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MA LA GyGe

BiWi MA 1 Schulpädagogik
WiSe 2022/23
Prof. Dr. Göbel, Prof. Dr. Clausen

1 Schule als Institution


• Deutschland gibt weniger für Bildung aus als der internationale Durchschnitt
• dennoch steigen Kosten für Bildung jährlich
• 9,9% des BIPs in Deutschland wird für Bildung ausgegeben
• Ausgabe je SuS 8.500 Euro
• Bildungspersonal wuchs zwischen 2010 und 2020 etwa 2% → Grund: rückläufige Schülerzahl
• größter prozentualer Zuwachs in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege

Was ist Bildung?

Bildung als Prozess, der jungen Menschen verschiedene Weltsichten erschließt und ihre Persönlichkeit entfaltet
(PISA)

Merkmale von Schule


• arbeitet zielgerichtet über mehrjährige Lehr-/Lernprozesse auf Verinnerlichung kultureller Werte und Nor-
men
• sowie auf Herausbildung von Einstellungen, Haltungen und Wissensvermittlung hin
• dauerhafte Einrichtung mit beständigen Strukturen
• spezifische Hierarchien und Kommunikationsstrukturen
• Sprache, Tätigkeit und Beziehung sind formalisiert
• Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sind geklärt (Status, Rolle)
• repräsentiert und reproduziert Werte und Verhaltensweisen, die zur Funktionsfähigkeit der Gesellschaft bei-
tragen soll
• Subsystem unserer Gesellschaft
• Funktionen und Aufgaben sind historisch-gesellschaftlich bedingt
• Lern- und Lebensraum für junge Gesellschaftsmitglieder
• muss Effektivität nachweisen

1.1 Funktionen der Schule (Fend 2012)


• Enkulturalisierungsfunktion: Einführung in kulturelle Sinnsysteme von Sprache bis Wertorientierung
• Qualifikationsfunktion: Welche Qualifikationen/Kompetenzen der nachwachsenden Generation werden be-
nötigt, damit Entwicklungs- und Modernisierungsprozesse in der Gesellschaft realisiert werden können?
• Selektions-/Allokationsfunktion: Auswahl und Zuweisung von Lernenden im Bildungssystem → ABER: Ga-
rantieren qualifizierte Abschlüsse noch gute Berufspositionen?
• Integrationsfunktion: Schulen soll für Weitergabe von Normen und Werten sorgen → Sozialisation von SuS
in die bestehende Gesellschaft

meritokratisches Prinzip:

an Bildung angeknüpfte und gesellschaftliche anerkannte


Verteilung von Privilegien werden aufgrund individueller
Leistung als Indikator von erworbenen Verdiensten und
nicht von vererbtem Status vorgenommen

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→ Schule wird ihrer Funktion der Verteilung gesellschaftlicher Chancen nur eingeschränkt gerecht

→ sozioökonomischer Status und Migrationshintergrund sind noch immer relevante Prädiktoren für Leistungsun-
terschiede und Bildungsabschlüsse

1.2 Qualität
• lässt sich schwer verallgemeinern und definieren
• Beschaffenheit bzw. Eigenschaft eines Objekts oder Gegenstands
• Güte eines Objekts oder Gegenstands
• bezieht sich auf verschiedene Kriterien
• ist abhängig von Interesse und Zielen von Personen und Institutionen

Bildungsqualitäts-
modell von Ditton
(2001)

Lehrerbildung
Lehrer:innen

• sind Fachleute für das Lehren und Lernen


• sind sich bewusst über Erziehungsaufgaben von Schule
• üben Beurteilung- und Beratungsaufgaben im Unterricht aus
• entwickeln ihre Kompetenzen kontinuierlich weiter
• beteiligen sich an der Schulentwicklung
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Reflexion im Lehrerberuf
• hohe Komplexität und große Vielfalt der Aufgaben
• handlungsrelevantes berufliches Wissen <-> zu erfahrungsbasiertes berufspraktisches Wissen
• Reflexion als zentrale Vermittlungsinstanz zwischen Wissen, Können und Erfahrung
• Lehrpersonen gelten als lebenslang lernende und reflektierende Praktiker

→ Die Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns im Unterricht soll bereits im Rahmen der Leh-
rerausbildung gefördert werden.

forschendes Lernen
• in Praxisphasen als Gegenpol zu Frontalunterricht → Gefahr einer unreflektierten Imitation der vorzufinden-
den Praxis
• hochschuldidaktischer Ansatz, primär auf Lerngewinn von Studierenden ausgerichtet
• offenes und teilnehmeraktivierendes Lehr-/Lernkonzept
• Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis
• Phänomene der erlebten Praxis theoriegeleite und systematisch in den Blick nehmen
• Gründe und Ursachen/Zusammenhänge möglichst objektiv ermitteln
• Konsequenzen für die Handlungspraxis ableiten

→ Relevanz forschenden Lernens hängt bei Studierenden in Praxisphasen mit erwartetem Nutzen und subjekti-
ver Wertigkeit zusammen

→ wenn Nutzen von forschendem Lernen verständlich gemacht werden konnte, dann zeigt sich ein Zusammen-
hang mit selbsteingeschätzter Reflexionsfähigkeit

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2 Soziologische Perspektive auf Schule und Akteur:innen
Generationale Ordnung (Generationing)
• Zuschreibung von Verpflichtungen, Berechtigungen, Wertigkeiten, je an Mitglieder bestimmter gesellschaftli-
cher Alterskategorien
• Alterskategorien sind ihrerseits auch ein Produkt generationalen Ordnens → rekursive Konstituierung, Bear-
beitung
• generationale Ordnung, die beide Alterskategorien aufeinander bezieht und mit weiteren gesellschaftlichen
Strukturen verknüpft (Genderordnung/Schichtenordnung) → voraussetzungsvolle Errungenschaft

Akteurschaft (Agency)
• Kinder sind Akteure in der und für die Gesellschaft
• nur forschungsmethodisches Postulat: Deutungsmuster und Handlungen sind empirisch zu erfassen
• Annahme, dass Kinder kompetente und relevante Beiträge zur Gestaltung sozialer Welt leisten
• bezogen auf Strukturen bzw. Praktiken generationalen Ordens

kompetente Gefügigkeit
• Iteration: Handeln der Kinder basiert auf Reaktivierung bekannter Regeln
• Evaluation: Kinder müssen ermitteln, welche Regeln als gültig angenommen werden soll
• Imagination: strukturelle/normative Elemente werden entsprechen Hoffnungen/Ängsten/Wünschen neu
komponiert

(neue) Kindersoziologie für die Erforschung von Bildung und Erziehung


1. Institutionen von Bildung und Erziehung funktionieren nur dank der Mitarbeit der Kinder. (Akteurschaft)
2. Eine kaum beachtete generationale Ordnung definiert den Handlungsradius der Kinder; sie mutet ihnen Be-
lastung zu.
3. Das Ignorieren der generationalen Ordnung in Praktiken und wissenschaftlichen Analysen der Bildung führt
zu einem „wesentlichen“ (Mittelschichts-)Bias.

kleine Stude zu Unterrichtsstörungen


Forschungsfrage: Was muss man machen, um in der Schule gut zu sein?

Regeln des Körpers (z.B. still sitzen, nicht rennen, …)

Regeln der Zeit (z.B. schnelle Erarbeitung der Aufgaben, …)

Regeln des Lernens (z.B. viel Lernen, …)

zweierlei Publikum (z.B. Hilfsbereitschaft, …)

→ Ermittlung der Regeln erschwert

→ inkonsequente Sanktionierung

→ Variation der Geltung von Regeln je nach Unterrichtssituation

→ Nichtbeachtung der generationalen Ordnung

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Investitionsmodell Verpflichtungsmodell

• Eltern entdecken Eigenart des Kindes und för- • Eltern schenken dem Kind das Leben und er-
dern sie nähren es
• Kinder folgen dieser Berufung, realisieren ihre • Kinder wollen/müssen dies „zurückgeben“
Interessen • Erfolg
• Erfolg • bei Kindern in Entwicklungs-/Schwellenländern
• bei Kindern in Industrieländern • Kinder haben mehr das Bedürfnis nach höheren
• Kinder haben weniger das Bedürfnis nach höhe- Berufen (Berufsstellungen)
ren Berufen (Berufsstellungen)
→ hohe Investition in das Kind → existentielle Sicherung
→ setzt elterliches Kapital voraus → erzeugt Dankbarkeit gerade bei Kapitalmangel (sacri-
→ Bildungserfolg als bürgerliches Privileg fice)
→ Bildungserfolg auch als kollektiver Weg aus der Ar-
mut

→ Kinder sollten als Mitglieder der Gesellschaft (Akteure), an der sie teilhaben, beachtet werden. Als solche stehen
sie in einem bestimmten Altersgruppenverhältnis zu dem sie eigene Beiträge leisten.

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3 Kompetenz, Persönlichkeiten und Burnout
3.1 Persönlichkeit
• Lehren ist Sache von Persönlichkeit und Begabung, weniger der Ausbildung → FALSCH

aber:

• Enthusiasmus
• Humor
• Freunde am Umgang mit Kindern und Jugendlichen

… ist essentiell für die erfolgreiche Durchführung des Lehrerberufs

Lehrertypen

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3.2 Burnout
nach Maslach- und Copenhagen Burnout-Inventory (MBI und CBI)

Konstrukt Dimension Symptom Beispiel-Item


Depersonalisierung • Gleichgültigkeit „Es fällt mir zunehmend schwer,
• Zynismus mich intensiv auf jeden einzelnen
klientenbezogener Burnout • Distanz Klienten oder Kunden individuell
einzustellen.“
emotionale Erschöpfung • Reizbarkeit „Ich fühle mich von meiner Ar-
• Anspannung beit völlig ausgelaugt; sie macht
Burnout persönlicher Burnout • Antriebsschwäche einfach keinen Spaß mehr.“
Erleben von Misserfolg • Sinnentleerung „Ich habe immer seltener das Ge-
• Unwirksamkeit fühl, dass ich Anderen wirklich
aufgabenbezogener Burnout • Hyperaktivität helfe oder etwas Wesentliches
bewirke.“

OCEAN-Modell
Big-Five-Persönlichkeitsmodell:

Openess Offenheit

Conscientiousness Gewissenhaftigkeit

Extraversion Extraversion

Agreeableness Verträglichkeit

Neuroticism Neurotizismus

3.3 Gesundheits- und Risikotypen

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Zusammenhänge zum Erleben von Lehrkräften (Klusmann & Richter, 2014)


• bedeutsame Unterschiede zwischen Lehrkräften der vier Typen
• Gesundheitstyp wurde durch SuS durchgehend positiver beurteilt
• zwischen Schonungstyp und beiden Risikotypen gab es kaum Unterschiede
• Zusammenhang zwischen beruflichen Beanspruchungserleben von Lehrkräften und Leistungen der von
ihnen unterrichteten SUS
• geringere mittlere Mathematik- und Leseleistung in Klassen, die von Lehrkräften mit einer höheren emotio-
nalen Erschöpfung unterrichtet wurden

3.4 Studienmotive und berufliche Verläufe (Rauin, 2008)


• 1100 zufällig ausgewählte Studierende an pädagogischen Hochschulen in BW
• Längsschnitt mit mehreren Erhebungszeitpunkten
• zu Beginn des Studiums, nach 6 Semestern, am Ende des Referendariats, nach etwa 4 Jahren Berufstätigkeit

Typ 1: geniun pädagogische Motive

Typ 2: pragmatischer Typ Folge: nicht nur Studierende, die wirklich Lehrer werden wollen.
drängen in den Lehrerberuf, sondern auch andere
Typ 3: hedonistischer Typ
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Gründe für Ausscheiden aus dem Studium


• 1/3 behaupten, dass sie im Studium unterfordert sind
• finanzielle oder familiäre Gründe
• 25% der Studierende wollten nie Lehrer werden

Ergebnisse der Studie nach 4 Jahren im Beruf


• These, dass Gruppe der Engagierten öfter an Burn-Out lei-
det, konnte nicht bestätigt werden
• Mehrheit der Lehrer, die sich überfordert fühlen, kommt
aus Risikogruppe, die schon im Studium überfordert war
• mehr als Hälfte aller Burnout-Lehrkräfte hatten den Burn-
out bereits am Anfang des Studiums

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4 Professionalität von Lehrpersonen
• 5-10% der Leistungsunterschiede zwischen SuS können auf Schulklima, Elternarbeit und allgemeinen Leis-
tungserwartungen zurückgeführt werden
• bis zu 30% durch Lehrkräfte und deren Unterricht beeinflusst

Ansätze zur Bestimmung von Lehrerprofessionalität

der Lehrer als Experte strukturtheoretischer Ansatz; Lehrerhandeln


als Unterstützung in der Krisenbewältigung

empirisch prüfbare kompetenztheoreti-


sche Modelle der Lehrerprofession pädagogische Antinomen – Handeln in wi-
derstreitenden Orientierungen

Antinomien – pädagogische Paradoxien


Näheantinomie: emotionale Zuwendung an SuS <-> Rollendistanz

Sachantinomie: universelle Lehrpläne <-> individuelle Lebenswelt der SuS

Organisationsantinomie: institutionelle Regeln <-> Notwendigkeit der Offenheit und Flexibilität von Kommunikation

Ungewissheitsantinomie: Vermittlung von Wissen durch Lehrkraft <-> Mitwirkung von SuS

Lehrerwissen als Ausgangspunkt von Kompetenzbeschreibungen


• Inhaltswissen
• allgemeines pädagogisches Wissen
• Wissen über Lehrpläne und -inhalte
• pädagogisches Inhaltswissen (fachdidaktisches Wissen)
• Wissen über Lernende und Lernprozesse
• Wissen über schulischen Kontext
• Wissen über allgemeine und spezifischen pädagogischen Zielstellungen

Lehrerexpertisen
• zunehmende Vernetzung berufsbezogenen Wissens
• Veränderung der Wahrnehmung von Unterrichtssituationen
• zunehmende Automatisierung von Basis-Prozeduren, Steigerung der Geschwindigkeit und Flexibilität

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Standard für Lehrerbildung nach KMK, 2004
Lehrerinnen und Lehrer …

• … sind Fachleute für das Lehren und Lernen.


o Gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion
von Lehr-/Lernprozessen
o berufliche Qualität enzscheidet sich an Qualität ihres Unterrichts
• … sind sich bewusst über die Erziehungsaufgabe von Schule.
o Schule trägt bestimmte Erziehungsaufgabe
o enge Zusammenarbeit mit Eltern
• … üben Beurteilungs- und Beratungsaufgaben im Unterricht aus.
o Kompetente, gerechte und verantwortungsbewusste Ausübung der Aufgaben
o Lehrkräfte benötigen dafür hohe pädagogisch-psychologische und diagnostische Kompetenzen
• … entwickeln ihre Kompetenzen kontinuierlich weiter.
o Nutzen von Fort- und Weiterbildungsangeboten
o Kontakt zu außerschulischen Institutionen und Arbeitswelt
• … beteiligen sich an der Schulentwicklung.
o Gestaltung einer lernförderlichen und motivierenden Schulkultur
o Bereitschaft zur Mitwirkung an internen und externen Evaluationen

4.1 pädagogisches Wissen für Kompetenzen von Lehrkräften


• Inhalte aus Studium und Tätigkeiten der schulischen Ausbildung haben Einfluss auf pädagogisches Wissen
• Masterstudierende haben höheres Niveau im Hinblick auf pädagogisches Wissen als Bachelorstudierende
• auch individuelle Voraussetzungen spielen eine Rolle

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Was ist pädagogisches Wissen?

