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Die somalische und die eritreische

Diaspora in der Schweiz

Philipp Eyer, Régine Schweizer


Impressum
Herausgeber: Bundesamt für Migration (BFM),
Quellenweg 6, CH-3003 Bern-Wabern
www.bfm.admin.ch

Die Studie wurde von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe


(SFH) im Auftrag des Bundesamts für Migration (BFM)
durchgeführt.

Autoren: Philipp Eyer, Régine Schweizer

Projektleitung: Christine Müller (SFH)

Grafik: www.artification.com

Fotonachweis: © David Zehnder / www.davidz.ch

Bezugsquelle: BBL, Vertrieb Bundespublikationen, CH-3003 Bern


www.bundespublikationen.admin.ch
Art.-Nr.: 420.044.d

© BFM / EJPD August 2010

2
Inhaltsverzeichnis

Vorwort 5

1 Am Horn von Afrika: Eritrea und Somalia 10

1.1 Das Wichtigste aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft 12


1.2 Geschichtlicher Abriss und aktuelle politische Situation 16
1.3 Migrationsbewegungen / Flucht- und Arbeitsmigration 24

2
1.3 Somalische und eritreische Bevölkerung
Migrationsbewegungen/Flucht- in der Schweiz
und Arbeitsmigration 32
xx

2.1 Migration von Somaliern und Eritreern in die Schweiz 34


2.2 Schweizer Migrationspolitik gegenüber somalischen und eritreischen 38
Asylsuchenden
2.3 Soziodemografische Angaben 42

3 Sozioökonomische Integration 50

3.1 Ausbildung und Sprachenförderung 51


3.1.1 Bildung 52
3.1.2 Sprachen 58
3.2 Berufliche und wirtschaftliche Integration 63
3.3 Gesundheit 78
3.3.1 Gesundheitssysteme in Somalia und Eritrea 79
3.3.2 Spezifische Gesundheitsprobleme 82

4 Kulturelle, soziale und politische Organisationsformen 92

4.1 Kultur und Religion 93


4.1.1 Ethnie und Clan: traditionelle Gesellschaften in Somalia und Eritrea 95
4.1.2 Religion 98
4.2 Familien, Ehepaare und Generationen 105
4.2.1 Geschlechterrollen und die Bedeutung der Familie in der Diaspora 106
4.2.2 Eheschliessungen 111
4.2.3 Binationale Eheschliessungen 114
4.2.4 Zweite Generation 116
4.3 Soziale und politische Aktivitäten 122
4.3.1 Soziale Organisation in der Diaspora 123

3
5 Rückkehr, sekundäre Migration und transnationale Beziehungen 132

5.1 Ausreise aus der Schweiz 133


5.1.1 Rückkehrgedanken «zwischen Realität und Mythos» 134
5.1.2 Sekundäre Migration 138
5.2 Transnationale Aktivitäten 143
5.2.1 Transnationale Beziehungen 144
5.2.2 Remissen und Geldtransfer 146
5.2.3 Diaspora im Internet 149

6 Die somalische und die eritreische Diaspora in der Schweiz – 152


eine Zusammenfassung

7 Anhang 160

Anhang I Bibliografie 161


Anhang II Kontaktadressen 169
Anhang III Abkürzungsverzeichnis 178

4
Vorwort sationen (soziale Einrichtungen, Schulen,
Gesundheitswesen, Arbeitgeber, Polizei,
Somalische und eritreische Diasporage- Justiz usw.) sowie an Interessierte, die im
meinschaften sind in vielen Ländern der Rahmen ihrer Tätigkeit mit Menschen aus
Welt anzutreffen. Rund 7000 Somalier und Somalia und Eritrea in Kontakt kommen.
mehr als 7500 Eritreer lebten Ende 2008
in der Schweiz. Beide Gruppen sind in den Die vorliegende Studie setzt sich aus ver-
letzten Jahren aufgrund steigender Asyl- schiedenen Kapiteln – nach Themen­blöcken
gesuche stetig gewachsen. In den Jahren gegliedert – zusammen, die je nach Inte-
2007 und 2008 lag Eritrea an erster Stelle resse des Lesers weitgehend unabhängig
bei den Herkunftsländern von Asylsu- voneinander gelesen werden können. Die
chenden. 17,2 % aller Gesuche stammten Texte beinhalten ausgewählte Elemente ei-
von eritreischen Staatsbürgern. An zwei- nes spezifischen Themen­bereichs und zei-
ter Stelle folgte im Jahr 2008 Somalia. Im gen Tendenzen auf. Die Studie erhebt kei-
Vergleich zum Vorjahr haben 2008 rund nen Anspruch auf eine abschliessende und
viermal mehr Personen aus Somalia in vollständige Darstellung dieser komplexen
der Schweiz um Asyl ersucht. Da beide und sehr weitläufigen Themenfelder.
Gruppen erst seit Kurzem zahlreich in der
Schweiz vertreten sind, ist bis anhin nur
wenig über sie bekannt.

Im Anschluss an die Pilotstudie zur srilan-


kischen Diaspora in der Schweiz (2007)
hat das Bundesamt für Migration (BFM)
eine Reihe von weiteren Diasporastudien in
Auftrag gegeben. Neben den Migranten­
gruppen aus Kosovo, Portugal und der Tür-
kei galt das Interesse auch der somalischen
und der eritreischen Diasporagruppe. Die
vorliegende Studie soll einen Überblick über
die wichtigsten Fakten und Informationen
zu den beiden Migrantengruppen, deren
Migrationsgeschichte und sozioökonomi-
scher Situation in der Schweiz bieten. Sie
versteht sich als eine Bestandesauf­nahme
unterschiedlicher Themen und wendet
sich an ein breites Publikum: an Vertreter
von Gemeinden, Kantonen und Bund, an
Verantwortliche des Integrationsbereichs
und anderer Institutionen oder Organi-

5
Arbeitsmethode Auch war die Zahl der erfassten Somalier
Die vorliegende Studie stützt sich auf drei und Eritreer teilweise zu klein oder Aus­
Hauptquellen. In einer ersten Phase wurde länder waren nicht nach Nationalität er-
die bestehende Literatur zusammenge­ fasst worden.
tragen und analysiert. Es handelt sich dabei
um wissenschaftliche Publikationen und Schliesslich sind die im Rahmen der Studie
Studien zu den Herkunftsländern Somalia zahlreich geführten Interviews sowie eine
und Eritrea und allgemein zu den jeweili- Online-Umfrage von zentraler Bedeutung.
gen Diasporagruppen in anderen Ländern Insgesamt wurden mit 34 Personen aus der
sowie um offizielle Dokumente (unter somalischen und der eritreischen Bevölke-
anderem Berichte von internationalen rung in der Schweiz ausführliche Gespräche
Organisationen und NGOs). Zur somali- geführt. Bei der Auswahl der Gesprächs-
schen und eritreischen Bevölkerung in der partner spielten Kriterien wie Geschlecht,
Schweiz existieren bis anhin wenig wissen- Alter, Wohnkanton und Aufenthalts­dauer
schaftliche Untersuchungen. in der Schweiz eine wichtige Rolle. Neben
aktiven Mitgliedern und Vertretern von
In der zweiten Phase wurden bestehende Vereinen, welche meist der älteren Gene-
statistische Quellen herangezogen. Die ration angehören, wurden auch Jugend­
statistischen Angaben in dieser Studie stüt- liche aus der zweiten Generation, die in
zen sich einerseits auf die Daten aus der der Schweiz aufgewachsen sind, sowie
Eidgenössischen Volkszählung 20001 und kürzlich in die Schweiz eingereiste Asylsu-
andererseits auf das Zentrale Migrationsin- chende befragt. Ausserdem fanden zehn
formationssystem (ZEMIS).2 Die Daten aus Experteninterviews mit Fachleuten aus ver-
dem ZEMIS stammen im Allgemeinen aus schiedenen Bereichen (Forschung, Gesund-
den Jahren 2007 und 2008. Da vor allem heits- und Bildungsbereich, soziale Einrich-
die eritreische Migrantengruppe in den tungen, kantonale Behörden, Bundesamt
letzten Jahren in der Schweiz angewach- für Migration, Hilfswerke usw.) statt.
sen ist, zeigt sich die Datenlage zu den Eri-
treern weitgehend unzureichend und teils Die Interviews (mithilfe eines Interviewleit-
veraltet. fadens) wurden mit einem Aufnahmegerät
festgehalten und anschliessend transkri-
biert. Alle Gesprächspartner haben wir per-
1 In der Volkszählung (2000) wurden 1319 Personen eritrei- sönlich meistens zu einem Einzelgespräch
scher Herkunft und 4764 Personen somalischer Herkunft
erfasst. getroffen, einige mehrmals. Die Namen der
2 Am 3. März 2008 hat das Eidgenössische Justiz- und Gesprächspartner sind anonymisiert. Die
Polizeidepartement (EJPD) das Zentrale Migrations­
informationssystem (ZEMIS) eingeführt. Das ZEMIS ersetzte Interviews haben es uns ermöglicht, ver-
die bis anhin bestehenden Datenbanken des Zentralen
Ausländerregisters (ZAR), in dem die ständige ausländische schiedene Aspekte gezielt anzu­sprechen
Bevölkerung (Jahresaufenthaltsbewilligung B und
Niederlassungsbewilligung C) erfasst wird, und des
und zu vertiefen. Zudem befragten wir eine
Automatisierten Personenregistratursystems (AUPER), in Reihe von weiteren Fachleuten aus den er-
dem alle Personen im Asylprozess (mit Bewilligung F und N)
registriert sind, ab. wähnten Bereichen telefonisch. Die Online-

6
Umfrage wurde an rund 100 ausgewählte umfassenderen Begriff Migranten be-
Akteure des Integrationsbereichs aller Kan- zeichnet und nicht Flüchtlinge genannt.
tone der Schweiz versendet. Der Rücklauf Die beiden Gruppen werden im Titel als
der Umfrage – etwa 50 % – war relativ Diasporagruppen beschrieben. Der Be-
hoch. Der Fragebogen enthielt 34 Fragen, griff Diaspora leitet sich vom griechischen
die online beantwortet werden konnten. Wort diaspeiro ab und wird im weite-
ren Sinne mit Zerstreuung übersetzt. Als
Aufbau der Studie sozial­wissenschaftliches Konzept hat der
Die vorliegende Studie ist in sechs Kapitel Begriff seit den 1980er-Jahren besonders
mit mehreren Unterkapiteln unterteilt, die in den Sozialwissen­schaften (Ethnologie)
unabhängig voneinander gelesen werden an Bedeutung gewonnen. Eine Diaspora
können. Wiederholungen konnten aus beschreibt im Allgemeinen Migranten­
diesem Grund an einigen Stellen nicht gruppen, welche auch nach längerem
vermieden werden. Alle Kapitel haben Aufenthalt in einem neuen Residenzland
den gleichen Aufbau: Zu Beginn werden gewisse Elemente ihrer Herkunftskultur
die wichtigsten Punkte der behandelten beibehalten und in vielfältiger Weise Be-
Themen zusammengefasst und anschlies- ziehungen zu ihrer Heimat und zu Lands-
send in den Unterkapiteln ausführlicher leuten über nationalstaatliche Grenzen
dargestellt. Zum Schluss folgt eine kurze hinweg (transnational) in der ganzen Welt
weiterführende Bibliografie. In den Texten aufrechterhalten.
sind immer wieder Querverweise zu ande-
ren Kapiteln angegeben. Grafiken, Tabel- Im Übrigen beziehen sich die in der Studie
len, Bilder und Zitate veranschaulichen die verwendeten Begriffe Migrantengruppe,
behandelten Themenbereiche. Die Zitate somalische Bevölkerung und eritreische
stammen aus den geführten Gesprächen Gemeinschaft jeweils auf dieselben Grup-
und Interviews. Eine Zusammenfassung im pen und werden in der Regel als gleich-
letzten Kapitel bietet einen kurzen Über- bedeutend verstanden. Die beiden erste-
blick über die behandelten Themenbe­ ren Begriffe werden jedoch dem letzteren
reiche der Studie. Im Anhang ist eine Liste vorgezogen, da nicht vergessen werden
– ohne Anspruch auf Vollständigkeit – mit darf, dass die in der Schweiz lebenden
Adressen von somalischen und eritreischen Somalier und Eritreer keine homogenen
Vereinen aufgeführt. Gruppen darstellen. Sie unterscheiden
sich in mannigfaltiger Weise – aufgrund
Terminologie von Geschlecht, Alter, sozioökonomischer
Die vorliegende Studie befasst sich mit Situation, sozialem Status, Lebensläufen,
den in der Schweiz lebenden Migranten Aufenthaltsbewilligung, Anwesenheits­
aus Somalia und Eritrea. Obwohl die über- dauer usw. – und können somit nicht als
wiegende Mehrheit der somalischen und eine Gemeinschaft im engeren Sinne mit
der eritreischen Migranten aus dem Asyl­ einer einheitlichen Kultur beziehungsweise
bereich stammt, werden diese mit dem Identität beschrieben werden. In diesem

7
Zusammenhang muss auch auf die Ver-
wendung des Begriffs der Kultur hingewie-
sen werden. Auch hier handelt es sich um
eine vereinfachte Form des wissenschaft-
lich komplexen Konzeptes. Eine somalische
und eritreische Kultur gibt es de facto nicht.
Kultur kann nicht als starre und fixe Entität
gesehen werden, sondern sollte vielmehr
als flexibles und dynamisches Ganzes ver-
standen werden, das verschiedene Aspekte
wie unter anderem kollektiv verbreitete
Gewohnheiten, Wertvorstel­lungen und
Wissensbestände sowie soziale, religiöse
und künstlerische Traditionen und Prakti-
ken beinhaltet.

Während des Verfassens der Texte haben


wir uns bemüht, eine geschlechtsneutrale
Sprache zu verwenden. Aus Gründen der
besseren Lesbarkeit des Textes schliesst die
männliche Form beide Geschlechter ein.

8
Dank

Besonderer Dank gilt allen somalischen


und eritreischen Gesprächspartnern sowie
den Experten und Fachleuten. Ihre grosse
Bereitschaft, Zeit, Wissen und persönliche
Erfahrungen mit uns zu teilen, hat diese
Studie erst ermöglicht. Wir bedanken uns
bei allen diesen Personen herzlich. Auch
den Autoren der Studie zur «reproduktiven
Gesundheit von eritreischen und somali-
schen Migranten» Aline Wenger und An-
natina Jäckle gebührt grosser Dank für ihr
wertvolles Engagement. Die Aufbereitung
statistischer Daten und die Erstellung von
Grafiken wurde durch das Schweizerische
Forum für Migrations- und Bevölkerungs-
studien in Neuenburg (SFM) vorgenom-
men. An dieser Stelle danken wir herzlich
für die hilfreiche Zusammenarbeit. Die kri-
tische Überarbeitung der Texte durch die
zuständige Begleitgruppe des Bundesam-
tes für Migration (BFM) haben wir sehr ge-
schätzt und wir danken für die angenehme
und konstruktive Zusammenarbeit.

Bern, August 2009

Philipp Eyer, Régine Schweizer (Autoren)


und Christine Müller (Projektleiterin)

9
1 Am Horn von Afrika:
Somalia und Eritrea
In Kürze

– Somalia und Eritrea liegen im äussersten Skandinavien, Italien), Amerika und den
Osten respektive Nordosten Afrikas, Golfstaaten leben.
dem Horn von Afrika, einer der ärmsten – Rund ein Drittel aller Eritreer befindet
Regionen der Welt. sich im Ausland, die weltweite Diaspora
– Somalia – ehemaliges britisches und zählt gut eine Million Menschen. Die
italienisches Kolonialgebiet – zeichnet grössten eritreischen Diasporagemein-
sich durch eine ethnische, kulturelle, schaften in Europa sind in Deutschland,
sprachliche und religiöse Homogenität Grossbritannien und Italien anzutreffen.
aus. Die somalische Gesellschaft gliedert
sich aber in zahlreiche Clans, welche
sich in sechs Hauptclans unterteilen
lassen.
– Seit dem Sturz des Diktators Siad Barre
1991 herrscht in Somalia Bürgerkrieg;
das Land verfügt über keine funktionie-
renden Staatsstrukturen, und verschie-
dene Gruppierungen (Clans, Militärs,
Islamisten) streiten um Ressourcen und
Macht.
– Die Bevölkerung Eritreas setzt sich aus
einer Vielzahl unterschiedlicher Ethnien
und Religionen zusammen; jede Volks-
gruppe spricht eine eigene Sprache.
– Eritrea kämpfte nach der Entkolonialisie-
rung von Italien und Grossbritannien
30 Jahre lang (1961 – 1991) um seine
Unabhängigkeit von Äthiopien. Seit
1993 ist Eritrea ein international
anerkannter, souveräner Staat. Der
amtierende Präsident Eritreas, Isayas
Afeworki, hat das Land hochgradig mili-
tarisiert und alle Macht an sich gerissen.
Das Land wird von einer einzigen Partei,
der PFDJ, regiert. Presse und Meinungs-
freiheit existieren in Eritrea nicht.
– Die somalische Diaspora weltweit zählt
1 bis 1,5 Millionen Menschen, welche
vorwiegend in Europa (Grossbritannien,

11
1.1 Das Wichtigste aus lischen Bevölkerung bekennen sich zum
Politik, Gesellschaft und sunnitischen Islam (Fischer Weltalmanach
Wirtschaft 2009). Die Somalier gehören der gleichen
Sprachfamilie an; sie sprechen mehrheitlich
Somalia und Eritrea liegen im äussers- Somali, eine ostkuschitische Sprache. Ver-
ten Osten respektive Nordosten Afrikas breitet sind aber auch Arabisch, Italienisch
in einem Gebiet, welches sich zwischen und Englisch. Das Volk der ursprünglich
dem Golf von Aden und dem Indischen nomadisierenden Somali überwiegt (90 %)
Ozean befindet und Horn von Afrika ge- (Omar 2002). Die somalische Gesellschaft
nannt wird. Somalia erstreckt sich über ist jedoch in zahlreiche, sich konkurrie-
eine Fläche von 637 657 km2, Eritrea ist rende Clans zersplittert, welche sich in
mit 121 144  km2 bedeutend kleiner. Das sechs grosse Clanfamilien unterteilen las-
Klima am Horn von Afrika ist durch seine sen: Darod, Hawiye, Dir, Isaaq, Digil und
Nähe zum Äquator gekennzeichnet; die Rahanweyn. Zudem leben verschiedene
Witterung der in der Sahelzone gelegenen ethnische Minderheiten in Somalia, wie
Länder wird von hohen Temperaturen und beispielsweise die Bantu oder die Ybir.
Trockenheit geprägt. vgl. Kapitel 4: Soziale, kulturelle und politi-
sche Organisationsformen
Zur Bevölkerungszahl Somalias und Eritreas
werden je nach Quelle sehr unterschiedliche Im Gegensatz zum ethnisch, sprachlich und
Angaben gemacht. Für Somalia schwanken religiös homogeneren Somalia setzt sich
die Schätzungen zwischen 8 und 10 Milli- die Bevölkerung Eritreas aus einer Vielzahl
onen Menschen. Die Residenzbevölkerung unterschiedlicher Ethnien und Religionen
Eritreas zählt nach Angaben von Experten zusammen. Die stärkste Volksgruppe in
rund 3,5 Millionen Menschen; diese Zahl Eritrea sind die ursprünglich im Hochland
wird von der eritreischen Regierung bestä- ansässigen Tigrinnier, welche der ortho-
tigt. Rund 1 Million Eritreer leben im Exil, doxen Kirche angehören. Die zweitgrösste
es kann also von einer Gesamtbevölkerung Volksgruppe in Eritrea stellen die Tigre dar.
von 4,5 Millionen Eritreern ausgegangen Sie leben vorwiegend im Westen des Lan-
werden. Obwohl die beiden Länder in des und sind muslimischen Glaubens. Die
unmittelbarer geografischer Nähe liegen, zwei wichtigsten Religionsgemeinschaften
könnten die Bevölkerungsstrukturen in Eritrea sind demnach die orthodoxen
und politischen Systeme von Eritrea und Christen und die Muslime. Zu den weiteren
Somalia kaum unterschiedlicher sein. ethnischen Gruppen in Eritrea gehören die
Afar, Hedareb, Bilen, Kunama, Nara, Ras-
Somalia galt lange als eigentlicher Sonder­ haida und Saho. Jede der neun Volksgrup-
fall in Afrika, da sich die somalische Gesell- pen Eritreas spricht ihre eigene Sprache.
schaft grundsätzlich durch eine ethnische, Eritrea besitzt keine offizielle Amtssprache
kulturelle, sprachliche und religiöse Ho- im eigentlichen Sinne, welche in der Ver-
mogenität auszeichnet. 99 % der soma- fassung festgelegt wäre. Etabliert haben

12
Medi
Algiers t er
Tunis ra
TUNISIA ne
Madeira Is.
Rabat an Sea
(PORTUGAL)
MOROCCO Tripoli

Canary Is. Cairo


(SPAIN)
ALGERIA
Laayoun LIBYAN
ARAB JAMAHIRIYA EGYPT
Western
Sahara

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MAURITANIA

a
CAPE VERDE Nouakchott
MALI NIGER
ERITREA
Dakar CHAD Khartoum
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Niamey
GAMBIA Chad
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Bamako
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Banjul BURKINA FASO lf of A
DJIBOUTI Gu
N'Djamena Socotra
Bissau Ouagadougou (YEMEN)
Djibouti
GUINEA-BISSAU GUINEA
G NIGERIA
ETHIOPIA
BENIN

Conakry
CÔTE-
TOGO

Abuja
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Freetown

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SIERRA D'IVOIRE Addis Ababa


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LEONE Yamoussoukro Accra


Monrovia AFRICAN REPUBLIC

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Porto
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LIBERIA Novo CAMEROON Bangui

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om

Abidjan
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Malabo Yaoundé Lake
EQUATORIAL GUINEA UGANDA Turkana
Principe Lake
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Albert Mogadishu
SAO TOME AND PRINCIPE Sao Kampala
KENYA
NG

Tome Libreville
Sao Tome
GABON DEMOCRATIC RWANDA
O

Nairobi
C

Annobón REPUBLIC
(EQUATORIAL GUINEA)
OF THE
Kigali Lake
Victoria INDIAN OCEAN
Brazzaville Bujumbura
CONGO BURUNDI
Kinshasa Lake Pemba Amirante Is. Victoria
Cabinda Tanganyika Dodoma
(ANGOLA) Zanzibar
A T L A N T I C UNITED REPUBLIC OF SEYCHELLES
Ascension TANZANIA Providence Is.
(UK) Luanda Aldabra Is.
O C E A N Lake
Nyasa Moroni
Farquhar Is.
Agalega Is.
ANGOLA COMOROS (MAURITIUS)

Lilongwe
ZAMBIA MALAWI
UE
Tromelin
St. Helena Lusaka R (FRANCE)
(UK) IQ

A
Cargados
Lake Harare B

C
Carajos

AS
Kariba
M

Antananarivo MAURITIUS
ZIMBABWE
ZA

AG
Port Louis
MO

NAMIBIA
MAD
Réunion
BOTSWANA (FRANCE)
Windhoek Gaborone
Pretoria
Maputo
Mbabane
SWAZILAND
Bloemfontein
Maseru
SOUTH LESOTHO
AFRICA
Cape Town

0 500 1000 km
The boundaries and names shown and the designations used
0 500 1000 mi on this map do not imply official endorsement or acceptance
by the United Nations.

Abbildung 1: Landkarte von Afrika


Quelle: UNITED NATIONS Map No. 4188 Rev. 2 (May 2007). Department of Peacekeeping Operations, Cartographic Section.

sich aber Tigrinya und Arabisch. Italienisch


ist durch die koloniale Vergangenheit – wie
in Somalia – auch noch immer weit verbrei-
tet.

13
Ökonomische Situation knüpfung von fehlenden Staats- und Ver-
Das Horn von Afrika ist eine der ärmsten waltungsstrukturen, anhaltenden Unruhen
Regionen der Welt. Durch mehrere kriege­ und Nahrungsmittelknappheit entwickel-
rische Konflikte, verbunden mit schwieri- ten sich in Somalia zunehmend kriminelle
gen klimatischen Bedingungen, wurden Aktivitäten wie Waffen- und Drogenhandel
beide Länder wiederholt Opfer von ver- oder die stark in den Blickwinkel der Welt-
heerenden humanitären Katastrophen. Die öffentlichkeit geratene Piraterie am Golf
kriegsbedingte Hungersnot in Somalia An- von Aden.
fang der 1990er-Jahre wurde weltweit zum
Sinnbild für die Prekarität der Region. Die Beschäftigungsstruktur Eritreas ist der
somalischen ähnlich. Sie besteht traditio-
Der Index für menschliche Entwicklung nellerweise aus Ackerbau und Viehzucht.
(HDI) der Vereinten Nationen1 platziert Angebaut werden beispielsweise Linsen,
Eritrea in den Jahren 2007 / 2008 auf Rang Gemüse, Mais, Baumwolle und Tabak. Zu
153 von 177 beurteilten Ländern (die den Bodenschätzen Eritreas gehören vor
Schweiz belegt Platz 10). Wegen der anhal- allem Edelmetalle. Die grossen Hoffnungen
tenden Unruhen können in Somalia keine eines wirtschaftlichen Aufschwungs Eri­
zuverlässigen Daten erhoben werden; das treas nach dessen Unabhängigkeit zerfie-
Land figuriert zurzeit nicht auf der Liste des len bald. Der Konflikt mit Äthiopien in den
HDI. Jahren 1998 bis 2000 und die anhaltende
Militarisierung der Bevölkerung hat die eri-
Die traditionelle Wirtschaft Somalias ba- treische Nahrungsmittel- und Industriepro-
siert auf nomadischer Viehzucht und in duktion enorm gebremst. Die eritreische
südlichen, fruchtbaren Regionen auch auf Wirtschaft befindet sich in einem desola-
Ackerbau. Im Norden des Landes werden ten Zustand, das Land ist auf Lebensmit-
grössere Erdölvorkommen vermutet; die telimporte und Geldzahlungen aus dem
instabile Situation verunmöglicht aber eine Ausland angewiesen. Die zahlreichen Hilfs-
nähere Untersuchung und Förderung die- organisationen, welche Eritrea nach der
ser Reserven. Ein wichtiger Bestandteil der Beendigung des Unabhängigkeitskrieges
somalischen Wirtschaft sind Geldtrans- beim Wiederaufbau unterstützen wollten,
fers von der somalischen Diaspora, wel- haben das Land wegen Behinderung ihres
che nach Angaben der Weltbank (2002) Einsatzes durch die eritreischen Behörden
22,5 % des jährlichen Hausaltbudgets aus- verlassen.
machen (World Bank 2003) (vgl. Kapitel 5:
Rückkehr, sekundäre Migration und trans-
nationale Beziehungen). Durch die Ver-

1 Der Human Development Index (HDI) der Vereinten Natio-


nen berücksichtigt nicht nur das Bruttonationaleinkommen
(BNE) pro Einwohner eines Landes, sondern ebenso die
Lebenserwartung und den Bildungsgrad mithilfe der Alpha-
betisierungsrate und der Einschulungsrate der Bevölkerung.

14
Abbildung 2: Somalia und Eritrea
Quelle: UNITED NATIONS Map No. 4188 Rev. 2 (May 2007). Department of Peacekeeping Operations, Cartographic Section.

15
1.2 Geschichtlicher Abriss schmelzung der britisch und italienisch
und aktuelle politische dominierten Kolonialgebiete. Die Republik
Situation Somalia proklamierte am 1. Juni 1960 die
Unabhängigkeit mit der Hauptstadt Moga-
Somalia dischu. Somalia umfasste jedoch nur zwei
«Leider sind wir in Somalia geteilt. Es gibt der fünf Somali-Gebiete; der junge Staat
viele Probleme, überall gibt es Konflikte. versuchte in Folge den Traum eines Gros-
Da ist die internationale Gemeinschaft, da somalias mittels verschiedener Grenzinter-
sind die verschiedenen Clans, da sind die ventionen zu verwirklichen und isolierte
Wahhabiten. (…). Da sind Generäle, Politi- sich in der Region dadurch stark. Auch die
ker, Kriegsherren, die um die Macht kämp- Integration der von Claninteressen gepräg-
fen. Es herrscht Krieg, sie bekämpfen sich ten somalischen Gesellschaft erwies sich
gegenseitig. Das ist katastrophal. Es gibt als problematisch; das nach Clanproporz
keine Regierung. Es gibt nichts.» aufgebaute Regierungssystem wurde 1969
Somalier, seit 1987 in der Schweiz mittels eines unblu­tigen Putschs gestürzt.
Die Folge war eine langjährige Militärdik-
Während der Kolonialzeit, ab Ende des tatur sozialistischen Charakters unter dem
19. Jahrhunderts, wurde das Siedlungs- Generalmajor Mohammed Siad Barre.
gebiet der Somali von den vier christli- Auch er versuchte, die Gebietsansprüche
chen Mächten Italien, Grossbritannien, Somalias mit verschiedenen Kriegen zu er-
Frankreich und Äthiopien kontrolliert. Das füllen – ohne Erfolg. Trotz oder gerade we-
heutige Somalia entstand aus der Ver- gen der repressiven Herrschaft Barres bil-

16
deten sich diverse Oppositions­gruppen, die beziehungsweise autonom erklärten2 und
sich gegen den Diktator auflehnten; 1988 sich seither einigermassen ruhig präsentie-
entflammte ein offener Bürgerkrieg zwi- ren, setzten sich die internen Kriegswirren
schen den Oppositio­nellen und der Staats­ in Süd- und Zentralsomalia fort. Die inter-
armee Barres, welcher in der berüchtigten nationale Staatengemeinschaft versuchte
«Schlacht um Mogadischu» gipfelte. Das kontinuierlich, mittels verschiedener Frie-
Barre-Regime kapitulierte, die staatlichen denskonferenzen das kriegsgeschüttelte
Institutionen Somalias zerfielen. Somalia Land zu stabilisieren. In Kenia wurde 2004
verfügt seit 1991 über keine funktionieren- eine somalische Übergangsregierung
den zentralen Staatsstrukturen mehr. (Transnational Federal Government, TFG)
geschaffen. Wiederum wurde versucht,
Die Auflösung der politischen Strukturen in der segmentären, clanorientierten Ge-
Somalia wurde von einer kriegsbedingten sellschaftsstruktur gerecht zu werden. Im
Hungersnot im Süden Somalias begleitet, neu geschaffenen Parlament sollten die
bei der mindestens 300 000 Menschen verschiedenen Clans proportional zu ihrer
(Krohn 2002), allen voran Kinder, verhun- Grösse vertreten sein (Clanproporz). Zum
gerten. Diese Hungerkatastrophe sorgte neuen Präsidenten Somalias wurde Abdul-
weltweit für Empörung. Die Vereinten lahi Yusuf, welcher wie bereits Siad Barre
Nationen versuchten mit der Stationie- dem Darod-Clan angehört, gewählt. Die
rung von Blauhelmtruppen (United Nations Übergangsregierung fand bei der somali-
Operations in Somalia, UNOSOM I) und schen Bevölkerung aber nur bedingte Ak-
einer gross angelegten militärischen Inter- zeptanz. Einflussreiche Kriegsherren und
vention (UNOSOM II), die Sicherheitslage islamistische Kräfte verhinderten die Etab-
in Somalia zu stabilisieren und eine noch lierung der TFG in der Hauptstadt Soma-
verheerendere humanitäre Katastrophe lias. Die Union islamischer Gerichte (Union
zu verhindern. Die «Operation neue Hoff- of Islamic Courts, UIC), ein Zusammen-
nung» war aber nur teilweise erfolgreich – schluss aus Geistlichen, sympathisierenden
eine kurzfristige Verbesserung der humani­ Kriegsfürsten und Geschäftsleuten, welche
tären Situation konnte erreicht werden, sich bereits in den 1990er-Jahren gebildet
eine langfristige Friedenssicherung schlug hatte, gewann zunehmend an Einfluss und
fehl. Mehrere Friedenskonferenzen verlie- übernahm 2006 die Kontrolle in Mogadi-
fen ohne Ergebnis und immer wieder kam schu. Die somalische Übergangsregierung
es zu Zwischenfällen, bei denen Blauhelme verlor immer mehr den Rückhalt in der
und Somalis getötet wurden. Dies führte Bevölkerung; die UIC hingegen konnte ihre
zu einem Abbruch des UNOSOM-Einsatzes, Macht auch in Süd- und Zentralsomalia
und am 1. März 1995 verliessen die letzten stärken.
Blauhelme Somalia.

Während sich im Norden des Landes 2 Weder Somaliland noch Puntland sind international
anerkannte Staaten, agieren aber de facto unabhängig von
Somali­land und Puntland für unabhängig Süd- und Zentralsomalia.

17
Die Monate, während denen die Union Wiederum waren es die Islamisten, welche
islamischer Gerichte Mogadischu kontrol- an Terrain gewannen. Gleichzeitig ent-
lierte, waren die ruhigsten und friedlichs- brannte ein interner Zwist innerhalb der
ten seit dem Sturz des Barre-Regimes im TFG; auch die islamische Opposition war
Jahre 1991 (Hoehne 2008). International in ein gemässigtes (ARS) und ein radikales
wurde die Union islamischer Gerichte aber Lager (Al-Shabaab) zerfallen.
vehement kritisiert, die USA beschuldigten
die Union, Verbindungen mit Al-Kaida zu Ende 2008 zogen die äthiopischen Solda-
unterhalten. Äthiopische Truppen, welche ten aus Somalia ab und der Präsident der
eine Allianz der eigenen muslimischen somalischen Übergangsregierung, Abdul-
Minderheit mit der UIC befürchteten, ver- lahi Yussuf, trat mit der Begründung, er
suchten, mithilfe der USA die in Bedrängnis habe die Kontrolle über das Land verloren,
geratene Übergangsregierung Somalias zu zurück. Die Überreste des somalischen
stützen. Eritrea hingegen wurde beschul- Parlaments wählten im Februar 2009 im
digt, trotz eines von der UNO verhängten Nachbarland Dschibuti den gemässigten Is-
Waffenembargos der UIC Waffen, militä- lamisten Sheikh Sharif Sheikh Ahmed zum
rische Berater und Kämpfer geliefert zu neuen Staatspräsidenten Somalias. Ob es
haben. Die Rivalen Eritrea und Äthiopien dem ehemaligen Anführer der Union isla-
nutzten die Kriegswirren in Somalia, um mischer Gerichte gelingen wird, dem zer-
ihre eigenen zwischenstaatlichen Konflikte rütteten Land politische Stabilität zu brin-
als Stellvertreterkrieg in Somalia auszu- gen, ist fraglich. Denn der extreme Flügel
tragen. Die Arabische Liga und die Euro­ der ARS, die islamistische Shabaab-Miliz,
päische Union versuchten vergeblich, auf hat bereits angedroht, bis zum Abzug aller
internationaler Ebene zu vermitteln; am ausländischen Truppen und der Einführung
20. Dezember 2006 eskalierten die Kämpfe der Scharia weiterzukämpfen.
zwischen den äthiopischen Truppen und
der UIC. Die Union islamischer Gerichte Seit dem Sturz der Regierung Siad Barres
wurde zwar zerschlagen, doch islamische streiten verschiedene rivalisierende Grup-
Splittergruppen, welche sich in Asmara, pierungen (Clanmilizen, Warlords, Banden)
der Hauptstadt Eritreas, zur Allianz für die um Ressourcen und Macht in Zentral- und
Wiederbefreiung Somalias (Alliance for the Südsomalia. Der seit Jahren schwelende
Re-Liberation of Somalia, ARS) zusammen- Bürgerkrieg hat die Infrastruktur des Lan-
geschlossen hatten, bekämpften die TFG des weitgehend zerstört, die Wirtschaft
und deren Alliierte weiterhin. Bei Friedens- lahmgelegt, Staats- und Verwaltungsstruk-
gesprächen im Mai 2008 zwischen der ARS turen aufgelöst. Durch das erneute Auf-
und der TFG wurden ein Waffenstillstand flammen der Kampfhandlungen in Somalia
und die Stationierung einer afrikanischen Ende 2006 verschlechterte sich die Sicher-
Friedenstruppe der UNO (AMISOM) in So- heitslage dramatisch. Piraterie, bewaff-
malia vereinbart, die Kriegshandlungen nete Überfälle und Entführungen wider­
konnten jedoch nicht gestoppt werden. spiegeln den Zustand der Gesetzlosigkeit

18
Zeit Geschichtliches Ereignis
600 n. Chr. Arabische Stämme bilden das Sultanat Adal
1500 Das Sultanat Adal zerfällt in kleinere Staaten
1860 – 1889 Frankreich, Grossbritannien und Italien etablieren sich in der
Region (Kolonialherren)
1935 / 36 Italienisch-äthiopischer Krieg
1950 Das italienisch dominierte Somaliland wird unter UN-Kontrolle
gestellt
1960 Unabhängigkeit Somalias (britisch-italienische Kolonialgebiete)
1963 – 1969 Grenzkonflikte mit Äthiopien
1969 Mohammed Siad Barre putscht sich an die Macht
1970 Somalias Wirtschaft wird verstaatlicht
1974 Somalia tritt der Arabischen Liga bei
1977 – 1978 Ogadenkrieg, Somalia kämpft erfolglos um die in Äthiopien gele-
gene, aber mehrheitlich von Somalis bewohnte Region Ogaden
1981 Bildung von Oppositionsgruppen gegen die Regierung Siad Barres
1988 Offener Bürgerkrieg
1991 Die Regierung von Siad Barre wird gestürzt
1991 Kriegsbedingte Hungersnot
1991 Somaliland bezeichnet sich als unabhängig
1992 UNOSOM-Mission versucht die Lage in Somalia zu stabilisieren
1993 Schlacht um Mogadischu
1995 UNOSOM-Mission zieht aus Somalia ab
1998 Puntland erklärt sich für autonom
2000 Friedenskonferenz in Dschibuti
2004 Bildung einer Übergangsregierung (TFG) in Kenia, Abdullahi Yusuf
wird zum Präsidenten der Übergangsregierung ernannt
2006 Die Union islamischer Gerichte (UIC) bekämpft die Übergangs­
regierung, welche von äthiopischen Truppen und den USA unter-
stützt wird; es kommt zu blutigen Auseinandersetzungen in und
um Mogadischu
2007 Die USA bombardieren islamistische Kräfte in Südsomalia
2008 Abdullahi Yusuf tritt ab
2009 In Dschibuti wird eine neue Übergangsregierung gewählt, der ge-
mässigte Islamist Sheikh Sharif Sheikh Ahmed wird neuer Präsident
Somalias

Tabelle 1: Schlüsselereignisse der Geschichte Somalias

19
in Zentral- und Südsomalia. Durch die an- Die italienischen Kolonisatoren waren am
haltende Gewalt, unter der vor allem die Horn von Afrika stark präsent. So stand ab
somalische Zivilbevölkerung leidet, wur- Ende des 19. Jahrhunderts neben Somalia
den Zehntausende Menschen getötet und auch Eritrea unter italienischer Kolonial-
Hunderttausende Menschen vertrieben. herrschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg
vgl. Kapitel 1.3: Migrationsbewegun- und der Niederlage Italiens verwaltete
gen / Flucht- und Arbeitsmigration vorerst Grossbritannien das Gebiet. Die
Zukunft Eritreas sollte jedoch durch die
Eritrea Vereinten Nationen entschieden werden.
«Oft wird mir gesagt: Ah! Sie sind aus Eri- Bereits zu diesem Zeitpunkt sprach sich die
trea? Das bedeutet mir viel, denn früher Mehrheit der Bevölkerung Eritreas für die
wusste man überhaupt nicht, wo Eritrea Unabhängigkeit aus, während Äthiopien
ist. Heute wissen die Leute langsam, dass auf einen Anschluss Eritreas drängte. Die
es Eritrea gibt. Zumindest ist es bekannt! Vereinten Nationen beschlossen, gegen
Doch im Land herrscht zurzeit das Gesetz den Willen der Eritreer, Eritrea und Äthio­
des Schweigens, dort werden Menschen pien zu einer Föderation zusammenzu-
nämlich immer wieder eingesperrt, es gibt schliessen. Doch die Integration der beiden
keine Presse, keine rechtmässige Stimme. Teilgebiete zu einer Föderation gestaltete
Es gibt nur eine politische Partei, einen sich aufgrund kultureller, gesellschaftlicher
Fernsehsender, die Staatspresse.» und sprachlicher Differenzen schwierig; der
Schweizer mit eritreischen Wurzeln äthiopische Kaiser Haile Selassie I annek-
tierte das Gebiet des heutigen Eritrea im

20
Jahre 1962 als 14. Provinz Äthiopiens. Im Afeworki, Führer der EPLF, gebildete Über-
ägyptischen und im sudanesischen Exil for- gangsregierung versprach demokratische
mierte sich eritreischer Widerstand gegen Strukturen, eine neue Verfassung sowie die
Äthiopien. Die Eritrean Liberation Front Demobilisierung und Reintegration der eri-
(ELF) nahm am 1. September 1961 den treischen Soldaten.
bewaffneten Kampf in Eritrea auf. Nach
anfänglichen internen Konflikten innerhalb Ungeklärte Fragen der Grenzziehung zwi-
der antiäthiopischen Bewegung profil­ierte schen Eritrea und Äthiopien führten ab
sich ab den 1980er-Jahren die Eritrean 1997 zu einer raschen Verschlechterung
People Liberation Front (EPLF), welche sich der Beziehungen zwischen den beiden
von der ELF abgespalten hatte, zur stärks- Ländern. Am 12. Mai 1998 begannen er-
ten politischen und militärischen Kraft Eri- neute kriegerische Auseinandersetzungen,
treas. Die ELF wurde aus Eritrea vertrieben für deren Ausbruch sich beide Seiten die
und auf eine Exilorganisation reduziert. Sie Schuld zuschoben. In der Folge rüsteten
zerfiel in den folgenden Jahren in verschie- sowohl Eritrea als auch Äthiopien stark
dene Fraktionen und Nachfolgeorganisati- auf. Die Vision eines pluralistisch-demo-
onen. Die EPLF, welche ausser dem Ziel der kratischen Staates am Horn von Afrika
staatlichen Unabhängigkeit Eritreas auch wurde begraben. Die 1997 verabschiedete
sozialrevolutionäre Ideen vertrat, führte Verfassung Eritreas wurde bisher nicht in
ab 1981 den Kampf gegen Äthiopien al- Kraft gesetzt, die versprochenen freien und
lein. Der eritreische Unabhängigkeitskampf demokratischen Wahlen auf unbestimmte
(1961 – 1991) endete mit der Kapitulation Zeit verschoben. Isayas Afeworki ist seither
der äthiopischen Armee und der Prokla- gleichzeitig Vorsitzender der EPLF / PFDJ
mierung der Eigenstaatlichkeit Eritreas am (Volksbefreiungsfront für Demokratie und
24. Mai 1993. Bei der Volksabstimmung Gerechtigkeit, Nachfolgerin der EPLF), der
stimmte eine grosse Mehrheit der Eritreer vorläufigen Nationalversammlung, des
für die Unabhängigkeit, und das Land Regierungsrates und des Kabinetts sowie
wurde völkerrechtlich anerkannt. Im Laufe Oberkommandeur der Streitkräfte (Tuor
des langjährigen Unabhängigkeitsbestre- 2009).
bens Eritreas hatte sich trotz der religiösen,
sprachlichen und ethnischen Verschieden- Der erweiterte Militärapparat und die eri-
heiten der Eritreer eine nationale Einheit treischen Sicherheitsdienste konsolidierten
mit starkem Zusammengehörigkeitsgefühl die Macht von Präsident Afeworki. Obwohl
entwickelt. Dieser eritreische Nationalismus Äthiopien als eigentlicher Sieger aus dem
wurde von der EPLF bewusst gefördert. Grenzkonflikt hervorging und im Jahre
Der junge, pluralistische Kleinstaat galt als 2000 ein Friedensvertrag und die Stationie-
neue Hoffnung, als «Schweiz Afrikas». So rung von UNO-Blauhelmen (United Nation
erklärte der ehemalige Wirtschaftsminister Mission in Ethiopia and Eritrea, UNMEE) im
Tansanias, er habe in Eritrea die Zukunft Grenzgebiet beschlossen wurden, konnte
Afrikas gesehen. Die unter Präsident Isayas der Konflikt bisher nicht gänzlich beigelegt

21
werden. Die Spannungen zwischen den Massawa festgehalten. Gleichzeitig wur-
beiden Ländern bleiben bestehen; Afe- den alle unab­hängigen Zeitungen verbo-
worki legitimiert die Aufrechterhaltung der ten. Reporter ohne Grenzen listet Eritrea
formal 18 Monate dauernden, aber oft auf an letzter Stelle einer Rangliste der Pres-
unbegrenzte Zeit verlängerten Wehr- und sefreiheit auf, noch hinter Nordkorea.3
Dienstpflicht für eritreische Frauen und Die Menschenrechtslage in Eritrea hat sich
Männer mit der Bedrohung durch Äthio- seither kontinuierlich verschlechtert. Wer
pien. Um sich seine absolute Herrschaft zu als regierungskritisch verdächtigt wird, hat
sichern und jegliche Opposition im Keim mit ausserordentlichen Verhaftungen zu
zu ersticken, hat Isayas Afeworki die erit- rechnen. Seit 2002 werden auch Anhän-
reische Gesellschaft hochgradig militari- ger minoritärer Religionsgemeinschaften
siert. Bezogen auf die Bevölkerungszahl ist unterdrückt. Der einstige Hoffnungsträger
Eritrea der militarisierteste Staat der Welt. Afrikas präsentiert sich heute als internati-
Das eher kleine Land hat 200 000 Männer onal isolierte Präsidialdiktatur ohne rechts-
und Frauen in den Militärverbänden rek- staatliche Legitimation.
rutiert und stellt somit die grösste Armee
Schwarzafrikas (NZZ, 4. November 2007). Zusammenfassend gesehen, haben Soma-
Zudem unterstehen schätzungsweise wei- lia und Eritrea einen entgegengesetzten
tere 200 000 Eritreer dem Militärrecht – sie Entwicklungsprozess hinter sich. Während
wurden in den militärisch organisierten Somalia nach der Entkolonialisierung als ei-
Arbeitsdienst Warsay-Yekalo oder zur Aus- ner der wenigen homogenen Nationalstaa-
bildung in tertiären Bildungseinrichtungen ten Afrikas galt, brach diese Verwaltungs-
abkommandiert (SFH 2007). einheit 1991 auseinander; der somalische
Staat zerfiel; das Land befindet sich seither
Eritrea wird heute von der Volksbefrei- im Bürgerkrieg und in einem Zustand der
ungsfront für Demokratie und Gerechtig- Rechtlosigkeit.
keit (PFDJ), der Nachfolgerin der EPLF, als
einziger zugelassener Partei regiert. Isayas Die ethnisch-kulturell vielfältige Bevölke-
Afeworki übt die totale Kontrolle über Erit- rung Eritreas hingegen erkämpfte sich
rea aus. Meinungs- und Pressefreiheit sind während eines langjährigen Unabhängig-
in Eritrea kaum existent, formal unabhän- keitskriegs einen eigenen Staat, welcher
gige Vereine und Gewerkschaften unter- 1991 / 1993 Realität wurde. Die Hoffnun-
stehen in Wirklichkeit der PFDJ. Nachdem gen der Eritreer auf ein demokratisches
15 Mitglieder der PFDJ-Führung, daher Staatsgebilde wurden aber enttäuscht; Eri-
später G-15 genannt, öffentlich gegen trea präsentiert sich heute als hochgradig
die absolute Herrschaft Isayas Afeworkis militarisierte Präsidialdiktatur.
protes­tiert hatten, wurden 11 von ihnen
bei einer Razzia im September 2001 ver-
haftet und seither werden sie in einem
Hoch­sicherheitsgefängnis nördlich von 3 Reporters Sans Frontières, 22. Oktober 2008

22
Zeit Geschichtliches Ereignis
300 – 600 n. Chr. Eritrea ist Teil des aksumitischen Reiches
1500 Das Osmanische Reich annektiert Eritrea
1890 Eritrea wird zur italienischen Kolonie
1941 Eritrea wird von Grossbritannien verwaltet
1952 Die UNO beschliesst, Eritrea und Äthiopien zu einer Föderation
zusammenzuschliessen
1961 Die Eritrean Liberation Front (ELF) entsteht
1962 Der äthiopische Kaiser Haile Selassie I annektiert Eritrea als
14. Provinz Äthiopiens
1961 – 1991 Unabhängigkeitskrieg Eritreas gegen Äthiopien, auch «Dreissigjäh-
riger Krieg» genannt
1970 Die Eritrean People Liberation Front (EPLF) spaltet sich von der ELF
ab
1981 Die ELF wird von der EPLF aus Eritrea vertrieben
1991 Die EPLF besiegt die äthiopische Armee
1993 Eritrea proklamiert nach einem umfassenden und international
anerkannten Referendum die Eigenstaatlichkeit
1998 Offener Krieg mit Äthiopien; Hauptstreitpunkt ist die ungeklärte
Grenzziehung
2000 Friedensvertrag zwischen Eritrea und Äthiopien
2001 Stationierung von UN-Blauhelmen im umstrittenen Grenzgebiet
(United Mission in Ethiopia and Eritrea, UNMEE)
2001 Razzia gegen oppositionelle G-15; unabhängige Zeitungen in
Eritrea werden verboten
2002 Grenzstreitigkeiten mit Äthiopien gehen weiter
2006 Eritrea wird von der internationalen Staatengemeinschaft beschul-
digt, islamistische Kräfte in Somalia zu unterstützen

