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Siegfried Brachfeld
Warum
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PESTER LLOYD VERLAG
Budapest
Siegfried Brachfeld
Mit diesem vierten Buchprojekt
„Warum ist die Krone schief?“
stellt der PESTER LLOYD VERLAG
einen Autor vor, der in den 70er
Verlagsleiterin:
Anikó Halmai
Budapest 2003
ISBN 963 210 702 0
Druck: Gyomai KNER Nyomda Rt., Gyomaendrôd
Wer war
Siegfried Brachfeld wirklich?
Vorwort II III IV
von Gotthard B. Schicker 5 Warum ist die Die Julischka aus Gulyásparty
Vorwort Krone schief? Budapest Vom Essen, (bißchen)
von Dezsô Keresztúry 11 Ein bißchen Ungarn Von Frauen, Männern Trinken und Festen
und ein bißchen mehr
I Balaton oder Plattensee? 55 „Hühnenbrust” und
Körülbelül Warum ist die Krone schief ? 57 Die ungarische Frau 109 Zimmerfrau 131
Heimweh 59 Der ungarische Mann 111 Sült hal 133
Ein bißchen Ungarisch Museum 61 Zigeunerliebe 135
Szív 113
Anonymus 62 Nem igen 115 Fasching heißt farsang 137
Ajjajjaj! 15 Budapest 65 Stampedli 139
Kismama 116
Finnugor 17 Ausländische Gäste 67 Schwiagamoutta jetzt
Csókolom und Szervusz 117
Tilos 19 Kaiser- und Königsbad 69 gaiht´s guat 141
Mädchen, die rauchen 119
i 21 Hauptstädtische Hauptstadt 71 Tarhonya 143
Küsse im Hellen 121
Vokalharmonie 23 Der Burgbauer 73 Italienische oder
Die Julischka aus Budapest 123
Wortfolge - Sprechmelodie 25 Jury 74 ungarische Gänse? 144
Légy... 125
Kleine und große Freiheit 27 Muffeltiere 75 Lúdláb, lúdtalp 145
Nyaraló 28 Rákóczi- und Pandurquelle 77 Gulyásparty 147
Tschinagln 29 Puskás Telefonzentrale 79 Macht nichts! 149
a 31 Die Postleitzahl 81 Betrunkene Pogatschen 151
Hogy van? 32 Der Déli pu. 83 Must und Murci 153
Tudniilik 33 Citadella 84 Kirschschnaps 155
Gáz 35 Das Weihnachtsgeschenk 85 Gänseleben, Gänseleber 157
Persze 37 Das Zsóri Bad und die Langer Schritt und
Kutya 39 Zivilisation 87 Hausmeister 159
Vigyázz 41 Geschichtsbewusstsein 89 Das Beschwerdebuch 160
Nincs mese 43 Mezôlövesd 91 Das letzte Wort 162
Link 44 Die Größten, die Besten 93
Körülbelül 45 Idegen ideg 95
Édes 47 Königsgrab 97 Bücher aus dem
Fárad-fáradt 49 Grüne Wellen 99 PESTER LLOYD VERLAG 163
Der Ungar und sein Die Margareteninsel 101
Schimpfwort 50 Ungarn in der Welt 103 Sponsoren 165
Vorwort Vorwort
Deutscher Ungar
– ungarischer Deutscher
Wer war dieser Siegfried Brachfeld
eigentlich wirklich?
5
Vorwort Vorwort
6 7
Vorwort Vorwort
Brachfeld lebte jetzt in Berlin-Wilmersdorf, wohin seine Eltern Dieser heitere, lebensfrohe Mensch hat uns ein Werk hinterlas-
bereits 1958 wegen der anstehenden Entschädigungszahlungen sen, das wichtige Einblicke in die deutsch-ungarische Geschichte
zogen. Als sein Vater die Summe der Entschädigung erfuhr, hat und in das nicht immer einfache Zusammenleben zweier Völker
dieser für immer die Augen geschlossen. vermittelt. Brachfelds Ton ist von einem charmanten Dauer-Witz
Der Urlaub wurde von nun an nur noch in Ungarn, meist am durchzogen und wird von eleganter Satire begleitet. Das Kleine ist
Balaton, verbracht, wo er auch mit Kulturprogrammen unterwegs ihm wichtig, und damit erhält das scheinbar unbedeutende Gestalt
war. Es war die Zeit, in welcher der ungarische Rundfunk für ihn und Bedeutung. Alles groß gemachte, das künstlich Aufgeblasene
und seinen Mit-Conferencier, den bekannten Publizisten Sándor oder gar folkloristischer Pathos, ist nicht sein Ding. Er gibt solche
Novobáczky, einen ständigen Sendeplatz einräumte. Aber auch im Erscheinungen – ohne dabei ungarische Gefühle zu verletzen –
Fernsehen nahmen die beiden „Kempen der Satire“ – wie sie bald gekonnt der Lächerlichkeit preis. Brachfeld ist ein meisterlicher
bezeichnet wurden – menschliche Schwächen, typische ungarische Fabulierer und ein Meister des kurzen, pointierten Gedanken-
Verhaltensweisen oder den Umgang mit der Bürokratie kritisch, blitzes. Nicht alle seine Texte sind von gleicher Qualität, das Tages-
charmant, humorvoll und scharf pointiert unter die Lupe. geschäft schimmert da und dort sympathisch durch. Seine Satiren
Ab 1971 hatte Brachfeld auch eine ständige satirische Kolumne zeugen von einer großen Liebe zu Menschen aller charakterlichen
in der „Budapester Rundschau“, jener deutschsprachigen Zeitung, Schattierungen. Sein Umgang mit der ungarischen Sprache, die
die seit 1967 das gefällige Sprachrohr des ungarischen Außenminis- humorvollen Erläuterungen komplizierter grammatikalischer oder
teriums war, aber auch wegen ihrer oftmals „Gulaschkommu- lexikalischer Zusammenhänge, stellen ob ihrer verblüffend ein-
nisten“-Art in der DDR nicht durchgängig vertrieben werden durf- fachen Logik so manches Sprachinstitut oder sich wissenschaftlich
te. Dies war mit ein Grund, warum diese Zeitung im Jahre 1999 gebende Lehrbücher – natürlich satirisch – in Frage.
vom PESTER LLOYD wiederbelebt wurde und seitdem als wöchent-
liche Beilage über die hauptstädtischen Ereignisse berichtet.
Diese Brachfeld-Texte aus der Zeitung - und noch viele andere
- wurden seit den 70er Jahren zur großen Freude der Leser in
„Diese Ungarn“, „Mitten am Rande“ und „Also nein, diese Ungarn“
meist von ostdeutschen Verlagen publiziert. Heute sind diese hei-
teren Büchlein, in denen auch sehr viel über die ungarische
Sprache und Mentalität zu erfahren ist, allesamt total vergriffen.
War Siegfried Brachfeld auf der einen Seite voller Tatendrang,
mit reichlich Mutterwitz ausgestattet und an Ideen überschäu-
mend, verstärkten sich andererseits Mitte der 70er Jahre seine
Depressionen. Man begegnete in dieser Zeit immer mehr einem
enttäuschten und an Verfolgungswahn leidenden Menschen. Hinzu
kam ein Einbruch ins Haus der Brachfelds am Balaton im Jahre
1974. Obwohl es sich um eine Einbruchsserie in der gesamten
Gegend handelte, glaubte er, diese Tat sei gegen in gerichtet. Sein
Nervenleiden nahm mit den Jahren immer mehr zu und wurde für
ihn und seine Umgebung mitunter unerträglich. Kein geringerer als
sein Freund Dezsô Keresztury, (u.a. erster Kulturminister Ungarns
nach dem Krieg, Schriftsteller, Dichter, Direktor des Berliner Finno-
Ugrischen Institutes) versuchte ihm einen Arzt zu vermitteln, der
sein Leiden mildern könnte. Doch seine Witwe erzähltä, dass kurz
vor dem Besuch dieses Arztes, am 22. Juni 1978, Dr. Siegfried
Brachfeld selbst über sein Leben entschieden hatte. Anna und Siegfried Brachfeld 1960
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Vorwort Vorwort
10 11
Vorwort
I
diesem eigenartigen, in der indogermanischen Sprachlandschaft
Europas fast ganz einsamen finnougrischen Idiom Distanz und
Liebe genug, um es mit der Erfahrung des geschulten Philologen
und dem geschärften Blick des Journalisten zu betrachten. Dazu
besitzt er auch die Fähigkeit, über wesentliche Momente des
Ungarischen in flüssig humorvollen Wendungen des Feuilletonisten
zu plaudern. (...) Es ist das Werk eines Deutsch-Ungarn, der in
Körülbelül
den oft tragisch-spannungsvollen Jahrzehnten seines Lebens am Ein bißchen Ungarisch
eigenen Schicksal erlebte, wie gefährlich und wie schön es sein
kann, im Grenzgebiet zweier Kulturen zu leben; der so mehrmals
an „zweifachen Klippen“ in ernster Lebensgefahr stand und es
doch nicht aufgab, Vermittler zwischen diesen beiden Kulturen zu
sein. Seine Erzieher waren diese zwei Welten, ihr tägliches Leben
und ihre Klassiker.
Ein optimistisch offener, humanistisch geprägter, lebensbeja-
hender, gefühlsbetont kluger Mensch, wurde er zu einem scharfen
Beobachter seiner Umgebung, die er mit den Augen des freundli-
chen Ironikers und nicht mit dem schwarzen Humor eines ver-
wundeten Misanthropen betrachtet. So vermag er viel Wesent-
liches über unsere ernst erlebte und heiter beschriebene Welt mit-
zuteilen. Er dient in seiner Vatersprache dem Mutterland und in
seiner Muttersprache dem Vaterland.
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
Ajjajjaj!
Wissen Sie, dass Ungarisch sehr schwer ist? ... Mit diesem Satz
begann einmal ein Schlager. Und wie ging er weiter? ... „Ajjajjaj
wie ist das schwer!“ Da haben Sie also schon ein ungarisches Wort
gelernt, nämlich ajjajjaj. Sie meinen, dass sei ein schweres Wort?
Sagen Sie einfach dreimal hintereinander ganz schnell Ei und ver-
binden Sie die beiden letzten Eier jeweils mit einem j. Sehen Sie,
schon haben Sie´s. Das heißt soviel wie: Du meine Güte! Oder:
Mein Gott! Na, nee! Was Sie nicht sagen?! Wenn Sie das letzte Ei
etwas in die Länge ziehen, ließe sich vielleicht der logischste aller
deutschen Sätze der Umgangssprache konstruieren: Das darf doch
nicht wahr sein!
Nehmen Sie nun nur das erste Ei und setzen Sie ein j davor,
etwa wie die jutjebratene Jans, dann können Sie schon ungarisch
„Ach!“ sagen. Unterschätzen Sie dieses Wort nicht. Es ist in so
mancher Situation recht vielsagend. Denken Sie nur an Kleists
Amphitryon. Als Alkmene merkt, wie ihr Gatte dem Gotte für eine
Nacht zum Verwechseln ähnlich ist, endet das Lustspiel mit einem
„Ach?!“ auf Alkmenes Lippen.
Nehmen wir also an, Sie haben sich in Budapest verirrt, finden
Ihr Hotel nicht, dann rufen Sie laut „Jaj!“, und jeder wird Ihnen den
Weg weisen. Natürlich könnten Sie noch zwei kleine Wörtchen hin-
zulernen, wenn´s recht ist, nämlich: Hol van...? (Das v wird immer
wie w ausgesprochen.) Hol van heißt Wo ist...? Und wenn Sie jetzt
noch einen einzigen Laut anfügen, das a (das a wird im
Ungarischen wie ein offenes o ausgesprochen), dann haben Sie fast
schon einen ganzen Satz: Hol van a ...? Wo ist der, die das?
Falls Sie sich nun Ihre Straße oder den Namen Ihres Hotels
gemerkt oder aufgeschrieben haben, müssen Sie bitte nur noch
darauf achten, ob dieser Name mit einem Konsonanten oder mit
einem Vokal beginnt; davon hängt nämlich ab, ob Sie den
bestimmten Artikel mit dem einen Laut a oder mit den zwei Lauten
az bilden (merken Sie: das ungarische z wird immer wie ein Stimm-
haftes deutsches s ausgesprochen). Also: Hol van a Rákóczi út
heisst. Wo ist die Rákóczistraße? (út = Straße). Aber: Hol van az
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
auf szabi verkleinert, auch wenn sie wochenlang dauern. Aber den
originellsten Kosenamen hat wohl der Balaton, immerhin vor dem
Bodensee der größte See West- und Mitteleuropas. Er wird im
Volksmund Balcsi genannt. Wenn Sie also sagen können: Nyáron
megyek a Balcsira = ich fahre im Sommer zum Balcsi (das cs wird
wie tsch gesprochen), dann sind Sie ein richtiger Ungar geworden,
Vokalharmonie
der hier ausnahmsweise lieber verkleinert, um allem Größenwahn
vorzubeugen.
Sie haben schon etwas erfahren von der ungarischen Betonung,
die stets auf der ersten Silbe liegt, von kurzen und langen Vokalen
ohne und mit Strich darüber. So können wir jetzt einmal von der
Harmonie heller und dunkler Vokale sprechen. Als ich ungarisch
zum ersten mal zusammenhängend sprechen hörte (dem, der mit
seiner Muttersprache aufwächst, fällt das erst auf, wenn er darü-
ber nachdenkt!), kam es mir vor, als würden einmal lauter e-s und
ein andermal lauter a-s an aneinandergereiht. So sagte jemand
empört: Ez megengedhetetlen! = das ist nicht zu erlauben.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich mir da erlauben wollte, und
warum es nicht zu erlauben war. Wichtig ist, sich daran zu erin-
nern, dass hier nicht nur sehr vokalreich erlaubt wird, sondern
dass in einem Wort meist nur helle oder nur dunkle Vokale vor-
kommen. Im oben genannten Wort sind – man sehe und staune –
sechs helle e-Vokale.
Das oben erwähnte Wort heißt in der dritten Person Einzahl
enged = er, sie, es erlaubt. Aus dem drangehängten –hetetlen
wird klar, dass etwas nicht erlaubt ist. Hier drückt der Ungar also,
weil das Stammwort im Vokal hell ist, alles Dazugehörige dement-
sprechend mit hellen Vokalen aus. Wenn Sie ihn aber fragen,
warum das nicht erlaubt ist, dann wird alles dunkel, dann wird er
nämlich eventuell so antworten: megmagyarázhatatlan = uner-
klärlich. Weil der Vokal des Stammwortes in der dritten Person
Einzahl magyaráz = er, sie, es erklärt, dunkel ist, zieht er drei a-s
hinterher.
Nun, ich finde es recht diplomatisch, wenn jemand manchmal
nicht sagen will oder kann, warum etwas nicht erlaubt ist. Ein fei-
nes Empfinden! Dafür unseren Dank = Köszönetünk. Sehen Sie,
da haben wir wieder eine wundervolle Vokalharmonie. Die Endung
–ünk = unser richtet sich nach den ö-Vokalen in köszönet =Dank.
Der Ungar hat jedoch für den Dank noch ein zweites Wort: hála in
diesem Dank ist etwas mehr Dank, etwa Dankbarkeit), das Sie nun
aufgrund des Gelernten schon selbst harmonieren können im
Plural. Na?
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
Wenn -ünk das unser von köszönet ist, muß also laut der Regel
nach dem dunkel klingenden hála eine dunkle Endung folgen. Aber
bitte nicht -unk! Denn das hieße: wir schlafen, sondern -ánk,
hálánk, das heißt: unser ganz besonderer Dank. Kapiert? Hála az
égnek = Dank dem Himmel. Wortfolge-
Sprechmelodie
Thomas Mann, der Sprachgewaltige, äußerte einmal über die
ungarische Sprache, sie wirke, ohne dass er sie verstehe, wohl-
klingend auf ihn, ähnlich wie das Italienische. Fraglos ist dabei der
Vokalreichtum gemeint, wenn wir an die dunklen und hellen, kur-
zen und langen Vokale a, á, o, ó, u, ú, e, é, ö, ô, i, í, û, denken.
Selbst ö, i und ü können entweder lang oder kurz sein, wie das Öl
oder die Öffentlichkeit, der Irrtum oder die Isabella, die Sünde
oder die Sühne. Doch sicher hat auch bei Thomas Mann wie bei
jedem, der einmal den Versuch macht, Ungarisch in längeren
Perioden auf sich einwirken zu lassen, selbst ohne es zu verstehen,
die Wortfolge zu jenem Urteil beigetragen: denn die Wortfolge
ergibt ja letzten Endes die Sprechmelodie.
Wenn ich zum Beispiel deutsch sage: Ich habe ein gutes, net-
tes, freundliches, hübsches, sauberes Zimmer bekommen, so muß
der Zuhörer erst alle Eigenschaftswörter abwarten, bis er erfährt,
was ich, und dass ich überhaupt etwas bekommen habe. Wenn wir
also die Sprechmelodie dieses Satzes beschreiben wollen, dann ist
sie vom unvollendeten „ich habe” bis zum entscheidenden
„bekommen” ein recht bewegtes Auf und Ab. Der Ungar, der das
Wichtigste immer an den Anfang stellt, beginnt den gleichen Satz
mit: kaptam = ich habe bekommen. (Wobei noch die Betonung auf
der ersten Silbe liegt.) Der Zuhörer weiß also sofort: der hat was
bekommen. Während man beim Deutschen erst am Ende des
Satzes erfährt, dass es kein Kind oder sonst was war, was er
bekommen hat, verrät es der Ungar schon im zweiten Wort: egy
szobát = ein Zimmer. Wenn wir des Ungarn Wortfolge also wört-
lich übersetzen, sagt er: ich habe bekommen ein Zimmer und erst
dann zählt er alle Eigenschaften des Zimmers auf.
