Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
„Macht die Sache des Volkes zur Sache der Nation, dann wird die Sache der Nation die Sache
des Volkes sein!“ fasste der nationalistische Propagandist Karl Otto Paetel1 die Quintessenz
der Ideologie des Nationalbolschewismus zusammen, die heutzutage von der extremen
Rechten wieder intensiv rezipiert wird. Die Grundzüge dieser reaktionären Konzeption gehen
auf die Umtriebe der beiden sog. „Hamburger Nationalkommunisten“ Fritz Wolffheim und
Heinrich Laufenberg zurück, die Anfang der 20er Jahre argumentierten, dass das sog
„Versailler Diktat“ zu einer „Verstümmelung des deutschen Reichkörpers“ und zu einer
„Proletarisierung des gesamten deutschen Volkes geführt“ habe. Daraus leiteten sie die
Notwendigkeit eines „Burgfriedens zwischen Kapital und Proletariat ab, und traten für einen
„revolutionären Volkskrieg“ im Bündnis mit der Sowjetunion gegen die westlichen
Ententemächte ein. Dieses nationalistische Konglomerat mündete schließlich in
antisemitischen Hetztriaden, die sich maßgeblich (aber nicht nur) gegen den damaligen KPD-
Vorsitzenden Paul Levi richteten. Derart reaktionäre Töne sorgten in der kommunistischen
Bewegung für Verwunderungen und allerlei Konfusionen. Schließlich waren weder
Wollfheim noch Laufenberg nicht irgendwer. Beide hatten sich in der amerikanischen IWW
(Industrial Workers of the World) engagiert, standen lange Zeit auf dem linken Flügel der
Sozialdemokratie und waren Gründungmitglieder der KPD. Innerhalb der KPD hatten sie
gegen die Anwendung parlamentarischer und gewerkschaftlicher Taktiken opponiert. Nach
dem von Paul Levi mit bürokratischen Mitteln durchgesetzten Ausschluss der
linkskommunistischen Opposition hatten sie sich an der Gründung der KAPD
(Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands)2 beteiligt und maßgeblich im Hamburger
Bezirksverband großen Einfluss ausgeübt. Der Übergang zweier prominenter Mitglieder zu
offen reaktionären und nationalistischen Positionen war für die frisch gegründete KAPD eine
ernsthafte Belastungsprobe. Es war maßgeblich der heute weitgehend vergessene
Linkskommunist Arthur Goldstein3 , der den sog. „Hamburger Nationalkommunismus“ einer
gründlichen Kritik unterzog und damit den unverzüglichen Ausschluss Laufenbergs und
Wolffheims aus der KPAD bewirkte. Im Folgenden dokumentieren wie ein von Goldstein auf
dem Zweiten Parteitag der KAPD gehaltenes Referat zum Thema „Nation und
Klassenkampf“. Goldsteins Beitrag ist nicht nur ein bewegendes historisches Dokument,
welches die Probleme der damaligen revolutionären Bewegung anschaulich vor Augen führt.
Trotz einiger partieller Schwächen zeugt es von den Bemühungen zur kritischen
Selbstreflektion und theoretischen Kohärenz bei der Verteidigung internationalistischer
Prinzipien und hat daher gerade heute nicht an Aktualität verloren.
Arthur Goldstein: Nation und Klassenkampf (Referat auf dem zweiten Parteitag der
KAPD, 1.-4. August Berlin- Weißensee)
1) Karl Otto Paetel (23. November 1916 – 4. Mai 1975) war ein nationalistischer Publizist
und Querfrontstratege. Aus der Bündischen Jugend kommend arbeitete er eng mit Ernst
Jünger und der reaktionären Zeitschrift „Die Kommenden“ zusammen, gründete Anfang der
30er Jahre die „Gruppe Sozialrevolutionärer Nationalisten“ und die Zeitschrift „Sozialistische
Nation“ und verfasste 1933 das sog. „Nationalbolschewistische Manifest“. Paetel unterhielt
Verbindungen mit Ernst Niekisch und trat in einer Reihe kitschiger Traktate als Apologet des
Nationalbolschewismus hervor.
2) Die KAPD war im April 1920 von der linkskommunistischen Strömung gegründet worden,
die sich den opportunistischen Direktiven Moskaus in der Parlaments-und
Gewerkschaftsfrage wiedersetzt hatte und deshalb aus der KPD ausgeschlossen wurde. Sie
verstand sich als strikt antiparlamentarische Organisation denunzierte die Gewerkschaften als
bürgerliche Apparate und verteidigte internationalistische Positionen.
