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Thede Kahl und Cay Lienau (Hg.)

Christen und Muslime


Interethnische Koexistenz in südosteuropäischen
Periphergebieten

LIT
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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Österreichischen Bundesministeri-


ums für Wissenschaft und Forschung sowie des Referats für Wissenschaft und
Forschung der Stadt Wien.

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Christen und Muslime. Interethnische Koexistenz in südosteuropäischen Peri-


phergebieten

Thede Kahl und Cay Lienau


© 2009
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Printed in
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Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise,
ist nur mit Genehmigung des Verlages gestattet.
LIT
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INHALT 5

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis ..........................................................................................5
Vorwort ........................................................................................................7
Christen und Muslime in Südosteuropa: Ein Projekt zur Erforschung
interreligiöser Koexistenz (Maria Bara, Thede Kahl,
Gerassimos Katsaros, Cay Lienau).............................................................9
Trennende Differenz vs. versöhnende Synthese? Überlegungen zu einer we-
niger abgrenzenden religiösen Identitätsbestimmung (Assaad E. Kattan) ....51
Beziehungen von Christen und Muslimen im Osmanischen Reich
(Fikret Adanır)........................................................................................59
Zur Rechtslage nicht-muslimischer Volksgruppen im europäischen Teil des
Osmanischen Reichs (Ernst Christoph Suttner) .........................................75
Christen unter islamischer Herrschaft: die zimmi-Verwaltung im
Osmanischen Reich (Marlene Kurz) .........................................................85
The Coexistence of Catholic and Muslim Communities in 18th Century
Kosovo (Luca Maiocchi) .........................................................................97
Bektashism [Bektaşilik] in the Balkans and in Western Thrace: Brief
Historical Background and Ethnographic Observation (Domna Michail)... 113
Verzerrte Grenzen. Zur Geschichte der Muslime auf Kreta
(Maria Six-Hohenbalken) ...................................................................... 121
Osmanisches Erbe, griechische Geschichte, aktuelle Probleme. Ethnische
und religiöse Vielfalt in Nordgriechenland (Johann-Bernhard Haversath) 141
„Der heilige Sava und unsere Muslime“ – Albanische, türkische bzw.
muslimische Verehrung christlicher Heiliger aus serbischer und
bulgarischer Perspektive (20. Jahrhundert) (Stefan Rohdewald)................ 155
Verbindendes und Trennendes in den Alltagskulturen von Christen und
Muslimen in Südosteuropa (Gabriella Schubert) ..................................... 173
Musikalischer Austausch in Südosteuropa (Wolf Dietrich)............................ 191
Die Unschärferelation von Sprache und Ethnizität bei christlichen und
muslimischen Minderheiten auf dem Balkan (Christian Voss).................. 203
The National Identity of Today‟s Bosnian Muslims: Origins, Meanings
and Controversies on the Name “Bošnjak” (Luca Maiocchi) .................... 215
Wahrnehmungen des „Türkischen“ und soziale Stellung der Türken
in Bulgarien (Marina Liakova)............................................................... 231
Sieben Thesen zu den Pomaken Bulgariens (Evangelos Karagiannis)............ 249
6 INHALT

The Muslim Minority‟s Place in Greek Society, with an Emphasis on its


Political Representation in the Period after 1974 (Vermund Aarbakke)...... 261
Muslime – oder doch Türken? Zu Rolle und Selbstverständnis der
Minderheit in Westthrakien (Hermann Kandler) ..................................... 275
Die aktuelle Debatte um den Moscheebau in Athen
(Nicole Garos und Vasilios N. Makrides) ................................................ 289
Das Architekturerbe der Muslime Rumäniens und seine Bedeutung für die
Identität der Minderheit (Ferenc Csortán)............................................... 307
Islam und Christentum auf der Krim heute: Ein „Kampf der Kulturen“?
(Swetlana Czerwonnaja)........................................................................ 327
Die muslimischen Gemeinschaften in Österreich (Valeria Heuberger) .......... 347
Die Verfasser............................................................................................. 355
Register der Gruppen- und Personenamen ................................................... 357
356
Register der Ortsnamen .............................................................................. 359
356
7

Vorwort

In vielen Teilen Südosteuropas leben ethnische Gruppen unterschiedlicher Spra-


che und Religion seit Jahrhunderten zusammen. Es konnten, bedingt durch lange
Erfahrung im Miteinander, friedliche Symbiosen entstehen. Insbesondere seit
Entstehen der Nationalstaaten kam es aber auch zu Auseinandersetzungen bis
hin zu Krieg, die sich an religiösen Unterschieden festmachen lassen oder fest-
gemacht werden. Die Jugoslawienkriege am Ende des 20. Jahrhunderts, aber
auch der Zypernkonflikt, die zu einer Entmischung von Volks- und Religions-
gruppen führten, sind Beispiele dafür. Spätestens seit der durch diese Konflikte
ausgelösten Diskussion um den „Kampf der Kulturen“ (HUNTINGTON 1996) ist
die Problematik der interethnischen Koexistenz von Christen und Muslimen von
höchster Aktualität und nimmt einen wohl nie dagewesenen Platz in den Mas-
senmedien ein. Dabei dreht sich die Diskuss ion zumindest in Westeuropa und
den USA in der Regel um relativ junge Koexistenzsituationen, bei denen es oft
weniger um die religiöse Zugehörigkeit geht als um die Unterscheidung in Ein-
heimische und Zuwanderer. Im Südosten Europas ist die Koexistenzsituation
Folge einer langen historischen Entwicklung; entsprechend ist dort das Neben-
einander dieser beiden großen Religionen älter als im übrigen Europa.
Vor diesem Hintergrund ging ein von den Unterzeichnenden geleitetes For-
schungsprojekt mit dem Thema „Interethnische Beziehungen zwischen ortho-
doxen Christen und Muslimen in Südosteuropa – Beispiele aus konfessionell
gemischten Siedlungen in Griechenland und Rumänien“ der Frage nach, wel-
ches die Mechanismen eines friedlichen Zusammenlebens sind und durch was
und wen es gestört wird. Als Untersuchungsraum wurden ethnisch und religiös
gemischte Gemeinden im bislang friedlichen östlichen Balkan – in der Norddo-
brudscha (Rumänien) und in Westthrakien (Griechenland) – gewählt.
Antworten auf die Fragen nach den Mechanismen des Zusammenlebens und
Ursachen für dessen Störung mögen nicht nur hilfreich sein für ein zukünftiges
Miteinander der betroffenen Volks- und Religionsgruppen in den südosteuropä i-
schen Untersuchungsgemeinden, sondern auch ganz allgemein für die Koexis-
tenz von Menschen unterschiedlicher Religion und Kultur.
Kern des vorliegenden Bandes bilden die Ergebnisse des genannten For-
schungsprojektes. Zwei mit dem Forschungsprojekt verbundene Tagungen in
Münster in 2006 und 2007 unter dem Titel „Interethnische Beziehungen zw i-
schen Christen und Muslimen in Südosteuropa“ dienten der Beleuchtung der
Thematik aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Beiträge der Tagungen und
die Ergebnisse des Forschungsprojektes werden im vorliegenden Band ergänzt
durch wissenschaftliche Beiträge von Autoren, die nicht auf den Tagungen dabei
sein konnten, die aber nach Meinung der Herausgeber durch ihre Forschungen
8 VORWORT

Wesentliches zu der Thematik beizutragen haben. Teilaspekte der Projektarbeit


sind in der Zwischenzeit an anderer Stelle erschienen.1
Für die finanzielle Unterstützung des Forschungsprojektes ist insbesondere
dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des
Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Initiative „Geisteswissenschaften
gestalten Zukunftsperspektiven“ des Wissenschaftszentrums NRW (Kulturwis-
senschaftliches Institut) zu danken. Die Tagungen in Münster wurden vom Aus-
länderbeirat unter Vorsitz von Spyros Marinos ebenso wie von der Südosteuro-
pa-Gesellschaft und der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Münster finanziell
unterstützt. Dank gilt weiterhin den Herausgebern der Reihe „Religions- und
Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa“ sowie unseren ausländischen
Partnern Prof. Dr. Nikolaos Xirotiris, Griechenland, und Prof. Dr. George Grigo-
re, Rumänien, die die Wege für die Feldforschungen in ihren Ländern ebneten.
Der vorliegende Band möchte Anregung sein für weitere Forschungen, die
ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Sprache, Reli-
gion und Kultur fördern.

Münster und Wien im Dezember 2008 Thede Kahl und Cay Lienau

1
Aus der Projektarbeit sind außer dem vorliegenden Band die folgenden Arbeiten en t-
standen: Bara, Maria: Relaţ ii interetnice d intre creştinii ortodocşi şi musulmani în
Dobrogea. Studiu de caz – Medgidia şi Cobadin [Interethnische Beziehungen zwischen
orthodoxen Christen und Muslimen in der Dobrudscha – Eine Fallstudie: Medgidia und
Cobadin]. In: Philolog ica Iassyensia II/1 (2006) 93-104; Kahl, Thede: Die muslimische
Gemeinschaft Rumän iens. Der Weg einer Elite zu r marginalisierten Minderheit . In: Eu -
ropa Regional 3-4 (2005) 94-101; Kah l, Thede: Neues Projekt zu m Miteinander von
Muslimen und Christen. In: OSI Aktuell, Mitteilungen des Österreichischen Ost- und
Südosteuropa-Instituts 17/2 (2005) 2-3; Kahl, Thede: Interethnische Beziehungen von
orthodoxen Christen und Muslimen. Fragen und Methoden der Erforschung
interrelig iöser Koexistenz in Südosteuropa. In: Hönigsperger, Astrid; Kirsch, Frit z P.
(Hg.): Ethnizität und Stadt. Interdisziplinäre Beiträge zu m Spannungsfeld Mehr-
heit/Minderheit im urbanen Raum. Wien 2005, 67-102; Kahl, Thede: Întrebări şi metode
ale cercetării coexistenţei interreligioase în Europa de Sud-Est [Fragen und Methoden
der Erforschung interreligiöser Koexistenz in Südosteuropa]. In: Philologica Iassyensia
II/1 (2006) 135-156; Katsaros, Gerassimos: Exzellen zprojekt „Interethnische Beziehu n-
gen von orthodoxe Christen und Muslimen in Südosteuropa“. In: Institut für Geographie
(Hg.): IfG-News I/ 06 (2006) 1-2; Lienau, Cay : Wo der Orient dem Okzident begegnet –
Eine Reise durch Griechisch-Thrakien. In: Hellen ika, Neue Folge 1 (2006) 53-69;
Lienau, Cay : Christen und Muslime in ethnisch gemischten Siedlungen im östlichen
Balkan. In: Abhandlungen der Göttinger Akademie der Wissenschaften (erscheint 2010);
Özcan, Aslı 2007: Erinnerungskultur in West-Thrakien. Staatsarbeit zur Erlangung des
ersten Staatsexamens Sek II/I an der Westfälischen Wilhelms-Universität, Münster.
Christen und Muslime in Südosteuropa: Ein Projekt zur Erforschung
interreligiöser Koexistenz in der Norddobrudscha (Rumänien) und in
Westthrakien (Griechenland)

Maria Bara (Wien), Thede Kahl (Wien), Gerassimos Katsaros (Münster),


Cay Lienau (Münster)

1. Einleitung
Orthodoxe Christen und Muslime sind die beiden größten Religionsgemein-
schaften Südosteuropas. Das Zusammenleben dieser beiden Gruppen stellt daher
einen wichtigen Faktor der gesamten europäischen interethnischen Koexistenz
dar, der für den inneren und äußeren Frieden von entscheidender Bedeutung sein
kann. Im Gegensatz zu vielen anderen Teilen Europas leben Muslime in Südost-
europa bereits seit gut einem halben Jahrtausend mit Christen zusammen. Viele
Christen wechselten aus opportunistischen Gründen ihren Glauben und wurden
Muslime. Es konnten friedliche Symbiosen entstehen, aber es ist auch mehrfach
zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Volksgruppen ge-
kommen. Bei einem Teil der Auseinandersetzungen handelt es sich um Konflik-
te, die sich an religiösen Unterschieden festmachen lassen. Viele Konflikte wur-
zeln in der Zeit nach der Gründung der Nationalstaaten, als das für das
Osmanische Reich charakteristische Prinzip interethnischer Koexistenz aufgege-
ben wurde.
Bisherige Forschungen zum Nebeneinander von Muslimen und Christen ha-
ben Räume berücksichtigt, die durch politische Unruhen in der jüngeren Ver-
gangenheit gekennzeichnet waren (Bosnien, Kosovo). Das hier vorgestellte Pro-
jekt hingegen, das am Institut für Geographie der Westfälischen Wilhelms-
Universität in Münster und dem Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut
in Wien von Juli 2005 bis Februar 2007 durchgeführt wurde, fokussierte bewußt
auf Regionen, in denen sich das Zusammenleben bisher weitgehend friedlich
gestaltete. Ausgewählt wurden Gemeinden im östlichen Balkanraum, in denen
Christen und Muslime seit Jahrhunderten miteinander leben. Die Untersuch-
ungen wurden in je einer städtischen und einer ländlichen Gemeinde in der
Norddobrudscha (Rumänien) und in Westthrakien (Griechenland) durchgeführt.
Es ging darum, herauszufinden:
- Welche Formen interethnischer Kontakte bestehen? Wie lassen sich die
Beziehungen typisieren?
- Wie funktioniert das Neben- und Miteinander von Christen und Muslimen
in Siedlungen, in denen beide Religionsgruppen schon lange leben?
- Wo liegen Konfliktfelder, wer sind die Verantwortlichen für Konflikte?
- Welche konfliktmindernden Maßnahmen erscheinen sinnvoll?
10 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

Hintergrund für die Fragestellung bildete die Erfahrung des Jugoslawienkrie-


ges und das Umschlagen eines mehr oder weniger friedlichen Zusammenlebens
von Christen und Muslimen in blutige Gewalt und das Zusammenbrechen eines
multireligiösen Staates.1

2. Methoden
Im Laufe der Projektarbeit bedienten wir uns einer Vielfalt von qualitativen und
interpretativen Methoden der empirischen Sozialforschung. Da es primär um den
Vergleich von Formen und Verortungen des sozialen, kulturellen und religiösen
Zusammenlebens ging, wurden sozialgeographische und ethnologische Metho-
den miteinander verknüpft. Die wichtigste Methode, sich den genannten Fragen
zu nähern, bestand in der Durchführung narrativer Interviews. Als optimaler Zu-
gang für die Dokumentation der Identität sowie die hierdurch determinierten
Formen interethnischer Koexistenz erwies sich der biographische Ansatz.2 Das
Erzählen der Lebensgeschichte ist eine der wichtigsten Formen, die eigene Iden-
tität darzustellen und sich ihrer zu versichern. Durch das biographische Inter-
view konnten individuelle Erinnerung und kulturelles Gedächtnis, persönliche
lebensgeschichtliche Erzählung sowie nationale historische Mythen und Erzäh-
lungen in Erfahrung gebracht und miteinander in Bezug gesetzt werden. Die nar-
rativen Gespräche wurden durch einen kurzen strukturierten Fragebogen ergänzt
und fanden mit offenem Ende statt.
Da nur wenige Personen für ausführliche Interviews zur Verfügung standen
(28 Personen in Rumänien, 25 in Griechenland), wurden außerdem Expertenin-
terviews, Gruppengespräche, Spontaninterviews und Schülerbefragungen reali-
siert. In die Experten- und Vorstellungsgespräche wurden Personen einbezogen,
die sich laienhaft mit der Geschichte des Ortes oder mit bestimmten Aspekten
ihrer Kultur beschäftigt haben. In freien Gruppengesprächen wurden kontroverse
Auffassungen zum postulierten und tatsächlichen Wir-Gruppen-Verständnis so-
wie die Existenz kollektiver Gruppenidentitäten erfaßt. Die Gruppengespräche
dienten außerdem dazu, Gesprächspartner für spätere eingehende Einzelgesprä-
che gezielt auszuwählen. Für die Schülerbefragungen wurden einfache, struktu-
rierte Fragebögen angewendet, die in Absprache mit den Lehrern und Schulle i-
tern in den Klassen durchgenommen wurden.
Den Personensuchkreis bildeten Personen, die der Orthodoxen Kirche oder
dem Islam angehören, dauerhaft in einer der ausgewählten Siedlungen leben und
insgesamt nicht mehr als zwanzig Prozent ihrer bisherigen Lebensdauer außer-
halb dieser Siedlung verbracht haben. Die Auswahl der Gesprächspartner richte-

1
Zur Frage, waru m ethnische bzw. religiöse Gruppen eine so erfolgreiche Basis für die
Mobilisierung und Austragung von Konflikten bieten vgl. Reuber, Pau l; Wolkersdo rfer,
Günter: Geopolitische Leitbilder und die Neuordnung der globalen Machtverhältnisse.
In: Geographische Rundschau 54/ 7-8 (2002) 24-28.
2
Fuchs, Werner: Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden.
Opladen 1984.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 11

te sich nach der theoretischen Bedeutsamkeit für die Fragestellung. Bei der
Auswahl wurde streng auf ein möglichst ausgewogenes Verhältnis bezüglich der
ethnischen Zugehörigkeit sowie auf Unterschiedlichkeit von Lebensform, Ge-
schlecht und Status geachtet.
Neben den Interviews wurde versucht, am kulturellen und religiösen Leben
der untersuchten Gemeinden so intensiv es ging teilzunehmen. Hierzu wohnten
die Projektmitarbeiter, zu denen neben den als Autoren genannten noch Aslı Öz-
can und Aurica Piha gehörten, in den Untersuchungsgemeinden und beteiligten
sich an kulturellen Ereignissen (Feiern, Taufen, Beerdigungen etc.). Die teil-
nehmende Beobachtung konzentrierte sich auf die religiösen Institutionen, weil
dort die Symbole mit besonderer ethnischer und religiöser Bedeutung untersucht
werden konnten. Nicht durchgeführt werden konnten aus Zeitmangel Zeitungs-
analysen.
Zwischen den beiden je zweimonatigen Feldaufenthalten fanden eine Tagung
und mehrere Koordinationstreffen aller Projektbeteiligten statt. Vor der eigentli-
chen Feldarbeit sowie nach Abschluß der ersten Transkriptionen führten sämtli-
che Projektbeteiligten gemeinsame Exkursionen in die vier Untersuchungsge-
meinden durch, stellten Ziele und Fragestellung des Projektes zahlreichen
Vertretern der Religionsgemeinschaften und lokalen Politikern vor und disku-
tierten mit ihnen über die ersten Ergebnisse. Auf diese Weise gelang es, auch die
Vertreter der Religionsgemeinschaften und der Lokalpolitik für das Vorhaben zu
interessieren. Wenn auch das Projekt nicht überall auf Verständnis stieß, ist man
unserem Vorhaben aufgrund dieses Vorgehens doch wohlwollend begegnet und
hat uns während der Feldforschungen unterstützt.
Für die vier Untersuchungsgemeinden wurden Kartierungen durchgeführt,
um die Wohnstandorte der Ethnien und die Lage von Landbesitz, Weidehaltung,
und andere Handlungsstandorte zu lokalisieren und hierdurch auf eventuelle Be-
nachteiligung und Privilegisierung von Personengruppen und Ethnien zu schlie-
ßen.
Die im Feld durchgeführten Interviews wurden, so es niemanden störte, auf
Video, zumindest aber auf Diktiergerät aufgenommen, kulturelle Veranstaltun-
gen in aller Ausführlichkeit gefilmt. Da das Material sehr umfangreich war, er-
folgte keine vollständige Transkription, sondern eine Auswahl aussagekräftiger
Textpassagen, die in ihrer deutschen Übersetzung die Grundlage für die Zitate
im vorliegenden Beitrag bildeten. Wenn eine Diskussion ohne Aufnahmegeräte
mehr Ergebnisse versprach, verzichteten wir auf eine Aufnahme und hielten die
wichtigsten Äußerungen in einem Notizbuch fest. Versteckte Mikrophone haben
wir in keinem einzigen Fall verwendet, Personen, die mit der Publikation ihres
vollständigen Namens in unserem Beitrag nicht einverstanden waren, mit ihren
Initialen abgekürzt oder nur mit ihrem Vornamen genannt.
Eine ausführliche Diskussion der Methoden hat ein Jahr vor Beginn der Feld-
forschungen stattgefunden und wurde bereits an anderer Stelle publiziert.3