Versuchen wir nun des Ungarn Sprechmelodie zu ergründen,
dann spüren wir schon im ersten Wort kaptam (das drei deutsche
Wörter vereint) durch die Betonung auf der ersten Silbe einen
trochäischen oder fallenden Rhythmus. Versuchen Sie einmal,
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
Nyaraló Tschinagln
Jemand hat gehört, daß der Sommer bei uns nyár heißt und das Aus Wiener Neustadt waren Freunde bei uns zu Besuch. Sie sind
Pferd ló. Als er nun zur Sommerfrische hier war, hörte er das Wort nicht zum ersten Mal hier und haben schon eine Ahnung von der
nyaraló und übersetzte es logischerweise – eventuell auch weil er ungarischen Sprache. In Verbindung mit irgendeiner dringenden
schon etwas über die Vokalharmonie wusste – als Sommerpferd. Arbeit am neu gebauten Häuschen sagte ich vor ihnen zu meiner
Nyarló ist aber der Urlauber, der Feriengast, der in die Sommer- Frau: Ezt muszáj megcsinálni, was soviel heißt wie: das muß
frische geht. Nicht etwa so zu verstehen, daß das ló = Pferd hier gemacht werden. (Der Ungar ist in seiner Sprache weniger passiv,
ein Synonym für den Gast wäre; nein, ein nyaraló ist eben einer, sondern vielmehr aktiv.) Meine Wiener Neustadt-Freunde hörten
der in der Sommerfrische weilt, kurz der Urlauber. (Übrigens heißt aus diesem Satz nur das csinálni = machen und sagten voller
auch das Haus, in dem man den Sommerurlaub verbringt nyara- Freude über die Entdeckung: „Das habt ihr von uns, dieses tschi-
ló.) Damit also aus einem Sommerfrischler kein Sommerhengst nagln!“
wird, merken Sie sich am besten: Wenn das ló am Ende eines Nun, ich glaube, es ist eher umgekehrt. Die Österreicher, und
Wortes steht, hat es mit einem Pferd nichts gemein. Zum Beispiel hier im Besonderen die Burgenländer, haben das tschinagln aus
ist vasaló kein Eisenpferd, sondern ein Bügeleisen. Vas = Eisen, dem Ungarischen abgeleitet und in ihre Sprache so volkstümlich
vasalni = bügeln. Oder ein udvarló ist kein Hofpferd (udvar = Hof), integriert, daß aus letzten zwei Silben -nálni eben ein Burgen-
sondern einer, der einem Mädchen den Hof macht, also ein ländisches -nagln wurde. Also einer, der in Wiener Neustadt was
Hofmacher. Ein vásárló ist auch kein Marktpferd (vásár = Markt), tschinagln tut, ist ein Tschinagler, nämlich jemand, der was nagelt,
sondern ein Käufer, also der Mensch, der auf dem Markt einkauft. hämmert, kurz: was macht.
Steht das ló aber am Anfang des Wortes wie zum Beispiel bei Wir hingegen, damit es nicht eingleisig zügelt zwischen uns,
lóvásár, dann wird ein Pferdemarkt daraus. Am besten merkt man haben von ihnen das Wörtchen muß, so entstand der öster-
sich vielleicht, daß das ló am Anfang des Wortes immer etwas mit reichisch-deutsch-ungarische Satz: muszáj csinálni. Csinálni ist
Pferden zu tun hat, wenn es aber am Ende steht, dann wird etwas der Infinitiv, csinál die dritte Person Einzahl = er, sie, es macht.
menschliches daraus. (Die anderen Formen können Sie in einer ungarischen Grammatik
Doch da fällt mir gerade ein Wort ein, das meine Theorie glatt nachlesen.) Valamit csinálni kell sagt der Ungar, wenn was ge-
über den Haufen wirft. Versenyló (verseny = Wettstreit). Da steht macht werden soll oder muß. Kell = muß, valamit = etwas, das t
doch dieses verflixte ló am Ende und heißt nicht Wettstreiter, son- am Schluß ist der Akkusativ.
dern Rennpferd. Womit bewiesen ist, daß auch im Ungarischen die Wenn´s nicht mehr weitergeht mit der charmanten öster-
Ausnahme die Regel bestätigt und umgekehrt. reichisch-ungarischen Schlamperei, wenn´s auf den Nägeln
brennt, dann wird aus dem ungarischen kell ein österreichisch-
deutsches muß = muszáj.
Der Ungar aber, und das spricht sehr für seine Lebensweisheit,
hat für sein csinálni noch eine mildere Stufe, nämlich das csinál-
gatni. Dieses kleine -gat zwischen csinál und der Endung -ni macht
das Machen nicht so tierisch ernst. Es erlaubt dazwischen ein
kleine Pause, ein bisschen Ruhe auf eine Zigarettenlänge, unter
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
Hogy van? Oder noch bestimmter: Dehogyisnem! Wortwörtlich: aber wie auch
nicht!, sinngemäß: nein, ganz bestimmt ist es so! Danach können
Sie vielleicht glauben, daß es eventuell bestimmt so ist, wenn es so
war.
Wie geht’s? Wenn Sie diesen allgemein üblichen Höflichkeitssatz
ungarisch sagen wollen, fragen Sie, genaugenommen nicht: Wie
Tudniillik
geht es ihnen, sondern wie sind Sie? (Én vagyok, te vagy, ô van =
ich bin, du bist, er, sie, es ist – hogy = wie.) Als Ungar geht es mir
also nicht so wie einem Mitmenschen deutscher Muttersprache,
sondern ich bin gut = jól vagyok. In diesen zwei Wörtern des
Frage- und Antwortsatzes liegt, so empfinde ich es, eine typisch
ungarische Verhaltensweise des sehr bewusst befühlten Seins. Auf Ein ausländischer Student an der Budapester Universität meinte
die Frage: Wie hat es Ihnen denn gestern bei uns gefallen? Würde kürzlich, daß tudniillik für ihn ein komisches Wort wäre, das ihn
ein Ungar kaum antworten: Ganz prima! Oder: Herrlich! Oder: zum Lachen reize. Ich finde das gut; denn was zum Lachen ist, regt
Sagenhaft! Oder: Das war wunderwunderschön!, sondern er wird zum Nachdenken an, wenn es kein dummer Witz ist. Tudniillik ist
sagen: Nagyon jól éreztem magam. = Ich habe mich sehr gut kein Witz, sondern ein zusammengesetztes Wort aus tudni = wis-
gefühlt. Leider wird in der übermäßig schnellebigen Zeit dieses sen und illik = passen, gebühren, schicken. Also wortwörtlich heißt
Hgy van? auch bei uns oft so im Vorbeigehen hingeworfen und tudniillik: es schickt oder gebührt sich zu wissen. Aber man
erhält dann eine ebenso oberflächliche Antwort, bei der ein kurzes gebraucht es heute oft als Satzanfang wie: das heißt, oder nämlich.
köszönöm = danke zu kösz verstümmelt wird, was noch weniger Nun kann ich mir lebhaft einen Professor an der Budapester
ist, als wenn man beim „Guten Tag“ den „guten“ fortlässt und sich Universität vorstellen, wie er fortwährend mit tudniillik erläutern
einfach mit „Tag“ begrüßt. will, was er eben ausführlich erklärt hat; weil es hier wie überall
Also mit Hogy van? Können Sie entweder ein Gespräch beginnen manchmal Professorenart ist, das Sein und Bewusstsein, das heißt
oder es gar nicht erst zustande kommen lassen. Wollen Sie es den- deren Kausalität, das heißt, die Dialektik beider Phänomene, daß
noch, fragen Sie: Hogy érzi magát = wie fühlen Sie sich? Dann fühlt heißt tudniillik die Abhängigkeit voneinander, tudniillik die
sich der Ungar angesprochen und wird Ihnen unter Umständen sein Bestimmtheit, oder tudniillik deren Priorität, einfacher ausgedrückt
ganzes Leben erzählen, wobei, wenn Sie gut aufpassen, das tudniillik das Wissen vom Wissen zu wissen tudniillik...
Wörtchen hogy in so manchen Variationen zu hören ist, als wie und Darüber kann dann ein Student, wenn er noch dazu die ungarische
was und weil und daß. Es sei denn, Sie unterbrechen ihn in seinem Sprache nicht ganz beherrscht, nachdenken, bis sich die vielen tud-
Redefluß und fragen mal kurz dazwischen: Hogyhogy? = wie, wie, niilliks wie Ohrenwürmer durch alle Gehirnwindungen schlängeln.
was so viel heißt wie: wieso? Tatsächlich? Wie meinen Sie das? Mit tudniillik also brauchen Sie sich Ihren Kopf und die Zunge
Vielleicht wird er darauf antworten: hogyne, megtörtént!, wort- nicht zu zerbrechen. Aber wenn Sie beide Wörter auseinander neh-
wörtlich: wie nicht, ist es geschehen! Sinngemäß: na und wie, na men, dann wissen Sie von tudni, daß es das Zeitwort wissen ist und
und ob... von illik das, was sich schickt. Wenn Sie jetzt an das Wörtchen nem
Eben, weil der Ungar durch seine Sprache zu den außergewöhn- = nein oder nicht denken, dann können Sie ungarisch sagen, daß
lich gefühlsbetonten Menschen gehört, wird immer ein wenig mehr sich nicht schickt, was sich nicht schickt: nem illik semmit nem
in der Geschichte seines Lebens stecken. Und weil er das fühlt, fügt tudni = es schickt sich nicht, nichts zu wissen. Jedenfalls sollte man
er beim Erzählen oft den Satz hinzu: Hogy rövid legyek, wort- bei uns vom Wissen soviel wissen, bis man wie Sokrates weiß, das
wörtlich: daß ich kurz sein soll, sinngemäßL: kurz und gut. Doch je man nichts weiß.
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
Gáz
Sie wissen es längst, daß das z, ganz gleich wo immer sie es lesen,
am Ende, am Anfang oder in der Mitte, wie ein s, so weich wie die
Seide ausgesprochen wird. Es ist daher verständlich, daß das Gas,
für das selbst die ungarische Sprache, die an Fremdwörtern so sel-
ten was Fremdes lässt, kein einheimisches Wort gefunden hat, daß
also jedwedes Gas mit z und selbstverständlich mit langem á ge-
schrieben wird.
Im Pionierlager Csillebérc, auf dem Szabadság-hegy (Freiheits-
berg) in Budapest, wo auch viele ausländische Kinder ihre Ferien
verbringen, lief ein Junge aufgeregt zu seiner Gruppe und sagte:
„Gáz van!“. Ein deutsches Mädchen mit schneller Auffassung und
Verständigungsbereitschaft, die nicht zum ersten Mal hier war,
konnte diese beiden Wörter zwar übersetzen: Gáz van = Gas ist,
aber den Sinn dieses Ausrufes nicht verstehen.
Also plaudern wir ein wenig übers Gas und seine in unserer
Sprache eigentümlich vielseitige Bedeutungen. Gas hat oft einen
üblen Geruch. Darum entspricht gáz van ungefähr dem Sinn von:
Kinder, da stinkt was! Der Junge, der es gerufen hatte, wollte
seine Kameraden aufmerksam machen, daß man dem, was er aus-
gefressen hatte, auf der Spur war.
Alle Wörter, von gázfejlesztés = Gasentwicklung bis zum gázo-
sító = Vergaser werden also für meine verehrten Leser logisch und
verständlich sein. Nur ein Wort steht im Lexikon zwischen gáz-
nyomás = Gasdruck und Gázolaj = Gasol, das zwar den gleichen
Stamm und dennoch nichts mit dem Wort Gas gemein hat: gázol.
Die Endung –ol bedeutet die Konjugation der dritten Person
Einzahl; z.B. táncolni = tanzen, táncol = er, sie, es tanzt. So müs-
ste, wenn es nach der Logik ginge, gázol soviel heißten wie : er,
sie, es gast, oder wenn wir an das erste Sprachbild denken: stinkt.
Aber gázol ist die dritte Person Einzahl vom Infinitiv gázolni =
waten, gázol = er, sie, es watet. Es kann aber auch heißen: er, sie,
es tritt (mir meinen Rasen kaputt). Und mit einem el- davor sogar:
er, sie, es überfährt, rempelt jemanden an, baut einen Unfall. Ich
habe es bei einem Unfall auf der Straße gehört, wie jemand sagte:
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
der russischen Sprache und war von 1906 bis 1917 das russische
Parlament. In unserer Sprache lebt es heute noch täglich, und wird
immer angewendet, wenn jemand dumál = quatscht, schwafelt,
Link schwatzt oder quasselt. Aber wenn Sie mit uns zu einem kleinen
angenehmen Gespräch zusammenkommen wollen, dann sagen
Sie: jövök egy kis dumcsira = ich komme auf einen kleinen
Plausch. Kommen Sie! Aber vergessen Sie es nicht!
Körülbelül
geirrt!. Mit link ist kein deutsches, sondern ein ungarisches Wort
gemeint. Sie sind erstaunt? Ja, ich war es ebenfalls, als ich es so
zum ersten Mal hörte: Ez egy link kifogás = Das ist eine faule
Ausrede. Wie kommt der Ungar für faul zu diesem link, das doch
auf den ersten Blick ein deutsches Lehnwort ist? Im neuesten
ungarischen etymologischen Wörterbuch, herausgegeben vom „Ein ulkiges Wort“, sagte jemand, als er dieses körülbelül zum er-
Budapester Akademia-Verlag, steht dazu: Link ember (ember = sten Mal hörte, „und sehr schwer auszusprechen.“
Mensch): eine zur Unterwelt gehörende, geriebene, gerissene Wirklich nicht leicht! Aber doch endlich mal ein Wort, das genau
Person, und weiter: unecht, falsch, unzuverlässig, schwindelhaft, so gesprochen wird, wie es da geschrieben steht; wobei Sie über-
lügnerisch und die Bemerkung, daß dieses Wort aus der deutschen haupt nichts verkehrt machen oder falsch betonen können. Und
Sprache stammt. wenn Sie es zehnmal (weniger Begabte zwanzig- bis dreißigmal)
Wir kennen aus dem Großen Deutschen Wörterbuch von Warhig laut vor sich hergesagt haben, können Sie ungarisch damit soviel
neben linken Armen, Beinen, Seiten, die Linke und die Rechte und ausdrücken wie: annähernd, ungefähr, etwa, gegen, beiläufig,
im besten Fall das Wort linkisch in der Bedeutung von unbeholfen zirka oder klassisch gebildet sogar: approximativ. Das sind immer-
oder ungeschickt. Und selbst ein Linkshänder ist doch kein hin sieben Wörter, für die ein Ungar sich siebenmal mehr anstren-
Unterwelts- sondern oft ein sehr geschickter Allerweltskerl. Also, gen muß, wenn er umgekehrt lernen will, was man für körülbelül
wie kommt dieses herablassende, beschämende, beleidigende link alles deutsch sagen kann.
in die Sprachwelt der Ungarn? Ich weiß es auch nicht, und kann es Also: Wann werden Sei in diesem Sommer zu uns kommen?
mir nicht enträtseln. Fast meine ich, daß dieses Wörtchen sich im Körülbelül augusztus közepén = etwa gegen Mitte August.
Dunkel der Sprachwelt verhüllt und bis zur Mutter aller indoeu- Das ist körülbelül die schönste Zeit am Balaton mit körülbelül
ropäischen Sprachen, zum Sanskrit, verfolgt werden müsste, um zehn Sonnenstunden am Tag und körülbelül günstigen Preisen (in
dem Ungarn, der heute linkel sagt – auch dieses Verb wird in der der Nachsaison). Fragen Sie aber nach den Preisen, dann bitte
Umgangssprache häufig gebraucht für jemanden, der nicht die nicht mit körülbelül, sondern immer mit mennyibe kerül. Das hört
Wahrheit sagt -, dies etymologisch zu klären und zu erläutern. sich am Ende fast so an wie das körülbelül, heißt aber genau über-
Bleibt also nur die freudige Feststellung, daß Sie mit diesem setzt: mennyi = wie viel, -be = in, kerül = kommt, sinngemäß: für
Wort sehr leicht etwas echt Ungarisches gelernt haben, und es bei wie viel geben Sie das? Oder: was kostet es?
nächster Gelegenheit anwenden können, wenn jemand Ihnen bei Also fragen Sie immer, wenn Sie etwas kaufen wollen, nach dem
uns etwas erzählt, was unglaubwürdig erscheint. So können Sie mennyibe kerül, damit Sie zuletzt nicht darüber nachdenken müs-
ihm also perfekt ungarisch antworten: Link duma, was soviel sen, wie viel Sie körülbelül mehr bezahlt haben, als das, was es
heißt, wie Mumpitz, oder dummes Gefasel. Aber bitte glauben Sie wirklich gekostet hat. Unsere Preise sind sowohl staatlich festge-
nun nicht, daß duma von dumm abgeleitet ist! Duma stammt aus setzt, wie es auch freie Preise gibt. Alle werden zwar ständig durch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
Geben Sie acht auf den Ton, wenn jemand zum Beispiel sagen soll-
te: Idefigyeljen, édesapám! = Hören Sie mal her, süßer Vater! Bei
dieser Anrede ist gewiß nicht mein oder Ihr süßer Vater gemeint,
sondern mein lieber Schwan oder mein lieber Freund. Ganz
schlimm steht´s, wenn jemand zu Ihnen sagen sollte: Tûnj el, Fárad-fáradt
édesapám! Wortwötlich: Verschwinde, süßer Vater! In diesem Fall
haben Sie´s bei einem Ungarn hoffnungslos verdorben. Dann
Wer bei dieser Überschrift vielleicht an ein ungarisches Fahrrad
nützt auch nicht mehr das jaj, de édes!, dann sollten Sie nie an
denkt, der irrt. Doch das deutsche Fahrrad kann zur Stütze wer-
den süßen Vater denken, sondern nur noch daran, so schnell wie
den beim Lernen der ungarischen Vokabel fáradt = müde. Dabei
möglich eltûnni = (zu) verschwinden.
bietet sich wieder ein Vergleich in beiden Sprachen an. Während
das deutsche Wörterbuch nur zwei Wörter: müde und Müdigkeit
kennt, füllen im ungarischen Wörterbuch drei lange Spalten mit
mehr als 30 Wörtern fárad und fáradt mit allen seinen
Ableitungen. Ein müder Mann ist egy fáradt férfi. Aber passen Sie
auf! Einer, der sich darum bemüht, nicht müde zu sein, der
braucht für sein Bemühen nur das fárad ohne –t. Ist es nichts
spaßig, daß hier Müdigkeit und Mühe mit dem gleichen Wort aus-
gedrückt werden? Der ganze Unterschied liegt nur in einem –t
fáradság = Mühe, fárdtság = Müdigkeit. Also, wenn Ihr tempera-
mentvoller ungarischer Gastgeber Ihnen nach den Anstrengungen
eines Tages noch das Nachtleben zeigen will, denken Sie an das
Fahrrad und sagen Sie einfach: fáradt vagyok = ich bin müde.
