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Johann Harer

Christian Baumgartner

Anforderungen
an Medizinprodukte
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Praxisleitfaden für Hersteller


und Zulieferer

4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage


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Harer/Baumgartner
Anforderungen an Medizinprodukte
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Johann Harer, Christian Baumgartner

Anforderungen an Medizinprodukte
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Praxisleitfaden für Hersteller und Zulieferer

4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage


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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;


detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de/> abrufbar.

Print-ISBN 978-3-446-46881-8
E-Book-ISBN 978-3-446-46882-5
ePub-ISBN 978-3-446-46883-2

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk


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© 2021 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München


www.hanser-fachbuch.de
Lektorat: Lisa Hoffmann-Bäuml
Herstellung: Carolin Benedix
Satz: Eberl & Kœsel Studio GmbH, Krugzell
Coverrealisation: Max Kostopoulos
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Printed in Germany
Vorwort

Der Markt für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika (wenn nicht explizit un-
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terschieden wird, sind mit der Bezeichnung Medizinprodukte auch In-vitro-Diag-


nostika miterfasst) ist aufgrund seiner Größe, seiner Wachstumsraten und seiner
(immer noch) attraktiven Margen sowohl für Hersteller als auch für Zulieferer sehr
interessant. Die Hersteller von Medizinprodukten müssen allerdings auf allen
wichtigen internationalen Märkten zunehmenden Regulierungsanforderungen
­Genüge leisten, was sich gerade für market newcomers als hohe Eintrittsbarriere
erweist. Wer nicht alle Anforderungen der einschlägigen Gesetze und Normen be-
folgt, kann zwar ein technisch einwandfreies Produkt fertigen, das dann allerdings
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nicht oder nur nach aufwendiger Nachbringung der erforderlichen Nachweise aller
relevanten Gesetzes- und Normanforderungen in den für ihn wichtigen Märkten in
Verkehr gebracht werden darf. Für den europäischen Markt sind dabei insbeson-
dere die beiden neuen EU-Verordnungen für Medizinprodukte (MPV – EU 2017/745)
und In-vitro-Diagnostika (IVDV – EU 2017/746) sowie die EN ISO 13485:2016 als
relevante Basisanforderungen für Hersteller derartiger Produkte zu nennen.
Das vorliegende Buch liefert eine Orientierung, wie das QM-System und die dazu-
gehörigen Prozesse in einem Unternehmen gestaltet werden müssen, damit Medi-
zinprodukte und Dienstleistungen dem vorgegebenen gesetzlichen Rahmen inner-
halb des gesamten Lebenszyklus entsprechen, d. h. während der Entwicklung,
Zulassung, Herstellung, Installation und Betreuung, wobei insbesondere relevante
Neuerungen der MPV und IVDV behandelt werden. Durch zahlreiche Praxis­
beispiele werden die nicht immer einfach zu interpretierenden gesetzlichen Vor-
schriften und Normen verständlich gemacht und auch konkrete Implementie-
rungshinweise gegeben. Dabei werden schwerpunktmäßig all jene Fragestellungen
behandelt, die sich im Laufe der Jahre als wichtig herausgestellt oder durch die
neuen Verordnungen besondere Bedeutung gewonnen haben. Dazu bietet das Buch
eine ausgewogene Mischung aus Expertenwissen, Erfahrungswerten und praxis­
erprobten Methoden. Dadurch geben die Beiträge nicht nur einen raschen Über-
blick, was die wichtigsten Anforderungen im Medizinproduktebereich betrifft, son-
dern zeigen auch konkrete und erprobte Wege auf, wie diese Anforderungen in der
VI Vorwort

Praxis umgesetzt werden können. Das Buch versteht sich dabei nicht als wissen-
schaftlich vollständige und detaillierte Abhandlung zu einem Spezialthema. Es
richtet sich vielmehr an alle Personen, die in den Medizinproduktebereich einstei-
gen wollen und an einem Überblick über die wichtigsten regulatorischen Dos &
Don’ts interessiert sind. Dies sind all jene Personen in der Entwicklung, Produk-
tion, Qualitätssicherung, Reklamationsbearbeitung, im Einkauf und Engineering
sowie im Qualitätsmanagement einer Medizinproduktefirma, die sich zu einzelnen
Fragen einen Überblick verschaffen oder sich praktische Tipps holen wollen. Wei-
terhin werden Praktiker angesprochen, die sich ergänzende Hinweise, insbeson-
dere zu den neuen EU-Verordnungen holen wollen, wie sie gewisse Prozesse, Me-
thoden oder Tools besser umsetzen und optimieren können. Erfahrene Mitarbeiter
aus dem QM- und Zulassungsbereich können anhand der Literaturhinweise und
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des zusätzlichen Downloadmaterials Anregungen und weitergehende Informatio-


nen erhalten. Das Buch sei auch allen Studierenden aus technischen und medizini-
schen Fächern ans Herz gelegt, die sich auf eine Karriere in einem Medtech-Unter-
nehmen vorbereiten, ein Start-up gründen oder einfach Anregungen für den
Aufbau eines adäquaten QM-Systems z. B. für In-house-Produkte in der klinischen
Forschung und Anwendung suchen.
Insbesondere in Anbetracht der gesteigerten Anforderungen an Zulieferer, wie
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z. B. erhöhte Dokumentationspflichten oder unangekündigte Audits durch Behör-


den und Benannte Stellen, wird auch allen Zulieferern von kritischen Teilen,
Dienstleistungen und Produkten empfohlen, sich damit vertraut zu machen, was
ihre Kunden, die Hersteller von Medizinprodukten, von ihnen erwarten und wel-
che Anforderungen auf sie zukommen. Im Zuge der Qualifizierung von Lieferanten
ist nämlich oft feststellbar, dass diese zwar hervorragende technische Fähigkeiten
sowie effiziente Produktionsprozesse und Anlagen vorweisen können, in vielen
Fällen aber auch umfangreiche „weiße Flecken“ in der Beherrschung der für die
compliance wichtigen Bereiche haben, d. h. die rechtskonforme Ausführung von
Medizinprodukten oder Komponenten dafür nicht beherrschen. Vor allem KMU
haben oft Probleme, die spezifischen regulatorischen Anforderungen an Medizin-
produktehersteller wie Prozessvalidierung, Computervalidierung, Rückverfolgbar-
keit, klinische Erprobung, Rückhaltemuster, Post Market Surveillance sowie die
umfangreichen Dokumentations- und Aufzeichnungspflichten zu verstehen und in
weiterer Folge regelkonform zu implementieren. Dabei zeigt sich auch immer wie-
der, wie schwierig es für eine kleine Firma ist, die in einem Großkonzern selbst-
verständlichen Anforderungen an Qualitätssicherung und compliance „mit Augen-
maß“ umzusetzen. Es erfordert umfassende Kenntnisse und viel Erfahrung, um
bei Forderungen an Lieferanten und Dienstleister die richtige Balance zwischen
Sicherung der Produktqualität und Minimierung des Inspektionsrisikos einerseits
und vertretbaren Kosten andererseits zu finden. Gerade die dabei gewonnenen Er-
kenntnisse und Erfahrungen sind es, die dieses Buch vermitteln will.
Vorwort VII

Ich möchte abschließend allen Autorinnen und Autoren dafür danken, dass sie ihre
Kenntnisse und ihre langjährige Erfahrung aus ihren Fachgebieten in dieses Buch
eingebracht und jene Punkte herausgearbeitet haben, die für das Verständnis des
jeweiligen Themengebietes essenziell sind. Besonders hervorheben möchte ich in
diesem Zusammenhang den Beitrag von Frau Sara Stoppacher, die neben ihrem
Fachkapitel auch in der redaktionellen Arbeit stark engagiert war und insbeson-
dere auch alle Autorinnen und Autoren mit großer Geduld an Abgabefristen und
Formatvorgaben erinnert hat. Besonderer Dank gilt schließlich meiner Frau für ihr
Verständnis für die vielen Abende und Wochenenden, die ich mit der Überarbei-
tung des vorliegenden Buches verbracht habe.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde auf die gleichzeitige Verwendung der
Sprachformen männlich, weiblich und divers verzichtet. Sämtliche Personen­
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bezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.


Ergänzend zu diesem Buch stehen unter www.plus.hanser-fachbuch.de Zusatzmate-
rialien zum Download zur Verfügung.
Den Leserinnen und Lesern wünsche ich trotz des zeitweise vielleicht „sperrigen“
Themas eine spannende Lektüre und hoffe, dass die Vermittlung des regulatori-
schen Umfelds sowie die anschaulichen Beispiele dazu beitragen werden, die regu-
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latorischen Anforderungen an Medizinprodukte besser zu verstehen. Letztlich soll


das neu gewonnene Wissen dazu führen, dass Sie Ihre Produkte auch im neuen
MPV-/IVDV-Umfeld rasch, effizient und gesetzeskonform auf den Markt bringen
können.
Graz, Herbst 2021
Dr. Johann Harer
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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV

1 QM-Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
1.2.1 Die neuen Revisionen der ISO 9001 und ISO 13485 . . . . . . . . 5
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1.2.2 Unterschiede zwischen ISO 9001 und ISO 13485 im Detail . . 7


1.2.2.1 Kundenzufriedenheit und ständige Verbesserung . . 9
1.2.2.2 Managementverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
1.2.2.3 Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.2.4 Qualifizierung von Infrastruktur, Anlagen,
Computern und Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10
1.2.2.5 Kontrolle der Arbeitsumgebung, Hygiene- und
­Bekleidungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2.2.6 Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
1.2.2.7 Qualifizierung von Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.2.2.8 Anforderungen in der Produktherstellung und
­Rückverfolgbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
1.2.3 Dokumentenmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14
1.3 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20

2 Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21
2.2 Grundlagen und Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
X Inhalt

2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24


2.3.1 Risikoanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.3.1.1 Zweckbestimmung und Feststellung von
­Sicherheitsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.3.1.2 Identifizierung von Gefährdungen . . . . . . . . . . . . . . . 26
2.3.1.3 Einschätzung der Risiken für jede Gefährdungs-
situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
2.3.2 Risikobewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
2.3.3 Risikobeherrschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32
2.3.3.1 Optionen der Risikobeherrschung . . . . . . . . . . . . . . . 32
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2.3.3.2 Implementierung von Risikobeherrschungs-


maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33
2.3.3.3 Bewertung des Restrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.3.3.4 Risiko-Nutzen-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
2.3.4 Bewertung des Gesamt-Restrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
2.3.5 Produktbeobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
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2.3.6 Dokumente des Risikomanagementprozesses . . . . . . . . . . . . . 36


2.3.6.1 Risikomanagementakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2.3.6.2 Risikomanagementplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
2.3.6.3 Risikoanalyseaufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.3.6.4 Risikomanagementbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.4 Methoden im Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
2.4.1 Voraussetzungen für die Durchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39
2.4.1.1 Festlegung des Risikomanagementteams . . . . . . . . . 39
2.4.1.2 Festlegung des Risikoanalyseumfangs . . . . . . . . . . . . 40
2.4.1.3 Festlegung der Akzeptanzkriterien . . . . . . . . . . . . . . 40
2.4.1.4 Nutzung/Beschaffung von notwendigem Wissen . . . 41
2.4.2 Häufig verwendete Risikomanagementmethoden . . . . . . . . . . 42
2.4.3 Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
2.4.4 Fehlerbaumanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45
2.4.5 Ishikawa-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
2.5 Wissensbasiertes Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47
2.6 Ergebnisse und Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
2.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Inhalt XI

3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen . . . . . . . . . . 53


3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen . . . . . 54
3.2.1 Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
3.2.1.1 MPV und IVDV – die neuen EU-Verordnungen . . . . . 59
3.2.1.2 Harmonisierte Normen/Gemeinsame
Spezifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
3.2.1.3 Zentrale europäische Normen im Bereich
­Medizinprodukte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
3.2.1.4 Konformitätsbewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 70
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3.2.2 USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76
3.2.2.1 Zulassungsverfahren gemäß 510(k) . . . . . . . . . . . . . . 78
3.2.2.2 Premarket Approval (PMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
3.2.2.3 Investigational Device Exemption (IDE) . . . . . . . . . . . 80
3.2.2.4 FDA-Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.2.2.5 Premarket Requirements: Labeling, Registration,
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Listing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80
3.2.3 Kanada . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
3.2.4 China . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84
3.2.5 Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87
3.2.6 Brasilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89
3.3 Patente und Lizenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
3.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

4 Entwicklung von Medizinprodukten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97


4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
4.2 Gesetzliche Anforderungen an die Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
4.2.1 Aus den Direktiven der EU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98
4.2.2 Aus der Design Control der FDA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.3 Eckpunkte der Produktentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
4.3.1 Projektstart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
4.3.2 Design und Entwicklungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
4.3.3 Design Input . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
XII Inhalt

4.3.4 Design Output . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103


4.3.5 Design Reviews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
4.3.6 Freigabe für die Vermarktung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
4.4.1 Vorgehen nach einem Entwicklungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . 105
4.4.2 Design- und Entwicklungsphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
4.4.2.1 Analysephase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
4.4.2.2 Erstellung des Designs und der Systemarchitektur . 109
4.4.2.3 Detaildesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
4.4.2.4 Realisierungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113
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4.4.2.5 Designverifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114


4.4.2.6 Design Transfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115
4.4.2.7 Designvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
4.4.2.8 Design History . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
4.5 Prozesse für die Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118
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4.5.1 Projektmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118


4.5.1.1 Projektmanagement als übergeordneter Prozess . . . 119
4.5.1.2 Aufgaben der Projektleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120
4.5.1.3 Die Evaluierung der Machbarkeit des Projekts . . . . . 121
4.5.1.4 Der Projektplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122
4.5.1.5 Überprüfung und Kontrolle des Projektfortschritts . 123
4.5.1.6 Projektabschluss-Review . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
4.5.2 Qualitätssicherung in der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124
4.5.3 Teilprozesse im Entwicklungsablauf und ihre
Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125
4.5.3.1 Übersicht und zeitliche Schwerpunkte . . . . . . . . . . . 126
4.5.3.2 Anforderungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
4.5.3.3 Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
4.5.3.4 Analyse der Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
4.5.3.5 Systemkonzeptionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
4.5.3.6 Moduldesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
4.5.3.7 Implementierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132
4.5.3.8 Systemintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
4.5.3.9 Test und Verifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133
Inhalt XIII

4.5.3.10 Design-Transfer-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134


4.5.3.11 Designvalidierungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135
4.5.4 Unterstützende Entwicklungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
4.5.4.1 Änderungs- und Konfigurationsmanagement . . . . . . 136
4.5.4.2 Dokumentation und Dokumentationsmanagement . 137
4.5.4.3 Schulung und Wissensmanagement . . . . . . . . . . . . . 138
4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139
4.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

5 Software als Medizinprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143


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5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143


5.1.1 Klassifizierung medizinischer Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145
5.1.2 Sicherheitsklassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
5.1.2.1 Einteilung in Units . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148
5.2 Risikomanagement in der ­Softwareentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150
5.2.1 Abschätzen von Eintrittswahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . 150
For personal use only.

5.2.2 Tool-Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152


5.3 Grundsätze in der Softwareentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
5.3.1 Softwareentwicklungsplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
5.3.2 Analyse der Softwareanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
5.3.3 Design der Softwarearchitektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156
5.3.4 Detaildesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157
5.3.5 Implementierung und Verifizierung der ­Softwareeinheiten . . 157
5.3.6 Softwareintegration und Integrationsprüfung . . . . . . . . . . . . . 158
5.3.7 Prüfung und Freigabe des Softwaresystems . . . . . . . . . . . . . . . 158
5.3.8 Planung der Softwarewartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
5.3.9 Softwarekonfigurationsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160
5.3.10 Problemlösungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
5.4 Agilität in der Softwareentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
5.5 IT Security für Software in ­Medizinprodukten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164
5.6 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
5.7 KI und maschinelles Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
5.7.1 Förderung des Verständnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
5.7.2 Ansätze von Seiten der FDA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
XIV Inhalt

5.8 Digitale Gesundheitsanwendung (DiGa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171


5.9 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
5.10 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

6 Sicherheitstechnische Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179


6.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179
6.2 Aspekte des Sicherheitskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180
6.3 Technische Anforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
6.3.1 Sicherheitsbeeinflussung durch Alterung . . . . . . . . . . . . . . . . . 186
6.3.2 Verwendete Werkstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
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6.3.3 Sicherheit im Normalfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190


6.3.4 Sicherheit im Ersten Fehlerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
6.3.5 Normative Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
6.4 Sicherheitstechnische Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196
6.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
For personal use only.

7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD . . . . . . . . . . . . . 201


7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
7.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
7.1.1.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
7.1.1.2 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
7.1.1.3 Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
7.1.2 Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
7.1.3 Klinische Bewertung und Erfüllung der grundlegenden
­ icherheits- und Leistungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 203
S
7.1.4 Was sind klinische Daten nach der MPV? . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7.1.4.1 Definition klinische Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7.1.4.2 Nutzung klinischer Daten eines äquivalenten
­Medizinprodukts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
7.1.5 Die Arbeitsschritte/Stufen/Phasen der klinischen Bewertung 206
7.1.5.1 Stufe 0: Scoping und klinischer Bewertungsplan . . . 207
7.1.5.2 Stufe 1: Identifizierung und Generierung relevanter
­klinischer Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209
7.1.5.3 Stufe 2: Bewertung vorhandener klinischer Daten
(­Appraisal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
Inhalt XV

7.1.5.4 Stufe 3: Analyse der klinischen Daten . . . . . . . . . . . . 212


7.1.5.5 Stufe 4: Der klinische Bewertungsbericht . . . . . . . . . 217
7.1.5.6 Stufe 5: Klinische Nachbeobachtung nach dem
­Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218
7.1.6 Scientific Advice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
7.1.7 Qualifikationen und Auswahl klinischer Evaluatoren . . . . . . . 221
7.1.8 Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung . . . . . . . . 222
7.1.9 Bericht (des NB) über die Begutachtung der klinischen
Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
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7.2.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223


7.2.1.1 Definition und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
7.2.1.2 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
7.2.2 Geltungsbereich der MPV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224
7.2.3 Wesentliche Aspekte klinischer Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . 225
7.3 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
For personal use only.

7.3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234


7.3.1.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
7.3.1.2 Quellen und Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234
7.3.1.3 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235
7.3.2 Leistungsbewertungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
7.3.2.1 Wissenschaftliche Validität eines Analyten . . . . . . . . 238
7.3.2.2 Analyseleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238
7.3.2.3 Klinische Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
7.3.3 Klinische Evidenz und Bericht über die Leistungs­-
bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240
7.3.4 Nachbeobachtung der Leistung nach dem Inverkehr­-
bringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
7.3.4.1 PMPF-Plan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241
7.3.4.2 Bewertungsbericht über die Nachbeobachtung
nach dem Inverkehrbringen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
7.3.5 Kurzbericht über Sicherheit und Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . 242
7.3.6 Leistungsbewertung von IVD-Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
XVI Inhalt

7.4 Leistungsstudien von IVDs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243


7.4.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
7.4.1.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243
7.4.1.2 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
7.4.1.3 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244
7.4.2 Allgemeine Anforderungen an Leistungsstudien . . . . . . . . . . . 245
7.4.3 Spezifische Anforderungen an „kritische“ L ­ eistungsstudien
nach der IVDV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
7.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
7.6 Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
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8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257


8.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
8.2 Rechtliche Grundlagen GEP/GMP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260
8.3.1 GMP-konforme Spezifikation von Anlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 261
For personal use only.

8.3.2 Qualifizierung und Validierung in der Produktion . . . . . . . . . . 264


8.3.2.1 Einführung und rechtlicher Hintergrund . . . . . . . . . 264
8.3.2.2 Definition von Qualifizierung, Commissioning,
­Verifizierung und Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266
8.3.3 Ablauf der Qualifizierung – Qualifizierungsphasen . . . . . . . . . 268
8.3.3.1 Planung der Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272
8.3.3.2 DQ, IQ, OQ, PQ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
8.3.3.3 Abschluss der Qualifizierung – Qualifizierungs­
abschlussbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276
8.3.4 Risikobasierte Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
8.3.4.1 Bestimmung des Qualifizierungsumfanges –
Impact Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277
8.3.4.2 Bestimmung der Qualifizierungstiefe . . . . . . . . . . . . . 278
8.4 GMP-konformes Anlagendesign . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
8.4.1 Anforderungen an Produktionsräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288
8.4.2 Anforderungen an Produktionsanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
8.4.3 GMP-konforme Technische Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . 292
8.4.4 GMP-gerechte Kalibrierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293
Inhalt XVII

8.4.5 GMP-konforme Instandhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294


8.4.5.1 Vorbeugende Instandhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
8.4.5.2 Risikobasierte Instandhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
8.5 Computervalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299
8.5.1 Validierung – Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301
8.5.2 Validierungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
8.5.3 Festlegung des Validierungsumfanges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
8.5.4 Elektronische Aufzeichnungen und Unterschriften . . . . . . . . . 307
8.5.5 Periodische Evaluierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308
8.5.6 Lieferantenbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309
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8.5.7 Best Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311


8.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312
8.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

9 Prozess- und Methodenvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317


9.1 Prozessvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
For personal use only.

9.1.1 Rechtliche Grundlagen, Normen und Richtlinien . . . . . . . . . . . 318


9.1.2 Definition und Nutzen der Prozessvalidierung . . . . . . . . . . . . . 319
9.1.2.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
9.1.2.2 Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320
9.2 Die Rolle von Prozessentwicklung und Risikomanagement . . . . . . . . . . 321
9.3 Potenzial und Stellenwert statistischer Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . 322
9.4 Die Prozessvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324
9.4.1 Masterplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325
9.4.2 Ablauf der Prozessvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327
9.4.2.1 Ermittlung des Validierungsbedarfs . . . . . . . . . . . . . . 327
9.4.2.2 Arten der Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
9.4.2.3 Validierungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330
9.4.2.4 Validierungsfamilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
9.4.3 Planung, Durchführung und Abschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
9.4.3.1 Validierungsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332
9.4.3.2 Validierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
9.4.3.3 Durchführung und Auswertung der Ergebnisse . . . . 335
9.4.3.4 Validierungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336
9.4.3.5 Abweichungen und Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
XVIII Inhalt

9.4.4 Besondere Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340


9.4.5 Der Erhalt des validen Zustands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
9.4.5.1 Überwachung und Prozesskontrolle . . . . . . . . . . . . . . 340
9.4.5.2 Änderungen am Prozess oder Produkt . . . . . . . . . . . . 341
9.4.5.3 Gründe für eine Re-Validierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
9.5 Methodenvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
9.5.1 Zweck der Methodenvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343
9.5.2 Ablauf der Methodenvalidierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344
9.5.2.1 Welche Methoden müssen validiert werden? . . . . . . 344
9.5.2.2 Darstellung des Methodenvalidierungsprozesses . . . 344
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9.5.2.3 Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345


9.5.2.4 Validierungsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345
9.5.2.5 Validierungsbericht und Ergebnisbewertung . . . . . . 346
9.5.2.6 Periodische Reviews und Re-Validierung . . . . . . . . . . 346
9.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
For personal use only.

9.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP . . . . . . . . . . . 351


10.1 Grundlagen und Gesetze, ­Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351
10.2 Wareneingang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353
10.2.1 Wareneingangsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
10.2.2 Test und Inspektion von zugelieferten Produkten . . . . . . . . . . 355
10.2.3 Stichprobenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358
10.3 Herstellprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
10.3.1 Mitarbeiterschulung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361
10.3.2 Anforderungen an den Arbeitsplatz und das ­Arbeits-
umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362
10.3.3 Monitoring von Umgebungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
10.4 In-Prozess-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
10.5 Endkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364
10.5.1 Kontrolle der Beschriftung und Verpackung . . . . . . . . . . . . . . . 365
10.5.2 Produktfreigabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
10.5.3 Aufzeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Inhalt XIX

10.6 Rückverfolgbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369


10.6.1 Prüfkennzeichnung von Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
10.6.2 Rückhaltemuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370
10.7 Abweichungsmanagement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371
10.7.1 Rückweisung, Weiterverwendung, Sonderfreigabe . . . . . . . . . 373
10.7.2 Geplante Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374
10.8 Mess- und Prüfmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
10.8.1 Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376
10.8.2 Prüfmittel – Klassifizierung und Überwachung . . . . . . . . . . . . 377
10.8.2.1 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
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10.8.2.2 Überwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378


10.8.3 Prüfmitteldokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380
10.8.4 Vorgehensweise bei Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
10.8.4.1 Qualitätssicherungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . 381
10.8.4.2 Umstufung eines Prüfmittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
For personal use only.

10.8.5 Berechnung der nächsten Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382


10.8.5.1 Starre Berechnung des nächsten Fälligkeits-
zeitpunktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382
10.8.5.2 Flexible Berechnung des nächsten Fälligkeits-
zeitpunkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
10.8.6 Außerbetriebnahme von Prüfmitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384
10.8.7 Prüfmittel bei externen Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
10.9 Verpackung und Kennzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
10.10 Lagerung und Transport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391
10.11 Installation und Service . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392
10.12 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
10.13 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393

11 Lieferanten­management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
11.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395
11.2 Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396
11.3 Lieferantenmanagementprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
11.3.1 Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400
11.3.2 Risikobewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402
XX Inhalt

11.3.3 Vorauswahl möglicher Lieferanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403


11.3.4 Lieferantenbewertung und -auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407
11.3.4.1 Lieferantenaudit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
11.3.4.2 Dokumentenprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
11.3.4.3 Lieferantenannahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412
11.3.5 Fixieren der Kontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
11.3.6 Laufende Messung und Bewertung der Lieferungen . . . . . . . . 415
11.3.7 Rückmeldung und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
11.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
11.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420
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12 Korrektur- und Verbesserungs­management . . . . . . . . . . . . . . . . . 423


12.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423
12.2 Rechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425
12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . 427
12.3.1 Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
For personal use only.

12.3.2 Datenerfassung und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429


12.3.3 Verbesserung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430
12.3.4 Managementreview . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438
12.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
12.5 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen . . . . . . 441


13.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441
13.2 Behördliche Zuständigkeiten in den deutschsprachigen
Ländern (D-A-CH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443
13.2.1 Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444
13.2.2 Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446
13.2.3 Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
13.3 Arten von Inspektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447
13.3.1 Ablauf der Inspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448
13.3.2 Anlassbezogene Inspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450
13.3.3 Routineinspektion beim Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Inhalt XXI

13.3.3.1 Für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften


­verantwortliche Person und Medizinprodukte-
berater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452
13.3.3.2 Konforme Produkte und Inspektionsschwerpunkte . 452
13.3.3.3 Weitere Inspektionsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . 453
13.3.3.4 Freigabe für den Vertrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
13.3.4 Routineinspektion beim Anwender/Betreiber . . . . . . . . . . . . . . 457
13.3.4.1 Erfassung in Registern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457
13.3.4.2 Regelmäßige Überprüfung der Geräte . . . . . . . . . . . . 457
13.3.4.3 Schulung der Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458
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13.3.4.4 Aufbereitung der Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458


13.3.5 Vigilanz und Marktüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
13.3.5.1 Meldung von Vorkommnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
13.3.5.2 Meldung von Korrekturmaßnahmen im Feld . . . . . . 464
13.4 Die FDA-Herstellerinspektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465
13.5 Medical Device Single Audit Program – MDSAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471
For personal use only.

13.5.1 Teilnehmende Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472


13.5.2 Ablauf des MDSAP-Audits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
13.5.2.1 Das Management-Subsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
13.5.2.2 Messung/Analyse und Verbesserung . . . . . . . . . . . . . 474
13.5.2.3 Design und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474
13.5.2.4 Produktion und Dienstleistungserbringung . . . . . . . 474
13.5.2.5 Marktzulassung und Registrierung . . . . . . . . . . . . . . 475
13.5.2.6 Meldesystem für Vigilanz und Korrektur-
maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
13.5.2.7 Beschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
13.5.3 Dauer eines MDSAP-Audits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475
13.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476
13.7 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477

14 Die Benannte Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481


14.1 Was ist eine Benannte Stelle? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
14.2 Welche Anforderungen werden an Benannte Stellen gestellt? . . . . . . . 482
14.3 Wann wird eine Benannte Stelle ­benötigt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
XXII Inhalt

14.4 Aufgaben einer Benannten Stelle im Zuge des Konformitäts­


bewertungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489
14.5 Erfahrungen aus Sicht einer Benannten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495
14.6 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497

15 Praxisbeispiel eines Start-ups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499


15.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499
15.2 Ideenfindung und Marktanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500
15.3 Abgrenzung Medizinprodukt vs. ­Wellnessprodukt und Ermittlung
des regulatorischen Scopes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501
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15.4 Zusammenstellung des Teams und Kompetenzaufbau . . . . . . . . . . . . . . 503


15.5 Zeit- und Finanzierungsaspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505
15.6 Vom Prototypen zum Serienprodukt und die dazugehörige
Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507
15.7 In-House oder Outsourcing? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509
15.8 Ein QMS aus dem Nichts aufbauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510
For personal use only.

15.9 Wahl des Konformitäts­bewertungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510


15.10 Frühe Einbindung einer Benannten Stelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
15.11 Der Start-up-Spirit im regulatorischen Umfeld:
Das Zwei-Phasen-Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513
15.12 Lieferantenketten und Assemblierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514
15.13 Klinische Prüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
15.14 Eigenvertrieb vs. Distributoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516
15.14.1 Produkteigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
15.14.2 Vertriebsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517
15.15 Pre-Marketing-Aktivitäten vor der Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
15.16 Erste Schritte im Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520
15.17 Die Post Market Surveillance als Chance für die Steigerung
der ­Produkt- und Unternehmensqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
15.18 Krankenkassen und Internationali­sierungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522
15.19 Design/Produktmodifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
15.20 Einsparpotenzial mit den richtigen Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525
15.21 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526
15.22 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527
Inhalt XXIII

16 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529

17 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537

18 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

19 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555


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Einleitung

In den 1990er-Jahren wurden die wesentlichen Vorschriften in Europa betreffend


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Medizinprodukte [1], aktive implantierbare Medizinprodukte [2] und In-vitro-Diag-


nostika [3] neu geregelt. Diese waren, im Vergleich zu den in den USA geltenden
Vorschriften, liberal, marktfreundlich und föderalistisch und setzten viel auf
­Eigenverantwortung der Hersteller. Durch einige kritische Vorfälle [4, 5] erhöhte
sich jedoch der Druck der Öffentlichkeit auf die Politik, den Medizinprodukte­
bereich (Anmerkung: Der Begriff „Medizinprodukte“ umfasst in diesem Buch, falls
nicht explizit erwähnt, immer auch In-vitro-Diagnostika) strenger zu regulieren,
wobei sogar eine zentrale Regelung ins Auge gefasst wurde, wie sie im Pharma­
For personal use only.

bereich etabliert ist. Ausgelöst durch die oben erwähnten Probleme wurde von der
EU-Kommission eine Neuregulierung des Medizinproduktebereichs in Gang ge-
setzt, deren Ergebnis am 5. April 2017 in Form zweier EU-Verordnungen [6, 7] im
EU-Amtsblatt publiziert wurde. Auch die Rolle der zuständigen Benannten Stelle
geriet bei diesen Vorfällen in Misskredit, weil lange Zeit in Diskussion war, ob
diese die Mängel hätte erkennen müssen [8]. Als Reaktion darauf verschärfte die
EU bereits 2013 die Zulassungsanforderungen für Benannte Stellen [9], wodurch
sich deren Zahl seitdem wesentlich verringert hat (Anmerkung: Mit Stand Mai
2021 sind nur 20 Benannte Stellen nach der neuen Medizinprodukteverordnung
[6] akkreditiert im Vergleich zu über 50 vor zehn Jahren. Die Anzahl Benannter
Stellen, die nach der neuen In-vitro-Diagnostika-Verordnung [7] akkreditiert sind,
beläuft sich sogar nur auf vier!).
Die wesentlichen Neuerungen der beiden genannten EU-Verordnungen [6, 7] sind
dabei:
ƒ Höherklassifizierung vieler Produkte, woraus ein erhöhter Aufwand für Test,
Dokumentation und Berichtspflichten resultiert. So werden z. B. nach der
neuen Regelung die meisten Softwareprodukte als Klasse-II-Produkt eingestuft
und nicht wie bisher als Klasse I. Aber auch bestimmte stoffliche und chirur-
gisch-invasive Medizinprodukte werden nach der neuen MPV höher klassifi-
ziert.
XXVI Einleitung

ƒ Durch die Höherklassifizierung vieler IVDs wird die Möglichkeit zur Selbstzer-
tifizierung stark eingeschränkt, wodurch die Mehrheit aller IVDs in Zukunft
eine Benannte Stelle benötigen wird.
ƒ Höhere Anforderungen bei der Durchführung von klinischen Prüfungen sowie
eine wesentlich erweiterte Anzahl von In-vitro-Diagnostika, die sich einer Leis-
tungsbewertungsprüfung unterziehen müssen.
ƒ Einführung eines „Scrutiny-Verfahrens“ für Implantate der Klasse III und ak-
tive Produkte der Klasse IIb, die Arzneimittel zuführen oder ableiten, d. h. be-
stimmte Hochrisikoprodukte müssen einer zusätzlichen Überprüfung durch
ein Expertenpanel unterzogen werden, bevor sie auf den Markt gebracht wer-
den dürfen.
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ƒ Zusätzliche Berichte und Pläne wie Post-Market Surveillance Plan/Report


(PMS), Post-Market Clinical Follow-up Report (PMCF), Periodic Safety Update
Report (PSUR), Summary of Safety and Clinical Performance (SSCP).
ƒ Neuregelung der Marktüberwachung mit kürzeren Meldefristen.
ƒ Verschärfte Vorschriften für Benannte Stellen und die Überwachung der
Marktteilnehmer. Benannte Stellen, aber auch Behörden werden dazu angehal-
ten, regelmäßig auch unangekündigte Audits in Unternehmen durchzuführen.
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ƒ Eine nach Risikoklassen zeitlich gestaffelte Einführung der UDI-Kennzeich-


nung, um eine lückenlose Rückverfolgbarkeit gewährleisten zu können.
ƒ Aufbau einer EUDAMED-Datenbank, die alle relevanten Informationen der be-
teiligten Unternehmen, der Benannten Stellen, der Marktüberwachung, der
klinischen Studien und Zertifikate umfassen wird.
Am 25. Mai 2017 traten die beiden Verordnungen im gesamten EU-Raum in Kraft,
ohne dass es dazu einer weiteren nationalen Umsetzung bedurfte. Nach einer vier-
jährigen Übergangsfrist, d. h. am 26. Mai 2021, wurde die MPV für die Zulassung
neuer Produkte verpflichtend. Diese Produkte können dann nicht mehr nach den
bisherigen Regelungen (MDD und AIMD) zertifiziert werden. Allerdings gelten be-
stehende Zertifikate, die unter den alten Richtlinien ausgestellt wurden, noch ma-
ximal drei weitere Jahre. Für In-vitro-Diagnostika endet die Übergangsfrist zur
Ausstellung von Zertifikaten nach der alten IVD-Richtlinie erst am 26. Mai 2022,
allerdings ist auch hier die Geltungsdauer bestehender CE-Zertifikate nach der
­alten IVDD bis spätestens Mai 2024 limitiert (siehe Bild 1).
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2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024

EU 2017/745
Veröffentlichung Vier Jahre Übergangsperiode für Übersetzung in alle EU-Sprachen, Übergangsfrist für MDD-Zerfikate
Ausführungsrichtlinien, naonale Ausführungsbesmmungen und
Verfügbarkeit Benannte Stellen Ab 26. Mai 2021 können neue Konformitätsbescheini-
gungen nur mehr nach EU 2017/745 erfolgen!

EU 2017/746
Veröffentlichung Übergangsfrist für IVDD-
Fünf/sechs (*) Jahre Übergangsperiode für Übersetzung in alle EU-Sprachen,
Ausführungsrichtlinien, naonale Ausführungsbesmmungen und Zerfikate (*)
Verfügbarkeit Benannte Stellen
Ab 26. Mai 2022/2023 (*) können neue
Konformitätsbescheinigungen nur mehr
nach EU 2017/746 erfolgen!

Bild 1 Übergangsfristen für die neuen EU-Verordnungen


(*) Frist wird möglicherweise
EN ISO 13485:2016 EN ISO 13485:2016
um ein Jahr verlängert!
Veröffentlichung Ablauf der Übergangsfrist
Einleitung
XXVII
XXVIII Einleitung

Diese Übergangsfristen erschienen bei der Veröffentlichung der neuen Verordnun-


gen ausreichend lang. Sie haben sich allerdings angesichts der umfangreichen
neuen Anforderungen (wie z. B. an die klinische Bewertung von Medizinprodukten
bzw. Leistungsbewertung bei IVDs, durch neue Berichtspflichten und das neue
EUDAMED-/UDI-Datenbanksystem und insbesondere durch die verzögerte Akkre-
ditierung Benannter Stellen für die neuen Verordnungen) als zu knapp bemessen
erwiesen. Insbesondere die verpflichtende Umstellung auf die IVDV bis Mai 2022
wird angesichts der noch sehr geringen Anzahl an akkreditierten Benannten Stel-
len für die IVDV heiß diskutiert. Die neuen Vorschriften werden nach Ansicht des
Bundesverbandes Medizintechnologie (BVMed) insbesondere kleine und mittel-
ständische Unternehmen (KMU) stark belasten, sowohl finanziell als auch perso-
nell. Der neue EU-Rechtsrahmen wird nämlich nicht, wie anfänglich von der EU-
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Kommission in Aussicht gestellt, zur Vereinfachung des Inverkehrbringens von


Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika im EU-Binnenmarkt führen, sondern
die Anforderungen für die Erstzulassung und während des gesamten Lebenszyk-
lus zum Teil wesentlich erhöhen. Die MPV enthält beispielsweise, verglichen mit
der bisherigen Richtlinie, knapp 100 Artikel mehr. Die Zahl der Anhänge steigt
von zwölf auf nunmehr 17. Die MPV wird außerdem durch 32 neue durchführende
und weitere elf delegierte Rechtsakte ergänzt, deren Erarbeitung zum Teil noch
For personal use only.

nicht abgeschlossen ist [10]. Die striktere Regulierung ist für große Medtech-­
Konzerne eher verkraftbar. Allerdings wird auch hier durch den Aufwand für die
Umstellung, die zukünftige Einhaltung der MPV-/IVDV-Anforderungen sowie die
Ertragsausfälle durch abgesetzte Produkte, administrative Bürden und Zeitverzö-
gerungen beim Marktzugang mit hohen finanziellen Mehraufwendungen in Milli-
ardenhöhe gerechnet. Noch nicht geklärt ist außerdem, wo in der kurzen zur
­Verfügung stehenden Zeit die vielen zusätzlichen Mitarbeiter in den QM- und Zu-
lassungsbereichen für die Umstellung der bestehenden QM-Systeme und Produk-
tunterlagen sowie die Neuzertifizierung der bestehenden Produkte rekrutiert wer-
den sollen. Es ist zu erwarten, dass es zu einer großflächigen Konsolidierung des
Marktes kommen wird. Es gibt sogar Stimmen, die befürchten, dass ein Drittel
­aller Medtech-Firmen in Europa verschwinden wird. Speziell die kleinen Firmen
werden aus dem Markt gedrängt oder zu Technologiepartnern oder Zulieferern der
Großkonzerne degradiert. Aufgrund der sehr schleppenden Akkreditierung Be-
nannter Stellen nach den neuen Verordnungen haben nach wie vor viele Unterneh-
men Probleme (insbesondere jene, die neu auf den Markt wollen), während der
Übergangsfrist eine Benannte Stelle zu finden, wodurch es zu Verzögerungen bei
der Neuzertifizierung bis hin zu Lieferstopps bei bestehenden Produkten gekom-
men ist und noch kommen wird.
Nachdem die Kosten für compliance nach den neuen gesetzlichen Vorschriften für
bestimmte Produktgruppen ansteigen werden, werden sowohl KMU als auch große
Konzerne ihr Portfolio genau überprüfen und mit großer Wahrscheinlichkeit ihr
Sortiment straffen. Dabei muss im Rahmen eines Gap Assessments analysiert wer-
Einleitung XXIX

den, welche Produkte, Prozesse und Dokumentationen betroffen sind. Das Pro-
duktportfolio ist dabei nach Alter, Dokumentationsaufwand, Profitabilität und an-
deren Kriterien zu durchleuchten, damit entschieden werden kann, welche
Produkte bleiben und welche aus dem Sortiment zu nehmen oder zu ersetzen sind.
Anschließend ist unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder der Organisa-
tion sowie der Benannten Stelle ein detaillierter Plan zur Umsetzung und Finanzie-
rung zu erarbeiten (siehe Bild 2).

Governance
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Financial
Implicaons
Nofied Bodies Change Management
Interacon and Communicaons

Post-Market Porolio Review Process


Surveillance and Assessment Re-design

Quality Management Technology


System (QMS) Landscape
For personal use only.

Clinical Supply Chain


Evidence and Labelling

Programme and Project Planning

Bild 2 Überlegungen zur Umstellung des Produktportfolios auf die neuen EU-Verordnungen
(© Deloitte)

Das vorliegende Buch versucht, diesen Umstellungsprozess zu unterstützen, in-


dem es einen Überblick über das „neue“ gesetzliche und normative Umfeld für
Medizinproduktehersteller und deren Zulieferer gibt und versucht, folgende Fra-
gen zu beantworten: Welche Vorschriften existieren, wie sind sie zu interpretieren
und wie stehen sie zueinander in Wechselwirkung? Ergänzend dazu folgen prakti-
sche Tipps und Hinweise, wie diese Vorschriften in der Praxis umgesetzt werden
können. Dabei wird keine 100-prozentige Abdeckung der Anforderungen an Medi-
zinproduktehersteller und deren Zulieferer angestrebt, sondern eine schwerpunkt-
mäßige Selektion jener Themen vorgenommen, die sich aus der Erfahrung der
­Autorinnen und Autoren als kritisch für die Produktqualität und compliance her-
ausgestellt haben.
Nicht nur in der EU ist ein den nationalen regulatorischen Vorschriften entspre-
chendes QM-System Voraussetzung, um ein Medizinprodukt in einem Mitglieds-
land in Verkehr bringen zu können. Deshalb bezieht sich dieses Buch in seinen
XXX Einleitung

Ausführungen auch immer wieder auf zwei global relevante Regelungen: einer-
seits auf die ISO 13485 [11], welche in den meisten Ländern das für Medizin­
produktehersteller anerkannte QM-System ist. Des Weiteren wird auf die Quality
System Regulation (21 CFR 820/QSR/cGMP) [12] Bezug genommen, welche die
rechtliche Basis für Medizinproduktehersteller in den USA darstellt, aber auch in
vielen anderen Ländern als „Quasi-Standard“ für Medizinprodukte und IVDs aner-
kannt wird. Bei deren Einhaltung wird von den Behörden angenommen, dass ein
Medizinproduktehersteller in der Lage ist, seine Produkte so zu entwickeln, herzu-
stellen und zu betreuen, dass sie in der Serie sicher und spezifikationskonform
funktionieren. Dabei steht speziell die Forderung nach einem sicheren Produkt im
Mittelpunkt des Interesses von Behörden und Anwendern, und viele der gesetz­
lichen und normativen Regelungen im Medizinproduktebereich sind nur aus die-
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sem Blickwinkel heraus zu verstehen. Falls der Hersteller grundlegende gesetz­


liche Anforderungen nicht erfüllt, kann dies zu behördlichen Zwangsmaßnahmen
führen, angefangen bei der Verpflichtung zu Korrekturmaßnahmen über den
Rückruf von Produkten aus dem Markt bis hin zum Entzug der Zulassung oder zu
Geld- und Gefängnisstrafen.
Der Aufbau dieses Buches folgt einem Gedankenfluss, der sich am Lebenszyklus
eines Produkts orientiert. Kapitel 1 stellt überblicksmäßig die speziellen Anforde-
For personal use only.

rungen an ein adäquates QM-System vor. Es wird dabei speziell auf die Forderun-
gen der ISO 13485:2016 respektive der Quality System Regulation eingegangen,
wobei auch die Unterschiede zu den Anforderungen der ISO 9001 [13] hervorgeho-
ben werden. Insbesondere die Ausführungen zu den Dokumentationsanforderun-
gen sind essenziell, wenn die in den nachfolgenden Kapiteln erläuterten Forderun-
gen gesetzeskonform umgesetzt werden sollen.
In Kapitel 2 wird das Thema Risikomanagement abgehandelt. Risikomanagement
spielt eine zentrale Rolle in nahezu allen Prozessen einer Medizinprodukteorgani-
sation. In allen Folgekapiteln wird bei Ausführungen zu diesem Thema daher
dieses Kapitel entweder referenziert oder spezifisch adaptiert angewandt.
Kapitel 3 gibt einen Überblick über das rechtliche Umfeld und die Zulassungsanfor-
derungen und erläutert, welche spezifischen Anforderungen in den wichtigsten in-
ternationalen Märkten zu befolgen sind, um von den Behörden eine Genehmigung
für den Verkauf eines neuen Produkts in diesen Märkten zu erlangen. Es folgt das
Kapitel Entwicklung von Medizinprodukten. Dieses beschreibt im Detail, wie ein
neues Produkt entwickelt werden soll, damit es sicher und funktionsfähig ist, d. h.
es geht um Quality by Design sowie die dabei einzuhaltenden Prozesse.
Kapitel 5 wurde neu in dieses Buch aufgenommen, um der Tatsache Rechnung
zu tragen, dass eine immer größere Anzahl an Medizinprodukten „reine“ Software­
lösungen darstellen. Dies reicht von „einfachen“ Handy-Apps bis hin zu komplexen
„Decision-Support-Systemen“ und „Machine-Learning-Applikationen“ für die Diag-
Einleitung XXXI

nose oder Therapieunterstützung. In diesem Zusammenhang werden Fragen nach


der richtigen Klassifizierung dieser Produkte und nach den erforderlichen Anfor-
derungs- und Nachweisdokumenten beantwortet. In Kapitel 6 werden die sicher-
heitstechnischen Anforderungen bei neuen Produkten vertiefend behandelt, wobei
die EN 60601 – 1 [14], die Hauptnorm für sicherheitstechnische Anforderungen an
medizinisch-elektrische Geräte, im Mittelpunkt der Ausführungen steht. Wurden
in den ersten beiden Ausgaben dieser Norm vor allem elektrische und mechani-
sche Sicherheitsaspekte betrachtet, wurde die dritte Edition unter anderem durch
Einbeziehung von Biokompatibilität, Gebrauchstauglichkeit (Usability) sowie die
Verknüpfung mit dem Risikomanagement wesentlich erweitert. Kapitel 7 behan-
delt mit der klinischen Bewertung von Medizinprodukten einen zentralen Anforde-
rungspunkt der neuen EU-Vorschriften [6, 7]. Gerade in diesem Bereich haben sich
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die Anforderungen gegenüber den bisher geltenden Richtlinien [1, 2, 3] wesentlich


verschärft, insbesondere bei In-vitro-Diagnostika, wo Leistungsnachweise in Zu-
kunft wesentlich umfangreicher als bisher erbracht werden müssen.
Stabile Prozesse und Anlagen sowie eine definierte Arbeitsumgebung sind Voraus-
setzung dafür, dass sichere und funktionsfähige Produkte auch in der Serienpro-
duktion mit hoher Wahrscheinlichkeit garantiert werden können. Speziell für auto-
matisierte Produktionsanlagen sowie für Produktionsprozesse mit speziellen
For personal use only.

Anforderungen an die Produktreinheit bzw. -sterilität sind qualifizierte Anlagen


sowie validierte Methoden und Prozesse die Basis jeder guten Herstellpraxis und
stehen damit auch im Fokus jeder Behördeninspektion. Die wichtigsten Anforde-
rungen zu diesen Themen werden in Kapitel 8, GEP/GMP-konforme Produktions­
anlagen, und Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung, vorgestellt.
Kapitel 10, Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP, konzentriert sich
demgegenüber stärker darauf, wie Herstell- und Prüfprozesse im Wareneingang,
im Herstellprozess, in der Endkontrolle sowie während Lagerung und Transport
aufgesetzt werden müssen, damit eine reproduzierbare Produktqualität erreicht
werden kann. Ergänzend wird besprochen, wie Prüfmittel gemanagt und welche
Maßnahmen im Fall von Fehlern und Abweichungen ergriffen werden müssen,
welche Anforderungen an das Labeling und insbesondere an den Unique Device
Identifier (UDI) gestellt werden und wie Aufzeichnungen zu führen sind, damit
eine Rückverfolgbarkeit sichergestellt ist.
Kapitel 11, Lieferantenmanagement, beschreibt einerseits einen gesetzeskonfor-
men Lieferantenqualifizierungsprozess, andererseits weist es auf jene kritischen
Anforderungen hin, die der Hersteller bei seinem Zulieferer sicherstellen muss,
damit er ein spezifikations- und cGMP-konformes Produkt erhält. Die standardi-
sierte Auswahl, Qualifizierung, Überwachung und Entwicklung eines Lieferanten
tragen nicht nur wesentlich dazu bei, Kosten und Qualität eines Produkts zu ver-
bessern, sondern sind auch wesentliche regulatorische Anforderungen.
XXXII Einleitung

Jeder Hersteller muss seine Produkte nach dem Inverkehrbringen angemessen


überwachen, Daten über die Qualität, Sicherheit und Leistung seiner Produkte
sammeln und analysieren und etwaige Präventiv- oder Korrekturmaßnahmen in
die Wege leiten. Kapitel 12, Korrektur- und Verbesserungsmanagement, beschreibt
die Pflichten des Herstellers nach dem Inverkehrbringen und widmet sich im Be-
sonderen dem Thema, wie Produktmängel und Abweichungen in der Serie adäquat
zu adressieren sind. Die Anforderungen an ein funktionierendes und effizientes
Korrektur- und Verbesserungsmanagement werden erklärt, wobei eine wirksame Ur-
sachenanalyse von entscheidender Bedeutung ist, damit Fehler rasch beseitigt und
ein Wiederauftreten verhindert werden können. Auch die Wichtigkeit einer aus­
reichenden Einbindung des Managements in den CAPA-Prozess wird betont.
Die beiden folgenden Kapitel stellen die „Außensicht“ auf eine Medizinprodukte-
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firma dar. Aus Behördensicht wird in Kapitel 13, Behördenanforderungen und be-
hördliche Inspektionen, dargestellt, welche Aufgaben die Behörden auf EU- und
­nationaler Ebene zu erfüllen haben und wie die Behörde die gesetzlichen Anforde-
rungen an die Marktteilnehmer kontrolliert und ihnen Nachdruck verleiht, wobei
insbesondere auf die Inspektionstätigkeit der Behörden eingegangen wird. Außer-
dem wird das Thema Post-Market Surveillance/Vigilanz kurz umrissen, welches
nach der neuen MPV/IVDV eine wesentliche Forderung an Hersteller von Medizin-
For personal use only.

produkten ist.
Die Sicht der Benannten Stelle zeigt in Kapitel 14 exemplarisch auf, welche Anfor-
derungen ein Medizinproduktehersteller bezüglich QM-System und Technischer
Dokumentation zu erfüllen hat, um von der Benannten Stelle die CE-Konformität
seines Produkts bestätigt zu bekommen.
Im abschließenden neuen Kapitel 15 kommt ein Startup zu Wort, das darlegt, wel-
che Herausforderungen ein market newcomer im Medizinproduktebereich zu be-
denken und zu bewältigen hat. Besonders wertvoll sind die jeweils zusammenge-
fassten „Learnings“, die anderen „Einsteigern“ dabei helfen können, die gröbsten
Fehler zu vermeiden und damit Zeit, Ressourcen und Kosten zu sparen.
Die Abfolge der einzelnen Kapitel folgt einer gewissen Logik. Trotzdem können die
Kapitel auch einzeln und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden, da sie inhalt-
lich nicht zwingend aufeinander aufbauen. Entsprechende Literaturverweise und
Querverweise zu anderen Kapiteln ermöglichen es der Leserin und dem Leser, wei-
terführende Erklärungen nachzuschlagen. Das Buch versteht sich dabei nicht als
wissenschaftliche Abhandlung. Es richtet sich, gestützt auf relevante Literatur,
vielmehr an alle Personen, die im Medizinproduktebereich einen Überblick über
die wichtigsten regulatorischen Dos and Don’ts erhalten oder sich zu einzelnen
Fragen praktische Tipps und ergänzende Hinweise holen wollen.
Leitfragen am Anfang jedes Kapitels verschaffen dem Leser einen raschen Über-
blick über den Zweck und die inhaltlichen Schwerpunkte dieses Kapitels. Vier ver-
Einleitung XXXIII

schiedene Typen von Informationskästchen zeigen an, wenn einzelne Themen­


bereiche besondere Aufmerksamkeit verdienen. Dabei wird zwischen „Merke“,
„Beachte“, „Tipp“ und „Beispiel“ unterschieden.

MERKE:
Fasst bereits Gesagtes zusammen.

BEACHTE:
Verweist auf kritische gesetzliche Anforderungen, deren Nichtbeachtung negative
Konsequenzen nach sich ziehen kann.

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TIPP:
Gibt praktische Hinweise zur Umsetzung.

BEISPIEL:
Gibt Beispiele zum Verständnis an.

For personal use only.

Am Ende jedes Kapitels gibt es einen Literaturanhang, der die wichtigsten Quellen
des jeweiligen Kapitels enthält, vor allem Gesetze, Normen und Kommentare. Wei-
terführende Literatur wird, soweit sinnvoll, angeführt, wobei jedoch bewusst auf
eine umfangreiche Bibliografie verzichtet wird. Am Ende des Buches erleichtern
ein Glossar, ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Stichwortverzeichnis das Ver-
ständnis und ein rasches Nachschlagen von interessierenden Themen.
Als Besonderheit erhalten Sie zu diesem Buch noch zusätzliches Download-Mate-
rial mit nützlichen Vorlagen und Beispielen.

Literatur
[1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie 93/42/
EWG über Medizinprodukte (MDD).
[2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  189 vom 20. 07. 1990: Richtlinie
90/385/EWG zum Abgleich der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare
medizinische Geräte (AIMD).
[3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 331 vom 27. 10. 1998: Richtlinie 98/79/
EG über In-vitro-Diagnostika (IVDD).
[4] 2010 mussten „Metall auf Metall (MoM)“-Hüftimplantate einer amerikanischen Firma zurückgeru-
fen und ausgetauscht werden, weil sich an der Gleitfläche ein Abrieb gebildet hatte und Chrom-
und Kobaltpartikel in den Körper gelangten, die zu Gesundheitsschäden führten. In den weiteren
Jahren kam es zu weiteren Rückrufen schadhafter Hüftimplantate (siehe dazu „Hohe Versagens­
rate – Johnson & Johnson ruft Hüftprothesen zurück“, in: Handelsblatt vom 14. 02. 2013. Verfügbar
unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/hohe-versagensrate-johnson-und-johnson-
ruft-hueftprothesen-zurueck/7787658.html, abgerufen am 19. 06. 2021).
XXXIV Einleitung

[5] 2010 wurde bei einem französischen Hersteller eine große Anzahl von schadhaften Brustimplanta-
ten diagnostiziert. Dieser hatte illegal Industrie- anstelle von medizinisch zugelassenem Silikon
verwendet. Weltweit waren rund 400 000 Frauen davon betroffen, welche ihre Brustimplantate
(zum Teil vorsorglich) ersetzen lassen mussten (siehe dazu Wikipedia: „Poly Implant Prothèse“,
verfügbar unter: https://de.wikipedia.org/wiki/Poly_Implant_Prothèse, abgerufen am 19. 06. 2021).
Verschlimmert wurde die Situation durch eine mangelnde Rückverfolgbarkeit, die keine eindeuti-
gen Schlüsse zuließ, welche Patientin welches Implantat erhalten hatte.
[6] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 5.  April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie
2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur
Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (MPV).
[7] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie
98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (IVDV).
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[8] Helene Bubrowski: „Wohl kein Schmerzensgeld im Implantate-Skandal“, in: FAZ vom 16. 02. 2017. Ver-
fügbar unter: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kriminalitaet/eugh-urteil-zum-brustimplantate-
skandal-tuev-muss-nicht-zahlen-14880659.html, abgerufen am 19. 06. 2021.
[9] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 253/8 Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 920/2013 der Kommission vom 24. 09. 2013 über die Benennung und Beaufsichtigung Be-
nannter Stellen gemäß der Richtlinie 90/385/EWG des Rates über aktive implantierbare medizini-
sche Geräte und der Richtlinie 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte.
[10] EU-Parlament verabschiedet Medizinprodukte-Verordnung: BVMed für „nationales Förderprogramm
für MedTech-KMU“, 05. 04. 2017. Berlin. Verfügbar unter: https://www.devicemed.de/eu-parlament-
For personal use only.

verabschiedet-neue-medizinprodukte-verordnung-a-597388/, abgerufen am 19. 06. 2021.


[11] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung: EN ISO 13485:2016 Medical devices – Quality
Management Systems  – Requirements for regulatory purposes. 2016. (Deutsche Fassung: Deut-
sches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016, Medizinprodukte  – Qualitätsmanage-
mentsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Beuth 2016).
[12] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
(21 CFR 820), Quality System Regulation, https://www.ecfr.gov/cgi-bin/text-idx?SID=3620d26f64d1b
0bdb3605145d6211b4a&mc=true&node=pt21.8.820&rgn=div5, abgerufen am 19. 06. 2021.
[13] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 9001:2015-11, Qualitätsmanagementsysteme – An-
forderungen.
[14] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN 60601 – 1:2006+A1:2013 Medizi-
nische elektrische Geräte, Teil 1: Allgemeine Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der
wesentlichen Leistungsmerkmale. EN 60601 – 1-11:2015 Medizinische elektrische Geräte Teil 1 – 11:
Besondere Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der wesentlichen Leistungsmerkmale –
Ergänzungsnorm: Anforderungen an medizinische elektrische Geräte und medizinische elektri-
sche Systeme für die medizinische Versorgung in häuslicher Umgebung.
1 QM-Systeme
J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Was sind die wesentlichen Anforderungen an das QM-System von Medizinpro-


dukte- und In-vitro-Diagnostika-Herstellern?
ƒ Erfüllt die ISO 13485:2016 die Anforderungen der neuen EU-Verordnungen
für Medizinprodukte (MPV) und In-vitro-Diagnostika (IVDV)?
ƒ Welche Unterschiede existieren zwischen der ISO 9001:2015 und der ISO
13485:2016?
ƒ Was ist im Dokumentenmanagement besonders zu beachten?

For personal use only.

„ 1.1 Einleitung
In einem Qualitätsmanagementsystem (in weiterer Folge QM-System) legt eine
­Organisation ihre Organisationsstrukturen, Verfahren, Prozesse und Ressourcen
sowie die Anforderungen an ihre Produkte und Dienstleistungen fest mit dem Ziel,
reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, d. h. die Qualität ihrer Produkte und
Dienstleistungen gemäß den Kundenanforderungen aufrechtzuerhalten und zu
verbessern. Darüber hinaus soll ein funktionierendes QM-System sicherstellen,
dass im Fall von Mängeln diese frühzeitig erkannt und nachvollziehbar gelenkt
werden können.
Bei Medizinprodukteherstellern (im Sinne der Richtlinien [1.1] bis [1.3] bzw. der
neuen Verordnungen [1.4] und [1.5]) stehen die beiden Funktionen eines QM-Sys-
tems  – reproduzierbare Produkt- und Dienstleistungserbringung sowie gelenkte
Fehlerbehebungsmechanismen – im Fokus, weil die Fehlfunktion eines Produkts
nicht nur den Anwender betreffen, sondern darüber hinaus einen direkten oder
indirekten gesundheitsgefährdenden Einfluss auf den Patienten haben kann. Aus
dieser potenziellen Gefährdungslage heraus ist es verständlich, dass für die
­Entwicklung, die Herstellung und die Vermarktung von Medizinprodukten hohe
2 1 QM-Systeme

Anforderungen hinsichtlich Sicherheit und Einhaltung der Leistungsmerkmale


existieren. Dies hat dazu geführt, dass Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika
stark reguliert sind und hohe Anforderungen an das QM-System des Herstellers
gestellt werden.
So fordern beide Verordnungen [1.4], [1.5] in Art. 10 (9): „Die Hersteller von Pro-
dukten, . . ., müssen ein Qualitätsmanagementsystem einrichten, dokumentieren, an-
wenden, aufrechterhalten, ständig aktualisieren und kontinuierlich verbessern, das
die Einhaltung dieser Verordnung auf die wirksamste Weise sowie einer der Risiko-
klasse und der Art des Produkts angemessenen Weise gewährleistet.“
In den Unterpunkten a) bis m) dieses Artikels werden folgende Mindestanforde-
rungen an das QM-System gefordert, und zwar:
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a) ein Konzept zur Einhaltung der Regulierungsvorschriften,


b) die Feststellung der anwendbaren grundlegenden Sicherheits- und Leistungs-
anforderungen,
c) die Verantwortlichkeit der Leitung,
d) ein Ressourcenmanagement, einschließlich der Auswahl und Kontrolle von
­Zulieferern und Unterauftragnehmern,
For personal use only.

e) ein Risikomanagement,
f) die klinische Bewertung einschließlich der klinischen Nachbeobachtung,
g) Vorgaben zur Produktrealisierung,
h) ein UDI-System,
i) ein PMS-System (zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen),
j) die Kommunikation mit den zuständigen Behörden, Benannten Stellen, etc.,
k) ein Verfahren für die Meldung von schwerwiegenden Vorkommnissen und
­Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld,
l) das Management korrektiver und präventiver Maßnahmen sowie
m) Verfahren zur Überwachung und Messung der Ergebnisse, Datenanalyse und
Produktverbesserung.
Viele der genannten Anforderungen finden sich nicht im weltweit am weitesten
verbreiteten QM-System, der ISO 9001:2015 [1.6]. Im Unterschied zum „traditio-
nellen“ ISO 9001 QM-System finden sich in den beiden genannten Verordnungen
allerdings keine Vorgaben in Hinblick auf „business excellence“ (z. B. Steigerung
von Effizienz der Abläufe und Prozesse, Wissens- und Chancenmanagement, Kun-
denzufriedenheit . . .), weil die kurzfristigen „Stellschrauben“ einer Organisation
im Medizinproduktemarkt zur Verbesserung der Geschäftsergebnisse dort enden
müssen, wo durch Produkt- oder Prozessänderungen eine Gefährdung von Anwen-
dern oder Patienten nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden
kann.
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 3

Das im Bereich der Medizintechnik relevante QM-System ist daher die EN ISO
13485:2016 [1.7]. Sie enthält spezielle Anforderungen, die dem Thema Produkt­
sicherheit höchste Priorität geben. Eine zentrale Stellung kommt dabei dem Risiko-
management zu, wo an all jenen Stellen explizit die Etablierung und Umsetzung
­eines risikobasierten Vorgehens gefordert wird, wo die Produktfunktionalität oder
die Sicherheit des Patienten beeinträchtigt werden könnte. Die Forderungen der ISO
13485 werden durch eine Vielzahl an nationalen und internationalen Gesetzen, Nor-
men und Standards ausgeführt und ergänzt. Erst im Kontext der gesamten „Regulie-
rungshierarchie“ können die Anforderungen an Medizinproduktehersteller vollstän-
dig verstanden und in ein „hinreichendes“ QM-System implementiert werden.
Für den US-amerikanischen Markt bildet der 21 CFR 820 [1.8], auch QSR oder
cGMP abgekürzt, die gesetzliche Basis für Medizinproduktehersteller. Sie ist in
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wesentlichen Punkten, insbesondere über die „Auslegungsregeln“ der FDA bzw.


internationaler Gremien wie z. B. der GHTF/IMDRF oder der ICH, weitgehend mit
der ISO 13485 abgestimmt. Es wird daher in den weiteren Ausführungen dieses
Kapitels auf eine spezielle Berücksichtigung der QSR verzichtet, es sei denn, rele-
vante Unterschiede zwischen diesen beiden QM-Systemen sollen hervorgehoben
und erläutert werden.
For personal use only.

„ 1.2 Die wesentlichen Anforderungen der


ISO 13485
Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika müssen in einem Konformitätsbewer-
tungsverfahren ihre Übereinstimmung mit den EU-Richtlinien [1.1] bis [1.3] bzw.
ab 2021/2022 mit den EU-Verordnungen [1.4] und [1.5] erfolgreich nachgewiesen
haben, bevor diese in der Europäischen Union in den Verkehr gebracht werden
dürfen. Die ISO 13485:2016-Zertifizierung kann dabei als erster, aber nicht hinrei-
chender Schritt zur Erlangung der Konformität mit den europäischen Richtlinien
gesehen werden.

BEACHTE:
Bei Vorhandensein eines zertifizierten QM-Systems nach ISO 13485 wurde bisher
angenommen, dass die auf dem Markt zugelassenen Produkte allen Vorschriften
im EU-Raum, insbesondere [1.1] bis [1.3] entsprechen (sogenannte harmonisierte
Norm). Die aktuelle Version der ISO 13485 aus dem Jahr 2016 [1.7] wurde jedoch,
wie etliche andere Normen, nicht mehr mit der neuen Medizinprodukte- bzw. In-
vitro-­Diagnostik-Verordnung [1.4] und [1.5] harmonisiert, sodass sich bei Erfüllung
der ISO-13485:2016-Normforderungen nicht automatisch eine Erfüllung aller
Forderungen der beiden oben genannten EU-Verordnungen ergibt.
4 1 QM-Systeme

Tabelle 1.1 Beispiele für nicht in der ISO 13485:2016 abgedeckte Forderungen


der MPV und IVDV
MPV/IVDV Art. 10, Abs. 9 ISO 13485:2016
a) Konzept zur Einhaltung der Regulierungsvor- Nicht vorhanden
schriften, Konformitätsbewertungsverfahren
und das Management von Änderungen
b) Feststellung der anwendbaren grundlegenden Nicht vorhanden,
Sicherheits- und Leistungsanforderungen ­Standards fehlen
und die Ermittlung von Möglichkeiten zur
Einhaltung dieser Anforderungen
f) klinische Bewertung gemäß Artikel 61 und Nicht vorhanden
Anhang XIV einschließlich der klinischen
Nachbeobachtung
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h) UDI-System gemäß Artikel 27(3) und 29 Details aus Art. 27 fehlen


i) System zur Überwachung nach dem Inver- Details aus Art. 83 fehlen
kehrbringen gemäß Artikel 83 (PMS)
j) Kommunikation mit den zuständigen Behör- Bezeichnung „Benannte
den, Benannten Stellen, weiteren Wirtschafts- Stelle“ fehlt
akteuren, Kunden und/oder anderen
interessierten Kreisen
For personal use only.

k) die Verfahren für die Meldung von schwer- Details für Vigilanz-
wiegenden Vorkommnissen und Sicherheits- Reporting und Termine
korrekturmaßnahmen im Feld im Rahmen fehlen
der Vigilanz;

Auch wenn ein QM-System nach ISO 13485:2016 nicht mehr eine „automatische
Übereinstimmung und Compliance“ mit den Anforderungen der MPV bzw. IVDV
bedeutet und jeder Hersteller angehalten ist zu prüfen, ob die neuen EU-Verord-
nungen zusätzliche Anforderungen enthalten, kann die ISO 13485:2016 trotzdem
sehr gut als Basis und Ausgangspunkt für ein „Medizinprodukte-/In-vitro-Diagnos-
tika-konformes QM-System“ herangezogen werden.

Je nach Kritikalität eines Produkts kann der Nachweis der Übereinstimmung des
QM-Systems mit den Anforderungen der angeführten EU-Vorschriften entweder
durch eine Selbstdeklaration des Herstellers erfolgen oder es bedarf einer zusätzli-
chen Bestätigung durch eine sogenannte Benannte Stelle (Notified Body). Erst nach
positiver Bewertung, dass ein mit den EU-Vorschriften konformes QM-System vor-
liegt, gibt es die Ermächtigung zur Kennzeichnung der Produkte mit dem CE-Kenn-
zeichen, was gleichzeitig die Erlaubnis beinhaltet, ein Medizinprodukt oder In-­
vitro-Diagnostikum nach Registrierung bei einer national zuständigen Behörde in
der gesamten Europäischen Union in Verkehr zu bringen. Darüber hinaus haben
einige Länder außerhalb der EU spezielle nationale Anforderungen an das QM-
System, wie z. B. Kanada oder Japan, die, falls eine Vermarktung in diesen Ländern
geplant ist, in der Zertifizierung zu berücksichtigen sind. Details dazu siehe Ab-
schnitt 3.2, Punkt „Registrierung“.
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 5

BEACHTE:
Es muss klar zwischen Medizinprodukteherstellern auf der einen Seite und Zulie-
ferern auf der anderen Seite unterschieden werden. Erstere müssen ein den Ge-
setzen [1.1] bis [1.5] konformes QM-System aufrechterhalten, währenddessen für
Letztere ein zertifiziertes QM-System keine unbedingte Notwendigkeit darstellt.
Medizinproduktehersteller fordern jedoch bei der Auswahl ihrer Zulieferer vermehrt
eine Zertifizierung nach einem internationalen Standard oder legen die zutreffen-
den Anforderungen der MPV oder IVDV als vertragliche Bestandteile im Rahmen
einer Qualitätssicherungsvereinbarung fest, z. B. als Zusatz zum einem bestehen-
den ISO-9001-QM-System des Zulieferers (siehe dazu auch Kapitel 11, Lieferan-
tenmanagement). Relevante Zulieferer von Medizinprodukteherstellern ohne zer-
tifiziertes QM-System werden heute kaum noch akzeptiert. Lieferanten von
produktkritischen Materialien und Dienstleistungen wird auf Dauer auch eine
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Zertifizierung nach ISO 13485 nahegelegt. Die vom Hersteller als „kritisch“ ge-
nannten Zulieferer haben nach den neuen EU-Verordnungen [1.4] und [1.5] auch
jederzeit mit unangemeldeten Audits von Behörden oder Notified Bodies zu rech-
nen (Anhang VII (4.5.2) MPV/IVDV).
Beachte in diesem Zusammenhang auch die Anforderungen an Bevollmächtigte,
Importeure und Händler lt. Art. 11 bis 16 MPV und IVDV.

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1.2.1 Die neuen Revisionen der ISO 9001 und ISO 13485


Die ISO 9001 ist die global verbreitetste QM-Systemnorm. Sie wurde 1994 erstma-
lig eingeführt und dann in insgesamt drei größeren Revisionen 2000, 2008 und
2015 weiterentwickelt.
Speziell die in die Jahre gekommene ISO 9001:2008 erfuhr 2015 eine vollständige
Überarbeitung, um notwendige Erweiterungen einzubringen und die Angleichung
an andere Managementsystemnormen zu verbessern. Offensichtlich ist die grund-
legende Änderung der Kapitelstruktur. Anstelle der bisherigen acht Kapitel ist die
Ausgabe 2015 in zehn Kapitel unterteilt – in „Anwendungsbereiche“, „Normative
Verweise“, „Begriffe“, „Kontext der Organisation“, „Führung“, „Planung“, „Unter-
stützung“, „Betrieb“, „Bewertung der Leistung“ und „Verbesserung“. Die neue
­Kapitelgliederung orientiert sich jetzt stärker an den Anforderungen anstelle der
Ziele und Prozesse der Organisation. Wesentlich geändert wurde auch der Kontext
der Organisation. Dieser weitet sich von einer reinen Kundenorientierung auf ein
Stakeholder Management nach dem EFQM-/Business Excellence-Modell [1.12] aus.
Es gilt, alle für die Organisation relevanten Parteien zu identifizieren und deren
Erwartungen im QM-System angemessen abzubilden. Dies betrifft auch Anforde-
rungen gesetzlicher und behördlicher Natur. In der neuen Revision der ISO 9001
wurde auch das Thema Risikomanagement wesentlich stärker betont und zieht sich
6 1 QM-Systeme

jetzt durch die gesamte Norm, wobei neben den Risiken auch die Chancen, im Sinn
des Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, angesprochen werden. Planung,
Durchführung und Bewertung der Leistung wurden getrennt und damit transpa-
renter zuordenbar. Themen wie Kommunikation und Kompetenz erhielten eine
stärkere Betonung, Wissen und das Managen von Wissen wurden erstmalig expli-
zit gefordert. Spätestens ab September 2018 müssen alle nach ISO 9001 zertifizier-
ten Organisationen ihr QM-System auf die Revision 2015 umgestellt haben.
International stellt die EN ISO 13485 die normative Basis für die Anforderungen
an ein QM-System für Medizinproduktehersteller dar. Dieser Standard beschreibt
ein übergreifendes Managementsystem zum Design, zur Herstellung und zum Ver-
trieb von Medizinprodukten. Die ISO 13485 wurde erstmals 2003 veröffentlicht und
löste früher gültige Dokumente ab, z. B. die ISO 46001 und ISO 46002 (beide von
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1997) sowie die ISO 13488 (von 1996). Diese Erstausgabe wurde in den Jahren
2007, 2009 und 2012 geringfügig modifiziert, bevor sie 2016 umfangreich überar-
beitet und den internationalen Guidelines der IMDRF/GHTF und dem CFR 21 Part
820 angepasst wurde.
Die ISO 13485:2016 [1.7] hat ihre Kapitelstruktur mit acht Kapiteln vorerst beibe-
halten und sich damit noch weiter als bisher von der ISO 9001-Familie entfernt.
Auch inhaltlich wurde die Distanz zwischen den beiden Normen größer. Während
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sich die neue ISO 9001:2015 verstärkt in Richtung Business Excellence-Modell ent-
wickelt, orientiert sich die ISO 13485:2016 weiterhin vordringlich an der Produkt-
sicherheit und -leistung. Das drückt sich unter anderem in den zahlreichen For­
derungen nach einem umfassenden Risikomanagement aus. So wird allein in
Kapitel 7, „Produktrealisierung“, achtmal die adäquate Berücksichtigung des „ver-
bundenen Risikos“ gefordert. Ein risikobasierter Ansatz ist z. B. bei der Validie-
rung und Revalidierung von Computersoftware gefordert (Abschnitt 7.5.6) und
auch im Beschaffungsprozess (Abschnitt 7.4.1) wird stärker als bisher auf das Ri-
siko des beschafften Produkts im Zusammenhang mit dem Endprodukt abgestellt.
Sowohl die (initiale) Auswahl von Lieferanten als auch Maßnahmen mit dem Liefe-
ranten aufgrund der Nichterfüllung von Beschaffungsanforderungen müssen im
Verhältnis zum Risiko und unter Einhaltung der geltenden gesetzlichen Bestim-
mungen erfolgen. In diesem Zusammenhang ist wichtig zu erwähnen, dass sich in
der ISO 13485:2016 die Hinweise auf „regulatorische Anforderungen“ (Gesetze,
Vorschriften, Bestimmungen, Verordnungen) gegenüber der Ausgabe 2012 von
bisher sieben auf nunmehr 36 erhöht haben. So muss z. B. der Umfang der Rück-
verfolgbarkeit den regulatorischen Anforderungen entsprechen und, falls regulato-
risch gefordert, ein dokumentiertes System zur eindeutigen Geräteidentifikation
umfassen (Abschnitt 7.5.8). Da ein Unique Device Identifier (UDI) in der MPV bzw.
IVDV gefordert wird, ist dies damit automatisch eine Anforderung des QM-Sys-
tems! Um das Produkt vor Veränderung, Verunreinigung oder Beschädigung unter
den zu erwartenden Bedingungen bei der Verarbeitung, Lagerung, Handhabung
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 7

und Verteilung zu schützen, sind geeignete Verpackungen und Transportbehälter


zu gestalten und zu konstruieren (Abschnitt 7.5.11). Abschnitt 8.2.2 fordert einen
dokumentierten Reklamationsbehandlungsprozess mit folgenden Anforderungen:
ƒ Eingang und Aufzeichnung von Rückmeldungen,
ƒ Bewertung, ob die Rückmeldung eine Reklamation ist,
ƒ Untersuchung der Reklamation (dokumentierte Begründung bei Nichtunter­
suchung),
ƒ Ermittlung, ob eine Meldung an die Behörde erforderlich ist,
ƒ Handhabung der reklamationsrelevanten Produkte,
ƒ Ermittlung, ob Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen erforderlich sind.
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Neu bei den Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen ist, dass ein expliziter
Marktbeobachtungsprozess (Post-Market Surveillance  – PMS) gefordert wird und
dass Korrekturmaßnahmen verifiziert werden müssen, um sicherzustellen, dass
keine unerwünschten Nebeneffekte auftreten (siehe u. a. Abschnitt 8.4 und 8.5).
Aufgrund der zahlreichen zusätzlichen Forderungen, inklusive Hinweisen auf re-
gulatorische Anforderungen und Risikomanagement, zusätzlicher Anforderungen
an Validierung, ausgegliederte Prozesse, Lieferantenmanagement, Kundenrück-
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meldungen sowie an Vorgaben und Aufzeichnungen, hat das QM-System nach der
neuen ISO 13485:2016 eine Erhöhung des Arbeitsaufwandes gegenüber der Ver-
gangenheit mit sich gebracht. Der nunmehr große systemische Unterschied zwi-
schen der ISO 9001:2015 und der ISO 13485:2016 und der dadurch zu erwartende
Mehraufwand werden so manchen Hersteller zur Abwägung zwingen, ob er in Zu-
kunft beide Zertifizierungen (ISO 9001 und ISO 13485) aufrechterhalten will oder
ob er mit einer Zertifizierung nach ISO 13485 alleine sein Auskommen findet. Der
ursprüngliche Ansatz, den Einstieg mit der generellen ISO 9001 zu ermöglichen
und anschließend eine weiterführende Spezialisierung durchzuführen, wird auf-
grund der unterschiedlichen Kapitelstruktur und abweichender Anforderungen
neu zu überdenken sein. Es kann jedoch für Firmen, die nicht nur Medizinpro-
dukte herstellen, sondern auch andere Märkte beliefern, sehr wohl gerechtfertigt
sein, auch weiterhin beide QM-Systeme aufrechtzuerhalten. Dies ist jedoch im Ein-
zelfall zu bewerten.

1.2.2 Unterschiede zwischen ISO 9001 und ISO 13485


im Detail
In der Vergangenheit war die ISO 13485 in vielen Bereichen auf die ISO 9001 ab­
gestimmt. Wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt haben sich jedoch die sys-
temischen und inhaltlichen Unterschiede in den neuesten Ausgaben der beiden
8 1 QM-Systeme

Normen wesentlich vergrößert. Die ISO 13485:2016 [1.7] unterscheidet sich von
der ISO 9001:2015 [1.6] in Kurzform vor allem in folgenden Punkten:
ƒ Fokus auf Produktsicherheit und -leistung, wohingegen Business Excellence
kein Thema ist,
ƒ hohe Anzahl an geforderten dokumentierten Verfahren (33),
ƒ spezifische Anforderungen bei der Erstellung, Freigabe, Änderung und Archi-
vierung von Vorgabe- und Nachweisdokumenten,
ƒ vielfacher Verweis auf die Beachtung und Befolgung regulatorischer Vorgaben,
ƒ Stakeholder Management eingeschränkt auf Kunden- und regulatorische For-
derungen,
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ƒ Managementverantwortlichkeit in Bezug auf die gesetzlichen Anforderungen


sowie auf die Beurteilung von Abweichungen und Korrekturmaßnahmen,
ƒ vorgegebene Aktivitäten und Nachweise während der Produktentwicklung,
insbesondere spezielle Anforderungen an die Produktakte (Design History
File – DHF),
ƒ Qualifizierungs- und Validierungsnachweise für Infrastruktur, Anlagen, Com-
puter und Prozesse,
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ƒ Kontrolle der Arbeitsumgebung, insbesondere Hygiene- und Bekleidungsvor-


schriften,
ƒ „Kompetenzen und Wissen“ nur in eingeschränkter Form gefordert (Befähi-
gungsermittlung, Schulungsvorgaben und Nachweise),
ƒ durchgängiger Risikomanagementprozess über den gesamten Lebenszyklus
eines Produkts, wobei die jeweiligen Vorkehrungen und Maßnahmen von den
möglichen Auswirkungen auf die Produktsicherheit und -funktionalität abhän-
gen,
ƒ risikobasierte Qualifizierung und Bewertung von Lieferanten,
ƒ spezifische Anforderungen in der Produktherstellung, insbesondere bezüglich
Aufzeichnungen (z. B. eindeutige Produktkennzeichnung),
ƒ spezifische Anforderungen zur Überprüfung der Wirksamkeit von korrektiven
und vorbeugenden Maßnahmen,
ƒ Forderung nach einem Post-Market-Surveillance-Prozess und Meldung schwer-
wiegender Vorfälle und Sicherheitsrisiken an die Behörden,
ƒ spezifische Anforderungen für „Spezialprodukte“ wie z. B. transplantierbare
Teile oder sterile Produkte,
ƒ keine dezidierte Forderung nach einem Kontinuierlichen Verbesserungspro-
zess, vorgegebene Prozesse müssen nach jeder größeren Änderung neu vali-
diert werden.
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 9

1.2.2.1 Kundenzufriedenheit und ständige Verbesserung


Die Themen Kundenzufriedenheit und ständige Verbesserung des Management-
systems wurden in der ISO 13485 ersetzt durch die Erfüllung der gesetzlichen und
Kundenanforderungen und der Aufrechterhaltung der Wirksamkeit gesetzter Maß-
nahmen. Der Gesetzgeber erteilt damit offensichtlich einem „sicheren“ Produkt
eine höhere Wertigkeit als einem „verbesserten“ Produkt, wohl auch aus der Erfah-
rung, dass jede Änderung an einem Produkt oder Prozess zu einem potenziellen
Risiko führt, Produktfehler zu erhalten, und es damit verbunden, zu einer Gefähr-
dung von Anwendern oder Patienten kommen könnte. Eine weitere Ursache ist,
dass Produkte vor ihrer Inverkehrbringung in sehr umfangreichen und aufwendi-
gen Verifikations- und Validierungsschritten bzw. Zulassungsverfahren nachwei-
sen müssen, dass sie ihre spezifizierten Leistungsmerkmale erfüllen und „sicher“
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sind. Jede größere Änderung bedeutet nun, dass ein Teil oder sogar alle dieser
Schritte und Zulassungen neu gestartet werden müssen. Dieser Aufwand kann in
vielen Fällen durch den erwarteten Zusatznutzen nicht begründet werden.

1.2.2.2 Managementverantwortlichkeit
Verantwortung und Befugnisse müssen in der ISO 13485 nicht nur festgelegt und
bekannt gemacht, sondern auch dokumentiert werden. In der regelmäßigen Ma-
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nagementbewertung muss der Punkt „anwendbare neue oder überarbeitete regula-


torische Anforderungen“ behandelt werden, um sicherzustellen, dass die Organi-
sation die zutreffenden regulatorischen Vorgaben und Anforderungen erfüllt. Das
können z. B. nationale Gesetze wie das Medizinproduktegesetz sein, technische
Normen wie „elektrische Sicherheitsstandards“ oder Spezialnormen wie Risikoma-
nagement nach ISO 14971 [1.9]. Die dahinterstehende Überlegung ist, dass auf-
grund des vorhandenen Gefährdungspotenzials die Leistungsdaten von Medizin-
produkten besonders abgesichert werden müssen und dass dafür das Management
die Letztverantwortung zu tragen hat.

BEACHTE:
Bei vielen Inspektionen, speziell durch die FDA, werden Abweichungen zum Punkt
Managementverantwortlichkeit festgestellt. Vom Management wird in diesem Punkt
erwartet, dass es insbesondere über Reklamationen und Abweichungen regel­mäßig
informiert wird und geeignete Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen aktiv unter-
stützt (durch geeignete Prozesse, ausreichende Ressourcen, trainierte Mitarbeiter
und Vorgabe und Nachhalten geeigneter Ziele). Außerdem muss das Management
durch regelmäßige interne Audits sicherstellen, dass alle Vorgaben des QM-Sys-
tems wirksam und nachhaltig umgesetzt werden.

10 1 QM-Systeme

1.2.2.3 Produktentwicklung
Die ISO 13485 fordert in Abschnitt 7.3, dass für Design und Entwicklung ein fest-
gelegtes Verfahren dokumentiert ist. Dieses Verfahren muss für jede Entwick-
lungsphase eine Bewertung, Verifizierung und Validierung des Designs beinhal-
ten. Produktanforderungen (Spezifikationen bzw. Kundenanforderungen) müssen
festgelegt und dokumentiert sein, insbesondere Festlegungen zur Gebrauchs-
tauglichkeit. Dokumentierte Vorgaben für die Übertragung der Entwicklungs­
ergebnisse in die Produktion sowie für die Lenkung von Design- und Entwick-
lungsänderungen sind gefordert. Grundsätzlich müssen über alle Design- und
Entwicklungsergebnisse Aufzeichnungen geführt werden (Design History File). De-
tails dazu siehe Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten.
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1.2.2.4 Qualifizierung von Infrastruktur, Anlagen, Computern


und Prozessen
Alle qualitätsrelevanten Räume, Versorgungseinrichtungen, Produktions- und
Prüfequipments sowie IT-Systeme (Infrastruktur, Hard- und Software) müssen vor
ihrer erstmaligen Verwendung in der Entwicklung und Serienfertigung qualifi-
ziert sein (Details dazu siehe Kapitel 8, GEP/GMP-konforme Produktionsanlagen).
Unter „qualitätsrelevant“ sind dabei all jene Anlagen und Systeme zu verstehen,
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deren Fehlfunktion zu einer Beeinträchtigung des Endprodukts oder zu einer Ge-


fährdung des Benutzers respektive Patienten führen könnte. Kann also eine Fehl-
funktion durch z. B. nachfolgende Kontrollen oder Prüfungen nicht mit 100-pro-
zentiger Sicherheit entdeckt werden, dann ist eine Qualifizierung oder Validierung
dieser Anlagen und Systeme vorgeschrieben. Eine Qualifizierung oder Validierung
kann aus wirtschaftlichen Gründen allerdings auch in Fällen 100-prozentiger
Überprüfbarkeit in nachfolgenden Prozessschritten angebracht sein. Auch Prüf-
und Freigabemethoden sowie Produktionsprozesse müssen validiert sein (Details
dazu siehe Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung).

BEACHTE:
Die abschließende Entwicklungsvalidierung ebenso wie klinische Studien müssen
mit Serien- oder zumindest mit „seriennahen“ Teilen und Produkten durchgeführt
werden (siehe auch ISO 13485:2016 Abschnitt 7.3.7).

Für qualitätsrelevante Anlagen müssen Wartungspläne vorhanden sein, die Durch-


führung der vorgeschriebenen Wartungstätigkeiten ist zu dokumentieren. Das
Personal ist entsprechend dokumentiert zu schulen.
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 11

1.2.2.5 Kontrolle der Arbeitsumgebung, Hygiene- und


Bekleidungsvorschriften
Da viele Medizinprodukte in aseptischen Bereichen (z. B. Operationssaal) einge-
setzt werden oder direkt mit dem Patienten in Kontakt kommen, ist „Hygiene“ eine
wichtige Forderung bei vielen Medizinprodukteherstellern. Dies berücksichtigt die
ISO 13485 mit speziellen Vorgaben für Sterilprodukte. Aber auch Produkte, die
per se nicht steril sein müssen (wie z. B. In-vitro-Diagnostika), können durch nicht
kontrollierte Umgebungsbedingungen (Luftpartikel, Luftfeuchte, Raumtemperatur,
bakterielle Kontamination) oder Versorgungseinrichtungen (Wasser, Gase) in ihrer
spezifizierten Leistung beeinträchtigt werden. Dies kann von einer Verkürzung
der Lagerdauer bis zu falschen Messwerten führen. Um die Kontamination von
Produkten so weit wie möglich zu eliminieren, verlangen daher die ISO 13485 und
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weitere Vorschriften, dass das Unternehmen dokumentierte Anforderungen an


­Hygiene, Arbeitsumgebung und Sauberkeit von Produkten festlegt, falls die Ar-
beitsumgebung und die darin handelnden Personen die Produktqualität direkt
oder indirekt beeinflussen können. Dies trifft zu für:
ƒ Ausbildung, Gesundheit, Sauberkeit und Arbeitskleidung des Personals; so ist
z. B. in einem Reinraum eine detaillierte Bekleidungsvorschrift verpflichtend,
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ƒ die Arbeitsumgebung, z. B. Partikelzahl, Temperatur, Luftfeuchtigkeit,


ƒ das Personal, das unter besonderen Umgebungsbedingungen arbeiten muss.
Details dazu siehe Kapitel 8 bis 10 in diesem Buch.

1.2.2.6 Risikomanagement
MPV und IVDV fordern in Art. 10(2), dass der Hersteller ein Risikomanagement-
system einrichten, dokumentieren, anwenden und aufrechterhalten muss. Wie in
Anhang I, Abschnitt 3 der Verordnungen ausgeführt, muss das Unternehmen
­einen kontinuierlichen iterativen Risikomanagementprozess während des gesam-
ten Lebenszyklus eines Produkts (von der Entwicklung über die Produktion, Aus-
lieferung, Inbetriebnahme und Service bis zur Außerbetriebnahme) aufrecht er-
halten. Das heißt, das „Risikomanagement-File“ ist zu allen wichtigen Meilensteinen
während der Produktentwicklung und in weiterer Folge in regelmäßigen Abstän-
den, vor allem aber auch bei Änderungen oder nach Auftreten außergewöhnlicher
Ereignisse (z. B. gehäufte Ausfälle in der Produktion, Kundenreklamationen, Pro-
duktrückrufe, Hinweise aus der Literatur etc.) zu überprüfen und gegebenenfalls
zu aktualisieren. Über den Ablauf des Prozesses sowie die identifizierten Risiken
und die getroffenen Maßnahmen zur Reduzierung der erkannten Risiken müssen
nachvollziehbare Aufzeichnungen geführt werden. Die Ergebnisse aus dem Risiko-
managementprozess sollen unter anderem auch als Anforderungen in neue De-
sign- und Entwicklungsprojekte einfließen. Details dazu siehe auch Kapitel 2, Risi-
komanagement.
12 1 QM-Systeme

BEACHTE:
Im Medizinprodukte- und im In-vitro-Diagnostika-Bereich hat sich die EN ISO
14971:2019 [1.9] als Standard für den Risikomanagementprozess etabliert. Diese
Norm legt die Terminologie, die Grundsätze und den Prozess für das Risikoma-
nagement fest. Obwohl die aktuelle Version dieses Standards (noch) nicht mit der
MPV/IVDV harmonisiert ist, sind die Anforderungen weitgehend abgestimmt und
können, mit geringfügigen Ergänzungen als Leitlinie für eine „State of the Art“-
Umsetzung herangezogen werden.
Hinweise zur Anwendung der ISO 14971 inklusive Informationen zum Zusammen-
hang zwischen den EU-Richtlinien über Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika
können dem Leitfaden der ISO/TR 24971 entnommen werden.
Gegenüber der vorangegangenen Version ISO 14971:2013 wurden vor allem Fest-
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legungen zur Risiko-Nutzen-Analyse, zur Bewertung des Restrisikos sowie Kriterien


für die Akzeptanz, Offenlegung und Kommunikation des Restrisikos getroffen.

1.2.2.7 Qualifizierung von Lieferanten


Für Lieferanten (auch Unterauftragnehmer) muss das Unternehmen ein dokumen-
tiertes Verfahren festlegen, wie Lieferanten qualifiziert, ausgewählt und laufend in
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ihrer Leistungsfähigkeit überwacht werden. Das kann z. B. in Form von Verfah-
rensanweisungen erfolgen, die die Festlegung der Kritikalität von zugekauften Tei-
len und Dienstleistungen regeln, die Lieferantenauswahl inklusive Erstmuster­
freigabe, die Wareneingangskontrolle etc. Die Auswahl der Lieferanten hat dabei
sowohl die Kritikalität der zugekauften Teile und Dienstleistungen als auch die
Prüfbarkeit/Erkennbarkeit eventueller Produktmängel zu berücksichtigen. Eine
Qualitätssicherungsvereinbarung zwischen Hersteller und Lieferant soll vor Auf-
tragsvergabe abgeschlossen werden, um sowohl die Qualität der gelieferten Pro-
dukte als auch die Fähigkeit des Lieferanten auf Dauer sicherzustellen. Diese Ver-
einbarung soll des Weiteren Verpflichtungen des Lieferanten umfassen, wie z. B.
die Aufrechterhaltung eines QM-Systems, Durchführung von Wareneingangs- und
In-Prozess-Kontrollen, Führung von Aufzeichnungen, Erlaubnis von Inspektionen,
die Mitteilung von Änderungen und eine eindeutige Kommunikationsmatrix (wer
wann bei welchem Ereignis zu informieren ist). Das Ergebnis aller Prüfungen und
Entscheidungen muss entsprechend dokumentiert werden. Details dazu siehe in
Kapitel 11, Lieferantenmanagement.

1.2.2.8 Anforderungen in der Produktherstellung und


Rückverfolgbarkeit
Für die Produktion bzw. Dienstleistungserbringung muss die Organisation gemäß
ISO 13485:2016 festlegen, wie der spezifikationsgemäße Zustand eines Produkts
während des gesamten Herstellprozesses aufrechterhalten wird und wie es vor
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 13

Veränderung, Verunreinigung oder Beschädigung unter den zu erwartenden Be-


dingungen bei der Verarbeitung, Lagerung, Handhabung und Verteilung geschützt
werden kann. Das gilt insbesondere für Produkte mit begrenzter Haltbarkeit. Der
Umgang mit Messmitteln ist in einem eigenen Vorgabedokument zu regeln. In
­Bezug auf Verpackung und Kennzeichnung müssen festgelegte Arbeitsvorgänge
beschrieben sein. Computersoftware, die in kritischen Herstellprozessen verwen-
det wird, ist zu validieren. Bei der Herstellung von Produkten mit speziellen Anfor-
derungen, z. B. bei sterilen Produkten, muss es dafür ein beschriebenes Verfahren
geben.

BEACHTE:
Laut Anhang II Kapitel 3 MPV und IVDV [1.4] und [1.5] muss der Hersteller in der
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Technischen Dokumentation vollständige Informationen und Spezifikationen vor-


legen, die es erlauben, alle Auslegungsphasen, die das Produkt durchläuft, zu
verstehen, einschließlich der Herstellungsprozesse und ihrer Validierung, der
verwendeten Hilfsstoffe, der laufenden Überwachung und der Prüfung des End-
produkts.

Fehlerhafte Produkte müssen vor Gebrauch, Freigabe oder Sonderfreigabe einem


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Genehmigungsprozess unterzogen werden. Es muss ersichtlich sein, wer diese Ge-


nehmigungen erteilen darf und wer diese tatsächlich durchgeführt hat, um welche
Art von Fehlern es sich gehandelt hat und welche Maßnahmen ergriffen wurden,
um diese Fehler zu beheben. Ein nachbearbeitetes Teil/Produkt muss zum Nach-
weis der Konformität erneut geprüft und freigegeben werden.

BEACHTE:
Produktfreigaben fordern in aller Regel ein Vier-Augen-Prinzip!
Konnte eine Produktprüfung oder Freigabe nicht erfolgreich bestanden werden,
muss zuerst versucht werden, die Ursache dafür zu ergründen. Anschließend sind
geeignete Abhilfemaßnahmen zu setzen, bevor die Prüfungen wiederholt werden
können. Ein testing into compliance ist ein schwerer Verstoß gegen die Anforde-
rungen des QM-Systems.

Ein spezielles Thema der ISO 13485 ist die Identifikation und Rückverfolgbarkeit
von Produkten. Während der gesamten Produktherstellung und während dessen
gesamter Lebensdauer muss das Unternehmen gewährleisten, dass das Produkt
eindeutig identifizierbar ist. Auch hier ist ein dokumentiertes Verfahren gefordert,
welches die Handhabung und die geforderten Aufzeichnungen umfasst. Die Rück-
verfolgbarkeit soll einerseits sicherstellen, dass keine fehlerhaften Produkte den
Markt erreichen; andererseits müssen fehlerhafte Produkte im Markt rasch identi-
fiziert und bei Notwendigkeit etwaige Rückrufe vom Markt, ohne unnötige Zeitver-
14 1 QM-Systeme

zögerungen, umgesetzt werden können. Eine rasche Rückverfolgung und eindeu-


tige Identifizierbarkeit (Unique Device Identification – UDI) fehlerhafter Produkte
im Markt werden auch in den neuen EU-Verordnungen [1.4], [1.5] gefordert, wie
bereits seit Längerem in anderen internationalen Anforderungen [1.10] und Richt-
linien [1.11].
In diesem Zusammenhang ist auch die Forderung der ISO 13485 zu sehen, wonach
ein Unternehmen messen muss, ob die Kundenanforderungen erfüllt sind. Dies ist
mit dem verpflichtenden Auftrag verbunden, dass ein Rückmeldesystem (Vigilanz-
system sowie eine Post-Market Surveillance – PMS) vorhanden ist, welches frühzei-
tig über Qualitätsprobleme im Markt warnt. Die Vorgehensweisen und Methoden
zu diesem Zweck müssen festgelegt und beschrieben sein.
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1.2.3 Dokumentenmanagement
Eine der Hauptforderungen der ISO 13485, aber auch des 21 CFR 820 ist, dass so-
wohl alle Vorgaben als auch alle Nachweise dokumentiert sein müssen. Ein bei
Medizinprodukteherstellern in der Zwischenzeit allgemein anerkannter Grund-
satz der FDA lautet deshalb: „What is not documented is not existent.“ Dieser
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Grundsatz ist aus den beiden Anforderungen nach Wiederholbarkeit und Rückver-
folgbarkeit zu erklären. Wiederholbarkeit als Voraussetzung für einen stabilen Pro-
zess und daraus folgend reproduzierbare Ergebnisse und „sichere“ Produkte;
Rückverfolgbarkeit als Voraussetzung für die eindeutige Identifikation von fehler-
haften Produkten und die damit verbundene rasche Einleitung von entsprechen-
den Korrekturmaßnahmen. Ein gut beschriebenes, implementiertes und vor allem
„gelebtes“ Dokumentenmanagement ist daher eine der Hauptsäulen eines funktio-
nierenden QM-Systems für Medizinproduktehersteller.

BEACHTE:
Die Anforderung an die Dokumentation hat sich bei den EU-Verordnungen [1.4]
und [1.5] gegenüber den bisherigen Richtlinien [1.1] bis [1.3] wesentlich erhöht,
und es ist zu erwarten, dass in Zukunft von den Benannten Stellen mehr Beanstan-
dungen in diesem Bereich zu erwarten sind, insbesondere betreffend die Technische
Dokumentation lt. Anhang II. Auch bei den Warning Letters der FDA werden in
ungefähr einem Viertel schwere Verstöße gegen die Dokumentenmanagement-
vorschriften festgestellt. Entweder gibt es keine beschriebenen Vorgaben in diesem
Bereich oder das Änderungsmanagement weist gravierende Mängel auf. Aber auch
Fehler bei der Dokumentenaufbewahrung, nicht durchgeführte periodische Reviews
und unzureichende Kommunikation und Schulung der Dokumente werden bean-
standet.

1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 15

Dokumente lassen sich grundsätzlich in Vorgabe- und Nachweisdokumente unter-


teilen.
Vorgabedokumente sind verbindliche Dokumente, welche Verantwortlichkeiten,
Prozesse, Produktanforderungen, Arbeitsabläufe, Tools usw. beschreiben. Sie um-
fassen z. B. das Prozesshandbuch, Verfahrensanweisungen, Ausführungsunterlagen
(z. B. Arbeitsanweisungen, Entwicklungsvorgaben, Fertigungsdokumente, Prüfan-
weisungen, Vertriebs- und Servicedokumente). Vorgabedokumente dürfen nicht
von ein und derselben Person erstellt, geprüft und freigegeben werden, sondern
erfordern zumindest die Unterschrift von zwei unterschiedlichen Personen. Neu
erstellte Vorgabedokumente sind mit Dokumentennummer, Revision und Datum
zu versehen. Vorgabedokumente müssen kontinuierlich geprüft und überarbeitet
werden, um auf dem aktuellsten Stand von Wissen, Erfahrung und den anzuwen-
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denden Regularien und Standards zu sein. Für Vorgabedokumente muss ein Ände-
rungswesen beschrieben sein. Es hat sich bewährt, dass für die Erstellung und
Lenkung von Vorgaben der jeweilige Bereichs- oder Prozessverantwortliche Sorge
trägt.
Die Ergebnisse von qualitätsrelevanten Tätigkeiten (z. B. Entwicklung, Test, Prü-
fung, Montage, Wartung, Überwachung, Registrierung, Audit) müssen aufgezeich-
net werden. Diese Nachweisdokumente sollen die Qualität der Produkte und Pro-
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zesse sowie das Funktionieren des Managementsystems gegenüber Kunden und


Behörden nachweisen. Nachweisdokumente (und/oder Rohdaten) weisen die
Durchführung oder die Ergebnisse der Arbeit nach oder dokumentieren einen be-
stimmten Sachverhalt.

TIPP:
Sitzungsprotokolle, wie z. B. Protokolle von Management- oder Projektteamsitzun-
gen, sind nur dann qualitätsrelevant und müssen gelenkt werden, wenn Sachver-
halte oder Entscheidungen, die Gegenstand oder Ergebnis der Sitzung sind, einen
Einfluss auf die Funktionalität oder Sicherheit der Produkte oder Prozesse haben
könnten und jene Entscheidungen nur in diesen Protokollen dokumentiert werden.

Im Folgenden sollen die wichtigsten Anforderungen, aber auch Best Practice-Erfah-


rungen zum Thema Dokumentation im GxP-Umfeld (GxP = Good x Practice), wie-
dergegeben werden (siehe dazu auch ISO 13485:2016, Abschnitt 4.2.4 und 4.2.5).

Grundlegende Regeln für die Dokumentation im GxP-Umfeld


Ein vollständig beschriebenes und strikt exekutiertes Dokumentenmanagement-
system ist Grundvoraussetzung für jeden Medizinproduktehersteller. Dokumente
dürfen nur von fachlich geeigneten und organisatorisch zuständigen Personen er-
stellt und freigegeben werden. Nach ihrer Freigabe, aber noch vor ihrem Inkraft­
treten, sind Vorgabedokumente zu schulen und zu verteilen. Dabei muss sicher­
16 1 QM-Systeme

gestellt werden, dass alle Mitarbeitenden nachweislich in alle Vorschriften


eingeschult wurden, die für ihren Arbeitsbereich relevant sind.

TIPP:
Alle Mitarbeiter sollen in die grundlegenden Prinzipien des Dokumentenmanage-
ments eingeschult werden.

Änderungen am Dokument sollen gelenkt und nur von jenen Personen bewertet
und genehmigt werden, die das schon in der Originalversion durchgeführt haben.
Sind einzelne Personen nicht mehr verfügbar, müssen Personen der entsprechen-
den Funktionseinheit oder entsprechend fachlich versierte Personen als Ersatz ge-
funden werden.
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Erstellung, Prüfung und Freigabe von Dokumenten


ƒ Vorgaben: Die Erstellung und Lenkung von qualitätsrelevanten Vorgabedoku-
menten muss beschrieben werden.
ƒ Prüfung und Freigabe: Dokumente müssen vor ihrer Anwendung geprüft und
freigegeben werden. Typische Rollen bei der Erstellung und Freigabe von
For personal use only.

­Dokumenten sind dabei:


ƒ Der Ersteller ist eine Person (in Ausnahmefällen auch mehrere Personen)
aus der betroffenen Fachabteilung oder aus einem Projektteam. Der Erstel-
ler ist für den Inhalt verantwortlich. Er hat auch den Geltungsbereich des
Dokuments genau zu spezifizieren.
ƒ Üblicherweise kommen die Prüfer des Dokuments aus den betroffenen Be-
reichen und Abteilungen. Sie prüfen das Dokument auf Umsetzbarkeit und
inhaltliche Richtigkeit sowie auf Einhaltung der geltenden Vorschriften für
den in ihrer Verantwortung liegenden Tätigkeitsbereich. Der Prüfer aus
der Qualitätsabteilung prüft das Dokument auf die Einhaltung aller Regu-
larien. Weiterhin stellt er die folgenden Punkte sicher:
– Sind die Freigeber und Prüfer des Dokuments richtig gewählt?
– Ist der Geltungsbereich richtig definiert?
– Ist eine Versionshistorie vorhanden?
– Stimmen die Verweise auf andere Vorgabedokumente?
– Sind Begriffe und Abkürzungen korrekt?
– Ist die generelle Plausibilität des Dokuments vorhanden?
– Ist die Systemkonformität vorhanden?
ƒ Der Freigeber setzt das Dokument mit seiner Unterschrift gültig und in
Kraft.
1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 17

BEACHTE:
Wenn ein Mitarbeiter abwesend ist, unterschreibt sein offiziell benannter Vertreter
gemäß den dokumentierten Regelungen. Der Name der ursprünglichen Person
muss vom Vertreter ausgestrichen, der Name der vertretenden Person in Klarschrift
hinzugefügt werden.

ƒ Änderung von Dokumenten: Änderungen an Dokumenten müssen ebenfalls


geprüft und freigegeben werden, und zwar von denselben Personen (Verant-
wortlichkeiten/Funktionen), die bereits die vorherige(n) Version(en) geprüft
und freigegeben haben, oder von Personen, die über die notwendigen Hinter-
grundinformationen verfügen. Die vorgenommenen Veränderungen müssen
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nachvollziehbar sein, typischerweise beschrieben im ersten Kapitel des Doku-


ments. Alle freigegebenen Versionen eines Dokuments müssen gemäß Archi-
vierungsrichtlinien aufbewahrt werden. Vorgabedokumente, die produktbezo-
gen sind, unterliegen dem Produktänderungsprozess.

BEACHTE:
Nachweisdokumente dürfen nur dann geändert werden, wenn sie fehlerhaft oder
unvollständig sind.
For personal use only.

ƒ Identifikation: Dokumente müssen eindeutig identifizierbar sein. Um dies


s­icherzustellen, soll jede Seite eines Dokuments eine Dokumentennummer
(oder eine andere eindeutige Identifikation), die Version oder das Datum sowie
die Bezeichnung „Seite  X von Y“ enthalten. Veränderungen an einem Doku-
ment führen zu einer neuen Version des Dokuments.
ƒ Referenzierung: Verweise zwischen Dokumenten müssen eindeutig und auf
allen betroffenen Dokumenten vorhanden sein. Eine eindeutige Zuordnung
zwischen referenzierten Dokumenten kann durch die Angabe des Titels, der
Dokumenten-ID oder eines anderen eindeutigen Merkmals des Dokuments,
der Versionsnummer (falls notwendig) oder des Freigabedatums und des Abla-
georts (falls sinnvoll und nicht aus anderen Angaben erkennbar) erreicht wer-
den. Eine eindeutige Zuordnung zwischen Hauptdokument und Nachweis­
dokumenten kann erfolgen, indem ein eindeutiges Merkmal der Beilage im
Hauptdokument, z. B. Versionsnummer bei Softwaretests, Seriennummer des
Produkts etc., angegeben wird. Die Vollständigkeit von referenzierten Doku-
menten soll einfach überprüfbar sein.
ƒ Vorlagen: Basiert ein Dokument auf einer qualitätsrelevanten Vorlage, muss
die Identifikation (z. B. Dokumentennummer) der Vorlage inklusive Version
auf dem Dokument ersichtlich sein.
18 1 QM-Systeme

ƒ Archivierung und Aufbewahrung: Von allen gelenkten Dokumenten (insbe-


sondere von Nachweisdokumenten) müssen Archivierungs- und Aufbewah-
rungsfristen festgelegt werden. Als Grundregel für die minimale Aufbewah-
rungszeit eines Dokuments kann von folgender Faustregel ausgegangen werden:
minimale Aufbewahrungsdauer = festgelegte Lebensdauer des Produkts + zwei
Jahre (für eventuelle Reklamationsbearbeitung und Inspektionsnachweise).

BEISPIEL:
Ein diagnostisches Testkit wird fünf Jahre lang vermarktet. Die maximale Verwen-
dungsdauer beträgt drei Jahre ab Produktion. Daraus ergibt sich folgende minimale
Aufbewahrungsdauer für
Entwicklungsdokumente: Zeit bis zur Produktfreigabe + 5 + 3 + 2 = 10 Jahre ab
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Produktfreigabe/Beginn Serienproduktion
Produktionsaufzeichnungen Testkits: 3 + 2 = 5 Jahre
Reklamationsberichte: 2 Jahre (für Reklamationsstatistiken und -trends gelten in
der Regel wesentlich längere Aufbewahrungsverpflichtungen)

TIPP:
In der Realität haben sich Aufbewahrungsfristen von zehn Jahren etabliert, welche
For personal use only.

sich aus verschiedenen Gründen (z. B. Schutz geistigen Eigentums) auch noch
wesentlich verlängern können. Alle Dokumente müssen innerhalb der Aufbewah-
rungszeit vor Zerstörung oder Veränderung geschützt werden. Bewahren Sie daher
Ihre qualitätsrelevanten Papierdokumente und -aufzeichnungen in feuer-, wasser-
und einbruchssicheren Schränken oder Räumen auf.
Für elektronische Daten sind geeignete Sicherungsverfahren vorzusehen.
Legen Sie elektronische Daten nur auf solchen Speichermedien ab, die für die
vorgesehene Aufbewahrungszeit geeignet sind. Handelsübliche CDs/DVDs sind
z. B. nicht für Aufbewahrungszeiten von über zehn Jahren geeignet.
Stellen Sie bei elektronischen Daten sicher, dass diese auch auf einer zukünftigen
Hardware- und Softwareplattform gelesen werden können. Ansonsten müssen Sie
die entsprechenden IT-Systeme mitarchivieren.
Stellen Sie sicher, dass alle Ihre qualitätsrelevanten Dokumente und Daten inner-
halb vertretbar kurzer Fristen zugreifbar sind (sogenannte Inspektionsvorlagefrist).

BEACHTE:
Mit Inkrafttreten der neuen EU-Verordnungen gelten verlängerte Mindestaufbe-
wahrungsfristen relevanter Dokumente von zehn Jahren und im Falle von implan-
tierbaren Produkten von 15 Jahren (siehe u. a. [1.4] Anhang IX Abschnitt 8 und
[1.5] Anhang IX Abschnitt 7).

1.2 Die wesentlichen Anforderungen der ISO 13485 19

Original und Kopie


Das Original eines Dokuments ist dasjenige Exemplar, das die Originalunterschrift
trägt. Dies ist die manuelle Unterschrift bei Papierdokumenten oder die elektroni-
sche Signatur in einem validierten elektronischen Dokumentenmanagementsys-
tem (siehe dazu Abschnitt 8.5, Computervalidierung).
Kopien sollten in einem GxP-relevanten Umfeld nur dann als Vorgabe für qualitäts-
relevante Prozesse oder als Basis für qualitätsrelevante Entscheidungen herange-
zogen werden, wenn sichergestellt ist, dass sie mit dem aktuell gültigen Original
übereinstimmen. Dies kann durch entsprechende automatische Aufdrucke (z. B.
versehen mit Druckdatum und dem Vermerk „nur gültig am Tag des Ausdrucks“
oder mit Stempel „gültige Kopie“) gelenkt werden. Möglich ist auch eine entspre-
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chende Verknüpfung von Originalfile und Ausgabemedium (z. B. File liegt auf
­einem zugriffsgeschützten Speichermedium, Zugriff erfolgt ausschließlich über
die Homepage des Firmen-Intranets).

BEACHTE:
Wenn Sie ein ursprüngliches Papieroriginaldokument, z. B. Produktionsaufzeich-
nungen (batch records), einscannen, elektronisch archivieren und anschließend
vernichten wollen, müssen Sie vorab genaue Festlegungen treffen, wie dies zu
For personal use only.

geschehen hat, damit das elektronische Dokument von einer Behörde als äquiva-
lent anerkannt wird. Stellen Sie vor allem sicher, dass ein zumindest stichproben-
artiger Vergleich Papier-/elektronisches Dokument durch eine entsprechend
geschulte Person erfolgt.

Umgang mit Korrekturen auf und in Dokumenten


Grundsätzlich gilt, dass alle Dokumente vor Manipulation und Zerstörung geschützt
und dass alle Änderungen eindeutig nachvollziehbar sein müssen. Daher gilt zu
beachten:
ƒ Das Papier und die Druckfarbe müssen aus einem beständigen Material sein.
Thermopapier ist z. B. kein beständiges Material. Es empfiehlt sich, bei kriti-
schen Dokumenten (z. B. Ausdrucke von Messergebnissen auf Thermotransfer-
papier) eine Kopie anzufertigen.
ƒ Leerfelder in Vorlagen müssen entweder ausgefüllt oder ausgestrichen wer-
den, sodass keine nachträglichen Einträge möglich sind.
ƒ Für handschriftliche Einträge oder Unterschriften muss ein Schreibgerät mit
dauerhafter Schrift verwendet werden (z. B. Kugelschreiber, aber kein Bleistift
oder Schreiber mit wasserlöslicher Tinte). Am besten sollte die Schriftfarbe
Blau verwendet werden, um Originale einfach von Kopien unterscheiden zu
können.
20 1 QM-Systeme

ƒ Fehlerhafte Angaben (z. B. Schreibfehler) sind auf dem Papierdokument so


auszustreichen, dass sie lesbar bleiben. Tipp-Ex, Ausradieren, Überkleben,
Überschreiben und Ähnliches sind verboten.
ƒ Alle Einträge müssen mit Visum (Kurzzeichen) und Datum versehen werden;
falls erforderlich, soll der Grund für die Korrektur mitvermerkt werden.

„ 1.3 Literatur
[1.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie
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93/42/EWG über Medizinprodukte (MDD).


[1.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  189 vom 20. 07. 1990: Richtlinie
90/385/EWG zum Abgleich der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantier­
bare medizinische Geräte (AIMD).
[1.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  331 vom 27. 10. 1998: Richtlinie
98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (IVDD).
[1.4] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L117/1 vom 05. 05. 2017: Verordnung
(EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinpro-
dukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Ver-
For personal use only.

ordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG
des Rates (MPV). Verfügbar unter: http://data.europa.eu/eli/reg/2017/745/oj/deu, abgerufen am
19. 04. 2021.
[1.5] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117/176 vom 05. 05. 2017: Verord-
nung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-
Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der
Kommission (IVDV). Verfügbar unter: http://data.europa.eu/eli/reg/2017/746/oj/deu, abgerufen
am 19. 04. 2021.
[1.6] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 9001:2015-11 Qualitätsmanagementsysteme  –
Anforderungen.
[1.7] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical de-
vices – Quality management systems – Requirements for regulatory purposes. 2016. (Deutsche
Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016-08, Medizinprodukte – Qua-
litätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Beuth, 2016.).
[1.8] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
(21 CFR 820), Quality System Regulation 2012, https://www.ecfr.gov/cgi-bin/text-idx?SID=3620d26
f64d1b0bdb3605145d6211b4a&mc=true&node=pt21.8.820&rgn=div5, abgerufen am 19. 06. 2021.
[1.9] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 14971:2019 Medical de-
vices – Application of risk management to medical devices. 2019. (Deutsche Fassung: Deutsches
Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 14971:2019 Medizinprodukte – Anwendung des Risikoma-
nagements auf Medizinprodukte. Beuth, 2020-07.).
[1.10] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Unique Device Identification, Doc. 2013 – 23059,
24. 09. 2013. Verfügbar unter: http://www.fda.gov/udi/.
[1.11] IMDRF: UDI Guidance  – Unique Device Identification (UDI) of Medical Devices, IMDRF/WG/
N7FINAL:2013, Dezember 2013.
[1.12] The EFQM Excellence Model. Verfügbar unter: https://www.efqm.org/efqm-model/, abgerufen
am 28. 03. 2021.
2 Risikomanagement
B. Gübitz, U. Klinger

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Welche rechtlichen Grundlagen müssen Sie als Medizinproduktehersteller


beachten?
ƒ Was sind die Phasen des Risikomanagementprozesses?
ƒ Welche Dokumente müssen Sie erstellen?
ƒ Welche Voraussetzungen gibt es für die Durchführung von Risikoanalysen?
ƒ Welche Methoden und Werkzeuge sind sinnvoll einzusetzen?

For personal use only.

„ 2.1 Einleitung
Risikomanagement wird bei der Realisierung von Medizinprodukten als zentrale
Methode eingesetzt, um einerseits die Qualität der entwickelten und hergestellten
Produkte sicherzustellen und andererseits die Konformität mit den behördlichen
Anforderungen zu gewährleisten.
Ziel des Risikomanagements ist es, Produkte bzw. Prozesse hinsichtlich ihrer Kri-
tikalität zu bewerten und darauf aufbauend entsprechende Maßnahmen zur Risi-
kokontrolle bzw. Risikominimierung zu entwickeln. Dadurch kann die Qualität der
Produkte und Prozesse gesteigert werden. Zusätzlich werden auch nur die wirklich
notwendigen Maßnahmen zur Risikokontrolle ermittelt, was beispielsweise bei
Korrektur- und Präventionsmaßnahmen zur Reduktion der Kosten bzw. Ressour-
cen führen kann.
Im folgenden Kapitel werden die rechtlichen Grundlagen und die Anforderungen
an den Risikomanagementprozess für Medizinprodukte beschrieben. Dabei wer-
den die einzelnen Phasen des Risikomanagementprozesses sowie die zu erstellen-
den Dokumente allgemein erläutert. Weiterhin werden mögliche Methoden zur
Umsetzung des Risikomanagementprozesses dargestellt.
22 2 Risikomanagement

Der systematische Umgang mit Risiken durchläuft verschiedene Phasen im Le-


benszyklus eines Medizinprodukts – Risikomanagement ist also ein Lebenszyklus-
Konzept [2.1]. Daher wird auf die Anwendung des Risikomanagementprozesses
während der einzelnen Phasen des Lebenszyklus eines Medizinprodukts auch in
den Folgekapiteln dieses Buches eingegangen.

„ 2.2 Grundlagen und Gesetze


Für Medizinproduktehersteller ist die Etablierung eines Risikomanagementprozes-
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ses in den nationalen Medizinproduktegesetzen (z. B. [2.2], [2.3]) sowie in den seit
2017 in Kraft getretenen europäischen Verordnungen für Medizinprodukte [2.18]
und In-vitro-Diagnostik-Produkte [2.19] gefordert. Die neuen Verordnungen lösen
die bislang geltenden Richtlinien [2.4], [2.5], [2.6] ab, die im Vergleich zu den Ver-
ordnungen das Thema Risikomanagement nun etwas detaillierter behandeln.
Wesentlicher Bestandteil beider Verordnungen sind die in den Anhängen I festge-
haltenen „Allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen“ (general safety
For personal use only.

and performance requirements), die Hersteller bzw. Inverkehrbringer von Medizin-


produkten zu erfüllen haben.
In den allgemeinen Sicherheits- und Leistungsanforderungen wird auch auf die
Sicherheit von Patienten und Anwendern Wert gelegt, wie z. B. in der Anforderung
1, Anhang I aus [2.18] und [2.19] definiert ist:
„Die Produkte erzielen die von ihrem Hersteller vorgesehene Leistung und werden so
ausgelegt und hergestellt, dass sie sich unter normalen Verwendungsbedingungen für
ihre Zweckbestimmung eignen. Sie sind sicher und wirksam und gefährden weder den
klinischen Zustand und die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit und die Ge-
sundheit der Anwender oder gegebenenfalls Dritter, wobei etwaige Risiken im Zusam-
menhang mit ihrer Anwendung gemessen am Nutzen für den Patienten vertretbar und
mit einem hohen Maß an Gesundheitsschutz und Sicherheit vereinbar sein müssen;
hierbei ist der allgemein anerkannte Stand der Technik zugrunde zu legen.“
Die EU-Verordnungen und die nationalen Medizinproduktegesetze fordern somit
die Anwendung von Risikomanagement als essenziellen Bestandteil bei der Ent-
wicklung und Produktion von Medizinprodukten.
Die ISO 13485 [2.7] fordert explizit einen dokumentierten Risikomanagementpro-
zess in Kapitel 7, Produktrealisierung:
ƒ „7.1 Planung der Produktrealisierung
Die Organisation muss einen oder mehrere Prozesse für das Risikomanagement
in der Produktrealisierung dokumentieren. Es müssen Aufzeichnungen über die
Tätigkeiten im Bereich Risikomanagement aufrechterhalten werden (siehe 4.2.5).“
2.2 Grundlagen und Gesetze 23

ƒ „ANMERKUNG Für weitere Informationen siehe ISO 14971.“


ƒ „7.3.3 Entwicklungseingaben
Eingaben in Bezug auf die Produktanforderungen müssen ermittelt und Aufzeich-
nungen aufrechterhalten werden (siehe 4.2.5). Diese Eingaben müssen enthal-
ten . . . c) anwendbare(s) Ergebnis(se) aus dem Risikomanagement . . .“.
Die ISO 14971 „Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte“ [2.8]
ist eine harmonisierte Norm unter den genannten EU-Richtlinien bzw. gilt auch als
anerkannter Standard unter den EU-Verordnungen (solange diese Norm unter den
Verordnungen nicht harmonisiert ist) und ist somit für Medizinproduktehersteller
eine passende Hilfestellung für die korrekte Anwendung des Risikomanagements.
Die korrekte Umsetzung des Risikomanagements ist auch bezüglich der Konformi-
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tätsbewertungsverfahren relevant.
Bild 2.1 zeigt den Zusammenhang zwischen Direktiven (Richtlinien), Gesetzen,
Forderungen und Normen.

MD Direcve AI MDD IVD Direcve


EU-Richtlinien
93/42/EWG 90/385/EWG 98/79/EG
For personal use only.

Naonale Gesetze

Forderungen Risikomanagement QM-System

ISO 14971 ISO 13485

fordert

empfiehlt

Bild 2.1 Zusammenhang zwischen Direktiven (Richtlinien), Gesetzen, Forderungen und


­Normen in der EU

In der Norm ISO 14971 wird die Vorgehensweise für die Umsetzung eines Risiko-
managementprozesses für Medizinproduktehersteller dargestellt. Dabei sind sämt-
liche Phasen des Produktlebenszyklus (von der Konzeption bis zur endgültigen
Außerbetriebnahme und Entsorgung) zu betrachten. Die Umsetzung des Risiko­
24 2 Risikomanagement

managements für Medizinprodukte wird weiterhin in Leitfäden (Guidelines bzw.


Guidance-Dokumenten) näher beschrieben. International relevante Dokumente
sind dabei z. B. die Guideline der Global Harmonization Task Force (GHTF) bezüg-
lich Risikomanagement [2.9]. Auch Risikomanagementprozesse aus verwandten
Bereichen – z. B. dem Arzneimittelbereich – können wertvolle Ergänzungen zur
Norm ISO 14971 liefern. So beschreibt z. B. die harmonisierte GMP-Richtlinie ICH
Q9 Quality Risk Management [2.10] Umsetzungsmöglichkeiten, die sich speziell bei
der Herstellung von Medizinprodukten anwenden lassen.
Die ISO 14971 ist zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Ausgabe des Buches in der
Version EN ISO 14971:2019 [2.8] gültig. Gegenüber der bis zuletzt gültigen Ver-
sion EN ISO 14971:2012 ist eine Umstrukturierung der Anhänge vorgenommen
worden. Viele dieser Anhänge sind nun in die neue Norm ISO/TR 24971:2020
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[2.20], die derzeit als Technical Report aufliegt, ausgelagert worden. Die 24971 ist
als praktikabler Leitfaden für die Umsetzung des Risikomanagementprozesses zu
empfehlen.

„ 2.3 Risikomanagementprozess nach
For personal use only.

ISO 14971
Die Anwendung von Medizinprodukten birgt für Patienten bzw. Anwender immer
ein gewisses Risiko. Daher müssen Medizinprodukte so entwickelt, hergestellt
und angewendet werden, dass das Restrisiko für den Patienten bzw. den Anwender
minimiert ist bzw. der Nutzen der Anwendung überwiegt. Nur durch eine hohe
Produktsicherheit und Produktqualität kann eine hohe Patienten- bzw. Anwender-
sicherheit gewährleistet werden. Aus diesem Grunde ist ein Medizinprodukteher-
steller verpflichtet, über den kompletten Produktlebenszyklus einen Risikoma-
nagementprozess zu etablieren.
Bei Risikobeurteilungen für Medizinprodukte betrachtet man generell die Eignung
des inverkehrzubringenden Produkts für seine Zweckbestimmung, wobei die Si-
cherheit für Patienten, Anwender und Dritte im Vordergrund steht, aber auch Aus-
wirkungen auf Umwelt oder Eigentum behandelt werden.
Für Risikobeurteilungen bei der Herstellung von Medizinprodukten steht die Qua-
lität des herzustellenden Medizinprodukts im Fokus.
Für die Etablierung eines Risikomanagementprozesses ist es einerseits notwendig,
die rechtlichen Grundlagen und Anforderungen an den Risikomanagementprozess
zu kennen und andererseits die Anforderungen praxisgerecht umzusetzen. Die
Norm ISO 14971 beschreibt einen Risikomanagementprozess mit folgenden Ele-
menten:
2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 25

ƒ Risikoanalyse,
ƒ Risikobewertung,
ƒ Risikobeherrschung,
ƒ Bewertung von Informationen aus der Herstellung und der Herstellung nach-
gelagerten Phasen (z. B. Transport, Lagerung, Installation, Verwendung des
Produkts, Wartung, Reparatur, Veränderungen am Produkt, Außerbetrieb-
nahme und Entsorgung).
Bild 2.2 zeigt eine schematische Darstellung des Risikomanagementprozesses
nach ISO 14971.
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For personal use only.

Bild 2.2 Darstellung des Risikomanagementprozesses nach ISO 14971

In den nachfolgenden Kapiteln werden die einzelnen Elemente des Risikomanage-


mentprozesses detaillierter betrachtet.
Da der Risikomanagementprozess in der ISO 14971 vor allem auf die Entwicklung
ausgerichtet ist, werden etwaige abweichende Anforderungen an die Umsetzung
des Risikomanagementprozesses in den weiteren Phasen des Produktlebenszyklus
in den entsprechenden Kapiteln dieses Buches näher beschrieben.
26 2 Risikomanagement

2.3.1 Risikoanalyse
Eine Risikoanalyse (RA) für Medizinprodukte ist als die systematische Verwen-
dung von verfügbaren Informationen zur Identifizierung von Gefährdungen und
Einschätzung von Risiken definiert. Dazu gehört die Untersuchung unterschied­
licher Auswirkungen von Ereignissen, die Gefährdungssituationen und Schäden
bewirken können [2.8].
Diese Definition zeigt bereits, dass es notwendig ist, die verschiedenen Begriffe,
die im Risikoanalyseprozess verwendet werden, genauer zu erklären, da Verwechs-
lungen der Begrifflichkeiten häufig zu fehlerhaften Analysen bzw. zu Fehleinschät-
zungen führen könnten:
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ƒ Schaden
Physische Verletzung oder Schädigung der menschlichen Gesundheit oder
Schädigung von Gütern oder der Umwelt.
ƒ Gefährdung
Potenzielle Schadensquelle.
ƒ Gefährdungssituation
For personal use only.

Umstände, unter denen Menschen, Güter oder die Umwelt einer oder mehre-
ren Gefährdungen ausgesetzt sind.
ƒ Risiko
Kombination der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines Schadens (Auftre-
tenswahrscheinlichkeit) und des Schweregrades dieses Schadens, wobei der
Schweregrad als Maß der möglichen Auswirkungen einer Gefährdung defi-
niert ist.

2.3.1.1 Zweckbestimmung und Feststellung von


Sicherheitsmerkmalen
Der Prozess der Risikoanalyse sieht vor, dass im ersten Schritt die Zweckbestim-
mung und alle qualitativen und quantitativen Merkmale des Medizinprodukts so-
wie der Nutzungskontext festgelegt und analysiert werden, die mit der Sicherheit
des Medizinprodukts zusammenhängen können. Dazu bietet die Norm ISO 24971
[2.20] Hilfestellung im Anhang A und H.

2.3.1.2 Identifizierung von Gefährdungen


Der zweite Schritt der Risikoanalyse umfasst das strukturierte Erkennen von Ge-
fährdungen, die zu einer Schädigung von Patienten, Anwendern oder anderen Per-
sonen führen könnten. Gefährdungen sind sowohl unter üblichen als auch unter
vorhersehbaren Fehlbedienungen des Medizinprodukts zu ermitteln. Als Hilfestel-
2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 27

lung dazu ist die Tabelle C.1 im Anhang C der Norm ISO 14971 [2.8] gut geeignet.
Diese Tabelle beinhaltet Beispiele von Gefährdungen, die in die Gruppen
ƒ energetische Gefährdungen,
ƒ biologische und chemische Gefährdungen,
ƒ leistungsbezogene Gefährdungen
unterteilt werden können. Zusätzlich dienen verschiedene Methoden des Risiko-
managements bzw. der Fehleranalyse als Informationsquellen, um potenzielle Ge-
fährdungen zu identifizieren (z. B. FMEA oder FTA, siehe dazu Abschnitt 2.2).
Bei der Identifizierung von Gefährdungen ist die Differenzierung von Gefährdung
und Gefährdungssituation essenziell für die Einschätzung von Risiken, die mit der
Anwendung des Produkts in Zusammenhang stehen. Ein gutes Verständnis ver-
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mittelt dazu Bild 2.3 (aus [2.11]).

Bild 2.3 Ereigniskette bis zum Schaden


For personal use only.

Die Gefährdungssituation ergibt sich durch eine Ereigniskette (Ursachenkette),


wobei die letzte Ursache vor der Gefährdungssituation als Gefährdung bezeichnet
wird ([2.11], S. 68). Gerade für die Bewertung von Risiken ist es wichtig, die Ge-
fährdungssituation zu beurteilen, die zu einem Schaden führen kann, nicht nur
die Gefährdungen selbst. Als Erklärung folgen zwei Definitionen aus der Norm
ISO 14971:
„Medizinprodukte verursachen einen Schaden nur dann, wenn eine Abfolge von Ereig-
nissen eintritt, die eine Gefährdungssituation hervorruft, und die dann einen Schaden
bewirken oder zu diesem führen könnte. Eine Abfolge von Ereignissen schließt sowohl
ein einzelnes Ereignis als auch eine Kombination von Ereignissen ein. Eine Gefähr-
dungssituation tritt ein, wenn Personen, Güter oder die Umwelt einer Gefährdung aus-
gesetzt sind“ ([2.20], Kap. 5.4.2).
„Die Erkenntnis, wie Gefährdungen zu Gefährdungssituationen fortschreiten, ist ent-
scheidend für die Abschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit und des Schweregra-
des des Schadens, der entstehen könnte. Ein Ziel des Prozesses besteht im Zusammen-
stellen einer umfassenden Gruppe von Gefährdungssituationen [. . .]. Der Hersteller
muss bestimmen, was als Gefährdung zu bezeichnen ist, um der jeweiligen Analyse zu
entsprechen“ ([2.8], Anhang C, S. 44).
28 2 Risikomanagement

2.3.1.3 Einschätzung der Risiken für jede Gefährdungssituation


Um ein Risiko ausgehend von einer Gefährdung bzw. der resultierenden Gefähr-
dungssituation einschätzen zu können, müssen der mit dem Schaden verbundene
Schweregrad und die Wahrscheinlichkeit des Auftretens des Schadens für Pati-
enten, Anwender und Dritte ermittelt bzw. abgeschätzt werden.
Die Norm ISO 14971 definiert die Kombination der Wahrscheinlichkeit und des
Schweregrades eines Schadens als Risiko. „Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
eines Schadens erhält man, wenn man die Wahrscheinlichkeit, dass aus einer Gefähr-
dung eine Gefährdungssituation folgt, mit der Wahrscheinlichkeit, dass aus der
­Gefährdungssituation ein Schaden resultiert, multipliziert“ ([2.11], S. 69).
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BEACHTE:
In Risikoanalysen wird oft diskutiert, dass die Wahrscheinlichkeit des Auftretens
eines Fehlers hoch ist. Damit wird die Wahrscheinlichkeitseinstufung auch sehr
hoch angesetzt. Dabei bedenkt man jedoch nicht, dass auch die Gefährdungs­
situation mit berücksichtigt werden muss und die Gesamtbeurteilung auf der
Wahrscheinlichkeit des Auftretens des Schadens basieren muss.

Bild 2.4 zeigt diesen Zusammenhang (aus 14971:2012): Die Wahrscheinlichkeit P1


For personal use only.

muss mit der Wahrscheinlichkeit P2 multipliziert werden, um auf die Wahrschein-


lichkeit des Auftretens des Schadens zu kommen.

Gefährdung

Abfolge von Einwirkung – P1


Ereignissen

Gefährdungs-
situaon

P2

Schaden

Wahrscheinlichkeit
Schweregrad des
des Auretens des Risiko
Schadens
Schadens

P1 • P2

Bild 2.4 Zusammenhang zwischen Gefährdung, Gefährdungssituation, Schaden und Risiko


2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 29

Für die Einschätzung von Schäden sollte zuallererst überlegt werden: „Was sind
mögliche maximale und minimale relevante Schäden?“, um in weiterer Folge auf
eine vernünftige Einteilung und Abstufung des Schweregrades zu kommen. Mög­
liche Schäden sind z. B.:
ƒ Tod,
ƒ dauerhafte Behinderung,
ƒ Verringerung der Lebenserwartung,
ƒ Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
ƒ Unannehmlichkeiten/Beschwerden.
Zusätzlich sollten für die Einteilung des Schweregrades in unterschiedliche Kate-
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gorien auch Merkmale wie „reversibler Schaden“, „irreversibler Schaden“, „medi-


zinischer Eingriff notwendig“ usw. betrachtet werden. Binäre Entscheidungskrite-
rien erleichtern die Einstufung bei der Analyse.
Wichtig ist, dass der Hersteller selbst für die Definition möglicher Schäden und die
Einteilung in unterschiedliche Schweregradkategorien verantwortlich ist und
diese entsprechend der Zweckbestimmung des Medizinprodukts vornehmen muss.
Für die Kategorisierung von Schweregrad und Auftretenswahrscheinlichkeit eines
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Schadens sind die Einstufungstabellen (siehe Tabelle 2.1 und Tabelle 2.2) als Bei-
spiel angeführt.

Tabelle 2.1 Bewertungstabelle für den Schweregrad des Schadens


S Schweregrad des Schadens
(Qualitatives Maß)
S1 Vernachlässigbar
Unannehmlichkeiten oder zeitweilige Beschwerden
S2 Gering
Führt zu einer zeitweiligen Schädigung oder Behinderung, die kein sachkundi-
ges medizinisches Eingreifen erfordert
S3 Ernst
Führt zu einer Schädigung oder Behinderung, die ein sachkundiges medizini-
sches Eingreifen erfordert
S4 Kritisch
Führt zu dauernder Behinderung oder einer lebensbedrohlichen Schädigung
S5 Katastrophal
Führt zum Tod des Patienten oder Anwenders
30 2 Risikomanagement

Tabelle 2.2 Bewertungstabelle für die Auftretenswahrscheinlichkeit des Schadens


P Auftretenswahrscheinlichkeit des Schadens
(Qualitatives Maß)
P1 Unwahrscheinlich, theoretisch denkbar
Theoretisch denkbar, praktisch im Grunde genommen unmöglich, ähnlich gela-
gerte Fälle wurden in der Vergangenheit in der Praxis nicht beobachtet
P2 Selten, kaum vorstellbar
Wurde in der Vergangenheit mit ähnlichen Produkten schon beobachtet, gilt
aber als Ausnahme
P3 Gelegentlich, vorstellbar
Könnte in unregelmäßigen Abständen auftreten, gilt nicht mehr als Ausnahme
P4 Wahrscheinlich
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Wird unter bestimmten Umständen auftreten, jedoch nicht systematisch


P5 Häufig
Wird in regelmäßigen Abständen auftreten, systematisches Auftreten

Die Anzahl der Grade der Einstufungen sollte nicht zu hoch sein, da die Einteilung
bei qualitativen Stufenbeschreibungen oft nicht klar zuordenbar ist bzw. nicht re-
produzierbar erfolgen kann. Eine Abstufung zwischen drei bis fünf erscheint als
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zielführend und ausreichend. Wichtig ist auch, dass Einstufungskriterien aussage-


kräftig formuliert werden. So kann z. B. für die Auftretenswahrscheinlichkeit das
qualitative Kriterium „Unwahrscheinlich“ folgendermaßen quantitativ beschrie-
ben werden: Unwahrscheinlich = „der Schaden tritt seltener als einmal jährlich
auf“ oder etwas schwächer „der Schaden ist bei vergleichbaren Produkten noch nie
aufgetreten“.

2.3.2 Risikobewertung
Die Risikobewertung definiert die Norm ISO 14971 als „Prozess des Vergleichs des
eingeschätzten Risikos mit gegebenen Risikokriterien, um die Akzeptanz des Risikos
zu bestimmen“. Da ein Risiko als Kombination von Schadensausmaß und Wahr-
scheinlichkeit betrachtet werden soll, ist eine Matrix als Darstellungsform gut ge-
eignet. Dabei soll jede Kombination der beiden Faktoren einer bestimmten Risiko-
einstufung zugeordnet werden können. Die Unterteilung in zwei Bereiche wird in
der Norm vorgeschrieben, d. h. dass zwischen akzeptablen und nicht akzeptablen
Risiken unterschieden werden muss:
ƒ Akzeptables Risiko = niedriges Risiko = vertretbares Risiko.
ƒ Nicht akzeptables Risiko = hohes Risiko = nicht vertretbares Risiko.
Für nicht akzeptable Risiken sind Risikominderungsmaßnahmen verpflichtend
einzuführen.
2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 31

In einigen Fällen verwendet man auch eine dritte Einstufung, d. h. eine weitere
Unterteilung des vertretbaren Bereiches in zwei Gruppen: Risiken, die das Krite-
rium der Akzeptanz nahezu überschreiten, sollten gesondert behandelt werden,
und daher sind Risikominderungsmaßnahmen anzuwenden, um diese Risiken auf
das geringste erreichbare Niveau zu verringern, wobei an den Stand der Technik,
die Vorteile der Akzeptanz des Risikos und die praktische Durchführbarkeit einer
weiteren Minderung zu denken ist.
Diese dritte Stufe der Risikobewertung wird oft als mittleres Risiko bezeichnet.
Mittlere Risiken fallen in den sogenannten ALARP-Bereich (as low as reasonably
practicable = so niedrig, wie vernünftigerweise praktikabel). „Darunter versteht
man Setzen von Maßnahmen zur Reduktion eines Risikos, sodass das verbleibende
Restrisiko nicht unzulässig hoch ist und der Aufwand jeder weiteren Maßnahme zur
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Risikominderung unverhältnismäßig groß im Vergleich zur weiteren erreichten Verrin-


gerung des Risikos ist“ ([2.12], S. 74). Dieser Passus war ursprünglich in der Norm
ISO 14971:2000 vorhanden, wurde aber entfernt, weil dies in der praktischen An-
wendung zu Missverständnissen geführt hatte und im Widerspruch zu den Direk-
tiven steht, die eine Reduzierung auf as far as possible fordern.
Bild 2.5 zeigt ein Beispiel für eine Risikobewertungsmatrix in drei Bereichen. An-
hand dieser Matrix ist erkennbar, dass die Bewertung der Risiken unsymmetrisch
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verteilt ist – und zwar in dem Ausmaß, dass das Schadensausmaß eine höhere Ge-
wichtung hat als die Wahrscheinlichkeit. Beispielsweise wird die Kombination von
höchstem Schweregrad und niedrigster Wahrscheinlichkeit als mittleres Risiko
eingestuft, wobei im umgekehrten Fall dies lediglich als niedriges Risiko eingestuft
wird. Diese Einteilung erscheint gerade für Medizinprodukte als sinnvoll, da auf
die Auswirkung von Gefährdungen und den damit verbundenen möglichen Scha-
den mehr Wert gelegt werden soll als bei Produkten anderer Verwendungsart.

Bild 2.5 Beispiel einer Fünf-mal-fünf-Risikobewertungsmatrix


32 2 Risikomanagement

Verwunderlich erscheint hier das Beispiel für eine Risikobewertungsmatrix, die in


der Norm ISO 14971:2012 (Anhang D, S. 49) abgebildet ist (siehe Bild 2.6 – dieses
ist im Wesentlichen auch so in die 24971 [2.20], Abbildung C.1 übernommen wor-
den): Ein katastrophaler Schaden, der unwahrscheinlich auftreten könnte, wird als
akzeptables Risiko gesehen, und im Vergleich dazu wird ein vernachlässigbarer
Schaden mit wahrscheinlichem Auftreten als nicht akzeptables Risiko eingestuft.
Diese Einstufung ist schwer nachvollziehbar.
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Bild 2.6 Beispiel einer halbquantitativen Matrix zur Risikobewertung

2.3.3 Risikobeherrschung

2.3.3.1 Optionen der Risikobeherrschung


Der Hersteller muss eine oder mehrere Maßnahmen der Risikobeherrschung fest-
legen, die sich eignen, um das Risiko bzw. die Risiken auf einen akzeptablen Be-
reich zu mindern. Zur Risikominderung ist folgende Maßnahmenhierarchie defi-
niert:
1. konstruktive Maßnahmen (integrierte Sicherheit durch Designanpassung),
2. Schutzmaßnahmen/-vorrichtungen (im Produkt oder im Herstellprozess),
2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 33

3. Informationen zur Sicherheit (z. B. am Medizinprodukt selbst oder in der Be-


gleitdokumentation).
Maßnahmenhierarchie bedeutet, dass Minderungsmaßnamen genau in dieser Rei-
henfolge zu implementieren sind. Zuerst muss der Hersteller versuchen, konstruk-
tive Anpassungen am Produkt selbst umzusetzen. Erst wenn diese Anpassungen
nicht ausreichend zur Risikoreduktion beitragen können, sind Schutzmaßnahmen
im Produkt, wie z. B. Sensoren zur Überwachung, oder Prüfmaßnahmen im Her-
stellungsprozess zu realisieren. Als schwächste Maßnahme gilt ein schriftlicher
Warnhinweis am Produkt (Labeling) oder in der Gebrauchsanweisung.

BEACHTE:
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Verwechseln Sie bitte nicht die Begriffe „Sicherheitsbezogene Informationen“ und


„Informationen über verbleibende Risiken“. Erstere haben das Ziel, durch Hinweise
an die Anwender die Risiken zu minimieren (Änderung einer Verhaltensweise), und
Letztere haben nur noch das Ziel, das Bewusstsein für die vorhandenen Risiken
zu schärfen (siehe dazu den Technical Report TR ISO 24971 [2.20]).

Durch konstruktive Maßnahmen kann entweder die Beseitigung einer bestimmten


Gefährdung, die Verringerung der Wahrscheinlichkeit des Auftretens des Scha-
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dens oder eine Verringerung der Schwere des Schadens bewirkt werden. Schutz-
maßnahmen oder Informationen können letztendlich nur die Wahrscheinlichkeit
des Auftretens des Schadens verringern.
Beispiele für Maßnahmen aller drei Kategorien sind in Bild D.6 der Norm ISO
14971 [2.8] angeführt und sollen einen Anhaltspunkt für Hersteller liefern, wie
Risikominderungsmaßnahmen definiert werden sollten.

TIPP:
Es ist hilfreich, für bestimmte Produkte oder Produktgruppen (Achtung: ähnlicher
Verwendungszweck) vordefinierte Risikominderungsmaßnahmen auszuarbeiten
und den Analyseteams zur Verfügung zu stellen. Diese beinhalten Informationen
zu typischen Gefährdungen und den passenden (bereits bei ähnlichen Produkten
erfolgreich umgesetzten) Minderungsmaßnahmen, die definiert und implementiert
werden sollten.

2.3.3.2 Implementierung von Risikobeherrschungsmaßnahmen


Die definierten Risikobeherrschungsmaßnahmen sind entsprechend – z. B. im
Rahmen der Produktentwicklung – umzusetzen (zu implementieren). Vernünfti-
gerweise werden diese Maßnahmen in den Anforderungsmanagementprozess ein-
geschleust (siehe dazu auch Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten), sodass
aus den Beherrschungsmaßnahmen entsprechende Anforderungen bzw. Spezifi-
34 2 Risikomanagement

kationen abgeleitet werden. Dadurch erreicht man, dass der Risikomanagement-


prozess nicht losgelöst vom Anforderungs- und Entwicklungsprozess ausgeführt
wird, sondern dass diese Prozesse über wohldefinierte Schnittstellen miteinander
verknüpft sind.
Nach der Umsetzung der Risikobeherrschungsmaßnahmen ist jede einzelne Maß-
nahmenumsetzung zu verifizieren, d. h. es ist eine Bestätigung zu erbringen, dass
die Maßnahmen gemäß ihrer Definition erfolgreich implementiert wurden. Weiter-
hin ist in Folge auch die Wirksamkeit jeder Maßnahme zu verifizieren, d. h. zu be-
stätigen, dass die Maßnahme tatsächlich das Risiko vermindert. Dies kann durch
Anwendung des Produkts oder eines vorläufigen Produkts selbst (entspricht einer
Validierung) oder auch durch Datenauswertungen, Simulationen etc. erfolgen.
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Generell ist zu beachten, dass nach jeder Definition von Beherrschungsmaßnah-


men zu beurteilen ist, ob durch diese Maßnahmen neue Gefährdungen und Risi-
ken entstehen könnten. Falls dem so ist, sind diese im Risikomanagementprozess
aufzunehmen, und es ist wie beschrieben zu verfahren.

2.3.3.3 Bewertung des Restrisikos


Nach erfolgreicher Umsetzung der Risikobeherrschungsmaßnahmen ist eine neu-
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erliche Risikobewertung gemäß Abschnitt 2.3.2 durchzuführen. Sollte sich dabei


herausstellen, dass das Risiko immer noch nicht akzeptabel ist, müssen weitere
Maßnahmen getroffen und muss das Risiko neuerlich bewertet werden, so lange,
bis das verbleibende Restrisiko akzeptabel ist. Für Restrisiken, die als akzeptabel
beurteilt wurden, muss der Hersteller entscheiden, welche Restrisiken offenzule-
gen und welche Informationen in die Kundendokumentation aufzunehmen sind,
um die Restrisiken bekannt zu geben.

2.3.3.4 Risiko-Nutzen-Analyse
Es gibt einige Fälle, in denen das mit einem Medizinprodukt verbundene Risiko
über den Herstellerkriterien für ein vertretbares Risiko liegt. Wenn das Restrisiko
unter Anwendung der festgelegten Beurteilungskriterien als nicht akzeptabel be-
urteilt wird und weitere Maßnahmen der Risikobeherrschung nicht realisierbar
sind, darf der Hersteller Daten und Literatur zusammenstellen und bewerten, um
zu bestimmen, ob der medizinische Nutzen der Zweckbestimmung das Restrisiko
überwiegt. Falls dieser Nachweis nicht den Schluss unterstützt, dass der medizini-
sche Nutzen das Restrisiko überwiegt, verbleibt das Risiko als nicht akzeptabel.
Falls der medizinische Nutzen das Restrisiko überwiegt, kann der Hersteller sein
Produkt vermarkten. Es ist jedoch für die Anwender wichtig, dass sie über wesent-
liche Restrisiken und den sich durch das Produkt ergebenden Nutzen entspre-
chend informiert sind, sodass Entscheidungen in Kenntnis der Sachlage getroffen
werden können (aus [2.8]).
2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 35

2.3.4 Bewertung des Gesamt-Restrisikos


Nachdem ein Hersteller im Rahmen des Risikomanagementprozesses alle erdenk-
lichen Risiken identifiziert und bewertet hat, entsprechende Minderungsmaßnah-
men umgesetzt und verifiziert und deren Restrisiken wiederum bewertet hat, ist es
notwendig, die Summe aller Restrisiken nochmals zu beleuchten und eine Gesam-
trisikobeurteilung vorzunehmen. Dabei ist zu entscheiden, ob die kombinierten
Auswirkungen aller einzelnen Restrisiken akzeptabel sind und das Produkt einge-
führt werden kann. Es ist dennoch möglich, dass das Gesamtrestrisiko die Herstel-
lerkriterien für die Akzeptanz des Risikos überschreitet, obgleich die einzelnen
Restrisiken dies nicht tun.
Die Entscheidung, das Produkt dennoch für die Vermarktung freizugeben, stützt
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sich wiederum auf eine Risiko-Nutzen-Bewertung und ist abschließend entspre-


chend zu dokumentieren und dem Kunden gegenüber in Form der Produktbegleit-
information mitzuteilen.

2.3.5 Produktbeobachtung
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Nach Freigabe des Produkts für die Herstellung und die Vermarktung beginnt die
Phase der sogenannten Produktbeobachtung. Die Norm ISO 14971 spricht von
Sammlung von „Informationen aus der Herstellung und der Herstellung nachgelager-
ten Phasen“.
Im Zuge der Risikobeurteilung kann es vorkommen, dass Risiken falsch einge-
schätzt wurden, oder es zeigt sich, dass Maßnahmen nicht den erhofften Erfolg
bringen. Daher nimmt die Überwachung der Wirksamkeit der Risikomaßnahmen
eine wichtige Rolle im Risikomanagementprozess ein. Der Medizinprodukteher-
steller muss ein Verfahren zur Auswertung von Informationen aus der Produktion
und den der Produktion nachgelagerten Phasen (Marktbeobachtung) etablieren.
Dabei sollte Folgendes betrachtet werden:
ƒ Gibt es neue Gefährdungen, die bisher nicht erkannt wurden?
ƒ Sind in der Praxis Gefährdungen durch aufgetretene Fehler entstanden?
Um damit zu entscheiden, ob
ƒ die ursprünglichen Beurteilungen noch Gültigkeit haben und
ƒ die Gesamtrisiken noch vertretbar sind.
Bei neuen Gefährdungen oder einer Änderung der Risikoeinschätzung bzw. der
Risikobeurteilung ist generell der Risikomanagementprozess einem Review zu
­unterziehen und gegebenenfalls zu überarbeiten.
36 2 Risikomanagement

Üblicherweise werden Produkte während der Vermarktungsphase angepasst, d. h.


Verbesserungen fließen ein oder Produkterweiterungen finden statt. Bei der Ein-
führung von Änderungen ist zu überprüfen, ob neue Risikoaspekte zu berücksich-
tigen sind, an die bislang nicht gedacht worden war, oder ob etwaige Problemfälle
in der Anwendungsphase nun bekannt geworden sind, aber ursprünglich anders
eingeschätzt worden waren. Weiterhin ist zu ermitteln, ob durch die Einführung
neuer Eigenschaften oder Funktionen des Produkts neue mögliche Gefährdungen
oder Gefährdungssituationen entstehen könnten.
Dies bedeutet, dass der Risikomanagementprozess über den gesamten Lebenszyk-
lus aufrechterhalten werden muss. Die Prozessschritte Risikoanalyse, Risikobe-
wertung, Risikobeherrschung und Risikoakzeptanz müssen in wiederholenden
Zyklen immer wieder durchgeführt werden, um die Sicherheit für Patient und
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­Anwender und Dritte fortwährend zu gewährleisten.

2.3.6 Dokumente des Risikomanagementprozesses


Medizinproduktehersteller sind verpflichtet, den gesamten Prozess des Risikoma-
nagements entsprechend den Forderungen der internationalen Direktiven und der
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nationalen Gesetze adäquat zu dokumentieren. Für sämtliche Prozessschritte sind


in der Norm ISO 14971 Forderungen angeführt, was dokumentiert werden muss.
Im Folgenden werden die Ergebnisdokumente angeführt, die als Nachweis eines
etablierten Risikomanagementprozesses angesehen werden.

2.3.6.1 Risikomanagementakte
Die sogenannte Risikomanagementakte (risk management file) beinhaltet die Ge-
samtheit aller im Risikomanagementprozess geforderten und erzeugten Doku-
mente. Als Akte wird hier die Summe aller Einzeldokumente bezeichnet, die tat-
sächlich als gebündelte Einheit verstanden wird. Damit ist gemeint, dass die
Dokumente nicht in verteilten Ablage- oder Dokumentationsverwaltungssystemen
existieren, die erst zusammengetragen werden müssen, um alle Nachweise sicher-
zustellen, sondern gebündelt vorhanden sind. Diese Risikomanagementakte kann
allerdings auch Referenzen auf andere Akten des Herstellers beinhalten, die in
angemessener Zeit die geforderten Dokumente des Risikomanagements bereitstel-
len lassen.
Die Risikomanagementakte beinhaltet im Wesentlichen einen Risikomanagement-
plan, die Summe diversester Risikoanalyseaufzeichnungen, alle Risikobewertun-
gen, den Nachweis der Umsetzung der Risikominderungsmaßnahmen, die Verifi-
zierung derselben und die Beurteilungen der Akzeptanz des Gesamtrestrisikos in
einem entsprechenden Risikomanagementbericht.
2.3 Risikomanagementprozess nach ISO 14971 37

2.3.6.2 Risikomanagementplan
Der Risikomanagementplan ist ein umfangreiches Dokument (oder eine Samm-
lung von Dokumenten), welches alle Aktivitäten des Risikomanagements umfas-
sen muss. Folgende Mindestanforderungen muss der Plan beinhalten:
ƒ Beschreibung des Medizinprodukts und der Lebenszyklusphasen, die
dieses Produkt durchläuft, um klarzustellen, was das Anwendungsgebiet des
Risikomanagements umfasst. Die Lebenszyklusphasen sind typischerweise
die Gestaltungs- und Entwicklungsphase, Herstellung, Vertrieb, Betrieb des
Produkts beim Kunden bis hin zur Außerbetriebnahme am Ende der Lebens-
zeit des Produkts.
ƒ Festlegung von Verantwortlichkeiten und Befugnissen des involvierten
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Personals. Dazu gehört typischerweise die Benennung eines Risikomanagers,


von Fachpersonen und Experten, die im Rahmen der Analyse- und Bewer-
tungstätigkeiten involviert sein werden, Personen, die Reviews durchführen,
und ebenso Personal, welches mit der Verifizierung und der Wirksamkeitsprü-
fung von Minderungsmaßnahmen betraut wird.
ƒ Kriterien für die Akzeptanz von Risiken, basierend auf der Unternehmens-
und Qualitätspolitik des Herstellers zur Festlegung vertretbarer Risiken. Das
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bedeutet, dass Kriterien für die Akzeptanz von Risiken festgelegt werden müs-
sen, indem in einer Risikomatrix (Kombination von Schadensausmaß und
Wahrscheinlichkeit) entsprechende Bereiche für vertretbare und nicht vertret-
bare Risiken definiert werden (siehe Abschnitt 2.3.2).
ƒ Tätigkeiten der Verifizierung. Dazu gehören alle Aktivitäten zur Bestätigung
der erfolgreichen Umsetzung der Risikominderungsmaßnahmen und auch zur
Bestätigung der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen. Im Risikomanage-
mentplan muss beschrieben werden, wie diese Tätigkeiten durchgeführt wer-
den.
ƒ Verfahren zur Produktbeobachtung. Die Gewinnung von Informationen aus
dem Herstellungsprozess und der Herstellung nachgelagerten Phasen umfasst
in der Regel Auswertungen von Fehlern oder Kundenrückmeldungen. Diese
Auswertungen sind generell nach festgelegten Verfahren durchzuführen, da-
her kann im Risikomanagementplan auch auf diese Verfahrensanweisungen
verwiesen werden.

TIPP:
Wenn immer wieder ähnliche Produkte bzw. ähnliche Kategorien von Medizinpro-
dukten entwickelt werden, macht es Sinn, die Kriterien für die Akzeptanz von Risiken
als Teil des Qualitätsmanagementsystems zu etablieren, z. B. in einer Verfahrens­
anweisung für das Risikomanagement. Dadurch wird gewährleistet, dass bei jedem
Entwicklungsprojekt die standardisierten Kriterien angewandt werden – sie müssen
nicht in jeden Risikomanagementplan aufgenommen und begründet werden.

38 2 Risikomanagement

2.3.6.3 Risikoanalyseaufzeichnungen
Alle durchgeführten Risikoanalysen sind entsprechend zu dokumentieren; dies
umfasst die festgestellten Sicherheitsmerkmale, die identifizierten Gefährdungen
und Gefährdungssituationen und die Einschätzung der Risiken für jede Gefähr-
dungssituation. Die sich durch die Einschätzung von Schweregrad und Wahr-
scheinlichkeit ergebenden Risikobewertungen (akzeptable und nicht akzeptable
Risiken) sowie die Festlegung von Minderungsmaßnahmen sind meist ebenso Teil
dieser Dokumentation. Üblicherweise werden Vorlagen in Form von Tabellen oder
eigene Risikomanagementwerkzeuge (Softwaretools) eingesetzt, die es ermögli-
chen, die komplette Dokumentation der Risikoanalyse, Bewertung, Definition und
Verifizierung von Minderungsmaßnahmen und Abschlussbewertung abzubilden.
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2.3.6.4 Risikomanagementbericht
Der Risikomanagementbericht ist eine abschließende Zusammenfassung des Risi-
komanagements vor der Markteinführung des Produkts. Dieser Bericht beinhaltet
Informationen zur vollständigen Umsetzung der im Risikomanagementplan defi-
nierten Aktivitäten (bis zum Zeitpunkt der Produkteinführung) sowie eine Gesamt­
risikoakzeptanz und eine Bestätigung, dass geeignete Methoden und Verfahren
existieren, um aus der Herstellung und der Herstellung nachgelagerten Phasen
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relevante Informationen zu erhalten. Die Gesamtrisikoakzeptanz beschreibt die


Summe aller identifizierten Risiken, die einzelnen Risikobewertungen (meist als
Häufigkeitsverteilung in der Risikobewertungsmatrix) und gegebenenfalls die
­Risiko-Nutzen-Analyse und die damit verbundene Strategie, wie die Information
des Restrisikos an den Anwender des Produkts weitergegeben werden muss.

„ 2.4 Methoden im Risikomanagement
Bevor die einzelnen Methoden des Risikomanagements (RM) näher beschrieben
werden, sei festgestellt, dass es nicht nur eine Methode für alle Bereiche des Risi-
komanagements gibt (z. B. Risikoanalyse, -bewertung, -beherrschung). Einige
dieser Methoden fokussieren sich z. B. auf die Identifizierung von Risiken (wie die
Fehlerbaumanalyse, Fault Tree Analysis, FTA – siehe auch Abschnitt 2.4.2). Mit
anderen Methoden kann zusätzlich auch noch eine Fehlerbewertung durchgeführt
werden (z. B. Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse FMEA – siehe auch Abschnitt
2.4.3). In vielen Fällen macht es Sinn, die einzelnen Methoden zu kombinieren.
Für die Umsetzung eines Risikomanagementprozesses steht es dem Medizinpro-
duktehersteller generell frei, welche Werkzeuge/Risikomanagementmethoden er
einsetzt.
2.4 Methoden im Risikomanagement 39

Im Nachfolgenden sind die am meisten verwendeten Methoden beschrieben, die


speziell für den Einsatz im Medizinproduktebereich diskutiert werden.

TIPP:
Um die Ergebnisse aus dem Risikomanagementprozess über den gesamten Pro-
duktlebenszyklus vergleichbar zu machen, um den Schulungsaufwand zu reduzie-
ren und um Synergien nutzen zu können, sollten die zu verwendenden Risikoana-
lysemethoden in einem Unternehmen vorgegeben bzw. eingeschränkt werden.

2.4.1 Voraussetzungen für die Durchführung


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Um eine Risikomanagementmethode erfolgreich durchführen zu können, sind fol-


gende Voraussetzungen zu treffen:
ƒ Festlegung des Risikomanagementteams,
ƒ Festlegung des Risikoanalyseumfangs,
ƒ Festlegung der Akzeptanzkriterien,
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ƒ Nutzung/Beschaffung von notwendigem Wissen.

2.4.1.1 Festlegung des Risikomanagementteams


Risikoanalysen/Beurteilungen sollten generell von einem interdisziplinären Team
durchgeführt werden [2.13]. Dieses Risikomanagementteam sollte sich aus Exper-
ten aller Bereiche zusammensetzen, die Einfluss auf die Qualität und Sicherheit
des Medizinprodukts sowie die compliance des Produkts mit den regulatorischen
Anforderungen haben können.
Zielführend ist es auch, wenn sich im Risikomanagementteam Personen mit Erfah-
rung bezüglich der Durchführung von Risikoanalysen befinden oder wenn die Risi-
koanalyse von einem Moderator geleitet wird. Der Moderator sollte generell nicht
Teil des Projekts/des Bereichs sein, für das bzw. den die Risikoanalyse durchge-
führt wird, damit seine Objektivität gewährleistet ist. Es ist jedoch hilfreich, wenn
der Moderator neben den Methodenkenntnissen der Risikoanalyse auch Fach-
kenntnisse aus den betroffenen Bereichen mitbringt.
Vor der Durchführung der Risikoanalyse ist darauf zu achten, dass alle Mitglieder
des Risikomanagementteams auf die verwendete Methodik geschult sind. Das
kann entweder in der Risikoanalyse selber oder in entsprechenden Schulungspro-
tokollen festgehalten werden.
40 2 Risikomanagement

MERKE:
Vor der Durchführung von Risikoanalysen muss sichergestellt sein, dass auch alle
externen Personen des Risikomanagementteams (z. B. Lieferanten) in der Risiko-
analysemethodik geschult werden. Das ist auch entsprechend zu dokumentieren.

Risikoanalysen sind von geeigneten Personen zu prüfen und zu genehmigen. Dafür


sollte z. B. am Deckblatt der Risikoanalyse ein entsprechendes Unterschriftenfeld
vorgesehen werden. Das Risikoanalyseteam sollte ebenfalls im Risikoanalysedoku-
ment ersichtlich sein. Weiterhin sollte definiert werden, wer bei der Durchführung
von Risikoanalysen für die Akzeptanz bestimmter Risiken, die Festlegung der Wahr-
scheinlichkeiten des Auftretens eines Schadens bzw. die Beurteilung des Schwere-
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grads eines Schadens zuständig ist. Zudem sollte festgelegt werden, wer die Umset-
zung der zu implementierenden Maßnahmen durchführt bzw. überwacht.

BEISPIEL:
Die Bewertung des Schadensausmaßes kann z. B. von der Entwicklung gemacht
werden, die Auftrittswahrscheinlichkeit eines Fehlers im Zuge der Herstellung
eines Medizinprodukts z. B. von der Technik.

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2.4.1.2 Festlegung des Risikoanalyseumfangs


Vor der Erstellung der Risikoanalysen sollten die zu betrachtenden Bereiche, Pro-
dukte, Prozesse und/oder Produktionsanlagen inklusive deren Grenzen/Schnitt-
stellen klar definiert werden. Dazu ist es z. B. bei Risikoanalysen für Prozesse/
Equipments sinnvoll, die Prozessgrenzen/Schnittstellen auf technischen Zeich-
nungen (Fließschemata/Rohrleitungs- und Instrumentierungsdiagrammen [R&Is])
einzuzeichnen und diese bei der Durchführung der Risikoanalyse für alle im Risi-
koanalyseteam sichtbar aufzulegen.

2.4.1.3 Festlegung der Akzeptanzkriterien


Vor der Durchführung einer Risikoanalyse sollte klar definiert werden, welche
­Akzeptanzkriterien angewendet werden.

MERKE:
Akzeptanzkriterien sind in den Regularien (siehe Abschnitt 2.2) nicht vorgegeben
und müssen vom Unternehmen/der Institution selbst definiert werden.

In Abschnitt 2.3.1.3 finden sich Beispiele für die Kategorisierung des Schwere-
grads eines Schadens bzw. für die Auftretenswahrscheinlichkeit des Schadens; in
Kapitel 8, GEP/GMP-konforme Produktionsanlagen, findet sich ein Beispiel für die
2.4 Methoden im Risikomanagement 41

Definition des akzeptablen Restrisikos in Form der Risikoprioritätszahl (RPZ) aus


der Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA).

2.4.1.4 Nutzung/Beschaffung von notwendigem Wissen


Um eine Risikoanalyse/Bewertung richtig durchführen zu können, muss das not-
wendige Wissen über die Sachlage und den regulatorischen Bereich vorhanden sein.
Das kann einerseits über erfahrene Mitglieder im Risikoanalyseteam erfolgen, ande-
rerseits macht es auch oft Sinn zu prüfen, ob schon Risikoanalysen/Bewertungen
von ähnlichen Problemstellungen vorhanden sind. So sollten etwa Ergebnisse aus
Risikobetrachtungen der Forschung und Entwicklung (F&E) in nachfolgenden Pro-
jektphasen (z. B. in Risikoanalysen für Produktionsanlagen) in Betracht gezogen wer-
den. Auch Literaturrecherchen können wichtige Erkenntnisse liefern.
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Da Risikowissen über den gesamten Lebenszyklus eines Medizinprodukts – von


der Entwicklung über die Produktion bis hin zur Produktbeobachtung – verfügbar
sein muss, rückt der Einsatz von wissensbasierten Risikomanagement-Soft-
waresystemen immer mehr in den Fokus. Auf die Vor- und Nachteile dieser Sys-
teme wird in Abschnitt 2.5 näher eingegangen.
Eine weitere Möglichkeit, um entsprechende Kenntnisse über einen Prozess zu
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erhalten, ist der Einsatz von Prozessübersichten (process mapping) [2.10]. In einer
Prozessübersicht werden der ganze Prozess und seine Teilschritte grafisch z. B. als
Flussdiagramm dargestellt (Bild 2.7). Durch diese einfache Darstellung können
Verbindungen zwischen den Aktivitäten, Schnittstellen, Rückkopplungsschleifen
oder Alternativwegen übersichtlich dargestellt werden. Prozessübersichten kön-
nen so helfen, komplexe Prozesse zu verstehen und zu analysieren, um vorhan-
dene Risiken erkennen zu können.

Bild 2.7 
Prozessübersicht/
process mapping
42 2 Risikomanagement

2.4.2 Häufig verwendete Risikomanagementmethoden


In der Literatur wird eine Vielzahl an Methoden beschrieben, die im Risikoma-
nagement eingesetzt werden können ([2.13], [2.14], [2.15]). Im Folgenden sind die
im Medizinproduktebereich am häufigsten verwendeten Methoden beschrieben:
ƒ Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse, Failure Mode and Effects Analysis
(FMEA),
ƒ Fehlerbaumanalyse, Fault Tree Analysis (FTA),
ƒ Fischgrät-Diagramm (Ishikawa-, Ursache-Wirkungs-Diagramm).
Weitere gängige Methoden sind unter anderem
ƒ die HACCP-Methode (Hazard Analysis and Critical Control Points), die vor allem
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im Lebensmittelbereich verbreitet Anwendung findet [2.16],


ƒ das HAZOP/PAAG-Verfahren (Hazard and Operability Analysis; Prognose, Auf-
finden der Ursache, Abschätzen der Auswirkungen, Gegenmaßnahmen), das
z. B. für Sicherheitsanalysen verbreitet eingesetzt wird [2.17].
Generell kann man die Methoden im Risikomanagement in grafische bzw. tabel­
larische Methoden einteilen (siehe Tabelle 2.3).
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Tabelle 2.3 Einteilung von Risikomanagementmethoden


Grafische Methoden Beispiele:
ƒ Fischgrät-/Ishikawa-Diagramm
ƒ Fehlerbaumanalyse
Tabellarische Methoden Beispiele:
ƒ FMEA (Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse),
ƒ HACCP (Hazard Analysis and Critical Control Points)
ƒ HAZOP/PAAG-Verfahren (Hazard and Operability Analysis)

Grafische Methoden eignen sich gut für die Analyse von einfachen Prozessen
und für die retrospektive Fehleranalyse. Bei komplexen Prozessen können sie je-
doch schnell unübersichtlich werden. Sie sind leicht erlernbar, einfach durchzu-
führen und dienen zur schnellen Auffindung von Fehlerursachen, Fehlerfolgen
und Fehlern. Grafische Methoden beinhalten im Allgemeinen aber keine Risikobe-
wertung und -kontrolle. Für eine umfassende Umsetzung eines Risikomanage-
mentprozesses müssen sie daher mit anderen Risikomanagementmethoden kom-
biniert werden.
Tabellarische Methoden werden unter anderem für die Analyse und Identifizie-
rung von potenziellen Risiken, deren Bewertung sowie für die Definition von Kont-
rollmaßnahmen verwendet. Bei komplexen Prozessen können die Tabellen beliebig
erweitert und zusätzliche Informationen eingefügt werden (z. B. Verweise auf Roh-
2.4 Methoden im Risikomanagement 43

daten). Durch die Nummerierung der einzelnen Tabellenzeilen kann eine durch-
gängige Rückverfolgbarkeit gewährleistet werden.
In der Praxis hat es sich bewährt, speziell während der ersten Schritte im Risiko-
managementprozess grafische und tabellarische Methoden miteinander zu ver-
knüpfen, um das Auffinden von Fehlern sowie deren Ursachen und Folgen effektiv
und umfassend durchführen zu können.

2.4.3 Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse


Die Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA) wird eingesetzt, um poten-
zielle Fehler, deren Ursachen sowie die zugehörigen Fehlerfolgen eines betrachte-
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ten Bereichs strukturiert zu ermitteln und zu vermeiden [2.13].


Bild 2.8 zeigt die Zusammenhänge der Definitionen aus Abschnitt 2.3.1 und der
FMEA-Terminologie.
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Bild 2.8 Zusammenhang zwischen Definitionen bezüglich Risikoanalyse und FMEA-Terminologie

Die FMEA dient zur präventiven Vermeidung von Fehlern und kann über den kom-
pletten Lebenszyklus eines Medizinprodukts eingesetzt werden. Im Medizinpro-
duktebereich ist sie die wahrscheinlich am häufigsten verwendete Methode im Ri-
sikomanagement, da sie die Prozessschritte Risikoanalyse, Risikobewertung und
Risikokontrolle abdeckt. Die FMEA kann z. B. in folgenden Bereichen eingesetzt
werden:
ƒ in der Entwicklung von Medizinprodukten und deren Produktionsanlagen,
ƒ bei der Implementierung von Prozessen/Produktionsanlagen,
ƒ in der Qualifizierung von Produktionsanlagen bzw. Validierung von Prozessen,
ƒ für Sicherheitsrisikoanalysen,
ƒ im Änderungs-, Korrektur- und Verbesserungsprozess.
44 2 Risikomanagement

Die FMEA verwendet strukturierte Tabellen, um folgende Phasen im Risikoma-


nagementprozess zu bearbeiten und zu dokumentieren:
ƒ Phase 1: Risikoidentifikation
ƒ Phase 2: Risikobewertung
ƒ Phase 3: Risikobeurteilung
ƒ Phase 4: Festlegung von Maßnahmen zur Risikoreduzierung
Der Ablauf der FMEA ist in Bild 2.9 dargestellt.
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Bild 2.9 Ablauf der FMEA

Die detaillierte Umsetzung der FMEA Methode wird in Kapitel 8, GEP/GMP-


konforme Produktionsanlagen, beschrieben.
Ein Beispiel für ein FMEA-Formblatt findet sich in den Download-Materialien zu
diesem Buch.
2.4 Methoden im Risikomanagement 45

2.4.4 Fehlerbaumanalyse
Die Fehlerbaumanalyse oder Fault Tree Analysis (FTA) ist eine einfache Methode,
um – ausgehend von einem Fehler – alle möglichen Ursachen des Fehlers systema-
tisch zu bestimmen. Sie wird vor allem dann eingesetzt, wenn komplexe Zusam-
menhänge untersucht und dargestellt werden sollen. Die FTA kann prospektiv und
retrospektiv überall dort angewendet werden, wo für einen bestimmten Fehler
strukturiert und dokumentiert die Fehlerursachen gesucht werden müssen. Das
ist z. B.:
ƒ bei Abweichungen,
ƒ bei Reklamationen,
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ƒ zur Entwicklung von Kontrollstrategien bzw. Monitoring-Programmen.


Die FTA kann aber auch in Kombination mit einer FMEA zur Risikoidentifikation
eingesetzt werden.
Die FTA ist eine Top-down-Methode. Ausgehend von einem top event werden die
möglichen Ursachen ermittelt und grafisch dargestellt. Für jede Ursache wird dann
nach dem „Weil-warum-Prinzip“ weiter nach deren Ursache gesucht (siehe Bild
2.10). Ursachenarten können z. B. sein:
For personal use only.

ƒ technisches Fehlverhalten,
ƒ menschliches Fehlverhalten,
ƒ externe Einflüsse.

Bild 2.10 Beispiel einer Fehlerbaumanalyse


46 2 Risikomanagement

Wie beim Ishikawa-Diagramm bieten sich auch bei der FTA als Ursachengruppen
die „5 M“ – Mensch, Maschine, Material, Methode, Milieu (= Umwelt) – an. Ursa-
chen werden so lange definiert, bis keine neuen Ursachen mehr gefunden werden
können. Aus den möglichen Ursachen lassen sich in weiterer Folge Maßnahmen
zur Risikominimierung ableiten.
Die FTA kennt zwei Hauptgruppen von Symbolen:
ƒ Ereignisse (events),
ƒ logische Verknüpfungen (gates).
Alle ermittelten Ursachen werden grafisch in einem Fehlerbaum als „Ereignisse“
dargestellt und können mit logischen Operatoren (z. B. UND [&], ODER [≥ 1]) ver-
knüpft werden. Bei den Ereignissen wird z. B. das top event in Form eines Recht-
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ecks dargestellt. Das Rechteck zeigt an, dass sich für ein event (fault event) weitere
Ursachen mit logischen Verknüpfungen darstellen lassen. Können für eine Ur-
sache keine weiteren Ursachen gefunden werden, so wird diese als basic event in
Form eines Kreises dargestellt. Weitere events sind z. B. undeveloped events, die
noch nicht näher untersucht wurden und in Form von Rauten dargestellt werden
(siehe auch Bild 2.12). Da die FTA eine grafische Methode ist, können auch Verbin-
dungen und Schnittstellen leicht dargestellt werden.
For personal use only.

Fehlerbäume können prinzipiell auch numerisch ausgewertet und so zur Risikobe-


wertung eingesetzt werden. Dazu müssen jedoch die Eintrittswahrscheinlichkei-
ten der individuellen Ereignisse bekannt sein. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des
top event wird dann aus den Wahrscheinlichkeiten der gates berechnet.

2.4.5 Ishikawa-Diagramm
Das Ishikawa-Diagramm wird auch als Ursache-Wirkungs-Diagramm oder Fisch-
grät-Diagramm bezeichnet. Es ist eines der sieben Qualitätswerkzeuge und eine
einfache Methode, um ausgehend von einem Problem alle möglichen Ursachen
systematisch zu bestimmen. Daher ist sie gut geeignet, in Kombination mit ande-
ren Risikomanagementmethoden (z. B. der FMEA) eingesetzt zu werden. Ein
Ishikawa-Diagramm ist in Bild 2.11 dargestellt.
Ausgehend von einem Problem, welches am rechten Ende der „Hauptgräte“ darge-
stellt ist, werden über die Ursachengruppen der „5 M“ – Mensch, Maschine, Mate-
rial, Methode, Milieu – die möglichen Ursachen ermittelt.
Mithilfe eines Ishikawa-Diagramms können Kausalitätsbeziehungen zwischen
­Ursache und Wirkung schnell und effektiv identifiziert werden.
2.5 Wissensbasiertes Risikomanagement 47
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Bild 2.11 Beispiel eines Ishikawa-Diagramms


For personal use only.

Eine detaillierte Anwendung der Methode wird in Kapitel 8, GEP/GMP-konforme


Produktionsanlagen, beschrieben.

„ 2.5 Wissensbasiertes Risikomanagement
Risikoanalysen weisen in einem Unternehmen oft starke Ähnlichkeiten auf und
das in den „alten Risikoanalysen“ vorhandene Wissen bzw. die dort eingebrachte
Erfahrung könnten dazu verwendet werden, den Risikomanagementprozess (an
dem meist ein Team hochbezahlter Mitarbeiter beteiligt ist!) wesentlich effizienter,
rascher und somit kostengünstiger abzuwickeln. Nur wer weiß dann noch, wo die
alten Risikoanalysen abgespeichert wurden und ob deren Inhalte auch für die neue
Problemstellung ausreichend sind?
Des Weiteren müssen Risikoanalysen, wie in Bild 2.12 dargestellt, über den kom-
pletten Lebenszyklus eines Medizinprodukts durchgeführt werden. Erfahrungen
aus nachgelagerten Prozessen (z. B. Reklamationen oder Änderungen) sollten in
frühere Phasen (z. B. Entwicklung und Produktion) automatisch zurückfließen.
48 2 Risikomanagement

Prospektive Betrachtung
Lieferanten- Qualifizierung
Entwicklung auswahl von Anlagen, Geräten, Räumen,
Transportwegen
Validierung
Auditierung
Herstellungsprozess,
Reinigungsverfahren,
Computersystemen ...

Risikomanagement
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Reklamationen
Änderung von
Out of Specification Abweichungen Verfahren, Systemen,
(OOS)- Resultaten bei Verfahren und Ausgangsmaterialien
Systemen

Retrospektive Betrachtung

Bild 2.12 Risikoanalysen über den Lebenszyklus eines Medizinprodukts


For personal use only.

Für die Erstellung von Risikoanalysen werden jedoch meist einfache Software-
Tools eingesetzt, z. B. MS-Word/Excel oder einfache Datenbanken. Aus dem Blick-
winkel des Wissensmanagements sind diese Tools implizit. Das heißt, dass damit
das Wiederverwenden, die Analyse und der Austausch von mühevoll erarbeitetem
Risikowissen nur sehr schwer möglich sind. Daher muss man sich auch im Medi-
zinproduktebereich darüber Gedanken machen, wie Risikowissen über den gesam-
ten Lebenszyklus eines Medizinprodukts – von der Entwicklung über die Produk-
tion bis hin zur Produktbeobachtung – schnell und umfänglich zur Verfügung
gestellt werden kann.
Daher rückt der Einsatz von wissensbasierten Risikomanagement-Softwaresyste-
men immer mehr in den Fokus. Auf die Anforderungen an solche Systeme, ihre
Vorteile und Nachteile wird im Folgenden näher eingegangen.

Risikomanagement-Softwaresysteme
Moderne Risikomanagement-Softwaresysteme müssen nicht nur das Erstellen von
Risikoanalysen möglich machen, sie müssen vor allem den automatischen Wissen-
stransfer zwischen den Risikoexperten im Unternehmen über den kompletten Le-
benszyklus eines Medizinprodukts unterstützen, damit vermieden wird, dass Risi-
ken einfach vergessen oder falsch bewertet werden. Um diese Anforderung erfüllen
zu können, sollten die Daten/Datenbankstrukturen in innovativen Risikomanage-
2.5 Wissensbasiertes Risikomanagement 49

ment-Softwaresystemen über Wissensnetzwerke verbunden sein, in denen alle


­Relationen des Risikomanagements nach ISO 14971 abgebildet sind.
Durch den Einsatz von Risikomanagement-Softwaresystemen sollten Risikoexper-
ten bei der Erstellung von Risikoanalysen vom System durch automatische Vor-
schläge unterstützt werden. Möchte der Ersteller einer Risikoanalyse also z. B.
­wissen, welche qualitätsrelevanten Risiken er für ein Medizinprodukt in der Ent-
wicklung betrachten muss, muss ein innovatives Risikomanagement-Softwaresys-
tem dem Experten z. B. alle Fehler/Folgen/Ursachen für das Medizinprodukt oder
ähnliche Medizinprodukte anzeigen können, die bereits in anderen Risikoanalysen
ins System eingegeben wurden. Auch bei der Risikobewertung, -beurteilung und
-kontrolle sollte der Risikoexperte Vorschläge auf Basis von bereits im System vor-
handenen Daten abfragen können, damit die Qualität und Einheitlichkeit der Risi-
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koanalysen erhöht werden kann, was natürlich Vorteile bei Audits und Inspektio-
nen mit sich bringt.
Da sich die Methoden FMEA und Ishikawa-Diagramm als Standardmethoden im
Medizinproduktebereich etabliert haben, sollten Softwaresysteme für Risikoma-
nagement zumindest diese Methoden unterstützen. Da die regulatorischen Grund-
lagen bezüglich Risikomanagement aber keine Vorgaben bezüglich FMEA-Struktur
und Inhalte der FMEA (z. B. definierte Formblätter) vorgeben und Unternehmen
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diese Methoden unterschiedlich umsetzen, ist es unbedingt notwendig, dass Soft-


ware-Tools flexibel genug sind, um z. B. in FMEA-Eingabemasken benutzerdefi-
nierte Spalten hinzufügen zu können.
Eine der Hauptanforderungen an Risikomanagement-Softwaresysteme im GMP-
Bereich ist sicher auch, dass die erstellten Risikoanalysen in entsprechender Form
ausgedruckt werden können und dass Schnittstellen zu anderen Systemen – z. B.
Dokumentenmanagementsystemen – vom System bis hin zum Audit Trail unter-
stützt werden.
Durch den Einsatz von innovativen Risikomanagement-Softwaresystemen kann
vermieden werden, dass bereits identifiziertes Risikowissen verloren geht. Durch
innovative Risikomanagement-Softwaresysteme kann Risikowissen über den Le-
benszyklus eines Medizinprodukts unternehmensweit, gut strukturiert und jeder-
zeit abrufbar zur Verfügung gestellt werden.
Ein Nachteil von Risikomanagement-Softwaresystemen ist sicherlich der zusätzli-
che Zeitaufwand, der bei der Einführung und Wartung solcher Systeme entsteht.
Vergleicht man diesen Nachteil aber mit den Vorteilen, so kann er allein durch die
Zeitersparnis bei der Erstellung von Risikoanalysen in den meisten Unternehmen
innerhalb von ein paar Monaten wettgemacht werden.
50 2 Risikomanagement

„ 2.6 Ergebnisse und Zusammenfassung


Risikomanagement ist eine verpflichtende Aktivität für Medizinproduktehersteller
in Europa und ist in den drei europäischen Direktiven (in Zukunft in den beiden
EU-Verordnungen [2.18] und [2.19]) bzw. in den entsprechenden nationalen Geset-
zen gefordert.
Als Hilfestellung ist die internationale Norm ISO 14971 entwickelt worden, die den
Herstellern eine gute Anleitung für die Etablierung des Risikomanagements im
Unternehmen liefert. Die fundamentalen Phasen des Risikomanagementprozesses
nach ISO 14971 sind die Risikoanalyse, die Risikobewertung, die Risikobeherr-
schung und die Produktbeobachtung. Alle diese Phasen enden nicht mit Freigabe
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des Produkts am Markt, sondern sind in einem Zyklus über die gesamte Lebens-
dauer des Produkts immer wieder zu durchlaufen.
Für den nachvollziehbaren Beweis über einen etablierten Risikomanagementpro-
zess gegenüber Behörden sind entsprechende Dokumente zu erstellen, die in der
Risikomanagementakte gesammelt vorliegen müssen. Dies sind der Risikoma-
nagementplan, die Risikoanalyseaufzeichnungen inklusive der Risikobewertun-
gen, der Nachweis der Umsetzung der Risikominderungsmaßnahmen und deren
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Verifizierung. Den Abschluss bildet der Risikomanagementbericht, der die Zusam-


menfassung der durchgeführten Aktivitäten sowie eine Akzeptanz des Gesamt-
restrisikos des Medizinprodukts beinhaltet.
Weitverbreitete Methoden zur Durchführung von Risikoanalysen bzw. zur Unter-
stützung des Risikomanagements sind die Fehlermöglichkeits- und -einflussana-
lyse, die Fehlerbaumanalyse und das Ishikawa-Diagramm. Diese Methoden liefern
eine strukturierte Vorgehensweise und bieten gleichzeitig eine effiziente Möglich-
keit, die geforderten Dokumente des Risikomanagements zu erstellen.

