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Rosemarie Trockel: Die Rätselkönigin | ZEIT ONLINE 19.04.

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Rosemarie Trockel

Die Rätselkönigin
Wie die Künstlerin Rosemarie Trockel aufbrach, die Kunst von ihrer Bedeutung zu
befreien. Und sich in Beliebigkeiten verlor. Eine Ausstellung in Frankfurt

Von Hanno Rauterberg


Aktualisiert am 5. Januar 2023, 4:31 Uhr / 12 Kommentare /

AUS DER ZEIT NR. 52/2022

Rosemarie Trockel © Brill/ullstein bild

Alle, wirklich alle sind begeistert, sie lieben, sie verehren Rosemarie Trockel, oder tun
jedenfalls so. Trockel, die bekannteste Unbekannte der Kunstwelt, die keine Interviews gibt
und die auch sonst alles meidet, was nach Personenkult aussehen könnte. Unverfügbar, das
will sie sein und ist – gerade deshalb – omnipräsent. Ob in Venedig auf der Biennale oder in
Kassel auf der Documenta, überall hat man sie gerne dabei, eine Künstlerin von Weltrang,
deren Ruhm sich, sollte man meinen, kaum mehr steigern lässt. In Frankfurt, im Museum
für Moderne Kunst, versucht man es trotzdem, mit einer Ausstellung zum 70. Geburtstag
der Künstlerin. 300 Werke auf drei Etagen: nichts als Trockel.

Was würde man sie fragen, wenn sie sich fragen ließe? Frau Trockel, ist Ihnen das alles, der
riesige Zuspruch, nicht unheimlich? Waren nicht Sie es, die alle Erwartungen unterlief ? Wo
bleibt das Widerständige, wenn es sich in Wohlgefallen auflöst?

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In einem der ersten großen Ausstellungssäle ist die frühe Trockel noch zugegen, alles ist
schwarz, die Wände, die Decke, selbst der Teppichboden. Einzig die weiße Emaille glitzert
verheißungsvoll, lauter Herdplatten der alten Sorte, von Trockel inszeniert wie Werke einer
reinen, funkelnden Abstraktion. Diese Art von Zweckentwendung – aus heimischem
Kücheninventar wird avancierte Konzeptkunst, eben noch alltäglich, jetzt unantastbar – hat
die Künstlerin berühmt gemacht und ihr zudem den Ruf eingetragen, sie verfolge
feministische Ziele. Dabei kann von "verfolgen" bei ihr keine Rede sein, von Zielen noch
weniger.

Trockels Kunst ist befreites Spiel. Nicht das Heimchen am Herd, das alte Frauenklischee,
interessiert sie, sondern die Form: das weiße Rechteck, darauf frei arrangiert die dunklen,
stumpfen Scheiben, als Minimal Art mit anderen Mitteln.

Es ist eine Strategie der Bedeutungsentladung, auf absurde Weise


entrückt und schön, manchmal sogar sehnsuchtsvoll. So zeigt
Trockel inmitten des nachtschwarzen Saals ein Video über einen
alten, angedreckten Kinderherd der Firma Heiliger und lässt das
Kameraauge so tastend, ja streichelnd über das Gerät wandern, als
Dieser Artikel stammt aus wollte sie hier ihrem eigenen Minimalismus träumend
der ZEIT Nr. 52/2022. Hier
entkommen. Im Soundtrack singt dazu Brigitte Bardot, wispernd
können Sie die gesamte
Ausgabe lesen. und ein wenig schief: Mister Sun, stay awhile / Summer is here,
[https://premium.zeit.de/abo/ you’ve made me smile. Der Herd, ein Glücks- und
diezeit/2022/52] Wärmeversprechen.

Nur selten gönnt sich Trockel solche Momente der Wehmut.


Einmal, in Neapel, blickte sie begeistert in den Abendhimmel, sah Stare in riesigen, sich
immerzu wandelnden Schwärmen hin und her ziehen und machte daraus einen wunderbar
melancholischen Kurzfilm, unterlegt mit Jimi Hendrix und seiner Gitarre. Ein anderes Mal
befragte Trockel ein Mädchen mit blonden Zöpfen, das recht traurig vor seiner Apfelschorle
sitzt und über das Leben nachdenkt. Und wieder kommt Musik ins Spiel, die Zehnjährige
mit den blonden Zöpfen singt – unerwartet und unmädchenhaft – das Lied einer verlorenen
Liebe: Unbreak My Heart.

Doch bleiben die meisten Trockel-Werke, vor allem die jüngeren, unbegleitet. Sie singen,
summen, tönen nicht; sie verlegen sich auf ein lakonisches Schweigen. Bei ihren
Strickbildern, für die Trockel vor allem bekannt ist, lässt sich das noch als eine Form der
Machtkritik verstehen. Dem schöpferischen Leitbild der Kunstgeschichte, dem ungezügelten
Genie, setzt Trockel hier extrem kontrollierte, ausrechenbare Bilder entgegen, von
Maschinen gefertigt und auf ihr Material reduziert. Sie sind, was sie zeigen, und zeigen, was
sie sind: den Stoff als Stoff.

Allerdings wiederholt Trockel diese Gesten der Entleerung wieder und wieder, irgendwann

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wirken sie selbst leer, ihre Lakonie steril. Trockel batzt dicke Tonklumpen zusammen oder
formt daraus züngelnde, fast barocke Strahlenkränze. Dann wieder stellt sie Vitrinen auf
und füllt sie mit vertrockneten Blättern. Oder versieht eine Installation aus
Aluminiumblechen mit schwarzen Fransen. Anders jedoch als die frühen Herd- und
Strickbilder entwickeln die späteren Objekte selten eine formale Spannung. Auch sind sie oft
so absichtsvoll verrätselt, dass alle Deutungsfährten zuverlässig ins Ungefähre führen. Aus
Neugier wird Überdruss.

Das aber hält die Ausstellung nicht davon ab, Trockels Werke ungemein weihevoll zu
inszenieren. Auch die Begleitbroschüre setzt alles daran, den Objekten einen besonders
tiefen Sinn anzudichten. Trockels anfängliche Strategie der Bedeutungsentladung wird hier
in ihr Gegenteil verkehrt: in eine Aufladung mit weltdurchdringender Bedeutung. Auch
Trockel selbst scheint hin- und hergerissen: Wie kann sie Rätselkönigin bleiben,
unverfügbar, und doch nicht als weltfern und apolitisch gelten? So mischt sie nun gern mal
tagesaktuelle Signale in ihre Installationen, ein Bild von Putin oder von Assange zum
Beispiel. Die Eingeweihten werden das gewiss vielsagend und gewagt finden; allen anderen
hingegen muss Trockels Spiel der Indifferenz angesichts realer Grausamkeiten banal und
blasiert vorkommen. Als dröhnendes Schweigen.

Die Ausstellung ist im MMK Frankfurt bis zum 18. Juni zu sehen.

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