Tabelle 2: Schlüsselereignisse der Geschichte Eritreas

23
1.3 Migrationsbewegun- Kriegsparteien generierte die massivsten
gen / Flucht- und Arbeitsmig- Fluchtbewegungen seit 1991. Die Zahl der
ration Binnenvertriebenen wird auf 1,1 Millionen
Menschen geschätzt (IDMC 2008). Auch
«Die schauen Fernsehen und denken Eu- in den Nachbarstaaten Somalias stieg die
ropa oder Amerika ist wie im Hollywood- Zahl der Flüchtlinge nach 2006 erneut si-
Film. Sie denken, hier sei alles einfach, jeder gnifikant an. In Kenia, einem der wich-
habe viel Geld, Arbeit und man könne alles tigsten (Erst-)Aufnahmeländer ausser den
haben. Wenn man ihnen aber versucht zu Golfstaaten, wurden zwischen 2004 und
erklären, dass es hier nicht so einfach ist, 2008 über 71 000 somalische Flüchtlinge
wie sie denken, dann glauben sie einem registriert (UNHCR 2009). Diese suchten
nicht. (…). Es ist wie meiner Mutter zu er- den teilweise prekären Bedingungen in
klären, was Schnee ist, ich kann ihr nicht den überfüllten Flüchtlingslagern zu ent-
erklären, wie kalt der Schnee ist.» kommen und in westliche Aufnahmeländer
Somalischer Jugendlicher, seit 2006 in der weiterzuwandern. Laut den Angaben des
Schweiz UNHCR sind die Asylgesuche von Soma-
liern in Europa, den USA und Kanada im
Somalia Jahr 2008 um 77 % gestiegen (während im
Der seit Jahren schwelende Konflikt in So- Jahr 2007 12 300 Asylgesuche somalischer
malia hat eine grosse Zahl Menschen dazu Staatsbürger registriert wurden, stieg die
veranlasst, ihre Heimat zu verlassen. Seit Zahl auf 21 800 Gesuche im Jahr 2008).
dem 1988 ausgebrochenen offenen Bür- Somalia steht somit 2008 nach dem Irak
gerkrieg und dem Machtvakuum nach dem an zweiter Stelle der Herkunftsländer von
Fall von Siad Barre 1991 versuchten Hun- Asylsuchenden in Europa und Nordame-
dertausende Menschen aus den umkämpf- rika. Während somalische Flüchtlinge in
ten Gebieten zu fliehen und sich in ande- den 1990er-Jahren oft erst auf Umwegen
ren Landesteilen Somalias in Sicherheit zu (nach längeren Aufenthalten in Afrika oder
bringen (Binnenvertriebene). An­dere such- den Golfstaaten) nach Europa gelangten,
ten in den Nachbarländern Kenia, Äthio- zeichnet sich in den letzten Jahren vermehrt
pien, Jemen oder Dschibuti Schutz, wo sie eine Tendenz zur Direktwanderung ab. Die
mehrheitlich in Flüchtlingslagern unterge- in den 1990er-Jahren geflohenen Somalier
bracht wurden. Viele migrierten, wenn die haben sich zwischenzeitlich in Europa eta-
Möglichkeit bestand, in der Folge aus den bliert – die «neuen» Flüchtlinge gelangen
umliegenden Erstaufnahme­staaten weiter einfacher zu Informationen über Migra-
nach Europa oder Nord­amerika. Die anhal- tions- und Niederlassungsmöglichkeiten
tende politische Instabilität und insbeson- (Efionay-Mäder und Moret 2007). Zu den
dere die Kämpfe in und um Mogadischu europäischen Hauptaufnahmeländern der
ab 2006 liessen die Zahl der somalischen jüngsten somalischen Abwanderungswelle
Flüchtlinge erneut drastisch ansteigen; (im Jahr 2008) gehören Italien (4500), die
der Konflikt zwischen den verschiedenen Niederlande (3800), Schweden (3300) und

24
10 000
23 000
25 000
Moskau
50 000 18 000
Amsterdam
London
Frankfurt
20 000 Kiew
Paris 7000
6000
10 000 –
15 000
Rom Istanbul
Madrid
??? Ankara
Athen 5000

5000

Tripolis

5000
Tamanrasset 8000 – Dubai
Kufra
15 000 30 000
50 000

Agadez

Asmara
Dakar Karthoum 120 000 –
Bamako
250 000
??? 6000 –
8000
Adis Abeba

30 000 –
50 000

200 000 –
300 000
Nairobi

Abbildung 3: Geschätzte Grösse der somalischen Diaspora (ohne Amerika und Austra-
lien). Die hier angegebenen Zahlen basieren allesamt auf Schätzungen des Bundesamtes
für Migration (BFM) im September 2008 und sollten als Richtwerte verstanden werden.
Die Exilgemeinschaften verändern sich durch Zu- und Weiterwanderung und natürliches
Bevölkerungswachstum stetig. Es wurden Staaten berücksichtigt, in denen sich sicher
mindestens 5000 Somalier aufhalten. Die Schätzung umfasst sowohl legal wie illegal
anwesende Personen.
Quelle: BFM 2008

25
die Schweiz (2000) (UNHCR 2009). Gross- den Ölgeschäft zu arbeiten. Ende 1980er-
britannien, Holland und Italien beherber- Jahre waren nahezu 350 000 Somalis im
gen die grössten somalischen Exilgemein- Mittleren Osten tätig (Van Hear 2005).
schaften in Europa. Dies lässt sich durch die Diese älteren Exilgemeinschaften, welche
Kolonialgeschichte sowie unterschiedliche sich vorwiegend aus Arbeitsmigranten zu-
Asyl- und Unterstützungspolitiken der Auf- sammensetzten, unterhielten enge Verbin-
nahmeländer erklären. Die Somalier sind dungen mit Verwandten und Bekannten in
eine der verstreutesten Flüchtlingsgruppen Somalia. Durch Familiennachzug und die
der Welt. Ende der 1990er-Jahre wurden in in den 1980er-Jahren einsetzende Flucht­
über 60 Ländern Asylgesuche von somali- migration sind diese Gemeinschaften in
schen Staatsangehörigen gestellt (Van Hear den letzten Jahren stark gewachsen.
2005). Zuverlässige Angaben zum Umfang
der somalischen Diaspora gibt es nicht; Eritrea
Schätzungen gehen aber davon aus, dass «Von Eritrea bin ich und meine Frau und
1 – 1,5 Millionen Somalier im Exil leben meine Tochter zu Fuss über die Grenze in
(Pérouse de Montclos 2003; SFM 2006). den Sudan gegangen und von dort weiter
mit einem Lastwagen durch die Wüste nach
«Ich muss ehrlich sagen, nach dem Bür- Libyen. Dort sind wir mit einem Schiff, auf
gerkrieg sind wir nicht als ganze Familie in dem mehr als 40 Menschen waren, Rich-
ein Land gekommen. Der eine ist dorthin, tung Italien gefahren. Das Schiff war völlig
die andere dorthin. Ich kam in die Schweiz, überfüllt. Die Überfahrt ist sehr gefährlich
meine Mutter ist immer noch in Kenia. und die Bootsfahrer wissen oft selber nicht,
Meine Schwester ist in England. Als ich in wohin sie fahren. Wir waren drei Tage auf
der Schweiz ankam, dachte ich zuerst, ich dem Boot und wir hatten fast kein Trink-
sei in Schweden. Erst später wusste ich, wasser und keine Nahrung mehr.»
dass ich in der Schweiz war» Eritreischer Familienvater, seit 2007 in der
Somalische Frau mit Schweizer Pass Schweiz

Die somalische Exilgemeinschaft hat sich Sowohl der dreissigjährige Unabhängig-


jedoch nicht nur durch Fluchtmigration keitskrieg als auch der darauf folgende
gebildet. Während der Kolonialzeit, insbe- Grenzkonflikt mit Äthiopien kurz vor der
sondere der zweiten Hälfte des 19. Jahr- Jahrtausendwende haben Migrations-
hunderts, waren viele Somalier in der bri- und Fluchtbewegungen in und aus Eritrea
tischen Marine tätig. Nach dem Rückgang gene­riert. Die anhaltende Militarisierung
der britischen Seefahrtstätigkeit konnten und Zwangsrekrutierung sowie die poli-
sich diese Somalis anderen Tätigkeiten in tische und kulturelle Unterdrückung der
England zuwenden (Pérouse de Montclos eritre­ischen Gesellschaft durch das Regime
2003). In den 1970er- und 1980er-Jahren haben die eritreische Fluchtbewegung
verliessen viele Somalier ihr Heimatland auch nach der formellen Beendigung des
Richtung Golfstaaten, um im prosperieren- kriegerischen Konflikts mit Äthiopien wei-

26
ter vorangetrieben. Einer der wichtigsten Mittel und andere Umstände erlauben,
Faktoren für die stetige Abwanderung aus Richtung Europa oder Nordamerika verlas-
Eritrea ist die seit Mai 1998 zeitlich unbe- sen. Im Jahr 2008 sind die Asylgesuche von
grenzte aktive Militärpflicht. Personen, wel- eritreischen Staatsangehörigen in Europa
che aus dem Militärdienst entlassen wur- und Nordamerika im Vergleich zum Vorjahr
den, können jederzeit ohne Begründung um 34 % gestiegen (UNHCR 2009). Die
wieder einberufen werden. Dies schränkt Zahl der eritreischen Asylgesuche stieg von
die Lebensperspektiven der jungen Ge- Rang 24 im Jahr 2007 auf Rang 9 im Jahr
neration stark ein. Andere Gründe für die 2008 (2007: 9160 registrierte Asylgesuche,
anhaltende Abwanderungsbewegung sind 2008: 12 309 registrierte Asylgesuche, UN-
die Repression gegenüber Oppositionellen HCR 2009). Nicht vergessen werden dürfen
und offiziell nicht anerkannten Religions- die im eigenen Land vertriebenen Perso-
gemeinschaften sowie mangelnde ökono- nen; während des eritreisch-äthiopischen
mische Perspektiven. Immer mehr junge Grenzkonfliktes wurden bis zu 1,1 Millio-
Eritreer versuchen, sich der drohenden oder nen Eritreer innerhalb des eigenen Landes
bereits aktiven Dienstpflicht durch eine vertrieben (IDMC 2006). Der grösste Teil
Flucht ins Ausland, zunächst vor allem in dieser Menschen konnte zwischenzeitlich
die umliegenden Länder Sudan oder Äthi- in ihre Heimatregion (nahe der Grenze
opien, zu entziehen. Ein ähnliches Muster zu Äthiopien) zurückkehren. Wegen der
wie bei den somal­ischen Flüchtlingen lässt anhaltenden Spannungen lebten im Jahr
sich beschreiben. Die umliegenden Erstauf- 2005 aber noch immer 45 000 Eritreer als
nahmeländer werden, sofern es finanzielle Binnenflüchtlinge (IDMC 2006). In den

27
3000 –
4000 1500 –
2000 Moskau
15 000 –
20 000 1000
Amsterdam
London 8000 –
10 000
Kiew
Paris Frankfurt
5000
2000 –
6000
Rom
Istanbul
Madrid 12 000 –
Ankara
20 000 Athen

2000
Tripolis

7000
6000
Tamanrasset Dubai
Kufra

1000 –
5000

Agadez

Asmara
Dakar Karthoum
Bamako 1500

120 000 –
200 000
Adis Abeba

300 000 –
400 000

Nairobi

Abbildung 4: Geschätzte Grösse der eritreischen Diaspora (ohne Amerika und Austra-
lien). Die hier angegebenen Zahlen basieren allesamt auf Schätzungen des Bundesamtes
für Migration (BFM) im September 2008 und sollten als Richtwerte verstanden werden.
Die Exilgemeinschaften verändern sich durch Zu- und Weiterwanderung und natürliches
Bevölkerungswachstum stetig. Es wurden Staaten berücksichtigt, in denen sich sicher
mindestens 1000 Eritreer aufhalten. Die Schätzung umfasst sowohl legal wie illegal an-
wesende Personen. Andere Schätzungen weichen teilweise erheblich von den vom BFM
gemachten Angaben ab. So wird die eritreische Gemeinschaft in Deutschland auf bis zu
25 000 Menschen geschätzt (Schröder 2004 und Conrad 2006).
Quelle: BFM 2008

28
1960er- und 1970er-Jahren arbeiteten – anderen (insbesondere aus den Arabischen
ebenfalls vergleichbar mit den Somaliern Staaten Richtung Europa, Australien und
– viele Eritreer in den nahen Golfstaaten im Nordamerika, innerhalb Europas von Italien
Ölgeschäft. Ein beachtlicher Teil des dort nach Nordwesteuropa) sowie durch natür-
verdienten Geldes floss zurück nach Erit- liches Bevölkerungswachstum hat sich der
rea, um die Unabhängigkeitsbestrebungen Umfang der verschiedenen Exilgemein-
des Landes finanziell zu unterstützen. schaften im Laufe der Zeit stark verändert
vgl. Kapitel 5: Rückkehr, sekundäre Migra- (Schröder 2004). Die eritreische Gemein-
tion und transnationale Beziehungen schaft in der Schweiz hat in den letzten
Jahren bedeutenden Zuwachs erhalten,
Die Angaben zur effektiven Grösse der eri­ dies insbesondere durch den markanten
treischen Diaspora differieren stark; verläss- Anstieg von eritreischen Asylsuchenden.
liche Daten gibt es keine. Laut Schätzungen Anfang 2009 lebten ungefähr 7000 bis
von Experten kann aber davon ausgegan- 7500 Eritreer in der Schweiz.
gen werden, dass rund ein Drittel aller Eri- vgl. Kapitel 2: Somalische und eritreische
treer im Exil leben (Koser 2003, Schröder Bevölkerung in der Schweiz
2004). Die eritreische Diaspora zählt also
bei einer geschätzten Residenzbevölkerung
von 3,6 Millionen gut 1 Million Menschen.
Zu den Hauptaufnahmestaaten von eritrei-
schen Flüchtlingen gehören an erster Stelle
die Nachbarländer Sudan und Äthiopien.
Durch die Arbeitsmigration der 1960er-
und 1970er-Jahre und die dadurch hervor-
gerufene Kettenwanderung leben zudem
eine beträchtliche Zahl von Eritreern –
mehrheitlich Muslime – in den Golfstaaten.
In Europa sind die grössten eritreischen
Gemeinschaften in Grossbritannien, Ita­
lien und Deutschland zu finden. Schröder
(2004) weist darauf hin, dass die eritreische
Gemeinschaft in Deutschland mit etwa
24 000 bis 25 000 Personen im Jahr 2003
die zahlenmässig grösste in Europa dar­
stellte.4 Durch die jüngste Abwanderungs-
welle, umfassende Migrationsbewegun-
gen von einzelnen Teilgemeinschaften zu

4 Der Begriff eritreische Gemeinschaft beinhaltet alle Personen


eritreischer Herkunft, unabhängig von der Staatsbürger-
schaft, unter der sie in Deutschland leben.

29
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Zeitungsartikel
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ber 2007: Nichts wie raus aus Eritrea.

Reporters Sans Frontières, 22 oc-


tobre 2008: Dans le monde de l'après-11
septembre, seule la paix protège les liber-
tés.
www.rsf.org

31
2 Somalische und eritreische
Bevölkerung in der Schweiz
In Kürze

– Im Jahre 2008 lebten schätzungs­weise – Von 1981 bis 2007 wurden 1079
7000 bis 7500 Somalier und 7500 Somalier und zwischen 1995 und 2007
Eritreer in der Schweiz. 2008 haben 805 Eritreer eingebürgert. Aufgrund von
2849 Eritreer und 2014 Somalier in der statistischen Ungenauigkeiten, Wegzug
Schweiz ein Asylgesuch eingereicht. und Todesfällen kann aber nicht genau
Eritrea stand somit an erster Stelle der gesagt werden, wie viele eingebürgerte
Asylgesuche in der Schweiz, Somalia Somalier und Eritreer effektiv in der
belegte den zweiten Platz. Schweiz leben.
– Aufgrund der allgemeinen Lage
in Somalia werden praktisch keine
Wegweisungen nach Somalia verfügt.
Die grosse Mehrheit der somalischen
Asylsuchenden werden vorläufig in der
Schweiz aufgenommen (Status F). Ein
Grossteil der eritreischen Asylsuchenden
wird seit einem Urteil der Schweizeri-
schen Asylrekurskommission im Jahr
2006, in der Schweiz als Flüchtlinge
anerkannt.
– Die Mehrheit der Somalier und
Eritreer in der Schweiz leben in grösse-
ren Städten. Im Kanton Zürich befinden
sich rund 22 % der Somalier und 15 %
der Eritreer. Auch in den Kantonen
Bern, Aargau, Genf und Waadt gibt
es grössere somalische und eritreische
Gemeinschaften.
– Das Geschlechterverhältnis der Somalier
in der Schweiz ist relativ ausgeglichen
(53 % Männer und 47 % Frauen); bei
der ständigen eritreischen Wohnbe-
völkerung überwiegt der Männeranteil
(60 % Männer und 40 % Frauen).

33
2.1 Migration von Somaliern heitlich um Frauen, die grossem Risiko aus-
und Eritreern in die Schweiz gesetzt waren (Walther 2009). Die instabile
politische Lage nach dem Abzug der UNO-
Somalia Truppen aus Somalia 1995 generierte eine
«Wenn man die zwei, drei Gruppen ver- erneute Abwanderungsbewegung aus So-
gleicht, waren es bei der ersten Gruppe malia, was sich auch auf die Asylgesuchzah-
politische Gründe. Damals waren es len in der Schweiz auswirkte. In den Jahren
Geschäfts­leute, reiche Leute. Danach war 1996 und 1997 ersuchten insgesamt 1869
Bürgerkrieg, man brachte sich in Sicher- Somalier in der Schweiz um Asyl. Das Wie-
heit, man musste seine Freunde, seine Fa- deraufflammen der Kämpfe Ende 2006
milie retten. Und nun ist es katastrophal. Es hat die umfassendsten Fluchtbewegungen
gibt keine Regierung, es gibt nichts. Es gibt seit 1991 ausgelöst – die Asylgesuchzahlen
keine Universität, keine Berufsschule. Die von Somaliern in Europa und Nordamerika
Neuankömmlinge werden von allen Titanic haben im Jahr 2008 um 77 % zugenom-
People genannt. Das heisst, dass sie beim men (2007: 12 336, 2008: 21 823) (UNHCR
Überqueren des Meeres in Lebensgefahr 2009). In der Schweiz haben im Jahr 2008
waren.» insgesamt 2014 Personen aus Somalia
Somalier, seit 1987 in der Schweiz um Asyl ersucht, während im Jahr 2007
lediglich 464 somalische Asylgesuche bei
In den 1980er-Jahren gelangten nur we- den schweizerischen Behörden eingingen.
nige Somalier in die Schweiz, um Asyl zu Das Bundesamt für Migration führt die
beantragen (vgl. Abbildung 5). Anfang der stark gestiegenen Asylgesuche aus Soma-
1990er-Jahre stiegen die Asylgesuchzahlen lia im Jahr 2008 unter anderem auf eine
von Somaliern markant an und erreichten neue Migrationsroute von Personen aus
1993 mit 2396 Gesuchen einen Höhe- dem Subsaharagebiet zurück, welche über
punkt. Der Bürgerkrieg sowie der Zusam- Libyen nach Italien und in die Schweiz führt
menbruch der staatlichen Strukturen in und welche in zunehmendem Mass auch
Somalia Anfang der 1990er-Jahre erklären von Somaliern genützt wird (BFM 2009).
diese signifikante Zunahme. Neben den
individuell eingereisten Asylsuchenden Die vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges in
gewährten die schweizerischen Behörden die Schweiz geflüchteten Somalier waren
zudem 1994 / 1995 rund 163 Somaliern vorwiegend Personen, welche mit dem so-
mittels eines Kontingents1 die Einreise in zialistischen Regime von Siad Barre in Kon-
die Schweiz. Dabei handelte es sich mehr- flikt geraten waren. Es handelte sich dabei
laut Aussagen von diversen Gesprächspart-
1 Kontingentsflüchtlinge sind Flüchtlinge, die zwar in einem
Erstasylland Zuflucht gefunden haben, dort aber wegen nern meistens um gut gebildete Somalier
drohender Abschiebung, des Fehlens von medizinischen
Behandlungsmöglichkeiten, der Unmöglichkeit der Integra- aus der Oberschicht. Dazu gehörten bei-
tion oder der nur vorübergehenden Schutzgewährung nicht
bleiben können. Im Rahmen seines Mandates setzt sich das
spielsweise einflussreiche Händler oder
UNHCR für eine dauerhafte (nachhaltige) Lösung ein. Dazu hohe Beamte. Als der somalische Bürger-
gehört auch das «resettlement», die definitive Wiederan-
siedlung in einem Drittstaat (Schertenleib 2005). krieg Ende der 1980er-Jahre ausbrach,

34
3000
Somalia Eritrea

2500

2000

1500

1000

500

0
80 85 90 95 00 05 08

Abbildung 5: Somalische und eritreische Asylgesuche 1980-2008


Quelle: AUPER

verliessen Einzelpersonen und Familien Eritrea


aus allen sozialen Schichten ihr Heimat- «Sagen wir so, vorher war ich Äthiopier.
land. Da die Weiterreise nach Europa aus Ich habe dafür gekämpft, nicht Äthiopier
den umliegenden Erstaufnahmeländern zu sein, aber von der Schweiz wurde ich
aber äusserst kostspielig war, erreichten offiziell als Äthiopier anerkannt. Es stimmt,
hauptsächlich Personen mit einem soli- dass es für die Schweiz schwierig ist, Sta-
den finanziellen Hintergrund die Schweiz. tistiken zu erstellen, denn die meisten Eri-
Im Gegensatz dazu ist anzunehmen, dass treer, die auf schweizerischen Boden ge-
die Somalier, welche in den letzten Jahren langten, waren nicht Äthiopier. Ich würde
in die Schweiz migrierten, aufgrund des sagen, zu 95 % waren wir Eritreer, aber
seit mehr als 15 Jahre dauernden Bürger­ wir wurden als Äthiopier anerkannt. »
kriegs auf keine oder nur eine geringe Eritreer, seit 1982 in der Schweiz
Schulbildung zurückgreifen können. Es
handelt sich dabei vorwiegend um Perso- Wie aus der Abbildung 5 ersichtlich wird,
nen zwischen 18 und 30 Jahren, wobei wurden in den 1980er-Jahren wenig Asyl-
der Anteil an Männern leicht überwiegt. gesuche von Eritreern in der Schweiz ge-
vgl. Kapitel 2.3: Soziodemografische An- stellt. Dabei ist zu beachten, dass Personen
gaben eritreischer Herkunft erst ab 1991 / 1993,
als Eritrea die Unabhängigkeit erlangte,
von den schweizerischen Behörden als

35
solche erfasst wurden. Vor diesem Datum in den 1980er-Jahren in die Schweiz mig-
galten die Eritreer offiziell als Äthiopier und rierten, schätzen den Anteil Eritreer unter
wurden dementsprechend registriert. Des- den «Äthiopiern» gar bis auf 95 %.
halb lässt sich heute nicht mit Bestimmt-
heit sagen, wie viele Eritreer vor 1993 Die ersten Eritreer, welche in die Schweiz
effek­tiv in der Schweiz um Asyl ersuchten. kamen, waren vorwiegend Studenten.
Pendente Asylgesuche von «eritreischen Zudem arbeiteten vereinzelt eritreische
Äthiopiern» wurden nach der eritreischen Frauen als Hausangestellte bei Diploma-
Eigenstaatlichkeit von den schweizerischen ten in der Schweiz. Einige dieser Perso-
Behörden korrigiert; alle bereits vor 1993 nen beantragten nach Beendigung des
entschiedenen Gesuche aber figurieren Studiums oder des Arbeitsverhältnisses in
in den Asylstatistiken weiterhin unter der der Schweiz Asyl, da sie der zunehmen-
Rubrik Äthiopien. Laut Bundesamt für Mi- den Repression des äthiopischen Regimes
gration kann der Anteil von Eritreern bei entgehen wollten. Aus demselben Grund
äthiopischen Asylsuchenden vor 1993 auf lässt sich nach dem äthiopischen Regi-
mindestens 30 % geschätzt werden. Nach mewechsel 1974 und insbesondere nach
Aussagen von Experten können in der ehe- den äthio­pischen Grossoffensiven in Erit-
maligen Bundesrepublik Deutschland rund rea Ende der 1970er-Jahre eine Zunahme
80 % der als Äthiopier registrierten Perso- «äthio­pischer» Asylgesuche in der Schweiz
nen der eritreischen Gemeinschaft zuge- feststellen.2 Weitere Eritreer flüchteten auf-
rechnet werden (Schröder 2004). Mitglie-
2 1974: 3 Asylgesuche aus Äthiopien, 1976: 18 Gesuche,
der der eritreischen Gemeinschaft, welche 1978: 52 Gesuche, 1982: 153 Gesuche

36
grund der Spannungen innerhalb der eri- 2005) sind allerdings zum Schluss gekom-
treischen Befreiungsbewegung zwischen men, dass andere Faktoren wie beispiels-
der ELF und der EPLF. weise Familien- oder Schleppernetzwerke
entscheidend für die Wahl des Ziellandes
Ende der 1980er-Jahre, kurz vor der Un- von Asylsuchenden sind und die entspre-
abhängigkeit Eritreas, kann ein leichter chenden Asylpolitiken der jeweiligen Län-
Anstieg von eritreischen Asylgesuchen der nur eine marginale Rolle spielen (vgl.
beobachtet werden. Dies könnte auf die Moret 2006). Die geografische Nähe der
oben erwähnte Korrektur von den als Schweiz zu Italien kann als weiterer Grund
«Äthiopier» registrierten Eritreern zu- für den Anstieg der Asylgesuche von Eritre-
rückzuführen sein. Nach der international ern in den letzten Jahren genannt werden,
anerkannten Eigenstaatlichkeit Eritreas da eine der wichtigsten Migrationsrouten
1993 bis Ende der 1990er-Jahre – den so- von Personen aus dem Subsaharagebiet
genannten «Goldenen Jahren» – sanken über Libyen nach Italien (Lampedusa oder
die Asylgesuchzahlen von Eritreern in der Sizilien) führt; eine Weiterwanderung in die
Schweiz. Der eritreisch-äthiopische Grenz- Schweiz liegt nahe (BFM 2009).
konflikt und die Repressionsmassnahmen
von Isayas Afeworki ab 2001 (vgl. Kapitel
1.2: Geschichtlicher Abriss und aktuelle
politische Situation) erklären den erneuten
Anstieg von eritreischen Asylsuchenden
ab 1998. Für die markante Zunahme von
eritreischen Asylgesuchen im Jahr 2006
gibt es verschiedene Gründe. Einerseits hat
sich die politische und sozioökonomische
Situation in Eritrea weiter verschlechtert;
die eritreischen Asylgesuche stiegen im
Jahre 2006 auch in Norwegen (2005: 177,
2006: 316), Schweden (2005: 425, 2006:
608) und Grossbritannien (2005: 1900,
2006: 2737), den wichtigsten Aufnahme-
ländern in Europa, an. Andererseits hat die
Praxisänderung der schweizerischen Asyl-
behörden in den Jahren 2005 / 2006 auch
dazu beigetragen, dass Eritreer ab diesem
Zeitpunkt vermehrt in der Schweiz um
Asyl ersuchen (vgl. Kapitel. 2.2: Schweizer
Migrationspolitik gegenüber somalischen
und eritreischen Asylsuchenden). Jüngere
Studien zu diesem Thema (Besson et al.

37
2.2 Schweizer Migrations­ ten und da sich die allgemeine Situation in
politik gegenüber somali- diesen Nordprovinzen relativ stabil präsen-
schen und eritreischen tierte, beschloss das Bundesamt für Flücht-
Asylsuchenden linge (BFF) 1997, dass die Wegweisung
nach Somaliland und Puntland – unter
gewissen Bedingungen3 – zumutbar sei. Es
Somalia waren jedoch nur eine geringe Anzahl von
Nur wenige Asylsuchende aus Somalia, Personen, welche den Kriterien entspra-
welche vor 1992 in die Schweiz kamen, chen und in die Nordprovinzen Somalias
wurden in den 1980er-Jahren als Flücht­ weggewiesen wurden. Alle anderen soma-
linge anerkannt. Aufgrund der allgemeinen lischen Asylgesuchsteller wurden weiterhin
Situation in Somalia (Bürgerkrieg, Zusam- vorläufig in der Schweiz aufgenommen.
menbruch der staatlichen Strukturen) und Aufgrund der Situation in Somalia und
einer gleichzeitigen massiven Zunahme so- der geltenden Asylpraxis war die Anerken-
malischer Asylgesuche in der Schweiz be- nungsquote für Asylsuchende aus Somalia
schloss das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) weiterhin relativ tief. Im Jahr 2001 plante
(heute Bundesamt für Migration, BFM) im das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) ein
April 1992, dass der Vollzug der Wegwei- Rückkehrhilfeprogramm für Personen aus
sung nach Somalia nicht zumutbar sei. Somalia, welches die freiwillige Rückkehr
Dies hatte zur Folge, dass Somalier, welche nach Somalia fördern sollte. Dabei stand
in diesen Jahren ein Asylgesuch stellten, die berufliche und soziale Reintegration in
vorläufig in der Schweiz aufgenommen Somalia im Vordergrund. 20 Somalier zeig-
wurden (Ausweis F). Rückführungen nach ten anfänglich Interesse am Programm,
Somalia wurden keine vollzogen. Etliche schlussendlich verliessen aber – im Rahmen
dieser Personen sind inzwischen eingebür- dieses Programms – nur 11 Personen die
gert worden oder haben durch eine Härte­ Schweiz Richtung Somalia; 3 dieser Perso-
fallregelung eine Aufenthaltsbewilligung B nen kehrten später wieder in die Schweiz
erhalten. Andere leben weiterhin – seit vie- zurück. Aufgrund der geringen Nachfrage
len Jahren – mit einer F-Bewilligung in der wurde das Projekt zur freiwilligen Rückkehr
Schweiz. Ein nicht zu unterschätzender Teil nach Somalia vom Bundesamt für Flücht-
der Soma­lier, welche Anfang der 1990er- linge (BFF) eingestellt. Seit dem 1. Juni
Jahre in die Schweiz gelangten, verliess 2002 können Somalier aber die individuelle
die Schweiz wieder, da sich diese Personen Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Bisher
anderswo (Grossbritannien, skandinavische haben 9 Personen von diesem Angebot
Länder) bessere Aufnahme­bedingungen Gebrauch gemacht.
versprachen (vgl. Kapitel 5: Rückkehr, se-
kundäre Migration und transnationale Am 8. Juni 2006 korrigierte die schweize-
Beziehungen). Nachdem sich Mitte der rische Asylrekurskommission (ARK) (heute
1990er-Jahre Somaliland als unabhängig
3 Volljährige Männer, welche ursprünglich aus den Nordpro-
und Puntland als autonom bezeichnet hat- vinzen oder aus einem dort ansässigen Clan stammten.

38
Bundesverwaltungsgericht, BVGer) in ei- überhaupt Schutz vor Verfolgung finden
nem publizierten Urteil (EMARK 2006 / 18) könne (Schutztheorie). Trotz dieser Praxis-
die bisher geltende Asylpraxis des Bun- änderung stieg die Anerkennungsquote
desamt für Migration (BFM) bezüglich der für Asylsuchende aus Somalia nicht we-
Flüchtlingseigenschaft bei nicht staatlicher sentlich an (2005: 3,6 %, 2007: 6,4 %). Die
Verfolgung.4 Die Asylrekurskommision Asylpolitik des Bundesamtes für Migration
(ARK) kam nach einer Beschwerde eines (BFM) gegenüber somalischen Asylsuchen-
somalischen Asylgesuchstellers5, welcher den stützt sich heute auf ein Urteil der
lediglich vorläufig in der Schweiz aufge- ARK (EMARK 2006/2), welches die Ansicht
nommen worden war, zum Schluss, dass vertritt, dass der Vollzug der Wegweisung
bei der Behandlung der Asylgesuche nicht nach Zentral- und Südsomalia weiterhin
die Frage im Vordergrund stehe, von wem unzumutbar sei, der Vollzug der Wegwei-
die Verfolgung ausgehe, sondern ob die sung für Personen nach Nordsomalia aber
betroffene Person in ihrem Heimatland als zumutbar zu erachten sei, sofern der
4 Eine Verfolgung war in der Schweiz – bis zum Urteil der Betroffene enge Verbindungen zur Region
ARK – grundsätzlich nur dann flüchtlingsrechtlich relevant,
wenn sie vom Staat ausging oder diesem zumindest indirekt hat, sich dort eine Existenz aufbauen kann
zuzurechnen war. Da Somalia faktisch nicht mehr existierte oder mit der Unterstützung eines Familien-
und die von somalischen Asylsuchenden geltend gemachten
Verfolgungen (z.B. durch Kriegsherren oder Clanmilizen) clans rechnen kann. Nach wie vor erhalten
nicht vom Staat ausgingen, wurde grundsätzlich keinem
Gesuchsteller aus Somalia die Flüchtlingseigenschaft zuge- somalische Asylsuchende in der Regel ei-
sprochen.
5 Der Asylgesuchsteller aus Somalia hatte anlässlich seines
nen F-Status, werden also vorläufig in der
Asylgesuchs geltend gemacht, er sei von einer Clanmiliz Schweiz aufgenommen.
festgenommen, für Zwangsarbeit missbraucht und durch
Misshandlungen verstümmelt worden.

39
Eritrea Asylsuchenden an. Die schweizerischen
Nur sehr wenige Asylsuchende aus Eritrea Asylbehörden warteten aber aufgrund
(damit sind auch Personen gemeint, welche der nicht vorhersehbaren Entwicklung des
vor 1993 als Äthiopier registriert wurden) Konflikts mit der Beurteilung der Asylge-
erhielten in den 1980er- und 1990er-Jah- suche von Mitte 1999 bis Januar 2001 zu.
ren in der Schweiz den Flüchtlingsstatus. Im Jahr 2001 plante das Bundesamt für
Die meisten der eritreischen Asylgesuch- Flüchtlinge (BFF) spezielle Rückkehrhilfe­
steller wurden damals aus der Schweiz programme für Eritrea, Somalia und Äthi-
weggewiesen; das heisst, ihr Asylgesuch opien. Mit spezifischen Massnahmen (fi-
wurde abgelehnt. Eine nicht bestimmbare nanzielle Unterstützung und Vorbereitung
Anzahl dieser Personen wanderten nach in der Schweiz), welche auf die Bedürfnisse
dem negativen Asylentscheid in ein Dritt- des jeweiligen Landes abgestimmt waren,
land weiter. Verschiedene Hinweise deuten sollen die Rückkehr und die Wiedereinglie-
aber darauf hin, dass nur wenige Eritreer derung von Asylsuchenden und Flüchtlin-
die Schweiz verliessen. Zwangsweise Rück- gen im Heimatland erleichtert werden.
führungen von Eritreern gab es trotz der Da die Pilotprogramme zur freiwilligen
restriktiven Asylpraxis keine. Ein grosser Rückkehr nach Äthiopien und Somalia auf
Teil der Eritreer, welche in den 1980er- und geringes Interesse stiessen, wurde das vor-
1990er-Jahren in die Schweiz kamen, ha- gesehene Projekt für Eritrea zurückgestellt.
ben im Laufe der Jahre trotz eines negativen Einzelne Eritreer nahmen die individuelle
Asylentscheides in der Schweiz Fuss fassen Rückkehrhilfe für Personen aus dem Asyl-
können und verfügen heute über einen und Ausländerbereich in Anspruch. Dabei
geregelten Aufenthaltsstatus. Sie erhielten handelte es sich hauptsächlich um betagte
infolge einer kantonalen Härtefallregelung Personen, welche nach Eritrea zurückkehr-
oder im Rahmen der Aktion für eritreische ten, um ihre letzten Tage in ihrem Heimat-
Staatsangehörige6 eine vorläufige Auf- land verbringen zu können.
nahme und später eine Aufenthalts- oder
Niederlassungsbewilligung oder wurden Nachdem im Jahre 2001 eine Delegation
eingebürgert. Auch nach der Unabhän- des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF)
gigkeit Eritreas 1993 kehrten nur wenige im Rahmen einer Dienstreise nach Eritrea
Eritreer freiwillig in ihr Heimatland zurück, gereist war, veränderte sich die eher re-
da sie sich bereits in der Schweiz inte­griert striktive Praxis der schweizerischen Asyl-
hatten und ihren Kindern eine gute Aus- behörden gegenüber eritreischen Asylsu-
bildung ermöglichen wollten. Während chenden. Das Bundesamt für Flüchtlinge
des äthiopisch-eritreischen Grenzkrieges (BFF) befand, dass die Zumutbarkeit der
(1998-2000) stieg die Zahl der eritreischen Wegweisung7 für Personen aus dem Süd-
gebiet Eritreas, aufgrund der dortigen
6 Im Jahre 2000 erhielten rund 300 Personen mit eritreischer
Staatsangehörigkeit, welche vor dem 1. Juli 1993 in der 7 Wird wegen einer konkreten Gefährdung oder aufgrund
Schweiz ein Asylgesuch gestellt und bisher keinen geregel- einer schwerwiegenden persönlichen Notlage verfügt, dass
ten Aufenthaltsstatus hatten, eine vorläufige Aufnahme der Vollzug der Wegweisung nicht zumutbar sei, wird die
(Ausweis F). Person vorläufig in der Schweiz aufgenommen (Ausweis F).

40
kriegsbedingten Zerstörungen, der Minen­ eritreischen Asylgesuche mit Militärhinter-
felder und der humanitären Situation grund bis 2005 abgelehnt.
vertieft abzuklären sei, insbesondere für
Frauen / Familien mit Kleinkindern und be- In einem publizierten Urteil verfügte
tagte Personen. Diese Ansicht wurde im die schweizerische Asylrekurskommission
Jahre 2004 von der Schweizerischen Asyl- (ARK) 2006, dass die Bestrafung für Dienst-
rekurskommission (ARK) (heute Bundes­ verweigerung oder Desertion in Eritrea als
verwaltungsgericht, BVGer) bestätigt. In- politische Verfolgung (Verrat an der natio-
folge dieser ersten Praxisänderung wurden nalen Sache / Staatsidee, absoluter Malus)
eritreische Asylsuchende, welche aus dem gelte und Personen aus Eritrea mit einem
Süden Eritreas stammten, vermehrt vorläu- solchen Profil in der Schweiz als Flücht­linge
fig in der Schweiz aufgenommen. anzuerkennen seien. Durch dieses Urteil
der Asylrekurskommission ARK (EMARK
Die zunehmende Militarisierung und Un- 2006/3) hat sich die Situa­tion von eritrei-
terdrückung der Bevölkerung in Eritrea schen Asylgesuchstellern in der Schweiz
führte die schweizerischen Asylbehörden stark verändert; die Anerkennungsquote
im September 2005 zur Ansicht, dass die stieg von 6,1 % im Jahre 2005 auf 82,6 %
Bestrafung (langjährige Inhaftierung und im Jahr 2006. Zahlreiche eri­treische Asyl-
Folter) einer Dienstverweigerung in Eritrea suchende haben heute die Perspektive, in
unverhältnismässig hoch sei (Art. 3 EMRK) der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt zu
und eritreische Wehrdienstverweigerer werden. Ende 2008 befanden sich 3684
und Deser­teure in der Schweiz wegen Personen – die Mehrheit der eritreischen
Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzu- Wohnbevölkerung in der Schweiz – im
ges8 vorläufig aufzunehmen seien. Bereits Asylprozess (Ausweis N) und warteten auf
in den 1990er-Jahren hatten eritreische einen Asylentscheid. Dies hing damit zu-
Asylsuchende ihr Gesuch mit einer Deser- sammen, dass das Bundesamt für Migra-
tion oder Refraktion aus dem Militärdienst tion (BFM) die seit 2005 stark gestiegenen
begründet; dies infolge der Einführung Asylgesuche nicht in erster Priorität behan-
der nationalen Wehrpflicht in Eritrea. Die delte.
schweizerischen Asylbehörden befanden
aber, dass eine Desertion kein Asylgrund
sei, da der Militärdienst eine Bürgerpflicht
darstelle und die Bestrafung eines sol-
chen Vergehens als rechtsstaatlich legitime
Massnahme zu beurteilen sei. Mit dieser
Argumentation wurden die meisten der

8 Völkerrechtliche Verpflichtungen (Genfer Flüchtlingskon-


vention, Europäische Menschenrechtskonvention oder
Folter­konvention) der Schweiz stehen einer Wegweisung
oder Weiterreise in den Heimatstaat entgegen – die Person
wird vorläufig in der Schweiz aufgenommen (Ausweis F).

41
2.3 Soziodemografische Eine genauere Untersuchung der Alters­
Angaben pyramide (vgl. Abbildung 7) zeigt signi-
fikante Unterschiede beim Geschlechter-
Die somalische Bevölkerung in der anteil nach Altersgruppen: Während bei
Schweiz den meisten Altersgruppen einigermassen
Ende 2008 waren in der Schweiz 7689 ausgeglichene Geschlechterverhältnisse
Personen aus Somalia gemeldet. Die Mehr- vorzufinden sind, ist der Anteil der Männer
heit unter ihnen waren entweder vorläu- in den Altersklassen der 15- bis 34-jährigen
fig aufgenommen (Ausweis F: 2819) oder Personen weitaus grösser als derjenige der
befanden sich im Asylprozess (Ausweis N: Frauen. Dies verweist darauf, dass in den
2166). Weitere 1230 Personen waren im letzten Jahren mehrheitlich junge Männer
Besitz einer Jahresaufenthaltsbewilligung ein Asylgesuch gestellt haben.
B und 395 hatten eine Niederlassungsbe-
willigung C (vgl. Abbildung 6). Es kann Die eritreische Wohnbevölkerung
jedoch davon ausgegangen werden, dass in der Schweiz
es zu zahlreichen Weiterwanderungen Ende 2008 lebten schätzungsweise 7500
soma­lischer Personen – auch mit sicherem Personen eritreischer Herkunft in der
Aufenthaltsstatus – gekommen ist (vgl. Schweiz. Die grosse Mehrheit (3684) die-
Kapitel 5.1.2: Sekundäre Migration). Die ser Personen befanden sich im Asylpro-
aktuelle Zahl von in der Schweiz lebenden zess (N-Ausweis) und 716 waren vorläufig
Somaliern kann auf 7000 bis 7500 Perso- aufgenommen (F-Ausweis). Weitere 1827
nen geschätzt werden. Zwischen 1981 und Personen besassen eine Jahresaufenthalts-
2007 wurden 1079 Personen somalischer bewilligung B und 539 Personen hatten
Herkunft in der Schweiz eingebürgert. eine Niederlassungsbewilligung C (vgl. Ab-
bildung 8). Zwischen 1995 und 2007 ha-
Geschlecht und Altersstruktur ben 805 Personen eritreischer Herkunft die
Nach Angaben des Zentralen Ausländerre- Schweizer Staatsbürgerschaft erhalten.9
gisters (ZAR) ist das Geschlechterverhältnis
der ständigen somalischen Wohnbevölke- Geschlecht und Altersstruktur
rung in der Schweiz mit 53 % Männern Die Angaben des Zentralen Ausländerre-
und 47 % Frauen relativ ausgeglichen. gisters (ZAR) zeigen, dass bei der ständigen
Nimmt man die Zahlen aus der Asylstatis- eritreischen Wohnbevölkerung (ohne Ein-
tik (AUPER), zeigt sich jedoch ein etwas gebürgerte) die Zahl der Männer mit 60 %
anderes Bild: Der Männeranteil bei den etwas höher liegt als die der Frauen mit
Personen, die sich im Asylprozess befinden
(mit Ausweis N und F), ist mit 68 % weitaus 9 Es ist anzunehmen, dass die aktuelle Zahl aufgrund von
Todesfällen und Wegzügen kleiner ist. Da es bislang keine
grösser als der Anteil der Frauen mit 32 %. genaue Analyse der Mobilität und der Alterszusammenset-
zung der eingebürgerten Eritreer gibt, ist es nicht möglich,
genaue Angaben zu machen. Zudem muss berücksichtigt
werden, dass eine nicht bestimmbare Zahl von Eritreern mit
äthiopischer Staatsangehörigkeit vor 1995 eingebürgert
wurde oder weiterhin als Äthiopier registriert ist.

42
1230 Aufenthaltsbewilligungen (B)
395 Niederlassungsbewilligungen (C)
2819 Vorläufige Aufnahmen (F)
2166 Asylsuchende (N)

Abbildung 6: In der Schweiz lebende Somalier nach Aufenthaltsstatus


Quelle: ZAR, Stand am 31.12.2008 / AUPER, Stand am 31.1.2009 (ohne internationale Funktionäre)

80+ Männer Frauen


75−79
70−74
65−69
60−64
55−59
50−54
45−49
40−44
35−39
30−34
25−29
20−24
15−19
10−14
5− 9
0− 4

500 400 300 200 100 0 100 200 300 400 500

Abbildung 7: Alterspyramide der somalischen Wohnbevölkerung


Quelle: ZAR / AUPER 2007. Stand am 31.12 2007

43
1827 Aufenthaltsbewilligungen (B)
539 Niederlassungsbewilligungen (C)
716 Vorläufige Aufnahmen (F)
3684 Asylsuchende (N)

Abbildung 8: In der Schweiz lebende Eritreer nach Aufenthaltsstatus


Quelle: ZAR, Stand am 31.12.2008 / AUPER, Stand am 31.1.2009 (ohne internationale Funktionäre)

80+
Männer Frauen
75−79
70−74
65−69
60−64
55−59
50−54
45−49
40−44
35−39
30−34
25−29
20−24
15−19
10−14
5− 9
0− 4

600 500 400 300 200 100 0 100 200 300 400 500 600

Abbildung 9: Alterspyramide der eritreischen Wohnbevölkerung


Quelle: ZAR / AUPER 2007. Stand am 31.12 2007

44
40 %. Nimmt man demgegenüber die Zah- 12 Jahren immer noch eine F-Bewilligung
len aus der Asylstatistik (AUPER), so stellt besitzen, je nach Kanton schwierig, einge-
man fest, dass bei den Personen, die sich bürgert zu werden. Für Jugendliche aus der
im Asylprozess befinden, der Männeranteil zweiten Generation gestaltet sich die Ein-
nochmals höher liegt: 69 % sind Männer bürgerung hingegen ab dem 14. Lebens-
und 31 % Frauen. jahr in der Regel einfacher, da die Anforde-
rungen einfacher sind und der Ausweis F
Die Untersuchung der Alterspyramide (vgl. oft akzeptiert wird.
Abbildung 9) zeigt, dass der Männeranteil
in den mittleren Altersklassen der 20- bis Von 1981 bis 2007 wurden 1079 Personen
34-Jährigen stark überwiegt. Während bei somalischer Herkunft in der Schweiz einge-
den 40 bis 44-Jährigen eine leichte Mehr- bürgert. Aufgrund von Weiterwanderung,
zahl von Frauen festzustellen ist. Bei den Rückkehr und Tod kann nicht genau ge-
Personen im Kindesalter (bis 14-jährig) sagt werden, wie viele der eingebürgerten
sind die Geschlechterverhältnisse hingegen Personen heute noch in der Schweiz leben.
eher ausgeglichen. Die Einbürgerungen stiegen seit Ende der
1990er-Jahre leicht an (vgl. Abbildung 10).
Einbürgerungen Der Anstieg ist damit zu erklären, dass ab
Ausländer, welche seit 12 Jahren in der diesem Zeitpunkt die ersten Personen die
Schweiz leben, können ein Gesuch für eine Aufenthaltsdauer von 12 Jahren erreicht
Einbürgerung stellen. Die Jahre zwischen haben.
dem vollendeten 10. bis zum 20. Lebens-
jahr zählen doppelt. Das Einbürgerungsver- «Denn ich kann sagen, dass 90 % oder gar
fahren ist dreistufig; der Bund erteilt das mehr der Eritreer, die in den 1980er-Jahren
Bürgerrecht. Die Kantone verfügen jedoch in die Schweiz gekommen sind, eingebür-
je über unterschiedliche Wohnsitz- und gert sind. Heute sind es fast alle. Ausser ein
Eignungsvoraussetzungen, über die Perso- paar Fälle, die nicht arbeiten können, die
nen, die sich einbürgern lassen möchten, den Ausweis B nicht bekommen haben, die
verfügen müssen. Viele Kantone prüfen die aufgrund von Geschichten in der Klemme
Sprachkenntnisse der Bewerber sowie de- stecken, ich weiss nicht (…), ich würde sa-
ren Kenntnisse der Staatskunde durch eine gen jene, die nicht integriert wurden.»
speziell dafür eingesetzte Kommission. In Schweizer mit eritreischen Wurzeln
den letzten Jahren wurden die Anforde-
rungen in einigen Kantonen erhöht. Auch Zwischen 1995 und 2007 haben 805 Per-
werden sozialhilfeabhängige Kandidaten sonen eritreischer Herkunft die Schweizer
in vielen Kantonen abgewiesen. Meistens Staatsbürgerschaft erworben. Da wie be-
wird von den Kantonen eine Aufenthalts- reits erwähnt Eritreer vor 1993 als äthio­
oder eine Niederlassungsbewilligung (Aus- pische Staatsbürger erfasst wurden, gibt
weis B und C) vorausgesetzt. Deshalb ist es es eine unbestimmbare Zahl von Eritreern,
gerade für Somalier, welche nach mehr als die sich vor 1995 einbürgern liessen und

45
350 Eritrea
Somalia
300

250

200

150

100

50

0
81 82 88 90 91 92 94 95 96 97 98 99 00 01 02 03 04 05 06 07

Abbildung 10: Einbürgerungen eritreischer und somalischer Staatsangehöriger


(1981-2007)
Quelle: ZAR (1981-2007)

in der Statistik jedoch nicht erfasst werden. destens fünf Jahren in der Schweiz leben,
Im Jahr 2007 erhielten 45 042 Personen10 können ebenfalls in ihrem Wohnsitzkanton
die Schweizer Staatsbürgerschaft (BFM ein Gesuch für eine Aufenthaltsbewilligung
2008), davon waren 122 eritreischer und (Ausweis B) stellen. Im Jahr 2007 erhielten
334 soma­lischer Herkunft. 3395 Personen eine entsprechende Bewil-
ligung. Personen im Asylprozess können
Härtefälle nach fünf Jahren ein Gesuch im Rahmen
Seit dem 1. Januar 2007 werden drei For- der Härtefallregelung begründen (2007
men von Härtefällen in Gesetz und Praxis waren es 800 Personen). Wichtigstes Kri-
unterschieden. Personen ohne gültige terium ist die erfolgte Integration. Alle Re-
Aufenthaltsbewilligung, deren Wegwei- gelungen sind im Ausländergesetz Art. 31
sung einen persönlichen Härtefall bedeu- zu finden. Die Härtefallregelung bietet für
ten würde, können bei den kantonalen die somalischen und die eritreischen Perso-
Behörden ein Gesuch für eine Bewilligung nen mit vorläufiger Aufnahme (Ausweis F),
stellen. Akzeptiert der Kanton das Gesuch, welche seit mehreren Jahren in der Schweiz
so prüft das Bundesamt für Migration, ob leben, eine Möglichkeit, eine Jahresaufent-
die Aufnahme gewährt werden kann. Vor- haltsbewilligung zu erhalten. Die Chancen
läufig Aufgenommene, welche seit min- für eine Umwandlung des Aufenthalts­
10 Das Bundesamt für Statistik verweist darauf, dass der Anteil
status sind jedoch je nach Kanton – auf-
der Kinder und Jugendlichen seit 1990 (28 %) kontinuierlich grund der ungleichen Praktiken – sehr un-
auf rund 40 % im Jahr 2006 angestiegen ist (Haug et al.
2007). terschiedlich.

