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KONTEXT

Kitas als qualitätsvolle Orte gestalten

In fünf Schritten zu
einem guten Alltag
Länge, Breite und Höhe lassen sich problemlos messen. Doch wie verhält es sich
mit Qualität im Alltag von Kitas? Sich selbst und das pädagogische Handeln
zu reflektieren, fällt ohne Maßstab oder Waage recht schwer. Die Autorinnen und
der Autor haben ein Messgerät entwickelt, mit dem Sie die Situationen des
Alltags hinterfragen und auswerten können.
SYLVIA KÄGI · RAINGARD KNAUER · NADINE BACKER · OLIVIER BIENIA

Pädagogische Qualität

Erziehung und Bildung als Zugang zu den Themen der Welt


Ästhetik, Sprache, Körper, Bewegung, Sexualität, Mathematik,
Naturwissenschaften, Kultur, Ethik, Religion, Medien

4. Demokratische Partizipation als


Kinderrecht und didaktisches Prinzip

3. Lebenslagen- und
Lebenswelt­orientierung als
5. Didaktik als Verfahren kulturelle und gesellschaftliche
zur methodischen Realisierung Herausforderung
dieser Perspektiven

1. Alltagsorientierung 2. Gestaltung einer fein-


als Basis und ständiger fühligen Fachkraft-Kind-
Bezugspunkt pädagogi- Interaktion als durchgängi-
schen Handelns ges Handlungsprinzip

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S
iebzig Prozent der wachen licher Pädagogik eine Rolle. Solche
Tageszeit verbringen Kinder Standards sind in den Ländern vor
in Kindertageseinrichtungen. allem durch die Bildungsrahmenplä-
Kitas sind für viele Kinder in ne und in den Kita-Gesetzen formu-
Deutschland zu wichtigen Orten in liert. In den Bildungsrahmenplänen
ihrem Lebenslauf geworden. Hier wer­den Bildungskonzepte, die Kin-
verbringen sie das erste Mal einen der als Akteure ihrer Bildungspro-
Teil des Tages außerhalb ihrer Fami- zesse sehen, beschrieben.
lie, begegnen anderen Kindern und Die Komplexität pädagogischer
Erwachsenen und eröffnen sich Qualität einer Kita ist jedoch schwer
neue Welten. So werden Kitas zu be- zu fassen und abzubilden. Wir ha-
deutenden Orten für Kinder und ihre ben uns gefragt, wie die verschiede-
Familien. Daher ist es wichtig, dass nen Facetten pädagogischer Arbeit
sie auch pädagogisch gute Orte für sichtbar gemacht und weiterentwi-
Kinder sind. ckelt werden können? Also, wie päd-
Was pädagogische Qualität kon- agogische Qualität abgebildet wer-
kret ausmacht, ist nicht beliebig. den kann?
Hier spielen gesetzliche Vorgaben Diesen zentralen Fragen sind wir
sowie fachliche Standards frühkind- zusammen mit Trägervertretungen

Anforderungen an pädagogische Fachkräfte

Unter pädagogischer Qualität ver- handlungsfähig zu werden. Ins­


stehen wir in Anlehnung an den besondere auch dann, wenn die
emeritierten Professor für Klein- Lebensumstände der Kinder
kindpädagogik Wolfgang Tietze Bildungsprozesse eher einengen.
unter anderem das Handeln der Das SGB VIII sowie die Kita-Ge­
pädagogischen Fachkräfte mit dem setze der Länder stellen weitere
einzelnen Kind und mit einer fachliche Anforderungen, etwa in
Gruppe von Kindern. Wir fragten Bezug auf Partizipation und
uns: Was tun pädagogische Fach- Kinderschutz. Darüber hinaus
kräfte, damit sich Kinder in der Kita formulieren die jeweiligen Träger
wohlfühlen und auf dieser Grundla- Anforderungen an die fachliche,
ge gute Bildungsprozesse ermög- pädagogische Arbeit, die in den
licht werden? Die Rahmenbedin- jeweiligen Konzeptionen nieder­
gungen spielen bei der Frage um geschrieben sind. Auch die Zu­
Qualität eine große Rolle. Es ist sammenarbeit mit den Erziehungs-
nicht egal, wie viel Zeit pädagogi- berechtigten gehört zu den
sche Fachkräfte haben, um sich mit Aufgaben einer Kita. Nach § 1 SGB
Kindern zu beschäftigen, wie groß VIII haben Kita-Fachkräfte auch
die Gruppen sind oder über welche den Auftrag, eine kinder- und
Ausbildung die Fachkräfte verfü- familienfreund­liche Umwelt im
gen. Eine pädagogische Fachkraft Sozialraum zu gestalten, um
sollte über eine Vorstellung davon, Kindern positive Lebensbedingun-
Abbildung aus dem was zentrale Merkmale guten gen zu schaffen. Darüber hinaus
Projekt „Pädagogische pädagogischen Handelns sind, beschreiben die Bildungsrahmen-
Qualität in schleswig-
Quelle: Eigene Darstellung