3) Arthur Goldstein wurde 1887 in Lipine (Lipny) in Schlesien geboren. Er trat 1914 der
SPD, dann der USPD und schließlich dem Spartakusbund bzw. der KPD bei. Gemeinsam mit
Herman Gorter verfass-te er den Programmentwurf der KAPD und gehörte ihrer Leitung an.
Später war er in der rätekommu-nistischen Gruppe „Rote Kämpfer“ aktiv, die 1931/32 von
ehemaligen Mitgliedern der sog. „Essener Richtung“ der KAPD ins Leben gerufen worden
war. Nach der Machtübernahme der Nazis organisierte er im Pariser Exil die Auslandsleitung
der „Roten Kämpfer“. Während der deutschen Besatzung von der SS verhaftet, wurde
Goldstein im Juni 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
4) Gemeint sind die Auseinandersetzungen innerhalb der KPD über den Parlamentarismus
und die Politik der „Wiedereroberung der Gewerkschaften“.
6) Friedrich Wendel (12. Mai 1886 – 8. März 1960) der gemeinsam mit Goldstein dem
Exekutivkomitee der KAPD angehörte. Später war er im sozialdemokratischen „Bücherkreis“
tätig und engagierte sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kieler SPD.
7) Alexej A. Brussilow (19. August 1853-17. März 1926) war ein russischer Militär. Nach
Ausbildung bim Pagenkorps, Laufbahn als Kavallerieoffizier. Im Russisch-Türkischen Krieg
hochdekoriert. Während des Ersten Weltkrieges kommandierender General der Kavallerie an
der Südwestfront. Von Juni bis September 1916 war er für eine großangelegte Offensive
gegen die Mittelmächte verantwortlich, die die verbündeten Truppen an der Westfront
entlasten sollte. Im Verlauf dieser sog. Brussilow-Offensive konnten den Verbänden der k.u.k
Armee schwere Verluste zugefügt, und Rumänien zum Kriegseintritt gegen auf Seiten der
Entente gebracht werden. Dies bezahlten jedoch schätzungsweise 1,5 Millionen russischer
Soldaten mit dem Leben. Die Folge war eine zunehmende Demoralisierung der zaristischen
Armee und in letzter Konsequenz die Februarrevolution von 1917. Im Mai 1917 wurde
Brussilow von Kerenskij zum Oberkommandierenden ernannt und schließlich von L.
Kornilow abgelöst. Nach der Oktoberrevolution verhielt er sich politisch indifferent. Gegen
Ende des Bürgerkrieges trat er in die Rote Armee ein und war als Militärberater u.a. in der
Roten Reiterarmee Semjon Budjonnyis tätig.
9) Wolffheim und Laufenberg lehnten die Antikriegspropaganda des Spartakusbundes und die
Aufrufe zur Desertion in den letzten Jahren Kriegsjahren als „Vaterlandsverrat“ ab und
plädierten im Rahmen des von ihnen propagierten „Volkskrieges“ für einen Burgfrieden mit
der Bourgeoisie.
10) Diese Formulierung mag aus heutiger Sicht befremdlich klingen das das reaktionäre
Konzept der „Rasse“ mittlerweile eindeutig wissenschaftlich widerlegt ist. Allerdings sei
darauf hingewiesen, dass Goldstein in seiner Schrift „Nation und Internationale“ die
rassistischen Implikationen des von Laufenberg und Wolffheim propagierten deutschen
Nationalismus klar erkannte: „Der Hamburger Kommunismus hat eins bisher unterlassen: die
Definition dessen, was er unter Nation eigentlich versteht. Diese letzte Konsequenz ist im
Interesse der allgemeinen Klärung notwendig. Und wir zweifeln nicht, dass der nächste und
letzte Schritt auf das problematische Feld rassenbiologischer Hypothesen führen wird, weil
der historische Rückzug in die bürgerliche Welt mit dem Rückzug auf die „Grundlagen des
XIX. Jahrhunderts“ identisch ist. Noch einen Schritt weiter und wir werden es erleben, den
Kapitalismus zum Rassenproblem degradiert zu sehen. Wer einmal die schiefe Ebene des
Nationalismus betritt, ist rettungslos verloren. Wir sprechen es offen aus: Der Hamburger
Nationalismus ist eine Gefahr für die proletarische Revolution.“
11) Was natürlich nicht bedeutet, dass heutzutage die Ideologie des Nationalismus an Brisanz
und Gefährlichkeit eingebüßt hat. Goldstein wollte lediglich betonen, dass die Epoche in der
das Proletariat nationale Kämpfe unterstützen konnte unwiderruflich vorbei ist.