46
Wohnkantone beide Flüchtlingsgruppen eher in den be-
Asylsuchende Personen werden bei ihrer völkerungsreichen Städten konzentrieren.
Einreise in die Schweiz gemäss einem Ver- Personen, welche bereits über eine Auf-
teilschlüssel einem Kanton zugeteilt. Die enthalts- oder Niederlassungsbewilligung
somalische und die eritreische Bevölkerung verfügen, haben – unter bestimmten Vo-
sind deshalb in der Deutschschweiz stärker raussetzungen – freie Wohnsitzwahl, das
vertreten als in der französischsprachigen heisst, sie können ihren Wohnort selbst
Schweiz. Rund 22 % der Somalier und bestimmen, unterliegen also nicht mehr
15 % der Eritreer leben im Kanton Zürich, den Bedingungen des Verteilschlüssels. Die
dem bevölkerungsreichsten Kanton der Konzentration der ständigen eritreischen
Schweiz. Weitere Kantone mit grösserer und somalischen Wohnbevölkerung in be-
somalischer und eritreischer Wohnbevöl- völkerungsreichen Kantonen mit grösseren
kerung sind die Kantone Bern, St. Gallen, Städten kann auf die dort bereits vorhan-
Aargau und Luzern. In der französischspra- denen Gemeinschaften, bessere Ausbil-
chigen Schweiz leben die meisten Som­alier dungs- und Erwerbsmöglichkeiten sowie
und Eritreer im Waadtland und im Kanton ein dichteres Netzwerk an Beratungsstellen
Genf. Dabei ist festzustellen, dass sich zurückgeführt werden.

km
Minimum: 12 (Appenzell I. R.) Maximum: 1040 (Zürich)
0 25 50

Abbildung 11: Wohnkantone der eritreischen Wohnbevölkerung (2008)*


Quelle: ZAR, Stand am 31.12.2008 / AUPER, Stand am 31.1.2009

* Erstellt mit Philcarto: http://perso.club-internet.fr/philgeo, Clémence Merçay / Institut de géographie UNINE

47
km
Minimum: 8 (Appenzell I. R.) Maximum: 1467 (Zürich) 0 25 50

Abbildung 12: Wohnkantone der somalischen Wohnbevölkerung (2008)*


Quelle: ZAR, Stand am 31.12.2008 / AUPER, Stand am 31. 1.2009

* Erstellt mit Philcarto: http://perso.club-internet.fr/philgeo, Clémence Merçay / Institut de géographie UNINE

48
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Schertenleib, Jürg (2005): Kontingents-


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Pflicht, Bern: SFH.

Schröder, Günter (2004): Die eritreische


Gemeinschaft in Deutschland. Materialien
für eine quantitative Analyse. Frankfurt.

49
3 Sozioökonomische Integration
Definition: Integration
Der Begriff Integration (lat. integrare = wiederherstellen, ergänzen, oder integer wie
griech. entagros = unberührt, unversehrt, ganz) wurde in den letzten Jahren zu einem
Modewort in Gesellschaft und Politik. Doch die Bedeutung des Begriffs bleibt oftmals
ungeklärt und ohne klare Definition.
Im Grundsatzartikel zur Integration (Art. 4) im Ausländergesetz wird festgehalten, dass
das Ziel der Integration ein Zusammenleben der einheimischen und der ausländischen
Bevölkerung auf der Grundlage der Werte der Bundesverfassung und der gegenseiti-
gen Achtung und Toleranz sei. Integration soll ausländischen Personen ermöglichen,
am wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft teilzuhaben.
Das setzt sowohl entsprechenden Willen der ausländischen Bevölkerung als auch die
Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraus. Zudem sei es erforderlich, dass
sich Ausländer mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Lebensbedingungen in der
Schweiz auseinandersetzen und eine Landessprache erlernen.

3.1 Ausbildung und


Sprachenförderung
In Kürze
– Der Bildungsstand der somalischen Element zwischen den Generationen
und der eritreischen Bevölkerung liegt und ermöglicht die Kommunikation
im Durchschnitt unter demjenigen der zwischen den oft in unterschiedlichen
Schweizer und auch unter demjenigen Ländern lebenden Familienangehörigen.
der ausländischen Gesamtbevölkerung. – Obwohl die meisten Somalier und
– Es ist sowohl den Somaliern als auch Eritreer es als wichtig erachten, dass
den Eritreern ein zentrales Anliegen, ihre Kinder die Muttersprache sprechen,
ihren Kindern eine gute Ausbildung zu legen sie auch grossen Wert darauf,
ermöglichen. Somalische und eritreische dass ihre Kinder eine schweizerische
Jugendliche, welche in der Schweiz Landessprache beherrschen, da dies als
aufgewachsen sind, können in der Regel wichtig für die schulische, ökonomische
auf eine solide schulische Grundausbil- und soziale Integration angesehen wird.
dung zurückgreifen. Bei Jugendlichen,
welche erst kurze Zeit in der Schweiz
sind, gestaltet sich die schulische Inte­
gration anfangs schwieriger.
– Der Muttersprache – Somali und
Tigrinya – kommt in der Diaspora eine
wichtige Bedeutung zu. So ist die
gemeinsame Sprache verbindendes

51
3.1.1 Bildung gründete Nationale Universität in Mogadi-
schu – lange Zeit die einzige Universität im
Schulbildung in Somalia Land – wurde zu Beginn des Bürgerkriegs
In der Folge des Bürgerkrieges Anfang geschlossen. Seit 1997 wurden mehrere
der 1990er-Jahre kam es in Somalia zum private Universitäten und andere Privat­
Zusammenbruch der staatlichen Instituti- schulen eröffnet. Diese Bildungseinrich-
onen. Auch das Bildungssystem hat sich tungen stehen jedoch nur einer kleinen
zusehends verschlechtert. Durch den Krieg städtischen Oberschicht mit entsprechen-
wurden Schulen und andere staatliche und den finan­ziellen Mitteln zur Verfügung. In
private Bildungseinrichtungen geschlos- Somali­land hingegen gibt es fünf und in
sen oder zerstört. Ein geregelter Schul- Puntland drei funktionierende Universitä-
ablauf war – und ist bis heute – in vielen ten.
Gebieten des Landes nicht möglich oder
wurde immer wieder unterbrochen. Mit Schulbildung in Eritrea
Ausnahme von Somaliland und Puntland, Nach Angaben der UNESCO liegt die
wo die allgemeine Lage etwas stabiler ist, Alpha­betisierungsrate in Eritrea bei Kin-
existiert in Zentral- und Südsomalia kein dern und Jugendlichen mit 86 % (bei den
staatliches Bildungswesen. Schulbildung Knaben etwas höher) weitaus höher als
wird von privaten Institutionen mithilfe bei den Erwachsenen mit 64 % (Männer
inter­nationaler Organisationen und ande- 76 % und Frauen 53 %). Die eritreische Re-
rer Nichtregierungs­organisationen und vie- gierung hat in den letzten Jahren verschie­
lerorts von den traditionellen Koranschulen dene Reformen im Bildungswesen durch-
(madrassas) angeboten. Viele der religiösen geführt. Trotz widriger Umstände konnten
Schulen werden von islamistischen Grup- Fortschritte im Bildungsbereich (Erhöhung
pen geführt. der Alphabetisierungsrate und der Einschu-
lungsquote, Ausbildung von Lehrkräften)
Die UNESCO geht davon aus, dass die gemacht werden.
Alpha­betisierungsrate in Somalia bei Er-
wachsenen unter 30 % liegt. Laut Schät- Die Grundschulausbildung umfasst acht
zungen der UNICEF lag die Einschulungs- Jahre Primarschule, wobei die ersten fünf
quote auf Primarschulebene 2004 bei den Jahre obligatorisch und unentgeltlich sind.
Jungen bei 13 % und bei den Mädchen bei Danach folgen vier Jahre Sekundarschule.
7 %. Bildungsprogramme haben in ein- Nach Angaben des Erziehungsministeriums
zelnen Gebieten zu einer Steigerung der besuchen rund 71 % die obligatorische
Einschulungsquote beigetragen, dennoch Primar­schule1, wobei die Einschulungs­
sind die Schulen ständig von den wieder- quote bei den Jungen rund 10 % höher
aufflammenden Kämpfen bedroht. Zudem liegt als bei den Mädchen. Infolge vorzeiti-
herrscht landesweit ein grosser Mangel
an qualifizierten Lehrkräften und guten 1 Die Zahl 71 % bezieht sich auf die Einschulungsquote eines
Jahrgangs, d.h., 71 % der Sechsjährigen werden in die 1.
Lehrmitteln. Die in den 1970er-Jahren ge- Klasse der Primarschule eingeschult.

52
gen Schulabbruchs (bei Mädchen aufgrund gen. Nur eine beschränkte Anzahl Schüler
von Heirat) verringert sich dieser Anteil je- wird zum Studium zugelassen. Neben den
doch bis zur 8. Klasse beständig. Nach of- staatlichen Schulen existiert eine Reihe von
fiziellen Angaben besuchen nur 25 % die Privatschulen, besonders in den grösseren
Sekundarschule. Laut UNESCO liegt die Ein- Städten. Zudem besuchen viele Kinder im
schulungsquote aber weitaus tiefer als die Tiefland islamische Koran­schulen, die so-
von den eritreischen Behörden gemachten genannten Khelwa, in denen – meist vor
Angaben: 38 % der Mädchen und 44 % der Einschulung in die öffentliche Schule –
der Jungen besuchen gemäss UNESCO die arabische Sprache gelehrt und Koran­
die Primarschule. Alle Schüler müssen seit unterricht angeboten wird. Der Zugang
2002 ihren Sekundarschul­abschluss an der zur höheren Schulbildung stellt besonders
Militärschule Ik‘ealo Warsay Secondary für die länd­liche Bevölkerung weiterhin ein
School in Sawa ablegen.2 Danach kön- Problem dar. In vielen ländlichen Gebieten
nen die Besten ein Studium an einem der gibt es nur wenige Schulen und es feh-
Colleges aufnehmen; die übrigen Schü- len qualifizierte Lehrkräfte. Ausbildungs­
ler werden zur Ableistung des offiziell 18 möglichkeiten im tertiären Bereich bie-
Monate dauernden Wehrdienstes eingezo- ten die verschiedenen Colleges sowie die
University of Asmara und das Institute of
2 Das 12. Schuljahr kann nur an der Militärschule in Sawa
abgeschlossen werden. Das Schuljahr beginnt mit einer Science and Techno­logy an. Die Universität
dreimonatigen militärischen Grundausbildung, danach
folgen sechs Monate Studienzeit. Im Anschluss daran finden
wurde 2004 vorläufig geschlossen und ist
die Abschlussprüfungen statt, bevor in den verbleibenden heute wieder offen.
drei Monaten die militärische Grundausbildung abgeschlos-
sen wird.

53
60

50

40

30

20

10

0
Eritreer Somalier andere Ausländer Schweizer

Kein Abschluss Obligatorische Schule

Sekundarstufe II Tertiärstufe

Abbildung 13: Bildungsstand der eritreischen und der somalischen erwachsenen Wohn-
bevölkerung (ab 25 Jahre) im Vergleich zur schweizerischen Bevölkerung (in %)*
Quelle: Eidgenössische Volkszählung 2000 (25 Jahre und mehr)

* Die Sekundarstufe II beinhaltet: Maturitätsschule, Diplommittelschule, Berufsschule, Berufslehre, Berufsmaturität, Anlehre. Die
Tertiärstufe beinhaltet Abschlüsse folgender Bildungsinstitutionen: Universität, Fachhochschule, Höhere Fachhochschule und
Technikum.

In der Schweiz Abschluss liegt bei der somalischen Bevöl-


Die Angaben über den Bildungsstand der kerung (22 %) leicht höher als bei den Eri-
somalischen und der eritreischen Bevöl- treern (17 %). Dies ist unter anderem auf
kerung in der Schweiz sind unvollständig. die schlechte Bildungssituation in Somalia
Dennoch lassen sich aus den verschiedenen zurückzuführen. Zudem zeigt sich, dass es
Statistiken und aufgrund der geführten bei den Somaliern sowie bei den Eritreern
Gespräche einige allgemeine Tendenzen in der Schweiz nur einen kleinen Anteil
ableiten. Der Bildungsstand der beiden von Personen mit Universitätsabschluss
Migrantengruppen liegt im Jahre 2000 im oder einer anderen höheren Ausbildung
Schnitt unter dem der Schweizer und auch (12 % und 7 %) gibt. Dies hängt einerseits
unter dem der ausländischen Gesamtbe- mit dem Bildungswesen in den Herkunfts­
völkerung (vgl. Abbildung 13). ländern zusammen und andererseits auch
mit der Situation in der Schweiz. Sprach-
Bei beiden Gruppen hat rund die Hälfte probleme, schwer zugängliche Ausbil-
die obligatorische Schule abgeschlossen. dungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten
Der Anteil der Personen ohne schulischen für Flüchtlinge sowie die Nichtanerken-

54
nung von Diplomen machen es schwierig, der Kinder. Wenn die Kinder nicht beste-
höhere Ausbildungstitel zu erlangen. Zu- hen, leiden die Familien darunter.»
dem ist davon auszugehen, dass die höher Eritreer, seit 1982 in der Schweiz, vier
qualifizierten Migranten aus Somalia und Kinder
Eritrea eher in englischsprachige Länder
gezogen sind, da sich ihnen dort aufgrund Die überwiegende Mehrheit der soma­
der bereits vorhandenen Englischkennt- lischen und der eritreischen Migranten in
nisse bessere Bildungs- und Arbeitspers- der Schweiz misst der Ausbildung eine sehr
pektiven bieten. wichtige Bedeutung zu. Besonders stark
verbreitet ist der Wunsch, dass die Kinder
«Damals kamen sehr wenige in die eine gute schulische Ausbildung absolvie-
Schweiz. Wer die Mittel hatte, um über- ren. Bessere Bildungschancen spielen eine
all hingehen zu können – alle ehemaligen wichtige Rolle für Familien und deren Ent-
Minister, die Politiker, die Generäle – ging scheidung zu einem weiteren Verbleiben in
in die USA, nach Kanada oder England. der Schweiz. Häufig hängt der schulische
Sie ziehen es vor, in ein englischsprachiges Erfolg von Kindern mit Migrationshinter-
Land zu gehen.» grund von der soziokulturellen und öko-
Somalier, seit 1987 in der Schweiz nomischen Situation der Familie ab. Wenn
die Eltern wenig Kenntnisse der lokalen
Viele Institutionen und Personen aus der Sprache und des Schulsystems haben,
Integrationsarbeit weisen darauf hin, kann sich dies auf den schulischen Erfolg
dass bei den Somaliern, besonders unter ihrer Kinder auswirken. Gezielte Förderung
Frauen, aber auch bei den jüngeren asyl- und Unterstützung durch Lehrer oder an-
suchenden Männern, Analphabetismus dere Fachpersonen (z.B. Sonderklassen,
ein Thema sei. Aufgrund der schlechten integrative Schulung, Sprachunterricht),
Situation des Bildungswesens in Somalia aber auch durch die Eltern selbst, indem
verfügen viele über keine oder nur geringe sie das schulische Engagement ihrer Kin-
Lese- und Schreibkenntnisse. Dies hat weit- der wert­schätzen oder an Informations-
reichende Konsequenzen, v.a. bei der schu- veranstaltungen zum schulischen System
lischen und beruflichen Integration sowie teilnehmen, helfen den Kindern, allfällige
beim Besuch von Sprachkursen. Bei den Schwierigkeiten zu meistern (Fibbi und
eritreischen Asylsuchenden scheint sich ein Wanner 2002). Lafranchi (2002) hat fest-
etwas anderes Bild zu zeigen: Die meis- gestellt, dass regelmässiger Austausch zwi-
ten von ihnen haben in Eritrea die Schule schen Lehrern und Eltern die schulischen
besucht und verfügen oftmals auch über Leistungen der Kinder fördert. Allzu hohe
Englisch­kenntnisse. Erwartungen der Eltern an ihre Kinder be-
züglich deren schulischer Leistungen und
Wichtige Rolle der Ausbildung die Identifikation des Status einer Familie
«Zwischen den Familien besteht eine Art über die schulischen Erfolge der Kinder
Wettbewerb in Bezug auf die Schulnoten können diese aber auch einem grossen

55
Druck aussetzen. In der Regel werden das Geschlecht, die nationale Herkunft und
Söhne und Töchter praktisch gleichermas- der Sozialstatus spielen eine wichtige Rolle.
sen gefördert. Manche junge Frauen sehen Die Chancen, höhere Bildungsabschlüsse
in einer guten schulischen Ausbildung und zu erreichen, sind bei gleichen Leistungen
einer Hochschulausbildung auch eine Mög- je nach sozialer Herkunft verschieden. So
lichkeit, der Kontrolle des Elternhauses – spielen die berufliche Stellung der Eltern
beispielsweise durch ein Studium in einer sowie die Bildungsnähe der Familie eine
anderen Stadt – auszuweichen. zentrale Rolle. Jugendliche aus Familien
mit Migrationshintergrund sind aufgrund
Studien weisen darauf hin, dass der Schul- eines niedrigen sozialen Status in dieser
erfolg nicht nur von den persönlichen schu- Hinsicht häufig benachteiligt (ebd. 2004).
lischen Fähigkeiten, sondern auch vom Statistische Daten zur Schul- und Ausbil-
Geschlecht sowie von der sozialen und der dungssituation von somalischen und eri-
nationalen Herkunft abhängig ist (vgl. Ha- treischen Kindern und Jugendlichen sind
eberlin et al. 2004). Laut Haeberlin nahm in nicht verfügbar. Verschiedene Fachperso-
den letzten Jahren der Anteil ausländischer nen haben im Rahmen dieser Studie darauf
Jugendlicher in der Realschule laufend zu. hingewiesen, dass es bei neu ankommen-
Die Hälfte von ihnen geht heute in die Real­ den somalischen Familien (Asylsuchende)
schule, gegenüber einem Viertel bei den Probleme mit der schulischen Eingliede-
Schweizer Jugendlichen. Gründe hierfür rung der Kinder gibt. Viele somalische
sind einerseits mangelnde Leistungen auf- Eltern und Kinder sind eine grund­legend
grund von Sprachproblemen und verspä­ andere Tagesstruktur gewohnt. In der
teter Einschulung, aber auch Merkmale wie Schweiz Alltägliches, wie beispielsweise die

56
Kinder ausgerüstet mit Schulmaterial und und sagen, das sei ein normales Kind.»
Verpflegung pünktlich in den Kindergar- Eritreischer Mann mit Schweizer Pass
ten oder die Schule zu bringen, wird zur
Herausforderung. Die schlechte oder nicht Aufgrund der verschiedenen Gespräche, die
vorhandene Grundausbildung von Kindern im Rahmen dieser Studie geführt wurden,
und Jugendlichen aus Somalia erschwert kann vermutet werden, dass soma­lische
eine rasche Eingliederung in das schweize- und eritreische Kinder der zweiten Gene-
rische Schulsystem zusätzlich. Ambulante ration auf eine solide Grundausbildung in
Heilpädagogik oder Familienbegleitung der Schweiz zurückgreifen können. Einige
durch speziell dafür ausgebildete Fach- verfügen über einen Universitätsabschluss
personen sind Massnahmen, welche den oder befinden sich im Studium. Andere ab-
betroffenen Familien helfen können, die solvieren eine Berufslehre. Jedoch gestaltet
Integration in schweizerische Tagesabläufe sich die Lehrstellensuche nicht immer ein-
(Zeit- und Arbeitsmanagement) zu erleich- fach. Besonders Jugendliche, die nicht die
tern. Solche Hilfeleistungen können aber ganze schulische Laufbahn in der Schweiz
auch als ungewollter Eingriff ins Familienle- absolviert haben, oder die bei ihrer Ein-
ben wahrgenommen werden, welcher von reise 16 Jahre alt oder älter waren, haben
manchen Familien mit einem Misserfolg grössere Schwierig­keiten. Der mangelnde
gleichgesetzt wird. Auch unterschiedliche Bildungshintergrund, Sprachdefizite und
Erziehungshintergründe können zu Prob- Unsicherheiten seitens der Arbeitgeber be-
lemen oder Missverständnissen zwischen züglich des Aufenthaltsstatus erschweren
somalischen / eritreischen Familien und es diesen Jugendlichen, eine Berufslehre
Lehrkräften oder Betreuern führen. Vertre- oder eine weiterführende Ausbildung zu
ter der Schulen haben darauf hingewiesen, absolvieren.
dass sie nur ungenügend informiert sind
über die Familienverhältnisse, das soziale Bei den Eritreern ist davon auszugehen,
Umfeld und die kulturellen Besonderheiten dass die zunehmende Verfestigung der
somalischer und eritreischer Migranten. Aufenthaltssituation durch Einbürger­ungen
und Erlangung eines sicheren Aufenthalts-
«Wenn ein Kind sich mit einem ande- status für die Mehrheit der vor 1993 ein-
ren schlägt, wird es hier bestraft. Bei uns gereisten Eritreer und deren Verbesserung
sind die Kinder draussen, ein Wort kommt der Wohn- und Einkommenssituation sich
zum anderen und wenn sie sich raufen, auch positiv auf den schulischen Erfolg der
ist es normal. Wenn es hier in die Schule Kinder und Jugendlichen auswirkte. Heute
kommt und sich mit anderen Kindern deutet vieles darauf hin, dass die eritrei-
schlägt, hat es (aus Sicht der Lehrer) ein schen Kinder und Jugendlichen, welche in
Psychoproblem, wird zum Arzt geschickt der Schweiz geboren und aufgewachsen
und es wird mit Medikamenten behan- sind, sehr gut in das Schweizer Schulsys-
delt. Die Eltern akzeptieren das dann nicht tem integriert und in der Schule erfolgreich
sind.

57
Neben dem Wunsch nach einer guten Aus- nen der Schweiz heimatlicher Sprach- und
bildung für ihre Kinder haben auch viele Kulturunterricht (HSK) für Kinder und
somalische und eritreische Erwachsene Jugend­liche angeboten3. Der Besuch der
die Absicht, sich weiterzubilden. Man­ HSK-Kurse kann einen positiven Einfluss
gelnde finanzielle Möglichkeiten, verbun- auf die Integration und den Lernerfolg von
den mit einem hohen zeitlichen Aufwand, mehr- und fremdsprachigen Kindern in
erschweren es aber insbesondere Frauen, der Schule haben (vgl. Camprez-Krompàk
Fortbildungslehrgänge zu besuchen. Als 2007). Bei den somalischen Vereinen gibt
Beispiel einer oftmals gewählten Weiter- es die grössten Schulen im Kanton Zürich
bildungsmöglichkeit kann hier der Kurs (bereits seit 1992), dort wird, wie andern-
zur Pflegeassistentin des Schweizerischen orts, die somalische Sprache, aber auch
Roten Kreuzes genannt werden, welcher Religion beziehungsweise Koranunterricht
insbesondere von Frauen besucht und angeboten. Eritreische Vereine organisie-
geschätzt wird. Dieser Kurs bietet in 120 ren ebenfalls bereits seit den 1990er-Jahren
Theoriestunden und einem dazugehörigen Mutterspracheunterricht in Tigrinya und
Praktikum eine Grundausbildung für Perso- heute wird in vielen Kantonen mit grös-
nen, welche im Gesundheits- oder Sozial- seren eritreischen Gemeinschaften HSK-
bereich arbeiten möchten. Unterricht angeboten.

3.1.2 Sprachen Somalia


Die Muttersprache ist ein wichtiges Mit- Das Somali ist eine ostkuschitische Spra-
tel zur Identifizierung mit der Heimat und che und enthält Lehnwörter aus dem Ara­
wirkt als ein verbindendes Element in der bischen, anderen orientalischen Sprachen
Diaspora. Der Wunsch, dass ihre Kinder die und aus den Kolonialsprachen Italienisch
Muttersprache beherrschen, ist für viele und Englisch. Somali wurde erst 1972,
Eltern sehr gross. Oftmals können jedoch unter dem damaligen Staatschef Siad
die Kinder und Jugendlichen, die in der Barre, offizielle Nationalsprache Somalias.
Schweiz geboren sind, diesen Erwartun- Nach der Entkolonialisierung war die
gen nicht entsprechen. Ein grosser Teil der Sprachregelung in Somalia umstritten.
somalischen und der eritreischen Jugend- Während einige sich für das Arabische als
lichen haben meist mündliche Kenntnisse, Staatssprache einsetzten, vertraten andere
aber eher schlechte schriftliche Kenntnisse die Meinung, die Kolonialsprachen als
der Muttersprache. Viele Gesprächspartner offizielle Sprachen beizubehalten. Bevor
haben in diesem Zusammenhang Beden-
ken geäussert, dass die Muttersprache für 3 Heimatsprachliche Kulturunterrichtskurse entstanden in
den 1930er-Jahren auf Initiative von italienischen Flücht­
die zweite Generation an Bedeutung ver- lingen und wurden mit dem Ankommen von italienischen
Arbeitskräften (Saisonniers) nach dem Zweiten Weltkrieg
lieren wird und mit den kommenden Ge- ausgebaut. Seither hat sich Ziel und Zweck dieser HSK-
Kurse verändert. Nicht mehr die Anschlussfähigkeit bei
nerationen vielleicht völlig verschwinden einer allfälligen Rückkehr steht im Zentrum, sondern das
könnte. Um die Kenntnisse der Mutter­ Bestreben, die Integration in der Schweiz zu verbessern. In
einigen Kantonen ist die Erteilung von HSK- Kursen fester
sprache zu fördern, wird in vielen Kanto- Bestandteil des Schulsystems und klar reglementiert.

58
Auschnitt aus einem somalischen Alphabetes durchgeführt. Mit dem Eintritt
Lied* Somalias in die Arabische Liga wurde das
«Waan Duulayaa» Arabische als zweite offizielle Amtssprache
Ragga socodku waa u door wiedereingeführt.
hadduu moodku daayee
Derbi lama fadhiistiyo «Ich finde das sehr, sehr wichtig, dass
halkii kuu darraatee meine Kinder ihre Muttersprache, Somali,
Kol haddaan wax daaqiyo sprechen können, denn es ist Teil unserer
duunyo iga foofayn Kultur. Nicht nur wenn ich einmal zurück-
doqonnimo weeyaan kehren werde, sondern auch wenn wir
innagoo is dul joognaa. [...] einmal in die Ferien gehen, ist es wichtig,
dass sie mit meiner Mutter und anderen
«Ich ziehe fort» Verwandten und vor allem mit den kleinen
Mischt sich der Tod nicht ein, Kindern auf Somali kommunizieren kön-
tut Reisen dem Menschen gut. nen.»
Man bleibt nicht träge an einem Ort, Mutter von zwei Kindern, aus Somalia, seit
an dem es sich nicht leben lässt. 1995 in der Schweiz
Verloren hab ich all mein Vieh und
Vermögen, In der Diaspora kommt der Muttersprache
da würde es von Dummheit zeugen, eine wichtige Bedeutung zu. Somali dient
zusammen hier zu bleiben. [...] als verbindendes Element innerhalb der
* Das Lied Waan Duulayaa stammt aus den 1960er-Jahren.
Gemeinschaft und erleichtert und ermög-
Der Autor ist unbekannt. licht die Kommunikation zwischen den oft
in verschiedenen Ländern ansässigen Fa-
das Somali als offizielle Staatssprache milienmitgliedern. Bedingt durch die zahl­
eingeführt wurde, waren Englisch, Ital­ reichen sekundären Migrationsbewegun-
ienisch und Arabisch Amtssprachen. Dies gen innerhalb der somalischen Diaspora
führte jedoch zu Kommunikations- und sind Kenntnisse der Muttersprache für viele
Verständigungsschwierigkeiten zwischen Somalier besonders wichtig. Zudem spielt
den Behörden und der Bevölkerung. Die auch die Perspektive, zu einem späteren
überwiegende Mehrheit der Bevölkerung Zeitpunkt einmal nach Somalia zurückzu-
sprach zwar Somali, es hatte jedoch nie kehren, eine wichtige Rolle. Die zweite Ge-
eine wirkliche Verschriftung der Sprache neration, die in der Schweiz aufge­wachsen
stattgefunden.4 Unter Barre wurde dann ist, scheint aber in den meisten Fällen
die Verschriftung und Standardisierung des – trotz der Bemühungen der Eltern – nur
Somali unter Einführung des lateinischen begrenzte Kenntnisse der Muttersprache
zu haben. Die meisten somalischen Kinder
4 Zwar war Somali vor 1972 in begrenztem Masse in
arabischer Schrift und auch in einer eigenen Somali-Schrift,
unterhalten sich in einer schweizerischen
Ismaniya, geschrieben worden. Diese beiden Schriften Landessprache und sprechen nur mit ihren
setzten sich aber nicht durch und fanden keine Verbreitung
(Coulmas 1985). Eltern in Somali.

59
Auschnitt aus einem Lied auf aber nur sehr wenige christliche Priester
Tigrinya* und Ordensleute sprechen.

«Ich war letztes Jahr an einer Hochzeit, da


waren eritreische Familien, die in Saudi-
Arabien, Schweden oder Grossbritannien
leben. Einige Kinder sprachen arabisch, an-
dere schwedisch, wieder andere englisch.
Epoche
Die Kinder konnten nicht miteinander re-
Epoche, du hast dich verändert, du hast
den oder spielen, das war wirklich traurig.»
mich verändert. Du hast mich zum Exi-
Schweizerin mit eritreischen Wurzeln, Mut-
lanten gemacht, der in der Unsicherheit
ter von zwei Kindern
lebt, der gesenkten Hauptes umherirrt.
Der Grundrechte beraubt, geschwächt
Die Mehrheit der in der Schweiz lebenden
und hilflos, hast du mir eine Wunde
Eritreer gehören der tigrinischen Volks-
zugefügt, die auf immer offen bleibt …
gruppe an, ihre Muttersprache ist Tigrinya,
* Das Lied stammt vom Sänger, Liedermacher und Autor
Yemane Ghebremichael bekannt als Yemane Baria. eine Sprache, die auch die meisten Eri­treer
anderer ethnischer Herkunft verstehen und
Eritrea sprechen können. Ähnlich wie bei den
Tigrinya und Arabisch haben sich als Somaliern ist es auch für viele Eritreer sehr
eigent­liche Amtssprachen in Eritrea etab- wichtig, dass ihre Kinder Tigrinya sprechen,
liert. Eine offizielle Amtssprache, welche verstehen und auch schreiben und lesen
in der Verfassung verankert ist, existiert können. Die gemeinsame Sprache wirkt als
in Eritrea nicht. Insgesamt werden neun Brückenbauer zwischen den Generationen
Sprachen als Landessprachen anerkannt. und innerhalb der Diaspora. Der Rückkehr-
Darunter die Sprachen der grösseren eth- oder Weiterwanderungsgedanke spielt in
nischen Gruppen: unter anderem Tigre, diesem Zusammenhang eine nicht unbe-
Saho, Bilen, Afar, Kunama, Bedscha und deutende Rolle. Bei den Eritreern der zwei-
Nara. Tigrinya, Tigre und Arabisch gehören ten Generation gewinnt das Beherrschen
zur semitischen Sprachfamilie. Afar, Bed- der Landessprache des Herkunftslandes
scha, Bilen und Saho hingegen sind Teil der auch aufgrund der regelmässigen Ferien-
kuschitischen Sprachgruppe. Während der aufenthalte in Eritrea an Bedeutung.
Kolonialzeit war Italienisch weit verbreitet
und wird auch heute noch – neben dem Schweizerische Landessprachen
Englischen – gesprochen. Eine weitere «Am Anfang war das Schwierigste die
Sprache, welche besonders von der älteren Sprache, ich habe nichts verstanden und
Generation oder Personen, die in Äthiopien konnte mich nicht verständlich machen.
lebten, gesprochen wird, ist das Amhari- Und ich denke, wenn man die Sprache
sche. Zudem ist Ge’ez die Kirchensprache nicht kann, kann man auch nicht arbeiten.
der eritreisch-orthodoxen Kirche, welche Ja, wie willst du dann arbeiten, wie willst

60
du mit den Leuten kommunizieren? Die eine intensive Begleitung, in welcher Form
Sprache ist wirklich sehr wichtig.» das sein soll, weiss ich nicht.»
Schweizerin mit somalischen Wurzeln, Somalische Frau, aktives Vereinsmitglied
Mutter von zwei Kindern
Obwohl die Mehrheit der Somalier und Eri-
Im Allgemeinen wird der Bedeutung der treer es als wichtig erachten, dass ihre Kin-
Sprache im Integrationsprozess eine zen- der Somali oder Tigrinya sprechen, legen
trale Rolle zugeschrieben. Von vielen als sie grossen Wert darauf, dass ihre Kinder
«Schlüssel zur Integration» bezeichnet, eine schweizerische Landessprache beherr-
gilt die Aneignung einer Landessprache schen. Alle somalischen und eritreischen
als wichtige Vorausetzung, um sich in der Gesprächspartner messen der Sprache im
schweizerischen Gesellschaft zurechtzu- Integrationsprozess eine sehr wichtige Be-
finden. Kenntnisse einer Landessprache deutung zu. Fehlende Sprachkenntnisse
ermöglichen die Kommunikation mit der wurden oft als Grund für soziale Isolation
lokalen Bevölkerung und sollen die gesell­ und mangelnde Chancen auf dem Arbeits-
schaftliche und berufliche Integration von markt erwähnt. Auch die befragten Integ-
Migranten erleichtern. Zudem wird die rationsakteure aus den verschiedenen Kan-
Sprachkompetenz als eine der Schlüssel- tonen sind der Meinung, dass die Sprache
qualifikationen bei der beruflichen Einglie- ein zentrales Element für eine gelungene
derung gesehen. Das Beherrschen einer Integration darstellt. Insbesondere für ältere
Sprache allein kann jedoch nicht für eine Menschen, welche nie eine Schule besucht
erfolgreiche Integration stehen. Zusätzlich haben und weitgehend Analphabeten sind,
sollte der Tatsache Rechnung getragen ist das Erlernen einer Schriftsprache jedoch
werden, dass Migranten unterschiedliche mit Schwierigkeiten verbunden. Auch
Begabungen und Fähigkeiten haben, über für Frauen mit mehreren Kindern stellt es
unterschiedliche Bildungshintergründe ver- eine grosse organisa­torische Herausforde-
fügen und in unterschiedlichem Masse Zu- rung dar, Sprachkurse zu besuchen. In den
gang zu Möglichkeiten des Sprachlernens letzten Jahren haben sich die Angebote
haben. an Sprachkursen für Asylsuchende und
Flüchtlinge in der Schweiz vervielfältigt und
«Und es sind immer die Frauen, viele kön- entwickelt, sodass sie vermehrt den Be-
nen nicht lesen und schreiben und sie dürfnissen der einzelnen Kursteilnehmen-
schämen sich, es zuzugeben. Wenn man den angepasst werden konnten. Trotzdem
es jahrelang verschwiegen hat und es dann haben ältere somalische Personen – mehr-
zugeben muss, dass man das nicht kann, heitlich Frauen – teilweise erhebliche Defi-
das ist auch nicht ganz einfach. Obwohl ich zite in Kenntnissen einer Landessprache.
immer sage, niemand ist aus dem Bauch
seiner Mutter gekommen und hat lesen
und schreiben können. Dort brauchen wir

61
Weiterführende Literatur Schröder, Günter (2004): Die eritreische
Gemeinschaft in Deutschland. Materialien
Caprez-Krompàk, Edina (2007): Die für eine quantitative Analyse. Frankfurt.
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In: Eidgenössische Koordinationskommis-
sion für Familienfragen EKFF (Hg.): Fami-
lien und Migration. Beiträge zur Lage der
Migrationsfamilien und Empfehlungen der
Eidgenössischen Koordinationskommission
für Familienfragen: Bern.

62
3.2 Berufliche und wirt- rem auf die traditionelle Rollenvertei-
schaftliche Integration lung innerhalb der Familie zurückführen.
Auch bei den Eritreern liegt die Erwerbs-
In Kürze quote der Frauen unter derjenigen der
– Bei der wirtschaftlichen Integration von Männer, jedoch ist dieser Unterschied
Somaliern und Eritreern muss zwischen weniger stark ausgeprägt.
drei Gruppen unterschieden werden:
erstens die seit mehreren Jahren in der
Schweiz lebenden Personen, zweitens
deren Kinder – die zweite Generation
– und drittens die in jüngster Zeit in die
Schweiz gekommenen somalischen und
eritreischen Asylsuchenden.
– Die bereits seit mehreren Jahren in
der Schweiz lebenden Somalier und
Eritreer sind grundsätzlich besser in den
Arbeitsmarkt integriert als die erst seit
kurzer Zeit anwesenden Personen beider
Gruppen.
– Obwohl Kinder der zweiten Generation
oftmals bessere Voraussetzungen für
eine berufliche Integration mitbrin-
gen als ihre Eltern (Sprachkenntnisse,
schweizerische Schulabschlüsse) werden
somalische und eritreische Jugendliche
bei der Suche nach einer Lehrstelle – im
Vergleich zu Schweizern – benachteiligt.
– Der grosse Teil der arbeitstätigen Soma-
lier und Eritreer sind als unqualifizierte
Arbeitskräfte im Niedriglohnbereich
tätig (Gastgewerbe, Reinigungshilfen,
Pflegebereich). Dies setzt somalische
und eritreische Familien einem erhöh-
ten Armutsrisiko aus; viele Familien
sind gezwungen, Sozialhilfe partiell in
Anspruch zu nehmen.
– Bei den Somaliern zeigt sich bezüglich
der Integration in den Arbeitsmarkt ein
signifikanter geschlechtsspezifischer
Unter­schied. Dies lässt sich unter ande-

63
Integration in den Arbeitsmarkt Einwanderungsgeneration, welche in den
Die wirtschaftliche Eingliederung stellt 1980er- oder 1990er-Jahren in die Schweiz
ein wichtiges Element der Integration von gelangten, zweitens deren Kinder – die
Migranten ins gesellschaftliche Leben im zweite Generation –, die in der Schweiz
neuen Aufenthaltsland dar. Neben einer aufgewachsen sind, und drittens die in den
(teilweisen) finanziellen Unabhängigkeit letzten Jahren in die Schweiz gekomme-
ermöglicht die Einbindung in den Arbeits- nen asylsuchenden Somalier und Eritreer
markt auch soziale Kontakte, erleichtert (Neuankömmlinge). Aufgrund der unter-
und fördert das Erlernen einer Landesspra- schiedlichen Sprachkenntnisse, Bildungs-
che und stellt nicht zuletzt auch eine ge- abschlüsse und Aufenthaltsbewilligungen
sellschaftliche Anerkennung dar. Die Inte­ bieten sich für die drei erwähnten Gruppen
gration in den Arbeitsmarkt ist einerseits unterschiedliche berufliche Chancen und
abhängig von Faktoren der sozialen Kom- Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt.
petenz – insbesondere der Sprache – und
der rechtlichen Situation, namentlich vom Bei der ersten Personengruppe («Altein-
Aufenthaltsstatus (Egger 2003). gesessene») ist die wirtschaftliche Integra-
tion aufgrund der längeren Anwesenheit
Sowohl bei den Somaliern wie auch bei in der Regel besser fortgeschritten als bei
den Eritreern muss hinsichtlich der Inte­ den kürzlich in die Schweiz eingereisten
gration in den Arbeitsmarkt zwischen drei Personen, da die Aufenthaltsdauer eine
Gruppen unterschieden werden. Erstens der wichtigsten Determinanten für eine
die bereits seit mehreren Jahren in der ökonomische Integration ist. Je länger eine
Schweiz lebenden Personen, d.h. die ältere Person in der Schweiz anwesend ist, desto

64
mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, eine «Neuankömmlingen» in den Arbeitsmarkt
Erwerbstätigkeit ausüben zu können. Eine hilfreich ist, sind solche sozialen Netzwerke
längere Anwesenheitsdauer ermöglicht, bei Somaliern und Eritreern zwar teilweise
unabhängig vom Aufenthaltsstatus, das vorhanden, aber weniger stark aktiv. Diese
Aufbauen von wichtigen sozialen Netz- Netzwerke werden sich wahrscheinlich in
werken, das Erlernen einer Landessprache Zukunft weiter vergrössern.
sowie die Aneignung von Kenntnissen
über das Vorgehen bei der Stellensuche «Ich besuche im Moment den Deutschkurs,
(Piguet 2002). Auch Jugendliche und junge aber es ist immer noch sehr schwierig für
Erwachsene aus der zweiten Genera­tion mich, Deutsch zu sprechen, ich habe auch
haben aufgrund ihrer Sprachkenntnisse nie gut Englisch gelernt, ich will die Spra-
und der schweizerischen Schulabschlüsse che lernen und arbeiten. Ich weiss, dass wir
bedeutend weniger Schwierigkeiten, den die ersten 3 Monate nicht arbeiten dürfen,
Einstieg in den schweizerischen Arbeits- aber nun bin ich schon 8 Monate hier und
markt zu schaffen. Aufgrund verschiedener ich möchte arbeiten. Ich habe mein gan-
Faktoren ist jedoch für einige Jugendliche zes Leben gearbeitet. Ich kann nicht sein
der zweiten Generation – trotz der voran- ohne Arbeit. Es ist schwierig für mich, im
geschrittenen schulischen und gesellschaft- Zentrum (Durchgangszentrum für Asylsu-
lichen Integration – der Zugang zu Lehr- chende) zu sitzen und nichts zu tun, des-
stellen und Arbeitsplätzen erschwert (vgl. halb bin ich viel unterwegs.»
Abschnitt «Es ist schwierig, eine Lehrstelle Mann aus Eritrea, seit 2008 in der Schweiz
zu finden …»).
Beinahe alle Somalier und Eritreer sind –
Für die Mehrheit der Somalier und Erit- direkt oder indirekt (d.h. durch Familien­
reer, welche in jüngster Zeit in die Schweiz nachzug) – über den Asylbereich in die
eingereist sind, gestaltet sich die wirt- Schweiz gekommen. Im Gegensatz zu
schaftliche Integration schwierig. Kanto- den hoch qualifizierten Arbeitskräften, die
nale Arbeitsbeschränkungen, mangelnde mehrheitlich aus den Nachbarstaaten kom-
Arbeits­erfahrung und fehlende Sprach- men, ist es für Personen, welche als Asyl-
kenntnisse, welche die Verständigung mit suchende in die Schweiz gekommen sind,
dem Arbeitgeber und dem Arbeitskollegen schwieriger, eine Arbeitsstelle zu finden.
erschweren, verzögern die ökonomische Diese Personengruppe ist von konjunktur-
Integration. Der Wunsch, durch Arbeit wirt- bedingter Arbeitslosigkeit stärker betroffen
schaftliche Unabhängigkeit zu erlangen und ist einem höheren Armutsrisiko aus-
und am gesellschaftlichen Leben teilhaben gesetzt als andere ausländische Personen.
zu können, ist bei vielen Somaliern und Eri- Bedeutend häufiger sind über den Asylweg
treern gross. Anders als beispielsweise bei in die Schweiz gekommene Personen soge-
den Tamilen, welche auf ein gutes soziales nannte Working Poor, d.h. Personen, deren
Netz in der Schweiz zurückgreifen können, Haushaltseinkommen trotz Erwerbstätig-
welches bei einer raschen Integration von

65
keit unter der Armutsgrenze liegt (Egger sechsmonatiges Arbeitsverbot5. Die kanto-
2003). nalen Arbeitsmarktbehörden bestimmen,
in welchen Branchen eine Arbeitsbewilli-
Rolle der Aufenthaltsbewilligung gung oder der Abschluss eines Lehrvertrags
«Ich habe zehn Jahre im Gastgewerbe ge- möglich ist. Zahlreiche Kantone begrenzen
arbeitet. Ich kann mich noch gut erinnern, in diesen Fällen den Zugang zum Arbeits-
als ich im Restaurant X um Arbeit gefragt markt auf einen oder mehrere Bereiche.
habe, habe ich mein Bewerbungsschreiben Diese Bereiche umfassen beispielsweise
mit meinen langjährigen Erfahrungen im eine Beschäftigung in der Landwirtschaft
Gastgewerbe abgegeben und wurde an- und im Gartenbau, im Bauwesen, im
gestellt. Ich hatte damals einen F-Ausweis. Pflege­bereich, bei Betrieben zur Herstel-
Nach einem Monat kam mein Chef und lung von Nahrungsmitteln, in Reinigungs-
fragte mich, was für eine Aufenthaltsbe- firmen oder im Gastgewerbe. Wird ein
willigung ich habe, und ich sagte F. Er war Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt und
ganz erstaunt und fragte, ob ich nicht ge- eine Ausreisefrist angesetzt, erlischt die
wusst hätte, dass man bei ihm nur mit B Arbeits­bewilligung automatisch. Jedoch
oder C arbeiten dürfe. Ich sagte Ja, aber kann asylsuchenden Personen (Ausweis N)
hätten sie mich dann genommen? Ich je nach fremdenpolizeilicher Bestimmung
durfte bleiben, da er mit meiner Arbeit zu- eine Bewilligung zur Arbeitstätigkeit oder
frieden war. Aber auch heute noch werden zur Teilnahme an gemeinnützigen Beschäf-
im Restaurant X nur Leute mit B oder C an- tigungsprogrammen erteilt werden.6 Die
gestellt. Offiziell ist das zwar nicht so, aber Mehrzahl der Somalier und Eritreer warte-
als F hast du weniger Chancen. (…). Doch ten Anfang 2009 auf einen Asylentscheid
man sollte nicht vergessen, dass auch die und waren im Besitz eines N-Ausweises.
Motivation eine entscheidende Rolle spielt Genaue Angaben zur Erwerbsquote von
bei der beruflichen Integration.» Eritreern und Somaliern mit N-Status liegen
Mann aus Eritrea, seit den 1990er-Jahren nicht vor. Aus einer Studie, welche die Situ-
in der Schweiz ation von Personen im Asylbereich (N- und
F-Ausweis)7 auf dem Arbeitsmarkt unter-
Neben der Anwesenheitsdauer, welche un- 5 Aufgrund der starken Zunahme der Asylgesuche Ende
abhängig von der Aufenthaltsbewilligung der 1980er-Jahre wurde 1990 ein Arbeitsverbot während
der ersten drei Monate des Asylverfahrens erlassen. Falls
eine wirtschaftliche Integration begüns- ein Asylgesuch in erster Instanz abgelehnt wird, kann der
Kanton die Bewilligung zur Erwerbstätigkeit für weitere drei
tigt, spielt auch die Aufenthaltsbewilligung Monate verweigern.
6 Organisationen wie beispielsweise das Schweizerische
eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Rote Kreuz oder kantonale Asylkoordinationsstellen bieten
ökonomischen Integration von Personen, Asylsuchenden Beschäftigungsprogramme oder kurzfristige
Erwerbseinsätze an, welche interessierten Personen eine
besonders aus dem Asylbereich. Tages­struktur geben und auf den Arbeitsalltag in der
Schweiz vorbereiten sollen. Dabei erhalten die Asylsuchen-
den eine Entlöhnung im Stundenansatz oder auf symboli-
scher Ebene.
Für Personen mit einem N-Ausweis 7 Die Studie bezieht sich auf die Situation vor der Asyl- und
besteht – je nach Kanton – ein drei- bis Ausländergesetzrevision 2006, es galten also bezüglich der
Integration in den Arbeitsmarkt für Personen mit N- und
F-Ausweis die gleichen Bestimmungen.