Aber bitte geben Sie acht! Sollte Ihr Gastgeber, wenn Sie zu ihm
auf seine Bude zu Besuch gekommen sind, sagen: Örülök, hogy
idefáradt, dann bedeutet das –t nicht das Wort müde, sondern die
Vergangenheit, und heißt also nicht: Ich freue mich, daß Sie müde
sind, sondern: Ich freue mich, daß Sie sich herbemüht haben.
Etwas kompliziert, nicht wahr? Aber ulkig! Der Unterschied zwi-
schen dem –d und dem –dt lässt sich nämlich kaum wahrnehmen.
Solche Missverständnisse können oft zu peinlichen Situationen
führen. Ich hörte kürzlich in einem modernen Hotel mit dünnen
Wänden, wie mein Nachbar im Nebenzimmer schnarchte, und wie
daneben jemand laut an die Wand klopfte. Am nächsten Morgen
saßen wir gemeinsam am Frühstückstisch. Die Dame von neben-
an sprach deutsch, benutzte mich als Dolmetscher und ließ mich
meinem Nachbar, dem Schnarcher, ihre Frage übersetzen, ob er es
nicht gehört hätte, daß sie in der Nacht laut an seine Wand
geklopft habe. Er antwortete darauf: „Igen, de ôszintén szólva túl
fáradt voltam.“ = Ja, aber ehrlich gesagt, ich war zu müde. Aus
Anstand habe ich es der Dame nicht übersetzt. Doch Sie sollen
wissen, was Sie sagen müssen, wenn Sie zu müde sind.
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Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch Körülbelül - Ein bißchen Ungarisch
für diese Szene. Der Dozent, der sich diesen derben Witz geleistet
hatte, wurde konsultiert, und man war nicht wenig erstaunt, als
jener beteuerte, dieses ungarische Schimpfwort sei ursprünglich
Der Ungar wirklich ein türkisches Wort gewesen und bedeutete soviel wie ein
am Ende angespitzter Holzpfahl (lofat), den die Türken demjeni-
gen in sein Hinterteil wünschten, dem sie sehr böse waren. (Das
und sein Schimpfwort Pfählen war auch wirklich eine grausame Strafe im Mittelalter.) Die
Ungarn sollen dieses Wort in ihre Sprache integriert haben, und sie
brauchten nur den letzten Buchstaben - vom t zum sz - zu ändern
(eine im Ungarischen durchaus plausible Konsonantenverschie-
Von der Ungarn ureigenstem Schimpfwort, das in keiner anderen bung), um aus dem Holzpfahl einen Pferdeschwanz zu machen.
Sprache in dieser Form existiert, soll hier die Rede sein. Es steht
so dicht neben dem typisch höflichen „kezeit csókolom” (Küß die
Hand!), daß man oft meint, man hätte danebengehört, wenn ein
Ungar, plötzlich über etwas erbost, seinen Gottesfluch durch die
Zähne zischt. Es ist nicht etwa nur der harmlose Götz von Ber-
lichingen im Deutschen oder das Kruzitürk des Österreichers, son-
dern es ist der Wunsch, der liebe Gott möge seine Männlichkeit
beweisen, indem er das Ding da, das nicht geht und lebt, begatte,
um Lebendigkeit in ihm zu zeugen. Also ein recht tiefsinniger
Fluch, der nur darum so wenig gesellschaftsfähig ist, weil er sehr
drastisch (sonst wäre es nicht Ungarisch) ausgedrückt wird. Viel
weniger verständlich ist der Fluch mit dem Pferdeschwanz, den ein
Ungar demjenigen, auf den er böse ist, in sein Hinterteil wünscht.
Was das zu bedeuten hat, erfuhr ich selbst erst, als man mir fol-
gende Geschichte erzählte: Eine kleine Universitätsbühne in der
DDR hatte die Komödie „Die Schlacht bei Lobositz” von Peter
Hacks einstudiert und ein paar anwesende ungarische Studenten
eingeladen, sich die Aufführung anzusehen, mit dem Hinweis: „Es
wird darin auch Türkisch gesprochen.” Gewiß war man der
Meinung, daß Ungarn auch Türkisch verstehen müßten, nachdem
ja die Türken mehr als eineinhalb Jahrhunderte (1526-1686) das
Land beherrschten.
Aber was die Ungarn da während der Aufführung von den die
türkischen Landsknechte darstellenden Schauspielern hörten, war
nicht türkisch, sondern ungarisch, und zwar laut und deutlich in
steter Wiederholung eben jener Fluch vom Pferdeschwanz. Die
Ungarn lachten laut und herzlich, obwohl es in dieser Szene an
sich gar nichts zu lachen gab. Und nach der Vorstellung sprachen
sie mit dem Regisseur und erfuhren, daß ein Universitätsdozent
ungarischer Abstammung ihm diesen Fluch aufgeschrieben hatte,
mit der Bemerkung, das seien ein paar geeignete türkische Worte
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II
Warum ist die
Krone schief ?
Ein bißchen Ungarn
Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn
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Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn
dann schimmert er vom hellsten Blau über dunkles Grau bis zum
durchsichtigsten Grün; dann spielt er mit seinen Farben in allen
Schattierungen, nicht ganz unabhängig von Himmel und Wolken
über ihm. Er ist überhaupt nicht „er“. Für uns Ungarn kann er
ebenso gut auch „die See“ sein.
Der, die, das Balaton ist wie ein junges, schönes Mädchen auf
Warum ist
Figur bedacht; und es hat eine, mit ganz schmaler Taille an der
engsten Stelle bei Tihany, von weißen Fährschiffen wie mit einem die Krone schief ?
Perlengürtel geschmückt. Und das saubere, spiegelblank geschlif-
fene Fräulein kokettiert auch mit einer Weite, die sich sehen las-
sen kann und gesehen werden will. Also kommt und seht und „Was ist schief?”
staunt! Laßt Euch von dem seidig weichen Wasser umspülen, oder
beschaut Euch die Schöne von oben. Es gibt ringsum viele herrli- „Na, die Krone.“
che Aussichtspunkte. „Die Krone? Wieso?“
Aber lasst Euch etwas einfallen, wenn Ihr vom Balaton schreibt „Na, das Kreuz oben drauf.“
oder singt; auf daß es Euch nicht so ergehe, wie der Gesellschaft, „Ach ja, das Kreuz auf der Krone... das kommt daher... warten
die in einem Camping am See in weinseliger Stimmung das Lied Sie ... das weiß ich eigentlich nicht.“
anstimmte: „Im weißen Rössl am Wolfgangsee...“. Danach setzten
sich alle in ein Ruderboot und Fräulein Balaton kippte sie ins Dieser Dialog fand neulich zwischen einem Ausländer und seinem
Wasser. Als sie naß in ihre Quartiere kamen, sagte jemand: „Wir ungarischen Begleiter neben der Mátyáskirche vor dem Reiter-
haben gar nicht gewusst, daß der Plattensee so temperamentvoll standbild des Königs Stephan statt. Er sitzt dort auf einem pracht-
sein kann.“ voll geschmückten Gaul, das Haupt bekränzt mit der von Papst
verliehenen Krone, auf deren Spitze das Kreuz schräg nach links
verbogen ist.
Also warum ist das Kreuz schief? Eher können manche Buda-
pester wahrscheinlich begründen, warum die Banane nicht gerade
ist, als auf diese Frage eine Antwort zu geben. Aber wenn das
ungarische Krönungskronenkreuz schon schief steht, sollte man
diesem Kuriosum doch auf den Grund gehen oder von Sagen sa-
gen lassen.
So hört denn: Es geschah zu jener Zeit, da Ladislaus IV., der
Kumane, ermordet wurde, nämlich im Jahre 1290, und Andreas
III., Enkel Andreas´II., auf den Thron gelangte, nebst Verlobung
der Tochter von Andreas mit Wenzel III. von Böhmen. Auch ande-
re hatten es auf den ungarischen Thron abgesehen. Einer von
ihnen wollte sogar die nicht mehr zu haltende Krone dem Herzog
von Bayern überlassen... Einfacher gesagt: Nach Ladislaus´ des
Kumanen Tod hatte der jüngere Andreas, ein Herzog, dem älteren,
dem Onkel, den er von seinem angestammten Platz verdrängen
wollte... der der Enkel... Genauer: Wenzel II. von Böhmen, ge-
krönt als Ladislaus, nahm die Krone mit nach Prag, als Andreas III.
gestorben war und Otto von Bayern sowie...
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Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn
Kurzum: Die Krone war weg. Nicht das erste und auch nicht das
letzte Mal in ihrer Geschichte. Später dann, im Jahre 1440 soll eine
Dame aus dem engeren Hofkreis diese Krone unter ihren weiten
Röcken aus der Hochburg von Visegrád entwendet und auf Befehl
der verwitweten Königin Elisabeth von Luxemburg auf diese Weise
nach Komárom geliefert haben, wo am nächsten Tag die Krönung
Heimweh
des neugeborenen Königssohns als Ladislaus V. erfolgte. Danach
wurde er samt Krone sogleich ins Ausland gebracht. Inzwischen
war bereits das Kronenkreuz leicht verbogen. Wie es passiert ist Wenn es von Heimweh eine Steigerung gäbe, müsste sie heißen:
und wo und wann? Ob schon früher oder unter den Röcken der Heimweh, Heimweher, Ungar.
Hofdame auf dem Hin-, oder aber durch schlechte Verpackung auf „Wer nie sein Brot mit Tränen aß“, weiß nicht was die Ungarn
dem Rückweg, darüber steht in den Chroniken nichts. leiden, wenn sie irgendwo in der Welt in irgendeiner nichtunga-
Es heißt: Alle späteren Könige und Kaiser sowie deren Mörder, rischen Speise stochern und dabei an ein töltött káposzta = gefüll-
Widersacher nebst allen Abkömmlingen hätten aus lauter Pietät tes Kraut, an einen frisch gebackenen almás rétes = Apfelstrudel,
das Kreuz so schief gelassen. oder an ein csirkepaprikás galuskával = Paprikahuhn mit Nockerln
Im Übrigen ist die Krone, während ich dies schreibe, wieder ein- denken.
mal zu Haus. Am Ende des zweiten Weltkrieges geriet sie samt Während anderen Menschen das Heimweh von der Seele auf
schiefem Kreuz – via Pfeil- und Hackenkreuzanhänger – in die USA den Magen schlägt, ist es bei den Ungarn gerade umgekehrt.
und kam erst Anfang 1978 zurück. Aber das ist schon eine ande- Ich habe von einem in den Vereinigten Staaten gehört, dem
re, eine ganz und gar nicht schiefe Geschichte. dicke Tränen beim Hören der Zeile aus einem Volkslied geflossen
Also, nun wissen Sie´s und können die Sache mit der Krone sind: Lesz még szôlô, lágy kenyér = Es wird noch Wein geben und
weitererzählen, falls Sie danach gefragt werden. Sogar besichtigen weiches Brot. Man muß einmal dieses weiße, weiche ungarische
können Sie sie samt schiefem Kreuz, Krönungsinsignien sowie Brot zusammen mit den Weintrauben gekostet haben, um den zu
Krönungsmantel. Wir werden Sie zwar nie wieder benötigen für verstehen, den allein Brot und Wein übers große Wasser nach
einen König, doch gibt es bei uns heute Leute, die kiskirály = klei- Hause ziehen. Natürlich ist darunter nicht so sehr das Brot aus dem
ner König genannt werden, und denen zur Vervollständigung ihres Bäckerladen gemeint, sonder ein selbstgebackenes, wie es die
Habitus nur eben diese Krone auf dem Haupte zu fehlen scheint. Mutter zu Haus – irgendwo in Ungarn – noch selbst geknetet hat,
ein Laib Brot, groß und rund mit hellbrauner, knuspriger Kruste.
Das Brot ist überhaupt des Ungarn wichtigste Speise, denn Brot
auf dem Tisch darf bei keinem Mittagessen fehlen. Brot zur
Vorspeise, Brot zur Suppe, Brot zum Fleisch mit Kartoffeln. Ein
Ober in Berlin brachte, als wir Brot zur Suppe bestellten, kopf-
schüttelnd zwei weiche Schrippen, weil im Restaurant kein Brot
aufzutreiben war. So beginnt das Heimweh. Eventuell versteht das
der Berliner, der in Budapest Heimweh nach seinen frischen
Schrippen hat. Alles ist zu ersetzen: Az akácos út = die von
Akazien gesäumte, nach ihr duftende Straße, a muskátlis ablak =
das Fensterbrett voll roter Geranien, die Bank vorm Elternhaus,
der Arbeitsplatz in der Stadt, die Oper und die Eisbahn, das Es-
presso und die Schwebebahn, das Dampfbad und die Wein-
schenke, nur eins gibt´s auf der ganzen Welt nicht: csigatészta =
die kleinen selbstgedrehten Schneckennudeln in der Gemüsesuppe.
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Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn
Anonymus Nun berichtet Anonymus nicht nur, wie es begonnen hat mit den
Ungarn in Ungarn, sondern wie es weiterging bis zum Tod seines
Königs Béla.
Sie hatten es, wenn wir es nicht im Dunkel der Geschichte, son-
dern die Geschichte bei Lichte besehen, nicht weniger faustdick
hinter den Ohren als jene, die sie vertrieben haben. Ob sie das
Da sitzt dieser bronzene Anonymus nun schon seit ungefähr 80
alles von denen abgeguckt oder von anderen Räubern gelernt
Jahren im Budapester Városliget (Stadwäldchen), blickt weder
haben, bleibe dahingestellt. Doch wie sie sich während ihrer
nach rechts noch nach links, auch nicht nach vorn oder hinten,
Streifzüge gegenüber den Slawen, Bayern und Italienern aufführ-
sondern verbirgt sein Antlitz hinter einer tief ins Gesicht gezoge-
ten, war nicht weniger rabiat, jedoch in jener Zeit allgemein
nen Mönchskapuze.
üblich. (Das wissen wir nicht von Anonymus, sondern aus anderen
Bei jedem, der ihn dort je gesehen hat, taucht die Frage nach
Quellen.) Sogar Konrad dem Roten, Herzog von Lothringen, so die
der Identität dieses Jemand auf, mit dem Federkiel in der rechten
Legende, soll ja der Haudegen Lehel, der 955 auf dem Lechfeld bei
Hand und den gebündelten Pergamentblättern in der Linken, auf
Augsburg vom deutschen Kaiser Otto gefangengenommen und
denen unter anderen in lateinischen Wörtern eingemeißelt steht:
zum Tode verurteilt wurde, mit dem Horn, mit dem er zum Angriff
„Gloriosissimi Belae regis notarius“. Doch warum blieb der Nota-
geblasen hatte, den Schädel eingeschlagen haben. (Nach Lehel
rius des “allerglorreichsten Königs Béla“ anonym?
wird heute der bekannte ungarische Eisschrank benannt. Viell-
Warum durfte, wollte oder konnte er der Welt seinen Namen
eicht, weil Lehel so eiskalt zugeschlagen hat?) Und als auch Lehel
nicht preisgeben, als er damals, unter dem Titel Gesta Hungaro-
danach auf dem Schlachtfeld seine Seele aushauchen musste,
rum (Die Taten der Ungarn) über diese berichtete? Das geschah,
kamen die noch überlebenden Ungarn auf den vernünftigen
als König Béla Ungarn von 1173 bis 1196 regierte. Er beschrieb in
Gedanken, daß man mit eingehauenen Köpfen nicht weiterdenken
lateinischer Sprache, hier und da ein paar ungarische Sprach-
kann und daß sich mit Raubzügen und Kriegen überhaupt keine
brocken verstreuend, a honfoglalást (die Landnahme) – welch
Probleme lösen lassen.
schönes Wort anstelle von Eroberung, nicht wahr? Ich habe selbst
Die Schamanen-Nomaden-Magyaren traten später zum Christ-
bei Anonymus und in anderen Geschichtsbüchern nachgelesen und
entum über und ließen ihren ersten König Stephan vom Papst krö-
bin zu dem Schluß gekommen, daß eigentlich die Aggressoren
nen. So hat es begonnen mit dem ungarischen Staat.
jener Zeit a besenyôk = die Petschenegen waren. Nun wollte Anonymus – und das ist verständlich – der damals
Man kann das heute ruhig sagen, schon darum, weil doch kei- Ordnung und Recht liebenden ganzen christlichen Welt beweisen,
ner von ihnen mehr lebt, also nicht sprechen, beleidigt sein und daß die Magyaren dieses Land eigentlich nur zurückerobert hatten
dagegen protestieren kann. Diese Petschenegen – schon das Wort (es hieß in der damaligen Sprache zurückgenommen), da es doch
allein klingt wie ein Schlag – haben die Ungarn, die damals irgend- – so denken auch heute noch viele Ausländer – schon einmal vor
wo in Etelköz, dem Zwischenstromland zwischen Don, Dnepr und ein paar hundert Jahren den Vorfahren der Ungarn, den Hunnen
dem Unterlauf der Donau, eben ihr Stammesoberhaupt Árpád zum gehört hatte.
