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Besser lernen
Mehr als 100 Jahre Lernforschung, tausende
von Experimenten, eine Fülle von Modellen
und Methoden – und was hat es gebracht? Wir
lernen heute zwar nicht unbedingt besser
als früher, allerdings müssen wir viel mehr und
ständig neues Wissen bewältigen. Eine Reihe
nützlicher Faustregeln hilft dabei.
Entdecke die
Möglichkeiten!
Es gibt so viele verschie-
dene Lernformen wie
mögliches Wissen und
Können. Auf welchem
Weg man sie jeweils am
besten erwirbt, erforschen
Gedächtnispsychologen.
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tite lth e ma G e däc htn i s
»M
Au f ei n en B lic k erhaba, Steve bey. Was meine Fortschritte im Türkischen be-
Gut gemerkt Nasılsiniz?« Äh, Mo- trifft, so kann ich das verschmerzen, denn ich
ist halb ment – gleich hab lerne die Sprache nur zum Zeitvertreib. Doch in
ich’s. »Merhaba! Çok meinem wie sicher auch in Ihrem Alltag gibt es
gewonnen
iyiyim. Te ... tes‚e ... noch weit mehr Gelegenheit, neue Fakten und
1 Am Lernen sind je
nach Gegenstand
und Situation verschie
tes‚eküler!«* Die Lehrerin strahlt, als hätte ich
eines der großen Welträtsel gelöst. »Çok iyi!« –
Fertigkeiten zu erwerben. Gelegenheit? Ach was:
Notwendigkeit!
dene Gedächtnissys »Sehr gut«, lobt sie. Dabei mache ich nur meine In der modernen Wissensgesellschaft pras-
teme beteiligt, die sich ersten, holperigen Gehversuche im Türkischen. seln laufend Informationen auf uns ein; wir
grob in bewusste und
unbewusste unterteilen Okay, jeder hat klein angefangen. Aber ich müssen uns dem technischen Fortschritt, verän-
lassen. werde das Gefühl nicht los, dass mir das Fremd- derten Arbeitsabläufen und Kommunikations-
2 Selbsttests, portions-
weises Lernen
und erklärende Warum-
sprachenlernen einmal leichter fiel. Damals, als
ich noch jünger war und wendiger im Kopf. Oder
formen anpassen, uns fortbilden und Kompe-
tenzen schulen, um auf dem aktuellen Stand zu
bilde ich mir das nur ein, weil ich ja weiß, dass ich bleiben. Kam einst nach Ende der Schul- und
Fragen zählen laut
Forschern zu den effek keine 20 mehr bin, und das alternde Gehirn be- Ausbildungszeit kaum grundlegend Neues hin-
tivsten Lerntechniken. kanntlich an Flexibilität einbüßt? zu, so macht heute das Schlagwort vom lebens-
Als weniger hilfreich Solche Überzeugungen hinsichtlich der eige- langen Lernen die Runde. Und anders als frühere
erwiesen sich das Mar-
nen mentalen Ausstattung – Metakognitionen Pennäler, die nach festen Vorgaben büffelten,
kieren von Informa
tionen und wiederholtes genannt (von griechisch: »meta« = über, latei- bleibt es heute vielfach uns selbst überlassen,
Lesen –zwei besonders nisch: »cogitare« = denken) – prägen nicht nur, wie wir all die Anforderungen meistern.
verbreitete Methoden. wie wir uns selbst einschätzen und unsere Leis-
Auch Lernen will gelernt sein
3 Wird der Wissenser
werb von positiven
Gefühlen begleitet und
tungen bewerten. Sie können auf subtile Weise
auch den tatsächlichen Lernerfolg schmälern. Wir müssen das Lernen mehr denn je aktiv ge-
übt man den Abruf Das zeigten etwa Untersuchungen des Psy- stalten, und dabei sind metakognitive Fähigkei-
in verschiedenen Situa chologen Thomas Hess von der University of ten gefragt. Richtig lernen will gelernt sein!
tionen, so steigt die
North Carolina in Raleigh (USA). Präsentiert man Vielleicht denken Sie jetzt: Was denn noch al-
Chance weiter, dass viel
hängen bleibt. älteren Menschen eine Reihe von negativen, auf les? Genügt es nicht, dass man sich mit andau-
das Alter bezogenen Wörter wie »senil«, schnei- ernden Software-Updates und den neuesten
den sie im anschließenden Gedächtnistest Finessen des Steuerrechts herumschlägt – muss
schlechter ab, als wenn sie zuvor positive Be- man jetzt auch noch das Lernen lernen? Die
griffe wie »weise« lasen. Kurz: Wo kein Zutrauen Wahrheit ist: Sie tun es sowieso. Jeder bildet au-
ist, bleibt auch weniger hängen. tomatisch Vorstellungen davon, wie er welche
Inhalte am besten behält, verfolgt bestimmte
Lernstrategien und legt sich Methoden zurecht,
die seinen mutmaßlichen Talenten entsprechen.
