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Ray Coppinger
Prof. der Biologie
Hampshire-College, Mass./USA
© Günther Bloch
Zu diesem Buch
Wir schreiben den 18. November 2003. Wie zu jedem Winteranfang
in den letzten fünfzehn Jahren landen meine Frau Karin, unsere
Hunde und ich auf dem Flughafen von Calgary in Kanada.
Dackelhündin „Kashtin“, mittlerweile fast elf Jahre alt, hat den Flug
im Passagierraum in ihrer Tragetasche problemlos überstanden.
Über die Jahre hinweg hat sie sich zum Flugprofi entwickelt.
„Jasper“, unser fast achtjähriger Laika-Rüde, verbrachte den Flug
notgedrungen wieder im Laderaum des Flugzeugs. Aber auch er ist
wie immer okay.
Einem weniger nervenstarken Hund hätten wir die Prozedur des
Fliegens nicht zugemutet.
Seit der ersten Veröffentlichung dieses Buches (1997) habe ich
während der letzten sieben Jahre unzählige
Fortbildungsveranstaltungen im In- und Ausland besucht. Man lernt
schließlich nie aus. Im gleichen Zeitraum habe ich selbst über
hundert Seminare in Deutschland, Österreich, der Schweiz, Polen,
Spanien, den USA und Kanada abgehalten, mehrere große
Fachsymposien organisiert, mit etlichen tausend Hundehaltern
diskutiert und natürlich unzählige Vierbeiner kennen gelernt – alles in
allem: Ich habe eine Fülle neuer Erfahrungen gesammelt, die
selbstverständlich in dieser Neuauflage Beachtung finden.
So sitze ich nun an meinem Schreibtisch und überdenke noch
einmal, wie der weitere Textverlauf zu gestalten ist. Einige
Abschnitte des Originaltextes kann ich freilich übernehmen, weil sie
nach wie vor Gültigkeit besitzen. Andere Textpassagen fallen
gnadenlos dem Rotstift zum Opfer, weil sie entweder überholt sind
oder, wie beispielsweise die Verhaltensbeobachtungen an
Hundegruppen, separat publiziert werden. Ein paar Ansichten
musste ich zudem revidieren, auch mich kann keiner daran hindern,
mit der Zeit etwas klüger zu werden. Man mag argumentieren:
„Siehe da, jetzt hat der Bloch seine Meinung hinsichtlich der
Behandlung von Haushunden geändert. Wem kann man heute noch
trauen?“ Nun, zu meiner Verteidigung sei angeführt, dass die
beharrliche Beibehaltung der eingefahrenen Meinung in meinen
Augen nichts anderes als geistigen Stillstand bedeuten würde und
dass Verhaltensstudien an Wölfen und Hunden auch in Zukunft zu
neuen Erkenntnissen führen werden. Im Übrigen gilt der Grundtenor
meiner Aussage, dass nämlich Wolfs- und Hundeverhalten nicht zu
verallgemeinern sind, auch wenn ich heute einige Nuancen anders
bewerte. In der Konsequenz gestaltet sich dieses Buch dennoch
erheblich umfangreicher und übersichtlicher.
© Günther Bloch
Karin Bloch mit Jasper, Kashtin und Taiga
© Uwe Brauns
© Uwe Brauns
Wölfe sind (wie Hunde) offensichtlich nicht nur in der Lage, Autos anhand von
visuellen Erscheinungsbildern und unterschiedlichen Motorengeräuschen
voneinander zu unterscheiden. Unter bestimmten Umständen legen sie ihre
natürliche Scheu ab und bauen gegenüber individuellen Fahrzeugen Vertrauen
auf. Uns kam die Präsenz der eigenen Hunde zugute, die uns stets im selben Auto
begleitet haben und deren Geruch die Wölfe anscheinend unwiderstehlich fanden.
Günther Bloch
Canidenexperte
Canmore/Canada, November 2003
‣ Definition Rudel
Laut deutschem Wörterbuch wird der Begriff Rudel wie folgt
definiert: „Gemeinsam lebende, streng hierarchisch organisierte
Gruppe von Tieren.“
Wolf wie Hund sind aber familienorientierte Soziallebewesen, die
nicht streng hierarchisch organisiert leben.
Der Wolf (Canis lupus)
© Günther Bloch
Sozialrangordnung bei Wölfen
Wölfe in Gefangenschaft
Die überwiegende Mehrheit aller Publikationen zur
Verhaltenseinschätzung des Wolfes verbreitet meist nur
Informationen, die man an in Gehegen vergesellschafteten Tieren
sammelte. Nach Überprüfung von „Gefangenschaftsberichten“ wird
deutlich, dass die Gruppenkonstellation eines Wolfsrudels im
Gehege sehr oft aus einem Zusammenschluss von Alttieren vieler
Generationen nebst Nachwuchs besteht. Zur Aufrechterhaltung der
sozialen Gemeinschaft muss es anscheinend eine streng
hierarchisch geordnete Hackordnung (Alpha bis Omega) geben. Sie
macht Sinn, da der Lebensraum eines Geheges extrem
überschaubar ist und kein Tier das Rudel verlassen kann.
Auseinandersetzungen zwischen mehreren Alttieren, die alle
versuchen ihren Sozialstatus zu verbessern, bleiben zwangsläufig
nicht aus. Die Bezeichnung „Rudel“ steht also gedanklich in einem
engen Zusammenhang mit dem Begriff „Rangordnung“. Wie von den
Ethologen R. Schenkel (1946), D. Feddersen-Petersen (1992) oder
E. Klinghammer (2002) beschrieben, brechen außerdem
Streitigkeiten um die Nutzung von Ressourcen (z.B. Futter,
Schlafmulden oder erhöhte Liegepositionen) aus. So ist in der
Forschungsstation Wolf Park/USA die Trennung eines Rudels leider
fast schon an der Tagesordnung. Die Folge: immer mehr Einzelwölfe
in Einzelzwingern.
‣ Kurzinfo
Taktische Winkelzüge, inklusive vieler Streitigkeiten, die sich aus
einem Zusammenleben etlicher Generationen zwangsläufig
ergeben, sehen wir in der Wildnis sehr selten. In Wirklichkeit
müssen wir Wolfseltern oft als einzige Langzeitmitglieder eines
Rudels ansehen. Sie sind die eigentlichen „Alphatiere“.
© Günther Bloch
Während der Paarungszeit kommt es zwischen Wolfseltern und einzelnen Tieren
des geschlechtsreifen Nachwuchses mitunter zu massiven Konkurrenzsituationen.
Auch Jungwölfin „Hope“ stritt sich mit ihrer Mutter um das Recht auf Paarung,
unterlag aber deren Durchsetzungsvermögen und musste den Familienverband im
Alter von 20 Monaten endgültig verlassen.
‣ Das bedeutet
Das Beiß-Schütteln
Wie schon erwähnt gab es hinsichtlich der Bedeutung des „Beiß-
Schüttelns“ unter Welpen lange Zeit die Erklärung, dass dieses
Verhalten später ausschließlich der sozialen Auseinandersetzung
(z.B. Kämpfen) dient. Nun kommt das große „Aber“: Intensiven
Untersuchungen des Zoologen J. Badridze (1994) ist es zu
verdanken, dass wir nicht nur nähere Einblicke in das allgemeine
Spielverhalten von Wolfswelpen, sondern auch spezifische
Informationen darüber erhalten, wohin Welpen beißen.
Badridze gestattete seinen „Versuchswelpen“ keinen Kontakt zu
erwachsenen Wölfen. So vermittelte uns der Biologe Ansätze einer
kleinen Revolution, die von der breiten Masse weitgehend
unbemerkt blieb. Leider, wie ich hinzufügen möchte.
‣ Das bedeutet
Auch ohne erwachsene Vorbilder testen Welpen über Versuch
und Irrtum nicht nur ihre soziale Stellung, sondern vor allem Teile
des Jagdverhaltensrepertoires!
Häufiges Packen und Schütteln muss also in direkter Beziehung
zum Beutefangverhalten stehen. Weil Welpen noch keine
„fertigen“ Jäger sind, verfeinern sie die Fertigkeit des
Beutestellens und Beutetötens an sich selbst.
Beißstellenvergleich
Die Illustration zeigt die starken Ähnlichkeiten der Beißstellen
während typischer Welpenspiele im Vergleich zu Beißstellen eines
durch erwachsene Wölfe erbeuteten Tieres.
Das Jagdverhalten ausgewachsener Wölfe ist vollständig und
funktional. Laut dem Biologen R. Coppinger (2003) handelt es sich
bei einer funktionellen Sequenz um eine Abfolge von
Bewegungsmustern, die zur Befriedigung eines biologischen
Bedürfnisses führt. Die Bewegungsmuster eines Raubtieres sind von
folgendem instinktivem Handlungsablauf geprägt: Beute orten –
fixieren – anpirschen – hetzen – packen/schütteln – töten –
zerreißen – fressen.
© Badrize
Der so genannte „Nackenschüttler“ tritt unter Wolfswelpen oft als spontane
Einzelsequenz des Jagdverhaltens auf, bis die Funktionskreise von Spiel und Jagd
von juvenilen Wölfen weitestgehend getrennt gezeigt werden.
‣ Fühlen sich Wölfe biologisch befriedigt, wenn sie ihre Welpen
packen und schütteln?
‣ So stellen sich zwei elementare Fragen: Möchten wir Wolfseltern
allen Ernstes unterstellen, dass sie ihre eigenen Welpen erbeuten
und töten wollen?
Wohl kaum. Nein, der viel gepriesene „Nackenschüttler“ kommt im
Umgang zwischen Alttieren und Welpen nicht vor. Der alte
Ratschlag, Hundewelpen durch Schütteln im Nacken „artgerecht“ zu
bestrafen, ist somit aus der Wolfswelt nicht abzuleiten. Es handelt
sich vielmehr um ein tradiertes Märchen, dessen Verbreitung sich
jahrzehntelang reger Beliebtheit erfreute und welches sich
hartnäckig bis heute hält.
‣ Definition Spiel
Spiel in der Verhaltensbiologie
nach U. Gansloßer (2001)
1. Beim Spiel gibt es weder „Gewinner“ noch „Verlierer“. Die
Rollen von „Jäger“ und „Gejagtem“ wechseln ständig.
2. Ein größeres oder schwereres Tier macht sich bewusst klein
und begibt sich ohne Zwang in die Rolle des „Unterlegenen“.
Dabei legt sich der Unterlegene freiwillig auf den Rücken oder rollt
sich hin und her.
3. Beim Spiel zeigen die Beteiligten übertriebene, sich oft
wiederholende Bewegungsabläufe. Es herrscht über einen
längeren Zeitraum hinweg eine gelöste und lockere
Spielatmosphäre. Gespielt wird nur in einer entspannten Situation.
4. Beim Spiel bedienen sich die Beteiligten starker „Gestik- und
Mimikübertreibungen“, wie etwa des typischen „Spielgesichtes“
oder typischer „Spiellaute“.
Vorsicht: Im Spiel kommen häufig auch Einzelsequenzen und
Bewegungsmuster aus dem Jagdverhalten (z.B. während eines
Rennspiels) oder dem Sexualverhalten (z.B. beim Aufreiten) vor.
Diese Vermischung von unterschiedlichen „Funktionskreisen“ birgt
mitunter ein Risiko.
(Die Definition gilt für den Hund gleichermaßen.)
Verhaltensökologie des Wolfes im
Sommer
‣ Info
Die zumeist gezeigte Zurückhaltung der Alttiere gegenüber dem
Nachwuchs ist durchaus erklärbar. Sie müssen teilweise bis zu
hundert Kilometer anstrengendes Gelände hinter sich bringen, um
ihre Kinder mit Nahrung zu versorgen. Dass nach so einem
anstrengenden Marathonlauf keine Begeisterung vorherrscht, sich
freudestrahlend mit dem Nachwuchs zu beschäftigen, dürfte
jedem einleuchten.
‣ Info
Babysitter (bei unseren Beobachtungen kam dieser Job fast
immer jugendlichen, noch nicht geschlechtsreifen Weibchen zu)
signalisieren Welpen am häufigsten Spielbereitschaft. Je nach
Familienstruktur sind sie 60 bis 70% der Zeit anwesend.
Jagdstrategien im Sommer
Ein generelles Beispiel artspezifischen Verhaltens beim Wolf soll die
gemeinsame Jagd sein. Interessanterweise jagt eine Wolfsfamilie im
Sommer aber selten als Einheit!
Vielmehr verlassen einzelne Tiere (oder kleine Gruppen) die Höhle
sternförmig in unterschiedliche Richtungen. Warum? Ein näherer
Blick verrät: Jeder Wolf kann auf diese Art und Weise zeitgleich
mehr Fläche absuchen. Von einem solch cleveren Schachzug
profitieren die Wolfskinder, weil so deren Ernährung effektiver
umsetzbar ist. In den Sommermonaten ist die Jagdstrategie des
Wolfes nämlich primär darauf gerichtet, junge Huftiere (Hirschkälber,
Rehkitze) zu erbeuten. Und dazu ist die Koordination einer
Gruppenjagd nicht erforderlich.
Nach Abschluss einer erfolgreichen Jagd trägt jeder Wolf
unabhängig von Geschlecht, Alter oder Sozialstatus Futter zur
Höhle. Stimuliert durch das ständige Futterbettelverhalten der
Welpen entleert er seinen Mageninhalt und würgt Stoß um Stoß
breiige Nahrung hervor. Wolfskinder betrachten Erwachsene
zunächst als wandelnde „Futterautomaten“.
Reflexartig stürmen sie los, sobald in Höhlennähe auch nur ein
visuelles Wolfsschema auftaucht. Bedeutungsvoll ist die Tatsache,
dass Welpen einem Jagdheimkehrer stets entgegenlaufen! Somit
lernen sie offenkundig sofortige Folgebereitschaft mit
Futterbelohnung zu verknüpfen. Ein bemerkenswerter Fakt für die
Erziehung von Hundewelpen!
© Günther Bloch
Für Babysitterinnen sind ihre Mütter unentbehrliche Lehrmeisterinnen. Sie
schauen ihnen bei der Versorgung der Welpen im wörtlichen Sinn über die
Schulter, um zu lernen, wie und wo die Welpenfütterung vonstatten geht.
Wolfswelpen wird interessanterweise immer an der gleichen Stelle eines
Höhlenkomplexes Nahrung vorgewürgt, was zur Folge hat, dass sie diese
speziellen Futterstellen in Abwesenheit der Erwachsenen regelmäßig aufsuchen
und sich mitunter um einige übrig gebliebene Krümel heftig streiten.
Das „Eltern-Nachwuchs-Dominanz-System“
Ist positive Verstärkung aber die einzige „Erziehungsform“, die
Wolfseltern umsetzen? Bringen Wolfseltern ihren Kindern etwas bei?
Insgesamt scheint die Geduld der Alten im Umgang mit ihrem
Nachwuchs zunächst grenzenlos zu sein. Sie sind völlig aus dem
Häuschen, wenn ihre Kinder im Alter von drei Wochen erstmals aus
der Höhle kommen. Man scheint geradezu in einen wahren
Jungbrunnen gefallen zu sein und verhält sich jugendlich und albern.
Der Nachwuchs der eigenen Gruppe genießt in den ersten
Lebenswochen eine Art „Welpenschutz“.
Derweil finden die Kleinen über Versuch und Irrtum heraus, was sie
sich erlauben können. Langsam entsteht eine Art Regelwerk. Erste
Tabus tauchen auf. Der aufmerksame Beobachter kann bald
feststellen, dass sich schon unter sechs bis sieben Wochen alten
Welpen hier und da lautstarkes Gekreische breit macht, z.B. dann,
wenn Alttiere deren Hartnäckigkeit und Aufdringlichkeit mit einem
„Schnauzgriff“ quittieren. Noch überwiegt aber Toleranz.
Wolfskinder scheinen den Leitrüden eines Rudels besonders gern zu
umringen. „Daddy“ genießt Autorität. Aus dem Blinkwinkel der
Welpen handelt es sich bei ihm um eine Art „verehrungswürdigem
Weisen“. Er hat den absoluten Überblick und scheint instinktiv immer
das Richtige zu tun. Daddy verfügt über viel Lebenserfahrung und
wirkt auf den Nachwuchs unter anderem deshalb höchst
beeindruckend, weil er am häufigsten Nahrung heranschleppt. Falls
weder er noch die Mama zugegen sind, finden Wolfskinder auch die
jugendlichen Babysitter unwiderstehlich, besonders weil sich die
„Tante“ ohne große Gegenwehr so herrlich traktieren lässt.
Gänzlich unkontrollierte Temperamentsausbrüche können sich
Welpen hingegen nur in Anwesenheit der Mutter erlauben. Dann
wagt es kein Babysitter, etwas gegen die Kinder zu unternehmen.
Ohne direkte Präsenz der Mutter entfalten „Wolfstanten“ sich schon
einmal gern, erlauben sich mehr Spielraum und schlafen etwas
großkotzig in den „Lieblingsmulden“ der Ranghohen. Schlafen? Von
wegen! Man behält lieber das weitere Umfeld genau im Auge. Denn
wehe, die Mama kommt von der Jagd zurück. Dann ist man als
Babysitter besser gerüstet, springt auf, vermeidet direkten
Blickkontakt und räumt den Ruheplatz augenblicklich. Mamas
Schlafplatz ist nämlich für „Schnösel“ tabu. Kann man tief
verankerten Respekt besser beschreiben?
Tabelle 1
Verhalten von Alttieren gegenüber bis zu acht Wochen alten
Welpen
Interaktionen total (n = 399)
Ignorieren Schnauzgriff Auf-den-Boden-Drücken
58,14% (232) 24,56% (98) 17,30% (69)
Tabelle 2
Verhalten von Alttieren gegenüber Welpen ab neunter Woche
Interaktionen total (n = 428)
Ignorieren Schnauzgriff Auf-den-Boden-Drücken
11,21% (46) 49,53% (212) 39,72% (170)
© Günther Bloch
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Im Vergleich zu verwilderten Haushunden, die sich laut Studienergebnissen
mehrerer italienischer Verhaltensforscher mit Ausnahme der Hundemütter kaum
um den Nachwuchs kümmern, ist das Versorgungssystem beim Wolf stark
ausgeprägt. Auch wenn Wolfsväter prozentual am häufigsten zur Jagd
aufbrechen, steht die Motivation, Futter zur Höhle zu schleppen (mit Ausnahme
von jungen Babysittern), bei allen erwachsenen Familienmitgliedern an erster
Stelle.
Verhaltensbeobachtungen
Das hier veröffentlichte Datenmaterial basiert auf einer
Zusammenfassung direkter Verhaltensbeobachtungen von Paul
Paquet (1983/84: Riding Mountain Nationalpark/Manitoba) und
unseren eigenen Feldnotizen (1992 bis 2003: Banff
Nationalpark/Alberta und 1993: Starfishlake/Nordwest-Territorien).
Aus der sehr komplexen Verhaltensauflistung möchte ich jetzt die
markantesten Beispiele herausgreifen:
a) Kehrte ein Erwachsener ohne Jagderfolg zur Höhle zurück (n =
136), ignorierte er das Futterbetteln von Welpen 22-mal, setzte 65-
mal zum Schnauzgriff an oder drückte Welpen insgesamt 49-mal auf
den Boden.
b) Wollten Welpen die die Höhle verlassenden Erwachsenen
begleiten (n = 191), ignorierten diese die Absicht kein einziges Mal,
setzten 102-mal zum Schnauzgriff an oder drückten Welpen
insgesamt 89-mal auf den Boden.
c) Wollten Welpen die Individualdistanz von ruhenden Erwachsenen
unterschreiten (n = 101), ignorierten diese den Versuch 24-mal,
setzten 45-mal zum Schnauzgriff an oder drückten Welpen
insgesamt 32-mal auf den Boden.
Besonders amüsant war, wenn ein völlig überdrehter Welpe im
ersten Anflug überschäumender Begeisterung einen Babysitter mit
der eigenen Mutter verwechselte. Versuchte ein solcher
„Gierschlund“ mit seinen nadelscharfen Milchzähnen an den Zitzen
der ansonsten besonnenen Tante zu saugen, senkte sich deren
Toleranzgrenze augenblicklich.
‣ Wichtig
Der erste „Aha-Effekt“ des Welpen besteht darin, Verknüpfungen
zwischen bestimmten Verhaltensweisen und konkreten Signalen
der Körpersprache zu schaffen. Und die körpersprachliche
Signalgebung von Alttieren ist konkret! Da gibt es kein Vertun.
Nuanciert, aber auf den Punkt gebracht, wird vermittelt: „Nein, das
will ich jetzt nicht. Das geht mir zu weit.“ Unklarheiten kommen so
erst gar nicht auf. Kein erwachsener Wolf handelt nach dem
Motto: „Mal schauen, vielleicht, eventuell ...“ Und trotzdem verhält
er sich gegenüber Welpen liebevoll, besonnen, ruhig und
abgeklärt. Die Schnauze leckt, die Schnauze „straft“ – alles zu
seiner Zeit.
© Günther Bloch
© Günther Bloch
Das Spiel ist die Lernessenz des Lebens. Im Gegensatz zu den Behauptungen
vieler Fachleute, beteiligen sich auch Wolfseltern hin und wieder am
gemeinsamen Spiel mit ihrem Nachwuchs, wenn eine lockere Atmosphäre
herrscht und der Energiehaushalt gesichert ist. Im Spiel werden häufig aber auch
Bewegungsabläufe blockiert oder nicht gewünschte Gruppenbildungen aufgelöst.
Instinktives Jagdverhalten
Der Jagderfolg ist bei eigenmächtig handelnden Jungwölfen
aufgrund mangelnder Erfahrung gleich null. Laut D. Smith (2002)
liegt er nur bei 3%. Jungwölfe können die für ein gesundes Beutetier
typischen Bewegungsmuster nicht vom Erscheinungsbild eines
geschwächten (z.B. humpelnden) und somit von der Norm
abweichenden Tieres unterscheiden! Erwachsene beherrschen
diese Kunst perfekt. Selbst auf eine Distanz von mehreren hundert
Metern registrieren geschickte „Strategen“ Unstimmigkeiten im
Fluchtschema eines verletzten Huftieres. Gesunde Beutetiere lässt
man aus Erfahrung links liegen.
Wolfseltern schlagen bestimmt oft die Pfoten über ihren Köpfen
zusammen, wenn sie das planlose Anrennen ihrer halbstarken
Kinder auf ein gesundes Huftier beobachten. Den Wissensstand
eines Raubtieres, genetisch bedingtes, instinktives Jagdverhalten in
einem komplexen Zusammenhang gezielt umzusetzen, hat der
Schnösel noch nicht erreicht. Das dauert mindestens elf bis zwölf
Monate! Deshalb tragen Jungwölfe zum Jagderfolg eines „Rudels“
nicht viel bei. Sie verhindern ihn eher gelegentlich.
