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Gerontologie+
Geriatrie
Organ der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie und
des Bundesverbandes Geriatrie e.V.
Pflegerische Betreuungskonzepte
bei Patienten mit Demenz
Ein systematischer Review
www.zgg.springer.de
Review
Pflegerische Betreuungs-
konzepte bei Patienten
mit Demenz
Ein systematischer Review
In Deutschland leiden derzeit rund taktil, olfaktorisch) in Kombination mit dern, Musik oder ähnlichem, thematisiert.
eine Million Menschen an einer Entspannung ein. In einer harmonisch ge- Dadurch soll ein Gefühl von Identität und
Demenzerkrankung. Das Alter ist der stalteten Umgebung soll damit eine sen- Selbstachtung unterstützt werden [5].
Hauptrisikofaktor für die Entwick- sorische Deprivation vermieden, Stressre- Auch die Validation (oder emotions-
lung einer Demenz [1, 2]. Die Pati- duktion gefördert und aggressive Verhal- orientierte Pflege) zielt in erster Linie auf
enten sind im Durchschnitt 80 Jahre tensweisen abgebaut werden. Umgesetzt psychische Faktoren und die Lebensqua-
oder älter [3]. Aufgrund der weiterhin wird die MSS in der Regel in Form von lität der Patienten. Gefühle und Wahr-
steigenden Lebenserwartung wird er- 20- bis 30-minütigen Sitzungen [6]. nehmungen von Demenzpatienten wer-
wartet, dass im Jahr 2050 über 2 Milli- Die Realitätsorientierungstherapie den nicht korrigiert, sondern sollen re-
onen Menschen an Demenz erkrankt (ROT) wurde bereits in den 1950er Jah- spektiert und bestätigt werden. Validation
sein werden [1]. Neben den medi- ren entwickelt. Hierbei geht man davon kann in Form von Einzel- oder Gruppen-
kamentösen Therapieansätzen gibt aus, dass ein Mindestmaß an Orientie- sitzungen durchgeführt, oder als grundle-
es eine Reihe von nichtpharmakolo- rung notwendig ist, um die Funktionsfä- gendes Konzept in die Routinebetreuung
gischen, verhaltensbezogenen Maß- higkeit der Betroffenen zu erhalten. Ent- integriert werden [6].
nahmen. Ziel dieser Maßnahmen ist sprechend werden die Patienten etwa mit Ziel der vorliegenden Arbeit ist eine
eine Verlangsamung des Fortschrei- Hilfe von großen Uhren, Schildern oder Einschätzung der Effektivität von multi-
tens der Erkrankung hinsichtlich der verbalen Hinweisen bei der räumlichen, sensorischer Stimulation, Realitätsorien-
kognitiven Leistungsfähigkeit, die zeitlichen und sozialen Orientierung un- tierung, Reminiszenztherapie und Valida-
Aufrechterhaltung der Selbstständig- terstützt. ROT kann in Form von etwa tion in der Betreuung Patienten mit De-
keit und der Lebensqualität der Pa- 30- bis 60-minütigen Gruppensitzungen menz.
tienten. Neben einer Reihe von psy- durchgeführt oder in die Routinepflege,
cho- und ergotherapeutischen Ansät- bei der die Betreuer zu einer realitätsori- Methoden
zen gibt es verschiedene Verfahren, entierenden Kommunikation mit den Be-
die v. a. in der pflegerischen Betreu- troffenen angehalten sind, integriert wer- Es wurde eine systematische Literatur-
ung von Demenzkranken zum Einsatz den [4]. recherche durchgeführt. Berücksich-
kommen. Zu den wichtigsten zählen Die Reminiszenztherapie ist teilweise tigte Datenbanken waren u. a. Med-
die multisensorische Stimulation, die aus dem Konzept der ROT hervorgegan- line, Cochrane library, EMBASE, Psyc-
Realitätsorientierungs- und die Remi- gen, fokussiert aber weniger auf Verbesse-
niszenztherapie sowie die Validation. rungen in Verhalten oder kognitiven Leis-
tungen als auf die Lebensqualität der Pati- Die Studie wurde unterstützt durch das Health
Technology Assessment-Programm des Bundes-
Die multisensorische Stimulation (MSS), enten. In Einzel- oder Gruppensitzungen ministeriums für Gesundheit, ausgeführt durch
früher auch Snoezelen genannt, setzt wird dabei die Biographie des Patienten, das Deutsche Institut für Medizinische Doku-
sanfte sensorische Reize (visuell, auditiv, teils unter Zuhilfenahme von Filmen, Bil- mentation und Information (DAHTA@DIMDI).