66
sucht hat, geht jedoch hervor, dass Eritreer dem Inkrafttreten des revidierten Asyl- und
besser in den Arbeitsmarkt integriert sind des neuen Ausländergesetzes sind die
als Personen anderer Nationalitäten wie Rechtsstellung und die Aufenthaltsbedin-
beispielsweise die Somalier (Piguet und Ra- gungen für vorläufig aufgenommene Per-
vel 2002). Gemäss Aussagen von Personen sonen (Ausweis F) bedeutend verbessert
aus der Integrations- und Flüchtlingsarbeit worden. So können sie von den kantonalen
scheint sich zum Zeitpunkt der vorliegen- Behörden unabhängig von der Wirtschafts-
den Studie ein ähnliches Bild zu präsentie- lage eine Bewilligung zur Ausübung einer
ren. Der unterschiedliche Bildungshinter- Erwerbstätigkeit erhalten. Trotzdem begeg-
grund von somalischen und eritreischen nen viele Arbeitgeber der Beschäftigung
Asylsuchenden, welche in jüngster Zeit in von Personen mit F-Ausweis weiterhin mit
die Schweiz gelangten, könnte ein Grund Skepsis. Dies lässt sich unter anderem auf
für diesen Unterschied sein. mangelnde oder schlechte Informationen
bezüglich des Aufenthaltsstatus und der
Für vorläufig aufgenommene Personen – Zulassung zum Arbeitsmarkt zurückführen.
davon sind insbesondere die Somalier be- Personen mit Jahresaufenthaltsbewilligung
troffen – galten betreffend die Zulassung B oder Niederlassungsbewilligung C wer-
zum Arbeitsmarkt bis zur Einführung des den von vielen Arbeitgebern bevorzugt. Da
neuen Ausländergesetzes ähnliche Bestim- eine Mehrheit der somalischen Asylsuchen-
mungen wie für Personen, deren Asylge- den in der Schweiz vorläufig aufgenom-
such noch hängig war (Ausweis N). Mit men werden und frühestens nach fünf Jah-

67
Baugewerbe

Eritrea
Handel
Somalia

Industrie

Immobilienwesen und Dienstleistungen

Gesundheit und Sozialwesen

Hotellerie und Gastgewerbe

Andere Dienstleistungen

Ohne Angaben

0 5 10 15 20 25 30 35 40

Abbildung 14: Eritreische und somalische Arbeitskräfte nach Wirtschaftsbranche (in %)


Quelle: Eidgenössische Volkszählung 2000 (Erwerbstätige + 15-62 / 65 Jahre)

ren eine Aufenthaltsbewilligung (Ausweis Personen mit Flüchtlingsstatus (Aufent-


B) erhalten können, gestaltet sich der Zu- haltsbewilligung B oder Niederlassungsbe-
gang zum Arbeitsmarkt für diese Personen willigung C) sind bezüglich der Zulassung
aus den erwähnten Gründen oft schwierig. zum Arbeitsmarkt den Schweizern gleich-
gestellt. Trotz den aus rechtlicher Perspek-
«Wir haben ihnen das erklärt, was sie ma- tive guten Voraussetzungen zur Aufnahme
chen dürfen, sie haben das Recht, bei einer einer Erwerbstätigkeit haben auch Perso-
Reinigungsfirma zu arbeiten. Früher haben nen mit einer Aufenthaltsbewilligung oder
alle Reinigungsfirmen keine F genommen. einer Niederlassungsbewilligung Probleme
Wir haben dann mit dem Arbeitsamt oder bei der Stellensuche.
der zuständigen Stelle so ein Papier ge-
macht, das man dem Arbeitgeber zeigen «Fabrikarbeiter, Putzfrauen und
kann; wenn ich Arbeit suche, kann ich die- Hilfspfleger ...»
ses Papier zeigen und mit einem Stempel «Eigentlich wollte ich Medizin studieren,
von der Stadt. Dann kommt das Aha; jetzt aber das ging nicht wegen den Zertifikaten
wissen es die meisten Reinigungsfirmen, und wegen meinen mangelnden Sprach-
dass sie auch F anstellen dürfen.» kenntnissen, ich konnte nur Englisch (…).
Schweizerin mit somalischen Wurzeln Es war schwierig, eine Arbeit zu finden.
So hat mein Mann für mich gesucht und

68
ich habe vier Jahre als Putzfrau gearbeitet. der befragten Somalier können keine An-
Doch mit der Zeit hatte ich Mühe damit, ich gaben gemacht werden.
wollte eine Ausbildung machen, aber da
ich eine Familie hatte, war das schwierig.» Im Gesundheitswesen, insbesondere im
Frau aus Somalia, seit 2001 in der Schweiz Pflegebereich, spielen unterschiedliche
kulturelle Normen und Werte in Bezug auf
Der grösste Teil der in der Eidgenössischen Themen wie Geburt, Krankheit, Schmerzen
Volkszählung (vgl. Abbildung 14) erfass- oder Sterben aufgrund der steigenden Zahl
ten Somalier arbeitet im Gastgewerbe als von Patienten mit Migrationshintergrund
Küchenhilfe oder Hilfskoch (24,5 %). Oft zunehmend eine wichtige Rolle. Migran-
arbeiten sie auch in Küchen von Spitä- ten, die als Pfleger arbeiten, bringen eine
lern oder Altersheimen. An zweiter Stelle transkulturelle Kompetenz mit und können
(11,9 %) folgt das Immobilienwesen und zur Auflösung von gegenseitigen Miss-
der Dienstleistungssektor, da Somalier – verständnissen beitragen (Dahinden et al.
vorwiegend somalische Frauen – sehr häu- 2004). Als Beispiel kann hier die Geschichte
fig als Raumpfleger in Reinigungsunter- einer jungen Somalierin erwähnt werden,
nehmen tätig sind. Viele somalische Frauen welche als Raumpflegerin in einem Spital
arbeiten seit mehreren Jahren in kleineren beschäftigt war und immer wieder von
oder grösseren Reinigungsunternehmen. Ärzten und Krankenschwestern für Über-
Ihre Arbeitszeiten sind oftmals unregelmäs- setzungs- und Vermittlerdienste herbeige-
sig, sie arbeiten entweder über Mittag, am zogen wurde. Dieses Beispiel verdeutlicht
Abend oder während der Nacht, jeweils ein die Wichtigkeit von und das Bedürfnis nach
bis zwei Stunden. Die Reinigungs­branche Personen mit transkulturellen Kompeten-
ist ein klassischer Niedriglohnbereich, des- zen im Pflegebereich.
sen Arbeitsbedingungen gekennzeichnet vgl. Kapitel 3.3: Gesundheit
sind durch unregelmässige Arbeitszeiten,
kleine Arbeitspensen und Verdienste auf Im Jahr 2000 (Volkszählung, vgl. Abbil-
Stundenlohnbasis sowie oftmals durch dung 14) war das Gastgewerbe auch für
ungenügenden sozialen Schutz (keine die Eritreer der wichtigste Arbeitgeber
Sozial- und Unfallversicherung und Feri- (17 %). Das Gastgewerbe ist die Branche
enzulagen). Trotz der oftmals prekären mit dem höchsten Anteil ausländischer
Arbeitsverhältnisse in der Reinigungsbran- Arbeits­kräfte (vgl. Dahinden et al. 2004)
che haben die meisten Frauen keine Alter- und zeichnet sich durch vergleichsweise
nativen (vgl. Tschannen 2003). Ausser in tiefe Löhne, saisonale Schwankungen
der Reinigungsbranche arbeiten Somalier und unregelmässige Arbeitszeiten aus.
häufig als Hilfspfleger in Altersheimen oder Diese unattraktiven Arbeitsbedingungen
als Pflegefachfrauen / -männer in anderen haben zur Folge, dass das Gastgewerbe
Institutionen im Gesundheits- und Sozial- einen hohen Anteil an Beschäftigten mit
wesen (7,2 %) oder als Schichtarbeiter in Aufenthaltsstatus F oder N aufweist. Aus-
Fabriken (6,1 %). Zu mehr als einem Drittel ser im Gastgewerbe haben Eritreer häufig

69
Ungelernte Arbeiter Eritrea
Somalia

Gelernte Arbeiter

Angestellte

Mittleres Kader

Andere

ohne Angaben

0 10 20 30 40 50 60 70

Abbildung 15: Wichtigste sozioprofessionelle Kategorien eritreischer und somalischer


Personen (in %)*
Quelle: Eidgenössische Volkszählung 2000 (Erwerbstätige + 15-62 / 65 Jahre, aber ohne Eingebürgerte)

* Die Kategorie «andere» beinhaltet unter anderem höhere Angestellte, Kaderfunktionen und Selbstständige. Zudem muss auf die
grosse Anzahl von Somaliern (66,6 %) und Eritreern (52,9 %) hingewiesen werden, zu denen anhand der Daten der Volkszählung
keine Angaben gemacht werden können.

eine Anstellung im Dienstleistungssektor in der Regel nicht anerkannt werden. Dies


(15,2 %) oder im Gesundheits- und Sozial- führt dazu, dass in den meisten Fällen Eri-
wesen (15,7 %). Viele Eritreer arbeiten als treer ihre Berufe, die sie in der Heimat er-
Pflegefachpersonen in Spitälern und an- lernt oder ausgeübt haben, in der Schweiz
deren Institutionen des Gesundheits- und nicht ausüben können. Ähnlich wie bei den
Sozialwesens. Nach jahrelanger Tätigkeit Somaliern hat rund ein Viertel der Eritreer
im Gastgewerbe war nach Angaben vieler bei der Befragung im Rahmen der Volks-
eritreischer Gesprächspartner eine Wei- zählung keine Angaben gemacht.
terbildung im Gesundheitsbereich – im
Rahmen eines Weiterbildungsprogramms Sozioprofessionelle Kategorien
für anerkannte Flüchtlinge oder vorläufig Nach den Ergebnissen der Eidgenössischen
Aufgenommene – die einzige Möglichkeit, Volkszählung 2000 (vgl. Abbildung 15)
eine zusätzliche Ausbildung zu machen. arbeitet der grösste Teil der somalischen
In diesem Zusammenhang muss darauf (21,1 %) und der eritreischen (28,2 %)
verwiesen werden, dass in der Schweiz Staatsangehörigen als ungelernte Arbei-
Schulzeugnisse und höhere Ausbildungs- ter in unqualifizierten Berufen im Niedrig-
abschlüsse (Universitätsabschluss) sowie lohnsektor. Die Aussagen müssen aber mit
berufliche Qualifikationsnachweise aus der Vorsicht betrachtet werden, da bei rund
Heimat oder anderen Aufenthaltsländern zwei Dritteln der Somalier (66,6 %) und

70
der Hälfte der Eritreer (52,9 %) keine An- Schwierige Situation für Frau-
gaben gemacht wurden. Viele Somalier en auf dem Arbeitsmarkt – ge-
und Eritreer sind als Schichtarbeiter in Fa- schlechtsspezifische Unterschiede
briken, als Hilfsarbeiter auf dem Bau oder «Weil viele Arbeitgeber, die mögen das
in der Landwirtschaft und als Küchenhilfen Kopftuch nicht. Also ich habe einen Mann
im Gastgewerbe beschäftigt. Frauen sind gefragt, warum nicht, er hat mir gesagt,
oftmals in der Reinigungsbranche oder im dass es gefährlich sei, irgendwann komme
Pflegebereich tätig. dieses Kopftuch mit den Maschinen zu-
sammen, und das kann gefährlich sein.
Unter den in der Schweiz lebenden Soma- Aber was ich auf der anderen Seite sagen
liern und Eritreern sind nach Angaben der kann, dieses Kopftuch ist unsere Tradition,
Volkszählung sehr wenig gelernte Arbeiter es ist unsere Religion, Kultur. Und wie kön-
oder Angestellte. Dabei muss aber berück- nen wir das am besten machen, damit die
sichtigt werden, dass ein grosser Anteil Frauen keinen Nachteil haben am Arbeits-
ohne Angaben in der Statistik erscheint markt? Es gibt verschiedene Möglichkei-
und dass die eingebürgerten Personen ten, wie man das Kopftuch tragen kann.
nicht erfasst werden. Dies erklärt teilweise Zum Beispiel gibt es normale Binden, die
den sehr niedrigen Anteil an gelernten nicht hängen. Oder man kann auch bei der
Arbei­tern und Angestellten sowie den klei- Arbeit auf das Kopftuch verzichten. Ich ma-
nen Anteil an oberen und mittleren Kadern. che das so. Ich komme in die Garderobe
Der Anteil der Angestellten und gelernten mit meinem Kopftuch. Dann habe ich die
Arbeiter dürfte weitaus höher liegen als in Arbeitskleidung angezogen, das Kopftuch
den Zahlen der Volkszählung angegeben, ausgezogen. Wenn ich fertig bin mit der
da die zweite Generation in der Schweiz Arbeit, gehe ich zurück, ziehe meine Zivil-
mittlere und höhere Ausbildungs­abschlüsse kleidung und das Kopftuch wieder an.»
und Lehren gemacht hat und ein beträcht- Somalische Frau, seit 1993 in der Schweiz
licher Teil der Personen, die unter die Ka-
tegorie ohne Angaben fallen, als gelernte Vergleicht man die Erwerbsquoten somali-
Arbeiter oder Angestellte arbeiten. An scher und eritreischer Personen, zeigt sich,
dieser Stelle kann erwähnt werden, dass dass bei den eritreischen Männern die Quo-
in den letzten Jahren Somalier und Eritreer ten in allen Altersklassen etwas höher sind
vermehrt – meist temporär – als kulturelle als die von den somalischen Männern. Auf-
Übersetzer eingesetzt werden, da wegen fallend tief sind die Erwerbsquoten bei bei-
der steigenden Asylgesuche aus Somalia den Gruppen bei den 15- bis 24-jährigen
und Eritrea der letzten Jahre ein erhöhter Männern. Dies hat einerseits damit zu tun,
Bedarf an Dolmetschern besteht (wäh- dass sich ein Teil noch in Ausbildung befin-
rend des Asylverfahrens, bei Anhörungen, det und andererseits somalische und erit-
in Durchgangszentren, bei Arztbesuchen reische Jugendliche – ähnlich wie viele Ju-
oder im Spital usw.). gendliche mit Migrationshintergrund – aus
verschiedenen Gründen einen erschwerten

71
100
Männer
Frauen
80

60

40

20

0
Eritrea Somalia Eritrea Somalia Eritrea Somalia

15-24 Jahre 25-39 Jahre 40-54 Jahre

Abbildung 16: Erwerbsquote eritreischer und somalischer Staatsangehöriger nach Alter


(in %)
Quelle: Eidgenössische Volkszählung 2000 (55+: zu kleine Stichproben, nicht signifikant)

Zugang zu Lehrstellen und somit zum Ar- somalischen Männern und Frauen ist nicht
beitsmarkt haben (vgl. Abschnitt «Es ist allein auf unterschiedliche Qualifikationen
schwierig, eine Lehrstelle zu finden …»). zurückzuführen, sondern teils auch auf die
nach wie vor ausgeprägte traditio­nelle Rol-
Die Erwerbsquote der Frauen liegt in al- lenverteilung und das Familien­verständnis
len drei Altersklassen bei beiden Gruppen einiger somalischer Familien. Die berufliche
unter derjenigen der Männer. Der Unter- Eingliederung gestaltet sich für Frauen auf-
schied zwischen eritreischen Männern grund verschiedener Faktoren schwierig.
und Frauen ist relativ gering. Somalische Einerseits legen somalische – aber auch eri-
Frauen hingegen haben in allen Altersklas- treische – Frauen grossen Wert darauf, dass
sen weitaus tiefere Beschäftigungsquoten Mütter zuhause bleiben und ihre Kinder
als somalische Männer. Der geschlechts- umsorgen. Zudem sehen sich Frauen oft-
spezifische Unterschied innerhalb der mals mit der Schwierigkeit konfrontiert, Fa-
soma­lischen Migrantengruppe ist sehr viel milie und Beruf zu verbinden. Andererseits
stärker ausgeprägt als bei anderen Auslän- gibt es für Frauen weniger Erwerbsmög-
dergruppen (vgl. Wanner et al. 2005). Am lichkeiten als für Männer, da sie teilweise
stärksten ist der Unterschied bei Personen nicht allen Anforderungen der Arbeitgeber
im Alter zwischen 40-54 Jahren. Die un- entsprechen können. Dies beispielsweise
terschiedliche berufliche Integration von wegen ungenügender Kenntnisse einer

72
50
Eritrea
40 Somalia

30

20

10

0
Männer Frauen

Abbildung 17: Erwerbslosenquote eritreischer und somalischer Staatsangehöriger (2000,


in %)
Quelle: Eidgenössische Volkszählung 2000 (15-62 / 65 Jahre)

Landessprache oder weil sie gewisse Tätig­ tion bleiben die beruflichen Aufstiegsmög-
keiten, etwa als Serviceangestellte, aus lichkeiten auch für somalische und eritrei-
kulturellen Gründen nicht ausüben dürfen. sche Personen über 50 Jahre sehr begrenzt,
Viele Familien sind aufgrund der prekären viele üben über Jahre hinweg die gleiche
ökonomischen Situation jedoch auf eine Tätigkeit aus.
(Teil-) Erwerbstätigkeit der Frau angewie-
sen, was eine Veränderung der Geschlech- «Es ist schwierig, eine Lehrstelle
terrollen nach sich ziehen kann. zu finden...»
vgl. Kapitel 4.2: Familien, Ehepaare und «Ich hatte zehn Jahre lang F. Ich wusste
Generationen gar nicht, was das genau heisst, einen
F-Ausweis zu haben. Nachdem ich die
Die unterschiedliche Integration von Schule abgeschlossen hatte, haben alle
Frauen und Männern lässt sich auch durch meine Schweizer Freunde bald eine Lehre
die Angaben der Erwerbslosenquote (vgl. gefunden. Bei mir ging es länger, es war
Abbildung 17) bestätigen. Sowohl soma- sehr schwierig. Wenn du F hast und auch
lische (43,3 %) als auch eritreische Frauen noch schwarz bist, dann musst du dir dop-
(29,2 %) sind im Vergleich zu den Männern pelt so viel Mühe geben. Du musst mehr
stärker von Erwerbslosigkeit betroffen. All- leisten als die anderen, du musst immer
gemein liegt die Erwerbslosenquote von beweisen, dass du motiviert bist. Du musst
somalischen (34,6 %) und eritreischen Mi- immer anständig sein und alles machen,
granten (197 %) höher als bei der auslän- was man dir sagt. Dazu sind nicht alle be-
dischen Bevölkerung insgesamt (8 %). Wie reit. (…). Bei der Lehrstellensuche habe ich
für viele Migranten aus der ersten Genera- viel erlebt. Mehrmals habe ich angerufen

73
und als ich meinen Namen sagte, fragten dieselbe Schulbank drückten wie Schwei-
sie, wie schreibt man das? Oder wenn ich zer, weniger Chancen haben, eine Lehr-
mich dann vorstellen konnte und im Büro oder Arbeitsstelle zu finden. Jugendliche
erschien, sah man mich verdutzt an, ein- mit Migrationshintergrund, die nicht aus
mal fragte mich einer, was willst du hier? der Europäischen Union stammen, wer-
Ich sagte, wir haben vor ein paar Tagen den aufgrund der Konjunkturlage, ihrer
einen Termin vereinbart. Er konnte nicht Hautfarbe und ihres Namens trotz gleichen
glauben, dass ein Schwarzer so gut Dialekt Fähigkeiten und identischem Lebenslauf
sprechen kann. Aber heute ist es einfacher, klar benachteiligt. Diese Marginalisierung
mit F eine Lehre zu machen, da B und F resultiert, wie Studien belegen, nicht aus
gleichgestellt sind. Heute denke ich, dass Sprach- oder Bildungsdefiziten, sondern
die Aufenthaltsbewilligung nicht mehr so entsteht zumindest teilweise durch ste-
entscheidend ist, aber wenn du F hast und reotype Wahrnehmungen und daraus
noch schwarz bist, musst du einfach mehr ent­stehende Diskriminierung (vgl. Fibbi et
leisten.» al. 2003). Wie die Untersuchungen von
Somalischer Jugendlicher, seit 1995 in der Haeberlin et al. (2004) zeigen, besteht
Schweiz beim Übergang von der Schule in die Be-
rufsbildung eine Benachteiligung auslän-
In der Regel haben somalische und eri­ discher Jugendlicher im Allgemeinen und
treische Jugendliche und junge Erwach- ausländischer Mädchen im Besonderen.
sene aus der zweiten Generation aufgrund Mangelnder Vertrauensvorschuss gegen-
guter Sprachkenntnisse und der in der über ausländischen Jugendlichen seitens
Schweiz absolvierten Schulabschlüssen der Arbeitgeber aufgrund von Ausländers-
bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt tereotypen9 kann die Lehrstellenvergabe
im Vergleich zu ihren Eltern. Trotz der vo- an Jugendliche ausländischer Herkunft be-
rangeschrittenen schulischen und gesell- hindern. Zudem verfügen ausländische im
schaftlichen Integration ist es aber oftmals Vergleich zu Schweizer Jugendlichen über
für die Jugendlichen der zweiten Genera- weniger soziale Beziehungen10, die ihnen
tion schwierig, eine weiterführende Aus- zu einer Lehr­stelle verhelfen könnten. Bei
bildung zu machen, eine Lehrstelle oder ausländischen Jugendlichen sind schlechte
einen Arbeitsplatz zu finden. Studien zei- Schulqualifikationen, niedrige soziale Her-
gen8, dass eingewanderte Jugendliche, in kunft, das Fehlen von informellen Bezie-
Konkurrenz mit jungen Schweizern, die
9 Haeberlin et al. (2004) nennen verschiedene Ausländer­
8 In einer im Rahmen des Nationalfondsprojekts NFPNR 43 stereotypen wie schlechte Erfahrungen mit ausländischen
durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchung wurde ba- Auszubildenden sowie die Überzeugung, dass ausländische
sierend auf einer semiexperimentellen Methode, die von der Jugendliche häufiger scheitern als schweizerische, dass aus-
Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bereits in mehreren ländische Jugendliche nicht von der Kundschaft akzeptiert
europäischen Ländern angewandt worden ist, untersucht, würden oder dass die Möglichkeit der Rückwanderung
wie die Chancen jugendlicher «Secondos» bei der Stellen­ bestehe.
suche sind. Die Forscher haben mit fiktiven Bewerbungen 10 Soziale Beziehungen haben bei der Lehrstellensuche eine
auf reelle Stellenangebote geantwortet. Anschliessend grosse Bedeutung. Privatkontakte zwischen Firmen und
wurden die Antworten auf eine Schweizer Kandidatur mit Bewerbern spielen bei der Lehrstellenbesetzung eine
jenen verglichen, die auf Bewerbungen von Jugendlichen zentrale Rolle und sind oft wichtiger als die schulischen
mit Migrationshintergrund erfolgt waren (Fibbi et al. 2003). Qualifikationen (vgl. Haeberlin et al. 2004).

74
hungen, negative Erwartungen und Vor- Längerem in der Schweiz leben, geführt
behalte in der Bevölkerung oft schwierig oder als eigene Kinder angegeben. Hinzu
überwindbare Hürden. Für Jugendliche, die kommt, dass innerhalb der somalischen
keine Lehrstelle finden, existiert die Mög- Migrantengruppe die Vorstellung verbrei-
lichkeit eines Überbrückungsangebots. Der tet ist, unbegleitete Jugendliche hätten
Anteil von Jugendlichen mit Migrations- bessere Chancen auf Asyl. Die Integration
hintergrund, die nach der obligatorischen dieser Jugendlichen in die Arbeitswelt ge-
Schulzeit Übergangslösungen nutzen, ist staltet sich im Allgemeinen eher schwierig,
im Vergleich zu Schweizern höher. da viele sehr bildungsfern aufgewachsen
sind.
Im Jahr 2008 kam erstmals die Mehrheit
der unbegleiteten minderjährigen Asyl- Armutsrisiko und Kriminalität
suchenden (UMA), die in der Schweiz ein «Der Rucksack, den die Menschen mitbrin-
Asylgesuch stellten, aus Somalia. Es han- gen, ist entscheidend bei der Migration.
delte sich um 100 Personen, wobei der (…). Diese Menschen haben eigentlich teils
Grossteil männlichen Geschlechts ist. Dies gute Voraussetzungen und trotzdem kaum
kann nach Aussagen von Experten auf die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, das kann
gute Vernetzung dieser Migrantengruppe nicht nur an den Migranten liegen. Es fehlt
in europäischen Ländern zurückgeführt an Informationen über diese Menschen,
werden. Das heisst, die Jugendlichen wer- die Arbeitgeber haben Angst, die Vorur­
den oftmals zu Verwandten, die bereits seit teile sind enorm und in unserer Arbeit mit

75
den Klienten das grösste Hindernis, das den und vorläufig Aufgenommenen und
überwunden werden muss.» 75 % der anerkannten Flüchtlinge Fürsor-
Sozialarbeiterin geleistungen12. Die an Asylsuchende und
vorläufig Aufgenommene ausgerichteten
Aufgrund des Tätigkeitsbereichs im Fürsorgeleistungen liegen im Vergleich zu
Niedrig­lohnsektor und der damit verbun- schweizerischen Sozialhilfeempfängern tie-
denen schwierigen sozio-ökonomischen fer. Hingegen sind anerkannte Flüchtlinge
Situation verfügen viele somalische und der einheimischen Bevölkerung gleichge-
eritreische Familien nur über sehr beschei- stellt.
dene Einkommen. Zumindest längerfristig
gehen die sozioökonomischen Bedingun- Beide Gruppen lenken wenig negative
gen mit einem effektiven Armutsrisiko Aufmerksamkeit auf sich. Generell kann
einher. Allein erziehende Frauen und Fami- gesagt werden, dass die ostafrikanischen
lien mit mehreren Kindern sind besonders Staaten Somalia und Eritrea in den Jahres­
gefährdet. Deshalb sieht sich ein Teil der statistiken sämtlicher Straftaten (Strafge-
somalischen und der eritreischen Familien setzbuch, Ausländergesetz etc.) weder ins
und Einzelpersonen gezwungen, Sozi- Gewicht noch aus dem Rahmen fallen.13
alhilfe in Anspruch zu nehmen. Obwohl Weder bei Staatsangehörigen von Somalia
keine exakten Daten vorhanden sind, ist noch von Eritrea ist nach Aussagen ver-
davon auszugehen, dass ein nicht unbe- schiedener kantonaler Polizeidirektionen
deutender Teil der betroffenen Personen in irgendeinem Bereich eine übermässige
die Sozialhilfe in Anspruch nimmt, da ihr Häufung von Delikten festzustellen.
Familienein­kommen nicht ausreichend ist.
Viele sind nicht Vollzeit arbeitstätig und
üben eine Teilzeitbeschäftigung mit tiefem
Lohn im Gastronomiegewerbe oder – be-
sonders Frauen – in der Reinigungsbranche
aus. Diese Familien sind zur Kategorie der
Working Poor zu zählen. Die Statistiken
des Bundesamtes für Statistik zeigen, dass
2006 die Sozialhilfequote der somalischen
Bevölkerung über 50 % betrug und dieje-
nige der eritreischen zwischen 30-50 %
lag.11 Gemäss Bundesamt für Migration
beziehen aufgrund der Lage auf dem Ar- 12 Mittellose Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und an-
erkannte Flüchtlinge werden durch die öffentliche Fürsorge
beitsmarkt ungefähr 70 % der Asylsuchen- (Sozialhilfe) unterstützt. Für die Ausrichtung und Bemessung
der Fürsorgeleistungen sind die Kantone beziehungsweise
11 Die Sozialhilfequote bezeichnet das Verhältnis zwischen die Gemeinden und die beauftragten Hilfswerke zuständig,
den Sozialhilfebezügern einer entsprechenden Nationalität wobei der Bund die Kosten vergütet.
zu allen Personen dieser Nationalität, basierend auf der 13 Der Nationalitätenanteil der Straftaten durch Angehörige
Zahl der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung des von Eritrea beträgt beispielsweise im Kanton St. Gallen nur
Bundesamtes für Statistik. Die Personen des Asylbereichs gerade 0,3 % und bei Somalia gar nur 0,2 %. Die Zahlen der
(mit Ausweis N oder F) sind nicht eingerechnet. Kantone Bern und Zürich sind vergleichbar tief.

76
Weiterführende Literatur Haeberlin, Urs; Imdorf, Christian; Kro-
nig, Winfried (2004): Von der Schule in die
Bundesamt für Migration (2006): Prob- Berufslehre. Untersuchung zur Benachtei-
leme der Integration von Ausländerinnen ligung von ausländischen und von weib-
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desaufnahme der Fakten, Ursachen, Ri- Haupt: Bern.
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Etienne (2003): Nomen est omen. Quand
s’appeler Pierre, Afrim ou Mehmet fait
la différence. SFM: Neuchâtel. National-
fondsprojekt NFPNR 43. S. 1–15.

77
3.3 Gesundheit

In Kürze
– Die spezifischen Situationen von Men- Beratungs- und Aufklärungsgespräche
schen mit Migrationshintergrund (z.B. besonders wichtig.
traumatische Erfahrungen, unsicherer Bei der perinatalen Versorgung von
Aufenthaltsstatus, schwierige sozioöko- Mutter und Kind übernimmt der Mann
nomische Bedingungen) haben teilweise in der Diaspora häufig die Rolle als Rat-
eine Auswirkung auf das physische und geber und Unterstützer. Diese Aufgabe
psychische Wohlbefinden der betreffen- kommt im Heimatland traditioneller­
den Personen. weise der Mutter oder einer anderen
– Aufgrund von Sprachbarrieren und kul- engen Vertrauten zu.
turell bedingten Hemmschwellen haben
somalische und eritreische Personen
einen erschwerten Zugang zum schwei-
zerischen Gesundheitssystem.
– Detaillierte Angaben zum Gesundheits-
zustand von Somaliern und Eritreern
können nicht gemacht werden. Häufig
genannte Gesundheitsprobleme sind
Infektionskrankheiten, welche teilweise
aus den Herkunftsländern stammen,
Zahnprobleme und übermässiger Kon-
sum von Suchtmitteln.
– In Somalia sind schätzungsweise 98 %
und in Eritrea 89 % der Frauen von
Female Genital Mutilation (FGM, parti-
elle oder totale Entfernung der äusseren
weiblichen Genitalien) betroffen.
– Die Beschneidung kann erhebliche
Auswirkungen auf die Gesundheit
der betroffenen Frauen haben. In der
Schweiz sind dies vor allem schmerz-
hafte und verlängerte Menstruationsblu-
tungen und Sexualstörungen.
– Die Untersuchung und die geburtshilf­
liche Betreuung von schwangeren
Frauen mit FGM erfordern spezielle
Kenntnisse und sind mit verschiedenen
Komplikationen verbunden. Dabei sind

78
Migration und Gesundheit insbesondere Asylsuchende und Frauen
In Bezug auf die Gesundheit und das ge- betroffen. Laut dem Gesundheitsmonito-
sundheitsrelevante Verhalten von Mig- ring sollen Migrantinnen häufiger an einer
ranten in der Schweiz bestehen grosse mangelhaften reproduktiven Gesundheit
Wissenslücken. 2004 wurde im Auftrag leiden als Schweizerinnen, was zu häufi-
des Bundesamts für Gesundheit (BAG) geren Risikoschwangerschaften und einem
und des Bundesamts für Migration (BFM) erhöhten Anteil an Fehlgeburten führen
das Projekt «Gesundheitsmonitoring der kann.
schweizerischen Migrationsbevölkerung»
durchgeführt. Die Befragung ergab, dass 3.3.1 Gesundheitssysteme in
Ausländer ihren eigenen Gesundheits- Somalia und Eritrea
zustand durchschnittlich schlechter ein-
schätzen als die Schweizer Bevölkerung. Somalia
Die «Bundesstrategie für Migration und Infolge des Bürgerkriegs und der fehlen-
Gesundheit» betont jedoch, dass Migra- den Kontrolle der Übergangsregierung
tion nicht krank macht. Vielmehr sind es existieren in Somalia keine Strukturen ei-
spezifische Umstände, die das gesund- nes öffentlichen Gesundheitssystems. Die
heitliche Risiko der Migranten erhöhen. So Nahrungsmittelknappheit und die damit
sind zum Beispiel allein erziehende Frauen verbundene Mangelernährung der Bevöl-
mit mehreren Kindern oft grösseren Belas- kerung ist eines der grössten Probleme.
tungen ausgesetzt und traumatisierende 70 % der Bevölkerung haben keinen Zu-
Erfahrungen wie Krieg, Gewalt und Fol- gang zu sauberem Trinkwasser und medi­
ter in der Heimat können körperliche und zinischer Versorgung. Die Trinkwasser-
psychische Störungen zur Folge haben. Zu- knappheit – hervorgerufen durch eine seit
dem kann ein unsicherer Aufenthalts­status Jahren anhaltende Dürre – verursacht viele
Gefühle von existenzieller Unsicherheit gesundheitliche Probleme wie etwa Cho-
und mangelnden Zukunftsperspektiven lera oder Durchfallerkrankungen. Auch
auslösen und dadurch negativen Einfluss Infektionskrankheiten sind weit verbreitet
auf die Gesundheit von Migranten haben. und können nur selten behandelt werden.
Ein Migrations­hintergrund impliziert nicht Weite Teile Somalias sind völlig auf interna-
zwingend eine schlechte(re) Gesundheit; tionale Hilfe angewiesen. Wegen der un-
die Kumulierung von verschiedenen Fak- sicheren Lage ist es jedoch kaum möglich,
toren wie Erwerbslosigkeit oder eine phy- der bedürftigen somalischen Bevölkerung
sisch belastende Arbeit (harte körperliche humanitäre Hilfe zukommen zu lassen
Arbeit, unregelmässige Arbeitszeiten be- (Hoehne 2008). Die Rate an HIV-Infizierten
ziehungsweise Nachtarbeit), ein unsicherer ist mit schätzungsweise 0,9 bis 2 % der
Aufenthaltsstatus (F-Ausweis oder Asylsu- Bevölkerung im afrikanischen Vergleich
chende), Sprachdefizite und eine zu ver- sehr niedrig. Begründet wird sie mit der
sorgende Grossfamilie birgt aber gesund- islamischen Religion und vor allem damit,
heitliche Risiken (Bülent 2007). Davon sind dass seit Kriegsausbruch verhältnismässig

79
wenige Menschen von aussen in das Land Erschwerter Zugang zum Schwei-
kamen. Das Wissen um Übertragungs­wege zer Gesundheitssystem
und Prävention von HIV / Aids ist jedoch Das Gesundheitssystem in Somalia und
kaum verbreitet. Eritrea unterscheidet sich erheblich vom
Gesundheitssystem in der Schweiz. Fremd-
Eritrea sprachigkeit und Unvertrautheit mit den
Trotz erheblichen Anstrengungen der hiesigen Verhältnissen können dazu füh-
Regie­rung ist in weiten Landesteilen eine ren, dass der Zugang zum schweizerischen
grundlegende medizinische Versorgung Gesundheitssystem für Personen aus So-
nicht ausreichend gesichert. Spezialisierte, malia und Eritrea erschwert wird. Soma-
medizinische Versorgung und Medika­ lier und Eritreer (sowie andere Personen
mente zur Behandlung schwerer Krank- mit Migrationshintergrund) nehmen in
heiten sind – wenn überhaupt – nur in der der Schweiz vor allem ärztliche Dienstleis-
Hauptstadt Asmara verfügbar. Die dortigen tungen und Dienste der Notfallstation ei-
Möglichkeiten stehen jedoch nur einem nes öffentlichen Spitals in Anspruch. Das
kleinen Bevölkerungsteil (wie beispiels- Hausarztsystem ist weder in Eritrea noch
weise Familien von Regierungsmitgliedern in Somalia bekannt. In verschiedenen Ge-
und hohen Beamten) zur Verfügung. Die sprächen mit Personen aus Somalia und
eri­treische Regierung ist laut ihren Aussa- Eritrea sowie Experten14 wurde das Wis-
gen zwar bemüht, die medizinische Ver- sensdefizit bezüglich des schweizerischen
sorgung der Bevölkerung – besonders in Gesundheitssystems wiederholt ange­
den entlegenen Gebieten – zu optimieren. sprochen. Fehlende Sprachkenntnisse wur-
Bisher hat sich die medizinische Versor- den als eines der wichtigsten Hindernisse
gungssituation in Eritrea jedoch kaum ver- im Zugang zu gesundheitsrelevanten Infor-
bessert. Eritrea weist eine aussergewöhn- mationen (z.B. Informationen zur Präven-
lich hohe Zahl an Todesfällen von Müttern, tion, zur medizinischen Versorgung selbst
die bei der Geburt ihres Kindes sterben, und zur Krankenversicherung) aufgeführt.
auf. Grund hierfür ist die immer noch weit Diese Problematik geht auch aus anderen
verbreitete traditionelle Beschneidung der Umfragen in der Schweiz hervor: Ärzte,
Mädchen. Aufklärungsprogramme der Pflegepersonal und weitere Fachleute des
Regierung haben bisher nur sehr langsam Gesundheitswesens betrachten Sprach-
eine Einschränkung dieses Brauches er- barrieren als Hauptproblem bei der Ver-
wirkt. Die Zahl der HIV-Infizierten ist trotz sorgung von ausländischen Personen. Der
staatlicher Programme zur Bekämpfung Bedarf an gesundheitsrelevanten Informa-
der HIV / Aids-Pandemie vor allem nach tionen in der Muttersprache der Migrati-
1998 – im Zusammenhang mit der hohen onsbevölkerung ist gross (vgl. Bundesamt
Zahl von jungen Menschen im Militär und für Gesundheit 2008). Während entspre-
im Arbeitsdienst – stark angewachsen. 14 Diese Gespräche fanden im Rahmen der Studie zur Bedürf-
nisanalyse der reproduktiven Gesundheit von Personen aus
Eritrea und Somalia in der Schweiz statt (vgl. Jäckle und
Wenger 2009).

80
chende Broschüren und Informationen in Therapietreue beeinflussen (Bundesamt
Somali vorhanden sind, fehlen diese vieler­ für Gesundheit 2008). Obwohl es in der
orts in Tigrinya (vgl. Jäckle und Wenger Schweiz zahlreiche zertifizierte interkultu-
2009). Verständigungsschwierigkeiten, relle Übersetzer und Dolmetscher15 gibt,
aber auch kulturell unterschiedliche Ge- werden aufgrund fehlender Informationen
sundheitsvorstellungen können Kommu- und Finanzierungsschwierigkeiten im All-
nikationsprobleme nach sich ziehen, wenn tag sehr oft Familienmitglieder oder Ad-
Patienten mit Migrationshintergrund und hoc-Dolmetschende zugezogen. Experten,
das Gesundheitspersonal nicht auf das­ Migranten und Fachpersonen aus dem
selbe kulturelle Referenzsystem Bezug neh- Gesundheitsbereich wünschen sich medizi-
men. So ist der Wunsch somalischer und nisches Personal mit einer hohen transkul-
eritreischer Frauen gross, von weiblichem turellen Kompetenz und einen institutiona-
medizinischem Personal betreut zu wer- lisierten professionellen Übersetzerdienst in
den. Dies wurde insbesondere von Perso- den Spitälern.
nen aus der islamischen Glaubensgemein-
schaft als dringliches Bedürfnis geäussert.
Eine transkulturelle Kompetenz und ent-
sprechende Sensibilisierungsmassnahmen 15 Interkulturelle Übersetzer sind Fachpersonen für ein münd-
liches Übersetzen in Trialogsituationen und ermöglichen ein
für die spezifischen Gesundheitsprobleme gegenseitiges Verständnis von Gesprächspersonen unter-
schiedlicher sprachlicher Herkunft. Sie dolmetschen unter
und Bedürfnisse der Migrationsbevölke- Berücksichtigung des sozialen und kulturellen Hintergrundes
rung können sowohl die medizinische Ab- der Gesprächsteilnehmer und kennen sich im schweizeri-
schen Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich aus (vgl.
klärung als auch die Behandlung und die www.inter-pret.ch).

81
3.3.2 Spezifische Gesundheits­ insbesondere bei Migranten aus Soma-
probleme lia aufgrund mangelnder Zahnhygiene
Detaillierte Angaben zum Gesundheits- häufig Zahnprobleme auftreten. Aus den
zustand von Personen aus Afrika fehlen verschiedenen Rückmeldungen von Fach-
bisher.16 Aufgrund der Gespräche, wel- leuten ging hervor, dass auch übermäs-
che im Rahmen der vorliegenden Studie siger Alkohol­konsum zu beobachten ist.
durchgeführt wurden, können aber, ohne Davon sind jedoch praktisch ausschliess-
Anspruch auf Vollständigkeit, verschiedene lich Männer betroffen. Der im Gegensatz
Krankheitsbilder, welche besonders häufig zum Heimat­land (insbesondere Somalia)
bei Personen aus Somalia oder Eritrea vor- erleichterte Zugang zu alkoholischen Ge-
kommen, genannt werden. Dazu gehören tränken, die soziale Isolation und Traumata
in erster Linie Infektionskrankheiten, die aus der Vergangenheit können unter ande-
aus den Herkunftsländern stammen, wie rem Gründe für den vermehrten Alkohol­
beispielsweise Tuberkulose (TBC). Auch konsum sein.
HIV / Aids wurde verschiedentlich ge-
nannt. Durch die ungeklärte Finanzierung Gesundheitsförderndes Verhalten (Sport,
der Krankenkassenprämien und ungenü­ ausgewogene Ernährung etc.) ist den
gende Informationen bestehen erhebliche meisten Personen aus Somalia und Eritrea
Zugangs­schwellen zum Gesundheitswesen nur wenig bekannt. Somalische und eri­
und zu entsprechenden Test- und Thera- treische Frauen betreiben praktisch keinen
pieangeboten. Die Sexualthematik ver- Sport. Einige Vereine bieten wöchentliche
stärkt diese Hemm- und Zugangsschwel- Sportkurse (beispielsweise Fussball oder
len zusätzlich. Die Aids-Hilfe Schweiz bie- Schwimmkurse) an. Anlässlich der Gesprä-
tet schriftliches Informationsmaterial zur che mit Vereinsmitgliedern wurde jedoch
HIV / Aids-Prävention in verschiedenen erwähnt, dass nur wenige Personen regel­
Sprachen (auch Amharisch, Somali und mässig an diesen Anlässen teilnehmen.
Tigrinya) an. Speziell ausgebildete Media- Fussballvereine hingegen scheinen einen
toren, welche bei den verschiedenen regio- guten Zulauf zu haben. Durch Bewegungs-
nalen Aids-Hilfen arbeiten, vermitteln diese mangel und Fehlernährung gibt es eine
Präventionsbotschaften im persönlichen erhebliche Anzahl von Kindern, welche an
Kontakt in ihrer Herkunftssprache und ver- Übergewicht leiden.
suchen so, die erwähnten Zugangsschwel-
len abzubauen. Weibliche Genitalverstümmelung
«Die Beschneidung hat einen traditionel-
Neben den Infektionskrankheiten wurde len Hintergrund. Gründe, weshalb die Be-
von mehreren Personen erwähnt, dass schneidung in Somalia ausser wegen der
kulturellen Tradition auch noch gemacht
16 Die im Rahmen der Strategie „Migration und Gesundheit
2002-2007“ durchgeführte Befragung berücksichtigte Per-
wird sind, dass die Männer die Frauen
sonen aus den Herkunftsländern Deutschland, Österreich, als unrein empfinden, wenn sie nicht be-
Frankreich, Italien, Portugal, Türkei, ehemaliges Jugoslawien
und Sri Lanka. schnitten sind. Eine Frau, die heiraten will,

82
Typ Klassifikation
Typ I Sunna: Ausschneiden der Klitorisvorhaut mit oder ohne Entfer-
nung eines Teils oder der ganzen Klitoris.
Typ II Exzision: Entfernung der Klitoris sowie teilweise oder vollständige
Entfernung der kleinen Schamlippen.
Typ III Infibulation oder «Pharaonische Inzision»: Entfernung eines
Teils oder der gesamten äusseren Genitalien (Klitoris, kleine Scham-
lippen, innere Anteile der grossen Schamlippen) und weitgehender
Verschluss der Vaginalöffnung.
Typ IV Diverse, nicht klassifizierbare Praktiken, die die äusseren und inne-
ren Genitalien verletzen.

Tabelle 3: Klassifikation FGM nach WHO

sollte Jungfrau sein und die Beschneidung fertigung herangezogen werden, schreibt
hilft ihr, die Lust unter Kontrolle zu halten. keine Religion die weibliche Beschneidung
Der Mann empfindet eine grössere sexuelle vor. Der Brauch ist älter als das Christentum
Lust, wenn die Frau nach der Beschneidung und der Islam (keine Sure im Koran emp-
zusammengenäht wurde.» fiehlt Beschneidungen). In Eritrea pflegen
Somalische Expertin im Bereich Mädchen- Muslime, Katholiken, Protestanten und
beschneidung Atheisten den Brauch (SGGG 2005). In
ländlichen Regionen ist die Tradition auch
Die Beschneidung, Female Genital Mutila- heute noch verbreiteter als in den Städten.
tion (FGM), von Mädchen und Frauen um- In Somalia sind schätzungsweise 98 % aller
fasst die partielle oder totale Entfernung Frauen und Mädchen betroffen, davon sind
sowie sonstige Verletzung der äusseren 80 % infibuliert (Unicef 2008). In Eritrea
weiblichen Genitalien aus kulturellen oder sind 89 % der Frauen von FGM betroffen
anderen – nicht therapeutischen – Grün- (Unicef 2007). Die Entfernung der Klitoris-
den. Gemäss der derzeitigen international vorhaut (Typ I) wird ca. drei Monate nach
gebräuchlichen Klassifikation der WHO der Geburt durchgeführt und gilt als häu-
werden vier Formen von FGM (Typ I-IV) un- figste Form der Beschneidung in Eritrea.
terschieden. In der Praxis ist es jedoch nicht Die Beschneidungen (Typ II oder III), welche
immer einfach, die verschiedenen Formen im Alter zwischen 3 und 7 Jahren voll­zogen
von Beschneidung voneinander zu tren- werden, kommen weniger häufig vor. In
nen, da Zwischenformen und Variationen Somalia und Eritrea wird die Beschnei-
existieren. dung traditionell von einer Beschneiderin
durchgeführt. Der Beruf ist eine Familien­
Der Brauch der Beschneidung bei Mädchen tradition. Die Motive für eine Beschnei-
und Frauen existiert seit über 2000 Jahren. dung sind unterschiedlich. Für viele hat die
Obwohl häufig religiöse Motive zur Recht- Beschneidung eine Initiations­symbolik, bei

83
der das Mädchen zur Frau wird. Neben der liegenden Studie war ein Gesetzesartikel in
Beibehaltung des traditionellen Brauches Ausarbeitung, welcher die weibliche Geni-
ist die Beschneidung auch eine Voraus­ talverstümmelung auch in der Schweiz als
setzung für die Heirat von Mädchen und spezifischen Straftatbestand im Strafrecht
damit eine Bedingung für die materielle verankern soll.18
und die emotionale Sicherheit der Familie.
Eine Beschneidung dient zudem als Mittel Durch das gesetzliche Verbot, die Präven­
zur Bewahrung der Jungfräulichkeit von tionsarbeit von Migrantenvereinen und
Mädchen und zur Einschränkung weibli- Organi­sationen sowie eine geringere so-
cher Sexualität und Lust, die als bedroh- ziale Kontrolle scheint in der Diaspora
lich und unkontrollierbar wahrgenommen bezüglich der Beschneidung ein Umden-
wird. Hinzu kommen Reinheitsgebote ken stattzufinden. Laut Aussagen von
sowie die familiäre Gewohnheit, die von verschiedenen Gesprächspartnern soll die
Generation zu Generation weitergegeben Mädchenbeschneidung aber auch in der
wird. Obwohl offiziell die Beschneidung in Schweiz vereinzelt praktiziert werden (wor-
Eritrea17 per Gesetz verboten worden ist, den sein). Genaue Angaben zu diesem
hat dieses Gesetz bisher in weiten Teilen Thema können aber nicht gemacht wer-
des Landes keine grosse Wirkung gezeigt. den, da sich die Aussagen der interview-
ten Personen widersprechen.19 Experten
Situation in der Schweiz sprechen von einer nicht unerheblichen
Im Jahr 2003 lebten 10 501 Ausländer­ Dunkelziffer von Beschneidungen in der
innen aus 28 Ländern, in denen weibliche Schweiz. Teilweise wird die Beschneidung
Genitalverstümmelung praktiziert wird, in auch anlässlich eines Besuchs im Heimat-
der Schweiz. Davon sind schätzungsweise land durchgeführt.
4050 Mädchen unter 16 Jahre alt. Mehr
als zwei Drittel dieser Frauen stammen aus «Es sind viele Mädchen hier beschnitten
Somalia, Äthiopien und Eritrea (Thierfelder worden. Es ist jetzt ein Fall an die Öffent-
2003). In Europa ist die Rechtslage be- lichkeit gekommen, aber das ist kein Einzel-
züglich der Beschneidung unterschiedlich. fall. Von den Somaliern, die 1991 bis 1999
Zum heutigen Zeitpunkt haben vier Länder in die Schweiz kamen, sind fast alle Mäd-
(Schweden, Grossbritannien, Belgien und chen im Alter von zwei Jahren oder jünger
Norwegen) FGM-spezifische Gesetze. In beschnitten worden. Hier in der Schweiz le-
der Schweiz ist die Beschneidung im Sinne 18 Verabschiedet das Parlament den neuen Artikel, wird die
Genitalverstümmelung an Frauen und Mädchen unter Strafe
des Tatbestandes einer schweren Körper- gestellt, selbst wenn sie im Ausland vorgenommen wurde
verletzung strafbar. Zum Zeitpunkt der vor- und dort nicht strafbar ist. Die Strafandrohung geht bis zu
zehn Jahren Freiheitsentzug, die Verfolgung verjährt im 25.
Altersjahr des Opfers.
17 Im April 2007 veröffentlichte die Regierung in Eritrea eine 19 Im Juni 2008 befasste sich das Zürcher Obergericht zum
bereits seit längerer Zeit vorbereitete Proklamation, die jeg- ersten Mal in der Schweiz mit einem Fall der Beschneidung.
liche Form von Female Genital Mutilation (FGM) verbietet. Die Staatsanwaltschaft erhob gegen die somalischen Eltern
Angesichts der tiefen Verwurzelung von FGM in der Kultur Anklage wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung
der eritreischen Gemeinschaften scheint es erhebliche und hat bedingte Freiheitsstrafen verhängt. Die Eltern
Schwierigkeiten zu geben, das neue Gesetz auch in die hatten einen durchreisenden Landsmann beauftragt, ihre
Praxis umzusetzen (vgl. Berhane 2007). Tochter im Zürcher Oberland zu beschneiden.