‣ Fallbeispiel
Hoch motiviert umkreiste mein damals schon anderthalb Jahre
alter Lieblingswolf „Yukon“ eine Hirschgruppe sage und schreibe
20 Minuten lang. Schließlich gab er erschöpft und mit
heraushängender Zunge auf. Dann bemerkte er völlig
fassungslos, dass sein Vater „Storm“ bereits eine kränklich
erscheinende Hirschkuh abgesondert und getötet hatte. Der Film
war längst gelaufen, wie man so schön sagt. Allerdings ohne den
Nebendarsteller Yukon.
Das sind die Lektionen, die juvenile Wölfe zu lernen haben. Das
sind die Lehrstücke, die Wolfseltern vorleben. Beim nächsten
Versuch heißt es dann: Besser aufpassen und gezieltes
Beobachtungslernen umsetzen!
‣ Wichtig
Das Führungsverhalten in Wolfsfamilien ist sehr komplex.
Wolfseltern, die nicht in jeder Lebenslage Führungsansprüche
anmelden, bleiben trotzdem „Rudelführer“!
© Carsten Heuer
Nach langen Jahren der Verhaltensbeobachtung wissen wir heute, dass die
Führung von Wolfsfamilien sehr individuell unterschiedlichen Lebensbedingungen
angepasst ist und deren Leittiere, wie Libero und Mittelfeldspieler eines
Fußballteams, als Dirigenten aus der Gruppenmitte agieren. Das Bild zeigt das
Leitweibchen (mit leicht erhobener Rute) und den Leitrüden der Jagdformation an
vierter bzw. fünfter Position (von links nach rechts).
Dominanz
Wenden wir uns als Nächstes dem neuen Lieblingswort der
bundesdeutschen Nation zu: „Dominanz“. Ich frage mich, warum so
viele Menschen diesen Begriff hauptsächlich in einen negativen
Kontext setzen. Durchsetzungsverhalten kann nämlich sowohl
positiv wie negativ sein. Drängt ein Wolfsvater alle anderen
Familienmitglieder in einer Gefahrensituation zur Seite, handelt er
aus Besorgnis und somit positiv dominant! Genau dieser positiven
Dominanz sollten wir Menschen uns im Tagesgeschehen bedienen,
wenn wir uns aus Sorge um unsere Haushunde in bestimmten
Lebenssituationen durchsetzen und Entscheidungen fällen. Will ein
Hund beispielsweise völlig unbedarft eine viel befahrene Straße
überqueren, müssen wir sein Handeln unterdrücken und
beherrschen, überlegen auftreten und uns „dominant“ verhalten.
Weiterhin möchte ich anregen, nicht in den Fehler zu verfallen, die
Begriffe „Dominanz“ und „Aggression“ gleichzusetzen. Der
Verhaltensbiologe U. Gansloßer (2002) stellte fest, dass es bei
Wölfen eine über lange Zeit stabile Dominanz gibt. Um aber keine
Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Termini „stabil“ und
„ständig“ dürfen keinesfalls verwechselt werden. Ich möchte
hinzufügen, dass genau diese Unsitte gerade in der Hundeszene
weit verbreitet ist und viele Hundebesitzer unnötig verunsichert.
Dominanzaggression
So entstand im Lauf der Jahre das Schlagwort
„Dominanzaggression“. Hundebesitzer berichten während eines
Gesprächs oft von ihrem „dominant-aggressiven Hund“. Wie bitte?
Diese angebliche Logik ist ein Widerspruch in sich! Wer tatsächlich
dominant ist, der setzt seine Interessenlage auch ohne
Aggressionsverhalten durch. Leider spricht auch H. Wachtel (2002)
in seinem „Buch vom Hund“ von Dominanzaggression. „Sollten
Hunde knurren oder nach dem eigenen Herrn schnappen“, geht es
seiner Meinung nach „um die Aufrechterhaltung oder Verbesserung
der Rangordnung“. Auch wenn ich Hellmuth Wachtel als den
herausragenden Genetiker Europas schätze, halte ich die obige
Aussage für zu pauschal. Aggression kann offensiv und defensiv
zum Ausdruck kommen. Sie kann im Zusammenhang mit Wut oder
Angst stehen und muss immer im individuellen und situativen
Zusammenhang gesehen werden. Natürlich braucht jeder Haushund
eine klare Rangeinweisung, wobei die Begriffe Rangordnung und
Rangbeziehung zu unterscheiden sind. Der Hundebesitzer ist sicher
falsch beraten, wenn er das vermeintlich dominant-aggressive
Verhalten seines Hundes ausgerechnet dann provozieren will, wenn
sein Vierbeiner Angst hat. Tut er es trotzdem, schmälert er eher die
eigene soziale Kompetenz. Deshalb tendiere ich dazu, Dominanz
und Angstaggression begrifflich strikt zu trennen. Wolfseltern
verhalten sich übrigens fast nie unsicher oder ängstlich. Sie sind
eher „cool“, um ein beliebtes neudeutsches Wort zu strapazieren.
Nur wer souverän auftritt, ist auch dominant. Wer versucht, sich
ständig dominant zu verhalten, verschwendet nicht nur Energie,
sondern scheint auch unter Furcht vor Machtverlust zu leiden.
Begriffserklärung „Dominanz“
Der Vater der Verhaltenstherapie Daniel Tortora schlussfolgerte
bereits 1977, also vor über zwei Jahrzehnten, dass
„Dominanzprobleme“ durch Signale von Wolf zu Wolf erledigt
werden. Dem stimme ich ausdrücklich zu und möchte hinzufügen,
dass auch Haushunde auf eine ausgefeilte Signalsprache
zurückgreifen und uns Menschen konsequenterweise stark
verhundlichen. Bei stabilen Rangordnungsverhältnissen reicht ein
fixierender Blick inklusive Stirnrunzeln völlig aus, um sich als
Leitrüde dominant durchzusetzen. Mir ist durchaus bewusst, hiermit
die Philosophie eines ganzen Hundeerziehungslagers ad absurdum
zu führen. Zur klaren Einordnung des Begriffs „Dominanz“ sollten wir
uns anschauen, wie er nach U. Gansloßer (2003) in der modernen
Verhaltensbiologie definiert wird:
1. Dominanz ist keine Eigenschaft und muss in einer
Zweierbeziehung getestet beziehungsweise erarbeitet werden!
2. Dominanz ist nicht mit Aggression gleichzusetzen – ein wirklich
dominantes Tier setzt seinen Willen auch ohne Aggression durch!
3. Dominanz beinhaltet das Vorrecht, ein bestimmtes Interesse
durchzusetzen, wann man dies will. Setzt sich ein Wolf gegenüber
einem anderen in ca. 80% der Fälle durch, ist er dominant. Die
restliche Zeit kann man es sich zeit- und situationsabhängig auch
leisten, auf dominantes Verhalten zu verzichten!
4. Leitwölfe demonstrieren „formale“ Dominanz durch Ruhe,
Abgeklärtheit und eine entsprechende Körpersprache vom
Imponieren bis zum Ignorieren!
5. Leitwölfe demonstrieren momentan ausgeübte Dominanz, indem
sie spontan zu einem Schnauzgriff ansetzen oder ein rangniedriges
Tier anspringen und auf den Boden drücken!
© Günther Bloch
© Günther Bloch
Ranghohe Bindungspartner achten bei ihren Streifzügen durchs Revier darauf, ihr
gemeinsames Auftreten und ihre akute Präsenz durch wechselseitiges Markieren
deutlich zu unterstreichen.
© Günther Bloch
Dabei markieren sie nicht – wie lange Zeit geglaubt wurde – hauptsächlich die
Territoriumsgrenzen, sondern viele konkrete Fixpunkte wie z.B. Weggabelungen,
Straßenunterführungen, Skiloipen, Flussüberquerungsstellen oder verschiedene
Lieblingsruheplätze.
© Günther Bloch
Rangniedrige Wölfe markieren nicht, sondern urinieren.
© Günther Bloch
Domestikation des Hundes
Ich kann daran nicht so recht glauben, gerade deswegen nicht, weil
die Reduktion von Fluchtverhalten gegenüber dem Menschen sogar
heute noch, trotz massivem Verfolgungsdruck, bei Wolf, Kojote oder
Fuchs sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Kojote und Fuchs gelten
als so genannte „Kulturfolger“, tricksen besonders in
Ballungsräumen beheimatete Menschen fast täglich aus und leben
auf Friedhöfen oder in U-Bahn-Schächten.
Wölfe zeigen ein sehr variables Fluchtverhalten und nähern sich
unserem Auto hier in Banff mitunter bis auf wenige Meter. Wahr ist,
dass all diese Canidenformen dennoch Raubtiere geblieben sind.
Untersuchungen von D. Feddersen-Petersen (1992), W. Herre und
M. Röhrs (1999) belegen eindeutig, „dass Canidae (Wolf, Schakal,
Kojote, Fuchs und Hund) sehr unterschiedliche
Gruppenkonstellationen formen. Die jeweils spezifischen
Rangordnungen unter Wölfen und Haushunden ähneln sich aber im
Gegensatz zu denen von Goldschakalen und Kojoten sehr!“
Der Dingo
Der lateinische Name Canis lupus dingo verrät, dass dieser
„Urhundetypus“, dessen Existenz man gemeinhin auf mindestens
5500 Jahre zurück datiert, vom Wolf abstammt. Ursprünglich in
Asien zu Hause und dort auch domestiziert, führte man den Dingo
vor ca. 4000 Jahren in Australien ein, wo er rasch wieder
verwilderte. Nach Ansicht des Hundepsychologen D. Tortora (1979)
„beachtet der Mensch normalerweise ein paar Eigenschaften und
ignoriert den Rest, wenn er ein Tier domestiziert“. Diese Aussage
macht absolut Sinn, wenn man bedenkt, dass bei der Domestikation
anderer Tierarten wie Schaf, Ziege oder Rind in der Vergangenheit
ähnlich verfahren wurde.
Wenn das „Grundmuster“ Hund generell ohne Manipulation des
Menschen, respektive nur durch natürliche Selektion entstehen
würde, müsste der Wildhund Dingo dieser Logik entsprechend alle
Fähigkeiten verloren haben, Rudelstrukturen und klare
Rangordnungsbeziehungen zu bilden, in koordinierter Jagdformation
Beutetiere zu erlegen und im Familienverband seinen Nachwuchs zu
versorgen. Dem ist aber nicht so: Die Familienbildung des wild
lebenden, ehemals domestizierten Dingos gleicht der des Wolfes.
Im Vergleich zu Wölfen verfügen Dingos über kleinere Schädel und
Zähne, die im Vergleich zu Haushunden aber wiederum größer sind.
Mit Ankunft der ersten Europäer in Australien um 1788, vermischte
sich der Hundebestand der Neusiedler mit wild lebenden Dingos.
Diese Dingo-Haushund-Hybriden führt man seither unter der
lateinischen Bezeichnung Canis lupus familiaris.
© Günther Bloch
Der Dingo ist auch heute noch in weiten Teilen Asiens (Thai Dingo, Vietnam
Dingo, Indonesischer Dingo, New Guinea Dingo) verbreitet und wurde sehr
wahrscheinlich in Thailand vor 10.000 bis 14.000 Jahren zum ersten Mal
domestiziert. Als Urahn des Dingos gilt der indische Wolf.
© Günther Bloch
Dingos versorgen ihren Nachwuchs wie Wölfe, und alle erwachsenen
Familienmitglieder würgen den Welpen Futter vor. Dingoeltern kommt wie
Wolfseltern ebenfalls eine Führungsrolle zu. Ihr Nachwuchs lernt, das
Verhaltensrepertoire der Leitbilder durch genaue Beobachtung zu kopieren und
sich so schrittweise zur Selbstständigkeit zu entwickeln. Im Hintergrund sieht man
die Leiter, über welche die Welpen zu klettern lernten.
© Peter Blanche
Die ersten Urhunde wurden in Nordamerika von „Natives“ (Indianern) zum Ziehen
von Lasten, zum Treiben von Beutetieren wie z.B. Bison, Karibu und Hirsch, zur
Bewachung von Lagerstätten und natürlich zu sozialen Zwecken genutzt. Auch
heute noch findet man in den arktischen Regionen des Kontinents sehr
ursprüngliche Hundetypen (Indian dogs), die in Aussehen und Verhalten dem Wolf
besonders stark ähneln.
‣ Das bedeutet
Beim Wolf handelte es sich vor etlichen tausend Jahren um ein
wenig scheues Tier mit geringer Fluchtintention, das den
Menschen hinsichtlich seiner sozialen Fähigkeiten eher tief
beeindruckte. Die Faszination, die von wild lebenden Caniden
ausgeht und die alle mir bekannten Wissenschaftler antreibt,
vergleichende Verhaltensforschungen durchzuführen, muss sich
wohl auch auf den „Urmenschen“ übertragen haben. Trotzdem
bleibt schwerlich vorstellbar, Urmenschen hätten bei der
Entstehung des Hundes gezielt auf Hängeohren, Ringelschwänze
oder präzise Fellfarben gezüchtet.
Den Menschen der grauen Vorzeit interessierte vornehmlich das
Wohlergehen seiner Kinder, zu „kess“ und aggressiv handelnde
Wölfe traf daher eher die Keule der Vernichtung. So isolierte man
sozial freundlichere Wölfe sexuell von wilderen Artgenossen und
selektierte kurz und bündig auf Verhalten!
In der Konsequenz scheint die Domestikation zum Haushund
(inklusive seines im Vergleich zum Wolf veränderten Aussehens
und Verhaltens) auf natürlicher und künstlicher Selektion zu
beruhen, was im Übrigen auch durch Untersuchungen an
Polarfüchsen in Sibirien dokumentiert wird.
Wolf und Hund sind keine unterschiedlichen Arten, sondern haben
ihr Verhalten nur an verschiedene Lebensräume angepasst.
Gemäß genetischem Code (DNA) sind sie enger miteinander
verwandt als mit Kojote und Schakal. Wolf und Hund sind keine
Rudeltiere im hierarchisch negativen Sinn (strikte Hackordnung).
Es sind gesellige und familienorientierte Rudeltiere, die über
durchaus vergleichbare Sinnesleistungen verfügen. Laut D.
Tortora (1979) „kann uns die Beobachtung von Wölfen einiges
über das Verhalten des heutigen Hundes lehren“. Wolf wie Hund,
wobei hier auch ein direkter Zusammenhang zu Schensi- und
Dorfhunden besteht, sind mehr oder weniger alle territorial. Sie
unterhalten innerhalb ihres losen – oder aufgrund exklusiver
Bindungsverhältnisse gefestigten – Familienverbandes soziale
Rangbeziehungen, die eine Ressourcenverteilung
unterschiedlicher Gewichtung beinhalten. Diese Erkenntnis ist für
unser Verständnis des Haushundeverhaltens sehr wichtig, um
einerseits den Geselligkeitsdrang des Hundes zu Artgenossen
und Menschen zu erklären, andererseits aber zuzugestehen, dass
viele Haushundetypen keine ausnahmslosen Nahrungsabstauber,
sondern jagdfreudige Caniden geblieben sind. Es mag uns in den
Kram passen oder auch nicht: Wolf und Hund sind allen
Unkenrufen zum Trotz vergleichbar, besonders in Bezug auf ihre
gemeinsame Jagdpassion, wie uns täglich tausende Exemplare
der Subspezies Canis vagabundus eindrucksvoll vor Augen
führen.
Mensch und Hund im modernen
Zeitalter
Soziallebewesen Hund
Der hoch zivilisierte Mensch hält heutzutage in erster Linie
Haushunde und hat mit spezialisierten Arbeitshunden relativ wenig
am Hut. Leider geht der Mensch davon aus, man könne die
Grundbedürfnisse eines jeden Hundetypus problemlos abdecken
und bedenkenlos auf ein gemeinsames Zusammenleben im
Hausstand übertragen. Dabei wird vergessen, dass auch
Haushunde einer unglaublich hohen Variabilität unterliegen und nicht
alle mit einem einheitlichen „Verhaltensblock“ daherkommen.
Natürlich: Haushunde sind mit der gleichen sozialen Kompetenz
ausgestattet wie Wölfe und daher grundsätzlich bestens geeignet,
mit uns Menschen ein geselliges Leben zu führen. Objektiv
betrachtet sind Haushunde weit mehr als vom Menschen abhängige
„große Babys“. Die Tendenz des Hundes, zeitlebens sein kindliches
Wesen beizubehalten, hilft dem Menschen, eng mit ihm
zusammenzuleben.
Egal ob Wolf, Mensch oder Hund: Allein gelassen ist jedes
Soziallebewesen ein Außenseiter. Für den Hund ist es am
wichtigsten, Mitglied einer Lebensgemeinschaft zu sein, nämlich
unseres „gemischten“ Familienverbandes. Menschen sind zwar
keine Hunde, aber für den Hund das nächstbeste Soziallebewesen.
Junge Hunde sind, wie alle heranwachsenden Caniden, von Natur
aus unterordnungsbereit, sehen den Menschen jedoch nicht als
Hund an. Laut D. Feddersen-Petersen (1992) „wissen Hunde sehr
wohl zwischen Artgenossen und dem Sozialpartner Mensch zu
unterscheiden“. Trotzdem entwickeln sie grenzenloses Vertrauen
zum Menschen. Werden wir Menschen diesem besonderen
Vertrauen gerecht?
Anstatt unsere Hunde zu vermenschlichen, sollten wir zumindest
versuchen, uns so gut wie möglich zu „verhundlichen“. Dazu gehört,
analog dem vielschichtigen Kommunikationssystem aller Caniden,
Körpersignalen Beachtung zu schenken. Es ist ein weit verbreiteter
Irrglaube, Haushunde verfügten über keinerlei Fähigkeiten,
freundlich gestimmte Körpersignale (Lächeln, sanfter Blick,
entspannte Körperhaltung) von unfreundlichen (strenger Blick,
Stirnrunzeln, Imponiergehabe) unterscheiden zu können. Beide
Signalgebungsformen entfalten ihre Wirkung und funktionieren
bestens. Immer vorausgesetzt, dass der Mensch die
Verhältnismäßigkeit der angewandten Signalmittel klug abwägt.
Vergleichende Verhaltensforschung
So besteht z.B. ein großes Verständnis zwischen Mensch und Hund
auf der Arbeitsebene, nämlich dort, wo der Hund verschüttete
Menschen anzeigt, Blinde führt und Behinderten oder Kranken hilft.
Trotzdem fällt es uns Deutschen schwer, auch Haushunde als
Nutztiere anzusehen. Neben dem vor allem in mediterranen Ländern
weit verbreiteten Streunertum, bis hin zum völlig verwilderten Status,
findet man in weiten Teilen Europas noch heute kleinwüchsige
Hundeschläge, die man in Dorfsiedlungen als Klingelersatz, also als
Alarmauslöser, oder als Ungeziefervertilger hält. Ray Coppinger und
ich nennen sie „Vordertür-Bellhunde“ und beschreiben damit die
typische Funktion dieser Tiere. Das Vertilgen von Mäusen und
Ratten klappt nicht ohne die wölfischen Grundeigenschaften des
Aufspürens, Verfolgens und Totschüttelns von Beutetieren. Wer
primär Kleinbeutetieren nachstellt, braucht nicht im Verband zu
jagen, was aber keineswegs exklusiv haushundtypisch ist. Im
Gegenteil: Wir beobachten seit Jahren Jungwölfe, die nicht im
„Rudel“ jagen, und Hunde, die zumindest relativ koordiniert
gemeinsam Schafe hetzen und auch töten. Genau diese dumme
Jagdeigenschaft des Haushundes, der nicht wie ein halb verwilderter
Dorfhund nur auf den angefaulten Apfel oder andere vom Menschen
bereitgestellte Nahrungsressourcen wartet, bringt so manchen
Anhänger der „Hunde-sind-keine-Wölfe-Theorie“ an den Rand der
Verzweiflung. Wohlgemerkt: Das Verhalten von Wolf und Hund
gleichzusetzen wäre unsinnig, aber man muss es vergleichen, um
Unterschiede wie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Gottlob hat
die vergleichende Verhaltensforschung in unserem Land eine lange
Tradition (Trumler, Herre, Röhrs, Tembrock, Zimen), wird derzeit von
D. Feddersen-Petersen weiterentwickelt und durch unsere
Freilandbeobachtungen ergänzt, sodass man nicht auf
Spekulationen, wie sie viele Hundetrainer betreiben, angewiesen ist.
Man darf gespannt sein, welche Forschungsergebnisse die Zukunft
noch bereithält.
Was weder Dorfhund, Straßenhund noch Haushund verdient haben,
ist, „ausnahmslos an die emotionale Kette des Menschen gelegt zu
werden“, wie E. Zimen (1986) die neue Form der Machtausübung in
Richtung Hund treffend bezeichnet. Eines sind und werden Hunde
nämlich nie: bessere oder schlechtere Menschen.
‣ Info
Hunden ist Rache fremd, sie plagt kein schlechtes Gewissen. Sie
wissen nichts von Anstand, Dankbarkeit oder „Fairplay“. Hunde
leben im Heute und Jetzt. Nach D. Feddersen-Petersen (1987)
„werten Hunde ihr Handeln sicher nicht auf der Stufe eines Über-
Ichs, sie gehorchen keinen mehr oder weniger selbst
geschaffenen Moralgesetzen“. Das heißt natürlich nicht, dass wir
Hunden Gefühle absprechen sollten, die sie uns zweifelsohne im
täglichen Miteinander zeigen. Hunde empfinden sicherlich Freude,
Lust und Trauer.
Anpassung an Lebensräume
Die Tierärztin und Therapeutin Felicia Rehage (2000) schrieb: „Er
(der Hund) denkt in durchaus autoritären Kategorien und hält rein
gar nichts von unserer viel beschworenen Demokratie.“ Wir
Menschen werden wohl oder übel nicht darum herumkommen, die
Andersartigkeit des Hundes akzeptieren zu lernen.
Carl von Weizsäcker sagte kürzlich: „Bevölkerungszuwachs und
technische Veränderungen haben das Gleichgewicht der Natur, in
der wir leben, aus den Angeln gehoben.“ Der Mensch, der sich
selbst für die Krönung der Schöpfung hält, hat zu diesem
Ungleichgewicht gehörig beigetragen. Dabei bleibt fraglich, welche
Gesellschaftsform des Menschen sich auf unserer Erde langfristig
durchsetzen wird.
Menschen leben sowohl in Großfamilien als auch in
Singlehaushalten. Sie leben als Jäger und Sammler oder wohnen in
Hochhausappartements. Sie verfügen über hoch technisierte
Gerätschaften oder führen ein „primitives“ Leben. Trotzdem zählen
wir alle Vertreter zur gleichen Spezies: Homo sapiens. Das ist,
genau wie beim Vergleich von Wolf und Hund, auch richtig. Ein
Verhaltensinventar begründet sich auf Anpassungsprozesse an
unterschiedliche Lebensräume. Es werden nicht automatisch neue
Arten kreiert, nur weil sich Verhaltensstrategien unterschiedlich
darstellen. Beobachtet man z.B. Bussarde, die in unseren
Breitengraden tagelang auf Baumwipfeln in direkter Nähe zu
Autobahnen hocken, bis sie sich auf ein im Autoverkehr
umgekommenes Beutetier stürzen, können wir von einer neuen
ökologischen Nische sprechen, an die sich Bussarde angepasst
haben. Handelt es sich beim „Autobahn-Abstauber-Bussard“ aber
um eine neue Art? Wohl kaum.