„ 2.7 Literatur
[2.1] Rempe, P.: Anforderungen an Qualitätsrisikomanagement aus Behördensicht. In: GMP-Berater
(AL59), Kapitel 19.A; GMP Verlag Maas & Peithner, 2021.
[2.2] Bundesministerium für Gesundheit: Bundesgesetzblatt Nr. 657/1996: Medizinproduktegesetz –
MPG, Fassung vom 06. 09. 2012. Verfügbar unter: http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?
Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011003, abgerufen am 22. 06. 2021.
[2.3] Bundesministerium für Justiz: Bundesgesetzblatt I S. 3146: Gesetz über Medizinprodukte (Medi-
zinproduktegesetz – MPG), Fassung vom 08. 11. 2011. Verfügbar unter: http://www.gesetze-im-
internet.de/bundesrecht/mpg/gesamt.pdf, abgerufen am 22. 06. 2021.
[2.4] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie 93/42/
EWG über Medizinprodukte. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do
?uri=OJ:L:1993:169:0001:0043:DE:PDF, abgerufen am 22. 06. 2021.
2.7 Literatur 51

[2.5] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 189 vom 20. 07. 1990: Richtlinie
90/385/EWG zum Abgleich der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantier­
bare medizinische Geräte. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?​
uri=CONSLEG:1990L0385:20071011:de:PDF, abgerufen am 22. 06. 2021.
[2.6] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 331 vom 27. 10. 1998: Richtlinie
98/79/EG über In-vitro-Diagnostika. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/
TXT/PDF/?uri=CELEX:31998L0079&from=DE, abgerufen am 22. 06. 2021.
[2.7] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical de-
vices – Quality management systems – Requirements for regulatory purposes. (Deutsche Fassung:
Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016, Medizinprodukte – Qualitätsma-
nagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Beuth, 2016.).
[2.8] Europäisches Komitee für Normung (CEN): Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung
(CENELEC): DIN EN ISO 14971:2019 Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf
Medizinprodukte; Deutsche Fassung EN ISO 14971:2019. Beuth 2020.
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[2.9] Global Harmonization Task Force (GHTF): Implementation of risk management principles and
activities within a Quality Management System (SG3/N15R8/2005). 2005. Verfügbar unter:
http://www.imdrf.org/docs/ghtf/final/sg3/technical-docs/ghtf-sg3-n15r8-risk-management-principles-
qms-050520.pdf, abgerufen am 20. 05. 2021 (Anmerkung: im Oktober 2011 durch die IMDRF abge-
löst; siehe www.imdrf.org).
[2.10] International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharma-
ceuticals for Human Use (ICH): ICH Harmonised Tripartite Guidelines – Quality Risk Manage-
ment Q9 – Current step 4 version dated 9 November 2005. Verfügbar unter: https://database.ich.
org/sites/default/files/Q9%20Guideline.pdf, abgerufen am 20. 05. 2021.
For personal use only.

[2.11] Johner, C.; Hölzer-Klüpfel, M.; Wittorf, S.: Basiswissen Medizinische Software. dpunkt, 2011.
[2.12] Preis, R.: Methoden der Risikoanalyse in der Technik. TÜV Austria Akademie, 2009.
[2.13] International Electrotechnical Commission (IEC): International Standard IEC 60812:2018 Failure
modes and effects analysis (FMEA and FMECA). 2018.
[2.14] Maier, M.: Methoden und Instrumente des Qualitätsrisikomanagements. In: GMP-Berater (AL60),
Kapitel 19.D.6; GMP Verlag Maas & Peithner, 2021.
[2.15] International Electrotechnical Commission (IEC): International Standard 61025, second edition:
Fault tree analysis (FTA). 2006.
[2.16] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Guidance for Industry: Juice Hazard Analysis Critical
Control Point Hazards and Controls Guidance, First Edition. 2004. https://www.fda.gov/regulatory-
information/search-fda-guidance-documents/guidance-industry-juice-hazard-analysis-critical-control-
point-hazards-and-controls-guidance-first, abgerufen am 20. 05. 2021.
[2.17] International Electrotechnical Commission (IEC): International Standard 61882, first edition:
­Hazard and operability studies (HAZOP studies) – Application guide. 2001.
[2.18] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Regulation (EU) 2017/745 of the European Parlia-
ment and of the Council of 5 April 2017 on medical devices, amending Directive 2001/83/EC,
Regulation (EC) No 178/2002 and Regulation (EC) No 1223/2009 and repealing Council Directives
90/385/EEC and 93/42/EEC (consolated text) (MPV). Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/
legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R0745, abgerufen am 22. 06. 2021.
[2.19] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Regulation (EU) 2017/746 of the European Par-
liament and of the Council of 5 April 2017 on in vitro diagnostic medical devices and re-
pealing ­Directive 98/79/EC and Commission Decision 2010/227/EU (consolated text). Verfügbar
unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017R0746, abgerufen
am 22. 06. 2021.
[2.20] Europäisches Komitee für Normung (CEN); Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung
(CENELEC): ISO/TR 24971:2020 Medical devices- Guidance on the application of ISO 14971, Engli-
sche Fassung (Medizinprodukte - Leitfaden für die Anwendung von ISO 14971); Beuth 2020.
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For personal use only.
3 Rechtliches Umfeld
und Zulassungs­
anforderungen
P. Müllner

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Rechtliches Umfeld
ƒ Ist mein Produkt ein Medizinprodukt? Was muss ich bei der Zulassung berück-
sichtigen?
ƒ Geplante Änderungen in der europäischen Gesetzgebung
ƒ Patente und Lizenzen

For personal use only.

„ 3.1 Einleitung
Wer sein Tätigkeitsfeld im Bereich der Medizinprodukte oder deren Zubehör ansie-
delt, erkennt sehr schnell, dass es sich hier um ein sehr reglementiertes Umfeld
handelt. Schlagwörter wie EU-Verordnungen, EU-Direktiven, Grundlegende An­
forderungen oder Sicherheits- und Leistungsanforderungen, länderspezifische
Medizinproduktegesetze, harmonisierte Normen, Gemeinsame Spezifikationen,
­
Registrierung, aber auch Risikomanagement, Gebrauchstauglichkeit, Patente, Kos-
tenrückerstattung, Cyber Security, Vigilance und viele, viele mehr begleiten einen
über den gesamten Lebenszyklus eines solchen Produkts. In diesem Kapitel soll
ein Überblick über diese verschiedenen Begriffe und deren Zusammenhänge bzw.
Ihnen ein Wegweiser durch diese Welt zur Hand gegeben werden.
Fragen, ob es sich beim Produkt um ein Medizinprodukt oder Zubehör handelt,
welche Nutzungskontexte man abdecken oder welche Zielmärkte und Länder er-
reicht werden sollen, sollten bereits nach der Ideenfindung oder spätestens in der
anschließenden Konzeptionsphase beantwortet bzw. festgelegt werden.
Das rechtliche Umfeld wird grundsätzlich durch länderspezifische Vorgaben wie
zum Beispiel durch Gesetze und weiterführende Verordnungen definiert. Werden
diese im Vorfeld eruiert und ausführlich analysiert, ermöglicht das einen erfolgrei-
54 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

chen und raschen Marktzugang sowie für Patienten und Anwender ein sicheres
Produkt. Aber nicht nur das Verwaltungsrecht (z. B. Regelungen für Marktzugang
und den Betrieb) sollte berücksichtigt werden, sondern auch Rechtsvorschriften
im Vertragsrecht, deliktischen Haftungsrecht sowie im Produkthaftungsrecht müs-
sen als unternehmerisches Risiko bei Planung eines Markteintritts bedacht wer-
den. Speziell letztere sind im Rahmen von Haftungsfällen entscheidend und für die
Rechtssicherheit ausschlaggebend bzw. geben wesentlichen Input zum Verständ-
nis für die potenziellen, je nach Land teilweise horrenden Haftungssummen und
Strafen, die durch Fehler und/oder Fehlhandlungen im Laufe eines Produktlebens-
zyklus entstehen können.
Dementsprechend sollen auch risikominimierende Maßnahmen wie ausreichende
Deckungssummen von versicherbaren Risiken als auch ein vollständiges Quali-
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tätsmanagement, das mit seiner entsprechenden Dokumentation unterstützt, die


Konstruktions-, Fabrikations-, Instruktions- und Marktbeobachtungsfehlerfreiheit
nachzuweisen, umfänglich implementiert werden.
Weiterhin empfiehlt es sich, sich mit der entsprechenden länderspezifischen Sozi-
alversicherungsrechtssituation in den Vertriebsländern auseinander zu setzen,
um schon von Beginn an das Thema Kostenerstattung, Refundierungsmöglichkei-
ten sowie Marktchancen mitzuadressieren und gegebenenfalls daraus Anforde-
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rungen für Design und/oder notwendige klinische Prüfungen/Wirksamkeitsnach-


weise mit aufzunehmen.
Primär soll aber im Weiteren ein erfolgreicher Marktzugang im Fokus stehen.

„ 3.2 Erfolgreicher Marktzugang:
­Zulassungsanforderungen erfüllen
Für einen erfolgreichen Markteintritt muss man sich bereits vor oder spätestens in
der Konzeptions- und Entwicklungsphase mit den anzuwendenden regulatori-
schen Anforderungen und länderspezifischen Besonderheiten vertraut machen.
Als wichtigste Voraussetzungen gelten dabei die definierte Zweckbestimmung und
die Festlegung der Vertriebsländer. Aus diesen kann dann bereits eine erste Zulas-
sungsstrategie ausgearbeitet werden. Obwohl zahlreiche Harmonisierungsbestre-
bungen stattfinden bzw. stattgefunden haben, so muss man sich doch sehr intensiv
mit den Zulassungseinzelheiten der Länder und deren kulturelle Auffassungsun-
terschieden vertraut machen. Kosten und time to approval sollten ebenfalls in die
Überlegungen einfließen, da es oft nicht ungewöhnlich ist, dass Zulassungszeiten
über den Ein-Jahres-Zeitraum hinausgehen. Bis zur Einführung der MPV/IVDV hat
sich für viele Hersteller in Europa eine Ersteinführung ihrer Produkte auf den
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 55

e­ uropäischen Markt bewährt. Die Reduzierung der Benannten Stellen und die er-
höhten Anforderungen könnte dies jedoch ändern.
In den folgenden Abschnitten werden exemplarisch einige Märkte und ihre Anfor-
derungen vorgestellt.

3.2.1 Europäische Union
Die Bestrebungen der Europäischen Union nach Vereinheitlichung der Zugangsvo-
raussetzungen für den europäischen Markt und zum Abbau von Handelshemmnis-
sen haben über die Jahre viele Erleichterungen für Hersteller gebracht. Medizin-
produkte müssen, um im europäischen Markt überhaupt in Verkehr gebracht
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werden zu können, zum einen den „Grundlegenden Sicherheits- und Leistungs­


anforderungen“ der jeweils anwendbaren EU-Verordnung (vormals Richtlinie) ent-
sprechen, und zum anderen muss der Hersteller im Rahmen dieses sogenannten
Konformitätsbewertungsverfahrens auch die Wirksamkeit seines Marktüberwa-
chungssystems (Post-Market Surveillance – PMS) belegen. Basierend auf den Un-
terlagen zum Nachweis dieser Grundlegenden Anforderungen, die die Sicherheit
und Leistungsfähigkeit des Produkts für den vorgesehen Einsatzzweck bestätigen,
For personal use only.

wo die klinische Bewertung eine zentrale Rolle einnimmt, erklärt der Hersteller in
Form der Konformitätserklärung (eventuell unter Einbindung einer Benannten
Stelle), dass das Produkt in Übereinstimmung mit den Anforderungen der EU-
Verordnung/-Richtlinie ist, und bringt das CE-Kennzeichen am Produkt an. Die
­jeweilige nationale oder länderspezifische Marktaufsichtsbehörde hat dabei das
Recht, diese Nachweise einzusehen und zu prüfen.
Die erste grundlegende Frage, mit der man sich jedoch im Rahmen der Entwick-
lung auseinandersetzen muss und bei der die festgelegte Zweckbestimmung des
Produkts eine zentrale Rolle spielt, lautet: „Ist mein Produkt ein Medizinprodukt
oder ähnlich einem Medizinprodukt?“ Weitere Fragen, die sich unmittelbar an-
schließen: „Bin ich überhaupt Hersteller oder einer der Wirtschaftakteure im Sinne
einer Verordnung/Richtlinie?“ und „Was bedeutet Inverkehrbringen?“

BEACHTE:
Nur der Hersteller bestimmt den Zweck des Produkts.

Wenn man die Fragen nach Medizinprodukt und Hersteller eindeutig mit „Ja“ be-
antworten kann, ist im nächsten Schritt zu klären, unter welche der Verordnun-
gen/Richtlinien das Produkt einzuordnen ist. Mit dem Erlass der neuen Europäi-
schen Verordnungen im Frühjahr 2017 hat sich die regulatorische Vorgabelandschaft
grundlegend geändert. Die bekannten drei EU-Direktiven wurden durch zwei
56 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

neue, direkt anwendbare EU-Verordnungen mit zahlreichen einhergehenden not-


wendigen Rechtsanpassungen abgelöst. Während eines entsprechend definierten
Übergangszeitraums gelten die alten Direktiven (mit Einschränkungen) noch par-
allel zu den neuen EU-Verordnungen. Wenn bis dato kein gültiges Richtlinienzerti-
fikat vorliegt, sind ausschließlich die Inhalte der neuen Verordnungen im Fokus.
Vollständigkeitshalber gab es nach den Direktiven die drei Zuordnungsmöglichkei-
ten:
ƒ Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte [3.1], ergänzt mit Richtlinie
2007/47/EG [3.2],
ƒ Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika [3.3],
ƒ Richtlinie 90/385/EWG über aktive implantierbare medizinische Geräte [3.4]
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ergänzt mit Richtlinie 2007/47/EG [3.2].


Entsprechend den neuen EU-Verordnungen (ab 05/2017) gibt es nur mehr zwei
Zuordnungsmöglichkeiten:
ƒ EU-Verordnung 2017/745 über Medizinprodukte (kurz: MPV), zur Änderung
der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr.178/2002 und der Verord-
nung (EG) Nr.1123/2009 und zur Aufhebung der Richtlinie 90/385/EWG und
93/42/EWG des Rates [3.57]
For personal use only.

ƒ EU-Verordnung 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (kurz: IVDV) und zur Auf-


hebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kom-
mission [3.58]
Wobei in den jeweiligen Begriffsbestimmungen der EU-Verordnung/-Richtlinien
die genaue Definition der darunter fallenden Produkte zu entnehmen ist. Die EU-
Verordnungen/-Richtlinien selbst sind auf entsprechender Seite der Europäischen
Kommission frei zugänglich [3.5].
Die Praxis zeigt, dass Hersteller in der Abgrenzung von Medizinprodukten immer
wieder Schwierigkeiten haben. Dabei sind folgende drei Fragestellungen für den
Hersteller entscheidend:
a) Erfüllt das Produkt die Definition eines Medizinprodukts?
b) Ist die Zweckbestimmung so, dass das Produkt als Medizinprodukt angesehen
werden kann?
c) Wie wird die bestimmungsgemäße Hauptwirkung erreicht?
Zu a)
Hier ist das wichtigste Abgrenzungskriterium, dass das Produkt zur Anwendung
für Menschen ausgelobt ist. Veterinärmedizinische Produkte unterliegen – im Ge-
gensatz zu Arzneimitteln – nicht der Definition von Medizinprodukten.
Prinzipiell können alle physischen Produkte, also Instrumente, Apparate, Vorrich-
tungen, Implantate, Reagenzien und Stoffe, aber auch Software, in der Definition
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 57

enthalten sein. Teilweise werden durch die neue EU-Verordnungen kosmetische


Produkte, Produkte ohne medizinischen Verwendungszweck (Annex XVI MPV)
Medizinprodukten gleichgestellt und damit von der Legislative erfasst.
Zu b)
Das Produkt muss eine entsprechende medizinische Zweckbestimmung aufweisen
oder entsprechend in den Geltungsbereich der Verordnung/Richtlinie fallen. Es
muss zumindest einer der in der Definition genannten Punkte (z. B. Erkennung
von Krankheiten, Überwachung, Behandlung von Verletzungen, Ersatz oder Verän-
derung des anatomischen Aufbaus, Änderung eines physiologischen oder patholo-
gischen Vorgangs oder Zustands oder zur Empfängnisregelung etc.) bestimmt sein.
Die Verhütung (!) von Verletzungen oder Behinderungen ist definitionsgemäß der
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persönlichen Schutzausrüstung (im Sinne der PSA-Verordnung [3.6]) vorbehalten.


Zu c)
Die in a) und b) beschriebenen Sachverhalte sind weitestgehend identisch mit der
Definition eines Arzneimittels im Sinne der Arzneimittelrichtlinie [3.7]. Das Ab-
grenzungskriterium zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten ist daher die
bestimmungsgemäße Hauptwirkung. Besonders wichtig ist dabei die Beschrei-
bung, wie der Wirkmechanismus im oder am menschlichen Körper erreicht wird.
For personal use only.

Der Hersteller muss belegen, dass die Hauptwirkung nicht mittels pharmakologi-
scher, immunologischer oder metabolischer Mittel erreicht wird. Die Beschreibung
der Abgrenzung muss die Definition von pharmakologisch, metabolisch und im-
munologisch berücksichtigen – diese Begriffe wurden in der MedDev-Guideline 2.1/3
[3.8] definiert und sollen auf Grund der Wichtigkeit hier zusammenfassend erklärt
werden.

„Pharmakologisch“1
Eine pharmakologische Wirkung wird interpretiert als Interaktion zwischen Mole-
külen der Substanz und zellulären Bestandteilen, welche typischerweise als Re-
zeptoren bezeichnet werden. Diese Interaktion resultiert typischerweise entweder
in einer direkten Antwort oder blockiert die Antwort auf andere Substanzen. Als
Hilfskriterium kann das Vorhandensein einer Dosis-Wirkung-Korrelation herange-
zogen werden.
Die Definition von „pharmakologisch“ ist dabei unter Berücksichtigung der aktuel-
len Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs zu betrachten. Dieser hat in
einem aktuellen Urteil [3.9] entschieden, dass eine pharmakologische Wirkung
nicht ausschließlich auf menschliche Zellen beschränkt ist. Es sei bereits ein hin-
reichendes Kriterium für das Vorliegen einer pharmakologischen Wirkung, dass

Im Sinne der MEDDEV-Guideline 2.1/3 rev 3, 2009.


1
58 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

eine derartige Wirkung im menschlichen Körper auch auf nicht-menschliche


­Zellen (z. B. Bakterienzellen) stattfindet.

„Immunologisch“2
Eine immunologische Wirkung wird interpretiert als eine Wirkung im oder auf
den menschlichen Körper, welche zu einer Stimulation und/oder Mobilisierung
von Zellen und/oder Produkten führt, welche an einer spezifischen Immunreak-
tion beteiligt sind.

„Metabolisch“3
Metabolische Wirkmechanismen werden interpretiert als eine Beeinflussung der
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chemischen Prozesse, welche an normalen, im menschlichen Körper ablaufenden


Prozessen beteiligt sind, einschließlich deren Start, Stoppen oder Änderung der
Geschwindigkeit.
Die Beschreibung, dass eine Wirkung „rein physikalisch“ erreicht wird, ist kein
ausreichendes Kriterium für die Abgrenzung als Medizinprodukt, da jeder auf der
Erde ablaufende Prozess – auch Prozesse im menschlichen Körper – mittels physi-
kalischer oder quantenmechanischer Methoden beschrieben werden kann!
For personal use only.

Die Dokumentation dazu muss aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse berücksich-


tigen. Zur Auswahl von Kriterien, anhand derer wissenschaftliche Erkenntnisse oder
Literatur bewertet werden können, sollten jene Empfehlungen herangezogen wer-
den, die für die klinische Bewertung (siehe Abschnitt 3.2.1.7) erlassen wurden.
Der Hersteller muss auch Überlegungen anstellen, ob nicht zusätzliche EU-Verord-
nungen/Richtlinien für sein Produkt parallel zu der Medizinprodukteverordnung/-
richtlinie anwendbar sind. Eine Auswahl findet sich in den Download-Materialien
zu diesem Buch.

MERKE:
EU-Richtlinien (engl. directives) stellen ein übergeordnetes Regelwerk dar, das
nach entsprechend festgelegter Übergangszeit in die jeweilige nationale Gesetz-
gebung übergehen muss, sodass die rechtlich verbindliche Basis weiterhin die
nationale Gesetzgebung ist. Erlassene EU-Verordnungen (engl. regulations) hin-
gegen sind direkt und unmittelbar nach Veröffentlichung im Amtsblatt (Official
Journal) der EU rechtswirksam.

Oft sind Zuordnungen zu einer entsprechenden EU-Verordnung/Richtlinie auch


nicht immer eindeutig, sodass die Europäische Kommission und andere Organi­
sationen zusätzliche Hilfestellung in Form von Dokumenten anbieten (z. B. das

2
Im Sinne der MEDDEV-Guideline 2.1/3 rev 3, 2009.
3
ebd.
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 59

­ anual on Borderline and Classification [3.10]). Nach erfolgreicher Zuordnung in


M
eine der Medizinprodukteverordnungen/Richtlinien ist der nächste Schritt die risi-
kobasierte Klassifizierung, die in der jeweiligen Verordnung/Richtlinie gesondert
geregelt ist.

MERKE:
Die EU-Verordnungen 2017/745 (MP) und 2017/746 (IVD) klassifizieren gemäß
Anhang VIII.
Die Richtlinie 93/42/EWG verwendet zur risikobasierten Klassifizierung Regeln
gemäß Anhang IX, und Richtlinie 98/79/EG verwendet eine Unterteilung in Liste A
und B gemäß Anhang II und andere.

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Je nach risikobasierter Klassifizierung des Produkts ergeben sich daraus mögliche


Konsequenzen für die Produktzulassung, wie beispielsweise die zwingende Ein-
bindung einer „Benannten Stelle“ (Notified Body), die der Hersteller in der Europä-
ischen Union frei wählen kann, wobei hier entsprechende Voraussicht anzuwen-
den ist. Es sei hier explizit darauf hingewiesen, dass nur eine Benannte Stelle
gewählt werden kann und ein Wechsel meist nur mit hohem Aufwand zu bewerk-
stelligen ist.
For personal use only.

TIPP:
QM-Zertifizierung und Notified Body sollten aus einer Hand kommen.

Bei der Auswahl sollten Überlegungen wie Anerkennung und Kombination von
Zertifikaten, Bekanntheitsgrad in Marktländern außerhalb der EU, Fachkompetenz
für das entsprechende Produkt, Erreichbar- und Verfügbarkeit und durchschnittli-
che Durchlaufzeiten bei Produktprüfungen in Betracht gezogen werden. Eine voll-
ständige Übersicht entsprechend für jede Verordnung/Richtlinie erhält man auf
der entsprechenden Website der Europäischen Kommission [3.11].

3.2.1.1 MPV und IVDV – die neuen EU-Verordnungen


Ausgelöst durch verschiedene Vorfälle und Skandale entschloss sich die europäi-
sche Kommission zu einer weiteren Adaptierung und Vereinheitlichung der Medi-
zinprodukteregularien, die wesentliche Änderungen und Auswirkungen für alle in
diesem geregelten Umfeld Tätigen mit sich bringen.
Das zentrale Hauptmerkmal dieser Veränderungen ist, dass der Rang innerhalb
der Legislative geändert wurde. Einst als Direktiven eingeführt und in nationale
Gesetze umgesetzt, entschloss man sich nun zu zwei Europäischen Verordnungen,
die direkt gültig und anwendbar sind. Nach derzeitigen Kenntnisstand sind die
nationale Gesetze soweit geändert, dass diese im Einklang mit den europäischen
60 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Verordnungen stehen und, wo notwendig, eventuell durch weitere Ergänzungen


erweitert. Nach der finalen Einigung zwischen Kommission, Rat und Parlament
wurden die Verordnungen am 5. Mai 2017 im Amtsblatt der Europäischen Union
veröffentlicht. 20 Tage später sind diese Verordnungen in Kraft getreten, sodass
Medizinprodukte mit dem ursprünglichen Plan für 26. Mai 2020 und In-vitro-Dia-
gnostika am 26. Mai 2022 nach Ablauf der Übergangszeit den neuen Verordnun-
gen entsprechen müssen. Bei bestehenden Richtlinienzertifikaten besteht darüber
hinaus die Möglichkeit, diese Übergangszeiträume bei MPV nochmals um 4 Jahre
und bei IVDV um zwei Jahre zu verlängern. Die weltweite Corona-Pandemie ver-
schob die erste Timeline für das Ende der Übergangsfrist von Mai 2020 auf 26. Mai
2021.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass obwohl die Verordnungen bereits in Kraft ge-
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treten sind (Mai 2017), mancher Zusatz gemäß „delegating act“ und „implemen-
ting act“ von der EU-Kommission gemäß des Vertrags von Lissabon noch hinzu-
kommen kann. Daher ist es notwendig jede Entwicklung der anwendbaren
Verordnung sorgfältig zu verfolgen.

MERKE:
Die EU-Kommission wird weitere „delegating and implementing acts“ zu den
For personal use only.

derzeitig gültigen Verordnungen erlassen. Eine genaue Verfolgung der Aktivitäten


der EU-Kommission ist ratsam.

MERKE:
Der Übergang muss definitiv geplant werden. Dabei sind neu definierte bzw.
klargestellte Begriffe wie
ƒ Inverkehrbringen – placed on the market,
ƒ Bereitstellung auf dem Markt – making available on the market und
ƒ Inbetriebnahme – put into service
von entscheidender Bedeutung.

BEISPIEL:
Produkte, die nach der MDD erstmalig in Verkehr gebracht wurden, dürfen nach
Artikel 120 MPV maximal bis Mai 2025 für den Markt bereitgestellt bzw. in Betrieb
genommen werden. Ab diesem Zeitpunkt ist die Konformität nach MDD nicht mehr
zulässig, und lagernde Ware wird entsprechend wertlos.

Die Änderungen der EU-Legislative sind sowohl im Umfang als auch in der Tiefe
äußerst weitreichend. Aus den drei Direktiven wurden zwei Verordnungen – aus
AIMD und MDD wurde zusammen die MPV 2017/745 bzw. aus der IVD die IVDV
2017/746. Umgekehrt sieht man, dass der Umfang deutlich erweitert wurde. Bei
der MDD reichten zur Festlegung der Spielregeln noch 23 Artikel aus, während bei
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 61

der MPV 123 notwendig wurden bzw. statt den 24 Artikeln der IVD wurden es 113
in der IVDV.
Inhaltlich sind folgende ausgewählte Änderungen überblicksmäßig verabschiedet
worden:
Um die Transparenz umfassend zu steigern sowie die Rückverfolgbarkeit und den
Informationsfluss aller Beteiligten (Wirtschaftsakteure, Benannte Stellen, EU-Kom-
mission, Mitgliedsstaaten etc.) zu verbessern, sollen alle relevanten Informationen
in der EUDAMED-Datenbank landen. Die Registrierung der Produkte geschieht
über einen eindeutigen UDI-Code (Unique Device Identification).
Es wurde neue oder präzisere Anforderungen für die agierenden Wirtschaftsak-
teure – Hersteller, Zulieferer, Importeure, Händler und Handlungsbevollmächtigte
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in der Europäischen Gemeinschaft – definiert.


Dabei soll auch speziell die Lieferkette einer erhöhten Transparenz unterliegen.
Anforderungen an Risikomanagement, Vigilance und Post Market Surveillance
werden als integraler Bestandteil eines Qualitätsmanagements gesehen, welches
für Hersteller im Gegensatz zur ISO 13485 nach Artikel 10(9) der EU-Verordnung
auch kontinuierlich verbessert werden soll. Dabei spielen systematische Analysen
und regelmäßige Berichtsdokumentation sowie die Aktualisierung der techni-
For personal use only.

schen Dokumentation eine besondere Bedeutung.


Die MPV selbst dehnt ihren Geltungsbereich auch auf Produkte mit „nicht-medizi-
nischem“ Zweck (Annex XVI MPV) aus und auf Produkte, die in deren Funktions-
weise und Risikoprofil Medizinprodukten ähneln.
Personen, die als „verantwortliche Person“ (kurz: PRRC) agieren, haben ein weit
umfangreicheres Aufgabenfeld und mehr Verantwortung als die in der DACH-­
Region bekannte Rolle des Sicherheitsbeauftragten.
Die Klassifizierungsregeln und auch die zugrunde liegenden Definitionen wurden
überarbeitet, meist auch klargestellt oder ergänzt. Damit ist teilweise eine Höher-
klassifizierung der Produkte und somit auch ein erforderlicher höherer Dokumen-
tations- und Prüfungsaufwand sowie gegebenenfalls auch eine Einbindung einer
Benannten Stelle verbunden.
Speziell die Klassifizierungsregel 11 und die damit verbundene Einstufung für
Software (spez. Stand alone SW) sorgen in Fachkreisen weiterhin für zahlreiche
Diskussionen.
Stoffe menschlichen Ursprungs und Nanomaterialien wurden in den Verordnun-
gen nachgepflegt, jedoch sind auch hier noch weitere Erkenntnisse der EU-Kom-
mission speziell zu Nanomaterialien zu erwarten. Denn theoretisch könnte jeder
Plastikschlauch oder Katheter, der mit dem Patienten in Verbindung steht, Nano-
materialien abgeben.
62 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Eine Involvierung von der Medical Device Coordination Group (MDCG), der EU-
Kommission selbst, Expertenpanels und Referenzlabore sind für Hochrisikopro-
dukte vorgesehen (Scrutiny-Verfahren). Die MDCG veröffentlich zusätzlich zahlrei-
che Guidance-Dokumente auf ihrer Website [3.59], die den Verordnungstext weiter
detaillieren und unbedingt zu berücksichtigen sind.
In der IVDV hat man 4 Risikoklassen (Klassen A-D) definiert und eingeführt, bei
denen risikoreiche Produkte (Klassen B-D) erfordern, dass eine Benannte Stelle
involviert wird (siehe dazu ebenfalls MDCG 2020-16).
Man führt generell das Konzept der „Gemeinsamen Spezifikationen“ ein und um-
geht damit den alten, sehr trägen Harmonisierungsprozess der Normen. Wobei
hier zu berücksichtigen ist, dass nach Auffassung der EU-Kommission auch der
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Stand der Technik („(acknowledged) state-of-the-art“) zum Tragen kommen soll.


Weiterhin sind die Gemeinsamen Spezifikationen verpflichtend in der Konformi-
tätserklärung anzugeben.
Die Grundlegenden Anforderungen wurden erweitert und müssen zusätzlich so-
wohl Sicherheits- als auch Leistungsaspekte abdecken (jeweils Annex I der Verord-
nung).
Mit klinischen Bewertungen betraute Personen müssen ausreichend hohe Fach-
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kompetenz nachweisen können. Die Risiko-Nutzen-Bewertung und das allumfas-


sende Risikomanagement bekommen allgemein höhere Gewichtung.
Schwerpunkte setze man auch im Bereich Post-Market-Surveillance-Aktivitäten –
(aktive) Marktbeobachtung gewann deutlich an Bedeutung und fordert zusätzliche
Lösungen im Berichtswesen der Hersteller. Diesbezüglich muss auch angemerkt
werden, dass sich die Meldefrist bei schwerwiegenden Vorfällen nach Artikel 87
auf 15 Tage (vormals 30 Tage) verkürzt hat, welche so manche Organisation dazu
zwingen könnte, sicherheitshalber eine Erstmeldung bei den zuständigen Behör-
den abzusetzen.
Die bereits bekannten unangekündigten Audits sind jetzt direkt in den Verord-
nungstext übernommen worden und nehmen die Benannten Stellen in die Pflicht,
mindestens einmal in 5 Jahren ein unangekündigtes Audit durchzuführen. Eben-
falls kann es während eines Audits zu Probennahmen kommen, die mit den regu-
latorischen Anforderungen verglichen werden.
Das Benennungsverfahren für Benannte Stellen ist ausführlicher geregelt und ver-
schärft, und die Qualifikationsanforderungen an Personal (Fachexperten/Audito-
ren) sind erhöht worden.
Auch bei den Konformitätsverfahren wurden Anpassungen und Änderungen
durchgeführt.
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 63

Konformitätsbewertungsverfahren bei MPV:


Durch die Aufnahme der AIMD in die MPV und durch die Überarbeitung haben
sich auch die möglichen Wege zur CE Kennzeichnung verändert (siehe Bild 3.1).

Article 52 -
MDR Annex I General Safety and Performance Requirements

Annex II + III Technical Documentation


I, IIa, Is, Im, reusable surgical
instruments

IIa, IIb, Is, Im, reusable


surgical instruments III, IIb impl.
III, IIb

Annex X
X.6
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Specific
Procedures(*) Annex IX
Annex IX
Conformity Assessment
Conformity Assessment
Based on a QM System
Based on a QM System
I IX.I.2 QM System Assessment
IX.I.2 QM System Assessment
IX.I.3 Assessment of Surveillance
Annex XI IX.I.3 Assessment of Surveillance
IX.II Assessment of Technical
IX.II Assessment of Technical
Documentation
Documentation
(at least 1 representative device per
IIa, IIb, Is, Im, reusable group/category)
III, IIa, IIb
surgical instruments

PART A:
PART B:
Production
Product Verification
Quality Assurance
For personal use only.

IX.5.1
Specific Procedures(*)

CE (*): Class III, implantable devices calssified as class III, class III with integrated medicinal product as defined in Article 1(2) of directive 2001/
83/EC. Class III utilising tissues or cells of human or animal origin or their derivatives and for class IIb active devices intended to administer
CE xxxx

and/or remove a medicinal product.

Bild 3.1 Zulassung für ein MPV-Produkt

Einer der wesentlichen Unterschiede zur MDD ist, dass der Anhang VI (EG-Konfor-
mitätserklärung Qualitätssicherung Produkt) entfallen ist. Der bisherige Anhang
IV (EG-Prüfung) sowie der Anhang V (Qualitätssicherung Produktion) wird durch
den Annex IX Part B ersetzt, wobei dabei nun jedes Produkt zu prüfen ist und
keine Stichprobenprüfungen mehr vorgesehen sind.

Konformitätsbewertungsverfahren bei der IVDV


Mit der Einführung der Risikoklassen, die gemäß der Klassifizierungsregeln im
Annex VIII der IVDV zu bestimmen sind, sind folgende Routen zur CE-Kennzeich-
nung möglich (Bild 3.2).
64 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Article 48 -
IVDR
Class A Class B, C, D Class C, D

Annex X
Type Examination

Annex IX [C, D: Companion]


[D: Expert Panel, Ref-Lab]
Conformity Assessment
Based on a QM System
+
Annex II + III Assessment of Technical Documentaon
Technical Documentation
[B, C]: only 4.4 – 4.8 - at least 1
representative device per group/
category) Annex XI
Production Quality Assurance
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[B-D: Selftest]
[C, D: Companion] [D: Single Batch Verification]

[D: Expert Panel, Ref-Lab]


For personal use only.

CE CE xxxx

Bild 3.2 Zulassung für ein IVDV-Produkt

In der IVDV ist der größte Unterschied zu den früheren Routen sichtbar. Benötig-
ten früher ca. 15 % der IVDs eine Benannte Stelle, sind es nach Einführung der
Verordnung vermutlich ca. 85 %. Diese Umkehrung führt definitiv zu einem Eng-
pass bei den Benannten Stellen, denn auch diese müssen entsprechende Ressour-
cen und Kapazitäten schaffen, und zum anderen werden nun die Hersteller ihre
Technische Dokumentation einer Benannten Stelle erstmalig umfangreich offen­
legen müssen. Damit zeichnet sich bereits ab, dass sich für die Hersteller der
Markteintritt verzögern wird und die Kosten deutlich steigen dürften.

Änderung in der Technischen Dokumentation


Neben der Überarbeitung und Neubenennung der Grundlegenden Anforderungen
in Grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen (gemäß Anhang I) gibt
der Anhang II und III (Technische Dokumentation) einen verpflichtenden Inhalt
für die Technische Dokumentation vor. Dieses sehr an STED (GHTF/IMDRF) orien-
tierte Format beinhaltet beispielsweise die allgemeine Beschreibung des Produkts
einschließlich der vorgesehenen Patientenpopulation sowie die Ein- und Aus-
schlusskriterien, die Risikoklassifizierung und die Produkthistorie. Dies schließt
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 65

auch die Kennzeichnung und Gebrauchsanweisungen für das Produkt mit ein. Da-
neben müssen die genauen Schritte und Orte der Produktentstehung – von der
Entwicklung über die Fertigung bis zur Endkontrolle – im Rahmen der Dokumen-
tation dargelegt werden. Die Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforde-
rungen (früher Grundlegende Anforderungen) müssen ebenso belegt werden wie
die Sicherheit des Produkts, basierend auf einer Risiko-Nutzen-Analyse und einem
Risikomanagement.
Daneben soll für jedes Produkt eine eindeutige Identifizierung möglich sein. Dafür
wird das Unique-Device-Identification-System (UDI-System) verpflichtend eingeführt.
Mithilfe der UDI kann ein Produkt eindeutig vom Hersteller bis zum behandelnden
Arzt bzw. betroffenen Patienten rückverfolgt werden. Damit soll eine bessere
Transparenz des Systems erreicht und Produktfälschungen erschwert werden. Das
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UDI-System wird schrittweise eingeführt, beginnend mit den Hochrisikoproduk-


ten, insbesondere Medizinprodukte der Klasse III wie Gelenkimplantate, aktive
Implantate und Weichteilimplantate, aber auch Herzkatheter oder implantierbare
Infusionspumpen.
Aber nicht nur die Produkte sind von einer Registrierung und eindeutigen Kenn-
zeichnung betroffen, sondern auch andere Wirtschaftsakteure. Diese benötigen
ebenfalls eine entsprechende Single Registration Number (SRN). Diese ist auch der
For personal use only.

Benannten Stelle im Zuge des Begutachtungsantrags vom Hersteller mitzuteilen.


Ein weiterer Abschnitt der technischen Dokumentation widmet sich der Produktve-
rifikation und -validierung. Besonderes Augenmerk wird hier auf die präklinischen
und klinischen Daten gelegt. Insbesondere wird die Verpflichtung des Herstellers
zur Durchführung einer klinischen Bewertung und zur Etablierung eines Post
­Market Clinical Follow-Up (PMCF) explizit genannt.
Der Annex III – Technische Dokumentation über die Überwachung nach dem
­Inverkehrbringen spiegelt im Wesentlichen die Forderungen der in der MedDev-
Guideline 2.12/1 definierten Anforderungen an das Post-Market-Surveillance-Sys-
tem (PMS) wider. Der Hersteller muss entsprechende Verfahren für den Umgang
mit Kundenrückmeldungen etablieren, sodass die Sicherheit der Patienten über
den gesamten vorgesehenen Lebenszyklus des Produkts sichergestellt ist. Um die
Verantwortung über die Einhaltung der Regulierungsvorschriften klarer hervorzu-
heben, ist für Hersteller und europäische Bevollmächtigte die Benennung einer
Qualified Person/Person Responsible for Regulatory Compliance (kurz PRRC) (ver-
gleichbar dem Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte mit deutlich erweiter-
tem Aufgabenumfang und Verantwortung) verpflichtend.
Generell ist mit einer Steigerung der Anforderungen bzw. des Aufwandes in der
Prä- und Post-Marketing-Phase zu rechnen, die teilweise erheblich sein werden
(z. B. bei einer Höherstufung, jährliche Post-Market-Berichte zur Sicherheit und
Leistungsfähigkeit). Bei den IVDs werden sich durch die Einführung der Risiko-
klassifizierung und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Konformitäts­
66 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

bewertungsverfahren (Involvierung einer benannten Stelle ab Klasse B) bzw. bei


Hochrisikoprodukten der Klasse III mit dem Scrutiny-Verfahren die Veränderun-
gen am meisten auswirken. Aber auch der Aufwand für die Transition ist nicht zu
unterschätzen – zum einen müssen die Benannten Stellen sich für die neuen Auf-
gaben neu akkreditieren lassen, sodass auch hier sehr genau zu beobachten ist, ob
die gewählte Stelle diese Hürde schafft; andererseits müssen die Hersteller für je-
des ihrer Produkte neue Konformitätsbewertungen nach den neuen Regeln und
Standards durchführen. Viele ältere Produkte, deren technische Dokumentation
historisch gewachsen ist, sind dokumentatorisch auf den neuesten Stand zu brin-
gen oder haben dies bereits hinter sich. Speziell all jene müssen sich jetzt ange-
sprochen fühlen (speziell im IVDV-Bereich), die bis dato keine Benannte Stelle zu
involvieren hatten und die keine Verlängerung der Übergangsfrist durch beste-
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hende Zertifikate in Anspruch nehmen können, denn da ist das Ende der Über-
gangszeit bereits bei MPV 2021 und bei IVDV 2022 erreicht.

MERKE:
Die Einführung einer einmaligen Produktnummer (Unique Device Identification)
trifft nicht nur auf Europa zu! Auch die USA haben eindeutige Regeln dazu erlassen!

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3.2.1.2 Harmonisierte Normen/Gemeinsame Spezifikationen


Die Definition der harmonisierten Normen gemäß Leitfaden der Europäischen
Kommission lautet: Harmonisierte Normen sind europäische Normen, die von
­europäischen Normenorganisationen aufgrund eines von der Kommission nach
Anhörung der Mitgliedstaaten erteilten Auftrags gemäß den allgemeinen Leit­
linien erarbeitet wurden, die zwischen der Kommission und den europäischen
Normungsorganisationen vereinbart wurden [3.60].
Die zuständigen europäischen Normenorganisationen für die Veröffentlichung von
harmonisierten Normen, erkennbar durch das Präfix EN, sind das Comité Euro-
péen de Normalisation (CEN) für allgemeine oder das Comité Européen de Norma-
lisation Electrotechnique (CENELEC) für elektrotechnische Normen. Oft werden
jedoch auch internationale Normen wie ISO (International Organization for Stan-
dardization) oder IEC (International Electrotechnical Commission) von den ge-
nannten Gremien im Wortlaut übernommen und nur mit einem entsprechenden
Vorwort versehen.
Entsprechende Normen werden dann auch von nationalen Normengremien wie
z. B. dem Österreichischen Normungsinstitut (ÖNORM) oder vom Deutschen Insti-
tut für Normung e. V. (DIN) übernommen, wobei die Organisationen ihr entspre-
chendes Präfix wieder voranstellen (z. B. ÖNORM EN ISO 13485).
Harmonisierte Normen, die zur Erfüllung der Grundlegenden Anforderungen her-
angezogen werden können und bei denen die Konformitätsvermutung gilt, werden
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 67

regelmäßig im Official Journal der Europäischen Kommission veröffentlicht. Dieses


ist auf der entsprechenden Website der EU verfügbar [3.5]. Darüber hinaus sind
unter der jeweiligen Verordnung/Direktive die zugeordneten harmonisierten Nor-
men zusammengefasst. Derzeit gibt es eine erste Veröffentlichung zu den Verord-
nungen erlassenen harmonisierten Normen.
Neben den erwähnten harmonisierten Normen werden in den neuen Verordnun-
gen auch Gemeinsame Spezifikationen eingeführt. Damit kann die EU-Kommis-
sion unter Konsultation der Koordinierungsgruppe Medizinprodukte im Rahmen
von Durchführungsrechtsakten Gemeinsame Spezifikationen erlassen, wenn keine
harmonisierten Normen verfügbar oder die relevanten harmonisierten Normen
nicht ausreichend sind bzw. diese den Belangen der öffentlichen Gesundheit und
Sicherheit nicht mehr Rechnung tragen. Damit könnte die Kommission die lang-
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jährigen Streitigkeiten über den Fortschritt bei der Harmonisierung umgehen.


Damit gewinnt aber auch die Diskussion über Aktualität der verwendeten/anzu-
wendenden (harmonisierten) Standards und Normen wieder an Bedeutung. Gibt
es bereits neue gültige Standards und Normen von älteren harmonisierten Vorgän-
gern oder gar neue und bringen diese neue Erkenntnisse zu Sicherheits- und/oder
Leistungsaspekten, so sind diese den älteren harmonisierten Normen vorzuziehen
und anzuwenden (die Verordnungen sprechen dabei von „(acknowledged) state-of-
For personal use only.

the-art“). Diesbezüglich lohnt sich aber auch ein Blick in das Produkthaftungs­
gesetz, das bei Inverkehrbringen die Kenntnisse von Stand der Wissenschaft und
Technik in Betracht zieht.

MERKE:
Prinzipiell sind Normen und damit auch die harmonisierten Normen freiwillig
einzuhalten. Bei harmonisierten Normen gilt jedoch über das Auslösen der Kon-
formitätsvermutung, dass das darin beschriebene Schutzniveau bei der Auslegung
der Produkte berücksichtigt werden muss und nicht unterschritten werden darf.
Es ist jedoch auch zu prüfen, ob nicht „der Stand der Technik“ bereits ein höheres
Schutzniveau vorsieht!

Normen stellen ein allgemeingültiges Regelwerk dar und definieren nur die Mini-
malanforderung an ein System, ein Produkt oder einen Prozess. Dabei haben drei
Worte besondere Bedeutung bei der Interpretation:
ƒ Muss: Diese Vorgabe ist zwingend umzusetzen und lässt keinen Spielraum für
Diskussionen zu.
ƒ Soll: Eine Vorgabe ist für die Einhaltung der Norm empfohlen, aber nicht zwin-
gend. Aus der Praxis zeigt sich, dass man aber triftige Gründe gegenüber Be-
nannten Stellen oder Behörden benötigt, dies nicht einzuhalten.
ƒ Kann: Dies zeigt einen möglichen Weg zur Erfüllung der Normenvorgabe.
68 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

3.2.1.3 Zentrale europäische Normen im Bereich Medizinprodukte


Folgende Normen haben sowohl für Systeme und Prozesse als auch für das Pro-
dukt eine zentrale Bedeutung. Es können aktuellere Ausgabestände der Normen
verfügbar sein.
ƒ EN ISO 13485 – „Medizinprodukte – Qualitätsmanagementsysteme – An-
forderungen für regulatorische Zwecke“ [3.8]
Diese Norm stellt Anforderungen an den Hersteller und dessen Management-
system in Sachen Qualität. Punkte wie Dokumentationsanforderungen, Ver-
antwortung der Leitung, Management von Ressourcen, Produktrealisierung,
Beschaffung, Produktion, Messen, Analysieren und Verbessern sind in dieser
Norm explizit adressiert.
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ƒ EN ISO 14971 – „Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements


auf Medizinprodukte“ [3.17]
Mit der Einführung dieser life cycle-Norm und der Referenzierung in den
­meisten medizinproduktspezifischen Normen wurde ein Prozess definiert, mit
dem die mit dem Produkt verbundenen Gefährdungen für Patienten, Anwen-
der und Dritte identifiziert und die damit verknüpften Risiken abgeschätzt und
beherrscht werden können. Das Betreiben von Produktrisikomanagement in
For personal use only.

allen Lebenszyklusphasen des Produkts ist eine der wichtigsten Verpflichtun-


gen des Herstellers (siehe dazu Kapitel 2, Risikomanagement).
ƒ EN IEC 62366 – „Medizinprodukte – Anwendung der Gebrauchstauglich-
keit auf Medizinprodukte“ [3.18]
Diese allgemeingültige Norm ist die Weiterentwicklung der IEC 60601-1-6, die
Anforderungen an Analyse, Spezifikation, Entwicklung sowie Verifizierung
und Validierung der Gebrauchstauglichkeit stellt. Wie wichtig die Forderung
für diese Erfüllung der Gebrauchstauglichkeit ist, zeigt sich in so mancher
Auswertung von „Vorkommnissen“. Viele Vorkommnisse sind auf mangelnde
Gebrauchstauglichkeit zurückzuführen, sodass auch Benannte Stellen und Be-
hörden vermehrt Augenmerk auf die Erfüllung legen.
ƒ EN IEC 62304 – „Medizingeräte – Software – Software-Lebenszyklus-Pro-
zesse“ [3.19]
Hierbei handelt es sich um eine Norm, die sich mit Entwicklung und Wartung
von Software beschäftigt. Dies gilt sowohl für Software als eigenständiges Pro-
dukt als auch als Teil eines Medizinprodukts. Auch hier, wie bei der EN IEC
62366, kommt der Verknüpfung zum Risikomanagement eine zentrale Bedeu-
tung zu.
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 69

ƒ EN ISO 14155 „Klinische Prüfung von Medizinprodukten an Menschen –


Gute klinische Praxis“
Die Norm beschäftigt sich mit den essenziellen Anforderungen an eine klini-
sche Prüfung. Sie stehen auch in Zusammenhang mit dem Annex XV MPV
bzw. Annex XIV IVDV.
Produktspezifisch sind im Wesentlichen die sicherheitstechnischen Normen im
Überblick erwähnenswert. Für MPV (MDD) ist vor allem die Normenreihe EN
IEC 60601 und für IVDV (IVD) die Normenreihe EN ISO 10993 oder EN ISO 17664
sowie die ISO 20916 relevant, wobei der Grundaufbau der Normenreihen identisch
ist. Die Basisnorm legt allgemeine Anforderungen für die Sicherheit und wesentli-
che Leistungsmerkmale fest. Ergänzende Teile definieren zusätzliche Anforderun-
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gen für Sicherheit und Leistungsmerkmale. Zusätzlich kann es dann noch spezifi-
sche Festlegungen im Bereich der Sicherheit (besondere Festlegungen) und/oder
Leistungsmerkmale geben. Entsprechende Normen sind der Liste der harmonisier-
ten Normen als Anhaltspunkt zu entnehmen und auf entsprechende Anwendbar-
keit zu prüfen [3.20].
Für sicherheitstechnische und leistungsmerkmalfordernde Normen werden oft für
internationale Registrierungszwecke objektive Nachweise in Form von CB-Zertifi-
For personal use only.

katen und -Testberichten gefordert. CB steht für certification bodies, die nach dem
CB-Schema gemäß anwendbarer Norm spezifische Tests durchführen und nach po-
sitivem Prüfergebnis ein entsprechendes Zertifikat ausstellen. Nähere Infos siehe
entsprechende Webseite der IECEE [3.21].
Neben diesen international anerkannten Verfahren bieten die Prüfhäuser selbst
auch ihre eigenen Prüfzeichen (z. B. für Deutschland das GS-Zeichen (geprüfte
­Sicherheit) von TÜV, Dekra, KEMA, BSI, SGS oder UL u. v. a. m) an, die sehr oft auch
Verwendung finden, um die sicherheitstechnischen Anforderungen für das ent-
sprechende Land nachzuweisen und entsprechend zu kennzeichnen.
Zusätzlich zu den produktspezifischen Normen sind in letzter Zeit auch durch die
fortschreitenden Digitalisierungsinitiativen Standards und Guidelines zum Thema
Cyber Security in den Fokus gerückt. Erwähnenswert sind dabei die ISO 27034
Reihe IEC 80001-5-1, AAMI TIR 57 sowie auch länderspezifische Guides wie der
MDCG 2019-16, der FDA Guide zur Cyber Security oder der MHRA Guide.
In der Praxis hat sich pro Produkt zusätzlich eine „Qualitätsstandardliste“ be-
währt, die jeweils für das entsprechende Produkt eine Übersicht der anzuwenden-
den Normen darstellt sowie als Basis zur Konformitätsbewertung dienen kann.
Werden Normen nur partiell angewendet, ist zu argumentieren, wie die geforder-
ten Schutzziele anderweitig erreicht werden. Falls bereits adaptiert, können die
sogenannten „Z“-Anhänge der Standards dabei unterstützen.
70 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

3.2.1.4 Konformitätsbewertungsverfahren
Nach der Festlegung des Verfahrensweges beginnt gleichzeitig mit der Entwick-
lung des Produkts auch jener Teil der Erstellung der technischen Dokumentation,
der für das Konformitätsbewertungsverfahren benötigt wird. Es hat sich auch als
ratsam erwiesen, falls erforderlich, die Benannte Stelle frühzeitig zu involvieren,
um entsprechend Zeit und Kosten zu sparen. Das vollständige Vorhandensein der
technischen Dokumentation ist bei der Involvierung einer Benannten Stelle vor
deren Prüfung bei der Benannten Stelle und deren Beauftragung eine wesentliche
Hürde. Einige Benannte Stellen lassen maximal drei Nachträge zur technischen
Dokumentation zu. Wenn diese Anträge negativ sind, lehnen sie die Beauftragung
ab und müssen verordnungskonform diese Ablehnung auch in der EUDAMED-­
Datenbank hinterlegen!
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In allen Verordnungen/Direktiven ist man im Zuge des Konformitätsbewertungs-


verfahrens verpflichtet, eine klinische Bewertung durchzuführen.

A Klinische Bewertung
Laut dem Medizinproduktegesetz (MPG) bzw. den EU-Verordnungen/Richtlinien
müssen die merkmals- und leistungsrelevanten Anforderungen für den vorgesehe-
For personal use only.

nen Verwendungszweck durch eine klinische Bewertung belegt werden. Ebenso


müssen die Beurteilung von unerwünschten Nebenwirkungen und eine Beurtei-
lung der Annehmbarkeit des Risiko-Nutzen-Verhältnisses erfolgen. Dies kann,
wie in der europäischen MedDev-Guideline 2.7-1 (Clinical Evaluation: A Guide for
Manufacturers and Notified Bodies) spezifiziert, anhand aktueller Daten aus der
verfügbaren wissenschaftlichen Literatur über Sicherheit, Leistung, Auslegungs-
merkmale und Zweckbestimmung sowie aus Daten von Berichten über klinische
Erfahrungen und Ergebnissen von klinischen Prüfungen erfolgen, wobei die Wege
nach MDD/AIMD (klinische Prüfungen) und IVD (Leistungsbewertungsprüfungen)
sowie nach den EU-Verordnungen etwas unterschiedlich sind.

MERKE:
Vermische nicht den Begriff „klinische Bewertung“ mit dem der „klinischen
­Prüfung“!
Die klinische Bewertung kann erfolgen durch:
ƒ wissenschaftliche Literatur,
ƒ Berichte über klinische Erfahrungen,
ƒ Ergebnisse klinischer Prüfungen,
ƒ sowie Kombinationen daraus.

Der Nachweis der klinischen Eignung und Sicherheit sowie Leistungsaspekten


kann dabei prinzipiell sowohl ausschließlich basierend auf wissenschaftlicher Li-
teratur als auch in Kombination mit klinischen Erfahrungen und dem Ergebnis
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 71

klinischer Prüfungen erfolgen. Für die alleinige Verwendung einzelner Quellen


gibt es jedoch gewisse Einschränkungen, und der Weg über einen reinen Literatur-
ansatz wurde in den Verordnungen aufgrund der Äquivalenzbetrachtung der Pro-
dukte deutlich erschwert.
Des Weiteren können viele Nachweise der Sicherheit basierend auf In-vitro-Unter-
suchungen oder am Tiermodell (prä-klinisch) belegt werden, ohne dass im Rah-
men einer Anwendung am Menschen Versuchspersonen gefährdet werden.

Wissenschaftliche Literatur
Wissenschaftliche Literatur ist in der täglichen Praxis die häufigste Quelle klini-
scher Daten. Basierend auf solchen Daten kann der Nachweis der klinischen Sicher-
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heit und klinischen Leistungsfähigkeit erbracht werden. Es muss jedoch belegt


werden, dass die Ergebnisse der Literaturstellen für das betrachtete Medizinpro-
dukt gültig sind. Besonderes Augenmerk muss auf die Vergleichbarkeit hinsicht-
lich der betrachteten Produkte, Anwendungsgebiete, Indikationen, aber auch Pati-
entengruppen gelegt werden.
Die Daten aus wissenschaftlicher Literatur müssen einer kritischen Würdigung
und Bewertung unterzogen werden. Dabei ist insbesondere die Quelle der Daten zu
For personal use only.

berücksichtigen. Als wissenschaftliche Literatur sollte primär von Fachexperten


begutachtete, sogenannte peer reviewed Literatur herangezogen werden. Als Quel-
len für solche Literatur sollten vor allem die in der europäischen MedDev-Guide-
line 2.7-1 genannten Literaturdatenbanken herangezogen werden:
ƒ wissenschaftliche Datenbanken wie z. B. Medline- [3.22], Embase- [3.23] oder
Medion-Datenbank [3.24],
ƒ systematische Review-Datenbanken wie z. B. die Cochrane Collaboration [3.25],
ƒ Verzeichnisse über klinische Prüfungen – z. B. Central-Datenbank [3.26] Vor-
kommnis-Datenbanken  – z. B. Maude-Database [3.27] der amerikanischen
FDA.

Klinische Erfahrungen
Klinische Erfahrungen und Nachbeobachtung sind ein wichtiger Bestandteil, um
die Sicherheit von Medizinprodukten im klinischen Einsatz zu belegen. Diese wer-
den im Rahmen der Marktüberwachung nach dem erstmaligen Inverkehrbringen
gewonnen und sind daher insbesondere über die Lebenszeit des Medizinprodukts
wichtige Quellen für die klinische Sicherheit. Klinische Erfahrungsberichte als al-
leinige Quelle für eine initiale klinische Bewertung vor dem ersten Marktzugang
sind typischerweise nicht ausreichend. Die Daten müssen rechtens entstanden
sein  – eine Pro-forma-CE-Kennzeichnung zur Umgehung von klinischen Prüfun-
gen widerspricht den Anforderungen des Medizinproduktegesetzes.
72 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Bei der Auswertung von klinischen Erfahrungsberichten muss – ebenso wie bei
der Bewertung von wissenschaftlicher Literatur – die Anwendbarkeit der Daten für
das betrachtete Medizinprodukt belegt werden, vor allem, wenn diese nicht mit
dem eigentlichen, sondern mit einem Vergleichsprodukt gewonnen wurden. Dar-
über hinaus ist zu beachten, dass klinische Erfahrungsdaten für die Abschätzung
der Reklamationsstatistik nur bedingt geeignet sind, da der Umgang mit Vorkomm-
nismeldungen in verschiedenen Ländern zum Teil erheblich variiert.

Klinische Prüfung
Die klinische Prüfung stellt den Nachweis der klinischen Sicherheit und Leistungs-
fähigkeit im Rahmen einer definierten Versuchsanordnung mit menschlichen Pro-
banden dar. Es muss jedoch beachtet werden, dass aus ethischen Gründen im Rah-
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men einer klinischen Prüfung nur solche Informationen erhoben werden dürfen,
welche anders nicht eruierbar sind. So müssen beispielsweise Nachweise der Bio-
kompatibilität, der elektrischen oder funktionalen Sicherheit oder der Usability
bereits vor Beginn einer klinischen Prüfung vorliegen.
Es ist zu beachten, dass Daten aus klinischen Prüfungen nur für neue Produkte als
ausreichend angesehen werden können. Da solche Daten unter besonders kontrol-
lierten Bedingungen erhoben werden, können diese nur bedingt auf den Routine-
For personal use only.

einsatz übertragen werden. Diese kontrollierten Bedingungen beinhalten besonde-


res Training der Anwender, rigide Vorgaben zum Ein- und Ausschluss von
Patienten, aber auch ein besonderes Monitoring des Behandlungsregimes. Daher
sind die klinischen Erfahrungen in der Praxis eine wichtige Ergänzung, um die
Sicherheit und Funktionsfähigkeit in der täglichen Routine zu belegen.
Es zeigt sich häufig, dass die technische Validierung von Medizinprodukten von
den Herstellern sehr gut beherrscht wird. Dies betrifft insbesondere Nachweise
der Auslegung und Dimensionierung der Produkte, Werkstoffauswahl sowie Ge-
staltung von Oberflächen. Insbesondere technische Prüfungen, z. B. der elektri-
schen Sicherheit oder In-vitro-Nachweise der Biokompatibilität, liegen für fast alle
Medizinprodukte vor.
Klinische Daten werden jedoch häufig unvollständig erhoben. Dies ist insbeson-
dere in der direkten Interaktion mit biologischen Systemen – wie dem menschli-
chen Körper – problematisch. Die technische Modellierung deckt die realen Bedin-
gungen in diesem hochkomplexen System nur unvollständig ab.
Insbesondere wenn die klinische Bewertung auf Basis von wissenschaftlicher Lite-
ratur oder klinischen Prüfungen durchgeführt wurde, müssen klinische Rückmel-
dungen im realen Einsatz erhoben und bewertet werden. Im Rahmen dieses Post-
Market Clinical Follow-up (PMCF) oder nach MPV Annex XIV/IVDV Annex XIII
(Klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen) können Informationen
über zusätzliche Sicherheitsaspekte gewonnen und so die bestehenden klinischen
Daten ergänzt werden. Auf Basis dieser Bewertung muss das bestehende Rest­
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 73

risiko und damit auch das Risiko-Nutzen-Verhältnis neu bewertet werden. Es zeigt
sich also, dass insbesondere die klinische Erfahrung einen besonderen Stellenwert
in der klinischen Bewertung hat.
Die klinische Bewertung ist über das Risikomanagement eng verzahnt mit der
Konformitätsbewertung des betrachteten Medizinprodukts. Die drei Systeme – kli-
nische Bewertung, Risikomanagement und Konformitätsbewertung – können also
nicht isoliert betrachtet werden, sondern haben eine Vielzahl von Schnittstellen.
Eine klinische Prüfung mit Medizinprodukten darf nur durchgeführt werden,
wenn die Sicherheit des Patienten gewährleistet ist. Alle Nachweise der techni-
schen und funktionalen Sicherheit, welche bereits vor Beginn der Prüfung in vitro
durchgeführt werden können, müssen vor Beginn vorliegen. Die Basisanforderun-
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gen für die Durchführung von klinischen Prüfungen am Menschen legt die harmo-
nisierte Norm EN ISO 14155 [3.28] fest. Diese definiert insbesondere Anforderun-
gen an den klinischen Prüfplan oder das Handbuch des klinischen Prüfers, aber
auch die Verantwortlichkeiten von Sponsor, Monitor sowie des klinischen Prüfers.

B Klinische Bewertung von IVDs – Leistungsbewertung


Die klinische Bewertung bei In-vitro-Diagnostika wird als Leistungsbewertung be-
For personal use only.

zeichnet und stellt das entsprechende Äquivalent dar. Der Hersteller hat zu bele-
gen, dass das Produkt die spezifizierten Leistungsdaten – insbesondere Sensitivi-
tät, Spezifität und Wiederholbarkeit, aber auch Präzision – erbringen kann. Dabei
wird zwischen der diagnostischen und der therapeutischen Relevanz und Aussage-
kraft eines Diagnostikums unterschieden. Im Rahmen des Konformitätsbewer-
tungsverfahrens muss der Hersteller belegen, dass das Produkt einerseits tech-
nisch in der Lage ist, diese Leistungsparameter zu erfüllen. Es muss aber auch der
Nachweis erbracht werden, dass diese Parameter eine klinische Signifikanz und
Relevanz für eine Diagnosestellung oder weitere Therapieentscheidung haben.
Die Anforderungen an die Leistungsbewertungsprüfung werden in der harmoni-
sierten Norm EN 13612 [3.29] definiert. Zusätzlich stellen die ISO 20916 [3.62]
bzw. CLSI-Dokumente weitere wertvolle Informationsquellen dar.
Der Aufwand für die klinische Bewertung, insbesondere, wenn in deren Rahmen
eine klinische Prüfung durchzuführen ist, darf nicht unterschätzt werden. Es sind
nicht nur die entsprechenden behördlichen Fristen und Tätigkeiten einzuplanen,
auch rechtliche Vertragsaspekte mit den jeweiligen Partnern (wie z. B. Ärzte, Kran-
kenanstalten, dritte Prüfdurchführende etc.) kosten den Hersteller sehr viel Zeit
und Geld. Eine Einführung und Etablierung von entsprechenden standardisierten
Prozessen kann jedoch den Hersteller diesbezüglich im Wiederholungsfall helfen,
den entsprechenden Aufwand zu minimieren und unliebsamen Überraschungen
vorzubeugen. Eventuell könnten auch externe Dienstleister bei dieser Tätigkeit un-
terstützen.
74 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Nach Erfüllung aller Voraussetzungen und positiver Erledigung aller erforder­


lichen Tätigkeiten kann der Hersteller je nach Verfahrensweg die Konformitäts­
bewertung alleine oder in Kooperation mit der Benannten Stelle durchführen. Sind
alle notwendigen Erfordernisse erfüllt, kann die Konformitätserklärung ausge-
stellt und das Produkt mit dem CE-Kennzeichen versehen werden.

Konformitätserklärung und die CE-Kennzeichnung des Produkts


Vor dem erstmaligen Inverkehrbringen und nach erfolgreichem Abschluss des
Konformitätsbewertungsverfahrens muss der Hersteller in alleiniger Verantwor-
tung oder in Kooperation mit der Benannten Stelle eine Konformitätserklärung
ausstellen, in der dieser in alleiniger Verantwortung versichert, alle geltenden
­Bestimmungen für das Produkt erfüllt zu haben. Die EU-Verordnungen geben in
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Annex IV eine Zusammenstellung über die in der Konformitätserklärung notwen-


dig enthaltenen Informationen.

Registrierung des Herstellers und des Produkts bei den Behörden


Wer als „Verantwortlicher für das erstmalige Inverkehrbringen im Europäischen
Wirtschaftsraum“ (nach Definition im Medizinproduktegesetz der Hersteller, sein
Bevollmächtigter oder der Importeur) das Produkt in Verkehr bringen möchte, hat
For personal use only.

sich vor Aufnahme der Tätigkeit bei den Behörden nach nationaler Gesetzeslage zu
melden bzw. registrieren zu lassen.
In Österreich registriert sich der Verantwortliche mit seinem Produkt im Österrei-
chischen Register für Medizinprodukte, in Deutschland wendet man sich an das
Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), falls
dieses noch nicht ins Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) integriert wurde. Für die Schweiz ist die Swissmedic zuständig. Entspre-
chende Internetlinks findet man im Literaturverzeichnis ([3.30], [3.31], [3.32]).
Dies wird jedoch durch die Registrierung in der EUDAMED-Datenbank sukzessive
abgelöst.
Um einen internationalen Informationsaustausch zu unterstützen, strebt man
auch eine einheitliche Nomenklatur für Medizinprodukte an. Zurzeit wird das Uni-
versal Medical Device Nomenclature System (UMDNS) für Medizinprodukte und der
European Diagnostic Market Statistics (EDMS) für In-vitro-Diagnostika verwendet.
UMDNS und EDMS sollen durch den European Medical Device Nomenclature
(EMDN), der als Basis den italienischen CND Code (Classificazione Nazionale dei
Dispositivi medicini) verwendet, abgelöst werden. Dieser ist wiederum neben der
UDI die Grundlage für die Registrierung in der EUDAMED.
In den Harmonisierungsbestrebungen erkennt man auch die verstärkte Bereit-
schaft der Behörden, international zusammenzuarbeiten. Vor allem im Bereich Pa-
tientensicherheit und Informationsaustausch bei Vorkommnissen (Vigilance – Inci-
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 75

dent Reporting) sind die verpflichtenden Ansätze klar erkennbar (z. B. durch die
verpflichtende Anwendung der IMDRF-Codes im Rahmen der Incident Reports).

Inverkehrbringen
Wenn die Tätigkeiten der Registrierung und die Ausstellung der Konformitätser-
klärung sowie die Anbringung des CE-Zeichens erfolgreich abgeschlossen sind,
kann das Produkt frei am europäischen Binnenmarkt vermarktet und gehandelt
werden.
Auch hier nochmals der Hinweis, dass nationale Gesetzesgegebenheiten, wie z. B.
die entsprechende Landessprache bei der Gebrauchsanweisung oder nationale Re-
gistrierungen wie in Italien, vor Markteinführung eingehalten werden müssen.
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Die Verpflichtungen des Herstellers enden jedoch nicht mit der Inverkehrbringung
des Produkts. Wie in den Regularien festgehalten, ist der Hersteller verantwort-
lich, sich über den ganzen Lebenszyklus um sein Produkt zu kümmern. Dazu ist
eine Marktbeobachtung durchzuführen.

Marktbeobachtung und Informationen über Vorkommnisse nach dem


Inverkehrbringen
For personal use only.

Diese Verpflichtung zur Überwachung leitet sich zum einen aus den Direktiven
und umgesetzten Gesetzen, andererseits aus harmonisierten Normen wie z. B. aus
der Risikomanagement-, Software-Lebenszyklus- oder Qualitätsmanagementnorm
([3.8], [3.10], [3.12]) ab. Hierbei hat der Hersteller Rückmeldungen aus dem Feld
zu bewerten und gegebenenfalls Aktionen daraus abzuleiten. Nach Ansicht über-
wachender Behörden und Benannter Stellen hat der Hersteller auch proaktiv tätig
zu werden, um den Markt zu beobachten.
Gemäß den Richtlinien haben die EU-Mitgliedstaaten nationale Meldesysteme
über Vorkommnisse oder Beinahevorkommnisse zu betreiben, welche in den
nächsten Jahren harmonisiert werden sollen, in denen Hersteller, Betreiber und
Patienten ihre Vorfälle melden können. Hersteller können diese auch nutzen, um
für ihr eigenes Produkt nützliche Informationen im Sinne der Marktbeobachtung
abzuleiten.

Überwachung des Herstellers durch die Behörden und Benannte Stellen


Behörden und Benannte Stellen sind ebenfalls dazu angehalten, Hersteller ent-
sprechend den Vorgaben zu überwachen. Meist geschieht dies in Form von Inspek-
tionen und Audits, in deren Rahmen Produkte, Dokumente und Prozesse je nach
Konformitätsbewertungsverfahren geprüft werden.
Mittlerweile arbeiten und informieren sich Behörden über Vorkommnisse unterei-
nander, sodass entsprechende Meldefristen nicht übersehen werden sollten. Auch
Benannte Stellen kooperieren miteinander, auf europäischer Ebene in der Euro-
76 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

pean Association of Notified Bodies for Medical Devices (Team NB), mit dem Ziel,
gegenüber den Behörden und der Industrie mehr Gewicht in Fragen von sicher-
heitstechnischen und ethischen Standards zu haben und Konsens in gewissen Pro-
blemstellungen zu erlangen.

3.2.2 USA
Neben dem europäischen Binnenmarkt ist bei vielen europäischen Herstellern der
US-amerikanische Markt der zweitwichtigste. Daher soll in den folgenden Ab-
schnitten die Zulassungssituation für den US-amerikanischen Markt betrachtet
werden.
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Die Rechtslage
Medizinprodukte unterliegen in den USA gesetzlich dem Federal Food, Drug, and
Cosmetic Act (FD&C Act), der ähnlich wie die Verfassung (Bill of Rights) vom Kon-
gress beschlossen wird. Diese Vorschrift, genau genommen für Medizinprodukte
Chapter V  – Drugs and Devices, bildet den gesetzlichen Rahmen, in dem die Be-
hörde FDA (Food and Drug Administration) agieren muss. Diese wiederum konkre-
For personal use only.

tisiert unter der Einhaltung des Administrative Procedure Act, von anderen Federal
Laws und unter Einbeziehung der Öffentlichkeit (bekannt als notice and comment
rulemaking) ihre Regeln und Anforderungen zur Einhaltung des FD&C Act. Für Me-
dizinprodukte wurde dies im 21. Titel des Code of Federal Regulation umgesetzt,
genauer: im CFR Title 21 – Food and Drugs: Parts 800 to 1299 [3.33].
Neben den gesetzlichen Anforderungen, die durch die FDA, also durch die überwa-
chende Behörde überprüft werden, gibt es auch von der Agency der FDA herausge-
gebene Guidance-Dokumente, die als Interpretationshilfen für FDA-Mitarbeiter
und Hersteller dienen sollen. Diese sind im Gegensatz zu den gesetzlichen Rege-
lungen nicht rechtsbindend, haben jedoch für eine erfolgreiche Marktzulassung
große Bedeutung. Daneben gibt es, ähnlich zu den harmonisierten Normen in
­Europa, die Recognized Consensus Standards, die zur Erfüllung von gesetzlichen
Anforderungen dienen können. Diese werden wie viele andere nützliche Doku-
mente auf den entsprechenden Webseiten der Agency veröffentlicht.
Wie für den europäischen Binnenmarkt ist die erste Frage, die zu stellen ist: „Fällt
das Produkt unter die Definition ‚Medical Device‘?“
Unter FD&C Sec 201(h) findet man: „A Medical Device is [. . .] an instrument, appa-
ratus, implement, machine, contrivance, implant, in vitro reagent, or other similar or
related article, including a component part, or accessory which is:
ƒ recognized in the official National Formulary, or the United States Pharmacopoeia,
or any supplement to them,
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 77

ƒ intended for use in the diagnosis of disease or other conditions, or in the cure,
mitigation, treatment, or prevention of disease, in man or other animals, or
ƒ intended to affect the structure or any function of the body of man or other ani-
mals, and which does not achieve any of its primary intended purposes through
chemical action within or on the body of man or other animals and which is not
dependent upon being metabolized for the achievement of any of its primary
­intended purposes.“
Hat man dies eindeutig geklärt, ergibt sich im Anschluss die zweite Frage: „Wel-
cher der drei Klassen (Class I, II, III) könnte die FDA das Produkt zuteilen?“
Der erste Unterschied, der zum europäischen System zunächst auffällt, ist, dass nur
die FDA selbst die endgültige Klassifizierung für das jeweilige Produkt vornimmt.
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Somit muss der Hersteller selbst zu Beginn eine Abschätzung der Device-Klasse
durchführen, da von dieser sehr wesentlich der weitere Verfahrensweg abhängt.
Die Klassen sind risikobasiert unterteilt – Class I niederes Risiko, Class III höchs-
tes Risiko. Dementsprechend werden unterschiedliche Anforderungen an die Pro-
dukte gestellt. Allgemein nach FD&C Sec 513:
ƒ Class I: General Controls with/without exemptions (Beispiel: Untersuchungs-
handschuhe, Rollstühle).
For personal use only.

ƒ Class II: General Controls + Special Controls with/without exemptions (Bei-


spiel: Ultraschalldiagnosegeräte, Blutgasanalysegeräte).
ƒ Class III: General Controls + Premarket Approval (Beispiel: aktive Implantate,
Marker für HIV).
Speziell hat die FDA circa 1700 allgemeine Typen von Produkten nach diesem
Schema eingeteilt. Der wesentlichste Unterschied zum europäischen System ist,
dass es keine unterschiedlichen IVD- und AIMD-Richtlinien gibt, sondern eben nur
diese drei Klassen, in die alle Systeme eingeteilt werden.
Um die Klassifizierung des Produkts zu finden und um herauszufinden, ob eventu-
ell Ausnahmen existieren, gibt es zwei mögliche Wege: zum einen der direkte Weg
über die Klassifizierungsdatenbank [3.34], bei der eine Suche nach einem Teil der
Gerätebezeichnung verwendet werden kann (z. B. Thermometer, Glukose). Oder
zum anderen, wenn man weiß, unter welches device panel das Gerät fällt; hier geht
man bei dem entsprechenden Panel in die Tiefe und findet dort die Klassifikation.
Eine Auflistung der Panels findet man im Internet [3.35]. Stellvertretend findet
man im Download zwei Beispiele für eine Klassifizierung.
Mit der Klassifizierung ist das weitere Vorgehen bis zur Marktzulassung nahezu
fixiert. Im Wesentlichen gibt es für Neuprodukte zwei Verfahren, basierend vor-
nehmlich auf der Klassifizierung:
78 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

ƒ das vereinfachte, rein formale Zulassungsverfahren nach FD&C Sec 510(k),


ƒ PMA (Premarket Approval) mit meist vorangegangener IDE-Ausnahmege­
nehmigung (Investigational Device Exemption) zur Durchführung klinischer
Studien.

BEACHTE:
Klinische Studien = Nachweis wissenschaftlicher Erkenntnisse sind nicht zu ver-
wechseln mit der Erhebung klinischer Performance-Daten.

3.2.2.1 Zulassungsverfahren gemäß 510(k)


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Die Voraussetzungen für ein 510(k)-Zulassungsverfahren sind:


Produkt der Class I oder II.
Das Vorhandensein eines bereits auf dem US-Markt zugelassenen Vergleichspro-
dukts, anhand dessen der Vergleich substantially equivalent in Bezug auf Safety
and Effectiveness durchzuführen ist.
Keine klinischen Studien (siehe voriger Hinweis) zwingend erforderlich.
Eine traditionelle 510(k)-Zulassung besteht (wie beim Download-Material zu die-
For personal use only.

sem Buch dargestellt) aus 21 Sections, die mit Nachweisen des Medizinprodukts
gefüllt werden müssen. Zu jeder dieser Sections stellt die FDA meistens eine mehr
oder minder detaillierte Beschreibung oder sogar Guidance wie z. B. für Software
(Guidance for the Content of Premarket Submissions for Software Contained in Medi-
cal Devices) auf ihrer Homepage zur Verfügung [3.36].
Um den Review zu beschleunigen, wurden seitens der Behörden zwei wichtige
Neuerungen eingeführt. Zum einen muss der Akt nun auch elektronisch zur Verfü-
gung gestellt werden (siehe dazu die Guideline „eCopy Program for Medical Device
Submissions“), und zum anderen hat die FDA eine Art Eingangsprüfung im Docu-
ment Control Center (DMC) eingeführt (siehe dazu die „Refuse to Accept Policy for
510(k)“). Dabei werden anhand einer internen FDA-Checkliste die grundsätzlichen
Vorbedingungen geprüft, bevor das DMC die Einreichung überhaupt akzeptiert
und annimmt.
Nach Abschluss des Verfahrens (nach den Regularien hat die FDA 90 Tage für das
Review) erhält man von der FDA einen Bescheid, ob das jeweilige Produkt einem
bereits auf dem Markt befindlichen Produkt substantially equivalent ist oder nicht.
Darüber hinaus wird bei positivem Abschluss die Markteinführung erlaubt, und
die einzuhaltenden Auflagen wie beispielsweise jährliche Registrierung, GMP-Auf-
lagen, Listing, Verpflichtungen zum Medical Device Reporting werden aufgelistet.
Zusätzlich wird ein sogenanntes 510(k) Decision Summary nach 21 CFR 807.92
mitgeliefert, das auch in der 510(k)-Datenbank für jedermann einzusehen ist und
eine mehr oder minder kurze Zusammenfassung der eingereichten Daten darstellt.
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 79

BEACHTE:
Die angeführten 90 Tage zählen nur, wenn die FDA keine Rückfragen hat oder
zusätzliche Dokumente anfordert. Sollten Daten nachgefordert werden, wird die
Zeit so lange angehalten, bis die entsprechenden Daten nachgeliefert wurden.
Sollten entsprechende Daten nicht im vereinbarten Zeitrahmen zur Verfügung
gestellt werden, gilt es zu überlegen, ob die Einreichung nicht zurückgezogen
werden sollte.

3.2.2.2 Premarket Approval (PMA)


Das zweite Verfahren ist für:
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ƒ Produkte der Class III – Hochrisikoprodukte,


ƒ alle Produkte der Class I und II, die nicht unter das 510(k)-Verfahren fallen,
ƒ Produkte, die eine Durchführung von klinischen Studien erfordern (vor Durch-
führung der klinischen Studien ist ein Antrag auf IDE [3.37] zu stellen).
Die PMA [3.38] ist das strengste Verfahren für die Marktzulassung durch die FDA.
Hierbei prüft die FDA, ob es ausreichend wissenschaftliche Nachweise gibt, dass
das Produkt sicher und effektiv für die vorgesehene Zweckbestimmung ist. Mit
For personal use only.

­einem erfolgreichen Approval erhält die einreichende Partei (meist der Hersteller)
eine Lizenz für den Markteintritt.
Der Zeitrahmen, den die FDA für ein Review zur Verfügung stellt, ist mit 180 Tagen
festgesetzt. In Wirklichkeit beträgt der Zeitrahmen durch Rückfragen und Nachrei-
chungen ein Vielfaches, nicht selten mehrere Jahre. Bevor die FDA einer PMA zu-
stimmt oder diese ablehnt, kann es sein, dass das zuständige FDA advisory board
in einer öffentlichen Anhörung die Fakten mit dem Einreicher diskutiert bzw. wis-
senschaftliche Gutachter beschäftigt und erst im Anschluss daran der FDA eine
Empfehlung zur Annahme oder Ablehnung der PMA gibt. Die Akzeptanz oder die
Abweisung wird der einreichenden Partei wieder mittels eines öffentlichen, be-
gründeten Bescheids mitgeteilt. „Interessierte Parteien“ haben im Anschluss die
Möglichkeit, innerhalb von 30 Tagen einen Rechtseinspruch dagegen einzulegen.
Das heute gebräuchlichste Verfahren stellt die Modular PMA dar (siehe Download-
Material zu diesem Buch), bei der eine Aufteilung der Gesamterfordernisse in Mo-
dulen erfolgt, die jeweils gesondert begutachtet und bewertet werden. Details siehe
FDA Guide „Premarket Approval Application Modular Review“ – Internetlink [3.39].
Zur Erhebung der klinischen Daten im Rahmen einer klinischen Studie zur Unter-
legung der Sicherheit und Wirksamkeit bei einer PMA oder 510(k) muss ein Ansu-
chen für eine IDE gestellt werden.
80 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

3.2.2.3 Investigational Device Exemption (IDE)


Bis auf wenige Ausnahmen müssen alle klinischen Studien eine IDE [3.40] aufwei-
sen, bevor mit der Studie begonnen werden kann. Meist sind folgende Erforder-
nisse zu erfüllen:
ƒ Einverständniserklärung der FDA für eine IDE,
ƒ ein positives Votum der Ethikkommission (an institutional review board [IRB]),
ƒ Einwilligungserklärung der Patienten,
ƒ Kennzeichnung for investigational use only,
ƒ das Überwachungsprozedere für die Studie,
ƒ erforderliche Aufzeichnungen und Berichte.
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TIPP:
Im Vorfeld sollte man eine sogenannte Pre-IDE durchführen. Dies ist eine Abstim-
mung zwischen dem „Sponsor“ (= Einreicher) und dem Office of Device Evaluation
(ODE) der FDA über die Vorgehensweise bei der eigentlichen IDE. Allerdings muss
dabei in Kauf genommen werden, dass es sich hier generell um unverbindliche
Aussagen von Seiten der Behörde handelt. Daher sollte besondere Aufmerksamkeit
in die Vorbereitung der Fragestellung gesetzt werden.
For personal use only.

3.2.2.4 FDA-Programme
Neben den klassischen Zulassungsverfahren gibt es bei der FDA auch spezielle
Verfahren („Programs“), die im Wesentlichen eine Beschleunigung der oben ange-
führten Verfahren mit sich bringen sollen. Vollständigkeitshalber werden sie hier
aufgelistet, Details entnehmen Sie bitte den entsprechenden Webseiten:
ƒ Breakthrough Device Program [3.63],
ƒ Safer Technology Program (STeP) [3.64],
ƒ Digital Health Precertification (Pre-Cert) Pilot Program [3.65],
ƒ Q-Submission Program [3.66].

3.2.2.5 Premarket Requirements: Labeling, Registration, Listing


Bevor eine Marktzulassung erteilt wird, muss sichergestellt sein, dass das Labe-
ling (= jede schriftliche Darbietung von Information) den FDA-Labeling-Vorschrif-
ten [3.41] entspricht.
Weiterhin müssen sich folgende Firmen gemäß 21 CFR 807 (Establishment Regist-
ration) registrieren lassen:
ƒ Hersteller von Medizinprodukten,
ƒ Vertriebsfirmen,
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 81

ƒ Unternehmen, die verpacken oder das Labeling ändern,


ƒ Entwickler für Produkte/Spezifikationen,
ƒ OEM-Hersteller,
ƒ Vertragssterilisierfirmen,
ƒ Zubehör-/Komponentenhersteller für den direkten Vertrieb in die USA,
ƒ Nicht-US-Hersteller.
Dies geschieht weitgehend elektronisch im FDA’s Unified Registration and Listing
System (FURLS) [3.42].
Darüber hinaus müssen foreign establishments einen United States agent benennen,
der als Kontaktperson zur FDA dient, der physisch seinen Wohnsitz oder seine
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Geschäftsadresse in den USA hat (also kein Postfach) und zu üblichen Bürozeiten
telefonisch erreichbar ist – 21 CFR 807.3 (r).
Zusätzlich zur Registrierung ist für folgende Firmen ein Device Listing gemäß
21 CFR 807 vorgeschrieben:
ƒ Hersteller von Medizinprodukten,
ƒ Unternehmen, die verpacken, Labeling ändern,
For personal use only.

ƒ Entwickler für Produkte/Spezifikationen,


ƒ Zubehör-/Komponentenhersteller für den direkten Vertrieb in die USA,
ƒ Nicht-US-Hersteller oder Exporteure oder deren US-Alleinvertriebe.
Neben den Premarket-Anforderungen gibt es auch nach Markteintritt Anforderun-
gen, die vom Hersteller befolgt werden müssen.
Hersteller haben ein Qualitätsmanagementsystem einzurichten und aufrechtzuer-
halten, um sicherzustellen, dass ihre Produkte den anwendbaren Anforderungen
und Spezifikationen entsprechen. Die Qualitätsmanagementsysteme für FDA-regu-
lierte Produkte sind als cGMPs bekannt und speziell für Instrumente, Geräte etc.
in den 21 CFR 820 ausformuliert, die immer wieder um den neuesten Erkenntnis-
stand (Einflüsse aus IMDRF (GHTF) und ISO 13485, z. B. 61 FR 52602) erweitert
werden.
Neben den Anforderungen für ein Qualitätsmanagementsystem fordert der FD&C
Act in Sec 519(a) auch ein Medical Device Reporting. So unterliegt jeder Hersteller
der Verpflichtung, im Fall eines tödlichen Vorfalls oder einer schwerwiegenden
Verletzung innerhalb einer bestimmten Frist, ähnlich wie in Europa, diese bei der
Behörde zu melden. Auszug zu den Fristen siehe Download-Materialien zu diesem
Buch.
Aus sicherheitstechnischen und arbeitsschutzrechtlichen Gründen fordert die Occu-
pational Safety and Health Administration [3.43] eine Produktprüfung entsprechend
geltenden Schutzbestimmungen, meistens die Einhaltung aktueller sicherheitstech-
82 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

nischer Standards. Nachweise dazu können auch in Form von Testberichten und
­Zertifikaten von Nationally Recognized Testing Laboratories (NRTLs) erbracht werden,
die bei guter Planung gleich mit den Tests für den CB-Bericht durchgeführt werden
können.

3.2.3 Kanada
Die Marktzulassung in Kanada ist im Food and Drug Act festgelegt und in der Me-
dical Device Regulation via Statutory Orders and Regulations 98-282 (SOR 98-282)
geregelt. Diese können in der Canada Gazette, dem offiziellen kanadischen Regie-
rungsamtsblatt [3.44], öffentlich eingesehen werden. Dabei kann man erkennen,
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dass Ansätze aus Europa und den USA eingeflossen sind.


Produktlizenzierungen in Kanada hängen im Wesentlichen von den Anforderun-
gen der Produktrisikoklasse an das Qualitätsmanagementsystem und von der An-
meldung der Herstellungs- und Vertriebsunternehmen ab und fordern einen Nach-
weis der Sicherheit und Effektivität für das jeweilige Produkt. Die Produkte werden
gemäß „Schedule 1“ der SOR 98-282 in vier Klassen unterteilt, wobei I die nied-
rigste und IV die höchste Risikoklasse bedeutet. Anders als derzeit in Europa wer-
For personal use only.

den auch IVDs in diese vier Risikoklassen unterteilt.

BEACHTE:
In Kanada ist eine Werbung für Produkte der Klassen II, III und IV nur beim Vor-
handensein einer gültigen Marktlizenz erlaubt, wobei bei Hochrisikoprodukten der
Klasse III und IV die Werbung (die unter Labeling fällt) im Rahmen des Zulassungs-
verfahrens mit eingereicht werden muss.

Für die Klassen II, III und IV ist eine Medical Device License zu beantragen und ein
Formular für das jeweilige Produkt und der entsprechenden Risikoklasse auszufül-
len [3.45], [3.46]. Tabelle 3.1 zeigt typische Vertreter gemäß der Klassifizierungs-
regeln.

Tabelle 3.1 Risikoklassen
I Rollstühle, chirurgische Instrumente
II Diagnostischer Ultraschall, Kontaktlinsen
III Dialysegeräte, orthopädische Implantate
IV Herzschrittmacher
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 83

Neben dem einzelnen Medizinprodukt können auch angemeldet werden:


ƒ Medical device family „means a group of medical devices that are made by the
same manufacturer, that differ only in shape, colour, flavour or size, that have the
same design and manufacturing process and that have the same intended use.“
ƒ Medical device group „means a medical device comprising a collection of medical
devices, such as a procedure pack or tray, that is sold under a single name.“
ƒ Medical device group family „means a collection of medical device groups that
are made by the same manufacturer, that have the same generic name specifying
their intended use, and that differ only in the number and combination of pro-
ducts that comprise each group.“
ƒ System: „A system is a medical device comprising a number of components or
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parts intended to be used together to fulfil some or all of the device's intended
functions, and that is sold under a single name.“
ƒ Test Kit: „means an in vitro diagnostic device that consists of reagents or articles,
or any combination of these, and that is intended to be used to conduct a specific
test.“ [3.47]
Zugelassene Produkte der Klassen II bis IV werden in der öffentlichen Datenbank
MDALL [3.48] angezeigt; erst dann darf die Vermarktung dieser Produkte begin-
For personal use only.

nen.
Für die Klasse I ist keine Medical Device License zu beantragen, jedoch benötigen
Unternehmen, die keinen Vertriebspartner in Kanada haben und ihre Produkte
direkt vertreiben, eine Medical Device Establishment License.
Eine weitere Forderung der Medical Device Regulation, die noch vor einer Anmel-
dung des Produkts geschehen muss, ist eine Zertifizierung des Qualitätsmanage-
mentsystems entsprechend CMDCAS-Regeln (Canadian Medical Device Conformity
Assessment System). Die zugrunde liegende Basis ist die ISO 13485, die um ent-
sprechende Anforderungen aus der Medical Device Regulation erweitert wurde.
Diese Zertifizierung muss durch eine durch Health Canada akkreditierte Stelle
und einen durch Health Canada akkreditierten Auditor durchgeführt werden. Ak-
kreditierte Stellen findet man unter den zitierten Webseiten [3.49], [3.50]. Ab 2019
stellte Kanada das CMDCAS-Programm jedoch ein und stellte verpflichtend auf das
MDSAP (Medical Single Audit Program) um [3.66].

BEACHTE:
Änderungen im QM-System sind der zertifizierenden Stelle und Health Canada
entsprechend vorgesehener Fristen (30 Tage) zu melden.

BEACHTE:
Es gibt auch Forderungen für Subcontractors.

84 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Für Kanada ist es auch verpflichtend, ein Medical Device Reporting einzuführen.
Dies verlangt die Meldung von Vorfällen in Kanada (Fehler des Systems, Versagen
der Effektivität, Unzulänglichkeiten im Labeling, die zum Tod oder schwerwiegen-
den Verletzungen führen oder hätten führen können) oder Vorfällen außerhalb
von Kanada, wenn das Produkt in Kanada verkauft wird und der entsprechenden
Behörde gemeldet wurde. Achtung: Auch hier gibt es gesetzliche Fristen (10/30
Tage).
Zusätzlich erhöht Kanada die Verpflichtungen für Hersteller im Rahmen der Post
Market Surveillance (Canada Gazette, Part II, Vol. 154, No. 26).

3.2.4 China
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Einer der am schnellsten wachsenden Märkte, auch auf dem Gesundheits- und Me-
dizinproduktesektor, ist China. Daher streben viele Firmen auch hier eine Regist-
rierung ihrer Produkte an, obwohl diese Registrierungen sehr langwierig und
­arbeitsintensiv sein können. Notwendige Informationen über Regularien und An-
forderungen sind oftmals nur lokal und in der Landessprache verfügbar. Die Regis-
trierung ist zudem in Englisch und Mandarin durchzuführen.
For personal use only.

Die zuständige Behörde ist die NMPA (National Medical Products Administration)
[3.51], die die Zulassung und Überwachung von Medikamenten und Medizinpro-
dukten übernommen hat. Strukturell ist diese zentrale Behörde ähnlich wie die
FDA organisiert.
Wie in fast allen Ländern der Welt muss man sich auch hier die Frage stellen, wie
China ein Medizinprodukt definiert. Aus den Regulations for the Supervision and
Administration of Medical Devices (State Council Order No. 680) [3.52] erkennt man,
dass es kaum Abweichungen zu den europäischen oder amerikanischen Regula-
rien gibt.
Nach etwaiger Klärung über die Zugehörigkeit des Produkts zu den Medizinpro-
dukten muss eine Klassifizierung durchgeführt werden. Chinas Regularien sehen
eine Unterteilung in drei Medizinprodukteklassen [3.53] gemäß Risiko und An-
wendungsdauer durch die NMPA vor:
ƒ „Class I: Medical Devices are those for which safety and effectiveness can be
­ensured through routine administration.
ƒ Class II: Medical Devices are those for which further control is required to ensure
their safety and effectiveness.
ƒ Class III: Medical Devices are those which are implanted into the human body, or
used for life support or sustenance, or pose potential risk to the human body and
thus must be strictly controlled in respect to safety and effectiveness.“
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 85

Die Klassifizierung, geregelt durch Provisions for Medical Device Classification (Order
No. 15), sieht zur Einteilung auch einen Katalog vor (Medical Device Classification
Catalog (4 – 6-stelliger Code), der für das eigene Produkt genutzt werden kann, wo
bereits verschiedenste Medizinprodukte nach Anwendungsdauer, Invasivität und
Anwendungsort unterteilt sind [3.54].
Bevor nun die eigentliche Registrierung beginnen kann, muss man sich über eine
weitere Anforderung der Behörde Gedanken machen. Die NMPA fordert für alle
Medizinprodukte-, IVD- und Pharmaziehersteller, die keine Niederlassung in China
haben, einen vor Ort befindlichen registrierten Legal Agent and After Sales Service
Agent. Dieser hat die Aufgabe, als
ƒ Schnittstelle zwischen Hersteller und NMPA (z. B. für Rückfragen bei der
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­ egistrierung zur Verfügung zu stehen, Inspektionstermine zu vereinbaren,


R
In-Country-Testungen etc.),
ƒ Erstkontakt für alle chinesischen Behörden,
ƒ Vigilance Reporter und
ƒ Hilfe bei der fünfjährlichen Re-Registrierung
aufzutreten. Es muss auch ermittelt werden, ob nicht für das betreffende Produkt
eine China Compulsory Certification (CCC) benötigt wird (z. B. für Röntgengeräte,
For personal use only.

EKGs, Herzschrittmacher, Herz-Lungen-Maschinen, Dialysegeräte usw.). Diese


wird meist in einem China Quality Certification Center (CQC) durchgeführt, wobei
ein CB-Testreport nach anwendbaren Standards bereits sehr hilfreich ist. Es gibt
aber auch Abkommen mit einigen renommierten Testhäusern (z. B. TÜV SÜD PS,
UL, ITL . . .), sodass in China nicht mehr unbedingt vor Ort geprüft werden muss.
Für in China eingeteilte Klasse-II- bzw. -III-Produkte kann es auch nötig werden,
dass eine klinische Prüfung notwendig wird. Dies ist in jedem Fall bei langzeit­
implantierbaren Geräten der Fall. Bei allen anderen hängt es davon ab, ob bereits
klinische Daten von Studien außerhalb von China vorliegen bzw. die Geräte aner-
kannte Zulassungen/Registrierungen haben wie etwa von den USA oder Kanada.
Für Klasse-II- und -III-Produkte gibt es ebenfalls Anforderungen an das QM-Sys-
tem, sofern das Zertifikat bei den Behörden nicht anerkannt wird. In diesem Fall
muss bei Klasse-III-Produkten das QM-Handbuch eingereicht werden, und die
NMPA führt im Anschluss daran ein entsprechendes Audit beim Hersteller durch.
Bei Klasse II ist ein Selbstaudit durchzuführen, und die Behörde entscheidet nach
Einreichung des Ergebnisses, ob ein zusätzliches Audit notwendig ist oder nicht.
Für die Klassen II und III sind auch Prüfberichte gemäß chinesischer Produktan-
forderungen/technischer Sicherheitsstandards (Normen) beizubringen. Dies kann
meist durch einen international gültigen CB-Testreport erbracht werden und wird
in der Regel auch anerkannt. Die Behörden behalten sich jedoch vor, nach ihren
Anforderungen nochmals zu prüfen.
86 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Überblicksmäßig müssen damit folgende Dokumente für eine Einreichung vorhan-


den sein [3.55]:
ƒ Application Form for the registration
ƒ Qualification certificate(s) (Business License etc.) of the applicant (manufacturer)
ƒ Copy of Business License of the Application Agent and the authorization letter
written by the applicant to the agent
ƒ Marketing authorization certificate issued by a foreign competent authority to
­allow the product to be marketed in that country (or region) as a medical device
ƒ Adapted product standard
ƒ Instruction Manual of the device (in Mandarin)
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ƒ Product Testing Report issued by a NMPA recognized testing lab (applicable for
class II and III products)
ƒ Clinical Test Report or clinical data (according to specific product)
ƒ Product quality guarantee letter of the applicant
ƒ Authorization letter written by the applicant to a Representing Agent in China,
letter of promise written by the Representing Agent, and Business License or Orga-
nization Registration Certificate of the agent
For personal use only.

ƒ Authorization letter written by the applicant to a responsible Post-marketing


S­ ervice Agent in China, letter of promise written by the agent, and qualification
Certificate of the agent
ƒ Self-Declaration for the authenticity of all submitted items
Mittlerweilen ermöglicht China auch eine elektronische Registrierung unter erps.
cmde.org.cn ähnlich den eCopy-Verfahren der US-amerikanischen FDA. Dazu muss
aber, um dies überhaupt durchzuführen zu können, einmal eine sogenannte „Cer-
tificate Authority“ beantragt und persönlich innerhalb von 30 Tage abgeholt wer-
den. Erst damit erhält man Zugang zum System.
Die Einreichunterlagen sind dann in Anlehnung des IMDRF – Table of Content
(ToC) ins System hochzuladen. Zukünftig sollte es auch möglich sein, sich direkt
mit dem Reviewer über das System auszutauschen und eventuell fehlende Unter­
lagen nachzureichen.
Wie man sieht, kommt dem Agenten besondere Bedeutung zu, und dieser sollte
daher sorgfältig gewählt werden. Nach erfolgreicher Registrierung erhält man
dann ein Zertifikat, das fünf Jahre Gültigkeit besitzt und danach erneuert werden
muss. Die Re-Registrierung erfolgt mit ähnlichen Vorgaben, wobei die Produkthis-
torie der letzten fünf Jahre mit in Betracht gezogen wird (Vigilance Reporting).
Sollten Sie planen, den chinesischen Markt trotz aller Komplexität erobern zu wol-
len, muss man sich immer wieder mit den aktuellsten Gesetzeslagen vertraut ma-
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 87

chen. In China ändern sich laufend die Bezeichnungen, Dokumente und Vorlagen
sowie die Gesetze selbst. Es ist eben ein sehr dynamisches Land und ein großer
Markt. Es empfiehlt sich daher sehr, einen Vertrauensmann mit entsprechenden
Kenntnissen und Fähigkeiten vor Ort zu haben.

3.2.5 Japan
In Japan sind Medizinprodukte, Pharmazeutika, In-vitro-Reagenzien, kosmetische
Produkte und Sanitätsbedarf im Pharmaceutical and Medical Device Act (PMDA)
geregelt.
Dieses Gesetz kann wiederum durch Verordnungen wie Governmental Ordinances
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und Ministerial Ordinances sowie durch Administrative Notices (Ministry of Health,


Labor and Welfare) und deren Announcements erweitert werden.
Die zuständige zentrale Behörde ist nach wie vor die Pharmaceutical and Medical
Devices Agency (PMDA), eine Untergruppierung des Ministry of Health, Labor and
Welfare (MHLW).
In Japan gibt es zwei Schlüsselelemente für den Markteintritt: die Lizenz („Kyoka“)
For personal use only.

und eine Produktzulassung je entsprechender Risikoklasse („Todokede“, „Ninsho“,


„Shonin“).
Eine Lizenz („Kyoka“) wird vom Marketing Authorization Holder (MAH – Hersteller,
Aufbereiter und Händler) benötigt, wobei der MAH für einen Hersteller außerhalb
Japans die wichtigste Rolle darstellt. Der MAH, wohnhaft und erreichbar in Japan,
ist der offizielle Antragsteller bei der Behörde und damit der offizielle Halter der
Produktzulassung und hat drei Rollen gegenüber der Behörde zu erfüllen:
ƒ General Marketing Supervisor,
ƒ Quality Manager,
ƒ Safety Manager.
Die Lizenz kann in drei unterschiedliche Klassen eingeteilt werden:
ƒ First Class: Für alle Risikoklassen verantwortlich,
ƒ Second Class: Für Risikoklasse I und II,
ƒ Third Class: Nur Risikoklasse I.
Für Hersteller außerhalb Japans muss zusätzlich eine Foreign Manufacturer Accre-
ditation via Form 63-5 beantragt werden (erforderliche Unterlagen siehe auszugs-
weise bei den Download-Materialien zu diesem Buch). Alle Anträge müssen grund-
sätzlich in japanischer Sprache erfolgen.
88 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Weiterhin sind für eine JGMP-Inspektion, die spätestens alle drei Jahre notwendig
ist, für den Hersteller und MAH unter anderem wichtig:
ƒ Aufbewahrungsfristen gemäß gesetzlicher Vorgaben,
ƒ infrastrukturelle Vorgaben (Pest Control, Zugangsbeschränkungen, Bekleidung
etc.),
ƒ Risikomanagement.
Zusätzlich sind bei der MHLW folgende Personen zu benennen:
ƒ Domestic Warehouse Manager,
ƒ Verantwortliche für Sales und Distribution,
ƒ Verantwortliche für Reparaturen.
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Die Medizinprodukte in Japan werden in vier Klassen, risikobasierend und gemäß


JMDN, eingeteilt. Entsprechend ihrer Klasse ergeben sich darüber hinaus auch
­Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem:
ƒ Class I: General Medical Device: „Todokede“ – z. B. Röntgenfilme
Produkte der Klasse I erhalten eine Marketing Notification „Todokede“, wenn
die Lizenzen für MAH und Manufacturing Site bzw. die Kijun Tekigo Sho (QMS
Conformity Attestation) vorliegen.
For personal use only.

ƒ Class II: Designated Controlled Medical Device und Specially controlled Medical
devices: „Ninsho“ – z. B. Endoskope
Produkte dieser Klasse werden durch einen Recognized Certification Body (RCB)
zertifiziert. Dieser RCB hat eine äquivalente Funktion wie ein Notified Body in
der Europäischen Union. Zum einen führt dieser eine Produktzertifizierung
durch, zum anderen hat dieser ein Qualitätsmanagement-Audit entsprechend
JGMP (MHLW Ordinance No. 169) durchzuführen (da Japan auch Teilnehmer
am MDSAP-Programm ist, könnte dies eine weitere Möglichkeit sein, Kosten
zu bündeln).
Namhafte Notified Bodies haben eine Akkreditierung der PMDA als RCB. Dies
hätte auch den Vorteil, dass der MAH für das Audit im Land außerhalb Japans
eventuell den gleichen Notified Body beauftragen und damit verbundene Kos-
ten einsparen könnte.
Lizenz für MAH und Manufacturing sowie Kijun Tekigo Sho ebenfalls wieder
vorausgesetzt.
ƒ Class III (z. B. Ballon-Katheter) und IV (z. B. Herzschrittmacher): „Shonin“
Diese höheren Klassen bedürfen schon eines Approval („Shonin“) direkt durch
die PMDA.
3.2 Erfolgreicher Marktzugang: ­Zulassungsanforderungen erfüllen 89

BEACHTE:
Klassifizierung ist nicht wie in Europa regelbasiert. Daher ist der Begriff nicht eins
zu eins gleichzusetzen.

Für eine erfolgreiche Produktzulassung benötigt man ein Application Dossier. Dies
ist im Normalfall das Application-Formular plus die STED-Dokumentation nach
­IMDRF (vormals GHTF) plus ein Nachweis, dass die Gerätedaten den GHTF Essential
Principles entsprechen (Japan hat die GHTF-Dokumente ins Gesetz übernommen).
Sind dann auch noch die Lizenzen und die Ergebnisse einer positiven JGMP-Inspek-
tion vorhanden, steht einer Vermarktung des Produkts nichts mehr im Wege.
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TIPP:
Beachten Sie in Japan unbedingt die kulturellen Spielregeln. Gelieferte Ware muss
immer makellos sein. Sonst kann man sehr schnell „sein Gesicht verlieren“.

3.2.6 Brasilien
For personal use only.

Brasilien ist einer der am schnellsten wachsenden Märkte für Medizinprodukte.


Brasilien, ein Mitglied des Southern Common Market (Mercosur – neben Argenti-
nien, Paraguay, Uruguay und Venezuela), hat über die letzten zehn Jahre seine
Regularien für Medizinprodukte etabliert und verstärkt ausgebaut.
Medizinprodukte sind unter dem brasilianischen Gesetz No. 6360/1976 und dem
Decree 8077/2013 geregelt. Die Resolutionen RDC-185/2001, RDC 423/2020 für
Medizinprodukte sowie RDC-36/2015 für IVD und zudem RDC 270/2019 beschrei-
ben die notwendigen Dokumente und Registrierungsschritte für das jeweilige Pro-
dukt. Die zuständige Behörde ist die Agência Nacional de Vigilância Sanitária
(kurz ANVISA).
Bei der Klassifikation, geregelt in den jeweiligen Anhängen der RDCs, werden vier
Untergruppen unterschieden. Eine direkte Vergleichbarkeit, wie es mit den EU-
Direktiven noch möglich war, kann aufgrund der teilweisen Höherklassifizierung
in der EU nicht mehr angestellt werden, sodass direkt die Anhänge konsultiert
werden müssen.
Um ein Produkt am brasilianischen Markt einführen zu können, benötigt man
­entweder eine Niederlassung im Land oder einen von der Behörde zugelassenen
Distributor und eine „Autorização de Funcionamento“ (gemäß nationaler Vorgabe
IN 01/94), eine Art Arbeitserlaubnis, bevor überhaupt mit der Registrierung be-
gonnen werden darf. Im engeren Behördensinne sind beide der Brazilian Registra-
tion Holder, also jener Repräsentant für ANVISA-Anfragen und -Auskünfte.
90 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

Elektrisch betriebene Medizinprodukte müssen zusätzlich vor Registrierung in


­einem von INMETRO akkreditiertem Testhaus geprüft und zertifiziert werden.
Diese Zertifikate sind maximal fünf Jahre gültig und müssen immer wieder erneu-
ert werden.
Zusätzlich benötigen Medizinprodukte, die über ein Funkmodul verfügen, ein
ANATEL-Zertifikat. ANATEL ist die nationale Telekommunikationsbehörde, die
ausschließlich nationale Produkttests anerkennt.
Für einige Medizinprodukte wird auch ein Economic Information Report gemäß RE
n°3385/2006 benötigt. Dabei werden Fragen nach Preisvergleichen mit anderen
Ländern, Patientenpopulation, Werbematerial etc. abgefragt. Für Hochrisikopro-
dukte und neue Produkte mit innovativer Technologie können die brasilianischen
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Behörden klinische Studien fordern. Frühzeitige Kommunikation mit ANVISA ist


ratsam.
Eine weitere Hürde im Prozess ist der Nachweis der compliance gemäß Brazilian
Good Manufacturing Practice gemäß RDC-183/2017. Dies ist notwendig für viele
Produkte der Klasse II und für alle Produkte der Klassen III und IV bzw. für IVD
Klassen III und IIIa. Eine Anerkennung von MDSAP Audits sowie Audits von Reco-
gnized Bodies of IMDRF-Staaten ist eine Verkürzung im Zulassungsprozess.
For personal use only.

ANVISA bzw. beauftragte akkreditierte Stellen prüfen alle zwei Jahre die Überein-
stimmung der Anforderungen, wobei angemerkt werden muss, dass jede Ferti-
gungsstätte über ein eigenes Zertifikat zu verfügen hat. Etwaige Kosten für solche
Inspektionen trägt der Hersteller.
Für die Registrierung selbst sind die Unterlagen, wie in den entsprechenden RDCs
und deren Anhängen angegeben, zu erstellen, inklusive der vorgeschlagenen
Kennzeichnung der Geräte (Labeling) und der Gebrauchsanweisung. Teilweise ist
vom Hersteller auch noch ein Free Sales Certificate aus dem Ursprungsland mit
einzureichen.
Dass alles in der Landessprache zu erfolgen hat, wird von den Behörden vorausge-
setzt.
Ist die Prüfung bei ANVISA schlussendlich erfolgreich verlaufen, veröffentlicht
ANVISA die Registrierungsnummer im Diário Oficial da União (DOU). Die Regist-
rierung selbst ist dann für fünf Jahre gültig und muss anschließend wieder erneu-
ert werden.
Wie in zahlreichen anderen Ländern endet die Verantwortung des Herstellers
nicht bei der Registrierung, sondern erfordert auch eine post market surveillance
bzw. ein Vigilance Reporting System. Dementsprechend sind bei Meldungen angege-
bene Fristen einzuhalten.
3.4 Zusammenfassung 91

„ 3.3 Patente und Lizenzen


Neben all den länderspezifischen Rechtsanforderungen müssen auch andere recht-
liche Aspekte berücksichtigt werden. Richtungsweisend sind dabei patent- und
­lizenzrechtliche Besonderheiten.
Ein Patent ist ein hoheitlich erteiltes gewerbliches Schutzrecht für eine Erfindung
[3.56]. Das kann zum einen die eigene Innovation vor Nutzung und Nachahmung
auf bestimmte Zeit schützen, zum anderen muss man im Zuge der Entwicklung
darauf achten, dass entsprechende Schutzrechte nicht verletzt werden, damit
schlimmstenfalls keine langjährigen gerichtlichen Streitfälle oder gerichtliche Ver-
kaufs- bzw. Vertriebsverbote, die existenzbedrohend sein können, folgen.
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Unter Umständen besteht aber die Möglichkeit, definierte Nutzungsrechte an so


einem gewerblichen Schutzrecht in Form einer Lizenz zu erwerben. Dazu können
diverse Lizenzmodelle zur Verfügung stehen oder sind bereits etabliert.
Es würde hier zu weit führen, diese patent- und lizenzrechtlichen Aspekte zu dis-
kutieren, da jeder Sachverhalt sehr unterschiedlich und vielfältig sein kann und es
kein generelles Rezept zum Vorgehen gibt. Dennoch müssen diese Aspekte im
Rahmen der Entwicklung oder bei Produktänderungen regelmäßig und vollständig
For personal use only.

überprüft werden.

„ 3.4 Zusammenfassung
Dieser Abschnitt zeigte einen Überblick über die gängigsten Zulassungsverfahren
und deren Anforderungen. Spezifische Informationen, auch aufgrund der immer
wieder vorkommenden Änderungen, sind anhand der jeweiligen aktuellen Geset-
zeslage selbst zu erarbeiten oder durch entsprechende Einbindung von globalen
Dienstleistern zuzukaufen. Diese helfen nicht nur bei Übersetzungen und Inter-
pretationsfragen, da diese meist Büros in den jeweiligen Ländern unterhalten, son-
dern stellen ihr Wissen auch für die Suche nach einem Distributor oder Market
Authorization Holder zur Verfügung.
Zusammenfassend erkennt man eine Systematik im Ablauf einer jeden Zulassung/
Registrierung:
ƒ Vertrautmachen mit der gesetzlichen Lage des jeweiligen Landes,
ƒ Klassifizierung des Produkts,
ƒ Notwendigkeit eines Registration Holder, Agenten etc.,
ƒ Notwendigkeit einer Importlizenz bzw. Manufacturer License,
92 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

ƒ Anforderungen an das Qualitätsmanagementsystem,


ƒ zusätzliche Anforderungen für Sicherheit und Effektivität des Produkts (z. B.
sicherheitstechnische Prüfungen, klinische Prüfungen),
ƒ Vigilance-Aktivitäten,
ƒ Re-Registrierungserfordernisse.
Zulassungsaktivitäten benötigen immer ein vorausschauendes, kontinuierliches
Monitoring der länderspezifischen Gesetzeslage, der Verordnungen, anwendbaren
länderspezifischen Normen oder Normenergänzungen etc. Frühzeitig muss daher
in einem Entwicklungsprozess feststehen, in welchen Ländern das jeweilige Pro-
dukt vertrieben werden soll. Nachträgliche länderspezifische Anpassungen sind
mit sehr viel Geld und Aufwand verbunden, wenn nicht sogar undurchführbar. In
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weiterer Folge sind die Bestrebungen für eine globale Harmonisierung zu unter-
stützen, sodass die Vielfältigkeit der notwendigen Unterlagen standardisiert und
der teilweise skurrile Wildwuchs bei den erforderlichen Dokumenten weiter einge-
dämmt werden kann.
Im Rahmen der Entwicklung müssen patent- und lizenzrechtliche Fragen ebenfalls
eindeutig und vollständig geklärt werden.
For personal use only.

„ 3.5 Literatur
[3.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie
93/42/EWG über Medizinprodukte. 1993. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/
DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L:1993:169:FULL&from=DE, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 247/21 vom 05. 09. 2007: Richtlinie
2007/47/EG zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts-
vorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte und 93/42/
EWG des Rates über Medizinprodukte sowie der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen
von Biozid-Produkten, 2007. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/
TXT/?uri=OJ:L:2007:247:TOC, abgerufen am 15. Jan. 2020.
[3.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 331 vom 07. 12. 1998: Richtlinie
98/79/EG über In-vitro-Diagnostika. 1998. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-
content/DE/TXT/?uri=OJ:L:1998:331:TOC, abgerufen am 05.May.2014.
[3.4] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 189 vom 20. 07. 1990: Richtlinie
90/385/EWG zum Abgleich der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare
medizinische Geräte. 1990. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HT
ML/?uri=OJ:L:1990:189:TOC&rid=1, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.5] Europäische Kommission: Webseite der Europäischen Kommission – EUR-Lex Der Zugang zum
EU-Recht. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/content/welcome/about.html, abgerufen am
15. Jan. 2021.
[3.6] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2016/425 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 9. März 2016 über persönliche Schutzausrüstungen und zur
3.5 Literatur 93

Aufhebung der Richtlinie 89/686/EWG des Rates https://eur-lex.europa.eu/legal-content/de/


TXT/?uri=CELEX%3A32016R0425, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.7] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie 2001/83/EG des europäischen Parla-
ments und des Rates zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel. https://
eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32001L0083&qid=1610705690797, abgeru-
fen am 15. Jan. 2021.
[3.8] Europäische Kommission: MedDev 2.1/3, Rev. 3, Dez. 2009: Borderline products, drug-delivery
products and medical devices incorporating, as an integral part, an ancillary medicinal subs-
tance or an ancillary human blood derivative. https://ec.europa.eu/docsroom/documents/10328/
attachments/1/translations, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.9] Europäischer Gerichtshof: Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 6. September 2012. Er-
suchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Deutschland. Richtlinie
2001/83/EG – Humanarzneimittel – Art. 1 Nr. 2 Buchst. b – Begriff ‚Funktionsarzneimittel‘ - Defini-
tion des Begriffs ‚pharmakologische Wirkung‘. Rechtssache C-308/11. https://eur-lex.europa.eu/
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legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX%3A62011CJ0308, abgerufen am 15. Jan. 2021.


[3.10] European Commission: Manual on Borderline and Classification in the community regulatory
framework for medical devices. 2019. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/health/sites/health/
files/md_topics-interest/docs/md_borderline_manual_05_2019_en.pdf, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.11] Europäische Kommission: Webseite der Europäischen Kommission – Nando (New Approach Noti-
fied and Designated Organisations) Information System. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/
growth/tools-databases/nando/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.12] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical de-
vices - Quality management systems - Requirements for regulatory purposes (ISO 13485:2016);
For personal use only.

German version EN ISO 13485:2016. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: Me-
dizinprodukte  – Qualitätsmanagementsysteme  – Anforderungen für regulatorische Zwecke
(ISO 13485:2016); Deutsche Fassung EN ISO 13485:2016.).
[3.13] Global Harmonization Task Force (GHTF)/International Medical Device Regulators Forum (IMDRF):
Principles of In Vitro Diagnostic (IVD) Medical Devices Classification, 9. Februar 2007.
http://www.imdrf.org/docs/ghtf/archived/sg1/technical-docs/ghtf-sg1-n045r12-in-vitro-diagnostic-
classification-070209.pdf, abgerufen 05. Mai 2014.
[3.14] Die europäische Kommission: Durchführungsverordnung (EU) Nr. 920/2013 vom 24. September
2013 über die Benennung und Beaufsichtigung benannter Stellen gemäß der Richtlinie 90/385/
EWG des Rates über aktive implantierbare medizinische Geräte und der Richtlinie 93/42/EWG
des Rates über Medizinprodukte. http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CE
LEX:32013R0920&rid=1, abgerufen 05. Mai 2014.
[3.15] Die europäische Kommission: Empfehlung 2013/473/EU vom 24. September 2013 zu den Audits
und Bewertungen, die von Benannten Stellen im Bereich der Medizinprodukte durchgeführt
werden http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32013H0473&rid=1,
abgerufen 05. Mai 2014.
[3.16] Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften: Leitfaden für die Um­
setzung der nach dem neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Richtlinien. 2000.
Verfügbar unter: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/single-market-goods/files/blue-guide/
guidepublic_de.pdf, abgerufen am 05. Mai 2014.
[3.17] Europäisches Komitee für Normung (CEN); Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung
(CENELEC): EN ISO 14971:2007 Medical devices  – Application of risk management to medical
devices. 2007. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 14971:2009
Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte. Beuth, 2009.).
[3.18] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN IEC 62366:2007 Medical
­devices – Application of usability engineering to medical devices. 2007. (Deutsche Fassungen:
Österreichisches Normungsinstitut: ÖVE/ÖNORM EN 62366:2008 Medizinprodukte – Anwendung
94 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte. Österreichischer Verband für Elektrotechnik, Ös-


terreichisches Normungsinstitut, 2008.).
[3.19] International Electrotechnical Commission (IEC): EN IEC 62304 – Medical device software – Soft-
ware life cycle processes. 2006. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN
62304; VDE 0750-101:2007-03 Medizingeräte – Software – Software-Lebenszyklus-Prozesse. 2006.
Beuth, 2007.).
[3.20] Johner, C.; Hölzer-Klüpfel, M.; Wittorf, S.: Basiswissen Medizinische Software. dpunkt, 2011.
[3.21] International Commission on the Rules for the Approval of Electrical Equipment: Webseite der
IECEE. Verfügbar unter: http://www.iecee.org/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.22] National Center for Biotechnology Information, U. S. National Library of Medicine, PubMed: https://
pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.23] Embase Database https://www.embase.com/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.24] Universität Leuven https://bib.kuleuven.be/english/2bergen/mgas/research-support/
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systematicreviews abgerufen 28.Jul.2021. Mai 2014.


[3.25] Cochrane Library https://www.cochranelibrary.com/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.26] Homepage Trials Central http://www.trialscentral.org/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.27] FDA Maude Database https://www.accessdata.fda.gov/scripts/cdrh/cfdocs/cfMAUDE/search.CFM,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.28] Europäisches Komitee für Normung (CEN): EN ISO 14155:2011/AC2011 Clinical investigation of me-
dical devices for human subjects – Good clinical practice. 2011. (Deutsche Fassung: Deutsches
Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 14155:2012 Klinische Prüfung von Medizinprodukten an
Menschen – Gute klinische Praxis. Beuth, 2012.).
For personal use only.

[3.29] Europäisches Komitee für Normung (CEN): EN 13612:2002 Performance evaluation of in vitro dia-
gnostic medical devices. 2002. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN
13612:2002 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika. Beuth, 2012.).
[3.30] Gesundheit Österreich GmbH: Österreichisches Register für Medizinprodukte. Webseite verfüg-
bar unter: https://medizinprodukteregister.at/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.31] Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation: Webseite der DIMDI. Verfügbar unter: https://
www.dimdi.de/dynamic/de/medizinprodukte/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.32] Swissmedic: Webseite der Swissmedic. Verfügbar unter: www.swissmedic.ch, abgerufen am
15. Jan. 2021.
[3.33] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
bis 1299, 21 CFR 820-1299. 2012. Verfügbar unter: https://www.accessdata.fda.gov/scripts/cdrh/
cfdocs/cfcfr/CFRSearch.cfm?CFRPartFrom=800&CFRPartTo=1299, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.34] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der Klassifizierungsdatenbank der FDA. Ver-
fügbar unter: https://www.accessdata.fda.gov/scripts/cdrh/cfdocs/cfpcd/classification.cfm, abge-
rufen am 15. Jan. 2021.
[3.35] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der FDA bezüglich Device Panels. Verfüg-
bar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/classify-your-medical-device/device-classification-
panels, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.36] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Guidance for the Content of Premarket Submissions
for Software Contained in Medical Devices. 2005. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/regulatory-
information/search-fda-guidance-documents/guidance-content-premarket-submissions-software-
contained-medical-devices, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.37] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der FDA bezüglich Investigational Device
Exemption. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/how-study-and-market-your-
device/investigational-device-exemption-ide, abgerufen am 15. Jan. 2021.
3.5 Literatur 95

[3.38] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der FDA bezüglich PMA. Verfügbar unter:
https://www.fda.gov/medical-devices/premarket-submissions/premarket-approval-pma, abgerufen
am 15. Jan. 2021.
[3.39] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Guidance for Industry and FDA Staff: Premarket Ap-
proval Application Modular Review. 2003. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/regulatory-
information/search-fda-guidance-documents/premarket-approval-application-modular-review,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.40] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der FDA bezüglich Investigational Device
Exemption. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/how-study-and-market-your-
device/investigational-device-exemption-ide, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.41] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der FDA bezüglich Labeling-Vorschriften.
Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/overview-device-regulation/device-labeling,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.42] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Webseite der FDA bezüglich How to Register and List.
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Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/device-registration-and-listing/how-register-


and-list, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.43] Occupational Safety and Health Administration: Webseite der OSHA. Verfügbar unter: https://
www.osha.gov/dts/otpca/nrtl/index.html, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.44] Government of Canada: Kanadisches Regierungsblatt. Verfügbar unter: www.gazette.gc.ca/index-
eng.html, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.45] Health Canada: Medical device application forms. Verfügbar unter: https://www.canada.ca/en/
health-canada/services/drugs-health-products/medical-devices/application-information/forms.html,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
For personal use only.

[3.46] Health Canada: Guidance document: How to Complete the Application for a New Medical Device
License. 2018. Verfügbar unter: https://www.canada.ca/content/dam/hc-sc/migration/hc-sc/dhp-
mps/alt_formats/pdf/md-im/applic-demande/guide-ld/md_gd_licapp_im_ld_demhom-eng.pdf,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.47] Department of Justice Canada: Medical Devices Relegations, SOR/98-282. Verfügbar unter: https://
laws-lois.justice.gc.ca/eng/regulations/sor-98-282/fulltext.html, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.48] Health Canada: Webseite der Health Canada bezüglich MDALL. Verfügbar unter: https://health-
products.canada.ca/mdall-limh/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.49] Standard Council of Canada: Webseite der Standard Council of Canada bezüglich CMDCAS. Verfüg-
bar unter: https://www.scc.ca/en/accreditation/management-systems/cmdcas/cmdcas-recognized-
certification-bodies, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.50] Health Canada: Quality Management System ISO 13485. Verfügbar unter: https://www.canada.
ca/en/health-canada/services/drugs-health-products/medical-devices/quality-systems-13485.html,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.51] National Medical Products Administration: Webseite der NMPA. Verfügbar unter: http://english.
nmpa.gov.cn/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.52] State Council of the People's Republic of China: State Council Order No. 680. Verfügbar unter:
http://en.osmundacn.com/shows/10/20.html, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.53] State Council of the People’s Republic of China: Rules for Classification. Verfügbar unter: http://
english.nmpa.gov.cn/2019-10/11/c_415411.htm, abgerufen am 15.Jan.2021.
[3.54] ZHIXIE: nmpa Classification (Beispiele). Verfügbar unter: http://www.nmpa-classification.com/
articles/category/chinese-medical-device-classification/, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.55] State Food and Drug Administration: Webseite der SFDA bezüglich der erforderlichen Dokumente
für eine Einreichung. Verfügbar unter: http://eng.sfda.gov.cn, abgerufen am 20. 07. 2012
[3.56] Universität für Bodenkultur Wien: https://boku.ac.at/fos/themen/patente/was-ist-ein-patent, abge-
rufen 28. Jul. 2021.
96 3 Rechtliches Umfeld und Zulassungs­anforderungen

[3.57] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117 vom 05. 05. 2017: Regulation
(EU) 2017/745 of the European Parliament and of the Council of 5 April 2017 on medical devices,
amending Directive 2001/83/EC, Regulation (EC) No 178/2002 and Regulation (EC) No 1223/2009
and repealing Council Directives 90/385/EEC and 93/42/EEC (Text with EEA relevance) Ver­
fügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A32017R0745&q
id=1610704840509, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.58] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117 vom 05. 05. 2017: Regulation
(EU) 2017/746 of the European Parliament and of the Council of 5 April 2017 on in vitro diagnostic
medical devices and repealing Directive 98/79/EC and Commission Decision 2010/227/EU (Text
with EEA relevance) Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELE
X%3A32017R0746&qid=1610705129606, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.59] Europäische Kommission: Medical Device Coordination Group: Guidance – MDCG endorsed docu-
ments. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/health/md_sector/new_regulations/guidance_en,
abgerufen am 15. Jan. 2021.
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[3.60] Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament, den Rat
und den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, Harmonisierte Normen: Verbesserte
Transparenz und Rechtssicherheit für einen uneingeschränkt funktionierenden Binnenmarkt.
Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52018DC0764
&from=EN, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.61] Europäische Kommission: Draft standardisation request as regards medical devices in support of
Regulation (EU) 2017/745 and in vitro diagnostic medical devices in support of Regulation (EU)
2017/746, Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/docsroom/documents/43584?locale=en, abgeru-
fen am 15. Jan. 2021.
For personal use only.

[3.62] International Standard Organisation: ISO 20916 - In vitro diagnostic medical devices — Clinical
performance studies using specimens from human subjects — Good study practice
[3.63] U. S. Food and Drug Administration: Breakthrough Devices Program. Verfügbar unter: https://
www.fda.gov/medical-devices/how-study-and-market-your-device/breakthrough-devices-program, ab-
gerufen am 15. Jan. 2021.
[3.64] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Safer Technologies Program (SteP) for Medical De-
vices. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/how-study-and-market-your-device/
safer-technologies-program-step-medical-devices, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.65] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Digital Health Software Precertification (Pre-Cert)
­Program. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/medical-devices/digital-health-center-excellence/
digital-health-software-precertification-pre-cert-program, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.66] U. S. Food and Drug Administration (FDA): The Q-Submission Program. Verfügbar unter: https://
www.fda.gov/regulatory-information/search-fda-guidance-documents/requests-feedback-and-
meetings-medical-device-submissions-q-submission-program, abgerufen am 15. Jan. 2021.
[3.67] Goverment of Canada: Medical Device Single Audit Program (MDSAP). Verfügbar unter: https://
www.canada.ca/en/health-canada/services/drugs-health-products/medical-devices/activities/
international/transition-medical-device-single-audit-program.html, abgerufen am 15. Jan. 2021.
4 Entwicklung von
Medizinprodukten
P. Müllner

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Was muss man bei der Entwicklung von Medizinprodukten berücksichtigen?


ƒ Wie sollte ein Entwicklungsprozess aussehen?
ƒ Wie sind Entwicklungsprojekte zu strukturieren, und was ist zu beachten,
damit Medizinprodukte kostengünstig und in der gewünschten Zeit auf den
Markt gebracht werden können?
ƒ Welche gesetzlichen Vorschriften für die Entwicklung, den Design Transfer, die
Freigabe und die Vermarktung in den verschiedenen Märkten sind zu beachten?
ƒ Welche Hürden sind beim Weg von den Anforderungen zum fertigen Produkt
For personal use only.

zu überwinden?

„ 4.1 Einleitung
Warum dauern Entwicklungsprojekte immer länger als geplant – oder gewünscht?
Wurden die eigentlichen Kundenbedürfnisse und Anforderungen missverstanden?
Liegt es an unklaren Formulierungen oder Zielsetzungen? Sind unterschiedliche
Interessen unter einen Hut zu bringen? Sind Projektleiter zu optimistisch bei der
Planung oder würden sie bei einer realistischen Planung keine Freigabe für ihr
Projektbudget bekommen, wenn sie ehrliche Aussagen über die wahren Aufwände
tätigen würden? Wurde zu oberflächlich geplant, sodass die Koordination der be­
teiligten und betroffenen Teammitglieder nicht funktioniert, oder wurden etwa
­Urlaube, Schulungen, Abwesenheiten oder Krankheiten in der Zeitplanung verges-
sen? Wurde ein einmal ins Wanken geratener Zeitplan nicht rechtzeitig korrigiert?
Wurden die Änderungen unklar kommuniziert?
Meist ist es nicht ein einziger Grund, sondern eine Kombination der erwähnten
Gründe und Ursachen, die für Terminverzögerungen und Budgetüberschreitungen
verantwortlich sind und oft zu unerwünschten Wiederholungen von Entwicklungs-
98 4 Entwicklung von Medizinprodukten

phasen führen. Wie aber kann man treffsichere Maßnahmen zur Verhinderung
von Verzögerungen schaffen, also einen idealen Entwicklungsfortschritt garantie-
ren? Auf diese Frage soll im vorliegenden Kapitel versucht werden, eine zufrieden-
stellende Antwort zu finden.
Eine wichtige Voraussetzung für einen zielgerichteten Entwicklungsablauf ist, die
Zieldefinition mit dem Intended Use/Intended Purpose und seinen Details in den
Produktanforderungen konsequent zu verfolgen. Denn je zielgerichteter die Ent-
wicklung eines Produkts geführt wird, desto weniger läuft das Projekt Gefahr, ver-
zögert zu werden und Abweichungen von den Zielen zu erfahren. Danach muss
sich auch die Entwicklungsstrategie, die Vorgehensweise, ausrichten.
Qualitätsanforderungen für das zukünftige Produkt müssen von Anfang an be-
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rücksichtigt werden, um teure Nachbesserungen oder Nachentwicklungen zu ver-


meiden und so den Kunden und der gesamten Organisation Ärger zu ersparen.
Damit können auch die Gesamtentwicklungskosten minimiert werden.
Der Aufwand für die Entwicklung, die Vorbereitung für die Herstellung und die
Vermarktung ist für alle Beteiligten an einem Entwicklungsprojekt sorgfältig zu
planen, und diese Planung kann nur realistisch sein, wenn alle Anforderungen –
vom Kunden und allen Stakeholdern – eindeutig definiert wurden. Dafür hat die
For personal use only.

Projektleitung Sorge zu tragen.


Eine dieser Anforderungen ist die Definition des Zielmarktes. Aus der Festlegung
der Märkte leiten sich die gesetzlichen Voraussetzungen ab, die das zukünftige
Produkt erfüllen muss. Daraus wiederum leiten sich aber auch Anforderungen an
Prozesse und Abläufe ab, die während der Produktentwicklung und des Design
Transfers zu beachten sind. Im folgenden Abschnitt werden daher zunächst diese
Voraussetzungen beschrieben, bevor auf die detaillierten Entwicklungsabläufe
eingegangen wird.

„ 4.2 Gesetzliche Anforderungen
an die Entwicklung

4.2.1 Aus den Direktiven der EU


Die „Grundlegenden Anforderungen“ (Essential Requirements) der entsprechenden
anwendbaren Richtlinie ([4.1], [4.2] oder [4.3]) bzw. die grundlegenden Sicher-
heits- und Leistungsanforderungen gemäß den neuen Verordnungen [4.21] und
[4.22] stellen übergeordnete produktspezifische Anforderungen dar. Sie sind für
jeden Einzelfall bei Beginn der Entwicklung zu prüfen und zu analysieren.
4.3 Eckpunkte der Produktentwicklung 99

BEACHTE:
Es muss eine sorgfältige Prüfung vorgenommen werden, ob nicht neben den
entsprechenden medizintechnischen Richtlinien bzw. Verordnungen weitere Richt-
linien oder Verordnungen wie z. B. RoHS (Richtlinie zum Einsatz von gesundheits-
gefährdenden Stoffen), WEEE (Waste Electrical and Electronic Equipment), ECO-
Design, Maschinenrichtlinie oder RED (Radio Equipment Directive) für das Produkt
anwendbar sind.

4.2.2 Aus der Design Control der FDA


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Obwohl die Design Control-Vorschrift der FDA [4.19] (820.30, Subpart C der Quality
System Regulation) nur etwa zwei DIN-A4-Seiten umfasst und die Anforderungen
darin als klar und verständlich angesehen werden können, ist deren vollständige
Einhaltung in der Praxis schwierig, wie die häufigen Beanstandungen bei Audits
und die daraus resultierenden Warning Letters beweisen. Der Grund dafür dürfte in
der generischen Beschreibungsart der angloamerikanischen Gesetzgebung liegen,
die durch die Interpretation der Auditoren unterschiedlich ausgelegt werden kann.
For personal use only.

Im Vordergrund stehen die Ausrichtung auf den beabsichtigten Einsatzzweck des


Produkts, seine Sicherheit, Fehlerfreiheit und die Anforderungen und Bedürfnisse
von Patienten und Benutzern.
Design Control gilt nicht nur für die eigentliche Produktentwicklung, sondern für
den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, einschließlich Produktion, Vertrieb,
Gebrauch oder Wartung.

„ 4.3 Eckpunkte der Produktentwicklung


Wenn in einem Entwicklungsprojekt Meilensteine und Entwicklungsphasen den
Prozessanforderungen der FDA entsprechend gestaltet werden ([4.19]  – 820.30,
Subpart C), hat man zwei Vorteile: Zum einen folgt man automatisch gesetzlichen
Vorgaben im Prozess, zum anderen folgen diese Vorgaben bewährter Praxis. Sie
sind in ihren Grundelementen logisch nachvollziehbar. Die europäischen Richt­
linien [4.1] bis [4.3] und die neuen Verordnungen [4.21] und [4.22] verlangen in
ihren Grundlegenden Anforderungen/Grundlegenden Sicherheits- und Leistungs-
anforderungen nahezu äquivalente Ergebnisse. Im Gegensatz zu der in den USA
geforderten Prozessorientierung steht in Europa die Einhaltung von harmonisier-
ten Normen und gegebenenfalls weiterer „gemeinsamer Spezifikationen“ im Vor-
dergrund.
100 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Mit der Übernahme der Nomenklatur der FDA für die wesentlichen Kernpunkte
einer Entwicklung in den Projekt- und Prozessbeschreibungen kann die Projektlei-
tung wenig falsch machen, sofern die einzelnen Vorschriften richtig und vollstän-
dig interpretiert und exekutiert werden. Es darf nicht übersehen werden, dass laut
FDA Prozessbeschreibungen für die Produktentwicklung vorhanden sein und ein-
gehalten werden müssen.

TIPP:
Vermeiden Sie auf jeden Fall Abweichungen zwischen beschriebenen und gelebten
Prozessen. Es empfiehlt sich, gegebenenfalls die Prozessbeschreibungen an die
gelebte Praxis anzupassen und Änderungen zu begründen.

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Es ist nicht nur der übergeordnete Entwicklungsprozess mit Entwicklungsphasen,


Haltepunkten und Reviews zu beschreiben, auch unwesentlich scheinende Punkte
wie die Behandlung von mehrdeutigen, konfliktbehafteten oder unvollständigen
Anforderungen müssen geregelt sein (Zusammenfassung der FDA-Anforderungen
siehe Download-Materialien). Es sei erwähnt, dass die Qualitätsmanagementnorm
[4.20] für Medizinprodukte gleichwertige Anforderungen an die Eckpunkte der
Produktentwicklung stellt und eine weitere Harmonisierung bereits in Aussicht
For personal use only.

gestellt ist.
Der Entwicklungsablauf mit seinen wesentlichen Eckpunkten und Phasen ist in
Bild 4.1 vereinfacht dargestellt. In der Praxis wird insbesondere bei komplexen
Systemprojekten in der Anfangsphase zumeist eine Machbarkeitsphase einzufü-
gen sein, und einzelne Phasen können in Teilphasen gegliedert werden. Entwick-
lungsbegleitend ist der Risikomanagement- bzw. Usability-Prozess zu verfolgen
(siehe Kapitel 2, Risikomanagement).

Bild 4.1 Entwicklungsablauf (vereinfacht)


4.3 Eckpunkte der Produktentwicklung 101

4.3.1 Projektstart
Auch wenn der Terminus Projektstart nicht in der FDA-Nomenklatur verwendet
wird, ist es sinnvoll, einen solchen offiziell durchzuführen. Schließlich muss der
Auftraggeber ein Projektbudget zur Verfügung stellen und eine Hauptverantwort-
lichkeit für das Projekt mit der Projektleitung benennen.
Bei der Auswahl der Person für die Projektleitung ist auf die persönlichen Eigen-
schaften für diese Führungsaufgabe Wert zu legen. Die Projektleitung muss nicht
nur Führungsqualitäten besitzen, wünschenswert sind fachliche Kenntnis und/
oder Erfahrung in zumindest einem der im Projekt benötigten Fachgebiete sowie
Überblickswissen in den anderen betroffenen Fachbereichen. Je mehr technisches
Grund- oder Fachwissen vorhanden ist, desto weniger Expertise muss bei der Plan­
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erstellung oder anderen Aufgaben von extern beschafft werden. Die Expertise der
Projektmitglieder muss in jedem Falle mit einbezogen werden.
In den meisten Fällen wird zunächst ein kleineres Budget für die detaillierte Pro-
jektplanung, für Vorklärungen und Machbarkeitsstudien freigegeben und erst da-
nach das Gesamtbudget für das Projekt nach positiven Machbarkeitsbewertungen.
Ziel dieser Vorklärungsphase ist es, die zunächst oft nur grob definierten Zielset-
For personal use only.

zungen und Anforderungen zu detaillieren, die Randbedingungen zu diesen Anfor-


derungen zu beschreiben, die technische Machbarkeit des Produkts mit seinen
Produktspezifikationen zu prüfen und als erreichbar zu bewerten.
Bereits in dieser Vorklärungsphase ist die Dokumentation der erzielten Ergebnisse
aus Machbarkeitsstudien essenziell, wenn man unnötige Doppelarbeiten im späte-
ren Projektablauf verhindern will. Es kommt also sehr darauf an, dass die Frage-
stellungen für Machbarkeitsstudien sorgfältig überlegt und bereits in dieser Phase
zu erwartende Randbedingungen berücksichtigt werden.

TIPP:
Je höher der Neuheitsgrad des zu entwickelnden Produkts ist, desto sinnvoller ist
es, den Projektprozess in der Anfangsphase weiter zu unterteilen und weitere
Haltepunkte mit Reviews einzuplanen und deren Ziele zu beschreiben. Besonders
die Machbarkeitsanalyse wird bei einem solchen Projekt einen größeren Zeitraum
benötigen, denn ohne klares Realisierungskonzept kann auch kein realistischer
Projektplan erstellt werden.

BEACHTE:
Es ist oft zu beobachten, dass bei Projekten und in Organisationen die Abgrenzung
zwischen Forschung und Entwicklung (der eigentliche Start von Design Control)
nicht klar definiert ist. Die Entwicklung startet in jenem Moment, wo eine syste-
matische Vorgehensweise mit kommerziellem Interesse gewählt wird.

102 4 Entwicklung von Medizinprodukten

4.3.2 Design und Entwicklungsplanung


Es muss eine detaillierte Planung der einzelnen Entwicklungsaktivitäten mit den
zugehörigen Verantwortlichkeiten unter Berücksichtigung von Schnittstellen und
Abhängigkeiten erstellt werden, sofern diese für den Design Input und den nachfol-
genden Entwicklungsablauf relevant sind. Wie vonseiten der FDA für alle Pläne
vorgeschrieben, ist auch der Projekt-/Entwicklungsplan durch kompetente Prüfer
nachweislich einem Review zu unterziehen, dann freizugeben und im Laufe des
Projektfortschrittes, wenn erforderlich, zu aktualisieren. Der geänderte Plan ist
wiederum zu prüfen und freizugeben.
Nach jeder Entwicklungsphase wird der Plan für die folgenden Abschnitte über-
prüft und aktualisiert.
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4.3.3 Design Input
Design Input kann mit dem folgenden Satz beschrieben werden: „Wir wissen ge-
nau, was zu entwickeln ist, wie wir das Produkt realisieren können und wann das
Produkt für die Vermarktung bereitstehen wird.“ Daher müssen bei Design Input
For personal use only.

folgende Ergebnisse vorliegen und durch ein Expertenreview bestätigt werden:


ƒ Es ist ein Projektplan bis zur Freigabe des Produkts vorhanden, der eine Res-
sourcen- und Budgetabschätzung über das gesamte Projekt hinreichend genau
(+/− 10 %) erlaubt. Zumindest die folgende Projektphase ist genau geplant.
ƒ Der Intended Use/die Zweckbestimmung des zu entwickelnden Produkts – also
die Essenz aus der Summe der Kundenanforderungen – ist vollständig durch
Soll-Spezifikationen untermauert; es sind eindeutige und prüfbare Produktan-
forderungen mit Akzeptanzkriterien beschrieben, die die Anforderungen der
Kunden, der einzuhaltenden Normen und Gesetze, der Organisation (Marke-
ting, Vertrieb, Service und Produktion) sowie Qualitätsanforderungen enthal-
ten. Widersprüche zwischen einzelnen ursprünglich formulierten Anforderun-
gen und Mehrdeutigkeiten sind ausgeräumt und beherrschbar.

TIPP:
Je sorgfältiger Sie den Intended Use/Purpose beachten, desto weniger Schwierig-
keiten sind beim Vergleich mit den letztlich erreichten Produktspezifikationen beim
Design Output zu erwarten.

ƒ Es ist ein Realisierungskonzept vorhanden, das die Produktanforderungen


nach Meinung externer Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit verwirklich-
bar und das Produktrisiko als akzeptabel erscheinen lässt.
4.3 Eckpunkte der Produktentwicklung 103

ƒ Es ist eine Prozessbeschreibung für das Änderungsmanagement vorhanden:


Wie geht man mit Änderungen von Anforderungen/Spezifikationen, Plänen,
Designkonzepten, Realisierungsbeschreibungen, Verifizierungs- und Validie-
rungsdokumenten etc. um? Wie werden diese kommuniziert, dokumentiert,
geprüft und freigegeben und wann müssen für die Änderungen Risikobewer-
tungen vorgenommen werden?

4.3.4 Design Output
Bei Design Output werden die mit dem fertig entwickelten Produkt tatsächlich er-
reichten Spezifikationen mit den bei Design Input gewünschten Anforderungen
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und Spezifikationen unter Berücksichtigung der vorher festgelegten Akzeptanzkri-


terien und Randbedingungen verglichen. Abweichungen werden bewertet und
durch die Stakeholder entweder akzeptiert oder es wird bei Nichterreichen von für
den Einsatzzweck und die Funktion essenziellen Spezifikationen oder Eigenschaf-
ten keine Freigabe erteilt.
Der Freigabeprozess für den Design Output, die zu liefernden Ergebnisse und die
Verantwortlichkeiten für die Freigabe dieses Meilensteins sind vorher im Rahmen
For personal use only.

des Entwicklungsprozesses festzulegen.


Das wichtigste Ergebnis des Design Outputs sind die Protokolle über die durchge-
führten Tests und Prüfungen des Produkts über alle Spezifikationen. Die Testproto-
kolle sollen neben den detaillierten Testergebnissen eine Zusammenfassung über
die durchgeführten Einzelprüfungen und deren Ergebnisse enthalten.
Das Review zum Design Output und dessen Freigabe sind zu dokumentieren und
dem Design History File (DHF) beizulegen.
Die Tests für den Design Output müssen an Exemplaren des Produkts durchgeführt
werden, die bereits in der Produktion mit definierten und (zumindest vorläufig)
freigegebenen Herstellprozessen produziert wurden. In den Testplänen ist vorher
festzuhalten, wie viele Prüflinge den einzelnen Tests unterworfen werden müssen,
und die Entscheidung für die Auswahl ist zu dokumentieren und zu begründen
(hierbei sind etablierte statistische Verfahren anzuwenden).
Die Testmethoden, die bei den Prüfungen angewendet werden, sind so zu wählen,
dass die Testergebnisse für die spezifischen Eigenschaften relevant und nicht
durch andere Einflüsse wie z. B. Umgebungsbedingungen verfälscht werden kön-
nen (siehe dazu auch die Ausführungen in Abschnitt 9.5, Methodenvalidierung).
Die Validierung des Produkts, also die Überprüfung und Bewertung der Gebrauchs-
tauglichkeit durch den Anwender oder Kunden, erfolgt üblicherweise nach dem
Design Output. Es kann aber hilfreich sein, einzelne Eigenschaften, die für die
104 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Funktionsweise des Produkts besonders wichtig sind, in die Prüfungen zum ­Design
Output einzubeziehen.

BEACHTE:
Im amerikanischen Regelwerk gibt es auch den Terminus: „Essential Design
­Output“.
Das ist jener Satz an Design Output-Dokumenten, der „essenziell“ für die Erfüllung
der Produkt-sicherheits- und Leistungsanforderungen ist und unterschiedlichste
Dokumentenarten umfassen kann. Die Zugehörigkeit kann man aus dem Risiko-
management ableiten. Zur schnelleren Auffindung während einer Inspektion könnte
man dem jeweiligen Dokument das Attribut „EDO“ beifügen.

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4.3.5 Design Reviews
Formelle Design Reviews (die ISO 13485 spricht von Entwicklungsbewertung), also
Überprüfungen der Ergebnisse der einzelnen Entwicklungsabschnitte durch pro-
jektexterne, unabhängige Experten, müssen zumindest bei Design Input, Design
For personal use only.

Output, nach Design Transfer und bei der Freigabe durchgeführt werden. Bei kom-
plexen Projekten können solche zu weiteren definierten Projektabschnitten wäh-
rend des Entwicklungsablaufes abgehalten und dokumentiert werden.
Der gesamte Review-Prozess muss in Prozessbeschreibungen festgelegt sein. Bei
der Auswahl der Experten ist auf die Fachgebiete Rücksicht zu nehmen, die es zu
beurteilen gilt. Kriterien für ein erfolgreich absolviertes Review sind die Errei-
chung der Ziele des jeweiligen Projektabschnitts, das Vorliegen der zugehörigen
Dokumentation und im Fall von Abweichungen die Akzeptanz dieser durch Reviewer
und Stakeholder. Die Behebung geringfügiger Abweichungen kann in einer Akti-
onsliste verfolgt werden.

TIPP:
Übergeben Sie die Dokumentation den Reviewern rechtzeitig vor dem Review-
Meeting zur Vorbereitung. Beim Review präsentiert das Entwicklungsteam die
erzielten Ergebnisse im Vergleich zu den gesetzten Zielen, und die Reviewer er-
halten die Möglichkeit, die Ergebnisse zu hinterfragen.

Im Design History File ist zu dokumentieren: der Gegenstand des Reviews, der Pro-
jektabschnitt, Auswahl der Experten, geprüfte Dokumente, Ergebnisse des Re-
views, Reviewer (mit Datum und Unterschrift).
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 105

4.3.6 Freigabe für die Vermarktung


Nach positiv abgeschlossener Design-Verifizierung, also der Bestätigung, dass alle
Produktspezifikationen einschließlich der einzuhaltenden Normen eingehalten
werden, kann die Design-Validierung des Produkts gestartet werden. Mit dieser
wird bestätigt und bewiesen, dass die Anforderungen aus Sicht der Kunden und
Anwender unter den bei der Anwendung üblichen Randbedingungen erfüllt wer-
den.
Nach abgeschlossener Validierung des Produkts, der Produktionsanlagen und Her-
stellprozesse ist die fertiggestellte Dokumentation zu prüfen und freizugeben. Der
Design History File, der den gesamten Entwicklungsverlauf mit Projektplänen, den
Produktanforderungen, der Erklärung der Funktionsweise, der Beschreibung und
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der Begründung der Wahl des Designs, alle Testpläne und Testprotokolle, alle Re-
view-Ergebnisse, die Validierungsergebnisse und den Konformitätsnachweis ent-
hält, ist zu prüfen und für die Behörden zur Einsicht vorzubereiten. Der Device
Master Record (DMR), der alle Fertigungsdokumente enthält, ist einem Review zu
unterziehen und freizugeben. Gebrauchs- und Serviceanleitungen sowie die Mar-
keting-Dokumentation sind fertigzustellen und freizugeben.
Alle diese Punkte sind von der jeweiligen Organisation abhängig; die Projektlei-
For personal use only.

tung sollte sich bewusst sein, dass auch diese Aktivitäten in ihrer Planung enthal-
ten sein müssen.

TIPP:
Besonders bei neuen Produkten empfiehlt sich die Durchführung eines Reviews
nach Vorliegen von Kundenerfahrungen mit dem Produkt meist nach einer Zeit-
spanne von einem halben bis einem Jahr nach Freigabe. Aufgetretene Probleme,
Fehler und Verbesserungsvorschläge können im Sinne der kontinuierlichen Ver-
besserung zur weiteren Produktpflege analysiert werden.

„ 4.4 Weg zu den Eckpunkten:


­Entwicklungsphasen

4.4.1 Vorgehen nach einem Entwicklungsmodell


Entwicklungsmodelle wie das Wasserfallmodell (Bild 4.2) oder das V-Modell (Bild
4.3) haben ihren Ursprung in der Softwareentwicklung. Die einzelnen Elemente
stellen Phasen oder Eckpunkte im Entwicklungsablauf dar.
106 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Bild 4.2 
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Wasserfallmodell der FDA


For personal use only.

Bild 4.3 V-Modell für das Beispiel Software

Dabei stellen die Phasenergebnisse einer Phase bindende Vorgaben für die fol-
gende Phase dar. Auch auf die Systementwicklung, also wenn es mehrere Fachge-
biete zu koordinieren gibt, lassen sich solche Modelle gut anwenden. Sie müssen
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 107

jedoch um die Abhängigkeiten der einzelnen Entwicklungsteile zueinander erwei-


tert und ergänzt werden.
Bei grundlegenden Neuentwicklungen, also wenn zu Beginn der Entwicklung die
Anforderungen an das Produkt und die Anwendungsfälle nicht vollständig be-
schrieben werden und endgültige Anforderungen erst mithilfe von Entwicklungs-
mustern in mehreren Durchläufen definiert werden können, macht es zumindest
bis zur vollständigen Systembeschreibung Sinn, nach dem Spiralmodell vorzuge-
hen [4.4], das von Boehm bereits 1986 für die Entwicklung komplexer Softwaresys-
teme entworfen wurde (Bild 4.4). Einfachere Projekte, etwa die Entwicklung von
Nachfolgeprodukten oder Updates, wird man besser nach dem V-Modell oder dem
Wasserfallmodell planen.
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For personal use only.

Bild 4.4 Spiralmodell nach Boehm

Die FDA empfiehlt eine Vorgehensweise nach einem der Modelle, und diese sollte
auch über den Design History File nachvollziehbar sein.
Jedenfalls sollte sich die Projektleitung mit dem Team auf ein Modell als Teil der
Entwicklungsstrategie einigen und dieses konsequent verfolgen. Mischformen
können nach genauer Abgrenzung und Beschreibung sinnvoll sein.
108 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Aber auch agile Methoden, die vornehmlich bei Software-Entwicklungen zum Ein-
satz kommen, werden zunehmend vermehrt eingesetzt (siehe dazu auch Kapitel 5,
Software als Medizinprodukt).

4.4.2 Design- und Entwicklungsphasen


In der Literatur findet man kaum Beschreibungen, wie man die Entwicklung eines
neuen Produkts durchführen soll, wenn man von der Beschreibung von Einzelpro-
zessen absieht. Es wird oft der Kreativität der Entwicklung überlassen, aus weni-
gen Anforderungen oder gar aus Darstellungen, wie man sich ein Produkt (aus
dem Vergleich zum Mitbewerber) vorstellt, ein erfolgreiches neues Produkt zu
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­kreieren. Erfahrene Entwicklungsteams können mit diesem Problem umgehen,


schreiben oft selbst Lasten- und Pflichtenhefte, nutzen Lösungen und Teile, die für
ein früher entwickeltes Produkt generiert wurden, und haben dadurch Ansätze für
die Realisierung. Was aber, wenn die Erfahrung nicht vorhanden ist oder ein voll-
ständig neues Produkt entwickelt werden muss? Auf diese Frage wird versucht, in
den folgenden Abschnitten eine Antwort zu finden.
For personal use only.

4.4.2.1 Analysephase
In dieser Phase sind die Produktidee vom technischen und wirtschaftlichen Stand-
punkt und die Machbarkeit zu prüfen. Nach Vorliegen der Produktidee sind die
damit verbundenen Kunden-/Benutzeranforderungen und Anwendungsfälle zu
­beschreiben. Die Anforderungen werden gelistet, detailliert, Randbedingungen be-
schrieben und mit implizit darin enthaltenen Teilanforderungen.
Folgende Anforderungskategorien sind zu berücksichtigen:
ƒ Kunden und Benutzer (diese können unterschiedlich sein) sowie deren Nut-
zungsanforderungen
ƒ gesetzliche Vorgaben (gültige Normen sowie Gesetze einzelner Länder),
ƒ Marketing (Business-Anforderungen),
ƒ organisatorische Anforderungen (Betreiber),
ƒ fachliche Anforderungen,
ƒ Herstellung und Logistik,
ƒ Qualität.
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 109

BEISPIEL:
Anforderung: „Ein Analysator (zur Messung von Blutparametern) wird in Europa
vermarktet.“
Eine implizit enthaltene Unteranforderung ist die Einhaltung der einschlägigen
Normen, unter anderem die der elektrischen Sicherheit. Nun ist unter Berücksich-
tigung der Anwendungsfälle zu klären, ob das Gerät mit Netzspannung oder an-
derer Energieversorgung betrieben werden soll. Daraus ergibt sich nun eine
Mehrzahl von konstruktiven Vorschriften, die Detailanforderungen darstellen und
eine Abhängigkeit zur ursprünglichen Anforderung besitzen.
Weitere Anforderungen betreffen beispielsweise die Größe und das Gewicht des
Geräts. Dabei kann es vorkommen, dass eine solche Anforderung im Widerspruch
zu einer anderen Anforderung oder abgeleiteten Detailanforderung steht. Dazu
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bedarf es Entscheidungsregeln, welcher der beiden Anforderungen der Vorrang


gegeben werden soll. Alternativ dazu könnte eine Machbarkeitsanalyse angesetzt
werden, in der versucht wird, durch Ausarbeitung von technischen Lösungen beide
Anforderungen gleichermaßen zu erfüllen.

Die Realisierbarkeit muss durch eine Projektrisikoanalyse über den gesamten Pro-
duktlebenszyklus möglich sein hinsichtlich
For personal use only.

ƒ der technischen Machbarkeit mit Erreichung der geforderten Spezifikationen


durch das ausgearbeitete Konzept für die Systemarchitektur,
ƒ des wirtschaftlichen Erfolgs und der Vermarktung unter Berücksichtigung des
Erkennens von günstigen Gelegenheiten,
ƒ der Akzeptanz für das Produktrisiko unter Berücksichtigung des Design­
konzepts (mit einer Produktrisikoanalyse müssen Risiken erhoben werden, die
mit der Anwendung des Produkts potenziell verbunden sind; hinzu kommen
Risiken, die durch das gewählte Design entstehen könnten),
ƒ Herstellungstechnologien (und Verfügbarkeit von Zukaufkomponenten).
Mit der abschließenden Planungsphase ist zu prüfen, ob das Produkt durch die Ent-
wicklung im gewünschten Zeitfenster zur Verfügung gestellt werden kann. Voraus-
setzung dafür ist die gegebene technische Machbarkeit mithilfe eines Entwurfs für
die Systemarchitektur.

4.4.2.2 Erstellung des Designs und der Systemarchitektur


Der erste Schritt zur Erstellung des Designs (Ableitung des Designkonzepts und
der Systemarchitektur) ist die Ableitung aller notwendigen Funktionen aus Anfor-
derungen und Anwendungsfällen, die das geplante Produkt erfüllen soll. Der
nächste Schritt ist die Zuordnung dieser Funktionen zu Funktionseinheiten. Dabei
kann eine Funktionseinheit eine bestimmte oder mehrere Funktionen überneh-
men oder auch nur eine Teilfunktion, wie in Bild 4.5 schematisch dargestellt. Nach
110 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Abschluss dieses Schritts folgt die Überprüfung, ob die Funktionen mit der ge-
wählten Aufteilung vollständig und hinreichend erfüllt werden können. Danach
erfolgt die Kontrolle, ob damit auch alle Anforderungen und gewünschten Spezifi-
kationen des zukünftigen Produkts eingehalten werden können und diese auch für
die gedachten Anwendungsfälle geeignet sind.
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For personal use only.

Bild 4.5 Zuteilung von einzelnen Funktionen zu Funktionseinheiten

Das Prinzip des Design Input – Festlegung der Anforderungen und Spezifikationen
für das Produkt/System – ist auch auf Systemkomponenten und Module anzuwen-
den. Auch für diese sind Spezifikationen und Subspezifikationen zu beschreiben,
damit im späteren Verlauf der Entwicklung der Design Output für alle Komponen-
ten und Teile nachgewiesen werden kann.
Mithilfe geeigneter Methoden (z. B. der FMEA-Methode, Details siehe Kapitel 2,
Risikomanagement) ist zu prüfen, ob durch die gewählte Zusammenfassung von
Funktionen in die Funktionseinheiten unerwünschte Funktionen als Nebenwir-
kungen entstehen könnten, die der gewünschten Gesamtfunktion hinderlich sein
könnten (siehe Bild 4.6, Pfeile e).
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 111

Es ist wahrscheinlich, dass es mehrerer Durchläufe bis zur Erreichung eines er-
folgversprechenden Konzepts bedarf. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, Mach-
barkeitsstudien durchzuführen. Jedenfalls sollte nicht mit den weiteren Entwick-
lungsschritten begonnen werden, bevor nicht vorbehaltlos von allen Fachgebieten
die Zustimmung zum Konzept gegeben wurde. Abschließend kann für die einzel-
nen Funktionseinheiten das Design erstellt werden.

TIPP:
Die einzelnen Konzepte, zusammen mit ihren Vor- und Nachteilen, sind sorgfältig
zu dokumentieren. Zum einen ist die Konzeptbeschreibung ein (gesetzlich gefor-
derter) Teil der Basisdokumentation, zum anderen kann im Fall von Problemen
und daraus resultierenden Konzeptänderungen auf das erarbeitete Wissen zurück-
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gegriffen und somit Doppelarbeit vermieden werden.


Üblicherweise wird die Top-down-Strategie angewendet, um das Design der Sys­


temarchitektur über die Funktionalitäten zu erarbeiten und damit das Design der
einzelnen Funktionseinheiten zu konzipieren.
Wenn für die Realisierung einer bestimmten Funktion aus Gründen eingeschränk-
ter Technologieverfügbarkeit an die Grenze der Machbarkeit gegangen werden
For personal use only.

muss, empfiehlt sich die Ausrichtung der Entwicklungsstrategie auf diese be-
stimmte Funktion. In einem solchen Fall dominieren die Randbedingungen für
diese Funktion das Gesamtdesign, und die anderen Funktionseinheiten müssen
möglichst diese Randbedingungen berücksichtigen. Keinesfalls dürfen allerdings
bei dieser Vorgehensweise die ursprüngliche Zweckbestimmung und die Kunden-
und Benutzeranforderungen für das Produkt außer Acht gelassen werden.
Eine laufende Überprüfung der Kette Anforderungen  – (Soll-)Spezifikationen  –
Teilspezifikationen bis zum Design hat in dieser Phase die vollständige Erreichung
der Spezifikationen und Anforderungen zu gewährleisten. Diese Vorgehensweise
wird anschaulich im erweiterten V-Modell durch das Feedback auf die vorherge-
hende Ebene dargestellt (siehe Bild 4.6, Pfeile a bis d).
Das Ziel dieser Phase ist eine genaue Beschreibung der Funktionseinheiten unter
Berücksichtigung der Schnittstellen und gegenseitigen Anforderungen vonseiten
der anderen Funktionseinheiten.
Mithilfe von FMEAs oder anderen Analysemethoden werden die gegenseitigen Ab-
hängigkeiten und Einschränkungen der Module/Funktionseinheiten untereinan-
der ermittelt (siehe Bild 4.6, Pfeile e).
112 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Kunden- und
Benutzeranforderungen

a Vorläufige Produkt-
j Akzeptanztest
anforderungen
(Validierung)
(Lastenhe)

b
Produktspezifikaonen h Systemtest
(Pflichtenhe) (Verifizierung)
System

c
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FMEAs Tests

e f
Subsystem- g Integraon/
spezifikaonen Modultest

d
Nachweis der
Unit- Spezifikationen
Unit-Test
Spezifikaonen
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Entwicklung

Funkonseinheit 1

Funkonseinheit 2
Funkonseinheit 3

Bild 4.6 Erweitertes V-Modell mit Darstellung mehrerer Funktionseinheiten

BEISPIEL:
Software und Sensorik
Biosensoren weisen oft nicht ideale Eigenschaften wie Drift- oder Memory-Effekte
auf. Bei einem Analysator für die Messung von Biosignalen verhindern solche
Effekte oft die direkte Erreichung von Spezifikationen hinsichtlich Genauigkeit
und Richtigkeit. Mithilfe von Software können derartige Fehler z. B. durch konti-
nuierliche Aufzeichnung des Signalverlaufes und Berücksichtigung des vorherge-
henden Verlaufes des Sensorsignals korrigiert werden. Mit solchen Maßnahmen
lässt sich die Genauigkeit und Reproduzierbarkeit in die gewünschten Spezifika-
tionen bringen, auch wenn der Algorithmus einer solchen Korrekturfunktion einer
sorgfältigen Validierung bedarf. In der Software muss jedoch die kontinuierliche
Speicherung des Sensorsignalverlaufs als zusätzliche Anforderung berücksichtigt
werden.
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 113

Als weiteres Beispiel sei die Temperaturempfindlichkeit von Drucksensoren ge-


nannt. Ein zusätzlicher Temperatursensor mit ausreichender Genauigkeit erlaubt
die Kompensation dieser nicht idealen Eigenschaft; es bedarf aber einer Berück-
sichtigung dieser „Zusatzfunktion“ im gesamten System vonseiten der Hardware,
der Konstruktion und der Software.

Diese Beispiele sollen deutlich machen, wie wichtig die Erfassung und Berücksich-
tigung von gegenseitigen Anforderungen von Funktionseinheiten in der Konzept-
phase ist. Wenn man erst zu einem späteren Entwicklungszeitpunkt, z. B. nach der
Systemverifizierung feststellt, dass die zulässige Toleranz für Richtigkeit/Genauig-
keit nicht erreicht wurde, bedeutet das eine Kette von Änderungen und damit Ver-
zögerungen bei der Fertigstellung des Projekts.
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4.4.2.3 Detaildesign
Das Detaildesign bedeutet die Umsetzung der den einzelnen Funktionseinheiten
zugeordneten Konzepte in ein Detailkonzept. Hier erfolgt die Funktionsanalyse al-
ler Komponenten und Bauteile, die bei der Realisierung verwendet werden sollen.
Welche weiteren Funktionen und Eigenschaften besitzen diese? Sind unerwünschte
Eigenschaften denkbar, die es zu kompensieren oder auszuschalten gilt?
For personal use only.

Wenn die Gefahr besteht, dass das Detaildesign eines Moduls „Überraschungen“,
also neue Voraussetzungen (d. h. Anforderungen) an andere Module bringt, sollte
nicht an der Realisierungsphase weitergearbeitet werden, bevor diese Fragen nicht
geklärt sind. Erst mit der Festlegung des Detaildesigns darf das Gesamtdesign be-
stätigt und als bindende Vorgabe für die weiteren Entwicklungsschritte angesehen
werden. Gleichzeitig sind mit diesem Schritt die Zuteilung aller Anforderungen/
Spezifikationen und Subspezifikationen zu den einzelnen Funktionseinheiten und
damit die Festlegung der Verantwortlichkeiten definiert.

TIPP:
Der Einsatz von käuflichen Requirement-Tools zur Verwaltung von Anforderungen/
Spezifikationen und Subspezifikationen ist zumindest bei größeren Projekten
ratsam, nicht nur bei Softwareprojekten.

4.4.2.4 Realisierungsphase
Wenn das Design sorgfältig vorbereitet und beschrieben wurde, kann die Realisie-
rung den Fachleuten überantwortet werden; schließlich stellen die Detailanforde-
rungen eindeutige Vorgabedokumente für die Funktionseinheiten und Module dar.
Üblicherweise ist von den Entwicklern eines Moduls auch die Erfüllung der Detail-
spezifikationen durch entsprechende Funktionsprüfungen zu testen. Die Prüfung
114 4 Entwicklung von Medizinprodukten

jener Detailanforderungen, die von anderen Modulen gestellt wurden und nur zu-
sammen mit diesen geprüft werden können, muss dem nachfolgenden Systemtest
zur Verifizierung überantwortet werden. Es macht aber Sinn, diese vorab durch
eine Simulation zu prüfen.
Sollten sich bei der Realisierung Probleme bei der Erreichung von Subspezifikatio-
nen ergeben, muss das gesamte Team informiert und gemeinsam eine Alternativ-
lösung gesucht werden.

4.4.2.5 Designverifizierung
Unter Designverifizierung versteht man die Überprüfung der bei Design Input
­festgelegten Spezifikationen eines Produkts (Systems) unter Berücksichtigung der
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definierten Rand- und Umgebungsbedingungen durch geeignete Prüfungen/Mess-


methoden nach einem vordefinierten Testplan. Dabei ist durch die Wahl einer
­geeigneten Messmethode abzusichern, dass die einzelnen Spezifikationen und
­Eigenschaften ohne Verfälschungen durch unerwünschte Parameter oder Effekte
spezifisch ermittelt werden können. Bei der Wahl der Prüflinge ist zu berücksichti-
gen, dass Einflüsse von fertigungsbedingten Toleranzen eliminiert werden.
Für die Designverifizierung, also in erster Linie die Prüfungen für den Design Out-
For personal use only.

put, müssen Prozessbeschreibungen vorliegen, die die Auswahl der Testmethoden


einschließlich der Auswahl der Anzahl der Prüflinge sowie den Inhalt der Test-
pläne und der Testprotokolle regeln.
Die Unit-Tests werden von der jeweiligen Entwicklungsgruppe im Regelfall als
white box-Test (Identifizierung von fehlerauslösenden Komponenten) durchge-
führt; die Subspezifikationen werden zumeist mit black box-Tests (funktionsorien-
tiertes Testen) überprüft (siehe Bild 4.6, Pfeil g). Zu beachten sind auch die Tests
für das Zusammenspiel der einzelnen Funktionseinheiten mit den wechselseitigen
Abhängigkeiten und Spezifikationen (siehe Bild 4.6, Tests f).
Die Verifizierung der Systemspezifikationen kann erst nach dem Zusammenfügen
des Systems aus allen Systemkomponenten begonnen werden, also wenn alle ein-
zelnen Systemkomponenten ihre Detailspezifikationen nachweislich erfüllen. Zu
diesen Prüfungen gehört auch die Bestätigung der Normenkonformität, also unter
anderem die Prüfungen zur elektrischen und mechanischen Sicherheit, für den
Transport und die Lagerung (siehe Bild 4.6, Pfeil h).
Wenn die Prüfung einer Spezifikation für das Gesamtsystem durch die Prüfung
eines oder weniger zusammengefügter Module aussagekräftig ist (z. B. Hardware
und Software), kann diese als Nachweis herangezogen werden; die Begründung
dazu sollte dokumentiert werden.
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 115

TIPP:
Beginnen Sie mit der Erstellung der Testpläne und dem Design der Testfälle bereits
nach Vorliegen der Produktspezifikationen. Dadurch kann die eindeutige Formu-
lierung der Spezifikationen und vor allem ihre Testbarkeit frühzeitig überprüft und
gegebenenfalls die Formulierung der Anforderungen korrigiert werden.
Das Verifizierungsteam kann bereits unmittelbar nach Vorliegen der Lasten-/
Pflichtenhefte mit der Arbeit beginnen (Planung, Testkonzepterstellung, Testplan­
erstellung, Testtool-Entwicklung etc.).

Nach Durchführung von Änderungen an dem Produkt müssten alle Tests wieder-
holt werden, weil die Änderungen einen Einfluss auf die Spezifikationen haben
könnten. Wenn begründet werden kann, dass eine Modifikation mit hoher Wahr-
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scheinlichkeit keinen Einfluss auf das Testergebnis hat, kann das ursprüngliche
Testergebnis weiterhin als gültig betrachtet werden. Dies ist zu dokumentieren.
Zumeist werden bestimmte, relevante Tests nach jeder Änderung wiederholt, ähn-
lich wie dies für Software mit Regressionstests gehandhabt wird.

4.4.2.6 Design Transfer
Als Design Transfer bezeichnet man die Übertragung der Herstellmethoden der
For personal use only.

Entwicklung zu den Serienproduktionsprozessen, die für die zu erwartenden Pro-


duktionsstückzahlen geeignet sein müssen. Abhängig von der Art und der geplan-
ten Stückzahl des Produkts kann der Design Transfer einen größeren Zeitraum be-
nötigen. In den meisten Fällen (Ausnahmen könnten bei Elektronikmodulen
gemacht werden) sind Tests und Designverifizierung mit den in der Serie herge-
stellten Teilen zu wiederholen; diese sind also dann auch Teil des Design Transfers.
Der Design Transfer mit der Entwicklung der Serienproduktionsanlagen, der Werk-
zeuge, Hilfsmittel und der Fertigungsdokumentation kann gestartet werden, wenn
die von der Entwicklung erstellten Prototypen die bei Design Input beschriebenen
Spezifikationen nachweislich erfüllen. Oft kann es daher sinnvoll sein, Machbar-
keitsstudien für Produktionsprozesse bereits früher zu beginnen.
Die FDA verlangt Prozessbeschreibungen für den Design Transfer. Durch diese
muss sichergestellt werden, dass das Design des Produkts korrekt in die Serien-
produktion übertragen wird. Projekt- oder produktspezifische Anweisungen sind
generischen Design Transfer-Beschreibungen vorzuziehen.
Der Design Transfer beinhaltet auch die Produktion von Pilotserien, die die Beherr-
schung des Produktionsprozesses für die vorgesehene Produktionsmenge oder
Losgröße beweisen soll. Mit Exemplaren aus diesen Pilotserien sollte die Design­
validierung des Produkts vorgenommen werden.
Der Design Transfer wird mit einem Review abgeschlossen, bei dem die Produktion
die Beherrschung der Produktionsprozesse unter den gewünschten und verein­
116 4 Entwicklung von Medizinprodukten

barten Rahmenbedingungen (Stückzahl, Ausbeute, Qualitätskriterien) bestätigt.


Daher ist bei diesem Review zu achten auf:
ƒ Vollständigkeit und Angemessenheit der Produktionsanweisungen (die FDA
verwendet den Begriff production specifications),
ƒ Erfüllung der Design Input-Anforderungen und -Spezifikationen durch die Pilot­
serien,
ƒ Freigabe aller Produktions- und Herstellanweisungen,
ƒ Freigabe der Produktionswerkzeuge und Hilfsmittel (einschließlich deren Vali-
dierung).

BEACHTE:
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Die Entwicklung einer Produktionsanlage oder eines Werkzeugs für die Serienpro-
duktion stellt zumeist ein eigenes Projekt dar. Die Vorgehensweise ist ähnlich wie
bei der Produktentwicklung und beginnt bei der Definition der Anforderungen.
Nach Analyse, Design und Realisierung sind daher die Spezifikationen zu testen,
und die Gebrauchstauglichkeit der Anlage ist durch Prüfungen der Anforderungen
zu validieren (siehe auch Kapitel 8, GEP/GMP-konforme Produktionsanlagen).

For personal use only.

4.4.2.7 Designvalidierung
Unter Designvalidierung versteht man die Bestätigung durch Überprüfung, dass
ein Produkt für den angegebenen Einsatzzweck in der Praxis geeignet ist (siehe
auch Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung). Im engeren Sinn sind die Ge-
brauchstauglichkeit und die Kundenanforderungen im Kundenumfeld unter Be-
dingungen, die bei der Anwendung denkbar sind, durch geeignete Methoden nach-
zuweisen. Die Methoden sind so zu wählen, dass Richtigkeit und Genauigkeit der
zu ermittelnden Parameter sowie die Gebrauchstauglichkeit und Sicherheit durch
die Ausschaltung von denkbaren Unsicherheiten und Erfassungsfehlern gewähr-
leistet sind.
Zumeist muss auch der Ausbildungsstand der zukünftigen Benutzer berücksich-
tigt werden. Bei den Prüfungen zur Designvalidierung sind daher auch denkbarer
Fehlgebrauch und Fehlbedienung zu beachten, insbesondere, wenn Restrisiken
(aus der Produktrisikoanalyse) durch Designmaßnahmen nicht ausreichend redu-
ziert werden konnten (siehe [4.16]).
Im V-Modell ist die Designvalidierung durch den obersten horizontalen Pfeil zwi-
schen Anforderungen und Akzeptanztest dargestellt (siehe Bild 4.6, Pfeil j).
Auch für die Designvalidierung muss eine Prozessbeschreibung vorliegen. Für
diese Validierung müssen Produktmuster aus gültigen Produktionslosen einge-
setzt werden. Dabei müssen so viele Produktexemplare verwendet werden, dass
Schwankungen durch Fertigungstoleranzen abgedeckt und vernachlässigbar sind.
4.4 Weg zu den Eckpunkten: ­Entwicklungsphasen 117

Die Designvalidierung erfolgt nach einem vordefinierten Validierungsplan und


kann erst mit dem fertigen Produkt (oder Äquivalent) nach positiv abgeschlosse-
ner Designverifizierung vorgenommen werden. Bei der Designvalidierung ist dar-
auf zu achten, dass alle Systembestandteile erfasst werden, also auch Zusatzsoft-
ware, benanntes Zubehör und die Gebrauchsanweisung.
Nach Änderungen am Produkt oder einer seiner Systembestandteile ist die ge-
samte Validierung erneut durchzuführen. Nur wenn (dokumentiert) begründet
werden kann, dass eine vorgenommene Änderung – wie beispielsweise die Behe-
bung von Fehlern  – keinen negativen Einfluss auf weitere Funktionen des Pro-
dukts haben kann, kann die neuerliche Designvalidierung ganz oder teilweise
weggelassen werden. Zumeist wird man aber einen Basistest durchführen müssen.
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4.4.2.8 Design History
Nicht nur die FDA, sondern auch die europäischen Richtlinien verlangen die Auf-
zeichnung der Entwicklungsgeschichte und der Entwicklungsergebnisse. Wäh-
rend die FDA einen Design History File  – die Aufzeichnung des Weges zu den
Entwicklungsergebnissen  – fordert, sind in den europäischen Verordnungen/
­
Richtlinien in den „Grundlegenden Anforderungen“ (Essential Requirements)/
Grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen (GSPR) oder auch in der ISO
For personal use only.

13485:2016, Kap. 4.2.3, praktisch gleichwertige Dokumentationsanforderungen


beschrieben. Konkret sind zu dokumentieren (Details sind den Essential Require-
ments der einschlägigen europäischen Richtlinien zu entnehmen):
ƒ Einsatzzweck des Produkts (Beschreibung des Intended Use/Purpose),
ƒ Anforderungen und ihre Detaillierung mit Spezifikationen und Subspezifika­
tionen,
ƒ Entwicklungs- und Projektplan (mit Verantwortlichkeiten),
ƒ Realisierungskonzepte,
ƒ Designbeschreibung und Funktionsweise,
ƒ Konstruktionszeichnungen, Berechnungen, Berechnungsgrundlagen, Schalt-
pläne, source codes,
ƒ Herstellbeschreibungen (Prozessbeschreibungen),
ƒ Testpläne für die Designverifizierung und Designvalidierung,
ƒ Nachweise der Erfüllung aller Produktspezifikationen und Eigenschaften un-
ter Berücksichtigung der zu erwartenden, definierten Einsatzbedingungen,
Umwelteinflüsse und der Lebensdauer/Verbrauchsdauer (einschließlich Trans-
port und Lagerung),
ƒ bei Produkten mit Messfunktion(en) Nachweise der Stabilität, Reproduzier­
barkeit, der angemessenen Genauigkeit, auch unter Einfluss von normierten
118 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Umgebungsbedingungen (wie Temperatur, Druck, elektromagnetische Ver-


träglichkeit etc.) und nach dem Transport,
ƒ Nachweis, dass das Produkt mit Zubehör und Verbrauchsmaterial für Pati-
enten, Anwender und Dritte sicher ist (Produktrisikoanalyse und Nachweise
der Beseitigung oder Verminderung von potenziellen Risikopunkten unter Be-
rücksichtigung von Transport, Lagerung, Reinigung, Dekontamination und
Entsorgung),
ƒ Nachweis der Sicherheit für Anwender, Patienten und Dritte gegenüber elektri-
schen, mechanischen, thermischen Gefahren und Strahlung und nach Auftre-
ten von denkbaren Fehlern und gegebenenfalls Folgefehlern,
ƒ Ergebnisse über die Designvalidierung,
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ƒ Liste der einzuhaltenden Normen/Standards und die Nachweisdokumente


­dafür,
ƒ Umweltverträglichkeit des Produkts, der verwendeten Materialien, einschließ-
lich der Verpackung und des Zubehörs,
ƒ Nachweis der Eignung für Desinfektion/Sterilisierung, Biokompatibilität (falls
zutreffend),
For personal use only.

ƒ Kennzeichnung und Beschreibung des Produkts mit Zubehör und Verbrauchs-


materialien.
Änderungen (an den angeführten Dokumenten und/oder Konzepten) müssen
nachvollziehbar und begründet sein. Der gültige Dokumentationsstand muss für
jedes Systemteil klar erkennbar sein, siehe auch Kapitel 1, QM-Systeme.

„ 4.5 Prozesse für die Entwicklung

4.5.1 Projektmanagement
In einem Entwicklungsprojekt kommt dem Projektmanagement die Bedeutung des
übergeordneten und umfassenden Rahmenprozesses zu. Zweck des Projektma-
nagements sind die Erfassung, Festlegung, Koordination und Überwachung aller
Aktivitäten, Aufgaben und Ressourcen für eine Produktentwicklung unter gegebe-
nen Anforderungen und Randbedingungen.
In der Literatur findet man viel über Projektmanagementmethoden (siehe [4.6], [4.7]
und [4.10]). Darüber hinaus findet man im Internet wertvolle Informationen, unter
anderem von der GPM (Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement), über Mo-
delle, Strukturen und Techniken zum Projektmanagement. Die ausführlichsten Be-
4.5 Prozesse für die Entwicklung 119

schreibungen, Anleitungen und Methoden für das Projektmanagement gibt es wohl


für Softwareprojekte (siehe [4.6] und [4.7]). Hingegen ist die Literatur für Systempro-
jekte, also multidisziplinäre Projekte, spärlich. Am ehesten findet man in bestimm-
ten Normen Anregungen für Vorgehensweisen wie in [4.8], obwohl auch diese Norm
vornehmlich auf die Softwareentwicklung ausgerichtet ist. Daher soll hier nur auf
die wesentlichen Elemente für Entwicklungsprojekte eingegangen werden, die für
die Zulassung von Medizinprodukten unumgänglich sind und einen effizienten Ent-
wicklungsablauf gewährleisten. Software ist hierbei eine Teildisziplin.
Am Anfang steht die Produktidee, die zumeist von einem Stakeholder oder vom
Marketing aufgegriffen wird. Für die Einleitung der weiteren Schritte ist dann eine
Projektleitung, ein Verantwortlicher, zu definieren. Der folgende Schritt sind die
Konkretisierung des Intended Use/Intended Purpose und die Definition der Rand-
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bedingungen, unter denen das Produkt angewandt und betrieben wird und funkti-
onieren soll. Dieser wichtige Schritt bedeutet die Formulierung der Zielsetzung für
das Projekt. Die Detaillierung der Anforderungen wird dann im Rahmen des An-
forderungsmanagements vorgenommen.