3
Vgl. Publikationsliste in Fußnote 1 des Vorwortes.
12 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

3. Untersuchte Regionen und Siedlungen

3.1 Norddobrudscha (Rumänien)

3.1.1 Geographische und historische Grundlagen


Die Dobrudscha im südöstlichen
Rumänien ist im Osten, Norden
und Westen klar abgegrenzt
durch die Küste des Schwarzen
Meeres, das Donaudelta und die
Donau. Im Süden hat die Do-
brudscha keine markante natürli-
che Grenze; die Norddobrudscha
reicht bis an die rumänisch-
bulgarische Grenze, südlich da-
von liegt die Süddobrudscha. Im
rumänischen Sprachgebrauch
wird unter Süddobrudscha (Do-
brogea de Sud) heute der südli-
che Teil der rumänischen Do-
brudscha verstanden.
Die Dobrudscha ist ein aus
tertiären Kalken aufgebautes Ta-
felland mit auflagerndem Löß,
der sie trotz geringer Nie-
derschläge und teils steppenarti-
gem Charakter zu einem agrar-
und siedlungsgünstigen Gebiet
macht.4
Die leichte Zugänglichkeit ließ sie zum Ziel vieler Einwanderer werden. Ent-
sprechend lang und bewegt ist ihre Siedlungsgeschichte. Die Anwesenheit der
Muslime auf dem Territorium geht in das 13. Jahrhundert zurück. Durch ver-
stärkte Einwanderung von Turkmenen und Tataren konnten sich Regionen mit
muslimischer kultureller Dominanz ausbilden. Um 1400 kam die Dobrudscha
unter osmanische Herrschaft und blieb es bis 1878. Aufgrund der Kolonisie-
rungspolitik der osmanischen Sultane im Laufe des 15.-16. Jahrhunderts erhöhte
sich Zahl der Muslime ständig, da sie sowohl aus dem Norden des Schwarzen
Meeres als auch aus dem Süden (Kleinasien) Zuwachs erfuhren. Die muslimi-

4
Näheres zur Geographie der Dobrudscha vgl. Kahl, Thede; Sallan z, Josef: Do brudscha.
In: Kahl, Thede; Metzeltin, M ichael; Ungureanu, Mihai-Răzvan (Hg.): Ru mänien. Rau m
und Bevölkerung, Geschichte und Geschichtsbilder, Kultur, Gesellschaft und Politik
heute, Wirtschaft, Recht und Verfassung, Historische Regionen. Österreichische
Osthefte 48. Wien, Münster, New York 2006, 857-879.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 13

schen Türken kamen als Verwaltungsbeamte und bäuerliche Siedler. Im 17. und
18. Jahrhundert folgte die Einwanderung von Wolga-Tataren und Krim-Tataren,
aber auch von Tscherkessen aus Rußland sowie von Deutschen aus dem südli-
chen Bessarabien, ferner von Roma (Zigeunern), Walachen, Ukrainern und an-
deren Volksgruppen. Viele Christen wechselten aus opportunistischen Gründen
den Glauben, so daß die Mehrzahl der Bevölkerung muslimisch war, als die Do-
brudscha 1878 Teil des jungen Nationalstaates Rumänien wurde. Die Dobrud-
scha fiel nach dem Zweiten Balkankrieg ganz an Rumänien. Die im Vertrag von
Craiova 1940 erzwungene Rückgabe der südlichen Dobrudscha an Bulgarien
war von einem umfangreichen rumänisch-bulgarischen Bevölkerungsaustausch
begleitet. Die Abwanderung der Muslime aus Rumänien hielt auch im 20. Jahr-
hundert an.
Unsere Untersuchungen in Rumänien konzentrierten sich auf die Stadt Med-
gidia und das Dorf Cobadin. Andere Siedlungen wurden im Rahmen der Feld-
forschung zwar aufgesucht, Interviews führten wir dort aber nur sporadisch
durch. Medgidia (türk. Mecidiye, hist. Karasu) hatte im Jahre 2003 43.880 Ein-
wohner. In der Selbstdarstellung präsentiert sich die erst 1860 von Sultan Ab-
dülmecid I. gegründete Stadt im Internet 5 als Stadt, in der Rumänen, Türken,
Tataren, Aromunen (dort als Makedonier bezeichnet), Griechen und Armenier
leben. Der große Anteil von Zigeunern bleibt unerwähnt. Zu kommunistischer
Zeit war die Stadt Medgidia durch wirtschaftlichen Aufschwung gekennzeichnet
und entwickelte sich um 1950 in kürzester Zeit zu einer Industriestadt. Bau und
Eröffnung zweier großer Fabriken, einer Zementfabrik und eines Metallurgi-
schen Unternehmens für Gebrauchsstoffe, sowie der aufwendige Bau des Do-
nau-Schwarzmeer-Kanals haben eine große Zahl an Arbeitkräften nach Medgi-
dia und seine Umgebung gebracht. Die Zuwanderer kamen aus verschiedenen
Regionen des Landes, vor allem aber aus der rumänischen Moldau.
Cobadin (türk. hist. auch Kutbudin, dt. Kobadin) ist ein planmäßig angeleg-
tes Dorf südlich von Medgidia mit heute rund 8.800 Einwohnern (Stand 2006).
Es liegt in einer Ebene, die nur von sanften Bodenerhebungen unterbrochen ist
und sich deshalb sehr gut für den Ackerbau eignet. Medgidia ist 18 km entfernt,
die Hafenstadt Constanța 40 km. Die beiden am Dorfrand gelegenen großen
muslimischen Friedhöfe bezeugen, daß Cobadin ursprünglich eine türkische
Siedlung war. 1862 siedelten sich Krim-Tataren im damals fast ausschließlich
türkisch besiedelten Cobadin an. Die rund 350 tatarischen Familien aus der Krim
fanden in Cobadin rund 30 türkische Familien vor. Obwohl diese die gleiche Re-
ligion hatten, wurden die Neuankömmlinge von den Türken anfangs nicht ak-
zeptiert, zumal es sich um eine große Gruppe handelte. 6 Bis 1934 gab es keine
orthodoxe Kirche im Dorf. Gleichzeitig mit den Rumänen siedelten sich in Co-
badin Familien deutscher Herkunft aus dem südlichen Bessarabien an. Sofort

5
www.emedgidia.ro (Zugriff Oktober 2008).
6
Leyer, Otto: Geschichte des deutschen Dorfes Kobadin in der Dobrudscha. In: Jah r-
buch der Dobrudscha-Deutschen 17 (1972) 95-119.
14 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

nach ihrer Ansiedlung bauten die Deutschen die Strada Mare (Große Straße) und
errichteten beiderseits der Straße ihre Häuser. Nach der Abwanderung der Deut-
schen seit Anfang der 1940er Jahre traten weitere rumänische Zuwanderer an
ihre Stelle.

3.1.2 Ethnographische Situation


Nach Gründung des modernen Rumäniens 1862 begann der junge Staat die Ko-
lonisierung der Dobrudscha mit rumänischer Bevölkerung. Mit den nach 1878
erfolgenden Nationalisierungskampagnen, die u.a. mit Enteignungen muslimi-
schen Grundbesitzes verbunden waren, verließen viele Türken und Tataren das
Land und ließen sich in der Süddobrudscha und in der Türkei nieder. Nach der
Volkszählung von 1879 gab es im Distrikt Constanța 56% muslimische Bevöl-
kerung, 15% Bulgaren und 12% Rumänen. Die Volkszählung von 1909 gibt in
dem selben Raum eine vollkommen andere Situation wieder: 54,7% rumänische
Bevölkerung, 14,3% Bulgaren, 10,8% Muslime und 10% Russen und Ukrainer.7
An die Stelle der emigrierten Muslime wanderten rumänische, aromunische und
deutsche Siedler ein.
Bedenkt man die einstige Ausbreitung und Zahl der osmanischen Bevölke-
rung, verwundert es nicht, daß die Dobrudscha bis ins 20. Jahrhundert hinein als
Ţara turcească („Türkenland“) bezeichnet wurde – während sich ein weiterer
Beiname, Küçük Tatarstan („Klein-Tatarstan“) darauf bezog, daß die Tataren
noch Anfang des 19. Jahrhunderts rund 50% der Bevölkerung der Dobrudscha
stellten.8 Aufgrund der Kolonisierung durch Tataren im ländlichen Hinterland
Constanțas sind im Süden der Dobrudscha erheblich mehr tatarische Siedlungen
zu finden als in der Norddobrudscha. Bei den Muslimen in den Städten der
Norddobrudscha handelt es sich fast ausschließlich um Türken.
Die Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen führte zu weiteren
Auswanderungen von Tataren und Türken in die Türkei. Viele Dörfer fielen völ-
lig leer, muslimische Einrichtungen schlossen, Gebäude verfielen. Während im
Jahre 1900 noch 260 Moscheen in der Dobrudscha zu finden waren9 , gab es am
Ende des Ersten Weltkrieges noch 151. Heute sind es nur noch 8010 , von denen
60 in Funktion sind. 11 Im selben Zeitraum ist die Zahl der muslimischen Fried-
höfe von 300 auf 108 zurückgegangen.

7
Schmidt-Rösler, Andrea: Dobrudscha. In: Weithmann, Michael (Hg.): Der ruhelose
Balkan. Die Konfliktregionen Südos teuropas. München 1993, 94-107.
8
Sch midt-Rösler, Andrea: Die Auswanderung der Türken aus der Dobrudscha in der
Zwischenkriegszeit. In: Münchner Zeitschrift für Balkan kunde (1996) 10-11, 125-163,
hier 128.
9
Önal, Meh met Naci: Din folcloru l turcilor dobrogeni [Aus der Folklore der Do brud-
scha-Türken]. București 1997, 35; Grigore, George : Muslims in Ro man ia, ISIM News-
letter 3 (1999) 34.
10
Grigore, Muslims in Ro mania , 34.
11
Interview mit dem Hodscha der Abdülmecid-Moschee in Medgidia.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 15

Im Jahr 2002 lebten in der Dobrudscha 27.580 Türken, 23.409 Tataren und
mindestens 5.000 muslimische Zigeuner (Volkszählung 2002). Ihr Anteil von
5,5% an der Gesamtbevölkerung ist im Vergleich mit Westthrakien gering. Da
die Muslime aber ganz überwiegend in den Judeţe Constanța und Tulcea leben,
ist dort ihr Anteil deutlich höher.12
Die Dobrudscha zählt heute zu den ethnisch heterogensten Regionen Rumä-
niens. Die größte Religionsgemeinschaft der Dobrudscha stellen die orthodoxen
Christen dar, darunter die folgenden Ethnien:
- Bulgaren (Eigenbezeichnung bălgari) bildeten bis zum Bevölkerungsaus-
tausch zwischen Rumänien und Bulgarien in den 1930er und 40er Jahren
in den meisten Regionen der Dobrudscha die Mehrheit. Heute sind sie mit
nur noch wenigen Familien vertreten.
- Rumänen (Eigenbezeichnung români) sind Titularnation und bilden seit
der intensiven rumänischen Kolonisation im Laufe des 19. und 20. Jahr-
hunderts die Mehrheit.
- Aromunen (Eigenbezeichnung armânj) sind in Folge der Räumung der
als Quadrilater bekannten Süddobrudscha 1940 in der heutigen rumäni-
schen Norddobrudscha angesiedelt worden.
- Die altgläubigen russischsprachigen Lipovaner (Eigenbezeichnung lipo-
vani, russ. staroobrjadcy – ‚Altgläubige„ oder ‚Altorthodoxe„) und Ukra-
iner (Eigenbezeichnung ukrainci) leben vor allem im Donaudelta und den
südlich angrenzenden Räumen.
- christliche Roma oder Zigeuner (Eigenbezeichnung überwiegend rroma)
leben in ganz Rumänien. Sie haben sich bezüglich ihrer Religion der
Mehrheit angepaßt.
- Die in der Dobrudscha lebenden Ungarn, Deutschen und Italiener gehö-
ren nicht der orthodoxen, sondern der katholischen oder evangelischen
Konfession an und wurden in unseren Untersuchungen nur marginal be-
rücksichtigt.
Zu den muslimischen Gruppen in der Dobrudscha zählen:
- Die Tataren (Eigenbezeichnung tatarlar) wanderten in drei Wellen in die
Dobrudscha ein. Bis heute haben sich Unterschiede zwischen den tatari-
schen Gruppen bewahrt, die sich v.a. im Dialekt zeigen. Die Mehrheit
(rund 70 %) spricht Krim-Tatarisch.
- Die meisten Türken (Eigenbezeichnung türkler) wanderten während der
osmanischen Herrschaft ein. Sie bekleideten zu osmanischer Zeit hohe
Ämter in der städtischen Verwaltung und stellten nur einen kleinen Teil

12
Näheres zur ethnischen Struktur und Bevölkerungsentwicklung der Do brudscha vgl.
Sallanz, Josef: Bedeutungswandel von Ethnizität unter dem Einfluss von Globalisierung.
Die ru mänische Dobrudscha als Beispiel. Potsdamer Geographische Forschungen 26.
Potsdam 2007, bes. 305-324. Details zur Organisation der muslimischen Gemeinschaft
in Ru mänien vgl. Kahl, Thede: Die muslimische Gemeinschaft Rumäniens. Der Weg
einer Elite zu r marginalisierten Minderheit . In : Europa Regional 3-4 (2005) 94-101.
16 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

der ländlichen Bevölkerung. Im Rahmen der Kolonisierung siedelten sich


anatolische Bauern und Handwerker sowie jürükische Nomaden an.
- Muslimische Zigeuner (Eigenbezeichnung çingene, xoraxane): Die Ver-
wendung des politisch korrekteren Begriffs Roma erweist sich in ihrem
Fall als verwirrend, da sie selbst diesen Begriff auf die christlichen Zigeu-
ner beziehen. Außerdem wird der Begriff Zigeuner (rumän. ţigani, türk.
çingene) in Rumänien von kaum jemandem als pejorativ empfunden,
weshalb im Folgenden ihre Eigenbezeichnung Xoraxane (sprich: Chora-
chane) verwendet wird.

3.2 Westthrakien (Griechenland)

3.2.1 Geographische und historische Grundlagen


Westthrakien ist die nordöstlichste Provinz Griechenlands. Es grenzt im Osten
an die Türkei, im Norden an Bulgarien. Im Süden liegt das Ägäische Meer, im
Osten grenzt es an die griechische Region Makedonien. Rückgrat und Grenze zu
Bulgarien bilden in diesem Gebiet die im Westen bis über 1.800 m hohen, nach
Osten abfallenden Rhodopen.
Bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und damit etwas früher als
die Dobrudscha, kam Westthrakien zum Osmanischen Reich, zu dem es bis zu
den Balkankriegen, also über 500 Jahre gehörte. Mit der Einverleibung in das
Osmanische Reich wanderten türkische Verwaltungsbeamte, Bauern aus Anato-
lien und später Roma ein, wurden muslimische Soldaten aus dem Sudan ange-
siedelt und konvertierten viele Andersgläubige aus opportunistischen Gründen
zum Islam, so insbesondere die slawischsprachigen Pomaken.
Nach den Balkankriegen zunächst Bulgarien zugeschlagen, kam Thrakien
1919 zu Griechenland. Die wechselnde staatliche Zugehörigkeit führte auch hier
zu großen Bevölkerungsverschiebungen: Bulgaren wanderten nach 1919 ins
Mutterland, umgekehrt kehrten Griechen in dieses zurück, Türken gingen in die
Türkei. Von der größten Bevölkerungsverschiebung jener Zeit, dem Bevölke-
rungsaustausch von Christen und Muslimen zwischen Griechenland und der
Türkei nach dem von Griechenland angezettelten und verlorenen Kleinasienfeld-
zug, deren Kriegsfolgen in den Verträgen von Lausanne 1923 geregelt wurden,
blieb Thrakien weitgehend verschont. Als Kompensation dafür, daß die Grie-
chen in Konstantinopel und auf einigen Inseln im Marmarameer und am Aus-
gang der Dardanellen wohnen bleiben konnten, mußten die Muslime Thrakien
nicht verlassen. So blieb hier – wenn auch durch angesiedelte christliche Flücht-
linge aus Ostthrakien und der Schwarzmeerküste verändert – jene für das Osma-
nische Reich so typische charakteristische Mischung von Christen und Musli-
men unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit erhalten.
Unsere Untersuchungen in Griechenland konzentrierten sich auf die Stadt
Xanthī und das Dorf Evlalo im Nestosdelta. Darüberhinaus wurden in den
Nachbarsiedlungen einzelne Interviews durchgeführt. Die Stadt Xanthī (türk.
İskeçe) hatte 2007 rund 55.000 Einwohner und ist damit etwas größer als Med-
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 17

gidia. Sie liegt am Fluß Xanthī und am Fuß des üppig bewaldeten Rhodopenge-
birges mit heute guter Verkehrsanbindung (Eisenbahn, Autobahn, Flughafen bei
Kavala). Wirtschaftlich haben Ackerbau und Forstwirtschaft sowie der Tabak-
handel zum Aufschwung der Stadt beigetragen. An die gewachsene Altstadt mit
unregelmäßigem Straßennetz und teils gut erhaltenen, teils renovierten Häusern
schließen sich geplante Viertel an, in denen Mehrstockhäuser dominieren. Im
Zentrum der Stadt liegen Straßen, die vorwiegend von Muslimen frequentiert
werden wie die Panagī-Tsaldarī Straße. Die meisten Einkaufstraßen haben eth-
nisch gemischte Kundschaft. Der Samstagsmarkt von Xanthī ist als größter Wo-
chenmarkt Griechenlands bekannt.
Das Dorf Evlalo (türk. Inhanlı, Ilanli) liegt im östlichen Nestosdelta, 23 Ki-
lometer südwestlich von Xanthī. Mit seinen gut 800 Einwohnern (2001) ist es
erheblich kleiner als Cobadin. Es liegt in einer Ebene, die bis Anfang des 20.
Jahrhunderts durch Sumpflandschaften der Nestosmündung geprägt war. Seit der
Trockenlegung großer Flächen des Deltas ist die Ebene sehr gut für den Acker-
bau geeignet, weshalb um Evlalo extensiv Weizen und Mais angebaut werden.
Nördlich des Dorfes liegen Winterweiden der Sarakatschanen, südlich davon die
touristisch noch kaum erschlossene Küste des Ägäischen Meeres.