So bleibt zu hoffen, dass sich weltweit letztlich auf lange Sicht der
Menschentypus durchsetzt, der unser aller Natur schonend
behandelt. Der Haushund sitzt mittendrin im Dilemma. Auch für ihn
bleibt zu hoffen, dass der extrem überbetonte „Modetypus“ nur eine
Zeiterscheinung bleibt und sich der Mensch darauf besinnt, die
Gesundheit des Hundes nicht ganz und gar aus dem Auge zu
verlieren.
‣ Das bedeutet
Menschen unterscheiden sich, ebenso wie Wölfe oder Hunde,
individuell und durchlaufen unterschiedliche
Verhaltensentwicklungen, die vom jeweiligen Lebensraum
abhängen. Verhalten ist nicht nur genetisch bedingt, sondern steht
vielmehr in einem unmittelbaren Zusammenhang mit
Lernerfahrungen. Mit einer Verallgemeinerung ihres Verhaltens
wird man keiner Spezies gerecht.
Die „moderne“ Mensch-Hund-Beziehung unterscheidet sich
deutlich von der Lebensweise, welche Naturvölker und deren
Hunde führen. Von ihnen können wir lernen, wie man ein
geselliges Zusammensein organisiert und dem Hund gleichzeitig
jenen Verhaltensspielraum lässt, den er braucht, um „glücklich“ zu
sein. Hunde zu lieben heißt nicht, sie ein Leben lang hofieren zu
müssen.
Sinnesleistungen von Mensch, Wolf
und Hund
Geräusche
Mit seinen akustischen Sinnesleistungen erkennt der Hund eine
herannahende Gefahr lange vor uns Menschen. Mit seinem Gehör
kann er etwa dreimal so weit entfernte Geräusche wahrnehmen.
Dank dieser Art Frühwarnsystem bleibt dem Hund genügend Zeit,
eine Gefahr abzuwenden, auch wenn nur er diese Situation als
gefährlich einstuft. Oft hält der Mensch die gleiche Situation für völlig
ungefährlich, obwohl der Hund sicher ist, „seine“ Familie wieder
einmal gerettet zu haben.
Kommentar des Menschen: „Halt die Klappe, da ist doch gar nichts.“
Laut dem Verhaltenspsychologen Desmond Morris (1986)
„unterscheiden Wolf und Hund Tonhöhen, die nur ein achtel Ton
auseinander liegen“. Für Hunde stellt es überhaupt kein Problem
dar, individuelle Motorengeräusche eines Autos, das Schleifen eines
Getriebes oder das unregelmäßige Laufgeräusch eines Keilriemens
akustisch einzuordnen. Ihre Ohren arbeiten permanent und ihr
Gehör nimmt vor allem hohe Frequenzen im Ultraschallbereich wahr.
Die Fähigkeit, selbst entfernte Geräusche so wahrzunehmen, als
kämen sie aus unmittelbarer Nähe, lässt den Hund im Vergleich zum
Menschen in einer anderen akustischen Welt leben.
Kommentar des Menschen: „Der Hund muss übersinnliche Kräfte
besitzen, denn er weiß ganz genau, wann Papa nach Hause
kommt.“
Mein Laikarüde stoppt oft inmitten eines Spaziergangs, um nach
offensichtlich akustisch präziser Ortung seinen Kopf zu drehen und
danach zum zielgerichteten Mäusesprung anzusetzen. Die
Fehlversuche seiner Jugendzeit (vergleichbar dem juvenilen
„Schnösel“ Wolf) gehören der Vergangenheit an. Jasper ist
erwachsen und somit „Mäusefangprofi“. Generell ortet der Jäger
Hund z.B. das Quietschen einer Maus oder Ratte in weniger als
einer Hundertstelsekunde!
Kommentar des Menschen: „Mein Hund hört nicht.“
© Günther Bloch
Gerüche
Auch die geruchlichen Sinnesleistungen von Wolf und Hund bleiben
uns Menschen weitestgehend unbegreiflich. Selbst dösende Hunde
nehmen noch Gerüche wahr, die sogar hoch empfindlicher
Wissenschaftstechnik entgehen. Wir Menschen verfügen über rund
fünf Millionen so genannter Geruchsrezeptoren, unsere Hunde nicht
selten über 200 Millionen! Würde man die sich durch die Hundenase
ziehenden Membranen flach ausbreiten, kämen wir auf eine
Gesamtfläche von 7m². Hier ist ein Vergleich zum Menschen schon
fast erschreckend, denn wir haben gerade einmal lächerliche 0,5 m²
aufzuweisen.
Während ein Hund umherschnüffelt, sammeln sich laut dem
Verhaltenstherapeuten Peter Neville (1989) „die unterschiedlichsten
Gerüche auf der Knochenplatte seiner Nase, wo sie dann präzise
getestet werden.“ Hunde nehmen wahre Massen an Duftnoten wahr,
wobei manche nach Filterung geradezu überwältigende Resultate
erzielen. Lassen wir den Hund im Haus zurück, weiß er nach
Rückkehr anhand ganz spezieller Gerüche genau, wo wir gewesen
sind und welchen anderen Hund wir eventuell getroffen haben.
Esoterik ist – wie könnte es auch anders sein – nicht im Spiel!
Küchengerüche und Speisereste wirken auf den Opportunisten Hund
unwiderstehlich. Gibt es bei kurzer Abwesenheit des Menschen
etwas abzustauben, nutzt er die günstige Gelegenheit und stiehlt.
Kommentar des Menschen: „Sei schön brav“.
Dreht der Hund seine Nasenflügel, ist er problemlos in der Lage,
einer Spur sogar aus der Bewegung heraus zu folgen. Er riecht platt
getretene Mikroben bzw. folgt mikroskopisch kleinen Hautfetzen, die
Beutetiere zuvor abgestoßen haben. Vor ihm liegt ein exakt
markierter Pfad, dem es durch alle Wirrungen und Ablenkungen über
gefilterte Gerüche zielstrebig zu folgen gilt.
Kommentar des Menschen: „Zu Hause ist der Hund immer brav,
aber ich weiß nicht, warum er draußen so aufgeregt ist.“
Bewegungssehen
Die visuellen Sinnesleistungen von Wolf und Hund umfassen primär
Bewegungsmuster. Während Geräusche und Gerüche zur jeweiligen
Orientierung und zum Aufspüren von Beute dienen, kommen viele
Hunde erst „richtig in Fahrt“, wenn eine Bewegung ihr Gesichtsfeld
kreuzt. Zwar sieht ein Hund weniger scharf, jedoch kann er
bewegliche Objekte zehnmal besser wahrnehmen als der Mensch.
Die Augen des Hundes sind auch in der Morgen- und
Abenddämmerung (bei kaum vorhandenem Licht) zur Jagd gut
geeignet. Unter solchen Gegebenheiten öffnen sich die Pupillen
extrem weit und passen sich somit der geringen Lichtstärke an.
Reflektierende Kristalle auf der Hinterseite der Augäpfel fangen nun
kleinste Lichtstrahlen ein, und alle ankommenden Informationen
werden mithilfe des feinen Geruchssinns kombiniert. D. Vaughan
(1991) fand heraus, „dass Hunde nicht, wie vielfach angenommen,
nur in einer Schwarzweißwelt leben, sondern für sie die Farben Blau,
Indigo, Violett und Rot gut sichtbar sind.“ Das Gesichtsfeld des
Hundes ist zudem um ca. 70 % breiter als das unsere!
Kommentar des Menschen: „Der Hund sieht nicht, wer an der Leine
ruckt.“
© D. Vaughan
Wolf und Hund sehen ihre Umwelt nicht einfach nur schwarzweiß. Ihre visuelle
Welt ist mit der Sichtwelt von an Deuteranopie, einer Form der so genannten
Rotgrün-Blindheit, leidenden Menschen vergleichbar. Diese Krankheit bedeutet
eine eingeschränkte Farbwahrnehmung mit nur zwei Zapfentypen, steht jedoch
immer noch im Gegensatz zur völligen Farbblindheit. Bei vollständig farbenblinden
Menschen ist ausnahmslos nur noch ein Zapfentyp vorhanden.
Grundlagen für die Haltung und
Erziehung
Haltung von Haus- und
Familienhunden
Moderner Hundeerziehung
Wie schon erwähnt, ist der Hundeinteressent heutzutage zu
bedauern, weil er hinsichtlich der „richtigen“ Erziehung von
Haushunden mit vielfältigen Ansichten konfrontiert wird. „Das darf
man nicht“, respektive „So musst du das machen“, hört man in
verallgemeinernder Form ständig und immer wieder.
Deshalb möchte ich mit einem extrem wichtigen Zitat von D.
Feddersen-Petersen (1992) beginnen: „Den Haushund gibt es nicht,
das Hundeverhalten ebenso wenig!“
Vor ein paar Monaten erklärte ich mich bereit, an einem
Gesprächsforum im Internet teilzunehmen, um den Inhalt dieses
Buches zu erörtern. Anstatt Fragen zu stellen, die ich seit
Jahrzehnten gern beantworte, brach unter den Teilnehmern ein
heftiger Streit aus, ob „der Bloch“ nun unter der Rubrik „Hardliner“
oder „Softie“ einzuordnen sei. Als großer Verfechter der
individuellen Hundeerziehung erübrigte sich für mich eine solche
Scheindebatte.
Eine Diskussionsteilnehmerin merkte an: „Dominanz, was ist das?
Kann man die essen?“
Bei aller Begeisterung für scherzhafte Einlagen (ich bin schließlich
Rheinländer) gab es eigentlich nur festzustellen, dass es in der
Hundeszene leider oft nur um reine Provokation und Grabenkriege
geht, nicht aber um den Austausch sachlicher Argumente. An dieser
Stelle möchte ich nochmals mein Argument unterstreichen, dass
Dominanz nicht mit einer „Hackordnungsorientierung“
gleichzusetzen ist, sondern vielmehr in einer Beziehung zwischen
Individuen erarbeitet wird. Viele Menschen verfallen dem Irrglauben,
eine Grup-penkonstellation (egal ob es sich um eine Wolfsfamilie
oder eine gemischte Mensch-Hund-Familie handelt) komme ohne
Rangbeziehungen – respektive dominantes Handeln von Individuen
– aus. Wie aber soll ein Zusammenleben in der Gruppe möglich
sein, wenn jedes Familienmitglied gleiche Rechte hat und macht,
was es will? Unabhängig davon, ob wir den Haushund nun als
klassisches „Rudeltier“ ansehen oder nicht, wobei mir die Definition
„dem Menschen untergeordnetes Familienmitglied“ erheblich lieber
wäre, können wir im täglichen Zusammensein nicht auf ein
akzeptables Regelwerk verzichten. Diese kleine Anekdote zeigt
deutlich, wie zerstritten die bundesdeutsche Hundeszene wirklich ist.
Autorität – Antiautorität
Um nicht noch mehr Öl in die heißgelaufene Debatte zu gießen,
möchte ich Hundehaltern mit Vorlage dieses Buches die Möglichkeit
eröffnen, einen Überblick über verschiedene
Hundeerziehungsmethoden zu erhalten. Dabei wird der Leser
allerdings vergeblich nach Rechtfertigungstheorien für eine
autoritäre oder antiautoritäre Hundeerziehung suchen. Der Ansicht
E. Zimens (1998) folgend „führen beide pauschal angewandten
Erziehungsformen nicht zum gewünschten Ziel.“ Auch ich lehne
beide Extrempositionen strikt ab, weil:
‣ ständig herumkommandierte und kontrollierte Hunde dazu neigen,
in soziale Isolation zu geraten und die Bindungsbereitschaft zum
Menschen deutlich zu reduzieren;
‣ sich Hunde, die kein präzises Regelwerk kennen gelernt haben
und die man nur „liebt“, hemmungslos und inakzeptabel verhalten!
Als ich meine „Karriere“ beim SV (Schäferhundeverein) Mitte der
Siebzigerjahre begann, und noch der Meinung war, „Alphawolf“ zu
sein, herrschte primär nur eine Ausbildungsmethode vor: Hunde
müssen Respekt haben. Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Hund
(möglichst mittels Stachelhalsband) massiv unterzuordnen und
unbedingt in Zwingern zu halten, damit er gut arbeitet. Die oft
heraufbeschworenen guten alten Zeiten waren alles andere als gut,
denn viele Hunde wurden von der Außenwelt mehr oder weniger
isoliert und dienten dem Menschen als Sportgerät. Nichts gegen
Hundesport im besonnenen Maße, aber Hunde in Zwinger zu
sperren, anstatt sie am normalen Familienleben teilhaben zu lassen,
wirkt sich nicht gerade selten negativ auf sie aus.
Artgerechte Haltung
Heute, fast 20 Jahre später, gestaltet sich die Erziehung von
Haushunden leider noch komplizierter. Viele angeblich
„verhaltensgestörte“ Exemplare sind zu verhätschelten Luxuswesen
vereinsamter Menschen degradiert. Je nach Gemütslage reden
Menschen mit ihren Hunden unaufhörlich (was okay ist, solange
man weiß, dass nur die Stimmungslage übertragen wird), handeln
oft übertrieben emotional, ausgesprochen wechselhaft und
ungleichmäßig. Will der Hund nicht „Aa machen“ oder „Taita“ gehen,
folgt sogleich die Erklärung: „Er weiß genau, dass er etwas falsch
macht, er will mich jetzt nur ärgern.“
Laut D. Feddersen-Petersen (1992) „entsteht vielfach der Eindruck,
Problemhunde werden benötigt, um ihren Besitzern das Gefühl zu
vermitteln, gebraucht zu werden.“ So muss der Hund neben vielen
anderen – nicht selten fragwürdigen – Gründen auch noch dazu
herhalten, seinem Besitzer eine Daseinsberechtigung zu statuieren.
Anstatt dem Hund konsequent den schmalen Grat zwischen
notwendiger Erziehung und persönlichem Freiraum aufzuzeigen,
wird dessen Behandlung pauschal mit Begriffen verknüpft wie
„Spaß“ oder „Lust“.
Wo bleibt der biologische Begriff der Artgerechtigkeit?
F. Rehage (2000) sagt dazu: „Nur wenn der Mensch in der Rolle als
„Über-Hund“ versagt, entstehen mancherlei Verwirrung und
Missverständnis, nur dann entwickelt sich ein Tier zum Beißer.“
So sollte es heute möglich sein, unerwünschte und inakzeptable
Verhaltensweisen des Hundes gegebenenfalls zu ignorieren oder
ohne „moralisch-ethische“ Bedenken durch Abbruchsignale zu
stoppen, trotzdem aber nicht als „Tierschänder“ zu gelten. Es sollte
auch möglich sein, Haushunde nicht andauernd durch einen wahren
„Kontrollwahn“ zu liebenswerten, jedoch verblödeten Maschinen
verkommen zu lassen. Hunde müssen für uns mehr sein als ständig
manipulierte Wesen, die nur hinter uns herlaufen und auf jeden
Augenschlag achten.
Seien wir ehrlich: Es ist die Ironie des Schicksals hoch technisierter
Menschen, sich nach einer heilen harmonischen Welt zu sehnen, um
ihre Entfremdung von der vermeintlich disharmonischen Natur
verdrängen zu können. Außerdem steht fast jeder Mensch unter
dem Einfluss von Alltagsstress oder persönlicher Schicksalsschläge.
Auch Menschen sind keine Roboter, ihr emotionales Innenleben
unterliegt deutlichen Schwankungen und ihnen, zur
Verhaltenskorrektur von Hunden, komplizierte langatmige
Hausaufgaben aufzuerlegen endet meist in Frust und überfordert
sie. Meistens reicht es aus, Menschen ein paar Tricks zu verraten,
deren Anwendung Hundeverhalten punktuell so korrigiert, dass
beiden damit gedient ist. Mit der Zeit verfügt der gut unterrichtete
Hundebesitzer so über eine Art Trickkiste, in die er greifen kann,
wenn ein bestimmtes Verhaltensproblem ansteht.
‣ Info
Ein „artgerecht“ lebender Haushund braucht zur Befriedigung
seiner körperlichen und geistigen Bedürfnisse regelmäßigen
Freilauf, Kontakt zu Artgenossen und einen verlässlichen
Sozialpartner Mensch, der ihm einen klaren Handlungsrahmen
vorgibt, innerhalb dessen er sich selbstständig verhalten darf.
Ressourcenverteilung zwischen
Mensch und Hund
Wettbewerb um Ressourcen
Das „böse Biest“ Wolf, das angeblich Menschen frisst, mit unseren
treuen und anhänglichen Begleitern in direkte Beziehung zu setzen
fällt vielen Menschen schwer, besonders im Hausstand. So schreibt
R. Coppinger (2003): „Es wird geraten, uns wie Rudelführer zu
benehmen und unsere Hunde wie rangniedrige Tiere zu behandeln.
Hunde können aber nicht wie Wölfe denken, weil sie nicht das
Gehirn von Wölfen haben.“
Mag sein. Daraus aber abzuleiten, Hunde bräuchten keine
Rangeinweisung, halte ich für ausgesprochen gefährlich. Der Hund
geht mit dem Menschen eine Bindung ein, begibt sich demnach also
in ein Abhängigkeitsverhältnis. Von jemandem abhängig zu sein
beinhaltet wiederum die Notwendigkeit, Rangbeziehungen zu
unterhalten, um herauszufinden, welche Ressource man zeit- und
situationsbedingt kontrolliert. Persönlicher Freiraum stellt für jedes
Familienmitglied eine wichtige Ressource dar. Um zu erkennen, wie
viel persönlichen Freiraum man sich innerhalb einer
Gruppenkonstellation erlauben kann, bedarf es der Überprüfung
momentanen Dominanzverhaltens. Auch H. Wachtel (2002) stellt
fest: „Ohne die – richtige – Rangordnung geht gar nichts. Der Hund
muss seinen Menschen als ihm übergeordnet anerkennen.“
Im Vergleich zum Wolf zeigt der Haushund genetisch ausgeprägte
Verhaltensveränderungen. Wer wollte das bezweifeln? Der
domestizierte Wolf ist (theoretisch) „führig“ geworden. Der Mensch
deckt alle seine biologischen Grundbedürfnisse ab und stellt neben
Nahrung ein behagliches, gefahrloses Zuhause zur Verfügung.
Und trotzdem: Bei der Auseinandersetzung um Ressourcen
unterscheiden sich Wolf und Hund augenfällig nur hinsichtlich ihres
Lebensraumes. Auch die Gesellschaftsform des Menschen
beinhaltet des Öfteren mannigfaltige Verteilungskämpfe um
Ressourcen: Da wird getrickst, gestritten, geschauspielert,
manchmal dreist ignoriert oder – wenn notwendig –
Statusbezogenheit demonstriert.
Nach Jahrzehnten der Selektion und frühkindlichen Prägung auf den
Lebensraum „Hausstand“ müssen wir das Verhaltensrepertoire des
Haushundes auch als genetisch fixierten Anpassungsprozess
begreifen, sodass Mensch und Hund im Haus in einer Art
Wettbewerb leben. Da Wettbewerb in direktem Zusammenhang mit
Rangbeziehung und Bindungsbereitschaft steht, kann das
Sozialverhalten des Haushundes kaum als nicht rangorientiert
bezeichnet werden.
Laut U. Gansloßer (2003) „versucht ein Tier sich nicht zum Wohle
der eigenen Art zu erhalten, sondern möglichst viel eigene Gene an
die nächste Generation weiterzugeben.“ Wer will ausschließen, dass
die Neigung von Hunden, Ressourcen abzugrenzen, zu horten oder
gegebenenfalls zu verteidigen, nicht auch vererbt wird?
Natürlich ist jede Mensch-Hund-Beziehung einmalig und deshalb
individuell zu betrachten. Hunde sind ausgesprochen lernfähig,
flexibel und anpassungsfähig. Dem Menschen gegenüber zeigen sie
sich grundsätzlich aufgeschlossen, freundlich und
unterordnungsbereit. Und das, obwohl sie mit Leckerbissen
verwöhnt werden, während des Fernsehabends auf dem Schoß
sitzen, im Garten grabend nach dem Mittelpunkt unseres Planeten
suchen und nachts im Schlafzimmer wohl behütet ihre Beine in die
Luft strecken. „Welcome“, Haushund, im Schlaraffenland!
© Cristof Salata
© Günther Bloch
Die meisten Haushunde sind völlig überfüttert, wodurch der Mensch eine gute
Gelegenheit verpasst, ihre Aufmerksamkeit durch die geschickte Einteilung der
täglichen Futterration auf sich zu lenken. Ein Wolf frisst, im Gegensatz zu den
Argumenten vieler Jäger, die seit Jahrzehnten das Aussterben von Huftieren wie
Hirsch, Wildschwein oder Reh durch zu gefräßige Raubtiere anprangern
(angeblich werden 3 bis 4 kg Fleisch pro Tag und Wolf verspeist), im Durchschnitt
nur 1,5 kg Fleisch pro Tag. Diese absolut realistische Kalkulationsgrundlage
basiert auf unseren Studienergebnissen, wonach Abstauber wie Marder, Füchse,
Kojoten, Raben, Adler und andere Tiere immerhin etwa die Hälfte eines durch
Wölfe getöteten Beutetieres konsumieren. Haushunde brauchen also wesentlich
weniger Nahrung, als man gemeinhin annimmt. Durch die gemeinsame Jagd der
Wölfe entsteht eine enge Bindung zwischen den Leittieren.
‣ Das bedeutet
Ein Leittier mit Überblick nimmt „gutes“ Benehmen zur Kenntnis
und bekundet damit sein Interesse am sozialen Miteinander!
© Daniela Sommerfeld
Beim Versuch, ein unerwünschtes Verhalten durch ignorantes Auftreten
„auszulöschen“, kommt es erfahrungsgemäß während des Trainingsablaufs zu
einer spontanen Erhöhung des Fehlverhaltens, bevor die nun nicht mehr
verstärkten Reaktionen des Hundes allmählich ganz ausbleiben. Die Umsetzung
von gezielter Ignoranz verlangt vom Hundebesitzer viel Geduld und vor allem
Beharrlichkeit.
Rassetypische Verhaltensbesonderheiten
© Günther Bloch
Herdenschutz- und Hütehunde zählt man verallgemeinernd zu den Hirtenhunden,
was trotz ihrer unterschiedlichen Verhaltenstendenzen zu Verwechslungen führt.
Hütehunde zeigen gegenüber Schafen oder Ziegen starkes Fixieren und
beeinflussen das Verhalten von Nutztieren durch Hüten oder Treiben auf
Anweisung des Menschen. Herdenschutzhunde zeigen kaum Anpirschverhalten,
bewegen sich bedächtig fort, sind nach umsichtiger Sozialisation integraler
Bestanteil von Nutztierherden und schützen diese vor Raubtierattacken durch
Luchs, Bär oder Wolf.