Fürsten gewählt hatten, ansonsten sich vermehrten und friedlich Man sagt: hier irrte der Mönch. Ungarn hätten nichts mit den
jagten, aus ihren Heimen vertrieben, als diese im Dienst von By- Hunnen und die Hunnen nichts mit den Ungarn gemein.
zanz gegen den bulgarischen Zaren zu Felde gezogen waren. Wohl- Ich weiß es nicht. Mir ist die Sache etwas verdächtig, weil ich in
gemerkt: im Dienst! Ob die Petschenegen auch im Dienst handel- Budapest, in der Attila út, also in der Straße des Hunnenkönigs
ten, darüber schweigt die Geschichte. Wer weiß? wohnte. Wenn man Attila, dieser Geißel Gottes, wie er damals in
Einerseits war das nicht schön von ihnen, daß sie, während die ganz Europa genannt wurde, noch eine Straße in Budapest gelas
Ungarn – ich meine die Kämpfenden – nicht zu Hause waren...
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sen hat, wenn man sie noch nicht umtaufte auf Straße des 1. Mai
oder 1. November, ist vielleicht doch was Wahres an der Ge-
schichte gewesen?
Vielleicht sollten alle Geschichtsschreiber Anonymus heißen.
Budapest
Geschulte Fremdenführer sind Mangelware im ständig steigenden
Fremdenverkehr. Ich hörte, wie ein Mann, der gelegentlich
Aushilfsdienste leistete, einigen deutschen Gästen die Sehenswür-
digkeiten von Budapest so erklärte: „Donau linkisch! Donau recht-
lich! Jetzt hinauf auf Burg! Nach Krieg lange sie hat ausgäsähän
sähr bäschießen.!“
Die Touristen lachten. Der Cicerone zog eine saure Miene und
sagte lange nichts. Dann zeigte er nach unten auf die Brücke, die
Donau und die beiden Stadtteile und sagte: „Buda linkisch, Pest
rechtlich, wie Sie ersähän. Ersähän Sie es umgedräht, es ist
umgedräht. Aber das Donau ist immer in Mitte.“
Die Leute lachten wieder. Und jetzt lachte auch der biedere
Mann, denn erspürte, daß er einen Witz gemacht hatte. Und wenn
ein Budapester spürt, daß die Leute über seine Witze lachen –
wenn es nicht eben solche sind, die mit dem letzten Krieg Zusam-
menhang stehen - dann freut er sich.
Da stellte einer der Touristen die Frage, warum Budapest eigent-
lich Budapest heiße. Der „Fremdenführer“ sagte, ohne in Verlegen-
heit zu kommen: „Ich habe keine Schule, aber ich kann sagen, was
sagen die Leute von däm. Pest ist gewesen immer der Pest.“
Jemand warf ein: „Die Pest“. Unser Mann ließ sich nicht beirren:
„Der Stadt ist immer gewäsen der Pest. Der Stadt hier, wo jetzt wir
stähän, ist gewäsen der Buda, oder auch was früher genannt
haben die Menschen, die Ofen.“ Jemand bemerkte: „Der Ofen.“
„Der Ciccerone blickte mürrisch drein und fuhr fort: „Dann ist noch
gewäsen eine alte Ofen, was früher genannt haben die Menschen
Óbuda.“ Eine Stimme meldete sich: „Ein alter Ofen heißt also
ungarisch Óbuda?“
Die Leute lachten. Unser Mann sagte: „Nein, eine alte Ofen heißt
ungarisch: öreg kályha, aber ich habe schon gesagt, ich habe
keine Schule und kann nur sagen, was sagen die Leute von däm.
Drei Stadt, Óbuda, Buda und Pest sind zusammengäeint geworden
gewäsen hundert Jahr bevor.“
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zwei Millionen Einwohnern nicht nur das Zentrum des Landes, son-
dern hat auch eines der schönsten weltstädtischen Gesichter.
Die neue U-Bahn, nach dem Muster der Moskauer Metro ge-
baut, durchfährt heute die Donau von unten. In der Innenstadt
geht es drunter und drüber. Und am Rande wachsen in rasantem
Tempo Wohnsiedlungen, Kinderspielplätze, Schulen, Einkaufszent-
Der Burgbauer
ren und Sportanlagen.
Und dennoch, und dennoch! Sieht man genau hin, fehlt es noch
an manchem in und an der hauptstädtischen Hauptstadt. Vielleicht, 140 Burgen und Burgruinen sind in Ungarn stumme Zeugen
weil sie uns niemand mehr streitig macht? mittelalterlicher Lebensgewohnheiten. Im Anblick dieser mehr
oder weniger erhaltenen Ringmauern, Wehr- oder Wohntürme,
Rondelle und Kasematten mache ich mir immer wieder Gedanken
über die so viel schnellere Vergänglichkeit unserer heutigen Le-
bensspuren.
Ähnliches muß auch der Mann gedacht haben, der am Rande
der Stadt Sopron seit 15 Jahren an seiner Turmburg baut und nach
eigenen Aussagen bis zum 60. Lebensjahr – jetzt ist er 45 – damit
fertig sein will. Es hat sich schon im Lande herumgesprochen, daß
da ein Familienvater in jeder Stunde seiner Freizeit – er arbeitet
als Färber in der Soproner Tuchfabrik – mit Hilfe seiner Familien-
mitglieder in mühseliger Arbeit Stein auf Stein trägt. Zwei oder
drei Türme sind schon fertig, von deren Spitzen hoch über der
Stadt sich klirrende Metallfahnen im Winde drehen.
Ich weiß nicht, ob István Taródi sich in seinen Türmen verteidi-
gen oder ob er nur viel Aussicht schaffen will. Bisher konnten die
Verantwortlichen in der Abteilung für Städtebau des Soproner
Stadtrates dem komischen Kauz seine mittelalterlichen Gedanken
und Pläne nicht ausreden und müssen sich nun wohl oder übel
damit abfinden, daß Sopron – es hieß einmal Ödenburg – allen
Besuchern neben den alten sehenswerten Burgmauern auch fun-
kelnagelneue zu bieten hat.
Wie es auch immer war, als einst hierzulande die 140 Burgen
entstanden sind, ihre Geschichten sind sich doch sehr ähnlich. Sie
zeigen oder lassen ahnen, wie Burgherren und Burgfräuleins in
ihren Zinnen die Zeit oder sich gegenseitig vertrieben, wie sie
Angreifer abgewehrt oder um ihr Leben gegen Türken oder Habs-
burger gekämpft haben.
Nun gibt es eine Grenzburg, in der alle Besucher kommender
Jahrhunderte sich davon überzeugen können, wie im 20. Jahrhun-
dert ein einfacher Soproner Tuchfabrikarbeiter gearbeitet, gelebt
und mit den Behörden um die Baugenehmigung gekämpft hat.
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Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn
Muffeltiere
am Schluß Erster oder Letzter wird, entscheidet nicht die Stopp-
uhr, sondern die Jury.
Wir hatten im Fernsehen, dem größten Kommunikationsmittel
auf der Welt zur Bildung einerseits und zur Verdummung anderer-
seits, erst kürzlich wieder eine internationale Jury aus halb Europa
zu Gast, die darüber abstimmte, wer von unseren jüngsten Schla- Wer in den Budapester Straßen oder vor den Hotels Hirschgeweihe
gersängern und Beatmusikern die drei besten im Lande sind. Da auf Dächern von Autos sieht, der weiß, jetzt ist in den Jagdgefilden
saßen sie beim Endentscheid im Budapester Nationaltheater – ich etwas los.
hätte sie mir eher in eine Sporthalle gewünscht – den ganzen wei- Eben zu jener Zeit geschah es, daß ein „Jäger aus Kurpfalz“ in
ten Rang entlang: zehn, zwanzig, dreißig, ich weiß nicht wie viel den Piliser Bergen – dem herrlichen Jagdrevier, eine halbe Auto-
Personen, schön bunt durcheinander mit den Nummernschildern stunde von der Hauptstraße entfernt – einen prächtigen Mufflon
zwischen den Knien. Und jedes Mal wenn die Fernsehkamera an erlegte. Und da der Jägersmann, verwundert über sein Jagdglück,
ihnen entlang fuhr, hoben sie mit grinsenden oder todernsten danach fragte, woher sich denn diese Wildschafe mit dem schö-
Gesichtern ihre Meinungen hoch, vom Publikum beklatscht oder nen, querrunzligen Schneckengehörn in die ungarischen Wälder
ausgepfiffen. Aber auch das Publikum spielte im weitesten Sinne verlaufen hätten, erzählte man ihm, daß vor Jahrzehnten aus
als Jury mit; ihm war das Recht vorbehalten, seine Punktzahl per Korsika ein paar Muffeltiere hier ausgesetzt worden seien, sich
Post einzusenden und auf diese Weise Sänger oder Musiken- seitdem in ihrer neuen Heimat zu ihrem eigenen und zum Glück
sembles aus der Versenkung, in die sie durch die Jury gefallen der Jäger beträchtlich vermehrt hätten und sich bis zum Abschuß
waren, wieder ans Rampenlicht zu befördern. ausgezeichneter Gesundheit erfreuten. In der nächsten Saison rei-
All das hat viel Mühe und viel Geld gekostet. Ein ganzes Volk ste nun der Jäger auf die Insel Korsika, um diesen Widdern in ihrer
weiß nun, wer fürs Schlagersingen, Spielen und Popowackeln die Urheimat auf die Spur zu kommen. Doch vergeblich kraxelte er die
ersten drei Preise und dazu hohe Summen bekam. Und die ferner weißen Felsen hoch und suchte sie in allen Jagdrevieren. Als er bei
liefen, erzählen es nun überall, daß sie wenigstens mit dabei wa- der Bevölkerung und schließlich beim Bürgermeister einer kleinen
ren. Stadt nach ihnen fragte, erhielt er die Auskunft, daß diese Tiere
Ich habe darüber nachgedacht. Ließe sich denn nicht mit dem dort ausgestorben sind, genauer gesagt, im letzten Weltkrieg von
Aufwand einer solchen Jury einmal feststellen, wer die ersten Stra- hungrigen Menschen aufgegessen wurden. Auch das letzte Muffel-
ßenbauarbeiter bei uns sind? Die höflichsten Verkäufer und Be- tier habe dran glauben müssen.
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Als ich diesen einfachen, aber, ich gebe zu, recht unfachkundigen
Gedanken einmal habe laut werden lassen, schüttelten die Fach-
leute von der Post über einen derartigen Unsinn ihre zahlenträch-
tigen Köpfe; denn das gäbe doch Anlaß zu unmöglichen Verwechs-
lungen. Ich habe darüber selbstkritisch nachgedacht und bin zu
dem Schluß gekommen, daß zum Beispiel bei 1.000 doch viel
Der Déli pu.
leichter eine Null vergessen, weggelassen werden kann, als bei
einer Zahl, bei der es keine Nullen gibt. Abgesehen davon ist es
mir nicht gleichgültig, ob die Nullen rechts stehen oder links. Kürzlich antwortete jemand auf meine Frage, woher er komme
Wie doch aber auch ohne alle Postleitzahlen, ja selbst ohne und wohin er jetzt gehe: „Ich komme vom Keleti pu. Und fahre
Adresse einer seinen Brief erhält, bewies mir kürzlich folgende jetzt zum Déli pu.“
kleine Begebenheit: Ein Landmann – man sah es an seiner Fest- Was meint er mit pu, dachte ich, und fragte vorsichtig, um ihn
tagskleidung, dem schwarzen Hut, der schwarzen Joppe, der in nicht zu verletzen wegen des offensichtlich falsch verstandenen
schwarzen Schaftstiefeln steckenden Hose – machte Winterurlaub Wortes: „Verzeihung, ich habe nicht gut hingehört, wohin fahren
vom Arbeitsplatz, von Haus und Familie in einem der Gewerk- Sie jetzt?“ Er wiederholte es deutlich“ ...zum Déli pu.“, wobei er
schaftsheime der Budaer Berge. Er schrieb schwer – ich sah es ihm das Déli = Südlich ganz richtig auf der ersten Silbe mit einem lan-
an – an einer Budapester Ansichtskarte nach Haus. Als Adresse gen é betonte. Aber was pu ist, wollte ich wissen: „Na, der pu, der
stand nichts weiter als: Bahnhof da!“ antwortete der Gast mit Sicherheit und ein wenig
„An meine Frau in Fenékpuszta. Entrüstung in der Stimme. Er hatte recht. Es ist mir und sicher
Wenn sie nicht hinten im Gärtchen ist, ist sie in der Küche.“ auch manch andrem überhaupt noch nicht aufgefallen, daß die
Und welch Wunder, die Karte ist angekommen. Abkürzung von pályaudvar = Bahnhof, also die ersten beiden
Anfangsbuchstaben von pálya und udvar: pu., nicht nur am Bahn-
hof selbst, sondern sogar im Budapester Telefonbuch steht. Die
Einheimischen lassen das Wort Bahnhof aus Bequemlichkeit fort,
wenn sie sagen: A Délirôl indulok = ich fahre vom Südlichen ab,
also vom Südbahnhof. Es gibt in Budapest drei bedeutende Bahn-
höfe, von denen man ab- und anreisen kann: a Keleti, a Nyugati
és a Déli pályaudvar = der Ost-, der West- und der Südbahnhof.
Die Abkürzung pu. Steht zwar daneben, aber niemand gebraucht
sie. Und wenn es ein Fremder so sagt, wie es da steht, kann es
missverstanden werden. Der pu. so für sich gesprochen, könnte
fast etwas anderes bedeuten. Sie verstehen? Aber das ist die
Schuld derer, die sich mit all ihren Abkürzungen fast lächerlich
machen.
Übrigens gehört es zu den originellen Gegensätzen, daß wer
aus dem Westen zu uns reist, immer am Keleti, also am Östlichen
ankommt. Reisen Sie vom Osten her an, steigen Sie am Nyugati,
am Westlichen aus. Aber wenn Sie weiter wollen in Richtung
Balaton, müssen Sie durch Pest – wenn der Budapester von seiner
Hauptstadt spricht, lässt er Buda nur so aus Bequemlichkeit weg
– zum Déli, also zum Südlichen. Und mit dem pu. machen Sie´s
am besten so wie wir, verschweigen Sie ihn.
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Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn Warum ist die Krone schief ? - Ein bißchen Ungarn
Citadella Citadella zwischen den beiden Weltkriegen zum idealen Platz der
Sterngucker verwandelte, und daß sie im letzten Weltkrieg mit
Geschützen der Nazis bestückt war, die jetzt nicht nur nach unten,
auf die Stadt, sondern auch nach oben auf Flugzeuge schossen.
„Komm mit“ sagte ich zu meinem Gast, „ich zeig´ Dir die Cita-
Ein Gast aus Berlin, zum ersten Mal in Budapest, zeigte am Fuß
della von heute.“ Am Tor, an dem es vor 1945 nur auf eine gehei-
des Gellértberges auf ein Straßenschild mit einem Pfeil, über dem
me Tagesparole Einlaß gab, bezahlt man heute einen geringen
„Citadella“ geschrieben stand und sagte: „Ach, da gib´s wohl
Eintritt und gelangt über Kopfsteinpflaster in den Innenhof. Dort,
Wurscht!“ Er hatte die Citadella mit der Mortadella verwechselt.
wo einst Soldaten gedrillt wurden, werden jetzt Hühner in Fett
Auweia! Wir sollten einsichtig sein. Wir sind schon soweit weg von
gegrillt und nur geschäftig umherlaufende Kellner schwitzen unter
dem Wort Citadella, daß man es verzeihen kann, wenn jemandem
der Last ihrer vollen Tabletts zwischen den immer besetzten
bei dieser Aufschrift die Zervelatwurst auf der Zunge liegt. Auß-
Tischen eines dort eingerichteten Restaurants. Die ehemaligen
erdem wird die italienische Citadella deutsch schon längst Zitadelle
Kasematten im Innern dienen heute als Jugendhotel. Und tief
geschrieben. Wir aber halten noch bei der älteren, schöneren
unten in den Gewölben, wo einst Pulver und Kugeln gelagert
Schreibweise, denn abgesehen von dem C – auch den ungarischen
waren, laden bunt gedeckte Tische zu ungarischem Schmaus mit
Zement schreibt man cement – finde ich das –della am Schluß
Zigeunermusikbegleitung ein. Hier kann man vom Wein berauscht
schöner als die –delle. Obwohl gerade bei dieser Festung eine
singen: Im tiefen Keller... oder ein neues Lied über die Lust zum
Delle den Anfang vom Ende bedeutete. Über dem Eingang hat
Leben in Frieden und Freiheit.
nämlich dieses fast 130 Jahre alte Gemäuer ein sichtbar großes
Loch, das nicht der letzte Krieg als Andenken hinterließ.