3.2.2 Ethnographische Situation


Die christliche Religionsgemeinschaft besteht fast ausschließlich aus christlich-
orthodoxen Griechen (Selbstbezeichnung ellīnes, veraltet rōmioi). Sie sind Titu-
larnation und bilden im Nomos Xanthī die knappe Mehrheit. Zu den altansässi-
gen Griechen Westthrakiens sind Flüchtlinge aus Ostthrakien und der Schwarz-
meerküste (die sog. Pontosgriechen der südlichen Schwarzmeerküste)
zugewandert sowie seit 1990 sogenannte Rußlandgriechen von der nördlichen
Schwarzmeerküste und christliche Roma aus den ehemals sozialistischen Staaten
Rumänien und Bulgarien. Seit dem 18. Jahrhundert wanderten nomadisch leben-
de griechischsprachige Sarakatschanen aus Epirus zu. Andere christliche Grup-
pen (Aromunen, Armenier, Gagausen) machen einen verschwindend kleinen
Teil aus.
Während die griechische Politik von der „muslimischen Minderheit“ spricht,
gliedern sich die Muslime der Region nach ethnographischen Aspekten in min-
destens drei ethnische Gruppen: Türken, Pomaken und Roma (Zigeuner).13
- Die Pomaken (Eigenbezeichnung pomak, aghrian, türkler) sind eine alt-
ansässige islamisierte Bevölkerung der Rhodopen. In Westthrakien haben
viele von ihnen türkisches Selbstverständnis, obwohl sie ein mit dem Bul-
garischen eng verwandtes Südslawisch sprechen und sich physisch deut-
lich von den Türken der Region unterscheiden.

13
Daten zur An zahl der muslimischen Gruppen vgl. Lienau, Cay : Die Muslime Grie-
chenlands. Zum Problem von Ethnizität, Identität und Nationalität. In: Lienau, Cay;
Steindorff, Lud wig (Hg.): Ethnizität, Identität und Nationalität in Südosteuropa. Südost-
europa-Studie 64. München 1999, 49-69, hier 53.
18 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

- Die meisten Türken (Eigenbezeichnung türkler) wanderten während der


osmanischen Herrschaft als Verwaltungsbeamte und Bauern in Westhhra-
kien ein. Aufgrund der Nähe zur Türkei haben die Türken Westthrakiens
einen dichteren Kontakt mit der Türkei pflegen können als diejenigen der
Dobrudscha.
- Muslimische Roma (griech. turkogyftoi, Eigenbezeichnung jevg, çingene,
xoraxane) erreichen ihren höchsten Bevölkerungsanteil im Nomos Evros,
in Evlalo stellen sie die Mehrheit.
- Unter den Muslimen von Evlalo befinden sich Nachfahren muslimischer
Soldaten aus dem Sudan, die sich des Türkischen bedienen. Da die dun-
kelhäutigen Sudanesen physisch leicht erkennbar sind, werden sie von
der übrigen Bevölkerung als Araber bezeichnet, sie selbst aber sehen sich
als Türken.
Die genannten muslimischen Gruppen sind Sunniten der hanafitischen Schu-
le. Die Gruppen der Kızılbaş-Sekte und des Bektaşı-Ordens, die zu osmanischer
Zeit in Südosteuropa weit verbreitet waren14 , spielen in Griechenland noch eine
Rolle (siehe den Beitrag von D. Michail, S. 113-119 in diesem Band).
Sowohl in Rumänien als auch in Griechenland wurden die Muslime von einer
Mehrheit zur Minderheit mit vertraglich festgelegten Minderheitenrechten. Wei-
terhin ist beiden Ländern gemein, daß die Muslime die laizist ischen Reformen
Atatürks nicht mitmachten und daher konservativ blieben und Reformen nur
verzögert bzw. gar nicht nachholten. Im Unterschied zu Rumänien muß bei der
Einschätzung des Zusammenlebens von Christen und Muslimen in Griechenland
beachtet werden, daß die Minderheit nach den Verträgen von Lausanne religiös
und nicht ethnisch definiert wird.

4. Hypothesen zum Zusammenleben von Christen und Muslimen


Um Antworten auf die Frage nach der Art der interreligiösen Existenz, nach
Konfliktfeldern und Konfliktpotentialen zu finden, gingen wir von einer Reihe
von Hypothesen aus, die sich an den Daseingrundfunktionen Wohnen, Arbeiten,
Versorgung, Freizeit und Erholung, Bildung und in der Gemeinschaft leben15
orientierten und die – aus Vorerfahrungen und Voruntersuchungen gewonnen –
bei den empirischen Erhebungen als Leitfaden dienten (siehe unten). Sie ver-
dichteten sich im Verlauf der Erhebungen zu nachstehenden Kernhypothesen:
1. Der Alltag in den gemischten Siedlungen verläuft reibungslos, trotz man-
cher tatsächlicher oder gefühlter Benachteiligungen der Minderheiten;
2. Konfliktpotential entsteht durch das Verhalten von Eliten, die durch
Transformierung sozioökonomischer Disparitäten in ethnisch-religiöse
Unterschiede sowie durch die Politisierung dieser Unterschiede ihre
Macht zu festigen suchen;

14
Sch midt-Rösler, Auswanderung der Türken, 134.
15
Grundlegendes hierzu vgl. Ruppert, Karl; Schaffer, Franz: Zur Konzeption der Sozia l-
geographie. In: Geographische Rundschau 21/6 (1969) 205-221.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 19

3. Gemeinsam erlebte Geschichte und Erinnerungen und eine damit ver-


knüpfte Erinnerungskultur haben einen wesentlichen, oft friedenstiftenden
Einfluß auf das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion
und Ethnizität.

4.1 Hypothese 1: Reibungsloses Zusammenleben im Alltag

4.1.1 Wohnen
Die Ausgangshypothese lautete: Räumliche Segregation und Wohnraumdispari-
täten fördern das Konfliktpotential.
In allen untersuchten Gemeinden hat es in der Vergangenheit Viertel gege-
ben, die sich durch unterschiedliche ethnische und religiöse Struktur auszeichne-
ten. Diese ursprünglich bestehende Wohnsegregation ist in den Städten seit Lan-
gem in Auflösung begriffen. Sowohl in Medgidia als auch in Xanthī bewohnen
viele zugezogene Muslime Häuser und Wohnungen außerhalb der ursprünglich
von Muslimen bewohnten Viertel, umgekehrt zogen Christen in die muslimi-
schen Viertel. In den ländlichen Siedlungen, Cobadin und Evlalo, ist die Viertel-
struktur weitgehend erhalten geblieben, so daß die Trennung in ethnische
Wohngebiete deutlicher zu erkennen ist als in den beiden untersuchten Städten.
In Rumänien ist durch die Eingriffe des kommunistischen Regimes in die lo-
kale Architektur sowie durch den rasanten Prozeß der Industrialisierung Medgi-
dias in den 1950er Jahren eine derart gemischte Verteilung von Ethnien vorzu-
finden, daß man die ehemaligen ethnischen Viertel nur noch schwer erkennen
kann. In Medgidia sind die meisten Gebäude der Altstadt, die früher überwie-
gend von Tataren bewohnt wurden, sozialistischen Blockbauten gewichen. Le-
diglich in wenigen zentralen Stadtteilen haben sich alte Häuser halten können;
dabei wirken die stehengebliebenen Häuser der alten türkischen und tatarischen
Stadtbevölkerung auffallend wohlhabend. In Griechenland hingegen zeigt sich in
der oberen Altstadt von Xanthī, die einst überwiegend von Pomaken bewohnt
wurde, daß sich der Zuzug neuer Bewohner positiv auf die alte Bausubstanz der
Altstadt ausgewirkt hat. Eine gewisse Segregation ist dort bis heute vorhanden,
weil von Muslimen ganze mehrstöckige Häuser gekauft werden, um weitere
Familienmitglieder nachziehen zu lassen. Diese neue Segregation zeigt sich auch
am Beispiel der Rußlandgriechen, die dazu neigen, in Vierteln zusammen zu
siedeln. In Xanthī ist dies verstärkt das Viertel Evmoiro.
In Cobadin konnte bei einer Kartierung festgestellt werden, daß nur noch we-
nige alte muslimische Häuser erhalten sind. Im Gegensatz zu den Häusern der
Muslime sind diejenigen der deutschen Bevölkerung nahezu unverändert geblie-
ben. Sie sind nach der Abwanderung der Deutschen seit 1941 aromunischen und
rumänischen Neusiedlern aus dem Quadrilater übergeben worden und in gutem
Zustand. Auch wenn sich die ethnische Zusammensetzung der Viertel stark ge-
wandelt hat, sind die alten Vierteleinteilungen der Bevölkerung noch bewußt. So
redet man in Cobadin auch heute vom Viertel der Deutschen (rum. la nemţi),
obwohl dort inzwischen kein Deutscher mehr wohnt. Ebenso ist das ehemals ta-
20 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

tarische Viertel (rum. Chiriş Mahala, türk. kiriş mahalle) weiterhin als tatari-
sches Viertel bekannt, obwohl es heute kaum mehr als solches zu erkennen ist.
Charakteristisch ist, daß in den Beschreibungen der Gesprächspartner subjek-
tive Äußerungen zur Architektur der Nachbarethnien deutliche Aussagen zum
Ansehen der jeweiligen Gruppe enthalten sind: „Die Deutschen hatten große,
stabile Häuser. Es waren gute Hausherren“.16 Die Häuser der Deutschen er-
kannte man sofort, weil sie so gepflegt waren und rundherum Fenster hatten“.17
„Sie [die Türken] hatten kleine Häuser mit einem Dach aus Erde, sogar anstelle
der Zäune hatten sie Erdmauern“.18 „Die Türken taten Kuhmist auf ihre Häuser,
trockneten ihn auf den Dächern und machten dann damit Feuer“.19 „Die Poma-
ken sind gute Hausherren. Man kann ihre Häuser sofort von denjenigen der Tür-
ken unterschieden“.20
Das Stadtbild Xanthīs hat sich in den vergangenen Jahren durch einen Bau-
boom stark verändert. Waren noch vor zehn Jahren die Mehrheit der Häuser klei-
nere Einfamilienhäuser, an deren Bauweise deutlich zu erkennen war, ob dort
Christen oder Muslime wohnten, so ist heute eine Differenzierung nach der Bau-
weise nicht mehr möglich. Trotz starker Zuwanderung und des Baubooms beste-
hen aber nach wie vor Stadtteile in Xanthī, in denen vorwiegend Muslime woh-
nen. Es sind dies die obere Altstadt und der Stadtteil Purnalik im Süden der Stadt.
Das Stadtteil Drosero außerhalb der Stadt ist überwiegend von Roma bewohnt. In
Evlalo ist eine räumliche Segregation der christlichen Minderheit – rund 20% der
Bevölkerung sind Christen – bis heute auszumachen, zeigt aber starke Anzeichen
der Auflösung.
Als einzige Gruppe leben die Roma auch heute in beiden Ländern in deutlich
segregierten Vierteln. Dabei wohnen sie nach eigenen Angaben innerhalb der
Viertel wiederum getrennt nach unterschiedlichen Gruppen. In Medgidia existie-
ren drei sehr ärmliche Viertel, von denen zwei überwiegend von muslimischen
Roma, eines mehrheitlich von christlichen Roma bewohnt werden. Viele der
muslimischen Roma leben in provisorischen Hütten ohne Wasseranschluß und
Elektrizität. Andere wohnen in Hochhäusern sozialistischer Plattenbauweise, die
in den 1970er Jahren für junge Leute gebaut wurden, die in Medgidias Fabriken
arbeiten sollten. Der Bürgermeister der Stadt ließ 2003-2004 einige dieser
Blockbauten sanieren, jedoch beschränkte sich die Sanierung auf einen Außen-
anstrich, der von außen die Mißstände unsichtbar machen sollte; die hygieni-
schen Konditionen im Inneren blieben unvorstellbar schlecht. Dennoch stieß
diese Hilfsaktion auf Mißgunst: „Warum gibt der Bürgermeister immer den Zi-
geunern etwas gratis? Die arbeiten nicht und kriegen trotzdem alles, was sie
wollen, sogar neue Wohnungen... Haben Sie gesehen, wie schön diese Wohnu n-

16
Axeit Memli Omer, Tatare aus Cobadin, 64 Jahre, pensionierter Sportlehrer, Abso l-
vent (1956) der Tatarischen Pädagogischen Schule.
17
Ghiu lseren Murad, 70 Jahre, Tatarin aus Cobadin.
18
Karo l M icloş, geb. 1933, Katholik aus Cobadin.
19
Mariana Cotoban, ca. 55 Jahre, Ru mänin aus in Medgidia, Angestellte im Rathaus.
20
Eleni Nikolaidu, 58 Jahre, Marktverkäuferin aus Xanthī.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 21

gen sind?“.21 Die Bewohner des Zentrums von Medgidia meiden die Romavier-
tel und wissen daher wenig über sie. Die Existenz der Barackensiedlungen ist
vielen Einwohnern kaum oder gar nicht bewußt: „Ich habe gehört, daß es dort
eine Hüttensiedlung gibt. Natürlich war ich dort noch nie. Die sollen doch so
wohnen, wie sie wollen, solange ich da nicht hin muß“.22 Enstprechend negativ
wurde die Entscheidung des Bürgermeisters eingestuft, aufgrund derer der
Schulbus auch Kinder aus dem Romaviertel Ali Baba abholen sollte: „Mir blieb
nur die Möglichkeit, die Kinder in eine andere Schule zu schicken oder sie zu
Fuß zur Schule gehen zu lassen. Niemals würde ich meine Kinder durch dieses
Viertel gehen oder fahren lassen“.23 Daß einzelne wohlhabene Roma in die In-
nenstadt von Medgidia gezogen sind, kann man an der Existenz einiger soge-
nannter Zigeunerpaläste erkennen.
Die Roma und ihre Segregierung sind ein Sonderfall, der für die Darstellung
der Beziehungen von Christen und Muslimen kaum charakteristisch scheint,
sondern eher ein soziales Phänomen darstellt. Man darf also hieraus nicht den
Schluß ziehen, Muslime und Christen würden heute räumlich stark segregiert
voneinander siedeln. Abgesehen von der Segregation der Romaviertel und der
daraus resultierenden Unzufriedenheit der Bewohner mit den tatsächlich vielfach
sehr schwierigen Wohnbedingungen scheinen sich in den untersuchten Siedlun-
gen keine Ungerechtigkeiten bemerkbar zu machen, die auf ethnische oder reli-
giöse Unterschiede zurückzuführen wären.

4.1.2 Arbeiten
Die Ausgangshypothesen lauteten, daß häufigere Begegnung und gemeinsames
Arbeiten das Miteinander und gegenseitige Verständnis fördern und eine Privi-
legierung bei der Verteilung von Arbeitsplätzen Konfliktpotential birgt.
Auf dem Arbeitsmarkt lassen sich zahlreiche Fälle beobachten, bei denen
trotz gleicher Qualifikation die religiöse oder ethnische Herkunft einer Person
für ihre Anstellung eine Rolle gespielt hat. Das Heranziehen der Abstammung
als Auswahlskritierium wird jedoch weitaus seltener praktiziert als es laut den
Berichten unserer Gesprächspartner noch vor wenigen Jahrzehnten der Fall ge-
wesen sein muß.
In Medgidia ließ sich beobachten, daß Christen unter den Firmenbesitzern
und in leitenden Positionen überdurchschnittlich vertreten sind. Unter den Mus-
limen sind die Tataren in mehreren Wirtschaftsbereichen dominant, darunter im
Bereich der Bäckereien und Konditoreien. Man kann beobachten, daß die tatari-
schen Firmenbesitzer tendenziell bevorzugt Tataren einstellen. Obwohl sich in
diesem Bereich ethnische Bevorzugungen beobachten lassen, gibt es keinen Be-
trieb, der ausschließlich Angehörige nur einer Ethnie anstellt. So arbeiten selbst
in den muslimischen Metzgereien und Restaurants auch Rumänen. Sogar der

21
Irina R., ca. 45 Jahre, Ru mänin aus Medgidia, Verkäuferin in einer Buchhan dlung.
22
Irina R., ca. 45 Jahre, Ru mänin aus Medgidia, Verkäuferin in einer Buchhandlung.
23
Rodica To mescu, ca. 50 Jahre, Grundschullehrerin aus Medgidia.
22 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

Koch des tatarischen Restaurants in Medgidia ist ein Rumäne, der Metzger der
muslimischen Metzgerei ebenfalls.
Unsere Gesprächspartner haben allesamt gerne betont, daß Abstammung oder
Religion bei der Anstellung ke inerlei Rolle spielen würde. In Rumänien wird oft
darauf hingewiesen, daß man in kommunistischer Zeit eine Vereinheitlichung
und Gleichbehandlung der Bevölkerung anstrebte und dies auch weitgehend ge-
lungen ist. In der kommunistischen Zeit wurde die rumänische Landwirtschaft
durch die Einrichtung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (CAP)
geprägt, in denen man ungeachtet von Abstammung und Konfession zusammen-
arbeiten sollte. Es hat sich in vielen Interviews gezeigt, daß trotz der gerne pos-
tulierten gleichen Behandlung auch in sozialistischer Zeit zahlreiche Fälle vor-
kamen, in denen Vertreter der einen oder anderen Gruppe bevorzugt wurden:
„Die Chefs dieser Brigaden waren Rumänen. Die meisten Ingenieure der Briga-
de, in der ich arbeitete, waren Aromunen. Ich habe dort mit Türken, Rumänen
und Aromunen zusammengearbeitet. So habe ich Rumänisch gelernt. Ich konnte
sogar ein bißchen Aromunisch, aber mit den Aromunen konnte man meist auch
Rumänisch sprechen. Es gab keine Probleme zwischen den Religionen, aber un-
sere Leute hatten keine hohen Positionen”.24
„Es kam einmal ein Türke in unser Kollektiv, von dem wir gar nicht wußten,
welche Funktion er hatte. Er benahm sich wie ein neuer Chef, ordnete alle
Gruppen nach seiner Nase und setzte die Türken an die besten Stellen. Das war
vielleicht ein Schlaumeier!”. 25
Wenn Personen eine Diskriminierung bei der Arbeitsuche anprangern woll-
ten, waren allerdings die Beispiele fast immer mehrere Jahrzehnte alt und daher
für die heutigen Verhältnisse alles andere charakteristisch. Hierzu zählt auch die
Biographie eines deutschen Informanten aus dem Dorf Cobadin, der seine Erfah-
rung aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges heranzog: „Ein deutscher Arbeitge-
ber suchte damals Deutsche für sein Geschäft und schrieb die Stellen auch nur
für Deutsche aus, denn die sind ehrlich, klauen nicht und sind seriös“.26 Das Zu-
sammenleben mit den Deutschen wurde von unseren Gesprächspartnern durch-
weg als gut bezeichnet: „Wir waren gute Nachbarn und haben sogar etwas
Deutsch von ihnen gelernt. Es tut mir Leid, daß sie weggehen mußten. Wir ha-
ben mit den Deutschen hervorragend zusammengelebt und gearbeitet, aber zwi-
schen Türken und Tataren waren nicht gerade die besten Beziehungen”.27
Die in Rumänien beobachtete Tendenz, bei der Anstellung von Personal auch
Argumente wie Religion und Abstammung zu berücksichtigen, ist in den grie-
chischen Untersuchungsgebieten weitaus stärker ausgeprägt. Muslime sind in
höheren Posten der Verwaltung unterdurchschnittlich vertreten, haben Schwie-
rigkeiten bei der Kreditvergabe und müssen höhere Qualifikationen nachweisen,
24
Ghiu lseren Murad, 70 Jahre, Tatarin aus Cobadin.
25
Ștefan X., Aro mune aus Cobadin, ca. 60 Jah re.
26
Iakob Ess, Deutscher aus Cobadin, geb. 1931.
27
Seit Ozgur, geb. 1965 in Cobadin, Mutter Tatarin aus Medgidia, Vater Türke aus
Hagieni.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 23