‣ Info
„Taxis ist eine willensunabhängige Handlung. Das Tier muss tun,
was es tut, sein genetisches Programm lässt ihm keine
Alternative.“
Fallbeispiele
Beispiel 1 Das Fallbeispiel eines schottischen Collies, dessen
ständiges Bellen man über zwei Jahre auf Hundeplätzen und in
privaten Hundeschulen über Unterordnungsübungen mit
Stachelhalsband, ja sogar unter Einsatz eines Elektroschockgerätes
beeinflussen wollte, beweist die sorglose Nichtbeachtung
rassespezifischen Verhaltens: Herrchen und Frauchen mit Kindern
ließen während regelmäßiger Spaziergänge größere Distanzen zu,
der kläffende Collie war nur bemüht, die eigentlich
zusammengehörige Einheit zusammenzubringen und zu hüten. Ich
empfahl damals die Einführung kompakt gestalteter
Gruppenspaziergänge. Und siehe da, das Bellverhalten des
„verhaltensgestörten“ Hütehundes reduzierte sich drastisch. Ohne
Einsatz von Hilfsmitteln!
‣ Tipp
Schaffen Sie beim Erlernen von Hörzeichen konkrete
Verknüpfungen (z.B.: Der Hund ist im Begriff zu kommen =
verbale Aufforderung „Komm“), dann klappt es mit dem
Gehorchen zwar nicht immer, aber immer öfter.
Auch wenn der Urin des Hundes laut D. Morris (1986) „voller
Sexualhormone steckt und kleinste Spritzer Artgenossen über
jeweilige Stärke und Rang aufklären“, sollte man diese wirkungsvolle
Art der Informationsaufnahme oder -abgabe jedem Hund
grundsätzlich gestatten. Ich erinnere nochmals an die Möglichkeit,
Markierungsverhalten auch als Ausdruck sozialer
Zusammengehörigkeit zu erkennen. Im Zweifelsfall ist ein Fachmann
zurate zu ziehen, der dreistes „Dominanzpinkeln“ von
Bindungsbereitschaft unterscheiden kann! Das Markierverhalten des
Hundes ist nun einmal aus unterschiedlichen Perspektiven zu
betrachten und falsche Rückschlüsse führen nur allzu leicht zu
falschen Erziehungsratschlägen.
Das Markierverhalten des Hundes wird von sehr unterschiedlichen Motivationen
gesteuert. Auch wenn es unter anderem der Abgrenzung von Ressourcen wie z.B.
Nahrung dient, zeigen die meisten Hunde im interaktiven Bereich harmloses
Ritual-Markieren, was ihrer gegenseitigen Verständigung förderlich ist und
keinesfalls durch den Menschen beeinflusst werden sollte. Menschen befürchten
ein grundsätzliches Dominanzproblem, wenn ein Hund z.B. ihre Kleidung völlig
automatisiert über Urin markiert, obwohl er sich oft nur durch die Fremdgerüche
anderer Hunde magisch angezogen fühlt und die Ranghoheit der „angepinkelten“
Person überhaupt nicht in Frage stellen wollte.
‣ Tipp
Jeder Hundebesitzer sollte auf seine eigenen Körpersignale (und
die von Mitmenschen) achten und muss das Ausdrucksverhalten
seines Hundes zumindest grob umrissen deuten können, bevor er
Körperhaltungen, Bewegungen und Ausdrücke aus dem
Mimikbereich einem bestimmten Verhalten zuordnet.
Beschwichtigungssignale
Auch bei dem dominanten Hund mit ständig aufgerichteter Rute
handelt es sich um ein Märchenwesen. Wäre dem so, müssten
Hunde mit Ringelruten, die ja damit ihre angebliche
(Dauer-)Dominanz demonstrieren, aufgrund permanenten
Energieverlustes längst ausgestorben sein.
Laut D. Feddersen-Petersen (1992) und T. Rugaas (1997) gilt die so
genannte Vorderkörpertiefstellung primär dem Kontext der
Beschwichtigung und führt häufig zu gemeinsamen Sozialspielen.
Stimmt, das bezweifelt niemand. E. Klinghammer (2002) warnt aber
zu Recht: „Diese Ausdrucksform sieht man meistens im Sozialspiel,
Kampfspiel oder im Sexualverhalten. Sie kann aber auch im Kontext
des Jagdverhaltens stehen.“ Vorsicht ist ebenfalls geboten, wenn ein
Hund bei gleichzeitiger Vermeidung von Blickkontakt seinen Kopf
abwendet, was man gern pauschal als hundetypische
Beschwichtigungsgeste wertet. Unter Berücksichtigung aller
Körpersignale kann es sich auch um eine Dominanzgeste (inklusive
Drohsignale) handeln, wenn ein Hund aus der Position der Stärke
seine Halspartie darbietet.
Übersprungshandlungen
Ist ein Hund unsicher und steht im Konflikt zwischen zwei in etwa
gleich starken Antrieben, mag er gähnen, die Nase lecken, züngeln
oder ohne erkennbaren Grund den Boden beschnüffeln. Diese so
genannten Übersprungshandlungen sind keine Aggressionsform,
wie der Hundepsychologe J. O’Heare (2003) meint, sondern dienen
vornehmlich der eigenen Beruhigung und dokumentieren
stressbedingte Lebenslagen. So beleckt ein Hund seine Nase auch,
wenn er seine körperliche Unversehrtheit in Frage gestellt sieht. Will
er beispielsweise ein Kaninchen durch einen Zaun jagen, bleibt aber
dort hängen, mag er sich ebenfalls die Nase lecken oder gähnen –
seine potenzielle Beute beruhigen will er sicher nicht. So weist D.
Tortora (1997) sehr anschaulich darauf hin: „Wenn Ihr Hund gerade
einer Katze nachjagen will und Sie ihm befehlen dazubleiben, mag
er gähnen.“
Befindet sich ein Hund im Konflikt zwischen Beschwichtigung und
Dominanz, gähnt er oder schüttelt sich. Ist ein Hund aufgrund einer
bestimmten Reizlage ängstlich, während der Mensch versucht durch
Gähnen beruhigend einzuwirken, dokumentiert er nur eigene
Unsicherheit bzw. eigenes Konfliktverhalten. Es ist hinlänglich
bekannt, dass sich unsichere Hunde hinter den Ohren kratzen und
dadurch ihre momentane Verlegenheit zum Ausdruck bringen.
Trotzdem kommt sicher kein Mensch auf die Idee, dieses Verhalten
im sozialen Miteinander nachzuahmen. Viel wirkungsvoller wäre, bei
solchen Gegebenheiten zu lachen, um eine Stimmungslage der
entspannten Atmosphäre zu kreieren. Die Neurobiologin Susan
Greenfield (2000) schreibt: „Lachen ist ein wunderbarer Weg mit
Stress umzugehen. Lachen setzt eine Reihe von Peptiden frei, die
so genannten Endorphine, die allgemeines Wohlbefinden
verursachen.“ Na, wenn das nichts ist!? Lachen ist eben gesund!
Apropos Beruhigungssignale: Meine Hunde drücken den Zustand
ihrer totalen Entspannung aus, indem sie sich strecken und räkeln,
tief ein- und ausatmen, kräftig durchschnaufen oder vor sich hin
„schnalzen“ und „schlucken“. Wer es nachahmen möchte, bitte
schön!
Das Rutenwedeln unterliegt ebenso Fehlinterpretationen, weil es
sowohl der freundlich gestimmten Kontaktaufnahme dient als auch
Ausdruck extremer Erregung sein kann! Was will der vor einem
Kaninchenbau erregt umherspringende Terrier? Seine Beute
freundlich begrüßen? Ich wette hundert zu eins: Er will das vor Angst
schlotternde Kaninchen umbringen!
Laut T. Rugaas (1997) sendet ein auf dem Bauch liegender oder
sitzender Hund generell Beruhigungssignale aus. Abgesehen vom
so genannten „Beobachtungssitzen“ (Wolf oder Hund setzt sich und
hebt und senkt den Kopf) wäre ich ganz vorsichtig und würde gern
fragen: Bei allem Respekt, aber wie deutet man Hunde in
klassischer „Geierhaltung“, die aus einer liegenden Körperposition
(einer Rakete mit Turbolader gleich) sofort in konkretes
Jagdverhalten übergehen? Der Hund stammt vom Wolf ab und ist
ein Jäger!
E. Klinghammer (2002) unterstützt meine Argumentation, indem er
rät, „diese Körperpositionen durchaus dem Jagdverhalten
zuzuordnen, sollte ein Hund etwa fixieren und seinen Vorderkörper
senken.“ Lässt er sich jedoch auf den Rücken fallen, mag diese
Geste beschwichtigend wirken, weil er dadurch direkte Bereitschaft
zur Unterwerfung demonstriert. Ebenso eindeutig würde ich das
Belecken von Mensch und Artgenossen (das wölfische Erbe des
Futterbetteln) eher als Beschwichtigungsgeste werten. Unsere
Dackeldame ist jedenfalls Königin der „Lutsch-Attacken“ und
versucht ständig, menschliche Sozialpartner zwecks
Kontaktaufnahme milde zu stimmen. Beleckt ein Hund die Hände
des Menschen, reflektiert diese Handlung oft auch reinen
Stressabbau. Verbietet man einem unsicheren Hund das instinktive
Verhalten, den Menschen durch Maulwinkel- oder Handlecken
grundsätzlich zu besänftigen, verhält er sich garantiert noch
unruhiger, zudem konfus und weniger bindungsbereit. Ich möchte
aus diesem Grund raten, hygienische Bedenken beiseite zu lassen,
des Öfteren die Hände zu waschen und das Lecken des Hundes so
oft wie möglich zuzulassen, aber nicht weiter zu kommentieren.
Weiterhin sind die von D. Feddersen-Petersen als
„Schnauzenzärtlichkeiten“ definierten innigen Kontaktaufnahmen
auch als soziale Komponente zwischen eng miteinander
verbundenen Tieren zu verstehen.
Abbruchsignale
Wie erwähnt, bedienen sich Wolf und Hund zur Vermeidung
offensiver Auseinandersetzungen (Ernstkämpfe) eines großen
Repertoires an Abbruchsignalen, die u. a. E. Klinghammer (2002) als
„Cut-Off-Signale“ bezeichnet. Sie dienen dem Respektieren
persönlichen Freiraums, der Einhaltung einer Individualdistanz oder
dem Aufsplitten unerwünschter Gruppenbildungen. Zu den
Abbruchsignalen zählt man verallgemeinert neben Drohsignalen
(brummen, knurren, strenger Blick, Lefzen anziehen oder Maul
aufreißen) das physische Handeln über gezieltes Anspringen,
Bedrängen, Schnauzgriff, Bewegungseinengung inklusive T-Stellung
oder Auf-den-Boden-Drücken. Auch dem Kokettieren über
Imponierhaltungen inklusive Imponiertragen (Imponieren plus
Gegenstand) muss man gebührende Beachtung zukommen lassen.
Um größeren Schaden von Mitmenschen abzuwenden, sind wir alle
bisweilen verpflichtet einzugreifen, schließlich ist der Hund im
Vergleich zum Wolf wesentlich eher bereit, bewusst beschädigend
zu beißen. Und noch etwas: Das offensive Aggressionsverhalten
Artgenossen gegenüber zuzulassen ist unverantwortlich. Diese
Meinung teilt auch der Verhaltensbiologe U. Gansloßer (2002):
„Selbstverständlich ist jeder Hundebesitzer verantwortlich dafür,
dass es nicht zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen kommt.“
Ach, wäre der Hund doch nur ein Engel! Ist er aber nicht, vielmehr
erinnern manche Exemplare der Gattung Hund bisweilen an
„tasmanische Teufel“.
‣ Das bedeutet
Die Kommunikation Mensch/Hund gestaltet sich sehr komplex und
funktioniert objektiv betrachtet nur über den Signalaustausch von
Beschwichtigungs- und Dominanzgesten. Alles andere würde der
Hund auch gar nicht verstehen, denn schließlich kommuniziert er
ja (hoffentlich) jeden Tag mit etlichen Artgenossen. Da beißt die
Maus keinen Faden ab.
Konfliktvermeidung
Selbstverständlich steht im Umgang mit dem Hund
Konfliktvermeidung an erster Stelle. So muss man zunächst
ausprobieren, ob man durch die Abwendung des eigenen Blickes
oder durch eine Körperdrehung und ein besonnenes Auftreten eine
eskalierende Situation beruhigen kann. Ein solches Verhalten würde
ich sogar meistens anraten. Warum provozieren, wenn es unnötig
ist? Ebenso wenig dürfte strittig sein, dass man Angst nicht
bestrafen sollte. Das würde nur die Frustration des Hundes und die
Notwendigkeit seiner Selbstverteidigung erhöhen.
Den Ausführungen des Hundetrainers Jan Nijboers (2002) zufolge
haben Leitwölfe (Leitmenschen) eine Art „Führerschaft“ (leadership)
inne, die eine ständige Kontrolle rangniedriger Familienmitglieder
notwendig macht, um „Dominanzprobleme“ zu verhindern. Ich folge
dieser Argumentation auf keinen Fall, weil viele meiner
Beobachtungen an Wolf, Mensch und Hund dagegen sprechen.
Ranghohen „Leittieren“ kommt viel eher eine Führungsrolle zu, die
nicht von permanent autoritärer Dominanz abhängt, sondern von
Klarheit, grundsätzlicher Gutmütigkeit und von vorausschauendem
Denken und Handeln bestimmt ist. Laut Aussage der beiden
norwegischen Biologen Kristin Meitz Bru und Silje Kittilsen (2003)
„sollte man den Begriff „Führerschaft“ durch „Führungsrolle“
ersetzen“.
D. Feddersen-Petersen, die als eine der wenigen Ethologen das
Ausdrucksverhalten von Wölfen mit dem verschiedener
Haushundrassen vergleichend (nicht gleichsetzend) untersucht,
brachte es schon 1987 unmissverständlich auf den Punkt. „Bei
besonders kurznasigen Möpsen ist zu beobachten, dass das
canidentypische „Über-den-Fang-Beißen“ als Dominanzgeste nach
erfolglosen Versuchen des ranghöheren Hundes vor dem fehlenden
Fang des Unterlegenen als Intentionsbewegung ausgeführt wird,
woraufhin selten reagiert wird.“ Man beachte in diesem Zitat die
bewusst gewählten Begriffe „canidentypisch“, „Dominanzgeste“ und
„Rang“! Ich möchte zum Abschluss dieses Abschnitts das ganze
Dilemma kommunikativer Missverständnisse unter Hunden an einem
anderen Beispiel verdeutlichen: Was soll ein Alaskan Malamute
(nordischer Hund) von einem Rhodesian Ridgeback halten, der
aufgrund einer Zuchtmanipulation durch den Menschen tagtäglich
mit einer „Dauerbürste“ herumstolziert?
Die konkrete Umsetzung von „Beschädigungsbeißen“ bedeutet, dass ein Wolf
oder Hund bewusst die Absicht verfolgt, einen Artgenossen oder Menschen
massiv zu verletzen, und dabei in Kauf nimmt, auch dessen körperliche
Unversehrtheit infrage zu stellen. Ein beschädigender Zubiss wird oft in
Verbindung mit Schüttelbewegungen gezeigt und ist als ausgesprochen gefährlich
und unberechenbar einzustufen. Hunden, die im Umgang mit Artgenossen über
keinerlei Beißhemmung verfügen, ist ein Freilauf ohne Leine, insbesondere in
Stadtparks oder Gebieten mit Präsenz von anderen Hunden, strikt zu verwehren.
In 13 Jahren Wolfsforschung haben wir – außer in der Paarungszeit – unter
Wölfen noch kein Beschädigungsbeißen beobachtet.
‣ Das bedeutet
Unsere Kommunikation mit Hunden muss Vertrauen, soziale
Kompetenz, Konfliktminimierung, Frustrationsbewältigung und
Motivation ebenso widerspiegeln wie Kontrollmechanismen,
aktives Handeln und momentanes dominantes Auftreten. Erst
unter Berücksichtigung aller aufgezählten Faktoren handelt es
sich um durchdachte, wirkungsvolle Kommunikation! Der
Haushund ist kein asozialer Einzelgänger, sondern ein hoch
kommunikationsbereiter Canide, der die Regeln der
Signalsprache bestens versteht und seit Jahrtausenden
verinnerlicht hat. Ob Maulwinkellecken, Pföteln, Imponieren oder
Drohen, der Hund beherrscht die kommunikative Signalsprache
mit allen Facetten, weil er vom Wolf abstammt, der ihm dieses
Erbgut mit auf den Weg gab. Auch Wölfe schlichten fast alle
Streitigkeiten über den Austausch von Körpersignalen. Dass sie
dies erheblich differenzierter tun als Hunde, ist kein Beweis für
unterschiedliche Arten, sondern basiert auf der
Rücksichtslosigkeit des Menschen, der signalvermittelnde
Körperteile (Ohren/Ruten/Fellstruktur usw.) durch unsinnige
Zuchtmaßnahmen manipuliert. Aus diesem Grund kommunizieren
nordische Hundetypen differenzierter als körpersprachlich stark
eingeschränkte Boxer.
Psychologische Lernregeln zur
Hundeerziehung
‣ Info
Das Etablieren eines bestimmten Verhaltens nannte B. Skinner
(1967) „eine konditionierte Verstärkung“. Sie wirkt ungemein
kraftvoll, weil die Information „Richtig“ in sich bereits einen starken
Wert bedeutet. Dieser Wert muss nicht unbedingt Futter sein.
Positive Verstärker sind Initialsignale wie Bewegungen, Gesten,
Geräusche, Licht- oder Tonquellen.
Verhalten formen
Die Formung eines Verhaltens bietet eine alternative Möglichkeit,
weil das Verhaltensinventar unserer Hunde sehr variabel ist und
manche Handlungen zu bestimmten Zeiten schwächer oder verstärkt
auftreten. Laut K. Pryor (1990) „gibt es zur Formung (shaping) eines
Verhaltens klar umrissene Regeln“, die sie sinngemäß wie folgt
zusammenfasst:
1. Halten Sie ein Trainingskriterium immer eng gefasst und klar
umrissen, damit eine realistische Chance besteht, es positiv
verstärken zu können.
2. Versuchen Sie nie, zwei Aktionen simultan anzugehen.
3. Arbeiten Sie immer nach einem variablen Zeitplan, bevor Sie ein
neues Kriterium hinzufügen.
4. Wird ein neues Kriterium eingeführt, kann das vorherige
schrittweise abgebaut werden.
5. Planen Sie ein komplettes Formungsprogramm, damit ein höher
angesetztes Einzelkriterium in Richtung Endziel positive Verstärkung
erfährt.
6. Führen Sie während des Formungsprogramms keinen
Trainerwechsel durch.
7. Funktioniert ein Formungsprozess nicht richtig, etablieren Sie ein
anderes erwünschtes Verhalten.
8. Unterbrechen Sie eine Trainingseinheit nicht durch Strafreize.
9. Verschlechtert sich ein Verhalten, überarbeiten Sie den ganzen
Prozess in kleinen, einfach zu verstärkenden Schritten.
10. Langweilige Wiederholungen bringen nichts, trainieren Sie
deshalb kurz und prägnant!
Apropos „prägnant“: Nicht dass ich die Prinzipien des „Shapings“ in
Frage stellen würde, mir ist die ganze Prozedur oft nur viel zu
kompliziert. So bietet sich auch eine Kombination zwischen positiver
und negativer Verstärkung an, ohne dabei Gewalt anzuwenden.
Beispiel: Der Hund soll in einen Korb gehen. Liegt er irgendwo
herum, wo er nicht liegen soll, motiviert man ihn mit Futter den Platz
einzunehmen, den man ausgesucht hat (positive Verstärkung).
Gleichzeitig wird die Lust des Hundes, sich woanders hinzulegen,
gemindert, indem man unter Blickkontaktvermeidung einen kleinen
Karton ruhig, aber konsequent vor sich herschiebt (negative
Verstärkung), bis der Hund sich „freiwillig“ in den Korb legt. So
einfach kann die praktische Erziehung eines Hundes sein,
vorausgesetzt, er ist für Futter jederzeit empfänglich.
Laut H. Wachtel (2002) ist „für den Hund Hunger eine sehr starke
Anregung und davon hängt es vielfach ab, wie erfolgreich
Leckerbissen zu seiner Motivation von uns eingesetzt werden.“ Wohl
wahr, aber – oh Schreck, oh Graus – wie vermittelt man dem
besorgten Hundehalter, dass der Hund nicht stirbt, wenn man
dessen „Frühstück“ oder den „Nachmittagssnack“ mal weglässt?
Auch wenn Hunde Gewohnheitstiere sind und einen geregelten Tagesablauf sehr
schätzen, sollte man pünktliche Routineabläufe nicht als Verpflichtung ansehen.
Im Gegenteil: Ist ein Hund gewohnt, zu einer ganz bestimmten Tageszeit Nahrung
zu bekommen oder zu Spaziergängen ausgeführt zu werden, kann er sich zum
notorischen Quengler entwickeln und ziemlich nerven.
Lob und Tadel in der Hundeerziehung
‣ Wichtig
Ein Hund darf nur Belohnung erfahren – die je nach Situation aus
verbalem Lob, Körperkontakt, Spiel oder Futter bestehen kann –,
wenn er sich entweder ruhig verhält oder sonst gerade etwas tut,
was das Wohlgefallen des Menschen findet.
Aber Vorsicht: Hier ist dringend anzumerken, des Hundes
biologische Seite nicht zu vergessen, ihn also hier und da
eigenständig handeln zu lassen.
Beim Schnauzgriff ist darauf zu achten, die Schnauze des Hundes von oben zu
greifen und dabei mit Daumen und Ringfinger die Lefzen seitlich in die Zahnlücke
zu drücken, bis der Hund entweder ein Beutestück herausgibt oder eine
unerwünschte Handlung beendet.
© Peter Nawrath
Welpenerziehung
‣ Tipp
Einige Minuten nach dem Spielen, Schlafen, Fressen oder Trinken
muss ein Welpe nach draußen, damit der Mensch ihn nach
Verrichten seiner Notdurft loben kann. Eine kleine Transportbox
hilft ggf., Kontrolle über sein Reinheitsverhalten zu bekommen.
Die Entwicklung des Gehirns
Laut R. Coppinger (2003) „umfasst das Gehirnvolumen bei der
Geburt eines Hundewelpen ca. 8–10 cm³, wächst und formt sich
während der kritischen Phase der Sozialentwicklung bis Ende der 8.
Lebenswoche auf ca. 50–60 cm³, bis zur 16. Lebenswoche bereits
schon auf 80 cm³, bis es mit ca. 12 Monaten mit knapp über 100 cm³
seine volle Größe erreicht.“ Da im Wesentlichen alle Gehirnzellen
von Geburt an vorhanden sind, ist es unsere Pflicht, das Gehirn mit
möglichst viel Information zu versorgen und dadurch die Bildung von
Nervenverbindungen zwischen den Zellen zu fördern.