An ihn erinnert das Befreiungsdenkmal an der östlichen Spitze
der Citadella – das Monumentalwerk des Bildhauers Kisfaludi
Strobl-, auf dessen Sockel auf der einen Seite der Drachentöter,
auf der anderen der Fackelträger steht. In der Mitte, wo die Namen
Das Weihnachtsgeschenk
hunderter gefallener Sowjetsoldaten eingemeißelt sind, erhebt
sich eine 30 Meter hohe Frauengestalt, den Palmenzweig in den
erhobenen Händen haltend. Es geschah zum ersten Weihnachtsfest nach dem letzten Welt-
Die Delle aber über dem Eingang, ungefähr sieben Meter hoch krieg, als sich Freunde in der Schweiz brieflich danach erkundig-
aus der vier Meter dicken Mauer gerissen, erinnert auch an eine ten, womit sie zum bevorstehenden Fest eine Freude machen
Befreiung, die jedoch nur so groß war, wie der Spalt im Verhältnis könnten. Der Familienrat beschloß für jedes Mitglied das zu nen-
zur gesamten Riesenfestung. nen, was in den Grenzen der Bescheidenheit lag und in denen der
Vor rund 90 Jahren als der Kaiser in Wien einsehen musste, daß Notwendigkeit. Für mich wurde der Wunsch nach einem weißen
man mit den Ungarn auf solche Weise nicht weiterkommt, wenn Oberhemd beschlossen, denn nur noch ein einziges war mir ge-
man ihre Hauptstadt von dieser Festung aus – er selbst hat sie blieben. Aber auch dieses eine Hemd war deutlich von der Zeit
1851 nach der niedergeschlagenen Revolution und dem Frei- mitgenommen. Aus dem Gesäßteil hatte die Flickschneiderin ein
heitskrieg 1848/49 bauen lassen – von österreichischen Landsern Viereck ausgeschnitten, als der Kragen zum erstenmal unansehn-
bewachen lässt, wurde jenes Loch als Symbol des neuen Ge- lich und untragbar geworden war und machte aus jenem ausge-
schichtsabschnittes zwischen Österreich und Ungarn über dem schnittenen Stück Hemd einen neuen Kragen. Sie setzte dafür
Eingang zur Citadella gesprengt. einen buntkarierten Fleck ein. Ich erinnere mich, daß die Man
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die von Brabant? Und nachträglich bin ich nun doppelt erstaunt,
daß diese rührende Gestalt deutscher Sagendichtung, die Tochter
des Herzogs von Brabant, die – als Gemahlin des Pfalzgrafen
Siegfried, von dessen Haushofmeister verleumdet, die ehelich
Treue gebrochen zu haben – zum Tode verurteilt, aber von einem
Knecht aus Mitleid gerettet, sechs Jahre lang mit Kind und einer
Mezôkövesd
Hirschkuh in einer Höhle des Ardenner Waldes versteckt worden
war, daß also diese Schmerzensreiche aus dem Jahre 731 bei den
Ungarn heute noch gegenwärtig ist, wenn jemand so leiderfüllt, Schon so oft habe ich über diesen bezaubernden Ort im Norden
zehnfach durchs Mikrophon verstärkt, wehklagt wie jene, von der Ungarns geschrieben – bezaubernd wegen seiner bunt bestickten
man weiß, daß man nicht weiß, ob ihr Jammer wahr war. alten Volkstrachten, über die Matyós - matyók (so werden die
Mit welchen Bildern man bei anderen Völkern, in anderen Bewohner in Mezôkövesd und Umgebung genannt, wahrscheinlich
Sprachen die Häßlichkeit ausdrückt? Wer kann es sagen? So häss- nach dem König Matthias im 15. Jahrhundert, der diese talentier-
lich wie ... ein jeder möge hier einsetzen, was er denkt, was er ten, fleißigen Menschen unterstützte und ihren Wohnsitz schon
gewöhnt ist. Die Ungarn sagen schon lange: Der (die, das) ist so damals zur Stadt erhob)-, ist schon viel über sie selbst und ihr
hässlich wie der Weltkrieg! Leben berichtet worden, daß man vielleicht glauben könnte,
Ungarns Bevölkerung bestünde nur aus Matyós.
Nun, ich will es nicht leugnen, daß ich diese Menschen, ihre
bunten Kleider von einst, die Häuser und Gärten und alle ihre
Einrichtungen noch immer durch die rosarote Brille des Verliebten
betrachte, der vor vielen Jahren einem der schönen Matyómäd-
chen – ihre Schönheit ist allgemein bekannt – den Hof machte und
sie nach allen Regeln, Sitten und Gebräuchen schließlich heim-
führte.
Meine Frau brachte dieser Tage von zu Haus einen Fremdenver-
kehrsprospekt mit, der auch in deutscher Sprache verfasst worden
ist. So liebenswert wie das hier mit all den kleinen stilistischen und
anderen Fehlern verfasst wurde, so sind sie, die Matyós. Also, bitte
lesen Sie:
„Das Matyó Hochzeitsfest. Die in Volkstracht gekleideten Mit-
glieder des Ensembles empfangen die Gäste – im Allgemeinen im
Hof des Hausmuseums – und bieten Ihnen Brot und Schnaps an,
dann bekommen sämtliche Teilnehmer einen Rosmarin.
Die Volksmusikkapelle spielt langsame und frische Tschardasch,
in der Rolle des Brautführers begrüßt ein Volkskünstler die Hoch-
zeitsgäste mit alten Sprüchen und bietet den Anwesenden Wein
an.
Die Gäste – falls sie Lust dazu haben – können am gemeinsa-
men Tanz teilnehmen; die Darsteller führen die Brautwerbung
nach den uralten Sitten vor: Abschied der Braut und des Bräuti-
gams. Der Bräutigam bekommt sein Trauungshemd, ein Rosmarin
wird daraufgesteckt, dann folgt ein Doppeltanz.
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Der Bräutigam bittet das Bett der Braut aus – was nicht ohne
volle Volkstracht gekleidete Braut ein. Der Polstertanz wird vorge-
führt und ertönt das ergreifende Abschiedsgedicht zu den Eltern.
Die Braut und der Bräutigam stellen sich nebeneinander, und eine
symbolische Trauung findet statt. Schließlich folgt unter Hinzu-
ziehung der Gäste das gemeinsame Hochzeitsmahl. Die einzelnen
Die Größten, die Besten
Gerichte werden nebst humorvollen Sprüchen aufgetragen, und in
der Pause werden die Kerzen- und Brauttänze vorgeführt.
Alles geschieht in traditioneller, feierlicher Ordnung. Die Ungarn neigen manchmal etwas zur Übertreibung. Das ist
ebenso bekannt wie verständlich. Ein kleiner Mann misst sich
Das charakteristische Mezôkövesder Hochzeitsmahl wird mit gu-
ten Weinen, laut separaten Speisekarten zusammengestellt, auf- immer an einem noch kleineren. Und der mit dem spärlichen Haar-
getischt und bedeutet ein wahres gestronomisches Erlbenis.“ wuchs zählt die Haare auf dem Kopf des anderen. Wo in Ungarn
So etwas haben Sie sicher noch nie erlebt, wie ein Bräutigam ein Haus mit 10 Stockwerken gebaut wird, spricht man von einem
das Bett seiner Braut vor allen Anwesenden „ausbittet“. Turmhaus, und 20 Etagen genügen schon, um das Gebäude einen
Wolkenkratzer zu nennen. Mag sein, daß in Ungarn die Wolken tie-
Kommen Sie also nach Mezôkövesd!
fer hängen als woanders, denn die Hügel im Nordosten oder
Südwesten Ungarns (Mátra und Mecsek) nennt man Gebirge und
den Balaton das ungarische Meer. Selbst die, die im deutschen
Sprachgebiet auf dem Meer nur zur See fahren, heißen auf dem
Balaton tengerész = Hochseeschiffer.
Eines der neuerbauten Luxus-Hotels am Nordufer, das Anna-
bella-Hotel, wird auf allen Prospekten als das größte Strandhotel
in Mitteleuropa bezeichnet. „500 Zimmer! Jedes mit Aussicht aufs
ungarische Meer!“ Kleinere Strandhotels auf der Promenade in
Siófok sind wenigstens die größten in Südost-Mitteleuropa. Und
wenn man das Garn der Fischernetze der gesamten Balatoner
Fischerei-Flotte ausrollen würde, reichte es der Länge nach fast
um die Erde und der Höhe nach fast auf den Mond. Die Balaton-
fischer fangen Fische von seltener Größe! Und einmalige Fische.
Der Fogas schwimmt auf der ganzen Welt nur im Balaton. Für
ihn – den Zander – gibt es keinen anderen Namen als den, den die
Ungarn ihm gaben: fogasch. Dieser ungarische Fisch ist also das
dritte Wort in der ungarischen Sprache, neben huszár = Husar und
kocsi = Kutsche, das zu einem internationalen Begriff geworden
ist. Ein Beweis mehr für die These, daß die ungarische Sprache auf
dem besten Wege ist, eine Weltsprache zu werden.
Die Ungarn bezeichnen sich gern als ein sprachbegabtes Volk
unter den Kleineren. Für den Ungarn sind weniger die Fremdspra-
chen das Hindernis, als vielmehr die Geschlechtswörter der
Fremdsprachen. Dennoch steigt die Geburtenzahl ständig. Das
lässt sich an den statistischen Zahlen ablesen, die von den
Zeitungen regelmäßig bekanntgegeben werden, nach denen zum
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Königsgrab
Von jeher galt meine Bewunderung den Archäologen, die in müh-
samer Kleinarbeit aus der Erde durch Knochen-, Stein und Scher-
benreste die Vergangenheit menschlicher Kulturen mit präziser
Genauigkeit feststellen und gegenwärtig machen. Es ist viel mehr
als die Liebe zum Beruf. Es ist die Berufung von oben oder unten,
aus dem Elysium oder dem Hades, wenn zum Beispiel - ich habe
es von einem Archäologen persönlich gehört - aus einem Stück-
chen Stein, einer Rosette auf dem Sarkophag allen bisherigen Be-
hauptungen, daß darin einmal ein großer ungarischer König begra-
ben worden sein soll, widersprochen und das Gegenteil (zweifels-
frei) festgestellt wurde. Was ist für einen Laien das Gegenteil eines
Königsgrabes? Ein Bettlergrab. Über solchen Unsinn werden alle
Wissenschaftler die Nase rümpfen. Ähnliche Gedanken können nur
im Kraut eines Spaßmachers wachsen.
Nun wollte es aber das Schicksal, daß in jener uralten Stadt wie-
der bei Ausgrabungen ein bisher unbekanntes Königsgrab gefunden
wurde. Doch welch fatale Überraschung! Das Grab war ausgeplün-
dert, der König samt seinen wertvollen silbernen und güldenen
Anhängseln verschwunden. Wer weiß? Man suchte nach ihm in
allen Ecken und auch wohl nach dem doppelten Boden. Warum soll-
te es vor rund 1000 Jahren nicht schon solchen Hokuspokus gege-
ben haben? Und nach dem bewährten Sprichwort: „Wer lange
sucht, wird endlich finden” - kamen plötzlich, ganz unerwartet, und
tagelang nicht gesehen, ein paar alte Knochen ans Licht. Aber erst
die Sonne brachte es an den Tag, daß sie nicht dem König, sondern
aller Wahrscheinlichkeit nach dem Plünderer gehörten, der wieder-
um - und hier kommt der Narr zu seinem Recht - doch alles weni-
ger als ein König gewesen sein konnte, sondern eben ein Bettler,
der es nicht auf die alten Knochen, sondern eben auf die wertvol-
len Anhängsel abgesehen hatte.
Vielleicht ist ihm dabei der schwere Sargdeckel auf den Kopf ge-
fallen? Doch dann mußte doch auch noch der König daneben lie-
gen. Vielleicht hat gar ein Dritter den Bettler für den König ins Grab
gelegt, so wie es kürzlich in einer Pyramide entdeckt wurde, wo
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III
Die Julischka
aus Budapest
Von Frauen, Männern und
ein bißchen mehr
Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern...
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Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern...
nämlich so etwa: „Hallo Liebling, vergiß nicht, die Kinder aus dem
Kindergarten abzuholen und bring von unterwegs noch etwas
Suppengrün mit. Hol die Wäsche vom Trockenboden und gib den
Schlüssel wieder beim Hausmeister ab! Ich komme heute später,
ich habe noch eine wichtige Besprechung.”
Und natürlich bringt der Vater die Kinder auch ins Bett. Neulich
Der ungarische Mann
hörte ich einen Nachbarn, wie nach dem Abendmärchen im
Fernsehen der jüngste Sprößling die Frage stellte, ob denn alle
Märchen mit „Es war einmal...” begännen. Darauf der Vater: „Nein Die Meinung der Frauen über den ungarischen Mann ist voller
nicht alle Märchen. Manche fangen auch so an: Ich habe noch eine Widersprüche: bezaubernd und ohne Sinn für Romantik, zärtlich
wichtige Besprechung...”. und ungeschlacht, feurig, aber durch und durch untreu, vieles ver-
sprechend und nichts haltend, gutherzig, kaltschnäuzig, grob, ein-
schmeichelnd, zu Strohfeuern neigend, jähzornig, einfallsreich,
einfältig, kindisch, klug, feinfühlend, mit ausgeprägtem Familien-
sinn, großzügig, geizig, unzuverlässig, alkohol-, vergnügungs- und
eroberungssüchtig.
Und welche Meinung haben Sie vom ungarischen Manne, ver-
ehrte Leserin? Ausländerinnen behaupten, sie würden sich in der
Gesellschaft eines ungarischen Mannes wohlfühlen, einfach, weil
er ein Mann ist. Manch glauben auch, es stecke noch etwas von
einer ursprünglichen Wildheit in ihm. Gewiß empfindet das eine
nichtungarische Frau anders als die einheimische Geschlechts-
genossin die sich, wenn es auch mancherseits immernoch be-
stritten wird, daß ihre Vorfahren einst mit den ungarischen Stäm-
men aus Asien über die Karpaten eingewandert sind, im Laufe von
rund tausend Jahren nur recht schwer damit abgefunden hat, daß
der Mann „úra és parancsolója”, ihr Herr und Gebieter ist und sich
auch häufig noch so benimmt.
Nun hat die neue Zeit zwar die Parität zwischen Mann und Frau
hergestellt, aber Papier ist bekanntlich geduldig, und die Wurzeln
der Tradition sind oft noch recht fest verhaftet.
Einer der großen Dichter der ungarischen Romantik, Dániel Ber-
zsenyi, unternahm in seinem Gedicht „Die Tänze” den Versuch,
von den Volkstänzen der verschiedenen Völker auf den Charakter
ihrer jeweiligen Männer zu schließen. Beim Ungarn heißt es da:
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Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern...
Ungefähr einhundertfünzig Jahre sind vergangen, seit der Wir plaudern über das ungarische szív = Herz. Es gibt viel darüber
Dichter diese Verse schrieb. Im ungarischen Leben hat sich doch zu sagen. Mehr als im Deutschen. Schauen Sie einmal selbst in
einiges verändert. Aber noch heute kann man beobachten, wie ein den Wörterbüchern nach. Sie werden staunen, wie wenig Wörter
Magyar, wenn es ihn gepackt hat, zum Tanz antritt und „feurig ver- es vom einfachen Herz bis zur Herzverfettung, und wie viel es da-
kündet”, was ihn „im Taumel bewegt”. War es seinerzeit der feuri- gegen vom szív bis szívzörej = Herzgeräusch gibt. Deutsch sind es
ge Csárdás, so sind es heute die heißen Pop-Rhythmen, die den nicht einmal hundert Wörter, ungarisch dagegen fast viermal so
Tänzer vom Stuhl reißen. Und wenn gar der Alkohol die Hirnbrem- viel. Also, mit dem szív und allen Ableitungen ist die ungarische
sen löst, dann kullern dicke Tränen an dem feurigen Kerl herunter, Sprache um vieles reicher. Ob das an größerer Herzlichkeit liegt?
dann fängt er förmlich an zu dampfen - und nun ist unser Ungar Ich will es nicht behaupten. Aber die Sprache erklärt manches.
soweit, daß er an der Brust der Geliebten um die verlorene Mutter Für die freundliche Aufforderung: Sei so gut... verwendet der
oder an der Mutterbrust um die verlorene Geliebte heult, dann Ungar lieber das szíves = herzlich. Also, das von szív abgeleitete
steigert er sich in eine Stimmung hinein, in der er unter Éljen- légy szíves = sei so freundlich, genau übersetzt: herzlich, ist die
Rufen alles in Scherben schmeißen möchte. am aller häufigsten gebrauchte Redewendung, wenn der Ungar
Im Übrigen ist der ungarische Mann als solcher treu und über- jemanden bittet zu kommen, oder wenn er ihn auffordert dahin zu
zeugt davon, daß seine die bessere Ehefrau von allen ist und zwar gehen, woher er gekommen ist.
solange, bis er sich vom Gegenteil überzeugt hat. Haben Sie mit dem Angesprochenen noch keine Brüderschaft
getrunken, heißt es: Legyen szíves! Oder wollen Sie es mit dem
Wörtchen so verstärken: Legyen olyan szíves! Wenn Sie dabei mit
der Hand nach der Tür zeigen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als
so herzlich zu sein und das Weite zu suchen.
Alles was ein Ungar tut, macht er szívesen oder nem szívesen,
- herzlich oder nicht herzlich. Gehen wir tanzen? = Megyünk tán-
colni? Szívesen. Gehen wir arbeiten = Megyünk dolgozni? Nem
szívesen. (Sie können diese Antworten natürlich nach Belieben
umdrehen.)
Sehr verbreitet ist – besonders unter Eheleuten – der Kose-
name szívem = mein Herz (womit nicht das meine gemeint ist)
oder szívecském = mein Herzchen; wem das alles zu lang ist, ab-
gekürzt einfach: szivi, ungefähr wie das Herzi.
In meiner Nachbarschaft höre ich oft durch die dünnen Neubau-
wände, wie der Mann zu seiner Frau sagt: Szívem, mindjárt kapsz
egy pofont! = Mein Herz, du kriegst gleich eine Ohrfeige! So herz-
lich leben die miteinander, daß ich a legszívesebben = am aller-
liebsten gar nicht hinhören möchte.