um bei der Einstellung in Betriebe mit den christlichen Bewerbern mithalten zu


können. Entsprechend gibt es kaum einen Muslim in Griechenland, der nicht
Beispiele von ungerechter Behandlung nennen könnte. Hier nur ein paar wenige
Belege aus den Interviews:
„Bei den Subventionen werden wir immer wieder ungerecht behandelt. Ca.
84% der Tabakproduktion werden mit einem Preis von 4 € pro Kilo subventio-
niert und der Rest von ca. 16% mit einem niedrigeren Preis. Was bekommen die
Produzenten aus Thrakien? Natürlich den niedrigeren Preis. Obwohl wir den
guten Basmas anbauen. Wer baut Basmas an? Die Muslime. Deswegen sage ich
dir, es gibt Ungerechtigkeit“.28 – „Schau mal bei den Banken. Wie viele Musli-
me arbeiten dort? Kein einziger. Geh mal zur Bezirksverwaltung. Dort arbeiten
500 Leute und nur drei, nur drei sind Muslime. Ist das Gerechtigkeit? Die A-
grarbank hat fünf Putzfrauen, fünf. Wieso stellen sie keine Muslime ein? Schau
bei der griechischen Telefongesellschaft, oder bei der Öffentlichen Elektrizitäts-
gesellschaft 29 , kein einziger von uns, kein Muslim weit und breit bekommt dort
Arbeit“.30 – „Was passiert mit den Muslimen in den Bergen? Nichts. In die
Bergdörfer fließen keine Investitionen. In allen Dörfern zusammen haben nur
fünf oder sechs Muslime Subventionszahlungen bekommen“.31
Es fällt auf, daß viele Personen an den Feindbildern selbst dann festhalten,
wenn sie von keinerlei Problemen zu berichten wissen und die Beziehung als gut
bezeichnen: „Die Pomaken sind sehr gute Leute, sehr arbeitswillige, friedliche
und ruhige Leute. Dann gibt es die Türken oder die Türkischsprechenden. Sie
sind unberechenbar. Die Türken als Volk sind Feinde. Sie waren und sind Fein-
de und werden es immer bleiben. Im Alltag ist es einfach, wir haben Geschäfts-
beziehungen, sie steigen bei mir oder bei meinem Vater ins Taxi ein, es gibt kein
Problem. […] Ich bin in Xanthī geboren und lebe schon immer hier. Meine Mut-
ter kommt aus Zypern, aus dem besetzten Teil der Insel. Meinen Vater hat sie in
Athen kennengelernt, wohin sie nach der Invasion geflüchtet ist. […] Auch wenn
wir uns gut verstehen, wir bleiben Feinde“.32
Die empfundene Benachteiligung ist in vielen Fällen größer als die tatsäch-
lich nachweisbare. Ungerechtigkeiten, die auch persönliche Gründe haben kön-
nen und Christen genauso treffen können, werden immer wieder religiös inter-
pretiert. So ist es in ganz Griechenland bekannt, daß die Agrarbank bei
ungedeckten Konten keine kurzfristigen Kredite einräumt. Diese Politik basiert
auf der Tatsache, daß alle Subventionszahlungen an griechische Landwirte nur
über die Agrarbank abgewickelt werden. Dennoch interpretierte ein enttäuschter
Kunde die Ablehnung seines Ansuchens als Diskriminierung aufgrund seiner
Religion: „Ich war bei der Agrarbank und versuchte den Betrag von 1.000 € ab-

28
Bari S., Po make aus Xanthī.
29
Angestellte bei der Telefon- und Elektrizitätsgesellschaft sind in Griechenland als
Besserverdiener bekannt.
30
Sami Karabugiukoglu, Journalist aus Xanthī.
31
Ali Hat zihasan, Teehauswirt in Xanthī.
32
Charīs X., Taxifahrer aus Xanthī, Mutter aus Zypern.
24 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

zuheben. Aber leider ohne Erfolg. Die Banken behandeln ihre Kunden un-
gerecht. Andere, die bis zu den Ohren verschuldet sind, bekommen sofort Kredi-
te, aber wir haben keine Chance, einen Vorschuß zu bekommen, weil wir Musli-
me sind“.33
Auch in Griechenland werden für die Charakterisierung der Arbeitshaltung
des Anderen gerne Klischees bemüht, die mit Emotionen und Stereotypen gela-
den sind: „Die Türken hatten keine Grundstücke, weil sie nicht arbeiteten. Wenn
wir die Spreu vom Weizen trennten, haben die Türken nicht einen Halm aufg e-
hoben. Sie haben eher was gestohlen. Ganz besonders die Türkinnen. Aber sie
waren ja auch arm“.34 Das Klischee der arbeitsscheuen Türken ist unter der
christlichen Bevölkerung in beiden Ländern weit verbreitet.
In Griechenland gibt es aufgrund der historischen Entwicklung eine Tren-
nung von Hof und Flur zwischen Muslimen und Christen. Entsprechend kommt
es im landwirtschaftlichen Bereich kaum zu Berührungen in der Arbeitssphäre.
Ausnahmen sind die wenig entwickelten Genossenschaften. Der sekundäre Sek-
tor ist noch weitgehend segregiert. Es gibt es nur wenige Betriebe, die gemein-
sam von Christen und Muslimen geführt werden. Von den 206 Aktiengesell-
schaften im Nomos Xanthī wurden laut Industrie- und Handelskammer von
Xanthī nur vier, von den 114 GmbH fünf gemeinschaftlich von Christen und
Muslimen geführt. Etwas anders sieht es in Betrieben mit größerer Zahl von an-
und ungelernten Arbeitskräften aus, wie bei CocoMat oder Sekap, wo zwar nach
Aussagen der Betriebsleiter bei den Arbeitskräften keine Unterschiede gemacht
werden, Muslime dennoch unterdurchschnittlich vertreten sind. Ein weiteres
Beispiel der Segregierung im Arbeitsbereich ist in Xanthī im Bausektor zu fin-
den, der zu 80% in Händen der Pomaken ist. Auch im Handel und Dienstleis-
tungsgewerbe sind die Arbeitssphären noch weitgehend getrennt. Ladeninhaber
sind entweder Muslime mit muslimischen Angestellten oder Christen mit christ-
lichen Angestellten (Ausnahmen z.B. Grillstuben u.ä.). In der Verwaltung sind
Muslime stark unterrepräsentiert. Im Gesamtregister sind die ca. 7.000 Einze l-
handels-, Handwerks- und Industriebetriebe nach Namen des Besitzers und Stra-
ße gegliedert. Die Auswertung der Namen ergab, daß 28% der Inhaber einen
muslimischen Namen aufweisen; kaum ein Betrieb weist sowohl christliche als
auch muslimische Namen auf.
Insgesamt sind in den Untersuchungsgebieten beim Zugang zum Arbeits-
markt keine direkten Ungerechtigkeiten zu beobachten, es besteht de facto ein
respektiertes Nebeneinander. Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt haben
sich durch langfristige Prozesse ergeben, vor allem durch die weitgehende Aus-
grenzung der muslimischen Minderheit aus der griechischen Gesellschaft, die zu
sprachlicher Inkompetenz und einem geringeren Bildungsniveau der Minderheit
führte, die deren Chancen auf dem griechischen Arbeitsmarkt verschlechtert. Die

33
Charīs X., Taxifahrer aus Xanthī, Mutter aus Zypern.
34
Kōnstantinos Dīmudīs, ca. 60 Jahre, ökologischer Landwirt aus Xanthī.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 25

veränderte Minderheitenpolitik des Landes in jüngster Zeit läßt erste positive


Effekte erkennen.

4.1.3 Versorgung, Einkauf, Verkauf


Es steht außer Frage, daß Segregation bei der Versorgung einem gedeihlichen
Zusammenleben eher hinderlich ist. Im Allgemeinen wurde in den Untersu-
chungsgemeinden z.B. beim Einkauf nach unseren Beobachtungen jedoch kein
Unterschied gemacht, ob das aufgesuchte Geschäft muslimische oder christliche
Besitzer und Angestellte hat. Die Käufer achten nur in wenigen Fällen darauf, ob
ein Laden von einem Muslim oder einem Christen geführt wird; jeder kauft bei
jedem. Das entscheidende Argument bei der Versorgung ist die Nähe zum
Wohnort sowie Qualität und Preis der Ware.
Bei der Versorgung mit Fleisch zeigte sich, daß die meisten Muslime auf die
Einhaltung der muslimischen Reinheitsgebote (halal) Wert legen. Dementspre-
chend dürfen Schweinefleisch, Blut und Alkohol nicht konsumiert werden, und
die Tiere müssen nach traditionellem Ritus geschlachtet werden. Es liegt daher
auf der Hand, daß sie überwiegend muslimische Schlachtereien frequentieren. In
Rumänien ist es zu kommunistischer Zeit zu Ausnahmen bezüglich der muslimi-
schen Konsumvorschriften gekommen. Seit der Wende wird wieder erheblich
stärker auf das Einhalten religiöser Vorschriften geachtet, jedoch immer noch
mit Ausnahmen: „Eigentlich müßte der Hodscha oder ein anderer Vertreter des
Islams bei dem Vorgang des Schlachtens anwesend sein und aus dem Koran le-
sen, aber das geschieht bei uns kaum noch. Nur noch an den großen Feiertagen
wird dazu gelesen”.35 Die Muslime Westthrakiens sind erheblich konservativer
bezüglich der Beachtung verbotener (haram) und erlaubter (halal) Speisen als
die Muslime der Norddobrudscha.
An mehreren Beispielen zeigte sich, daß die Eßgebote von den Angehörigen
der jeweils anderen Religion geachtet werden. Der rumänische, christlich-
orthodoxe Verwalter der Schulkantine von Cobadin verlangte beispielsweise von
den rumänischen Köchen, für die Muslime getrennt Essen zuzubereiteten. Auf
der anderen Seite sind auch Beispiele zu finden, in denen Muslime Schweine-
fleisch verzehrt haben: „In der Marine war ich der einzige Muslim und konnte
nicht verlangen, daß man für mich separat kocht, weshalb ich wohl oder übel
auch Schweinefleisch zu mir nahm. Am Anfang fiel es mir schon schwer, dann
gewöhnte ich mich schließlich daran. So erging es uns allen. Wer beim Militär
war, hat auch Schweinefleisch gegessen. Aber zumindest halten die Muslime
sich keine Schweine. Das wäre wirklich eine große Schande“.36

35
Faruc Memet, damaliger Vo rsitzender der Demo kratische Union Turko-muslimischer
Tataren.
36
Axeit Memli Omer, Tatare aus Cobadin, 64 Jahre, pensionierter Sportlehrer, Abso l-
vent (1956) der Tatarischen Pädagogischen Schule, 1957 bis 1960 in der ru mänischen
Marine.
26 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

«Es wurde also ohne Schweinefleisch gekocht. Denen wird ja angeblich


schlecht, wenn sie das essen. So haben wir also was anderes für die gekocht. Ich
wollte ja auch keine Sünde für die begehen, obwohl mir sogar eine tatarische
Lehrerin ständig sagte, ich solle ruhig Schweinefleisch verwenden und ihren ta-
tarischen Kollegen vorsetzen, denn es würde ihnen sicher schmecken, und ich
solle es ihnen einfach nicht sagen!”37
Historisch bedingt haben sowohl in Medgidia als auch in Xanthī die meisten
Geschäfte in der Altstadt einen muslimischen Besitzer. Auf dem Wochenmarkt
von Xanthī herrscht ein buntes Durcheinander: Die Marktbeschicker von Xanthī
sind überwiegend Muslime, die Käufer Christen und Muslime. Die konservative
Struktur der muslimischen Bevölkerung wird hier sichtbar, besonders bei mus-
limischen Frauen aus den Bergdörfern, die ihre Siedlungen nur für den Wo-
chenmarkt verlassen.
Auf dem großen Samstagsmarkt von Xanthī, einem der größten Märkte Grie-
chenlands, konnten keine Diskriminierungen erkannt werden. Allerdings gab es
immer wieder Angaben bezüglich gewisser Benachteiligungen beim Verhan-
deln: „Wie oft habe ich gesehen, daß hier jemand etwas ganz billig verkaufte.
Dann nahm ich mir das gleiche, erfragte den Preis und bekam genau die gleiche
Ware viel teurer angeboten. Alles nur weil ich nicht richtig Türkisch kann!“38 –
„Wenn man hier etwas billig kaufen will, muß man vier Sprachen sprechen.
Wenn man etwas gut verkaufen will, reicht Griechisch!“. 39 Je nach großen be-
vorstehenden Festtagen kann der Eindruck entstehen, daß der Wochenmarkt
vorwiegend von einer bestimmten ethnischen Gruppe freuentiert wird. Kurz vor
dem Bayram wurde eine regere Einkaufstätigkeit bei Muslimen beobachtet, ähn-
lich bei den Christen zu Weihnachten oder Ostern.

4.1.4 Freizeit und Erholung


Gemeinsam verbrachte Freizeit und gemeinsames Feiern mindern Vorurteile und
fördern das Miteinander – so die Ausgangshypothese. Die Beeinflussung durch
spezifische Medien wie Fernsehen, sofern man Fernsehkonsum zum Freizeitver-
halten rechnet, trägt eher zur Förderung von Vorurteilen und Trennung der
Volksgruppen bei.
Generell ist das Freizeitverhalten von Christen und Muslimen in den Unter-
suchungsgebieten ähnlich: Man geht gerne kurz aber geruhsam spazieren und
sitzt in Cafés, wobei es hier von den sprachlichen und religiösen Gruppen bevor-
zugt oder ausschließlich aufgesuchte Tee- und Kaffeehäuser gibt. In den ge-
mischten Dörfern sind getrennte Kaffeehäuser noch üblich, in denen jeweils eine
Sprache dominiert.

37
Pepa Ianuş, ca. 60 Jahre, Aro munin aus Cobadin, zunächst Chefin eines Schneiderat e-
liers, dann Köchin in der Schulkantine.
38
Stelios Puspurikas, ca. 55 Jahre, Grieche aus Xanthī, Lehrer.
39
Georg Darbin ian, Armen ier aus Xanthī.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 27

Es gibt Cafés (rum. cafenea, griech. kafenio) mit gemischtem Publikum, aber
auch solche, die vorwiegend von der einen oder andere Gruppe besucht werden.
In den modernen Cafés ist das Publikum stärker durchmischt. Zugewanderte
Pomaken aus denselben Siedlungen in den Rhodopen treffen sich in Cafés, die
oft den Siedlungsnamen tragen. Dort werden die ländlichen Beziehungen im ur-
banen Umfeld weiter gepflegt. Die großen Cafés in Xanthī, die die Hälfte der
Platia von Xanthī bestuhlt haben und darum auch anonymer sind, werden von
beiden Religionsgruppen in gleicher Weise aufgesucht. Das gilt auch für Diskos,
Bars und Nachtcafés, die von christlichen und muslimischen Jugendlichen gleich
stark frequentiert werden.
Die wirtschaftliche Situation der Dobrudscha ist noch derart schlecht, daß
sich die Bevölkerung keine luxuriöse Erholungskultur und Freizeitgestaltung
leisten kann. Da der alltägliche Kampf um den Lebensunterhalt kaum eine freie
Minute am Tag erlaubt, wäre es in vielen Fällen geradezu skurril, die Probanden
über die Gestaltung ihrer Freizeit oder gar über Ferien und Reisen zu intervie-
wen. Fernseher jedoch existieren in fast jedem Haushalt, so daß die meiste Frei-
zeit vor dem Fernseher verbracht wird, anstatt in Cafés zu gehen, wie dies in
Griechenland üblich ist. Wer keinen Fernseher hat, trifft sich mit Nachbarn oder
Freunden zu den jeweiligen Lieblingssendungen. Darüber hinaus spielen Besu-
che bei Verwandten und Freunden eine wichtige Rolle.
In den rumänischen Untersuchungsgebieten konnten mit Ausnahme der Kul-
turvereine kaum Treffpunkte ausgemacht werden, an denen überwiegend oder
ausschließlich Vertreter nur einer Ethnie oder Religionsgemeinschaft anzutreffen
sind. Es gibt praktisch keine Restaurants, die nur von Muslimen oder Christen
frequentiert werden; dies liegt allerdings weniger an der größeren Offenheit der
Bevölkerung als an der sozialistischen Vergangenheit des Landes, in denen Re-
staurantbesuche nicht alltäglich waren, sowie an dem Umstand, daß es sich
kaum jemand leisten kann, Restaurants aufzusuchen.
Orte der Begegnung einzelner ethnisch-religiöser Gruppen sind neben den
Kirchen vor allem die nach der Wende gegründeten ethnischen Minderheiten-
Vereine. Viele ältere Tataren in Medgidia treffen sich beispielsweise nach dem
Freitagsgebet in ihrem tatarischen Vereinshaus neben der Moschee, um noch
einen Tee zusammen zu trinken; hier wird man nur selten Nicht-Tataren antref-
fen. Ähnliche Institutionen haben auch die anderen Ethnien in Medgidia. Im Fall
der Roma jedoch schien uns, daß das Vereinsgebäude nicht öffentlich genutzt
wird. Zumindest haben wir dort niemals jemanden angetroffen.
Der vereinende Geist von Sportveranstaltungen zeigte sich an mehreren Bei-
spielen. Eindrucksvoll waren zwei Wettbewerbe, die während unserer Aufent-
halte in Medgidia stattfanden. Die traditionellen tatarischen kureş-Kämpfe, bei
denen mit Öl eingeschmierte Männer miteinander ringen, erfreuen sich auch un-
ter den Rumänen großer Beliebtheit. Der von uns besuchte Wettkampf im Jahre
2006 wurde sogar von einem rumänischen Studenten gewonnen. Bei der Auf-
stellung eines Weltrekordes für das Guinness Buch der Rekorde vereinten sich
alle ethnischen Gruppen von Medgidia, um die längste ghiudem-Wurst der Welt
28 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

(105 m) herzustellen, die anschließend in einer ethnisch bunt gemischten Feier


gemeinsam verzehrt wurde. Auch in den besuchten Sportvereinen der Stadt
Xanthī wird kaum eine Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Religio-
nen gemacht. Eine Besonderheit in Xanthī ist der Fußballverein A.O. Skoda
Xanthī, der in der ersten griechischen Liga spielt und während unserer Feldauf-
enthalte auf einem führenden Platz lag. Die Identifikation mit dem Fußballverein
Skoda Xanthī war bei beiden Religionsgruppen gleich groß und stellte ein ver-
bindendes Element dar.
In den Untersuchungsgebieten Rumäniens kann es sich kaum jemand leisten,
Reisen ins Ausland anzutreten. In der kommunistischen Zeit verreisten die meis-
ten Interessierten mit Syndikatsfahrscheinen zu den Heilstationen im ganzen
Land oder machten Bergausflüge. Die Ferien werden daher bestenfalls am nahe-
gelegenen Schwarzen Meer oder im Winter in den Karpaten verbracht. Die Uni-
on Turko-muslimischer Tataren (kurz UTTMR) hat mit Erfolg begonnen, mit
der Hilfe von Spenden aus muslimischen Ländern Pilgerfahrten nach Mekka und
Medina zu unternehmen. Interessant ist weiterhin, daß vor allem bei den Musli-
men ein ethnisch und religiös motivierter Tourismus zu beobachten ist, der ihre
Herkunftsgebiete oder die genannten Pilgerstätten zum Ziel hat. Viele Krim-
Tataren besuchen die Krim, viele Nohai-Tataren sind bereits in der Republik Ta-
tarstan gewesen, wobei sie nach eigenen Angaben die kulturelle Ähnlichkeit an-
zieht und weniger der Besuch entfernter Verwandter. Hingegen wird bei den
Türken und den Xoraxane deutlich, daß sie gerne in die Türkei fahren, wo sie
aber keinen Urlaub verbringen, sondern sich aufgrund guter türkische Sprach-
kenntnisse Chancen auf einen Arbeitsplatz erhoffen. Während die muslimische
Bevölkerung überwiegend in die Türkei abwandert, streben die meisten Rumä-
nen eine Arbeitssuche in Kanada, Amerika oder Westeuropa an; Italien liegt da-
bei an erster Stelle der gewünschten Ziele. Als beliebteste Reiseziele der Türken
und Tataren in der Dobrudscha gelten weiterhin islamische Länder wie Ägypten
und Dubai. Ein Beispiel dafür, daß sich die Migration in die Türkei auch auf das
religiöse Leben auswirkt, zeigt folgendes Zitat eines mus limischen Roma-
Musikanten: „Früher bin ich nie in die Moschee gegangen; aber in der Türkei
hatte ich einen Chef, der mich jeden Tag in die Moschee schickte. Seitdem ich
wieder zurück in Rumänien bin, gehe ich auch in Rumänien zur Moschee“.40
Der „ethnisch motivierte“ Tourismus unter den Muslimen Griechenlands hat
eindeutig die Türkei zum Ziel. Trotz der sprachlichen Verwandtschaft mit dem
Bulgarischen zieht es die Pomaken nicht verstärkt nach Bulgarien. Fast alle
männlichen Gesprächspartner sind bereits in der Türkei gewesen, zu Studien-
zwecken oder für Einkäufe, seltener zur Erholung. Wir trafen auch viele musli-
mische Männer, die (oft erkennbar an ihrer Kopfbedeckung) eine Pilgerreise
nach Mekka gemacht hatten.