Der frühe Aufbau von umwelt- und sozial freundlichem Verhalten
liegt also in der Hand des Menschen, was sich alle
„Hundevermehrer“ dieser Welt hinter die Ohren schreiben sollten!
Nach E. Trumler (1987) liegt es an uns, nur wenige Wochen alte
Hundewelpen geräuschfest zu machen, indem wir z.B. bei jeder
Futtergabe in die Hände klatschen oder andere Knallgeräusche
erzeugen.
E. Klinghammer (1994) schreibt: „Während jede sensitive, optimale
oder kritische Phase selbst Auswirkungen hat, beeinflussen die
Erfahrungen der einen Periode oft auch die in der nächsten und
damit auch das endgültige Verhalten.“
Wichtig zu wissen ist, dass Hundewelpen genauso wie auch
Wolfskinder schon mit dem Instinkt eines Jägers zur Welt kommen
und früh anfangen, spielerisch zu jagen, um einzelne Sequenzen
des Jagdverhaltens zu verbessern. Weil nur Übung den Meister
macht, ist es sinnvoll, dem Welpen ein festes Beuteschema (z.B.
Mäuse) oder eine Ersatzbeute anzubieten, mit ihm viel zu spielen
und die Herausgabe von Beute über einen Schnauzgriff zu üben. Ja,
ja, ich weiß, es gibt (emotionale) Gegner des Schnauzgriffes, aber
ich bleibe bei meiner Empfehlung, weil die Erfahrung zeigt, dass es
prima klappt.
Kinder verhalten sich meist aktiver und vor allem anders als
Erwachsene, indem sie rennen, laut schreien und mitunter eine
Reizlage schaffen, die dem Welpen signalisiert, sie zu verfolgen.
Schnappt ein Welpe nach menschlicher Kleidung oder Körperteilen,
ist dieses Verhalten nicht als „lustiges Spiel“ zu werten, sondern
muss unter Aufsicht von Erwachsenen einer wirkungsvollen
Korrektur unterliegen (z.B. ruhiges Stehenbleiben oder Auf-den-
Boden-Drücken).
© Günther Bloch
Hundewelpen lernen besonders im gemeinsamen Spiel mit Menschen und
Hunden soziale Nähe und Grenzen ihres Handelns kennen. Welpen müssen sich
aber auch daran gewöhnen, zeitlich begrenzt allein bleiben zu können, sodass
man ihnen im Haus immer wieder Restriktionen (diverse Räume für eine gewisse
Zeit nicht betreten, auf Futter warten lassen) auferlegen sollte. Dürfen sie ständig
in unserer Nähe sein, leiden sie in unserer Abwesenheit umso mehr an
erheblichen Trennungsängsten und entwickeln keinen gefestigten Charakter. Die
Entwicklung von Selbstständigkeit ist aber Teil eines Persönlichkeitsprofils, das
man fördern sollte.
Erste Lernschritte
Jeder Welpe testet über Versuch und Irrtum und durch genaue
Beobachtung von Artgenossen und Menschen, welche
Verhaltensweisen für ihn konkrete Konsequenzen bedeuten. Lernen
steht auf dem Programm. Das heißt, neben einer behutsamen
Rangeinweisung konditionieren wir freudiges Herankommen vom
ersten Tag an, indem wir den Welpen dreimal täglich (knapp
bemessen) füttern und diese Prozedur stets mit einer gleich
bleibenden Geräuschquelle (Hundepfeife, freundlicher Ruf,
Händeklatschen) verknüpfen. Junge Welpen sind besonders offen
und zeigen vor allem eins: Neugier.
Übung 2 – Aufmerksamkeit
Wir zeigen dem Welpen einen Stoffknoten oder ein anderes
Spielzeug, verstecken es hinter unserem Rücken und wiederholen
dieses Prozedere einige Male. Dann ziehen wir die Ersatzbeute über
den Boden, ahmen typische Geräusche (Quietschen, Fiepsen) eines
Beutetieres nach und wecken das Interesse unseres Welpen.
Dadurch verknüpft er nicht nur Lernen am Erfolg unter Kontrolle des
Menschen (Kommando „Aus“ = Ablassen von der Beute), sondern
auch kommunikatives Miteinander.
Übung 4 – Bindungsaufbau
Damit der Welpe auch draußen gehorcht, binden wir uns eine leichte
Leine um, an die wir den Welpen fest machen, und gehen unserem
normalen Alltagsleben nach (Gartenarbeit, Post holen, Wäsche auf-
oder abhängen, kurze Spaziergänge). Laut den Mönchen von New
Skete (1987) lernt der Welpe so fast automatisch, dass der Mensch
agiert und keine unsinnigen Kommandos gibt. Zur Unterstützung
eines Bindungsaufbaus reichen wir die Leine hin und wieder einer
Fremdperson und entfernen uns einige Meter. Jammert der Welpe,
strampelt und hampelt (hoffentlich), lässt die Fremdperson den
Welpen los, damit er Kontakt zu seinem Besitzer aufnehmen kann.
Händeklatschen, ein freundliches Gesicht und verbales „Komm“
fördern die Bereitschaft des Welpen, dieser Aufforderung
nachzukommen.
Welpenschutz
Leider schauen immer noch viele Menschen auf die Datumsanzeige
ihrer Uhr, wenn ein Welpe von einem fremden Hund unwirsch
behandelt wird. Man gibt sich entrüstet und erklärt, dass dieser Hund
„verhaltensgestört“ sei. So schreibt F. Rehage (2000): „Noch hat er
Welpenschutz, erwachsene Hunde tun ihm nichts. Er (der Welpe)
kann sich die größten Frechheiten herausnehmen.“
Nein, nein und nochmals Nein! Diese Aussage ist nicht durch die
Erkenntnisse moderner Verhaltensbiologie abgesichert, wie U.
Gansloßer (2002) bestätigt: „Doch dieser so genannte Welpenschutz
und das Verschonen eines Hundes, der Unterwerfungsgesten zeigt,
existiert nicht. Welpenschutz existiert ausschließlich im eigenen
Rudel!“
Es empfiehlt sich außerdem, so genannte Welpenspielstunden zu
besuchen, deren Gestaltung G. Niepel (2001) sehr anschaulich und
ausführlich beschrieben hat.
‣ Wichtig
Gerade Hundekinder brauchen viel Schlaf, was auch dem
Ruhebedürfnis von Wolfswelpen entspricht. Wolfs- wie
Hundekinder toben zwar geradezu explosionsartig durch die
Gegend, sind aber spätestens nach einer halben Stunde „stehend
k. o.“. Es ist sinnvoll, Hunden von klein auf einen festen,
ungestörten und lärmgeschützten Platz einzurichten, den sie für
ihr inneres Gleichgewicht dringend brauchen.
Junghunderziehung
Die Ignoranz-Methode
Die nachfolgend beschriebene Erziehungsmethode kann
unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Alter für jeden Hund
Anwendung finden. Für Junghunde und „ignorante“ Rassen
(Herdenschutzhunde, Molosser, Neufundländer u.a.) ist sie
naturgemäß besonders empfehlenswert. Jahrelange praktische
Erfahrung bestätigt, dass gerade etwa vier bis acht Monate alte
Junghunde beginnen, planlos umherzujagen und ein völlig
verallgemeinertes Beuteschema aufbauen, wobei einige Exemplare
ihre „Jagdkarriere“ sogar schon viel früher beginnen. Hat ein Hund in
seiner Jugendentwicklung nie gelernt, Beute zu machen (vom
„Mäusebuddeln“ und Jagen im kontrollierten Rahmen einmal
abgesehen), verlängert sich seine Kindheitsphase. Im Idealfall stellt
ein gemeinsamer Spaziergang ein kindliches Spielvergnügen dar,
und der Hund begnügt sich mit der Jagd auf Ball, Stock oder andere
Ersatzbeute. Wenn das Wörtchen „wenn“ nicht wäre!
R. Coppinger (2003) argumentiert: „Wenn ich Hunde sehe, denke ich
nie in Wolfsbegriffen. Es gibt enorme und wichtige Unterschiede in
Form und Verhalten. Hunde leben in der Nähe menschlicher
Behausungen, und statt den Menschen zu meiden, sehen sie ihn als
Futterquelle.“ Bei allem Respekt, das ist ein schlechtes Argument.
Ich denke in Wolfsbegriffen, wenn ich beispielsweise einen Terrier
beim Totschütteln einer jungen Katze erwische, wobei er gleichzeitig
der Futterquelle Mensch eins „hustet“. Deshalb rate ich jedem
dringend davon ab, Junghunde ohne Leine frei herumlaufen zu
lassen. Nein, erst heißt es, dem Junghund in einem maßvoll
gestalteten Rahmen Grundgehorsam beizubringen, weil
umweltbedingte Beutestimuli überall lauern. Gerade der Junghund
ist dafür besonders empfänglich. Haut er schon während seiner
Entwicklungsphase ab, ist jegliches Ausdiskutieren völlig fehl am
Platz: „Das fand ich aber gar nicht gut, musste das denn jetzt sein?“
Diese „Tralala-Methode“ ist nicht nur unverantwortlich, sondern hätte
bei meinen beiden Laiki „Chinook“ und „Jasper“ nicht funktioniert,
schließlich handelt es sich bei ihnen um extreme Jagdhunde mit
wacher Auffassungsgabe und unverfälschtem Jagdinstinkt.
Kurzum, Junghunden muss man die Einhaltung eines begrenzten
Bewegungsradius vermitteln. Ausreden sind allenfalls Ausdruck von
Hilflosigkeit und bringen überhaupt nichts („Sehen Sie, wenn er nicht
will, ist nichts zu machen“). Mein Kommentar läge in einer
Loriot’schen Floskel: „Aha! Ach, was!“
Übungsschritt 1
Die Grundvoraussetzung zur Umsetzung des ersten Lernschritts
besteht darin, die Aufmerksamkeit des Hundes auf seinen Besitzer
zu lenken. Aber wie?
Hierzu nimmt man eine 10m lange Feldleine, befestigt sie am
Halsband des Hundes und bewegt sich ohne Kommentar und ohne
direkten Blickkontakt von einem imaginären Punkt A zu einem ca.
50m entfernten Punkt B. Dort bleibt man ohne Kommentar etwa eine
Minute lang stehen. Nimmt der Hund zum Halter Kontakt auf oder
bewegt sich zumindest in seine Richtung, geht man wiederum ca.
50m in einem gedachten 90°-Winkel zügigen Schrittes auf einen
imaginären Punkt C zu und verhält sich wie an Punkt B. Nach ein bis
zwei Minuten bewegt man sich kommentarlos zurück in Richtung
Ausgangspunkt A, bleibt dort rund zwei Minuten stehen und lobt den
Hund, wenn er sich ruhig verhält und Körperkontakt aufgenommen
hat.
Danach wiederholt man diese Übung (insgesamt ca. 15 Minuten)
möglichst zwei- bis dreimal täglich rund eine Woche lang, bis der
Hund jedes Mal ohne Kommandogebung eigenständig
Körperkontakt sucht, wobei die Übungen zunächst ohne Ablenkung
durchzuführen sind.
‣ Sinn und Zweck
Das eigenständige Entfernen des Hundes soll be- bzw. verhindert
und sein Zerren an der Leine nicht beachtet werden. Der Mensch
soll eine ruhige Führungsrolle übernehmen.
Übungsschritt 2
Im nächsten Schritt bewegt man sich, die Handschlaufe der Leine
(mit Handschuh) fest im Griff, wiederum von Ausgangspunkt A
Richtung Punkt B, wobei man die Leine aufrollt. Der Hund darf
ziehen und seinen Blickkontakt auf Ablenkungen jeglicher Art
richten. Sobald er unaufmerksam ist, lässt man den aufgerollten Teil
der Leine auf den Boden fallen und entfernt sich (die Handschlaufe
weiterhin fest im Griff) ohne anzuhalten zügigen Schrittes in die
entgegengesetzte Richtung. Es erfolgt ein Ruck auf Distanz. Den
verdutzt zurückkehrenden Hund empfängt man freundlich, aber
ohne Belohnung. Zur Wiederholung der Übung benutzt man eine
handelsübliche Pfeife und flötet nur einmal just in dem Moment, in
dem der Hund sich bereits ansatzweise in Richtung des Halters
orientiert. Jetzt lobt man den Hund verbal oder streichelt ihn. Bei
starker Verunsicherung eines extrem sensiblen Hundes hockt man
sich neben ihn und gestattet ihm engeren Körperkontakt.
Man wiederholt diese Übung (insgesamt ca. 15 Minuten) möglichst
zwei- bis dreimal täglich rund eine Woche lang. Man steigert die
Ablenkungen, bis der Hund jedes Mal eigenständig und sofort auf
den ersten Pfiff zurückkommt, wobei grundsätzlich nur breite Leder-
bzw. Stoffhalsbänder verwendet werden sollten.
Übungsschritt 3
Nun wartet man auf ein erwünschtes, seitens des Hundes
eigenständig aufgezeigtes Verhalten und belohnt es mit Futter
(Spielzeug). Beispiel: Hund ist im Begriff sich zu setzen = Futter;
Hund ist im Begriff sich zu legen = Futter. Zur schnellen Verknüpfung
empfiehlt sich die Integration von zunächst grob vermittelten
Sichtzeichen: Arm heben = „Sitz“, Arm ausgestreckt nach unten =
„Platz“. Um den Hund zu veranlassen, „bei Fuß“ zu bleiben, geht
man unter Verwendung der langen Leine in einer zügigen Gangart
(Futter in der Hand) weiter. Man wiederholt diese Übungen
(insgesamt 15 Minuten) möglichst zwei- bis dreimal täglich
mindestens zwei Wochen lang, bis der Hund relativ zuverlässig sitzt,
abliegt und bei Fuß geht.
Verhaltenskategorien
Um Hundeverhalten einfacher zu beschreiben, sind vor allem
Kenntnisse über so genannte Funktionskreise notwendig.
Verschiedene Verhaltensweisen, wie etwa das Beutefang- und
Jagdverhalten, Komfortverhalten, die Nahrungsaufnahme oder das
Spielverhalten sind innerhalb mehrerer Kategorien organisiert. Beim
Hund liegt die Dramatik in gemischt aufgezeigten
Verhaltenskategorien, sodass die Funktionskreise von spielenden
Hunden, die sich gegenseitig verfolgen, anspringen, fangen und
festhalten, durcheinander geraten können. Anfänglich von Facetten
des Spielverhaltens ausgehend, ist ein plötzlich in
Unsicherheitsgestik davonlaufender Kleinhund häufig Auslöser für
Meuteaggression. Die enge Verwandtschaft zwischen Wolf und
Hund zeigt sich im motorischen Ablauf kombiniert aufgezeigter
Verhaltensweisen, z.B. wenn sie beim Überfall auf Federvieh nicht
nur ein Huhn töten, sondern so lange zupacken, bis sich kein
Beutestück mehr bewegt. Hatte ein Hund wiederholt Jagderfolg und
„pfeift“ nun auf alles und jeden, steuert die antreibende
Motivationskraft immer wieder den gleichen Verhaltensablauf.
Es ist daher eine Illusion, zu glauben, Hunde seien generell „nette“
Wesen von einem anderen Stern ohne jegliches Gefahrenpotenzial.
Nein, Hunde können je nach Situation sehr gefährlich sein, was
tausende Beißunfälle jedes Jahr beweisen. Im Vergleich zum Wolf
ist ohnehin erstaunlich, was sich Hunde alles erlauben dürfen. Wenn
ein Wolf in freier Wildbahn auch nur aus der Distanz ein Schaf oder
eine Kuh schräg anschaut, wird er – zumindest hier in Kanada – auf
der Stelle erschossen. Nicht, dass ich Hunden wünschen würde, in
irgendwelche Schwierigkeiten zu geraten – das sicherlich nicht.
Trotzdem dürfen wir sie auch nicht vergöttern, nur weil sie die besten
Freunde des Menschen sind. Das Augenmaß ist heute verloren
gegangen, wenn Hunde ganz bewusst offensives
Beschädigungsbeißen umsetzen.
Anstatt nach Ausreden zu suchen, warum ein Hund beißt, sollten wir
eine sachliche Analyse durchführen und manchmal auch
schlussfolgern, dass ein ganz bestimmtes Hundeindividuum für
unsere Gesellschaft einfach nicht tragbar ist.
‣ Wichtig
Auch den offensichtlich freundlichsten Hund lässt man nie mit
einem Kleinkind allein, denn ein zum Angriff führender
Schlüsselreiz (Schreien, Kreischen, Hinfallen) ist nicht
hundertprozentig auszuschließen. Jeder, der meint,
Hundeerziehung sei nur mit „Spaß“ umsetzbar, weiß hoffentlich,
dass Jagdverhalten eine selbstbelohnende Verhaltenskette
(Orientierung bis Beutetöten) ist.
Rassegerechte Beschäftigung
Ob vorstehender Pointer, „näselnder“ Schweißhund, hetzender
Windhund, fixierender Hütehund, wachender Herdenschutzhund
oder apportierender Retriever: Der Mensch züchtete den Hund zum
Spezialisten, der zur Verrichtung konkreter Arbeitsaufgaben
unterschiedliche Verhaltenskonfigurationen und bestimmte
Jagdsequenzen besonders deutlich aufzeigt.
Nach R. Coppinger (2003) „bezeichnen Ethologen
Bewegungsmuster als angeborene oder instinktiv eingenommene
Haltungen. Weil die Selbstbelohnung für ein Verhalten so intensiv ist,
sucht ein Tier nach Auslösern für dieses Verhaltensmuster“.
Coppingers These aufgreifend ergeben sich neben einer
obligatorisch notwendigen Unterordnung folgende Tatbestände für
die praktische Hundeerziehung:
‣ Weil Hütehunde gern fixieren und anpirschen, kommt ihnen ein
Training mit Clickerstab, den sie als Alternative zum Fixieren
berühren können, tendenziell entgegen. Auch das Anpirschen an
Bälle und andere Gegenstände führt zur reizspezifischen Ermüdung.
‣ Weil Apportierhunde gern Gegenstände aufgreifen, kommt ihnen
ein Training mit Ersatzbeute oder Futterbeutel sehr entgegen.
‣ Weil Windhunde gern hetzen, kommt ihnen ein Training mit
Stoffattrappen (über eine lange Leine an Fahrrad oder Auto
befestigt) sehr entgegen.
‣ Weil Dackel und Terrier gern Beute schütteln, kommt ihnen das
gemeinsame Spiel mit Ersatzbeute (z.B. Stoffknoten packen und
schütteln) oder die „Verfolgung“ von Futterbrocken sehr entgegen.
‣ Weil Herdenschutzhunde oder Wachhunde gern aufpassen,
kommt ihnen ein Training zur gezielten Bewachung von
Grundstücken oder Gegenständen sehr entgegen.
‣ Weil Schweiß-, Vorsteh- und Fährtenhunde gern aufspüren, lastet
sie intensive Sucharbeit und das Anzeigen von Gegenständen oder
Futter gezielt aus.
‣ Weil Schlittenhunde gern rennen und ziehen, kommt ihnen ein
Training mit Karren, Pulka, Saccokart, Mountainbike oder
gemeinsames Joggen mit dem Menschen sehr entgegen.
Hunde unterscheiden sich summa summarum in Körperbau, Wesen
und anhand unterschiedlicher Bewegungsmuster, was zunächst
nichts anderes bedeutet, als ihre rein motorischen Abläufe auf
unterschiedliche Weise befriedigen zu müssen. Die Motorik ist das
eine, der Kopf das andere. Um Hunde wirklich auszulasten,
brauchen sie für ihr seelisches Gleichgewicht unbedingt auch
geistige Beschäftigung. Die Jagd ist zwar ein gutes Beispiel für die
Kombination aus körperlicher und lustbetonter geistiger Auslastung,
aber wer ärgert sich nicht über einen unkontrolliert jagenden Hund?
Lügen wir uns doch nicht in die eigene Tasche: Warum gehen denn
die meisten Menschen in eine Hundeschule? Ein Hauptgrund ist
garantiert, weil ihre Hunde frech und fröhlich Fersengeld geben!
Der Hundepsychologe James O’Heare (2003) vertritt die gewagte
These: „Wenn man weiß, welcher Reiz beim Hund wann den
Übergang zur nächsten Stufe des Jagdverhaltens auslöst, kann der
Hundeführer dadurch das Verhalten praktisch aus- und wieder
einschalten.“ Ausschalten? Der Hund als Automat? Ich vertrete aus
Erfahrung die konträre Auffassung, dass man eine unberechenbare,
ständiger Veränderung unterliegende Umwelt und das allseits
präsente Verhalten von Katzen, Kaninchen oder anderen
Beuteschemata nicht „managen“ kann. Hunde treffen beim täglichen
Spaziergang auf mannigfaltige Reize wie Bienen, Vögel oder
quietschende Mäuse, die ein geeignetes Beuteschema bieten. Wo
sollen die armen Tiere auch hin, ins Zoofachgeschäft? Beuteschema
Feldhase lacht sich derweil über die diversen Managementthesen
ins Hasenpfötchen. Er managt sich selbst – und rast liebestoll hinter
einer Häsin her!
J. O’Heare (2003) schlägt außerdem vor: „Unterbrechen Sie das
Jagdverhalten des Hundes so früh wie möglich (ohne Strafen).
Genau das wird nämlich bei Hütehundwettbewerben gemacht, um
ihren Beutetrieb in die richtigen Bahnen zu lenken.“ Nett gemeint,
aber leider wieder nur die halbe Wahrheit. Vor jedem Wettbewerb
steht ausführliches Training (inklusive Negativverstärker), wie mich
in der Vergangenheit etliche ehrliche Schäfer mit einer
Steinschleuder in der Hand lehrten! H. Wachtel (2002) schreibt zu
diesem Thema: „Geht es um einen wichtigen Trieb, ist das
(Unterbrechen) meist schwierig, ja manchmal unmöglich bzw. es
könnte den Hund zum Neurotiker machen.“ Genau das ist der
wesentliche Punkt. Vergisst man die Biologie des Hundes und
managt sein Verhalten auf rein „sanfte“ Art und Weise, wird er
mitunter zum Neurotiker. Dass die erfolgreiche Umsetzung von
psychologischen Lernregeln außerdem oftmals eine Illusion ist,
bestätigt D. Tortora (1979): „Dass ein Hund dabei versagt,
Kommandos zu verallgemeinern oder andere Verhaltenskontrollen
auf neue Situationen zu übertragen, ist nicht ungewöhnlich.“
Das Tragen von Packtaschen ist kein exklusives Recht nordischer Hunde, sondern
kann wunderbar in den Tagesablauf (Hundebegleitung zur Post, diverse
Geschäfte, Wanderungen) integriert werden. Nach vorangegangener Gewöhnung
lassen sich viele Hunde vom eigentlichen Hetzverhalten abbringen, vorausgesetzt,
der Taschenumfang fällt in Proportion zum Hundekörper etwas „großzügig“ aus.