holsteinischen
verfügen. Kitas haben den Auftrag, pläne der Länder in unterschiedli-
Kindertageseinrichtun- jedes Kind mit seinen individuellen cher Art und Weise Anforderungen,
gen im Dialog Fähigkeiten und Erfahrungen darin etwa zu den Erziehungs- und
entwickeln“ (PQD) zu unterstützen, sich die Welt, in Bildungsherausforderungen oder
der es lebt, anzueignen und hier den Entwicklungs- und Gestal-
gemeinsam mit anderen tungsanforderungen.

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und pädagogischen Fachkräften im áá Bildung wird primär als die Akti- geseinrichtungen wieder. Der Alltag
Projekt „Pädagogische Qualität in vität der Kinder verstanden, in der sollte auch Basis und Bezugspunkt
schleswig-holsteinischen Kinder­ sie sich verschiedene Themen auf didaktischer Planungen sein. In die-
tageseinrichtungen im Dialog entwi- ihre eigene Art und Weise aneig- sen gilt es, vor allem gemeinsame
ckeln“ (PQD) nachgegangen. Das nen. Themen aufzugreifen, wie das Mat-
Projekt wird gefördert vom Ministe- áá Erziehung verweist auf die Tätig- schen am Rand der Pfütze nach dem
rium für Soziales, Gesundheit, Ju- keiten der Erwachsenen, mit letzten Regen oder das gemeinsame
gend, Familie und Senioren des Lan- denen sie Bildungsprozesse der Einkaufen, bei dem vielleicht die
des Schleswig-Holstein. Kinder zu bestimmten Themen Frage entsteht, wie Tomaten eigent-
anregen und begleiten wollen. lich in die Dose kommen. Angebote
Fünf Schritte, um Qualität zu Pädagogische Fachkräfte in der Kita und Projekte müssen dann nicht
messen können Kinder bei der Entwicklung mehr künstlich in die Kita gebracht
Die Komplexität von Alltagsheraus- ihrer vielfältigen Potenziale unter- werden, sondern ergeben sich auf
forderungen ist das Eigentümliche, stützen. Sie müssen sich dabei aber der Basis solcher gemeinsamen All-
das pädagogisches Handeln in der immer wieder entscheiden, welche tagserfahrungen.
Kita ausmacht. Pädagogisches Han- Themen der Kinder sie aufgreifen
deln ist immer nur begrenzt plan­- und welche Erziehungsziele sie ver- Gestaltung einer feinfühligen
bar, geschieht im Hier und Jetzt und folgen. Bildung als Tätigkeit der
2 Fachkraft-Kind-Interaktion:
ist in seiner Qualität häufig erst Kinder kann so durch Erziehung als Pädagogische Qualität basiert zu ei-
im Nachhinein zu reflektieren. Für Tätigkeit der Pädagoginnen und nem hohen Maß auf der Art und
diese Reflexion schlagen wir fünf Pädagogen gefördert werden. Weise, wie pädagogische Fachkräfte
übergeordnete Perspektiven auf das mit Kindern interagieren. Gelingen-
pädagogische Handeln der pädago- In fünf Punkten zu guter päda- de Beziehung ist ein Fundament der
gischen Fachkräfte vor, die in einem gogischer Qualität pädagogischen Arbeit. Ob ein Kind
halbdurchsichtigen Prisma angeord- Im Folgenden beschreiben wir die sich wohlfühlt, hängt in großem
net sind. Die verschiedenen Seiten fünf Perspektiven des Prismas päda- Maß damit zusammen, ob es zu den
ermöglichen es, sich spezifische As- gogischer Qualität genauer. Fachkräften gute Bindungen auf­
pekte besonders anzuschauen, ohne bauen kann. Dabei kann ein Kind