4.5.1.1 Projektmanagement als übergeordneter Prozess


Dem Projektmanagement obliegt die gesamte Organisation eines Entwicklungs-
For personal use only.

projekts, vom Aufgreifen der Produktidee bis zur Freigabe des Produkts für die
Vermarktung. Die erforderlichen Aktivitäten für die erfolgreiche Entwicklung
­eines Produkts (oder einer Dienstleistung) sind zu koordinieren. Daher kann der
Prozess Projektmanagement als übergeordneter Hauptprozess angesehen werden
(siehe [4.8]).
Die Verantwortlichkeit des Projektmanagements beginnt mit der Ernennung der
Projektleitung und endet (frühestens) mit der Freigabe des Produkts für die Ver-
marktung und der Entlastung der Projektleitung.
Der erste zu initiierende Prozess ist das Anforderungsmanagement, also die detail-
lierte Beschreibung der gewünschten Eigenschaften des Produkts zusammen mit
dem beabsichtigten Einsatzzweck. Dazu müssen alle Wünsche gesammelt und mit
zusätzlichen Erklärungen und Randbedingungen detailliert werden.
In weiterer Folge müssen die gesammelten Wünsche mithilfe von Spezialisten ana-
lysiert und hinterfragt sowie mit Geschäftszielen, Qualitätszielen und allgemeinen
Anforderungen wie Vorschriften und Normen ergänzt werden. Erst nach Vorliegen
einer Sammlung von groben Anforderungen können die erforderlichen Ressour-
cen zusammengestellt und mit ihnen erste Realisierungskonzepte erarbeitet wer-
den. In einem iterativen Prozess sind Ungereimtheiten und Konflikte von Anforde-
rungen auszuräumen und ist die Beschreibung von Anforderungen nachzubessern.
Daher ist die nächste Aufgabe der Projektleitung die Zusammenstellung des
Teams: Welche und wie viele Kapazitäten aus verschiedenen Fachgebieten sind in
120 4 Entwicklung von Medizinprodukten

den einzelnen Projektphasen erforderlich, um die Realisierung des Projekts in der


gewünschten, vereinbarten Zeit zu gewährleisten (siehe [4.9])?
Unter Berücksichtigung von vorhandenen Randbedingungen und Gegebenheiten
innerhalb der Organisation sind alle weiteren Aktivitäten zu identifizieren, aufzu-
listen und zu den geeigneten Zeitpunkten zu initiieren. Zu diesen Aktivitäten ge-
hören die Planung, das Anforderungs- und Risikomanagement, das Design für die
Systemarchitektur, das Detaildesign, das Engineering, die Verifizierung von Sys-
temkomponenten und des Gesamtsystems, die Designvalidierung und der Transfer
in die Produktion.
Die Planung der Dokumentation der gesamten Entwicklungshistorie und des Än-
derungs- und Konfigurationsmanagements sind weitere Voraussetzungen für eine
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sorgfältige Projektdurchführung. Besonderes Augenmerk ist auf eventuell notwen-


dige Machbarkeitsanalysen („Reste von fehlenden Forschungsarbeiten“) zu legen,
sie könnten einem zügigen Projektfortschritt entgegenstehen oder ihn gar verhin-
dern. Der Fortschritt der Arbeiten, zusammen mit den eingesetzten Ressourcen, ist
zu überwachen und mit dem erstellten Plan zu vergleichen, und bei Abweichungen
sind entsprechende Korrekturmaßnahmen einzuleiten und diese auf ihre Wirk-
samkeit zu überprüfen.
For personal use only.

Die Detailtiefe für die Planung ist von der Art und Komplexität des Projekts ab­
hängig und kann durch eine offene Projektrisikoanalyse untermauert werden: Bei
einem Neuentwicklungsprojekt wird beispielsweise die Anforderungsanalyse we-
sentlich aufwendiger sein und meist in mehreren Zyklen ablaufen. Bei einem
„Nachfolge“-Projekt hingegen werden die neuen, zusätzlichen Anforderungen vor-
wiegend hinsichtlich potenzieller Konflikte zu bestehenden Anforderungen zu un-
tersuchen sein.

4.5.1.2 Aufgaben der Projektleitung


Die Aufgaben der Projektleitung sind aus den Teilprozessen abzuleiten. Es müssen
folgende Ergebnisse über den Projektverlauf gesichert werden:
ƒ Umfang und Art aller anfallenden Arbeiten sind definiert, daraus werden die
erforderlichen Ressourcen abgeleitet.
ƒ Festlegung der Entwicklungsstrategie (z. B. Entwicklungsmodell, Vorgehens-
strategie, Konzept für die Reihenfolge der Arbeiten).
ƒ Die Erreichung der Projektziele unter den gegebenen Randbedingungen und
Einschränkungen sind bewertet und potenzielle Risiken im Projektablauf ab-
geschätzt. Die Risiken sind zusammen mit den Auftraggebern als akzeptabel
eingestuft.
ƒ Die Schnittstellen und Abhängigkeiten (zeitlich und inhaltlich) zwischen den
Projektabschnitten und den Teilprozessen sind beschrieben. Gegebenenfalls
4.5 Prozesse für die Entwicklung 121

sind auch die Schnittstellen zu anderen Projekten und Organisationseinheiten


beschrieben und überwacht.
ƒ Projektplan: Pläne für die Durchführung und Abarbeitung der anfallenden Ar-
beiten sind unter Berücksichtigung der gegenseitigen Abhängigkeiten von Er-
gebnissen ausgearbeitet, mit dem Projektteam vereinbart und in Kraft gesetzt.
ƒ Verantwortlichkeiten für alle anfallenden Tätigkeiten, Koordinationsfunktio-
nen, Prozesse (siehe Abschnitt 4.2) sind definiert, und auch diese Arbeiten
sind im Projektplan integriert.
ƒ Der Arbeitsfortschritt wird durch Vergleich mit dem Plan laufend überwacht
und an die Auftraggeber in vereinbarter Weise berichtet. Aktivitäten zur Kor-
rektur von Abweichungen gegenüber dem Plan sind eingeleitet. Die Ursachen
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von Abweichungen sind identifiziert und Maßnahmen gegen ein wiederholtes


Auftreten solcher Probleme eingeleitet, sofern die Gefahr besteht, dass Projekt-
ziele nicht erreicht werden können.
ƒ Die Zusammenarbeit und Kommunikation innerhalb des Projektteams ist ge-
währleistet, potenzielle Konflikte sind ausgeräumt.

4.5.1.3 Die Evaluierung der Machbarkeit des Projekts


For personal use only.

Zu den Randbedingungen, die zur Bewertung der Machbarkeit eines Projekts ge-
hören, zählen:
ƒ Verfügbare Zeit für die Entwicklung unter Berücksichtigung der gesamten Zeit
bis zur Marktreife und damit die
ƒ verfügbaren Budgetressourcen unter Berücksichtigung von
ƒ Personalressourcen: vorhandene Kompetenz, also Erfahrung, Ausbildung, Wis-
sen und die Anzahl der vorhandenen Projektmitarbeiter mit ihrer Verfügbar-
keit zur gewünschten Zeit im Projektablauf; Kompetenz, die rekrutiert oder
mithilfe von Schulung und Weiterbildung aufgebaut werden muss; Kompetenz,
die extern durch Zukauf von Entwicklungsleistungen beschafft werden muss.
ƒ Die Infrastruktur: Entwicklungstools, einschließlich einer Dokumentations-
und Projektkommunikationsplattform, auch die räumliche Situation ist zu be-
rücksichtigen, z. B. die Verfügbarkeit eines Projektraums.
ƒ Kommunikation innerhalb des Teams.
ƒ Sind alle Stakeholder mit ihren Interessen an dem Projekt bzw. dem zukünfti-
gen Produkt bekannt und haben alle Entscheidungsträger ihr klares Bekennt-
nis zu dem Projekt und dem zukünftigen Produkt gegeben? Gibt es Gegenstim-
men, die das Projekt verzögern oder gar verhindern könnten?
ƒ Überprüfung der gesetzlichen Möglichkeiten zur Marktzulassung in den beab-
sichtigten Zielmärkten.
122 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Letztlich müssen alle mittleren bis höheren Projektrisiken nach Durchführung


entsprechender Minderungsmaßnahmen als geringe Risiken bewertet werden
können. Eine sorgfältige Projektleitung überprüft und aktualisiert die Projektrisi-
koanalyse bei Änderungen des Projektumfelds, zumindest bei größeren Check-
points. Bei Veränderungen, die den Projektfortschritt gefährden könnten, sind die
Stakeholder einzubeziehen.

TIPP:
Bei der Projektrisikoanalyse sollen alle Projektteammitglieder die Möglichkeit
nutzen, ihre Bedenken gegen einen erfolgreichen Projektverlauf aus ihrer Sicht zu
äußern. Die Projektleitung sollte dabei aufmerksamer Zuhörer sein und die kriti-
schen Stimmen nicht unbeachtet lassen.
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4.5.1.4 Der Projektplan
Die Aufgabenstellung für die Erstellung eines Projektplanes könnte vereinfacht fol-
gend formuliert werden: „Wer macht was wann, und wie sind diese Aufgaben von-
einander abhängig?“ Jedes verantwortliche Projektteammitglied muss sich auch
noch über das „Wie“ der Realisierung im Klaren sein, bevor es seine Zustimmung
For personal use only.

zum Projektplan gibt; das bedeutet, es muss zu jedem Arbeitspunkt im Plan ein
dahinterliegendes Konzept geben.
Der Plan muss eine detaillierte Zuordnung von Personalressourcen zu den einzel-
nen Aktivitäten enthalten, wichtig ist auch die zusätzliche Verankerung von Ver-
antwortlichkeiten zu den einzelnen Aufgaben. Für die Verknüpfung der einzelnen
Aufgaben sind erforderliche Vorarbeiten und das Vorliegen von Ergebnissen oder
Zwischenergebnissen, die zumeist erst im Projektablauf erarbeitet werden kön-
nen, zu berücksichtigen.
Nicht vergessen werden darf die eingeschränkte Verfügbarkeit der Projektbeteilig-
ten – auch sie müssen einmal Urlaub nehmen können, Weiterbildung und Schu-
lung sind einzuplanen. Ausfälle durch Krankheiten können nicht geplant werden,
aber eine eingeplante zusätzliche Woche „Nichtverfügbarkeit“ im Jahr scheint rea-
listisch.
Die zeitgerechte Lieferung der Ergebnisse von externen Entwicklungspartnern
und Zulieferern lässt sich im Projektplan mithilfe von Checkpoints gut verankern,
damit kann der Arbeitsfortschritt bei Externen gut überwacht werden.
Ein Projektplan kann nur dann als verbindlich und realistisch angesehen werden,
wenn das uneingeschränkte Bekenntnis und die Freigabe von allen Beteiligten und
Betroffenen zum Plan bestätigt sind.
4.5 Prozesse für die Entwicklung 123

4.5.1.5 Überprüfung und Kontrolle des Projektfortschritts


Am einfachsten lässt sich dies durch einen konsequenten Soll-Ist-Vergleich mit
dem Plan durchführen. Gleichzeitig kann damit bewertet werden, ob der Plan stim-
mig und realistisch ist. Bei Ungereimtheiten soll er überprüft oder überarbeitet
werden, falls sich herausstellen sollte, dass grundsätzliche Annahmen nicht oder
nicht mehr zutreffen.
Eng verbunden ist der Fortschrittsbericht an den oder die Auftraggeber, Stakehol-
der und an das Projektteam, der in regelmäßigen Abständen verteilt wird (alle ein
bis drei Monate, abhängig von der Gesamtprojektdauer). Ergebnisse oder Teiler-
gebnisse müssen entsprechend hervorgehoben werden. Aber auch Nichterreichtes
soll offen kommuniziert werden; es empfiehlt sich jedoch gleichzeitig, getroffene
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Abhilfe-, Minderungs- oder Korrekturmaßnahmen auszuarbeiten und an alle Be-


troffenen zu kommunizieren.
Die Kostenkontrolle darf bei dem Projektfortschrittsbericht nicht fehlen, auch sie
gehört zur kontinuierlichen Überwachung der Erreichung der Projektziele.
Projektreviews nach Vollendung von größeren Projektabschnitten und Check-
points müssen (auch vonseiten der Behörden) eingeplant werden. Die empfohle-
nen Ergebnisse zu den wichtigen Meilensteinen stehen zum Download zur Ver­
For personal use only.

fügung.

4.5.1.6 Projektabschluss-Review
Nach dem Abschluss des Projekts soll ein Review mit dem Ziel „Was haben wir aus
dem Projekt gelernt, was müssen wir bei zukünftigen Projekten besser machen
und wie können wir es besser machen?“ durchgeführt werden (Lessons Learned).
Damit können die im Projekt gemachten Erfahrungen an andere Projektteams wei-
tergegeben werden. Bewährtes (z. B. Kommunikationsplattformen, Dokumenta­
tionssysteme, aber auch Pläne und Formblätter) kann – oft mit nur geringen An-
passungen – wiederverwendet werden. Gleichzeitig sind Prozessbeschreibungen
und Arbeitsanweisungen zu aktualisieren. Solche Reviews sind aus der Sicht eines
QM-Systems sowie nach der Qualitätsnorm [4.20] im Sinne des Kontinuierlichen
Verbesserungsprozesses zwingend erforderlich.

TIPP:
Vermeiden Sie Schuldzuweisungen beim Projektabschlussreview. Wenn Konflikte
ausgeräumt werden müssen, empfiehlt sich die Hilfe eines geschulten, externen
Moderators.

Ein zusätzliches Review kann nach Vorliegen von Erfahrungen aus dem Feld ins-
besondere bei Neuprodukten zur Definition von Produktverbesserungen durchge-
führt werden.
124 4 Entwicklung von Medizinprodukten

4.5.2 Qualitätssicherung in der Entwicklung


Qualität muss mit dem Produkt entwickelt werden (siehe auch Quality by Design in
der GMP), eine Qualitätskontrolle über einige wenige Parameter vor der Ausliefe-
rung zum Kunden kann für die Erreichung einer akzeptablen Produktqualität
nicht ausreichen. Voraussetzung für das Erreichen der erwarteten Produktqualität
ist die eindeutige Beschreibung und Dokumentation der Produkteigenschaften.
Man kann davon ausgehen, dass jeder Produktentwickler an einem gut funktionie-
renden Produkt interessiert ist. Trotzdem gibt es bisweilen einen scheinbaren
Konflikt zwischen den Mitarbeitern in der Qualitätsabteilung und der Entwick-
lung. Dieser resultiert wohl aus der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Ein-
heiten. QM ist prozessorientiert ausgerichtet und muss auf Regelwerke bestehen;
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die Entwicklung muss kreativ sein, und manche Entwickler fühlen sich durch
­Regeln eingeschränkt. Daher ist Fingerspitzengefühl nötig bei der Auswahl der
Person/en, die die Rolle der Qualitätssicherung während der Entwicklung eines
Produkts übernehmen.
Die Etablierung einer Qualitätssicherung während der Produktentwicklung muss
vorrangiges Ziel für Projektleitung und Stakeholder sein, wenn Nachbesserungen
am fertigen Produkt oder an der Dokumentation vermieden werden sollen.
For personal use only.

Die Qualitätssicherung hat zu gewährleisten, dass potenzielle Inspektionen durch


Behörden mit positivem Ergebnis abgeschlossen werden können.
Die Aufgaben der Qualitätssicherung in einem Projekt umfassen:
ƒ Vergleich der gelebten Prozesse mit den vorhandenen Prozessbeschreibungen
und Initiierung der nötigen Aktualisierungen bei Abweichungen,
ƒ Absicherung der Einhaltung der definierten Prozesse durch Reviews,
ƒ Beratung der Entwicklung und Hilfestellung bei der Erstellung von Prozess­
beschreibungen und Arbeitsanweisungen,

TIPP:
Bei der Erstellung von Arbeitsanweisungen und Prozessbeschreibungen gilt es,
den Kompromiss zwischen generischen Anweisungen und punktgenauen Beschrei-
bungen zu treffen. Erstere sind leichter einzuhalten, beinhalten aber die Gefahr
eines unzureichend regulierten Prozesses. Genaue Beschreibungen wiederum
bergen die Gefahr in sich, dass sie nicht immer eingehalten werden können bzw.
die Wartung sehr aufwendig ist. In der Praxis bewähren sich generische Beschrei-
bungen, ergänzt um projektspezifische Anweisungen.

4.5 Prozesse für die Entwicklung 125

ƒ Absicherung der Aktualität der Projektdokumentation über den gesamten Pro-


jektverlauf,
ƒ Durchführung von Reviews bei der Projektdokumentation hinsichtlich Verständ-
lichkeit, Übersichtlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Einhaltung von Dokumen-
tationsregeln,
ƒ Absicherung der Durchführung der Reviews zu den geplanten Projektabschnit-
ten (Meilensteinen) und anlassbezogen, Erstellung von Meilensteinberichten
zum Status der Qualitätssicherung,
ƒ Beratung des Projektteams bei der Definition von Qualitätszielen im Projekt
(z. B. Änderungshäufigkeit) und Unterstützung bei der Erfüllung dieser Ziele,
ƒ Absicherung der Definition von Qualitätszielen für das Produkt und Über­
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wachung deren Prüfung,


ƒ Durchführung von Audits und formale Prüfungen von DHF und DMR,
ƒ Schnittstelle zur Qualitätssicherung in der Produktion und der Prüfplanung,
um den Einsatz von statistischen Methoden bei den späteren Produktionstests
mittels Trending zu gewährleisten.

BEISPIEL:
For personal use only.

Qualitätseigenschaft „Lebensdauer“ eines Produkts


Die einzelnen Teile müssen hinsichtlich ihrer Lebensdauer berechnet werden, und
das Design muss für die definierte Lebensdauer ausgelegt sein. Unter anderem
sind hohe Temperaturen bei elektronischen Leistungselementen zu vermeiden.

BEACHTE:
Prozessbeschreibungen und Arbeitsanweisungen müssen dem Entwicklungsteam
eine Hilfestellung geben, welche Arbeiten wie durchzuführen sind, sodass sich
nicht jedes Teammitglied seine eigenen Regeln erstellen muss.

4.5.3 Teilprozesse im Entwicklungsablauf und ihre


­Verbindungen
Aus den einzelnen Teilprozessen sind Aufgaben abzuleiten, die in der Projektpla-
nung zu berücksichtigen sind. Abhängig von der Art und Größe des Projekts wer-
den die einzelnen Prozesse in unterschiedlichen Tiefen zu berücksichtigen sein,
wodurch der Arbeitsaufwand bestimmt wird. Projektleitung und Team müssen die
zugehörigen Aufgaben im Detail festlegen.
126 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Als Beispiel für die Beziehungen zwischen den einzelnen Prozessen sind in Bild
4.7 die Beziehungen zwischen dem Anforderungsmanagement und den anderen
Teilprozessen dargestellt. Auf gleiche Weise können die Beziehungen für andere
Teilprozesse veranschaulicht werden.

Produktrisiko- Prozessentwicklung
management und Design Transfer

Projektdokumentation
Partnermanagement

Risik
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Prozessmängel Projekt- risikomanagement
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Design Systemarchitektur Systemverifizierung


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Systemintegration Systemintegration Test

Elektronikentwicklung Elektroniktest
Modultest

Konstruktion Mechaniktest
Modul-
design

Softwareentwicklung Softwaretest
Entwicklung Sensorik Test Sensorik
Design Control Systementwicklung System Test

Bild 4.7 Beispiel für Zusammenhang zwischen Anforderungsmanagement und den anderen


Entwicklungsteilprozessen

4.5.3.1 Übersicht und zeitliche Schwerpunkte


Bild 4.8 stellt die zu beachtenden Teilprozesse mit ihren Arbeitsschwerpunkten
über den Projektverlauf ähnlich wie in [4.6] dar. Die Projektphasen sind in der
Grafik gleich lange dargestellt, in der Realität wird die Länge der einzelnen Phasen
von der Komplexität und der Größe des Projekts abhängen.
4.5 Prozesse für die Entwicklung 127

Analyse Design Design-


Vorklärung Realisierung Verifizierung
Design Transfer validierung

Anforderungs-
management

Risiko-
management

Anforderungs-
analyse

Designkonzept
Systemarchitektur
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Moduldesign

Implementierung
For personal use only.

System-
integration

Verifizierung

Design Transfer

Validierung

Änderungs-
u. Konfigurations-
management

Dokumentations-
management

Schulung u.
Wissens-
management

Bild 4.8 Ressourcenbedarf verschiedener Teilprozesse während des gesamten


­Entwicklungsablaufs
128 4 Entwicklung von Medizinprodukten

4.5.3.2 Anforderungsmanagement
Das Anforderungsmanagement beschreibt die Erfassung, Sammlung und Doku-
mentation von Produktanforderungen mit den zugehörigen Randbedingungen.
Als erstes Ergebnis dieses Prozesses ist die Beschreibung der Zielsetzung für das
Projekt mit der Formulierung der Produktvision zu erarbeiten. Aus den Wün-
schen und Anforderungen der Kunden und Anwender müssen dann eindeutige,
unmissverständliche, messbare und prüfbare Anforderungen beschrieben wer-
den, die mit unterschiedlicher Gewichtung behaftet sein werden. Die Quelle, die
Gewichtung und die Selektion der einzelnen Produktanforderungen sind zu doku-
mentieren.
Der nächste Schritt ist die Verfeinerung und Ableitung von funktionellen und nicht
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funktionellen Spezifikationen zu Subspezifikationen. Dann muss die Analyse von


wechselseitigen Abhängigkeiten von Spezifikationen und Subspezifikationen vor-
genommen werden.
Der Umgang mit Änderungen und die Regelung von Konflikten zwischen einzel-
nen Anforderungen/Spezifikationen sind Teil des Anforderungsmanagementpro-
zesses und zu beschreiben.
Die weitere Detaillierung der Anforderungen bis zu den Subspezifikationen bedeu-
For personal use only.

tet die Zielsetzung für die Arbeit des Projektteams. Daher ist das konsequente Be-
treiben dieses Prozesses für einen künftigen Projekterfolg mit einer zielgerichte-
ten Entwicklung von großer Bedeutung. Die Projektleitung muss für diesen Prozess
Verantwortlichkeiten festlegen und die Ergebnisse des Prozesses mithilfe von Re-
views oder anderen geeigneten Mitteln überprüfen.
Der Arbeitsschwerpunkt für das Anforderungsmanagement liegt am Beginn des
Projekts in der Vorklärungs- und Analysephase (siehe Bild 4.8). Danach sind Aktu-
alisierungen und Reviews erforderlich.
Bei der Sammlung von Produktanforderungen/Spezifikationen sind zu berück-
sichtigen:
ƒ produktspezifische Anforderungen und Einsatzzweck,
ƒ gesetzliche Anforderungen (Normen, Standards, Sicherheit . . .),
ƒ Umweltanforderungen,
ƒ Anforderungen der Stakeholder (z. B. Stückzahlen, Gewinnerwartung),
ƒ Qualitätsanforderungen,
ƒ Anforderungen von Produktion, Vertrieb, Service.
Um die notwendigen Ergebnisse des Prozesses abzusichern, müssen folgende
Randbedingungen gewährleistet sein:
ƒ Die Kommunikation mit den Kunden/Personen, die die Kundenanforderungen
definiert haben, muss über den nötigen Zeitraum aufrechterhalten bleiben, um
4.5 Prozesse für die Entwicklung 129

Unklarheiten oder Konflikte ausräumen und/oder geänderte Kundenanforde-


rungen berücksichtigen zu können.
ƒ Ein Änderungsmanagement für die Anforderungen ist etabliert.
ƒ Ein Monitoring hinsichtlich Änderungen von Kundenanforderungen ist etab-
liert.
ƒ Ein Monitoring für die Verfügbarkeit neuer Technologien, die die Kunden­
anforderungen verändern könnten, ist etabliert.
Für die Projektleitung, die Entwicklungsleitung und die Finanzkontrolle wird es
Anforderungen hinsichtlich eines geordneten, übersichtlichen und überprüfbaren
Projektfortschritts geben. Diese haben mit Anforderungsmanagement nichts zu
tun, sollten aber im Rahmen des Projektmanagements nicht vergessen werden.
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Darunter fällt beispielsweise die Wiederverwendbarkeit von Ergebnissen oder die


Kostenverfolgung. Auch zum Thema Anforderungsmanagement gibt es ausführ­
liche Literatur, z. B. [4.6].

4.5.3.3 Risikomanagement
Auf diesen Prozess wird im Detail in Kapitel 2, Risikomanagement, eingegangen,
hier wird daher nur auf die Verbindung zum Anforderungsmanagement Bezug ge-
For personal use only.

nommen. Dieser Prozess beschreibt die Erfassung, Analyse, Bearbeitung und die
laufende Überwachung von Produktrisiken. Das Ziel von Risikomanagement ist
die Gewährleistung der Sicherheit des Produkts bei der vorhergesehenen Anwen-
dung für Patienten, Benutzer und Dritte (z. B. Reinigungspersonal, Service, Ent­
sorgung). Für die Entwicklung eines Medizinprodukts ist die Durchführung einer
Produktrisikoanalyse gemäß der Norm [4.15] zwingend vorgeschrieben. Dieser
Prozess ist aber auch für die Entwicklung anderer Produkte sinnvoll, um poten-
zielle Fehler bei der Anwendung  zu minimieren – auch unter Berücksichtigung
von vorhersehbarem Fehlgebrauch.
Für viele Risiken wird durch die Prüfung nach Sicherheitsnormen (z. B. EN 60601 – 1,
EN 61010 – 1) und teilweise auch der Essential Requirements bereits ein beträchtli-
cher Teil von Risikopunkten abgedeckt; diese Normen und Vorgaben sind als vor-
weggenommene Risikoanalyse durch Experten zu betrachten. Die produktspezifi-
schen Risiken, die durch das Design oder bei der Anwendung entstehen könnten,
sind jedenfalls durch eine eigene Risikoanalyse zu erfassen und in der Folge in
erster Linie durch Verbesserungen am Design zu minimieren. Die verbleibenden
Restrisiken sind zu kommunizieren, bei einem Medizinprodukt muss der Vorteil
der Anwendung die Risiken überwiegen.
Risikopunkte lassen sich wie Produktanforderungen auch im Anforderungsma-
nagement behandeln. Dazu sollten die Punkte „positiv“ umformuliert werden. Dies
vereinfacht die Umsetzung, der Bezug zur Risikoanalyse muss jedoch erhalten
bleiben.
130 4 Entwicklung von Medizinprodukten

Der Schwerpunkt der Arbeiten für das Risikomanagement (siehe Bild 4.8) liegt in
der Analysephase. Aber auch in der Realisierungsphase sind mit FMEAs oder an-
deren Risikoanalysemethoden (siehe Kapitel 2, Risikomanagement, und [4.15]) Ar-
beiten durchzuführen, die Teil des Risikomanagements sind. Während der späte-
ren Phasen sind Reviews und Dokumentationsaktualisierung erforderlich.
Ein weiterer wesentlicher Teil des Risikomanagements ist die Projektrisikoana-
lyse. Alle Hinderungsgründe, die einem Projekterfolg entgegenstehen könnten,
sind zu erfassen, zu bewerten, Maßnahmen zur Risikominderung sind zu treffen,
und deren Wirksamkeit ist zu prüfen. Projektrisiken müssen aus wirtschaftlichen
Gründen verfolgt werden, sie sind keine gesetzliche Forderung.

TIPP:
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Nicht nur Produktrisiken, auch Projektrisiken können sich während des Projekts
ändern. Daher ist es unzureichend, nur zu Beginn des Projekts eine Projektrisiko-
analyse durchzuführen. Wenn beispielsweise beim Test von Prototypen viele
Testfälle negativ beurteilt werden, kann das bedeuten, dass das gewählte Reali-
sierungskonzept ungeeignet und dadurch der Projekterfolg gefährdet ist.

For personal use only.

4.5.3.4 Analyse der Anforderungen


Der erste Schritt nach Vorliegen eines Katalogs von Kunden- und Stakeholder-An-
forderungen und der Produktrisiken ist die Übertragung dieser in technische Sys-
temanforderungen, die ein Design des geplanten Systems ermöglichen. Dieser
Schritt wird oft als die Transformierung vom „Lastenheft“ in das „Pflichtenheft“
beschrieben.
Dabei werden die vorliegenden Anforderungen hinsichtlich des geplanten Einsatz-
zwecks in der realen Umgebung geprüft, bewertet, mit Prioritäten versehen und
auf ihren Einfluss auf Kosten und Machbarkeit im technischen und zeitlichen
Sinne analysiert. Zusammenhänge zwischen einzelnen Anforderungen müssen
hergestellt und Konflikte untereinander ausgeräumt werden.
Das Ergebnis dieser Arbeit ist eine Liste mit funktionalen und nicht funktionalen
technischen Spezifikationen und Eigenschaften des zu realisierenden Systems, die
prüfbar sein und wenn möglich zahlenmäßig mit Toleranzfeldern definiert vorlie-
gen müssen. Bezug und Abhängigkeiten der Systemspezifikationen von den ur-
sprünglichen Anforderungen sind zu dokumentieren.
Bei der Analyse der Kundenanforderungen kann es vorkommen, dass einzelne An-
forderungen als utopisch und übertrieben angesehen werden. Vielleicht sind es
gerade diese Anforderungen, die ein neues Produkt gegenüber dem Mitbewerber
am Markt auszeichnen können. Diese Balance ist bei der Analyse zu finden. Bei
der Einbeziehung der Produktrisiken in den Anforderungskatalog sollte eine Be-
4.5 Prozesse für die Entwicklung 131

wertungsskala benutzt werden, die die Sicht des technisch Machbaren (für dessen
Beherrschung) im Vergleich zum Nutzen berücksichtigt, den das Produkt in seiner
Anwendung bringt. Bei der Erstellung der Systemspezifikationen werden ein oder
mehrere mögliche Realisierungskonzepte und/oder eine zukünftige Systemarchi-
tektur in Betracht gezogen, dazu kann die Durchführung von Machbarkeitsstudien
hilfreich sein. Der Arbeitsschwerpunkt startet nach Vorliegen der Produktanforde-
rungen (siehe Bild 4.8).

4.5.3.5 Systemkonzeptionierung
In Abschnitt 4.4.2.2 wird die Vorgehensweise zur Erstellung des Designs und der
Systemarchitektur beschrieben. Als Ergebnis dieses Teilprozesses muss ein Ge-
samtkonzept vorliegen, das die Erreichung aller Systemspezifikationen und deren
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Toleranzgrenzen gewährleistet. Die Aufteilung der Spezifikationen und Eigen-


schaften auf einzelne Systemkomponenten ist erfolgt; ihre Schnittstellen, das Zu-
sammenspiel und ihre gegenseitigen Abhängigkeiten sind berücksichtigt und be-
herrscht.
Mehrere Lösungsansätze werden hinsichtlich ihrer Vor- und Nachteile nach Defini-
tion entsprechender Auswahlkriterien bewertet, und die am besten geeignete Vari-
ante wird ausgewählt. Die Herstellung von Versuchsmustern oder gar Prototypen
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und die Durchführung von Versuchsreihen werden oft für eine Bestätigung der
Auswahl sinnvoll sein, zuvor müssen aber folgende Punkte geklärt sein:
ƒ Die Auswahl der Systemarchitektur aus verschiedenen Lösungsansätzen er-
folgt begründet nach Bewertung der definierten Auswahlkriterien.
ƒ Das System ist in einzelne Komponenten aufgeteilt, sodass eine technisch sinn-
volle, machbare und kostenoptimierte Gesamtlösung vorliegt.
ƒ Die Systemspezifikationen sind den einzelnen Systemkomponenten (Modulen)
oder dem Gesamtsystem vollständig zugewiesen.
ƒ Schnittstellen zueinander und Anforderungen der einzelnen Systemkompo-
nenten untereinander (z. B. Hardware an Software und umgekehrt) sind be-
rücksichtigt und so beschrieben, dass ein Modultest einzeln und so vollstän-
dig, wie dies möglich und sinnvoll ist, durchgeführt werden kann.
ƒ System- und Modulspezifikationen sind dokumentiert, kommuniziert und von
allen betroffenen Bereichen freigegeben; ein kontrollierter Änderungsprozess
ist zusammen mit einer geeigneten Kommunikationsmethode etabliert.
Der Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Vorliegen der Anforderungen und Spezifi-
kationen (siehe Bild 4.8).
132 4 Entwicklung von Medizinprodukten

4.5.3.6 Moduldesign
Moduldesign bedeutet die Umsetzung der durch die Systemarchitektur definierten
Vorgaben in die Modulebene. Folgende Ergebnisse sind vorhanden:
ƒ Für die einzelnen Systemkomponenten/Module ist ein Realisierungskonzept
ausgearbeitet, das die vollständige Erfüllung der Modulspezifikationen und
der Schnittstellenspezifikationen zu den anderen Modulen gewährleistet.
ƒ Ein Testkonzept zur Prüfung der Modul- und Schnittstellenspezifikationen ist
ausgearbeitet.
ƒ Die Beziehungen und Abhängigkeiten der einzelnen Modulspezifikationen von
den vereinbarten Kundenanforderungen sind nachvollziehbar hergestellt.
ƒ Modul- und Schnittstellenspezifikationen sind gegenseitig geprüft und freige-
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geben.
ƒ Risiken für die Umsetzung einzelner Spezifikationen sind kommuniziert und
Verbesserungsmaßnahmen  initiiert – gegebenenfalls auch mithilfe anderer
Module.
Der Arbeitsschwerpunkt liegt auf dem Erstellen der Systemarchitektur (siehe Bild
4.8).
For personal use only.

4.5.3.7 Implementierung
Implementierung bedeutet die Umsetzung der Spezifikationen in die technische
Lösung. Alle Konzepte, Prinzipien und Berechnungen von Biosensoren, Reagen-
zien, Berechnungen zur Dimensionierung von mechanischer oder elektronischer
Hardware mit worst case oder statistischen Methoden, Belastungsberechnungen,
Softwarekonzepte, Messtechnikkonzepten etc. müssen dokumentiert und im Fall
von Änderungen die betroffenen Dokumente aktualisiert werden.
Bei der Entwicklung kommt es oft vor, dass Annahmen für Detailspezifikationen
von Modulen getroffen werden müssen, um Spezifikationen für das Gesamtsys-
tem/Produkt erreichen zu können. Diese Annahmen können erst nach Realisie-
rung durch Tests bestätigt werden. Die Gründe für diese Annahmen sollen doku-
mentiert werden.

BEISPIEL:
Die Spezifikation für die Genauigkeit oder auch die zulässige Standardabweichung
eines Messwerts für einen Parameter ist in den Anforderungen festgelegt, z. B. 2 %
des Werts. Zu Beginn der Designphase ist schwer voraussehbar, wie sich die
Anteile dieses zulässigen Gesamtfehlers auf den Sensor, seine Drift, die Kalibrie-
rungs- und Messmethode, die Signalaufbereitung und andere beeinflussende
Systemkomponenten verteilen. Darüber können zunächst nur Annahmen getroffen
und die tatsächlichen Fehleranteile erst nach genauer Prüfung der fertiggestellten
Einzelkomponenten ermittelt werden.

4.5 Prozesse für die Entwicklung 133

Spätestens zu diesem Zeitpunkt müssen Testkonzepte für die Verifizierung der


Modulspezifikationen vorliegen, die Tests von Funktionsmodulen müssen vor der
Zusammenschaltung bei der Systemintegration erfolgreich abgeschlossen sein.

BEACHTE:
Wenn bei der ersten Überprüfung eines Moduls ein Designfehler entdeckt wird
und dieser durch eine Designänderung behoben werden muss, sollte dies nicht
ohne Kommunikation an andere möglicherweise betroffene Modulentwickler er-
folgen. Es gehört zur Kultur einer offenen Kommunikation, dass Fehler nicht als
solche, sondern als Probleme, die es zu lösen gilt, betrachtet werden.

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4.5.3.8 Systemintegration
Der Zweck der Systemintegration ist das Zusammenfügen der einzelnen System-
komponenten zum Nachweis, dass die Spezifikationen und Anforderungen an das
Gesamtsystem erfüllt werden. Voraussetzung ist die erfolgreich abgeschlossene
Verifizierung der Systemkomponenten mit dem Nachweis, dass die Anforderungen
an die einzelnen Systemkomponenten erfüllt sind.
Zunächst ist eine Strategie für die Integration und Zusammenschaltung zu erstel-
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len mit dem Ziel, dass die Systemkomponenten und ihre Schnittstellen untereinan-
der und wechselseitig im Sinne des Systemdesigns/der Systemarchitektur geprüft
werden können. Für Änderungen an einer der Systemkomponenten ist eine Re-
gressionsteststrategie zu erstellen. Arbeitsschwerpunkte (siehe Bild 4.8) für die
Systemintegration liegen bei der Erstellung der Systemarchitektur, und während
der Analysephase sind Schnittstellen zwischen den Systemkomponenten und Mo-
dulen und die Aufteilung der Aufgaben unter diesen zu koordinieren. Mit Ende der
Realisierungsphase beginnt der Schwerpunkt mit der Systemzusammenschaltung
und den Systemtests.

4.5.3.9 Test und Verifizierung


Für die Durchführung der Verifizierung sind Prozessbeschreibungen erforderlich.
Darin sind zu regeln:
ƒ Verantwortlichkeiten für die Verifizierung und die Erstellung von Testplänen,
Protokollen und Freigaben,
ƒ Inhalte von Verifizierungsplänen, Testplänen und Testprotokollen mit der
­Beschreibung von Randbedingungen und Akzeptanzkriterien,
ƒ Einsatz von unterschiedlichen Verifizierungsstrategien (z. B. Testen, Code
­Review, Messung, Beobachtung, Simulation),
ƒ Dokumentation von Beobachtungen und/oder Abweichungen bei der Test-
durchführung,
134 4 Entwicklung von Medizinprodukten

ƒ Bedingungen für die Wiederholung von Testreihen,


ƒ Bedingungen für die Zulässigkeit der Wiederholung von einzelnen Testschrit-
ten nach Einführung von Korrekturen nach festgestellten Abweichungen von
erwarteten Testergebnissen,
ƒ Beschreibung von Testmethoden und gegebenenfalls ihrer Methodenvalidie-
rung,
ƒ Einsatz von Prüf-, Mess- und Hilfsmitteln,
ƒ Regeln für die Testabdeckung (wann ist ein einzelner Test für den Nachweis
einer Spezifikation ausreichend und wann sind mehrere Prüfungen erforder-
lich?),
ƒ Gültigkeitsregeln für die Akzeptanz von Testergebnissen von Systemkompo-
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nenten für das Gesamtsystem.

BEACHTE:
Vor der Durchführung von Tests müssen Testpläne ausgearbeitet und vorhanden
sein. Nur dann ist eine konsequente und effiziente Abarbeitung der Prüfungen
möglich.

For personal use only.

Die Nachvollziehbarkeit von den Anforderungen und Spezifikationen zu den Test-


fällen mit den Testergebnissen ist ebenso abzusichern wie die Vollständigkeit der
Prüfung aller Spezifikationen. Dazu zählen auch die Nachweise für die Gebrauchs-
tauglichkeit und die Stabilitäts- und Qualitätseigenschaften des Produkts oder Sys-
tems.
Verifizierungsaktivitäten können bereits mit der Erstellung von Testplänen und
Teststrategien beginnen, wenn aus den Anforderungen die Spezifikationen be-
schrieben sind. Dies hat den Vorteil, dass Ungereimtheiten bei der Formulierung
frühzeitig ausgeräumt werden können und die Testbarkeit der Spezifikationen ab-
gesichert wird (siehe auch die in Bild 4.8 dargestellte Aktivität am Ende der Vor-
klärungsphase bis zur Analysephase).
Eine positiv abgeschlossene Verifizierung für das gesamte Produkt oder System ist
Voraussetzung für den Start der Produktvalidierungsaktivitäten.

4.5.3.10 Design-Transfer-Prozess
Ziel und Prinzip des Design Transfers sind in Abschnitt 4.4.2.6 beschrieben, daher
wird hier nur auf die Planung und den Bezug zu den anderen Prozessen eingegan-
gen. Voraussetzung für einen sinnvollen Start des Design Transfers ist der positive
Abschluss der Verifizierung an den Entwicklungsprototyp. Schon bei der Planung
des Design Transfers innerhalb der Projektplanung ist darauf Rücksicht zu neh-
men, will man teure Änderungen an Produktionsmaschinen und Anlagen vermei-
4.5 Prozesse für die Entwicklung 135

den. Es kann aber auch sinnvoll sein, Machbarkeitsstudien für Produktionspro-


zesse vorweg durchzuführen, um für die geplante Stückzahl geeignete Verfahren
zu entwickeln. Diese sind durch den Aktivitätsbereich in Bild 4.8 am Ende der
Vorklärungsphase dargestellt. In der Planung sind zu berücksichtigen:
ƒ Entwicklung der Produktionsprozesse,
ƒ Entwicklung der Produktionsanlagen, Fertigungswerkzeuge und anderer Hilfs-
mittel,
ƒ Erstellung der Fertigungsdokumentation (production specifications),
ƒ Fertigung der Pilotserie(n),
ƒ Validierung der Produktionsanlagen, Fertigungswerkzeuge, Hilfsmittel und
Produktionsprozesse,
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ƒ Verifizierung der Produktspezifikationen an der Pilotserie,


ƒ Abschlussreview und gegebenenfalls weitere erforderliche Reviews.
Mit Exemplaren aus der Pilotserie kann die Produktvalidierung durchgeführt
werden.

4.5.3.11 Designvalidierungsprozess
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Zweck und Prinzip der Designvalidierung sind bereits in Abschnitt 4.4.2.7 be-
schrieben, daher soll hier nur auf die Planung und den Bezug zu den anderen
Prozessen eingegangen werden. Die Designvalidierung ist der letzte durchzufüh-
rende Prozess vor der Freigabe des Produkts für die Vermarktung. Bei der Planung
der Validierung sind die Kundenanforderungen zu analysieren und daraus die Fra-
gestellungen für die Tests zur Validierung zu formulieren (siehe auch die in Bild
4.8 dargestellten Aktivitäten in der Vorklärungsphase). Die Analyse der Kunden-
anforderungen sollte grundsätzlich in einer sehr frühen Phase des Projekts erfol-
gen, schließlich sind die Kundenanforderungen von Beginn an festgelegt.
Zur Unterstützung einer optimalen Gebrauchstauglichkeit empfiehlt es sich, be-
reits mit Prototypen oder Teilen davon (z. B. die Benutzeroberfläche) Vorprüfungen
mit potenziellen Kunden durchzuführen und die Feedbacks zur Optimierung des
Designs zu nutzen (siehe [4.16]). Die abschließenden Validierungstests können zu-
mindest teilweise mit den klinischen Studien beim Anwender kombiniert durchge-
führt werden. Die frühzeitige Einbindung mit der Abklärung der Verfügbarkeit von
(potenziellen) Kunden und Anwendern ist einzuplanen.
Anforderungen der Stakeholder aus der Organisation (Leitung, Marketing, Finan-
zen) sind oft erst im Laufe der Vermarktungsphase überprüfbar.
136 4 Entwicklung von Medizinprodukten

4.5.4 Unterstützende Entwicklungsprozesse

4.5.4.1 Änderungs- und Konfigurationsmanagement


Änderungen während des Projektablaufs lassen sich nicht vermeiden. Sie können
aus verschiedensten Gründen erforderlich sein: neue Anforderungen aus dem
Marketing, Ersatz oder Änderung von Materialien, Bauteilen oder Komponenten,
Softwareänderungen z. B. wegen der Einführung eines neuen Betriebssystems
oder eines Updates, Änderungen am Herstellprozess, aber auch Änderung von Spe-
zifikationen, wenn während der Entwicklungsphase Probleme bei der Realisierung
auftreten und so ursprünglich definierte Spezifikationen nicht erreicht werden
können. Eine dokumentierte Aktualisierung der Änderung ist in jedem Fall unum-
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gänglich. Ein nachvollziehbares Kennzeichnungssystem, welcher Teil wann, wie


und warum geändert wurde, und mit welcher Version welche Tests durchgeführt
wurden, ist erforderlich.
Darüber hinaus ist es für einen nachvollziehbaren Nachweis von Systemspezifika-
tionen notwendig, dass alle Komponenten und Systembestandteile in kontrollierter
Weise unter Kennzeichnung ihres Status zusammengeschaltet sind. Um negative
Auswirkungen der Änderung von Komponenten auf die Gesamtfunktion oder eine
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Spezifikation des Systems erkennen zu können, ist daher zu gewährleisten, dass


alle Prüfungen von Systemspezifikationen an eindeutig identifizierten Versionen
von Systemkomponenten erfolgen. Es ist abzusichern, dass
ƒ die einzelnen Systembestandteile und Komponenten, die durch die Systemar-
chitektur vorgegeben sind, identifiziert und benannt sind,
ƒ Status und Änderungsstand von allen Systembestandteilen und Komponenten
eindeutig gekennzeichnet und dokumentiert und jede Änderung und der
­Änderungsverlauf nachvollziehbar erkenntlich sind,
ƒ geprüfte Kombinationen von Systembestandteilen oder Komponenten eindeu-
tig erkennbar sind und ihr Teststatus dokumentiert ist,
ƒ Änderungsgründe zu den einzelnen Versionen von Systembestandteilen oder
Komponenten dokumentiert sind,
ƒ Änderungen an Komponenten nachvollziehbar und eindeutig durch deren Do-
kumentationsstatus beschrieben sind.
Im Einzelfall ist – begründet – zu entscheiden, welche Prüfungen von Eigenschaf-
ten oder Spezifikationen nach einer Änderung oder Änderung von mehreren Kom-
ponenten wiederholt werden müssen. Die Schwerpunkte für diese Aktivitäten
(Bild 4.8) beginnen in der Analysephase und dauern bis zum Abschluss der Verifi-
zierung.
4.5 Prozesse für die Entwicklung 137

4.5.4.2 Dokumentation und Dokumentationsmanagement


Bei Entwicklungsmitarbeitern ist Dokumentation oft eine ungeliebte Tätigkeit.
Gerne werden Arbeiten für Pläne, Konzepte und deren Aktualisierungen auf spä-
ter verschoben, insbesondere, wenn der Effekt einer Änderung noch nicht abgese-
hen werden kann. Es muss daher die höchste Priorität für Projekt- und Entwick-
lungsleitung sein, das Bewusstsein dafür zu wecken, dass jede Tätigkeit und jedes
Ergebnis zu dokumentieren ist. Schließlich müssen auch ungangbare Wege als
solche beschrieben werden, will man ein Konzept, das sich als nicht erfolgreich
erwiesen hat, zu einem späteren Zeitpunkt – vielleicht mit neuen Mitarbeitern –
nicht nochmals „aufwärmen“. Es kann aber auch vorkommen, dass ein ursprüng-
lich ungangbares Konzept durch neue Erkenntnisse, neue Materialien oder Ferti-
gungstechnologien in einem anderen Licht erscheint. Gerade in diesem Fall ist
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es äußerst wertvoll, wenn eine detaillierte Dokumentation des „ursprünglichen


Weges“ inklusive aller Randbedingungen vorliegt.
Es muss aber auch bewusst sein, dass für eine spätere Produktpflege (als Beispiel
sei das „Aus-dem-Verkehr-Nehmen“ eines Materials oder Bauelements genannt)
Änderungen nur dann rasch und effizient gemacht werden können, wenn dessen
Eigenschaften, Spezifikationen und die Einsatzbedingungen bekannt und be-
schrieben sind.
For personal use only.

Aktuell gehaltene Dokumentation ist somit eine Voraussetzung für die Durchführ-
barkeit der Produktpflege, und diesen Standpunkt vertreten auch die Behörden. So
gilt z. B. für die FDA: „Was nicht dokumentiert ist, gibt es nicht“, und sie sieht nicht
dokumentierte Änderungen als schwere Regelverletzung an. Sie fordert auch Pro-
zessbeschreibungen oder Arbeitsanweisungen für den Umgang mit Dokumenten,
wie auch in Kapitel 1, QM-Systeme, dargestellt.

BEACHTE:
Die Entwicklungsdokumentation muss so detailliert sein, dass außenstehendes
Fachpersonal in der Lage ist, die Dokumentation in angemessener Zeit ohne
weitere Erklärungen zu verstehen, nachzuvollziehen und Änderungen zur Problem-
behebung durchführen zu können.

Die Qualitätssicherung im Projekt hat daher besonders auf den korrekten Umgang
mit der Dokumentation zu achten. Die Verwendung eines für die Organisation und
die Projektgröße geeigneten Dokumentenmanagementsystems ist empfehlens-
wert, solche Systeme sind am Markt erhältlich.
Innerhalb eines Entwicklungsprojekts sind die Anforderungen an die Dokumenta-
tion zwischen Projektleitung und dem Team zu vereinbaren. Auch die Anforderun-
gen an die Dokumentations- und Kommunikationsplattform sind zu definieren
(Verantwortlichkeiten sind kursiv dargestellt):
138 4 Entwicklung von Medizinprodukten

ƒ Verfügbarkeit eines Dokumentenmanagementsystems (Organisation),


ƒ Verfügbarkeit einer Kommunikationsplattform, die mit dem Dokumenten­
managementsystem kompatibel ist (Projektleitung),
ƒ Definition von Arten und Hierarchien der (Entwicklungs-)Dokumentation (Pro-
jektleitung),
ƒ Definition der Verantwortlichkeiten für Erstellung, Kennzeichnung, Prüfung,
Freigabe und Verteilung für die einzelnen Arten und Level der Dokumente
(Projektleitung),
ƒ Dokumentation der Entwicklungsergebnisse und Ablage im Dokumenten­
managementsystem (Team),
ƒ Aktualisierung von Dokumenten bei Änderungen nach Vereinbarung im Team
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und Bekanntgabe nach Durchführung über die Kommunikationsplattform


(Team).
Die Elemente der Entwicklungs- und Projektdokumentation sind der Design His-
tory File und der Device Master Record.

4.5.4.3 Schulung und Wissensmanagement


For personal use only.

„Das Rad nicht immer neu zu erfinden“ ist die Motivation für Schulung und Wis-
sensmanagement. Verwertbare Dokumentation aus vorangegangenen Entwick-
lungsprojekten ist Voraussetzung, wenn das erarbeitete Wissen mehrfach genutzt
und somit teure Entwicklungszeit gespart werden soll.
Ein weiteres Argument ist der Schutz des erarbeiteten Wissens durch Patente. Die
Entwicklungsdokumentation ist schließlich der eindeutige Beweis für neuartige
Erfindungen. Umgekehrt dürfen aber auch Patentrecherchen nicht vergessen wer-
den, um die Verletzung fremder Patente zu vermeiden.
Der Aufwand für Schulung und Weiterbildung ist einerseits bei der Verfügbarkeit
der Teammitglieder für die eigentlichen Projektarbeiten einzuplanen; andererseits
sind sie ein wichtiges Instrument, neu verfügbare Mitarbeiter für ihre Aufgabe im
Team vorzubereiten. Besonders in der frühen Projektphase und bei den Übergän-
gen von einer in die nächste Projektphase darf die Schulung des Projektteams auf
die geplanten Werkzeuge wie Projekt-, Test- und Dokumentenmanagement etc.
nicht vergessen werden. Daher liegen die Schwerpunkte für die Schulung üblicher-
weise zu Beginn des Projekts und bei Übergängen auf neue Projektphasen (siehe
Bild 4.8).
4.6 Zusammenfassung 139

„ 4.6 Zusammenfassung
Die vielfältigen und komplexen gesetzlichen Anforderungen an Medizinprodukte
verlangen bei der Entwicklung eines komplexen Systems eine sorgfältige und
strukturierte Planung und Vorgehensweise durch das Projektmanagement.
Der rote Faden für eine Systemproduktentwicklung wird anhand von Projektpha-
sen dargestellt: Beginnend bei der Produktidee mit dem Intended Use/Intended
Purpose, aus der die Anforderungen formuliert und detailliert werden, sind Reali-
sierungskonzepte auszuarbeiten; diese werden mithilfe von Machbarkeitsstudien
selektiert. Die Entwicklungsschritte, die schließlich zur Ausarbeitung der Lösung
führen, werden erläutert. Nach der Realisierung sind die Spezifikationen zu prüfen
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und die Gebrauchstauglichkeit ist nachzuweisen (siehe dazu auch eine kurze Zu-
sammenfassung der Regeln für die Entwicklung aus Sicht der FDA bei den Down-
load-Materialien).
An die Projektleitung werden hohe Anforderungen gestellt: Die fachliche Koordi-
nationsaufgabe über ein meist aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zusammen-
gesetztes Team fordert Führungsfähigkeit. Darüber hinaus sind die Fähigkeit für
eine vorausschauende Planung, angemessene Einschätzung und Berücksichtigung
For personal use only.

von Projektrisiken und die Beachtung der Aufgaben aus den Teilprozessen Voraus-
setzungen für eine erfolgreiche Projektführung.
Die für einen effizienten Entwicklungsfortschritt zu beachtenden Teilprozesse und
die daraus abgeleiteten Aufgaben werden erläutert und mit Listen oder Beispielen
ergänzt.
Es wurde dargestellt, wie wichtig eine sorgfältige und vollständige Dokumentation
der gesamten Entwicklungsgeschichte nicht nur für die Erfüllung der gesetzlichen
Vorschriften, sondern auch für einen geordneten Design Transfer in die Produktion
und eine spätere effiziente Produktpflege ist.
140 4 Entwicklung von Medizinprodukten

„ 4.7 Literatur
[4.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie 93/42/
EWG über Medizinprodukte. 1993. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/
TXT/PDF/?uri=OJ:L:1993:169:FULL&from=DE, abgerufen am 25. Jan. 2021.
[4.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 247/21 vom 05. 09. 2007: Richtlinie
2007/47/EG zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG des Rates zur Angleichung der Rechts-
vorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte und 93/42/
EWG des Rates über Medizinprodukte sowie der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen
von Biozid-Produkten, 2007. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/
TXT/?uri=OJ:L:2007:247:TOC, abgerufen am 25. Jan. 2021.
[4.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 331 vom 27. 10. 1998: Richtlinie 98/79/
EG über In-vitro-Diagnostika. 1998. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/
downloaded from www.hanser-elibrary.com by Jade Hochschule FH WOE on July 10, 2023

TXT/?uri=OJ:L:1998:331:TOC, abgerufen am 25. Jan. 2021.


[4.4] Boehm, B. W.: A Spiral Model for Software Development and Enhancement. In: IEEE Volume 21,
May 1988.
[4.5] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN 69901 – 1:2009 Projektmanagement Teil 1 – 5. Beuth,
2009.
[4.6] Rational: Rational Software White Paper TP026B, Rational Unified Process Best Practices for Soft-
ware Development Teams. 2011. Verfügbar unter: https://www.ibm.com/developerworks/rational/
library/content/03July/1000/1251/1251_bestpractices_TP026B.pdf, abgerufen am 25. Jan. 2021.
For personal use only.

[4.7] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement: Webseite der GPM bezüglich SCRUM Agiles
Projektmanagement. Verfügbar unter: https://scrum-master.de/Scrum-Einfuehrung, abgerufen
am 25. Jan. 2021.
[4.8] International Organization for Standardization (ISO); International Electrotechnical Commission
(IEC): ISO/IEC 15504:2004 – Information technology – Process assessment. 2004.
[4.9] Noll, P.; Bachmann, H. R.: Der kleine Machiavelli. Handbuch der Macht für den alltäglichen Ge-
brauch. Droemer Knaur, 2001.
[4.10] Gottesdiener, E.: The Software Requirements Memory Jogger: A Pocket Guide to Help Software
And Business Teams Develop And Manage Requirements (Memory Jogger). GOAL/QPC, 2005.
[4.11] International Organization for Standardization (ISO); International Electrotechnical Commission
(IEC): ISO/IEC 25010:2011 – Systems and software engineering – Systems and software Quality
Requirements and Evaluation (SQuaRE) – System and software quality models. 2011.
[4.12] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 45, Part 160, 162, 164,
45 CFR 160, 162, 164. HIPAA Administrative Simplification 2013. Verfügbar unter: https://www.
hhs.gov/sites/default/files/hipaa-simplification-201303.pdf, abgerufen am 28.Jul.2021.
[4.13] International Electrotechnical Commission (IEC): IEC 80001 – 1:2010 – Application of risk manage-
ment for IT-networks incorporating medical devices. 2010.
[4.14] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  281 vom 23. 11. 1995 Richtlinie
95/46 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und
zum freien Datenverkehr. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/
ALL/?uri=OJ:L:1995:281:TOC, abgerufen am 25. Jan. 2021.
[4.15] Europäisches Komitee für Normung (CEN); Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung
(CENELEC): EN ISO 14971:2012 Medical devices  – Application of risk management to medical
­devices. 2012. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 14971:2013
Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte. Beuth, 2013.).
4.7 Literatur 141

[4.16] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN IEC 62366 – 1:2015 Medical
devices – Part 1: Application of usability engineering to medical devices. 2015. (Deutsche Fassun-
gen: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN 62366 – 1:2017 Medizinprodukte – Teil 1: Anwen-
dung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte. Beuth, 2017.).
[4.17] International Electrotechnical Commission (IEC): EN 62304 – Medical device software – Software
life cycle processes. 2006. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN
62304; VDE 0750 – 101:2007-03 Medizingeräte  – Software  – Software-Lebenszyklus-Prozesse.
2006. Beuth, 2007.).
[4.18] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 136/3 vom 29. 05. 2007: Berichti-
gung der Verordnung (EG) Nr.  1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
18. 12. 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe
(REACH). 2007. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=13999720
03261&uri=CELEX:32006R1907R(03), abgerufen am 21. Jan. 2021.
[4.19] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
downloaded from www.hanser-elibrary.com by Jade Hochschule FH WOE on July 10, 2023

bis 1299, 21 CFR 820 – 1299. 2012. Verfügbar unter: https://www.accessdata.fda.gov/scripts/cdrh/


cfdocs/cfcfr/CFRSearch.cfm?CFRPartFrom=800&CFRPartTo=1299, abgerufen am 25. Jan. 2021.
[4.20] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical de-
vices – Quality management systems – Requirements for regulatory purposes. 2016. (Deutsche
Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016-08, Medizinprodukte – Qua-
litätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Beuth, 2016.).
[4.21] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117 vom 05. 05. 2017: Verordnung
(EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über Medizinproduk-
te, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verord-
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nung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des
Rates.
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5 Software als
Medizinprodukt
S. Stoppacher, P. Müllner

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Herausforderungen für Softwarehersteller im Einklang mit der MPV


ƒ Dokumentationsanforderungen im Softwarelebenszyklus
ƒ Agile Softwareentwicklung
ƒ Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen

For personal use only.

„ 5.1 Einleitung
Software ist das Herzstück vieler Medizinprodukte. Immer raffiniertere und intelli-
gentere Algorithmen steigern nicht nur die Innovativität, sondern lassen auch das
Effizienzlevel enorm in die Höhe schießen. Besonders Softwarehersteller sind seit
Herausgabe der MPV und der IVDV speziell in Europa gefordert. Neben einer er-
weiterten Definition der Software als Medizinprodukt hat auch die Klassifizie-
rungsregel 11 das Leben vieler KMU schwerer gemacht. So fallen Software und
Applikationen (Apps) nur noch selten in Klasse I, was dementsprechend großen
regulatorischen Aufwand mit sich zieht. Aber auch der Ruf nach Themen wie agi-
ler Softwareentwicklung im Einklang mit den Anforderungen der MPV oder der
US-Design Controls wird lauter, so wie auch der Wunsch nach Klarheit zu Themen
wie künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sowie digitale Gesundheits­
anwendungen im Bereich der Telemedizin größer wird.
Software muss nach der Verordnung (EU) 2017/745 MPV [5.1] und der Verord-
nung (EU) 2017/746 IVDV [5.2] (Zuordnung gemäß MDCG 2019-11 [5.3]) so aus-
gelegt sein, dass diese Wiederholbarkeit, Zuverlässigkeit und Leistung gemäß
dem bestimmungsgemäßen Gebrauch gewährleistet. Ein Nachweis der Sicherheit
(dafür beide englischen Nomen betrachtend: Safety and Security) und Leistung
(MPV, Kapitel 2, Abschnitt 17.1 und 17.2) hat auch für Software zu erfolgen und
144 5 Software als Medizinprodukt

muss nach dem Stand der Technik entwickelt werden, wobei hier folgende Grund-
sätze geltend werden:
ƒ Softwarelebenszyklus,
ƒ Risikomanagement,
ƒ IT-Sicherheit,
ƒ Verifizierung sowie Validierung.
Die normative Grundlage für die Entwicklung von Software als integraler Teil
­eines Medizinprodukts oder als Stand-alone-Medizinprodukt (SamD – Software as
Medical Device) ist die Norm EN IEC 62304 [5.4] (die Norm IEC 62304 basiert auf
AAMI SW68 [2001], die wiederum aus der IEC 12207 [1995] abgeleitet ist): „Medi-
zinprodukte – Software – Software-Lebenszyklus-Prozesse“. Es handelt sich dabei
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um eine Minimalanforderungsbeschreibung des wesentlichen Entwicklungs- und


Wartungsprozesses sowie deren Unterstützungsprozesse wie Risikomanage-
ment-, Konfigurationsmanagement- und Problemlösungsprozess für Software.
Die Begründung und Berechtigung der Norm liegt darin, dass je sorgfältiger die
Softwareentwicklungs- und Wartungsprozesse wahrgenommen werden, desto ge-
ringer ist die Wahrscheinlichkeit von Fehlern und Defekten. Doch eine Norm
kommt selten allein, denn während das Risikomanagement einen wesentlichen
For personal use only.

­Bestandteil der IEC 62304 darstellt und Bestimmungen zur Nachverfolgbarkeit


wie auch diverse Testvorgaben an Software und System stellt, findet man in der
IEC 62304 auch Verweise auf die ISO 14971 [5.5], welche sich konkret dem Risiko-
management widmet. Auch in der ISO 14971 spielt Nachverfolgbarkeit eine große
Rolle. Des Weiteren fordert die IEC 62304 ein QM-System und empfiehlt dazu die
ISO 13485 [5.6]. Diese wiederum fordert, dass Verfahren zur Validierung von Soft-
ware definiert werden müssen, die vom QM-System eingesetzt werden. Eingesetzte
Softwaretools, sei es im QM-System oder im Entwicklungsprozess, müssen ebenso
nach dem risikobasierten Ansatz validiert werden. Die normativen und regulatori-
schen Anforderungen an medizinische Software stehen also im Einklang zur Wech-
selwirkung zwischen der MPV, der IEC 62304, der ISO 14971 sowie der ISO 13485
(siehe Bild 5.1). Festzuhalten ist, dass alle Anforderungen, die die Verordnung an
Medizinprodukte stellt, sei es die technische Dokumentation, die grundlegenden
Sicherheits- und Leistungsanforderungen oder das Führen einer UDI, nach Defini-
tion auch auf Software zutrifft.
Schwerpunkt dieses Kapitels liegt auf den bereits aufgelisteten Grundsätzen zum
Thema Software. Neben generellen Anforderungen an den Softwarelebenszyklus
geben wir in den nachfolgenden Abschnitten auch einen Überblick über die nor-
mativen Dokumentationsanforderungen der IEC 62304.
5.1 Einleitung 145

MPV
Ziel: IT-Sicherheit

Soware-
QM-System Risikomanagement
lebenszyklus
ISO 13485 ISO 14971
IEC 62304
fordert fordert fordert

Bild 5.1 Wechselwirkung der normativen Softwareanforderungen


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Ebenso widmen wir uns in diesem Kapitel dem Ansatz der künstlichen Intelligenz
und des maschinellen Lernens. Die regulatorischen Vorgaben lassen sich gerade
für KI/ML-basierte Software oftmals nur sehr schwer umsetzen, da es seitens der
Gesetzgeber noch keine konkreten Vorgaben gibt. Umso wichtiger, dass hier bald
Klarheit geschaffen wird, nicht zuletzt deshalb, da dieser innovative und effiziente
Ansatz stark an Bedeutung gewinnt und in Zukunft in beinahe allen Bereichen der
Medizin zu finden sein wird.
For personal use only.

Außerdem widmen wir uns auch typischen Fragestellungen aus dem Bereich der
IT-Sicherheit und geben einen kleinen Vorgeschmack, wie sich die Zukunft der re-
gulatorischen Anforderungen im Bereich der medizinischen Software voraussicht-
lich weiterentwickeln wird.

5.1.1 Klassifizierung medizinischer Software


Wie einleitend erwähnt, haben die Klassifizierungsrichtlinien der MPV hinsicht-
lich medizinischer Software das Leben vieler nicht unbedingt einfacher gemacht.
Die Regel 11 des Kapitels III im Anhang VIII der MPV führt dazu, dass beinahe
jede medizinische Software in eine höhere Risikoklasse als bisher eingestuft wird.
Die entscheidende Basis für eine richtige Klassifizierung bildet die Zweckbestim-
mung. Der Entscheidungsbaum in Bild 5.2 soll Abhilfe bei der Einstufung in die
Risikoklasse verschaffen. Software, die rein zu Dokumentationszwecken und dem
allgemeinen Wohlbefinden dient, ohne als Entscheidungsgrundlage für weiterfüh-
rende Therapie und Medikation herangezogen zu werden, zählt nicht als Medizin-
produkt. Hierunter fallen zum Beispiel Lifestyle- und Wellnesssoftware.
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For personal use only.
146

Die Risikoklassifizierung erfolgt auf Basis der von der So ware gelieferten Informaonen, die zur weiteren Entscheidungsfindung für diagnossche und therapeusche
Zwecke herangezogen werden.
Führt die Entscheidungsauswirkung zu …
…Tod oder irreversibler
Ja Nein
Verschlechterung des
Gesundheitszustandes
Dri‚er?

…schwerwiegender
Ja Verschlechterung des
Risikoklasse III Gesundheitszustandes
5 Software als Medizinprodukt

oder einem
chirurgischen Eingriff?

Risikoklasse IIb Nein

Soware zur
Kontrolle von vitalen

Bild 5.2 Risikoklassifizierung medizinischer Software


Ja Parametern: Führen
Parameteränderungen
zur unmi‚elbaren Gefahr
für den Paenten?

Nein

Ist die So ware für die


Ja Kontrolle von Nein
Risikoklasse IIa physiologischen
Risikoklasse I
Prozessen besmmt?
5.1 Einleitung 147

An dieser Stelle sei auch auf die nicht verbindlichen Guidelines der IMDRF hinge-
wiesen, die Hersteller beim Inverkehrbringen ihrer Medizinprodukte unterstützen
sollen. Für Software bietet die IMDRF beispielsweise folgende Guidelines an:
ƒ „Software as a Medical Device (SaMD): Clinical Evaluation“
ƒ „Software as a Medical Device (SaMD): Application of Quality Management
System“
ƒ „Software as a Medical Device (SaMD): Possible Framework for Risk Categori-
zation and Corresponding Considerations“
ƒ „Software as a Medical Device (SaMD): Key Definitions“
In folgendem Abschnitt wird kurz die Grundüberlegung zur SaMD-Risikocharakte-
risierung nach dem IMDRF Framework dargestellt, ohne dabei zu sehr ins Detail
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zu gehen. Das Klassifizierungsschema richtet sich hierbei nach dem Leitfaden für
„Possible Framework for Risk Categorization and Corresponding Considerations“
[5.7]. Dieser Leitfaden soll Hersteller bei der Risikoklassifizierung ihrer Software
unterstützen. Das Framework unterscheidet dabei zwischen vier verschiedenen Ri-
sikostufen, wobei Software der Stufe IV die größte Auswirkung auf den Patienten
und die Gesundheit hat, während Stufe I die kleinste Auswirkung darstellt. Eine
Kategorisierung hat risikobasiert gemäß Tabelle 5.1 zu erfolgen. Der große Unter-
For personal use only.

schied zur MPV liegt darin, dass hier vom momentanen Gesundheitszustand des
Patienten ausgegangen wird, während sich die MPV auf den Schweregrad verur-
sachter (Folge-) Schäden konzentriert.

Tabelle 5.1 Risikocharakterisierung nach IMDRF Guidelines [5.7]


Gesundheits­ Bedeutung der von SaMD bereitgestellten Informationen für
zustand oder ­Entscheidungen im Gesundheitswesen
­Zustand des Hoch Mittel Niedrig
­Patienten Die von der Software Die von der Software Die von der Software
bereitgestellten Infor- bereitgestellten Infor- bereitgestellten Infor-
mationen werden mationen werden mationen lösen keine
verwendet, um eine verwendet, um eine sofortigen oder zeit-
unmittelbare Maß- Diagnose zu stellen nahen Aktionen aus.
nahme zu ergreifen. oder weitere Behand-
lungsmaßnahmen
festzulegen.
Kritisch IV (MPV III) III (MPV IIb) II (MPV IIa)
Ernst III (MPV IIb) II (MPV IIa) I (MPV IIa)
Nicht-kritisch II (MPV IIa) I (MPV IIa) I (MPV IIa)
148 5 Software als Medizinprodukt

TIPP:
ƒ Nach jeder Änderung müssen SaMDs neu kategorisiert werden.
ƒ Gute Beispiele zur Klassifizierung lassen sich sowohl in dem MDCG 2019-11
Leitfaden „Guidance on Qualification and Classification of Software in Regu-
lation (EU) 2017/745 – MDR and Regulation (EU) 2017/746 – IVDV“ [5.1] als
auch in der Guideline der IMDRF [5.7] zur Kategorisierung des Risikos von
Software finden.

Das IMDRF-Framework erleichtert zwar die Zuteilung in die verschiedenen Risiko-


klassen, eine Einteilung in Risikoklasse I kommt aber dennoch selten vor.
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5.1.2 Sicherheitsklassifizierung
Ein Kernelement der Norm IEC 62304 ist die Sicherheitsklassifizierung für das
Softwaresystem und die Elemente der Software in drei Stufen:
ƒ A: Keine Verletzung oder Schädigung der Gesundheit möglich.
ƒ B: Keine schwere Verletzung möglich.
For personal use only.

ƒ C: Tod oder schwere Verletzung möglich.

5.1.2.1 Einteilung in Units
Bevor das Softwaresystem die Sicherheitsklassifizierung durchläuft, werden Her-
steller dazu aufgefordert, die Architektur der Software zu beschreiben. Dafür ist
zunächst das Produkt anhand der Systemarchitektur so lange in Untersystemkom-
ponenten aufzuteilen, bis man den Detaillierungsgrad der „Einheit“ erreicht (siehe
Bild 5.3). Der Begriff Einheit, normgemäß einer nicht weiter unterteilbaren Kom-
ponente, ist nicht immer eindeutig verwendet, da es keine Definition von „weiter
unterteilbar“ gibt. Ein „Herunterbrechen“ auf die einzelnen Units ist nicht nur zur
Beschreibung der Systemarchitektur gefordert, sondern ist auch für die Unit-Veri-
fikation für die Klassen B und C (nach Abs. 5.5.5 der IEC 62304) notwendig.
So kann man beobachten, dass unterschiedliche Unternehmen verschiedene
­Detaillierungsgrade verwenden. Diese Einheiten sind gemäß obiger Definition zu
klassifizieren, wobei vom worst case in Bezug auf den Schweregrad auszugehen ist.
Folgt man nun der Architektur immer unter Berücksichtigung des höchsten Schwe-
regrades wieder zum Ausgangspunkt, erhält man eine Einstufung für das Produkt
auf Systemebene. Sinnvollerweise verwendet man die ermittelten Überlegungen
wie Schweregrad, Gefährdungen, Ursachen bzw. Ursachenketten auch für die Risi-
koanalyse (nach [5.5]). Am Ende können Softwarekomponenten/-systeme final
­einer Sicherheitsklasse zugeordnet werden.
5.1 Einleitung 149

Sowaresystem
Sowarekomponente Sowarekomponente

Sowareeinheit Sowareeinheit

Sowareeinheit Sowareeinheit

Sowarekomponente Sowarekomponente
Sowareeinheit Sowareeinheit

Sowareeinheit Sowareeinheit
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Bild 5.3 Mögliche Umsetzung eines Softwaresystems mit seinen Subkomponenten


und Einheiten

BEISPIEL:
Ein Analysegerät ermittelt lebenswichtige Parameter. Die resultierenden Ergebnisse
werden vom Arzt als Entscheidungsgrundlage herangezogen.
Nach Analyse der Architektur gibt es mehrere Softwaresysteme, die miteinander
For personal use only.

interagieren, aber beispielsweise sind jene Systeme und Teile der Software des
erwähnten Analysegerätes, die zur Aufbereitung und Messung der (kritischen)
Parameter beitragen, mit C einzustufen. Doch nicht alle Teile der Software werden
in diese höchste Klasse einzustufen sein. Würde das Gerät weitere Parameter
messen, die nicht lebenskritische Zusatzinformationen liefern, könnten jene Soft-
wareteile mit A oder B eingestuft werden.

TIPP:
Eine in der Praxis gängige Methode, um den Dokumentationsaufwand zu schmälern,
ist, nicht sicherheitskritische von sicherheitskritischen Systemen getrennt zu
betrachten, indem sie beispielsweise in Subsysteme aufgeteilt werden – sofern
die Vorgaben der Norm dies erlauben (z. B. durch getrennte Implementierung auf
verschiedenen Systemen). Die Subsysteme könnten dann rein theoretisch in un-
terschiedliche Sicherheitsklassen eingestuft werden. Medizinische Apps auf der
anderen Seite werden meist als ganzheitliche Einheit betrachtet. Somit gilt für das
ganze System die gleiche Sicherheitsklassifizierung.

150 5 Software als Medizinprodukt

„ 5.2 Risikomanagement in der
­Softwareentwicklung
Im Vordergrund des in der IEC 62304 geforderten Risikomanagements stehen der
Schweregrad und der mögliche Schaden, der durch eine Software verursacht wer-
den kann. Zu diesem Zweck wurde in der Norm die Einteilung von Software(-Kom-
ponenten) in Sicherheitsklassen eingeführt. Für die Bestimmung der Sicherheits-
klasse kommt die 100 %-Wahrscheinlichkeitsannahme zu tragen. Die IEC 62304
schreibt vor, dass Wahrscheinlichkeiten von Fehlfunktionen, die zu Gefährdungen
führen, mit 100 % angenommen werden müssen. Für Hersteller bedeutet das, dass
man davon ausgehen muss, dass Fehler passieren.
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Vor 2015 sorgten die Normspezifikationen bei Herstellern für Unruhe, nachdem
auch hier für das Auftreten von Gefährdungen eine 100 %ige Wahrscheinlichkeit
angenommen werden musste. Dies hat sich jedoch in der darauffolgenden Ausgabe
geändert. So können etwa Risikoeinschätzungen nach der ISO 14971 mit realisti-
scheren Fehlerwahrscheinlichkeiten als lange üblich angenommen werden. Zu-
sammengefasst sind also nicht mehr nur die Einteilung in Sicherheitsklassen, son-
dern auch eine realistische Risikobeurteilung maßgeblich.
For personal use only.

Wie in Bild 5.1 gezeigt, stellt das Risikomanagement ein zentrales Element der
MPV und IVDV dar. Die Konformität des Risikomanagements kann z. B. durch die
harmonisierte Norm ISO 14971 erreicht werden. Für einen ganzheitlichen Über-
blick der Forderungen der ISO 14971 verweisen wir auf das Kapitel 2, Risikoma-
nagement. In diesem Kapitel widmen wir uns daher den bekannten Hürden des
Risikomanagements in der Softwareentwicklung wie der Risikoabschätzung und
das Festlegen der „Eintrittswahrscheinlichkeiten“. Daneben möchten wir uns auch
dem Testen von Software widmen. Die verschiedenen Verfahren, die zur Identifika-
tion von Gefährdungen eingesetzt werden können, werden ebenfalls in Kapitel 2,
Risikomanagement, behandelt.

5.2.1 Abschätzen von Eintrittswahrscheinlichkeiten


Von Herstellern wird fälschlicherweise gern angenommen, dass Software per se
als Gefährdung im Risikomanagement zählt. Dabei gilt zu beachten, dass nicht die
Software selbst die Gefährdung darstellt, sondern diese lediglich über eine Kette
von Ereignissen verknüpft ist, die letztendlich zu einem Schaden führt (siehe
Bild 5.4).
5.2 Risikomanagement in der ­Softwareentwicklung 151

Ursache Folge von Ereignissen Gefährdung

Bild 5.4 Die Software als Verursacher führt über eine Folge von Ereignissen zu einer oder
mehreren Gefährdungen.

BEISPIEL:
Während die Software einen Patientendatensatz importiert, werden falsche Para-
meter in die Software geladen. Dies führt dazu, dass der Arzt anhand der ihm nun
vorliegenden Patientendaten eine falsche Diagnose stellt und infolgedessen auch
eine ungeeignete Therapie empfiehlt.
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Weil es beim Abschätzen von Wahrscheinlichkeiten und Schweregraden in der


Softwarerisikoanalyse immer wieder zu Schwierigkeiten kommt, empfiehlt die ISO
14971, sich auf vorhandene und relevante Daten aus dem Feld, falls zugänglich
und/oder bereits vorhanden, zu stützen, was meistens auch die realistischsten An-
nahmen liefert. Weitere Möglichkeiten zum Abschätzen der tatsächlichen Fehler-
wahrscheinlichkeiten sind
For personal use only.

ƒ das Testen auf Fehlerzustände und/oder


ƒ Literaturrecherchen z. B. Was ist die durchschnittliche Fehleranzahl pro x Zei-
len Programmcode?
Für das vollständige Testen von Software wird im Anhang der IEC 62304 [5.4]
empfohlen, Code Coverage einzusetzen. Code Coverage kann die verschiedensten
Maßnahmen, wie z. B. function coverage, statement coverage, branch coverage, de-
cision coverage, condition coverage, state coverage oder parameter value coverage
beinhalten. Der Einsatz dieser Metriken kann für Hersteller eine enorme Erleichte-
rung im Abschätzen von Wahrscheinlichkeiten verschaffen. Außerdem ist dies
eine Möglichkeit, um die Fehlerwahrscheinlichkeit einer Software auf ein sehr
überschaubares Maß pro Anwenderfall zu reduzieren.

TIPP:
ƒ Um eine möglichst große Bandbreite in der Risikoanalyse abzudecken, ist es
sinnvoll, neben dem Risikomanager, dem Entwicklungsteam, mitwirkenden
Testmitarbeitern auch medizinisches Fachwissen in die Risikoanalyse mit
einzubeziehen. Entwickler können nicht für die sichere Anwendung am Pati-
enten und die bestimmungsgemäße Anwendung von Dritten garantieren.
ƒ Führt eine Gefährdung zu mehreren Risiken, was in der Praxis der Fall sein
kann, so sind alle Fälle in der Risikoanalyse zu dokumentieren.

152 5 Software als Medizinprodukt

Eine weitere Möglichkeit zum Abschätzen von Fehlerwahrscheinlichkeiten bietet


der Ansatz nach FTA (Fault Tree Analysis), indem Ursachenketten rückwärts aufge-
rollt werden: Es lässt sich also von Gefährdungswahrscheinlichkeiten auf die
Wahrscheinlichkeit des Softwarefehlers (Ursache) schließen. Hersteller können
auch eine Anpassung der Akzeptanzkriterien in Erwägung ziehen. Dies ist jedoch
nur dann zu empfehlen, wenn dadurch die Sicherheit nicht gefährdet wird. Akzep-
tanzkriterien werden in der Praxis oftmals sehr hoch angesetzt.
Das Ziel eines jeden Herstellers sollte es sein, niedrige Fehlerwahrscheinlichkeit
bei der Software zu erreichen. Dies kann nur durch eine effektive Maßnahme er-
reicht werden:
Testen, testen, testen – gefolgt von der anschließenden Beseitigung aufgetretener
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Fehler. Hoch angenommene Fehlerwahrscheinlichkeiten lassen sich auch in Au-


dits am besten mit aussagekräftigen Testergebnissen widerlegen. Ein Verweis auf
die IEC 61508-3 [5.8] sei hier noch angemerkt, die sich dem „Safety Level“ von gut
entwickelter Software widmet. Nicht zu vergessen ist außerdem, dass Fehlerlisten
auch für eingesetzte Software unbekannter Herkunft (SOUPs) zu prüfen und zu
bewerten sind.

Dokumentationsanforderungen:
For personal use only.

ƒ Software Risikomanagementplan
ƒ Software Risikoanalyse
ƒ Software Risikoklassifizierung
ƒ Referenzen zu den getroffenen und umgesetzten Maßnahmen

5.2.2 Tool-Validierung
Neben dem risikobasierten Vorgehen bei der Medizinprodukte-Software möchten
wir hier explizit darauf hinweisen, dass auch verwendete Tools, die sowohl im QM-
System als auch im Entwicklungsprozess beteiligt sind wie beispielsweise die Ent-
wicklungsumgebung, mithilfe eines risikobasierten Ansatzes validiert werden
müssen. Für eine ganzheitliche Übersicht der Forderungen an ein QM-System ver-
weisen wir auf das Kapitel 1, QM-Systeme. Nachdem keine konkreten Anforderun-
gen zur Tool-Validierung in der ISO 13485 bestehen, können hierbei die nicht-har-
monisierte Norm ISO 80002-2 [5.9] oder der GAMP 5 [5.10] als Leitfaden und Best
Practices herangezogen werden.
5.3 Grundsätze in der Softwareentwicklung 153

TIPP:
Es empfiehlt sich, eine für den Standort spezifische Übersichtsliste von eingesetz-
ter Software und deren Notwendigkeit zur Validierung sowie den Status der Vali-
dierung tagesaktuell vorzuhalten.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Entsprechende Nachweise pro Entwicklungs- oder Testtool
ƒ Meistens in Form von URS-, IQ-, OQ-, PQ-Dokumenten

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„ 5.3 Grundsätze in der Softwareentwicklung


In der Norm IEC 62304 werden Anforderungen an den Softwarelebenszyklus-Pro-
zess von Medizinprodukten beschrieben. Neben Vorgaben, wie Prozesse und Akti-
vitäten im Lebenszyklus umgesetzt werden müssen, legt die Norm auch großes
Augenmerk darauf, wie Software entwickelt und gewartet werden soll. Ein zuneh-
For personal use only.

mend wichtiges Moment für den Softwarelebenszyklus sind allgemeine Qualitäts-


eigenschaften für das System und die Software, wie in [5.11] für Softwarequalitäts-
modelle oder in der ISO 25010 beschrieben. Demnach sind für die Qualität im
Gebrauch (quality in use) des Systems Qualitätseigenschaften mit ihren Attributen
zu definieren, die für das Produkt ausschlaggebend sind:
ƒ Effektivität im Gebrauch,
ƒ Tauglichkeit für den beabsichtigten Einsatzzweck,
ƒ Zufriedenheit (z. B. Bedienungskomfort),
ƒ Sicherheit und Risikovermeidung,
ƒ Flexibilität bei der Anwendung.
Weiterhin sind je nach Anwendungsfall Eigenschaften für die Produktqualität mit
Attributen zu beschreiben und zu evaluieren:
ƒ Gebrauchstauglichkeit (Vollständigkeit der gegebenen Funktionen für den be-
absichtigten Einsatzzweck des Produkts und dessen korrekte Ausführung),
ƒ Leistungsfähigkeit (z. B. Antwortzeiten, Ressourcennutzung),
ƒ Kompatibilität (z. B. Verträglichkeit mit einem Betriebssystem oder anderer
Software),
ƒ Benutzbarkeit (z. B. Verfügbarkeit, Vermeidung von Benutzerfehlern, Verständ-
lichkeit einer Benutzeroberfläche),
154 5 Software als Medizinprodukt

ƒ Zuverlässigkeit (z. B. Reife oder Fehlerhäufigkeit, Verfügbarkeit, Wiederver-


wendbarkeit nach Fehlern, Fehlertoleranz),
ƒ Sicherheit,
ƒ Wartbarkeit (z. B. Modularität, Veränderbarkeit, Testbarkeit),
ƒ Portierbarkeit (z. B. Austauschbarkeit).
Alle zutreffenden Qualitätseigenschaften sind als nicht funktionelle Eigenschaften
möglichst wertmäßig zu definieren und bei der Designvalidierung zu prüfen oder
anderwärtig zu evaluieren.

TIPP:
Eine zahlenmäßige Definition der Effektivität im Gebrauch wäre beispielsweise die
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Zahl der Tastendrucke, um eine häufig benutzte Funktion aufzurufen.


Eine zahlenmäßige Definition der Zuverlässigkeit könnte lauten: Neun von zehn
fehlerhaften Eingaben müssen als Fehler erkannt werden und zu einem Fehler­
hinweis führen.

Ein Muss in jedem Entwicklungsprozess ist die in bereits Abschnitt 5.1.2 behan-
delte Zuweisung der Sicherheitsklassen. Je höher die Einstufung der Sicherheits-
For personal use only.

klasse, desto detaillierter sind die Elemente des Entwicklungs- und Wartungspro-
zesses einzuhalten und zu dokumentieren, wie z. B. für:
ƒ Softwareentwicklungsplanung,
ƒ Analyse der Softwareanforderungen,
ƒ Design der Softwarearchitektur,
ƒ Detaildesign,
ƒ Implementierung und Verifizierung der Softwareeinheiten,
ƒ Softwareintegration und Integrationsprüfung,
ƒ Prüfung des Softwaresystems,
ƒ Freigabe der Software,
ƒ Planung der Softwarewartung,
ƒ Analyse von Problemen und Änderungen,
ƒ Implementierung von Änderungen,
ƒ Softwarerisikoanalyse und Risikomanagement für Änderungen,
ƒ Risikokontrollmaßnahmen und deren Verifizierung,
ƒ Softwarekonfigurationsmanagement,
ƒ Problemlösungsprozess.
In folgenden Abschnitten wird auf die aufgelisteten Elemente des Entwicklungs-
und Wartungsprozesses näher eingegangen.
5.3 Grundsätze in der Softwareentwicklung 155

5.3.1 Softwareentwicklungsplanung
Voraussetzung für die Umsetzung einer medizinischen Software ist der Soft-
wareentwicklungsplan. Dieser beschreibt, wie und mit welchen Mitteln eine Soft-
ware zu implementieren ist. Ziel ist es, die normativen Anforderungen zu Beginn
eines Projektes im Plan zu berücksichtigen und so Risiken, die durch Software
verursacht werden könnten, zu minimieren. Der Detaillierungsgrad ist auch hier
abhängig vom Risiko festzulegen. Durch den Softwareentwicklungsplan wird nicht
nur eine strukturierte Umsetzung unterstützt, sondern er dient auch als Handbuch
und Kommunikationstool im Entwicklungsteam. Es ist nicht unüblich, dass sich
solche Pläne auch im Laufe des Softwareentwicklungsprozesses anpassen. In die-
sem Fall spricht man von einem lebenden Dokument. Wichtig ist, dass Anpassun-
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gen entsprechend argumentiert und genehmigt werden. Durch den Softwareent-


wicklungsplan ist eine kontrollierte Abwicklung des Projekts möglich. Nicht nur
am Ende des Projekts, sondern auch währenddessen haben Kontrollen stattzufin-
den, in denen überprüft wird, ob man sich noch innerhalb der geplanten Vorgaben
bewegt.

TIPP:
For personal use only.

Verifizierungsschritte können bereits im Softwareentwicklungsplan grob abgebil-


det werden. Diese lassen sich im weiteren Verlauf in den jeweiligen Testplänen
konkretisieren.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Softwareentwicklungsplan

5.3.2 Analyse der Softwareanforderungen


Unabhängig von der Sicherheitsklasse, in die die Software fällt, müssen Hersteller
Softwareanforderungen an das ganzheitliche Softwaresystem definieren [Kap. 5.2
62304]. Diese Dokumentation umfasst sowohl funktionale als auch nicht funktio-
nale Anforderungen:
ƒ Funktionalität und Leistungsfähigkeit,
ƒ Ein- und Ausgaben des Softwaresystems,
ƒ Schnittstellen zwischen dem Softwaresystem und anderen Systemen,
ƒ Softwaregesteuerte Alarme, Warnungen und Anwendermeldungen,
ƒ Datensicherheit,
ƒ Gebrauchstauglichkeit,
156 5 Software als Medizinprodukt

ƒ Datendefinition und Datenbankanforderungen,


ƒ Anforderungen für Installation und Abnahme der Medizinprodukte-Software
am Standort der Anwendung und Wartung,
ƒ Methoden des Betriebs und der Wartung,
ƒ Anwenderdokumentation,
ƒ Anforderungen hinsichtlich Wartung durch den Betreiber,
ƒ regulatorische Anforderungen.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Softwareanforderungen
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5.3.3 Design der Softwarearchitektur


Anders als im Abschnitt zuvor fordert die Norm nur für die Sicherheitsklassen B
und C eine Dokumentation der Anforderungen an die Softwarearchitektur. Dies
hat vor der Implementierung zu geschehen und betrifft neben einer Beschreibung
For personal use only.

der einzelnen Komponenten auch die Anforderungen an die Schnittstellen. Es ist


darauf zu achten, dass die Hersteller auch bei SOUPs Leistungs- und Funktionsan-
forderungen festzulegen haben. Dies kann so aussehen, dass Listen mit Abhängig-
keiten definiert werden, in denen auch festgehalten wird, ob und wie diese zu
überprüfen sind. Auch hier ist der Detaillierungsgrad der Anforderungsbeschrei-
bung von der Sicherheitsklasse abhängig. Am Ende muss durch Verifizierung
­sichergestellt werden, dass die Softwarearchitektur die dokumentierten Anforde-
rungen erfüllt.

TIPP:
In der Beschreibung der Anforderungen an die Softwarearchitektur empfiehlt sich
der Einsatz von grafischen UML-Klassendiagrammen.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Softwarearchitektur

5.3 Grundsätze in der Softwareentwicklung 157

5.3.4 Detaildesign
Eine Detaildesignbeschreibung erfolgt auf Ebene der bereits beschriebenen Soft-
wareeinheiten. Hier ist anzumerken, dass die Norm je nach Sicherheitsklassifizie-
rung unterschiedliche Vorgaben festlegt [Abschnitt 5.4 der IEC 62304]. Eine mög-
liche Aufteilung eines ganzheitlichen Softwaresystems in seine Komponenten und
Einheiten wird in Bild 5.3 dargestellt. Aus dem Detaildesign müssen die Beziehun-
gen aller Schnittstellen zwischen den Einheiten und externen Komponenten wie
auch zwischen den einzelnen Einheiten hervorgehen. Durch die Entwicklung eines
Detaildesigns soll eine korrekte Implementierung ermöglicht werden.

Dokumentationsanforderungen:
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ƒ Detaildesignbeschreibung

5.3.5 Implementierung und Verifizierung der


­Softwareeinheiten
For personal use only.

Für Softwareeinheiten der Sicherheitsklassen B und C wird eine Verifikation von


der Norm gefordert. Dafür ist ein Verifizierungsprozess nötig, der vom Hersteller
inkl. Methoden und Strategien festgelegt werden muss. Die Erfüllung der vom Her-
steller festgelegten Akzeptanzkriterien für Softwareeinheiten muss vor Integration
in die übergeordnete Softwarekomponente sichergestellt werden. Solch ein Krite-
rium könnte beispielsweise sein, ob vergebene Coding-Guidelines eingehalten
werden. Oftmals nötig sind auch weitere Akzeptanzkriterien, die meist die Soft-
wareeinheiten der Sicherheitsklasse C betreffen, wie z. B. die Abfolge von Ereignis-
sen, Grenzwertbedingungen, Datenfluss u. Ä.

TIPP:
Akzeptanzkriterien, die beispielsweise die Codierungsnorm betreffen, können mit
Code-Analyse-Tools überprüft werden.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Verifizierung der Softwareeinheiten und Ergebnisse
ƒ Prüfung der integrierten Software und Ergebnisse

158 5 Software als Medizinprodukt

5.3.6 Softwareintegration und Integrationsprüfung


Softwaresysteme mit all deren Komponenten und Einheiten müssen gemäß dem
dokumentierten Integrationsplan ins Gesamtsystem eingefügt werden. Dies ist an-
schließend durch entsprechende Unit Tests und Integrationstests zu verifizieren.
Die einwandfreie Funktionstüchtigkeit aller Schnittstellen soll dadurch gewähr-
leistet werden. Regressionsprüfungen, wie sie für Klasse B und C verlangt werden,
sollen beweisen, dass keine Normabweichungen in die integrierte Software indu-
ziert wurden. Durch dokumentierte Aufzeichnungen soll die Reproduzierbarkeit
der Prüfungen ermöglicht werden. Werden Normabweichungen aufgedeckt, so
müssen diese in weiterer Folge den Problemlösungsprozess durchlaufen.
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Dokumentationsanforderungen:
ƒ Integrationsplan
ƒ Integrationstests
ƒ Integrationsergebnisse
ƒ pass/fail
ƒ Liste der Normabweichungen

For personal use only.

5.3.7 Prüfung und Freigabe des Softwaresystems


Nachdem bei der Verifikation nur überprüft wird, ob Komponenten gemäß dem
Plan eingefügt wurden, muss durch eine Reihe von Prüfungen sichergestellt wer-
den, dass definierte Softwareanforderungen auch erfüllt werden. Durch Tests soll
sichergestellt werden, dass integrierte Komponenten auch wie beabsichtigt funkti-
onieren. Dies schließt neben einem Funktionstest aller Schnittstellen auch Prüfun-
gen unter abnormalen Bedingungen mit ein. Die Prüfungen sollten sicherstellen,
dass spezifizierte Inputs auch die erwarteten Outputs liefern. Nach erfolgreicher
Verifikation der Software kann diese abschließend freigeben werden. Freigegebene
Versionen und diverse Normabweichungen müssen vom Hersteller dokumentiert
werden.

TIPP:
Kombinationsprüfungen, die sich aus der Integrationsprüfung (Abschnitt 5.3.6)
und der Prüfung des Softwaresystems zusammensetzen, sind erlaubt. Gleiches
gilt für Kombinationsprüfungen, die mehrere Komponenten mit einschließen.

5.3 Grundsätze in der Softwareentwicklung 159

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Systemtests
ƒ Systemtestergebnisse
ƒ Freigabedokumentation

5.3.8 Planung der Softwarewartung


Auch zur Softwarewartung gibt die Norm vor, einen eigenen Softwarewartungs-
plan zu entwickeln. Ziel dieses Plans ist es, den Softwarewartungsprozess, ähnlich
wie den Softwareentwicklungsplan, doch in abgespeckter Form, zu definieren. Er
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beschreibt also, was genau mit Änderungen passieren soll, nachdem die Software
bereits durch den Freigabeprozess gegangen ist. Wichtig ist, dass jede Änderung
erneut das Risikomanagement durchlaufen muss. Damit ist auch die Untersuchung
auf weitere Gefahren verbunden. Eine Genehmigung der Änderungen ist notwen-
dig, bevor diese erneut den Freigabeprozess durchlaufen. In speziellen Fällen
muss auch die Behörde ebenso wie Kunden über diverse Änderungen informiert
werden.
For personal use only.

TIPP:
Durch automatisierte Regressionsprüfungen erhalten Entwickler die nötige Unter-
stützung, um schnell ausschließen zu können, dass beim Lösen des eigentlichen
Problems nicht unbeabsichtigt neue Fehler produziert wurden. Obendrein sparen
Automatisierungen Zeit und Personalaufwand.

Auch hier bedarf es einer risikobasierten Strategie. In den überwiegenden Fällen


werden zwei Klassen von Änderungen im Rahmen der Softwarewartung einge-
führt. Eine Klasse beschäftigt sich mit der dringenden Ausrollung von Hot Fixes
für sicherheitskritische Probleme, die andere Klasse mit geplanten unkritischen,
meist umfangreicheren Problembehebungen in der Software. Zusätzlich muss je-
doch auch eine eventuell bestehende Abhängigkeit bei SOUP zu Drittherstellern
(z. B. bei Betriebssystemen) und deren verbundenen Softwarewartungsstrategien
berücksichtigt werden.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Wartungsplan
ƒ Dokumentation bekannter Fehler
ƒ Dokumentation von Rückmeldungen
ƒ Dokumentation möglicher Ursachen und Berücksichtigung in der Risiko­
managementakte

160 5 Software als Medizinprodukt

5.3.9 Softwarekonfigurationsmanagement
Im Softwareentwicklungsplan muss ebenso das Softwarekonfigurationsmanage-
ment berücksichtigt werden. Dieses enthält neben einer Beschreibung der Soft-
warekomposition auch Informationen darüber, welche Komponenten wie kontrol-
liert werden müssen. Dies betrifft in erster Linie gelenkte Dokumente. Ebenso sind
auch Informationen enthalten, wie Änderungen und Freigaben kontrolliert und
dokumentiert werden müssen. Neben der Software selbst können auch andere Be-
standteile wie beispielsweise Compiler-Versionen und spezifische Einstellungen
der Entwicklungsumgebung kontrolliert werden. Existieren mehrere Versionen
einer Software, dann müssen diese durch eine eindeutige Bezeichnung charakteri-
siert werden. Hierzu empfiehlt sich die Verwendung von Versionsnummern.
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TIPP:
Änderungen müssen dokumentiert und nachvollziehbar sein, deshalb empfehlen
wir
ƒ den Einsatz von Versionierungstools, um die Historie der Änderungen und
Freigabe von Software zu dokumentieren (auch für SOUPs).
ƒ den Einsatz von Dokumentenmanagementsystemen. Dateien müssen durch
For personal use only.

Versionsnummer und Dateipfad gekennzeichnet werden.


BEISPIEL:
Versionsnummern bilden die Grundlage einer Versionsverwaltung. Folgendes
Beispiel zeigt einen klassischen Aufbau einer solchen Versionsnummer, welche
sich üblicherweise wie folgt zusammensetzt:
1. 2. 3. - 0001

build number: Wird für den jeweils letzten Build einer Revision erhöht.
patch level: Sind meistens Fehlerbehebungen.
minor release: Sind meist funkonale Erweiterungen.
major release: Sind meist wesentliche Änderungen am Programm.

Software unbekannter Herkunft (sog. SOUPs) müssen identifiziert und methodisch


dokumentiert werden. Auch die Änderungskontrolle darf im Konfigurationsma-
nagement nicht vernachlässigt werden. Änderungen dürfen nur kontrolliert vorge-
nommen werden:
ƒ Ansuchen einer Änderung,
ƒ Genehmigung des Ansuchens,
ƒ Implementierung der Änderung.
Ein Änderungsansuchen braucht in der Regel erst nach abgeschlossener Entwick-
lungsphase erfolgen. Davor können diese meist – sofern dies in der Dokumenta-
tion des Konfigurationsmanagements berücksichtigt wurde – auch ohne Ansuchen
5.4 Agilität in der Softwareentwicklung 161

vorgenommen werden. Eine strikte Einhaltung des Änderungsmanagements, vor


allem wenn die Software bereits offiziell herausgegeben wurde, ist notwendig.
Mit einer fortlaufenden Nummer können Änderungsanträge eindeutig identifiziert
werden. Aus jedem Antrag muss klar hervorgehen, um welche Änderung es sich
handelt. Nach Implementierung soll die Qualität durch Testen der Software sicher-
gestellt werden. Vor allem sind jene Teile zu prüfen, die von der Änderung direkt
oder auch indirekt betroffen sein könnten. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass
das Risikomanagement nach jeder vorgenommenen Änderung erneut anzuwen-
den ist, d. h. neue potenzielle Risiken müssen identifiziert werden, und gegebenen-
falls ist in weiterer Folge auch die Sicherheitsklasse anzupassen.

Dokumentationsanforderungen:
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ƒ Softwarekonfigurationsmanagement im Softwareentwicklungsplan berück-


sichtigen
ƒ Identifizierung von SOUPs

5.3.10 Problemlösungsprozess
For personal use only.

Für identifizierte Probleme, die sich beispielsweise bei Regressionsprüfungen her-


auskristallisieren, muss ein vom Hersteller entwickelter Problemlösungsprozess
eingeführt werden. Teil dieses Prozesses ist es, Ursachen zu identifizieren, indem
Probleme näher ergründet werden. Unabhängig von der Sicherheitsklasse müssen
gegebenenfalls auch Behörden und Kunden über das bestehende Problem infor-
miert werden. Durch eine abschließende Verifikation soll sichergestellt werden,
dass das Problem auch tatsächlich gelöst wurde.

Dokumentationsanforderungen:
ƒ Problemberichte
ƒ Prüfungsdokumente

„ 5.4 Agilität in der Softwareentwicklung


Agile Softwareentwicklung erfreut sich höchster Popularität. Dieser Ansatz wurde
ursprünglich zur Unterstützung der besseren Softwareentwicklung geschaffen.
Umso größer also der Frust, wenn Hersteller von Medizinprodukte-Software ver­
suchen, den agilen Ansatz mit den Forderungen der IEC 62304 in Einklang zu
162 5 Software als Medizinprodukt

bringen. In diesem Abschnitt zeigen wir eine Möglichkeit, wie sich normative Do-
kumentationsanforderungen und der Scrum-Entwicklungsansatz kombinieren
­lassen.
Die Vorteile agiler Softwareentwicklung sind vielseitig, bestechen aber vor allem
durch inkrementelle und kooperative Eigenschaften. Durch kurze Zyklen, soge-
nannte Sprints, kann umgehend auf Fehler reagiert werden. Diese gewonnenen
Erfahrungen lassen sich sogleich in den darauffolgenden Sprint einbauen. Die
Funktionalität und Effizienz der Software wachsen somit mit jedem erfolgten
Sprint. Ein weiterer sehr positiver Effekt, der sich durch den agilen Ansatz ergibt,
ist, dass Kommunikation im Team als auch mit dem potenziellen Kunden im Vor-
dergrund steht, was sich, wie Erfahrungswerte zeigen, absolut positiv auf die ge-
lieferte Software und Dokumentationsartefakte auswirkt.
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Je nach organisatorischer Gestaltung und Möglichkeiten eines Unternehmens gibt


es verschiedenste Ausprägungsformen und Implementierungen von agilen Metho-
den sowie die unterschiedlichsten Bezeichnungen für ein und dasselbe Artefakt
aus der agilen Welt. Im Weiteren wollen wir nur das theoretische Konstrukt an-
hand von Scrum beschreiben, ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen. Dabei ver-
wenden wir für die Bezeichnungen der Artefakte jene, die im AAMI TIR 45 [5.12]
vorgesehen sind.
For personal use only.

Die zu Beginn eines Projekts festgelegten Produktanforderungen sind meist nur


sehr vage und unvollständig. Der Product Owner verantwortet entsprechende Ein-
gaben und spezifiziert diese im sogenannten Project Backlog mit dem potenziellen
Kunden weiter aus, wobei die für die Medizintechnik notwendigen Rahmenbedin-
gungen berücksichtigt werden. Im sogenannten Release Planning werden an-
schließend erste Features und Architekturansätze erzeugt, bevor es im Anschluss
in die Detailplanungen und Umsetzungen von Increments und Stories geht. Auf
unterster Ebene sind dann die umzusetzenden Backlog-Aufgaben gelistet.
Die im TIR 45:2012 [5.12], Figure 4, vorgegebene Zuordnung von IEC-62304-Akti-
vitäten zu den einzelnen Artefakten ist heute gängige Praxis. Dementsprechend
sind für jede Story alle aus dem Normkapitel 5.1 bis 5.7 Anforderungen umzuset-
zen, für das Increment die Anforderungen aus 5.1, 5.6, 5.7 und für die Releases
noch die zusätzliche notwendige Softwarefreigabe. Genauer wollen wir hier nicht
darauf eingehen, da sich der TIR 45 explizit als ein möglicher Ansatz damit be-
schäftigt.
In entsprechenden Sprintzyklen (typischerweise zwei bis vier Wochen lang) wer-
den die auserwählten Backlog-Aufgaben von Entwickler- und Testteams in Angriff
genommen. Sprint Backlogs sollten im besten Fall in täglichen Scrum-Meetings
diskutiert werden. Entsprechende Dailys (tgl. kurze Stand-Up-Meetings) sorgen
für die interne Abstimmung während eines Sprints. Sprint Reviews oder Retro­
spektiven beenden den agilen Zyklus, indem Leistungsmerkmale des fertigen Pro-
5.4 Agilität in der Softwareentwicklung 163

dukts vorgestellt und über Erfahrungen, Probleme sowie Optimierungsmöglichkei-


ten diskutiert werden kann. Der prinzipielle Ablauf eines solch agilen Software­
zyklus wird in Bild 5.5 dargestellt.
Backlog-Aufgaben
Product Backlog

daily

Sprint

Produkt Bild 5.5 


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Agiler Softwarezyklus nach Scrum-Ansatz

Die theoretische Vorgehensweise von Scrum stößt in der Praxis immer wieder auf
Hindernisse. Meist liegt es im Zusammenspiel und der Zuordnung von Artefakten,
des aus den Normen bekannten V-Modells (welches unter Umständen als Doku-
mentationsmodell dienen kann), zu denen aus der IEC 62304 bekannten Doku-
mentations- und Review- Anforderungen sowie an dem oft nicht eindeutig formu-
For personal use only.

lierten „Definition of Done“ in der Agilen Welt. Es ist auch zu beobachten, dass
Organisationen, die historisch gewachsen sind oder sehr Hardware-lastig entwi-
ckeln, ein anderes Verständnis von Artefaktfreigaben oder Dokumentationsfreiga-
ben haben. Oft werden Teams aber auch von überproportional vielen Unterschrift-
sammlungen auf Dokumenten aufgehalten, ohne dass diese einen Mehrwert für
den Inhalt bedeuten würden. Zusätzlich hinzukommende nicht-elektronische Do-
kumente und deren Freigabe verzögern wiederum die Projekte erheblich.

TIPP:
Halten Sie Ihre Unterschriftfreigaben auf Dokumenten so schlank wie möglich!
Klären Sie mit den Zieladressaten des Dokuments, ob der Inhalt für dessen Zwecke
geeignet ist.
Nutzen Sie die jeweiligen Sprint Reviews, um gleich den Anforderungen der formal
geforderten Design Reviews nachzukommen. Speziell nach der Anforderungs- und
Architekturerstellung sowie vor der Verifikation.
Kreieren Sie smarte, vollständig digitale, aber validierte Lösungen mit hoher User-
Akzeptanz!

TIPP:
Starten Sie mit einem kleinen Projekt unter fachkundiger Anleitung eines Agile
Coaches! Die Organisation muss meist sehr dynamisch und lernfähig mit den
aufkommenden Stolperfallen sein!

164 5 Software als Medizinprodukt

„ 5.5 IT Security für Software in


­Medizinprodukten
Sicherheit wird in allen Bereichen der Medizintechnik großgeschrieben; kein Wun-
der also, dass auch die IT-Sicherheit in den letzten Jahren enorm an Bedeutung
gewonnen hat. Nicht zuletzt deswegen, weil die Anzahl der Cyberattacken auch im
Gesundheitsbereich kontinuierlich zunimmt. Viele der heute eingesetzten medizi-
nischen Geräte beinhalten Software in zunehmend komplexer Form und besitzen
meist auch bidirektionale Schnittstellen, um einerseits Ergebnisse automatisch
und gezielt weiterzuleiten und um andererseits Wartung, Service und Fehlerdiag-
nose zu erleichtern. Die technische Realisierung dieser Eigenschaften birgt aber
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auch große Risiken, die Hersteller beim Design oft unzureichend berücksichtigen.
Das Risikomanagement spielt hierbei eine elementare Rolle in der Softwareent-
wicklung. Davor macht auch die Verordnung nicht Halt und stellt erhöhte Anforde-
rungen an netzwerkfähige Produkte. Beispielsweise müssen Hersteller Mindest­
anforderungen an die IT-Landschaft definieren, wie in Abschnitt 17.4 der MPV
[5.1] beschrieben wird. Diese beziehen sich auf die Hardware, die Eigenschaften
von IT-Netzen, die IT-Sicherheitsmaßnahmen sowie den Schutz vor unbefugten Zu-
For personal use only.

griffen. Eine wesentliche Grundlage für die IT-Sicherheit bildet unter anderem
auch die Datenschutzgrundverordnung, dessen Ziel es ist, personenbezogene Da-
ten zu schützen. Nähere Informationen zur Datenschutzgrundverordnung werden
im Abschnitt 5.6 besprochen.
Vorgaben zur IT-Sicherheit sind nicht nur in den einleitend erwähnten Normen zu
finden, sondern es gelten auch nationale Anforderungen, die Hersteller erfüllen
müssen. So legt die FDA beispielsweise in mehreren Guidance-Dokumenten Anfor-
derungen an die IT-Sicherheit fest. Zumeist geht es aber um die Einhaltung von
IT-Sicherheitszielen, die beim Einsatz medizinischer, netzwerkfähiger Produkte zu
erreichen sind. Sehr oft zieht man dazu die vom BSI formulierte CIA-Triade zur
Einhaltung der IT-Security-Schutzziele heran (siehe auch [5.13], CIA-Triade nach
BSI [5.14]):
ƒ Vertraulichkeit (Confidentiality): Schutz und Vertraulichkeit von medizini-
scher Information (Patientendaten) gegen unerlaubten Zugriff, Veränderung
oder Zerstörung/Löschung,
ƒ Integrität (Integrity): Integrität der Daten (Vollständigkeit, Richtigkeit, Gültig-
keit),
ƒ Verfügbarkeit (Availability): kontinuierliche Verfügbarkeit der medizinischen
Information an den beabsichtigten, autorisierten Stellen (und nur an diesen).
Die genannten CIA-Prinzipien gelten nicht nur für medizinische Produkte, sondern
auch für angeschlossene oder betroffene Systemkomponenten wie Zubehör, Ver-
5.5 IT Security für Software in ­Medizinprodukten 165

brauchsmaterialien sowie das Informationsnetzwerk, in das das Produkt integriert


ist. Daher ist bereits beim Design eines Produkts auf die potenzielle Anwendungs-
umgebung Rücksicht zu nehmen. Diese grundlegenden Anforderungen sind in die
Produktanforderungen aufzunehmen. Vorhersehbarer Fehlgebrauch ist zu berück-
sichtigen, dazu zählt auch das beabsichtigte Eindringen in ein Netzwerk durch Ha-
cker. Aber auch gegen Defekte, Stromausfälle und andere denkbare Katastrophen
müssen Vorsorgemaßnahmen getroffen werden. Der STRIDE-Ansatz [5.15] kann
Hersteller dabei unterstützen, geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die das Medi-
zinprodukt vor etwaigen Angriffen verschiedener Herkunft schützen soll.

TIPP:
Um IT-Sicherheit über den gesamten Produktlebenszyklus zu gewährleisten, sind
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Hersteller aufgefordert, Methoden zur Erreichung der Sicherheit bereits in den


Entwicklungsprozess zu integrieren. Es soll eine größtmögliche Resistenz gegen
Angriffe erreicht werden. Man nennt diesen Ansatz auch „Security by Design“.
Solche Methoden können beispielsweise regelmäßige Testverfahren oder auch
geschützte Authentifizierungsmethoden sein. Hersteller sollten in jedem Fall einen
systematischen Ansatz für Verfahren zur Bedrohungsmodellierung verfolgen.
Primäres Ziel sollte dabei immer sein, Schwachstellen zu finden und Penetrations-
tests gem. der MDCG 2019-16 Abschnitt 3.7 durchzuführen. Sowohl die Schwach-
For personal use only.

stellenanalyse wie auch die Penetrationstests müssen unter Berücksichtigung der


MPV durchgeführt werden.

Bei den Produktanforderungen werden die abgeleiteten Spezifikationen und De-


tailanforderungen produktspezifisch unterschiedlich ausfallen. Beim Design sind
Voraussetzungen zu schaffen, dass IT Security und Privacy unter Berücksichtigung
aller möglichen Schnittstellen gewährleistet sind.
Dazu ist die Anwendung des Risikomanagements (siehe Kapitel 2, Risikomanage-
ment) erforderlich. Cyber-Risiken ergeben sich aus der Wechselwirkung zwischen
der Software und dem IT-Netz. Deshalb ist bei beabsichtigter Einbindung des Pro-
dukts in ein IT-Netzwerk auch seine gesamte Umgebung einschließlich des Daten-
transfers im Risikomanagement zu betrachten (siehe IEC 80001-x Serie; [5.16]).
Ein Netzwerk ist ein dynamisches Gebilde, welches laufend Änderungen unterwor-
fen ist. Daher müssen bei einem kontinuierlichen Risikomanagement alle Beteilig-
ten (IT-Betreuung, Hersteller des Produkts und die Anwenderorganisation) die
­Einrichtung und alle Änderungen auf deren Einflüsse evaluieren. Folgende Schnitt-
stellen sind zu berücksichtigen:
ƒ Benutzer, lokal und Fernbedienung (remote),
ƒ Service, betroffene Organisation und Hersteller (z. B. Update von Firmware),
ƒ IT-Administrator,
ƒ andere angeschlossene Geräte oder Software wie LIS/HIS.
166 5 Software als Medizinprodukt

Externe Datenträger sind besonders kritisch, da ein Kopieren von Daten über sie
sehr leicht möglich ist und über diese die Zugänglichkeit von Daten unkontrolliert
erfolgen kann. Daher sollte auch jeder Zugriff auf Daten mitprotokolliert werden.
Es liegt am Hersteller, die richtige Balance zwischen Patientensicherheit (Safety)
und IT-Sicherheit (Security) zu schaffen. Safety und Security bilden die Pfeiler, auf
denen das Konstrukt der IT-Sicherheit gebaut wird. Wie in dem Leitfaden der
MDCG 2019-16 [5.3] zur Cybersecurity für Medizinprodukte beschrieben wird,
dürfen Safety und Security nicht voneinander getrennt werden. Wir empfehlen
Herstellern, sich an den Vorgaben dieses Leitfadens zu orientieren, nicht zuletzt
deswegen, da auch Auditoren bekanntlich gerne darauf zurückgreifen. Das ist
nicht weiter überraschend, wenn man bedenkt, dass die MDCG der Europäischen
Kommission oftmals beratend zur Seite steht.
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Auch der IMDRF Leitfaden „Principles and Practices for Medical Device Cyber­
security “ [5.17] sollte an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. Dieser soll Er-
leichterung bei der internationalen Harmonisierung der Cybersicherheitsvor-
schriften für Medizinprodukte schaffen. Dabei werden wichtige Grundprinzipien
und Best Practices vermittelt.
Die 2021-Ausgabe der IEC 60601-4-5 [5.18] gibt als eine der wenigen Normen so-
For personal use only.

genannte Security Levels zur Erreichung der Safety- und Security-Ziele in der Me-
dizintechnik vor (äquivalent zum Industriestandard IEC 62443 [5.19]). Auch diese
Norm kann als Hilfsmittel herangezogen werden, um geeignete Maßnahmen für
die im Risikomanagement festgelegten Sicherheitslevel zu definieren. Das Kern-
element dieser Norm setzt sich aus den verschiedenen Typen der Security Levels
zusammen, die sich wie folgt einteilen lassen:
ƒ SL-T (Security Level – Target),
ƒ SL-C (Security Level – Capability),
ƒ SL-A (Security Level – Achieved).
Durch sie definiert man den Grad der Belastbarkeit gegenüber Cyberangriffen. Die
Soll-Sicherheitsstufe (SL-T) ist jene Sicherheitsstufe, die Hersteller für ein IT-Netz
erreichen wollen. Dabei hat eine Risikobeurteilung zu erfolgen, die die spezifizier-
ten SL-T Levels der einzelnen Zonen eines medizinischen IT-Netzwerks bestimmt.
Aus der SL-C-Stufe geht hervor, ob das SL-T Ziel ohne kompensierende Gegenmaß-
nahmen erfüllt werden kann, wenn das Gerät/die Komponente/etc. ordnungsge-
mäß installiert wurde. Die SL-A-Sicherheitsstufe ist jenes Level, das tatsächlich
erreicht werden konnte. Gemessen werden kann die Erreichung des SL-A-Levels
nach Verfügbarkeit eines Entwurfs oder aber auch nach Inbetriebnahme des IT-
Netzwerks. Anhand dieser Bewertung kann festgestellt werden, wie viele der ur-
sprünglich festgelegten SL-T-Ziele tatsächlich erfüllt werden konnten. Die Norm
empfiehlt, für die jeweils festgelegten Levels das Stufenmodell zu verwenden, wel-
ches in Bild 5.6 dargestellt wird. Je größer die Auswirkungen auf die Sicherheit
5.5 IT Security für Software in ­Medizinprodukten 167

sind, umso höher muss der Sicherheitslevel eingestuft werden. Die Einstufung er-
folgt von SL 0: Keine besonderen Anforderungen bis hin zu SL 4: Schutz vor vor-
sätzlichen Angriffen mithilfe hochentwickelter Mittel und hoher Motivation.

Sicherheitslevel
hoch

SL 4
SL 3
SL 2
SL 0 SL 1
niedrig Auswirkungen auf
(Paenten)Sicherheit
klein groß
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Bild 5.6 Stufenmodel der Sicherheitslevel nach IEC 60601-4-5

TIPP:
Bei den umfassenden Anforderungen an die IT-Sicherheit fällt es manch einem
schwer zu entscheiden, wo begonnen werden soll. Neben dem Risikomanagement
als zentraler Mittelpunkt sollten Hersteller zunächst ermitteln, welche Richtlinien
For personal use only.

und Guidelines am zutreffendsten für ihre Software sind. Erst dann sollten weitere
Schritte eingeleitet werden.

Leitfäden zur IT-Sicherheit:


Neben dem zentralen Leitfaden MDCG 2019-16 und der 2021 erschienenen IEC
60601-4-5 empfehlen wir außerdem einen Blick in die Norm IEC 81000-5-1 [5.20]
zu werfen, die sich momentan allerdings noch im Entwicklungsstadium befindet.
Sie beschäftigt sich mit Fragen zu Grundsätzen der IT-Sicherheit, ebenso mit
Definitionen für Gesundheitssoftware, Gesundheits-IT-Systeme und auch mit
Aspekten der Sicherheits- und Effektivitätsstandards. Die IEC 81000-5-1 und die
IEC 60601-4-5 stellen vermutlich die zukünftig wichtigsten IT-Sicherheitsstan-
dards auf europäischer Ebene dar.
Daneben hat auch das Johner Institut gemeinsam mit dem TÜV Süd einen Leitfa-
den zum Thema IT-Sicherheit [5.21] mit Schwerpunkt auf die Patientensicherheit
entwickelt. Dieser Leitfaden wird in abgewandelter Form gerne bei Benannten
Stellen (vorwiegend in Deutschland) eingesetzt.

168 5 Software als Medizinprodukt

„ 5.6 Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)
In Europa ist die Datenschutzgrundverordnung (General Data Protection Regula-
tion, GDPR) die gesetzliche Grundlage für die Gewährleistung des Schutzes von
personenbezogenen Daten. Auch die MPV (Art. 110) referenziert auf die europäi-
sche Datenschutzgrundverordnung und fordert den Schutz von personenbezoge-
nen Daten. Sie enthält zahlreiche Regelungen, die Hersteller und Betreiber von
Medizinprodukten betreffen ([5.22], [5.23]).
Auch bei der IT-Sicherheit lässt sich der Datenschutz als eines der Schutzziele wie-
derfinden. Ähnlich wie bei der von der BSI formulierten CIA-Triade definiert auch
die DSGVO Anforderungen zu Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit. Zu-
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dem fordert auch die ISO 13485 die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben in Be-
zug auf die Datensicherheit. Durch geeignete Maßnahmen ist ein ausreichender
Datenschutz zu gewährleisten. Solche Maßnahmen können beispielsweise sein:
Zugriffskontrollen, Firewalls, Anti-Viren-Programme sowie Pseudonymisierung
und Verschlüsselung.
Zur Pseudonymisierung gibt es eine Reihe von Methoden wie zum Beispiel krypto-
grafische Verfahren (Hashing, Verschlüsselung etc.). Dabei werden Pseudonyme
For personal use only.

aus Ursprungsdaten abgeleitet. In der Praxis findet man sowohl manuell als auch
zufällig generierte Pseudonyme. Ebenso kann auch eine Kombination beider Me-
thoden zum Einsatz kommen. Die generierten Werte werden anschließend in einer
Tabelle gespeichert [5.24].
Hersteller müssen für die Sicherheit der Daten garantieren und die Nachvollzieh-
barkeit der Datenverarbeitung gewährleisten. Die Anforderungen der Datenschutz-
grundverordnung sollten unbedingt in das Risikomanagementsystem integriert
werden. Häufig ist für die elektronische Datenverarbeitung trotz allem die Zustim-
mung der Betroffenen erforderlich.

„ 5.7 KI und maschinelles Lernen


Künstliche Intelligenz (KI) mit maschinellem Lernansatz gewinnt bei medizini-
scher Software enorm an Bedeutung. Hersteller versuchen permanent, die Innova-
tivität ihrer Software zu steigern und so Verbesserung im Gesundheitsbereich zu
schaffen. KI schreibt die Zukunft medizinischer Software und wird wohl in nicht
allzu langer Zeit in nahezu allen Bereichen der Medizin zu finden sein. So wird sie
beispielsweise schon erfolgreich für bildgebende Diagnoseverfahren sowie zur
Vorhersage von Krankheitsverläufen eingesetzt. Es steht jedoch berechtigterweise
5.7 KI und maschinelles Lernen 169

die Frage im Raum, ob KI-basierte Software nach momentanem Stand der Gesetz-
gebung überhaupt als Medizinprodukt zugelassen werden kann.
Während bei der Implementierung herkömmlicher Software bereits im Entwick-
lungsprozess darauf geachtet wird, dass deren deterministische Funktionsweise
am Ende gut verifiziert als auch validiert werden kann, stößt man hier bei KI/ML-
Software auf den einen oder anderen Stolperstein. Neben der Erstfehlersicherheit
gelten auch die zu Beginn erwähnten Anforderungen wie Wiederholbarkeit, Zuver-
lässigkeit und Leistungsfähigkeit. Diese lassen sich in der Praxis jedoch nur allzu
schwer umsetzen. Der Grund dafür ist einfach: KI mit maschinellem Lernansatz
arbeitet nach ganz anderen Prinzipien und Vorgehensmodellen [5.25].
Dabei wird in der Entwicklung mit maschinellem Lernen anhand von Eingaben
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und Ergebnissen als Input ein KI-Modell entwickelt, das in der Lage ist, anhand
von neuen Daten probabilistische Vorhersagen zu treffen. Eine wesentliche Rolle
spielt dabei die Qualität der zugrundeliegenden Daten und in welcher Menge diese
zur Modellentwicklung zur Verfügung stehen. Grundsätzlich werden heute zwei
Bereiche unterschieden, nämlich die Klassifikation (Vorhersage einer Kategorie)
und die Regression (Vorhersage eines Zahlenwerts). Entsprechend sind in der Me-
dizintechnik typischerweise KI/ML-Verfahren wie Support Vector Machine, Neuro-
nal Networks, Decision Trees, Nearest Neighbor oder Lineare und Logistic Regres-
For personal use only.

sion im Einsatz.
Die Anpassung des Modells ist durch kontinuierliches Lernen, die Weiterentwick-
lung über die Zeit sowie durch die statistischen Gütekriterien geprägt. Entspre-
chend sind im Rahmen der Zulassungen im Vergleich zur klassischen, nach IEC
62304 normkonformen Softwareentwicklung Diskussionen vorprogrammiert. Vor
allem die Verwendung derselben Begrifflichkeiten, aber deren unterschiedliche
Bedeutung der Begriffe Verifizierung und Validierung sowohl in der Medizinpro-
duktewelt als auch im KI-Umfeld sorgt immer wieder für Verwirrung. Oder was
verstehen Sie unter „Machine Learning Algorithm Validation“?
Aber auch die Softwarevalidierung der verwendeten Werkzeuge und ML-Biblio­
theken als SOUP sind als Herausforderung in der Zulassung und in der Entwick-
lungsphase zu sehen und nicht zu unterschätzen. Sie setzen sich über den ganzen
Produktlebenszyklus fort, wo die entsprechenden Release Notes, Bugfixes oder
­Anomalien zu beobachten sind.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich ebenfalls im Rahmen der klinischen Be-
wertung bzw. im Risikomanagement, wo man sich mit dem Risiko-Nutzen-Verhält-
nis auseinanderzusetzen hat. Dabei ist der Nutzen keine absolute Größe, sondern
orientiert sich an der besten verfügbaren Alternative, die entsprechend auch fest-
zulegen ist. Oft wird diese dann als State-of-the-Art-Methode oder als Goldstandard
bezeichnet. Dennoch sind der Vergleich und eine absolute Maßangabe der Relation
eine nicht triviale Aufgabe.
170 5 Software als Medizinprodukt

5.7.1 Förderung des Verständnisses


Um Machine-Learning-Modelle und deren Algorithmen besser verstehen zu kön-
nen und das Vertrauen in die Ergebnisse zu stärken, sind im Wesentlichen Frage-
stellungen, die zur Erhöhung der Interpretierbarkeit des Ergebnisses und des Mo-
dells beitragen, in den folgenden Ebenen vordringlich zu beantworten:
1. Technische Ebene: Validierung der Datenqualität, ML-Algorithmus und Vor-
hersagegüte,
2. Menschliche Ebene: Nachvollziehbarkeit und Plausibilität.
Diese Interpretierbarkeit, an dem die unterschiedlichsten Stakeholder wie Anwen-
der, Hersteller, Auditoren und Reviewer vor allem während der Zulassung Interes-
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sen haben, setzt sich aus der Erklärbarkeit und der Transparenz zusammen. Ent-
sprechend dem Fokus unterscheidet man zwei Arten.
Während man bei klassischen KI-Algorithmen von einer sogenannten White Box
spricht, deren Entscheidungsbasis auf einer transparenten Vorgehensweise wie
z. B. einer Offenlegung der zugrunde liegenden Entscheidungsstrukturen oder Logi-
ken sowie den verwendeten Daten liegt, spricht man bei KI/ML-Algorithmen oftmals
von der sogenannten Black Box. Ein fundamentales Problem dieses Black-Box-­
For personal use only.

Ansatzes liegt darin, gelieferte Ergebnisse erklärbar zum Ursprung zurückzuver-


folgen (z. B. durch Übermittlung der Entscheidung anhand von diesen oder jenen
Merkmalen durch das Modell selbst).
Die Komplexität der Modelle und die, wenn überhaupt mögliche, schwierige Nach-
vollziehbarkeit überfordert dabei jedoch sehr rasch die menschliche dreidimensio-
nale Vorstellungskraft. Um in die Tiefe der Interpretierbarkeit einzusteigen, emp-
fiehlt sich das Buch Interpretable Machine Learning von Chris Molnar [5.26].
Die Neuartigkeit und die hohe Dynamik des Themas beschäftigten auf allen Linien
die ganze Branche. Entsprechend sind dabei auch die regulatorischen Anforderun-
gen betroffen. Einen umfangreichen Überblick hat Prof. Dr. Christian Johner in
seinem Blog zusammengefasst [5.27].
Im Rahmen der Zulassung sind auch Gesetzgeber gefordert, neue Wege zu gehen.
Speziell in den USA hat man sich schon frühzeitig dieser Herausforderung gestellt.

5.7.2 Ansätze von Seiten der FDA


Während in der EU noch fleißig an Gesetzesvorgaben für die Zulassung KI/ML-
basierter Software gearbeitet wird, hat die FDA bereits sehr früh erste Ansätze und
Leitfäden veröffentlicht mit dem Ziel, sichere und effektive Softwarefunktionalität
zu gewährleisten, die die Qualität der Patientenversorgung verbessert. Der „Artifi-
cial Intelligence/Machine Learning (AI/ML)-Based Software as a Medical Device
5.8 Digitale Gesundheitsanwendung (DiGa) 171

(SaMD) Action Plan“ [5.28] als übergeordnetes Rahmendokument beschäftigt sich


mit folgenden fünf Hauptkomponenten:
1. maßgeschneiderter regulatorischer Rahmen inkl. Anleitung für SaMD, die mit
der Zeit „lernen“,
2. Unterstützung bei den Good Machine Learning Practices,
3. patientenzentrierter Ansatz: Transparenz für den Anwender,
4. Methoden zur Verbesserung der Leistung und Bewertung von KI/ML-Algorith-
men,
5. Einrichtung von Pilotprogrammen zur Leistungsüberwachung in der realen
Welt.
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Darüber hinaus hat die FDA auch erkannt, dass sie in diesem Zusammenhang
auch ihre Zulassungswege bzgl. KI/ML und deren möglichen Änderungen jegli-
cher Art überdenken müssen. Dementsprechend wird in dem Artificial Intelligence
and Machine Learning Discussion Paper der FDA darauf eingegangen [5.29]. Eine
exakte Hilfestellung dazu ist bis dato noch nicht verfügbar und kann oft nur im
direkten Behördenaustausch geklärt werden. Für Europa gibt das Johner Institut
mit seinem Leitfaden zur Anwendung der Künstlichen Intelligenz (KI) bei Medizin-
produkten wertvolle Anregungen. Dieser ist auf der Homepage des Instituts abruf-
For personal use only.

bar [5.30].
Im Moment herrscht aufgrund der hohen Dynamik zu diesem Thema auf allen
Seiten große regulatorische Verunsicherung. Jedem Hersteller kann nur geraten
werden, sich sorgfältig über die aktuelle Gesetzeslage zu informieren bzw. das Vor-
gehen der Interessensgruppen und Behörden genau zu beobachten. Erst mit der
Zeit werden sich durch erste Erfahrungen standardisierte Prozesse und Wege eta-
blieren.

„ 5.8 Digitale Gesundheitsanwendung (DiGa)


Während in weiten Teilen Europas eine Verschreibung von Gesundheitsapplikatio-
nen „auf Rezept“ noch eine Wunschvorstellung ist, wurde in Deutschland 2020
bereits eine Grundlage für digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) im medizini-
schen Versorgungsprozess geschaffen. Das Bundesministerium für Gesundheit hat
hier mit der Umsetzung des Gesetzes zur digitalen Gesundheitsversorgung (DVG)
und der Verordnung über digitale Gesundheitsanwendungen (DIGAV) regulatori-
sche Vorgaben festgelegt. Um nach der DVG als DiGa zu zählen, müssen neben einer
CE-Kennzeichnung eines Medizinproduktes im Allgemeinen auch nachstehend an-
geführte Eigenschaften erfüllt werden [5.31].
172 5 Software als Medizinprodukt

Die digitale Gesundheitsanwendung . . .


ƒ ist Risikoklasse I oder IIa nach MPV.
ƒ beruht auf digitalen Technologien, wobei der medizinische Zweck im Wesent­
lichen durch die digitale Hauptfunktion erreicht wird.
ƒ unterstützt die Erkennung/Überwachung/Behandlung/Linderung von Krank-
heiten/Verletzungen/Behinderungen.
ƒ wird vom Patienten oder vom Leistungsbringer und Patient gemeinsam genutzt.
Die Zulassung einer DiGa erlaubt es Ärzten als auch Psychotherapeuten, digitale
Gesundheitsanwendungen auf Kassenbasis zu verordnen. DiGas werden in einem
öffentlich zugänglichen DiGa-Verzeichnis gelistet, was vor allem eines bedeutet:
Transparenz.
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Auch die Anforderungen an die IT-Sicherheit sowie an den Datenschutz kommen


hier nicht zu kurz.
Es liegt auf der Hand, dass sich bzgl. der digitalen Gesundheitsanwendungen auf
Rezept, nicht zuletzt geprägt durch die Corona-Zeit, auch in anderen Ländern in
Zukunft viel tun wird.
For personal use only.

TIPP:
Telemedizinische Applikationen können Teil einer digitalen Gesundheitsanwendung
sein, sofern die Kernfunktion hauptsächlich auf digitalen Technologien beruht.

„ 5.9 Zusammenfassung
Die europäische Verordnung hat in den letzten Jahren für großes Aufsehen bei
Medizinprodukteherstellern gesorgt. Vor allem Hersteller von Medizinprodukte­
software haben mit den wenig dynamischen Vorgaben der Verordnung und einer
Reihe von empfohlenen Guidelines zu kämpfen. Manch einem fällt es hierbei
schwer, nicht den Überblick zu verlieren. Der Grund für die immer strikter wer-
denden Verordnungen ist aber eindeutig: Die Anforderungen an die Sicherheit
nehmen stetig zu.
Software muss per Definition demnach so ausgelegt werden, dass Wiederholbar-
keit, Zuverlässigkeit und Leistung gewährleistet sind. Eine Realisierung hat nach
aktuellem Stand der Technik, unter Einhaltung der Grundsätze des Software­
lebenszyklus, des Risikomanagements, der IT-Sicherheit und nicht zuletzt auch
unter dem Aspekt der Verifizierung und Validierung zu erfolgen. Deshalb auch
wenig überraschend, dass die Verordnungen und Normen gegenseitige Abhängig-
5.9 Zusammenfassung 173

keiten aufweisen und sich aufeinander stützen. So hat die MPV neben dem grund-
legenden Ziel der Sicherheit speziell auch die IT-Sicherheit ins Auge gefasst. Sie
fordert ein QM-System und verweist dazu auf die ISO 13485, ebenso wie die IEC
62304 für die Einhaltung des Softwarelebenszyklus und die ISO 14971 für das Ri-
sikomanagement. Die neue Verordnung hat außerdem auch bei der Klassifizierung
für Aufregung gesorgt. Kaum eine Software fällt nach aktuellen Formulierungen
mehr in Klasse 1, was vor allem für KMU eine große Herausforderung darstellt.
Basis für die Klassifizierung bildet nach wie vor die Zweckbestimmung, doch an
dem Regelwerk, wann ein Produkt in welche Risikoklasse fällt, wurde stark nach-
geschärft. Das „Framework for Risk Characterization“ der IMDRF kann Herstellern
bei der Risikocharakterisierung eine große Hilfe sein. Wobei zu beachten gilt, dass
zwischen den Anforderungen der MPV und der IMDRF dennoch ein Unterschied
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besteht, nämlich geht die IMDRF vom Gesundheitszustand des Patienten aus, wäh-
rend sich die MPV auf den Schweregrad verursachter Schäden konzentriert. Klar
ist, je höher die Sicherheitsklassifizierung ausfällt, umso mehr steigen auch die
Anforderungen an den Detaillierungsgrad und die Dokumentation. Im Übrigen
darf in QM/IT-Systemen auch auf die Validierung der eingesetzten Tools nicht ver-
zichtet werden. Hierbei lohnt es sich, die nicht harmonisierte Norm ISO 80002-2
oder den GAMP-5-Leitfaden als Stütze heranzuziehen.
For personal use only.

Dreh- und Angelpunkt in der Softwareentwicklung stellt das Risikomanagement


dar. Beim Abschätzen der Fehlerwahrscheinlichkeiten, bei der Risikoklassifizie-
rung von Software, stoßen Hersteller auch hier immer wieder auf Herausforderun-
gen. Lange musste die Wahrscheinlichkeit von Fehlfunktionen, die zu Gefährdun-
gen führen, mit 100 % angenommen werden. Diese Vorgabe hat sich nach dem Jahr
2015 etwas entschärft. Durch Belegen der vom Hersteller angenommenen, „realis-
tischeren“ Wahrscheinlichkeiten mit aussagekräftigen Testergebnissen können
Annahmen bei Audits rasch belegt werden. Des Weiteren können auch Daten aus
dem Feld und Literaturrechen herangezogen werden, um Auftrittswahrscheinlich-
keiten besser abzuschätzen. Zum Testen empfiehlt es sich, Code Coverage, mit de-
ren verschiedenen Maßnahmen, einzusetzen. Im Fokus stehen momentan auch die
IEC 81000-5-1 und die IEC 60601-4-5, die gemeinsam die zukünftig wahrschein-
lich wichtigsten IT-Sicherheitsstandards auf europäischer Ebene bilden und
vermutlich sogar imstande sind, Richtlinien ihrer Art sogleich zu verdrängen.
Die 62304 bildet das Herzstück, wenn es um die umzusetzenden Grundsätze der
Softwareentwicklung geht. Sie gibt vor, wie Prozesse und Aktivitäten im Software­
lebenszyklus implementiert werden, und andererseits auch, wie Software entwi-
ckelt und gewartet werden soll. Wir haben gezeigt, welche normativen Dokumenta-
tionsanforderungen es in den einzelnen Phasen gibt und welche Tools sich in den
jeweiligen Softwareentwicklungsphasen einsetzen lassen. So lohnt sich beispiels-
weise der Einsatz von UML-Klassendiagrammen in der Designphase oder die Ver-
wendung von Versionierungstools im Softwarekonfigurationsmanagement.
174 5 Software als Medizinprodukt

Agilität ist ein nicht mehr wegzudenkendes Thema in der Softwareentwicklung


geworden. Unter all den Anforderungen, die an Medizinprodukte gestellt werden,
stoßen Softwareentwickler auch hier oft an ihre Grenzen. Lassen sich Agilitätsan-
sätze in den Softwareentwicklungsprozess integrieren? Die kurze Antwort lautet:
Ja, aber mit Einschränkungen. Der TIR 45:2012 Leitfaden bietet einen Anhalts-
punkt für Softwareentwickler, um den Agilitätsansatz in ihrer Softwareentwicklung
zu integrieren. Das bei Medizinprodukteherstellern gern verwendete V-Modell
könnte hierbei beispielsweise als Dokumentationsmodell dienen. Die Verwendung
des agilen Ansatzes in der Softwareentwicklung von Medizinprodukten ist also
nicht unmöglich, lässt sich aber gerade in der Startphase oftmals nur schwer um-
setzen. Deshalb lohnt es sich gerade zu Beginn, einen Experten zu Rate zu ziehen.
Aufgrund der kontinuierlich steigenden Cyberattacken haben auch die Anforde-
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rungen an die IT-Sicherheit in den letzten Jahren enorm an Bedeutung gewonnen.


Security by Design lautet das Stichwort. Auch hier steht das Risikomanagement im
Mittelpunkt der IT-Sicherheit. Es sollte bereits im Entwicklungsdesign berücksich-
tigt werden, um die IT-Security-Schutzziele wie Vertraulichkeit, Integrität und Ver-
fügbarkeit (CIA-Triade, BSI) zu erreichen. Weiteren Support zum Thema IT-Sicher-
heit finden Hersteller auch in dem MDCG-Leitfaden zur Cybersecurity sowie im
IMDRF-Leitfaden zu „Principles and Practices for Medical Device Cybersecurity“.
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Auch die letzte Ausgabe der Norm IEC 60601-4-5 greift Herstellern bei der Errei-
chung von Safety- und Security-Schutzzielen unter die Arme. Nicht zuletzt unter
Verwendung der von ihnen definierten Security Levels, die sie zur Erreichung der
Schutzziele festgelegt haben. Große Bedeutung im Bereich der IT-Sicherheit hat
der Schutz der Patientendaten, was an die Vorgaben der Datenschutzgrundverord-
nung geknüpft ist. Die Anforderungen an den Datenschutz spannen sich wie ein
großer Bogen über alle Bereiche eines Medizinprodukts. Neben der IT-Sicherheit
spielt der Schutz personenbezogener Daten auch in Bereichen der künstlichen In-
telligenz und des maschinellen Lernens eine immer bedeutendere Rolle. Für die
weitere Datenverarbeitung ist am Ende neben der Anonymisierung der Daten im-
mer auch die Zustimmung der Betroffenen erforderlich.
Transparente Algorithmen, die Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung und
die Effizienz durch den KI/ML-Ansatz lassen sich oftmals nur schwer bis gar nicht
mit den gesetzlichen Anforderungen an Medizinprodukte erfüllen. Dennoch sind
innovative Lösungen aus vielen Bereichen der Medizintechnik wie beispielsweise
der bildgebenden Diagnostik nicht mehr wegzudenken. Die FDA geht mit gutem
Beispiel voran und hat bereits einen Guideline-Entwurf veröffentlicht, der es Her-
stellern ermöglicht, KI/ML-Ansätze bei der Entwicklung von Medizinprodukten zu
verwenden und gleichzeitig aber auch die normativen Anforderungen zu erfüllen.
Auch in Europa muss ein Weg geschaffen werden, um gesetzeskonform unterwegs
zu sein und gleichzeitig innovative und effiziente KI/ML-Ansätze in Medizinpro-
dukten integrieren zu können.
5.10 Literatur 175

Die oftmals starren gesetzlichen Vorgaben und die in der Entwicklung immer dy-
namischeren Softwareansätze stehen nicht immer im Einklang. Abschließend
bleibt aber zu sagen, dass das Unmögliche nur auf den ersten Blick unmöglich er-
scheint. Mit dem richtigen Fahrplan können Hersteller sowohl innovative Ansätze
wie beispielsweise agile Softwareentwicklung und die KI/ML-basierten Program-
mieransätze in der Software integrieren und gleichzeitig auch die gesetzlichen
­Anforderungen erfüllen. Was in manchen Ländern schon längst Realität ist, bei-
spielsweise Gesetzesentwürfe im Bereich der künstlichen Intelligenz sowie Ge-
sundheitsapplikationen auf Rezept, wird früher oder später auch in anderen Län-
dern nachgezogen werden.
Fakt ist, diese Themen sind längst kein Wunschdenken mehr, sondern schon lange
in unserem Alltag angekommen. Gesetzesgeber sind gefordert, mit Hochdruck an
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entsprechenden Vorgaben zu arbeiten, um motivierten Herstellern nicht länger in


die Quere zu kommen, denn immerhin verlangt die MPV eine Entwicklung von
Medizinprodukten „am Stand der Technik“.

„ 5.10 Literatur
For personal use only.

[5.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117/1 vom 05. 05. 2017: Verordnung
(EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinpro-
dukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG
des Rates Verfügbar unter: http://data.europa.eu/eli/reg/2017/745/oj/deu, abgerufen am
19. 04. 2021.
[5.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117/176 vom 05. 05. 2017: Verord-
nung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-
Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der
Kommission (IVDV). Verfügbar unter: http://data.europa.eu/eli/reg/2017/746/oj/deu, abgerufen
am 19. 04. 2021.
[5.3] Medical Device Coordination Group (MDCG): Guidance on Qualification and Classification of Soft-
ware in Regulation (EU) 2017/745 – MDR and Regulation (EU) 2017/746 – IVDR. 2019. Verfügbar
unter: https://ec.europa.eu/docsroom/documents/37581, abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.4] International Electrotechnical Commission (IEC): EN 62304 – Medical device software – Software
life cycle processes. 2006. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN
62304; VDE 0750 – 101:2007-03 Medizingeräte  – Software  – Software-Lebenszyklus-Prozesse.
2006. Beuth. 2007.).
[5.5] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 14971:2019 Medical de-
vices – Application of risk management to medical devices. 2019. (Deutsche Fassung: Deutsches
Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 14971:2019 Medizinprodukte  – Anwendung des Risiko­
managements auf Medizinprodukte. Beuth. 2020-07.).
[5.6] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical de-
vices – Quality management systems – Requirements for regulatory purposes. 2016. (Deutsche
Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016-08, Medizinprodukte –
Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Beuth, 2016.).
176 5 Software als Medizinprodukt

[5.7] International Medical Device Regulators Forum (IMDRF): „Software as a Medical Device“: Possible
Framework for Risk Categorization and Corresponding Considerations. 2014. Verfügbar unter:
http://www.imdrf.org/docs/imdrf/final/technical/imdrf-tech-140918-samd-framework-risk-
categorization-141013.pdf, abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.8] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): IEC 61508-3:2010-04-02. Functio-
nal safety of electrical/electronic/programmable electronic safety-related systems – Part 3: Soft-
ware requirements. 2010. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN
61508-3:2011-02. Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer/elektronischer/pro-
grammierbarer elektronischer Systeme - Teil 3: Anforderungen an Software. Beuth. 2011.).
[5.9] Internationale Organisation für Normung (ISO): ISO/TR 80002-2:2017-06. Medizinische Gerätesoft-
ware - Teil 2: Validierung von Software zur Verwendung in der Qualitätssicherung für medizini-
sche Geräte. Beuth. 2017.
[5.10] International Society for Pharmaceutical Engineering (ISPE): GAMP 5 – Ein risikobasierter Ansatz
für konforme GxP-computergestützte Systeme. 2008.
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[5.11] International Organization for Standardization (ISO): International Electrotechnical Commission


(IEC): ISO/IEC 25010:2011 – Systems and software engineering – Systems and software Quality
Requirements and Evaluation (SQuaRE) – System and software quality models. 2011.
[5.12] Association for the Advancement of Medical Instrumentation (AAMI): AAMI TIR45:2012 (R2018).
Guidance On The Use Of AGILE Practices In The Development Of Medical Device Software. 2012.
[5.13] U. S. Department for Health @Human Services: HIPAA & Code of Federal Regulations Title 45, Part
160, 162, 164, Verfügbar unter: https://www.hhs.gov/hipaa/for-professionals/index.html, abgeru-
fen am 31. 05. 2021.
[5.14] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: IT-Grundschutz-Kompendium. 2021. Verfügbar
For personal use only.

unter: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Grundschutz/Kompendium/IT_
Grundschutz_Kompendium_Edition2021.pdf?__blob=publicationFile&v=6, abgerufen am 31. 05. 2021.
[5.15] Microsoft Cooperation: The STRIDE Threat Model. 2009. Verfügbar unter: https://docs.microsoft.
com/en-us/previous-versions/commerce-server/ee823878(v=cs.20), abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.16] International Electrotechnical Commission (IEC): IEC 80001 – 1:2010 – Application of risk manage-
ment for IT-networks incorporating medical devices. 2010.
[5.17] International Medical Device Regulators Forum (IMDRF): Principles and Practices for Medical
Device Cybersecurity. 2020. Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/docs/imdrf/final/technical/
imdrf-tech-200318-pp-mdc-n60.pdf, abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.18] International Electrotechnical Commission (IEC): IEC TR 60601-4-5: Medical electrical equipment;
Part 4-5 Guidance and interpretation; Safety related technical security specifications for medical
devices. 2021.
[5.19] International Electrotechnical Commission (IEC): DIN EN IEC 62443-3-3:2020-01. Industrielle Kom-
munikationsnetze - IT-Sicherheit für Netze und Systeme - Teil 3-3: Systemanforderungen zur IT-
Sicherheit und Security-Level (IEC 62443-3-3:2013 + COR1:2014). Beuth. 2020.
[5.20] International Organization for Standardization: ISO 81001-1:2021. Health software and health IT
systems safety, effectiveness and security — Part 5-1: Security — Activities in the product life
cycle. 2021.
[5.21] Christian Johner: Leitfaden IT-Sicherheit für Medizinprodukte. 2021. Verfügbar unter: https://
github.com/johner-institut/it-security-guideline/, abgerufen am 31. 05. 2021.
[5.22] Wirtschaftskammer Österreich (WKO): EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO): Datensicher-
heit und Datenschutz. Verfügbar unter: https://www.wko.at/service/wirtschaftsrecht-gewerberecht/
EU-Datenschutz-Grundverordnung:Datensicherheit-und-Daten.html, abgerufen am 31. 05. 2021.
[5.23] Christian Johner: Wissen zu medizinischer Software. EU-Datenschutzgrundverordnung DSGVO.
2018. Verfügbar unter: https://www.johner-institut.de/blog/regulatory-affairs/
eu-datenschutzgrundverordnung-dsgvo/, abgerufen am 31. 05. 2021.
5.10 Literatur 177

[5.24] Christian Johner: Wissen zu medizinischer Software. Pseudonymisierung und Anonymisie-


rung Begriffe und Unterscheidung. 2020. Verfügbar unter: https://www.johner-institut.de/blog/
medizinische-informatik/anonymisierung-und-pseudonymisierung/, abgerufen am 31. 05. 2021.
[5.25] G. Eckhard; C. Vater; S. Zimmer-Merkle: Black Boxes – Versiegelungskontexte und Öffnungsver­
suche: Interdisziplinäre Perspektiven. De Gruyter. 2020.
[5.26] Christoph Molnar: Interpretable Machine Learning. A Guide for Making Black Box Models
­Explainable. 2020.
[5.27] Christian Johner: Wissen zu medizinischer Software. Künstliche Intelligenz in der Medizin: Auf
was Hersteller achten müssen. 2020. Verfügbar unter: https://www.johner-institut.de/blog/
regulatory-affairs/kuenstliche-intelligenz-in-der-medizin/, abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.28] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Artificial Intelligence and Machine Learning (AI/ML)
Software as a Medical Device Action Plan. 2021. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/
medical-devices/software-medical-device-samd/artificial-intelligence-and-machine-learning-
software-medical-device, abgerufen am 25. 05. 2021.
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[5.29] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Proposed Regulatory Framework for Modifications to
Artificial Intelligence/Machine Learning (AI/ML) – Based Software as a Medical Device (SaMD).
2019. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/media/122535/download, abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.30] Christian Johner: Leitfaden zur KI bei Medizinprodukten. Verfügbar unter: https://github.com/
johner-institut/ai-guideline, abgerufen am 25. 05. 2021.
[5.31] Christian Johner: Wissen zu medizinischer Software. Digitale Gesundheitsanwendungen Ver­
ordnung DiGAV. 2021. Verfügbar unter: https://www.johner-institut.de/blog/gesundheitswesen/
digitale-gesundheitsanwendungen-verordnung-digav/, abgerufen am 31. 05. 2021.
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6 Sicherheitstechnische
Anforderungen
R. Neubauer, J. Schröttner, C. Baumgartner

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Warum Sicherheitstechnik?
ƒ Welches Maß an Sicherheit ist erforderlich?
ƒ Wie kann Produktsicherheit erreicht werden?
ƒ Welche Anforderungen stellen die Medizinprodukteregularien?
ƒ Was versteht man unter integrierter Sicherheit?
ƒ Wie geht man mit Ersten Fehlerfällen um?
ƒ Was soll bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden?

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„ 6.1 Einleitung
In den Anfängen der Medizintechnik wurde das Augenmerk vermehrt auf die Ge-
rätefunktion beziehungsweise auf die Entwicklung von Methoden und Techniken
für medizintechnische Geräte gelegt. Man musste aber rasch feststellen, bedingt
durch Vorfälle aus dem Praxisalltag, dass der Patienten- und Anwendersicherheit
ebenso eine große Rolle zukam. Das Verständnis darüber und die Erkenntnis, dass
sicherheitstechnische Maßnahmen ebenso wie Leistungsparameter eines Gerätes
normativ geregelt werden müssen, hat in den letzten Jahrzehnten sukzessive zuge-
nommen.
Ein gutes Beispiel dafür liefert die EN 60601 – 1 [6.1], die Hauptnorm für sicherheits-
technische Anforderungen an medizinisch-elektrische Geräte. Wurden in den ersten
beiden Ausgaben (Edition 1, 2) vor allem elektrische und mechanische Sicherheitsas-
pekte betrachtet, wurden in der 3. Edition die Anforderungen durch Einbeziehung
von Biokompatibilität, Gebrauchstauglichkeit (Usability), programmierbare elektri-
sche Systeme und die Verknüpfung mit dem Risikomanagement erweitert. Das spie-
gelt sich auch im Umfang wider. Umfasste die Norm in der Erstausgabe im Jahr 1977
ca. 100 Seiten, so wuchs die Seitenzahl in der Zwischenzeit auf 430 Seiten an.
180 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

Sicherheitstechnik wird nun schon seit rund 40 Jahren in Europa gelebt. Sicher-
heitstechnische Aspekte sollten in jeder Lebenszyklusphase einfließen, sei es in
der Prototypenentwicklung, der Serienfertigung oder durch Rückmeldungen von
Anwendern in das Produktdesign.
Die Realität sieht jedoch oft anders aus. Vorwiegend junge Unternehmen und Start-
ups, die sich das erste Mal an die Entwicklung von Medizinprodukten heranwagen,
lassen wichtige Sicherheitsaspekte unberücksichtigt und konzentrieren sich pri-
mär auf die Performance und das Design des Geräts. Die daraus resultierenden
Probleme und Rückschläge bei der Produktprüfung (Typprüfung, Baumusterprü-
fung), wenn beispielsweise die Hauptplatine die erforderlichen Luft- und Kriech-
strecken nicht einhält und infolge ein Re-Design benötigt wird oder die Spritzguss-
form des Gehäuses überarbeitet werden muss, da es nicht den mechanischen
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Festigkeitsprüfungen standhält, haben so manchen Businessplan obsolet gemacht


und Unternehmen in existenzielle Schwierigkeiten gebracht.

BEACHTE:
Sicherheitstechnische Aspekte sollten in jedem Abschnitt der Produktentwicklung
einfließen, nachträglich erforderliche Änderungen können kostspielig werden.

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„ 6.2 Aspekte des Sicherheitskonzepts


Aus der Sicht des Sicherheitstechnikers wäre es wünschenswert, Geräte mit
100 %iger Anwender- und Patientensicherheit auf den Markt zu bringen. Dieses
Ziel ist jedoch schwer erreichbar, denn alleine durch den bestimmungsgemäßen
Gebrauch von Medizinprodukten mit hohem Risiko, durch die Höhe der Ausgangs-
werte oder speziellen Indikationen, um nur einige Aspekte zu nennen, entsteht ein
Risikopotenzial, welches man im besten Fall vermindern, aber nicht eliminieren
kann.

BEISPIEL:
Chirurgischer Laser
Eine große Gefahr geht von der Laserstrahlung, insbesondere von der Leistungs-
dichte aus. Eine Reduzierung der Ausgangsleistung auf Werte, von denen keine
Gefährdung ausgeht, würde zwar das Verletzungsrisiko vermindern, das durch
Reflexionen oder unbeabsichtigten Kontakt mit dem Laserstrahl hervorgerufen
wird, aber die Funktion wäre derart beeinträchtigt, dass sich das Gerät für einen
chirurgischen Einsatz nicht mehr eignen würde.

6.2 Aspekte des Sicherheitskonzepts 181

Ebenso sollte klar sein, dass die geforderten Sicherheitsstandards in der Medizin-
technik einzuhalten sind, welche sich jedoch signifikant auf die Entwicklungskos-
ten und somit auf die Gewinnspanne auswirken.
Bauteile und Baugruppen, die für sicherheitstechnische Aspekte in einem Gerät
eingesetzt werden, stellen einen nicht unwesentlichen Kostenfaktor dar. Ein typi-
sches Beispiel ist die medizinische Mehrfachverteilerdose mit Schutz gegen uner-
laubtes An-/Abstecken. Handelsübliche Mehrfachsteckdosen werden im Baumarkt
für wenige Euro angeboten, medizinische Mehrfachverteilerdosen kosten aber je
nach Ausführung einige Hundert Euro. Die hohen Kosten haben viele Gründe: ge-
ringere Produktionsstückzahlen, Fertigungsmehraufwände, hochwertigere Bau-
teile, um nur einige zu nennen.
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ƒ Design und Geräteabmessung


Die zusätzlich zu verwendenden Komponenten benötigen auch Platz, Warn-
leuchten, Warnaufkleber und Betätigungselement müssen gut sichtbar bzw.
zugänglich am Gerät angebracht werden. Geräteabmessungen vergrößern
sich, da Sicherheitsabstände zwischen den einzelnen Schaltkreisen (z. B. zwi-
schen Spannungsversorgungsstromkreis und Patientenstromkreis) eingehal-
ten werden müssen. Ebenso kann sich das Gewicht des Geräts wesentlich erhö-
For personal use only.

hen, zum Beispiel durch die Verwendung eines Trenntransformators, damit


die zulässigen Ableitströme nicht überschritten werden. Die damit erreichte
Erhöhung der Anwender- und Patientensicherheit kann sich damit nachteilig
auf die Gebrauchstauglichkeit und das Design des Gerätes auswirken.
ƒ Bedienerfreundlichkeit
Schlüsselschalter, Zugangsbeschränkungen, Sicherheitsabfragen, Doppelbestä-
tigungen usw. kosten Zeit und stellen manchmal die Geduld des Anwenders
auf eine harte Probe. Besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, dass
das Gerät trotz Sicherheitsabfragen benutzerfreundlich bleibt, der Bedienungs-
ablauf zügig vonstattengeht und dem Anwender die Sicherheitsfunktionen als
sinnvoller Schutz vor Gefährdungen nahegebracht wird.

MERKE:
Sicherheitstechnik ist ein Balanceakt, bei dem sich Gerätefunktion und Gebrauchs-
tauglichkeit sowie Patienten- und Benutzersicherheit und Kosten die Waage halten
sollen.

Die Kunst ist es, diesen Punkt zu finden (vgl. dazu Bild 6.1). In Abhängigkeit der
jeweiligen Geräteart und des damit verbundenen Risikopotenzials gilt es, einen
Kompromiss über das Nutzen-Aufwand-Verhältnis zu finden. Hierzu gibt es Hilfe-
stellungen in Richtlinien und Normen, damit ein akzeptables Sicherheitsniveau
erreicht werden kann.
182 6 Sicherheitstechnische Anforderungen
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Bild 6.1 Gesellschaftlicher Kompromiss über Nutzen-Aufwand-Verhältnis

In der kürzlich ausgelaufenen Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG [6.2] finden


sich Richtwerte für das Sicherheitsniveau von Medizinprodukten. So wird schon in
der Einleitung gefordert, dass die Geräte dem Stand der Technik und der Praxis zum
Zeitpunkt der Konzeption Rechnung tragen müssen, um den grundlegenden Anfor-
derungen zu entsprechen. Die neue Medizinprodukteverordnung 2017/745 [6.3],
For personal use only.

die die Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG ablöste, sieht diesen Umstand ähn-


lich und fordert im Anhang I Kapitel I Punkt 1, dass die Risiken, die von den Pro-
dukten ausgehen „im Zusammenhang mit ihrer Anwendung gemessen am Nutzen für
den Patienten vertretbar und mit einem hohen Maß an Gesundheitsschutz und Sicher-
heit vereinbar sein müssen; hierbei ist der allgemein anerkannte Stand der Technik
zugrunde zu legen“.
Dass ein älteres Medizinprodukt heutzutage nicht mehr dem Stand der Technik
entspricht, ist einleuchtend, doch was bedeutet „Stand der Technik“ eigentlich?

TIPP:
Ein wichtiges Indiz, dass ein Produkt dem Stand der Technik entspricht, ist der
Nachweis der Konformität mit den derzeit geltenden harmonisierten Normen.

Dieser Nachweis kann durch eine sicherheitstechnische Prüfung, eine sogenannte


Typprüfung an einer akkreditierten Prüfstelle erfolgen. Diese unabhängige Stelle
kann die Normkonformitätsbehauptung des Herstellers bestätigen und diesen bei
der Wahl aller auf sein Produkt zutreffenden Normen unterstützen. Eine aktuelle
Liste von harmonisierten Normen [6.4] findet man im z. B. im Internet (vgl. Home-
page der Europäischen Union). Zusätzlich kann der Vergleich mit ähnlichen am
Markt befindlichen Produkten den Nachweis, dass das Gerät dem Stand der Tech-
nik entspricht, noch weiter unterstützen.
6.2 Aspekte des Sicherheitskonzepts 183

Weitere sicherheitstechnische Grundsätze werden im Anhang I Punkt I Grundle-


gende Sicherheits- und Leistungsanforderungen Allgemeine Anforderungen fest­
gelegt (siehe Medizinprodukteverordnung 2017/745) und hier verkürzt wiederge-
geben:
ƒ Die Produkte dürfen unter Berücksichtigung des Nutzen-Risiko Verhältnisses
weder Patient, Anwender noch Dritte gefährden.
ƒ Die Konstruktion und Lösungsansätze müssen dem Prinzip der integrierten
Sicherheit entsprechen.
ƒ Die Produkte müssen die vom Hersteller vorgegebenen Leistungen erbringen.
ƒ Die Merkmale und Leistungen des Produktes dürfen sich über die Betriebs­
lebensdauer nicht so verändern, sodass dadurch Gefährdungen entstehen kön-
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nen.
ƒ Die Produkte sind so herzustellen und zu verpacken, dass Lagerung und Trans-
port ihre Eigenschaften nicht verändern.
ƒ Unerwünschte Nebenwirkungen dürfen kein unvertretbares Risiko darstellen.
Mit der Forderung nach einem akzeptablen Nutzen-Risiko-Verhältnis wird vom
Hersteller eine Gegenüberstellung des durch die Anwendung des Produkts für Pa-
For personal use only.

tienten und Bediener entstehenden Risikos, gemessen am daraus resultierenden


Nutzen für den Patienten, verlangt.

BEISPIEL:
Akzeptables Risiko-Nutzen-Verhältnis
Die bei jeder Blinddarmoperation durch den chirurgischen Eingriff entstehende
Narbe, verursacht durch das verwendete Operationsinstrument, gilt, gemessen
am Nutzen für den Patienten, als akzeptabel. Würde dieselbe Narbe bei einer
neuartigen Methode für die Körpertemperaturbestimmung (Fiebermessen) am
Patienten entstehen, würde diese Risiko-Nutzen-Verhältnis negativ ausfallen.

Dieser grundlegenden Anforderung kann der Hersteller durch die Einführung


­eines Risikomanagements nach EN ISO 14971 [6.5] entsprechen, dessen wesent­
licher Bestandteil aus besagten Risiko-Nutzen-Verhältnis-Abschätzungen, bezogen
auf Einzel-, Rest- und Gesamtrisiko, besteht.
Ein weiterer Aspekt der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen
beschäftigt sich mit dem Risiko durch den Anwender des Medizinprodukts, denn
viele Unfälle mit Medizinprodukten sind auf durch den Bediener verursachte Feh-
ler, zurückzuführen. Laut einer Studie der MHRA [6.6] entfallen beispielsweise
21 % der gemeldeten Vorfälle im Zusammenhang mit Infusionspumpen auf Anwen-
derfehler.
184 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

Zur Risikominderung ist eine Berücksichtigung der vorgesehenen Anwender-


gruppe (Laien, Fachleute etc.) bei der Geräteentwicklung essenziell. Diese Thema-
tik wird auch von Normen aufgegriffen, wenn sich die zu erwartende Anwender-
gruppe vom ausgebildeten und ausreichend geschulten medizinischen Personal
unterscheidet.

BEISPIEL:
Anwendergruppe
Schon im Design und in der sprachlichen Ausgestaltung der Gebrauchsanweisung
muss die Zielgruppe berücksichtigt werden. So wird bei einem Laien von einem
Wissensstand nach einer achtjährigen Schulausbildung ausgegangen [6.7].

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Ebenso kann eine getroffene Schutzmaßnahme für eine Benutzergruppe völlig


ausreichend sein, für eine andere aber als unwirksam erachtet werden. In der Nor-
menreihe der EN 60601 – 1 wird ein Prüffinger benutzt, um die Zugänglichkeit zu
gefährlichen Teilen zu testen, der der Nachbildung eines Fingers eines durch-
schnittlichen Erwachsenen entspricht. Jedoch wird in der EN 60601 – 1-11 [6.7] die
Nachbildung eines Kinderfingers verwendet, da in häuslicher Umgebung mit der
Anwesenheit von unbeaufsichtigten Kindern zu rechnen ist. Diese anatomische
For personal use only.

Justierung des Prüfgeräts stellt eine wesentliche Verringerung der zulässigen


Spalt- und Schlitzgrößen (z. B. Lüftungsschlitze) am Gerätegehäuse dar (Bild 6.2)
und dient dazu, Gefahrenquellen im Inneren des Gerätes (z. B. Netzspannung, me-
chanisch bewegte Teile) von außen auch für Kinderhände unerreichbar zu machen.

Bild 6.2 Größenvergleich zwischen „normalem Prüffinger“ und „Kinderprüffinger“


6.3 Technische Anforderung 185

Ähnliche Überlegungen gilt es für getroffene Abhilfemaßnahmen anzustellen,


wenn sich die Anwendergruppe vom typischen Fachpersonal unterscheidet. Hat
ein körperlich beeinträchtigter Mensch die entsprechende Reaktionsfähigkeit, einen
NOT-AUS-Taster zu drücken? Kann ein alter oder dementer Mensch den Instruktio-
nen der Gebrauchsanweisung folgen? Sind für gewisse Menschengruppen Warn-
symbole überhaupt verständlich? Alle diese Fragestellungen müssen in der Geräte-
entwicklung berücksichtigt werden und gegebenenfalls in das Gerätedesign
einfließen.
Die EN 60601-1-6 [6.8], die in großen Bereichen auf die EN 62366-1 [6.9] verweist,
gibt bei der Bewertung der Gebrauchstauglichkeit (Usability) eines Gerätes und
der Erstellung der nach EN 60601-1 geforderten Gebrauchstauglichkeitsakte wert-
volle Hilfestellungen und behandelt Fragestellungen wie z. B. die richtige Positio-
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nierung von Einstellteilen an der Gerätefrontseite.


Sicherheitsnormen wie z. B. die EN 60601 – 1 gehen auch noch einen Schritt weiter
und fordern nicht nur die Berücksichtigung von Anwenderfehlern, sondern auch
die des vernünftigerweise vorhersehbaren Missbrauchs. Das bedeutet nicht, dass der
Hersteller alle erdenklichen und teils zweckentfremdeten Anwendungsmöglichkei-
ten seines Produkts „durchspielen“ muss. Jedoch wird der Hersteller aufgefordert,
realistische Situationen der missbräuchlichen Verwendung seines Produkts zu be-
For personal use only.

rücksichtigen und diese auf keinen Fall zu fördern. Wie beispielsweise ein Herstel-
ler, der seinem Laser einen Kurzschlussstecker für den geforderten Türkontakt-
schalter (der Türkontaktschalter dient dazu, den Laserstrahl zu unterbrechen,
wenn jemand unbeabsichtigt den Raum betritt, in dem der Laser in Betrieb ist)
beilegte, damit die „lästige“ Installation eines Sicherheitsschalters eingespart wer-
den kann.

„ 6.3 Technische Anforderung
Zusätzlich wird zu diesen grundsätzlichen Anforderungen eine Reihe von weite-
ren Regeln, die die technische Ausführung in Hinblick auf die Anwender- und Pati-
entensicherheit der Produkte betreffen, in der Medizinprodukterichtlinie bzw. der
neuen Verordnung definiert.
Einige dieser wichtigen Anforderungen sollen nachfolgend genauer betrachtet
werden.
186 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

6.3.1 Sicherheitsbeeinflussung durch Alterung


Medizinprodukte müssen so ausgelegt werden, dass sich das Sicherheitsniveau über
die gesamte Lebensdauer des Produkts nicht ändert.
Diese Forderung bezieht sich auf den Umstand, dass Eigenschaften und Sicher-
heitskonzepte von Medizinprodukten durch bestimmte Faktoren verändert oder
verschlechtert werden können. Der erste Schritt, diesem Problem Herr zu werden,
ist, die Lebensdauer des Medizinprodukts zu definieren. Bekannte Möglichkeiten
stellen im Falle von sterilen Produkten (Sterilität kann nur über einen begrenzten
Zeitraum garantiert werden) die Angabe eines Ablaufdatums oder bei nicht wie-
derverwendbaren Produkten die Kennzeichnung als Einmalprodukt dar.
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Ebenso stellt die Abnutzung beziehungsweise schon das Altern des Produkts einen
nicht zu unterschätzenden Faktor für die Gerätesicherheit dar. Bewegliche Teile
unterliegen einer natürlichen Verschleißerscheinung, sei es nun der Keilriemen-
antrieb eines Motors, der Knopf eines Stellreglers für Ausgangsgrößen oder die
Folientastatur, die durch die dauernde mechanische Belastung brechen kann. Auch
die Alterungsbeständigkeit von Materialien muss hierbei berücksichtigt werden.
Gummidichtungen oder Schwingungsdämpfer für Motoren sind hierfür ein gutes
Beispiel. Bild 6.3 zeigt typische Beispiele für Abnutzungserscheinungen, die auf
For personal use only.

Materialalterung zurückgeführt werden können.

Bild 6.3 Durch Abnutzung beschädigte Anwendungsteile (Saugelektrode, Folientastatur)

Änderungen bei der Dimensionierung von Verschleißteilen können das Problem


zwar zeitlich verzögern, aber nicht endgültig beseitigen. Eine gute Möglichkeit, die
Sicherheit über die gesamte Lebensdauer eines Geräts aufrechtzuerhalten, besteht
darin, wiederkehrende sicherheitstechnische Kontrollen an diesem durchzufüh-
ren. Das beginnt mit der täglichen Sichtkontrolle durch den Anwender, bevor er
das Gerät in Betrieb nimmt, bis hin zur intervallmäßig durchzuführenden sicher-
heitstechnischen und messtechnischen Kontrolle. Diese Überprüfungen sind vom
Betreiber zu veranlassen. Umfang und Mindestprüfintervall sind z. B. im nationa-
len Medizinproduktegesetz und in der entsprechenden Medizinproduktebetreiber-
6.3 Technische Anforderung 187

verordnung geregelt und richten sich vor allem nach dem Gefährdungspotenzial,
welches vom Produkt ausgeht.
Eine nicht unwesentliche Rolle fällt hierbei dem Hersteller zu, der genaue Informa-
tionen zu dieser wiederkehrenden sicherheitstechnischen Überprüfung in seiner
Gebrauchsanweisung, das Prüfintervall, die Kontrolle oder den Austausch von Ver-
schleißteilen oder die Durchführung von Messungen sicherheitstechnisch relevan-
ter Parameter und deren Grenzwerte betreffend, liefern muss. Der exakte Umfang
dieser Informationspflicht kann den zutreffenden Gerätenormen, z. B. EN 60601 – 1
und der EN 62353 [6.10] entnommen werden.

MERKE:
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Die Spezifikation des Umfangs der sicherheitstechnischen Überprüfung in der


Gebrauchsanweisung stellt eine wichtige Informationsquelle für den Servicetech-
niker dar.

6.3.2 Verwendete Werkstoffe
For personal use only.

Die in Medizinprodukten verwendeten Werkstoffe müssen bestimmte Anforderungen


erfüllen.
Laut Medizinprodukteverordnung 2017/745 muss ein besonderes Augenmerk auf
Toxizität und Entflammbarkeit bei der Wahl von Werkstoffen gelegt werden. Erste-
res kann durch den Blick in Datenblätter geklärt werden, sofern diese vom Herstel-
ler zur Verfügung gestellt werden. Zur Beurteilung, ob die Zündtemperatur des
verwendeten Werkstoffes ausreichend hoch ist, werden die Temperaturen herange-
zogen, denen der Werkstoff im Betrieb ausgesetzt ist. Diese im bestimmungsgemä-
ßen Gebrauch auftretenden Temperaturwerte können durch gezielte Messung mit
Temperaturfühlern an den erwarteten „Hotspots“ oder durch eine Übersichtsmes-
sung mit einer Infrarotkamera bestimmt werden. Häufig wird bei der Ermittlung
der maximalen Werkstofftemperatur die Berücksichtigung von Fehlerfällen ver-
gessen. Vor allem Leistungsbauteile und Motoren können im Fehlerfall sehr hohe
Temperaturen erreichen und somit als Zündquelle fungieren. Auch die über län-
gere Zeit erfolgende Einlagerung von brandbeschleunigenden Substanzen, z. B.
Desinfektionsmittel oder Sauerstoff, sollte nicht unterschätzt werden. Schaum-
stoffe, die meist zur Dämpfung von Vibrationen oder Geräuschen eingesetzt wer-
den, können ein Risiko darstellen, da sich entzündbare Stoffe (z. B. Gase oder Flüs-
sigkeit) in ihnen ansammeln könnten. Bild 6.4 zeigt einen Zwischenfall, bei
welchem ein Gerät nach Eintreten eines Zündfunkens in Kombination mit einer
ungewollten Ansammlung von Sauerstoff im Gehäuse völlig ausgebrannt ist.
188 6 Sicherheitstechnische Anforderungen
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Bild 6.4 Gerätebrand durch Sauerstoffanreicherung im Gerät

Ein weiterer Aspekt, der bei der Werkstoffwahl berücksichtigt werden sollte, ist,
dass Biokompatibilitätsnachweise vorhanden sind, wenn das Material im bestim-
mungsgemäßen Gebrauch mit dem Patienten oder Anwender in Berührung kom-
For personal use only.

men soll.

TIPP:
Zum Nachweis der Biokompatibilität eignen sich Prüfberichte nach der ISO-
10993-Normenreihe [6.11], aber auch z. B. Oeko-Tex-Zertifikate oder umfangreiche
Marktrecherchen, die nachweisen, dass der Werkstoff bereits in der Medizintech-
nik für ähnliche Anwendungen eingesetzt wird.

Die Anforderung der biologischen Verträglichkeit betrifft in erster Linie Werkstoffe


von Implantaten und Anwendungsteilen, aber auch Patientenzuleitungen, handge-
haltene Stelleinrichtungen, Schutzvorrichtungen (z. B. Laserschutzbrillen) usw.
Für das Ausmaß der zu erwartenden möglichen biologischen Effekte und den Um-
fang des Nachweises der Biokompatibilität spielen Verweildauer, Anwendungs-
bzw. Kontaktort und der Invasivitätsgrad eine entscheidende Rolle (Bild 6.5).
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For personal use only.

Kurzzeitiger Kontakt (≤24h)

Verweildauer Vorübergehend Kontakt (24h<t≤30d)

Dauerkontakt (>30d)
Nicht invasiv

Natürlich invasiv Kontaktart Biokompatibilitätsanforderungen


Haut
Chirurgisch invasiv
Schleimhaut

Kontaktort verletzte Haut

Blutkreislauf

Gewebe, Knochen

Bild 6.5 

anforderungen
Beeinflussungsfaktoren bezüglich Biokompatibilitäts­
6.3 Technische Anforderung
189
190 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

6.3.3 Sicherheit im Normalfall
Medizinprodukte müssen im Normalfall entsprechend ihrer Zweckbestimmung sicher
sein!
Diese Forderung der Medizinprodukteverordnung, dass Produkte, die sich auf
dem Markt befinden und im bestimmungsgemäßen Gebrauch benutzt werden, als
grundsätzlich sicher betrachtet werden können, stellt aus Sicht des Anwenders
eine Selbstverständlichkeit dar. Ausgenommen, wenn der bestimmungsgemäße
Gebrauch mit einer Gefährdung verknüpft wird. Jeder Benutzer einer Kreissäge
sollte sich der Gefahr bewusst sein, die vom rotierenden Sägeblatt ausgeht. Diese
Gefahr wird im Normalfall akzeptiert, da sie von der benötigten Funktion ausgeht.
Die Akzeptanz, einen elektrischen Schlag bei Inbetriebnahme des Geräts aufgrund
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mangelnder Isolierung zu erhalten, wird vermutlich begrenzt sein. Es gibt ver-


schiedenste Lösungsansätze, um identifizierte Sicherheitsrisiken (resultierend aus
der durchgeführten Risikoanalyse, Normforderungen etc.) zu entschärfen. Diese
Ansätze sind mit unterschiedlichem Aufwand und Kosten verbunden.
Die Medizinprodukteverordnung (Anhang I Kapitel I Abschnitt 4) fordert für die
Lösungsansätze ein striktes Vorgehen, nämlich nach den Grundsätzen der integ-
rierten Sicherheit. Nach diesem Prinzip müssen bei der Wahl der angemessenen
For personal use only.

Lösungen die nachfolgenden Grundsätze in der angegebenen Reihenfolge ange-


wandt werden.

MERKE:
Integrierte Sicherheit kann durch
1. unmittelbare Sicherheit (konstruktiv),
2. mittelbare Sicherheit,
3. hinweisende Sicherheit
erreicht werden. Dabei gilt als Grundprinzip für die Wahl des Lösungsweges:
Konstruktive Sicherheit vor mittelbarer Sicherheit vor hinweisender Sicherheit!

1. Unmittelbare Sicherheit
Unter diesem Begriff versteht man alle Maßnahmen (meist konstruktive Maßnah-
men, siehe auch Bild 6.6), die eigenständig wirken und zur Beseitigung oder Mini-
mierung der festgestellten Risiken dienen. Diese Abhilfemaßnahmen sind, wenn
sie korrekt durchgeführt wurden, die wirkungsvollsten, denn sie schützen ohne
Mitwirkung von Anwendern, Patienten oder Dritten und werden aus diesem Grund
als primäre Schutzmaßnahme eingesetzt. Ein großer Vorteil dabei ist, dass die
Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen schon in der Entwicklungsphase des Pro-
dukts verifiziert und, wenn notwendig, modifiziert werden kann. Einmal instal-
6.3 Technische Anforderung 191

liert, wirken sie zuverlässig, zumindest gilt das für softwaremäßige Lösungen wie
z. B. Checksummenkontrollalgorithmen. Die einzigen Kriterien bei konstruktiven
Abhilfemaßnahmen, die zum Schutzfunktionsverlust führen können, sind Ver-
schleiß, Alterung oder schlichtweg Defekte. Um den Verlust dieser Schutzwirkung
frühzeitig erkennen zu können, stellt die regelmäßig durchgeführte sicherheits-
technische Kontrolle ein wirksames Instrument dar.
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For personal use only.

Bild 6.6 Beispiele für konstruktive Sicherheitsmaßnahmen (Isolation, Trennbausteine)

Konstruktive Lösungen können jedoch auch Nachteile für eine Entwicklung dar-
stellen. Durch den Einsatz von zusätzlichen Bauteilen (z. B. Trennbausteinen, die
Patientenstromkreis und Netzstromkreis voneinander isolieren), stärkeren Isola­
tionen, mechanisch widerstandsfähigeren Gehäusen oder Zugentlastungen von
elektrischen Leitungen, um nur einige Beispiele zu nennen, erhöhen sich die Pro-
duktionskosten und das Gerät vergrößert sich, denn diese Maßnahmen benötigen
zusätzlichen Platz.
Wird das Erfordernis einer unmittelbaren Abhilfemaßnahme erst nach Abschluss
des Entwicklungsprozesses erkannt, so kann die nachträgliche Umsetzung schnell
teuer werden, da diese immer mit einer konstruktiven Änderung des Produkts
einhergeht, sei es des Gehäuses, der Platinen oder anderer Bauteile. Aus diesem
Grund ist es äußerst wichtig, dass sicherheitstechnische Überlegungen in jeder
Produktentwicklungsstufe berücksichtigt und integriert und nicht erst nachträg-
lich an einem fertigen Produkt eingesetzt werden.
192 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

BEACHTE:
Konstruktive Sicherheit ist die beste Methode, um Gefährdungen zu verhindern;
diese kann aber nicht immer angewandt werden. Risiken, die von physikalischen
Größen stammen, die für die Funktion des Produkts unbedingt erforderlich sind
(Strahlung, mechanische Kräfte, Ströme), können durch unmittelbare Sicherheits-
vorkehrungen oft nicht entschärft werden.

2. Mittelbare Sicherheit
Kann eine Gefährdung nicht konstruktiv beseitigt werden, bietet die mittelbare
Sicherheit eine gute Alternative. Unter diesem Begriff werden alle Abhilfemaßnah-
men verstanden, die zwar nicht die vom Produkt ausgehende Gefährdung verrin-
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gern, jedoch Patienten, Anwender und Dritte mittels Hilfsmittel davor zu schützen
versuchen.
Als Beispiel können hier Schutzausrüstungen (Brillen, Anzüge), Zugangsbeschrän-
kungen (Schlüsselschalter, Passwörter, ID-Karten) und Überwachungsglieder
(Lichtschranken, NOT-AUS-Taster) genannt werden. Der große Vorteil dieser Maß-
nahmen besteht darin, dass sie auch nach Beendigung des Entwicklungsprozesses
meistens recht einfach bei Bedarf implementiert werden können. Jedoch ist die
For personal use only.

Wirksamkeit in hohem Maße vom Anwender abhängig. Ein NOT-AUS-Taster am


Gerät kann seine Funktion erst erfüllen, wenn er im entscheidenden Moment betä-
tigt wird. Seine Installation am Gerät übt noch keine Schutzfunktion aus. Ähnli-
ches gilt für Schutzausrüstung. Wenn der Anwender nicht die richtige Laserschutz-
brille verwendet (abhängig von der Wellenlänge, der Laserleistung etc.), kann es
zu schwerwiegenden Schädigungen der Augen kommen. Das bedeutet für den Her-
steller, er muss den Anwender über die Risiken und deren Abwendung informie-
ren. Das kann durch die Gebrauchsanweisung, aber auch durch Schulung vor Ort
am Produkt erfolgen. In diesem Zusammenhang spielt auch der Betreiber von Me-
dizinprodukten eine wesentliche Rolle. Der Betreiber muss alle zu schulenden Per-
sonen identifizieren und unterweisen und auch dafür sorgen, dass neue Mitarbei-
ter nachträglich geschult werden. Nur dann kann eine mittelbare Abhilfemaßnahme
auch wirksam greifen.

3. Hinweisende Sicherheit
Die hinweisende Sicherheit stellt die schwächste Form einer Sicherheitsmaßnahme
dar und sollte nur in Kombination mit der unmittelbaren oder mittelbaren Sicher-
heit angewandt werden. Hinweisende Sicherheit wird durch Hinweise in der Ge-
brauchsanweisung und vor allem durch Warnschilder und -hinweise erzeugt, die
z. B. am Gerät angebracht werden. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass inter-
national genormte Symbole (z. B. aus der ISO 7010) verwendet werden. In den ent-
6.3 Technische Anforderung 193

sprechenden Produktnormen findet man Abbildungen für die erforderlichen Warn-


symbole.
An Hinweise und Symbole werden Anforderungen bezüglich ihrer Lesbarkeit (z. B.
müssen Aufschriften nach EN 60601 – 1/2006+A1/2013 § 7.1.2 aus einem Meter
Entfernung von normalsichtigen Anwendern noch lesbar sein) und ihrer Dauerhaf-
tigkeit gestellt. Diese Widerstandsfähigkeitsprüfungen bestehen meistens darin,
dass Aufschriften, nachdem sie mit unterschiedlichen Substanzen (z. B. Lösungs-
mittel oder Alkohol, welche Desinfektionsvorgänge am Gerät simulieren) behan-
delt wurden, lesbar bleiben müssen.

BEACHTE:
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Zu viele Warnhinweise am Gerät bewirken oft das Gegenteil, sie werden dann vom
überforderten Anwender ignoriert!