40
Osman Ismail, Musiker, 58 Jahre, Xoraxane aus Medgidia, lebte von 2000 bis 2004 in
der Türkei.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 29

Die Schülerinterviews in Medgidia ergaben, daß auch die Schüler des musli-
mischen Lyzeums den Großteil ihrer Freizeit mit christlichen Kindern verbrin-
gen: 90% der befragten Schüler gaben an, ihre Freizeit überwiegend mit Chris-
ten, lediglich 10% ausschließlich mit Muslimen ihre Zeit zu verbringen. Bei den
rumänischen Schülern waren es 25%, die ihre Freizeit ausschließlich mit Chris-
ten verbringen. In Griechenland konnte keine entsprechende Erhebung durchge-
führt werden.

4.1.5 Bildung 41
Leitende Hypothese war, daß sich das Konfliktpotential mit der Höhe des Bil-
dungsstandes und mit der Kenntnis über die eigene Religion mindert.
Das Thema Bildung ist für das Zusammenleben von großer Bedeutung. Es
wird von der Diskussion über die Situation des Unterrichts in Minderheitenspra-
chen dominiert. Der Türkischunterricht ist an Schulen der Dobrudscha, die von
muslimischen Kindern besucht werden, fakultativ. Die Koranschulen (Medre-
sen) gehören zur Moschee und sind daher unabhängig von den staatlichen Schu-
len. Ein türkisches Lyzeum gibt es lediglich in Medgidia, das 1996 als Theologi-
sches und Pädagogisches Muslimisches Lyzeum „Kemal Atatürk“ (Liceul
Teologic Musulman şi Pedagogic „Kemal Atatürk“) gegründet wurde. Ihnen ist
ein Internat angegliedert. Ein besonderes Gewicht wird auf den muslimischen
Religionsunterricht gelegt. Das vom türkischen Staat unterstützte Internat, des-
sen Direktor und teilweise auch dessen Lehrer aus der Türkei stammen, bietet
den Absolventen die Ausbildung zum Hodscha. Auch die Tataren schicken ihre
Kinder auf dieses Lyzeum und nehmen aktiv an vielen Veranstaltungen teil, dar-
unter Reisen zu den Tataren auf der Krim, die meist in enger Abstimmung mit
der Union Turko-muslimischer Tataren Rumäniens durchgeführt wurden. 42 Wir
konnten beobachten, daß in Medgidia die Mehrheit der befragten muslimischen
Kinder an den Aktivitäten der Union teilnimmt, während die Kinder der ortho-
doxen Familien (Roma und Rumänen) sich an ähnlichen Veranstaltungen des
Städtischen Kulturzentrums beteiligen. In Medgidia gibt es außerdem einen
zweisprachigen (türkisch-rumänischen) Kindergarten. Der zweisprachige Unter-
richt wird auch von den rumänischen Kindern gut angenommen. In manchen
Gemeinden wie in Fântâna Mare wird auf Türkisch oder Tatarisch unterrichtet,
obwohl es offiziell nur Rumänischunterricht gibt. 43 In Cobadin und anderen Dör-
fern gab es zeitweise auch tatarischen Unterricht. Seit einigen Jahren wird nur
noch auf Türkisch unterrichtet, unter Verwendung von Lehrbüchern aus der
Türkei. Der Unterricht auf Tatarisch beschränkt sich auf einige schwache Initia-
41
Die Schülerinterviews wurden am Kemal-Atatürk-Lyzeu m in Medgid ia, an der türki-
schen Schule Nr. 5 und dem gemischten Kindergarten Nr. 1 durchgeführt.
42
Taksin Akşit, Direktor des Kemal-Atatürk-Ly zeu ms.
43
Interview in Sallanz, Josef: Die Dobrudscha: Ethnische Minderheiten – Kulturland-
schaft – Transformation. Ergebnisse eines Geländekurses des Instituts für Geographie
der Universität Potsdam im Südosten Rumäniens. Potsdam (Praxis Kultur- und Sozial-
geographie 35) 2005, 71.
30 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

tiven. Somit haben die Tataren nur die Möglichkeit, Türkisch und Rumänisch zu
lernen. Ihre Situation ist dadurch mit derjenigen der Pomaken vergleichbar, die
auf den Minderheitenschulen Türkisch und Griechisch lernen, nicht aber Poma-
kisch. Die „kleinen“ Sprachen der Pomaken und Tataren verharren dadurch in
ihrem unterpriviligierten Minderheitenstatus, der zu sprachlicher Inkompetenz
der Sprecher führt.
In Cobadin und seinen Nachbardörfern gibt es seit 1962 einen Dachverband
aller Schulen. Von den insgeamt 1.350 Schülern sind 1.140 Rumänen und 210
Muslime (Türken, Tataren, Roma).44 Den Rückgang muslimischer Lehrer von 15
im Jahre 1980 auf acht im Jahre 2006 führten Interviewpartner auf politische
Gründe zurück: „Dies ist nicht auf Probleme zwischen den Gruppen zurückzu-
führen. Auf der Ebene der Schule haben wir uns nie benachteiligt gefühlt. Wenn
es Probleme gab, dann nur auf politischer Ebene“.45
Ohne Ausnahme bekundeten alle tatarischen Gespächspartner, daß sie zufrie-
den wären, daß man an der Schule Türkisch lernen kann, aber fast alle hielten es
auch für notwenig, daß das Tatarische wieder eingeführt wird: „Es wäre gut,
würde man das Tatarische unterrichten. Man sollte nicht auf das Türkische ver-
zichten, denn es ist eine wichtige Zivilisationssprache, aber die Muttersprache
sollte man auch nicht vergessen. Ich wäre für zwei Stunden Türkisch und zwei
Stunden Tatarisch. Aber es sollte das Tatarische sein, das wir sprechen, Krim-
Tatarisch auf einem entwickelten, standardisierten Niveau“.46 Obwohl das Tür-
kische den Schülern bessere Berufschancen bietet als das Tatarische, würden
viele Tataren für ihre Kinder Tatarischunterricht bevorzugen. 47
Während verstärkte Initiativen für den Erhalt des Tatarischen in der Dobrud-
scha willkommen wären, ist die Mehrheit der Pomaken Griechenlands der Be-
wahrung ihrer Sprache gegenüber eher negativ eingestellt. Viele Personen erach-
ten das Pomakische als ein minderwertiges Idiom, das sie daher jederzeit
zugunsten des Türkischen aufgeben würden: „Was sollen wir mit dieser Spra-
che? Und nenn sie vor allem nicht Pomakisch. Es gibt kein Pomakisch. Diese
Sprache ist das einzige, was uns verwirrt. Wir wissen auch nicht, woher sie
kommt. Wir sind Türken, und wir müssen zu allererst gut Türkisch lernen“.48 Oft
verbirgt sich hinter dieser Ablehnung der Sprache auch eine Abneigung gegen-
über den bulgarischen Nachbarn oder eine Angst vor ihren (vermeintlichen) po-
litischen Ambitionen: „Wenn wir die Sprache in die Schule bringen, kommen
morgen die Bulgaren und behaupten wir gehören zu ihnen“.49

44
Olguţa Papa, Ru män ien, Leiterin der Union der Schulen von Cobadin.
45
Axeit Memli Omer, Tatare aus Cobadin, 64 Jahre, pensionierter Sportlehrer, Abso l-
vent (1956) der Tatarischen Pädagogischen Schule.
46
Mustafa Mazis, Tatare aus Medgidia, 54 Jahre, Leiter des Kindergartens 1 in
Medgidia.
47
Axeit Memli Omer, Tatare aus Cobadin, 64 Jahre, pensionierter Sportlehrer, Abso l-
vent (1956) der Tatarischen Pädagogischen Schule.
48
M.H., Po make aus Xanthī (ursprünglich aus Echinos), 55 Jahre.
49
Süley man Halil, Po make, ca. 70 Jahre.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 31

Die Ablehnung der Minderheitensprache kann auch darin begründet sein, daß
die Eltern befürchten, ihre Kinder würden die wichtigere Staatssprache nicht
richtig lernen, wenn sie eine andere Sprache sprechen: „Meine Eltern sprachen
nicht Tatarisch mit mir, weil sie befürchteten, daß ich dadurch schlechter Ru-
mänisch lernen würde“.50 Ähnliche Gründe wurden angegeben, wenn es darum
ging, warum man das Aromunische nicht mehr vermitteln würde („Meine Eltern
sagen: Wer Aromunisch spricht, wird Rumänisch nie richtig aussprechen“51 )
oder wenn es darum ging, wie sinnvoll es heute wäre, Pomakisch zu lernen:
„Wem nützt diese Sprache? Wir verstehen etwas Bulgarisch, etwas Serbisch,
auch mit dem Russischen gibt es Ähnlichkeiten. Aber wer geht dorthin, um sein
Brot zu verdienen? Mit Türkisch kann man etwas anfangen. Oder mit Grie-
chisch, wir leben ja in Griechenland. Aber was sollen wir mit dieser Spra-
che?“.52
Die Minderheitengesetze Griechenlands garantierten zwar Minderheitenschu-
len, die aber türkisch bestimmt waren. Die Änderung der Minderheitenpolitik, zu
der u.a. ein Kontingent für muslimische Abiturienten an den Hochschulen des
Landes gehört, führte in den letzten Jahren zu einem verstärkten Besuch staat-
lich-griechischer Schulen von Kindern der Minderheit und einer wachsenden
Akzeptanz der Schulen in der Bevölkerung. Besuchten bis vor einigen Jahren die
muslimischen Kinder in Griechenland fast ausschließlich Minderheitsschulen, so
wurde uns von mehreren Seiten berichtet, daß der Anteil der muslimischen
Schüler an öffentlichen griechischen Schulen in Xanthī von Jahr zur Jahr rapide
zunimmt. Sie lernen dort besser Griechisch und können nach dem Abitur an den
griechischen Universitäten und Fachhochschulen studieren. Außerderm sind sie
dort von den Prüfungen befreit, weil ihnen eine Quote (momentan 0,5% der jähr-
lichen Studienplätze im Land) den Eintritt in die Universität garantiert.53
Gesprächspartner in Griechenland waren erheblich kritischer als diejenigen in
Rumänien, betonten aber die positiven Veränderungen der letzten Jahre: „Die
Beziehungen zwischen Christen und Muslimen werden immer besser. Früher, als
ich zur griechischen Schule ging, gehörten nur vier Schüler der Minderheit an,
heute ist es die Hälfte der Schüler“.54 – „Auch gemischte Kindergärten gibt es,
in denen christliche und muslimische Kinder miteinander spielen. Früher war
dies undenkbar“.55

50
Sedai Erin, 13 Jahre, Tatare aus Medgidia.
51
Mergiani Sica, 12 Jahre, Aro munin aus Cobadin.
52
Ilmi M., 60 Jahre, Po make aus Xanthī, Restaurantwirt.
53
Details zur Bildungssituation der muslismischen Minderheit in Griechenland vgl.
Kanakidu, Elenī: Η εκπαίδεσζη ζηη μοσζοσλμανική μειονόηηηα ηης Δσηικής Θράκης
[Die Ausbildung der muslimischen Minderheit Westthrakiens], Ελληνικά Γράμμαηα .
Αθήνα 2 1997 sowie Zenginīs, Evstratios: Οι μοσζο σλμάνοι Αθίγγανοι ηης Θράκης [Die
muslimischen Zigeuner Thrakiens], Institute of Balkan Studies 255. Θεζζαλονίκη 1994.
54
Stelios Mollas, ca. 50 Jahre, Autohändler aus Xanthī.
55
K.P., Türke aus Xanthī, ca. 55 Jahre, Journalist.
32 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

Generell ist in Griechenland der Bildungsstand der Muslime geringer, was ih-
re Chancen auf dem Arbeitsmarkt verringert. Dies ist eine Folge der Minderhe i-
tengesetze und der Minderheitenpolitik, die die Teilhabe der Muslime am Gut
Bildung über lange Zeit behinderte. Hingegen kann in Rumänien der Bildungs-
stand der Muslime nicht als geringer bezeichnet werden; wohl aber haben die
Roma durchschnittlich einen deutlich geringeren Bildungsstand.
In Rumänien herrscht weitgehend Zufriedenheit mit der Bildungssituation der
muslimischen Minderheiten: „Auf der gemischten Schule haben wir zusammen
gelernt und zusammen gelebt. Die anderen Kinder haben uns geholfen, das Ru-
mänische zu lernen, und sie haben von uns Türkisch oder Tatarisch gelernt“.56 –
„Das interethnische Bildungsmodell der Dobrudscha sollte in ganz Europa be-
kanntgemacht werden“.57 – „Unsere rumänischen Schüler lernen mitunter bes-
ser Türkisch als die Tataren“.58

4.1.6 In Gemeinschaft leben


Je stärker eigene kulturelle und religiöse Merkmale betont und gepflegt werden,
desto höher ist die Segregation, lautete die Ausgangshypothese.
Das Nebeneinander der Religionsgemeinschaften läuft im Alltag weitgehend
konfliktfrei. Aus vielen Interviews läßt sich ein distanzierter Respekt gegenüber
den Angehörigen der anderen Religion ablesen: „Wenn ich an der Moschee vo-
rübergehe, halte ich etwas inne. Ich schlage kein Kreuz, aber ich gehe achtungs-
voll an der Moschee vorbei. Es ist ja auch ein Haus Gottes“.59 – „Als wir Kinder
waren, haben wir gelacht, wenn die Christen an einer Kirche vorbeigingen und
sich bekreuzigten. Dann hat uns einmal eine Nachbarin angeschrien und be-
hauptet, das wäre so, als würde man über unseren Vater lachen, wenn er seinen
Gebetsteppich ausbreitet. Seitdem verhalte ich mich anders“.60 – „Ich respek-
tiere alle Tempel, egal welcher Religion. Das sollen die Christen auch machen
und nicht nackt in der Moschee herumstehen“.61
Die Kommentare, mit denen manche Probanden das gute Zusammenleben
der beiden Religionsgemeinschaften belegen wollen, bleiben jedoch weitgehend
auf einen oberflächlichen Freizeitbereich reduziert: „Wir feiern im Kindergarten
den Heiligen Nikolaus oder Weihnachten, da haben auch die muslimischen Kin-
der die Gelegenheit, christliche religiöse Lieder zu lernen und zu singen. Die
rumänischen Kinder lernen zwar keine religiösen muslimischen Lieder, können

56
Kurtseit Melek, 25 Jahre, Tatare aus Medgidia.
57
Dana Brezanu, 55 Jahre, Ru män in, Geographielehrerin aus Cobadin.
58
Vildan Bormambed, 36 Jahre, Türke aus Medgidia, Türkischlehrer an der Brăncuși-
Schule.
59
Pepa Ianuş, ca. 60 Jahre, Aro munin aus Cobadin, zunächst Chefin eines Schneiderat e-
liers, dann Köchin in der Schulkantine.
60
Abdül Hiris, 50 Jahre, griechischer Hotelangestellter aus Xanthī.
61
Tzamil (Camil) X., ca. 50 Jahre, Po make aus Satres; während eines Gesprächs über
einen angeblichen Skandal in einer Moschee von Echinos .
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 33

aber türkische Kinderlieder oder auch ein paar Scherzlieder singen “.62 – „Wir
verstehen uns gut mit den Muslimen. Es sind einfach die besten Musiker. Sie
spielen und wir tanzen“.63
In allen Untersuchungsgemeinden lassen sich viele Beispiele dafür finden,
daß Personen anderer Konfession in religiöse Feste einbezogen werden. Auch zu
Festen, die fast ausschließlich familiäre Angelegenheiten sind wie Hochzeiten
oder Begräbnisse, werden anderskonfessionelle Freunde und Nachbarn eingela-
den. Man geht zwar nicht zusammen in die Kirche oder die Moschee, aber man
bringt den Nachbarn anderer Religion traditionelle Spezialitäten nach Hause,
oder diese kommen mit einem Geschenk vorbei:
„Zu den Feiertagen bringen sie uns kleine Geschenke, und ich bringe denen
auch etwas. Zu Ostern schenken uns die Muslime sogar rote Eier, und wir ma-
chen Baklava, wenn die Muslime ihren Bayram feiern. Zu unseren Hochzeiten
kommen sie sowieso, und unseren Totengedenken bleiben sie auch nicht fern,
wenn man sie denn einlädt. Aber die Kirche betreten sie nicht“.64 – „Die Ägyp-
ter [die muslimischen Zigeuner] laden uns immer zu ihren Festen ein. Natürlich
gehen wir hin. Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wann sie religiöse Feste h a-
ben und wann sie einfach nur feiern. Die können gut kochen und tanzen. Sie ver-
stehen zu feiern“.65
Eine weitere Gelegenheit zusammenzukommen stellen die Winterferien dar:
„Zu Weihnachten kommen meine christlichen und muslimischen Schüler zu mir
und singen Weihnachtslieder“.66 – „Meine türkische Nichte im Kindergarten
verkleidete sich zur Weihnachtsfeier als Engel und trug wenig später zum ku r-
ban bayram ein türkisches Kostüm“.67
Allgemein läßt sich sowohl in Rumänien als auch in Griechenland eine As-
similierung nichttürkischer Muslime an die Türken beobachten. Viele Träger
und Verbreiter türkischer Kultur in Rumänien sind tatarischer Abstammung, vie-
le muslimische Zigeuner (Xoraxane) bezeichnen sich als Türken und verschwei-
gen ihre Kenntnisse des Romanes. Ähnlich verhält es sich in Griechenland , wo
die Pomaken oftmals aktive Verbreiter türkischer Kultur sind oder sich muslimi-
sche Roma als Türken bezeichnen. Als Umgangssprache unter den Muslimen
dominiert in beiden Ländern das Türkische. Durch das parallele Vorhandensein
mehrerer türkischer Dialekte, die Kompatibilität mit dem Tatarischen sowie die
Türkischkenntnisse der anderen Muslime ist es in Rumänien zu einer Kreolisie-

