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Vor hundert Jahren - Matthias Plum – eine biografische Skizze

von Christoph M. Plum

„Der Himmel über dem


Ruhrgebiet muss wieder blau
werden“, sagte Willy Brandt in
einer Wahlrede im April 1961.
Brandts Forderung sollte erst 20
Jahre später Wirklichkeit
werden. Im Jahr 1972 erschien
der Bericht des Club of Rome,
"Die Grenzen des Wachstums",
der mit dem Fazit endet: "Wenn
die Zunahme der
Weltbevölkerung, der
Industrialisierung, der
Umweltverschmutzung, der
Nahrungsmittelproduktion und
der Ausbeutung von Rohstoffen
anhält, werden die absoluten
Wachstumsgrenzen im Laufe der
nächsten hundert Jahre erreicht." (gekürzt)
"Global Denken, Lokal handeln" wurde als Slogan der frühen grünen Bewegung Ende der
Sechzigerjahre populär. Einer von denen, die den Umweltschutz schon früh ernst nahmen und
lokal in die Praxis umsetzten, war in Krefeld der Chemiker und Biologe Matthias Plum. Ich
möchte hier zu seinem 100sten Geburtstag am 24. November an ihn erinnern. Seine Arbeit
für die Stadt Krefeld in Umweltschutz und Lebensmittelkontrolle war innovativ,
vorausschauend und zukunftsweisend. Er war seit 1962 Mitarbeiter und von 1974 bis 1985
Chemiedirektor im Chemischen Untersuchungsamt Krefeld.
Matthias Plum wuchs in den Zwanziger Jahren im katholisch geprägten Aachen auf und
besuchte dort das Kaiser-Karl-Gymnasium, wo er eine klassisch-humanistische Bildung
genoss und die Werke der großen Autoren der griechischen und lateinischen Antike
kennenlernte. Sein Biologielehrer war damals Matthias Schwickerath, der nach 1945 in Bonn
auch sein Professor für Botanik werden sollte und dessen Forschungsgebiet die
Pflanzensoziologie war. Schwickerath machte als Lehrer am Gymnasium mit seinen Schülern
naturkundliche Ausflüge in das Hochmoor südlich von Aachen, das Hohe Venn, eine
Erfahrung, die für meinen Vater prägend werden sollte. Seine Liebe zur Natur blieb meinem
Vater sein Leben lang erhalten: Pflanzen, Pflanzengesellschaften und geologische
Formationen nebst Fossilien der Eifel und natürlich lebende Tiere waren die eine
Leidenschaft - die zweite waren die klassische Musik und der Jazz. Er begann früh mit dem
Klavier- und Orgelspiel und betätigte sich schon als Jugendlicher als Kirchenorganist. Das
Cello wurde sein drittes Instrument, mit dem er später auch konzertierte. Er liebte die
Weltliteratur, die er in der Bibliothek seines Großvaters entdecken konnte, wo ihn
beispielsweise der tiefgründige Humor in Cervantes‘ Don Quixote faszinierte. Goethe und
Humboldt als Naturforscher wurden für seine Welt- und Naturanschauung ein bedeutsamer
Einfluss.
Als Jugendlicher wurde er Mitglied des katholischen Bundes Neues Deutschland (ND),
damals eine Art von katholischem Wandervogel. In der Zeit um die Machtübernahme Hitlers
engagierten sich Aachener Mitglieder des ND gegen die braune Bewegung; dabei kam es
auch zu Schlägereien und Tumulten. Als es für jüdische Freundinnen und Freunde in Aachen
gefährlich wurde, sorgten Mitglieder des ND dafür, dass sie unter neuem Namen und mit
falschen Papieren entkommen konnten. Ich möchte das nicht als Widerstand idealisieren –
doch diese Menschen haben geholfen, wo sie konnten.
Als mein Vater 1941 zur Wehrmacht eingezogen wurde, wurde er als politisch unzuverlässig
eingestuft und an die Ostfront transportiert. Im Krieg war er Funker in einem Panzer, in
seinem Kopfhörer lief rechts der Morsefunk und links die BBC. Geborgen in seinem
Glauben, aber auch mit viel Glück und Geschick überlebte er den verhassten Krieg, mehrfach
verwundet und seelisch traumatisiert. Nach Ende des Krieges half er mit Maurerkelle,
Schaufel und Schubkarre, das zerstörte Seitenschiff der Kirche seiner Gemeinde St. Adalbert
wiederaufzubauen.
Seit 1947 studierte er dann Biologie, Chemie und das sogenannte Studium Generale in Bonn.
Dort lernte er auch seine Mitstudentin und spätere Ehefrau Heidi kennen, sie heirateten 1956
Im Jahr 1962 kam dann das Angebot der Stadt Krefeld, im Chemischen Untersuchungsamt zu
arbeiten. Zunächst führte er im Labor Analysen durch und begann damit, die
Analysetechniken zu modernisieren. Im Laufe der Zeit konnte er dann mit seinen
Mitarbeitern sein fachliches Wissen umfassend und engagiert ins Werk setzen.
Das Alltagsgeschäft im Amt waren Lebensmitteluntersuchungen, Hygiene- Überprüfungen
der Gastronomie und des Lebensmittelhandwerks, die Bestimmung von Blutalkoholwerten
und toxikologische sowie technische Untersuchungen für städtische Dienststellen.
Im Umweltbereich ging es zum Beispiel um die Untersuchung von Wasser, Boden- und
Materialproben auf Umweltschadstoffe; Luft- und Staubuntersuchungen, den präventiven
Gewässer- und Bodenschutz und die Beratung der Stadt in klimatologischen Fragen im
Rahmen von Bebauungsplänen.
Im Immissionsschutz wurden Überwachung und Begrenzung der Einträge von
Industriebetrieben in den Rhein und in die Luft ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld. Die
technische Innovation und Entwicklung der Müllverbrennungsanlagen (Rauchgasreinigung)
wurden fachlich begleitet und die Stadt bei der Planung des Hafens Krefeld-Uerdingen
beraten. In den Siebzigerjahren automatisierte mein Vater die Analyseprozesse in den
Laboren – damals mit Hilfe eines programmierbaren Taschenrechners. Beim sogenannten
Glykol-Skandal sorgte er mit österreichischen Kollegen und dem Zoll für die
Beschlagnahmung der mit gepanschtem Wein gefüllten Tankwagen. Nachdem die Räume im
Domizil des Untersuchungsamtes auf der Steinstraße zu eng wurden, wurde ein Umzug in die
Bismarckstraße ermöglicht, bei dem mein Vater die gesamte technische Planung übernahm.
Der Schutz und Erhalt der niederrheinischen Naturlandschaft war ihm als Naturliebhaber,
Botaniker und geologisch Studiertem immer wichtig – so gelang es ihm beispielsweise, die
durch Altlasten vergifteten eiszeitlichen Teiche, die "Kullen"im Krefelder Norden, mit seinen
Mitarbeitern und freiwilligen Helfern aus dem Katastrophenschutz wiederherzustellen und
vor dem Verfall zu bewahren. Der Müllberg am Hülser Berg wurde untersucht und
überwacht, und Immissionen in das Grundwasser verhindert. Im Rahmen seiner
ehrenamtlichen Mitgliedschaft im Malteser-Hilfsdienst und in Zusammenarbeit mit dem
Technischen Hilfswerk organisierte er maßgebend die Planung der Übungen zum
Katastrophenschutz in Krefeld mit.