84
bende Somalier mit dem Aufenthaltsstatus Gesundheitliche Folgen der weib-
F haben Angst, jederzeit zurückgeschickt lichen Genitalverstümmelung und
werden zu können. Sie leben im Proviso- Therapiemöglichkeiten
rium. Da kommt der Gedanke: Wenn ich Female Genital Mutilation kann erheb-
mein Mädchen nicht jetzt beschneide, liche Auswirkungen auf die Gesundheit
wann dann? Es geht darum, die Tochter zu der betroffenen Frauen haben. In den
retten, damit sie später mit beiden Füssen Herkunftsländern sind Komplikationen im
im Leben steht. Die Mutter geht davon aus, Zusammenhang mit der Schwangerschaft
dass wenn die Tochter nicht beschnitten und der Geburt häufig und können zum
wird, es diese schwer haben wird, wenn sie Tod führen. In der Schweiz treten aufgrund
zurückgehen muss. Sie wollen der Tochter der entsprechenden gesundheitlichen Ver-
ein gutes Leben ermöglichen, sie in Soma- sorgungsmöglichkeiten solche Probleme
lia gut verheiraten können, damit es we- in den Hintergrund. Schmerzhafte und
nigstens ihr gut geht.» verlängerte Menstruationsblutungen und
Expertin im Bereich Mädchenbeschnei- Sexualstörungen werden von betroffenen
dung, somalische Wurzeln Frauen in der Schweiz als Hauptkompli­
kationen angegeben (Thierfelder 2003).
Der Gedanke an eine Rückkehr ins Heimat- Die psychosexuellen Aspekte der Beschnei-
land, welcher vor allem bei den Somaliern dung treten in der Diaspora in den Vor-
aufgrund ihres Aufenthaltsstatus F prä- dergrund. Bei vielen beschnittenen Frauen
sent ist, scheint die Entscheidung für oder ist die Sorge gross, in Bezug auf die Sexu-
gegen eine Beschneidung wesentlich zu alität anders zu sein als die Frauen in der
beein­flussen (vgl. «Der Bund», 14.2.2009). Schweiz. Die Studie von Thierfelder (2003)
Die Angst, die Tochter bei einer Rückkehr zeigt auf, dass eine adäquate psychische
aufgrund ihrer genitalen Unversehrtheit Unterstützung in Form von Gesprächen
nicht verheiraten zu können, steht dabei in der Schweiz vielerorts unvollständig ist.
im Vordergrund. Eine Beschneidung wird Nur gerade 8 % der befragten Hebam-
also durchaus mit einer positiven Absicht men und Ärzte gaben an, mit der Mutter
durchgeführt, da viele betroffene Frauen über die Zukunft der Tochter hinsichtlich
FGM nicht als Verstümmelung betrachten der Beschneidung gesprochen zu haben.
und ihre gesundheitlichen Probleme nicht Kommunikationsdefizite – verstärkt durch
mit der erfolgten Beschneidung asso­ Sprachbarrieren – bestehen aber nicht nur
ziieren. Der Brauch ist in diesen Fällen mit zwischen Gesundheitspersonal und Patien-
einer positiven Wertvorstellung verbunden tin, sondern auch zwischen Ehepartnern.
(vgl. SGGG 2005). Selbst unter Frauen mit gleichem kulturel-
lem Hintergrund sind Dialoge über Sexuali-
tät oder andere Themen im Zusammenhang
mit FGM selten. Die Gespräche mit betrof-
fenen Frauen und gesundheitlichem Fach-
personal bestä­tigten diese Problematik. Ein

85
Ansprechen der Thematik vonseiten der schnitt kommt im Heimatland aufgrund
gesundheitlichen Fachperson (geschlechts- des hohen Mortalitätsrisikos nicht in Frage.
spezifisch) wird jedoch gewünscht. Ver- Unmittelbar nach der Geburt findet die
schiedene Informationsdokumente und Reinfibulation statt. In der Schweiz werden
Empfehlungen (vgl. SGGG 2005, Jäger betroffene Frauen bei der Geburt geöffnet
und Hohlfeld 2009) sollen das gesundheit- und in manchen Fällen – partiell – wieder
liche Fachpersonal auf FGM sensibilisieren. verschlossen. Laut einer Studie des Uni-
Während der Immigrationswelle aus So- versitätsspitals Bern wünschen nur wenige
malia Anfang der 1990er-Jahre bestanden Frauen (3.3 %) eine Reinfibulation (vgl. Wu-
erhebliche Schwierigkeiten bezüglich des est et al. 2009). Laut Aussagen von Exper-
gynäkologisch- geburtshilflichen Manage- ten wünschen immer mehr auch jüngere
ments. Seither haben Gynäkologen und Frauen bereits vor der Schwangerschaft
Hebammen an Universitätsspitälern Kennt- eine Defibulation, um einen möglichst na-
nisse und Erfahrung im Umgang und in der türlichen Zustand der Scheide zu erreichen.
Behandlung von FGM betroffenen Frauen Bei den Gesprächen mit den betroffenen
gewonnen (vgl. Thierfelder 2003). Auch Somalierinnen präsentierte sich ein etwas
in der Diaspora haben sich in den letzten anderes Bild. Viele Frauen äusserten sich
Jahren etliche Frauenvereine und Gruppen positiv zu einer partiellen Reinfibulation
gebildet, welche die Beschneidung anspre- nach der Geburt. Auch die Untersuchung
chen. Gegenseitige Unterstützung durch von Thierfelder kommt zu einem solchen
Erfahrungsaustausch sowie die Prävention Ergebnis. Das Thema der Reinfibulation
sind Hauptanliegen dieser Vereine. stellt für Gynäkologen und Hebammen ei-
nen ethischen Konflikt dar. Ärzte und Heb-
Obwohl geburtshilfliche Komplikationen ammen befürworteten in der Studie die
in der Schweiz im Vergleich zum Heimat- Haltung, dem Wunsch der Patientin zu die-
land in den Hintergrund treten, ist eine nen und eine partielle Reinfibulation aus-
Geburt einer beschnittenen Frau mit ver- zuführen. Dabei fehlten jedoch häufig Auf-
schiedenen Komplikationen verbunden. klärungsgespräche, in denen Alternativen
Bei Frauen, welche infibuliert wurden, also zur Reinfibulation aufgezeichnet wurden.
deren Vaginalöffnung durch die Beschnei- In den Guidelines der Schweizerischen Ge-
dung teilweise oder ganz, d.h. bis auf sellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe
eine kleine Öffnung verschlossen wurde, (SGGG) wird empfohlen, die Patientin von
taucht die Frage nach einer Defibulation einem Wunsch nach Reinfibulation abzu-
(Wiederöffnung bei der Geburt) und einer bringen, indem mögliche Komplikationen
Reinfibulation (erneutes Zunähen nach der und Alternativen aufgezeigt werden. Die
Geburt) auf. In den Herkunftsländern wer- partielle Reinfibulation ist in der Schweiz
den die Frauen mit einer Rasierklinge oder nicht gesetzlich geregelt20, sollte aber laut
anderen scharfen Gegenständen entweder SGGG nur in Ausnahmefällen durchge-
unmittelbar bei der Geburt oder bereits
20 In der Schweiz, in Grossbritannien und in Belgien ist die
drei Tage im Voraus geöffnet. Ein Kaiser- komplette Reinfibulation jedoch gesetzlich verboten.

86
führt werden und dann auch nur, wenn in der Schwangerschaft höher ist als bei
Menstruations- und Harnfluss sowie Ge- Schweizerinnen (Weiss 2003). Bei ein-
schlechtsverkehr und gynäkologische Un- zelnen Migrantinnengruppen wurden
tersuchungen ungehindert möglich sind. ebenso vermehrte Komplikationen bei
Den sozialen und psychischen Beweggrün- der Geburt festgestellt (Widmer 1998). Es
den und Auswirkungen dieser erfolgten bestehen auch Hinweise, dass Frauen mit
oder nicht erfolgten Intervention kommt Migrations­hintergrund teilweise nicht die-
eine bedeutende Rolle zu; sie sind jedoch selben Geburtsvorbereitungen treffen, wie
bis heute kaum erforscht. Kaiserschnitte sie für Schweizerinnen üblich sind (Kuntner
bei Frauen mit FGM werden – im Vergleich 2001; Weiss 2003). Sowohl bei der soma-
mit anderen Frauen – nur minim häufiger lischen als auch der eritreischen Gemein-
durchgeführt. Gründe für einen allfälligen schaft spielt die Familie eine wichtige Rolle
Kaiserschnitt liegen darin, dass durch die im alltäglichen Leben. Der Wunsch nach
Beschneidung und die damit verbundenen einer Grossfamilie ist gross. Die Frauen füh-
Schamgefühle der Frauen der Geburts- ren in der Schweiz oft keinen Schwanger-
vorgang nur schlecht überwacht werden schaftstest durch, die Überweisung zu den
kann. regulären pränatalen Konsultationen er-
folgt daher später als bei Schweizerinnen.
Gesundheit von Mutter und Kind Die Migrantinnen gebären in der Schweiz
Studien haben gezeigt, dass bei Migran- in der Regel im Spital. Bei der Geburt ist der
tinnen in der Schweiz die Sterblichkeit Ehemann, eine Freundin oder eine Nach-

87
barin anwesend, sofern keine weibliche Psychosoziale Problematik und
Verwandte in der Schweiz ist. Das Fehlen deren Folgen
des unterstützenden Umfelds der (Gross-) «Viele somalische Männer sind psychisch
Familie verunsichert viele Frauen. Insbeson- kaputt, da sie nicht mehr die Ernährer der
dere die Abwesenheit der eigenen Mutter Familie sind, sondern meist von der Für­
oder einer anderen erfahrenen Frau, wel- sorge leben (…). Zudem sind viele Jugend-
che beratend zur Seite steht, die die phy- liche im Krieg geboren und traumatisiert.»
sischen und psychischen Veränderungen Mann aus Somalia
während der Schwangerschaft kennt und
helfend eingreifen kann, wird sowohl von Flucht und Migration können eine erhebli-
den Männern als auch von den Frauen als che psychosoziale Belastung für Migranten
sehr schmerzlich erlebt. Diese enge Ver- und deren Familien- und Lebenssystem dar-
traute, welche im Heimatland auch bei der stellen (Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft
Säuglingspflege hilft und somit nach der 2004). Gespräche mit somalischen und
Geburt Freiräume für die Mutter schafft, eritreischen Migranten bestätigen, dass die
fehlt vielen Familien in der Schweiz. psychosozialen Bedürfnisse eine wichtige
Rolle spielen. Vor allem Personen mit einem
Die Gespräche zeigen, dass der Migrations- kleinen sozialen Umfeld in der Schweiz, die
kontext und die fehlende Unterstützung auf Unterstützung der eigenen Familie ver-
der Migrantin durch die Familie zu einer zichten müssen, leiden oftmals unter Ein-
Veränderung der Rollenverteilung in der samkeit und depressiven Verstimmungen.
Familie führen. In Somalia und Eritrea spie- Der Verlust dieser stützenden Netzwerke
len Männer in der perinatalen Versorgung wird als eines der Hauptprobleme ange-
von Mutter und Kind nur eine untergeord- geben. Sowohl bei den Somaliern als auch
nete Rolle; der Ehemann ist für die finanzi- den Eritreern werden psychische Probleme
elle Absicherung zuständig. In der Schweiz oft tabuisiert. Dies kann zur Folge haben,
tragen somalische und eritreische Männer dass Krankheitsbilder wie beispielsweise
aufgrund der Verschiebung der Geschlech- eine posttraumatische Belastungsstörung
terrollen in der Diaspora vermehrt die zu spät erkannt werden oder psycho­
Mitverantwortung in der Versorgung der somatische Symptome in den Vordergrund
Kinder. Der Ehemann fungiert als Ratgeber treten. Dies erschwert insbesondere die Be-
und Stütze und übernimmt Aufgaben, wel- handlung im stationären Bereich.
che in den Herkunftsländern traditionell
von den Müttern und Schwiegermüttern «Viele sind psychisch krank, aber sagen es
erledigt werden (vgl. Jäckle und Wenger nicht. (…). In der somalischen Gesellschaft
2009). wird man nicht akzeptiert, wenn man eine
medizinische Therapie beansprucht. (…).
Wegen Angst vor Schande habe ich keine
Gespräche geführt.»
Frau aus Somalia

88
Psychische Probleme werden häufig im Zu-
sammenhang mit Kriegstraumatisierungen,
Gewalterlebnissen oder sozialer Isolation
und mangelnder Integration begründet.
Die Entwurzelung und die ungewohnten
Lebensbedingungen in der Schweiz führen
oft zu einer stressreichen Lebenssituation,
welche psychosomatische Beschwerden
wie beispielsweise chronische Bauch- und
Rückenschmerzen zur Folge haben kön-
nen. Unter den diversen Beschwerden,
welche von betroffenen Personen im Rah-
men der Gespräche geäussert wurden, fin-
den sich auch Überforderung, Er­schöpfung
und das Gefühl der Hilflosigkeit. Die Be-
handlung und die Therapierung von sol-
chen psychischen Erkrankungen werden
durch fehlende Übersetzungsdienste, ein
anderes Verständnis von Krankheit sowie
kulturelle Tabus erschwert. Zur Bewälti-
gung der psycho­somatischen Beschwer-
den wird nicht selten zu Alkohol und Kat
(eine berauschende Pflanze) gegriffen. Die
Suchtmittelabhängigkeit bei Männern aus
Somalia und Eritrea wird von verschiede-
nen Integrationsfachstellen sowie medizini-
schen Institutionen als Problem geschildert.
Jedoch lässt sich kein vermehrtes Auftreten
gegenüber anderen Migrantengruppen
feststellen. Da sich der Zugang zu spezia-
lisierten Therapieangeboten aus den oben
genannten Gründen schwierig gestaltet,
werden die Störungen oft zu spät erkannt,
und es besteht eine erhöhte Gefahr der
Chronifizierung der psychischen Erkran-
kung.

89
Weiterführende Literatur Hürlimann, Monika (2008): Mädchenbe-
schneidung aus dem Blickwinkel der Frau-
Asefaw, Fana (2008): Weibliche Genital- engesundheit. Caritas Schweiz: Luzern.
beschneidung. Hintergründe, gesundheit-
liche Folgen und nachhaltige Prävention. Jäckle, Annatina; Wenger, Aline (2009):
Königstein: Ulrike Helmer. Wünsch dir, was du brauchst – eine Ana-
lyse der Bedürfnisse von Flüchtlingen aus
Bülent, Kaya; Efionayi-Mäder, Denise Eritrea und Somalia in der Diaspora in
(2007): Migration und Gesundheit. SFM, Bezug auf die reproduktive Gesundheit.
Universität Neuenburg. Hochschule für Angewandte Wissenschaf-
ten St. Gallen.
Bundesamt für Migration (2006): Prob-
leme der Integration von Ausländerinnen Kuhn, Annette; Raio Luigi et al. (2009):
und Ausländern in der Schweiz. Bestan- Effects of Female Genital Mutilation on
desaufnahme der Fakten, Ursachen, Risi- Birth Outcomes in Switzerland. In: BJOG:
kogruppen, Massnahmen und des integra­ An International Journal of Obstetrics
tionspolitischen Handlungsbedarfs. & Gynaecology, Volume 116, Issue 9, S.
www.bfm.admin.ch > Dokumentation 1204–1209.

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gration und Gesundheit, Kurzfassung der schaft und Geburt im Migrationskontext.
Bundesstrategie Phase II (2008–2013). Verlag Hans Huber: Bern.
Bern. www.bag.admin.ch
Psychosoziale Arbeitsgemeinschaft
Gesundheitsförderung Schweiz und (2004): Bericht zur psychosozialen Versor-
Bundesamt für Gesundheit, Sektion gungs- und Betreuungssituation von Mi-
«Chancengleichheit und Gesundheit» grantinnen und Migranten in Duisburg.
(2007): Migration und Gesundheit. Stadt Duisburg: Gesundheitsamt.
hwww.quint-essenz.ch www.psag-duisburg.de

Hohlefeld, Patrick; Jäger, Fabienne Schweizerische Gesellschaft für Gy-


(2009): Mädchenbeschneidung – konkrete näkologie und Geburtshilfe (SGGG)
Prävention in der Schweiz. Ein Artikel für (2005): Guideline. Patientinnen mit genita-
alle, die gefährdete Kinder oder Betroffene ler Beschneidung: Schweizerische Empfeh-
betreuen. In: Schweiz Med Forum Nr. 9, S. lungen für Ärztinnen und Ärzte, Hebam-
473–479. men und Pflegefachkräfte.
www.medicalforum.ch www.sggg.ch

90
Thierfelder, Clara (2003): Female Genital
Mutilation and the Swiss Health Care Sys-
tem. Medizinische Fakultät der Universität
Basel.

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ment Report. Nairobi, Kenia.
www.undp.org

UNFPA Eritrea (2008): Consolidated Ap-


peals Process. Nairobi, Kenia.
http://ochaonline.un.org

Weiss, Regula (2003): Macht Migration


krank? Eine transdisziplinäre Analyse der
Gesundheit von Migrantinnen und Migran-
ten. Seismo-Verlag: Zürich.

Widmer, Rudolf (1998): Vergleich der Ge-


burtsverläufe von tamilischen und nicht
tamilischen Frauen an der Universitätsklinik
Basel 1994 / 1995. Medizinische Fakultät
der Universität Basel.

Zeitungsartikel
Der Bund, 14. Februar 2009: Tiefe Trauer
über ihren Verlust. Seit ihrem Aufenthalt
im Sudan engagiert sich die Gynäkologin
Annette Kuhn gegen weibliche Beschnei-
dung.

Sudan Tribune, Saturday, 7 April 2007: M.


Tekeste, Eritrea: Might is right, govt bans
female circumcision.
www.sudantribune.com

91
4 Kulturelle, soziale und
politische Organisationsformen
Definition: Kultur
Mit dem Begriff Kultur werden im folgenden Kapitel kollektiv verbreitete Gewohn­
heiten, Wertvorstellungen und Wissensbestände sowie soziale, religiöse und künstler­
ische Traditionen und Praktiken bezeichnet, wie sie von Mitgliedern einer Gesellschaft
ausgeübt und durch Sozialisation weitergegeben werden. Kultur wird hier als flexibel
und wandelbar verstanden.
Es handelt sich hierbei um eine vereinfachte Definition des in den Sozialwissenschaften
und insbesondere in der Sozialanthropologie diskutierten Kulturbegriffs.

4.1 Kultur und Religion

In Kürze nitischer Ausprägung. Die gemeinsame


– Sowohl die somalische als auch die Religion bildet das stärkste identitäts­
eritreische Gesellschaft sind traditionell stiftende Merkmal.
segmentäre Gesellschaften. Während – Die Bevölkerung in Eritrea setzt sich aus
Eritrea eine durch ethnische, sprach- neun ethnischen Gruppen zusammen.
liche, kulturelle und religiöse Vielfalt Die meisten Eritreer in der Schweiz
geprägte heterogene Gesellschaft dar- gehören zur ethnischen Gruppe der
stellt, weist die somalische Gesellschaft Tigrinnier. Die ethnische Zugehörigkeit
im Vergleich eine ethnisch und religiös spielt jedoch eine untergeordnete Rolle.
homogenere Sozialstruktur auf. Das nationale Zusammengehörigkeits-
– Somalia ist eine auf Abstammung basie­ gefühl ist bei den Eritreern wesentlich
rende Gesellschaft. Das traditionelle stärker ausgeprägt.
Clansystem ist für die Gesellschaft und – Die Mehrheit der Eritreer in der
die Politik von grosser Bedeutung. Jeder Schweiz sind Christen und gehören der
Somalier gehört über seine väterliche eritreisch-orthodoxen Kirche (Eritrean
Seite einem Clan an. Orthodox Tewahedo Church of Eritrea)
– Die Clanzugehörigkeiten spielen bei an. Daneben gibt es Katholiken und Pro-
den Somaliern – der älteren Generation testanten sowie Anhänger von Pfingst-
– auch in der Schweiz eine wichtige gemeinden. Rund 10 % der Eritreer sind
Rolle. Beispielsweise kann die Clanzuge­ Muslime.
hörigkeit bei der Wahl eines Heiratspart- – Für den grössten Teil der älteren
ners ein Kriterium sein. Innerhalb der Generation beider Gruppen spielt der
zweiten Generation verliert das Clan- religiöse Glaube eine zentrale Rolle im
denken jedoch an Bedeutung. Verläss- täglichen Leben und beeinflusst ihr Han-
liche Daten zur Clanzugehörigkeit der deln und Denken. Bei Mitgliedern der
Somalier in der Schweiz bestehen nicht. zweiten Generation ist das Interesse an
– Beinahe alle in der Schweiz lebenden religiösen Wertvorstellungen wesentlich
Somalier sind Muslime vorwiegend sun- geringer.

93
Die Herkunftskultur in der Fremde usw.), Theateraufführungen und Konzerte,
bewahren religiöse Feste und Feiertage, Sportveran-
Diasporagruppen neigen in der Regel staltungen (z.B. Fussballturniere), Freizeit-
dazu, bestimmte Wertvorstellungen und angebote für Frauen, Kurse für Kinder (in
Gewohnheiten ihrer Ursprungskultur in Sprache, Kultur und Religion der Heimat)
der Fremde beizubehalten und weiterhin usw.
enge Beziehungen zu ihrer Heimat und zu vgl. Kapitel 4.3: Soziale und politische Ak-
Familienangehörigen in anderen Ländern tivitäten und Anhang II: Kontaktadressen
aufrechtzuerhalten. Dies trifft auch auf die
somalische und die eritreische Migranten- Die Aktivitäten werden von vielen Eltern un-
gruppe in der Schweiz zu. Beide Gruppen terstützt und gefördert, da sie befürchten,
legen grossen Wert auf die Bewahrung dass sich ihre Kinder von den traditio­nellen
ihrer kulturellen (beziehungsweise reli- Werten und Vorstellungen ihrer Ursprungs-
giösen oder nationalen) Identität. In der kultur zunehmend entfernen und ihre
Schweiz existiert eine Vielzahl somalischer Muttersprache nicht mehr beherrschen.
und eritreischer Kulturvereine, welche un- Gerade für diejenigen, die lange – vielleicht
ter anderem das Ziel verfolgen, die hei- auch heute noch – hofften, einmal in ihre
matliche Kultur und Sprache zu pflegen. Heimat zurückkehren zu können, ist der
Die Vereine organisieren verschiedenste Wunsch gross, dass ihre Kinder zumindest
Aktivitäten: Informationsveranstaltungen gewisse Elemente der Ursprungs­kultur be-
(zu Themen wie Gesundheit oder Schule wahren. Zudem wird versucht, die Kinder

94
(besonders Mädchen) vor einer zu starken Definition: Clan
Beeinflussung durch die Kultur des Gast- Der Begriff Clan oder Klan (gälisch
landes zu schützen. Die Jugendlichen der Clann: Kinder, Abkömmlinge) beschreibt
zweiten Generation messen bestimmten allgemein eine Bevölkerungsgruppe, die
Werten und Gewohnheiten allgemein we- sich über die Abstammung von gemein-
niger Bedeutung zu als ihre Eltern. Dies samen Vorfahren (meist ein mythischer
kann zu Konflikten innerhalb der Familien Ahn) definiert. Ein Clan besteht häufig
und zwischen den Generationen führen. aus mehreren Lineages (blutsverwandte
vgl. Kapitel 4.2: Familien, Ehepaare und Abstammungsgruppe).
Generationen

4.1.1 Ethnie und Clan: traditio­nelle Clans in Somalia


Gesellschaften in Somalia und Die überwiegende Mehrheit der soma-
Eritrea lischen Bevölkerung (90 %) gehört zu
Die traditionellen Gesellschaften in Soma- den ursprünglich nomadisierenden So-
lia und Eritrea weisen typische Strukturen mali. Daneben gibt es kleinere ethnische
segmentärer Gesellschaften auf. Dieser Minder­heiten wie die verschiedenen
Gesellschaftstyp ist gekennzeichnet durch Bantu-Stämme und ausländische Grup-
die Gliederung in verschiedene Segmente pen (beispielsweise Araber, Pakistaner,
(beispielsweise Stämme, Ethnien usw.), Inder). Somalia ist eine auf Abstammung
in denen das Abstammungselement das basierende Gesellschaft. Das traditionelle
domi­nierende Ordnungsprinzip darstellt. Clansystem der Somali, das wahrscheinlich
Oft bestehen verschiedene Segmente von der Stammesgesellschaft der Araber
nebeneinander, welche sich in weitere beeinflusst wurde, ist für die Gesellschaft
Subsegmente aufteilen. Das Fehlen einer und die Politik von grosser Bedeutung. Die
zentralen Instanz hat zur Folge, dass Ko- verschiedenen Clans führen ihre Abstam-
operations- und Konfliktbeziehungen ohne mung auf die Gründungsväter Samaale
die Einschaltung eines permanenten staat- und Sab zurück. Gemäss der Überliefe-
lichen «Regulierungszentrums» erfolgen rung sollen beide von Hill, dem mythischen
(Omar 2002). Stammvater der Somali, abstammen, der
wiederum ein Nachkomme von Abu Talib,
Während Eritrea eine durch ethnische, einem Onkel des Propheten Mohammed
sprachliche, kulturelle und religiöse Vielfalt ist. Auf Samaale berufen sich die traditi-
geprägte Gesellschaft darstellt, weist im onell nomadisch lebenden Clans Hawiye,
Vergleich die somalische Gesellschaft eine Isaaq, Darod und Dir. Sie bezeichnen sich
ethnisch und religiös homogenere Sozial- selbst als die wahren Somali und domi-
struktur auf. Im Folgenden sollen kurz das nieren seit den 1960er-Jahren Politik und
Clansystem in Somalia und die ethnischen Wirtschaft in Somalia. Die traditionell sess-
Gruppen in Eritrea dargestellt werden. haft-bäuerlichen Rahanweyn oder Digil-
Mirifle berufen sich auf Sab. Sie sprechen

95
mehrere eigene Sprachen, welche mit dem Im heutigen Somalia gibt es unterschied-
Somali verwandt sind, und werden von Tei- liche Haltungen gegenüber dem Clan­
len der Samaale-Clans als nicht gleichbe- system. Die nationalistischen Bewegungen
rechtigt angesehen.1 Zum Teil werden die der Vergangenheit, so auch die Somali
Digil und die Mirifle als zwei verschiedene Youth League, waren bestrebt, die Bedeu-
Clans betrachtet, sodass es je nach Auffas- tung der Clans zugunsten einer nationalen
sung fünf oder sechs grosse Clan­familien Identität zu schwächen. Auch der Diktator
(Gaabiil) gibt. Jede Clan­familie teilt sich in Siad Barre versuchte während seiner Regie-
eine Vielzahl von Subclans (Tol), welche aus rungszeit (1969-1991), die Clanstrukturen
mehreren Familien (Reer) bestehen. Die in der somalischen Gesellschaft abzuschaf-
verwandtschaftlichen Beziehungen sind fen. Die Versuche blieben jedoch erfolglos
Grundlage der gesellschaftlichen Organi- und bis heute kommt dem Clansystem eine
sation und bestimmen nicht nur das sozi- zentrale Rolle in der Gesellschaft und der
ale Gefüge, sondern auch die politischen Politik Somalias zu (Mukhtar 2003).
Strukturen (Omar 2002).
Bedeutung der Clans in der
Die Clans sind traditionell akephal organi- Schweiz
siert, d.h., es existieren kaum Hierarchien «Der Clan ist der Ausweis von uns Soma-
und Verwaltungsstrukturen und es fehlt lier»
ein Oberhaupt mit grösseren Machtbefug- Mann aus Somalia, seit 1993 in der Schweiz
nissen. Die Autoritäts- und Respektsper-
sönlichkeiten sind die Ältesten, die in Ver- Über die Clanzugehörigkeit der in der
sammlungen (Shir) über Angelegenheiten Schweiz lebenden Somalier können keine
des Clans beraten und entscheiden. Die genauen Angaben gemacht werden.3 Inner-
Clans halten sich an das Gewohnheits- halb der somalischen Diaspora stellt die Be-
recht2 (Xeer oder Heer), ein ungeschrie- deutung der Clans ein umstrittenes Thema
benes Recht aus vorislamischer Zeit, das dar. Während einige die Clanzugehörig­
in der Vergangenheit durch das islamische keiten in der Diaspora als unbedeutend
Gesetz (shari’a) beeinflusst wurde. Bei bewerten oder zum Tabuthema machen,
Streitigkeiten vermitteln die Clanältesten weisen andere offen darauf hin, dass die
und entscheiden unter anderem über die Clans auch in der Schweiz ihre Wichtigkeit
Blutgeldzahlungen (Mag) (Abdullahi 2001; haben. Wie im Herkunftsland kommt dem
Mukhtar 2003; Omar 2002). Clansystem auch in der Diaspora eine wich-
tige Bedeutung zu und es prägt das soziale
Leben der Somalier mit.
1 Die Rahanweyn und Digil-Mirifle werden von Teilen der
Samaale-Clans als «unrein» bezeichnet und gelten aufgrund
ihrer Durchmischung mit anderen schwarzafrikanischen
Gruppen als keine «echten» Somali. 3 In der Asylstatistik des Bundesamts für Migration (BFM)
2 Das Gewohnheitsrecht basiert auf dem Prinzip der kollek- werden die Clanzugehörigkeiten der asylsuchenden Perso-
tiven und nicht der individuellen Strafbarkeit. Wenn ein nen erfasst. Die Zahlen sind aber wenig aussagekräftig, da
Angehöriger eines Clans ein Verbrechen begeht, macht sich beinahe zur Hälfte der erfassten Personen keine Angaben
der gesamte Clan dadurch schuldig beziehungsweise das gemacht werden können, weil sie unter die Kategorien
Blutgeld wird gemeinsam von einer Familiengruppe bezahlt. «ohne Angaben» oder «sonstige» fallen.

96
Jeder Somali gehört über seine väterliche anzugehörigkeit und die anderer Somalier
Abstammungslinie (patrilinear) einem Clan keine Rolle. Für die jungen Somalier, die ab
beziehungsweise Subclan an. Die Clan­ 2006 in die Schweiz eingereist sind, schei-
zugehörigkeit einer Person ist anhand ihres nen jedoch die Clanzugehörigkeiten von
Namens ersichtlich, da auf den eigenen Na- grosser Bedeutung zu sein. Viele von ihnen
men bei Männern wie bei Frauen der Name sind in einer Zeit in Somalia aufgewach-
des Vaters, des Grossvaters usw. folgt. So- sen, die von kriegerischen Auseinanderset-
mit wird bei Nennung des Namens sofort zungen zwischen verschiedenen entlang
ersichtlich, zu welchem Clan eine Person von Sub­clanzugehörigkeiten gebildeten
gehört. Nach Meinung von Experten wis- Splittergruppen geprägt war. Vor diesem
sen die meisten Somalier in der Schweiz, Hintergrund stellt die Clanzugehörigkeit
welchem Clan sie angehören. Konflikte ein wichtiges Identitätsmerkmal für diese
aufgrund unterschiedlicher Clanzuge- jungen Somalier dar. In der Schweiz treffen
hörigkeiten scheinen vorzukommen. Bei Angehörige verschiedener Clans und Sub-
Vereinsbildungsprozessen spielt die Clan­ clans aufeinander, was in gewissen Fällen
zugehörigkeit teilweise eine wichtige Rolle. zu Konflikten oder Auseinandersetzungen
Nicht selten gehören die Vorstandsmitglie- über politische Ansichten führt.
der eines Vereins demselben Clan an. Ei-
nen Sprecher oder einen übergeordneten Ethnisches Mosaik in Eritrea
Verband (Dachorganisation) der Somalier
Definition: Ethnie
beziehungsweise der somalischen Vereine
gibt es in der Schweiz nicht. Die unter- Der Begriff Ethnie (griechisch ethnos:
schiedlichen Clanzugehörigkeiten scheinen Volk) bezeichnet eine Gruppe, welcher
Grund zu sein, dass es trotz mehrfacher aufgrund gemeinsamer Merkmale wie
Versuche zu keiner Bildung einer solchen Geschichte, Sprache, Religion,
Dachorganisation gekommen ist. Kultur oder Abstammung eine kollektive
Identität zugesprochen werden kann
Die Clanzugehörigkeit kann auch in der (im deutschsprachigen Raum hat der
Diaspora ein Kriterium bei der Wahl von Begriff Ethnie weitgehend den Begriff
Heiratspartnern sein, besonders für die äl- Volk ersetzt).
tere Generation. Oft werden Hochzeiten
innerhalb desselben Clans geschlossen. Die Bevölkerung in Eritrea setzt sich aus
Dennoch gibt es innerhalb der somalischen neun ethnischen Gruppen zusammen.4
Bevölkerung in der Schweiz, insbeson- Rund die Hälfte der Bevölkerung gehört zu
dere unter den Jugendlichen der zweiten den im Hochland ansässigen Tigrinniern,
Gene­ration, Anzeichen dafür, dass die die damit die grösste ethnische Gruppe
Frage nach der Clanzugehörigkeit an Be-
4 Aktuelle Zahlen zu den einzelnen ethnischen Gruppierungen
deutung verliert. Für die meisten soma- liegen nicht vor. Seit der Erlangung der Unabhängigkeit hat
lischen Jugend­lichen, die in der Schweiz die regierende PFDJ keine Volkszählungen durchgeführt,
somit sind die Angaben zu den ethnischen und religiösen
aufgewachsen sind, spielt ihre eigene Cl- Gemeinschaften in Eritrea Schätzungen (Schröder 2004).

97
darstellen und auch politisch und öko- Angaben von Experten kann davon aus-
nomisch die dominierende Kraft im Land gegangen werden, dass die Tigrinnier die
bilden. Sie sind mehrheitlich Mitglieder grösste Gruppe bilden. Die übrigen eth-
der orthodoxen Kirche. Im Hochland lebt nischen Minderheiten sind in der Schweiz
eine weitere Tigrinya sprechende Gruppe wenig bis gar nicht vertreten.
von Muslimen, die als Jeberti bekannt ist,
von der Regierung aber nicht als ethnische Laut Experten sind sich die Eritreer in der
Gruppe anerkannt wird. Die zweitgrösste Schweiz ihrer ethnischen Zugehörigkeit
Gruppe bilden die Tigre. Sie leben über- bewusst. Doch wird die gemeinsame natio­
wiegend im Westen des Landes bis in den nale Identität stärker gewichtet als die
Sudan hinein. Die Tigre sind in mehrere ethnische Zugehörigkeit. Spaltungen auf-
Unter­gruppen unterteilt. Die meisten dieser grund ethnischer Unterschiede scheinen
Gruppen sind im späten 19. Jahrhundert nicht vorzukommen. Die nationale Iden-
zum islamischen Glauben übergetreten. tität wurde während des dreissigjährigen
Im Tiefland leben eine Reihe von Minder­ Unabhängigkeitskampfes massgeblich von
heitengruppen wie die Afar, Hedareb, der führenden Befreiungsbewegung der
Bilen, Kunama, Nara, Rashaida und Saho. Eri­trean People’s Liberation Front (EPLF)
Es sind mehrheitlich relativ kleine Gruppen. gestaltet. Während des gemeinsamen
Sie sprechen jeweils eine eigene Sprache Kampfes für einen unabhängigen Staat ge-
und bekennen sich grösstenteils zum Islam hörte die nationale Einheit aller ethnischen
(Hannken 2003; Omar 2002). Minderheitengruppen und Religionsge-
meinschaften zum politischen Programm
Bedeutung der ethnischen Zuge- der EPLF. Die Befreiungsbewegung hatte
hörigkeit in der Schweiz in vielen Ländern Vertretungen und ihre
«Die Eritreer vertreten in erster Linie eine Aktivitäten haben dazu beigetragen, dass
politische Ideologie einer Nation, ein star- innerhalb der verschiedenen Diasporage-
kes eritreisches Nationalbewusstsein und meinschaften die regionalen und ethni-
viel weniger ihre persönliche ethnische schen Identitäten weitgehend tabuisiert
Herkunft» wurden. Das gemeinsame Ziel war die Un-
Schweizer eritreischer Herkunft, seit 25 abhängigkeit (Conrad 2006).
Jahren in der Schweiz
4.1.2 Religion
Genaue Informationen zur ethnischen
Zusam­mensetzung der eritreischen Dias- Somalische Muslime
pora in der Schweiz liegen nicht vor.5 Nach Wie in ihrer Heimat sind die überwiegende
Mehrheit der Somalier in der Schweiz sun-
5 Die ethnische Zugehörigkeit asylsuchender Personen aus
Eritrea wird in der Befragung zur Person durch das Bundes-
amt für Migration (BFM) erhoben. Die Daten sind wenig
aussagekräftig, weisen aber darauf hin, dass die Tigrinnier
die stärkste Gruppe bilden. Zu den Personen, die sich nicht
mehr im Asylverfahren befinden, können keine Angaben zur
ethnischen Zugehörigkeit gemacht werden.

98
95,7 % Islam
3,6 % Ohne Angabe
0,7 % Andere

Abbildung 18: Religionszugehörigkeit der somalischen Bevölkerung in der Schweiz (in %)


Quelle: AUPER, Bestand Personen im Asylprozess am 31.1.2009 *

* Die Ergebnisse der Volkszählung (2000), bei der 4764 Somalier erfasst wurden, haben Folgendes gezeigt: Muslime (76,7 %) und
ohne Angaben (20,2 %).

nitische Muslime.6 Der Islam ist seit mehre- Glaubenssystem vermischt. Dazu gehört
ren Jahrhunderten die dominierende Reli- die Ahnenverehrung, die bis heute in So-
gion in Somalia. Als Grundstock gelten die malia praktiziert wird. Seit den 1970er-Jah-
fünf Säulen des Islam.7 Der Glaube basiert ren gibt es vor allem in den Städten radikal­
auf dem Koran, dem Hadith (Sammlung islamistische Strömungen, die während
der Reden und Handlungen des Propheten des Bürgerkrieges zunehmend an Einfluss
Mohammed) und der Shari’a, dem islami- gewonnen haben. Anfang 2009 versuchte
schen Gesetz. Im 19. Jahrhundert haben der neue Präsident Sheikh Sharif Sheikh
sich verschiedene Sufi-Orden in Somalia Ahmed, im ganzen Land das islamische
verbreitet, die das religiöse Leben bis heute Recht, die Shari’a, wieder einzuführen.
stark prägen. Die älteste und grösste dieser
Bruderschaften ist die Qadiriyya. Religiöse Im somalischen Islam kommt dem Sheikh
Vorstellungen und Rituale aus vorislami- oder Wadaad eine wichtige Bedeutung zu.
scher Zeit haben sich mit dem islamischen Im Gegensatz zum Imam, der das Gebet in
der Moschee leitet und die Predigt hält, ist
6 Die einzigen Andersgläubigen in Somalia sind einige
hundert Christen, die fast ausschliesslich ausländischer der Sheikh religiöser Gelehrter und Kenner
Herkunft sind. Die wenigen christlichen Somalier gehören zu der Rituale. In der Schweiz gibt es einige
der äthiopisch-orthodoxen Tewahedo-Kirche. Ob es in der
Schweiz somalische Christen gibt, kann nicht mit Sicherheit wenige aktive Sheikhs aus Somalia. Sie sind
gesagt werden. Gemäss den Statistiken des BFM haben
vereinzelt somalische Asylsuchende sich bei der Befragung entweder arbeitstätig und führen das Amt
zur Person als Christen ausgegeben.
7 Die fünf Säulen (Arkan) sind das Glaubensbekenntnis
des Sheikh ehrenamtlich aus, oder sie sind
(Shahada), das Gebet (Salah), die Armensteuer (Zakat), das mit einer Moschee verbunden beziehungs-
Fasten (Siyam) im Fastenmonat Ramadan und die Pilgerfahrt
(Haddsch). weise angestellt. Ein Sheikh übernimmt

99
verschiedene Aufgaben für die musli­ «Wir Somalier sind zersplittert in Clans,
mische Gemeinde. Bei Geburt, Hochzeit aber wo wir uns alle einig sind, ist die Re-
oder Tod wird oft ein Sheikh eingeladen, ligion, wir sind alles Muslime. (…). Für uns
um die rituellen Handlungen zu vollziehen. Somalier ist der Islam unsere Religion.»
Zudem übernimmt er auch vermittelnde Mann (42) aus Somalia, seit 1993 in der
Funktionen bei Konflikten innerhalb der Schweiz
Familie oder der Gemeinde.
Aufgrund des Clandenkens fühlen sich
In der ganzen Schweiz treffen sich die viele Somalier in erster Linie ihrem Clan
soma­lischen Muslime in verschiedenen zuge­hörig und das Nationalgefühl wird
Moscheen, die meistens von Gläubigen un- zweitrangig. Die gemeinsame Religion bil-
terschiedlicher Herkunft besucht werden, det somit das einzige gemeinsame Identi-
zum Gebet. Viele Männer besuchen die tätsmerkmal der Somalier. Laut Experten
Moschee vor allem am Freitag. Es gibt ver- wird die religiöse Identität oftmals höher
einzelt somalisch-islamische Vereine, wel- gewichtet als das nationale Zugehörig-
che Moscheen betreiben, die von einem keitsgefühl, insofern ist der Islam ein fes-
Imam oder Sheikh aus Somalia geleitet ter Bestandteil der somalischen Identität.
werden. Die Vereine bieten Religions- und In diesem Zusammenhang kann auch das
Koranunterricht für die zweite Generation Kopftuch erwähnt werden, das manche
an. Der Wahrung der religiösen Identität somalische Frauen auch in der Schweiz tra-
kommt eine wichtige Bedeutung zu. gen. Es handelt sich dabei eher um Frauen
aus der älteren Generation sowie um jün-
gere Frauen, die erst kürzlich in die Schweiz

100
eingereist sind. Einerseits fassen einige rea pfingstlerische (pentekostale) und cha-
Frauen die Verhüllung des Kopfes als selbst- rismatische religiöse Bewegungen ausge-
verständliche islamische Tradition auf. An- breitet und zur Entstehung neuer Kirchen
dererseits wird das Kopftuch auch aus per- geführt (Hannken 2003; Schröder 2004).8
sönlicher religiöser Überzeugung gewählt. Die pfingstlerischen Gruppie­rungen wer-
Das Kopftuch kann somit als sichtbares den von der orthodoxen Gemeinde als
Symbol der religiösen Identität somalischer Konkurrenz betrachtet und als häretisch
Frauen gedeutet werden. Hingegen gibt bezeichnet. Es bestehen nur wenig Kon­
es unter den Mädchen und jugendlichen takte zwischen den beiden Gruppen.
Frauen aus der zweiten Generation, die
in der Schweiz aufgewachsen sind, viele, Seit 2002 müssen sich die religiösen
die das Kopftuch ablehnen. Die Entschei- Gemein­schaften in Eritrea registrieren las-
dung, das Kopftuch zu tragen, wird stark sen. Bis anhin hat die Regierung die folgen-
vom sozialen Umfeld und der religiösen den vier Religionsgemeinschaften offiziell
Haltung der Eltern beziehungsweise der anerkannt: die eritreisch-orthodoxe Kirche,
Familie mitgeprägt. Dies kann zu Konflik- den sunnitischen Islam, die eritreisch-rö-
ten innerhalb der Familie zwischen Jugend- misch-katholische Kirche und die evan-
lichen und ihren Eltern führen. Es kommt gelisch-lutherische Mekane Yesus Kirche.
vor, dass junge Frauen und Mädchen, die Jegliche öffentliche religiöse Betätigung
in der Öffentlichkeit, wie beispielsweise in der anderen, nicht registrierten religiösen
der Schule, das Kopftuch nicht tragen, hin- Gruppen wurde untersagt und deren öf-
gegen an religiösen Anlässen und anderen fentliche Einrichtungen wurden geschlos-
Festen innerhalb der Familie oder der so- sen. Seit 2003 kommt es zunehmend zu
malischen Gemeinschaft ihren Kopf bede- Verfolgungen der Anhänger von nicht zu-
cken, aus Respekt gegenüber ihren Eltern gelassenen Kirchen und anderen Religions-
oder der Tradition. gemeinschaften (Tuor 2009; International
Religious Freedom Rights Report 2008).
Religiöse Vielfalt der Eritreer
Im Allgemeinen wird davon ausge­gangen, Die überwiegende Mehrheit der in der
dass die Bevölkerung in Eritrea je zur Schweiz lebenden Eritreer sind Christen.
Hälfte Muslime und Christen sind. Unter Die eritreisch-orthodoxe Religionsgemein-
den Christen Eritreas stellen die Anhänger schaft stellt unter ihnen die grösste Gruppe
der orthodoxen Kirche (Eritrean Orthodox dar, gefolgt von den Katholiken, den
Tewahedo Church of Eritrea) die stärkste 8 Zu diesen «neuen» Kirchen pfingstlerisch-charismatischer
Gruppe dar. Daneben haben die römisch- Orientierung zählen unter anderem: Rema Charis­
matic, Bethel, Halleluja, Philadelphia. Zudem ist auch die
katholische Kirche und die evangelisch-lu- charismatisch-pfingstlerische Reformbewegung innerhalb
der orthodoxen Kirche gewachsen sowie andere christliche
therische Kirche grössere Anhängerschaf- Minderheitenkirchen wie die Kale Heywet (Baptisten),
Meserete Krestos (Mennoniten), Mulu Wengel (Pfingstler)
ten. Seit der Erlangung der Unabhängigkeit und Faith Church (Reformierte), die aber alle starke
und besonders nach dem Krieg gegen charismatische Einflüsse aufweisen. Zudem sind in Eritrea
seit vielen Jahren auch randchristliche Kirchen wie die
Äthiopien (1998-2000) haben sich in Erit- Sieben-Tage-Adventisten und die Zeugen Jehovas aktiv.

101
64,8 % Orthodox
13,8 % Katholisch
9,7 % Islam
5,9 % Pfinstgemeinde
1,5 % Prostestatisch
2,3 % Ohne Angaben
2,0 % Andere

Abbildung 19: Religionszugehörigkeit der eritreischen Bevölkerung in der Schweiz (in %)


Quelle: AUPER, Bestand Personen im Asylprozess am 31.1.2009*

* Die Ergebnisse der Volkszählung (2000), bei der 1319 Eritreer erfasst wurden, haben ähnliche Prozentzahlen gezeigt: Protes-
tanten (6,9 %), Muslime (11,6 %), Katholiken (16,3 %), andere Christen (42,1 %, davon überwiegend Orthodoxe) und ohne
Angaben (19,4 %).

Pfingstgemeinden und Protestanten. Rund legt, religiöse Vorschriften wie Fasten (wäh-
ein Zehntel der Eritreer sind Muslime. rend Ostern bei den Ortho­doxen und im
Fastenmonat Ramadan bei den Muslimen)
Die Muslime sind im Vergleich zum Her- einzuhalten und religiöse Ritu­ale und Feste
kunftsland in der Schweiz stark unterver- zu feiern. Regelmässig werden Kirchen und
treten. Stellen sie in Eritrea die Hälfte der Gottesdienste besucht und Gebete ab-
Bevölkerung dar, sind es in der Schweiz nur gehalten. Vielerorts gibt es wöchentliche
rund 10%. Die Katholiken hingegen sowie Bibel­stunden. Die Vermittlung religiöser
die Pfingstgemeinden sind leicht überver- Deutungssysteme und Handlungspraktiken
treten. Dies kann damit zusammenhängen, an die zweite Generation spielt für viele
dass einzelne dieser Gruppen in Eritrea ihre Eltern eine wichtige Rolle.
Religion nicht öffentlich ausüben dürfen.
Für einige stellt dies einen Grund dar, ihre In der ganzen Schweiz gibt es religiöse
Heimat zu verlassen. Gemein­den von eritreischen Christen, die
sich regelmässig, meist am Wochenende,
Religion ist für viele Eritreer nicht nur eine zum gemeinsamen Gottesdienst treffen.
Glaubenslehre, sondern eine Lebensweise, Die Zahl der Gemeinden hat in den letzten
die eng mit Tradition, Kultur, Identität und Jahren mit dem Anstieg der eritreischen
dem Staat verbunden ist (Conrad 2005b). Asylsuchenden stark zugenommen. Eben-
Religion hat für die meisten Eritreer auch im falls zugenommen hat die Zahl der Gläubi-
täglichen Leben in der Fremde eine grosse gen, die sich regelmässig zum Gottesdienst
Bedeutung. Es wird hoher Wert darauf ge- versammeln. Oftmals ist es für die Gemein-

102
den schwierig, geeignete Räumlichkeiten Freitagsgebet. Die eritreischen Muslime in
zu finden. Einige Gruppen geniessen Gast- der Schweiz verfügen aufgrund ihrer klei-
recht in christlichen Kirchen oder nutzen nen Anzahl über keine eigenen Moscheen
gemietete Räume für ihre Gottesdienste. und haben sich bisher in der Schweiz nicht
Einzelne Gemeinden haben eigene Priester organisiert.
(Keshi), welche die Gottesdienste leiten,
Sakramente spenden und für die Seel­sorge Für die Neuankömmlinge und Flüchtlinge
der Gemeindemitglieder zuständig sind. bieten die Moscheen- und Kirchen­besuche
Vermehrt bieten die religiösen Vereine psychologisch-emotionale Unterstützung
auch Religionsunterricht für die nachfol- und vermitteln ein Gefühl von Vertrautheit
gende Generation an. Viele der religiösen und Heimatverbundenheit. Hier werden
Gruppen sind als eingetragene Vereine die gleichen rituellen Handlungen durchge-
orga­nisiert und haben teils mehrere hun- führt, Personen gleicher kulturell-nationaler
dert Mitglieder. Eine gesamtschweizerische Herkunft getroffen und wird die Heimat-
Organisation der eritreisch-orthodoxen sprache gesprochen. Kirchen und Mo-
Christen gibt es im Moment nicht, es gibt scheen sind nicht nur religiöse Andachts­
aber erste Versuche, eine solche Dachorga- stätten, in denen ein Stück Heimat in der
nisation aufzubauen. Fremde konstruiert wird, sondern auch
soziale Treffpunkte, wo Infor­mationen aus-
Die eritreischen Muslime besuchen beste- getauscht und Kontakte geknüpft werden.
hende Moscheen in grösseren Städten der Zudem bieten religiöse Vereine ihren Mit-
Schweiz. In einigen Städten treffen sich gliedern oftmals auch materielle Hilfe an.
die Männer am Freitag zum traditionellen

103
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104
4.2 Familien, Ehepaare und
Generationen
In Kürze
– Die somalische und die eritreische – Die unterschiedlichen Anforderungen
Gesells­chaft sind patriarchalisch und Erwartungen der Familie einerseits
geprägt. Der Mann ist das Haupt der und der Schule oder der Freunde ande-
Familie, die Geschlechterrollen sind klar rerseits können zu Spannungen führen.
definiert. Diese werden durch unterschiedliche
– In der Diaspora dringen Frauen häufig in Zukunftsperspektiven der älteren und
traditionell den Männern vorbehaltene der jüngeren Generation verstärkt.
Lebensbereiche vor, indem sie beispiels- – Mädchen unterliegen einer stärkeren
weise einer Erwerbstätigkeit nachgehen. sozialen Kontrolle als Knaben. Übertritt
Durch schlecht bezahlte Arbeit oder eine junge Frau die in Somalia oder
Erwerbslosigkeit erleiden Männer häufig Eritrea geltenden Normen, kann dies
einen Statusverlust. Diese Verschiebung das Ansehen einer ganzen Familie in
der Geschlechterrollen kann Konflikte Verruf bringen.
innerhalb der Familie auslösen.
– Sowohl für Somalier wie auch für
Eritreer ist die Familie äusserst wichtig.
Bedeutend mehr Somalier und Eritreer
als Schweizer leben in einem traditio-
nellen Haushalt (Ehepaar mit Kindern).
Aufgrund verschiedener Faktoren
kommt es in der Diaspora aber vermehrt
zu Ehescheidungen.
– Somalische und eritreische Ehen werden
fast ausschliesslich endogam getroffen,
also innerhalb der gleichen ethnischen
Gruppe. Binationale Eheschliessungen
sind nach wie vor selten.
– Kinder und Jugendliche der zweiten
Generation orientieren sich stark an den
schweizerischen Gesellschaftsnormen.
Vielen somalischen und eritreischen
Eltern ist es aber ein grosses Anliegen,
ihren Kindern die Regeln, Traditionen
und die Sprache ihres Heimatlandes zu
vermitteln.