Voss et a. (2015) König (2014)


Lernen und Lernende student learning
• Lernprozesse (lern-, motivations- und emoti- • including their cognitive, motivational, emotio-
onspsychologisches Wissen) nal individual dispositions
• Unterschiede in den Voraussetzungen der Ler- • their learning processes and development
nenden (Heterogenität) • their learning as a group taking therefore into
• Altersstufen und Lernbiographien (entwick- account student heterogeneity
lungspsychologisches Wissen) • and teaching strategies

Umgang mit der Klasse als komplexem sozialen Gefüge instructional process
• Klassenführung/Strukturierung der Klassenpro- • including teaching methods, didactics, struc-
zesse turing a lesson
• Interaktion/Kommunikation und soziale Kon- • and classroom management
flikte

methodisches Repertoire assessment


• Lehr-Lern-Methoden und -Konzepte sowie de- • including diagnosing principles irrespective oft
ren lernzieladäquate Orchestrierung he subject
• generelle Prinzipien der Individual- und Lern- • evaluation procedures
prozessdiagnostik und Evaluation

TEDS-Studie
fünf berufliche Anforderungen von Lehrpersonen beim Themen für die Operationalisierung
Unterrichten
Strukturierung von Unterricht • Komponenten- und prozessbezogene Planung
• Analyse von Unterricht
• curriculare Strukturierung von Unterricht
Motivierung • Leistungsmotivation
• Motivierungsstrategien von Unterricht
Umgang mit Heterogenität • Differenzierungsmaßnahmen
• Methodenvielfalt
Klassenführung • störungspräventive Unterrichtsführung
• effektive Nutzung der Unterrichtszeit
Leistungsbeurteilung • Funktionen und Formen
• zentrale Kriterien
• Urteilsfehler

→ fachdidaktisches und allgemein-pädagogisches Wissen ist relevant für Vorstellungen über das Unterrichten (und
damit Qualität von Unterricht)

→ Wissen und Einstellungen (beliefs) hängen miteinander zusammen

→ Befunde bezüglich Qualität von Unterricht sind auch nach relativ langen Lehrerausbildung in DE sehr heterogen

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4.2 Elternberatung in der Schule
→ Beratungskompetenzen werden kaum systematisch im Rahmen der Lehrerausbildung vermittelt

Unterschied zur therapeutischen Beratung

Therapie Schule
Verteilung 100% Ratsu- 50% Ratsu-
Merkmale von Beratung der Verant- chende – Be- chende
• Kontakt von mindestens 2 Personen (Einbindung weiterer wortung rater fun- 50% Berater
Akteure möglich) zwischen giert als Be-
• Kommunikationsprozesse zur Problemklärung und Lösungs- Ratsuchen- gleiter
den und Be-
findung
rater
• Diskussion von Handlungsalternativen Begründung Genesungs- Gemeinsa-
• Freiwilligkeit auftrag – Re- mer Erzie-
• Vertrauen, Vertraulichkeit duktion psy- hungsauf-
• Professionalität chischer Be- trag
lastung
• Ziel: Veränderung

Beratung von Eltern durch Lehrkräfte


• Kommunikation zwischen Familie und Schule
• regelmäßige Eltern-Lehrer-Gespräche zum Leistungsstand des Kindes und zu Möglichkeiten der Leistungsver-
besserung sowie die Information über diverse Angebote der Schule
• zusätzliche Kommunikationsformen (z.B. Anrufe, Elternbriefe, Newsletter etc.)
• Erziehungsberatung, Krisenberatung, Beratung bei Verhaltensauffälligkeiten

→ Lehrpersonen fühlen sich in Beratungen häufig überfordert

• Reformen im Bildungssystem (Bildungsexpansion)


• gesellschaftliche Veränderungen (Zuwanderung; zunehmende Zahl von Alleinerziehenden)
• Entscheidungen der Eltern im Verlauf der Bildungsentwicklung der Kinder nötig
• gelungene Kommunikation ist wichtig, um Lösungen zu entwickeln und umzusetzen

→ Elternberatung leistet einen Beitrag zur Reduzierung von Chancenungleichheit und hängt mit Leistungsverbesse-
rungen zusammen

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Ablauf von Beratung
1. allgemeine Orientierung • Klientenzentrierung
2. Problemanalyse o empathische Reaktion
3. Sammeln und Bewerten von Alternativen o kongruente Kommunikation
4. Planung/Entscheidung o bedingungsfreie Wertschätzung
5. Umsetzung von Lösungen
• Berücksichtigung von Kontexten
6. Evaluation
• Stärkung der Eigenverantwortung
• Suche nach Ressourcen
• Orientierung an Lösungen

nach Carl Rogers Anwendung auf pädagogische Profession


Authentizität/Echtheit selektive Authentizität
unbedingte Wertschätzung gleichmäßige Akzeptanz anvertrauter Personen
Empathie Empathie
aktives Zuhören aktives Zuhören
Verbalisieren impliziter Emotionen Berücksichtigung impliziter Emotionen
Interessen des Patienten sind leitend externe Zielvorgabe ist leitend

4.3 Schullaufbahnberatung
• Diagnose des Leistungsstandes der Lernenden (z.B. durch standardisierte Testverfahren oder Leistungsver-
gleichstests)
• Unterstützung bei Lernschwierigkeiten
• optimale Förderung der Kompetenzen der Lernenden
• Unterstützung beim Übergang und bei außerordentlichen Schulwechseln
• Unterstützung bei der Allokation im Bildungssystem
• Hauptverantwortung: Schulpsychologen und Beratungslehrpersonen → in Kooperation mit: Sonderpädago-
gen, Schulsozialarbeitern etc.

Ressourcen zur Beratung an Schulen


• Beratungszimmer
• Beratungskonzept für Elternarbeit
• hohe Unterstützung im Kollegium
• Einbindung in ein Expertennetzwerk

→ Stellenwert der Elternarbeit hat großen Einfluss auf Entwicklung strukturierender Ansätze für Beratung

→ mittlere sozioökonomische Status der SuS ist tendenziell in Kollegien höher, die sich gegenseitig unterstützen

→ Angebot von Elternberatung steht im Zusammenhang mit Stellenwert der Elternarbeit

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Einstellungen der Eltern
• Eltern erleben das Beratungsangebot an Schulen häufig als hilfreich
• Wenn Eltern bereits in Primarstufe ihr Kind gefördert haben, halten sie diese Unterstützung auch in Sekun-
darstufe aufrecht
• Familien mit Migrationshintergrund suchen seltener Beratungssituationen

Standards für die Qualifikation von Beratungsfachkräften


Wissen und Kenntnisse • über das jeweilige Themengebiet des Bera-
tungsangebotes
• über Theorien und Methoden von Einzel- und
Gruppenberatung
• über differentielle Diagnostik, Entwicklungs-
und Hilfeplanung
• über Verfahren der Qualitätsentwicklung und -
sicherung
reflektierte Erfahrung • dokumentierte, eigenständig durchgeführte Be-
ratungspraxis und Kooperation in Beratungsein-
richtungen/Institutionen
• Praxisreflexion/Supervision einzeln und in
Gruppen
• kollegial gestaltete Supervision
professionelles Selbstkonzept • Persönlichkeitsbildung (einzeln oder in der
Gruppe)
• Selbsterfahrung und Reflexion

• Elternberatung ist eine wichtige Form der Kommunikation zwischen Eltern und Lehrpersonen
• Sie ist fest in den Schulalltag in deutschen Schulen integriert
• Sie wird von Eltern zumeist als wichtig und hilfreich eingeschätzt
• Ein hoher Stellenwert der Elternberatung der Schulleitung geht mit günstigen Rahmenbedingungen ein-
her
• Optimierungsbedarf:
o Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen
o Adaption der Angebote an unterschiedliche Elterngruppen

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5 Schulqualität
Inputsteuerung in Deutschland bis 2000
• Steuerungsansatz, der primär nach Gleichförmigkeit der institutionellen Eingangsbedingungen
• Output-Merkmalen wird kaum Bedeutung beigemessen
• kennzeichnende Merkmale
o intensive Ausbildung von Lehrkräften
o umfassende Ausstattung der Bildungseinrichtungen
o Vorgabe des zu lehrenden Stoffes anhand von Lehrplänen und Curricula
o Autonomie der Einzelschule ist durch Primat der Gleichverteilung von Ressourcen und Ideal der
„Schule für alle“ stark eingeschränkt
• aus Sicherstellung vergleichbarer Ressourcen und Bedingungen: Gleichwertigkeit im Sinne eines gleichen
Lernerfolgs geschlossen als Output der Schulen
• aktuell und in vergangenen Jahres vollzieht sich in Deutschland ein Wechsel von Inputsteuerung zur Outori-
entierung

Outputorientierung in Deutschland nach 2000


• Outputorientierung fokussiert Erreichung von Zielen, die regelmäßig durch interne wie externe Evaluation zu
überprüfen sind
• Rechenschaftspflicht wächst
• Bildungsstandards legen fest, über welche Kompetenzen die SuS am Ende einer Klassenstufe verfügen sollen
• Vergleichsarbeiten sollen es erleichtern, Leistungsstand und -entwicklung zu bestimmen
• auch auf Systemebene stellen sich Bund und Länder internationalen und nationalen Leistungsvergleichen
(PISA, TIMSS)
• werden an Erreichen/Nicht-Erreichen bedeutsame Konsequenzen gekoppelt (High-Stakes-Testing)
• Verbesserungen im Bildungsbereich durch einfaches Aktionsmodell:
1. Definieren der zu erwerbenden Kompetenzen
2. Testen, was gelernt wurde
3. Beteiligte für die erreichten Kompetenzen verantwortlich machen (Rechenschaftsprinzip)
→ im Test erfasste Lernergebnisse mit Konsequenzen zu verbinden ist zentrales Element des High-Stakes-
Testing
• strukturelle Entwicklungen der letzten 20 Jahre:

Reform Ziel
Ausbau frühe Förderung • mehr Zeit zum Lernen
• Chancenausgleich, …
Ausbau Ganztagsschule • Chancenausgleich
• Berufstätigkeit ermöglichen
Einführung von Gemeinschaftsschulen/Stadtteilschulen • soziale Gerechtigkeit
• Abschaffung der Hauptschulen
Trend zur 2-Gliedrigkeit (Abschaffung der Hauptschule) • Überwindung des Restschul-Stigmas der Haupt-
schule
Einführung G8 in einigen Bundesländern (mittlerweile • Jüngere Absolventen
Trend zur Rücknahme) • Effizienzsteigerung
Bildungsstandards und Tests zur Überprüfung • Vergleichbarkeit
• Kompetenzorientierung
Schulinspektionen • Rechenschaft bei gestiegener Autonomie
• Qualitätsentwicklung
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Zentralabitur • Vergleichbarkeit
• Gerechtigkeit
Vergleichsarbeiten • Verbesserung der diagnostischen Kompetenz

5.1 Bildungsstandards
• legen nicht fest, welcher Stoff zu behandeln ist, sondern Kompetenzen nach Weinert (1999)
über welche Kompetenzen SuS am Ende einer bestimmten
Klassenstufe verfügen sollen • Fähigkeit, bestimmte Probleme zu
• Ziele im Sinne von Regelstandards definiert, die für durch- lösen
schnittliche SuS erreichbar sein sollten und an deren Erfül- • domänenspezifisch
lung Leistung gemessen wird • Voraussetzungen: kognitive Fähig-
• regelmäßige Leistungsüberprüfung anhand von Diagnose- keiten und Fertigkeiten sowie mo-
und Vergleichsarbeiten sollen es erleichtern, Leistungsstand tivationale, volitionale und soziale
und -entwicklung anhand von Vergleichen zu bestimmen Dispositionen zu ihrer Nutzung

Vergleichsarbeiten: Tests zur Evaluation des Erreichens der Bildungsstandards und kompetenzorientierte Zeugnisse

Probleme der outputorientierten Bildungsreformen


Campbells Gesetz (1975):

Je wichtiger eine Evaluation für gesellschaftliche Entscheidungen ist, desto stärker wird diese Evaluation an-
fällig Verfälschungen und beeinträchtigt eben die sozialen Prozesse, die eigentlich überwacht werden sollen.

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High-Stakes-Testing
• Stakes: Stecken, Messlatte, Maßstab, Standard
• HST ist unterdefiniert:
o Wie hoch ist der Einsatz?
o Wessen Leistung steht auf dem Prüfungsstand?
o Wer beurteilt die Testergebnisse und entscheidet über die Konsequenzen?
• für mindestens einen relevanten Akteur bzw. eine Ebene des Bildungssystems hat der Test bzw. das Tester-
gebnis Konsequenzen
• motivationale Effekte:
o Einsatz von Anreizen und/oder Strafen, die in Abhängigkeit der Testergebnisse vergeben werden
→ führt häufig zur Korrumpierung der intrinsischen Motivation
o belohnt Lernergebnisse und nicht Verhalten → belohnt sowohl erwünschtes als auch unerwünschtes
opportunistisches Verhalten
o nicht der Testeinsatz per se ist problematisch, sondern die Verwendung der Ergebnisse über die di-
agnostischen Zwecke hinaus

HST Nicht-HST
• Minimierung opportunistisches Verhalten • Evaluation mit starken formativen Anteilen mit
durch vermehrten Kontrollaufwand Fokus auf Informationsaspekt als Feedback
• Verschärfung der Sanktionen für opportunisti- • Sozialisation neuer Lehrergenerationen mit
sches Verhalten Feedbacksystemen
• Produktive Feedbacknutzung zur Selbstregula-
tion und -kontrolle als Mittel der professionel-
len Weiterentwicklung

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5.2 Probleme der outputorientierten Bildungsreform: Schulinspektion
Ziele der Schulinspektion:

• Schulentwicklung stimulieren
• schulische Qualität sichern
• praxisnahe Erkenntnisse gewinnen

Ablauf der Schulinspektion:

Instrumente der Schulinspektion:

• Woche 2-6: Daten- und Dokumentanalyse


o Schulprogramm
o Ziel- und Leistungsvereinbarung
o Leitbild
o Konkretisierung der Rahmenpläne
o Fortbildungskonzept
o Wahldokument
• Woche 4-5: schriftliche Befragung von Eltern, SuS sowie Lehrkräften
o Unterrichtsabschnitte von 20 min
o Kontrolle der Bedingungen für guten Unterricht
▪ effiziente Zeitnutzung
▪ lernförderliches Klima
▪ Vielfalt der Methoden
o keine Bewertung der einzelnen Lehrperson → Rückmeldung nur auf Schulebene gemittelt
o kommt nicht darauf an, wenn in einer von 100 betrachteten 20 Minuteneinheiten Milchgeld einge-
sammelt wird, aber wenn das in 80 von 100 Stunden passiert, dann hat die Schule ein Problem
o wenn in 5 bis 100 Einheiten Ansätze individueller Förderung beobachtet werden können, ist das zu
wenig

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Gesamtbewertung:

• Prinzip der Triangulation → Bewertungen nur auf einer breiten Datengrundlage


• Bewertung stützt sich auf den Orientierungsrahmen Schulqualität → Grundlage der Beschreibungen und Be-
wertungen
• für den Bericht gibt es ein Berichtsraster → Konkretisierung der Anforderungen des Orientierungsrahmen

nach der Inspektion:

• Rückmeldebogen
o Grundlage für das Gespräch mit Schulaufsicht
o zentrale Ergebnisse der Schulinspektion und geplante Maßnahmen seitens der Schule
• Konsequenzen
o bestimmen die Schulen in Absprachen mit Schulaufsicht selbst
o Schulinspektion gibt keine Handlungsempfehlungen
• Beratung
o Schulaufsicht als Berater

Reaktionen:

Bilanz:

• atemberaubende Entwicklung als Steuerungsinstrument


• hoher Professionalisierungsgrad
• mittlerweile große Ähnlichkeit zwischen Ländern
• SL-Perspektive ist im Großen und Ganzen positiv, LK eingeschränkt positiv

aber:

• SL-Perspektive fokussiert wahrscheinlich weniger den Unterricht


• Wirkungen auf Schulqualität und Schulleistung? Kosten-Nutzung?
• Akzeptanz?
• Nebenfunktionen: Kommunikation und Aktualisierung von Normen, Werten und Zielen → Legitimation von
Maßnahmen

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6 soziale Ungleichheit und Schule
• historisch existierte soziale Ungleichheit in allen Gesellschaften: Macht, Besitz und Rechte waren nie gleich
verteilt (z.B. Männer und Frauen, freie Bürger und Sklaven etc.)
• politisch ging es um die Frage, wie diese Unterschiede legitimiert und gestützt werden (z.B. Gott-gegeben,
mit Waffengewalt durchgesetzt etc.)
• wichtige historische Etappen:
o 1297 Magna Carta → „Kein freier Man darf entführt oder inhaftiert werden …“
o 1789 Französische Revolution → Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“
o 1917 Russische Revolution → Ideal der klassenlosen Gesellschaft
o 1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch UN → „Alle Menschen sind frei und gleich
an Würde und Rechten geboren“
o 2006 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung → „Rechte auf Teilhabe
und Inklusion“

6.1 Kapitalformen und -modelle


Kapitalformen nach Pierre Bourdieu
• ökonomisches Kapital (finanzielles Kapital, Berufsstand, Wohlstandsgüter)
• kulturelles Kapital (Bildung, kultureller Besitz und Abschlüsse)
o im inkorporiertem Zustand, in Form von dauerhaften Dispositionen des Organismus
o in objektiviertem Zustand, in Form von kulturellen Gütern, Bilder, Bücher, Musikinstrumente, Lexika
oder Maschinen
o in institutionalisiertem Zustand, Abschlüsse, Zertifikate, Zeugnisse und Titel
• soziales Kapital (soziales Unterstützungsnetzwerk, Freunde, Familie, Beziehungen, Seilschaften, Gefallen
schulen, „Eine Hand wäscht die andere“)

→ nicht immer gehen die drei Arten miteinander einher

klassische Schichtmodelle

Dahrendorf-Häuschen

Bolte-Zwiebel 21
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EGP – Erikson-Goldthorpe-Portocarero-Klassen
• obere Dienstklasse (Vorstände, Topmanager)
• untere Dienstklasse mit hohen Qualifikationen, die in einem Angestelltenverhältnis stehen (höhere Beamte,
Ärzte, Professoren)
• Angestellte, der ausführenden nicht-manuellen Klasse mit beschränkten Entscheidungsbefugnissen und mit
gering qualifizierten Routinetätigkeiten (Kassierer)
• Selbstständige außerhalb der Landwirtschaft und Landwirte
• Arbeiter, Techniker
• qualifizierte Arbeiter, Facharbeiter
• unqualifizierte Arbeiter sowie in der Landwirtschaft Beschäftigte ohne Ausbildung