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Als es einmal sehr laut wurde da drüben, habe ich an der Tür
geklingelt und gesagt: Kérhetek egy szívességet? Szíveskedjék a
szívecskéjét halkabban felpofozni! Genau übersetzt: Darf ich um
eine Herzlichkeit bitten? Wären Sie so herzlich, Ihr Herzchen leiser
zu ohrfeigen?
Ich muß es aufrichtig gestehen: Ezt nem vette szívesen = Das
nahm er nicht herzlich auf.
Nem igen
Sie sollen nicht nur wissen, was auf ungarisch ja = igen und nein
= nem heißt, sondern ein bißchen mehr. Das nem ist einfach, weil
Sie dazu wie beim Berliner Nee den Kopf schütteln können. Das
igen scheint etwas schwerer, erstens weil man nicht mindenre
igent mond = zu allem Ja und Amen sagt (minden = alles, -re =
zu, mond = sie es sagt) und zweitens weil igen nicht nur ja heißt,
sondern auch: sehr, außerordentlich, besonders, überaus, unge-
mein; ja, mit ez davor kann sogar ein ganzer Satz gebildet wer-
den; ez igen = Das lass´ich mir gefallen. Und wer es sich gefallen
lassen muß, der kann auch, wie im Deutschen, ein wohl ans Ja
hängen, und auf kurze Befehle seines Feldwebels zu Haus igenis
(is = auch) jawohl! Sagen. Solche Männer heißen bei uns nur
papucs = Pantoffel ohne Held. (Sie sehen daran, daß in Ungarn ein
Mann, auch ohne Held zu sein, ein Pantoffel sein kann.)
Damit haben wir das igen fast erschöpft. Ich will nur wieder
nachdrücklich auf die Betonung der ersten Silbe hinweisen; denn
wenn Sie sagen igeen, also mit der Betonung auf der zweiten
Silbe, dann haben Sie fast ein völlig anders Wort ausgesprochen,
nämlich igény = Anspruch. Nun, nur der hat also einen Anspruch
darauf, igen hamar = gar bald verstanden zu werden, der igen mit
igény nicht verwechselt. Und nun kommen wir zum nem, das
erstens nein, zweitens nicht und drittens Geschlecht heißen kann.
Nachdem es aber in der ungarischen Sprache bekanntlich die
Geschlechtswörter der, die, das nicht gibt, müssen Sie sich mit
dem dritten nem nicht den Kopf belasten.
Es gibt zwar auch a gyengébb = das schwache und az erôsebb
nem = das starke Geschlecht. Wenn aber bei uns eine Vertre-
terin des schwachen Geschlechts nem sagt, dann seien Sie ge-
wiß, daß es auch so gemeint ist. Selbst wenn Sie zufällig einmal
das nemigen zusammen gesprochen hören sollten, so heißt das
nicht wörtlich: neinja oder vielleicht jein, sondern es heißt genau
übersetzt: nicht sehr, oder kaum. Sollten Sie also mit großer Hoff-
nung im Herzen fragen Látom magát ma este? = Sehe ich Sie
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heute Abend? Und sie antwortet. Nemigen, dann haben Sie kaum Und wenn das kleine, eben Geborene demnächst in der Wiege
Chancen bei ihr. Dann ist es zu empfehlen, sich schnell nach einer schreit, und zufällig ein Mädchen ist, dann nimmt es die Kismama
anderen umzusehen, nach einer, die nemigen mond nemet = kaum mit aller Mutterliebe in den Arm und beruhigt es in ihrer finnisch-
nein sagen wird. ugrischen Muttersprache mit den Worten: „Ne sírjál, kisanyám!“
„Weine nicht, meine kleine Mutter!“ Hier verrät die ungarische
Sprache wirklich ihren ureigensten Inhalt, denn in diesem kleinen
Würmchen steckt heute schon die kismama von morgen und die
nagymama = Großmutter von übermorgen.
Kismama
Die Trolleybusschaffnerin rief laut durch den Wagen: „Kérek egy
helyet a kismamának!“ „Ich bitte um einen Platz für die Klein-
Csókolom und szervusz
mutter“. Und die Fahrgäste wussten sofort, daß da vorne oder hin-
ten eine Frau in guter Hoffnung oder vielleicht schon mit dem
Kindchen auf dem Arm zugestiegen war. Männer und Frauen Nach dem Zweiten Weltkrieg, als schlagartig die alte Gesell-
(selbst die Alten) erhoben sich und boten der Kismama ihre Plätze schaftsordnung abgelöst wurde, versuchte man von oben her den
an. feudalen Gruß „Küss´die Hand“ abzuschaffen und das einfache, in
Ein eigenartiges Attribut der ungarischen Sprache ist nicht nur jeder Sprache gebräuchliche schlichte „Guten Tag“ einzuführen.
dieses Wörtchen kis (klein) für die Mütter, die manchmal über- Aber das konnte sich nicht bewähren. Die Ungarn suchen über den
haupt nicht klein sondern groß und sehr umfangreich sind; eben- „Guten Tag“ hinaus schon in der Begrüßung das Persönliche, die
so komisch klingt das internationale Wort Mama, das die Ungarn engeren, herzlicheren Beziehungen.
sonst kaum gebrauchen oder manchmal nur im Volksmund, wenn Im Wörtchen Servus liegt das vertrauliche Du. Guten Tag, sagt
von einer alten Mutter die Rede ist. Die ungarische Anya = Mutter, nur, wer ganz fremd ist. Und ganz fremd sind sich die Ungarn sel-
die mit so vielen entzückenden, liebenswürdigen, herzlichen ten.
Variationen angeredet wird, wie: Anyu! Anyám! Anyukám! Anyuci! Dem ungarischen Jungen, der von einem deutschen Mädchen
usw. tritt im Zustand des Mutterwerdens oder mit einem Säugling mit „Guten Tag“ begrüßt wurde, nachdem sie sich gestern Nacht
auf dem Arm aus der finnisch-ugrischen Sprachfamilie in die indo- im Haustor geküsst hatten, war es, als bekäme er eine eiskalte
europäische Sprachwelt und wird zur „Kleinmama“, der man re- Dusche auf den heißverliebten Kopf, und er sinnierte, was er wohl
spektvoll Plätze anbietet, Türen öffnet, Kinderwagen in die Fahr- an der innigen Beziehung zu ihr verdorben hatte.
stühle trägt. Alle Kismamas stehen besonders jetzt nach dem neu- Und zum Beispiel das Mädchen aus Leipzig, dem der Budapester
esten ungarischen Baby-Boom in noch höherem Ansehen, denn es Ingenieur zum erstenmal „Küss´die Hand“ sagte, kicherte und
muß etwas getan werden für einen intensiveren ungarischen wollte nie wieder etwas mit diesem „Spinner“ von gestern zu tun
Familienzuwachs. Die ungarische Nation soll leben! Das Volk greift haben.
ihnen unter die Arme und der Staat in die Tasche, um zu helfen, Mit csókolom also haben Sie zunächst einmal, sprachlich jeden-
daß es allen Kismamas besser gehe. Neben vielen Vergünstig- falls, eine klare Situation geschaffen. Jetzt ist die Frage - bei uns
ungen und Erleichterungen für die Berufstätigen gibt es höhere keine unbedeutende – was Sie küssen wollen, die Wange, die
Summen bei jeder Geburt, progressive höhere Kinderzulagen nach Hände oder den Mund. Bitte lachen Sie nicht. Der Ungar (oder die
ein, zwei, drei und mehreren Kindern. Es finden auch im Fernse- Ungarin) meint es mit allen dreien ernst. Den Wangen- oder
hen Modeschauen für die Kismamas und ihre Umstandskleider statt. Bruderkuß kennen Sie (er ist oft auch unter Männern, auch unter
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Und der andere Berg daneben, der mitten aus der Stadt her-
auswächst? Der Gellért-Berg? Ist er nicht so, wie er dort steht, mit
den dicken Mauern der alten Zitadelle auf der Spitze, den Blumen-
hainen, den sich durch dichtes Strauchwerk windenden Wegen, ist
er nicht der ideale Platz für alle Verliebten? Die Julischka
Doch wer keine Höhen erklimmen will um ein paar Küsse, dem
bietet die Stadt unten ebenso viel heimliche Plätze in den jetzt
blühenden Rosengärten auf der Margareteninsel, auf den Stufen aus Budapest
und Promenaden am kilometerlangen Donaukai oder unter dich-
tem Baumwerk im Stadtwäldchen und den anderen Parks.
Doch die neue Romantik, so scheint es, liegt weniger in ster- Ein weltbekannter Schlager hieß einmal: Die Julischka, die Julisch-
nenklarer, mondbeschienener, von Blütenduft erfüllter, kühler ka, aus Buda-Buda-Pest...
Nacht, sondern vielmehr auf heißem Asphalt in greller Sonnenflut Es geht darum, daß die Juliska und der Jancsi (Kosename von
mitten in der benzin- und rauchgeschwängerten Luft des Groß- János) und alle anderen der rund 10 Millionen Ungarn, wohin sie
stadtverkehrs. auch gehen in der Welt, eigentlich immer aus Budapest kommen.
Ich glaube, ich bin dem Geheimnis dieser neuen Romantik auf Ich habe wirklich noch kaum gehört, daß zum Beispiel jemand
der richtigen Spur. Kürzlich sprach ich mit einem Mädchen sehr geantwortet hätte: Ich bin aus Balassagyarmat oder Törökszent-
offen darüber. Sie sagte: „Warum muß man seine Gefühle vor der miklós, zwei ebenso schön klingende Städtenamen, von denen es
Umwelt verbergen, und übrigens, da oben in den dunklen Nischen doch so zahlreiche gibt: 79 Städte und 3.135 Gemeinden! Neben
der Fischerbastei, da müßte man sich ja zwischendurch irgendwas der Zweimillionenstadt Budapest wohnen in Miskolc um 200.000,
sagen. Und da fällt uns nie was Gescheites ein.” in Debrecen ungefähr 160.000 oder in Pécs - um nur die drei größ-
So wird mir der heiße Kuß unter der Verkehrsampel verständ- ten Städte nach Budapest zu nennen - rund 150.000 Menschen.
lich; denn dabei ist jedes Wort überflüssig. Das Wort hat da immer Wenn die Juliska oder Piroska auch aus Hódmezôvásárhely-
nur der Zuschauer. kutasipuszta stammt, als Gast im Ausland danach gefragt, woher
sie kommt, wird sie gewiß antworten: aus Budapest. Man denke
aber nicht, daß so etwas aus Angabe oder Großtuerei getan wird,
sondern eher, weil ein Fremder ungarische Städtenamen kaum
aussprechen kann, vorausgesetzt er weiß, daß es außer Budapest
überhaupt noch so viele Städte in Ungarn gibt. Die Hauptstadt ist
ein allgemeiner Begriff in der Welt. Wenigstens weiß man doch
soviel, daß es eine schöne Stadt an der schönen blauen Donau ist.
Abgesehen davon hat die Juliska gewiß Beziehungen zur Haupt-
stadt; denn irgendein Verwandter ihrer Familie lebt oder arbeitet
ganz bestimmt hier. Das ist auch der Grund, warum die Buda-
pester selbst in den allerschwersten Zeiten ihrer Geschichte kaum
am Hungertuch genagt haben. Tante Juliska oder Onkel János aus
der Kleinstadt oder dem Dorf schickten oder brachten persönlich
Eier, Wurst und Speck, Schinken und Hühner, Enten und Gänse.
Und selbst heute, wo das doch überhaupt nicht mehr notwendig
ist, in Anbetracht der von Lebensmitteln überquellenden Märkte
und Geschäfte, selbst heute kann man beobachten, wie zum Bei-
spiel am Ostbahnhof Menschen vom Lande aussteigen, denen das
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Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern... Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern...
Geflügel aus dem Gepäck gackert oder die schwer an Körben und
Taschen schleppen, in denen halbe Schweine verarbeitet sind. Sie
glauben das nicht? Stellen Sie sich einmal am Freitagabend, wenn
das Wochenende beginnt, auf den Bahnsteig und fragen den, der
da mit einem Rucksack und zwei schweren Taschen kommt, nach
dem Inhalt.
Légy...
Meine Schwiegermutter, zum Beispiel, bringt jedesmal, wenn
sie aus Mezôkövesd (Nordungarn) zu uns zu Besuch kommt, eine
Da stand ein verliebter junger Ungar – man kann jemandem so
Tasche voll Eier, eine andere voll Hühner, eine dritte voll Wurst und
etwas an der Nasenspitze ansehen – am Geländer der Terrasse des
Speck. Und immer sind hilfsbereite Mitreisende da, die ihr beim
Budapester Flughafens, winkte einem Mädchen zu, das eben im
Aussteigen und Tragen helfen. Und auf alle meine Einwendungen,
Begriff war, sich mit einer Interflug-Maschine von ihm und der
daß sie sich damit nicht abschleppen solle, weil man doch auch
ungarischen Erde abzusetzen, und rief ihr laut übers Rollfeld hin-
alles hier bekommt, gibt es immer die gleiche Antwort: „Das ist
terher: Légy jó!
alles viel besser!”
Nehmen wir an, das Mädchen hat das nicht verstanden – es
Aber als man sie auf unserer letzten Auslandsreise danach frag-
kommt vor, daß Liebende sich verstehen ohne sich zu verstehen –
te, woher sie denn komme, antwortete auch sie, als wäre es das
dann wird sie vielleicht doch, während das Flugzeug noch über
Selbstverständlichste der Welt: aus Budapest.
Budapest kreiste, in einem Taschenwörterbuch nachgelesen ha-
ben, was er als letztes Wort gerufen hat. Im kleinen Langenscheidt
wird das Mädchen als erstes unter légy (bitte nicht wie legi aus-
sprechen, sonst hat es was mit Luft zu tun): Fliege finden. Jó ist
gut, sie hat das schon öfter gehört: so hieße denn: légy jó = Fliege
gut! Sie hätte gedacht, daß ein verliebter Ungar beim Abschied zu
mehr oder Schönerem fähig ist, zu so etwas wie z.B. szeretlek
édes! Ich liebe Dich, Süße! Oder: gondolj rám! Denke an mich!
Oder: ne csalj meg! Betrüge mich nicht!
Aber falsch gedacht. Er hat ihr mit Légy jó! etwas sehr Schönes
nachgerufen: Sei gut! Légy jó mindhalálig = Sei gut bis zum Tod!
Lautet der ungarische Titel des schönen Jugendromans „Mischi
und das Kollegium“ von Zsigmond Móricz.
Das zweite légy im Wörterbuch hatte sie übersehen. Dahinter
steht: imp. zu lenni. Das heißt: Imperativ oder die Befehlsform zu
sein; also: Sei gut! So drückt sich der Ungar aus, wenn er nicht
der Fliege = a légynek, sondern az embernek = dem Menschen,
der ihm am Herzen liegt, etwas mit auf den Weg geben will. So
könnte man Légy jó! auch sinngemäß mit: Bleib mir gut! überset-
zen oder meinetwegen: daß mir nichts Schlechtes über Dich zu
Ohren kommt. Sei gut zu mir! Zu Vater und Mutter! Zu Tanten und
Onkeln! Aber nicht zu anderen Kerlen!
Jetzt wissen Sie, liebes unbekanntes Mädchen in dem Flugzeug,
was Sie Ihrem lieben Budapester Jungen schuldig sind, und vor
allem, was Sie ihm, wenn er einmal nach Berlin kommt, in Schönefeld
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Die Julischka aus Budapest - Von Frauen und Männern...
beim Abflug zurufen können. Wenn Sie das dritte Wort mindhalálig
(mind = immer, halálig = Tod, -ig =bis) noch dazulernen, wird das
einen gewaltigen Eindruck auf ihn machen; vielleicht so sehr, daß
er Ihnen vom Fleck weg sagen wird: Légy az enyém! Sei mein!
Nun wissen Sie schon, daß das nichts mehr mit einer Fliege
oder dem fliegen zu tun hat. Nun wissen Sie es. Handeln Sie da-
nach!
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IV
Gulyásparty
Von Essen, Trinken (bißchen)
und Festen
Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen
Hühnenbrust und
Zimmerfrau
Schon des öfteren habe ich mich über den deutschen Sprach-
gebrauch in Ungarn mokiert und ich beginne – ehe ich es bei ande-
ren tue – erst einmal bei mir selbst. Auch mir passiert es häufig,
daß ich deutsche Zungenwurst aus der ungarischen Salami mache
oder umgekehrt. Daß es auf den deutsch geschriebenen Speise-
karten ungarischer Restaurants von lustigen Fehlern oft nur so
wimmelt, das werden unsere deutschsprachgien Gäste oder Ur-
lauber gewiß schon selbst gemerkt und sich darüber amüsiert
haben; wenn nämlich statt gebackener Hühnerbrust gebackene
Hühnenbrust auf betyárer Art angeboten wird oder eine wilde
Rehstelze statt einer Rehkeule auf Wildbretart, oder Gänseleben in
eigenem Schmalz statt Gänseleber in Gänseschmalz, oder ein
Rückenschwein mit Bohnengrün statt Schweinerücken mit grünen
Bohnen.
Heute aber, da ausländische Touristen en masse das Land besu-
chen, findet man gelegentlich auch an öffentlichen Stellen schon
Hinweisschilder in deutscher Sprache. Es hat mich so manches Mal
gewundert, daß in Geschäften, wo deutsch gesprochen wird,
neben dem „English spoken“ stets die Formulierung „Man spricht
Deutsch“ zu finden ist.
Warum nicht: Hier wird deutsch gesprochen? Um das zu ver-
stehen, muß man von der ungarischen Grammatik wissen, daß es
hier das Passiv „wird gesprochen“ nicht gibt. Zwar kennt man auch
das „man“ nicht, aber ein Ungarn kann sich eher noch vorstellen,
daß man spricht, als das gesprochen wird. Im Ungarischen wird
nicht gearbeitet, sondern ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie arbeiten,
also der einzelne Mensch arbeitet (wenn er muß oder will), aber
immer nur im Aktiv, nie im Passiv.