Selbst so manchen Jagdhund kann man durch diese Methode – besonders in der
Jugendphase – relativ erfolgreich trainieren und dessen Jagdpassion in Grenzen
halten.
Tägliche Probleme von Hundehaltern
Guten Morgen, liebe Sorgen, seid ihr auch schon wieder da? Sorgen
mit der viel gepriesenen Managementkontrolle hatten jedenfalls vier
mir bekannte Herren.
‣ Wichtig
Hunde brauchen regelmäßigen Freilauf, keine Frage – aber nicht
um jeden Preis. Wir Hundebesitzer sollten Verantwortung
übernehmen und dafür Sorge tragen, dass Fauna und Flora auch
zu ihrem Recht kommen.
Hundebesitzer wären gut beraten, als Naturschützer aufzutreten, indem sie ihren
eigenen Müll stets einsammeln (inklusive Zigarettenkippen), spezielle Abfalltüten
für die Entsorgung von Hundekot mit sich führen und bei Spaziergängen
saisonbedingt bestimmte Landschaftsgebiete meiden, damit die heimische
Tierwelt nicht übermäßig gestört wird. Am effektivsten ist es, Hunde von Jugend
an so zu trainieren, dass sie immer in der unmittelbaren Nähe von Wegen bleiben
und eingezäunte Weiden, Wiesen und Forstbestände nicht betreten. In
Dämmerung und Dunkelheit ist damit zu rechnen, das die Tiere der freien
Wildbahn auf Nahrungssuche gehen und deswegen besonders aktiv sind.
Objektverknüpfung als
Erziehungsmethode
‣ Tipp
Wir haben beste Erfahrungen mit Kameras und Lautsprechern
gesammelt und können lustbetonte Verhaltensweisen von Hunden
über ein Gegensprechgerät verbal beeinflussen.
Solange das Objekt straft, kann man als Mensch ruhig abwarten, denn der Hund
findet über Versuch und Irrtum selbst heraus, was unangenehm und unvorteilhaft
ist. Hunde legen sich deshalb auf Sessel oder Sofa, weil man dort bequem ein
Nickerchen halten kann. Die im Bild vorgestellte „X-Matte“, eine Art „Fakir-System“
mit harten Plastiknoppen, sorgt für hochgradige Ungemütlichkeit, sobald ein Hund
darauf Platz nimmt. Flach wie eine Zeitung, kann man diese Matte einfach unter
einem Möbelstück verstauen, wenn sie nicht im Einsatz ist.
Objektverknüpfung im Außengelände
Manche Hunde verhalten sich im wahrsten Sinn des Wortes
gnadenlos, sehen Autos als „Sparrings-Partner“ an oder Mofas als
„technische Beutetiere“, die es zu zerpflücken gilt. Auch meine von
einem Tierschutzverein übernommene Kaukasenhündin „Taiga“
baute sich früher wie ein Bodybuilder vor einem
entgegenkommenden Traktor auf und schien ihn zu fragen: „Ich bin
ein muskelbepacktes, strammes Mädchen – und wer bist du?“
Dumm nur, dass auch ein Traktor über ausreichend „Kampfkraft“
verfügt. Taiga habe ich damals nach einer alten Regel der Mönche
von New Skete (1987) erzogen: Verfolgt ein Hund Mofas, Fahrräder
oder Autos im gestreckten Galopp, führt das Objekt selbst die
Bestrafung aus, indem der jeweilige Fahrer dem wütenden Hund
Blechdosen oder mit Wasser gefüllte Luftballons oder Kondome
entgegenwirft. Ja, Kondome, schließlich müssen wir das
Wirtschaftswachstum ankurbeln, oder?
Wirkungsvoll ist auch, einen Helfer in der Ladeklappe eines Autos zu
verstecken, der über den heraneilenden Hund einen Eimer Wasser
gießt, wobei eine solch kleine Menge dem ortsansässigen
Wasserwerk keinen Umsatzschub bringt und mancher
Neufundländer sagen wird: „Prima, mehr davon!“ Scherz beiseite:
Sobald die Missetat des Hundes unterbleibt, verstärkt man sofort
den gewünschten Verhaltensansatz des Herankommens durch
Händeklatschen, einen verbal freundlichen Ruf oder einen Pfiff.
Kleine Anmerkung: Meine Taiga schaute damals überhaupt nicht
verdattert, sondern einfach nur stinksauer. Der Owtscharka an sich
straft bisweilen „durchgeknallte“ Objekte mit einem verachtenden
Blick. Taiga lässt Traktoren heute unbeachtet passieren.
Und noch eine frohe Botschaft: 85% der von uns betreuten
Hundebesitzer konnten nach maximal zwei Monaten intensiven
Trainings auf den Gebrauch von Kopfhalftern gänzlich verzichten
und hatten gelernt, selbst mit schwierigen „Früchtchen“ zu
kommunizieren.
Auf Nachfrage antwortete D. Feddersen-Petersen (1996): „Mir sind
bisher keine negativen Berichte zum Einsatz von Kopfhalftern
bekannt. Selbstverständlich sind Hunde individuell zu beurteilen,
sodass eine solide Beratung gegeben sein muss.“
Erwähnenswert wären noch einige Menschen, die fragen: „Ist das
(Halfter) ein Maulkorb?“ Um meine Ruhe zu haben, antworte ich
dann: „Nein, der Hund hat Zahnschmerzen.“ Ein solcher
Diskussionsabbruch funktioniert immer. Probieren Sie es aus!
Körpersprache, Hör- und Sichtzeichen
‣ Tipp
Nehmen Sie sich lieber eine Woche länger Zeit, um jeden
einzelnen Lernschritt zu verfestigen, und gehen Sie erst zum
nächsten Schritt über, wenn der vorherige sicher ausgeführt wird.
Übrigens: Bis auf ganz wenige Ausnahmen funktioniert das
„wölfische“ Kombinationsprinzip aus Bewegungseinengung und
freundlicher Signalvermittlung bei jedem Hund, inklusive meiner
sehr stolzen Taiga.
Das Disc-Training
Übung im Haus
Nach meiner Meinung ist Disc-Training grundsätzlich von einer
Fremdperson nach folgendem Prinzip durchzuführen: Man bietet
dem Hund mehrfach hintereinander Futterbrocken in Verbindung mit
dem Hörzeichen „Nimm’s“ an, legt danach kommentarlos ein Stück
Futter auf den Boden, woraufhin der Hund im Normalfall den Boden
beschnüffelt oder versucht, das Futter aufzugreifen. In diesem
Moment schüttelt man die Disc-Scheiben, ohne dass der Hund sie
groß beachtet.
Nun legt man Futter auf den Boden und lässt die Disc-Scheiben
kommentarlos fallen, wenn der Hund versucht, Futter aufzunehmen.
Über Wiederholungen lernt er, eine von ihm gestartete Handlung
(Futter aufnehmen) abzubrechen, und zeigt auf das Disc-Geräusch
eine konditionierte Antwort. Der „arme“ Hund ist frustriert, was sich je
nach Hundeindividuum durch die Vermeidung von Blickkontakt,
Gähnen, Kratzen, Bellen, Pföteln oder Abstandhalten äußern kann.
Im Normalfall zeigt ein Hund großes Interesse an einer freiwilligen
Kontaktaufnahme zu seinem Besitzer, der den Frust des Hundes
durch freundliches Lob und die Vermittlung von Schutz und
Geborgenheit abbaut (hier darf man seinen Gefühlen freien Lauf
lassen und den Hund nach Herzenslust bedauern).
Disc-Training wird von einigen Hundetrainern mit der Begründung abgelehnt, der
Hund trage auf jeden Fall einen bleibenden Schaden davon und reagiere nach
dem Einsatz von Disc-Scheiben auf alle Geräuschkulissen. Dabei beruft man sich
gern auf eine schuldbewusste Gesichtsmimik des Hundes, die dieser aber in
gleicher Form auch zeigt, wenn im Hausstand einmal ein Küchenutensil
herunterfällt oder er uns Menschen bei bestimmten Anlässen kommunikativ
„einlullen“ will.
Übung im Freien
Im nächsten Schritt geht man nach draußen und übt mit dem Hund
an einer langen Leine. Sobald er unaufmerksam ist, wirft man die
Disc-Scheiben sozusagen inkognito hinter dem Hund auf die Erde,
bleibt ruhig und gelassen, auch wenn er sich erschreckt.
Normalerweise zeigt der Hund nun eine etwas verunsicherte
Körpersprache, woraufhin wir ihn zu uns rufen und uns freundlich mit
ihm beschäftigen.
Um sicherzugehen, dass der Hund die Geräuschkulisse der Disc-
Scheiben auch definitiv verknüpft hat, legen wir einige Futterbrocken
auf den Boden und gehen mit dem Hund daran vorbei. Sobald er
versucht, nach dem Futter zu schnappen, klappern wir einmal mit
den Scheiben. Daraufhin soll der Hund sofort eine Meidereaktion
zeigen, sich von dem Futterbrocken entfernen und unsere Nähe
suchen. Ist dies der Fall, so ist er auf das Klappergeräusch
konditioniert, weil er einen Verhaltensabbruch zeigte. Notfalls ist die
ganze Prozedur mehrmals zu wiederholen, bis der Hund gelernt hat,
jedes Mal eine konditionierte Antwort auf das Klappergeräusch der
Disc-Scheiben zu zeigen.
‣ Vorsicht!
Manche Hunde sind absolut geräusch-unempfindlich und
reagieren auf die Scheiben überhaupt nicht. Nun, Hundeerziehung
ist nun einmal individuell anzugehen und in einem solchen Fall
können Sie die Scheiben nicht einsetzen. Die meisten Hunde
reagieren jedoch nur sehr beeindruckt, suchen die Nähe zum
Menschen und nehmen dessen Anordnungen „ganz plötzlich“
richtig ernst.
Hurra, die Wunderwaffe hat zum Erfolg geführt und ich habe einen
gehorsamen Hund, höre ich förmlich den einen oder anderen Leser
enthusiastisch verkünden. Moment, noch ist nicht aller Tage Abend,
denn laut unserer jahrelangen Untersuchungen reagierten einige
wenige Hunde aggressiv. Dann heißt es, die ganze Sache so schnell
wie möglich zu vergessen. Manche Hunde reagieren nach wenigen
Tagen überhaupt nicht mehr frustriert. Dann war die
Stimuluskontrolle insgesamt zu schwach. Für einige, sehr sensible
Hunde war die Reizkontrolle wiederum zu eng und sie schienen
sogar psychisch zu stark belastet zu sein. Natürlich höre ich Disc-
Gegner laut und vernehmlich schreien: Jetzt schlägt’s aber dreizehn
– eine Stimuluskontrolle durch Disc-Training ist generell unpassend
und keinem Hund zumutbar. Na ja, man kennt ja die ewigen
Bedenkenträger. Ob es nun zwölf oder dreizehn schlägt, ich würde
beiden Parteien Recht geben. Den Enthusiasten, weil ein Hund bei
besonnener Anwendung der Scheiben nur im entscheidenden,
akuten Moment eine konditionierte Antwort zeigt, und den Gegnern,
weil Disc-Training auf einige wenige Hunde psychisch belastend
wirken kann.
‣ Das bedeutet
Wie jeder weiß, führen viele Wege nach Rom – auch und gerade
in der Hundeerziehung. Die Weisheit hat keiner gepachtet, auch
wenn man manchmal den Eindruck hat, so mancher Hundetrainer
wolle sich durch die Vermittlung aller möglichen Weisheiten und
Halbwahrheiten an Schlauheit geradezu selbst überbieten. Nun,
auch in der Hundeerziehung herrschen mitunter „knüppelharte“
Wettbewerbsbedingungen. Den Kampf um den zahlenden Kunden
möchte man ungern verlieren. Um Disc-Training
verantwortungsvoll umzusetzen und eine zu starke psychische
Belastung des Hundes zu vermeiden, würde ich vorschlagen,
einen systemvertrauten Fachmann zu konsultieren.
Die „Click & Treat“-Methode
Geräuschkonditionierung
Als ich das Prinzip des Clickertrainings vor über 15 Jahren von Erich
Klinghammer in den USA kennen lernte, konnte ich mir in den
kühnsten Träumen nicht vorstellen, dass daraus einmal eine
Weltanschauung entstünde: „Wer bist du denn? Wie, du arbeitest
nicht mit Clicker? Dann kannst du nur einer von diesen
Steinzeittrainern sein!“ Wer nicht mit Clicker arbeitet, hat die Regeln
der operanten Konditionierung nicht verstanden! Peng, das sitzt.
Natürlich braucht man sich von solch einem völlig pauschalen Urteil
nicht beeindrucken zu lassen. Die Charakterisierung eines „guten“
oder „schlechten“ Hundetrainers steht und fällt nicht mit dem
Gebrauch von Clickern. Wäre dies der Fall, müsste man alle Schäfer
dieser Welt als rückständige Zeitgenossen bezeichnen. Auch im
Haushundebereich stürzt der Himmel nicht sofort ein, sollte der
Einsatz eines Clickers bei der Erziehung eines Vierbeiners keine
Rolle spielen.
Beim Clicker, diesem geheimnisumwitterten, ein Knack-Geräusch
verursachenden viereckigen Kästchen, handelt es sich um ein
Konditionierungsmittel. Wir könnten genauso Pawlows (1956)
Glockenton oder das schon erwähnte Öffnen eines Joghurtbechers
zum Konditionieren eines Hundes nutzen. Würde
man in der Öffentlichkeit ständig mit einem Gong oder einem Korb
voller Joghurtbecher herumhantieren, liefe man allerdings Gefahr, für
leicht verrückt erklärt zu werden. (Der Leser stelle sich einmal
bildlich vor, jeden Tag mit einem Korb gefüllt mit Joghurtbechern
über die Wiese zu rennen, um seinen Hund auf fröhliches
Herankommen zu konditionieren.) Egal, ob Gong oder Clicker:
Konditionierungstraining bedeutet stets eine Kombination aus akuter,
momentaner Dominanz (der Mensch setzt seinen Willen durch,
indem er jegliches unerwünschte Verhalten missachtet) und positiver
Verstärkung (der Mensch formt und belohnt ein gewünschtes
Verhalten). Stimmt das? Clickern hat etwas mit Dominanz zu tun?
Waren wir nicht generell gegen dominantes Handeln? Und nun das.
Clickertraining kann eine wunderbare Methode sein, Hunden über
eine subtile Art der Machtausübung etwas beizubringen. Clickern
kann jedoch ebenso eine psychische Belastung darstellen, wenn
man elementare biologische Grundbedürfnisse von Hunden
missachtet. Machtausübung? Ja, ja, ich weiß, eine solche Definition
weist man gern entrüstet von sich und sie kommt im Sprachschatz
vieler Hundepsychologen ganz bewusst nicht vor. Nur eins ist klar:
Wer „am Drücker“ sitzt, verhält sich akut dominant, was auch absolut
in Ordnung ist, solange man es nicht übertreibt. Wer einen konkreten
Zusammenhang zwischen Clickertraining und momentaner
Dominanzausübung grundsätzlich in Frage stellt, möchte den
Hundelaien offensichtlich auf Biegen und Brechen von dieser
Meinung überzeugen. Als Verfechter der sanften Welle mag er
eventuell den Hundelaien beeindrucken.
Nachdem der Clicker mit einem Sichtzeichen verknüpft wurde, reagiert ein Hund
danach allein auf das Sichtzeichen (Faust = Bellen).
‣ Das bedeutet
Fazit nach R. Coppinger (2003): „Bis dieses Buch veröffentlicht
ist, werden auch positive Verstärkung und Clickertraining schon
wieder ein alter Hut sein. Unsere Sorge ist aber, dass
Tierpsychologen meist glauben, dass alle Tiere auf dieselbe
Weise lernen. Was bei einem Delphin gilt, gilt aus ihrer Sicht
daher auch für eine Ratte oder einen Hund.“ Wie auch immer wir
ein bestimmtes Trainingskonzept bewerten, möchte ich
hinzufügen – es kommt auf die Verhältnismäßigkeit der Mittel an,
die wir zur Erziehung des Hundes einsetzen. Anstatt uns in
Gefechtsständen zu verbarrikadieren und gegenseitig zu
beschießen, nur um hinsichtlich moderner Hundeerziehung
„Recht“ zu haben, wäre es in unserer schnelllebigen Zeit viel eher
angebracht, Erfahrungen auszutauschen und von
unterschiedlichen Erkenntnissen zu profitieren. Dabei werden wir
garantiert des Öfteren unterschiedlicher Meinung sein. Ist das
etwas Schlimmes? Ich habe mich mit Eberhard Trumler, Erik
Zimen oder neuerlich mit Ray Coppinger konstruktiv gestritten,
dass sich die Balken bogen. Trotzdem war es möglich,
freundschaftlich miteinander verbunden zu bleiben. Was
Hundetrainer lernen müssen, ist eine kritische Streitkultur, ohne
Andersgläubige persönlich zu diskreditieren. Wer austeilt, muss
auch einstecken können, sagt der Volksmund.
Wassermethode und Signaltraining
Übungsaufbau
Man nehme also seinen Hund an eine höchstens 5m lange Leine
und marschiere fröhlich los, bis er durch einen Umweltreiz abgelenkt
wird. Separat übt man das „himmlische“ Hörzeichen „Guck mal hier“
(= Belohnung) ein. Selbstverständlich hält man die geladene
Wasserpistole diskret versteckt, bis die Gelegenheit günstig
erscheint, kommentarlos auf die Ohren des Hundes zielen zu
können. Kommentiert der Hund seinen Verhaltensabbruch durch
typisches Kopfschütteln („Mann, das nervt!“), dreht man sich von ihm
weg und ermuntert ihn durch oben genannte Hörzeichen
heranzukommen. Bei der ganzen Übung verhält man sich
körpersprachlich so unauffällig wie irgend möglich und vermeidet
jegliche „Billy-the-Kid-Pose“. So weit, so gut. Es mag belanglos
erscheinen, zu erwähnen, dass man die Ohren auch trifft. Ja, lieber
Leser, ich weiß, mit dem Treffen ist das so eine Sache. Übung macht
den Meister, deswegen empfiehlt es sich, die eigene Treffsicherheit
zuvor an diversen Gegenständen zu überprüfen, ohne den Hund zu
nerven! Die gute Nachricht ist, dass es Wasserpistolen mit
drehbarem Kopf gibt, die praktisch um die Ecke herum „schießen“.
Ist das nicht toll?
Der Spiegeltrick
Um den Hund noch besser auszutricksen, verwendet man einen
Kosmetikspiegel, sodass man dem Hund nicht frontal
gegenüberstehen muss, sondern dessen Handlungen relativ
inkognito observieren kann, getreu dem Motto: „Kombiniere,
Kombikiste.“ Über die Jahre hinweg haben uns Kosmetikspiegel
schon sehr oft geholfen. Auch zur Einübung des Hörzeichens „Platz,
bleib“ kann man den Hund ablegen, dann selbst hinter einer
Hausecke verschwinden und über den kleinen Spiegel prüfen, ob er
tatsächlich auch liegen bleibt. Sobald man feststellt, dass er sich
unbeobachtet fühlt und aufstehen will, zeigt man kurze Präsenz,
wiederholt das gegebene Hörzeichen und versteckt sich wieder
hinter der Hausecke. Wiederholt man diese Übung unter
Zuhilfenahme des Spiegels, erreicht man innerhalb recht kurzer Zeit
einen sehr zuverlässigen Gehorsam, schließlich ist man einerseits
unsichtbar, erkennt aber andererseits doch Dinge, die der Hund nicht
richtig einordnen kann.
Beispiele zur Wassermethode
Beispiel 1 Ein Hund zeigt Imponierverhalten oder Aggressionen
gegenüber Artgenossen, plustert sich wie ein Pfau auf und fragt:
„Was kostet die Welt?“ Daraufhin beachtet man seine Körpersprache
sehr genau und setzt die Wasserpistole ohne jeden Kommentar just
dann ein, wenn der Hund entweder fixiert, imponiert oder gerade
anfängt zu knurren oder zu bellen! Man bleibt natürlich ruhig und
gelassen, bis der Hund deutliches Meideverhalten im Ansatz zeigt.
Man kommentiert dieses Verhalten keinesfalls, sondern dreht sich
ignorierend um. Wichtig ist, die Körpersignale des Hundes präzise
zu deuten, um ihn nicht unnötig zu verwirren. Natürlich wird der
Hund entweder gähnen oder uns eine allgemeine Mimik der
Dramatik vermitteln wollen. Fallen Sie darauf bloß nicht herein! Dem
Hund passt nur nicht, dass er nicht machen kann, was er will. Sobald
Sie nachgeben, geht das ganze Spektakel wieder von vorn los.
Haben Sie einen kleinen Wasserstrahl abgefeuert, vollziehen Sie am
besten eine Körperdrehung um 90 Grad und gehen bitte völlig
kommentarlos Ihres Weges. Hilfreich ist sicherlich, die Drehung mit
dem Hörzeichen „Guck mal hier“ zu verbinden, woraufhin man dem
Hund die Möglichkeit gibt, sich am Menschen zu orientieren, anstatt
Artgenossen anzugiften.
Konfrontiert man einen Hund mit einigen kleinen Wasserspritzern auf seine Ohren,
unterbricht er normalerweise sein momentanes Verhalten sofort und schüttelt sich
erst einmal. Diese harmlose Schrecksekunde des Verhaltensabbruchs lässt sich
wunderbar nutzen, um einen Hund von Unarten abzuhalten und seine ungeteilte
Aufmerksamkeit auf den Menschen zu lenken. Sind zwei Hunde in eine ernsthafte
Auseinandersetzung verwickelt, hilft ein Eimer Wasser fast immer, ihre
Streitigkeiten im Keim zu ersticken und abrupt zu beenden.
Probleme im Haus/Lösungsvorschläge
Wassernapf umwerfen
‣ Man kauft dem Hund einen Spezialnapf mit Saugnoppen.
‣ Man lässt den Hund nur noch an einer bestimmten Stelle des
Hauses trinken und füllt den Wassernapf nur so viel, wie der Hund
auf einmal trinkt.
Probleme im Außengelände/Lösungsvorschläge
Bereits der Welpe sollte frühzeitig lernen, dass Autofahren zum Alltag gehört.
Anfangs ist es sinnvoll, nur einige hundert Meter zu fahren und im Anschluss
daran einen kleinen Spaziergang zu unternehmen oder dem Hund ein Spiel mit
Artgenossen zu ermöglichen. Die meisten Hunde freuen sich, uns im Auto
begleiten zu dürfen, und halten sich hier gern auch einmal mehrere Stunden auf.
Immerhin besser, als zu Hause allein zu bleiben! Der verantwortungsvolle
Hundebesitzer achtet aber auf die jeweilige Tagestemperatur, denn ein Auto kann
sich sehr schnell aufheizen.
Generelles Unruheverhalten
‣ Man lastet den Hund durch Apportierarbeit, Flyball-Spiel,
Fahrradbegleitung, Agility-Training, Jogging, Packtaschentragen,
Karrenziehen oder Futterspiele aus.
