nur an Mauern,
Kleider, an Betrügereien, an gutes Essen, an Trinkgelage und insbe­
sondere an die Heuchelei.

Bei den führenden Schichten in der Moldau und Walachei war


das Bild über »Europa« weitaus weniger plastisch; es geht ent­
weder aus reformerischen Projekten, Denkschriften etc. oder aus
narrativen Texten hervor (Pamphleten, Briefen u. a.). Das Blick­

66 Es geht um §erban Andronescu und seinen Sohn Grigore: Insemnärile


Androneçtilor. Hg. v. Ilie Corfus, Bucureçti 1947.
67 Vgl. Ilie Corfus: Cronica meçteçugarului Ioan Dobrescu (1802-1830), Bucu­
resti 1966, S. 33 f., 67 und passim.
68 Vgl. I. C. Filitti: Corespondenja domnilor §i boierilor romäni cu Metternich §i
eu Gentz intre anii 1812-1828. In: AARMSIXXXVI/1914, passim.
69 Vgl. Georgescu: Din corespondenja, passim.
70 Siehe die Korrespondenz Carageas mit Metternich aus dem Jahre 1814 in:
Filitti: Corespondenfa domnilor, S. 941, 984 f.
128 Florea Ioncioaia

feld dieser sozialen Gruppe erfaßte das Thema auf zwei Ebenen:
einerseits als Vorstellung von einer fremden und exotischen Welt
ohne klare Physiognomie oder als Ort konkreter Politik, woher
die politischen Einflüsse, Ideen und manchmal auch vage Zei­
chen der Solidarität kamen, bzw. als Ziel des politischen Asyls.
Die Schriften der ersten beiden einheimischen Herrscher, die
in der Moldau und Walachei zwischen 1822 und 1828 regierten,
bezeugen, daß Ioni^ä Sandu Sturdza und Grigore Ghica gegen­
über dem europäischen Westen wachsendes Interesse hegten,
ohne aber allzuviel Sympathie zu entwickeln, zumal die osma-
nische Suzeränität dies nicht erlaubte.68 Wie auch sein Vor­
gänger, der griechisch-phanariotische Fürst Gheorghe Caragea
(1812-1818), hatte Grigore Ghica zudem einen privaten Korre­
spondenten in Wien (Friedrich von Gentz), der ihn, wenn auch
auf Geheiß der Hohen Pforte, über die diplomatischen Aktua­
litäten in »Europa« informierte.69 Dieses bestand für Grigore
Ghica aus den Großmächten, d. h. aus England, Frankreich und
der Heiligen Allianz. Er suchte eine Welt der konservativen Ord­
nung, in die er auch Rußland einfügte. Dem politischen »Europa«
warf er fehlende Einheitlichkeit im Handeln gegenüber Rußland
und der Türkei vor. Offensichtlich verfügte Ghica nicht mehr
über jenes Bewußtsein der Zugehörigkeit zur osmanischen Welt,
wie sich das bei Ioan Caragea noch offenbart.70 Als er im März
1827 auf den Aufstand der Griechen Bezug nahm, warnte der
walachische Fürst:
Le feu ne brûle pas en Amérique, il est en Europe et la situation phy­
sique des pays agités est telle, que tôt ou tard elle peut sans qu’on
s’en aperçoive amener des complications.71

Auch aus einem anderen Zitat geht hervor, daß der Regent dem
Echo der großen Ereignisse in »Europa« für sein Land entspre­
chende Bedeutung beimaß. 1824 meinte er:
Aucune affaire ne peut être discutée en Europe sans attirer plus ou
moins l’attention générale.

71 Georgescu: Din corespondenta, S. 163.


Das Bild Europas in den rumänischen Fürstentümern (1800-1830) 129

Der Fall der ersten Begegnung mit »Europa«, wie sie Dinicu
Golescu ausführlich beschrieben hat, hinterläßt ein Dilemma:
Ging es tatsächlich um die Entdeckung von Neuland oder erfand
sie der walachische Bojar nur zum Gebrauch seiner lesenden
Landsleute? War der Kontaktschock real oder gespielt? Eine ein­
deutige Antwort kann nicht gegeben werden. Die Darstellung
über die Andersartigkeit des europäischen Westens war jeden­
falls dazu bestimmt, die Distanz zwischen den beiden Welten zu
dramatisieren.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es in den beiden
rumänischen Fürstentümern drei Begriffsinhalte von »Europa«.
Der eine meinte das Gefüge der Großmächte, zu dem zwar auch
die Türkei und Rußland zählten, nicht aber die nichtsouveränen
und realpolitisch einflußlosen Staaten. Der zweite Begriffsinhalt
definierte Europa kraft der mit der Aufklärung erreichten Zivi­
lisation, der ein symbolischer, richtungweisender Wert zuerkannt
wurde. Der dritte Inhalt bezog sich auf Europa in seiner maxima­
len, rein geographischen Dimension. In der zeitgenössischen
Vorstellung existierte der Raum nicht autonom, sondern war
Ausdruck zeitlicher Beziehungen. Die Menschen schienen daher
nicht in verschiedenen Regionen zu leben, sondern gleichzeitig in
unterschiedlichen Epochen. Die Nachahmung »Europas« war ein
Versuch, den Anschluß an die damalige Gegenwart zu finden.
Die Entdeckung des Themas »Europa« seitens der rumäni­
schen Aufklärer beruhte auf der Entdeckung der geschichtlichen
Zeit, d. h. der Wahrnehmung, daß es keine homogene Geschichte
im Einklang mit Gott gebe, sondern nur menschliche Handlun­
gen sowie historische Ursachen und Wirkungen. Diese Wahrneh­
mung führte vor Augen, daß geschichtliches Werden eine frei­
willige, den Völkern offenstehende Option sein konnte. Die
Mythisierung des Nationalen, die in den 1820er Jahren ihren
Anfang genommen hat, steht in unmittelbarem Zusammenhang
mit der Einsicht, daß Geschichte durch den menschlichen Willen
gestaltbar sei. Dementsprechend wurde die Idee der Zukunft als
Objekt von Träumen und Ziel von Hoffnungen eine neuartige
Errungenschaft unter den Rumänen.
130 Florea Ioncioaia

Der Umgang mit dem Bild von »Europa« regte gleichzeitig zu


Neuentwürfen von Bildern der Rumänen über sich selbst an; der
Kontakt mit der Fremde erweckte das Bedürfnis nach Identität
und gab den Anstoß, sich aus dem postbyzantinischen Univer­
salismus herauszulösen, der in der orthodoxen Glaubensgemein­
schaft und in der traditionellen griechischen Kultur verankert
war, und neue Paradigmen anzupeilen (Latinität). Die griechi­
sche Vorstellung, Byzanz sei das Zentrum der Welt, wurde durch
die Vision ersetzt, das westliche Europa sei der Angelpunkt.
Freilich hat die übereilte Europäisierung eine neue Krankhaftig­
keit hervorgerufen, ein krasses Minderwertigkeitssyndrom.
MIHAI-RÄZVAN UNGUREANU

»Europa« und die Ehemoral in der


rumänischen Gesellschaft
(erste Hälfte des 19. Jahrhunderts)

Die Sitten dieses Landes [Fürstentum Moldau] sind gänzlich merk­


würdig, oder eher, es gibt gar keine Sitten, nur schlechte Gewohn­
heiten und Vorurteile. Unter den Großen herrscht Gemeinheit und
Devotion, sogar Aberglaube, aber noch viel mehr Freizügigkeit und
Unmoral.1

Dieses Zitat möge am Beginn einer Untersuchung stehen, die an­


hand zeitgenössischer Quellen das vom »europäischen« Blick­
winkel erfaßte Sittenbild über die rumänischen Fürstentümer in
der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wiedergeben will. Die
Aussage des Zitats stimmt mit den Aufzeichnungen des Grafen
Ludovic-Victor de Rochechouart (1788-1858) überein, der als
Adjutant den Zaren Alexander I. während des russisch-türki­
schen Krieges (1806-1812) zu einer militärischen Mission in die
Moldau begleitet hat. Infolge jenes Aufenthaltes entstanden die
»Souvenirs sur la Révolution, l’Empire et la Restauration«, die
einen Einblick in die Verhältnisse der Oberschichten in der
Hauptstadt des Fürstentums Moldau Ia§i (Jassy) geben.
»Die Jassyer wie auch die Bukarester Gesellschaft«, notierte er, »bot
damals ein sonderbares Schauspiel: die Männer, mit langen Kleidern,
großen Bärten und Mützen, die man Kalpak nennt, ... waren in be­
stes Tuch gekleidet, trugen türkische Pantoffel und bewahrten ... ein
ganz und gar orientalisches Äußeres. Durch ihre europäische Bil­
dung und Manieren waren dies sehr distinguierte Menschen, und die
meisten sprachen mit großer Perfektion und ausgewählten Worten
Französisch; bloß in ihrer Haltung bewahrten sie eine Art, die stark
an die langweilige Ernsthaftigkeit der Türken erinnerte ... Die

1 Antwortnote des französischen Vize-Konsuls in Ia§i an den Generalkonsul


für die türkischen Donauprovinzen (Documente privitöre la istoria Romani-
lor XVI, hg. v. Eudoxiu de Hurmuzaki. Bucure^ti 1912, S. 250).
132 Mihai-Räzvan Ungureanu

Damen folgten der neuesten Pariser und Wiener Mode, sowohl in


ihrer Kleidung, die nichts Orientalisches mehr bewahrte, als auch in
den Möbeln ihrer prunkvollen Appartements ... Damit man sich ein
Bild mache, werde ich sagen, daß die Herrin des Hauses (wo ich
wohnte) - eine junge, schöne und äußerst modische Frau - uns ... zu
Mittag in ihrem Schlafzimmer empfing; sie lag noch im Bett, mit
Migräne ...«2

Dieses längere Zitat aus den Erinnerungen des Franzosen ist


der Behandlung des vorliegenden Themas zu Beginn des 19.
Jahrhunderts nicht zuletzt deshalb vorangestellt worden, weil
dessen Worte sehr aussagekräftig sind. Was an dem dabei ange­
sprochenen rumänischen Milieu interessiert, ist die Zwiespäl­
tigkeit zwischen den Gegebenheiten einerseits und deren »euro­
päischer« Wahrnehmung andererseits.
Im konkreten Fall sind insbesondere die spezifisch weiblichen
Verhaltensattribute im Kontext einer patriarchalischen Gesell­
schaft gemeint, die aufgrund des quasi-orientalischen Status die
Emanzipation der adeligen Frau nicht vorgesehen hat. Über­
schritt die Frau die Grenzen symbolischer Repräsentation, zog
dies eine strenge Bestrafung nach sich. Durch die immer zahl­
reicher werdenden Fälle häuslicher Fronde wurde die Ehefrau
daher immer mehr zum Beobachtungsobjekt der Moralisten, was
schriftlich oder gedanklich zu ihrer gesellschaftlichen Abstem­
pelung geführt hat.
Rochechouart beschrieb die Frauen als mondän, ohne Zunei­
gung für den Lebenspartner, bereit zu flüchtigen Abenteuern,
allzuwenig auf die jeweiligen Folgen achtend und unter Miß­
achtung der Normen des Respekts gegenüber dem Mann. Der
allgemeine Wandel in der Moldau und Walachei spiegelt sich also
nicht nur auf der Ebene wirtschaftlicher oder politischer
Umwälzungen, sondern auch in kultureller Hinsicht wider.

2 Gh. Bezviconi: Cälätori ru§i m Moldova §i Muntenia, Bucureçti 1947, S. 162-


163. Französisch nach Marcel Emerit: Le voyage en Moldavie du comte de
Rochechouart (1806-1807). In: Revue historique du sud-est européen
(= RHSEE) XI/1-2, Bucureçti 1934, S. 24 f.
»Europa« und die Ehemoral in der rumänischen Gesellschaft 133

Im vorliegenden Zusammenhang wird das Phänomen Ehemo­


ral in den Vordergrund gestellt, das in den Donaufürstentümern
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sehr häufig Gegen­
stand der Betrachtung gewesen ist. Dieser Sachverhalt geht
nicht nur aus Archivmaterial, sondern z. B. auch aus den Auf­
zeichnungen eines Gesprächs zwischen dem französischen Pu­
blizisten Saint Marc Girardin und einem walachischen Groß­
bojaren hervor:
Das Prinzip der guten Sitten ist der Familiensinn; bei uns hat die
Familie aufgrund dessen, daß die Scheidung so leicht zu haben ist,
keinerlei Beständigkeit mehr ... Kinder, die ihre Mutter in der einen
Familie und den Vater in einer anderen haben und die nicht wissen,
wen sie achten und lieben sollen, haben keinerlei Mitte, keinerlei
Verbindungspunkt. Die Frauen, die auf einem Fest ihre ersten zwei
oder drei Ehemänner treffen, befinden sich am Arm des vierten und
lächeln dann, wenn sie der fünfte umschwärmt ... Sie können mir
glauben, der Ehebruch, so wie es ihn bei Ihnen [den Franzosen] gibt,
wäre bei uns ein Fortschritt, und das, was bei Ihnen eine Krankheit
ist, wäre bei uns der Anfang von Genesung. In unserer Gesellschaft
ist der Ehebruch unmöglich, da er nichts als das Präludium einer wei­
teren Ehe ist.3

Eine bedeutende Anzahl von Scheidungen wurde zunächst haupt­


sächlich von kirchlichen Instanzen, später jedoch von Zivilge­
richten ausgesprochen. Grundlagen waren das bürgerliche Ge­
setzbuch, das in der Moldau »Codul Calimah« (1817) und in der
Walachei »Codul Caragea« (1818) hieß.
Obwohl die rumänischen Quellen keine statistischen Auf­
stellungen zulassen, läßt die Zahl der Trennungen dennoch ab­
solute Schätzungen zu, denn die Dokumente geben nicht bloß
Auskunft über die Umstände der Scheidung, sondern auch über
deren Echo bei den Zeitgenossen wieder.4 Die Aufmerksamkeit
3 Neagu Djuvara: tntre Orient §i Occident. färile Romane la mceputul epocii
moderne (1800-1848), Bucure§ti 1995, S. 116 f.
4 Ein erster Versuch der Analyse dieses Phänomens aus soziologischer Sicht
bei Violeta Barbu: »Ceea ce Dumnezeu a unit omul sä nu despartä«. Studiu
asupra divortului in Tara Romäneascä in perioada 1780-1850. In: Revista
istoricä III/l 1—12, Bucure§ti 1992, S. 1143-1155.
134 Mihai-Räzvan Ungureanu

gegenüber diesem Phänomen läßt sich aber auch aus den Reise­
berichten Fremder entnehmen. Demnach wurde die Ehe als
künstliche Verbindung angesehen, bei der die Versprechen (Ehe­
verträge) von mindestens einer Seite gebrochen wurden, Kinder­
zeugung und Vermehrung der Bevölkerung kein unmittelbares
Ziel waren, so daß sich die Ehe auf rein physiologische Aspekte
oder pragmatische Gründe reduzierte. Im Zentrum der Ehe­
scheidung stand die Frau, die automatisch als Hauptschuldige
benachteiligt war.
Es ist kein Zufall, daß zur Illustration des vorliegenden The­
mas zunächst die Erinnerungen des Grafen Rochechouart her­
angezogen wurden, denn dem »Zustand der Sitten« in den bei­
den rumänischen Ländern schenkten selbst die ausländischen
Reisenden große Aufmerksamkeit: in den diplomatischen Be­
richten oder in Privatkorrespondenzen ebenso wie in den mi­
litärischen Schilderungen oder in intimen Tagebüchern war
dieses Thema vertreten. Der französische Konsul Lagan z. B.
konstatierte im Jahre 1828:
Der Verfall der Sitten scheint nirgends größer zu sein als in dieser
Ecke Europas ... Die Frauen ... kaum verheiratet ... lassen ihren
schlechten Anwandlungen freien Lauf, vergeuden ihre Gunst und un­
terscheiden sich nicht voneinander ... als durch das Schlechte, das
sie tun. Ohne Zärtlichkeit für ihre Kinder, zeigen sie gewöhnlich auch
für ihre Ehemänner keine Zuneigung. Folglich sind auch die
Scheidungen etwas Gewöhnliches. Der unbedeutendste Vorwand
reicht aus, um gleich eine zweite oder dritte Heirat zu planen.5

Dieses Urteil steht in Einklang mit der Bemerkung des Zeitge­


nossen Constantin Sion, der die »Arhondrologia Moldovei«, eine
geistreiche moldauische Variante von La Bruyères »Les caractè­
res des Théophraste«, geschrieben hat. Dieser meinte:
Eine gute Tat ist es, wenn jemand christlich und nach dem Gesetz
heiratet, doch auch ein bitterer Becher! Meine Kinder werde ich nicht
dazu anhalten, diesen Schritt zu tun. Sollen sie Junggesellen bleiben,

5 Maria Holban: Un raport francez despre Moldova (1828) al consulului Lagan.


In: Buletinul Comisiei istorice a României IX, Bucureçti 1930, S. 177 f.
»Europa« und die Ehemoral in der rumänischen Gesellschaft 135

denn so werden sie es unter den Umständen der heutigen Zeit zeit­
lebens besser haben!6

Demzufolge war die Ehe gesellschaftlich ineffizient, und deren


Folgen waren vor allem dank der »unheilvollen« Rolle der Frau
katastrophal. Der allgemein verbreitete Hedonismus erodierte
die persönlichen Bindungen, die den Zusammenhalt der Groß­
familie sicherten. Hervorzuheben ist jedoch, daß dieser Wandel
mangels tieferer Analyse als unmittelbare Wirkung westlicher
Einflüsse verstanden worden ist. Neagu Djuvara schrieb daher:
Die rapide Okzidentalisierung ... sollte stufenweise die Bindungen
zerstören, die alle Mitglieder in der traditionellen Familie mit dem
pater familias verbunden hielt, dem sie sich unterordneten.7

Der Reisende William Wilkinson brachte in seinem Buch »Ta­


bleau historique, géographique et politique de la Moldavie et de
la Valachie« (Paris, 1821) ein weiteres Argument ins Spiel. Er
ging davon aus, daß »die Bildung der Mädchen weniger sorgsam
ist«, da sie früh heirateten, weshalb es nicht verwundere, daß es
zu »den gefährlichsten Auswirkungen auf die Charaktere
kommt«, die für die dem Eheleben innewohnenden Entsagungen
ungenügend ausgebildet und unvorbereitet seien. »Schuld an
dieser Sachlage«, schrieb der Brite weiter, »ist die Regierung, die
sich um die intellektuelle Entwicklung des Volkes nicht küm­
mert.«8 Zu den möglichen Gründen für derartige Verhältnisse

6 Constantin Sion: Insemnäri pe un Ceaslov din 1836. In: Theodor Codrescu


IV/3, Bucure§ti 1934, S. 42.
7 Djuvara: Intre Orient §1 Occident, S. 115 f. Als spätes Phänomen »ist der
Erotismus bei uns ein Subprodukt der Modernisierung, mit Motivationen, die
sich außerhalb der genuinen Ansiedlung der rumänischen Seele befinden«
(Virgil Cändea: Introducere. In Denis de Rougemont: Iubirea §i Occidentul,
Bucure§ti 1987, S. XV). Natürlich geht es hier um den »Erotismus« in seiner
publizistischen Präsenz, als Thema, und nicht als physische Neuheit; die »ex­
terne Motivation« betrifft das offensichtliche Interesse der Fremden für die
autochthone Physiologie der Liebe.
8 William Wilkinson: Starea Principatelor Romane pe la inceputul veacului
trecut. In: Buletinul Societäfii Regale Romane de Geografie LV, Bucuresjti
1936, S. 219.
136 Mihai-Räzvan Ungureanu

zählte Wilkinson auch das Fehlen religiöser Bildung, wie z. B.


aus folgenden Worten zu entnehmen ist:
Auch die Bojaren zeichnen sich durch keine großen moralischen
Tugenden aus, im Gegenteil, sie neigen sogar zum Laster, wobei
Gewinn ohne Arbeit ihnen zur Gewohnheit wird. Und dies hat sie in
einem Lande raffgierig gemacht, in dem die schändlichen Taten sogar
ermutigt werden und der Diebstahl als Beweis großer Geschicklichkeit
gilt. Sie sind ebenso verschwenderisch, wie sie habgierig sind.9

Der englische Reisende bediente sich eines damals beliebten


Blickwinkels, wie man den europäischen »Orient« einzustufen
habe. Die Beschreibung der Verhaltensweisen eines Volkes war
ein attraktives und publikumswirksames Thema und schuf
zwangsläufig stereotype Bilder über die rumänischen Bewohner.
Versuche der »Europäer«, ethnisch Charakteristisches zu defi­
nieren, verfolgten ein doppeltes moralisches Ziel: Einerseits ging
es um die moralische Reflexion an sich, andererseits wurden dem
westlichen Leser alle Konsequenzen vor Augen geführt, die eine
Nichtrespektierung der gültigen Normen bedeuten konnte.
Für Reinhard, den außerordentlichen Minister Frankreichs in
den Fürstentümern im Jahre 1807, waren die Rumänen »... von
einer Trägheit und Ignoranz, die sie hindern, irgendein Hand­
werk auszuüben«. Auch den Fremden gehe es nicht besser, denn
dieses ungebildete Territorium, die unterdrückende Regierungsform,
die ewige Sukzession von Revolutionen und Katastrophen, die
Ignoranz, der Geiz, die Böswilligkeit der Bojaren und die Armut des
Volkes erlauben keine bedeutende Initiative, und der Fremde, mit
einer indolenten und leichtfertigen Existenz zufrieden oder in seinen
Erwartungen betrogen, beginnt sich daran zu gewöhnen oder endet
damit, daß er die ihn umgebenden Laster annimmt.10

V. Bargrave, der zur Zeit Tudor Vladimirescus (1821-1822) die


Fürstentümer besuchte, bestätigte Reinhards Beobachtungen:

9 Ebenda, S. 219 f.
10 Marie E. Holban: Rapport sur la Valachie et la Moldavie par Reinhard. In:
RHSEE VTI/10-12 (1930), S. 240. Christian von Struve (Reise eines jungen
»Europa« und die Ehemoral in der rumänischen Gesellschaft 137

»Der Reichtum des Landes führt im Charakter der unteren


Klassen zu einer unmittelbaren Verbindung von Hinterlist,
Trunksucht, selbstverständlicher Faulheit und einem außer­
ordentlichen sexuellen Appetit.« Die nach westlichen Modellen
angewandten Erfindungen wären unnütz, denn die »Bauern­
schaft würde noch nutzloser werden, gleich Tieren ohne Leben
und bloß ein bißchen wichtiger als das riesige Schwein, wofür das
Land berühmt ist«.11 Obwohl die Rumänen guten Willens, re­
spektvoll und landliebend wären, wollten sie nichts Nützliches
beginnen, schrieb General Radisits in seiner topographischen
und statistischen Beschreibung der Moldau und der Walachei
(1822), weil sie an der »Erhebung des Geistes, an der Kultur«
nicht interessiert seien.12 Der österreichische Naturalist Julius
Edel wiederum stellte in seiner »Schilderung des Fürstentums
Moldau« (1835) fest, die Abweichungen von der »europäischen«
Moral und die »unchristliche« Weise, in der sich die Männer und
Frauen zueinander benähmen, seien als Phänomene einer unzi­
vilisierten Welt zu verstehen. Für diesen Zustand wurden auch
die Bojaren verantwortlich gemacht, denn ihr Charakter »ist
mißtrauisch und eigennützig und ohne die größte Vorsicht
kommt der mit ihnen umgehende oft in die schwierigsten
Lagen«. An anderer Stelle wurde ein scharfes Urteil gefällt:

Russen von Wien in die Krim, Gotha 1801) behauptet Anfang des 19. Jahr­
hunderts, daß die in den Fürstentümern ansässig gewordenen Fremden gar
bald genauso trunksüchtig seien wie auch die Einheimischen (vgl. Gh. Pascu:
Cälätori sträini in Moldova §i Muntenia in secolul XVIII. Struve. In: Revista
Criticä XTV/1, Bucuresti 1940, S.118). Zwanzig Jahre früher, im Jahre 1778,
erwähnte der russische Feldmarschall S. E. de Bauer in seinen »Mémoires hi-
storiques et géographiques sur la Valachie ...« (Francfort), daß die Gewohn­
heit, viel Wein zu trinken, sehr verbreitet sei, was zusammengehe mit der
Trägheit und Knauserigkeit der Einheimischen (vgl. Ders.: Cälätori sträini
in Moldova §i Muntenia in secolul XVIII. Bauer. In: Revista criticä XIII/1,
Bucuresti 1939, S. 88 f).
11 Nicolae Iorga: Un observator englez asupra romänilor din epoca lui Tudor
Vladimirescu. In: Analele Academiei Romäne. Memoriile secfiunii istorice
(= AARMSI) Seria III/X, Bucuresti 1933, S. 155.
12 Ion I. Nistor: O descriere a Principatelor Romäne din 1822. In: AARMSI Seria
III/XXV, Bucuresti 1943, S. 387.
138 Mihai-Räzvan Ungureanu

Traurig ist hier, diese verstümmelten Charakterzüge zu beobachten,


und vielleicht fällt der Fremde in keinem Lande mehr als im Orient
auf. Die Ursachen dafür sind viele, und es ist jedem Ausländer, der
nur einiges moralische und Ehrgefühl hat, sehr zu widerrathen, sein
Glück in diesen Ländern für jetzt zu suchen.13

Die ausländischen Beobachter waren sich einig, daß der sittliche


Verfall, insbesondere bezüglich der fleischlichen Lüste, einer Art
Apokalypse gleichkomme, so daß Klaus Heitmann zu dem
Schluß kam:
Es gibt nun aber einen Bereich, wo für kaum einen unserer Autoren
von Askese und Abstinenz als rumänische Nationaleigentümlichkei­
ten die Rede sein konnte: nämlich den sexuellen.14

Karaczay notierte, die Rumänen hätten zum anderen Geschlecht


eine exzessive Neigung, der sie bereits in der Kindheit frönten.15
Karl F. V. Hoffmann bezeichnete die Rumänen 1832 »ausschwei­
fend und schamlos«. Zwei Jahre später schrieb Zucker:
Und die gemeinen Moldauerinnen erfreuen sich des Rufs, weniger
keusch zu sein als die Frauen anderer Nationen, die in diesen
Ländern leben, während ihre Männer in diesen Dingen toleranter
sind als die anderen.

Die Brüder Schott notierten im Jahre 1845:


In einiger Hinsicht ist die Moralität der Walachen sehr zweifelhaft.
Die Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern sind durchaus
nicht so, wie das zu wünschen wäre.

Diese Feststellung deckt sich mit der Aussage Franz Joseph


Sulzers:

13 D. Ciurea: »Descrierea« Moldovei de Julius Edel (1835). In: Izvoare sträine


pentru istoria Romänilor, Ia§i 1988, S. 82 f.
14 Klaus Heitmann: Das Rumänenbild im deutschen Sprachraum 1775-1918,
Köln/Wien 1985, S. 164.
15 Fedor de Karaczay: Beyträge zur europäischen Länderkunde. Die Moldau,
Wallachey, Bessarabien und Bukowina, Wien (nach 1812).
»Europa« und die Ehemoral in der rumänischen Gesellschaft 139

Ich kann ... nicht entscheiden darüber, ob ich das schöne Geschlecht
der Walachen aller dakischen Provinzen loben oder tadeln soll für
seine Neigung zur Liebe und die angeborene Zärtlichkeit.16

Der sexuelle Umgang wurde oft als eine der Ursachen für die
Verbreitung von Geschlechtskrankheiten angeführt. Die Prä­
senz der Syphilis schien die Vorstellung von der weiblichen Zü­
gellosigkeit zu belegen:
Auch nicht die Syphilis, die natürliche Strafe für verbotene
Geschlechtsbeziehungen, so verbreitet unter den Walachen beider
Geschlechte, kann sie nicht dazu bewegen, ihren Begierden Zügel an­
zulegen,

schrieb Sulzer.17 Der diplomatische Agent Neigebaur stellte hin­


gegen fest, daß auch von den »heruntergekommenen« Deutschen
in der Moldau »viele an Syphilis litten, eine in Jassy stark ver­
breitete Krankheit, da die polizeiliche Aufsicht nicht zu den
berühmtesten gehört«.18
Was war die Ursache dieser Libertinage ? Wilkinson sah einen
Grund in der frühen Eheschließung19, während die Deutschen
der Meinung waren, daß ungenügende Bildung20 und unge­
rechte Aufteilung der Pflichten innerhalb der Familie21 dafür

16 Ebenda, S. 176 f.
17 Ebenda, S. 179. Von Karaczay stellt das auch so fest.
18 V. Papacostea: Un observator prusian in lärile romäne acum un veac,
Bucuresti 1942, S. 94.
19 Wilkinson: Starea Principatelor, S. 219. Der dänische Historiker Frederik
Schiern wunderte sich 1857, daß das Durchschnittsalter der Heirat viel unter
20 lag, die Männer waren oft erst 17 und ihre Frauen 14 Jahre alt. (R. V.
Bossy: Un drumet danez in Principate. In: AARMSI Seria III/XXIV, Bucuresti
1941-1942, S. 2).
20 »Sie kümmerte sich wenig um ihren Haushalt und um ihre Kinder, deren
Erziehung in den französischen Instituten erfolgt, die größtenteils nicht zu­
friedenstellend geführt werden« (N. Iorga: Opinia publica germanä §i
Romänia lui Carol I inainte §i dupä räzboiul de independenfä. In: AARMSI
Seria III/XTV, Bucuresti 1933, S. 8).
21 Heitmann: Das Rumänenbild, S. 174: »Überhaupt haben die rumänischen
Weiber kein sanftes Los. Der Rumäne betrachtet sein Weib weniger als
gleichberechtigte Lebensgefährtin denn als Dienerin und eigentliche Besor­
gerin des Hauses und der Wirthschaft.«
140 Mihai-Räzvan Ungureanu

verantwortlich seien. Die russischen Reisenden hingegen führ­


ten die Zügellosigkeit auf die Orientierung am »europäischen«
Westen zurück - auf den Import der Kleider und der »Lüste«22,
den augenfälligen Luxus23 und den Gefallen am Tanz.24 Roche-
chouart wiederum zählte das Tagesprogramm der in Bequem­
lichkeit und Luxus versinkenden Frau zu den Gründen des
moralischen Verfalls, ebenso wie es General Alexander Mihaj-
lovskij-Danilevskij tat (1810), der über die Tätigkeiten der ersten
Tagesstunden der »Dame« voll Sarkasmus folgendes nieder­
schrieb:
Einer der Russen, der seinen Dienst in Jassy machte, lud mich zum
Mittagessen ein; seine Vermieterin, eine Moldauerin, lag ausge­
streckt auf einem ganz großen Diwan, zusammengekauert. Die
moldauischen Damen verbringen in dieser Position den größten Teil
des Tages. Sie stehen ungefähr um zehn auf, frühstücken, machen
Besuche oder empfangen Besuche zu Hause, essen zu Mittag etwa
um zwei und schlafen bis fünf Uhr. Wenn sie aufstehen, schminken
sie sich mit Weiß und Rot und fahren mit der Kutsche auf der
Hauptstraße etwa zwei Stunden lang spazieren, und wenn sie nach
Hause kommen, bleiben sie alleine, da es Zusammenkünfte in den
privaten Häusern fast gar nicht gibt ,..25

22 Im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts glaubte Prinz Anatol Demidov, die
französische Mode bewirke die Veränderung der Sitten (Bezviconi: Cälätori
ru§i, S. 314 f.), und Dimitrie Bantys-Kamenskij sah einen Zusammenhang
zwischen der »Grobheit, Faulheit und Ungepflegtheit« des Volkes und dem
eklatanten Snobismus der adligen Frauen (ebenda, S. 172 f.).
23 Von Struve fand die Wurzeln der weiblichen Immoralität im »Luxus und in
der Trägheit der herrschenden Kreise« (ebenda, S. 143).
24 »Alle sind verrückt nach Tanzen« (aus den Notizen General Pavel Kiseleffs,
1810), ebenda, S. 178.
25 Ebenda, S. 265. Die Frauenkleider, notierte Graf Alexandre de Langeron im
ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, sind derart hergestellt, daß sie sexuell
aggressiv wirken: »Die moldauischen Frauen tragen lange, faltenlose Kleider.
Das Kleid schließt am Hals und läßt dem Bauch völlige Freiheit, was dazu
führt, daß sie wenig angenehm erscheinen« (ebenda, S. 153). Nicht immer er­
laubten es die letzten phanariotischen Fürsten, daß die Pariser Mode die kon-
stantinopolitanische ersetzte, welche noch irgendwie an die byzantinische
Blütezeit erinnerte (siehe V. A. Urechia: Societatea sub I. G. Caragea. In:
AARMSI Seria I/XXIII, Bucure§ti 1900, S. 154 0.
»Europa« und die Ehemoral in der rumänischen Gesellschaft 141

Gemäß den Quellen versäumten die Ehefrauen der Bojaren


keine Gelegenheit des gesellschaftlichen Lebens: sie besuchten
Freunde, spannen Intrigen, nahmen an Gesprächen teil, um ihre
sprachliche Vielseitigkeit (Französisch oder Deutsch, Griechisch
oder Russisch)26 unter Beweis zu stellen und »um die jungen
Offiziere kennenzulernen« (Wilkinson).27 Weiters begleiteten sie
die Männer zum Kartenspiel28, ritten oder promenierten in offe­
ner Kutsche29, um gesehen zu werden. 1787 hob Graf d’Haute-
rive die Eifersucht besonders hervor:
Die Italiener sind eifersüchtig bis zum Wahnsinn; in der Moldau ist
die Eifersucht jedoch das distinktive Zeichen der Frauen. Ein Mol­
dauer versicherte mir, daß in Jassy in all diesen Jahren dreißig
Ehemänner gezählt wurden, die von ihren eifersüchtigen Frauen ver­
giftet worden waren. Ich selbst konnte zwei solcher weiblicher Exem­
plare sehen, die sich auf teuflische Weise gerächt haben.30

Auch die rumänischen Zeitgenossen machten ähnliche Wahr­


nehmungen und unterlagen dem gleichen Fehler, ihren Blick nur

26 Es ist Adrien Cochelets Beobachtung, der etwa 1834-1835 durch die rumä­
nischen Länder kam (Alex. Rally: Le voyage de Cochelet dans les Prin­
cipautés Roumaines (1834-1835). In: RHSEE VIII/10-12, Bucureçti 1931,
S. 278 f.). Dazu bemerkte er auch die »Jassyer Promenade auf dem Copou«,
der Treffplatz der bestellten oder sich im Besitz der adligen Frauen befind­
lichen luxuriösen Equipagen (S. 289).
27 Bereits um das Jahr 1714 bemerkte der schwedische Offizier Erasm Henric
Schneider von Weismantel, wie die Frauen, obwohl sie es »für eine Sünde hal­
ten«, mit den Augen die Fremden suchten. Sogar die Priester sah er, wie sie
sich in Wirtshäusern in galanter Begleitung aufhielten; die Nonnen waren
für ihn »die ärgsten Huren« (N. Iorga: O nouä descriere a Moldovei in secolul
XVIII de un suedez. In: Revista istorica XVI/1-3, Bucureçti 1930, S. 11). Das
gleiche bemerkten die französischen Reisenden um die Mitte des vorigen
Jahrhunderts (Giers, Laurençon etc.), siehe Djuvara: Intre Orient §i Occi­
dent, S. 143.
28 Dies Verhalten kritisierte der philorumänische Jean Vaillant in »La Rou­
manie« und in seinen kleinen Satiren (siehe N. Iorga: Trei generafii in viafa
politicä romäneascä dupä judecata lui J. A. Vaillant. In: AARMSI Séria
III/XVI, Bucureçti 1934-1935, S. 332).
29 Zum Luxus der Equipagen siehe I. G. Caragea: Un ofifer austriac despre
Moldova (pe la 1854). In: Revista istorica VI, Bucureçti 1920, S. 117.
30 Contele d’Hauterive: Mémoire sur l’état ancien et actuel de la Moldavie (en
1787), Bucureçti 1902, S. 360-361.
142 Mihai-Räzvan Ungureanu

auf die Oberschichten zu werfen. Ein Siebenbürger, der vor der


Bestrafung wegen Teilnahme an der Revolution in Ungarn im
Jahr 1849 in die Moldau geflüchtet war, beobachtete in Ia§i die
»Kleopatras der Rumänen«, wie sie zur Freude der Zuschauer in
»100 luxuriösen Charettes« spazierenfahren.31 Die aus Paris
oder Wien gebrachten Kleider beschrieb ausführlich der Buka-
rester Rechtsanwalt loan E. Bujoreanu in einem Roman.32 Und
der strenge Kritiker Alecu Russo konstatierte:
Die Frivolität und Klatscherei machen die Beschäftigung der Frauen
aus, ebenso wie das rien-faire, offen für den Lärm der Straße und die
Neuigkeiten der Sittenchroniken: die Aufteilung der Männer.33

Aus dem Studium der Quellen ersieht man, daß das Phänomen
»Ehemoral« ein Thema gewesen ist, dem sich die reisenden
Ausländer besonders angenommen haben, erstens um die Leser
ihrer Berichte darauf aufmerksam zu machen, zweitens um die
rumänischen Verhältnisse damit abzuqualifizieren. Allerdings
ergibt das Studium auch, daß hiebei Klischees erstellt wurden,
Klischees, die bestenfalls für einen Teil der Oberschichten Gül­
tigkeit besessen haben mochten, nicht jedoch für die übrige
Bevölkerung der Moldau und Walachei. Obwohl die ausländi­
schen Berichte das Problem der Ehemoral in schärfere Worte ge­
kleidet haben, als dies die Inländer taten, ist dennoch zu be­
haupten, daß der kausale Zusammenhang mit den damals in die
rumänischen Länder eindringenden westlichen Einflüssen nicht
klar erfaßt worden ist; deshalb fiel das Urteil auch viel strenger
aus.

31 Ion Ranca: Capitala Moldovei la 1849 in viziunea unui memorialist pa§optist


ardelean. In: Revista arhivelor LIV, Bucure§ti 1977, S. 308.
32 Nicolae Iorga: Bucure§ti de acum un veac, dupà romanul unui avocat (Ioan
Em. Bujoreanu). In: ARMSI Seria III/XVI, Bucure§ti 1934-1935, S. 167 f.
33 Alecu Russo: Jassy et ses habitants en 1840. In Alecu Russo: Scrieri, Bucu-
re§ti 1908, S. 257.
STELA MÄRIE§

Das westliche Europa aus der Sicht


rumänischer Reisender
(erste Hälfte des 19. Jahrhunderts)

Wenn es um das Bild des europäischen Westens bei der


Generation vor 1848 geht, liefern folgende Worte des moldaui­
schen Schriftstellers Alecu Russo (1819-1859) einen treffenden
Einblick:
...von 1835 bis 1855, also binnen zwanzig Jahren, erlebte die Moldau
mehr als in den vergangenen zwei Jahrhunderten ... Das Leben der
Eltern verlief sachte wie ein Fluß, der durch Wiesen und Obstgärten
fließt und sich ohne Rauschen im Sireth verliert ... Die Ereignisse
der Welt ringsum erstarben an den Grenzen des Landes ... das
Wirrwarr des Jahrhunderts fand und ließ sie ruhig ... Sie öffneten
ihre Augen in einer weichen Wiege orientalischer Gepflogenheiten.
Wir erwachten im Lärm der neuen Ideen. Die Augen und Gedanken
der Eltern wandten sich nach Osten, unsere heften sich auf das
Abendland!1

Und weil sich die »Augen und Gedanken« der jungen rumäni­
schen Generation auf den Westen hefteten, suchte sie in ihm
auch Wege zu einer neuartigen Orientierung. Dieser Umstand
führte zu einer reichhaltigen Reiseliteratur (Tagebücher, Noti­
zen, Reiseaufzeichnungen, Memoiren, Erinnerungen usw.), die
viele Hinweise auf das Europa-Verständnis vermitteln. Deshalb
hat sich der vorliegende Beitrag das Ziel gesetzt, die rumänische
Reisebeschreibung, d. h. die gedruckten Reiseaufzeichnungen
dieses Zeitalters2 stichprobenartig auf ihren dokumentarischen

1 Alecu Russo: Serien, Bukarest 1908, S. 22-33.


2 Zur rumänischen Reisebeschreibung des 19. Jahrhunderts gibt es eine rei­
che Fachliteratur, woraus wir die repräsentativsten Titel vorstellen. Lucia
Atanasiu: Memoriale de cälätorie in literatura romänä din prima jumätate a
secolului al XlX-lea, Timisoara 1977 (Dissertation); Mircea Popa: Relafia de
cälätorie in Transilvania intre 1838-1918 sau unde cälätore^te in sträina-
144 Stela Mârieç

Quellenwert hin zu untersuchen, um herauszufinden, wie das


westliche Europa im 19. Jahrhundert von den Rumänen wahr­
genommen worden ist.
Bereits in der Zeit der Aufklärung assoziierten die Rumänen
mit »Europa« die Wiege der Zivilisation und Künste, als
Brennpunkt, in dem das »Licht« der Wissenschaften erstrahlte,
als ideales moralisches, politisches, ideologisches, ökonomisches
und kulturelles Vorbild. Für die rumänische Aufklärung bedeu­
tete der Begriff »Europa« daher in erster Linie, neuer Pol der
rumänischen Kultur zu werden.*3 Dazu zählten weiters »Werte,
originelle ideologische Werke und Tendenzen, neue und fortge­
schrittene politische Institutionen ... ein hohes Zivilisationsni­
veau ,..«.4 Das Bild des »aufgeklärten« Europa bei den Rumänen
richtete sich auf »Zentraleuropa und Wien und von da bis zum
Atlantik«5 und deckte sich geographisch, geistig und moralisch
mit den Ländern Zentral- und Westeuropas. Der Begriff hatte
allerdings weniger einen geographischen, denn einen intellektu­
ellen und kulturellen Inhalt. »Der aufgeklärte Westen Europas«
beeindruckte durch sein großes kulturelles Prestige, und allein
schon das Attribut »aufgeklärt« kennzeichnete Anerkennung der
hohen Kultur und Zivilisation. Das Syntagma »aufgeklärtes
Europa«6 wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der
Regel noch eher unkritisch verwendet, weil der Westen eine »un­
widerstehliche Anziehungskraft und Faszination« ausübte und
in seinem Entdecktwerden Staunen hervorrief, ebenso aber

täte scriitorul román. In: Tectonica genurilor literare, Bucuresti 1980, S. 260-
275; Florin Faifer: Semnele lui Hermes. Memorialistica de cälätorie (pänä la
1900) între real §i imaginär, Bucureçti 1993 (mit einer umfassenden Biblio­
graphie); Florea Ioncioaia: Viena, optsute treizeci §i opt. Relatärile de cäläto­
rie §i imaginarul politic european la mijlocul secolului al XIX-lea. In: Itine-
rarii istoriografice, Ia§i 1996, S. 415^137.
3 Adrian Marino: Iluminismul romänesc §i »afacerile Europei«. In: Lumea 39,
Bucuresti 1964, S. 24 f.
4 Ebenda.
5 Alexandru Dufu: Cälätori, imagini, constante, Bucuresti 1985, S. 283.
6 Im rumänischen Raum taucht diese Bezeichnung zum ersten Mal beim Fa­
beldichter Dimitrie Cichindeal (Tichindeal) in seinem Buch auf: Filozofîceçti
§i politiceçti prin fabule moralnice inväfäturi, Buda 1814.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 145

auch zur schmerzlichen Einsicht der Rückständigkeit und zum


Wunsch führte, die westliche Zivilisation nachzuahmen.7 Der
Kontakt der Illuminaten mit der westlichen Außenwelt erweckte
in ihnen die Idee, die kulturellen, ökonomischen, politischen und
sozialen Verhältnisse auf rumänischem Boden radikal zu verän­
dern.
Der bekannteste Repräsentant der rumänischen Aufklärung
nach Gheorghe Lazär, Gheorghe Asachi, Petrache Poenaru, Eu-
frosin Poteca, Simion Marcovici u. a. war der muntenische Groß­
bojar Constantin (Dinicu) Golescu, der das erste gedruckte
rumänische Reisetagebuch verfaßt hat. Der zukünftige Kanz­
leichef des walachischen Herrschers unternahm drei Reisen in
den Westen Europas: die erste 1824, als er Italien besuchte,
wobei er durch Buda, Wien, Triest und Mailand kam; die zweite
ein Jahr darauf, als er zur Kur ins Banat und von dort nach Pest
fuhr; das dritte Mal 1826, als er Bayern und die Schweiz berei­
ste, seine vier Söhne zum Studium begleitete, von denen zwei an
der Universität München und zwei in Genf verblieben. Diese drei
Unternehmen fanden in den Reisememoiren »Aufzeichnung der
Reise des Constantin Radovici aus Gole§ti getan im Jahre 1824,
1825 und 1826« ihren Niederschlag, die schon im Herbst 1826 in
Buda gedruckt wurden. Größtenteils aufgrund unterwegs flüch­
tig gemachter Notizen nach den Fahrten verfaßt und 1826 in eine
endgültige Form gebracht, stellen die Aufzeichnungen haupt­
sächlich »eine Reportage über das aufgeklärte Europa« dar.8 Der
Kontakt mit der westeuropäischen Zivilisation, Kultur und
Verwaltung sollte den muntenischen Bojaren »gewaltig aufrüt­
teln«, so daß er für seine Exegeten als »einer der pathetischsten
Konvertiten des neuen politischen und gesellschaftlichen Da­
maskus ... erschien«9 oder als ein »zweiter Paulus, auf dem Wege

7 Radu Tomoiagä: Ion Heliade Rädulescu. Ideologia social-politicä §i filozoficä,


Bucure§ti 1971, S. 75.
8 Atanasiu: Memoriale de cälätorie, S. 2.
9 D. Panaitescu-Perpessicius: Menpuni de istoriografie literarä §i folclor
(1948-1956), Bucure§ti 1957, S. 175.
146 Stela Märie§

nach Damaskus vom Blitz getroffen«.10 In seinen Augen war das


Abendland die Bewahrerin des von der griechisch-römischen
Antike geerbten Schatzes an Wissenschaft und Kunst, den es sei­
nerseits hundertfach vermehrt und schöpferisch eingesetzt
habe.11 Da der Bojar aus einem Fürstentum kam, das sich unter
türkischer Oberhoheit befand und zudem auch noch ein Jahr­
hundert phanariotischer Herrschaft hinter sich hatte, verglich
er das im Ausland gesehene Leben andauernd mit der gesell­
schaftlichen, politischen und kulturellen Wirklichkeit im eige­
nen Lande. Als Folge dessen forderte er nach dem Beispiel
Westeuropas eine sofortige und radikale Reform der Verhält­
nisse in der Walachei. Die »Aufzeichnung« kann daher auch als
kleine Utopie12 betrachtet werden, weil sie für seine Landsleute
ein Modell der Zukunft anspricht.
Mit einer seltenen Beobachtungsgabe ausgestattet und gierig,
alles zu sehen und zu verstehen, erforschte Golescu die bereisten
Länder (das Habsburgerreich, Bayern, die Schweiz, Italien) aus
allen Blickwinkeln und verglich die Zustände unentwegt mit der
zeitgenössischen Walachei. Sein forschendes Auge und der allen
technischen und seinen kulturellen Fortschritten gegenüber of­
fene Geist interessierte alles, was er im Westen sah: das politi­
sche und gesellschaftliche System, die öffentlichen Institutio­
nen, die Schulen und Krankenhäuser, die Museen und Theater,
die Landwirtschaft, die Bewässerungsmethoden; die Wohltätig-
keits- und Versicherungseinrichtungen, die imposante Architek­
tur der Kirchen, der romantische »Ailwagen«, mit dem er reiste,

10 Ebenda, S. 199.
11 Dinicu Golescu: Insemnare a cälätoriei mele Constantin Radoviči din Gole§ti
facutä in anul 1824,1825,1826. In derselbe: Scrieri, Bucure§ti 1990, S. 4: »Das
Gute lernten die Menschen erst einer vom anderen, dann ein Volk vom an­
deren, wie wir es in den Geschichtsschreibungen sehen: daß die Griechen,
indem sie Ägypten bereisten, von dort das Licht der Wissenschaften und viele
Handwerke brachten, und die Römer, unsere Vorfahren, haben sie vermehrt
weitergegeben. Und diese haben sie im ganzen hellen Europa ausgeschüttet,
und dieses, von Tag zu Tag sie bereichernd, machte sie hundertfach frucht­
bar«.
12 Mircea Anghelescu: Dinicu Golescu in vremea sa, Bucure§ti 1990, S. XXXIII.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 147

bis hin zum Motor jenes Schiffes, mit dem er von Triest nach
Venedig fuhr. Golescu nahm Vorbehalt-, aber auch kritiklos alle
moralischen, ideologischen, politischen, sozialen, kulturellen
westlichen Werte und all das, was die dortige Kultur und Zivi­
lisation an Neuem, Gutem, Nützlichem, Fortschrittlichem und
Nachahmenswertem bot, in sich auf. Er nahm zur Kenntnis, daß
die Arbeit und Sozialstruktur sowie der Bildungsgrad der
Bürger und der öffentliche Fortschritt und Wohlstand in einem
Zusammenhang standen. So bewunderte er die Organisation der
Schweizer Kantone, in denen es weder Adlige noch Gemeine gab,
sondern alle Brüder und Landsleute seien,13 und sah, daß die
Schweizer Landwirte sich an einem bestimmten Tag der Woche
trafen, »um zu erfahren, was sich in der Welt zuträgt«, und
»Gazetten« lasen. Dabei wußten jene Kronstadt in Siebenbürgen
von der gleichnamigen Stadt im nördlichen Rußland sehr wohl
zu unterscheiden.14
Interessiert an den Beziehungen zwischen Herrschenden und
Volk - ein Hauptthema seiner Reisememoiren - , schreibt Dinicu
Golescu bewundernd über den König von Bayern:
Es gibt keine größere Freude, als jemanden zu sehen, wie er sich
unter sein Volk mischt, durch Stadt und Gärten, ins Theater geht, ge­
radeso wie jedweder Städter, dabei gekleidet ohne Anschein von
Luxus, sondern mit gewöhnlichen Kleidern, um den anderen ein
gutes Beispiel zu geben.15

Als er Bayern besuchte, fiel ihm die Milde und Väterlichkeit der
Regierenden und die unbeschränkte Sorge derer auf, wie die
Völker, über die sie herrschten, zu beglücken seien.16 Über die
Bayern schrieb er mehrfach lobend: »Sie sind wohlhabend, ar­
beitsam, wohlerzogen und ordentlich« oder »alle Einwohner,
auch der ärmste, sind sauber gekleidet; mit Flicken oder barfuß

13 Golescu: Insemnare, S. 99.


14 Ebenda, S. 103.
15 Golescu: Insemnare, S. 89.
16 Ebenda.
148 Stela Märie§

sieht man weder Mann, noch Weib oder Kind«.17 Bewundernd


notierte der rumänische Adlige, daß die Dorfbewohner gut orga­
nisierte und verwaltete Wirtschaften hätten, wo »die Rinder groß
und unglaublich fett sind«.
Im Habsburgerreich bewunderte er die Saatfelder und hielt
fest, daß sie sehr ordentlich und mit einem gänzlich aus Eisen
bestehenden Pflug bearbeitet seien. Auch hier stellte er fest, daß
»die Menschen sehr arbeitsam und entschlossen sind, alles
gründlich und ordentlich zu vollbringen«.18 Beeindruckt war er
z. B. vom Aussehen der Landwirte in der Gegend von Graz:
... arbeitsam auch dieses Volk; als ich während der Getreideernte vor­
beikam ..., sah ich Felder voller Landwirte, die so schön gekleidet
waren, daß man hätte sagen können, sie seien fertig für einen Ball
und nicht für die Arbeit.19

Den Städten (Pest, Buda, Wien, Graz, Linz, München, Venedig,


Padua, Verona, Brescia, Mailand, Cremona, Mantua, Lausanne,
Genf) galt sein besonderes Interesse; vor allem Wien wühlte sein
Inneres auf. In der Residenzstadt des Kaisers weilte er einen
vollen Monat und bewunderte die Kirchen, insbesondere den
Stephansdom. Was der Reisende aus der Walachei besonders
hervorhob, waren »die Mittel, mit den die Herrschenden das
ganze Volk, groß und klein, zu einer solch geordneten und ruhi­
gen Lebensweise gebracht hat, daß alle sich wie Brüder füh­
len«.20 Besondere Beachtung schenkte Golescu der sozialen Seite
des westlichen Lebens. Ihn überraschte, daß auch die Armen in
der Hauptstadt des Habsburgerreiches von Ärzten, Chirurgen
und Apothekern versorgt wurden21 und daß »der Dorfbewohner
mit seiner Frau und den Kindern ins Theater geht, das für sehr

17 Ebenda, S. 86.
18 Ebenda, S. 21.
19 Ebenda, S. 60: »Alle trugen große Hüte, festgebunden mit einem breiten
Band, gekleidet mit Spenzern aus rotem Tuch, mit schwarzen Beinkleidern
bis zum Knie, von da bis unten Baumwollstrümpfe und kurze Stiefel, über
den Knöcheln gebunden wie bei den Soldaten.«
20 Ebenda, S. 19, 116.
21 Ebenda, S. 24.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 149

nützlich gehalten wird, weil es erzieht«. Von den anderen berei­


sten Städten Österreichs waren es Graz22 und Triest23, die seine
besondere Aufmerksamkeit erregten.
In Oberitalien, dem »irdischen Paradies«, stellte der Reisende
fest, sei es besser zu wandern als mit dem Postwagen zu fahren,
denn so könne man die Schönheit der Landschaft bewundern -
die Feigen-, Zitronen- und Orangenbäume, die breiten und befe­
stigten, von großen Bäumen gesäumten Wege, die Bewässe­
rungsanlagen auf den Feldern usw. In Venedig erzitterte er vor
der »stolzen« Vergangenheit dieser Stadt, da »jeder urteilen
kann, daß es einst keine schönere, stärkere und hellere Stadt
gab, die einmal die Ordnung ganz Europas bestimmt hatte«.24
Den Enthusiasmus und die unbegrenzte Bewunderung löste
das »aufgeklärte Europa« auch bei einigen anderen Bojaren und
deren Söhnen aus, die im dritten und vierten Jahrzehnt des
19. Jahrhunderts durch die westeuropäischen Staaten kamen
bzw. an den Universitäten Genf, Leipzig, München, Heidelberg,
Göttingen, Berlin, Wien, Paris oder Lunéville studierten. Dazu
zählten auch die Schüler Gheorghe Lazärs - des siebenbürgi-
schen Aufklärers, der in Wien und Leipzig studiert hatte - , die
nun schon mit staatlichen Stipendien ausgestattet waren: Pe­
trache Poenaru25, Eufrosin Poteca, C. Moroiu und S. Marcovici.