6.3.4 Sicherheit im Ersten Fehlerfall


Medizinprodukte müssen im Ersten Fehlerfall dem Sicherheitsniveau des Normalfalls
For personal use only.

entsprechen!
Dies bedeutet, das Auftreten eines Einzelfehlers darf nicht zur Gefährdung des
Anwenders, des Patienten oder Dritter führen. Der Fragestellung „Wann tritt ein
Risiko, eine Fehlersituation auf?“ kommt daher eine große Bedeutung zu. Kann der
verwendete Motor schon unter „normalen“ Betriebsbedingungen zu hohe Wick-
lungstemperaturen aufweisen und somit eine Brandgefahr darstellen? Dann hilft
zwar die eingebaute Leistungsregelung im Normalfall, Übertemperaturen zu ver-
meiden, aber der Erste Fehlerfall „Ausfall der Regelung“ muss ebenso von einer
zweiten, von der ersten unabhängigen Methode (z. B. Verwendung einer Tempera-
tursicherung) beherrscht werden. Wird die Gefahrensituation erst unter Fehler­
bedingung erreicht, z. B. bei Aufnahme eines zu hohen Gerätestroms, kann diese
Situation durch eine einzige Maßnahme (Sicherung) behoben werden.
Das gleichzeitige Eintreten von zwei voneinander unabhängigen Fehlerfällen ist
nicht zu berücksichtigen. Zum Beispiel das gleichzeitige Versagen einer basisiso-
lierten Leitung, die ein metallisches Gehäuse berührt, und die Unterbrechung der
Schutzleiterverbindung dieses Gehäuseteiles. Jedoch steckt der Teufel wie so oft im
Detail. Erstfehler, die zu Funktionsverlust oder Ansprechen einer Sicherheitsmaß-
nahme führen (Fehlerstromschutzschalter, Leitungsschutzschalter) werden schnell
erkannt und behoben. Der Bruch einer Lage einer doppelten Isolierung wird nur
festgestellt, wenn die äußere Isolationsschicht betroffen ist oder Abweichungen
von Messwerten bei der sicherheitstechnischen Kontrolle festgestellt werden.
194 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

Bei der Beherrschung des Ersten Fehlerfalls ist besonderes Augenmerk auf Folge-
fehler zu legen. Die Rekonstruktion dieser Fehlersituationen erweckt zunächst den
Anschein, dass sie auf das Eintreten von zwei unabhängigen Fehlern zurückzufüh-
ren sind, bei genauerer Betrachtung entpuppen sich diese Situationen aber oft als
Folgefehler. Sie resultieren aus einer unzureichenden Fehlerfallabsicherung, z. B.
wenn ein Monitor, der trotz Wandhalterung und Fangkette (diese wurde montiert,
falls die Wandhalterung versagt, sozusagen als Absicherung gegen den Ersten Feh-
lerfall) zu Boden fällt. Die Auffangkette wurde jedoch nicht für die Masse des Bild-
schirms ausgelegt, daher gilt dies als Folgefehler. Bild 6.7 zeigt ein weiteres Bei-
spiel, wie ein Erster Fehlerfall kompensiert werden könnte. Alle wesentlichen
Funktionen für sicherheitsrelevante Funktionen werden hier durch zwei Prozesso-
ren abgesichert.
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Tropfen-
sensor
Lu-
sensor
Tastatur-
Abfrage

Tastatur-
For personal use only.

Matrix

Tastatur-
Abfrage

Display-
Beleuchtung

Bild 6.7 Blockschaltbild einer Infusionspumpe: Um den Ersten Fehlerfall zu kompensieren,


werden zwei Prozessoren (Funktions- und Kontrollprozessor) für sicherheitsrelevante Aufgaben
verwendet.

6.3.5 Normative Anforderungen
Die in der Verordnung spezifizierten sicherheitstechnischen Anforderungen sind,
wie an den vorangegangenen Beispielen ersichtlich, sehr allgemein formuliert. In
den mit der Medizinprodukteverordnung harmonisierten Produktnormen werden
diese Forderungen konkretisiert und auf die Funktionen und Gefährdungen ange-
passt, die von den einzelnen Medizinprodukten ausgehen. Ebenso können in die-
sen speziellen Normen (sogenannte Ergänzungsnormen, für die EN-60601-1 sind
dies die Teile 2) wichtige produktbezogene Risikoeinstufungen erfolgen. In vielen
Ergänzungsnormen werden Fehlerfälle, die allgemein als Erste Fehlerfälle be-
6.3 Technische Anforderung 195

trachtet werden, als Normalfälle eingestuft. Das Verschütten von Flüssigkeiten


oder das Kurzschließen von Patientenanschlüssen während des Gerätebetriebs wä-
ren hier als typische Beispiele zu nennen. Die Folgen für die Produktentwicklung
sind dabei aber nicht unwesentlich. Muss der Erste Fehlerfall nur einfach abgesi-
chert werden, hat diese Absicherung für den Normalfall in zweifacher Ausführung
zu erfolgen.

BEACHTE:
Die Recherche der auf das Produkt anzuwendenden Normen stellt eine wichtige
Vorarbeit für den Entwicklungsprozess dar, da aus den Ergänzungsnormen wichtige
produktspezifische Anforderungen hervorgehen können.

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Folgende Grundsätze, die sich aus der Normenreihe EN 60601 und der EN ISO
14971 ableiten lassen, sind allgemein auf jedes Medizinprodukt anwendbar und
sollten daher bei der Entwicklung berücksichtigt werden:
ƒ Alle möglichen Ersten Fehlerfälle können eintreten, die Argumentation „Bis
jetzt ist so etwas noch nie passiert“ gilt nicht.
ƒ Wird ein Risiko in der Risikoanalyse festgestellt oder trifft eine Risikokonstel-
lation laut Norm auf das Produkt zu, ist es nach der Methode der integrierten
For personal use only.

Sicherheit zu minimieren.
ƒ Alles, was ohne Werkzeug zugänglich ist, gilt als berührbar. Natürlich stellt
sich sofort die Frage, was als Werkzeug zu betrachten ist. Die Begriffsdefini-
tion in der EN 60601 – 1 gibt Aufschluss: „Jeder Gegenstand, der zum Festziehen
oder Lösen von Befestigungseinrichtungen oder zur Durchführung von Einstellun-
gen verwendet werden kann“. Dies bedeutet, dass eine Münze, zum Öffnen des
Batteriefachverschlusses, als Werkzeug gilt, ein Körperteil (z. B. Finger) jedoch
nicht.

BEACHTE:
Kann ein Batteriefach (Sicherungshalter, Anschlusskasten etc.) per Hand und ohne
Hilfswerkzeug geöffnet werden, gilt alles im Inneren dieses Faches bzw. Bereiches
als berührbar.

ƒ Zu gering bemessene Isolationen, Luft- oder Kriechstrecken oder Schutzleiter


gelten als nicht vorhanden. Entspricht die Dimensionierung der Schutzkompo-
nente nicht den normativen Anforderungen, gilt diese als unwirksam und
muss bei einer sicherheitstechnischen Betrachtung ignoriert werden. Ein
„bisschen“ Schutz gibt es nicht, die Bewertung der Maßnahme stellt eine klare
Ja/Nein-Entscheidung dar.
196 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

„ 6.4 Sicherheitstechnische Prüfungen
Eine sicherheitstechnische Prüfung des entwickelten Produkts sollte die offizielle
Bestätigung liefern, dass das Produkt den grundlegenden Sicherheitsanforderun-
gen entspricht. Dabei können verschiedene Stufen einer Produktprüfung unter-
schieden werden, die man als Hersteller nutzen kann. So ist es oft sehr ratsam,
bereits im Zuge der Entwicklung begleitende Tests/Prüfungen („Reicht die Trenn-
strecke?“, „Passt das Layoutdesign?“ usw.) durchführen zu lassen, um rechtzeitig
Designänderungen veranlassen zu können. Umfangreichere Aspekte (z. B. Ableits-
trommessungen, Spannungsfestigkeitsprüfungen etc.) sollten nach Fertigstellung
eines ersten Prototyps bei einer kompetenten Prüfstelle untersucht werden. Zum
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Abschluss des Entwicklungsprozesses sollte schließlich eine Typprüfung durchge-


führt werden, um im Detail alle für das Produkt zutreffenden Normanforderungen
zu erfüllen. Dabei sollte das Hauptaugenmerk darauf gerichtet sein, ein akkredi-
tiertes Prüflabor mit den Tests zu beauftragen, denn nur akkreditierte Prüfberichte
werden von anderen Stellen, wie z. B. Benannten Stellen oder Behörden akzeptiert.
Doch bevor das Prüfmuster mit der Technischen Dokumentation dem akkreditier-
ten Prüflabor vorgelegt werden kann, sind einige Schritte notwendig, damit es bei
For personal use only.

dieser sicherheitstechnischen Überprüfung keinen herben Rückschlag für die Pro-


duktentwicklung gibt. Diese Vorgehensweise soll hier anhand von Beispielen ver-
anschaulicht werden. Dabei wird nicht der tatsächliche Entwicklungsprozess, son-
dern die sicherheitstechnische Entwicklung des Produkts beleuchtet.
Der erste Schritt besteht darin, alle notwendigen Informationen über die sicher-
heitstechnischen Anforderungen, die an das Produkt gestellt werden, zu recher-
chieren. Die ersten Hinweise dafür liefert natürlich die Medizinprodukteverord-
nung, deren Anforderungen schon überblicksmäßig in den vorangegangenen
Abschnitten besprochen wurden. Weiterhin gilt es zu berücksichtigen, dass auch
noch andere Direktiven auf das Produkt zutreffen könnten, wie z. B. die Maschi-
nenrichtlinie 2006/42/EC, die laut Artikel 1 Absatz 12 Medizinprodukteverord-
nung 2017/745 für medizinische Geräte mit mechanisch betriebenen Teilen zu-
trifft. Weitere Direktiven, die ebenso zutreffen könnten, sind:
ƒ die Richtlinie 2014/53/EU über die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem
Markt, wenn drahtlose Datenübermittlungskomponenten im Medizinprodukt
verwendet werden,
ƒ die Richtlinie 2011/65/EU zur Beschränkung der Verwendung bestimmter ge-
fährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten (RoHS).
Ebenso können EU-Verordnungen wie die Verordnung 207/2012 über elektroni-
sche Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte oder nationale Verordnungen
wie die Elektroaltgeräte-Verordnung (Verordnung 397 in Österreich) wichtige In-
formationen bieten. Letztere fordert beispielsweise das Anbringen des Symbols für
6.4 Sicherheitstechnische Prüfungen 197

eine getrennte Sammlung für alte Elektrogeräte und Ergänzungen in der Konfor-
mitätserklärung des Herstellers.
Wurden die zutreffenden Direktiven, Verordnungen und Gesetze geklärt, kann mit
der Hauptarbeit, der Recherche der zutreffenden harmonisierten Normen begon-
nen werden. Wie bereits in Abschnitt 6.2 erwähnt, gibt es für jede Direktive eine
Liste der dazu harmonisierten Normen. Eine für elektrische medizinische Geräte
immer anzuwendende Norm ist die EN 60601 – 1. Der Teil 1 stellt die Hauptnorm
dar, die prinzipielle Anforderungen behandelt, die alle Geräte erfüllen müssen.
Zusätzlich muss ermittelt werden, ob für das Produkt auch eine spezifische Norm
(Teile 2 der EN 60601) veröffentlicht wurde.
Wenn das Produkt sicherheitsrelevante Software beinhaltet, kommen zusätzlich
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die EN 62304 und für das erforderliche Risikomanagement die EN ISO 14971 zur
Anwendung.
Ob die gefundenen Normen auf das zu entwickelnde Produkt angewendet werden
können, kann dem Kapitel „Anwendungsbereich“, das meist der Einleitung der
Norm nachfolgt, entnommen werden.
Große Sorgfalt sollte darauf gelegt werden, dass die aktuellste Ausgabe der Norm
zur Entwicklung herangezogen wird.
For personal use only.

BEISPIEL:
Normenaktualität: Welche Norm ist die aktuellste?
ƒ IEC 60601 – 1:2005+A1:2012
ƒ EN 60601 – 1:2006+A1:2013
ƒ ÖVE/ÖNORM EN 60601 – 1:2014
Es handelt sich dabei um ein und dieselbe Ausgabe (alle drei sind gleich aktuell),
die nur von den unterschiedlichen Normungsgremien zu unterschiedlichen Zeit-
punkten veröffentlicht wurden.

Gewissheit darüber verschafft meist das Deckblatt der Norm, das den zeitlichen
Bezug der vorliegenden Normenausgabe zur IEC-Ausgabe herstellt.
Im Vorwort der Norm findet sich ein wichtiges Datum, das vom Hersteller zu be-
achten ist. Das DOW (date of withdrawal) gibt den Zeitpunkt an, ab dem die neue
Norm allein gültig ist, da bis zu diesem Zeitpunkt ebenso die Vorgängerversion
noch Gültigkeit besitzt. Das DOW setzt erfahrungsgemäß drei Jahre nach dem Da-
tum der Veröffentlichung (DOP  – date of publication) der Norm ein. Diese Über-
gangsfrist wurde gewählt, damit der Hersteller genug Zeit zur Umstellung auf die
neuen Anforderungen hat.
Wer nun die Anforderungen der ermittelten Normen in die Geräteentwicklung ein-
fließen lässt, hat gute Voraussetzungen, keine Überraschungen bei einer sicher-
heitstechnischen Prüfung durch eine akkreditierte Stelle zu erleben.
198 6 Sicherheitstechnische Anforderungen

BEISPIEL:
Prüfpunkte der EN 60601 – 1
ƒ Risikomanagement entsprechend EN ISO 14971
ƒ Allgemeine Prüfbedingungen (Anzahl der Prüflinge, Umgebungsbedingungen
etc.)
ƒ Klassifizierung des Geräts (Schutzklasse, Feuchteschutz (IP), Betriebsart usw.)
ƒ Usability (Usability-Akte nach EN 60601 – 1-6)
ƒ Nachweis der Biokompatibilität der Teile, die in Kontakt mit Anwender und
Patienten kommen können
ƒ Aufschriften (Verwendung der richtigen Symbole, Dauerhaftigkeit)
ƒ Gebrauchsanweisung
ƒ Sicherheitstechnische Aspekte
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Bei der Überprüfung der sicherheitstechnischen Aspekte wird der Schutz vor elek-
trischen und mechanischen Gefährdungen, übermäßigen Temperaturen und Flüs-
sigkeiten bewertet. Die Themen Genauigkeit von Ausgangswerten, Gefährdungs­
situationen und Fehlerbedingungen (Erste Fehler) werden zwar angeschnitten,
detailliertere Anforderungen finden sich im entsprechenden Teil 2, zugeschnitten
auf das entsprechende Gerät. Ein eigenes Kapitel ist den programmierbaren elekt-
For personal use only.

rischen Systemen gewidmet, das eine Ergänzung zu den Anforderungen der


EN 62304 und der EN ISO 14971 darstellt. Den Abschluss stellen mechanische
Festigkeitsprüfungen, zusätzliche Anforderungen an medizinische elektrische
Systeme und Elektromagnetische Verträglichkeitsprüfung (EMV) dar.

TIPP:
Überblick über häufig anwendbare Normen (auszugsweise):
EN 60601 – 1 Medizinische elektrische Geräte (allgemein)
EN 60601 – 2-X Medizinische elektrische Geräte (typenspezifisch)
EN 60601 – 1-2 EMV
EN 60601 – 1-6 Gebrauchstauglichkeit (EN 62366)
EN 60601 – 1-8 Alarmsysteme
EN 60601 – 1-9 Reduzierung von Umweltauswirkungen
EN 60601 – 1-10 Physiologisch geschlossene Regelkreise
EN 60601 – 1-11 Häusliche Umgebung
EN 60601 – 1-12 Notfalleinsatz
EN ISO 14971 Risikomanagement für Medizinprodukte
EN 62304 Medizingeräte-Software
ISO 10993 Biologische Beurteilung von Medizinprodukten (Reihe)
EN ISO 15223 – 1 Symbole und Kennzeichnungen für Medizinprodukte
EN 62353 Wiederkehrende Prüfung

6.5 Literatur 199

„ 6.5 Literatur
[6.1] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN 60601 – 1:2006+A1:2013 Medi-
zinische elektrische Geräte, Teil 1: Allgemeine Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der
wesentlichen Leistungsmerkmale.
[6.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie
93/42/EWG über Medizinprodukte.
[6.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117 vom 05. 05. 2017: Verordnung
(EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinpro-
dukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Ver-
ordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG
des Rates.
[6.4] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Summary list of titles and references of harmo-
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nised standards under Directive 93/42/EEC for Medical devices (Ausgabe: OJ C 173 of 13/05/2016.
abgerufen am 29. 06. 2017).
[6.5] Europäisches Komitee für Normung (CEN); Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung
(CENELEC): EN ISO 14971:2012 Medical devices – Application of risk management to medical de-
vices. 2012. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 14971:2013
Medizinprodukte – Anwendung des Risikomanagements auf Medizinprodukte. Beuth, 2013.).
[6.6] Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA): Infusion systems (December
2013).
For personal use only.

[6.7] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN 60601 – 1-11:2015 Medizini-


sche elektrische Geräte Teil 1 – 11: Besondere Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der
wesentlichen Leistungsmerkmale – Ergänzungsnorm: Anforderungen an medizinische elektri-
sche Geräte und medizinische elektrische Systeme für die medizinische Versorgung in häus­
licher Umgebung.
[6.8] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN 60601-1-6:2010+A1:2015 Me-
dizinische elektrische Geräte Teil 1-6: Allgemeine Festlegungen für die Sicherheit einschließlich
der Wesentlichen Leistungsmerkmale – Ergänzungsnorm: Gebrauchstauglichkeit.
[6.9] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN 62366-1:2015 Medizinpro-
dukte – Teil 1: Anwendung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizinprodukte
[6.10] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN 62353:2014 Medizinische
elektrische Geräte – Wiederholungsprüfungen und Prüfung nach Instandsetzung von medizini-
schen elektrischen Geräten.
[6.11] Internationale Organisation für Normung (ISO): ISO 10993 – 1:2009 Biological evaluation of medical
devices – Part 1: Evaluation and testing within a risk management process.
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For personal use only.
7 Klinische Evidenz
für Medizinprodukte
und IVD
W. Ecker

„ 7.1 Klinische Bewertung von Medizin­


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produkten
SCHWERPUNKTE:
ƒ Klinische Bewertung ist aktiver, systematischer und geplanter Lebenszyklus-
prozess unter dem QMS des Herstellers.
ƒ Die neue klinische Nutzen-Risiko-Bewertung und der Vergleich mit dem medi-
zinischen State of the Art sind wesentliche Inhalte.
For personal use only.

ƒ Das aktuelle MEDDEV zur klinischen Bewertung1 ist eine detaillierte Anleitung,
bis das neue MDCG-Dokument erscheint.
ƒ Was sind die sechs Schritte vom klinischen Bewertungsplan bis zum Post
Market Clinical Follow-up (PMCF)?
ƒ Der klinische Bewertungsbericht als zentrales Dokument der Technischen
Dokumentation und des Nachweises über die Grundlegenden Sicherheits- und
Leistungsanforderungen.

7.1.1 Einleitung

7.1.1.1 Definition
„Klinische Bewertung“2 bezeichnet einen systematischen und geplanten Prozess
zur kontinuierlichen Generierung, Sammlung, Analyse und Bewertung der klini-
schen Daten zu einem Produkt3, mit dem Sicherheit und Leistung, einschließlich
des klinischen Nutzens, des Produkts bei vom Hersteller vorgesehener Verwen-
dung überprüft wird.

7.1.1.2 Quellen
MPV4: Art. 61 und Anhang XIV
MEDDEV5 2.7/1. rev. 4: Clinical evaluation: Guide for manufacturers and notified
bodies
202 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

MDCG6 2020-13: Clinical evaluation assessment report template


MDCG 2020-8: Guidance on PMCF evaluation report template
MDCG 2020-7: Guidance on PMCF plan template
MDCG 2020-6 Guidance on sufficient clinical evidence for legacy devices
MDCG 2020-5 Guidance on clinical evaluation – Equivalence
MDCG 2020-1: Guidance on clinical evaluation (MDR)/Performance evaluation
(IVDR) of medical device software
MDCG 2019-9 Summary of safety and clinical performance

7.1.1.3 Bedeutung
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Die Verbesserung der klinischen Bewertung von Medizinprodukten (MP) war ­eines
der Hauptzielgebiete der MPV und wird von dieser explizit als aktiver systemati-
scher Lebenszyklusprozess unter dem obligatorischen QMS des Herstellers
platziert [7.1, Art.10].
Die verstärkte Betonung klinischer Aspekte in der MPV zeigt sich auch in der
Schaffung einer verbesserten klinischen Infrastruktur des Regelsystems mit (kli-
nischen) Expertenpanels und der Vorbereitung produktgruppenspezifischer kli-
For personal use only.

nischer Guidelines als „Device Specific Guidance“ (DSG) bzw. in Form von Durch-
führungsrechtsakten der EU-Kommission als Gemeinsame Spezifikationen (GS;
Common Specifications CS) für die klinische Prüfung und/oder klinische Bewer-
tung und/oder Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) bestimmter Arten oder
Gruppen von MP. Auch bei den Begrifflichkeiten werden die klinischen Aspekte
nunmehr deutlicher herausgestellt [7.1, Art. 106, Art. 9, Art 2 (44)-(58)],

7.1.2 Entwicklungsgeschichte
Inhaltlich hat die MPV im klinischen Bereich stark von der zeitlich überlappenden
Weiterentwicklung des MEDDEV 2.7/1 rev. 4: „Clinical Evaluation of Medical
Devices“7 durch die klinische Arbeitsgruppe Clinical Investigation and Evaluation
(CIE) der EU-Kommission profitiert und dabei deren wesentliche Gesichtspunkte,
insbesondere deren
ƒ Sequenz von Arbeitsschritten der klinischen Bewertung8 und die
ƒ deutliche klinische Spezifizierung der Nutzen-Risiko-Abwägung (Benefit/
Risk Determination9; siehe Tabelle 7.1)
ins neue Regelwerk übernommen. Diese bedeutende MEDDEV-Revision musste
der RL-Novelle 2007/47/EG Rechnung tragen, welche damals eine erste verbes-
serte klinische Ausrichtung der MP-Richtlinien 93/42/EWG (Medizinprodukte)
und 90/385/EWG (aktive Implantate) zum Ziel hatte.
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 203

Im Rahmen der oben angeführten klinischen Spezifizierung sind der klinische


Nutzen10 und klinische Risiken inkl. der unerwünschten Nebenwirkungen [7.1,
Anhang I.I.8] dabei jeweils zumindest qualitativ und soweit als möglich quantita-
tiv nach Art, Ausmaß, Dauer und Wahrscheinlichkeit/Frequenz (in der Zielgruppe)
zu spezifizieren und zu bestimmen. Ebenso sind die Einsatzbereiche des MP
nach genauen Zielgruppen, präzisen Indikationen inkl. Krankheiten soweit mög-
lich differenziert nach Art, Schweregrad, Stadien, Verlaufsformen, Phasen etc. und
ggf. Kontraindikationen zu spezifizieren.
In einigen Bereichen der klinischen Bewertung, speziell beim klinischen Bewer-
tungsplan, dem klinischen Entwicklungsplan, beim Post-Market Clinical Follow-up
(PMCF) und bei den obligatorischen Erfordernissen klinischer Prüfungen für
Hochrisikoprodukte [7.1, Art. 61 (4)-(6)] ging die MPV über die Version 4 des
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­MEDDEV nochmals hinaus und ist diesbezüglich präziser. Diese Elemente der
MPV wurden hier zur MEDDEV 2.7/1 rev. 4 ergänzt bzw. präzisiert, sodass die hier
vorgestellte „Synthese“ der klinischen Bewertung sowohl für die RL 90/385/EWG
und die RL 93/42/EWG, in der Fassung der RL 2007/47/EG, als auch für die MPV
anwendbar ist. In mehreren interpretativen Guidelines des MDCG (Medical Device
Coordination Group) wurden wichtige Aspekte der klinischen Bewertung detail-
lierter dargestellt.
For personal use only.

Tabelle 7.1 Klinische Spezifizierung der Nutzen-Risiko-Abwägung


Klinische Spezifizierung der Nutzen-Risiko-Abwägung (Benefit/Risk-Determination)
nach MPV und MEDDEV 2.7/1. rev 4
Qualitative/Quantitative Bestimmung,
differenziert nach
Art des Effekts
Stärke, Intensität, Ausmaß Klinische Risiken
Klinischer Nutzen
Dauer (clinical risks),
(clinical benefits)
Frequenz/Häufigkeit in definierten UE NeWi11
Zielgruppen/Indikationen

7.1.3 Klinische Bewertung und Erfüllung der grundlegenden


Sicherheits- und Leistungsanforderungen
Die klinische Bewertung ist obligatorischer Teil des Nachweises der Erfüllung der
zutreffenden grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen für MP ge-
mäß Anhang I [7.1, Art. 5 (3)]12. Der Hersteller muss auf der Basis der von ihm
angegebenen Zweckbestimmung des Medizinprodukts zur Erfüllung der Grund-
legenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen des Anhangs I seine
Claims zu
204 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

ƒ Sicherheit und Wirksamkeit des Medizinproduktes [7.1, Anhang I.I.1] und


zu einem
ƒ akzeptablen Nutzen-Risiko-Verhältnis im Vergleich zum aktuell aner-
kannten State of the Art spezifizieren [7.1, Anhang I.I.1],
sodass er diese einer adäquaten Bestimmung bzw. Überprüfung auf der Basis kli-
nischer Daten zuführen und damit – im Erfolgsfall – jederzeit ausreichende kli-
nische Evidenz für das Medizinprodukt13 vorweisen kann. Die erzielte klinische
Evidenz muss jedenfalls folgende Aspekte ausreichend spezifisch im Sinne der
oben angeführten Nutzen-Risiko-Abwägung abdecken [7.1, Anhang I.I.1 und 8]:
ƒ Wirksamkeit, speziell die klinische Leistung14 und den klinischen Nutzen15,
soweit möglich jeweils nach Art, Ausmaß, Dauer und Wahrscheinlichkeit;
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ƒ (klinische) Sicherheit, speziell die klinischen (Rest-)Risiken und uner-


wünschten Nebenwirkungen [7.1, Anhang I.I.8] (beide nach adäquater Mini-
mierung im Risikomanagement) soweit möglich jeweils nach Art, Ausmaß,
Dauer und Wahrscheinlichkeit;
ƒ die konkreten Einsatzbereiche, speziell die intendierte(n) Zielgruppe(n) und
Indikation(en), inkl. Krankheiten, soweit möglich nach Art, Schweregrad, Sta-
dien (z. B. unterschiedliche Stadien der Herzinsuffizienz, etwa nach New York
For personal use only.

Heart Association, NYHA I-IV), Verlaufsformen (z. B. akut, intermittierend,


chronisch), Phasen etc., ggf. Kontraindikation(en);
ƒ die Akzeptabilität des erzielten Nutzen-Risiko-Verhältnisses bzw. der un-
erwünschten Nebenwirkungen [7.1, Anhang I.I.8] im Vergleich zum aktuell
anerkannten medizinischen State of the Art,
ƒ das Nutzen-Risiko-Verhältnis muss mit einem hohen Maß an Gesundheits-
schutz und Sicherheit vereinbar sein [7.1, Anhang I.I.1] und
ƒ darf den klinischen Zustand und die Sicherheit der Patienten sowie die
Sicherheit und die Gesundheit der Anwender und ggf. Dritter nicht ge-
fährden [7.1, Anhang I.I.1].
Weitere Anforderungen des Anhangs I können im Einzelfall ebenso „Kandidaten“
der Prüfung auf die Notwendigkeit spezifischer klinischer Daten sein16.
Die klinische Bewertung muss gründlich und objektiv sein (berücksichtigt positive
und negative Ergebnisse/klinische Daten). Tiefe und Umfang müssen dabei dem
MP (in Bezug auf Art, Klasse, Zweckbestimmung, Merkmale und Risiken des MP
und Claims des Herstellers) verhältnismäßig und angemessen sein, um die Erfül-
lung der klinisch relevanten Grundlegenden Anforderungen des Anhangs I zu
­belegen.
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 205

7.1.4 Was sind klinische Daten nach der MPV?

7.1.4.1 Definition klinische Daten


„Klinische Daten“ bezeichnet Angaben zur Sicherheit oder Leistung, die im Rah-
men der Anwendung eines Produkts gewonnen werden und die aus den folgenden
Quellen stammen [7.1, Art. 2 (48)]:
ƒ klinische Prüfung(en) des betreffenden Produkts,
ƒ klinische Prüfung(en) oder sonstige in der wissenschaftlichen Fachliteratur
wiedergegebene Studien über ein Produkt, dessen Gleichartigkeit mit dem be-
treffenden Produkt nachgewiesen werden kann,
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ƒ in nach dem Peer-Review-Verfahren überprüfter wissenschaftlicher Fachlite-


ratur veröffentlichte Berichte über sonstige klinische Erfahrungen entweder
mit dem betreffenden Produkt oder einem Produkt, dessen Gleichartigkeit mit
dem betreffenden Produkt nachgewiesen werden kann,
ƒ klinisch relevante Angaben aus der Überwachung nach dem Inverkehrbrin-
gen, insbesondere aus der klinischen Nachbeobachtung nach dem Inverkehr-
bringen.
For personal use only.

7.1.4.2 Nutzung klinischer Daten eines äquivalenten Medizinprodukts


Zur Konstituierung der klinischen Evidenz für ein Medizinprodukt können auch
klinische Daten eines als äquivalent nachgewiesenen Medizinprodukts herange­
zogen werden. Zum Nachweis der Äquivalenz fordern MPV und das MEDDEV
2.7/1 rev. 4 dazu praktisch gleichlautend technische, biologische und klinische
Gleich­artigkeit, welche kumulativ! zum Nachweis der Äquivalenz erfüllt sein
müssen [7.1, Anhang XIV.A.3].
Diese Merkmale müssen derart gleichartig sein, dass es keinen klinisch bedeut-
samen Unterschied bei der Sicherheit und klinischen Leistung der als gleich-
artig behaupteten MP gibt, was auch angemessen wissenschaftlich zu begrün-
den ist [7.1, Anhang XIV.A.3].
Hersteller müssen auch nachweisen, dass sie über einen hinreichenden Zugang
zu den Daten von als gleichartig behaupteten MP verfügen, um Gleichartigkeit
belegen zu können [7.1, Anhang XIV.A.3].
Die klinische Bewertung (inkl. der klinischen Daten) des korrekt als predicate de-
vice ausgewiesenen MP muss aber nunmehr selber die Anforderungen der MPV
an die klinische Bewertung des MP erfüllen! Ein bloßer Verweis auf das predicate
device oder eine reine Äquivalenzbehauptung wird nicht genügen!
206 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD
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Bild 7.1 
1 Stufen der klinischen Bewertung
von MP nach MEDDEV 2.7/1
rev. 4 und MPV
For personal use only.

Die Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte hat zu Detailinterpretationen zur


„Äquivalenz“ kürzlich die Guidance: MDCG 2020-5: Guidance on clinical evalua-
tion – Equivalence zur Verfügung gestellt.

7.1.5 Die Arbeitsschritte/Stufen/Phasen der klinischen


Bewertung
Die MPV folgt im Stufenverlauf der klinischen Bewertung weitgehend der Revi-
sion 4 des MEDDEV17, 18; es ist aber zu beachten, dass in der MPV im ersten Schritt
(stage 0 des MEDDEV) der klinische Bewertungsplan und der klinische Entwick-
lungsplan klarer herausgestellt werden. Ebenfalls deutlicher wird in der MPV das
Post-Market Clinical Follow-up als eigene Entität und Arbeitsschritt dargestellt,
sodass sich für die folgende Darstellung in „organischer“ Kombination von MPV
und MEDDEV nunmehr folgende sechs Stufen 0 – 5 der klinischen Bewertung
ergeben (Bild 7.1). Die Quellen der Stufen 0 – 5 sind sowohl für die MPV als auch
das MEDDEV in Tabelle 7.2 dargestellt; die inhaltliche Darstellung im MEDDEV ist
insgesamt wesentlich ausführlicher und damit für die konkrete praktische Anwen-
dung besonders gut geeignet.
Neue Erkenntnisse können jeweils dazu führen, dass man einen früheren Arbeits-
schritt wieder aufnehmen muss oder dass nochmals ein kompletter Durchlauf zu
starten ist!
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 207

Tabelle 7.2 Quellenangaben für die Stufen 0-5 der klinischen Bewertung


Stufen MPV MEDDEV 2.7/1 rev. 4
0. Scoping und klinischer Anhang XIV.A.1.a) Section 7
­Bewertungsplan
1. Identifizierung und Generie- Art. 61 (4)-(6); Anhang Section 8; App. A4; A5;
rung klinischer Daten XIV.A.1. b) und d)
2. Appraisal Anhang XIV.A.1.c) Section 9; App. A6;
3. Analyse Anhang XIV.A.1.e) Section 10; App. A7; A8
4. Klinischer Bewertungsbericht Art. 61 (12); Anhang XIV.A.4 Section 11; App. A9-11
(CER)
5. PMCF Art. 61 (11); Anhang XIV.B Section 6.2.3
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7.1.5.1 Stufe 0: Scoping und klinischer Bewertungsplan


Hier muss der Hersteller im „Scoping“ den Rahmen der klinischen Bewertung mit
seinen produkt- und anwendungsseitigen Voraussetzungen abstecken, auf dem
dann der klinische Bewertungsplan errichtet werden kann19. Wichtige Elemente
des Scoping sind zunächst:
ƒ Eine klare Beschreibung des MP, seiner intendierten Zweckbestimmung und
For personal use only.

seiner intendierten Anwendung, Einsatzbereiche und Claims, inkl. Hinweise


auf erforderliches Zubehör oder Kombinationen mit anderen MP20.
ƒ Bei der klaren Darstellung der Zweckbestimmung des MP (intended pur-
pose) müssen zumindest folgende Fragen beantwortet werden: Wer soll das
MP an WEM, WARUM (spezifisch medizinischer Zweck) in welcher Art und
Weise anwenden?
ƒ Die Ergebnisse des Risikomanagements hinsichtlich verbleibender klinischer
Restrisiken und allfällig möglicher unerwünschter Nebenwirkungen (jeweils
nach Risikominimierung).
ƒ Die Darlegung einer allfällig geplanten Berufung auf Äquivalenz mit einem
gleichartigen, ausreichend charakterisierten MP unter technischen, biologi-
schen und klinischen Gesichtspunkten21.
Auf dieser Basis setzt der Hersteller den klinischen Bewertungsplan mit folgen-
den Elementen auf [7.1, Anhang XIV.A.1.a)]:
ƒ Er bestimmt die grundlegenden Anforderungen an Sicherheit und Leis-
tung nach Anhang I, die mit relevanten klinischen Daten zu belegen sind22.
ƒ Auf dieser Basis nimmt er eine entscheidende klinische Spezifizierung und
Operationalisierung seiner Angaben und Claims – ganz im Sinne der oben
angeführten Nutzen-Risiko-Abwägung – vor:
ƒ zu klinischem Nutzen, Wirksamkeit, inkl. messbarer, patientenrelevanter
Outcomes und
208 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

ƒ zu den qualitativen und quantitativen Parametern zur Erfassung der klini-


schen Sicherheit inkl. Restrisiken und unerwünschter Nebenwirkungen,
ƒ zu den genauen Zielgruppen und zum präzisen Anwendungsbereich inkl.
Indikationen und Kontraindikationen des MP oder eines als äquivalent ausge-
wiesenen MP,
ƒ zu Kriterien für die Beurteilung der Akzeptabilität des Nutzen-Risiko-Ver-
hältnisses des MP gegenüber dem medizinischen State of the Art im Einsatz-
bereich.
ƒ Ein klinischer Entwicklungsplan (Clinical Development Plan) für die ge-
plante „Eskalation“ klinischer Prüfungen, von exploratorischen Studien (wie
First-in-Man-; early und traditional Feasibility-23; Pilot-; Proof-of-Concept-Stu-
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dies) zu konfirmatorischen Studien (pivotal24 studies) und zu PMCF-studies


und
ƒ ein Post-Market Clinical Follow-up-Plan (PMCF-Plan) sind hier ebenfalls ge-
fordert und speziell bei komplexen, neuartigen Produktentwicklungen beson-
ders sorgfältig zu erstellen.

Tipp:
For personal use only.

Für die Suche nach messbaren, patientenrelevanten Outcomes zu Sicherheit und


Wirksamkeit für Literaturrecherche und Planung klinischer Prüfungen helfen
nachfolgende Punkte:
ƒ Datenbanken für klinische Prüfungen, wo ähnliche MP oder Einsatzbereiche
bereits erfasst sind (auch nützlich für mögliches Benchmark mit dem State of
the Art!):
ƒ www.clinicaltrials.gov US-Datenbank für klinische Prüfungen
ƒ http://apps.who.int/trialsearch/ Plattform der WHO für klinische
­Prüfungen
ƒ HTA- oder EBM-Datenbanken:
ƒ http://onlinelibrary.wiley.com/cochranelibrary/search?searchRow.
searchOptions.searchProducts=clinicalTrialsDoi Cochrane library
ƒ https://www.crd.york.ac.uk/CRDWeb/ Center for Reviews and Dissemi-
nation der University of York
ƒ https://eprints.aihta.at/cgi/search/simple?screen=Public%3A%3AEPrintS
earch&_action_search=Suchen&q_merge=ALL&q=decision+support&order=​
date%2Fcreators_name%2Ftitle&_action_search=Suchen Decision Support
Documents des Austrian Institutes for HTA; sehr brauchbar für Medizin-
produkte als Beispiele für die Literatursuche nach dem PICO-Schema
ƒ https://www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/publikationen/iqwig-
berichte.1071.html Projektberichte des deutschen IQWIG, mit vielen
Assessments zu Arzneimitteln, aber auch Medizinprodukten, sehr brauch-
bar als Beispiele für die Literatursuche nach dem PICO-Schema
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 209

ƒ Für die Suche nach validierten surrogate endpoints siehe auch: BEST (Bio-
markers, EndpointS, and other Tools), eine Ressource von FDA und NIH:
https://www.biostatsolutions.com/wp-content/uploads/2016/11/
Bookshelf_NBK326791.pdf

7.1.5.2 Stufe 1: Identifizierung und Generierung relevanter


klinischer Daten
Die Identifizierung und Generierung relevanter klinischer Daten25 erfolgt durch
Literaturrecherchen und herstellereigenen klinischen Daten wie klinische Prüfun-
gen26 bzw. PMCF/PMS Ergebnisse.
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Gemäß der Definition der „klinischen Daten“ handelt es sich dabei um alle Anga-
ben zur Sicherheit oder Leistung, die im Rahmen der Anwendung eines Medizin-
produkts gewonnen werden und aus den dort angegebenen Quellen stammen.
Die Literaturrecherchen betreffen:
ƒ den aktuell anerkannten State of the Art in dem betreffenden medizini-
schen Bereich als Benchmark. Damit soll eine fundierte Prüfung auf Akzep-
tanz des Nutzen—Risiko-Verhältnisses von MP gegen den aktuellen State of the
For personal use only.

Art ermöglicht werden; zudem werden damit neben Sicherheit und Wirksam-
keit weitere Anhang I.I.1-Anforderungen27 und die allgemeine Anforderung in
Anhang I.I.828 mit einem aktuellen konkreten Vergleichsmaßstab hinterlegt.
State of the Art inkludiert auch
ƒ relevante klinische Anforderungen für das MP und seine Anwendung in
harmonisierten Normen, DSGs, CS,
ƒ systematische Reviews29, Metaanalysen30, HTA-Assessments31, Epidemio-
logische Studien32, Reports über Registerauswertungen33 im relevanten
medizinischen Bereich,
ƒ einschlägige, methodisch hochwertige aktuelle Guidelines, Consensus
Statements, Behandlungspfade etc. europäischer, internationaler oder nati-
onaler Fachgesellschaften,
ƒ Nutzen-Risiko-Profil von Benchmark-Medizinprodukten (mit Rechtfertigung
für deren Auswahl),
ƒ das MP selbst (oder das äquivalente MP) und seine intendierten, präzi-
sierten Anwendungsbedingungen.
Methodische Durchführung und Dokumentation der Literaturrecherchen:
1. Literatursuchprotokoll34
Beschreibt die konkrete Planung der Literaturrecherche mit Hintergrund, Ziel-
setzungen und Methodik35 mit Begründungen:
210 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

a) Zielsetzungen
Fragestellungen, die sich aus dem klinischen Bewertungsplan (Stufe 0) er-
geben,
(klinische) Fragestellungen, die sich aus dem Risikomanagement ergeben
haben;
Eine im Health Technology Assessment (HTA) anerkannte strukturierte
Fragetechnik für Literaturrecherchen stützt sich auf das PICO-Schema36:
– P Population(s)/disease(s) or condition(s)37
– I Intervention(s)38
– C Comparator group(s)/control(s)
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– O Outcome(s)/endpoint(s)39
b) Methodik
Ausgehend von den konkreten Fragestellungen jeweils zum MP und sei-
nem Anwendungsbereich (oder äquivalenten MP oder Benchmark MP)
bzw. zum aktuellen State of the Art im med. Einsatzbereich ist festzulegen,
was, wo (in welchen Datendanken und sonstigen Quellen (Internet und an-
deren), wie (z.  B mit welchen Suchtermen, Zeitfenster, Auswahlkriterien
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für Ein- und Ausschluss, Qualitätskontrolle bei der Datenextraktion40)


transparent zu suchen und auszuwählen ist.
Die wichtigsten Quellen werden im MEDDEV41 angeführt.
Günstig ist auch das Setzen von Literaturalarmen, um automatisch Mittei-
lungen über Aktualisierungen zu Studien, Fragestellungen etc. für das
PMCF zu generieren!
2. Literatursuchreport
Dieser beschreibt komplett nachvollziehbar die konkrete Durchführung der
­Literaturrecherche, insbesondere wie die oben angeführte Methodik konkret
umgesetzt wurde, mit allfälligen Abweichungen (samt Rechtfertigung) und die
Ergebnisse der Literaturrecherche.
Die Volltexte der gefundenen Studien/Literaturstellen werden annexiert42.
Allfällige Lücken ergeben wichtige Hinweise, wo ggf. weitere klinische Prüfun-
gen entsprechend dem klinischen Evaluierungsplan bzw. dem klinischen Ent-
wicklungsplan oder beim PMCF anzusetzen haben.

7.1.5.3 Stufe 2: Bewertung vorhandener klinischer Daten (Appraisal)


Hier geht es auf der Basis der in Stufe 1 erhobenen klinischen Daten primär um
folgende Fragestellungen:
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 211

ƒ Inwieweit sind die einzelnen klinischen Daten (Studien u. a.) jeweils relevant
für das MP43 oder ein als äquivalent ausgewiesenes MP,
ƒ seine Wirksamkeit, klinische Leistung und klinischen Nutzen,
ƒ seine klinische Sicherheit, seine klinisch erfassbaren Restrisiken und un-
erwünschten Nebenwirkungen,
ƒ die intendierten klinischen Anwendungsbereiche (inkl. Zielgruppen, Indi-
kationen und Kontraindikationen)?
ƒ Inwieweit sind die klinischen Daten relevant für den medizinischen State of
the Art im Anwendungsbereich, sodass das Nutzen-Risiko-Verhältnis des MP
mit dem des aktuellen State of the Art im Anwendungsbereich verglichen und
auf Akzeptabilität geprüft werden kann?
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ƒ Wie steht es um die methodisch-wissenschaftliche Qualität der einzelnen


klinischen Daten? Hier geht es darum, anhand definierter Kriterien44 abzu-
schätzen, inwieweit berichtete outcomes zu klinischem Nutzen/Leistung bzw.
klinischer Sicherheit auf die medizinische Intervention mit dem MP oder auf
Confounder, Bias, random error, inadäquate Berichtslegung etc. zurückzufüh-
ren sein könnten. Hierzu gehören die klassischen Kriterien bei der Beurtei-
lung klinischer Prüfungen, wie sie nicht zuletzt auch in Anhang XV der MPV
For personal use only.

und in der harmonisierten Norm EN ISO 14155 speziell für den klinischen
Prüfplan (clinical investigation plan – CIP) als explikationsbedürftig angespro-
chen werden (z. B. Sample size, power calculation, klinische Relevanz der End-
points, Validität von surrogate endpoints, Methodik der Messung von end-
points, Adäquanz der Kontrollgruppen, Verteilung prognostischer Faktoren,
Verblindung, Randomisierung, Adäquanz der Zeitspannen des Follow-up etc.).
ƒ Wie sind die einzelnen relevanten klinischen Daten anhand obiger Kriterien
nach ihrem Beitrag zur klinischen Bewertung und Evidenz des MP zu gewich-
ten?
Der Wert der einzelnen klinischen Daten, sowohl der herstellereigenen als auch
jener aus der Literatursuche, ist – nach einem Appraisal-Plan, der jeweils Krite-
rien für obige Fragestellungen festlegt – im Hinblick auf diese Fragestellungen zu
bestimmen und ihre Beiträge zur klinischen Evidenz für klinische Leistung/
klinischen Nutzen sowie klinische Sicherheit des MP sind zu gewichten. Höchstes
Gewicht haben üblicherweise pivotale Daten aufgrund gut durchgeführter rando-
misierter kontrollierter klinischer Prüfungen (RCTs) des MP im intendierten An-
wendungsbereich. Das MEDDEV erkennt an, dass für manche MP RCTs möglicher-
weise nicht praktikabel sind und hier andere Studiendesigns45 bzw. andere Quellen
klinischer Daten akzeptabel und argumentierbar sein können. Auch wird darauf
hingewiesen, dass speziell für lange etablierte Technologien bzw. Niedrigrisiko-
produkte qualitatives (deskriptives) statt quantitatives Appraisal akzeptabel sein
kann, was aber in jedem Fall zu rechtfertigen ist.
212 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Andere klinische Daten müssen gewürdigt und gewichtet werden zur Bestimmung
des aktuellen medizinischen State of the Art, zur Identifizierung bisher unbe-
kannter Gefährdungen oder unerwünschter Nebenwirkungen oder zur Bestim-
mung der Validität von surrogate endpoints.

7.1.5.4 Stufe 3: Analyse der klinischen Daten


Die in Stufe 2 bewerteten und gewichteten klinischen Daten müssen nun einer zu-
sammenfassenden strukturierten Analyse unterzogen werden, ob und inwieweit
das MP bei intendierter Anwendung die relevanten Grundlegenden Sicherheits-
und Leistungsanforderungen des Anhangs I der MPV erfüllt. Dies sind zunächst46
die allgemeinen Anforderungen in Anhang I Teil I nach Sicherheit und Wirksam-
keit des MP und die Akzeptanz des Nutzen-Risiko-Verhältnisses gegenüber dem
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anerkannten State of the Art. klinischer Nutzen (klinische Leistung) und klini-
sche Restrisiken (inklusive unerwünschter Nebenwirkungen, jeweils nach Mini-
mierung im Sinne des Risikomanagements) des MP sind jeweils nach
ƒ Art (nature),
ƒ Ausmaß (extent),
ƒ Dauer (duration) und
For personal use only.

ƒ Wahrscheinlichkeit (probability/frequency; in der Zielgruppe) zu bestimmen


und
ƒ das Nutzen-Risiko-Verhältnis gegenüber dem anerkannten State of the Art auf
Akzeptanz zu prüfen.
Neben den allgemeinen Grundlegenden Anforderungen in Teil I des Anhangs I
können auch bestimmte Elemente des Teils II (siehe Kap. III) und besonders auch
Teil III des Anhangs I (Gebrauchsanweisung) klinischer Daten bedürfen. Teil III
des Anhangs I der MPV enthält nunmehr in Kennzeichnung und Gebrauchsan-
weisung zahlreiche klinische Angaben [7.1, Anhang I.III.23], die durch die Ergeb-
nisse der klinischen Bewertung zu untermauern sind.
Ebenso auf Übereinstimmung mit den Ergebnissen der klinischen Bewertung zu
prüfen und damit in die Analysestufe einzubinden sind:
ƒ der Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung (Summary of Safety
and Clinical Performance, SSCP; nach MPV: Art. 3247; siehe hier Abschnitt
7.1.8)
ƒ Ggf. Implantat-Informationen (MPV, Art. 1848);
ƒ Dokumentation für Sonderanfertigungen gemäß MPV, Anhang XIII.2;
ƒ die Technische Dokumentation (speziell klinischer Teil, MPV, Anhang II.6 und
Anhang III)
ƒ vorgelegte geplante Werbematerialien (inkl. Homepages)
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 213

Die Analyse sollte jedenfalls vor dem Hintergrund der in Stufen 1 und 2 erhobe-
nen, bewerteten und gewichteten klinischen Daten zum anerkannten Stand des
klinischen Wissens im Einsatzbereich vorgenommen werden. Wesentlich ist auch
als Benchmark die Berücksichtigung allfällig einschlägiger DSGs und CS sowie
harmonisierter Normen mit klinischen Anforderungen.
Die Analyse wird sich auf qualitative und quantitative Methoden stützen; bei man-
chen lang etablierten Technologien mit niedrigem Risiko und Niedrig-Risiko-Pro-
dukten kann es sein, dass man sich primär auf qualitative (deskriptive) Methoden
stützen muss. Dies ist in jedem Fall zu rechtfertigen – siehe dazu Kap. IV.3 oben.
Zumeist sind soweit als möglich geeignete quantitative Methoden heranzuziehen.
Methodisch schwache Daten (wie Berichte über einzelne Patienten) gelten im Nor-
malfall nicht als beweiskräftig für Sicherheit und Wirksamkeit49.
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Die Analyse wird sich primär auf pivotale klinische Daten stützen, besonders wenn
diese Daten konkordant sind, was deren Beweiskraft stützt. Bei diskordanten pivo-
talen Daten ist die Gewichtung aus Stufe 2 besonders gefragt. Die Ursachen von
Diskrepanzen sind zu klären.
Bei der Analyse ist jeweils im Auge zu behalten, welches MP (inklusive seiner Mo-
delle, Größen, Varianten) und welche unterschiedlichen intendierten Einsatzberei-
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che (Zweckbestimmungen, Zielgruppen und Indikationen, ggf. inkl. Schweregrade,


Stadien, Verlaufsformen etc. von Erkrankungen) jeweils von der klinischen Bewer-
tung abgedeckt werden müssen und ob hier noch Nachweislücken bestehen (gap
analysis)! Die Lücken geben Hinweise, wo ggf. noch zusätzlicher Bedarf an klini-
schen Prüfungen oder an besonderen Aktivitäten im PMCF gegeben ist.
Besondere Situationen und Szenarien in der Analyse und Bewertung
a) Wohl etablierte Produktarten mit geringem Risiko (Well Established Tech-
nologies of low risk, WET; denken Sie an einfache Spritzen, Nadeln, Infusions-
bestecke, Trachealtuben etc.) Hier wird man in den zugehörigen (harmonisier-
ten) Normen oft alle Sicherheits- und Leistungsaspekte dieses MP abgehandelt
finden. Auf der Basis der technischen und präklinischen Evaluierung50 kann
man diese praktisch vollständigen Sicherheits- und Leistungsparameter als
­validierte surrogate endpoints für den klinischen Nutzen und die klinische
­Sicherheit abarbeiten. Klinische Daten aus der Anwendung dieser Produkte
wird man hier zumeist nur auf der Basis oft jahrzehntelanger spezifischer kli-
nischer Erfahrung im Rahmen eines validen PMS/PMCF des Herstellers für
derartige Produkte (nunmehr gemäß Kap. VII.1 und Anhang III bzw. Anhang
XIV.B der MPV) beistellen können. Aus diesen verlässlichen PMS/PMCF-Daten
sollte sich auch ergeben, dass das betreffende Produkt mit geringem Risiko
nach wie vor State of the Art und keineswegs – etwa wegen überlegener Alter-
nativen oder anderer Gesichtspunkte – im Einsatzbereich medizinisch obsolet
ist51 oder gegenüber vergleichbaren Produkten eine schlechtere Nutzen-Risiko-
214 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Bilanz aufweist. Das ausreichende Belegen der klinischen Leistung, des Nut-
zens und der klinischen Sicherheit dieser Niedrigrisikoprodukte auf der Basis
wohletablierter Technologien geringen Risikos allein durch technische und
präklinische Evaluierung (und PMS/PMCF-Daten) ist jedenfalls im Einzelfall
zu belegen.
Für MP mit höherem Risiko, insbesondere von Implantaten bzw. Klasse-III-
Produkten, hat der EU-Gesetzgeber jedenfalls klar gemacht, dass klinische
Daten auf der Basis klinischer Prüfungen für das konkrete Produkt praktisch
immer erforderlich sind und hier well established technologies keinesfalls gel-
tend gemacht werden können [7.1, Art. 61 (4)-(8)], siehe unten.
b) Unabhängig von den Ergebnissen der Gap Analysis ist zu beachten, dass die
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MPV [7.1, Art. 61(4)-(6)] für implantierbare MP und MP der Klasse III je-
denfalls obligatorisch die Durchführung geeigneter klinischer Prüfungen
fordert. Ausnahmen hiervon sind streng limitiert und nur möglich [7.1, Art.
61 (4)-(8)]:
ƒ wenn das betreffende MP durch Änderungen eines bereits vom selben Her-
steller in Verkehr gebrachten MP konzipiert wurde, er vom NB bestätigte
Gleichartigkeit52 nachweisen konnte und die klinische Bewertung des
For personal use only.

gleichartigen MP ausreicht, um nachzuweisen, dass das geänderte MP die


GSPR erfüllt. Der NB prüft in diesem Fall auch noch die Zweckdienlichkeit
des PMCF und ob dieses PMCF-Studien beinhaltet, um die Sicherheit und
Leistung des MP nachzuweisen; oder
ƒ sofern der Hersteller Gleichartigkeit mit einem nicht von ihm hergestell-
ten, bereits in Verkehr gebrachten MP nachweist, wenn er
– zusätzlich zum obigen Punkt folgende Anforderungen erfüllt:
– Beide Hersteller haben vertraglich den durchgängigen, unbeschränk-
ten Zugang des 2. Herstellers zur technischen Dokumentation des
1. Herstellers vereinbart und
– die ursprüngliche klinische Bewertung wurde unter Einhaltung der
Anforderungen der MPV durchgeführt; oder
ƒ wenn das MP
– gemäß der RL 90/385/EWG oder der RL 93/42/EWG rechtmäßig in
Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen wurde53 und
– seine klinische Bewertung sich auf ausreichende klinische Daten
stützt und
– im Einklang mit einschlägigen CS für diese Art von MP steht, sofern
solche verfügbar sind; oder
ƒ sofern es sich um Nahtmaterial, Klammern, Zahnfüllungen, Zahnspangen,
Zahnkronen, Schrauben, Keile, Zahn- oder Knochenplatten, Drähte, Stifte,
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 215

Klemmen oder Verbindungsstücke handelt, deren klinische Bewertung auf


ausreichenden klinischen Daten basiert und im Einklang mit einschlägi-
gen CS, so vorhanden, steht. Ausnahmen nach c) oder d) müssen vom Her-
steller im klinischen Bewertungsbericht (CER), vom NB im Clinical Evalu-
ation Assessment Report (CEAR) begründet werden. Die EU-Kommission
kann die Liste der Ausnahmen in d) durch delegierte Rechtsakte ändern.
c) Breakthrough-devices und unmet medical needs
In Ausnahmesituationen, wo bahnbrechende Neuerungen einen Durchbruch
im Hinblick auf die – unter Nutzen-Risiko-Abwägung – alternativlose Behand-
lung schwerwiegender Erkrankungen oder die Vermeidung von Todesfällen
erwarten lassen, können limitierte klinische Daten54 unter strengen Kautelen
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für eine positive Nutzen-Risiko-Abwägung ausreichen. Diese Fälle müssen im


klinischen Bewertungsbericht (CER) ausreichend begründet werden und müs-
sen in Abstimmung mit dem NB mit Commitments und Auflagen versehen
sein, die einen raschen Zugewinn an relevanten klinischen Daten durch einen
stringenten PMCF-Plan gewährleisten55 und ein rasches Update der klinischen
Bewertung im Hinblick auf „Normalverhältnisse“ der klinischen Datenlage er-
möglichen. Bei höherem Risiko derartiger Produkte oder bei derartigen MP für
seltene Erkrankungen empfiehlt das MEDDEV 2.7/1. Rev. 4, alle Patienten in
For personal use only.

PMCF-Studien einzubinden.
Bei Nachfolgeprodukten oder Me-too’s dieser bahnbrechenden Produkte ist der
klinische Kenntnisstand bereits angewachsen, sodass größere Ungewissheiten
bei der Nutzen-Risiko-Abwägung zumeist nicht mehr akzeptabel sind56. Auch
hier sind nach MEDDEV 2.7/1. rev.4 jedenfalls PMCF-Studien und ein rasches
Update des CER durch aussagekräftiges PMCF angezeigt.
d) Ausnahmen vom Bedarf nach klinischen Daten57
Der Hersteller kann Ausnahmen vom Bedarf nach klinischen Daten zur Erfül-
lung der Grundlegenden Anforderungen nur mit ausreichender Begründung
geltend machen. Diese Begründung muss sich ableiten vom Risikomanage-
ment und der genauen Darlegung der biologischen Interaktion des MP mit
dem menschlichen Körper, der Funktionsweise des MP und den konkreten
Claims zur klinischen Leistungsfähigkeit und muss den Nachweis führen, dass
nichtklinische, technische und präklinische Bewertungen im konkreten Ein-
zelfall ausreichen, um die Erfüllung der Grundlegenden Anforderungen ohne
klinische Daten zu demonstrieren58. Wichtig ist hier, dass tatsächlich alle
­Sicherheits- und Leistungsparameter bereits durch Konformitätsvermutungen
aus harmonisierten Normen (Anhänge Z) abgedeckt werden können. Dies ist
aber vom EU-Gesetzgeber nur als absoluter Ausnahmefall gedacht. In jedem
Fall muss ja ein geeignetes Post Market Surveillance (PMS-System) gefahren
werden, dessen klinischer Teil das PMCF ist. Diese Situation muss vom Her-
steller im CER, vom NB in seinem CEAR gerechtfertigt werden.
216 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

e) Klinische Bewertung von Medical Device Software (MDSW; MDCG 2020-1:


Guidance on clinical evaluation (MDR)/Performance evaluation (IVDR) of
­medical device software)
Eine Besonderheit stellt die klinische Bewertung von Software-MP mit ihren oft
diagnostischen, prädiktiven, prognostischen Funktionen dar. Entsprechende
Vorarbeiten sind durch das IMDRF mit der Guideline „Software as a Medical De-
vice (SaMD) Clinical Evaluation“ erfolgt. Dieser globalen Guideline folgt MDCG
2020-1; aber es bleibt auch dem in MEDDEV 2.7.1 rev.4 dargestellten schrittwei-
sen Ansatz der klinischen Bewertung treu, mit der Abfolge von klinischem Be-
wertungsplan, Identifizierung relevanter klinischer Daten (durch Literaturre-
cherche, klinische Prüfungen und andere Quellen gültiger klinischer Daten inkl.
PMCF-Daten), Bewertung und Analyse dieser Daten, dem klinischen Bewer-
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tungsbericht und anschließendem PMCF für Aktualisierungen.


Die wissenschaftliche Methodik folgt, genau wie der oben zitierte Vorgänger
des IMDRF, dem Konzept der Leistungsbewertung für IVDs mit den wichtigen
Komponenten:
ƒ Valide klinische Assoziation/wissenschaftliche Validität
ƒ Analytische/technische Leistung
For personal use only.

ƒ Klinische Leistung
Eine valide klinische Assoziation/wissenschaftliche Validität würde die
(wissenschaftliche) Begründung liefern, warum ein bestimmter Output (basie-
rend auf definierten Inputs und Algorithmen der MDSW) einem bestimmten
klinischen Nutzen in Bezug auf bestimmte (patho-)physiologische klinische
Bedingungen, Prozesse oder Zustände dienen würde. Gewöhnlich stützt sich
dies auf Grundlagenforschung als Ausgangspunkt und möglicherweise auf
vorläufige Ergebnisse (hauptsächlich) explorativer klinischer Untersuchun-
gen, Expertenmeinungen medizinischer Fachgesellschaften, wissenschaftliche
Literaturrecherchen und möglicherweise andere gültige Quellen. Gewöhnlich
beginnt die wissenschaftliche Validität in den frühen Phasen oft als Hinweis
auf eine qualitative Beziehung zwischen dem Output und der angestrebten kli-
nischen Aussagekraft und wird v. a. durch die klinische Validierungsphase
Schritt für Schritt bis zu einer semiquantitativen oder quantitativen Korrela-
tion weiter verfeinert.
Die analytisch/technische Leistung muss sich mit zwei Hauptpunkten befas-
sen:
1) Nachweis der Fähigkeit der MDSW, aus den Eingabedaten genau, zuver-
lässig, reproduzierbar und präzise den beabsichtigten Output zu generieren;
2) das MDSW erfüllt zuverlässig, genau und konsistent die beabsichtigten
Zwecke im realen Einsatz unter den Voraussetzungen der Gebrauchstaug-
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 217

lichkeit, der IT-Safety und der IT-Security in den Kontexten der vorgesehe-
nen Einsatzumgebungen und der vorgesehenen Nutzer und Zielgruppen.
Unter Punkt 1) werden wichtige Parameter der analytischen Leistung diejeni-
gen sein, die auch in der IVDV verwendet werden: Anhang I.II.9.1.a: analyti-
sche Sensitivität und Spezifität, Genauigkeit (aus Richtigkeit und Präzision),
Nachweis- und Bestimmungsgrenzen, Linearität, Cut-off-Values, Messbereich
(Intervall). Unter Punkt 2) würden Parameter wie Gebrauchstauglichkeit in
den vorgesehenen Anwendungsszenarien, Verallgemeinerbarkeit, Verfügbar-
keit, Vertraulichkeit, Integrität, Zuverlässigkeit, Abwesenheit von Cybersicher-
heitslücken gelten.
Die klinische Leistung muss zeigen, dass die Anwender durch die Ergebnisse
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der MDSW durchweg klinisch relevante Benefits erzielen können und dies auf
der Grundlage einer vorhersehbaren und zuverlässigen Nutzung der MDSW
in den vorgesehenen Zielgruppen, Betriebs- und Nutzungsbedingungen, ein-
schließlich Indikationen, Kontraindikationen, genau definierten Zielgruppen,
Einschränkungen und Warnungen.
Die klinische Leistung muss entsprechend den Parametern spezifiziert wer-
den, die teilweise wieder in der IVDV angegeben sind: Anhang I.II.9.1.b) für
For personal use only.

die klinische Leistung:


Klinische/diagnostische Sensitivität und Spezifität, positiver und negativer
prädiktiver Wert, positive und negative Likelihood Ratio, Odds Ratio, Konfidenz­
intervalle, NNT, NNH; ergänzt durch Usability-Aspekte59 (NNT: Number Needed
to Treat, NNH: Number Needed to Harm).
Bitte beachten Sie, dass für die klinische Bewertung von Software-Produkten der
Klasse III klinische Prüfungen unter den Bedingungen der MPV, Art. 64 (4)ff.
rechtlich erforderlich sein können.

7.1.5.5 Stufe 4: Der klinische Bewertungsbericht


Der klinische Bewertungsbericht (Clinical Evaluation Report; CER) dokumentiert
den klinischen Evaluierungsprozess mit seinen Arbeitsschritten/Stufen und Er-
gebnissen und konstituiert damit die klinische Evidenz für das MP und seine in-
tendierte Anwendung in transparenter, nachvollziehbarer Weise.
Die MPV und die MP-RL, in der Form der RL 2007/47/EG, legen grundsätzlich fest,
dass ein CER zu erstellen ist. Die Details zu Struktur und Aufbau finden sich im
MEDDEV 2.7/1 rev. 460. Der CER unterliegt einer ständigen Aktualisierung durch
PMCF und ist essenzieller Teil der Technischen Dokumentation gemäß MPV:
­Anhang II und III (PMCF).
Tabelle 7.3 zeigt die m MEDDEV 2.7/1. rev. 4 empfohlene Struktur.61
218 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Tabelle 7.3 Mögliche Struktur und Inhalte des klinischen Bewertungsberichts


Struktur des CER
1. Executive summary62
2. Scope und klinischer Evaluierungsplan [7.1, Anhang XIV.A.1.a)]
3. Klinischer Background; aktuelles Wissen; State of the Art im medizinischen Einsatz­
bereich63
4. Klinische Datensuche für das MP und seine Anwendung
a) Quellen der klinischen Daten; gewählte Route(n) mit Rechtfertigung [7.1, Art. 2 (48)]
b) ev. Equivalenznachweis64
c) eigene klinische Daten des Herstellers65
d) Literatursuche
e) Appraisal66
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f) Analyse67
5. Schlussfolgerungen68
6. a) PMCF6970
b) Datum des nächsten Durchlaufs der klinischen Bewertung mit Begründung
7. Datum und Unterschriften71
8. Qualifikationen des/der klinischen Evaluator/s/en72
9. Referenzen: Grundsätzlich sollten alle klinischen Daten, Ergebnisse und Schlussfolge-
rungen klar zu entsprechenden Quellen, Literaturstellen bzw. Dokumenten etc. refe-
For personal use only.

renziert werden
10. Annexierte Dokumente73

7.1.5.6 Stufe 5: Klinische Nachbeobachtung nach dem


Inverkehrbringen
Die aktive und systematische Sammlung klinischer Daten muss auch nach Beginn
der Vermarktung im kontinuierlichen Prozess des Post-Market Clinical Follow-up
(PMCF) fortgesetzt werden, um die klinische Sicherheit und Wirksamkeit von Me-
dizinprodukten auch langfristig über die Lebensdauer des MP mit klinischer Evi-
denz belegen zu können. Neue Ergebnisse und Erkenntnisse aus der breiten klini-
schen Anwendung des MP – über eine breite Vielfalt an unterschiedlichen, oft
multimorbiden Patienten und verschiedenen Anwendern – müssen in eine Aktua-
lisierung der klinischen Bewertung des MP einfließen. PMCF soll über den Lebens-
zyklus des Medizinprodukts die klinische Bewertung aktuell halten. PMCF ist da-
bei essenzieller Teil der klinischen Bewertung und des Post Market Surveillance
(PMS) und muss unter dem obligatorischen QMS des Herstellers ausgeführt wer-
den. Teil B des Anhangs XIV der MPV beschäftigt sich im Detail mit dem PMCF,
das auf einem PMCF-Plan basieren muss:

a) Zielsetzungen des PMCF-Plans


ƒ Laufende Überprüfung der klinischen Sicherheit und klinischen Leistung über
den Lebenszyklus des MP;
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 219

ƒ Erkennen bisher unbekannter Nebenwirkungen und emergenter Risiken sowie


Monitoring der schon identifizierten Nebenwirkungen, Risiken und Kontra­
indikationen;
ƒ Überprüfung, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis nach wie vor akzeptabel ist
(auch: eventuelle Hervorkommen überlegener Alternativen?;
ƒ Erkennen eines systematischen und/oder gravierenden off label use, um ent-
sprechende Korrektur- und/oder Schutzmaßnahmen einleiten zu können.

b) Mindestinhalte des PMCF-Plans


ƒ Allgemeine Methoden des PMCF
Weiteres proaktives Sammeln klinischer Erfahrungen, Feedback von Anwen-
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dern und Patienten74; weitere Literaturrecherchen75, sonstige Quellen, z. B.


auch aus dem Bereich der Vigilanzsysteme mit Zwischenfallmeldungen oder
Sicherheitsmaßnahmen im gegenständlichen Produktbereich
ƒ Spezifische Methoden des PMCF
ƒ PMCF-Studien, entweder als „Fortsetzung“ von pre-CE-Studien76 oder als
PMCF-Studien mit CE-gekennzeichneten MP an repräsentativen Patienten-
kollektiven [7.1, Art. 74];
For personal use only.

ƒ systematische Registerauswertungen für Implantate (z. B. Koronars-


tents, Hüft- und Knieimplantate etc.) oder medizinische Verfahren (z. B.
Laserverfahren am Auge; interventionelle Verfahren) oder bestimmte Er-
krankungen. Mitgliedstaaten und EU-Kommission sind gem. MPV: Art.
108 gehalten, die Einrichtung und gemeinsame Auswertungen derartiger
Register und Datenbanken im Interesse der Beurteilung der Langzeit-Per-
formance und -Sicherheit der MP und der Traceability zu unterstützen. Die
EU-Kommission hat eine eigene EU-Arbeitsgruppe unter Beteiligung aller
Stakeholder für derartige Register eingerichtet; deren Arbeit kann sich
auf die Ergebnisse der Joint Action PARENT77 der EU, mit einem Register
of Registers und methodologischen Guidelines stützen. Auch auf globaler
Ebene werden Registerauswertungen im Rahmen des IMDRF vorangetrie-
ben;
ƒ für die konkreten allgemeinen und speziellen PMCF-Methoden ist jeweils
ein Rationale auch im Hinblick auf die spezifischen Zielsetzungen bereit-
zustellen;
ƒ Bewertung der klinischen Daten äquivalenter oder ähnlicher MP78, die
als Benchmark oder als Referenz für die Beurteilung von klinischer Sicher-
heit und Wirksamkeit dienen können;
ƒ Referenz auf relevante DSG oder CS für PMCF oder relevante Abschnitte
aus harmonisierten Normen.
220 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

ƒ Ein begründeter, detaillierter Zeitplan für PMCF-Aktivitäten (Analyse von


PMCF-Daten und Erstellen von PMCF Evaluation Reports)
MPV, Art. 61 (11) fordert für Implantate und Klasse III-MP eine zumindest
jährliche Aktualisierung des PMCF Evaluation Reports; das MEDDEV fordert
zumindest ein jährliches Update, wenn das MP ein signifikantes Risiko auf-
weist oder es keiner wohletablierten Technologie entspricht79. Sofern diese
­Bedingungen nicht gegeben sind, wird ein Intervall von zwei bis fünf Jahren,
jeweils mit Rechtfertigung und in Absprache mit dem NB empfohlen.

WICHTIG:
Die Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte hat zur Erstellung des PMCF-Plans
eine eigene Guidance zur Verfügung gestellt: MDCG 2020-7: Guidance on PMCF
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plan template

c) Bewertungsbericht über die klinische Nachbeobachtung nach dem


Inverkehrbringen
Die proaktive Sammlung, Bewertung und Analyse der PMCF-Daten und die
Schlussfolgerungen daraus werden jeweils in einem PMCF Evaluation Report
For personal use only.

festgehalten. Der Bericht mit seiner Analyse und seinen Schlussfolgerungen wird
zum Update des CER, des Risikomanagements und des PMS verwendet. Der Report
wird damit auch Bestandteil der Technischen Dokumentation im Sinne des An-
hangs II und III der MPV. Der Hersteller muss entsprechend geartete Schlussfolge-
rungen des PMCF Evaluation Reports erforderlichenfalls in präventive und/oder
korrektive Maßnahmen (CAPAs) umsetzen. Hinsichtlich der Frequenz der Bewer-
tungsberichte ist für Implantate und Klasse III-MP eine jedenfalls jährliche Erstel-
lung vorgeschrieben; siehe auch oben angeführte Festlegungen im PMCF-Plan.

WICHTIG:
Die Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte hat zu den PMCF Evaluation Reports
eine eigene Guidance zur Verfügung gestellt: MDCG 2020-8: Guidance on PMCF
evaluation report template.

Die angebliche Nichtanwendbarkeit eines PMCF ist ebenfalls ausreichend zu be-


gründen.
7.1 Klinische Bewertung von Medizin­produkten 221

7.1.6 Scientific Advice
In der MPV wurde nunmehr, ähnlich wie im Arzneimittelbereich, vor der Zulas-
sung die Möglichkeit eines „Scientific Advice“ geschaffen [7.1, Art. 61 (2)]. Für MP
der Klasse III und für dem Verfahren nach Art. 54 unterliegende aktive MP der
Klasse IIb kann der Hersteller seinen klinischen Entwicklungsplan und seine Vor-
schläge für klinische Prüfungen einer Konsultation durch ein Expertenpanel nach
Art. 106 (wohl gebührenpflichtig) unterziehen. Dessen Standpunkt hat er dann
gebührend zu berücksichtigen und dies im CER zu dokumentieren. Andererseits
können aber aus einem Scientific Advice keine Rechte im bevorstehenden Konfor-
mitätsbewertungsverfahren abgeleitet werden.
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7.1.7 Qualifikationen und Auswahl klinischer Evaluatoren


MEDDEV 2.7/1.rev. 4 erläutert Anforderungen an die berufliche Qualifikation,
Kenntnisse und Declarations of Interest von klinischen Evaluatoren80 (Individuen
oder Teams), um eine unabhängige und sachkundige klinische Bewertung sicher-
zustellen. Der Hersteller muss Anforderungen an die klinischen Evaluatoren in
For personal use only.

Abhängigkeit von der Art, Zweckbestimmung, den klinischen Leistungen und Risi-
ken des MP und seiner intendierten Anwendung formulieren, seine(n) klinischen
Evaluator(en) entsprechend auswählen und die Auswahl im CER im Hinblick auf
die Anforderungen begründen. Zu den erforderlichen Kenntnissen und Qualifika­
tionen gehören:
ƒ allgemeine wissenschaftliche Kenntnisse (Forschungsmethodologie, spezi-
ell in klinischen Prüfungen und Biostatistik; wissenschaftliches Informations-
management und Erfahrung in Literatursuche; Erfahrung in medizinisch-wis-
senschaftlichem Schreiben und regulatorischem Hintergrund)
ƒ Kenntnisse über das MP unter Evaluierung und seinen medizinischen
Einsatzbereich (Technologie und klinische Applikation; Diagnose und Manage-
ment der klinischen Anwendungssituationen; Kenntnis medizinischer Alter-
nativen und einschlägiger Behandlungsstandards; medizinisches Spezialfach)
ƒ Berufliche Qualifikation, Training und Erfahrung
ƒ Einschlägiger akademischer Grad+ ≥ 5 Jahre dokumentierte professionelle
Erfahrung
ƒ ≥ 10 Jahre dokumentierte professionelle Erfahrung, falls kein akademi-
scher Grad für Einsatzbereich erforderlich ist
Abweichungen sollten jeweils dokumentiert und begründet werden.
222 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Die klinischen Evaluatoren stellen zum Nachweis ihrer Unabhängigkeit Declara-


tions of Interest (DoI) bereit, in der für definierte Zeiträume relevante finanzielle
und andere Interessen des Evaluators und naher Familienangehöriger dargestellt
werden, welche Einfluss auf das Ergebnis der klinischen Bewertung haben könn-
ten. Typische Inhalte der DoI sind: relevante allfällige Beschäftigungsverhältnisse,
Intellectual Property oder Patente, Aktien, Stipendien, Grants, Teilnahme an klini-
schen Prüfungen oder präklinischen Evaluierungen, Finanzierung von Reisen und
Akkommodation; Vortragshonorare etc.81
Der Hersteller sollte die von ihm und vom Evaluator unterschriebenen und datier-
ten DoI dem CER annexieren.
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7.1.8 Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung


Die MPV verlangt vom Hersteller für alle implantierbaren MP und für Klasse III-
MP83 die Bereitstellung eines öffentlich zugänglichen, für Anwender und ggf. Pa­­
tien­ten verständlichen Kurzberichtes für Sicherheit und klinische Leistung82, 84
[7.1, Art. 32]. Der Entwurf dieses Kurzberichtes ist im Rahmen des Konformitäts-
bewertungsverfahrens dem NB vorzulegen, der diesen Entwurf validiert und dann
For personal use only.

in die EUDAMED-Datenbank hochlädt. Die Gebrauchsanweisung muss einen Link


auf dieses Dokument in seiner aktuellen Form enthalten

Der Kurzbericht enthält zumindest folgende Elemente:


ƒ Identifizierung von MP und Hersteller, inkl. Basis-UDI-DI und SRN;
ƒ Zweckbestimmung und Indikationen, Kontraindikationen und Zielgruppen;
ƒ MP-Produktbeschreibung;
ƒ Mögliche diagnostische oder therapeutische Alternativen;
ƒ Hinweis auf alle harmonisierten Normen und angewandte gemeinsame Spezi­
fikationen (GS);
ƒ Zusammenfassung der klinischen Bewertung und einschlägige PMCF-Informa-
tionen;
ƒ Profil und Schulung der vorgesehenen Anwender;
ƒ mögliche Restrisiken und unerwünschte Wirkungen, Warnhinweise und Vor-
sichtsmaßnahmen.

WICHTIG:
Die Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte MDCG hat zur Erstellung des SSCP
eine Guidance zur Verfügung gestellt: MDCG-2019-9: Summary of safety and
clinical performance.

Die EU-Kommission kann nähere Details zu Art und Aufmachung dieser Elemente
per Durchführungsrechtsakt festlegen.
7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten 223

7.1.9 Bericht (des NB) über die Begutachtung der


klinischen Bewertung
Dem EU-Gesetzgeber war es wichtig, das Assessment der klinischen Bewertung
des Herstellers durch die benannten Stellen (Notified Bodies, NB) im Rahmen der
Konformitätsbewertung auf ein hohes und homogenes Niveau zu heben und das
Ergebnis auch transparent zu machen. Neben einschlägigen Anforderungen in
Kap. IV und Anhang VII der MPV zum klinischen Assessment durch die NBs ent-
halten sowohl Anhang IX und Anhang X nunmehr explizite Anforderungen zur
Erstellung eines Berichts über die Begutachtung der klinischen Bewertung
(Clinical Evaluation Assessment Report, CEAR) [siehe auch 7.1, Abschnitt 4.5.5,
Anhang VII]. Seitens des MDCG liegt dazu eine Guidance vor: MDCG 2020-13:
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­Clinical evaluation assessment report template85.

„ 7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten


For personal use only.

7.2.1 Einleitung

7.2.1.1 Definition und Hintergrund


„Klinische Prüfung“ bezeichnet eine systematische Untersuchung, bei der ein oder
mehrere menschliche Prüfungsteilnehmer einbezogen sind und die zwecks Bewer-
tung der Sicherheit oder Leistung eines Produkts durchgeführt wird [7.1, Art. 2.
Nr. 45].
Klinische Prüfungen sind neben Literaturrecherchen die wichtigste Quelle verläss-
licher klinischer Daten für den Hersteller, um für sein MP klinische Evidenz zu
etablieren. Notwendigkeit und Spezifität allfälliger klinischer Prüfungen muss der
Hersteller mit seiner klinischen Bewertung steuern, speziell mit seinem klinischen
Bewertungsplan und hier wiederum mit seinem klinischen Entwicklungsplan für
das MP (siehe Kap. 7.1. oben); daneben sind für Hochrisikoprodukte auch regula­
torische Notwendigkeiten für klinische Prüfungen zu beachten [7.1, Art. 61 Abs.
(4) – (9)].
Je nach Entwicklungsstand und Novität des MP oder seiner Technologie können im
klinischen Entwicklungsplan (clinical development plan) zunächst exploratori-
sche Studien (z. B. First in Man-, Pilot-, Proof of Concept- oder early and traditional
Feasibility-Studies) zur vorsichtigen Sammlung erster klinischer Daten zu Sicher-
heit und Wirksamkeit angezeigt sein; gefolgt von konfirmatorischen Studien
(z. B. pivotal studies) zur Generierung entscheidender klinischer Daten zu Sicher-
heit und Wirksamkeit des MP für die Zulassung. Schließlich gibt es als Teil des
224 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

PMCF noch PMCF-Studien zur Evaluierung der Langzeitsicherheit und Wirksam-


keit innerhalb der dann breiteren realen Anwendungskollektive mit vielleicht viel-
fältigeren Komorbiditäten oder genetischen Konstellationen und damit verbunde-
nen Nebenwirkungspotenzialen.

7.2.1.2 Quellen
MPV 86: Kap. VI und Anhang XV
MDCG87 2021-20: Instructions for generating CIV-ID for MDR Clinical Investiga-
tions
MDCG 2021-8: Clinical investigation application/notification documents
MDCG 2020-10/1/2: Guidance on safety reporting in clinical investigations
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Appendix: Clinical investigation summary safety report form


MEDDEV* 2.7/2 rev. 2: Guidelines for competent authorities for making a valida-
tion/assessment of a clinical investigation application under Directives 90/385/
EEC and 93/42/EC
MEDDEV 2.7/4*: Guidelines on clinical investigations: a guide for manufacturers
and notified bodies
For personal use only.

MEDDEV* 2.12/2 rev. 2: Post market clinical follow-up studies


*: müssen erst an MPV angepasst werden, dies vermutlich als MDCG documents!
EN ISO 14155: Clinical investigation of medical devices for human subjects — Good
clinical practice

7.2.2 Geltungsbereich der MPV


Die MPV zielt primär [7.1, Art. 62 (1)] auf klinische Prüfungen (exploratorische
oder konfirmatorische Studien, PMCF-Studien) die zur Generierung klinischer
Daten für die klinische Bewertung im Rahmen der Konformitätsbewertung
dienen, um die Eignung des MP für
ƒ die Erzielung der spezifischen medizinischen Zwecke (gemäß Definition des
MP) und Leistungen oder des klinischen Nutzens festzustellen und zu über-
prüfen, und/oder um
ƒ die klinische Sicherheit des MP und die bei ordnungsgemäßer Anwendung ggf.
auftretenden unerwünschten Nebenwirkungen festzustellen und zu überprü-
fen und zu beurteilen, ob diese im Vergleich zu dem vom MP erbrachten Nut-
zen vertretbare Risiken darstellen.
Für diese klinischen Prüfungen gelten die Anforderungen der MPV, Art. 62 bis 81
und Anhang XV.
7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten 225

Für die klinischen Prüfungen von MP, die anderen Zwecken dienen (z. B. aka-
demische Studien), gelten nach Art. 82 jedenfalls bestimmte Teile der Anforderun-
gen des Kap. VI, speziell dem Schutz der Prüfungsteilnehmer dienende Anforde-
rungen gem. MPV, Art. 63 – 69, die obligatorische Befassung der Ethikkommission,
die Einhaltung der zutreffenden Anforderungen des Anhangs I, der Datenschutz.
Der Mitgliedstaat ist gehalten, speziell zur Gewährleistung ethischer, Sicherheits-
und wissenschaftlicher Grundsätze und zum Schutz der Prüfungsteilnehmer zu-
sätzliche Anforderungen (z. B. auch risiko-differenzierte Genehmigungs- oder
Nichtuntersagungsverfahren, Dokumente wie klinischer Prüfplan, Case Report
Forms etc.) für diese klinischen Prüfungen festzulegen; siehe dazu die entspre-
chenden nationalen Regelungen!
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7.2.3 Wesentliche Aspekte klinischer Prüfungen


For personal use only.

Bild 7.2 Wesentliche Aspekte klinischer Prüfungen nach der MDR (MPV); (DSG: Device
­Specific Guidances88; CS: Common Specifications (produktgruppenspezifische Anforderungen);
MDR: Medical Device Regulation (MPV); CRF: Case Report Forms; CIP: Clinical Investigation
Plan; IB: Investigators brochure; natReg: nationale Regelung; CE-MP: bereits CE-gekennzeich-
netes Medizinprodukt); CIV-ID: individuelle Kennung der Clinical Investigation in EUDAMED,
siehe MDCG 2021-20
226 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

1. Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen


Prüfprodukte89 (Investigational [Medical] Devices; IMD) müssen die auf sie zutref-
fenden Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß An-
hang I erfüllen, mit Ausnahme jener Punkte, die erst Gegenstand der klinischen
Prüfung sind. Hinsichtlich dieser ggf. noch offenen Punkte sind alle Vorsichtsmaß-
nahmen zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Prüfungsteilnehmer
und ggf. anderer Personen zu treffen; gegebenenfalls mit dem Nachweis einer tech-
nischen und biologischen Sicherheitsprüfung und einer präklinischen Bewertung.
Zum Nachweis der Erfüllung der Anforderungen eignen sich nach den Prinzipien
des New Approach einschlägige Harmonisierte Normen (siehe Anhänge Z) und
gemeinsame Spezifikationen (GS) mit entsprechenden Konformitätsvermutun-
gen und jeweils als zumindest äquivalent zu begründende alternative Lösungen
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(z. B. State of the Art-Normen). Die Darstellung von Anforderungen und ihrer Erfül-
lung kann etwa in einer Matrix erfolgen, die auch gleich der Vorbereitung der
Technischen Dokumentation gem. Anhang II.4 dienen kann und auch Teil des
Handbuchs des Prüfers ist (Anhang XV.II.2.7.), und Annex 6 des MDCG documents
MDCG 2021-8 (GSPR-Matrix) siehe unten:
Die Dokumentation obiger Aspekte der klinischen Prüfung, ergänzt um die zum
Zeitpunkt der klinischen Prüfung vorliegenden technischen, präklinischen und
For personal use only.

klinischen Daten sowie der exakten Beschreibung des MP, seiner Konzeption,
Technologie, Geschichte und Herstellung, seiner Zweckbestimmung, Anwendung,
notwendigen Zubehörs, spezieller Komponenten90, Lagerung, Instandhaltung,
Wartung, Hygienemaßnahmen, Nutzen-Risiko-Analyse. Risikomanagement, Hin-
weisen auf etwaige unerwünschte Nebenwirkungen, Kontraindikationen und
Warnhinweise etc. erfolgt im Handbuch des Prüfers (Investigator’s Brochure;
IB). Dessen Struktur ist in der MPV: Anhang XV.II.2 dargestellt und in der (harmo-
nisierten) Norm EN ISO 14155 im Detail ausgeführt.
Das Handbuch legt also begründet dar, dass das Prüfprodukt aller Voraussicht
nach gem. Anhang I der MPV sicher und wirksam sein wird und es „reif“ für diese
Phase der Anwendung an Prüfungsteilnehmern ist.
Aktualisierungen und neue Informationen sind dem klinischen Prüfer vom Spon-
sor umgehend zuzuleiten.

2. Die wissenschaftliche Grundlegung der klinischen Prüfung erfolgt


im klinischen Prüfplan

Der „klinische Prüfplan“ bezeichnet ein Dokument, in dem die Begründung, die
Ziele, die Konzeption, die Methodik, die Überwachung, statistische Erwägungen,
die Organisation und die Durchführung einer klinischen Prüfung beschrieben
werden [7.1, Art. 2 Nr. 47].

7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten 227

Die Struktur des klinischen Prüfplans (Clinical Investigation Plan, CIP) ist in der
MPV, Anhang XV.II.3 beschrieben; im Detail ist der CIP in der (harmonisierten)
Norm EN ISO 14155 ausgestaltet91, welche auch die Good Clinical Practice (GCP)
für den Medizinproduktesektor darstellt.
Der CIP soll u. a. aus wissenschaftlicher Sicht darlegen, dass sich durch die Kon-
zeption der konkreten klinischen Prüfung die explizit formulierten, medizinisch
sinnvollen (Prüf-)-Hypothesen wissenschaftlich einwandfrei bestätigen oder wider-
legen lassen.
Daneben leistet der CIP wesentliche Beiträge zur ethischen (z. B. Aufklärung und
Einwilligung; Schutz der Prüfungsteilnehmer und insbesondere vulnerabler Grup-
pen) und organisatorischen (z. B. Rollenbeschreibungen von klinischem Prüfer,
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Sponsor und Monitor; Sicherheitsberichterstattung; Finanzierung) Gestaltung der


klinischen Prüfung und zu ihrer Dokumentation (siehe unten).
Jede klinische Prüfung umfasst zu den im CIP definierten Zeitpunkten (vor, wäh-
rend und nach der Anwendung des Prüfproduktes [Investigational Medical Device,
IMD]) Querschnittsuntersuchungen der relevanten klinischen Sicherheits- und
Leistungsparameter der Prüfungsteilnehmer und relevante Daten zum Zustand
des IMD. Die Erhebungsformulare dafür finden sich in den Fallberichten (Case Re­
For personal use only.

­port Forms; CRF), oft als Teil des CIP.

3. Ethik, Organisation, Dokumentation, Finanzen


Der europäische Gesetzgeber hat die zeitnahe Verabschiedung der Verordnungen
zu klinischen Arzneimittelprüfungen92, zu den Medizinprodukten und zu In-vitro-
Diagnostika genutzt, um die regulatorische klinische Forschungslandschaft in Eu-
ropa zu harmonisieren, was auch Kombinationsstudien erleichtern wird. Dies be-
trifft gerade auch die grundlegenden ethischen Anforderungen (siehe speziell in
den Artikeln 63 bis 69 der MPV), wie die Vorschriften für Aufklärung und Einwil-
ligung und den Schutz vulnerabler Gruppen (nicht Einwilligungsfähige; Minder-
jährige; schwangere oder stillende Frauen; klinische Prüfungen in Notfällen), den
Schadensersatz, aber auch die obligatorische Befassung einer Ethikkommission,
deren ablehnendes Votum für den Mitgliedsstaat im Verfahren bindend ist93. Von
Zielsetzung und Inhalt entspricht dies weitgehend den Anforderungen der Dekla-
ration von Helsinki des Weltärztebundes. Der Sponsor dokumentiert die Erfüllung
der ethischen Anforderungen, einschließlich der Materialien für Aufklärung und
Einwilligung im CIP. Ebenso werden die Rollenanforderungen an den klinischen
Prüfer, Sponsor und Monitor im CIP geklärt. Die Struktur des CIP ist in der MPV:
Anhang XV.II.3 festgelegt; nähere Details finden sich in der Norm EN ISO 14155.
Diese bietet auch eine klare Übersicht über die erforderliche Dokumentation für/
über die klinische Prüfung einschließlich der Zuordnung von Verantwortlichkei-
ten.
228 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Art. 69 der MPV enthält Basisregelungen für den Schadensersatz bei klinischen
Prüfungen, wobei hier die Mitgliedstaaten für die Detailgestaltung und der Spon-
sor für die Realisierung der diesbezüglichen EU- und nationalen Vorschriften ver-
antwortlich sind.

4. Verfahren der klinischen Prüfung von MP


Die MPV bietet hier, jeweils nach obligatorischer Meldung an EUDAMED (Antrag-
stellung mit den Unterlagen gem. MPV, Anhang XV.II.), mehrere Varianten von
Genehmigungs-/Nichtuntersagungsverfahren, die nach den Regelungen jedes Mit-
gliedstaates, zumindest von einer Ethikkommission, meist aber gemeinsam von
Ethikkommission und zuständiger Behörde ausgeführt werden94:
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a) und b) das klassische Ein-MS-Verfahren (unter RL 93/42/EWG und RL 90/385/


EWG das „klassische“ Verfahren), in Varianten für Hoch- und Niedrigrisiko-MP;
c) das zunächst (bis 27. Mai 2027) für die Mitgliedstaaten freiwillige, dann auf
Wunsch des Sponsors verbindliche koordinierte Bewertungsverfahren (Mehr-Staa-
ten-Verfahren);
d) wesentliche Änderung einer klinischen Prüfung;
e) die klinische Prüfung CE-gekennzeichneter MP.
For personal use only.

Diese Verfahren unter der neuen MPV werden in Tab. 7.4. a) bis e) im Einzelnen
dargestellt.
Beachten Sie aber jedenfalls immer die zugehörigen nationalen Regelungen!
Das Verfahren unter den RL 90/385/EWG bzw. 93/42/EWG ist im MEDDEV 2.7/2
rev. 2 Guidelines for Competent Authorities for making a validation/assessment of
a clinical investigation application under directives 90/385/EEC and 93/42/EC
September 2015, dargestellt und beruht auf den Schritten Antragstellung – Vali-
dierung – Assessment – Entscheidung; für die MPV liegen dazu nunmehr folgende
MDCG-Dokumente vor:
MDCG 2021-8: Clinical investigation application/notification documents, sowie
MDCG 2021-20: Instructions for generating CIV-ID for MDR Clinical Investigations
Klinische Prüfungen, die vor Geltungsbeginn der MPV (vor 26. Mai 2021) nach
den alten Richtlinien eingeleitet wurden, können nach den Richtlinien fortgesetzt
werden; ausgenommen sind die Meldungen über schwerwiegende unerwünschte
Ereignisse und Produktmängel, welche ab 26. Mai 2021 gemäß Art. 80 der MPV
durchgeführt werden müssen (siehe unten).

5. Behandlung von unerwünschten Ereignissen im Rahmen klinischer


Prüfungen
Zur Behandlung von unerwünschten Ereignisse im Rahmen klinischer Prüfungen
sei auf die MPV: Art. 80; MDCG 2020-10-1/2 hingewiesen.
7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten 229

Der Sponsor muss vollständig aufzeichnen:


ƒ Unerwünschte Ereignisse (adverse events; AE), die im CIP als entscheidend
für die Bewertung der Ergebnisse der klinischen Prüfung bezeichnet werden
[7.1, Art. 2 Nr. 57].
ƒ Alle schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse (serious adverse
events; SAE) [7.1, Art. 2 Nr. 58].
ƒ Jeden Produktmangel (device deficiency; DD), der zu schwerwiegenden un-
erwünschten Ereignisse hätte führen können [7.1, Art. 2 Nr. 59].
ƒ Alle neuen Erkenntnisse zu den obigen Ereignissen.
Darüber hinaus meldet der Sponsor über EUDAMED allen beteiligten MS:
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ƒ Jedes schwerwiegende unerwünschte Ereignis, das einen möglichen Kausalzu-


sammenhang mit Prüfprodukt, Komparator oder Prüfverfahren aufweist.
ƒ Jeden Produktmangel, der zu schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse
hätte führen können.
ƒ Alle neuen Erkenntnisse zu den beiden obigen Ereignissen.
Dies betrifft nicht nur Ereignisse in den beteiligten MS, sondern auch in Drittstaa-
ten, in denen diese klinische Prüfung nach dem gleichen CIP stattfindet. Bei koor-
For personal use only.

dinierten Verfahren werden auch die schwerwiegenden Ereignisse koordiniert be-


urteilt, wobei aber die beteiligten MS durchaus eine eigene Bewertung durchführen
und eigene Schutzmaßnahmen treffen können.
Bei klinischen Prüfungen mit CE-gekennzeichneten MP erfolgen die Zwischenfall-
meldungen stattdessen im Vigilanzsystem, außer es wurde ein Kausalzusammen-
hang zwischen schwerwiegendem unerwünschten Ereignis und klinischem Prüf-
verfahren festgestellt, womit wiederum das oben angeführte Meldeverfahren der
klinischen Prüfung anzuwenden ist.
SAE-Meldungen unter der MPV samt europäischem Meldeformular werden in der
MDCG Guidance 2020-10/1 und 2: Guidance on safety reporting in clinical investi­
gations bzw. Appendix: Clinical investigation summary safety report form darge-
stellt.
Meldungen über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse und Produktmängel
müssen ab Geltungsbeginn der MPV am 26. Mai 2021 gemäß Art. 80 der MPV
durchgeführt werden, auch wenn die klinische Prüfung vor dem 26. Mai 2021
nach den alten Richtlinien eingeleitet worden ist.

6. Beendigungsmeldungen
Der Sponsor hat bezüglich der Aussetzung, des vorzeitigen Abbruchs, der Beendigung
in einem oder in allen MS eine Meldepflicht via EUDAMED innerhalb von 15 Tagen,
außer dies erfolgt aus Sicherheitsgründen, dann ist innerhalb von 24 h zu melden.
230 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

7. Bericht über die klinische Prüfung mit Zusammenfassung


Innerhalb eines Jahres nach Beendigung ist über EUDAMED ein Bericht über die
klinische Prüfung (Clinical Investigation Report; CIR) samt Zusammenfassung in
den betroffenen Mitgliedstaaten zu legen; diese Frist verkürzt sich auf drei Monate
bei vorzeitigem Abbruch oder Aussetzung bzw. kann aus wissenschaftlichen Grün-
den, die im CIP anzuführen sind, nach Verfügbarkeit vorgelegt werden. Bericht und
Zusammenfassung werden mit bestimmten Fristen öffentlich zugänglich gemacht.
Die Struktur des CIR ist im MPV, Anhang XV.III.7. knapp umrissen; Details finden
sich in der EN ISO 14155.
Die EU-Kommission wird Leitlinien zur Zusammenfassung bereitstellen.
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Tabelle 7.4 a) bis e): Verfahren der klinischen Prüfung nach MPV: (MS: Mitgliedsstaat;
d = days: Tage)
a) Das Ein-MS-Verfahren bei Hochrisiko-MP (invasive MP der Klasse IIa oder IIb und
MP der Klasse III): jeder MS prüft und entscheidet über Antrag alleine [7.1, Art. 70].
Verfahrensschritt Zeit/Frist [d] Beschreibung
1) Antragstellung mit den Unterlagen gemäß Anhang XV Kap. II
über EUDAMED der MPV. Der Antrag führt zur Generierung
einer unionsweit einmaligen Kennnummer
For personal use only.

für diese klinische Prüfung, die in weiterer


Folge bei allen Kommunikationen betreffend
diese klinische Prüfung zu verwenden ist
(CIV-ID: siehe MDCG 2021-20).
2) Validierung des <10 d post Antrag Geprüft wird:
Antrags ƒ ob das Prüfprodukt unter die MPV fällt95
und
ƒ ob die Unterlagen gemäß Anhang XV
komplett sind96.
Der MS entscheidet innerhalb von 10 Tagen
nach Antragstellung und kann den Sponsor
zur Reparatur des Antrags innerhalb einer
Frist von höchstens 10 bis 30 Tagen ver-
pflichten. Fristversäumnis des Sponsors
bedeutet Hinfälligkeit des Antrags. Die
Behörde hat innerhalb von 5 (ev. +5) Tagen
nach Reparatur des Antrags über die Validie-
rung zu entscheiden. Unlösbare Meinungs-
verschiedenheiten zwischen Behörde und
Sponsor sind ggf. in einem Rechtsmittel­
verfahren des MS zu klären.
3) Prüfung <45 d post Vali- Es handelt sich hier um die vertiefte Prüfung
des Antrags dierung der Antragsunterlagen durch zuständige
Ev. +20d Behörde bzw. Ethikkommission97 innerhalb
von 45 Tagen nach Validierung (diese Frist
kann für Beratungen mit Sachverständigen
um weitere 20 Tage verlängert werden).
7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten 231

4) Entscheidung <45d post Vali- Sofern nicht nationale Ethikkommission


dierung ablehnende Stellungnahme abgegeben hat,
ev. +20d Genehmigung durch den MS innerhalb von
45 (ev. +20) Tagen nach Validierung, ggf. mit
Auflagen oder Ablehnung durch MS bei
ablehnender Stellungnahme der Ethik­
kommission und/oder zuständiger Behörde
(ggf. Rechtsmittelverfahren im MS).
b) Das Ein-MS-Verfahren bei Niedrigrisiko-MP (Prüfprodukte der Klasse I oder nicht-
invasive Prüfprodukte der Klasse IIa oder Iib): jeder MS prüft und entscheidet über
Antrag alleine [7.1, Art. 70].
Verfahrensschritt Zeit/Frist [d] Beschreibung
1) Antragstellung mit den Unterlagen gemäß Anhang XV Kap. II
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über EUDAMED der MPV. Der Antrag führt zur Generierung


einer unionsweit einmaligen Kennnummer
für diese klinische Prüfung, die in weiterer
Folge bei allen Kommunikationen betreffend
diese klinische Prüfung zu verwenden ist
(CIV-ID: siehe MDCG 2021-20).
2) Validierung des <10 d post Antrag; Geprüft wird:
Antrags: ev. + 10 – 30d ƒ ob das Prüfprodukt unter die MPV fällt98
und
For personal use only.

ƒ ob die Unterlagen gemäß Anhang XV


komplett sind99.
Der MS entscheidet innerhalb von 10 Tagen
nach Antragstellung und kann den Sponsor
zur Reparatur des Antrags innerhalb einer
Frist von 10 bis 30 Tagen verpflichtet. Frist-
versäumnis des Sponsors bedeutet Hinfällig-
keit des Antrags. Die Behörde hat innerhalb
von 5 (ev. +5) Tagen nach Reparatur des
Antrags über die Validierung zu entscheiden.
Unlösbare Meinungsverschiedenheiten zwi-
schen Behörde und Sponsor sind ggf. in
einem Rechtsmittelverfahren des MS zu
­klären.
3) Nichtuntersagung Sofort post Vali- nach positiver Validierung durch den MS und
oder allfällige dierung oder je nicht ablehnender Stellungnahme der natio-
Bewertung des nach MS nalen Ethikkommission, sofern der MS dies
Antrags und aktive so vorsieht. MS können nach der MPV also
Genehmigung je den Sponsor nach positiver Validierung und
nach Regelung durch positivem Ethikkommissionsvotum bei Nied-
MS rigrisiko-Prüfprodukten mit der klinischen
Prüfung beginnen lassen; die MPV lässt den
MS aber andere Verfahrenselemente, z. B.
ein Assessment und/oder eine explizite
Genehmigung offen.
232 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

c) Koordiniertes Bewertungsverfahren für klinische Prüfungen (MPV: Art. 78)


Das bis 27. Mai 2027 für die MS freiwillige, dann verbindliche Mehr-Staaten-Verfahren; die
Bewertung wird hier von den beteiligten MS (bMS) unter Leitung eines koordinierenden
MS (kMS) durchgeführt.
Verfahrensschritt Zeit/Frist [d] Beschreibung
1) Antragstellung mit den Unterlagen gemäß Anhang XV.II; >
über EUDAMED: unionsweit einmalige Kennnummer für diese
klinische Prüfung generiert (CIV-ID: siehe
MDCG 2021-20); der Antrag wird den vom
Sponsor gewünschten bMS zugeleitet; der
Sponsor gibt den von ihm gewünschten kMS
bekannt.
2) Notifizierung des <6 d post Antrag die bMS entscheiden innerhalb von 6 Tagen
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kMS an den Sponsor über den tatsächlichen kMS; gibt es keine


Einigung zwischen den bMS, wird der vom
Sponsor vorgeschlagene MS zum definitiven
kMS; der kMS wird dem Sponsor notifiziert.
3) Validierung: (<7d/<10 d post Geprüft wird unter Leitung des kMS:
Notif ƒ ob das Prüfprodukt unter die MPV fällt
und
ƒ ob die Unterlagen gemäß Anhang XV.II
For personal use only.

komplett sind.
Die bMS geben innerhalb von 7 Tagen nach
Notifizierung ihre Anmerkungen an den kMS
ab, welche dieser gebührend berücksichtigt
und das Ergebnis der Validierung innerhalb
von 10 Tagen post Notifizierung an den
Sponsor mitteilt. Bei Reparaturaufträgen
des kMS an den Sponsor gelten dieselben
Fristen wie beim Einstaatenverfahren.
4) Bewertung <26d<38d<45d Der kMS erstellt innerhalb von 26 Tagen post
des Antrags: post Valid Validierung den Entwurf des Bewertungs­
(ev +50d) berichtes; die bMS übermitteln ihre Stellung-
nahmen bis 38 Tage post Validierung, welche
der kMS gebührend berücksichtigt, worauf
der kMS innerhalb von 45 Tage post Validie-
rung den abschließenden Bewertungsbericht
an Sponsor und bMS übermittelt. Bei Klasse
IIb und III Fristver­längerung um 50 d für
Expertenbefassung möglich
5) Schlussfolgerung 45d post Valid Die Schlussfolgerung des kMS kann lauten:
(ev +50d) die Durchführung der klinischen Prüfung ist
ƒ Vertretbar;
ƒ Vertretbar unter bestimmten Auflagen;
es kann sich nur um Auflagen handeln,
die ihrer Art nach zum Zeitpunkt der Ge-
nehmigung nicht erfüllt werden können.
ƒ Nicht vertretbar.
7.2 Klinische Prüfung von Medizinprodukten 233

Bei den Schlussfolgerungen „vertretbar“ und


„vertretbar unter Auflagen“ kann der bMS
die Schlussfolgerung unter bestimmten
Bedingungen [7.1: Art. 78 (8)] mit Begrün-
dung ablehnen (opt-out) und dies über
EUDAMED den anderen bMS, der EU-Kom-
mission und dem Sponsor mitteilen.
6) Entscheidung 5 d post final Jeder MS teilt innerhalb von 5 Tagen nach
des MS: assessment Übermittlung des abschließenden Bewer-
tungsberichts über EUDAMED mit, ob er die
klinische Prüfung:
ƒ Genehmigt, unter Auflagen genehmigt
oder ablehnt.
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Mögliche Gründe für die Ablehnung durch


den MS ergeben sich aus MPV: Art. 78 (10).
d) Wesentliche Änderung einer klinischen Prüfung nach MPV: Art. 75
Bei geplanten Änderungen an der klinischen Prüfung mit wahrscheinlich wesentlichen
­Auswirkungen auf Prüfungsteilnehmer oder wissenschaftliche Solidität der zu gewinnen-
den klinischen Daten. Die geänderten Dokumente sind mit deutlich kenntlich gemachten
Änderungen und einer Begründung vorzulegen.
Verfahrensschritt Zeit/Frist [d] Beschreibung
For personal use only.

1) Meldung der Geht an den/die betroffenen MS;


geplanten Änderun- Die Unterlagen gem. Anhang XV.II werden
gen über EUDAMED aktualisiert und die Änderungen kenntlich
gemacht.
2) Prüfung durch MS <38 d post Antrag; (zuständige Behörde und Ethikkommission)
ev +7 d innerhalb von 38 (ev. +7) Tagen.
3) Nichtuntersa- <38 d post Antrag; durch MS nach spätestens 38 (ev. +7) Tagen.
gung, Genehmigung ev +7 d Die Ablehnung kann sich auf gravierende
oder Ablehnung Mängel im Hinblick auf die Bewertungs-
grundlagen nach Art. 71 (4), Gründe der
öffentlichen Sicherheit und Gesundheit,
Gesundheit und Sicherheit der Prüfungs­
teilnehmer oder eine ablehnende Stellung-
nahme der nationalen Ethikkommission
stützen.
e) Klinische Prüfung CE-gekennzeichneter MP (MPV: Art. 74) mit zusätzlichen invasiven
oder belastenden Verfahren
Verfahrensschritt Zeit/Frist [d] Beschreibung
1) Antragstellung An beteiligte MS mit den Unterlagen gemäß
über EUDAMED Anhang XV.II mindestens 30 Tage vor geplan-
tem Beginn der klinischen Prüfung;
2) Prüfung durch <30 d post Antrag (Aufgabenstellung Ethikkommission und
die MS zuständige Behörde je nach Regelung im
MS); hier gilt ein etwas eingeschränktes
Anforderungsprofil gemäß Art. 74 (1)
234 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

3) Nichtuntersagung <30 d post Antrag Nichtuntersagung oder Genehmigung durch


oder Genehmigung MS (je nach nationaler Regelung) oder
oder Ablehnung Ablehnung innerhalb von 30 Tagen nach
Antragstellung.
Die klinische Prüfung CE-gekennzeichneter Prüfprodukte ohne zusätzliche invasive
oder belastende Verfahren wird in MPV: Art. 74 nicht näher ausgeführt und unter-
liegt allfällig nationalen Bestimmungen hinsichtlich Meldung und allfälligen Verfah-
ren (z. B. Ethikkommission).
Die klinische Prüfung CE-gekennzeichneter Prüfprodukte außerhalb der Zweck­
bestimmung führt zu einem „vollen“ Verfahren nach a), b) oder c).
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„ 7.3 Leistungsbewertung von In-vitro-


Diagnostika

7.3.1 Einleitung
For personal use only.

SCHWERPUNKTE:
ƒ Leistungsbewertung ist ein aktiver, systematischer und geplanter Lebens­
zyklusprozess unter dem QMS des Herstellers von IVDs.
ƒ Wesentliche drei Bausteine sind: wissenschaftliche Validität, analytische und
klinische Leistung.
ƒ Literaturrecherchen, Leistungsstudien und Post-Market-Performance Follow-
up (PMPF) etablieren die klinische Evidenz für ein IVD.
ƒ Der Leistungsbewertungsbericht als zentrales Dokument der Technischen
Dokumentation und des Nachweises über die Grundlegenden Sicherheits- und
Leistungsanforderungen.

7.3.1.1 Definition
„Leistungsbewertung“ bezeichnet eine Beurteilung und Analyse von Daten zur
Fest­stellung oder Überprüfung der wissenschaftlichen Validität, der Analyseleis-
tung und gegebenenfalls der klinischen Leistung eines Produkts [7.3, Art. 2 (44)].

7.3.1.2 Quellen und Hintergrund

Quellen
IVDV100: Art. 56 und Anhang XIII; Definitionen Art. 2 (36)-(54)
MDCG101 2020-1: Guidance on clinical evaluation (MDR)/Performance evaluation
(IVDR) of medical device software
7.3 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika 235

GHTF*/SG5/N6:2012 Clinical Evidence for IVD medical devices – Key Definitions


and Concepts
GHTF*/SG5/N7:2012 Clinical Evidence for IVD medical devices – Scientific Vali-
dity Determination and Performance Evaluation
GHTF*/SG5/N8:2012 Clinical Evidence for IVD Medical Devices – Clinical Perfor-
mance Studies for In Vitro Diagnostic Medical Devices
*Nicht rechtsverbindlich für EU; außerdem weicht IVDV teilweise von den Konzep-
ten des GHTF ab!

Hintergrund
In analoger Weise zur klinischen Bewertung in der MPV konstituiert die IVDV die
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Leistungsbewertung von IVDs als aktiven, systematischen Lebenszyklusprozess,


der unter dem QMS des Herstellers durchzuführen ist. Wesentliche Konzepte dafür
sind aus Guidelines des GHTF/IMDRF102 zur Leistungsbewertung und klinischen
Evidenz von IVDs entnommen worden103.
Post-Market Performance Follow-up (PMPF) stellt eine genuine Neuschöpfung der
IVDV dar; auch die nunmehr starke Lebenszyklusprozessorientierung unter dem
QMS und die stärkere Betonung der klinischen Leistung stellt eine Weiterentwick-
For personal use only.

lung der GHTF/IMDRF-Guidelines durch die IVDV dar.

7.3.1.3 Überblick
Die Leistungsbewertung (siehe Bild 7.3) zielt auf die Bereitstellung ausreichen-
der klinischer Evidenz für das IVD für den wissenschaftlichen Nachweis [7.2,
Anhang XIII.1.3.1]:
ƒ der Erfüllung der relevanten Grundlegenden Sicherheits- und Leistungs­
anforderungen des Anhangs I der IVDV, speziell von Anhang I Kapitel I und
Anhang I. Abschnitt II.9 (= Parameter für analytische und klinische Leistung) und
ƒ für die Erreichung des beabsichtigten klinischen Nutzens104 und der
­Sicherheit gemäß dem neuesten Stand der Technik in der Medizin.
Dieser Nachweis wird auf der Basis eines Leistungsbewertungsplans [7.2, An-
hang XIII] (performance evaluation plan), Bereitstellung geeigneter Leistungs­
daten über Literatursuche, eigene Leistungsstudien und PMS/PMPF-Daten, über
die Bewertung (appraisal), Analyse samt Schlussfolgerungen aus den Leistungs­
daten der 3 Komponenten der Leistungsbewertung105 geführt:
ƒ wissenschaftliche Validität,
ƒ analytische Leistung und
ƒ klinische Leistung.
236 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Als allgemeine methodologische Prinzipien [7.2, Anhang XIII.A.I.1] werden


diese Leistungsdaten für das IVD und seine Zweckbestimmung und Claims und für
allenfalls noch bestehende Lücken für alle 3 Komponenten durch
ƒ eine systematische wissenschaftliche Literaturrecherche mit Literatur­
rechercheprotokoll106 und Literaturrecherche­bericht107 ermittelt und
ƒ auf ihre Eignung zur Bestimmung von Sicherheit und Leistung des IVD bewer-
tet und analysiert und
ƒ bestehende Lücken durch die Generierung neuer oder zusätzlicher Daten (z. B.
durch Leistungsstudien) geschlossen.
Die Leistungsbewertung muss gründlich und objektiv sein, sie muss sowohl die
günstigen als auch die ungünstigen Daten berücksichtigen. Gründlichkeit und Um-
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fang müssen verhältnismäßig und angemessen in Bezug auf die Merkmale des
IVD einschließlich seiner Risiken, Risikoklasse, Leistung und Zweckbestimmung
sein [7.2, Anhang XIII.A.1].
For personal use only.

Bild 7.3 Überblick über die Leistungsbewertung von IVD nach der IVDV
7.3 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika 237

7.3.2 Leistungsbewertungsplan
Die Leistungsbewertung erfolgt auf der Basis des Leistungsbewertungsplans [7.2,
Anhang XIII.A. 1], der die sachgerechte Bearbeitung und Dokumentation der drei
Komponenten der Leistungsbewertung vorsieht, die dann im Bericht über die Leis-
tungsbewertung zusammengeführt werden:

Der Leistungsbewertungsplan enthält zumindest folgende Elemente:


ƒ Spezifizierung der Zweckbestimmung des IVD;
ƒ Spezifizierung der Merkmale des IVD gemäß Anhang I.II.9 (= analytische und
klinische Leistungsparameter (siehe unten unter 7.3.2.2 und 7.3.2.3, die jeweils
zu ermitteln sind);
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ƒ Spezifizierung des zu bestimmenden Analyten oder Markers;


ƒ Spezifizierung der bestimmungsgemäßen Verwendung des IVD, inkl. der
­Angaben zur Präanalytik;
ƒ metrologische Rückverfolgbarkeit durch Angabe der zertifizierten Referenz-
materialien oder -messverfahren;
ƒ genaue Angaben der konkreten Patientenzielgruppen mit klaren Indikationen,
Beschränkungen oder Kontraindikationen;
ƒ Angabe der Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß
For personal use only.

Anhang I.I. und Anhang I.II.9, die mit einschlägigen Daten zur wissenschaftli-
chen Validität und zur Analyse- und klinischen Leistung zu untermauern sind;
ƒ Spezifizierung der Methoden, einschließlich der statistischen, die zur Prüfung
der Analyse- und klinischen Leistung des IVD und seiner Beschränkungen
sowie der von ihm gelieferten Informationen angewandt werden;
ƒ Beschreibung des neuesten Stands der Technik, einschließlich einschlägiger
harmonisierter Normen, gemeinsame Spezifikationen (GS), Leitlinien oder
Dokumente über best practices;
ƒ Spezifizierung der Parameter auf neuestem medizinischen Kenntnisstand zur
Bestimmung der Annehmbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses für die
Zweckbestimmung(en) und für Analyse-/klinische Leistung;
ƒ bei Software als IVD, Spezifizierung der Referenzdatenbanken u. a. Datenquel-
len, die als Entscheidungsgrundlage dienen;
ƒ Darlegung der vorgesehenen Entwicklungsphasen und Abfolge der Bestimmung
von wissenschaftlicher Validität und Analyse- und klinischer Leistung, inkl.
vorgesehener Meilensteine und potenzieller Akzeptanzkriterien;
ƒ Plan für die Nachbeobachtung der Leistung nach dem Inverkehrbringen gem.
IVDV (PMPF-Plan): Anhang XIII.B.

Auslassungen eines oder mehrerer Elemente des Plans sind im Plan selbst zu be-
gründen.
238 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

7.3.2.1 Wissenschaftliche Validität eines Analyten

„Wissenschaftliche Validität eines Analyten“ [7.2, Artikel 2 (38)] bezeichnet den


Zusammenhang eines Analyten mit einem bestimmten klinischen oder physiolo-
gischen Zustand.

Hier wird die medizinisch-wissenschaftliche Rationalität der Messung des Analy-


ten oder Markers im Hinblick auf definierte medizinisch relevante Aspekte ermit-
telt oder begründet. Es soll die Frage beantwortet werden: Warum soll man diesen
Analyten/Marker überhaupt für diesen medizinischen Zweck messen?
Der Nachweis kann auf verschiedenen Routen, einzeln oder in Kombination, er-
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bracht werden:
ƒ Daten aus bereits zugelassenen IVD, welche denselben Analyten oder Marker
messen;
ƒ wissenschaftliche Literatur (peer-reviewed);
ƒ Consensus-Berichte und wissenschaftliche Gutachten/Stellungnahmen ein-
schlägiger Fachgesellschaften;
ƒ Ergebnisse aus Studien zum Nachweis des Wirkprinzips (proof of concept
For personal use only.

­studies);
ƒ Ergebnisse aus klinischen Leistungsstudien.
Die wissenschaftliche Validität wird im Bericht über die wissenschaftliche Vali-
dität nachgewiesen und dokumentiert.

7.3.2.2 Analyseleistung

„Analyseleistung“ bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts, einen bestimmten


Analyten korrekt nachzuweisen oder zu messen [7.2, Artikel 2 (40)].

Nur wenn das IVD genau das misst, was es messen soll und nichts anderes, kann
man seine Messergebnisse in weiterer Folge sinnvoll mit relevanten Gesundheits-
oder Krankheitszuständen, -prozessen etc. in Beziehung setzen! Die Analyseleis-
tung muss anhand der Parameter des Anhangs I.II.9.1.a) nachgewiesen werden;
ausgenommen sind dabei nur Parameter, deren Nichtanwendbarkeit im Einzelfall
begründet werden kann.
7.3 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika 239

Parameter der Analyseleistung108:


ƒ Analytische Sensitivität,
ƒ analytische Spezifität,
ƒ Richtigkeit (Verzerrung),
ƒ Präzision (Wiederholbarkeit und Reproduzierbarkeit),
ƒ Genauigkeit (als Ergebnis von Richtigkeit und Präzision),
ƒ Nachweis- und Quantifizierungsgrenzen,
ƒ Messbereich,
ƒ Linearität,
ƒ Cutoff,
ƒ Bestimmung geeigneter Kriterien für die Probenahme und
ƒ Behandlung und Kontrolle der bekannten relevanten endogenen und exogenen
Interferenzen und Kreuzreaktionen.
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Die Analyseleistung muss generell auf der Basis analytischer Leistungsstudien


nachgewiesen werden109. Sie wird im Bericht über die Analyseleistung nachge-
wiesen und dokumentiert.

7.3.2.3 Klinische Leistung
For personal use only.

„Klinische Leistung“ [7.2, Artikel 2 (41)] bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts,
Ergebnisse zu liefern, die mit einem bestimmten klinischen Zustand oder physiolo-
gischen oder pathologischen Vorgang oder Zustand bei einer bestimmten Zielbe-
völkerung und bestimmten vorgesehenen Anwendern korrelieren.
Die klinische Leistung muss anhand der Parameter des Anhangs I.II.9.1.b) nachge-
wiesen werden; ausgenommen sind dabei nur Parameter, deren Nichtanwendbar-
keit begründet werden kann.

Parameter der klinischen Leistung110:


ƒ diagnostische Sensitivität111,
ƒ diagnostische Spezifität112,
ƒ positiver prädiktiver Wert113,
ƒ negativer prädiktiver Wert114,
ƒ Likelihood-Verhältnis115 und
ƒ erwartete Werte bei nicht betroffenen und betroffenen Bevölkerungsgruppen.

Der Nachweis der klinischen Leistung ist auf der Basis einer oder mehrerer der
folgenden Quellen zu erbringen:
ƒ klinische Leistungsstudien,
ƒ wissenschaftliche Literatur (peer-reviewed),
ƒ aus diagnostischen Routinetests gewonnene Erfahrungen, die veröffentlicht
wurden.
240 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

Auf die Durchführung klinischer Leistungsstudien kann nur dann verzichtet


werden, wenn es ausreichende Gründe gibt, auf andere Quellen klinischer Leis-
tungsdaten zurückzugreifen [7.2, Artikel 56 (4) und Anhang XIII.A.1.2.3].
Die klinische Leistung muss im Bericht über die klinische Leistung nachgewie-
sen und dokumentiert werden.

7.3.3 Klinische Evidenz und Bericht über die Leistungs­


bewertung
Der Hersteller muss ein Assessment aller relevanten Leistungsdaten zur wissen-
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schaftlichen Validität, zur Analyseleistung und zur klinischen Leistung durchfüh-


ren, um damit die Erfüllung der Grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanfor-
derungen gemäß Anhang I nachweisen zu können. Damit muss auch – gemäß dem
neuesten Stand der Technik in der Medizin – der wissenschaftliche Nachweis (kli-
nische Evidenz116) in ausreichender Menge und Qualität erbracht werden, dass das
IVD den beabsichtigten klinischen Nutzen117 und die Anforderungen an die Sicher-
heit erbringt.
Dieser Nachweis wird im Bericht über die Leistungsbewertung geführt, dokumen-
For personal use only.

tiert und über den gesamten Lebenszyklus des IVD durch das PMPF und ggf. das
PMS aktualisiert [7.2, Anhang XIII.A.1.3.3].

Der Bericht über die Leistungsbewertung enthält zumindest Folgendes


[7.2, Anhang XIII.1.3.2]:
ƒ Die Begründung der Methode zur Erfassung der klinischen Evidenz;
ƒ die zur Literaturrecherche eingesetzte Methodik, das Literaturrecherche­
protokoll (literature search protocol) und den Literaturrecherchebericht118
(literature search report) zur Literaturauswertung; die Volltexte der relevanten
Arbeiten sind tunlichst anzuschließen,
ƒ die Beschreibung der Technologie, auf der das Produkt beruht,
ƒ die Zweckbestimmung des Produkts und alle Angaben (inkl. Claims), die zur
Leistung oder Sicherheit des Produkts gemacht wurden;
ƒ Art und Umfang der wissenschaftlichen Validität und der bewerteten Daten
zur Analyse- und klinischen Leistung119 einschließlich der drei zugehöri-
gen Berichte;
ƒ die klinische Evidenz in Bezug auf die Leistungen, die vor dem Hintergrund des
neuesten medizinischen Kenntnisstands akzeptabel sind [7.2, Anhang
XIII.A.1.3.1];
ƒ jegliche neuen Erkenntnisse aus den Berichten über die Nachbeobachtung der
Leistung nach dem Inverkehrbringen gemäß Teil B des Anhangs XIII (PMPF);
ƒ zusätzlich sollte eine klare Referenz auf die Erfüllung der einschlägigen Grund-
legenden Anforderungen an Sicherheit und Leistung gemäß Anhang I120
vorgenommen werden.

7.3 Leistungsbewertung von In-vitro-Diagnostika 241

7.3.4 Nachbeobachtung der Leistung nach dem Inverkehr­


bringen
Post-Market Performance Follow-up (PMPF) ist ein aktiver, kontinuierlicher
Prozess unter dem QMS des Herstellers auf der Basis eines PMPF-Plans, der die
Methodik und Inhalte der mittel- und langfristigen proaktiven Sammlung und Be-
wertung der Daten zu Sicherheit und Leistung des IVD und relevanter wissen-
schaftlicher Daten festgelegt [7.2, Anhang XIII.B]. PMPF aktualisiert sowohl die
Leistungsbewertung und dessen Bericht als auch das PMS und das Risikomanage-
ment des Herstellers über den Lebenszyklus des IVD.

7.3.4.1 PMPF-Plan
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Der PMPF-Plan zielt insbesondere auf folgende Aspekte:


ƒ Sicherheit und Leistung des IVD über dessen Lebenszyklus zu bestätigen;
ƒ zuvor unbekannte oder emergente Risiken und Beschränkungen von Leistung
und Sicherheit zu bestimmen;
ƒ Gewährleistung der fortwährenden Akzeptabilität der klinischen Evidenz und
des Nutzen-Risiko-Verhältnisses121 am State of the Art;
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ƒ möglichen systematischen off-label-use zu erkennen.

Dazu enthält der PMPF-Plan zumindest folgende Elemente122:


ƒ Allgemeine Methoden und Verfahren des PMPF wie Zusammentragen der
klinischen Erfahrungen mit dem IVD, Einholung des Feedbacks von Anwendern;
Durchsicht wissenschaftlicher Literatur und anderer Quellen von Leistungs-
daten und sonstigen relevanten wissenschaftlichen Daten;
ƒ spezifische Methoden des PMPF, z. B. Ergebnisse von Ringversuchen u. a.
Aktivitäten zur Qualitätssicherung; epidemiologische Studien; die Bewertung
geeigneter Patienten- und Krankheitsregister, Banken mit genetischen Daten123
oder mit left-over specimens, deren Werte mit Gesundheits-/Krankheitsdaten
korreliert werden können oder Studien zur klinischen Leistung nach dem
­Inverkehrbringen [7.2, Art. 70];
ƒ die konkreten Zielsetzungen des PMPF für das IVD (siehe oben);
ƒ die Bewertung der Leistungsdaten zu gleichartigen oder ähnlichen Produkten
und des neuesten Standes der Technik;
ƒ Verweise auf einschlägige Leitlinien, gemeinsame Spezifikationen (GS)124
und Harmonisierte Normen für PMPF-Aspekte;
ƒ einen detaillierten und begründeten Zeitplan für die PMPF-Aktivitäten, vor
allem zur Datenanalyse und Erstellung von PMPF-Bewertungsberichten. Für
Klasse C+D sind diese PMPF-Bewertungsberichte zumindest jährlich zu erstel-
len [7.2, Art. 56 (6), 2. UA]. Der Kurzbericht über Sicherheit und Leistung ist
dabei erforderlichenfalls anzupassen [7.2, Art. 29].

242 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

7.3.4.2 Bewertungsbericht über die Nachbeobachtung nach dem


Inverkehrbringen
Die Ergebnisse der Analyse der PMPF-Daten und deren Bewertung werden im Be-
wertungsbericht (PMPF-Bewertungsbericht) über die Nachbeobachtung nach
dem Inverkehrbringen dokumentiert; damit wird
ƒ der Bericht über die Leistungsbewertung [7.2, Art. 56 (5)] und das Risiko­
management [7.2, Anhang I.I.3] aktualisiert und
ƒ die Notwendigkeit von allfälligen Präventiv- und/oder Korrekturmaßnahmen
(CAPAs oder gar FSCA) geprüft und diese umgesetzt.
Für Klasse C+D sind diese PMPF-Bewertungsberichte zumindest jährlich zu er­
stellen.
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Sollte der Hersteller ein PMPF für das IVD nicht für angemessen halten, muss dies
im PMPF-Plan bzw. -Bewertungsbericht ausführlich begründet werden.

7.3.5 Kurzbericht über Sicherheit und Leistung


Die IVDV verlangt vom Hersteller für Klasse C und D125-IVDs die Bereitstellung
For personal use only.

­eines öffentlich zugänglichen126 und für die Anwender leicht verständlichen Kurz-
berichtes für Sicherheit und Leistung [7.2, Art. 29]. Der Entwurf dieses Kurz­
berichtes ist im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens dem NB vorzu­
legen, der diesen Entwurf validiert und dann in die EUDAMED-Datenbank hochlädt.
Der Hersteller macht die URL dieses Kurzberichts in der Gebrauchsanweisung
kund.

Der Kurzbericht enthält zumindest folgende Elemente:


ƒ Identifizierung von MP und Hersteller, inkl. Basis-UDI-DI und SRN127;
ƒ Zweckbestimmung und Indikationen, Kontraindikationen und Zielgruppen;
ƒ IVD-Produktbeschreibung;
ƒ Hinweis auf alle harmonisierten Normen und angewandte gemeinsame Spe-
zifikationen (GS);
ƒ Zusammenfassung der Leistungsbewertung und einschlägige PMPF-Infor­
mationen;
ƒ metrologische Rückverfolgbarkeit der zugewiesenen Werte;
ƒ Profil und Schulung der vorgesehenen Anwender;
ƒ mögliche Restrisiken und unerwünschte Wirkungen, Warnhinweise und Vor-
sichtsmaßnahmen.

Die EU-Kommission kann nähere Details zu Art und Aufmachung dieser Elemente
per Durchführungsrechtsakt festlegen.
7.4 Leistungsstudien von IVDs 243

7.3.6 Leistungsbewertung von IVD-Software


Die Koordinierungsgruppe für Medizinprodukte (und IVD) hat dazu die Guidance
„MDCG 2020-1: Guidance on clinical evaluation (MDR)/Performance evaluation
(IVDR) of medical device software“ vorgelegt128, 129. Das überraschende dieser Guid­
ance ist gerade, dass das Grundkonzept der Leistungsbewertung von IVD (mit
scien­tific validity – analytischer Performance und klinischer Performance) nun-
mehr auch auf MP-Software und seine klinische Evaluierung ausgedehnt wird.
Umgekehrt wird der phasenförmige Ablauf der klinischen Evaluierung von MP
(mit: Plan – Generierung und Identifizierung relevanter Information – Appraisal
– Analyse – Berichterstellung – PMCF bzw. PMPF; siehe Bild 1 des MDCG 2020-1,
modifiziert) auch auf die Leistungsbewertung von IVDs ausgedehnt.
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Das MDCG 2020-1 legt kritische Fragestellungen hinsichtlich ausreichender


Menge und Qualität der klinischen Evidenz für ein IVD vor, die im Leistungsbewer-
tungsbericht gerechtfertigt und beantwortet werden müssen.
Die Vorgangsweise bei der Bestimmung von wissenschaftlicher Validität, analyti-
scher Leistung und klinischer Leistung wird mit jeweils eigenen Prüfschleifen
(siehe Anhang I des MDCG 2020-1) hinterlegt und in mehr Detail erläutert.
For personal use only.

Die im Anhang II des MDCG 2020-1 gegebenen Beispiele beziehen sich im Wesent-
lichen auf MP und sind wegen des identen Grundschemas in Analogie auch auf
IVDs anwendbar.

„ 7.4 Leistungsstudien von IVDs

7.4.1 Einleitung

SCHWERPUNKTE:
ƒ Neben Literaturrecherche wichtigste Quelle für klinische Daten für IVDs;
ƒ weitgehend parallel zu klinischen Prüfungen von MP und Arzneimitteln konzi-
piert;
ƒ was sind kritische Leistungsstudien mit besonderen Anforderungen?
ƒ Hauptgewicht liegt auf Erhebung analytischer und klinischer Leistung.

7.4.1.1 Definition
„Leistungsstudie“ bezeichnet eine Studie zur Feststellung oder Bestätigung der
Analyseleistung oder der klinischen Leistung eines Produkts
244 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

7.4.1.2 Quellen
IVDV130: Kap. VI und Anhang XIII.2+3 und XIV; Definitionen in Art. 2 (36)-(54)
GHTF/SG5/N8:2012: Clinical Evidence for IVD Medical Devices – Clinical Perfor-
mance Studies for In Vitro Diagnostic Medical Devices (für EU nicht rechtsverbind-
lich)
EN ISO 20916: In vitro diagnostic medical devices — Clinical performance studies
using specimens from human subjects — Good study practice

7.4.1.3 Hintergrund
Die Notwendigkeit und Gestaltung von Leistungsstudien des Herstellers wird pri-
mär über seinen Leistungsbewertungsplan gemäß Anhang XIII der IVDV und der
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Realisierung in der Leistungsbewertung gesteuert. Dabei sind Lücken in der klini-


schen Evidenz nach der Literaturrecherche, wie sie sich bei der Ausarbeitung des
Leistungsbewertungsberichts hinsichtlich analytischer und klinischer Leistung
gemäß Anhang XIII ergeben und teilweise auch direkte regulatorische Anforde-
rungen der IVDV an die Durchführung von Leistungsstudien zu beachten.
Wesentliche Anforderungen an Leistungsstudien in der IVDV entsprechen denen
an die klinische Prüfung in der MPV und laufen wiederum parallel zur neuen Ver-
For personal use only.

ordnung betreffend die klinischen Arzneimittelprüfungen in der Verordnung (EU)


2014/536. Der europäische Gesetzgeber war dabei auf eine signifikante Harmoni-
sierung der europäischen klinischen Forschungslandschaft aus, was nicht zu-
letzt Kombinationsstudien (etwa von Arzneimitteln und zugehörigen Companion
Diagnostics) erleichtern wird. Gleichklang besteht hinsichtlich ethischer Anforde-
rungen und Schutz der Prüfungsteilnehmer, insbesondere vulnerabler Gruppen
(Befassung der Ethikkommission, Aufklärung und Einwilligung [informed con-
sent], Schutz nicht Einwilligungsfähiger, Minderjähriger und Schwangerer und
Stillender sowie hinsichtlich Leistungsstudien in Notfällen; Schadensersatz; siehe
Art. 59 bis 65). Auch die Verfahren von Genehmigung bzw. Nichtuntersagung mit
ihren Verfahrensschritten weisen deutliche Parallelen zu den klinischen Prüfun-
gen von MP auf, ebenso wie die Meldung von schwerwiegenden Ereignissen und
Produktmängeln und die Prinzipien der Transparenz im Wege der europäischen
Datenbank EUDAMED.
Eine Norm zu Leistungsstudien, analog zur EN ISO 14155 bei klinischen Prüfun-
gen, liegt nunmehr ebenfalls vor: EN ISO 20916: In vitro diagnostic medical de-
vices — Clinical performance studies using specimens from human subjects — Good
study practice.
7.4 Leistungsstudien von IVDs 245

7.4.2 Allgemeine Anforderungen an Leistungsstudien


Die IVDV definiert in Art. 57 allgemeine Anforderungen an alle Leistungsstudien
wie Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß
Anhang I, Schutz der Rechte, Sicherheit, Würde und des Wohls der Prüfungsteil-
nehmer und Gewährleistung der wissenschaftlichen Solidität der Datengewin-
nung. Zudem sind, auch bei Studien mit Restproben (left-over specimens), Daten-
schutzregelungen zu beachten.
Hier ist unbedingt ein Blick in die nationalen Regelungen für derartige Studien zu
werfen!
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7.4.3 Spezifische Anforderungen an „kritische“


­Leistungsstudien nach der IVDV
Hier gibt es nach Art. 58 (1) und (2) über die allgemeinen Anforderungen hinaus
zusätzliche Anforderungen der IVDV, insbesondere hinsichtlich Nichtuntersa-
gungs-/Genehmigungsverfahren.
For personal use only.

Verfahrensschritte und Fristen entsprechen dabei jeweils weitestgehend den kor-


respondierenden Verfahren bei den klinischen Prüfungen von MP. Auch hier wird
zwischen Hoch- und Niedrigrisikostudien unterschieden, siehe Art. 66 (7) a und b.
Siehe dazu die unten, unter 4) beschriebenen Differenzierungen nach a) und b),
welche zu den Art. 58 (1) und (2) der IVDV korrespondieren.
Die wesentlichen Aspekte von Leistungsstudien von IVDs nach der IVDV ergeben
sich aus Bild 7.4:
1. Grundvoraussetzung ist wie bei den klinischen Prüfungen, dass die grundle-
genden Sicherheits- und Leistungsanforderungen nach Anhang I der IVDV
erfüllt werden, mit Ausnahme jener Aspekte, die gerade Gegenstand der Leis-
tungsstudie sind. Für die (teilweise) noch offenen Punkte sind allfällig Risiken
gemäß Risikomanagement so gering wie möglich zu halten. Einzubeziehen
sind auch bisher vorliegende Daten zur analytischen und klinischen Leistung.
Allfällig vorhandene Device Specific Guidances (DSG) und Gemeinsame Spezi-
fikationen (GS; Common Specifications, CS) für die betreffende IVD-Art oder
-Gruppe wären zu berücksichtigen.
2. Der Leistungsstudienplan (Performance Study Plan, PSP) ist das wesentliche
Dokument der Leistungsstudie. Er enthält vor allem auch das wissenschaftli-
che Rückgrat der Studie mit explizit formulierten Prüfhypothesen und Studien-
designs zur Ermittlung der analytischen und ggf. klinischen Leistung bzw. zur
Untermauerung der Scientific Validity. Im Vordergrund stehen hier die analy-
tischen und klinischen Leistungsparameter nach IVDV, Anhang I.II.9a) und b);
siehe auch Abschnitt 7.3 Leistungsbewertung in diesem Buch.
246 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

3. Wesentliche ethische Aspekte (Aufklärung, Einwilligung, Versicherung, beson-


dere Schutzgruppen [Minderjährige, Schwangere, Stillende, nicht-Einwilligungs-
fähige], Notfälle, Schadensersatz) müssen den Art. 59-65 der IVDV entsprechen,
durchaus analog zu den Verhältnissen bei der klinischen Prüfung von MP. Der
Leistungsstudienplan enthält üblicherweise auch die Angaben zu Aufgaben und
Verantwortlichkeiten der Rollenträger Prüfer, Sponsor und ggf. Monitor, zur
­Dokumentation und wer die einzelnen Dokumente jeweils zu warten hat.
4. Nichtuntersagungs-/Genehmigungsverfahren:
Bei diesen Verfahren muss grundsätzlich das Votum der national zuständigen
Ethikkommission eingeholt werden, das nicht ablehnend sein darf. Weiterhin
muss die Antragstellung über EUDAMED erfolgen, die auch einen unionsweit
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einheitlichen Code für diese Leistungsstudie generiert. Antragstellung erfolgt


mit den Dokumenten gemäß Anhang XIII.A. 2+3 und Anhang XIV (besonders
wichtig: Handbuch des Prüfers und Leistungsstudienplan).
Bei diesen Studien muss zusätzlich zu den allgemeinen Anforderungen gemäß
IVDV: Artikel 57 und Anhang XIII die Konzeption, Genehmigung, Durchfüh-
rung, Aufzeichnung und Berichterstattung gemäß IVDV: Artikel 58 bis 77 und
Anhang XIV erfolgen:
For personal use only.

a) das klassische Ein-MS-Verfahren (Art. 66), mit niedrigerem Risiko für die
Prüfungsteilnehmer:
b) Leistungsstudien, bei denen Stichproben mittels chirurgisch-invasiver Ver-
fahren ausschließlich zum Zweck der Leistungsstudie entnommen werden
und wenn die Probennahme kein erhebliches klinisches Risiko für den
Prüfungsteilnehmer darstellt. Hier kann der Sponsor, sofern der MS keine
anderslautenden rechtlichen Bestimmungen hat, sofort nach Antragstel-
lung bei EUDAMED, positivem Votum der Ethikkommission und positiver
Validierung (Fragen: Fällt das Produkt für Leistungsstudien unter die
IVDV? Sind die Unterlagen gemäß IVDV, Anhang XIV.I. komplett?) mit der
Studie beginnen.
c) das klassische Ein-MS-Verfahren (Art. 66), mit höherem Risiko für die Prü-
fungsteilnehmer:
d) Leistungsstudien, bei denen es sich um eine interventionelle klinische
Leistungsstudie handelt oder die Durchführung der Studie zusätzliche in-
vasive Verfahren oder andere Risiken für die Prüfungsteilnehmer beinhal-
tet oder die therapiebegleitende Diagnostika (außer wenn nur Restproben
verwendet werden; hier ist Meldung an die zuständige Behörde erforder-
lich) einbeziehen.
e) Hier gibt es die Verfahrensschritte > Antragstellung > Validierung > As-
sessment und >  Entscheidung mit den zugehörigen Fristen, wie bei den
klinischen Prüfungen, siehe dort, wie unter Tabelle 7.4.
7.4 Leistungsstudien von IVDs 247

f) das zunächst (bis 27. Mai 2029) für die Mitgliedstaaten freiwillige, dann
auf Wunsch des Sponsors jedenfalls verbindliche koordinierte Bewertungs-
verfahren (Mehr-Staaten-Verfahren nach IVDV, Art. 74); wie bei den klini-
schen Prüfungen, siehe dort, wie unter Tabelle 7.4.
g) wesentliche Änderung einer Leistungsstudie, gem. IVDV, Art. 71; wie bei
den klinischen Prüfungen, siehe dort, wie unter Tabelle 7.4.
h) die Leistungsstudie CE-gekennzeichneter IVD nach IVDV, Art. 70; wie bei
den klinischen Prüfungen, siehe dort, wie unter Tabelle 7.4.
5. Aufzeichnung und Meldung der bei Leistungsstudien auftretenden uner-
wünschten Ereignisse (Art. 76) entspricht weitestgehend den Bestimmungen
bei klinischen Prüfungen, siehe dort unter Abschnitt 7.2.3
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Unterschieden werden wie dort die generelle Aufzeichnungspflicht des


Sponsors
ƒ für unerwünschte Ereignisse, die im Leistungsstudienplan als kritisch für
die Bewertung der Ergebnisse der Studie bezeichnet werden;
ƒ alle schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse (serious adverse events,
SAE)
For personal use only.

ƒ jeden Produktmangel (device deficiency, DD), der zu SAE hätte führen kön-
nen;
ƒ alle neuen Erkenntnisse zu obigen Ereignissen/Produktmängeln.
ƒ und die:
Meldepflicht des Sponsors über EUDAMED für (auch betreffend Ereignisse
in am selben Leistungsstudienoplan beteiligten Drittländer:
ƒ jedes SAE,
ƒ jeden Produktmangel, der zu SAE hätte führen können,
ƒ neue Erkenntnisse zu obigen SAE bzw. Produktmängeln.
Bei Leistungsstudien zu CE-gekennzeichneten IVD gelten dieselben Differen-
zierungen wie bei klinischen Prüfungen hinsichtlich Meldung im Vigilanzsys-
tem oder Meldung im Modul Leistungsstudien des EUDAMED.
6. Beendigungsmeldungen, Aussetzen oder Abbruch der Studie, an jeden betei-
ligtem Mitgliedsstaat und für die EU insgesamt, nach Art. 73 IVDV jeweils
über EUDAMED
Fristen: wenn aus Sicherheitsgründen innerhalb von 24 Stunden, sonst inner-
halb von 15 Tagen.
7. Bericht über die Leistungsstudie (Performance Study Report) samt des-
sen Zusammenfassung (Art. 73) entsprechen weitestgehend den Bestim­
mungen bei klinischen Prüfungen; Bericht und Summary: im Einzelnen IVDV,
Art. 73 ((5)-(7), Struktur im Anhang XIII.I.2.3.3. und im Detail: EN ISO 20916.
248 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD
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For personal use only.

Bild 7.4 Aufgabenverteilung durch MS; Leistungsstudien von IVDs: Wesentliche Aspekte


nach der IVDV
DSG: Device specific guidances zu einzelnen Arten/Gruppen von IVDs (meist Hochrisiko-
IVD; = Vorläufer von CS, siehe unten; CS: Common Specifications; Gemeinsame Spezifikatio-
nen, GS); LS: Leistungsstudie; IVDR: IVD-Regulation = IVDV; CRF: Case Report Forms; nat.
Reg: nationale Regelungen; Art. 58 (1)+(2): „kritische“ Leistungsstudien nach IVDV; CE-IVD:
CE-gekennzeichnete IVD; MS: Mitgliedsstaat

„ 7.5 Literatur
[7.1] MPV: Medizinprodukte-Verordnung der EU: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parla-
ments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie
2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und
zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates; zu finden unter: https://
eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02017R0745-20170505&from=EN.
[7.2] IVDV: In-vitro-Diagnostika Verordnung der EU: VERORDNUNG (EU) 2017/746 DES EUROPÄI-
SCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur
Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission; zu
­finden unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02017R0746-20170​
505&from=EN.
7.6 Endnoten 249

[7.3] MDCG documents: MDCG Guidances oder MDCG documents sind nicht rechtsverbindliche Leit-
linien der EU Medical Device Coordination Group zur Medizinprodukte- und IVD-Verordnung, zu
finden unter: https://ec.europa.eu/health/md_sector/new_regulations/guidance_en.
[7.4] MEDDEV’s: Medical Device Guidelines; nicht rechtsverbindliche Leitlinien der EU Kommission
zu den Medizinprodukte- und IVD-Richtlinien; zu finden unter: https://ec.europa.eu/health/
sites/default/files/md_sector/docs/md_guidance_meddevs.pdf.

„ 7.6 Endnoten
 1 Bei Drucklegung: MEDDEV 2.7.1 rev 4, Juni 2016
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 2 Gemäß Definition in der Medizinprodukte-Verordnung (Verordnung (EU) 2017/745 des Euro­


päischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017), im Folgenden abgekürzt als MPV; MPV:
Art. 2 (44)
 3 Beachte: „Produkte“ nach Art. 1 (4) der MPV: „(4) Für die Zwecke dieser Verordnung werden Medizin-
produkte und ihr Zubehör sowie die in Anhang XVI aufgeführten Produkte, auf die diese Verordnung
gemäß Absatz 2 Anwendung findet, im Folgenden als ‚Produkte‘ bezeichnet“.
 4 Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745, zu finden unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/
DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02017R0745-20200424&from=EN
 5 MEDDEVs: nicht rechtsverbindliche Guidelines der EU-COM zu den Medizinprodukte-/IVD-Richt-
For personal use only.

linien https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/md_sector/docs/md_guidance_meddevs.pdf
 6 MDCG-Guidelines (oder MDCG documents) = nicht rechtsverbindliche Guidance der EU Koordinie-
rungsgruppe MDCG zur MPV und IVDV: zu finden unter: https://ec.europa.eu/health/md_sector/
new_regulations/guidance_en
 7 Bei Drucklegung aktuelle Version = rev 4 des MEDDEV vom Juni 2016; im Folgenden wird diese
Version kurz als MEDDEV angesprochen, mit Sections als Hauptteilen und Appendices als An­­
hängen
 8 Siehe Kap. A.V
 9 Siehe auch ähnliche Konzepte und Guidelines der US FDA
10 MPV: Art. 2 (53): „klinischer Nutzen“ bezeichnet die positiven Auswirkungen eines Produkts auf
die Gesundheit einer Person, die anhand aussagekräftiger, messbarer und patientenrelevanter
klinischer Ergebnisse einschließlich der Diagnoseergebnisse angegeben werden, oder eine posi­
tive Auswirkung auf das Patientenmanagement oder die öffentliche Gesundheit;
11 Unerwünschte Nebenwirkungen
12 MPV: [7.1, Art. 5 (3)]; die zutreffenden „klinischen“ Anforderungen werden speziell in Anhang I.I.
in enger Nähe zum Risikomanagement dargestellt. Diese Anforderungen sind natürlich im Hin-
blick auf die konkreten klinischen Einsatzbereiche und den konkreten klinischen Nutzen des MP
hochgradig zu spezifizieren und überprüfbar zu machen.
Daneben können sich auch noch spezielle klinische Anforderungen hinsichtlich anderer Ab­­
schnitte des Anhangs I ergeben, etwa der added value von Arzneimittel- oder nicht-lebensfähigen
bio­logischen Komponenten mensch­lichen, tierischen oder organismischen Ursprungs, bei Soft-
ware, oder hinsichtlich der Laienanwendung (Gebrauchstauglichkeit) ergeben.
RL 93/42/EWG: Anhang I.I.6a; RL 90/385/EWG: Anhang I.I.5a
13 Oder ein als äquivalent ausgewiesenes Medizinprodukt. Zu den Äquivalenzkriterien siehe
Kap. A.IV
250 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

14 Siehe Definition in MPV: Art. 2 (52): „klinische Leistung“ bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts,
die sich aufgrund seiner technischen oder funktionalen — einschließlich diagnostischen — Merk-
male aus allen mittelbaren oder unmittelbaren medizinischen Auswirkungen ergibt, seine vom
Hersteller angegebene Zweckbestimmung zu erfüllen, sodass bei bestimmungsgemäßer Verwen-
dung nach Angabe des Herstellers ein klinischer Nutzen für Patienten erreicht wird;
15 Siehe Definition in MPV: Art. 2 (53): „klinischer Nutzen“ bezeichnet die positiven Auswirkungen
eines Produkts auf die Gesundheit einer Person, die anhand aussagekräftiger, messbarer und pa-
tientenrelevanter klinischer Ergebnisse einschließlich der Diagnoseergebnisse angegeben wer-
den, oder eine positive Auswirkung auf das Patientenmanagement oder die öffentliche Gesundheit;
16 Z. B. Anforderungen 10 (chemische, physikalische und biologische Eigenschaften, spez. Freiset-
zung von Stoffen oder Partikeln (z. B. Nano)); Anforderung 12 (Arzneimittelkomponente); Anfor­
derung 13 (Materialien biologischen Ursprungs); Anforderung 22: Laienanwendung, Usability;
Anforderung 23 (Kennzeichnung und Gebrauchsanweisung) muss jedenfalls auf Kompatibilität
mit den Ergebnissen der klinischen Bewertung speziell in der Analyse­stufe geprüft werden.
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17 In MEDDEV 2.7/1.rev. 4 als „stages“ bezeichnet


18 Bei Drucklegung war dies MEDDEV 2.7/1 rev. 4
19 Stufe 0 im MEDDEV rev 4 noch als: „Definition of the scope of the clinical evaluation“ bezeichnet
20 Siehe speziell MEDDEV 2.7/1 rev. 4, Appendix A3f
21 Siehe Kap. A.IV.2) oben in diesem Buch
22 Siehe Kap. A.III oben in diesem Buch
23 Siehe EN ISO 14155:2020 Annex I Clinical development stages
24 Pivotal: zentral, entscheidend, ausschlaggebend; in Anlehnung an pivotal studies iS. der US FDA
For personal use only.

25 Im MEDDEV als „Identification of pertinent data“ bezeichnet


26 Inkl. Daten aus klinischen Prüfungen, die ihm gemäß MPV: Art. 61 (4) zugänglich sind
27 „Gefährden weder den klinischen Zustand oder die Sicherheit der Patienten noch die Sicherheit und
die Gesundheit der Anwender oder ggf. Dritter, wobei etwaige Risiken im Zusammenhang mit ihrer
Anwendung gemessen am Nutzen für den Patienten vertretbar und mit einem hohen Maß an Gesund-
heitsschutz und Sicherheit vereinbar sein müssen; hierbei ist der allgemein anerkannte Stand der
Technik (State of the Art) zugrunde zu legen“
28 „Alle bekannten und vorhersehbaren Risiken sowie unerwünschten Nebenwirkungen sind so weit wie
möglich zu minimieren und müssen im Vergleich zu dem für den Patienten und/oder Anwender bei
normalen Verwendungsbedingungen aus der erzielten Leistung des Produkts ermittelten Nutzen ver-
tretbar sein.“
29 Z. B. PROSPERO (International Register of Prospective Systematic Reviews)
30 Möglichst nach PRISMA-Prinzipien (Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-
Analyses)
31 Möglichst entsprechend dem EUnetHTA Core Model
32 MOOSE Proposal (Meta-Analysis of Observational Studies in Epidemiology)
33 Z. B. http://patientregistries.eu/; SWEDEHEART/SCAAR: http://www.ucr.uu.se/swedeheart/99-scaar/
forskning-scaar; National Joint Replacement Registry of Australian Orthopedic Association: https://
aoanjrr.sahmri.com/
34 Für eine detaillierte und mit Videotutorials hinterlegte Anleitung für eine wissenschaftliche Lite-
raturrecherche siehe Ecker, Labek et.al.:„Clinical Evaluation of Medical Devices under the new EU
Regulation, Books on Demand, BoD, Norderstedt, DE
35 Ausführliche Darstellung in MEDDEV 2.7/1.rev. 4: Section 8.2 sowie Appendices A4 und A5;
36 Siehe viele Beispiele in HTA-Assessments des Austrian Institutes for HTA, spez. MP-relevante
Decision Support Documents unter https://eprints.aihta.at/view/types/dsd.html
7.6 Endnoten 251

37 Präzisierte Zielgruppen, Indikationen und ggf. Kontraindikationen sind anzugeben!


38 Untersuchte Anwendung(en)/Einsatzgebiete des MP
39 Für Sicherheit bzw. Wirksamkeit
40 Wichtig ist z. B. die Erkennung von Duplikaten; der Abgleich mit den herstellereigenen Daten; ev.
2. Reviewer beiziehen!
41 MEDDEV 2.7/1 rev. 4: Appendix A4 Sources of Literature: v. a. pubmed; embase; Cochrane und die
Datenbanken für klinische Prüfungen;
42 Ein mögliches Format für den Literature Search Report und die dahinterstehende Methodik finden
Sie in der GHTF/IMDRF Guidance „Clinical Evaluation“ Appendices A und B: http://www.imdrf.
org/docs/imdrf/final/technical/imdrf-tech-191010-mdce-n56.pdf
43 Einschließlich seiner Varianten, Modelle etc.; siehe MEDDEV Checkliste für Freigabe des CER
Appendix A10
44 Siehe Section 9 und Appendix A6 des MEDDEV, ev. auch http://www.imdrf.org/docs/imdrf/final/
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technical/imdrf-tech-191010-mdce-n56.pdf Appendices C und D der GHTF/IMDRF Guideline zur Kli-


nischen Evaluierung, einem Vorläuferdokument zum MEDDEV 2.7/1 rev. 4.
45 Siehe auch o. A. Appendices C und D der GHTF/IMDRF Guideline zur Klinischen Evaluierung
46 Speziell Anhang I.I.1 und 8
47 Siehe auch Kap. A.VIII und MDCG 2019-9: Summary of safety and clinical performance
48 Siehe auch MDCG 2019-8 v2: Guidance document implant card on the application of Article 18
­Regulation (EU) 2017/745 on medical devices
49 Einzelfallberichte können jedoch ev. Hinweise auf wichtige unerwünschte Nebenwirkungen bzw.
For personal use only.

Risiken geben.
50 Zur präklinischen Bewertung siehe insbes. die Normenserien EN ISO 10993 bzw EN ISO 18562
51 Hier ist z. B. auch der neuere Arbeitsschutz bezüglich Prävention von „needle-stick injuries“ oder
die Anforde­rungen des Anhangs I.II.10 betreffend Schutz vor CMR (carcinogene, mutagene oder
reproduktionstoxische Komponenten oder Freisetzungen) oder ED (endocrine disruptors) oder an-
derer toxikologisch relevanter Bestandteile zu beachten
52 Siehe Kap. A.II
53 Siehe dazu auch MDCG 2020-6: Guidance on sufficient clinical evidence for legacy devices
54 Z. B. aus Ausnahmengenehmigungen unter den MP-RL oder gem. Art. 59 der MPV
55 Näheres siehe App. A8 des MEDDEV 2.7/1 rev. 4
56 Siehe MEDDEV: App A8 (b) Subsequent products
57 Siehe Art. 61 (10) dieser Ausnahmefall ist ausführlich zu rechtfertigen, vom Hersteller im CER und
vom NB im CEAR; klinische Daten aus PMS/PMCF nach Kap. VII.1. und Anhang III und XIV der
MPV werden aber auch hier möglich und erforderlich sein
58 Eine MDCG-Guidance zu Well-established technologies (WET) of low risk ist in Vorbereitung
59 Siehe hier EN IEC 62366-1 Medizinprodukte — Anwendung der Gebrauchstauglichkeit auf Medizin-
produkte
60 MEDDEV: Section 11 und Appendices A9-A11
61 Es handelt sich hier um eine exemplarische Darstellung von Struktur und Inhalten des CER auf der
Basis des MEDDEV, adaptiert an die MPV; siehe dazu speziell auch MEDDEV: Appendices A9-11;
Checkliste in Appendix A10; siehe auch validation checklist des TÜV SÜD unter https://www.tuvsud.
com/en/resource-centre
62 Zusammenfassung der Nutzen-Risiko-Abwägung bei den intendierten Zielgruppen und Indikatio-
nen und Nachweis der Akzeptabilität des Nutzen-Risiko-Profils gegen den State of the Art im me-
dizinischen Einsatzbereich.
252 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

63 Siehe bes. Appendix A8 des MEDDEV 2.7/1 rev. 4


64 Siehe Kap. A.III
65 Klinischer Entwicklungsplan mit den Clinical Investigation Reports und Summaries der zugehöri-
gen exploratorischen und konfirmatorischen klinischen Prüfungen sowie PMCF-Studien und sons-
tige PMCF/PMS-Daten; Nachweise über die Übereinstimmung der klinischen Prüfungen mit den
Anforderungen des Kap. VI und Anhang XV der MPV und allfällige Übereinstimmung mit EN ISO
14155
66 Appraisal-Plan; Ergebnisse der Relevanzprüfung; Ergebnisse der Prüfung auf methodisch-wissen-
schaftliche Qualität der klinischen Daten; Gewichtung der Ergebnisse
67 Siehe Stufe 3
68 Folgend der Stufe 3 etwa: Zur Erfüllung der mit klinischen Daten zu belegenden Grundlegenden
Anforderungen des Anhangs I; zum klinischen Nutzen, klinischer Leistung des MP anhand der
relevanten Outcomes; zur klinischen Sicherheit des MP anhand der relevanten Parameter, inkl. zu
klinisch relevanten Restrisiken und zu den UE NeWi;
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zu den intendierten medizinischen Einsatzgebieten, inkl. exakt definierten Zielgruppen, Indika­


tionen, Kontraindi­kationen;
zum Nutzen-Risiko-Verhältnis des MP gegen den aktuellen State of the Art im medizinischen Ein-
satzbereich anhand der relevanten Outcomes;
zum Nutzen-Risiko-Verhältnis hinsichtlich der unerwünschten Nebenwirkungen;
zur Konsistenz der Claims des Herstellers mit den Ergebnissen der klinischen Bewertung;
zur Konsistenz relevanter Hinweise und Dokumente des Herstellers mit den Ergebnissen der kli-
nischen Bewertung
69 Siehe MPV: [7.1, Anhang XIV.B]: wurde hier gegenüber dem MEDDEV eingefügt
For personal use only.

70 PMCF-Plan; Ergebnisse der allg. und spezifischen PMCF-Methoden; PMCF-Evaluation Reports71


und jeweilige Schlussfolgerungen für die klinische Bewertung und ihre Adaptierung;
71 Datum und Version des CER; Statement des/r klinischen Evaluators/en, dass er/sie mit dem CER
übereinstimmt/en; Datum, Name(n) und Unterschrifte(n) des/der Evaluators/en; finale Freigabe
des CER durch den Hersteller: Datum, Name, Unterschrift
72 Siehe Kap. VII
73 Sofern zutreffend und nicht gleich direkt im CER inkludiert, etwa: Klinischer Bewertungsplan;
Klinischer Entwicklungsplan; PMCF-Plan; Literatur-Such-Protokolle; Literatur-Such-Reports; Lite-
raturstellen im Volltext; Appraisal-Plan; Appraisal-Ergebnisbericht; Analyse-Plan; Analyse-Ergeb-
nisbericht; Clinical Investigation Reports und Summaries, ggf. weitere Bestätigungen (behördlich
und Ethikkommission) und Dokumente (etwa CIP und IB) zu den eigenen klinischen Prüfungen
und PMCF-Studien; PMCF Evaluation Reports; Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leis-
tung; Kennzeichnung und IFU
74 Z. B. auch von relevanten organisierten Patienten- oder Usergruppen, auch über geeignete Blogs
etc.
75 Z. B. auch über akademische Studien mit dem MP; neue HTA-Assessments über MP-Gruppen, zu
denen das eigene MP gehört etc. Wichtig ist auch das Setzen von Literaturalarmen in Stufe 1 = Li-
teraturrecherchen, um automatisch über neue wissenschaftliche Literatur zum Thema informiert
zu werden
76 So werden klinische Prüfungen mit Coronalstents oft für fünf Jahre angesetzt, obwohl die Ergeb-
nisse nach zwei Jahren oft als pivotale Studien für die Konformitätsbewertung präsentiert werden
und die restlichen drei Jahre als PMCF-Studie fortgesetzt werden. Die Patienten müssen für fünf
Jahre konsentiert werden.
77 http://patientregistries.eu/
7.6 Endnoten 253

 78 So wird man Probleme bei einem bestimmten Implantat, die auf die Materialzusammensetzung
oder bestimmte technologische/funktionelle Eigenschaften zurückgeführt werden, auch für das
eigene MP prüfen müssen.
 79 MEDDEV 2.7/1 rev. 4: Kap. 6.2.3 a (frequency of updates) und b (general considerations on updating
the clinical evaluation)
 80 MEDDEV: Section 6.4 und Appendix A8
 81 Details siehe MEDDEV: Appendix A11
 82 MPV: [7.1, Art. 32]; siehe dazu nunmehr auch das folgende Guidance-Dokument der Koordinie-
rungsgruppe Medizinprodukte der EU: MDCG 2019-9: Summary of safety and clinical performance
 83 Ausgenommen Sonderanfertigungen und Prüfprodukte
 84 In Anlehnung an US FDA: Summary of Safety and Effectiveness Data (SSED)
 85 https://ec.europa.eu/health/md_sector/new_regulations/guidance_en
 86 Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745, zu finden unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/
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DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02017R0745-20200424&from=EN
 87 MDCG Guidances oder MDCG documents sind nicht rechtsverbindliche Leitlinien der EU Medical
Device Coordination Group, zu finden unter: https://ec.europa.eu/health/md_sector/new_regula​
tions/guidance_en
 88 DSG Device Specific Guidances (mit spezifischen Anforderungen an die klinische Prüfung oder
Bewertung von best. Produktgruppen oder -arten) werden zumeist Vorläufer entsprechender Ge-
meinsamer Spezifikationen (GS; Common Specifications, CS) sein.
 89 MPV: [7.1, Art. 2 Nr. 46]: „Prüfprodukt“ bezeichnet ein Produkt, das im Rahmen einer klinischen
For personal use only.

Prüfung bewertet wird.


 90 Z. B.
Arzneimittelkomponenten, nicht lebensfähige Komponenten menschlichen, tierischen oder
organismischen Ursprungs etc.
 91 Beachten Sie, dass diese Norm zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches in Überarbeitung ist
und dass die derzeitige Fassung nur Konformitätsvermutungen zu den bisherigen RL 93/42/EWG
und 90/385/EWG beinhaltet. Der Anhang Z muss daher auch an die neue MPV angepasst werden.
Allerdings diente die EN ISO 14155 dem europäischen Gesetzgeber als Strukturgeber für die Gestal-
tung des Anhangs XV, sodass größere Abweichungen unwahrscheinlich sind.
 92 Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über
klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG
 93 Nach Maßgabe eines allfälligen Rechtsmittelverfahrens im MS
 94 Die jeweilige Aufgabenverteilung kann zwischen den MS variieren!
 95 Oft wird die Abgrenzung zu Arzneimitteln wichtig sein!
 96 Dies schließt auch von der Ethikkommission des Mitgliedsstaates geforderte Unterlagen ein!
 97 Konkrete Arbeitsteilung je nach Mitgliedsstaat
 98 Oft wird die Abgrenzung zu Arzneimitteln wichtig sein!
 99 Dies schließt auch von der Ethikkommission des Mitgliedsstaates geforderte Unterlagen ein!
100 Die neue IVD-Verordnung der EU (Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 5. April 2017), im Folgenden abgekürzt IVDV; zu finden unter: https://eur-lex.europa.
eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02017R0745-20170505&from=EN
101 MDCG Guidances oder MDCG documents sind nicht rechtsverbindliche Leitlinien der EU Medical
Device Coordination Group, zu finden unter: https://ec.europa.eu/health/md_sector/new_regula​
tions/guidance_en
102 GHTF: Global Harmonization Task Force; IMDRF: International Medical Device Regulators Forum:
www.imdrf.org
254 7 Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD

103 Siehe speziell http://www.imdrf.org/documents/doc-ghtf-sg5.asp


104 IVDV: Art. 2 (37) „klinischer Nutzen“ bezeichnet die positiven Auswirkungen eines Produkts im
Zusammenhang mit seiner Funktion, wie z. B. Screening, Überwachung, Diagnose oder Erleichte-
rung der Diagnose von Patienten oder eine positive Auswirkung auf das Patientenmanagement
oder die öffentliche Gesundheit.
105 Wurden weitgehend vom GHTF/IMDRF übernommen
106 Auch als Literatursuchprotokoll bezeichnet
107 Ein mögliches Format für den literature search report ist in der GHTF/IMDRF-Guideline GHTF/
SG5/N7:2012, Appendices A und B dargestellt: http://www.imdrf.org/docs/ghtf/final/sg5/technical-
docs/ghtf-sg5-n7-2012-scientific-validity-determination-evaluation-121102.pdf
108 Anhang I.II.9.1.a)
109 Hinsichtlich neuartiger Marker oder Marker ohne zertifizierte Referenzmaterialien oder Referenz-
messverfahren und Problemen beim Nachweis der Richtigkeit, siehe IVDV: Anhang XIII.1.2.2
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110 Anhang I.II.9.1.b)


111 IVDV: Art. 2 (50). „Diagnostische Sensitivität“ bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts zu erken-
nen, dass ein mit einer bestimmten Krankheit oder einem bestimmten gesundheitlichen Zustand
verbundener Zielmarker vorhanden ist.
112 IVDV: Art. 2 (49). „Diagnostische Spezifität“ bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts zu erken-
nen, dass ein mit einer bestimmten Krankheit oder einem bestimmten gesundheitlichen Zustand
verbundener Zielmarker nicht vorhanden ist.
113 IVDV: Art. 2 (52) „Positiver prädiktiver Wert“ bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts, für ein
bestimmtes Attribut in einer bestimmten Bevölkerung echt-positive Ergebnisse von falsch-posi­
For personal use only.

tiven Ergebnissen zu trennen.


114 IVDV: Art. 2 (53) „Negativer prädiktiver Wert“ bezeichnet die Fähigkeit eines Produkts, für ein
bestimmtes Attribut in einer bestimmten Bevölkerung echt-negative Ergebnisse von falsch-nega­
tiven Ergebnissen zu trennen.
115 IVDV: Art. 2 (54) „Likelihood-Verhältnis“ bezeichnet die Wahrscheinlichkeit, mit der ein bestimm­
tes Ergebnis bei einer Person mit dem klinischen oder physiologischen Zielzustand eintritt, im
Verhältnis zu der Wahrscheinlichkeit, mit der das gleiche Ergebnis bei einer Person eintritt, bei
der der betreffende klinische oder physiologische Zustand nicht vorliegt.
116 Die deutsche Übersetzung der IVDV verwendet für „clinical evidence“ den Begriff „klinischer
Nachweis“; hier wird aber der für Fachkreise zutreffendere und auch ausreichend „eingedeutsch-
te“ Begriff „klinische Evidenz“ verwendet: Siehe dazu IVDV: Art. 2 (36) „klinischer Nachweis“ be-
zeichnet die klinischen Daten und die Ergebnisse der Leistungsbewertung zu einem Produkt, die
in quantitativer und qualitativer Hinsicht ausreichend sind, um qualifiziert beurteilen zu können,
ob das Produkt sicher ist und den angestrebten klinischen Nutzen bei bestimmungsgemäßer Ver-
wendung nach Angabe des Herstellers erreicht.
117 IVDV: Artikel 2 (37): „klinischer Nutzen“ bezeichnet die positiven Auswirkungen eines Produkts
im Zusammenhang mit seiner Funktion wie z. B. Screening, Überwachung, Diagnose oder Erleich-
terung der Diagnose von Patienten oder eine positive Auswirkung auf das Patientenmanagement
oder die öffentliche Gesundheit.
118 Ein mögliches Format für den literature search report ist in der GHTF/IMDRF-Guideline GHTF/
SG5/N7:2012, Appendices A und B dargestellt: http://www.imdrf.org/docs/ghtf/final/sg5/technical-
docs/ghtf-sg5-n7-2012-scientific-validity-determination-evaluation-121102.pdf
119 Siehe dazu oben Kap. 4!
120 Siehe speziell IVDV: Artikel 56 (1): „Die Überprüfung der Erfüllung der in Anhang I festgelegten ein-
schlägigen grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen, insbesondere in Bezug auf die in
Anhang I Kapitel I und Abschnitt 9 genannten Leistungsmerkmale bei normaler bestimmungsgemäßer
7.6 Endnoten 255

Verwendung des Produkts sowie die Beurteilung der Interferenz(en) und Kreuzreaktion(en) und der
Annehmbarkeit des Nutzen-Risiko-Verhältnisses gemäß Anhang I Abschnitte 1 und 8 erfolgen auf der
Grundlage von Daten zur wissenschaftlichen Validität und zur Analyse und klinischen Leistung, die
einen ausreichenden klinischen Nachweis bieten, gegebenenfalls einschließlich einschlägiger Daten
gemäß Anhang III.“
121 Speziell betr. Anhang I.I.1+8
122 Jeweils mit Begründung!
123 Inkl. Biobanks; diese Aktivitäten sollen gem. Art. 101 der IVDV von EU-Kommission und Mitglied-
staaten gefördert werden.
124 GS: Gemeinsame Spezifikationen (Common Specifications; CS; siehe IVDV: Art. 9)
125 Ausgenommen Sonderanfertigungen und Prüfprodukte
126 Hersteller gibt in Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung an, wo (URL) der Kurzbericht zu fin-
den ist.
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127 Zu Unique Device Identifier (UDI) und SRN (Single Registration Number) siehe IVDV: Kap. III und
Anhang VI
128 Zur vorgängigen korrekten Qualifizierung (und Klassifizierung) von IVD-Software siehe insbeson-
dere auch MDCG 2019-11 „Qualification and classification of software – Regulation (EU) 2017/745
and Regulation (EU) 2017/746“. https://ec.europa.eu/health/md_sector/new_regulations/guidance_
en
129 MDCG 2020-1 Guidance on Clinical Evaluation (MDR)/Performance Evaluation (IVDR) of Medical
Device Software https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/md_sector/docs/md_mdcg_2020_1_
guidance_clinic_eva_md_software_en.pdf
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130 Die neue IVD-Verordnung der EU (Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 5. April 2017), im Folgenden abgekürzt IVDV; zu finden unter: https://eur-lex.europa.
eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02017R0745-20170505&from=EN
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8 GEP-/GMP-konforme
Produktionsanlagen
B. Gübitz, J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Was versteht man unter GEP/GMP und welche rechtlichen Grundlagen gibt
es?
ƒ Welche GMP-Anforderungen gibt es an Produktionsanlagen?
ƒ Welche Anforderungen gibt es an die Technische Dokumentation, an die GMP-
konforme Kalibrierung, Wartung und Instandhaltung, an die Validierung von
computerisierten Systemen?
ƒ Was ist bei der Definition der Anforderungen zu beachten?
ƒ Was versteht man unter Validierung, Qualifizierung, Commissioning und Veri-
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fizierung?
ƒ Welche Phasen gibt es in der Qualifizierung, welche Qualifizierungsdokumente
müssen erstellt werden und wie werden Qualifizierungsumfang und Qualifizie-
rungstiefe risikobasiert bestimmt?
ƒ Was bedeuten die Abkürzungen VMP/QMP, FAT, SAT, DQ, IQ, OQ, PQ?

„ 8.1 Einleitung
Um eine spezifikationskonforme Herstellung von Medizinprodukten zu gewähr-
leisten, sind Produktionsanlagen von Anfang an über ihren kompletten Lebenszy-
klus unter dem Gesichtspunkt der Qualität der herzustellenden Medizinprodukte
zu planen, zu errichten und zu betreiben. Um das gewährleisten zu können, müs-
sen dabei die Anforderungen der beiden Qualitätssicherungskonzepte  GEP und
GMP berücksichtigt werden.
Die Abkürzung GMP steht dabei für die „Gute Herstellungspraxis“ (Good Manufac-
turing Practice – GMP) und die Abkürzung GEP für die „Gute Engineering-Praxis“
(Good Engineering Practice – GEP).
258 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Dieses Kapitel behandelt vorrangig die Planung und Errichtung von Produktions-
anlagen zur Herstellung von Medizinprodukten. Ein QM-/GEP-konformer Entwick-
lungsprozess für Medizinprodukte ist im Detail in Kapitel 4, Entwicklung von Medi-
zinprodukten, beschrieben.
Mit dem Begriff „Produktionsanlagen“ sind im Folgenden alle einzelnen bzw. mit-
einander verbundenen Anlagen oder Ausrüstungen gemeint, die zur Herstellung,
Verarbeitung, Prüfung oder zur Verpackung von Medizinprodukten eingesetzt
werden – also zum Beispiel Produktions- und Verpackungsmaschinen, Prüf- und
Kontrollgeräte, Räumlichkeiten oder Mediensysteme (z. B. Luft, Wasser, Prozess-
gas).
Die beiden Qualitätssicherungskonzepte – GMP und GEP – haben zum Ziel, dass
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die herzustellenden Medizinprodukte den gewünschten Qualitätsanforderungen


entsprechen.
Dazu müssen die Produktionsanlagen im Zuge ihrer Planung und Errichtung ent-
sprechend spezifiziert, entworfen, errichtet und getestet werden, um sicherzustel-
len, dass die gewünschte Produktqualität reproduzierbar hergestellt werden kann.
Im laufenden Betrieb müssen Produktionsanlagen vorbeugend gewartet und in-
stand gehalten werden. Qualitätsrelevante Daten müssen aufgezeichnet und archi-
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viert werden und kritische Messgeräte und Vorrichtungen für die Prozesskontrolle
müssen kalibriert sein. Technische Änderungen müssen gemäß einem definierten
Änderungsdienstverfahren ablaufen, und alles muss ausreichend dokumentiert
werden, um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
Beiden Konzepten ist auch gemein, dass die gewünschte und vorab definierte Pro-
duktqualität erzeugt werden muss und nicht in das Endprodukt „hineingetestet“
werden kann. Produktqualität kann also nur mit einem entsprechenden Produkt-
und Anlagendesign erreicht werden. Durch Kontrollen kann nur bestätigt werden,
dass die Qualität des Medizinprodukts den spezifizierten Anforderungen ent-
spricht.
Im folgenden Abschnitt werden die rechtlichen Grundlagen bezüglich GEP/GMP
beschrieben und die wesentlichen Anforderungen von GEP/GMP an die Planung,
Errichtung und den Betrieb von Produktionsanlagen dargestellt. Dabei werden
speziell folgende relevante Aspekte von GEP/GMP erläutert:
ƒ Anforderungen an die Produktionsanlagen,
ƒ GMP-konformes Anlagendesign,
ƒ Commissioning und Qualifizierung von Produktionsanlagen,
ƒ GMP-gerechte Kalibrierung/Wartung/Instandhaltung,
ƒ Computervalidierung.
8.2 Rechtliche Grundlagen GEP/GMP 259

„ 8.2 Rechtliche Grundlagen GEP/GMP


Für Produktionsanlagen zur Herstellung von Medizinprodukten gelten in Europa
und den USA teilweise unterschiedliche Richtlinien, Guidelines und Normen in
Bezug auf die Gute Engineering Praxis (GEP) bzw. die Gute Herstellungspraxis (GMP).
Die Good Engineering Practice (GEP) ist dabei als genereller Industriestandard bei
der Planung, Errichtung und dem Betrieb von Produktionsanlagen zu sehen und
gilt also nicht nur für den Medizinproduktebereich. Gemäß World Health Organi-
zation (WHO) [8.1] ist GEP folgendermaßen definiert: „Established engineering
methods and standards that are applied throughout the project life-cycle to deliver
appropriate, cost-effective solutions.“
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Der Begriff GEP findet sich in der Literatur branchenübergreifend, und die Einhal-
tung von GEP wird z. B. bezüglich elektromagnetischer Verträglichkeit für alle sta-
tionären Anlagen (z. B. Industrieanlagen, Kraftwerke, IT-Netzwerke, automatisierte
Lager) gefordert [8.2].
Im pharmazeutischen Bereich ist GEP z. B. über den Standard der American Society
for Testing and Materials International (ASTM E2500 [8.3]) definiert (siehe dazu
auch Bild 8.1).
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Bild 8.1 GEP gemäß ASTM-Standard E2500 für Planung, Errichtung und Verifizierung von
­Prozessanlagen
260 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

GEP wird branchenspezifisch weitgehend über technische Normen definiert. In


Europa handelt es sich dabei um europäisch harmonisierte Normen, die im Auf-
trag der Europäischen Kommission von den europäischen Normungsausschüs-
sen  – z. B. Europäisches Komitee für Normung (CEN), Europäisches Komitee für
elektrotechnische Normung (CENELEC)  – erlassen worden sind (Beispiel: Ent­
nahmestellen für Rohrleitungssysteme für medizinische Gase [8.4]).
In den USA sind die Anforderungen der current Good Manufacturing Practice
(cGMP) für Medizinprodukte im Code of Federal Regulations (21 CFR 820 – Quality
System Regulation) [8.5] definiert. In Europa findet sich der Begriff GMP für Medi-
zinprodukte in keinem Regelwerk wieder. Im verwandten Arzneimittelbereich ist
GMP in Europa jedoch ein gängiger Begriff und wird in zahlreichen Gesetzen und
Richtlinien ([8.6], [8.7], [8.8]) beschrieben und definiert. Die Anforderungen an die
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Realisierung von Medizinprodukten sind in Europa z. B. in der Norm DIN EN ISO
13485:2016 [8.9] in Kapitel 7 beschrieben. Diese Norm beschreibt also – in Analo-
gie zu den oben genannten Regelwerken – die GMP-Anforderungen an Medizinpro-
dukte in Europa.
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„ 8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion
Um die Anforderungen an die Produktion (gemäß [8.9]) von Medizinprodukten zu
erfüllen und um die in der Produktentwicklung festgelegte Produktqualität erzeu-
gen zu können, müssen die relevanten Produktionsanlagen bei der Planung und
Errichtung entsprechend spezifiziert, entworfen, errichtet und getestet werden.
Der GEP-/GMP-konforme Ablauf ist dabei in Bild 8.2 dargestellt.
Im Folgenden werden die Schritte für eine GEP-/GMP-Anlagenplanung näher be-
schrieben:
ƒ Spezifikation von Anlagen – Betreiberanforderung (User Requirement Specifica-
tion – URS),
ƒ Commissioning und Qualifizierung von Produktionsanlagen.
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 261
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Bild 8.2 GEP-/GMP-konformer Entwicklungsprozess für Produktionsanlagen


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8.3.1 GMP-konforme Spezifikation von Anlagen


Um Produktionsanlagen spezifizieren zu können, müssen zuallererst die Anforde-
rungen an diese Systeme bekannt sein. Dazu sollte zu Projektanfang eine Betreiber­
anforderung, oft auch als User Requirement Specification (URS) bezeichnet, erstellt
werden. In diesem Dokument werden alle Anforderungen des Betreibers der Pro-
duktionsanlagen so ausführlich wie möglich spezifiziert. Nur so ist eine weitere
GEP-/GMP-konforme Entwicklung der Anlage möglich.
Die Betreiberanforderung ist auch das Bezugsdokument für das Commissioning
und die Qualifizierung/Validierung, da in ihr die Design-, Funktions- bzw. Leis-
tungsparameter der Anlage spezifiziert werden, die überprüft bzw. getestet werden
müssen. Eine Betreiberanforderung soll folgende allgemeine Punkte beinhalten:
ƒ Projektbeschreibung,
ƒ gesetzliche Anforderungen,
ƒ Beschreibung des Aufstellungsorts,
ƒ Anforderungen an die Anlagendokumentation.
262 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Des Weiteren sollen die Anforderungen an die Produktionsanlagen festgelegt wer-


den. Folgende Punkte sind z. B. zu bestimmen:
ƒ die für die Herstellung notwendigen Prozessschritte,
ƒ Anforderungen an diese Prozessschritte (z. B. bezüglich Heizen, Kühlen, Rüh-
ren),
ƒ Leistungsdaten (Chargengrößen, einzuhaltende Parameter),
ƒ die notwendigen Betriebsmittel (z. B. Stromversorgung, Prozessmedien) inklu-
sive der Anforderungen an diese (z. B. geforderte Reinheit/Qualität der Pro-
zessmedien),
ƒ konstruktive Ausführung von Anlagen/Anlagenteilen (Größen, Betriebstempe-
raturen, Materialien, Oberflächenqualitäten, Filterklassen, Anzahl und Art von
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Probenahmestellen, notwendige chemische/thermische Beständigkeit gegen


eingesetzte Medien, Ausführung der Verbindungen zwischen Prozessanlagen
und Betriebsmitteln etc.),
ƒ Anforderungen an Räumlichkeiten und Raumkonditionen (z. B. bezüglich rela-
tiver Feuchte, Temperatur, Partikelanzahl und -größe, Mikroorganismen),
ƒ Anforderungen an Sicherheitseinrichtungen (z. B. Schutzklassen, Sicherheits-
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ventile, Ex-Schutz),
ƒ Anforderungen an Reinigung, Sterilisation, Entleerbarkeit, Belüftung und visu-
elle Inspektionsmöglichkeiten (z. B. für Tanks),
ƒ Anforderungen an die Steuerung,
ƒ Anforderungen an die Einbindung in bestehende Softwaresysteme,
ƒ Anforderungen an Kalibrierung und Wartung,
ƒ Anforderungen an die technische Dokumentation
etc.
Bei der Festlegung von Anforderungen ist darauf zu achten, dass diese
ƒ ausreichend detailliert sind, damit sie auch in den weiteren Detailspezifikatio-
nen richtig umgesetzt werden können (siehe dazu auch Tabelle 8.1),
ƒ einzeln aufgelistet und durchnummeriert werden, um eine Rückverfolgbarkeit
in den nachfolgenden Spezifikationen und Tests zu ermöglichen,
ƒ in den nachfolgenden Qualifizierungstests überprüfbar sind; dazu müssen sie
so weit wie möglich zahlenmäßig definiert sein, Toleranzbereiche müssen fest-
gelegt werden.
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 263

Tabelle 8.1 Betreiberanforderung für einen Rührkessel (Auszug; Beispiel)


UR Nr. GMP-relevant Anforderung
1 Ja Volumen Ansatztank: 5 m3
Nutzinhalt: mind. 4200 l
2 Ja Tankdeckel geflanscht, kippbar mit Gelenk
3 Ja Max. mögliche Betriebstemperatur: 20 bis 140 °C (± 1 °C)
4 Doppelmantel zur Heizung/Kühlung mit Anschlüssen
(Tri-Clamp) an Heiz-, Kühlsystem
5 Ja Ansatztank steht auf Wiegedosen mit einer Genauigkeit ±
1,5 %
6 Ja Rührwerk mit Motor: Drehzahl bis 1400 U/min (stufenlos
regelbar)
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7 Ja Produktberührte Oberflächen:
AISI 316L (1.4404/1.4435) oder gleichwertig
mechanisch & elektropoliert;
Oberflächenrauigkeit Ra < 0,8 mm
Delta-Ferrit-Gehalt: < 3 %
8 Nein Die Anlagenkomponenten und Kontrolleinrichtungen sind so
auszulegen, dass der Energieverbrauch minimiert wird.
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Folgende automatische Funktionen sind zu gewährleisten:


9 Ja automatische Dosierung von AP-Wasser in den Tank
(gewichtskontrolliert)
10 Ja Rühren des Tankinhalts
11 Ja Aufheizen des Tankinhalts auf max. 140 °C
12 Ja Abkühlen des Tankinhalts auf mind. 20 °
13 Ja Produkttransfer zur Abfüllanlage (z. B. über Pumpe)
14 Ja Vollständiges Entleeren des Ansatztanks
15 Ja Spülen/Reinigung mittels cleaning in place (CIP) (CIP-Lösung
kann im Ansatztank angesetzt werden)
16 Ja Sterilisation mittels sterilization in place (SIP) (über Reinst-
dampfsystem)

Außerdem sollten alle qualitätsrelevanten Anforderungen separat gekennzeichnet


werden, da nur diese in der nachfolgenden Qualifizierung/Validierung überprüft
werden müssen (siehe dazu auch Tabelle 8.1).
Wichtig ist auch, darauf zu achten, dass sich die einzelnen Anforderungen unterei-
nander nicht widersprechen. Bei Verweisen auf relevante Normen sollte geprüft
werden, ob alle Anforderungen der Norm eingehalten werden bzw. ob sie notwen-
dig sind (ansonsten sind gegebenenfalls Ausschlüsse zu definieren und zu begrün-
den).
264 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

8.3.2 Qualifizierung und Validierung in der Produktion

8.3.2.1 Einführung und rechtlicher Hintergrund


Wie in Kapitel 1, QM-Systeme, beschrieben, ist für Medizinproduktehersteller bzw.
-inverkehrbringer die Etablierung eines QM-Systems notwendig, um eine Zulas-
sung und damit die Erlaubnis zum Inverkehrbringen ihres Medizinprodukts zu
erhalten. Im deutschsprachigen Raum gilt dafür die harmonisierte Norm DIN EN
ISO 13485:2016 [8.9] als Standard der Vorschriftenlage. In den USA definiert der
Code of Federal Regulations (21 CFR 820 – Quality System Regulation) [8.5] die An-
forderungen an die Etablierung eines QM-Systems für Medizinprodukte. In beiden
Regelwerken ist auch die Validierung von Produktionsanlagen zur Herstellung von
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Medizinprodukten gefordert.
Durch die Validierung eines Produktionsprozesses soll dokumentiert nachgewie-
sen werden, dass ein vorab definierter Produktionsprozess fähig ist, ein spezifika-
tionskonformes Produkt – d. h. ein sicheres Medizinprodukt mit gleichbleibender,
definierter Qualität – herzustellen. (Anmerkung: Diese geforderte Produktqualität
wird im Rahmen der Produktentwicklung in den Produktspezifikationen festge-
legt.)
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Der Begriff Validierung ist dabei als Überbegriff für die folgenden Prozesse zu
­sehen:
ƒ Qualifizierung von Produktionsanlagen,
ƒ Validierung der computerisierten Systeme,
ƒ Prozessvalidierung,
ƒ Reinigungsvalidierung,
ƒ Methodenvalidierung.
In der Qualifizierung werden die einzelnen Produktionsanlagen überprüft. In der
Prozessvalidierung wird die standardisierte Fertigungsmethode auf Einhaltung
der Anforderungen überprüft (siehe Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung).
Auch alle computerisierten Systeme sind zu validieren, die zur Steuerung bzw.
Überwachung von qualitätsrelevanten Produktionsparametern und zur Archivie-
rung der qualitätsrelevanten Produktionsdaten eingesetzt werden. Hier spricht
man von der Validierung der computerisierten Systeme.
Prozesse zur Reinigung (bzw. Sterilisation) von Medizinprodukten sind zu validie-
ren, wenn der Erfolg der Reinigung bzw. Sterilisation nicht auf andere Art getestet
werden kann. Hier spricht man von der Reinigungsvalidierung. Ebenso sind analy-
tische Methoden zu validieren, die z. B. zur In-Prozess- bzw. Endproduktkontrolle
oder im Zuge der Wareneingangsprüfungen eingesetzt werden, wenn die Pro-
duktqualität nicht direkt geprüft (verifiziert) werden kann. Hier spricht man von
der Methodenvalidierung.
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 265

In Bild 8.3 sind die beschriebenen Prozesse und ihre Zusammenhänge grafisch
dargestellt.