Das passiert oft, ohne dass wir uns dessen be-
wusst sind. Und hier lauert eine Gefahr, denn so
mancher sitzt dabei Irrtümern auf, die das Ler-
nen eher behindern als es zu erleichtern.
Psychologen um Robert Bjork von der Univer-
sity of California in Los Angeles sichteten in ei-
ner 2013 erschienenen Überblicksarbeit die un-
ter US-Collegestudenten beliebtesten Lerntech-
niken. Nach Auswertung umfangreicher Befra-
gungen identifizierten die Forscher vier beson-
ders häufige Fallen.
• Fehler Nummer eins: Je mehr, desto besser.
Meike Teichmann
32 * zu Deutsch: »Guten Tag, wie geht es Ihnen?« »Guten Tag! Es geht mir sehr gut. Danke!« GuG 10_2013
Bewusst versus unbewusst: Die wichtigsten Gedächtnisformen
Basalganglien
D as menschliche Gedächt-
nis lässt sich grob in zwei
Systeme aufteilen: ein deklara-
Ob Schuhe binden, Auto
fahren oder schwimmen:
Sobald wir die Abläufe auto-
Striatum Globus pallidus
voll mit Informationen. Besser verteiltes, gestaf- • Fehler Nummer drei: Abhaken. Passives Auf- Fürs Leben
feltes Lernen bringt den Forschern zufolge dage- nehmen von Fakten, die man sich nicht selbst er-
lernen
gen mehr. Statt also 50 Vokabeln an einem Tag schlossen oder gedanklich durchdrungen hat, ist
Intrinsische Motive, die
»durchzupauken«, lernt man lieber nur 10 pro vielfach Zeitverschwendung – Wissen in eigenen man »aus sich heraus«
Abend – und erfreut sich am Wochenende des Worten wiederzugeben, es anzuwenden und auf entwickelt (wie etwa
Gelernten. andere Beispiele zu übertragen dagegen die bes- Neugier), förderten den
Lernerfolg mehr als
• Fehler Nummer zwei: Schema F. Ob aus Ge- sere Strategie. Eine Grammatikregel, deren Sinn
extrinsische – etwa der
wohnheit oder weil es vermeintlich dem eigenen man begriffen hat, ist allemal besser als eine stur Wunsch nach Lob und
Typ entspricht, lernen viele auf stets gleiche Wei- auswendig gelernte. Anerkennung. So lautet
se, etwa indem sie ihnen wichtig erscheinende • Und Fehler Nummer vier: Angst vor Patzern. ein alte Lehrmeinung.
Die Studienlage ist hier
Abschnitte im Lehrbuch markieren und immer Um nicht »dumm dazustehen« meidet so man-
jedoch uneindeutig:
wieder durchgehen. Dabei hilft gerade Abwechs- cher das selbstständige Reproduzieren – etwa, in Prestige oder Geld
lung, Wissen im Gehirn zu verankern. Den Bei- einer Fremdsprache zu radebrechen, in der man können ebenso zum
spieldialog aus dem Sprachkurs ständig zu wie- noch nicht sattelfest ist. Die Scheu ist jedoch Lernen anreizen, auch
wenn es nur »Mittel zum
derholen, ist folglich weniger angebracht als zu kontraproduktiv, denn aktive Wiedergabe von Zweck« ist.
lesen, zu hören, sich selbst vorzusagen sowie die Gelerntem, egal wie rudimentär, ist eine effek- (Schiefele, U.: Interests and
betreffenden Wendungen praktisch einzusetzen. tive Methode (siehe »Die Top-5 der Lerntech- Learning. In: Encyclopedia of the
Science of Learning, Springer,
Möglichst vielfältig eben. niken«, S. 34). Warum nicht beim Türken mal auf Heidelberg 2012, S. 1623 – 1628)
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Meike Teichmann
nahe gelegenen Amygdala, die Sinnesreizen ausholende Armschwün
emotionale Bedeutung zuweist. So kommt es, ge den Ideenreichtum,
dass wir uns an Dinge, die Gefühle auslösen, in Fäuste ballen das Behal
ten von Wortlisten.
aller Regel besser erinnern. dem Ziel des Lernens ab. Und was ist mit der Per- Verantwortlich dafür ist
Oder wollen Sie endlich einmal Tennisspielen sönlichkeit? Ist sie nicht ebenso entscheidend? vermutlich eine Art
lernen? Dann führt kein Weg am regelmäßigen »Individuelle Vorlieben spielen beim Lernen kei- Vorglüheffekt: Das
Gehirn wird durch die
Üben vorbei, das Ihr so genanntes prozedurales ne so große Rolle«, erklärt die Psychologin Els-
motorische Aktivität in
Gedächtnis aktiviert. Prämotorische und moto- beth Stern von der ETH Zürich. Natürlich fällt Erregung versetzt, die
rische Areale der Großhirnrinde speichern Be manchen Menschen das Lernen leichter als an- auch das Lernen erleich
wegungsprogramme, die von den tief im Gehirn deren; doch wie man es, im Rahmen seiner indi- tern kann. Allein darauf
sollte man beim Studium
liegenden Basalganglien feinjustiert werden. viduellen Möglichkeiten, am besten anstellt, ist
freilich nicht setzen.