Das trifft natürlich auch auf das Erlernen der deutschen Sprache
zu. Jeder (der muß oder will), bemüht sich, gut Deutsch zu lernen
und das Gelernte auch möglichst sinnvoll anzuwenden. Doch wenn
ein Ungar nicht genügend Deutsch gelernt hat, kann man so nette
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zu singen, und dann noch eins, wobei sie mit immer schnelleren
Bewegungen alle Muskeln spielen ließ, die Finger schnalzten den
Takt, bis ihr Geschmeide zu bimmeln und zu klimpern begann. Auf
diese Weise sang sie sich in eine Ekstase, die aber niemanden so
richtig mitriß.
An meinem Tisch saß ein hübsch gekleidetes, rotblondes Mäd-
Stampedli
chen und sagte ohne zu applaudieren verächtlich: „Alles unecht.“
„Nun gut“, antwortete ich, „der Schmuck und die Wimpern,
aber die Zigeunerin vielleicht doch nicht“. Jetzt habe ich doch einmal unseren bekannten Germanisten und
„Doch, die auch, sagte sie mit Bestimmtheit, „so kleidet und Wörterbuchautoren, Elôd Halász, bei einer kleinen Ungenauigkeit
schmückt sich keine und so singt sie auch nicht.“ erwischt. „Was ist ein stampedli?“ fragte mich ein deutscher Gast,
„Woher wissen Sie das?“ wollte ich wissen. der von seinem ungarischen Gastgeber aufgefordert wurde: „Trin-
„Weil ich selbst eine bin“, sagte sie bescheiden und fügte leise ken Sie einen stampedli mit mir!“ Vorsichtig lehnte er ab, da er auf
hinzu: „Ich erlerne die Goldschmiedekunst.“ seine Frage, was denn ein stampedli sei, die Antwort erhalten
Dieses Zigeunermädchen auf dem Faschingsball kann längst hatte: „Ein stampedli ist eine Stampfe.“
Echtes von Unechtem unterscheiden. Ich glaube, es ist an der Zeit, Nun, ich kann mir lebhaft vorstellen, wie dem Mann die Stampfe
daß es auch die Zigeunerliedersängerin lernt. Und so nebenbei ge- oder Ramme, mit der Pflastersteine oder Stahlträger in den Boden
sagt, auch diejenigen, die ähnliche Programme oft für In- und Aus- getrieben werden, durch Kopf und Magen gegangen ist. Den Un-
länder veranstalten. garn ist ja mit ihren scharf gewürzten Speisen und Getränken so
manches zuzutrauen.
„Stampedli“, beruhigte ich ihn, „ist nach der Größenordnung
das kleinste Gläschen Schnaps und hat nichts mit dem Stoßgerät
oder einer Stampfe gemein.“ „Aber“, sagte er mit Bestimmtheit
„so steht es im großen ungarisch-deutschen Wörterbuch, im Ha-
lász!“
Ich habe tatsächlich nachgelesen, so steht´s da: „stampedli =
Stampfe“.
Wie ist das zu erklären? Der hervorragende Wörterbuchredak-
teur geht ganz sicher richtig von dem österreichisch-bayerischen
Stamperl aus, dem Wein- oder Schnapsglas ohne Stiel, das in der
Umgangssprache als Diminutivform zum Stampfer gebraucht wird.
Aber wohl gemerkt, Stampfer und Stampfe sind zweierlei. Wer
mehrere Stampfer getrunken hat, kann wie ein Schiff bei hohem
Seegang in Längsrichtung auf und nieder nach Hause stampfen.
Aber weder die Stampfe noch die norddeutsche Hauddramme,
noch der Stößel eignen sich als Trinkbehälter. Hier ist eigentlich
nur das r am Ende zuviel. Aber lassen wir dem Druckteufelchen
seine Freude.
Das bayerisch-österreichische Stamperl verändert im Unga-
rischen nur seine Endung –erl in –edli, wie zum Beispiel die öster-
reichischen Nockerln, die Mehl- oder Grießklößchen, hier nokedli
genannt werden.
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gleichen sich. So können Sie sich also, damit´s leichter wird, aus dem Süden? Zwar überfüllten die Gänse das ihnen vorge-
zuerst das tar merken. Aber vergessen Sie nicht das –honya hin- schrieben Plansoll von 130.000 Eiern und legten 212.000, von de-
ten dran, sonst heißt das Wort kahl. Und bei aller Vielseitigkeit und nen aber nur 23.000 befruchtet waren. Das Unternehmen mußte
Raffinesse ungarischer Speisen gibt es dennoch keine tarleves, einen Verlust von mehr als vier Millionen Forint verbuchen. Die Ge-
also keine kahle Suppe. Nein, die gibt’s nie! nossenschaftsmitglieder beschlossen, den Verlust bei der Univer-
sität für Agrarwissenschaft einzuklagen. Und der Prozeß scheint
für die Gänse aus Italien schlecht auszugehen. Die ungarischen
Gänse dieser Gegend aber schnattern lauter denn je, heben die
Köpfe noch höher und machen die Schnäbel noch weiter auf: Denn
Italienische oder es zeigt sich wieder einmal, wohin man mit der Vorliebe für manch
Fremdes gekommen ist. Was die Italiener können, das können wir
Ungarn schon lange! Wenn nicht vielleicht sogar viel besser.
ungarische Gänse?
Wahrscheinlich hat schon mancher von Ihnen während seiner
Reise durch Ungarn irgendwo am Dorfteich Gänse in größeren
Lúdláb, lúdtalp
Scharen beobachtet, die von weitem gesehen, fast den Eindruck
einer verschneiten Winterlandschaft im Sommer machen. Wie sie
dann bei Sonnenuntergang nach Sippe und Zusammengehörigkeit Da haben wir schon wieder ein komisches Wort, das zu
anstehen und in Reih und Glied nach Hause watscheln, sich an Verwechslungen führen kann, denn einmal ist lúdláb ein Gänsefuß,
Wegkreuzungen in mehrere Gruppen trennen und immer den rich- ein anderes Mal ein Tortenstück, nicht etwa von den vorzüglichen
tigen Weg finden. Alle sind sichtbar mit verschiedenen Farben ungarischen Zuckerbäckern so benannt, als ob lúdláb nach einem
gekennzeichnet und erkennbar gemacht. Die Gänse wissen auch Gänsefuß schmecke, sondern eher deshalb, weil diese Schokola-
ohnedem, zu wem sie gehören. Das Wort von der „dummen Gans“ denkremtorte so aussieht wie ein gespreizter Gänsefuß.
besteht zu Unrecht. Da fragte kürzlich ein Gast und Freund unserer Sprache, der
Die ungarische Gans im Ganzen, oder nur ihre Gänseleber und diesen wohlschmeckenden lúdláb schon einmal gekostet hatte,
die weichen Federn bringen uns harte Valuten. Darum haben sich den Geschmack noch halb im Gaumen, das Wort noch halb im Ohr,
zwei reiche Genossenschaften dazu entschlossen, gemeinsam eine in der gleichen Konditorei den Ober: Van lúdtalp? = Haben Sie
Gänsezuchtstation einzurichten. Man brachte über 50 Millionen einen Plattfuß? Der Ober, erschrocken über diese indiskrete Frage,
Forint zusammen für die Anlagen und für den Ankauf der Zucht- antwortete mit Humor: Ja, den habe ich, kann ihn aber nicht ser-
gänse, die nach dem Plan einer Expertengruppe so bald wie mög- vieren, doch einen ludláb, den bringe ich sofort.
lich 130.000 Bruteier legen sollten. Die Universität für Agrarwissen- Láb ist also der Fuß oder das Bein, und talp ist die Fußsohle,
schaft empfahl einen Zuchtgänserich aus Italien, der sein Können wobei aber auch talp manchmal im Sinne von Bein verwendet
schon mehrfach unter Beweis gestellt hatte und dessen Potenz der wird. Das berühmte Nationallied des Dichters Sándor Petöfi, das er
des ungarischen Gunars (so heißt die ungarische Gans männlichen zu Beginn der Revolution 1848/49 schrieb, beginnt mit den Wor-
Geschlechts) weit überlegen zu sein schien. Doch die Italiener be- ten: Talpra magyar! Es wäre schlecht übersetzt mit dem Satz: Auf
kamen in ihrer neuen ungarischen Umgebung plötzlich Minder- die Beine, Ungar! Auf die Sohlen ... hört sich noch schlechter an,
wertigkeitskomplexe. also muß es heißen: „Auf, Magyaren!“
Oder beeinträchtigten andere Einflüsse, deren Ursachen noch Daß die Gans ungarisch lúd heißt, wissen Sie nun. Aber wenn
geprüft werden müssen, die Fortpflanzung des weißen Federviehs Sie jemanden eine dumme Gans nennen wollen, müssen Sie buta
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liba sagen. Eine buta lúd gibt es nicht. Sie sehen, der Ungar hat
zwei Namen für seine Gänse. Nur der liba wird die Eigenschaft
dumm zugeschrieben, der lúd aber die Eigenschaft ludas = der
Schuldige.
Nunmehr können Sie also nicht nur eine ungarische Torte be-
stellen oder jemanden eine dumme Gans nennen, sondern sogar
Gulyás-party
einen ganzen Fragesatz stellen: Ki a ludas? = Wer ist der Schul-
dige? Und Sie werden darauf viel lustige Antworten finden in unse-
Sie finden diese Überschrift in vielen Programmen des ungarischen
rem Witzblatt Lúdas Matyi = Der Gänsehirt. Und wenn Sie das
Fremdenverkehrs. Und mit ein wenig Phantasie lässt sich vorstel-
nächste Mal bei uns sind, können Sie einmal darin blättern, währ-
len, was Sie auf einer Gulyás-party (oder auch wie man deutsch
end Sie einen lúdláb mit Schlagsahne verzehren.
sagt: Gulasch-Party) erwartet. An erster Stelle natürlich Gulasch.
Doch weniger phantasiebegabte Teilnehmer möchte ich auf einiges
aufmerksam machen: Die mit viel Paprika gewürzte Gulyássuppe
wird meist in tiefen irdenen Tellern serviert und oft mit Tonlöffeln
gegessen, die eher kleinen Suppenkellen ähneln, weil man sich
damit weniger den Mund verbrennen kann; denn eine Gulyás-
suppe muß heiß sein, wie das Temperament aller auf einer Gulyás-
party.
Da spielen Ihnen, während Sie die Suppe schlürfen, das Rind-
oder Schweinefleisch zerkauen, die Zigeuner in bestickten papri-
karoten Westen scharfe Sachen vor, zur Steigerung der Gulyás-
suppen-Partystimmung. Sicher werden dabei Lieder zu hören sein,
wie: „...beteg vagyok, fáj a szívem...“ = ich bin krank, mein Herz
tut weh... und ähnliches. Wenn Sie dazu klatschen – Zigeuner-
geiger sind das vom ungarischen Publikum nicht gewöhnt und
spielen zum Essen immer ohne Applaus, dann wird der Primasch
seiner Kapelle einen Wink geben und sofort mit „Wien, Wien, nur
du allein“ fortsetzen.
Und erst, wenn Sie noch während des Essens oder später beim
Trinken deutlich zu erkennen geben, daß Sie nicht aus Wien, son-
dern nehmen wir an, aus Hamburg sind, dann spielen die Zigeuner
sofort mit allergrößtem Eifer „In München steht ein Hofbräuhaus“
und singen vielleicht auch dazu, wobei sie München wie Münken
aussprechen werden, weil für den Ungarn das ch ebenso schwer
ist, wie die Artikel der, die, das.
Haben Sie also schon so viel Gulyássuppe und Wein in sich, daß
Sie den Mut aufbringen, dem Ober mitzuteilen, er möchte doch
den Zigeunern sagen, daß Sie nicht aus München sind, dann müs-
sen Sie nicht staunen, wenn der Ober antwortet: „Sehr wohl! Ich
werde das Primasch sagen, der Kapelle soll die Lied aus Hamburg
spielen“ - und Sie können gewiß sein, die Zigeuner auf einer Gulyás-
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Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen
party spielen für Sie das Lied von der Reeperbahn. Sie können
alles, von „Untern Linden, untern Linden“, das sich auch als „Váci
utca, Váci utca“ singen lässt, bis zum neuesten Weltschlager.
Am besten aber, Sie sagen gar nichts und lassen die Zigeuner
spielen, was sie wollen. Dann werden sie Ihnen ganz bestimmt
„die Lerche“ von Dinicu vorzwitschern und dabei auch dem Zym-
Macht nichts!
balspieler, dem Flötisten und dem Bratschisten ein Solo überlas-
sen, denn ein selbstbewusster Primasch weist mit dem Bogen auch
auf das Selbstbewusstsein seiner Mitspieler hin. Jedermann weiß, wie schwer es ist, sich in erregtem Zustand in
Wem alles so gut gefallen hat, daß er noch einmal eine Gulyás- einer fremden Sprache ausdrücken zu müssen. Selten fallen in sol-
party mitmachen möchte, dem ist zu raten, dem Primasch die chen Augenblicken die passenden Worte ein, und da der Mensch
Hand zu drücken mit einer Kleinigkeit dazwischen. Sie können es im Allgemeinen, und der Ungar im Besonderen, in solchen Hoch-
auch auffällig machen, indem Sie einen Geldschein auf die Spitze spannungsmomenten nicht in fremden Worten, sonder lieber in
seines Fiedelbogens spießen. Danach wird er Ihnen Ihr Lieblings- der eigenen Muttersprache die treffenden und passenden Aus-
lied noch einmal vorspielen, und Sie dabei bis zum Ausgang drücke sucht, um den überflüssigen Dampf abzulassen, mag sich
begleiten. der Leser folgende Geschichte vorstellen:
Nun habe ich ganz vergessen zu sagen, daß bei einer Gulyás- Meine Frau Panni hatte für einen deutschen Gast den Tisch mit
party noch viele hübsche ungarische Mädchen in bunten Volks- der prachtvollen, in allen Farben eines ungarischen Bauerngartens
trachten tanzen und singen und meist sehr lustig sind, auch wenn leuchtenden Tischdecke von zu Haus, aus Mezôkövesd, gedeckt
sie am Tage Ärger gehabt haben. Vielleicht bietet sich sogar die (bekannt für die berühmten Matyó-Stickereien). Auf dem Küchen-
Möglichkeit, mit einem dieser niedlichen, reizenden, immer lachen- herd stand die Halászlé = Fischersuppe brodelnd auf kleiner
den Mädchen ins Gespräch zu kommen, dann erfahren Sie etwas Flamme. Jedem Fremden wird sie mit ein paar passenden Worten
vom Ernst des Lebens hinter der Gulyássuppe. angekündigt, weil sie Geruchs- und Geschmackssinne in außeror-
dentliche Stimmung versetzt, dabei durch ihre dunkelrote Farbe
auch das Auge reizt und ein schier unerschöpfliches Gesprächs-
thema ist über Herkunft, Zubereitung und Zutaten. Eine Fischer-
suppe wird meist in einem kleinen, an einem Ständer aufgehäng-
ten Kochkessel (bogrács) serviert. Und als meine Frau mit niedlich
ungarischem Akzent in der gelernten deutschen Sprache auffor-
derte: „Bittä sär, bädienen Sie sich“ – da geschah es, als der Gast
die Suppe aus dem schwankenden Kessel löffeln wollte, daß sie
überschwappte, und auf dem schneeweißen Leinentuch am Rande
eines bunten Blumenmusters einen großen roten Klecks hinterließ,
der in Form einer roten Kussrose (Kussrose ist ein typisches Stiel-
element in der Matyó-Stickerei) gar nicht schlecht wirkte. Aber
eine Hausfrau im Allgemeinen und meine im besonderen sieht ein-
en roten Fleck anders, und sie sagte etwas in ihrer Muttersprache,
wofür ich ihr noch heute dankbar bin, daß sie nicht versuchte, es
übersetzen zu wollen. Es wäre ja auch für unseren Gast schwer zu
verstehen gewesen. So entstand die bekannte peinliche Situation,
wenn der Schuldige Entschuldigungen stammelt, und der Be-
troffene die im Deutschen dafür übliche Redewendung gebraucht:
„Macht nichts!“
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So leicht verständlich für Sie aber der must ist, so schwer ver-
ständlich wird Ihnen das Wort murci erscheinen. Uns auch. Und
solange sich die Sprachwissenschaftler darüber streiten, ob wir es
aus den slawischen oder anderen Sprachen übernommen haben,
können Sie den murci mal probieren. Es ist der Rauscher oder
Sauser, also der must, in dem der Gärungsprozeß schon begonnen
Kirschschnaps
hat. Aber geben Sie acht! Ein Rausch von diesem Rauscher ist
nicht von schlechten Eltern. Besonders wenn Sie aus dem Keller an
die frische Luft kommen, macht er sich plötzlich bemerkbar. Die Internationale Budapester Herbstmesse ist wieder in vollem
Sollten Sie dann überhaupt noch etwas Gescheites zusammen- Gange - ich meine sie ist voll bis zum Rand mit Neuheiten aller Art
bringen, denken Sie an das Wort jó = gut, und konjugieren einfach und Neugierigen, die nach dem Rundgang voll sind, von Kostpro-
den murci in der ersten Person Mehrzahl der Vergangenheit: Jót ben aller Art.
murciztunk, das heißt wortwörtlich: wir haben gut gemurcit, oder „Ja, ja der Wein ist gut...” - und die Gänseleber und die Salami
meinetwegen: gerauscht oder gesaust; mit einem Wort: wir haben und das neueste vorgekochte Schnellgericht für Junggesellen oder
uns einen Rausch angetruken. Halt! Nein, das sind ja sechs Kochmuffel. Auch der Technik neuester Stand kann nicht so umla-
Wörter! Nur im Ungarischen ist es eins: becsíptünk. gert sein, wie der alte Wein am Kostprobenstand.