22 Ebenda, S. 60: »Graz, die erste Stadt der Steiermark, regiert von einem
Guvernator, mit allen der Zufriedenheit notwendigen Einrichtungen und
Regeln. Ziemlich groß und sehr geschmückt mit schönen Mauern, mit großen
Marktplätzen und breiten Straßen.«
23 Ebenda, S. 61: »Triest - das ist jene Stadt am Golf der Adria, berühmter
Hafen, dessen Schönheit bekannt ist. Die Häuser sind alle sehr schön, mit
Architektur und allem in Linie gearbeitet. Pflasterung gleich der seiner
Gassen glaube ich nicht, daß es sonstwo noch gibt. Ihre Schönheit und
Tüchtigkeit verdienen es, gesehen zu werden.«
24 Ebenda, S. 65.
25 Petrache Poenaru (1799-1875) aus Bene§ti-Välcea war ein Schüler des sie-
benbürgischen Gelehrten Gheorghe Lazär am Nationalkollegium Hl. Sava
aus Bukarest, später selbst Lehrer am selben Kollegium (1819) und
Kanzleisekretär von Tudor Vladimirescu (1821); Neffe der großen Craiovaer
Bojaren Iordache und Grigore Oteteli§anu, durch deren finanzielle Unter­
stützung er Philosophiekurse an der Universität Wien (1822) belegte.
150 Stela Mãrieç

Gleich Dinicu Golescu begleitete auch einer der Hofmar-


schälle der Moldau, Nicolae Su^u (1798-1871), seine Söhne zum
Studium, wobei er Österreich, Italien, die Schweiz und Frank­
reich durchreist hat. Seine Reiseaufzeichnungen in französi­
scher Sprache und im Briefstil zeigen, daß für den Kunstlieb­
haber und Kulturmenschen das abendländische Europa »eine

1824 beantragte und erhielt er vom muntenischen Fürsten Grigore Ghica ein
Stipendium, um seine Studien in »Europa« noch vier Jahre fortsetzen zu kön­
nen. Siehe seinen Brief vom 22. September 1824 aus Bukarest an Grigore
Ghica in G. Potra: P. Poenaru, ctitor al inväfämintului românese, Bucureçti
1963, S. 237 f. Als Stipendiat der Walachei studierte er Ingenieurstechnik an
der Universität Wien zwischen 1824-1826, dann in Paris, an der École Poly-
technique unter der Leitung von Louis Puissant (1825-1831). Im Mai 1827
patentierte er in Paris eine eigene Erfindung - einen Vorgänger der Füllfeder.
Er machte eine Reihe von Studien- und industriellen Dokumentationsreisen
nach Frankreich und England, desgleichen mit materieller Unterstützung
der muntenischen Regierung, die ihm auftrug, die Metallurgie, die Kohlen-
und Eisenförderung etc. in den westlichen industriell entwickelten Ländern
zu studieren. Es gibt aus der Zeit seiner Reisen durch das Abendland eine
reiche Korrespondenz mit der Heimat, in der auch Reiseeindrücke enthalten
sind. So notierte er »als Neuigkeit« im Wien des Jahres 1825 die Erfindung
eines Engländers, nämlich einer »Kutsche, die mittels einer Dampfmaschine
losgeht und durch den Prater fahrt, ohne Pferde und sehr schnell«. 1831 rei­
ste er nach England, um sich über jene Industrie zu unterrichten, die dieses
Volk »zu einem so hohen Grad der Perfektion geführt hat«. Er besuchte
London und blieb sechs Tage, an denen er über die »englischen Wunder«
äußerst erstaunt war, sowohl was die »Industrie, als auch was die
Gesetzgebung« betraf. Er bewunderte die englische Hauptstadt, »diese rei­
che Stadt«, und war von der »Industrie dieses in höchstem Grade spekulati­
ven Volkes« beeindruckt. Er beschreibt die Reise auf dem »eisernen Weg«, als
er mit dem ersten Zug für Personen und Waren auf der Strecke Man­
chester-Liverpool fuhr, in einem umfassenden Brief in französischer Spra­
che, den er dem Hermannstädter Kaufmann Zenovie Hagi Pop 1831 aus
London schickte. Poenaru war beeindruckt vom technischen Fortschritt im
Transport-, Kommunikations- und Maschinenbauwesen in England sowie
auch von der Organisation der Schulen, der Wohltätigkeitsvereine, der
Industrie- und Handelsgesellschaften, »die von einem Ende zum anderen des
Landes angetroffen werden ... und die zur moralischen und physischen
Würde dieses Volkes beigetragen haben«. Nicolae Iorga: Scrisori vechi de stu-
denji (1822-1889), Bucureçti 1934, S. VII f. Poenaru hielt alles schriftlich fest,
»pour prendre part en quelque sorte aux lumières des nations éclairées«.
Derselbe: Contribufii la istoria literaturii romäne in veacul al XVIII-lea §i al
XlX-lea. In: Analele Academiei Romäne. Mem. Secfiei Lit. Seria 11/28, S. 250-
259.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 151

Welt der Bewegung, der industriellen Tätigkeit« bedeutete, »in


der die Kunst überall das Antlitz der Natur verändert oder sie
glänzend und äußerst getreu reproduziert hat«.26 Romantisch
gestimmt, begeisterten ihn die Schweizer Berge und Täler, be­
wegte ihn der Gedanke, manches zu sehen, das schon Gajus
Julius Cäsar, Hannibal oder Napoleon betrachtet hatten, und
genoß er »in einem Theater die superbe Harmonie Bellinis oder
Donizettis«.27 Er war ein Bewunderer der majestätischen Archi­
tektur des Wiener Stephansdoms28 sowie ein reger Besucher der
Museen in Venedig und Mailand mit deren »großartigen
Gemälden, Skulpturen und Bauwerken«.29 An die Weiträumig­
keit seiner karpatischen Heimat gewöhnt, fühlte er sich in der
Hitze des Sommers 1839 zwischen den engen Gassen und impo­
santen Gebäuden Wiens wie in einem Steinbruch, der mangels
Luft, Raum und Sonne Atemnot verursache.30
Es ist zu betonen, daß eine Reise in den Westen zu jener Zeit
große Ausgaben voraussetzte, was sich allein Großbojaren lei­
sten konnten, weil nur sie die Mittel besaßen, eine solche Aus­
landsreise materiell zu bestreiten.31 Außer den literarisch un­
ergiebigen Reisen mancher Kaufleute aus der Moldau und
Walachei kommen für die vorliegende Frage daher vor allem die
schriftlichen Aufzeichnungen von Aristokratensöhnen in Be­
tracht, die studienhalber an abendländische Universitäten ge­
schickt wurden. Die Kosten übernahmen entweder die Eltern
oder in gelegentlichen Fällen auch die öffentliche Hand. Politi-

26 Mircea Dumitrescu: Europa anului 1839 in viziunea lui N. Supi. In: Almanah
turistic ’83, Bucure§ti 1983, S. 172.
27 Ebenda.
28 Ebenda, S. 173.
29 Ebenda, S. 173 f.
30 Ebenda, S. 172.
31 Ein großer moldauischer Bojar, der 1846-1847 per erster Klasse durch Ita­
lien, Frankreich, die deutschen Staaten, durch Holland und England reiste,
notierte Tag für Tag alle Ausgaben und kam auf 9840 Lei; davon kostete die
eigentliche Reise 5880 Lei. 3960 Lei gab er für Einkäufe aus. Die Summe war
für jene Zeit ziemlich hoch. G. Potra: Statele Europei la 1846-1847, väzute
de un boier moldovean. In: Revista istoricä romänä IX, Bucure^ti 1940, S. 4.
152 Stela Märie§

sehe Restriktionen stellten aber ein Hindernis dar. Die russi­


schen Konsuln, an den konservativ-reaktionären Kurs des Zaren
gebunden, empfahlen, die jungen Herren nicht zum Studium
nach Frankreich zu schicken, sondern nach Deutschland, die
Mädchen hingegen nach Odessa.32 Als Kompromiß für ein
Studium in Frankreich galt später, es dürfe zwar nicht in Paris,
aber in einer Provinzuniversität absolviert werden. Das erklärt,
wieso der nachmalige rumänische Staatsmann und Historiker
Mihail Kogälniceanu zusammen mit den Söhnen des Fürsten
Mihai Sturdza, Dimitrie und Grigore, nach Lunéville geschickt
wurde. Infolge der Intervention des russischen Generalkonsuls
aus Ia§i wurden sie später nach Berlin versetzt, weil der
moldauische Fürst Mihai Sturdza laut französischer Presse sein
Land nach westlichem Modell zu reformieren gedachte.33
Die Faszination von Paris war jedoch so groß, daß trotz aller
politischen Umsicht der Fürsten und russischen Konsuln die
Zahl der moldauischen und walachischen Jugendlichen anstieg,
sich zum Studium nach Frankreich zu begeben.34 Daher bieten
deren Korrespondenz mit den zu Hause Gebliebenen sowie die
Reisetagebücher und -erinnerungen eine Fülle von Dokumen­
tationsmaterial für die Erforschung der Frage, wie die Rumänen
den europäischen Westen aufgenommen haben. Während das
»aufgeklärte Europa« zunächst noch das gleiche Prestige besaß
wie zur Zeit der vorhergehenden Gelehrtengeneration, ist aus
den historisch-politischen Schriften und Reisebeschreibungen
der 1850er Jahre bereits eine kritische Distanz zum westlichen
Europa auszumachen.
Der erste umfangreichere Kontakt rumänischer Jugendlicher
mit westlichen Universitäten kam im Jahre 1834 zustande. Da­
mals reiste eine große Anzahl von Studierwilligen nach Berlin,
München, Leipzig, Bonn, Lunéville, Paris, Rom usw., wo sie die
Wissenschaften und Künste, die imposante Architektur und die

32 Iorga: Romänii in sträinätate, S. 141.


33 R V. Hane§: Studii de istorie literarä, Bucureçti 1970, S. 189.
34 D. C. Amzär: Studenfi romäni in sträinätate. Date §i interpretäri statistice.
In: Cercetäri literare IV, Bucureçti 1940, S. 215-240.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 153

fortschrittliche Technik kennenlernten. Bei dieser Gelegenheit


nahmen sie einen neuen Lebensstil wahr, der sich von jenem zu
Hause deutlich unterschied. Indem sie die neuen Ideen aufgrif­
fen, Französisch lernten und sich westlich kleideten, paßten sie
sich rasch der damals modernen Lebensweise an. In die Moldau
oder Walachei zurückgekehrt, wandten sie sich im Namen des
»aufgeklärten Europa« gegen den Lebensstil der Großbojaren,
erklärten den aus der orientalischen Tradition erwachsenen
Vorurteilen offen den Krieg und forderten radikale liberale
Reformen. Der Westkontakt bewirkte »die Okzidentalisierung
unserer alten Kultur quasi-orientalischen Stils und die Moder­
nisierung unserer alten Technik und patriarchalischen Zivili­
sation«.35 Die Reise in den Westen stellte demzufolge einen Weg
zu Fortschritt und europäischer Integration dar. Ein französi­
scher Reisender kam 1842 daher zum Schluß:
Die moldauische Jugend, von den Bojaren ersten Ranges bis zur
Mittelklasse, studiert im Ausland und bringt von den Universitäten
aus Deutschland, Frankreich, Italien und Griechenland die Prin­
zipien der Ordnung, Gleichheit und Gerechtigkeit heim, die Früchte
tragen werden, wenn die gegenwärtigen Machthaber im Herrschafts­
rat und in der Repräsentantenkammer zugunsten dieser neuen
Generation ihren Platz räumen werden, einer Generation, die ein
wahrer Nationalgeist kennzeichnet und die der Hoffnungsträger
einer kompletten Regenerierung des Landes ist.36

Diese Generation bildeten die von den älteren, konservativen


Bojaren als »Franzosen« oder »Deutsche« verspotteten Studen­
ten, die die patriarchalische rumänische Gesellschaft in Bewe­
gung zu setzen begannen.
Für die studierende Jugend aus der Zeit vor 1848 symboli­
sierten Frankreich und Paris das Zentrum des Lichts, von dem
sie sich unwiderstehlich angezogen fühlte. Auch für den zwi­
schen 1835 und 1838 an der Berliner Universität Geschichte und

35 Ebenda, S. 215.
36 Scarlat Callimachi: Pagini inedite despre Moldova. Insemnärile unui cälätor
sträin din întâia parte a veacului al XIX-lea, Bucureçti 1947, S. 33.
154 Stela Märie§

Rechtswissenschaft studierenden Mihail Kogälniceanu ist Paris


»le centre de la civilisation« und die Heimat Voltaires ein Land,
wohin die Rumänen reisten, um
»sich Ideen und Kenntnisse anzueignen, um durch das Kennenlemen
aller Entdeckungen und Fortschritte ihre Bildung zu vollenden, die
der menschliche Geist in diesem glücklichen Land erzielte, und
schließlich, um hinter ihrer Zeit nicht zurückzubleiben«.37

Aus der Sicht Kogälniceanus waren mit dem »aufgeklärten


Europa« Frankreich, England und Deutschland gemeint.38 Der
Westen verkörperte für den jungen Moldauer die Quelle der
»Ideen der Gerechtigkeit und Gleichheit, des materiellen Wohl­
standes und genialer Entdeckungen, die heute den Stolz des
Jahrhunderts ausmachen«.39 Kogälniceanu studierte nur ein
paar Monate in Lunéville (1834/1835), ohne wegen der vom
Fürsten Mihai Sturdza auferlegten Restriktionen Paris aufzu­
suchen. 1838 aus Berlin heimgekehrt, unternahm er im Jahre
1844 in Begleitung seiner Schwester Elena eine Reise nach
Wien. Nachdem er aus Opposition zum Fürsten 1846 seinen
Militärdienst quittiert hatte, verkaufte er seine Bücher an die
Biblioteca Mihäileanä, lieh sich 400 Gulden und begab sich in
das selbst auferlegte Exil nach Paris.
Von seinen Reisen ins westliche Europa gibt es allein die Rei­
seaufzeichnungen über Wien (1844) und Spanien (1846). Sie zei­
gen, daß der Autor den Okzident nicht nur bewunderte, sondern
die dortigen Verhältnisse auch kritisch registrierte. So unterzog
er z. B. die Wiener Aristokratie jener Zeit einer strengen Kritik.
Diese habe ihn wegen ihres aristokratischen Dünkels angewi­
dert. Die Jeunesse dorée beeindruckte ihn gleichfalls nicht, weil
sie »über nichts anderes spreche als über Pferde, Frauen und
Champagner«40, weshalb er bedauernd festhielt: »... eine trau­

37 M. Kogälniceanu: Scrisori. 1834-1849, Bucureçti 1913, S. 189.


38 Derselbe: Tainele inimei. In: Opéré, Bucureçti 1974, S. 102.
39 Ebenda, S. 101.
40 Ebenda, S. 197.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 155

rige Zukunft für ein Land, wenn es solch eine Jugend hat.«41 Er
verurteilte weiters, daß das Wiener Volk die Arroganz des Adels
hinnehme, der in pompösen Kutschen durch die Stadt fahre und
mit Lakaien und Dienern, die den Weg mit Stöcken freimachten,
und meinte:
Ein Volk, das solch eine Mode erträgt, ist noch nicht reif für die
Freiheit, die viele fälschlicherweise mit dem materiellen Wohlstand
vermischen.42

Er zog den Vergleich zu den Franzosen, die »gar bald solch eine
Mode beseitigen würden«. Angesichts der vielen Polizei resü­
mierte er:
In Österreich zu denken ist ein Übel, darum strengen sich alle
Menschen an, die Gedanken zu töten und sich zu vergessen.43

Weiters kritisierte der Rumäne auch die Wiener, die seiner Mei­
nung nach nur an Lustbarkeiten dachten:
Ungarns Wein, die Musik am Kämtnertor, Strauß-Walzer, das Bier
und der Prater, das ist das Leben des Wieners; er kennt keine frem­
den Ideen und will solche auch nicht annehmen.44

Die Wienerinnen hingegen erweckten seine Bewunderung durch


deren »Schönheit, Geschmack und Reinheit, mit der sie sich klei­
den, und den geringen Luxus der Kleider«45, was er den rumä­
nischen Frauen nachzuahmen empfahl.
Stellt man einen Vergleich zwischen Golescu und Kogälni-
ceanu an, sieht man, daß der Moldauer wesentlich kritischer
vorging und sich von Äußerlichkeiten weit weniger blenden ließ;
demzufolge wollte er auf rumänischem Boden die westliche
Zivilisation nicht nur oberflächlich, sondern auch von ihrem in­
neren Gehalt her übernommen sehen.

41 Ebenda.
42 Ebenda, S. 196.
43 Ebenda, S. 198.
44 Ebenda, S. 200.
45 Ebenda, S. 199.
156 Stela Märie§

Zu den Bewunderern Frankreichs gehört auch der erste »mo­


derne« Reisende der Siebenbürger Rumänen, Ion Codru Drägu-
§anu (1818-1884). Sohn einer Familie adeliger Herkunft aus
Fogarasch/Fägära§, reiste er im Gefolge des walachischen Prin­
zen Alexandru D. Ghica in den Jahren 1838/1839 durch Öster­
reich und Norditalien und dann 1840/1841 als Begleiter eines
muntenischen Bojaren abermals durch Österreich, die deut­
schen Länder, Frankreich, England, Italien, die Schweiz und
Rußland. 1843/1846 kam er als Reiseleiter eines russischen
Fürsten abermals durch mehrere europäische Länder. Er hat ein
beliebtes Reisetagebuch verfaßt, das 35 Pseudobriefe enthält
und das unter dem Titel »Peregrinul transilvan sau Epistole
scrise din ^äri sträine unui amic in patrie de la anul 1835 pänä
inchisive [sic!] 1848« in Hermannstadt/Sibiu 1865 erschienen ist.
Außerdem wurde es in Fortsetzungen in der Pester Zeitung
»Concordia« zwischen 1863 und 1865 veröffentlicht. Ion Codru
Drägu§anu interessierte sich für die sozialen und politischen
Verhältnisse, für die Sitten und die Geschichte der bereisten
westlichen Länder und fühlte sich geistig Frankreich zugezogen.
Aus seiner Sicht konnten die Rumänen sich »nur die französi­
sche Nation als Modell nehmen«, da Frankreich, obwohl daselbst
»die Zustände nicht gerade nach Wunsch sind«, der »Demokra­
tie« am nächsten gelangt zu sein schien. Als Republikaner be­
wunderte der Siebenbürger Frankreich als Vorkämpferin der
Freiheit aller Völker:
England ist seit einigen Jahrhunderten frei, doch wußte es sein
Freiheitstalent auch anderen Völkern nicht mitzuteilen, sondern
benützte es egoistisch. Frankreich errang erst vor fünfzig Jahren die
Freiheit, doch tat es dies für die ganze Menschheit und nicht nur für
sich. Hier wird die Revolution der modernen Welt ausgerufen, hier
wurden die natürlichen Rechte der Menschen verkündet und von
hier werden gleich dem heiligen Feuer die Strahlen der Freiheit er­
glänzen, denn der Franzose ist am fähigsten, den Schatz der Freiheit
zu bewahren und zu entfalten. Seine Nation ist die großzügigste, um4 6

46 Ion Codru Drägu§anu: Peregrinul transilvan, Bucure?ti 1956, S. 254.


Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 157

diesen Schatz auch anderen Völkern mitzuteilen, sowie die mutigste,


um für ihn überall die kräftigste Stütze zu sein.46

Während in politischer Hinsicht Drägu§anu den Rumänen


wärmstens das französische Vorbild empfahl, beeindruckten ihn
in wirtschaftlicher, kultureller und technischer Hinsicht mehr
die Errungenschaften Englands. »Zweifellos ist Großbritannien
der zivilisierteste Staat der Welt«47, meinte er, da er die Reinheit
der Straßen Londons bewunderte (»allesamt breit, gerade und
vor allem die Hauptstraßen gedielt mit Holzbalken oder bloß mit
Makadam belegt«48). Die Einfachheit der Bauten, die Bequem­
lichkeit der Wohnungen, die Vielzahl der Marktplätze, »versehen
mit Monumenten, Blumengärten, Grünflächen und Bäumen in
der Mitte«, erregten seine Aufmerksamkeit ebenso wie die Höf­
lichkeit, Ruhe und Pünktlichkeit der Engländer. Besonders die
»technischen Wunder« und die Erfindungen aus jüngster Zeit
hatten es ihm angetan: die elektrische Telegraphie und »die Fort­
bewegung durch Dampf«. Die Anwendung der Dampfkraft,
schrieb Drägu§anu, erlaube es den Engländern, andere Völker
zu überholen und die moderne technische Zivilisation zu be­
gründen.
Als er in London den Tunnel unter der Themse, die reiche und
einflußreiche Londoner City und das Royal Politechnic Institut
kennengelernt hatte, bekundete der siebenbürgische Rumäne
offen seine Einsicht über die klare Überlegenheit »Old Eng­
lands« gegenüber dem Kontinent. Es ist nämlich bemerkens­
wert, daß Europa für ihn nur das Festland darstellt, während
England als Insel nicht zum eigentlichen Europa gehöre.49 Da­
selbst gebe es
»nur zwei, im wahrsten Sinne des Wortes, große Völker: die Fran­
zosen und die Engländer, welche berufen waren, die Welt zu führen
und allzeit über das Schicksal der anderen Völker zu entscheiden«.50

47 Ebenda, S. 139.
48 Ebenda, S. 134.
49 Ebenda, S. 134, Anmerkung 1.
50 Ebenda, S. 131.
158 Stela Märieij

Nach seiner Rückkehr von London nach Paris im September


1840 meinte er:
Anfangs schien mir in Frankreich alles in bester Ordnung, besser als
in Deutschland, aber aus England kommend, ist dir plötzlich, als trä­
test du aus einem Palast in eine Bauernhütte, so ist die adlige Insel
neben dem Kontinent.51

Als »unser erster Reisender mit europäischer Berufung«52 wid­


mete sich Drägu§anu auch Deutschland, Italien, der Schweiz
und Österreich, und dort besonders der Hauptstadt Wien, die er
im Dezember 1838 und im Juni 1840 aufsuchte. Obwohl über­
völkert, erschien ihm die Stadt äußerst zivilisiert. Unter ande­
rem hielt er fest:
Die Wiener sind spindeldürr, offensichtlich ist ihre Nahrung dünn
wegen der Teuerkeit, aber sie sind auch flink wie die Schnaken und
scheuen nicht davor, so du nach etwas fragst, mit dir weit zu gehen,
um den Weg zu zeigen; schließlich sind sie dienstfertig und gut, wie
man bei uns sagt, wie gutes Brot.53

Der Okzident besaß für den siebenbürgischen Reisenden die


gleiche Faszination wie für Dinicu Golescu, E. Poteca, Petrache
Poenaru, S. Marcovici, N. Sufu, Gh. Asachi u. a., doch ließen sein
kritischer Geist, sein saftiger Humor und eine gute Portion sub­
tiler Ironie ihn Zurückhaltung üben. Er registrierte sowohl die
hellen als auch die dunklen Seiten westlicher Wirklichkeit, z. B.
die sozialen Gegensätze in Paris, wo er viel Elend, schmutzige
Straßen, Höfe und Häuser sowie die Armut der unteren Klassen
sah,54 oder die Lage in den deutschen Staaten, wo
»sich das gemeine Volk ... einiger Bequemlichkeiten erfreut, von
denen die wohlhabendsten unter uns nicht mal träumen, aber es gibt
auch viel Armut wie in jedem bevölkerten Land«.55

51 Ebenda, S. 143.
52 ijerban Cioculescu, Vladimir Streinu, Tudor Vianu: Istoria literaturii romäne
moderne, Bucure§ti 1944, S. 155.
53 Ebenda.
54 Ebenda, S. 126.
55 Ebenda, S. 117.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 159

Obwohl mit der westlichen Zivilisation vertraut, sprach sich


Drägu§anu daher für eine bodenständige Kultur aus. Er war der
Meinung, der Import von Wissenschaft und Kultur aus dem
Westen - und »sei es auch aus dem klassischen deutschen Land«
- nütze dem Rumänen nicht, denn »sie müssen sich bei ihm zu
Hause entwickeln ,..«.56
Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entfaltete sich von der
Moldau und Walachei aus eine erste Phase des Tourismus zu­
meist in Richtung berühmter Bäder (Baden-Baden, Karlsbad,
Marienbad, Franzensbad, Ems, Kissingen usw.). Das westliche
Europa wurde in derartigen Reiseaufzeichnungen rumänischer
Urlauber folglich vor allem durch das Prisma der vornehmen
Welt wahrgenommen. Illustrativ in diesem Sinne sind z. B. die
»Briefe« Negruzzis, die Reiseaufzeichnungen des moldauischen
Bojaren Iancu Präjescu, der 1864 mit seiner Ehefrau zur Kur
nach Marienbad fuhr57· oder die Reisenotizen von N. Filimon
(1860) über Süddeutschland.
Constantin Negruzzis »Scrisoarea« Nr. XXX ist eine mondäne
Chronik des berühmten Kurorts Bad Ems, wo der junge moldaui­
sche Bojar, der in Berlin studierte, im August 1855 seine Ferien
verbrachte. Er beschrieb das deutsche, vor allem kosmopolitische
Milieu und die Rituale des Lebens in einem Kurort. Der rumä­
nische Reisende war begeistert - einmal von den Konzerten »der
entzückenden Violine Vieuxtemps«, ein anderes Mal von der »be­
zaubernden Stimme der Lerche des Nordens, Jenny Lind«.
Damals nahm er an Jagden in den Wäldern des Herzogtums
Nassau teil und traf beim Roulettespiel »mehrere bekannte
Moldauer«.58
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war es nicht mehr nur
den begüterten Oberschichten Vorbehalten, in den Westen zu rei­
sen; auch Vertreter der Mittelschichten begaben sich nun ins
westliche Ausland, sei es aus Gesundheitsgründen oder ganz

56 Ebenda, S. 206.
57 Artur Gorovei: Voiajul unui boier moldovean in Occident in 1864. In: Revista
Fundatiilor Regale II/6, Bucure^ti 1935, S. 583-602.
58 C. Negruzzi: Opere I, Bucure§ti 1974, S. 308 ff.
160 Stela Mãrieç

einfach aus Vergnügen, um andere Horizonte zu erwerben. Ein


solcher Reisender war Nicolae Filimon, der dadurch hervor­
sticht, weil er seine Reiseerinnerungen aus dem Westen im Stil
einer touristischen Reportage abgefaßt hat. Als Beamter des
Glaubensdepartements aus Bukarest hatte er ein ausreichendes
Einkommen, um sich im Jahre 1858 eine dreimonatige Reise
durch Österreich, Süddeutschland und Italien leisten zu können.
Das Ergebnis seines Aufenthalts im Ausland wurden 43 Feuille­
tons, genannt »Trei luni in sträinätate«, die später in dem Band
»Escursiuni in Germania meridionala. Memorii artistice, istorice
§i critice« im Jahre 1860 veröffentlicht worden sind. Der erste,
informative Teil der Reisememoiren Filimons wendet sich wie
ein spezialisierter Führer an den rumänischen Touristen im We­
sten: Er enthält konkrete Daten von unmittelbarem Interesse,
wie z. B. die Liste wichtiger Hotels und Restaurants, Kosten­
aufstellungen und Fahrmöglichkeiten, sowie eine ausführliche
Beschreibung der besuchten europäischen Hauptstädte (Buda­
pest, Wien, Prag, München). Filimon hat die Reise nach Wien be­
sonders deshalb beeindruckt, weil er die Eisenbahn genommen
hat; deshalb geht er in seiner Schrift auch auf die Geschichte der
Dampfmaschinen in Europa ein.59 Er notierte:
Der Tourist muß nur etwas wünschen, und alles wird erfüllt ... Mit
der größten Schnelligkeit und Bequemlichkeit, ohne gezwungen zu
sein, mehr als die notwendigen Kleider bei sich zu haben, denn den
Rest findet er stets in den Hotels.60

Voll Nationalstolz verglich der rumänische Tourist das Trans­


porttempo auf den europäischen Eisenbahnen mit der Post im
eigenen Lande, die
»trotz aller Not an Straßen, was die Schnelligkeit der Reise stark be­
einträchtigt, viel rapider ist als in Europa, wo nie das langsame
Schrittempo der Pferde überschritten wird«.61

59 Ebenda, S. 57 ff.
60 Ebenda, S. 60 f.
61 Ebenda, Anmerkung 1.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 161

Außer den Vergnügungstouristen gab es noch eine andere Kate­


gorie rumänischer Reisender ins westliche Europa - jene der po­
litischen Exilierten, d. h. der Revolutionäre von 1848, die nach
dem Scheitern der Revolution in den rumänischen Fürsten­
tümern gezwungen waren, sich nach Frankreich, Belgien, Öster­
reich, in die deutschen Staaten, nach Italien und England, man­
che auch in die Türkei zu begeben. Das Exil schuf eine besondere
Art von Reiseliteratur (Memoiren, Tagebücher, Erinnerungen,
Aufzeichnungen und Briefsammlungen).62 Zu ihr gehört auch
das Schaffen des Dichters Dimitrie Bolintineanu, der fast zehn
Jahre (1848-1857) durch Okzident und Orient wanderte und in
seinen Gedichten voll Pathos die Tristesse des Exils beklagte.63
Die Verbannung politisch Mißliebiger wirkte sich nachhaltig
auf die Rezeption des Westens aus: Das Abendland verlor seine
Faszination, und die Illusionen lösten sich auf. Angesichts des
unmittelbaren und längeren Kontakts mit den Verhältnissen
kamen auch die negativen Seiten der westlichen Zivilisation ans
Licht, z. B. die Armut des Industrieproletariats, auf die schon
Kogälniceanu 1844 hingewiesen hatte. Auf diese Weise kam es
zu ersten kritischen Reaktionen gegenüber einer blinden Nach­
ahmung westlicher Einrichtungen.64
Am deutlichsten kommt die kritische Haltung und eine ge­
wisse rumänische Überlegenheit gegenüber dem Westen bei Ion
Heliade Rädulescu (1802-1872) heraus. Anfänglich Schriftstel­
ler und Lehrer am Kollegium Hl. Sava in Bukarest, begab er sich
nach dem Scheitern der Revolution in der Walachei 1848 ins Exil.
Seine Reiseerinnerungen, die er in französischer Sprache ab­
faßte,65 dokumentieren, daß er viele seiner Illusionen über

62 Ion Heliade Râdulescu: Souvenirs et impressions d’un proscrit, Paris 1850;


Ion Voinescu: O Duminecâ în Paris, Ia§i 1855; derselbe: O câlàtorie pe Dunàre
în ghimie. Paris 1853; Ion Ghica: Amintiri din pribegia dupa 1848, Bucureçti
1888; Vasile Alecsandri: Pâinea amarà a exilului, Bucureçti 1890; Alexandru
Christofi: Voiajele mele în noua ani de exil, Craiova 1897.
63 D. Bolintineanu: Cântece de exil. La Românii exilap. In: România literarâ 17,
Iaçi 1855, S. 210 f.
64 Tomoiagâ: Ion Heliade Râdulescu, S. 75.
65 Souvenirs et impressions d’un proscrit, Paris 1850.
162 Stela Märie§

Frankreich verloren hat. In Paris, »dem Zentrum der französi­


schen Demokratie« angekommen, wollte er für die rumänische
Sache plädieren, sah jedoch, daß die Freiheit »nur eine aristo­
kratische Schminke« war.66 Enttäuscht fragte er sich rhetorisch:
»Wo sind Gleichheit, Brüderlichkeit? Und ohne Gleichheit, wo ist
die Freiheit?«67 Auch in London blickte er hinter die Kulissen
und stieß dort ebenfalls auf tiefes Elend.68 Insgesamt ent­
wickelte sich Rädulescu von einem Verfechter des »aufgeklärten
Europa« in einen überzeugten Rumänen, der meinte, auch die
Tradition seines Heimatlandes habe dem Westen etwas zu bie­
ten. So stellte er ebenso wie Victor Hugo, Carlo Cattaneo u. a.
Überlegungen an, wie die Vereinigten Staaten von Europa er­
richtet werden könnten.69
Kritische Töne über den Westen ist auch bei anderen »Acht­
undvierzigern« zu finden; stets spielte das Verbanntendasein
eine Rolle. Zu dieser Gruppe gehörte u. a. Ion Voinescu, für den
alle Wonnen der französischen Kunst und Zivilisation nichts als
»Theaterdekor« waren, vor dem die elegante Pariser Welt spielte.
A uf »dem schweren Boden der Fremde« fühlte er sich ausge­
schlossen und unglücklich und beklagte - Paris und London ver­
gleichend - gleichfalls die krasse Armut in der Großstadt.70
In ein ähnlich kritisches Horn blies Alexandra Odobescu
(1834-1895) in seinen Reiseaufzeichnungen »Cälätorie din Paris
la Londra (3-11 august 1852)«. Er sah sich als »unparteiischer
Beobachter« Englands und der »englischen Nation«, die ihm
einen »großartigen Eindruck« hinterließ; für sie empfand er aber
keine Sympathie, weil ihr »jedes vereinende Gefühl fehlt, jeder
Klebstoff, wie der Rumäne sagen würde«.71 Der leidenschaftliche

66 Ebenda, S. 33.
67 Ebenda, S. 126.
68 Ebenda, S. 35.
69 Dumitru Popoviči, Vorwort zu Ion Heliade Rädulescu: Opere I, Bucuresti
1939, S. 30 f.
70 I. E. Voinescu: O Duminecä la Paris. In: Romänia literarä 20, Ia§i 1855, S. 245.
71 Al. Odobescu: Cälätorie din Paris la Londra (de la 3 päna la 11 august 1852).
In: Opere I, Bucuresti 1965, S. 180.
Das westliche Europa aus der Sicht rumänischer Reisender 163

Kunst- und Antiquitätenliebhaber begrüßte allerdings den billi­


gen Eintritt ins British Museum, weil es ungerecht wäre, schrieb
er, reich sein zu müssen, »um dich einiger Dinge erfreuen zu kön­
nen, die jeder Staat die Pflicht hat, dem Publikum unentgeltlich
zu bieten«.72

Im allgemeinen schwanken die Einschätzungen der rumäni­


schen Reisenden gegenüber Westeuropa zwischen zwei Polen:
uneingeschränkte und unbedingte Bewunderung oder objektive
und subjektive Kritik. Die Wahrnehmung des Westens steht oft
in Zusammenhang mit affektiven Zuständen (z. B. Exil). Trotz
aller Kritik über konkrete Mißstände empfanden die Rumänen
wegen ihrer Latinität gegenüber den Franzosen und Frankreich
jedenfalls eine grundsätzliche Sympathie. England jedoch brach­
ten die rumänischen Reisenden Achtung und Bewunderung,
aber selten Sympathie entgegen. Allemal galt das Interesse dem
höheren Entwicklungsniveau der Kultur, Kunst, Wissenschaft
und Technik im westlichen Europa. Während die aus den Donau­
fürstentümern Kommenden England oder Frankreich bevorzug­
ten, zog es die aus Siebenbürgen Stammenden vorwiegend in
deutsche Länder. Gemäß einer jüngeren Untersuchung nahm
Österreich für vier Jahrzehnte (1850-1890) den ersten Platz in
der Aufmerksamkeit der siebenbürgischen Reisenden ein, weil
Wien das kulturelle Zentrum des Habsburgerimperiums war
und die Mehrheit der rumänischen Intellektuellen an Hochschu­
len der Monarchie studierte73; mit dem Auftreten des Massen­
tourismus gegen Ende des 19. Jahrhunderts rückte Italien dann
auf den ersten Platz.74
Auch wenn sich das westliche Europa je nach der
Individualität der Reisenden in Varianten widerspiegelt, stan­
den im Vordergrund der Wahrnehmung Kultur, Zivilisation und

72 Ebenda, S. 176.
73 Popa: Relapa de cälätorie, S. 260-275; vgl. Harald Heppner: Zur Sozial­
geschichte der rumänischen Historiker. In: Südostforschungen 52, München
1993, S. 11-24.
74 Ebenda.
164 Stela Märie§

technischer Fortschritt, die summarisch als ein moralisches, po­


litisches, ideologisches, ökonomisches, kulturelles und künstle­
risches Vorbild angesehen worden sind. Trotzdem, wie gezeigt
wurde, gab es jedoch auch kritische Reaktionen, die mittelfristig
in den rumänischen Ländern dazu anregten, auch andere
Orientierungen in Erwägung zu ziehen.
DUMITRU VITCU

»Europa« aus der Sicht der


rumänischen 1848er-Generation

EINLEITUNG

Betrachtet man die europäische Geschichte um die Mitte des


19. Jahrhunderts, erscheint jene Zeit keineswegs nur als stür­
mische Epoche, sondern ebenso auch als Abschnitt einer evolu­
tionären Entwicklung. Auch wenn die Französische Revolution
im Juli 1830 und der »Völkerfrühling« von 1848 besonders auf­
fällige Ereignisse gewesen sind, gehören auch viele andere
Faktoren zum Wesen der Epoche (die französisch-englische
»Entente« in den belgischen, spanischen und portugiesischen
Angelegenheiten; Frankreichs Aufgabe der Idee von den natür­
lichen Grenzen u. v. a. m.). Die Gesellschaft unterlag einem deut­
lichen Wandel, der vom technischen Fortschritt ebenso wie von
neuen Geistesströmungen bestimmt wurde. Überall war sich der
Mensch bewußt geworden, daß Zeit und Raum auch andere als
die althergebrachten Dimensionen haben konnten. Infolge der
unvergleichlich besseren Kommunikation nach der Erfindung
der Dampflokomotive und der Ausdehnung des Eisenbahn­
netzes, nach der Einführung des Morsesystems sowie der Inten­
sivierung des Handels-, Schiffahrts- oder Bankwesens schrumpf­
ten jegliche Distanzen, so daß sich auch die Völker buchstäblich
näher kamen. Die demographische Revolution, die in nur 35
Jahren dem Kontinent einen Zuwachs von 76 Millionen Men­
schen bescherte, begleiteten die unbestreitbaren Errungenschaf­
ten der Medizin.1 Das vielleicht wichtigste Phänomen war jedoch
die Industrialisierung, die in England, Frankreich oder Belgien
schon längst vor 1848 eingesetzt hatte und die in Deutschland,

1 Wenn Europa 1815 190 Millionen Bewohner zählte, waren es 1850 266 Mil­
lionen (vgl. Jacques Godechot: Les révolutions de 1848, Paris 1971. Nach
Alexandru Du(u: Modele, privel iijti, imagini, Cluj-Napoca 1979, S. 55).
166 Dumitru Vitcu

Österreich und auch Rußland früher um sich griff als in den nach
und nach entstehenden Staaten in Südosteuropa. All dies sind
bloß einige Elemente jener Epoche, die die Behauptung bekräf­
tigen, daß die den natürlichen Zyklen und Erscheinungen fol­
gende Geschichte damals ihr Ende genommen hat.2
Aus rumänischer Sicht ist diese Zeit eine Etappe, während der
sich das nationale Programm herauskristallisierte und die Ent­
wicklung ein deutlich schnelleres Tempo annahm. Wie überall in
Europa waren es drei Faktoren, die die Veränderungen hervor­
riefen:

- die neuen technischen Fortschritte,


- das Bedürfnis, die traditionellen Verhältnisse eventuell
auch auf revolutionärem Wege zu überwinden,
- und der Wunsch, die Modernisierung nach neuen Orien­
tierungsmustern zu bewerkstelligen.

Der letzte Faktor beruhte auf einer Reihe von Begriffen, die da­
mals ihren Inhalt veränderten: So wie etwa die Kunst aufhörte,
bloß eine Fertigkeit zu sein, sondern sich aus Eigenschaften zu­
sammensetzte, die den Weg zur »Wahrheit« weisen sollten, ent­
ledigte sich die Kultur ihrer traditionellen Bindungen und stieg
zu einer Art Berufungsinstanz für die gesellschaftliche Ent­
wicklung auf.3

DER NATIONALE GEDANKE UND SEINE VERFECHTER

Für ein Volk wie die Rumänen, das sich ständig von externen
Interessen oder Kräften bedroht sah, erhielt der Begriff »Nation«
- obwohl noch weit abstrakter als »Vaterland« - eine ganz neue
Dimension.4 Obwohl bis zum Ende des 19. Jahrhunderts der
Aufbau des modernen rumänischen Staates am meisten politi­
sche Aufmerksamkeit auf sich zog, ist es dennoch unbestreitbar,

2 Emmanuel Le Roy Ladurie: L’histoire immobile. In: Annales 3, Paris 1974,


S. 673-692.
3 Du£u: Modele, S. 56.
4 Ebenda.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 167

daß der äußere Rahmen für die Modernisierung auf die 1848er-
Generation zurückgeht, deren Vertreter innerhalb dreier Jahr­
zehnte (1848-1878) Autoren oder Zeugen einer Revolution, der
Gründung des modernen rumänischen Staates und der politi­
schen Unabhängigkeit Rumäniens waren. Es ist diejenige
Generation, deren Kern im zweiten Jahrzehnt geboren worden
ist: Gh. Bari^iu und C. Negri (1812), I. Maiorescu (1811), A. T.
Laurian und N. Golescu (1810), C. Bolliac (1813), I. Ghica, C. A.
Rosetti, D. Ralet und I. Voinescu (1816), M. Kogälniceanu (1817),
D. Brätianu (1818), N. Bälcescu, Al. G. Golescu, Alecu Russo und
D. Bolintineanu (1819), I. C. Brätianu und V. Alecsandri (1821).
Hinzu kamen die »Älteren«, nämlich §t. Golescu (1809), C.
Negruzzi und S. Bärnu^iu (1808), I. Heliade Rädulescu (1802),
und die »Jüngeren«, d. h. Avram Iancu (1824), Al. Papiu Ilarian
(1828) und C. D. Aricescu (1823). Ein gleiches oder eng zusam­
menliegendes Alter bedeutet zwar nicht automatisch die Ge­
meinsamkeit desselben Ideals, doch gab es dennoch zwischen
den »Jüngeren« und »Älteren« Affinitäten.5 In ruhigen Zeiten
mit normalen Entwicklungsgängen bestehen wenig Anhalts­
punkte zur Definition einer »Generation«, doch erhält dieser
Begriff, wenn die Entwicklung ihren Rhythmus deutlich be­
schleunigt, die Aufgabe, die Gesellschaft in ideologischer, psy­
chologischer und moralischer Hinsicht aufgliedern zu lassen. Die
während oder im Umfeld eines größeren geschichtlichen Um­
schwungs Geborenen unterscheiden sich in ihrem Bewußtsein
von ihren Vorgängern nämlich deutlich. Ein Paradebeispiel hie-
für sind die sogenannten Achtundvierziger, die gleichermaßen
die Generation der Revolution (1848) wie jene der Vereinigung
der Fürstentümer (1859) repräsentieren. Innerhalb des kurzen
Zeitintervalls zwischen 1848 und 1849 war es eine Gruppe von
Protagonisten, die sich zunächst für die Formulierung eines
Programms und dann für dessen Verwirklichung eingesetzt
haben. Nicht alle Angehörigen dieser Generation erlebten die

5 Paul Cornea, Mihai Zamfir: Glndirea romäneascä in epoca pa§optistä,


Bucure.'jti 1969, S. 15.
168 Dumitru Vitcu

schließlichen Erfolge jedoch noch, denn Bälcescu z. B. starb schon


1852, Alecu Russo 1858 und Dimitrie Ralet 1859.
Die Ziele des Programms gehen aus den »revolutionären«
Dokumenten hervor: aus der »Petifia-proclamafie a boierilor §i
notabililor moldoveni« (Ia§i), aus der »PetiÇia na^ionalä« (Blaj),
aus den »Prinzipale noastre pentru reformarea patriei« (Bra§ov),
aus der »ProclamaZia de la Islaz« und aus den »Dorin^ele partidei
naZionale in Moldova« (CernäuZi), weiters aus der zeitgenössi­
schen Publizistik oder aus den Aktionen nach 1848/49. Das eine
Ziel richtete sich auf die Verwirklichung der nationalen staatli­
chen Unabhängigkeit, oder, mit anderen Worten, es ging um die
Eliminierung des russischen Protektorats über die rumänischen
Fürstentümer, um die nationale Freiheit und politische Gleich­
heit der siebenbürgischen Rumänen innerhalb der Habs­
burgermonarchie und um die Einführung des bürgerlichen öf­
fentlichen Rechts nach französischem Vorbild. Das andere Ziel
bestand darin, die rumänische Gesellschaft zu modernisieren,
d. h. sie aus der feudalen Tradition herauszulösen und mit jenen
Errungenschaften auszustatten, wie sie die »Déclaration des
droits des hommes et des citoyens« vorgesehen hat.
Die Divergenz der beiden revolutionären Ziele - des sozialen
und des nationalen - waren evident, wie z. B. der Fall der Sie­
benbürger Rumänen zeigt. Diese standen im Frühjahr 1848 vor
dem Dilemma, ob sie, um der von Ludwig Kossuth versproche­
nen staatsbürgerlichen Freiheiten teilhaftig zu werden, die
Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn hinnehmen sollten, oder
ob sie das ungarische Angebot ablehnen sollten, um ihre natio­
nale Identität im Verein mit dem habsburgischen Absolutismus
zu wahren. Sie entschieden sich damals für die zweite Option,
wie sie auch Nicolae Bälcescu, der Revolutionär von 1848, recht­
fertigte: »Die [soziale] Freiheit«, schrieb er, »muß weniger gelten
als die Nationalität, denn wenn erstere verlorengeht, kann sie
wann immer wiedergewonnen werden, während der Verlust der
Nationalität endgültig ist.«6

6 Ebenda, S. 20.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 169

DIE RUMÄNEN AN DER SCHWELLE ZU EINEM


NEUEN ZEITALTER

Am Anfang der ersten nationalen Initiativen stand jedenfalls die


»Junimea romänä« [Rumänische Jugend], die bereit war zu han­
deln. »In 16 Jahren, von 1835 bis 1851, erlebte die Moldau«,
schrieb Alecu Russo (dies gilt für den gesamten rumänischen
Raum), »mehr, als in den fünfhundert Jahren seit der Nieder­
lassung Drago§’, 1359, bis in die Zeit unserer Eltern«. Hernach
setzte er fort:
Unsere Eltern öffneten die Augen in der Wiege der Ahnen; die
Menschen von 1835, welche die gegenwärtige Generation anfiihren,
erwachten jedoch im Lärm der neuen Ideen. Die Augen und Ge­
danken der Eltern waren nach Osten gerichtet, unsere hingegen
blicken gen Westen, ein Unterschied wie zwischen Himmel und
Erde.7

In der Tat hatten die Rumänen der Moldau und Walachei typisch
orientalische Kultur- und Zivilisationsformen angenommen ge­
habt. Die neue politische Lage ab den 1830er Jahren führte je ­
doch vor allem bei der Jugend zu jener erstaunlichen Meta­
morphose, die zur Annäherung der rumänischen Länder an
»Europa« führte. Binnen dreier Jahrzehnte (1829-1859) ver­
wandelten sich die öffentlichen und privaten Verhältnisse in den
beiden rumänischen Fürstentümern radikal. In der Mode z. B.
machte sich binnen kurzem die »europäische« oder »deutsche«
Kleidung breit, die die langen orientalischen Röcke, Pluderhosen
und teuren Pelzmützen durch westliche Jacketts, Pantalons und
Zylinder ersetzte. Dies hatte zur zwangsläufigen Folge, daß sich
die Handwerker völlig umstellen mußten.8 Die orientalischen
Zwergmöbel machten den aus dem Westen kommenden funktio­
nalen Möbeln Platz. Der Schritt von den luxuriösen Kutschen
der Großbojaren in kurzer Zeit zur Pferdetramway oder zur
Dampflokomotive bedeutete gleichfalls eine gewaltige Umstel-

7 Alecu Russo: Studie moldovanä. In: Scrieri alese, Bucure§ti 1959, S. 142.
8 Manual administrativ al Prinppatului Moldovei II, Ia§i 1855, S. 41.
170 Dumitru Vitcu

lung. Auch das rasche Verblassen der Bedeutung der griechi­


schen Sprache und der türkisch-levantinischen Sitten zugun­
sten der unbestreitbaren Suprematie der französischen Sprache
und der Pariser Mode war Ausdrucksmittel der raschen Ver­
änderung.