Die-Sinus-Milieus-in-Deutschland-2018

6.2 sozialräumliche Ungleichheit


• auch über geographischen Raum sind Menschen nicht zufällig verteilt
• beobachtbar sowohl innerhalb von Städten als auch innerhalb von größeren Regionen
• Ursachen:
o historische Entwicklung (Strukturwandel)
o demographischer Wandel
o Mietpreise
o Zu- und Abwanderung
o Entmischungstendenzen (Segregation)

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6.3 Reproduktion von Ungleichheit
• Land- und Forstwirte besitzen 34 Prozent, Privatper-
sonen 22 Prozent, Gemeinschaftseigentümer 5,5 Pro-
zent, Kleinunternehmer wie Handwerksmeister und
Kaufleute 3 Prozent. Ein weiteres knappes Drittel ge-
hört Bund, Ländern und Gemeinden, 4 Prozent besit-
zen die Kirchen, den Rest teilen sich Wohnungsgesell-
schaften, Banken und andere Unternehmen.
• deutscher Wald gehört zur Hälfte rund zwei Millionen
Privatleuten, 34% sind Staatsbesitz, über Rest verfü-
gen diverse Körperschaften
• mehr als Hälfte der deutschen Milliardäre kann ihren
Familienreichtum auf die Zeit vor 1945 zurückführen
• 45 Deutsche besitzen so viel wie die ärmere Hälfte
der Bevölkerung

→ soziale Ungleichheit neigt dazu, sich zu reproduzieren → Aufrechterhaltung und Weiterführung bestehender Ver-
hältnisse

mögliche Gründe
• Vererbung von Geld, Besitz und Unternehmen von Eltern an Kinder
• klassisch: Übernahme des Berufs und Betriebs des Vaters durch Erstgeborenen
• biologische Vererbung von Intelligenz und Begabungen
• Förderung und Unterstützung von Kindern druch Eltern (Helikoptereltern als Extremfall), auch „Einkaufen“
von Förderung durch andere (z.B. musikalische Früherziehung, Nachhilfe)
• Vorbildfunktion
• Wissen über Bildungskarrieren und Optionen
• Vitamin B – Netzwerke und Beziehungen
• „Der Habitus macht Mitgliedschaft in einer Schicht erkennbar: Sprache, Bildung, Kleidung, Aussehen und
Verhalten, Sitten, Umgangsformen, das Einhalten ungeschriebener Regeln“ (Bourdieu)

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6.4 soziale Bildungsungleichheit
Unterschiede im Bildungsverhalten und in den erzielten Bildungsabschlüssen von Kindern, die in unterschiedlichen
sozialen Bedingungen und Familien Kontexten aufwachen. (Müller & Haun, 1994)

→ Bourdieu sieht Reproduktion und Legitimation gesellschaftlicher Unterschiede als eine wesentliche Funktion des
Bildungssystems an

→ Schule ermöglicht den Eltern, ihre Bildungsinvestitionen in den Schulerfolg der Kinder umzuwandeln

schulische Reproduktionsfaktoren
• Vorwissen durch Förderung – Schule ist kein fairer Wettbewerb → bildungsnahe Kinder starten mit Vor-
sprung und bauen diesen weiter aus
• Vorwissensorientierung im Unterricht (Wer es weiß, meldet sich…) – außerschulisches Investment wird
dadurch in gute Noten umwandelbar → spezielle Fächer, wie Sport oder Musik knüpfen an vorschulische
Förderinvestitionen an
• fehlende Lebensweltorientierung → klassische Bildungsideale der Antike (humanistisches Gymnasium) statt
Lebensweltorientierung
• Unterstützungsressourcen – Bildungsempfehlungen der Lehrkräfte orientiert sich an „Unterstützungsres-
sourcen“ im Elternhaus → schlechter Unterricht kann von SuS aus bildungsnahem Elternhaus besser kom-
pensiert werden → bildungsnähere Eltern sind oft engagierter und kritischer
• Habitus als Signal an Lehrkraft – auch für SuS gilt: Der Habitus macht Mitgliedschaft in einer Schicht erkenn-
bar: Bildung, Kleidung, Aussehen und Verhalten, Sitten, Umgangsformen, das Einhalten ungeschriebener Re-
geln

→ primäre Effekte: leistungsabhängige Effekte (meritokratisches Prinzip) als Folge höherer Leistungen in höheren
Schichten

→ sekundäre Effekte: leistungsunabhängige Effekte – „Unterschiede bei gleicher Leistung“, d.h. Bildungsentschei-
dungen der beteiligten Lehrkräfte und Eltern

Bildungsexpansion als Beispiel für mehr soziale Gerechtigkeit?


• seit 1950er Jahre kam es in Deutschland zu immer mehr höheren Abschlüssen, auch für bildungsferne
Schichten → Studienberechtigtenquote steigt von 6-10 auf über 50%
• allerdings besteht Bildungsungleichheit auf höherem Niveau weiter fort
• Tendenzen zu einer Inflation der Abschlüsse als Währung des Bildungssystems → Abitur ist weniger bedeut-
sam („wert“), je mehr Menschen diesen erwerben → Berufe, die man früher mit Realschulabschluss anstre-
ben konnte, setzen mittlerweile Abitur voraus

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6.5 sozialräumliche Bildungsungleichheit

Wahlen zwischen Einzelschulen gleicher Schulform – auch ein Feld sozialer Ungleichheit?
5 Unterscheidungsformen:

1. Welche Schule bietet meinem Kind die beste schulische Ausbildung unter den günstigsten Rahmenbedingun-
gen?
2. Welche Schule passt am besten zu den Begabungen und Interessen meines Kindes?
3. Welche Schule ist eine gute Schule?
4. Sind wir mit der Schule, die wir gut kennen, zufrieden?
5. Wo ist die nächstgelegene Schule?

→ Entscheidungen erweisen sich als abhängig vom Bildungsstatus

→ bildungsnahe Schichten treffen informiertere Entscheidungen

→ bildungsferne Schichten entscheiden sich häufiger für die Schule vor Ort

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7 Unterrichtsqualität
Hattie-Studie (2013)

• 5-10% der Leistungsunterschiede zwischen SuS können auf Schulklima, Elternarbeit und allgemeinen Leis-
tungserwartungen zurückgeführt werden
• bis zu 30% durch Lehrkräfte und deren Unterricht beeinflusst

Standards für die Lehrerbildung (KMK 2004)


Lehrer:innen

• … sind Fachleute für das Lehren und Lernen.


• … sind sich bewusst über die Erziehungsaufgabe von Schule.
• … üben Beurteilungs- und Beratungsaufgaben im Unterricht aus.
• … entwickeln ihre Kompetenzen kontinuierlich weiter.
• … beteiligen sich an der Schulentwicklung.

Zur Problematik einer allgemeingültigen Definition von Qualität


• Beschaffenheit bzw. Eigenschaft eines Objekts oder Gegenstands
• Güte eines Objekts oder Gegenstandes (Exzellenz)
• i.d.R. wird Qualität eines Objekts an dessen Zweckmäßigkeit, Fehlerlosigkeit oder Wirksamkeit festgemacht
• Qualität im Bildungskontext ist relativ → bezieht sich auf verschiedene Kriterien und ist abhängig von Inte-
ressen und Zielen von Personen und Institutionen

→ Qualität lässt sich nicht allgemeingültig definieren

7.1 Qualitätsbegriff im Unterricht


• stabiles Muster von Instruktionsverhalten, das Vorhersagen und/oder Erklärung von Schulleitungen erlaubt
• Unterrichtsqualität gilt als wichtigste schulische Einflussgröße zur Förderung des Schulerfolgs
• Unterrichtsforschung bezieht sich auf Qualitätsbegriff auf:
o Prozesse des Unterrichts
o Ergebnisse und Wirkungen des Unterrichts

→ Wirkungen von Merkmalen des Unterrichts auf verschiedene Dimensionen des Schulerfolgs

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7.2 historische Entwicklung der Forschung zu gutem Unterricht

Persönlichkeitsparadigma
These: Schulleistungsunterschiede lassen sich durch Unterschiede in der Lehrerpersönlichkeit erklären. (ca. 1950)

→ kein Bestätigung durch die Forschung

Grenzen:

• Wirkungspfad zwischen Persönlichkeit und Schülerleistungen ist zu lang und von einer Reihe anderer Variab-
len beeinflusst
• Vernachlässigung von Unterrichts- und Interaktionsprozessen

Teaching Styles
These: progressive (schülerorientierte) Unterrichtsstile und -formen sind traditionellen (lehrerzentrierten) Unter-
richtsstilen und -formen überlegen (1970/80)

→ keine Bestätigung durch die Forschung

Grenzen:

• Abgrenzen der Unterrichtsstile und -formen ist problematisch


• Befundlage ist uneinheitlich, generell erwiesen sich Rückmeldungen an SuS bzw. ein strukturierter Unter-
richtsaubau als bedeutsam

Prozess-Produkt-Paradigma
These: Schulleistungsunterschiede lassen sich durch unterschiedliches Verhalten der Lehrpersonen erklären
(1970er/80)

Befunde:

• Identifikation von Merkmalen effektiven Unterrichts (z.B. Classroom Management, Klarheit und Strukturiert-
heit von Lehreräußerungen, Rückmeldungen, unterstützendes Lernklima, …)

Grenzen:

• unzureichende Berücksichtigung fachdidaktischer Kriterien sowie individueller und klassenbezogener Vo-


raussetzungen

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Expertenmodell
• Lehrkräfte als kompetente Fachpersonen
• Analysen zu Unterschieden zwischen Novizen und Experten: Lehrpersonen verfügen über umfangreiches
professionelles Wissen und berufsbezogene Fähigkeiten, die sich nachweisbar von Berufsanfängern unter-
scheiden

Unterschied zwischen Novizen und Experten

• Wahrnehmung von Unterrichtssituationen


o Experten: ganzheitliche Wahrnehmung von Klassensituationen
o Novizen: Konzentration auf Details der Klassensituation
• Trainierbarkeit der Lehrerkompetenzen – Wissen, Kompetenzen
• Experten beobachten auffällige SuS häufiger und über einen längeren Zeitraum → können diese eindeutig
identifizieren
• Experten verteilen ihre Aufmerksamkeit im ganzen Klassenraum, statt sich auf einzelne Situationen zu fokus-
sieren

→ Kritik an behavioristischen Ansätzen und Modellen

• führte in 80er Jahren zu einer verstärkten Berücksichtigung der kognitiven Voraussetzungen der Lehrenden
und der Lernenden (Konstruktivismus)
• seit 90er Jahre Orientierung an konstruktivistischen Theorien des Wissenserwerb (Wissen entsteht durch
interne subjektive Konstruktionen von Ideen und Konzepten)
• Aptitude-Treatment Interaction: Unterrichtswirkungen hängen von Lernvoraussetzungen der SuS ab

Angebots-Nutzungs-Modell
Helmke 2014

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7.3 Dimensionen der Unterrichtsqualität
• aktive Lernzeitnutzung/hoher Anteil aktiver Lernzeit
• Classroom-Management
• Rückmeldungen an die SuS
• ausgewogenes Frageverhalten
• Strukturiertheit des Unterrichts und Klarheit der Lehreräußerungen
• hohe Leistungserwartungen der Lehrperson/transparente und hohe Leistungsanforderungen
• Kooperationsprogramme
• eher indirekt: unterstützendes Klima, positive Lehrer-Schüler-Beziehung
• bedingt: effektive Hausaufgabenpraxis
• Variabilität von Unterrichtsformen

7.4 Unterrichtsplanung – Ein Blick in Modelle und Befunde


• Teachers and classrooms rarely function without some kind of planning
• Unterrichtsplanung ist zentraler Bestandteil der beruflichen Aufgaben von Lehrpersonen
• Verständnis von Unterrichtsplanung als essentieller Schritt für Unterrichtsgestaltung

Unterrichtsplanung nach Klafki (2007)

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• Friedensfrage: angesichts der ungeheuren Vernichtungspotentiale moderner Waffen
• Umweltfrage: die in globalem Maßstab zu durchdenkende Frage der Zerstörung oder Erhaltung der natürli-
chen Grundlagen
• gesellschaftlich produzierte Ungleichheit
• Gefahren und Möglichkeiten der neuen technischen Steuerungs-, Informations- und Kommunikationsmedien
• Subjektivität des einzelnen und das Phänomen der Ich-Du-Beziehung

→ Unterrichtsplanung als offener Entwurf, das zu flexiblem Unterrichtshandeln befähigen soll

→ nicht für möglichst genauen Ablauf der geplanten Unterrichtsstunde, sondern Förderung des produktiven Lern-
prozesses der SuS

Unterrichtsplanung nach Shavelson & Stern (1981)


Unterrichtsplanung als zirkulärer Prozess

1. Analyse der Ausgangsbedingungen


2. Entscheidung über Unterrichtsaktivitäten
3. nach dem Unterricht: Reflexion und Modifikation der getroffenen Pla-
nungsentscheidungen

Unterrichtsplanung aus Sicht des „Adaptive Teaching“ nach Weinert (1996)


• Versuch, didaktische Hilfen so auf kognitive, motivationale und affektive Unterschiede zwischen Lernenden
abzustimmen
• alle sollen möglichst optimal davon profitieren → jeder einzelne soll bestmöglich gefördert werden

Unterrichtsplanung aus technischer Sicht auf Planung nach Tyler (1950)


1. what educational purposes should the seek to attain? → defining appropriate learning objectives
2. how can learning experiences be selected which are likely tob e useful in attaining these objectives? → intro-
ducing useful learning experiences
3. how can learning experiences be organized for effective instruction? → organizing experiences to maximize
their effect
4. how can the effectiveness of learning experiences be evaluated? → evaluating the process and revising the
areas that were not effective

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7.5 Unterrichtsplanungskompetenz

schematisches Kompetenzmodell zur Pla-


nungskompetenz nach König et al. (2015)

Planungskompetenz im Zentrum von Unterricht nach Wernke &


Zierer (2017)

• Form didaktischen Denkens und Handelns


• Ziel: anhand theoretisch begründbarer und empirisch abge-
sicherter Überlegungen, die Prozessstruktur zwischen Lehr-
personen, SuS und Stoff zu gestalten
• benötigt fachliche, pädagogische und didaktische Kompe-
tenzen sowie entsprechende Haltungen

7.6 Befunde zur Unterrichtsplanung


Was fokussieren Lehrpersonen beim Planen?
• inhaltliche Aspekte eines Sachverhalts: Planung soll mit Spezifikation von Lernzielen beginnen
• Lernziele werden nur selten formuliert; man geht jedoch von impliziten Entscheidungen über fachliche As-
pekte und anvisierte Lernziele aus
• Studie mit britischen Lehrpersonen: Berücksichtigung verschiedener Planungsfacetten, dass „materials and
ressources“ stehen vor Lernerinteresse, Lehrziele und Evaluationsmaßnahmen
• Knorr (2015): Studierende sprechen hauptsächlich über Unterrichtsaktivitäten, gefolgt von Schülerverhalten
und abgeschlagen wird über Themen und Lernziele gesprochen

→ erhebliche Unterscheidungen vom Vorgehen in Planungsmodellen, da Zielbestimmung vielfach nicht den Aus-
gangspunkt bilden

Worauf greifen Lehrpersonen bei der Planung von Unterricht zurück?


• Referendare entwickeln vorwiegend eigene/neue Unterrichtskonzepte; erfahrene Lehrpersonen beschreiben
Unterrichtsplanung als Optimierung bereits vorhandenen Materials
• präskriptive Modelle zur Unterrichtsplanung spielen untergeordnete Rolle; Vermutung: implizite Planungs-
parameter
• Planungsmodelle aus Referendariat werden vereinfacht und individuelle Planungsbedarfen angepasst
• viele Fächer nutzen das Schulbuch bei der Gestaltung der Unterrichtseinheit → Deutsch und Chemie eher
Fächer, in denen Materialien selbst erstellt werden

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Worin unterscheiden sich verschiedene Lehrpersongruppen bei der Unterrichtsplanung?
• Experten: Einbezug längerfristiger Unterrichtszusammenhänge, kaum Verschriftlichungen → zielorientiertes
und flexibles Abrufen von Planungsstrategien
• kognitive Schemata bei Novizen noch weniger elaboriert und schwerer zugänglich
• Experten scheinen effektiver eigene Erfahrungen zu visualisieren → Prognosen über Unterrichtsverlauf fällt
leichter

In welcher Weise wird Kompetenzorientierung für Unterrichtsplanung berücksichtigt?


• ein Großteil des didaktisch-methodischen Repertoires bleibt ungenutzt
• Hälfte der Entwürfe weist explizit auf einen niveau-gestuften Kompetenzaufbau hin
• kaum Berücksichtigung überfachlicher Kompetenzen

Wie gestaltet sich kooperative Unterrichtsplanung?