62
Mustafa Mazis, Tatare aus Medgidia, 54 Jahre, Leiter des Kindergartens 1 in
Medgidia.
63
Kōstas Kydōnidīs, 55 Jahre, Grieche aus Evlalo, Mechaniker.
64
Pepa Ianuş, ca. 60 Jahre, Aro munin aus Cobadin, zunächst Chefin eines Schneiderate-
liers, dann Köchin in der Schulkantine.
65
Kōstas Kydōnidīs, 55 Jahre, Grieche aus Evlalo, Mechaniker.
66
C. Carabete, 35 Jahre, ru mänischer Religionslehrer aus Cobadin.
67
Vildan Bormambed, 36 Jahre, Türkin aus Medgidia.
34 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

rung des Türkischen gekommen 68 , während sich in Griechenland das Standard-


türkische durchsetzt.
Ein auffälliges Beispiel flexibler Identität (identity switching) zeigt sich be-
reits in der Namensgebung. Die muslimischen Roma kombinieren zuweilen
muslimische und christliche Namen miteinander: In Rumänien begegneten wir
den Namen Albert Ramazan, Ali Rusu und Recep Lupu, die eindeutig Kombina-
tionen eines christlichen mit einem muslimischen Namen darstellen. Insbesonde-
re die Frauen tragen oft zwei Namen. Je nach Umstand ist die religiöse Eigenzu-
schreibung flexibel: Mal wird der türkische, mal der rumänische Name
verwendet. In Griechenland war dieses Verhalten seltener anzutreffen; lediglich
in zwei Fällen haben sich muslimische Gesprächspartner als Alekos oder Markos
vorgestellt, die im Laufe des Interviews angaben, eigentlich Ali und Mohammed
zu heißen. Klassisches identity switching läßt sich beobachten, sobald es um die
Verteilung von Ressourcen geht, wie folgendes Zitat schön zeigt: „Die Men-
schen sind eben so, sind mal Türke und mal Roma, je nachdem für wen ein Pro-
gramm gemacht wird“.69
Selbst im Bereich des religiösen Alltags gibt es Übergangsformen. So kann
man muslimische Roma treffen, die zuweilen auch in die Kirche gehen, obwohl
sie keine getauften Christen sind: „Natürlich gehen wir auch in die Kirche, wenn
große Feste sind. Wir zünden ein Kerzchen an, bezahlen es und gehen zum Es-
sen. Es gib nur einen Gott“.70 In Cobadin berichteten uns die Kerzenverkäufe-
rinnen in der Kirche, daß manche muslimische Frauen ihre Namen und diejen i-
gen ihrer Angehörigen auch in die Kirche geben, um dort bei der Liturgie
vorgelesen zu werden, wie es bei orthodoxen Christen üblich ist. Ähliches be-
richtete uns eine tatarische Studentin aus Medgidia, die an ihrem Studienort in
Siebenbürgen als religiöse Person keine Moschee aufsuchen konnte: „Kurz vor
den Prüfungen habe ich meine Studienkolleginnen darum gebeten, auch für mich
eine Kerze in der Kirche anzuzünden“.71
Besonders eindrucksvoll schlägt sich die Beziehung der Religionsgemein-
schaften in der Sprache nieder. Wenn Muslime in der Dobrudscha Rumänisch
sprechen, verwenden sie für islamische Fachwörter christliche Vokabeln. So
kommt es, daß viele Muslime angeben, zu „Weihnachten“ in die „Kirche“ zu
gehen, aber damit den Moscheebesuch zum Bayram meinen. Das muslimische
Fest des kurban bayram wird von ihnen auf Rumänisch als Crăciun (Weihnach-
ten) bezeichnet, der şeker bayram als Paşte (Ostern), die Beschneidung als botez
(Taufe) und die Moschee als biserică (Kirche). Entsprechend wird der Koran als
biblie (Bibel) bezeichnet und der Hodscha als popa (Priester). Hierdurch wird
zumindest verbal der Eindruck vermittelt, daß zwischen Christen und Muslimen

68
Oprisan, Ana; Grigore, George: The Muslim Gypsies in Ro mania. In: ISIM Newslet-
ter, Regional Issues 8 (2001) 32.
69
Interview in : Sallan z, Die Dobrudscha: Ethnische Minderheiten, 95.
70
Sevgi R., 48 Jahre, muslimische Besucherin des Patronatsfests in Evlalo.
71
Bengihan Murat, Tatarin aus Medgidia, 28 Jahre, studierte im siebenbürgischen Alba
Iulia.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 35

keine Unterschiede bestünden. Man kann dies als ein Zeichen der Assimilierung
sehen oder aber als Versuch der muslimischen Bevölkerung, sich gegenüber den
Christen besser verständlich und weniger fremd zu machen. Diese Gleichsetzung
religiöser Begriffe ist in der Dobrudscha weit verbreitet und auch bei Kindern zu
hören, während sie in Griechenland weniger üblich ist und sich auf wenige Be-
griffe beschränkt (z.B. türk. vaftizetmek < griech. βαφτίζω ‚taufen„ anstelle von
türk. sünnet]. Der umgekehrte Fall – die Verwendung muslimischer Begriffe
durch Christen anstelle der entsprechenden christlichen Begriffe – ließ sich hin-
gegen nicht feststellen.
Ein weiteres Zeichen gegenseitiger religiös-kultureller Annäherung ist die
Übernahme des Brauchs von Trauzeugen in Rumänien, der bei den Muslimen
der Region bis vor kurzem unbekannt war. Auch die rumänische Bezeichnung
naşi für die Trauzeugen ist als naşlar ins lokale Türkisch übernommen worden.
„Der Trauzeuge muß ein guter Freund sein oder ein Verwandter. Es kann auch
ein Christ sein. Man sollte sich halt gut mit ihm verstehen“.72 In Medgidia trafen
wir einmal die gleiche Familie auf einer christlichen Hochzeit, die wir wenige
Tage zuvor auf einer muslimischen Hochzeit sahen. Nachdem die Familienmit-
glieder auf der muslimischen Hochzeit einen durchweg konservativen Eindruck
auf uns gemacht hatten, trugen sie nun moderne Kleidung, beteiligten sich an
rumänischen und modernen Tänzen und konsumierten in Maßen Alkohol.
Viele Xoraxane behaupten von sich selbst, daß sie die religiösen Praktiken
nicht ganz so ernst nehmen wie die anderen muslimischen Gruppen. Dies ent-
spricht auch der Fremdeinschätzung durch die Türken und Tataren. Da sie in den
Augen der anderen weder die Moscheen regelmäßig besuchen (bestenfalls an
den großen islamischen Feiertagen) noch mit dem Islam vertraut sind, werden
sie mitunter Allahsız, Gottlose, genannt. 73 Es sollen sogar überwiegend Roma
(Zigeuner) gewesen sein74 , die an der Zerstörung der Moscheen von Văleni
(türk. Emşenli) und Babadag beteiligt gewesen waren.75
Das Bemühen um ein besseres Miteinander der beiden großen Religionsge-
meinschaften zeigt sich in Veranstaltungen, die Priester und Hodschas zusam-
men durchführen, oder aber in gemeinsamen Veröffentlichungen. Hierzu zählt
ein reich ausgestatteter Band über religiöse Denkmäler im Nomos Xanthī, der
gemeinsam von der Metropolie und dem Muftiat von Xanthī herausgegeben und
uns von beiden Seiten unabhängig voneinander geschenkt wurde. In Rumänien
konnten wir sogar Beispiele gemeinsamer Predigten eines orthodoxen Priesters
und eines muslimischen Hodschas beobachten, wie sie am Heldendenkmal von
Medgidia zum rumänischen Nationa lfeiertag (1. Dezember) stattfindet. 76

72
Sali Pelivan, 47 Jahre, Vorsit zender der Xoraxane von Medgidia.
73
Oprisan, Ana; Grigore, George: The Muslim Gypsies in Ro mania. In: ISIM Newslet-
ter, Regional Issues 8 (2001) 32.
74
Interview in Sallan z, Die Dobrudscha: Ethnische Minderheiten, 69.
75
Önal: Din folcloru l turcilor dobrogeni, 32.
76
Ilie Ch iper, Ru mäne aus Medgidia, geb. 1929, ehemaliger Brieft räger.
36 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

In allen untersuchten Gemeinden gibt es nur sehr wenige Mischehen zwi-


schen Christen und Muslimen, während Hochzeiten zwischen Türken und Po-
maken in Griechenland sowie zwischen Türken und Tataren in Rumänien keine
Seltenheit sind. Die geringe Zahl religiös gemischter Ehen spricht Bände: In Co-
badin, wo wir offizielle Daten über gemischte Ehen vom Rathaus bekommen
haben, gab es im Jahr 2002 nur zwei gemischte Ehen, im Jahr 2003 gar keine, in
2004 fünf und in 2005 eine einzige. Im ländlichen Vergleichsort in Griechenland
(Evlalo) waren es noch weniger. Realistische Angaben zu interreligiösen Misch-
ehen bei Zigeunern sind kaum zu erhalten, da die Heiraten insbesondere bei den
Roma meist ohne Papiere vollzogen werden und daher nicht in die Statistiken
eingehen. 77
Beziehungen muslimischer Jungen mit orthodoxen Mädchen sind häufiger als
umgekehrt. Während in Rumänien interreligiöse Hochzeiten zwar selten, aber
nichts Außergewöhnliches sind, werden diese in Griechenland stark tabuisiert.
Partner gemischter Ehen fühlen sich oft gezwungen, ihren Heimatort zu verlas-
sen und in eine anonyme, tolerantere Großstadt zu ziehen (in Griechenland vor
allem nach Thessaloniki und Athen, in Rumänien nach Constanța und Bukarest),
um der Ablehnung durch die lokale Gesellschaft zu entgehen. Trotz des gesell-
schaftlichen Drucks haben wir in allen Orten Personen aus Mischehen gefunden,
die zu Interviews bereit waren. Ihre Fälle ähnelten sich alle: Zu Beginn ihrer Be-
ziehung haben sie stets verschwiegen, mit wem sie liiert sind, später haben sie
sich dann für die Abwanderung oder zumindest für zeitweisen Aufenthalt außer-
halb des Heimatortes entschieden.
Die Bevölkerung sieht Mischehen sehr kritisch: „Die gemischten Paare ha-
ben keine Zukunft! Die Partner trennen sich sowieso, spätestens wenn sie ihre
ersten Kinder kriegen und sich die Frage der Religionszugehörigkeit der Kinder
stellt. Für mich ist es in Ordnung, wenn jemand eine Person anderen Glaubens
heiratet, aber strenggenommen ist es Verrat. Ein Muslim, der eine Christin he i-
ratet, ist kein Muslim mehr. Das kann man nicht akzeptieren. Aber mir ist es
egal“.78 – „Heute fahren die Jungs in die Stadt, jeder geht mit jedem. Das ist
doch nicht in Ordnung. Hier im Dorf leben wir noch ganz anders. Vor Gott sind
wir alle gleich, aber wir leben ganz unterschiedlich. Christen und Muslime kön-
nen nicht einfach heiraten. Es sind zwei Welten. Manche versuchen es, aber sie
trennen sich, und das ist eine noch größere Sünde“.79 – „Es kommt auf den
Menschen an. Wenn die Liebe stimmt, ist die Religion egal. Aber besser ist es
schon, wenn sie den gleichen Glauben haben“.80
Selbst Paare, die ihre gemischte Ehe als positiv und harmonisch bezeichnen,
würden die Mischehe niemandem weiterempfehlen. Wir haben von allen Frauen,

77
Mariana Chiper, Ru mänin aus Medgidia, M itarbeiterin im Rathaus.
78
Axeit Memli Omer, Tatare aus Cobadin, 64 Jahre, pensionierter Sportlehrer, Abso l-
vent (1956) der Tatarischen Pädagogischen Schule.
79
Ali R., Vater von Sevgi R., 69 Jahre, muslimischer Besucher des Patronatsfests in Ev-
lalo.
80
Lefterīs Kondolias, 60 Jahre, Landwirt aus Xanthī, stammt aus Ev lalo.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 37

die eine gemischte Ehe eingegangen sind, einen ähnlichen Rat gehört: „Wir sind
ein Beispiel für eine gute Beziehung zwischen einem Muslim und einer Rumänin.
Aber empfehlen kann ich das nicht. Es ist kaum zu praktizieren. Wir waren d a-
mals die zweite gemischte Ehe in Medgidia. Der erste Fall einer Mischehe war
der Bruder meines Mannes, der auch eine Rumänin geheiratet hat. Wir haben
eine glückliche Ehe, zwei Söhne, eine Tochter, kein Problem [...]. Alle drei Kin-
der sind Muslime. Ich wußte von Anfang an, daß meine Kinder die Konfession
meines Mannes annehmen würden. Das ist normal. Ich überlege seit zwei Ja h-
ren, ebenfalls zum Islam überzutreten, weil meine Kinder mir das vorgeschlagen
haben. Aber ich war noch nie in einer Moschee. Ich habe auch den Koran noch
nicht gelesen. [...] Meine Kinder können tatarisch, mein ältester Sohn hat das
Atatürk-Lyzeum besucht und kann den Koran lesen. [...] Am Anfang war es
schon schwierig. Die Familie meines Mannes hat mich abgelehnt. Nach der Ge-
burt meines ersten Sohnes haben sie mich akzeptiert. Noch mehr achteten sie
mich, als ich meine Kinder islamisch beschneiden ließ. Seitdem verstehe ich
mich ausgezeichnet mit meinem Schwiegervater. Aber dessen Schwestern sind
ein Problem. Meine Schwiegermutter habe ich nie kennengelernt. Meine Familie
sagte nichts, als ich einen Tataren heiraten wollte, aber in der Familie meines
Mannes wurde ständig dagegen angegangen. [...] Mein Mann ist kein sehr reli-
giös lebender Muslim, aber er kann es sich nicht vorstellen, zum Christentum
überzutreten. Nun ist er verärgert über unsere Tochter, weil sie einen christli-
chen Freund hat.81
Ebenso scheint es für die untersuchten Mischehen allgemeingültig zu sein,
daß beide Partner sowohl christliche als auch muslimische Festtage feiern, aber
trotz des Zusammenlebens nicht viel über die Kultur des anderen wissen und
auch nicht daran interessiert zu sein scheinen: „Mein Mann hat erst zwei Mal
eine Kirche betreten. Zum ersten Mal auf dem Begräbnis meines Vaters und zum
zweiten Mal als wir bei unseren besten Freunden Trauzeugen waren“.82 – „Mein
Mann spricht laufend von religiösen Feiern. Für mich sind das immer nur Gela-
ge. Viel Essen und ein bißchen Singen. Was soll daran religiös sein?“83 Die Fra-
ge, ob sie ihre Hochzeit religiös gefeiert hätte, verneinte die gleiche Probandin
entschieden, überlegte dann ein bißchen und setzte fort: „Nun ja… es war auch
ein Hodscha bei uns zu Hause; er hat irgendetwas gelesen, aber ich habe kein
Wort verstanden. Für mich war das kein religiöses Fest. Das ging ja nur meinen
Mann etwas an“.84 Als wir über traditionelle Speisen diskutierten, antwortete sie
auf die Frage, ob ihr Mann gelegentlich etwas spezifisch Tatarisches essen
möchte: „Es gibt bei uns ganz normale Speisen. Rumänisch, türkisch, tatarisch,
was soll das? Hauptsache es schmeckt. Wenn mein Mann unbedingt etwas Tü r-
kisches oder Tatarisches will, soll er doch zu seiner Mutter gehen oder sich a l-
81
Mariana Geafar, 45 Jahre, hat 1977 einen Tataren geheiratet.
82
Frau von Senol A met, ca. 55 Jahre, Ru män in, mit einem Türken verheiratet.
83
Georgiana Bogdan, 38 Jahre, Krankenschwester in Medgidia, seit zehn Jahren mit e i-
nem Muslim verheiratet.
84
Georgiana Bogdan.
38 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

lein etwas kochen“.85 Abdullah, Georgianas Mann, ißt Schweinfleisch und geht
nicht in die Moschee, weil er „zu faul ist, sich dafür vorzubereiten“, wie er ihr
selbst sagt. Das Selbstbewußtsein Georgianas gegenüber seiner Religion zeigt
sich auch in anderen Aussagen: „Meine Schwiegermutter war eine wunderbare
Frau. Sie nahm es sich nie heraus, türkisch oder tatarisch zu sprechen, wenn ich
in ihrer Nähe war. […] Ich trage überall wo ich hingehe ein Kreuz um den Hals.
Auch im Hause meiner Schwiegereltern. Es ist nicht bloß ein Schmuck, so ndern
auch meine Konfession. Ich schäme mich nicht dafür, daß ich Christin bin“.86
Nach diesen Aussagen war es überraschend, daß sie meinte, Kinder aus ge-
mischten Ehen sollten muslimisch getauft werden.
Auch in den Schülerinterviews wurden unsere Beobachtungen zu den alltäg-
lichen interethnischen Beziehungen bestätigt. Viele christliche Kinder gaben auf
die Frage nach dem gewünschten Ehepartner an, daß es vollkommen unmöglich
ware, sich in einen Türken zu verlieben, allein schon weil ihre Eltern das nie er-
lauben würden. Die Ablehnung der türkischen Schüler gegen potentielle christli-
che Lebensgefährten war etwas geringer. Besonders auffallend war in Rumä-
nien, daß sogar unter den jüngsten Schülern Vorurteile gegen Zigeuner
allgegenwärtig waren. In den ausgefüllten Fragebögen wurde dies deutlich, als
mehrere Schüler unter Angabe bevorzugter Reiseziele eintrugen „überall, wo es
keine Zigeuner gibt“ oder unter den Heiratsoptionen angaben, „auf keinen Fall
einen Zigeuner“ heiraten zu wollen.

4.2 Hypothese 2: Konfliktpotential durch Eliten


Die Macht von Eliten hängt mit ihrem politischen oder kirchlichen Mandat oder
der Verfügung über die Medien zusammen und beruht auf der Deutungshoheit
des sozioökonomischen und politischen Umfeldes und der jeweiligen Situation.
Diese selbst ist wieder Ausdruck des jeweiligen soziokulturellen Kontextes.87 Im
Einzelnen sind die so definierten Eliten in Politik, Kirche und den Medien zu
suchen.