Validierungsmasterplan

Betreiber- Leistungs- Prozess-


Anforderung qualifizierung (PQ) validierung
Designqualifizierung (DQ)

Anlagenkonzept Factory/Site
Funkons-
Funkons- Risiko- Acceptance Test
qualifizierung (OQ)
spezifikaonen analyse (FAT/SAT)
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Factory/Site
Detail- Installaons-
Acceptance Test
spezifikaonen qualifizierung (IQ)
(FAT/SAT)

Lieferant
Bau & Montage
Betreiber

Bild 8.3 Überblick Validierungs-/Qualifizierungsablauf


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Die Durchführung der Validierung für Medizinprodukte wird in Leitfäden (Guide­


lines bzw. Guidance-Dokumenten) näher beschrieben. International relevante Do-
kumente sind dabei z. B. die Guideline der amerikanischen Gesundheitsbehörde
Food and Drug Administration (FDA) über Prozessvalidierung [8.10], das Guidance-
Dokument der FDA bezüglich Softwarevalidierung [8.11] sowie die Guideline der
Global Harmonization Task Force (GHTF) bezüglich Prozessvalidierung [8.12].
Im verwandten Arzneimittelbereich gibt es einige Leitfäden [8.13], [8.14], Gesetze
[8.6] und Publikationen [8.15], die die Umsetzung der Validierung ausführlich be-
schreiben und für Medizinproduktehersteller als Umsetzungshilfen nützlich sein
können.

BEACHTE:
In der DIN EN ISO 13485:2016 [8.9] findet man in Abschnitt 7.3 „Entwicklung“
den Begriff Validierung. Die Entwicklungsvalidierung bezieht sich jedoch auf das
Medizinprodukt selbst und muss von der Validierung im Produktionsbereich ge-
trennt betrachtet werden. Die Entwicklungsvalidierung sollte jedoch mit Medizin-
produkten durchgeführt werden, die auf qualifizierten Anlagen und mit einem
validen Herstellprozess erzeugt wurden.

266 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

8.3.2.2 Definition von Qualifizierung, Commissioning, Verifizierung


und Validierung
In der Literatur finden sich für die Begriffe Verifizierung, Validierung, Commissio-
ning und Qualifizierung je nach Kontext unterschiedliche Definitionen. Für dieses
Kapitel sind die Begriffe für die Medizinprodukteherstellung wie folgt definiert.

Qualifizierung
Die Qualifizierung ist gemäß AMBO 2009 ein „Teil der Validierung und umfasst alle
Maßnahmen, mithilfe derer nachgewiesen und dokumentiert wird, dass sämtliche die
Produktqualität beeinflussenden Räumlichkeiten, Ausrüstungen oder Hilfssysteme
sachgemäß angelegt oder installiert sind, ordnungsgemäß funktionieren und tatsäch-
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lich zu den erwarteten Ergebnissen führen. Sie umfasst insbesondere die Designquali-
fizierung, die Installationsqualifizierung, die Funktionsqualifizierung und die Leis-
tungsqualifizierung“ [8.6].
Im Zuge einer Qualifizierung wird also in aufeinanderfolgenden Phasen dokumen-
tiert überprüft, ob die Anlagen, Räumlichkeiten, Versorgungssysteme bzw. Analy-
sengeräte zur Herstellung bzw. Überprüfung von Medizinprodukten entsprechend
geplant/designt, geeignet, installiert bzw. aufgestellt sind und ob sie funktionieren
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und die gewünschte Leistung erbringen.


Dazu werden in sogenannten Qualifizierungsplänen die entsprechenden Prüfun-
gen inklusive der Akzeptanzkriterien definiert. Danach wird geprüft und das Er-
gebnis der Prüfung – z. B. im Qualifizierungsbericht – dargestellt.
Die einzelnen Prüfungen in den Qualifizierungsphasen – z. B. die Überprüfung in
der Designqualifizierung, ob das Pflichtenheft die Anforderungen des Lastenhefts
erfüllt – entsprechen oft einer Prüfung gegen eine Spezifikation, also einer Verifi-
zierung. Diese Begriffe gehen hier Hand in Hand. Im Bereich der Medizinprodukte-
herstellung hat sich dennoch der Überbegriff Qualifizierung durchgesetzt.

BEISPIEL:
Installationsqualifizierung: Prüfpunkt R&I-Check
Ist eine Verifizierung (d. h. Prüfung), ob die eingebauten Komponenten/Rohr­
leitungen dem Spezifikationsdokument „Rohrleitungs- und Instrumentierungs­
diagramm“ entsprechen.

Verifizierung
Verifizierung ist die Bestätigung durch einen objektiven Nachweis, dass die Anforde-
rungen erfüllt werden [8.16] (d. h. Prüfen gegen eine Spezifikation). Im Zuge einer
Verifizierung wird also durch Testen eines Objekts nachgewiesen, dass das Objekt
die festgelegten Anforderungen/Spezifikationen erfüllt (Tabelle 8.2 und Tabelle 8.3).
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 267

Tabelle 8.2 Verifizierung in der Planungsphase (Beispiel)


Anforderung (definiert in Testobjekt: Verifizierung
der Betreiberanforderung) Planungsdokument
Material für produkt­berührte Detailzeichnung Dokumentierte Überprüfung der
Oberflächen: Edelstahl = Bauteil Detailzeichnung:
AISI 316L (1.4404/1.4435) (z. B. Pumpe) Material der produktberührten Ober-
oder höherwertig flächen der Pumpe ist als AISI 316L
oder höherwertig spezifiziert

Tabelle 8.3 Verifizierung in der Installationsphase (Beispiel)


Anforderung (definiert im Testobjekt: Verifizierung
Datenblatt bzw. R&I) (Anlage vor Ort)
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Einbauort/Einbaulage: Eingebauter Dokumentierte Überprüfung des


­Temperatursensor ­Temperatursensor korrekten Einbaus des Temperatur-
sensors gemäß R&I bzw. Datenblatt

Der Begriff Verifizierung wird auch in der Designphase eines Medizinprodukts


verwendet. Im Zuge der Verifizierung wird dort durch einen dokumentierten Test
überprüft, ob alle Anforderungen an das Medizinprodukt (Design Input z. B. im
Pflichtenheft) in die Detailspezifikationen (Design Output wie z. B. Konstruktions-
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zeichnungen) übernommen wurden. In der Medizinprodukteentwicklung wird der


Begriff Qualifizierung jedoch nicht verwendet.

Commissioning
In den letzten Jahren hat der Ansatz des „integrated Commissioning and Qualifica-
tion“ an Bedeutung gewonnen. Gemäß dem Good Practice Guide der ECA [8.17]
versteht man darunter „einen wissenschaftlich und risikobasierten Ansatz in Zusam-
menarbeit mit Lieferanten, der auf Qualitäts-Risikomanagement, wissenschaftlichem
Produkt- und Prozessverständnis und Anwendung der GEP- und GMP-Vorschriften in
enger Zusammenarbeit zwischen Pharmakunden und Lieferanten basiert“.
Im Standard ASTM E2500 [8.3] ist der Begriff Commissioning folgendermaßen de-
finiert: „Ein geplanter, kontrollierter und dokumentierter Ansatz beim Einrichten, An-
fahren, Einregulieren und Einstellen von Ausrüstungen, Anlagen und der Automati-
sierung sowie bei der Überprüfung ihrer Installation, Funktion und Leistung, um
diese in einen voll funktionsfähigen Zustand zu versetzen, der die Sicherheits- und
Benutzer-Anforderungen erfüllt.“
Die notwendigen Überprüfungen in Zuge der Inbetriebnahmetätigkeiten werden
von den Lieferanten der Produktionsanlagen üblicherweise in den folgenden Test-
phasen durchgeführt:
ƒ Factory Acceptance Test – FAT,
ƒ Site Acceptance Test – SAT.
268 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Der FAT – oder die Werksabnahme – findet dabei beim Lieferanten der Produk­
tionsanlagen noch vor deren Auslieferung statt und wird vom Lieferanten gewöhn-
lich gemeinsam mit dem Medizinproduktehersteller durchgeführt.
Der SAT – oder die Abnahme beim Medizinproduktehersteller vor Ort – findet nach
Auslieferung der Produktionsanlagen an ihrem finalen Aufstellungsort statt.
Ziel des „integrated Commissioning and Qualification“-Ansatzes ist es, die Com-
missioning-Tätigkeiten des Lieferanten vollständig in die Qualifizierungstätigkei-
ten des Medizinprodukteherstellers einzubinden, um einerseits doppeltes Testen
zu vermeiden und andererseits auftretenden Mängeln frühzeitig – am besten vor
Auslieferung der Anlagen – zu erkennen.
Analog zur IQ und OQ werden für diese Commissioning-Phasen FAT/SAT-Pläne
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und -Berichte erstellt, der Umfang der Prüfungen wird risikobasiert ermittelt, und
alle Prüfungen und Abweichungen werden gemäße GMP-Anforderungen doku-
mentiert. Dadurch kann in der Installationsqualifizierung – IQ bzw. in der Funkti-
onsqualifizierung (Operational Qualification) – OQ auf Prüfungen des FAT bzw. SAT
referenziert werden (siehe Abschnitt 8.3.3).

Validierung (Prozess-, Computer-, Methodenvalidierung)


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Validierung ist ein „dokumentierter Nachweis, der ein hohes Maß an Gewissheit er-
bringt, dass sämtliche die Produktqualität beeinflussenden Prozesse, Methoden oder
Systeme beständig Ergebnisse hervorbringen, die die im Voraus festgelegten Akzep-
tanzkriterien erfüllen“ [8.6].
Für die Durchführung der Prozessvalidierung sowie für die Methodenvalidierung
muss die Qualifizierung der entsprechenden Herstellanlagen und der eingesetzten
Analysengeräte abgeschlossen sein. Für eine ausführliche Beschreibung siehe Ka-
pitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung.
Computerisierte Systeme, die qualitätsrelevante Produktionsparameter steuern
bzw. überwachen und/oder Aufzeichnungen über Produktionsergebnisse speichern,
sind zu validieren (siehe dazu Abschnitt 8.5 in diesem Kapitel).

8.3.3 Ablauf der Qualifizierung – Qualifizierungsphasen


Für ein neues Medizinprodukt muss die Qualifizierung der qualitätsrelevanten
Herstellanlagen generell vor der Prozessvalidierung bzw. der routinemäßigen Her-
stellung des Medizinprodukts, also „prospektiv“, erfolgen. Das Ziel der Qualifizie-
rung ist es, dokumentiert nachzuweisen, dass die Herstellanlagen und Versor-
gungssysteme reproduzierbar innerhalb festgesetzter Bereiche arbeiten und zu
dem gewünschten Ergebnis (Produkt) führen. In Bild 8.3 ist der zeitliche Ablauf
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 269

der Qualifizierung dargestellt. Folgende Phasen werden dabei für neue Anlagen/
Geräte unterschieden:
ƒ Planung der Qualifizierung,
ƒ Designqualifizierung (DQ),
ƒ Installationsqualifizierung (IQ),
ƒ Funktionsqualifizierung (Operational Qualification – OQ),
ƒ Leistungsqualifizierung (Performance Qualification – PQ),
ƒ Abschluss der Qualifizierung.
Im Zuge der Qualifizierungsplanung werden einerseits die Rahmenbedingungen
für die Durchführung der Qualifizierung festgelegt, und andererseits wird der Um-
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fang der Qualifizierung definiert. Dafür wird als Planungsdokument ein „Validie-
rungs-/Qualifizierungsmasterplan“ erstellt.
Während der Durchführung der Qualifizierung wird in konsistenten Schritten do-
kumentiert nachgewiesen, dass die Anlagen entsprechend den Anforderungen ge-
plant/designt sind, dass sie entsprechend der Planung installiert sind, funktionie-
ren und dass sie die gewünschte Leistung bringen.
Allen Phasen gemeinsam ist, dass phasenspezifische Qualifizierungspläne und
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-berichte zu erstellen sind (Bild 8.4). Diese Dokumente müssen von entsprechend
qualifizierten oder befugten Personen erstellt, geprüft und genehmigt werden. Die
Verantwortlichkeiten für die Erstellung, Prüfung und Genehmigung von Qualifizie-
rungsdokumenten sowie der Prüfumfang sind im Zuge der Qualifizierungsplanung
festzulegen, z. B. im Validierungs-/Qualifizierungsmasterplan.
Um die Erstell- und Prüfschritte nachvollziehbar zu machen, sollen diese Doku-
mente, z. B. am Dokumentendeckblatt, von den entsprechenden Personen mit Da-
tum und Unterschrift unterzeichnet werden. Um die Unterschriften eindeutig zu-
ordnen zu können, sollte eine Unterschriftenliste geführt werden (z. B. als Anlage
zum jeweiligen Qualifizierungsbericht bzw. zum Validierungs-/Qualifizierungs-
masterplan).
Weiterhin ist eine sinnvolle Reihenfolge im Freigabe-Workflow einzuhalten (Erstel-
lung vor Prüfung; Prüfung vor Genehmigung). Es ist auch zu regeln, wann Qualifi-
zierungspläne und -berichte in Kraft treten (das kann z. B. nach der Genehmigung
der Dokumente mit der letzten Unterschrift erfolgen).
270 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Validierungsmaster-Plan VMP

DQ - DQ -
Plan Bericht

IQ - IQ -
Plan Bericht

OQ - OQ -
Plan Bericht
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PQ - PQ -
Plan Bericht

Qualifizierungs-
Durchführung abschlussbericht Bild 8.4 
Qualifizierungsphasen/-pläne und -berichte

In den Qualifizierungsplänen wird dabei spezifiziert, was und wie zu prüfen ist.
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Dabei sollen die einzelnen Prüfpunkte nummeriert werden, um eine Rückverfolg-


barkeit zu gewährleisten. Die Prüfpunkte müssen neben der Beschreibung der
durchzuführenden Prüfung auch das entsprechende Akzeptanzkriterium enthal-
ten (Bild 8.5).

Bild 8.5 Prüfpunkt im Qualifizierungsplan/-bericht


8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 271

TIPP:
Achten Sie bei der Erstellung von Qualifizierungsplänen darauf, dass die Akzep-
tanzkriterien auch wirklich prüfbar und messbar sind.

BEISPIEL:
Im Zuge der IQ soll im R&I-Check geprüft werden, ob der Einbauort/die Einbaulage
eines Temperatursensors gemäß den Spezifikationen (R&I, Datenblatt) erfolgt ist
(Tabelle 8.4).

Tabelle 8.4 Akzeptanzkriterien/Prüfpunkt (Beispiel)
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Nicht prüfbares Akzeptanzkriterium Prüfbares Akzeptanzkriterium


Eingebauter Temperatursensor entspricht Einbauort/Einbaulage des Temperatursen-
der Spezifikation sors TI 001 entspricht den Vorgaben der
Spezifikationen (R&I 001, Datenblatt ABC)

Die Qualifizierungspläne können erstellt werden, sobald die entsprechenden Prüf-


punkte bekannt sind. Mit der Durchführung der Prüfungen (z. B. IQ-Prüfungen)
darf jedoch erst begonnen werden, wenn der entsprechende Plan (z. B. IQ-Plan)
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erstellt, geprüft und genehmigt ist. Weiterhin sollte mit der Durchführung einer
Qualifizierungsphase erst begonnen werden, wenn der Qualifizierungsbericht der
vorherigen Phase abgeschlossen ist. Die Dokumentation der Qualifizierungsdurch-
führung kann z. B. im Qualifizierungsbericht erfolgen.
Die Qualifizierungsberichte sollen folgende Inhalte aufweisen:
ƒ Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Prüfungen (inklusive Quer-
verweis auf den Plan),
ƒ gegebenenfalls die Beschreibung von Abweichungen sowie die Beurteilung ih-
rer Auswirkungen,
ƒ Beschreibung von Änderungen zum Plan und ihre Begründung,
ƒ Empfehlung zur Mängelbeseitigung (Mängelliste),
ƒ eine formelle Freigabe für den Beginn der nächsten Qualifizierungsphase (An-
merkung: ist in der PQ nicht notwendig, wenn die Freigabe für die Validierung
im Zuge des Abschlusses der Qualifizierung erfolgt).

TIPP:
Achten Sie bei der Dokumentation von Ergebnissen darauf, dass diese vollständig
sind und leserlich dokumentiert werden.

272 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

BEISPIEL:
Vorgegebenes Akzeptanzkriterium
Die Temperatur muss sich innerhalb von 5 – 8,5 °C befinden (Tabelle 8.5).

Tabelle 8.5 Akzeptanzkriterium/Temperatur (Beispiel)
Falsche Dokumentation des Messwerts Richtige Dokumentation des Messwerts
Ja, die Temperatur befindet sich innerhalb Gemessene Temperatur: 6,4 °C
von 5 – 8,5 °C Akzeptanzkriterium erfüllt: Ja

Mängel und Abweichungen, die bei der Durchführung der Qualifizierung auftre-
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ten, können z. B. in einer Mängelliste zusammengefasst und dokumentiert werden.


Es macht Sinn, diese Mängelliste als eine Beilage zum jeweiligen Qualifizierungs-
bericht oder zum Validierungs- bzw. Qualifizierungsmasterplan zu führen.
Kritische Mängel  – also jene, die die Durchführung der nächsten Phase behin-
dern  – müssen vor Abschluss der aktuellen Qualifizierungsphase behoben wer-
den. Unkritische Mängel können offenbleiben und werden in der nächsten Phase
abgeschlossen bzw. neuerlich bewertet.
For personal use only.

BEISPIEL:
Kritischer/unkritischer Mangel
Installationsqualifizierung (IQ): R&I-Check
Anlage entspricht nicht dem R&I → kritischer Mangel, da Spezifikation nicht ein-
gehalten wurde.
R&I falsch – kritischer Mangel → Änderung des Spezifikationsdokuments.
Komponenten nicht beschriftet → kritisch, wenn Funktionen in OQ dadurch beein-
flusst werden könnten (z. B. manuelles Schalten von Ventilen); ansonsten unkritisch.

Für kleinere Anlagen/Geräte ist es sinnvoll, die einzelnen Qualifizierungsphasen


in einem einzigen Plan bzw. Bericht zusammenzufassen. Die Phasen sowie deren
zeitlich getrennte Abarbeitung und Freigabe sollten erkennbar bleiben. Der Um-
fang der Qualifizierung wird risikobasiert bestimmt.

8.3.3.1 Planung der Qualifizierung


Im Zuge der Qualifizierungsplanung sollen einerseits die Rahmenbedingungen für
die Durchführung der Qualifizierung festgelegt und soll andererseits der Umfang
der Qualifizierung definiert werden. Dafür muss ein Vorgabedokument  – z. B.
ein Plan – erstellt werden. In der Literatur ([8.6]) wird für diesen Plan häufig die
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 273

Bezeichnung Validierungsmasterplan (VMP) vorgeschlagen. Der Aufbau und die


Inhalte dieses Dokuments sind in Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung, be-
schrieben.
Für die Qualifizierung kann es sinnvoll sein, ein eigenes Planungsdokument zu
erstellen (z. B. bei großen Projekten oder für große Unternehmen). Dieser Qualifi-
zierungsmasterplan (QMP) soll eine kurze, präzise und deutliche Zusammenfas-
sung aller durchzuführenden Qualifizierungsaktivitäten sein und einen Überblick
über alle zu qualifizierenden Anlagen geben. Darin sind die firmenspezifische Um-
setzung der gesetzlichen Vorgaben bezüglich Qualifizierung sowie die firmeninter-
nen Begriffsdefinitionen darzustellen.
Ergänzend zu den Inhalten des VMP sind im QMP folgende Punkte zu beschreiben:
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ƒ Verantwortlichkeiten für und organisatorische Struktur der Qualifizierungs­


aktivitäten,
ƒ zusammenfassende Darstellung der zu qualifizierenden Einrichtungen, Anla-
gen und Ausrüstung (Firma, Produktionsstätte, Gebäude, Räume, Anlagen,
Medien),
ƒ Planung und Zeiteinteilung der Qualifizierungsaktivitäten (Liste oder Matrix
der Qualifizierungsprojekte mit den zu qualifizierenden Gebäuden, Anlagen,
For personal use only.

der Kontrollausrüstung sowie den zu erstellenden Dokumenten),


ƒ Verweise auf mitgeltende Dokumente (wie z. B. Arbeitsanweisungen für die
Qualifizierung),
ƒ Verantwortlichkeiten inklusive Schnittstellen (z. B. zu Prüfungen des Liefe-
ranten).

8.3.3.2 DQ, IQ, OQ, PQ

Definition Designqualifizierung (DQ)


Die Designqualifizierung ist eine dokumentierte Verifizierung, dass das für Ein-
richtungen, Anlagen und Ausrüstung vorgesehene Design für den entsprechenden
Verwendungszweck geeignet ist [8.13]. Im Zuge der Designqualifizierung (DQ) soll
nachgewiesen werden, dass alle Anforderungen an die Anlage – also die Betreiber­
anforderungen (Abschnitt 8.3.1 in diesem Kapitel) – ins Anlagendesign umgesetzt
wurden. Die Designqualifizierung ist demnach eine Überprüfung von Planungsun-
terlagen hinsichtlich ihrer Konformität mit den GMP- und den Betreiberanforde-
rungen und sollte durchgeführt werden, wenn die Planung der Anlagen weitge-
hend abgeschlossen ist und keine großen Änderungen mehr zu erwarten sind.
274 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Zur Durchführung der Designqualifizierung sollen unter anderem folgende geneh-


migte Dokumente vorhanden sein:
ƒ Betreiberanforderung und Anforderungen an die Infrastruktur (Lüftung,
­Medien etc.),
ƒ Zonenkonzept, Material- und Personalflusskonzept,
ƒ R&I-Schema (Rohrleitungs- und Instrumentierungsschema),
ƒ Datenblätter, technische Spezifikationen, Funktionsbeschreibungen der Anla-
gen bzw. der Anlagenteile,
ƒ Konstruktionszeichnungen, Layouts,
ƒ Funktionsspezifikation (FS) des computerisierten Systems,
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ƒ Instrumentenliste (Hardware) inklusive Instrumentierungsspezifikationen.


Typische DQ-Prüfungen sind z. B.:
ƒ Überprüfung, ob die notwendigen Spezifikationsdokumente der Produktions-
anlagen vorhanden und freigegeben sind (z. B. Pflichtenheft, R&I, Komponen-
tenliste, FS für Computersysteme),
ƒ Überprüfung, ob alle Anforderungen des Betreibers in den Spezifikationsdoku-
menten umgesetzt wurden (suitable for the intended use).
For personal use only.

Die DQ wird mit der Erstellung des DQ-Berichts abgeschlossen. Durch den DQ-­
Bericht wird bestätigt, dass das Anlagendesign und die Planungsunterlagen den
GMP- und Betreiberanforderungen entsprechen und keine Mängel vorliegen, die
die nachfolgende IQ behindern würden.

Definition Installationsqualifizierung (IQ)


Die Installationsqualifizierung ist eine dokumentiere Verifizierung, dass Einrich-
tungen, Anlagen und Ausrüstung, so, wie sie installiert oder modifiziert wurden,
mit dem genehmigten Design und den Empfehlungen des Herstellers übereinstim-
men [8.13]. Im Zuge der Installationsqualifizierung (IQ) soll nachgewiesen wer-
den, dass die Anlagen entsprechend der Planung installiert wurden. Daher muss
sie im Zusammenhang mit der Anlageninstallation durchgeführt werden. Mit der
Durchführung der IQ kann begonnen werden, nachdem der DQ-Bericht genehmigt
wurde. Um doppeltes Testen zu vermeiden, kann in der IQ auch auf die Prüfung
des FAT bzw. SAT verwiesen werden.
Typische IQ-Prüfungen sind unter anderem:
ƒ Überprüfung, ob die notwendigen Anlagendokumente des Systemlieferanten
vorhanden und gegebenenfalls freigegeben sind (z. B. Factory/Site Acceptance
Test – FAT/SAT, Bedienhandbücher, Wartungsvorschläge),
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 275

ƒ Wareneingangskontrollen, Überprüfung, ob die notwendigen Bescheinigungen


oder Zertifikate über spezifizierte Qualitäten vorhanden sind (z. B. CE-Prüfzei-
chen, Werkstoffnachweise etc.),
ƒ Überprüfung der korrekten Installation (z. B. R&I-Check, Aufstellungsprüfung,
Überprüfung der Anschlüsse der Infrastruktur/Medien, Überprüfung der Kali-
brierung),
ƒ Überprüfung des installierten Automationssystems.
Die IQ wird mit der Erstellung des IQ-Berichts abgeschlossen. Durch den IQ-Be-
richt wird bestätigt, dass die Installation der Anlage/des Systems in Übereinstim-
mung mit den genehmigten Designunterlagen, den Spezifikationen und allen rele-
vanten behördlichen Anforderungen erfolgt ist und keine Mängel vorliegen, die die
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nachfolgende OQ behindern würden.

Definition Operational Qualification (OQ)


Operational Qualification ist eine dokumentierte Verifizierung, dass Einrichtun-
gen, Anlagen und Ausrüstung, so, wie sie installiert oder modifiziert wurden, im
Rahmen der vorgesehenen Betriebsbereiche den Erwartungen gemäß funktio­
nieren [8.13]. Im Zuge der Funktionsqualifizierung bzw. Operational Qualification
For personal use only.

(OQ) soll nachgewiesen werden, dass die Anlagen entsprechend der Planung funk-
tionieren. Mit der Durchführung der OQ kann begonnen werden, nachdem der IQ-
Bericht genehmigt wurde. Um doppeltes Testen zu vermeiden, kann in der QQ ggf.
auch auf die Prüfung des FAT bzw. SAT verwiesen werden.
Typische OQ-Prüfungen sind unter anderem:
ƒ Überprüfung, ob die notwendige Betriebsdokumentation vorhanden und gege-
benenfalls freigegeben ist (z. B. Herstellvorschriften),
ƒ Überprüfung, ob die notwendigen Arbeitsanweisungen (für Bedienung, Reini-
gung, Wartung/Instandhaltung und Kalibrierung der Anlage) vorhanden und
geschult sind,
ƒ Überprüfung der Kalibrierdokumentation für qualitätsrelevante Messinstru-
mente, bevor mit der Aufzeichnung von OQ-Daten begonnen wird,
ƒ Tests von kritischen Prozessschritten, Parametern, Alarmen, Verriegelungen
(gegebenenfalls ermittelt durch die Risikoanalyse),
ƒ Tests von kritischen Funktionen (gegebenenfalls ermittelt durch eine Risiko-
analyse),
ƒ Alarm- und Stresstests.
Die OQ wird mit der Erstellung des OQ-Berichts abgeschlossen. Durch den OQ-Be-
richt wird bestätigt, dass die Anlage im Rahmen der vorgesehenen Arbeitsbereiche
wie spezifiziert arbeitet und keine Mängel vorliegen, die die nachfolgende PQ be-
hindern würden.
276 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Definition Performance Qualification (PQ)


Performance Qualification ist eine dokumentierte Verifizierung, dass Einrichtun-
gen, Anlagen und Ausrüstung, so, wie sie miteinander verbunden wurden, auf der
Grundlage der genehmigten Prozessmethode und Produktspezifikation effektiv
und reproduzierbar funktionieren [8.13]. Die Leistungsqualifizierung bzw. Perfor-
mance Qualification (PQ) von Prozessanlagen beinhaltet Leistungstests mit Produk-
tionsmaterial, Ersatzmaterial oder simulierten Produkten. Für diese Tests werden
Akzeptanzkriterien definiert, die auf der Grundlage der genehmigten Prozessme-
thode und den verfahrenstechnischen Anforderungen an die Anlage entwickelt
werden. Die Leistungstests sollten – wenn möglich – die oberen und unteren Be-
triebsgrenzen mit einschließen. Mit der Durchführung der PQ kann begonnen wer-
den, nachdem der OQ-Bericht genehmigt wurde.
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Typische PQ-Prüfungen sind unter anderem:


ƒ Leistungstests gemäß Prozessvorgaben,
ƒ Monitoring, Regelkarten, SPC (statistische Prozesskontrolle).
Eine PQ kann gegebenenfalls auch gemeinsam mit der Prozessvalidierung durch-
geführt werden (siehe dazu auch Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidierung). Die
PQ wird mit der Erstellung des PQ-Berichts abgeschlossen. Durch den PQ-Bericht
For personal use only.

wird bestätigt, dass das System über einen längeren Zeitraum gleichbleibend und
reproduzierbar innerhalb der vorgegebenen Bereiche arbeitet und spezifikations-
konforme Produktqualität liefert und keine Mängel vorliegen, die die nachfol­
genden Validierungsphasen, bzw. bei Medien den Betrieb der Anlage, behindern
würden.

8.3.3.3 Abschluss der Qualifizierung –


Qualifizierungsabschlussbericht
Als Antwort auf den Validierungs- bzw. Qualifizierungsmasterplan soll ein ab-
schließender Bericht erstellt werden – der Qualifizierungsabschlussbericht (QAB).
Dieser QAB soll folgende Punkte enthalten:
ƒ zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse aller zu qualifizierenden/vali-
dierenden Einrichtungen, Anlagen, Ausrüstungen und Prozesse,
ƒ Durchführung und Zeiteinteilung,
ƒ Änderungen/Abweichungen,
ƒ Abschluss der Mängelliste,
ƒ formaler Abschluss der Qualifizierungsaktivitäten.
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 277

8.3.4 Risikobasierte Qualifizierung
In der DIN EN ISO 13485 [8.9] und im 21 CFR 820 [8.5] ist gefordert, dass alle
Prozesse der Produktion sowie der Dienstleistungserbringung zu validieren sind,
deren Ergebnis nicht durch nachfolgende Erfassung oder Messung verifiziert wer-
den kann. Dieser Satz gilt also vornehmlich für die Prozessvalidierung. Für die
Qualifizierung, die auch Verifizierungstests beinhaltet, bedeutet dies, dass im Me-
dizinproduktebereich alle Herstellanlagen, Medien und Produktionsräume unter
GEP-/GMP-Kriterien getestet (qualifiziert) werden müssen, die Einfluss auf quali-
tätsrelevante Parameter des Produkts haben könnten.
Die Beurteilung, welche Systeme zu qualifizieren sind (Qualifizierungsumfang), ist
die erste Stufe in einem risikobasierten Qualifizierungsansatz. In der zweiten Stufe
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ist nachfolgend für alle qualifizierungsrelevanten Systeme die Qualifizierungstiefe


zu bestimmen. Der risikobasierte Ansatz für die Qualifizierung ist also zweistufig
aufgebaut und wird im Folgenden beschrieben.

8.3.4.1 Bestimmung des Qualifizierungsumfanges –


Impact Assessment
Am Beginn der Qualifizierung stellt sich als erstes die Frage, welche Prozessanla-
For personal use only.

gen überhaupt zu qualifizieren sind. Diese Beurteilung erfolgt auf Systemebene


und wird auch als Impact Assessment (IA) bezeichnet und sollte im Zuge der Quali-
fizierungsplanung (QMP) durchgeführt werden.
Im IA wird der Einfluss der Prozessanlagen auf die Qualität bzw. die Sicherheit des
Medizinprodukts bewertet und die Prozessanlagen werden in kritische und nicht
kritische eingeteilt. Dazu sollten alle Herstellanlagen, Versorgungssysteme/Me-
dien, Produktionsräume und Geräte aufgelistet werden, die für die Herstellung des
Medizinprodukts bzw. seiner Komponenten verwendet werden. Danach kann beur-
teilt werden, ob diese Anlagen einen Einfluss auf ein kritisches Qualitätsattribut
der herzustellenden Komponente/des herzustellenden Medizinprodukts haben
und damit die Qualität bzw. die Sicherheit des fertigen Medizinprodukts beeinflus-
sen könnten.
Die kritischen Qualitätsattribute (cQA) des Produkts entsprechen dabei den quali-
tativen und quantitativen Merkmalen eines Medizinprodukts (z. B. Sterilität  –
siehe nachfolgendes Beispiel).
278 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

BEISPIEL:
Kritische Qualitätsattribute (qualitative und quantitative Merkmale = cQA) einer
Vakuumflasche
ƒ Material: Glas
ƒ Größe: 250 ml
ƒ steril
ƒ pyrogenfrei
etc.
(Zweckbestimmung: zum Aderlass, zur Reinfusion)

Die Festlegung des Qualifizierungsumfangs mittels Impact Assessment kann z. B.


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anhand folgender Fragestellungen durchgeführt werden (wobei diese Liste pro-


dukt-/branchenspezifisch ergänzt werden sollte):
ƒ Stellt die Anlage ein Medizinprodukt/eine Komponente mit einem kritischen
Qualitätsattribut her?
ƒ Kann die Anlage ein kritisches Qualitätsattribut beeinflussen?
ƒ Kontrolliert die Anlage die Einhaltung von kritischen Qualitätsattributen – In-
Prozess-Kontrollen (IPK), Endproduktkontrollen (EPK)?
For personal use only.

ƒ Hat die Anlage Einfluss auf die Reinigung oder Sterilisation des Medizinpro-
dukts?
ƒ Werden von der Anlage qualitätsrelevante Prozessdaten, Daten zur Rückver-
folgbarkeit, Daten zur Produktbeurteilung erzeugt und/oder elektronisch ver-
arbeitet?
Ist eine Frage für eine Prozessanlage mit „Ja“ zu beantworten, so ist diese als qua-
lifizierungsrelevant einzustufen. Das Impact Assessment legt den Umfang der Qua-
lifizierung fest, sagt jedoch noch nichts über die „Qualifizierungstiefe“ – also die
notwendigen Prüfungen im Zuge von Commissioning und Qualifizierung aus.
Diese C&Q-Prüfungen werden für qualifizierungsrelevante Prozessanlagen durch
eine weitere Risikobeurteilung – meist in Form einer Fehler- Möglichkeits- und
Einflussanalyse (FMEA) – definiert.
Wird im Impact Assessment einer Prozessanlage keine Frage mit „Ja“ beantwortet,
so hat diese keinen Einfluss auf die Qualität bzw. die Sicherheit eines Medizinpro-
dukts und kann ausschließlich im Zuge der Inbetriebnahme (Commissioning) im
FAT und SAT überprüft werden.

8.3.4.2 Bestimmung der Qualifizierungstiefe


Ist eine Anlage/ein System im Impact Assessment (IA) als qualifizierungsrelevant
eingestuft worden, so ist in einer weiteren Risikobeurteilung die Qualifizierungs­
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 279

tiefe zu definieren. Dazu hat sich folgende Vorgehensweise als effektiv und umfas-
send erwiesen:
ƒ Definition der Prozessparameter/Einflussgrößen der Anlage/des Systems, die
die Qualität des herzustellenden Produkts beeinflussen können,
ƒ Ermittlung und Bewertung der Risiken, die diese Prozessparameter/Einfluss-
größen negativ beeinflussen könnten, und
ƒ Festlegung der risikoreduzierenden Maßnahmen und damit der Commissio-
ning- und Qualifizierungsprüfungen (Qualifizierungstiefe).

Definition der Prozessparameter bzw. Einflussgrößen


Damit ein Medizinprodukt hergestellt werden kann, das die kritischen Quali-
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tätsattribute (cQA) erfüllt, müssen Prozessanlagen entsprechend geplant und aus-


geführt sein und es müssen während der Produktion definierte Prozessparameter
eingehalten werden können. Diese Einflussgrößen werden als kritische Aspekte
(cAS) bzw. kritische Prozessparamater(cPP) bezeichnet.
In der Produktentwicklung (siehe Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten)
werden die Anforderungen an das Medizinprodukt spezifiziert und somit gleich-
zeitig die „Output-Parameter“ der Produktion festgelegt (z. B. Sterilität der Vaku-
For personal use only.

umflasche).
Auf Basis der Produktanforderungen werden die Anforderungen an die Prozess­
anlage in der User Requirement Specification (URS) definiert (siehe Bild 8.6). Hier
wird auch die erste Einstufung bzgl. GMP-Kritikalität der einzelnen Anforderun-
gen vorgenommen (siehe Abschnitt 8.3.1)

p T

URS:
- Druck = min. 1 bar (cPP)
Produkt- Prozess: - Temperatur = min. 121 °C (cPP)
entwicklung: Autoklavieren - Zeit Autoklavieren =
- Flasche = min. 20 min (cPP)
steril (cQA) - Sensoren: PICA, TICA (cAS)
- Entleerbarkeit (cAS)
- …………

Medizinprodukt: Prozessanlage:
Vakuumflasche Autoklave
Bild 8.6 Zusammenhang zwischen den Produktanforderungen und den Anforderungen an die
Prozessanlage
280 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Um die notwendigen Überprüfungen im Zuge des Commissioning und der Qualifi-


zierung von Prozessanlagen festzulegen, wird auf Basis der URS eine Risikobeur-
teilung durchgeführt – hierzu hat sich die Methode der FMEA bewährt.
Dazu werden im ersten Schritt der FMEA – der Risikoidentifikation und Analyse –
die Risiken der Produktionsanlage bzw. des Produktionsschrittes ermittelt, die
Einfluss auf die Produktqualität bzw. auf die kritischen Aspekte (cAS) und kriti-
schen Prozessparamater (cPP) haben können.
Im nächsten Schritt der FMEA – der Risikobewertung – werden diese Risiken hin-
sichtlich ihrer GMP-Relevanz bewertet. Daraufhin wird im Zug der Risikokontrolle
definiert, welche Maßnahmen geeignet sind, um das Risiko auf ein akzeptables
Maß zu reduzieren. Diese Maßnahmen legen gleichzeitig den Umfang des Commis-
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sioning bzw. der Qualifizierung fest.

Risikoidentifikation und Analyse


Im Zuge der Risikoidentifikation und Analyse werden die Risiken der Produktions-
anlage bzw. des Produktionsschritts ermittelt, die Einfluss auf die Produktqualität
bzw. auf die kritischen Aspekte (cAS) und kritischen Prozessparamater(cPP) ha-
ben können. Dazu werden folgende Fragen gestellt (siehe auch Bild 8.7):
For personal use only.

ƒ Welche Fehler können in der Anlage/im System auftreten?


ƒ Welche Fehlerursachen können den Fehler auslösen?
ƒ Welche Auswirkungen/Fehlerfolgen kann der Fehler haben?
Wichtig dabei ist, dass jeder Fehler unabhängig betrachtet wird [8.18].

Autretenswahrscheinlichkeit

Ursache Fehler Folge

Entdeckungs- Bedeutung der


wahrscheinlichkeit Auswirkung

Bild 8.7 Risikoidentifizierung und -analyse für Commissioning und Qualifizierung

Um die Risikoidentifizierung und -analyse schnell und umfassend durchführen zu


können, hat es sich bewährt, die FMEA mit der grafischen Methode des Ishikawa-
Diagramms zu kombinieren.

Risikoidentifizierung und -analyse mittels Ishikawa-Diagramm


Damit die FMEA und das Ishikawa-Diagramm umfassend kombiniert werden kön-
nen, muss das klassische Ishikawa-Diagramm gemäß Bild 8.8 modifiziert werden.
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 281

Ausgehend von einer Fehlerfolge, die am rechten Ende der „Hauptgräte“ darge-
stellt ist, können dann zum Beispiel über die Ursachengruppen der „5 Ms“  –
Mensch, Maschine, Material, Methode, Milieu  – und deren zugehörige Detailur­
sachen die möglichen Fehler ermittelt werden (siehe Bild 8.8).
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For personal use only.

Bild 8.8 Risikoidentifizierung mittels Ishikawa-Diagramm

Dafür müssen alle kritischen Fehlerfolgen definiert werden, die Einfluss auf die
Produktqualität haben können. Die Fehlerfolgen entsprechen der Nichteinhaltung
der Spezifikation der kritischen Prozessparameter (cPP) bzw. kritischen Aspekte
(cAS) (siehe Tabelle 8.6).
Ausgehend von diesen Fehlerfolgen kann die Risikoidentifikation mittels Ishikawa-
Diagrammen sehr gezielt erfolgen, wobei man sich wirklich nur auf die relevanten
Risiken konzentriert und damit viel Diskussion und Zeit spart.

Tabelle 8.6 Definition der Fehlerfolgen (Beispiel)


cQA-Vakuumflasche CPP-Autoklav Mögliche Fehlerfolgen
(beim Autoklavieren)
Glasflasche ist steril Temperatur im Autoklav Temperatur im Autoklav
= min. 121 °C < 121 °C
  Druck im Autoklav Druck im Autoklav
= min. 1 bar < 1 bar
  Sterilisationszeit Sterilisationszeit
= min. 20 min < 20 min
282 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

TIPP:
Um bei der Risikoidentifikation und Analyse Zeit zu sparen und um sich auf die
wirklich relevanten Risiken konzentrieren zu können, hat es sich als praktikabel
erwiesen, von der Fehlerfolge auszugehen. Dabei werden zuerst alle Fehlerfolgen
des zu betrachtenden Systems (Prozess, Produkt, Equipment etc.) ermittelt und
bewertet.
Nur für die Fehlerfolgen, die eine Bedeutung für das zu betrachtende System
haben, werden im Anschluss – z. B. mittels Ishikawa-Diagramm – die korrespon-
dierenden Fehler/Fehlerursachen ermittelt.

Die wesentlichen Vorteile dieser strukturierten Vorgehensweise sind Folgende:


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ƒ umfassende Fehlersuche, da wirklich alle qualitätsbeeinflussenden Parameter


(CPP) (durch Vorgabe der Fehlerfolgen) bzw. alle Einflussfaktoren (über die
5 M des Ishikawa-Diagramms) untersucht werden,
ƒ bessere Übersicht bei der Fehlersuche durch grafische Darstellung,
ƒ Zeitersparnis, da über das Ishikawa-Diagramm nur die relevanten Fehler (qua-
litätsbeeinflussende, gegebenenfalls sicherheitsrelevante) gesucht werden,
ƒ Vermeidung von unnötigen Diskussionen (z. B. „Ist das ein Fehler oder eine
For personal use only.

Ursache?“) und damit höhere Effektivität.


Nach erfolgter Identifikation werden die Fehler/Folgen/Ursachen in ein FMEA-
Formblatt übertragen.

BEACHTE:
Es gibt hilfreiche Softwaretools, die Ishikawa-Diagramme und FMEAs simultan
erstellen können.

In der FMEA können dann die nächsten Schritte – die Bewertung der Risiken s­ owie
die Definition von Maßnahmen zur Risikobeherrschung – erfolgen.

Risikobewertung
Die Bewertung der ermittelten Risiken wird im Bereich der Qualifizierung anhand
folgender Kriterien durchgeführt:
ƒ der Auftretenswahrscheinlichkeit des Fehlers (A) bedingt durch seine Ursache,
ƒ der Entdeckungswahrscheinlichkeit des Fehlers (E) in der Anlage/im System,
ƒ Bedeutung der Fehlerfolge (B).
Die FMEA ist eine quantitative Risikoanalyse. Bei der Bewertung der Risiken in
der Qualifizierung werden der Auftretenswahrscheinlichkeit (A) und Entdeckungs-
wahrscheinlichkeit (E) des Fehlers sowie der Bedeutung der Fehlerfolge (B) Zah-
lenwerte zugeordnet.
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 283

Außerdem muss die Bewertung dieser Kriterien unabhängig voneinander erfolgen


und sollte auf vordefinierten Standards/Zahlenwerten beruhen.
Die Bewertungskataloge für A, B und  E müssen vom Medizinproduktehersteller
selbst definiert werden.
Dabei soll neben der Definition der Zahlenwerte auch eine Beschreibung ihrer Be-
deutung gemacht werden (siehe dazu auch Kapitel 2, Risikomanagement).
Für die Bewertung wird in der Automobilindustrie oft eine Skala von 1 bis 10 ver-
wendet [8.18]. Für den Medizinproduktebereich hat sich eine drei- bis fünfstufige
Skala als ausreichend erwiesen.
Bei den Bewertungskriterien ist auch darauf zu achten, dass einer hohen Auftre-
tenswahrscheinlichkeit eine hohe Bewertung (z. B. A = 5) zugeordnet wird. Bei der
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Entdeckungswahrscheinlichkeit verhält es sich genau umgekehrt. Hier ist einer


hohen Entdeckungswahrscheinlichkeit ein niedriger Zahlenwert zuzuordnen (z. B.
E = 1).

MERKE:
Die Zahlenwerte für die Auftritts- und Entdeckungswahrscheinlichkeit sind gegen-
läufig.
For personal use only.

Bei der Qualifizierung von Prozessanlagen wird – im Gegensatz zur Produktent-


wicklung  – auch die Entdeckungswahrscheinlichkeit (E) des Fehlers bei der Be-
wertung des Risikos mit in Betracht gezogen. Das macht Sinn, da man im jeweili-
gen Produktionsschritt die Möglichkeit hat, Kontrollmaßnahmen zu definieren, die
ƒ das Auftreten eines Fehlers frühzeitig erkennen und durch entsprechende
Steuerung/Regelung der Anlage das Auftreten des Fehlers vermeiden helfen
(In-Prozess-Kontrollen) sowie
ƒ fehlerhafte (Zwischen-)Produkte sofort erkennen und aus dem Fertigungspro-
zess ausscheiden – Kontrollen: in Ordnung (iO)/nicht in Ordnung (niO).

Beurteilung der Risiken mittels Risikoprioritätszahl (RPZ)


In der FMEA wird für die Beurteilung eines Risikos die Risikoprioritätszahl (RPZ)
ermittelt. Dazu werden die drei Faktoren A (Auftretenswahrscheinlichkeit) bzw.
E (Entdeckungswahrscheinlichkeit) und B (Bedeutung) miteinander multipliziert.
Dabei gilt, je höher der Zahlenwert der RPZ, desto höher das Risiko (RPZ = 1, nied-
riges Risiko; RPZ = 125, hohes Risiko bei Annahme einer 5-stufigen Bewertungs-
skala).
284 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

MERKE:
RPZ = A B E
(Risikoprioritätszahl = Auftretenswahrscheinlichkeit · Bedeutung · Entdeckungs-
wahrscheinlichkeit)

Die RPZ gilt als Kennzahl dafür, ob ein Risiko ausreichend kontrolliert ist. Befindet
sich die RPZ über einem vorab definierten Grenzwert, so gilt das Risiko als nicht
ausreichend kontrolliert und es müssen Maßnahmen zur Reduktion des Risikos
definiert werden. Dazu muss zuerst festgelegt werden, ab wann ein Risiko nicht
mehr akzeptabel ist. Diese Festlegung ist unternehmensspezifisch zu treffen. In
der FMEA wird dazu z. B. ein Grenzwert (eine bestimmte Zahl) für die Akzeptanz
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des Risikos festgelegt.


Durch die numerische Darstellung des akzeptablen Risikos geht allerdings Infor-
mation verloren. Risiken mit der gleichen RPZ können unterschiedliche Auswir-
kungen auf die Produktsicherheit bzw. Produktqualität haben.

BEISPIEL:
RPZ = 24
For personal use only.

Risiko 1: B = 4, A = 3, E = 2 → Einfluss auf Produktsicherheit bzw. Produktqualität


hoch
Risiko 2: B = 2, A = 3, E = 4 → Einfluss auf Produktsicherheit bzw. Produktqualität
niedrig

Daher kann es sinnvoll sein, einen „Zwischenbereich“ zu definieren, in dem – bei


einer hohen Bedeutung der Fehlerfolge und damit gegebenenfalls einem nicht ak-
zeptablen Risiko bezüglich Produktsicherheit bzw. Produktqualität  – das Risiko-
managementteam entscheidet, ob das Risiko akzeptabel ist oder ob Maßnahmen
zur Risikominderung getroffen werden müssen (siehe Bild 8.9, rechter Teil).
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 285

125

RPZ
Maßnahmen müssen
RPZ > 24 Maßnahmen müssen definiert werden
definiert werden
RPZ = 26

Team entscheidet bei B = 4 od. 5,


ob Maßnahmen erforderlich sind
RPZ 24
Keine Maßnahmen RPZ = 16
erforderlich Keine Maßnahmen
erforderlich

1
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Bild 8.9 Grenzwerte für einen fünfstufigen Bewertungskatalog

Weiterhin ist es auch möglich, dass ein Risiko über dem Grenzwert liegt (z. B.
RPZ  =  25), obwohl die Folge keinen Einfluss auf die Produktqualität hat (z. B.
B  =  1). Um dem Rechnung zu tragen, ist es sinnvoll, neben der Definition von
Grenzwerten noch Zusatzregeln aufzustellen, wie:
ƒ Für kritische Risiken muss eine gesonderte Betrachtung erfolgen, auch wenn
For personal use only.

die RPZ unter dem Grenzwert liegt. Es muss beurteilt werden, ob trotzdem
Maßnahmen zur Risikoreduzierung notwendig sind (siehe Bild 8.9, rechter
Teil).
ƒ Für unkritische Risiken (z. B. B = 1) müssen nicht unbedingt Maßnahmen ge-
setzt werden, auch wenn die RPZ über dem Grenzwert liegt.
Auch die Schritte der Risikobewertung und Risikobeurteilung werden in das
FMEA-Formblatt eingetragen (siehe Bild 8.10).

Ursache A Fehler E Folge B Maßnahme RPZ

Montage- Undichtheit Produkt- IQ-Prüfung


3 1 5 15
fehler Rohrverbindung kontamination (Drucktest)

Bild 8.10 FMEA-Formblatt (Beispiel einstufig)


286 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Risikobeherrschung
Wenn sich die RPZ über einem vorab definierten Grenzwert befindet, so gilt das
Risiko als nicht ausreichend kontrolliert, und es müssen Maßnahmen zur Beherr-
schung des Risikos definiert werden.
Dabei müssen folgende Fragestellungen betrachtet werden:
ƒ Was kann man tun, um zu hohe Risiken zu vermeiden oder zu vermindern?
ƒ Ist das verbleibende (Rest-)Risiko akzeptabel oder sind weitere Maßnahmen
notwendig?
ƒ Sind durch Maßnahmen neue Risiken aufgetreten?
Maßnahmen zur Risikoreduktion können sich dabei auf die Verringerung der Auf-
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tretenswahrscheinlichkeit (Vorbeugungsmaßnahmen, Korrekturmaßnahmen) bzw.


der Entdeckungswahrscheinlichkeit (Kontrollmaßnahmen) beziehen.
Alle getroffenen Maßnahmen zur Risikoreduzierung werden in das FMEA-Form-
blatt eingetragen (siehe Tabelle 8.7).

Tabelle 8.7 Risikobasierte Definition von Qualifizierungsmaßnahmen (Beispiel)


Fehler E Ursache A Folge B RPZ
For personal use only.

(A · B · E)
Falscher Messwert 4 Fehlfunktion 3 Temperatur im 5 60
Temperatursensor Autoklav <
T001 121 °C

Maßnahmen im Zuge der Qualifizierung E A B RPZ (2)


(2) (2) (2)
Überprüfung der Kalibrierung des Temperatursensors 1 2 5 10
T001 (IQ)
Funktionsprüfung der Messkette des T001 (OQ)
Überprüfung auf Vorhandensein der SOP-Wartung/
Kalibrierung
A, E, B: Zahlenwerte zwischen 1 und 5 mit vordefinierten Bewertungen;
Beispiel: B = 5, Fehler kann zu Abweichungen führen, sodass Anwender/Patienten zu
Schaden kommen.
E (2), A (2), B (2), RPZ (2): nach Setzung der Maßnahme

In Tabelle 8.7 ist eine zweistufige FMEA dargestellt. Prinzipiell kann für die Quali-
fizierung eine einstufige oder eine zweistufige FMEA verwendet werden.
In einer einstufigen FMEA werden nach dem Auffinden von Fehler, Folge und Ur-
sache entsprechende Maßnahmen zur Risikoreduktion definiert, und danach wird
die Risikobeurteilung durchgeführt. Die Definition von Maßnahmen erfolgt so
8.3 GEP-/GMP-konforme Produktion 287

lange, bis die RPZ unter dem festgelegten Grenzwert liegt, das verbleibende (Rest-)
Risiko also akzeptabel ist.

BEACHTE:
Ein Hersteller kann das „akzeptable Risiko“ nicht beliebig festlegen, sondern muss
das Risiko „so gering wie mit vertretbarem Aufwand möglich“ festlegen. Erhöhte
Kosten sind kein Argument, primäre risikomindernde Maßnahmen nicht zu reali-
sieren.

Bei der zweistufigen FMEA wird eine zusätzliche Risikobeurteilung vor der Defini-
tion von Maßnahmen durchgeführt – es gibt also eine zweite Beurteilung der Risiko-
prioritätszahlen. Durch die erste Beurteilung soll ermittelt werden, ob ein Risiko
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überhaupt kritisch ist. Nur für kritische Risiken müssen dann Maßnahmen defi-
niert werden, so lange, bis das verbleibende (Rest-)Risiko akzeptabel ist.
Die zweistufige FMEA ist zwar in der Durchführung ein wenig aufwendiger, hat
jedoch den Vorteil, dass nur Maßnahmen festgelegt werden, die für die Risiko­
reduktion wirklich wirksam sind.
Maßnahmen in der Qualifizierung können z. B. sein:
For personal use only.

ƒ Prüfungen im Zuge der Qualifizierung (DQ, IQ, OQ, PQ),


ƒ Einführung zusätzlicher Qualitätsprüfungen (z. B. IPK, EPK),
ƒ Änderung im Anlagendesign (als worst case),
ƒ Einführung zusätzlicher Punkte im Zuge der vorbeugenden Wartung/Instand-
haltung,
ƒ Erstellung von zusätzlichen Arbeitsanweisungen und deren Schulung.
Werden in einer FMEA Maßnahmen definiert, so sind diese Maßnahmen in der
nachfolgenden Qualifizierung bzw. bei einem integrierten C&Q-Ansatz auch im
Commissioning (siehe „Commissioning“- im Abschnitt 8.3.2.2) zu testen. Die risiko-
reduzierenden Maßnahmen der FMEA definieren also gleichzeitig die Qualifizie-
rungstiefe (Tabelle 8.7).
Die Durchführung der Risikoanalyse zur Festlegung der Qualifizierungstiefe sollte
im Zuge der DQ durchgeführt werden, um etwaige Planungsfehler frühzeitig er-
kennen und alle notwendigen Qualifizierungstests definieren zu können.

TIPP:
Nicht alle Qualifizierungstests müssen aus der Risikoanalyse kommen. Standard-
prüfungen – wie z. B. die Überprüfung der korrekten Beschriftung von Bauteilen
vor Ort – können in anderen Dokumenten (z. B. SOPs, Vorlagen für Qualifizierungs-
pläne etc.) festgelegt werden.

288 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Werden in einer FMEA Maßnahmen definiert, so ist auch zu prüfen, ob diese Maß-
nahmen ein neues Risiko verursachen können. Der Risikomanagementprozess
ist – beginnend bei der Risikoidentifikation – neu zu starten, und die Ergebnisse
werden in die FMEA-Tabelle eingetragen.

„ 8.4 GMP-konformes Anlagendesign
Um die GMP-Grundsätze an Produktionsanlagen und Produktionsräume zu erfül-
len, müssen „Räumlichkeiten und Anlagen so angeordnet, geplant, konstruiert, nach-
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gerüstet und instand gehalten sein, dass sie für die vorgesehenen Arbeitsgänge geeig-
net sind“ [8.19]. Weiterhin muss gemäß diesen Grundsätzen gewährleistet sein,
dass ihre Anordnung und Gestaltung so ausgeführt ist, dass eine gründliche Reini-
gung und Wartung möglich ist und die Produktqualität durch die Produktionsanla-
gen und Produktionsräume nicht beeinträchtigt wird. Im Folgenden werden diese
Anforderungen konkretisiert, und die Umsetzung in die Praxis wird beschrieben.
For personal use only.

8.4.1 Anforderungen an Produktionsräume
Im GMP-Bereich müssen Produktionsräume „für die vorgesehenen Arbeitsgänge ge-
eignet sein“. Das heißt, sie müssen so gestaltet sein, dass sie das Produkt und/oder
das Personal und/oder die Umgebung nicht negativ beeinflussen. Herstellbereiche
(Produktionsräume, Lagerbereiche etc.) sind also entsprechend den Anforderun-
gen und den Risiken des herzustellenden Produkts in Hygienezonen bzw. Rein-
raumklassen einzuteilen.
Um die Hygiene im Betrieb zu gewährleisten, ist neben der Personalhygiene (Klei-
dung und Verhalten der Mitarbeiter) und der Produktionshygiene (Produkthand-
habung/Anlagenreinigung) auch ein GMP-gerechtes Design der Herstellbereiche
notwendig.
Die Anforderungen an die Produktions- und Lagerräume sowie gegebenenfalls die
Kontrolllabors sind gemäß den Anforderungen des herzustellenden/prüfenden
Produkts zu definieren. Dabei sind z. B. folgende Punkte zu beachten/festzulegen:
ƒ Anordnung und ausreichende Größe der Produktions- und Lagerräume (z. B.
auch für die Bereitstellung und Zwischenlagerung von Materialien),
ƒ Abgrenzung der Räume (Zonenkonzept, Schalenmodelle, Schleusen),
ƒ Druckstufen-/Überströmungskonzepte,
ƒ kreuzungsfreier und reibungsloser Personal- und Materialfluss,
8.4 GMP-konformes Anlagendesign 289

ƒ benötigte Reinraumklassen (zulässige Grenzwerte für Partikel und Mikroorga-


nismen; Strömungsarten/-geschwindigkeiten; notwendige Luftwechsel; Filtra-
tion der Zu-/Abluft),
ƒ gegebenenfalls Klimatisierung von Räumen über raumlufttechnische (RLT)
Anlagen (zulässige Grenzwerte für Temperatur und relative Feuchte müssen
festgelegt sein),
ƒ Regelung und Monitoring der physikalischen Bedingungen (Druck, Tempera-
tur und relative Feuchte),
ƒ Kalibrierung von Aufzeichnungs- und Kontrollausrüstungen,
ƒ präventive Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen,
ƒ Zutrittskonzept zu Gebäuden/Räumen (Zutritt nur für autorisiertes Personal),
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ƒ Ausführung von Wänden, Decken, Böden und Einbauten (glatt, inert, leicht zu
reinigen und zu desinfizieren; resistent gegen Reinigungsmittel und sonstige
Stoffe),
ƒ Ausführung von Übergängen (z. B. Hohlkehlen),
ƒ Abwehr und Bekämpfung von Schädlingen.
Die Einhaltung der zulässigen Grenzwerte kann gegebenenfalls den Einsatz von
For personal use only.

Lüftungs- und Klimaanlagen erfordern und muss über ein valides Monitoring-Sys-
tem sichergestellt und dokumentiert werden.
Folgende technische Dokumente sind für eine GMP-konforme Planung, Errichtung
und Instandhaltung von Produktionsräumen zu erstellen bzw. vom Lieferanten zu
fordern:
ƒ Betreiberanforderung/Lastenheft,
ƒ Gebäudelayout/Raumplan,
ƒ Raumbuch,
ƒ Zonenkonzept inklusive Reinraumklassen, Differenzdruck-/Überströmungs-
konzepte,
ƒ Personal- und Materialflussplan,
ƒ Datenblätter, technische Spezifikationen, Konstruktionszeichnungen (Wände,
Decken, Böden, Einbauten),
ƒ Arbeitsanweisungen für Betrieb, Reinigung, Wartung/Instandhaltung, Ände-
rungsdienst,
ƒ Kalibrierdokumentation von Messgeräten,
ƒ Dokumentation der Wareneingangskontrolle,
ƒ Abnahmetests (z. B. Filterintegritätstest)
etc.
290 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

8.4.2 Anforderungen an Produktionsanlagen
Im GMP-Bereich müssen Produktionsanlagen analog zu den Produktionsräumen
„für die vorgesehenen Arbeitsgänge geeignet sein“. Das heißt, sie müssen so gestaltet
sein, dass mit ihnen das Produkt spezifikationsgemäß hergestellt werden kann
und die Reinheitsanforderungen an das Produkt eingehalten werden. Die Anforde-
rungen an die Produktionsanlagen sind gemäß den Anforderungen des herzustel-
lenden/prüfenden Produkts zu definieren. Dabei sind z. B. folgende Punkte zu be-
achten/festzulegen:
ƒ Ausführung von Anlagen/Anlagenteilen (Anlagenteile sollen im Betrieb, für
die Reinigung und Wartung einfach und schnell und möglichst ohne Werkzeug
austauschbar sein; alle Bauteile sollten gut zugänglich sein; Einsatz von
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wartungsfreien/-armen Komponenten),
ƒ Hygienic Design (leicht zu reinigende, totraumarme Ausführung, Entleerbarkeit,
Vermeidung von Kreuzkontamination durch z. B. geschlossene Systeme etc.),
ƒ Bauteile dürfen keine Partikel, Öl oder Abrieb an das Produkt abgeben (Einsatz
von entsprechenden Materialien/Werkstoffen, die beständig gegen die einge-
setzten Medien und Reinigungsmittel sind; Einsatz von geeigneten Motoren/
For personal use only.

Antrieben etc.),
ƒ Ausführung und Verarbeitung von Stählen/Edelstählen (z. B. Schwarz-Weiß-
Trennung bei Lagerung und Verarbeitung, Festlegung von Schweißverfahren
und Anforderungen an Schweißnahtbearbeitung und Oberflächenrauigkeiten,
Werkstoffzertifikate),
ƒ Ausführung von lösbaren Verbindungen (diese sollten so weit wie möglich ver-
mieden werden und möglichst totraumarm ausgeführt sein, z. B. durch Flansch
oder Tri-Clamp-Verbindungen),
ƒ Einsatz von beständigen Dichtwerkstoffen für produktberührende Dichtun-
gen/Membrane,
ƒ gegebenenfalls automatisierte Reinigungs-/Sterilisationsverfahren für Anla-
gen/Anlagenteile (CIP/SIP),
ƒ Anforderungen an Medien (Qualitäts-, Reinheitsanforderungen von Prozess-
wasser, Gasen etc.),
ƒ Anforderungen an die Anlagenreinigung (WIP/CIP/SIP-Anlagen  – washing/
cleaning/sterilization in place),
ƒ Regelung und Monitoring von kritischen Prozessparametern,
ƒ Kennzeichnung von Anlagen/Anlagenteilen,
ƒ Kalibrierung von Mess-, Wäge-, Aufzeichnungs- und Kontrollausrüstungen,
ƒ präventive Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen.
8.4 GMP-konformes Anlagendesign 291

Folgende technische Dokumente sind für eine GMP-konforme Planung, Errichtung


und Instandhaltung von Produktionsanlagen zu erstellen bzw. vom Lieferanten zu
fordern:
ƒ Spezifikationsdokumente, Zeichnungen, Schemata, Anweisungen:
ƒ Betreiberanforderung (Lastenheft),
ƒ Pflichtenheft/Funktionsbeschreibung,
ƒ Fließdiagramme,
ƒ Konstruktionszeichnungen, Aufstellungspläne,
ƒ Rohrleitungs- und Instrumentierungsdiagramme (R&I),
ƒ Datenblätter, technische Spezifikationen,
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ƒ Armaturen-/Bauteil-/Komponentenlisten,
ƒ Arbeitsanweisungen bzw. Bedienungsanleitungen für Betrieb, Reinigung,
Wartung/Instandhaltung, Änderungsdienst etc.
ƒ Prüfzeugnisse und Zertifikate:
ƒ Materialzertifikate (Werkstoffnachweise aller produktberührenden Materi-
alien: Abnahmeprüfzeugnis für metallische Erzeugnisse, FDA-Konformi-
For personal use only.

tätsbescheinigungen),
ƒ Schweißnahtdokumentation, Schweißproben,
ƒ gesetzlich geforderte Zertifikate (z. B. EG-Konformitätsbescheinigung),
ƒ Reinigungsbestätigungen,
ƒ Dokumentation der Wareneingangskontrolle,
ƒ Abnahmetests (z. B. Vollständigkeits-/Installationskontrolle, Drehrichtungs-
prüfung elektrischer Antriebe, Druckproben, Kontrolle auf Anlagenent-
leerbarkeit).
ƒ Dokumente bezüglich Wartung, Kalibrierung und Testverfahren:
ƒ Logbuch/Geräteordner,
ƒ Wartungsdokumentation,
ƒ Ersatz-/Verschleißteilliste,
ƒ Kalibrierdokumentation von Messgeräten,
ƒ Abnahmeprotokolle der Anlagen/Geräte (z. B. FAT/SAT-Protokolle des Lie-
feranten),
ƒ Hardware- und Softwaretestprotokolle,
ƒ Testprotokolle von Sicherheitseinrichtungen bzw. von Störmeldungen etc.
292 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

8.4.3 GMP-konforme Technische Dokumentation


Ein Großteil der Technischen Dokumentation wird von den Lieferanten der Pro-
duktionsanlagen und Produktionsräume erstellt. Meist geht jedoch der Umfang
der GEP-/GMP-konformen Technischen Dokumentation über den Standardliefer-
umfang des Lieferanten hinaus. Daher ist es sinnvoll, die Anforderungen an die
Technische Dokumentation bzw. den Umfang der zu liefernden Dokumente be-
reits in der Spezifikationsphase (URS) zu definieren und auch vertraglich mit
dem Lieferanten zu regeln. Dabei sollten auch die Anforderungen an die Verwal-
tung und Archivierung der Technischen Dokumentation berücksichtigt werden.
Die Definition von zu verwendenden Datenträgern und Datenformaten ist z. B.
für Zeichnungen wichtig, um diese kompatibel und damit nutzbar zur Verfügung
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zu haben.
Die Technische Dokumentation ist speziell für die Qualifizierungsphasen (IQ, OQ)
von entscheidender Bedeutung. Werden die Dokumente nicht vom Lieferanten mit-
geliefert, müssen sie vom Anlagenbetreiber erstellt werden, um die Qualifizierung
erfolgreich abschließen zu können. Dabei können z. B. aufwendige Tests beim
Nachweis der Materialien notwendig werden.
Für die Ablage und Archivierung der Technischen Dokumentation ist es hilfreich,
For personal use only.

ein Identifikationssystem  – z. B. über Kennziffern  – festzulegen. Die Technische


Dokumentation muss auch aktuell gehalten werden. Dafür ist eine Versionierung
der Technischen Dokumentation eine notwendige Voraussetzung. Des Weiteren ist
die Zugriffskontrolle auf die Technische Dokumentation bzw. das Führen von kon-
trollierten Kopien zu regeln.
Da der Aufwand für das Aktualisieren von Technischen Dokumenten sehr hoch
sein kann, sollte man die Aktualisierungsfrequenz vom Einfluss auf die Qualität
des Medizinprodukts abhängig machen. Bei technischen Änderungen sollte – z. B.
über das Änderungsdienstverfahren – definiert werden, welche Dokumente zu än-
dern sind und wann das gemacht werden muss. Hat eine Änderung Einfluss auf
die Produktqualität, so ist die Technische Dokumentation gegebenenfalls sofort
anzupassen. Bei Änderungen ohne Einfluss auf die Produktqualität kann die Aktu-
alisierung der Technischen Dokumentation z. B. jährlich durchgeführt werden. Da-
mit können mehrere Änderungen in ein Dokument gleichzeitig eingearbeitet wer-
den, was den Zeitaufwand speziell für die Prüfung und Freigabe der Dokumente
erheblich verringert.
8.4 GMP-konformes Anlagendesign 293

8.4.4 GMP-gerechte Kalibrierung
Da die Überwachung von Herstellprozessen meist mittels automatisierter Prozess-
kontrollen erfolgt, muss sichergestellt werden, dass diese Messgeräte regelmäßig
bezüglich ihrer Präzision bzw. Richtigkeit überprüft werden. Das ist die Aufgabe
der Kalibrierung (siehe auch Abschnitt 10.8, Mess- und Prüfmittel, in diesem Buch).
Für GMP-relevante Anlagen müssen alle kritischen Prozesskontrollen – also alle
Messgeräte, die einen Einfluss auf die Produktqualität haben können – ermittelt
und regelmäßig gemäß klar definierter Vorgaben kalibriert werden.
Ein essenzieller Bestandteil eines GMP-konformen Kalibrierungssystems ist die
Festlegung von Kalibrierintervallen. Intervalle werden häufig mit zeitlichen Inter-
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vallen definiert (z. B. monatlich, halbjährlich, jährlich). Die Festlegung der Kali­
brierintervalle sollte risikobasiert erfolgen. Dabei können z. B. folgende Kriterien
herangezogen werden:
ƒ Hat die Messgröße Einfluss auf die Produktqualität?
ƒ Wie empfindlich ist das Messgerät gegenüber äußeren Einflüssen?
ƒ Wie oft wird das Messgerät benötigt?
Um eine GMP-konforme Kalibrierung ordnungsgemäß durchführen zu können,
For personal use only.

sind folgende Dokumente erforderlich:


ƒ Standardarbeitsanweisung (SOP) Kalibrierung: In diesem Dokument wird
die firmeninterne Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen bezüglich Kalib-
rierung und Re-Kalibrierung beschrieben. Auch die Anforderungen an Referenz-
geräte werden hier definiert. Ebenso sind hier die Grundsätze zur Ermittlung
der Kalibrierintervalle zu beschreiben. Auch das Vorgehen bei außerordentli-
chen Kalibrierungen – z. B. nach Reparaturen – sollte hier beschrieben werden.
ƒ Kalibriervorschriften: Hier wird die konkrete Durchführung der Methode
zur Kalibrierung von einzelnen Messgeräten beschrieben und die einzuhalten-
den Kalibrierintervalle werden hier definiert.
ƒ Liste der zu kalibrierenden Instrumente (Messstellenliste): Hier werden
alle kalibrierpflichtigen Messstellen erfasst und die Kalibriertermine können
über diese Liste verwaltet werden. Bei einer großen Anzahl an Messstellen
macht es gegebenenfalls Sinn, automatisierte Systeme für die Verwaltung (Ter-
minverfolgung, Auftragserteilung, Statuskontrolle) einzusetzen. Die dazu ein-
gesetzten Systeme sind dann jedoch zu validieren.
ƒ Kalibrierprotokolle: Hier werden die Ergebnisse der durchgeführten Kalib-
rierungen festgehalten (inklusive Auflistung der zusätzlich verwendeten Mess-
instrumente und deren Kalibrierzertifikate).
294 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Die Kalibrierung von Messgeräten ist mit geeigneten Referenzgeräten durchzu­


führen. Für Referenzgeräte sind z. B. folgende Punkte zu beachten:
ƒ Der geplante Einsatz des Referenzgeräts ist in einer Betreiberanforderung
(URS) festzulegen, und die Eignung ist überprüft (z. B. mittels einer Design-
qualifizierung).
ƒ Referenzgeräte sind zu kennzeichnen und unterliegen einem Änderungs-
dienst.
ƒ Für die Bedienung/Reinigung/Wartung von Referenzgeräten gibt es entspre-
chende Anweisungen, und die Bediener sind darauf geschult.
ƒ Referenzgeräte sind gegen unerlaubten Zugriff gesichert.
ƒ Referenzsubstanzen sind gekennzeichnet (gegebenenfalls mit Verfallsdatum)
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und werden entsprechend gelagert.


ƒ Referenzgeräte unterliegen entweder einer Eigenkalibrierung (gemäß einer
i­nternen Anweisung mit einem rückführbaren Normal) oder werden extern
durch z. B. eine akkreditierte Kalibrierstelle kalibriert.
Bei Abweichungen von den zulässigen Toleranzgrenzen ist die weitere Vorgehens-
weise über ein Abweichungsverfahren zu regeln. Kalibrierintervalle sollen risiko-
For personal use only.

basiert festgelegt und müssen eingehalten werden. Änderungen von Kalibrierin-


tervallen sollen mittels Änderungsdienstverfahren durchgeführt werden. Bei
Verlängerung von Kalibrierintervallen ist zu beachten, dass bereits genügend er-
folgreiche Kalibrierergebnisse (Protokolle) vorliegen, durch die das verlängerte
­Kalibrierintervall gerechtfertigt werden kann.
Die Gültigkeit der Kalibrierung muss jederzeit erkennbar sein und kann z. B. über
eine entsprechende Kennzeichnung der Messstellen oder ein automatisiertes Sys-
tem (Kalibrierdatenbank) erfolgen. Automatisierte Systeme sind dann zu validieren.
Wird eine qualitätsrelevante Messstelle bzw. Produktionsanlage oder ein qualitäts-
relevanter Produktionsraum außer Betrieb genommen, ist darauf zu achten, dass
eine abschließende Kalibrierung durchgeführt wird. Nur so kann nachgewiesen
werden, dass die zuletzt gefertigten Medizinprodukte mit einer validen Produk­
tionsanlage bzw. in einer validen Produktionsumgebung hergestellt wurden.

8.4.5 GMP-konforme Instandhaltung

8.4.5.1 Vorbeugende Instandhaltung
Im GMP-Bereich müssen Produktionsanlagen und Produktionsräume vorbeugend
instand gehalten werden. Die durchzuführenden Tätigkeiten sind zu planen und
alles muss so dokumentiert werden, dass die Nachvollziehbarkeit gewährleistet ist.
8.4 GMP-konformes Anlagendesign 295

Ziel der vorbeugenden Instandhaltung ist es, die Funktion und Leistungsfähigkeit
von Produktionsanlagen und Produktionsräumen über ihre gesamte Nutzungs-
dauer zu gewährleisten und eine hohe Verfügbarkeit sicherzustellen [8.20]. Dabei
müssen Instandhaltungsmaßnahmen so durchgeführt werden, dass der valide Sta-
tus der Anlagen nicht beeinträchtigt wird.
Zu den geplanten, vorbeugenden Instandhaltungsmaßnahmen zählen im Wesent­
lichen folgende wiederkehrende Tätigkeiten:
ƒ Inspektion,
ƒ Wartung,
ƒ Re-Kalibrierung.
Die Inspektion dient zur Feststellung und Beurteilung des Ist-Zustands von Pro-
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duktionsanlagen und -räumen bzw. zur Feststellung und Beurteilung von Mängeln.
Die Wartung umfasst die Gesamtheit aller Maßnahmen, die zur Bewahrung des
Soll-Zustands von Produktionsanlagen und -räumen durchgeführt werden und be-
inhaltet die eigentliche Kernaufgabe der geplanten Instandhaltung. Alle kritischen
Prozesskontrollen – also alle Messgeräte, die einen Einfluss auf die Produktquali-
tät haben können – müssen gemäß klar definierter Vorgaben rekalibriert werden.
Um eine GMP-konforme vorbeugende Instandhaltung ordnungsgemäß durchfüh-
For personal use only.

ren zu können, sind folgende Dokumente erforderlich:


ƒ SOP Instandhaltung allgemein: Hier sollen die Ziele und die Kernaufgaben
der vorbeugenden Instandhaltung beschrieben und soll die allgemeine Vorge-
hensweise festgelegt werden. Des Weiteren soll auch die Dokumentenarchivie-
rung festgelegt werden.
ƒ SOPs für Wartung und Re-Kalibrierung: Hier soll die konkrete Durchfüh-
rung der Wartung bzw. Re-Kalibrierung (die einzusetzenden Methoden, Geräte
und Materialien) beschrieben werden. Des Weiteren sollen hier die Verant-
wortlichkeiten, die zu erstellende Dokumentation (z. B. Wartungspläne) sowie
die für die Durchführung notwendige Technische Dokumentation (z. B. Spezifi-
kationen, Zeichnungen) festgelegt werden.
ƒ Instandhaltungs-/Wartungspläne.
ƒ Wartungs-/Kalibrierprotokolle: Hier werden die Ergebnisse der durchge-
führten Wartungen/Re-Kalibrierungen festgehalten.
ƒ Technische Dokumentation (z. B. Spezifikationen, Zeichnungen, Pläne) für
die Durchführung der Instandhaltung.
ƒ Schulungsprotokolle für den Nachweis der Mitarbeiterschulung auf die ge-
planten Instandhaltungstätigkeiten.
ƒ Anlagenlogbücher für die Dokumentation der durchgeführten Instandhal-
tungsmaßnahmen.
296 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Als erster Schritt bei der Umsetzung einer GMP-konformen vorbeugenden Instand-
haltung sind alle mit der Instandhaltung verbundenen Aktivitäten zu planen und
zu beschreiben (SOPs). Dazu sollten die Anlagen/Anlagenteile identifiziert und zu
Instandhaltungsgruppen zusammengefasst werden. Für diese Instandhaltungs-
gruppen können dann die Verantwortlichkeiten festgelegt werden.
Für jede Instandhaltungsgruppe wird ein Instandhaltungsplan erstellt, der die
durchzuführenden Tätigkeiten beschreibt. Die detaillierte Durchführung der In-
standhaltungsmaßnahmen wird in Wartungs-/ Kalibrierprotokollen dokumentiert.
Davor müssen die Mitarbeiter auf die entsprechenden Anweisungen (SOPs) ge-
schult werden. Die Dokumentation der Durchführung der Instandhaltungsmaß-
nahmen kann z. B. im Logbuch der Prozessanlagen erfolgen. Wenn automatisierte
Systeme für die Verwaltung/Durchführung der vorbeugenden Instandhaltung ein-
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gesetzt werden, so sind diese zu validieren.


Die durchgeführten Instandhaltungsarbeiten sollten auf korrekte und vollständige
Durchführung überprüft und freigegeben werden. Beim Auftreten von unerwarteten
technischen Störungen müssen auch Instandhaltungsmaßnahmen zur Behebung
der Störung getroffen werden. Auch wenn diese Maßnahmen nicht planbar sind,
müssen sie im GMP-Bereich einem vorab definierten Ablauf folgen. Die Abläufe für
die nicht im Voraus planbare Instandhaltung sind in Arbeitsanweisungen (SOPs) zu
For personal use only.

regeln und sollen über ein Änderungsdienstverfahren abgehandelt werden.

8.4.5.2 Risikobasierte Instandhaltung
Generell kann man zwischen vier gängigen Instandhaltungsstrategien unterschei-
den [8.20], [8.21]:
ƒ Ausfallstrategie: Hier werden die Anlagen(teile) bis zum Auftreten eines
Schadens bzw. Ausfall der Anlage betrieben und so maximal ausgenutzt. Diese
Strategie ist jedoch für den Medizinproduktebereich nicht sinnvoll, da bereits
vor einem Ausfall ein potenzielles Risiko für das herzustellende Medizinpro-
dukt bestehen kann.
ƒ Präventive zeitgesteuerte Instandhaltungsstrategie: Hier werden die
Anlagen(teile) nach einer vordefinierten Zeit ausgetauscht. Diese Strategie ist
zwar gut planbar, aber Anlagen(teile) werden eventuell schon ausgetauscht,
obwohl deren Verschleißgrenze noch nicht erreicht ist.
ƒ Präventive zustandsorientierte Instandhaltungsstrategie: Hier wird der
tatsächliche Abnutzungsgrad der Anlagen ermittelt. Für diese Strategie ist
jedoch ein hoher Aufwand für die Ermittlung des Abnutzungsgrades der
­
Anlagen(teile) notwendig, was hohe Inspektionskosten mit sich bringt.
ƒ In den letzten Jahren geht man in der Instandhaltung daher immer mehr den
Weg einer risikobasierten Instandhaltung [8.20]. Ziel dieser Instandhal-
8.4 GMP-konformes Anlagendesign 297

tungsstrategie ist es, mit möglichst geringem Aufwand und ohne Risiko für das
herzustellende Medizinprodukt eine optimale Verfügbarkeit der Anlagen zu
gewährleisten.
Bei dieser Instandhaltungsstrategie werden die Entscheidungen über die Auswahl
der durchzuführenden Maßnahmen sowohl unter Berücksichtigung der Qualität
als auch der Wirtschaftlichkeit getroffen.
Als erster Schritt der risikobasierten Instandhaltung wird eine Gefährdungsana-
lyse zur Ermittlung der kritischen Anlagen durchgeführt. Dazu wird für jede An-
lage die Auftretenswahrscheinlichkeit (A) einer Störung bzw. die Auswirkung der
möglichen Störungen (Bedeutung, B) ermittelt. Die Ergebnisse der Gefährdungs-
analyse werden grafisch dargestellt (siehe Bild 8.9). Für die Bewertung der Ausfall-
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wahrscheinlichkeit können z. B. folgende Kriterien herangezogen werden: Anla-


genalter, Ausfallrate vergleichbarer Anlagen, Ausführung der Anlage, Auslastung
der Anlage, Wartungsbedarf, Abnutzungsvorrat [8.21]. Für die Bewertung der Aus-
wirkung können z. B. folgende Kriterien herangezogen werden: Wiederbeschaf-
fungszeit, Reparaturzeit, Auswirkung der Störung auf das herzustellende Medizin-
produkt, Vorhandensein von alternativen Produktionssystemen, Standzeiten
[8.21]. Die Bewertung der Ausfallwahrscheinlichkeit bzw. deren Auswirkung soll
auf vordefinierten Standards/Zahlenwerten beruhen (Tabelle 8.9).
For personal use only.

Tabelle 8.8 Bewertung der Auftretenswahrscheinlichkeit (A) (Beispiel)


B Auswirkung Beschreibung
1 Sehr gering Das Auftreten des Ausfalls ist unwahrscheinlich oder
es liegen keine Informationen über derartige Ausfälle vor oder
der Ausfall tritt erst nach zehn Jahren auf.
2 Gering Der Ausfall tritt nur äußerst selten auf oder
der Ausfall tritt nur unter bestimmten Umständen auf oder
der Ausfall tritt nur gegen Ende der Nutzungsdauer auf oder
der Ausfall tritt nach fünf bis zehn Jahren auf.
3 Mittel Der Ausfall tritt gelegentlich auf oder
der Ausfall tritt bei Belastungsänderungen auf oder
der Ausfall tritt nach zwei bis fünf Jahren auf.
4 Hoch Der Ausfall tritt wiederholt, aber unregelmäßig auf oder
der Ausfall tritt nach ein bis zwei Jahren auf.
5 Sehr hoch Der Ausfall tritt häufig und regelmäßig auf oder
der Ausfall tritt innerhalb eines Jahres auf.

Prozessanlagen, die sich auf der kritischen (oberen) Seite der grafischen Darstel-
lung befinden, werden als kritische Prozessanlagen eingestuft, da sie ein hohes
Ausfalls- und Produktrisiko aufweisen (Bild 8.11).
298 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Für diese kritischen Prozessanlagen ist – in einem zweiten Schritt – eine detail-
lierte Risikoanalyse durchzuführen. Dazu hat sich als Methode der Wahl die Feh-
lermöglichkeits- und -einflussanalyse (FMEA) herauskristallisiert (siehe Kapitel 2,
Risikomanagement).

CIP-Anlage
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Autoklav
For personal use only.

Bild 8.11 Ermittlung der für die Instandhaltung kritischen Prozessanlagen

Für jeden Teil der kritischen Prozessanlagen werden die möglichen Risiken be­
züglich Produktqualität und Produktionsausfall ermittelt. Dabei werden alle mög-
lichen Fehler sowie die zugehörigen Fehlerfolgen und Ursachen der Teilkompo­
nenten analysiert und bewertet. Ist das mögliche Gefährdungspotenzial (die
Risikoprioritätszahl RPZ) zu hoch, so sind geeignete Maßnahmen zur Reduktion
des Risikos zu treffen (siehe Tabelle 8.9). Diese Maßnahmen sind dann im Zuge der
Durchführung der Instandhaltung umzusetzen.

Tabelle 8.9 Risikobasierte Definition von Instandhaltungsmaßnahmen (Beispiel)


Fehler E Ursache A Folge B RPZ (A B E)
Membranventil
Dichtung porös 4 Zu hohe 3 Produkt­ 5 60
­Standzeit kontamination

Maßnahmen im Zuge der Instandhaltung E A B RPZ (2)


(2) (2) (2)
Jährlicher Austausch der Dichtung im Zuge der Wartung 2 1 5 10
8.5 Computervalidierung 299

„ 8.5 Computervalidierung
Computer, automatisierte Anlagen und Softwaretools werden in nahezu allen GxP-
relevanten Bereichen eingesetzt, sei es in der Entwicklung (Rohdaten, Entwick-
lungsaufzeichnungen – Design History File, DHF), in der Produktion (Herstellvor-
schriften – Device Master Record, DMR), Produktionsaufzeichnungen, Labordaten
oder Produktfreigabedaten (Device History Record, DHR), in der Logistik (Material-
fluss, Lager, Versand), bei klinischen Studien oder im QM-System (Vorgabedoku-
mente, Reklamations- und CAPA-System). Computerisierte Systeme sind für einen
wirtschaftlichen Ablauf der meisten Prozesse unerlässlich. Sie erhöhen durch ein
fehlerhaftes Design eines ihrer Systeme aber auch das Risiko, dass negative Aus-
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wirkungen auf die Qualität des Endprodukts bzw. auf die Validität GxP-relevanter
Vorschriften und Dokumente eintreten können.
Bei komplexer Software ist ein 100 %iger Funktionstest nahezu unmöglich. Um das
Auftreten von Fehlern bei computerunterstützten Systemen trotzdem zu verhin-
dern bzw. so weit wie möglich zu reduzieren, fordern die entsprechenden Regula-
rien, dass computerisierte Medizinprodukte entsprechend konzipiert, entwickelt
und validiert werden müssen (siehe dazu die Ausführungen in der ISO 13485 Ab-
For personal use only.

schnitt 7.3 „Entwicklung“ [8.9] bzw. im 21 CFR 820.30 „Entwicklungslenkung“


[8.5]), wobei die Vorgehensweise in vielfältigen Detailnormen (z. B. ISO/IEC 12207
[8.22], ISO/IEC 16085:2021-1 [8.23]) und Best Practice-Vorgaben näher beschrie-
ben wird (siehe auch Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten sowie Kapitel 5,
Software als Medizinprodukt).
Werden computerisierte Systeme oder Softwaretools hingegen innerhalb der Orga-
nisation in GxP-relevanten Bereichen eingesetzt (z. B. in der Produkterstellung-
und Freigabe oder Produktionsdatenspeicherung), so finden sich dazu sowohl in
Abschnitt 7.5.6 der ISO 13485 „Validierung der Prozesse zur Produktion und zur
Dienstleistungserbringung“ [8.9] als auch im 21 CFR 820.70(i) „Automated proces-
ses“ [8.5] klare Forderungen bezüglich Validierungspflicht, Änderungsmanage-
ment und Dokumentation. So fordert die ISO 13485:2016: „Die Organisation muss
Verfahren für die Validierung der Anwendung von Computersoftware dokumentieren,
die bei der Produktion und Dienstleistungserbringung eingesetzt wird. Derartige Soft-
wareanwendungen müssen vor der ersten Verwendung validiert werden und, soweit
angemessen, nach Änderungen an dieser Software oder deren Anwendung.“ Ähnlich
lautet die Forderung im 21 CFR 820.70(i): „When computers or automated data pro-
cessing systems are used as part of production or the quality system, the manufacturer
shall validate computer software for its intended use according to an established pro-
tocol. All software changes shall be validated before approval and issuance. These
validation activities and results shall be documented.“
300 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

In anderen Kapiteln der beiden QM-Systemnormen/-vorschriften finden sich wei-


tere Hinweise, insbesondere zur Lenkung von Aufzeichnungen. So z. B. in Ab-
schnitt 4.2.5 der ISO 13485 [8.9]: „Es müssen Aufzeichnungen aufrechterhalten wer-
den, um einen Nachweis der Konformität mit den Anforderungen und des wirksamen
Funktionierens des Qualitätsmanagementsystems bereitzustellen. Aufzeichnungen
müssen lesbar, leicht identifizierbar und wiederauffindbar bleiben. Die Organisation
muss ein dokumentiertes Verfahren erstellen, um die Lenkungsmaßnahmen festzule-
gen, die erforderlich sind für die Identifizierung, die Lagerung, den Schutz und die
Unversehrtheit, die Wiederauffindbarkeit, die Aufbewahrungsfrist von Aufzeichnun-
gen und die Verfügung über Aufzeichnungen“, sowie in den Kapiteln 21 CFR 180,
181 (DMR), 184 (DHR), 186 (QS-Records) und 198 (complaint files) [8.5]. Werden
diese elektronischen Aufzeichnungen in GxP-relevanten Prozessen verwendet,
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sind diese Forderungen durch entsprechende Maßnahmen umzusetzen.


Detailliertere Vorgaben zu den Forderungen betreffend electronic records (auf Com-
putersystemen erzeugte, verarbeitete und gespeicherte Daten und Dokumente) so-
wie zur Validierung von Computersystemen finden sich weiterhin im EU Annex 11
des EU-GMP-Guides [8.24] sowie im 21 CFR Part 11 Electronic records and signatu-
res (für die USA) [8.25]. Genau genommen bringt der Annex 11 nur eine Klarstel-
lung für Hersteller pharmazeutischer Produkte im Human- und Veterinärbereich,
For personal use only.

wie sie die bestehenden GMP-Anforderungen angesichts zunehmender Verbrei-


tung von computerisierten Systemen richtig interpretieren sollen. Allerdings wird
der Annex 11 im Inspektionsfall von den meisten Behörden auch als Grundlage für
die Bewertung elektronischer Aufzeichnungen und elektronischer Unterschriften
in Medizintechnikunternehmen herangezogen. Daher ist auch für Medizintechnik-
hersteller die Befolgung dieser Richtlinie sinnvoll, um der Erwartungshaltung der
Behörden und auf längere Sicht der europäischen Gesetzgebung zu entsprechen.
Praktische Hinweise und Interpretationshilfe bieten weiterhin die GAMP-5-Richt­
linie [8.26], das Guidance-Dokument der FDA General Principles of Software Valida-
tion; Final Guidance for Industry and FDA Staff [8.11] sowie das Guidance-Doku-
ment der FDA Part 11, Electronic Records; Electronic Signatures  – Scope and
Application [8.27].

BEACHTE:
In der MPV und IVDV finden sich keine direkten Vorgaben bezüglich Validierung
von computerisierten Systemen und Tools. Indirekt kann aber aus verschiedenen
Anforderungen abgeleitet werden, dass valide und validierte Systeme und Prozesse
Grundvoraussetzung dafür sind, dass die Anforderungen dieser Verordnungen
auch bei serienmäßiger Herstellung eingehalten werden können. Siehe dazu u. a.
MPV Art. 10 (9)g, Anhang II 3.b), Anhang VII 4.5.2.b) und Anhang IX 2.2.c) bzw.
IVDV Art. 10 (8)g, Anhang II 3.2.a), Anhang VII 4.5.2.b) oder Anhang IX 2.2.c).

8.5 Computervalidierung 301

Was bedeutet nun konkret „Validierungspflicht“, und was fordern der 21 CFR Part
11 sowie der Annex 11 der EU-GMP-Guides darüber hinaus in Bezug auf elektroni-
sche Aufzeichnungen und Unterschriften?

8.5.1 Validierung – Überblick

MERKE:
Alle relevanten Systeme müssen vor ihrem produktiven Einsatz validiert sein und
während ihres produktiven Einsatzes im validierten Zustand gehalten werden.

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Beim Einsatz von computerisierten Systemen in GxP-regulierten Bereichen darf es


zu keiner Qualitätsverschlechterung beim Produkt, in der Prozesskontrolle oder im
Qualitätssystem kommen. Daher muss jedes automatisierte System und jede Soft-
ware, welche zum Design, zur Herstellung, zum Testen, Beschriften, Verpacken oder
zur Freigabe des Produkts verwendet wird, validiert werden, um die Richtigkeit, die
Zuverlässigkeit und den spezifikationsgemäßen Gebrauch des Systems sicherzustel-
len und ungültige oder veränderte Daten zu erkennen bzw. zu verhindern. Weiterhin
sind alle Computersysteme in GxP-relevanten Prozessen validierungspflichtig, die
For personal use only.

dazu benutzt werden, um elektronische Daten zu erzeugen, zu bearbeiten, zu spei-


chern bzw. mit elektronischer Unterschrift zu autorisieren.

BEACHTE:
Oft werden die Anforderungen an die Softwarevalidierung mit den Anforderungen
in der Equipment- und Prozessvalidierung vermischt.
So sind noch heute die Begriffe Design Qualification (DQ), Installation Qualification
(IQ), Operational Qualification (OQ) und Performance Qualification (PQ) gängige
Bezeichnungen verschiedener Phasen während der Softwareentwicklung und des
Tests. Ungeachtet dessen, dass sich diese Begriffe gut zur Organisation der ver-
schiedenen Softwarevalidierungsaufgaben bewährt haben, werden diese Begriffe
von vielen Softwareexperten heute anders verwendet und verstanden.

Die Gründe, weshalb die Behörden so explizite Anforderungen an die Validierung


qualitätsrelevanter Software und computerisierter Systeme stellen, sind wie folgt:
ƒ Die meisten Softwarefehler entstehen bereits während der Designphase, wäh-
rend sich Hardwarefehler oft erst während des Einsatzes ausbilden.
ƒ Softwarefehler treten meist unvermittelt auf, ganz im Gegensatz zu vielen
Hardwarefehlern, die sich vorankündigen.
ƒ Sogar einfache Programme sind oft verzweigt und es ist fast unmöglich, jede
denkbare Verzweigungskombination zu testen. Dadurch können latente Soft-
warefehler oft jahrelang unentdeckt bleiben.
302 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

ƒ Standardisierte Softwarekomponenten sind in vielen Fällen nicht verfügbar.


Dadurch wird in der Software der Reifegrad von Hardwarekomponenten oft
nicht erreicht.
ƒ Software lässt sich, im Vergleich zur Hardware, relativ einfach ändern. Durch
diese häufigen Änderungen steigt jedoch auch die Wahrscheinlichkeit, dass
neue Fehler ins Programm eingebaut werden.
Aus den genannten Gründen lassen sich drei Ansatzpunkte ableiten, wie die Vali-
dierung von Software bzw. computerisierten Systemen aufgesetzt werden soll:
ƒ Der Validierungsumfang und die Validierungstiefe werden vom Risiko be-
stimmt, das von einem System auf die Produktqualität, die Datenintegrität und
letztlich auf die Patientensicherheit ausgeht.
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ƒ Die Validität der Software muss während des gesamten Softwarelebenszyklus


aufrechterhalten werden. Sie beginnt mit dokumentierten Anforderungen an
das System und endet mit der Stilllegung desselben.
ƒ Auch kleinste Änderungen in einem Programmteil können zu gravierenden
Auswirkungen in anderen Teilen des Programms führen. Deshalb muss der
Einfluss jeder Softwareänderung auf den validierten Status des gesamten Sys-
tems untersucht werden und nicht nur auf den geänderten Teil beschränkt
For personal use only.

bleiben. Einem konsequenten Änderungsmanagement, verbunden mit einer


laufenden Evaluierung des validen Systemzustandes, kommt daher höchste
Bedeutung zu.
Diese Ansatzpunkte führen zur in Bild 8.12 beschriebenen Vorgehensweise.

Bild 8.12 Entwicklungs- und Validierungsschema computerisierter Systeme


8.5 Computervalidierung 303

In den nachfolgenden Ausführungen sollen die Grundzüge und beispielhafte Best


Practice-Lösungen bei der Computervalidierung dargestellt werden.

8.5.2 Validierungsansätze
Die Validierungsaufwände für ein computerisiertes System oder eine Software sol-
len sich primär am Risiko orientieren, das von diesem System bzw. dieser Software
im Lauf der Produktentstehung auf die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des End-
produkts ausgehen könnte. Weiterhin ist bei der Beurteilung die Komplexität des
Systems heranzuziehen. So wird z. B. eine automatisierte Stanzmaschine wenig
Validierungsaufwand erfordern, weil die erzeugten Teile im Zuge der Weiterver-
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wendung einfach gegen die Spezifikationen geprüft werden können, bzw. werden
fehlerhafte Teile in einem weiteren Verarbeitungsschritt wahrscheinlich erkannt
und aussortiert. Andererseits werden komplexe Systeme wie ein firmenweites
­Materialmanagementsystem, ein Dokumentenmanagementsystem, eine Barcode-
Beschriftungsanlage oder ein automatisches Inspektionssystem in der In-Prozess-
kontrolle (IPK) oder in der Qualitätskontrolle (QC) umfangreiche Tests und
Nachweise erfordern.
For personal use only.

TIPP:
Folgende Systeme (computerisierte Systeme, Produktionsanlagen, Prüfsysteme)
sind im Normalfall nicht validierungspflichtig:
ƒ Überwachte Prüf- und Messmittel wie z. B. Multimeter und Thermometer,
die für den vorgesehenen Zweck und gemäß ihren Spezifikationen eingesetzt
werden und an die keine darüber hinausgehenden Anforderungen hinsichtlich
Messrichtigkeit und Einsatzbedingungen oder sonstige Anforderungen gestellt
werden.
ƒ Registriertes, aber nicht überwachtes Equipment wie z. B. Blutroller und
Zentrifugen, die für den vorgesehenen Zweck eingesetzt werden und an die
keine besonderen Anforderungen hinsichtlich Einsatzbedingungen oder sons-
tige Anforderungen gestellt werden.
ƒ Einfache Hilfsmittel im Produktrealisierungsprozess wie z. B. Aufnahme-
schienen, Einpressdorne, Schneide- oder Klebevorrichtungen.
ƒ IT-Infrastrukturkomponenten wie Server, Netzwerkkomponenten, Worksta-
tions, Speichersysteme sowie standortübergreifend zur Verfügung gestellte
Betriebssysteme und Standardsoftware, die über die IT-Abteilung installiert
wird, z. B. MS Word, MS Visio oder MS Project; weiterhin Excel-Arbeitsmappen,
die nur zur Textverarbeitung verwendet werden.
ƒ Systeme, die in sehr frühen Phasen der Produktentwicklung eingesetzt werden,
wo noch keine endgültigen Leistungs- oder Spezifikationsnachweise
geführt werden.

304 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Die meisten automatisierten Anlagen und Systeme, die von Medizinprodukteher-


stellern verwendet werden, werden von Lieferanten bezogen bzw. „ab Lager“ ge-
kauft. Der Hersteller ist dafür verantwortlich, dass die vom Softwarelieferanten
angewandten Entwicklungsmethoden dem Verwendungszweck durch den Herstel-
ler angemessen und für diesen ausreichend sind. Um dies abzusichern, muss er
versuchen, durch eine Evaluierung des Lieferanten und/oder des zugelieferten
Produkts ausreichend Informationen und Unterlagen für eine Validierungsbewer-
tung zu erhalten. Da diese Informationen und Unterlagen normalerweise nicht von
Herstellern oder Händlern von OTS-Produkten (off the shelf) erhältlich sind, muss
der Medizinproduktehersteller, je nach Möglichkeit und in Abhängigkeit von den
Risiken, die das Produkt mit sich bringt, andere Wege finden, um die Methodik des
Lieferanten bezüglich Design und Entwicklung zu validieren. Im Idealfall kann er
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oder eine anerkannte Stelle den Lieferanten auditieren, um zu einer Beurteilung


der Entwicklungs- und Validierungsdokumentation zu gelangen. Wenn der Liefe-
rant ein Audit verweigert oder wenn er nicht gewohnt ist, in einem regulierten
Umfeld zu arbeiten und er daher keinen dokumentierten Lebenszyklusprozess
hat, der die Validierungsanforderungen des Medizintechnikherstellers unterstützt,
muss der Hersteller auf Systemebene ausreichende black box-Tests durchführen,
um nachzuweisen, dass die Software „den Bedürfnissen des Anwenders und der
For personal use only.

bestimmungsgemäßen Verwendung“ entspricht. Ein black box-Test ist allerdings


nicht für alle Anwendungen ausreichend oder praktikabel. So können für einige
OTS-Softwareprogramme wie Betriebssysteme, Software-Compiler oder -Linker,
umfangreiche black box-Tests durch den Medizinproduktehersteller unpraktisch
sein. Doch kann in einem solchen Fall versucht werden, deren ordnungsgemäße
Funktion durch andere Methoden (z. B. Internetrecherchen, Fachliteratur) glaub-
haft zu belegen. So werden z. B. Compiler regelmäßig durch unabhängige Stellen
zertifiziert, und zu handelsüblichen Softwareprodukten bekommt man vom Liefe-
ranten „Fehlerlisten“, Systemanforderungen und sonstige anwendungsrelevante
Informationen, die mit der bestimmungsgemäßen Verwendung des Medizinpro-
dukteherstellers verglichen werden können, um damit einen zielgerichteten black
box-Test mit vertretbarem Aufwand zu ermöglichen.
Abhängig vom Einfluss der zugekauften Software auf das Endprodukt, und falls
nicht ausreichend Informationen zum Lieferanten oder zugekauften Produkt in Er-
fahrung gebracht werden konnten, muss die Verwendung dieser Software für die
geplanten Anwendungen als nicht angemessen abgelehnt werden, und man muss
sich um Alternativen kümmern.
8.5 Computervalidierung 305

TIPP:
OTS-Betriebssysteme müssen nicht als separate Programme validiert werden.
Validierungstests der Anwendungssoftware auf Systemebene müssen jedoch alle
Einsatzmöglichkeiten des verwendeten Betriebssystems adressieren, inklusive der
Bedingungen bei maximaler Systemauslastung, der Datenprozesse und des Um-
gangs mit Systemfehlern und Speichereinschränkungen, die für die bestimmungs-
gemäße Verwendung des Benutzerprogramms maßgeblich sein könnten.

8.5.3 Festlegung des Validierungsumfanges


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Als erster Schritt soll in einer groben Klassifizierung festgelegt werden, ob ein
System überhaupt GxP-relevant ist oder ob auf eine Validierung verzichtet werden
kann. Die GxP-Relevanz wird systemspezifisch durch Fragestellungen nach dem
Einsatzzweck des Systems bzw. nach den generierten Daten und Dokumenten fest-
gestellt. Im Zuge dessen ist ebenfalls anzugeben, ob die Daten und/oder Doku-
mente elektronisch aufgezeichnet werden. GxP-relevante Prozesse sind z. B.:
ƒ Entwicklungsprozesse (DHF – Design History File),
For personal use only.

ƒ Produktherstellung
ƒ Vorgaben (DMR – Device Master Record),
ƒ Nachweise (DHR – Device History Record),
ƒ Qualitätsmanagementprozesse (QSR – Quality System Record),
ƒ Produktregistrierung.

TIPP:
Falls Computer dazu eingesetzt werden, Papierausdrucke von elektronischen
Daten und Aufzeichnungen zu erstellen, und diese Papierausdrucke alle Vorschrif-
ten der GxP erfüllen und sich die Organisation im regulierten Bereich einzig auf
diese Papierausdrucke stützt, dann fällt dieses Computersystem nicht unter die
Regelungen des Annex 11 bzw. des Part 11.

Wurde ein computerisiertes System im Zuge der Klassifizierung als validierungs-


relevant eingestuft, werden in einem nächsten Schritt die Systemrisiken bestimmt.
Die Ergebnisse aus der Systemrisikobewertung, zusätzlich zur Systemkategorie
(laut Klassifizierungsbericht), bestimmen den Umfang und die Tiefe der Validie-
rung. Je nach System-/Risikokategorie werden (nur) die entsprechenden Aktivitä-
ten/Nachweise/Dokumente gefordert. Dadurch wird der Validierungsaufwand an
die Systemkritikalität angepasst, wie Bild 8.13 beispielhaft zeigt.
306 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Anzahl der Prüfpunkte für unterschiedliche


Systemkategorien

80
70
60
50
40
30
20
10
0
HW

re
SW

SW

SW

wa
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S-

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Bild 8.13 Umfang und Tiefe


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der Validierung für verschiedene


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Systemkategorien
M
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Die Festlegung des Umfangs und der Tiefe für einzelne Tests wird zusätzlich durch
eine funktionale Risikoanalyse (z. B. FMEA) bestimmt. Die Detailplanung für den
Validierungsumfang wird anschließend in einem Validierungsregister festgelegt.

BEACHTE:
For personal use only.

Aufgrund gehäufter Cyberattacken auf Firmennetzwerke und Medizinprodukte ist


in den letzten Jahren das Thema Datensicherheit (Cybersecurity) zunehmend in
den Fokus der IT-Verantwortlichen in Firmen und in Spitälern, der Entwickler von
Medizinprodukten und der Behörden gerückt.
Mit dem zunehmenden Gebrauch von drahtlosen Internet- und netzwerkverbun-
denen Medizinprodukten sowie dem steigenden Austausch von personen- und
gesundheitsbezogenen Daten steigt auch die Gefahr, dass Medizinprodukte oder
IVDs gehackt werden. Dadurch steigt das Risiko für Patienten und Anwender, dass
das Produkt in seiner Leistungsfähigkeit eingeschränkt oder sogar gefährlich
umprogrammiert werden könnte, oder dass sensible Daten verloren gehen oder
gestohlen werden. Effektive Cybersecurity-Maßnahmen müssen daher bereits in
der Designphase geplant und während der Entwicklung realisiert werden.
Die FDA hat in einer Reihe von Guidance-Dokumenten bereits konkrete Hinweise
gegeben, welche Maßnahmen sie während der Entwicklung, aber auch während
des laufenden Betriebs vorschlägt, um die Gefahr von Cyberattacken auf Medizin-
produkte, soweit möglich, zu minimieren [8.28 bis 8.30]. Weitere Hinweise und
Literatur siehe auch Abschnitt 5.5, IT Security für Software in Medizinprodukten.
Aber auch Computersysteme, die für die Herstellung, die Produktfreigabe, die
Materialverwaltung oder in der Logistik Verwendung finden, können durch Cyber-
attacken in ihrer Funktionalität so beeinträchtigt werden, dass es zu Datenverlust,
Produktionsstillstand und versteckten Produktfehlern kommen kann.
Geeignete Maßnahmen zur Absicherung kritischer Computersysteme müssen daher
verstärkt im Design berücksichtigt und während der Validierung abgeprüft werden.
Als Hinweis für den Aufbau einer „sicheren“ IT-Infrastruktur kann dabei die ISO/
IEC 27001:2013 [8.31] herangezogen werden.

8.5 Computervalidierung 307

Vorlagen zu Validierungsplan/-bericht sowie Validierungsregister sollen im QM-


System zur Verfügung gestellt werden (beispielhafte Vorlagen siehe Download).
Jede Entwicklung und Verwendung eines Systems soll einem Phasenmodell folgen
(z. B. V-Modell, wie in Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten, beschrieben
oder Agile SW-Entwicklung, wie in Kapitel 5, Software als Medizinprodukt, be-
schrieben). Dieser Ablauf soll sich auch in den Validierungsphasen/-dokumenten
(z. B. DQ → IQ → OQ → PQ) widerspiegeln. Je nach Validierungsstrategie, Risiko und
Komplexität des Systems kann die Validierung alle Phasen umfassen, oder es kön-
nen auch Phasen zusammengefasst werden.

TIPP:
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Viele kommerzielle Softwareprodukte (z. B. Excel, Access, Datenbank- und Statis-


tikpakete) werden dazu verwendet, GxP-relevante Berechnungen, Trendanalysen
oder Aufzeichnungen zu erstellen. In diesem Fall müssen nur jene Teile der Software
validiert werden, die tatsächlich Verwendung finden.
Es soll aber darauf geachtet werden, dass high-risk-Anwendungen auf eigenen
Systemen installiert und nicht mit unkritischen Anwendungen vermischt werden.

Ein vollständiges Validierungssystem muss Vorgaben enthalten, um während aller


For personal use only.

Phasen der Validierung die formelle Bewertung und Berichterstellung zu allen


Qualitäts- und Leistungsmerkmalen sicherzustellen (Risikomanagement, Testpla-
nung, Testdurchführung und Testdokumentation). Zusätzlich müssen auch pro-
jektspezifische Vorgaben zum Personal (insbesondere Verantwortlichkeiten und
Training), zu Wartung und Kalibrierung sowie zu Sicherheits-, Lieferanten- und
Änderungsmanagement vorhanden sein.

8.5.4 Elektronische Aufzeichnungen und Unterschriften

Elektronische Aufzeichnungen
Computerisierte Systeme, die elektronische Aufzeichnungen bzw. elektronische
Unterschriften verwenden, müssen die Authentizität, Integrität, Vertraulichkeit
und Verfügbarkeit aller qualitätsrelevanten Daten gewährleisten. Computerisierte
Systeme sind deshalb so zu entwerfen respektive zu „designen“ (was während der
Validierung nachzuweisen und auch während des gesamten Lebenszyklus des Sys-
tems sicherzustellen ist), dass
ƒ geeignete physikalische und/oder logische Maßnahmen implementiert wer-
den, um den Zugang zu computergestützten Systemen auf autorisierte Perso-
nen zu beschränken.
Dies kann z. B. durch die Verwendung von persönlichen Kennworten, Schlüs-
seln oder biometrischen Verfahren erfolgen.
308 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

ƒ bei der manuellen Eingabe kritischer Daten die Richtigkeit dieser Datenein-
gabe durch eine zusätzliche Prüfung abgesichert wird. Diese zusätzliche Prü-
fung kann mithilfe einer validierten elektronischen Methode oder durch einen
zweiten Anwender erfolgen.
ƒ beim Datenaustausch mit anderen Systemen geeignete Kontrollmechanismen
für die korrekte und sichere Übertragung und Verarbeitung der Daten vorgese-
hen sind.
ƒ Daten durch physikalische und elektronische Maßnahmen vor Beschädigung
geschützt werden und die Entdeckbarkeit ungültiger und veränderter Daten
sichergestellt ist. Anhand eines automatischen Audit Trails muss ersichtlich
sein, wann und durch welchen Benutzer welche elektronischen Aufzeichnun-
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gen erzeugt, geändert oder gelöscht wurden.


ƒ die Verfügbarkeit, Lesbarkeit, Richtigkeit sowie der Zugriff auf gespeicherte
Daten während des gesamten Aufbewahrungszeitraumes gewährleistet sind.
ƒ regelmäßige Sicherungskopien aller maßgeblichen Daten erstellt werden. Die
Erstellung von Kopien elektronischer Aufzeichnungen (z. B. als Ausdrucke) so-
wie Audit Trails müssen jederzeit für Prüfungen und Inspektionen bereitge-
stellt werden können.
For personal use only.

MERKE:
Der Umfang der Maßnahmen, um diese Forderungen sicherzustellen, hängt immer
von der Kritikalität des computergestützten Systems ab!

Elektronische Unterschriften
Elektronische Aufzeichnungen können elektronisch signiert werden. Dieser Unter-
schrift kommt dieselbe rechtliche Bedeutung zu wie einer händischen Signatur bei
Papierdokumenten. Beim Einsatz von elektronischen Unterschriften ist die Ein-
deutigkeit von Unterschriften zu gewährleisten. Es ist weiterhin sicherzustellen,
dass sowohl der Name des Unterzeichnenden als auch das Datum und der Zeit-
punkt der Unterschrift dauerhaft mit dem zugehörigen Dokument verbunden sind.
Außerdem muss die Bedeutung der Unterschrift (z. B. Autor, Prüfer, Genehmiger)
klar aus dem Dokument hervorgehen.

8.5.5 Periodische Evaluierung
Computerisierte Systeme müssen periodisch vom Systemverantwortlichen (system
owner), gegebenenfalls unter Beiziehung von Experten aus anderen Bereichen (IT,
QA), evaluiert werden, um zu bestätigen, dass sie sich noch im validen Zustand
8.5 Computervalidierung 309

befinden. Solche Evaluierungen sollen den aktuellen Funktionsumfang, alle Ände-


rungen, Vorfälle, Probleme und Aktualisierungen sowie Berichte zur Zuverlässig-
keit umfassen. Am Ende eines Evaluierungsreviews soll eine klare Aussage getrof-
fen werden, ob sich das System noch in einem validen Zustand befindet oder ob
eine Re-Validierung bzw. Stilllegung des Systems erforderlich ist.

TIPP:
Insbesondere bei Anwendungen, die auf Softwareprodukte zugreifen, die auch im
Office-Bereich bzw. in Nicht-GxP-Systemen stark verbreitet sind (z. B. Windows-
Betriebssysteme, Microsoft Excel und Access, Oracle-Datenbanken, Labview-
Programmierumgebung), sind Benutzer validierter Computersysteme und Software
mit regelmäßigen Security Patches konfrontiert. Da diese häufig von der zentralen
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IT-Abteilung auf die gesamte Organisation ausgerollt werden, hat man als Anwen-
der in regulierten Bereichen oft nicht einmal die Möglichkeit zu entscheiden, ob
das Nichtausrollen des Security Patch oder die Änderung durch das Ausrollen ein
größeres Risiko für die Systemstabilität und -valididät darstellt.
Zur Risiko- und Aufwandsminimierung bei Security Patches/Updates von Office-
Systemen empfiehlt es sich daher, standardisierte Schnelltests auf definierten
Testrechnern durchzuführen. Die Definition der Tests erfolgt dabei unter Einbezie-
hung aller beteiligten Bereiche, meist im Rahmen der Validierung. Umfangreiche
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Updates (z. B. Umstellung von Windows 10 auf Windows 11 oder Einführung einer
komplett neuen Version von z. B. Excel) werden aber sinnvollerweise in eigenen
Projekten zusammen mit der IT-Abteilung abgewickelt.

8.5.6 Lieferantenbewertung
Werden computerisierte Systeme, Software oder CSV-relevante Dienstleistungen
von Dritten bezogen (z. B. Entwicklung, Herstellung, Installation, Konfiguration,
Wartung), so ist eine formale Leistungsvereinbarung zwischen dem Medizinpro-
duktehersteller und dem Dritten abzuschließen, in der die Verantwortlichkeiten
des Dritten eindeutig beschrieben sind. Dies gilt analog für zugelieferte Produkte
oder Dienstleistungen der internen IT-Abteilung. Je nach Systemrisiko und Sys-
temkategorie wird vordefiniert, welche der nachfolgenden Nachweise zur Lieferan-
tenqualifizierung für die Validierung erforderlich sind:
ƒ Life-cycle-Analyse: Dokumentierte Internetrecherche zur Leistung des zuge-
kauften Systems/der zugekauften Software (z. B. Berichte in User-Foren, Fach-
artikel), zum Umgang des externen Lieferanten mit Fehlern (z. B. bug list-Ana-
lyse), Änderungen, Versionen und bekannt gewordenen Sicherheitslücken;
dies bietet sich insbesondere bei großen Softwareherstellern an, bei denen ein
direkter Zugang über die im Folgenden genannten Möglichkeiten in den aller-
meisten Fällen nicht möglich ist.
310 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

ƒ Lieferantenbewertungsbogen: Vom Lieferanten sind Fragen zur Einhaltung


von Standards und Entwicklungsrichtlinien zu beantworten. Alternativ kön-
nen auch bereits vorhandene Unterlagen (z. B. aus dem Einkauf bzw. aus vor-
angegangenen Projekten) herangezogen werden. Weiterhin soll ein QM-Zertifi-
kat des Lieferanten eingefordert werden, um einen Anhaltspunkt über die
Einhaltung der wichtigsten qualitätsrelevanten Prozesse zu bekommen. Ins­
besondere der Änderungsdienst beim Lieferanten ist dokumentiert nachzu-
weisen.
ƒ Validierungsdokumente: Der Hersteller soll versuchen, Informationen über
die System- und Softwareanforderungen des Lieferanten, Design- und Anforde-
rungsspezifikationen, dessen Validierungsprozess und das Ergebnis der Vali-
dierung, Testprotokolle und Testergebnisse sowie Quellcodes zu erhalten.
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ƒ Audit: Ist die umfassendste Art, Sicherheit darüber zu erlangen, dass der Lie-
ferant in der Lage ist, die Anforderungen dokumentiert mit hoher Wahrschein-
lichkeit zu erfüllen. Die Notwendigkeit eines Audits sollte auf einer Risikobe-
wertung basieren und ist nur bei kritischen Lieferanten oder Produkten (siehe
Kapitel 11, Lieferantenmanagement) ins Auge zu fassen.
Abhängig vom Risiko des produzierten Medizinprodukts, dem möglichen Einfluss
For personal use only.

des zugekauften computerisierten Systems bzw. der gelieferten Software auf die
Qualität und Sicherheit des Medizinprodukts muss die Vollständigkeit der vom
Lieferanten zur Verfügung gestellten Informationen geprüft und müssen eventu-
elle Lücken bewertet werden. Sind die erhaltenen Informationen nicht ausrei-
chend, um die ins Auge gefasste Software oder computerunterstützte Anwendung
ausreichend bewerten zu können, sind entweder entsprechende Tests zu planen
oder mögliche Alternativen zu suchen. Der Hersteller soll weiterhin die möglichen
Konsequenzen berücksichtigen, sollte der Softwarelieferant seine Dienste einstel-
len (z. B. durch Insolvenz).
Soll ein validiertes GxP-relevantes System bei einem externen Lieferanten/Partner
eingesetzt bzw. zu ihm transferiert werden, so sind eigene Installations-/Über­
gabeprotokolle zu erstellen, die Folgendes nachweisen sollen:
ƒ die ordnungsgemäße Installation/Inbetriebnahme beim externen Lieferanten,
ƒ die Klärung der Zuständigkeit für die Wartung und Kalibrierung des extern
installierten Systems,
ƒ die erfolgreiche Durchführung dokumentierter (kurzer) Funktionstests laut
Checkliste,
ƒ die Unterzeichnung einer Übernahmebestätigung nach Installation und erfolg-
reich abgeschlossenem Funktionstest.
8.5 Computervalidierung 311

8.5.7 Best Practice

Laufende bzw. projektbezogene Masterplanung und Monitoring


Die zu validierenden Systeme werden projektspezifischen oder laufenden (z. B.
jährlichen) Masterplänen zugeordnet. Die Fortschritte der Einzelvalidierungen
­eines Masterplans werden im Rahmen der Projektplanung regelmäßig aktualisiert
und kommuniziert. Dadurch können Validierungsaktivitäten, insbesondere die
Termine und benötigten Ressourcen, effizient in Projekten mit eingeplant werden.

Systemauswahl und -klassifizierung


In einer größeren Organisation bzw. in einem größeren Entwicklungsprojekt ent-
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steht sehr schnell eine hohe Zahl an Softwaretools oder computerisierten Anlagen
in den GxP-relevanten Bereichen. Für eine rasche Erstklassifizierung hat sich ein
einfaches Erstbewertungsformular bewährt, das erlaubt, in wenigen Minuten die
Frage „Computervalidierung ja/nein?“ zu beantworten. Dadurch wird verhindert,
dass speziell Tools und Applikationen in der Entwicklung nicht erfasst werden und
damit in weiterer Folge ein Sicherheits- und Inspektionsrisiko darstellen. Etwas
Ähnliches gilt für den Validierungsumfang – die zusätzlichen Validierungsaufwen-
dungen werden nur dann von den Mitarbeitenden akzeptiert, wenn sie in einem
For personal use only.

erklärbaren Verhältnis zum Risiko der Software oder des computerisierten Sys-
tems stehen.

Inventarisierung, Wartung und periodische Reviews


In einem elektronischen System (z. B. SAP-Prüfmittelüberwachung) werden alle zu
validierenden Systeme einschließlich benötigter Basisinformationen wie beispiel-
weise Zuständigkeiten, Ansprechpartner, Anwendungsstatus, Validierungsstatus
etc. erfasst. Zusätzlich werden für validierte Systeme periodische Tasks generiert,
die in weiterer Folge periodische Reviews und/oder Wartungsaktivitäten anstoßen
und nachhalten.

Guidelines für Technische Dokumentation und Programmierung bzw.


Konfiguration
Im Zuge der Validierung werden Nachweise zur einheitlichen Programmierung
z. B. in Form von Code Reviews (basierend auf einheitlichen Programmierrichtli-
nien) sowie eine einheitliche Technische Dokumentation des Systems gefordert.
Als Hilfestellung bei der Technischen Dokumentation sollen zusammen mit den
Entwicklern Checklisten erstellt werden, die alle üblichen technischen Themen­
bereiche der Dokumentation abdecken.
312 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

Geregelter Stilllegungs-/Migrationsprozess
Folgende Fälle werden für validierte Systeme am Ende ihres operativen Einsatzes
geregelt:
ƒ Entzug (z. B. Lizenz läuft aus),
ƒ Datenmigration bzw. Archivierung,
ƒ Stilllegung (möglicherweise nur vorübergehend),
ƒ Entsorgung.
Die Abwicklung erfolgt mittels Risikoeinschätzung und wird in einem Statusände-
rungsformular dokumentiert. Im Fall einer Datenmigration bzw. Archivierung ist
grundsätzlich Folgendes zu beachten:
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ƒ Dateninhalt oder Rohdaten bleiben erhalten,


ƒ Signaturen bzw. elektronische Unterschriften bleiben erhalten,
ƒ Zweck bzw. Bedeutung der Daten ist zu dokumentieren,
ƒ Häufigkeit des Zugriffs bzw. Relevanz ist festzulegen,
ƒ Zugriffsberechtigungen sind zu vergeben.
Die Infrastruktur und das Speichermedium werden entsprechend den Anforderun-
For personal use only.

gen an die Datenaufbewahrung ausgewählt.

„ 8.6 Zusammenfassung
Bei der Entwicklung von Medizinprodukten sowie bei der Planung, der Errichtung
und dem Betrieb von Produktionsanlagen sind die Anforderungen der Good Engi-
neering Practice (GEP) umzusetzen. Dabei sind zusätzlich zum etablierten Enginee-
ring-Prozess, wie er z. B. für Chemie- und Erdölindustrieanlagen eingesetzt wird
(z. B. Basic-, Detail-Engineering, FAT, SAT), im Wesentlichen die Anforderungen
der Guten Herstellungspraxis (GMP) zu berücksichtigen.
GEP wird branchenspezifisch über technische Normen definiert. Die zusätzlich
einzuhaltenden GMP-Anforderungen sind in den USA über den 21 CFR 820 und in
Europa über die fISO 13485 definiert. Um diese GMP-Anforderungen zu erfüllen,
müssen z. B. alle qualitätsrelevanten Anforderungen an die Produktionsanlagen
und Produktionsräume in einer Betreiberanforderung festgelegt werden. Die kor-
rekte Spezifikation bzw. Errichtung von kritischen Produktionsanlagen und Pro-
duktionsräumen sowie deren korrekte Funktionsweise, Leistungsfähigkeit und
Prozessfähigkeit sind im Zuge der Qualifizierung/Validierung zu überprüfen, um
sicherzustellen, dass die gewünschte Produktqualität reproduzierbar hergestellt
8.7 Literatur 313

werden kann. Kritische Produktionsanlagen und Produktionsräume müssen des


Weiteren vorbeugend gewartet und instand gehalten werden, kritische Messgeräte
und Vorrichtungen für die Prozesskontrolle müssen kalibriert sein. Und alles muss
ausreichend dokumentiert werden, um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
Computerisierte Medizinprodukte sowie automatisierte Systeme zu deren Herstel-
lung sind gegebenenfalls zu validieren. Softwarevalidierung ist dabei ein wichtiges
Hilfsmittel, um die Qualität von Software, eingesetzt im Produkt selbst oder in
­automatisierten Systemen, welche in einem GxP-relevanten Prozess Verwendung
finden, abzusichern. Softwarevalidierung hilft, die Zuverlässigkeit und Funktions-
fähigkeit des fertigen Medizinprodukts zu erhöhen, was sich in geringeren Fehler-
raten, seltener erforderlichen Korrekturen und letztendlich im geringeren Risiko
für Anwender und Patient niederschlägt. Durch bessere Dokumentation hilft Soft-
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warevalidierung auch dabei, die life-cycle-Kosten zu reduzieren, weil Softwareände-


rungen schneller und damit kostengünstiger durchgeführt werden können.

„ 8.7 Literatur
For personal use only.

[8.1] World Health Organization (WHO): WHO Technical Report Series, No. 961 – Annex 5: Supplemen-
tary guidelines on good manufacturing practice for heating, ventilation and air-conditioning
systems for non-sterile pharmaceutical dosage forms. 2011. Verfügbar unter: https://apps.who.
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[8.2] European Parliament and of the Council: Directive 2014/30/EU of the European Parliament and of
the Council of 26 February 2014 on the harmonisation of the laws of the Member States relating
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[8.3] American Society for Testing and Materials International (ASTM): ASTM E2500 – 20: Standard Guide
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[8.4] Europäisches Komitee für Normung (CEN): EN ISO 9170-1:2020 Terminal units for medical gas
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(Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 9170-1:2020 Entnahmestellen
für Rohrleitungssysteme für medizinische Gase - Teil 1: Entnahmestellen für medizinische
Druckgase und Vakuum. Beuth, 2020.).
[8.5] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part
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[8.6] Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend: Bundesgesetzblatt Nr. 324/2008: Arznei-
mittelbetriebsordnung 2009 – AMBO 2009, Fassung vom 14. 04. 2021. In: Rechtsinformationssys-
tem des Bundes (RIS). 2012. Verfügbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe
?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20005989, abgerufen am 14. 04. 2021.
[8.7] European Commission: EudraLex – Volume 4 Good manufacturing practice (GMP) Guidelines. Ver-
fügbar unter: https://ec.europa.eu/health/documents/eudralex/vol-4_en, abgerufen am 14. 04. 2021.
314 8 GEP-/GMP-konforme Produktionsanlagen

[8.8] International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharma-


ceuticals for Human Use (ICH): ICH Harmonised Tripartite Guidelines  – Good manufacturing
practice guide for active pharmaceutical ingredients Q7, step 4 version. 2000. Verfügbar unter:
https://database.ich.org/sites/default/files/Q7%20Guideline.pdf, abgerufen am 14. 04. 2021.
[8.9] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical de-
vices – Quality management systems – Requirements for regulatory purposes. 2016. (Deutsche
Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485 Berichtigung 1:2017-07, Medizin-
produkte – Qualitätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Beuth,
2017.).
[8.10] U. S. Food and Drug Administration (FDA); Center for Drug Evaluation and Research (CDER):
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fda.gov/files/drugs/published/Process-Validation--General-Principles-and-Practices.pdf, abgerufen
am 14. 04. 2021.
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­Final Guidance for Industry and FDA Staff: General Principles of Software Validation. 2002. Ver-
fügbar unter: http://www.fda.gov/downloads/MedicalDevices/DeviceRegulationandGuidance/
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[8.12] Global Harmonization Task Force (GHTF): Quality Management Systems  – Process Validation
Guidance (SG3/N99-10 Edition 2). 2004. Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/docs/ghtf/final/
sg3/technical-docs/ghtf-sg3-n99-10-2004-qms-process-guidance-04010.pdf, abgerufen am 14. 04. 2021.
[8.13] European Commission: EudraLex – Volume 4 Good manufacturing practice (GMP) Guidelines –
Annex 15 to the EU Guide to Good Manufacturing Practice: Qualification and Validation. 2001.
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annex15.pdf, abgerufen 14. 04. 2021.


[8.14] Pharmaceutical Inspection Co-operation Scheme (PIC/S): PI 006 – 3 – Recommendations on Valida-
tion Master Plan, Installation and Operational Qualification, Non-Sterile Process Validation,
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[8.15] Hiob, M. et al.: „Qualifizierung“. In: GMP-Berater (AL63) GMP Praxiswissen Kapitel 6; GMP Ver-
lag Maas & Peithner. 2021.
[8.16] Deutsches Institut für Normung e. V. (DIN): DIN EN ISO 9001:2015-11 Qualitätsmanagementsyste-
me – Anforderungen. Beuth, 2015.
[8.17] European Compliance Academy (ECA) - Validation Group: Integrated Qualification and Validation:
A guide to effective qualification based on Customer - Supplier Partnership. 2020.
[8.18] International Electrotechnical Commission (IEC): International Standard IEC 60812:2018 Failure
modes and effects analysis (FMEA and FMECA). 2018.
[8.19] European Commission: EudraLex – Volume 4 Good manufacturing practice (GMP) Guidelines –
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bar unter: https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/eudralex/vol-4/chapter_3.pdf,
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[8.21] Brandes, R.: „Instandhaltung“. In: GMP-Berater (AL63), Kapitel 4.G; GMP Verlag Maas & Peithner,
2021.
[8.22] International Organization for Standardization (ISO); International Electrotechnical Commission
(ICE); Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE): ISO/IEC/IEEE 12207:2017-11 Systems
and Software engineering – Software life cycle processes. 2017.
[8.23] International Organization for Standardization (ISO); International Electrotechnical Commission
(ICE); Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE): ISO/IEC/IEEE 16085:2021-1: Systems
and software engineering – Life cycle processes – Risk management. 2021.
8.7 Literatur 315

[8.24] European Commission: EudraLex – Volume 4 Good manufacturing practice (GMP) Guide­lines –
Annex 11 to the EU Guide to Good Manufacturing Practice: Computerised Systems. 2011. Verfügbar
unter: https://ec.europa.eu/health/sites/health/files/files/eudralex/vol-4/annex11_01-2011_en.pdf,
abgerufen am 30. 04. 2021.
[8.25] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 11 –
Electronic Records; Electronic Signatures, 21 CFR Part 11. 2017. Verfügbar unter: https://www.
accessdata.fda.gov/scripts/cdrh/cfdocs/cfcfr/CFRSearch.cfm?CFRPart=11, abgerufen am 30. 04. 2021.
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Compliant GxP Cumputerized Systems. 2008. Verfügbar unter: https://ispe.org/publications/
guidance-documents/gamp-5, abgerufen am 30. 04. 2021.
[8.27] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Guidance for Industry: Part 11, Electronic Records;
Electronic Signatures  – Scope and Application. 2003. Verfügbar unter: https://www.fda.gov/
downloads/regulatoryinformation/guidances/ucm125125.pdf, abgerufen am 30. 04. 2021.
[8.28] U. S. Food and Drug Administration (FDA): FDA/CBER Guidance for Industry and Food and Drug
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Administration Staff „Content of Premarket Submissions for Management of Cybersecurity in


Medical Devices“; Document Issued on: October 2, 2014. Unter: https://www.fda.gov/media/86174/
download, abgerufen am 30. 04. 2021.
[8.29] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Guidance for Industry and FDA Staff, „Guidance for the
Content of Premarket Submissions for Software Contained in Medical Devices“, May 11, 2005.
Unter: https://www.fda.gov/media/73065/download, abgerufen am 30. 04. 2021.
[8.30] U. S. Food and Drug Administration (FDA): „Guidance for Industry: Cybersecurity for Networked
Medical Devices Containing Off-the-Shelf (OTS) Software“, January 14, 2005. Unter: http://academy.
gmp-compliance.org/guidemgr/files/FDA.GOV_CDRH_COMP_GUIDANCE_1553.PDF, abgerufen am
For personal use only.

30. 04. 2021.
[8.31] International Organization for Standardization (ISO): ISO/IEC 27001:2013– Information techno-
logy – Security techniques – Information security management systems – Requirements“. Inter-
national Organization for Standardization, October 2013, abgerufen am 30. 04. 2021.
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For personal use only.
9 Prozess- und
Methodenvalidierung
J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Was sind der gesetzliche Rahmen sowie die anwendbaren Richtlinien und
Normen für Medizinprodukte und IVDs?
ƒ Welche Relevanz hat die Prozessvalidierung und welche wesentlichen Anfor-
derungen bestehen für die Planung, Durchführung und Dokumentation?
ƒ Welche Weichen können bereits in der Prozessentwicklungsphase gestellt
werden, damit die Prozessvalidierung gelingt und die Validität des Prozesses
im Produktlebenszyklus weiter erhalten werden kann?
ƒ Wie kann in der Praxis mit Mängeln und besonderen Validierungssituationen
For personal use only.

umgegangen werden?
ƒ Was ist das Ziel der Methodenvalidierung, und welche Parameter werden in
einer Methodenvalidierung nachgewiesen?

„ 9.1 Prozessvalidierung
Prozessvalidierung soll einen objektiven Nachweis liefern, dass ein Prozess be-
ständig ein Ergebnis gemäß den vordefinierten Spezifikationen erbringt. Damit
soll sichergestellt werden, dass während der Entwicklung eines Produkts erzielte
Ergebnisse auch während der Serienfertigung mit großer Wahrscheinlichkeit er-
bracht werden können. Das Thema Prozessvalidierung wird international in zahl-
reichen Vorgaben und Guidelines behandelt und auch gefordert. Es handelt sich
dabei sowohl um gesetzliche Forderungen als auch um Normen oder Empfehlun-
gen. Will ein Unternehmen seine Produkte in einem bestimmten Markt vertreiben,
so sind die Gesetze des betreffenden Markts einzuhalten. Manche Märkte orientie-
ren sich auch an den gesetzlichen Anforderungen anderer Staaten. Vor allem die
USA, deren gesetzliche Anforderungen durch die Food and Drug Administration
(FDA) überwacht werden, gelten international als Maßstab. Die FDA bietet zudem
besonders umfassende Interpretationen der gültigen US-Vorschriften an. Die Aus-
318 9 Prozess- und Methodenvalidierung

führungen dieses Kapitels orientieren sich daher auch stark an den Anforderun-
gen der US-amerikanischen Behörde.

9.1.1 Rechtliche Grundlagen, Normen und Richtlinien


Die Verordnung der Europäischen Union über Medizinprodukte [9.1] ist bezüglich
Anforderungen an die Validierung von Herstellprozessen nicht sehr spezifisch.
Diesbezüglich verweist sie auf das Qualitätsmanagementsystem sowie harmoni-
sierte Normen, was als Hinweis auf die für den Medizinproduktebereich relevante
EN ISO-Norm 13485 verstanden werden kann. Aber auch diese Norm bleibt hin-
sichtlich der Umsetzung der Prozessvalidierung sehr unspezifisch. Um Prozess­
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validierungen State-of-the-Art-gemäß durchzuführen, ist es daher erforderlich, die


Richtlinien aus dem Pharmabereich und auch die Interpretationen der Gesetze des
US-amerikanischen Markts in die Planung und Umsetzung von Prozessvalidie-
rungsaktivitäten einzubeziehen.
Die international für die Medizintechnik relevante QM-Systemregelung ISO 13485
fordert klar, dass alle Produktionsprozesse, deren Ergebnis nicht zu 100 % verifi-
ziert werden kann, validiert werden müssen. Laut ISO 13485:2016 Abschnitt 7.5.6
For personal use only.

[9.2] (und in Abschnitt 7.5.7 für Sterilprozesse) „muss die Organisation sämtliche
Prozesse der Produktion und Dienstleistungserbringung validieren, deren Ergebnis
nicht durch nachfolgende Erfassung oder Messung verifiziert werden kann. Die Vali-
dierung muss (dabei) die Fähigkeit dieser Prozesse zur beständigen Erreichung der
geplanten Ergebnisse darlegen.“ Ähnlich der US-amerikanische Code of Federal
­Regulations 21 CFR 820.75(a) [9.3]: „Where the results of a process cannot be fully
verified by subsequent inspection and test, the process shall be validated with a high
degree of assurance and approved according to established procedures.“
Darüber hinaus gibt die Guidance for Industry, Process Validation: General Princip-
les and Practices [9.4] wertvolle Anhaltspunkte zur korrekten Planung, Durchfüh-
rung und Dokumentation von Prozessvalidierungen. Obwohl dieses Dokument
streng genommen für den Pharmabereich gültig ist, sind die Prinzipien und die
Vorgehensweise identisch bei Medizinprodukten anwendbar und werden auch von
Inspektoren bei Überprüfungen als „Stand der Technik“ herangezogen. Es betont
vor allem die Wertigkeit der Prozessentwicklung für die Prozessvalidierung und
ist die derzeit aktuellste Richtlinie zum Thema.
Auf europäischer Ebene existiert ebenfalls eine Richtlinie aus dem Pharmabereich,
der Annex 15 to the EU Guide to Good Manufacturing Practice [9.5], welcher analog
für Medizinprodukte herangezogen werden kann.
Auf globaler Ebene ist darüber hinaus eine Richtlinie der Global Harmonization
Task Force (GHTF) von Bedeutung, die ausschließlich für den Medizinprodukte­
9.1 Prozessvalidierung 319

bereich gilt. Die Quality Management Systems – Process Validation Guidance [9.6]
betont die besondere Situation der Prozessvalidierung im Medizinproduktebe-
reich, der im Vergleich zur Pharmaindustrie eine Vielzahl von Technologien um-
fasst, die beispielsweise von einfachen, händisch zu bedienenden Werkzeugen bis
zu komplexen, computergestützten Analysesystemen reichen kann. Die Richtlinie
geht auch darauf ein, dass Faktoren wie das Produktionsvolumen, die Anzahl von
Fertigungsschritten oder beispielsweise zerstörende Prüfungen einen großen Ein-
fluss auf die Herangehensweise an die Prozessvalidierung haben, und bietet Lö-
sungsansätze über statistische Verfahren (vgl. Methodenvalidierung). Die FDA ver-
weist für den Medizinproduktebereich ausdrücklich auf die GHTF-Richtlinie (vgl.
[9.4]). Die Berücksichtigung der GHTF-Richtlinie und der beschriebenen FDA-
Richtlinie aus dem Pharmabereich ergibt eine sinnvolle Kombination an praxisori-
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entierten Vorgaben.

TIPP:
Publikationen und diverse Guidance Papers von Arbeitskreisen, Industrieverbänden
und Behörden (insbesondere der FDA – siehe www.fda.gov) sind aufschlussreiche
Quellen für Details der, sowie für den aktuellen Zugang zur Prozessvalidierung.
Lohnenswert kann auch sein, sich mit Auditergebnissen (z. B. den FDA Warning
For personal use only.

Letters – siehe www.fda.gov) zu befassen, um die aktuelle Interpretation der Re-


gularien aus Behördensicht besser einschätzen zu können. Auswertungen über
die Häufigkeit und Art von FDA-Beanstandungen werden auch von diversen Un-
ternehmen, die auf den Bereich GMP spezialisiert sind, im Internet zur Verfügung
gestellt (z. B. [9.7]).

9.1.2 Definition und Nutzen der Prozessvalidierung


Nach Definition der FDA liefert die Prozessvalidierung einen „objektiven Nachweis
dafür, dass ein Prozess beständig ein Ergebnis oder Produkt gemäß vordefinierten
Spezifikationen erbringt“. Sinngemäß gleich wird die Prozessvalidierung auch von
der Europäischen Kommission und der GHTF/IMDRF definiert.

9.1.2.1 Definitionen
ƒ „Process validation means establishing by objective evidence that a process con-
sistently produces a result or product meeting its predetermined specifications“
[9.3].
ƒ „The collection and evaluation of data, from the process design stage through
commercial production, which establishes scientific evidence that a process is
­capable of consistently delivering quality products“ [9.4].
320 9 Prozess- und Methodenvalidierung

ƒ „The documented evidence that a process, operated within established parame-


ters, can perform effectively and reproducibly to produce a medicinal product
meeting its predetermined specifications and quality attributes“ [9.5].
ƒ „Establishing by objective evidence that a process consistently produces a result or
product meeting its predetermined requirements“ [9.6].
ƒ „Action of proving and documenting that any process, procedure or method actu-
ally leads to the expected results“ [9.8].
In der Kernaussage ähneln alle Vorgaben einander und haben dasselbe Ziel – die
höchstmögliche Sicherheit, dass das Produkt die spezifizierten Eigenschaften bzw.
ein Prozess die definierten Prozessleistungen dauerhaft erbringt und dadurch dem
Kunden ein funktionsfähiges und sicheres Produkt während der definierten Ge-
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brauchsdauer zur Verfügung steht. Die Prozessvalidierung ist klassisch am Über-


gang, auch hinsichtlich der Verantwortung, zwischen Entwicklung und Serienpro-
duktion einzugliedern und stellt erstmals risikobasiert und dokumentiert den
Status des gesamten Prozesses dar.

9.1.2.2 Nutzen
Der Aufwand für die Planung und Durchführung der Prozessvalidierung kann
For personal use only.

hoch sein, aber ihr Nutzen wiegt das bei Weitem auf, wie beispielsweise:
ƒ Sichtbarkeit/Messbarkeit der Prozessqualität unter Routinebedingungen,
ƒ Beitrag zur internen Entscheidung für die Marktfreigabe (Produzierbarkeit,
Lieferfähigkeit etc.),
ƒ dokumentierter Nachweis für interne Zwecke (Prozessverbesserungen, Erken-
nen von Schwachstellen, firmeninterne Anforderungen etc.),
ƒ dokumentierter Nachweis für externe Zwecke (Voraussetzung für Marktein-
tritt, Nachweispflicht gegenüber Behörden, schnellere Reklamationsbearbei-
tung etc.),
ƒ dokumentierter Nachweis als vertragliche Bedingung bei OEM-Partnerschaf-
ten oder als Zulieferer an Medizinproduktehersteller.
9.2 Die Rolle von Prozessentwicklung und Risikomanagement 321

„ 9.2 Die Rolle von Prozessentwicklung und


Risikomanagement
Bei der Übertragung der Ergebnisse aus der Produktentwicklung in das Design
des Herstellungsprozesses (siehe „Design Transfer“ in Kapitel 4, Entwicklung von
Medizinprodukten) ist besonderes Augenmerk darauf zu richten, dass ein Herstell-
prozess sicher und reproduzierbar entwickelt und die Anlagen entsprechend auf
die geplanten Herstellungsmengen ausgelegt und konfiguriert wurden. Weiterhin
sind In-Prozess-Kontrollen, die auf statistischen Methoden basieren, zu definieren
sowie Herstell- und Freigabegrenzen nachvollziehbar festzulegen. Nicht zuletzt
spielt die Integration der Produktions- und Freigabedaten in bereits vorhandene
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Datenmanagementsysteme eine große Rolle.

MERKE:
Die Ergebnisse der Prozessvalidierung zeigen, wie umsichtig in der Prozessent-
wicklungsphase, im Besonderen im Risikomanagementprozess, gearbeitet wurde.
Je mehr Prozesswissen in dieser Phase erworben und je besser der Prozess cha-
rakterisiert wurde, desto weniger Mängel werden bei der Prozessvalidierung und
For personal use only.

in weiterer Folge während der Serienproduktion zutage treten.


Auch die FDA [9.4] hält fest, dass der Erfolg einer Prozessvalidierung von den erar-
beiteten Informationen während der Produkt- und Prozessentwicklung abhängt.
Wichtige Erkenntnisse, die in diesen Phasen erarbeitet werden sollen, betreffen:
ƒ Einflussfaktoren bzw. Ursachen von möglichen Schwankungen zu erkennen,
ƒ Schwankungen und deren Auswirkung auf das finale Produkt zu ermitteln,
ƒ Maßnahmen, um Schwankungen zu kontrollieren, die in einem angemessenen
Verhältnis zum Risiko des Prozesses bzw. Produkts stehen.
Dabei ist entscheidend, das erarbeitete Wissen umfassend, also nachvollziehbar,
fundiert und auffindbar zu dokumentieren. Anhand gut dokumentierter Ergeb-
nisse kann bei unvorhergesehenen Problemen und bei Produkt- bzw. Prozessver-
besserungen viel schneller und effizienter reagiert werden. Es erleichtert aber
auch Erklärungen bei möglichen Inspektionen durch Behörden.
Der Risikomanagementprozess sollte während der Prozessentwicklung dazu ge-
nutzt werden, den Aufwand und die Tiefe der Validierungsaktivitäten zu steuern.
In dieser Phase werden sich jene Punkte als kritische Parameter herauskristalli-
sieren, die validierungsrelevant sind.
322 9 Prozess- und Methodenvalidierung

MERKE:
Der Risikomanagementprozess ist im gesamten Produktlebenszyklus ein zentrales
Thema. In der Literatur sowie in den Vorgaben wird in diesem Zusammenhang
häufig vom risk based approach, also dem risikobestimmten Ansatz, gesprochen.
Dabei sollen Entscheidungen den Risikokriterien angemessen gefällt werden.

TIPP:
Vergessen Sie im Rahmen der Risikoanalysen nicht die Bewertung der Schnittstel-
len zwischen den einzelnen Prozesseinheiten.
Begründen Sie nachvollziehbar, wenn Risiken nicht vermindert werden (z. B. Feh-
ler erzeugt nur internen wirtschaftlichen Schaden durch höhere Nacharbeitskos-
ten, hat aber keinen direkten Einfluss auf den Kunden) oder werden können (z. B.
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technische Lösung nicht vorhanden). Belegen Sie Maßnahmen und Wirksamkeits-


nachweise bereits in der Prozessentwicklungsphase mit Untersuchungsberichten.
Das spart Aufwand für Nachweise während der Prozessvalidierung. Verwenden
Sie je nach Fragestellung die passenden Risikomanagementwerkzeuge (siehe dazu
auch Kapitel 2, Risikomanagement).

For personal use only.

„ 9.3 Potenzial und Stellenwert statistischer


Methoden
Statistische Methoden und Werkzeuge spielen sowohl in der Prozessentwicklung
als auch für die Prozessvalidierung eine wichtige Rolle [9.6]. Ihre Anwendung wird
empfohlen in der:
ƒ Prozessentwicklung
ƒ zur Entwicklung der Prozessparameter,
ƒ zur Erarbeitung der Prozess-, Warn- und Eingreifgrenzen,
ƒ zur Analyse der Einflussfaktoren auf Prozessschwankungen,
ƒ zur Erarbeitung der Stichprobenpläne für die In-Prozess-Kontrollen und
Freigabemethoden.
ƒ Prozessvalidierung
ƒ als analytische Grundlage zur Identifikation von kritischen Prozesspara-
metern,
ƒ zur Festlegung des Probenzugplans für die Validierungstests (erhöhte
Stichprobenanzahl gegenüber dem Routinebetrieb),
ƒ zur Festlegung der erforderlichen Anzahl an Validierungs-Chargen.
9.3 Potenzial und Stellenwert statistischer Methoden 323

Zunächst gilt es, den Prozess hinsichtlich seiner Einflussgrößen und Schwankun-
gen kennenzulernen. Das statistische Verhalten von Prozessen kann beispiels-
weise mittels Qualitätsregelkarten beschrieben werden. Die erhobenen Daten er-
lauben Rückschlüsse auf Prozessstörungen, deren Ausmaß und Ursachen. Darauf
aufbauend soll der Prozess so weit entwickelt und verbessert werden, dass er ver-
lässlich zu einem spezifikationskonformen Endprodukt führt, also stabil, be-
herrscht und fähig ist [9.6]. Der Erfolg der anschließend getroffenen Verbesse-
rungsmaßnahmen kann wiederum mittels statistischer Methoden gut gemessen
und dargestellt werden.
Es bieten sich zahlreiche statistische Methoden für Untersuchungen an, um die
Fähigkeit und Stabilität des Prozesses anhand der gewonnenen Daten zu analysie-
ren und zu dokumentieren, darunter:
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ƒ Fähigkeitsuntersuchung,
ƒ Abnahmestichprobenplan,
ƒ Kontrollkarten,
ƒ Statistische Versuchsplanung/Design of Experiments (DoE),
ƒ Toleranzanalyse,
For personal use only.

ƒ Varianzanalyse (ANOVA),
ƒ Messsystemanalyse.
Als ergänzende Werkzeuge haben sich in der Praxis beispielsweise die FMEA und
die Fehlerbaumanalyse/Fault Tree Analysis (FTA) als nützlich erwiesen (siehe dazu
auch Kapitel 2, Risikomanagement). Die angeführten Methoden und Werkzeuge
sind nur ein Auszug aus vielen Möglichkeiten [9.6]. Es wird empfohlen, sich mit
deren Potenzial sorgfältig auseinanderzusetzen (beispielsweise [9.9] und [9.10]),
um die passende Methode für die betreffende Fragestellung zu finden.
Methoden, die im Rahmen der Produkt- und Prozessentwicklung eingesetzt wer-
den, sind nicht grundsätzlich validierungspflichtig. Im Vordergrund steht, dass die
Methoden wissenschaftlich fundiert sind (z. B. spezifisch, sensitiv und genau) und
verlässliche Ergebnisse bringen. Immer zu beachten ist, dass die Messmittel und
Geräte, die für die Analysen verwendet werden, verlässlich funktionieren, gewar-
tet, kalibriert oder qualifiziert sind und ihrem Verwendungszweck entsprechend
eingesetzt werden [9.4].
Für die Anwendung analytischer Methoden für die Produktfreigabe sollen aller-
dings die cGMP-Anforderungen des 21 CFR Part 210 [9.11] und 211 [9.12] beach-
tet werden. Eine Methodenvalidierung kann dafür notwendig werden (siehe auch
Abschnitt 9.5 dieses Kapitels). Für die Prozessvalidierung bedeutet dies, dass die
Validierung der analytischen Methoden bis zur Fertigung der Prozessvalidierungs-
Chargen erfolgreich abgeschlossen sein muss.
324 9 Prozess- und Methodenvalidierung

„ 9.4 Die Prozessvalidierung
Im folgenden Abschnitt wird kurz dargestellt, welche organisatorischen und in-
haltlichen Voraussetzungen für den Beginn der Prozessvalidierung geschaffen
werden sollten. Anschließend werden der Ablauf sowie die erforderliche Doku-
mentation erläutert und anhand von Beispielen dargestellt.
In der Literatur und den zugrunde liegenden gesetzlichen Vorgaben werden Be-
grifflichkeiten aus der Anlagenqualifizierung, beispielsweise Installation Qualifica-
tion (IQ), Operational Qualification (OQ) und Performance Qualification (PQ), mit
der Prozessvalidierung vermischt bzw. in Verbindung gebracht. Das rührt daher,
dass Herstell- und Prüfprozesse, abhängig vom Automatisierungsgrad, oftmals
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nicht klar von den eingesetzten Anlagenfunktionen getrennt werden können. Be-
sonders in der PQ gibt es Überschneidungen mit den Aktivitäten der Prozessvali-
dierung. Im Extremfall sind PQ und Prozessvalidierung deckungsgleich. Meistens
aber wird aufgrund der Aneinanderreihung von Anlagen und manuellen Tätigkei-
ten nach der Anlagen-PQ eine Prozessvalidierung nötig sein (siehe auch Kapitel 8,
GEP/GMP-konforme Produktionsanlagen).
For personal use only.

TIPP:
Damit die Prozessvalidierung im Unternehmen gelingen kann, gilt es zunächst,
dem Management und der Belegschaft zu erklären, warum sie sich mit diesem
Thema beschäftigen müssen. Vor allem das Management muss von der Notwen-
digkeit und Sinnhaftigkeit von Prozessvalidierungen überzeugt werden und in
weiterer Folge die erforderlichen Ressourcen und Tools zur Durchführung zur
Verfügung stellen. Auch die Erarbeitung von Verfahrens- und Arbeitsanweisungen
sowie standardisierten Vorlagen, die in das QM-System integriert werden, sind
Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche und effiziente Durchführung aller Vali-
dierungsaktivitäten.

Folgende Prozesse haben Schnittstellen zur Prozessvalidierung und sollen neben


der Prozessvalidierung selbst geregelt sein:
ƒ Anlagenqualifizierung,
ƒ Softwarevalidierung,
ƒ Methodenvalidierung,
ƒ Reinigungsvalidierung,
ƒ Dokumentation,
ƒ Änderungswesen (Change Control) für Produkt, Prozess, Anlagen und Soft-
ware,
ƒ Risikomanagement,
9.4 Die Prozessvalidierung 325

ƒ Prozessentwicklung,
ƒ Prüfmittelüberwachung
etc.
Vor allem in komplexen Validierungsprojekten muss zuerst eine Projektorganisa-
tion und deren Aufgaben und Verantwortlichkeiten festgelegt werden. Auch eine
geregelte Kommunikationsstruktur ist für den erfolgreichen Ablauf des Projekts
erforderlich, z. B. Meetings des Lenkungsteams, zugänglicher Termin- und Fort-
schrittsplan für alle Teammitglieder, Update per E-Mail bei Erreichung wesentli-
cher Meilensteine, periodische Status-Updates an die Projektleitung und das vali-
dierende Team durch die (Teil-)Projektleiter.
Die Aufgaben der Validierungslenkung werden zumeist von einem Fachexperten
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der QM/QS-Abteilung übernommen. Die Validierungslenkung umfasst Beratungs-


tätigkeiten für die Masterplanung, die Planung der Teilprojekte, die Prüfung und/
oder Freigabe der Pläne und Berichte, das Fortschrittsmonitoring und die Schu-
lung der Validierungsverantwortlichen hinsichtlich der Vorgaben zum Validie-
rungsprozess.
Es sollte ein Verantwortlicher für die Koordination der Teilprojekte und das Con­
trolling (Termine, Kosten) definiert werden und die Koordination von externen
For personal use only.

Dienstleistern geregelt sein.

9.4.1 Masterplanung
Die Masterplanung ist eine der ersten prozessvalidierungsspezifischen Aktivitäten
und ermöglicht die Darstellung der Zusammenhänge im Validierungsprojekt. Für
größere Validierungsprojekte wird empfohlen, sämtliche validierungsrelevanten
Teilaspekte in Einheiten zu gliedern und die Vorgehensweise in einem übergeord-
neten Projektdokument zu beschreiben (siehe Bild 9.1). Jeder Teilaspekt sollte wie-
derum in einem Validierungsmasterplan (VMP) beschrieben und grob geplant
werden. Die Gliederung in inhaltlich verwandte Bereiche (z. B. Produktionsberei-
che, gleiche Anlagen, gleiche Gebäude) oder strategieverwandte Vorgehensweisen
kann sehr zum effizienten Ablauf beitragen.
In kleinen, überschaubaren Validierungs(teil)projekten kann auf den VMP ver-
zichtet und nur ein Validierungsplan (VP) erstellt werden.
326 9 Prozess- und Methodenvalidierung

Übergreifender VMP

Projektspezifische Pläne

Qualifizierung Computer- Reinigungs- Prozess- Methoden-


validierung validierung validierung validierung

QMP VMP VMP VMP VMP


CSV Reinigungs- VMP VMP
QMP Bereiche 1, 2, 3 validierung Bereich 1 Analysche
Bereich 1 Bereiche 1, 2, 3 Methoden
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QMP VMP
Bereich 2 Bereiche 2 + 3

QMP
Bereich 3

Bild 9.1  Übergeordnete Planungsstruktur in einem Validierungsgroßprojekt

Ein VMP könnte folgendermaßen gegliedert sein:


For personal use only.

ƒ Einleitung: Projektbeschreibung, Geltungsbereich, Ziel und Zweck des VMP,


gültige interne Vorgaben und externe Richtlinien oder gesetzlicher Rahmen.
ƒ Organisatorische Struktur des Validierungsprojekts: Aufgabenzuordnung,
Kompetenzen und Verantwortlichkeiten (Planung, Durchführung, Freigabe
und Dokumentation der Validierungsschritte, erforderliche Schulungen).
ƒ Beschreibung des Validierungsgegenstands: kurze Beschreibung der Pro-
dukte, Prozesse und Einrichtungen. Oft ist auch eine grafische Prozessdarstel-
lung hilfreich, diese kann auch noch durch prozessbeteiligte Anlagen, Prüfsys-
teme, IT-Infrastruktur und Prozessvorgaben ergänzt werden, Kriterien bzw.
Begründung für die Validierungsrelevanz, übersichtliche Auflistung der zu
validierenden Prozesse und Einrichtungen.
ƒ Allgemeine Akzeptanzkriterien: allgemeine Festlegungen für die Bewertung
der Validierungsschritte.
ƒ Dokumentation: die Form und Ablage der erforderlichen Nachweise.
ƒ Referenzdokumente: Auflistung der relevanten Prozess- und Prüfvorgaben,
intern anzuwendenden Regeln für die Durchführung von Validierungen.
ƒ Projektplan: Terminplanung, erforderliche Personalkapazitäten (sollten fort-
laufend aktualisiert und kommuniziert werden).
ƒ Konzept zur Aufrechterhaltung des validierten Zustands: Vorgehensweise
im Fall von Änderungen an Einrichtungen und Prozessen bzw. Dokumentation
dieser Änderungen.
9.4 Die Prozessvalidierung 327

Üblicherweise dient der VMP als Dachdokument. Für die jeweiligen Validierungen
wird ein separater VP erstellt. Der VP kann grundsätzlich gleich aufgebaut wer-
den, er enthält jedoch detailliertere Angaben.

BEACHTE:
Zu jedem Validierungsmasterplan, wie auch zu den einzelnen Validierungsplänen,
wird abschließend ein Bericht (VMB/VB) erstellt. Inhaltlich orientiert sich der VMB
an den Festlegungen des VMP. Die Ergebnisse sollten den definierten Akzeptanz-
kriterien gegenübergestellt, auf Mängel und Abweichungen soll eingegangen und
eine zusammenfassende Bewertung soll erstellt werden.

Beispiele zu VMP/VMB sowie dazugehörige VP/VB stehen unter www.plus.hanser-


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fachbuch.de als Zusatzmaterialien zum Download zur Verfügung.

Dokumentation
Zu regeln ist in diesem Zusammenhang vor allem, wie die Ein-Eindeutigkeit der zu
erstellenden Dokumente gewährleistet werden kann, beispielsweise durch die Ver-
gabe von Projektnummern, die Regelung der Dokumentenversionierung, -benen-
nung und -archivierung (siehe Abschnitt 1.2.3). Ablagen als Papierkopien haben
For personal use only.

den Vorteil, dass sie bei Fragen griffbereit und übersichtlich zur Verfügung gestellt
werden können, während die Ablage in Dokumentenmanagementsystemen platz-
sparend ist und elektronisch gespeicherte Dokumente für spätere Projekte einfa-
cher zur Verfügung stehen. In beiden Fällen muss besonderes Augenmerk auf die
Wiederauffindbarkeit gelegt werden.

9.4.2 Ablauf der Prozessvalidierung

9.4.2.1 Ermittlung des Validierungsbedarfs


Der Validierungsbedarf ist eine der entscheidenden Fragen, die bereits im Master-
plan zu beantworten ist. Darüber hinaus ist es der erste Schritt in der risikobasier-
ten Umsetzung der Prozessvalidierung. Gemäß ISO 13485 Abschnitt 7.5.6 [9.2]
gilt, dass „sämtliche Prozesse der Produktion und Dienstleistungserbringung zu vali-
dieren [sind], deren Ergebnis nicht durch nachfolgende Überwachung oder Messung
verifiziert werden kann“. Die GHTF/IMDRF [9.6] schreibt, dass ein Prozess dann
nicht validierungsrelevant ist, wenn die kritischen Parameter ausreichend verifi-
ziert werden können. In diesem Fall wird vorgeschlagen, diese Parameter zu verifi-
zieren und eine Prozesskontrolle zu etablieren (Bild 9.2).
328 9 Prozess- und Methodenvalidierung
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For personal use only.

Bild 9.2 Ermittlung des Validierungsbedarfs (gemäß [9.6])

Zu Beginn sollte eine übersichtliche Prozessbeschreibung mit folgenden Inhalten


erstellt werden: Prozessschritt, Prozessparameter, Output des Prozessparameters,
Validierungsrelevanz aufgrund der Bewertungsergebnisse. Dabei ist zu beachten:
a) Bewertung jedes dieser Parameter auf Verifizierbarkeit (durch Prüfung oder
Monitoring). Als Prozess-Output gelten die Qualitätsattribute des Produkts
oder Zwischenprodukts (z. B. Durchmesser, Länge, Sterilität).
b) Bewertung, ob die Verifizierung ausreichend ist bzw. ob inakzeptable Risiken
verbleiben und ob die Lösung kosteneffizient ist. Bei positivem Ergebnis kann
auf die Validierung des Prozessschritts/-parameters verzichtet werden.
c) Die Verifizierung und eine angemessene Parameter-/Prozesskontrolle werden
etabliert.
d) Sollten die genannten Voraussetzungen nicht gegeben sein, besteht Validie-
rungsrelevanz.
e) Auch ein Re-Design des Prozesses oder Produkts kann eine Option zur Stabili-
sierung des Prozesses oder seiner Verifizierbarkeit sein.
9.4 Die Prozessvalidierung 329

TIPP:
Eine 100 %-Kontrolle kann zwar die Prozessvalidierung ersetzen, aber langfristig
hohe Kosten verursachen. Eine statistisch abgesicherte Prüfmethode in Kombina-
tion mit einer Prozessvalidierung ist daher oft effizienter und ebenso effektiv.

Üblicherweise validierungsrelevante Prozesse sind laut GHTF/IMDRF [9.6]:


ƒ Sterilisation,
ƒ aseptische Füllprozesse,
ƒ sterile Verpackung/Versiegelung,
ƒ Gefriertrocknung,
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ƒ Wärmebehandlung und alle Prozesse unter direkter Wärmezufuhr,


ƒ Beschichtungsprozesse,
ƒ Spritzgussprozesse für Schlüsselkomponenten sowie auch
ƒ Schweißen, Löten, Kleben, Pressen.
Prozesse, für die eine Verifizierung durch qualifizierte Anlagen oder 100 %-Kont-
rollen ausreichen:
For personal use only.

ƒ manuelle Schneideprozesse,
ƒ Prüfungen auf Oberflächenbeschaffenheit, Farbe und Trübung,
ƒ visuelle Prüfung von Leiterplatinen,
ƒ Herstellung und Prüfung von Kabelbäumen.
Prozesse, für die das Entscheidungsmodell angewendet werden soll, sind beispiels-
weise bestimmte
ƒ Reinigungsprozesse,
ƒ manuelle Assemblierprozesse,
ƒ Abfüllprozesse.

BEACHTE:
Wenn das Ergebnis eines (Teil-)Prozesses softwaregestützt verifiziert wird, muss
die Software für diesen Zweck validiert und die Hardware qualifiziert sein (siehe
Abschnitt 8.5, Computervalidierung).

330 9 Prozess- und Methodenvalidierung

9.4.2.2 Arten der Validierung


Bei einer Neuvalidierung handelt es sich um die erstmalige Validierung eines
neuen oder bestehenden Herstellprozesses.
Eine Re-Validierung kann erforderlich sein, wenn sich an einem validierten Pro-
zess Änderungen ergeben, die die Qualität des Produkts maßgeblich beeinflussen
könnten oder Hinweise für eine Prozessinstabilität vorhanden sind.

9.4.2.3 Validierungsansatz
Der prospektive Validierungsansatz ist nach heutigem Stand der Technik der
Regelfall der Prozessvalidierung und gilt für alle neuen Produkte, Produktionsver-
fahren und wesentlichen Prozessänderungen. Prospektive Validierung bedeutet,
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dass das Produkt erst nach positiv abgeschlossener Prozessvalidierung in Verkehr


gebracht werden kann.
Es kann in Ausnahmefällen erforderlich sein, ein Produkt bereits in Verkehr zu
bringen, bevor alle (Teil-)Prozesse vollständig validiert sind. Der begleitende Vali-
dierungsansatz (concurrent validation) soll vorab in einer Risikobetrachtung be-
gründet und in der Validierungsstrategie definiert werden.
For personal use only.

BEISPIEL:
Beispiele für die Wahl einer begleitenden Validierung:
a) Validierung eines bestehenden Prozesses: Die Datenanalyse im Rahmen
der Risikobetrachtung belegt eine hohe Stabilität des Prozesses in der Ver-
gangenheit. Strategie: Die Zahl der Validierungslose wurde mit drei definiert.
Die Standardlose sind allerdings so groß, dass sie nur ein- bis zweimal jährlich
gefertigt werden (zur Vermeidung von hohen Kosten für Lagerung oder Über-
schussproduktion).
b) Prozessänderung: Ein neues Prüfverfahren soll eingeführt werden, welches
das alte Prüfverfahren ablösen soll. Die Durchlaufzeit für die Produktion beträgt
sechs Wochen, und das Produkt hat eine Haltbarkeitsdauer von sechs Mona-
ten. Strategie: Die Zahl der Validierungslose wurde mit 15 definiert. Ein scale-
down der Validierungslosgröße ist aufgrund der prozesstechnisch bzw. statis-
tisch relevanten Mindestproduktionsmenge nicht möglich. Um den
Qualitäts- und Haltbarkeitsanforderungen des Kunden zu genügen, müssen
die Lose sofort ausgeliefert werden (zur Vermeidung hoher Kosten für die
Verschrottung von Gut-Validierungslosen).

Üblicherweise wird bei der begleitenden Validierung die Qualität der auszulie-
fernden Produkte durch zusätzliche Prüfmaßnahmen abgesichert. In den vorhin
genannten Beispielfällen könnte eine erhöhte Stichprobenanzahl die begleitende
Validierung rechtfertigen, gegebenenfalls kann die erfolgte Methodenvalidierung
des verwendeten Prüfverfahrens ins Treffen geführt werden.
9.4 Die Prozessvalidierung 331

Bei der Entscheidung zu einer begleitenden Validierung ist zu berücksichtigen,


dass bei Fehlschlagen der Validierung das Produkt eventuell vom Markt zurückge-
holt werden muss.
Der retrospektive Validierungsansatz entspricht nicht mehr dem Stand der
Technik und wird daher bei neuen Prozessen nicht mehr angewandt. Bei bestehen-
den Prozessen lohnt es sich, die vorhandenen Daten über einen definierten Zeit-
raum (z. B. die letzten 20 Produktionslose) auszuwerten und bestätigend Validie-
rungslose zu fertigen. Um der Nachweispflicht an die Behörden Genüge zu tun, ist
jedoch relevant, dass die Prozessrisiken bekannt sind und unter Kontrolle gebracht
wurden, wobei hier besonders Abweichungen, Änderungen und Kundenreklamati-
onen mit Sorgfalt bewertet werden müssen.
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9.4.2.4 Validierungsfamilien
Um bei gleichartigen/verwandten Produkten Aufwand zu sparen, können Validie-
rungsfamilien gebildet werden. Voll validiert wird dabei nur ein ausgewählter Re-
präsentant der Familie, die Ergebnisse gelten dann für die gesamte Familie. Die
übrigen Familienmitglieder können auf Basis eines reduzierten Validierungsum-
fangs freigegeben werden. Diese Vorgehensweise ist empfehlenswert bei Produk-
ten, deren Herstellung auf denselben oder vergleichbaren qualifizierten Anlagen
For personal use only.

erfolgt und die sich beispielsweise nur durch die Chargengröße oder die Menge
der aktiven Einsatzstoffe unterscheiden. Ausgewählt als Familienvertreter wird
das „risikoreichste“, d. h. das am schwierigsten zu fertigende Produkt. Diese Vorge-
hensweise muss vorab festgelegt werden.

9.4.3 Planung, Durchführung und Abschluss


Die Kernelemente der Prozessvalidierung sind der Validierungsplan und der Vali-
dierungsbericht sowie die erforderlichen Nachweisdokumente über die geforder-
ten Prüfungen und die Dokumentation der aufgetretenen Abweichungen (Bild 9.3).
332 9 Prozess- und Methodenvalidierung
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For personal use only.

Bild 9.3 Ablauf der Prozessvalidierung

9.4.3.1 Validierungsstrategie
Vor Erstellung des Validierungsplans muss eine Validierungsstrategie festgelegt
werden. Die Validierungsstrategie sollte zum betreffenden Produkt, seiner Herstel-
lung und Prüfung passen. Sie sollte in jeder Hinsicht risikobasiert definiert wer-
den und beispielsweise folgende Aspekte festlegen:
ƒ Validierungsansatz – prospektiv, begleitend, retrospektiv,
ƒ Familienbildung/Auswahl eines oder mehrerer Repräsentanten,
ƒ Anzahl der Validierungs-Chargen (die Fertigung von drei aufeinanderfolgen-
den Validierungs-Chargen galt lange als Standardansatz, vor allem für die Va-
lidierung von etablierten, stabilen Herstell- und Prüfprozessen. Bei neuen Pro-
zessen müssen statistische Kriterien für die Anzahl der Validierungs-Chargen
herangezogen werden),
ƒ geplanter zeitlicher Rahmen,
9.4 Die Prozessvalidierung 333

ƒ Besonderheiten wie
ƒ Abgrenzung zu Prozessteilen, die nicht Gegenstand der Validierung sind,
ƒ Vor- oder Nachbedingungen für die Freigabe,
ƒ Gegebenheiten für den vorzeitigen positiven Abschluss (beispielsweise
zehn Chargen, bei x Chargen ohne Mängel mit einem durchschnittlichen
und/oder jeweiligen Yield von mindestens xx % gilt die Validierung als er-
folgreich und kann abgeschlossen werden),
ƒ Gegebenheiten für einen vorzeitigen negativen Abschluss (beispielsweise
bei erstmaliger Überschreitung des erlaubten within-lot-Ausschusses von
x % wird die Validierung abgebrochen, der Prozess entspricht aus Kosten-
gründen nicht den definierten Spezifikationen und muss vor der erneuten
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Validierung verbessert werden).

BEISPIEL:
Validierungsstrategie für die Abfüllung einer Kalibrierlösung
Familienvalidierung und Chargengröße/Scale-up-Szenario: Ausgewählt wurde die
kleinste Flasche als am schwierigsten abzufüllendes Gebinde (120 ml repräsen-
tativ für 120, 180 und 340 ml). Die maximale Chargengröße beträgt 6000 Stück
For personal use only.

abgefüllte Flaschen. Es werden drei aufeinanderfolgende Chargen produziert,


davon 1500 für die erste (kleinste vorkommende Losgröße in der geplanten Serien-
produktion), 4500 für die zweite und 6000 Stück für die dritte (und größte geplante)
Charge. Die Chargengröße kann je nach Produktionsplan variiert werden, zumin-
dest die minimale und maximale Chargengröße soll aber enthalten sein.
Zusätzliche Bedingung: Validiert wird die Abfüllung bis zu einer Chargengröße von
6000 Stück. Bei einer zukünftig geplanten Erhöhung des Chargenumfangs muss
der Prozess auf Basis der neuen maximalen Chargengröße erneut validiert bzw.
die erforderliche Anlagenleistung der Abfüllanlage in einer PQ belegt werden.

9.4.3.2 Validierungsplan
Ist die Validierungsstrategie festgelegt, wird als nächster Schritt ein Validierungs-
plan erstellt. Der Validierungsplan beschreibt alle erforderlichen Aktivitäten für
den Nachweis, dass ein Prozess gleichbleibend und fähig ist, das vorgesehene Er-
gebnis zu erzielen. Ein freigegebener Validierungsplan ist die Voraussetzung für
den Beginn der Validierung und sollte folgende Inhalte umfassen:
ƒ Rahmenbedingungen
ƒ Zweck und Geltungsbereich,
ƒ zugrunde liegender und gültiger Validierungsmasterplan,
ƒ Verantwortlichkeiten (Name und Funktion der verantwortlichen Personen
für die Durchführung, Prüfung und Genehmigung).
334 9 Prozess- und Methodenvalidierung

ƒ Validierungsgegenstand und Prozessdefinition


ƒ Produktbeschreibung,
ƒ Prozessbeschreibung und Prozessdarstellung (Ablaufdiagramm) inklusive
Prozessgrenzen (beispielsweise Start mit Ansatzherstellung, Ende mit
­finaler Qualitätskontrolle; out of scope: z. B. Wareneingangskontrolle der
Einsatzstoffe, Vormaterialien und Verpackung),
ƒ Validierungsstrategie und allgemeine Akzeptanzkriterien für den Validie-
rungsabschluss,
ƒ Ergebnisse der Risikoanalyse – kritische, validierungsrelevante Para­meter.

TIPP:
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Die Schnittstelle zu den eingesetzten Materialien kann in der Praxis ebenfalls re-
levant sein, da Schlüsseleinsatzstoffe häufig kritische Parameter sind. Ihre Bedeu-
tung bzw. Validierungsrelevanz wird oft durch das Vorhandensein einer Waren­
eingangskontrolle unterschätzt und tritt dann unerwartet zutage, wenn (im
Routinebetrieb) „plötzlich etwas nicht funktioniert“. Definieren Sie daher nach
Möglichkeit auch die Schlüsseleinsatzstoffe im Validierungsplan.

For personal use only.

ƒ Detailangaben zum Prozess


ƒ Herstell- und Prüfanweisungen
– In-Prozess-Kontrollen,
– definierte Prozessgrenzen (operating ranges),
ƒ Herstell- und Prüfequipment (Anlagen, Software, Prüfplätze, Messmittel)
Angabe der nötigen Eignungsnachweise zum Equipment (Qualifizierung,
Softwarevalidierung, Wartung, Kalibrierung etc.),
ƒ Reinigungsverfahren,
ƒ analytische Methoden
Angabe der nötigen Eignungsnachweise (beispielsweise Methodenvalidie-
rungsbericht, Bezug auf eine Norm oder einen Standard),
ƒ Schulungsanforderungen,
ƒ weitere Annahmen (beispielsweise Schichtbetrieb, Bestimmung der erforderli-
chen Qualifikation der Mitarbeiter für die Herstellung, variable Chargengröße).
ƒ Definition der Prüfungen
ƒ Kritische bzw. validierungsrelevante Prozessschritte (laut Risikoanalyse)
– Beschreibung der Validierungstests,
– Stichprobenplan für alle notwendigen Validierungstests,
9.4 Die Prozessvalidierung 335

– objektive messbare Akzeptanzkriterien und Grenzen für In-Prozess-,


Endfreigabekontrollen und Validierungstests,
ƒ Anzahl der aufeinanderfolgenden Validierungs-Chargen und Chargen-
größe,
ƒ Akzeptanzkriterien für eine erfolgreiche Prozessvalidierung.

TIPP:
Der Prüfumfang für die Validierung ist in aller Regel höher als für den Routine­
betrieb.
Beschreiben Sie genau, was, wie und wie oft verifiziert bzw. gemessen werden
muss und welche statistische Relevanz die Prüfungen haben. Beschreiben Sie
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auch, wann gemessen werden muss, was die Annahme- und Rückweisekriterien
sind und wie die Dokumentation der Ergebnisse zu erfolgen hat.
Achten Sie bei der Darstellung Ihrer Vorgehensweise und Ergebnisse sorgfältig
auf Klarheit. Kommentieren Sie beispielsweise in der Losdokumentation ein un-
erwartetes Ereignis nicht nur mit „Fehler“, sondern geben Sie an, welcher Fehler
aufgetreten ist, wie er verursacht wurde und wer ihn festgestellt hat. Damit unter-
stützen Sie sowohl das durchführende Projektteam als auch die spätere Beant-
wortung von internen Fragestellungen und die vertrauenserweckende Darstellung
For personal use only.

Ihrer Ergebnisse im Inspektionsfall.


9.4.3.3 Durchführung und Auswertung der Ergebnisse


Die Herstellung der Validierungs-Chargen erfolgt unter Routinebedingungen an
qualifiziertem bzw. validiertem Produktions- und Prüfequipment. Folgende Anfor-
derungen müssen für den Start dokumentiert erfüllt sein:
ƒ abgeschlossene Produkt-/Prozessentwicklung,
ƒ freigegebener Validierungsplan,
ƒ definierter Prozess (gültiger Device Master Record oder freigegebener Draft),
ƒ definierte Akzeptanzkriterien,
ƒ definierte und gegebenenfalls validierte Reinigungsvorgänge,
ƒ qualifiziertes bzw. validiertes sowie gültig kalibriertes und gewartetes Her-
stell- und Prüfequipment,
ƒ qualifizierte Versorgungseinrichtungen (z. B. Gas, Wasser, Reinraum),
ƒ validierte analytische Methoden,
ƒ geschultes Personal,
ƒ definiertes Änderungswesen.
336 9 Prozess- und Methodenvalidierung

TIPP:
Üblicherweise werden Validierungs-Chargen aufeinanderfolgend gefertigt. Im
Rahmen der Validierungsstrategie ist es aber möglich, vorab Situationen zu defi-
nieren, um Chargen aus der Validierungsbewertung ausnehmen zu können.

BEISPIEL:
Erlaubte Ausnahmesituationen
ƒ Der definierte Routineprozess für die Produktherstellung sieht In-Prozess-
Kontrollen vor, aufgrund welcher der Prozess frühzeitig, also noch vor der
Endkontrolle, abgebrochen werden kann.
ƒ Es kommt während des Herstellprozesses zu einem dokumentierten Anlagen-
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fehler oder einem menschlichen Fehler, der vor Fertigstellung und Prüfung des
Validierungsloses erkannt wird. Auch hier kann der Prozess vorzeitig abgebro-
chen und das Los aus der Validierungsbewertung genommen werden.

Für die Dokumentation der Prüfungen während der Validierung hat sich in der
Praxis bewährt, den beteiligten Mitarbeitern geeignete Formulare bereitzustellen.
Hier sollen z. B. die Chargennummer, Fertigungsstart, Prüfpunkte, Akzeptanzbe-
reiche und Prüfergebnisse sowie der Name und die Signatur des durchführenden
For personal use only.

Mitarbeiters dokumentiert werden. Das erleichtert sowohl die Auswertung als


auch die Nachvollziehbarkeit im Inspektionsfall.

BEACHTE:
Dokumentieren Sie alle Abweichungen von der im Validierungsplan definierten
Vorgehensweise und den Routineherstellungs- und -prüfvorgaben. Schulen Sie
auch das Personal vorab, wie Abweichungen während der Validierung zu doku-
mentieren sind und wer zu informieren ist. Die Dokumentation soll so erfolgen,
dass auch im Nachhinein die Relevanz des Mangels bewertet werden kann.

9.4.3.4 Validierungsbericht
Sobald alle Validierungstätigkeiten und Prüfungen abgeschlossen sind, werden die
Rohdaten ausgewertet und wird der Validierungsbericht erstellt. Im Validierungs-
bericht werden Ergebnisse und Mängel in möglichst prägnanter Weise zusammen-
gefasst sowie der Erfüllungsgrad aller festgelegten Akzeptanzkriterien dokumen-
tiert. Sollten noch Punkte offenbleiben, müssen diese in ihrer Auswirkung auf die
Gültigkeit der Validierung risikobewertet, und ihre Nachverfolgung muss festge-
legt werden.
Der Validierungsbericht dokumentiert die Vollständigkeit der erstellten Nach-
weise und stellt den Validierungsstatus des entsprechenden (Teil-)Prozesses fest.
Die Validierung ist abgeschlossen, sobald der Validierungsbericht samt den erfor-
9.4 Die Prozessvalidierung 337

derlichen Inhalten erstellt und von den verantwortlichen Personen genehmigt


wurde.

TIPP:
Der Bericht sollte auch dann erstellt werden, wenn die Validierung fehlgeschlagen
ist, um dem zuständigen Management die Möglichkeit zu geben, über die weitere
Vorgehensweise zu befinden und für die weiteren Schritte einen dokumentierten
Startpunkt zu haben.