DER WIDERSTREIT ZWISCHEN ALT UND NEU

Die intensiven Bindungen an Frankreich, die mit Sicherheit für


den rumänischen öffentlichen Geist9 des 19. Jahrhunderts eine
immense Rolle spielten (»Frankomanie«), gingen auf mehrere
Motive zurück. Zuoberst rangierte die romanische Sprachver­
wandtschaft, sodann der Glanz und das Gewicht der franzö­
sischen Aufklärung, deren Einfluß das östliche Europa in den
ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts durchdrungen hat.
Danach kam das Prestige der aus der Zeit der Restauration her­
vorgehenden, neuen geistigen Richtlinien hinzu: Romantik, Posi­
tivismus, Evolutionismus und utopischer Sozialismus. Derartige
intellektuelle Anregungen entstammten den immer zahlreicher
werdenden Reisen von Rumänen in den Westen, den französi­
schen Hauslehrern in den Bojarenhäusern sowie dem Auslands­
studium mit Vorliebe in der Hauptstadt Frankreichs, das die
Bojarensöhne anstrebten.10 Weitere Motive für die Fixation der
Achtundvierziger auf Frankreich waren die den nationalen Be­
strebungen entgegenkommende Orientpolitik Napoleons III.11
sowie die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der rumä­
nischen Jugend und den intellektuellen Zirkeln um bekannte
Personen wie Quinet, Michelet, Bataillard, Desprez, Levi, Du-
mesnil, Ubicini, Vaillant u. a.

9 Pompiliu Eliade: Influenza francezä asupra spiritului public in Romania.


Originile, Bucure§ti 1982, S. XIX.
10 Ebenda, S. 306 f.; V. A. Urechia: Istoria §coalelor I, Bucureijti, S. 109.
11 Paul Henry: Napoleon III. et les peuples, Paris 1943, S. 110; siehe auch Al.
Du^u: Imaginea Fran^ei in timpul campaniei napoleoniene. In: Cärple de
infelepciune in cultura romänä, Bucure§ti 1972; Al. Florin Platon: Imaginea
Frantei in Principatele Romane. Modalitäp de difuzare (sec. XVIII-XIX). In:
Anuarul institutului de istorie §i arheologie XVIII, Ia§i 1981, S. 201-210.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 171

Die »Frankomanie« führte zu einer Welle von Nachahmungen


in den verschiedensten Gebieten des Geisteslebens, nicht nur in
den Bereichen der Literatur und der Ästhetik, der Philosophie
und politischen Ökonomie, sondern auch in der Jurisprudenz,
Pädagogik, Historiographie und Soziologie. Der Schwall ver­
fremdender Elemente stieß bei der Generation der Achtund­
vierziger in den Zeitschriften »Dacia literarä«, »Propä§irea« oder
»Romania literarä« zwar auf Kritik, doch richtete sich diese nur
gegen die Übertreibung, die imstande ist, »den nationalen Geist
bei uns zu töten«; ansonsten hieß sie die geistigen Einflüsse des
europäischen Westens auf die Rumänen aber willkommen.
Mihail Kogälniceanu, einer der Vertreter dieser Generation,
unterschied zwischen der westlichen Zivilisation, die die Rumä­
nen bloß der Form nach benötigten, und der westlichen Kultur,
von der die Rumänen den Inhalt brauchten. »Nie«, schrieb er in
seinem bekannten Romanversuch »Tainele inimei«
»war ich gegen fremde Ideen und Zivilisation. Im Gegenteil, ich ...
lebte einen Großteil meiner Jugend in jenen Ländern, die Europa an­
führen, ich war und bin der Ansicht, daß sich im 19. Jahrhundert
keine Nation ungestraft den Anregungen der Zeit verschließen und
auf sich selbst beschränken kann, ohne vom Ausland etwas zu über­
nehmen ... Der Fortschritt ist stärker als die Vorurteile der Völker;
es gibt keine Mauer, die hoch und stark genug wäre, ihn auf seinem
Weg aufzuhalten.«12

Seine Unterscheidung zwischen westlicher Zivilisation und Kul­


tur betraf lediglich die Auswüchse und Mißbräuche bei dem An­
passungsprozeß Rumäniens an »Europa«. »Die [fremde] Zivili­
sation«, meinte er, »vertreibt keineswegs die nationalen Ideen
und Eigenheiten, sondern verbessert sie bloß zum Wohle der
Nation im besonderen und der Menschheit im allgemeinen. Wir
aber, im Anspruch uns zu zivilisieren, haben alles, was gut bo­
denständig war, aufgegeben und bloß die alten Laster bewahrt,
die wir mit den neuen einer schlecht verstandenen und lügen­
haften Zivilisation vermehrten. So, den Haß auf alles predigend,

12 M. Kogälniceanu: Tainele inimei, Bucure§ti 1987, S. 176.


172 Dumitru Vitcu

was bodenständig ist, haben wir von den Ausländern bloß die
Oberflächlichkeiten, das äußere Kleid, den Wortlaut, und nicht
den Geist übernommen.« So kam der Redakteur der »Dacia li-
terarä« und zukünftige »Architekt des modernen Rumänien«13
zur Überzeugung, daß
»die wahre Zivilisation jene ist, die wir aus unserer Brust schöpfen,
indem wir die Einrichtungen der Vergangenheit mit den Ideen und
den Fortschritten der Gegenwart reformieren und verbessern«.14

DAS PROBLEM MIT DEM


POLITISCHEN SEITENWECHSEL

Die Idee der Zugehörigkeit der rumänischen Fürstentümer zum


Osmanischen Reich ist für die Rumänen und vor allem für die
Jugend, die im Westen studierte oder studiert hatte, äußerst un­
populär geworden. Dennoch galt die osmanische Suzeränität
über die Fürstentümer für viele als bequemeres und viel leich­
ter zu veränderndes Schicksal als das Protektorat Rußlands.
Demzufolge zogen die Revolutionäre von 1848 aufgrund der
alten Kapitulationen mit der Hohen Pforte im Zweifelsfall jede
»türkische« Lösung einer »russischen« vor.15 Ein solcher Denk­
ansatz war um so naheliegender, als es die Gleichgültigkeit
»Europas« Rußland erlaubte, General Duhamel nach Ia§i zu sen­
den, »um dem Fürsten beizustehen, um die Bojaren zu besänfti­
gen und ihnen Konzessionen zu machen, sollten welche gefordert
werden«. Panaiot Bal§ meinte dazu:
Rußland wollte in den Fürstentümern keinerlei Bewegung, es wollte,
daß diese von der allgemeinen Emanzipation Europas völlig fern blie­
ben. Es wollte nicht, daß die vom Schicksal gezogene Linie, die in
Paris begonnen hat, ihr Echo an den Mündungen der Donau findet;
es wollte auch nicht selbst diesen Weg beschreiten, sondern ihn auf-

13 Andrei Ofetea: Un créateur de la Roumanie moderne: M. Kogàlniceanu. In:


Revue romaine d’histoire 1, Bucureçti 1968, S. 3-17.
14 Al. Zub: M. Kogàlniceanu - istoric, Iaçi 1974, S. 348.
15 Ebenda, S. 353.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 173

halten. Aber eine Sache, die den Völkern vom Schicksal bestimmt
wird, kann nicht aufgehalten werden.16

Auch wenn die moldauischen Rumänen in der Hoffnung, da­


durch einer neuen russischen Invasion in den Fürstentümern
vorzubeugen, am 28. März 1848 voreilig »die heilige Beachtung
des Organischen Règlements« verlangten, berechtigte die dama­
lige Sachlage Kogälniceanu nicht zu behaupten, daß »die Ur­
sache allen Unglücks des Landes ... die Protektion Rußlands
ist«17, zumal deren Gewicht erst nach und nach gewachsen war.
Die Moldauer hatten allerdings nicht vergessen, daß ihr Land
unter russischem »Schutz« zuerst durch die Abspaltung der
Bukowina (1775) zugunsten des Habsburgerreiches und dann
durch jene Bessarabiens (1812) zugunsten des Zarenreiches zer­
stückelt worden war. Wie sehr die Fürstentümer Rußland ver­
pflichtet seien und was für eine Gefahr das rumänische Projekt
eines »dakisch-rumänischen Königreichs« für die Ruhe an der
unteren Donau darstelle, geht aus der Begründung der Inter­
vention der zaristischen Armee in der Moldau hervor, wie sie aus
dem Rundschreiben der russischen Regierung vom 19. Juli 1848
zu entnehmen ist. Diese Note erschien zuerst im »Journal de
Saint-Peterbourg« und wurde am 25. Juli von der Zeitschrift
»Albina romäneascä« übernommen.18 Die Angst Rußlands war
zweifellos berechtigt, denn, wie H. Desprez bereits ein Jahr zuvor
in seiner Broschüre »La Moldo-Valachie et le mouvement rou­
main« (Brüssel 1847) festgestellt hat19, »herrscht« allen Schwie­
rigkeiten zum Trotz die nationale Ideologie oder der Rumänis-
mus
»in der Moldau-Walachei, in der Bukowina, trotz der Magyaren auch
im östlichen Ungarn und in Siebenbürgen, trotz der Russen in Bes-
sarabien, und stellt zwischen allen rumänischen Ländern eine

16 C. Bodea (Hg.): 1848 la Romàni. O istorie in date §i märturii I, Bucureçti 1982,


S. 373.
17 Ebenda, S. 674.
18 Ebenda II, S. 609-614.
19 Anul 1848 in Principatele romane I, Bucureçti 1902, S. 88-122.
174 Dumitru Vitcu

Verbindung von Ideen und Interessen her, die nicht weniger stark ist
als die Blutsverwandtschaft«.

DIE EUPHORIE DES REVOLUTIONSGEDANKENS

Die Betonung des nationalen Willens und des berauschenden


Freiheitsgedankens durch die französischen Publizisten spiegelt
sich in den Schriften der rumänischen Revolutionäre wider.
»Unser Ziel«, schrieb Bälcescu am Vorabend der Revolution,
kann kein anderes sein als die nationale Einheit der Rumänen. Erst
eine Einheit im Denken und Fühlen, die dann mit der Zeit die politi­
sche Einheit mit sich bringt, so daß aus den Walachen, Moldauern,
Bessarabiern, Bukowinern, Siebenbürgern, Banatern und Mazedo-
rumänen ein politischer Leib wird, eine rumänische Nation, ein Staat
mit sieben Millionen Rumänen ... Der Rumänismus ist denn auch
unsere Fahne, unter die wir alle Rumänen rufen müssen.20

Je mehr Einfluß die Revolution in Europa auf die allgemeine


Atmosphäre ausübte, desto stärker wuchs auch bei den Rumä­
nen das Bewußtsein, an einer bedeutsamen Schwelle ihrer Ge­
schichte zu stehen. »Heute«, sagte damals Dimitrie Brätianu vor
rumänischen Studenten in Paris,
wenn sich in allen Teilen der Welt die Menschen bewegen, sich su­
chen, sich mitteilen, sich im Namen der Freiheit verbrüdern; wenn
wir die Deutschen sehen, die Franzosen, die Engländer, die Ameri­
kaner, wie sie sich über die Chinesische Mauer die Hände reichen,
wenn diejenigen Nationen, die auf der Weltbühne noch keine Rolle
innehatten ... ans Licht der Sonne treten und ihre Nationalität, ihre
unverjährbaren Rechte laut erklären ... sollten da nur wir an nichts
glauben, uns nicht bewegen, kein Leben haben?21

Zum Verständnis des Sachverhalts ist wichtig festzustellen, daß


sich die rumänischen Revolutionäre durch die Ereignisse in
Frankreich 1848 und die schon 1789 ausformulierten Parolen

20 N. Bälcescu: Privire asupra stärii de fafä, asupra trecutului §i viitorului pa-


triei noastre, Bälce§ti pe Topolog 1971, S. 54.
21 Anul 1848 I, S. 61-73.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 175

über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zwar intensiv an­


gesprochen fühlten, doch auch aus einer Tradition kamen, die
ihnen nur indirekte Kontakte zu »Europa« verschafft hatten. Bis
dahin besaßen die Rumänen nämlich nur die türkischen
Oberherren, denen sie die Bewahrung ihrer Nationalität ver­
dankten.22 Mit »Europa« hingegen waren sie formell nur über die
mit den kontinentalen Mächten geschlossenen Kapitulationen
des Osmanischen Reiches verbunden gewesen. Dementspre­
chend konnten sie in ihrem politischen Wollen nicht automatisch
mit der Vermittlung oder Unterstützung seitens des Westens
rechnen. Die internationalen Verträge begünstigten allein die
Protektoratsmacht Rußland, die in den Fürstentümern ohne
besondere Rücksichten vorgehen und eine uneingeschränkte
politische Kontrolle ausüben konnte. Es ist daher nicht verwun­
derlich, wenn die modernisierungswilligen Kreise russenfeind-
lich eingestellt waren. Die walachischen Revolutionäre lebten in
der Illusion, daß »die Tage des Rechts des Stärkeren vergangen
sind«, und beteuerten in der »Proclamaria« von Islaz (21. Juni
1848), wonach sie bei ihren Aktionen »nicht in einem drohenden
Ton sprechen und sich auf dem Wege der Gesetze und der
Verträge bewegen«. Die Argumentation der Achtundvierziger
ging dahin, daß die Rumänen das gleiche und legitime Recht auf
Handlungsspielraum wie andere Nationen hätten und daß die
drohende Intervention Rußlands in die innerrumänischen Ange­
legenheiten ein unrechtmäßiger Übergriff sei.23 Daher wiesen
die Moldauer, sollten die Russen vorstoßen, dem Pruth die Rolle
des »Rubikon der Gegenwart« zu.24 Dieselben internationalen
Abkommen, auf die sich die Rumänen in ihrer Not beriefen, dien­
ten gleichermaßen aber auch Rußland, um das Eingreifen in den
Donaufürstentümern zu rechtfertigen.25

22 Gheorghe Platon: Moldova §i inceputurile revolupei de la 1848, Chi§inäu


1993, S. 387.
23 1848 la Romani I, S. 550.
24 Anul 1848 III, S. 180.
25 Ebenda II, S. 91.
176 Dumitru Vitcu

ERNÜCHTERUNG ÜBER »EUROPA«

Der Dichter Ion Catina, dessen Stimme der öffentlichen Mei­


nung innerhalb des außerkarpatischen Rumänentums Ausdruck
verlieh, mahnte die moralische Pflicht »Europas« gegenüber den
Moldo-Walachen ein, die »mit ihrem Blut einst die Grenzen aller
Nationen, die sich heute zivilisiert nennen, verteidigt haben«.26
Die Hoffnung auf die Leistung, einst ein Bollwerk für die Chri­
stenheit abgegeben zu haben, erwies sich jedoch als vergeblich,
denn die »energischen Proteste [gegen die russische Intervention
in den Fürstentümern] und die Anträge an das Parlament in
Frankfurt, an das Ministerium in Wien, an die Regierung Preu­
ßens und an die Pariser Kammer« konnten keine Wende her­
beiführen.27 Das Schweigen und die Tatenlosigkeit des europäi­
schen Westens bestärkten die rumänischen Revolutionäre, auf
ihren Zielen zu beharren, und so blieben sie Bälcescus These
treu, wonach die nationale Freiheit im Falle des Bestehenblei­
bens der absolutistischen Staaten nur durch eine feste innere
Einheit und durch die Solidarität der kleinen Völker abgesichert
werden könne.
George Barifiu (»Das Recht der Vernunft ist und wird unser
leitendes Forum sein«) wandte sich gegen das historische Recht,
das von den »Großen« zur Rechtfertigung der internationalen
Normen gepredigt werde, in Wirklichkeit aber die kleinen Völker
mißachte, und meinte, im Falle der Siebenbürger Rumänen sei
dies ein »Faustrecht« oder ein »historisches Unrecht«.28 Wie sehr
die mangelnde Unterstützung von seiten des Westens bei den
Revolutionären zu tiefer Enttäuschung führte, geht gleichfalls
aus den Worten Bariums hervor: Die westlichen Mächte würden
anstatt den Fortschritt der Kultur bei den östlichen Nationen zu un­
terstützen, diesen aufjede Art hindern, denn ihr geheimster und letz-

26 1848 la Romani I, S. 550.


27 Teodor Bälan: Activitatea refugiaplor moldoveni in Bucovina, Sibiu 1854,
S. 82.
28 George Baripu: Serien social-politice, Bucure§ti 1962, S. 269.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 177

ter Plan ist es, die östlichen Länder zu umfassen, unter sich aufzu­
teilen, die Nationalitäten aufzulösen und deren Land zu besetzen.29

Wie auch Simion Bärnu^iu30 berief sich Barifiu auf die Vernunft
und das natürliche Recht. Auch für Ion Ghica stellte die Soli­
darität unter den Rumänen das bestimmende Element dar:
»Solange wir den Ereignissen von außen ausgeliefert sind, kann
sich unser nationaler Genius nicht entwickeln.«31 Im Falle der
kleinen Völker, bemerkte er ein anderes Mal, »werden die
Normen des internationalen Rechts oft ignoriert, wenn sie von
den Großen nicht brutal mit Füßen getreten werden«.32 Ähnliche
Ansichten vertraten auch andere Gesinnungsgenossen (Cezar
Bolliac, Dimitrie Bolintineanu, Alecu Russo, Mihail Kogälni-
ceanu etc.).

»ÖSTERREICH« ALS RETTUNGSANKER FÜR DIE


SIEBENBÜRGER RUMÄNEN

Für den Siebenbürger Avram Iancu bildeten die Prinzipien der


Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für die Beziehungen zwi­
schen den Nationen »unsere Devise, den Schatz, und unser teu­
erstes Gut«.33 Aron Pumnul forderte seine siebenbürgischen
Landsleute, insbesondere die Kleriker und Intellektuellen, die
die erste Nationalversammlung in Blaj/Blasendorf einberiefen,
auf:
Sagt den Magyaren, Szeklern und Sachsen, daß wir sie wie unsere
Brüder heben, mit denen wir in einem Land wohnen. Sagt ihnen mit
Worten und zeigt ihnen mit Taten, daß wir sie heben, doch es ist recht,
wenn auch sie uns heben und unserer Liebe, die wir für sie haben,
entgegenkommen.34

29 Ebenda, S. 161.
30 Simion Bämutiu: Dreptul public al Romänilor, Ia§i 1876, S. 182 f.
31 Ion Ghica: Opere I, Bucure§ti 1956, S. 351.
32 Ebenda II, S. 22.
33 Antologia gindirii romäne§ti I, Bucure§ti 1967, S. 299 f.
34 V. Chereste§iu: Adunarea naponalä de la Blaj, 3-5 (15-17) mai 1848, Bucu-
re§ti 1966, S. 219.
178 Dumitru Vitcu

Die Idee der Brüderlichkeit weitete Timotei Cipariu sogar auf die
ganze Habsburgermonarchie aus, in der er für die christlichen
Völker aus dem Osten und Südosten Europas zu jenem Zeit­
punkt die einzige lebensfähige Lösung sah, um sich von der »tür­
kischen Herrschaft« und von der »beschämenden russischen
Protektion« zu befreien.35 Cipariu, der ein leidenschaftlicher An­
hänger der Föderalisierung aller Rumänen war, vertrat die
Ansicht, »die Donaufürstentümer können nur mit Österreich
frei, stark und politisch bedeutend werden, wenn sie sich verei­
nigen unter dem kaiserlichen Zepter«, als Teil eines großen ver­
fassungsrechtlichen Staates, bei dem das Gleichgewicht der
Völker vorwalte, »anstatt wie bisher Spielzeug der Türken und
der Russen zu sein«.36 Er war nicht der einzige, der so dachte. Als
die magyarischen Revolutionäre unter Ludwig Kossuth die Ver­
einigung Siebenbürgens mit Ungarn eigenmächtig proklamier­
ten, setzte man die Hoffnungen um so mehr in den Wiener Hof.37
Zeugnis derartigen Denkens angesichts des magyarischen Vor­
gehens ist der »Protestul na^iund romäne« (Juni 1848), der an
die öffentliche Meinung der ganzen Welt gerichtet war. In ihm
heißt es:
Vater Ferdinand, der alle seine Kinder mit der gleichen Liebe be­
schützt, wird nicht akzeptieren, ja, er wird gar nicht tolerieren, daß
in der Zeit freier, legaler Taten ein barbarischer und empörender
Todesstoß gegen die nationalen Rechte des rumänischen Volkes aus­
geführt wird.38

Dieser Protest sollte bei den Magyaren jegliche Illusion zer­


streuen:
Laßt euch nicht täuschen, ihr könnt den Kompaß drehen, wie ihr
wollt, der Magnet der Völker, die Nationalität, behält ihre Richtung
in Ewigkeit.39

35 1848 la Romani I, S. 427.


36 Ebenda, S. 428 f.
37 Ebenda II, S. 940 f.
38 Ebenda I, S. 571.
39 G. Barifiu: Pärji alese din istoria Transilvaniei II, Sibiu 1890, S. 756.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 179

Sehr bald entpuppte sich jedoch, daß Kaiser Ferdinand, der sich
nach Innsbruck zurückgezogen hatte, die Wünsche der Rumänen
nicht erfüllen konnte40, worauf A. T. Laurian aus Hermann-
stadt/Sibiu seine Enttäuschung Nicolae Bälcescu mitteilte. Nach
Ansicht des Souveräns hätten sich die Rumänen durch die
Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn »auf eine Linie mit den
anderen Nationen« gestellt, weshalb es nun zwischen den Eth­
nien, Sprachen und Konfessionen keine Unterschiede mehr
gebe. »Diese Antwort«, schrieb Laurian an Bälcescu,
»konnte uns nicht zufriedenstellen ... Sie sind nur vier Millionen
Ungarn, die sich von zehn Millionen Nichtungam umgeben sehen ...
und deswegen würden sie in ihrer Mitte am liebsten gar keine frem­
den Elemente mehr aufnehmen. Eine helvetische Konföderation wol­
len sie noch nicht. Geneigter scheinen sie zu sein, eine offensive oder
defensive Konföderation anzunehmen.«41

Die Konföderationsidee tauchte bei den rumänischen Revolu­


tionären wiederholt auf. Die Unterzeichner des »Memoriul
naj-iunii romäne din Marele Principat al Ardealului, din Banat,
din pärtile vecine ale Ungariei §i din Bucovina« wandten sich am
13. Februar 1849 mit der Bitte um Erlaubnis an den Kaiser, »alle
Rumänen des österreichischen Staates in einer einzigen eigen­
ständigen Nation unter dem Zepter Österreichs, als ergänzender
Teil der Monarchie« zu vereinen und deshalb den Titel eines
»Großherzogs der Rumänen« zu führen.
Al. G. Golescu hielt die Zeit reif,
»einen geheimen und gewaltigen Bruderbund zu organisieren, der
sich über alle Teile des Rumänentums erstreckt, in jeder Provinz ei­
nige Führer und in Bukarest sein Zentrum, wo noch größere
Handlungsfreiheit ist«.42

40 Ebenda I, S. 591.
41 Ebenda II, S. 788.
42 Ebenda, S. 80. In einem anderen Brief, den er vorher an ¡ptefan Golescu rich­
tete, riet er den in Bukarest gebliebenen Landsleuten, »ein Manifest zu ver­
fassen an die europäischen Völker und vor allem an Frankreich, woher wir
die Milch der Freiheit getrunken, und an Deutschland, dem wir in unseren
Interessen und Sympathien verbunden sind«. In: Anul 1848 II, S. 370-375.
180 Dumitru Vitcu

In Hinblick auf die Zahl der Magyaren meinte er, daß »wir
Rumänen überall zahlenmäßig stärker sind, jedoch schwächer,
was die Energie betrifft«, weswegen er seine Landsleute in der
Moldau und Bukowina, in Siebenbürgen und im Banat zu einer
lebendigeren Propaganda in Wort und Schrift aufrief. Es sollte
jedoch auch die Brücke zu »Europa« gebaut werden, weshalb es
gelte, »die Verständigung mit dem Wiener Kabinett und mit dem
Deutschen Bund, dann mit Frankreich und England« zu suchen;
dabei war Golescu voll des Glaubens, daß »die internationale
Sache gut angehe«.43 Seine Hoffnungen wie auch jene der mei­
sten anderen Revolutionäre aus der Walachei setzten aber vor­
wiegend auf Frankreich, wo »die Posaune der Auferstehung
Italien, Spanien, Deutschland und Rumänien aus ihren Gräbern
gehoben hatte«.44 Der Verfasser schloß einen Brief mit den
Worten:
Wir müssen von ihm [Frankreich] erreichen, daß es zusammen mit
England in unsere Angelegenheiten direkt eingreift, zuerst weniger
offensichtlich, dann aber mehr ... wie sie es ... in Athen gemacht
haben und wie sie es heute in den Angelegenheiten Italiens tun.45

GERINGES ECHO IM WESTEN

England verlegte sich darauf, die Integrität des Osmanischen


Reiches aufrechtzuerhalten, und wollte nach Ansicht Ion Ghicas
und Golescus daher nicht, daß die Türkei »uns mehr Freiheit und
mehr Rechte gewährt, als sie bei sich zu Hause haben«.46 Dieser
Kurs beruhte nicht darauf, daß die englische Diplomatie für die
Rumänen kein Verständnis besaß, sondern daß im Vordergrund
der britischen Interessen das europäische Machtgleichgewicht
stand. Auch das offizielle Österreich hatte die Rumänen nach der
Ausrufung der revolutionären Verfassung von Islaz aufgegeben,

43 1848 la Romani II, S. 802.


44 Anul 1848 III, S. 41.
45 G. Fotino: Din vremea rena^terii nationale a Tärii Romäne§ti. Boierii Gole§ti
II, Bucure§ti 1936, S. 185.
46 1848 la Romani II, S. 847.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 181

und Preußen, in das man noch größere Hoffnungen setzte, de­


savouierte seinen Konsul in Ia§i, der gegen die russische
Intervention in der Moldau protestiert hatte. »Werden wir
[Österreicher] in den Nachbarländern auf diese Weise je Einfluß
gewinnen?« fragte der politische Kommentator der Wiener
Zeitung »Constitution« in der Nummer vom 15. August.47 Auch
von Frankreich war nicht viel anderes zu erwarten. Die Pariser
Zeitung »Le Siècle« vom 16. Juli 1848 drückte in einem Beitrag
über »Rumänien« (»das die Moldo-Walachei, die Bukowina, Sie­
benbürgen und mindestens einen Teil Bessarabiens umfaßt, mit
insgesamt acht Millionen Einwohnern«) zwar ihre Übereinstim­
mung mit »den in Bukarest ausgerufenen Prinzipien« aus, be­
kannte zugleich aber die Machtlosigkeit, etwas anderes als
Glückwünsche anbieten zu können. Ein Hauch von Zweifel be­
herrschte den Kommentator allerdings, als er auf das Verhältnis
zwischen den rumänischen Volksmassen und der politisch akti­
ven, intellektuellen Elite zu sprechen kam. »Die in Paris aufge­
wachsenen Jugendlichen«, fragte er sich, »die in ihrem Land nun
die Prinzipien des französischen öffentlichen Rechts ausgerufen
haben, sind sie gegenüber der großen Mehrheit ihrer Nation
nicht vielleicht allzu fortschrittlich?«48
Al. G. Golescu griff diesen Gesichtspunkt in einer Denkschrift
an den französischen Außenminister Drouyn de Lhuys auf und
vertrat den Standpunkt, die Revolution in der Walachei habe
hinreichend bewiesen, daß die Bauern die kommunalen Frei­
heiten und zivilen Rechte zu erlangen wünschten.49 Für die
Erringung politischer Freiheiten hingegen, räumte auch Golescu
ein, träten nur ca. 50.000 bis 60.000 Menschen ein, die auch wil­
lens wären, für deren Erringung und Durchsetzung Opfer zu
bringen.50

47 1848 la Romàni II, S. 782.


48 Ebenda, S. 784.
49 Ion Ghica: Amintiri din pribegia dupä 1848, Craiova 1940, S. 109.
50 1848 la Romàni II, S. 1124.
182 Dumitru Vitcu

DER WESTEN BLEIBT DENNOCH EIN LEITBILD

Golescu vertrat die Meinung, die soziale Frage insbesondere in


der Walachei lasse sich lösen, wie sie »seit etwa 50 Jahren in
allen deutschen Staaten« gefunden worden sei und wie sie der­
zeit gerade in Ungarn anlaufe.51 Mehr noch, er rief seine Lands­
leute auf, »die Lehre, die wir aus dem Zustand der benachbarten
Nationen ziehen können«, nicht zu ignorieren. So verwies er auf
das Beispiel der Serben, wo die Grundverteilung die zahlen­
mäßig kleine Nation gefestigt hatte, verwarf jedoch
»die Zwangsmittel... die Frankreich bei der Revolution von 1789 an­
gewendet hat, indem man alle emigrierten oder politisch mißliebigen
Besitzer mit Gewalt enteignete«.

Golescu, der Abkömmling eines Bojarengeschlechts, appellierte


an die Großgrundbesitzer, bei der Lösung der Bauernfrage Ver­
ständnis und Flexibilität zu zeigen, und erinnerte an Ungarn als
positives Beispiel und Polen als negatives Beispiel. »Durch die
weise Verbrüderung aller Gesellschaftsklassen« hätten sich die
Magyaren binnen kurzer Zeit »aus einer kleinen und unbekann­
ten Nation ... zu erheblicher Stärke« entwickelt, »welche die
Aufmerksamkeit und Sympathie aller europäischen Mächte auf
sich zieht«. Polen hingegen sei gefallen,
»obwohl es alle Sympathien Europas hatte, denn die polnischen
Adligen haben die Interessen der Nation ... nicht verstanden, da sie
den Bauern vom Vaterland sprachen, ohne sie vorher von der
Knechtschaft des Frondienstes befreit zu haben«.52

51 Ebenda, S. 707.
52 Ebenda, S. 709. Auch M. Kogälniceanu forderte in seinem in Czernowitz
verfaßten Programm (Dorin^ele partidei nationale), sich auf das Beispiel
Polens und Galiziens berufend, zu einer Zusammenarbeit zwischen den
Klassen auf, um die Agrarfrage »zu lösen«. Eine eindeutig wirtschaftliche
Frage, war sie zugleich auch ein soziales und nationales Problem durch das
Gewicht und die Rolle der Bauernschaft in der rumänischen Gesellschaft und
für die Definierung der nationalen Persönlichkeit der Rumänen. Vgl. Gh.
Platon etc.: Cum s-a infaptuit Romania modernä, Ia§i 1993, S. 71.
»Europa« aus der Sicht der rumänischen 1848er-Generation 183

Eine wichtige Spur »europäischer« Vorbildhaftigkeit führt zur


»Eigentumskommission« in Bukarest (August 1848), in deren
Sitzung vom 16. August Ion Ionescu de la Brad, der amtierende
Vizepräsident, einige ausländische Regelungen zur Anwendung
vorschlug. Er unterstrich, daß in allen zivilisierten Ländern das
Eigentum als heilig gelte, auch wenn es Ausnahmen im Interesse
der Öffentlichkeit gebe. Für den Fall der prinzipiellen Zustim­
mung durch die Rumänen bestünde die Möglichkeit, zwischen
dem englischen Prinzip, bei dem die Legislative über Enteig­
nungen entscheide, und dem französischen Prinzip, das der
Exekutive die entsprechende Kompetenz zuweise, auszuwählen.
Die Argumentation Ionescus zielte letztlich darauf hin, von den
Vertretern des Großgrundbesitzes die Zustimmung zur Über­
tragung bestimmter Landanteile an die ehemaligen Fronbauern
zu erlangen.53

ZUSAMMENFASSUNG

Der Dialog der Rumänen mit »Europa«, den die Achtundvier­


ziger wieder aufgriffen, hatte das Ziel, sowohl die sozio-ökono-
mischen Verhältnisse zu verbessern als auch die politisch-natio­
nalen Wünsche zu befriedigen. Das Studium im Westen als ein
Teil dieses Dialogs bedeutete für die Rumänen das, was für das
Abendland einige Jahrhunderte früher die Renaissance gewesen
war.54 Dabei muß zwischen Siebenbürgen, von wo die Jugend­
lichen nach der Union mit der katholischen Kirche das Studium
der Theologie vorzogen55, und der Moldau und Walachei unter­
schieden werden, wo die Geschichte, Philologie und Jurispru­

53 1848 la Romàni II, S. 750.


54 D. C. Amzar: Studenti romàni in sträinätate. Date interpretäri statistice.
In: Cercetäri literare IV, Bucure§ti 1940, S. 215 f.
55 Der vorwiegend theologische Charakter des von den siebenbürgischen Ru­
mänen befolgten Studiums hielt, laut Keith Hitchins, bis etwa 1830 an,
wonach die Auseinandersetzung zwischen weltlich und kirchlich in der na­
tionalen Bewegung aus Siebenbürgen nach und nach zur Dominanz des Welt­
lichen führen sollte. K. Hitchins: Culturä §i nafionalitate in Transilvania,
Cluj 1972, S. 17 ff.
184 Dumitru Vitcu

denz beliebter waren. Die an den europäischen Universitäten be­


triebenen Studien trugen zweifellos zur besseren Kenntnis der
eigenen Spiritualität und zur Schaffung der modernen rumäni­
schen Kultur bei. Vor allem über diese Studierenden fanden die
Ideen der allgemeinen Freiheit und Demokratie ihren Weg in die
rumänischen Länder, wo sie den Weg für die zukünftigen
Auseinandersetzungen bereiteten. »Waren die Trennungslinien
in geistiger Hinsicht weniger spürbar«56, so bestand doch in wirt­
schaftlicher Hinsicht gegenüber den »europäischen« Ländern
eine große Kluft. Diese Feststellung ist wichtig, denn an diesem
Aspekt hängt die gesamte spätere Polemik über die »Formen
ohne Inhalt«.

56 Gh. Platon: Geneza revolupei romàne de la 1848. Introducere in istoria mo­


derna a Romäniei, Ia§i 1980, S. 235.
VASILE DOCEA

Das »europäische« Modell und die konstitutionelle


Monarchie in Rumänien

EINLEITUNG

Das konstitutionelle Leben debütierte in den rumänischen Für­


stentümern mit der Einführung der Organischen Règlements
(1831/1832). Dieses frühe verfassungsgebende Gesetz blieb bis
1858 in Kraft, als die Pariser Konvention die Rolle eines Grund­
gesetzes für die Vereinigten Fürstentümer Moldau und Walachei
übernahm. Beide Gesetzgebungen wurden von auswärts einge­
führt: die Organischen Règlements von Rußland infolge des rus­
sisch-türkischen Friedensvertrages von Adrianopel (1829), die
Konvention hingegen gemäß dem Pariser Vertrag von 1856 sei­
tens der Schutzmächte. Die erste interne rumänische Verfas­
sung, die im Lande selbst ausgearbeitet und als Ausdruck des
rumänischen politischen Willens per Wahl mit Gesetzeskraft
versehen wurde, war jene von 1866. Diese Verfassung und die
monarchisch-konstitutionelle Regierungsform waren »modern
und für jene Zeit liberal und wahrscheinlich demokratischer als
die meisten mittel- und osteuropäischen Regierungsformen«.1
Diese Verfassung blieb bis 1923 gültig, doch sollte die Mehrheit
ihrer Prinzipien bis 1947 erhalten bleiben, als die frisch instal­
lierte kommunistische Macht die Monarchie beseitigte. Die Ver­
fassung von 1866 führte die Erbmonarchie, die Gewaltenteilung
im Staat (Legislative, Exekutive und Judikative) und die Ga­
rantie für die bürgerlichen Rechte und Freiheiten ein. Von den
zahlreichen Schriften zum Grundgesetz von 1866 befaßte sich
eine Reihe von Arbeiten auch mit der Frage der juristischen
Quellen. Dies geschah durch den Vergleich der Artikel mit sol­
chen ähnlicher Verfassungen oder Gesetzgebungen anderer

1 Vlad Georgescu: Istoria românilor de la origini pânâ in zilele noastre, 2Mün-


chen 1989, S. 165.
186 Vasile Docea

Staaten und älterer rumänischer Projekte.2 Die Quellenfrage


der Verfassung von 1866 interessiert in dem Maße, als sie sich
auf die Monarchie oder verschiedene verbundene Aspekte be­
zieht, jedoch nicht nur aus der Sicht der komparatistischen
Rechtswissenschaft, sondern auch aus historischer Perspektive.
In diesem Beitrag wird der Versuch unternommen, die frem­
den, d. h. »europäischen« Elemente zu identifizieren, die der
Organisierung der rumänischen konstitutionellen Monarchie
zugrunde lagen. Deswegen gilt es, die Art und Weise zu verfol­
gen, wie westliche Rechtselemente für die Rumänen Modell­
charakter bekommen konnten. Der Akzent wird nicht wie in der
vergleichenden Rechtswissenschaft oder in der Rechtsgeschichte
auf der Textkritik liegen, sondern auf der Freilegung der
Ursachen und der Art der Übernahme dieser Modelle.
Es ist ein Gemeinplatz, daß »Europa« für die Rumänen des
19. Jahrhunderts »alle Charakteristika eines kulturellen Mo­
dells« hatte: einerseits als ideal-normatives System (befolgungs­
würdiges Beispiel) und andererseits als theoretisch-abstraktes
Schema, als Brücke zur Wirklichkeit.3 Allerdings erhebt sich die
Frage, ob »Europa« für die Rumänen ein einheitliches Modell
darstellte. Mit anderen Worten: Wurde Europa in den Ausein­
andersetzungen und Aktionen, die die Schaffung der konstitu­
tionellen Monarchie zum Ziel hatten, als einheitliches und ho­
mogenes Modell wahrgenommen? Oder haben wir es mit einer
Pluralität von Beispielen und, falls diese Anwendung fanden,
mit mehreren Modellen zu tun? Jenseits der endlosen Diskus­
sion, zu der diese Fragen führen können, sind wir der Meinung,
daß beide Fragen - so paradox dies auch scheinen mag - affir­
mativ beantwortet werden können, zumindest soweit sie das vor­
liegende Thema betreffen.

2 Constantin C. Angelescu: Izvoarele Constitupei romàne de la 1866. Auszug


aus »Dreptul« 30-31/1926, 16 S.; Romul Boila: Organizarea statului román
in compararle cu organizarea altor state, Bucureçti 1927; loan C. Filitti:
Izvoarele Constitupei de la 1866 (Originile democrapei romàne), Bucureçti
1934.
3 Adrian Marino: Pentru Europa. Iap 1995, S. 159.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 187

Es gibt eine Reihe von Gemeinsamkeiten, die die Grundlage


der Wahrnehmung eines einheitlichen Modells bilden. Vor allem
war Europa damals hauptsächlich monarchisch organisiert. Dies
traf auch auf die rumänischen Fürstentümer zu, aber im Unter­
schied zu jenen gab es seit alters her die Tradition der Erb­
monarchie. Wenn wir mit Roland Mousnier4, der die monarchi­
schen Institutionen aufmerksam untersuchte, darauf achten,
daß gerade die dynastische Kontinuität einer der Grundfaktoren
war, der die Permanenz der staatlichen Einrichtungen garan­
tierte und dadurch zur Festigung des modernen Staates beitrug,
werden wir die Wichtigkeit des Modells der Erbmonarchie für
die Rumänen verstehen, die mit den ersten Jahrzehnten des
19. Jahrhunderts damit begonnen hatten, eigene Staatsstruk­
turen aufzubauen oder in einem nationalen Sinne zu reformie­
ren.
Andererseits gab es in ganz Europa eine Tendenz zur Säkula­
risierung der Monarchie als Institution. Hiebei sind zwei Aspek­
te zu beachten. Der erste bestand im Verlust des Charakters
»wundertätiger Könige«. In Frankreich war Karl X. (1824—1830)
der letzte König, der das Ritual der Heilung durch die Berührung
von Kranken und das Sprechen der Formel »Le roi te touche,
Dieu te guérisse« praktizierte. In England verschwand diese
Praxis schon mit der Installation der Hannoverschen Dynastie
zu Anfang des 18. Jahrhunderts.5 Der andere Aspekt der
Entheiligung ergibt sich aus dem kontinuierlichen Niedergang
der Idee des göttlichen Ursprungs der monarchischen Macht.
Das Prinzip der Trennung der Politik von der Theologie
(Machiavelli) leitete einen Prozeß ein, der schließlich in indirek­
ten, dann auch offenen Angriffen gegen die »gottgewollte Mon­
archie« mündete. Bartolomé de Las Casas z. B., ein spanischer
Jurist des 16. Jahrhunderts, ist einer der ersten Verteidiger des
Laizitätsprinzips der Souveränität geworden, indem er behaup-

4 Roland Mousnier: Monarchies et royautés de la préhistoire à nos jours, Paris


1989, S. 298 f.
5 Details ebenda, S. 94 f.
188 Vasile Docea

tet hat, die Idee der säkularen Macht sei legitim, auch wenn sie
außerhalb der Kirche auftrete.6 Der Rationalismus des 18.
Jahrhunderts, die Französische Revolution, ihre Folgen und
schließlich der Liberalismus sorgten allesamt für eine forcierte
Säkularisierung. Sie ging parallel mit der stufenweise erfolgen­
den Laisierung des gesellschaftlichen Lebens. Die Macht des
Königs wurde mehr und mehr als nicht von Gott kommend und
zunehmend als ein Ergebnis nationalen Willens betrachtet. Die
Monarchie tendierte also generell zur Säkularisierung, ohne je ­
doch in einem monarchischen Staat je zur Vollendung zu kom­
men. Ausgeprägter im Westen des Kontinents, manifestiert sie
sich in Zentraleuropa ziemlich zaghaft, wo die Idee göttlichen
Ursprungs der monarchischen Macht ihre Lebenskraft länger
bewahrt hat. In Preußen-Deutschland z. B. fand diese Idee in der
Person des Juristen Friedrich Julius Stahl jedoch einen
Verteidiger.7 Bismarck sollte für diese Idee eine kategorische
Erklärung finden:
Denn warum - wenn es nicht göttliches Gebot ist - , warum soll ich
mich denn diesen Hohenzollern unterordnen? Es ist eine schwäbi­
sche Familie, die nicht besser ist als meine und die mich dann gar
nichts angeht.8

In ganz Europa entstand irgendwann das Streben, die Macht des


Monarchen zu beschränken, einerseits mittels der Absicherung

6 In seinem wichtigsten Werk, »De thesauris in Peru«, griff Bartolomé die spa­
nische Conquista in der Neuen Welt an und sprach der spanischen Krone die
Rechte über die transozeanischen Territorien ab, indem er behauptete, daß
das Dominium der Indianer, auch wenn diese Heiden waren, rechtens war
und daß die Spanier deren legitime Titel usurpiert haben. Kenneth Pen­
nington: The Prince and the Law 1200-1600, Berkeley/Los Angeles/Oxford
1993, S. 272.
7 »Gott hat die Menschheit nicht einzelnen Menschen zur Herrschaft überge­
ben, bloß auf ihre jenseitige Verantwortung, sondern er hat eine Ordnung und
Anstalt gesetzt und in dieser die einzelnen Menschen als Häupter ... Die
Gewalt des Königs ist von Gottes Gnaden, ist ein göttliches Recht.« Siehe
Friedrich Julius Stahl: Staatslehre, Berlin 1910, S. 94,100.
8 Gespräch Bismarcks mit von Keudell vom 31. Mai 1857, siehe Lothar Gail:
Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt/Main 1983, S. 58.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 189

der Rechte und Freiheiten der Untertanen, andererseits mittels


der Gewaltenteilung im Staat. Dieser Prozeß, der in England
schon früh begonnen hatte, dehnte sich vor allem nach der
Französischen Revolution in Europa aus. Viele der europäischen
Monarchien verwandelten sich demzufolge in der ersten Hälfte
oder Mitte des 19. Jahrhunderts zu konstitutionellen Staaten.
Auch wenn, wie etwa in Österreich, dieser Prozeß verspätet oder
mit Rückschlägen verlief, gab es dennoch Projekte in diese er­
neuernde Richtung.9
Trotz der gemeinsamen Eigenschaften - Erbtradition, Säku­
larisierung, konstitutionelle Einschränkung der monarchischen
Macht - blieben die Verhältnisse von Staat zu Staat verschieden.
Im Europa des 19. Jahrhunderts gab es Monarchien, in denen
das Herrschaftserbe gemäß salischem Gesetz erfolgte, wogegen
in anderen auch Frauen den Thron erben konnten. Die Säku­
larisierung erfolgte ebenfalls ungleich: In Belgien etwa hatte der
König sein hohes Amt durch den Willen des Volkes inne, während
die Monarchen in Zentraleuropa weiterhin die Exklusivität des
göttlichen Ursprungs ihrer Macht beanspruchten. Die Differen­
zen erweisen sich noch größer, wenn es um die Einschränkung
der monarchischen Macht geht. Es gab parlamentarische Mon­
archien, wo die Macht des Parlaments über der königlichen
Macht rangierte (England, Belgien), aber auch solche wie Preu­
ßen und Österreich, in denen der Monarch dank seiner Präro­
gativen entweder eine größere effektive Macht innehatte als die
Volksvertretung oder die ganze Macht überhaupt allein.10 Somit
kann von bloß einem einheitlichen europäischen Modell nicht die

9 Zu den verschiedenen Verfassungsprojekten in Österreich und Deutschland


am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts, die vor allem von jakobi­
nischen Kreisen ausgearbeitet wurden, siehe etwa Helmut Reinalter: Die
Französische Revolution und Mitteleuropa, Frankfurt/Main 1988, S. 65 ff.,
100, 144 f.
10 Eine Analyse dieser Unterscheidungen betreffend die Regulierung der mon­
archischen Macht bei Karl Löwenstein: Die Monarchie im modernen Staat,
Frankfurt/Main 1952, S. 18-71.
190 Vasile Docea

Rede sein, denn die Wirklichkeit bot eine Vielzahl von Beispie­
len. Für die Rumänen gab es daher eine Chance: Sie konnten
wählen.

DIE MONARCHISCHE MACHT -


GÖTTLICH ODER WELTLICH?

Die Formel »von Gottes Gnaden« (Dei gratia) aus dem Titel der
rumänischen Herrscher drückt die Idee göttlichen Ursprungs
ihrer Macht aus. Sie trat bereits kurz nach der Bildung der feu­
dalen rumänischen Staaten im 14. Jahrhundert auf11 und sollte
bis zu König Michael I., dem letzten Monarchen auf dem Throne
Rumäniens, verwendet werden. Die Formel, wonach dem Herr­
scher die Macht von Gott gegeben wurde, hatte ursprünglich
zwei Bedeutungen: Nach außen hin schloß sie die Idee der Unter­
werfung der rumänischen Herrscher gegenüber anderen Monar­
chen aus; nach innen unterstrich sie die uneingeschränkte
Macht des Herrschers über seine Untertanen, vor denen er für
seine Taten keine Rechenschaft abzulegen hatte. Mit dem Be­
ginn der osmanischen Suzeränität (Oberhoheit) behielt allein
die zweite Bedeutung Gültigkeit, während die erste verschwand
oder bloß ein Wunsch bleiben konnte.
Somit kam es hinsichtlich der Exklusivität göttlichen Ur­
sprungs der Macht des Herrschers zu einer Akzentverschiebung.
Wie aus den Quellen ersichtlich, wiesen einige Herrscher des 17.
Jahrhunderts daraufhin, daß ihnen die Macht von Gott und vom
Kaiser (Sultan) verliehen wurde.12 Zu dem göttlichen Ursprung
gesellte sich also ein weltlicher Ursprung hinzu, der ersteren zu
verdrängen drohte (der Suzerän war in diesem Fall außerdem
gar kein Christ). Der Säkularisierungsprozeß im Falle der Ru­
mänen ergibt sich demnach nicht aus einer internen und nor­

11 Zum ersten Mal finden wir sie beim walachischen Herrscher Vladislav-Vlaicu
(1364-1377). Valentin Al. Georgescu: Institupile statelor romäne§ti de-sine-
stätätoare, in: Constituirea statelor feudale romäne§ti, Bucure§ti 1980,
S. 225.
12 Ebenda.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 191

malen Entwicklung, sondern ist die Folge auswärtigen Drucks.


Sinngemäß trat der Herrscher (Vojvode, Hospodár, Fürst) vor
seine Untertanen nicht bloß auf mittels der Autorität »von
Gottes Gnaden«, sondern auch mittels jener vom Sultan verlie­
henen Kompetenz. Erst sehr spät, im Jahre 1824, versuchte
Ionifä Sandu Sturdza, der nach der Beseitigung des Phanario-
tenregimes (1822) vom Sultan als einheimischer Herrscher ein­
gesetzt worden war, seine Autorität gegenüber den großen Bo­
jaren durchzusetzen, weil ihn jene nicht anerkennen wollten. So
wandte er sich nach der Berufung auf die »göttliche Vorsehung«
an sie mit den Worten:
Wir werden unter Anwendung des Zepters und des Schwertes - den
fürstlichen Zeichen, die uns der Sultan gegeben - zur Bändigung der
Unweisen herrschaftliche Maßnahmen ergreifen, und ihr werdet von
heute an wissen, daß es jemanden gibt, um euch zu beherrschen.13

Selbstverständlich ist die dargestellte Situation noch nicht das


Resultat der Übernahme irgendeines abendländischen Modells,
sondern die bloße Wirkung der osmanischen Suzeränität.
Eine andere Komponente der Säkularisierung der fürstlichen
Herrschaft, die zum Unterschied von der oben genannten ein
Effekt des Prinzips der Volkssouveränität war, stammte aus der
Mitte des 19. Jahrhunderts. Infolgedessen richtete sie sich nach
außen, geradewegs gegen die osmanische Suzeränität. Sie taucht
in der fürstlichen Anrede Alexandru Ioan Cuzas auf, der sich of­
fiziell wie folgt genannt hat: »Alexandru Ioan Cuza, von Gottes
Gnaden und durch den nationalen Willen Herrscher der Verei­
nigten Fürstentümer Moldau und Walachei.« Carol L, sein Nach­
folger aus dem Hause Hohenzollern, nannte sich bereits im Jahr
seines Kommens nach Rumänien »von Gottes Gnaden und durch
den nationalen Willen Herrscher der Rumänen«, um dann - nach
der Erringung der Unabhängigkeit (1877) und der Ausrufung
des Königreichs (1881) - die Formel »von Gottes Gnaden und
durch den nationalen Willen König von Rumänien« zu benutzen.