4.2.1 Die Rolle von Politik und politischer Elite


Die Politik beeinflußt das Zusammenleben von ethnisch und religiös definierten
Gruppen maßgeblich, lautete unsere leitende Hypothese.
Die Angehörigen der muslimischen Minderheiten sind im rumänischen Par-
lament durch die verschiedenen ethnischen Vereine vertreten, doch es gibt keine
muslimische Partei. Der geringere Anteil der Muslime an der Bevölkerung Ru-

85
Georgiana Bogdan.
86
Georgiana Bogdan.
87
Sterbling, Anton: Menschliches Zusammen leben und Anomie. In: Hil lmann, Karl-
Hein z (Hg.): Die Verbesserung menschlichen Zusammenlebens. Eine Herausforderung
für die Soziologie. Op laden 2003, 127ff., 11; Werlen, Benno: Sozialgeographie alltägli-
cher Regionalisierungen 1: Zur Ontologie von Gesellschaft und Raum, Stuttgart (E rd-
kundliches Wissen 116) 1995, 65.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 39

mäniens sowie die große Entferung zu muslimischen Staaten, die als Schutz-
macht in Frage kämen, sorgen für eine konfliktfreie Diskussion ihrer Minderhe i-
tensituation in der Politik. Allgemein äußern sich die Muslime Rumäniens daher
zufrieden im Hinblick auf die Behandlung durch politische Eliten des Landes.
Nahezu vehement betonten die Vertreter der muslimischen Vereine, daß ihnen
ein muslimischer Parlamentarier oder Bürgermeister kaum nutzen würde, son-
dern es einzig und allein wichtig wäre, Personen zu finden, die für die ganze Be-
völkerung da wären.
Problematischer sieht es in Griechenland aus: Herrschte bis Mitte der 1950er
Jahre im Verhältnis mit der Türkei das „Prinzip der Gegenseitigkeit“ im positi-
ven Sinne, die Annäherungen der einen Seite mit solchen der anderen Seite be-
antwortete, verkehrte sich nach dem Zypernkonflikt bis in die 1990er Jahre das
Prinzip in sein Gegenteil. Repressalien der orthodoxen Minderheit beantwortete
Griechenland mit solchen seiner muslimischen Minderheit, ohne diese allerdings
zu vertreiben, wie das bei einem großen Teil der Griechen aus Konstantinopel,
Imbros und Tenedos der Fall war.
Die Repressalien bis hin zu unterschiedlicher Anwendung bestehender all-
gemeingültiger Gesetze auf Angehörige der Mehrheit und Minderheit bestanden
in Nichterteilung von Baugenehmigungen, Verbot von Grunderwerb, Verweige-
rung des Führerscheins, Ausbürgerung bei längerer Abwesenheit und anderem.
Sie ließen bei der Minderheit den Eindruck von Menschen zweiter Klasse ent-
stehen, ein Eindruck, der umso mehr schmerzte, als die Muslime noch bis 1913
die herrschende Klasse stellten. Nach den Lausanner Verträgen geschah der
Austausch zwischen Griechenland und der Türkei auf religiöser, nicht nationaler
Basis. Griechenland weigerte sich bis heute deshalb, die muslimische Minderheit
nach ethnischen Kriterien zu differenzieren. Die Türkei nutzte die türkische
Minderheit als „Speerspitze“ im Fleische Griechenlands und versuchte die Min-
derheit an sich zu binden, so daß viele westthrakische Türken ihr Geld in der
Türkei in Immobilien anlegten, dort studierten und sich medial dorthin orientier-
ten.88
Die Minderheitenschulen, auf denen auch für nichttürkische Muslime der Un-
terricht auf Türkisch stattfand, sowie die Subsumierung aller muslimischen
Gruppen der Region unter den Begriff der „muslimischen Minderheit“ bedingten
die Orientierung der Muslime auf die Türkei und förderten einen latenten Irre-
dentismus. Die Türkei und die türkische Minderheit suchen die Pomaken auf
ihre Seite zu ziehen und ihnen eine türkische Identität zu geben. Das geht bis hin
zur Konstruktion von Herkunftsmythen zur türkischen Vergangenheit der Poma-

88
Wie emotional die türkischen Muslime Westthrakiens auf der Seite der Türkei stan-
den, zeigte eine Anfang der 1990er Jahre durchgeführte Schülerbefragung. Auf die Fra-
ge, welche Basketballmannschaft die Weltmeisterschaft gewinnen sollte, beantwortete
die große Mehrzahl der türkischen Muslime, daß die Türkei gewinnen sollte, obgleich
damals Griechenland die weit bessere Mannschaft hatte. Bemerkenswert ist, daß signifi-
kant weniger Po maken und muslimischen Zigeuner dies wünschten; vgl. Lienau, Die
Muslime Griechenlands, 61.
40 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

ken. Trotz politischer „Spaltpilze“ wie Sadık Ahmet (1947-1995) kam es zu ke i-


nem wirklich gefährlichen Gegeneinander der Religionsgruppen.89
Seit Mitte der 1990er Jahre hat Griechenland seine Minderheitenpolitik geän-
dert durch Förderung der Minderheitengebiete, rechtliche und bürokratische
Gleichbehandlung, Kontingente für Muslime an den Universitäten und andere
Maßnahmen, allerdings ohne offiziell eine türkisch-nationale Minderheit zu
konzedieren. Die Verweigerung einer türkischen Nationalität verhinderte die
Bildung einer starken nationalen Minderheit, was für das friedliche Zusammen-
leben vielleicht sogar positiv zu bewerten ist. Unter der Oberfläche ist jedoch
türkischer Nationalismus herangereift. Die Präsenz eines Büros für politische
Fragen in Thrakien, ein Außenposten des Außenministeriums Griechenlands,
zeigt wie wichtig das Thema der Minderheit für den griechischen Staat ist. Das
Büro hat eine beratende Funktion für die Planungsregion Ostmakedonien-
Thrakien und für die Präfekturen, Städte und Gemeinden der Region. Der Direk-
tor bemerkte eine „Frustration“ bei den muslimischen Jugendlichen in der Regi-
on, die aus der Tatsache hervorgeht, daß sie keine vernünftige Bildung genießen
und folglich auch keine guten Jobs finden. Bezeichnend für das Verhältnis des
griechischen Staates zu Thrakien ist weiterhin, daß das griechische Außenminis-
terium in Komotīnī eine Art Botschaft unterhält.

4.2.2 Die Rolle der Kirche


Eng verbunden mit der Rolle der Politik und der politischen Elite ist die Rolle
der Kirche und ihrer Vertreter, lautet hier die Hypothese.
In Rumänien hat die Orthodoxe Kirche eine wichtige Stellung; wegen der
viel größeren Minderheiten von Unierten und Katholiken ist sie jedoch weniger
allgegenwärtig als in Griechenland. Das für die muslimischen Gemeinden zu-
ständige Muftiat befindet sich in Constanța. Die Vertreter beider Kirchen in den
Untersuchungsgemeinden sprachen stets mit Respekt voneinander und betonten
die jahrhundertelange friedliche Koexistenz von Orthodoxer Kirche und Islam.
Die Religionen haben während der kommunistischen Zeit kaum eine Rolle spie-
len können. Religiöse Handlungen wurden aufgrund der atheistischen Staats-
ideologie über Jahrzehnte nur in privatem Rahmen und in geringem Ausmaß ge-
duldet. Auch wenn es seit der Wende zu einer starken Rückbesinnung auf
religiöse Werte und Praktiken gekommen ist, wurden in vielen Bereichen religi-
öse Elemente aus dem Alltag gedrängt.
Die Aussagen, die wir in den Interviews über den Stellenwert der Religion im
Vergleich zur ethnischen Zugehörigkeit zu hören bekamen, waren sehr konträr:

89
Details vgl. Kandler, Hermann: Christen und Muslime in Thrakien (Berichte aus dem
Arbeitsgebiet Entwicklungsforschung 34 = Griechenland -Studien 1). Münster 2007, 35.
Athanassiadis, Nikolaos A.: Die rechtliche Stellung von Minderheiten in Griechenland.
Unter besonderer Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen im internation alen und
europäischen Minderheitenrecht (Veröffentlichungen aus dem Institut für Interna tionale
Angelegenheiten der Universität Hamburg 32). Baden-Baden 2008, 124-261.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 41

„Jeder Mensch gehört zu einer Familie, seine Religion ist zweitrangig. Wir sind
erst Tataren, dann Muslime“.90 – „Man nennt uns Pomaken, aber für uns ist das
unwichtig. Wir sind Muslime, genau wie die Türken, das ist das Wichtigste“.91
In Griechenland hat die Orthodoxe Kirche den Status einer Staatskirche, was
zu einer sehr engen Verbindung von Kirche und Staat führt. Vertreten ist die Or-
thodoxe Kirche in der Region durch Bischöfe in den Nomos-Hauptorten. Das
muslimische Pendant dazu sind die Muftis. Sie nehmen aufgrund der Minderhe i-
tengesetze auch staatliche Funktionen wie Eheschließungen und –scheidungen
oder Schlichtung von Erbstreitigkeiten wahr, die für Christen Teil der staatlichen
Gerichtsbarkeit sind. Die Muftis werden deshalb vom griechischen Staat ernannt
bzw. müssen von ihm bestätigt werden. Das führte dazu, daß es zwei Muftis so-
wohl in Xanthī wie in Komotīnī gibt: einen vom griechischen Staat bestätigten
und einen von den Muslimen gewählten, wobei kolportiert wird, daß dessen
Wahl von der Türkei manipuliert wurde. Für das Zusammenleben von Griechen
und Muslimen ist das vielleicht eher unerheblich, schürt aber Aversionen gegen
den griechischen Staat.
Gemeinsamkeiten in der Argumentation religiöser Vertreter zeigten sich be i-
spielsweise bezüglich der Diskussion über die vom Staat auf EU-Vorgaben hin
beschlossene Abschaffung der Eintragung der Religionszugehörigkeit in den
Personalausweis sowie in der Diskussion um das Kopftuchverbot. „Es ist ein
religiöses Symbol, warum soll es stören?“, wurde der Erzbischof Christodulos
immer wieder zitiert. In beiden Fällen wären Abschaffung und Verbot mit einem
Machtverlust verbunden gewesen.
Das friedliche Nebeneinander wird gestört, wenn Tabus verletzt werden oder
vermeintlich verletzt worden sind. Beispielsweise nahm eine vom Bischof orga-
nisierte Demonstration gegen die Umwandlung der Agia Sofia in eine Moschee
– sicher angeheizt auch durch die Ereignisse auf Zypern – einen extrem antitür-
kischen Charakter an, und es kam zu Übergriffen auf die muslimischen Geschäf-
te und Moscheen in Komotīnī im August 1991. 92 Ein aktuelles Beispiel aus der
Zeit unserer Feldforschung war ein Vorfall in Echinos, bei dem sich eine Schau-
spielerin „halb nackt“ bei Filmaufnahmen wegen einsetzenden Regens in eine
Moschee geflüchtet haben soll. Die Berichte darüber sind widersprüchlich, aber
die Aufregung darüber war bei den Muslimen, aufgeheizt durch Presseberichte,
groß. Aus Rumänien könnte hierfür das Beispiel einer kleinen Kundgebung ge-
gen Muslime genannt werden, die nach den New Yorker Anschlägen vom
11.9.2001 durch Bukarest gezogen sein und in Medgidia und Babadag für eine

90
Ekrem Gafar, Tatare aus Medgidia, 60 Jahre, Geschichtslehrer.
91
Tzamil (Camil) X., ca. 50 Jahre, Po make aus Satres.
92
Bratt Paulston, Christina; Peckham, Donald: Linguistic Minorit ies in Central and Eas t-
ern Europe. Multilingual Matters, Berkeley 1998, 70.
42 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

Gegenkundgebung gesorgt haben soll, da die einheimischen Muslime die Asso-


ziierung mit islamistischen Terroristen als Beleidigung empfanden. 93

4.2.3 Die Rolle der Medien


Zur Rolle der Medien konnten keine spezifischen Hypothesen gebildet werden,
da die Mittel für ihre systematische Erhebung fehlten. Rolle und Macht der Me-
dien für die Bewußtseinsbildung und das Zusammenleben sind aber zweifellos
groß, wenn auch schwer einzuschätzen, wie groß. Bezüglich der benützten Me-
dien fällt in den Untersuchungsgebieten schnell auf, daß die Ethnien unter-
schiedliche Medien präferieren. Die Gesprächspartner türkischer Abstammung
sowie die meisten muslimischen Roma gaben an, regelmäßig türkische Sendun-
gen in Radio und Fernsehen zu verfolgen. Dabei kam den Kanälen aus der Tür-
kei eine viel größere Bedeutung zu als den türkischen Sendungen, die im rumä-
nischen und griechischen Fernsehen angeboten werden. Die meisten
muslimischen Siedlungen Griechenlands sind bereits an Satellitenschüsseln zu
erkennen, die in Richtung Türkei ausgerichtet sind – ein Luxus, den sich die
Muslime der Dobrudscha noch nicht leisten können. Die Tataren in Rumänien
verfolgen die türkischen Medien weitaus weniger als die Türken.
Es gehört zum Geschäft der Journalisten, Mißstände aufzuspüren und anzu-
prangern. Um Aufmerksamkeit zu erregen, ist jedoch die Versuchung etwas auf-
zubauschen groß, zumal viele Zeitungen um das Überleben kämpfen. Die große
Zahl von mehr oder weniger kleinen Zeitungen in Staatssprache und in türki-
scher Sprache mindert allerdings die Einflußnahme. Gravierender ist die mediale
Einflußnahme durch das Fernsehen, da die türkischsprachige Minderheit in
Griechenland großteils türkisches Fernsehen empfängt und sieht. Die türkischen
und tatarischen Zeitungen Rumäniens haben den Charakter von unregelmäßig
erscheinenden Vereinsblättern und genießen nur kleine Auflagen, so daß von
ihnen kaum eine politische Einflußnahme ausgehen kann.
Das Thema der muslimischen Minderheit wird von der griechischen Presse
sehr vorsichtig behandelt. Viele Zeitungen schreiben nur dann explizit von der
Minderheit, wenn es um offizielle Themen wie den Mufti, die Moschee oder das
Konsulat geht, während Berichte über einzelne Personen, die einer Minderheit
angehören, namentlich nicht erwähnt werden; wenn sie hingegen namentlich ge-
nannt werden, wird nicht auf ihren Minderheitenstatus hingewiesen. Diese poli-
tical correctness erstreckt sich von der politischen Bühne bis hin zu kleineren
Kriminaldelikten. Im Zeitraum von September bis November 2006 wurden be i-
spielsweise in der Stadt Xanthī mehrere Frauen auf der Straße überfallen und
deren Handtaschen geklaut. Nach der Gefangennahme durch die Polizei stellte
sich heraus, daß die Täter „Jugendliche aus Drosero“ waren – ihre ethnische und
religöse Zugehörigkeit wurde in der Presse durchgehend verschwiegen, wobei

93
Benali Muzachir, ca. 50 Jahre, Tatare, M itglied der Union Turko-muslimischer Tata-
ren in Medgidia. Presseberichte über die genannte Demonstration haben wir nicht finden
können.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 43

allerdings die Nennung des Herkunftsviertels auf ihre ethnische Herkunft (Ro-
ma) schließen ließ.
Welchen Einfluß die Medien auf das Denken haben, zeigte sich ständig in
unseren Interviews. Sehr häufig zitierten die Gesprächspartner aus Fernsehsen-
dungen oder Zeitungsberichten, anstatt persönlich Erlebtes zu berichten.

4.3 Hypothese 3: Einfluß gemeinsamer Erinnerungskultur


Erinnerungskultur kann – so unsere Hypothese – einen wesentlichen Einfluß auf
das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion und Ethnizität
haben: „Gemeinsame Erinnerungen sind manchmal die besten Friedensstifter“,
um mit dem französischen Schriftsteller Marcel Proust (1871-1922) zu spre-
chen.94 Um einer kollektiven Identität ein Profil, eine ethnische, religiöse und
kulturelle Basis verleihen zu können, legt ein Nationalstaat besonders großen
Wert auf die Begründung gemeinsamer Erinnerungen. Dabei können die Erinne-
rungen von dieser Nation produziert werden oder sich aus kollektiven Prozessen
ergeben. Zur Erläuterung des Begriffs der Erinnerungskultur gehen wir mit
Assmann und Cornelißen davon aus, daß das kollektive Gedächtnis zwei Grund-
formen aufweist, das kommunikative Gedächtnis oder Alltagsgedächtnis und das
kulturelle Gedächtnis, eine Art Feiertagsgedächtnis für besondere Anlässe 95 , und
daß Erinnerungskultur „als ein formaler Oberbegriff für alle denkbaren Formen
der bewußten Erinnerung (kollektiv und kulturell) an historische Ereignisse, Per-
sönlichkeiten und Prozesse verstanden werden [kann], seien sie ästhetischer, po-
litischer oder kognitiver Natur“.96
Denkmäler und Straßennamen sind Repräsentationsmodi, die ein Staat als
Bedeutungsträger nutzt, um die Orientierung, die Kultur, das Recht und die
Herrschaft der Nation mit der Geschichte des Volkes zu verbinden und somit ein
Bewußtsein der gemeinsamen Geschichte zu erschaffen.97 „Während sich die
Mehrheit mit ‚ihrem„ Staat, seinen Symbolen, Feiertagen, Denkmälern und sons-
tigen Inszenierungen identifizieren kann, bleiben die Minderheiten ausgeschlos-
sen“.98 In Griechenland und Rumänien bestimmen bzw. bestimmten Kommissi-
onen über die Errichtung von Denkmälern, Orts- und Straßennamen. Sie legen
fest, welche Persönlichkeiten oder Ereignisse geehrt werden und in welcher
Form die Darstellung erfolgt. In Rumänien sind die alten tatarischen und türki-

94
www.zitatus.com/html/erinnerung.html (Zugriff Juni 2008)
95
Assmann, Aleida: Das Gedächtnis der Orte. In: Borsdorf, Ulrich; Grü tter, Theodor
(Hg.): Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt. New York
1999, 59-78, h ier 13.
96
Cornelißen, Christoph: Was heißt Erinnerungskultur? Begriff – Methoden – Perspekti-
ven; In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003) 548 -563, h ier 550.
97
Lipp, Wilfried : Denkmalpflege und Geschichte. In: Borsdorf, Ulrich, Grütter, Theodor
(Hg.), Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum. 131-168. Fran kfurt/New
Yo rk 1999, hier 133.
98
Sundhaussen, Holm: Staatsbildung und ethnisch-nationale Gegensätze in Südosteuro-
pa; In: Aus Polit ik und Zeitgeschichte (2003) 9.
44 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

schen Ortsnamen beibehalten worden. Es gab keine staatlichen Umbenennungen


wie in den 1920er Jahren in Griechenland. Entsprechend sind auch die tatari-
schen und türkischen Namen für Wohnviertel und Märkte erhalten. Da die meis-
ten Straßenamen jedoch erst in einer Zeit vergeben wurden, in der die Zuwande-
rung rumänischer Bevölkerung bereits weit vorangeschritten war, blieb die
Erinnerungskultur der anwesenden Muslime durch die moderne rumänische
Verwaltung unberücksichtigt.
In Griechenland gibt es keine öffentliche türkische Erinnerungskultur, wes-
halb keine Denkmäler von türkischen Persönlichkeiten zu finden sind. Da
Denkmäler zu jedem Dorfplatz gehören, sind in den muslimischen Dörfern
Westthrakiens kuriose Kompromisse zu finden, so das Aufstellen namensloser
unbeschrifteter oder unspezifizierter Denkmäler mit Motiven wie einem sterben-
den Soldaten, mit denen sich beide Seiten identifizieren können. Einziges Mo-
nument, das implizit mit jüngst erneuerter Inschrift auf die osmanische Zeit hin-
weist, ist der Uhrturm in Xanthī, der von der 1944 abgerissenen Moscheeanlage
im Zentrum der Stadt übrig blieb. Keiner der in Westthrakien mit einem Denk-
mal geehrten Persönlichkeiten stammt aus den Reihen der muslimischen Min-
derheit. Auffällig ist allerdings die geringe Anzahl der Denkmäler in den beiden
Nomoi Xanthī und Rodopī, in denen der größte Teil der Muslime der Region
lebt, aus dem Zeitraum der griechischen Revolution gegen die Osmanen (1821),
die im übrigen Griechenland weit und zahlreich verbreitet sind. Dies kann eben-
so als Rücksichtnahme auf die Minderheit gewertet werden wie die inschriftlo-
sen Denkmäler mit einer für Muslime und Christen akzeptablen Symbolik, auch
wenn sonst eine osmanische Erinnerungskultur ausgeblendet wird.
Die große Anzahl von Denkmälern, welche die in den Welt- und Bürgerkrie-
gen gefallenen Soldaten, hohe Militärs oder Freiheitskämpfer ehren, ist auffällig.
Hinzu kommen Denkmäler für Venizelos und den Wirtschaftsminister Baltatzīs.
Sie beziehen sich auf eine Zeit, die die heute in Westthrakien lebenden religiö-
sen Gruppen gemeinsam erlebt haben. Auf einem Kriegsgefallenendenkmal in
Xanthī finden sich auch muslimische Namen. Damit verdeutlicht es als einziges
Denkmal in der Stadt offen die heterogene Zusammensetzung der im Land be-
findlichen Kulturen und überspringt die Hürde der Heterogenität.99
Die türkischen Namen der Viertel sind bei der Mehrzahl der Muslime
Xanthīs auch heute noch in Gebrauch. Anders sieht es bei den Straßennamen
aus. Gesellschaften ehren Personen, die für ihre Stadt, das gesamte Land oder
gar für die ganze Welt von Bedeutung sind, durch die Benennung von Stra-