Das vielseitige, umfassende und wissenschaftlich gegründete Engagement Matthias Plums für
den Umweltschutz war in den 70er/80er Jahren nicht wie heute ein selbstverständlicher Teil
des Mainstreams. Auf vielfältige Weise hat mein Vater die heutige "grüne" Agenda schon vor
ihrer Zeit umgesetzt und beeinflusst. Nicht zuletzt hat die Arbeit seines Amtes der Stadt
Krefeld eine Menge Geld gespart. Mit seinem Eintreten für den Umweltschutz und seinem
Engagement für den Schutz der Bevölkerung in der Lebensmittelüberwachung hat er sich
freilich nicht nur Freunde gemacht. Leider konnte die Stadt Krefeld sich nicht dazu
entschließen, seine Lebensleistung auf irgendeine Weise symbolisch zu würdigen.

In seinen späten Jahren hat er mit seiner Frau Süddeutschland, die Schweiz und Frankreich
bereist und sein Französisch mit Fleiß lebendig gehalten, daneben studierte er an vielen Orten
die Baukunst der Romanik und Gotik. Die bereisten Landschaften mit ihrer Geologie und
Botanik wurden studiert und in Notizen und Fotos festgehalten. Immer wieder zog es ihn in
die Eifel und das Hohe Venn, wo er auch botanisierte. Zuhause musizierte er auf dem Cello
und der Orgel und pflegte seinen naturnahen Garten, der sich zu einem Hort seltener
Vogelarten entwickelte. Nicht zuletzt beschäftigte er sich mit neuen Erkenntnissen der
Wissenschaft und mit theologischen Fragen, die im Freundes- und Bekanntenkreis
regelmäßig und ausführlich diskutiert wurden. Als mehrfacher Großvater verstarb er 2012
friedlich am Ende eines bewegten und erfüllten Lebens.

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