13 Manolache Dräghici: Istoria Moldovei pe timp de 500 de ani. Pänä in zilele


noastre II, Ia§i 1857, S. 167.
192 Vasile Docea

Die Idee der Volkssouveränität, die während der Französi­


schen Revolution in der »Déclaration des droits de l’homme et du
citoyen« ihre juristische Bestätigung fand und dann in die fran­
zösische Verfassung von 1791 übernommen wurde,14 fand be­
reits Ende des 18. Jahrhunderts bei den Rumänen ein Echo.15 In
einem rumänischen Verfassungstext finden wir das Prinzip zum
ersten Mal allerdings erst im Grundgesetz von 1866 (Artikel 31):
Alle Staatsgewalten kommen von der Nation, die sie nicht anders ids
durch Delegierung und nach den in der vorliegenden Verfassung fest­
gelegten Prinzipien und Regeln ausüben kann.16

Es ist dies eine Formulierung, die jener der belgischen Ver­


fassung von 1831 sehr nahe kommt.17
Wenn auch durch die Idee der Volkssouveränität abge­
schwächt, sollte sich das Prinzip des göttlichen Ursprungs der
monarchischen Macht allerdings auch während der konstitutio­
nellen Monarchie behaupten. Eine Hilfe hiefür resultierte aus
den Beziehungen, die der König mit der orthodoxen Kirche ein­
zuleiten wußte. Obwohl er ein hingebungsvoller Katholik war,
suchte Carol I. am religiösen Leben der Orthodoxen teilzuneh­
men, indem er sich an den großen Feiern beteiligte oder die or­
thodoxen Riten anläßlich der verschiedenen Ereignisse in der
eigenen Familie akzeptierte. In seinen Reden berief er sich oft
auf den Glauben und zeigte bis hin zu finanzieller Unter­
stützung für die Kirche seiner Adoptivheimat ein reges
Interesse. Zweifellos spiegelt sich in all dem auch wider, daß der

14 Artikel 3 der französischen Verfassung von 1791: »Le principe de toute sou­
veraineté réside essentiellement dans la nation. Nul corps, nul individu ne
peut exercer d’autorité que n’on émane expressément.« Henri Oberdorff
(Hg.): Les Constitutions de l’Europe des Douze, Paris 1992, S. 143.
15 loan C. Filitti: Frâmântârile politice §i sociale în Principatele románe de la
1821 la 1828. In: Opere alese, Bucureçti 1985, S. 126.
16 Dezbaterile Adunârei Constituante din anul 1866 asupra Constitufiunei §i
Legei électorale din România, veröff. v. Alexandru Pencovici, Bucureçti 1883,
S. 295.
17 Artikel 25 der belgischen Verfassung: »Tous les pouvoirs émanent de la na­
tion. Ils sont exercés de la manière établie par la Constitution.« Oberdorff,
Les Constitutions, S. 62.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 193

fremde Prinz für seine Autorität mehr Legitimität zu erzielen


suchte,18 in einem Land, in dessen Verfassung von 1866 (Artikel
21) stand: »Die orthodoxe Kirche des Ostens ist die dominante
Religion im rumänischen Staat.«19
Auf die Suche nach Legitimität geht auch zurück, daß Carol I.
die verfassungsrechtlich festgelegte Verpflichtung zu respektie­
ren versprach, seine Erben orthodox taufen und erziehen zu las­
sen. A uf diese von der Geschichtsforschung oft übergangene
Tatsache ist näher einzugehen, da sie zeigt, wie die Orthodoxie
auf die Neuerungen nach westlichem Vorbild reagiert hat. Die
älteren rumänischen Texte, die als Grundgesetz galten, enthal­
ten hinsichtlich der Religion des Herrschers und seiner Erben
keine präzisen Regelungen. Dies war auch nicht notwendig, denn
sowohl die Organischen Règlements20 als auch die Pariser Kon­
vention21 sahen die Pflicht vor, daß der Herrscher bodenständig
sei, was den orthodoxen Glauben einschloß. Die Religion der
Kinder des Herrschers interessierte jedoch niemanden, da die
Herrschaft nicht vererbbar, sondern wählbar war. Erst die
Verfassung von 1866, die in der Familie des Fürsten Karl von
Hohenzollern-Sigmaringen das Prinzip der Vererbbarkeit des
Thrones einführte, enthielt die Regel: »Die Abkömmlinge seiner
Hoheit werden in der orthodoxen Religion des Ostens erzogen«.22
Für den vorliegenden Zusammenhang ist wichtig anzumerken,
wie es dazu kam, daß dieser Absatz in die Verfassung aufge­
nommen worden ist. Die Ad-hoc-Versammlungen von 1857, die
einen konsultativen Zweck hatten und die Wünsche der

18 Edda Binder-Iijima: Rites of Power at the Beginning of the Reign of Prince


Charles. 1866-1881. Means of Legitimation of a Foreign Dynasty. In: Revue
des études sud-est européennes XXXII/3^1, Bucarest 1994, S. 213.
19 Dezbaterile Adunärei, S. 293.
20 Das Organische Règlement der Moldau in: Analele Parlamentäre aie
României 1/2, Bucureçti 1893, S. 79 ff. Seine Satzungen decken sich mit denen
des Organischen Règlements der Walachei.
21 Die Pariser Konvention von 1858 in: Românii la 1859. Unirea Principatelor
române in conçtiinfa europeanä. Documente externe I, Bucuresti 1984,
S. 274-291.
22 Dezbaterile Adunärei, S. 300.
194 Vasile Docea

Rumänen hinsichtlich der zukünftigen staatlichen Ordnung for­


mulierten, verlangten, als sie die Frage eines fremden Fürsten
als Oberhaupt des vereinigten Staates aufwarfen, die Taufe von
dessen Nachkommen nach christlich-orthodoxem Ritus.23 Mit
der Wahl Cuzas als Herrscher der Vereinigten Fürstentümer war
diese Forderung zunächst hinfällig und erschien nicht einmal in
einem Verfassungsprojekt, das 1859 von der Zentralkommission
von Foc§ani ausgearbeitet wurde, obwohl darin von der Even­
tualität fremder Fürsten die Rede war.24 1866, als Carol I. nach
Rumänien kam, schien die Frage der orthodoxen Taufe der
Erben vergessen. Weder das Verfassungsprojekt vom April, »her­
vorgegangen aus den Arbeiten des Staatsrats und angenommen
vom Ministerrat«25, noch der nächste Entwurf26 enthielten ir­
gendeinen Hinweis auf die Religion des Thronerben. Erst in der
Sitzung vom 18. Juni 1866 wurde ein erster Vorschlag gemacht:
Ich möchte noch darum bitten, daß die Abkömmlinge Seiner Hoheit
Carols I. angehalten werden - wie auch in anderen Verfassungen
in der herrschenden Religion des rumänischen Staates getauft zu
werden. Dies sieht man auch in anderen Verfassungen, und man
sieht es auch in einer Verfassung, von der wir uns keinen Schritt ent­
fernen dürfen, nämlich in den Abstimmungen der Ad-hoc-Versamm­
lungen. Die Ad-hoc-Versammlungen waren eifersüchtiger als das
Delegiertenkomitee und verlangten, daß die Kinder in der rumäni­
schen Religion getauft werden, und ich bin sicher, daß Seine Hoheit
Carol I. diesen Wunsch der Rumänen nicht zurückweisen wird.27

Scheinbar rief dieser Vorschlag in der Verfassungsgebenden


Versammlung kein Echo hervor, doch ließ der Monarch durch
den Premierminister Lascär Catargiu einige Tage später folgen­
den Wunsch mitteilen: »Die Kinder, die den Thron erben, sollen

23 D. A. Sturdza, C. Colescu Vartic: Acte çi documente relative la istoria renas­


cerei României, Bucureçti 1896, VI/1 S. 68, VI/2 S. 44.
24 Zum Projekt der Verfassung von 1859 siehe Angelescu: Izvoarele Consti-
tujiei.
25 Dezbaterile Adunãrei, S. 1-12.
26 Ebenda.
27 Rede Nicu Voinovs, Abgeordneter von Focçani. Ebenda, S. 53.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 195

in unserer (orthodoxen) Religion erzogen werden.«28 So sollte der


neue Absatz in der Verfassung wenigstens den Anschein er­
wecken, als wäre er dem Wunsche des Fürsten entsprungen.
Eine andere Quelle unterstreicht die Schlußfolgerung, wonach
dieser Ausgang mit der Reaktion der Orthodoxie zu tun gehabt
habe. Ein Vertreter der päpstlichen Kurie, Kardinal Battista
Pitro, der 1866 eine Reise durch Rumänien machte, hielt fest,
daß es sich dabei um ein Ergebnis des Druckes handle, den
»einige Abgeordnete, Handlanger Rußlands«29, ausgeübt hätten.
Carol I., dem damals sowohl von seinem Vater als auch von
Fürst Bismarck dringend geraten wurde, die Annäherung an
Rußland zu suchen, konnte sich nicht widersetzen. Er zog es
daher vor, selbst die Initiative zu ergreifen und seine Integration
in die »orthodoxe Ordnung« zu festigen. Das Ergebnis war je ­
denfalls eine Verstärkung des heiligen Charakters seiner Auto­
rität.
Fand diese nun wirklich statt? Eine korrekte Antwort auf
diese Frage setzt eine eingehende Analyse der Art voraus, in der
die Sakralität der Macht von den verschiedenen Schichten der
rumänischen Gesellschaft wahrgenommen wurde - von den kul­
turellen und politischen Eliten bis zur Landbevölkerung. Da die
Antwort auf diese Frage den Rahmen dieses Beitrags übersteigt,
muß es genügen zu zeigen, welche Rolle die Religion für die
Wahrnehmung der monarchischen Autorität ab 1866 gespielt
hat. Die fremde Herkunft der Dynastie trug dazu zweifellos bei.
Wie man weiß, hatte König Carol I. keine direkten Nach­
kommen, die nach orthodoxem Ritus hätten getauft werden kön­
nen.30 Der Thronfolger Ferdinand, der Sohn des älteren Bruders
Carols I., der als Erbprinz nach Rumänien Ende der siebziger
Jahre kam, blieb seiner katholischen Konfession treu. Ande­

28 Ebenda, S. 240.
29 Kardinal Giovanni Battista Pitro an Katharina von Hohenzollern (zweite
Ehefrau des Großvaters väterlicherseits von Carol I.), Rom, 28. Dezember
1866. Arhivele Statului Bucure§ti: Fond Regele Carol I. Personale 1/9 f. 7.
30 Sein einziges Kind, Prinzessin Maria, geboren 1870, starb im Alter von 4
Jahren.
196 Vasile Docea

rerseits waren sowohl die Ehefrau des Hohenzollern, Elisabeth


von Wied, als auch jene Ferdinands, Maria von Edinburgh, pro­
testantisch. Erst die Kinder König Ferdinands wurden nach or­
thodoxem Ritus getauft; dessen ältestes, Carol II., bestieg 1930
den Thron. Das Kollektivbewußtsein nahm diesen Unterschied
äußerst exakt wahr, was u. a. die Erzählung eines evangelischen
Pfarrers aus Galati aus dem Jahre 1907 zeigt:
Das Residenzschloß des rumänischen Königs, so erzählt man im Volk,
habe drei Ausgänge. Den einen benutze der König und der Thron­
folger am Sonntag, um zur katholischen Kirche zu gehen; den zwei­
ten die Königin und die Prinzessin, um das evangelische Gotteshaus
aufzusuchen; der dritte öffne sich für die Kinder des Thronfolgers,
[des] Prinzen Ferdinand, welche ihre Schritte der orthodoxen Kirche
zulenken.31

Ein solches Bild signalisiert die Grenzen der Dynastie, in die or­
thodoxe Welt integriert zu werden, zumindest für jene Zeit.
Es kann zusammengefaßt werden. Die Säkularisierung der
monarchischen Macht steht einerseits in Zusammenhang mit
dem Prinzip der Volkssouveränität, d. h. der Übernahme eines
aus dem westlichen Europa kommenden Modells, ist anderer­
seits die Wirkung einer spezifischen Situation, die sich aus der
konfessionellen Differenz zwischen Monarchen und Untertanen
ergeben hat.

DAS PROBLEM DER SCHMÄLERUNG


UNEINGESCHRÄNKTER MACHT

Die Institution der Monarchie hatte in den rumänischen Für­


stentümern eine besondere Form: Sie bestand lediglich in der
Herrschaft (domnia), denn vor den Organischen Règlements
waren die Befugnisse des Herrschers nicht in verfassungsmä­
ßigen Texten kodifiziert. Im Prinzip war die Macht uneinge­

31 Oskar Minck (Pfarrer in Gala(i): Die christlichen Konfessionen Rumäniens


in ihrem wechselseitigen Verhältnis. In: Deutsch-evangelisch im Auslande 6,
Marburg 1907, S. 168.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 197

schränkt, doch schuf die Praxis von seiten adeliger Gruppierun­


gen Grenzen; dies hatte auf das Prinzip der alleinigen Macht­
ausübung des Herrschers im Staat aber keinen Einfluß.32 Eine
regelrechte Einschränkung der Herrschermacht brachte der
Verfall der äußeren Souveränität im 16. Jahrhundert, nachdem
die osmanische Suzeränität eingerichtet worden war. Schließlich
kam es so weit, daß die im 18. Jahrhundert von der Pforte direkt
ernannten Fürsten sogar gezwungen waren, die türkische Au­
ßenpolitik genauestens zu befolgen und auch für die Moldau und
Walachei jene Verträge (Kapitulationen) anzuwenden, die das
Osmanische Reich mit anderen Mächten Unterzeichnete. Intern
blieben die Machtbefugnisse des Herrschers jedoch intakt. Dimi-
trie Cantemir beschrieb aufgrund eigener Erfahrung des Herr-
schen s(1710-1711) dazu:
Das Recht, Krieg anzufangen und Frieden zu machen, Bündnisse zu
schließen, Gesandte ... an die benachbarten Fürsten zu schicken, ist
den Beherrschern der Moldau versagt worden; dagegen ist ihnen die
ganze Freyheit und fast eben die Gewalt, die sie ehemals hatten,
Gesetze zu geben, die Unterthanen zu strafen, Edelleute zu machen,
oder ihnen den Adel zu nehmen, Steuern aufzulegen, ja auch Bischöfe
einzusetzen, nebst andern dergleichen Rechten gelassen worden.33

Im Inneren des Staates vereinigte der Herrscher in seinen Hän­


den die legislative, exekutive und auch judikatorische Gewalt, ja
sogar Zuständigkeiten in kirchlichem Bereich. Diese autokrati-
sche Qualität der Herrschermacht bestand bereits in der
Gründungszeit der Staaten (14. Jahrhundert), als es um die
staatliche Zentralisierung und territoriale Zusammenfassung
ging. Sie drückt die Idee aus, wonach der Fürst über das gesamte
Gebiet des Landes herrsche34 und daher auch über alle Ein­
wohner inklusive der Großbojaren die vollkommene Autorität

32 Georgescu: Institutiile statelor, S. 213


33 Dimitrie Cantemir: Beschreibung der Moldau. Faksimiledruck der Original­
ausgabe von 1771, Bukarest 1973, S. 106.
34 Manole Neagoe: Problema centralizärii statelor feudale romäne§ti Moldova
§1 {ara Romäneascä, Craiova 1977, S. 229-249.
198 Vasile Docea

habe.35 Angelehnt an das byzantinische Vorbild, blieb die Macht


des Herrschers so bis ins 18. Jahrhundert aufrecht.36
In der politischen Praxis entfaltete sich das autokratische
Prinzip jedoch in zwei verschiedene Richtungen. Manchmal ging
der absolute Machtanspruch über die bloße Absicht nicht hinaus,
vor allem dann, wenn es den Großbojaren gelang, die Vormund­
schaft über den Monarchen auszuüben. Manchmal konnte das
Amt jedoch auch in Tyrannei abgleiten. Die Keime hiefür, bezo­
gen auf die Moldau, spricht Dimitrie Cantemir an:
Es erstreckt sich aber ihre [fürstliche] Gewalt nicht nur über die
Beamten und Bürger der Moldau, sondern auch über die türkischen
Kaufleute und andre, von welchem Stande sie auch sein mögen, so
lange sie in ihrem Gebiete sind. Ihr Leben und Tod stehet in des
Fürsten Händen. Wenn er einen zum Tode, zu Schlägen, zur Ver­
bannung, zum Verlust aller seiner Güter verurtheilet hat, wäre es
gleich auf unrechtmässige und tyrannische Art geschehen, so dürfen
zwar diejenigen, denen daran gelegen, für ihn mündlich oder schrift­
lich bitten, niemand aber darf widersprechen, oder wider die Gül­
tigkeit des fürstlichen Urtheils sich setzen: Im Gegentheil, wenn er
einen von dem ganzen Staate zum Tode Verurtheilten frey sprechen
will, so kann sich ihm keiner widersetzen, noch der Verurtheilte,
wenn ihn der Fürst in Schutz nimmt, mit Gewalt getödtet werden.
Alle Kriegs- und bürgerliche Bedienungen hängen von seiner Willkür
ab, er giebt sie seinen Lieblingen, und nimmt sie denen, die ihm
verhaßt sind. Der Fürst hat in Ertheilung derselben sich nach keiner
Regel zu richten. Wenn er einen Bauern mit der Stelle eines Groß­
kanzlers, welches die höchste Ehrenstelle in der Moldau ist, beklei­
den will, so unterstehet sich niemand, ihm öffentlich zu widerspre­
chen; wenn er aber auch dagegen einen aus dem vornehmsten
Geschlechte derselben berauben will, so muß er sich sogleich seines
Fürsten Willen unterwerfen. Auch hat er eine gleiche Gewalt nicht

35 Valentin Al. Georgescu: La structuration du pouvoir d’état dans les Princi­


pautés Roumaines (XTVe-XVIIIe siècles). Son originalité. Le rôle des modèls
byzantins. In: Association internationale d’études du Sud-est Européen.
Bulletin 11, Bucarest 1973, S. 58.
36 Andrei Pippidi: Tradipa politicà bizantinà în tarde romane în secolele
XVI-XVIII, Bucureçti 1983, S. 17- 52.
Das »europäische» Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 199

nur über den Erzbischof, die Bischöfe, Archimandriten und Igu-


menen, und einen jeden, der zu dem geistlichen Stande gehöret.
Wenn sie was Böses gethan, oder dem gemeinen Manne eine Aer-
gerniß gegeben, oder etwas gegen den Fürsten und den Staat unter­
nommen haben, so kan sie der Fürst ungehindert und ohne die
Einwilligung des Constantinopolitanischen Patriarchen ihrer Würde
und geistlichen Standes, aber nicht ihres Priesterthums entsetzen; ja
er kann sie auch, wenn es die Sache erfordert, am Leben strafen.37

Mit einiger Vorsicht erinnert eine solche Machtfülle an das mit­


telalterliche Prinzip von »princeps legibus solutus«. Das Prinzip
unterlag unterschiedlichen Interpretationen und wird von jün­
geren Analysen zum mittelalterlichen Recht wie folgt gesehen:
Entweder es drückt eine reale Souveränität des Kaisers aus, die
auch jenes »jus gentium« nicht schmälerte, das einige Juristen
seit dem 12. Jahrhundert zur Verteidigung des Rechts der Unter­
tanen auf Eigentum anzuwenden bemüht waren. Oder es ist
damit die Autorität des Monarchen gemeint, ein Gesetz zu än­
dern, von ihm abzuweichen, es aufzuheben oder von ihm freizu­
stellen. Oder das Prinzip betrifft die Immunität des Monarchen
gegenüber jedweder Verfolgung, d. h. die Autorität, sich von
Regeln, die ein Rechtssystem leiten, zu befreien, oder die Macht,
die Rechte der Untertanen zu mißachten.38
Obwohl diese Klassifizierung für die Verhältnisse im Abend­
land gilt, entspricht sie in groben Zügen auch den Gegebenheiten
in der Moldau und Walachei. Ein Vorbehalt besteht im vorlie­
genden Fall gegenüber der ersten Interpretation, da sie auf die
Donaufürstentümer nicht anwendbar ist, wo die imperiale Idee
byzantinischen Ursprungs39 in der politischen Praxis kaum
nachzuweisen ist. Der Herrscher war die Quelle des Gesetzes
und konnte das Gesetz zum Schaden der Untertanen auch über­
treten. Auch wenn eine tyrannische Regierung in der politischen
Praxis des rumänischen Mittelalters nicht die Regel war, so war

37 Cantemir: Beschreibung, S. 106 f.


38 Pennington: The Prince, S. 20 f.
39 Dumitru Nästase: Ideea imperialä in Tärile Romäne. Geneza §i evolupa ei in
raport cu vechea artä româneascà (sec. XIV-XVI), Athènes 1972, 30 S.
200 Vasile Docea

sie doch stets möglich und wurde erst mit dem 18. Jahrhundert
zur Realität. Wenn die sogenannte phanariotische Epoche nach
außen ein größtmögliches Anwachsen fürstlicher Abhängigkeit
von den Osmanen mit sich brachte, so steigerte sie intern effek­
tiv die herrscherliche Macht. A uf der einen Seite nach dem
Gutdünken des Sultanshofes eingesetzt, am Throne belassen
oder wieder abgesetzt, erlangten die Phanariotenherrscher in­
tern eine große Machtfülle: Die Armee wurde aufgelöst, und der
fürstliche Diwan, dessen Mitglieder direkt vom Fürsten ernannt
wurden, mutierte zu einer Institution »ad pompam et ostenta-
tionem«.40
Die in den verschiedenen Reformprojekten am Anfang des 19.
Jahrhunderts wiederholt erhobenen Forderungen, daß der Fürst
dem Gesetz untertan werden solle, beweisen einerseits, daß auf
die politische Praxis noch immer »legibus solutus« zutraf, ande­
rerseits jedoch auch, daß diese Situation unerträglich geworden
war, wenn nicht für die gesamte, so doch für einen guten Teil der
rumänischen Gesellschaft. Bereits 1802 wurde daher von einer
Gruppe moldauischer Bojaren in einer Bittschrift an die Hohe
Pforte gefordert, der Fürst möge »eine blinde Beachtung der ein­
heimischen Regeln und Sitten, eine unerschütterliche Befolgung
der Gesetze« praktizieren.41 Der gleiche Wunsch war in einem
anderen Verfassungsprojekt aus dem Jahre 1822 formuliert, wo
es hieß:
Den Gesetzen des Landes und den zusammen mit dem Nationalrat
vom Fürsten gefaßten Beschlüssen sind auch der Fürst selbst und
der Nationalrat unterworfen.42

40 Leonid Boicu: La France de la révolution et les principautés roumaines:


Idéologie et pratique politique. In: La Révolution française et les roumains.
Impact, images, interpretations, hg. v. A. Zub, Iaçi 1989, S. 26.
41 Vlad Georgescu: Mémoires et projets de réformes das les Principautés rou­
maines 1769-1830, Bucarest 1970, S. 47.
42 A. D. Xenopoi: Primul proiect de Constitufiune a Moldovei din 1822. Originile
partidului conservator §i a celui liberal. In: Analele Academiei Romàne.
Memoriile secpunii istorice Seria 11/20, Bucureçti 1898, S. 133.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 201

Erst die Organischen Règlements machten das Prinzip der


Achtung der Gesetze seitens des Fürsten obligatorisch und band
den Herrscher an den Eid, dieses Prinzip nicht zu mißachten.43
Trotzdem fuhr man fort, von der Tyrannei der rumänischen
Herrscher zu sprechen. Laut einem Zeitgenossen stand dahinter
Rußland und sein Interesse:
La Russie, Monsieur, ne saurait jouer aucun rôle dans un pays où la
tyranie serait impossible, où la loi serait respectée, où le Prince n’au­
rait que les pouvoirs nécessaires pour veiller à l’exécution des juge­
ments; au contraire, en encourageant le Hospodár à entretenir le dé­
sordre dans les tribunaux, à casser les sentences justes et à confirmer
celles qui sont iniques, elle dispose de toutes les fortunes et au moyen
d’un procès elle enrichit ses partisans et ruine ceux qui lui sont op­
posés. Vous verrez, Monsieur, combien cette tactique sert à ses pro­
jets et combien il lui importait de laisser dans un pays organisé à l’eu­
ropéenne, un reste de despotisme oriental et de transformer le Prince
en Pascha.44

Die Notwendigkeit, das Herrscheramt und dessen Macht zu re­


formieren, behielt also auch in der Periode der Règlements ihre
Aktualität und bezog sich einerseits auf die Einschränkung der
legislativen, exekutiven und judikatorischen Befugnisse des
Fürsten, andererseits auf die Einrichtung einer Kontrolle fürst­
licher Machtausübung hinsichtlich der Beseitigung oder Ein­
dämmung möglicher Tyrannei. Alles war noch zu leisten, und die
nötigen Beispiele bot der europäische Westen an.

43 Artikel 43 des Organischen Règlements der Moldau: »Ich schwöre im Namen


der Heiligen und Ungeteilten Dreieinigkeit strengstens sowohl die Gesetze,
als auch die Einrichtungen des Fürstentums Moldau nach dem eingebür­
gerten Règlement zu beachten und fest darüber zu wachen, daß sie befolgt
werden.« In: Analele Parlamentäre ale României 1/2, Bucureçti 1893, S. 87.
44 Brief von Felix Colson, Iaçi, Januar 1839, siehe: 1848 la Romani. O istorie in
date §i märturii I, hg. v. Cornelia Bodea, Bucureçti 1982, S. 138 f.
202 Vasile Docea

RUMÄNISCHE TRADITION UND


»EUROPÄISCHES« MODELL

Bereits am Beginn des 19. Jahrhunderts griff man in den politi­


schen Auseinandersetzungen zum Problem der Modernisierung
der rumänischen Gesellschaft auf das Beispiel des revolu­
tionären Frankreich zurück. Dieses wurde zum Vorbild für die­
jenigen erhoben, die eine rapide Änderung wünschten, d. h. die
Beseitigung der etablierten Hierarchie zugunsten der kleinen
und mittleren Bojaren. Was für die einen ein leuchtendes Symbol
geworden war, erschien den anderen jedoch verdammenswert.
Eine Korrespondenz aus dem Jahre 1804 spiegelt die Sorge der
moldauischen Großbojaren wider:
Die mittelständischen Bojaren machen mit ihren Schmähschriften
angst vor dem Beispiel Frankreich. Man sieht, daß der böse Keim sich
offensichtlich im Lande versteckt.45

Die Reaktion der Großbojaren ließ deshalb nicht auf sich warten,
denn auf Beschluß des fürstlichen Diwans wurde der Reform­
eifer der Kleinbojaren, die »einen Geist französischen Unge­
horsams« zeigten, abgeblockt.46 Dennoch setzten sich auch die
Großbojaren mit Fragen der Erneuerung und daher auch mit
dem abendländischen Europa auseinander. Als Gegner gewalt­
tätiger Umstürze schlugen sie zur Alternative stufenweise er­
folgende, friedliche Reformen vor. 1837 z. B., als man nach Lösun­
gen für die Modernisierung des öffentlichen Unterrichts suchte,
schlug Costache Conachi, einer der größten Grundbesitzer der
Moldau, vor, in den staatlichen Schulen die Literatur
»in der Sprache jener Nation zu lehren, bei der die Zivilisation in der
Moral und in den Taten zu sehen ist und nicht in der Zerstörung der
Ideen; also in der Sprache eines friedlichen und unverwirrten Volkes,
welches mir die deutsche Sprache zu sein scheint«.47

45 D. V. Barnoschi: Originile democratici romàne. »Cärvunarii«. Constitutia


Moldovei de la 1822, Ia§i 1922, S. 69.
46 Theodor Codrescu: Uricariul III, 2Ia§i 1892, S. 57.
47 Costache Conachi: Scrieri alese, Bucureçti 1963, S. 299.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 203

Das deutsche Modell schien seinen Anhängern im Gegensatz


zu den frankophilen eine gewisse Stabilität zu garantieren. Die
Behörden schickten Lehrer »nach Deutschland, damit sie die
wirkliche Organisierung der öffentlichen Bildungs- und Erzie­
hungseinrichtungen sehen«.48 Dann orientierte man sich an den
Ratschlägen des preußischen Generalkonsuls in Ia§i, des Ju­
risten J. F. Neigebaur, um die Schulprogramme49 aufzustellen.
1851 wurden in der Moldau nach deutschem Vorbild Real- und
Bürgerschulen gegründet.50
Auch in anderen Bereichen gab es die Orientierung auf das
westliche Europa. Ein Dichter aus der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, Barbu Paris Mumuleanu, ermutigte, wenn er die
Einigung aller rumänischen Kräfte für das Gemeinwohl for­
derte, seine Zeitgenossen mit den Worten: »Zum Vorbild haben
wir die Europäer.«51 Das »europäische« Vorbild war jedoch nicht
allein eine Ermutigung, sondern eine Garantie, ein Rezept zum
Erfolg. Das geht u. a. aus einem Reformprojekt für die Walachei
aus dem Jahre 1829 hervor, das sich auf die Gründung einer
nationalen Armee bezog:
Die Führung dieser leibhaftigen Provinzen soll frei sein, sich zur in­
neren Bewachung ein mindestens 25.000 Mann starkes reguläres

48 Es ist der Fall des Lehrers Petru Cämpeanu von der Academia Mihäileanä
aus Ia§i, der 1841 nach Deutschland geschickt wurde. Gh. Ungureanu:
invätämäntul juridic la Academia Mihäileanä. In: De la Academia Mihäi­
leanä la Liceul National, Ia§i 1936, S. 362.
49 1843 fragte der moldauische Fürst Mihail Sturdza Neigebaur um seine
Meinung zur Reorganisierung der Academia Mihäileanä. Die Ratschläge des
Generalkonsuls mit der Einführung des Griechischen als Pflichtstudienfach
(»wie in den Gymnasien Deutschlands«), des Systems des Geschichtsunter­
richts (»das auch in mehreren anderen Gymnasien Preußens angewendet
wird«) und der Hierarchisierung der Lehrergrade (»nach dem Beispiel
Preußens und Österreichs«) wurden befolgt. J. F. Neigebaur: Beschreibung
der Moldau und Walachei, Breslau 1848, S. 225 f; V. A. Urechia: Istoria §coale-
lor de la 1800-1864II, Bucure§ti 1892, S. 249-258; Fritz Valjavec: Geschichte
der deutschen Kulturbeziehungen zu Südosteuropa IV, München 1965, S. 57.
50 Nicolae Iorga: Istoria invätämäntului romänesc, Bucure§ti 1928, S. 297.
51 Barbu Paris Mumuleanu: Rost de poezii adecä stihuri, 2Bucure§ti 1822, S. 5.
Nach Marino: Pentru Europa, S. 161.
204 Vasile Docea

Heer nach der europäischen Taktik aufzustellen, und zur Sicherheit


des Handels auf der Donau eine Flotte von wenigstens 25 bewaffne­
ten Schiffen, desgleichen europäisch.52

Die 1831 gegründete einheimische Armee war nach russischem


Muster organisiert,53 während unter Alexandru Ioan Cuza das
französische Modell zur Anwendung kam. Nach 1866 richtete
Carol I. die rumänische Armee nach deutschen Prinzipien aus.
Wenn sich die Rumänen damals dem westlichen Europa zu­
wandten, ist ihnen dies auch zum Vorwurf gemacht worden, und
zwar dann, wenn davon bestimmte Interessen betroffen waren.
Ein solcher Fall trug sich z. B. 1857 zu, als der türkische
Außenminister die Forderungen der rumänischen Ad-hoc-Ver-
sammlungen - die Vereinigung der Fürstentümer, eine konsti­
tutionelle Regierung, ausländische Prinzen etc. - mißbilligt hat,
indem er darauf hinwies, daß diese Versammlungen aus »hom­
mes, imbus des idées qui ont manqué de boulverser l’Europe en­
tière l’année 1848« bestanden.54 Andererseits galt die »Euro-
päisierung« auch als positive Errungenschaft. Alexander Cuza
z. B., unter dessen Herrschaft (1859-1866) die rumänischen Ver­
hältnisse im westlichen Sinne reformiert wurden, schrieb gegen
Ende seiner Regierungszeit voll Stolz, daß die in den Vereinigten
Fürstentümern eingeführten Reformen »die Verbreitung der
zivilisatorischen Ideen des Okzidents« darstellten.55
Die Haupterrungenschaften des 1866 in Rumänien einge­
führten neuen Regimes waren der ausländische Prinz und die
Verfassung. Die Idee, in die Walachei und Moldau einen Prinzen

52 Documente privitöre la istoria Romanilor X, hg. v. Eudoxiu de Hurmuzaki,


Bucure§ti 1897, S. 647 f.
53 Die russische Armee, die 1831 als Modell für die rumänische gedient hatte,
vereinigte ihrerseits in sich Elemente der französischen, englischen und
österreichischen Armeen. Anghel Popa: Rena§terea armatei pämäntene in
Moldova 1829-1859, Cämpulung Moldovenesc 1995, S. 31.
54 Ali Pascha an die Vertreter der Pforte bei den Unterzeichnermächten des
Pariser Vertrages. Konstantinopel, 16./28. Oktober 1857. In: Romänii la 1859
I, Bucureijti 1984, S. 190 f.
55 Cuza an Napoleon III., Bukarest, 9./21. Oktober 1865. Ebenda, S. 604.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 205

von auswärts zu verpflanzen, war damals nicht mehr neu, denn


sie taucht bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts in verschie­
denen politischen Projekten auf. Auch die Ad-hoc-Versamm-
lungen von 1857 erhoben die Forderung nach einem »fremden
Prinzen mit Thronvererbung, gewählt aus einer Herrscher­
dynastie Europas ,..«.56 Nach der Abdankung Cuzas im Jahre
1866 gelang es schließlich, dieses Ziel zu erreichen: Man setzte
den Prinzen Karl von Hohenzollern-Sigmaringen auf den Bu-
karester Thron. Dieser Wahl lag die Überlegung zugrunde, die
Ansprüche landeseigener Familien zu beseitigen, die durch ihre
Konkurrenz um den Thron die politischen Kräfte im Inneren
künstlich gespalten und hiemit die Einmischung auswärtiger
Mächte erleichtert hatten. Außerdem spielte die Ansicht eine
Rolle, daß eine in Europa angesehene Dynastie auf dem rumä­
nischen Thron das auswärtige Prestige des Landes heben und
einen besonderen Status in den internationalen Beziehungen
verschaffen würde. Mehr noch, Carol I. war wegen seiner Zu­
gehörigkeit zum preußischen Königshaus57 und wegen seiner
Persönlichkeit die Symbolfigur eines »europäischen« Modells -
ein Umstand, den sowohl die rumänische Gesellschaft58 als auch
er selbst wahrgenommen hat. In einem Gespräch mit seinem
Biographen Paul Lindenberg erklärte der spätere König einmal:
Ich bin ja auch in gewissem Sinne ein deutscher Pionier an der un­
teren Donau gewesen und war stets bestrebt, die besten Beziehungen
zu Deutschland zu unternehmen.59

56 Ebenda, S. 188 f.
57 Nach der Aufgabe des Souveränitätsrechts über das Fürstentum Hohen-
zollern zugunsten des Königs von Preußen 1848 wurden Karl Anton von
Hohenzollem - Vater von Carol I. - sowie seine Nachkommen Mitglieder des
preußischen Königshauses. K. Th. Zingeler: Karl Anton Fürst von Hohen-
zollern, Stuttgart/Leipzig 1911, S. 28-67.
58 Klaus Heitmann: Deutsche und rumänische Kultur am Hofe Carols I. und
Carmen Sylvas. In: Höfische Kultur in Südosteuropa, hg. v. Reinhard Lauer
u. a., Göttingen 1994, S. 305-338 passim.
59 Paul Lindenberg: Es lohnte sich, gelebt zu haben. Erinnerungen, Berlin 1941,
S. 126.
206 Vasile Docea

Von da entsprang auch sein Glaube an die missionarische Rolle,


die er zu spielen hatte. Das Bewußtsein einer solchen Mission
vom Anfang seiner Herrschaft an geht aus seiner Korrespondenz
hervor. In einem Brief bald nach seiner Ankunft in Rumänien
schrieb der Monarch an Kaiser Napoleon III.:
Das Glück meines Volkes ist zum Ziel meines Lebens geworden; auf
die Erfüllung dieser Aufgabe verwende ich all meine Tage, all meine
Bestrebungen.60

Zu diesem Missionsbewußtsein gehörte auch die Idee des Opfers,


um ein zivilisatorisches Werk zu vollbringen. Bei Carol selbst
tauchte diese Idee nur in abgeschwächter Form auf, brach aber
bei seiner Frau, Königin Elisabeth (der Dichterin Carmen
Sylva), deutlich hervor:
Aus meinem Wörterbuch sind zwei Wörter gestrichen: das Wort
Familie und das Wort Fremde. Meine Familie habe ich verlassen müs­
sen, um statt dessen ein ganzes Volk zu adoptieren, und die Familie,
die ich auf Erden hätte gründen sollen, ist in den Himmel ent­
schwebt.61

Als Träger eines »europäischen« Modells hat der Herrscher in die


inneren Verhältnisse Rumäniens und so auch in dessen Ver­
fassung eingegriffen. Im Laufe der parlamentarischen Debatten
vor der Verabschiedung der Konstitution von 1866 wurde wie­
derholt auf die »europäischen« Vorbilder Bezug genommen, und
öfter wurden, wenn es um die Diskussion verschiedener Artikel
ging, international berühmte Juristen (die Engländer Jeremy
Bentham62 und Lord Brougham63, die Franzosen Serres und
Royer Collard64) zitiert. Um die Idee der Überlegenheit des par­
lamentarischen Zweikammersystems zu untermauern, lehnte

60 Regele Carol I al Romäniei. Cuväntäri §i scrisori I, Bucure§ti 1909, S. 36.


61 Carmen Sylva: Gedanken und Betrachtungen. In: Illustrierte Zeitung, Nr.
3156/24, Leipzig 1903, S. 903.
62 Zitiert vom Abgeordneten A. Pascal in der Sitzung vom 20. Juni 1866. In:
Dezbaterile Adunärei, S. 77.
63 Erwähnt von Nicolae Ionescu in derselben Sitzung. Ebenda, S. 78.
64 R. Ionescu verwies auf sie in der gleichen Sitzung. Ebenda, S. 79.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 207

man sich an Benjamin Constant, Pinheiro-Ferreira, Guizot,


Toqueville oder John Stuart Mül an.65 Häufiger als zu bestimm­
ten westlichen Denkern nahm man Bezug auf verschiedene
Verfassungssysteme, vor allem Frankreichs, Englands und
Belgiens. Einer der Abgeordneten soll sogar behauptet haben:
»... Wir beschränken uns darauf, nur eklektisch das zu nehmen,
was bei den zivilisiertesten Nationen besser ist.«66
Die durch die Verfassung von 1866 festgelegte Regierungs­
form war die konstitutionelle Monarchie; hiedurch wurde sowohl
eine traditionelle rumänische Institution bewahrt als auch eine
westliche Neuerung eingeführt. Bezeichnend hiefür sind die
Worte des damaligen Finanzministers Ion C. Brätianu in der
Sitzung vom 27. Juni:
Meine Herren, Sie können nichts anderes als die konstitutionelle
Monarchie wollen; solange Europa monarchisch bleibt, tun auch wir
es; wenn Europa sich zur Republik erklären wird, werden auch wir
uns dazu erklären.67

Obwohl sich kein Mitglied der Versammlung der monarchischen


Idee widersetzte, hielt es Brätianu für notwendig dies zu sagen,
um den Wunsch Rumäniens zu unterstreichen, auch auf diese
Weise zu Europa zu gehören.
Auch bei der Regulierung der monarchischen Kompetenzen
wurde auf die Normen aus dem westlichen Europa geachtet. So
fielen in der Sitzung vom 16. Juni 1866 bei der Vorbereitung der
Verfassung u. a. die Worte, daß
... alle ... Bestimmungen ... betreffend den Herrscher und die Mini­
ster mit denjenigen Bestimmungen konform sind, die wir in allen
Verfassungen der Staaten finden, deren Regierungsform das konsti­
tutionelle monarchische Regime ist.68

Der zitierte Text bezieht sich auf das Vetorecht des Herrschers,
das weiter unten nochmals zur Sprache kommen soll.
65 Es zitiert sie N. Blarenberg in der Sitzung vom 22. Juni 1866. Ebenda, S. 196 f.
66 A. Pascal in der Sitzung vom 20. Juni. Ebenda, S. 71.
67 Ebenda, S. 244 f.
68 Ebenda, S. 31.
208 Vasile Docea

Die Verfassung von 1866 sah vor, daß die Thronfolge einzig auf
dem Prinzip der Vererbbarkeit beruhe. Das Prinzip hatte schon
im Mittelalter funktioniert, war allerdings mit dem Prinzip der
Wählbarkeit verkoppelt gewesen; im 18. Jahrhundert hingegen
sind beide Verfahrensweisen durch die Praxis der osmanischen
Regierung ersetzt worden, die Fürsten zu ernennen. Gegen einen
derartigen Übergriff sprachen sich die Notablen bereits zu Ende
des 18. Jahrhunderts aus, indem sie, je nach den eigenen Inter­
essen, entweder die Wahl des Herrschers durch eine Versamm­
lung der privilegierten Stände oder die Vererbbarkeit vorschlu­
gen. In diesem Sinne sah eine Bittschrift der moldauischen
Bojaren an die Pforte aus dem Jahre 1802 die Rückkehr zu einer
traditionell angesehenen Prozedur vor: »... die Wahl des Fürsten
seitens des nationalen Diwans nach altem Brauche.«69 Die glei­
che Forderung taucht auch in Projekten bzw. Bittschriften in der
Moldau70 und in der Walachei71 im Jahre 1822 auf. Schließlich
war das Wählbarkeitsprinzip Bestandteil der Organischen
Règlements72 und der Konvention von Paris aus dem Jahre
1858.73
Die Idee der Vererbung des Thrones taucht im politischen
Denken der Rumänen weit vor deren Verwirklichung auf, z. B. in
einem Organisationsprojekt von 1829: »Beim Tode des herr­
schenden Fürsten soll die Krone samt all ihren Rechten auf seine
in gerade absteigender Linie hinterbliebenen Erben übergehen,

69 Georgescu: Mémoires et projets, S. 47.


70 Artikel 72 der »Constituya cärvunarilor«: »... die Wahl des Fürsten soll durch
eine Nationalversammlung geschehen ...« Xenopol: Primul proiect, S. 132 f.
71 Valeriu Çotropa: Proiectele de constituye. Prográmele de reforme §i petifiile
de drepturi din färile romane in secolul al XVIII-lea §i prima jumätate a se-
colului al XIX-lea, Bucureçti 1976, S. 60.
72 Organisches Règlement der Moldau, Art. 1: »Da das Abkommen von Akerman
das Recht auf die Wahl der Fürsten der Moldau und der Walachei seitens des
Standes der Bojaren, unter Einwilligung der Öffentlichkeit, bestärkt, werden
die Wahlen seitens der Außerordentlichen Nationalversammlung erfolgen,
welche hiezu zusammentreten wird in der Hauptstadt des Fürstentums.« In:
Analele parlamentare ale României 1/2, S. 79 f.
73 Artikel 10: »L’Hospodar sera élu à vie par l’Assemblée«. Petrescu-Sturdza:
Acte çi documente VII, S. 308.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 209

aber nur auf den männlichen Teil.«74 Auch in einer Grund­


satzerklärung der »Nationalen Gruppierung« aus der Walachei
hieß es: »L’hérédité se transmettra dans la famille qui sera ap-
pellée au throne de mâle au mâle.«75 Weiters taucht sie auch
unter den Wünschen der Ad-hoc-Versammlungen von 1857 auf.76
Im Laufe der Debatten der Verfassunggebenden Versammlung
von 1866 wird die Überlegenheit des Erbprinzips gegenüber
jenem der Wählbarkeit hervorgehoben, und zwar in Hinblick auf
das zivilisierte Europa:
Unsere völlig kriegerischen Traditionen mit ihrem Bild einer kriege­
rischen Aristokratie und einer Wahlherrschaft, die einen Zustand
kontinuierlicher Instabilität perpetuiert haben, können uns keines­
wegs als Norm und als Basis zur Gründung einer konstitutionellen
Erbmonarchie dienen, die inzwischen das einzige Rettungs- und
Stabilitätsmittel ist, das unser materieller und moralischer Fort­
schritt dringend verlangt. Wenn wir von den Nationen, deren Schick­
sal wir beneiden, ihre Regierungsform ausborgen, so müssen wir,
wenn wir den gleichen Nutzen und die gleichen Wohltaten daraus
haben wollen, wie wir sie bei diesen Nationen sehen, diese Regie­
rungsform mit all ihrem Beiwerk einführen, welches diese Nationen
für sich notwendig und unerläßlich erachteten.77

Das fremde Modell diente selbst in Einzelheiten als Anhalt, z. B.


in der Festlegung der politischen Rechte für den Thronerben:
Da er in die Staatsgeschäfte eingeführt werden muß, hielt es das
Komitee [zur Analyse des Verfassungsprojektes] für notwendig, ihn
ab 18 Jahren, bis er 25 Jahre alt ist, mit deliberativer Stimme in den
Senat aufzunehmen, nach dem Beispiel aller monarchisch-konstitu­
tionellen Staaten.78

Die Festlegung der Machtgrenzen des Monarchen war ein Pro­


blem, dem die Verfassunggebende Versammlung besondere

74 Hurmuzaki: Documente X, S. 648.


75 1848 la Romani, S. 122.
76 Românii la 1859 I, S. 188 f.
77 Rede A. Pascals vom 16. Juni. In: Dezbaterile Adunärei, S. 27.
78 Ebenda, S. 30.
210 Vasile Docea

Aufmerksamkeit schenkte. Das Thema war im politischen Den­


ken der Rumänen nicht neu, sondern hatte in eingeschränkter
Form bereits im moldauischen Verfassungsprojekt von 1822
Niederschlag gefunden. Dies veranlaßte den Historiker A. D.
Xenopol wiederum, das Projekt als »eine Art habeas-corpus-
Acte« zu charakterisieren.79 Eine Reihe von Rechten und Frei­
heiten enthielt auch das revolutionäre Verfassungsprojekt der
Walachei von 184880, von dem Dumitru Brätianu an Paul Batail-
lard schrieb: »Notre nouvelle constitution est calquée sur votre
constitution républicaine.«81 Schließlich legte die Konvention
von Paris aus dem Jahre 1858 im Artikel 46 die Rechte und
Freiheiten der »Moldauer und Walachen« fest82, die mit dem
Entstehen des autoritären Cuza-Regimes seit 1864 jedoch wie­
der eingeschränkt wurden. Daraus erklärt sich die Sorge einiger
Abgeordneter in der Verfassunggebenden Versammlung von
1866 um die Grundrechte und Grundfreiheiten. Ion Strat z. B.
schlug in der Sitzung vom 20. Juni vor, die Grundrechte nach
französischem Vorbild83 in die Präambel der neuen Verfassung
festzuschreiben. Auch wenn sie letztlich nicht in der Form, wie
es Ion Strat gewünscht hatte, erlassen wurden, listete sie der
Text des Grundgesetzes minutiös auf - ein Vorgang, der als
Angleichung an die Gesetzgebungen des westlichen Europa ge­
wertet wurde:
... es werden dem rumänischen Volk alle öffentlichen Freiheiten ga­
rantiert, derer sich die liberalsten Völker des zivilisierten Europa er­
freuen. So etwa die individuelle Freiheit, die Gleichheit vor dem
Gesetz, die Gleichheit in der Ausübung der politischen Rechte, die
Unantastbarkeit des Wohnsitzes, die Versammlungsfreiheit, die

79 Art. 6 der »Constitupa cärvunarilor«: »Es soll niemand angeklagt, verhaftet


oder bestraft werden können als in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und
in Konformität mit der vom Gesetz vorgesehenen Prozedur.« Xenopol: Primul
proiect, S. 117.
80 1848 la Romani, S. 835-838.
81 Anul 1848 in principatele romäne II, Bucure§ti 1902, S. 188.
82 Romänii la 1859, S. 288.
83 Dezbaterile Adunärei, S. 83 f.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 211

Pressefreiheit, das Recht auf Vereinsgründung, die Unantastbarkeit


jedweden Eigentums, die Bildungsfreiheit, die Teilnahme aller
Rumänen an den zivilen und politischen Rechten, umgeben von allen
Garantien, die der menschliche Geist bislang vorsehen konnte.84

Der zweite Weg zur Begrenzung der monarchischen Macht be­


traf die staatliche Gewaltenteilung, die als Idee das politische
Denken der Rumänen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
beherrschte. Eine erste Anwendung fand sie in den Organischen
Règlements und fand dann in die Pariser Konvention von 1858
Aufnahme. Auch die Verfassung von 1866 sah die Gewalten­
teilung vor. Die einschlägigen Artikel lehnten sich - wie bereits
erwähnt85 - sowohl an den entsprechenden Satzungen der bel­
gischen Verfassung aus dem Jahre 1831 als auch an der
Tradition des rumänischen politischen Denkens aus der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts an. Letztlich triumphierte die Idee
eines Zweikammerparlaments, weil durch die gegenseitige Kon­
trolle des Senats und der Abgeordnetenkammer eine Schwä­
chung der legislativen Macht verhütet werden und weil der
Senat als Puffer zwischen Monarchen und Abgeordnetenhaus
fungieren konnte.86 Bei der Erörterung über das Zweikam­
mersystem wurde auf das Vorbild einiger europäischer Länder
Bezug genommen. So hieß es u. a.:
In Spanien und Portugal sind die Cortes in zwei Kammern geteilt. In
Frankreich, Italien und Belgien finden wir den Senat, in England das
Haus der Lords, in Holland und in den deutschen Staaten, auch in
den liberalsten, gibt es die gleiche Dreiteilung der Legislative. Däne­
mark hat seinen Zweikammern-Rigsdag (den Folksthing und den
Landsthing), Schwedens Storthing besteht aus dem Lagthing oder
der Versammlung der Gesetzgeber und dem Odelthing oder der
Versammlung der Grundbesitzer.87

84 Ebenda, S. 24.
85 Angelescu: Izvoarele Constitufiei; Filitti: Främintärile politice.
86 Aus dem Leben Karls I. von Rumänien. Aufzeichnungen eines Augenzeugen
I, Stuttgart 1894, S. 65, 70.
87 Rede N. Blarenbergs vom 22. Juni. Ebenda, S. 199 f.
212 Vasile Docea

An und für sich sollten der Herrscher und die Nationalvertre-


tung die gesetzgebende Gewalt gemeinsam ausüben. Einen
ernsthaften Wettstreit gab es jedoch bereits in der Verfassung­
gebenden Versammlung, als es um das fürstliche Vetorecht ging.
Je nach der Qualität des Vetorechts - absolut oder suspensiv -
sollte in Ausübung der gesetzgebenden Gewalt entweder dem
Fürsten oder dem Parlament das Übergewicht zukommen. Das
von der Regierung vorgelegte Verfassungsprojekt enthielt bloß
das Prinzip des suspensiven Vetos. Der Fürst sollte zwar das
Recht haben, das Parlament aufzulösen, wenn er die Billigung
eines verabschiedeten Gesetzes nicht wünschte. Hätte ein aus
Neuwahlen hervorgegangenes Parlament das Gesetz neuerlich
angenommen, wäre der Herrscher gezwungen gewesen, es an­
zunehmen. Sowohl in der Verfassunggebenden Versammlung als
auch innerhalb der Regierung gab es zu diesem Thema heftige
Diskussionen. Die Mehrheit der Redner war für das suspensive
Veto, doch konnte die Intervention Carols I. das Kräfteverhältnis
ändern, wie aus den Memoiren des Monarchen hervorgeht:
Da durch ein solches nur aufschiebendes Veto die Machtvollkom­
menheit des Staatsoberhauptes rein illusorisch geworden wäre, hat
der Fürst mit allem Nachdruck auf dem absoluten Veto bestanden
und es nun auch durchgesetzt.88

Dadurch kam es zur Abweichung vom belgischen Verfassungs­


modell, das für den König kein absolutes Veto vorsah89, aber zur
Annäherung an das deutsche, vor allem preußische Vorbild. Die
preußische Verfassung aus dem Jahre 1850 verankerte »die
Monarchie wieder im Besitz der Staatsgewalt«90 und bestätigte
damit das Prinzip, wonach der König herrsche und regiere. Zu
den Hauptinstrumenten der monarchischen Macht in Preußen
zählte das absolute Veto. Carols Reifezeit, sein Militärstudium

88 Aus dem Leben König Karls I., S. 80.


89 Art. 69 der belgischen Verfassung: »Le roi sanctionne et promulgue les lois.«
Oberdorff: Les Constitutions, S. 68.
90 Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und star­
ker Staat, 6München 1993, S. 681.
Das »europäische« Modell und die konstitut. Monarchie in Rumänien 213

und seine politische Bildung fallen in jene Zeit, als sich das poli­
tische Leben in Preußen noch im Rahmen dieser Verfassung ab­
spielte. Es ist somit verständlich, warum der Monarch, nach
Rumänien gekommen, »mit allem Nachdruck darauf beharrte«,
in die Verfassung jenes Staates, dessen Führung er zu überneh­
men gerufen worden war, das Prinzip des absoluten Vetos auf­
nehmen zu lassen. Durch dieses Element stand die rumänische
Monarchie seit 1866 dem, was man so treffend als »die mitteleu­
ropäische Spielart der konstitutionellen Monarchie«91 bezeich­
net hat, weit näher als der parlamentarischen Monarchie in
Westeuropa.
Trotz der Einsetzung einer ausländischen Dynastie und der
Inkrafttretung einer Verfassung nach westlichem Zuschnitt
blieb eine Reihe traditioneller Elemente erhalten. Eines davon
war die orthodoxe Religion. Die Annahme der orthodoxen Tra­
dition seitens der neuen Dynastie erfolgte sowohl über den
Verfassungsartikel betreffend die orthodoxe Taufe des Thron­
erben als auch durch die formelle Pflege der orientalisch-christ­
lichen Riten seitens Carols L, der persönlich allerdings katho­
lisch blieb. Die Formel »Märia Ta«, die im Laufe der rumänischen
Geschichte als Anrede der Untertanen an den Fürsten üblich
geworden war, blieb parallel mit »Majestate« weiterhin, sogar
nach 1881, als das Königreich ausgerufen wurde. Es gibt weiters
nicht wenige Fälle, in denen in zeitgenössischen Schriften (kei­
nen offiziellen Urkunden) der König mit »Vodä« benannt wird,
mit der Abkürzung des Titels »Voievod« also, der seit dem
Mittelalter von den rumänischen Fürsten getragen wurde und
die Eigenschaft als Oberbefehlshaber des Heeres hervorgehoben
hat. Der Monarch war auch gemäß der Verfassung von 1866 der
oberste Befehlshaber der Armee, was belegt, daß Tradition und
Moderne auch auf diese Weise zusammenkamen. Es ist möglich,
daß dieser Usus sogar vom Herrscher selbst gefördert wurde,
gehörte zu seiner Methode der Legitimierung doch auch die sym­
bolische Plazierung in die Nachfolge der rumänischen Fürsten

91 Löwenstein: Die Monarchie, S. 26.


214 Vasile Docea

(Stefan der Große, Michael der Tapfere usw.).92 Als weiteren


Beleg für die Rolle der Tradition kann der Wille des Monarchen
eingestuft werden, so schnell wie möglich die rumänische
Sprache zu erlernen. Es ist in diesem Zusammenhang nicht ohne
Bedeutung, daß die letzten Worte des Königs vor seinem Tode
rumänische Worte waren.93
Die Aufrechterhaltung der Tradition wird jedoch am intensiv­
sten aus dem Patriarchalismus der monarchischen Macht er­
sichtlich. Ohne direkte Verbindung zum konstitutionellen Rah­
men setzte er sich in der politischen Praxis, im Umgang mit den
Untertanen, durch. So hieß es treffend:
In Rumänien gelangen die geringfügigsten Dinge bis vor das Forum
des Königs, in patriarchalischer Weise will man für alles und jedes
des Königs direkte, persönliche Entscheidung.94

Auch Carol I. war sich, wie aus einem Brief an seinen Vater
aus dem Jahre 1871 hervorgeht, dessen bewußt:
Was in anderen Ländern die Kabinettchefs so gewissenhaft regeln,
wird hier alles vor mich gebracht; es wird keine Entscheidung ge­
troffen, ohne daß ich gefragt werde. Jeder will vom Fürsten empfan­
gen werden, um ihm seine Mißgeschicke zu erzählen.95

Wenn wir den vielen zeitgenössischen Zeugnissen Glauben


schenken dürfen, die uns das Bild eines an den kleinsten Dingen
des rumänischen Gesellschaftslebens interessierten Monarchen
vermitteln, suchte er den Kompromiß zwischen der Tradition
und den neuen Formen des 1866 eingeführten Regimes, das auf
»europäischen« Grundlagen ruhte.