• Fachlehrer fokussieren fachliche Inhalte und Ziele und konzentrieren sich auf Gesamtheit der Klasse
• Sonderpädagogen fokussieren Teilgruppen und einzelne Lernende (individuelle Lernziele, Orientierung von
Unterrichtsinhalten an Lebenspraxis)
• in Planungsgesprächen zeigt sich: Planung des Regelunterrichts dann unterbrochen, wenn Lehrkraft eine
Nichtpassung zwischen dem geplanten Unterricht und einzelnen SuS antizipiert

• viele Lehrpersonen planen Unterricht ohne expliziten Rückgriff auf Planungsmodelle


• im Widerspruch zu Planungsmodellen steht Zielperspektive von Unterricht nur selten am Anfang von Pla-
nungsprozessen → inhaltliche und materiale Bedingungen bilden häufig Anfang von Planungsüberlegun-
gen
• Experten und Novizen unterscheiden sich nicht nur währen des Unterrichtens, sondern bereits während
des Planens von Unterricht

→ weitere Unterstützung und Optimierung kompetenzorientierter Planungsprozesse scheint notwendig

7.7 Unterrichtsplanung – ein praxisorientierter Einblick


Rahmenbedingungen

Lernziel
• typischerweise als Stundenziel → Kernanliegen für eine Einzel-/Doppelstunde
• benennen zu welchem Zweck Schulunterricht stattfindet: Lernzugewinn der SuS
• notwendige Bestandteile der Lernzielformulierung:
o Lerninhalt
o Bedingungen unter welchen das Lernziel erreicht werden soll
o Lernhandlung
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• häufige Merkmale:
o bündige Formulierung (1-2 Sätze)
o Anbindung an den Lehrplan durch Kompetenzbezug → Das Lernprodukt ist das Herzstück einer
o Benennung des Lernzugewinns outputorientierten Unterrichtsplanung und
o Darstellung des Lernprozesses in seinem Erscheinen Ausdruck des Lern-
… Benennung der Methode ziels
… Benennung der Sozialform
… Benennung benutzter Materialien
• Formulierung: Benennung der SuS in 3. Pers. Pl. + Nutzung von Operatoren
• Planung progressiv aufeinander folgender bzw. sich thematisch und methodisch ergänzender Unterrichts-
stunden mündet in der Konzeption einer Unterrichtsreihe
• typischerweise steht am Ende einer Unterrichtsreihe eine Klassenarbeit/Klausur
• sprachliche Gestaltung: siehe Stundenthema

Unterrichtsstunde & Unterrichtsreihe


• Thema der Stunde entlang der Richtlinie des Lernziels
• häufige sprachliche Merkmale
o Interesse weckende Frage
o knappe Beschreibung des Stundeninhalts
• Planung progressiv aufeinanderfolgender/sich thematisch und methodisch ergänzender Unterrichtsstunden
• typischerweise steht am Ende einer Unterrichtsreihe eine Klassenarbeit/Klausur

Verlaufsplan
• gibt Auskunft über geplante Phasierung der durchzu-
führenden Unterrichtsstunde
• zumeist in Tabellenform
• Anlegen des Verlaufsplans oder auch Artikulationssche-
mas ist eine gute Vorgehensweise um sich eigene Pla-
nungsschritte zu vergegenwärtigen und diese ggf. zu
revidieren
• Merkmale
o benennt die Unterrichtsphase (z.B. Einstieg,
Erarbeitung, Sicherung)
o benennt Unterrichtsgeschehen → Schrittigkeit innerhalb der einzelnen Unterrichtsphasen
o benennt Sozialformen (z.B. Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit, Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch)
o benennt verwendete Medien/Materialien (z.B. Arbeitsblatt, Tandembogen, Poster, PPP, Heft)
o enthält oft einen didaktisch-methodischen Kommentar → Auskunft über situationsspezifische Sinn-
haftigkeit der Planungsschritte vor didaktischem Hintergrund

→ Handlungsvorbereitung: Kreation möglicher Unterrichtshandlungen, Verringerung von Handlungssicherheiten

→ Legitimation: Begründung bereits erdachter Unterrichtshandlungen

sonstige Merkmale
• angemessene Sachanalyse und Elementarisierung
• Beachtung von SuSperspektive, z.B. Schülerperspektiven, Interessen
• angemessene didaktische Strukturierung, z.B. Anwendung entsprechender Basismodelle
• hohe Begründungsqualität, Designqualität, didaktische Rekronstruktion

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schriftlicher Unterrichtsentwurf
Struktur eines ca. 10-15 seitigen Unterrichtsentwurfs

• Seite: Deckblatt mit Namen, Datum und Uhrzeit des Unterrichts, Raumangabe, Gruppengröße, Thema der
Unterrichtsstunde + zugehörige Unterrichtsreihe
• 2. Seite Inhaltsverzeichnis
• ab 2. Seite: ca. 4-6 Seiten
o Darstellung und Begründung der Unterrichtszusammenhänge
▪ Darstellung von Entscheidungen zur Planung der Unterrichtsreihe
▪ Leitgedanken und Intentionen der Unterrichtsreihe
▪ Einordnung der Stunde in den Kontext der Reihe
o Begründung von Entscheidungen zur Planung der Unterrichtsreihe
o Planung der Unterrichtsstunde
▪ Bedingungsanalyse
▪ Ziel(e) der Unterrichtsstunde
▪ didaktisch-methodischer Kommentar
▪ Verlaufsplan
• Anhang
o Literaturverzeichnis
o Anlagen
o mögliches Tafelbild
o Arbeitsmaterialien

→ Unterricht bedarf Planung, aber Planung bedarf viel Zeit

→ im Laufe der Berufsausübung wird gelernt, Unterricht progressiv, kompetent und damit lernförderlich zu planen

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8 spezielle Unterrichtsansätze – Angebots-Nutzungsmodelle – Embedded For-
mative Assessment
Was wäre wenn er Meldeunterricht abgeschafft nur per Zufall aufgerufen werden würden?

gut schlecht
• jeder SuS kann drankommen • Persönlichkeit der SuS wird angegriffen
• Möglichkeit für schüchterne SuS, ihr Wissen • zurückhaltende SuS werden gegen ihren Willen
preiszugeben gezwungen
• reale Einschätzung der Klassenleistung (sonst • Scham, zufällig dranzukommen und was fal-
nur richtige Antworten, an denen man denkt, sches zu sagen, steigt
dass die gesamte Klasse alles verstanden hat)

Was wäre wenn die Lehrkraft von den SuS direkt und kontinuierlich Signale erhalten würde, ob sie verstehen, begin-
nende Verständnisprobleme haben oder komplett abgehängt sind? (In Form von farblichen Becherampeln)

gut schlecht
• direktes Feedback an Lehrperson • schwierig, weil andere SuS das auch sehen kön-
• Gesamtförderung und individuelle Förderung nen → Scham-Aspekt
vereinfacht • starke Kontrolle
• Selbsteinschätzung der SuS nicht immer korrekt

8.1 Angebots-Nutzungs-Modelle
nach Helmke (2008)

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nach Fend (2008)

• Trennung von Angebot und Nutzung ist vom heuristischen Wert → beschreibt eher idealisierte Bedingungen
• zur Beschreibung einer schulischen und unterrichtlichen Wirklichkeit machen derartige Annahmen, die so
nicht haltbar sind
• verkürzte Aussage „Lehrkräfte sind nur für das Angebot verantwortlich“ ist falsch und schädlich
• angemesseneres Modell würde Ko-Produktion und wechselseitige Kompensation von Defiziten berücksichti-
gen

Fend-Modell arbeitet im Vergleich zu Helmke besonders heraus:

1. Stütz-, Steuerungs- und Kontrollfunktionen der Administration für Angebotsseite


2. Stütz, Steuerungs- und Kontrollfunktionen der Familie für die Nutzungsseite
3. Bildungsergebnisse als Koproduktion
4. Symmetrie von Angebots- und Nutzungsseite

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Unterrichtsqualität (Angebot) Nutzung Wirkungen

kognitive Aktivierung (Verarbeitungstiefe)

Leistung/konzeptuelles Ver-
ständnis

Klassenführung, Regelklarheit, Struktur (Time on task)

(Erleben von Autonomie +


Kompetenz + soziale
unterstützendes Unterrichtsklima Einbettung
= Selbstbestimmung) Motivation

8.2 Formative Assessment (FA) nach Dylan William


lernprozessbegleitende Beurteilung von Leistungen mit Ziel, diese diagnostischen Informationen zu nutzen, um Unter-
richt (und letztlich individuelles Lernen) zu verbessern (Schütze et al. 2017)

• eine der wirkungsstärksten Maßnahmen, um schulisches Lernen zu fördern


• in sprachlichen Fächern stärkere Effekte im Vergleich zu Mathematik und Na-
turwissenschaften
• assessment als feedbackgesteuerte Unterrichtsgestaltung (statt lernbeglei-
tende Tests)
• Dylan 2013 via Twitter: „Example of reallsy big mistake: calling fomative asses-
sment formative assessment rather tham something like ‚responsive teaching‘“

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The classroom experiment
• Mini-Whiteboards: SuS schreiben Antworten auf kleine Tafeln und zeigen diese nach Aufforderung der Lehr-
kraft und den anderen SuS
• Melden wird abgeschafft und durch Zufallsauswahl ersetzt. Alle Schüler rechnen damit, dranzukommen und
denken mit.
• Feedbackschleifen werden eingeführt: Becher-Ampel und Schülerfeedback
• Noten werden (in Teilen) abgeschafft und durch Rückmeldungen ersetzt.
• daneben Maßnahmen im Bereich Disziplinprobleme (secret student)

→ Die Nutzung des schulischen Angebots ist nicht optional.

Resultat: doppelter Lernzuwachs in einem Team gemessen an Kontrollbedingung

Becherampeln
• im Regelunterricht nutzt dabei jeder Lernende jeweils drei farbige Becher, um der Lehrkraft fortlaufend als
Echtzeitfeedback Signale zu senden (ähnlich clicker)
• grün: „Ich verstehe, ich kann dem Unterricht folgen“,
• gelb: „Ich habe ein beginnendes Verständnisproblem, vielleicht noch einmal langsamer, noch einmal anders
oder einfach noch einmal erklären“
• rot: „Ich verstehe nicht und brauche jetzt Hilfe, sonst kann ich dem Unterricht nicht weiter folgen“
• Lehrkraft reagiert nach Möglichkeit kurzfristig auf Signale der SuS
• für die Lehrkraft
o unmittelbare Rückmeldefunktion
o Möglichkeiten der Differenzierung
• für die SuS
o Individualisierungsansatz
o Kontrolle und Mitbestimmung
o metakognitiver Überwachungsprozess:
von einer ganz einfachen Beurteilung „Bin ich
ON-Task oder OFF-Task?“ bis hin zu einer kom-
plexeren Einschätzung aktueller Verständnis-
probleme
o idealerweise Veränderung der Haltung der Ler-
nenden von einer passiv-rezeptiven Haltung hin
zu einer aktiveren Haltung, bei der sie mit der
Kontrolle auch mehr Verantwortung für den
eigenen Lernprozess erhalten (anders als an-
dere eher passiv rezeptive Verfahren des Schü-
lerfeedback)

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Mini Whiteboards
• all-student-response system
• alle SuS beantworten Fragen auf kleinen Tafeln
• Lehrperson sieht gleichzeitig alle Antworten
• für die Lehrkraft
o unmittelbare Rückmeldefunktion
o Möglichkeiten der Differenzierung
• für die SuS
o Wahrnehmung anderer Antworten
o Fehlerkultur: mit falschen Antworten merkt man, dass auch MitSuS Fehler machen

No-Hands-Up
• für meisten Unterrichtsphasen wird festgelegt, dass SuS sich nicht mehr melden sollen
• Lehrkraft ruft bei Fragen SuS nach Zufallsprinzip auf
• im Sinne eines Angebots-Nutzungs-Modells ist die Nutzung des schulischen Lernangebotes in diesem Fall
nicht freiwillig
• Verfahren vermeidet
o den vorwissenorientierten „Wer es weiß, meldet sich“-Unterricht
o das Abtauchen von abgehängten demotivierten SuS
o die Verquickung von Lern- und Leistungssituationen
o den fragend-entwickelnden Unterricht mit max. 50% aktiven SuS
• Verfahren kann kurzfristig
o den subjektiven „Unterrichtsfluss“ hemmen
o die Angst vor mündlichen Beiträgen bei den bislang kaum Beteiligten steigern
o zu Frustrationen bei den bisher Engagierten führen, die nicht länger im Rampenlicht stehen
• Verfahren soll langfristig
o die Angst vor mündlichen Beiträgen reduzieren
o das Engagement aller SuS erhöhen

secret student
Disziplinförderung durch Verhaltensbeobachtung mit Belohnungssystem

• an jedem Tag wird zufällig ein SuS als secret student bestimmt, ohne dass er/sie und die Klasse wissen, wer
• Verhalten des secret students wird durch unterrichtende Lehrperson besonders in den Blick genommen
• wenn secret students sich die meiste Zeit akzeptabel verhalten hat, verdient er für die Klasse einen Punkt
und wird am folgenden Tag enttarnt und gelobt
• im Misserfolgsfall wird secret student nicht verraten, so dass es jeder gewesen sein kann
• gelingt es der Klasse in einem festgelegten Zeitraum eine Mindestanzahl an Punkten zu sammeln, so erfolgt
eine kollektive Belohnung
• Maßnahme reduziert in vielen Fällen Verhaltensprobleme deutlich
• kollektiver Charakter soll Klassenklima verbessern
• neben externen Anreizen beginnen SuS typischerweise sich gegenseitig zu beobachten, sich gegenseitig an
die Maßnahme zu erinnern (Peerdruck)
• idealerweise sollten die SuS auch für das eigene Lernverhalten mehr Aufmerksamkeit entwickeln

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Diskussion von FA
• fragt man Lehrkräfte im Vorfeld nach ihren Vorstellungen, so begegnen diese den Maßnahmen mit Skepsis
• deutliche Hinweise darauf, dass FA-Techniken in sehr unterschiedlichen Unterrichtssituationen Potenzial zu
einer positiven Veränderung der Unterrichtskultur und zur Verbesserung des schulischen Lernens haben
• fokussierte Unterrichtstechniken des FA lassen sich in traditionelleren, eher lehrerzentrierten Unterrichtsset-
tings anwenden und stellen dort einen Schritt hin zu kognitiver Aktivierung und individueller Förderung dar
• kombinierte Anwendung der beschriebenen Techniken sollte den Erfolg nochmals erhöhen
• Maßnahmen sollten längerfristig im Unterrichtsalltag genutzt werden

→ formatives Assessment sichert evidenzbasierten Unterricht – Lernstand in Lernsituationen erheben

Assessment in Realzeit verzögertes Assessment implizites Assessment


Schickt mir alle Eure Antworten, da- Später sehe ich mir Eure Antworten Überprüft und beurteilt Euch
mit ich sehe, ob ihr es verstanden an, damit ich sehe, ob Ihr es ver- selbst/gleich Eure Antworten mit
und Eure Aufgaben erledigt habt. standen und Eure Aufgaben erledigt der vorgegebenen Lösung oder den
habt. Lösungen Anderer ab
all-students response systems si- komplexere Aufgaben sichern Stärkt „ownership“, Selbstbe-
chern Verständnis und Aufmerk- Übung und vertieftes Verständnis stimmtheit
samkeit
analoge Tools, wie „Mini-White- „Exit Tickets“ Aufgabe am Ende der Vergleich mit Musterlösung und
boards“, „Show-Me“ MC-Fragen mit Stunde „workes examples“
Fingerzeichen oder Kamera auf Lö-
sung, Traffic lights (Becherampel)
„Do now“ Eine Aufgabe direkt zu komplexere Aufgaben, formative Selbsteinschätzung „Wie sicher
Beginn der Unterrichtsstunde Tests digital oder analog, Fragen zur kannst du das Verfahren…?“
Digitale Tools wie Clicker, Pingo, Vorlesung formulieren „Daumenprobe“
Umfragen, Etherpads o.ä.
nur synchron synchron oder asynchron synchron oder asynchron
etwas oberflächlich, u.U. stressig vertieft, aber eigentlich zu spät metakognitiv, etwas unsicher, moti-
vationsabhängig

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9 Motivierung im Unterricht
• Referendare, die über ein breites gefächertes pädagogisch-psychologisches Wissen verfügen, realisieren (aus
Sicht der SuS) einen besseren Unterricht in Hinblick auf Unterrichtsstörungen, Monitoring, kognitive Aktivie-
rung und konstruktive Unterstützung
• realisierte Unterrichtsqualität von Lehrpersonen in Hinblick auf Störungen, Sozialorientierung, Gerechtigkeit
und Kränkungsbereitschaft etc. (aus Sicht der SuS) lässt sich durch Stressbelastung von Lehrpersonen erklä-
ren

→ motivierte und wenig stressbelastete Lehrpersonen realisieren aus Sicht der SuS eine höhere Unterrichtsqualität

Motivationsprobleme im Schulalltag
• SuS sind unaufmerksam und beschäftigen sich offensichtlich mit unterrichtsfernen Themen
• bestimmte Fächer werden „abgewählt“, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet
• Hausaufgaben werden nicht gemacht
• SuS langweilen sich
• Lehrpersonen machen seit 20 Jahren denselben Unterricht mit denselben Materialien

Bedingungsanalysen von Schulleistungen


Motivation ist wichtig, gerade wenn es schwierig wird!