105
4.2.1 Geschlechterrollen und die In der Diaspora verändert sich diese Rollen-
Bedeutung der Familie in der verteilung innerhalb der Familie zum Teil
Diaspora stark. Durch den Verlust der direkten Unter­
stützung anderer Frauen aus der Gross-
Somalia familie sowie den Umstand, dass Frauen
«Hier in der Schweiz müssen die Männer aufgrund der prekären wirtschaftlichen
mithelfen. Mit den Kindern auf den Spiel- Verhältnisse vermehrt am Arbeitsleben teil-
platz gehen, auch wenn sie dies zuhause nehmen, müssen sich Männer auch zuneh-
nicht gemacht haben. In Somalia kenne ich mend mit Aufgaben beschäftigen, welche
einen Mann, der war schockiert. Er war im- in Somalia traditionellerweise den Frauen
mer in Somalia gewesen. Als sein Sohn ihn obliegen. Im Exil findet also eine gewisse
besuchen kam und seine Frau in der Küche Verschiebung der geschlechtsspezifischen
war, ist er nachgegangen. Die Eltern haben Verantwortungsbereiche statt.9 Durch den
immer gesagt: <Warum hilft er beim Ab- Umstand, dass somalische Frauen in der
waschen?> Wenn ich mit meinem Mann Schweiz vermehrt beruflichen Tätigkeiten
nach Hause gehe, dann hilft er mir, und nachgehen, agieren sie selbstständiger
das ist schlimm für meine Eltern. Meine und dringen in traditionell den Männern
Mutter sagt, diese Männer sind wie Frauen vorbehaltene Lebensbereiche vor. Die da-
geworden.» durch hervorgerufenen Veränderungen –
Somalierin mit Schweizer Pass, verheiratet beispielsweise das Ablegen des Kopftuches
oder der Kontakt mit männlichen Arbeits-
Die Geschlechterrollen in Somalia sind von kollegen – können in manchen Familien
einer traditionellen und patriarchalischen zu Konflikten führen. Diese Konfliktlage
Gesellschaftsstruktur geprägt. Frauen sind wird durch den Statusverlust des Mannes,
hauptsächlich für die häuslichen Arbei- hervorgerufen durch Arbeitslosigkeit oder
ten und die Erziehung der Kinder verant­ schlecht bezahlte Beschäftigung, verstärkt.
wortlich, während Männer die Haupt- Problematische Verhaltensweisen wie ver-
entscheidungsträger sind und die Familie mehrter Alkohol- und Katkonsum10 schü-
mit genügend Nahrung oder finanziellen ren die familiären Probleme zusätzlich. Die
Mitteln versorgen. Die Aufgaben­gebiete Familien befinden sich in einem oft schwie-
von Mann und Frau sind klar definiert; rigen Spannungsfeld zwischen somalischer
werden diese Verantwortungsbereiche ver- Tradition und den Prinzipien der schweize-
mischt oder übertreten, droht eine soziale 9 Die strenge geschlechtsspezifische Arbeitsteilung ist durch
den langjährigen Bürgerkrieg auch in Somalia ansatzweise
Ausgrenzung und Stigmatisierung inner- aufgeweicht worden. Durch den Verlust des Ehemannes
halb der somalischen Gesellschaft (Kusow werden Frauen gezwungen, Rollen und Aufgaben zu
übernehmen, die traditionellerweise den Männern zugeteilt
2003). Ein Mann, der sich an Hausarbeiten waren (Dini 2008).
10 Kath oder Kat ist ein leichtes Rauschmittel und wird
beteiligt, wird in Somalia als schlechter vorwiegend im Jemen, in Kenia, Dschibuti, Äthiopien und
Somalia konsumiert. Es handelt sich dabei um Blätter des
Ehemann angesehen und pejorativ Qor- Kathstrauches, welche gekaut werden und deren Wirkung
qode genannt (Abdullahi 2001). vergleichbar mit Tee und Kaffee ist. In der Schweiz und in
Deutschland unterliegt Kat dem Betäubungsmittelgesetz, in
England und Holland ist der Konsum von Kat legal.

106
rischen Gesellschaftsordnung. Die Heraus- Heimatland bei durchschnittlich 6,7 Kin-
forderung am Arbeitsplatz, andere Normen dern. Verschiedene Studien haben gezeigt,
im Erziehungs- und Schulsystem einerseits dass sich das demografische Verhalten aus-
sowie das Aufrechterhalten und Weiter­ ländischer Personen allmählich den Nor-
geben der Ursprungskultur und der religi- men des Aufnahmelandes anpasst. Bei der
ösen Bräuche an die Kinder andererseits Familiengründung bedeutet dies, dass die
stellen insbesondere für Frauen eine grosse Geburtenrate von in jungem Alter in die
Belastung dar. Denn trotz der Aufweichung Schweiz eingewanderten Frauen meistens
der traditionellen Geschlechterrollen im Exil zwischen den Normen des Herkunfts- und
bleibt die Erziehung der Kinder mehrheit- denen des Aufnahmelandes liegt (Wanner
lich Aufgabenbereich der Frauen. Die Frau 2002). Obwohl keine genauen Angaben
spielt eine Schlüsselrolle bei der Vermitt- zur Geburtenrate somalischer Frauen in der
lung der Herkunftskultur und -tradition an Schweiz gemacht werden können, ist da-
die Kinder. So werden wichtige kulturelle von auszugehen, dass insbesondere junge
Elemente wie beispielsweise der traditio- somalische Familien in der Schweiz ten-
nelle Tanz oder die Essenskultur durch die denziell weniger kinderreich sind als in So-
Frauen weitergegeben. malia. Für schweizerische Verhältnisse sind
somalische Familien dennoch kinderreich.
Laut Angaben der WHO (2006) liegt die Diese Beobachtung bestätigt sich beim
Geburtenrate bei somalischen Frauen im Betrachten der Alterspyramide der soma-

107
lischen Wohnbevölkerung in der Schweiz grösser, sie umfasst manchmal 500 Leute,
(vgl. Abbildung 7), welche eine grosse die ganze Sippe ist deine Familie.»
Anzahl von Personen in der Altersklasse Vater von fünf Kindern, seit 1993 in der
zwischen 0 und 18 Jahren aufweist. Es ist Schweiz
davon auszugehen, dass sich die Gebur-
tenrate der älteren Generation, die bereits Das Familienverständnis innerhalb der
viele Jahre in der Schweiz lebt gegenüber soma­lischen Kultur weicht wesentlich vom
jener der «Neuankömmlingen» nur gering- schweizerischen (westlichen) Familien-
fügig verändert hat. Zudem scheinen in konzept ab. Zu einer somalischen Familie
den letzten Jahren viele somalische Frauen zählen nicht nur die Eltern und Kinder, die
mit mehreren Kindern in die Schweiz ge- eigentliche Kernfamilie, sondern auch eine
kommen zu sein. In der Diaspora haben grosse Anzahl von nahen und entfernteren
sich verschiedene Vereine und Gruppen Verwandten. Oftmals befinden sich meh-
gebildet, welche frauenspezifische Themen rere Mitglieder einer somalischen Gross­
aufgreifen und Frauen helfen sollen, sich in familie – bedingt durch die weltweite Ver-
der Schweiz zurechtzufinden und ihre Inte­ teilung der somalischen Exilgemeinschaft
gration zu erleichtern. Wichtige Themen – in unterschiedlichen Ländern und Regio-
sind Gesundheit, Beschneidung, Verhü- nen. Trotz dieser physischen Distanz führen
tung oder berufliche Integration. die somalischen Familienverbände enge
Beziehungen über die nationalen Grenzen
Verschiedene Umstände führen dazu, hinweg. Diese Tatsache führt zu ausge-
dass Somalier, welche in der Schweiz um prägten transnationalen Familiennetzwer-
Asyl ersuchen, oft nicht alle Kinder mit in ken, innerhalb deren Probleme diskutiert
die Schweiz bringen; in Somalia oder den und wichtige Entscheidungen kollektiv ge-
umliegenden Ländern bei Familienangehö- troffen werden.
rigen oder Bekannten zurückgelassene Kin- vgl. Kapitel 5: Rückkehr, sekundäre Migra-
der sind keine Seltenheit. Durch den F-Sta- tion und transnationale Beziehungen
tus, welcher der Mehrheit der Somalier in
der Schweiz erteilt wird, können Ehegatten Allein erziehende Frauen
und ledige Kinder unter 18 Jahren frühes- «Wenn der Vater das Geld hat, um die Fa-
tens nach drei Jahren nachgezogen werden milie vorzuschicken, dann schickt er zuerst
– unter der Bedingung, dass eine bedarfs- die Familie. Und die Väter bleiben unten.
gerechte Wohnung vorhanden ist und die Oder wenn sie lange da sind und der Mann
Familie nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist sieht, er hat fünf Kinder und eine Frau und
(Art. 85. Abs.7 Ausländergesetz). er ist der Einzige, der Geld nach Hause
bringt, und das reicht nicht, dann muss
«Das ist ein grosser Unterschied, hier in der die Fürsorge noch helfen. Dann wird er
Schweiz ist die Familie Mann, Frau und Kin- nie eine Aufenthaltsbewilligung erlangen
der. Bei uns in Somalia ist die Familie viel und deshalb bevorzugt er, sich von seiner
Frau zu scheiden oder getrennt zu leben,

108
Schweizer

Andere Ausländer

Somalier

Eritreer

0 20 40 60 80 100

Einpersonenhaushalt Einelternhaushalt

Ehepaar ohne Kind Andere

Ehepaar mit Kind(er)

Abbildung 20: Haushalte nach Typ (in %)


Quelle: Eidgenössische Volkszählung 2000; Erwachsene ab 15 Jahren

damit er ohne Fürsorge leben kann. (…). lahi 2001). Neben der gestiegenen Schei-
Die Frauen bleiben dabei auf der Strecke dungsrate ist der verhältnismässig hohe
und sind frustriert.» Anteil an allein erziehenden somalischen
Somalierin mit Schweizer Pass, Mutter von Frauen in der Schweiz auch auf die traditi-
zwei Kindern onelle räumliche Zersplitterung von somali-
schen Familien zurückzuführen.11 So gehen
Im Vergleich zu anderen Ausländern und manche somalische Ehemänner anderswo
zu Schweizern leben relativ viele Somalier (beispielsweise in den Golfstaaten) einem
in einem Haushalt mit nur einem Elternteil Erwerb nach, während sich ihre Ehefrau
(vgl. Abbildung 20). Es kann angenom- und die Kinder in der Schweiz aufhalten.
men werden, dass es sich dabei mehrheit- Dieser Umstand führt dazu, dass die Be-
lich um allein erziehende Frauen handelt. hörden die somalischen Frauen häufig als
Aufgrund der oben genannten Probleme die konstanteren Ansprechpartner emp-
(Verschiebung der Geschlechterrollen) finden – was wiederum eine Verschie-
kommt es bei somalischen Familien im Exil bung der fami­liären Hierarchien innerhalb
zunehmend zu Scheidungen und Trennun-
gen bei Ehepaaren (Kusow 2003). Gemäss 11 Somalische Familien sind traditionellerweise wirtschaftlich
diversifiziert und räumlich verteilt. Durch unterschiedliche
dem somalischen Kulturverständnis verlie- Arten von Weidetieren und deren spezifische Bedürfnisse
(Weidebedürfnisse, Tränkfrequenzen) entwickelten sich in-
ren durch eine Ehescheidung weder der nerhalb der somalischen Familie verschiedene Wanderungs-
routen, um diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Dass
Mann noch die Frau ihr soziales Ansehen. ein Teil der Familie sich des Kleinviehs annimmt, ein anderer
Eine erneute Heirat nach einer Scheidung Teil sich um die Kamele kümmert und – wenn es möglich ist
– ein dritter Teil der Familie die Felder bestellt, ist seit eh und
ist bei beiden Ehepartnern üblich (Abdul- je normal (Schlee 2004).

109
der somalischen Familien auslöst (Schlee (von Nolting 2002). Eine Verschiebung der
2004). Bei den Eritreern kann, im Vergleich geschlechtsspezifischen Rollen findet auch
zu anderen Ausländern und Schweizern, bei den Eritreern in der Diaspora statt. Sie
ebenfalls ein relativ grosser Anteil (15,5 %) erscheint jedoch aufgrund der Verände-
(vgl. Abbildung 20) an Einelternhaushalten rung des Geschlechterverständnisses in
festgestellt werden. Wie bei den Soma­ Eritrea, die in der Vergangenheit bereits
liern handelt es sich dabei grösstenteils um stattgefunden hat, im Vergleich zu den So-
allein­erziehende Frauen. maliern weniger auffällig. Innerhalb der eri-
treischen Gemeinschaft in der Schweiz gibt
Eritrea es verschiedene Frauengruppen, welche
«Die Tradition spielt eine Rolle in Eritrea, Informationen und Workshops zu Themen
Frauen sind immer zuhause; und hier ist es wie beispielsweise Beschneidung oder An-
halt anders. Sie können sich jetzt austau- alphabetismus anbieten.
schen und haben eigene Vereine, sie sind
verantwortlich für ihre Sache.» Die Geburtenrate in Eritrea lag nach Anga-
Eritreischer Mann, seit vielen Jahren in der ben der WHO im Jahr 2004 bei 5,4 Kindern
Schweiz pro Frau. Es ist davon auszugehen, dass
die Geburtenrate bei eritreischen Frauen
Traditionellerweise dominiert in Eritrea ein in der Schweiz im Vergleich zum Heimat-
ähnliches Familien- und Geschlechterver- land tendenziell abnimmt. Insbesondere
ständnis wie in Somalia. Die Rollen von jüngere Ehepaare tendieren aufgrund der
Mann und Frau definieren sich nach einer veränderten sozialen und wirtschaftlichen
patriarchalisch geprägten Gesellschafts­ Verhältnisse (verbesserte Ausbildungsmög-
ordnung, unabhängig der Religionszu- lichkeiten, spätere Heirat usw.) dazu, weni-
gehörigkeit. Eine Ausnahme bildet die ger Kinder zu haben (Schröder 2004). Eine
Volksgruppe der Kunama, welche matri- Familie zu gründen, ist jedoch auch bei
linear organisiert ist (Christmann 1996). den Eritreern in der Diaspora ein zentraler
Die Verstädterung sowie umfassende Re- Wunsch und die bevorzugte Lebensform.
formen und Aufklärungskampagnen der Erheblich mehr Eritreer als Schweizer leben
EPLF12 / PFDJ trugen jedoch zur Stärkung in einem Haushalt mit Kernfamilie (Ehepaar
der Frauenrechte bei. Dennoch scheint die mit Kindern) (vgl. Abbildung 20).
Rolle der Frau zumindest innerhalb der Fa-
milie noch immer untergeordnet zu sein Die Familie ist für eritreische Migranten eine
12 Bereits seit den 1970er-Jahren vertrat die EPLF eine Politik, stark identitätstragende Einheit (Hannken
welche die Rechte der Frauen stärken sollte, um eine 2003). Eritreische Familienverbände unter-
egalitäre Gesellschaftsordnung herbeizuführen. Die EPLF
förderte zu diesem Zweck unter anderem den aktiven halten enge Beziehungen zueinander, auch
Zusammenschluss der Frauen und schuf die Nationale Union
eritreischer Frauen (NUEW). Zudem wurde ein fortschrittli- über nationale Grenzen hinweg. Wenn es
ches Ehe- und Familienrecht erarbeitet und eine umfassende
frauenspezifische Alphabetisierungskampagne gestartet.
der Aufenthaltsstatus und die finanziellen
Diese Reformen griffen aber vorwiegend innerhalb der EPLF, Möglichkeiten erlauben, werden Familien-
die Durchsetzung bei der Zivilgesellschaft gestaltete sich
schwieriger (Locher-Tschofen, undatiert). angehörige in Europa, Amerika und Afrika

110
(auch Eritrea) besucht. Nicht selten wer- soziokulturellen und religiösen Bräuche
den wirtschaftlich schwache Familien von bei Hochzeitsfesten eine zentrale Rolle. Oft
besser verdienenden Familienangehörigen dienen die Heiratsfeste auch dazu, Kon­
finan­ziell unterstützt. takte zwischen jungen Erwachsenen mit
vgl. Kapitel 5: Rückkehr, sekundäre Migra- der Aussicht auf eine spätere Heirat zu
tion und transnationale Beziehungen fördern. Transnationale Eheschliessungen13
sind sowohl bei Eritreern als auch bei So-
4.2.2 Eheschliessungen maliern häufig und resultieren nicht selten
Heiraten ist in der somalischen und der eri- aus migrationsstrategischen Gründen.
treischen Gemeinschaft in der Schweiz ein
wichtiges identitätsstiftendes Ritual, wel- Somalia
ches unter anderem auch dazu dient, die «Bei uns bedeutet Hochzeit nicht, dass
Ursprungskultur zu bewahren. Die meh- nur die kommen, die eingeladen sind. Bei
rere Tage dauernden Heiratsfeste werden uns kann jeder kommen. Wenn mich zum
zu einem bedeutsamen gesellschaftlichen Beispiel einer einlädt, kann ich alle meine
Anlass, bei dem zahlreiche Menschen aus Freunde mitnehmen und niemand sagt
der Diaspora zusammenkommen. Obwohl etwas. Es ist eine schöne Zeit, um Leute
durch den Migrationshintergrund – insbe- zu treffen. Es gibt auch die Möglichkeit,
sondere bei der zweiten Generation – die
traditionellen Regeln und Praktiken weni- 13 Eheschliessung zwischen zwei Personen aus dem gleichen
Herkunftsland, welche aber in unterschiedlichen Staaten
ger rigide ausgeübt werden, spielen die wohnhaft sind.

111
49,2 % Verheiratet
41,0 % Ledig
5,3 % Verwitwet
4,5 % Geschieden

Abbildung 21: Somalische Wohnbevölkerung ab 16 Jahren nach Zivilstand (in %)


Quelle: ZAR / AUPER 2007. Stand am 31.12. (ohne eingebürgerte Personen)

dass sich die Jungen kennenlernen. Wenn Wahl des Heiratspartners ausschlaggebend
zum Beispiel eine Familie in Lausanne oder zu sein. Auch die Erwartungen und Wün-
im Wallis wohnt, dann kommen sie an sche der Eltern und Grosseltern spielen
den Hochzeitsort. Die Jungen lernen sich eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der
kennen, vielleicht tauschen sie Telefon­ Wahl des Ehepartners. Eine Ausnahme bil-
nummern aus. Es gibt viele somalische det die zweite Generation, für welche die
Leute, die durch diese Hochzeiten dann Clanzugehörigkeit und andere Faktoren
geheiratet haben.» bei der Partnerwahl teilweise weniger Rele-
Somalier, seit 1993 in der Schweiz, verhei- vanz haben. Somalische Ehen werden fast
ratet und Vater von fünf Kindern ausschliesslich unter Somaliern geschlos-
sen. Heiraten mit anderen muslimischen
Bei der Heirat eines somalischen Paares Bevölkerungsgruppen sind äusserst selten.
wird nicht nur eine Verbindung zwischen
Mann und Frau hergestellt. Eine Ehe- Somalische Heiraten werden auch in der
schliessung stellt immer auch einen wich- Schweiz grösstenteils nach den traditio-
tigen Zusammenschluss zweier Familien nellen Regeln und Bräuchen gefeiert. Der
oder zweier Clans dar. In Somalia existieren heiratswillige Mann muss sich, soweit dies
Heiratsregeln, die genau vorschreiben, aus möglich ist, bei der Familie der Frau vorstel-
welchem Clan jemand geheiratet werden len und um die Hand der Tochter anhalten.
darf. Obwohl von einigen Vertretern aus Sind beide Familien einverstanden, wird
der somalischen Gemeinschaft als unbe- die so genannte Nikah, die Eheschliessung
deutend bezeichnet, scheint die Clanzu- nach islamischem Recht, vollzogen. Auch
gehörigkeit auch in der Diaspora bei der das Brautgeld, ein finanzieller Beitrag,

112
welchen der Ehemann oder die Familie der eigenen ethnischen Gruppe. Bei der
des Ehemannes an die Ehefrau oder deren Wahl des Ehepartners spielen insbeson­dere
Familie bezahlt, scheint in der Schweiz – die guten Beziehungen zu einer Familie
wenn auch teilweise eher in einem symbo- und deren Ansehen und Ehre eine Rolle
lischen Sinn – entrichtet zu werden. (Jacobi 2001). Zudem scheint auch die
Religions­zugehörigkeit ein wichtiges Ele-
Obwohl die Institution der Familie bei ment für die Wahl des Ehepartners zu sein.
Soma­liern eine ausserordentlich wichtige Ehen zwischen Muslimen und Christen sind
Rolle spielt und die Mehrheit der Somalier selten.14 In Eritrea wird die Wahl des Ehe-
im Jahr 2000 in einem traditionellen Haus- partners stark von den Eltern und Grossel-
halt (Ehepaar mit Kindern) lebte (vgl. Ab- tern mitbestimmt. In der Schweiz scheint
bildung 20), zeigt die Abbildung 21, dass sich das Heiratsverhalten, insbesondere bei
Ende 2007 ein grosser Teil (41 %) der So- der jüngeren Generation, verändert zu ha-
malier unverheiratet war. Diese Tatsache ist ben. Vieles deutet auf eine Zunahme von
darauf zurückzuführen, dass in den letzten «Liebesheiraten» hin. Nach Aussagen von
Jahren vermehrt junge, ledige Somalier in jungen Eritreern aus der zweiten Genera-
der Schweiz um Asyl ersucht haben. Zu- tion spielen die (oft unausgesprochenen)
dem sind in der Kategorie der unverheira- Erwartungen und Wünsche der Eltern und
teten Somalier auch Jugendliche aus der Verwandten jedoch noch immer eine nicht
zweiten Generation eingeschlossen, wel- zu unterschätzende Rolle bei der Wahl des
che sich zwar im heiratsfähigen Alter be- Ehepartners.
finden, aber noch nicht geheiratet haben.
Die Hochzeit ist für die Eritreer eines der
Eritrea wichtigsten Feste überhaupt. Familien,
«Die Hochzeiten dauern lange, die Vorbe- Freunde und Bekannte reisen nicht sel-
reitung dauert lange, nämlich mindestens ten auch aus dem Ausland an (soweit der
einen Monat. Man muss die Fladenbrote Aufenthaltsstatus dies erlaubt), um an den
für das Essen vorbereiten, zwei Wochen Feierlichkeiten teilzunehmen. Nach eri­
vorher werden alle Frauen eingeladen, treischem Brauch übernimmt die gesamte
gemeinsam wird vorbereitet, gearbeitet, anwesende Gemeinschaft die Organisa­
gesungen, getanzt und Kaffee getrunken. tion für das Hochzeitsfest (Jacobi 2001). Es
(…). Dann, am Samstag, findet es statt, alle ist nicht immer einfach, geeignete Räum-
kommen am Freitag, aus allen Kantonen, lichkeiten zu finden, um solche Feste, an
manchmal kommen auch Leute von aus- 14 Während des eritreischen Unabhängigkeitskampfes kam es
serhalb der Schweiz.» laut Aussagen von ehemaligen ELF / EPLF-Kämpfern vermehrt
zu Mischehen zwischen orthodoxen Christen und Moslems
Eritreische Frau, vierzig Jahre alt innerhalb der Befreiungsbewegungen. Nach der teilweisen
Demobilisierung der EPLF-Soldaten 1991 / 1993 sollen diese
Ehen allerdings auf wenig Akzeptanz bei der eritreischen
Zivilbevölkerung gestossen sein. Viele solcher Ehen wurden
Ähnlich wie bei den Somaliern heiraten wieder geschieden. Die Bilen-Volksgruppe stellt in dieser
auch die Eritreer vorwiegend endogam, Hinsicht eine Ausnahme dar. Ehen zwischen Moslems und
Christen werden häufiger als bei anderen eritreischen Volks-
d.h. sie suchen ihren Ehepartner innerhalb gruppen geschlossen.

113
60,8 % Ledig
35,3 % Verheiratet
2,2 % Verwitwet
1,6 % Geschieden

Abbildung 22: Eritreische Wohnbevölkerung ab 16 Jahren nach Zivilstand (in %)


Quelle: ZAR / AUPER 2007. Stand am 31.12. (ohne eingebürgerte Personen)

denen zahlreiche Personen teilnehmen, aufgrund der Situation in Eritrea (langjähri-


durchführen zu können. Etliche unserer ger Militärdienst) mehrheitlich ledig.
Gesprächspartner berichteten von dieser
Schwierigkeit. 4.2.3 Binationale Eheschliessungen
«Somalierinnen und Schweizer Männer?
Nur ein sehr kleiner Teil der in der Schweiz Ehrlich gesagt, wenn diese nach Somalia
lebenden eritreischen Wohnbevölkerung zurückkehren, dann gibt es ein grosses
ist geschieden (1,6 %). Obwohl die Schei- Problem. Stell dir vor, eine Somalierin mit
dungen in der Diaspora – insbesondere bei einem Schweizer, die Kinder sind ein biss-
der zweiten Generation – zugenommen chen hell, blond auch. Was willst du sagen,
haben15, stellt eine Ehescheidung für viele wenn du zurückgehst?»
Eritreer einen Misserfolg dar. Ein grosser Somalierin mit Schweizer Pass, zwei Kinder,
Anteil (61 %) der Eritreer in der Schweiz ist seit 1998 in der Schweiz
unverheiratet (vgl. Abbildung 22). Betrach-
ten wir die Alterspyramide der eritreischen Nach wie vor werden Ehen innerhalb der
Bevölkerung in der Schweiz, so fällt auf, somalischen und der eritreischen Gemein-
dass sich eine erhebliche Anzahl der in der schaft fast ausschliesslich innerhalb der
Schweiz anwesenden Eritreer im heirats­ gleichen ethnischen Gruppe geschlossen.
fähigen Alter (zwischen 20 und 30 Jahre Binationale Paare sind sowohl bei Soma­
alt) befindet. Diese meist erst seit kurzer liern als auch bei Eritreern sehr selten. Der
Zeit in der Schweiz lebenden Personen sind Anteil somalischer und eritreischer Frauen,
welche mit einem Schweizer Mann verhei-
ratet sind, überwiegt im Vergleich zu den
15 Dabei handelt es sich in erster Linie um eingebürgerte
Eritreer, welche in Abbildung 22 nicht aufgeführt werden. binationalen Ehen von somalischen und

114
1200

1000 Eritrea Somalia

800

600

400

200

0
Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen
16 Jahre+ verheiratet verheiratet mit
Schweizer/-in

Abbildung 23: Heiratsverhalten somalischer und eritreischer Staatsangehöriger nach


Geschlecht in der Schweiz
Source : RCE 2008, état au 31.12 (population résidante permanente étrangère)

eritreischen Männern (vgl. Abbildung 23).16 sei es nun ein Schweizer oder jemand aus
In den letzten Jahren ist jedoch sowohl einem anderen Land. Wenn sie glücklich
bei Somaliern als auch bei Eritreern, trotz sind, warum nicht?»
der mehrheitlich endogamen Ehen, eine Eritreische Frau, vier Kinder
Tendenz zu vermehrten binationalen Ehe-
schliessungen zu beobachten. Innerhalb Bei der Wahl des Ehepartners spielt die Zu-
der beiden Gemeinschaften stossen Hoch- kunftsperspektive (Rückkehrmythos) eine
zeiten und Partnerschaften mit Personen wichtige Rolle. Viele Somalier und Eritreer
mit einem anderen kulturellen Hintergrund aus der ersten Generation träumen davon,
immer noch auf Skepsis – insbesondere bei zu einem späteren Zeitpunkt in ihr Heimat-
der älteren Generation. land zurückzukehren und projizieren diese
Vision auch auf ihre Kinder. Insbesondere
«Eine Schweizerin heiraten? (…). Man bei den Somaliern, welche grösstenteils mit
wünscht den Kindern alles Glück der Welt, einer F-Bewilligung (vorläufige Aufnahme)
in der Schweiz leben, wird der Rückkehr-
16 Ein nicht bestimmbarer Teil von Somaliern und Eritreern aus
der zweiten Generation ist eingebürgert und wird in der mythos aufgrund des «provisorischen»
Abb. 23 nicht aufgeführt. Verschiedene Hinweise deuten
jedoch darauf hin, dass die Mehrheit der Somalier und
Aufenthaltsstaus auch von einer diffusen
Eritreer mit Schweizer Staatsbürgerschaft aus der zweiten Angst begleitet, nach Somalia zurückkeh-
Generation mit Personen aus der gleichen ethnischen
Gruppe verheiratet ist. ren zu müssen. Die ungewisse Aufenthalts-

115
dauer in der Schweiz verstärkt die Orien- der jüngeren die Identifikation mit Soma-
tierung an den Traditionen. Eine Ehe mit lia weiterzugeben (Schlee 2004). Es ist ein
einem Partner aus einem anderen kultu­ grosses Anliegen vieler somalischer Eltern,
rellen Hintergrund scheint unter ­die­ser Per- dass ihre Kinder die somalische Sprache ler-
spektive für viele nicht realisierbar. nen und mit den Regeln und Traditionen
des Heimatlandes vertraut sind. Zu diesem
4.2.4 Zweite Generation Zweck besuchen viele somalische Kinder
Kurse in heimatlicher Sprache und Kul-
Definition: Zweite Generation
tur (HSK) und Religion (Koranunterricht).
Unter dem Begriff zweite Generation Diese Kurse und Aktivitäten werden von
werden die in der Schweiz geborenen somalischen Vereinen organisiert und fin-
Nachkommen somalischer und eritre­ den an den schulfreien Nachmittagen und
ischer Personen sowie junge Erwach­ am Wochenende statt. Der Besuch dieser
sene, welche ihre schulische Ausbildung Kurse nimmt einen grossen Teil der Freizeit
ganz oder mehrheitlich in der Schweiz der Kinder in Anspruch. Im HSK-Unterricht
absolviert haben, verstanden. werden auch kulturelle Werte und Normen
vermittelt. Vor allem bei Mädchen wird
Somalia grosser Wert darauf gelegt, dass sie nicht
«Viele Jugendliche wollen mit dreizehn gegen die in Somalia geltenden Normen
einen Freund haben. Bei uns geht das verstossen. Zu den Verstössen gehört in
nicht. Hier ist das erlaubt. Bei uns gibt es erster Linie eine voreheliche intime Bezie-
solche Sachen nicht. Das ist von der Kultur hung. Aber auch z.B. der Kontakt mit an-
her nicht erlaubt und von der Religion her deren Jugendlichen, insbesondere jungen
auch nicht. Das ist der Hauptkonflikt zwi- Männern, oder Konzert- und Barbesuche
schen Jugendlichen und Eltern hier in der überschreiten für viele somalische Eltern
Schweiz. Wenn eine Tochter dann schwan- die Regeln der Sittlichkeit.
ger wird, geht die Familie einfach total ka-
putt, die wird ausgelacht, gehänselt. Die Die somalische Gesellschaft ist geprägt
ganze Familie und nicht nur die Tochter. durch eine starke soziale Kontrolle. Bei ei-
Ah, eine schlimme Tochter.» nem Fehlverhalten eines Mädchens oder
Somalierin mit Schweizer Pass, Mutter von eines Jungen werden nicht nur die Tochter
zwei Kindern oder der Sohn selbst, sondern der Ruf und
das Ansehen der ganzen Familie innerhalb
Die ältere, in Somalia aufgewachsene der somalischen Gemeinschaft (auch auf
Gene­ration hat ein viel engeres und inten- transnationaler Ebene) zerrüttet. Bei jun-
siveres Verhältnis zum Heimatland als ihre gen Männern ist diese soziale Kontrolle
Kinder, auch wenn sie nur einen Teil ihrer weniger stark. Trotzdem kommt es auch
Jugend in der Schweiz oder in anderen zwischen jungen Somaliern der zweiten
europäischen Ländern verbracht haben. Generation und Somaliern der älteren
Die ältere Generation bemüht sich stark, Gene­ration zu Spannungen. Insbesondere

116
wenn die Jugendlichen Tabak rauchen oder welche in der Schule oder am Arbeitsplatz
Alkohol konsumieren. vermittelt werden. Der ständige «Spagat
zwischen den Kulturen» führt innerhalb
«Ich durfte nicht die gleichen Dinge tun der somalischen Familien zu verschiede-
wie die anderen Kinder in meinem Alter. nen Problemen und Konflikten zwischen
Zuhause war Somalia, da durfte ich mit den Generationen, insbesondere wenn die
meinen Geschwistern nicht französisch Kinder in die Pubertät kommen. Während
sprechen. Ich verspürte das Bedürfnis, die Eltern in den Traditionen und Wertvor­
diese Barrieren zu durchbrechen. Aber die stellungen des Heimatlandes verhaftet
soziale Kontrolle unter den Somaliern ist sind, orientieren sich die in der Schweiz
enorm. Die Leute vergessen, für sich selbst aufgewachsenen Jugendlichen an den ge-
zu leben, sie leben durch den Blick der an- sellschaftlichen Regeln und Wertvorstellun-
deren. Das geht wie ein Lauffeuer.» gen der Schweizer Bevölkerung. Die zweite
Junge Somalierin, 22 Jahre alt, seit zwölf Generation, welche in der Schweiz geboren
Jahren in der Schweiz wurde oder einen grossen Teil ihrer Kind-
heit in der Schweiz verbracht hat, spricht
Viele somalische Kinder und Jugendliche meistens besser Deutsch oder Französisch
der zweiten Generation befinden sich in als Somalisch. Sie sind mit der hiesigen
einem Spannungsfeld zwischen den unter­ Gesellschaftsordnung und dem schweize-
schiedlichen und teils widersprüchlichen rischen System häufig vertrauter als ihre
Anforderungen und Erwartungen ihrer Eltern. Die Jugendlichen können daher
Familie und den Werten und Normen, nicht auf die Unterstützung und Kontrolle

117
der Eltern zählen, wenn es um schulische lehnt die Gesellschaftsordnung in Somalia
Fragen oder Anliegen geht. Dies kann zu ab.
Missverständnissen zwischen Vertretern
der Schule und somalischen Eltern und Kin- Eritrea
dern führen und verstärkt die Divergenzen «Sie müssen wissen, dass sie Eritreer sind,
der beiden Generationen zusätzlich. auch wenn sie in der Schweiz geboren
wurden, dass sie eine eigene Schrift, eine
Das Tragen des Kopftuchs scheint inner- eigene Kultur haben. Sie gehen nicht in die
halb der somalischen Gemeinschaft in der Sprachkurse, weil sie katholisch oder or-
Schweiz sehr unterschiedlich gehandhabt thodox sind, sondern weil sie Eritreer sind.
zu werden. Während die Mehrheit der äl- (…). Meine Kinder fühlen sich der eritrei-
teren Generation sowie die «Neuankömm- schen Gemeinschaft sehr verbunden, sie
linge» das Kopftuch tragen, verzichtet ein sprechen viel über Eritrea und sind stolz,
Teil der zweiten Generation darauf; andere Eritreer zu sein. Das eritreische Fernsehen
junge Frauen aus der zweiten Generation läuft bei uns immer, wir reden auch viel
hingegen tragen das Kopftuch auch in der über die Heimat. Wir kehren regelmässig
Schweiz. Die Entscheidung für oder gegen zurück, die Grossmutter lebt dort. Meine
das Kopftuch wird stark vom sozialen Um- Kinder kennen ihre Wurzeln gut, sie sind
feld und der Familie beeinflusst. Einige der sehr stolz, Eritreer zu sein und verfolgen
Somalierinnen entscheiden sich bewusst im Internet ständig die Lage im Land. Sie
und aus eigener Überzeugung für die Ver- senden sich Nachrichten und kontaktieren
hüllung des Hauptes. Bei anderen resultiert andere Eritreer, auch wenn sie die nicht
das Kopftuchtragen wohl eher aus der Er- kennen.»
wartungshaltung des Elternhauses – hier Eritreische Mutter, seit 1988 in der Schweiz
besteht ein Konfliktpotenzial zwischen den
Generationen. Ein dritter Teil von jungen Vielen eritreischen Eltern ist es ein wichti-
Somalierinnen, welche in der Schweiz auf- ges Anliegen, ihren Kindern die eritreischen
gewachsen sind, verzichtet auf das Tragen Werte und Normen, kurz die eritreische
des Kopftuchs, ohne grössere Spannungen Identität und Lebensform, weiterzugeben.
innerhalb der Familie auszulösen. Dabei scheint die ethnische und regionale
Herkunft keine bis eine untergeordnete
Die Konfliktlage zwischen den Gene­ Rolle zu spielen; wichtig ist das Verständnis
rationen wird durch die oft unterschiedliche der nationalen Zugehörigkeit. Der Kontakt
Zukunftsperspektive von Eltern und Kin- unter eritreischen Kindern und Jugend­
dern verstärkt. Während die ältere Gene­ lichen wird von einem grossen Teil der äl-
ration mit der Hoffnung (oder der Angst, teren Generation bewusst gefördert. An
provoziert durch Aufenthaltsstatus F) lebt, diversen eritreischen Anlässen und Feiern
einmal nach Somalia zurückzukehren, sieht sowie durch Diskussionsforen und Chat­
ein Grossteil der Jugendlichen der zweiten rooms auf eritreischen Internetseiten knüp-
Generation die Zukunft in der Schweiz und fen eritreische Kinder und Jugendliche

118
Kontakte zu Landsleuten und tauschen sich eritreisch und mein Fleisch ist schweize-
aus. Auch im Rahmen der Sommerferien, risch.»
in denen zahlreiche eritreische Jugendliche 13-jähriger Eritreer, im Alter von 6 Jahren
und junge Erwachsene der zweiten Gene- in die Schweiz gekommen
ration nach Eritrea zurückkehren, werden
oft transnationale Bekanntschaften ge- Eritreische Jugendliche und junge Erwach-
schlossen, welche zu einer Heirat führen sene, welche in der Schweiz geboren sind
können. oder im Kindesalter in die Schweiz kamen,
vgl. Kapitel 5 Rückkehr, sekundäre Migra- orientieren sich stark am schweizerischen
tion und transnationale Beziehungen Wertesystem und sind in diesem viel stär-
ker verhaftet als ihre Eltern. Dies kann
Verschiedene eritreische Vereine organi- zu ähnlichen Kultur- und Generationen­
sieren neben den HSK-Kursen auch Feste, konflikten führen wie oben zu den Soma-
Sportveranstaltungen und Workshops, an liern beschrieben. Auch bei den Eritreern
denen die zweite Generation teilnimmt unterliegen die Mädchen einer stärkeren
und in Kontakt mit Landsleuten und deren sozialen Kontrolle als die Knaben.
Kindern kommt. Das generationenüber-
greifende und bindende Element in der
eritreischen Gemeinschaft bildet die Spra-
che – in der Schweiz und in Deutschland
meistens Tigrinya. Wer gut Tigrinya spricht,
hat leichteren Zugang und engeren Kon-
takt zu Mitgliedern der eritreischen Ge-
meinschaft in anderen Ländern und Eritrea
selbst (Hannken 2003). In den Kantonen
mit grossen eritreischen Gemeinschaften
wird heimatsprachlicher Kulturunterricht
(Sprachkurse, Länderkunde) angeboten,
welchen die Kinder an den schulfreien
Nachmittagen oder am Wochenende be-
suchen. Diese Veranstaltungen, welche
die Verbindung zu und das Verständnis
für Eritrea stärken sollen, sind auch eine
wichtige Plattform, um Kontakte zu ande-
ren eritreischen Kindern und Jugendlichen
herzustellen.

«Obwohl ich hier aufgewachsen bin, bin


ich Eritreer, da meine Eltern aus Eritrea
kommen. Ich würde sagen, mein Blut ist

119
Weiterführende Literatur Bewältigung bei der zweiten Ausländerge-
neration. Opladen: Leske + Budrich.
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nen im vereinten Europa. Göttingen: Wall-
stein. S. 140–157.

121
4.3 Soziale und politische
Aktivitäten
In Kürze
– Sowohl die somalische als auch die eri- – Aufgrund der Intensität der sozialen,
treische Migrantengruppe bilden keine religiösen, kulturellen und politischen
homogenen Gemeinschaften. Innerhalb Aktivitäten innerhalb der jeweiligen
beider Gruppen gibt es unterschiedliche Gemein­schaften bleibt in der Regel
Interessen und politische Vorstellungen. wenig Raum für den Aufbau sozialer
Beziehungen bestehen vorwiegend auf Bezie­hungen zu Schweizern. Kon-
familiärer Ebene. Kontakte zwischen takte mit der Schweizer Bevölkerung
langjährig ansässigen Migranten und sind eher selten und beschränken sich
neu ankommenden Asylsuchenden weit­gehend auf Schule und Beruf. Die
bestehen eher selten. zweite Generation von Somaliern und
– Beide Gruppen legen grossen Wert Eritreern in der Schweiz pflegt hingegen
auf die Bewahrung der kulturellen mehrheitlich soziale Kontakte ausser-
(beziehungs­weise religiösen oder natio- halb der eigenen ethnischen Gruppe.
nalen) Identität. In der ganzen Schweiz – Im Gegensatz zu den Somaliern haben
existieren somalische und eritreische sich bei den Eritreern seit Mitte der
Kulturvereine, welche unter anderem 1970er-Jahre politische Strukturen aus
das Ziel verfolgen, die heimatliche Kul- der damaligen Befreiungsbewegung
tur und Sprache zu pflegen und an die Eritrean People’s Liberation Front (EPLF)
zweite Generation weiterzugeben. herausgebildet, die später durch die
– Die Vereine organisieren regelmässige eritreische Botschaftsvertretung in Genf
Begegnungen, kulturelle Anlässe und institutionalisiert wurden. Die Botschaft
reli­giöse Feste, Freizeitangebote für bietet konsularische Dienste an und ist
Frauen und Kurse für Kinder sowie zuständig für die Einnahme der 2 %-Ein-
Sportveranstaltungen (z.B. Fussball­ kommenssteuer.
turniere). Viele Vereine arbeiten mit – Neben der offiziellen Vertretung der
öffentlichen Stellen oder mit Hilfswer- regierenden Partei – People’s Front for
ken und anderen Integrationsakteuren Democracy and Justice (PFDJ) – haben
zusammen und organisieren Informa- auch oppositionelle politische Gruppen
tionsveranstaltungen zu verschiedenen Vertretungen in der Schweiz.
Themen.
– Somalier und Eritreer feiern zahl­
reiche traditionelle Feste und Rituale
im privaten Umfeld, an denen sie mit
Familienangehörigen und Freunden aus
der ganzen Schweiz oder dem Ausland
zusammenkommen.

122
4.3.1 Soziale Organisation in der veau. Im Gegensatz dazu hatten die in den
Diaspora 1980er- und 1990er-Jahren eingewander-
Die somalische und die eritreische Bevöl- ten Somalier höhere Bildungs­abschlüsse.
kerung in der Schweiz stellen nicht, wie Aufgrund der Aussagen unserer Ge-
oft vermutet, geeinte homogene Ge- sprächspartner pflegen nur wenige aus der
meinschaften dar. Bei beiden Migranten­ älteren Generation regelmässig Kontakte
gruppen ist zu beobachten, dass die lang- zu den Neuankömmlingen. Auch bei den
jährig in der Schweiz ansässigen Somalier Eritreern verwiesen unsere Gesprächspart-
und Eritreer eher wenig Kontakte zu den ner immer wieder darauf, dass nur be-
neu ankommenden Asylsuchenden pfle- schränkte Kontakte zwischen den seit Län-
gen. Beziehungen zwischen ihnen sind gerem in der Schweiz lebenden Eritreern
eher selten und bestehen oftmals nur auf und den kürzlich eingereisten eritreischen
familiärer Ebene oder entstehen bei religiö- Asylsuchenden vorhanden sind. Eritreer,
sen und kulturellen Veranstaltungen. die seit den 1980er- oder 1990er-Jahren
in der Schweiz leben und während dieser
«Es gibt Somalier, die vor zwanzig Jahren Zeit den damaligen Freiheitskampf und die
oder mehr eingereist sind und Schweizer heutige Regierung unterstützten, waren
geworden sind, es gibt wenige Kontakte oft der Ansicht, die Neuankömmlinge hät-
zwischen ihnen und den Neuankömmlin- ten die Heimat als Deserteure «freiwillig»
gen. Die Älteren sind in der Gesellschaft verlassen und würden ihre Pflichten nicht
vollständig integriert, doch die Neuan- wahrnehmen. Einige bezeichneten die neu
kömmlinge haben grosse Schwierigkeiten, ankommenden Asylsuchenden vorwurfs-
sie sind eine andere Generation. Sie haben voll als «Landesverräter».17
eine andere Kultur, sind sehr jung und ken-
nen nur den Krieg.» Somalische und eritreische Vereine
Somalier, seit 1988 in der Schweiz In den meisten Kantonen der Schweiz exis-
tieren somalische und eritreische Vereine.
Innerhalb der somalischen Gemeinschaft In den letzten Jahren wurden aufgrund der
werden die vorwiegend jungen Asylsu- starken Zunahme der somalischen und der
chenden, die ab 2006 in die Schweiz einge- eritreischen Bevölkerung in der Schweiz
reist sind, als «Titanic People» bezeichnet. neue Vereine zur Kultur- und Traditions­
Die Bezeichnung verweist auf die Migra- pflege gegründet. Die Vereine organisie-
tionsroute dieser Gruppe von Libyen aus ren regelmässige Begegnungen, kulturelle
mit dem Boot Richtung Europa und spricht Anlässe und religiöse Feste, Freizeitange­
die Tatsache an, dass viele Somalier bei bote für Frauen und Kurse für Kinder so-
dieser gefährlichen Überfahrt ums Leben wie Sportveranstaltungen (z.B. Fussballtur­
kommen. Die meisten unter ihnen sind in niere). Die Bewahrung der kulturellen
einer von Krieg und Gewalt geprägten Zeit
in Somalia aufgewachsen und verfügen 17 Conrad (2005b) und Schröder (2004) machten ähnliche
Beobachtungen innerhalb der eritreischen Gemeinschaft in
mehrheitlich über ein geringes Bildungsni- Deutschland.

123
Identität der zweiten Generation ist ein bei Behördengängen an und informieren
Hauptanliegen der Vereine. Es wird bereits über die schweizerischen Verwaltungsvor­
seit Mitte der 1990er-Jahre Unterricht in schriften und Gesetze sowie andere aus-
heimatlicher Sprache, Kultur und Religion gewählte Themen (Gesundheit, schwei-
angeboten, damit die Kinder parallel zu zerisches Schulsystem, Integration und
ihrer Schulausbildung ihre Muttersprache andere). Diese Aktivitäten werden von den
und die Kultur ihres Heimatlandes erler- Vereinsmitgliedern fast ausschliesslich un-
nen können. Der Unterricht findet meist an entgeltlich auf freiwilliger Basis gemacht.
schulfreien Nachmittagen, an Wochenen- Zudem gibt es in der ganzen Schweiz so-
den oder in den Sommerferien statt. malische und eritreische Personen, die sich
unabhängig von den Vereinen für die Inte-
«Wir leben seit langer Zeit hier und unsere gration ihrer Landsleute engagieren. Soma-
Kinder gehen hier zur Schule, wachsen hier lische Vereine produzieren in den Kantonen
auf. Wir wollen aber unsere Kultur und Bern und Zürich in den lokalen Radiosta-
Reli­gion im Exil bewahren, deshalb haben tionen – Radio LORA in Zürich und Radio
wir Vereine gegründet, um unsere Kultur RABE in Bern – regelmässige Radiosendun-
und vor allem unsere Muttersprache unse- gen in somalischer Sprache. In den Sen-
ren Kinder weiterzugeben, damit sie wis- dungen wird auf die aktuellen Ereignisse in
sen, woher sie kommen, was ihre Kultur Somalia und in der Schweiz hingewiesen.
ist.» Ausgewählte Zeitungsartikel der Schweizer
Mann aus Eritrea, Vater von drei Kindern, Tagespresse werden zusammengefasst. Zu-
seit 1993 in der Schweiz dem ist jede Sendung einem bestimmten
Thema (Gesundheit, Sozialsystem usw.)
Während die Mehrzahl der Vereinsakti- gewidmet, über das informiert werden soll.
vitäten sich an Landsleute richtet, haben
einzelne Vereine das Ziel, als Brückenbauer Begegnungsmöglichkeiten bieten sich in
zwischen der schweizerischen Gesellschaft den Vereinen. Doch Somalier und Eritreer
und der betreffenden Migrantengruppe zu feiern zudem im privaten Umfeld zahl­
agieren und Kontakte zu Schweizern her- reiche traditionelle Feste und Rituale18, an
zustellen. Vermehrt arbeiten Vereine mit denen sie mit Familienangehörigen und
öffentlichen Stellen – auf Kantons- und Ge- Freunden aus der Schweiz oder dem Aus-
meindeebene – oder mit Hilfswerken und land zusammenkommen. Somalische und
anderen Integrationsakteuren zusammen. eritreische Familien legen grossen Wert
So werden beispielsweise Informationsver- darauf, ihre sozialen Netze, die sich oft
anstaltungen über Kultur und Religion der über die Schweizer Landesgrenzen hinweg
betreffenden Migrantengruppe angeboten
18 Wie andere Migrantengruppen in der Diaspora feiern auch
oder Integrationsprojekte erarbeitet. Viele die Somalier und Eritreer in der Schweiz eine Vielzahl von
traditionellen Festen und Ritualen der Herkunftskultur. Dar-
Vereine engagieren sich auch für Neuan- unter sind einerseits die Übergangsrituale wie Geburt, Taufe,
kömmlinge, sie leisten Beratungsarbeit, Geburtstag, Hochzeit oder Tod und andererseits alltägliche
Zeremonien wie das Kauen von Kat bei den Somaliern oder
bieten Übersetzungen und Hilfestellung bei den Eritreern die Kaffeezeremonie.

124
erstrecken, zu pflegen und aufrechtzu­ gegen mehrheitlich soziale Kontakte aus-
erhalten. Aufgrund der Intensität der so- serhalb der eigenen ethnischen Gruppe.
zialen, religiösen, kulturellen und politi-
schen Aktivitäten innerhalb der jeweiligen Entwicklung der sozialen und poli-
Gemeinschaften bleibt in der Regel wenig tischen Aktivitäten der Somalier in
Raum für den Aufbau sozialer Beziehun- der Schweiz
gen zu Schweizern. Kontakte seitens der Wegen des Bürgerkriegs reisten ab Mitte
älteren Generation mit der lokalen Bevöl- der 1990er-Jahre vermehrt Frauen und Kin-
kerung beschränken sich weitgehend auf der in die Schweiz ein. In der Folge kam es
Schule und Beruf. Obwohl die Veranstal- zur Gründung der ersten somalischen Kul-
tungen der Vereine allen offenstehen, blei- turvereine. Mehrmals haben sich Vertreter
ben die Somalier und Eritreer bei diesen somalischer Vereine getroffen, um sich auf
Veranstaltungen fast ausschliesslich unter nationaler Ebene zu organisieren. Unter­
sich. Viele Vereine bemühen sich zwar, die schiedliche Interessen und Meinungen
Schweizer Bevölkerung zu ihren kulturellen sowie das Clandenken haben jedoch die
Veranstaltungen einzuladen und Kontakte Versuche scheitern lassen. Heute gibt es in
aufzubauen. Dies geschieht jedoch – auch vielen Kantonen einen oder mehrere soma-
aufgrund des mangelnden Interesses sei- lische Vereine. So wurde 2002 der Verein
tens der Mehrheit der Bevölkerung – eher «RAJO19 – Integration, Peace and Develop-
selten. Die zweite Generation von Soma­ ment in Somalia» gegründet, um eine na-
liern und Eritreern in der Schweiz pflegt hin
19 Rajo bedeutet in der Somali-Sprache Hoffnung.