92 Binder-Iijima: Rites of Power, S. 212. 1878 z. B. sprach Carol von der »Gele­
genheit des zwölften Jahrestags meiner Besteigung des Thrones von Stefan
und Mihai«. In: Regele Carol I. al Romäniei. Cuväntäri §i scrisori II, S. 210.
93 Heitmann: Deutsche und rumänische Kultur, S. 317.
94 Aus dem Leben König Karls I., S. IX.
95 Regele Carol I al Romäniei. Cuväntäri §i scrisori I, S. 251.
LUCIAN NASTASÄ

Das Europa-Bild der im Ausland studierenden


rumänischen Jugend (1860-1918)

Nach jahrhundertelanger osmanischer Oberherrschaft und zu­


sätzlich nach einem Jahrhundert phanariotisch-griechischer
Regentschaft unternahmen die Rumänen bereits in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts Schritte, sich mittels Euro-
päisierung von der alten patriarchalischen, quasiorientalischen
Kultur zu emanzipieren.1 Spätestens ab der zweiten Hälfte jenes
Jahrhunderts stieg »Europa« jedoch zum Orientierungsmuster
par excellence auf. Die Vereinigung der Fürstentümer Moldau
und Walachei (1859) setzte neue Kräfte frei und stimulierte eine
Tempobeschleunigung, um die Anpassung an das westliche Vor­
bild voranzutreiben.
Innerhalb dieses komplexen Prozesses spielte die Bildung
eine wesentliche Rolle, weswegen der junge Staat ab 1860 nicht
zufällig die Bildungspolitik stark forcierte. Am Anfang erlaubten
die institutionellen und personellen Möglichkeiten jedoch nicht
mehr als Kunstgriffe, die sich sowohl in der mangelhaften Orga­
nisation und Funktion der Universitäten (1860 in Ia§i, 1864 in
Bukarest) als auch in der Beschaffenheit und Qualität der Pro­
fessorenschaft widerspiegeln.2 In den ersten Jahren kam es
nämlich in den beiden Hochschuleinrichtungen nur zu zeitweili­
ger Lehrtätigkeit, weil es an Lehrkräften und Studenten ebenso
wie an materiellen Grundlagen mangelte. Unter diesen Umstän­
den lag es nahe, sich ins Ausland zu begeben. Allein 1860 z. B.

1 Siehe hiezu E. Lovinescu: Istoria civilizapei romàne moderne 1-3, Bucuresti


1924-1926 (Neuauflagel972).
2 Vgl. M. Popescu-Spineni: Institupi de inaltà culturà. Valenii de Munte 1932;
I. Gh. fjendrulescu: Aspecte din organizarea §i dezvoltarea Universitari din
Bucuresti intre anii 1864-1878. In: Analele Universitåpi Bucuresti. Istorie
20, Bucuresti 1961, S. 77-92; Al. Baiaci, I. Ionescu: Universitatea din
Bucure§ti 1864-1964, Bucuresti 1964; Gh. Platon, V. Cristian (Hg.): Istoria
Universitari din Ia§i, Ia§i 1985.
216 Lucian Nastasä

wurden aus der Moldau 32 Stipendiaten zum Studium nach


Paris, Berlin, Bonn, Turin und München geschickt; neun davon
wurden nach ihrer Rückkehr Universitätsprofessoren.3 Die
Absicht des Fürsten Alexander Ion Cuza, ein rumänisches Kolleg
in der französischen Hauptstadt zu gründen, kam allerdings erst
in der Zwischenkriegszeit zustande, als in Rom und Paris derar­
tige Institutionen eingerichtet worden sind.
Es ist hier nicht der Ort, die Rolle jener jungen Rumänen zu
erörtern, die zu dieser Zeit im Ausland studiert haben, denn be­
reits ihre Zahl steht angesichts des derzeitigen Forschungsstan­
des nicht fest.4 Immerhin kann aber die Behauptung aufgestellt
werden, daß die ausländischen Universitäten wegen der Mängel
im rumänischen Hochschulwesen rund zwei Generationen lang
für die Ausbildung der rumänischen intellektuellen Elite ein
Quasimonopol innegehabt haben. Ohne Übertreibung kann man
davon ausgehen, daß im Zeitraum 1860-1918 fast alle Minister
und andere hohe Beamte im Ausland studiert haben, und das er­
klärt, warum es gelungen ist, unter dem Einfluß westlicher
Modelle die Kultur in Rumänien sehr schnell zu verändern, erst
auf der Ebene der Elite und dann auch in allen anderen Be­
reichen der rumänischen Gesellschaft.

3 Platon-Cristian: Istoria, S. 83.


4 Siehe dazu folgende Auswahlbibliographien: Pompiliu Eliade: Din arhivele
?colii de drept din Paris, sowie, Din arhivele Sorbonei. In: Viafa noua
1/1905-1906; Matei M. Fotino: Elevi romàni premiaci la liceele din Paris. In:
Omagiu lui Constantin Kirifescu, Bucure§ti 1937, S. 536-539; D. C. Amzàr:
Studenti romàni in sträinätate. Date §i interpretäri statistice. In: Cercetàri
literare IV, Bucure§ti 1941, S. 215-240, und V/1943, S. 21-39; C. C. Angelescu:
Studenti romàni in sträinätate. Universitatea din Bruxelles. In: Studii §i cer­
cetàri istorice XVIII, Ia§i 1943, S. 119-126; Al. Zub: Rumänische Studierende
an europäischen Universitäten. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landes­
kunde 1, Köln/Wien 1979, S. 21-40; Florea Ioncioaia: Tineri romàni §i greci
la studii in Franca. In: G. Bädäräu, L. Boicu u. L. Nastasä (Hg.): Istoria ca lec-
turä a lumii, Ia§i 1994, S. 525-542; Elena Sipiur: Die Intellektuellen aus
Rumänien und den südosteuropäischen Ländern in den deutschen Univer­
sitäten (19. Jahrhundert). In: Revue des études sud-est européennes XX-
XIII/1-2, Bucure§ti 1995, S. 83-100, und XXXIII/3-4, S. 251-265; N. Boc§an,
N. Bärbufä: Contribuii la formarea elitelor economice romàne?ti. In: G.
Bädäräu (Hg.): Itinerarii istoriografice, Ia?i 1996, S. 471^188.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 217

Eine Lizenz oder ein Doktorat im Ausland war für die Jugend
ein wesentliches Ziel. »Jeder, der einen universitären Titel hatte,
vor allem, wenn er im Ausland erzielt wurde, fand eine fertige
Karriere vor sich«, konstatierte der Philosoph C. Rädulescu-
Motru in seinen »Bekenntnissen«5 und fügte noch hinzu:
Die Fortführung des Universitätsstudiums im Ausland war für
meine gesamte Generation eine so natürliche Sache, daß keine son­
derlichen Vorbereitungen nötig waren ... Man ging ins Ausland, weil
dies alle taten.6

Daraus geht hervor, daß das Studium im Westen für viele junge
Rumänen nicht nur Ausbildung und Horizonterweiterung be­
deutete, sondern auch einen Trum pf im Streben nach sozialem
Aufstieg. Rädulescu-Motru schrieb aber auch über weniger eh­
renhafte Motive für den Entscheid, den Weg in die Fremde zu
nehmen:
Dieses Weggehen ins Ausland geschah fast mechanisch, ohne von den
gewohnten sentimentalen Vorwegnahmen begleitet zu sein. Der
junge Rumäne ging nicht ins Ausland, weil er etwas zu sehen
wünschte, was er noch nicht gesehen hatte, oder weil er kennenler­
nen wollte, wovon ihm andere erzählt hatten, sondern er ging ganz
einfach - mitgerissen vom Strom. Im Ausland angekommen, kannte
er außer der Schule, wo er studieren sollte, nur das Restaurant und
das Café. Der Eintritt ins kulturelle Leben des Auslands interessierte
die wenigsten. Die meisten, auch wenn sie Jahre lang im Ausland ver­
brachten, kehrten in kultureller Hinsicht genauso zurück, wie sie
einst aufgebrochen waren. Sie hatten ein Diplom und waren damit
zufrieden.7

Die Überlegungen Rädulescu-Motrus erscheinen überzeichnet,


weil er, der selbst im Ausland studiert hatte, als Universitäts­
professor danach trachten mußte, die jungen Rumänen in erster

5 C. Rädulescu-Motru: Märturisiri, Bucure§ti 1990, S. 69.


6 Ebenda, S. 38.
7 Ebenda. Eine Kritik des Brauchs, zum Studium außer Landes zu gehen, siehe
auch bei D. Hurmuzescu: Studenpi romäni la universitäple sträine. In:
Cultura romänä III, Bucure§ti 1906, S. 128-136.
218 Lucian Nastasä

Linie an rumänische Universitäten zu binden. Allerdings stand


diesem Wunsch das niedrige Niveau des rumänischen Unter­
richtswesens gegenüber, das den modernen Anforderungen
»europäischer« Bildung nicht entsprach. Alexandru Läpedatu,
ehemaliger Student der Universität Ia§i, der nicht im Ausland
studiert hatte, aber doch Universitätsprofessor und in der Zwi­
schenkriegszeit sogar mehrfach Minister wurde, sollte es nach
einem Besuch in Deutschland (1910) bedauern, als Jugendlicher
keinen Kontakt zum Westen gehabt zu haben:
Diese Reise hat mich von meinem nicht wieder gutzumachenden
Fehler noch mehr überzeugt, nicht auch versucht zu haben, im
Ausland zu studieren, d. h. in Deutschland, wohin zu jener Zeit alle
jungen Rumänen gingen. Das Bedauern kam zu spät. Ich war in ein
Alter [34 Jahre] und in eine Situation gekommen, wo nichts mehr
ausgebügelt werden konnte.8

Welchen Wert das Auslandsstudium besaß, bestätigt der Autor


der berühmten »Histoire de l’ésprit public en Roumanie au dix-
neuvième siècle«, Pompiliu Eliade. Er hat ein grundlegendes
Studium in Paris absolviert und ist dann Universitätsprofessor
in Bukarest geworden. Seinem geistigen Mentor Titu Maiorescu
gestand er:
Das Lyzeum und die Universität in Bukarest schafften es nur, mich
anzuwidern und mich zu ermüden. Die École Normale aus Paris hin­
gegen erfrischte all meine Intelligenz ... Ich verbrachte im Ausland
fast sieben Jahre, und in all dieser Zeit war meine erste Sorge, meine
literarische und wissenschaftliche Bildung herzustellen. Mein Gym­
nasial- und mein Hochschulstudium zu Hause waren dank der
falschen Richtung oberflächlich geblieben, dank unseres Unter­
richtswesens sowie dank schwacher Professoren.9

Der Kontakt mit dem europäischen Westen und seiner Kultur


führte jedoch auch zu tiefen Gefühlen der Entmutigung. »Wir

8 Al. Låpedatu: Scrieri alese, Cluj 1985, S. 195.


9 Z. Ornea (Hg.): Titu Maiorescu §i prima generafie de maiorescieni. Core-
spondentå, Bucuresti 1978, S. 241.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 219

Rumänen sind so rückständig«, schrieb Rädulescu-Motru 1889


an seinen Vater,
daß ich, ganz gleich, welches Fach ich wähle, nichts Bedeutendes
werden kann ... Iordache Golescu, obwohl er an die geistige und ma­
terielle Armut Rumäniens dachte, war trotzdem ein glücklicher
Mensch, denn er hatte den Glauben, durch guten Willen die Lage der
Rumänen verbessern zu können. Mir jedoch fehlt dieser Glaube. Ich
glaube, wir sind dazu bestimmt, ewig unter den armen Völkern zu
bleiben. Das Glücksrad wird sich nie zu unseren Gunsten drehen.
Andere, die vor uns die Augen auf die Zivilisation öffneten, stahlen
all unser Glück ... In Bukarest dünkte ich mich gelehrt; jetzt sehe
ich, daß ich nichts weiß.10

Die Oberflächlichkeit der nationalen akademischen Institutio­


nen, die mittelmäßige Qualität eines Teils der Professoren sind
in der rumänischen Gesellschaft um die Jahrhundertwende
Thema umfassender Auseinandersetzungen geworden. Nicolae
Iorga, der berühmte rumänische Polyhistor, veröffentlichte
daher 1899 und 1900 zwei kritische Analysen (»Opinions sincè­
res. La vie intellectuelle des Roumains« und »Opinions perni-
ceuses d’un mauvais patriote«), in denen er sich mit den Bräu­
chen, Mentalitäten und Institutionen etc. auseinandersetzte.
Diese Studien gingen nicht allein auf die kulturelle Rückstän­
digkeit Rumäniens ein, sondern auch auf die Schattenseiten aus­
ländischer Transplantate nach Rumänien. »On avait brusqué les
choses«, stellte Iorga fest, »on avait dépassé de beaucoup les bor­
nes d’un développement normal, en improvisant des choses qu’on
n’improvise jamais impunément.«11 Was die Universitäten be­
treffe, verdankte man den Mißerfolg in erster Linie der allge­
meinen Ausrichtung des Studiums, Sekundarstufenlehrer her­
vorzubringen, denen jede Grundlage tieferen wissenschaftlichen
Wissens abgehe. Daher habe der Kontakt mit »Europa« auch viel
Übel mit sich gebracht, indem er die spezifischen nationalen

10 Râdulescu-Motru: Mârturisiri, S. 40.


11 Nicolae Iorga: Opinions sincères. La vie intellectuelle des Roumains en 1899,
Bucureçti 1899, S. 13.
220 Lucian Nastasä

Werte verderbe und eigenständige schöpferische Möglichkeiten


der Rumänen blockiere. Da sich an diesem Sachverhalt wenig
änderte, übte für die jungen Rumänen der Westen Europas wei­
terhin eine große Anziehung aus. »In den letzten zwanzig Jahren
des vorigen [19.] Jahrhunderts«, bemerkte Rädulescu-Motru,
hatte die Jugend im Alten Rumänischen Königreich ein fix festge­
legtes Kulturideal. Herz und Geist waren auf das abendländische
Europa gerichtet... Die höheren Schulen in Deutschland, Frankreich
und Italien wurden so gut wie möglich nachgeahmt. Es gab keinen
legitimeren Wunsch für einen jungen Rumänen als jenen, sein
Studium im Ausland zu vollenden.12

Die Hauptrolle bei der Ausbildung der rumänischen Intellek­


tuellen in der zweiten Hälfte des 19. und im ersten Jahrzehnt
des 20. Jahrhunderts spielten Frankreich, Deutschland und
Österreich, außerdem auch Italien, Belgien, die Schweiz und
Spanien. Insbesondere Paris übte dank der Qualität seines uni­
versitären Unterrichts (gegründet auf den aus der Französi­
schen Revolution und aus der Ära Napoleon hervorgegangenen
Organisationsprinzipien), dank seines Reichtums und seiner
Verlage, dank seinen Mondänitäten, seinen künstlerischen und
literarischen Avantgarden, der Zahl und Vielfalt studentischer
Herkunft usw. eine unwiderstehliche Anziehung auf die Jugend­
lichen aus. Folglich beherbergte Paris eine regelrechte Kolonie
rumänischer Studenten, den universitären Statistiken nach zu
schließen möglicherweise die größte nach jener der Russen. Noch
als Student in Paris (1891/1892) notierte Nicolae Iorga:
Die rumänischen Studenten waren zahlreich, fast nicht auszurech­
nen, wie zahlreich ... Man fand sie gruppenweise - unreif, laut, be­
reit zu fluchen und sich zu prügeln - in den Cafés des Quartier Latin,
im Verbund der Studentenvereine, geeint nur durch die armselige
Sorge um ihre Karriere und durch den Hang zu Unterhaltungen.13

12 Rädulescu-Motru: Märturisiri, S. 31.


13 Nicolae Iorga: Orizonturile mele. O via^ä de om a§a cum a fost, Bucure§ti
1984, S. 129.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 221

Diese Einschätzung ist sicher ein wenig übertrieben, steht je ­


doch in Zusammenhang mit der Isolation, in der sich auch die
rumänischen Studenten befanden. Iorga schrieb hiezu,
daß mir die französische Gesellschaft, von der wir [Rumänen] in ihrer
weisen Umsicht, in ihrer Arbeitsorganisation, ihrer Diskretion und
ihrer gelassenen Eleganz so viel zu lernen gehabt hätten, völlig un­
bekannt blieb, genauso wie auch meinen Kollegen, die ebenfalls ...
geschickt worden waren bloß, um zu lernen, eine Abschlußarbeit zu
schreiben und ein Diplom zu bekommen.14

Die Isolation ging aber auch auf die französischen Intellek­


tuellen zurück, die nicht allzu gastfreundlich waren, »diese so
vorsichtige und sparsame Gesellschaft, die sich vor jedem Frem­
den hütete, der nicht erst lange und sorgsam geprüft worden
war«.15 Diejenigen, die aus Frankreich zurückkehrten, kenn­
zeichnete Iorga jedoch
als glänzende Beispiele intellektueller Ausgewogenheit und vorbild­
lichen Benehmens, gerade weil sie mit französischen Familien
Umgang hatten, deren Defekte wir, dank unserer so verschiedenen
Wesensart nicht übernommen haben, deren so große Qualitäten für
uns aber von unschätzbarem Nutzen sind.16

Ähnlich relativierende Stellungnahmen finden wir auch bei an­


deren Rumänen, die in Paris studiert haben. Der Schriftsteller
I. A. Brätescu-Voine§ti konnte - er war 1895 zum ersten Mal
nach Paris gekommen und hatte sich angesichts der überwälti­
genden Stadt schwindlig gefühlt - sich nicht enthalten, festzu­
stellen, daß »Frankreich als Land weit hinter Österreich
steht«.17 Auch hinsichtlich der Qualität des Hochschulunter­
richts gab es nicht nur Lob. Petru Poni, in späteren Jahren rumä­
nischer Unterrichtsminister, stellte, als er 1859/1860 an der
Sorbonne weilte, fest, daß das Studium der Wissenschaften und
insbesondere das der Physik und der Chemie zu wünschen übrig

14 Ebenda, S. 131.
15 Ebenda.
16 Ebenda.
17 Titu Maiorescu, S. 58.
222 Lucian Nastasä

lasse; obwohl es »eminente« Professoren gebe, behandelten jene


bloß »elementare« Sachen.18 Mitunter herrschte zwischen den
Erwartungen und der angetroffenen Wirklichkeit größte Diskre­
panz. Im Jahre 1892 schrieb Pompiliu Eliade:
Das Paris aus meinem Kopf ist etwas ganz anderes als das Paris, das
ich hier erlebe, viel Volk, viel Gedränge, viel Lärm ... vor allem viel
Lärm! Ich habe hier kein »höheres Tier« angetroffen, wie ich es mir
in Bukarest vorgestellt hatte, und es scheint mir, daß von dem, was
ich sehe, die schweigsamen Monumente am intelligentesten ausse-
hen.

Eine ähnliche Enttäuschung gab es über die Professoren an der


Sorbonne, die »die Leute im Namen der Intelligenz verblöden;
man kann sich gar keine größere Feindschaft für die Freiheit
denken«.19 Und Mihail Dragomirescu - späterhin berühmter
Literaturkritiker, Zeitschriftenleiter und Universitätsprofessor
- hob die exzessive Kritik hervor, die es an dieser hohen
Einrichtung gab:
Die Macht der hiesigen Professoren liegt in der Kritik. Die Kritik ent­
wickelte sich so sehr, daß sie, nachdem sie fertige Konstruktionen zer­
stört hat, zum Schluß gelangt, es könnten gar keine anderen gebaut
werden. Ja, noch mehr: Der Geist der Kritik verfolgt jede Äußerung
des Denkens derart, daß sogar die Konstruktionen, die jemand er­
richtet, von ihm selbst sogleich als fragil bezeichnet werden.20

Dies waren in jener Epoche keine singulären Feststellungen, und


sie gehen sowohl auf den Antipositivismus am Ende des 19.
Jahrhunderts als auch auf die Kluft zwischen dem im Heimat­
lande erzielten kulturellen Niveau und dem in Westeuropa exi­
stierenden Niveau zurück. Dimitrie Evolceanu drückte die
Irritation über die intellektuellen Anforderungen der Deutschen
und Franzosen konkret aus. Er hatte die rumänische Schule mit
einer recht guten Meinung über seine klassische Bildung ver­

18 P. Poni: Sorbona. In: ínsemnäri ie§ene PIO, Ia§i 1936, S. 492.


19 Titu Maiorescu, S. 149.
20 Ebenda, S. 99.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 223

lassen und war dann von seinem »Analphabetentum« tief ent­


täuscht, das man ihm an den westlichen Universitäten etiket­
tierte. Seinem geistigen Mentor Titu Maiorescu lieferte er fol­
gende Erklärung:
Es ist für uns ein unverzeihlicher Luxus, Philologen wie jene der hau­
tes études oder aus Deutschland zu haben, deren Philosophie und
ganze Art, die Welt zu sehen, darin besteht, Texte zu verbessern, stets
auf der Suche nach irgendeinem Fehler in jemandes Dissertation, als
ginge es um den Stein der Weisen und nicht darum, darauf zu ach­
ten, ob die Schüler daraus irgendeinen praktischen Nutzen haben
oder nicht.21

Demnach ist erklärlich, wieso das Paris-Erlebnis der Rumänen


nicht nur Enthusiasmus weckte, sondern auch zu Enttäuschun­
gen und Mißerfolgen Anlaß gab. Mihail Dragomirescu fühlte sich
dort keineswegs wohl, wie er 1893 im Rückblick beschrieb:
Ich weiß nicht wieso, aber diese Stadt, die ich jetzt nach und nach
immer prächtiger sehe, lag auf meiner Seele, seit ich sie betrat und
bis ich sie verließ, wie eine ununterbrochene Reihe von Gewis­
sensbissen. Jetzt fühle ich mich frei und bin froh, daß ich ins feindli­
che Lager [Deutschland] gewechselt habe.22

Rädulescu-Motru, der zur gleichen Zeit (1889/1890) an der École


des hautes études studierte, stellte hingegen fest:
Ich lebte ein Jahr lang ein kosmopolitisches Leben, in dem ich die
Wohltaten einer wahrhaft gastfreundlichen Zivilisation erfuhr. Paris
ist die einzige große Stadt in Europa, in der sich der Fremde wie zu
Hause fühlt. Niemand beleidigt ihn, indem er ihn ständig daran er­
innert, daß die Zivilisation, von der er kostet, das Werk anderer sei.

Deswegen »gibt es im Pariser Leben einen Rhythmus der


Menschlichkeit, der allen anderen Großstädten Europas fehlt«.23
Weiters wies der Philosoph daraufhin:

21 Ebenda, S. 251.
22 Ebenda, S. 105.
23 Rädulescu-Motru: Märturisiri, S. 43.
224 Lucian Nastasä

Der französische Genius braucht keine Werbung. Die Neigung zum


Allgemeinen und Humanen ... ist losgelöst von der Eigenheit des
Franzosen, mit seinen nationalen Qualitäten nicht anzugeben. Ein
Ungar, ein Bulgare, ein Serbe und sogar auch ein Rumäne stelle sich
bei jeder Gelegenheit in den Vordergrund ... ein Franzose nie.24

Die Gefühle der Enttäuschung und Skepsis seien deshalb nicht


verschwiegen, weil in der rumänischen Geschichtsschreibung
die Vorstellung vorherrscht, der französische Einfluß auf die
Kultur und die Organisation des modernen rumänischen Staa­
tes sei dominant gewesen - eine These, die sicherlich überprüft
werden müßte. Man darf also nicht davon ausgehen, daß die
Bewunderung für Frankreich und dessen Kultur und der
Wunsch, in Paris zu studieren, unter den jungen Rumänen ein­
hellig und rückhaltlos bestanden. Eugen Lovinescu, den die von
Nicolae Iorga angeführte Kampagne gegen die fremden und ins­
besondere gegen die französischen Einwirkungen angeregt hat,
wog jedoch ab, wenn er meinte,
wie begrüßenswert die fremden Einflüsse für jede Literatur sind,
und zwar nicht durch Nachahmungen, denn die sind vergänglich,
sondern durch das Erwecken ganzer literarischer Strömungen, die in
nationalen Formen in unser Literaturerbe Eingang gefunden
haben.25

Entgegen dem äußeren Anschein war der deutsche Einfluß kei­


neswegs unbedeutender als der französische und zeitigte durch­
aus bemerkenswerte Folgen. Der große Politiker Mihail Kogälni-
ceanu betonte anläßlich der 25-Jahr-Feier der Rumänischen
Akademie im Jahre 1891:
Mein ganzes Leben lang, sowohl als Jugendlicher als auch in reifem
Alter, gestand ich mir wiederholte Male ein, daß ich der deutschen
Kultur, der Universität Berlin, der deutschen Gesellschaft, den
großen Männern und Patrioten, die den Wiederaufbau und die
Einheit Deutschlands verwirklicht haben, im großen und ganzen

24 Ebenda, S. 42.
25 N. Scurtu (Hg.): Eugen Lovinescu. Scrisori §i documente, Bucureçti 1981,
S. 218.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 225

alles verdanke, was ich in meinem Land geworden bin, und daß sich
die Fackel meines rumänischen Patriotismus am Feuer der deut­
schen Vaterlandsliebe entzündet hat.26

Dieses Denken steht in Zusammenhang mit der Gesellschaft


»Junimea« [Die Jugend], die durch ihr soziales, literarisches und
intellektuelles Prestige in der Zeitspanne 1866-1885, aber auch
nachher hervorgetreten ist. Deren unbestreitbare Leitfigur, Titu
Maiorescu, hat für die Orientierung der rumänischen Kultur bis
zum Ersten Weltkrieg eine entscheidende Rolle gespielt. Auch
wenn ihm die französische Kultur keineswegs fremd war (Jura-
Studium in Paris 1859-1861), hatte er ursprünglich eine ent­
schieden deutsche Ausbildung genossen (er besuchte das Gym­
nasium in Wien, studierte an der Berliner Universität und
promovierte in Gießen).27 Obwohl die Mehrheit der Junimea-
Mitglieder (darunter viele Universitätsprofessoren, Politiker,
hohe Beamte) eine französische Ausbildung hinter sich hatten,
gab eine relative Minderheit (ein Viertel der Mitglieder) den Ton
und die ideologische Richtung an. Diese Minderheit um Maio­
rescu hegte eine große Bewunderung für die deutsche Kultur, in
der sie, dank der Disziplin und Strenge sowie des Konservati­
vismus das einzige Vorbild sahen, das den Interessen der rumä­
nischen Gesellschaft tatsächlich dienen könne; das französische
Modell schätzte man zu sehr von Oberflächlichkeit und revolu­
tionärem Geist behaftet ein. Titu Maiorescu, der die Junimea-
Gesellschaft später in eine politische Fraktion und schließlich in
eine politische Partei umwandelte, erhielt nach und nach wich­
tige Schalthebel der Macht in die Hand. Der Höhepunkt war
1913 erreicht, als er als Regierungschef dem Friedenskongreß
von Bukarest präsidierte, der die Balkankriege beenden sollte.
Außerdem sorgte er als Rektor der Universität Bukarest dafür,
daß sich verschiedene Studienbereiche nach deutschem Vorbild
ausrichteten. Es war daher kein Zufall, wenn ein Protegé Titu

26 Analele Academiei Romäne. Dezbateri. Seria 11/13, Bucure§ti 1890-1891,


S. 264.
27 Z. Omea: Via|a lui Titu Maiorescu 1-2, Bucure§ti 1986-1987.
226 Lucian Nastasä

Maiorescus, Universitätsprofessor Ion Bogdan, damit beauftragt


worden ist, die Prinzipien und Organisationsweisen der deut­
schen Schulen an Ort und Stelle zu erforschen. Nach seiner
Rückkehr nach Rumänien (1886) verfaßte Bogdan einen um­
fangreichen Bericht.28 A uf dessen Basis setzte Titu Maiorescu
um die Jahrhundertwende einen neuen Typus gesellschaftlichen
und kulturellen Handelns durch - die Intellektokratie. Er war
stets auf die Auswahl der Jugendlichen bedacht, bündelte ihre
Energien und wies ihnen die von ihm konzipierte Richtung an;
er profitierte von seiner politischen und gesellschaftlichen Posi­
tion und verschaffte großzügig Stipendien, insbesondere für ein
Studium nach Deutschland, Stellen und Erfolgschancen.29 Er
war auch derjenige, der seine in den »europäischen« Haupt­
städten weilenden Schüler anhielt, ihm brieflich möglichst wirk­
lichkeitsgetreue Beschreibungen der dortigen politischen und
kulturellen Ereignisse, der besichtigten Orte und aller Beob­
achtungen zu liefern. Maiorescu zwang seine Jünger durch sub­
tiles pädagogisches Taktgefühl, den Weg der Erkenntnis durch
direkte Beobachtung sowie kritisch-vergleichenden Geist einzu­
schlagen.
A uf Maiorescus Anregungen hin unterlagen die Studienreisen
ins Ausland streng begründeten Absichten und Zwecken und
richteten sich vorwiegend am realen Nutzen für die rumänische
Kultur aus. Mihail Dragomirescu, einer der Lieblingsschüler
Maiorescus, gestand 1893, ihn habe die Deutschland-Erfahrung
veranlaßt, »die Ordnung, Reinheit und die Bestimmung in allen
Erscheinungen der äußeren Natur ... zu fühlen«. Er konnte nicht
umhin, zu dem rivalisierenden französischen Kulturraum Ver­
gleiche anzustellen, wo »das Gefühl der Bewegung, des überbor­
denden Lebens, an der Oberfläche konfus und Undefiniert, in

28 I. Bogdan: Raport asupra ¡¿coalelor secundare din Germania, Bucureçti 1886,


VIII + 260 S.
29 S. Alexandrescu: »Junimea«: discours politique et discours culturel. In: I. R
Culianu (Hg.): Libra. Études roumaines offertes à Willem Noomen à l’occa­
sion de son soixantième anniversaire, Groningen 1983, S. 47-79.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 227

seiner inneren Manier aber perfekt geordnet«30, den Enthusias­


mus der Rumänen eher einzubremsen schien, weshalb sie am po­
litischen System der Ära Bismarck interessierter waren als an
der Freiheit des Denkens und des Ausdrucks.
Nicolae Iorga war vom Ordnungssinn, den er in Preußen vor­
fand, sogar fasziniert. »Alles in diesem wilhelminischen Deutsch­
land war so wohlgeordnet«, schrieb er 1892, »daß sich die Dinge
von selbst erledigten, ohne daß man gleich mit den Menschen,
den ernsten und schweigsamen Menschen, Verbindung aufneh­
men mußte.«31 Die Bewunderung eines so feinsinnigen Analy­
tikers und streitbaren Kritikers der rumänischen Gesellschaft
um die Jahrhundertwende erscheint angesichts dessen nicht
unlogisch, da er aus einem rückständigen Land mit »phanarioti-
schen« Angewohnheiten (Korruption, Lüge, Improvisation, Miß­
achtung der Gesetze etc.) in das Land der »Ordnung und Diszi­
plin« gekommen war. Deswegen machte Deutschland auf die
Rumänen stets einen »kräftigen und komplexen Eindruck«, wie
es der Philologe I. Iordan formuliert hat32. Seinem Kommilitonen
Vasile Bogrea erschien Deutschland »durch seine Kultur, seine
Disziplin und sein Ideal riesig«.33
Derartige Affinitäten gehen vielleicht auch auf die zugängli­
che Atmosphäre zurück, die die Rumänen mehr an zu Hause er­
innerte. Ganz Europa durchquerend, empfand Mihail Dragomi-
rescu Straßburg als »Stadt, in der du die Stille und das Schwei­
gen unserer Dörfer fühlst, wenn alle auf dem Feld sind«.34 Auch
Nicolae Iorga schien Deutschland, vor allem seinem südlichen
Teil, innerlich eher zugeneigt gewesen zu sein, wo das Leben
»milder, lächelnder, freundlicher« war, »ein geborenes und kein
gemachtes« Leben.35 Neben den Studien selbst zog die Rumänen
der Vereinsgeist an, den sie hier vorfanden: »Das gesamte stu-

30 Ornea: Titu Maiorescu, S. 97.


31 Iorga: Orizonturile mele, S. 144.
32 I. Iordan: Memorii I, Bucure§ti 1977, S. 225.
33 B. Theodorescu (Hg.): Scrisori cätre N. Iorga II, Bucure§ti 1979, S. 472.
34 Ornea: Titu Maiorescu, S. 96 f.
35 Iorga: Orizonturile mele, S. 147.
228 Lucian Nastasä

dentische Leben war in Burschenschaften organisiert. Einige


hatten einen sehr komplizierten Ehrenkodex, praktizierten das
Duell und hielten eine im 19. Jahrhundert überholte Mentalität
aufrecht. Trotzdem hatten diese Verbindungen ihre Wichtigkeit,
denn sie nivellierten, indem sie die Adligen in direkten Kontakt
mit den Intellektuellen bürgerlicher oder proletarischer Her­
kunft brachten, die Unterschiede zwischen den gesellschaftli­
chen Klassen«.36 Die Korporationen erleichterten die Integra­
tion der jungen Rumänen in die deutsche Studentenschaft und
leisteten einen der wesentlichsten Vermittlungsdienste für das
Kennenlernen der deutschen Wirklichkeit; dies blieb für Rumä­
nien nicht ohne Folgen.
Der französische Einfluß hingegen, der sich bei den Eliten
nicht nur in der Sprache und in der Literatur geltend machte,
sondern auch in bestimmten Denk- und Lebensweisen, im Kopie­
ren kultureller und politischer Muster, die - manchmal exzessiv
angewandt - zum nationalen Spezifikum wenig paßten, führte,
wie schon oben angedeutet, auch zu antifranzösischen Reaktio­
nen. Es sei an dieser Stelle nicht näher auf Mihai Eminescu ein­
gegangen, den größten rumänischen Dichter, der in Wien (1869-
1872) und Berlin (1872-1874) studiert hat und der in Paris für
die jungen Rumänen einen Ort des Verderbens gesehen hat, und
auch nicht auf den Dramatiker Ion L. Caragiale, der die »Bonjou-
risten«, den Snobismus oder die durch die Nachahmung von
Französischem erworbenen lächerlichen Sitten ironisierte. Es
sei jedoch angemerkt, daß der Historiker Nicolae Iorga vor dem
Nationaltheater in Bukarest am 13. März 1906 eine Kundge­
bung organisiert hat, um gegen den Spielplan in französischer
Sprache zu protestieren. Zuvor hatte er eine Pressekampagne
gegen die »Nachahmer französischer Kultur und Sitten« ange­
führt. Weiters geht auf Iorga auch die Bewegung der sogenann­
ten »Semänätori§ti« zurück - als Reaktion auf die übertriebene
Imitation des europäischen Westens. Diese Bewegung vertrat

36 Rädulescu-Motru: Märturisiri, S. 27.


Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 229

einen defensiven Kurs als Prophylaxe für geistige Autarkie und


lehnte jedweden En-bloc-Einfluß von außen ab.
Einen speziellen Fall hinsichtlich des Standpunktes gegen­
über dem Kulturangebot aus »Europa« stellt die Korrespondenz
zwischen Bogdan P. Hasdeu und seiner Tochter Iulia dar, die,
höchst intelligent und dichterisch begabt, zwischen 1881 und
1888 in Paris studiert hat. Während Iulia Hasdeu die Sprache
der Deutschen »hart und unangenehm« und deren Literatur »der
französischen, englischen und sogar der italienischen unterle­
gen« empfand sowie »Deutschland und Herrn Bismarck herz­
lich« verabscheute,37 vertrat ihr Vater das Gegenteil. In einem
erstklassigen intellektuellen Briefduell erklärte Hasdeu - einer
der ganz Großen der rumänischen Kultur in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts - seiner Tochter, daß in den Wissenschaften
(vor allem in Geschichte und Philologie) ohne die deutschen ri­
gorosen und praktizierten Errungenschaften kein Fortschritt
möglich sei. Einem Fachkollegen aus Graz (Hugo Schuchard)
enthüllte Hasdeu,
Chez nous, en Roumanie, je me flatte de représenter la méthode lin­
guistique allemande, je suis presque considéré Allemand, et j’ai à
coeur de m’y affirmer, afin de pouvoir propager cette direction, la
seule vraiment scientifique, contre les perroquets que nous envoit la
faculté des lettres de Paris (je dis »La faculté des lettres«, car l’Ecole
des hautes études est quelque chose d’allemand au milieu de la
France ...).38

Trotz dieser prodeutschen Einstellung blieb Hasdeu der franzö­


sischen Spiritualität zutiefst verbunden und führte nicht zufäl­
lig seine Korrespondenz mit den europäischen Wissenschaftlern
ausnahmslos in französischer Sprache.
Gleichartiges kann auch bei anderen festgestellt werden. Ein
Beispiel ist A. D. Xenopol, der trotz seines Studiums in Deutsch­

37 P. Cornea, E. Piru, R. Sorescu (Hg.): Documente çi manuscrise literare III:


Coresponden(a B. P. Hasdeu - Iulia Hasdeu, Bucureçti 1976, S. 143.
38 B. P. Hasdeu §i contemporanii säi romäni §i sträini. Coresponden(ä III,
Bucureçti 1984, S. 79.
230 Lucian Nastasä

land stets unter dem Einfluß der französischen Kultur stand, die
er bereits in seiner Heimat gründlich kennengelernt hatte.39 Ein
anderes Beispiel ist Nicolae Iorga, der ausgezeichnete Bezie­
hungen zu deutschen Historikern hatte - vor allem zu Karl
Lamprecht, in dessen Reihe er die »Geschichte des rumänischen
Volkes« (1905) und die monumentale »Geschichte des Osmani-
schen Reiches« (1908-1913) veröffentlichte - , der im Ersten
Weltkrieg aber zugunsten Frankreichs jedwedes Bündnis mit
Deutschland ablehnte.
Innerhalb der hier untersuchten Zeitspanne haben die Rumä­
nen in der Regel ihren Studienort entweder in Frankreich oder
in Deutschland gewählt. Vorherrschend war trotz allem Frank­
reich, dessen Einfluß über eine viel längere Tradition verfügte.
Österreich(-Ungarn) als Studienland war zwar weniger beliebt,
weil es »der Unterdrücker« der siebenbürgisch-rumänischen
Brüder war, erfreute sich aber trotzdem eines relativen Inter­
esses. Vorrangig von siebenbürgischen Rumänen aufgesucht, bil­
dete das Habsburgerreich insbesondere wegen der Qualität sei­
ner medizinischen und technischen Ausbildung stets einen
Anziehungspunkt für die jungen Studierenden.40 Außerdem war
zumindest die westliche Reichshälfte mit dem gleichen »deut­
schen Geist« verbunden, der die Rumänen faszinierte, jenem
Geist der Ordnung und Disziplin, des Rationalismus und der
Gründlichkeit. Während sich Nicolae Iorga 1892/1893 mehr vom
ländlichen als vom »gepuderten und bürokratisierten Österreich
Wiens«41 angezogen fühlte, fand der Siebenbürger Cosma, der in
der Hauptstadt der Donaumonarchie studiert hatte, die Wiener
Gesellschaft »leutselig, empfänglich, gastfreundlich, zuvorkom­
mend allen Fremden gegenüber«, die man gut aufnahm, »nur

39 Vgl. A. D. Xenopol: Istoria ideilor mele. In: Serien sociale §i filosofice,


Bucure§ti 1967, S. 372.
40 Vgl. hiezu Harald Heppner: Zur Sozialgeschichte der rumänischen Histo­
riker. In: Südost-Forschungen 52, München 1993, S. 11-24.
41 Iorga: Orizonturile mele, S. 154.
Das Europa-Bild der im Ausland studierenden rumänischen Jugend 231

damit sie mit guten Eindrücken aus Wien und mit Bewunderung
für die Wiener weggingen«.42
Verglichen etwa mit Berlin, ging Wien stets als Siegerin her­
vor. Iacob Negruzzi, der 1862 in der Kaiserstadt weilte, war
sowohl im ersten Augenblick der Ankunft als auch während meines
Aufenthalts dort beeindruckt. Es [Wien] ist zweifellos glanzvoller
und populärer als Berlin. Es ist eine Metropole im wahrsten Sinne
des Wortes ... Wenn ich Wien und Berlin aufgrund meiner Kenntnisse
vergleichen wollte, müßte ich zugeben, daß Wien mehr beeindruckt.43

Als guter Kenner beider Universitätsstädte reihte der Autor hie­


bei Argument an Argument.
Obwohl meist in einem wilden Nationalismuskult erzogen, be­
gannen viele junge Rumänen, einmal ins Ausland gelangt, die
Dinge anders zu sehen, begannen zu verstehen, daß die Einkap­
selung in der Tradition keinerlei Fortschritt bringen könne. C.
Rädulescu-Motru meinte dazu, auch wenn ein Studienaufent­
halt im Ausland »in moralischer oder ästhetischer Hinsicht kein
Ideal sein kann, ist er doch eine gute Schule für den jungen
Rumänen, der zum ersten Mal die Grenzen seines Landes über­
schreitet«.44
Dasjenige Problem, dessen tiefer gehende Untersuchung je ­
doch noch offensteht, betrifft das Dilemma der jungen Rumänen,
die, im Westen studierend, der Entmutigung anheimfielen.
Rädulescu-Motrus pessimistische Worte scheinen jedenfalls spä­
tere Entwicklungen vorweggenommen zu haben, wenn er 1889
festhielt:
Ich habe nicht die Überzeugung, es zu etwas zu bringen ... Wir sind
dazu bestimmt, die Kultur, die andere aus der Tiefe ihrer Seele ge­
schaffen haben, zu trivialisieren. Ägypten macht alle Menschen gut,
der Balkan aber macht alle Menschen balkanisch, also leichtfertig,
spöttisch, genußsüchtig.45

42 Dr. Cosma:Viena de odinioarä §iViena de azi.In:PatriaIV/7,Cluj 1922, S. 1 f.


43 I. Negruzzi: Jumal, Cluj 1980, S. 143.
44 Rädulescu-Motru: Märturisiri, S. 40.
45 Ebenda, S. 41.
GHEORGHE I. FLORESCU

»Europa« als Thema im rumänischen Parlament


(1918-1938)

EINLEITUNG

Der Erste Weltkrieg ist in das Bewußtsein der Menschheit als


der »Große Krieg« eingegangen. Seine »nie dagewesene psycho­
logische Wirkung«1 rechtfertigt diesen Namen, denn die Alte
Welt war bloß in geographischer Hinsicht dieselbe geblieben.
Ansonsten ist die politische Landkarte - vor allem in Mittel-,
Ost- und Südosteuropa - neu gezeichnet worden, indem die
großen Imperien verschwanden und neue, nationale Staaten ge­
boren wurden.2 Es bestand die allgemeine Überzeugung, die un­
zähligen Opfer des Weltkrieges vor der Geschichte wären allein
dadurch gerechtfertigt, als sie den Weg zu einer neuen europäi­
schen Identität ebneten. Das System von Versailles schien die­
ser Vision zu folgen und entsprach ihr bis zu einem gewissen
Grad auch, zumindest in der Vorstellung jener, die sich als
Architekten der nationalen Selbstbestimmung verstanden.
Diese Vision ging im wesentlichen auf Woodrow Wilson zurück,
deren Mängel immer wieder Gegenstand der Betrachtung wur­
den.3 Diejenigen Regeln, die bis 1914 die internationalen
Beziehungen bestimmt hatten, machten nun einem neuen di­
plomatischen Prinzip Platz, das der Völkerbund zu verwirkli­
chen schien. Er galt als »Gesellschaftsvertrag zwischen den
Nationen«, der »die Völker der Welt aus einer alten Ära des

1 J. M. Roberts: The Pelican History of the World, 1987, S. 811-812; siehe auch
Robert Leckie: The Wars of America, New York 1981, S. 598.
2 Vgl. Robert O. Paxton: Europe in the Twentieth Century, New York 1975, S.
180; Joseph Rothschild: East Central Europe between Two World Wars,
Seattle and London 1983, S. 3.
3 Rothschild: East Central Europa, S. 3^1.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 233

Krieges und des fragilen Friedens herausführen« sollte.4 Das


neue, gleichermaßen besiegte wie siegreiche Europa sah sich ge­
zwungen, seine messianische Berufung aufzugeben, obwohl sich
seine Vorbildhaftigkeit vor allem in kultureller Hinsicht nicht
überlebt hatte. Amerika jedoch hatte aller Welt bewiesen, daß die
einstige Vorherrschaft Europas nun zu Ende gegangen war.5 Der
Traum von der Hegemonie wich der Eigenliebe, die
»eine wichtigere Rolle spielte für jene Menschen, die an der Macht
waren, als der ökonomische Aspekt: die Mystik des farbigen Buches
und das Nationalgefühl«.6

Grundsäule des künftigen Europa sollte die Demokratie werden.


Solange der Enthusiasmus der Zeitgenossen nicht von der
Erkenntnis der bitteren Realität abgelöst worden war, verstan­
den die Architekten des neuen Europa ihr Ziel jedoch als etwas
jeweils Verschiedenes. Während einerseits die Formulierung von
der »Einheit in der Vielfalt«7 auftauchte, die Europa als etwas
verquicktes Ganzes interpretierte, blieb auf der anderen Seite
die begriffliche Trennung zwischen West und Ost aufrecht. Der
Begriff »Europa« bestand parallel zu »Westeuropa« und »Ost­
europa«, wobei dem östlichen Teil des Kontinents der Hauch, ein
besonderes Territorium zu sein, haften blieb. Obwohl nach dem
Ersten Weltkrieg die Europäisierung eine Bedingung der Er­
neuerung darstellte, blieb die Diskrepanz zwischen West- und
Osteuropa weiterhin aufrecht. Europa blieb, so scheint es, »eine
proteische Realität«8, die unmöglich vereinheitlicht werden

4 David Burner, Elizabeth Fox-Genovese, Eugene D. Genovese, Forest McDo­


nald: An American Portrait. A History of the United States, New York 21985,
S. 590.
5 Vgl. Jean Marchai: Union douanière et organisation européenne, Paris 1929,
S.V.
6 Alfred Sauvy: La terre et les hommes. Le monde où il va. Le monde d’ou il
vient, Paris 1990, S. 12.
7 Fernand Braudel: Gramática civilizapilor IL Bucureçti 1984, S. 108.
8 Michel Richonnier: Les métamorphoses de l’Europe. De 1769 à 2001, Paris
1985, S. 19,177.
234 Gheorghe I. Florescu

könne, solange ihre regional begrenzten Eigenheiten eine grund­


sätzliche Dimension darstellten.