Was braucht der Mensch zum Leben? Eine vollautomatische
Waschmaschine? Den ferngesteuerten Fernseher? Die allerneueste
Bohrmaschine? Ein billiges und zugleich sicheres Auto? Aufblas-
bare Möbelstücke? Oder einen neuen Hut? Was nützt der letzte
Schrei der Mode und der Technik, wenn der neueste Eisschrank mit
aufgesetzter Tiefkühltruhe leer steht? Der leere Teil für Flaschen,
ist schließlich für volle gedacht.
Also, wo gibts den alten Schnaps oder Wein?
Eben gerade jetzt hat ein Mann, zwischen 90 und 100 Jahre alt,
im Fernsehen nach dem Geheimnis seines Alters in Gesundheit
befragt, die Antwort gegeben: „Der Schnaps, mein Herr! Der
Schnaps! Jeden Morgen ein halbes Dezi, das bringt den Magen und
den ganzen Tag in Ordnung!”
„Wo gibts den berühmten barack, den Aprikosenschnaps der
Magyaren?” fragte ich einen Herrn vor einem dieser Riesenfässer,
in denen Weinkostproben verkauft werden. Er nahm vertrauens-
voll meine Hand und führte mich in einen Pavillon für neueste
Haushaltsgeräte hinter eine der Kojen, wo auf bequemen Sesseln
die Geschäfte abgeschlossen werden.
Aus dem Wandschrank nahm er eine Flasche Kirschschnaps und
zwei Gläser mit den Worten: „Immer dieses Vorurteil mit dem
Barack! Wissen Sie denn nicht, daß der Kirsch besser schmeckt
und gesünder ist?”
Er goß ein und prostete mir zu.
„Wirklich, ich habe ihn eigentlich noch nie so richtig gekostet”,
sagte ich, „ausgezeichnet im Aroma.”
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„Das freut mich”, sagte mein Gastgeber und goß wieder ein,
„ich sage immer, man soll auch mal die andere Marke versuchen.
Sehen Sie, das hier zum Beispiel ist unser neuestes Fernsehgerät
Venus gegen den alten Jupiter.”
Der Tisch lag mit Prospekten voll und ringsum stand die Venus
in strahlender Pracht.
Gänseleben, Gänseleber
„Sehen Sie, alles schwört auf Jupiter, aber ich sage Ihnen, Ve-
nus ist besser, schöner und preiswerter.” Er goß noch einmal ein.
Und ich dachte, während ich trank, ich werde von nun an nur noch „Fuchs, du hast die Gans gestohlen...” - das singen ungarische
diesen Kirschschnaps trinken. Kinder nicht, obwohl hier - wie überall - ungarische Füchse unga-
„Nun”, fragte mein Gastgeber, „wie gefällt Ihnen die Venus?” rischen Gänsen auflauern und sie klauen, wo es ihnen gelingt.
Ich sagte: „Gut, aber ich habe schon einen Jupiter.” Doch ich behaupte, daß im Verhältnis zu anderen Ländern bei
„Ach was”, sagte der freundliche Mann, „trennen Sie sich vom uns weniger Gänse von Füchsen gestohlen werden. Meine An-
Jupiter und...”, er goß noch einen Schnaps ein und danach noch nahme liegt vorläufig jedoch nur in einer Umfrage begründet, wie-
einen. Lächelnd reichte ich ihm die Hand, nachdem der Kauf- viele Gänse hier und dort, bei kleinen und großen, genossen-
vertrag unterschrieben war, verabschiedete mich und ging. Sagte schaftlichen, staatlichen und privaten Gänsezüchtern von Füchsen
ich nicht, die Messe sei in vollem Gang. Als ich sie dann etwas gestohlen worden sind. Gänse sind bei uns überall gut behütet,
wankend verließ, fiel mir wieder ein, was der Mensch zum Leben oder werden im „Prozeß der Stopfung” gar nicht erst aus ihren
braucht: Kirschschnaps. sicheren Bestallungen gelassen. Dieses Stopfen, eins so ausge-
führt, indem mit der einen Hand der Schnabel gespreizt, mit der
anderen nacheinander die Maiskörner in den Schlund gesteckt
wurden, vollbringt heute in modernen Zuchthäusern die Stopf-
maschine. Müheloser für den Menschen und „gefahrloser” für die
Gänse.
Nun, aufrichtig gesagt, als Tierfreund gefallen mir beide Metho-
den nicht. Noch weniger natürlich die, einer Gans soviel Freiheit zu
lassen, daß sie schließlich vom Fuchs geholt und aufgefressen
wird. Nein! Dann sehe ich die Gänsebrust lieber in meinem Bauch.
Und selbst, wenn ich Vegetarier wäre, ließe ich Gänse nicht in alle
Ewigkeit leben. Erstens, weil sie sich sehr schnell vermehren, und
es bei uns soviel Füchse heute gar nicht mehr gibt, die sich den
Überschuß holen würden. Und zweitens, weil auf die nicht unwich-
tige Frage des Exports von Gänsebrüsten, Gänselebern und noch
ganz gelassenen Gänsen die klipp und klare Antwort gegeben wer-
den muß: Es lebe die ungarische Gans und ihre Gänseleber!
Eigentlich stimmt dieser Satz nicht. Auch wenn er sich reklame-
mäßig für unseren Außenhandel gut anhört. Man müßte eher sa-
gen: Es lebe die tote Gans und ihre tote, krankhaft aufgedunsene
Gänseleber!
Ich sehe ein, daß sich mit einem solchen Reklametext sehr
schwer etwas verkaufen ließe. Also soll, wer immer auf der Welt
von einer im fetten Gänseschmalz steckenden, dicken, großen
Gänseleber ein Scheibchen abschneidet, es in den Mund steckt und
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Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen
auf der Zunge wie Butter zergehen läßt, aus dem Kopf zumindest
die Gedanken verscheuchen, wie eine so kleine Gans zu einer so
großen Leber kam. Denn, ganz unter uns gesagt, meine ich, daß
die dickste, schönste, größte, schwerste ungarische Gänseleber
eine kranke, für das Viech jedenfalls eine bösartige, schlechte
Leber ist. Sicher sagt man daher auch bei uns allgemein zu jeman-
Langer Schritt
dem, der sehr bösartig ist: rosszmájú vagy. = Du hast eine
schlechte Leber... und Hausmeister
Es ist allgemein bekannt, daß die Ungarn nicht nur einen guten
Wein anbauen, sondern ihn auch trinken. Sie rangieren übrigens in
punkto Alkoholverbrauch unter den ersten zehn Ländern der Welt.
Das kann man sowohl positiv als auch negativ bewerten. Ich für
meinen Teil glaube: Wenn das Trinken in gewissen Grenzen bleibt,
ist es ein gutes Zeichen. Mir persönlich sind Menschen lieber, die
Wein trinken anstatt Limonade. Nein, die Ungarn sind keine Alko-
holmuffel. Sie lieben das Leben, mit allem, was dazugehört. Zum
Beispiel den Wein und all die schönen Sachen, die man damit
anfangen kann.
Von Goethe stammen jene bekannten Verse, die er flugs den
„Herren am Tische” schrieb, als diese sich darüber mokierten, daß
er Wein mit Wasser mischte.
Die Ungarn mischen verschiedene Mengen von Wein und Was-
ser. Da gibt es beispielsweise den „kisfröccs”, den kleinen Ge-
spritzten, bestehend aus einem Dezi Wein und einem Dezi Soda-
wasser, dann den „nagyfröccs”, den großen Gespritzten, mit zwei
Teilen Wein und einem Teil Wasser. Symbolische Namen tragen der
„Lange Schritt” und der „Hausmeister”. Während man den ersten,
den „hosszú lépés”, mit einem Dezi Wein und zwei Dezi Wasser
trinkt, gebühren dem „házmester” drei Dezi Wein und zwei Dezi
Wasser. Ihn trinkt in erster Linie natürlich derjenige, dem zu Ehren
diese Mischung benannt wurde - der Hausmeister. Er genießt heut-
zutage in städtischen Lokalitäten etwa noch das gleiche Ansehen
wie seinerzeit der „csikós”, der Pferdehirt in den Pusztaschenken.
Er stand höher im Kurs als der Schafhirt oder gar der Schweine-
hirt. Und ein ungarischer Hausmeister ist nicht zu vergleichen mit
einem österreichischen Hausmeister oder einem deutschen Portier,
sondern er ist eben ein echt ungarischer Hausmeister, dem unter
Umständen noch ein Vizehausmeister zur Seite steht. Und ein sol-
cher Vize trinkt keinesfalls auch einen „házmester”, sondern bes-
tenfalls einen „Langen Schritt”.
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Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen
Denn was ist der Beschwerde tiefster Sinn? Daß der, der sich
beschwert, sein Recht haben soll, wo er recht hat. Das ist durch
das Beschwerdebuch vollends gesichert.
Das Beschwerdebuch Ein ausländischer Gast beschwerte sich kürzlich darüber, daß
eine Delegation zum Frauenkongreß sein Zimmer besetzt hatte.
Diese Beschwerde wird jetzt gründlich untersucht und der Verant-
wortliche gesucht. Dabei ist schon festgestellt worden, daß der
Direktor und alle seine Stellvertreter keine Verantwortung tragen,
„Das Fleisch kann ich nicht essen“, sagte der Gast zum Kellner, weil sie zur Zeit des Geschehens außer Haus, außer Landes oder
„bitte rufen Sie den Geschäftsführer.“ „Sehr wohl mein Herr“, erwi- außer sich waren. Die Ermittlungen erstrecken sich jetzt auf die
derte der Kellner, „aber der wird es auch nicht essen können.“ Reisegesellschaft IBUSZ. Aber auch da steht es schon fest, daß der
Solche dummen Witze gehören in Ungarn der Vergangenheit Direktor und alle seine Stellvertreter zur Zeit des Geschehens ...
an. Erstens darum, weil ein Geschäftsführer heute nicht so einfach usw. Vielleicht lag es gar am eigenmächtigen Handeln der Frauen
gerufen werden kann. Ein Geschäftsführer nimmt seinen Beruf des Frauenkongresses? Es wird sich herausstellen, daß auch dort
ernst. Er führt Verhandlungen, Sitzungen, Besprechungen meist alle Geschäftsführerinnen und ihre Stellvertreterinnen zur Zeit..
außer Haus, oft außer Landes. Wem etwas nicht schmeckt, passt, usw. usf.
gefällt, dem steht das Beschwerdebuch zur Verfügung. Bitte, da Aber seien Sie gewiß, lieber ausländischer Gast, daß Sie, wenn
hängt es am Bindfaden sogar mit einem Bleistift dabei und fordert Sie schon längst nicht mehr daran denken, einen Brief erhalten, in
direkt zur Beschwerde heraus. Manchmal muß man die Verkäu- dem Ihrer Beschwerde in völligem Einklang mitgeteilt wird, daß
ferin oder Kassiererin, den Ober oder den Postangestellten oder der Verantwortliche zur Verantwortung gezogen wurde. Und wenn
sonst wen danach fragen. Dann wird es aus irgendeiner Ecke her- Sie wieder einmal im Lande sind, fragen Sie doch mal nach beim
vorgeholt und, je nach dem Wesen des Betreffenden, mit eisigem Geschäftsführer, denn ich bin gewiß, daß aus dem Verantwort-
Lächeln vorgelegt, oder mit drohender Miene hingeworfen. lichen etwas geworden ist.
Man kann nun seine Beschwerde durch ein Durchschlagpapier
in zwei Ausfertigungen eintragen, und wenn die volle Adresse nicht
vergessen wurde, nach geraumer Zeit auf Antwort warten. Ich
bekam erst kürzlich einen Brief von der Generaldirektion eines
großen Unternehmens, die mich mit aller Höflichkeit davon ver-
ständigte, daß ich mit meiner Beschwerde völlig im Recht sei, alles
sei unternommen worden, um solche Vorkommnisse in Zukunft
zu vermeiden und der Verantwortliche seines Postens enthoben
wurde.
Der Fall lag so lang zurück, daß ich längst vergessen hatte,
worüber ich mich eigentlich beschwert hatte. Und es plagte mich
jetzt rückblickend das Gewissen, daß einer so lausigen Be-
schwerde wegen ein Mensch, womöglich der Ernährer einer großen
Familie, seine Stellung verloren hatte. Ich ging der Sache nach
und fand jenen Mann in der gleichen Firma, im wahrsten Sinne des
Wortes seines Postens enthoben – in gehobener Stellung.
Sehen Sie, das ist das geniale an einem Beschwerdebuch. Es
schafft den vernünftigen Abstand von der plötzlichen Erregung bis
zur Nüchternheit und vermeidet auf diese Weise größere Schäden
in den zwischenmenschlichen Beziehungen.
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Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen Gulyásparty - Von Essen, Trinken (bißchen) und Festen
Das letzte Wort mir, worüber du am liebsten lachst, und ich sage dir, wer du bist.
Lachen wird hier groß geschrieben, obwohl es in der Recht-
schreibung wie alle Zeitwörter klein steht. Allerdings bedarf es
noch zweier Dinge: des Witzes und des Humors. Und da Witz be-
kanntlich vom Verstand kommt und Humor vom Herzen, muß man
Als ich schon so einigermaßen sprechen konnte, sagten meine beides haben, um von ganzem Herzen mit klarem Verstand lachen
Mitmenschen oft zu mir: „Daß Du immer das letzte Wort haben zu können.
musst!“ Sie hatten nicht unrecht. Ich weiß nicht, wie es kam, aber Der große ungarische Klassiker János Arany sagte einmal:
ich hatte es wirklich. „A humor mosolygás könnyek között“ – Humor ist Lächeln unter
Und wenn ich manchmal an diese letzten „Worte“ zurückdenke
Tränen – oder an anderer Stelle: „...felhôkrôl visszaverôdô napsu-
– ich glaube, sie rührten daher, daß mir zum Schluß immer noch gár“ – ein von den Wolken zurückgeworfener Sonnenstrahl.
etwas einfiel, was ich vergessen hatte. Im Bett oder auf der Treppe Nun, Wolken gab es an Ungarns tausendjährigem Himmel zur
beim Nachhause gehen formulierte ich oftmals, was ich eigentlich Genüge.
hätte sagen sollen. Leider ist es mir nicht gegeben, im rechten Wie kann ein Volk, kaum daß es sich zu einem Staatsgefüge for-
Augenblick das Rechte, das Treffende zu treffen. Aufrichtig gestan- miert hat, den Mongoleneinfall überstehen, 150 Jahre währende
den: meine ganze Bewunderung gilt den Schlagfertigen. Das war Türkenherrschaft ertragen, jahrhundertelanges Habsburgerjoch
ich nie. Für mich geht das Nachdenken übers Vordenken. Darum dulden, und schließlich – in jüngster Vergangenheit in zwei Welt-
steht bei mir am Ende jedes Mal der Gedanke: Das hätte ich alles kriegen verwickelt – alles verlieren, was es in ein paar Friedens-
noch viel besser, klarer, schöner, prägnanter ausdrücken sollen. jahren gewonnen und aufgebaut hat, wie kann ein solches Volk im
Da ist zum Beispiel dieser Titel: Mitten am Rande – ein bißchen Ernst ohne „das Lächeln unter Tränen“, ohne einen „von den
Ungarn. Wird man das nicht falsch verstehen? Etwa so, daß wir mit Wolken zurückgeworfener Sonnenstrahl“ existieren, weiterleben,
unsrem Land am Rande stehen? Ich muß also erklären, wie es überleben?
überhaupt dazu kam, ich meine wie wir soweit gekommen sind. Da All das durchzustehen kann nur – und das ist meine feste Über-
waren zuerst unsere Glossen in der „Budapester Rundschau“ unter zeugung – wer Humor hat, wer ihn spürt oder ihn wenigstens
dem Titel „Diese Ungarn“, einfach deshalb, weil über Schwächen erahnt. Ich sage absichtlich Humor, der vom Herzen kommt.
und Stärken der Ungarn schon fast alles gesagt worden war, mir Denn Witz – das ist eine Art Knallbonbon, der erst ungefähr seit
es aber darum ging, die kleinen Geschehnisse am Rande unseres der Jahrhundertwende existiert, nachdem sich Budapest zur Groß-
Lebens in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu gesellten sich im Laufe und Weltstadt gemausert hatte. Jener typisch Budapester Witz,
der Zeit die Plaudereien über die ungarische Sprache unter dem von dem man nicht genau weiß, wo er zuerst entstanden ist, in
Titel „Ein bißchen ungarisch“, die eigentlich von Lesern der „Buda- Wien oder in Budapest, hat sich seinen Weg durch die Welt
pester Rundschau“ angeregt worden waren. So kam es zur Zu- gebahnt, um nach langer Zeit dann in abgewandelter Form plötz-
sammenfassung beider Titel, wobei ich das „ungarisch“ absichtlich lich wieder hier aufzutauchen – als neuester Witz vom Sender
in „Ungarn“ umgewandelt habe, weil ich vermeiden wollte, daß der Jerewan oder als „echt Berliner“ Witz.
Leser womöglich zu dem Schluß kommt: Aha, das ist wahrschein- Doch damit soll noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. Viel
lich ein ungarisches Sprachlehrbuch, was soll ich damit!? wichtiger scheint mir, abschließend sagen zu können, daß wir in
Denn ich wollte und will mit diesen Plaudereien über die Sprache den letzten drei Jahrzehnten nach dem totalen Chaos ab und zu
der Ungarn kein Lehrbuch schreiben, sondern lediglich den Humor wieder lachen konnten, und zwar aus vollem Herzen. So lachen
aufspüren, der hier seine tiefsten Wurzeln hat. aber kann nur, wer aus tiefstem Herzen zu weinen gelernt hat.
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