Der Validierungsbericht umfasst zumindest folgende Inhalte:


ƒ Name und Funktion der verantwortlichen Personen für die Prüfung und Ge-
nehmigung des Validierungsberichts (Mindestanforderung: Prozesseigner und
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Qualitätssicherung),
ƒ Referenz zum gültigen Validierungsplan und Masterplan,
ƒ Referenz zu den wesentlichen Nachweisdokumenten wie etwa der Anlagen-
qualifizierung, Reinigungsvalidierung, Methodenvalidierung sowie der gülti-
gen Version der Prozessrisikoanalyse,
ƒ Anzahl und Identifikation der Validierungs-Chargen und die jeweilige Char-
For personal use only.

gengröße,
ƒ Referenz auf die Herstell- und Prüfprotokolle der Validierungs-Chargen, die
Rohdaten sollten als Kopien beigelegt werden,
ƒ eindeutige Identifikation der verwendeten Schlüsseleinsatzstoffe/-komponen-
ten,
ƒ Ergebnisse der Validierungsprüfungen
ƒ Routineprüfungen (In-Prozess-Kontrollen und QC-Ergebnisse) und Validie-
rungstests,
ƒ Stichprobenidentifikation mit Referenz zum Stichprobenplan,
ƒ Vergleich der Resultate mit den zuvor festgelegten Akzeptanzkriterien,
ƒ Beschreibung aller Mängel und Abweichungen,
ƒ Erläuterung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen,
ƒ formales Abschluss-Statement und je nach Ergebnis
ƒ Freigabe für den Routinebetrieb,
ƒ Freigabe für den Routinebetrieb mit zusätzlichen Maßnahmen,
ƒ keine Freigabe für den Routinebetrieb.
338 9 Prozess- und Methodenvalidierung

TIPP:
Jeder erfolgreich abgeschlossene Validierungsbericht soll eine klar formulierte
Aussage enthalten, dass der validierte Prozess für den vorgesehenen Einsatz
freigegeben ist, z. B.: „Der Prozess <ABC> wurde gemäß Vorschrift <SOP> geprüft
und ist für den produktiven Einsatz in <XYZ> freigegeben.“

Zusätzlich kann ergänzt werden:


ƒ Die Vorgaben des Validierungsplans wurden eingehalten.
ƒ Das Herstell- und Prüfequipment war zum Verwendungszeitpunkt – sofern er-
forderlich – qualifiziert, validiert (CSV), kalibriert, gereinigt und gewartet.
ƒ Die analytischen Methoden sind validiert.
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ƒ Die validierungsrelevanten Reinigungsverfahren sind validiert.


ƒ Das durchführende Personal wurde zuvor für seinen Arbeitsbereich geschult.
ƒ Die Validierungsprüfungen wurden durchgeführt, die Ergebnisse vollständig
dokumentiert und bewertet.
ƒ Die definierten Akzeptanzkriterien für eine erfolgreiche Validierung wurden
erfüllt.
For personal use only.

ƒ Alle Mängel wurden dokumentiert, bewertet und sofern erforderlich abgear-


beitet.
ƒ Die Ergebnisse belegen die Reproduzierbarkeit und Fähigkeit des Prozesses.

TIPP:
Spätestens im Validierungsbericht sollten jene Parameter spezifiziert werden,
deren Änderungen eine Prüfung auf Re-Validierung anstoßen, wie beispielsweise
die Änderung eines kritischen Einsatzstoffes, die Erhöhung der Losgröße oder die
Änderung wesentlicher Prozessgrößen.

9.4.3.5 Abweichungen und Mängel


Auf den Umgang mit Abweichungen und Mängeln sollte besonderes Augenmerk
gelegt werden. Mängel und ihre Korrekturmaßnahmen müssen lückenlos doku-
mentiert werden. Es muss darauf geachtet werden, dass Mängelberichte eine Beur-
teilung hinsichtlich der Auswirkung eines Mangels auf die Validierung bzw. das
Produkt enthalten und dass diese auch für Außenstehende nachvollziehbar sind.
Ein Mangel liegt dann vor, wenn
ƒ das Ist-Resultat nicht dem Soll-Akzeptanzkriterium laut Validierungsplan oder
den dort referenzierten Vorgaben entspricht,
ƒ die im Validierungsplan definierte Vorgehensweise nicht eingehalten wurde,
9.4 Die Prozessvalidierung 339

ƒ fehlerhafte Angaben im Validierungsplan oder den dort referenzierten Vorga-


ben entdeckt werden.
Wenn die Prozessvalidierung scheitert, muss eine Nachentwicklung und erneute
Prozessvalidierung (eventuell nur für den betroffenen Prozessteil) durchgeführt
werden. Eine eingeschränkte Freigabe sollte nur dann erteilt werden, wenn das Pro-
zessergebnis durch eine erhöhte Stichprobenanzahl im Rahmen der serienmäßigen
Qualitätskontrolle(n) abgesichert werden kann. Oft ergeben sich die zusätzlichen
Prüfungen, die die erforderliche Produkt- und Prozesssicherheit liefern können, di-
rekt aus der Prozessvalidierung. Aus wirtschaftlichen Gründen ist jedoch auf lange
Sicht die Verbesserung des Prozesses durch stabilisierende Maßnahmen angezeigt.
Sobald die Nachentwicklungen abgeschlossen sind, können diese in den Routine-
prozess einfließen. Vor Reduktion des Prüfungsumfangs bei nachgebessertem Pro-
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zess ist jedoch eine erneute erfolgreiche Prozessvalidierung nachzuweisen.

BEISPIEL:
Für die Abfüllung einer IVD-Reagenz in Flaschen wurden Flaschendichtheit, Ge-
wicht/Füllmenge und Etikettierung/Beschriftung als Risiken erkannt und als va-
lidierungsrelevant eingestuft. Die Qualifizierung der Abfüllanlage inklusive der
anlageneigenen 100 %-In-Prozess-Kontrollen wurde zuvor positiv abgeschlossen.
For personal use only.

Laut Validierungsplan wird die gesamte Charge direkt nach der Abfüllung auf
Dichtheit überprüft. Anschließend wird eine festgelegte Stichprobe an Flaschen
drei Tage lang kopfüber gelagert und danach erneut visuell auf Dichtheit geprüft.
Eine weitere Prüfung erfolgt nach weiteren sieben Tagen Kopfüber-Lagerung, um
weiteren Ausschuss zu detektieren (Summe zehn Tage).
Ergebnis: Nach drei Tagen werden undichte Flaschen identifiziert, nach weiteren
sieben Tagen keine. Der Prozess ist somit in der Lage, unmittelbare Abfüllfehler
in der 100 %-Prüfung zu erkennen und fehlerhafte Produkte auszuschließen. Ein
schleichendes Dichtheitsproblem kann jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden.
Der Prozess wird unter der Bedingung der Beibehaltung der zusätzlichen Maßnah-
men (Kopfüber-Lagerung und Dichtheitsprüfung drei Tage nach der Produktion)
freigegeben. Aufgrund der hohen Kosten für die Zusatzprüfungen und Lagerung
wird jedoch nach Möglichkeiten gesucht, den Prozess langfristig zu verbessern.
Maßnahmen: In eingehenden Ursachenanalysen, Tests und Prozessrisikoanalysen
wurden Toleranzprobleme bei den Flaschendichtungen identifiziert. Die Ursache
liegt beim Flaschenlieferanten. In Zusammenarbeit mit den internen Anlagenspe-
zialisten und den Konstrukteuren sowie Mitarbeitern des Lieferanten werden das
Design der Flaschendeckel und die Warenausgangskontrolle des Lieferanten
(Vorgaben der Produktqualitätsprüfplanung – PQP) verbessert. Sobald der Fehler
beseitigt ist, wird die Prozessvalidierung mit verbesserten Flaschendeckeln wie-
derholt.
Über die Prozessvalidierung hinausgehend wurden die festgestellten Mängel sowie
die getroffenen Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen entsprechend den
Forderungen der ISO 13485 im CAPA-Prozess dokumentiert.

340 9 Prozess- und Methodenvalidierung

9.4.4 Besondere Rahmenbedingungen
Nicht immer ist es möglich, die Prozessvalidierung entwicklungsbegleitend vorzu-
bereiten und durchzuführen, vor allem dann nicht, wenn das Unternehmen mit
einem bestehenden Produkt in einen neuen Markt eintreten will oder die Herstel-
lung eines bereits am Markt befindlichen Produkts übernommen werden soll. Die
Analyse von bestehenden Produktionsdaten (historical data) kann in die Validie-
rung einfließen [9.6].

BEISPIEL:
Erstmalige Validierung eines etablierten Herstellprozesses
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Herstellerwechsel/Transfer einer Produktherstellung


Es stehen keine oder nur mangelhafte Entwicklungsdaten als Basis für die Defini-
tion der Validierungstätigkeiten zur Verfügung. In diesem Fall können ergänzend
zur Risikoanalyse die bestehenden Produktionsdaten des früheren Produzenten
herangezogen werden, um Akzeptanzkriterien für die Validierung festzulegen.
Dieses Historical Data Review bietet beispielsweise die Möglichkeit, vergleichbare
Ausschusszahlen, Durchlaufzeiten oder QC-Grenzen festzulegen. Auch Daten über
kundenseitige Beanstandungen können in diese Akzeptanzkriterien einfließen.
For personal use only.

Auch hier ist es sinnvoll, eine Kombination von Validierungslosen und Historical
Data Review durchzuführen. Sind jedoch umfassende Daten vorhanden (beispiels-
weise aus Herstellaufzeichnungen, Anlagenlogbüchern, Kontrollkarten, Prüf- und
Freigabeaufzeichnungen, Kundenrückmeldungen, Fehlermeldungen aus dem Markt,
Service- und Auditberichten), und sind diese Daten ausreichend und angemessen,
um einen Herstellprozess als stabil, reproduzierbar und unter Kontrolle auszuwei-
sen, kann ein eingehender Bericht über diese Datenanalyse eine Prozessvalidierung
ersetzen.

9.4.5 Der Erhalt des validen Zustands


Änderungen am Prozess oder am Produkt, ob gewollt (z. B. verbessertes Design)
oder unbeabsichtigt (z. B. Maschinenverschleiß), können dazu führen, dass ein be-
reits validierter Prozess „außer Kontrolle“ gerät. Aus diesem Grund ist ein regel-
mäßiges Monitoring des Prozesses bzw. Produkts erforderlich sowie die Abschät-
zung, welche Einflüsse mögliche Änderungen nehmen könnten.

9.4.5.1 Überwachung und Prozesskontrolle


Für die Überwachung des validen Zustands ist es erforderlich, Trends an wesent­
lichen Parametern zu überwachen. Beispielsweise durch:
9.4 Die Prozessvalidierung 341

ƒ kontinuierliche, softwaregestützte Überwachung der Herstellgrenzen (opera-


ting ranges),
ƒ Trendauswertung der In-Prozess- oder Endkontrolldaten,
ƒ Ausschussraten,
ƒ Analyse von Fehlerrückmeldungen aus dem Markt.
Es gilt, auf negative Trends frühzeitig zu reagieren, die Ursachen zu ergründen
und Vorbeuge- oder Korrekturmaßnahmen durchzuführen (siehe dazu auch Kapi-
tel 12, Korrektur- und Verbesserungsmanagement). Im Zuge dessen muss auch das
Erfordernis einer Re-Validierung geprüft werden.

9.4.5.2 Änderungen am Prozess oder Produkt


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Bei relevanten Änderungen am Prozess oder Produkt, das betrifft beispielsweise


auch Änderungen der Herstellvorgaben, Prüfmethoden, Anlagen, Software und der
betreffenden Belegschaft, müssen die Notwendigkeit und das Ausmaß einer Re-
Validierung geprüft werden. Nicht relevant sind im Allgemeinen Änderungen in-
nerhalb der definierten und validierten Parameter bzw. Herstell- und Prüfgrenzen.

TIPP:
For personal use only.

Etablieren Sie in Ihrem Änderungsprozess z. B. einen Checkpunkt für die Re-Vali-
dierungsrelevanz und definieren Sie, wo immer möglich, standardisierte Kriterien,
die erfüllt sein müssen, damit eine Re-Validierung entfallen kann.
Textbeispiel 1:
„Wenn ein neuer Mitarbeiter Aufgaben im Herstellprozess übernimmt, so muss
dieser zunächst dokumentiert geschult werden und nach einer Einarbeitungszeit
von x Wochen kann er unter Mitarbeit und Verantwortung des Vorarbeiters für die
Alleinverantwortung freigegeben werden. Eine Änderung unter diesen Vorausset-
zungen ist kein Anlass für eine Re-Validierung.“
Textbeispiel 2:
„Der Ersatz eines Prüfmittels durch ein spezifikationsgleiches Prüfmittel für den-
selben Einsatzzweck stellt keinen Anlass für eine Re-Validierung dar. Der Eignungs-
nachweis ist jedoch zu erbringen.“

BEACHTE:
Entscheidungen gegen eine Re-Validierung trotz einer signifikanten Änderung
müssen begründet und dokumentiert werden.

Im Laufe des Produktlebenszyklus kann es auch zu Änderungen kommen, die


nicht sofort augenfällig eine Re-Validierung anstoßen oder deren Bedeutung an-
fangs unterschätzt wird, beispielsweise Änderungen an Einsatzstoffen. Oft führt
342 9 Prozess- und Methodenvalidierung

erst die Summe von kleinen Änderungen zu Problemen. Zahlreiche Quellen emp-
fehlen als Abhilfe einen formalen periodischen Review, ob eine Re-Validierung er-
forderlich ist oder nicht.

9.4.5.3 Gründe für eine Re-Validierung


Unter folgenden Umständen kann eine Re-Validierung erforderlich sein:
ƒ Änderung(en) am Prozess mit (potenzieller) Auswirkung auf die Produktquali-
tät oder den validen Status, beispielsweise
ƒ Lieferanten- oder Spezifikationswechsel für kritische Vormaterialien,
ƒ Prozessänderungen beim Lieferanten,
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ƒ Änderung von Schlüsselkomponenten oder Primärverpackungsmateria-


lien,
ƒ Prozessparameteränderungen,
ƒ Änderungen am Produktionsequipment, der eingesetzten Technologien
oder der Produktionsumgebung (wie etwa Temperatur, Feuchtigkeit, Luft-
wechsel),
ƒ Chargengröße (außerhalb der validierten Chargengröße),
For personal use only.

ƒ Auffälligkeiten im Yield (beispielsweise augenfällig durch mehr Nacharbeit


oder höhere Ausschussraten) oder andere negative Trends wie etwa vermehrte
Chargenausfälle, die auf eine (unerkannte) Prozessänderung hindeuten,
ƒ Änderung des Produktdesigns mit Auswirkung auf den Prozess,
ƒ Änderung des Anwendungszwecks (Intended Use) des Produkts,
ƒ Änderung des Herstellortes,
ƒ komplette Neubesetzung des Produktionsteams bzw. Einführung zusätzlicher
Schichten.
Die Re-Validierung folgt der Vorgehensweise bei einer Erstvalidierung. Es sind
wiederum Risikoanalysen erforderlich sowie die Definition von geeigneten Maß-
nahmen, um den Prozess zu stabilisieren und gegen Fehler abzusichern. Eine Re-
Validierung muss jedoch nicht zwingend für den gesamten Prozess durchgeführt
werden, sondern kann begründet auf den betreffenden Prozessteil reduziert wer-
den [9.6].
9.5 Methodenvalidierung 343

„ 9.5 Methodenvalidierung
In den Herstellprozessen und in der Produktfreigabe werden analytische Metho-
den vielfältig angewandt. Um Vergleichbarkeit und Nachvollziehbarkeit der ana-
lytischen Ergebnisse sicherzustellen, müssen Prozesskontroll- und Freigabe­
methoden verwendet werden, die sich auf ein anerkanntes Normal oder einen
international harmonisierten Standard beziehen. Sollte es keinen normierten Stan-
dard geben, sind „Masterstandards“ selbst herzustellen und unter definierten Be-
dingungen aufzubewahren. Über mathematische Modelle und definierte Hand-
lungsabläufe werden wichtige Parameter wie Selektivität, Präzision, Richtigkeit,
Arbeitsbereich, Nachweisgrenzen oder Robustheit einer Methode abgesichert.
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BEACHTE:
Für eine erfolgreiche Prozessvalidierung sind validierte Methoden Voraussetzung.

In der ISO 13485:2016 wird in Abschnitt 8.1 nur kryptisch gefordert, dass „ange-
messene Methoden“ anzuwenden sind. In der EU-Verordnung über Medizinpro-
dukte [9.1] finden sich auch keine weiterführenden diesbezüglichen Anforderungen.
For personal use only.

In der EU-Verordnung über In-vitro-Diagnostika [9.13] finden sich in Anhang I


Art. 9.1a sowie in Anhang II Art. 6.1 etliche Hinweise zur Analyseleistung von
IVD-Systemen, die als Anhaltspunkte für den Validierungsumfang herangezogen
werden können. Ausführliche Beschreibungen bezüglich Umfang und Durchfüh-
rung von Methodenvalidierungen finden sich vor allem in einer Vielzahl von Spe-
zialnormen und Richtlinien ([9.14] bis [9.19] bzw. [9.20] bis [9.23]), wenn es um
die statistische Auswertung von Charakteristika von Methoden geht.

9.5.1 Zweck der Methodenvalidierung


Alle Methoden, die von Normen, Arzneibüchern oder von einer reglementierten
Prüfmittelüberwachung abweichen, wenn auch nur geringfügig, sind zu validie-
ren, um sicherzustellen, dass diese Methoden für den vorgesehenen Zweck geeig-
net sind. Eine Methode ist dann für ihren vorgesehenen Zweck geeignet, wenn
­zuverlässige (d. h. vertrauenswürdige, richtige und reproduzierbare) Ergebnisse
erzielt werden. Nur auf Basis von vertrauenswürdigen, richtigen und reproduzier-
baren Ergebnissen kann eine solide Produktfreigabeentscheidung gefällt werden.
Die Methodenvalidierung ist Voraussetzung für eine effiziente und routinemäßige
Anwendung einer Methode.
344 9 Prozess- und Methodenvalidierung

9.5.2 Ablauf der Methodenvalidierung

9.5.2.1 Welche Methoden müssen validiert werden?


Grundsätzlich sind alle analytischen Methoden zur Qualitätsbeurteilung von Medi-
zinprodukten und In-vitro-Diagnostika zu validieren, von folgenden Ausnahmen
abgesehen:
ƒ Methoden für rein qualitative Parameter (Farbe, Aussehen),
ƒ Methoden, welche unverändert aus den Pharmakopöen oder allgemeingültigen
Normen (z. B. DIN) übernommen wurden (bei der ersten Anwendung ist eine
Verifizierung durchzuführen),
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ƒ unkritische Methoden wie z. B. Schmelzpunkt, Brechungsindex, Viskosität,


ƒ kalibrierbare Methoden wie z. B. pH-Wert, Leitfähigkeit, Temperatur,
ƒ kommerziell verfügbare Testkits, die als validiert gelten, sofern die kontrol-
lierte Beherrschung der Methode z. B. über Standards abgesichert ist und/oder
wenn die Testmethode selbst das Produkt ist.
Häufig bestimmte Parameter im Rahmen der Methodenvalidierung sind unter an-
derem:
For personal use only.

ƒ Selektivität,
ƒ Richtigkeit,
ƒ Präzision,
ƒ Linearität,
ƒ Arbeitsbereich,
ƒ Nachweisgrenze,
ƒ Bestimmungsgrenze,
ƒ Robustheit.
Die Definitionen und detaillierten Vorgehensweisen zur Bestimmung dieser Me-
thoden können der Literatur [9.14] bis [9.19] entnommen werden. Weitere Defini-
tionen und Beispiele finden sich im Download. Auch für Spezialmethoden (z. B.
Chromatografie, Elektrophorese, Fluoreszenzanalysen, enzymatische Methoden,
Reinigungsmethoden) finden sich auf den Homepages der angeführten Organisa­
tionen die entsprechenden Richtlinien und Erklärungen.

9.5.2.2 Darstellung des Methodenvalidierungsprozesses


Die Durchführung der Methodenvalidierung umfasst die folgenden wichtigen
Schritte (siehe auch Abschnitt 9.4.3 in diesem Kapitel):
ƒ Feststellen der Voraussetzungen,
ƒ Erstellen des Validierungsplanes,
9.5 Methodenvalidierung 345

ƒ Festlegen der Akzeptanzkriterien,


ƒ Durchführung der Tests/Versuche und Beschreibung der Ergebnisse,
ƒ Erstellen des Validierungsberichts inklusive Bewertung der Ergebnisse.
In Bild 9.4 ist dargestellt, welche Validierungsschritte erforderlich sind, wenn eine
Methode als validierungsrelevant beurteilt wurde.

Validierungsrelevante Methode vollständig Bewerten der


analytische Methode? beschreiben Risiken
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Methode für Einsatzzweck Methodenvalidierung Validierungsparameter


geeignet! durchführen bestimmen

Bild 9.4 Ablauf der Methodenvalidierung

BEACHTE:
Vor Start jeder Methodenvalidierung steht eine Risikobetrachtung, die den Umfang
For personal use only.

sowie die genaue Vorgehensweise der Methodenvalidierung festlegt. Nur so ist


sichergestellt, dass das „Richtige und Wichtige“ und nicht das Nebensächliche
überprüft wird.

9.5.2.3 Voraussetzungen
Vor Start einer Methodenvalidierung müssen folgende Voraussetzungen erfüllt
sein:
ƒ Die Testmethode muss in schriftlicher Form vorliegen.
ƒ Die eingesetzten Prüfmittel/Prüfvorrichtungen müssen validiert bzw. kalib-
riert und ein GxP-konformes Umfeld muss vorhanden sein.
ƒ Die Mitarbeiter müssen entsprechend geschult sein.

9.5.2.4 Validierungsplan
Im Validierungsplan ist festzulegen:
ƒ Ziel der Validierung,
ƒ Beschreibung der zu validierenden Methode, gegebenenfalls sind gewünschte
Anpassungen der Methode zu beschreiben,
ƒ Beschreibung der zu untersuchenden Validierungsparameter,
ƒ Akzeptanzkriterien für jeden Validierungsparameter,
346 9 Prozess- und Methodenvalidierung

ƒ falls erforderlich, Angabe der Reagenzien, Prüfmittel, Software usw., die im


Rahmen der Validierung zum Einsatz kommen sollen,
ƒ Beschreibung der durchzuführenden Arbeiten sowie vorgesehener Zeitplan.

9.5.2.5 Validierungsbericht und Ergebnisbewertung


Im Validierungsbericht werden dokumentiert:
ƒ die Durchführung,
ƒ der Soll-Ist-Vergleich,
ƒ die genaue Angabe der Validierungsparameter („Leistungsfähigkeit der Me-
thode“),
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ƒ die Begründung bei Abweichungen in der Durchführung gegenüber den Vorga-


ben im Validierungsplan,
ƒ Rohdaten zu den Validierungsmessungen,
ƒ aufgetretene Fehler und Mängel,
ƒ die Bewertung der Ergebnisse,
ƒ knappes Abschluss-Statement: „Die Methode <ABC> wurde gemäß Vorschrift
For personal use only.

<SOP> geprüft und ist für den Einsatz in <XYZ> freigegeben.“


Bei Abweichungen von den Akzeptanzkriterien ist analog zu den GxP-Standards
vorzugehen. Die Ursachen und die Bewertung der Abweichungen sind im Validie-
rungsbericht zu dokumentieren. Bei relevanten Mängeln kann eine Wiederholung
von Tests, eine eingeschränkte Verwendung oder ein Re-Design der Methode die
Folge sein (siehe auch Abschnitt 9.4.3.5 in diesem Kapitel).

9.5.2.6 Periodische Reviews und Re-Validierung


Regelmäßige Reviews, z. B. anhand der periodischen Auswertung von Regelkarten,
sollen zeigen, dass die verwendeten analytischen Methoden weiterhin für ihren
vorbestimmten Zweck geeignet sind. Eine Re-Validierung kann z. B. erforderlich
werden, wenn inakzeptable Trends beobachtet werden, wenn ein Vergleich mit
­einer Referenzmethode Ergebnisse außerhalb des Toleranzfensters ergibt, wenn
die Methode in ein anderes Labor transferiert wird oder wenn Änderungen an der
Methode vorgenommen werden wie z. B.:
ƒ Änderungen eines kritischen Lieferanten oder Einsatzstoffs,
ƒ Änderungen im Herstellverfahren oder im Prüfablauf, in dem die Analyse­
methode eingesetzt wird,
ƒ Umstellung auf ein anderes analytisches Verfahren,
ƒ Änderungen von Standardreferenzmaterialien oder analytischen Gerätschaften.
Siehe dazu auch die Ausführungen in Abschnitt 9.4.5.2 in diesem Kapitel.
9.7 Literatur 347

„ 9.6 Zusammenfassung
Die Forderung nach Prozessvalidierung ist nicht nur eine regulatorische Kernfor-
derung im Bereich der Medizinprodukteherstellung, sie bietet darüber hinaus
auch die Möglichkeit, die eigenen Herstell- und Prüfprozesse besser kennenzuler-
nen und Verbesserungspotenziale im Sinne eines wirksamen Qualitätsmanage-
mentsystems auszuloten. Die Prozessvalidierung kann als Prüfstein der Prozess-
qualität verstanden werden. Die Herausforderung der Prozessvalidierung ist es,
den Umfang risikobasiert auf das „richtige“ Maß festzulegen, d. h. sich auf das We-
sentliche zu konzentrieren, ohne das Wichtige zu vergessen, den Prozess im Zuge
des Produktlebenszyklus valide zu halten und weiterhin die dafür nötigen Maß-
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nahmen und erforderlichen Nachweise sorgfältig und nachvollziehbar zu doku-


mentieren.
Die Methodenvalidierung ist nicht nur eine essenzielle Voraussetzung für eine
normenkonforme und solide Prozessvalidierung, sondern auch ein wichtiger Bau-
stein für die Absicherung der Prüfprozesse für die spätere Serienproduktion. Nur
wenn die Überprüfung aller qualitätsrelevanten Parameter mit geeigneten Metho-
den erfolgt, kann davon ausgegangen werden, dass die Funktionsfähigkeit und
For personal use only.

­Sicherheit der geprüften Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika auf Dauer ge-


währleistet ist.

„ 9.7 Literatur
[9.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte fordert im Anhang II Technische
Dokumentation Artikel 3 und 6 „vollständige Informationen und Spezifikationen einschließlich
der Herstellprozesse und ihrer Validierung“, stellt aber keine konkreteren inhaltlichen Anforde-
rungen. Im Text finden sich allerdings verstreut noch weitere Anforderungen in Bezug auf eine
Validierungspflicht der Herstellprozesse für Wiederaufbereitung und Sterilfertigung. Analoges
gilt für die IVDV (EU) 2017/746.
[9.2] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016: Medizinpro-
dukte  – Qualitätsmanagementsysteme  – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Ausgabe
2016 – 07-01. (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016 bzw.
Österreichisches Normungsinstitut: ÖVE/ÖNORM EN ISO 13485:2016.).
[9.3] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
(21 CFR 820), Quality System Regulation, Medical Devices. [Revised as of April 1, 2020].
[9.4] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Guidance for Industry, Process Validation: General
Principles and Practices, Januar 2011.
[9.5] European Commission: Annex 15 to the EU Guide to Good Manufacturing Practice, März 2015
[9.6] Global Harmonization Task Force (GHTF): /GHTF/SG3/N99-10:2004 (Anmerkung: im Oktober 2011
durch die IMDRF abgelöst; siehe www.imdrf.org).
348 9 Prozess- und Methodenvalidierung

[9.7] Concept Heidelberg GmbH. www.gmp-navigator.com.


[9.8] World Health Organization (WHO): Supplementary Guidelines on Good Manufacturing Practices
(GMP): Validation; QAS/03.055/Rev. 2, Oktober 2005.
[9.9] Wappis, J.; Jung, B.: Taschenbuch Null-Fehler-Management, Umsetzung von Six Sigma. 5. überar-
beitete Auflage, Hanser, 2016.
[9.10] Schmitt, R.; Pfeifer, T.: Qualitätsmanagement: Strategien – Methoden – Techniken. 5. überarbei­
tete Auflage, Hanser, 2015.
[9.11] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Part 210, Current
Good Manufacturing Practice in Manufacturing, Processing, Packaging, or Holding of Drugs.
[Revised as of April 1, 2020].
[9.12] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Part 211, Current
Good Manufacturing Practice for Finished Pharmaceuticals. [Revised as of April 1, 2020].
[9.13] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Par-
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laments und des Rates vom 5. April 2017, In-vitro-Diagnostika-Verordnung.


[9.14] International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharma-
ceuticals for Human Use (ICH): Guideline Q2(R1), Validation of Analytical Procedures, November
2005. Unter: https://database.ich.org/sites/default/files/Q2_R1__Guideline.pdf, abgerufen am
13. Mai 2021.
[9.15] U. S. Food and Drug Administration (FDA): FDA Guidance for Industry, Analytical Procedures and
Methods Validation for Drugs and Biologics, July 2015, Verfügbar unter: https://www.fda.gov/
media/87801/download, zuletzt abgerufen am 08. 06. 2021.
[9.16] US Pharmacopeia: US Pharmacopeia Guideline chapter <1225>.
For personal use only.

[9.17] Eurachem: Guide to Quality in Analytical Chemistry. 3. Auflage, 2016, Verfügbar unter: https://
www.eurachem.org/index.php/publications/guides/qa, zuletzt abgerufen am 13. Mai 2021.
[9.18] Deutsches Umweltbundesamt: Leitlinie zur Methodenvalidierung. Verfügbar unter: https://www.
umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/publikation/long/2832.pdf, zuletzt abgerufen am:
08. 06. 2021.
[9.19] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): DIN EN ISO/IEC 17025:2018-03
General requirements for the competence of testing and calibration laboratories. (Deutsche und
englische Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: Allgemeine Anforderungen an die Kom-
petenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien (ISO/IEC 17025:2018-03). Beuth, 2018.).
[9.20] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): DIN ISO 5725 – 2:2020-10 Accuracy
(trueness and precision) of measurement methods and results - Part 2: Basic method for the
­determination of repeatability and reproducibility of a standard measurement method (ISO
5725 – 2:2019). (Deutsche Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: Genauigkeit (Richtig-
keit und Präzision) von Messverfahren und Messergebnissen – Teil 2: Grundlegende Methode
für Ermittlung der Wiederhol- und Vergleichpräzision eines vereinheitlichten Messverfah-
rens (ISO 5725 – 2:2019). Beuth, 2020.). Verfügbar unter: https://www.beuth.de/de/norm/
din-iso-5725-2/51022686, zuletzt abgerufen am 08. 06. 2021.
[9.21] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN ISO 55350 – 18:1987-07 Begriffe der Qualitätssicherung
und Statistik – Begriffe zu Bescheinigungen über die Ergebnisse von Qualitätsprüfungen; Quali-
tätsprüf-Zertifikate. Titel (Englisch): Concepts in quality and statistics; concepts relating to cer-
tificates on results of quality inspections; quality inspection certificates. Beuth. Verfügbar unter:
https://www.beuth.de/de/norm/din-55350-18/1352671, zuletzt abgerufen am: 08. 06. 2021.
[9.22] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN 32645:2008-11: Chemische Analytik  – Nachweis-, Er­
fassungs- und Bestimmungsgrenze unter Wiederholbedingungen  – Begriffe, Verfahren, Aus­
wertung. Nachweis-, Erfassungs- und Bestimmungsgrenzen. Beuth, 2008. Titel (Englisch):
Chemical analysis – Decision limit, detection limit and determination limit under repeatability
conditions  – Terms, methods, evaluation. Verfügbar unter: https://www.beuth.de/de/norm/
din-32645/110729574, zuletzt abgerufen am: 08. 06. 2021.
9.7 Literatur 349

[9.23] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN 38402 – 51:2017-05 Deutsche Einheitsverfahren zur Was-
ser-, Abwasser- und Schlammuntersuchung; Allgemeine Angaben (Gruppe A) – Teil 51: Kalibrie-
rung von Analysenverfahren  – Lineare Kalibrierfunktion (A 51). Beuth, 2017. Titel (Englisch):
German standard methods for the examination of water, waste water and sludge – General in­
formation (group A) – Part 51: Calibration of analytical methods – Linear calibration (A 51). Ver-
fügbar unter: https://www.beuth.de/de/norm/din-38402-51/272448891, zuletzt abgerufen am:
08. 06. 2021.
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For personal use only.
10 Herstellung und
Qualitätssicherung
gemäß cGMP
J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Wie müssen Prozesse in der Herstellung und Qualitätssicherung aufgesetzt


werden, damit eine cGMP compliance erreicht wird?
ƒ Wie sind Prüfungen in der Wareneingangskontrolle, in der In-Prozess- sowie in
der Endkontrolle auszuführen?
ƒ Welche Aufzeichnungen sind in der Produktion zu führen?
ƒ Wie stellen Sie den aktuellen Produktstatus sowie eine Rückverfolgbarkeit im
Fehlerfall sicher?
ƒ Wie lenken Sie fehlerhafte Produkte?
For personal use only.

ƒ Wie ist das Prüfmittelmanagement aufzusetzen, um den Vorschriften zu ent-


sprechen?
ƒ Welche Anforderungen sind in Bezug auf Arbeitsumgebung, Verpackung, La-
gerung, Transport, Installation und Service zu beachten?
ƒ Was fordert die neue MPV/IVDV in Bezug auf den „Unique Device Identifier“?

„ 10.1 Grundlagen und Gesetze,


­Anforderungen
Das Hauptziel der MPV [10.1] und IVDV [10.2] ist es, ein hohes Niveau an Qualität,
Sicherheit und Gesundheitsschutz von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika
zu gewährleisten. Die Produkte sollen dabei so ausgelegt und hergestellt werden,
dass sie die von ihrem Hersteller vorgesehene Leistung unter normalen Verwen-
dungsbedingungen erzielen und sich für ihre Zweckbestimmung eignen. Beide
Verordnungen geben jedoch wenig konkrete Hinweise, worauf insbesondere wäh-
rend der Herstellung geachtet werden soll. Zwar gibt es in beiden Verordnungen
punktuelle Anforderungen an z. B. validierte Prozesse, Messsysteme und Metho-
den, Verpackung oder Kennzeichnung, insgesamt bleiben allerdings die Anforde-
rungen sehr vage, wie Herstellprozesse zu gestalten und welche Aufzeichnungen
352 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

durchzuführen sind. Im Anhang II der MPV/IVDV findet sich dazu unter Punkt
3.2.a lediglich: „Informationen, die es ermöglichen, die Herstellungsprozesse wie Pro-
duktion, Montage, Prüfung des Endprodukts und Verpackung des fertigen Produkts
zu verstehen.“ Allerdings wird im zweiten Teil dieses Absatzes darauf verwiesen,
dass „zum Audit des Qualitätsmanagementsystems oder zu sonstigen durchzuführen-
den Konformitätsbewertungsverfahren detailliertere Informationen vorgelegt werden
müssen“. Für die weiteren Hinweise zur Ausgestaltung der Produktherstellung
wird daher in diesem Kapitel hauptsächlich die wichtigste QM-Systemvorschrift,
die ISO 13485 [10.3], herangezogen. Weiterhin wird bei den weiteren Betrach­
tungen auch die Quality System Regulation berücksichtigt [10.4] (QSR  – 21 CFR
Part 820; auch referenziert als cGMP – current Good Manufacturing Practice), um
auch die Anforderungen der wichtigsten internationalen Märkte abzudecken.
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Die ISO 13485:2016 fordert in Abschnitt 7.5.1 „Lenkung der Produktion und der
Dienstleistungserbringung “:
„Die Produktion und die Dienstleistungserbringung müssen so geplant, durchgeführt,
überwacht und gelenkt werden, dass sichergestellt ist, dass das Produkt der Spezifika-
tion entspricht. Soweit angemessen muss die Lenkung der Produktion unter anderem
Folgendes umfassen:
For personal use only.

ƒ Dokumentation von Verfahren und Methoden für die Lenkung der Produktion,
ƒ Qualifikation der Infrastruktur,
ƒ Implementierung von Überwachungen und Messungen der Prozessparameter und
Produkteigenschaften,
ƒ Verfügbarkeit und den Gebrauch von Überwachungs- und Messmitteln,
ƒ Implementierung festgelegter Arbeitsvorgänge für das Kennzeichnen und Ver­
packen und
ƒ Implementierung von Produktfreigabe, Liefertätigkeiten und Tätigkeiten nach der
Lieferung.
Die Organisation muss für jedes Medizinprodukt oder jede Charge von Medizinpro-
dukten eine Aufzeichnung erstellen und aufrechterhalten, die eine Rückverfolgbarkeit
ermöglicht und die hergestellte Menge und die für den Vertrieb genehmigte Menge
identifiziert. Die Aufzeichnungen müssen verifiziert und genehmigt werden.“
Ähnlich fordert der 21 CFR 820.70(a): „Each manufacturer shall develop, conduct,
control, and monitor production processes to ensure that a device conforms to its spe-
cifications. Where deviations from device specifications could occur as a result of the
manufacturing process, the manufacturer shall establish and maintain process con-
trol procedures that describe any process controls necessary to ensure conformance to
specifications.“
10.2 Wareneingang 353

Weiterhin fordern beide QM-Systeme besondere Vorkehrungen zur Ausgestaltung


und Sauberkeit von Räumen und Einrichtungen, um Kontamination zu vermeiden.
Weiters inkludiert sind auch Vorschriften zur Wartung, Instandhaltung und Kalib-
rierung von Anlagen, Maschinen und Prüfmitteln.
In weiterer Folge werden wir dem Herstellprozess folgen und die für Medizinpro-
duktehersteller wichtigsten Anforderungen hervorheben:
ƒ Wareneingang,
ƒ Herstellung,
ƒ In-Prozess- und Qualitäts-/Endkontrolle,
ƒ Verpackung und Kennzeichnung,
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ƒ Abweichungsmanagement,
ƒ Rückverfolgbarkeit,
ƒ Prüfmittelmanagement,
ƒ Raum-, Klima- und Bekleidungsvorschriften,
ƒ Lagerung und Transport,
ƒ Installation und Service.
For personal use only.

„ 10.2 Wareneingang
Wie in Kapitel 11, Lieferantenmanagement, beschrieben, wird heute bei vielen
­Medizinprodukteherstellern ein großer Teil der Wertschöpfung von Zulieferern
und Dienstleistern erbracht. Diese „Auslagerung“ bringt neben vielen Vorteilen
allerdings den Nachteil mit sich, dass die zugekauften Materialien, Komponenten
oder Dienstleistungen nicht unter dem QM-System des Herstellers laufen und so-
mit die Gefahr besteht, dass nicht spezifikationsgemäße Teile oder Dienstleistun-
gen „importiert“ werden. Durch geeignete Prozesse und Kontrollen im Warenein-
gang muss der Hersteller deshalb sicherstellen, dass alle gelieferten Produkte und
Serviceleistungen dauerhaft mit gesetzlichen und den vereinbarten Beschaffungs-
anforderungen übereinstimmen. Das Ausmaß der vom Zulieferer bereitzustellen-
den Unterlagen und Nachweise hängt dabei von der Kritikalität der zugelieferten
Produkte oder Dienstleistungen ab und ist im Vorhinein in Form festgeschriebener
Vorgaben und Akzeptanzkriterien zu definieren. Wenn der Hersteller beabsichtigt,
Verifizierungs- oder Validierungstätigkeiten beim Lieferanten durchzuführen,
muss er die vereinbarten Tätigkeiten und die dabei anzuwendenden Methoden zur
Freigabe des Produkts in den Beschaffungsunterlagen festlegen. Weiterhin sind
Aufzeichnungen über alle Tätigkeiten zu führen.
354 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

BEACHTE:
Aufgrund der neuen Verordnungen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika
ist in Zukunft mit häufigeren, auch unangemeldeten Inspektionen durch die nati-
onalen Aufsichtsbehörden und Benannten Stellen direkt bei Ihren Zulieferern zu
rechnen. Berücksichtigen Sie bei den vertraglichen Regelungen mit Ihren Zuliefe-
rern, dass diese den Aufsichtsbehörden und Benannten Stellen bei Anforderung
jederzeit Zutritt zu ihren Geschäftsräumlichkeiten und Produktunterlagen gewäh-
ren [10.5].
Auch die bisher praktizierten Original Equipment Manufacturer-/Private Label
Manufacturer-Beziehungen müssen mit Gültigkeit der MPV/IVDV überarbeitet
werden. Laut den neuen EU-Verordnungen muss der bisherige PLM jetzt als Her-
steller die vollständige Technische Dokumentation vorhalten und kann bei einer
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Inspektion oder einem Audit durch die Behörde oder die Benannte Stelle nicht
mehr, wie in der Vergangenheit, wenn es Fragen zur Entwicklung oder Fertigung
gibt, an den OEM verweisen, der dann Zugriff auf die Technische Dokumentation
und sein Know-how gewährt. Wie der PLM vom OEM, der naturgemäß ein starkes
Interesse daran hat, sein Know-how zu schützen, die erforderlichen Angaben und
Dokumente zu Entwicklungs- und Fertigungsprozessen, zu verwendeten Materia-
lien und Prüfmethoden etc. bekommt, ist noch offen und muss im Einzelfall geklärt
werden. Auch die Begriffe „OEM“ und „PLM“ im bisherigen Sprachgebrauch sind
damit hinfällig, denn der PLM gilt als Hersteller, unabhängig davon, ob er das
For personal use only.

Produkt selbst gefertigt oder bei anderen Unternehmen eingekauft und nur noch
sein eigenes Label angebracht hat.

10.2.1 Wareneingangsprozesse
Schriftliche Vorgaben sollen sicherstellen, dass die gelieferten Komponenten, Fer-
tigungsmaterialien und Produkte nach Entgegennahme ordnungsgemäß identifi-
ziert, bearbeitet und gelagert werden. Die Aufzeichnungen in der Wareneingangs-
kontrolle (WEK) sollen dabei Folgendes umfassen:
ƒ zu kontrollierende/zu überprüfende Produkteigenschaften,
ƒ Kriterien zur Akzeptanz oder Rückweisung,
ƒ Testmethode(n), Stichprobenzugpläne,
ƒ die eingesetzten Prüfmittel und Testvorrichtungen,
ƒ die Ergebnisse der durchgeführten Wareneingangsprüfungen,
ƒ Unterschrift derjenigen Person(en), die die Akzeptanzprüfungen durchgeführt
hat (haben) und
ƒ Freigabe oder Rückweisung der Lieferung/geprüften Produkte.
10.2 Wareneingang 355

Vor der Annahme/Freigabe einer Lieferung müssen alle Komponenten entweder


räumlich getrennt (Sperrlager) oder klar und eindeutig als „noch nicht angenom-
men“ markiert sein. Die Entscheidung, noch nicht freigegebene Produkte ins
Sperrlager zu verbringen oder zu kennzeichnen, soll basierend auf den Eigenschaf-
ten des empfangenen Teils, der Möglichkeit von Verwechslungen und den nachfol-
genden Herstellschritten gefällt werden. Sehr kleine Hersteller können mit kurz
gehaltenen schriftlichen Akzeptanzkriterien auskommen, mit Bezugnahme auf die
Bestellung und den Lieferschein, wohingegen größere Firmen umfassende schrift-
liche Anweisungen im Wareneingang benötigen.

BEACHTE:
Die Wareneingangskontrolle verbessert nicht die Qualität der gelieferten Kompo-
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nenten oder Produkte. Wenn jedoch die Wareneingangsprüfungen angemessen


sind und ordnungsgemäß durchgeführt werden, können sie die Annahme von
fehlerhaften oder nicht spezifikationsgemäßen Komponenten und Produkten
verhindern oder signifikant reduzieren. Durch die Rückmeldung in das übergeord-
nete Qualitätssystem (CAPA-Prozess, Lieferantenbewertung, Managementreview)
können die Prüfergebnisse außerdem helfen, Problemursachen frühzeitig zu er-
kennen und Lösungen zu finden. Wenn Probleme erkannt wurden, können neben
kurzfristig wirksamen Maßnahmen wie Reklamation/Nachbearbeitung/Retour-
For personal use only.

nierung der Ware, auch längerfristige Korrektur-/Präventionsmaßnahmen wie


Design- oder Prozessänderungen, verschärfte Akzeptanzkriterien, Lieferantenqua-
lifizierungsmaßnahmen oder Lieferantenwechsel angebracht sein.

10.2.2 Test und Inspektion von zugelieferten Produkten


Hersteller müssen über festgelegte Akzeptanzkriterien für gelieferte Komponen-
ten, Produkte und Dienstleistungen verfügen. Akzeptanzkriterien sind die Attri-
bute eines Bauteils, wie Aussehen, Dimensionen, Reinheit, Gebrauchseigenschaf-
ten etc. Es liegt im Ermessen des Herstellers, der ein Produkt annimmt, festzulegen,
wann und wo das Produkt geprüft, bemustert und auf Einhaltung der Spezifikatio-
nen getestet werden soll. Diese Festlegung ist dabei abhängig von der möglichen
Auswirkung, die ein Fehler des zugelieferten Teils auf das Endprodukt darstellen
könnte. Soweit angemessen, kann das zugelieferte Produkt wie folgt getestet und/
oder überprüft werden:
ƒ vom Lieferanten (während seiner In-Prozess- oder Freigabeprüfungen),
ƒ beim Wareneingang des Herstellers,
ƒ während der Herstellung/Weiterverarbeitung des Produkts oder
ƒ als Teil des fertigen Produkts.
356 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

Als minimale Eingangskontrolle (z. B. für einen Standard- oder Katalogteil oder
wenn der Lieferant der Komponente eine gute Lieferhistorie hat) wird erwartet,
dass alle eingehenden Komponenten und Produkte zumindest einer visuellen
­Kontrolle im Hinblick auf Verschmutzung und/oder Beschädigung und Vollstän-
digkeit unterzogen werden und dass die gelieferten Teile als diejenige identifiziert
werden, die auf der Bestellung angeführt sind. Zumindest die Beschreibung des
überprüften Produkts und die gelieferte Anzahl müssen schriftlich dokumentiert
werden.

TIPP:
Wenn Sie messende Prüfungen durchführen, dokumentieren Sie die Ergebnisse
nicht nur als „ok“ bzw. als „nok“, sondern notieren Sie auch die gemessenen Werte.
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Dies verbessert die statistische Aussagekraft wesentlich und ermöglicht ein zeit-
nahes Monitoring und damit ein rasches Erkennen möglicher negativer Trends.

Wenn zugelieferte Komponenten erst als Teil des fertigen Produkts getestet wer-
den, muss dieser Test fehlerhafte und außerhalb der Spezifikationen liegende Kom-
ponenten erkennen können und nicht nur ergeben, dass das fertige Produkt die
Spezifikationen nicht erfüllt. Hersteller, die sich entschließen, zugekaufte Kompo-
For personal use only.

nenten oder Produkte in der WEK nicht zu testen und auch keine Rückhaltemuster
aufzuheben, müssen zumindest in der Lage sein, diese Entscheidung zu begrün-
den. Diese Entscheidung soll dabei auf Faktoren basieren wie dem Wissen, dass
der Lieferant in der Vergangenheit immer Waren in bester Qualität geliefert hat,
oder dem positiven Leistungsverhalten einer Komponente in der Vergangenheit.
Hersteller können sich nur dann darauf verlassen, dass der Lieferant die verein-
barten Tests durchführt, wenn der Hersteller das Qualitätssystem des Lieferanten
festgelegt hat oder kennt, insbesondere dessen Prüf- und Messstrategie. Weiterhin,
wenn der Hersteller dem Lieferanten Spezifikationen mitgeteilt hat, die die Akzep-
tanzgrenzen des Herstellers für diese Komponenten oder Materialien entspre-
chend genau definieren, und wenn gleichzeitig eine entsprechende Qualitätssiche-
rungsvereinbarung, auch bekannt unter GMP Agreement, zwischen dem Hersteller
und dem Zulieferer abgeschlossen wurde.
Auf die Prüfung der zugelieferten Teile kann in der WEK des Herstellers verzichtet
werden, wenn stattdessen die mitgelieferten Zertifikate geprüft und die mitgelie-
ferten Prüfdaten einem Review unterzogen und bewertet werden. Wenn die Ab-
nahme der gelieferten Waren nur auf einem Zertifikat oder den mitgelieferten
Prüfdaten des Zulieferers basiert, muss der Hersteller allerdings in regelmäßigen
Abständen die Validität des Zertifikats oder der beim Zulieferer erhobenen Prüf­
daten durch eine Lieferantenbewertung (z. B. Audit oder Bestätigung der zertifi-
zierten Ergebnisse durch sporadische In-house-Nachprüfung) verifizieren.
10.2 Wareneingang 357

Wenn historische Daten belegen, dass gelieferte Komponenten, Materialien oder


Produkte fehlerhaft waren, sind die Prüfungen in der WEK zu verschärfen und
gleichzeitig geeignete Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen beim Lieferan-
ten (oder beim Transporteur) einzuleiten (siehe dazu Abschnitt 11.3.6, Laufende
Messung und Bewertung der Lieferungen).
Ausgehend von den historischen Qualitätsdaten der vorangegangenen Lieferungen
soll z. B. der Probenzugplan einer regelmäßigen Überprüfung unterzogen und ge-
gebenenfalls angepasst werden. Anweisungen, wie eine Dynamisierung des Stich-
probenumfangs (normal, reduziert, verschärft) erfolgen soll, finden sich in den
einschlägigen Prüfnormen und sind auch in vielen Produktplanungs- und QM-
Tools abgebildet.
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Diese Dynamisierung erlaubt, dass nach einer gewissen Anzahl an „Gut-Prüfun-


gen“ der Stichprobenumfang reduziert wird, bzw. fordert, dass nach einer gewis-
sen Anzahl an „Schlecht-Prüfungen“ der Stichprobenumfang erhöht wird (z. B.
nach jeweils zwei „Gut-Prüfungen“ wird zur jeweils niedrigeren Stufe gewechselt,
nach einer beanstandeten Lieferung wird auf die jeweils höhere Stufe gewechselt,
siehe Bild 10.1). Die Dynamisierung muss vorab definiert werden, z. B. in Form
einer Dynamisierungstabelle, die im Prüftool hinterlegt ist, sodass der Stichpro-
benumfang in weiterer Folge automatisiert errechnet und vorgegeben werden
For personal use only.

kann.
Wenn es keine Erfahrungswerte bezüglich Lieferqualität oder Leistungscharakte-
ristika gibt, müssen spezielle Schritte unternommen werden, um sicherzustellen,
dass die gelieferten Waren die geforderten Spezifikationen erfüllen. Dies kann z. B.
bedeuten, dass jede gelieferte Charge bemustert und getestet wird, oder es werden
alle für die Funktion und Sicherheit des Endprodukts kritischen Komponenten
schon vor der Serienfreigabe umfänglich risikobewertet, bemustert und geprüft
freigegeben.
358 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

Reduzierte
Prüfung

1 Schlecht-Prüfung
2 Gut-Prüfungen
oder Defektmeldung

Normale
Prüfung
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1 Schlecht-Prüfung
2 Gut-Prüfungen
oder Defektmeldung
For personal use only.

Verschäre
Start
Prüfung

3 Schlecht-Prüfungen
Musterprüfung
trotz Reklamaon

Prüfung
ausgesetzt

Bild 10.1 Dynamisierung des Stichprobenumfangs in Abhängigkeit vom Prüfergebnis

10.2.3 Stichprobenprüfung
Bei der Überprüfung der Bauteile und anderer Produkte auf Einhaltung der Akzep-
tanzkriterien kann der Hersteller entweder alle Komponenten testen oder nur
­einen Teil davon. Falls ein 100 %-Test nicht möglich ist, muss der Hersteller eine
10.2 Wareneingang 359

statistische Begründung für den verwendeten Stichprobenplan darlegen können.


Die Probenzugpläne sollten daher entweder von qualifizierten Statistikern ent­
wickelt oder aus etablierten Standards wie z. B. der ISO 2859 oder der ISO 3951
[10.6] entnommen werden.
Der Umfang der Stichproben hängt dabei von verschiedenen Faktoren ab:
ƒ Kritikalität der zu prüfenden Komponenten oder Produkte,
ƒ Prüfbarkeit (Aufwand bzw. im Extremfall nur zerstörende Prüfung möglich),
ƒ Anzahl der zu prüfenden Waren (Losumfang),
ƒ Daten vorangegangener Lieferungen (Qualitätskennzahlen, Prüfberichte).
Dabei sollte sich ein Hersteller immer des Risikos bewusst sein, das eine Stich­
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probenprüfung sowohl für den Hersteller als auch für Dritte darstellen kann, weil
immer eine gewisse Restwahrscheinlichkeit bestehen bleibt, dass fehlerhafte Pro-
dukte aufgrund des begrenzten Stichprobenumfanges nicht erkannt werden.
Fragen wie die unten stehenden sollten daher bedacht werden, bevor man sich für
einen bestimmten Prüfplan entscheidet:
ƒ Welche Konsequenzen könnte eine Fehlfunktion nach sich ziehen (Produkt­
rückruf, Produkthaftungsklage, regulatorische Konsequenzen)?
For personal use only.

ƒ Ist der Defekt für den Nutzer klar erkennbar? Wenn nicht, was sind die Konse-
quenzen bei Verwendung des fehlerhaften Produkts?
ƒ Handelt es sich um zerstörende Prüfungen oder erlaubt der Stand der Technik
eine 100 %-Prüfung für diesen Teil oder das Endprodukt?
ƒ Erwartet oder akzeptiert der Markt Geräte, die stichproben- und/oder muster-
geprüft wurden?
Hersteller sollten sich dessen bewusst sein, dass es nicht immer eine einfache Ant-
wort auf diese Fragen gibt. Inwieweit ein „nur stichprobengeprüftes“ Produkt ak-
zeptiert wird, ergibt sich unter anderem auch durch den Preis, den der Nutzer zu
zahlen bereit ist – eine 100 %ige Prüfung kostet normalerweise mehr als eine Stich-
probenprüfung. Zerstörende Prüfungen machen eine 100 %-Prüfung überhaupt un-
möglich. Ob Stichproben- und Musterprüfungen von bestimmten Produkten für
den Nutzer akzeptabel sind, ändert sich auch mit der Technologie. Wo 100 %-Prü-
fungen nicht möglich sind, ist normalerweise eine Prozess- und Produktvalidie-
rung mit einer nachfolgenden Stichprobenprüfung die Methode der Wahl, um fort-
laufend spezifikationskonforme Produkte herstellen zu können. Bei homogenen
Medien wie Flüssigkeiten ist z. B. ein Probenzugplan „Anfang – Mitte – Ende“ üb-
lich und ausreichend, um die Homogenität des Mediums nachzuweisen.
360 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

BEACHTE:
Alle Stichprobenpläne enthalten ein inhärentes Risiko, schlechte Chargen zu ak-
zeptieren oder gute Chargen zurückzuweisen. Ein Hersteller muss sich des Risikos
bewusst sein, dass eine von ihm gewählte Stichprobenprüfung fehlerhafte Teile
nicht mit 100 %iger Sicherheit erkennen kann. Annahmekennlinien z. B. zeigen in
grafischer Form die Wahrscheinlichkeit, wie bei einem bestimmten Prüfniveau und
einer bestimmten Anzahl defekter Teile der Stichprobenplan trotzdem zur Ent-
scheidung führen kann, das Los zu akzeptieren, was als „Annahmewahrschein-
lichkeit“ beschrieben wird.

Es müssen Aufzeichnungen geführt werden, um den objektiven Nachweis zu er-


bringen, dass die empfangenen Waren geprüft und, basierend auf den Ergebnissen
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der Prüfungen, akzeptiert oder zurückgewiesen wurden. Diese Aufzeichnungen


sollen zumindest Folgendes enthalten:
ƒ Referenz auf die verwendete Prüfmethode/-vorschrift,
ƒ Anzahl der akzeptierten oder ausgemusterten Teile,
ƒ Anzahl und Art der Mängel,
ƒ Dokumentation, ob die Ware angenommen oder zurückgewiesen wurde, und
For personal use only.

ƒ die Art und Weise der durchgeführten Korrekturmaßnahmen.


Diese Aufzeichnungen sind Teil der Produktionsaufzeichnungen (Produktakte,
Chargenbegleitpapiere oder DHR = Device History Record oder Master Batch Record)
und sollen in einem Format geführt werden, welches einen einfachen Review er-
möglicht. Üblicherweise werden diese Aufzeichnungen im Wareneingang oder in
der Qualitätsprüfungsabteilung aufbewahrt, geordnet nach Teilenummer, Bezeich-
nung der geprüften Teile oder auch in chronologischer Reihenfolge. Kleine Herstel-
ler können auch die Bestell- oder Lieferpapiere verwenden, um die Annahme oder
Rückweisung zu dokumentieren, sofern diese die entsprechenden Informationen
enthalten.
Die Aufzeichnungen für nicht akzeptierte Komponenten oder Produkte müssen be-
legen, ob die fehlerhaften Teile zurückgeschickt, verschrottet oder nachbearbei-
tet wurden. Kleine und mittlere Hersteller können die Disposition dieser Teile am
Wareneingangsformular dokumentieren. Die meisten großen Hersteller notieren
die Disposition von nicht konform gelieferten Waren in ihren Standardreklama­
tionsformularen wie z. B. in einem 3D-, 8D- oder SCAR-Bericht.
Bauteile und andere Produkte sollen so gekennzeichnet oder gelagert werden, dass
es zu jeder Zeit klar ersichtlich ist, ob das Produkt von der WEK bereits akzeptiert
oder zurückgewiesen wurde oder ob die Entscheidung über den Lieferzustand
noch aussteht. Teile, die veraltet sind, sich in einem schlechten Zustand befinden
oder zurückgewiesen wurden, müssen als solche gekennzeichnet und in ein sepa-
rates Sperrlager oder in einen extra gekennzeichneten Bereich verbracht werden,
10.3 Herstellprozess 361

um Verwechslungen zu verhindern. Wenn technisch möglich, sollen Teile einzeln


als „zurückgewiesen“ gekennzeichnet sein. Wo es nicht praktikabel ist, jedes ein-
zelne ausgemusterte Teil zu kennzeichnen, wie im Fall von elektronischen Bautei-
len, mechanischen Kleinteilen etc., sollen ausgemusterte Chargen in klar gekenn-
zeichneten Behältern oder Gebinden verbracht und von akzeptierten „Gut“-Teilen
getrennt werden. Die weitere Disposition fehlerhafter Produkte muss klar doku-
mentiert werden.

„ 10.3 Herstellprozess
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Es muss sichergestellt werden, dass nur mit qualifizierten Anlagen und validierten
Abläufen gearbeitet wird und dass alle Unterlagen dafür vor Ort greifbar sind. Bei
der Ausführung der Produktionsschritte muss sich jeder Mitarbeiter genau an je-
den einzelnen Schritt in den Anweisungen (Herstell-, Prüf-, Verpackungs-, Reini-
gungs- und Kalibrieranweisungen sowie Wartungspläne) halten. Es ist darauf zu
achten, dass nur aktuelle Vorgabedokumente verwendet werden. „Veraltete“ Vor-
schriften haben am Arbeitsplatz nichts verloren, sie müssen beim Herstell- oder
For personal use only.

Laborleiter bzw. in der QS sicher und vor unberechtigtem Zugriff geschützt aufbe-
wahrt werden. Die Dokumentation eines jeden Arbeitsschritts in der Produktion
muss zu 100 % mit der durchgeführten Tätigkeit übereinstimmen. Anderenfalls ist
in jedem Fall eine Abweichungsmeldung zu erstellen.

10.3.1 Mitarbeiterschulung
Es ist darauf zu achten, dass die Mitarbeiter, speziell in den Fertigungs- und Prüf-
bereichen, in allen Vorgaben und Arbeitsschritten nachweislich geschult sind. Ein
adäquates Training ist Grundvoraussetzung dafür, dass ein Mitarbeiter in der Lage
ist, seine Aufgaben so zu erfüllen, dass die Qualität und Sicherheit des Produkts
nicht nachteilig beeinflusst wird.
Sowohl die ISO 13485:2016 (in Abschnitt 6.2) als auch die QSR/21 CFR 820 (in
Absatz 25(b)) fordern, dass die Kenntnisse und Fertigkeiten der Mitarbeiter vom
Hersteller folgendermaßen sicherzustellen sind:
ƒ Trainingsanforderungen sind für jeden Mitarbeitenden/jede Funktion festzu-
legen, wobei die Mitarbeiter auf die Relevanz ihrer Arbeiten und deren Ein-
fluss auf die Qualität der Produkte zu unterweisen sind.
ƒ Trainings sind durchzuführen und Aufzeichnungen darüber zu führen.
ƒ Die Wirksamkeit der durchgeführten Trainings ist zu evaluieren.
362 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

BEACHTE:
Bei vielen Behördeninspektionen werden Defizite im Bereich Mitarbeiterausbildung
festgestellt. Gründe dafür sind:
ƒ mangelnde Kenntnis über die regulatorischen Anforderungen,
ƒ nicht ausreichendes Budget,
ƒ keine adäquat ausgebildeten Trainer,
ƒ keine Zeit für Training und Dokumentation.
Häufig fehlen Vorgaben, welche Mitarbeiter/Funktionen in welchem Umfang ge-
schult werden müssen und ob regelmäßige Schulungswiederholungen erforderlich
sind. Die Wirksamkeit der Schulungen wird nicht evaluiert, ein „gelesen und ver-
standen“ ist insbesondere bei Arbeitsanweisungen, die Fertigungs- oder Prüf-
schritte beinhalten, nicht ausreichend. Schulungsaufzeichnungen werden nicht
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oder nur lückenhaft erstellt und aufbewahrt.


10.3.2 Anforderungen an den Arbeitsplatz und das


­Arbeitsumfeld
Der Arbeitsplatz muss immer sauber und ordentlich gehalten werden. Die vorge-
For personal use only.

schriebene Arbeitskleidung ist immer zu verwenden. Es müssen Verfahren zur


Vermeidung und Überwachung von Verunreinigung existieren.
Die Ausrüstung muss den vorgegebenen Anforderungen entsprechen und ist plan-
mäßig zu entwerfen, auszuführen und zu installieren. Im Rahmen dessen müssen
auch ein Verfahren und ein Zeitplan für Wartung und Reinigung der Ausrüstung
(inklusive Aufzeichnungen) implementiert werden. Weiterhin muss sichergestellt
sein, dass alle Produktions- und Laborgeräte vor Arbeitsaufnahme validiert, über-
wacht und entsprechend gekennzeichnet sind (siehe Abschnitt 10.8, Mess- und
Prüfmittel). Sämtliche Räumlichkeiten im Produktionsbereich müssen ausreichend
Platz bieten, um Verwechslungen zu vermeiden und einen planmäßig geordneten
Produktfluss sicherzustellen. Abgelaufene Verbrauchsmaterialien (z. B. Chemika-
lien, Kleber, Reagenzien) dürfen nicht verwendet werden.

TIPP:
Führen Sie bei Chargen- oder Produktwechsel eine sogenannte line clearance
durch, d. h. entfernen Sie sämtliche Materialien, Unterlagen und Produktionsmit-
tel der vorhergegangenen Produktion, bevor Sie mit der Herstellung oder Verpa-
ckung der neuen Charge bzw. des neuen Produkts beginnen. Dies betrifft auch
ausgeschiedene und entsorgte Materialien. Nur so können Sie Verwechslungen
und Untermischungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit vermeiden.

10.3 Herstellprozess 363

10.3.3 Monitoring von Umgebungsbedingungen


Auf den Einfluss der Umgebungsbedingungen auf die Qualität des Produkts ist so-
wohl während des gesamten Herstellprozesses als auch während der Lagerung
und des Transports ein besonderes Augenmerk zu richten. Daher sind alle relevan-
ten Umgebungseinflüsse wie z. B. Temperatur, Luftfeuchte, Partikelanzahl und
elektrostatische Einflüsse zu identifizieren, zu überprüfen und zu bewerten. Die
Aufzeichnungen der Umgebungsbedingungen sind abzulegen und entsprechend
den geltenden Archivierungsfristen aufzubewahren.
Für eine sinnvolle Bewertung sind vorab Alarmgrenzen festzulegen, innerhalb de-
rer ein negativer Einfluss auf die Produktqualität ausgeschlossen werden kann.
Um rechtzeitig auf sich ändernde Umgebungseinflüsse reagieren zu können, emp-
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fiehlt es sich, frühzeitige Eingriffsgrenzen (Warngrenzen) zu definieren (Bild


10.2).

Obere Grenze
For personal use only.

Alarmgrenzen Warngrenzen

Untere Grenze

Bereich für prävenven Eingriff

Bild 10.2 Festlegung von Alarm- und Warngrenzen

Beim Auftreten einer Warngrenzenüberschreitung ist der Leiter des betroffenen


Bereichs (Produktion/Verpackung/Versand oder Lager) in Kenntnis zu setzen, die
dazugehörigen Trendausdrucke sind ihm zu übergeben. Der negative Trend ist von
ihm zu bewerten, gegebenenfalls sind Maßnahmen einzuleiten, um ein Erreichen
der Alarmgrenzen zu verhindern.
Beim Auftreten einer Alarmgrenzenüberschreitung ist der Leiter des betroffenen
Bereichs unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Für die weitere Bewertung der
Alarmgrenzenüberschreitung inklusive eventueller Folgemaßnahmen ist das Ab-
weichungsmanagement anzuwenden.
364 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

„ 10.4 In-Prozess-Kontrolle
In-Prozess-Kontrollen (IPKs) sind ein wesentlicher Bestandteil innerhalb des Pro-
duktionsprozesses. Durch das Vorsehen von In-Prozess-Kontrollen bei qualitätsbe-
stimmenden Schritten oder kritischen Punkten werden die Produktqualität und
die Stabilität des Produktionsprozesses wesentlich erhöht, und sie können durch
Festlegung von Maßnahmen bei Überschreitung von festgelegten Prozessparame-
tern noch weiter verbessert werden. IPKs erlauben:
ƒ ein vorzeitiges Eingreifen in den Produktionsprozess bei negativen Trends von
spezifizierten und gemessenen Parametern,
ƒ eine Reduktion der Ausschusskosten, weil nicht spezifikationskonforme Pro-
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dukte bereits frühzeitig ausgeschieden werden,


ƒ geringere Nacharbeitskosten, weil nicht erst das fertige Produkt geprüft wird,
sowie
ƒ eine Absicherung des Herstellprozesses im Hinblick auf Inspektionssicherheit
und compliance.
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„ 10.5 Endkontrolle
Die Kontrolle des Endprodukts umfasst typischerweise eine Überprüfung der
­Leistungsmerkmale, der Etikettierung, des Aussehens und der Konfiguration des
Endprodukts, um sicherzustellen, dass das Produkt die in den Produktionsvorga-
bedokumenten (DMR = Device Master Record) festgelegten Spezifikationen/Akzep-
tanzkriterien erfüllt. Für viele Medizinprodukte erfordert dieser „Sicherstellungs-
nachweis“ eine messtechnische oder chemische Analyse, elektrische und/oder
mechanische und/oder andere technische Prüfungen. Für einige einfache Pro-
dukte, wie z. B. ein Brillengestell, kann aber schon eine optische Kontrolle oder
eine Kontrolle auf Maßgenauigkeit ausreichend sein, um die Akzeptanz nachzu-
weisen.
10.5 Endkontrolle 365

BEACHTE:
Es entspricht dem heutigen Stand der Technik, dass die Prozesskontrollen und die
Endkontrolle des Herstellers durch eine Prüfung des fertigen Produkts ergänzt
werden, z. B. durch Messungen mit Kontrollmaterialien bzw. Referenzproben. Aus
einer begrenzten Anzahl von Einheiten des Endprodukts gültige Schlussfolgerun-
gen zu ziehen, ist allerdings nur möglich, wenn geeignete prozessinterne Prüf-,
Überwachungs- und Kontrollverfahren in den Zwischenstadien der Herstellung die
Homogenität der gesamten Charge des Endprodukts sicherstellen. Es reicht, ba-
sierend auf statistischen Überlegungen, die Prüfung kleiner Stichproben aus,
vorausgesetzt, es wurde bereits durch andere Mittel ein ausreichendes Maß an
Prozessstabilität und Konformität nachgewiesen [10.21].

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Jeder Hersteller muss weiterhin Vorschriften für Nacharbeiten einführen, welche


die Anzahl der Testwiederholungen und erlaubten Re-Evaluierungen von fehler-
haften Produkten nach Nacharbeit enthalten müssen. Tätigkeiten zur Nacharbeit
und Re-Evaluierung, inklusive einer Festlegung jeglicher möglicher negativer Aus-
wirkungen der Nacharbeit auf das Produkt, müssen im Produktentstehungsakt
(Produktbegleitkarte, batch record, DHR = Device History Record) dokumentiert
werden. Fehlerhafte Teile müssen eindeutig und unverwechselbar gekennzeichnet
und vom übrigen Produktionsprozess sowie von einwandfreien Teilen klar ge-
For personal use only.

trennt werden.

10.5.1 Kontrolle der Beschriftung und Verpackung


Durch entsprechende Kennzeichnung auf den Produkten bzw. auf den Begleit­
papieren ist der Prüfzustand der Produkte in allen Phasen, vom Wareneingang bis
zur Auslieferung, erkennbar zu machen. Durch die Kennzeichnung wird sicher­
gestellt, dass eine irrtümliche Weitergabe zuverlässig verhindert wird und nur
­geprüfte und allen Anforderungen entsprechende Produkte zur Auslieferung ge-
langen. Der Hersteller muss Prozesse einführen, um die Beschriftungs- und Ver­
packungsvorgänge zu kontrollieren, damit Verwechslungen in der Beschriftung
sicher vermieden werden. Diese Überprüfung beinhaltet die Vollständigkeit und
Richtigkeit der Beschriftung und Verpackung sowie beschriftungsbezogene Tätig-
keiten. Der Hersteller muss weiter sicherstellen, dass die Verpackung des Produkts
und/oder die Versandbehälter so gebaut sind, dass sie das Produkt vor Verände-
rungen und Beschädigung unter den üblichen Abfertigungs-, Lager-, Verteil- und
Transportbedingungen schützen. Dies kann auch eine Überprüfung der Verpa-
ckung oder von Versandbehältern auf Beschädigung oder falsche Beschriftung be-
inhalten. Alle Produkte müssen, wie im DMR festgelegt, bei Auslieferung korrekt
beschriftet und mit den erforderlichen Beipackzetteln/Handbüchern und Zubehör
ausgestattet sein.
366 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

10.5.2 Produktfreigabe
Hersteller von medizintechnischen Produkten müssen ausreichende Kontrollen
etablieren, damit nur Produkte freigegeben werden, die alle Tests und Prüfungen
erfolgreich bestanden haben. Jeder Hersteller muss geeignete Methoden zur Frei-
gabe des Endprodukts einführen und pflegen, die sicherstellen, dass jedes Ferti-
gungslos des Endprodukts alle geforderten Akzeptanzkriterien erfüllt. Dadurch
erhält man größtmögliche Sicherheit, dass die Fertigung kontrolliert abläuft. End-
produkte sollen nicht zum Versand freigegeben werden, bevor
ƒ alle Tätigkeiten, die in den Herstellervorgaben gefordert werden, abgeschlos-
sen sind,
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ƒ die zugehörigen Daten und Unterlagen überprüft und


ƒ die Freigabe datiert und durch die Unterschrift einer nominierten Person auto-
risiert wurde.

BEACHTE:
Wenn ein Produkt einen Test nicht besteht, darf dieser Test nicht so lange wieder-
holt werden, bis er endlich (durch Zufall) bestanden wird. Die Ursache des Problems
For personal use only.

muss gefunden und beseitigt werden, bevor der Test wiederholt werden darf. Wenn
die Akzeptanzkriterien eines Herstellers ein wiederholtes Testen und Nacharbeiten
gestatten, muss es für diese Akzeptanzmethode eine fundierte Grundlage geben.

10.5.3 Aufzeichnungen
Während eines Fertigungsprozesses und den damit zusammenhängenden Prüfun-
gen werden diverse Aufzeichnungen laut den allgemeinen oder produktspezifi-
schen Arbeitsanweisungen, Herstell- und Prüfvorschriften verfasst. Die Produkt­ent­
stehungsakte ist die Zusammenfassung aller Fertigungs- und Prüfaufzeichnungen
über den gesamten Fertigungszeitraum eines Produkts. Diese Aufzeichnungen
bestätigen, dass die Fertigung des Produkts gemäß den aktuellen Vorgabedoku-
menten abgelaufen ist.

MERKE:
Die Aufzeichnungen, vom Wareneingang bis zur Auslieferung, sind Teil der Tech-
nischen Dokumentation lt. Anhang II MPV und IVDV. Die Benannten Stellen prüfen
bei ihren Audits stichprobenartig, ob die Prozesse des Herstellers in Bezug auf
Herstellungs- und Prozesskontrollen, Produktdokumentation sowie Kontrolle der
Beschaffung, den Konformitätsanforderungen entsprechen [10.7]!

10.5 Endkontrolle 367

Die Produktentstehungsakte soll zumindest folgende Informationen beinhalten:


ƒ die Anzahl der gefertigten und für den Vertrieb freigegebenen Produkte,
ƒ alle Prüfaufzeichnungen laut Vorgabe inklusive der dabei erhaltenen Ergeb-
nisse,
ƒ Herstell- und Freigabedatum,
ƒ Unterschrift jener Person(en), die die Freigabeprüfungen durchgeführt hat
(haben),
ƒ das verwendete Prüfequipment (falls zutreffend),
ƒ alle zur Identifikation notwendigen Schilder, Etiketten und Beschriftungen
­sowie
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ƒ die verwendeten Identifizierungen und Kontrollnummern.

TIPP:
Für alle Aufzeichnungen gilt (siehe auch Abschnitt 1.2.3, Dokumentenmanagement):
ƒ Schreiben Sie lesbar und verwenden Sie einen unverwischbaren Stift.
ƒ Verwenden Sie zum Ausbessern keinen Korrekturlack.
ƒ Führen Sie Durchstreichungen so aus, dass der ursprüngliche Text lesbar bleibt.
For personal use only.

ƒ Signieren Sie Korrekturen mit Kurzzeichen und Datum.


ƒ Bewahren Sie Aufzeichnungen so auf, dass Verlust und Beschädigung verhin-
dert werden und dass innerhalb eines angemessenen Zeitraums ein Zugriff
für Audits oder Reklamationsbearbeitungen sichergestellt ist.
ƒ Legen Sie einen Mindestaufbewahrungszeitraum fest.

Am Ende des gesamten Fertigungs-, Prüf- und Verpackungsprozesses werden die


verfassten Produktentstehungsakten von einer verantwortlichen, befähigten be-
nannten QS-Person auf Rechtskonformität, Plausibilität und Richtigkeit der Ergeb-
nisse hin geprüft, weil damit nachgewiesen werden kann, dass das Endprodukt
spezifikationskonform und in Übereinstimmung mit den Vorgaben gefertigt wurde.
Nach positiver Prüfung durch die Qualitätsabteilung wird die betreffende Produk-
tions-Charge oder das betreffende Produkt durch Unterzeichnung eines Freigabe-
protokolls oder eines Prüfberichts freigegeben. Produktabhängig kann auch ein
Certificate of Analysis – mit Spezifikationsangaben und Messdaten – oder ein Certi-
ficate of Conformance, ein Zertifikat ohne Messdaten und Nennung von einzelnen
Spezifikationen, ausgefertigt werden.
368 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

TIPP:
Vor dem Unterzeichnen eines Freigabeprotokolls soll die nominierte Person auf
Folgendes achten:
ƒ Eindeutigkeit, Klarheit, Richtigkeit und Plausibilität der Daten.
ƒ Richtigkeit der mathematischen Operationen ist geprüft.
ƒ Manuelle Eintragungen (z. B. Prüf- und Messdaten aus einer IPK oder QC) oder
Korrekturen sind mit Namenskürzel bzw. Unterschrift und dazugehörigem
Datum versehen (Format soll dabei eindeutig sein, z. B. dd-mmm-yyyy).
ƒ Prüfdaten lassen nachvollziehbar erkennen, ob Spezifikationen erfüllt wurden
oder nicht. Eine Anlage von Messwerten ohne deren Bewertung ist nicht aus-
reichend!
ƒ Formulare und Abhaklisten sind vollständig ausgefüllt, nicht verwendete Felder
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sind gestrichen.
ƒ Eventuelle Abweichungsmeldungen, die das Produkt bzw. das Los betreffen,
sind in Kopie den Begleitpapieren beizulegen.
ƒ Bei Eintragungen, die in den Prüf- bzw. Fertigungspapieren aufscheinen, ist
die Richtigkeit geprüft (z. B. install before-Daten, Seriennummern, Auftrags-
nummern, Losnummern).
ƒ Bei Etiketten ist die Übereinstimmung zwischen Bezeichnung und Inhalt über-
prüft worden.
ƒ Bei Verpackungsbegleitdokumenten: Kommissionierung des Auftrags und
For personal use only.

Ausführung der Verpackung wurden durch verschiedene Personen durchge-


führt.
ƒ Rückhaltemuster wurden laut Vorgaben angelegt.
Die Rechtskonformität, Vollständigkeit und Richtigkeit der Aufzeichnungen sind
stichprobenweise zu überprüfen. Es wird empfohlen, diese Prüfungen mit unter-
schiedlichen Schwerpunkten zu variieren, um einer „Betriebsblindheit“ vorzu­
beugen.

Erfolgt die Fertigung unter anderen Bedingungen als in den Vorgabedokumenten


festgelegt oder erfüllt das Produkt die Freigabekriterien nicht in allen Bereichen,
so ist es in weiterer Folge über eine Abweichungsmeldung zu lenken, die Teil der
Fertigungsunterlagen wird.
Die Aufzeichnungen können entweder in Form von händischen Aufzeichnungen,
in digitaler Form (Datenbanken, PDE-Systeme) oder in einer Kombination beider
vorliegen. Dementsprechend kann die Unterzeichnung in Form einer händischen
oder digitalen Unterschrift erfolgen.

BEACHTE:
Bevor Sie ein Dokument unterschreiben, kontrollieren Sie dieses genau! Unter-
schreiben Sie nichts, was Sie nicht getan, gesehen, überwacht oder überprüft
haben. Alle Abweichungen müssen dokumentiert und unverzüglich dem Vorge-
setzten gemeldet werden.

10.6 Rückverfolgbarkeit 369

„ 10.6 Rückverfolgbarkeit
Durch beschriebene Verfahren zur eindeutigen Identifizierung der Produkte muss
über den gesamten Produktionsprozess sichergestellt sein, dass Verwechslungen
verhindert und Produkte im Fall einer Reklamation eindeutig zugeordnet werden
können, um ein mögliches Sicherheitsrisiko für den Benutzer oder den Patienten
eingrenzen zu können. Die Festlegung, auf welcher Stufe eine Rückverfolgbarkeit
für das Produkt erforderlich ist (auf Geräte-, Baugruppen- oder Losnummer), soll
auf einer Risikoabschätzung basieren, die die Gesundheitsgefährdung abschätzt,
die entsteht, wenn das Produkt die Leistungsanforderungen bei sachgemäßer Ver-
wendung nicht erfüllt. All diese Überlegungen müssen entsprechend dokumen-
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tiert festgehalten werden.

BEACHTE:
Ein Hersteller muss die Funktionsweise und die Ausfallmöglichkeiten seines Pro-
dukts und jeder einzelnen Komponente im Endprodukt eingehend analysieren und
anschließend entscheiden, welche Bauteile unter den verschiedenen Ausfallsze-
narien kritisch zu bewerten sind. Diese Analysen und Zuverlässigkeitsprüfungen
sollen bereits während der Designphase durchgeführt werden, um eindeutig jene
For personal use only.

kritischen Komponenten zu identifizieren, deren Defekt zu einer wesentlichen


Beeinträchtigung der zugesagten Leistung oder zu einer Sicherheitsgefährdung
führen könnte. Diese Produkte oder Komponenten müssen mit entsprechend er-
höhter Aufmerksamkeit verifiziert, validiert, geprüft und nachverfolgt werden.

TIPP:
„Unkritische“ Komponenten und Produkte (z. B. elektrische Stecker, Netzkabel
und einfache mechanische Komponenten) fallen nur selten aus. Eine umfassende
Rückverfolgbarkeit für diese Teile kann daher entfallen. Außerdem kann ein Her-
steller auch mehrere Einzelkomponenten einer Baugruppe zusammenfassen und
dadurch die Anzahl an Prüfungen und Aufzeichnungsaktivitäten merklich redu­
zieren.

10.6.1 Prüfkennzeichnung von Produkten


Die Kennzeichnung des Prüfzustands ist in einer Weise durchzuführen, die sowohl
innerhalb des eigenen Arbeitsbereichs als auch bei Weitergabe an andere Perso-
nen oder Stellen klar ersichtlich ist. Vorgaben in den Arbeitsunterlagen sind dabei
zu berücksichtigen. Mögliche Arten der Kennzeichnung sind:
370 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

ƒ Kennzeichnung durch unterschiedlichen Standort:


Geprüfte Teile werden von nicht geprüften örtlich eindeutig getrennt. Dies er-
folgt durch entsprechend gekennzeichnete Abstellflächen oder Behälter. Flä-
chen und Behälter für nicht geprüfte Waren sollen zur besseren Identifikation
durch entsprechende bauliche Maßnahmen (z. B. zutrittsgesicherte Räume
und versperrbare Behältnisse) und/oder durch farbliche Kennzeichnung (z. B.
gelb-schwarze Abgrenzungen am Fußboden oder durch Bänder oder rote Auf-
kleber mit „XYZ Prüfung offen“) hervorgehoben werden.
Die zugeordneten Begleitpapiere sollen der Ware beigelegt werden.
ƒ Kennzeichnung in den Begleitpapieren oder im EDV-System:
Grundsätzlich sind für alle Produkte, die hergestellt, geprüft, transportiert
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oder ausgeliefert werden, Begleitpapiere zu erstellen. Diese sind durch Auf-


tragsnummern, (Teile-)Benennung, Ident-, Serien- und/oder Chargennummern
den entsprechenden Produkten eindeutig zugeordnet und geben Aufschluss
über den Fertigungs- und Prüfstatus der Produkte. Wurden bereits Arbeits-
oder Prüfschritte durchgeführt, sind in den Begleitpapieren die vorgesehenen
Vermerke einzutragen.
ƒ Direkte Kennzeichnung am Produkt:
For personal use only.

Wenn es die Größe und Beschaffenheit des Produkts/Teils zulässt, kann direkt
am Produkt/Teil eine Prüfkennzeichnung angebracht werden. Diese erfolgt in
Form von Stempeln, Aufklebern oder durch entsprechende Beschriftung. Die
Form der Kennzeichnung ist so zu wählen, dass sie auf Dauer leserlich und
geschützt vor Verlust und Beeinträchtigung durch Umwelteinflüsse ist.
ƒ Indirekte Kennzeichnung durch den Fertigungsfortschritt:
Wenn der Fertigungs- und Prüfzustand eindeutig erkennbar und in den Ar-
beitsunterlagen nichts Anderes festgelegt ist, kann nach Vereinbarung mit der
nachfolgenden Stelle auf weitere Kennzeichnungen verzichtet werden (z. B.
entsprechende Arbeitsfolge im Arbeitsplan: Prüfen → Verpacken → laut Doku-
mentation ist daher die verpackte Ware geprüft). Dies ist jedoch nur dann zu-
lässig, wenn Verwechslungen oder Missverständnisse mit Sicherheit ausge-
schlossen werden können.

10.6.2 Rückhaltemuster
Rückhaltemuster dienen als Vergleichsproben bei der Untersuchung von internen
und externen Problemfällen bzw. zur Absicherung gegen unbegründete Reklama-
tionen. Der Hersteller hat zu definieren, von welchen Materialien/Produkten zu
welchen Zeitpunkten wie viele Rückhaltemuster gezogen werden müssen. Diese
10.7 Abweichungsmanagement 371

Definition soll dabei von der Fehlerauftretenswahrscheinlichkeit und der Kritikali-


tät im Fehlerfall bestimmt werden. Rückhaltemuster sind eindeutig zu kennzeich-
nen und unter definierten Bedingungen, aber getrennt von den freigegebenen Pro-
dukten zu lagern. Die Aufbewahrungsdauer für Rückhaltemuster soll zumindest
bis zum Ende der angegebenen Produkteinsatzdauer reichen. Um auch noch später
eintreffende Reklamationen aus dem Feld bearbeiten zu können, sollen Rückhalte-
muster auch noch darüber hinaus aufbewahrt werden, wobei sich dieser „Über-
hang“ nach den Erfahrungswerten im Reklamationsprozess richten soll. So kön-
nen zwar nach Überschreiten des Ablaufdatums bei z. B. einem Reagenz nur mehr
beschränkte Rückschlüsse auf dessen chemische Eigenschaften gezogen werden,
allerdings können Fehler bei der Verpackung, der Etikettierung oder beim Füll­
volumen noch immer nachgeprüft werden.
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Auch die Wareneingangskontrolle soll zur Rückverfolgbarkeit von kritischen Ein-


satzstoffen, Komponenten und Teilen repräsentative Stichproben ziehen und auf-
bewahren. Aufgrund der beschränkten Haltbarkeit bzw. hohen Kosten gewisser
Einsatzstoffe, Komponenten oder Teile ergeben sich dabei unterschiedliche Kon-
zepte zur Musterentnahme. Bei geringwertigen Materialien kann ein ungeöffnetes
Originalgebinde als Rückhaltemuster entnommen werden, während von teuren
Materialien auch nur eine geringe Menge aus dem Originalgebinde entnommen
For personal use only.

und in ein geeignetes Gefäß umgefüllt werden kann. Die Kennzeichnung muss
dabei den Materialnamen, die Materialnummer, die Chargennummer und das Um-
fülldatum enthalten.

„ 10.7 Abweichungsmanagement
Der Begriff „Abweichung“ bezieht sich auf:
ƒ Abweichungen von Spezifikationen zu Produkteigenschaften (z. B. Funktion,
Aussehen, Aggregatzustand, Packmittelmaße),
ƒ Nichterreichung von Spezifikation für Prüfkriterien (Gewicht, Abmessung,
Analysenwert – Sensitivität und Wiederfindung),
ƒ Abweichung von festgelegten Produktionsabläufen (z. B. Reihenfolge bzw.
Dauer von Verfahrensschritten, Verwendung nicht klassifizierter Prüfmittel
oder Methoden),
ƒ Abweichungen in der Zusammensetzung von Produkten (z. B. Art/Material-
nummer, Menge verwendeter Rohstoffe),
ƒ Abweichung von spezifizierten Umgebungsbedingungen (z. B. Temperatur,
Partikel- oder Keimzahlen, Luftfeuchte, Alarmsituationen),
372 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

ƒ Abweichungen bei Verpackung, Labeling (z. B. Gebrauchsanweisung, Geräte­


aufschriften, Zubehörliste), Lager- und Transportbedingungen der Produkte
oder Vormaterialien,
ƒ fehlende oder unvollständige Anlagen-/Raumqualifizierung oder Prozessvali-
dierung,
ƒ unvollständige oder unrichtige Aufzeichnungen im DHR.
Diese Vorgaben sind typischerweise in Herstell- und Prüfvorschriften (HPVs), in
Qualifizierungsunterlagen oder in fachspezifischen Arbeitsanweisungen festge-
legt.
Je nach Grad der Abweichung werden verschiedene Stufen des Abweichungs­
managements aktiviert (siehe Bild 10.3).
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Genehmigung zur Sonderfreigabe


(Produkon, QC/QA, R&D, Leiter Qualitätssicherung)
Abweichung

Abweichungsmeldung
(Entscheidungsbeauragter, QA)
For personal use only.

Noz im Freigabedokument
(Techniker, Laborant)

Verlauf der Krikalität


(niedrig zu hoch)

Bild 10.3 Zu ergreifende Maßnahmen je nach Grad der Abweichung

BEACHTE:
Man spricht nicht von einer Abweichung, wenn folgende Sachverhalte vorliegen:
ƒ Wenn von Richtwerten oder Warngrenzen abgewichen wird.
ƒ Wenn von Soll-Werten abgewichen wird, diese Soll-Werte aber durch Maß­
nahmen erreicht werden können, welche in einem ablaufspezifischen Vorgabe­
dokument beschrieben sind, z. B. Nachsteuern eines pH-Werts im Rahmen der
IPK.
ƒ Fehler, die weder die Funktionsfähigkeit des Produkts beeinträchtigen noch
zu einer Diskrepanz zu zulassungsrelevanten Dokumenten führen (z. B. leicht
versetzt sitzendes Etikett, dessen Barcode immer noch einwandfrei lesbar ist).
ƒ Offensichtliche Fehler, die rechtzeitig bemerkt wurden, das betroffene Produkt
verworfen wurde bzw. die falschen Messdaten als ungültig gekennzeichnet
wurden und danach der Verfahrensschritt bzw. die Messung, bei der der Feh-
ler auftrat, wiederholt werden (z. B. offensichtlicher Ablesefehler).
10.7 Abweichungsmanagement 373

ƒ Wenn der genaue Ablauf durch ein bereichsspezifisches Verfahren geregelt ist
(z. B. Reklamationsabwicklung im Rahmen der Wareneingangskontrolle bzw.
Musterprüfung oder beim run-in von Geräten im Zuge der Herstellung).
In den genannten Fällen wird der Vorfall entsprechend den ablaufspezifischen
Vorgabedokumenten bearbeitet und dokumentiert.

10.7.1 Rückweisung, Weiterverwendung, Sonderfreigabe


Erfüllt ein Produkt einzelne der vorgegebenen Freigabekriterien nicht, so kann es
nicht freigegeben oder erst nach eingehender Bewertung ausgeliefert oder anders
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disponiert werden. Siehe dazu die Anforderungen der ISO 13485, Abschnitt 8.3
[10.3] sowie der QSR Kapitel 820.90 [10.4]. Für Produkte, die nicht den vorgegebe-
nen Prüf- oder Dokumentationsspezifikationen entsprechen, sind klar definierte
Vorgaben, Zuständigkeiten und Abläufe beim Auftreten bzw. Erkennen von Abwei-
chungen festzulegen, damit nicht entsprechende Produkte sicher ausgesondert
und vollständige Aufzeichnungen zu diesen Aktivitäten geführt werden (siehe Un-
terlagen zum Download; Ablaufbeschreibung beim Auftreten von Abweichungen).
For personal use only.

Das Abweichungsmanagement legt auch Entscheidungskriterien fest, ob Maßnah-


men eingeleitet werden müssen, um ein wiederholtes Auftreten der Abweichung
zu vermeiden (siehe auch Kapitel 12, Korrektur- und Verbesserungsmanagement).
Weiterhin regelt das Abweichungsmanagement die Weiterverwendung und die
Sonderfreigabe.

BEACHTE:
Im Fall einer negativen Prüfung oder gravierenden Abweichung während des
Produktionsprozesses kommt es zu einer Rückweisung, das Produkt muss der
QS-Abteilung zur eingehenden Bewertung vorgelegt werden. Diese entscheidet,
ob das Produkt im Rahmen einer Sonderfreigabe ausgeliefert, anderweitig dispo-
niert (z. B. eingeschränkte Benutzung), nachgearbeitet oder verschrottet werden
soll. In der Argumentation der Sonderfreigabe muss unter „Beschreibung der
Abweichung/Ursache“ klar erkennbar sein, dass kein Risiko für den Benutzer oder
Patienten und volle Funktionsfähigkeit des Produkts gegeben sind. Einer Weiter-
verwendung darf nur dann zugestimmt werden, wenn eine negative Auswirkung
der Abweichung auf die Funktionsfähigkeit des Produkts oder auf die Sicherheit
von Anwender und Patienten mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden kann.
Falls nicht gewährleistet werden kann, dass die erforderliche Produktqualität trotz
der Abweichung erreicht wird, muss die Freigabe zur Weiterverwendung abgelehnt
und das betroffene Produkt entsprechend gelenkt werden.

374 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

Im Zuge des Abweichungsmanagements ist die Qualitätssicherung verantwortlich


für:
ƒ Review und Genehmigung von Weiterverwendungsentscheiden,
ƒ bei Sonderfreigaben Beurteilung, ob gesetzliche Vorschriften verletzt wurden,
ƒ Entscheidungen betreffend Einleitung eines CAPA-Falls und
ƒ Verwaltung und Archivierung der Abweichungsmeldung und der dazugehöri-
gen Unterlagen.

BEACHTE:
[10.1] bis [10.4] fordern, dass die Überwachung und Kontrolle der Herstellung von
Produkten durch eine (der Organisation des Herstellers angehörende) für die
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Einhaltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person erfolgen sollen.


Diese Person trägt die Letztverantwortung für Produktfreigaben und damit insbe-
sondere auch für Sonderfreigaben. Sie kann nach herrschenden Gesetzen auch
persönlich für schuldhaftes Fehlverhalten haftbar gemacht werden!

Vor einer Entscheidung über die Genehmigung zur Weiterverwendung bzw. einer
Sonderfreigabe sowie zur Festlegung der Notwendigkeit und des Umfangs von zu-
For personal use only.

sätzlichen Maßnahmen (auch Sofortmaßnahmen) muss eine Risikobewertung


durchgeführt werden, um ein fundiertes Verständnis bezüglich Konsequenzen der
Abweichung auf die Qualität des Produkts zu erhalten, insbesondere hinsichtlich
der Auswirkungen auf Anwender und Patienten. Wird das Risiko als „kritisch“
eingestuft, so darf das Produkt nicht oder nur eingeschränkt freigegeben werden.
Eine Risikobewertung ist nicht erforderlich, wenn von vornherein klar ist, dass das
von der Abweichung betroffene Produkt nicht weiterverwendet werden kann. Bei
der Risikobewertung sollen nicht nur die möglichen Auswirkungen einer Produkt-
freigabe bestimmt werden. Sie soll auch die Analyse möglicher Ursachen für die
Abweichung sowie etwaig zu ergreifender Sofortmaßnahmen umfassen. Beispiele
für Sofortmaßnahmen sind die Umarbeitung durch zusätzliche Prozessschritte, die
vom etablierten Herstellverfahren abweichen, oder die Wiederholung eines Verfah-
rensschritts, der Teil des validierten Herstellungsprozesses ist. Sofortmaßnahmen
müssen vor Freigabe des betroffenen Produkts umgesetzt und auf ihre Wirksam-
keit hin überprüft werden und dürfen keine negativen Auswirkungen auf die Pro-
duktqualität zeigen. Gegebenenfalls ist ein CAPA-Fall zu eröffnen.

10.7.2 Geplante Abweichungen
Wenn ein Verfahrensschritt auf eine andere Art und Weise durchgeführt wird, als
im entsprechenden Vorgabedokument beschrieben ist, und diese Abweichung von
vornherein bekannt oder sogar beabsichtigt ist, wird dies als „geplante Abwei-
10.8 Mess- und Prüfmittel 375

chung“ bezeichnet. In diesem Fall ist die Ursache für die Abweichung bekannt und
das Risiko für das Produkt wird als gering bzw. akzeptabel eingestuft. Beispiele
sind wie folgt:
ƒ Die Änderung eines Vorgabedokuments ist zwar geplant, kann aber bis zum
Produktionstermin nicht umgesetzt werden, sodass das tatsächliche Vorgehen
nicht den aktuell geltenden Vorgaben entspricht.
ƒ Wenn Änderungen von Rezepturen und/oder Produktionsverfahren zur Lö-
sung von Produktproblemen oder zur Verfahrensoptimierung erst nach einer
Validierung im Detail feststehen und trotzdem sofort umgesetzt werden sollen.
Entscheidungen über geplante Abweichungen werden in den entsprechenden Qua-
litätsbesprechungen getroffen und dokumentiert.
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„ 10.8 Mess- und Prüfmittel


Jede Organisation muss zum Nachweis der Konformität ihrer Produkte mit den
festgelegten Anforderungen Tests und Messungen durchführen. „Geeignetes“ Test­
For personal use only.

equipment, Mess- und Prüfmittel (im Weiteren als „Prüfmittel“ bezeichnet) sind
die unabdingbare Voraussetzung, um zuverlässige Aussagen über die Qualität und
Funktionsfähigkeit der hergestellten Produkte zu bekommen.
Aus diesem Grund fordert die ISO 13485:2016 in Abschnitt 7.6, dass jede Organi-
sation ein dokumentiertes Verfahren besitzen muss, das sicherstellt, dass Messun-
gen durchgeführt werden können und in einer Weise durchgeführt werden, die mit
den Anforderungen an die Messung vereinbar sind. Zur Sicherstellung gültiger
Ergebnisse ist unter anderem gefordert, dass die Mess- und Prüfmittel folgende
Anforderungen erfüllen müssen. Sie müssen:
ƒ in festgelegten Abständen oder vor dem Gebrauch anhand von Messnormalen
kalibriert oder verifiziert werden,
ƒ bei Bedarf justiert oder nachjustiert werden,
ƒ entsprechend gekennzeichnet werden, damit der Kalibrierstatus erkennbar ist,
ƒ gegen Verstellungen gesichert werden,
ƒ vor Beschädigung und Verschlechterung während der Handhabung, Wartung
und Lagerung geschützt werden.
Analog fordert der 21 CFR 820.72(a): „Each manufacturer shall establish and main-
tain procedures to ensure that equipment is routinely calibrated, inspected, checked,
and maintained. The procedures shall include provisions for handling, preservation,
and storage of equipment, so that its accuracy and fitness for use are maintained.“
376 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

10.8.1 Grundsätze
Der Inhalt der Prüfmittelüberwachung kann im Wesentlichen mit den folgenden
vier Grundsätzen beschrieben werden:
ƒ Prüfmittel werden so ausgewählt und eingesetzt, dass ihre Eigenschaften und
Spezifikationen den Anforderungen aus den Einsatz- bzw. Prüfspezifikationen
entsprechen.
ƒ Um den einwandfreien Zustand von Prüfmitteln zu gewährleisten, werden sys-
tematische Instandhaltungs- und Kalibriertätigkeiten geplant und durchge-
führt.
ƒ Durch entsprechende Aufzeichnungen ist eine angemessene Rückverfolgbar-
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keit sichergestellt, um im Fall von Fehlern oder Abweichungen bei den Prüf-
mitteln die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß beurteilen zu können, wie
sich diese Mängel auf die Produktqualität auswirken könnten.
ƒ Es werden nicht nur einzelne Messeinrichtungen oder Komponenten für sich
allein betrachtet, sondern auch andere Fehlereinflüsse sowie Komponenten
in der gesamten Messkette bis hin zur Rückführbarkeit auf ein anerkanntes
„Normal“.
For personal use only.

TIPP:
Im Zuge von Audits führt die Überprüfung des Prüfmittelbereichs in vielen Orga-
nisationen zu Abweichungen. In den meisten Fällen sind das „triviale“ Punkte wie:
ƒ Die Anzeigeauflösung und die Toleranzen des verwendeten Prüfmittels sind
nicht ausreichend für die Anforderungen des Prüflings (z. B. Toleranz beim
Prüfling von maximal plus/minus zwei Hundertsteln zulässig → Kalibrierabwei-
chung beim Prüfmittel von plus/minus drei Hundertsteln erlaubt).
ƒ Trending wird nicht durchgeführt: Schiebelehre hat eine maximal zulässige
Kalibrierabweichung von drei Hundertsteln → im ersten Jahr ist die festgestellte
Abweichung durch die Kalibrierstelle 1,3 Hundertstel, im zweiten Jahr 2,7
Hundertstel → die Schiebelehre wird weiterverwendet, obwohl mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass bei der nächstjährigen Kalibrierung
der zulässige Toleranzbereich überschritten wird und durch die Abschätzung,
ob durch diese Abweichung wichtige Produktspezifikationen verletzt wurden,
ein Vielfaches der Kosten einer neuen Schiebelehre entsteht.
ƒ Die Organisation kalibriert ihre Prüfmittel mit einem Satz Normale, berück-
sichtigt aber nicht, dass auch Normale in gewissen Abständen überprüft
werden müssen.
ƒ Ein Prüfmittel wird außer Betrieb genommen → es wird vor Stilllegung aber
nicht kalibriert, wodurch nicht nachgewiesen werden kann, dass das Prüfmit-
tel seit der letzten erfolgreich bestandenen Kalibration noch in einem „kont-
rollierten“ Zustand war.
10.8 Mess- und Prüfmittel 377

ƒ Ein Prüfmittel wird justiert, bevor überprüft wurde, ob die spezifizierten Tole-
ranzen noch eingehalten werden → es ist nachträglich nicht mehr möglich
nachzuvollziehen, ob das Prüfmittel vor der Instandhaltung noch in Ordnung
war oder nicht.
Solche „trivialen“ Mängel bedeuten im Endeffekt für eine Organisation, dass die
Konformität ihrer Produkte mit den festgelegten Anforderungen nicht verlässlich
durch Tests und Messungen nachgewiesen werden kann und dadurch hohe Fehler-
oder Folgekosten auftreten können.

10.8.2 Prüfmittel – Klassifizierung und Überwachung


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Für eine wirksame Prüfmittelüberwachung ist es erforderlich, diese in einem ers-


ten Schritt richtig zu klassifizieren und anschließend Spezifikationen für die ge-
planten, systematisch durchzuführenden Tätigkeiten zur Überwachung festzu­
legen.

10.8.2.1 Klassifizierung
For personal use only.

Werden Messmittel zur Überprüfung von qualitätsrelevanten Merkmalen verwen-


det, dann unterliegen sie den in den Vorgaben zur Prüfmittelüberwachung be-
schriebenen Abläufen. Dies ist der Fall, wenn vom Messergebnis folgende Ent-
scheidungen abgeleitet werden:
ƒ Freigabe von Produkten zur Auslieferung an den Kunden (z. B. Endprüfung),
ƒ Eingangsprüfung oder Reklamation von gelieferten Waren,
ƒ Vermeiden von Fehlern, die später nur bedingt erkannt werden können (z. B.
IPK),
ƒ Vermeiden von hohen Nacharbeits-, Reparatur- oder sonstigen Fehlerfolge­
kosten.
Außerdem sind jene Geräte zu überwachen, die für Messungen zum Nachweis der
Erfüllung von gesetzlichen Anforderungen dienen:
ƒ Batchdaten zum Nachweis, dass die geforderten Qualitäts- und Funktions-
merkmale eingehalten wurden,
ƒ Ermittlung sicherheitstechnischer oder umweltrelevanter Messdaten sowie
von Daten, die in den relevanten Gesetzen, Richtlinien oder Normen gefordert
werden.
Wenn aufgrund genannter Kriterien eine Überwachung nicht eindeutig erforder-
lich, jedoch z. B. aus wirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll erscheint, wird eine
Prüfmittelüberwachung empfohlen.
378 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

10.8.2.2 Überwachung
Bei der Spezifikation der Vorgaben und Akzeptanzkriterien für die Prüfmittelüber-
wachung ist festzulegen, ob das Prüfmittel für den vorgesehenen Einsatz geeignet
ist und womit die laufenden Anforderungen erfüllt werden können. Das heißt, die
Prüfmittelspezifikationen werden von den Anforderungen an das zu überwa-
chende Produkt abgeleitet. Dabei werden Angaben bezüglich Messbereich, Richtig-
keit, Präzision, Robustheit und Dauerhaftigkeit unter festgelegten Umgebungsbe-
dingungen betrachtet.
Nur wenn die Anforderungen für den Einsatz sowie die Produktspezifikationen
und -merkmale bekannt sind, sind die nachfolgende Risikoabschätzung und die
Festlegung von Überwachungsintervall und Überwachungsmodalitäten möglich.
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BEACHTE:
Die festgelegten Prüfmittelspezifikationen müssen so weit gehen, dass die Rück-
führung auf ein Bezugsnormal mit bekannter Genauigkeit und Stabilität gegeben
ist, vorzugsweise auf nationale oder internationale Normale/Standards. Soll die
Kalibrierung durch Vergleichsmessung an einem kalibrierten Referenzgerät durch-
geführt werden, sind dessen Genauigkeit und Stabilität zu berücksichtigen. Meist
ist es dabei notwendig, dass das Referenzgerät eine höhere Genauigkeitsklasse
For personal use only.

hat als das zu kalibrierende Prüfmittel.


Bei der Abschätzung, welche Ausfall- und Fehlerrisiken ein Prüfmittel haben kann,
sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen:
ƒ geforderte Genauigkeit des Prüfmittels im Verhältnis zur Spezifikation des
Produkts,
ƒ Herstellerangaben über Garantie und Einsatzlebensdauer des Prüfmittels,
ƒ zu erwartende Betriebs- und Umgebungsbedingungen,
ƒ Einsatzhäufigkeit und Belastung des Prüfmittels,
ƒ Erfahrungen mit vergleichbaren Prüfmitteln
sowie mögliche Fehlerauswirkungen auf
ƒ Funktion der geprüften Produkte,
ƒ Sicherheit und Umwelt,
ƒ Gewährleistungs-, Reparatur- und Nacharbeitskosten.
Möglichkeiten zur Erkennung bzw. Korrektur von Fehlentscheidungen aufgrund
falscher Prüfergebnisse sind während der Risikobewertung in Betracht zu ziehen.
Der Benutzer eines Prüfmittels wählt aufgrund der Anforderungen aus den Prüf-
spezifikationen bzw. aus den Betreiberanforderungen und unter Berücksichtigung
von Anforderungen im Hinblick auf Qualifizierung und Validierung ein geeignetes
Prüfmittel aus. Ist kein geeignetes Prüfmittel vorhanden, muss ein Neukauf oder
10.8 Mess- und Prüfmittel 379

eine Anfertigung (z. B. spezielle Vorrichtung) veranlasst werden. Wenn möglich,


ist bereits vor Beschaffung die Beurteilung hinsichtlich Prüfmittelüberwachung zu
klären und zu berücksichtigen. Im Idealfall wird ein „Erstkalibrierzertifikat“ be-
reits mitbestellt und die Kalibriertauglichkeit geklärt.
Unter Berücksichtigung von Aufwand und Risiko ist ein angemessenes periodi-
sches Überwachungsintervall festzulegen, um auf Dauer die erforderliche Zuver-
lässigkeit und das Vertrauen in die Messergebnisse zu gewährleisten. Dazu sind
entsprechende Überwachungsmodalitäten festzulegen. Diese sind vor allem ab-
hängig von
ƒ der geforderten Messsicherheit,
ƒ der Risikoabschätzung,
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ƒ wirtschaftlichen Überlegungen und


ƒ den technischen Gegebenheiten.
Die Überwachungsmodalitäten sollen sich neben den Anforderungen, den Mess-
mitteleigenschaften und der Risikoabschätzung an Folgendem orientieren:
ƒ am Stand der Technik (für das Messprinzip anerkannte Methoden, Literatur
etc.),
For personal use only.

ƒ an Normen und Gesetzen (z. B. ISO 10360 für geometrische Messgrößen),


ƒ an den Herstellerangaben.

MERKE:
Die Kalibrierung muss den verwendeten Arbeitsbereich des Prüfmittels vollständig
und durch eine ausreichende Anzahl an Kalibrierpunkten abdecken. Die Toleranzen
des Prüfmittels müssen dabei den Akzeptanzkriterien des Prüflings entsprechen.

Wird ein Prüfmittel nur in größeren Zeitabständen bzw. unter sich ändernden An-
forderungen verwendet, so kann der Anwender auf eine regelmäßige Überwa-
chung verzichten und die Überwachung vor jedem Einsatz oder nur an jenen ­Tagen
durchführen, an denen das Prüfmittel tatsächlich eingesetzt wird.
Ist für ein Prüfmittel keine Überwachung vorgesehen, muss darauf geachtet wer-
den – besonders wenn das Prüfmittel im gemeinsamen Umfeld mit überwachten
Prüfmitteln eingesetzt wird –, dass es nicht zur Überprüfung von qualitätsrelevan-
ten Merkmalen eingesetzt wird.
Als Grundlage für die Bewertung des Status eines Prüfmittels bzw. zur Entschei-
dung, ob eine Wartung oder Instandhaltung notwendig ist, werden je nach Anwen-
dungszweck und Eigenschaften des Prüfmittels folgende Überwachungsmodalitä-
ten definiert:
380 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

ƒ Kalibrierung an einem Normal – durch eine akkreditierte Stelle,


ƒ Vergleich mit einem kalibrierten Prüfmittel  – durch zertifizierte Stelle oder
in-house,
ƒ Vergleichsmessung mit einem kalibrierten Prüfmittel,
ƒ Vergleich mit einem anderen, dem Stand der Technik entsprechenden Verfah-
ren (physikalische Fundamentalgrößen, Methoden, Prozesse).

10.8.3 Prüfmitteldokumentation
Prüfmittelspezifikationen sind gemäß der Klassifizierung festzulegen, entspre-
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chend zu dokumentieren und durch zwei Unterschriften (Vier-Augen-Prinzip) zu


bescheinigen. Die Prüfmittelspezifikationen müssen bei Bedarf auch Angaben
über die vorgesehene/zulässige Kalibrierstelle und Kalibriermethode sowie Kalib-
rierpunkte enthalten. Wenn nicht eindeutig erkennbar (z. B. Instrument mit ange-
gebener Genauigkeitsklasse), ist explizit zu definieren, nach welchen Toleranzen,
Kriterien bzw. Normen die Prüfung zu erfolgen hat. Wenn spezielle Bescheinigun-
gen zum Nachweis der Rückführbarkeit erforderlich sind, sind diese – bei Bedarf,
For personal use only.

nach Absprache mit der Kalibrierstelle – zu definieren (z. B. DKD- oder ÖKD-Kalib-
rierschein). Wenn es sich nicht um eine „Erstkalibrierung“ vor dem ersten Einsatz
handelt, ist außerdem der Ist-Zustand vor einer etwaigen Justage zu dokumentie-
ren. Welche Angaben tatsächlich erforderlich sind, ist in jedem Einzelfall abzuwä-
gen. Wenn die Eindeutigkeit gegeben ist, kann statt detaillierter Spezifikationen
auch auf Normen verwiesen werden.
Um die Verfügbarkeit von überwachten Prüfmitteln dauerhaft zu gewährleisten,
sind die definierten Überwachungsmodalitäten und Intervalle in entsprechende
Pläne und Aufträge umzusetzen. Der Prüfmittelverantwortliche pflegt dazu die
­Daten in den entsprechenden Datenbanken und Dokumenten, überwacht den Sta-
tus und plant termingerecht die anstehenden Aktivitäten. Die Prüfmitteldaten sind
mit entsprechenden Statusmerkmalen zu versehen, um überwachte Prüfmittel von
nicht überwachten unterscheiden zu können. Auch vorübergehende Zustände wie
z. B. die Neueinführung oder Änderung bezüglich Einsatz oder Spezifikation sowie
Terminüberschreitungen müssen erkennbar sein, damit Planungsaktivitäten ent-
sprechend gesteuert werden können.

TIPP:
Zur eindeutigen Kennzeichnung des Prüfmittels ist ein Etikett fix am Equipment
anzubringen, das weder feuchtigkeits- noch lichtempfindlich ist. Ist z. B. aufgrund
der Größe kein geeigneter Platz zum Anbringen eines Etiketts vorhanden, muss
der aktuelle Status durch andere Maßnahmen sichergestellt werden (z. B. Farb­
codierung).

10.8 Mess- und Prüfmittel 381

10.8.4 Vorgehensweise bei Abweichungen


Unabhängig davon, von wem oder wann (Kalibrierung, Wartung, Vergleichsmes-
sung, Einsatz) eine Abweichung an einem Prüfmittel festgestellt wurde, ist dessen
weiterer Einsatz bis zur Klärung der Qualitätssicherungs- und Abhilfemaßnahmen
untersagt.
Das fehlerhafte Prüfmittel ist so zu kennzeichnen, dass eine irrtümliche Verwen-
dung auszuschließen ist (z. B. mit einem Aufkleber „GESPERRT“). Die im Unter-
nehmen verantwortlichen Personen (z. B. Abteilungsleiter, Prüfmittelverantwort­
licher) sind zu informieren.
Diese haben unter Einbindung der Qualitätsverantwortlichen die möglichen Aus-
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wirkungen auf die hergestellten bzw. geprüften Produkte abzuklären sowie für
eine entsprechende Dokumentation zu sorgen.

TIPP:
Werden Prüfmittel bereits vorab nach Kritikalitätsstufen eingeteilt, so kann der
Aufwand im Falle von Abweichungen wesentlich reduziert werden, weil bereits
vorab festgelegt wurde, welche Stellen in die Fehlerabklärung mit einbezogen
werden müssen und in welchem Umfang die Dokumentation der rückwirkenden
For personal use only.

Beurteilung erfolgen muss.


10.8.4.1 Qualitätssicherungsmaßnahmen
Im Abweichungsfall sind die möglichen Auswirkungen auf hergestellte bzw. ge-
prüfte Produkte unter Einbeziehung der verantwortlichen Stellen zu klären, wobei
je nach Auswirkung auf Funktion, Sicherheit und Umwelt, Zufriedenheit des Be-
nutzers, Gewährleistungs-, Reparatur- und Nacharbeitskosten sowie unter Abwä-
gung der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten entsprechende quali-
tätssichernde Maßnahmen einzuleiten sind.
Die Entscheidung über die getroffenen Maßnahmen ist zu dokumentieren, falls
erforderlich können auch weiterführende Prozesse aufgrund einer festgestellten
Abweichung eines Prüfmittels angestoßen werden (z. B. Abweichungsmanage-
ment, CAPA, Änderungswesen).
Nach erfolgter Abklärung hat der Anwender oder eine andere zuständige Stelle
dafür zu sorgen, dass fehlerhafte Prüfmittel justiert, repariert oder ersetzt werden.

BEACHTE:
Nach erfolgter Justage/Reparatur muss eine neuerliche Prüfung (Kalibrierung,
Vergleichsmessung . . .) durchgeführt werden. Erst wenn die festgelegten Akzep-
tanzkriterien erfüllt werden, kann die Freigabe für den weiteren vorgesehenen
Einsatz erfolgen.

382 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

10.8.4.2 Umstufung eines Prüfmittels


Sollte ein Prüfmittel aufgrund einer Toleranzüberschreitung für einen bestimmten
Einsatzzweck nicht mehr geeignet sein, so besteht aus wirtschaftlichen Überlegun-
gen heraus die Möglichkeit, das Prüfmittel für einen anderen Einsatz mit geringe-
ren Anforderungen zu verwenden.
Bei dieser „Umstufung“ sind jedoch geeignete Maßnahmen zu setzen (z. B. für den
Anwender eindeutige Kennzeichnung, Deaktivierung der fehlerhaften Messberei-
che . . .), sodass eine Verwendung für einen Einsatz mit höheren Anforderungen
nicht möglich ist.
Die Umstufung und die getroffenen Maßnahmen müssen entsprechend dokumen-
tiert werden. Überwachungsmodalitäten, insbesondere Akzeptanzkriterien und
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Kalibrierpunkte, Überwachungsintervalle, Kritikalitätseinstufungen usw., sind


unter Berücksichtigung der Umstufung und des neuen Einsatzzwecks neu zu be-
werten und entsprechend zu aktualisieren.

10.8.5 Berechnung der nächsten Fälligkeit


For personal use only.

Der Termin für die nächste Überprüfung eines Prüfmittels (= Fälligkeitstermin)


hängt in erster Linie vom Zeitpunkt der Kalibrierung und dem festgelegten Über-
wachungsintervall ab, wobei die Berechnung sowohl starr als auch flexibel erfol-
gen kann.

10.8.5.1 Starre Berechnung des nächsten Fälligkeitszeitpunktes


1. Nächster Kalibriertermin = aktueller Kalibriertermin + festgelegter Kalibrier­
zyklus
Der nächste Kalibriertermin wird immer auf den aktuellen Kalibriertermin be-
zogen. Da die Kalibrierung eines Prüfmittels aber nicht immer exakt am Tag
des Ablaufes der Gültigkeit (Erreichung des Fälligkeitstermins) erfolgen kann,
kommt es bei der Berechnung zu einer Verschiebung der nächsten Fälligkeit.

BEISPIEL:
Vorgeschriebener Kalibrierzyklus ist ein Jahr.
Aktueller Kalibriertermin ist der 30. 06. 2021.
ƒ Spätester nächster Kalibriertermin ist der 30. 06. 2022.
Tatsächlich wurde die Kalibrierung am 21. 06. 2021 durchgeführt.
ƒ Spätester nächster Kalibriertermin ist der 21. 06. 2022.

10.8 Mess- und Prüfmittel 383

2. Nächster Kalibriertermin = festgelegter Termin + festgelegter Kalibrierzyklus


Der nächste Kalibriertermin findet immer zu einem festgelegten Zeitpunkt
statt, unabhängig davon, wann die anstehende Kalibrierung tatsächlich durch-
geführt wurde. Der Fälligkeitstermin kann dabei ein bestimmter Tag, aber
auch ein bestimmter Monat innerhalb eines Zyklus sein. Bei dieser Art der
Berechnung ist besonderes Augenmerk auf die tatsächliche Durchführung der
Kalibrierung eines Prüfmittels zu legen, d. h. bei einem monatsgenauen Fällig-
keitstermin soll die Kalibrierung auch tatsächlich im Fälligkeitsmonat statt­
finden. Andernfalls kann es zu einer ungewünschten längeren Einsatzdauer
eines Prüfmittels (= Prüfmittel ist nicht mehr kalibriert) oder zu einer uner-
wünschten kürzeren Einsatzdauer eines Prüfmittels (= unwirtschaftlich) kom-
men. Abhilfe kann hier eine flexible Berechnung des nächsten Fälligkeitster-
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mins schaffen.

BEACHTE:
Bei monatsgenauer Festlegung des Fälligkeitstermins besteht die Gefahr einer
inhomogenen Auslastung des in den Kalibrierprozess involvierten Personals. Es
kommt bei dieser Methode im Regelfall zu einer Spitzenauslastung zum Monats-
ende, weil häufig die anstehenden Kalibrierungen bis zum letzten Tag aufgescho-
For personal use only.

ben und nicht über den Monat verteilt werden.


10.8.5.2 Flexible Berechnung des nächsten Fälligkeitszeitpunkts


3. Nächster Kalibriertermin = aktueller Kalibriertermin (+/– Toleranz) + festgelegter
Kalibrierzyklus
Bei einer flexiblen Berechnung der nächsten Fälligkeit kann man eine frühere
und/oder spätere Durchführung einer Kalibrierung eines Prüfmittels in der
Berechnung des nächsten Fälligkeitstermins erlauben.
Viele Instandhaltungsprogramme bieten die Möglichkeit, ein Toleranzfenster
festzulegen. So kann das Toleranzfenster z. B. einen gewissen Prozentsatz des
Gesamtzyklus betragen, d. h. bei Durchführung der Kalibrierung eines Prüf-
mittels, vor oder nach dem berechneten Fälligkeitsdatum, aber innerhalb des
Toleranzfensters, kommt es zu keiner Verschiebung des nächsten berechneten
Fälligkeitstermins. Je nach Größe des zugelassenen Toleranzfensters kann
man somit verhindern, dass sich die Kalibrierungen auf einen engen Zeitraum
konzentrieren und so für eine homogene Auslastung der für den Kalibrierpro-
zess notwendigen Ressourcen sorgen.
Die in Bild 10.4 und Bild 10.5 dargestellten Beispiele zeigen jeweils eine Kalib-
rierung, einmal bei Durchführung innerhalb des Toleranzfensters und einmal
bei verspäteter Durchführung.
384 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

Bild 10.4 Kalibrierung innerhalb des erlaubten Toleranzfensters


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Bild 10.5 Kalibrierung außerhalb des erlaubten Toleranzfensters

10.8.6 Außerbetriebnahme von Prüfmitteln


Mit der Kalibrierung eines Prüfmittels werden implizit auch alle mit diesem Prüf-
mittel im betrachteten Zeitraum gemessenen Ergebnisse rückwirkend als „richtig“
bestätigt. Eine korrekte Festlegung der Überwachungsmodalitäten vorausgesetzt,
wird auch in einem hohen Maße gewährleistet, dass das Prüfmittel in der nächsten
Periode wieder einwandfrei funktioniert.

BEACHTE:
Oft besteht ein Missverständnis, dass ein nicht mehr benötigtes Prüfmittel ohne
weitere Aktionen oder Bewertungen aus dem Prozess genommen werden kann.
Richtig ist jedoch, dass ein nicht mehr benötigtes Prüfmittel, auch wenn der nächste
berechnete Kalibriertermin noch nicht erreicht wurde, vor der Außerbetriebnahme
einer abschließenden Bewertung zu unterziehen ist.

10.8 Mess- und Prüfmittel 385

Diese Bewertung kann im Wesentlichen auf zwei Arten durchgeführt werden:


ƒ Durchführung der für das Prüfmittel festgelegten Kalibrierung, um mit diesem
Prüfmittel bereits erfolgte Einsätze rückwirkend beurteilen zu können. Bei
dieser Variante wird der gesamte Kalibrierprozess ein letztes Mal vollständig
durchgeführt.
ƒ Risikobasierender Ansatz: Betrachtung der Risikoindikatoren des Prüfmittels,
um dieses ohne abschließende messtechnische Bewertung außer Betrieb neh-
men zu können. Bei diesem Ansatz sind verschiedene Faktoren in der Bewer-
tung zu berücksichtigen, wie z. B.
ƒ die Kritikalität des Prüfmittels,
ƒ der Einsatzort des Prüfmittels,
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ƒ die Art und Häufigkeit der Nutzung in der letzten Periode,


ƒ die Absicherung der Produktqualität durch andere Prüfschritte.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass die erste Variante (Durchführung der Letzt-
Kalibrierung) der zweiten Variante (Risikobewertung) vorzuziehen ist, da sich die
Beurteilung auf messtechnische Fakten bezieht und nicht auf subjektive Einschät-
zungen und Abwägungen.
For personal use only.

Ausnahme von dieser Regel bilden Prüfmittel, welche in der Einsatzperiode einen
Defekt erleiden. In diesen Fällen ist oft eine messtechnische Bewertung nicht mehr
möglich. Hier finden der risikobasierende Ansatz und/oder die Vorgehensweise
bei Abweichungen Anwendung.

10.8.7 Prüfmittel bei externen Lieferanten


Prüfmittel, welche im Eigentum des Lieferanten stehen
Prüfmittel bei externen Lieferanten, welche nicht im Eigentum des Herstellers ste-
hen, unterliegen grundsätzlich der Verantwortung des Lieferanten. Der Hersteller
soll aber auch in diesem Fall sicherstellen, dass diese Prüfmittel dem QM-System
des Lieferanten unterstellt sind und einer regelmäßigen Instandhaltung und Kalib-
rierung unterzogen werden.
Die Überprüfung, ob die beim Lieferanten verwendeten Prüfmittel den Spezifikati-
onen entsprechen und regelmäßig gewartet und kalibriert wurden, kann, je nach
Kritikalität der zugelieferten Teile und Produkte, entweder im Rahmen von regel-
mäßigen Lieferantenaudits erfolgen oder es können vom Lieferanten Nachweise in
Form von Wartungsaufzeichnungen und Kalibrierzertifikaten angefordert werden.
386 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

Prüfmittel, welche im Eigentum des Herstellers stehen


Im Fall von speziell angefertigten oder teuren Produktions- oder Prüfmitteln kann
es sinnvoll sein, dass der Hersteller diese seinem Zulieferer zur Verfügung stellt.
Oft ergeben sich in diesen Fällen allerdings Probleme, weil dem Lieferanten oft
nicht bekannt ist oder mit ihm nicht eindeutig vereinbart wurde, wie weit seine
Verantwortung für diese Prüfmittel geht. Als Folge tragen weder der Lieferant noch
der Hersteller Sorge für die regelmäßigen Instandhaltungen und Kalibrierungen
des Prüfmittels. Damit ist die Überwachung, Kennzeichnung, Koordination und
terminliche Abstimmung der Instandhaltungs- und Kalibrieraktivität nicht mehr
sichergestellt, was in weiterer Folge zu nicht konformen Prüfmitteln und in letzter
Konsequenz zu falschen Prüfergebnissen führen kann.
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In diesen Fällen ist es daher vorteilhaft, die Verantwortung für alle zur Verfügung
gestellten Produktions- und Prüfmittel explizit dem externen Lieferanten zu über-
tragen. Dies kann in einer Qualitätssicherungsvereinbarung oder im Liefervertrag
erfolgen. In diesen Vereinbarungen/Verträgen soll klar festgelegt werden, dass die
Verantwortung für die Kalibrierung und Wartung aller beigestellten Produktions-
und Prüfmittel in der Verantwortung des Lieferanten liegt, unabhängig davon, wer
Entwickler, Hersteller und/oder Eigentümer dieser Produktions-/Prüfmittel ist.
For personal use only.

Zu dieser Verantwortung zählen:


ƒ die Einhaltung aller zutreffenden Regularien und Qualitätssicherungsvorgaben,
ƒ eine ordnungsgemäße Identifizierung, Klassifizierung und Inventarisierung
aller Produktions- und Prüfmittel,
ƒ eine ordnungsgemäße Qualifizierung und/oder Validierung sowie eine ord-
nungsgemäße Kalibrierung und/oder Wartung (erstmalig und fortwährend)
aller Produktions- und Prüfmittel,
ƒ ein sorgfältiger Umgang mit den Produktions- und Prüfmitteln,
ƒ Schulung und Führung von Schulungsaufzeichnungen.
Der Hersteller muss jedoch im Gegenzug dem Lieferanten die dafür erforderliche
Dokumentation zur Verfügung stellen, vor allem, wenn es sich bei den beigestell-
ten Produktions- oder Prüfmitteln um eine Sonderanfertigung handelt. Im Bedarfs-
fall kann dem Lieferanten auch nur die Verantwortung zu einzelnen Punkten über-
tragen werden, abhängig davon, über welche Ressourcen und Kompetenzen der
Lieferant verfügt.
Verantwortung im Falle von defekten oder abweichenden Prüfmitteln bei externen
­Lieferanten
Der Hersteller sollte bereits vorab mit dem Lieferanten vereinbaren, dass der Liefe-
rant, falls ein Produktionsmittel beim Einsatz, bei der Kalibrierung, bei einer Ver-
gleichsmessung oder bei der Wartung Abweichungen aufweist, für die Risikobe-
trachtung und rückwirkende Beurteilung, die Instandsetzung, die Umsetzung der
10.9 Verpackung und Kennzeichnung 387

erforderlichen Korrekturmaßnahmen und eine nachvollziehbare Dokumentation


verantwortlich ist.
Abweichungen, die Einfluss auf die Spezifikationen des Liefergegenstands haben
oder haben könnten, sollen vom Lieferanten unverzüglich und schriftlich an den
Hersteller gemeldet werden. Dieser kann dann die weitere Beurteilung über mögli-
che negative Auswirkungen aufgrund der festgestellten Abweichung durchführen
und im Bedarfsfall weiterführende Maßnahmen einleiten.

„ 10.9 Verpackung und Kennzeichnung


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Die Verpackung eines Medizin- oder In-vitro-Diagnostikprodukts muss so ausge-


legt sein, dass sie sowohl die Beschädigung oder Qualitätsminderung des Produkts
während der Lagerung und während des Transports im spezifizierten Rahmen
weitestgehend verhindert als auch die Gefährdung von Personen durch das Pro-
dukt während der Lagerung, des Transports, der Inbetriebnahme und des Ge-
brauchs so gering wie möglich hält. Weiterhin ist die Verpackung so auszulegen,
For personal use only.

dass eine geeignete Kennzeichnung des Produkts erfolgen kann.


Die MPV [10.8] und IVDV [10.9] fordern, dass die Produkte so verpackt werden,
dass die Unversehrtheit und Reinheit des Produkts erhalten bleibt und ihre Merk-
male und ihre Leistung während des Transports und der Lagerung, z. B. durch
Temperatur- oder Feuchtigkeitsschwankungen, nicht beeinträchtigt werden. Ana-
log die ISO 13485 [10.10]. Besondere Sorgfalt ist laut MPV/IVDV bei der Ver­
packung steriler Produkte anzuwenden [10.11], damit die Sterilität auch bei der
Inbetriebnahme noch gewährleistet ist.
Im Anhang I der MPV/IVDV [10.12], [10.13] werden auch ausführliche Festlegun-
gen getroffen, welche Informationen der Hersteller seinem Produkt beifügen muss,
damit jederzeit eine eindeutige Identifizierung möglich ist und Anwendern und
dritten Personen alle relevanten Informationen über Sicherheit und Leistung des
Produkts zugänglich gemacht werden. Diese Angaben können auf dem Produkt
selbst, auf der Verpackung oder in der Gebrauchsanweisung angebracht sein und
zusätzlich elektronisch/auf der Homepage des Herstellers bereitgestellt und aktu-
alisiert werden. Eine gute Übersicht, wie die Produktkennzeichnung beschaffen
sein sollte und welche Informationen auf dem Produkt und/oder auf der Bedie-
nungsanleitung/dem Beipacktext (instructions for use) enthalten sein sollen, kann
auch einer Anleitung der GHTF [10.14] entnommen werden. Empfehlenswert ist
auch die EN ISO 18113 [10.15], die detaillierte Hinweise für die Bereitstellung von
Informationen für In-vitro-Diagnostika gibt und auch eine sehr umfangreiche Bib-
liografie liefert. Besondere Bedeutung kommt dabei nach der neuen MPV/IVDV
388 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

dem Unique Device Identifier (UDI) zu, der lt. [10.16] verpflichtend für jedes Medi-
zinprodukt/In-vitro-Diagnostika ist. Der UDI ist eine Abfolge numerischer oder
­alphanumerischer Zeichen, die mittels eines weltweit anerkannten Identifizie-
rungs- und Codierungsstandards erstellt wurde. Das UDI-System ermöglicht die
eindeutige Identifizierung von Medizin- und IVD-Produkten und erleichtert deren
Rückverfolgung. Sonderanfertigungen und Prüfprodukte benötigen keinen UDI.
Der UDI besteht aus einer, dem Hersteller und dem Produkt eigenen UDI-Produkt-
kennung (UDI Device Identifier – UDI-DI) und einer UDI-Herstellungskennung (UDI
Production Identifier – UDI-PI). Der UDI-DI ist die primäre Kennung des Produkts.
Sie dient als „Zugangsschlüssel“ zu Informationen in der geplanten zentralen
­europäischen UDI-Datenbank und ist in der EU-Konformitätsbescheinigung aus­
zuweisen. Der UDI-PI kennzeichnet die Produktionseinheit des Produkts. Dazu ge-
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hören die Seriennummer, die Losnummer, die Software-Identifikation und das Her-
stellungs- oder Verfallsdatum oder beide Daten. Der UDI soll in maschinenlesbarer
Form (z. B. Strichcode, RFID-Chip) und in vom Menschen lesbarer Form am Pro-
dukt oder auf der Verpackung angebracht werden. Bei Platzmangel kann der UDI-
Code nur in maschinen- oder in menschenlesbarer Form aufgebracht bzw. auch auf
einer nächsthöheren Verpackungsebene angebracht werden. Details und umfang-
reiche Beschreibung siehe [10.17]. Bild 10.6 zeigt ein Beispiel eines UDI-Codes.
For personal use only.

Bild 10.6 Beispiel eines Unique Device Identifiers mit 2-D-Barcode (Quelle: NiceLabel, http://
www.nicelabel.com/blog/2016-06-16/udi-labeling-mistakes-best-practices/, 25. 05. 2021)

Bevor ein Produkt in Verkehr gebracht wird, muss der Hersteller oder Importeur bei
der Zuteilungsstelle um einen Basis-UDI-DI ansuchen. Anschließend gibt er diesen
zusammen mit den anderen in Anhang VI Teil B aufgeführten zentralen Datenele-
menten zu diesem Produkt in die UDI-Datenbank ein. Bei Produkten, die eine Be-
nannte Stelle benötigen, muss diese die Richtigkeit der eingegebenen Informationen
bestätigen. Bild 10.7 und Bild 10.8 zeigen die Übergangsfristen für das UDI-Labeling.
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For personal use only.

2021 2022 2023 2024 2025 2026


Erstes Jahr: UDI verpflichtend für
Klasse III Produkte

Drei Jahre: UDI verpflichtend für


Klasse IIa/IIb Produkte

Fünf Jahre: UDI verpflichtend


für Klasse I Produkte

26. Mai 2021 –


EU 2017/745
wird verpflichtend!

Bild 10.7 

­Medizinprodukte
Übergangsfristen UDI-Labeling für
10.9 Verpackung und Kennzeichnung
389
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For personal use only.
390

2022 2023 2024 2025 2026 2027


Erstes Jahr: UDI verpflichtend
für Klasse D Produkte

Drei Jahre: UDI verpflichtend für


Klasse B&C Produkte

Fünf Jahre: UDI verpflichtend für


Klasse A Produkte

26. Mai 2022 (*) – (*) Frist wird möglicherweise


EU 2017/746 um ein Jahr verlängert!
wird verpflichtend!
10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

Bild 10.8 

In-vitro-Diagnostika
Übergangsfristen UDI-Labeling für
10.10 Lagerung und Transport 391

BEACHTE:
Falls Sie Produkte in den USA auf den Markt bringen wollen – die FDA hat bereits im
Jahr 2013 eine Regelung zur UDI-Pflicht eingeführt [10.18]. Hochrisikoprodukte der
Klasse III mussten bereits im September 2014 eine UDI-Kennzeichnung tragen, im-
plantierbare und lebenserhaltende Geräte folgten bis September 2015, Klasse-II- und
-I-Produkte mussten bis September 2016 bzw. 2018 umgestellt sein. Die „Ausrollung“
der geplanten zentralen europäischen UDI-Datenbank ist für 2021 vorgesehen.

Einen guten Überblick über die wichtigsten Prinzipien, Inhalte und Ausformungen
eines global harmonisierten UDI-Systems bietet eine Anleitung der IMDRF [10.19].
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„ 10.10 Lagerung und Transport


Für die Lagerung und den Transport von Komponenten, Zwischen- oder Endpro-
dukten sind Maßnahmen und Verfahren zu definieren und umzusetzen, um Ver-
wechslungen, Schäden, Wertminderung, Verschmutzung oder andere nachteilige
For personal use only.

Effekte vom Wareneingang bis zur Auslieferung an den Kunden zu verhindern.


Siehe dazu auch die Forderungen der ISO 13485 Abschnitt 7.5.11 und QSR 820.140
bis 820.160. Eine sehr ausführliche Beschreibung, wie diese „Erhaltung der Kon-
formität des Produkts während der internen Verarbeitung und Auslieferung zum
vorgesehenen Bestimmungsort“ umgesetzt werden soll, kann der „Good Distri­
bution Practice“ [10.20] entnommen werden, auch wenn diese Vorschrift genau
genommen nur für den Pharmabereich Gültigkeit besitzt. Insbesondere ist sicher-
zustellen, dass keine abgelaufenen, zurückgewiesenen oder sonst nicht spezifikati-
onskonformen Produkte ausgeliefert werden. Produkte müssen so gekennzeichnet
und gelagert werden, dass jederzeit klar erkennbar ist, ob diese Produkte freigege-
ben oder zurückgewiesen wurden oder noch auf eine Dispositionsentscheidung
warten. Ein Quarantänebereich kann entweder durch bauliche Maßnahmen abge-
trennt oder einfach als „Sperrlager“ gekennzeichnet sein. Falls spezielle Umge-
bungsbedingungen wie z. B. Temperatur, Partikelanzahl, Luftfeuchtigkeit oder
Lichteinwirkung gefordert werden, so sind diese Parameter zu überwachen, aufzu-
zeichnen und im Produktentstehungsakt abzulegen. Falls Produkte ein Ablaufda-
tum besitzen, sollen sie so gelagert werden, dass eine regelmäßige Lagerbewegung
(am besten in Form einer Chargenbewirtschaftung oder eines FIFO- bzw. FEFO-
Prinzips) gewährleistet ist. Außerdem ist der Zustand der gelagerten Produkte im
Zweifelsfall in regelmäßigen Abständen zu kontrollieren. Bei der Lagerung von zu
sterilisierenden Produkten ist besondere Vorsicht anzuwenden, damit Komponen-
ten und Verpackungsmaterial nicht durch Bakterien oder Keime verunreinigt wer-
den. Alle Produkte müssen bis zur Freigabe mit einer entsprechenden Kennzeich-
392 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

nung (z. B. „Ware in Qualitätsprüfung“) versehen werden. Nach erfolgter Freigabe


und Fertigstellung des Versandauftrags werden alle nicht mehr erforderlichen
„Statusetiketten“ entfernt und entsorgt. Die Verladung der Produkte erfolgt erst
nach endgültiger Freigabe durch die Qualitätssicherung.
Für den Transport müssen die Transportbedingungen (Temperatur, Feuchte, Er-
schütterungen, Luftdruck etc.) festgelegt und während der Designphase validiert
werden. Die tatsächlichen Transportkonditionen sind zu monitoren, Abweichun-
gen von den erlaubten Bedingungen während des Transports sind genau zu bewer-
ten, gegebenenfalls sind betroffene Produkte zurückzurufen oder zu verschrotten.

BEISPIEL:
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Sie haben ein Produkt (z. B. ein Reagenz), das gekühlt zwischen zwei und acht
Grad Celsius gelagert und transportiert werden muss. In diesem Fall empfiehlt es
sich, einen Spediteur zu verwenden, der Kühltransporte mit einer lückenlosen
Temperaturaufzeichnung anbieten kann. Alternativ können Sie einer solchen
Lieferung einen oder mehrere Datalogger beilegen. In beiden Fällen ist die Tem-
peraturverteilung im Fahrzeug aber bereits im Vorfeld zu validieren.

For personal use only.

„ 10.11 Installation und Service


Manche Medizinprodukte (z. B. Röntgensysteme, Diagnoseautomaten, EDV-Sys-
teme) müssen vor Gebrauch nach den Vorschriften des Herstellers installiert wer-
den. Die Installation soll dabei in der Gebrauchsanweisung oder in einem eigenen
Servicehandbuch detailliert beschrieben werden, am besten begleitet von einer
Checkliste, damit alle vorgeschriebenen Punkte während der Installation korrekt
ausgeführt werden. Nach einer abschließenden Prüfung des Produkts soll der
Kunde die ordnungsgemäße Durchführung der Installation und die korrekte Ar-
beitsweise des Produkts durch seine Unterschrift bestätigen, um zu dokumentie-
ren, dass die vom Hersteller geforderten Aktivitäten gemäß Vorgaben durchgeführt
wurden. Wurde die Installation durch einen Servicetechniker des Herstellers aus-
geführt, kann durch die Unterschrift des Kunden die Funktionsfähigkeit des Pro-
dukts und damit die Übergabe nachgewiesen werden.
Treten im Lauf des Lebenszyklus beim Kunden Probleme mit dem Produkt auf, so
kann der Einsatz eines Servicetechnikers des Herstellers vor Ort erforderlich wer-
den. Die Durchführung der Serviceleistungen muss bestätigt werden. Der Hersteller
muss die Serviceberichte mit geeigneten statistischen Methoden auswerten, z. B. An-
zahl an Reklamationen pro Produkt oder pro Fehlergruppe, und geeignete Maßnah-
men daraus ableiten (siehe Kapitel 12, Korrektur- und Verbesserungsmanagement).
10.13 Literatur 393

„ 10.12 Zusammenfassung
Kontrollierte Herstell- und Prüfprozesse im Zuge der Serienfertigung sind für die
Funktion und die Sicherheit eines Medizin- oder IVD-Produkts von entscheidender
Bedeutung. Aus diesem Grund enthalten sowohl die ISO 13485 als auch die QSR
strikte Forderungen zu den Vorgabe- und Nachweisdokumenten sowie zur Umset-
zung der einzelnen Prozessschritte. Bei der Umsetzung der Kontrollen und Prüfun-
gen wird dabei jeweils auf eine „statistische Rationale“ verwiesen, die im Detail
den Fachnormen entnommen werden kann.
Für die Beherrschung der Prozesse sind weiterhin kontrollierte Arbeitsumgebun-
gen Voraussetzung, für eine nachvollziehbare Prozesskontrolle geeignete und
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überwachte Prüfmittel. Der Fertigungs- und Prüfstatus eines Produkts muss jeder-
zeit während aller Stufen der Serienproduktion definiert und ersichtlich sein. Tre-
ten im Zuge der Serienfertigung Mängel oder Abweichungen auf, sind diese m ­ ittels
Abweichungsmanagement zu bewerten und geeignete Korrekturen oder Korrek-
turmaßnahmen einzuleiten. Alle Aufzeichnungen während der Serienfertigung
­eines Produkts müssen in einer Produktakte gesammelt und über einen festgeleg-
ten Zeitraum archiviert werden. Weiterhin wurden mit der neuen Medizinpro-
For personal use only.

dukte-/IVD-Verordnung die Kennzeichnungsanforderungen bei fertigen Produk-


ten wesentlich erhöht, um bei Fehlern und Vorkommnissen im Markt, z. B. nach
Kundenreklamationen, rasch nachvollziehen zu können, welche Produkte oder
Chargen davon betroffen sein könnten und welche Korrekturmaßnahmen ergriffen
werden müssen.

„ 10.13 Literatur
[10.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie
2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur
Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (MPV).
[10.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5.  April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der
Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (IVDV).
[10.3] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485 Medizinpro­
dukte  – Qualitätsmanagementsysteme  – Anforderungen für regulatorische Zwecke. EN ISO
13485:2016-03, Beuth, 2016.
[10.4] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
(21 CFR 820), 2020 – 04.
[10.5] Hinweise auf Inspektionen durch die nationalen Aufsichtsbehörden und Benannten Stellen bei
Zulieferern finden sich u. a. in der MPV Art. 93 (3b), Anhang. VII Abs. 4.5.2 & Abs. 4.10, Anhang
394 10 Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP

IX Abs. 2.3 & 3.3 & 3.4 und analog in der IVDV Art. 88 (3b), Anhang VII Abs. 4.5.2 & Abs. 4.10,
Anhang IX Abs. 2.3 & 3.3 & 3.4.
[10.6] Nähere Hinweise in: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN ISO 2859 – 1:2014-08 Annahmesti-
chprobenprüfung/Attributprüfung. Beuth, 2014 sowie Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN
ISO 3951 – 1:2016-06 Annahmestichprobenprüfung/Variablenprüfung. Beuth, 2016. Eine Über-
sicht/Einführung in das ISO-2859-Attribut-Stichprobensystem bietet die ISO 28590:2017-10 „An-
nahmestichprobenprüfung anhand fehlerhafter Einheiten oder Fehler (Attributprüfung)“/
(Sampling procedures for inspection by attributes - Introduction to the ISO 2859 series of stan-
dards for sampling for inspection by attributes“). Beuth, 2017.
[10.7] MPV/IVDV, jeweils Anhang VII Punkt 4.5.2.
[10.8] MPV, Anhang I Kapitel I Punkt 7 sowie Anhang I Kapitel II Punkt 11.7.
[10.9] IVDV, Anhang I Kapitel I Punkt 7 sowie Anhang I Kapitel II Punkt 11.5.
[10.10] EN ISO 13485:2016-03, Kapitel 7.5.11a Produkterhaltung.
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[10.11] MPV/IVDV, jeweils Anhang I Kapitel II Punkt 11.


[10.12] MPV, Anhang I Kapitel III Punkt 23.
[10.13] IVDV, Anhang I Kapitel III Punkt 20.
[10.14] International Medical Device Regulators Forum: IMDRF GRRP WG (PD1)/N52, Principles of Labe-
ling for Medical Devices and IVD Medical Devices (Proposed Document), 12. Juli 2018, Verfügbar
unter: http://www.imdrf.org/docs/imdrf/final/consultations/imdrf-cons-labeling-md-ivd-n52-180712.
pdf, abgerufen am 10. 06. 2021.
[10.15] DIN EN ISO 18113-1 – 2013-01 In-vitro-Diagnostika – Bereitstellung von Informationen durch den
Hersteller – Teil 1: Begriffe und allgemeine Anforderungen (ISO 18113-1:2009); Deutsche Fassung
For personal use only.

EN ISO 18113-1:2011, Beuth, 2013.


[10.16] MPV, Artikel 27 bzw. IVDV, Artikel 24.
[10.17] MPV/IVDV, jeweils Anhang VI Teil C.
[10.18] Office of the Federal Register: Federal Register 78 Vol. 185, 2013. Verfügbar unter: https://www.
federalregister.gov/articles/2013/09/24/2013-23059/unique-device-identification-system, abgerufen
am 08. 06. 2021.
[10.19] International Medical Device Regulators Forum (IMDRF): UDI Working Group of the Internatio-
nal Medical Device Regulators Forum/UDI Guidance  – Unique Device Identification (UDI) of
Medical Devices, IMDRF/UDI WG/N7FINAL:2013. http://www.imdrf.org/docs/imdrf/final/
technical/imdrf-tech-131209-udi-guidance-140901.pdf, abgerufen am 08. 06. 2021.
[10.20] Commission Guidelines on Good Distribution Practice for Medicinal Products for Human Use: EU
2013/C 68/01, 2013. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:
C:2013:068:0001:0014:DE:PDF, abgerufen am 08. 06. 2021.
[10.21] Die Anforderungen an Probennahmeverfahren für die Annahmeprüfung von In-vitro-Diagnos-
tika sowie einen guten Überblick über die Terminologie bietet: SN EN 13975:2003-05, „Proben-
nahmeverfahren für die Annahmeprüfung von In-vitro-Diagnostika – Statistische Aspekte“
(„Sampling procedures used for acceptance testing of in vitro diagnostic medical devices – Sta-
tistical aspects“), Beuth 2003.

Weiterführende Literatur
Pfeifer, T.; Schmitt, R. (Hrsg.): Masing Handbuch Qualitätsmanagement, 7.  überarbeitete Auflage,
Hanser, 2021.
Wappis, J.; Jung, B. (Hrsg. Kurt Matyas): Null-Fehler-Management – Umsetzung von Six Sigma, 6. aktu-
alisierte Auflage, Hanser, 2019.
11 Lieferanten­
management
J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Wie ist das regulatorische Umfeld in Bezug auf die Hersteller-Lieferanten-­


Beziehung und was muss jeder Hersteller/Lieferant beachten, um den Anfor-
derungen der EU-Regularien, der ISO 13485:2016 und der Quality System
Regulation 21 CFR 820 zu genügen?
ƒ Nach welchen Kriterien sollen Kontrollmaßnahmen in der Hersteller-Liefe­
ranten-Beziehung etabliert werden?
ƒ Welche Rolle spielen Audits in der Lieferantenqualifizierung?
ƒ Wie helfen laufende Lieferantenqualifizierungsmaßnahmen bei der Erzielung
For personal use only.

hoher Prozesssicherheit und geringer Fehlerkosten?


„ 11.1 Einleitung
Einer strukturierten Ausgestaltung der Hersteller-Lieferanten-Beziehung wird
heute noch von den meisten  – vor allem kleinen und mittleren  – Unternehmen
bzw. Zulieferern der Medizintechnik wenig Beachtung geschenkt, auch wenn dies
sowohl von den relevanten QM-Systemvorschriften als auch von den internationa-
len, europäischen und nationalen Gesetzen klar gefordert wird. Dass sich bis heute
noch keine vollständige normenkonforme Ausgestaltung und Kontrolle effektiver
Lieferantenbeziehungen etabliert hat, davon zeugt unter anderem auch die hohe
Anzahl an Beanstandungen betreffend den Beschaffungsbereich bei Behördenins-
pektionen. So erscheint dieser Bereich in den letzten Jahren regelmäßig in mehr
als einem Viertel aller FDA Warning Letters [11.1].
Im Unterschied zur Automobilindustrie, die mit hohem Einkaufsvolumen bei ihren
Lieferanten eine große Durchsetzungsmacht aufgebaut hat, haben es kleine und
mittlere Medizinproduktehersteller wesentlich schwerer, ihre Qualitäts- und Kon­
trollanforderungen bei ihren Lieferanten regulatorisch konform umzusetzen. Die
396 11 Lieferanten­management

Schwierigkeiten und Kosten für ein funktionierendes Lieferantenmanagement


werden jedoch durch höhere Produktqualität, geringere Prozesskosten und durch
die Vermeidung des Risikos bei non-compliance mehr als aufgewogen.

„ 11.2 Rechtliche Grundlagen
Schon in den 1980er-Jahren haben die Behörden erkannt, dass Lieferanten nicht
nur einen wesentlichen Beitrag zur Produktherstellung leisten, sondern auch ein
Risiko für die Produktqualität darstellen. Aus diesem Grund wurde bereits zu
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dieser Zeit in den für die Medizintechnik relevanten Regularien und Normen fest-
gelegt, dass der Hersteller für die vorgabenkonforme Ausgestaltung der zugekauf-
ten Produkte und Dienstleistungen verantwortlich ist.
In Europa müssen die Hersteller sicherstellen, dass ihre Produkte die Anforderun-
gen der spezifischen EU-Verordnungen (z. B. MPV [11.2] und IVDV [11.3]) erfüllen.
In den genannten EU-Verordnungen wird vom Hersteller gefordert, als Teil der
„Technischen Dokumentation“, alle Stellen einschließlich Lieferanten und Unter-
For personal use only.

auftragnehmer zu nennen, bei denen Auslegungs- und Herstellungstätigkeiten


durchgeführt werden. Die „Benannten Stellen“ sind angehalten, kritische Lieferan-
ten und Unterauftragnehmer bei der Erstzulassung und, falls erforderlich, auch in
weiterer Folge zu überprüfen. Weiterhin können die zuständigen Behörden ange-
kündigte und erforderlichenfalls unangekündigte Kontrollen in den Räumlichkei-
ten von Zulieferern und/oder Unterauftragnehmern durchführen. Auch im QMS-
Standard für Medizinprodukte, der EN ISO 13485:2016 [11.4], sind umfangreiche
Anforderungen zur Kontrolle von Zulieferern und/oder Unterauftragnehmern fest-
gelegt um sicher zu stellen, dass die Qualität der zugelieferten Komponenten, Pro-
dukte und Dienstleistungen gegeben ist. In den USA finden sich für Hersteller von
Medizinprodukten analoge Vorschriften in der Quality System Regulation (QSR 21
CFR 820) [11.5].
Auch wenn die gesetzlichen Vorschriften in einzelnen Ländern leicht unterschied-
lich lauten, ist ihnen allen gemein, dass sie primär den „Hersteller“ von Medizin-
produkten für die Einhaltung der regulatorischen Vorschriften verantwortlich ma-
chen. Der „Hersteller“ hat für alle Funktionen seines QM-Systems Sorge zu tragen
und kann demnach diese Verantwortung auch nicht gänzlich an seine Lieferanten
delegieren.
11.2 Rechtliche Grundlagen 397

MERKE:
Die Hersteller von Medizinprodukten tragen die letztendliche rechtliche Verant-
wortung für ihre Produkte und Dienstleistungen, egal, woher sie ihre Komponenten,
Materialien oder Dienstleistungen beziehen. Auch bleibt der Hersteller im Fall von
Produktproblemen aufgrund von fehlerhaften zugekauften Komponenten, Materi-
alien oder Dienstleistungen dafür verantwortlich, dass Gefährdungen durch ein
fehlerhaftes Produkt unverzüglich beseitigt werden. Aus diesem Grund ist es
­essenziell, dass Hersteller ein effektives System zum Managen und Überwachen
ihrer Lieferanten etablieren.

Diese Verantwortung des Herstellers in Richtung Zulieferer und/oder Unterauf-


tragnehmer kommt, neben den gesetzlichen Anforderungen, auch deutlich in den
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Formulierungen der beiden wichtigsten QM-Systemvorschriften für Medizinpro-


duktehersteller, der EN ISO 13485:2016 [11.4] (in weiterer Folge ISO 13485 abge-
kürzt) und der QSR 21 CFR 820 [11.5], zum Ausdruck. So fordert die ISO 13485 in
Abs. 7.4.1 klar: „Die Organisation muss Verfahren dokumentieren, um sicherzustel-
len, dass die beschafften Produkte den festgelegten Beschaffungsangaben entspre-
chen.“ In analoger Art und Weise fordert die QSR in Artikel 820.50: „Each manu­
facturer shall establish and maintain (documented) procedures to ensure that all
For personal use only.

purchased or otherwise received products and services conform to specified require-


ments.“

BEACHTE:
Die Erwähnung von „Produkten und Dienstleistungen, die auf anderen Wegen emp-
fangen werden . . .“ in der QSR bedeutet, dass Prozesse im Einkauf und/oder im
Wareneingang alle Produkte und Dienstleistungen abdecken müssen, die von
außerhalb des Herstellers kommen, egal, ob eine Zahlung stattfindet oder nicht.
Dies beinhaltet demnach auch Produkte oder Dienstleistungen, die von einer
Konzerntochter oder sogar vom Kunden beigestellt werden. Die Guidance on
Supplier Control der GHTF [11.6] legt klar fest, dass als Lieferant jeder zu sehen
ist, der nicht Teil des QM-Systems des Herstellers ist.

Bei der anschließenden Forderung der ISO 13485 [11.7] wird klar auf die Natur und
das Risiko des zugelieferten Produkts abgestellt: „Die Organisation muss Kriterien für
die Beurteilung und Auswahl von Lieferanten festlegen. Diese Kriterien müssen:
ƒ auf dem Einfluss des beschafften Produkts auf die Qualität des Medizinprodukts
beruhen;
ƒ dem mit dem Medizinprodukt verbundenen Risiko entsprechen.“
Wie die ISO 13485 weist auch die QSR in Artikel 50(2) bei den mit dem Lieferanten
vereinbarten Kontrollmaßnahmen auf die „Angemessenheit“ hin: „Define the type
and extent of control to be exercised over the product, services, suppliers, contractors,
398 11 Lieferanten­management

and consultants, based on the evaluation result.“ Mit evaluation ist dabei die Forde-
rung der ISO 13485 Abs. 7.4.1 a) angesprochen, wonach die Organisation Lieferan-
ten aufgrund deren Fähigkeit beurteilen und auswählen muss, Produkte entspre-
chend den Anforderungen der Organisation zu liefern. Analog fordert die QSR in
Artikel 50(a): „Each manufacturer shall evaluate and select potential suppliers, con-
tractors and consultants on the basis of their ability to meet specified requirements.“
Weiterhin fordert die ISO 13485 in Abs. 7.4.1 noch:
ƒ „Die Organisation muss Kriterien für die Beurteilung und Auswahl von Lieferan-
ten festlegen.“
ƒ „Die Organisation muss die Überwachung und Wiederbewertung von Lieferanten
planen. Die Leistung des Lieferanten zum Erfüllen der Anforderungen an das be-
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schaffte Produkt muss überwacht werden.“


ƒ „Es müssen Aufzeichnungen über die Ergebnisse der Bewertung, Auswahl, Über-
wachung und Wiederbewertung der Fähigkeit oder Leistung des Lieferanten und
über sämtliche notwendige Maßnahmen, die sich aus diesen Tätigkeiten ergeben,
aufrechterhalten werden.“
Analog dazu auch die Forderungen der QSR in Artikel 50(3): „The evaluation
shall be documented.“
For personal use only.

Behörden und Benannte Stellen werden demnach bei einem Hersteller im Inspek-
tionsfall überprüfen, welche Lieferanten und Unterauftragnehmer Auslegungs-,
Herstell- oder Prüftätigkeiten durchgeführt haben und ob dokumentierte Nach-
weise bezüglich der Eignung des Lieferanten und der Kontrolle der Produkte und
Dienstleistungen des Lieferanten vorhanden sind [11.8] (siehe dazu auch das
Guidance-Dokument der GHTF über Audits of Manufacturer Control of Suppliers
[11.9]). Ist ein dokumentierter Nachweis nicht möglich, führt dies dazu, dass das
QM-System des Herstellers als nicht richtlinienkonform beurteilt wird.
Die Etablierung eines definierten, dokumentierten und risikobasierten Lieferan-
tenmanagementprozesses wird im Folgenden dargestellt. Dieser orientiert sich an
den gesetzlichen und normativen Anforderungen und gibt in der Praxis erprobte
Hinweise zur Evaluierung, Auswahl, Qualifizierung und laufenden Überwachung
von Lieferanten. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den die Qualität und Sicherheit
des Produkts betreffenden Aspekten. Kommerzielle Auswahl- und Bewertungskri-
terien wie Marktstellung, Termin- und Liefertreue oder finanzielle Ausstattung
werden nur insofern in Betracht gezogen, als sie für die Versorgungssicherheit von
Relevanz sind. Die übrigen kommerziellen Überlegungen wie Kosten, Vertrags­
gestaltung etc. werden nur am Rand erwähnt und können im Detail in den zahl­
reichen Lieferantenmanagement-Publikationen nachgelesen werden. (siehe z. B.
[11.20]).
11.3 Lieferantenmanagementprozess 399

„ 11.3 Lieferantenmanagementprozess
Unter Lieferantenmanagement versteht man die Gestaltung, Lenkung und Ent-
wicklung von aktuellen und zukünftigen Kunden-Lieferanten-Beziehungen. Für
die folgenden Ausführungen stehen insbesondere die qualitätssichernden und
von den internationalen Medizinproduktevorschriften und Normen geforderten
Schritte im Zentrum des Interesses. Der Beschaffungsprozess beginnt meist schon
in einer frühen Entwicklungsphase, wo anhand der ersten vorliegenden Produkt­
spezifikationen, und basierend auf der strategischen Ausrichtung und einer Ana-
lyse der im Haus vorhandenen Skills, Technologien, Ressourcen und Kostenstruk-
turen, eine grundsätzliche make-or-buy-Entscheidung getroffen wird. In weiterer
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Folge werden potenzielle Lieferanten anhand ihrer technischen und kommerziellen


Möglichkeiten identifiziert und miteinander verglichen. Die Lieferantenauswahl
wird dabei von „technischen“ Anforderungen (gewünschte Produkteigenschaften,
erforderliche Technologien, Fertigungsverfahren etc.), von „kommerziellen“ As-
pekten (Preis, Lieferzuverlässigkeit, Intellectual Property, Marktsituation etc.) und
auch von der erforderlichen Produktqualität des zugekauften Teils bestimmt (siehe
Bild 11.1).
For personal use only.

Kommerzielle
Aspekte

Lieferanten-
auswahl

Technische Produkt- Bild 11.1 


Anforderungen qualität Einflussfaktoren auf die Auswahl
der Lieferanten

Die Auswahl der Lieferanten und das Festsetzen von Kriterien zur Überwachung
der mit dem Lieferanten vereinbarten Produkt- und Dienstleistungsmerkmale be-
steht typischerweise aus sechs Phasen, und zwar gemäß [11.6] aus der
ƒ Planung (Definition der Rollen und Risikoeinschätzung),
ƒ Vorauswahl möglicher Lieferanten (Informationsbeschaffung),
ƒ Bewertung und Auswahl des Lieferanten (Nachweise, Prüfungen, Audits, Be-
wertung),
400 11 Lieferanten­management

ƒ Fixierung der Kontrollen und Verantwortlichkeiten (Lieferantenannahme,


Qualitäts- und Liefervereinbarungen),
ƒ laufenden Messung und Bewertung der Lieferungen sowie
ƒ Lieferantenentwicklung (Rückmeldung und Kommunikation an den Lieferan-
ten samt Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen).
Diese Phasen, wie auch in Bild 11.2 dargestellt, sollen im Folgenden genauer be-
sprochen werden.
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Bild 11.2 Lieferantenauswahl, -kontrolle und -entwicklung

11.3.1 Planung
Während der Planung, Entwicklung und Realisierung eines neuen oder bestehen-
den Produkts soll der Hersteller möglichst frühzeitig entscheiden, welche Kompo-
nenten, Materialien oder Dienstleistungen er von extern zukaufen bzw. welche er
selbst her- bzw. bereitstellen will. Daraus ergeben sich jene Schritte, die erforder-
lich sind, um die geeigneten Lieferanten auszuwählen und in weiterer Folge die
Zusammenarbeit mit diesen zu regeln und zu kontrollieren.

TIPP:
Oft werden bereits von den Entwicklungsmitarbeitern weitreichende Festlegungen
in Richtung eines bestimmten Lieferanten getroffen (z. B. Festlegung zu enger
Toleranzen, spezieller Entwicklungstools oder Fertigungsmethoden). Dies führt
gerade bei kleineren Unternehmen dazu, dass im weiteren Lieferantenauswahl- und
Lieferantenevaluierungsprozess eine ausgewogene Bewertung weiterer in Frage
kommender potenzieller Lieferanten nicht mehr möglich ist. Forderungen an den
Lieferanten nach einem adäquaten QM-System oder nach Maßnahmen zur Absi-
cherung der Produktqualität können in späteren Phasen der Produktentwicklung
und Fertigung dann nicht mehr oder nur mit hohem Aufwand und Zusatzkosten
erfüllt werden.

11.3 Lieferantenmanagementprozess 401

In einem ersten Schritt legt nun die Person oder Stelle, die ein Produkt anfordert,
die Vorgaben an das zugekaufte Produkt fest. Diese Vorgaben (auch über den Ge-
brauch und Nutzen der zugekauften Komponenten, Materialien oder Dienstleis­
tungen) müssen klar und genau sein und sollen so früh wie möglich an den Liefe-
ranten kommuniziert werden. In einem nächsten Schritt werden potenzielle
Lieferanten vom Einkauf (oft in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fach­
experten aus der Entwicklung und Produktion) identifiziert und Informationen be-
züglich der Qualifikation der ausgewählten Lieferanten eingeholt. Dies kann über
das Einfordern von Dokumenten direkt vom Lieferanten erfolgen, durch Internet-
recherchen und durch das Abrufen von Behördeninformationen (z. B. über die FDA
Watch List oder Warning Letters etc.), aber auch durch das Einholen bereits vorhan-
dener Erfahrungen mit dem identifizierten Lieferanten (z. B. Termintreue oder
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­Anzahl an Reklamationen bei anderen Produkten).


Sollen Informationen direkt beim Lieferanten eingeholt werden, so ist ein standar-
disierter Fragebogen zu verwenden, der Fragen zur Geschäftslage, zum QM-Sys-
tem, zur Entwicklungsinfrastruktur aber auch zu Themen der Nachhaltigkeit und
angemessenen Arbeitsbedingungen enthalten soll.

TIPP:
For personal use only.

Das Thema Corporate Social Responsibility hat in den vergangenen Jahren zuneh-
mend an Bedeutung gewonnen und wird ein zunehmend wichtigeres Entschei-
dungskriterium bei der Auswahl von Lieferanten werden. Erweitern Sie daher Ihr
Lieferantenauswahlverfahren um diesen Punkt und bauen Sie entsprechende
Fragen in Ihre desk audits oder Vor-Ort-Assessments ein.

Liegen diese Informationen vor, kann mit der Erstellung der Design-, Entwick-
lungs-, Qualitäts- und Einkaufspläne begonnen werden. Diese Pläne geben unter
anderem den Kontrollumfang für die zugekauften Produkte und Dienstleistungen
vor sowie die erforderlichen Maßnahmen zur Qualifizierung und laufenden Über-
wachung des Lieferanten. Diese Pläne müssen dabei die Kritikalität des betroffe-
nen Produkts/der betroffenen Dienstleistung widerspiegeln.

MERKE:
Alle festgelegten Abläufe, Prüfungen, Ergebnisse und Entscheidungen müssen
dokumentiert werden. Abweichungen von den vorgegebenen Prozessen müssen
begründet und in der Dokumentation angeführt werden.

402 11 Lieferanten­management

11.3.2 Risikobewertung
Während der Planung muss der Hersteller all jene Risiken identifizieren, die sich
aus dem Zukauf des Produkts ergeben. Die Bewertung der Risiken, die sich durch
das Produkt bzw. den Lieferanten ergeben können, bestimmen nämlich wesent-
lich, welche Maßnahmen bei der Lieferantenqualifikation und beim Festlegen der
Überwachungs- und Kontrollschritte gesetzt werden müssen, um die Produkt­
qualität und Lieferfähigkeit langfristig sicherzustellen [11.10]. Das Identifizieren,
Evaluieren, Bewerten, Vermeiden bzw. Verringern der Risiken umfasst dabei alle
Phasen des Lieferantenmanagementprozesses und folgt dem in Kapitel 2, Risiko-
management, beschriebenen Ablauf. Zu Beginn sollen vor allem die folgenden Fra-
gen beantwortet werden:
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ƒ Identifikation von Risiken aus der Produktqualität:


ƒ Welchen Einfluss hat das zugekaufte Produkt auf die Funktionsweise und
Sicherheit des Gesamtsystems?
ƒ Wie kompliziert/komplex ist die Herstellung des Produkts?
ƒ Wird das Produkt laut Herstellervorgaben angefertigt (custom built) oder
ist es ein Standardprodukt (off the shelf)?
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ƒ Welche Möglichkeit besitzt der Hersteller, die Qualität des Produkts zu


kontrollieren?
ƒ Identifikation von Risiken von der Lieferantenseite. Es sollen auch jene Risi-
ken analysiert werden, die mit dem Lieferanten verbunden sind, wobei u. a.
folgende Fragen zu beantworten sind:
ƒ Wie steht es um die finanzielle Leistungsfähigkeit des Lieferanten?
ƒ Ist die technische Ausstattung vorhanden oder sind Investitionen erforder-
lich?
ƒ Wie ist das Auftragsvolumen in Relation zur Kapazität des Lieferanten?
ƒ Hat der Lieferant eine Monopolstellung oder ist ein Zweitlieferant vorhan-
den?
ƒ Produziert der Lieferant bereits Produkte für die Medizintechnikindustrie
oder ist es sein erstes Produkt?
ƒ Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit dem Lieferanten?
Alle Risiken im Zusammenhang mit der Produktqualität, die Schäden an Personen
oder der Umwelt verursachen können, müssen wie in Kapitel 2 Risikomanagement,
ausgeführt, bewertet und dokumentiert werden. Wenn auch in den Vorschriften
nicht verpflichtend gefordert, so wird doch empfohlen, auch alle Geschäftsrisiken
zu bewerten und zu dokumentieren, um die Lieferfähigkeit langfristig sicherstel-
len zu können.
11.3 Lieferantenmanagementprozess 403

MERKE:
Die Corona-Pandemie 2020/21 hat die Wichtigkeit einer verlässlichen Lieferkette
deutlich gemacht. Lebensnotwendige Medizinprodukte konnten aufgrund unter-
brochener Lieferketten oft wochenlang nicht produziert und geliefert werden.

Die identifizierten Risiken müssen in weiterer Folge evaluiert werden, um die Art
und das Ausmaß der zur Beherrschung der erkannten Risiken erforderlichen Kon-
trollen zu definieren. Die aus der Risikobewertung resultierenden Kontrollmaß-
nahmen müssen dokumentiert und in den weiteren Phasen der Lieferantenqualifi-
zierung sowie während der gesamten Lieferzeit umgesetzt werden.
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11.3.3 Vorauswahl möglicher Lieferanten


Bei der Auswahl potenzieller Lieferanten soll der Hersteller neben deren Geschäfts-
umfeld (z. B. Image, finanzielle Lage, Versorgungssicherheit, Corporate Gover-
nance) vor allem deren fachliche Kompetenzen prüfen (z. B. Fähigkeit des Lieferan-
ten, das gewünschte Produkt gemäß den Spezifikationen zu liefern, Erfahrung,
Fachwissen, Personal, Einhalten von Beschaffungszeiten, pünktliche Lieferung,
For personal use only.

Antwortzeit). Diese Prüfung soll auch die „Infrastruktur“ des Lieferanten beinhal-
ten (z. B. Entwicklungsressourcen, Produktionsanlagen, QM-System), um sicherzu-
stellen, dass der Lieferant die nötige Qualität, Leistung und Zuverlässigkeit der
gelieferten Produkte und Dienstleistungen während des gesamten Produktlebens-
zyklus bereitstellen kann. Der Einkauf, die Qualitätsabteilung sowie bei Bedarf
­Experten aus den technischen Bereichen sollen bei der Vorauswahl gemeinsam die
betriebliche und technologische Kompetenz eines Lieferanten überprüfen und be-
werten. Die Auswahl des potenziellen Lieferanten soll dabei gemäß den vordefi-
nierten Kriterien erfolgen, wobei die „Kritikalität“ des Endprodukts die Anforde-
rungen an die betrieblichen und technologischen Fähigkeiten des Lieferanten
wesentlich mitbestimmt [11.11].

BEACHTE:
Eine Zertifizierung nach ISO 9001 bzw. ISO 13485 soll beim Lieferantenauswahl-
verfahren positiv in die Bewertung miteinbezogen werden. Bei kritischen Produk-
ten und Dienstleistungen ist ein vorhandenes QM-Zertifikat allein aber kein aus-
reichender Nachweis für die Eignung eines Zulieferers. Der Hersteller muss trotz
Vorliegen eines QMS-Zertifikats überprüfen, ob ein Lieferant in der Lage ist, zu-
verlässig Produkte oder Dienstleistungen gemäß den vereinbarten Spezifikationen
zu liefern, d. h. zumindest die kritischen Einrichtungen und Prozesse sind beim
Zulieferer einer gesonderten Prüfung und Bewertung unterziehen.

404 11 Lieferanten­management

Da sich die Hersteller-Lieferanten-Beziehungen je nach Produktportfolio, Ferti-


gungstiefe und Unternehmensgröße stark voneinander unterscheiden, empfiehlt es
sich, in einem ersten Schritt eine grobe Klassifizierung einzuführen, basierend auf
dem Geschäfts- und Produktrisiko, um grob abschätzen zu können, welche Qualifi-
zierungsmaßnahmen für welchen Lieferanten erforderlich und angemessen sind.
Diese Erstbewertung kann z. B. gemäß Pfefferli [11.12] anhand einer zweidimen-
sionalen Portfolioanalyse (Einfluss auf den Markterfolg vs. Risiken des Beschaf-
fungsmarkts) erfolgen. Dabei werden auf der x-Achse die „kommerziellen“ Aspekte
dargestellt und auf der y-Achse die Produkt- und Technologierisiken.
Bei der Erstbewertung der „kommerziellen Risiken“ kann auch das Beschaffungs-
volumen allein herangezogen werden und bei den „technischen“ Risiken nur die
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Kritikalität des Produkts gemäß Tabelle 11.1. Dadurch können in einem ersten


Schritt jene Materialien/Lieferanten definiert werden, die vom Geschäftsvolumen
her relevant sind, bzw. jene Materialien und Dienstleistungen, die den größten
Einfluss auf die Sicherheit und Funktion des Endprodukts besitzen. In dieser Dar-
stellung werden jene Produkte, die ein hohes Produktrisiko darstellen und auch
kommerziell von Bedeutung sind, als „Schlüsselprodukte“ gekennzeichnet (siehe
Bild 11.3). Diesen soll im Lieferantenqualifikationsprozess die höchste Aufmerk-
samkeit gewidmet werden. Auch bei jenen Lieferanten, die sehr kritische Kompo-
For personal use only.

nenten liefern, aber volumenmäßig nur einen geringen Anteil am Gesamtprodukt


umfassen („Engpassprodukte“), muss sichergestellt werden, dass die Versorgung,
Sicherheit und Funktionalität des Gesamtprodukts in der Serie nicht beeinträch-
tigt wird. Allerdings kommen in diesem Fall, verglichen mit Lieferanten von
Schlüsselprodukten, meist andere, weniger aufwendige, geschäfts- und qualitäts­
sichernde Maßnahmen zur Anwendung.

Tabelle 11.1 Einteilung von Produkten und Dienstleistungen nach Kritikalität und Prüfbarkeit


Kriterium Einstufung Definition
Kritikalität des Produkts/ kritisch Eine Nichtkonformität des Produkts/der
der Dienstleistung Dienstleistung führt mit hoher Wahrscheinlich-
keit zu einem Schaden beim Patienten,
­Anwender oder einer dritten Person.
unkritisch Ein vorhersehbarer Fehler des Produkts/der
Dienstleistung hat nur ein geringes Risiko, dass
es zu einem Schaden beim Patienten, Benutzer
oder einer dritten Person kommt.
Kontrollniveau beim hoch Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass
­Hersteller ein defektes Produkt/eine mangelhafte Dienst-
leistung mit den derzeitigen Kontrollen des
Herstellers erkannt wird.
gering Ein Defekt kann mit den Kontrollen des
­Herstellers mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht
erfasst werden.
11.3 Lieferantenmanagementprozess 405

Engpassprodukt Schlüsselprodukt
kri sch
Objektbezogenes Risiko

Unkri sches Produkt Hebelprodukt


unkri sch
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gering hoch

Beschaffungsvolumen

Bild 11.3 Portfoliobewertung von Produkten nach Beschaffungsvolumen und Produktrisiko


For personal use only.

nach Boutellier und Corsten [11.13]

Kritische Produkte haben einen direkten Einfluss auf die Produktqualität. Typischer-
weise sind das komplexe Systembauteile, die spezielle Prüfvorrichtungen erfordern
(z. B. elektronische oder optische Messmodule), oder Teile, die nur zerstörend ge-
prüft werden können oder nach speziellen Methoden hergestellt werden (wie z. B.
Kleben, Schweißen). Aber auch kritische Dienstleistungen (z. B. Softwareentwick-
lung, Sterilisation) fallen in diese Kategorie. Unkritische Produkte hingegen haben
keinen oder nur geringen Einfluss auf die Qualität, Funktion oder Sicherheit des
Gesamtsystems (z. B. Katalogteile, einfach zu prüfende mechanische Teile).
Die zusätzliche Berücksichtigung des Kontrollniveaus eines zugekauften Teils/
einer zugekauften Dienstleistung (d. h. Umfang der internen Kontrollen wie z. B.
Überprüfung der Analysenzertifikate, Wareneingangskontrolle auf Basis statisti-
scher Methoden oder 100 %-Tests, In-Prozess- und Endkontrollen, Validierungsak-
tivitäten) erlaubt in einem weiteren Schritt festzulegen, wie ein potenzieller Liefe-
rant, dem Risikoniveau angemessen, qualifiziert und überwacht werden muss, um
zu einer ausreichenden Sicherheit, Verfügbarkeit und Kosteneffizienz des Pro-
dukts zu gelangen.
Diese Betrachtungsweise führt zu einer Bewertungsmatrix (siehe Tabelle 11.2), die
die Produkte nach ihrer Kritikalität und nach ihrer Erkennbarkeit von Fehlern ein-
stuft und darauf aufbauend für jede Gruppe die geeigneten Qualifizierungs- und
Kontrollmaßnahmen festlegt.
406 11 Lieferanten­management

Tabelle 11.2 Produktbewertungsmatrix

Kontrollniveau
Kontrollniveau beim Hersteller
beim Hersteller
Material-
krikalität gering hoch

Fertig bezogene Medizin-,


IVD- oder Zwischenprodukte;
kritische Materialien lt.
1
Herstellerangabe

kritisch 2 3
Kritikalität
Material /
Service
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unkritisch 3 4

Keinen Einfluss auf


Qualität oder Zulassung
(keine Kritikalitätseinstufung / 4)
For personal use only.

BEISPIEL:
Kritikalitätsklassen
ƒ Kritikalität 1: Ein fertiges Medizin- oder IVD-Produkt; Produkt benötigt bei
Änderung einen hohen Re-Validierungsaufwand (z. B. klinische Studien, Lager-
tests); kritische Dienstleistungen (z. B. Softwareentwicklung, Sterilisation);
Produkt/Material wird von einem Lieferanten mit Monopolstellung bezogen.
ƒ Kritikalität 2: Ein kritisches Produkt/Zukaufteil mit niedriger Prüfintensität
auf Herstellerseite (z. B. Material wird beim Zulieferer mit speziellen Methoden
hergestellt wie z. B. Kleben, Lackieren), es ist nur eine zerstörende Prüfung
möglich bzw. die Methode kann nicht einfach evaluiert werden; Systembauteile
und Elektronikboards, die spezielle Prüfvorrichtungen erfordern; hersteller-
spezifische Rohmaterialien.
ƒ Kritikalität 3: Ein kritisches Produkt mit hoher Prüfintensität (z. B. ein funk­
tionsbestimmendes Spritzgussteil, optische oder elektronische Bauteile mit
100 %-Prüfung) oder ein nicht kritisches Produkt mit geringen Kontrollen auf
Herstellerseite (z. B. CNC-gesteuerte mechanische Frästeile mit einfach zu
überprüfenden Abmessungen).
ƒ Kritikalität 4: Ein nicht kritisches Produkt mit hohem Kontrollniveau oder ein
Produkt mit geringem Einfluss auf Qualität, Funktion oder Sicherheit (z. B.
Katalogteile, einfach zu prüfende mechanische Teile, nicht funktionsbeeinflus-
sende Gehäuseteile, Hilfsstoffe).

11.3 Lieferantenmanagementprozess 407

MERKE:
Die Einstufung der Kritikalität eines Zukaufteils kann immer nur unter Berücksich-
tigung des konkreten Anwendungsfalls eines Produkts erfolgen.
So kann z. B. die Fehlfunktion einer Spindelwelle in einem Fall zu einem relativ
unkritischen Funktionsstopp führen (z. B. bei Verwendung der Spindelwelle zum
Öffnen/Schließen einer Probeneingabeklappe) oder aber zu einer lebensbedro-
henden Fehlfunktion (falls die Spindelwelle als Antriebswelle in einer Medikamen-
tenpumpe eingesetzt ist). Ähnliches gilt für Dienstleistungen. So kann eine Soft-
ware-Fehlfunktion in einem Fall nur zu einem „Schönheitsfehler“ führen (z. B.
Ausgabeformat eines Ausdrucks), in einem anderen Fall kann diese Fehlfunktion
aber zu einer falschen Abtastung eines Messsignals und damit in weiterer Folge
zu falschen Messwerten führen.
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11.3.4 Lieferantenbewertung und -auswahl


In diesem Schritt überprüft der Hersteller, ob ein potenzieller Lieferant tatsächlich
über die Fähigkeit verfügt, Produkte oder Dienstleistungen in Übereinstimmung
mit den gestellten Anforderungen zu liefern. Angelehnt an die in Tabelle 11.2 ge-
For personal use only.

troffene Risikoklassifizierung kann der Umfang der Erstqualifizierungsmaßnah-


men, wie in Tabelle 11.3 beispielhaft gezeigt, festgelegt werden.

Tabelle 11.3 Beispiel für Erstqualifizierungsmaßnahmen von Lieferanten


Verantwortlichkeit Qualitätsabteilung Einkauf
Aktivitäten zur Audit vor Bestäti- Review der Erstellen Finanz­
Lieferanten­ Ort, Doku- gung der Leistungs- der analyse
erstbewertung mentenprü- vom Liefe- und Quali- Lieferan­ten­
Kritikalität fung oder ranten ak- tätsfähig- verein­
Material/Dienst- Fähigkeits- zeptierten keiten barun­gen
leistung nachweis Spezifika­
tionen oder
Arbeits­
umfänge
1 Ja(1) Ja Ja Ja Ja
2 Ja Ja Ja Ja Ja
3 Nein Ja Ja Ja Ja
4 oder nicht Nein Nein Nein Nein Nein
Q-relevant
(1) Vor-Ort-Audit erforderlich, Dokumentenprüfung oder Zertifikatsnachweise sind nicht ausreichend!
408 11 Lieferanten­management

Als Nachweis, dass der Lieferant in der Lage ist, die ins Auge gefassten Produkte
und Dienstleistungen spezifikationsgerecht zu liefern, können unter anderem fol-
gende Bewertungen und Aufzeichnungen herangezogen werden:
ƒ Vorhandensein eines zertifizierten QM-Systems,
ƒ Analysenzertifikate/Konformitätsbestätigungen,
ƒ Test- und Verifikationsnachweise (z. B. von Erstmustern, Erstchargen oder Proto­
typen),
ƒ Nachvollziehbarkeit aller Prozessschritte (Produkt, Ausstattung, Tätigkeiten,
vorgesehene Prüfungen und Messungen „was, wie, wann, wie oft, womit, von
wem“, Probenzugplan, Prüfmittel, Prüfmethoden),
ƒ Nachweis der Prozessfähigkeit und Prozessleistung (z. B. Cpk-Wert, Fehlerrate
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in ppm),
ƒ erfolgreiche Prozessvalidierung,
ƒ Änderungswesen (Produkte, Prozesse),
ƒ Antwortzeiten im Reklamationsfall,
ƒ erfolgreich bestandenes Lieferantenaudit.
Alle festgelegten Schritte müssen dokumentiert werden und der Kritikalität des
For personal use only.

betroffenen Produkts/der betroffenen Dienstleistung im Hinblick auf die Sicher-


heit und Leistung des Endprodukts entsprechen. Wenn möglich, sollen anerkannte
statistische Methoden angewandt werden. Das Ergebnis der Bewertungen und Un-
tersuchungen, durchgeführt vom Einkauf, von der Qualitätsabteilung und von den
Fach­abteilungen, muss in einem Bericht dokumentiert und auch an den Liefe­
ranten weitergeleitet werden. Zusätzlich kann es notwendig werden, einzelne Mus-
ter in das Endprodukt einzubauen und die Funktionsfähigkeit dort zu überprüfen.
Die Entwicklungs- und Fertigungsabteilungen, die für das Produkt verantwortlich
sind, müssen anhand dieser Tests entscheiden, ob zusätzliche Prüfungen durchge-
führt werden sollen, ob Daten von anderen Quellen herangezogen werden müssen
oder ob eine Kombination aus den Genannten zur endgültigen Bewertung erforder-
lich ist.

11.3.4.1 Lieferantenaudit
Wenn ein Audit zur Bewertung des Lieferanten erforderlich ist, muss ein Team
zusammengestellt werden, das von einem entsprechend qualifizierten Experten
der Qualitätsabteilung oder der Einkaufsabteilung geleitet wird. Je nach Bedarf
können Mitarbeiter aus Fertigung, Entwicklung oder IT beigezogen werden.
11.3 Lieferantenmanagementprozess 409

TIPP:
Wenn Sie ein Audit planen, bedenken Sie, dass das mit hohen Kosten auf beiden
Seiten verbunden ist. Sie können im Schnitt, inklusive Vorbereitung und Nachver-
folgung, mit zwei bis vier FTE-Wochen/Lieferantenaudit rechnen. Machen Sie sich
daher zuerst bewusst, ob ein Audit überhaupt erforderlich ist, und wenn ja, was
Sie genau bei Ihrem Lieferanten evaluieren wollen. Müssen Sie z. B. wirklich das
gesamte QM-System überprüfen, wenn bereits ein zertifiziertes System vorhanden
ist, oder wollen Sie Ihre Zeit besser in einen Prozess-/Produktreview investieren?
Um die Auditbelastung gering zu halten, sollten größere Organisationen auch
prüfen, ob, wann und von welcher Teilorganisation ein Lieferant bereits evaluiert
wurde, und sich dann intern abstimmen, inwieweit Audits gegenseitig anerkannt
werden können. Lieferanten sollten ihrerseits versuchen, bei größeren Firmen
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Audittermine zu bündeln.