INFO, PSYNDEX, Social SciSearch, SO- schlusskriterien. Es konnten 5 Studien verschiedener Zielkriterien aus den Be-
MED, Karger Verlagsdatenbank, Kluwer zur Reminiszenztherapie, 4 zur MSS, 3 reichen kognitive Fähigkeiten, Verhalten
Verlagsdatenbank, Springer Verlagsda- zur Validation, und 2 Studien zur ROT (Funktionsfähigkeit im Alltag, Sozialver-
tenbank, Thieme-Verlagsdatenbank, Ge- berücksichtigt werden. Sieben Studien fo- halten, Agitation), psychische Belastun-
roLit. Eingeschlossen wurde ab 1997 pu- kussierten auf Patienten mit moderater gen und Lebensqualität. Die Laufzeit der
blizierte deutsch- oder englischsprachige bis schwerer Demenz, die verbleibenden Studien lag zwischen 1 und 12 Monaten.
Literatur. Es wurden nur randomisierte Studien berücksichtigten auch milde For- Zur Reminiszenztherapie liegen 8 Aus-
Studien berücksichtigt, die die Effektivi- men. Zur Diagnose wurden verschiedene wertungen zu verhaltensbezogenen End-
tät von Validation, MSS, ROT oder Remi- Messinstrumente eingesetzt: Mini-Mental punkten vor. Davon ist die Intervention in
niszenz bei Patienten mit Demenz unter- State Examination (MMSE), Diagnostic einer Auswertung der Kontrollgruppe si-
suchten. Es gab keine Einschränkungen and Statistical Manual Version IV (DSM- gnifikant überlegen, in den anderen 7 Ver-
hinsichtlich der untersuchten Endpunkte. IV), Global Deterioration Scale, Clinical gleichen gibt es keinen Unterschied zwi-
Ausgeschlossen wurden Studien mit we- Dementia Rating Scale und Short Portable schen Interventions- und Kontrollgruppe.
niger als 30 Patienten. Die Auswahl der Mental Status Questionaire (. Tab. 1). Von den 5 Auswertungen zu psychischen
Studien erfolgte unabhängig durch 2 Wis- In 7 Studien wurde die Intervention Symptomen bzw. Lebensqualität findet
senschaftler. mit Standardpflege verglichen, in 4 Studi- sich in einer ein signifikanter Interventi-
en mit einer unspezifischen alternativen onseffekt. Zu kognitiven Endpunkten lie-
Ergebnisse Intervention (Gespräche, Aktivitäten) und gen 3 Auswertungen vor, wovon in einer
3 Studien benutzten ein dreiarmiges Stu- ein signifikanter Effekt zugunsten der In-
Insgesamt wurden 1658 Publikationen diendesign mit 2 Kontrollgruppen (Stan- tervention berichtet wird.
identifiziert. Davon erfüllten 14 Veröf- dardpflege und unspezifische Interventi- Zur MMS liegen 18 Auswertungen zu
fentlichungen mit 1513 Patienten die Ein- on). Die Studien erfassten eine Vielzahl verhaltensbezogenen Endpunkten vor.