125
tionale Dachorganisation der somalischen finanziell unterstützt oder ihnen wird auf
Vereine aufzubauen. Der Verein arbeitet andere Weise Hilfe geboten.
mit neun regionalen Vereinen in verschie-
denen Kantonen zusammen und hat das Einerseits gibt es die kulturellen Aktivitäten
Ziel, die somalischen Vereine zu vernetzen der Vereine, andererseits haben sich in den
und die Integration der somalischen Bevöl- letzten Jahren Somalier aus verschiedenen
kerung in die schweizerische Gesellschaft Kantonen der Schweiz zusammengeschlos-
zu fördern. Zudem wird versucht, Beiträge sen, um auf die aus ihrer Sicht teilweise
zur Friedensförderung20 in Somalia zu leis- schwierige soziale Situation der somali-
ten und Gelder zu sammeln, um in der schen Bevölkerung in der Schweiz hinzu-
Heimat diverse Hilfsprojekte finanziell zu weisen. Dazu wurden seit 2006 mehrere
unterstützen. Eine Reihe von somalischen Kundgebungen in verschiedenen Schwei-
Vereinen in der Schweiz haben eigene Ent- zer Städten organisiert und Flugblätter ver-
wicklungsprojekte in Somalia (Aufbau von teilt.
Schulen oder Krankenhäusern) ins Leben
gerufen. «(…). Wir wollen mit diesem Marsch auf
die schwierige Situation von uns Somalis
Nach Angaben der Vereinsvertreter wird in in der Schweiz aufmerksam machen. Wir
den Statuten der Vereine oftmals schriftlich leben nun in diesem Land seit Jahren mit
festgehalten, dass der Verein allen Clans einem sogenannten F-Ausweis, der vor-
offenstehen soll. Es ist jedoch davon aus- läufigen Aufnahme (…). Dieser Ausweis
zugehen, dass einige Vereine sich streng diskriminiert uns im Alltag und verunmög-
entlang von Clanzugehörigkeiten gebil- licht die persönliche Entwicklung und eine
det haben oder zumindest die Vorstands­ Integration. Die Arbeitssuche ist stark ein-
mitglieder demselben Clan angehören. geschränkt und nur in gewissen Sektoren
Andererseits gibt es auch Vereinigungen, erlaubt. Unsere Jugendlichen finden keine
deren Mitglieder verschiedenen Clans an- Lehrstellen und dürfen sich nicht weiter­
gehören. In der Schweiz organisieren sich bilden, ganz zu schweigen von den nega-
zudem verschiedene Clanfamilien – meist tiven psychischen Folgen, welche dieses
nicht als Vereine eingetragen – im informel- Dauerprovisorium auf somalische Flücht­
len Rahmen. Zu den regelmässigen Treffen linge hat. Unsere Fähigkeiten und beruf-
werden alle bekannten Angehörigen des- lichen Qualifikationen werden von den
selben Clans in der Schweiz eingeladen. Schweizer Behörden nicht anerkannt und
Die Netzwerke der Clanfamilien haben teil- liegen brach. Wir sind müde, perspektiven-
weise grosse Bedeutung, so werden bei- los und wissen nicht mehr weiter. Viele von
spielsweise in Not geratene Clan­mitglieder uns leben schon seit weit über 10 Jahren in
der Schweiz. (…).»
20 Seit 2003 werden in Zusammenarbeit mit dem Forum für
Friedenserziehung, der Caritas Schweiz und der DEZA
Auszug aus dem Flugblatt zur Aktion «Pro-
Veranstaltungen und Trainings organisiert, in denen testmarsch 2007 von Zürich nach Bern»
Integrationsprobleme in der Schweiz behandelt und lokale
Friedensinitiativen in Somalia gefördert werden.

126
Das Organisationskomitee forderte an gründet. Aufgrund der geringen Zahl von
den Kundgebungen die Erteilung einer Eritreern in der Schweiz waren diese Orga-
dauerhaften Aufenthaltsbewilligung und nisationen aber weitaus kleiner als die Ver-
den Flüchtlingsstatus für die seit Jahren tretungen in den Nachbarländern Deutsch-
in der Schweiz lebenden Somalier sowie land und Italien.
die Anerkennung der neu ankommen-
den Asylsuchenden als Flüchtlinge und Nach dem Ende des Unabhängigkeits-
stärkere Anstrengungen in den Bereichen kampfes haben sich die Massenorganisa-
Inte­grationszusammenarbeit und Bildung. tionen weitgehend aufgelöst und 1996
Die Forderungen werden zwar von vielen eröffnete die neue eritreische Regierung
Vertretern der somalischen Vereine befür- der PFDJ (People’s Front for Democracy and
wortet, jedoch wurden die Kundgebungen Justice) ihre offizielle Vertretung in Genf.
innerhalb der somalischen Gemeinschaft Die Botschaft in Genf bietet konsularische
auch infrage gestellt. Kritische Stimmen Dienste23 für die eritreischen Staatsbürger
waren der Meinung, dass sich die soma- in der Schweiz an. Zudem ist die Botschaft
lische Gemeinschaft in der Öffentlichkeit zuständig für die Einziehung der 2 %-Ein-
nicht politisch engagieren solle und keine kommenssteuer, die alle im Ausland leben-
Forderungen stellen dürfe. den Eritreer entrichten sollen. Während des
Jahres werden verschiedene politische Tref-
Entwicklung der sozialen und fen und kulturelle Anlässe in Genf orga-
politischen Aktivitäten der Eritreer nisiert, wie die Feier des Nationalfeiertags
in der Schweiz am 24. Mai (zum Gedenken an den Unab-
Mitte der 1970er-Jahre begannen sich die hängigkeitstag) sowie der Tag der Märtyrer
wenigen – damals vorwiegend in Genf le- (zum Gedenken an die im Befreiungskrieg
benden – Eritreer zu organisieren, um die gefallenen Unabhängigkeitskämpfer) am
Befreiungsbewegung der EPLF (Eritrean 20. Juni. Zur Feier des Nationalfeiertags
Peoples Liberation Front) in ihrer Heimat zu versammeln sich jedes Jahr mehrere hun-
unterstützen.21 Schweizer Privatini­tiativen dert Eritreer in Genf. Dazu werden Vertre-
halfen, bis zur Unabhängigkeit 1991, re- ter der Regierungspartei und bekannte erit-
gelmässig Spendenaktionen durchzufüh- reische Sänger und Musiker aus der Heimat
ren und Gelder und Hilfsgüter für den und dem Ausland eingeladen.
Befreiungskampf in Eritrea zu sammeln.
Im Verlaufe der Zeit wurden die sogenann- In der Schweiz haben auch verschiedene
ten Massenorganisationen der EPLF22 ge- politische Oppositionsparteien wie die
Eritrean Democratic Party (EDP) und Erit-
21 Bereits in den frühen 1970er-Jahren hatten eritreische Stu-
denten und Arbeiter, erst in Italien und später in Deutsch- rean People’s Party (EPP) Vertretungen. Die
land, angefangen, sich zu organisieren, um den Befreiungs-
kampf der EPLF finanziell und materiell zu unterstützen. Die Gruppierungen sind aber zahlenmässig
italienische Stadt Bologna wurde in der Folge zum Zentrum
der politischen Aktivitäten der EPLF im Ausland. 23 Visa- und Passangelegenheiten, Personalausweis, Beglaubi-
22 Die National Union of Eritrean Workers Switzerland NUEWS, Na- gung von Dokumenten wie Geburts- und Heiratsurkunden,
tional Union of Eritrean Youth and Students Switzerland NUEYS Geldüberweisungen, Überführung von Toten nach Eritrea
und National Union of Eritrean Women Switzerland NUEWS. und anderes.

127
sehr klein. Sie treffen sich regelmässig in Die eritreische Gemeinschaft in der
privaten Räumlichkeiten und pflegen Kon- Schweiz24 teilt sich – wie oben bereits kurz
takte zu den grösseren Vertretungen in an- angedeutet – in Befürworter und Gegner
deren Diasporaländern. Öffentliche Veran- der aktuellen Regierung. Die loyalen Regie-
staltungen finden nur sporadisch statt. Die rungsanhänger gehören mehrheitlich zur
weltweit aktiven oppositionellen Gruppen ersten Generation von Flüchtlingen, die ab
sind laut Experten untereinander zersplit- den 1980er-Jahren eingewandert sind. Sie
tert und interne «Machtkämpfe» verhin- haben sich seit ihrer Ankunft in der Schweiz
dern, dass sie als solidarische Gruppe auf- für die eritreische Befreiungs­bewegung
treten (Conrad 2005). Dies scheint auch in der EPLF eingesetzt und unterstützen die
der Schweiz der Fall zu sein, die Kontakte heutige Regierung. Sie nehmen aktiv am
zwischen den verschiedenen Gruppen sind Vereinsleben teil und besuchen auch die
eher gering. von der Botschaft in Genf organisierten
Anlässe. Die Gruppe der Regierungsgeg-
«Wie ich selber auch haben die meisten ner, welche sich in den politischen Op-
genug von der Politik. Sie sind enttäuscht positionsparteien organisieren und offen
von der Regierung und wollen auch nicht die Regierung kritisieren, ist eher klein.
zur Opposition. Sie wollen einfach ein nor- Zwischen diesen beiden Gruppen liegt die
males Leben hier in der Schweiz: lernen, grosse Mehrheit der Eritreer.25 Sie melden
arbeiten und ihren Kindern eine gute Aus- sich politisch in der Öffentlichkeit nicht zu
bildung ermöglichen. (…). Ich war politisch Wort und verzichten häufig auf eine aktive
aktiv in meiner Heimat, ich habe Prinzipien, Mitgliedschaft in eritreischen Vereinen oder
ich kämpfte für Demokratie, Freiheit und den oppositionellen Parteien und meiden
Menschenwürde, für das habe ich jahre- auch bewusst die von der Botschaft orga­
lang als Freiheitskämpfer gekämpft. Jeder nisierten kulturellen Anlässe. Die in den
von uns hat einen Onkel oder einen Bru- letzten Jahren in die Schweiz geflüchteten
der verloren für die Unabhängigkeit. Und Eritreer sind zu den Regierungsgegnern zu
dann? Dann kommt ein Regime, das war zählen, sind aber politisch nicht aktiv. Die
nicht unser Ziel, für das haben wir nicht 30 zweite Generation, in der Schweiz aufge-
Jahre gekämpft. (…). Die meisten sind ent- wachsen, scheint ebenfalls politisch wenig
täuscht, sie sind demoralisiert, sie haben interessiert zu sein. Die Ausnahme bilden
ihr Leben riskiert für ein freies Eritrea und einige wenige Jugendliche, die sich bei der
nicht für eine Diktatur mit eingeschränkten Young PFDJ engagieren. Das Interesse an
Rechten und unangemessenen Pflichten. der politischen Situation in der Heimat wird
Sie sind enttäuscht.» stark durch das soziale Umfeld beziehungs-
Ehemaliger Freiheitskämpfer, seit 1990 in weise die politische Haltung der Eltern be-
der Schweiz einflusst.
24 Wie auch in anderen Ländern mit eritreischen Diaspora­
gruppen (vgl. Conrad 2005 und Schröder 2004).
25 Conrad (2005a) bezeichnet die Mehrheit der Eritreer in der
Diaspora als «the silent majority» – «die stille Mehrheit».

128
Ängste, dass kritische Äusserungen gegen- Einfluss innerhalb der eritreischen Gemein-
über der Regierung negative Folgen für sie schaft gewonnen. Die religiösen Vereine
selbst oder ihre Verwandten in der Heimat gelten als politisch neutral und haben da-
haben können, waren bei den Gesprächs- durch – gestärkt durch das mangelnde Ver-
partnern keine Seltenheit. Diese Ängste trauen in die Politik – grösseren Zulauf als
beeinflussen die Gemeinschaft. Es kursie- andere Vereine.
ren viele Gerüchte und Behauptungen.
Viele der erst seit Kurzem in der Schweiz
lebenden Eritreer äusserten ein gewisses
Misstrauen gegenüber denen, die bereits
seit einigen Jahren in der Schweiz leben.
Sie werden oft als mutmassliche Anhänger
der Regierung angesehen. Ebenfalls mit ei-
nem gewissen Misstrauen begegnen viele
den Vereinen, da diese mit der Botschaft
in Genf verbunden sein sollen, und deren
Vorstandsmitglieder wurden als mutmass-
liche Regierungsanhänger angesehen. Aus
diesem Grund haben in den letzten Jahren
die religiösen Gruppen – die Orthodoxen,
Katholiken und in einem stärkeren Masse
die Pfingstgemeinden – an Bedeutung und

129
Weiterführende Literatur Moret, Joëlle (2006): Somali Refugees in
Switzerland. Strategies of Exile and Policy
Conrad, Bettina (2006): Out of the ‘me- Responses. Neuchâtel: SFM.
mory hole’: Alternative narratives of the
Eritrean revolution in the diaspora. Afrika Nolting, Nina von (2001): Gemeinschaft
Spectrum 41 (2). S. 249–271. im Exil. Eritreische Flüchtlinge in Frankfurt
am Main. Working Paper Nr. 11. Mainz: Jo-
Conrad, Bettina (2005a): We are the Pri- hannes Gutenberg Universität Mainz.
soners of our Dreams. Exit, Voice and Lo- www.ifeas.uni-mainz.de
yalty in the Eritrean Diaspora in Germany.
In: Eritrean Studies Review, Vol. 4 No. 2: Pérouse de Montclos, Marc-Antoine
Bettina Conrad und Tricia Redeker Hepner (2003): A Refugee Diaspora. When Somali
(Hrsg.). S. 211–261. Go West. In: Koser, Khalid (Hg.), New Af-
rican Diasporas. London / New York: Rout-
Conrad, Bettina (2005b): From Revolution legde. S. 37–56.
to Religion? In: Adogame, Afe und Weiss­
köppel, Cordula (Ed.): Religion in the Con- Pérouse de Montclos, Marc-Antoine
text of African Migration. Bayreuth African (2003): Diaspora et terrorisme. Paris: Pres-
Studies Series, No. 75. S. 217–241. ses de Sciences Politiques.

Conrad, Bettina (2003): A Culture of War Schröder, Günter (2004): Die eritreische
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Germany and their Relations to Eritrea. für eine quantitative Analyse. Frankfurt.
www.eritrea-online.de
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London: Adonis & Abbey. Tuor, Rico (2009): Eritrea. Wehrdienst und
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Koser, Khalid (2003): Mobilizing New Af- Flüchtlingshilfe: Bern, 23. Februar 2009.
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Koser, Khalid (Hg.). New African Diasporas.
London/New York: Routlegde. S. 111–124.

Koser, Khalid (2001): War and Peace in Eri-


trea. The Role of the Diaspora. Centre for
Development Research, Copenhagen.
http://tires.euv-frankfurt-o.de

130
Zeitungsartikel
Die Zeit, 19. März 2009: Das Gesetz des
Schweigens.

Tages-Anzeiger, 25. Juni 2001: «Wir alle


leben hier in einer Sackgasse».

Tages-Anzeiger, 3. August 2002: «Wir


Somalier haben alle Hoffnung verloren».

Neue Zürcher Zeitung, 24 / 25. April


1999: Leben im Dauerprovisorium. Soma-
lische Flüchtlinge in der Schweiz.

131
5 Rückkehr, sekundäre Migration
und transnationale Beziehungen
5.1 Ausreise aus der Schweiz

In Kürze
– Die Mehrheit der älteren Generation
von somalischen und eritreischen Mig-
ranten in der Schweiz haben auch nach
län­gerem Aufenthalt in der Schweiz
weiterhin den Wunsch, eines Tages in
ihre Heimat zurückzukehren.
– Während die unsichere Lage in Soma-
lia eine Rückkehr für Somalier in ihre
Heimat nicht zulässt, fahren viele aus
der älteren Generation der eritreischen
Migranten im Sommer während der
Ferien in ihre Heimat, um ihre Familien
zu besuchen. Für die Neuankömmlinge
hingegen ist die Rückkehr nicht mög-
lich, da ihnen als Dienstverweigerer in
Eritrea Inhaftierung und Folter drohen.
– Anfang der 1990er-Jahre hat ein relativ
grosser Teil der Somalier, welche in der
Schweiz um Asyl ersuchten, die Schweiz
wieder verlassen. Im Jahr 1993 stellten
2396 Somalier ein Asylgesuch, gleich-
zeitig verliessen gemäss den Statistiken
des Bundesamtes für Migration 1036
Somalier die Schweiz.

133
5.1.1 Rückkehrgedanken Fernsehsender1 und Sammelaktionen von
«zwischen Realität und Mythos» Geldern für Entwicklungsprojekte in der
Die erste Generation – in Somalia oder Heimat. Zudem ist der Wunsch bei den
Eritrea aufgewachsen – pflegt auch nach befragten Personen aus der ersten Gene­
Jahren in der Schweiz eine enge Beziehung ration Somalier und Eritreer sehr gross,
zu ihrem Heimatland, und der Gedanke ihren Lebensabend in der Heimat zu ver-
an eine Rückkehr ist bei vielen immer bringen. Bei Todesfällen in der Schweiz
noch präsent. Während die ältere Gene- werden die Leichname der verstorbenen
ration sich stärker an der Herkunftskul- Personen in der Regel in die Heimat über-
tur orientiert und vielfältige Beziehungen führt, um dort gemäss den religiösen Tradi-
zur Heimat pflegt, scheint bei den soma­ tionen bestattet zu werden. Für die Trans-
lischen Jugendlichen der zweiten Genera- portkosten kommen die Familienmitglieder
tion grösstenteils wenig Interesse an der auf; falls sie dazu nicht in der Lage sind,
Herkunft­skultur der Eltern vorhanden zu wird innerhalb der Gemeinschaft – speziell
sein. Auch das Interesse an den politischen in den reli­giösen Vereinen – Geld gesam-
Entwicklungen in der Heimat ist – vor allem melt, um die Familie zu unterstützen.
bei den somalischen Jugendlichen – eher
gering. Einzelne sind übers Internet im Rückkehr nach Somalia
Austausch mit Gleichaltrigen in anderen «Die Schweiz ist zu unserer zweiten Heimat
Diasporaländern, doch nur wenige pflegen geworden, nach so vielen Jahren. Wenn ich
Kontakte zu Verwandten in der Heimat jetzt nach Somalia zurückkehren würde,
ihrer Eltern. Die ältere Generation versucht, wäre ich dort wie ein Fremder, meine
teils vergeblich, der jüngeren die Identifi­ ganze Familie ist ins Ausland geflüchtet
kation mit Somalia beziehungsweise Eritrea und lebt dort. In Somalia hat sich in 15
zu vermitteln. Somalische und eritreische Jahren viel verändert, ich glaube, es wäre
Jugendliche orientieren sich eher an Wer- nicht mehr mein Zuhause, unser Haus, un-
ten der schweizerischen Gesellschaft. ser Land wurde zerstört, wir haben nichts
mehr dort, nur unsere Wurzeln.»
Die enge Beziehung der ersten Generation Mann aus Somalia, seit den 1990er Jahren
zur Heimat und die Orientierung an der in der Schweiz
Herkunftskultur zeigen sich in verschiede-
nen Aktivitäten: regelmässige – meist te- Bei der älteren, in Somalia aufgewach-
lefonische – Kontakte mit zurückgebliebe- senen Generation war gemäss unseren
nen Verwandten und Familienan­gehörigen Gesprächs­partnern der Wunsch nach ei-
in der Heimat oder anderen Ländern; Geld- ner Rückkehr in die Heimat von Anfang
überweisungen zur finanziellen Unterstüt- an wichtig. Auch heute noch, so betonte
zung von Familienmitgliedern; Verfolgen die Mehrheit der Gesprächspartner, gibt es
der Nachrichten und der politischen Ent- viele Somalier aus der ersten Generation,
wicklungen übers Internet oder die soma-
1 Beispielsweise der eritreische Satellitensender Eritrea TV oder
lischen oder eritreischen internationalen der somalische Sender Universal TV aus England.

134
die im Falle einer Beruhigung der Lage und tiven Wegzug in die Heimat ihrer Eltern
einer Beendigung des Bürgerkrieges eine eher nicht vorstellen. Unter den befragten
Rückkehr in die Heimat in Betracht ziehen. Jugendlichen scheint jedoch eine Rückkehr
Der Gedanke an eine Rückkehr bestimmt in nicht völlig ausgeschlossen. Wenn sich die
gewissem Masse das Denken und Handeln Situation in Somalia längerfristig beruhige,
der Betroffenen. Dies zeigt sich unter an- bestehe die Option, zurückzukehren. Ob
derem an der teils starken Orientierung der diese Vorstellung durch eine idealisierte
ersten Generation an den Werten und Vor- Wunschvorstellung der Lebensbedin­
stellungen der Herkunftskultur und dem gungen und Perspektiven in der Heimat
Wunsch, sie ihren Kindern zu vermitteln. beeinflusst wird, bleibt offen.
So ist auch bei vielen der befragten Perso-
nen aus der ersten Generation der Wunsch «Ich kann mir schon vorstellen zurückzuge-
gross, ihren Kindern, wenn es die Sicher- hen, aber nur wenn der Krieg beendet ist
heitslage erlaubt, einmal ihre Heimat zu und es die Sicherheit gibt, dass die Situa­
zeigen. Die immer wieder aufflammenden tion ruhig bleibt. Besonders für die Ferien-
Kämpfe und die Verlängerung des Exils ma- zeit, denn dort unten ist es immer warm.
chen es jedoch schwierig, den Wunsch in Man braucht keinen Pullover, es gibt gar
die Realität umzusetzen. Für einige Eltern keine Pullover. (…). Ich kann mir auch vor-
ist eine endgültige Rückkehr zudem nicht stellen, dort zu wohnen, denn hier ist es
unbedingt vorstellbar, da ihre Kinder in der schwierig zu leben, du bleibst immer ein
Schweiz aufgewachsen sind und hier blei- Fremder, du bleibst immer schwarz und du
ben werden. Gemäss unseren Gesprächs- wirst nie gleich sein, aber unten sind wir
partnern können sich die jungen Somalier alle Somalier.».
aus der zweiten Generation einen defini- Junger Somalier, seit 1995 in der Schweiz

135
Im Jahr 2001 plante das Bundesamt für aus Deutschland mit ihren Kindern, ich und
Flüchtlinge (BFF) spezielle Rückkehrhilfe- meine Familie, wir haben uns im Haus mei-
programme für Somalia, Eritrea und Äthi- ner Eltern alle wieder getroffen und haben
opien. Mit spezifischen Massnahmen (fi- schöne Ferien verbracht.»
nanzielle Unterstützung und Vorbereitung Mutter von zwei Kindern, Doppelbürgerin
in der Schweiz), welche auf die Bedürfnisse Eritrea / Schweiz, seit 1988 in der Schweiz
des jeweiligen Landes abgestimmt waren,
sollte die Rückkehr und die Wiederein­ Nach der Erlangung der Unabhängigkeit
gliederung von Asylsuchenden und Flücht- 1991 und der internationalen Anerken-
lingen im Heimatland erleichtert werden. nung des eritreischen Staates 1993 ha-
Die Pilotprogramme zur freiwilligen Rück- ben einige wenige Eritreer die Schweiz
kehr stiessen aber auf ein geringes Inter- ­verlassen und sind in die Heimat zurück-
esse und nur wenige Somalier haben die gekehrt, umfangreiche Rückkehrbewe-
Schweiz auf diesem Weg verlassen. Es gungen in den folgenden Jahren blieben
handelte sich dabei vorwiegend um ältere jedoch aus. Aufgrund der erfolgten (beruf-
Personen. lichen) Inte­gration und neuer Perspektiven
im Aufnahmeland sowie subjektiver Ver-
Rückkehr nach Eritrea unsicherung über die Zukunft des unab-
«Als ich vor der Unabhängigkeit in die hängigen Staates Eritrea entschieden sich
Schweiz gekommen war, hatte ich viel viele Exil-Eritreer – in der Schweiz und an-
Heimweh. Gerade nach der Unabhängig- derswo in Europa – gegen eine Rückkehr in
keit wünschten wir sehr zurückzukehren. die Heimat. In den folgenden Jahren emp-
Aber wegen der Kinder haben wir es nicht fand eine wachsende Zahl von Eritreern
getan. Sie waren in der Schule und wir in der Diaspora die wirtschaftlichen und
mussten an ihre Zukunft denken. Wenn poli­tischen Entwicklungen nach der Unab­
man sein Land einmal verlassen hat, und hängigkeit und besonders nach dem Krieg
ich bin nun schon seit zwanzig Jahren hier, mit Äthiopien 1998 - 2000 als unbefriedi-
wird man auch dort zur Ausländerin. Das gend, sodass sich die Mehrheit entschied,
ist hart. Aber seit der Unabhängigkeit rei- in der Diaspora zu bleiben (Schröder 2004).
sen viele zurück, um ihre Familie zu be-
suchen. Wir gehen alle zwei Jahre für die Der Traum, eines Tages nach Eritrea zurück-
Sommerferien zurück. Es gehen so viele zukehren, bleibt aber für viele Eritreer aus
Leute aus ganz Europa, Amerika und Ka­ der ersten Generation auch nach Jahren
nada im Sommer zurück, dass man die in der Schweiz bestehen. Viele besitzen
Flüge sehr früh buchen muss. Für eine in der Zwischenzeit einen Schweizer Pass
Reise ab der Schweiz im August gab es und reisen im Sommer in den Ferien mit
schon im Januar keine Tickets mehr. (…). ihrer Familie nach Eritrea, um Familie und
In einem bestimmten Jahr, als wir nach Eri- Verwandte zu besuchen. Durch die Rei-
trea gingen, war mein Bruder aus London sen wird auch die Beziehung ihrer Kinder
mit seinen Kindern dort, meine Schwägerin zu ihrer Heimat aufrechterhalten. Aus der

136
weltweiten Diaspora fliegen jeden Som- Aber wegen meinem Aufenthaltsstatus
mer Exil-Eritreer – auch Jugendliche – für konnte ich nicht einmal meine Verwandten
einige Wochen in ihre Heimat. Die Flüge in Italien oder in Deutschland besuchen.
sind oft Monate im Voraus ausgebucht. Bei Ich bin der Einzige, der noch nie in Eritrea
den temporären Rückkehrern handelt es war. (…). Es ist mein grösster Traum, ein-
sich vorwiegend um Personen, die vor der mal nach Eritrea zu fahren, dann kann ich
Unabhängigkeit in die Schweiz gekommen meine Heimat mit meinen eigenen Augen
sind und bei einer Rückkehr nichts zu be- sehen und endlich mitreden, denn ich kann
fürchten haben. Sie sind vom Militärdienst nicht direkt mitreden, da ich noch nie dort
befreit und haben ihre Pflichten wie die Be- war.»
zahlung der Auslandsteuer über die Jahre Jugendlicher (19) aus Eritrea, seit 1999 in
hinweg erfüllt. der Schweiz

Die Jugendorganisation der regierenden Eine endgültige Rückkehr können sich aber
Partei (Young People’s Front for Demo- nur wenige vorstellen, da sie in der Schweiz
cracy and Justice YPFDJ) organisiert jedes eine Familie gegründet haben und ihre Kin-
Jahr eine sogenannte «Know your Country der hier aufgewachsen sind. Eine Rückkehr
Tour» (Zura Hagerka), eine zweiwöchige würde eine Trennung von den Kindern be-
Rundreise durch Eritrea für Jugendliche ab deuten, dazu sind viele nicht bereit. Erst
18 Jahren. Rund 50 Jugendliche eritreischer wenn die Kinder erwachsen sind, können
Herkunft2 aus der ganzen Welt nehmen all- sie sich – zumindest eine saisonbedingte
jährlich an dieser Rundreise teil, darunter – Rückkehr vorstellen, im Winter in Eritrea
auch immer wieder einige aus der Schweiz. und im Sommer bei ihren Kindern in der
Voraussetzung ist, dass man nicht in Eritrea Schweiz, so die befragten Personen. Eine
geboren ist und dadurch von der allgemei- definitive Rückkehr kommt, wenn über-
nen Wehrpflicht befreit ist sowie ein gül- haupt, für viele Gesprächspartner nur nach
tiges Ausweispapier besitzt, das man nur Erfüllung des Pensionsalters in Frage.
erhält, wenn man – beziehungsweise die
Eltern – die Auslandsteuer entrichtet hat. Für die Neuankömmlinge hingegen ist die
Rückkehr vorerst überhaupt kein Thema.
«Viele meiner eritreischen Freunde fahren Da die grosse Mehrheit von ihnen als
in den Sommerferien nach Eritrea. Man- Dienstverweigerer ihr Land verlassen hat,
che jeden Sommer, andere jeden zweiten. droht ihnen bei einer Rückkehr Inhaftie-
rung und Folter. Dennoch scheinen auch
2 Nach Conrad (2003) werden die Jugendlichen aus der viele von ihnen ihre Heimat zu vermissen,
Diaspora, die Eritrea besuchen, von den einheimischen
Jugendlichen abschätzig als Beles bezeichnet. Beles ist eine und falls es zu einer Verbesserung der poli­
süsse Frucht, die während der Regenzeit, in der die meisten
Diaspora-Eritreer ihre Heimat besuchen, wächst. Conrad tischen und ökonomischen Lage und der
zitiert einen jungen Eritreer, der die Bedeutung dieser Be-
zeichnung erläutert: «The exiles are like beles, they are only
Aufhebung der Militärdienstpflicht kom-
here for a short time bringing a promise of sweetness. But men sollte, können sich auch einige von
when they are gone you are just left with a pile of rubbish»
(Conrad 2003: S. 18). ihnen vorstellen, zurückzukehren.

137
5.1.2 Sekundäre Migration därmigration von Somaliern relativ hoch
(1994: 717 Personen, 1996: 362 Personen,
Somalier 1998: 536 Personen, 2000: 521 Personen).
«Wer aber aus einem Staat kommt, den Da nicht alle irregulären Abgänge aus dem
es nicht mehr gibt, braucht einen Pass Asylbereich erfasst werden, liegt die Zahl
und wird so lange das Land wechseln, bis der unkontrollierten Sekundärbewegungen
er eines findet, in dem er einen Pass be- vermutlich noch deutlich höher. England,
kommt.» skandinavische Länder sowie die USA und
Experte zu Somalia Kanada werden von vielen Somalis als die
interessantesten Zielländer angesehen, wo-
Wie im Kapitel zu den Migrations- und bei England mit der grössten somalischen
Fluchtbewegungen erwähnt, ist ein grosser Gemeinschaft Europas an erster Stelle steht
Teil der somalischen Asylsuchenden nicht (Moret 2006). Die vor der Asyl- und Auslän-
direkt aus Somalia, sondern aus einem An- dergesetzesrevision rechtlich be­grenzten
rainerstaat Somalias (Erstaufnahmeland) Möglichkeiten, mit dem F-Status in der
in die Schweiz migriert. Bereits die Flucht Schweiz einer Erwerbstätigkeit nachzuge-
in die Schweiz oder ein anderes europäi- hen, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit
sches Land ist also aus einer eigentlichen und die Schwierigkeit, Familienmitglieder
Sekundär­wanderung entstanden. Neben nachziehen zu können3, veranlassten viele
dieser Weiterwanderung aus den Erst- Somalier, ihr Glück in einem anderen Land
aufnahmeländern finden auch innerhalb Europas oder Nordamerikas zu suchen. Die
Europas und Nordamerikas umfassende Schweiz wird von vielen Somalis als «län-
Sekundär­wanderungen von Somaliern gerfristiges Transitland» angesehen. Die
statt. bereits vorhandene grosse somalische Ge-
meinschaft sowie die Hoffnung auf ­einen
So hat ein relativ grosser Teil der Soma­lier, gefestigten Aufenthaltsstatus, welcher den
welche Anfang der 1990er-Jahre in der Zugang zu Ausbildungs- und Beschäfti-
Schweiz um Asyl ersuchten, die Schweiz gungsmöglichkeiten erleichtern soll, und
wieder verlassen. Das Jahr 1993 stellt in der Sprachfaktor (Englisch) machen insbe-
doppelter Hinsicht einen Höhepunkt dar: sondere England zur eigentlichen «Traum-
2396 Somalier stellten in der Schweiz ein destination» vieler Soma­lier (Moret 2006).
Asylgesuch (vgl. Kapitel 2.1 Migration von So wurde festgestellt, dass selbst eingebür-
Somaliern und Eritreern in die Schweiz), gerte Somalier aus den Niederlanden oder
gleichzeitig verliessen gemäss den Statis­ Dänemark häufig nach Grossbritannien
tiken des Bundesamtes für Migration 1036 weiterziehen (Bang Nielsen 2004).
Somalier die Schweiz, davon reisten 957
Personen «unkontrolliert» aus, d.h. ohne
sich bei den Behörden abzumelden (vgl. 3 Diese Aussage bezieht sich auf die Situation vor der
Abbildung 24). Auch in den darauffol­ Gesetzesrevision im Jahre 2006, welche die Aufenthalts-
bedingungen (Arbeitsmöglichkeiten, Familiennachzug) von
genden Jahren blieb die irreguläre Sekun- Personen mit F-Status verbesserte.

138
1200 Unkontrollierte Ausreise
Rückführung
1000 Selbständige Ausreise

800

600

400

200

0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008

Abbildung 24: Somalia – Ausreisen insgesamt nach Jahr und Abgangsart (1990 - 2008)
Quelle: BFM ZEMIS, Stand vom 31.5.2009 (schliesst Asyl- und Ausländerbereich ein)

«Die Somalier gehen lieber nach England, eine Sekundärmigration sein (Al-Sharmani
alle lernen gern Englisch. (…). Viele kön- 2007). An diesem Entscheidungsprozess,
nen ein wenig Englisch, darum versuchen wer wann wie wohin migriert, beteiligen
alle, nach England zu kommen, doch Eng- sich nicht selten ganze Familienverbände in
land, das ist schwierig. Das ist weit weg. unterschiedlichen Ländern. Die soma­lische
Auch in Holland gibt es viele Somalier, die Diaspora ist weltweit gut vernetzt und
kontaktieren einen Verwandten, einen Bru- wirkt massgeblich an der Organisation und
der, einen Vetter, der ihnen sagt: Du kannst Durchführung (beispielsweise Beschaffung
kommen.» von erforderlichen Dokumenten, Informa-
Somalier, seit 1987 in der Schweiz tionsvermittlung) der verschiedenen sekun-
dären Migrationsbewegungen mit.
Durch die starken transnationalen Be-
ziehungen, welche somalische Familien Die unkontrollierten Sekundärwanderun-
pflegen, werden nicht selten Kinder und gen von Somaliern haben laut den Statis­
Jugendliche, aber auch Erwachsene, von tiken des Bundesamtes für Migration
einem Land ins andere geschickt, in der seit 2003 abgenommen. Aufgrund der
Hoffnung, dass sich ihnen dort bessere verstärkten Zusammenarbeit der europä-
Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten ischen Staaten, der Entwicklung des Sys-
bieten, oder um Verwandte (beispielsweise tems EURODAC (europäische Datenbank,
bei der Kinderbetreuung) zu unterstützen. in welcher die Fingerabdrücke von Asylsu-
Auch familiäre Probleme innerhalb eines chenden zur Vermeidung von Mehrfach-
Aufnahmelandes können der Anlass für gesuchen gespeichert sind), sind sich viele

139
Somalier zunehmend der Schwierigkeit Ausser durch irreguläre Sekundärwan-
bewusst, in einem anderen europäischen derungen verlassen einige Somalier die
Land erneut ein Asylgesuch einzureichen. Schweiz auch regulär, beispielsweise durch
Zudem sind auch die Asylpolitiken in ehe- Familienzusammenführungen, transnatio­
maligen «Traumdestinationen» wie Holland nale Eheschliessungen oder nach einer
oder skandinavischen Ländern restrik­tiver erfolgten Einbürgerung (selbstständige
geworden. Für Familien mit vielen Kindern Ausreise). Nur wenige Personen aus Soma-
ist es überdies mit grossem Aufwand und lia sind bisher in ihr Heimatland zurückge-
Schwierigkeiten verbunden, in einem an- kehrt. Allerdings sind die in der Abbildung
deren Land erneut Fuss zu fassen und die 24 erfassten Somalier nur Personen aus
Kinder ins dortige Schul- und Gesellschafts- dem Asyl- und Ausländerbereich, schlies-
system zu integrieren (Moret 2006). sen die eingebürgerten Personen also nicht
mit ein. Der Anteil der selbstständigen Aus-
«Ich bin mit einigen meiner Geschwister bei reisenden ist verglichen mit den irregulären
meinem Onkel in Somalia aufge­wachsen. Weiterwanderungen klein. Noch weniger
Meine Mutter lebte mit meinen älteren Brü- ins Gewicht fallen die Rückführungen.
dern in Italien, wir waren insgesamt zehn Rückführungen nach Somalia wurden auf-
Geschwister. Sie hat meinem Onkel regel- grund der instabilen Lage in Somalia (Un-
mässig Geld geschickt. Da es in Italien für zumutbarkeit des Wegweisungsvollzuges)
somalische Männer schwierig ist zu arbei- bisher nur vereinzelt und nur nach Soma-
ten, ist mein Vater weiter in die Schweiz liland und Puntland durchgeführt (vgl.
gewandert. 1994 gingen ich und vier wei- Kapitel 2.2: Schweizer Migrationspolitik
tere Geschwister zu meiner Mutter nach Ita- gegenüber somalischen und eritreischen
lien. Später bin ich zu meinem Vater in die Asylsuchenden). Bei den anderen Rückfüh-
Schweiz gezogen. Unsere Mutter kam uns rungen handelt es sich um Überführungen
immer wieder besuchen. Später, als meine in andere europäische Länder im Rahmen
älteren Geschwister Schwierigkeiten hatten, der Drittstaatenregelung.4
mit dem F-Ausweis nach der Schule eine
Lehrstelle zu finden, hat sich meine Mut- Eritreer
ter entschieden, mit den anderen jüngeren Über die Weiterwanderung von Eritreern
Geschwistern, die in Italien lebten, nicht aus der Schweiz ist wenig bekannt. Je-
in die Schweiz zu kommen, sondern mit doch kann davon ausgegangen werden,
ihnen nach England zu gehen. Ich und drei dass Wanderungsbewegungen zwischen
Geschwister blieben bei meinem Vater in der den verschiedenen eritreischen Diaspora­
Schweiz. Nach einem Jahr hatte meine Mut- gemeinschaften stattfinden. Nach Schröder
ter eine Aufenthaltsbewilligung in England (2004) erfolgten kontinuierliche Abwan-
und hat uns seither immer wieder besucht.» 4 Die Drittstaatenregelung ermöglichte eine Rückführung in
andere europäische Staaten, in welchen bereits ein Asyl­
Somalischer Jugendlicher, seit 1995 in der gesuch hängig war oder das staatsvertraglich für die Durch-
Schweiz führung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens zuständig
war. Diese Regelung wurde mit dem am 12. Dezember 2008
in Kraft getretenen Schengen-Dublin-Abkommen ersetzt.

140
150 Unkontrollierte Ausreise
Rückführung
Selbständige Ausreise
100

50

0
1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008

Abbildung 25: Eritrea – Ausreisen insgesamt nach Jahr und Abgangsart (1990 - 2008)
Quelle: BFM ZEMIS, Stand vom 31.5.2009 (schliesst Asyl- und Ausländerbereich ein)

derungsbewegungen aus den eritreischen her – im Verhältnis zur Anzahl eritreischer


Gemeinschaften in den arabischen Ländern Asylgesuche – zu geringen irregulären
Richtung Europa, Nordamerika und Aus- Weiterwanderungsbewegungen aus der
tralien. In Europa ist eine starke Tendenz Schweiz in andere Länder. Es ist hingegen
zur Abwanderung aus Italien nach Nord- anzunehmen, dass nach der Publikation
westeuropa (Deutschland, Niederlande, des Urteils der ARK im Jahre 2006 (vgl.
Norwegen, Schweden, UK und Schweiz) Kapitel 2.2: Schweizer Migrations­politik
zu beo­bachten. Bei den Wanderungsbe- gegenüber somalischen und eritreischen
wegungen zwischen den eritreischen Ge- Asylsuchenden) viele Eritreer, welche in
meinschaften Europas und Nordamerikas anderen europäischen Staaten in einer un-
spielen primär aufenthaltsrechtliche (Aner- befriedigenden Aufenthaltssitua­tion leb-
kennungsquote) und sekundär soziale und ten, in der Schweiz ein Asylgesuch stellten.
wirtschaftliche Überlegungen – besserer Die relativ hohe Zahl der Rückführungen
Zugang zum Bildungssystem und zum Ar- in Drittstaaten könnte damit erklärt wer-
beitsmarkt – eine Rolle (ebd. 2004). den (Drittstaatenregelung resp. Schengen-
Dublin-Abkommen). Rück­führungen nach
Verglichen mit der Anzahl eritreischer Asyl- Eritrea werden keine durchgeführt. Bei den
gesuche kam es vor 2006 zu nicht uner- wenigen selbstständigen, d.h. kontrollier-
heblichen irregulären Weiterwanderungen ten Ausreisen kann davon ausgegangen
(2003: 253 Asylgesuche, 25 erfasste un- werden, dass es sich um Familienzusam-
kontrollierte Abreisen; 2005: 181 Asylgesu- menführungen und transnationale Ehe-
che, 88 erfasste unkontrollierte Abreisen). schliessungen, bei denen ein Ehepartner
Aufgrund des ab 2006 für viele Eritreer ge- ins Aufenthaltsland des anderen zieht,
sicherten Aufenthaltsstatus in der Schweiz handelt.
(oder der Aussicht darauf) kommt es seit-

141
Weiterführende Literatur

Al-Sharmani, Mulki (2007): Discussion


Paper. Contemporary Migration and Trans-
national Families. The Case of Somali
Diaspora(s). Kairo. American University.
www.aucegypt.edu

Bang Nielsen, Katrine (2004): «Next Stop


Britain: The Influence of Transnational Net-
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nish Somalis». Sussex Migration Working
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bal: Reflections on Nationalism in a Trans-
national Era. Cultural Anthropology 19 (1).
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Conrad, Bettina (2003): A Culture of War


and a Culture of Exile. Young Eritreans in
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Responses. Neuenburg: SFM.

Schröder, Günter (2004): Die eritreische


Gemeinschaft in Deutschland. Materialien
für eine quantitative Analyse. Frankfurt.

142
5.2 Transnationale
Aktivitäten
In Kürze
– Sowohl Somalier als auch Eritreer in der
Schweiz pflegen enge Beziehungen zu
Familienmitgliedern in der Heimat und
anderen Ländern und es gibt eine grosse
Vielzahl von transnationalen Aktivitäten
im sozialen wie auch im politischen und
wirtschaftlichen Bereich.
– Viele Somalier und Eritreer unterstützen
Familienmitglieder und Verwandte in
der Heimat finanziell. Die transferierten
Gelder werden mehrheitlich für den
täglichen Bedarf von Konsumgütern
gebraucht und stellen oftmals die ein-
zige Einnahmequelle für die Familien in
den betreffenden Ländern dar.
– Der Transfer von finanziellen Mitteln
nach Somalia erfolgt über Geldtrans-
ferunternehmen und nicht über das nor-
male Bankensystem, da aufgrund des
Bürgerkrieges in Somalia kein reguläres
Bankenwesen existiert. Auch die Eritreer
nutzen in der Regel die Dienstleistungen
der Geldtransferunternehmen.
– Jeder im Exil lebende Eritreer muss eine
Einkommenssteuer an die eritreische
Regierung bezahlen. Die Botschaft in
Genf ist zuständig für die Einnahme der
Steuer. Bezahlt jemand die Steuer nicht,
können ihm gewisse konsularische
Dienste von der Botschaft verweigert
werden.
– Viele Somalier und Eritreer pflegen Kon-
takte untereinander übers Internet. Es
gibt eine grosse Vielzahl an somalischen
und eritreischen Internetseiten und
-plattformen.

143
5.2.1 Transnationale Beziehungen F (vorläufige Aufnahme) nur schwer mög-
«Meine Schwester wohnt in Griechenland, lich.5 Die Möglichkeit, eine Aufenthaltsbe-
mein Bruder ist Holländer, eine weitere willigung (B-Ausweis) zu bekommen, die es
Schwester ist Australierin und noch eine ihnen im Gegensatz zum Ausweis für Asyl-
weitere lebt in London. Wir sind überall suchende oder zur vorläufigen Aufnahme
zerstreut, die ganze Familie.» ermöglicht, ins Ausland zu reisen, sowie die
Somalier, seit 1987 in der Schweiz leichte Zunahme von Einbürgerungen nach
dem Jahr 2000 verstärkte die gewünschte
Somalische und eritreische Familien leben Bewegungsfreiheit für einige Soma­lier.
zerstreut in der ganzen Welt. Auch über Während des Jahres und besonders in den
Grenzen hinweg werden Kontakte unter- Schulferien im Sommer besuchen sich Ver-
einander – auch nach mehreren Jahren im wandte gegenseitig in verschiedenen Län-
Exil – aufrechterhalten. Die Familiennetz- dern Europas und Amerikas.
werke sind die bedeutendste Form von
transnatio­nalen Beziehungen von soma­ «Im Sommer kommen meine Cousins aus
lischen und eritreischen Migranten. Fami- Amerika für drei Wochen zu uns in die Fe-
lienmitglieder stehen weltweit in regelmäs- rien. Ich habe sie noch nie gesehen, ausser
sigem Kontakt, meist übers Telefon. Durch auf Videos und Fotos, die meine Mutter
die Nutzung von Satellitenverbindungen aus Eritrea mitgebracht hat, als sie letztes
kann heute in Somalia und Eritrea leichter Mal dort war. Meine Tante aus England
mit dem In- und Ausland telefoniert wer- kommt oft in die Schweiz, und ich war mit
den. meinen Eltern schon mehrmals in Italien
und Deutschland unsere Verwandten be-
Regelmässig besuchen somalische und suchen. Wenn wir einige Tage frei haben,
eritreische Familien ihre Familienmitglie- wie über Auffahrt oder so, dann fahren wir
der in anderen Kantonen der Schweiz. zu ihnen. Ich war auch schon in Schweden
Wenn die finanziellen Möglichkeiten und und dreimal in England. Aber manchmal
der Aufenthaltsstatus es erlauben, wer-
den Familien – bei Heirat oder Todesfall,
5 Personen mit einer vorläufigen Aufnahme (als Ausländer)
schwerer Krankheit oder anderen wichti- müssen ihre Reisepapiere und Identitätsausweise beim
gen Familien­angelegenheiten – auch aus- Bundesamt für Migration hinterlegen. Sie können die
Schweiz nicht verlassen und dann wieder einreisen. In selte-
serhalb der Schweiz besucht. Verschiedene nen Fällen kann das BFM einen Identitätsausweis ausstellen
oder die Ausstellung eines Ausweises bei den Heimatbe-
somalische Gesprächspartner, welche teils hörden beantragen und ein Rückreisevisum ausstellen.
Dies ist der Fall bei dringlichen Familienangelegenheiten
mehr als zehn Jahre als vorläufig Aufge- (schwere Krankheit oder Tod von Familienangehörigen), zur
nommene in der Schweiz lebten, haben Erledigung von wichtigen und unaufschiebbaren höchstper-
sönlichen Angelegenheiten sowie für grenzüberschreitende
ihre frühere Situation immer wieder mit Schulausflüge. Grundsätzlich wird die vorläufige Aufnahme
widerrufen, wenn die Person in ihr Heimatland zurückkehrt.
dem Gefühl, «wie in einem Gefängnis zu Personen mit einer vorläufigen Aufnahme (als Flüchtling)
können einen Flüchtlingsreisepass beantragen, mit dem
sein» beschrieben. Gerne hätten sie ihre sie ins Ausland reisen können. Für viele Länder benötigen
Verwandten im Ausland besucht, doch sie ein Visum. Grundsätzlich werden aber die vorläufige
Aufnahme und der Flüchtlingsstatus widerrufen, wenn die
dies war aufgrund des Aufenthaltsstatus Person in ihr Heimatland zurückkehrt.

144
ist es etwas langweilig, wenn die Erwach­s­ Beziehungen auf der politischen Ebene.
enen immer nur miteinander reden.» Die eritreische Botschaft in Genf organi-
Jugendlicher eritreischer Herkunft (13), in siert mehrmals jährlich politische Veran-
der Schweiz geboren staltungen, bei denen Regierungsvertreter
und Musiker aus Eritrea eingeladen wer-
Neben den transnationalen familiären den. Auch die oppositionellen Gruppen
Beziehungen existieren auch auf politi- organisieren Veranstaltungen, an denen
scher Ebene Kontakte. Die 2004 gebildete sich Mitglieder aus verschiedenen Ländern
Übergangsregierung Somalias (Transnatio- treffen. Die oben erwähnte Jugendorga-
nal Federal Government, TFG) besteht im nisation YPFDJ (Young People’s Front for
Wesentlichen aus Politikern aus der Dias- Democracy and Justice) der eritreischen Re-
pora. Die meisten Regierungsmitglieder gierungspartei veranstaltet jedes Jahr eine
besitzen einen ausländischen Pass und Konferenz von jugendlichen Eritreern in
ihre Familienmitglieder leben weitgehend Europa und Nordamerika. An der fünften
ausserhalb Somalias, vorwiegend in den Jugendkonferenz im April 2009 in Italien
USA, in Kanada, England oder Schweden. sollen über 500 Jugendliche aus der Dias-
Im Rahmen von Staatsbesuchen kam es in pora teilgenommen haben. Auch bei die-
der Vergangenheit immer wieder zu infor- sen Anlässen werden Regierungsvertreter
mellen Treffen von Regierungsmitgliedern aus Eritrea eingeladen.
der Übergangsregierung und Vertretern
somalischer Vereine in der Schweiz. Auch
bei den Eri­treern bestehen transnationale

145
5.2.2 Remissen und Geldtransfer nen aufgrund von falschen Vorstellungen
«Alle Eritreer schicken Geld in die Heimat die Erwartungen der Empfänger gross zu
oder in den Sudan, Libyen oder Äthiopien, sein, und sie können für die Somalier und
um ihre Familien und Verwandten, die dort Eri­treer in der Schweiz zur Belastung wer-
teils in Flüchtlingslagern leben, zu unter- den. Besonders für Personen mit Ausweis
stützen oder die Flucht zu finanzieren. Es N ist es aufgrund der prekären ökonomi-
ist nicht immer einfach, da ich selber Kin- schen Situation schwierig, den Erwartun-
der habe und das Leben in der Schweiz gen aus der Heimat zu entsprechen. Nicht
sehr teuer ist.» selten sollten mehrere Familienmitglieder
Mann aus Eritrea, seit 1988 in der Schweiz gleichzeitig unter­stützt werden. Innerhalb
von gewissen transnationalen Familien
Die Geldüberweisungen von Migranten in entstehen aufgrund unterschiedlicher Er-
ihre Herkunftsländer – Remissen6 genannt wartungen und Vorstellungen über Höhe,
– haben im Jahr 2007 laut Schätzungen Regelmässigkeit und Verwendung der Be-
der UN-Organisation IFAD (International träge interne Spannungen. Wie einige Ge-
Fund for Agricultural Developement) und sprächspartner erklärten, soll es vorkom-
der Weltbank über 300 Milliarden Dol- men, dass die Gelder nicht den Absichten
lar betragen. Die Gelder aus der Diaspora und Wünschen der Sender entsprechend
fliessen grösstenteils zu Familienmitglie- investiert werden (Moret 2006).
dern und Verwandten und in den Aufbau
der Wirtschaft oder zugunsten von Hilfs- «Ich schicke jeden Monat, wenn es geht,
und Entwicklungsprojekten. Ähnlich wie 100 Franken zu meiner kranken Mutter
die kur­dische, die palästinensische oder die nach Somalia. 100 Franken ist viel Geld für
tamilische Diaspora hat auch die weltweite sie, und sie kann es gut brauchen. Schliess-
eritreische Diaspora jahrelang den Unab- lich hat sie ihr ganzes Leben für mich ge-
hängigkeitskampf im Heimatland unter- sorgt, nun bin ich an der Reihe für sie zu
stützt. In der Schweiz sammelten Eritreer sorgen. Für uns bedeutet die Familie Sicher-
bis zur Unabhängigkeit 1991 Gelder, um heit. Meine Eltern haben mich unterstützt
die Befreiungsbewegung der EPLF zu un- seit meiner Kindheit, und wenn sie einmal
terstützen. alt sind, sind wir verpflichtet, für sie zu sor-
gen, da es in Somalia keine Rente, keinen
Das traditionelle System gegenseitiger Staat, der sich um die Alten kümmert, gibt.
Verpflichtung und Unterstützung von Ver- Der Respekt gegenüber den älteren Per­
wandten ist bei beiden Migrantengrup- sonen ist bei uns sehr wichtig. Ich bin sogar
pen auch über Grenzen hinweg aktiv. Die in Schulden geraten, als meine Mutter eine
meisten der befragten Personen unter- Operation hatte und ich als einziger Sohn
stützen Familienmitglieder in der Heimat ihr helfen wollte.»
oder in anderen Ländern. Oftmals schei- Junger Mann (21) aus Somalia, seit 2006 in
der Schweiz
6 Der Begriff kommt vom Englischen remittances.