• SuS-Motivationsvariablen tragen mehr zur


Vorhersehbarkeit der Mathematikleistungen
bei schweren Testaufgaben bei, als leichte
Aufgaben
• Bedeutung von Motivierungsqualität des
Unterrichts steigt bei schweren Mathematik-
aufgaben für gute und schlechte SuS deutlich

9.1 Begriffserklärungen
Theorien der Motivation
„Warum“ handeln Menschen?

• Handlungen ausrichten
• Handlung in Gang setzen (Energetisierung)
• Handlung aufrecht erhalten (Persistenz)

Lernmotivation
Wunsch bzw. Absicht, bestimmte Inhalte oder Fähigkeiten zu erlernen

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Motivierung
• SuS können auf unterschiedliche Weise für Unterrichtsgeschehen und den Stoff begeistert werden:
o intrinsische Motivation: Interesse der SuS wecken durch Anregung der Neugier und Leistungsbereit-
schaft
o extrinsische Motivation: Akzentuierung der Wichtigkeit und Nützlichkeit des Lernstoffes in der Le-
benswelt der SuS
• als Lehrkraft zum Vorbild, indem man engagiert wird und Freude am Fach und am Unterrichten ausstrahlt
(Lernen am Modell) → strahlt man Unlust aus, werden aus SuS demotiviert
• „Lebensweltbezug“ → Bezug zwischen Unterrichtsinhalten und der realen Lebenswelt der SuS etablieren

Leistungsmotivation
• Wunsch bzw. Absicht, etwas zu leisten
o Erfolge erzielen
o Misserfolge vermeiden
o Messung des Erfolgs mit einem individuell als gültig erachteten Gütemaßstabs

handlungstheoretische Grundlage
Wie kommt es in einer konkreten Situation zu einer Intentionsbildung?

• Handlungen werden daraufhin bewertet, welche Konsequenzen aus ihnen folgen


• Orientierung an ökonomischen Modellen (rational choice)
• zentraler Gesichtspunkt: Auswahl und Realisierung einer Handlung hängt letztlich davon ab, ob sie im Ver-
gleich zu anderen eine positivere Kosten-Nutzen-Bilanz aufweist
• Kosten-Nutzen-Bilanz: Intention = Erwartung x Wert einer Handlung

9.2 Interesse
• kognitive Anteilnahme/Aufmerksamkeit, die eine Person an einer Sache/anderen Person nimmt
• Interesse an einem Unterrichtsinhalt geht mit besseren Lernstrategien einher
• korreliert positiv mit Lernerfolg
• gegenstandsspezifisch: eine Person hat oder entwickelt Interesse an etwas
• Person-Gegenstands-Theorie des Interesses (nach Krapp & Prenzel, 1992)
o gefühlsbezogene Valenz: Gegenstände des Interesses sind mit positiven Gefühlen assoziiert
o wertbezogene Valenz: herausgehobene subjektive Bedeutung der Gegenstände
o Selbstintentionalität, intrinsische Komponente: Interessen wird frei von äußeren Zwängen nachge-
gangen
o epistemische Orientierung: Wunsch nach Erweiterung der Kompetenz

→ relevant für Interessenförderung


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Interesse und Leistung
Ergebnisse aus PISA

• Mädchen zweigen höhere Werte im Gesamttest „Lesekompetenz“ als Jungen → 16% der Mädchen, aber
28% der Jungen sind auf unteren Kompetenzniveaus
• Mädchen und Mathematik: weniger Interesse, mehr Angst, schlechteres Selbstkonzept, geringere Selbst-
wirksamkeit → sehr große motivationale Unterschiede

Studie von Lazarides et al. (2015)

• Interesse an Mathe in Klassen 8-10 hängt mit wahrgenommener Unterrichtsgestaltung zusammen, v.a. mit
wahrgenommener Strukturiertheit und Sozialorientierung
• bei Jungen: auch Mitbestimmungsmöglichkeiten relevant
• Interesse an Matheunterricht weiterhin abhängig von Geschlecht und Note

9.3 Selbstbestimmung und Lernmotivation


• drei grundlegende psychische Bedürfnisse (basic needs) nach Deci & Ryan:
o Autonomie-Erleben
o Kompetenz-Erleben
o soziale Einbindung
o zusätzlich: Wahrnehmung der Bedeutung der Lerninhalte
• empirische Studien: Zusammenhänge mit selbstbestimmter Motivation und…
o … dem Erleben von Lernenden als „Verursacher“ von Handlungen (Autonomie-Erleben)
o Gefühl, von den Lehrpersonen akzeptiert zu werden (soziale Eingebundenheit)
o Erkennen von persönlichen Lernfortschritten (Kompetenzerleben)
• wahrgenommene Wahlfreiheit im Biologieunterricht hat Einfluss auf Interesse der SuS → Wahl zwischen
zwei attraktiven Alternativen, damit Wahl tatsächlich als autonome Entscheidung wahrgenommen und für
Interesse wirksam wird
• Mädchen erleben weniger selbstbestimmte Motivation im Matheunterricht der 8. Klasse als Jungen
• Interesse am Lerngegenstand hängt mit selbstbestimmter Motivation zusammen
• wahrgenommener Alltagsbezug im Unterricht ist relevant für selbstbestimmte Motivation

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9.4 Umgang mit Fehlern
• Fehler gestalten sich als ambivalentes Ereignis während des Unterrichts → Konfrontation mit fachlichen The-
orien, durch die Schülervorstellungen als falsch entlarvt werden, bringt das SuS in einen wünschenswerten
kognitiven Konflikt
• Lehrpersonen sollen ihren SuS die Möglichkeit geben, Fehler zu machen, die einen kognitiven Konflikt her-
vorrufen können und diesen in Unterricht einbeziehen
• wenn Fehler als Routinen als falsche Regel oder inkorrektes Konzept auftauchen, sind diese im prozedualen
Gedächtnis verankert und schwieriger korrigierbar
• sollte darauf geachtet werden, dass sich keine schwer revidierbaren Fehler in Routinen der SuS einschleichen
• wichtig, SuS das Gefühl zu geben, dass es menschlich ist, Fehler zu machen und diese als Lernmöglichkeiten
nutzen

→ positive Fehlerkultur, thematische Motivierung im Unterricht und angenehmes Unterrichtsklima hängen positiv
mit Lernergebnissen zusammen

9.5 klimatische Schulbedingungen und Leistungsentwicklung


• Autonomie und Fairness-Empfinden in verschiedenen sozialen Kontexten gilt als wichtig für Selbstkonzept
• positives, faires und inklusives Schulklima ist wichtig um SuS zu ermutigen, aktiv am Unterricht teilzunehmen
und Kompetenzen zu entwickeln
• diversitätsorientiertes und inklusives Schulklima wirkt sich günstig auf schulische Anpassung aus
• Beziehung zwischen Lehrpersonen und SuS ist insbesondere für schwächere SuS und deren Leistungsent-
wicklung und Motivation bedeutend

→ motivationsstützender Unterricht

1. Autonomie gewähren (Wahlmöglichkeiten, Spielräume)


2. Ziele und deren Begründung deutlich machen und darlegen
3. Anpassung der Lehre an Niveau der SuS
4. Selbstwahrnehmung von Kompetenzen unterstützen (Rückmeldung, Lernfortschritte)
5. Lernende akzeptieren; in sozialer Hinsicht einbeziehen
6. eigene Motivation deutlich machen → die natürliche Obergrenze für Motivation der SuS ist die der Lehrper-
son

ARCS-Modell (Keller 2010)


A Attention Aufmerksamkeit erlangen

R Relevance Warum wird etwas gelernt?

C Confidence Selbstvertrauen/Erfolge ermöglichen

S Satisfaction den SuS das Gefühl geben, dass sie etwas Interessantes und Nützliches gelernt haben

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9.6 Attribution – die Erklärung von Handlungsergebnissen
(handlungsorientierte Perspektive)

Ein Schüler erklärt sich eine gute Zensur – und somit seine Mathematikleistungen mit seinen intensiven Vorbereitun-
gen (Anstrengung). Eine Mitschülerin führte ihr fast gleiches Ergebnis auf ihr Können zurück. Weitere Befragte gaben
an, dass das Ergebnis damit zusammen hänge, dass sie einen guten Tag gehabt hätten.

SuS, die schlecht abgeschnitten hatten, behaupteten, für das Fach nicht die nötige Begabung zu haben; andere gaben
an, bei der Auswahl der Aufgaben Pech gehabt zu haben.

Attribution: Ursachenzuschreibung – subjektive Ursache (hier: für Erfolg und Misserfolg in Leistungssituationen)
→ problematisch

Erfolg wird auf Glück/Unglück oder geringe Aufgabenschwierigkeit


zurückgeführt; nicht auf eigene Anstrengung oder Begabung

Misserfolg wird auf fehlende eigene Begabung zurückgeführt

Attributionsschema nach Weiner (1985)

Wie können Lehrpersonen günstige Attributionsmuster, ein positives Selbstkonzept und Selbstwirksamkeit in ihrem
Unterricht unterstützen? → motivationsförderliche Rückmeldung im Unterricht

• Leistung generell auf internale, variable Ursachen zurückzuführen (also auf Anstrengung)
• positive Leistungen auf Fähigkeit zurückzuführen
• positive Verstärkung, Lob und Unterstützung im Unterricht

→ Feedback spielt für Wirksamkeit unterrichtlicher Prozesse eine maßgebliche Rolle

• Feedback beeinflusst Verhalten, z.B. indem es zielgerichtetes Verhalten steuert


• Feedback hilft dabei, Ziele in der Zukunft zu erreichen
• positives Feedback ist selbstbestärkend
• Feedback hilft dabei, eigene Fehler zu erkennen
• Feedback verstärkt Motivation, z.B. dadurch, dass man erkennt, welches Verhalten erfolgreiche Ergebnisse
zur Folge haben kann
• Feedback verstärkt Gefühl, mit einer Aufgabe verbunden zu sein
• Feedback ist ein Selbstläufer → Personen, die ein positives Feedback erhalten und erfahren haben, fragen
aktiv nach erneutem Feedback

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Arten von Feedback
Feedback: Rückmeldung im Hinblick auf vorherige Leistungen <-> Feedforward: Rückmeldung im Hinblick auf zu-
künftige Arbeiten und Leistungsperspektiven

→ sollte neben der Auskunft über Ergebnisse einer Aufgabe (summatives Feedback) auch Fortschritte aufzeigen und
in Kombination mit Feedforward (Aufzeigen konkreter Lernziele und dem Weg, diese zu erreichen) → Lernziele soll-
ten erreichbar sein und aus Sicht der SuS als sinnvoll erachtet werden

Strategiefeedback: Aufzeigen zur Erreichung der Lernziele hat hohe Lernwirksamkeit → wirkt sich positiv auf Moti-
vation aus, insbesondere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen

formatives Feedback und Prozessfeedback sind wirksamer als summatives Feedback → wirken sich positiver auf
Selbstwirksamkeitsüberzeugungen aus

zeitnahes Feedback: i.d.R. effektiver als verzögertes

→ nicht jede Feedbackmaßnahme ist förderlich, wie etwa Androhung von Bestrafung oder Setzen extrinsischer An-
reize

→ personenbezogenes Feedback im Vergleich zu inhaltsbezogenem Feedback weniger wirksam

9.7 implizites Feedback – Erwartungen an die Lernenden

Leistungsdisparitäten und motivationale Faktoren


• Schulerfolg scheint von sozialer und ethischer Herkunft abzuhängen
• neben institutionellen Einflüssen oder z.B. Ressourcenungleichheit, gibt es weiteren Faktor, der im schuli-
schen Alltag für bestimmte SuS-Gruppen eine Herausforderung darstellt: Bedrohung der sozialen Identität
→ Stereotype Threat
o mehrfache Erfahrung von Misserfolg (trotz Maßnahmen) kann zu Kontrollverlust in Prüfungssituatio-
nen und erlernter schulbezogener Hilflosigkeit führen
o SuS sind „wachsam“ und nehmen verschiedene Signale als Bedrohung war, z.B. kann ein Lehrerver-
halten als unfair wahrgenommen werden
o kontinuierliche Bewertungssituationen im (sozialen) Umfeld der Schule können zu einem verringer-
ten Gefühl von Zugehörigkeit führen
o Resultat dieser Wachsamkeit gegenüber Bedrohungen können SuS ein schulbezogenes Selbstkon-
zept entwickeln
o fühlen sich in der schulischen Domäne bzw. dem Klassenverband weniger zugehörig
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o um eigenes Selbstkonzept aufrecht zu erhalten, entziehen sich SuS der akademischen Domäne und
sich deutlich weniger engagiert als ihre MitSuS
o Selbstkonzeptwahrung durch sukzessiven (hidden) School Dropout → ein kompletter Abbruch ist
unwahrscheinlich, weshalb Erfahrungen zunehmend stärkere Herausforderungen darstellen können
• weise Interventionen wirken als traditionelle Maßnahmen zur Veränderung einer objektiven Eigenschaft ei-
ner Situation (z.B. veränderte Reihenfolge von Lebensmitteln in einer Cafeteria)

1. value affirmation intervention


• Selbstbestätigungsintervention geht davon aus, dass jede Person ein positi-
ves Selbstbild hat
• SuS sollen durch Bestätigung ihres Selbstkonzeptes bzw. ihrer Werte in Situ-
ationen, in denen ihr Selbstkonzept potenziell bedroht werden könnte, ge-
stärkt werden
• SuS reflektieren in Intervention über verschiedene für sie wichtige Werte
im Leben → durch Bestärkung können sie bedrohte Situationen anders in-
terpretieren, sie fühlen sich eher zugehörig, sie können somit besser lernen und Feedback besser annehmen
2. growth mindset intervention
• SuS besitzen ein eher statisches oder dynamisches Mindset ihrer eigenen kognitiven Fähigkeiten
• SuS, die ein dynamisches Mindset besitzen, stellen sich auch öfter herausfordernden Aufgaben als ihre Mit-
SuS
• dynamisches, wachstumsorientiertes Mindset bezüglich eigener Fähigkeiten kann schulische Leistungen
langfristig positiv beeinflussen
• SuS sollen wachstumsorientiertes Mindset bezüglich ihrer eigenen Fähigkeiten vermittelt bekommen
• jüngeren Kindern wird hierbei das Gehirn wie ein Muskel präsentiert, den sie durch lernen und üben stärken
können

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10 Migration und Mehrsprachigkeit
• Schule als eine zentrale Sozialisationsinstanz für Kontakt von Lernenden mit und ohne Migrationshinter-
grund mit der Kultur der Residenzgesellschaft → Vermittlung interkultureller Kompetenzen
• Schulerfolg als wichtiger Prädikator für spätere berufliche und soziale Teilhabe
• im Hinblick auf schulische Leistungen ist Qualität des Unterrichts einer der wichtigsten Faktoren

10.1 Indikatoren für Bildungsungleichheit


• Bildungsabschlüsse
• Ergebnisse der Schulleistungsstudien
• Übergangempfehlungen – Verteilung der SuS Personen ohne Schul-
im Bildungssystem abschluss zwischen 15-
• Übergang Schule und Beruf 65 Jahren

• SuS mit Migrationshintergrund sind häufiger


von Bildungsabschlüssen betroffen
• differenzielle Lernmilieus im deutschen Bil-
dungssystem → frühe Selektion
• Zusammensetzung der Schülerschaft in der Klasse/Schule
• negative Erwartungshaltung der Lehrpersonen → Diskriminierung/stereotype threat
• institutionelle Diskriminierung
• kulturelles Kapital der Familie: sozioökonomischer Status und Bildungsgrad, kulturelle Orientierung und Ak-
kulturation, Kompetenzen im Umgang mit dem deutschen Bildungssystem

• aktuelle Befunde aus PISA u.a. zeigen für Deutschland: Leistungsfähigkeit in Bezug auf Lesekompetenz sowie
Kompetenzen in Mathe und NaWi fällt bei SuS mit Migrationshintergrund schlechter aus als bei SuS ohne
Migrationshintergrund
• Effekte der Sprachgruppen: SuS mit türkischem Migrationshintergrund weisen im Verhältnis zu deutschen
SuS besonders schlechte Leistungsergebnisse auf
• soziale Herkunft, Geschlecht und Migration als Gründe für Bildungsnachteile
• Klassenkomposition in Hinblick auf SES hat einen deutlichen Einfluss auf Lernleistungen

→ Förderung der Verkehrssprache Deutsch (sprachsensibler Unterricht – durchgängige Sprachbildung)

→ Differenzierung im Hinblick auf Aufgabenkultur im Unterricht

→ Integrations-/Übergangsklassen

→ Kompetenzentwicklung des Lehrpersonals; Entwicklung entsprechender Lehr-/Lernmaterialien

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10.2 Sprachbildungsunterstützung: scaffolding
• Konzept für sprachsensible Unterrichtsplanung (Makro-Scraffolding) sowie für Planung der Interaktion im
Unterricht (Mikro-Scaffolding)
• bedeutet, den SuS für Bewältigung von Aufgaben Hilfen zur Verfügung zu stellen (Gerüste bauen), die im An-
schluss immer weiter zurückgenommen werden
• Ziel: SuS unterstützen, die Zone der proximalen Entwicklung zu erreichen

Materialanalyse: Welche sprachlichen Herausforderungen beinhalten bspw. die Lernaufgaben im Schulbuch für SuS?