Die Ergebnisse des Audits müssen im Auditbericht gesammelt, analysiert und


­dokumentiert werden. Die Auditabweichungen können dabei laut Tabelle 11.4
klassifiziert werden.

Tabelle 11.4 Klassifizierung und Bewertung der Auditabweichungen


For personal use only.

Abweichung Beschreibung der Auswirkungen


Kritisch Ein signifikanter Defekt des gesamten QM-Systems oder die systemati-
sche Verletzung einer Gesetzes- oder Vertragsanforderung, die einen
ernsthaft negativen Einfluss auf die Sicherheit und/oder die Zuverlässig-
keit/Wirksamkeit des Produkts/der Dienstleistung hat oder haben
könnte.
Erheblich Das einmalige Auftreten einer signifikanten Nichterfüllung eines Ablaufs,
eines Gesetzes und/oder einer Vertragsanforderung mit einem mögli-
chen negativen Einfluss auf die Sicherheit und/oder Zuverlässigkeit des
Produkts/der Dienstleistung.
Gering Singuläre Abweichung, die keinen Einfluss auf die Sicherheit und/oder
Zuverlässigkeit des Produkts/der Dienstleistung erwarten lässt.
Empfehlung Beobachtung, die keine direkten Verstöße gegen Standards und/oder
Vertragsanforderungen darstellt, aber aus Sicht des Auditorenteams
einen Bereich für eine Verbesserung aufzeigt.

BEACHTE:
Folgende Mängel werden häufig bei Lieferantenaudits gefunden:
ƒ Qualitätsziele sind definiert, aber bei Nichterreichung sind keine Gegenmaß-
nahmen erkennbar.
ƒ Managementreviews finden nicht regelmäßig statt, die Ergebnisse werden
nicht ausreichend dokumentiert, die Inhalte stimmen nicht mit den Vorgaben
der Norm überein. Maßnahmen bei Nichterreichung der Ziele sind nicht nach-
vollziehbar oder fehlen gänzlich.
410 11 Lieferanten­management

ƒ Vorgabe-/Nachweisdokumente sind nicht versionsgeführt, sie werden nicht


durch Signatur freigegeben, werden nachträglich verändert oder sind nicht
innerhalb angemessener Frist auffindbar.
ƒ Archivfristen sind nicht festgelegt, Maßnahmen zum Schutz der Dokumente
sind nicht ausreichend.
ƒ Elektronische Dokumenten- und Datenverwaltungssysteme sind nicht
validiert.
ƒ Interne Schulungen sind nicht sauber geplant, Schulungsnachweise sind
nicht vorhanden und die Wirksamkeit von Schulungen wird nicht nachge-
wiesen.
ƒ Prozessvorgaben bzw. Prozesskontrollen für Entwicklung und Produktion
werden nicht befolgt.
ƒ Bei relevanten Änderungen von Design-, Prozess-, Prüf- und Produktions-
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vorgaben wird der Kunde/Hersteller nicht informiert bzw. nicht zeitgerecht


in den Genehmigungsprozess einbezogen.
ƒ Ausgelagerte Prozesse (z. B. Softwareentwicklung, Reinigung von Rein­
räumen) sind nicht ausreichend gelenkt.
ƒ Umfassende Betrachtungen zur langfristigen Sicherstellung der Lieferfähig-
keit fehlen, Beschaffungsrisiken für Produkte, Materialien und Dienstleistungen
bzw. Lieferanten (z. B. Verfügbarkeit von Kernmitarbeitern, Brand- und Katas-
trophenschutz) sind nicht bestimmt und festgelegt. Geeignete Abhilfemaßnah-
For personal use only.

men (z. B. 2nd source, Bevorratungskonzepte, örtliche Diversifikation) sind


nicht vereinbart.
ƒ Die Validierung von Produktionssystemen (Produktionsprozesse, Equip-
ment, automatisierte Systeme) ist nicht etabliert.
ƒ Identifikation und Rückverfolgung von Produkten, Produktchargen, Produk-
tionssystemen, Rohmaterialien und Mitarbeitern sind nicht oder nur teilweise
etabliert.
ƒ Ein präventiver Bewertungsprozess und ein Vorgehen für Prüfmittel, die
ausgemustert werden bzw. die die Akzeptanzkriterien der Kalibrierung nicht
erfüllen, sind nicht etabliert.
ƒ Ergebnisse von Endproduktprüfungen oder aus der In-Prozesskontrolle
werden nicht ausreichend analysiert (z. B. mit statistischen Methoden) und
bewertet.
ƒ Fehler in der Produktion werden nicht konsequent analysiert und dokumen-
tiert nachverfolgt.
ƒ Fehlermeldungen werden nur für Kundenrückmeldungen eröffnet, nicht je-
doch für interne Abweichungen.
ƒ Änderungen und Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen werden nicht ge-
lenkt. Fehlermeldungen, Änderungen, Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen
werden ohne nachvollziehbare Begründung als „wirksam“ abgeschlossen.
ƒ Interne Audits sind nicht geplant, die Abarbeitung der gefundenen Abwei-
chungen ist nicht nachvollziehbar dokumentiert.

11.3 Lieferantenmanagementprozess 411

Um die Auditabweichungen gemäß ihrer Schwere zu gewichten, hat es sich für


eine Ersteinstufung des Lieferanten als sinnvoll erwiesen, eine Korrelation zwi-
schen aufgetretenen Auditabweichungen und der Lieferantenklassifizierung zu
erstellen. Als Hilfestellung kann dabei eine „Bewertungsformel“ wie folgt herange-
zogen werden:

QL = 100 − (10 × K − 5× E − 1× G )

Wobei gilt
QL: Qualitätslevel des Lieferanten anhand des Auditergebnisses
100: Basis/Maximum (keine Abweichungen gefunden)
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K: Kritische Abweichungen
E: Erhebliche Abweichungen
G: Geringfügige Abweichungen

Je nach Anzahl und Schwere der festgestellten Abweichungen führt dies zu einer
Lieferantenklassifizierung wie in Tabelle 11.5 beschrieben. Die endgültige Klassifi-
zierung eines neuen Lieferanten wird im Regelfall, gemäß einem vorgegebenen
For personal use only.

Schlüssel, neben den Auditergebnissen auch die technischen und kaufmännischen


Fähigkeiten des Lieferanten in die Bewertung mit einbeziehen.

Tabelle 11.5 Klassifizierung eines neuen Lieferanten (auf Audit basierend)


Punkte Klassifizierung des Lieferanten
95 bis 100 A Lieferant ist ohne Einschränkungen qualifiziert.
80 bis 94 B Lieferant ist nach Prüfung und Akzeptanz der vereinbarten Korrektur-
maßnahmen qualifiziert. Der Lieferant verpflichtet sich, aufgezeigte
Mängel innerhalb einer bestimmten Zeitspanne in Ordnung zu brin-
gen und objektive Beweise für seine Korrekturmaßnahmen vorzu­
legen.
50 bis 79 C Lieferant weist erhebliche Mängel auf und ist nur eingeschränkt
­qualifiziert. Der Lieferant muss nach Abschluss der Korrekturmaß-
nahmen nochmals überprüft werden (eventuell ist ein weiteres Audit
angebracht). Es dürfen keine Teile für die Serienfertigung oder für
­klinische Versuche verwendet werden. Nur Muster- und Teillieferun-
gen für Analysen werden zugelassen.
0 bis 49 D Lieferant ist momentan nicht qualifiziert. Er zeigt wesentliche
­Mängel, die von ihm in Ordnung gebracht werden müssen. Lieferant
muss einen objektiven Nachweis erbringen, dass die von ihm gesetz-
ten Korrekturmaßnahmen wirksam sind. Ein neues Audit muss
ab­gehalten werden, bevor der Lieferant qualifiziert werden kann.
Muster- und Teillieferungen für Analysen können akzeptiert werden.
Eventuell ist es sinnvoll, einen Alternativlieferanten zu suchen.
412 11 Lieferanten­management

Bei etablierten Lieferanten wird vor allem die laufende Lieferperformance (Pro-
duktqualität, Liefertreue) die Klassifizierung des Lieferanten beeinflussen. Dessen
ungeachtet kann ein negatives Auditergebnis zu einem Knock-out-Kriterium wer-
den, auch für einen bestehenden Lieferanten.
Der Hauptauditor (oder ein delegiertes Auditteammitglied) ist für die Nachverfol-
gung und Überprüfung der vom Lieferanten zugesagten Korrektur- bzw. Vorbeuge-
maßnahmen verantwortlich.

11.3.4.2 Dokumentenprüfung
Das Konzept der Dokumentenprüfung (desk audit) wurde definiert, um eine kos-
tengünstige Alternative zu einem Vor-Ort-Audit anzubieten bzw. um sich rasch
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­einen Überblick über einen Lieferanten zu verschaffen. Ein desk audit findet
­vornehmlich bei unkritischen Zulieferteilen/Dienstleistungen Anwendung. Eine
Dokumentenprüfung kann entsprechend dem Ermessen des Reviewteams ein Vor-
Ort-Audit nach sich ziehen.
Der Umfang einer Dokumentenprüfung hängt von der Komplexität des Produkts
sowie der kommerziellen Stellung des Lieferanten ab.
Dokumentenprüfungen können Folgendes enthalten, sind aber nicht darauf be-
For personal use only.

schränkt:
ƒ Unternehmensorganigramme,
ƒ Verfahrensabläufe,
ƒ Vorgabedokumente,
ƒ Zertifikate, Genehmigungen, Lizenzen,
ƒ Ergebnisse von Behördeninspektionen (z. B. FDA Warning Letter),
ƒ Lieferantenbefragung (Fragebogen mit wirtschaftlichen und Qualitätsfragen,
vom Lieferanten auszufüllen).

11.3.4.3 Lieferantenannahme
Nach Vorliegen aller benötigten Informationen und nach Abschluss aller Evaluie-
rungsaktivitäten sollen die Nachweise über die in dieser Phase durchgeführten
Bewertungen und die Eignung des Lieferanten wie folgt dokumentiert werden:
ƒ Bewertungs- und Auswahlkriterien,
ƒ erhaltene Dokumente und Berichte,
ƒ Entscheidungen und Begründungen,
ƒ Erstvereinbarungen.
Wenn ein möglicher Lieferant als geeignet bewertet wurde, soll der Hersteller die
Eignungsentscheidung dokumentieren, z. B. durch Hinzufügen des Lieferanten in
eine offizielle Liste zugelassener Lieferanten. Diese Liste ist auch verpflichtender
11.3 Lieferantenmanagementprozess 413

Bestandteil der Technischen Dokumentation [11.14]. Außerdem sollen die Unterla-


gen mit den Bewertungsergebnissen und den daraus abgeleiteten Aktivitäten do-
kumentiert werden [11.15]. Obwohl keine regulatorische Anforderung, ist es gute
Geschäftspraxis, auch Informationen über solche Lieferanten aufzubewahren, die
nicht in der Lage waren, die Akzeptanzkriterien zu erfüllen, und daher nicht wei-
ter in Betracht gezogen wurden.
Wenn ein Lieferant ein Kriterium oder mehrere Kriterien nicht erfüllen kann, soll
entweder
ƒ ein Plan für die Entwicklung und nachfolgende Re-Evaluierung des Lieferanten
aufgesetzt oder
ƒ der in der Liste nächstgereihte potenzielle Lieferant herangezogen oder
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ƒ eine Suche nach einem neuen Lieferanten gestartet werden.


Wenn kein neuer Lieferant gefunden werden kann (z. B. im Fall eines Monopol­
anbieters), soll der Hersteller zuerst versuchen herauszufinden, ob einer der poten­
ziell in Frage kommenden Lieferanten nicht doch willig und fähig ist, die definier-
ten Anforderungen zu erfüllen. Wenn dies nicht der Fall ist, muss der Hersteller
ergänzende Kontrollen in seiner Organisation veranlassen, um die geforderten
Spezifikationen sicherzustellen. Wenn auch das nicht mit vertretbarem Aufwand
For personal use only.

umsetzbar ist, muss eine Änderung des Produkt- oder Prozessdesigns ins Auge
gefasst werden.

11.3.5 Fixieren der Kontrollen


Die Kontrollen, die im Vorfeld definiert wurden (als Ergebnis der Risikobewertung
und der Lieferantenqualifizierung), müssen nun finalisiert und in vertragliche
Vereinbarungen und Rahmenbedingungen umgesetzt werden. Dabei soll darauf
geachtet werden, dass die Kombination aus Lieferantenkontrollen und Annahme-
aktivitäten in Relation zur Kritikalität des Produkts steht. Für Produkte und
Dienstleistungen mit Kritikalität 1 und 2 laut Tabelle 11.2 sollen die nachfolgend
erwähnten Klauseln – soweit anwendbar – im Vertrag inkludiert oder in einer ge-
sonderten Qualitätssicherungsvereinbarung geregelt werden:
ƒ Der Lieferant verpflichtet sich, ein zertifiziertes QM-System zu führen, welches
die Anforderungen der ISO 9001 erfüllt. Eine Zertifizierung basierend auf ISO
13485 ist erstrebenswert, aber nicht verpflichtend.
ƒ Der Lieferant muss adäquate Eingangskontrollen durchführen, damit die Qua-
lität der von ihm beschafften Teile sichergestellt wird.
ƒ Der Lieferant muss außerdem dafür Sorge tragen, dass auch seine Zulieferer,
der Kritikalität der bezogenen Produkte entsprechend, regelmäßig überprüft
werden. Wenn es das Risiko erfordert, können auch explizite Kontrollmaßnah-
414 11 Lieferanten­management

men bei Sublieferanten festgelegt werden, insbesondere, um unerwünschte


Effekte bei Produkt- oder Prozessänderungen zu verhindern.

TIPP:
Die Einführung und Überprüfung der notwendigen Kontrollen bei Sublieferanten
soll idealerweise vom tier1-Lieferanten durchgeführt werden. Der Hersteller kann
diese Aufgabe aber auch selbst in die Hand nehmen, wenn z. B. der tier1-Lieferant
keine geeigneten Ressourcen oder Fähigkeiten für diese Aufgaben besitzt.

ƒ Der Lieferant muss geeignete In-Prozess- und Endkontrollschritte etablieren,


jede Lieferung muss von den vereinbarten Prüfberichten bzw. Konformitäts-
zertifikaten begleitet werden.
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TIPP:
Hersteller und Lieferant sollen bereits während der Musterlieferungsphase einen
Qualitätssicherungsplan erarbeiten, in den sowohl die Anforderungen des Herstel-
lers als auch die Erfahrungen des Lieferanten mit seinem Prozess einfließen.
Damit können Fehler bereits früh in der Wertschöpfungskette entdeckt und somit
Prüf- und Nichtqualitätskosten reduziert werden.
For personal use only.

ƒ Der Lieferant muss sicherstellen, dass alle Herstellunterlagen (Device Master


­ ecords) vorhanden sind und den Anforderungen des Herstellers entsprechen.
R
Diese Dokumente müssen für mindestens den erwarteten Lebenszyklus des Pro-
dukts aufbewahrt werden. Produktionsaufzeichnungen (Device History Records)
und Rückhaltemuster müssen mindestens bis zum Ablauf des Haltbarkeitsda-
tums des Produkts aufbewahrt werden (siehe dazu auch Kapitel 1, QM-Systeme).

TIPP:
Rechnen Sie zur Mindestaufbewahrungszeit noch zwei Jahre als Puffer für mögliche
Reklamationsbearbeitungen hinzu.

ƒ Änderungen durch den Lieferanten bei Test- und Produktionsequipment, Test-


methoden, Produktions- und Prüfprozessen, Unterlieferanten oder Verpackun-
gen mit potenziellem Einfluss auf die Produktqualität müssen dem Hersteller
gemeldet werden [11.16] und bedürfen vor ihrer Implementierung der schrift-
lichen Genehmigung durch den Hersteller. Wenn der Hersteller eine Spezifika-
tion oder Vorgabe ändert, soll der Lieferant schriftlich bekannt geben, ob er
diese neuen/geänderten Spezifikationen akzeptiert oder ob er Einwände be-
züglich der Realisierung hat.
ƒ Der Lieferant muss die Untersuchung von Reklamationen unterstützen. Risiko-
analysen, Ursachenanalysen und korrektive und präventive Maßnahmen sol-
len in einem angemessenen Zeitrahmen implementiert werden, der es im Fall
11.3 Lieferantenmanagementprozess 415

von potenziell kritischen Fehlern erlaubt, die von den Behörden geforderten
Antwortzeiten einzuhalten.
ƒ Der Lieferant soll dem Hersteller, der Behörde und der Benannten Stelle gegen
Voranmeldung zu normalen Bürozeiten den Zutritt zu jenen Räumlichkeiten
gewähren, in denen die Produkte entwickelt und produziert werden. Informa­
tionen und Daten über Produkte und die dazugehörigen Prozesse sind auf An-
frage verfügbar zu machen.
ƒ Der Lieferant muss den Hersteller sofort verständigen, wenn er Kenntnis er-
langt, dass defekte Teile an diesen verschickt wurden.
Am Ende dieser Phase sind die Vereinbarungen mit dem ausgewählten Lieferanten
etabliert, und die laufenden Kontrollen können beginnen.
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BEACHTE:
Bei internen Lieferanten wird es nicht immer vertragliche Qualitätssicherungsver-
einbarungen oder Bestellungen geben. Ungeachtet dessen soll darauf geschaut
werden, dass zumindest eine Mindestform an formellen Vereinbarungen zwischen
den involvierten Abteilungen definiert ist, damit die Einhaltung aller relevanten
und rechtlich geforderten Anforderungen sichergestellt werden kann.

For personal use only.

11.3.6 Laufende Messung und Bewertung der Lieferungen


In der Produktrealisierungsphase liefert der ausgewählte Lieferant Produkte ent-
sprechend den vereinbarten Spezifikationen. In dieser Phase muss der Einkauf,
die Qualitätsabteilung oder eine designierte Abteilung Kontrollpunkte etablieren,
um die Leistung des Lieferanten zu beobachten und sicherzustellen, dass die Spe-
zifikationen und vertraglichen Vereinbarungen eingehalten werden. Diese Aktivi-
täten können unter anderem bestehen aus
ƒ der Kontrolle von Prüfberichten oder Konformitätszertifikaten,
ƒ der Analyse von Daten aus der Fertigung und Qualitätskontrolle des Herstel-
lers,
ƒ Inspektionen und Tests in der Wareneingangskontrolle mittels statistischer
Methoden,
ƒ der Analyse von Reklamationen aus der In-Prozess-Kontrolle oder von Endkun-
den sowie
ƒ dem Monitoring der Liefertreue in Bezug auf Termin; Qualität und Quantität.
Diese Aktivitäten können helfen, vorhandene Probleme beim Produkt bzw. auch
Lieferantenprobleme aufzuzeigen. Wenn es ein Problem beim Produktrealisie-
rungsprozess oder einem verwandten Prozess gibt, muss die Qualitätsabteilung
416 11 Lieferanten­management

eine Korrektur und, wenn notwendig, eine Korrektur- und/oder Präventivmaß-


nahme initiieren.
Entsprechend der Kritikalität des gelieferten Produkts sind auch periodische Re-
Evaluierungen zu planen und durchzuführen, um die Fähigkeiten des Lieferanten
zu bewerten, die gelieferten Produkte wie vereinbart auch in Zukunft mit kalku-
lierbarem Risiko liefern zu können. Diese Bewertung erfolgt unabhängig davon, ob
Probleme identifiziert wurden oder nicht (siehe Tabelle 11.6). Allerdings können
bei guter Lieferantenbewertung gewisse Re-Evaluierungsmaßnahmen (z. B. Audits)
für eine gewisse Zeit aufgeschoben werden.

Tabelle 11.6 Beispiel für wiederkehrende Re-Evaluierungsaktivitäten des Lieferanten


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Verantwortlichkeit Qualitätsabteilung Einkauf


Laufende Audit vor Bestäti- Laufendes Review der Finanz­
Lieferanten-Re- Ort, Doku- gung der Review der Lieferan- analyse
Qualifika­tions­ menten- vom Liefe- Liefer- und tenverein-
aktivitäten prüfung ranten ak- Produkt­ barungen
Kritikalität des oder Fähig- zeptierten qualität
­Materials oder der keitsnach- Spezifika­
Dienstleistung weisreview tionen oder
Arbeits­
For personal use only.

umfänge
1 3 Jahre(1) 3 Jahre 1 x/Jahr 1 x/Jahr 3 Jahre
2 5 Jahre 5 Jahre 1 x/Jahr 1 x/Jahr 5 Jahre
3 Nein Nein 1 x/Jahr Nein Nein
4 oder nicht quali- Nein Nein Nein Nein Nein
tätsrelevant
(1) Vor-Ort-Audit erforderlich, Dokumentenprüfung oder Zertifikatsnachweise sind nicht ausreichend!

Wenn ein Lieferant während der regelmäßigen Evaluierung ein oder mehrere Kri-
terien nicht gemäß Vereinbarung erfüllen kann, soll zuerst ein Entwicklungsplan
zwischen ihm und dem Hersteller aufgesetzt werden, wie die aufgetretenen
Schwachstellen eliminiert werden können. Ist ein Lieferant weiterhin nicht in der
Lage, die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen, oder ist er nicht an der Be-
hebung der festgestellten Mängel interessiert, muss der Hersteller entweder er-
gänzende Kontrollen in seiner Organisation veranlassen, um sicherzustellen, dass
die geforderten Spezifikationen eingehalten werden, oder er muss die Suche nach
einem neuen Lieferanten starten.
Die Entscheidung, ob ein Lieferantenaudit durchzuführen ist oder ob andere Maß-
nahmen zur Re-Qualifikation ausreichend sind, soll dabei anhand eines vordefi-
nierten Entscheidungsbaumes erfolgen. Dabei werden nicht nur die regelmäßig
vorgesehenen Audits für Produkte der Kritikalitätsklassen 1 und 2 geplant, son-
dern auch die aktuelle Qualitätslage und Liefertreue aller Lieferanten in Betracht
gezogen. Anhand eines derartigen Entscheidungsbaums kann einfach nachvoll­
11.3 Lieferantenmanagementprozess 417

zogen werden, wie die aktuelle Qualitätssituation in angemessene Kontrollmaß-


nahmen umgesetzt wird und wie sich daraus ein Auditplan nachvollziehbar ergibt.
Das dafür angewandte Selektionsverfahren erfolgt, wie in Bild 11.4 ersichtlich,
über ein Vier-Ebenen-System:

Lieferanten- Ebene 1
gesamtliste
mit Angabe der
Materialkritikalität

z. B. strategischer Lieferant, Ebene 2


Höhe des Umsatzes,
(Entwicklungs-)Dienstleister
etc.
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Nein Nein
Risikoklasse Ausscheiden, weil kein qualitäts-
sonstige Gründe
1&2 oder geschäftskritischer Teil

Ja

trifft z. B. zu auf Distributoren,


Katalogware, Zugang verwehrt

Ausschließungs- Ja Weil Audit unmöglich, anderen


gründe Weg zur Qualifikation finden
For personal use only.

Nein

Nein
Audit erforderlich Im folgenden Jahr
lt. Zeitplan? wieder prüfen

Ja

Ja
Ausscheiden mit
Begründung
z. B. seit Jahren keine Reklamation,
Verlagerung der Produktion, neues
Nein Projekt noch nicht abgeschlossen,...

Ebene 3
Zusätzlicher Bedarf aus
Lieferantenentwicklung (Abweichungen,
Auditjahresplan Reklamationen, Q-Besprechung) oder
Teileverlagerung/Standortwechsel, oder
neuer Lieferant

Ebene 4

Auditprogramm wird laufend aktualisiert und


quartalsweise freigegeben

Bild 11.4 Vier-Ebenen-Modell zur nachvollziehbaren Ableitung eines Jahresauditplans


418 11 Lieferanten­management

Ebene 1 enthält eine Auflistung aller aktiven Lieferanten. Daraus werden in einem
zweiten Schritt alle Lieferanten der Risikoklasse 1 und 2 ausgewählt, um „strate-
gisch wichtige“ Lieferanten ergänzt und in Ebene 2 als „potenzielle Auditkandida-
ten“ eingetragen. Von den „potenziellen Auditkandidaten“ werden nun jene her-
ausgesucht und in Ebene 3 abgelegt, bei denen gemäß Tabelle 11.6 im kommenden
Jahr ein Audit fällig wird. In diese Ebene werden nun auch noch all jene Lieferan-
ten hinzugefügt, die aufgrund „sonstiger Bewertungsergebnisse“ (Abweichungen,
Reklamationen, Standortverlagerungen, gravierende Änderungen in deren Prozes-
sen oder in deren QM-System etc.) für ein Audit infrage kommen. Auf der anderen
Seite kann die Auditperiode bei „erstklassigen“ Lieferanten auch verlängert wer-
den. Nach einer Abschlussbewertung durch die Qualitätsabteilung und den Ein-
kauf entsteht schlussendlich ein Lieferanten-Jahresauditplan (Ebene 4). Dieser ist
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zu dokumentieren und in regelmäßigen Abständen zu aktualisieren. Abweichun-


gen vom Auditplan sind zu begründen.
Wurde ein Wiederholungsaudit bei einem Lieferanten durchgeführt, so bleibt
dieser weiterhin qualifiziert, wenn bei ihm keine oder nur geringe Abweichungen
laut Tabelle 11.4 aufgetreten sind und er weiterhin als A- oder B-Lieferant gemäß
Tabelle 11.5 bewertet wird. Sind die gefundenen Abweichungen gravierender, kann
die weitere Belieferung von Produkten nur nach Etablierung zusätzlicher Kontrol-
For personal use only.

len beim Hersteller und/oder Lieferanten fortgesetzt werden. Der Lieferant muss
innerhalb einer vereinbarten Periode objektive Beweise der Wirksamkeit seiner
Korrekturmaßnahmen erbringen. Im Extremfall muss der Hersteller einen Alter-
nativlieferanten suchen.

BEACHTE:
Die Behörden sind laut MPV/IVDV angehalten, angekündigte und erforderlichen-
falls unangekündigte Kontrollen in den Räumlichkeiten der Wirtschaftsakteure
sowie in den Räumlichkeiten von Zulieferern und/oder Unterauftragnehmern
durchzuführen [11.17]. Auch die Benannten Stellen sind verpflichtet, regelmäßige
Audits und Bewertungen durchzuführen, um sich davon zu überzeugen, dass der
betreffende Hersteller das genehmigte Qualitätsmanagementsystem und den Plan
zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen anwendet. Diese Audits und Bewer-
tungen schließen Audits in den Betriebsstätten des Herstellers und gegebenenfalls
den Betriebsstätten der Zulieferer des Herstellers und/oder seiner Subunterneh-
mer ein [11.18]. Bei Vorliegen kritischer Vigilanzfälle können sowohl die Behörden
als auch die Benannte Stelle entscheiden, ob sie kurzfristige oder unangekündigte
Audits und Produktprüfungen vor Ort durchführen [11.19].

11.4 Zusammenfassung 419

11.3.7 Rückmeldung und Kommunikation


Der Hersteller soll den Lieferanten regelmäßig darüber informieren, ob seine Er-
wartungen bezüglich spezifikationsgemäßer Qualität und Liefertreue erfüllt wur-
den. Des Weiteren muss er sicherstellen, dass es einen effektiven Kommunikati-
onsprozess gibt, um Probleme, Reklamationen oder andere Themen zu diskutieren.
Zumindest bei Schlüssellieferanten empfiehlt es sich, einen strukturierten Liefe-
rantenentwicklungsprozess aufzusetzen, der auch regelmäßige Treffen und ge-
meinsame Verbesserungsprojekte vorsieht.
Zusätzliches Feedback kann notwendig werden, wenn Änderungen oder Korrek-
tur- und Vorbeugemaßnahmen beim Lieferanten eingefordert werden. Wenn CAPA-
Aktivitäten an den Lieferanten delegiert werden sollen, hat der Hersteller dafür
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Sorge zu tragen, dass diese Aufgaben klar an den Lieferanten kommuniziert wer-
den und dass dies auch in den vertraglichen Vereinbarungen festgehalten wird.
Die CAPA-Prozesse des Lieferanten müssen dabei den Regularien und den Stan-
dards, wie in Kapitel 12, Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen, beschrieben,
entsprechen. Die Dokumentation aller CAPA-Aktivitäten eines Lieferanten muss
nach Anforderung auch dem Hersteller zugänglich gemacht werden.
Sind relevante Änderungen vonseiten des Lieferanten geplant, so sind diese recht-
For personal use only.

zeitig vor deren Umsetzung dem Hersteller mitzuteilen, und dessen Einverständ-
nis ist einzuholen. In so einem Fall kann es notwendig sein, das geänderte Produkt
neu zu qualifizieren und/oder die bestehenden qualitätssichernden Maßnahmen
anzupassen.

BEACHTE:
Die FDA fordert im 21 CFR 820.50 eindeutig, dass sich der Hersteller gegenüber
Änderungen proaktiv absichern muss: „Purchasing documents shall include, where
possible, an agreement that the suppliers, contractors or consultants agree to notify
the manufacturer of changes in the product or service so that the manufacturer may
determine whether the changes may affect the quality of a finished device.“ Analog
auch ISO 13485 [11.16].

„ 11.4 Zusammenfassung
Sowohl die ISO 13485 als auch der 21 CFR 820 fordern klar, dass der Hersteller ein
dokumentiertes Verfahren eingeführt haben muss, um sicherzustellen, dass die
beschafften Produkte die festgelegten Anforderungen erfüllen. Art und Umfang
der Maßnahmen, die zur Qualifizierung des Lieferanten und zur Absicherung des
420 11 Lieferanten­management

beschafften Produkts angewandt werden, müssen dabei der Kritikalität des be-
schafften Produkts sowie der Stellung des Lieferanten angemessen sein. Nur durch
eine gezielte Anwendung des Risikomanagements können dabei der Kritikalität
des beschafften Produkts adäquate Evaluierungs- und Kontrollmaßnahmen in der
Hersteller-Lieferanten-Beziehung bestimmt und implementiert werden. Audits
spielen bei kritischen Produkten eine wichtige Rolle in der Lieferantenqualifizie-
rung und in der laufenden Lieferantenbewertung. Sie müssen jedoch von weiteren
Maßnahmen zur Informationsgewinnung, Qualitätssicherung, Lieferbewertung
und Lieferantenentwicklung begleitet werden, um mit vertretbaren Kosten das ge-
wünschte Kontrollniveau erreichen zu können. Ein derart strukturiertes und kon-
sequent umgesetztes Lieferantenmanagement wird mittelfristig betrachtet nicht
nur die geforderte Vorschriftenkonformität mit sich bringen, sondern auch eine
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langfristig erfolgreiche Hersteller-Lieferanten-Beziehung.

„ 11.5 Literatur
[11.1] F-D-C Reports: „The Silver Sheet“. Vol. 14, Nr. 12. Dezember 2010.
For personal use only.

[11.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117/1 vom 05. 05. 2017: Verordnung
(EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinpro-
dukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der
Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/
EWG des Rates Verfügbar unter: http://data.europa.eu/eli/reg/2017/745/oj/deu, abgerufen am
19. 04. 2021.
[11.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 117/176 vom 05. 05. 2017: Verord-
nung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-
Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der
Kommission (IVDV). Verfügbar unter: http://data.europa.eu/eli/reg/2017/746/oj/deu, abgeru-
fen am 19. 04. 2021.
[11.4] Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016, Medizinprodukte  – Qualitäts­
managementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Ausgabe: 2016 – 07-01.
[11.5] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 21, Part
820 (21 CFR 820). 2017.
[11.6] Global Harmonization Task Force (GHTF): GHTF/SG3/N17R9:2008, Quality Management Sys-
tem  – Medical Devices  – Guidance on the control of products and services obtained from
suppliers. Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/documents/documents.asp, abgerufen am
­
19. 04. 2021.
[11.7] DIN EN ISO 13485:2016 Abs. 7.4.1 c) & d).
[11.8] MPV Anhang II Artikel 3; IVDV Anhang II Artikel 3.2.
[11.9] Global Harmonization Task Force (GHTF): GHTF/SG4/N84:2010, Guidelines for Regulatory Audi-
ting of Quality Management Systems of Medical Device Manufacturers, Part 5: Audits of Manu-
facturer Control of Suppliers. Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/documents/documents.
asp, abgerufen am 19. 04. 2021.
[11.10] DIN EN ISO 13485:2016 Abs. 7.4.1 d.
11.5 Literatur 421

[11.11] H. J. Thomann (Hrsg.): Der Qualitätsmanagement-Berater, TÜV Media, 24. Aktualisierung, Kapi-
tel 10110.
[11.12] Pfefferli, H.: Lieferantenqualifikation: Die Basis für Wettbewerbsfähigkeit und nachhaltigen Er-
folg. Expert, 2002.
[11.13] Boutellier, R.; Corsten, D.: Basiswissen Beschaffung. Hanser, 2002.
[11.14] MPV Anhang II Artikel 3c)/IVDV Anhang II Artikel 3.2.b).
[11.15] DIN EN ISO 13485:2016 Abs. 7.4.1.
[11.16] DIN EN ISO 13485:2016 Abs. 7.4.2.
[11.17] MPV Artikel 93.3(b)/IVDV, Artikel 88.3(b).
[11.18] MPV/IVDV, Anhang IX Kapitel 1, Artikel 3.3 und 3.4.
[11.19] MPV/IVDV, Anhang VII Artikel 4.10.
[11.20] Hofbauer, G.; Mashhour, T.; Fischer, M.: Lieferantenmanagement: Die wertorientierte Gestaltung
der Lieferbeziehung. In: Betriebswirtschaftslehre kompakt. De Gruyter Oldenbourg, 2016.
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12 Korrektur- und
Verbesserungs­
management
J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Wie ist das regulatorische Umfeld, insbesondere im Hinblick auf die Anfor­
derungen von ISO 13485:2016, 21 CFR 820, MPV (EU 2017/745) und IVDV
(EU 2017/746)?
ƒ Wie soll ein Korrektur- und Verbesserungsmanagement aufgesetzt werden,
damit es den gesetzlichen Vorgaben in „angemessener Weise“ entspricht?
ƒ Wie sollen Korrektur- und Verbesserungsprozesse in der Praxis gelenkt werden,
um hohe Prozesssicherheit bei gleichzeitig hoher Effizienz zu erreichen?
ƒ Wie gliedert sich der Korrektur- und Verbesserungsprozess?
For personal use only.

ƒ Welche Quellen sind Ausgangspunkt einer Korrektur- und Verbesserungsmaß-


nahme?
ƒ Welche Maßnahmen sind bei Abweichungen zu ergreifen?
ƒ Wie werden Fehlerursachen richtig bestimmt?
ƒ Was ist unter „Nachweis der Wirksamkeit der Korrektur- und Verbesserungs-
maßnahmen“ zu verstehen?

„ 12.1 Einleitung
Hersteller von medizinischen Produkten müssen sicherstellen, dass ihre am Markt
platzierten Produkte nicht nur den bestimmungsgemäßen Gebrauch ermöglichen,
sondern auch für Anwender und Patient sicher sind. Dazu müssen sie ein QM-
System etablieren, das über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg gewähr-
leistet, dass die Erwartungen vonseiten der Kunden und Behörden mit größtmög­
licher Konsistenz erfüllt werden. Auch wenn moderne QM-Systeme in den
vergangenen Jahren stark das Konzept eines Quality by Design in den Vordergrund
ihrer Anforderungen gestellt haben, ist dies alleine nicht ausreichend, um die Si-
cherheit und Funktionalität des Produkts auch über den gesamten Produktlebens-
zyklus, der bei Medizinprodukten ohne Weiteres zehn bis zwanzig Jahre betragen
424 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

kann, mit ausreichender Sicherheit zu garantieren. Änderungen bei Zukaufteilen


oder Lieferanten, Abnutzung von Fertigungsvorrichtungen, Schwankungen der
Umgebungsbedingungen, menschliche Fehler, ursprünglich nicht erkannte De-
signschwächen, aber auch geänderte Anforderungen von Kundenseite oder des ge-
setzlichen und normativen Umfelds tragen dazu bei, dass ein anfänglich als „si-
cher und effektiv“ freigegebenes Produkt zu Reklamationen, Fehlfunktionen oder
erhöhtem Ausschuss in der Produktion führt. Aus diesem Grund ist es erforder-
lich, dass Hersteller von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika geeignete
Prozesse etabliert haben, um diese Fehler rechtzeitig zu erkennen und zu analysie-
ren, damit sie innerhalb einer angemessenen Frist entscheiden können, welche
Korrektur- oder Verbesserungsmaßnahmen gesetzt werden müssen, um den spezi-
fikationsgemäßen Zustand aufrechtzuerhalten bzw. wiederherzustellen und ein
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Wiederauftreten möglichst zu verhindern. Verbreitet wird dies auch als CAPA


­(Corrective Actions and Preventive Actions) bezeichnet, wobei die englische Bedeu-
tung insofern zutreffender ist, weil es sich bei den angesprochenen Verbesserungs-
maßnahmen nicht um allgemeine Verbesserungen im Sinn von „improvements“
handelt, sondern um all jene Maßnahmen, die ein mögliches Auftreten bzw. Wie-
derauftreten einer Produktfehlfunktion nachhaltig verhindern sollen. Diese Maß-
nahmen müssen in einem angemessenen Verhältnis zum Risiko stehen, welches
For personal use only.

durch ein nicht spezifikationsgemäßes Verhalten des Produkts, eines Prozesses


oder des QM-Systems entstehen kann. Anschließend muss sichergestellt werden,
dass die getroffenen Maßnahmen wirksam sind, d. h. den gewünschten spezifikati-
onsgemäßen Zustand wiederhergestellt bzw. die erwartete Verbesserung gebracht
haben. Ein funktionierendes Korrektur- und Verbesserungsmanagement ist eine
der essenziellen Säulen eines Medizinprodukte-QM-Systems und muss daher vom
Management mit geeigneten Prozessen und entsprechenden Ressourcen ausge-
stattet und laufend beobachtet und bewertet werden.
Trotz eindeutiger gesetzlicher Vorgaben und trotz augenfälliger Vorteile durch re-
duzierte Kosten, zufriedenere Kunden und Vermeidung von Produkthaftungsan-
sprüchen ist das Korrektur- und Verbesserungsmanagement eine der „Achillesfer-
sen“ vieler Medizinproduktehersteller. Wie Statistiken von Behördeninspektionen
oder Zertifizierungsaudits zeigen, stellt die regelkonforme Ausgestaltung dieses
Prozesses für viele, vor allem kleine und mittlere Unternehmen, nach wie vor eine
große Herausforderung dar [12.1]. Dabei könnten bei ordnungsgemäßer Imple-
mentierung des Korrektur- und Verbesserungsprozesses viele Qualitätsprobleme,
Fehlerkosten und im Extremfall Sanktionen durch die Behörden relativ einfach
vermieden werden.
12.2 Rechtliche Grundlagen 425

„ 12.2 Rechtliche Grundlagen
In allen wichtigen Märkten müssen die Hersteller von Medizinprodukten ein QM-
System nachweisen, welches mittels dokumentierter Prozesse die Sicherheit und
spezifizierte Funktionsfähigkeit ihrer Produkte und Dienstleistungen sicherstellt.
Dies fordert z. B. die ISO 13485:2016 [12.2] in § 8.5.1 explizit: „Die Organisation
muss alle Veränderungen ermitteln und implementieren, die zur Sicherstellung und
Aufrechterhaltung der fortdauernden Eignung, Angemessenheit und Wirksamkeit des
Qualitätsmanagementsystems sowie zur Sicherheit und Leistung des Medizinprodukts
erforderlich sind; dafür sind Qualitätspolitik, Qualitätsziele, Auditergebnisse, Über-
wachungen nach Inverkehrbringen, Datenanalysen, Korrekturmaßnahmen, Vorbeu-
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gungsmaßnahmen und die Managementbewertung einzusetzen.“ In weiterer Folge


ist es nicht weiter verwunderlich, dass sowohl die ISO 13485 (für Europa und
­einen großen Teil der übrigen Welt), die MHLW Ministerial Ordinance No. 169
[12.3] (für Japan) als auch die cGMP respektive Quality System Regulation 21 CFR
820 [12.4] (für die USA) fordern, dass die Hersteller dokumentierte Prozesse etab-
liert haben, die geeignet sind, Fehler oder potenzielle Fehlerquellen rechtzeitig zu
erkennen und geeignete Maßnahmen zu setzen, um sich daraus ergebende Risiken
For personal use only.

zu beseitigen und ein Wiederauftreten zu verhindern.


Die explizite Forderung nach „Korrekturmaßnahmen“ findet sich in der ISO
13485:2016 in § 8.5.2: „Die Organisation muss Maßnahmen zur Beseitigung der Ur-
sachen von Nonkonformitäten ergreifen, um deren erneutes Auftreten zu verhindern.“
Die Forderung nach „Vorbeugemaßnahmen“ findet sich in § 8.5.3: „Die Organisa-
tion muss Maßnahmen zur Beseitigung der Ursachen von möglichen Nichtkonformi­
täten ermitteln, um deren Auftreten zu verhindern.“ In der Quality System Regulation
21 CFR 820 sind diese Forderungen in § 100 (a) zusammengefasst: „Each manufac-
turer shall establish and maintain procedures for implementing corrective and preven-
tive action.“ Beide Regelungen fordern des Weiteren ein dokumentiertes Verfah-
ren, um Anforderungen zu folgenden Punkten festzulegen:
1. Fehleranalyse und Fehlerbewertung,
2. Ermittlung der Fehlerursachen,
3. Beurteilung des Handlungsbedarfs (den Auswirkungen der aufgetretenen Feh-
ler angemessen), um das erneute Auftreten von Fehlern zu verhindern,
4. Ermittlung und Implementierung der erforderlichen Maßnahmen, einschließ-
lich Aktualisierung der Dokumentation,
5. Verifizierung und Aufzeichnung der Ergebnisse aller Untersuchungen und der
ergriffenen Maßnahmen,
6. Bewertung der ergriffenen Korrekturmaßnahmen und ihrer Wirksamkeit,
7. Information des Managements zum Review und zur Bewertung der Eignung,
Angemessenheit und Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen.
426 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

Auch wenn sich die beiden Regelwerke in einzelnen Details unterscheiden mögen,
decken sich ihre Hauptforderungen zu den Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen.
Wichtig ist beiden Regelwerken außerdem das aktive Einbinden des Managements
und, wenn gesetzlich gefordert, die Einbindung des benannten Sicherheitsbeauf-
tragten für Medizinprodukte in allen Stufen des Korrektur- und Verbesserungspro-
zesses.
Auch die neue MPV [12.5] und IVDV [12.6] fordern, dass „die Hersteller nach dem
Inverkehrbringen ein angemessenes System zur Überwachung ihrer Produkte planen,
einrichten, dokumentieren, anwenden, instand halten und auf den neuesten Stand
bringen müssen, welches geeignet sein muss, aktiv und systematisch einschlägige Da-
ten über die Qualität, die Leistung und die Sicherheit eines Produkts während dessen
gesamter Lebensdauer zu sammeln, aufzuzeichnen und zu analysieren sowie die er-
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forderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen und etwaige Präventiv- oder Korrekturmaß-


nahmen zu ermitteln, durchzuführen und zu überwachen.“ In Artikel 10 (9 l) MPV
bzw. Artikel 10 (8 l) IVDV wird explizit verlangt, dass das QM-System des Herstel-
lers „das Management korrektiver und präventiver Maßnahmen und die Überprü-
fung ihrer Wirksamkeit“ zu umfassen hat.

BEACHTE:
For personal use only.

Das QM-System eines Medizinprodukteherstellers muss sicherstellen, dass sein


CAPA-System auch seine Zulieferer mit einschließt. Allerdings gelten die Forde-
rungen der ISO 13485:2016 § 8.5 bzw. der QSR § 820.100 nicht in vollem Umfang
für „Komponentenlieferanten“ (z. B. Rohmaterial, elektronische oder mechanische
Teile, Software, Labeling, Assembling etc.), welche nur Teile des verpackten und
gekennzeichneten Endprodukts liefern. Aber auch diese Lieferanten müssen jene
Korrektur- und Verbesserungsprozesse ausführen, die für die Sicherstellung der
spezifikationsgemäßen Leistung sowie für die effiziente Durchführung eines Kun-
denreklamationsprozesses und die zeitgerechte Meldung von Vorfällen durch den
Hersteller an die Behörden erforderlich sind (siehe auch Kapitel 11, Lieferanten-
management).
Lieferanten gewisser Zubehörteile (die separat gekennzeichnet und an Gesund-
heitseinrichtungen geliefert werden, z. B. gewisse Verbrauchsmaterialien, Geräte
oder Software, die als „selbständige“ Ergänzung zu einem bestehenden Medizin-
produkt verkauft werden), „Refurbisher und Umverpacker“ (Unternehmen, die das
Medizinprodukt aufbereiten, umverpacken, umlabeln oder in einer anderen Art
verändern) sowie OEM-Hersteller (welche fertige Produkte auf Auftrag unter
fremden Labels fertigen) müssen allerdings alle anwendbaren Anforderungen der
genannten Normen erfüllen.
Lt. MPV/IVDV sind aber auch Importeure (Artikel 13 (7)) und Händler (Artikel 14
(7)) verpflichtet „. . . sicherzustellen, dass die erforderlichen Korrekturmaßnahmen
ergriffen werden, um die Konformität des Produkts herzustellen oder es vom Markt
zu nehmen oder zurückzurufen.“

12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses 427

Diese Forderung nach einem definierten, dokumentierten und risikobasierten Kor-


rektur- und Verbesserungsprozess wird im Folgenden dargestellt. Er definiert die
Anforderungen und gibt in der Praxis erprobte Hinweise zur Messung, Analyse,
Maßnahmenentscheidung und Wirksamkeitsprüfung.

„ 12.3 Phasen des Korrektur- und


­Verbesserungsprozesses
Der Korrektur- und Verbesserungsprozess kann gemäß GHTF/SG3/N18:2010
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[12.7] in die in Bild 12.1 dargestellten Phasen gegliedert werden.

Planung
For personal use only.

Management- Datenerfassung
review & Analyse

CAPA Prozess

Implemen- Bedarfser-
erung milung

Bild 12.1 Phasenmodell des Korrektur- und Verbesserungsprozesses

12.3.1 Planung
Die Planung des Korrektur- und Verbesserungsprozesses muss auf das Kern­
geschäft abgestimmt sein und sowohl die Unternehmensabläufe als auch das
­QM-System unterstützen. Der Korrektur- und Verbesserungsprozess wird dabei
wesentlich von der Art der erzeugten Produkte, von den Anforderungen des ent-
sprechenden Marktes, von den dort existierenden Kundenwünschen und den dort
relevanten Vorschriften bestimmt.
428 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

Als ersten Schritt der Planung muss sich das Management überlegen, was die kri-
tischen Prozesse und Bereiche im Hinblick auf Qualität und gesetzliche Anforde-
rungen sind. Basierend darauf müssen jene Datenquellen festgelegt werden, die
für die Messung, Analyse und die daraus abgeleiteten Korrektur- und Verbesse-
rungsmaßnahmen relevant sind. Daten, die einen Hinweis auf die Produkt- bzw.
Prozessqualität oder Prozessleistung geben, werden üblicherweise aus folgenden
Quellen gespeist:
ƒ Prüfergebnisse aus dem Wareneingang, der Fertigung und Produktfreigabe,
ƒ Kundenreklamationen und Serviceberichte,
ƒ Auditberichte,
ƒ Lieferantenreviews,
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ƒ Meldungen von Vorkommnissen und Produktrückrufen,


ƒ Markt-/Kundenumfragen,
ƒ Gesetze, Normen, Literatur (wissenschaftlich, Expertenforen, Medien),
ƒ Managementreviews.
Für jedes Datenelement müssen Akzeptanz- bzw. Eskalationskriterien festgelegt
werden, am besten in quantitativer Form, um in weiterer Folge eine konsistente
For personal use only.

und reproduzierbare Analyse und Bewertung zu ermöglichen und subjektive Ein-


flüsse so weit als möglich zu eliminieren. Diese Kriterien sollen auf den festgeleg-
ten Produkt- und Prozessspezifikationen basieren. Wichtig ist in diesem Zusam-
menhang, dass die zum Monitoring verwendeten Kriterien bereits während der
Design- und Entwicklungsphase definiert und durch Tests, Validierungen und sta-
tistische Methoden bestätigt werden. Abhängig von den durchgeführten Risiko­
bewertungen kann es sinnvoll sein, mehrere „Eskalationsschwellen“ festzulegen.
So kann z. B. bei Erreichen einer ersten „Warnschwelle“ nur ein intensiveres Moni-
toring, verbunden mit einer Trendanalyse, einsetzen, ohne dass irgendwelche un-
mittelbaren Korrekturmaßnahmen gesetzt werden. Erst bei weiterem Fortschrei-
ten des negativen Trends oder bei Überschreiten der „Eingreifgrenzen“ werden
entsprechende Korrektur- und/oder Vorbeugemaßnahmen eingeleitet. Bei Über-
schreiten eines „Alarmlevels“ sind gegebenenfalls sofortige Korrekturen vorzu-
nehmen, die von einer Nacharbeit bis zur Meldung an die Gesundheitsbehörde,
verbunden mit einem Produktrückruf, reichen können (siehe dazu auch Abschnitt
13.3.5 Vigilanz und Marktüberwachung.
12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses 429

BEISPIEL:
Sie stellen Sensoren zur Bestimmung des Blutzuckerwerts her und produzieren
typischerweise Losgrößen von 1000 Sensoren. Sie wissen aus Ihren Designveri-
fikationsstudien, dass bis zu 5 % aller Sensoren die angegebenen vier Wochen
In-use-Lebensdauer nicht erreichen. Basierend auf diesen Testergebnissen macht
es keinen Sinn, bei Reklamation zum frühzeitigen Ausfall von einem, zwei oder
drei Sensoren zu einem bestimmten Los einen CAPA-Fall zu eröffnen. Unter Be-
rücksichtigung einer gewissen „Dunkelziffer“ ist es aber z. B. ratsam, bei mehr als
fünf Kundenreklamationen aus einem Los bereits ein intensiveres Monitoring zu
starten, um ein weiteres Anhalten des negativen Trends sofort zu erkennen. Ist
jedoch ein Anstieg der reklamierten Sensoren über mehrere Lose erkennbar oder
werden mehr als z. B. zehn Sensoren eines einzelnen Loses reklamiert, öffnen Sie
einen CAPA-Fall und beginnen sofort mit den entsprechenden Maßnahmen.
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Bei Reklamationen, die eine negative Auswirkung auf das Messergebnis oder die
Sicherheit von Patient oder Anwender erwarten lassen („potenziell kritische Re-
klamation“), sind allerdings sofort geeignete Korrekturen bzw. Korrekturmaßnah-
men einzuleiten, und es hat eine Meldung an die zuständige Behörde zu erfolgen.

BEACHTE:
Die MPV [12.8] und IVDV [12.9] fordern in Abschnitt 2 „Vigilanz“, dass Hersteller
For personal use only.

zur Meldung „statistisch signifikanter Trends“ verpflichtet sind, die zu Risiken für
die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen
führen oder führen könnten und die in Anbetracht des beabsichtigten Nutzens
nicht akzeptabel sind.
Der Hersteller ist dabei verpflichtet im Rahmen eines Plans festzulegen, wie solche
Vorkommnisse zu behandeln sind und welche Methodik angewendet wird, um
jeden statistisch signifikanten Anstieg der Häufigkeit oder des Schweregrades
dieser Vorkommnisse festzustellen.

Während des Lebenszyklus eines Produkts müssen diese Kriterien einem regel-
mäßigen Review unterzogen und bei Bedarf angepasst werden. Aufgrund der Er-
fahrungen mit dem System über den gesamten Lebenszyklus kann es auch erfor-
derlich sein, neue Kriterien für die Bewertung der Sicherheit und Funktionsfähigkeit
eines Produkts oder Prozesses einzuführen. In gleicher Weise empfiehlt es sich,
Kriterien, die sich für die Bewertung als nicht adäquat erwiesen haben, aus dem
Datenkatalog zu streichen.

12.3.2 Datenerfassung und Analyse


Nachdem die Datenquellen zur Erfassung und Bewertung der Produkt- und Pro­
zesseigenschaften in der Planung festgelegt wurden, kann mit der Messung und
Analyse begonnen werden. Da das regelmäßige Messen und Analysieren von Daten
430 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

einen nicht zu unterschätzenden Aufwand bedeuten, stellen die klare Festlegung


von Verantwortlichkeiten sowie die ausreichende Ausstattung dieses Prozesses
mit Ressourcen eine wichtige Voraussetzung für dessen Funktionieren dar. Die
Ressourcen sollen dabei aus allen Bereichen der Organisation kommen und neben
den Prozessverantwortlichen auch technische und IT-Experten, die Qualitätssiche-
rung, Testlabore und Infrastrukturbereiche umfassen. In vielen Firmen ist zu be-
obachten, dass entweder keine organisationsweite Verantwortlichkeit festgelegt
wurde oder unzureichende bzw. zu wenig breit gestreute Ressourcen für eine ra-
sche Erfüllung der Aufgaben vorhanden sind. Eine weitere, oft zu beobachtende
Schwachstelle ist das Fehlen oder das nicht ausreichende Verständnis beim Ein-
satz statistischer Methoden zur Analyse der erhobenen Daten. Dies bewirkt häufig,
dass Abhängigkeiten verschiedener Datenquellen nicht ausreichend erkannt oder
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dass Trends nicht klar von Einzelereignissen oder statistischen Prozessschwan-


kungen unterschieden werden können. Alle Ergebnisse aus Messung und Analyse
sind zu dokumentieren und über einen geeigneten Zeitraum aufzubewahren (siehe
dazu auch die Angaben in Kapitel 1, QM-Systeme).

BEACHTE:
Werden für die Messung, Auswertung und Speicherung der Daten Softwaretools
For personal use only.

eingesetzt, sind diese gemäß Abschnitt 8.5, Computervalidierung, zu validieren.


12.3.3 Verbesserung
Das Ergebnis aus der Datensammlung und Analyse kann, bei Überschreiten der
vorgegebenen Akzeptanzkriterien, zu folgenden Eskalationsszenarien führen:
ƒ Keine weitergehenden Maßnahmen erforderlich (es liegt kein systematischer
Fehler vor, die Auswirkungen sind vernachlässigbar),
ƒ Korrektur erforderlich (es liegt kein systematischer Fehler vor, die Auswirkun-
gen des Einzelfehlers müssen allerdings beseitigt werden),
ƒ Korrekturmaßnahmen mit oder ohne vorhergehende Korrektur erforderlich
(es liegt ein systematischer Fehler vor; abhängig von den Auswirkungen des
Fehlers müssen diese entweder zuerst beseitigt werden oder man kann direkt
in die Verbesserungs- und Vorbeugemaßnahmen einsteigen).
Der Entscheidungsbaum und der daraus abgeleitete Ablauf sind in Bild 12.2 darge-
stellt.
12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses 431

Messung und Analyse

Abweichungen
Kundenreklamaonen
Audits
Managementreview
Marktbeobachtung
Trending
Verbesserungen

Nein
Akzeptanzgrenzen
überschrien?

Ja

Risikoeinstufung nach
vorgegebenen Kriterien
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(Risikoklassen)

Nein
Maßnahmen Dokumentation
erforderlich? und Abschluss

Ja

Eröffnung eines CAPA-Falles


For personal use only.

Ja Korrektur /
Sofortmaßnahme
Fehlerbeseigung
erforderlich?
durchführen

Nein

Ursachenanalyse

Durchführung Risikoanalyse

Ja
Krikalität
erhöht?

Nein

Lösungsfindung, Durchführung und


Implementierung der Korrektur- /
Präventivmaßnahmen

Nein
Wirksamkeit
gegeben?

Ja Bild 12.2 
Bericht und Managementreview
Auslösung und Umsetzung von Korrektur- und
Verbesserungsmaßnahmen
432 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

Wird im Zuge des Monitorings festgestellt, dass eines der festgelegten Akzeptanz-
bzw. Eskalationskriterien verletzt wurde, so ist unverzüglich eine Bewertung durch-
zuführen, inwieweit dadurch ein Risiko für den Patienten oder Anwender gegeben ist
(„initiale Risikobewertung“) und ob bzw. welche Aktionen erforderlich sind, das vor-
handene Risiko auf ein akzeptables Niveau zu senken. Die Einstufung erfolgt dabei
anhand einer Risikomatrix, die die Auftretenswahrscheinlichkeit und das Schadens­
ausmaß in Betracht zieht (Details siehe Kapitel 2, Risikomanagement).
Als Ergebnis dieser Einstufung ergeben sich unterschiedliche Kritikalitätsklassen
laut Tabelle 12.1, die die Art und Priorität der Aktionen steuern.

Tabelle 12.1 Risikoklassen bei Abweichungen und Fehlern


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Kritikalität Kriterien
Gering Schadensereignis stellt ein geringes bzw. kein Risiko für die Gesundheit oder
Sicherheit von Anwendern und/oder Patienten dar.
ƒ Es sind keine negativen Auswirkungen auf die Stabilität, die Spezifikationen
oder den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Produkts zu befürchten.
ƒ Fehler ist eindeutig für den Anwender erkennbar; ein isolierter Fall
­begrenzt auf ein Produkt/Fertigungslos.
ƒ Bei Audits: geringe Abweichung (isolierte Abweichung bezüglich Pro-
For personal use only.

dukt/Prozess/Dokumentation; begrenzte Relevanz für das QM-System);


Empfehlung für Verbesserungen.
Hoch Fehler kann einen Einfluss auf die Funktion/Zuverlässigkeit des Produkts/
Prozesses haben, es liegt aber kein vorhersehbares Risiko für die Gesundheit
oder Sicherheit von Anwendern und/oder Patienten vor.
ƒ Es sind negative Auswirkungen auf die Stabilität, die Spezifikationen oder
den bestimmungsmäßigen Gebrauch des Produkts zu erwarten.
ƒ Fehler ist für den Anwender schwer oder nicht erkennbar; ein isolierter
Fall z. B. begrenzt auf einige Produkte/Fertigungslose.
ƒ Für Audits: Schwere Abweichung (einzelne Elemente des QM-Systems
sind nicht wirksam; Problem erstreckt sich über mehrere Abteilungen;
Abweichungen mit geringem Risiko treten wiederholt auf); bei einem ex-
ternen Audit wird die Gültigkeit der Zertifizierung nicht infrage gestellt.
Kritisch Schadensereignis stellt ein Risiko für die Gesundheit oder Sicherheit von
Anwendern und/oder Patienten dar.
ƒ Negative Auswirkungen auf die Stabilität, die Spezifikationen oder den
bestimmungsmäßigen Gebrauch des Produkts sind zu erwarten, wobei
die Auswirkungen als „potenziell kritisch“ eingestuft werden.
ƒ Fehler ist für den Anwender bzw. bei internen Prüfungen schwer oder
nicht erkennbar; es liegt kein isolierter Fall vor, sondern es handelt sich
um ein fundamentales Qualitätsproblem und betrifft mehrere Produkte
oder Produktions-Chargen.
ƒ Produktrückruf oder Fehlerbeseitigungsmaßnahmen im Feld notwendig.
ƒ Für Audits: kritische Abweichung (das QM-System ist nicht wirksam, Risiko
für einen Warning Letter durch Behörden oder den Verlust der Zertifizie-
rung); mehrere oder wiederholt auftretende schwere Abweichungen.
12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses 433

Nur bei Abweichungen/Fehlern mit einer geringen Kritikalität können unmittel-


bare Maßnahmen unterbleiben. Allerdings sind auch in diesem Fall weitergehende
Maßnahmen zu empfehlen, z. B. Vormerken in einem „Sammelspeicher“ für spä-
tere Bearbeitung (wie auch z. B. bei unkritischen Softwarefehlern üblich) oder Ver-
schärfung der Akzeptanzkriterien (so kann das Wiederauftreten desselben Fehlers
innerhalb einer bestimmten Periode automatisch eine Ursachenanalyse mit nach-
folgender Verbesserungsmaßnahme auslösen).
Wird hingegen eine Abweichung/ein Fehler als „hoch“ oder „kritisch“ eingestuft,
so sind auf jeden Fall weiterführende Maßnahmen zu ergreifen. Im Fall eines kriti-
schen Risikos, bei dem die Gesundheit oder Sicherheit von Anwendern und/oder
Patienten gefährdet sind oder sein könnten, sind darüber hinaus unverzüglich ge-
eignete Korrekturen zu setzen (z. B. Ausliefersperren, Lagerüberprüfungen, Selek-
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tieren und Aussortieren, Produktrückruf oder Fehlerbeseitigungsmaßnahmen im


Feld, Kundeninformation etc.), um die Auswirkungen und Auftretenswahrschein-
lichkeit so weit wie möglich zu reduzieren, ohne auf die Umsetzung der meist län-
ger dauernden Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen warten zu müssen.

BEACHTE:
Die MPV [12.10] und IVDV [12.11] fordern im Abschnitt 2, „Vigilanz“, dass Her-
For personal use only.

steller zur unverzüglichen Meldung jedes schwerwiegenden Vorkommnisses ver-


pflichtet sind, nachdem sie einen Kausalzusammenhang oder einen möglichen
Kausalzusammenhang zwischen dem Vorkommnis und ihrem Produkt festgestellt
haben. Die Meldung hat im EUDAMED-System innerhalb von 15 Tagen, nachdem
sie Kenntnis von dem Vorkommnis erhalten haben, zu erfolgen. Im Falle des Todes
oder einer unvorhergesehenen schwerwiegenden Verschlechterung des Gesund-
heitszustands einer Person hat die Meldung innerhalb von zehn Tagen, im Falle
einer ernsten Gefahr für die öffentliche Gesundheit spätestens nach zwei Tagen
zu erfolgen.

TIPP:
Da die Meldefrist, insbesondere bei Kundenreklamationen, sehr kurz ist (weil oft
nicht alle erforderlichen Informationen vorliegen, um einen solchen Fall innerhalb
weniger Tage eindeutig klären zu können), ist anzuraten, rechtzeitig einen einfachen
Bewertungskatalog zu erstellen, der auch der einzelnen Landes-/Vertriebsorga-
nisation erlaubt, innerhalb dieser kurzen Frist zu entscheiden, ob eine Behörden-
meldung erforderlich ist oder nicht. So kann z. B. eine „vorläufig bestätigte“
Messwertabweichung von über 30 Prozent innerhalb der gesetzlichen Frist gemel-
det werden, auch wenn die detaillierte Datenanalyse und Fehleruntersuchung noch
längere Zeit in Anspruch nimmt. Da innerhalb dieser Frist kaum mit einer länger-
fristig wirksamen Beseitigung des Fehlers zu rechnen ist, soll rechtzeitig auch ein
spezialisiertes „Krisenteam“ organisiert werden, um rasch die notwendigen Kor-
rekturen innerhalb der Organisation, aber auch im Feld umzusetzen.

434 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

Eine Korrektur für sich allein ist in den meisten Fällen nicht ausreichend, um den
unerwünschten Zustand (Produktfehler, Prozessabweichung, negativer Trend, feh-
lerhafte Vorgaben, menschliche Fehlleistungen etc.) langfristig und wirtschaftlich
vertretbar zu beseitigen.
In diesen Fällen müssen geeignete Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen ein-
geleitet werden, um die genannten Fehler und Abweichungen zu eliminieren oder
zumindest die negativen Auswirkungen zu reduzieren. Diese Korrektur- und Ver-
besserungsphase umfasst, wie in Bild 12.2 dargestellt, typischerweise die folgen-
den Aktivitäten:
ƒ Untersuchung zur Feststellung der Fehlerursache(n),
ƒ Festlegung und Umsetzung von möglichen Verbesserungsmaßnahmen,
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ƒ Verifizierung der durchgeführten Maßnahmen,


ƒ Überprüfung der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen,
ƒ Bericht an die betroffenen Bereiche und an das Management.

Untersuchung zur Feststellung der Fehlerursache(n) (Root Cause Investigation)


In einem ersten Schritt müssen das Schadensereignis und die Auswirkungen des
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Fehlers bzw. der Abweichung untersucht und dokumentiert werden. Dann muss
die untersuchende Stelle versuchen, den Umfang und den Kontext der vorliegen-
den Abweichung vollumfänglich zu verstehen. Dazu kann es erforderlich sein, die
erhaltenen Informationen zum vorliegenden Fall zu analysieren und gegebenen-
falls zusätzliche Daten anzufordern. Falls erforderlich, können ähnliche Fälle in
der Vergangenheit verglichen, Dokumente angefordert, vergleichbare Produkte
oder Prozesse herangezogen, Prozessverantwortliche befragt oder Anlagen und
Abläufe vor Ort angesehen werden. Inhalt dieses ersten Schritts ist somit primär
das Verstehen und, wenn möglich, Verifizieren der Abweichung, nicht jedoch die
Ergründung aller möglichen Fehlerursachen.

TIPP:
Es ist nicht immer möglich, ausreichend Informationen zu erhalten, um einen
Fehler vollständig verstehen, rekonstruieren und bestätigen zu können. Für diesen
Fall legen Sie rechtzeitig fest, wann Sie Ihre „Datensammlung“ beenden wollen
und wie Sie mit unvollständigen Informationen weiter vorgehen wollen. Eine über-
lange Datensammlung verzögert nicht nur den Beginn notwendiger Korrekturen
und Korrekturmaßnahmen, sie ist auch wirtschaftlich nicht vertretbar. Versuchen
Sie in diesen Fällen nach dem Pareto-Prinzip vorzugehen und fehlende Daten z. B.
durch eine Risikoanalyse oder durch Tests von Rückhaltemustern zu ergänzen.

12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses 435

Sind der Umfang und der Kontext der vorliegenden Abweichung erfasst, wird im
nächsten Schritt versucht, die Fehlerursachen zu ergründen. Dies ist der entschei-
dende Teil der Untersuchung, weil das Ergründen der Ursachen für die Nichtkon-
formität (bzw. mögliche Nichtkonformität) eines Produkts, Prozesses bzw. des QM-
Systems Voraussetzung dafür ist, die Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen
so festzulegen, dass ein Wiederauftreten des Fehlers verlässlich verhindert werden
kann. Der Umfang der Untersuchung und Dokumentation muss dabei dem Sach-
verhalt und dem Risiko angemessen sein, d. h. je höher das Risiko, desto umfassen-
der muss die Ursachenanalyse gestaltet werden.
Aufbauend auf den Untersuchungen in den vorangegangenen Schritten sollen die
erhobenen Informationen und Daten bewertet werden, wobei Folgendes zu beach-
ten ist:
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ƒ Symptome sollen sauber von den Ursachen getrennt werden. Das Hauptaugen-
merk soll auf die Beseitigung der Ursachen und nicht der Symptome gelegt
werden.
ƒ Es ist davon auszugehen, dass nicht nur eine, sondern mehrere Ursachen der
Abweichung zugrunde liegen.
ƒ Normalerweise ist nicht die erste gefundene Ursache die tatsächliche Fehlerur-
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sache; Ziel muss es sein, die „darunter liegenden“ Ursachen (underlying root
causes) zu eruieren.
ƒ Alle gefundenen Zusammenhänge zwischen den aufgetretenen Symptomen
und den zugrunde liegenden Ursachen sind zu dokumentieren.

BEISPIEL:
Eine Trendanalyse ergibt, dass im Feld vermehrt Ausfälle bei einem Ersatzteil
auftreten. Die Untersuchung zeigt, dass sich die Verklebung eines Kunststoffteiles
löst (Symptom).
Die Ursachenanalyse (Stufe 1) zeigt, dass ein abgelaufener Kleber eingesetzt
wurde.
Die weiterführende Ursachenanalyse (Stufe 2) ergibt, dass es keine adäquate
Prüfung zur Feststellung der Verklebung gibt und dass der zuständige Mitarbeiter
außerdem nicht darin geschult war, vor Verwendung das Ablaufdatum des Klebers
zu prüfen.
Die noch weiterführende Ursachenanalyse (Stufe 3) fördert zutage, dass die fir-
menweiten Schulungsunterlagen zum Umgang mit Chemikalien nicht auf neuestem
Stand sind.
Als Sofortkorrektur wird der abgelaufene Kleber gegen einen frischen Kleber
ausgetauscht. Als Korrekturmaßnahmen werden die Schulungsunterlagen ange-
passt und alle Mitarbeiter darin geschult. Als präventive Maßnahme wird zudem
begonnen, nach alternativen Verbundmethoden zu suchen.

436 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

Wenn ein systematischer Fehler erkannt wurde, muss der Hersteller nicht jedes
einzelne Produkt mit denselben diagnostizierten Symptomen neuerlich analysie-
ren. Allerdings reicht die Untersuchung eines einzelnen Produkts im Regelfall
nicht, um Symptome eindeutig festzulegen. Wenn die Untersuchung eines Pro-
dukts oder eines Prozesses einen Fehler bzw. eine Abweichung ergibt wie z. B. eine
ausgefallene Komponente oder einen Designfehler, so ist die Untersuchung erst
dann abgeschlossen, wenn auch alle weiteren infrage kommenden Produkte oder
Prozesse auf Vorliegen dieses Fehlers oder dieser Abweichung hin untersucht wur-
den. Ist die Abweichung durch ein fehlerhaftes Design entstanden, ist das Design
gemäß den Änderungs- und Entwicklungsvorgaben anzupassen.
Das Ergebnis der Ursachenanalyse kann sowohl das Risiko als auch die Identifizie-
rung von Maßnahmen zur Fehlerbeseitigung beeinflussen. Es ist daher nach dem
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Abschluss der Ursachenanalyse Pflicht, die „initiale“ Risikoanalyse einem Review


zu unterziehen und auch die getroffenen Maßnahmen zur Fehlerbeseitigung zu
überprüfen und falls notwendig zu revidieren oder zu ergänzen. Weiterhin ist zu
prüfen, ob nicht auch andere Produkte durch die identifizierten Ursachen betroffen
sein könnten (präventive Maßnahmen).

TIPP:
For personal use only.

Achten Sie darauf, dass die Erstrisikoanalyse und die Ursachenanalyse innerhalb
einer „angemessenen Zeit“ durchgeführt werden (spätestens jeweils innerhalb
eines Monats, bei kritischen Nonkonformitäten natürlich rascher). Planen Sie die
Umsetzung der Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen und kontrollieren Sie
auch hier die Einhaltung der geplanten Termine. Terminabweichungen/-verlänge-
rungen sind zu begründen und zu dokumentieren.

Festlegung und Umsetzung von möglichen Verbesserungsmaßnahmen


Nach Klärung der Ursachen müssen unter anderem folgende Maßnahmen geplant
und dokumentiert umgesetzt werden:
ƒ Welche Lösungen werden ins Auge gefasst und wie sollen diese umgesetzt
werden?
ƒ Erstellung eines Verifikations- und Validierungsplans inklusive Akzeptanzkri-
terien.
ƒ Prüfung, ob die geplanten Maßnahmen einen Einfluss auf den regulatorischen
oder rechtlichen Zustand des Produkts haben könnten (Zulassung, IP, Verträge).
ƒ Festlegung der erforderlichen Verantwortlichkeiten, Ressourcen und Imple-
mentierungstermine.
ƒ Darstellung, wie und nach welchen Kriterien der Nachweis der Wirksamkeit
erfolgen soll und wann die Monitoring-Periode beginnen bzw. enden soll.
12.3 Phasen des Korrektur- und ­Verbesserungsprozesses 437

Verifizierung der durchgeführten Maßnahmen


Die Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen müssen verifiziert oder validiert
werden, um sicherzustellen, dass alle Teile der vorgeschlagenen Lösungen durch
die durchgeführten Maßnahmen abgedeckt sind, dass die getroffenen Maßnahmen
mit hoher Wahrscheinlichkeit realisierbar und wirksam sind und keinen nachteili-
gen Einfluss auf das Endprodukt haben. Bei Prozess- oder Designänderungen kann
es außerdem erforderlich werden, einen Prozess zu revalidieren oder eine neuerli-
che Designvalidierung durchzuführen.

Überprüfung der Wirksamkeit der umgesetzten Maßnahmen


Nach Freigabe der Änderungen hat der Hersteller die Wirksamkeit der Korrektur-
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und Verbesserungsmaßnahmen nachzuweisen. Dieser Nachweis kann schon durch


die Freigabe der Änderung gelingen (Beispiel: das geänderte Etikett wird freigege-
ben und nach den neuen Unterlagen beim Lieferanten bestellt; alte Etiketten wer-
den vernichtet) oder aber eine längere Zeitspanne erfordern (Beispiel: die Kunden-
reklamationsrate der geänderten Softwareversion wird über einen Zeitraum von
zwölf Monaten mit jener der vorherigen verglichen) oder einen zusätzlichen Auf-
wand nach sich ziehen (Beispiel: die gratfreie Entformung eines Kunststoffteils
wird über erhöhte Stichproben in der WEK während der ersten fünf Lose nach
For personal use only.

Durchführung der Änderung bestätigt).

TIPP:
War ein „menschliches Versagen“ Ursache eines Fehlers, reicht ein Schulungs-
nachweis des betroffenen Mitarbeiters allein nicht aus, um die Wirksamkeit
nachzuweisen. Erst z. B. das Nicht-Wiederauftreten desselben Fehlers innerhalb
eines angemessenen Zeitraums wird als adäquater Nachweis gesehen.
Ähnliches gilt z. B. für die Schulung einer neuen Herstellvorschrift, wo zusätzlich
zum Schulungsnachweis eines Mitarbeiters der Nachweis einer fehlerfreien Her-
stellung über x Lose erforderlich sein kann.

Schlägt der Nachweis der Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen fehl, muss der
Hersteller wieder zurück an den Anfang der Untersuchung und nochmals nachfra-
gen,
ƒ ob er das Problem vollständig verstanden hat (welche Produkte, Prozesse, Be-
reiche in welchem Zusammenhang betroffen waren, welche Symptome auftra-
ten etc.),
ƒ ob er die Ursachen vollständig erfasst hat und
ƒ ob die geplanten Lösungen mit den erkannten Ursachen korrelieren und die
durchgeführten Umsetzungsmaßnahmen wie geplant implementiert wurden.
438 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

Bericht an die betroffenen Bereiche und an das Management


Abschließend sind die betroffenen Bereiche sowie das Management zu informieren.

12.3.4 Managementreview
Das Management ist auf unterschiedlichen Ebenen zu verschiedenen Zeiten in den
Korrektur- und Verbesserungsprozess einzubinden. Dies kann entweder über die
Genehmigung einzelner Maßnahmenschritte oder durch regelmäßige Berichte er-
folgen. Zusätzlich ist das Management dafür verantwortlich, dass für den Korrek-
tur- und Verbesserungsprozess klare Verantwortlichkeiten existieren und ausrei-
chend Ressourcen für die Messung und Datenanalyse sowie für die Umsetzung der
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definierten Maßnahmen vorhanden sind.

TIPP:
CAPA-Kenngrößen wie „Ø Durchlaufzeiten“, „Anzahl offener Fälle“, „Anzahl von
Langläufern“ oder „Termintreue“ bieten sich an, um die Performance des CAPA-
Prozesses zu monitoren und gegebenenfalls geeignete Verbesserungsmaßnahmen
zu initiieren. Insbesondere können dadurch Ressourcenengpässe und Know-how-
For personal use only.

Defizite frühzeitig erkannt werden (Beispiel im Download).


Der Hersteller muss des Weiteren klar definierte Vorgaben besitzen, wie sicher-
heitsrelevante Vorfälle unverzüglich an das Management, die Benannte Stelle so-
wie die zuständige Behörde kommuniziert werden. Außerdem muss er nachwei-
sen, dass er Mechanismen etabliert hat, wie er die Wirksamkeit des QM-Systems
auf Dauer aufrechterhalten kann. Dazu gehören insbesondere regelmäßige Quali-
tätsreviews durch das Management, die auch Korrektur- und Verbesserungsmaß-
nahmen sowie wichtige Korrekturen umfassen (siehe dazu auch die Forderung der
ISO 13485:2016 Absatz 5.6). Es bleibt dem Hersteller überlassen, welche Daten er
für das Managementreview heranziehen will. Allerdings ist es bei den Korrektur-
und Verbesserungsmaßnahmen nicht ausreichend, nur reine „Prozessgrößen“ wie
Anzahl der umgesetzten Maßnahmen oder Durchlaufzeiten zu berichten. Die prä-
sentierten Daten müssen zumindest die wesentlichen qualitätsrelevanten Korrek-
turen sowie Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen beinhalten.
Gemäß MPV [12.12] und IVDV [12.13] ist der Hersteller außerdem verpflichtet,
einen Bericht zu erstellen, der eine Zusammenfassung der Ergebnisse und Schluss-
folgerungen der Analysen der gesammelten Daten nach dem Inverkehrbringen
enthält, zusammen mit einer Begründung und Beschreibung etwaiger ergriffener
Präventiv- und Korrekturmaßnahmen. Dieser Bericht ist Teil der Technischen Do-
kumentation. Er ist regelmäßig zu aktualisieren (bei Klasse-I-Produkten nur auf
Anfrage) und der Behörde oder der Benannten Stelle vorzulegen (bei Klasse-I- und
-II-Produkten auf Ersuchen).
12.5 Literatur 439

„ 12.4 Zusammenfassung
Die Hersteller von Medizinprodukten müssen dafür Sorge tragen, dass ihre am
Markt platzierten Produkte während der gesamten Produktlebensdauer den be-
stimmungsgemäßen Gebrauch ermöglichen und für Anwender und Patient keine
Gefährdung darstellen. Um dies sicherzustellen, fordern alle relevanten Vorschrif-
ten, dass die Hersteller von Medizinprodukten, und mit Einschränkungen auch
deren Zulieferanten, bei Produktfehlern oder bei Abweichungen in qualitätsrele-
vanten Prozessen oder QM-Systembereichen definierte Prozesse etabliert haben,
um die Auswirkungen möglicher Fehler und Abweichungen möglichst gering zu
halten. Je nach Kritikalität des Fehlers oder der Abweichung sind entsprechende
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Maßnahmen zu ergreifen, um die Fehlerursache zu ergründen und basierend dar-


auf Lösungen zu finden, die ein Wiederauftreten verhindern. Bei kritischen Fällen
sind darüber hinaus unverzüglich geeignete Korrekturen zu setzen, um mögliche
Auswirkungen des Fehlers auf die Gesundheit und Sicherheit von Anwendern
und/oder Patienten soweit wie möglich zu reduzieren. Nach Umsetzung der Ver-
besserungsmaßnahmen ist deren Wirksamkeit zu prüfen, gegebenenfalls sind
Nachbesserungen erforderlich.
For personal use only.

Ein funktionierendes Korrektur- und Verbesserungsmanagement ist nicht nur


eine wesentliche Voraussetzung für ein regelkonformes QM-System; es ist auch
ein exzellenter Hebel, um Qualitätskosten zu senken und Kundenzufriedenheit zu
heben.

„ 12.5 Literatur
[12.1] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Aktuelle Daten der Beanstandungen, in den von der
FDA ausgestellten 483er Inspektionsberichten der Jahre 2015 bis 2020 zeigen, dass fast 50 %
­aller Beanstandungen den Punkt 21 CFR 820.100 „Corrective and preventive actions (CAPA)“
betreffen, verfügbar unter https://www.fda.gov/inspections-compliance-enforcement-and-criminal-
investigations/inspection-references/inspection-observations, zuletzt abgerufen am 08. 06. 2021.
[12.2] Europäisches Komitee für elektrotechnische Normung (CENELEC): EN ISO 13485:2016 Medical
­devices  – Quality management systems  – Requirements for regulatory purposes. (Deutsche
Fassung: Deutsches Institut für Normung e. V.: DIN EN ISO 13485:2016, Medizinprodukte – Quali-
tätsmanagementsysteme – Anforderungen für regulatorische Zwecke. Ausgabe: 2016 – 07-01.).
[12.3] Japan, Ministry of Health, Labor and Welfare: MHLW No. 169, 2004 „Ministerial Ordinance on
Standards for Manufacturing Control and Quality Control for Medical Devices and In-vitro Dia-
gnostic Reagents“. Anmerkung: Am 29. Juli 2016 veröffentlichte die MHLW eine administrative
Erklärung „Handling of the revision of ISO 13485 in QMS surveillance“ in der grosso modo
festgehalten wird, dass Unternehmen, deren QM-System den Anforderungen der ISO13485:2016
entspricht, auch der MHLW Ordinance No. 169 Chapter 2 entspricht.
440 12 Korrektur- und Verbesserungs­management

[12.4] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820
(21 CFR 820). April 2017.
[12.5] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Artikel 83 und 84 der Verordnung (EU) 2017/745
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über Medizinprodukte, zur Ände-
rung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG)
Nr.  1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates
(MPV).
[12.6] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Artikel 78 und 79 der Verordnung (EU) 2017/746
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur
Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (IVDV).
[12.7] Global Harmonization Task Force (GHTF): GHTF/SG3/N18:2010: „Quality management system for
Medical Devices – Guidance on corrective action and preventive action and related QMS proces-
ses“, final document, 04. 11. 2010. Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/docs/ghtf/final/sg3/
technical-docs/ghtf-sg3-n18-2010-qms-guidance-on-corrective-preventative-action-101104.pdf, zuletzt
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abgerufen am 08. 06. 2021.
[12.8] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Artikel 88 der Verordnung (EU) 2017/745 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung
der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG)
[12.9] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: IVDV Artikel 83 der Verordnung (EU) 2017/746
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur
Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (IVDV).
[12.10] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: MPV Artikel 87 (1) bis (5) der Verordnung (EU)
2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über Medizinprodukte,
For personal use only.

zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr.  178/2002 und der Verord-
nung (EG).
[12.11] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: IVDV Artikel 82 (1) bis (5) der Verordnung (EU)
2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über In-vitro-Diagnostika
und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission
(IVDV).
[12.12] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Artikel 85 & 86 und Anhang III Artikel 1.2 der
Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über
Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002
und der Verordnung (EG).
[12.13] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: IVDV Artikel 80 & 81 und Anhang III Artikel 2 der
Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05. 05. 2017 über
In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/
EU der Kommission (IVDV).
13 Behördenanforderungen
und behördliche
Inspektionen
M. Guggenbichler, J. Harer

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Wie wird sichergestellt, dass nur geeignete Produkte dem Markt zur Verfügung
gestellt werden?
ƒ Was bedeuten behördliche Inspektionen von Medizinprodukteherstellern?
ƒ Welche Bedeutung haben Konformitätsbewertungsverfahren – insbesondere
Risikomanagement, Biokompatibilität sowie elektrische und funktionale
­Sicherheit?
ƒ Was sind die besonderen Schwerpunkte der Inspektionen?
ƒ Wie laufen die Inspektionen bei Herstellern und Anwendern ab?
For personal use only.

ƒ Was sind die Besonderheiten bei Inspektionen der US-amerikanischen FDA?


ƒ Was ist der Unterschied zum Audit durch die Benannte Stelle?
ƒ Was ist MDSAP – das Medical Device Single Auditing Program?

„ 13.1 Einleitung
In der Europäischen Union dürfen nur solche Medizinprodukte in Betrieb genom-
men und angewendet werden, welche den gesetzlichen Anforderungen an Medi-
zinprodukte entsprechen und die mit dem CE-Kennzeichen versehen sind. Die CE-
Kennzeichnung als solche bedeutet, dass das Produkt mit (zumindest) einer
europäischen Verordnung oder Richtlinie konform ist (CE = Conformité Européene,
also europäische Konformität). Unter welchem Regelwerk das Produkt auf den
Markt gebracht wird, kann anhand der Konformitätserklärung identifiziert wer-
den. Die CE-Kennzeichnung ist der Beleg, dass ein (Medizin-)Produkt den dafür
geltenden Anforderungen entspricht und in Europa verkehrsfähig ist. Als Nach-
weis der Verkehrsfähigkeit für den gesamten europäischen Markt gilt primär die
CE-Kennzeichnung eines Medizinprodukts gemäß dem anwendbaren Recht (MPG
und Richtlinie bzw. Verordnung) in Verbindung mit der Konformitätserklärung.
442 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

Der Ursprung der CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten liegt in den drei euro-
päischen Richtlinien AIMDD [13.1], MDD [13.2] und IVDD [13.3] bzw. deren natio-
naler Umsetzung, den nationalen Medizinproduktegesetzen. Diese drei europäischen
Richtlinien wurden mit 5. April 2017 durch die zwei europäischen Verordnungen
MPV [13.4] bzw. IVDV [13.5] abgelöst. Dabei löst die MPV die beiden Richtlinien
AIMDD und MDD ab, die IVDV die Richtlinie IVDD. Als europäische Verordnungen
sind diese – unter Berücksichtigung der jeweiligen Übergangsfristen – unmittel-
bar anwendbares Recht und müssen (im Gegensatz zu europäischen Richtlinien)
nicht in nationales Recht umgesetzt werden.
Die beiden Verordnungen traten mit 26. April 2017 in Kraft. Die Übergangsfrist
für Medizinprodukte (MPV) endete mit 26.  Mai 2021, für In-vitro-Diagnostika
(IVDV) endet sie (lt. Wissensstand zur Drucklegung) am 26. Mai 2022 – ab diesem
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Zeitpunkt können keine neuen Konformitätsbewertungsverfahren nach den bishe-


rigen Richtlinien mehr durchgeführt werden. Nach den Medizinprodukte-Richtli-
nien ausgestellte Zertifikate von Benannten Stellen behalten jedoch bis spätestens
26. Mai 2024 (für alle Arten von Medizinprodukten) ihre Gültigkeit. Nach diesem
Datum können keine Medizinprodukte nach den Medizinprodukte-Richtlinien erst-
malig in Verkehr gebracht werden. Medizinprodukte, welche nach den Medizinpro-
dukte-Richtlinien (AIMDD, MDD oder IVDD) in Verkehr gebracht wurden, müssen
For personal use only.

bis spätestens 26. Mai 2025 abverkauft werden.


Für Medizinprodukte ist die CE-Kennzeichnung die Voraussetzung für den Markt-
zugang – eine über die CE-Kennzeichnung hinausgehende behördliche Zulassung
vor Markteinführung ist in Europa nicht vorgesehen. Es gibt jedoch in einigen eu-
ropäischen Mitgliedstaaten nationale Registrierungsverpflichtungen im Zusam-
menhang mit der Erstattung von Leistungen durch Krankenkassen (Reimburse-
ment). Prinzipiell erfolgt die CE-Kennzeichnung eigenverantwortlich durch den
Hersteller. Bei Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika mit höherem Risiko
muss in Abhängigkeit von der Risikoklasse zusätzlich eine Benannte Stelle als un-
abhängige Prüfeinrichtung hinzugezogen werden. Details dazu siehe Kapitel 3,
Rechtliches Umfeld und Zulassungsanforderungen, und Kapitel 14, Die Benannte
Stelle.
Die behördliche Marktüberwachung ist jedoch darüber hinaus eine wichtige Säule
im Konformitätsbewertungsverfahren und wird als unverzichtbarer Bestandteil im
Sinne der Qualitätssicherung für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika ange-
sehen. Die Bedeutung einer behördlichen Marktüberwachung wurde auch auf euro-
päischer Ebene erkannt. Im Rahmen der europäischen Verordnung 765/2008/EG
[13.6] wurden die europäischen Mitgliedstaaten verstärkt zur behördlichen Markt-
überwachung verpflichtet, um die Sicherheit der im Markt befindlichen Medizin-
produkte zu gewährleisten. Diese Anforderung wird im Rahmen der Umsetzung
der MPV und IVDV noch weiter ausgebaut.
13.2 Behördliche Zuständigkeiten in den deutschsprachigen Ländern (D-A-CH) 443

Die behördliche Marktüberwachung kann sich auf den gesamten Lebenszyklus


­eines Medizinprodukts beziehen und gliedert sich in folgende Bereiche:
ƒ Überwachung der Hersteller und Bevollmächtigten,
ƒ Überwachung der Vertriebswege,
ƒ Überwachung der Benannten Stellen und
ƒ Überwachung der Betreiber und Anwender.

„ 13.2 Behördliche Zuständigkeiten in den


deutschsprachigen Ländern (D-A-CH)
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Alle in einem europäischen Mitgliedstaat ansässigen Hersteller von Medizinpro-


dukten sowie bei außereuropäischen Herstellern der jeweilige europäische Bevoll-
mächtigte unterliegen der Überwachung durch die örtlich zuständige Marktauf-
sichtsbehörde.
In der im Mai 2017 in Kraft getretenen MPV [13.7] bzw. IVDV [13.8] wird im Kapi-
For personal use only.

tel „Marktüberwachung“ umfangreich geregelt, welche Tätigkeiten die zuständi-


gen Behörden auszuführen haben, um die Sicherheit und Konformität der in Ver-
kehr gebrachten Produkte zu überwachen. Basierend auf dieser Überwachung
haben die Behörden gegebenenfalls geeignete und gebührend gerechtfertigte Kor-
rekturmaßnahmen zu ergreifen, um ein unannehmbares Risiko für die Gesundheit
oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen oder in Bezug auf
andere Aspekte des Schutzes der öffentlichen Gesundheit abzuwenden. Zur Erfas-
sung aller Informationen aus der Marktüberwachungstätigkeit wird von der EU-
Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ein elektronisches Daten-
banksystem EUDAMED eingerichtet [13.9].
Dabei haben die Behörden die Übereinstimmung der Merkmale und der Leistung
von Produkten gegebenenfalls durch eine Überprüfung der Unterlagen, physische
Kontrollen sowie Laboruntersuchungen zu überprüfen. Im Zuge ihrer Marktüber-
wachungstätigkeiten haben die Behörden auch das Recht bzw. die Pflicht, „ange-
kündigte und erforderlichenfalls unangekündigte Kontrollen in den Räumlichkeiten
der Wirtschaftsakteure sowie in den Räumlichkeiten von Zulieferern und/oder Unter-
auftragnehmern und, falls erforderlich, in den Einrichtungen beruflicher Anwender
durchzuführen“ [13.10].
Die Organisation und Durchführung der Marktüberwachung liegt dabei in der
­Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten und ist daher national unterschied-
lich geregelt. Inwiefern die Vorgaben der beiden EU-Verordnungen in den nationa-
len Medizinprodukte-/Heilmittelgesetzen in D-A-CH abgebildet werden, war zur
Drucklegung noch nicht vollständig bekannt.
444 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

13.2.1 Deutschland
Das Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz (MPDG) [13.11], eingeführt durch
das Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetz (MPEUAnpG) [13.12], löst das bisher
gültige Medizinproduktegesetz (MPG) [13.13] ab. Das MPDG dient der Durchfüh-
rung und Ergänzung der EU-Verordnungen und ist für Medizinprodukte (gemäß
MPV - EU 2017/745) ab dem 26. Mai 2021 (MPDG §1) anzuwenden. Für In-vitro-
Diagnostika (gemäß IVDV - EU 2017/746) ist das MPDG ab dem 26. Mai 2022 gül-
tig, bis zu diesem Zeitpunkt gilt für IVDs das MPG in der bis einschließlich 25. Mai
2021 geltenden Fassung (MPDG §2).
Das MPDG regelt vergleichbare Themen wie das MPG, ist jedoch nicht wie bisher
eine deutsche Umsetzung der europäischen Anforderungen, es ist vielmehr zu-
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sätzlich zu den europäischen Verordnungen MPV & IVDV zu lesen. So werden


wichtige Aspekte der europäischen Verordnungen wie z. B. die grundlegenden
­Sicherheits- und Leistungsanforderungen oder der Verantwortliche für das erst­
malige Inverkehrbringen, nicht erneut aufgeführt. Nationale Vorgaben, die über
die Regelungen der MPV hinausgehen, umfassen beispielsweise Aspekte wie den
Medizinprodukteberater oder detaillierte Festlegungen für die Organisation und
Durchführung klinischer Prüfungen. Auch erhalten zuständige Behörden erwei-
For personal use only.

terte Verantwortung. Nicht zuletzt müssen sich auch Betriebe, in denen Medizin-
produkte als Systeme aufbereitet/sterilisiert werden, bei den Behörden registrieren.
Das MPDG wird noch durch verschiedene Durchführungsverordnungen ergänzt
(siehe Bild 13.1).
Für die Überwachung der Betriebe und Einrichtungen, Sponsoren und Hersteller
sind lt. MPDG §77 verschiedene Bundes- und Landesbehörden zuständig. Die kon-
krete Überwachung von Betreibern, Herstellern und anderen Wirtschaftsakteuren,
wie z. B. Importeuren oder Händlern, ist ausschließlich auf Landesebene durch die
Landesbehörden, zum Teil gemeinsam mit den nachgeordneten Bezirksregierun-
gen, (§85 1 MPDG) geregelt.
Eine Übersicht gibt seit 2020 das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-
dukte (BfArM), vor 2020 das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation
und Information (DIMDI) [13.14].
Um einen deutschlandweit harmonisierten Ansatz der Marktüberwachung zu er-
reichen, ist seit 1. April 2013 die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz
bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) für die Koordinierung der Markt-
überwachungstätigkeiten zuständig. Die ZLG ist zudem für die Benennung und
Überwachung der Benannten Stellen sowie die Anerkennung von Laboratorien in-
nerhalb Deutschlands zuständig (Art. 35 MPV). Auch die Hersteller sind selbst in
der Pflicht ein eigenes Post-Market Surveillance-System (PMS) aufzubauen, um
aktiv nach Gefährdungspotenzialen zu suchen und die Sicherheit und Leistungs­
fähigkeit ihrer Produkte zu gewährleisten (Art. 7 MPV).
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For personal use only.

Interna onale
n Interna onale
n IInterna onale
Interna onale
nale e
IInterna onale
n IInterna onale
N Normen
Normen Interna onalee
N N
Normen
Normen

produkten/IVDs
Harmonisieren
Gelten unmi†elbar
(Durchführungswirkung)
Europäische EU-Verordnung 2017/745 über EU-Verordnung 2017/746 über
Verordnungen Medizinprodukte (MDR / MPV) in Vitro Diagnos k (IVDR / IVDV)

Deutsche Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz MPDG


Gesetze Medizinprodukterecht-Anpassungsgesetz MPEUAnpG

Ergänzung in Deutschland Verbindlich für Deutschland

Medizinprodukte- Medizinprodukte- Medizinprodukte-Anwender-


Deutsche Betreiber-Verordnung Verordnung melde- und Informa ons-
Verordnungen (MPBetreibV) (MPV) verordnung (MPAMIV)

überarbeitet neu

Bild 13.1  Zusammenspiel EU-/deutsche Richtlinien und Verordnungen bei Medizin­


13.2 Behördliche Zuständigkeiten in den deutschsprachigen Ländern (D-A-CH)
445
446 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

Die Risikobewertung von Vorkommnissen wird von der zuständigen Bundesober­


behörde für Medizinprodukte, dem Bundesinstitut für Arzeimittel und Medizinpro-
dukte (BfArM), durchgeführt [13.15] sowie vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) für In-­
vitro-Diagnostika [13.16]), sofern nicht nach dem Atomgesetz, dem Strahlenschutz-
gesetz oder einer auf Grund des Atomgesetzes oder des Strahlenschutzgesetzes
erlassenen Rechtsverordnung eine andere Behörde zuständig ist. Ergreift der be-
troffene Wirtschaftsakteur keine Korrekturmaßnahmen, führt die zuständige Be-
hörde eine Bewertung nach Artikel 94 der Verordnung (EU) 2017/745 durch (Ka-
pitel 5 MPDG).
Darüber hinaus ist das BfArM für die Genehmigung von klinischen Prüfungen mit
Medizinprodukten zuständig, wohingegen das PEI für die Leistungsbewertungs-
prüfungen von In-vitro-Diagnostika zuständig ist.
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13.2.2 Österreich
Die gesetzliche Grundlage für Medizinprodukte ist im österreichischen Medizin-
produktegesetz [13.17] mit den zugehörigen Verordnungen geregelt, welches
ebenfalls an die neuen EU-Verordnungen angepasst wurde.
For personal use only.

In Österreich ist das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) die


Marktaufsichtsbehörde für Medizinprodukte. Das BASG übernimmt alle Aufgaben
im Rahmen der Überwachung von Herstellern und Vertreibern von Medizinpro-
dukten sowie von (professionellen) Betreibern, wie z. B. Krankenanstalten oder
niedergelassenen Ärzten. Das BASG ist darüber hinaus für die zentrale Erfassung
und Bewertung von Vorkommnissen, die Definition von korrektiven Maßnahmen
und die darauf basierende Überwachung der Umsetzung dieser Maßnahmen zu-
ständig. Ebenfalls im Zuständigkeitsbereich des BASG liegt die Genehmigung und
Kontrolle von klinischen Prüfungen mit Medizinprodukten.
In Österreich ist die Ausstellung von Strafen (wie Bußgelder oder Ähnliches) Auf-
gabe der Bezirksverwaltungsbehörden, das BASG selbst kann keine direkten
(Geld-)Strafen verhängen.
Die Überwachung der Benannten Stellen obliegt dem Bundesministerium für Ge-
sundheit.
Zum Zeitpunkt der Drucklegung befand sich eine österreichische Benannte Stelle
für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika im Akkreditierungsverfahren.
13.3 Arten von Inspektionen 447

13.2.3 Schweiz
Die gesetzlichen Anforderungen in der Schweiz sind im schweizerischen Heilmit-
telgesetz [13.18] festgelegt, welche für Medizinprodukte auf die Medizinprodukte-
verordnung MepV SR 812.213 [13.19] verweist. Dieses stellt die schweizerische
Umsetzung der europäischen Richtlinien bzw. EU-Verordnungen dar. Aufgrund
­bilateraler Abkommen [13.20] zwischen der EU und der Schweiz waren in der
Schweiz hergestellte Medizinprodukte bis 26. 05. 2021 jenen aus der EU gleichge-
setzt.
Die revidierte MepV, welche seit Juli 2020 zugänglich war, wurde durch den Ab-
bruch der Verhandlungen um das InstA am 19. 05. 2021 ergänzt, wobei die Schweiz
dem Umstand Rechnung trägt, dass sie damit zum EU-Drittstaat geworden ist. Da-
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mit gilt prinzipiell, dass für die Einfuhr von Medizinprodukten unter der MPV von
der Schweiz in die EU ein europäischer Bevollmächtigter benannt und im Labelling
angegeben sein muss. Zum Zeitpunkt der Drucklegung war nicht bekannt, wie die
weiteren nationalen Verordnungen im Detail angepasst werden, um der Drittstaa-
ten-Realität rechtsverbindlich Rechnung zu tragen. Insbesondere fehlten zum Zeit-
punkt der Drucklegung verbindliche Vorgaben zu Übergangsfristen für Medizin-
produkte nach MDD und AIMDD.
For personal use only.

Marktaufsichtsbehörde und damit zuständig für die Überwachung der Hersteller,


Inverkehrbringer und Anwender von Medizinprodukten ist das Schweizerische
Heilmittelinstitut (Swissmedic). Sie ist auch mit der Notifizierung der Benannten
Stellen in der Schweiz betraut. Bei der Überwachung von (professionellen) Anwen-
dern von Medizinprodukten wird die Schweiz durch die Kantonsärzte bzw. Kan-
tonsapotheker unterstützt.

„ 13.3 Arten von Inspektionen


Behördliche Inspektionen können nach dem Hintergrund der Inspektion (anlass-
bezogen oder stichprobenartig) sowie nach der Art des inspizierten Unternehmens
(Hersteller, Vertreiber, Transporteur/Lagerung, Zulieferer, Unterauftragnehmer
oder Anwender) unterschieden werden. Daraus ergeben sich unterschiedliche
Schwerpunkte bzw. Möglichkeiten in der Vorbereitung für das inspizierte Unter-
nehmen.
448 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

MERKE:
Schwerpunkte bei der Überwachung von Herstellern können je nach Hintergrund
der Inspektion auf verschiedene Themen gelegt werden. Häufig werden jedoch im
Rahmen von Herstellerinspektionen die folgenden Aspekte geprüft:
ƒ Abgrenzung und Klassifizierung der Medizinprodukte in Kombination mit der
Einbindung einer Benannten Stelle,
ƒ Nachweis der klinischen Sicherheit und Wirksamkeit (klinische Bewertung),
ƒ Dokumentation des Vigilanzsystems,
ƒ Konformitätsbewertungsverfahren  – Schwerpunkte auf Risikomanagement,
Biokompatibilität sowie elektrische und funktionale Sicherheit,
ƒ Produktionsprozesse  – ein Inspektionsschwerpunkt liegt auf der Freigabe­
dokumentation und wie sichergestellt ist, dass nur geeignete Produkte dem
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Markt zur Verfügung gestellt werden.


13.3.1 Ablauf der Inspektion


Die Inspektion erfolgt direkt durch die Marktaufsichtsbehörde (in Deutschland
durch die jeweils zuständigen Landesbehörden, in Österreich bundesweit einheit-
For personal use only.

lich durch das BASG und in der Schweiz durch die Swissmedic). Um spezielle Frage-
stellungen im Rahmen der Inspektion abklären zu können, können weitere Fach-
experten hinzugezogen werden.
Je nach Inspektionsziel und Hintergrund kann dabei die Inspektion angekündigt
oder unangekündigt erfolgen. In der Regel wird die Inspektion jedoch mit einer
Frist von bis zu sechs Wochen vor Inspektionsbeginn angekündigt, um die Ver­
fügbarkeit der Ansprechpartner zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Voran­
kündigung werden häufig zusätzliche Dokumente angefordert, um die Inspek­
tionsvorbereitung und -planung zu vereinfachen. Dabei soll im Rahmen der
Inspektionsschwerpunktsetzung insbesondere vermieden werden, dass einzelne
Systeme doppelt (z. B. durch Behörde und Benannte Stelle) geprüft werden. Dafür
ist beispielsweise der letzte Auditbericht der Benannten Stelle für die Aufsichtsbe-
hörde zur Einsicht vorzuhalten. Der Hersteller sollte im Gegenzug sicherstellen,
dass die relevanten Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Typischerweise wer-
den zumindest der Qualitätsmanagementverantwortliche sowie jeweils ein Pro-
duktverantwortlicher für die Hauptproduktgruppen benötigt. Im Rahmen der Ein-
führungs- und Abschlussbesprechung hat sich auch bewährt, dass zumindest ein
Mitglied der Geschäftsführung zur Verfügung steht, damit etwaige Abweichungen
bereits direkt vor Ort besprochen und erklärt werden können.
13.3 Arten von Inspektionen 449

In der Regel ergibt sich im Rahmen der Inspektion folgender grober Ablauf:
ƒ Einführungsbesprechung
Im Rahmen der Einführungsbesprechung wird der Hintergrund der Inspek-
tion dargelegt, werden die handelnden Personen sowie deren Aufgaben vorge-
stellt und wird der Zeitplan für die Dauer der Inspektion festgelegt. Seitens des
Unternehmens sollte eine kurze Präsentation des Unternehmens vorbereitet
werden. Fokus sollte hier auf der Unternehmensstruktur (Organigramm, An-
zahl der Mitarbeiter) sowie auf der Vorstellung der Produkte und der wichtigs-
ten Fertigungstechnologien liegen.
ƒ Firmenrundgang
Ziel des Firmenrundgangs ist es, den Inspektoren einen ersten Eindruck über
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das Unternehmen zu verschaffen.


ƒ Inspektionsspezifische Fragestellung
Die inspektionsspezifische Fragestellung stellt den Hauptteil des Inspektions-
umfangs dar. Die Schwerpunktlegung erfolgt je nach Inspektionsanlass wie
unten beschrieben. Das Reklamations- und Vigilanzsystem wird jedoch typi-
scherweise sowohl im Rahmen der anlassbezogenen als auch im Rahmen der
Routineinspektion betrachtet und stellt einen wichtigen Startpunkt für die wei-
For personal use only.

tere Inspektionsdurchführung dar. Im Rahmen von Reklamationen können


mögliche Schwachpunkte identifiziert werden. Des Weiteren kann darüber ein
guter Einstieg in den Umgang mit Änderungen (CAPA-Prozess, siehe Kapi-
tel 12, Korrektur- und Verbesserungsmanagement) gefunden werden.
ƒ Abschlussbesprechung
Die Abschlussbesprechung stellt einen sehr wichtigen Bestandteil der Inspek-
tion dar. Die Abschlussbesprechung enthält die Präsentation der gefundenen
Mängel. Im Rahmen der Abschlussbesprechung sollen insbesondere Missver-
ständnisse ausgeräumt werden. Ein wichtiger Punkt ist es, die gesetzlichen
Anforderungen sowie etwaige Abweichungen dazu klar darzulegen. Häufig
werden Abweichungen im Rahmen der Abschlussbesprechung schriftlich dem
auditierten Unternehmen übergeben. Es hat sich bewährt, dass zumindest ein
Mitglied der Geschäftsführung an der Abschlussbesprechung teilnimmt.

Was passiert nach der Inspektion?


ƒ Erstbericht
Nach Abschluss der Inspektion wird durch den leitenden Inspektor der Erstbe-
richt erstellt und dem Unternehmen zur Stellungnahme übermittelt. Die Zeit-
spannen für das Erstellen und Übermitteln von Inspektionsberichten variieren
deutlich zwischen unterschiedlichen Behörden und können vier Wochen bis zu
mehrere Monate betragen.
450 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

ƒ Stellungnahme durch das Unternehmen


Das Unternehmen hat die Möglichkeit, binnen vier Wochen zu allen gefunde-
nen Abweichungen Stellung zu nehmen. In Abhängigkeit von der Schwere der
Abweichung werden vorliegende Nachweise oder Dokumente von eingeleiteten
oder durchgeführten Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen oder zumindest
Maßnahmenpläne zu den festgestellten Abweichungen übermittelt.
ƒ Abschlussbericht
Basierend auf dem Erstbericht und der vom Unternehmen übermittelten Stel-
lungnahme wird der Abschlussbericht erstellt. Dieser ist Basis für weitere
Maßnahmen, um einen gesetzeskonformen Zustand herzustellen und eine et-
waig vorhandene Gesundheitsgefährdung für Patienten, Anwender oder Dritte
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zu reduzieren.
Der abschließende Bericht ist von der Behörde in das elektronische EUDAMED-
System einzugeben [13.21] und soll darüber allen europäischen Mitgliedstaa-
ten sowie auch der Benannten Stelle zugänglich sein.
Bei unmittelbarer Gesundheitsgefährdung („Gefahr im Verzug“) können auch
­direkt vor Ort weitreichende Maßnahmen erlassen werden. Diese können bis zur
(vorübergehenden) Schließung von Produktionsanlagen oder zum Auslieferungs-
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verbot für gewisse Produkte oder Produktchargen reichen.


Mögliche weitere behördlich eingeleitete Maßnahmen umfassen die nationale oder
europäische Warnung aller Anwender vor der weiteren Anwendung von Produk-
ten, den europaweiten (z. B. chargenspezifischen) Rückruf oder das Untersagen des
weiteren Inverkehrbringens eines Medizinprodukts (siehe auch [13.22]). Diese
Maßnahmen werden insbesondere unter Berücksichtigung der Schwere einer
möglichen Gesundheitsgefährdung sowie unter Berücksichtigung von bereits
durch den Hersteller eingeleiteten Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen festge-
legt.
Darüber hinaus können auch das Anordnen von Verwaltungsstrafen (z. B. in
Deutschland) oder eine Anzeige bei der Bezirksverwaltungsbehörde (Österreich),
aber auch weitere gerichtliche Schritte notwendig sein.

13.3.2 Anlassbezogene Inspektion
Bei anlassbezogenen Inspektionen steht das Abklären der auslösenden Fragestel-
lung an erster Stelle. Meist handelt es sich dabei um die Überprüfung der Ursa-
chenanalyse nach einer Vorkommnis-Meldung sowie den daraus abgeleiteten Kor-
rektur- oder Vorbeugemaßnahmen. Im Rahmen solcher Inspektionen sollen die
vom Hersteller durchgeführte Ursachenanalyse sowie die daraus abgeleiteten Kor-
13.3 Arten von Inspektionen 451

rektur- und Vorbeugemaßnahmen nachvollzogen werden. Die Gültigkeit der gezo-


genen Schlussfolgerungen und der aus der Ursachenanalyse abgeleiteten Maß­
nahmen muss schlüssig nachvollziehbar sein.
Der Fokus liegt auf der Nachvollziehbarkeit der Erstellung der Untersuchungsbe-
richte. Typischerweise werden dafür Rohdaten, Untersuchungsprotokolle, Labor-
bücher etc., aber auch Kalibrierstatus oder Prüfzertifikate der verwendeten Mess-
mittel eingesehen. Basierend auf diesen Informationen wird die Plausibilität des
Prüfberichts, der festgestellten Ursache und der daraus resultierenden Maßnah-
men zur Risikoreduktion bewertet.
Ein weiterer häufiger Grund für anlassbezogene Inspektionen sind Abgrenzung
und Klassifizierung von Medizinprodukten. Das Hauptaugenmerk liegt auf den
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Nachweisen, dass das Produkt die Definition eines Medizinprodukts erfüllt (siehe
Glossar). Besonders häufig stehen die Definition und Beschreibung des Hauptwirk-
mechanismus des Produkts im Vordergrund der Betrachtung. Der Hersteller muss
belegen, dass der Hauptwirkmechanismus weder pharmakologisch noch metabo-
lisch noch immunologisch erreicht wird.
Werden im Rahmen einer solchen anlassbezogenen Inspektion Abweichungen zu
den gesetzlichen Vorgaben festgestellt, müssen die Auswirkungen für die Gesund-
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heit von Patienten, Anwendern und Dritten bewertet werden. Basierend darauf
werden die weiteren Maßnahmen zum Erreichen eines gesetzeskonformen Status
festgelegt. Mögliche Maßnahmen können beinhalten:
ƒ vom Hersteller eigenverantwortlich definierte und umgesetzte Korrektur- oder
Vorbeugemaßnahmen,
ƒ zwischenzeitlicher Stopp der Anwendung oder des Vertriebs der Produkte,
ƒ Rückruf aller am Markt befindlichen betroffenen Medizinprodukte.

13.3.3 Routineinspektion beim Hersteller


Routineinspektionen haben das Ziel, die Qualität der in Verkehr gebrachten Medi-
zinprodukte zu gewährleisten. Im Rahmen von Routineinspektionen wird geprüft,
ob die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden. Die Auswahl der Hersteller er-
folgt dabei zufällig und stichprobenbasiert, unter Berücksichtigung von Risiko­
gesichtspunkten.
Mindestinhalte solcher Routineinspektionen sind die Umsetzung des Reklama-
tions- und Vigilanzsystems, Definition und Ausbildungsnachweise des Sicherheits-
beauftragten und der Medizinprodukteberater sowie die Überprüfung des Quali-
tätskontrollsystems, welches sicherstellt, dass ausschließlich spezifikations- und
gesetzeskonforme Produkte in Verkehr gebracht werden.
452 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

13.3.3.1 Für die Einhaltung der Regulierungsvorschriften


verantwortliche Person und Medizinprodukteberater
Gemäß den neuen gesetzlichen Vorgaben (MPV und IVDV) müssen alle in Europa
ansässigen Hersteller sowie europäische Bevollmächtigte über eine „für die Ein­
haltung der Regulierungsvorschriften verantwortliche Person“ verfügen [13.23].
Diese ist zuständig für:
ƒ die Konformität der Produkte,
ƒ die Prüfung der Produkte gemäß den Anforderungen des Qualitätsmanage-
mentsystems,
ƒ das Erstellen und Aktualisieren der Technischen Dokumentation,
ƒ die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (Marktüberwachung) und
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ƒ die Erfüllung der Meldepflichten bei Vorkommnissen und Korrekturmaß­


nahmen.
Die Verordnungen legen auch Mindestanforderungen an die Qualifikation der ver-
antwortlichen Person fest.
ƒ Entweder: Nachweis des Abschlusses eines Hochschulstudiums oder vergleich-
baren Ausbildungsgangs in Recht, Medizin, Pharmazie, Ingenieurwesen oder
For personal use only.

einem anderen relevanten wissenschaftlichen Fachbereich sowie mindestens


ein Jahr Berufserfahrung in Regulierungsfragen oder Qualitätsmanagement-
systemen im Zusammenhang mit Medizinprodukten.
ƒ Oder: vier Jahre Berufserfahrung in Regulierungsfragen oder Qualitätsma-
nagementsystemen im Zusammenhang mit Medizinprodukten.
Gemäß § 48 MPG des österreichischen Medizinproduktegesetzes [13.17] darf nur
eine Person mit der zur Ausübung ihrer Tätigkeit erforderlichen medizinischen
und medizintechnischen Sachkenntnis und Zuverlässigkeit (Medizinprodukte­
berater) Fachkreise und Anwender über die jeweiligen Medizinprodukte fachlich
informieren und in die sachgerechte Handhabung der Medizinprodukte einweisen.
Medizinprodukteberater sind regelmäßig zu schulen. Sie haben „Mitteilungen von
Angehörigen der Fachkreise über Nebenwirkungen, wechselseitige Beeinflussungen,
Fehlfunktionen, technische Mängel, Gegenanzeigen, Verfälschungen oder sonstige
­Risiken bei Medizinprodukten zeitnah schriftlich aufzuzeichnen und schriftlich an
ihren Auftraggeber zu übermitteln.“ Gleichartige Vorgaben sind auch im deutschen
Medizinproduktegesetz enthalten.

13.3.3.2 Konforme Produkte und Inspektionsschwerpunkte


Der Hersteller darf nur solche Produkte in Verkehr bringen, deren Konformität mit
den festgelegten Spezifikationen und den gesetzlichen Anforderungen nachweis-
lich erbracht ist [13.24]. Der Nachweis der Konformität beginnt beim Design und
bei der Auslegung und Konstruktion der Produkte. Gemeinsam mit der Risikoma-
13.3 Arten von Inspektionen 453

nagementakte, dem Nachweis der Grundlegenden Anforderungen sowie der klini-


schen Bewertung stellt dies den Hauptteil der Technischen Dokumentation dar.
Bereits in diesem Stadium müssen die Grundsätze der integrierten Sicherheit be-
rücksichtigt werden. Es dürfen beispielsweise nur solche Materialien und Materi-
alkombinationen verwendet werden, deren Eignung für den Einsatzzweck belegt
ist. Änderungen an Design, Materialien, Produktionsverfahren etc. sind ebenfalls
Bestandteil dieser Dokumentation. Die Anforderungen an diese Technische Doku-
mentation sowie deren Grobstruktur sind im Anhang II der MPV bzw. der IVDV
festgelegt.
Für spezielle Prozesse, die nicht im Rahmen einer Qualitätskontrolluntersuchung
geprüft werden können, z. B. Klebe- und Schweißverbindungen, Sterilisationspro-
zesse etc., muss durch eine Prozessvalidierung nachgewiesen werden, dass diese
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korrekt durchgeführt werden (siehe dazu Kapitel 9, Prozess- und Methodenvalidie-


rung).
Im Rahmen der Produktrealisierung werden die Produkte anhand der während der
Auslegungsphase definierten Spezifikationen produziert. Im Rahmen der Produk-
tionsdokumentation muss nachgewiesen werden, dass die Vorgaben eingehalten
wurden. Beispielsweise kann im Rahmen von Wareneingangskontrollen belegt
werden, dass die richtigen Rohstoffe eingesetzt werden. In-Prozess-Kontrollen wei-
For personal use only.

sen nach, dass Arbeitsschritte korrekt durchgeführt werden. Im Rahmen der Pro-
duktfreigabe (Endkontrolle) wird z. B. geprüft, ob die Materialzertifikate vorliegen,
ob alle In-Prozess-Kontrollen positiv durchgeführt wurden, die Kennzeichnung der
Produkte in Ordnung ist und ob die gesamte notwendige Dokumentation vollstän-
dig vorhanden ist.

TIPP:
Eine gute Produktionsdokumentation enthält beispielsweise, welcher Mitarbeiter
zu welchem Datum welchen Produktionsschritt durchgeführt hat, damit die Rück-
verfolgbarkeit im Fehlerfall möglich gemacht wird (siehe dazu auch Kapitel 10,
Herstellung und Qualitätssicherung gem. cGMP).

Basierend auf dieser Dokumentation können Abweichungen im Produktionspro-


zess im Rahmen einer späteren Ursachenanalyse festgestellt und weitere Maßnah-
men definiert werden.

13.3.3.3 Weitere Inspektionsschwerpunkte
Abgrenzung und Klassifizierung von Medizinprodukten
Wie bereits im Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten, vorgestellt, ist die
Abgrenzung und Klassifizierung von Medizinprodukten von grundsätzlicher Be-
deutung für die Auswahl des korrekten Konformitätsbewertungsverfahrens. Daher
haben behördliche Inspektionen sehr häufig diesen Schwerpunkt.
454 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

Um ein Produkt korrekt als Medizinprodukt bzw. In-vitro-Diagnostikum abgrenzen


zu können, muss dieses die Definitionen gemäß [13.1] bis [13.5] erfüllen. In den
neuen EU-Verordnungen [13.25] finden sich auch umfangreiche Begriffsbestim-
mungen und Klassifizierungsregeln. Das Guidance-Dokument der GHTF gibt für
In-vitro-Diagnostika weiterführende, auf Risikoklassen basierende Klassifizie-
rungshinweise [13.26]. Bei Medizinprodukten ist es darüber hinaus besonders
wichtig, die Beschreibung des Wirkmechanismus im oder am menschlichen Kör-
per darzulegen. Für die Abgrenzung als Medizinprodukt ist ausschlaggebend, dass
dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper we-
der durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch er-
reicht wird. Die Beschreibung der Abgrenzung muss dabei explizit auf die Defini-
tion von pharmakologisch, immunologisch und metabolisch eingehen (siehe dazu
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MEDDEV-Guideline 2.1/3) [13.27]. Die Begründung, dass ein Produkt ausschließ-


lich „physikalische“ Wirkung aufweist, ist unzureichend.
Der Hersteller muss den bestimmungsgemäßen Hauptwirkmechanismus des Pro-
dukts beschreiben und belegen. Basierend auf dieser Beschreibung ist jeweils im
Einzelfall die Abgrenzung und Klassifizierung des Produkts vorzunehmen (siehe
dazu auch [13.28] bis [13.30]).
Des Weiteren sind besondere Anforderungen z. B. an die Einstufung und Klassifizie-
For personal use only.

rung von Software als Medizinprodukt (SsMD) in verschiedenen MDCG-Guidance-


Dokumenten unter Berücksichtigung der anwendbaren GHTF-Guidance verfügbar.
Ein MDCG-Guidance-Dokument zur Einstufung und Klassifizierung von Medizinpro-
dukten war zu Drucklegung in Vorbereitung, aber noch nicht veröffentlicht.

BEISPIELE:
Ein Wundverband oder Heftpflaster hat die Aufgabe, eine Wunde vor mechanischer
Belastung zu schützen. Dies wird vor allem durch die Polsterung der Wundfläche
in Kombination mit einer Ruhigstellung des verletzten Körperteils erreicht. Eine
pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung durch das Produkt
ist nicht zu erwarten, auch wenn das Produkt durch die Ruhigstellung regenerative
Zellprozesse begünstigt.
Ein Röntgengerät nutzt die unterschiedliche Adsorption aufgrund unterschiedlicher
Dichte von menschlichem Gewebe, um den Körper zu durchleuchten – auch hier
ist keine pharmakologische, immunologische oder metabolische Hauptwirkung zu
erwarten, auch wenn eine Interaktion zwischen dem Gewebe sowie den Röntgen-
strahlen nicht ausgeschlossen werden kann.
Eine Hüftgelenksprothese ersetzt ein verletztes oder beschädigtes Gelenk. Dabei
wird insbesondere die physiologische Beweglichkeit (wieder)hergestellt. Auch
dieser Hauptwirkmechanismus ist nicht als pharmakologisch, immunologisch oder
metabolisch anzusehen, auch wenn der vorhandene Knochen im Rahmen von
metabolischen Prozessen in vorgesehene Strukturen des Implantats einwächst
und eine feste Verbindung herstellt.

13.3 Arten von Inspektionen 455

Klinische Bewertung von Medizinprodukten


Für jedes Medizinprodukt muss als Bestandteil des Nachweises der Grundlegen-
den Anforderungen eine klinische Bewertung vorliegen. Die klinische Bewertung
ist der dokumentierte Nachweis, dass ein Medizinprodukt für den vorgesehenen
Einsatzzweck klinisch sicher und wirksam ist. Für In-vitro-Diagnostika wird dieser
Prozess als Leistungsbewertung bezeichnet.
Die Grundlegenden Anforderungen definierten bereits in den ursprünglichen Ver-
sionen der Medizinprodukterichtlinien (AIMDD, MDD und IVDD), dass bei einem
Medizinprodukt der medizinische Nutzen größer als etwaig vorhandene Risiken
sein muss, d. h. dass das Produkt ein positives Risiko-Nutzen-Verhältnis aufweisen
muss. Diese Forderung beinhaltet implizit, dass für jedes Medizinprodukt ein
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Nachweis des klinischen Nutzens vorliegen muss. Diese Forderung wurde mit der
Richtlinie 2007/47/EG [13.31] präzisiert, dass der Hersteller für jedes Medizinpro-
dukt – unabhängig von der Risikoklassifizierung – eine klinische Bewertung er-
stellen muss.
Die MPV widmet der klinischen Bewertung und Prüfung einen umfangreichen Ab-
schnitt [13.32], der die Planung, Durchführung, Bewertung und Dokumentation
im Detail regelt. Aufgrund der hohen Wertigkeit, die die beiden EU-Verordnungen
der klinischen Prüfung respektive Leistungsbewertung zuschreiben, wurde die-
For personal use only.

sem Thema in diesem Buch ein eigenes Kapitel gewidmet (siehe Kapitel 7, Klini-
sche Evidenz für Medizinprodukte und IVD).
Die mit Juni 2016 veröffentlichte MEDDEV-Guideline 2.7/1, rev. 4 [13.33] stellt
eine zusätzliche Anleitung für die Erstellung einer klinischen Bewertung dar. Die
Vorgaben wurden in weiten Teilen direkt in den Gesetzestext der MPV übernom-
men, sodass die MPV konkrete Anforderungen an die Qualifikation der Durchfüh-
renden, die Qualität der Daten sowie die Vergleichbarkeit der im Rahmen von wis-
senschaftlicher Literatur behandelten Produkte mit den für die klinische Bewertung
gegenständlichen Produkten enthält.

13.3.3.4 Freigabe für den Vertrieb


Die Endfreigabe ist der letzte Schritt, bevor ein Produkt dem Markt zur Verfügung
gestellt wird. Anhand standardisierter und dokumentierter Abläufe wird geprüft,
ob alle In-Prozess-Kontrollen korrekt durchgeführt wurden. Typischerweise wer-
den im Rahmen der Produktfreigabe zusätzliche Qualitätskontrollprüfschritte vor-
genommen. Basierend auf diesen Prüfungen werden der Status und der Lagerort
des Produkts vom Sperrlager zum Auslieferungslager geändert, womit das Pro-
dukt für den Verkauf zur Verfügung steht.
Durch eine geeignete und vollständige Dokumentation von Wareneingangs-, In-
Prozess- und Endkontrollen kann die Übereinstimmung mit den Produktspezifika-
tionen belegt werden. Zumindest die Endfreigabe muss schriftlich festgehalten
456 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

werden und durch eine dafür qualifizierte Person erfolgen (siehe auch Kapitel 10,
Herstellung und Qualitätssicherung gemäß cGMP), die Verantwortung für diesen
Prozess ist Bestandteil der Aufgaben der für das Einhalten der Regulierungsvor-
schriften verantwortlichen Person. So kann nachvollziehbar belegt werden, dass
zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens das Produkt die gültigen Anfor-
derungen erfüllt hat. Diese beinhalten neben den Kundenanforderungen auch ge-
setzliche Anforderungen, den aktuellen Stand der Technik  – z. B. in Form von
Guidance-Dokumenten, (harmonisierten) Normen – oder Gemeinsamen Spezifika­
tionen (GS).
Medizinprodukte müssen zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens den
gültigen (gesetzlichen) Anforderungen entsprechen. Es ist dabei zu berücksichti-
gen, dass jedes einzelne Produkt erstmalig in Verkehr gebracht wird – der Begriff
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des erstmaligen Inverkehrbringens erstreckt sich damit nicht auf einen Produkt-
typ, sondern betrifft jede einzelne Charge bzw. jede einzelne Seriennummer. Die
Europäische Kommission hat den Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens in
einem Interpretationsdokument zur MDD genauer dargelegt [13.34], dieses kann
jedoch weiterhin sinngemäß angewendet werden. Eine Grundvoraussetzung ist,
dass das Produkt von der Produktionsstätte zur Distributionskette transferiert
wird. Das Einlagern in den Lagerräumlichkeiten des Herstellers erfüllt in der Regel
For personal use only.

noch nicht die Definition des erstmaligen Inverkehrbringens, da sich das Produkt
noch unter der vollen Verantwortung des Herstellers befindet. Es muss ein physi-
scher oder zumindest nomineller Verantwortungsübergang stattfinden.
Im Rahmen von Inspektionen wird besonderes Augenmerk auf die Eignung der
Prozess- und Arbeitsanweisungen für die Freigabe gelegt. Diese müssen für den
Mitarbeiter verständlich sein. Im Rahmen von Trainings müssen die Mitarbeiter
auf diese Dokumente geschult werden. Um die Schulung belegen zu können, ist
diese zu dokumentieren.
Wichtig für eine effiziente Steuerung der Produktionsprozesse ist die Kennzeich-
nung des Status eines Produkts. Insbesondere bei Arbeitsschritten, deren Ergeb-
nis nicht offensichtlich ist  – z. B. Sterilisationsprozesse, Zwischen- oder Endfrei-
gabe –, ist wichtig, dass der Status eindeutig gekennzeichnet ist. Nur so kann die
Verwechslungsgefahr zwischen z. B. behandelten (sterilisierten) und unbehandel-
ten (unsterilen) Produkten weitgehend reduziert werden. Ein weiterer einfacher
Schritt zur Reduktion von Verwechslungen ist z. B. die Kreuzungsfreiheit von
­Wegen oder eine saubere line clearance.
13.3 Arten von Inspektionen 457

13.3.4 Routineinspektion beim Anwender/Betreiber


Der Betrieb von Medizinprodukten im professionellen Umfeld (Krankenhaus, Am-
bulanz, Arztpraxis, Reha-Zentrum) unterliegt der behördlichen Überwachung im
Rahmen der Marktüberwachung. Die Kontrollen stellen sicher, dass die Produkte
keine zusätzlichen Risiken für Patienten, Anwender oder Dritte darstellen.
Die Anforderungen an den Betrieb von Medizinprodukten sind im Umfang der eu-
ropäischen Regelwerke nicht berücksichtigt. Die Vorgaben zur Regelung der Anfor-
derungen an den sicheren Betrieb sind auf nationaler Ebene geregelt; weder in den
Vorgaben der EU-Medizinprodukte-Richtlinien noch in den EU-Medizinprodukte-
Verordnungen finden sich dafür Vorgaben. Die folgenden Abschnitte beziehen sich
daher auf die nationalstaatlichen Anforderungen – insbesondere in Deutschland
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und Österreich.

13.3.4.1 Erfassung in Registern
Alle aktiven Medizinprodukte, die für den Betrieb bereitstehen, müssen – unab-
hängig von den Besitzverhältnissen (also auch für Miet- und Leihgeräte) – in einem
Bestandsverzeichnis erfasst werden. Darüber hinaus definiert die Gerätedatei zu-
sätzliche Informationen, welche für prüfpflichtige Medizinprodukte (sicherheits-
For personal use only.

technische Kontrolle /STK bzw. messtechnische Kontrolle/MTK) zusätzlich erfasst


werden müssen.
Im Rahmen der Inspektion wird überprüft, ob alle aktiven Medizinprodukte in den
Verzeichnissen erfasst sind und während des Betriebes die Sicherheit und Ge-
brauchstauglichkeit regelmäßig dokumentiert geprüft wird.

13.3.4.2 Regelmäßige Überprüfung der Geräte


Der Lebenszyklus eines Medizinprodukts innerhalb eines Krankenhauses beginnt
mit der Prüfung beim Wareneingang. Ziel der Eingangsprüfung ist sicherzustellen,
dass das korrekte Gerät geliefert und dieses durch den Transport keine offensicht-
lichen Schäden bekommen hat und so für den ersten Einsatz am Patienten sicher
ist. Für einfache Produkte wie Wundverbände oder einfache Instrumente ist zu-
meist eine Sicht- bzw. Identitätsprüfung ausreichend. Für komplexe Produkte  –
z. B. aktive Medizinprodukte  – muss darüber hinaus eine Eingangsprüfung im
Sinne der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (Deutschland: MPBetreibV [13.35],
Österreich: MPBV [13.36]) erfolgen. Dabei wird überprüft, ob das Gerät vor dem
ersten Einsatz sicher ist und durch den Transport keine Schäden am Produkt ent-
standen sind. Liegt ein ausführliches STK-Messprotokoll vor, kann die Eingangs-
prüfung auf eine reine Sichtprüfung beschränkt werden.
Über den gesamten Lebenszyklus des Produkts müssen regelmäßig sicherheits-
technische Kontrollen (aktive Medizinprodukte) bzw. messtechnische Kontrollen
458 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

(Medizinprodukte mit Messfunktion) durchgeführt werden. Diese gewährleisten


auch nach längerem Einsatz, dass die Sicherheit der Geräte aufrechterhalten bleibt.
Ziel der regelmäßigen Prüfungen ist zu gewährleisten, dass bei den Produkten
über die Zeit z. B. kein sicherheitsgefährdender Verschleiß aufgetreten ist. Für die
Festlegung der sicherheitstechnischen Kontrolle (STK) sollte der Hersteller die An-
forderungen der EN 62353 berücksichtigen.
Die Intervalle für diese Prüfungen sollen vom Hersteller festgelegt werden – die
konkrete Anwendung der Geräte im Krankenhaus sollte jedoch bei der Festlegung
berücksichtigt werden. So können beispielsweise mobile Geräte einem höheren
Verschleiß unterliegen als ortsfeste. Umgekehrt könnten für Geräte, welche nur
selten verwendet werden, auch längere Prüfintervalle toleriert werden – in Abhän-
gigkeit von den Herstellervorgaben und dem Risiko des Produkts.
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Im Rahmen der Inspektion wird überprüft, ob diese Geräteprüfungen regelmäßig


und durch ausreichend qualifiziertes Personal erfolgen, ob die Prüfungen korrekt
dokumentiert wurden und ob der Prüfstatus an den Geräten korrekt gekennzeich-
net ist.

13.3.4.3 Schulung der Mitarbeiter


For personal use only.

Die korrekte Einweisung der Anwender stellt sicher, dass die Geräte richtig be-
dient, vorbereitet und aufbereitet werden. Art, Umfang und Tiefe der Einschulung
dafür sollen vom Hersteller festgelegt werden. Der Betreiber der Gesundheitsein-
richtung hat jedoch sicherzustellen, dass die Anwender auf die Medizinprodukte
geschult werden. Die Schulung kann sowohl durch Mitarbeiter des Herstellers
(Medizinprodukteberater) als auch durch bereits mit dem Gerät vertraute Mitar-
beiter des Krankenhauses erfolgen.
Um die Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten, muss auch die Durchführung und
Teilnahme an Schulungen dokumentiert werden. Dies kann entweder zentral im
Bestandsverzeichnis erfolgen, gerätespezifisch in Form eines Logbuchs oder an-
wenderspezifisch in Form eines Schulungspasses. In der Praxis besonders bewährt
hat sich die Kombination aus zentraler Erfassung und personenspezifischem Schu-
lungspass, da so ein bestmöglicher Überblick für jeden einzelnen Anwender ge-
währleistet ist.

13.3.4.4 Aufbereitung der Produkte


Die korrekte Aufbereitung oder Wiederaufbereitung von Medizinprodukten stellt
im Rahmen von Betreiberinspektionen einen weiteren wichtigen Aspekt dar. Die
Aufbereitung besteht üblicherweise aus Reinigung und Desinfektion. Für kritische
Medizinprodukte ist häufig darüber hinaus auch eine Sterilisation notwendig.
13.3 Arten von Inspektionen 459

BEACHTE:
Der Betreiber (z. B. eine Krankenanstalt) hat sich bei der Validierung der Aufberei-
tungsprozesse nach den Vorgaben des Herstellers zu richten.
Die Herstellerverpflichtung ist es, ausreichend detaillierte Aufbereitungsanwei-
sungen zur Verfügung zu stellen, sodass diese in der Praxis umgesetzt werden
können. Das beinhaltet eine ausführliche Beschreibung, wie Medizinprodukte
zerlegt werden können, welche Reinigungs- oder Desinfektionsmittel/Konzentra-
tionen/Prozessparameter mit dem Produkt verträglich sind, sowie welche Steri-
lisationsverfahren geeignet sind.

Es ist Aufgabe der Hersteller, dafür geeignete und validierte Aufbereitungsanwei-


sungen zur Verfügung zu stellen. Diese müssen den Anforderungen der harmoni-
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sierten Norm EN ISO 17664 [13.37] entsprechen. In der Praxis bedeutet das, dass
mindestens ein geeignetes, validiertes Verfahren zur Aufbereitung der Medizin-
produkte beschrieben sein muss.
Aufgabe der Gesundheitseinrichtung ist es, eigene validierte Aufbereitungspro-
zesse unter Berücksichtigung der Herstellervorgaben zu etablieren. Alle Aspekte
der Aufbereitung – beginnend mit der Vorreinigung über Reinigung und Desinfek-
tion bis zu Sterilisation, Schulung der Mitarbeiter und der dafür notwendigen Pro-
For personal use only.

zessmittel – müssen bei der Validierung berücksichtigt werden. Auch die im Rou-
tinebetrieb erstellte Dokumentation und deren Eignung sind zu bewerten. Diese
Dokumente sollen in der Gesundheitseinrichtung verfügbar sein, um den validier-
ten Status belegen zu können.
Jeder in der täglichen Routine durchgeführte Aufbereitungsprozess muss eine
­Bewertung des Prozesses und basierend darauf eine formale Freigabe für die An-
wendung der Produkte beinhalten. Dabei gewährleistet die Dokumentation des
Routinebetriebs, dass der validierte Prozess für jede Aufbereitungs-Charge nach-
vollziehbar eingehalten wird.

TIPP:
Die Beschreibung dieser Verfahren muss in Europa übliche Prozesse referenzieren.
Für Sterilisationen sind in Europa beispielsweise Verfahren mit 121 °C (für 15 Mi-
nuten) oder 134 °C (für drei bzw. meist fünf Minuten) üblich. Das in den USA übliche
Sterilisationsverfahren von 270 °F für vier Minuten (132 °C) ist in Europa unüblich
und sollte daher auch nicht als alleiniges Sterilisationsverfahren angegeben werden.

Die MPV definiert für wiederverwendbare chirurgische Instrumente eine neue


Klasse von Medizinprodukten (Klasse I r – re-useable). Im Rahmen des Konformi-
tätsbewertungsverfahrens muss der Hersteller dieser Produkte zumindest einen
Aufbereitungsprozess (bestehend aus Reinigung, Desinfektion, Verpackung und,
sofern notwendig, Sterilisation) validieren. Die Validierung dieses Aufbereitungs-
prozesses muss durch eine Benannte Stelle geprüft werden.
460 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

MERKE:
Die MPV definiert Anforderungen für Einmalprodukte hinsichtlich der Aufbereitung.
So muss die Vorgabe, dass ein Produkt als Einmalprodukt in Verkehr gebracht
wird, europaweit einheitlich sein. Es ist nicht mehr möglich, dass Produkte in einem
Mitgliedstaat als Einmalprodukte und in einem anderen Mitgliedstaat als wieder-
verwendbare Produkte in Verkehr gebracht werden. Des Weiteren muss der
Hersteller angeben, warum ein Einmalprodukt nicht wiederaufbereitet werden
kann.
Sofern es nationale Regelungen zulassen, können Einmalprodukte wiederaufbe-
reitet werden. Zum Zeitpunkt der Drucklegung ist die Aufbereitung von Einmal-
produkten – mit speziell überwachten und validierten Verfahren – in Deutschland
zulässig. In Österreich wurde eine solche Vorgabe im nationalen MPG nicht um-
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gesetzt, die Aufbereitung von Einmalprodukten ist daher nicht zulässig.


13.3.5 Vigilanz und Marktüberwachung


Im Rahmen des Konformitätsbewertungsverfahrens muss der Hersteller das Vorhan-
densein und die Wirksamkeit eines Marktüberwachungssystems (Post-Market Sur-
For personal use only.

veillance – PMS) nachweisen [13.38]. Insbesondere müssen vom Hersteller, im Rah-


men des Vigilanzsystems, schwerwiegende Vorkommnisse und Rückmeldungen,
welche einen Einfluss auf Leib und Leben von Patienten, Anwendern und Dritten,
aber auch auf Qualität und Haltbarkeit des Produkts haben können, gesammelt, be-
wertet und notwendigenfalls Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen eingeleitet wer-
den. Schwerwiegende Vorkommnisse und Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld
sind darüber hinaus unverzüglich der Behörde zu melden [13.39]. Nützliche Hin-
weise können der MEDDEV 2.12/1 entnommen werden [13.40].
Der Hersteller muss ein Verfahren zur Erfassung und Auswertung der klinischen
Leistungsfähigkeit (Post-Market Clinical Follow-up  – PMCF) etablieren. Dieser
PMCF muss in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der klinischen Bewertung
festgelegt werden. Insbesondere für implantierbare Medizinprodukte der Klasse III
besteht eine besonders hohe Notwendigkeit, Wirksamkeit und klinische Sicherheit
im Rahmen von klinischen Prüfungen zu belegen, in besonders begründeten Aus-
nahmefällen kann aber auch für diese Produkte auf das PMCF verzichtet werden,
dies muss jedoch im Rahmen der klinischen Bewertung begründet werden.

13.3.5.1 Meldung von Vorkommnissen


Eingehende Reklamationen müssen durch den Hersteller vollständig erfasst und
bewertet werden. Das System sollte so gestaltet sein, dass die Vollständigkeit der
Rückmeldungen gewährleistet ist und keine Reklamationen unberücksichtigt blei-
13.3 Arten von Inspektionen 461

ben. Häufig werden Datenbanksysteme etabliert, welche fortlaufende Nummern


für jede Reklamation vergeben.

TIPP:
Die Verwendung von elektronischen Listen (z. B. mittels Microsoft Excel) hat sich
in der Praxis oft als problematisch erwiesen. Es können versehentlich Daten un-
wiederbringlich gelöscht werden. Des Weiteren können auch Manipulationen an
solchen Listen nur schwer nachvollzogen werden. Damit kann die Datenintegrität
nur schwer bewiesen werden. Als Gold-Standard zeigt sich die Einführung von
validierten Datenbanksystemen, welche über entsprechende Zugriffsberechtigun-
gen und einen Audit-Trail die Datenintegrität gewährleisten. Details dazu siehe
Abschnitt 8.5, Computervalidierung. Eine Alternative stellt die Verwendung von
durchnummerierten Papierlisten dar.
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Wichtig ist, dass die Vollständigkeit der eingegangenen Meldungen nachvollzieh-


bar ist.
Die Bewertung der Reklamationen ist Aufgabe des Sicherheitsbeauftragten für Me-
dizinprodukte. Der Sicherheitsbeauftragte muss eine ausreichende fachliche Kom-
petenz haben, um eine solche Bewertung vornehmen zu können. Für Spezialfrage-
For personal use only.

stellungen – z. B. medizinische Analyse – sollten weitergehende Fachmeinungen


oder Gutachten eingeholt werden. Bei einer Reklamation ist zu bewerten,
ƒ ob die Ursache auf eine Fehlfunktion des Medizinprodukts zurückgeführt wer-
den kann und
ƒ ob das Ergebnis für den Betroffenen „schwerwiegend“ ist.
Die Fragestellung, ob eine Fehlfunktion des Medizinprodukts ursächlich an dem
Vorkommnis beteiligt ist, beinhaltet klassischerweise Fehlfunktionen des Produkts
oder damit verbundenen Zubehörs. Daneben werden auch Anwenderfehler als Pro-
duktfehler angesehen, wenn diese auf eine fehlerhafte oder missverständliche
­Gebrauchsanweisung, ungenügende Schulung des Anwenders oder mangelhafte
Bedienbarkeit (Usability) zurückgeführt werden können.
Als „schwerwiegend“ gilt, wenn das Ereignis direkt oder indirekt eine der nachste-
henden Folgen für den Patienten, den Anwender oder eine andere Person hatte,
hätte haben können oder haben könnte [13.41] – für „Beinahe-Vorkommnisse“
gelten dieselben Meldepflichten!
ƒ Tod,
ƒ schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands wie z. B.:
ƒ lebensbedrohliche Erkrankung oder Verletzung,
ƒ bleibender Körperschaden oder dauerhafte Beeinträchtigung einer Körper-
funktion,
462 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

ƒ stationäre Behandlung oder Verlängerung der stationären Behandlung des


Patienten,
ƒ medizinische oder chirurgische Intervention zur Verhinderung einer le-
bensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung oder eines bleibenden Kör-
perschadens oder einer dauerhaften Beeinträchtigung einer Körperfunk-
tion,
ƒ chronische Erkrankung,
ƒ fötale Gefährdung, Tod des Fötus oder kongenitale körperliche oder geis-
tige Beeinträchtigungen oder Geburtsfehler.
Liegt ein schwerwiegendes Vorkommnis vor, so muss dieses „unverzüglich“ an die
zuständige Marktaufsichtsbehörde gemeldet werden. Als unverzüglich gilt „ohne
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nicht begründbare Verzögerung“. Häufig kann zum Zeitpunkt der Meldung jedoch
noch nicht abgeschätzt werden, ob eine Fehlfunktion des Medizinprodukts ursäch-
lich am Vorkommnis beteiligt ist. Um den Zusammenhang abklären zu können,
definieren die MPV und IVDV Maximalfristen, innerhalb derer eine Abklärung er-
folgen soll. Kann am Ende der Fristen nicht eindeutig ausgeschlossen werden, dass
das Medizinprodukt bzw. dessen Fehlfunktion ursächlich am Vorkommnis betei-
ligt war, soll trotzdem eine Meldung an die Behörde erfolgen.
For personal use only.

Die Meldefristen hängen von der Schwere des Vorkommnisses ab [13.42] und lauten:
ƒ Bedrohung der öffentlichen Gesundheit:
Unverzüglich, allerspätestens jedoch zwei Kalendertage nach Benachrichti-
gung des Herstellers.
Bedrohung der öffentlichen Gesundheit ist das unmittelbare Risiko des Todes,
einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Per-
son oder einer schweren Erkrankung, die sofortige Abhilfemaßnahmen erfor-
dert und signifikante Morbidität oder Mortalität verursachen kann.
ƒ Tod oder unerwartete schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigung:
Der Hersteller muss jedes schwerwiegende Vorkommnis unverzüglich,
nachdem er den Kausalzusammenhang zwischen dem Produkt und dem Vor-
kommnis hergestellt hat, an die zuständige Marktaufsichtsbehörde melden.
Die Meldung muss jedoch spätestens innerhalb von 15 Kalendertagen, nach-
dem der Hersteller über das Vorkommnis benachrichtigt wurde, erfolgen, auch
wenn der Zusammenhang zwischen dem Produkt und dem Vorkommnis nicht
innerhalb dieser Zeit erhoben werden kann.
Die allgemeine Meldepflicht von Vorkommnissen und Beinahe-Vorkommnis-
sen ohne Tod des Patienten ist auf 15 Kalendertage beschränkt.
Im Fall des Todes oder einer unvorhergesehenen schwerwiegenden Ver-
schlechterung des Gesundheitszustands muss die Meldung innerhalb von
zehn Kalendertagen erfolgen.
13.3 Arten von Inspektionen 463

Ausgenommen von der Vorkommnis-Meldepflicht sind erwartete Nebenwirkungen,


die in den Produktinformationen (z. B. Gebrauchsanweisung) eindeutig dokumen-
tiert, in der Technischen Dokumentation quantifiziert und die Gegenstand eines
Trend-Reporting an die Marktaufsichtsbehörde sind. Die Meldung hat wie in den
Vorgaben der MDV und IVDV festgelegt, über die EUDAMED-Datenbank zu erfolgen.
Diese wird jedoch gemäß den zur Drucklegung verfügbaren Informationen erst Mitte
2023 zur Verfügung stehen, in der Zwischenzeit muss wie noch unter den ursprüng-
lichen Richtlinien die Meldung an jene Behörde erfolgen, in deren Zuständigkeits­
gebiet das Vorkommnis aufgetreten ist. Zum Beispiel müssen Vorkommnisse in
Deutschland an das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
BfArM (www.bfarm.de) gemeldet werden. Ist ein Vorkommnis in Österreich aufgetre-
ten, muss dieses an das BASG (www.basg.gv.at) gemeldet werden. Auch in der
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Schweiz sind weiterhin vergleichbare Regelungen implementiert, Vorkommnisse in


der Schweiz müssen an das Schweizerische Heilmittelinstitut (www.swissmedic.ch)
berichtet werden. Die Verpflichtung zur Meldung an die nationale Aufsichtsbehörde
gilt unabhängig vom Sitz des Herstellers und ist lediglich abhängig vom Ort, an wel-
chem das Vorkommnis aufgetreten ist. Die vollständige Übersicht der für die Bewer-
tung von Vorkommnissen zuständigen Stellen in der Europäischen Union (Vigilance
Contact Points) bietet die Internetseite der Europäischen Kommission [13.43].
For personal use only.

TIPP:
Für eine möglichst vollständige Erstmeldung von Herstellern oder Vertreibern
können die elektronischen Meldeformulare verwendet werden. Das europäische
Meldeformular findet sich auf der Internetseite der Europäischen Kommission:
https://ec.europa.eu/health/sites/default/files/md_sector/docs/md_guidance_
meddevs.pdf unter https://ec.europa.eu/docsroom/documents/41681.
Eine deutsche Übersetzung bieten die jeweiligen Behörden auf ihren Internetseiten
an:
Deutschland: https://www.bfarm.de/SharedDocs/Formulare/DE/
Medizinprodukte/Meldeformular_Vorkommnisse.pdf
Österreich: https://www.basg.gv.at/marktbeobachtung/meldewesen/
medizinprodukte#c22082
Schweiz: https://www.swissmedic.ch/swissmedic/de/home/medizinprodukte/
vorkommnisse---fsca-melden--materiovigilance-.html
Neben dem Formular ist es sinnvoll, auch die maschinenlesbare XML-Datei zu
übermitteln, um Tipparbeit und Tippfehler zu reduzieren.

Ziel der Meldung ist, so rasch und vollständig wie möglich die Ursache für das
Vorkommnis zu finden und basierend auf diesen Erkenntnissen die Notwendigkeit
von Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen festzulegen. Die Information der Be-
hörde ist sinnvoll, da neben dem Hersteller auch die Betreiber die Verpflichtung
zur Meldung von Vorkommnissen haben.
464 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

Die Vorgaben der Medizinprodukte-Verordnungen sehen vor, dass alle Meldungen


an Behörden über ein elektronisches Portal erfolgen müssen. Diese Meldungen
werden in der Europäischen Datenbank für Medizinprodukte (EUDAMED) gespei-
chert und den zuständigen Behörden zur Verfügung gestellt. Die genauen Spezifi-
kationen des elektronischen Meldeportals waren zur Drucklegung noch nicht be-
kannt.

13.3.5.2 Meldung von Korrekturmaßnahmen im Feld


Stellt der Hersteller fest, dass ein Produkt im Markt eine nicht vertretbare Gefähr-
dung darstellt, so muss er eine „Korrekturmaßnahme im Feld“ (Field Safety Correc-
tive Action  – FSCA) einleiten. Diese Entscheidung kann sowohl aufgrund einer
­Ursachenanalyse nach einem Vorkommnis als auch aufgrund einer internen Feh-
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leranalyse getroffen werden. FSCAs müssen an alle Marktaufsichtsbehörden in


­Europa gemeldet werden, in deren Zuständigkeitsbereich die FSCA durchgeführt
wird. Die Meldung von FSCAs hat in Deutschland an das BfArM, in Österreich an
das BASG und in der Schweiz an die Swissmedic zu erfolgen. Die Aufsichtsbehör-
den bewerten die vorgeschlagenen Maßnahmen und Fristen und überwachen die
korrekte und fristgerechte Umsetzung der Maßnahmen im jeweiligen Zuständig-
keitsbereich. Der Hersteller sorgt dafür, dass Informationen über die ergriffenen
For personal use only.

Sicherheitskorrekturmaßnahmen im Feld den Anwendern des betreffenden Pro-


dukts unverzüglich mittels einer Sicherheitsanweisung im Feld zur Kenntnis ge-
bracht werden. Als Korrekturmaßnahmen im Feld gelten:
ƒ der systematische Rückruf eines Medizinprodukts aufgrund technischer
oder medizinischer Gründe (z. B. Rückruf eines speziellen Produkttyps auf-
grund mangelhafter Sterilität, Rückruf einer Charge wegen Produktionsfeh-
lern etc.),
ƒ die Ausstellung einer Maßnahmenempfehlung (z. B. Empfehlung, alle Produkte
einer Charge zu vernichten oder nochmals zu prüfen, Empfehlungen zu Ein-
schränkungen bei der Anwendung eines Produkts),
ƒ die zusätzliche Überwachung oder Modifikation von Produkten (z. B. spezielle
Vorsorge- oder Kontrolluntersuchungen vor Anwendung des Produkts),
ƒ Modifikationen des Produktdesigns von Komponenten oder des Herstellungs-
prozesses (z. B. Änderung von Produktionsprozessen, um Risiken zu reduzie-
ren) sowie
ƒ Modifikationen der Kennzeichnung oder der Gebrauchsanweisung (z. B. Klar-
stellung der Gebrauchsanweisung, um Fehlbedienungen zu verhindern, Ein-
schränkungen der Zweckbestimmung).
13.4 Die FDA-Herstellerinspektion 465

TIPP:
Häufig kann es sinnvoll sein, auch die für den Hersteller zuständige Marktauf-
sichtsbehörde über Korrekturmaßnahmen im Feld zu informieren, auch wenn das
Produkt nicht im jeweiligen Land vertrieben wird. Wenn mit der Meldung eindeu-
tig klar ist, dass das Produkt im jeweiligen Mitgliedsstaat nicht vertrieben wurde,
können Rückfragen bereits im Vorfeld verhindert werden.

Ebenso wie Vorkommnisse müssen Korrekturmaßnahmen „unverzüglich“ an die


zuständigen Behörden gemeldet werden. Als „unverzüglich“ wird „spätestens bei
Einleitung der Maßnahme am Markt“ verstanden.
Neben der Meldung durch den Hersteller informieren sich die europäischen
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Marktaufsichtsbehörden gegenseitig, um sicherzustellen, dass eine Korrektur-


maßnahme in allen europäischen Mitgliedstaaten umgesetzt wird. Dieser Aus-
tausch erfolgt über die europäische Vigilanzdatenbank EUDAMED und wird Natio-
nal Competent Authority Report (NCAR) genannt. Außer bei Gefahr im Verzug wird
der NCAR durch die ausstellende Stelle dem Hersteller zur Stellungnahme über-
mittelt. Der NCAR ersetzt jedoch nicht die Herstellerverpflichtung zur Information
aller beteiligten Behörden und zur Umsetzung der Maßnahmen in allen betroffe-
nen Ländern.
For personal use only.

„ 13.4 Die FDA-Herstellerinspektion
Die zuständigen nationalen europäischen Behörden sind angehalten, auf geeignete
Art und Weise die Übereinstimmung der Merkmale und der Leistung von Produk-
ten zu kontrollieren [13.44]. Dies erfolgt u. a. durch angekündigte und erforderli-
chenfalls unangekündigte Kontrollen in den Räumlichkeiten der Wirtschaftsak-
teure sowie in den Räumlichkeiten von Zulieferern und/oder Unterauftragnehmern
und, falls erforderlich, in den Einrichtungen beruflicher Anwender. Dieses Markt-
überwachungsprogramm umfasst demnach nicht nur alle in einem europäischen
Mitgliedstaat ansässigen Hersteller von Medizinprodukten, sondern auch deren
Zulieferer, bei außereuropäischen Herstellern auch deren jeweiligen europäischen
Bevollmächtigten und Importeur. Ebenso wie europäische Behörden führt die Food
and Drug Administration (FDA) Inspektionen bei Herstellern und Anwendern
durch. Das FDA-Inspektionsprogramm umfasst bereits seit vielen Jahren nicht nur
US-inländische Hersteller und Unternehmen, sondern in den letzten Jahren ver-
stärkt auch Hersteller mit einer Betriebsstätte außerhalb der USA, welche Pro-
dukte in den amerikanischen Markt liefern. Jedes Unternehmen, das Medizinpro-
dukte oder IVDs entwickelt oder herstellt, egal wo, kann bzw. muss irgendwann
466 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

mit einer FDA-Routineinspektion rechnen, wenn es seine Produkte in den US-ame-


rikanischen Markt liefert (Ausnahme: siehe Abschnitt 13.5). Die FDA-Inspektoren
können zwar außerhalb der USA den Zutritt zu den Betriebsstätten eines Herstel-
lers nicht erzwingen, allerdings ist im Fall der Verweigerung des Zutritts mit Kon-
sequenzen zu rechnen (insbesondere Verbot, die Produkte weiterhin am US-ameri-
kanischen Markt vertreiben respektive importieren zu dürfen). Wie in Europa
können Audits durch die FDA entweder als anlassbezogene Inspektion oder als
Routineaudits erfolgen.
Anlassbezogene Inspektionen sind einerseits Teil der PMA-Marktzulassung (Pre-
market Approval) von speziellen kritischen Produkten (siehe Kapitel 3, Rechtliches
Umfeld und Zulassungsanforderungen, Abschnitt 3.2.2), andererseits werden sie
zum Abklären besonderer Vorkommnisse wie Produktrückrufe angesetzt. Im ers-
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ten Fall wird vor allem nachvollzogen, ob das Design des neuen Produkts sicher ist,
ob die erhobenen Daten schlüssig sind und ob die Herstellprozesse validiert wur-
den. Im zweiten Fall will die Behörde vor allem klären, was die Ursache für das
Vorkommnis war und welche Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen das Unterneh-
men daraus abgeleitet hat.
Routineinspektionen haben das Ziel, die Qualität der in den USA in Verkehr ge-
brachten Medizinprodukte sicherzustellen. Im Rahmen von Routineinspektionen
For personal use only.

wird geprüft, ob die gesetzlichen Anforderungen erfüllt werden, insbesondere ob


Unregelmäßigkeiten im QM-System des Herstellers auftreten. Die Auswahl der
Hersteller erfolgt risiko- und stichprobenbasiert. Das von der FDA veröffentlichte
Compliance Programme (CP 7382.845) für die Inspektion von Medizinprodukte­
herstellern umfasst dabei neben den QSR (21 CRF Part 820 „Quality System Regula-
tions“) [13.45] die folgenden weiteren Gesetze:
ƒ Medical Device Reporting [13.46],
ƒ Medical Device Tracking [13.47],
ƒ Device Corrections and Removals [13.48],
ƒ Registration and Listing Regulation [13.49],
ƒ Electronic Records and Signatures [13.50].
Die QSR legen dabei die Hauptanforderungen fest, welche Prozesse im Rahmen
des QM-Systems eines Medizinprodukteherstellers etabliert (established) und direkt
vom Management umgesetzt werden müssen. Eine detaillierte Beschreibung zu
den einzelnen Subthemen findet man im Quality System Inspection Technique Guide
(QSIT Guide) [13.51]. Dieses Programm legt im Wesentlichen auch die Schwer-
punkte und die Vorgangsweise für solch ein Baseline-Audit fest. Das Baseline-Audit
durch die FDA dauert typischerweise vier Tage und umfasst die folgenden vier Be-
reiche, wobei für jeden einzelnen Punkt zumindest ein Tag eingeplant werden
sollte:
13.4 Die FDA-Herstellerinspektion 467

ƒ Management (21 CFR Part 820.22)


Im Vordergrund stehen die Verantwortung des Managements sowie die Umset-
zung der regulatorischen Verpflichtungen. Die Anforderungen beinhalten Vor-
gaben bezüglich Qualitätspolitik und Qualitätszielen, Organisation, Ressour-
cenplanung, Prozesse für (interne) Audits sowie Planung und Durchführung
von Managementreviews.

BEACHTE:
Ergebnisse von internen Audits und Ergebnisse des Managementreviews bzw. von
Lieferantenbewertungen können von den Inspektoren der FDA im Rahmen eines
Audits nicht direkt gefordert und eingesehen werden. Allerdings können die Ins-
pektoren im Rahmen der Überprüfung des CAPA-Systems nachvollziehen, inwieweit
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Abweichungen gefunden, analysiert und behoben wurden.


ƒ Design Control (21 CFR Part 820.30)


Die Anforderungen an den Entwicklungsprozess werden im Rahmen eines QSIT-
Audits meist exemplarisch anhand eines Beispielprojekts überprüft. Dabei wer-
den typischerweise die Themen Risikoanalyse, Designverifikation- und -validie-
rung sowie Designtransfer nachvollzogen, und auch die Anforderungen an die
For personal use only.

Dokumentenlenkung (21 CFR Part 820.40) werden häufig mitbetrachtet.


ƒ Corrective Actions and Preventive Actions (CAPA) (21 CFR Part 820.100)
Das vom Hersteller eingeführte System muss gewährleisten, dass mögliche
Probleme identifiziert und geeignete Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen de-
finiert, dokumentiert und umgesetzt werden. Die Kontrollen der Inspektoren
beinhalten die Plausibilität und Vollständigkeit aufgezeichneter Reklamatio-
nen oder Problemberichte (z. B. aus der Produktion). Darüber hinaus muss
jede Meldung bezüglich der Auswirkungen auf die Produktqualität und -si-
cherheit bewertet werden. Das System steht dabei in engem Zusammenspiel
zu internen Audits, Lieferantenbewertungen, aber auch den Ergebnissen des
Managementreviews. Die Inspektoren verwenden dabei gerne Probenzugtabel-
len, um die Stichprobengröße der Berichte (Records) festzulegen.
Als Bestandteil des CAPA-Systems werden hier auch die Anforderungen des
Medical Device Reporting (21 CFR Part 820.198) sowie der Corrections and
­Removals (21 CFR 820.90) geprüft  – ähnlich wie beim europäischen System
(siehe Abschnitt 13.3.5) ist auch die FDA bei schwerwiegenden Vorkommnis-
sen fristgerecht zu informieren.
ƒ Production and Process Control (21 CFR Part 820.70)
Im Rahmen des Audits werden insbesondere jene Prozesse genauer betrachtet,
welche bereits bei Korrektur- oder Vorbeugemaßnahmen aufgefallen sind. Be-
sondere Schwerpunkte werden aber auch auf Prozesse mit erhöhtem Fehler­
468 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

potenzial gesetzt  – beispielsweise auf Sterilisationsprozesse. Dabei werden


­sowohl Aufzeichnungen wie auch Metadaten wie z. B. Trending sowie Validie-
rungsunterlagen eingesehen.

BEACHTE:
Die Vorgehensweise wie auch die Rechte der FDA-Inspektoren unterscheiden sich
je nachdem, ob das Audit innerhalb oder außerhalb der USA durchgeführt wird.
In den USA haben die Inspektoren umfassende Rechte zur Umsetzung von Sofort-
maßnahmen vor Ort, welche auch das Tragen von Waffen einschließt. Außerhalb
der USA werden die Audits meist vier bis sechs Wochen vorangekündigt. Die FDA
kann sich den Zutritt zu einer Betriebsstätte eines nicht-US-amerikanischen Her-
stellers zwar nicht erzwingen, allerdings ist im Fall einer Zutrittsverweigerung bzw.
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ungerechtfertigten Zutrittsverzögerung mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen


(z. B. Vertriebs- und Importverbote für den US-amerikanischen Markt). Außerhalb
der USA wird ein QSIT-Audit meist nur von einem Inspektor durchgeführt, wäh-
renddessen Inspektionen in den USA meistens von zwei Personen durchgeführt
werden.

Ein Audit durch die FDA hat in der Vergangenheit vielen Unternehmen mehr Kopf-
zerbrechen bereitet als andere Behördenaudits. Ein Grund dafür war, dass von der
For personal use only.

FDA festgestellte Abweichungen veröffentlicht werden, da diese dem amerikani-


schen Freedom of Information Act unterliegen. Ein weiterer gravierender Unter-
schied zu den Audits anderer Behörden oder Benannter Stellen sind die zum Teil
harten Konsequenzen, die direkte Auswirkungen auf den Marktzugang und den
Geschäftserfolg am amerikanischen Markt haben können.

BEACHTE:
Durch die Anforderungen der MPV und IVDV bezüglich Marktüberwachung, durch
die erhöhte „Transparenz“ aufgrund der EUDAMED-Datenbank sowie durch Har-
monisierungsbestrebungen der Behörden der wichtigsten Märkte (siehe Abschnitt
13.5) ist zu erwarten, dass in Zukunft auch bei Inspektionen durch europäische
Behörden mit schwerwiegenderen Konsequenzen gerechnet werden muss.

2016 wurden bei Herstellern von Medizinprodukten mehr als 2.175 Inspektionen
des Qualitätssystems durch die FDA-Behörde durchgeführt, davon ungefähr zwei
Drittel bei US-amerikanischen Firmen. Werden während der Inspektion gravie-
rende Mängel entdeckt, haben die FDA-Inspektoren eine Vielzahl von Möglichkei-
ten, um die „compliance“ wiederherzustellen und Produkte – vorübergehend oder
dauerhaft – vom amerikanischen Markt zu entfernen:
ƒ Beobachtungen – mündlich während der Inspektion mitgeteilt
Typischerweise die einfachste Möglichkeit des Inspektors, Abweichungen zu
den Vorgaben zu kommunizieren. Diese müssen natürlich entsprechend nach-
13.4 Die FDA-Herstellerinspektion 469

verfolgt und beseitigt werden, sie ziehen keine unmittelbaren Konsequenzen


nach sich.
ƒ Formale Beobachtung – schriftliche Mitteilung per Einschreiben
Die Mitteilung erfolgt mittels des Formulars Nummer 483 Inspectional Obser-
vations und stellt die erste, bereits relativ hohe, Eskalationsstufe dar. 2016
wurden 854 formale Beobachtungen („483er“) veröffentlicht. Diese betrafen zu
über 33 % den CAPA-Prozess und zu ca. 32 % die Produktion und Prozesskon­
trolle. Diese Beobachtungen können auf der Internetseite der FDA (www.fda.
gov) eingesehen werden. Durch die Veröffentlichung dieser Observations be-
steht ein hoher Druck auf das Unternehmen, Korrekturen einzuleiten, da an-
sonsten nicht nur eine mögliche weitere Eskalation vonseiten der FDA möglich
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ist, sondern auch deshalb, weil mit einem „483er“ bereits ein beträchtlicher
Imageschaden verbunden sein kann.
ƒ Schriftliche Warnung – Warning Letter
Ein Warning Letter stellt die nächste Eskalationsstufe durch die FDA dar. Er
geht häufig bereits mit einem vorübergehenden Vertriebs- und Importverbot
einher. Ein Warning Letter bedeutet in der Regel dringenden Handlungsbedarf,
weil die Behörde rasch, meist innerhalb von zwei Wochen, geeignete Vor-
For personal use only.

schläge zur Beseitigung der gefundenen Observations fordert und auch deren
Umsetzung regelmäßig überwacht. Bei nicht entsprechenden oder nicht zeit­
gerechten Korrektur- und Verbesserungsmaßnahmen drohen weitere Eska-
lationsschritte. Da Warning Letters auf der FDA-Homepage publiziert werden,
fordern häufig auch andere Behörden weltweit eine Umsetzung von Korrektur-
maßnahmen basierend auf den Findings des Warning Letters.
Von den 57 Warning Letters, die im Jahr 2016 von der FDA an Hersteller und
Importeure von Medizinprodukten verschickt wurden, betrafen 24 US-ameri-
kanische Unternehmen und 33 Unternehmen außerhalb der USA, insbeson-
dere Firmen in Großbritannien (6), China (6) und Deutschland (4). Die Ent-
wicklung der letzten 15 Jahre (2004 gingen noch fast 90 % aller Warning Letter
an US-Firmen) zeigt deutlich, dass die FDA verstärktes Interesse auf auslän­
dische Firmen gelegt hat. Dies ist unter anderem auf einige Vorfälle in den
Jahren 2008 bis 2010 zurückzuführen, als durch fehlerhafte Produkte und Ma-
terialien eine Reihe von Todesfällen auftraten. Zu erwähnen ist in diesem Zu-
sammenhang der sogenannte „Heparinfall“ im Februar 2008, als verunreinig-
tes, von Baxter aus China zugekauftes Heparin in Dialysefiltern allergische
Reaktionen verursachte, die zum Tod einer beträchtlichen Anzahl von Pati-
enten führte [13.52]. Dies und auch andere ähnliche Vorfälle führten zu star-
kem Druck von Seiten der US-amerikanischen Öffentlichkeit, ausländische
Hersteller und Zulieferer effektiver zu überwachen. Die FDA reagierte darauf
einerseits mit einer Erhöhung der Inspektionsfrequenz bei ausländischen Her-
stellern und Zulieferern, andererseits mit einem zusätzlichen Fokus auf Liefe-
470 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

rantenqualifizierung während ihrer QSR-Inspektionen. Insgesamt kann jedoch


in den letzten Jahren ein deutlicher Rückgang an Warning Letters (WL) festge-
stellt werden (2016: 57 WL; 2015: 101 WL; 2014: 121 WL; 2013: 144 WL). An
der Spitze finden sich wie in den vergangenen Jahren Abweichungen in den
Bereichen Design Control, CAPA, Management Responsibility und Complaint
Handling. Während Abweichungen zu Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen in
fast 70 % aller Warning Letters angemerkt wurden, war die Anzahl der Einzel-
beanstandungen im Bereich der Entwicklungsprozesse größer. Langfristig
sucht die FDA globale Kooperationen wie durch die Etablierung des Medical
Device Single Audit Program (MDSAP) – siehe Abschnitt 13.5.
ƒ Injunctions, Consent Decrees and Criminal Charges
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Massive Abweichungen der Compliance, insbesondere bei grober Fahrlässigkeit


oder vorsätzlichem Verhalten, können empfindliche Geldstrafen (bis zu 15 000
US-Dollar für jede Abweichung, in Summe bis maximal 1 000 000 US-Dollar),
Importverbote oder behördliche Recalls (Produktrückrufe) nach sich ziehen.
Besonders gravierende Abweichungen können zur Beschlagnahme von Produk-
ten, einstweiligen Verfügungen, Vorladung oder sogar zur Anklage gegen Vertre-
ter des Herstellers führen. Insbesondere leitende Angestellte und Geschäftsfüh-
For personal use only.

rer können bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz gerichtlich belangt werden.

BEACHTE:
Unabhängig von den oben genannten Strafen durch die Behörden erfordert die
Beseitigung von gefundenen Observations hohe Aufwendungen. Um aus einem
Warning Letter wieder herauszukommen, fallen nicht selten Kosten im ein- bis
zweistelligen Millionenbereich an. Werden auch die wirtschaftlichen Folgewirkun-
gen, verursacht durch Produktrückrufe, Importsperren und verzögerte Produkt-
neuzulassungen mitgerechnet, kann der Schaden durch Nichteinhaltung der gel-
tenden Regeln (non-compliance) bei großen Unternehmen auch acht- bis
neunstellige Kosten verursachen. Beispiele dazu existieren.

TIPP:
Eine sorgfältige Vorbereitung und professionelle Begleitung sind unabdingbar,
wenn ein Unternehmen eine Behördeninspektion ohne Beanstandungen absolvie-
ren möchte. Beachten Sie insbesondere folgende Punkte:
Allgemeine Vorbereitung:
ƒ Überprüfen aller Vorgabedokumente auf Aktualität,
ƒ Beschriftungen und Aufzeichnungen prüfen,
ƒ Review aller Prozesse auf Abweichungen und Trends,
ƒ Reklamationen, Änderungen und Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen der
letzten Jahre einem Review unterziehen,
ƒ Beheben von erkannten Abweichungen.
13.5 Medical Device Single Audit Program – MDSAP 471

Vorbereitungen für das Audit:


ƒ Überprüfen der Bereiche auf Sauberkeit und Ordnung,
ƒ „Briefing“ der Mitarbeiter (Standardantworten),
ƒ Festlegen der Zuständigkeiten und einer effektiven Auditorganisation,
ƒ Managementverantwortliche,
ƒ Core Team (im Kontakt mit den Inspektoren),
ƒ Backoffice (Dokumentenbeschaffung und -review),
ƒ Expertenteam,
ƒ wichtige Dokumente, Aufzeichnungen und Unterlagen griffbereit halten, gege-
benenfalls Kurzpräsentationen erstellen.
Begleitung der Inspektoren:
ƒ Etablieren Sie eine zuvorkommende, freundliche und professionelle Atmo-
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sphäre.
ƒ Inspektoren nie allein und nie warten lassen.
ƒ Inspektoren nie selbst am Computer arbeiten lassen, auf aktivierten Passwort-
schutz achten.
Verhalten während der Inspektion:
ƒ Sprechen Sie nur, wenn Sie gefragt werden.
ƒ Nur antworten, was Sie gefragt wurden, keine „freiwilligen“ Informationen.
ƒ Nur zu Themen antworten, die in der eigenen Verantwortung liegen.
For personal use only.

ƒ Klar, konsistent und ehrlich antworten, nicht raten, glauben oder meinen. Wenn
Sie nicht sicher sind, den Vorgesetzten fragen.
ƒ Diskussion mit dem Inspektor meiden.
ƒ Keine „inoffiziellen“ Dokumente wie Listen, Zusammenfassungen oder Entwürfe
verwenden.

„ 13.5 Medical Device Single Audit Program –


MDSAP
Das MDSAP ist ein von verschiedenen internationalen Behörden anerkanntes
­Auditprogramm, welches nicht durch Behörden selbst, sondern durch eine dritte
Partei  – die Auditing-Organisation (vergleichbar mit den Benannten Stellen für
­Europa) – durchgeführt wird [13.53]. Ziel des MDSAP ist es, in einem Audit die
Anforderungen verschiedener internationaler Zulassungsbehörden im Medizin-
produktebereich abzudecken.
Auch das International Medical Device Regulators Forum (IMDRF) hat vier Richt­
linien für ein Medical Device Single Audit Program (MDSAP) erarbeitet und am
18. Dezember 2013 veröffentlicht [13.54].
472 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

13.5.1 Teilnehmende Behörden
Am MDSAP beteiligen sich fünf internationale Behörden:
ƒ Therapeutic Goods Administration of Australia,
ƒ Health Canada,
ƒ Agência Nacional de Vigilância Sanitária (Brasilien),
ƒ Japan’s Ministry of Health, Labour and Welfare, and the Japanese Phar-
maceuticals and Medical Devices Agency,
ƒ United States Food and Drug Administration (FDA).
Die Europäische Union sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Be-
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wertung von In-vitro-Diagnostika haben in dem Programm einen Beobachtersta-


tus. Wie im MDCG-Guidance-Dokument MDCG 2020-14 [13.55] dargestellt, gibt
es Ansätze, wie solche MDSAP-Auditberichte auch von europäischen Benannten
Stellen im Rahmen von Konformitätsbewertungsverfahren berücksichtigt werden
können.
Die Teilnahme am MDSAP wird dabei von den teilnehmenden Behörden leicht un-
terschiedlich interpretiert. Für den kanadischen Markt gilt die MDSAP-Zertifizie-
For personal use only.

rung des Herstellers als Voraussetzung für den Markteintritt und löste damit das
bisher etablierte CAMDCAS (Canadian Medical Device Conformity Assessment Sys-
tem) mit 31.  Dezember 2018 ab. Ebenfalls für den japanischen Markt ist eine
MDSAP-Zertifizierung sowohl für Hersteller als auch für die Market Authorisation
Holder verpflichtend. Gemäß den Marktzugangsvoraussetzungen für Australien ist
ein Markteintritt entweder über die CE-Kennzeichnung der Produkte im Rahmen
der gegenseitigen Anerkennung (Mutual Recognition) möglich; als Alternative zu
CE-gekennzeichneten Medizinprodukten ist der Weg über die MDSAP-Zertifizie-
rung gemeinsam mit einer nationalen Zulassung möglich. Für den Marktzugang in
Brasilien muss der Hersteller ein Qualitätssicherungssystem in Übereinstimmung
mit den Anforderungen der brasilianischen GMP (Good Manufacturing Practice)
belegen  – ein Qualitätsmanagementsystem, welches MDSAP-zertifiziert ist, gilt
der ANVISA als Nachweis, dass ein solches System etabliert ist. Die US-amerikani-
sche FDA akzeptiert ein MDSAP-zertifiziertes Qualitätsmanagementsystem als Er-
satz für die durch die FDA durchgeführten Routineinspektionen – Inspektionen im
Rahmen von PMA-Verfahren (Premarket Approval) oder anlassbezogene Inspektio-
nen können dadurch jedoch nicht ersetzt werden.
Es ist jedoch zu beachten, dass im Rahmen der Entscheidung eines Herstellers, das
Qualitätsmanagementsystem nach MDSAP zertifizieren zu lassen, die nationalen
Anforderungen aller am MDSAP teilnehmenden Behörden verpflichtend sind,
wenn der Hersteller die Produkte im jeweiligen Land in Verkehr bringt. Alle Behör-
den, in deren Zuständigkeitsbereich die Medizinprodukte in Verkehr gebracht wer-
13.5 Medical Device Single Audit Program – MDSAP 473

den, erhalten vollen Zugriff auf die Auditberichte, welche im Rahmen der MDSAP-
Zertifizierung und Überwachung erstellt werden. Es ist nur möglich, die
Anforderungen einzelner MDSAP-Behörden auszulassen, wenn die Produkte in
den jeweiligen Ländern nicht vertrieben werden.

BEISPIEL:
Ein Hersteller bringt Medizinprodukte in Australien, den USA und Kanada auf den
Markt. Im australischen Markt werden die Produkte mit dem CE-Kennzeichen
vertrieben, für den US-amerikanischen Markt besteht eine Registrierung nach
510k. Aufgrund der kanadischen Anforderungen muss der Hersteller sich im
Rahmen des MDSAP zertifizieren lassen. Damit müssen im Rahmen des MDSAP-
Audits die nationalen Anforderungen der australischen, kanadischen und US-
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amerikanischen Behörden geprüft werden. Alle drei Behörden bekommen den


vollen Zugriff auf die MDSAP-Auditberichte.

Es sollte bei der Entscheidung zur Einführung des MDSAP jedoch nicht übersehen
werden, dass ein negatives Auditergebnis zu Maßnahmen aller am MDSAP teilneh-
menden Behörden und damit zu einem – zumindest vorübergehenden – Vertriebs-
verbot der Produkte in fünf der größten Medizinproduktemärkte weltweit führen
kann.
For personal use only.

13.5.2 Ablauf des MDSAP-Audits


MDSAP ist ein stark reglementiertes und international harmonisiertes Programm,
um ein Audit eines Qualitätsmanagementsystems gemäß den Anforderungen der
ISO 13485 durchzuführen. Bis Ende des Jahres 2018 konnten Audits nach der ISO
13485:2003 durchgeführt werden. Seit Anfang des Jahres 2018 sind Audits nur
noch auf Basis der ISO 13485:2016 möglich.
Das Vorgehen orientiert sich dabei an insgesamt sieben Subsystemen. Als zentra-
les Element werden die vier Kern-Subsysteme verstanden:
ƒ Management,
ƒ Messung/Analyse und Verbesserung,
ƒ Design und Entwicklung,
ƒ Produktion und Dienstleistungserbringung.
Diese werden durch die drei unterstützenden Subsysteme ergänzt:
ƒ Marktzulassung und Registrierung,
ƒ Meldesystem für Vigilanz und Korrekturmaßnahmen,
ƒ Beschaffung.
474 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

13.5.2.1 Das Management-Subsystem
Das Topmanagement des Unternehmens muss gewährleisten, dass das eingeführte
Qualitätsmanagementsystem angemessen und wirksam ist und aufrechterhalten
wird. Dafür müssen von der obersten Leitung die notwendigen Ressourcen identi-
fiziert und zur Verfügung gestellt werden. Des Weiteren muss das Topmanagement
die Wirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems in regelmäßigen Abständen
bewerten (Managementbewertung). Die Anforderungen an das Management-Sub-
system umfassen dabei neben dem Normkapitel 5 der ISO 13485 auch die Anfor-
derungen an Auswahl und Training der Mitarbeiter (Normkapitel 6.2) sowie der
Infrastruktur und Arbeitsumgebung (Normkapitel 6.3 und 6.4).

13.5.2.2 Messung/Analyse und Verbesserung


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Der Hersteller muss gezielt Informationen betreffend die Produkte, Prozesse sowie
das Qualitätsmanagementsystem sammeln und auswerten. Ziel ist es, vorhandene
und mögliche Probleme bei den Produkten, bei Prozessen oder im Qualitätsma-
nagementsystem zu untersuchen und geeignete Korrektur- oder Vorbeugemaßnah-
men zu treffen.

13.5.2.3 Design und Entwicklung


For personal use only.

Das Unternehmen muss Verfahren etablieren, die sicherstellen, dass die Medizin-
produkte die Anforderungen der Anwender erfüllen, für die Zweckbestimmung
geeignet sind und spezifische (z. B. nationale) Anforderungen erfüllen  – siehe
hierzu auch das Subsystem „Marktzulassung und Registrierung“. Die Anforderun-
gen müssen anhand eines gelenkten Prozesses identifiziert und in Produktspezifi-
kationen umgesetzt werden. Dazu muss das Unternehmen Kontrollprozesse ein-
richten, dokumentieren, implementieren und aufrechterhalten.

13.5.2.4 Produktion und Dienstleistungserbringung


Die vom Unternehmen etablierten Prozesse müssen gewährleisten, dass die Pro-
dukte und Dienstleistungen gemäß den etablierten Vorgaben hergestellt werden.
Des Weiteren müssen Kontrollprozesse etabliert sein, die nachvollziehbar gewähr-
leisten, dass die Produkte den vordefinierten Spezifikationen entsprechen. Sofern
notwendig müssen Prozesse dafür validiert werden. Ein besonderes Augenmerk
liegt insbesondere mit der ISO 13485:2016 auf der Validierung computergestütz-
ter Prozesse – sofern diese der Lenkung oder Dokumentation von Prozessen die-
nen und qualitätsrelevante Auswirkungen haben können.
13.5 Medical Device Single Audit Program – MDSAP 475

13.5.2.5 Marktzulassung und Registrierung


Es müssen Prozesse etabliert sein, welche die nationalen Anforderungen zur
Marktzulassung und Registrierung von Unternehmen und Produkten beschreiben.
Der Prozess ist als Unterstützungsprozess eng mit dem Management-Subsystem
verbunden, um die konsistente Umsetzung von Marktzugangsentscheidungen zu
gewährleisten. Des Weiteren ist der Prozess mit dem Design- und Entwicklungs-
prozess verbunden. So kann gewährleistet werden, dass nationale regulatorische
Anforderungen wie z. B. Kennzeichnung, spezielle Normen oder Guidance-Doku-
mente im Rahmen der Entwicklung berücksichtigt werden.

13.5.2.6 Meldesystem für Vigilanz und Korrekturmaßnahmen


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Das Unternehmen muss ein konsistentes System etablieren und dokumentieren,


um Vorkommnisse (Adverse Events) oder Maßnahmen fristgerecht an die jeweili-
gen Behörden zu melden. Die nationalen Anforderungen zu Meldepflichten und
Meldefristen müssen speziell berücksichtigt werden. Dieses Subsystem ist eng mit
dem Subsystem Messung, Analyse und Verbesserung verbunden. So kann gewähr-
leistet werden, dass sowohl externe Informationen – wie z. B. Kundenrückmeldun-
gen und Reklamationen – als auch intern festgestellte Probleme entsprechend an
die Zulassungsbehörden gemeldet werden.
For personal use only.

13.5.2.7 Beschaffung
Der Beschaffungsprozess hat eine starke Verbindung zu den drei Kern-Subsyste-
men Messung, Analyse und Verbesserung, Design und Entwicklung sowie Produk-
tion und Dienstleistungserbringung. Die Prozesse sollen gewährleisten, dass be-
schaffte Rohmaterialien, Komponenten und Dienstleistungen die vordefinierten
Anforderungen erfüllen. Spezielles Augenmerk ist dabei auch darauf zu legen,
dass – unter Berücksichtigung der Kritikalität der Komponenten oder Dienstleis-
tungen – die Anforderungen aus dem Qualitätsmanagement auch bei Auftragneh-
mern oder Dienstleistern erfüllt werden.

13.5.3 Dauer eines MDSAP-Audits


Die Berechnung der Auditzeiten berücksichtigt ausschließlich die zu betrachten-
den Prozesse. Die Größe des Unternehmens oder die Komplexität der Produkte
finden keinen Einfluss in die Berechnung der Auditzeiten und damit der Kosten für
ein solches Audit.
Typischerweise muss für die Erstzertifizierung eines Medizinprodukteherstellers
ein Umfang von ca. sechs bis sieben Audittagen vor Ort gerechnet werden.
476 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

„ 13.6 Zusammenfassung
Neben den Benannten Stellen kontrollieren auch die nationalen Marktaufsichts­
behörden, dass die am europäischen Markt befindlichen Medizinprodukte und In-
vitro-Diagnostika den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Besonderer
Schwerpunkt ist dabei die korrekte Definition der Medizinprodukte – der Nachweis,
dass die Produkte korrekt abgegrenzt und klassifiziert werden. Eine besondere
Herausforderung stellt des Weiteren der Nachweis der klinischen Wirksamkeit
und Sicherheit dar – dieser Prozess muss eng mit dem Risikomanagementprozess
verknüpft sein. Die Anforderungen an die klinische Bewertung wurden seit 2010
immer weiter erhöht – die Anforderungen der MEDDEV-Guideline 2.7/1, rev 4 so-
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wie der MPV und IVDV sind eine konsequente Weiterführung dieser Entwicklung.
Auch die korrekte Implementierung des Reklamations- und Meldesystems stellt
einen wichtigen Baustein für die Sicherheit und Leistungsfähigkeit der Medizin-
produkte dar, welche im Rahmen von Audits durch Benannte Stellen sowie Stich-
probenkontrollen im Rahmen von Behördeninspektionen geprüft werden. Der
Schwerpunkt auf klinische Daten als Nachweis der Leistungsfähigkeit und Sicher-
heit war bereits in der Vergangenheit ein essenzieller Bestandteil der Technischen
For personal use only.