‣ Man lässt den Hund vom Tierarzt untersuchen, um festzustellen,
ob er beispielsweise an einer Überfunktion der Schild- oder
Bauchspeicheldrüse leidet.
‣ Man achtet darauf, dass der Hund regelmäßige Ruhephasen
einhält, und weist ihm einen ungestörten Schlafplatz zu.
‣ Man führt eine Desensibilisierung durch, wenn der Hund unruhiges
Verhalten auf eine bestimmte Reizlage zeigt.
Die Beeinflussung des Hundes
‣ Wichtig
Wolfseltern geben den Pulsschlag des Familienlebens vor, lassen
aber auch individuelle Persönlichkeitsentwicklungen großzügig zu.
Wer von ihnen nichts lernen will, ist nicht nur zu bedauern,
sondern verzichtet freiwillig auf eine exzellente Möglichkeit,
souveränes Handeln zu kopieren.
© Günther Bloch
Die von inneren Instinkten geleiteten Motivationen des Jägers Hund müssen bei
seiner Erziehung berücksichtigt werden. Besonders seine geruchliche Fähigkeit
gilt es, in ein umsichtiges Training einzubetten. Das Bild zeigt einen Hund, der
einer zuvor ausgelegten Pansenspur über ein Hindernis folgt, was sowohl zu
seiner körperlichen als auch zur geistigen Auslastung führt.
© Günther Bloch
Aggression – Teil des
Ausdrucksverhaltens
‣ Aggressionsarten
Nach U. Gansloßer (2002) unterscheidet man in der
Verhaltensbiologie drei verschiedene Aggressionsarten:
1. Selbstschutzaggression (in Situationen, die ein Tier für
ausweglos hält, greift es an, um sich zu verteidigen),
2. elterliche Schutzaggression (Verteidigung von Nachwuchs),
3. Wettbewerbsaggression (Auseinandersetzung um Ressourcen
innerhalb der eigenen Gruppe und gegenüber Fremden).
© Thomas Höller
Der Besitzer eines Haushundes sollte somit schlussfolgern, auf den
Einsatz einer „Käseglocke“ zu verzichten, die seinem „armen“ Tier
jegliche Stresseinwirkung erspart. Stresseinwirkungen lassen sich im
Alltag nicht vermeiden, es sei denn, man kennt die möglichen
Auslöser. So kommt die Hundetrainerin Martina Nagel (2003) zu
dem Schluss: „Anzeichen von Stress sollten keinesfalls ignoriert,
aber auch nicht überbewertet werden.“ Es ist jedem Hundebesitzer
anzuraten, möglichst keine kurzzeitig stressbedingten
Angstaggressionen seines Hundes zu unterstützen („Ist ja gut, sei
schön ruhig“). Stattdessen ist, so schwer es dem Menschen auch
fallen mag, ein ruhiges Auftreten auch deshalb wichtig, weil es in
einer gemischten „Mensch-Hund-Gemeinschaft“ nicht zwei
Individuen gleichen Ranges geben kann. Hunde, die ihre Ängste
subjektiv verdrängen, indem sie sich zeitweise gehemmt aggressiv
gegenüber unbehaglichen Stimuli (Reizen) verhalten, neigen unter
dem hoch emotionalen „Schutzschirm“ des Menschen oft zu
offensivem Verteidigungsverhalten! Solche Hunde verlieren auch
das Vertrauen zum Menschen, der sie nicht – wie eigentlich gewohnt
– unterstützt, sondern selbst rat- und vor allem hilflos erscheint.
Von aggressiven Wölfen, Menschen
und Hunden
Unterschiedliche Erziehungsansichten
Im Alltag wird Hundeverhalten (inklusive Aggressionen) unabhängig
von Risiken und Nebenwirkungen grundsätzlich über positive und
negative Verstärker gesteuert. Denken wir in diesem
Zusammenhang nur einmal an die Sache mit den nervtötenden
Wespen, nach denen Hunde bis ans Lebensende instinktiv
wutentbrannt und ausdauernd schnappen. Jeder kennt es: Aus
Sorge um den Hund versucht man ihn daran zu hindern, Wespen am
sorgsam dekorierten Kaffeetisch aufzulauern. Und was passiert? Wir
labern und labern uns den Mund „fusselig“, wie man in Köln so
schön sagt, ohne auch nur das geringste Ergebnis zu erzielen. Nein,
der Hund folgt seinem wölfischen Instinkt, der ihm sagt, diesem
flüchtenden und außerdem noch nervige Geräusche
verursachenden Beuteschema nachzustellen. Hat schon einmal
jemand versucht, den Hund durch ein alternatives
Belohnungsangebot am Wespenjagen zu hindern beziehungsweise
ihn davon abzulenken? Wenn ja, weiß man um die
Hoffnungslosigkeit und lernt, wie wichtig die Biologie des Hundes ist.
Außerdem lernt man ganz schnell, dass psychologische Lernregeln
ihre Grenzen haben und völlig außer Kraft gesetzt werden, sobald
beim Hund der Wolf „durchschlägt“. Das ist – abgesehen von der
akuten Gefahr beim Umgang mit Wespen – überhaupt nichts
Schlimmes oder Negatives, nein, es ist einfach nur typisch Hund. So
sind sie, die Caniden.
Kosten-Nutzen-Analyse
Hunde wägen in bedrohlichen Lebenssituationen (ähnlich einer
Kosten-Nutzen-Analyse) blitzschnell ab, ob sie sich z.B. gegenüber
einem tollkühnen Fremdhund oder Nachbars „Kung-Fu-Kater“
letztendlich momentan aggressiv verhalten oder ein
Alternativangebot als stärkere Belohnung empfinden. Der Einzelfall
und vor allem der Persönlichkeitscharakter entscheiden.
Alle „aggressiven“ Reaktionen von Hunden generell mit extremer
Härte zu beantworten, wie in den „guten alten Zeiten“ vordergründig
geschehen, bedeutet im Klartext eine unnötige Eskalation von
Gewalt. „Aggressive“ Hunde, die man brutal schlägt, tritt, verprügelt
oder in „Alphamanier“ am Halsband aufhängt, verknüpfen den
Menschen mit extrem unangenehmen Erfahrungen und stauen Frust
und Wut auf, deren Entladung dann der „Nächstbeste“ zu spüren
bekommt. Diese Tatsache kann man nicht oft genug wiederholen,
besonders deswegen nicht, weil es immer noch Menschen gibt, die
„Aggressionsverhalten“ mit Gewalt austreiben wollen, ohne sich
darüber klar zu sein, was sie da eigentlich tun. Sich als Mensch so
gehen zu lassen hat keineswegs etwas mit „typischem“
Wolfsverhalten zu tun, wie D. Mech (1999) bestätigt: „In einem in der
Wildnis lebenden Wolfsrudel ist Dominanz nicht als Hackordnung
manifestiert und scheint weniger Signifikanz zu haben, als es
Studienresultate an Gehegewölfen haben.“
Eine solch unangebrachte und respektlose Hundebehandlung
allerdings ethisch-moralisch zu bewerten, wie es leider vielerorts
geschieht, überzeugt kaum, weil viele im Einzelfall (zu Recht) selbst
„aggressiv“ handeln und sich zudem oft keine Gedanken um das
Abschlachten ganzer Tierarten (siehe Wolf) machen. Aggressives
Handeln ersetzt jedoch kein rationales Denken, der „Alphamensch“
reagiert trotzig und prügelt weiter auf seinen Hund ein. Einem alten
Sprichwort gemäß sollte niemand mit Steinen werfen, der selbst im
Glashaus sitzt.
© Monty Sloan
Einige Hundehalter argumentieren gern, sie würden beim Training ja nur das
Verhalten eines „Alphawolfes“ kopieren. Unsere eigenen Feldstudien führten
jedoch eindeutig zu der Schlussfolgerung, dass Jungwölfe im ersten Lebensjahr
Gesten der Unterwerfung nicht als Reaktion auf das Imponierverhalten von
Leittieren zeigen, sondern sich deren aktive Unterordnung nahtlos aus dem
Futterbetteln entwickelt. Das interaktive Verhalten zwischen Wolfseltern und ihrem
zweijährigen Nachwuchs ist – abgesehen von Konkurrenzsituationen während der
Hochranz – selten von ernsthaften Auseinandersetzungen geprägt, wenngleich
Alttiere gegenüber dem Nachwuchs jetzt etwas häufiger drohend oder
imponierend auftreten. Letztlich zeigte sich, dass Wolfseltern in etwa 50 % aller
beobachteten Zweierbeziehungen drohen respektive imponieren mussten, um
eine aktive oder passive Unterwerfungsbereitschaft des Nachwuchses im dritten
Lebensjahr zu erreichen. Da wir insgesamt 1073 Interaktionen notierten, können
wir von einem sehr aussagekräftigen Datenmaterial ausgehen.
© Peter Nawrath
Wachsen Hund und Katze zusammen auf, gibt es in der Regel keine großen
Probleme, wobei sich das freundliche Verhalten des Hundes gegenüber dem
heimischen Sozialpartner nicht allgemein auf alle Katzen überträgt. Viele
Menschen lehnen Negativverstärker in der Hundeerziehung ab und argumentieren
dabei mit ethisch-moralischen Bedenken. Wird eine Katze getötet, scheint es sich
oftmals um eine Spezies zweiter Klasse zu handeln, denn in Bezug auf den
Tötungsakt des Hundes sind die Moralgesetze mitunter komplett außer Kraft
gesetzt.
„Klassische“ Aggressionsarten
‣ Info
Die Konfrontationslust des Hundes sollte man auch nicht
überbewerten, denkt man nur z.B. an Rottweiler, die sich oft
während ihnen angenehmen Sozialkontakten aus reinem „feeling“
etwas in den (nicht vorhandenen) Bart „brummeln“.
Intergruppen-aggressives Territorialverhalten
Intergruppen-aggressives Territorialverhalten (aggressives Verhalten
einer geschlossenen Gruppe nach außen) hat viel mit
unterschiedlichen „Hundetypen“, individuellen Lernerfahrungen,
Betonung von Routineabläufen (Hunde sind Gewohnheitstiere) und
besonders mit der Einstellung von Menschen zu tun. Die meisten
Hundebesitzer handeln aus tiefster Überzeugung und hören auf ihr
„innerstes“ Gefühl. Dieses innere Gefühl mag zum Glauben führen,
sich aus Angst vor steigender Kriminalität und aufgrund bedrohlicher
Lebenssituationen hinter dem meist selbst ängstlichen Hund
verstecken zu können. Manche Menschen lieben es regelrecht,
misstrauische „Einzelkämpfer“ mit einem gewaltigen
Gefahrenpotenzial ihr Eigen zu nennen, die heroisch jeden
Eindringlich offensiv aggressiv an die Wand „nageln“. Vor solch einer
Einstellung kann ich nur warnen!
Wichtig ist: Solange Hunde Bekannte und Fremde differenzieren, im
entscheidenden Moment kontrollierbar sind, präzisen Anordnungen
folgen und innerhalb ausreichend eingezäunter Gelände agieren,
sollen sie Haus und Hof auch bewachen. Wo kämen wir (der
verallgemeinerten Ansicht von Politikern bewusst zum Trotz) auch
sonst hin? Im Übrigen kenne ich mehrere Politiker, die durchaus
territorial aggressive Hunde besitzen, obwohl sie öffentlich schlaue
Reden schwingen und das allgemeine „Kampfhundproblem“
schnellstens beseitigen wollen.
Nicht jeder Hund muss Fremde „knutschen“ und sie freundlich
empfangen, wenngleich vor konditioniert aggressivem Verhalten
(Verteidigung ganz bestimmter Revierteile von Garten und Haus)
ebenfalls zu warnen ist. E. Klinghammer (1994) sagt dazu:
„Platzlernen zeichnet sich dadurch aus, dass eine besondere
Lernerfahrung mit einem bestimmten Platz (Person, Zeit, Hund) in
Verbindung gebracht wird.“ Handeln Hunde zu unkontrolliert, heißt
es: Ausreden vergessen und jeglichen Zugang in Richtung
Ressourcen präzise analysieren!
‣ Hunde, die das „Ich-rase-am-Zaun-lang-Spiel“ oder das „Ich-
mache-Terror-an-der-Tür-Spiel“ gelernt haben, äußern Frustration
(Wut auf Revierfeinde oder Frust, keine Sozialkontakte aufnehmen
zu können), sind meist schlecht sozialisiert oder zu aufbrausend und
misstrauisch. Leider muss man extrem tobenden Hunden
(vorübergehend) jeglichen Freilauf ohne Aufsicht verbieten. S.
Harper (2003) schreibt stellvertretend für viele: „Generell verringert
sich nicht beachtetes Verhalten, während belohntes Verhalten
zunimmt.“ Wie wahr und doch missverständlich, denn bei der
Revierverteidigung schauen wir auf selbstbelohnende
Handlungsabläufe, deshalb hilft uns eine Kombination aus Ignoranz,
Gehorsamsübungen mit langer Leine und „Leckerlidose“ (zu denen
ich als flankierende Maßnahmen rate) nur bedingt weiter. Denn:
Hunde, die nicht bellen, angemessen Alarm schlagen und Fremde
melden dürfen, verhalten sich planlos erregt und frustriert,
uneinsichtig und unsicher, wobei wir wieder bei der Diskrepanz
zwischen Biologie und Psychologie wären. Der Leser mag erstaunt
sein, aber ich rate dazu (von wenigen Ausnahmen abgesehen),
Hunden über Futter das Hörzeichen „Gib Laut“ zu vermitteln und sie
zur Vermeidung eines unweigerlichen Energiestaus kurzzeitig und
kontrolliert bellen zu lassen! So entspricht man der Natur des
Hundes, und das Abbruchsignal „Nein“ sorgt viel eher für Ruhe.
Wenn nicht, hilft mitunter ein Lautsprecher, der am Zaun montiert
wird, sodass unerwünschtes Bellen vom Haus aus über ein Mikrofon
verbal korrigiert werden kann.
‣ Sind „aggressive“ Hunde gewohnt, unabhängig von Temperament
und Situation tendenziell Futter, Wasser, Spielzeug und
Lieblingsruheplätze im Vorgarten (Hauseingangsbereich) zu
verteidigen, verlegt man diese „majestätischen“ Privilegien auf
strategisch unwichtige Orte hinter dem Haus.
‣ In Fällen von Wachübertreibungen und zur Einhaltung der
Nachbarschaftsruhe bevorzugen wir gezielt Sichtblenden
(Bastzäune, Decken, Stoffflächen, Klebefolien, Jalousien), die
überall dort installiert werden, wo sie zur Sichtbeschränkung von
Hunden hilfreich sind.
‣ Reagieren Hunde auf einen bestimmten Klingelton übertrieben
„konditioniert“, heißt es eine völlig neue Klingel zu montieren und
Acht zu geben, dass der Hund nicht wieder eine konditionierte
Antwort auf den neuen Klingelton gibt. Erfahrungsgemäß empfiehlt
sich, den Hund des Öfteren auflaufen zu lassen, indem eine
Fremdperson diskret klingelt und sich unauffällig wieder entfernt.
Man wartet ein paar Minuten und teilt dem verdutzten Hund verbal
mit: „Da ist doch gar nichts.“
‣ Im Haus empfiehlt sich, die Gehorsamsbereitschaft von Hunden
eventuell über Kurzleine, Kopfhalfter und die Hörzeichen „Gib Laut“
und „Nein“ zu erhöhen. Je öfter man den Hund im Eingangsbereich
mit der eigenen Präsenz konfrontiert und ihm klar macht, dass man
als Erster zur Stelle ist, wenn es um das Abgrenzen des heimischen
Reviers geht, desto besser. Ein fester Platz, auf den man den Hund
verweisen kann, sollte durch konkrete Übungen existent sein und
nicht jedes Mal gesucht werden müssen, wenn der Besuch schon
vor der Tür steht. Mit der Kurzleine lässt sich bestens einüben, was
man will. Lieber auch einen Maulkorb nutzen, damit der Hund
definitiv niemanden verletzen kann. Diese Übungen sind allemal
besser, als dem Hund sein Territorialrecht auf Dauer streitig zu
machen, indem er immer weggesperrt wird. Hunde sollte man nur
wegsperren, wenn sie wirklich eine Gefahr bedeuten. Ansonsten
bitten Sie den Besuch Platz zu nehmen und weisen ihn an, den
Hund nur für neutrales Verhalten (wenn überhaupt) zu beachten.
Wegsperren lässt den Hund nur noch misstrauischer werden und
den nächsten Besuch intensiver anblaffen. Ängstliche Hunde stellen
ihr Misstrauen viel eher ein, wenn sie regelmäßigen Kontakt zu
Fremdpersonen haben, die z.B. im Beisein der Besitzer den Hund
beim Spaziergang an der Leine führen oder besonders begehrtes
Futter (z.B. Würstchen) anbieten. Auch Hunde sind bestechlich und
Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen.
Die Gewöhnung an einen Maulkorb dauert im Schnitt nicht länger als drei bis vier
Tage, indem man dem Hund etwa zehnmal pro Tag Futtergaben durch die
Öffnungen eines Maulkorbes anbietet. Vom Gebrauch geschlossener
Maulkorbformen ist dringend abzuraten, weil der Hund weder hecheln, noch
trinken kann und der Atmungsprozess einer zu starken Beeinträchtigung
unterliegt.
Schmerz-assoziiertes Aggressionsverhalten
Verantwortungslose Zuchthandhabung, zu energiereiche Ernährung,
umweltbedingte Schädigungen und mannigfaltige Krankheitsbilder
können beim Hund zu Degeneration, psychischem Unwohlsein,
Angst oder Depressionen führen, woraufhin sich auf falsche
Berührungen, bestimmte Bewegungsabläufe oder andere sehr
komplexe Reizlagen aggressive Abwehrmechanismen einstellen
können.
1. Man sollte einen Tierarzt konsultieren, der einen allgemeinen
Gesundheitscheck vornimmt und den Hund gezielt auf eventuelle
Fehlfunktionen von Schild- oder Bauchspeicheldrüse untersucht,
Hüft-, Schulter- und Ellenbogengelenke kontrolliert und die
Wirbelsäule auf mögliche Wirbel- oder Bandscheibenschäden
begutachtet.
2. Verabreicht man dem Hund einige Tage Schmerztabletten, wird
schnell deutlich, ob er sich neutraler verhält und nach Absetzung des
Medikaments erneut aggressiv reagiert.
3. Bei Hunden, die auf Schmerz empfindlich und daraus resultierend
aggressiv reagieren, kann die bloße Annahme, von Menschen oder
anderen Hunden angerempelt oder bedrängt zu werden, schon
„präventiv“ zu aggressivem Abwehrverhalten (Verteidigung der
körperlichen Unversehrtheit) führen! Einen solchen Hund muss man
leider weitestgehend isolieren bzw. – je nach Krankheitsbild –
vorübergehend, so gut es geht, ignorieren.
‣ Tipp
Eine tierärztlich durchgeführte Hormonbehandlung
(Kastrationssimulation) kann zur Überprüfung von
Verhaltensveränderungen hilfreich sein. Die einfache Formel
„Kastration → Aggressionsproblem erledigt“ geht im
verallgemeinernden Sinn leider nicht auf!
Aggressionssteigerung
Laut D. Feddersen-Petersen (2001) „scheint es keinen sprunghaften
Wechsel vom Komment- (ritualisierte Interaktion) zum Ernstkampf
(Beschädigungskampf) zu geben, sondern eine abgestufte
Steigerung der Auseinandersetzung.“ Diese Aussage zur Biologie
der Aggression ist von enormer Wichtigkeit, um nicht die manchmal
subjektiv als zu ruppig empfundenen Ritualhandlungen von Hunden
(inklusive Drohsignalen wie Nasenrücken- oder Stirnrunzeln,
Lefzenanheben oder Maulringen) generell negativ zu bewerten,
sondern genau zu definieren. So schreibt J. O’Heare (2003) zum
Thema Aggression gegen Fremdhunde ohne jegliche
Persönlichkeitsbewertung, Altersangabe oder Erläuterung von
aktivem oder passivem Drohverhalten verallgemeinernd: „Bei
Aggressionen zwischen Hunden haben wir es meist entweder mit
Mobbing oder mit unrealistischen Erwartungen im Sozialkontakt
zwischen Hunden oder Angst und unzureichender Sozialisierung zu
tun. Wenn allerdings die Auseinandersetzungen nicht bloß kurz und
korrekt verlaufen (...) oder wenn ein Hund einen anderen bedroht
und/oder ihm physisch oder psychisch Schaden zufügt, dann haben
Sie ein echtes Problem.“
Diese Aussage drückt eine absolut verständliche Besorgnis aus, die
ich in Bezug auf extrem rauflustige Hunde durchaus teile, aber was
ist eine kurze und „korrekte“ Auseinandersetzung? Was ist ein
schädigendes Bedrohen? Die Gleichsetzung von Drohen und
Beschädigung hat aus verhaltensbiologischer Sicht keine Grundlage.
Es ist nicht der Fall, dass Hunde nach jedem Austausch von
Drohsignalen übereinander herfallen. Davon sind wir
erfreulicherweise meilenweit entfernt. Hundebesitzer sind definitiv
schon genug verunsichert, was das mitunter leicht aggressive
Interaktionsverhalten ihrer Hunde betrifft. Sie durch solche Aussagen
noch ängstlicher zu machen, halte ich für sehr bedenklich. Hunde
brauchen aus biologischer Sicht täglich Sozialkontakte mit
Artgenossen, auch wenn die Gefahr besteht, dass es einmal schief
gehen kann. Lassen wir unsere Kinder nicht mehr in ein Ferienlager,
weil sie unter Umständen mit ein paar Schrammen nach Hause
kommen?
Gemischte Hundegruppen
Zu dieser Thematik sagt U. Gansloßer (2002): „Gerade Jungtiere
brauchen unbedingt selbst verschaffte Erfolgserlebnisse beim
Bewältigen von Problemen.“ Dieser Klarheit kann man nur
beipflichten und aufgrund meiner langen Erfahrung im Umgang mit
gemischten Hundegruppen möchte ich einige Tipps geben:
a) Die Ansicht „Mein Hund müsste einmal an einen Stärkeren
geraten, der ihm Benimm beibringt“, führt nur zur interaktiven
Klärung zwischen den beiden Kontrahenten, hat aber
bedauerlicherweise keinen Verallgemeinerungswert. Der beste Rat
ist, Hunde so zu trainieren, dass sie nur auf das Hörzeichen „Lauf“
Kontakt zu Fremdhunden aufnehmen. Souveräne, sozial verträgliche
Hunde (und deren klar abgegrenztes Drohverhalten) eignen sich
bestens für eine Überprüfung, ob es sich beim eigenen (mit
Maulkorb ausgestatteten) Hund wirklich um einen extremen Raufer
ohne Beißhemmung handelt. Sollte er hemmungslos angreifen, hebt
man seine Hinterläufe hoch, entfernt ihn sofort und erarbeitet mit
einem Fachmann ein Trainingsprogramm, das die Vermittlung von
Abbruchsignalen beinhalten muss. Zeigt der eigene Hund trotz der
Neigung zu ritualisierten Kommentkämpfen eine klare Beißhemmung
(was erfahrungsgemäß nichts mit Maulkorb zu tun hat), kann man
übertriebene Drohverhaltensansätze über das Hörzeichen „Nein“
oder (in der Distanz) durch Werfen eines Stocks oder der Leine
zwischen die Beine sehr oft regulieren.
b) Ist z.B. im Hundeverein ein sozial verträglicher Gruppenkern von
Hunden mit abgegrenztem Drohverhaltensrepertoire vorhanden,
heißt es, Kampf- und Rennspiele (unter Aufsicht) generell nicht zu
unterbrechen, es sei denn, es besteht eine Gefahr zum Mobbing,
weshalb man grundsätzlich einen Wasserschlauch und so genannte
„Rescue-Remedi-Tropfen“ (Notfalltropfen) zur Hand haben sollte.