die Komplexität des Handelns zu Alltagsorientierung: Gute Orte neben den Eltern mehrere, nicht
vernachlässigen.
1 basieren auf einem guten All- konkurrierende Bindungspersonen
tag. Ob die Kita für Kinder ein guter für sich finden und zeigt diesen
Die Mittelachse: Erziehung und Ort ist, zeigt sich im Alltäglichen, gegenüber unterschiedliches Bin-
Bildung nicht im Besonderen (wie Ausflüge)! dungsverhalten. Bei der Gestaltung
Im Kern geht es pädagogischer Ar- Der Alltag ist das Normale, das einer feinfühligen Fachkraft-Kind-
beit um die Gestaltung von Erzie- Nichtbesondere. Er besteht aus Ge- Interaktion geht es zunächst darum,
hung und Bildung. Darauf beziehen wohnheiten, Ritualen und Bräu- dass die Fachkräfte das Kind mit sei-
sich auch die fünf Perspektiven des chen. Er gibt Sicherheit. Ohne groß nen Anliegen, Wünschen, Grenzen,
oben genannten Prismas. Sie unter- darüber nachzudenken, Bedarfen offen und sen­
stützen pädagogische Fachkräfte da- gehen wir davon aus, dass sibel wahrnehmen. Ge-
Was tun
rin, die vielfältigen Themen, denen es morgen so wird wie prägt wurde der Begriff
Kinder in der Welt begegnen, aufzu- gestern, dass wir uns dar- pädagogische der Feinfühligkeit Ende
nehmen, zu begleiten und zu erwei- auf verlassen können, Fachkräfte, der 1970er-Jahre von der
tern. Dabei handelt es sich um The- dass Dinge so geschehen, damit Kinder Bindungsforscherin Mary
men, die einerseits von den Kindern wie wir sie bislang erlebt sich in der Ainsworth. Feinfühlige
selbst eingebracht werden und an- haben. Die Soziologen Pe- Beziehung gelingt vor al-
Kita wohl­
dererseits den Kindern durch die Er- ter L. Berger und Thomas lem, wenn die Erwachse-
wachsenen zugemutet werden, so Luckmann haben dies als
fühlen? nen aufmerksam sind und
auch der Soziologe Hans-Joachim „Jedermannswissen“ be- mit dem Kind wertschät-
Laewen und die Erziehungswissen- zeichnet. Dabei findet Alltag immer zend interagieren, beispielsweise, in-
schaftlerin Beate Andres. in Bezügen zu anderen statt (unserer dem sie dem Kind mit Worten und
Prinzipiell verweisen die Begriffe Familie, Freunden, Arbeitskollegen durch körperlichen Ausdruck (Ge-
Erziehung und Bildung auf zwei zen- und Arbeitskolleginnen). Alltag fin- sichtsausdruck, Gestik, Mimik) zei-
trale und nicht voneinander zu tren- det in einer Welt statt, die wir mit gen, dass sie sich für es interessie-
nende Perspektiven fachlichen Han- anderen teilen. Alle Facetten des All- ren. So wird das Kind sowohl in
delns in der Kita hin: tags finden sich auch in Kinderta- seinen Erkundungen von Räumen

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und Materialien unterstützt als auch


in der Erschließung der Welt der
Gleichaltrigen und Erwachsenen.
Pädagogen und Pädagoginnen sind
grundsätzlich für eine gute Fach-
kraft-Kind-Interaktion verantwort-
lich. Dazu benötigen sie die Bereit-
schaft und Fähigkeit, sich auf ein
Kind oder eine Gruppe von Kindern
einzulassen. So werden sie zu Ent-
wicklungsbegleitenden von Kin-
dern, die ihnen erste positive Erfah-
rungen außerhalb der Familie
ermöglichen.