146
Die transferierten Gelder werden mehrheit- aus diesem Grund dort keine Geschäfte
lich für täglichen Bedarf von Konsumgütern tätigen. Seit den 1990er-Jahren hat sich in
und Bezahlung von Schulkosten benutzt Somalia ein alternatives Bankwesen – auf
und stellen oftmals die einzige Einnahme- Somali Xawilaad genannt – entwickelt,
quelle für diejenigen somalischen und eri- das lange mit dem Unternehmen Al Bara-
treischen Familien dar, die das Land nicht kaat7 verbunden war. Nach dem 11. Sep-
verlassen haben, in Flüchtlingslagern leben tember 2001 wurden die Aktivitäten von
oder auf der Flucht sind. Zudem stehen die Al-Barakaat in westlichen Ländern – auch
transnationalen Remissen auch in direktem in der Schweiz – unterbunden. Dem Unter-
Zusammenhang mit weiteren Migrations- nehmen wurde vorgeworfen, mit terroris-
bewegungen: So werden Gelder versandt, tischen Gruppen in Verbindung zu stehen
um die Flucht oder die Weiterwanderung und Geldtransfers für diese durchgeführt
von Verwandten (Ausgaben für Schlepper), zu haben (Schlee 2006). Nach 2001 ge-
den Nachzug von Familienmitgliedern oder wannen andere Geldtransferunternehmen,
Eheschliessungen (Brautpreis) zu finanzie- wie beispielsweise das Unternehmen Da-
ren (Horst 2004; Lindley 2006; Mohammed hab Shiil8, das auch in der Schweiz Ver-
2008). tretungen hat, an Bedeutung. Die Geld-
transferunternehmen funktionieren nach
Das alternative Geldtransfer­ dem informellen Hawala-System9, d.h. in
system in Somalia einfachen Worten folgendermassen: Man
Weite Teile der Bevölkerung Somalias sind übergibt den gewünschten Geldbetrag
abhängig von den Remissen aus der welt- einer Person in der Schweiz – meist einem
weiten Diaspora. Nach Schätzungen der Vertreter eines Unternehmens (Agent) – in
UNDP (United Nations Development Pro- US-Dollar bar und nennt den eigenen Na-
gramme) sollen 2004 die jährlichen Remis- men und den Namen des Begünstigten. In
sen aus der somalischen Diaspora in die manchen Fällen händigt der Agent dem
Heimat zwischen 750 Millionen und 1 Mil- Geldgeber einen Code aus. Ist kein Agent
liarde US-Dollar betragen haben. Gemäss in der Nähe, bekommt man ein Konto ge-
einer Studie sollen 40 % der Haushalte in nannt, auf das man die Summe einbezah-
Somalia von den Geldüberweisungen aus len soll. Nach Erhalt des Geldes informiert
dem Ausland abhängig sein (Mohammed
2006). Zudem werden Familienmitglieder 7 Die Unternehmensgruppe Al Barakaat – auf Somali
«Segen» – wurde 1986 gegründet und war bis 2001 mit
und Verwandte in anderen Ländern – die 187 Vertretungen in 40 Ländern das grösste Geldtransfer-
und Bankenunternehmen Somalias.
teils in Flüchtlingslagern in Kenia oder Äthi- 8 Dahab Shiil – auf Somali «Goldmacher» – gilt heute als eine
opien leben – unterstützt (Horst 2004). der grössten Geldtransferbanken am Horn von Afrika, mit
Agenten in der ganzen Welt und über 400 Auszahlungs­
stellen vor Ort.
9 Das alternative Finanzsystem namens Hawala (aus dem
Infolge des Bürgerkriegs existiert in So- Arabischen, es bedeutet «Wechsel»; in Somali Xawilaad von
Xawil abgeleitet vom Arabischen Hawala) ist ein informelles,
malia kein reguläres Bankenwesen und weltweit funktionierendes Geldüberweisungssystem, mit
die grossen Geldtransferunternehmen wie dem Gelder ohne staatliche Kontrolle schnell und günstig
– ohne Bankgebühren und Steuern – transferiert werden
Western Union oder Money Gram können können.

147
der Agent per Telefon, Fax oder E-Mail die lomatische Vertretung in Genf bezahlen.
Vertretung in Somalia in der Nähe des Be- Die Steuer wird im Namen der nationalen
günstigten, also irgendwo in Somalia oder Entwicklung eingezogen und stellt für die
Kenia. Der Begünstigte ist bereits von dem Regierung eine enorme Einnahmequelle
Einzahler telefonisch informiert worden. dar. Es ist anzunehmen, dass die Mehrheit
Zwei bis drei Tage später wird der ge- der Eritreer in der Schweiz aus der ersten
wechselte Gegenwert der überwiesenen Einwanderungsgeneration, die bereits den
Geldsumme dem Empfänger ausbezahlt. Unabhängigkeitskampf der EPLF bereit-
Als Identifizierung gilt sein Name und der willig unterstützten, die Steuern an den
Name des Geldsenders oder der verein- eritreischen Staat regelmässig entrichten.
barte Code. Agenten erhalten für ihre Ar- Einige innerhalb dieser Gruppe äusserten
beit eine kleine Kommission. Zweifel daran, wie die Gelder verwendet
werden. Andere erklärten, sie würden
Die Einkommenssteuer lieber ihre Familien unterstützen und die
Auch grosse Teile der Bevölkerung in Erit- Steuer sei eine Belastung geworden. Doch
rea sind abhängig vom Geldfluss aus der viele wollen sich ihrer Pflicht gegenüber
Diaspora. Auch die meisten Eritreer in der dem Heimatstaat nicht entziehen.
Schweiz unterstützen ihre Verwandten in
der Heimat oder anderen Aufenthaltslän- «Die Steuer von 2 % ist obligatorisch.
dern. Viele Eritreer nutzen wie die soma- Wenn Sie die nicht bezahlen, haben Sie
lischen Migranten die Dienstleistung der nicht mehr alle Rechte. Sie können Ihren
Hawala-Banken – wie Dahab Shiil und an- Pass zum Beispiel nicht erneuern, oder Sie
dere – zur Überweisung von Geldbeträgen verlieren das Recht, in Eritrea zu erben, und
an Familienmitglieder, die im Sudan, in Li- vieles mehr. (…). Wir zahlten die Steuer be-
byen oder anderen Ländern leben. Für die reits vor der Unabängigkeit und zahlen sie
Überweisung in die Heimat wird die Bank immer noch.»
namens Himbol gebraucht. Dazu wird der Frau, Doppelbürgerin Eritrea und Schweiz,
gewünschte Geldbetrag auf ein Konto der seit 1988 in der Schweiz
Botschaft in Genf einbezahlt, und Ver-
wandte können das Geld in einer der Him- Bei den Neuankömmlingen (nach 2001
bol-Filialen in Eritrea beziehen. eingewandert) hingegen scheint sich ein
beträchtlicher Teil zu weigern, die Steuer
Neben den Geldüberweisungen an Fami­ zu bezahlen. Dies wird oft damit erklärt,
lien­mitglieder bezahlt ein grosser Teil dass sie nicht bereit seien, die Regierung
der Eritreer in der Schweiz die Einkom- finanziell zu unterstützen, und zudem auf-
menssteuer an die eritreische Regierung. grund ihrer schwierigen ökonomischen
Jeder im Exil lebende Eritreer muss 2 % Situation gar nicht in der Lage seien, die
seines jährlichen Einkommens in Form ei- Steuern zu bezahlen. Wird aber die Zah-
ner Einkommenssteuer an die eritreische lung verweigert, verliert man das Recht, in
Regierung beziehungsweise an die dip- der Heimat Land zu kaufen und ein Haus

148
zu bauen (Conrad 2005). Die Nichtbezah- geführt. Durch die unzähligen Internetsei-
lung hat gemäss den Gesprächspartnern ten und -blogs werden neue Formen der
zudem zur Folge, dass Bewilligungen sowie Gemeinschaft und öffentliche Plattformen
Reisepapiere und Pässe von der Botschaft geschaffen, die dem Austausch dienen und
in Genf nicht erneuert oder nicht ausge- die die kulturelle Identität, die «eritreische
stellt werden und andere konsularische Kultur» und deren Normen und Werte we-
Dienste nicht in Anspruch genommen wer- sentlich beeinflussen. Übers Netz werden
den können. Da aber viele auf die konsula- Demonstrationen und Fussballturniere or-
rischen Dienste, gerade im Hinblick auf die ganisiert, Gelder gesammelt, Informatio-
Zukunft, nicht völlig verzichten wollen, ent- nen ausgetauscht, politische Debatten ge-
richten auch Neuankömmlinge – trotz re- führt, die auch die politische Situation im
gierungskritischer Haltung – die «2 %-Aus- Herkunftsland beeinflussen. Die Internet-
landsteuer». foren und blogs bilden einen einzigartigen
Freiraum, sich politisch – auch kritisch – zu
5.2.3 Diaspora im Internet äussern ohne Angst vor Repression (Ber-
Diasporagruppen sind keine isolierten Ein- nal 2006). Die somalischen Internetseiten
heiten. Wie bereits dargestellt (vgl. Kapitel werden oftmals von politischen Gruppen
5.2: Transnationale Aktivitäten) stehen sie oder Clanführern betrieben. Daneben gibt
über Landesgrenzen hinweg mit Mitglie- es auch unzählige unabhängige Seiten und
dern anderer Diasporagruppen in Ver- Chatrooms, die vor allem von Jugendlichen
bindung. Besonders innerhalb westlicher genutzt werden, um Kontakt zu pflegen.
Länder pflegen viele Somalier und Eritreer Dies nicht selten mit der Absicht, geeignete
über das Internet Kontakte miteinander. Heiratspartner innerhalb der somalischen
Dies zeigt sich an der grossen Vielzahl an Diaspora zu finden (Moret 2006).
somalischen und eritreischen Internetseiten
und -plattformen. In Eritrea – aber auch in
Somalia – wurden in den letzten Jahren in
den grossen Städten wie Asmara und Mo-
gadischu vermehrt Internetcafés eröffnet,
die – zumindest einer kleinen Elite – Zu-
gang zum Internet bieten.

Das Internet spielt eine wichtige Rolle bei


der Vernetzung der weltweiten Diaspora
der Somalier und der Eritreer. Die eritrei-
schen Internetseiten werden einerseits
von der Regierungspartei selbst – oder von
regierungsfreundlichen Gruppen –, aber
auch von politisch unabhängigen, oppositi-
onellen oder regierungskritischen Gruppen

149
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flikt von Religionen im vereinten Europa.
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Responses. Neuchatel: SFM.

Schlee, Günther (2004): Somalia und die


Somali-Diaspora vor und nach dem 11.

150
151
6 Die somalische und eritreische
Diaspora in der Schweiz – eine
Zusammenfassung
Auf der Flucht vor dem langjährigen Bürger­ Eine nicht bestimmbare Anzahl von Eri­
krieg in Somalia haben rund eine Million treern haben bereits in den 1980er- und
Somalier ihr Heimatland verlassen. Seit fast ­Anfang der 1990er-Jahre in der Schweiz
zwanzig Jahren kämpfen verschiedene, ein Asylgesuch gestellt, da sie den Kriegs-
sich rivalisierende Gruppierungen (Clan- wirren des eritreischen Unabhängigkeits-
milizen, Kriegsherren) um Ressourcen und kampfes gegen Äthiopien entgehen woll-
Macht. Anfang der 1990er-Jahre erreichte ten. Die meisten Asylgesuche wurden
eine erste Welle von asylsuchenden Soma- damals aber abgelehnt. Trotzdem sind viele
liern die Schweiz. Mitte der 1990er-Jahre der Eritreer in der Schweiz geblieben und
gingen die Gesuche von Somaliern etwas haben hier Fuss fassen können. Seit 2006
zurück; seit 2006 sind aufgrund eines er- haben die eri­treischen Asylgesuche in der
neuten Aufflammens der Gewalt in Soma- Schweiz stark zugenommen – aufgrund
lia die Asylgesuche von Somaliern in der der zunehmenden Repression in Eritrea
Schweiz wieder stark gestiegen; die soma- wird heute ein grosser Teil der Eritreer in
lische Gemeinschaft ist dadurch stetig ge- der Schweiz als Flüchtlinge anerkannt.
wachsen. Die schweizerischen Asylbehör- Ende 2008 wartete die Mehrheit der schät-
den anerkannten nur einen kleinen Teil der zungsweise 7500 Eritreer in der Schweiz
somalischen Asylsuchenden als Flüchtlinge; auf einen Asyl­entscheid (3684 Personen).
aufgrund der allgemeinen Situation in So- 1827 Eritreer waren im Besitz einer Jahres-
malia wurden aber praktisch alle Soma­lier aufenthaltsbewilligung B und 539 Perso-
vorläufig aufgenommen (Ausweis F). Eine nen hatten eine Niederlassungsbewilligung
beträchtliche Anzahl von Soma­liern haben C. Zwischen 1995 und 2007 wurden 805
die Schweiz – insbesondere nach der ers- Personen aus Eritrea in der Schweiz einge-
ten Immigrationswelle Anfang der 1990er- bürgert. Die Anzahl Männer überwiegt so-
Jahre – bald wieder verlassen und wander- wohl bei der ständigen eritreischen Wohn-
ten in andere Länder Europas oder nach bevölkerung als auch bei den Eritreern im
Nordamerika weiter. Ende 2008 waren in Asylprozess.
der Schweiz 7689 Personen aus Somalia
gemeldet; die Mehrheit unter ihnen war Die Mehrheit der Somalier und Eritreer in
entweder vorläufig aufgenommen (Aus- der Schweiz lebt in grösseren Städten der
weis F, 2819 Somalier) oder wartete auf bevölkerungsreichen Kantone. In Zürich
einen Asylentscheid (Ausweis N, 2166 Per- befinden sich rund 22 % aller Somalier
sonen). Weitere 1230 Personen waren im und 15 % aller Eritreer. Auch in anderen
Besitz einer Aufenthaltsbewilligung B und Deutschschweizer Kantonen wie Bern,
395 Personen hatten eine Niederlassungs- St. Gallen, Aargau und Luzern gibt es grös-
bewilligung C. 1079 Somalier sind bis 2007 sere somalische und eritreische Gemein-
eingebürgert worden. Zahlenmässig ist das schaften. In der Romandie sind es insbe-
Geschlechterverhältnis der Somalier in der sondere Genf und die Waadt, welche einen
Schweiz ziemlich ausgeglichen, der Anteil grossen Teil von Somaliern und Eritreern
der Männer überwiegt leicht. aufgenommen haben.

153
Sozioökonomische Den Muttersprachen – Somali und Tigri-
Integration nya – kommt in der Diaspora eine wichtige
Bedeutung zu. Sie dienen als verbindendes
Bildung und Sprachen Element zwischen den Generationen und
Der Bildungsstand der somalischen und eri- ermöglichen die Kommunikation mit Fa-
treischen Bevölkerung in der Schweiz liegt milienangehörigen, welche nicht selten in
unter dem Schweizer Durchschnitt und einem anderen Land ansässig sind. Trotz
auch unter demjenigen der ausländischen den Bemühungen der Eltern, ihren Kindern
Gesamtbevölkerung. Die Bildungssituation Somali und Tigrinya zu vermitteln, haben
in den Herkunftsländern verbunden mit in der Schweiz lebende Kinder oft nur
Sprachproblemen und / oder der Nicht­ begrenzte Kenntnisse der Muttersprache
anerkennung von Diplomen machen es für und unterhalten sich gegenseitig in einer
viele Somalier und Eritreer schwierig, in der schweizerischen Landessprache. Obwohl
Schweiz höhere Ausbildungstitel zu erlan- Sprachkenntnisse der Kinder in Somali
gen. Eine gute Ausbildung ist jedoch bei- oder Tigrinya von grosser Wichtigkeit sind,
den Gruppen ein zentrales Anliegen; geför- legen die Eltern auch grossen Wert darauf,
dert werden vor allem die Kinder, Mädchen dass ihre Kinder eine schweizerische Lan-
und Jungen in der Regel gleichermassen. dessprache beherrschen. Im Allgemeinen
Es kann davon ausgegangen werden, dass messen sowohl Somalier als auch Eritreer
soma­lische und eritreische Jugendliche, der Sprache im Integrationsprozess eine
die in der Schweiz aufgewachsen sind, auf sehr wichtige Bedeutung zu. Fehlende
eine solide schulische Ausbildung zurück- Kenntnisse einer schweizerischen Landes-
greifen können. Bei den erst seit kurzer sprache wurden wiederholt als Grund für
Zeit in der Schweiz lebenden Jugendlichen soziale Isolation und Schwierigkeit für den
gestaltet sich die schulische Eingliederung Zugang zum Arbeitsmarkt erwähnt.
schwieriger. Viele von ihnen sind durch
die Situation im Herkunftsland bildungs- Berufliche Integration
fern aufgewachsen; eine Integration in die Bei der wirtschaftlichen Integration von
schweizerischen Schulstrukturen verläuft Soma­liern und Eritreern muss zwischen
vielerorts nur langsam und erfordert ent- drei Gruppen unterschieden werden:
sprechende Unterstützung von Fachper- erstens die seit mehreren Jahren in der
sonen. Auch ältere Personen aus Somalia, Schweiz lebenden Personen (welche in den
insbesondere Frauen, aber auch jüngere 1980er- und 1990er-Jahren in die Schweiz
asylsuchende Männer, haben wenig bis gelangten), zweitens deren Kinder, die
keine Lese- und Schreibkenntnisse. Viele zweite Generation, und drittens die in
asylsuchende Eritreer hingegen haben in jüngster Zeit in die Schweiz gekommenen
Eritrea die Grundschule besucht und ver- Somalier und Eritreer. Aufgrund der un-
fügen teilweise auch über Englischkennt- terschiedlichen Aufenthaltsbewilligungen,
nisse. Sprachkenntnisse und Bildungsabschlüsse
bieten sich für die drei Gruppen unter-

154
schiedliche Perspektiven und Möglichkei- den Somaliern grösser ist als bei den Eri­
ten auf dem Arbeitsmarkt. Die bereits seit treern. Somalische (und in einem gewissen
mehreren Jahren in der Schweiz lebenden Masse auch eritreische) Frauen sind auf-
Somalier und Eritreer sind grundsätzlich grund verschiedener Faktoren (traditionelle
besser in den Arbeitsmarkt integriert als Rollenverteilung innerhalb der Familie,
die „Neuankömmlinge“, welche aufgrund mangelnde Sprachkenntnisse, kulturelle
geringer Sprachkenntnisse und fehlender Hindernisse zur Ausübung einer spezifi-
sozialer Netzwerke oft Mühe haben, eine schen Tätigkeit wie beispielsweise Service-
Arbeitsstelle zu finden. Jugendliche und angestellte) schlechter in den Arbeitsmarkt
junge Erwachsene aus der zweiten Gene- integriert und öfter von Erwerbslosigkeit
ration können in der Regel auf eine gute betroffen als die Männer. Durch die oft
Schulbildung und fundierte Sprachkennt- schwierigen sozioökonomischen Bedin-
nisse zurückgreifen und bringen daher gungen, unter denen Somalier und Eritreer
grundsätzlich gute Voraussetzungen für in der Schweiz leben, sind insbesondere
eine berufliche Integration mit. Trotzdem Familien mit mehreren Kindern aber auch
ist es für somalische und eritreische Ju- Einzelpersonen gezwungen, Sozialhilfe in
gendliche oft schwierig, eine Lehrstelle Anspruch zu nehmen.
zu finden oder eine weiterführende Aus-
bildung zu machen, da Jugendliche mit Gesundheit
Migrations­hintergrund trotz vergleichbarer Die spezifischen Umstände von Menschen
Leistungen, wie sie Schweizer erbringen, mit Migrationshintergrund (unsicherer
mehr Mühe haben, eine entsprechende Aufenthaltsstatus, traumatische Erfahrun-
Lehrstelle zu finden. gen durch Krieg und Flucht, schwierige
sozioökonomische Bedingungen in der
Die Mehrheit der arbeitstätigen Somalier Schweiz) können eine Auswirkung auf ih-
und Eritreer sind als ungelernte Arbeiter im ren Gesundheitszustand haben. Der Verlust
Niedriglohnbereich tätig. Das Gastgewerbe der sozialen Netzwerke oder der traditio-
– die Branche mit dem höchsten Anteil an nellen Rollen (Statusverlust des Eheman-
ausländischen Arbeitskräften – beschäftigt nes) führen nicht selten zu Einsamkeit und
den grössten Teil der Somalier und Eritreer. depressiven Verstimmungen, welche mit
Auch in der Reinigungsbranche sind viele psychosomatischen Schmerzen einher­
Somalier und Eritreer beschäftigt, wobei gehen. Fehlende Sprachkenntnisse, kultu-
es sich dabei insbesondere um Frauen relle Tabus und mangelnde Informationen
handelt. Als dritter wichtiger Beschäfti- zum Gesundheitssystem erschweren den
gungsbereich kann der Pflegebereich (Spi- Zugang zu entsprechenden Behandlungs-
täler, Altersheime) genannt werden. Die und Therapiemöglichkeiten.
Erwerbsquote ist sowohl bei den Somaliern
als auch bei den Eritreern zwischen Män- In Somalia werden schätzungsweise 98 %
nern und Frauen unterschiedlich, wobei und in Eritrea 89 % der Frauen beschnitten,
die geschlechtsspezifische Differenz bei das heisst, die äusseren weiblichen Geni-

155
talien werden partiell oder ganz entfernt Bedeutung. Jeder Somalier gehört über
oder verletzt. Diese Tradition, welche gra- seine väterliche Seite einem Clan an. Die
vierende Auswirkungen auf das physische Clanzugehörigkeiten spielen auch in der
und psychische Wohlbefinden der Frauen Schweiz – besonders für die ältere Gene­
haben kann, stellt das medizinische Fach- ration – eine wichtige Rolle und beeinflus-
personal in der Schweiz vor grosse Heraus- sen das Handeln und Denken der betref-
forderungen, da die Beschneidung von der fenden Personen. Innerhalb der zweiten
Mehrheit der betroffenen Frauen tabuisiert Generation verliert das Clandenken jedoch
wird und eine entsprechende psychische zunehmend an Bedeutung. Beinahe alle
Unterstützung in Form von präventiven, in der Schweiz lebenden Somalier sind
aufklärenden und unterstützenden Ge- Muslime vorwiegend sunnitischer Ausprä-
sprächen vielerorts fehlt. Entsprechende gung. Die gemeinsame Religion bildet das
Empfehlungen und Informationsmaterial stärkste identitätsstiftende Merkmal.
von Fachstellen sollen das gesundheitliche
Fachpersonal aber für den Umgang und Die Bevölkerung in Eritrea setzt sich aus
die Behandlung von beschnittenen Frauen neun ethnischen Gruppen zusammen.
sensibilisieren. Auch in der Diaspora haben Trotz der ethnischen Vielfalt der Eritreer
sich sowohl somalische als auch eritrei- wird die gemeinsame nationale Identität
sche Frauenvereine und Gruppen gebildet, stärker gewichtet als die ethnische Zuge-
welche die Beschneidung thematisieren. hörigkeit. Die Mehrheit der in der Schweiz
Während in Somalia und Eritrea der Ehe- lebenden Eritreer gehört zur ethnischen
mann nur eine sekundäre Rolle bei der Gruppe der Tigrinnier. Im Gegensatz zu
perina­talen Versorgung von Mutter und den Somaliern sind die meisten Eritreer
Kind spielt, trägt der Mann in der Schweiz in der Schweiz Christen und gehören der
die Mitverantwortung in der Versorgung eritreisch-orthodoxen Kirche (Eritrean Or-
der Kinder und fungiert als Ratgeber und thodox Tewahdo Church of Eritrea) an. Da-
Stütze. neben gibt es Katholiken und Protestanten
sowie Anhänger von Pfingstgemeinden.
Kultur und Religion Rund zehn Prozent der in der Schweiz
Sowohl die somalische als auch die eritrei- wohnhaften Eritreer sind Muslime.
sche Gesellschaft sind traditionell segmen-
täre Gesellschaften. Während Eritrea eine Für die somalischen und eritreischen Mi-
durch ethnische, sprachliche, kulturelle granten bieten die Moscheen- und Kir-
und religiöse Vielfalt geprägte Gesellschaft chenbesuche psychologisch-emotionale
darstellt, weist die somalische Gesellschaft Unterstützung und vermitteln ein Gefühl
im Vergleich eine ethnisch und religiös von Vertrautheit. Hier werden die gleichen
„homogenere“ Sozialstruktur auf. Somalia rituellen Handlungen wie im Heimatland
ist eine auf Abstammung basierende Ge- durchgeführt, die eigene Sprache ge-
sellschaft. Das traditionelle Clansystem ist sprochen und Personen gleicher kulturell-­
für die Gesellschaft und Politik von grosser nationaler Herkunft getroffen. Kirchen

156
und Moscheen sind nicht nur religiöse An- zu Konflikten innerhalb der Familien und
dachtsstätten, in denen ein Stück Heimat in zwischen den Generationen.
der Fremde konstruiert wird, sondern auch
soziale Treffpunkte, wo Informationen aus- Familie, Ehe und Geschlechter­
getauscht und Kontakte geknüpft werden. rollen in der Diaspora
Für den grössten Teil der älteren Generation In Somalia und Eritrea sind die Geschlechter­
beider Gruppen spielt der religiöse Glaube rollen mehrheitlich von einer traditionellen
eine zentrale Rolle im täglichen Leben. Bei und patriarchalischen Gesellschaftsstruk-
Mitgliedern der zweiten Generation ist tur geprägt. Die Aufgabenbereiche von
das Interesse an religiösen Glaubensvor­ Mann und Frau sind klar definiert. In der
stellungen wesentlich geringer. Diaspora verändert sich diese Rollenver-
teilung zum Teil stark. Dieser Wandel wird
Beide Gruppen legen grossen Wert da- hervorgerufen durch die schwierigen so-
rauf, bestimmte Wertvorstellungen und zioökonomischen Bedingungen, in denen
Gewohnheiten ihrer Ursprungskultur in somalische und eritreische Familien leben.
der Fremde beizubehalten und ihre kul- Während die Männer durch Arbeitslosig-
turelle, religiöse oder nationale Identi- keit oder schlecht bezahlte Arbeit ihren
tät zu bewahren. In der Schweiz existiert Status als Fami­lienoberhaupt verlieren,
eine Vielzahl somalischer und eritreischer dringen Frauen vermehrt in traditionell den
Kulturvereine, welche unter anderem das Männern vorbehaltene Bereiche vor, indem
Ziel verfolgen, die heimatliche Kultur und sie zur finanziellen Unterstützung der Fa-
Sprache zu pflegen und sie der nachfol- milie einer Erwerbstätigkeit nachgehen.
genden Generation weiterzugeben. Die Trotz dieser Rollenverschiebung gelten die
Vereine organisieren zahlreiche Aktivitäten: Frauen auch in der Diaspora als Hüterin-
Informationsveranstaltungen (zu Themen nen der Tradition und Vermittlerinnen der
wie Gesundheit oder Schule usw.), Thea- kulturellen Werte. Das Konzept der Familie
teraufführungen und Konzerte, religiöse ist sowohl für Somalier als auch für Eritreer
Feste und Feiertage, Sportveranstaltungen äusserst wichtig und stellt die bevorzugte
(z.B. Fussballturniere), Freizeitangebote für Lebensform dar. So leben erheblich mehr
Frauen, Kurse für Kinder (in heimatlicher Somalier und Eritreer in einem traditio-
Sprache, Kultur und Religion) usw. Wäh- nellen Haushalt (Ehepaar mit Kindern) als
rend die ältere Generation sich stärker an Schweizer. Somalier und Eritreer heiraten
der Herkunftskultur orientiert, scheint bei fast ausschliesslich endogam, das heisst
den somalischen und auch den eritreischen innerhalb der gleichen ethnischen Gruppe.
Jugendlichen der zweiten Generation Binationale Eheschliessungen sind nach
grösstenteils wenig Interesse an der Her- wie vor selten. Heiratsfeste sind in der so-
kunftskultur der Eltern vorhanden zu sein. malischen und eritreischen Gesellschaft
Sie messen bestimmten Werten und Ge- wichtige identitätsstiftende Rituale und
wohnheiten allgemein weniger Bedeutung dienen unter anderem auch dazu, Kon-
zu als ihre Eltern. Dies führt teilweise takte zwischen jungen Erwachsenen mit

157
der Aussicht auf eine spätere Heirat zu Ausgeprägte transnationale
fördern. Obwohl die Familie in der somali- Familiennetzwerke
schen und eritreischen Diaspora eine zent- Somalische und eritreische Familien leben
rale Rolle einnimmt, leben im Vergleich zu zerstreut in der ganzen Welt. Auch nach
anderen Ausländern und zu Schweizern mehreren Jahren im Exil werden Kontakte
relativ viele Somalier und Eritreer in einem über die Landesgrenzen hinweg aufrecht-
Haushalt mit nur einem Elternteil. Dies ist erhalten. Regelmässig besuchen soma­
unter anderem auf die Verschiebung der lische und eritreische Familien ihre Fami-
Geschlechter­rollen zurückzuführen, wel- lienmitglieder in anderen Kantonen der
che insbesondere bei somalischen Familien Schweiz sowie ausserhalb der Schweiz,
im Exil vermehrt zu Ehescheidungen führen wenn die finanziellen Möglichkeiten und
kann. der Aufenthaltsstatus es erlauben. Beide
Gruppen pflegen enge Beziehungen zu
Zweite Generation Familienmitgliedern in der Heimat und
Die älteren Generationen von Somali- anderen Ländern, und es gibt eine grosse
ern und Eritreern haben in der Regel ein Vielzahl von transnationalen Aktivitäten
engeres und intensiveres Verhältnis zum im sozialen wie auch im politischen und
­Heimatland als ihre Kinder, auch wenn wirtschaftlichen Bereich. Die Familiennetz-
diese nur einen Teil ihrer Kindheit in der werke sind jedoch die bedeutendste Form
Schweiz verbracht haben. Den Eltern ist es von transnationalen Beziehungen. Viele
ein grosses Anliegen, der jüngeren Gene- Somalier und Eritreer unterstützen Famili-
ration die Werte, Normen und die Sprache enmitglieder und Verwandte in der Heimat
des Heimatlandes zu vermitteln. In vielen oder anderen Ländern finanziell. Das tradi-
Kantonen werden zu diesem Zweck so tionelle System gegenseitiger Verpflichtung
genannte heimatsprachliche Kulturunter- und Unterstützung von Verwandten ist bei
richtskurse angeboten, welche den Kin- beiden Migrantengruppen auch über Gren-
dern auf Somali oder Tigrinya Hintergrund- zen hinweg aktiv. Die transferierten Gelder
wissen über Somalia und Eritrea vermitteln. werden mehrheitlich für den täglichen Be-
Die somalischen Jugendlichen, welche in darf von Konsumgütern benutzt und stel-
der Schweiz aufgewachsen sind, orientie- len oftmals die einzige Einnahmequelle für
ren sich trotz der Bemühungen der Eltern, die Familien in den betreffenden Ländern
ihnen die Regeln und Wertvorstellungen dar. Zudem werden die Gelder oftmals
des Heimatlandes zu vermitteln, stark an auch für die Flucht oder Weiterwanderung
den gesellschaftlichen Regeln und Normen von Verwandten (Ausgaben für Schlepper),
der Schweiz. Dieses Spannungsfeld führt in den Nachzug von Familienmitgliedern oder
manchen somalischen und eritreischen Fa- Eheschliessungen (Brautpreis) benutzt.
milien zu Konflikten.
Der Transfer von finanziellen Mitteln nach
Somalia erfolgt über Geldtransferunterneh-
men und nicht über das formelle Banken-

158
system, da aufgrund des Bürgerkrieges in
Somalia kein reguläres Bankenwesen exis-
tiert. Weite Teile der Bevölkerung Soma­lias
sind abhängig von den Remisen aus der
weltweiten Diaspora. Auch in Eritrea sind
grosse Teile der Bevölkerung abhängig vom
Geldfluss aus der Diaspora. Viele Eritreer in
der Schweiz unterstützen ihre Verwandten
in der Heimat oder anderen Aufenthaltslän-
dern. So nutzen auch sie – wie somalische
und andere Migranten – die Dienstleistung
der alternativen Geldtransfer-Banken zur
Überweisung von Geldbeträgen an Fami-
lienmitglieder, die im Sudan, Libyen oder
anderen Ländern leben. Zudem ist jeder
im Exil lebende Eritreer verpflichtet, eine
Einkommenssteuer an die eritreische Re-
gierung zu bezahlen. Die Botschaft in Genf
ist zuständig für die Einnahme der Steuer.
Bezahlt jemand die Steuer nicht, können
ihm gewisse konsularische Dienste von der
Botschaft verweigert werden.

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167
Zeitungsartikel und Zeitschriften Tages-Anzeiger, 3. August 2002: «Wir
Somalier haben alle Hoffnung verloren».
Der Bund, 14. Februar 2009: Tiefe Trauer
über ihren Verlust. Seit ihrem Aufenthalt Tages-Anzeiger, 25. Juni 2001: «Wir alle
im Sudan engagiert sich die Gynäkologin leben hier in einer Sackgasse».
Annette Kuhn gegen weibliche Beschnei-
dung. Terra Cognita (2007): Sprachen. Schwei-
zerische Zeitschrift zu Integration und Mi-
Die Zeit, 19. März 2009: Das Gesetz des gration, Nr. 10; Eidgenössische Ausländer-
Schweigens. kommission (EKA): Bern Wabern.

Frankfurter Allgemeine (FAZ), 26. Sep-


tember 2008: Somalier in Deutschland.
Clan im Gepäck.

Le Monde Diplomatique, 17. Januar


2003: Vor Allah sind alle Somali gleich.

Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 11. April


2009: Religiöse Heimat in der Fremde. Kir-
chen als Zentren der Ordnung für eritrei-
sche Flüchtlinge in der Schweiz.

Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 4. Novem-


ber 2007: Nichts wie raus aus Eritrea.

Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 24 / 25. Ap-


ril 1999: Leben im Dauerprovisorium, So-
malische Flüchtlinge in der Schweiz.

Reporters Sans Frontières, 22 octobre


2008: Dans le monde de l'après-11 sep-
tembre, seule la paix protège les libertés.
www.rsf.org

Sudan Tribune, Saturday 7 April 2007: M.


Tekeste, ERITREA: Might is right, govt bans
female circumcision.
www.sudantribune.com

168
Anhang II: Kontaktadressen

Somalia
Kulturvereine
Schweiz
RAJO (auf Somali „Hoffnung“) Abukar Mudey Abdi (Präsident von RAJO,
Non-Profit, nicht-staatliche Organisation, somalische Gemeinde Schweiz)
die sich für Frieden und Entwicklung in Ringstrasse 3
Somalia einsetzt. 3052 Zollikofen
078 784 48 82
deutsch@rajo.ch
www.rajo.ch
Bern
Somalische Gemeinde Bern Aden Ibrahim (Präsident)
Werkgasse 53
3018 Bern
031 992 57 35
Somalische Gruppe Im Multimondo
Dieser Verein wurde 2007 gegründet, es Oberer Quai 12
besteht eine enge Zusammenarbeit mit der 2503 Biel
Somalischen Gemeinde Bern. Am Samstag Pfarrerin Johanna Winzeler
werden ca. 20 Kinder von zwei Lehrern in 032 389 21 50
Kultur und Sprache unterrichtet. Zusätzlich
werden kulturelle Feste gefeiert und regel-
mässige Frauentreffen durchgeführt.
Zürich
Somalischer Kulturverein Gobdon Pashir (Vorstand)
Postfach 6606
8050 Zürich
079 798 38 05
gobdon@bluewin.ch
Somalischer Verein im Kanton Zürich Dr. Abdulahi
Der Verein wurde im Februar 2008 gegrün- Postfach 1201
det und zählt 7 Vorstandsmitglieder (eine 8040 Zürich
Frau). Der Verein sieht sich als Dachverband 044 364 38 75
des Kantons Zürich. 076 475 63 10

169
Förderverein Neue Wege Somalia Jenny Heeb
Das soziale Werk mit 93 somalischen Ange- Präsidentin Förderverein
stellten in Merka umfasst: Greifenseestrasse 30
1. Ein Ambulatorium mit Labor, Arzt- 8050 Zürich
Praxis, Behandlungs- und Aufenthalts 044 312 12 67
räumen. merk02@bluewin.ch
2. Eine Primar- und Sekundarschule mit johannahooijsma@freesurf.ch
ca. 700 Schülerinnen und Schülern.
United Somali Youth Postfach 1319
8021 Zürich
www.usy.ch
Basel
Vereinigte somalische Gemeinde des Ismail Hassa (Präsident)
Kantons Baselstadt 078 905 05 51
Somalischer Verein von Somaliern für sonofaligut@hotmail.com
Soma­lier, Integrations- und Erziehungsbe-
ratung mit folgenden Themenschwerpunk-
ten: Sprachförderung, Abfallentsorgung,
Gesundheitssystem, Einbürgerungsverfah-
ren, Schulsystem. Weiter werden Sportver-
anstaltungen für Jugendliche durchgeführt.
Die Treffen finden jeweils am letzten
Samstag des Monats statt. Der Verein hat
40 aktive Mitglieder.
Ostschweiz
Somalischer Integrationsverein Ost- Leyla Kanyare (Präsidentin)
schweiz / SIVO 078 755 75 28
Der Verein hat vom Bund bereits mehrfach leyla_kanyare@yahoo.de
Unterstützung erhalten für Projekte, die
vom Bund gut geheissen wurden. Zudem
ist der somalische Integrationsverein ein
aktives Mitglied des DIGO (Dachverband
Islamischer Gemeinden der Ostschweiz und
FL).

170
Somalische Gruppe Ostschweiz Frau Hawa Duale (Präsidentin)
Eine Frauengruppe, die sich wöchentlich 078 895 53 45
trifft, um gemeinsam verschiedene Thema-
tiken zu besprechen. Die Gruppe umfasst
auch Migrantinnen aus anderen ostafri-
kanischen Ländern. Es werden vor allem
gesundheitliche Themen behandelt.
Innerschweiz
Somalische Gesellschaft in der Inner- Herr Abdi Jamo Abdullahi
schweiz Dorfstrasse 16
6275 Ballwil (Luzern)
041 448 20 47
076 298 20 47
abdullahi85@msn.com
Westschweiz
Association des Somaliens du Canton M. Hassan Kader
du Vaud Case postale 95
1001 Lausanne
079 713 66 42
Association Somalie Ogaden Juba Land M. Mohammed Ali Dubad
1001 Lausanne
076 410 41 13
Organisation Somalienne des Droits de M. Mohamed Moallim
l‘Homme Case postale 1148
1001 Lausanne
078 761 48 58
humanrights@ninile.org
SOS Somalie M. M. Hared
Rue de la Borde 30
1018 Lausanne
021 646 86 20
Genf
IFTIN - Association des Somaliens de 022 791 29 95
Genève cartonchibeth@yahoo.com

171
Religion
Bern
Islamisches Zentrum Bern Imam Ahmad Omar
Imam aus Somalia (seit 1991 in der 031 302 62 91
Schweiz und seit 1993 Imam) 031 301 86 06 (neu)
www.izb.ch
Somalian Muslims Association Bern Imam Ahmed Omar
Verbunden mit dem Somalischen Kultur- Werkgasse 53
verein Bern 3018 Bern
031 992 57 35
Westschweiz
Fondation Culturelle Islamique Chemin de Colladon 34
(eine «somalische» Moschee gibt es nicht, Case postale 437
die Somalier gehen zum grössten Teil in 1211 Genf 19
die Moschee der Fondation Culturelle 022 798 37 11
Islamique zum Gebet) 022 798 74 17
info@mosque.ch

Frauenvereine
Schweiz
ACFMS - Association Culturelle des Nadia Karmous Mobile
Femmes Musulmanes de Suisse Avenue Léopold Robert 109
2300 La Chaux-de-Fonds
+41 (0)79 206 40 93
032 910 52 32
032 910 52 33
www.femme-musulmane.ch
Bern
Somalische Frauen Region Bern Aicha Ali
Der somalische Frauenverein zählt 28 Im Bödeli
Mitglieder und wird vor allem konzep­ Lyss
tuell von der Caritas begleitet. Es werden 078 901 50 92
jeweils einmal im Monat folgende Veran-
staltungen angeboten:
Kinderprogramme, Kultur- und Sprach­
unterricht, Gesprächsgruppen zum Thema
Integration und Mädchenbeschneidung.
Die Vereinsmitglieder feiern auch viele
kulturelle Feste zusammen.

172
Somalischer Frauenverein Deqa Samatar
Der Verein hat 50 Mitglieder und wird c/o ref. Kirchgemeindehaus Betlehem
durch die Stiftung „fonida“ des Schwei- Eymattstrasse 2b
zerischen Evangelischen Kirchenbundes 3027 Bern
unterstützt. Es finden Alphabetisierungs- 031 932 22 13
kurse für Frauen und Sozialberatungen für sat1@bluewin.ch
Familien statt. Der Verein trifft sich auch www.miau-q.ch
regelmässig für gemeinsame Freizeitak­
tivitäten.
Dar An-Nur („Palast des Lichts“) Sulgenrain 27
Islamisches Frauenzentrum (1996) 3007 Bern
Gegründet von Schweizer Konvertitinnen. 031 371 10 02
Der Verein ist für alle Menschen, die sich www.dar-an-nur.ch
für den Islam interessieren. Insbesondere
werden jeden letzten Sonntag im Monat
Frauentreffen organisiert, jeden zweiten
Samstag findet ein Essen statt und weiter
gibt es Treffen für Mütter und ihre Kinder
und Islamunterricht. Dieser Verein wird
seit mehreren Jahren von vielen somali-
schen Frauen besucht.
Zürich
Resource Centre for Black Women Treffpunkt für afrikanische Frauen
Manessestrasse 73
8003 Zürich
044 451 60 94
Union ostafrikanische Frauen in der Anisa Sherif
Diaspora Zürich
Diese Gruppe wurde ursprünglich von 078 805 65 22
drei Afrikanerinnen gegründet. Zurzeit
finden je nach Bedarf verschiedene Infor-
mationsveranstaltungen statt. Folgende
Themen wurden immer wieder behandelt:
Prävention und Bewusstseinsbildung von
Gesundheit und FGM.

173
Somalischer Frauenverein Kanton Nuur Hawa
Zürich 078 864 23 07
Der Verein wurde 2008 gegründet und nurhawa-40@hotmail.com
bietet unabhängige Deutschkurse für
somalische Frauen an. Jeden Dienstag
wird Deutsch von einer Schweizer Lehrerin
unterrichtet (im Kulturzentrum Bolligen-
str. 9). Es nehmen zwischen 8-12 Frauen
regelmässig teil.
Wallis
Association KALKAL Maryan Muhamed
Ruqya Mohamed
Sion
079 613 93 47,
contact@kalkal.ch

Eritrea
Kulturvereine
Bern
Eritreischer Kulturverein Eritreischer Kulturverein des Kantons Bern
Postfach 6008
3001 Bern
Eritreische Warsay Johannes Berhane
Heimatliche Sprache und Kulturunterricht Flurstrasse 17
(HSK) in Tigrinya 3014 Bern
Eritreisches Fussballteam SELAM Bern 079 617 13 19
Interkulturelle Übersetzungen fürs Schwei- abkulu@yahoo.com
zerische Rote Kreuz und Comprendi
Mitglied der Fachkommission für Migra-
tion und Integration der Stadt Bern
Genf
Eritrean Young Association Herr Awet
Kurse in Tigrinya 078 899 33 87
Sportveranstaltungen
AJES – Association des Jeunes Eryth- c/o Maison des Associations
réens Rue des Savoises 15
Nachhilfeunterricht, Sprachkurse 1205 Genf
info@eritrea-swiss.com
www.eritrea-swiss.com

174
National Union of Eritrean workers in M. Domenico Ghiorghis
Switzerland 7, Boulevard Carl Vogt
Union Nationale des Travailleurs 1205 Genf
Erythréens en Suisse / UNTES 022 320 49 13
022 320 45 67
Eritreans for Peace and Democracy in Case postale 401
Switzerland 1214 Venier, Genf
eritreans_ch@yahoo.com
Communauté Erythréenne Plainpalais
Jeden Sonntag Kurse in der Muttersprache 12, rue de Savoie
Genf
Waadt
Cercle Erythréen Ch. de Chandieu 30
1006 Lausanne
Amanuel MISGHINA
021 616 29 35
Club Erythréen Amanuel MISGHINA
Ch. de Chandieu 30
1006 Lausanne
021 616 29 35
Neuchâtel
Communauté Erythréenne du Canton Monsieur Sebahatu Luul
de Neuchâtel Madame Marianne Bühler
Anwälte mit vielen Mandanten aus Eritrea. Petit-Catéchisme 5
Kontakt mit der eritreischen Diaspora in 2000 Neuenburg
Neuenburg.

Zürich
Eritrea-Bulletin Vereinigung Schweiz-Eritrea
Deutschsprachige Zeitschrift c/o E. Aeberli
Untere Zäune 21
8001 Zürich
Ostschweiz
HSK-Unterricht Tirag Fisehaye
Heimatliche Sprache und Kulturunterricht Fürstenlandstrasse 111
für Kinder und Jugendliche 9014 St. Gallen
076 424 39 82

175
Aargau
SUKE – Schweizerisches Unterstüt- Toni Locher
zungskomitee für Eritrea Schwyzerstrasse 12
Zeitschrift Eritrea-Info 5430 Wettingen
056 427 20 40

Frauen
International
National Union of Eritrean Women www.nuew.org
Bern
Eritreischer Frauenverein Freweini Tesfay
Zentrum 5
Flurstrasse 26b
3014 Bern
031 305 78 51

Religion
Bern
Koptisch-orthodoxe Kirche Eritrea Isaak Jrgalem
Jeden Samstag und Sonntag gibt es Got- Tannerain 1
tesdienste im Zentrum 5. Mit Trommel­ 3052 Zollikofen
musik, langen Gesängen und anschlies- 031 911 45 39
sendem gemeinsamen Essen
Äthiopisch-eritreische Kirche (evange­ Berhanu Chernet (äthiopischer Pfarrer)
lische Ausprägung) Thunstrasse 60
Zum Gottesdienst jeden Sonntag treffen 3700 Spiez
sich Äthiopier und Eritreer gemeinsam in 033 654 09 71
der Spiegelkirchgemeinde. berhanuc@yahoo.com
Islamisches Zentrum Bern 031 301 86 06
031 302 62 91
www.izb.ch
Zürich
Eritreisch-orthodoxe Kirche Zürich Kahsay Taddesse,
Badenerstrasse 865
8048 Zürich
043 339 99 71
078 912 55 63
ktadese@yahoo.com

176
Politische Organisation
EDP– Eritrean Democratic Party www.selfi-democracy.com
europe@selfi-democracy.com
EPP – Eritrean People’s Party www.nharnet.com
ELF - RC Office (Central Office Europe) Neue Mainzerstr. 24
60311 Frankfurt am Main
Deutschland
Tel: (+49) 69 - 24 24 85 83
Fax: (+49) 69 - 24 24 86 37
PFDJ – People’s Front for Democracy www.youngpfdj.com
and Justice www.shaebia.org

177
Anhang III: Abkürzungsverzeichnis
AUPER Automatisiertes Personenregistratursystem
AMISOM African Union Mission in Somalia
ARK Schweizerische Asylrekurskommission
ARS Alliance for the Re-Liberation of Somalia
BAG Bundesamt für Gesundheit
BFF Bundesamt für Flüchtlinge
BFM Bundesamt für Migration
BNE Bruttonationaleinkommen
BVGer Bundesverwaltungsgericht
ELF Eritrean Liberation Front
EMARK Entscheidungen und Mitteilungen der Schweizerischen Asylrekurs­
kommission (ARK)
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
EPLF Eritrean People Liberation Front
FGM Female genital mutilation
HDI Human Development Index
HSK Kurse in heimatlicher Sprache und Kultur
IFAD International Fund for Agricultural Development
PFDJ People‘s Front for Democracy and Justice
TBC Tuberkulose
TFG Transnational Federal Government
UIC Union of Islamic Courts
UN United Nations
UNDP United Nations Development Programme
UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization
UNFPA United Nations Population Fund
UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees
UNICEF United Nations International Children’s Emergency Fund
UNMEE United Nation Mission in Ethiopia and Eritrea
UNOSOM United Nation Operation in Somalia
WHO World Health Organization
YPFDJ Young People’s Front for Democracy and Justice
ZAR Zentrales Ausländerregister
ZEMIS Zentrales Migrationsinformationssystem

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