RUMÄNISCHE HOFFNUNGEN FÜR EIN NEUES EUROPA

Die Rumänen sahen ihr Schicksal immer in bezug auf Europa.9


Der Erste Weltkrieg stellte für Bukarest zwar ein unvorstellba­
res Drama dar, das zugleich aber auch die einzigartige Gelegen­
heit bot, die nationalen Ziele zu verwirklichen. Rumänien hatte
von den Mittelmächten auf die Seite der Entente gewechselt und
in besonderer Weise zu deren Sieg beigetragen. Obwohl Rumä­
nien in Paris nur als Staat mit begrenzten Rechten und mitun­
ter sogar als etwas Geringeres denn die Besiegten behandelt
wurde, war es jenes Land, dessen nationale Wunschvorstel­
lungen nahezu total in Erfüllung gingen. Die auf den Schlacht­
feldern erbrachten Opfer suggerierten die Rechtfertigung der
territorialen Gewinne, die dann mit dem Altreich vereinigt wur­
den. A u f diese Weise kam es zu dem Ausspruch, wonach »von
allen Staaten Osteuropas Rumänien beim Friedensschluß am
glücklichsten war«.10
Mehr als je zuvor wurden sich die Rumänen bewußt, in einem
europäischen Staat zu leben, und meldeten sich in diesem Sinne
auch zu Wort. In Bukarest pflegte man nicht, Rumänien und
Europa als zwei getrennte Faktoren zu verstehen, die sich al­
lenfalls sogar feindlich gegenüberstehen könnten. Wenn die
Rumänen von sich selbst sprachen, hielten sie sich für einen in­
tegralen Bestandteil des Kontinents, der in nationaler Gemein­
schaftlichkeit als Hort des Friedens dastand. Ohne eine ent­
scheidende Rolle zu spielen, sah Rumänien seine Europa-
Zugehörigkeit als Tugend an und betrachtete sich dementspre­
chend im nun gereinigten Spiegel der Alten Welt.

9 Vgl. Paraschiva Cäncea, Mircea losa, Apostol Stan (Hg.): Istoria Parla-
mentului §i a viepi Parlamentäre din Romania pinä la 1918, Bucure^ti 1983,
S. 238 f.
10 Hugh Seton-Watson: Eastern Europe between the Wars, 1918-1941, New
York/Evanston/London 31962, S. 198.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 235

Es gab vielleicht keine andere Einrichtung des rumänischen


Staates als das Bukarester Parlament, das sich mit solcher
Kompetenz und Beharrlichkeit dem Thema »Europa« gewidmet
hat. Dieses Forum war auf der Basis allgemeinen Wahlrechts zu­
standegekommen, »das ein Volk seit 1000 Jahren erträumt«11
hatte. Es war
ein Parlament der rumänischen Seele ... und die Stunde, in der die
Repräsentanten der Rumänen von überallher im ersten Parlament
des vervollständigten Rumänien versammelt sind, ist die größte
Stunde unserer Nationalgeschichte.12

Einer der Abgeordneten meinte daher:


Ich wünschte, unsere großen Verbündeten hörten, daß in diesem
Parlament Großrumäniens sich die Vertreter einer Nation befinden,
die sich ihrer Macht und ihrer Berufung hier in Europas Orient
bewußt ist.13

Ein anderer Abgeordneter, sich auf das gesamte Werk des rumä­
nischen Parlaments beziehend, betonte, daß
»diese Debattenjenseits ihres historischen Charakters, ... eine viel
größere Bedeutung haben ..., sie haben eine gegenwärtige und reale
Bedeutung, denn es ist zum ersten Mal, daß die Demokratien der
Welt aufmerksam Gehör schenken, was im und vom ersten wirkli­
chen Parlament und der ersten legalen Repräsentanz Großrumä­
niens gesagt wird«.14

Wie sehr das Weltkriegserlebnis nachwirkte, zeigt der Auftritt


des rumänischen Außenministers Take Ionescu im Februar 1921
- der »große Europäer«, wie ihn der französische Staatsmann

11 Dezbaterile Adunärii Deputation ijedin(a din 27 noiembrie 1919, S. 49


(= DAD).
12 Ebenda, 26. Dezember 1919, S. 284. Siehe auch Gheorghe I. Florescu: 1.
Decembrie 1918 in dezbaterile parlamentului romän (1918-1938). In:
Anuarul institutului de istorie §i arheologie »A. D. Xenopol« XVII, Ia§i 1980,
S. 243-254.
13 DAD, 22. Dezember 1919, S. 226.
14 Ebenda, 23. Dezember 1919, S. 237.
236 Gheorghe I. Florescu

Georges Clemenceau nannte - , als dieser von der Rednertribüne


der Abgeordnetenkammer verkündete:
Die Menschheit hat eine solche Katastrophe durchgemacht, die
Ausmaße des Gemetzels waren so riesig, die materielle Zerstörung so
groß und die soziale Gefahr so schrecklich, daß von der gesamten
Menschheit ein Schmerzensschrei erklingt, der sagt »Wir wollen kei­
nen Krieg mehr«. Meine Herren, es reicht, wenn wir uns umsehen,
wenn wir hören, was rechts und links gesprochen wird, um zu ver­
stehen, daß dies das allgemeine Verlangen nach Humanität ... ist.
Und es ist kein Schrei der Feigheit, denn nie, in keinem Krieg, gab es
soviel Heroismus wie in diesem.15

Rumänien beanspruchte sogleich, mit der Mission beauftragt zu


sein, den Frieden Europas zu verteidigen und zu festigen. In die­
sem Sinne wandte sich Ion C. Brätianu, der Architekt Großrumä­
niens, an die rumänische Nation, zugleich aber auch an Europa,
wenn er sagte: »Wir finden uns nach Jahrhunderten geschichtli­
cher Entwicklungen wieder in der Rolle als Verteidiger der west­
lichen Zivilisation, so wie wir diese auch in der Vergangenheit er­
füllt haben, als Europa von den Barbaren des Orients in der
Form des Halbmonds bedroht wurde. Wie einst, als er gleich
einem Felsen zwischen den Wellen der Horden, die sich über un­
serem Land die Hand reichen wollten, um die ganze Zivilisation
Europas aufzulösen, stand auch diesmal wie ein Felsen der
Rumäne, der erneut zeigte, was er für die anderen ist und was er
für sie tun kann.«16 Brätianu hatte die Delegation Rumäniens
bei der Friedenskonferenz angeführt und diese in jenem
Augenblick verlassen, als die »vier Großen« sich von Schieds­
richtern zu Diktatoren verwandelten. Er forderte für sein Volk
jene Achtung, die dem »Erstgeborenen der europäischen Zivili­
sation an den Mündungen der Donau« gebühre, denn »durch
seine geographische Lage, durch seine Eigenschaften, durch
seine Energien, durch seine Vergangenheit und Herkunft kommt

15 Ebenda, 28. Februar 1921, S. 891.


16 Ebenda, 17. Dezember 1919, S. 175.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 237

unserem Geschlecht eine wichtige Rolle in der Welt zu«.17 Ein


Vertreter der jungen Generation, der später Premierminister
werden sollte, dachte ähnlich. Er meinte, es sei
gut ist zu wissen, wenn unsere Generation der Meinung ist, daß wir
in dieser Ecke der Welt keine Insel der Isolierung sind, getrennt vom
Rest der Menschheit. Wir müssen unsere Augen auf die entfernten
Arenen richten, wo die Kämpfe stattfinden zwischen denen, die das
Antlitz der Menschheit verändern, und denen, die es konservieren
möchten. Jede Bewegung von dort wirkt sich auch auf uns aus; jede
Unruhe von dort wogt bis an unsere Grenzen heran.18

Ion G. Duca, der zum Zeitpunkt dieser Worte die rumänische


Diplomatie leitete, vertrat hingegen den Standpunkt, daß
wir am Kreuzweg zweier Welten stehen, zwischen der alten, die un­
tergeht, und der neuen, die aufgeht. Das Licht dieses Aufgangs ist
zwar nicht stark genug, um zu wissen, wie die gesellschaftlichen
Verhältnisse des morgigen Tages in allen Einzelheiten aussehen wer­
den, doch stark genug, um uns anzuzeigen, daß die endgültige
Lösungs- und Organisationsformel der Welt nicht in den blutigen
Umwälzungen einer Revolution wie der russischen steckt. Und wenn
das, was die heutige Stunde kennzeichnet, der große Kampf in der
ganzen Welt ist zwischen der Revolution, die Blut vergießt, um zu zer­
stören, und der Evolution, die umwandelt, um zu erlösen, dann,
meine Herren, ist die Pflicht aller bewußten Geister, aller wahren
Patrioten, sich über die Leidenschaften der Gegenwart zu erheben
und die helle Vision zu einer patriotischen Pflicht zu machen und voll
beizutragen zur Festigung dieses mit soviel Opfern errungenen
Rumänien«.19

Ein anderer Parlamentarier bemerkte:


Rumänien ist durch seine geographische Lage, durch die Aus­
dehnung seiner Territorien, die es infolge der Friedensverträge von
Paris gewonnen hat, gezwungen, eine Außenpolitik zu führen, deren
Einfluß in drei Richtungen zu gehen hat. Rumänien muß Politik in

17 Ebenda.
18 DAD, 14. Dezember 1922, S. 131.
19 Ebenda, 11. April 1922, S. 524.
238 Gheorghe I. Florescu

Mitteleuropa treiben, Politik auf dem Balkan, um das Gleichgewicht


in diesem Teil der Halbinsel zu wahren, und schließlich muß
Rumänien auch Politik im Osten machen, am Dnjestr gegenüber un­
seren Nachbarn im Osten, den Russen, und unseren Nachbarn im
Nordosten, den Polen.20

Aus all diesen Gesichtspunkten, die Jahre auseinander liegen


und von unterschiedlichen politischen Persönlichkeiten stam­
men, geht hervor, daß das neue Europa das Europa der Zukunft
und Hort des Friedens sein sollte. Rumänien richtete sich an
einer solchen politisch-diplomatischen Linie aus, da es für seine
territoriale Integrität keine brauchbare Alternative gab. Für
Bukarest war das aus dem Krieg hervorgegangene und von den
Pariser Verträgen geformte Europa ein ideales Europa, und zwar
vor allem aus der Sicht des Grenzverlaufs. Als sich Groß­
rumänien beim Wiederaufbau nach dem Weltkrieg engagierte,
sah es im Frieden keine bloße Modeformel, sondern glaubte an
seine Sinnfälligkeit. Das Europa nach 1918 war für die Rumänen
ein Komplex gleicher Nationen, obwohl ihr Land oft mit Polen,
der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Ungarn oder Bulgarien
nicht auf dieselbe Ebene gestellt wurde. Permanent gab es ge­
genüber Rumänien eine manchmal offene, manchmal kaum
wahrnehmbare Zurückhaltung, eine gewisse Distanz. Umge­
kehrt rezipierte Rumänien das aus dem Westen Kommende auch
nicht immer in gleichartiger Weise. Dies entsprach den Ver­
änderungen nach 1918, denn Europa wandelte sich ja und ent­
sprach bald nicht mehr jenen begeisterten Erwartungen wie zu
Kriegsende. Die Rumänen betrachteten Europa jedenfalls mit
dem Blick auf die Gegenwart, ohne den Gedanken an die Ge­
schichte zu verlieren, aber auch mit Sorge für die Zukunft.
Insgesamt oblag das Europa-Bild der Rumänen jedoch keiner
oberflächlichen Konjunktur, sondern stand in Zusammenhang
mit dem Bemühen, sich auch jenseits nationaler Interessen für
Frieden, Fortschritt und Vertragstreue einzusetzen.
Zu Ende des Ersten Weltkrieges war Rumänien zwar eine kon-

20 Ebenda, 9. Dezember 1921, S. 65.


»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 239

stitutionelle Monarchie mit parlamentarischen Einrichtungen,


doch hatte das Prinzip der Demokratie wie überhaupt im Süd­
osten sich erst durchzusetzen begonnen. Die »Balkanisierung«,
die für große Teile Europas ein Problem darstellte, war auch hier
gegenwärtig und beeinflußte das politisch-diplomatische, kultu­
relle und wirtschaftliche Leben. Trotzdem erkannte man, wie
aus der Ansprache König Ferdinands im Parlament am 20.
November 1919 hervorgeht, daß
uns die hohe Aufgabe zukommt, die zukünftige Einrichtung des
Vaterlandes auf solide Grundlagen zu stellen, so daß das rumänische
Volk unentwegt der Wachposten der lateinischen Zivilisation im
Osten Europas bleibe ... Wir traten in den Weltkrieg ein, den größten
und ärgsten, den es in der Geschichte der Welt gegeben hat, weil dies
unsere Ehre, unsere Pflicht und die Gerechtigkeit unserer Sache ver­
langte. An der Seite seiner glorreichen Verbündeten steht Rumänien
heute unter den Siegern der Welt. Wir erschienen bei der Konferenz
von Paris im Bewußtsein der erfüllten Pflicht und der Gerechtigkeit
unserer Forderungen, deren Verwirklichung von unseren Verbün­
deten als legitim anerkannt worden war. Die Komplexität der Pro­
bleme, die Verschiedenheit der Interessen, die schweren Umstände
der Arbeiten und der Wunsch, so schnell wie möglich dem anormalen
Zustand in der ganzen Welt ein Ende zu bereiten, führten dazu, daß
die Konferenz noch nicht alle vitalen Interessen aller Verbündeten,
der kleinen wie der großen, versöhnen konnte ... Unsere unerschüt­
terliche Entschlossenheit,

unterstrich der König in seiner Botschaft an die erste Legislative


Großrumäniens,
»ist es, ungetrennt neben unseren Verbündeten zu stehen, mit denen
wir zusammen für den Triumph der Gerechtigkeit in der Welt geblu­
tet haben, und zu diesem Zweck werden wir alles tun, um sie davon
zu überzeugen, daß unsere vitalen Interessen im Einklang sind mit
den großen Interessen des friedlichen Fortschritts im Osten Europas
... Durch die weisen Maßnahmen, die Sie ergreifen werden, werden
Sie zusammen mit der Stellung Großrumäniens in seinen interna­
tionalen Beziehungen auch unsere Interessen im Innern absichern.
Sie sind berufen, die Konstitutionalisierung zu vollenden, die sich auf
das gesamte Gebiet des vervollständigten Rumänien zu erstrecken
240 Gheorghe I. Florescu

hat, wobei auf bedeutende Notwendigkeiten zu achten ist, die dazu


bestimmt sind, die Zukunft des rumänischen Volkes und seine große
Rolle in diesen Teilen Europas zu sichern.21

Der rumänische Staatsmann aus der Zeit vor 1914, Ion C. Brä-
tianu, wandte sich gleichfalls an das Parlament, indem er daran
erinnerte, daß Rumänien bis 1914 dem Dreibund angehört hatte,
»nicht weil uns Deutschland bedroht hätte«, sondern weil die eu­
ropäischen Beziehungen diese Option verlangten. Der Krieg
habe diesen Bund kompromittiert, weshalb
»es selbstverständlich ist, daß unsere Herkunft, unsere geographi­
sche Lage und unsere Mission in diesen Regionen der Welt dazu
führen muß, daß zwischen uns und den westeuropäischen Völkern,
speziell zwischen uns und der lateinischen Zivilisation, permanente
Beziehungen herrschen, die zu jeder normalen Zeit in Beziehungen
der internationalen Freundschaft mit jenen Staaten des Okzidents
ihr Äquivalent finden müssen, mit denen die Politik Rumäniens nor­
malerweise Zusammengehen muß«.22

Als er in der darauffolgenden Sitzung seine Rede beendete, er­


klärte der Chef der National-Liberalen Partei:
... wenn nun dies die allgemeinen Richtlinien der Politik Rumäniens
sind, muß jeder Staatsmann, der die Verantwortung für diese Politik
trägt - sei er liberal, sei er konservativ -, sein Handeln mit den
Weltinteressen in Einklang bringen, die für uns die europäischen
Interessen sind ... Die Übereinkunft mit Europa,

warnte er seine Zuhörer »müssen wir so festlegen, wie es unsere


vitalen Interessen diktieren, die wir um jeden Preis absichern
müssen«. Weiters meinte Brätianu:
Im Prinzip können wir den europäischen Angelegenheiten nicht
feindlich gegenüberstehen, denn Europa ist ein Komplex, dem auch
wir angehören, auch wenn es so ist, daß in den letzten Jahren ... nur
der Wille der sechs Großmächte in Erscheinung trat. Gewiß ist, daß
jede von ihnen gegenüber den anderen Staaten einen höheren Faktor

21 Ebenda, 20. November 1919, S. 1-2.


22 Ebenda, 16. Dezember 1919, S. 158.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 241

... darstellt, aber es ist auch nicht weniger wahr, daß alle diese
Staaten zusammen einen Faktor ergeben, der mindestens genauso
stark wie eine Großmacht ist. Normal wäre es also, daß sie [die
Staaten] auch ein offizielles Ausdrucksmittel für ihre Interessen fin­
den, wenn es um eine europäische Angelegenheit geht.

Schließlich merkte der Politiker an:


In der Organisierung des aktuellen Europa mit seinen Lücken, die
zu berichtigen die kleinen Staaten ein Interesse haben, kann ich
nicht umhin anzuerkennen, daß es den Staatsmännern der kleine­
ren Mächte sehr selten gegeben ist, selbst auch europäische Ange­
legenheiten auf die Tagesordnung zu setzen, von denen ihre Inter­
essen abhängen. Heute - ganz gleich, wie unsere Auffassung von der
Gleichberechtigung der Interessen der kleinen Staaten gegenüber
den großen Staaten aussieht - sind die ersteren in der Mehrheit der
Fälle gezwungen, von den Umständen zu profitieren, die von den an­
deren geschaffen werden, um ein Maximum an Genugtuung zu er­
zielen, was ihre eigenen Interessen betrifft.

Sodann schloß der Redner:


Und wenn die Dinge so stehen, muß der rumänische Staatsmann
sehen, wie unsere Interessen bei jedem europäischen Prozeß be­
schaffen sind. Sie sind natürlich vielfältig, und unsere Aufmerk­
samkeit muß stets nach allen Richtungen hin wach sein.23

DES ALLTAGS NEUE EINSICHTEN

Nachdem das Drama des Krieges und dessen Folgen verdaut


worden waren, begann sich das Bild Europas aus Bukarester
Brille zu verändern: Die emotionale Phase ging zu Ende. Schon
im März 1920 griff Premierminister Averescu die Idee auf, der-
zufolge »Rumänien seine ausgezeichneten Beziehungen zu allen
Staaten, an deren Seite es im Weltkrieg seinen großzügigen
Tribut zollte, aufrechterhalten und festigen muß«, wobei er aber
hinzufügte, daß »die Beziehungen innerhalb der Friedensver-

23 Ebenda, 17. Dezember 1919, S. 167.


242 Gheorghe I. Florescu

träge zu unseren gewesenen Feinden wiederhergestellt werden


müssen«. Sodann unterstrich er, daß
andererseits alle Anstrengungen gemacht werden müssen, damit wir
uns ohne zweifelhafte Kompromisse die gute Nachbarschaft der uns
umgebenden Staaten sichern.

Schließlich fügte der ehemalige General hinzu:


Die Expansionspolitik hat nun einer Politik der ernsthaften inneren
Festigung Platz gemacht, weswegen wir jede Hand, die uns von jen­
seits der Grenzen aufrichtig entgegengestreckt wird, mit derselben
Aufrichtigkeit ergreifen wollen.24

Die gleiche Absicht drückte auch König Ferdinand in seiner


Botschaft vom 28. November 1920 aus, als er verkündete, daß
die internationale Lage Rumäniens durch die Verträge, die dem
Krieg ein Ende gesetzt haben, endgültig festgelegt ist ... Unsere
Beziehungen zu den Nachbarländern, an deren Seite wir gekämpft
haben, werden von Tag zu Tag enger; die Vorteile einer beständigen
Zusammenarbeit zwischen uns und ihnen werden immer offensicht­
licher.25

Ende 1920 vertrat der rumänische Außenminister die Meinung,


daß der Völkerbund als internationaler Organismus in der Lage
sei, für Europa »den Triumph des Rechts über die Gewalt« zu si­
chern, in einer Situation, in der
in allen Ländern Europas ... ein Kampf zwischen der seit vielen
Jahrhunderten stabilen Gesellschaft und einigen Versuchen aufkam,
die Ordnung der Dinge umzustürzen, um an ihre Stelle die interna­
tionale Diktatur einiger Minderheiten zu setzen ... Aber, meine
Herren, dieser Versuch prallt auf zwei unserer tiefsten Gefühle: auf
die demokratische Idee und auf die nationale Idee ... Er stößt auf die
demokratische Idee, denn wo man von der Diktatur des Proletariats
spricht, heißt das in Wirklichkeit die Herrschaft durch Gewalt einer
Gruppe über den nationalen Willen.26

24 Ebenda, 25. März 1920, S. 368, 393.


25 Ebenda, 28. November 1920, S. 1.
26 Ebenda, 25. Dezember 1920, S. 368, 393.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 243

Bereits damals, im Dezember 1920, wurde im rumänischen Par­


lament auf die Gefahr aufmerksam gemacht, die für die demo­
kratische Entwicklung Europas vom Kommunismus herrühre.
Andererseits gab es aber auch Stimmen gegen die diplomati­
schen Bemühungen der Bukarester Regierung mit dem Hinweis,
Take Ionescu solle nicht den Fehler von Ion C. Brätianu wieder­
holen und
sich nicht allzusehr in die Sache der Bündnisse hineinziehen lassen,
sei es in jene der Bildung eines östlichen Blocks oder sei es auch nur
einer europäischen Konstellation in diesem Teil Europas, genannt
»Kleine Entente«.27

Diejenigen, die das gegen das revisionistische Ungarn gerichtete


neue Bündnissystem in Frage stellten, vertraten die Meinung,
die Sicherheit eines jeden Staates habe ihren Ursprung vor
allem in dessen innerer Stabilität und Prosperität. Trotz der
Gültigkeit dieser Aussage kann aber nicht geleugnet werden,
daß ein Europa der Nationen jedoch auch eine effektive Betei­
ligung aller Staaten verlangte, um den Frieden zu bewahren.
Das rumänische Parlament war daher der Meinung, daß
eine Politik der chinesischen Mauern gleichwie eine der geschlosse­
nen Tore schädlich is t... wenn um uns von drei Seiten her der Wind
der Anarchie weht und Rußland, Ungarn und Bulgarien durch das
Ferment der Revolution gehen.28

Nicht wenige Parlamentarier forderten daher, die Grundlage


auch des neuen Rumänien durch realistische Prinzipien zu festi­
gen, mit dem Hinweis, wonach die Verbündeten zwar bei der
Errichtung der neuen Grenzen geholfen hätten, das politische
Gebäude jedoch allein auf dem Herzen und dem Verstand der
Rumänen aufzubauen wäre.29 Während Rußland vom Westen
für den Augenblick aufgegeben worden war, konnte Deutsch-

27 Ebenda, 28. Dezember 1920, S. 428.


28 Ebenda, 29. Dezember 1920, S. 455.
29 Ebenda, 30. Dezember 1920, S. 504.
244 Gheorghe I. Florescu

land, obwohl bestraft, nicht endlos an den Rand gedrückt blei­


ben, und hiemit begann eine neue Politik Platz zu greifen.
Anfang 1922 kam es im politischen Leben Rumäniens zu
einigen Veränderungen, deren Folgen die diplomatische Ent­
wicklung des Landes gleichwie die internationalen Beziehungen
und die Art der rumänischen Europa-Rezeption beeinflußten. Im
Januar 1922 gelangte nämlich die National-Liberale Partei zum
ersten Mal seit dem Weltkrieg wieder an die Regierung und be­
hielt sie vier Jahre inne - eine Zeitspanne sowohl interner
Beruhigung als auch der Kontinuität in den internationalen
Beziehungen. König Ferdinand eröffnete die erste Sitzung des
neuen Parlaments mit den Worten, daß Rumänien, »begierig nach
Arbeit und Frieden« und den eingegangenen Bündnissen treu,
»bei der zukünftigen Konferenz von Genua die Lösungen unterstüt­
zen wird, die, ohne die Souveränität der Staaten anzugreifen, zum
wirtschaftlichen Wiederaufbau Europas auf der Basis der bestehen­
den Verträge beitragen können«.

Weiters betonte der König in Hinblick auf die Kleine Entente, er


hoffe, daß die Übereinkunft mit der Tschechoslowakei und dem
Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen die internationale
Situation entlasten und festigen könne.30 Sinngemäß replizier­
ten darauf auch die Volksvertreter.31 Außenminister Duca ver­
sprach, daß »wir, von unseren großen Verbündeten ungerecht be­
handelt, ... keine Anstrengung scheuen werden, meine Herren,
um eine friedensstiftende Politik zu verwirklichen«32, und Pre­
mierminister Brätianu meinte später, aus Genua zurückge­
kehrt, u. a.:
Die Restaurierung Europas ... kann nicht anders als durch die Arbeit
und die interne Restaurierung jedes Staates erreicht werden. Mehr
als je müssen wir heute, um gute Europäer zu sein, gute Rumänen
sein.33

30 Ebenda, 27. März 1922, S. 1.


31 Ebenda, 8. April 1922, S. 334.
32 Ebenda, 11. April 1922, S. 524.
33 Ebenda, S. 608 f.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 245

ZUNEHMENDE ERNÜCHTERUNG GEGENÜBER »EUROPA«

Nach und nach tauchten vermehrt Stimmen auf, die vom »Unter­
gang des Abendlandes« eines Oswald Spengler sprachen, d. h.
von einer allgemeinen Krise in Europa.34 Von einer Reise in die
USA zurückgekehrt,35 wies Dr. Nicolae Lupu daraufhin, daß
die allgemeine Lage der Welt ernst und kritisch ist ... Ich kam zur
Überzeugung ..., daß die Situation sich nicht ändern kann, solange
es nicht die Vereinigten Staaten von Europa gibt, ... zu denen auch
Rußland und auch Deutschland zu gehören haben.36

Ein Jahr später stellte ein anderer Abgeordneter fest, daß


heute eine Weltkrise existiert ... Wir müssen betonen, daß diese
Weltkrise heute einen Höhepunkt erreicht hat; daß die Aktion der
Entschädigungen, die ein Problempunkt selbst für das kapitalisti­
sche System zu sein scheint, noch nicht ihre Lösung fand; daß dieses
Problem mit der Besetzung des Ruhrgebietes durch die französischen
Truppen eine akute Form angenommen hat; daß dies zwischen den
großen verbündeten Staaten zu Spannungen geführt hat und von
russischer Seite eine Reaktion hervorrufen kann ... Meine Herren,
es wäre noch zu unterstreichen, daß die Welt heute zwischen zwei
Formen internationaler Ordnung hin und her schwankt, zwischen
der Form, die es vor dem Krieg gab ... und der Form internationaler
Zusammenarbeit, die von der Liga der Nationen versucht worden,
aber bislang nicht gelungen ist.37

Virgil Madgearu, der die europäischen Verhältnisse so beur­


teilte, legte den Finger auf die Wunde, indem er sagte:
Die Kleine Entente erscheint heute mit einem Auge auf Paris ge­
richtet, mit dem anderen auf London ... Wenn man meint, zwischen

34 Vgl. Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes, München 1922. Sie­
he auch Richonnier: Les métamorphoses, S. 21; Romulus Cotaru: La crise de
la Société des Nations. In: Revue internationale française du droit des gens
V /l-4, Paris 1938, S. 19 ff.; Albert Aftalion: L’équilibre dans les relations éco­
nomiques internationales, Paris 1937, passim.
35 Vgl. Dr. N. Lupu: Prin lume: Jurnal american, Iaçi 1995.
36 DAD, 30. November 1923, S. 386.
37 Ebenda, 22. November 1923, S. 192.
246 Gheorghe I. Florescu

diesen Staaten eine Einheit geschaffen zu haben, ist dies eine große
Illusion.38

Mit dem Hinweis auf die wirtschaftlichen Probleme der Zeit


überraschte der Vertreter der Nationalen Bauernpartei seine
Zuhörer mit den Worten: »Im Westen und im Osten tauchen dicke
Kriegswolken auf.«39 Europa wurde also bloß fünf Jahre nach
Kriegsende schon anders wahrgenommen.
Der Regierungswechsel, der Ende März 1926 eintrat, führte
zu einer gewissen Änderung in der außenpolitischen Ausrich­
tung Rumäniens. Dennoch ließ König Ferdinand im November
1926 verlauten, Rumänien bewahre unverändert seine außen­
politische Linie, die von der Idee des Friedens und des Respekts
für die Verträge geleitet sei.40 Als wolle er die wachsende Besorg­
nis in ganz Europa leugnen, vertrat er die Meinung,
wir können also mit Genugtuung behaupten, daß unsere Bezie­
hungen zu allen Staaten die besten sind, vor allem jene zu den Nach­
barstaaten werden immer zufriedenstellender, so daß sie unsere be­
ständigen Bestrebungen erleichtern, zum Frieden ... auf dem
Kontinent beizutragen.41

Die rumänischen Parlamentarier übersahen jedoch nicht, daß


sich in Europa zu jener Stunde diktatorische Tendenzen breit­
machten, die auf die Auflösung der politischen Systeme hinar­
beiteten. »Spüren Sie nicht alle«, fragte ein Abgeordneter, »daß
heute in ganz Europa ein reaktionärer Wind weht, der die
Zerstörung des Parlaments selbst wünscht?«42 Diese Frage war
durchaus berechtigt und verwies auf das Bestehen einer ernsten
Krise. »Man beruft sich, meine Herren«, fuhr derselbe Politiker
fort, »stets auf das Beispiel Mussolini und das anderer
Diktatoren in Europa. Aber Sie übersehen etwas Wesentliches,

38 Ebenda, S. 193.
39 Ebenda, S. 206.
40 Ebenda, 14. November 1926, S. 1.
41 Ebenda, S. 2.
42 Ebenda, 27. November 1926, S. 106.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 247

nämlich daß ... Mussolini ... ein Idol der Volksmassen ist.«43
Hiemit ist ein Hinweis gegeben, daß man sich der in Europa um­
gehenden Gefahren auch für Rumänien bewußt geworden ist.
Um so mehr wurde das rumänische Parlament als politische
Errungenschaft hochgehalten, wie z. B. aus folgenden Worten
hervorgeht: »Das Parlament ist ein Tempel, in dem die Messen
des rumänischen Volkes abgehalten werden. Diese Tribüne ist
ein Altar.«44
Angesichts der Zunahme rechtsorientierter Kräfte in Europa
erkannte man, daß
es ein immenser Fehler ist, wenn wir nur die Bindung der Verträge
in Betracht ziehen, denn wir vergessen, daß die Verträge allein die
Beziehungen zwischen den Völkern nicht sichern können, denn oft­
mals sind sie ... nichts als armselige Papierfetzen, und daß die
Beziehungen zwischen den Völkern durch etwas anderes gesichert
werden, und zwar durch gegenseitiges Kennenlernen und durch
Zusammenarbeit in allen Bereichen. Es wird also notwendig sein,
daß wir die anderen Völker kennenlemen und daß sie uns kennen-
lemen.45

Den Hintergrund zu solchen Worten gaben die Spannungen auf


internationaler Ebene ab, deren Folgen sich auch Rumänien
nicht entziehen konnte. Gefahr rührte vor allem von seiten der
Nachbarn her.46 In Vorahnung zukünftiger Entwicklungen be­
merkte ein Parlamentarier daher: »Was immer man sagt, es gibt
Völker, die aus dem Krieg als Verlierer hervorgegangen sind und
niemals auf die Idee der Wiederherstellung verzichten werden,
denn sie stellen sich vor, daß ihre so verletzlichen nationalen
Ideale unter dem gegenwärtigen Status quo in Europa bluten!«47
Deshalb erkannte man in Rumänien, daß Gefahr außer vom
Revisionismus und Revanchismus besonders vom Kommunis­
mus lauere,

43 Ebenda, S. 107.
44 Ebenda, 2. Dezember 1926, S. 172.
45 DAD, 15. Dezember 1926, S. 382.
46 Ebenda.
47 Ebenda, S. 445.
248 Gheorghe I. Florescu

weshalb ganz Europa auf uns blickt, die wir zusammen mit Polen den
einzigen ernsthaften Damm gegen die Wildnis jenseits des Dnjestr
bilden. Das Licht aus dem Westen ... darf vom Feuer, von der
Verheerung aus dem Osten nicht verdunkelt werden.48

Rumänien hatte sich darauf einzustellen, daß die kulturelle und


wirtschaftliche Zusammenarbeit vor der bloßen Einhaltung von
Verträgen rangierte. Demzufolge galt es z. B., die wirtschaftli­
chen Beziehungen zu Deutschland zu normalisieren.
Während die Investitur Prinz Carols zum König im Jahre
1930 in der rumänischen Öffentlichkeit keine Änderung der
Europa-Rezeption bewirkte, beeinflußte die Lage jedoch in wach­
sendem Maß die sich verbreiternde internationale wirtschaftli­
che Krise. Ein rumänischer Parlamentarier bemerkte daher, daß
der Rezession, die die ganze Welt erfaßt habe, zwei Ursachen zu­
grunde lägen - die Unzulänglichkeiten des sozio-ökonomischen
Systems und die Widersprüche zwischen den nationalen
Interessen.49 Nachdem dieser Volksvertreter auf die
Untergangsstimmung verwiesen hatte, wie sie auch das alte
Rom gekannt habe, meinte er voll Optimismus:
Aber, meine Herren Abgeordneten, wenn wir ... die Dinge analysie­
ren ... werden wir finden ... die Krise, von der wir sprechen, ist noch
keine Agonie, sondern bloß eine vorübergehende Krankheit ... im
wirtschaftlichen und politischen Leben.50

Auch Grigore Gafencu, der zukünftige Außenminister, schilderte


die Verhältnisse zunächst nicht so bedrohlich, wenn er sagte:
Unser Europa ist im Laufe der Zeit so klein geworden, daß alle
europäischen Probleme miteinander eng verbunden sind; der allsei­
tige Friede und eine freundschaftliche französisch-deutsche Zusam­
menarbeit bedeuten bis in die tiefsten balkanischen Täler hinein
Ruhe sowie eine allgemeine Atmosphäre der Entspannung.51

48 Ebenda, S. 484.
49 Ebenda, 28. November 1930, S. 91.
50 Ebenda und Guglielmo Ferrerò: Grandeur et décadence de Rome, Paris 1902-
1907.
51 DAD, 3. Dezember 1930, S. 154.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 249

Dann setzte er jedoch in anderem Tone fort:


Wir leben in schweren, kalten Zeiten ... die Umstände haben uns [die
Rumänen] dahin gestellt, wo die Interessenkonflikte und der
Zusammenstoß der Leidenschaften lebendiger sind. Es gibt kein eu­
ropäisches Problem, das nicht auch uns trifft, und, vor allem, es gibt
keine europäische Gefahr, die sich nicht... auch gegen uns richtet...
Im Kampf um den Frieden, der allerorten ausgetragen wird, gerieten
wir zwischen die Fronten und sind gezwungen, auf Leben und Tod zu
kämpfen. Wir brauchen also eine Kampfpolitik, nicht eine des blin­
den Vertrauens, sondern eine der beständigen Sorge; nicht eine der
oberflächlichen Informationen, sondern eine der genauen und voll­
endeten Orientierungen; wir brauchen keine schönen Worte, sondern
stetes Handeln.52

Aus diesem Grunde verwundert es nicht, wenn ein anderer


Abgeordneter zwei Tage nach Gafencus Auftritt klagte, die
Wunden der Soldaten seien noch gar nicht geheilt und doch höre
man schon wieder Stimmen, die zu den Waffen rufen.53 Dem­
entsprechend spendete ein anderer Abgeordneter Trost, indem
er sagte:
Aber, meine Herren, nach der Flut der Demokratie kommt nun die
Ebbe. Das Gesetz des Pendels: Nach der Schwingung nach links kam
die Schwingung nach rechts. Was aber unbestreitbar ist: Seit einiger
Zeit spürt man in Europa einen reaktionären Wind.54

NEUE HOFFNUNGEN, NEUE ENTTÄUSCHUNGEN

Mit der Überwindung der Wirtschaftskrise und der Rückkehr


der National-Liberalen Partei an die Regierung (Herbst 1933)
kam es auch bei dem im rumänischen Parlament gehegten
Europa-Bild zu leichten Veränderungen: Zu der Skepsis über die
aktuelle Entwicklung gesellte sich neuerlich eine Portion Opti­
mismus. Im Herbst 1934 z. B. wandte sich Carol II. an die

52 Ebenda, S. 157.
53 Ebenda, 5. Dezember 1930, S. 197.
54 Ebenda, 10. Dezember 1930, S. 240.
250 Gheorghe I. Florescu

Volksvertretung. A uf die eine Seite stellte er - als friedenssi­


chernde Maßnahmen - den Abschluß des Balkanpakts mit der
Türkei, Griechenland und Jugoslawien und die Aufnahme der di­
plomatischen Beziehungen zur bislang verfeindeten UdSSR, auf
der anderen Seite gab er die Warnung ab, daß jenseits
aller erfreulichen Zeichen, die an uns von soviel Seiten ergehen, die
internationale Lage auch Symptome aufweist, die eine stete und un­
ermüdliche Wachsamkeit verlangen.55

Die Skepsis gegenüber der Zukunft vertiefte sich nach der


Ermordnung des jugoslawischen Königs in Marseille, so daß ein
Abgeordneter zu dem Schluß kam, die konstitutionelle Regie­
rungsform sei in vielen Staaten Europas und auch in Rumänien
ins Wanken geraten.56 Weiters erfüllte auch die Entwicklung in
Deutschland und Ungarn die rumänischen Parlamentarier mit
Sorge.57
Während sich der König gezwungen sah, angesichts der wach­
senden politischen Auseinandersetzungen innerhalb Rumä­
niens zu antidemokratischen Mitteln zu greifen, verfolgte er
nach außen nach wie vor einen defensiven Kurs. In diesem Sinne
sagte er am 15. November 1936, daß
die rumänische Außenpolitik inmitten der Unruhen, die das inter­
nationale Leben der Gegenwart bewegen, fortfährt, ohne Zögern und
mit vollendeter Ruhe ihr höchstes Ziel zu verfolgen: die Wahrung des
Friedens und die Integrität unserer für die Ewigkeit gezogenen
Grenzen58 ... In der beunruhigenden gesellschaftlichen Atmosphäre,
die heute in der ganzen Welt herrscht, halte ich es für meine Pflicht
... einen Appell zu richten an das Verantwortungsgefühl aller
Rumänen.59

Angesichts der verschärften internationalen Situation reichten


die Verweise auf die »großen Verbündeten« und die Abkommen

55 DAD, 15. November 1934, S. 3.


56 Ebenda, 4. Dezember 1934, S. 83 ff.
57 Ebenda, 10. Dezember 1934, S. 172.
58 Ebenda, 15. November 1936, S. 2.
59 Ebenda, S. 2 f.
»Europa« als Thema im rumänischen Parlament (1918-1938) 251

mit diesen nun nicht mehr aus, und das Verhältnis zu den
Nachbarn gewann im politischen Kalkül ein ungleich größeres
Gewicht.
Die Diskussionen, die es rund um diese Rede gab, legten offen,
daß Europa für das rumänische Parlament nicht mehr dasselbe
bedeutete wie einst und daß die nach Kriegsende gehegten
Hoffnungen verflogen waren. Deshalb tauchte erneut die Idee
der Vereinigten Staaten von Europa auf, wie dies schon 1922 der
Fall gewesen war.60 Obwohl der König den Völkerbund in Genf
als eine international wirksame Einrichtung empfahl, die den
Frieden der Welt garantiere, waren immer mehr Parlamentarier
zu dem Standpunkt gekommen, daß
es nicht zulässig ist, uns in Illusionen zu ergehen, was die
Möglichkeit des Völkerbunds betrifft, den Frieden zu sichern und zu
wahren, wodurch die bewaffneten Konflikte zwischen den Nationen
beseitigt werden. Dies ist eine gefährliche Politik, die Illusionen
schafft und nährt, die sich auf eine verführerische, aber in der Praxis
unanwendbare Ideologie stützt, denn sie übersieht die Realitäten.61

Der Redner setzte dann hinzu:


Unter welchen Bedingungen und durch welche Mittel könnte der
Friede verteidigt werden? Das ist die Frage, die sich heute allen
Regierungen stellt, die eine friedliche Politik verfolgen, wie es die
Politik auch unserer [rumänischen] Regierung ist, vernünftig, posi­
tivistisch, eine Politik der Verteidigung der durch Verträge festge­
schriebenen Rechte und der nationalen Interessen.62

Europa entpuppte sich am Ende der dreißiger Jahre als etwas


gänzlich anderes als das, was die Generation der Politiker von
1918 entworfen hatte, weshalb die Hoffnungen derer, die ge­
meint hatten, die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs würden
eine Wiederholung ausschließen, sich als immer trügerischer er­
wiesen. Die Rumänen lehnten mehrheitlich ab, der Wahrheit ins

60 Ebenda, 18. November 1936, S. 23.


61 Ebenda, 24. November 1936, S. 37.
62 Ebenda, S. 41.
252 Gheorghe I. Florescu

Gesicht zu blicken, denn sie konnten nicht verstehen, was sich


anbahnte. Ende 1936 hieß es in einer parlamentarischen Rede,
Rumänien habe keine territorialen Ansprüche und wolle nichts
als Frieden.63 Diese Aussage spiegelt wider, daß man den in
Europa vorherrschenden Gemütszustand nicht zur Kenntnis
nahm. Hierin unterschieden sich die rumänischen Parlamen­
tarier allerdings nicht von den meisten Staatsmännern in Eu­
ropa, die sich über die weitere Entwicklung ebenfalls Illusionen
machten. Nur so kann man verstehen, wie der Zweite Weltkrieg
nach nur zwei Jahrzehnten ausgelöst wurde, obwohl die ganze
Welt einen solchen Alptraum für nicht wiederholbar gehalten
hatte.

63 Ebenda, 28. November 1936, S. 122 f.


GHEORGHE ONIfjORU

Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz:


Die Entwicklung des Westeuropa-Bildes in
Rumänien (1944-1989)

EINLEITUNG

Im folgenden handelt es sich um die Frage, wie sich in einem


Land wie Rumänien, das infolge der sowjetischen Okkupation
1944 sozialistisch geworden ist, die westliche Welt widerspiegelt.
Offiziell hat das kommunistische Regime eine bestimmte Ten­
denz vorgegeben, die den politischen Notwendigkeiten ent­
sprach. Wenn man davon absieht, daß zwangsläufig auch Mo­
mente der Zusammenarbeit oder offizielle Besuche in den
westlichen Staaten (Westeuropa und die USA) ins Rampenlicht
gerückt wurden, war der Westen ein ideologischer Feind, der in
der Form der »Ausbeutung des Menschen durch den Menschen«,
des barbarischen Kapitals, der Drogen, der Gewalt und des
Verbrechens an die rumänische Öffentlichkeit herangetragen
worden ist. Hiezu verwendeten die Machthaber alle Medien.
Allerdings muß man berücksichtigen, daß die rumänische
Bevölkerung vor allem in der ersten Zeit ab 1944 vom Westen,
insbesondere von den Amerikanern1, die Rettung aus den Fän­
gen des Kommunismus erwartet hat.
Auch in chronologischer Hinsicht unterlag das Bild West­
europas je nach der Natur der Beziehungen zwischen den beiden
Blöcken bzw. zwischen der Bukarester Regierung und den west­
lichen Ländern einem Wandel. Die Loslösung Rumäniens aus
der sowjetischen Umklammerung und die etwas unabhängigere
Rolle ab den sechziger Jahren verbesserten die Beziehungen

1 Siehe dazu ausführlicher Gheorghe Oni§oru: Vin americanii. De la speranp


la iluzie in Romania postbelicä. In: Anuarul institutului de istorie A. D.
Xenopol XXXI, Ia§i 1994, S. 299-314.
254 Gheorghe Oni§oru

zum Westen zwar, doch kam es in den letzten Jahren des Ceau-
§escu-Regimes erneut zu einer Krise.

KRIEGSENDE UND SOWJETISCHE MACHTÜBERNAHME

Infolge des Staatsstreichs vom 23. August 1944 verließ Rumä­


nien den Machtbereich Hitler-Deutschlands. Gleichzeitig kam es
innerhalb Rumäniens zu einem spektakulären Wechsel, indem
die Sozialdemokratische und die Kommunistische Partei, die in
der Zwischenkriegszeit keine bedeutende Rolle gespielt hatten,
nun zusammen die Regierung bildeten. Während die Sozial­
demokraten im Rahmen der Verfassung von 1923 und des in der
Amtszeit Ion C. Brätianus verabschiedeten Wahlgesetzes am po­
litischen Leben teilgenommen hatten, waren die Kommunisten
bereits 1924 verboten worden. Trotz der neuartigen sozialdemo­
kratisch-kommunistischen Zusammenarbeit waren die ersten
öffentlichen Kundmachungen im Herbst 1944 noch relativ neu­
tral. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Constan-
tin Titel Petrescu, erklärte im September vor westlichen Jour­
nalisten in Bukarest, er plädiere
für eine Zusammenarbeit mit dem ausländischen Kapital, und wir
denken da besonders an die großen Kapitalmärkte aus Amerika,
England, Frankreich, um das Land komplett wieder aufzubauen.2

Die Vorsitzenden der demokratischen Parteien, der National-


Liberalen und der National-Tzaranistischen Partei (Dinu
Brätianu und Iuliu Maniu), blickten hoffnungsvoll nach Westen,
weil die Rote Armee im Land Panikstimmung verursacht hatte
und die rumänischen Kommunisten unter deren Schutz ent­
schlossen zum Angriff übergegangen waren. Man wußte noch
nichts von der berühmt-berüchtigten Abmachung zwischen
Churchill und Stalin, wonach die Einflußsphären im östlichen
Europa zwischen Moskau und London prozentuell aufgeteilt
worden waren. Weil diese Politiker auf die Normalisierung der

2 »Libertatea«, 12. September 1944.


Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 255

Verhältnisse vertrauten, meinte Corneliu Coposu von der Natio-


nal-Tzaranistischen Partei in Hinblick auf die Rede Churchills
nach dessen Rückkehr in der Parteizeitung »Dreptatea«:
Die Rede des britischen Premierministers erhellt das Dunkel dieser
stürmischen Zeiten mit dem Licht eines Leuchtturms, den nicht ein­
mal die wütendsten Wogen dieser bewegten Welt ins Schwanken
bringen können.3

Andernteils gab Iuliu Maniu seiner Enttäuschung über die


Entwicklung nach dem 23. August mehrere Male Ausdruck. Am
27. November z. B. telegrafierte John LeRougetel, der britische
Vertreter in Bukarest, ans Foreign Office das Resümee eines
Gesprächs mit Maniu: Dieser habe ihm mitgeteilt, daß »er be­
trogen wurde und seinerseits Millionen von Rumänen betrogen
hat, welche ihn [Churchill] für ihren Führer hielten«.4
Iuliu Maniu hatte die Lage richtig erkannt. Stalin hatte nicht
nur den Sieg über Hitler, sondern auch die Sicherung seiner
Vorherrschaft über einen möglichst großen Teil Europas betrie­
ben.5 Dies spiegelt sich u. a. in folgenden statistischen Angaben
wider. Im Augenblick der deutschen Kapitulation gab es im be­
setzten Österreich 350.000 Sowjetsoldaten, wogegen sich in
Rumänien nur 80.000 aufhielten. Später sank die Zahl der
Rotarmisten in Österreich bis auf 65.000 herab (1. November
1946), während zur gleichen Zeit in Rumänien mehr als 240.000
sowjetische Soldaten die »Sicherheit« des Landes garantierten.6
Indem sie die internationalen Abkommen skrupellos brachen

3 »Dreptatea«, 30. Oktober 1944: Discursul domnului Churchill §i Romania.