Lebenslagen- und Lebens-


3 weltorientierung als kultu-
relle und gesellschaftliche Heraus-
forderung: Die Entdeckung der Welt
in der Kita korrespondiert immer
auch mit den lebensweltlichen Er-
fahrungen der Kinder. Ein Wissen
um die Lebenslagen und Lebenswel- Ob die Kita ein guter Ort für Kinder ist, zeigt sich in den banalen Alltagssituationen.
ten der Kinder und ihrer Familien
erlaubt es den Fachkräften, ihr päda-
gogisches Handeln besser auf die der Fachkräfte abhängig. Kinder beschriebenen Qualitätsdimensio-
Kinder abzustimmen. So bekommen können nur dann mitentscheiden nen orientieren und diese berück-
pädagogische Fachkräfte beispiels- und mithandeln, wenn die pädago- sichtigen.
weise bei der Planung eines Ki- gischen Fachkräfte Beteiligungs-
ta-Ausflugs ein Gespür dafür, wie möglichkeiten so gestalten, dass sie Pädagogische Qualität in der
viel Geld den Familien ihrer Kinder auch jedem Kind zugänglich sind. So Kita gestalten
zur Verfügung steht. Kinder setzen braucht ein zweijähriges Kind ande- Wenn pädagogische Qualität in der
sich mit den vielfältigen Themen in re Informationen und Unterstüt- Kita vor allem durch pädagogisches
der Kita immer vor dem Hintergrund zung, um sich beteiligen zu können, Handeln der Fachkräfte entsteht, er-
ihrer bisherigen Erfahrungen ausei- als ein fünfjähriges Kind. Und auch fordert Qualitätsentwicklung von
nander. Gutes pädagogisches Han- ein Kind mit einer Behinderung oder ihnen, ihr konkretes Handeln im All-
deln zeichnet sich daher auch da- ein Kind, das der (deutschen) Spra- tag immer wieder zu reflektieren.
durch aus, dass pädagogische che nur wenig mächtig ist, sollte Aufgrund der hohen Komplexität
Fachkräfte versuchen, Lebenslagen sein Recht auf Beteiligung realisie- kann dies nur ausschnittsweise ge-
und Lebenswelten der Kinder zu ren können. Das kann es nur dann schehen. Das Buch des Autors Bernd
verstehen und in ihrem didakti- realisieren, wenn es den Fachkräften Groot-Wilken „Pädagogische Quali-
schen Handeln zu berücksichtigen. gelingt, ihm Zugang zu dem konkre- tät in der Kita“, das durch die Bild-
ten Thema zu eröffnen und ihm Aus- karten „Pädagogische Qualität“ er-
Demokratische Partizipation: drucksmöglichkeiten zur Verfügung gänzt wird, unterstützt Kita-Teams
4 Nach § 8 und § 45 SGB VIII stellt, so auch die Diplom-Pädagogin darin, sich mit einzelnen Aspekten
sind Kindertageseinrichtungen ge- Reingard Knauer und der Erzie- ihres Handelns genauer zu beschäf-
setzlich verpflichtet, Kindern Beteili- hungswissenschaftler Benedikt tigen, ohne die Komplexität und die
gungsrechte bei Angelegenheiten, Sturzenhecker. Wechselwirkungen zu den anderen
Foto: Wilbert van Woensel

die sie betreffen, zu eröffnen. Der Perspektiven zu vergessen. ◀


Nachweis der Gestaltung demokrati- Didaktik: Professionelles päd-
scher Partizipation ist daher für jede
5 agogisches Handeln der Fach-
Kita ein verpflichtendes Qualitäts- kräfte basiert bis zu einem gewissen
moment. Partizipation der Kinder in Grad auf einer didaktischen Pla- Sie interessiert die verwendete Literatur?
der Kita ist immer zwingend auch nung. Das Planen und Handeln soll- Fordern Sie gerne ein Verzeichnis bei uns an:
von dem pädagogischen Handeln te sich jedoch immer wieder an den tps-redaktion@klett-kita.de

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