• Wie konkret oder abstrakt ist der Text?


• Wie komplex ist die Thematik (Alltagsnähe)?
• Welche Sprachhandlung(en) steck/t/en im Text?
• Wie umfangreich ist das Textmaterial (relative
Länge)?
• Wie viele Topkalisierungen enthält der Text (Ab-
weichungen der SPO-Struktur)?
• Wie viele Negationen enthält der Text?
• Wie grammatikalisch komplex ist der Text?

• Auf welchem fachlichen und sprachlichen Stand ist


die Lerngruppe oder sind Teile der Lerngruppe?
• Welche Handlungen sollen die SuS infolge der Text-
rezeption durchführen?
• Ist die geplante Handlung neu für die SuS?
• Welcher Fachwortschatz wird vorausgesetzt bzw. neu eingeführt?

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10.3 sprachliche Vielfalt und Schule
→ Kinder mit Migrationshintergrund werden auch in Zukunft zwei- oder mehrsprachig in Bildungseinrichtungen ein-
treten

• Sprachenvielfalt ist selbstverständlich → niemand ist einsprachig


• Mehrsprachigkeit als Schlüsselqualifikation in Europa → durch EU vorgeschrieben
• Anerkennung, Wertschätzung, Interesse und Respekt gegenüber den SuS vorhandenen Sprachkompetenzen
• Forderung nach mehrsprachiger Schulentwicklung

• Kopräsenz und Interaktion von mehreren Sprachen


• kontinuierlicher Anpassungsprozess
• Interdependenz der Sprachen

• Bilinguale haben bessere Aufmerksamkeitskontrolle als einsprachige – unabhängig vom sozialen Status
• mehrsprachige Personen verfügen über höhere Sprachbewusstheit als einsprachige → erleichtert den
Fremdspracherwerb
• Interdependenzhypothese (nach Cummins): Kompetenz in der Erstsprache hat Einfluss auf Erwerb von
Fremdsprachen → Transfereffekt der Mehrsprachigkeit auf Erwerb weiterer Fremdsprachen
• Vorteile für kognitive Fähigkeiten im hohen Alter → Demenzverzögerung

10.4 empirische Befunde zum Sprachenlernen


• Effekte der Erstsprache auf Gesamtleistung im Deutschen
und Englischen unter Kontrolle von Bildungsgang, sozioöko-
nomischem Hintergrund, kognitive Grundfähigkeit und Ge-
schlecht
• Sprachnutzung: Gebrauch der Muttersprache in Bezug auf
Lesen, Schreiben, Internet, Videos, Filme
• rezeptive Sprachkompetenz: Einschätzung der Kompetenz
die Erstsprache zu verstehen
• produktive Sprachkompetenz: sich in der Erstsprache ausdrücken können, Sprechen und Schreiben

→ positive, zum Teil signifikante Zusammenhänge zwischen Erstsprachkompetenz und Deutsch- bzw. Englischleis-
tungen

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Ergebnisse zur migrationsbedingten Mehrsprachigkeit
• migrationsbedingte Mehrsprachigkeit kann eine individuelle Ressource für schulisches Sprachenlernen und
für schulische Anpassung sein
• Kompetenz in Erstsprache scheint als Unterstützung beim weiteren Sprachenlernen relevant zu sein → für
Erwerb des Englischen, aber auch Erwerb von DaZ
• Kompetenz in Zweitsprache (Brückensprache) scheint beim L3 Lernen eine besondere Rolle zu spielen

• Klassenzusammensetzung und Unterricht:


o Annahme eines negativen Einflusses eines hohen Migrantenanteils auf Lesekompetenz
o Einfluss des Zuwandereranteils in Klassen ist nicht mehr relevant, wenn sozioökonomische und bil-
dungsbezogene Zusammensetzung der Klasse und Vorkenntnisse kontrolliert werden
o für Deutschunterricht liegen Hinweise darauf vor, dass Lernmotivation der SuS mit Migrationshinter-
grund durch heterogen zusammengesetzte Schülerschaft unterstützt werden
• mehrsprachig aufgewachsene SuS wirken sogar darüber hinaus positiv auf Klassenergebnis im Englischen →
sind damit eine Ressource für Klassengemeinschaft

→ sprachliche Erfahrung und Lernstrategien von Mehrsprachlern stellen Lerngrundlage für weiteres Lernen von
Fremdsprachen dar

→ Fremdsprachenunterricht, der rezeptive Sprachtransferprozesse unterstützt, kann Sprachlernergebnisse positiv


beeinflussen

10.5 Sprachsensibilität
Ziele von sprachsensiblem Unterricht
• SuS werden in ihrer Wahrnehmung sprachlicher Phänomene unterstützt und können dadurch
o Einzelphänomene aus komplexen Zusammenhängen isolieren
o suchen nach Bekanntem und Ähnlichem
o beziehen in Sprachvergleiche ihre Muttersprache und erlernte Fremdsprache ein
o erkennen Vergleichbares auf verschiedenen Ebenen (Morphologie, Syntax, …)
• solche Ansätze werden inzwischen auch für Fachunterricht, wie z.B. Mathe und Biologie entwickelt
• sprachvergleichende Ansätze wirken positiv auf Lernleistungen der ganzen Klasse
• durchgängige Sprachbildung

Mehrsprachigkeitsorientierung im Unterricht
• Akzeptanz von mehreren Sprachen und Sprachkompetenz im Unterricht
• Kultur/kulturelle Vielfalt einbringen, respektieren und verstehen
• respektvoller Umgang, unterschiedliche Fehler der Grammatik (je nach Herkunft), Lernen voneinander, indi-
viduelle Förderung
• Unterrichtskonzepte werden ausgearbeitet → bilingualer Unterricht
• internationale Namen in bspw. Aufgabenstellungen → Internationalismus betrachten
• SuS mit deren verschiedenen Sprachen verbinden, um zu zeigen, welche Gemeinsamkeiten und Unter-
schiede existieren
• Berücksichtigung anderer Sprachen im Unterricht

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10.6 Aufgabenbeispiele

Thematisierung kultureller und sprachlicher Vielfalt


• verschiedene Studien verdeutlichen, dass Thematisierung der kulturellen Diversität in der Klasse einen posi-
tiven Einfluss auf Lernentwicklung der SuS haben kann
• auch hinsichtlich Motivation von SuS, die Minoritäten angehören zeigt sich, dass SuS motivierter sind und
bessere Lernergebnisse erreichen, wenn ihre kulturelle Herkunft im Unterricht respektiert und wertge-
schätzt wird

kulturelle Wertschätzung
• Schule von zentraler Bedeutung, damit Vielfalt in Migrationsgesellschaft als selbstverständlich wahrgenom-
men werden kann
• sehr wichtig, kulturalistische Defizitperspektive zu überwinden und Lehrpersonen für exkludierende und dis-
kriminierende Mechanismen zu sensibilisieren
• Schulklima und Unterricht durch egalitären und inklusiven Ansatz auch hilfreich für SuS ohne Migrationshin-
tergrund

problematische Einstellung von Lehrpersonen


• monolingualer Habitus in deutschen Schulen
• sprachliche Voraussetzungen von SuS werden nicht berücksichtigt, auftauchende Sprachen – bis auf das
Deutsche – werden im Unterricht nicht aufgenommen
• Toleranz gegenüber gemischtsprachigen Äußerungen bei deutschen Lehrpersonen geringer als bei Lehrper-
sonen in Luxemburg → Folge: Nichtbeteiligung mehrsprachiger Kinder und Zurückhaltung der sprachlichen
Kompetenzen
• negativer Einfluss der Erstsprache → Überforderung <-> positiver Einfluss der Erstsprache → akzeptierender
Typus
• Einstellungen der Lehrpersonen gegenüber den Erstsprachen haben einen Einfluss auf die Einstellungen der
SuS gegenüber ihrer Sprachen
• internationaler Vergleich von Sprachlernpersonen weist auf geringe Berücksichtigung und negative Bewer-
tung der Erstsprachen mehrsprachiger SuS im Sprachenunterricht hin
• ungünstige Einstellungen und Leistungszuschreibungen gegenüber SuS mit Migrationshintergrund → ethno-
zentrische Perspektiven

→ sowohl für SuS mit als auch ohne Migrationshintergrund ist ein inklusives Schulklima eine wichtige Bedingung für
ihre schulische Identifikation und ihr Engagement

→ für SuS mit Migrationshintergrund scheinen darüber hinaus die engen Beziehungen zu den einzelnen Lehrperso-
nen besonders bedeutsam
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11 Heterogenität – Individuelle Förderung – Inklusion
Wie geht Schule mit der Verschiedenheit der Lernenden um?

• zunächst: gar nicht bzw. durch Ausschluss (bspw. Exklusion Armer, Mädchen/Frauen; bei Wohlhabenden
andere Inhalte für Mädchen und Jungen)
• enge Verflechtung von Kirche und Schule
• altersgemäße Trennung von Jahrgangs-Schulklassen
• W. v. Humboldt (1809) Volksschule als „niedere Schule“, Humanistisches Gymnasium als höhere Schule
• Industrialisierung: Mädchengymnasium (neusprachlich), technische Gymnasien
• „Orientierung an Mittelköpfen“ (Trapp, 1870)
• 1919: Weimarer Schulkompromiss, dreigliedriges Schulsystem + Sonderschule/Förderschule, bis dahin allge-
meine Hochschulreife nur am humanistischen Gymnasium

11.1 Heterogenität
• Uneinheitlichkeit der Elemente einer Menge hinsichtlich eines oder mehrerer Merkmale
• negativ: Heterogenität als Problem
• positiv: Diversität als Chance
• Anspruch: individuelle Förderung → „Jedem Kind in gleicher Weise gerecht werden.“

Differenzierung
• unterschiedlicher Umgang mit einzelnen SuS oder Schülergruppen, zumeist in Abhängigkeit von ihren Eigen-
heiten
• innere Differenzierung: Differenzierung innerhalb eines unterrichtlichen Rahmens, innerhalb einer Schul-
klasse
• äußere Differenzierung: Differenzierung durch räumlich strukturelle Trennung bspw. in getrennte Klasse
oder Schulformen
• Aspekte der Verschiedenheit: Begabung, Vorwissen, sozio-ökonomischer Hintergrund, Alter, Entwicklungs-
stand, Lernstil, Migrationshintergrund, Geschlecht, Interessen, Präferenzen, Kultur, Werte, Sprache etc.

→ Diskussion: Thesen zur Individualisierung im staatlichen Schulsystem

→ individualisierter Unterricht für einzelne SuS ist für einzelne Lehrkraft nicht möglich?

→ individualisierter Unterricht im staatlichen Schulsystem nicht finanzierbar?

Elemente der Individualisierung und individuellen Förderung


Es gibt nicht den individualisierten Unterricht, denn individuelle Förderung kann verschiedene Elemente aufweisen:

• Kenntnis individueller Lernvoraussetzungen durch Diagnostik


• Kenntnis individueller Entwicklung durch Feedback und Lernstandskontrollen (Assessment)
• individualisierte Unterrichtsgestaltung, binnendifferenzierter Unterricht
• individualisierte Lernwege und -prozesse
• individualisierte Bewertungsmaßstäbe: statt sozialer und kriterial sachlicher Bezugsnorm für alle werden in-
dividuelle Bezugsnormen eingesetzt
• individualisierte Lernziele – zielgleicher oder zieldifferenter Unterricht: unter Umständen werden SuS mit
Förderbedarfen „zieldifferent“ unterrichtet → individuelle Förderpläne
• Selbstbestimmung in Sinne (eingeschränkter) Wahlfreiheit und Selbstdifferenzierung (z.B. Kurswahl in der
Oberstufe)

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11.2 Umgang mit (Leistungs-)Heterogenität
vier Reaktionsmöglichkeiten auf Lern- und Leistungsdifferenzen (Weinert 1997)
• Ignorieren der Unterschiede (passive Reaktionsform)
• Anpassung der SuS an Anforderungen des Unterrichts (substitutive Reaktionsform)
• Anpassung des Unterrichts an die Unterschiede der SuS (aktive Reaktionsform)
• gezielte Förderung der SuS durch adaptiven Unterricht (proaktive Reaktionsform)

Unterscheidung zwischen Zweck und Art der Realisierung der Adaption (Leutner 1992)
• Zweck der Adaption: drei Modelle
o Fördermodell
o Kompensationsmodell
o Präferenzmodell
• drei Arten der Realisierung
o Anpassung des Lernziels
o Anpassung der Lernmethode

Gelingbedingungen der individuellen Förderung


• Einstellungswandel
• diagnostische Kompetenzen
• Professionswissen und didaktische Expertise
• Lehr- und Diagnosematerial
• Einbezug außerschulischer Faktoren
• Individualisierung und Standards

Lernmerkmale berücksichtigen
für jede Unterrichtseinheit eine Lernumgebung schaffen:

• Welche Routinen müssen beherrscht werden?


• Welche Begriffe müssen verstanden und welche Faktoren bekannt sein, damit ein bestimmtes Lernangebot
genutzt wird?
• Wie könnte das Vorwissen der SuS aussehen?
• An welchen Art von Wissen kann man anknüpfen?
• Wo kann es Missverständnisse geben?
• Welche Möglichkeiten gibt es, einen Sachverhalt auszudrücken?
• Welche Veranschaulichungsformen können angeboten werden?

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11.3 Inklusion

inklusive Strukturen: räumlich-sachliche Gegebenhei-


ten, räumliche/sprachliche Barrierefreiheit

inklusive Kulturen: Einstellungen, Regeln, Werte und


Normen, Schulprogramme und Leitbilder

inklusive Praktiken: konkretes Verhalten, Rituale und


Routinen, Unterrichtsgestaltung u.a. auch Unterstüt-
zung planen und sichern, Aufbau und Gestaltung kontaktfördernder Aktivitäten, Förderung von Interaktionen und
Freundschaften, Steuerung und Moderation von Gruppenprozessen

Thesen zur inklusiven Bildung im Kontext von Modellen guten Unterrichts


• Inklusion fordert eine Grundhaltung der Lehrkraft
• Inklusion fordert eine konsequente Individualisierung des Unterrichtprozesses
• Inklusion fordert eine Demokratisierung aller Bereiche ein
• Bereitstellung von vielfältigen Materialien, die einladen sich selbsttätig, handlungsorientiert und auch in ko-
operativen Formen mit ihnen zu beschäftigen
• Schaffen von Möglichkeiten, die sowohl ein Einzellernen, als auch ein Lernen mit anderen gestatten
• Wandel der Rolle der Lehrkraft vom Instruktor zum Lernbegleiter, der Lernen anregt, begleitet und als An-
sprechpartner bereitsteht

Index für Inklusion vs. Unterrichtsqualität (nach Helmke)


1. Der Unterricht wird auf Vielfalt der SuS hin geplant.
2. Der Unterricht stärkt die Teilhabe aller SuS.
3. Der Unterricht entwickelt ein positives Verständnis von Unterschieden.
4. Die Lehrkräfte planen, unterrichten und reflektieren im Team.
5. Die ErzieherInnen unterstützen das Lernen und die Teilhabe aller SuS.
6. Die SuS sind Subjekte ihres eigenen Lernens.
7. Die SuS lernen miteinander.
8. Bewertung erfolgt für alle SuS in leistungsförderlicher Form.
9. Die Disziplin in der Klasse basiert auf gegenseitigem Respekt.
10. Die Hausaufgaben tragen zum Lernen aller SuS bei.
11. Alle SuS beteiligen sich an Aktivitäten außerhalb der Klasse.