Sind Hunde trotzdem einmal in eine Auseinandersetzung verwickelt,
empfiehlt es sich je nach Umstand, entweder wegzulaufen (nach
vorheriger Übung, siehe Punkt e) oder im tatsächlichen Ernstfall
einen Stock seitlich in die Schnauze des angreifenden Hundes zu
schieben, in den er beißen kann. Ängstlichen oder sehr unsicheren
Hunden sollte man über einen langen Zeitraum nur Kontakt mit
sozial freundlich gestimmten, unkomplizierten Artgenossen
ermöglichen. Hundegruppen, die nur aus einem Zusammenschluss
offensiv aggressiver Hunde bestehen, sind deshalb zu meiden, weil
sich die Angriffslust (und sei es nur zur Selbstverteidigung) ziemlich
sicher steigert statt minimiert.
c) Kreislaufen, gegenseitiges Überprüfen der Analregion,
überschaubares Imponieren, Drängeln und Spieldrohen (inklusive
Drohmimik) gehören unter Hunden zwar zum „guten Ton“, sollten
aber dann besonderer Beobachtung unterliegen, wenn steife
Körperbewegungen, völlig starre Augenausdrücke oder sogar
Fixierhaltungen erkennbar sind. Wer auch immer mit Hundegruppen
auf „Spielwiesen“ oder sonst wo zu tun hat, muss laut D. Feddersen-
Petersen (1992) wissen: „Die Tendenz zur ritualisierten
Auseinandersetzung scheint bei vielen Hunden herabgesetzt, was
bedeutet, dass – verglichen mit Wölfen – schneller ohne Vorwarnung
zugebissen wird.“ Dass „aggressives“ Hundeverhalten oft durch
chaotische Kommunikationsdarbietungen und widersprüchlich
handelnde Menschen provoziert wird, ist ebenfalls zu
berücksichtigen, sodass ich dem Menschen mitunter zur kurzzeitigen
Einnahme von Baldriantropfen rate, um etwas entspannter zu
agieren!
© Günther Bloch
Viele Menschen versuchen, das Ritualverhalten von zwei Hundeindividuen aus
Sorge um den eigenen Hund und Angst vor „Schlimmerem“ zu beeinflussen,
indem sie ihn aus einem interaktiven Handlungsablauf herausrufen. Dabei wird
nicht bedacht, dass die unnatürliche Unterbrechung von Ritualen für den eigenen
Hund einen enormen „Gesichtsverlust“ bedeutet und er sich außerdem im Nachteil
befindet, weil der Ritualpartner so ungewollt die Oberhand gewinnen und den
eigenen Hund durch Verfolgung bedrängen kann.
‣ Das bedeutet
Das „Aggressionsverhalten“ von Hunden stellt sich im Vergleich
zu Wölfen zwar nicht so nuanciert dar, unterliegt aber trotzdem
einer riesigen Variabilität. Hundebesitzern ist deswegen zu
empfehlen, besonders dem Ritual- und Drohverhalten ihrer Hunde
viel Aufmerksamkeit zu widmen, Hunde aber nicht über Gebühr zu
„managen“! Die mit Abstand beste Auslastung des Hundes
besteht nämlich im täglichen Herumtoben mit Artgenossen! Wer
das bezweifelt, handelt einfach nur egoistisch und möchte den
Hund aufgrund Eifersüchteleien nicht mit anderen Hunden teilen.
© Günther Bloch
© Günther Bloch
Aggressionen grundsätzlich negativ zu bewerten oder sie – wie in der Psychologie
leider an der Tagesordnung – pauschalisierend mit Angst in Verbindung zu bringen
macht aus biologischer Sicht keinen Sinn. So folgen viele männliche Bären einer
reinen Fortpflanzungsstrategie, wenn sie beispielsweise die Jungbären eines
anderen Bärenmännchens töten und eigenen Nachwuchs produzieren, um so ihre
eigenen Gene an die nächste Generation weiterzureichen.
‣ Das bedeutet
Meine auf eigenen Erfahrungen beruhende These mag man
bestreiten, sie ist jedoch nach meinem Dafürhalten ziemlich
realistisch:
Bei rund 33% der Hunde handelt es sich um freundliche, meist
unterwürfige Tiere, 33% verhalten sich je nach Lebens- und
Umweltsituation mehr oder weniger aggressiv und das restliche
Drittel erinnert eher an wild gewordene Stiere. Diese heißblütigen
Tiere sind selbstverständlich mit besonderer Vorsicht zu genießen,
ihr Gefahrenpotenzial darf man auf keinen Fall unterschätzen.
Soziale Kompetenz
Im Lauf der sich ständig weiter entwickelnden ökologischen
Anpassung des Haushundes an den Menschen und dessen
Lebensweise kam und kommt es nicht nur zum geselligen und
harmonischen Beisammensein, nicht nur zu Spaß und Freude,
sondern zwangsläufig hin und wieder auch zu „aggressiven“
Wettstreitigkeiten um Ressourcen. Des Hundes Flexibilität und
Anpassungsfähigkeit ist auf die sensible Lernfähigkeit des Wolfes
zurückzuführen. Jede Veränderung von Beziehungen zwischen
Familienmitgliedern wird registriert und das Handeln danach
ausgerichtet. D. Feddersen-Petersen (2001) argumentiert klipp und
klar: „Es ist als allgemeingültig festzuhalten, dass Hunde als
wölfisches Erbe und als Ergebnis der Domestikation besondere
Fähigkeiten erwarben, über ihr soziales Umfeld zu lernen“.
Der Begriff “Dominanzaggression“ ist – wie wir gelernt haben –
widersprüchlich. Gerade weil Mensch und Hund enge
Sozialbeziehungen eingehen, führt eine Diskussion über Sinn oder
Unsinn so genannter „Sofawölfe“ am Thema vorbei. Vielmehr geht
es darum, wer zu welchem Zeitpunkt wie viel Freiraum genießen
darf, ohne dass es nötig ist, Aggressionsverhalten umzusetzen. Ob
dieses Lernen des Hundes später zu übertrieben aggressiven
Verhaltenstendenzen führt, liegt am Menschen, der manchmal eine
konsequente Rangeinweisung mit rohen Gewaltmaßnahmen
gleichsetzt und sie deswegen aus falschen Gründen ablehnt. Zur
Entwicklung sozialen Verhaltens müssen wir Menschen soziale
Kompetenz ausstrahlen, indem wir insbesondere Junghunden
gestatten, möglichst viele Erfahrungen in Bezug auf die
Eingliederung in gemischte Hundegruppen zu sammeln. Die
Problembewältigung im Umgang mit gleichgeschlechtlichen Tieren
und das Erlernen von Unterordnungsbereitschaft sind für junge
Hunde auch deswegen wichtig, weil sie z.B. mit Geschlechtsreife
nicht sozial gebundene Weibchen über Gebühr belästigen dürfen
und so unnötig in aggressive Auseinandersetzungen mit
gestandenen Rüden geraten könnten, die natürlich „ihre“ Hündinnen
von kess auftretenden Rivalen abgrenzen würden.
Haushunde brauchen ihre menschlichen Sozialpartner genauso
dringend wie Artgenossen, um ihre Persönlichkeit artgerecht
entfalten zu können und sich nicht zu „aggressiven“ Monstern zu
entwickeln.
Die Welt der Caniden
Der Wolf, das unverstandene Wesen
Hierarchische Beziehungen
D. Mech schrieb 1999 etwas zu Unrecht: „Somit hat noch niemand
die hierarchischen Beziehungen eines wilden Wolfsrudels
quantifiziert“. Bei allem Respekt, genau das haben wir zwölf Jahre
lang gemacht und belegen es durch die Publikationen von P. Paquet
(1993), die Doktorarbeit von C. Callaghan (2002) und durch unser
Buch „Timberwolf Yukon & Co“. Basierend auf den ersten
Feldforschungsergebnissen aus intensiven Sommer- und
Winterbeobachtungen können wir daher eindeutig den Schluss
ziehen, dass der Antrieb zu bestimmten Verhaltensmustern ganz
konkreten Motivationen folgt und mit diesen in Zusammenhang
steht:
► Wolfsväter stellen sich (in manchen Lebenssituationen auch
Wolfsmütter) quantitativ am häufigsten akuten Gefahrensituationen,
indem sie Nahrungskonkurrenten vertreiben, jedes „Alarmbellen“ an
Höhlenkomplexen initiieren und alle anderen Familienmitglieder
verteidigen. Dabei ist ihnen besonders wichtig, die Familie von
Gefahren wegzuführen, wann immer dies möglich erscheint.
‣ Wolfsmütter organisieren alle Maßnahmen, die in direkter oder
indirekter Beziehung zum Nachwuchs stehen, indem sie die
Oberaufsicht und Futterkontrolle für ihre Welpen durchführen oder
die „passende“ Höhle aussuchen. Wolfsmamas sind äußerst
wählerisch und es kann mitunter Wochen dauern, bis sie sich für
einen ganz bestimmten Höhlenstandort entschieden haben.
‣ Jungwölfe beobachten das souveräne Verhaltensrepertoire ihrer
Eltern und saugen es auf wie einen Schwamm. Sie haben mit einer
strengen Hackordnung wenig am Hut, sondern bewundern das
Talent ihrer Eltern, im täglichen Leben zurechtzukommen.
‣ Das Beziehungsgeflecht der Leittiere untereinander wird
grundsätzlich von Toleranz, Akzeptanz, Harmonie und einer engen
Liebesbeziehung bestimmt, wie der große Kynologe H. Räber schon
1990 weitsichtig erkannte: „Wir Menschen pachten die Liebe gern
als ein typisch menschliches Verhalten für uns allein und vergessen
dabei, dass sie auch im Tierreich ihre Rolle spielt. Verlieben, lieben
und lebenslängliche Treue halten, das gibt es auch bei Tieren.“ Was
die Gattung Wolf angeht, kann ich diese Aussage nur bestätigen,
denn fast alle Wolfspaare, die ich observierte, blieben ein Leben
lang zusammen.
‣ Sind Wolfsmütter älter als Wolfsväter, bekunden sie gegenüber
den Herren der Schöpfung keine Gesten der Unterwürfigkeit, wie D.
Mech (1999) ein wenig verallgemeinernd publizierte. Im Gegenteil:
Ich habe noch nie einen Leitrüden in bedrohlicher T-Stellung oder
Imponierhaltung über einem Leitweibchen stehen sehen und viele
Wolfsherren zeigen gegenüber ranghohen Wolfsdamen sogar
passive Unterwerfung, indem sie ihren Blick im entscheidenden
Moment abwenden. Nach meinem Dafürhalten ist die viel publizierte
Grundsatzthese der total strikten, „geschlechtsgebundenen
Rangordnung“ mit einer gehörigen Portion Skepsis zu betrachten.
‣ Sind Leitweibchen jünger und unerfahrener als Leitrüden,
bekunden sie passive, aber keine aktive Unterwürfigkeit, was sich
wiederum schnell ändert, sobald eine Wolfmama ihre Welpen zum
ersten Mal aus dem Bau führt. Junge Leitweibchen lassen allerdings
Leitrüden den Vortritt an Beutetierkadavern und verhalten sich hier
bisweilen sogar aktiv unterwürfig beziehungsweise fordern Leitrüden
zum Spielen auf, um sie geschickt von einer Nahrungsressource
wegzulocken. Während der Aufzuchtphase von Welpen verhalten
sich wiederum viele Leitrüden äußerst „gentlemanlike“, lassen die
Weibchen zuerst fressen und Futterbrocken wegschleppen, die
diese ohne Zögern sofort auf dem schnellsten Weg zur Höhle
tragen. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass Wolfsmütter
ihre Interessen fast immer durchsetzen. Auch die Ethologin D.
Feddersen-Petersen teilte mir kürzlich in einem Telefongespräch mit,
dass sich ihre Gehegewolfsgruppen sehr unterschiedlich verhalten,
individuelle Verhaltensentwicklungen die Regel darstellen und man
von dem Rangordnungsverhalten auch unter
Gefangenschaftsbedingungen in keiner Weise sprechen kann. Sie
definiert den Begriff „Rudel“ im Gegensatz zum Duden ganz einfach
als „in Gruppen zusammenlebende Soziallebewesen“, wobei auch
sie die Ansicht vertritt, dass weibliche Leittiere extrem enge
Sozialbeziehungen zu ihren männlichen Lebenspartnern eingehen
und dabei ihre eigenen Interessen sehr geschickt durchsetzen.
Gleiches gilt für den Haushund: Dass Weibchen im Umgang mit
Rüden die „Hosen anhaben“, ist wahrlich keine Seltenheit, wie meine
Hündin Taiga täglich demonstriert. Sie ist ohne Zweifel die
ungekrönte Königin unserer Hundefarm und kein Rüde stellt ihren
hohen Sozialrang in Frage. Hin und wieder protestiert einer unserer
Rüden gegen Taigas Herrschaft, was aber meistens keinen Erfolg
hat, da sie ihre Interessenlage durchsetzt. So bleibt den Rüden
nichts anderes übrig, als die Waffen zu strecken und hier und da ein
wenig zu imponieren.
© Günther Bloch
In Wolfsfamilien bestimmen Wolfsmütter sehr oft das Tagesgeschehen und
bringen mitunter sogar große Beutetiere wie Hirsche oder Rehe regelmäßig allein
zu Fall. Das Bild zeigt Leitweibchen Aster, die in den ersten beiden Jahren ihres
Zusammenlebens mit ihrem neuen „Gatten“ Storm förmlich nach
Führungsaufgaben schrie, um dem männlichen Neuankömmling das heimische
Revier aus allen Winkeln und Perspektiven bekannt zu machen. Genaue
Kenntnisse über ein Territorium umfasst vor allem das Wissen um die
Aufenthaltsorte von Beutetierbeständen, die saisonbedingt unterschiedlich sind.
Auch die Orte, an welchen traditionell Huftiermütter ihre Kälber zur Welt bringen,
sind von Interesse und bieten berechenbaren Jagderfolg. Zudem wissen erfahrene
Wolfsmütter, wo die Höhlenkomplexe eines Heimatreviers gelegen sind und wo
man ungestört und relativ sorglos Nachwuchs zur Welt bringen kann.
Vergleichende Verhaltensforschung
Und noch eine wichtige Anmerkung: Wölfe sind alles andere als
automatisierte Raubtiere, die nur auf Nahrungssuche gehen oder
ihren Nachwuchs versorgen, auch wenn dies heute oft behauptet
wird. Damit wird lediglich einer Argumentationslinie gefolgt, die da
heißt: Wolfsverhalten hat nichts mit Hundeverhalten gemein. Unsere
Forschungsergebnisse, die größtenteils durch Videografie belegt
werden können und die ich in meinen Seminaren fast jedes
Wochenende einem erstaunten Publikum vorführe, sprechen
jedenfalls eine andere Sprache. Wölfe spielen mit Artgenossen und
Gegenständen, sind extrem neugierig, unterhalten intensive
Gefühlsbeziehungen, genießen regelmäßiges Sonnenbaden, albern
umher, springen von Anhöhen in einen Fluss, planschen wie
ausgelassene Kinder begeistert im Wasser herum und äußern ihre
Lebensfreude auf unterschiedliche Art und Weise. Wo ist hier der
gravierende Unterschied zum Haushund? Darüber sollten alle
nachdenken, die die neuerliche Hypothese „Wölfe kann man nicht
mit Hunden vergleichen“ kritiklos aufgreifen und spontan bereit sind,
die vergleichende Verhaltensforschung komplett in Frage zu stellen.
Und unsere Haushunde? Nun, auch sie sind sehr kommunikativ und
verhalten sich genauso, wie man es von einem hoch entwickelten
Säugetier erwarten kann, das vom Wolf abstammt. Nicht ohne
Grund heißt dieses Buch „Der Wolf im Hundepelz“. Es wäre schön,
wenn man auch gegenüber der vergleichenden Verhaltensforschung
in Deutschland mehr Respekt aufbringen würde und
deren Grundlagenergebnisse in ein Argumentationskalkül
einbezöge. Stattdessen handelt man vielerorts lieber nach dem
Motto: Was interessieren mich schon Gehegebeobachtungen, die
bringen sowieso nichts, weil man daraus keinerlei Erkenntnisse auf
Haushundverhalten ableiten kann. Eine solche Denkweise ist
schlicht arrogant und vor allem rein fachlich gesehen falsch.
© Günther Bloch
Taiga bei ihrer absoluten Lieblingsbeschäftigung: Von einer Anhöhe aus grenzt sie
„ihr“ Territorium ab und meldet jeden Eindringling augenblicklich.
‣ Das bedeutet
Mich hat unter anderem schon immer gewundert, wozu angeblich
Jungwölfe die „Hierarchieleiter“ erklimmen, wenn sie
schlussendlich nur die Möglichkeit haben sollten, mit Vater oder
Mutter „Liebesakte“ zu vollziehen und Inzucht zu betreiben.
Höchst merkwürdig fand ich zudem, dass das Familienleben
verhaltensökologisch vergleichbarer Caniden (afrikanischer
Wildhund oder asiatischer Rothund), das dem des Wolfes
ungemein ähnelt, ebenso primär auf einer freundlich gestimmten
und höchst kommunikativen Ebene stattfindet.
Domestikation von Silberfüchsen
Wölfe sehen wie Füchse relativ einheitlich aus, paaren sich nur
einmal im Jahr und verhalten sich (zumindest theoretisch) in freier
Wildbahn scheuer als Haushunde. Zur Beurteilung, ob natürliche
oder künstliche Selektion zur Domestikation des Haushundes führte,
ist das Experiment des Russen D. Belyaev (1979) hoch interessant,
der bewusst in Käfigen lebende Silberfüchse auf die Reduktion von
Fluchtverhalten selektierte. Belyaev betrieb künstliche Zuchtauslese,
indem er aus einer mehrere tausend Tiere umfassenden
Fuchspopulation letztendlich nur die ruhigsten und ihm freiwillig
entgegenkommenden Füchse sich verpaaren ließ.
Was ursprünglich mit einer gewollt manipulierten
Temperamentsveränderung begann, entwickelte sich nach wenigen
Jahren künstlicher Selektion auf zahmeres Verhalten zur kleinen
Sensation: Nach und nach veränderten die Silberfüchse auch ihr
äußeres Erscheinungsbild (Kippohren, gescheckte Fellstrukturen,
veränderte Rutenstellungen), bellten ähnlich den Hunden und die
Weibchen wurden zweimal pro Jahr läufig. Durch gezielte Eingriffe
des Menschen (sexuelle Isolation von weniger scheuen und nicht
flüchtenden Füchsen) scheint auch die Manipulation eines
Tiergehirns möglich zu sein, was zu dessen physischer und
psychischer Veränderung führt. Belyaevs Zuchtmanipulation führte
trotz aller geschilderten Veränderungsmerkmale aber nicht zur
Minimierung der Körpergröße, des Schädels, der Zähne oder des
Gehirnvolumens der Silberfüchse. Trotzdem geht der – zum Glück
sachliche – Streit unter diversen Wissenschaftlern weiter.
R. Coppinger (2003) spekuliert: „Ich gehe davon aus, dass
verringerte Körpergröße und kleinere Schädel, Gehirne und Zähne
das Ergebnis natürlicher Selektion und nicht sprunghafter
Veränderung sind.“ Diese Annahme beinhaltet aber keine Erklärung,
warum Belyaevs Füchse aufgrund künstlicher Selektion starke
Verhaltensabweichungen und Veränderungen des äußeren
Erscheinungsbildes aufzeigten, wie R.Coppinger (2003) zugibt: „So
wie ich das sehe, kämpfen sowohl das Modell der natürlichen als
auch das der künstlichen Selektion mit dem Problem, eine Erklärung
für jedes Wesensmerkmal finden zu müssen.“
Was unsere Haushunde und deren Erziehung anbelangt, liegt die
Antwort meiner Meinung nach im Kompromiss und der Tatsache der
Vielfältigkeit von Gattung Hund Rechnung zu tragen (vom
unterwürfigen Persönlichkeitstypus eines typischen Jungwolfes bis
zum tendenziell aufmüpfigen „Früchtchen“).
© Raymond Coppinger
Wolf und Hund schleichen in vielen Gegenden Südeuropas um die Müllhalden der
Menschen und ernähren sich von unseren Wohlstandsresten, wobei sie sich
untereinander (im Gegensatz zu erheblichen kommunikativen Schwierigkeiten
zwischen Kojoten oder Schakalen und Hunden) bestens verständlich machen und
sogar sehr ähnliche Körpersignale austauschen, wie auf dem Bild zu sehen ist
(Interaktion zwischen Wolf und Kangal).
Schlussfolgerung
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© Rolf Hüttner
Zum Weiterlesen
Bloch, Günther & Elli H. Radinger: Affe trifft Wolf. Dominieren statt
Kooperieren? Die Mensch-Hund-Beziehung. Kosmos, 2011
Bloch, Günther & Peter A. Dettling: Auge in Auge mit dem Wolf. 20
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Radinger, Elli H.: Die Wölfe von Yellowstone. von Döllen, 2004
Radinger, Elli H.: Wolfsangriffe. Fakt oder Fiktion? von Döllen, 2004
Adressen
Hunde-Farm „Eifel“
Von Goltsteinstr. 1
D – 53902 Bad Münstereifel-Mahlberg
Tel.: 02257 952661
Fax: 02257 952660
www.hundefarm-eifel.de
canidexpert@aol.com
Wolf Magazin
Das Wolf Magazin, herausgegeben von Elli H. Radinger, ist seit
1991 die einzige deutschsprachige Fachzeitschrift über Wölfe und
andere wilde Kaniden. Bisher gab es die Zeitschrift nur im
Abonnement. Seit 2010 erscheint das Wolf Magazin zweimal jährlich
(Frühjahr und Herbst) als Buch im Zeitschriftenhandel.
Impressum
Umschlaggestaltung von eStudio Calamar unter Verwendung von
zwei Fotos von Günther Bloch (links) und Karl-Heinz
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