4 Nicolae Baciu: Agonia Romäniei, München 1987, S. 125.
5 Bezeichnend ist, was Stalin 1945 in Moskau Iosip Broz Tito erklärte: »Dieser
Krieg ähnelt nicht dem der Vergangenheit; wer ein Territorium erobert, setzt
sein eigenes Gesellschaftssystem durch. Alle Welt setzt ihr eigenes System
überall dort durch, wo sie mit ihren Armeen hingelangt.« Siehe: Milovan
Djilas: Conversations avec Stalin, Paris 1991, S. 153.
6 Sergiu Verona: Military Occupation and Diplomacy. Soviet Troops in
Romania, 1944-1958, o. O. 1992, S. 49. Ebenfalls am 1. November 1946 zähl­
ten die Besatzungstruppen der USA 276.000 Mann, die Großbritanniens
291.000 und Frankreichs 80.000, während die Sowjetunion diesen allein
1.529.000 Soldaten gegenüberstellte. Ebenda, S. 50.
256 Gheorghe Oni§oru

und über die formale Unabhängigkeit Rumäniens hinweggin­


gen, setzten die Sowjets in Bukarest am 6. März 1945 die erste
von Kommunisten dominierte Regierung ein7 und übertrugen
deren Leitung dem Vorsitzenden der Bauernfront, Petru Groza.8
Einmal an der Macht, initiierten die rumänischen Kommunisten
eine Welle des Terrors, um jedwede Formen von Opposition im
Keim zu ersticken. Vor diesem Hintergrund wurde jeder Kontakt
mit westlichen Diplomaten oder in Bukarest akkreditierten
Journalisten als Akt des Verrats interpretiert. Dazu ein Beispiel,
das sich auf den Patriarchen der rumänisch-orthodoxen Kirche,
Nicodim, bezieht. Anläßlich eines Treffens mit dem Vertreter der
Vereinigten Staaten in Bukarest, Burton Y. Berry, am 2. No­
vember 1945 legte der rumänische Geheimdienst folgende Notiz
an:
Herr Berry, der Chef der amerikanischen Vertretung, begleitet vom
amerikanischen Journalisten Stevens, wurde vom Patriarchen Nico­
dim empfangen. Die Audienz fand in Gegenwart von Herrn Professor
§tefanescu statt ... Das Kirchenhaupt kritisierte vehement die An­
wesenheit der Sowjets in Rumänien und zählte Einmischungen in die
rumänischen Angelegenheiten auf. Für Herrn Dr. Petru Groza hatte
der Patriarch lobende Worte übrig, kritisierte aber diejenigen Regie­
rungsaktivitäten, die er als Resultat der von der Rumänischen
Kommunistischen Partei aufgezwungenen Politik sah. Der Patriarch
betonte die Tatsache, daß gegen die politischen Parteien der Vor­
kriegszeit eine durch nichts gerechtfertigte Kampagne der Kompro-
mittierung geführt werde, und zwar gegen die National-Liberale und
die National-Tzaranistische Partei, die in der Stadt - wie insbeson­
dere in der ländlichen Bevölkerung - die gleiche Anhängerschaft
haben. Er lobte den König und unterstrich, daß die National- Demo­
kratische Front ihn in eine delikate und beleidigende Situation ge­
bracht habe; das Volk aber liebe seinen König. Zum Schluß bat Herr
Berry durch Herrn Stevens den Patriarchen um Stillschweigen über

7 Siehe hiezu: 6. martie 1945. ínceputurile comunizärii Romäniei, Bucure§ti


1995.
8 Einzelheiten siehe in Gheorghe Oni§oru: Frontul Plugarilor - partid politic
sau organizape de masä? (1944—1953). In: Acta Moldaviae Meridionalis,
Vaslui 1990-1992, S. 245-255.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 257

das, was besprochen worden war, dies auch im Interesse des


Kirchenhauptes selbst, um keine Unannehmlichkeiten zu haben.9

Die Sympathie der Bevölkerung galt den Anglo-Amerikanern,


was z. B. anläßlich der großen Kundgebung vom 8. November
1945 klar in Erscheinung trat. Im Bericht der Bukarester Poli­
zeipräfektur (Abteilung Sicherheitspolizei) werden diese Ge­
fühle dokumentiert:
... Um 10.15 Uhr erschienen zwei Militärautos mit Engländern und
Amerikanern, die mit Hochrufen empfangen wurden. Da die Wagen
blockiert waren, stiegen die Fahrgäste aus und wurden von den
Demonstranten auf Händen zum kleinen Eingang des Königs­
palastes getragen.10

Infolge des Beschlusses der Konferenz der Außenminister in


Moskau (15./25. Dezember 1945) wurde die rumänische Regie­
rung mittels der Kooptierung je eines Ministers ohne Porte­
feuille von der National-Tzaranistischen und der National-Libe­
ralen Partei pro forma umgebildet, und Ministerpräsident Petru
Groza versprach, binnen kürzester Zeit freie und korrekte Wah­
len zu organisieren. Diese Regierung erkannten Großbritannien
und die USA an. Deren Vertreter legten im Rahmen der Alli­
ierten Kontrollkommission am 27. Mai und am 14. Juni Protest
ein, als Rumänien seinen Verpflichtungen nicht nachkam.11
Die Spannung in der rumänischen Öffentlichkeit nahm, wie
aus dem Informationsbericht aus den zwölf Verwaltungsbezir­
ken vom Februar 1946 hervorgeht, immer mehr zu:
Wenn in politischer Hinsicht die Anerkennung unserer Regierung
durch England und die USA eine fühlbare Verbesserung der
Gemütsverfassung und des Vertrauens in die Zukunft mit sich
brachte, erzeugte in wirtschaftlicher Hinsicht die außerordentliche

9 Arhivele Statului Municipiul Bucure§ti (= ASMB): Fond Prefectura Polipei


Capitalei dosar 451/1944-1945, f. 52.
10 Arhivele Statului Bucure§ti (= ASB): Fond Direcpa Generala a Polifiei, dosar
25/1946, 37 f.
11 Siehe den Wortlaut in »Dreptatea« vom 8. und 28. Juni 1946.
258 Gheorghe Oni§oru

Teuerung der letzten Zeit allgemeine Unruhe und sogar Aufregung


in den Reihen der öffentlichen Beamten.12

Ein anderes Bulletin der Bukarester Polizeipräfektur (16. April


1946) beleuchtet gleichfalls den Gemütszustand der hauptstäd­
tischen Bevölkerung:
Immer stärker geht das Gerücht um, daß bald ein bewaffneter
Konflikt zwischen Amerika und England einerseits und der UdSSR
andererseits ausbrechen wird. Dieser Eindruck entstand dank der
Hilfe, welche die Anglo-Amerikaner Griechenland und der Türkei zu­
kommen ließen; England wird der Türkei 500 Kriegsflugzeuge lie­
fern. Man hofft noch, daß es infolge der harten Maßnahmen der grie­
chischen Regierung gegen die Partisanen und in der Türkei durch die
Auflösung der Gewerkschaften und der politischen Parteien zu
Konflikten kommen wird.13

Als die Eröffnung der Friedenskonferenz von Paris bevorstand,


signalisierte Rumänien ein Interesse an Brücken zum Westen;
der Leiter der rumänischen Diplomatie, Gheorghe Tätäräscu,
war das Aushängeschild dafür. Gemäß den korrigierten gesetzli­
chen Grundlagen waren für die rumänischen diplomatischen
Vertretungen vorgesehen: 7 Botschaften, 28 Legationen und 31
Konsulate. Die sieben Botschaften befanden sich alle in Europa,
und zwar in Ankara, Athen, Belgrad, Moskau, Paris, Warschau
und im Vatikan. Dazu kamen innerhalb Europas weitere 17
Legationen und 18 Konsulate.14
Zu diesem Zeitpunkt war der kalte Krieg jedoch bereits fühl­
bar im Gange, und am 5. März 1946 prägte Winston Churchill
die berühmte Formel vom »Eisernen Vorhang«.15 Außerdem ver­
dichtete sich im Westen die Widerstandsbewegung der rumäni-

12 ASB: Fond Ministerul de Interne, Direcpa Administrapei de Stat dosar


12/1946, f. 10.
13 ASMB: Fond Prefectura Polipei Capitalei dosar 627/1947, f. 25.
14 Monitorul Oficial 1/57 vom 8. März 1946, S. 2074-2083.
15 »Von Stettin an der Ostsee bis nach Triest an der Adria fiel ein eiserner
Vorhang über den ganzen Kontinent. Hinter diesem Vorhang befinden sich
nun die Hauptstädte der alten Staaten aus dem Zentrum und dem Osten
Europas: Warschau, Berlin, Prag, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 259

sehen Exilanten, deren Wortführer der ehemalige Außenmini­


ster Grigore Gafencu war. Am 10. Mai 1946 erschien im »Journal
de Genève« eine Nachricht über den Empfang des rumänischen
Exdiplomaten im Foreign Office durch den Chef der Abteilung,
Ernest Bevin. Gafencu, der sich in der Schweiz niedergelassen
hatte, erklärte offen, daß er sich darauf vorbereite, die Leitung
des rumänischen Exillagers zu übernehmen.16 Dieses trat u. a.
dadurch hervor, daß es anläßlich der Eröffnung der Pariser
Friedenskonferenz ein Memorandum deponierte.17
Derlei Aktionen wurden vom Zentralkomitee der Rumäni­
schen Kommunistischen Partei als »Verleumdung und Verrat«
schärfstens verurteilt,18 weshalb das Interesse der westlichen
Staaten an Rumänien vor den Wahlen (19. November 1946) um
so mehr anstieg. Hector McNeill, Minister in der Labour-Regie-
rung Clement Attlees, erklärte damals:
In Rumänien erfreut sich die Opposition nicht der Freiheit. Es fehlt
ihr die Propagandafreiheit, und die Nutzung des Rundfunks ist in
Rumänien verboten. Desgleichen kommen aus einigen Bezirken
Informationen über Ungesetzlichkeiten bei der Erstellung der
Wählerlisten.19

Der amerikanische Staatssekretär Dean Acheson stieß in das


gleiche Horn, wenn er die Wahlfälschungen verurteilte.20 Trotz­
dem beschränkten sich die Großmächte aber doch nur auf Er­
klärungen, da sie dem Abschluß der Friedensverträge Vorrang
einräumten.

Alle diese berühmten Hauptstädte und die Bevölkerung dieser Länder lie­
gen nun in der Einflußzone der Sowjets.« Siehe Baciu: Agonia, S. 196.
16 ASB: Fond Regele Mihai - personale dosar 20/1946, f. 2.
17 George I. Duca: Cronica unui romän in veacul XX/III, München 1985, S. 168.
18 Siehe das Stenogramm der Sitzung des ZK der RKP vom 31. August 1946,
Arhivele Statului Galafi: Fond Regionala RC.R. »Dunärea de Jos« dosar
1/1946, f. 96 ff.
19 »Dreptatea«, 29. Oktober 1946.
20 ASB: Fond Presedinfia Consiliului de Mini§tri - cabinet dosar 195/1946, f. 12.
260 Gheorghe Oni?oru

WACHSENDE ISOLIERUNG, BLEIBENDE HOFFNUNGEN

Nachdem die rumänische Delegation am 10. Februar 1947 den


Friedensvertrag unterzeichnet hatte,21 konnte die sowjetische
Führung auf zweideutige Formulierungen verzichten und dazu
übergehen, die Länder ihres Machtbereichs voll in das sowjeti­
sche System einzubauen.22 Obwohl Iuliu Maniu diesen Weg vor­
aussah, hoffte er immer noch darauf, daß die USA und die west­
lichen Demokratien Rumänien nicht aufgeben würden. Ansatz­
punkte für derartige Hoffnungen waren die entschlossene
Haltung des Weißen Hauses gegenüber der Sowjetunion, die
Geschäftsübernahme des Generals Marshall als Chef des State
Departements, jene Rede des amerikanischen Präsidenten, die
dann als »Truman-Doktrin« bekannt wurde, die offene amerika­
nische Unterstützung für Griechenland und die Türkei sowie die
Kritik an den Übergriffen der Regime in Rumänien, Bulgarien
und Ungarn.23
Ein Ergebnis dieser »politischen Schachzüge« des Westens
war ein neuerlich wachsender Optimismus. Dies geht u. a. aus
den Tagebuchnotizen des ehemaligen Premierministers, General
Constantin Sänätescu, hervor. Am 14. März 1947 schrieb er, daß
Trumans Rede allgemeine Verblüffung hervorrief. Es ist die stärkste
Rede, die gegen Rußland und die Kommunisten gehalten worden ist.
Interessant ist die Tatsache, daß die amerikanische öffentliche
Meinung für einen eventuellen Krieg gegen Rußland gewonnen
wurde. Es findet eine allgemeine Belebung in allen Ländern statt,
und neue Hoffnungen sind sichtbar.24

Einige Tage später hielt er fest:

21 Siehe den Wortlaut und einige Kommentare in ASB: Fond Casa Regala Mihai
dosar 4/1947, f. 6-31.
22 Robert King: A History of the Romanian Communist Party, Stanford 1980,
S. 52.
23 John Lewis Gaddis: The Long Peace. Inquiries into the History of the Cold
War, Oxford 1987, S. 159.
24 Constantin Sanatescu: Jurnal, Bucure§ti 1993, S. 244.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 261

Trumans Rede steht auf der Tagesordnung, und viele glauben, daß er
die Möglichkeit eines Krieges nähergebracht hat; das wäre schließ­
lich auch die beste Lösung zur Liquidierung des Kommunismus.25

So aufmerksam die rumänische öffentliche Meinung die Ver­


suche der USA, Großbritanniens und Frankreichs verfolgte, den
Kreml zu Zugeständnissen zu bewegen, zerstörte die Konferenz
der Außenminister in Moskau (März 1947) die bis dahin geheg­
ten Illusionen, denn sie ließ den Plan des amerikanischen
Staatssekretärs General Marshall platzen, der beim Wieder­
aufbau auch die Sowjetunion und Osteuropa inkludiert sehen
wollte.26 Am 4. Juli fand in Bukarest unter dem Vorsitz des
Vizepräsidenten und Außenministers Gheorghe Tätäräscu -
Premierminister Petru Groza war nicht anwesend - eine Regie­
rungssitzung statt. Obwohl er, wie aus einer Denkschrift zu ent­
nehmen, die Herauslösung aus der kommunistischen Allianz be­
trieb, schlug der Vizepremier einen pragmatischen Weg ein.
Nachdem er trotz Molotows Widerstand darüber informierte, wo­
nach auch Rumänien eingeladen sei, dem Marshall-Plan beizu­
treten, erklärte der rumänische Außenminister folgendes:
Also, es ist mein Standpunkt, der Standpunkt des Außenministers,
der für die auswärtige Politik des rumänischen Staates verantwort­
lich ist, daß wir an dieser Konferenz nicht teilnehmen können. An
dieser Konferenz teilzunehmen heißt, in einer so wichtigen Sache
und in einem so bedeutenden Augenblick, wie es der heutige ist, eine
Haltung einzunehmen, die eine andere als jene der Sowjetunion ist.27

Gheorghe Gheorghiu-Dej und Çtefan Voitec schlossen sich ihm


im Namen der Rumänischen Kommunistischen und der Sozial­

25 Ebenda, S. 245 (Eintragung vom 20. März 1947).


26 Dies bedeutete desgleichen, daß eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion
nicht mehr möglich war. Vgl. W. Averell Harriman: America and Russia in a
Changing World. A Half Century of Personal Observation, New York 1971,
S.31.
27 ASB: Fond Pre§edinpa Cosiliului de Mini§tri, Stenogramme dosar 7/1947,
f. 8. Die Opposition war enttäuscht. Siehe den Brief Dinu Brätianus zur
Stellungnahme der National-Liberalen Partei zugunsten einer Teilnahme an
der Konferenz in: »Liberalul«, 15. Juli 1947.
262 Gheorghe Oni§oru

demokratischen Partei an. Es ist klar, daß die einheitliche Zu­


rückweisung des Planes durch die Regierungen der osteuropäi­
schen Länder zur Vergrößerung jener Kluft beigetragen hat, die
die beiden von den USA und der UdSSR schon damals geführten
Machtblöcke trennte.
Während die rumänische Bevölkerung vom Westen (West­
europa und die USA) die Errettung vom Kommunismus erhoffte,
schlugen die neuen Machthaber einen gänzlich anderen Weg ein.
Sie wiesen das Angebot des Marshall-Planes ab und veranlaßten
den Beitritt Rumäniens zum Rat für Gegenseitige Wirtschafts­
hilfe28 und zum Kominform.29 Weiters liquidierte man die poli­
tische Opposition, indem man die National-Tzaranistische und
die National-Liberale Partei auflöste, Tätäräscu aus der Regie­
rung ausschloß, die Abdankung des Königs und die Ausrufung
der Volksrepublik erzwang sowie die Vereinigung der Rumä­
nischen Kommunistischen Partei mit der Sozialdemokratischen
Partei herbeiführte. Im übrigen wurden eine lange Reihe politi­
scher Prozesse angezettelt, in denen nach stalinistischem Vor­
bild als Leitmotiv die Anklage auf Spionage zugunsten des
Westens angewandt wurde. Extrem harte Strafen waren die
Folge. In der Anklageschrift gegen die Führer der National-
Tzaranistischen Partei hieß es u. a., daß
Maniu und seine Partei, als Führer der rumänischen Reaktion, von
Anfang an ergebene Diener des fremden Kapitalismus waren,

28 Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (= COMECON), gegründet am 20.


Januar 1947.
29 Die Grundlagen der Organisation wurden infolge der Konferenz von Szklar-
ska Poreba (22.-27. September 1947) gelegt, an der neun kommunistische
Parteien aus Europa teilnahmen (UdSSR, Bulgarien, Jugoslawien, Polen,
Ungarn und Rumänien, Tschechoslowakei, Frankreich und Italien). Siehe
Jean Baptiste Duroselle: Histoire diplomatique de 1919 ä nos jours, Dalloz
1962, S. 513; Brian Crozier: Since Stalin. An Assertment on Communist
Power, New York 1970, S. 36 f; Fejtö: Histoire, S. 189. Dabei muß gesagt wer­
den, daß das Kominform nicht als neue Komintern betrachtet wurde, siehe
Milorad H. Drachkovitch, Branko Lazitch: The Comintern: Historical High­
lights. Essays, Recollections, Documents, New York 1966, S. 256.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 263

Agenten des Imperialismus, die die Souveränität, die Freiheit und


die nationale Unabhängigkeit des rumänischen Staates verraten ha­
ben.30

Die Hauptangeklagten, Iuliu Maniu und Ion Mihalache, hatten


sich demnach der Spionage für die Amerikaner und der Kolla­
boration mit der Exilgruppe um Grigore Gafencu, Alexandru
Cre^eanu und Grigore Niculescu-Buze§ti, der sich auch General
Nicolae Rädescu31 zugesellt hatte, »schuldig« gemacht.
Der Kurswechsel Rumäniens gegenüber den westlichen Staa­
ten wirkte sich auch im Außenministerium aus. Nach dem
Rücktritt Tätäräscus und der Übernahme der Amtsleitung
durch Ana Pauker trat Richard Franasovici, der rumänische
Botschafter in London32 und einer der engsten Mitarbeiter des
Außenministers, zurück. Insgesamt wurden bis März 1948 über
200 Beamte entlassen, an deren Stelle 268 Personen des neuen
Regimes eingestellt wurden.33 Nach der Abdankung König Mi­
chaels demissionierten zusätzlich der rumänische Generalkon­
sul in London sowie in Istanbul.34
Ab 1948 kam es im Zuge des politischen und gesellschaftlichen
Systemwechsels zu grundlegenden Veränderungen in der rumä­
nischen Gesellschaft. Ein wesentlicher Faktor wurde nun eine
neue Führungsschicht, die Partei-Nomenklatura. Die Mehrheit
der Bevölkerung hingegen lebte unter anhaltendem Terror, der
mehr oder weniger nur im Untergrund Widerstand auslöste.
Trotzdem blieb die wenn auch blasse Hoffnung aufrecht, die
Westmächte würden entschlossen intervenieren. Im Oktober

30 Siehe ausführlich: Actul de acuzare in procesul conducätorilor fostului Partid


National färänesc, Bucure^ti 1947.
31 Am 30. Oktober 1947 verließ Nicolae Rädescu Lissabon Richtung USA. Vor
seiner Abfahrt hinterlegte er eine Denkschrift bei der amerikanischen
Botschaft in Portugal: Romänia. Viata política in documente, Bucure§ti 1994,
Document 49.
32 Monitorul Oficial 1/287 vom 11. Dezember 1947, S. 10964.
33 Siehe Ion Calafetéame Schimbäri in aparatul diplomatic románese dupa 6.
martie 1945. In: 6. martie 1945, S. 168.
34 »Manchester Guardian«, 1. Januar 1948.
264 Gheorghe Oni§oru

1948 z. B. fand ein Prozeß statt, den die Behörden gegen eine so­
genannte Agentengruppe zugunsten der USA eingeleitet hat­
ten.35 Der Zweck dieses Prozesses wurde von Justizminister
Avram Bunaciu folgendermaßen definiert:
Sinn dieses Prozesses ist es, keinen Zweifel mehr über die
Einmischung Amerikas in unsere inneren Angelegenheiten zu las­
sen, und deswegen muß auch das Komplott aufgedeckt werden. Zu
dieser Stunde sind das die Befehle, und wir haben sie zu respektie­
ren.36

Die kommunistische Presse schilderte den Westen als kapitali­


stisches Inferno, in dem »die Ausbeutung des Menschen durch
den Menschen« den Ton angab. Die Stimmungsberichte der für
die Erhaltung der neuen Ordnung zuständigen Organe zeigen
demgegenüber an, welche Vorstellungen tatsächlich über den
Westen kursierten. So heißt es in einem Bulletin des Gendarme-
rieinspektorats Ia§i vom Februar 1948 u. a.:
Auf dem Lande zirkuliert das Gerücht eines nahe bevorstehenden
Krieges zwischen dem imperialistischen anglo-amerikanischen La­
ger und Sowjetrußland, was den Bewohnern große Sorgen bereitet...
In der Gemeinde §ipote, Kreis Ia§i, soll am 7. Februar 1948 anläßlich
einer Hochzeitsfeier ein Bewohner dieser Gemeinde namens Toader
Dolmäceanu behauptet haben, er sei Monarchist und habe alle die­
jenigen beschimpft, die ihn und den ehemaligen König haßten, und

35 Die Liste umfaßt Max Auschnit, Alexandra Bal§, Ion Bujoiu, George Bontilä,
Nistor Chioreanu, Alexandru Gheorghiu, Horia Mäcelariu, George Manu,
Nicolae Märgineanu, Nicolae Pätra§cu, Alexandra Popp, Eugen Teodorescu.
Siehe Nicolae Märgineanu: Amfiteátre §i inchisori. Märturii asupra unui
veac zbuciumat, Cluj-Napoca 1991, S. 183.
36 Ebenda, S. 173. Derselbe Märgineanu notiert in seinen Memoiren: »Des­
gleichen in Jilava erfuhr ich auch den Grund des »großen Prozesses«,
anläßlich der Anhörung General Rädescus und Minister Vi§oianus bei der
UNO über die Bedingungen, unter denen Wyschinski die Regierung Groza
installierte. Infolgedessen klagte Acheson, der amerikanische Minister,
Wyschinski der Einmischung in die inneren Angelegenheiten Rumäniens an,
was eine Übertretung der Vereinbarungen von Jalta bedeute. Anstatt einer
Antwort erhob Wyschinski die gleichen Anschuldigungen gegen Acheson, und
unser Prozeß sollte nun die Beweise erbringen, daß seine Behauptungen
wahr seien.« Ebenda, S. 177.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 265

gesagt, er wolle als Rumäne sterben, und daß die als Mitglieder der
Rumänischen Kommunistischen Partei Eingetragenen ehemalige
Legionäre waren und sich das Mühlenrad drehe.37

Ein anderes Bulletin des Gendarmerieinspektorats Ia§i (April


1948) weist gleichfalls auf die Stimmung im ländlichen Milieu
hin:
Unter den Bewohnern der Gemeinde Räcäciuni/Bacäu ging in letzter
Zeit das Gerücht um, amerikanische und italienische Truppen seien
in Triest gelandet und hätten es besetzt, da es zu Italien gehöre ...
Ein anderes Gerücht besagt, daß alle Freundschafts- und gegensei­
tigen Hilfsverträge keine Wirkung hätten und angesichts der mo­
dernen Flugtechnik und der Sprengstoffe, die Amerika besitzt, nutz­
los seien, da keine Armee, egal wie stark sie auch sei, all dem
widerstehen könne.38

Viele Gerüchte fanden durch die westlichen Radiosender ihre


Nahrung, die die verschiedenen Formen des Widerstandes sti­
mulierten.39 Daher darf es nicht verwundern, wenn im Oktober
1948 z. B. die Präfektur Fälciu an das Ministerium für Innere
Angelegenheiten folgendes berichtete: »... Es geht auch das
Gerücht um, daß bald Krieg sein wird, in dem die Amerikaner
die Kraft der Atombombe einsetzen werden.«40 Das Thema eines
Krieges zwischen dem Westen und der Sowjetunion wird von der
Generaldirektion der Volkssicherheit auch andernorts wahrge­
nommen. Ein Bericht vom 1. November 1948 stellt den Fall einer
gewissen Elena Mocanu aus Bukarest dar, die
»aus den USA einen Brief mit reaktionärem und chauvinistischem
Charakter bekommen hat, in welchem geschrieben steht, daß die

37 Arhivele Statului Ia§i (= ASI): Fond Inspectoratul General Administrativ Ia§i


dosar 8/1948, f. 211.
38 Ebenda, f. 248-251.
39 Ein Zeuge der unruhigen Jahre notierte in seinen Memoiren zum Monat Mai
1948: »Große Hoffnungen. Amerika wird die kommunistische Diktatur im
Osten Europas nicht dulden. So wenigstens geht es aus dem hervor, was die
westlichen Radiosender sagen«, G. Dumitrescu: Demascarea, München 1978,
S. 12.
40 ASI: Fond IGAI dosar 8/1947, f. 133.
266 Gheorghe Oniçoru

Amerikaner so bald wie möglich nach Rumänien kommen werden,


um das Volk von der kommunistischen Plage zu befreien«.41

Im Jahre 1948 fuhren die Behörden fort, die offiziellen Kontakte


mit dem Westen sukzessive einzuschränken. Beginnend mit der
Aufkündigung des Konkordats zwischen Rumänien und dem
Vatikan42 aus dem Jahre 1927, wurden am 31. Juli per Verord­
nung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten die Hono­
rarkonsulate der Schweiz (in Bräila, Cluj, Constanfa und
Galati), Schwedens (in Bukarest, Bräila, Braçov, C on sta ta ,
Sibiu und Timi§oara), Italiens (in Galati, Bräila, Timisoara,
Ploie§ti, Ia§i, Craiova, Constanfa und Tîrgoviçte) und Portugals
(in Bukarest, C o n s ta ta und Galati) geschlossen.43 Die interna­
tionale Isolierung unterstreicht auch die Tatsache, daß Rumä­
nien Ende 1948 zu jenen zwölf europäischen Ländern gehörte,
die noch immer nicht in die Organisation der Vereinten Nationen
aufgenommen worden waren.44 Hingegen »erfreuten« sich die
Rumänen der »Protektion« durch die sowjetische Armee, deren
Bestand in der Zeit von Mai 1948 bis September 1952 zwischen
32.000 und 35.000 Soldaten schwankte.45
Die Lage änderte sich auch in den folgenden Jahren kaum.
Aus einem Bulletin vom 2. Januar 1949 geht hervor, daß in der
Gemeinde Luncävifa, Kreis Tulcea, 12 Manifeste entdeckt wor­
den waren mit dem Titel: »Partisanen, ergebt euch nicht, denn es
dauert nicht mehr lange. Es lebe die anglo-amerikanisch-rumä-

41 ASB: Fond Ministerul de Interne, Direcfia Administrafiei de Stat dosar


32/1948, f. 10. Die Hoffnungen waren vergebens, denn gemäß dem Bericht des
Nationalen Sicherheitsrats der USA vom 14. April 1948 »muß es den Satel­
litenstaaten gegenüber unser Ziel sein, stufenweise und, eventuell, die gänz­
liche Eliminierung der sowjetischen Vorherrschaft in Osteuropa zu verwirk­
lichen, ohne daß es zum Krieg kommt«, Baciu: Agonia, S. 246-249.
42 Monitorul Oficial 1/164 vom 19. Juli 1948, S. 5964.
43 ASB: Fond Ministerul de Interne, Direcjia Administrajiei de Stat dosar
34/1948, f. 38.
44 Die anderen Staaten waren Albanien, Österreich, Bulgarien, Irland,
Finnland, Deutschland, Ungarn, Italien, Portugal, Spanien und die Schweiz.
45 Die Zahlen sind, im großen und ganzen, im September 1952 identisch mit
denen für Österreich und Ungarn. Siehe Verona: Military Occupation, S. 51.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 267

nische Armee«.46 Demgegenüber ist einem Memorandum der


USA zur Politik in Osteuropa zu entnehmen, daß Rumänien für
Washington von sekundärer Wichtigkeit sei, da es zum sowjeti­
schen Lager gehöre.47 Aus dem Umstand, daß Präsident Harry
Truman am 1. August 1951 die Meistbegünstigungsklausel für
die Sowjetunion und die sozialistischen Staaten Europas ab­
lehnte, war gleichfalls der politische Kurs des Westens zu ent­
nehmen. Ansatz zur politischen Anklage war jedoch nicht allein
die Spionage zugunsten der USA, sondern auch die Weigerung
der griechisch-unierten Kirche, sich mit der orthodoxen Kirche
zu vereinigen. Im Geiste jener Epoche fand zwischen dem 10. und
17. September 1951 ein großes Justizspektakel statt, der soge­
nannte Prozeß gegen die »Spione, Verräter und Verschwörer im
Dienste des Vatikans und der italienischen Spionage«.48
Nach dem Tode Stalins (1953) begannen die rumänischen
Machthaber ihre Position gegenüber dem Westen ebenso wie ge­
genüber Moskau neu zu bestimmen, um so mehr, nachdem am
14. Dezember 1955 sechzehn Staaten, darunter auch Rumänien,
in die UNO aufgenommen wurden und am 15. April 1956 für das
Kominform-Büro das Ende gekommen war. Einerseits startete
der Parteivorsitzende Gheorghe Gheorghiu-Dej im Mai 1956
eine Kampagne gegen Schriftsteller und »Kosmopoliten«, die im
Grunde vor allem auf den jüdischen Autor Alexandru Jar hin­
zielte.49 Andererseits näherte sich Rumänien dem sowjetischen
Gegner China. In dieser Zeit entsann sich das offizielle Rumä­
nien zudem auch der Latinitätstradition des Landes, weshalb
man, beginnend mit dem Jahre 1957, bemüht war, die Bezie­
hungen zu Paris und Rom zu verbessern.50 Dieser Zeitpunkt ist

46 ASB: Fond Ministerul de Interne, Direcfia Administrafiei de Stat dosar


1/1949, f. 18.
47 Die Denkschrift ist vom 1. Dezember 1949, Scott McElvain: The United
States and East Central Europe: Differentiation or Detente. In: East Euro­
pean Quarterly XXXI/4, Bolder 1987, S. 452 f.
48 Siehe Victor Frunzä: Istoria stalinismului in Romänia, Bucure§ti 1990,
S. 392.
49 Stephen Fischer-Galati: Twenty Century Rumania, New York 1970, S. 146.
50 Ebenda.
268 Gheorghe Oni§oru

deshalb bedeutsam, weil er in die Zeit nach dem Ungarn-Auf­


stand von 1956 fällt. Die Einstellung des Westens spielte sowohl
in den sozialistischen Ländern als auch in der Diaspora eine
nicht unwesentliche Rolle, doch erwies sie sich nicht tragfähig
genug für Änderungen in absehbarer Zeit.51 Innerhalb der rumä­
nischen Bevölkerung nahmen die Gerüchte über das nahende
Kommen der Amerikaner ab, und auch die Widerstandsgruppen
in den Bergen schränkten ihre Tätigkeit ein.

BEFRISTETES TAUWETTER

Am Anfang der sechziger Jahre wandte sich das Blatt, als sich
die Bukarester Diplomatie neu ausrichtete und folgerichtig auch
das Bild Westeuropas in einem neuen Licht erscheinen ließ. In
den rumänischen Kinos begannen wieder westliche Filme zu
laufen, ausländische Modezeitschriften tauchten auf, und die
Außenkontakte nahmen wieder zu. Im Mai 1961 wurden die
Legationen Englands und Frankreichs in Bukarest in den Rang
von Botschaften gehoben.52 Touristen aus dem Westen kamen
nach und nach ins Land, und die auflagenstarke amerikanische
Zeitung »New York Times« bezeichnete Rumänien 1961 als
»boom-country« innerhalb des sowjetischen Blocks.53 Trotz die­

51 1958, als er sich zum zweiten Mal im Gefängnis von Jilava befand, erzählte
der ehemalige liberale Minister Aurelian Bentoiu seinen Zellengenossen:
»Ich war bereits einmal verhaftet und sechs Jahre lang Gefangener. Nach der
Revolution in Ungarn im Jahre 1956 ermutigte uns Radio >Free Europe«,
indem es uns ankündigte, daß in unserem Land freie Wahlen stattfinden
würden. Ich sprach mit dem Botschafter Amerikas in Bukarest, aber er hatte
keine Anordnung in diesem Sinne. Meine Freunde, die Liberalen, kamen zu
mir, um sich zu informieren, um uns zu organisieren für diese zukünftigen
Wahlen. Vor sechs Monaten dann, plötzlich, verhafteten die Kommunisten
unsere ganze Gruppe und verurteilten uns wegen konterrevolutionärer poli­
tischer Aktivität. Die amerikanische und englische Botschaft, bei denen un­
sere Ehefrauen intervenierten, rührten keinen Finger, um uns zu schützen.«
Gheorghe Mazilu: In ghearele securitäpi. o. O. 1990, S. 115 f.
52 Vlad Georgescu: Istoria romänilor de la origini pänä in zilele noastre, Los
Angeles 1989, S. 300-305.
53 Joseph Harrington, Bruce Courtney: Romania’s Changing Image: Bucharest
and the American Press, 1952-1975. In: Paul D. Quinlan (Hg.): The United
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 269

ses Wandels meinten Historiker wie Politiker, daß die hiemit ein­
gegangenen Risiken gegenüber Moskau nicht größer waren als
jene Charles de Gaulles gegenüber den USA.54 Einen neuen
Höhepunkt brachte das Jahr 1964. Die außenpolitische Neu­
orientierung der Bukarester Führung im April, die Befreiung der
letzten politischen Häftlinge im Sommer sowie der Besuch des
rumänischen Premierministers Ion Gheorghe Maurer in Paris
im Juli wurden im Westen als Akte der Courage gesehen.
Daraufhin schlossen die USA mit Rumänien ein Handelsab­
kommen ab, das die gewandelte Haltung Washingtons gegen­
über dem nun nicht mehr monolithisch verstandenen sowjeti­
schen Block signalisierte.55 Geradezu sensationell entwickelte
sich der Tourismus: 1964 besuchten Rumänien ca. 180.000 Aus­
länder, deren größter Anteil auf die 30.000 Besucher aus der
Bundesrepublik Deutschland entfiel.56
Der Nutznießer dieser Kursänderung wurde Nicolae Ceau-
§escu57, der, 1965 an die Macht gekommen, die von Gheorghiu-
Dej eingeleitete Politik eine Zeitlang fortführte. 1967 wurde dar­
aufhin Ion Gheorghe Maurer ins Weiße Haus eingeladen, und
Präsident Richard Nixon besuchte Bukarest. Mehr noch, im glei­
chen Jahr wurde der rumänische Außenminister sogar zum
Vorsitzenden der UNO-Vollversammlung gewählt, und zwar als
erster Repräsentant eines kommunistisch geführten Staates.58
Den Höhepunkt in der von Moskau abgekoppelten Politik stellte

States and Romania. American-Romanian Relations in the Twentieth Cen­


tury. Woodland Hills 1988, S. 109.
54 Fejtö: Histoire II, S. 18.
55 Harrington-Courtney: Romania’s Changing, S. 110. Am 20. Januar 1964
schrieb die »New York Times«, daß Gheorghe Gheorghiu-Dej sein Land zur
Unabhängigkeit von der UdSSR führe. Ebenda, S. 112.
56 »East Europe« 14/5, New York 1965, S. 53.
57 Die »Times« erschien am 18. März 1966 mit Nicolae Ceaucescu, »dem ener­
gischen und jungen Führer Rumäniens«, auf dem Titelblatt. Harrington-
Courtney: Romania’s Changing, S. 105.
58 Siehe Sherman Spector, René Ristelhueber: A History of the Balkan Peoples,
New York 1971, S. 403, und Vladimir Tismäneanu: La révolte de la vieille
garde. In: Les temps modernes 2, Paris 1952, S. 39.
270 Gheorghe Oni§oru

der rumänische Entscheid im Jahre 1968 dar, an der Besetzung


der Tschechoslowakei nicht teilzuhaben.59
Erschien das rumänische Westeuropa-Bild der siebziger Jahre
in einem positiven Licht, so änderte sich das im letzten Jahr­
zehnt der kommunistischen Diktatur. Erfaßt von dem Ehrgeiz,
mit allen Mitteln und um jeden Preis (Aushungerung der
Bevölkerung, »Verkauf« der Siebenbürger Sachsen und Juden,
Waffenexporte60 etc.) alle Auslandsschulden zurückzuzahlen,
hegte der Conducator die Annahme, der Westen sei Rumäniens
Feind. Die Rumänen blickten in den letzten Jahren des
Ceau§escu-Regimes daher erneut voller Hoffnungen auf den
Westen. So erfreuten sich einerseits die westlichen Radiosender
steigender Beliebtheit, während andererseits immer mehr
Menschen versuchten, illegal über die Grenze in die freie Welt zu
gelangen. Es kam auch zu offenen Revolten, sei es der Berg­
arbeiter im Schiltal 1977, der Studenten von Ia§i im Februar
1987 oder der Arbeiter aus Bra§ov am 15. November des gleichen
Jahres.
Dieser vom Ceau§escu-Clan verfolgte Kurs stieß auf allgemei­
nen Widerstand, sogar die »alte Garde« aus den Zeiten Gheor-
ghiu-Dejs war aufgebracht und unzufrieden; der berühmte
»Brief der Sechs«61 ist ein Beleg hiefür. Ceau§escu wurde ange­
klagt, seine Politik habe den Westen zu repressiven Maßnahmen

59 Die Haltung Ceau§escus wurde sogar von einigen scharfen Kritikern des
kommunistischen Regimes, die im Westen lebten, begrüßt. George Cioräne-
scu schrieb z. B.: »Die tragischen Ereignisse aus der Tschechoslowakei hat­
ten ein positives Resultat für Rumänien ... Nicolae Ceau§escu bewies, daß
der Führer eines kleinen Staates sich einer Supermacht widersetzen kann.«
In: East Europe 18/6, New York 1969, S. 2.
60 1982 belegte Rumänien den 5. Platz (nach der UdSSR, den USA, Frankreich
und Großbritannien) in der Welt im Verkauf von Waffen (es wurde in nur
einem Jahr 1 Milliarde Dollar erzielt, gemäß der Zeitschrift »Business Week«,
welche sich auf die Daten der US. Arms Control an Disarmement Agency
stützte). David Britton Funderburk: Pinstripes and Reds. An American
Ambassador Caught between the State Departement and the Romanian
Communists, 1981-1985, Washington 1987, S. 49.
61 Siehe Text und eine Diskussion dazu in: Les temps modernes, Paris, S. 42-45.
Vom kalten Krieg zur friedlichen Koexistenz 271

gezwungen, z. B. zur Schließung einiger Botschaften.62 In einem


Interview für die amerikanische Zeitschrift »Newsweek« vom
August 1989 erklärte der rumänische Diktator zum Fall der
sechs ehemaligen Würdenträger im Stil des frühen Stalin:
Alle sind in Bukarest... Einer von ihnen ist Agent der UdSSR, einer
der Agent der USA, einer Großbritanniens und einer Frankreichs.63

AUFBRUCH ZU NEUEN UFERN

Die Zuspitzung der Lage bewirkte, daß der Westen und Moskau
im Dezember 1989 gemeinsam den Fall des Ceau§escu-Regimes
unterstützten. Der Diktator behauptete in der Sitzung des Poli­
tischen Exekutivkomitees vom 14. Dezember 1989, »die Anord­
nung« gegeben zu haben, »jedweden Tourismus zu unterbinden.
Es darf kein ausländischer Tourist mehr kommen, weil sie alle
zu Spionageagenten geworden sind«.64 Drei Tage später warf
Ceau§escu anläßlich der Telekonferenz mit den Ersten Sekre­
tären der Kreisparteiorganisationen die Idee eines Komplotts er­
neut auf, bei dem sich der Osten und Westen die Hände reichten:
Jetzt geht hervor, daß diese Sache von den ausländischen Geheim­
diensten und von den antisozialistischen, antirumänischen Kreisen
sowohl aus dem Westen als auch aus dem Osten von langer Hand vor­
bereitet worden ist.65

Als das Regime der Volksbewegung in Timisoara mit Gewalt ent­


gegentrat, löste dies auf internationaler Ebene heftige Entrü­
stung aus. Der französische Premierminister Michel Rocard er­
klärte vor der französischen Nationalversammlung, er hoffe, den

62 Das waren Dänemark und Portugal.


63 Das Interview erschien auf rumänisch am 29. Dezember 1989 im »Adevärul«.
64 »Romania liberä«, 10. Januar 1990. Weiterhin sagte Ceau§escu: »Auch aus
den sozialistischen Ländern soll keiner mehr kommen, außer aus Korea,
China und aus Kuba. Weil alle sozialistischen Nachbarstaaten für uns kein
Vertrauen erwecken. Diejenigen aus den sozialistischen Nachbarstaaten
werden als Agenten geschickt.«
65 Ebenda, 9. Januar 1990.
272 Gheorghe Oniçoru

Sturz Ceaufescus so bald wie möglich begrüßen zu können. Der


sowjetische Außenminister Edward Schewardnadse hingegen
bemitleidete die Rumänen und wies die Gewaltanwendung zu­
rück.66 Was die Menschen wirklich wollten, offenbart die
Proklamation67 der demokratischen Volksfront vom 20. Dezem­
ber 1989: Außer dem Wunsch nach freien Wahlen und der Ach­
tung der fundamentalen Menschenrechte erhob sie die Forde­
rung nach sofortiger Öffnung der Grenzen und nach Integration
Rumäniens in die zivilisierte Welt.
Der Fall des Ceau§escu-Regimes hat nicht nur Rumänien dem
westlichen Europa um etliche Schritte näher gebracht, sondern
auch die internationale Aufmerksamkeit stark erregt. Deshalb
erscheint es naheliegend, zum Abschluß der vorliegenden Studie
auch zwei Stimmen westlicher Politiker einzubeziehen. Der
österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky erklärte:
Endlich wurde das Tor der Freiheit auch für das rumänische Volk
geöffnet ... Durch den Fall des brutalen Regimes in Rumänien wird
der 22. Dezember für ganz Europa ein historischer Tag sein.

Und der französische Staatspräsident François Mitterrand


meinte:
Die Rumänen sind frei. Europa atmet erleichtert auf.68

66 Anneli Ute Gabanyi: Die unvollendete Revolution. Rumänien zwischen Dik­


tatur und Demokratie, München 1990, S. 14.
67 Siehe deren Wortlaut in Miodrag Milin: Timisoara. 15-21 decembrie 1989,
Timisoara 1990, S. 169 f.
68 Romania. 16-22 decembrie: singe, durere, sperantä. o. O. 1989-1990, S. 58.
ALEXANDRU ZUB

»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay

In einer Welt offensichtlich beschleunigten Wandels haben die


Studien zur Imagologie bedeutende Fortschritte gemacht, so­
wohl in ihrer inneren Entwicklung als auch hinsichtlich ihrer
Rezeption. So läßt sich behaupten, daß die Imagologie im Pro­
gramm der Historiographie heute stark vertreten ist, stellt doch
das »Bild des Anderen« ein bereits sehr geläufiges Thema in der
Forschung dar. Beim Welthistorikerkongreß in Stuttgart (1985)
widmete man ihr sogar eine eigene Sektion.1 Die Fremden, die
Minderheiten, die Randgruppen, die Ausgeschlossenen erregen
verstärkte Aufmerksamkeit, doch ist das Thema an sich genauso
alt wie die Geschichtsschreibung.
Im rumänischen Kulturraum haben die Vorstellungen, die die
Fremden gegenüber den Rumänen hegten, schon weit länger
Interesse hervorgerufen als die Frage nach dem Anderssein ge­
genüber jenen Fremden. Wir verfügen daher über Geschichts­
bücher aus der Perspektive der Reisenden2, über zahlreiche
Studien zum Rumänen-Bild und gar über einen Memoiren-
Korpus zu diesem Thema.3 Eingangs interessierte man sich in
diesen Arbeiten mehr für die nach außen hin produzierten
Vorstellungen, d. h. die Eindrücke, die die Rumänen in der Be­
gegnung mit Fremden (Reisenden, Missionaren, Diplomaten
etc.) hinterließen, bevor man zu ethnographischen, kulturge­
schichtlichen und ähnlichen Studien übergegangen ist. Mehrere
Generationen von Historikern orientierten ihre Forschungen in
diese Richtung, indem sie Zeitschriften wie »Arhiva romäneascä«
(1840), »Magazin istoric pentru Dacia« (1845), »Uricariul« (1852),

1 Hélène Ahrweiler (Hg.): L’image de l’autre. Etrangers. Minoritaires. Margi­


naux I—II, Paris 1985.
2 N. Iorga: Istoria românilor prin cälätori I-IV, Bucureçti 1928-1929.
3 Maria Holban etc. (Hg.): Cälätori sträini despre (ärile roinâne I-VIII,
Bucureçti 1968-1983.
274 Alexandru Zub

»Tezaur de monumente istorice« (1862), »Arhiva istoricä a


Romäniei« (1865), »Archiva pentru filológie §i istorie« (1867),
»Arhiva Societätri §tiin$ifice §i literare« (1889), »Revista istoricä«
(1914), »Cercetäri istorice« (1925) oder »Revista istoricä romänä«
(1931), benutzten, ganz zu schweigen von den Publikationen
neueren Datums, deren Interesse für die Imagologie stetig zu­
genommen hat. Von Kogälniceanu und Papiu-Ilarian zu Iorga
und Panaitescu, von Hasdeu zu Maria Holban, P. Cernovodeanu
und vielen anderen Historikern der Gegenwart stieg die Be­
schäftigung mit imagologischen Studien stark an, wobei doku­
mentarische, theoretische oder sonstige Motive dahinterstan­
den. Das letzte »klassische« Vorhaben hierüber (»Imaginea
Romäniei prin cälätori«) verdanken wir Dan A. Läzärescu, des­
sen methodologische Bemühungen beachtenswert sind.4
Die Gegenrichtung, d. h. die aus dem rumänischen Kultur­
raum nach außen gerichtete Forschung, ist nicht minder be­
deutsam, obwohl wir weit davon entfernt sind, über ausrei­
chende Grundlagenarbeiten zu verfügen. Untersuchungen und
auch partielle Synthesen liegen vor von N. Iorga, T. Oni§or, G.
Potra, V. Hilt, P. Cernovodeanu, V. Borda u. a.,5 doch erfreute sich
das Thema auch innerhalb der Literaturwissenschaft einer ge­
wissen Aufmerksamkeit.6

4 Dan A. Làzàrescu: Imaginea Romàniei prin càlàtori I—III, Bucure§ti 1985-


1986, 1995 (letzter Band unter dem Titel: Imaginea poporului romàn in
con§tiin{a europeanà).
5 N. Iorga: Romànii in stràinàtate de-a lungul timpului, Vàlenii de Munte 1935;
Teodor Oniijor: Càlàtori §i exploratori in secolul XIX, Cluj 1938; G. Potrà:
Càlàtori romàni in fàri stràine, Bucure§ti 1939; V. Hilt: Càlàtori pe §apte con­
tinente, Bucure§ti 1975; Valentin Borda: Càlàtori §i exploratori romàni,
Bucure§ti 1985.
6 Marian Popa: Càlàtoriile epocii romantice, Bucure§ti 1972; Henri Zalis:
Scriitori pelerini, Bucure§ti 1973; Zaharia Sàngeorzan: Pelerini romàni la
Columna Traianà, Bucure§ti 1979; Mircea Popa: Relapa de càlàtorie in
Transilvania in 1838-1918 sau unde càlàtore^te in stràinàtate scriitorul
romàn. In: Tectonica genurilor literare, Bucure^ti 1980, S. 260-275; §tefan
Cazimir (Hg.): Drumuri §i zàri. Antologia prozei romàne§ti de càlàtorie,
Bucure§ti 1982; Mircea Anghelescu: Càlàtori romàni in Africa, Bucure§ti
1983.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 275

DIE WIEDERENTDECKUNG »EUROPAS«

Der Historiker kann von den Veränderungen, die sich im Leben


der Wörter zutragen, heutzutage nicht mehr überrascht werden,
um so mehr, wenn es sich um »Europa« handelt. Es wird ihn nicht
wundern festzustellen, daß dieser Begriff im 15. bis 17. Jahr­
hundert in den rumänischen Chroniken und urkundlichen
Schriften ziemlich zwanglos verwendet worden ist. Für die Auto­
ren jener Texte gab es nur ein Europa, nämlich das christliche,
das sie der Welt des Heidentums entgegensetzten.7
Die Verringerung der Kontakte zum westlichen Europa im
18. Jahrhundert verursachte nach und nach das Gefühl der
Isolierung und der Frustration. Zuvor hatte man nämlich noch
keine Unterscheidung zwischen den Fürstentümern und dem
Rest des Kontinents gemacht. Cantemir verglich die Moldau und
Walachei mit den »führenden Völkern Europas«, und Fürst
Bräncoveanu sprach ohne Komplexe von »la nostra Europa«.
Durch die isolationistische Politik der osmanischen Machthaber
wurde das Gefühl der Zugehörigkeit zum Westen jedoch unter­
graben, wodurch es zu einer Einengung des Begriffes kam: »Eu­
ropa« begann sich immer mehr mit dem Okzident zu decken und
für die Rumänen stufenweise zu einer Quelle der Nostalgie zu
werden, zu einem Mythos für eine Wiedergeburt. Fürst Alexan­
dru Ipsilanti z. B. wurde gezwungen, dem Thron zu entsagen,
bloß weil sich seine Söhne 1798 ohne Erlaubnis nach Wien zum
Studium begeben hatten, obwohl das türkische Machtmonopol
ohnehin bereits im Schrumpfen war.8 Unter diesen Auspizien
symbolisierte die abendländische Gesellschaft Hoffnungen und
Versprechungen.
Was die Gelehrten vom Westen erwarteten, teilt uns z. B. der
Kleriker Grigore Rämniceanu im Vorwort zu seinem »Triodul«
(1798) mit:

7 Vgl. Räzvan Theodorescu: Civilizácia romänilor intre medieval §i modern


I—II, Bucure§ti 1987.
8 Vlad Georgescu: Istoria romänilor de la origini pinä in zilele noastre.
München 1984, S. 129 f. Vgl. mit P. Cornea: Originile romantismului romä-
nesc, Bucureijti 1972, S. 48-53.
276 Alexandru Zub

Die Menschen Europas haben scharfen Verstand und sind Geset­


zesgeber, Doktoren, Redner und auserwählte Fürsten, die alle ande­
ren Völker der Welt mit der Kraft ihres Verstandes, ihrer Sprache und
ihrer Hände gebändigt, gelehrt und bezwungen haben ... daselbst er­
blühten und erblühen die Wissenschaften, die Handwerke, die guten
Sitten.

Es ging also um ein Modell menschlichen Daseins, das auch im


rumänischen Raum Früchte tragen könne. Diese Vision wurde
vor allem von Jugendlichen aufgenommen, die voll Minder­
wertigkeitskomplexen an den ausländischen Schulen zu studie­
ren begannen. Der realen Welt warf man vor zuzulassen, daß der
Sultan die Rumänen »in tyrannischer Weise im Zentrum Euro­
pas« quäle. Für Dinicu Golescu (1826) wie auch für seinen Zeit­
genossen Eufrosin Poteca konnte daher nur das Europa »von
drüben« eine modellhafte Quelle sein.9 Der walachische Fürst
Grigore IV. Ghica zögerte nicht, 1824 einem ausländischen Di­
plomaten zu erklären, wonach »toutes les puissances de l’Europe
forment pour ainsi dire une famille inséparable«.101Das Bewußt­
sein einer europäischen Solidarität trat hiemit in Erscheinung.
Die Epoche des Organischen Règlements war trotz des russi­
schen Protektorats ein Intervall der Modernisierung, d. h.
eigentlich der erste Versuch einer Reeuropäisierung der rumä­
nischen Gesellschaft. Die damals junge Generation fühlte sich in
ihrem Wunsch jedoch betrogen, so schnell wie möglich die abend­
ländischen Werte auch in ihrem Vaterland umgesetzt zu sehen.
Daher kam es 1848 zur Idee, die Rumänen mögen ein Teil »des
allgemeinen Systems der konstitutionellen Völker im Zentrum
Europas« werden.11 Gerade diese Situation wollte die russische
Autokratie jedoch vermeiden, weswegen sich Rußland beeilte, in
den Donaufürstentümern militärisch zu intervenieren.12 Es
lohnt sich, auf die Analogie zwischen der Revolution in der Wa-

9 Georgeseu: Istoria romänilor, S. 130; vgl. derselbe: Istoria ideilor politice


romäne§ti, München 1987, S. 73 ff.
10 Ebenda, S. 74.
11 Ebenda, S. 75.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 277

lachei und im übrigen Europa hinzuweisen1 13, stand den Acht­


2
undvierzigern doch vor Augen, sich mit »Europa« zu solidarisie­
ren. Einige Mitstreiter wie I. Ghica und D. Brätianu redeten von
der »Gemeinsamkeit der Aktionen« und gar vom »gemeinsamen
Schicksal«, wie dies etwa aus den Texten eines §t. Golescu, C.
Bolliac, I. C. Brätianu hervorgeht. Andere bezogen sich explizit
auf eine »europäische« Mission der Rumänen, aus dem Glauben
heraus, die Rumänen müßten aufgrund ihrer geopolitischen
Position, aber auch im Namen der Geschichte auf dem Kontinent
eine aktive Rolle spielen.14 So traten 1838 I. Cämpeanu (in einem
Brief an Adam Fürst Czartoriski) und I. Ghica (»Poids de la
Moldo-Valachie dans la question d’Orient«) dafür ein, ihr Land
müsse ein Bollwerk des liberalen Europa werden, um den russi­
schen Expansionismus zu stoppen.15

»EUROPA«-KRITISCHE STIMMEN

Weil das Bild des Abendlandes anfangs zu idealisiert gewesen


war, so daß die Rumänen dessen Schwächen nicht wahrnahmen,
gab es antieuropäische Stimmen weitaus seltener. Erst nach
1830 wurden in einigen politischen Schriften auch negative
Folgen des Kontaktes mit dem Westen angesprochen, vor allem
bei jenen »sans pilote ni boussole« (G. Bibescu, 1847; G. Asachi,
1858).16 Der unkritische Import von Werten, die sterile Nach­
ahmung, die falschen Formen - wie bereits Kogälniceanu (1840)
und Russo (1855) verurteilten - wurden deshalb im Kreise der
»Junimea« (insbesondere durch T. Maiorescu, Th. Rosetti und M.
Eminescu) zum Ziel systematischer Analysen.17
Ein besseres Gleichgewicht zwischen den bodenständigen und
fremden Werten hat A. D. Xenopol gefunden, der nicht zögerte,

12 Ebenda.
13 Ebenda.
14 Ebenda, S. 76.
15 Ebenda, S. 79.
16 Ebenda, S. 81.
17 Ebenda, S. 83 ff.
278 Alexandru Zub

die Zivilisationsgeschichten von F. Guizot, H. T. Buckle, H. Ch.