99
Vgl. Trubeta, Sevasti: Die Konstitution von Minderheiten und die Ethnisierung sozia-
ler und politischer Konflikte. Eine Untersuchung am Beispiel der im griech ischen Thra-
kien ansässigen Moslemischen Minderheit, Frankfurt am Main 1999, 35; vgl. Überset-
zung: Καηαζκεσάζονηας ηασηόηηηες για ηοσς μοσζοσλμάνοσς ηης Θράκης. Το
παράδειγμα ηων Πομάκων και ηων Τζιγγάνων. Κριηική, ΚΕΜ Ο, Σειρά Μελεηών 4 .
Αθήνα 2001.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 45

ßen.100 In Xanthī befinden sich unter den Namen der zentralen Straßen 104 neu-
zeitlich-griechische, 51 antike und 13 byzantinische.101 Die osmanische Zeit ist
mit keinem einzigen Beispiel vertreten. Die mangelnde Ehrung von Personen in
Straßennamen sollte nicht den modernen Verwaltungen angelastet werden, denn
während der osmanischen Zeit war es nicht üblich, Persönlichkeiten mit Denk-
mälern und Straßennamen zu ehren. Dieses Vorgehen wurde erst mit der Struk-
turierung der neuen Nationalstaaten etabliert. Es wurden in diesem Bereich da-
her kaum muslimische Namen geerbt. Von den alten Straßennamen sind noch
acht bekannt, von denen aktuell drei bei der türkischen Minderheitsbevölkerung
in allen Altersklassen in Gebrauch sind. Bei diesen handelt es sich um Haupt-
verkehrsstraßen, die zur nächst größeren Stadt führen, nach Komotīnī (türk.
Gümülcine), Kavala oder İstanbul. Auch der älteren griechisch-orthodoxen Be-
völkerung sind die meisten noch bekannt, werden allerdings nicht benutzt. Der
jüngeren Generation beider Religionsgruppen sind sie hingegen völlig unbe-
kannt. In Rumänien versucht man dem entgegenzuwirken, indem man gezielt
Straßen nach muslimischen Persönlichkeiten benennt, wie z.B. die Str. Mehmed
Niyazi (muslimischer Dichter) in Medgidia.
Die Auswirkungen der Verweigerung national-türkischer Erinnerungskultur
in Griechenland lassen sich gut an der Vereinspolitik in Xanthī festmachen: Im
Türkischen Verein der Stadt wird mit einer Tafel an türkische Kriegsgefallene
erinnert, daneben hängen Bilder von Atatürk, Venizelos und die türkische
Flagge. Nichts weist darauf hin, daß der Verein überwiegend pomakische Mit-
glieder hat. Eine Differenzierung der Minderheit nach Volksgruppen wird ve-
hement abgelehnt. Die Minderheit soll als einheitlich türkisch national auftre-
ten und von der griechischen Regierung als solche verstanden und akzeptiert
werden.
Die Anwesenheit vieler Personen aus den Reihen der Minderheit bei großen
Feierlichkeiten zeigt eine Verbundenheit mit dem rumänischen bzw. griechi-
schen Staat. Der rumänische Nationalfeiertag am 1. Dezember wird von den
Muslimen nicht weniger gefeiert als von den Christen. Am 25. März werden in
Griechenland die Befreiung von der osmanischen Herrschaft und die Bildung
der griechischen Nation feierlich begangen (Griechische Revolution von
1821). Er ist trotz seiner ursprünglichen Bedeutung in Westthrakien zu einem
Ereignis geworden, bei dem sich das ganze Volk mit dem Staat identifizieren
kann und zu dem alle Bevölkerungs- und Altersgruppen mobilisiert werden.
Der Staat ist bemüht, gemeinsame Erinnerungen zu begründen, um einer ko l-
lektiven Identität ein Profil verleihen zu können. Die Feiertage der türkisch-
muslimischen Minderheit Westthrakiens sind daher nicht türkisch-national.
Der Wunsch, den türkischen Nationalfeiertag zu begehen, wurde von unseren

100
Avramidu-Kemanetzī, Ev lambia und Vasileios Aivaliōtīs: Οδοί και ηοπωνύμια ηης
Ξάνθης [Straßen und Ortsnamen in Xanthī]. Xanthī 2003, 17.
101
Avramidu-Kemanetzī: Straßen und Ortsnamen in Xanthī, 28.
46 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

türkischen Gesprächspartnern nicht geäußert, vielleicht wohlwissend, daß dies


der griechische Staat nicht genehmigen würde.
Eine eindeutige Antwort darauf, welche Bedeutung eine gemeinsame Erinne-
rungskultur für das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion
und Ethnizität hat, läßt sich zwar nach diesen Ergebnissen noch nicht formulie-
ren, von Bedeutung aber ist sie allemal. Die zurückhaltende „Denkmal-Politik“
in Westthrakien bot keinen uns bekannten Anlass zu Streitigkeiten, Defizite in
der Doppelsprachigkeit der Ortsnamen, der Verwendung türkischer Ge-
schäftsaufschriften u.a. boten allerdings Anlass zu Kritik. Ihre Beseitigung trüge
zur Verbesserung des Zusammenlebens bei.

5. Fazit
Die Vergleichbarkeit der ausgewählten griechischen und rumänischen Unter-
suchungsgebiete in Westthrakien und der Norddobrudscha ist durch mehrere
Aspekte gegeben: Sowohl in Griechenland als auch in Rumänien sind die or-
thodoxen Christen zwar Mehrheitsbevölkerung und Titularnation des jeweili-
gen Staates, in den untersuchten Peripherräumen jedoch machen Muslime e i-
nen großen Anteil aus und stellen in mehreren Gemeinden die Mehrheit. In
beiden Ländern sind die Koexistenzen von Christen und Muslimen etwa gleich
alt, und die Religionsgemeinschaften zeichnen sich durch ethnische Heteroge-
nität aus.
Über mehrere Jahrhunderte ihrer Koexistenz haben Christen und Muslime
in Südosteuropa gelernt, wie man friedlich miteinander auskommen kann. Der
Alltag in den gemischten Siedlungen verläuft sowohl in den untersuchten Städ-
ten als auch in den ländlichen Siedlungen reibungslos, trotz mancher tatsächli-
cher oder gefühlter Benachteiligung der Minderheiten. Alltägliche Beziehun-
gen zwischen Christen und Muslimen basieren auf einem freundschaftlichen,
wenn auch oberflächlichen Umgang. Gefahren drohen durch Nationalismus
und wenn Minderheiten von einer Elite mißbraucht, aufgewiegelt oder zu Sün-
denböcken gemacht werden. Wenn das Zusammenleben immer noch eher ein
friedliches Nebeneinander ist als ein Miteinander, so mehren sich doch, geför-
dert durch eine minderheitenfreundlichere Politik, die Anzeichen eines intensi-
veren Miteinanders.
Die auf der Feldarbeit erstellten Hypothesen haben bezüglich ihrer Bedeu-
tung für die interethnische Koexistenz unterschiedlichen Aussagewert:
Die Hypothese „Räumliche Segregation und Wohnraumdisparitäten fördern
das Konfliktpotential“ (Kap. 4.1.1) konnte deutlich belegt werden. Gab es noch
bis in die 1980er Jahre eine räumliche Segregation der Wohnquartiere zwi-
schen Christen und Muslimen, so hat diese durch zunehmende Mobilität konti-
nuierlich abgenommen und läßt sich heute in den städtischen Siedlungen kaum
mehr erkennen. Während die Auflösung der Segregation in der Dobrudscha
noch als Folge des Transformationsprozesses erklärt werden kann, ist die Ent-
wicklung in Thrakien auf die seit gut einem Jahrzehnt geänderte griechische
Minderheitenpolitik zurückzuführen. Zusammenwachsen von Vierteln und zu-
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 47

nehmend ethnisch gemischte Siedlungsweise haben zur Lockerung der Segre-


gation geführt und sprechen für eine wachsende Integration(sbereitschaft).
Ausnahme bilden in beiden Staaten die Roma und Xoraxane, die weiterhin
räumlich abgeschnitten in ethnisch weitgehend homogenen Siedlungen wo h-
nen. Die aus Segregation und Wohnraumdisparitäten resultierenden Benachte i-
ligungen zählen zu den Faktoren, die das Zusammenleben maßgeblich beein-
flussen.
Unsere Hypothesen „Häufigere Begegnung und gemeinsames Arbeiten för-
dern das Miteinander und gegenseitige Verständnis“ und „Privilegierung bei
der Verteilung von Arbeitsplätzen birgt Konfliktpotential“ (Kap. 4.1.2) zeig-
ten, daß die Intensität der Begegnung im Arbeitsbereich nur unerheblich zu
einem besseren Verständnis beitragen kann. Obwohl viele Gesprächspartner
zunächst gerne postulierten, daß bei der Verteilung von Arbeitsplätzen nie-
mand beachteiligt werde, ist die empf undene Benachteiligung ein wesentlicher
Störfaktor bezüglich interethnischen Koexistenz.
Die Hypothesen, die bezüglich der Versorgung („Segregation bei der Ver-
sorgung ist einem gedeihlichen Zusammenleben eher hinderlich“, Kap. 4.1.3)
und der Freizeit („Gemeinsam verbrachte Freizeit und gemeinsames Feiern
mindern Vorurteile und fördern das Miteinander“, Kap. 4.1.4) formuliert wur-
den, erwiesen sich als weniger aussagekräftig, da die religiöse und ethnische
Zugehörigkeit in diesem Bereich nur eine untergeordnete Rolle spielt. Nichts-
destotrotz gilt es, den verbindenden Charakter gemeinsam verbrachter Freizeit
festzuhalten.
Ein wesentlicher Faktor, der das Zusammenleben von Christen und Musli-
men beeinflussen kann, ist die Bildung. Die Hypothese „Das Konfliktpotential
mindert sich mit der Höhe des Bildungsstandes“ (Kap. 4.1.5) ist daher eine der
wichtigsten formulierten Hypothesen. Der Zugang zum Gut ‚Bildung„ ist in
der Vergangenheit ungleich verteilt gewesen, weshalb bei den Mus limen Grie-
chenlands und den Roma Rumäniens der Bildungsstand geringer ist als bei der
Mehrheitsbevölkerung. Die Verbesserung des Bildungsstandes ist bereits bei
den Kindern der Minderheiten in allen Untersuchungsgebieten deutlich zu be-
obachten. Bildung ist ein guter Schutz gegen Verführungen durch Meinungs-
macher. Hier müssen der griechische und rumänische Staat ansetzen und we i-
tere Möglichkeiten ausschöpfen, Bildung zu fördern und keine
Bildungsunterschiede zu produzieren, auch wenn damit die Minderheiten
mündiger werden. Dazu gehört auch die Schaffung eines gemeinsamen Ge-
schichtsbildes durch Einsetzung von Schulbuchkommissionen. Nur so können
Vorurteile abgebaut und ein Schutz vor Nationalismus aufgebaut werden. Da
auf unseren Feldforschungen die Kenntnisse der Gesprächspartner von ihrer
eigenen Religion nicht ermittelt wurden, müßte durch weitere Forschungen
untersucht werden, ob auch der zweite Teil der Hypothese („Das Konfliktpo-
tential mindert sich durch gute Kenntnis der eigenen Religion“) gleichermaßen
gültig ist.
48 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

Die Hypothese „Je stärker eigene kulturelle und religiöse Merkmale betont
und gepflegt werden, desto höher ist die Segregation“ (Kap. 4.1.6) ist in meh-
reren Fällen belegbar gewesen, jedoch ist es eine andere Frage, ob diese beleg-
bare höhere Segregation auch zwangsläufig zu einer problematischeren Ko-
existenz führt. In der rumänischen Dobrudscha ist das Miteinander von
Christen und Muslimen stärker ausgeprägt als in Griechenland – offenbar be-
dingt durch die gemeinsamen Jahre sozialistischer Diktatur und durch die Poli-
tisierung des Feindbildes zwischen Griechenland und der Türkei. Dies äußert
sich in einer größeren Zahl von interreligiösen Heiraten, mehr gemeinsam ver-
brachter Freizeit und besserer Kenntnis der Kultur des Anderen. Während sich
in Griechenland die muslimischen Gruppen miteinander gegen christliche Be-
völkerung solidarisieren (und umgekehrt), wird in Rumänien eine gemeinsame
Solidarisierung von christlichen und muslimischen Gruppen gegen die Roma
und Xoraxane deutlich.
Die Gültigkeit der Hypothesen bezüglich der Rolle von Politik und Kirche
steht außer Frage: „Die Politik beeinflußt das Zusammenleben von ethnisch
und religiös definierten Gruppen maßgeblich“ (Kap. 4.2.1) und „die Rolle der
Kirche und ihrer Vertreter ist mit der Rolle der Politik und der politischen Elite
eng verbunden“ (Kap. 4.2.2). Durch das Verhalten von Eliten der beiden Län-
der, die ihre Macht durch Politisierung interethnischer und interreligiöser Un-
terschiede zu festigen suchen, ist Konfliktpotential vorhanden. Oft werden so-
zioökonomische Unterschiede und daraus resultierende Konflikte in ethnisch-
religiöse transformiert. Sie dienen einer verdeckten Symbolik, auf die Macht-
haber zurückgre ifen können, um ihren Status quo aufrecht zu erhalten. Um die
Einflußnahme von Drittstaaten und damit den polit ischen Mißbrauch der Min-
derheiten zu verringern, müssen Minderheitenrechte gewährt und eingehalten,
Minderheiten gegebenenfalls sogar überprivilegiert werden, so daß ihre Loya-
lität und ihre Identifikation mit dem Land, in dem sie leben, zunehmen. Bei
jeder Anerkennung nationaler Minderheiten muß geprüft werden, ob sie Span-
nungen abbaut oder gar neue Probleme schafft. Politische und kirchliche Eliten
tragen daher eine hohe Mitverantwortung für das Gelingen des interethnischen
und interreligiösen Miteinanders.
In Rumänien ist durch die größere Entfernung des Landes zur Türkei sowie
durch den geringeren Bevölkerungsanteil von Muslimen die Diskussion über
muslimische Minderheiten weitaus weniger brisant als in Griechenland auf-
grund der politischen Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei.
Auch Tatarstan vermag durch seine ökonomische Schwäche und die weite Ent-
fernung zu Rumänien kaum Einfluß auf die muslimischen Gemeinden des
Landes auszuüben. Hingegen ist das Zusammenleben von Christen und Mus-
limen in Westthrakien stark beeinflußt von den bilateralen Beziehungen zw i-
schen Griechenland und der Türkei. Eine wichtige Rolle spielen außerdem die
Medien (Kap. 4.2.3), die von den Eliten benutzt werden, um ihre jeweilige Po-
sition publik zu machen.
CHRISTEN UND MUSLIM E IN SÜDOSTEUROPA 49

In den Unteruchungsgebieten kommt einer weiteren Hypothese wesentliche


Bedeutung zu: „Erinnerungskultur kann einen wesentlichen Einfluß auf das
Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion und Ethnizität ha-
ben“ (Kap. 4.3). Erinnerungskulturen enthalten Konfliktpotential, wenn sie
aufgrund von Herrschafts- und Machtansprüchen beeinflußt werden. Die Ver-
weigerung der national-türkischen Erinnerungskultur in Griechenland ist als
konfliktfördernd zu betrachten, da sie die Identifikation mit dem Heimatland
Griechenland eher mindert und eine verstärkte Orientierung auf die Türkei be-
wirkt. Die nationale öffentliche Erinnerungskultur sollte die gesamte Bevölke-
rung ansprechen und ihre Erinnerungen zu einem kollektiven Konstrukt for-
men, um die Identitätsbildung der Nation unter Einbeziehung der
muslimischen Minderheiten zu gewährleisten. Eine konkrete Einbeziehung der
Minderheitsbevölkerung in die Erinnerungskultur ist derzeit weder in Rumä-
nien noch in Griechenland gegeben, die osmanische Zeit bleibt in den Museen,
bei der Ehrung von Persönlichkeiten oder durch die Vergabe von Straßenna-
men ausgeblendet.
Ein weiterer bestimmender Faktor bei der Beurteilung des christlich-
muslimischen Nebeneinanders in Rumänien und Griechenland ist die Existenz
anderer Minderheiten. In Rumänien sorgt die Auseinandersetzung mit den gro-
ßen Minderheiten des Landes (Ungarn, Roma) für erheblich mehr Unstimmig-
keiten als das Verhältnis zur kle inen Gruppe der Muslime. Seit der Wandlung
Griechenlands von einem Auswanderungs- zu einem Einwanderungsland ste-
hen die neuen Minderheiten im Vordergrund: Die rund 120.000 altansässigen
Muslime in Westthrakien wirken gegenüber einer halben Million neuzugewan-
derter (mehrheitlich muslimischer) Albaner kaum brisant. Das jüngere Neben-
einander wird stets kritischer beurteilt als ältere Nachbarschaften. Dies wird
am Beispiel der nach der Wende zugewanderten Rußlandgriechen besonders
deutlich.
Eine positive wirtschaftliche Entwicklung, an der alle Volksgruppen teilha-
ben, ist sicher die wichtigste Bedingung für ein gedeihliches Miteinander.
Wirtschaftliche Benachteiligung und Marginalisierung der Minderheitenregio-
nen können den Minderheitennationalismus fördern. Der Vergleich Rumäniens
mit Griechenland zeigt jedoch, daß sich die wirtschaftlichen Probleme, die in
Rumänien eindeutig größer sind, nicht negativ auf das ethnische Miteinander
auswirken müssen.
Die Qualität der interethnischen Beziehungen zwischen orthodoxen Chris-
ten und Muslimen werden die untersuchten Regionen weiterhin prägen. Sie
bilden bedeutende Faktoren für die Entwicklung der sozialen, ökonomischen
und politischen Belange auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler
Ebene. Die Mitgliedschaft Griechenlands (seit 1981) und Rumäniens (seit
2007) in der EU sind ein wirksamer Schutz vor interethnischen und interreligi-
ösen Auseinandersetzungen, wenn auch kein Allheilmittel. Die Ratifizierung
der europäischen Rahmenabkommen zum Schutz der Minderheiten, ihrer
Sprachen und Kulturen, ist daher zu empfehlen, da sie eine krisenfestere Platt-
50 M. BARA, TH. KAHL, G. KATSAROS, C. LIENAU

form bieten als beispielsweise der in Griechenland seit 1923 hochgeha ltene
Vertrag von Lausanne. Es ist anzunehmen, daß ein Beitritt der Türkei zur Eu-
ropäischen Union das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Südost-
europa positiv beeinflussen kann. Ein intensiveres Miteinander könnte außer-
dem gefördert werden durch interaktiven zweisprachigen Schulunterricht,
Erziehung unter besonderer Berücksichtigung der Traditionen der jeweils an-
deren Religionsgemeinschaft, Gründung von ethnisch und religiös gemischten
Vereinen, Tanzgruppen oder der Einrichtung von Sommercamps, in denen sich
Kinder unterschiedlicher Religionen begegnen, sowie Förderung gemeinsamer
Erinnnerungskultur, zu der wiederum ein auf gleicher Grundlage basierender
Geschichtsunterricht wesentlich beitragen könnte.

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