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Unterricht unter inklusiver Bedingungen
• individualisierte Unterrichtsangebote sind für Mehrzahl der Lehrkräfte eine hohe Beanspruchung → Inklu-
sion erfordert in vielen Fällen mehr als eine pädagogische Fachkraft
• oft wird Ideal eines Unterrichts gefordert, der allen SuS mit ihren Eigenheiten ohne Ansehen der Person in
gleicher Weise gerecht wird → Idee eines unteilbaren Spektrums individueller Unterschiedlichkeit
• solch radikal inklusiv individualisierter Unterricht ist ohne stark öffnende „reformpädagogische“ Unterrichts-
formen nicht leistbar
• aber: leistungsschwächere SuS sollten von einem stärker strukturierten, weniger geöffnetem Unterricht pro-
fitieren

Modelle der Umsetzung von Inklusion


Situation heute: Exklusion

1. Inklusion light: Eingliederung Weniger ins Regelsystem


2. Förderkurse: in Teilen getrennte Förderkurse, in Teilen gemeinsamer Unterricht
3. Förderung in der Klasse
4. offener Unterricht

11.4 Teamteaching
one teaching, one observing: eine Lehrkraft unterrichtet, die andere beobachtet gezielt

one teaching, one drifting: eine Lehrkraft unterrichtet, die andere unterstützt einzelne SuS

station teaching: jede Lehrkraft ist für eine von mehreren Stationen verantwortlich, die weiteren werden selbststän-
dig bearbeitet

parallel teaching: zwei heterogene gleichgroße Gruppen, beide Lehrkräfte behandeln mit ihrer Gruppe das gleiche
Thema oder sich ergänzende Themen)

alternative teaching: eine Lehrkraft unterrichtet den Großteil der Klasse, die andere arbeitet mit einer kleinen
Gruppe an einem Projekt oder vertiefenden Thema)

team teaching: beide Lehrkräfte unterrichten die gesamte Klasse gemeinsam

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11.5 Bezug zum Angebots-Nutzungs-Modell
• Übernahme von Funktionen durch bzw. Abgabe von Funktionen an die jeweils andere Seite
• nutzungsseitig können SuS bzw. Eltern Defizite des Angebots kompensieren
• angebotsseitig können Schulen Stützfunktionen des Elternhauses übernehmen

bezogen auf Inklusion lässt sich erwarten:

• Angebotsqualität ist von herausragender Bedeutung, da SuS selbst zumindest in Teilen kaum Kompensati-
onsmöglichkeiten haben
• Angebot muss die Nutzung fördern und im Rahmen des Möglichen Defizite kompensieren. z.B.
o Sehbehinderter Inklusionsschüler erhält größere Kopien als der Rest der Klasse
o Lernprozesse von SuS im Förderschwerpunkt Lernen bedürfen mehr Struktur und Sicherstellung von
Motivation und Engagement

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12 Reflexion
• Bereitschaft und Fähigkeit zur Reflexion des eigenen Handelns stellt zentrales Merkmal professioneller
Handlungskompetenz von Lehrkräften dar
• Lehrpersonen gelten als lebenslang lernende und reflektierende Praktiker
• Reflexion als zentraler Bestandteil von Unterrichtsentwicklung
• Ressourcenorientierung: vorhandene Ressourcen zur Problemlösung heranziehen und nutzbar machen

→ entsprechend der bundesweiten Vorgaben soll Reflexion des eigenen Handelns im Unterricht bereits im Rahmen
der Lehrerausbildung gefördert werden (KMK, 2004)

Reflexion ist ein gezieltes Nachdenken über bestimmte Handlungen oder Geschehnisse im Berufsalltag. Individuell
oder im Austausch mit anderen Personen werden Handlungen oder Geschehnisse systematisch und kriteriengeleitet
erkundet und geklärt. (Wyss 2013)

Ziele
• (Selbst-)Einschätzung, Bewusstwerdung, Bewertung
• Erweiterung der Perspektiven und des persönlichen Horizonts
• Prozesse verstehen, erklären und prognostizieren lernen
• Erweiterung von Einstellungen und Denkweisen
• Schaffung von Vertrauen, Motivation, Respekt und positives Klassenklima (z.B. durch den Einbezug des SuS
in die zukünftige Unterrichtsgestaltung)
• Optimierung/Weiterentwicklung von Verhaltensweisen oder Abläufen auf Grundlage systematisierter Be-
obachtungen, die eine Differenz zwischen Ist- und Soll-Zustand erkennbar machen

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Verständnis von Reflexion


• kritische und möglichst objektive Auseinandersetzung auf Meta-Ebene bzw. aus verschiedenen Blickwinkeln
mit (eignen) Handeln und zugrunde liegenden Prozessen
• Vergleich von geplanten (Zielen) und tatsächlichen Geschehen (Ergebnissen)
• kann individuell oder kooperativ (Adressaten, Peers, Experten) erfolgen und durch verschiedene Methoden
(Fragebögen, Videos, Beobachtung) unterstützt werden
• zeitlich unbegrenzt (Reflexionsspirale) und verfolgt keine absolute Wahrheit (z.B. die einzig richtige Verhal-
tensweise)
• ist eine erlernbare und trainierbare Fähigkeit und thematisiert zumindest indirekt beeinflussbare Reflexions-
gegenstände
• im Hinblick auf Reflexionsprozesse im Kontext von Lehrkräftebildung kann grundsätzlich zwischen professi-
onsbiographischer und unterrichtsbezogener Reflexion unterschieden werden

Formen der Reflexion


Selbstreflexion: Reflexion über die eigene Person

Team/Peer-Reflexion: erfolgt eine Team/Peer-Reflexion, ist eine längere Zusammenarbeit wünschenswert, um ge-
meinsame Routinen und vor allem Vertrauen aufzubauen

Fremdreflexion: eine dritte Person kann eigene Kriterien oder gemeinsam besprochene Kriterien oder gemeinsam
besprochene Kriterien zugrunde legen → Rückmeldung kann auch durch Verweis auf wissenschaftliche Texte oder
eigene Einschätzungen erfolgen

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12.1 Modelle der Reflexion
Prozess der Reflexion im Sinne des Ablaufs wird in verschiedenen zyklischen Modellen der Reflexion abgebildet

ALACT-Modell (nach Korthagen 2002)


Action – Looking – back on Action – Awarness of essential aspects – Creating alternatives – Trial

Zwiebelmodell (nach Korthagen 2004)


verschiedene Fokussierungen der Reflexion (auf Verhalten, Kompetenzen, Überzeugungen,
Identität und Mission)

→ Intensität der Reflexion wird von Reflexion des Verhaltens bis zur Reflexion der eigenen
professionellen Identität und Mission als steigend im Sinne wachsender Relevanz im Hin-
blick auf professionelle Identität des Reflexionsaspekts verstanden

12.2 Reflexion im Lehrerberuf – Befunde (Wyss 2013)


Erfahrungen

• Reflektieren der eigenen Unterrichtspraxis ist für befragten Lehrpersonen ein zentraler Bestandteil ihres Be-
rufsalltags und bereitet keine Mühe
• insbesondere „Jungelehrpersonen“ äußern, dass das Thema Reflexion in der Ausbildung sehr präsent war
und dass während der Ausbildung in unterschiedlicher Weise über Unterricht reflektiert wurde, zumeist
mündlich und retroperspektiv

Ziele

• Verbesserung oder Optimierung des Unterrichts


• Schwierigkeiten des Unterrichts oder positive Aspekte erkennen

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Ergebnisse

• Reflexion braucht Zeit und Energie, die manchmal nicht vorhanden ist oder die man nicht aufbringen möchte
→ insbesondere die Jungelehrpersonen sehen sich zu Beginn ihres Arbeitslebens mit so vielen Aufgaben be-
schäftigt, dass man kaum mehr Zeit für eine strukturierte Reflexion bleibt
• meisten Befragten sind der Meinung, dass strukturierte Unterrichtshospitation und gemeinsame Reflexionen
häufiger durchgeführt werden sollten; insbesondere die Möglichkeit, eine Rückmeldung von Drittpersonen
zu erhalten, wird hierbei als positiv erachtet
• Verbesserungsvorschläge: Änderung der institutionellen Voraussetzungen, damit Lehrpersonen Zeit haben,
um gemeinsam gezielt zu reflektieren; Möglichkeit, Feedback von Lernen oder Eltern miteinzubeziehen oder
vermehrt mit Videos zu arbeiten

12.3 Unterrichtsentwicklung
• umfasst alle Aktivitäten und Initiativen, die eine Verbesserung des eigenen Unterrichts und des dafür erfor-
derlichen professionellen Wissens und Könnens der Lehrperson in den Blick nehmen
• Ziel: Wirksamkeit des Unterrichts steigern
• fokussiert z.B.
o Veränderung von Lehrmethoden, Lehr-Lern-Szenarien und Lehrmaterialien
o Effektivierung der Klassenführung
o Stärkung eigener Kompetenzen
• Unterricht als Zentrum schulischer Aktivität
• Unterrichtentwicklung als Teilaspekt der Organisationsentwicklung in Schulen
• Unterrichtsentwicklung ist ein Teil von Personalentwicklung
• Lernen innerhalb der Organisation Schule

→ Unterrichtsentwicklung ohne Berücksichtigung des schulischen Kontexts ist kaum möglich

Basisprozess der Unterrichtsentwicklung


• Analyse und Bewertung des Ist-Zustandes
• Klären und Vereinbaren von Zielen
• Überprüfung der zur Verfügung stehenden Mittel
• Planung und Umsetzung des Entwicklungs-
vorhabens
• Evaluation des Entwicklungsprozesses

Evaluation und Unterricht


• Lernerfolg der SuS (Wirkung)
• Analyse des Unterrichtsprozesses selbst im
Hinblick auf pädagogische und didaktische
Qualität (Prozess)
• Analyse der Voraussetzung (Eingangsbedin-
gungen)

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12.4 Reflexion mithilfe von Videos
• angehenden Lehrpersonen fällt es häufig schwer, theoretisches Wissen in praktische Bezugskontexte zu in-
tegrieren
• Nutzung von Videos in der Lehrerausbildung kann Fähigkeit fördern, theoretisches Wissen mit der Praxis in
Verbindung zu bringen → bessere Vernetzung von Wissen → Inhalte leichter erinnern und aktivieren
• Reflexion von eigenen und fremden Unterrichtsvideos kann Aufmerksamkeitsausrichtung und professionelle
Wahrnehmung auch von angehenden Lehrpersonen trainieren
• besonders wirksam ist Kombination von individuelles Analysen und gemeinsamer Diskussion

empirische Befunde
• Videoeinsatz in der Lehrerausbildung kann professionelle Wahrnehmung von Unterricht steigern → positiver
Einfluss auf Fähigkeit, relevante Unterrichtssituationen zu erkennen sowie theoretische Konzepte auf den
Unterricht zu übertragen
• eigene Unterrichtsvideos weisen höhere persönliche Involviertheit auf, was Motivation der Auseinanderset-
zung und Tiefe der Reflexion steigert

Inhalte videogestützter Unterrichtsreflexion


• Analyse des eigenen Handelns aus Sicht verschiedener Aktuer:innen (Lehrpersonen, SuS)
• Analyse des eigenen Handelns aus verschiedenen Perspektiven (allgemeindidaktisch, fachdidaktisch. psycho-
logisch)
• kritische Auseinandersetzung mit eigenem Wissen und Handeln
• vergleichende Analyse zwischen Planung und tatsächlichem Verlauf einer Unterrichsstunde
• Reflexion und Deutung von SuS-Handlungen
• Kontrolle der (alltäglichen) Selbstwahrnehmung aus einem anderen Blickwinkel
• kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im Unterrichtsgeschehen

Reflexion eigener und fremder Videos


eigene Videos fremde Videos
+ vielfältige Kontextinformation erleichtern das Erken- + begünstigen eine kritischere Reflexion durch distan-
nen relevanter Merkmale ziertere Betrachtungsweise
+ weisen eine höhere persönliche Relevanz auf + Zugriff auf bereits vorhandenes Material möglich
+ erzeugen höhere Motivation zur Auseinandersetzung

- können eine verteidigende Haltung erzeugen - können zu einer oberflächlicheren Auseinanderset-


zung führen
→ videogestützte Unterrichtsreflexion kann nur dann eine positive Wirkung aufweisen, wenn sie zielgerichtet
und strukturiert stattfindet

→ Vorführung von erwünschten Verhaltensweisen (z.B. guter Umgang mit Fehlern) als Orientierungshilfe für Ler-
nende → Verhaltensweisen aus Best Practice Beispielen soll weitestgehend übernommen werden

→ Anregung zur Reflexion über Unterrichtssituationen → Wahrnehmung von Tiefenstrukturen des Unterrichts ge-
schärft und Verständnis von Unterrichtsprozessen

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12.5 kooperative Reflexion
• vielfältige Perspektiven, theoretische Kenntnisse und Erfahrungen können eingebracht werden
o Wissenserweiterung
o Professionalisierung
o Innovationsbereitschaft der Lehrpersonen
o positive Wirkung auf berufliche Zufriedenheit
• positive Einstellung zu Reflexion und kooperativem Arbeiten ist wichtig → gemeinsame verbindliche Abstim-
mung von Inhalten, Zielen und Regeln
• aufmerksamkeitsleitende Hinweise und reflexionsanregende Fragen können Reflexionsprozesse unterstüt-
zen

videobasierte Qualitätszirkel (Gärtner 2007)


Unterrichtsmontoring

• fachspezifischer, videobasierter Qualitätszirkel, in dem


Lehrpersonen über ein Schuljahr hinweg regelmäßig zu-
sammenarbeiten und eigene Unterrichtsaufzeichnungen
diskutieren
• Videos sollen im Rahmen des Gruppensettings Reflexi-
onsprozesse anstoßen und alternative Handlungsweisen
im Unterricht aufzeigen
• Beachtung von Feedbackregeln
• fachspezifischer Austausch → Fachkonferenzen

reflektierende Teams
1. Interview-System reflektiert Videosequenzen bezüg-
lich des gewählten Themas → Interviewer stellt da-
bei Fragen, die zum Nachdenken anregen
2. reflektierende Team reflektiert im Anschluss das Ge-
spräch im Interview-Team → inhaltlich und Meta-
Kommunikationsebene
3. Interview-System reflektiert, inwieweit Reflexion des
reflektierenden Teams für Problemlösung von Nut-
zen sein kann, welche Inhalte die eigene Perspektive
erweitern und was vom Gesagten welche Emotionen
ausgelöst hat

Zusammenfassung der Befunde


• Studierende der Experimentalgruppe zeigen sich nach kollegialen Videoreflexion als offener gegenüber kolle-
gialer Unterrichtsreflexion
• videogestützte Reflexionsgelegenheit könnte dazu beigetragen haben, dass Feedback in Experimentalgruppe
als weniger unangenehm empfunden wird
• motiviert ihren Unterricht zukünftig verstärkt zu reflektieren

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12.6 unterrichtsbezogene Schülerrückmeldungen
• Einbezug von Schülerfeedbacks zum Unterricht ist bedeutsam, da SuS subjektive Wirkungen von Unterricht
und Lehrerhandeln auf ihr Lernen gut beurteilen können
• Schülerrückmeldungen repräsentieren somit ihre spezifische Perspektive auf den Unterricht

→ darauf gerichtet, mit Hilfe angemessener Methoden Sichtweisen und Bewertungen anderer Personen kennenzu-
lernen, um einen Gegenstand besser zu verstehen (Helmke 2015)

Funktionen
• Lernfunktion: Erkenntnisgewinn in Bezug auf Evaluationsgegenstand und -prozess
• Entwicklungsfunktion: Verbesserung bzw. Optimierung der Lehr-Lernprozesse als evaluierten Gegenstand
• Schülerfeedback kann als Baustein einer demokratischen Schulkultur angesehen werden
• SuS fühlen sich Ernst genommen und sind motivierter, dem Unterricht zu folgen

Methoden
freie Rückmeldung

• kann sowohl mündlich (Unterrichtsgespräch) als auch schriftlich erfolgen


• gilt in der Unterrichtspraxis als einfach handzuhabende und mit wenig Aufwand verbundene Möglichkeit,
Rückmeldungen der Lernenden einzuholen
• zumeist offene Fragen zum Unterricht, zielen z.B. auf Kritikpunkte oder Verbesserungsvorschläge seitens der
SuS ab
• Beispiel: Blitzlicht

kriteriengeleitetes Feedback

• klar definierte Kriterien und (anonyme) Befragung der ganzen Klasse


• eignet sich sehr gut, um ein Stimmungsbild zu ausgewählten Aspekten des Unterrichtsgeschehens zu erhal-
ten
• Beispiele: Feedback-Koordinatensystem, Zielscheibe, Feedback-Hand etc.