Stellen Sie sich die koordinativen Abläufe in Ge- weniger Typfrage als viele meinen (siehe »Wel-
(Special Issue: Modalities of Body
danken vor, zerlegen Sie sie in Einzelschritte, cher Lerntyp bin ich?«, S. 38). Engagement in Mathematical
Activity and Learning. In: Journal
üben und korrigieren Sie sie so lange, bis sie nach Meistens lernen wir sogar, ohne es recht zu of the Learning Sciences 21, 2012)
und nach automatisiert vonstattengehen. Ein- bemerken. Wir meiden die Treppenstufe, an der
maliges Abspeichern genügt hier leider nicht – wir zuletzt hängen blieben. Wir legen uns eine
der Körper ist eine Gewohnheitsmaschine. Replik für die nächste Gardinenpredigt des Chefs
zurecht. Oder wir versuchen den eigenen Nach-
In der Ruhe liegt die Kraft wuchs rechtzeitig von der Riesenpackung Gum-
Oder haben Sie eine weiter gefasste Kompetenz mibärchen im Supermarktregal abzulenken.
im Sinn, die Ihnen bei bestimmten Gelegen- Man kann folglich gar nicht nicht lernen – al-
heiten zupasskäme – etwa souverän verhandeln lerdings wollen wir meist ganz bestimmte Dinge
oder charmant flirten? Oft macht einem hier für bestimmte Zwecke parat haben. Und um uns Lernen mit
nicht mangelndes Wissen einen Strich durch die das zu erleichtern, lohnt es sich, die folgenden Musik?
Rechnung, sondern die Aufregung, das Drum Maximen zu beherzigen. Extravertierte Menschen
herum. Dann kommt es darauf an, im entschei- • Faustregel Nummer 1: Wer lernen will, muss kommen mit Hinter
denden Moment locker zu bleiben und »abzuru- auswählen. Das Wichtige vom Unwichtigen grundmusik im Schnitt
besser zurecht als intro
fen«, was an Esprit in Ihnen steckt. trennen, sich aufs Wesentliche konzentrieren –
vertierte. Insgesamt ist
Die dafür nötige Handlungskontrolle besor- das ist der erste Schritt zum Lernerfolg. Statt im- die Beschallung aber
gen Teile des Stirnlappens, etwa der präfrontale mer mehr Details anzusammeln und sich im eher hinderlich: Den
Kortex. Um sie zu stärken, muss man sich der je- wahrsten Sinn zu verzetteln, ist Mut zur Lücke anregenden Effekt
macht die Ablenkung oft
weiligen Situation immer wieder aussetzen und gefragt. Wie viel Stoff genug ist, das hängt frei-
zunichte. Gesang können
zwar systematisch – etwa mit steigendem lich von vielen Faktoren ab – etwa von der ver- wir dabei schlechter
Schwierigkeitsgrad. Testen Sie den Ernstfall, sei fügbaren Zeit und der eigenen Begabung. Orien- ausblenden als Instru
es ein fingiertes Verkaufsgespräch oder der tieren Sie sich am besten an anderen, die das glei- mentalmusik.
(Kämpfe, J. et al.: The Impact
Plausch an der Kneipentheke. che Lernziel verfolgen wie Sie (übrigens ein of Background Music on Adult
Wie man am besten lernt, hängt also mindes nützlicher Nebeneffekt von Studienzirkeln und Listeners: A Meta-Analysis.
In: Psychology of Music 39,
tens vom Gegenstand, von der Situation und Lerngruppen). S. 442 – 448, 2011)
www.gehirn-und-geist.de 35
tite lth e ma G e däc htn i s
236 Seiten, Kt, 320 Seiten, Kt, 2010 190 Seiten, 49 Abb., Kt,
2., unveränd. Aufl. 2012 € (D) 29,95/€ (A) 30,80 2., unveränd. Aufl. 2013
€ (D) 27,95/€ (A) 28,80 ISBN 978-3-89670-729-1 € (D) 17,95/€ (A) 18,50
ISBN 978-3-89670-574-7 ISBN 978-3-89670-838-0
266 Seiten, Kt, 2012 175 Seiten, Kt, 2012 250 Seiten, Gb/SU, 2013
€ (D) 34,–/€ (A) 35,– € (D) 39,95/€ (A) 41,10 € (D) 29,95/€ (A) 30,80
ISBN 978-3-89670-828-1 ISBN 978-3-89670-860-1 ISBN 978-3-8497-0002-7