Carey oder H. Lecky einer ziemlich strengen Prüfung zu unter­
ziehen.18 Jener Historiker, dem die Rumänen die erste moderne
und vollständige Synthese ihrer Vergangenheit verdanken, war
im Sinne der Option für die abendländischen Werte ein über­
zeugter Europäer. Es genügt, den europäischen Kontext seiner
Untersuchungen zu verfolgen, um zu ersehen, wie sehr das Werk
Xenopois von der Idee der Integration durchdrungen ist.19 Zum
Unterschied von anderen Historikern lieferte er jedoch auch eine
Theorie der Integration, weil er überzeugt war, daß diese Idee
eine logische »historische Folge« darstelle.20
Noch gewichtigere Argumente zur Integration in das »Europa
der Nationen« finden sich bei N. Iorga. A uf dem Gebiete der
Didaktik ein Universalist, hatte er damit begonnen, sich der
Geschichte des abendländischen Mittelalters zu widmen, indem
er Themen, Figuren und Ideen unzweifelhaften Interesses an­
ging. Die Monographien, Abhandlungen, Dokumentenbände,
Reiseaufzeichnungen und Vorträge zu unterschiedlichen The­
men bilden eine so umfassende Bibliographie, daß diese hier un­
möglich aufgelistet werden kann.21 Mehr als alle anderen rumä­
nischen Historiker suchte Iorga, außer den gewohnten Einschät­
zungen seitens der Fremden, die Versuche der Rumänen zu
verwerten, die sie umgebenden ethno-kulturellen Räume ken­
nenzulernen. Die Bewegung der Ideen erfolgte hiebei in doppelte
Richtung, und die Einflüsse, auch wenn sie einen verschieden­
artigen Wert besaßen, erwiesen sich als reziprok. In der Nach­
folge Kogälniceanus und Xenopois maß dieser Gelehrte den in­
terkulturellen Kontakten einen »patriotischen« Sinn zu und
faßte schließlich alles in einer »menschlichen Historiologie« zu­
sammen.22 Iorga beschäftigte sich mit Analogien, Konnexionen,
Parallelismen und Interferenzen, um eine möglichst umfassende

18 Al. Zub: Junimea, ìmplicapi istoriografice, Ia§i 1976, S. 254-262.


19 Derselbe: A. D. Xenopoi, bibliografie, Bucureçti 1973, S. 69-88.
20 A. D. Xenopoi: La théorie de l’histoire, Paris 1908, S. 395-410.
21 Barbu Theodorescu: N. Iorga, bibliografie, Bucureçti 1976.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 279

Synthese anzustreben, in der sein eigenes Volk einen selbstver­


ständlichen Platz einzunehmen hatte. »La place des Roumains
dans l’histoire universelle« (1935) krönte seine Bemühungen in
dieser Hinsicht. Neben seinen Bemühungen um die Erfassung
eines möglichst harmonischen europäischen Systems histori­
scher Entwicklung hörte Iorga nicht auf, eine Antwort auf die
Frage zu finden: Che cosa e Europa?2 23
2

ZWIESPÄLTIGE ZUWENDUNG ZU »EUROPA«

Die Verwirklichung der staatlichen Einheit nach dem Ersten


Weltkrieg hatte eine doppelte Wirkung. Einerseits stimulierte
sie - wenn auch mit einiger Übertreibung - den Enthusiasmus
der Vertreter der nationalen Idee, andererseits führte sie zu
Initiativen, die ein Gegengewicht schaffen wollten. »Großrumä­
nien« sollte im Verhältnis zum »Neuen Europa« verstanden wer­
den, so wie es sich Thomas G. Masaryk bereits 1918 vorgestellt
hatte und wie es in Bukarest Take Ionescu24 vorschlug. Die
Europa-Bewegung verzeichnete im Rumänien der Zwischen­
kriegszeit zahlreiche Anhänger aus unterschiedlichen Kreisen,
vor allem aber aus den Reihen der Intellektuellen. D. Gusti
sprach von einem »Neuen Europa« und von einer internationa­
len Gesetzgebung, die die Welt nun benötige25, während V. Pär-
van die Verquickung zwischen dem Nationalstaatsziel und dem
Ideal einer internationalen Gemeinschaft unterstrich26; T. Vianu
wiederum suchte Brücken zu jenem »großen europäischen
Geist«, von dem das Rumänentum ideell zehre.27 Es war ein gna­
denvoller Augenblick, als die politischen Bestrebungen eines T.
Ionescu und N. Titulescu mit den Veröffentlichungen vieler

22 N. Iorga: Materiale pentru o istoriologie umanå, Bucuresti 1968.


23 N. Iorga: Che eosa e Europa? Roma 1933.
24 Vasile Netea: Take Ionescu, Bucarest 1971. Vgl. auch Mihai Iacobescu:
Romånia §i Societatea Napunilor 1919-1929, Bucuresti 1988.
25 D. Gusti: Opere IV, Bucuresti 1970, S. 10.
26 V. Pårvan: Scrieri, Bucuresti 1981, S. 353-375.
27 In: Sburåtorul, 4. iunie 1919.
280 Alexandru Zub

Gelehrter inhaltlich zusammenfielen. So erschien am 25. Juni


1919 als Antwort auf die Erfordernisse der Zeit die »Idea euro-
peanä« von C. Rädulescu-Motru.28 Im Vorwort zu dieser neuen
Zeitschrift empfahl der Philosoph, die sentimentale Haltung ge­
genüber dem Europa-Gedanken aufzugeben, wie sie die Acht­
undvierziger einst eingenommen hatten, sondern auf dem
Kontinent zu einer reellen Politik zu gelangen. In diesem Geiste
setzte die Zuwendung zu »Europa« eine bessere Selbsterkennt­
nis voraus, da nur so der kulturelle Kontakt schöpferisch werden
könne. Zwei Monate später erschien eine weitere Wochenzeitung
(»Cuvintul über«), in der Eugen Filotti ein den rumänischen
Genius anregendes Programm entfaltete.29 Durch solche Mittel
fand in Rumänien eine umfassende Auseinandersetzung mit der
Europa-Idee statt, an der hervorragende Intellektuelle wie M.
Florian, D. Gusti, N. Iorga, E. Lovinescu, S. Mehedin^i, P. P.
Negulescu, M. Ralea, C. Stere und §t. Zeletin beteiligt waren.30
Obwohl der Europa-Gedanke nach und nach durch die Alltags­
probleme überschattet wurde, fand die Debatte auch im folgen­
den Jahrzehnt noch ihre Fortsetzung.31 Selbst die traditionali-
stische Zeitschrift »Gindirea« sprach von »einer einzigen Heimat
der europäischen Völker« und empfahl neue Anläufe gegenseiti­
ger Wahrnehmung auf dem alten Kontinent.32
Mit einer eindringlichen Hervorhebung der rumänischen
Kultur griff Liviu Rebreanu in die Debatte ein. Der oberflächli­
chen, sterilen Europäisierung setzte er einen Rumänismus mit
Anziehungskraft entgegen,33 worauf Filotti entgegnete, daß es
keine Unvereinbarkeit beider Richtungen gebe. Die Disjunktion

28 Vgl. I. Hangiu: Presa literara romaneasca II, Bucure§ti 1968, S. 282; Al.
Husar: Idea europeana sau noi §i Europa, Ia§i 1993, S. 341-364.
29 Husar: Idea, S. 342.
30 Vgl. Z. Ornea: Traditionalism §i modernitate in deceniul al treilea, Bucure§ti
1980.
31 Derselbe: Anii treizeci. Extrema dreapta romaneasca, Bucure§i 1935.
32 Husar: Idea, S. 345 f. Vgl. mit D. Micu: Gindirea §i gindirismul, Bucure§ti
1975 passim.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 281

sollte zur Konjunktion werden: nicht Europäismus oder Rumä-


nismus, sondern Europäismus und Rumänismus.3 34 Den Weg des
3
Kompromisses einzuschlagen, riet auch Mihai Ralea.35 Seine
Argumentation deckte sich mit der Haltung des Leiters der
rumänischen Außenpolitik, N. Titulescu, der als Präsident des
Völkerbundes ein »Minister Europas« sein wollte.36
Zur selben Zeit gab es jedoch auch gegenteilige Reaktionen,
wie z. B. des Philosophen Nae Ionescu, der dem Abendland sehr
kritisch gegenüberstand. Er schlug sogar eine Entkoppelung
Rumäniens vom europäischen System vor, auf daß sich die
Rumänen allein auf die eigenen Kräfte und auf eine spezifische
Psychologie stützen sollten;37 dessen Einstellung trug nicht
unerheblich zu den politischen Konvulsionen des vierten Jahr­
zehnts bei. Die Krise des Abendlandes beschäftigte auch andere
Autoren, doch keiner plädierte für Isolationismus und Autar­
kie.38 Zu ihnen gehörte z. B. Mircea Eliade, der den Niedergang
Europas konstatierte und eine Überwindung des »provinziell«
gewordenen Geistes auf universalistischer Grundlage emp­
fahl.39 Er befand sich diesbezüglich in guter Gesellschaft, wenn
man bedenkt, daß zur Gruppe »Criterion« der neuen Generation
auch E. M. Cioran, P. Comarnescu, C. Noica, H. H. Stahl, M.
Vulcänescu u. a. gehörten.40
Was den Beitrag der Geschichtsschreibung zur Kenntnis
Europas betrifft, muß darauf hingewiesen werden, daß wir

33 Dreptul la memorie in lectura lui Iordan Chimet IV, Cluj 1993, S. 225 ff. ; Liviu
Rebreanu: Europenism sau romànism? o. O. 1924.
34 Dreptul, S. 228 f.
35 Mihai Ralea: Europeism §i tradifionalism. In: Via|a romàneascà XVI/3/1924,
siehe auch: Dreptul, S. 231, 233.
36 Husar: Idea, S. 327.
37 Nae Ionescu: ìntre ziaristicà §i filosofie, Ia§i 1996, S. 115 ff.
38 Anton Dumitriu: Orient §i Occident, Bucure§ti 1943; Retrospective, Bucu-
re§ti 1991, S. 66-75.
39 Vgl. Dan Petrescu: Tentatio Orientis Interbellica. In Al. Zub (Hg.): Cultura §i
societate, Bucure§ti 1991, S. 397-442; Al. Zub: Istorie §i finalitate, Bucureijti
1991, S. 160-168.
40 Liviu Antonesei: Un model de acpune culturalà: grupul »Criterion«. In:
Cultura, S. 367-396.
282 Alexandru Zub

Nicolae Iorga die bedeutendsten Schriften verdanken, dessen


Werk zahlreiche Abhandlungen zum Mittelalter und zu den im­
perialen Entwicklungen im Südosten Europas umfaßt. Er zog die
Weltgeschichte nicht nur infolge des »Lehrstuhl«-Zwangs vor,
sondern auch, weil ihm diese Richtung lag. Europa nahm in die­
sem Rahmen einen ganz zentralen Platz ein. Dieser herausra­
gende Historiker wollte aufgrund einer komplexen jahrtausen­
dealten Wirklichkeit eine neue europäische Solidarität ein­
fädeln. Er starb jedoch gewaltsam in einem Moment (1940), als
auch Europa selbst starb und vor so viele historisch-kulturelle
Werte ein schwerer Vorhang fiel.
Um nur einige historiographische Forschungen zu nennen,
welche die Beziehungen des rumänischen Volkes zur europäi­
schen Welt zum Thema hatten, seien hier die Namen eines G.
Brätianu, P. P. Panaitescu, A. Ofetea, C. Marinescu, I. Lupa§ und
C. C. Giurescu erwähnt.41 Letzterer war sogar der Meinung, das
Syntagma »europäischer Südosten« solle durch »danubio-karpa-
tisches Europa« ersetzt werden, eine Metapher, die präziser und
wahrheitsgetreuer sei.

UMWEGE ZUR WIEDERBESINNUNG AUF EUROPA

Die Teilung des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg, die


Rumänien hinter den Eisernen Vorhang geworfen hat, führte
dazu, daß das Thema Europa nur mehr polemisch behandelt
werden konnte - innerhalb eines gut orchestrierten Planes zum
K ampf gegen die »bürgerliche Zivilisation« oder den »verrotteten
Kapitalismus«. Außer einigen wenigen Versuchen42 vermieden
es die Historiker im allgemeinen, ein so »unmögliches« Thema
anzugehen.
Was Europa dem kommunistischen Regime bedeutete, kann
man bestellten Schriften entnehmen, die den Zweck verfolgten,

41 Vgl. Al. Zub: Istorie §i istorici in Romänia interbelicä, Ia§i 1989, passim.
42 Vgl. Stefan §tefänescu (Hg.): Reflectarea istoriei universale in istoriografia
romäneascä, Bucure§ti 1986.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 283

die westlichen Werte in Frage zu stellen. Es mag genügen, an die­


ser Stelle das Buch »Cele douä Franke« [Die zwei Frankreichs]
von Mihai Ralea anzuführen, das im Aufschwung des Proletkults
erschienen ist43, um die neue Haltung gegenüber »Europa« zu il­
lustrieren. Die Ideengeschichte, die auf fundierter Information
mit schrägen Zielen beruhte, wurde zu einem polemischen, de­
formierenden und mystifizierenden Instrument. Das jakobini­
sche Frankreich dem katholischen Frankreich gegenüberstel­
lend, plädierte der Autor selbstverständlich für das erstere. Ein
älterer Mythos, der die französische »Welt« polarisierte,44 wurde
nun in den Dienst des Klassenkampfes und der von Moskau be­
fohlenen antiwestlichen Kampagne gestellt.
Erst später, in den 1970er und 1980er Jahren, gelangte man
aus komparatistischer Sicht zu einigen »Neubewertungen«, vor
allem in den Zeitschriften »Secolul 20«, »Revue des études sud-
est européennes«, »Cahiers roumains d’études littéraires«, »Syn­
thesis« u. a.; außerdem waren nun auch einige historiographi-
sche Untersuchungen möglich45, die jenseits der üblichen
»internationalen Beziehungen« angesiedelt waren. Die Frage
des Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie, wie sie vor
allem die Schriften Imanuel Wallersteins anregten, griff Ilie
Bädescu erneut als Problematik des »europäischen Synchro­
nismus« auf46, und die Reaktivierung des Begriffs »Mittel­
europa« rief ziemlich vehemente Reaktionen hervor.47 Die ganze
Angelegenheit regte Constantin Noica zu einem kritischen
Unterfangen an, das nicht wenige harte Repliken auslöste.48 Der
Philosoph warf der westlichen Welt nämlich vor, sie habe der

43 Mihai Ralea: Cele doua France, Bucureçti 1956.


44 Vgl. Christian Amalvi: Recherches sur les fondements et les interprétations
historiographiques du mythes des deux Frances. In L. Boia (Hg.): Études hi­
storiographiques, Bucarest 1985, S. 193-214.
45 Siehe Anmerkung 42.
46 Ilie Bàdescu: Sincronism european §i culturà criticà româneascà, Bucureçti
1984; Timp §i culturà, Bucureçti 1988.
47 Achim Mihu: Un scenariu mitopoetic: Europa centralâ. In: Tribuna XX- XIII/
14/1989, S. 10, 8.
284 Alexandru Zub

Opulenz zuliebe (»Das Deutschland der Butter« u. ä.) die huma­


nistischen Werte aufgegeben und sei vom faustischen Geist ab­
gewichen, so daß es Schritt für Schritt zu einem Verfall der eu­
ropäischen Kultur gekommen sei. Er reagierte damit auf das
Lamento, das die Untersuchungen zu dieser Kultur begleitete,
wobei er insbesondere auf eine Regenerierung schöpferischer
Kraft baute. Seine freilich exzessiv kritische Note muß als ein
Reflex gegenüber dem kapitalistischen System aus dem Kontext
der Zeit heraus verstanden werden.4 49 Noicas Standpunkt geht
8
aber auch auf die in der Zwischenkriegszeit erworbene Haltung
zurück, der der Philosoph stets verbunden geblieben ist.
Alexandru Paleologu stellte fest:
Lange Zeit bedeutete das Beiwort »europäisch« einen weiten Gei­
steshorizont, Öffnung zur Universalität, also das, woran wir uns ge­
wöhnt haben, Synchronismus zu nennen. Seit dem letzten Krieg
scheint der Begriff jedoch auch eine restriktive Nuance bekommen
zu haben. Die „europäische« Mentalität scheint heute leicht ana­
chronistisch, irgendwie veraltet, ein bißchen provinziell.50

Im Gegensatz dazu erscheint »Europa« bei Gheorghe Ursu -


einem Publizisten, der der kommunistischen Diktatur zum Op­
fer fiel - , als ein Raum voller Geschichte, Kunst und Kultur, der
eine kompensatorische Funktion erfüllte. Als der europäische
Osten mit einer Liberalisierung des Systems nicht mehr rechnen
konnte, bildete der Westen einen notwendigen Bezug, d. h. das
Versprechen für Normalität.51
A uf der Suche nach Normalität wurden ab den 1960er Jahren
einige gelehrte »Programme« formuliert. Adrian Marino, der sich
der »Cahiers roumains d’études littéraires« annahm und das
Schlagwort vom »militanten Komparatismus« in Umlauf
brachte, baute ein umfassendes Werk auf, das die Idee der Inte­

48 Constantin Noica: De dignitate Europae, Bukarest 1988; (rum. ): Modelul cul­


tural european, Bucureçti 1993.
49 Vgl. Adrian Marino: Pentru Europa. Integrarea Romäniei. Aspecte ideologice
§i culturale, Ia§i 1995.
50 Alexandru Paleologu: A fi european. In: Secolul 20/11-12/1980, S. 13.
51 Gheorghe Ursu: Europa mea, Cluj-Napoca 1991.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 285

gration der rumänischen Kultur in die universale Kultur zum


Gegenstand hatte. Er begann mit der Epoche der Aufklärung, als
die Rumänen »Europa« entdeckten, und spann den Bogen bis zu
Mircea Eliade und Constantin Noica.52 Derart konnte er einen
regelrechten »Katalog unseres rumänischen Europa« zusam­
menstellen.53 Sein Plädoyer rief bei den Anhängern des Traditio-
nalismus kritische Reaktionen hervor, die auf Kosten der uni­
versalen Dimension weiter existierten und das spezifisch Rumä­
nische betont haben wollten.54 Der Autor des Buches »Pentru
Europa« empfahl eine drastische Revision des Bildungssystems,
eine möglichst umfassende Öffnung zur Welt und vor allem zu
den westlichen Werten, die stets als Bezugspunkte zu gelten hät­
ten; nur so könnten die enge ethnizistische Vision, der Frag-
mentarismus und die Improvisation überwunden werden. Den
Gegensatz zwischen Europäismus und Autochthonismus erach­
tete Marino als falsch, denn in Wirklichkeit müsse der europäi­
sche Geist immer auch aus dem Bodenständigen schöpfen; »Eu­
ropa« müsse »nach Hause« gebracht werden - auf unkompli­
zierte Weise, konstruktiv55 und als ein wandelbares Modell:
Die Art und Weise, wie die Rumänen ihre eigene Vorstellung von
Europa entwerfen, annehmen und formulieren durch einen spon­
tanen geistigen Beitrittsakt, stellt selbst die Funktionsweise dieses
europäischen Modells dar.56

Einige gelehrte Unterfangen verfolgten einen polemischen Kurs


gegenüber dem kommunistischen Regime. Die von Adexandru

52 Adrian Marino: Luminile româneçti §i descoperirea Europei. In: Revista de


istorie çi teorie literarâ 1/1979, S. 27-48; L’indépendance de la Roumanie -
conscience nationale, conscience européenne. In: Cahiers roumains d’études
littéraires 3/1977, S. 35-40; Littérature roumaine. Littératures occidentales.
Rencontres, Bucarest 1981.
53 Marino: Pentru Europa, S. 23.
54 C. Pantelimon: »Complexul Dinicu Golescu« azi. In: Noua revistà românâ
5/1996, S. 78 f.
55 Marino: Pentru Europa, S. 110.
56 Ebenda, S. 159. Vgl. auch Mircea Popa: Adrian Marino. Elogiul spiritului eu­
ropean. In: Tribuna 40^11/1996, S. 6 f.
286 Alexandru Zub

Du^u stammenden Studien können, von diesem Gesichtspunkt


betrachtet, ein Beispiel darstellen. Wir erfahren aus ihnen, wie
das Europa-Bild der Chronisten aussah57 und welche neuen
Elemente sich in der Übergangsepoche zum modernen Zeitalter
durchsetzten.58 Mit seinem »Eseu in istoria modelelor umane«
[Essay über die Geschichte der menschlichen Modelle] (1972) un­
ternahm er, im Grunde genommen, eine Reihe von Unter­
suchungen, die daraufhinzielten, den Beitrag der Rumänen zur
Weltkultur zu definieren. Das Bild der europäischen Kultur, wie
es aus älteren oder jüngeren Texten abzuleiten ist59, blieb sein
ständiges Ziel.60 Wenn sich Duju der rumänischen Kultur wid­
mete, dann immer in stetem Bezug zur modernen europäischen
Zivilisation61, und zwar deshalb, weil ihn die Modelle, Vorstel­
lungen, Rhythmen und Analogien interessierten.62 Die verglei­
chende Methode erlaubte es ihm, zwischen den gemeinsamen
Linien und den Spezifika zu unterscheiden. Die Entdeckung der
Alterität war eine ontologische Tatsache, die von den stetig zu­
nehmenden Kontakten zur Außenwelt abhing63, aber auch von
der infolge von Wissenschaft, Kultur und Kunst wachsenden kol­
lektiven Sensibilität.64 Die rumänischen Anhänger der Moder­
nisierung legten auf die Beerbung des ersten Rom wert und
erachteten das von den Phanarioten des 18. Jahrhunderts sym­
bolisierte Rom als unwesentlich, weil vorübergehend.65 In der
Zwischenkriegszeit hatte man allerdings eine tiefer gehende
Verwertung der »byzantinischen« Dimension angestrebt, und

57 Al. Dupi: Umaniçtii romàni §i cultura europeanä, Bucuresti 1974, S. 176 ff.
58 Derselbe: Sintezä §i originalitate in cultura romàna, Bucuresti 1972.
59 Derselbe: Umaniçtii romàni, S. 156-190.
60 Ebenda, S. 62-72.
61 Derselbe: Cultura romàna in civilizafia europeanä modernä, Bucuresti 1978.
62 Derselbe: Modele, imagini, priveliçti, Cluj 1979, S. 69-96.
63 Derselbe: Literatura comparata §i istoria mentalitäplor, Bucreçti 1985, pas­
sim.
64 Derselbe: Cälätorii, imagini, constante, Bucureçti 1985, passim.
65 Derselbe: Europe’s Image with Romanian Representatives of the Enlighten­
ment. In P. Teodor (Hg.): Enlightenment and Romanian Society, Cluj-Napoca
1980, S. 143-151; Humanisme, baroque, lumières. L’exemple roumain, Buca­
rest 1984, S. 130 f.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 287

zwar durch N. Iorga und durch die um V. Papacostea gruppier­


ten »Balkanisten«. Ähnliche Anregungen kamen auch von
außen, vor allem von H. Keyserling, der im »Spektrum Europas«
die gleiche Dimension betonte.66
In diesem Zusammenhang ist wichtig festzustellen, daß es
auch eine innerrumänische Reaktion auf den »Balkanismus« ge­
geben hat. »Wir sind nicht balkanisch, denn wir leben nördlich
der Donau. Genauer wäre es, karpatisch zu heißen«, auch wenn
»wir uralte und fruchtbare balkanische Einflüsse erhalten
haben«, stellte A. Paleologu fest.67 Trotzdem war er darauf be­
dacht, die Beziehung der Rumänen zum Okzident auf der Basis
des byzantinischen Erbes zu definieren.68

STIMMEN AUS DEM EXIL

Während die Historiker innerhalb Rumäniens bloß einen indi­


rekten Diskurs rund um das Europa-Thema abwickeln konnten,
vermochten diejenigen, die außerhalb der Landesgrenzen lebten,
einen solchen uneingeschränkt zu entfalten, zuweilen sogar in
polemischen Formen. Einige Texte kamen als Antwort auf die
Teilung Europas in der Nachkriegszeit aus der Sphäre der
Diplomatie. Grigore Gafencu z. B. behandelte »die letzten Tage«
des Vorkriegseuropa69, wogegen M. Sturdza in bezug auf das ver­
lorene Land über das »Ende Europas« schrieb.70 Das Plädoyer
für die geistige Einheit des Kontinents erscheint als ein syste­
matisches Bemühen um Selbstfindung und hiemit als Versuch,
das verlorengegangene Vaterland zurückzubekommen. Wäh­
rend sich die intellektuelle Elite des Westens aufgrund des mo­
dernen »europäischen« Geistes der Notwendigkeit einer neuen

66 H. Keyserling: Analiza spectralä a Europei, Ia§i 1993, S. 277-280.


67 Al. Paleologu: Byzance après Byzance. In: Transilvania 3-4/1992, S. 102.
68 Derselbe: Nicolas Iorga, un phénomène intellectuel. In N. Iorga: Byzance
après Byzance, Paris 1992, S. VIII.
69 Grigore Gafencu: Ultimele zile ale Europei, Bucureçti 1992.
70 Mihail Sturdza: România §i sfîrçitul Europei. Amintiri din {ara pierdutâ,
Alba Iulia/Paris 1994.
288 Alexandru Zub

Solidarität bewußt wurde71 und die »Seele Europas« (Eugenio


Garin) ein stets präsentes Reflexionsthema zu werden begann,
wurde den rumänischen Exilanten immer klarer, daß die eu­
ropäische Solidarität noch utopisch war und als wirksamstes
Instrument zur Opposition gegen eine Pax soviética allein die
Kultur in Frage kam. Aus diesem Gesichtspunkt heraus strebte
Mircea Eliade danach, das Schicksal der rumänischen Kultur zu
definieren.72 In diesem Sinne dachte auch Basil Munteanu.73
Der umfassende humanistische Geist spricht weiters aus den
Schriften von Alexandra Cioränescu, Vintilä Horia, Virgil
Ierunca, Neagu Djuvara, Pavel Chihaia und Vlad Georgescu.74
Eine gesonderte Erwähnung verdient allerdings George Us-
cätescu, der beharrlichste Kommentator des Europa-Themas (El
problema del Europa, 1949; Europa ausente, 1953; Profetos de
Europa, 1962; Forjadores del espíritu europeo, 1973; Europa, nu­
estra utopia, 1978). Er spricht in Analogie zu den Baumeistern
der Einung des Kontinents von der »europäischen Heimat« und
vom »gemeinsamen Haus Europa«.75 Für die Rumänen war dies
eine jahrhundertealte Utopie.76 »Rumänien wurde zum Be­
standteil eines dynamischen europäischen Phänomens, und die
Tatsache der rumänischen Integration in ein europäisches
Schicksal ist eine wesentliche Konstante«77, meinte Uscätescu,
indem er auf die Diachronie dieses Phänomens und die laufen­
den Auseinandersetzungen hinwies.78 Für die rumänische Kul­
tur entdeckte er - wie Eliade - »universale Verantwortungen«,
obgleich sie unter kommunistischer Herrschaft vom Unglück ge-

71 L’Esprit européen. Neuchâtel 1946.


72 M. Eliade: Destinul culturii româneçti. In: Destin 6-7/1953, S. 19-32.
73 Basil Munteanu: Panorama de la littérature roumaine contemporaine, Paris
1938.
74 Vgl. Cornel Ungureanu: La Vest de Eden. O introducere în literatura exilu-
lui, Timiçoara 1995.
75 Vgl. loan Mustafa: George Uscätescu. Pledoarie pentru Europa, Bucureçti
1990, S. 96.
76 Ebenda, S. 87.
77 Ebenda, S. 73 f.
78 Ebenda, S. 84-96.
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 289

prägt wäre.79 Die europäische Integration beschäftigte sehr


lange, wie aus seinen Schriften zu entnehmen ist, auch I. C.
Drägan.80 Auf einer höheren Ebene bewegt sich die beachtens­
werte Abhandlung von Neagu Djuvaras »Civilisations et lois hi­
storiques« (1975), in der sich der Teil über die Byzantiner und
Abendländer gleichermaßen auch auf die danubio-karpatischen
Dakoromanen bezieht81, denen der Autor später auch eine ge­
sonderte Untersuchung gewidmet hat.82 Beide Arbeiten enthal­
ten beachtenswerte Einschätzungen des Begriffes »Europa«.
Selbstverständlich waren die Exilrumänen gegenüber dem
Thema »Europa« äußerst sensibel. Dieses Europa symbolisierte,
wie im 19. Jahrhundert, vor allem das romantische Frankreich,
das den Rumänen in entscheidenden Momenten geholfen hatte,
aber auch die Jahrzehnte dauernde lähmende Situation. Einer
der Mitarbeiter von Radio Free Europe, der seine Aufzeich­
nungen für den Sender kommentiert, resümierte daher:
Mein Tagebuch trägt das Siegel des Exils und des Protests gegen die
Preisgabe des europäischen Ostens seitens der westlichen Welt.83

VON »EUROPA AUSENTE« ZUR EUROPÄISCHEN


INTEGRATION

Das Syntagma George Uscätescus »Europa ausente« definierte


die Situation der gesamten von den Sowjets dominierten Zone.
Innerhalb dieses Raumes nahmen die Rumänen stets eine be­
sondere Stelle ein, vor allem von den 1960er Jahren bis in die
1980er Jahre. Die mit der Auflösung des kommunistischen Sy­
stems seit 1990 einsetzenden Veränderungen bedeuteten die Öff-

79 Ebenda, S. 69, 92-93.


80 I. C. Dràgan: Prin Europa I—III. Cluj-Napoca 1973-1980.
81 Neagu Djuvara: Civilisations et lois historiques. Essai d’étude comparée des
civilisations, Paris 1975, S. 73-150.
82 Derselbe: Les pays roumains entre Orient et Occident. Les principautés da­
nubiennes au début du XIXe siècle, Paris 1989.
83 N. Stoescu-Stîniçoarâ: în zodia exilului. Jurnalul literar, Bucureçti 1994,
290 Alexandru Zub

nung Rumäniens zur Welt hin, in erster Linie zum Westen


Europas. Die europäische Integration wurde zu einem geläufi­
gen Ausdruck, vielleicht sogar der treffendste für die Gemüts­
lage der Bevölkerung. Jedwede respektable Zeitschrift hat die­
sem Thema in den letzten Jahren breiten Raum gewährt. So
wurden Kolloquien, »runde Tische« und Konferenzen mit oft
hochkarätiger ausländischer Beteiligung organisiert, bei denen
jedoch geopolitische Fragen vorherrschten. Obwohl sich die
dabei vorgebrachten Meinungen je nach der politischen Orien­
tierung unterschieden, lassen sich in Rumänien dennoch einige
herausragende und die öffentliche Meinung beeinflussende
Kerngruppen erkennen. Die Gruppe für sozialen Dialog (Grupul
pentru dialog social), das Helsinki-Komitee für Menschenrechte
(Comitetul Helsinki pentru drepturile omului) und andere pri­
vate Einrichtungen verfolgen eine möglichst vollständige Inte­
gration in die europäischen und euro-atlantischen Strukturen.
Durch sie und durch zahlreiche Organisationen, die in ihrer
Titulatur nicht ohne Ostentation das Wort »Europa« tragen, er­
hält man Informationen, logistische Unterstützung und Zu­
gangsmöglichkeiten in die Problematik. »Europe in the Balance«
(Titel eines Buches von Cristoph Bertram, das unlängst ins
Rumänische übersetzt worden ist) ist für die Geisteslage in den
1990er Jahren bezeichnend. Zweifel und fieberhaftes Suchen
sind genauso wie die Versuche an der Tagesordnung, kategori­
sche Entscheidungen hinauszuzögern.
Am Hintergrund der Veränderungen müssen die »Europa«-
Studien wiederaufgenommen und gefestigt werden, nämlich im
Sinne der Annäherung von Nationen und Kulturen und eines
fruchtbaren Dialogs zwischen ihnen. Von einem ahistorischen
Europa darf nicht mehr die Rede sein - ohne Gedächtnis, wie es
einige von Amnesie befallene Geister suggerieren - , sondern nur
von einem mit Geschichte, Kunst und Kultur erfüllten Raum. Als
bereits in den 1960er Jahren couragierte Köpfe für eine politi­
sche Einheit des Kontinents eintraten, sah es Fernand Braudel
für angebracht, auf die Notwendigkeit der Geschichte in einem
»Europa der Nationen« hinzuweisen:
»Europa« in der rumänischen Kultur - ein Essay 291

L’histoire est l’ingrédient sans quoi aucune conscience nationale n’est


viable. Et sans cette conscience, il ne peut y avoir de culture originale,
de vraie civilisation.84

Der Wille zur Einheit ist innerhalb der Europäischen Gemein­


schaft nicht überall gleich, wie dies der Vertrag von Maastricht
oder die Regierungskonferenz von Turin zeigt. Man übt gegen­
über den Problemen, die der sowjetische Kolonialismus be­
scherte, Zurückhaltung. Das nützt der europäischen Konstruk­
tion aber nicht. Das Drama der zwischen Pruth und Dnjestr
befindlichen Moldau-Republik, der nördlichen Bukowina und
des südlichen Bessarabien ist dem Westen noch viel zuwenig be­
kannt. Man vergißt dort allzuoft, daß das »Europa der Zukunft«
das »Europa der Vergangenheit« nicht ungestraft ignorieren
kann,85 dessen konstitutive Werte von den Krisen der letzten
Jahrhunderte tief untergraben worden sind.86

84 F. Braudel: Grammaire des civilisations, Paris 1987, S. 23


85 Europaeus: Pour la construction de la véritable Europe. In: Bulletin européen
XLVI/3, Rome 1996, S. 1 ff.
86 Viorel Roman: România în Europa, 2Bucure§ti 1994; Mihai Sorin Râdulescu:
Regâsirea identitâpi (II). In: Luceafàrul 28/1996, S. 12; Octavian Aldea: în ce
Europa trâim? In: Noua revistà românà 3-4/1996.
ZEITTAFEL

1330 Das rumänische Vojvodat (»Fürstentum«) Walachei löst sich


aus der Oberhoheit des Königs von Ungarn
1359 Das rumänische Vojvodat Moldau löst sich aus der Oberhoheit
des Königs von Ungarn
1393 Die Osmanen stoßen bis an die untere Donau vor und dehnen
ihre Oberhoheit nach und nach über die beiden rumänischen
Fürstentümer aus
1396 Der Feldzug unter der Leitung des ungarischen Königs Sigis­
mund zur Abwehr der Osmanen scheitert bei Nikopolis (bul­
garisches Donauufer)
1444 Ein weiterer Feldzug gegen die Osmanen scheitert bei Varna
(bulgarische Schwarzmeerküste)
1453 Mit der Eroberung Konstantinopels durch die Türken ver­
schwindet Byzanz als politischer Faktor, erhält bei den
Rumänen nun aber um so mehr Symbolcharakter für die ei­
gene kulturelle Identität
1484 Die Osmanen verschaffen sich auf rumänischem Boden strate­
gisch wichtige Positionen (Chilia an der Donaumündung, Ceta-
tea Albä an der Dnjestrmündung), um die Schwarzmeerküste
kontrollieren zu können
1526 Mit dem osmanischen Sieg über die Ungarn bei Mohäcs ver­
schaffen sich die Türken im mittleren Donauraum zusehends
an Gewicht. Die östliche Nebenprovinz Ungarns, Sieben­
bürgen, wird in weiterer Folge ein osmanisches Vasallenland
1538 Die Osmanen verleiben sich die gesamte Küstenregion der
Walachei und Moldau ein, um eine Landbrücke zum vasalli-
schen Krimchanat zu haben
1699 Im Frieden von Karlowitz/Sremski Karlovci werden die Türken
aus dem Großteil Ungarns verdrängt; Siebenbürgen wird,
bereits seit 1688 besetzt, nun auch formell habsburgische
Provinz
1711 Der Versuch Rußlands unter Peter dem Großen, in die Donau­
fürstentümer vorzudringen, scheitert. Beginn der sogenannten
Zeittafel 293

Phanariotenherrschaft (Konstantinopler Griechen auf den


Thronen in Bukarest und Ia§i)
1718 Im Frieden von Passarowitz/Pozarevac erwirbt Österreich das
Banat und - vorübergehend - auch Oltenien (Walachei west­
lich des Olt-Flusses) und das nördliche Serbien
1774 Rußland erhält per Vertrag das Schutzrecht über die Ortho­
doxen innerhalb der osmanischen Hoheitszone
1775 Annexion des nordwestlichen Teils des Fürstentums Moldau
(»Bukowina«) durch Österreich. Das Land wird »europäisiert«
1792 Rußland annektiert das Gebiet östlich des Dnjestr und wird
Nachbar des Fürstentums Moldau
1812 Der russisch-türkische Friedensvertrag von Bukarest führt
zur Abtretung des östlichen Teils des Fürstentums Moldau
(»Bessarabien«) an Rußland
1821 Der Versuch Tudor Vladimirescus, in der Walachei den Aus­
bruch des griechischen Aufstands auszunutzen und die politi­
schen und sozialen Verhältnisse grundlegend zu ändern, miß­
lingt. Die Phanariotenherrschaft geht zu Ende, es werden
wieder einheimische Fürsten von der Hohen Pforte (türkische
Regierung) ernannt
1829 Infolge des russisch-türkischen Friedensvertrages von Adria-
nopel/Edime werden die Moldau und Walachei dem russischen
Protektorat unterworfen. Die ersten Landesstatute (Règle­
ments organiques) werden erlassen und geben den Startschuß
zur „Europäisierung“
1848 Revolution in Österreich. Die Rumänen stellen sich gegen die
Magyaren auf die Seite des Kaisers. Revolutionäre Bestre­
bungen auch in der Walachei und Moldau: russische und tür­
kische Truppen intervenieren
1853 Ausbruch des Krimkrieges. Die beiden rumänischen Fürsten­
tümer werden von russischen Truppen besetzt
1856 Ende des Krimkrieges. Die »Pariser« Ordnung erweitert den
politischen Spielraum der beiden Donaufürstentümer. Die
Moldau erhält Süd-Bessarabien zurück
1859 Wahl des moldauischen Fürsten Alexander Cuza auch zum
Fürsten der Walachei
294 Zeittafel

1861 Formelle Vereinigung der beiden Fürstentümer zu Rumänien


1866 Karl von Hohenzollern-Sigmaringen übernimmt als Carol I.
den rumänischen Thron. Neue rumänische Verfassung
1878 Rumänien erhält am Berliner Kongreß die volle Unabhän­
gigkeit (Ende der osmanischen Suzeränität) sowie die Nord-
Dobrudscha, verliert aber Süd-Bessarabien wieder
1881 Rumänien wird Königreich
1883 Rumänien geht mit Österreich-Ungarn und Deutschland den
Dreibund ein
1913 Friede von Bukarest, der den zweiten Balkankrieg beendet:
Rumänien gewinnt die Süd-Dobrudscha
1914 Ferdinand I. folgt Carol I. auf den Thron
1916 Rumänien gibt seine Neutralität auf und tritt an der Seite der
Entente in den Krieg ein. Die Mittelmächte (Deutschland,
Österreich-Ungarn, Bulgarien) wehren den Angriff ab und er­
obern den größten Teil Rumäniens
1917 Waffenstillstand mit den siegreichen Mittelmächten
1918 Das Altreich (Regat) wird mit der Einverleibung Bessarabiens
und der rumänisch besiedelten Gebiete der Habsburgermon­
archie (Siebenbürgen, Banat, Bukowina) zu Großrumänien
1923 Neue Verfassung
1930 Carol II. besteigt den rumänischen Thron
1938 Königsdiktatur, neue Verfassung
1940 Verlust Bessarabiens und der Nord-Bukowina an die Sowjet­
union, Nord-Siebenbürgens an Ungarn sowie der Süd-Dobru­
dscha an Bulgarien. Kronprinz Mihai übernimmt die Regent­
schaft
1941 Rumänien tritt an der Seite Hitler-Deutschlands gegen die
Sowjetunion in den Krieg
1944 Umsturz in Rumänien nach dem Vorstoß der Roten Armee
1945 Erste von den Kommunisten beherrschte Regierung
1947 Friedensvertrag mit den Alliierten. König Mihai dankt ab
1948 Rumänien erhält eine volksdemokratische Verfassung
1952 Neue Verfassung zur Zementierung des Sozialismus
Zeittafel 295

1965 Machtübernahme Nicolae Ceau§escus


1974 Ceau§escu wird auch Staatspräsident
1989 Umbruch in Rumänien: das alte Regime fällt, der Diktator wird
erschossen
1991 Neue Verfassung
LISTE DER AUTOREN

(1938), Absolvent der Fakultät für Geschichte und


D u m itr u A G A C H E
Philosophie an der Universität »Al. I. Cuza« in Ia§i (1963), ist wissen­
schaftlicher Hauptforscher am Institut für Geschichte »A. D. Xenopol«
der Rumänischen Akademie in Ia§i im Bereich der Mediävistik
(Urkundenbuch über die Moldau, politische Entwicklung des moldaui­
schen Feudalstaates, Kommunikationswesen in der mittelalterlichen
Moldau).

(1952), Absolvent der Fakultät für Geschichte


M i h a i -§ t e fa n C E A U ip U
und Philosophie der Universität in Ia§i (1975) und Doktor für Ge­
schichte (1996), ist wissenschaftlicher Hauptforscher am Institut für
Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen Akademie in Ia§i im
Bereich Geschichte der Neuzeit Rumäniens (Schwerpunkt Bukowina).

(1938), Absolvent der Fakultät für Geschichte und


V en ia m in C I O B A N U
Philosophie der Universität in Ia§i und Doktor für Geschichte (1975),
ist Hauptforscher am Institut für Geschichte »A. D. Xenopol« der
Rumänischen Akademie in Ia§i, Leiter der Abteilung für Geschichte der
Internationalen Beziehungen (14.-19. Jahrhundert) daselbst sowie
Sekretär der rumänischen Seite der gemischten rumänisch-polnischen
Kommission für Geschichte.

V a sile D O C E A (1963), Absolvent der Fakultät für Geschichte und


Philosophie der Universität in Ia§i, Doktorand, Forscher am Institut für
Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen Akademie in Ia§i mit
Schwerpunkt auf Rumänien und dessen Beziehungen zu Deutschland
im 19. Jahrhundert.

G h e o r g h e I. F L O R E S C U (1939), Absolvent der Fakultät für Geschichte


und Philosophie der Universität in Ia§i (1963), ist Hauptforscher am
Institut für Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen Akademie in
Ia§i im Bereich der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.
Liste der Autoren 297

(1950), Dr. phil. an der Universität in Graz (1975),


H a r a ld H E P P N E R
Dozent für Südosteuropäische Geschichte am Institut für Geschichte
dieser Universität seit 1983, spezialisiert auf Strukturfragen über
Südosteuropa und auf dessen politische und kulturelle Außenbezie­
hungen in westlicher Richtung.

(1962), Absolventin der Fakultät für Geschichte und


F lor ea I O N C IO A 1 A
Philosophie der Universität Ia§i (1988), Doktorandin und Forscherin am
Institut für Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen Akademie in
Ia§i, spezialisiert auf Mentalitäten und Denksysteme sowie rumänische
Eliten im 19. Jahrhundert.

(1941), Absolventin der Fakultät für Geschichte und


S tela M Ä R I E §
Philosophie der Universität Ia§i (1964) und Doktorin für Geschichte
(1977), ist wissenschaftliche Hauptforscherin am Institut für Ge­
schichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen Akademie in Ia§i im Bereich
der internationalen Beziehungen Rumäniens.

(1957), Studium der Geschichte an der Universität


L u cia n N A S T A S Ä
in Ia§i (1984), Doktor für Geschichte (1996), ist wissenschaftlicher
Forscher am Institut für Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen
Akademie in Ia§i im Bereich der Kulturgeschichte und Historiographie.

G h eorg h e ONIijSO RU (1963), Absolvent der Fakultät für Geschichte und


Philosophie in Ia§i (1987), Doktor für Geschichte (1995), wissenschaft­
licher Forscher am Institut für Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumä­
nischen Akademie in Ia§i im Bereich Zeitgeschichte.

(1938), Absolvent der Fakultät für Geschichte und


L e on § I M A N S C H I
Philosophie der Universität in Ia§i (1961), ist wissenschaftlicher Haupt­
forscher am Institut für Geschichte »A. D. Xenopol« der Rumänischen
Akademie in Ia§i im Bereich der Mediävistik (Moldauisches Urkun­
denbuch, Geschichtsschreibung, politische Entwicklung des moldaui­
schen Feudalstaates).
298 Liste der Autoren

(1968), Absolvent der Fakultät für Ge­


M ih a i-R & z v a n U N G U R E A N U
schichte und Philosophie der Universität in Ia§i (1992), ist Univer­
sitätsassistent für Kultur- und Universalgeschichte der Neuzeit; spe­
zialisiert auf Fragen zu interethnischen Beziehungen sowie zur
Mentalitätsgeschichte und Imagologie, insbesondere bzgl. der Moldau
im 19. Jahrhundert.

(1943), Absolvent der Universität »Al. I. Cuza« und


D u m itr u V I T C U
Doktor für Geschichte (1974), ist Hauptforscher am Institut für
Geschichte »A. D. Xenopol« in Ia§i im Bereich der politischen und wirt­
schaftlichen Geschichte Rumäniens im 19. Jahrhundert und (seit 1995)
Professor für Neuere Geschichte an der Universität »Stefan cel Mare«
in Suceava.

(1934) ist Direktor des Instituts für Geschichte »A. D.


A le x a n d r u Z U B
Xenopol« und Professor an der Universität »Al. I. Cuza« in Ia§i; korre­
spondierendes Mitglied der Rumänischen Akademie. Studierte an der
Universität Ia§i Geschichte (Doktor der Geschichte 1974); spezialisiert
auf die Geschichte der Ideen und Mentalitäten in der Neuzeit sowie auf
die rumänische Geschichtsschreibung im binneneuropäischen Kontext.
ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abb. 1 aus: Harald Roth, Kleine Geschichte Siebenbürgens, Köln/Weimar/Wien:


Böhlau 1996, S. 120.
Abb. 2 aus: Dimitrie Cantemir, Beschreibung der Moldau (Faksimiledruck der
Originalausgabe von 1771), Bukarest: Kriterion 1973, S. 4.
Abb. 3 aus: A. Balaci/I. Iona§cu (Hg.): University o f Bucharest 1864—1964, Buka­
rest 1964, Bildteil nach S. 24.
Abb. 4 aus: A. Balaci/I. Iona§cu (Hg.): University o f Bucharest 1864-1964, Buka­
rest 1964, Bildteil nach S. 32.
Abb. 5 aus: A. Balaci/I. Iona§cu (Hg.): University o f Bucharest 1864-1964, Buka­
rest 1964, Bildteil nach S. 47.
Abb. 6 aus: Vlad Georgescu, The Romanians. A History, Columbus/USA: Ohio
State University Press 1991, S. 151.
Abb. 7 aus: A. Balaci/I. Iona§cu (Hg.): University o f Bucharest 1864-1964, Buka­
rest 1964, Bildteil nach S. 47.
Abb. 8 aus: Vlad Georgescu, The Romanians. A History, Columbus/USA: Ohio
State University Press 1991, S. 182.
Abb. 9 aus: Vlad Georgescu, The Romanians. A History, Columbus/USA: Ohio
State University Press 1991, S. 168.
Abb. 10 aus: A. Balaci/I. Iona§cu (Hg.): University o f Bucharest 1864-1964, Buka­
rest 1964, Bildteil nach S. 47.
Abb. 11 aus: A. Balaci/I. Iona§cu (Hg.): University o f Bucharest 1864—1964, Buka­
rest 1964, Bildteil nach S. 47.
Abb. 12 aus: Vlad Georgescu, The Romanians. A History, Columbus/USA: Ohio
State University Press 1991, S. 211.
Abb. 13 aus: Vlad Georgescu, The Romanians. A History, Columbus/USA: Ohio
State University Press 1991, S. 250.
Abb. 1: Karte Rumäniens (20. Jahrhundert)
»V>pim’Iriii-s.
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I fit r>fl n f i 'l l l t J >A*h «*ff ,,r D i
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Abb. 2: Demetrius Kantemir (1673-1723)


Abb. 3:
Ion Heliade-Rådulescu
(1802-1872)

Abb. 4:
Nicolae Bälcescu
(1819-1852)
Abb. 5: Bogdan Petriceicu Haçdeu (1838-1907)
Abb. 6:
Carol I., König von Rumänien
(1839-1914)

Abb. 7:
Titu Maiorescu (1840-1917)
Abb. 8:
Alexandru Dimitrie Xenopoi
(1847-1920)

Abb. 9:
Ferdinand I., König von
Rumänien (1865-1927)
Abb. 10:
Nicolae Torga (1871-1940)

Abb. 11:
C. Rädulescu-Motru
(1883-1956)
Abb. 12:
Mihai L, König von Rumänien
(1921-)

Abb. 13:
Nicolae Ceau§escu (1918-1989)
ZUR KUNDE SÜDOSTEUROPAS ■BAND II / 24

Wie das Beispiel Rumänien zeigt, ist die geistige


Auseinandersetzung mit „Europa" kein Spezifikum
des Westens; seit dem Mittelalter ist dieses Thema auch
am südöstlichen Rand des Kontinents Gegenstand
sowohl der Betrachtung als auch konkreter Politik.
Eine Reihe namhafter rumänischer Historiker greift in
umfassender Weise dieses am Ende des 20. Jahrhunderts
so aktuelle Thema auf, wobei der zeitliche Bogen vom
Fall des Ceausescu-Regimes bis in die Anfänge rumäni­
scher Staatlichkeit gespannt wird. Das Ergebnis dieser
Auseinandersetzung bietet gerade dem westlichen Leser
neue Einblicke, was „Europa" aus der Sicht eines Volkes
vom östlichen Rand des Kontinents bedeutet.

9 783205 988328 3-205-98832-9

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