Diese Ergebnisse beruhen allerdings se Defizite in der konkreten Umsetzung dass kleinere oder ältere Studien zu ande-
auf nur wenigen Studien mit überwie- der Interventionen gegeben hat, etwa auf- ren Ergebnissen kommen, als die für diese
gend kleiner Fallzahl, kurzen Laufzeiten grund mangelnder Erfahrung oder Zeit- Arbeit berücksichtigten Untersuchungen.
und erheblicher methodischer Hetero- und Personalmangels, und fordern ent- Allerdings kommen frühere Cochrane-
genität. Diese Heterogenität betrifft al- sprechend umfassendere Schulungen [10, Übersichtsarbeiten zu vergleichbar zu-
le Aspekte des Studiendesigns, von den 11, 19]. rückhaltenden Beurteilungen: Positive
berücksichtigten Populationen über die Sofern positive Ergebnisse für die In- Tendenzen hinsichtlich kognitiver Ziel-
gewählten Interventionen und Kontroll- terventionen gefunden wurden, scheinen parameter liegen für Realitätsorientie-
gruppen bis zu den Zielkriterien und de- diese vor allem auf unspezifischen Effek- rung und Reminiszenz vor, wohingegen
ren Erfassung. Die meisten Studien haben ten zu beruhen: signifikante Unterschiede die Datenlage zur Effektivität von Valida-
Patienten mit moderater bis schwerer De- beruhen überwiegend auf dem Vergleich tion und MSS zurückhaltender beurteilt
menz eingeschlossen. Die Diagnose des mit einer Standardbetreuung. Dahinge- wird. Alle Arbeiten weisen auf den Man-
Schweregrades erfolgte jedoch mit ver- gen werden signifikante Unterschiede gel an methodisch hochwertigen Studien
schiedenen Instrumenten was die Ver- zwischen Intervention und einer alter- hin [21, 22, 23, 24]. Zu ähnlichen Schluss-
gleichbarkeit erschwert. Zudem bleibt nativen, unspezifischen Betreuung ledig- folgerungen kommt ein systematischer
unklar, ob die Wirksamkeit der unter- lich von Baker et al. 1997 berichtet [7]. Review von Livingston et al., der Studi-
suchten Verfahren vom Schweregrad der Die nachfolgenden Studien von Baker et en ohne Einschränkungen hinsichtlich
Erkrankung abhängig ist. Die Fallzahl al. mit ähnlichem Studiendesign konnten Mindestfallzahl und Studientyp berück-
der Studien ist zu klein für aussagekräf- diese spezifischen Interventionseffekte je- sichtigt [25].
tige Subgruppenanalysen. doch nicht bestätigen [8, 9]. In 2 Studi-
Die Interventionsdauer der Studien va- en wurden trotz fehlender Interventions- Fazit für die Praxis
riiert von einem bis zu 12 Monaten. MMS effekte, signifikante Unterschiede für den
oder Validation werden teils in Form von Vorher-Nachher-Vergleich sowohl für die Basierend auf der derzeitigen Studi
wöchentlichen Sitzungen durchgeführt, Interventions- als auch für die Kontroll- enlage gibt es keine hinreichende Evi
teils in die Routinepflege integriert und gruppe berichtet, was ebenfalls auf un- denz für die Effektivität von multisen
die Zielkriterien werden mit einer Rei- spezifische Effekte hinweist [8, 13]. sorischer Stimulation, Realitätsorientie
he verschiedener Messinstrumente er- Wichtige Limitationen des vorlie- rung, Reminiszenz und Validation in der
fasst. Diese Unterschiede im Studiende- genden Reviews sind die Beschränkung Betreuung von Patienten mit Demenz.
sign erschweren ebenfalls die Vergleich- auf Studien mit mindesten 30 Patienten Die teilweise positiven Ergebnisse der
barkeit der Ergebnisse. Einige Autoren sowie der Ausschluss von Studien, die vor Studien – insbesondere zu Effektivität
weisen zudem darauf hin, dass es teilwei- 1997 publiziert wurden. Es wäre möglich, der kognitiven Stimulation – rechtferti