Fragebögen

• standardisierte Fragebögen können breites Spektrum von fächerübergreifenden Merkmalen der Qualität des
Unterrichts berücksichtigen
• äquivalente Frageformulierungen bieten Möglichkeit, unterschiedliche Perspektiven auf den Unterricht zu
erfassen
• Beispiele: Fragebögen aus empirischen Studien zum Unterricht, diverse Programme

Methode Vorteile Nachteile


freie mündliche Rückmeldung • geringer Zeitaufwand • durch Einzelmeinungen do-
• geringer Vorbereitungsauf- miniert
wand • geringe Aussagekraft
• jederzeit durchführbar • niedriger Differenzierungs-
grad
• keine Anonymität
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freie schriftliche Rückmeldung • wichtige Hinweise auf • Gefahr der Willkürlichkeit
„blinde Flecken“ möglich • Gefahr von selbstwertge-
• ermöglicht es, spezifische fährdeten Antworten
Sachverhalte genau und dif- • Gefahr, Einzelmeinungen
ferenziert anzusprechen überzubewerten
• ermöglicht Vorschläge und
kann direkt zu Lösungen
führen
Feedback-Koordinatensystem oder • geringer Zeitaufwand • begrenzte Auswahl an er-
Zielscheibe • jederzeit durchführbar fassten Aspekten des Unter-
richts
• Ergebnisverzerrung
Fragebogen zum Unterricht • hohe Aussagekraft • Zeitaufwand sowohl für
• hoher Differenzierungsgrad Durchführung als auch für
• hohe Reliabilität durch Er- Datenauswertung
fassung einer größeren
Gruppe an Befragten

Vor- und Nachteile (nach Helmke 2005)


Vorteile Nachteile
SuS sind Zielgruppe des Unterrichts SuS könnten mit Unterrichtsbeurteilung überfordert
sein → didaktische Kompetenz und fachliche Expertise
von Lehrkräften können sie schwer beurteilen
SuS können ein ganzes Schuljahr oder mehr zugrunde oft ist unklar, welchen Maßstab SuS zugrunde legen,
legen wenn sie ein Urteil über eine Lehrperson abgeben
durch Aggregierung der Daten einzelner SuS zu Klassen- in einzelnen Fällen ist nicht auszuschließen, dass Anga-
mittelwerten lassen sich Verzerrungen und Fehler mini- ben verzerrt sind (z.B. Gefälligkeitsaussagen)
mieren
klasseninterne Steuerung des beurteilten Unterrichts- differentielle Angaben zu einzelnen Facetten der Unter-
merkmals lässt sich als Ausmaß der Übereinstimmung richtsqualität werden überlagert durch allgemeine
bzw. Uneinigkeit innerhalb der Klasse interpretieren Beliebtheit und Wertschätzung der Lehrkräfte

Urteilsgenauigkeit von SuS in der Primarstufe


• Verständnis von gängigen Items der Unterrichtsforschung scheint für PrimarSuS zum Teil schwierig zu sein
• PrimarSuS scheinen dennoch ausgewählte Aspekte der Unterrichtsqualität einschätzen zu können
• von SuS wahrgenommene Merkmale des Unterrichts sind u.a. Klarheit & Strukturiertheit, Angemessenheit,
Interessantheit, Klassenmanagement und Zeitnutzung
• Lehrer- und Unterrichtswahrnehmungen der SuS hängen von Merkmalen der Unterrichtsqualität ab

Beispiele aus der Bildungsforschung


Studie von Gärtner & Vogt 2013

Fragestellung: Wie verarbeiten Lehrpersonen die Ergebnisse eines Schülerfeedbacks und wie nutzen sie diese für die
Weiterentwicklung ihres Unterrichts?

Stichprobe: 10 zufällig ausgewählte Lehrkräfte, die das Selbstevaluationsportal des Institutes für Schulqualität ge-
nutzt haben; Unterrichtsfächer und Berufserfahrungen variiert
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Instrument: leitfadengestütztes Interview zur Erfassung subjektiv wahrgenommener Verarbeitungsprozesse der
Rückmeldeinformationen

Analyse: qualitative Inhaltsanalyse

Ergebnisse:

• Rezeption: welche Ergebnisse des Schülerfeedbacks werden von den Lehrkräften rezipiert?
o negativ wahrgenommene Unterrichtsaspekte aus SuSSicht sowie Unterschiede in der Selbst- und
Fremdeinschätzung
o Ergebnisse zu Konstrukten, die für Lehrperson persönlich Qualitätsmerkmale von Unterricht sind
• Reflexion: wie werden die Ergebnisse von den Lehrkräften interpretiert?
o Ausgangspunkt für Reflexionsprozesse: Wahrnehmungsunterschiede zwischen Lehrkraft und Klasse
o Erklärung der Wahrnehmungsunterschiede z.B. durch unterschiedliche Unterrichtswahrnehmung,
kritische Einstellung der Lernenden, Globalurteile der Lernenden
o Klassengespräch als relevanter Aspekt für den weiteren Reflexionsprozess (aktiver Einbezug der Ler-
nenden, Nachbesprechung der Rückmeldungen, Erläuterung und Diskussion didaktischer Methoden
etc.)
• Motivation: inwiefern fühlen sich Lehrkräfte in Folge ihrer Schlussfolgerungen aus der Ergebnisanalyse moti-
viert, etwas an ihrem Unterricht zu ändern?
o Stärkung der Motivation durch positive Schülerrückmeldungen → Verstärkung des eigenen berufli-
chen Handelns, Antrieb von besser zu werden
o Demotivierung durch Schülerrückmeldungen, die keine neuen Erkenntnisse bringen oder wenn die
Lehrperson nicht weiß, wie sie die negativ beurteilten Aspekte verbessern kann
• Aktion: welche konkreten Veränderungen der Unterrichtspraxis hat es in Folge der Schülerrückmeldung ge-
geben?
o Effekte des Schülerfeedbacks: Stärkung des Unterrichts (positiv wahrgenommene Aspekte) sowie
der Schüler-Lehrer-Beziehung
o veränderte Wahrnehmung in Bezug auf einzelne, z.B. leistungsschwächere SuS
o Erweiterung und Verstärkung bereits implementierter und erprobter Methoden
o Begründungen für Nichthandeln: kein zukünftiger Unterricht in der befragten Klasse, Handlungsvor-
satz gerät in Vergessenheit, Reflexionsprozess noch nicht abgeschlossen

Fazit zur Schülerrückmeldungsnutzung von angehenden Lehrpersonen


• Schülerrückmeldungen werden von angehenden Lehrpersonen als gewinnbringende Reflexionsunterstüt-
zung erlebt
• für angehende Lehrpersonen zeigt sich im Vergleich ein noch größeres Interesse an Feedback und Reflexion
als für Lehrpersonen in der Praxis
• individuelle Einstellungsunterschiede scheinen insbesondere bei erfahrenen Lehrpersonen relevant für pro-
duktive Nutzung zu sein
• gerade kollegiale Reflexionssituationen werden von angehenden Lehrpersonen sehr positiv bewertet
• wenig informative Rückmeldungen der SuS behindern Reflexionsprozess
• Strukturierungshilfen für Reflexion der Schülerrückmeldungen sind hilfreich, müssen aber wohldosiert einge-
setzt werden
• schulische Kontext ist wichtig für Schülerrückmeldungsnutzung – gerade für angehende Lehrpersonen

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→ Wahl der Instrumente für die Schülerrückmeldung – allein geschlossene Fragebogenformate könnten problema-
tisch sein

→ Ergänzung durch offene Antworten und durch das Gespräch mit SuS scheint wichtig

→ Einstellungen zu Schülerrückmeldungen sind relevant für Nützlichkeit

→ hilfreiche Unterstützungskontexte

• Sowohl angehende als auch erfahrene Lehrpersonen schätzen Reflexion generell als relevant ein. Gerade
für angehende Lehrkräfte sind systematische Unterstützungsstrukturen für die Entwicklung von Reflexi-
onskompetenz hilfreich.
• Berufsbezogene Einstellungen und Belastungserfahrungen sowie strukturelle Voraussetzungen im schuli-
schen Kontext können die Reflexionsbereitschaft und das Reflexionsverhalten beeinflussen.
• Kooperative Strukturen der Reflexion können unterstützend und entlastend eingesetzt werden; sie müs-
sen jedoch eingeübt und strukturell unterstützt werden. Gerade für kooperative Reflexion in Peer-Kon-
texten sind reflexionsunterstützende Strukturen und unterstützende Fragen hilfreich.
• Dabei sind strukturierende Settings und reflexionsanregende Fragen wichtig, um den Reflexionsprozess
zu fokussieren.

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13 Medienpädagogik und Mediendidaktik
13.1 Medienpädagogik
seit Ende 50er Jahre angewendet auf

• Nutzung audiovisueller Hilfsmittel für Zwecke des Lehrens und Lernens


• Thematisierung der Massenmedien als Gegenstand von Unterricht
• nach Issing (1987) umfasst Medienpädagogik alle Bereiche, in denen Medien pädagogische Relevanz haben,
wie z.B. Entwicklung des Menschen, seine Erziehung, seine Aus- und Weiterbildung und die Erwachsenenbil-
dung

Medienpädagogik umfasst alle Pädagogisch relevanten und potenziell handlungsanleitenden Sätze mit Medienbezug
und deren Reflexion unter Einbeziehung empirischer Forschungsergebnisse und normativer Vorstellungen bzw. medi-
enkundlicher und -theoretischer, lern- und lehrtheoretischer sowie sozialisations-, erziehungs- und bildungstheoreti-
scher Grundlagen (Tulodziecki 2011)

fünf zentrale Begriffe des medienpädagogischen Diskurses nach Tulodziecki (2011)


1. Medienpädagogik
2. Medienerziehung
3. Mediendidaktik
4. Medienkompetenz
5. Medienbildung

daneben

• E-Learning
• Informatik
• IKG

Medienpädagogik und Kompetenzen: TPACK-Modell (Koehler & Mishara, 2009)

Versuch, technologische Wissen in klassischen Modell einbetten

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13.2 Mediendidaktik
Forschungs- und Theorieansätze der Mediendidaktik
1. kybernetischer Ansatz: neue Medien als Lernumgebung
2. behavioristischer Ansatz (Skinner): Lernzielorientierung, Lehren und Lernen mit Medien als Stimulus-
Response-Verstärkung, (Lernsoftware)
Akkomodation: Individuum passt sich an
3. kognitionstheoretischer Ansatz (Piaget): Äquilibration
Umwelt an
durch Akkomodation und Assimilation, mediale Lernumge-
bung zur Auseinandersetzung und Reflexion Assimilation: Umwelt passt sich an Indivi-
4. konstruktivistischer Ansatz (Kelly): Medien zur Unterstüt- duum an
zung der eigenständigeren aktiven Konstruktion von Wis-
sen, Simulationen, VR etc.

Digitalisierung
• adaptive Lernumgebung, die ein personalisiertes Lernen ermöglichen, werden realistisch und bezahlbar
• personalisiertes Lernen steht jedoch im Widerspruch zur sozialisierenden und sozial integrierenden Funktion
der Schule
• Bildungsmonopol der Schule bröckelt → Lernangebote sind auch außerhalb der Schule fast unbegrenzt ver-
fügbar
• Risiken der Online-Lernvideos
o Qualitätsproblematik
o Indoktrinationsproblematik
o Finanzierungsproblematik
o Entgrenzungsproblematik

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13.3 Medien und Schule
Medien der Schule: Mittelalter bis in die 1940er Jahre Medien in der Schule 1940-2000

aktuelle Medien in der Schule

Medienkompetenzrahmen
• besteht aus insgesamt 24 Teilkompetenzen in 6 Kategorien
• Ziele
o Heranwachsende an den Chancen des digitalen Wan-
dels teilhaben lassen
o Kindern und Jugendlichen die erforderlichen Schlüs-
selqualifikationen beibringen
o eine erfolgreiche berufliche Orientierung ermöglichen
o Vermittlung von sicherem, kreativem und verantwor-
tungsvollem Umgang mit Medien
o eine informatische Grundbildung bieten

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Umgang mit Smartphones in der Schule
• viele Schulen verbieten Handys während des Schulbesuchs
• andererseits werden Rechercheaufgaben vergeben etc.
• Geräte mit gleicher Funktionalität werden im Rahmen der Digitalisierung von der Schule bereitgestellt

→ SuS nutzen die Geräte nicht allein für schulische Belangen: Google docs löst WhatsApp an US-Schulen als Kommu-
nikationsplattform ab. Da viele Schulen chromebooks als Schullaptops nutzen, ermöglicht ein doc-file mit vielen Au-
tor:innen den nicht kontrollierten Chat im Unterricht

informations- und kommunikationstechnische Grundlagen als Fach oder Abbildung in den Fächern
Erwerb der sogenannten „informations- und kommunikationstechnischen Grundlagen (IKG)“, speziell der Umgang
mit „Standardsoftware“ ist in den Lehrplänen des Landes NRW auf verschiedene Fächer verteilt

• Nutzung von Textverarbeitungsprogramen im Fach Deutsch am Ende der Sek I


• Anwendung von Präsentationsprogrammen ist ebenso im Lehrplan für das Fach Deutsch vorgesehen
• Umgang mit Tabellenkalkulationsprogrammen ist im Lehrplan für das Fach Mathematik vorgehesen

digitale Tools und Webplattformen für die Schule


→ Anreize und Übungsgelegenheiten online

• Antolin • Anton • Tinkercad


• Mathepirat • Scratch • Thingiverse & Printables
• Geogebra

13.4 Medienpädagogik und Covid-19


• Kommunikation
o von Aufgaben in Papierform in/vor der Schule abholbar
o von Aufgaben in elektronischer Form via E-Mail an Eltern oder SuS direkt
o von Aufgaben in elektronischer Form via MS Teams, Moodle
o asynchrone Lernformate (Folien + Videos)
o synchrone Lernformate über Videokonferenzen (ZOOM, BBB, MS Teams)
• Lehrpersonen als Arbeitspaketverteiler → Rückmeldungsaufwand variiert stark zwischen Lehrkräften
• oft monotone Arbeitspakete mit geschlossenen Aufgaben, z.B. S. 2-5 Übungsheft
• selten offenere Aufgaben, z.B. „Mache einen Podcast zu einem Komponisten“
• häusliche Unterstützung variiert stark → Eltern im Home-Office als „Ersatzlehrkräfte“ und „Lernberater“ vs.
„Wir haben viel ferngesehen…“
• soziale Ungleichheit wirkt unter diesen Bedingungen noch stärker als im Normalfall (technische Ausstattung,
elterliche Unterstützungsmöglichkeiten etc.)
• Doppelbelastung der Eltern und Isolationssituation führt zu Spannungen in der Familie

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Lernfortschritte im Lockdown
Einflüsse sozialer Herkunft und der Klassenzusammensetzung
auf das Lernen im Lockdown (Klassen nutzen vor dem Lock-
down und während des Lockdowns die Lernplattform ZEARN)

Klassenführung im Videoklassenzimmer
• „Kamera an“
• No-Hand-Up: zufälliges Drannehmen nach Teilnehmer-Liste
• Mini-Whiteboards: alle halten ihre Lösungen auf A4-Zettel in die Kamera
• SuS nicht alleine, sondern in Breakoutgroups mit zwei oder mehr SuS arbeiten lassen und dann Arbeitsergeb-
nisse präsentieren lassen
• Wahlmöglichkeiten geben bspw. über choice boards
• auch einmal Zeit für „zweckfreie“ Kommunikation in Breakoutgroups geben

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14 Datenschutz
Personenbezogene Daten
• personenbezogene Daten natürlicher Personen unterlegen der DSGVO
o betrifft das Erheben, Speichern und Verarbeiten derartiger Date
o Zweckbindung (bzw. Erlaubnisvorbehalt)
• rechtliche Konsequenzen der DSGVO
o informierte Einwilligung
o Anonymisierung
o geschütztes Speichern und Vernichten
• Recht jedes Individuums, selbst über die Weitergabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu
bestimmen
• allgemeines Persönlichkeitsrecht, abgeleitet aus
o Art.2 Abs. 1 Grundgesetz
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“
o i. V. m. Art. 1 Abs. 1
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“

→ informierte Einwilligung der betroffenen Person zum Erheben, Speichern und Verarbeiten personenbezogener
Daten

Datenschutz im Kontext Schule


• Schulgesetz NRW §120-122
o bildet grundlegende Bestimmung für die Verarbeitung personenbezogener Daten von SuS, Eltern
und Lehrpersonen
o Einzelheiten werden durch Verordnungen VO-DV I und VO-DV II geregelt
o zum Teil strenger als allgemeine Datenschutzgesetz
• VO-DV I + VO-DV II
o legt fest, welche Daten als „grundlegende Daten“ von SuS erhoben, verarbeitet und gespeichert wer-
den dürfen
o definiert zusätzlich wie und zu welchem Zweck diese Daten verarbeitet werden dürfen
→ Speicherung nur verschlüsselt und auf passwortgeschützten Geräten
→ Nutzung privater Geräte nur nach Antrag bei der Schulleitung erlaubt

Einwilligungserklärung im Schulkontext
• „… Daten dürfen nur mit Einwilligung der Betroffenen erhoben werden. Minderjährige SuS sind einwilli-
gungsfähig, wenn sie die Bedeutung und Tragweite der Einwilligung und ihre rechtlichen Folgen erfassen
können und ihren Willen hiernach zu bestimmen vermögen.“ (§120 Abs. 4 SchulG NRW)
• von Einsichtsfähigkeit bei SuS wird ab 14 Jahren ausgegangen → jedoch individuell zu beurteilen
• ansonsten Unterschrift einer/-s (beider) Erziehungsberechtigten
• alles was über die Erhebung, Verarbeitung und Speicherung von grundlegenden Daten der SuS hinausgeht,
benötigt eine Einwilligungserklärung der Betroffenen
• keine pauschale Einwilligung der Eltern → muss stets zweckspezifisch erfolgen

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allgemeine Checkliste zur Erstellung von Einwilligungserklärungen

• klare Sprache
• Informationen zu Ablauf und Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten
• Widerspruch ermöglichen ohne Nachteile
• Unterschrift der Erziehungsberechtigten bzw. des/der SuS

Pseudonymisierung und Anonymisierung


Anonymisierung: die betroffenen Personen können durch die Daten nicht identifiziert werden

Pseudonymisierung: Person ist nur unter hinzuziehen zusätzlicher Informationen identifizierbar

Anonymisierung > Pseudonymisierung > personenbezogene Daten

→ anonymisierte Erhebung von Daten in der Schule ist kaum möglich

→ Zugehörigkeit der Daten zu einer jeweiligen Person oft einfach bestimmbar

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