Dokumentation, wird aber durch die beiden neuen EU-Verordnungen noch weiter
verstärkt.
Inspektionen durch die Behörden bzw. Audits der Benannten Stellen sollen dabei
sicherstellen, dass der Hersteller die gesetzlichen Pflichten erfüllt und die Pro-
dukte sicher und spezifikationskonform sind. Die Überprüfung erfolgt entweder
im Rahmen konkreter Vorkommnisse oder als Routineinspektion und kann sowohl
beim Hersteller oder Vertreiber, beim Zulieferer, aber auch beim Anwender (Betrei-
ber) stattfinden.
Eine besondere Herausforderung für Hersteller stellt ein Audit durch die US-ame-
rikanische FDA-Behörde dar. Die besondere Aufgabe ist es, die detaillierten Vorga-
ben und Anforderungen aus dem amerikanischen Recht umzusetzen und durch
eine konsequente Auditvorbereitung negative Konsequenzen am US-amerikani-
schen Markt zu vermeiden.
Für einige internationale Märkte  – Australien, Brasilien, Japan, Kanada und die
USA – wurde mit dem MDSAP (Medical Device Single Audit Program) ein harmoni-
sierter Ansatz geschaffen, wie die Routine-Herstellerüberwachung geregelt wer-
den kann. Der stark formalisierte Ansatz auf Basis der ISO 13485 deckt dabei so-
wohl allgemeine Anforderungen an Qualitätsmanagementsysteme als auch die
spezifischen nationalen Anforderungen der Teilnahmestaaten ab.
13.7 Literatur 477

„ 13.7 Literatur
[13.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechts-
vorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte (90/385/
EWG). Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1990L
0385:20071011:de:HTML, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie 93/42/EWG des Rates über Medizin-
produkte. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A01993​
L0042-20071011&qid=1625654396798, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments
und des Rates über In-vitro-Diagnostika. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/
DE/TXT/?uri=CELEX%3A01998L0079-20120111&qid=1625654480226, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.4] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Par-
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laments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie
2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur
Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (MPV). Verfügbar unter:
http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32017R0745, abgerufen am
01. 07. 2021.
[13.5] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5.  April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der
Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (IVDV). Verfügbar
­unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32017R0746, abgeru-
For personal use only.

fen am 01. 07. 2021.
[13.6] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung Nr. 765/2008 vom 09. 07. 2008 über
die Vorschriften für die Akkreditierung und Marktüberwachung im Zusammenhang mit der
Vermarktung von Produkten. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/
?uri=CELEX%3A32008R0765&qid=1625654798846, abgerufen am 01. 07. 2021. [13.7].
[13.7] MPV Kapitel VII Abschnitt 3 (Artikel 93 ff.).
[13.8] IVDV Kapitel VII Abschnitt 3 (Artikel 88 ff.).
[13.9] MPV Artikel 100 bzw. IVDV Artikel 95.
[13.10] MPV Artikel 93 (3b) bzw. IVDV Artikel 88 (3b).
[13.11] Bundesministerium für Justiz: Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetz MPDG vom 28. April
2020 (BGBl. I S. 960), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 12. Mai 2021 (BGBl. I S.
1087). Verfügbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/mpdg/BJNR096010020.html, abgerufen
am 01. 07. 2021.
[13.12] Bundesministerium für Justiz: Gesetz zur Anpassung des Medizinprodukterechts an die Ver­
ordnung (EU) 2017/745 und die Verordnung (EU) 2017/746 (Medizinprodukte-EU-Anpassungs­
gesetz – MPEUAnpG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. 04. 2020 (BGBl. I S. 960).
Verfügbar unter: 
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_
Verordnungen/GuV/M/Anpassung_des_Medizinprodukterechts.pdf, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.13] Bundesministerium für Justiz: Medizinproduktegesetz MPG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 07. 08. 2002 (BGBl. I S. 3146), zuletzt geändert durch Art. 223 der Verordnung vom 19. 06. 2020
(BGBl. I S. 1328). Verfügbar unter: http://www.gesetze-im-internet.de/mpg/MPG.pdf, abgerufen
am 01. 07. 2021.
[13.14] Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): Übersicht der deut-
schen Marktüberwachungsbehörden (Anmerkung: Inhalte des ehemaligen Deutschen Instituts
für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) wurden in die BfArM-Internetseiten
478 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

integriert), Verfügbar unter: https://www.dimdi.de/dynamic/de/medizinprodukte/institutionen/


landesbehoerden-inverkehrbringen/, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.15] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM): Meldung von Vorkommnissen an
das BfArM. Verfügbar unter: https://www.dimdi.de/dynamic/de/medizinprodukte/informations​
system, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.16] Paul-Ehrlich-Instituts (PEI): Internetauftritt zu In-Vitro-Diagnostika. Verfügbar unter: http://
www.pei.de/DE/in-vitro-diagnostika/in-vitro-diagnostika-node.html, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.17] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Medizinpro­
duktegesetz  MPG 2021, BGBl.  I Nr.  122/2021, Verfügbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/eli/
bgbl/I/2021/122, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.18] Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Bundesgesetz vom 15. 12. 2000 über
Arzneimittel und Medizinprodukte. (Heilmittelgesetz), SR 812.21. Verfügbar unter: https://www.
admin.ch/opc/de/classified-compilation/20002716/index.html, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.19] Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft: Medizinprodukteverordnung MepV
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vom 17. Oktober 2001 (Stand am 1. August 2020), SR 812.213. Verfügbar unter: https://www.fedlex.
admin.ch/eli/cc/2001/520/de, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.20] Europäische Gemeinschaft: Abkommen (ABl. L114 vom 30. 04. 2002, S. 369 i. d. aktuellen Fassung)
zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die
gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (zum Zeitpunkt der Drucklegung
nicht anwendbar). Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX
%3A02002A0430%2805%29-20170728&qid=1625657111566, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.21] MPV Artikel 93 (7) bzw. IVDV Artikel 88 (7).
For personal use only.

[13.22] MPV Artikel 94, Artikel 95 (1 & 4) sowie Artikel 96 (2) bzw. IVDV Artikel 89, Artikel 90 (1 & 4)
sowie Artikel 92 (2).
[13.23] MPV Artikel 15 (1 & 3) bzw. IVDV Artikel 15 (1 & 3).
[13.24] MPV Kapitel V Abschnitt 2 (Artikel 52 ff.) bzw. IVDV Kapitel V Abschnitt 2 (Artikel 48 ff.).
[13.25] MPV sowie IVDV: jeweils Artikel 2 in Verbindung mit Anhang VIII.
[13.26] Global Harmonization Task Force (GHTF)/International Medical Device Regulators Forum
(IMDRF): Principles of In Vitro Diagnostic (IVD) Medical Devices Classification, 09.002.2007.
Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/docs/ghtf/archived/sg1/technical-docs/ghtf-sg1-n045r12-
in-vitro-diagnostic-classification-070209.pdf, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.27] Europäische Kommission: MEDDEV 2.1/3, rev. 3, Dezember 2009: Medical Devices: Guidance
document – Borderline products, drug-delivery products and medical devices incorporating, as
an integral part, an ancillary medicinal substance or an ancillary human blood derivative. Ver-
fügbar unter: https://ec.europa.eu/docsroom/documents/10328/attachments/1/translations/en/
renditions/pdf, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.28] Europäischer Gerichtshof: Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 06. 09. 2012. Ersuchen
um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Deutschland. Richtlinie 2001/83/
EG – Humanarzneimittel – Artikel 1 Nr. 2 Buchst. b – Begriff „Funktionsarzneimittel“ – Definition
des Begriffs „pharmakologische Wirkung“. Rechtssache C-308/11. Verfügbar unter: http://eur-lex.
europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62011CJ0308:DE:NOT, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.29] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie 2003/12/EG der Kommission zur Neu-
klassifizierung von Brustimplantaten im Rahmen der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinpro-
dukte. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:028:0
043:0044:de:PDF, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.30] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie 2005/50/EG der Kommission zur Neu-
klassifizierung von Gelenkersatz für Hüfte, Knie und Schulter im Rahmen der Richtlinie 93/42/
EWG über Medizinprodukte. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.
do?uri=OJ:L:2005:210:0041:0043:de:PDF, abgerufen am 01. 07. 2021.
13.7 Literatur 479

[13.31] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Richtlinie 2007/47/EG des Rates vom 05. 09. 2007
zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte und 93/42/EWG des Rates
über Medizinprodukte sowie der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-
Produkten. Verfügbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:3
2007L0047&qid=1515344583594&from=EN, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.32] MPV Kapitel VI (Artikel 61 ff.) sowie Anhang XIV & XV.
[13.33] Europäische Kommission: MEDDEV 2.7/1, rev. 4, June 2016: Clinical Evaluation: A Guide for Ma-
nufacturer and Notified Bodies under Directives 93/42/EEC and 90/385/EEC. Verfügbar unter:
https://ec.europa.eu/docsroom/documents/17522/attachments/1/translations/en/renditions/pdf,
abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.34] Europäische Kommission: „Interpretative Document of the Commission’s Services – Placing on
the Market of Medical Devices“, 16. 11. 2010: https://ec.europa.eu/docsroom/documents/10265/
attachments/1/translations/en/renditions/pdf, abgerufen am 08. 07. 2021.
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[13.35] Bundesministerium für Justiz: Verordnung über das Errichten, Betreiben und Anwenden von
Medizinprodukten (MPBetreibV), in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. 08. 2002 (BGBl. I
S. 3396), zuletzt geändert durch Art. 7 V vom 21.4.2021 I 833. Verfügbar unter: http://www.gesetze-
im-internet.de/mpbetreibv/index.html, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.36] Bundesministerium für Gesundheit, Familie und Jugend: Medizinprodukte-Betreiberverordnung
(MPBV), BGBl. II Nr.  70/2007. Verfügbar unter: https://www.ris.bka.gv.at/eli/bgbl/II/2007/70,
abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.37] Deutsches Institut für Normung e. V.: EN ISO 17664: Sterilisation von Medizinprodukten – Vom
Hersteller bereitzustellende Informationen für die Aufbereitung von resterilisierbaren Medizin-
For personal use only.

produkten (ISO 17664:2004, Beuth, 2004).


[13.38] MPV Kapitel VII Abschnitt 1 (Artikel 83 ff.) bzw. IVDV Kapitel VII Abschnitt 1 (Artikel 78 ff.).
[13.39] MPV Kapitel VII Abschnitt 2 (Artikel 87 ff.) bzw. IVDV Kapitel V Abschnitt 2 (Artikel 82 ff.).
[13.40] Europäische Kommission: Guidance document – Market surveillance – Guidelines on a Medical
Devices Vigilance System – MEDDEV 2.12/1 rev. 8, 20. 01. 2013. Verfügbar unter: https://ec.europa.
eu/docsroom/documents/15506/attachments/1/translations/en/renditions/pdf, abgerufen am
01. 07. 2021.
[13.41] MPV Artikel 2, Ziffer 65 bzw. IVDV Artikel 2, Ziffer 68.
[13.42] MPV Artikel 87 bzw. IVDV Artikel 82.
[13.43] Vigilance Contact Points der EU: Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/health/md_sector/

contact_en, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.44] MPV Artikel 93 bzw. IVDV Art. 88.
[13.45] Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 820 –
Quality System Regulation, 21 CFR 820. 2012; April 2017.
[13.46] Food and Drug Administration (FDA): Medical Device Reporting. 21 CFR Part 803.
[13.47] Food and Drug Administration (FDA): Medical Device Tracking Requirements. 21 CFR Part 821.
[13.48] U. S. Food and Drug Administration (FDA): Medical Devices; Reports of Corrections und Remo-
vals. 21 CFR Part 806.
[13.49] Food and Drug Administration (FDA): Establishment Registration and Device Listing for Manu-
facturers and Initial Importers of Devices. 21 CFR Part 807.
[13.50] Food and Drug Administration (FDA): Code of Federal Regulations Title 21, Volume 1, Part 11 –
Electronic Records; Electronic Signatures, 21 CFR 11. 2011.
[13.51] Food and Drug Administration (FDA): QSIT Guide: FDA Guide to Inspections of Quality Systems.
Verfügbar unter: http://www.fda.gov/downloads/ICECI/Inspections/UCM142981.pdf, abgerufen
am 01. 07. 2021.
480 13 Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen

[13.52] Food and Drug Administration (FDA): Position Statement on Heparin Safety Concerns, Verfügbar
unter: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5178817/, abgerufen am 01. 07. 2021.
[13.53] Medical Device Single Audit Program (MDSAP). Verfügbar unter: https://www.fda.gov/

MedicalDevices/InternationalPrograms/MDSAPPilot/, abgerufen am 01. 07. 20218.
[13.54] International Medical Device Regulators Forum (IMDRF): Working groups N3, N4, N5 & N6,
Dec. 2013. Verfügbar unter: http://www.imdrf.org/documents/documents.asp, abgerufen am
01. 07. 2021.
[13.55] MDCG 2020-14, Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/health/sites/default/files/md_sector/
docs/md_2020-14-guidance-mdsap_en.pdf, abgerufen am 01. 07. 2021
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For personal use only.
14 Die Benannte Stelle
J. Schröttner und C. Baumgartner

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Was ist eine Benannte Stelle?


ƒ Welche Anforderungen werden an Benannte Stellen gestellt?
ƒ Wann wird eine Benannte Stelle benötigt?
ƒ Aufgaben einer Benannten Stelle im Zuge der Konformitätsbewertungsverfahren
ƒ Erfahrungen aus Sicht einer Benannten Stelle

For personal use only.

„ 14.1 Was ist eine Benannte Stelle?


Grundsätzlich versteht man unter Benannten Stellen (Notified Bodies) staatlich be-
nannte und staatlich überwachte Organisationen, die die Konformitätsbewertung
von Herstellern und Produkten unterschiedlichster Art kontrollieren. Ziel der Eu-
ropäischen Union ist dabei der freie Warenverkehr unter der Berücksichtigung,
dass bestimmte Produkte (wie auch Medizinprodukte) den Anforderungen von
Richtlinien (z. B. 93/42/EWG [14.1]) oder Verordnungen wie z. B. die MPV
2017/745 [14.2] bzw. IVDV 2017/746 [14.4] entsprechen. Im Bereich der Medizin-
produkte ist dabei insbesondere ein hohes Gesundheitsschutzniveau für Patienten
und Anwender sicherzustellen. Der Aufgabenbereich einer Benannten Stelle ist in
den jeweiligen Richtlinien und Verordnungen festgelegt. Benannte Stellen sind je-
denfalls unparteilich und unabhängig und werden von einer für die Benannten
Stellen zuständigen Behörde des entsprechenden Staates ermächtigt, die dem Gel-
tungsbereich dieser Verordnungen unterliegt.

MERKE:
Benannte Stellen sind unparteiliche und unabhängige Unternehmen (meist privat-
wirtschaftlich organisiert und betrieben), die die hohen Anforderungen und Stan-
dards hinsichtlich der Qualität und Sicherheit von Medizinprodukten kontrollieren
und sicherstellen sollen.

482 14 Die Benannte Stelle

Häufig wird für Benannte Stellen auch der Begriff Konformitätsbewertungsstelle


verwendet. In der neuen Medizinprodukte- und IVD-Verordnung [14.2 und 14.4]
bezeichnet dies eine Stelle, die die Konformitätsbewertungstätigkeiten einschließ-
lich Kalibrierungen, Prüfungen, Zertifizierungen und Kontrollen durchführt und
dabei als sogenannte Drittpartei tätig wird. Die Konformitätsbewertung selbst ist
dabei das Verfahren, nach dem festgestellt wird, ob die Anforderungen einer Richt-
linie oder Verordnung an ein Produkt erfüllt worden sind (vgl. dazu auch Abschnitt
14.4).
Konformitätsbewertungsstellen können schließlich einen Antrag auf Benennung
stellen, welcher von der zuständigen Behörde im Zuge eines genau festgelegten
Verfahrens zu bewerten ist. Erst nach positivem Abschluss des Verfahrens und
unter Berücksichtigung von Einspruchsmöglichkeiten sowie der Veröffentlichung
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der Notifizierung (Datenbank der Benannten Stellen, NANDO) dürfen die Tätigkei-
ten als Benannte Stelle ausgeführt werden. Jede Benannte Stelle erhält eine vier-
stellige Kennnummer zur eindeutigen Identifizierung und Rückverfolgbarkeit (vgl.
MPV, Kapitel IV, Benannte Stellen).
For personal use only.

„ 14.2 Welche Anforderungen werden


an Benannte Stellen gestellt?
Jede Benannte Stelle hat die gemäß ihrer Richtlinie oder Verordnung übertragenen
Aufgaben zu erfüllen. Hierzu müssen organisatorische Anforderungen wie auch
Anforderungen an die Qualitätssicherung, Ressourcen und Verfahren erfüllt wer-
den. In der neuen Medizinprodukte- und IVD-Verordnung [14.2, 14.4] werden
diese in einem eigenen Anhang (Anhang VII der MPV und IVDV) detailliert be-
schrieben. Auszugsweise sollen hieraus einige Aspekte der Anforderungen an Be-
nannte Stellen angeführt werden.

MERKE:
Grundsätzlich können die Anforderungen in vier Bereiche unterteilt werden:
1. Organisatorische Anforderungen
2. Anforderungen an das Qualitätsmanagement
3. Anforderungen an Ressourcen
4. Verfahrensanforderungen

14.2 Welche Anforderungen werden an Benannte Stellen gestellt? 483

1. Organisatorische Anforderungen
Neben der vollständigen Dokumentation der Rechtspersönlichkeit und des Rechts-
status der Benannten Stelle ist auch die Organisationsstruktur mit allen Zustän-
digkeiten und Berichtslinien eindeutig zu definieren. Einer der wesentlichsten As-
pekte ist die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Stelle. Sie muss jedenfalls
eine „dritte“ Stelle sein, die mit dem Hersteller des Produkts und dessen Konformi-
tät in keinerlei (auch nicht mit direkten Mitbewerbern) geschäftlichen Verbin-
dung (auch nicht beratend) steht. Potenzielle Interessenkonflikte sind zu prüfen,
damit die Unparteilichkeit garantiert werden kann. Ebenso sind die Benannten
Stellen der Vertraulichkeit in Bezug auf die Informationen bei der Durchführung
der Konformitätsbewertungstätigkeit verpflichtet.
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MERKE:
Es gibt Ausnahmen, wo eine Offenlegung der erlangten Informationen durch eine
Benannte Stelle gesetzlich vorgeschrieben ist.

2. Anforderungen an das Qualitätsmanagement


Von der Benannten Stelle muss ein den Konformitätsbewertungstätigkeiten ent-
For personal use only.

sprechendes Qualitätsmanagementsystem eingeführt und aufrechterhalten wer-


den mit dem Ziel, die der Stelle auferlegten Anforderungen ständig zu erfüllen.
Das QM-System hat alle grundlegenden Elemente wie z. B. Organisationsstruktur
und Verantwortlichkeiten, Beurteilungs- und Entscheidungsprozesse, Dokumen-
tenkontrolle, Managementbewertungen, interne Audits, Umgang mit Korrektur-
maßnahmen, Schulungen etc. zu umfassen.

3. Anforderungen an Ressourcen
Die Aufgaben einer Benannten Stelle sind mit höchster beruflicher Integrität und
der erforderlichen Fachkompetenz auszuführen. Die dazu notwendige Personal-
ausstattung reicht von ausreichend administrativem über technisches bis hin zu
wissenschaftlichem Personal. Dieses muss entsprechende Qualifikationskriterien
(Fachkenntnisse, Erfahrungen und Kompetenzen) im Bereich der einschlägigen
Produkte und Technologien erfüllen können. Grundsätzlich kann zwischen den
­sogenannten produktbezogenen Prüfungen und den Prüfungen des Qualitätsma-
nagementsystems unterschieden werden. Nachweisliche Kenntnisse und Erfah-
rungen für jenes Personal sind beispielsweise in folgenden Bereichen nachzuweisen
(Auszug aus der MPV 2017/745):
ƒ Abschluss eines Hochschul- oder Fachhochschulstudiums,
ƒ vierjährige Berufserfahrung im Bereich der Gesundheitsprodukte und Erfah-
rung im Bereich der Konformitätsbewertungsverfahren,
484 14 Die Benannte Stelle

ƒ Kenntnis und Erfahrung im Bereich der einschlägigen harmonisierten Nor-


men, Spezifikationen und Leitlinien,
ƒ angemessene Kenntnis im Bereich des Qualitätsmanagements, Risikomanage-
ments und der klinischen Bewertung.
Weiterhin sind besondere Qualifikationskriterien für die Begutachtung von folgen-
den Bereichen festgelegt:
ƒ vorklinische Bewertung,
ƒ klinische Bewertung,
ƒ Gewebe und Zellen menschlichen und tierischen Ursprungs,
ƒ funktionale Sicherheit,
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ƒ Software,
ƒ Verpackung,
ƒ Produkte, die als integralen Bestandteil ein Arzneimittel enthalten,
ƒ Produkte, die aus Stoffen oder Kombinationen von Stoffen bestehen, die vom
menschlichen Körper aufgenommen oder lokal im Körper verteilt werden, und
ƒ verschiedene Arten von Sterilisationsverfahren.
For personal use only.

Für In-vitro-Diagnostika insbesondere sind Qualifikationskriterien für die Begut-


achtung von folgenden Bereichen festgelegt:
ƒ biologische Sicherheit,
ƒ Leistungsbewertung,
ƒ Eigenanwendung und patientennahe Tests, und
ƒ therapiebegleitende Diagnostika.
Darüber hinaus muss den Benannten Stellen permanent Personal mit einschlägi-
ger klinischer Erfahrung zur Verfügung stehen, welche durchgängig in den Bewer-
tungs- und Entscheidungsprozess eingebunden werden. Die für die Entscheidung
über die Zertifizierung gesamtverantwortliche Person ist jedenfalls von der Be-
nannten Stelle zu beschäftigen. Die Qualifikationen und die Erfüllung der Qualifi-
kationskriterien sind umfassend zu dokumentieren.

MERKE:
Die Anforderungen an Benannte Stellen sind in den letzten Jahren deutlich gestie-
gen und werden von der Behörde strikt kontrolliert [14.2], [14.3], [14.4]. Dies
betrifft natürlich auch die Überwachung der beim Hersteller anzuwendenden
Verfahren. Somit steigen bei der Konformitätsbewertung die Anforderungen an
den Hersteller, um eine lückenlose Dokumentation als Nachweis für die Benannte
Stelle zu gewährleisten.

14.2 Welche Anforderungen werden an Benannte Stellen gestellt? 485

4. Verfahrensanforderungen
In diesem Bereich ist festgelegt, dass die Benannte Stelle über dokumentierte Pro-
zesse und detaillierte Verfahren für die Durchführung der Konformitätsbewer-
tungstätigkeiten (von der Antragstellung bis zur Entscheidungsfindung und Über-
wachung) verfügen muss. Hierbei sind erforderlichenfalls Besonderheiten der
Produkte (z. B. Sterilität) zu berücksichtigen. Auf einfachste Weise könnte ein Ver-
fahren die in Bild 14.1 dargestellten Schritte umfassen.

Antrag
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Antragsprüfung und
Vertragsabschluss

Ressourcen-
zuweisung

Konformitätsbe-
wertungstägkeiten
For personal use only.

Berichtslegung

Abschließende
Prüfung

Entscheidung und
Zerfizierung

Laufende
Bild 14.1 
Überwachungs-
Vereinfachte Darstellung der Tätigkeiten einer Benannten Stelle von
tägkeiten
der Antragstellung bis zur Überwachungstätigkeit

Nach einem förmlichen Antrag durch den Hersteller hat die Benannte Stelle diesen
zu überprüfen. Anschließend ist ein schriftlicher Vertrag zwischen Notified Body
und Antragsteller abzuschließen, welcher die eindeutigen Geschäftsbedingungen
sowie die Verpflichtungen und Rechte beider Parteien beinhaltet. Nach der inter-
nen Ressourcenzuweisung durch die Benannte Stelle für jede Bewertungsaufgabe
wird mit den eigentlichen Konformitätsbewertungstätigkeiten (z. B. Produktprü-
fung, Audit des Qualitätsmanagementsystems, Begutachtung der klinischen Be-
wertung bzw. Leistungsbewertung (IVD)) begonnen. Nähere Informationen dazu
486 14 Die Benannte Stelle

werden in Abschnitt 14.4 zusammengefasst. Nach Abschluss der Konformitätsbe-


wertungstätigkeiten hat die Benannte Stelle einen Bericht zu verfassen, welcher
die Ergebnisse der Bewertung, eine eindeutige Schlussfolgerung bezüglich der
Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie oder Verordnung durch den Herstel-
ler sowie eine Empfehlung für die bevorstehende abschließende Prüfung und die
zu treffende endgültige Entscheidung beinhaltet. Dieser Bericht ist jedenfalls dem
Hersteller zur Verfügung zu stellen. Die abschließende Prüfung hat durch entspre-
chend befugtes Personal zu erfolgen, welches nicht in die Konformitätsbewer-
tungstätigkeiten involviert war. Bestehen keine Konformitätsmängel, so kann
schließlich der Prozess zur Entscheidungsfindung und anschließenden Zertifizie-
rung eingeleitet werden. Dieser Schritt stellt jedoch nicht das Ende des Verfahrens
dar. Über die vertragliche Vereinbarung zwischen dem Notified Body und dem
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Hersteller sind beispielsweise Änderungen und Modifikationen am Produkt oder


dem Qualitätsmanagementsystem zu melden und demnach auch zu bewerten. Lau-
fende Überwachungstätigkeiten stehen nach der Zertifizierung zumindest einmal
pro Jahr auf der Tagesordnung (auch wenn es keine Änderungen am Produkt oder
System gibt).

BEACHTE:
For personal use only.

Zu den Überwachungstätigkeiten können auch unangekündigte Audits beim Her-


steller selbst oder/und bei Unterauftragnehmern und Zulieferern durchgeführt
werden. Die Rechte hierfür sind im Vertrag zwischen der Benannten Stelle und
dem Hersteller festzulegen. Hersteller sollten sich zusätzlich bei der Benannten
Stelle darüber informieren, unter welchen Umständen es zu so einem unangekün-
digten Audit kommen kann.

„ 14.3 Wann wird eine Benannte Stelle


­benötigt?
Bevor ein Hersteller ein Produkt in Verkehr bringen darf, ist ein Konformitätsbe-
wertungsverfahren durchzuführen. Tabelle 14.1 gibt einen Überblick über die ent-
sprechenden Anhänge der möglichen Konformitätsbewertungsverfahren nach der
Medizinprodukteverordnung MPV 2017/745 bzw. In-vitro-Diagnostika-Verordnung
IVDV 2017/746.
14.3 Wann wird eine Benannte Stelle ­benötigt? 487

Tabelle 14.1 Anhänge der Konformitätsbewertungsverfahren im Vergleich zwischen


­Medizinprodukteverordnung MPV und In-vitro-Diagnostika-Verordnung IVDV
Verfahren MPV 2017/745 IVDV 2017/746
Vollständiges QMS IX IX
EU-Baumusterprüfung X X
Produktionsqualitätssicherung XI – Teil A XI
Produktprüfung XI – Teil B(1) Nicht vorgesehen
(1) Batchprüfungen einer repräsentativen Stichprobe sind in der MPV 2017/745 bzw. IVDV 2017/746 nicht
mehr möglich, es ist „jedes einzelne“ Produkt zu überprüfen.

Je nach Klasse des Medizinprodukts kann vom Hersteller schließlich eines der
Konformitätsbewertungsverfahren bzw. eine Kombination hieraus gewählt wer-
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den. Tabelle 14.2 gibt einen Überblick über die zu wählenden bzw. kombinierba-
ren Verfahren nach der Verordnung MPV 2017/745 und Tabelle 14.3 nach der
Verordnung IVDV 2017/746.

Tabelle 14.2 Anhänge der Konformitätsbewertungsverfahren nach der Verordnung für Medi-


zinprodukte (MPV) für die einzelnen MP-Risikoklassen
MP-Klasse MPV 2017/745
For personal use only.

III II, III, IX oder X+XI


IIb II, III, IX oder X+XI
IIa II, III, IX oder XI
Is, Im, Irs(1)
II, III, IX oder XI(nur Teil A)
I II und III
(1) Zusätzlich ist es notwendig, dass die „speziellen“ Aspekte durch einen Notified Body zu überprüfen sind

Tabelle 14.3 Anhänge der Konformitätsbewertungsverfahren nach der Verordnung für In-vitro-


Diagnostika (IVDV) für die einzelnen IVD-Risikoklassen
IVD-Klasse IVDV 2017/746
D II, III, IX oder X+XI
C II, III, IX oder X+XI
B II, III, IX oder XI
As II, III, IX oder XI (nur Herstell- und Steril-Aspekte)
A II und III

BEACHTE:
In Tabelle 14.2 und Tabelle 14.3 betreffen Anhang II und III die Anforderungen an
die Technische Dokumentation, die für alle Konformitätsklassenklassen zu erfüllen
sind.

488 14 Die Benannte Stelle

Im Wesentlichen ergibt sich eine Beteiligung bzw. der Tätigkeitsumfang der Be-
nannten Stelle aus der Kombination der Risikoklasse des Produkts und des vom
Hersteller gewählten Konformitätsbewertungsverfahrens. Ab einer Risikoklasse
Is, Im, Irs (MPV) bzw. As (IVDV) ist jedenfalls das Hinzuziehen einer Benannten
Stelle erforderlich. Lediglich Produkte der Risikoklasse I (MPV) bzw. A (IVDV) kön-
nen ohne Beteiligung einer Benannten Stelle in Verkehr gebracht werden. Der Her-
steller erklärt in eigener Verantwortung die Konformität seines Produkts durch
Ausstellung einer Konformitätserklärung. Zu beachten ist jedoch, dass der Herstel-
ler die vollständige Technische Dokumentation gemäß den Anforderungen der Ver-
ordnung (Anhang II und III) zu erstellen hat, diese auf aktuellem Stand hält und zu
jedem Zeitpunkt verfügbar hat.
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BEACHTE:
Der Hersteller ist verpflichtet, die Technische Dokumentation seines Produkts
vollständig, aktuell und ständig verfügbar zu haben. Beispielsweise muss eine
Vorlage derselben gegenüber der Marktaufsichtsbehörde jederzeit möglich sein.

MERKE:
Bei Klasse-I- bzw. Klasse-A-Produkten ist eine Beteiligung einer Benannten Stelle
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nicht erforderlich.

Gilt eine Software per Definition als ein Medizinprodukt, so ist diese als aktives
Medizinprodukt einzustufen und zu klassifizieren. Hierzu ist in der Medizinpro-
dukteverordnung (MPV) eine neue Klassifizierungsregel (Regel Nr.  11) hinzuge-
kommen. Grundsätzlich wird Software, die dazu bestimmt ist, Informationen zu
liefern, die zu Entscheidungen für diagnostische oder therapeutische Zwecke her-
angezogen werden, in die Klasse IIa eingestuft [14.2]. Sollten sich diese Entschei-
dungen derart auswirken, dass es zum Tod oder einer irreversiblen Verschlechte-
rung des Gesundheitszustands einer Person kommt, wäre sie der Klasse III
zuzuordnen. Ist eine schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands
einer Person oder ein chirurgischer Eingriff die Folge, so wäre die Software der
Klasse IIb zuzuordnen. Software, die für die Kontrolle von physiologischen Prozes-
sen bestimmt ist, gehört zur Klasse IIa. Kann diese Kontrolle von vitalen physiolo-
gischen Parametern zu einer unmittelbaren Gefahr für den Patienten führen, so
wäre sie der Klasse IIb zuzuordnen. Sämtliche andere Software bleibt der Klasse I
zugeordnet. Für In-vitro-Diagnostika (IVDs) gilt ähnlich, dass „Software, die ein Pro-
dukt steuert oder dessen Anwendung beeinflusst, derselben Klasse zugerechnet wird
wie das Produkt. Ist die Software von anderen Produkten unabhängig, so wird sie für
sich allein klassifiziert“. Es gibt jedoch keine eigene Klassifizierungsregel für Soft-
ware.
14.4 Aufgaben einer Benannten Stelle im Zuge des Konformitätsbewertungsverfahrens 489

BEACHTE:
Diese neue Einteilung medizinischer Software stellt eine wesentliche Änderung
zur bisherigen Klassifizierung nach der Richtlinie 93/42/EWG dar. Ein beträchtli-
cher Anteil an Software-Medizinprodukten, die bisher nach MPV in die Klasse I
gefallen sind, werden nach der neuen Medizinprodukteverordnung jedenfalls höher
eingestuft und unterliegen somit der Kontrolle und laufenden Überwachung durch
einen Notified Body.

Bei Medizinprodukten der Klasse I muss zusätzlich berücksichtigt werden, ob Pro-


dukte in sterilem Zustand in Verkehr gebracht werden (Is), das Produkt eine Mess-
funktion besitzt (Im) oder es sich um wiederverwendbare chirurgische Instru-
mente (Irs) handelt. Ist dies der Fall, müssen genau diese Aspekte von einer
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Benannten Stelle überprüft werden. Die Beteiligung ist jedoch begrenzt auf fol-
gende Aspekte:
ƒ Aspekte, die mit der Herstellung, der Sicherung und Aufrechterhaltung der
Sterilität zusammenhängen (bei Is-Produkten),
ƒ Aspekte, die mit der Bewertung der messtechnischen Anforderungen zusam-
menhängen (bei Im-Produkten),
For personal use only.

ƒ Aspekte, die mit der Wiederverwendung des Produkts zusammenhängen (bei


Irs-Produkten), z. B. Reinigung, Desinfektion, Wartung, Funktionsprüfung etc.
Bei IVD-Produkten der Klasse A muss zusätzlich berücksichtigt werden, ob Pro-
dukte in sterilem Zustand in Verkehr gebracht werden (s). Ist dies der Fall, müssen
auch hier genau diese Aspekte von einer Benannten Stelle überprüft werden. Die
Beteiligung ist jedoch beschränkt auf die Aspekte der Herstellung, die mit der Er-
reichung und dem Erhalt des sterilen Zustands zusammenhängen.

„ 14.4 Aufgaben einer Benannten Stelle


im Zuge des Konformitätsbewertungs-
verfahrens
Die Benannte Stelle hat die Konformitätsbewertungstätigkeiten entsprechend den
Anforderungen des gewählten Konformitätsbewertungsverfahrens (vgl. dazu die
Anhänge IX bis XI der Verordnung MPV 2017/745 bzw. IX bis XI der Verordnung
IVDV 2017/746) durchzuführen. Darunter zählen das Audit des Qualitätsmanage-
mentsystems, Produktprüfungen, die Begutachtung der vorklinischen Bewertung,
die Begutachtung der klinischen Bewertung bzw. Leistungsbewertung und gegebe-
nenfalls besondere Verfahren.
490 14 Die Benannte Stelle

1. Audit des Qualitätsmanagementsystems


Vor dem eigentlichen Audit ist als Teil der Bewertung des Qualitätsmanagement-
systems die Dokumentation zu überprüfen, die gemäß dem für die Konformitätsbe-
wertung relevanten Anhang vorgelegt wurde. Es ist ein Auditprogramm zu erstel-
len, welches es ermöglicht, festzustellen, ob das QM-System die Anforderungen
dieser Verordnung erfüllt. Dabei muss auf Zuständigkeiten und Verbindungen z. B.
auf verschiedene Fertigungsstätten sowie auf Bestimmungen für Lieferanten und/
oder Unterauftragnehmer des Herstellers geachtet werden.

BEACHTE:
In dieser Phase kommt es zur Entscheidung, ob ein besonderes Audit für Liefe-
ranten oder Unterauftragnehmer oder für beide notwendig ist. Dies ist der Fall,
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wenn die Konformität des Produkts durch Tätigkeiten der Zulieferer erheblich
beeinflusst wird, und insbesondere, wenn der Hersteller keine ausreichende Kon-
trolle über seine Zulieferer nachweisen kann (vgl. MPV 2017/745 bzw. IVDV
2017/746 Anhang VII).

Im sogenannten Auditplan sind dann die Ziele, Kriterien und der Umfang des Au-
dits festzulegen, damit die besonderen Anforderungen für die betroffenen Pro-
For personal use only.

dukte, Technologien und Prozesse berücksichtigt werden. Zusätzlich sind für Pro-
dukte der Klassen IIa und IIb bzw. der Klassen B und C Stichprobenpläne für die
Bewertung der Technischen Dokumentation zu erstellen, damit die volle Band-
breite der vom Hersteller erfassten Produkte abgedeckt wird. Nach Zuweisung von
entsprechend autorisiertem Personal kann die Durchführung der einzelnen Audits
beginnen. Hierbei ist die Benannte Stelle für Folgendes zuständig:
ƒ Audit des Qualitätsmanagementsystems des Herstellers, um festzustellen,
dass das QM-System und damit die erfassten Produkte die einschlägigen Be-
stimmungen dieser Verordnung erfüllen (von der Auslegung über die Endqua-
litätskontrolle bis zur dauerhaften Überwachung),
ƒ auf Grundlage der einschlägigen Technischen Dokumentation sind die Prozesse
und Teilsysteme des Herstellers zu überprüfen, insbesondere in Bezug auf:
ƒ Auslegung und Entwicklung,
ƒ Herstellungs- und Prozesskontrollen,
ƒ Produktdokumentation,
ƒ Kontrolle der Beschaffung einschließlich der Überprüfung der beschafften
Produkte,
ƒ Korrektur- und Präventivmaßnahmen für die Überwachung nach dem In-
verkehrbringen und
ƒ die klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen,
14.4 Aufgaben einer Benannten Stelle im Zuge des Konformitätsbewertungsverfahrens 491

ƒ Überprüfung der Erfüllung der grundlegenden Sicherheits- und Leistungs­


anforderungen gemäß Anhang I der MPV 2017/745 bzw. IVDV 2017/746.
Stichproben der Dokumentation müssen unter Berücksichtigung des mit dem Pro-
dukt verbundenen Risikos, der Komplexität der Fertigungstechnologien, der Band-
breite und Klassen der Produkte sowie der verfügbaren Informationen zur Über-
wachung nach dem Inverkehrbringen gezogen werden.

BEACHTE:
Eine gute Übereinstimmung mit den Anforderungen der MPV 2017/745 bzw. der
IVDV 2017/746 für Qualitätsmanagementsysteme ergibt sich durch die Anwen-
dung der EN ISO 13485. Diese Norm kann also als Basis zur Erfüllung der MPV
2017/745 bzw. der IVDV 2017/746 herangezogen werden.
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2. Produktprüfung
Bewertung der Technischen Dokumentation
Im Fokus dieser Überprüfung steht die Bewertung der Konformität der Auslegung
des Produkts mit der Verordnung. Dabei sind auch die Begutachtung der klinischen
Bewertung bzw. der Leistungsbewertung sowie gegebenenfalls besondere Verfahren
For personal use only.

zu berücksichtigen. Zu dieser Bewertung gehört die Untersuchung der Umsetzung


von eingehenden, laufenden und endgültigen Kontrollen durch die Hersteller
und deren Ergebnissen. Falls erforderlich, kann die Benannte Stelle auch physische
Kontrollen oder Laboruntersuchungen in Bezug auf das Produkt durchführen oder
fordert den Hersteller auf, diese Kontrollen oder Prüfungen zu veranlassen.
Baumusterprüfungen
Je nach Klasse des Medizinprodukts kann es notwendig sein, eine sogenannte Bau-
musterprüfung durchzuführen. Hierbei gilt es zu überprüfen, ob das Baumuster
gemäß seiner Technischen Dokumentation hergestellt wurde. Es ist ein Prüfplan
zu erstellen, der alle relevanten und kritischen Parameter (inklusive der Doku-
mentation einer Begründung für die Auswahl) enthalten muss, die durch die Be-
nannte Stelle zu prüfen sind. Die Prüfung umfasst jedenfalls die vom Hersteller
gewählten Lösungen, die in Anhang I festgelegten grundlegenden Sicherheits- und
Leistungsanforderungen sowie alle erforderlichen Prüfungen, um festzustellen, ob
der Hersteller die einschlägigen Standards, für die er sich entschieden hat, tatsäch-
lich angewendet hat.

TIPP:
Die erforderlichen Produktprüfungen müssen nicht unmittelbar von der Benannten
Stelle durchgeführt werden. Vom Hersteller vorgelegte Prüfberichte werden jedoch
nur berücksichtigt, wenn diese von zuständigen und vom Hersteller unabhängigen
Konformitätsbewertungsstellen (z. B. einer akkreditierten Prüfstelle) erstellt wurden.

492 14 Die Benannte Stelle

Prüfung durch Untersuchung und Erprobung jedes einzelnen Produkts


In Abhängigkeit des gewählten Konformitätsbewertungsverfahrens sind auch Prü-
fungen und Erprobungen von einzelnen Produkten nach der MPV vorgesehen.
Auch hier ist ein Prüfplan zu erstellen, um für Produkte der Klasse IIb die Konfor-
mität des einzelnen Produkts mit dem in der Baumusterprüfbescheinigung be-
schriebenen Baumuster bzw. für Produkte der Klasse IIa die Konformität mit der
Technischen Dokumentation zu überprüfen. Selbstverständlich sind auch die für
diese Produkte geltenden einschlägigen Anforderungen der Verordnung durch die
Benannte Stelle zu bestätigen.
Auch im Fall der Prüfung jedes einzelnen Produkts gilt, dass vom Hersteller vorge-
legte Prüfberichte nur dann berücksichtigt werden, wenn sie von dafür zuständi-
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gen und vom Hersteller unabhängigen Konformitätsbewertungsstellen (wie z. B.


einer staatlich akkreditierten Prüfstelle) verfasst wurden.
Die Möglichkeit der Produktprüfung eines In-vitro-Diagnostikums nach IVDR
2017/746 ist nicht vorgesehen (vgl. Tabelle 14.1).

3. Begutachtung der klinischen Bewertung bzw. der Leistungsbewertung


Die Benannte Stelle hat die Verfahren und die Dokumentation des Herstellers in
For personal use only.

Bezug auf die Bewertung klinischer bzw. leistungsbezogener Aspekte des Pro-
dukts zu überprüfen. Dabei ist insbesondere Folgendes angemessen zu berück-
sichtigen:
ƒ die Planung, Durchführung, Beurteilung, Berichterstattung und gegebenen-
falls Aktualisierung der klinischen Bewertung bzw. Leistungsbewertung mit
den Recherchen in der wissenschaftlichen Literatur und der (vor)klinischen
Erprobung (z. B. Laboruntersuchungen, Erprobung der simulierten Verwen-
dung, Computermodelle, Verwendung von Tiermodellen),
ƒ die Art und die Dauer des Körperkontakts und die damit verbundenen beson-
deren biologischen Risiken,
ƒ die Schnittstelle zum Prozess des Risikomanagements und
ƒ die Beurteilung und Analyse der verfügbaren Daten und ihrer Relevanz in Be-
zug auf den Nachweis der Konformität mit den grundlegenden Sicherheits-
und Leistungsanforderungen (Anhang I)
Ist schließlich der Zeitpunkt gekommen, die klinische Bewertung bzw. die Leis-
tungsbewertung zu überprüfen, so müssen zusätzlich noch folgende Aspekte im
Detail begutachtet werden:
ƒ die Planung, Durchführung, Bewertung, Berichterstattung und Aktualisierung
der klinischen Bewertung gemäß Anhang XIV der MPV bzw. der Leistungs­
bewertung gemäß Anhang XIII der IVDV [14.2, 14.4],
14.4 Aufgaben einer Benannten Stelle im Zuge des Konformitätsbewertungsverfahrens 493

ƒ die Überwachung und klinische Nachbeobachtung bzw. Nachbeobachtung der


Leistung nach dem Inverkehrbringen und
ƒ die in Bezug auf den klinischen Nachweis gezogenen Schlüsse und die Erstel-
lung des klinischen Bewertungs- bzw. Leistungsberichts.
Auf die Details der Begutachtungen der klinischen Bewertungen bzw. Leistungsbe-
wertungen durch die Benannte Stelle gemäß dem erwähnten Anhang XIV der MPV
2017/745 bzw. dem Anhang XIII der IVDV 2017/746 wird hier nicht eingegangen,
da dies umfassend in Kapitel „Klinische Evidenz für Medizinprodukte und IVD“
beschrieben ist.

4. Besondere Verfahren
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In Abhängigkeit spezieller Eigenschaften bestimmter Produkte kann es notwendig


sein, dass die Benannte Stelle besondere Verfahren zu berücksichtigen hat. Bei-
spiele hierfür sind:
ƒ Produkte der Klasse III, die dazu bestimmt sind, ein Arzneimittel an den Kör-
per abzugeben und/oder aus dem Körper zu entfernen,
ƒ Produkte, zu deren Bestandteil ein Arzneimittel gehört,
ƒ Gewebe oder Zellen menschlichen oder tierischen Ursprungs oder ihrer Deri-
For personal use only.

vate,
ƒ Produkte, die aus Stoffen bestehen, die vom menschlichen Körper aufgenom-
men oder lokal im Körper verteilt werden,
ƒ therapiebegleitende Diagnostika.

TIPP:
Hersteller, die Produkte auf den Markt bringen wollen, welche unter Umständen
„besondere Verfahren“ benötigen, sollten sich bei der Benannten Stelle genau
über die Vorgehensweise und zu berücksichtigende Fristenläufe erkundigen.

5. Berichterstattung
Alle Schritte der Konformitätsbewertung sind von Benannten Stellen zu dokumen-
tieren, sodass die Schlussfolgerungen aus der Bewertung eindeutig sind. Es muss
die Einhaltung der Anforderungen der Verordnung von der Benannten Stelle der-
art belegt werden, dass selbst für Personen, die nicht in die Bewertung eingebun-
den waren (z. B. das Personal von benennenden Behörden), ein objektiver Nach-
weis für die Einhaltung dieser Anforderungen vorliegt.
494 14 Die Benannte Stelle

6. Erneute Zertifizierung
Wie in Bild 14.1 veranschaulicht, ist das gesamte Verfahren nach erfolgreichem
Abschluss der Konformitätsbewertungstätigkeiten und den darauffolgenden Schrit-
ten bis zur Zertifizierung noch nicht abgeschlossen. Zumindest alle fünf Jahre hat
eine Überprüfung im Hinblick auf eine erneute Zertifizierung und die Erneuerung
von Bescheinigungen stattzufinden. Im Rahmen dieser Verfahren wird der betref-
fende Hersteller verpflichtet, eine Zusammenfassung der Änderungen am Produkt
und der wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Produkt vorzulegen (vgl. dazu
Anhang VII der MPV 2017/745 bzw. IVDV 2017/746). Dies umfasst auch:
ƒ alle Änderungen am ursprünglich genehmigten Produkt, einschließlich der
noch nicht mitgeteilten Änderungen,
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ƒ alle aus der Überwachung nach dem Inverkehrbringen gewonnenen Erfahrun-


gen,
ƒ die Erfahrungen aus dem Risikomanagement,
ƒ alle Erfahrungen aus der Aktualisierung des Nachweises, dass die grundlegen-
den Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I der Richtlinie
bzw. der Verordnung erfüllt werden,
ƒ Erfahrungen aus den Überprüfungen der klinischen Bewertung sowie der Er-
For personal use only.

gebnisse aller klinischen Prüfungen und der klinischen Nachbeobachtung


nach dem Inverkehrbringen (für Produkte nach MPV),
ƒ Erfahrungen aus den Überprüfungen der Leistungsbewertung sowie der Er-
gebnisse aller Leistungsstudien und Nachbeobachtung der Leistung nach dem
Inverkehrbringen (für Produkte nach IVDV),
ƒ alle Änderungen an den Anforderungen, an Komponenten des Produkts oder
im wissenschaftlichen oder regulatorischen Umfeld,
ƒ die Änderungen an den gültigen oder neuen harmonisierten Normen, den Spe-
zifikationen oder an gleichwertigen Dokumenten und
ƒ alle Änderungen am medizinischen, wissenschaftlichen oder technischen Wis-
sensstand.

BEISPIEL:
Änderungen am medizinischen, wissenschaftlichen oder technischen Wissensstand
können sein:
ƒ neue Behandlungen,
ƒ Änderungen an Testmethoden,
ƒ neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Materialien und Komponenten ein-
schließlich Erkenntnissen in Bezug auf ihre Biokompatibilität,
ƒ Erfahrungen aus Studien zu vergleichbaren Produkten,
14.5 Erfahrungen aus Sicht einer Benannten Stelle 495

ƒ Daten aus Registern und Registrierstellen,


ƒ Erfahrungen aus klinischen Prüfungen bzw. Leistungsstudien mit vergleich­baren
Produkten.

„ 14.5 Erfahrungen aus Sicht einer


Benannten Stelle
In diesem Abschnitt werden gesammelte Beobachtungen und Erfahrungen der
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­Europaprüfstelle für Medizinprodukte (PMG) der Technischen Universität Graz


während deren über 20-jährigen Tätigkeit als Benannte Stelle im Zuge der Konfor-
mitätsbewertungsverfahren zusammengefasst. Um dabei einen gewissen Über-
blick zu erhalten, werden die häufigsten Beanstandungen nach den Konformitäts-
bewertungstätigkeiten, wie in Abschnitt 14.3 erläutert, getrennt dargestellt.

BEACHTE:
For personal use only.

Die in den folgenden Informationskästen zusammengestellten Feststellungen bzw.


Beanstandungen sind als Beispiele anzusehen und auf keinen Fall als vollständige
Aufzählung zu interpretieren!

TIPP:
Häufigste Beanstandungen im Bereich des Audits des Qualitätsmanagementsys-
tems:
ƒ Unzureichend festgelegte Verantwortlichkeiten und Befugnisse.
ƒ Mangelhafte Dokumentenlenkung (Verweis auf Vorlagen, Freigabeverfahren
etc.).
ƒ Mangelhafte Lenkung und Überwachung externer Dokumente, wie z. B. von
Normen oder IMDRF-Leitfäden (Dokumente sind nicht verfügbar oder Suche
erfolgt z. B. in zu großen Abständen).
ƒ Mitarbeiter geben Dokumente frei, obwohl sie nicht dafür autorisiert sind.
ƒ Klare Stellenbeschreibungen von Beauftragten der obersten Leitung oder
­Sicherheitsfachkräften fehlen.
ƒ Die Weiterbildung von Mitarbeitern wird häufig vernachlässigt.
ƒ Managementbewertungen gehen kaum auf die regulatorischen Anforderungen
ein.
ƒ Einsatz unqualifizierter Mitarbeiter (z. B. im Bereich Risikomanagement oder
auch für interne Audits).
ƒ Entwicklungseingaben in Bezug auf die regulatorischen Anforderungen werden
vernachlässigt.
496 14 Die Benannte Stelle

ƒ Entwicklungsbewertungen im Zuge des Entwicklungsprozesses werden oft


nicht durchgeführt.
ƒ Die Begriffe und Tätigkeiten im Zuge von Verifizierung und Validierung werden
oft missverstanden.
ƒ Die Einstufung von Lieferanten in kritische und nicht kritische Lieferanten
bereitet oft Schwierigkeiten.
ƒ Qualitätskriterien für Lieferanten sind nicht klar definiert.
ƒ Mangelhafte Überwachung von Messmitteln.
ƒ Der Umfang des internen Audits ist unzureichend (z. B. keine Auditkriterien
nach Richtlinie oder Verordnung).
ƒ Fehlerhafte oder mangelhafte Methoden zur Prozessüberwachung.
ƒ Korrekturmaßnahmen werden nicht nachvollziehbar dokumentiert bzw. über-
wacht.
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ƒ Die Meldepflicht bei Änderungen wird unterschätzt.


ƒ Es werden Prozesse und Verfahren festgelegt, die jedoch nicht in dieser Weise
gelebt werden.

TIPP:
Häufigste Beanstandungen im Bereich der Produktprüfung:
ƒ Die Medizinproduktakte ist nicht auf aktuellem Stand (z. B. Einarbeitung jähr-
For personal use only.

licher Updates wird nicht dokumentiert).


ƒ Mangelhafte Prüfdokumentation.
ƒ Auf das Produkt zutreffende Normen bleiben unberücksichtigt.
ƒ Die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen wird nicht ausreichend doku-
mentiert (Nachvollziehbarkeit!).
ƒ Externe Prüfberichte können nicht akzeptiert werden oder sind gar nicht vor-
handen (es wurde keine akkreditierte Prüfstelle beauftragt).
ƒ Die Technische Dokumentation wird nicht auf aktuellem Stand gehalten.
ƒ Änderungen technischer Vorgaben (z. B. aktuelle Normen) bleiben unberück-
sichtigt.
ƒ Die Verknüpfung des Risikomanagements mit anderen normativen Vorgaben
(z. B. EN 60601 – 1 oder EN 62304) wird nicht nachvollziehbar dokumentiert.
ƒ Die Risikomanagementakte wird nicht aktualisiert.
ƒ Rückmeldungen aus dem Markt oder von Kunden fließen nicht in den Risiko-
managementprozess ein.

14.6 Literatur 497

TIPP:
Häufigste Beanstandungen im Bereich der klinischen Prüfung:
ƒ Verfahren zur klinischen Bewertung wurden nicht in Anlehnung an die Vor­
gaben (Verordnung, MDCG 2020-5 [14.5]) festgelegt.
ƒ Mangelhafte Personenqualifikation, sowohl hinsichtlich der Personen, welche
die Recherche durchführen, als auch hinsichtlich der abschließenden Bewer-
tung.
ƒ Der Umfang der recherchierten Literaturstellen ist unzureichend.
ƒ Die wissenschaftliche Bewertung der Literaturstellen ist mangelhaft und nicht
nachvollziehbar dokumentiert.
ƒ Die klinische Bewertung wird nicht auf aktuellem Stand gehalten.
ƒ Das PMCF-Verfahren bzw. deren Ergebnisse fließen nicht in die klinische
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­Bewertung ein.

„ 14.6 Literatur
For personal use only.

[14.1] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L  169 vom 12. 07. 1993: Richtlinie
93/42/EWG über Medizinprodukte.
[14.2] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie
2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur
Aufhebung der Richtlinien 9s0/385/EWG und 93/42/EWG des Rates.
[14.3] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Amtsblatt Nr. L 253/8 Durchführungsverordnung
(EU) Nr. 920/2013 der Kommission vom 24. 09. 2013 über die Benennung und Beaufsichtigung
benannter Stellen gemäß der Richtlinie 90/385/EWG des Rates über aktive implantierbare me-
dizinische Geräte und der Richtlinie 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte.
[14.4] Europäisches Parlament und Europäischer Rat: Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Par-
laments und des Rates vom 5.  April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der
Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission.
[14.5] Europäische Kommission: MDCG 2020-5, April 2020, Clinical Evaluation – Equivalence: A guide
for manufacturers and notified bodies.
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For personal use only.
15 Praxisbeispiel eines
Start-ups
T. Zajki-Zechmeister

SCHWERPUNKTE:
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ƒ Herausforderungen einer Start-up-Gründung im Medtech-Sektor


ƒ Fallen oder Fehler, die das Start-up gefährden
ƒ Schlüsselanforderungen erfolgreich identifizieren

„ 15.1 Einleitung
For personal use only.

Mit den Neuerungen der MPV und IVDV (siehe Kapitel 3, Rechtliches Umfeld und
Zulassungsanforderungen) und einem allgemeinen Trend in Richtung maximaler
Patientensicherheit (siehe Kapitel 6, Sicherheitstechnische Anforderungen) werden
die Anforderungen an die Medizintechnikbranche (Medtech) immer komplexer
und umfangreicher. Während sich die Fragestellung einer angemessenen Regulie-
rung maßgeblich an Großkonzernen und etablierten Unternehmen orientiert, gibt
es eine Gruppe von Unternehmen, welche bei dieser Diskussion nur unzureichend
betrachtet wurden, nämlich Start-ups.
Start-ups sehen sich in der Medtech-Branche oftmals mit scheinbar unüberwind-
baren Hürden konfrontiert: Einerseits gelten die MPV/IVDV und weitere Regula-
rien ausnahmslos für alle Hersteller und Entwickler von Medizinprodukten, und
es gibt keine Ausnahmeklauseln für Start-ups. Großunternehmen haben erfahrene
Teams und können zusätzliches Budget dafür aufwenden, die gesteigerten regula-
torischen Anforderungen zu erfüllen, wohingegen ein Start-up diese Ressourcen
meist nicht besitzt.
Zum anderen ist es auch der „Kulturschock“ zwischen etablierten Herstellern und
Start-ups. Die Start-up-Kultur ist geprägt von User-orientierten Entwicklungen,
agilen Methoden sowie raschen Entscheidungen und flexiblen Adaptionen. Regula-
rien und Normen sind hingegen sehr starr und erlauben nur limitiert Flexibilität,
wodurch die Innovationskraft nicht selten eingebremst wird. Während die generel-
500 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

len Anforderungen an Medizinprodukte von der MPV sehr ausführlich beschrie-


ben werden, kommen Anforderungsbeschreibungen zu modernen Ansätzen wie
beispielsweise dem Machine Learning viel zu kurz.
Trotz dieser Herausforderungen gibt es immer mehr Start-ups, die bahnbrechende
Technologien und Produkte entwickeln. Oft sind die eigene Erkrankung oder das
Leiden Angehöriger oder der „jugendliche Forschertrieb“ auslösender Trigger, um
Medizinprodukte zu entwickeln und in weiterer Folge ein Medtech-Start-up zu
gründen. Grundvoraussetzung für einen Erfolg ist aber nicht nur eine überzeu-
gende Idee, sondern auch die Einhaltung der regulatorischen Anforderungen. Die
meisten Start-ups scheitern nicht aufgrund einer schlechten Produktumsetzung
oder eines inkompetenten Teams, sondern meist aufgrund eines mangelnden regu-
latorischen Verständnisses.
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Dieses Kapitel gibt einen Überblick, welche besonderen Herausforderungen es in


der Medtech-Branche gibt und wie im Besonderen Start-ups damit umgehen kön-
nen. Die Inhalte in diesem Kapitel zielen darauf ab, diese Unternehmen bei ihren
Zielen zu unterstützen, ein Produkt entwickeln und vertreiben zu können.
Die kommenden Abschnitte stellen keinen vollständigen Leitfaden dar, sondern sie
fassen genau jene „Pain Points“ zusammen, mit denen beinahe alle Start-ups kon-
For personal use only.

frontiert sind. Im Wesentlichen ist es eine „Dos and Don’ts“-Liste für Einsteiger in
die Branche, um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu maximieren und große Fehler
vermeiden zu lernen.
Anmerkung: Wenn nicht extra betont, sind mit Medizintechnik und MPV auch In-
vitro-Diagnostika und die IVDV mitgemeint, jedoch gelten Verweise nur für die
Artikel der MPV.

„ 15.2 Ideenfindung und Marktanalyse


Die erste Herausforderung, der sich ein Medtech-Start-up stellen muss, liegt in der
Ideenfindung sowie der damit verbundenen Analyse der Absatzmärkte. Eine CE-
Kennzeichnung ist keine Gewährleistung, dass ein Produkt oder eine Dienstleis-
tung auch vom Kunden in Anspruch genommen wird, sondern lediglich ein Nach-
weis dafür, dass alle rechtlichen Anforderungen erfüllt wurden. Insbesondere in
der Startphase können zahlreiche entscheidende Aspekte vergessen oder unvoll-
ständig evaluiert werden.
Neben der Problemdefinition gilt es, die Marktanalyse, die Kundenanalyse und die
Marktsegmentierung durchzuführen. Erst danach kann das Produkt, also die Prob-
lemlösung, Schritt für Schritt konzipiert und evaluiert werden. Nicht selten kommt
es außerdem vor, dass durch Entwicklungstätigkeiten eine neue Technologie ent-
15.3 Abgrenzung Medizinprodukt vs. ­Wellnessprodukt und Ermittlung des regulatorischen Scopes 501

steht, für die anschließend Anwendungsgebiete in der Medizin gesucht werden.


Als mögliches Beispiel kann hier die 3D-Druck-Technologie betrachtet werden, die
ursprünglich zwar nicht für die Medizintechnik entwickelt wurde, jedoch findet
man diese immer häufiger in medizinischen Einsatzgebieten an.
Um in der Marktanalyse zu starten, sollten zunächst alle möglichen Märkte und Teil-
märkte identifiziert werden. Ein Medizinprodukt kann nicht nur im krankenhäus­
lichen Betrieb Anwendung finden, sondern auch mobil eingesetzt werden, wie bei-
spielsweise in einem Rettungswagen oder aber auch im häuslichen Umfeld. Hierbei
gilt die Grundregel, dass die Marktanalyse nur mit potenziellen Kunden und Anwen-
dern stattfinden kann, z. B. durch Befragungen möglichst vieler Kunden. Verein-
fachte Annahmen, ohne Beleg, ob diese korrekt sind, sind nicht zu empfehlen.
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Zusammengefasst kann gesagt werden, dass die Problemidentifikation und die


Ideenfindung mit mindestens derselben Präzision und der methodischen Vorge-
hensweise umgesetzt werden müssen wie die spätere Medizinprodukteentwick-
lung selbst.

MERKE:
Market Research soll in enger Zusammenarbeit mit den zukünftigen Anwendern/
Kunden erfolgen und sich nicht nur auf sekundäre Quellen verlassen.
For personal use only.

„ 15.3 Abgrenzung Medizinprodukt vs.


­Wellnessprodukt und Ermittlung des
regulatorischen Scopes

Zweckbestimmung
Nachdem die Kundenanforderungen spezifiziert, die Märkte analysiert und die
Ideen definiert wurden, beginnt der erste regulatorische Schritt, nämlich die Fest-
legung der Zweckbestimmung. Diese Tätigkeit scheint trivial zu sein, da lediglich
erklärt werden muss, wie das Medizinprodukt funktioniert und was der medizini-
sche Mehrwert oder Nutzen sein soll. Die Zweckbestimmung bestimmt aber fast
alle folgenden regulatorischen Anforderungen an das Produkt. Einige wenige Bei-
spiele sind: Die Medizinprodukteklasse, der Umfang der klinischen Bewertung,
der Rahmen, wie das Produkt beworben werden darf, die Entscheidung, ob eine
Benannte Stelle (siehe Kapitel 14, Die Benannte Stelle) notwendig ist oder nicht,
sowie das gesamte Qualitäts- und Risikomanagement. Die Festlegung der Zweckbe-
stimmung kann Wochen bis Monate dauern. Es ist auch nicht unüblich, dass die
Zweckbestimmung im Laufe des Projektes modifiziert wird. Einer der wichtigsten
502 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

Aspekte, den es zu berücksichtigen gilt, ist, dass jede Behauptung in der Zweck­
bestimmung auch klinisch nachgewiesen werden muss (siehe Kapitel 7, Klinische
Evidenz für Medizinprodukte und IVD).

MERKE:
Je „unkritischer“/„kritischer“ die Zweckbestimmung, desto geringer/höher sind
die klinischen Anforderungen, die umgesetzt werden müssen.

Ergänzend sei erwähnt, dass eine vollständige und professionelle Zweckbestim-


mung nicht nur den Mehrwert und die Funktionsweise beschreibt, sondern auch
Patientengruppen, medizinische Indikationen, vorgesehene Anwendergruppen,
eventuelle Kontraindikationen und ähnliche Aspekte. Es können zwei wesentliche
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Richtungen (Medizinprodukt oder eventuell Wellnessprodukt) bei der Formulie-


rung der Zweckbestimmung identifiziert werden, wie im folgenden Abschnitt näher
erläutert wird.

Start mit Wellnessprodukten


Während der Ausarbeitung der Zweckbestimmung stellt sich früher oder später
die Frage, ob die hohen regulatorischen Anforderungen an Medizinprodukte und
For personal use only.

die damit verbundenen Zeiten und Kosten minimiert werden können, indem bei-
spielsweise erst mit einer Wellness/Fitness/Commodity-Variante des Produkts be-
gonnen wird. Diese Strategie ist unter gewissen Voraussetzungen empfehlenswert.
Die Methode wird häufig als „Beachhead“-Strategie bezeichnet [15.1] und kann im
Wesentlichen wie folgt zusammengefasst werden:
1. Von den möglichen Märkten wird ein erster Markt ausgewählt, welcher einer-
seits lukrativ ist und andererseits Interesse an einer nicht-medizinischen Vari-
ante des Produkts besitzt.
2. In diesem Markt werden erste Erfahrungen gesammelt, aber auch erste Um-
sätze erzielt, um einen positiven Cash-Flow und damit das Budget zu generie-
ren, um die Weiterentwicklung zum Medizinprodukt zu finanzieren
Wenn ein Start-up diese zweiphasige Strategie verfolgt, dann ist die eindeutige
Formulierung der Zweckbestimmung als nichtmedizinisches Produkt essenziell.
Das Fitnessprodukt und die dazugehörige Werbung dürfen niemals medizinische
Behauptungen beinhalten, die in Artikel 2 Absatz 1 der MPV [15.2] genannt sind.

Beispiele zur Zuordnung der Zweckbestimmung:


„Unsere Smartwatch misst Ihren Puls, um Sie dabei zu unterstützen, noch mehr
aus Ihrem Training herauszuholen.“ → Wellnessprodukt
„Unsere Smartwatch misst während Ihres Trainings Ihre Herzaktivität, um recht-
zeitig die Gefahr eines Herzinfarktes zu identifizieren.“ → Medizinprodukt

15.4 Zusammenstellung des Teams und Kompetenzaufbau 503

Anhand dieser Beispiele wird ersichtlich, dass der Tausch von nur wenigen Worten
in der Zweckbestimmung zwischen einem Medizinprodukt und einem Fitness-/
Lifestyle-Produkt unterscheiden kann.

Analyse regulatorischer Anforderungen


Basierend auf der definierten Zweckbestimmung muss zunächst eine Analyse re-
gulatorischer Anforderungen erfolgen. Ein genereller Mythos ist, dass die MPV die
einzige Verordnung ist, die beachtet werden muss.
Die MPV ist nur die Spitze des Eisbergs, darunter befinden sich weitere europäi-
sche Verordnungen und Richtlinien (und sogar Präzedenzfälle), aber auch natio-
nale Gesetze und Verordnungen. Die Regularien fokussieren jedoch nicht nur auf
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die Medizintechnik. Beispielsweise müssen Funkmodule in Medizinprodukten der


Radio Equipment Directive [15.3] entsprechen und Produkte, die tierische Gewebe
verwenden, müssen die Verordnung 722/2012 [15.4] einhalten.
Je früher die Anforderungen vollständig analysiert werden und ein Gesamtbild vor-
liegt, desto besser kann das gesamte Projekt eingeschätzt und umgesetzt werden.

BEACHTE:
For personal use only.

Während der Analyse des regulatorischen Umfeldes müssen sowohl Vorschriften


der Medizintechnik als auch weitere Anforderungen identifiziert werden, die das
Produkt oder die Technologie betreffen. Dies betrifft insbesondere auch geltende
Normen, die in vielen Fällen auch den State of the art bei der Umsetzung defi­
nieren.

„ 15.4 Zusammenstellung des Teams und


Kompetenzaufbau
Das Start-up-Team ist einer der wichtigsten Faktoren, ob ein Projekt erfolgreich sein
kann oder zum Scheitern verurteilt ist. Dasselbe trifft auf Rollen zu, die in den regu-
latorischen Anforderungen vorgeschrieben sind. Rollen wie der Risikomanager
(siehe Kapitel 2, Risikomanagement) oder „die für die Regulierungsvorschriften ver-
antwortliche Person (PRRC)“ [MPV Artikel 15] sind keineswegs leere Positionstitel
in einem Unternehmen, welche einfach blind vergeben werden sollen. Sowohl die
MPV, aber auch einzelne Normen verlangen nachgewiesene Kompetenzen und Er-
fahrungen für gewisse Positionen, welche auch von Auditoren und Behörden (siehe
Kapitel 13, Behördenanforderungen und behördliche Inspektionen) geprüft werden.
504 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

Einer der größten Hürden ist der bereits erwähnte Verantwortliche für Regulie-
rungsvorschriften. Mindestvoraussetzungen sind unter anderem ein abgeschlosse-
nes Studium in medizinprodukterelevanten Wissenschaften und ein Jahr Berufs­
erfahrung, welche auch die Interaktion mit einem Qualitätsmanagementsystem
voraussetzt. Nicht weniger fordernd ist die MEDDEV 2.7/1 Revision 4 [15.5] (Klini-
sche Bewertungen), in welchem zum Beispiel ein akademischer Abschluss und
fünf Jahre Expertise auf dem Forschungsgebiet als Mindestanforderung festgelegt
werden.
Eine der ersten regulatorischen Tätigkeiten muss es daher sein, einerseits die not-
wendigen Positionen und Qualifikationen für das Projekt und das Produkt zu iden-
tifizieren und andererseits einen Soll-Ist-Vergleich der Teamqualifikationen durch-
zuführen. Nur selten besteht das eigene Team aus erfahrenen Medizintechnikern
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und Ärzten, die bereits etliche Medizinprodukte entwickelt und auf den Markt ge-
bracht haben. Dies bedeutet aber nicht, dass das auch zwingend eine Vorausset-
zung sein muss. Mit den folgenden drei Schritten können die Qualifikationsanfor-
derungen erfüllt werden:
1. Es müssen alle Positionen und Qualifikationen identifiziert werden, die für das
Unternehmen und das Produkt essenziell sind. Dazu müssen die MPV und
nationale Gesetze, aber auch anwendbare Normen und Guidance-Dokumente
For personal use only.

untersucht werden.
2. Die kollektiven Erfahrungen und Kompetenzen des Teams müssen aufgelistet
werden. Dabei sollte nicht zu eng gedacht werden: Jedes Studium, jede Ausbil-
dung oder Zertifizierung könnte dazu beitragen, eine der Mindestqualifikatio-
nen zu erfüllen.
3. Es muss eine Zuordnung aufgestellt werden, welche Personen am ehesten für
welche Rollen oder Qualifikationen geeignet sind. Dabei müssen auch etwaige
Lücken identifiziert und eine Strategie etabliert werden, wie diese Lücken ge-
schlossen werden können.
Nicht immer sind alle Qualifikationen zu Beginn vorhanden, hierfür gibt es aber
Lösungen. Zum Beispiel erlaubt Artikel 15 der MPV, dass die verantwortliche Per-
son bei kleinen Unternehmen auch ausgelagert werden kann [MPV Artikel 15 Ab-
satz 2]. Für Qualifikationen in den Bereichen Biokompatibilität [15.6], Risikoma-
nagement oder Usability [15.7] bieten Akademien, Benannte Stellen und ähnliche
Organisationen Schulungen an, welche anerkannt werden und auch als Qualifika-
tionsnachweis dienen. Selbst bei der Klinischen Bewertung können externe Exper-
ten mit deren Abfassung beauftragt werden.
Einige der häufigsten Rollen für Mindestqualifikationen in der Medizintechnik
werden in Tabelle 15.1 aufgelistet, wobei die Liste keinen Anspruch auf Vollstän-
digkeit erhebt, da es unter anderem auch nationale Abweichungen gibt.
15.5 Zeit- und Finanzierungsaspekte 505

Tabelle 15.1 Rollen für Mindestqualifikationen in der Medizintechnik


Nationale Rollen MPV Normen und Guidance-Dokumente
(z. B. AT+DE)
Sicherheitsbeauftragter PRRC nach Artikel 15 Risikomanager (ISO 14971)
Medizinprodukteberater Klinischer Prüfer nach Qualitätsmanagementbeauftragter
Artikel 62 (ISO 13485)
Monitor für Klinische Experte für biologische Beurteilungen
Prüfungen (ISO 10993-1)
Klinischer Prüfer Usability Engineer (IEC 62366-1)
Klinisches Bewertungsteam
(MEDDEV 2.7/1)
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Es ist nicht zwingend notwendig, von Beginn an ein Team aus Medizintechnik­
experten vorzuweisen; jedoch müssen die einzelnen Personen gewillt sein, sich
selbst fortzubilden, um die notwendigen Mindestqualifikationen zu erlangen. Ab-
schließend sei noch darauf hingewiesen, dass die Informationen über notwendige
Qualifikationen und Anforderungen durch das gesamte Team diffundieren müs-
sen. Nicht jedes Mitglied muss ein vollständiges regulatorisches Wissen vorwei-
sen, jedoch sollte ein gemeinsames Grundverständnis im Unternehmen vorliegen,
was es bedeutet, ein Medizinprodukt zu entwickeln.
For personal use only.

MERKE:
Bereits zu Beginn eines Projekts müssen relevante Profile und Qualifikationen
identifiziert und eine Planung für die Schließung etwaiger Kompetenzlücken aus-
gearbeitet werden.

„ 15.5 Zeit- und Finanzierungsaspekte


Die Entwicklung eines Medizinprodukts bis zur Markteinführung erfordert übli-
cherweise einen wesentlich höheren Kosten- und Zeitrahmen als bei Produkten
in vielen anderen Geschäftsbereichen. Nachdem die allerwenigsten Start-ups mit
einem Großinvestor oder einem wohlhabenden Gründer starten, welcher unbe-
schränkt Ressourcen für das Projekt zur Verfügung stellen kann, müssen die ho-
hen Projektkosten im Wesentlichen mithilfe der folgenden drei Optionen finanziert
werden: Investoren, Förderstellen oder eine Kombination aus beiden.
Unabhängig davon, für welche Option sich ein Unternehmen entscheidet, müssen
gewisse Grundregeln eingehalten werden, welche nicht nur für die Medizintechnik
gelten:
506 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

1. Die Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten ist ein Fulltime-Job: Business-


pläne müssen erstellt, Finanzpläne sinnvoll konstruiert, potenzielle Investoren
(Unternehmen oder Personen) identifiziert und Dutzende, wenn nicht sogar
Hunderte Gespräche geführt werden. Nur auf Basis einer überzeugenden Pro-
duktidee sowie eines realistischen Businessplans sind Investoren zu überzeu-
gen, in das Projekt zu investieren.
2. Die unternehmerischen Konzepte aus vielen anderen Branchen können nie-
mals einfach extrapoliert werden. Ein Medizinprodukt ist keine Consumer-
App, die in vier Wochen programmiert wird und gleich danach erste Umsätze
in den Online-Stores erzielt. Projekte in der Medizintechnik dauern meistens
länger als gedacht, das Wachstum ist anfänglich linear, und die Akzeptanz des
Marktes beginnt eher schleppend (von der Markteinführung bis zur allgemei-
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nen Akzeptanz, insbesondere in der klinischen Routine, können Jahre ver­


gehen).
3. Geldgeber entdecken offensichtliche Lücken oder Fehler (früher oder später) in
der Planung, und auch Förderstellen verfügen meist über gute Berater in der
Medtech-Branche.
Im Bereich der Förderstellen stehen je nach Land verschiedene Möglichkeiten zur
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Verfügung, es gibt aber Gemeinsamkeiten. Der Pool beginnt bei regionalen Förde-
rungen, die eventuell allgemeine Innovationen vorantreiben möchten, und endet
bei nationalen oder europäischen Förderstellen, die auch größere Summen inves-
tieren. In der Praxis ist es projektentscheidend, die Förderlandschaft früh zu prü-
fen und dabei nicht nur auf branchenspezifische Ausschreibungen im Biotech- und
Medtech-Bereich zu achten, sondern auch allgemeine Förderungen zu berücksich-
tigen.
Bei Investoren steht ein breites Spektrum zur Verfügung. Einige Beispiele dafür
sind: Friends & Family, Privat Equity, Venture Capital Fonds, strategische Investo-
ren und Crowdfunding Investments. Die Verlockung ist groß, sofort Investoren zu
organisieren; dies kann aber langfristig zu einer Sackgasse werden. Investoren
betrachten immer das Verhältnis von Risiko zu Rendite. Medtech-Projekte sind
teuer und können erst relativ spät auf den Markt gebracht werden, gleichzeitig ist
ein lineares Wachstum realistisch, was den Break-even hinauszögert. Aus Sicht der
Investoren bedeutet dies: hohes Risiko und niedrige Rendite. Daher ist es sehr un-
wahrscheinlich, dass ein Investor mit einer größeren Summe in einer Frühphase
einsteigt, ohne große Anteile des Unternehmens zu fordern.
Im Falle einer Kombination aus Investoren und Förderstellen, gilt es, Förderungen
oder auch Kredite zu akquirieren, solange sich das Projekt in der Frühphase befin-
det. Dies stellt eine Möglichkeit dar, um die ersten Meilensteine erreichen zu kön-
nen. Sobald eine Zulassung vorliegt und die Marktphase beginnt, ist der beste Zeit-
punkt gekommen, um auch mit externen Investoren in Kontakt zu treten, da nun
15.6 Vom Prototypen zum Serienprodukt und die dazugehörige Dokumentation 507

das Risiko geringer und die Rendite klarer ersichtlich ist. Dies ist ein möglicher
Weg, der die eigenen Zeitressourcen schont und gleichzeitig Chancen maximiert,
kontinuierlich ausreichend Gelder zu erhalten, ohne den Großteil der Firmen­
anteile abtreten zu müssen.

TIPP:
Bei vorbereitenden Tätigkeiten für Investorengespräche sollen nicht nur die Aspekte
der Medtech-Branche vorbereitet werden (z. B. Timeline bis zur CE-Kennzeichnung),
sondern auch der Wissensstand eines Investors zu diesem Thema (Experte oder
branchenfremd) ist zu bedenken.

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„ 15.6 Vom Prototypen zum Serienprodukt


und die dazugehörige Dokumentation

Der Produktentwicklungsprozess
For personal use only.

Einer der natürlichsten Prozesse in zahlreichen Start-ups ist es, ein Produkt in
zahlreichen Iterationen zu entwickeln. Zu Beginn werden erste Prototypen entwi-
ckelt, während nach Kundenrückmeldungen und eigenen technischen Erkenntnis-
sen das Produkt schrittweise angepasst wird. In einer solchen Trial-and-Error-
Phase ist es aus Sicht der Gründer nicht das Ziel, bereits viel Dokumentation
durchzuführen, sondern die Technologie oder die Lösung so schnell wie möglich
zu optimieren. Genau hier gilt es aber dringend zu beachten, dass die MPV [MPV
Anhang II], aber auch Normen wie die ISO 13485 (siehe Kapitel 1, QM-Systeme)
eine strikte Dokumentationsstruktur fordern (siehe Abschnitt 15.11 für eine Auf-
teilung, wann welcher Dokumentationsaufwand notwendig ist).
Bei den Forderungen der Produktentwicklung wird schnell ersichtlich, dass sich
sowohl die Verordnung als auch Normen allgemein sehr stark auf das V-Modell
stützen (siehe Kapitel 4, Entwicklung von Medizinprodukten), jedoch ist dieses nicht
verpflichtend. Es können auch Wasserfallmodelle, Spiralmodelle (siehe Kapitel 4)
oder sogar agile Methoden wie Scrum (siehe Kapitel 5, Software als Medizinpro-
dukt) verwendet werden. Wichtig ist aber zu beachten, dass unabhängig vom Mo-
dell zwei Bedingungen erfüllt werden:
1. Die geforderten Meilensteine der regulatorischen Anforderungen sind inklu-
diert,
2. das Modell verstößt nicht gegen Anforderungen einzelner Normen, wie zum
Beispiel der IEC 62304 für die Softwareentwicklung (siehe Kapitel 5).
508 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

In der Praxis hat sich eine Kombination aus dem V-Modell mit agilen Teilschritten
bewährt. Dieses Modell verlangt zwar, dass zu Projektbeginn alle Aspekte berück-
sichtigt werden (z. B. auch Aspekte der Gebrauchsanweisung oder einzelner Nor-
men), dafür erhält das Team aber einen Überblick der to dos, und es sinkt auch das
Risiko, dass Anforderungen zu Beginn übersehen werden. Direkt in der Implemen-
tierungsphase wird aber nicht selten auf agile Methoden zurückgegriffen, insbe-
sondere wenn Softwarekomponenten entwickelt werden.

Die Technische Dokumentation


Der Produktentwicklungsprozess ist zwar ein relevanter Anteil der Medizinpro-
duktedokumentation, jedoch nicht der einzige. Die MPV fordert in den Anhängen
II und III eine vollständige technische Dokumentation. Es lohnt sich, die Anhänge
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gründlich zu studieren, um doppelte oder unnötige Aufwände zu vermeiden. Die


sieben wichtigsten Haupthemen sind:
ƒ Produktbeschreibung und Spezifikation (welches Produkt mit welchen Leis-
tungsmerkmalen),
ƒ vom Hersteller zu liefernde Informationen (z. B. Gebrauchsanweisung),
ƒ Informationen zur Auslegung und Herstellung (wie wird entwickelt und herge-
For personal use only.

stellt),
ƒ grundlegende Sicherheits- und Leistungsanforderungen (wie werden diese er-
füllt),
ƒ Nutzen-Risiko-Analyse und Risikomanagement (vollständiges Risikomanage-
ment),
ƒ Verifizierung und Validierung (Nachweis der Vollständigkeit und Funktionali-
tät),
ƒ Post Market Surveillance (Überwachung nach der Inverkehrbringung).

TIPP:
Eine vollständige Stakeholder-Analyse und Festlegung der Requirements bereits
zu Beginn hilft, den Umfang des Projekts möglichst genau abzustecken und spätere
Änderungen des Projekt-Scopes zu vermeiden. Auch Regularien und Normen
sollen bei der Stakeholder-Analyse herangezogen werden.

15.7 In-House oder Outsourcing? 509

„ 15.7 In-House oder Outsourcing?


Nach der Analyse der notwendigen Schritte der Produktentwicklung und der Min-
destanforderungen an die technische Dokumentation stellen Start-ups, potenzielle
Förderstellen oder Investoren gleichermaßen die Frage, wer die Entwicklung
durchführen soll. Nicht selten stehen einem Start-up weder das Personal noch die
vollständigen Qualifikationen noch das Geld oder die Erfahrung zur Verfügung,
um 100 % eigenständig entwickeln und fertigen zu können. Auftragsentwickler
und Lohnfertiger stehen weltweit zur Verfügung und erscheinen auf den ersten
Blick sehr attraktiv. Dennoch gilt es, wichtige Aspekte bei einer solchen Entschei-
dung zu bedenken:
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Es besteht zwischen einer Gruppe von Innovatoren (dem Start-up-Team) und einem
Auftragsentwickler immer eine Informationsasymmetrie. Das Start-up-Team ist be-
züglich der Produkteigenschaften immer auf dem neuesten Stand und erhält vom
Markt ständig neue Updates. Außerdem hat das Team aufgrund der emotionalen
Bindung zum Produkt höchste Ansprüche und gibt sich mit mittelmäßiger oder
schlechter Qualität nicht zufrieden. Auftragsentwickler andererseits verfolgen das
Ziel, die im eigenen Unternehmen bereits bewährten Prozesse und Technologien
For personal use only.

maximal zu nutzen, um Kosten zu sparen und die Gewinnmarge zu erhöhen [15.8].


Aus dieser Asymmetrie können Konflikte entstehen. Klar ist, je mehr ausgelagert
wird, desto weniger „flexibel“ wird das Projekt, desto höher wird der Spezifikati-
onsaufwand und desto höher wird auch das Risiko einer vollständigen Abhängig-
keit.
Für dieses Dilemma gibt es aber eine praktische Lösung, welche das Risiko mini-
miert und die Erfolgschancen maximiert. Der wichtigste Bestandteil dieser Lösung
ist die Definition des sogenannten „Core“ oder Kerns des Start-ups [15.1]. Der Core
ist jene Technologie, Eigenschaft oder Fähigkeit eines Start-ups, welche das Pro-
dukt oder das Konzept von der Konkurrenz und dem Status Quo unterscheidet.
Hierzu gehört einerseits die Intellectual Property (IP), andererseits aber auch die
Fähigkeiten jedes einzelnen Teammitglieds. Die notwendigen Qualifikationen und
Erfahrungen, welche für den Core benötigt werden, müssen vom internen Team
abgedeckt werden. Alle Elemente außerhalb des Cores können grundsätzlich aus-
gelagert werden.

TIPP:
Schon zu Beginn des Projekts muss genau untersucht werden, welche Aspekte
der Entwicklung, der Herstellung und der Wartung ausgelagert werden und welche
im Unternehmen verbleiben sollen.

510 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

„ 15.8 Ein QMS aus dem Nichts aufbauen


Die Notwendigkeit eines umfassenden Qualitätsmanagements ist für viele Start-
ups zu Beginn eine vollkommen unverständliche Forderung. Anstatt schnell und
effizient entwickeln zu können, werden nun strukturierte Prozesse, detaillierte Ar-
beitsanweisungen, Qualitätsmanagementhandbücher, gelenkte Dokumente und
klar festgelegte Verantwortlichkeiten gefordert. Nicht selten wird ein Qualitäts­
managementsystem als lästige Notwendigkeit gesehen, um MPV-konform zu sein
oder zum Beispiel ein Konformitätsbewertungsverfahren nach Anhang IX [MPV
Anhang IX] umsetzen zu können. Kurzfristig bedeutet ein solches QMS für jedes
Start-up eine starke Mehrbelastung. Nicht nur, dass ein solches System erst einmal
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aufgesetzt werden muss, sondern das gesamte Team muss geschult werden und in
weiterer Folge auch danach arbeiten. Mittelfristig gibt es aber fast kein Start-up,
welches ein QMS nicht auch als essenzielle Unterstützung und als Mehrwert sieht.
Probleme können einfacher und schneller identifiziert, nachvollzogen oder sogar
verhindert werden, alle Teammitglieder haben klare Verantwortlichkeiten, und die
definierten Prozesse beschreiben eindeutig, wie einzelne Tätigkeiten umzusetzen
sind.
For personal use only.

Für die maximale Effizienz wird empfohlen, zunächst die wichtigsten Elemente
eines QMS einzurichten (beispielsweise Qualitätsmanagementhandbuch, Pro-
­
duktentwicklungs- oder Dokumententenlenkungsprozesse) und erst anschließend
mit der Produktentwicklung zu beginnen. So kann gleich QMS-konform entwickelt
und dokumentiert werden, und es werden doppelte Arbeitsaufwände vermieden.
Ebenfalls darf niemals vergessen werden, dass ein QMS nicht nur eine regulatori-
sche Anforderung ist, sondern auch ein Sicherheitsmechanismus, um für Pati-
enten und Kunden ein qualitativ hochwertiges und sicheres Produkt zu entwickeln
und zu verkaufen.

„ 15.9 Wahl des Konformitäts­


bewertungsverfahrens
Einen substanziellen Einfluss auf die Projektdauer hat die Auswahl des Konformi-
tätsbewertungsverfahrens. Wenn ein Medizinprodukt auf den Markt gebracht wer-
den soll, muss nachgewiesen werden, dass es konform mit den Anforderungen der
MPV ist [MPV Artikel 5]. Für diese Konformität werden verschiedene Kombinatio-
nen und Wege [MPV Artikel 52] vorgestellt, die von der Medizinprodukteklasse
abhängig sind (siehe Kapitel 3, Rechtliches Umfeld und Zulassungsanforderungen).
15.10 Frühe Einbindung einer Benannten Stelle 511

BEACHTE:
Ob eine Benannte Stelle notwendig ist, ergibt sich aus der Klassifizierung. Ein
künstliches „Drehen“ an dieser Klassifizierungsschraube kann gefährlich sein.
Ohnedies gelten die meisten Grundanforderungen der MPV für alle Medizinpro-
dukteklassen (QMS, PMS, klinische Bewertung).

Bei Start-ups wird oftmals die Konformitätsbewertung nach Anhang IX als größte
Hürde gesehen, da nicht nur das Produkt bewertet wird, sondern auch ein QMS,
welches in der Praxis nach ISO 13485 eingerichtet wird. Trotzdem ist dieses Ver-
fahren in vielen Fällen das sinnvollste. Einige Gründe hierfür sind:
ƒ Benannte Stellen priorisieren häufig Kunden, die sowohl das Produkt als auch
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das QMS bei ihnen prüfen lassen,


ƒ Artikel 10 Absatz 9 der MPV fordert ein QMS, welches wiederum zahlreiche
Elemente der ISO 13485 umfasst,
ƒ eine Zertifizierung nach ISO 13485 ist eine ausgezeichnete Möglichkeit, um
den Firmenwert zu steigern.

TIPP:
For personal use only.

Die Kombination aus einer klar formulierten Zweckbestimmung, einer eindeutigen


Medizinprodukteklasse und einem sinnvollen Konformitätsbewertungsverfahren
erleichtert die Gesamtplanung des Projekts und ermöglicht es, eine stabile Ent-
wicklungs-Roadmap auszuarbeiten. Dadurch können schon frühzeitig Tests, klini-
sche Prüfungen und Audits geplant werden.

„ 15.10 Frühe Einbindung einer


Benannten Stelle
Da zahlreiche Start-ups Produkte entwickeln, die entweder Software nutzen oder
diagnostische oder therapeutische Zweckbestimmungen vorweisen, ist die Einbin-
dung einer Benannten Stelle in vielen Fällen unumgänglich. Dies ist den Unterneh-
men zwar bewusst, jedoch wird dieses Thema meistens erst in einer späten Pro-
jektphase, eventuell sogar erst zum Zeitpunkt der Validierung, konkret in Angriff
genommen. In der Praxis ist die Kooperation mit einer Benannten Stelle oft eine
große Herausforderung für das Projekt, sie ist aber ein entscheidender Faktor, ob
bzw. wann das Produkt eine Zulassung erhält.
512 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

Konkret bedeutet dies, dass eine Benannte Stelle so früh wie möglich eingebunden
werden sollte, auch wenn die technische Dokumentation noch weit von der Fertig-
stellung entfernt ist. Nachdem der Erstkontakt zu einer Benannten Stelle teilweise
eine Hürde darstellt (örtliche Nähe und Scope der Benannten Stelle, sind dort Res-
sourcen verfügbar – manche Benannte Stellen reagieren erst nach Wochen oder
Monaten, andere ignorieren eine Anfrage komplett), werden folgende Praxistipps
empfohlen:
ƒ Die Suche nach einer Benannten Stelle sollte begonnen werden, unmittelbar
nachdem die Zweckbestimmung definiert wurde und ein erster Prototyp vor-
liegt.
ƒ Das eigene Netzwerk, Inkubatoren und andere Stakeholder sollten genutzt
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werden, um Kanäle zu Benannten Stellen zu legen und die Kommunikation zu


diesen zu beschleunigen.
ƒ Auch wenn es zu früh ist, um mit der Konformitätsbewertung zu beginnen,
können dennoch Angebote eingeholt und Information gesammelt werden, ob
die Benannte Stelle grundsätzlich Interesse an einer Kooperation hätte.
ƒ Falls ein zertifiziertes ISO 13485 QMS geplant ist, dann sollte dieses unbe-
dingt bei derselben Benannten Stelle zertifiziert werden, bei welcher auch die
For personal use only.

Konformitätsbewertung durchgeführt wird.


ƒ Die Suche sollte nicht nur auf das eigene Land begrenzt werden, sondern die
ganze EU umfassen.

TIPP:
Die Europäische Union bietet für die Suche die NANDO-Datenbank an, welche frei
zugänglich ist. Achtung: Bei nicht deutschsprachigen Benannten Stellen können
Sprachbarrieren und zusätzliche Reisekosten entstehen.

Ebenfalls zu bedenken ist, dass eine Kooperation mit einer Benannten Stelle eine
langfristige Entscheidung ist. Ein Wechsel ist zwar möglich [MPV Artikel 58], sorgt
aber für Komplikationen und Zeitverzögerungen.

MERKE:
Die Suche und Auswahl einer Benannten Stelle soll bereits in der Projektfrühphase
umgesetzt werden, und bei Möglichkeit sollen schon frühzeitig Vorverträge unter-
zeichnet werden.

15.11 Der Start-up-Spirit im regulatorischen Umfeld: Das Zwei-Phasen-Programm 513

„ 15.11 Der Start-up-Spirit im regulatorischen


Umfeld: Das Zwei-Phasen-Programm
Mit den bisherigen Informationen kann der Eindruck entstehen, dass ein Start-up
und die regulatorischen Anforderungen zwei unvereinbare Elemente darstellen.
Die Stärken eines Start-ups sind der Innovationsdrang sowie eine iterative und
schnelle Projektabwicklung. Das regulatorische Umfeld hingegen sieht klare und
starre Meilensteine vor und fordert gut dokumentierte Schritte. Zum Beispiel darf
laut der Softwarenorm IEC 62304 [15.9] keine einzige Zeile Code geschrieben wer-
den, solange kein Softwareentwicklungsplan definiert wurde. Hier stellt sich die
Frage, wie Innovation laufend ins Produkt eingebracht werden kann, wenn bereits
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jeder einzelne Entwicklungsschritt vorab dokumentiert werden muss.


Um diese Herausforderung zu meistern, hat sich bei Start-ups ein Zwei-Phasen-
Entwicklungsprogramm etabliert. Die erste Phase kann als experimentelle For-
schungs- und Entwicklungsphase gesehen werden. Hier werden Hardware- und
Softwareprototypen entwickelt. In dieser Phase wird nur jene Dokumentation
durchgeführt, welche für die Entwicklung hilfreich ist. Prototypen werden rasch
erstellt und Kunden gezeigt. Danach wird deren Feedback eingearbeitet und ver-
For personal use only.

besserte Prototypen erstellt. Die Entwicklung ist sehr kundennah und soll rasch
Ergebnisse hervorbringen, die so konzipiert sind, dass sie den Anforderungen des
Marktes entsprechen. Hier muss aber unbedingt beachtet werden, dass unter kei-
nen Umständen Versuche an Patienten durchgeführt werden dürfen, da dies sehr
schnell zu einer klinischen Prüfung umgedeutet werden kann.
Sobald der Prototyp einen Zustand erreicht hat, bei welchem sich sowohl Kunden
als auch das Team einig sind, dass nun die wichtigsten Eigenschaften vorhanden
sind, wird ein cut-off gesetzt, und es beginnt die zweite Phase, die Medizinproduk-
teentwicklung. Ab diesem Zeitpunkt werden eine MPV-konforme Entwicklung und
Dokumentation durchgeführt, die Ergebnisse aus Phase 1 dienen als Input für die
zweite Phase.

BEACHTE:
Dem Entwicklungsteam muss bekannt sein, wo die Grenzen zwischen einer „Vor-
Entwicklungstätigkeit“ und einer Entwicklung nach Medizintechnikvorgaben liegen.
Auch muss der Dokumentationsumfang für die zwei Phasen verstanden werden
(siehe auch Abschnitt 4.3).

514 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

„ 15.12 Lieferantenketten und Assemblierung


Während der Medizinprodukteentwicklung und der Einrichtung des QMS sind
in einem Start-up meist alle Personalressourcen gebunden, und ein wesentliches
Augenmerk liegt auf der Verifizierung und Validierung der Produktmerkmale. Ge-
nau bei diesem Fokus kann es passieren, dass die zwei bedeutenden Themen Lie-
ferantenmanagement (siehe Kapitel 11, Lieferantenmanagement) und Fertigung
entweder viel zu spät oder sogar erst während der Produktvalidierung adressiert
werden.
Um ein Serienprodukt fertigen zu können, ist es notwendig, eine sogenannte Sup-
ply Chain einzurichten (dies gilt für physische Produkte, nicht für Software). Dabei
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muss sorgfältig überlegt werden, woher die Materialien und Komponenten für das
Produkt kommen.
Ein häufiger Irrglaube ist, dass die Fertigung weniger strikt oder gar nicht regu-
liert ist. Im Gegenteil, Herstellprozesse, Lieferanten und eine Bill of Material (BOM)
sind sowohl in der MPV [MPV Anhang II Abschnitt 3] als auch in der ISO 13485
[15.10] ein Thema. Die regulatorischen Anforderungen können in drei Kernfragen
zusammengefasst werden:
For personal use only.

ƒ Welche Lieferanten werden genutzt und wie werden diese qualifiziert?


ƒ Welche Bauteile und Komponenten werden benötigt und wie werden diese ini-
tial und in der Serie geprüft und für gut befunden?
ƒ Wie wird gewährleistet, dass das Produkt sicher und qualitativ hochwertig her-
gestellt werden kann (siehe Kapitel 8, 9 und 10)?
Ein weiterer Irrglaube besteht darin, dass während der Entwicklung und der Serien-
produktion Änderungen beliebig durchgeführt werden können.

BEISPIEL:
Besonders bei mechanischen Komponenten wie z. B. Kunststoffteilen ist es ver-
lockend, die ersten Teile kostengünstig mittels z. B. 3D-Druck-Verfahren herstellen
zu lassen, damit die Verifikation und Validierung durchzuführen und bei der Serien-
produktion auf ein Spritzgusswerkzeug umzustellen. Dies kann problematisch sein,
da Validierungstests an Serienprodukten oder seriennahen Produkten durchgeführt
werden müssen, sich die mechanischen Eigenschaften und die Biokompatibilität
zwischen z. B. 3D-Druck- und Spritzgussmaterialien aber wesentlich ändern können.

Generell müssen für die Einrichtung der Supply Chain Monate eingeplant werden.
Bei hochsensiblen Aspekten wie Sterilität oder biologischen Materialien ist eventuell
sogar noch mehr Zeit einzuplanen, um inakzeptable Lieferungen, schlechte Pro-
duktqualität oder ein ineffizientes Preis-Leistungs-Verhältnis zu vermeiden. Selbst
bei scheinbar simplen Komponenten wie Etiketten ist es üblich, dass mehr als eine
15.13 Klinische Prüfungen 515

Iteration notwendig ist, bis alle Spezifikationen passen. Bei kritischen Teilen ist es
erforderlich, die Lieferanten zu auditieren, wobei die geografische Komponente für
Start-ups ein wichtiges Entscheidungskriterium sein kann. Es macht einen Unter-
schied, ob ein Lieferant drei Autostunden oder sieben Flugstunden entfernt ist.
Ein oftmals unterschätzter Faktor ist die Assemblierung/Fertigung und Qualitäts-
sicherung der Serienprodukte. Wie bei der Entwicklung besteht auch hier die Mög-
lichkeit, entweder im eigenen Unternehmen zu fertigen oder einen Lohnfertiger zu
beauftragen. Besonders wenn die Assemblierungstätigkeiten simpel und die Stück-
zahlen niedrig sind, sollte zu Beginn eine interne Assemblierung eingerichtet wer-
den. Insbesondere Anlaufschwierigkeiten können durch das eigene Team am bes-
ten analysiert und beobachtet werden.
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MERKE:
Bei der Supply Chain und der Fertigung muss schon früh in der Entwicklung ent-
schieden werden, welche Aspekte ausgelagert werden und welche nicht. Falls die
Produktherstellung nicht zu komplex ist und die Stückzahlen in den ersten Jahren
selbst bewältigt werden können, wird empfohlen beide Aspekte selbst zu verwal-
ten (siehe auch Kapitel 10 und 11).

For personal use only.

„ 15.13 Klinische Prüfungen
Die klinische Bewertung sowie die klinischen Prüfungen haben in der MPV im
Gegensatz zur MDD eine noch stärkere Gewichtung bekommen und stellen für
Start-ups eine ganz eigene Herausforderung dar. Bereits beim Erstkontakt zu För-
derstellen oder medizinischen Experten muss klar ersichtlich sein, ob und wenn ja
in welchem Umfang, klinische Prüfungen durchgeführt werden müssen. Spätes-
tens ab diesem Zeitpunkt entdecken viele, dass eine klinische Prüfung meist einen
unvermeidbaren Meilenstein während der Validierung eines Medizinprodukts dar-
stellt.
In der Tat hat die MPV zu diesem Thema einige zusätzliche Anforderungen ge-
bracht. Der Fokus rückte einmal mehr auf das Thema Sicherheit, und es wurde
festgelegt, dass klinische Daten nur aus folgenden vier Quellen akzeptiert werden:
ƒ klinische Prüfungen mit dem eigenen Produkt,
ƒ Daten von äquivalenten Produkten,
ƒ wissenschaftliche Fachliteratur über das eigene Produkt oder äquivalente Pro-
dukte,
ƒ Post Market Surveillance-Daten über das eigene Produkt.
516 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

Obwohl die MPV nur für Klasse-III-Produkte und Implantate zwingend eine klini-
sche Prüfung voraussetzt [MPV Artikel 61 Absatz 4], bleibt insbesondere bei inno-
vativen Produkten aber häufig auch keine andere Wahl, als eine klinische Prüfung
durchzuführen. Die Begründung hierfür liegt darin, dass die Start-ups keine klini-
schen Daten aus den oben genannten Quellen vorweisen können.
Solche Prüfungen können durchaus zum Bottleneck der Entwicklung und Validie-
rung werden. Es sei zwar erwähnt, dass eine Ausnahmeklausel existiert [MPV Ar-
tikel 61 Absatz 10], bei welcher auf die Beurteilung mittels klinischer Daten ver-
zichtet werden kann, jedoch ist diese Route meist nur für harmlose Produkte oder
Produkte mit einer etablierten Technologie verfügbar. Es sollte geprüft werden, ob
dies eine mögliche Alternative darstellt.
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Eine klinische Prüfung ist mit sehr großem Aufwand verbunden, wodurch entspre-
chende Zeit und finanzielle Ressourcen eingeplant werden müssen. Die MPV wid-
met diesem Thema etliche Artikel, ergänzend gibt es auch nationale Regelungen.
Für ein solches Unterfangen müssen zunächst Ethikkommissionen und nationale
Behörden involviert werden, aber es bedarf auch einer Klinik, medizinischen Uni-
versität oder einer ähnlichen Einrichtung, die die Prüfung tatsächlich durchführt.
Die logische Konsequenz ist, dass die Themen klinische Bewertung und klinische
For personal use only.

Prüfung nicht erst nach der Verifikationsphase des Produkts erstmalig behandelt
werden dürfen, sondern schon bei der ersten Rohfassung der Zweckbestimmung.
Es sei aber explizit festgehalten, dass eine klinische Prüfung nicht nur regulato-
risch gefordert wird, sondern auch als Unterstützung in Vertriebs- und Marketing-
aktivitäten gesehen werden kann.

BEACHTE:
Es ist bereits nach der Festlegung der Zweckbestimmung die Notwendigkeit
einer klinischen Prüfung zu klären. Im Falle einer Prüfung sind Einreichungen an
Ethikkommissionen und Behörden entsprechend den genannten Mindestanfor-
derungen vorzulegen, um unnötige Iterationen vor einer Prüfungsentscheidung
zu vermeiden.

„ 15.14 Eigenvertrieb vs. Distributoren


Schon im Frühstadium eines Medizinprodukteprojekts stellt sich die Frage, wie
der Vertrieb realisiert werden soll. Viele Start-ups tendieren dazu, sich erst nach
der Zulassung näher damit zu beschäftigen. Um ein vollständiges Business-Modell
zu erarbeiten, ist es aber essenziell, sich gerade zu Beginn die Frage zu stellen, ob
15.14 Eigenvertrieb vs. Distributoren 517

ein Eigenvertrieb angestrebt wird oder nicht. Es gilt im Wesentlichen zwei Fragen
zu klären: Welche Vertriebsschienen sind aufgrund der Produkteigenschaften
sinnvoll und sollen diese selbst oder mit Partnern umgesetzt werden?

15.14.1 Produkteigenschaften
Nicht jeder Vertriebsweg ist für jedes Produkt geeignet. Daher muss eine Liste von
Aspekten analysiert werden: Handelt es sich um eine stand-alone-Software, die
schnell verbreitet werden kann, ist es ein kleines und vielleicht günstiges Produkt,
das in Massen verkauft werden soll, oder handelt es sich um ein hochkomplexes
Produkt, bei welchem angedacht ist nur wenige Stück pro Jahr zu verkaufen? Zu-
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sätzlich müssen Faktoren wie Installation, Wartung und eventuelle Schulungen


berücksichtigt werden. Ebenso wichtig ist die Klärung folgender Fragestellungen:
ƒ Wie wird die Interaktion des Kunden mit dem Produkt über den gesamten
kommerziellen Lebenszyklus stattfinden [15.1]?
ƒ Wie erfahren Kunden vom Produkt?
ƒ Wie kann das Produkt bereitgestellt werden?
For personal use only.

ƒ Muss das Personal geschult werden?


ƒ Wird eine regelmäßige Wartung benötigt?
ƒ Wie wird das Produkt entsorgt?

15.14.2 Vertriebsmöglichkeiten
Ein Medizinproduktevertrieb ist weder einfach aufzubauen noch kostengünstig
zu betreiben. Je nach gewählter Strategie können Aspekte wie Investments oder
Skalierungsmöglichkeiten stark davon beeinflusst werden. Ohne auf allzu viele
Kombinationsmöglichkeiten einzugehen, stehen im Allgemeinen drei Methoden
zur Auswahl:
1. Eigenvertrieb,
2. Vertrieb über Distributoren,
3. hybride Lösung.

Eigenvertrieb
Der Vorteil des Eigenvertriebs ist, dass von Beginn an ein direkter Kontakt zu den
Kunden besteht und somit ein kontinuierlicher Austausch stattfindet, welcher die
eigene Marktposition stärkt. Ein solcher Input ist insbesondere in der initialen
Marktphase von größter Bedeutung. Der große Nachteil ist, dass die meisten Start-
518 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

ups noch unbekannt sind und der Aufbau eines Teams und einer Marke äußerst
kostspielig sind. Interne Business Developer und Vertriebspersonen sind notwen-
dig, um die Nachfrage zu generieren. Diese Personen kosten viel, und aus diesem
Grund müssen schon bei den initialen Planungen klare und quantitative Meilen-
steine und Ziele vereinbart werden. Bei der Bezahlung dieser Personen soll eine
Mischung aus Provision und Fixum vereinbart werden.

Distributoren
Der Vorteil bei der Kooperation mit Distributoren ist (in diesem Kontext sind Medi-
zinproduktehändler gemeint und keine Apotheken, Drogeriehandelsketten oder
Sanitätshäuser), dass sie in vielen Fällen eine nationale oder internationale Repu-
tation besitzen und zusätzlich über ein etabliertes Vertriebssystem verfügen. Mit
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diesem Netzwerk ist es viel einfacher möglich, an potenzielle Kunden und Key
Opinion Leader zu gelangen. Der Nachteil ist, dass Händler meist Margen von 35
bis 50 % des Netto-Endverkaufspreises des Produkts fordern und darüber hinaus
eine ständige Betreuung benötigen. Vorsicht ist auch bei Distributionsverträgen
mit sehr großen Distributoren geboten, die gleich mehrere Länder übernehmen
möchten. Wenn es hier zu Kooperationsschwierigkeiten kommt, kann es schnell
passieren, dass wichtige Schlüsselmärkte für Jahre blockiert sind.
For personal use only.

Hybride Lösung
In der Praxis hat sich in vielen Fällen die zeitversetzte hybride Strategie bewährt.
Das Team sollte am Anfang unbedingt mindestens einen Markt selbst kontrol-
lieren, um Erfahrungen zu sammeln und eine starke Verbindung mit den Kunden
zu haben. Zusätzlich muss bewiesen werden, dass das Vertriebskonzept funktio-
niert. Danach können erste Kooperationen mit Distributoren oder Handelsagenten
geschlossen werden, um auch hier erste Erfahrungen zu sammeln.

TIPP:
Übertragen Sie einem Distributor in einem Vertrag nicht zu viele Gebiete oder
setzen Sie besser mit demselben Distributor mehrere Verträge für einzelne Gebiete
auf, damit Sie im Fall von non-performance des Distributors in einzelnen Märkten
gezielt aussteigen können.

MERKE:
Die Auswahl des Vertriebskanals muss bereits in der Frühphase des Projekts
bestimmt werden. Die Kanäle und Partner sind noch vor der Produktzulassung zu
testen.

15.15 Pre-Marketing-Aktivitäten vor der Zulassung 519

„ 15.15 Pre-Marketing-Aktivitäten
vor der Zulassung

BEACHTE:
Diese Pre-Marketing-Aktivitäten gelten nur für den europäischen Wirtschaftsraum
und dürfen nicht automatisch auf andere Regionen extrapoliert werden.

Obwohl Pre-Marketing-Aktivitäten bei Start-ups ein beliebtes Werkzeug sind, um


eine Kundennachfrage bereits in einer frühen Projektphase zu evaluieren, ist in
der Medizintechnik Vorsicht geboten. Zwar sind solche Aktivitäten grundsätzlich
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nicht verboten, jedoch sind Einschränkungen und strikte Vorgaben zu beachten.


Einer der häufigsten Irrtümer ist es anzunehmen, dass beim Pre-Marketing die
Zweckbestimmung oder Produkteigenschaften liberaler beworben werden können,
da das Produkt sowieso noch nicht zugelassen ist. Benannte Stellen, Behörden und
auch vereinzelt Kunden prüfen sehr wohl die Claims auf Webseiten, Social-Media-
Plattformen und anderen Werbeflächen. Es kann durchaus der Fall sein, dass eine
Produktzulassung daran scheitert, weil die Benannte Stelle beispielsweise für be-
For personal use only.

worbene Behauptungen Nachweise fordert.


Es gilt generell, dass ein Produkt nicht an Patienten oder im klinischen Alltag ver-
wendet werden darf, solange es kein CE-Zeichen trägt. So wäre es ebenfalls falsch
anzunehmen, dass ein Produkt nicht in Verkehr gebracht wurde, wenn es ver-
schenkt wird. Die MPV definiert klar, dass eine Inverkehrbringung entgeltlich und
auch unentgeltlich erfolgen kann [MPV Artikel 2 Absatz 27 und 28]. Die Marke-
tingstrategie, das Produkt Early Adopters gratis zur Verfügung zu stellen, kann
dazu führen, dass das Produkt offiziell in Verkehr gebracht wurde, obwohl noch
keine gültige CE-Kennzeichnung vorliegt.
Einige Beispiele für erlaubtes Pre-Marketing sind:
ƒ Auftritte bei Messen oder Kongressen mit Demoprodukten unter gewissen Be-
dingungen [MPV Artikel 21 Absatz 3],
ƒ Vorsichtiges und korrekt gekennzeichnetes Online- und Social-Media-Marke-
ting, welches der Zweckbestimmung entspricht,
ƒ Demonstration der Funktionsweise ohne die Involvierung von Patienten (falls
dies technisch möglich ist),
ƒ Informationsmaterialien für Distributoren, Investoren und ähnliche Stakehol-
der,
ƒ Unternehmens- und Produktvorstellungen (auch Videos), wobei klar ersicht-
lich sein muss, dass das Produkt noch nicht fertig ist.
520 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

MERKE:
Pre-Marketing muss sehr vorsichtig betrieben werden. Auch unentgeltlich abge-
gebene Produkte gelten als in Verkehr gebracht. Die Behauptungen und Werbe-
versprechen müssen der Zweckbestimmung entsprechen.

„ 15.16 Erste Schritte im Markt


Am Tag der CE-Kennzeichnung scheinen die meisten Hürden gemeistert zu sein:
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Die Zulassung ist abgeschlossen, es wurde viel Zeit und Energie in das Pre-Marke-
ting investiert, und das Produkt steht bereit und kann verkauft werden. Es scheint,
als müsse das Produkt nur noch ausgeliefert und die steigenden Umsätze beobach-
tet werden. In Wirklichkeit aber beginnt nun die wohl spannendste Frage für ein
Start-up, nämlich ob das angedachte Business-Modell tatsächlich funktioniert und
Kunden das Produkt annehmen.
Meist kommt es vor, dass gerade die zu Beginn prognostizierten Umsätze nicht mit
For personal use only.

den tatsächlichen übereinstimmen. Das Produkt wird nicht so euphorisch ange-


nommen wie erhofft, Umsätze sind geringer als erwartet, und auch Probleme bei
den Vertriebskanälen sind nicht auszuschließen.
In den meisten Branchen ist es bereits viel früher möglich, eine erste Version des
Produkts auf den Markt zu bringen und schnell und effizient Feedback einzuholen.
Fehler können dadurch rasch behoben und das Produkt verbessert werden. In der
Medizintechnik stehen diese agilen Methoden nur bedingt zur Verfügung, wo-
durch erst nach der Zulassung richtig mit dem Verkauf begonnen werden kann.
Nun gilt es, genügend Budget und Zeit für erste Erfahrungen am Markt bereitzu-
stellen, wobei hierfür mehr als ein paar Monate eingeplant werden sollten. Des
Weiteren muss in dieser Zeit noch mehr Energie in den Erfahrungsaustausch mit
Kunden investiert werden. Das Ziel ist es herauszufinden, ob das Produkt, die
Kommunikation und das Marketing noch weiter verbessert werden können. Ebenso
sollten alle definierten Annahmen getestet werden, beispielweise:
ƒ Wurde die richtige Zielkundengruppe gewählt (Achtung: Änderungen haben
regulatorische Konsequenzen)?
ƒ Sind die Annahmen über den Mehrwert korrekt?
ƒ Wurden die richtigen Vertriebskanäle gewählt?
Die ersten Monate nach der Produktfreigabe sollten unbedingt zur intensiven Hypo-
thesentestung genutzt werden. Es ist nicht unüblich, dass ursprüngliche Strate-
gien leicht oder sogar radikal angepasst werden müssen.
15.17 DiePostMarketSurveillancealsChancefürdieSteigerungderP
­ rodukt-undUnternehmensqualität 521

TIPP:
Eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Strategieanpassung ist, dass für
eine solche Adaption die nötige Liquidität und Zeit zur Verfügung stehen. Es ist
ratsam, bereits in der frühen Planung einen Sicherheitspuffer dafür einzukalkulie-
ren. Dies ermöglicht dem Start-up, im ersten Jahr nach der Zulassung genügend
Erfahrungen sammeln zu können. Im Idealfall stehen genügend Reserven zur
Verfügung, um zwölf Monate ohne nennenswerte Umsätze die Kosten zu decken
und gleichzeitig über ein Marketingbudget zu verfügen, welches ein an das Produkt
angepasste Marketing ermöglicht. Die Arbeit mit sinnvollen Metriken wie Umsätze,
Kundenanzahl, Konversionsraten oder Ähnliches sind hier zu empfehlen.

MERKE:
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Die Wachstumsraten in der Medizintechnik sind im Allgemeinen linear und nicht


exponentiell. Dies muss sowohl in der Liquiditätsplanung als auch im Businessplan
berücksichtigt werden.

„ 15.17 Die Post Market Surveillance als


For personal use only.

Chance für die Steigerung der


­Produkt- und Unternehmensqualität
Während der Entwicklung eines Medizinprodukts stehen Aktivitäten wie die Veri-
fizierung, die Validierung und die klinische Bewertung im Vordergrund. Aspekte
wie Vigilanz oder Post Market Surveillance (PMS) rücken in den Hintergrund. Da-
bei ist die PMS nicht nur eines der wichtigsten Elemente während der Vermark-
tung eines Produkts, sondern sie kann bei entsprechender Planung auch dazu ge-
nutzt werden, um wertvolles Kundenfeedback zu erhalten.
Mit dem Post Market Clinical Follow-Up (PMCF) [MPV Anhang XIV Teil B] wird
einem als Hersteller bereits eine gute Möglichkeit geboten, Feedback zu generie-
ren, und es ist auch möglich, gewisse klinische Fragestellungen nach der Zulas-
sung zu analysieren. Sollte sich beispielsweise im Zuge der klinischen Bewertung
herausstellen, dass neben einem empirischen Sicherheits- und Leistungsfähig-
keitsnachweis auch noch weitere Bereiche analysiert werden sollten, beispiels-
weise ob ein Produkt einen finanziellen Benefit für das Gesundheitswesen besitzt,
so können im Zuge der PMCF entsprechende Ziele definiert werden.
Eine weitere Möglichkeit, um Feedback zu generieren, stellt die allgemeine PMS
dar. Unabhängig davon, wie umfangreich ein Produkt getestet oder vorab mit
Usern besprochen wurde, es gibt kein perfektes Produkt, welches nicht modifiziert
522 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

oder gewartet werden muss. Dies können beispielsweise Probleme, neue Kunden-
wünsche oder sogar neue Einsatzgebiete für das Produkt sein. Die von der MPV
geforderte PMS [MPV Artikel 10 Absatz 9] ist zwar eine Grundanforderung, jedoch
obliegt es dem Unternehmen, die Ergebnisse der PMS auch in das Vertriebs- und
Marketingkonzept einfließen zu lassen. Befragungen können mithilfe von Fragebö-
gen, Interviews oder Anwendungsstudien durchgeführt werden. Unabhängig von
dem gewählten Befragungsinstrument geht es im Wesentlichen immer um Interak-
tionen mit den tatsächlichen Anwendern und Kunden. Daraus lassen sich weitere
Optimierungen am Produkt ableiten. Ein weiterer Outcome solcher Befragungen
könnte sein, dass das Produkt zwar in Ordnung ist, die Zielgruppe aber noch er-
gänzt werden muss.
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TIPP:
Anwender bieten in den meisten Fällen ihre Meinung und ihr Feedback kostenlos
an. Start-ups sollten diese Gelegenheit unbedingt wahrnehmen, um ihre Zielgrup-
pen und Kunden besser verstehen zu lernen.

MERKE:
Soweit möglich sollte die PMS dazu genutzt werden, um Kundenfeedback zu er-
For personal use only.

halten und einen engen Austausch mit ihnen zu ermöglichen. Diese Informationen
sind dann in das Marketing und eventuell in die Produktweiterentwicklung einzu-
arbeiten.

„ 15.18 Krankenkassen und Internationali­


sierungsziele
Skalierungsmöglichkeiten und Marktvolumina sind selbstverständliche Bestand-
teile eines Medtech--Start-up-Businessplans. Krankheiten oder medizinische Indi-
kationen sind meistens nicht auf ein Land oder eine Region beschränkt, sondern
können in vielen Fällen global skaliert werden. Daher ist es nicht unüblich, dass
Businesspläne neben dem eigenen Heimatland auch die Europäische Union und
danach den restlichen Globus als Zielmärkte beinhalten. Allerdings ist die Kosten-
erstattungen durch Krankenkassen für Kunden und Investoren ein relevantes
Thema, das für jeden einzelnen Markt geklärt werden muss.
Die CE-Kennzeichnung ist zwar international bekannt und dient bei Zulassungs-
prozessen außerhalb der Europäischen Union nicht selten als Anhaltspunkt, je-
doch gilt sie ausschließlich für den europäischen Wirtschaftsraum. Für andere
15.19 Design/Produktmodifikation 523

Länder gelten andere Voraussetzungen, wodurch nicht angenommen werden darf,


dass die CE-Kennzeichnung ein weltweiter Türöffner ist.
Des Weiteren sollte bedacht werden, dass selbst innerhalb der Europäischen Union
nationale Unterschiede bestehen können. Ein gutes Beispiel hierfür sind die natio-
nal geforderten Sprachen einer Gebrauchsanweisung und der Kennzeichnungen.
Ein Mythos, der sich in der Medtech-Start-up-Szene sehr hartnäckig hält, ist
die Behauptung, dass in der EU zugelassene Medizinprodukte automatisch von
Krankenkassen erstattet werden. Nur weil ein Produkt seinen Zweck erfüllt, kann
daraus nicht automatisch geschlossen werden, dass es auch Einsparungen oder
Optimierungen im Gesundheitswesen bringt. Für eine Erstattung sind meist Pilot-
projekte, gefolgt von ausgedehnten Studien, notwendig. Es kann mehrere Jahre
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dauern, solche Studien durchzuführen. Des Weiteren sollte erwähnt werden, dass
Krankenkassenerstattungen nicht extrapolierbar sind. Das heißt, wenn ein Pro-
dukt in einem Land erstattet wird, bedeutet dies nicht automatisch, dass dies auch
in anderen Ländern der Fall sein wird, es erhöht lediglich die Chancen.
Es gibt mehr als genug unrealistische Businesspläne, die behaupten, in zwei Jah-
ren global am Medizinproduktemarkt etabliert und mit der CE-Kennzeichnung er-
stattungsfähig zu sein. Es gilt, die Meilensteine und Pläne realistisch zu konzipie-
For personal use only.

ren, denn solche Fehler werden meist weder von potenziellen Investoren noch von
Förderstellen verziehen und können der eigenen Reputation erheblich schaden.

TIPP:
Beweisen Sie zuerst in einem Zielmarkt zu, dass Ihr Business-Modell funktioniert,
und beginnen Sie erst danach mit einer Expansion in weitere Märkte. Mehr Länder
und Distributoren bedeuten zu Beginn nicht automatisch mehr Absatz.

„ 15.19 Design/Produktmodifikation
Unabhängig vom Testumfang eines Produkts ist es kaum möglich, alle erdenkba-
ren Szenarien abzudecken und zu prüfen. So können beispielsweise Software Bugs
erst nach einer Zeit identifiziert werden, Materialien verlieren ihre mechanischen
Zug- und Festigkeitseigenschaften oder verfärben sich. Womöglich sind auch
­Änderungen aufgrund von Anwendungsfehlern oder neu identifizierten Risiken
notwendig. Um solche Szenarien rechtzeitig zu berücksichtigen und die damit ver-
bundenen (regulatorischen) Risiken zu reduzieren, werden folgende drei Maß­
nahmen empfohlen.
524 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

1. Produktmodifikationen frühzeitig berücksichtigen


Produkt- oder Bauteilmodifikationen sollten bereits in einer frühen Entwicklungs-
phase bedacht werden. Bei Stand-alone-Software sollte zum Beispiel unbedingt be-
rücksichtigt werden, wie Updates oder Bugfixes effizient zu Kunden gelangen kön-
nen. Bei Hardware-lastigen Produkten wird empfohlen, möglichst generische
(elektronische) Bauteile zu verwenden, die im Bedarfsfall durch ähnliche Teile er-
setzt werden können. Auch können Hersteller oftmals bereits Produktfeatures vor-
bereiten, diese aber erst zu einem späteren Zeitpunkt aktivieren.

2. Das QMS soll Änderungen erleichtern, nicht behindern


Das eigene QMS soll so ausgestaltet sein, dass Änderungen schnell und effizient
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umgesetzt werden können, zum Beispiel mit Prozessen, welche dem „Lean“-Ansatz
folgen [15.11]. Es gilt, bei der Dokumentation auf die Qualität und nicht auf die
Quantität zu achten, mehr Dokumentation bedeutet nicht immer, dass Prozesse
effizient sind. Auch das CAPA-System (Corrective Action/Preventive Action) (siehe
Kapitel 12, Korrektur- und Verbesserungsmanagement), welches ein Grundbaustein
eines QMS ist (siehe Kapitel 1, QM-Systeme), muss gut etabliert sein. Diese Bau-
steine sollten daher nicht als Hindernis, sondern als Möglichkeit gesehen werden,
Adaptionen zu beschleunigen. Auch eine gut geführte Lieferantenliste kann Her-
For personal use only.

steller dabei unterstützen, rasch auf Änderungen zu reagieren. Zum Beispiel sollte
zu jedem kritischen Lieferanten ein Backup-Lieferant geführt werden, um Versor-
gungsengpässe zu vermeiden.

3. Den Unterschied zwischen „kleinen“ und „großen“ Änderungen verstehen


Unternehmen müssen sich stets mit dem regulatorischen Umfeld vertraut machen,
um so den Umfang und die Zeit von Änderungen besser abschätzen zu können.
Falls zum Beispiel ein Start-up mit einer Benannten Stelle kooperiert, dann ist es
ein großer Vorteil, das Konzept von „significant changes“ zu kennen [15.12]. Bei
manchen großen Produktmodifikationen muss die Benannte Stelle aktiv involviert
werden und den Änderungen zustimmen. Bei kleineren Änderungen muss die
­Benannte Stelle meist nur (nachträglich) informiert werden.

BEACHTE:
Es ist bereits zu Beginn der Entwicklung zu berücksichtigen, dass Produkte gewar-
tet und modifiziert werden müssen. Die Auswirkungen einer kleineren oder grö-
ßeren Änderung sind an das Entwicklungsteam zu kommunizieren.

15.20 Einsparpotenzial mit den richtigen Maßnahmen 525

„ 15.20 Einsparpotenzial mit den richtigen


Maßnahmen
Eine „One size fits all“-Strategie gibt es in der Medizintechnik nicht. Jedoch stehen
zwei Maßnahmen zur Verfügung, die das Projekt stark beschleunigen und Kosten
immens senken können.

1. Regulatory Affairs In-House


Eine erste Maßnahme sollte sein, dass ein Start-up niemals das Thema „Regulatory
Affairs“ vollständig an andere abgeben sollte, auch wenn die MPV für Kleinstunter-
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nehmen erlaubt, einen externen PRRC zu nutzen. Die Anforderungen an Medizin-


produkte sind komplex und der Dokumentationsaufwand enorm. Daher kommt
schnell die Idee, diese Bereiche auszulagern, um sich auf andere Themen konzent-
rieren zu können. Dies kann jedoch durch dann fehlendes internes Wissen zu
­Verzögerungen und Fehlentscheidungen führen. Im Idealfall gibt es eine interne
verantwortliche Regulatory Person, welche sich mit dem Thema intensiv auseinan-
dersetzt und das Wissen im Team kommuniziert.
For personal use only.

2. Keine Zeit für Trial and Error


Wer sich mit einem neuen Themengebiet wie Regulatory Affairs auseinandersetzt,
begibt sich auf einen „trial and error“-Pfad. Fragen wie „Was muss konkret gemacht
werden?“ oder „Wird der Artikel gerade richtig interpretiert?“ führen unweigerlich
zu Fehlern, was wiederum einen Lernprozess startet. Dieser Prozess gestaltet sich
oftmals als sehr langwierig. Start-ups sollten sich daher von anderen Stakeholdern
Informationen und Wissen aneignen, um ihre Lernkurve zu beschleunigen und die
Fehlerrate zu minimieren. Ob diese Stakeholder Experten, Berater oder andere Start-
ups sind, ist zunächst zweitrangig. Kleine Fehler (beispielsweise wird in der ersten
Charge von Produktaufklebern ein Symbol vergessen) und mittlere Fehler (beispiels-
weise wird ein sekundärer Prozess im QMS vergessen) sind unvermeidbar und meist
auch notwendig, um lernen zu können. Große Fehler (beispielsweise die vollkommen
falsche Festlegung der Zweckbestimmung) hingegen können das gesamte Projekt in
Gefahr bringen und sind auf jeden Fall zu vermeiden.
In vielen Fällen wird ein solcher Stakeholder ein externer Berater oder ein Bera-
tungsunternehmen sein. Doch wie findet man als Start-up den richtigen Partner?
Als Unternehmen möchte man selbstverständlich auf einen Partner vertrauen, der
die notwendigen Kompetenzen vorweisen kann und auch andere Faktoren erfüllt
wie z. B.:
ƒ Stimmt die „Chemie“ zwischen den Parteien? Können alle Beteiligten gut mit-
einander kooperieren?
526 15 Praxisbeispiel eines Start-ups

ƒ Versteht der potenzielle Partner die Technologie des Produkts zumindest auf
einer oberflächlichen bis mittleren Ebene?
ƒ Kann der potenzielle Partner die Vision und Mission des Start-ups teilen? Gibt
es jenseits der monetären Entlohnung auch weitere Aspekte, warum ein Part-
ner sich für das Projekt interessiert?
ƒ Hat ein potenzieller Partner Verständnis für die Dynamik und die Agilität eines
Start-ups?

MERKE:
Zumindest eine Person im eigenen Team muss sich mit der Thematik Regulatory
Affairs auseinandersetzen [MPV Artikel 15]. Zu Beginn ist es ratsam externe
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­Unterstützung zu nutzen.

„ 15.21 Zusammenfassung
For personal use only.

Am Ende dieses Kapitels ist für alle Leser klar, die bereits ein Medizintechnik-
Start-up gegründet haben oder gerade dabei sind, eines zu gründen, dass ein sol-
ches Unterfangen mit außergewöhnlichen Hürden und Auflagen verbunden ist.
Hochkomplexe und starre Regularien, ein herausfordernder Markt und ein hoher
Kapitalbedarf prägen diese Industrie. Ein Medtech-Start-up setzt ein Team voraus,
welches einen eisernen Willen vorweist und in der Lage ist, Herausforderungen
und zum Teil Extremsituation zu meistern.
Dennoch beschließen viele, diesen Pfad zu gehen:
ƒ Sie wollen einen gesellschaftlichen Beitrag leisten und schreiben als Pioniere
auf ihrem Gebiet Medizingeschichte, gleichgültig wie groß der Anteil daran ist.
ƒ Sie haben die Vision und Mission, Menschen zu helfen, seien es Familienmit-
glieder, Freunde oder Bekannte.
ƒ Sie wissen, dass sie in der Medizintechnik eine einzigartige Möglichkeit haben,
Forschung und Entwicklung zu betreiben und neue Innovationen zu erarbeiten.
ƒ Sie wissen, dass es in dieser Branche nicht möglich ist, schnelles Geld zu ma-
chen. Die Uhren in der Medizintechnik ticken zwar langsamer, dafür aber
umso genauer – das sorgt für Stabilität.
Diese Ziele und Motivationen sind es aber, die es möglich machen, sich täglich den
Herausforderungen der MPV und der Medizintechnik zu stellen und erfolgreich
Medizinprodukte auf den Markt zu bringen. Einem Menschen zu helfen, mag nicht
die Welt verändern, aber es kann die Welt für diesen einen Menschen verändern.
15.22 Literatur 527

„ 15.22 Literatur
[15.1] Bill Aulet: Disciplined entrepreneurship: 24 steps to a successful startup. John Wiley & Sons.
2013.
[15.2] Europäische Kommission: Verordnung (EU) 27017/745 des Europäischen Parlaments und des
­Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der
Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der
Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates. Europäische Kommission. 2017 | Europäi-
sche Kommission. Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Be-
schlusses 2010/227/EU der Kommission. Europäische Kommission. 2017.
[15.3] Europäische Kommission: Richtlinie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 16. April 2014 über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
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die Bereitstellung von Funkanlagen auf dem Markt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/5/
EG. Europäische Kommission. 2014.
[15.4] Europäische Kommission: Verordnung (EU) Nr. 722/2012 der Kommission vom 8. August 2012
über besondere Anforderungen betreffend die in der Richtlinie 90/385/EWG bzw. 93/42/EWG
des Rates festgelegten Anforderungen an unter Verwendung von Gewebe tierischen Ursprungs
hergestellte aktive implantierbare medizinische Geräte und Medizinprodukte. Europäische
Kommission. 2012.
[15.5] Europäische Kommission: Clinical evaluation: a guide for manufacturers and notified bodies
under directives 93/42/EEC and 90/385/EEC. Europäische Kommission. 2016.
For personal use only.

[15.6] ISO: Biological evaluation of medical devices – Part 1: Evaluation and testing within a risk ma-
nagement process (ISO 10993-1:2018, including corrected version 2018-10). ISO. 2018.
[15.7] IEC: Medical devices – Part 1: Application of usability engineering to medical devices (IEC
62366-1:2015 + IEC 62366-1:2015/A1:2020). IEC. 2020.
[15.8] Hippel, Erich von: Democratizing innovation. The MIT Press. 2006.
[15.9] IEC: Medical device software – Software life-cycle processes (IEC 62304:2006 + IEC 62304:2006/
A1:2015). IEC. 2015.
[15.10] ISO: Medical devices – Quality management systems – Requirements for regulatory purposes
(ISO 13485:2016). ISO. 2016.
[15.11] George, M. L.; Rowlands, D.; Kastle, B.: Was ist Lean Six Sigma? Springer-Verlag. 2007.
[15.12] MDCG: Guidance on significant changes regarding the transitional provision under Article 120
of the MDR with regard to devices covered by certificates according to MDD or AIMDD. MDCG.
2020.
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For personal use only.
16 Abkürzungen

A Auftrittswahrscheinlichkeit (des Fehlers)


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AIMD Active Implantable Medical Devices (aktive implantierbare medizini-


sche Geräte/Medizinprodukte)
AIMDD Active Implantable Medical Device Directive
AISI American Iron and Steel Institute
AMBO Arzneimittelbetriebsordnung
AMWHV Verordnung über die Anwendung der Guten Herstellungspraxis bei
For personal use only.

der Herstellung von Arzneimitteln und Wirkstoffen und über die An-
wendung der Guten fachlichen Praxis bei der Herstellung von Pro-
dukten menschlicher Herkunft
ALARP as low as reasonably practicable (so niedrig, wie vernünftigerweise
praktikabel)
ANOVA Varianzanalyse
ANVISA Agência Nacional de Vigilância Sanitária (brasilianische Gesund-
heitsinspektionsbehörde)
ASTM American Society for Testing and Materials
audit trail systemgenerierte Aufzeichnung aller GxP-relevanten Änderungen
und Löschungen im System
B Bedeutung der Fehlerfolge
BASG Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (Österreich)
BfArM Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Deutschland)
BMG Bundesministerium für Gesundheit (Deutschland)
BOM Bill of Material
CAPA Corrective Actions and Preventive Actions (Korrektur- und Vorbeuge-
maßnahmen)
CB Certification Body
530 16 Abkürzungen

CCC China Compulsory Certification


CEN Comité Européen de Normalisation (Europäisches Komitee für Nor-
mung)
CENELEC Comité Européen de Normalisation Electrotechnique (Europäisches
Komitee für elektrotechnische Normung)
CFR Code of Federal Regulations (US-amerikanisches Bundesgesetz)
cGMP current Good Manufacturing Practice (Anforderungen des 21 CFR 820)
(Anmerkung: Es gibt auch analoge Regelungen dazu im Pharma­
bereich.)
CIE Clinical Investigation and Evaluation
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CIP cleaning in place (Reinigung, Sterilisation der produktberührten Flä-


chen von Prozessanlagen ohne wesentliche Demontage von Anlagen-
teilen)
CJK Creutzfeldt-Jakob-Krankheit
CMDCAS Canadian Medical Device Conformity Assessment System
CPP kritische Prozessparameter
For personal use only.

cQA kritisches Qualitätsattribut


CQC China Quality Certification
CSV Computersystemvalidierung
DHF Design History File (Entwicklungsaufzeichnungen)
DHR Device History Record (Produktionsaufzeichnungen)
DiGa Digitale Gesundheitsanwendung
DIMDI Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information
DIN Deutsches Institut für Normung e. V.
DKD Deutscher Kalibrierdienst
DMR Device Master Record (Herstellvorschriften)
DoE Design of Experiments
DOU Diário Oficial da União (Brasilien)
DQ Design Qualification (Designqualifizierung)
DSG Device Specific Guidance
DSGVO Datenschutzgrundverordnung
E Entdeckungswahrscheinlichkeit (des Fehlers)
ECO Ecological, ECO-Design = Ökodesign
EDMS European Diagnostic Market Statistics
16 Abkürzungen 531

EMV Elektromagnetische Verträglichkeit


EPK Endproduktkontrolle
ERP Enterprise Resource Planning (Unternehmenssoftware)
EU Europäische Union
EUDAMED European Database on Medical Devices
EWR Europäischer Wirtschaftsraum
F&E Forschung und Entwicklung
FAT Factory Acceptance Test
FD&C-Act Federal Food, Drug, and Cosmetic Act
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FDA Food and Drug Administration


FEFO first expire, first out
FIFO first in, first out
FMEA Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse
FS Funktionsspezifikation
FSCA Field Safety Corrective Actions
For personal use only.

FTA Fault Tree Analysis (Fehlerbaumanalyse)


FTE Full Time Equivalent (Personalwesen)
FURLS FDA’s Unified Registration and Listing System
GEP Good Engineering Practice (Gute Engineering-Praxis)
GHTF Global Harmonization Task Force
GMDN Global Medical Device Nomenclature
GMP Good Manufacturing Practice (Gute Herstellungspraxis)
GS Gemeinsame Spezifikationen (Common Specifications)
GxP Good x Practice: x steht z. B. für Clinical, Distribution, Engineering,
Laboratory, Manufacturing, Storage, Transportation
HACCP Hazard Analysis and Critical Control Points
HAZOP Hazard and Operability Analysis
HIPAA Health Insurance Portability and Accountability Act
HIV Humane Immundefizienz-Virus
HMG Heilmittelgesetz
HPV Herstell- und Prüfvorschriften
IA Impact Assessment
ICH International Conference on Harmonisation
532 16 Abkürzungen

IP Intellectual Property
DIE Investigational Device Exemption
IEC International Electrotechnical Commission
IECEE International Commission on the Rules for the Approval of Electrical
Equipment
INMETRO Instituto Nacional de Metrologia, Qualidade e Tecnologia (Brasilien)
IP Intellectual Property
IPK In-Prozess-Kontrolle
IQ Installation Qualification (Installationsqualifizierung)
IRB Institutional Review Board
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ISO International Organization for Standardization


IT Informationstechnologie
IVD In-vitro-Diagnostik
IVDD In-vitro Diagnostic Directive
IVDR In-Vitro Diagnostic Medical Devices Regulation
For personal use only.

IVDV Europäische Verordnung für In-vitro-Diagnostika (In-vitro-Diagnos-


tika-Verordnung)
JGMP Japan – Good Manufacturing Practice (Japan-GMP)
JMDN Japanese Medical Device Nomenclature
KMU Kleine und Mittlere Unternehmen (typischerweise bis ~ 250 Mitar­
beiter*innen)
KI Künstliche Intelligenz
KVP Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
LH Lastenheft
MAH Marketing Authorization Holder
MD Medical Device (Medizinprodukt)
MDALL Medical Devices Active License Listing
MDD Medical Device Directive (Medizinprodukterichtlinie)
MDR Medical Device Regulation
MDSAP Medical Device Single Audit Programm
MEDDEV Medical Device Guidance (offizielle Richtlinie der Europäischen
Kommission)
Mercosur Southern Common Market (Brasilien bzw. Südamerika)
16 Abkürzungen 533

MHLW Ministry of Health, Labor and Welfare (japanische Gesundheitsbe-


hörde)
MP Medizinprodukt
MPG Medizinproduktegesetz
MPBetreibV Medizinprodukte-Betreiberverordnung (Deutschland)
MPBV Medizinprodukte-Betreiberverordnung (Österreich)
MPV Europäische Verordnung für Medizinprodukte (Medizinproduktever-
ordnung)
MTK Messtechnische Kontrolle
NB Notified Body; Benannte Stelle
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NCAR National Competent Authority Report


NRTL Nationally Recognized Testing Laboratory
ODE Office of Device Evaluation
ÖKD Österreichischer Kalibrierdienst
ÖNORM Österreichisches Normungsinstitut
OQ Operational Qualification (Funktionsqualifizierung)
For personal use only.

OSHA Occupational Safety and Health Administration


OTS off-the-shelf (ab Lager/Katalog beziehbares Produkt)
PAAG Prognose, Auffinden der Ursache, Abschätzen der Auswirkungen,
Gegenmaßnahmen
PACS Picture Archiving and Communication System (Bildablage- und
Kommu­nikationssystem)
PAL Pharmaceutical Affairs Law
PDE Partial Differential Equation
PL Projektleitung
PMA Premarket Approval
PMCF Post-Market Clinical Follow-up
PMDA Pharmaceutical and Medical Devices Agency
PMS Post-Market Surveillance (Marktüberwachung)
PQ Performance Qualification (Leistungsqualifizierung)
PQP Produktqualitätsprüfplanung
QA Quality Assurance (Qualitätssicherung)
QAB Qualifizierungsabschlussbericht
534 16 Abkürzungen

QC Quality Control (Qualitätskontrolle)


QKZ Qualitätskennzahl
QM Qualitätsmanagement
QMP Qualifizierungsmasterplan
QMS, Qualitätsmanagementsystem
QM-System
QRK Qualitätsregelkarte
QS Qualitätssicherung (Quality Assurance)
QSR Quality System Regulation (oder 21 CFR 820 oder cGMP)
QSR Quality System Record (Vorgabedokumente und Aufzeichnungen,
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die sich aus den QMS-Forderungen ergeben, z. B. Verfahrensanwei-


sungen oder Auditberichte)
R&D Research & Development (Forschung & Entwicklung)
R&I Rohrleitungs- und Instrumentierungsdiagramm
RA Risikoanalyse
RCB Registered Certification Body, Recognized Certification Body
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RDC Resolução da Diretoria Colegiada (Brasilien)


RLT Raumlufttechnik
RM Risikomanagement
RoHS Richtlinie zum Einsatz von gesundheitsgefährdenden Stoffen
RPZ Risikoprioritätszahl
RTTE Radio and Telecommunications Terminal Equipment
SAT Site Acceptance Test
SCAR Supplier Corrective Action Report (Lieferantenreklamationsbericht)
SECO Staatssekretariat für Wirtschaft (Schweiz)
SFDA State Food and Drug Administration (China)
SIP Sterilization In Place (Sterilisation der produktberührten Flächen
von Prozessanlagen ohne wesentliche Demontage von Anlagenteilen)
SOP Standard Operating Procedure (Standardarbeitsanweisung)
SOUP Software Of Unknown Pedigree(Software unbekannter Herkunft)
SOR Statutory Orders and Regulations (Kanada)
STED-­ Summary Technical Documentation for Demonstrating Conformity
Dokumen­ to the Essential Principles of Safety and Performance of Medical
tation ­Devices
16 Abkürzungen 535

STK Sicherheitstechnische Kontrolle


SW Software
Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut
TGA Therapeutic Goods Administration of Australia
UDI Unique Device Identification/Identifier
UDI-DI UDI Device Identifier
UDI-PI UDI Production Identifier
UMDNS Universal Medical Device Nomenclature System
URS User Requirement Specification (Betreiberanforderung)
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VB Validierungsplanbericht
VMP/VMB Validierungsmasterplan/Validierungsmaster-Bericht
VP Validierungsplan
WEEE Waste Electrical and Electronic Equipment (Richtlinie zur Entsorgung
von elektronischen Altprodukten)
WEK Wareneingangskontrolle
For personal use only.

WHO World Health Organization


WIP Work in process
WL Warning Letter
ZLG Deutsche Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arznei-
mitteln und Medizinprodukten
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For personal use only.
17 Glossar

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


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Anforderung Erfordernis oder Erwartung, das oder die festgelegt, übli-


(EN ISO 9000:2015, 3.6.4) cherweise vorausgesetzt oder verpflichtend ist. Ein Bestim-
mungswort darf verwendet werden, um eine spezifische
Anforderungsart zu bezeichnen, z. B. Produktanforderung,
QM-Anforderung, Kundenanforderung.
Bevollmächtigter Bezeichnet jede in der Union niedergelassene natürliche
(Art. 2, Ziff. 32, MPV oder juristische Person, die von einem außerhalb der Union
ansässigen Hersteller schriftlich beauftragt wurde, in
For personal use only.

­seinem Namen bestimmte Aufgaben in Erfüllung seiner aus


dieser Verordnung resultierenden Verpflichtungen wahr­
zunehmen, und die diesen Auftrag angenommen hat.
black box-Test Test auf der Funktionsebene
Certificate of Analysis Bestätigung, dass die vorgeschriebenen Prüfungen erfolg-
reich durchgeführt wurden, unter Angabe von Spezifika­
tionen und Messdaten.
Certificate of Conformance Bestätigung, dass die vorgeschriebenen Prüfungen erfolg-
reich durchgeführt wurden, ohne Angabe von Spezifika­
tionen und Messdaten.
Concurrent Engineering Für komplexe Entwicklungsprojekte mit gleichzeitiger Ent-
wicklung neuer Produktionsmethoden ist die frühzeitige
Einbindung von Produktionsexperten sinnvoll, um kürzere
Entwicklungszeiten bei höherer Qualität und Ausbeute zu
erreichen.
Correction Korrektur, Fehlerbeseitigung; Sofortmaßnahmen zur Besei-
tigung einer Nichtkonformität. Korrekturen können z. B.
eine Nacharbeit oder Lagersperre sein. (Man beachte aber
den Unterschied zur Korrekturmaßnahme.)
Corrective Action Korrekturmaßnahme; Korrekturmaßnahmen sind Aktionen,
um die Ursache einer festgestellten Nichtkonformität oder
anderer unerwünschter Zustände zu beseitigen. Korrektur-
maßnahmen sollen dazu dienen, ein Wiederauftreten des
Fehlers zu verhindern.
538 17 Glossar

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


CAPA Korrektur- und Vorbeugemaßnahmen; alle Maßnahmen, die
zur Beseitigung eines erkannten Fehlers oder einer Fehler-
möglichkeit bzw. zur Einführung einer Verbesserung an
einem Produkt, einem Prozess oder QM-System führen.
Desk Audit Das Konzept einer Dokumentenprüfung wurde definiert, um
eine kostengünstige Alternative zu einem Vor-Ort-Audit
anzubieten bzw. um sich rasch einen Überblick über einen
Lieferanten zu verschaffen. Ein Desk Audit kann entspre-
chend dem Ermessen des Reviewteams ein Vor-Ort-Audit
nach sich ziehen. Die Komplexität einer Dokumentenprü-
fung hängt von der Kritikalität des Produkts/der Dienstleis-
tung sowie der Unternehmensart des Lieferanten ab.
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Dokumentenprüfungen können Folgendes enthalten, sind


aber nicht darauf beschränkt:
ƒ Unternehmensorganigramme,
ƒ Verfahrensabläufe und Vorgabedokumente,
ƒ Zertifikate, Genehmigungen, Lizenzen,
ƒ Ergebnisse von Behördeninspektionen (z. B. FDA
­Warning Letter),
ƒ Lieferantenbefragung (Fragebogen mit wirtschaftlichen
For personal use only.

und Qualitätsfragen, der vom Lieferanten auszufüllen


ist).
Design History File (DHF) Der Design History File enthält die gesamten Aufzeichnun-
gen und deren Aktualisierungen während der Entwicklung
eines MP:
ƒ Anforderungen und Spezifikationen,
ƒ Projektorganisation und Verantwortlichkeiten,
ƒ Projektpläne,
ƒ Beschreibung des Entwicklungsablaufes mit Meilen­
steinen und Checkpunkten,
ƒ Analyse der Anforderungen und Spezifikationen mit
­Ableitung von Subspezifikationen,
ƒ Liste der einzuhaltenden Normen und Vorschriften,
ƒ Konzepte für die Systemarchitektur mit Begründungen,
ƒ Konzepte für die Realisierung der Systemkomponenten
und Module,
ƒ Berechnungen und Designdokumente,
ƒ Source Codes mit Beschreibungen,
ƒ Prüfpläne für System, Systemkomponenten und Module,
die den vollständigen Nachweis aller Anforderungen,
Spezifikationen und Subspezifikationen erlauben,
ƒ Beschreibung aller durchgeführten Änderungen
(Anforderungen, Spezifikationen, Subspezifikationen,
Konzepte, Design, Berechnung, Testpläne) mit Angabe
des Grundes,
17 Glossar 539

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


ƒ Testergebnisse und Protokolle für das System, System-
komponenten und Module, die nachvollziehbar die
­Erfüllung der Spezifikationen belegen,
ƒ Validierungsergebnisse, die nachvollziehbar die Erfül-
lung der Anforderungen unter den definierten Rand­
bedingungen belegen,
ƒ Dokumentation für den Nachweis der Grundlegenden
Anforderungen,
ƒ Meilensteinberichte und Produkt-/Freigabedokumente.
Er enthält jedoch nicht:
ƒ Kommunikation zwischen der Projektleitung, dem
­Management und dem Team oder dem Team unter­
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einander, sofern keine projektspezifischen Inhalte


­beschrieben werden.
ƒ Organisatorischer Schriftverkehr; die Änderung einer
Verantwortlichkeit innerhalb des Projekts ist jedoch als
Element der Projektorganisation Teil des DHF.
Device History Record (DHR) Auch Produktentstehungsakte oder Master Batch Record
genannt; umfasst alle Aufzeichnungen während des Her-
stellprozesses wie z. B. Prüfungen in der
ƒ WEK,
For personal use only.

ƒ IPK und
ƒ Endkontrolle.Vom Lieferanten mitgelieferte Prüfauf-
zeichnungen und Zertifikate:
ƒ Auftragspapiere,
ƒ Verpackungsmuster,
ƒ Abweichungsmeldungen,
ƒ Freigabepapiere.
Device Master Record (DMR) Der Device Master Record ist die Zusammenstellung der
Fertigungsdokumentation, er ist das Ergebnis der Entwick-
lungsarbeiten und des Design Transfer. Er enthält alle für
den Einkauf, die Fertigung, den Zusammenbau und die
Benützung des Produkts notwendigen Informationen:
ƒ Spezifikationen für das Produkt,
ƒ Spezifikationen der verwendeten Materialien, Bauele-
mente, Module und Komponenten,
ƒ Konstruktionszeichnungen, Schaltpläne, Bestückungs-
pläne, Zusammenstellungszeichnungen,
ƒ für enthaltene Software: Object Files und die Prozess-
beschreibungen für den Transfer der erforderlichen
­Daten und/oder des exekutierbaren Codes auf das
­Produkt; Prozessbeschreibungen für die Parametrisie-
rung,
ƒ Herstellvorschriften,
ƒ Prüf- und Qualitätskontrollvorschriften,
540 17 Glossar

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


ƒ Dokumentation der bei der Produktion verwendeten
­Anlagen, Werkzeuge und Hilfsmittel einschließlich der
Validierung dieser,
ƒ Validierungsdokumentation der Herstellmethoden,
ƒ Dokumentation der Produktkennzeichnung (Labeling),
ƒ Dokumentation der Verpackung,
ƒ Installationsanweisungen,
ƒ Gebrauchs-, Wartungs- und Servicebeschreibungen.
Establish Unter dem Begriff establish versteht die FDA die „drei D“
Define, Document & Do (Implement) – es sollte also jeder
Prozess sowohl definiert (Vorgaben des Managements),
dokumentiert (Prozessanweisungen), aber auch implemen-
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tiert (Nachweise) sein.


FDA US-amerikanische Gesundheitsbehörde (Food and Drug
Administration – http://www.fda.gov).
Fehlerhafter Teil Ein Teil/eine Komponente/ein Produkt, das nicht den vor-
gegebenen Spezifikationen oder Erwartungen entspricht.
GHTF/IMDRF Global Harmonization Task Force (http://www.ghtf.org);
internationale Organisation, gegründet 1994, bestehend
aus Behördenvertretern der wichtigsten MP-Märkte
For personal use only.

(EU, USA, Kanada, Japan, Australien) sowie Vertretern der


MP-Industrie. Versucht, die unterschiedlichen gesetzlichen
Regelungen in den wichtigsten Märkten zu harmonisieren;
gibt guidance papers heraus für MP-Hersteller und -Anwen-
der, die zwar aus regulativer Sicht „unverbindlich“ sind,
allerdings eine starke faktische Bindungswirkung erzeugen.
So beruft sich z. B. die FDA explizit auf verschiedene GHTF-
guidance papers und verleiht diesen einen best practice-
Status, der auch als Anhaltspunkt für Inspektionen
anzuwenden ist. Die Harmonisierungsaktivitäten der GHTF
wurden 2011 durch das IMDRF (International Medical
Device Regulators Forum – http://www.indrf.org) über­
nommen.
Good Engineering Practice „Established engineering methods and standards that are
(lt. WHO [9.1]) applied throughout the project life-cycle to deliver appro-
priate, cost-effective solutions.“
Hersteller Bezeichnet eine natürliche oder juristische Person, die ein
(Art. 2, Ziff. 30 MPV) Produkt herstellt oder als neu aufbereitet bzw. entwickeln,
herstellen oder als neu aufbereiten lässt und dieses Pro-
dukt unter ihrem eigenen Namen oder ihrer eigenen Marke
vermarktet.
ICH International Committee of Harmonisation (http://www.ich.
org); internationale Organisation analog der GHTF, jedoch
auf den Pharmabereich ausgerichtet. Ungeachtet dessen
sind einige Regelungen der ICH sinngemäß auch für den
MP-Bereich anwendbar.
17 Glossar 541

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


Immunologisch Eine immunologische Wirkungsweise wird als Stimulierung
oder Mobilisierung von Zellen oder Produkten im oder am
menschlichen Körper verstanden, welche einer spezifischen
Immunreaktion zuzuordnen sind.
Inverkehrbringen Bezeichnet die erstmalige Bereitstellung eines Produkts,
(Art. 1, Ziff. 28 MPV) mit Ausnahme von Prüfprodukten, auf dem Unionsmarkt.
Justieren/einstellen Minimieren der systematischen Messabweichungen durch
Veränderung der Messeinrichtung (Beispiel: Justieren einer
Waage – automatisch, halb automatisch oder manuell).
Kalibrieren/eichen Feststellen der Richtigkeit einer Messgröße eines Mess­
gerätes ohne Eingriff in das Messsystem (Beispiel: Prüfen
einer Waage durch Auflegen eines Prüfgewichtes). Im Sinne
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der Prüfmittelüberwachung bedeutet „kalibrieren“ auch,


nachzuweisen, dass ein Prüfmittel in einer gültigen Bezie-
hung zu anerkannten Normalen/Standards steht.
Kennzeichnung Kennzeichnung, Gebrauchsanweisung und alle anderen
Informationen, die sich auf die Identifizierung, technische
Beschreibung, die Zweckbestimmung und den bestim-
mungsgemäßen Gebrauch des Medizinprodukts beziehen;
ausgenommen sind Versanddokumente [GHTF/SG1/
For personal use only.

N70:2011, Abschnitt 4; EN ISO 13485:2016, 3.8]


Kritische Komponente Komponenten/Teile, die als kritisch für die Einhaltung der
Leistungsmerkmale und Qualitätsspezifikationen eines Pro-
dukts eingestuft werden und die entsprechend überwacht
und dokumentiert werden müssen. Sie haben einen signifi-
kanten Einfluss auf die Funktionalität und Sicherheit des
Endprodukts.
Lieferant (EN ISO Der Begriff des Lieferanten wurde in der Ausgabe der ISO
9001:2015, 3.2.5) 9001:2015 erstetzt durch „(externer) Anbieter“: Organisa-
tion, die ein Produkt oder eine Dienstleistung bereitstellt.
Dies gilt auch für Lieferanten, die Teil der Organisation des
Herstellers sind, jedoch in einem eigenen Qualitätsmanage-
mentsystem arbeiten.
Lieferantenaudit „vor Ort“ Audit an jenem Ort/in jenen Einrichtungen, an dem/in
denen der Lieferant das vereinbarte Produkt bzw. die
­vereinbarte Dienstleistung erbringt. Das Lieferantenaudit
„vor Ort“ wird entsprechend der Kritikalität des Produkts,
der laufenden Bewertung sowie der Unternehmensart des
Lieferanten durchgeführt, um qualitätsbezogene Punkte
und technische Gegebenheiten in Augenschein zu nehmen.
Lieferantenmanagement Gestaltung, Lenkung und Entwicklung von aktuellen und
zukünftigen Kunden-Lieferanten-Beziehungen.
542 17 Glossar

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


Marktüberwachung Bezeichnet lt. Artikel 2 (61) MPV/Artikel 2 (64) IVDV „. . .
die von den zuständigen Behörden durchgeführten Tätig­
keiten und von ihnen getroffenen Maßnahmen, durch die
geprüft und sichergestellt werden soll, dass die Produkte mit
den Anforderungen der einschlägigen Harmonisierungs-
rechtsvorschriften der Union übereinstimmen und keine
Gefährdung für die Gesundheit, Sicherheit oder andere im
öffentlichen Interesse schützenswerte Rechtsgüter dar­
stellen“.
Medizinprodukt Bezeichnet ein Instrument, einen Apparat, ein Gerät, eine
(Art. 2, Ziff. 1 MPV) Software, ein Implantat, ein Reagenz, ein Material oder
einen anderen Gegenstand, das dem Hersteller zufolge für
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Menschen bestimmt ist und allein oder in Kombination


einen oder mehrere der folgenden spezifischen medizini-
schen Zwecke erfüllen soll:
ƒ Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prog-
nose, Behandlung oder Linderung von Krankheiten,
ƒ Diagnose, Überwachung, Behandlung, Linderung von
oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinde-
rungen,
ƒ Untersuchung, Ersatz oder Veränderung der Anatomie
For personal use only.

oder eines physiologischen oder pathologischen Vor-


gangs oder Zustands,
ƒ Gewinnung von Informationen durch die In-vitro-Unter-
suchung von aus dem menschlichen Körper, auch aus
Organ-, Blut- und Gewebespenden – stammenden Pro-
ben und dessen bestimmungsgemäße Hauptwirkung im
oder am menschlichen Körper weder durch pharmako-
logische oder immunologische Mittel noch metabolisch
erreicht wird, dessen Wirkungsweise aber durch solche
Mittel unterstützt werden kann.
Die folgenden Produkte gelten ebenfalls als Medizinpro-
dukte:
ƒ Produkte zur Empfängnisverhütung oder -förderung,
ƒ Produkte, die speziell für die Reinigung, Desinfektion
oder Sterilisation von Medizinprodukten bestimmt sind.
Produkte, die speziell für die Reinigung, Desinfektion
oder Sterilisation von Medizinprodukten bestimmt sind.
Medizinprodukte-Betreiber- Gesetzliche Basis für das Errichten, Betreiben und Anwen-
verordnung (Deutschland: den von Medizinprodukten. In Deutschland beinhaltet der
MPBetreibV, Österreich: Geltungsbereich der MPBetreibV neben der Patientensi-
MPBV) cherheit auch die Arbeitnehmersicherheit – die Anforderun-
gen gelten beispielsweise auch für in einem Betrieb zur
Versorgung bereitgehaltene Medizinprodukte. Der Gel-
tungsbereich der österreichischen MPBV beschränkt sich
auf das Errichten, Betreiben, Anwenden und Instandhalten
von Medizinprodukten in Einrichtungen des Gesundheits-
wesens.
17 Glossar 543

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


Metabolisch Als metabolisch wird eine Wirkungsweise verstanden, die
eine Änderung von normalen chemischen Prozessen, die an
der normalen Körperfunktion beteiligt sind oder für diese
zur Verfügung stehen, darstellt. Eine solche Änderung kann
ein Starten, Anhalten oder eine Änderung der Geschwindig-
keit dieser Prozesse beinhalten. Wichtig ist darüber hinaus,
dass der im menschlichen Körper ablaufende Prozess
­möglichst vollständig und umfassend beschrieben wird. Es
ist dafür notwendig, dass die Beschreibung den gewünsch-
ten (positiven) Effekt im oder am menschlichen Körper
berücksichtigt. Jedes Medizinprodukt muss ein positives
Risiko-Nutzen-Verhältnis aufweisen. Das bedeutet, dass ein
im Reagenzglas ablaufender Prozess, welcher keine Aus­
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wirkung auf den menschlichen Körper hat, auch keinen


Nutzen für den Patienten hat. Ein solcher Prozess kann
folglich auch kein positives Risiko-Nutzen-Verhältnis auf­
weisen.
Pharmakologisch Die pharmakologische Wirkungsweise wird als eine Inter­
aktion zwischen den Molekülen der betroffenen Substanz
und zellulären Bestandteilen (typischerweise Rezeptoren)
verstanden. Diese Interaktion resultiert entweder in einer
For personal use only.

direkten Antwort oder blockiert die Antwort auf ein ande-


res Agens. Als mögliches Kriterium kann eine Dosis-Wir-
kungs-Beziehung als Indikator für einen pharmakologischen
Effekt herangezogen werden.
Preventive Action Präventivmaßnahme; Präventivmaßnahmen sind Aktionen,
um die Ursache einer potenziellen (möglichen) Nichtkonfor-
mität oder anderer potenziell unerwünschter Zustände zu
beseitigen.
Produkt Ergebnis einer Organisation, das ohne jegliche Transaktion
(EN ISO 9001:2015, 3.7.6) zwischen Organisation und Kunden erzeugt werden kann.
Dabei unterscheidet man vier generische Produktkatego-
rien:
ƒ Dienstleistungen (z. B. Transport, Beratung),
ƒ Software (z. B. Firmware, Datenmanagementsystem),
ƒ Hardware (z. B. Elektronikboard, mechanischer Teil),
ƒ verfahrenstechnische Produkte (z. B. Rohstoffe,
Schmiermittel, Reagenzien).Bei zugekauften Teilen,
Komponenten und Dienstleistungen unterscheidet man:
ƒ Off-the-shelf-Produkte:Produkte, die „laut Katalog“
­gekauft werden können z. B.:
elektronische Komponenten (Widerstände, Verstärker,
Netzgeräte),
mechanische Komponenten (Schrauben, Schläuche, Dich-
tringe),
käufliche Software (Betriebssysteme, Datenbanken),
544 17 Glossar

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


ƒ Computerhardware (Laptops, Speichermedien).
ƒ Custom built-Produkte:„Sonderanfertigungen“, die nach
den Spezifikationen des Bestellers hergestellt werden,
z. B.:
mechanische Komponenten/Module (spezielle Ventile,
Pumpen, Gehäuse),
elektronische Komponenten/Module (Fotodetektoren,
EKG-Kabel, Elektronikboards),
Software für spezielle Anwendungen (für die Planung einer
Bestrahlungstherapie, Ablaufsteuerung in einem IVD-
Gerät),
ƒ single-use-Produkte/Einsatzstoffe (Glukoseteststreifen,
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Reagenzien, Enzyme).
ƒ Dienstleistungen (von einem Lieferanten bezogen) z. B.:
ƒ Entwicklung und Design,
ƒ Produktion (Zusammenbau, Druck, Verpackung
etc.),
ƒ Dokumentenarchivierung,
ƒ Transport/Lagerung,
ƒ Sterilisation,
For personal use only.

ƒ Kalibration,
ƒ Raummonitoring (z. B. Messung mikrobiologischer
oder Staubpartikel in Reinräumen),
ƒ Beratung.
Produktspezifikationen Man versteht darunter die Zusammenstellung von allen
Herstell- und Prüfanweisungen, Bauteil- und Materialspezifi-
kationen, Zeichnungen und allgemeinen Herstellungsstan-
dards für die Produktion, die für die reproduzierbare und
zuverlässige Herstellung des Produkts mit gleichbleibender
Qualität erforderlich sind.
QM-System Teil eines Managementsystems bezüglich der Qualität
(EN ISO 9001:2015, 3.5.4)
Qualifizierung Beweisführung, dass Ausrüstungsgegenstände einwandfrei
(AMWHV 2006, Anlage 2) arbeiten und tatsächlich zu den erwarteten Ergebnissen
führen. Der Begriff Validierung wird manchmal um das Kon-
zept der Qualifizierung erweitert.
Qualifizierung Ist „Teil der Validierung und umfasst alle Maßnahmen, mit-
(AMBO 2009) hilfe derer nachgewiesen und dokumentiert wird, dass sämt-
liche die Produktqualität beeinflussenden Räumlichkeiten,
Ausrüstungen oder Hilfssysteme sachgemäß angelegt oder
installiert sind, ordnungsgemäß funktionieren und tatsäch-
lich zu den erwarteten Ergebnissen führen. Sie umfasst
­insbesondere die Designqualifizierung, die Installations­
qualifizierung, die Funktionsqualifizierung und die Leistungs-
qualifizierung“.
17 Glossar 545

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


Qualifizierung DQ/Design Qualification:
(EudraLex Annex 15) Eine dokumentierte Verifizierung, dass das für Einrichtun-
gen, Anlagen und Ausrüstung vorgesehene Design für den
entsprechenden Verwendungszweck geeignet ist.
IQ/Installation Qualification:
Eine dokumentiere Verifizierung, dass Einrichtungen, Anla-
gen und Ausrüstung, so, wie sie installiert oder modifiziert
wurden, mit dem genehmigten Design und den Empfehlun-
gen des Herstellers übereinstimmen.
OQ/Operational Qualification:
Eine dokumentierte Verifizierung, dass Einrichtungen, Anla-
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gen und Ausrüstung, so, wie sie installiert oder modifiziert


wurden, im Rahmen der vorgesehenen Betriebsbereiche
den Erwartungen gemäß funktionieren.
PQ/Performance Qualification:
Eine dokumentierte Verifizierung, dass Einrichtungen, Anla-
gen und Ausrüstung, so, wie sie miteinander verbunden
wurden, auf der Grundlage der genehmigten Prozessme-
thode und Produktspezifikation effektiv und reproduzierbar
funktionieren.
For personal use only.

Qualität Unter Qualität versteht man die Einhaltung der beschriebe-


nen Produkteigenschaften, die die Eignung des Produkts
für den beabsichtigten Gebrauch aus der Sicht des Kunden
oder Anwenders über die zu erwartende Produktlebens-
dauer unter definierten Rand- und Umgebungsbedingungen
beweisen.
Quality System Regulation Kurzbezeichnung für die Regelung 21 CFR 820 der US-­
(QSR) amerikanischen Food and Drug Administration (FDA), auch
current Good Manufacturing Practice (cGMP) abgekürzt;
gibt die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Vorgaben
für Medizinproduktehersteller.
Risiko Kombination der Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines
(ISO 14971:2012, 2.16) Schadens und des Schweregrades dieses Schadens.
Risikomanagement Systematische Anwendung von Managementstrategien,
(ISO 14971:2012, 2.22) Verfahren und Praktiken auf die Aufgaben der Analyse,
Bewertung, Beherrschung und Überwachung von Risiken.
Sicherheitsbeauftragter Der Sicherheitsbeauftragte für Medizinprodukte ist im
Medizinproduktegesetz in Deutschland (§ 30 MPG) sowie in
Österreich (§ 78 MPG) verankert. Seine Aufgaben sind das
Sammeln und Bewerten von Vorkommnismeldungen, das
Erfüllen der Meldepflichten sowie die Koordination von
­Korrekturmaßnahmen im Feld.
546 17 Glossar

Abweichung, Fehler Nichterfüllung einer Anforderung.


System Unter einem System versteht man ein Produkt (meist MP-
oder IVD-Produkt), das aus mindestens zwei oder mehreren
Komponenten oder Teilen besteht (z. B. Sensorik, Signalauf-
bereitung, mechanische und elektronische Hardware, Soft-
ware, Zubehör und Verbrauchsmaterialien), die zusammen
benutzt werden, um den „bestimmungsgemäßen Gebrauch“
zu ermöglichen, das unter einem Namen verkauft und
von einem Hersteller erzeugt wurde. Als Beispiele können
z. B. Hüftprothesen, Ultraschall-Imaging-Systeme und IVD-
Analysegeräte genannt werden.
Unique Device Identifier Der Unique Device Identifier dient zur eindeutigen Produkt­
(UDI) identifikation und ermöglicht die Identifizierung und erleich-
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tert die Rückverfolgung von Produkten, bei denen es sich


nicht um Sonderanfertigungen und Prüfprodukte handelt.
Es besteht aus einer eindeutigen Produktkennung (UDI-DI —
UDI Device Identifier) und einer UDI-Herstellungskennung
(UDI-PI — UDI Production Identifier).
UDI-DI Die UDI-DI ist ein einmaliger numerischer oder alphanume-
rischer Code in vom Menschen lesbarer Form, der einem
Produktmodell eigen ist und der auch als „Zugangsschlüs-
sel“ zu Informationen in einer UDI-Datenbank dient.
For personal use only.

UDI-PI Die UDI-PI ist ein numerischer oder alphanumerischer


Code, mit dem die Produktionseinheit des Produkts
gekennzeichnet wird. Zu den verschiedenen Arten der UDI-
PI gehören die Seriennummer, die Losnummer, die Soft-
ware-Identifikation und das Herstellungs- oder
Verfallsdatum oder beide Daten.
Validierung Beweisführung in Übereinstimmung mit den Grundsätzen
(AMWHV 2006, Anlage 2) der Guten Herstellungspraxis, dass Verfahren, Prozesse,
Ausrüstungsgegenstände, Materialien, Arbeitsgänge oder
Systeme tatsächlich zu den erwarteten Ergebnissen führen.
Validierung Validierung ist ein „dokumentierter Nachweis, der ein hohes
EN ISO 14971:2012 Maß an Gewissheit erbringt, dass sämtliche die Produktqua-
lität beeinflussenden Prozesse, Methoden oder Systeme
beständig Ergebnisse hervorbringen, die die im Voraus fest-
gelegten Akzeptanzkriterien erfüllen.“
Verifizierung Bestätigung durch Bereitstellung eines objektiven Nachwei-
(EN ISO 9001:2015, 3.8.12) ses, dass festgelegte Anforderungen erfüllt worden sind.
White box-Test Tests, die mit Kenntnissen über die innere Funktionsweise
des zu testenden Systems entwickelt werden.
18 Index

S
ymbole Annahme  360
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Appraisal  210
8D-Bericht  360
Arbeitsplatz  362
510(k)  78
Arbeitsumgebung  11
Archivierung  18
A Archivierungsfristen  363
Assemblierung  514
Abschätzung  152
Audit  310
Abweichungen  338, 346, 371, 433
– beim Hersteller  85
– geplante  374
For personal use only.

– des Qualitätsmanagementsystems 
Abweichungsmanagement  363
490, 495
Abweichungsmeldung  361, 368
Audit Trail  308
Active Implantable Medical Devices
Aufbereitungsanweisung  459
(AIMD)  442
Aufbewahrung  18
adverse events; AE  229
Auftretenswahrscheinlichkeit  26, 282,
Agência Nacional de Vigilância Sanitária
432
(ANVISA)  472
Aufzeichnungen  18, 300, 307, 352, 360,
Agilität  161, 499
363, 366, 368, 369, 372, 376, 408
Akzeptanzkriterien  326, 355, 366
Ausfallstrategie  296
Alarmgrenzen  363
Allgemeine Sicherheits- und Leistungs­
anforderungen  22 B
Alterung  186
Baseline-Audit  466
Analysenzertifikat  408
batch records  19
Änderungen  19, 103, 115, 292, 294, 302,
Behördeninspektion  124, 395, 424
340, 342, 414, 419, 437
Beinahe-Vorkommnis  461
Änderungsdienst  294
Bekleidungsvorschriften  11
Änderungsdienstverfahren  258, 296
Benannte Stelle  4, 14, 74, 366, 396,
Änderungsmanagement  136
438, 481, 511
Änderungswesen  15, 324, 408
– Anforderungen an  482
Anforderungen  108, 128, 353
– Definition  481
– an Arbeitsplatz  362
– Konformitätsbewertungsverfahren 
– an Mess-/Prüfmittel  375, 377
489
– technische  185
548 18 Index

Benutzbarkeit  153 D
Beobachtungen  468
Daten
Betreiber  458
– Analyse  212
Betreiberanforderungen  261, 307
– Beurteilung  210
Bevollmächtigter  443
– Generierung  209
Bewertung
– Identifizierung  209
– klinische  70, 201, 455
– klinische  205
– vorklinischer Aspekte  492
Datenschutz  168, 172, 174, 176
Bewertungsbericht, klinischer  217
Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) 
Bewertungsplan, klinischer  207
168
Bezugsnormal  378
Design  523
Biokompatibilität  188
Design Control  99, 467
Black Box  170
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Design History File (DHF)  103, 105, 107,


black box-Test  304
117, 138, 299
Brasilien-Marktzugang  89
Design Input  102
Bundesamt für Sicherheit im Gesund-
Design of Experiments  323
heitswesen (BASG)  446
Design Output  103
Designqualifizierung  273
C Design Review  104
Design Transfer  115, 134
Canada Gazette  82
For personal use only.

Designvalidierung  116, 135


Canadian Medical Device Conformity
Designverifizierung  114
­Assessment System (CAMDCAS)  472
desk audit  412
CAPA  374
Detaildesign, Software  157
CE-Kennzeichen  441
device deficiency; DD  229
CE-Kennzeichnung  442
Device History Record (DHR)  299, 360,
Certificate of Analysis  367
365, 414
Certificate of Conformance  367
Device Master Record (DMR)  105, 138,
Certification Body (CB)  82
299, 364, 414
China-Marktzugang  84
Device Specific Guidance  202
CIA-Triade  164
Digitale Gesundheitsanwendung (DiGa) 
Clinical Investigation and Evaluation (CIE) 
171
202
Distributor  516
clinical investigation plan – CIP  211
Dokumentation  327, 507
Code Coverage  151
– Software  152, 153, 155, 156, 157, 158,
compliance  90, 364
159, 161
Computervalidierung  299
– technische  508
Corrective Actions and Preventive
Dokumentenmanagement  14
­Actions (CAPA)  424, 467
Dokumentenprüfung  412
current Good Manufacturing Practice
Dokumentenprüfung/-freigabe  16
(cGMP)  81, 260
DSGVO  168
custom built  402
Cyberangriff  166
Cybersecurity  306
18 Index 549

E Food and Drug Administration (FDA) 


9, 76, 321
Effektivität  154
– Herstellerinspektion  465
Eigenvertrieb  516
Freigabe  16
Eignung, klinische  70
Freigabe für den Vertrieb  455
Eingangsprüfung  457
Funktionsqualifizierung  275
Einhaltung der Regulierungsvorschriften,
FURLS  81
Verantwortlicher  452
Einsparpotenzial  525
Eintrittswahrscheinlichkeit  150 G
Einweisung der Anwender  458
Gebrauchstauglichkeit  68, 153
Endkontrolle  364
Gefährdung  2, 10, 26
Entdeckungswahrscheinlichkeit  282
– schwerwiegende  461
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Entwicklungsphasen  99
Gefährdungslage  1
Entwicklungsprojekt  97, 99, 118, 137
Gefährdungssituation  26
Entwicklungsprozess  261
Global Harmonization Task Force (GHTF) 
Erfahrung, klinische  71
318
Erfolgswahrscheinlichkeit  500
GMP Agreement  356
Erster Fehlerfall  193
Good Engineering Practice (GEP)  257
Essential Requirements  117
Good Manufacturing Practice (GMP) 
Establishment Registration  80
257, 259
For personal use only.

EU-Marktzugang  55, 186, 187, 190, 193,


Grundlegende Anforderungen  98, 453
194
Europäische Datenbank für Medizin­
produkte (EUDAMED)  464 H
Evaluierung  412, 416
Health Canada  472
Evidenz, klinische  201, 240
Health Technology Assessment (HTA) 
210
F Hersteller  304, 396, 443
Herstelleraudit  85
Fault Tree Analysis (FTA)  152, 323
Herstellprozess  361
FEFO  391
Herstellung  351
Fehler  301, 335, 336, 433, 500
Hygiene  11, 288
– Auftretenswahrscheinlichkeit  282, 371
Hygienic Design  290
– Entdeckungswahrscheinlichkeit  282
– Erster  193
– Ursachen  434, 435 I
Fehlerfolge, Bedeutung der  282
Ideenfindung  500
Fehlermöglichkeits- und -einflussanalyse
IMDRF  3
(FMEA)  110, 323
Impact Assessment  277
Fehlerwahrscheinlichkeit  152
Increments  162
Field Safety Corrective Action (FSCA) 
In-House  509
464
Innovation  499
FIFO  391
In-Prozess-Kontrolle (IPK)  364
Finanzierung  505
Inspectional Observations  469
550 18 Index

Inspektion  90, 295, 398, 447 Klassifizierung  59, 77, 82, 85, 89, 305,
– anlassbezogene  450 311, 453
– durch Behörde  124, 395, 424 Kompatibilität  153
Inspektionsschwerpunkte  453 Kompetenzaufbau  503
Installation  275, 310, 392 Konformitätsbestätigung  408
Installation Qualification  324 Konformitätsbewertungsverfahren  70,
Installationsqualifizierung  274 486, 510
Instandhaltung  376 – Beanstandungen  495
– risikobasierte  296 Konformitätserklärung  55, 74, 441
– vorbeugende  295 Konformitätszertifikat  414
Instandhaltungsstrategie Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
– präventive zeitgesteuerte  296 (KVP)  8, 105, 123, 339
– präventive zustandsorientierte  296 Korrekturen  19, 360, 366, 367, 393,
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Instrumente, wiederverwendbare 430, 433


­chirurgische  459 Korrekturmaßnahmen  9, 338, 341, 411,
Integrationsprüfung  158 416, 419
Integrität  164 – im Feld  464
Intellectual Property (IP)  509 Korrektur- und Verbesserungs­
Intended Use  98, 102, 119 maßnahmen  434
Internationalisierung  522 Korrektur- und Verbesserungs-
Inverkehrbringen  55, 74, 75 prozess  427
For personal use only.

Investigational Device Exemption (IDE)  Krankenkasse  522


80 Kritikalität  308, 371, 404, 412, 413, 416,
Investigational [Medical] Devices; IMD  432, 439
226 Kritikalitätsklassen  406, 416, 432
In-vitro-Diagnostika-Verordnung  442 – Kriterien  432
ISO-13485-Zertifizierung  3, 403 Kulturunterschied  499
IT Security  164, 165 Kundenreklamationen  428, 433
IT-Sicherheit  144, 145, 164, 165, 166, Kundenzufriedenheit  9
167, 168, 172, 176 Künstliche Intelligenz (KI)  168
IVDD  442 Kyoka  87
IVD-Software  243
L
J
Labeling  80, 84, 90
Japan-Marktzugang  87 Lagerung  391
JGMP-Inspektion  88 Lastenheft  130
Lebenszyklus  11, 75, 99, 309, 457
Leistung  242
K
Leistungsanforderung  203
Kalibrierung  376, 379, 380 Leistungsbewertung  73, 234
– GMP-gerechte  293 Leistungsbewertung, Bericht  240
Kanada-Marktzugang  82 Leistungsbewertungsplan  237
Kennzeichnung  13, 365, 369, 387 Leistungsfähigkeit  153, 155, 169
KI/ML  145 Leistungsqualifizierung  276
18 Index 551

Leistungsstudie  243 Messmittel  293, 303, 323, 375


Leistungsstudie, kritische  245 Messtechnische Kontrolle (MTK)  457
Lernen, maschinelles  169 Methoden
Lieferant  12, 291, 304, 309, 355, 356, – analytische  323, 343
426 – statistische  322, 392
Lieferantenannahme  412 Methodenvalidierung  343
Lieferantenaudit  408, 416 Mindestqualifikation  505
Lieferantenauswahl  407 MPV, Geltungsbereich  224
Lieferantenbewertung  310, 356, 407
Lieferantenkette  514
N
Lieferantenmanagement  395, 399
Lieferantenvorauswahl  403 Nacharbeit  365
line clearance  456 Nachbeobachtung
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Literatur, wissenschaftliche  71 – klinische  218


– Leistung  241
Nachweisdokument  15, 17
M
Ninsho  87
Machine Learning  500 non-compliance  396
Machine-Learning-Modell  170 Normal  343, 378, 380
Managementreview  438 – harmonisierte  66
Managementverantwortlichkeit  9 Notified Body (NB)  59, 76, 88
For personal use only.

Mängel  338, 409


Marketing Authorization Holder  87
O
Markt  520
Marktanalyse  500 Official Journal  58
Marktbeobachtung  75 off the shelf (OTS)  402
Marktüberwachung  442, 443, 460 Operational Qualification  275, 324
Marktüberwachung, behördliche  442 Organisationsstruktur  483
Marktüberwachungssystem  55 Original Equipment Manufacturer  354
Maßnahmenempfehlung  464 Outsourcing  509
Masterplan  269, 325
MDD  442
P
Medical Device Reporting  81, 84
Medical Device Single Audit Program Parameter, kritische  321, 327
(MDSAP)  470, 471 Performance Qualification  276, 324
Medizinprodukt  55, 397 Portfolioanalyse  404
Medizinprodukteberater  452, 458 Portierbarkeit  154
Medizinprodukte-Betreiberverordnung  Post-Market Clinical Follow-up (PMCF) 
457 202, 203, 460
Medizinprodukte-Datenbank, EUDAMED  Post-Market Surveillance (PMS)  2, 460,
443, 465 521
Medizinprodukteverordnung  442 Präventivmaßnahmen  416, 419
Meilenstein  123 Premarket Approval (PMA)  79, 466
Meldefristen  75, 462 Pre-Marketing-Aktivität  519
Meldepflichten  461 Private Label Manufacturer  354
552 18 Index

Problemlösungsprozess  161 Qualifizierungsmaßnahmen  404


Production and Process Control  467 Qualifizierungsmasterplan  273
Produkt  415 Qualifizierungstiefe  278
Produktakte  360 Qualifizierungsumfang  278
Produktbeobachtung  35 Qualitätsattribut, kritisches (cQA)  277
Produktbewertungsmatrix  406 Qualitätsmanagement  483
Produktentstehungsakte  366 Qualitätsmanagementsystem (QMS)  510
Produktentwicklung  10 Qualitätsregelkarte  323
Produktentwicklungsprozess  507 Qualitätsrelevanz  10
Produktfehler  13, 404 Qualitätssicherung  351
Produktfreigabe  13, 366 Qualitätssicherungsvereinbarung 
Produktionsanlage  258 12, 356, 413
Produktionsraum  288, 289 Quality System Regulations  466
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Produktionsumgebung  342
Produktlebenszyklus  165
R
Produktmodifikation  523
Produktprüfung  491 Räumlichkeiten  362
– Beanstandungen  496 Re-Evaluierung  365
Produktrisiko  404 Registrierung  74
Project Backlog  162 Regulatory Affairs  525
Projektrisiko  130 Reinigungsvalidierung  264
For personal use only.

Projektrisikoanalyse  109, 122 Reklamationen  9, 370, 414, 419, 426,


Prototyp  507 428, 433, 460
Prozessentwicklung  321 Release Planning  162
Prozesskontrolle, kritische  293 Ressourcen  483
Prozessparameter, kritische (CPP)  Re-Validierung  309, 330, 338, 341, 342
279, 280 Richtlinien, europäische  442
Prozessvalidierung  317, 318, 324 Risiko  26, 359, 375, 379, 397, 402, 413
– Ablauf  327 Risikoanalyse  129, 280, 322
– Definition  319 Risikoanalyseaufzeichnung  38
Prüfaufzeichnungen  366 Risikoanalyseumfang  40
Prüfmittel  293, 303, 375 Risikobeherrschung  32, 282, 283
Prüfmittelspezifikationen  380 Risikobeurteilung  24
Prüfmittelüberwachung  377 Risikobewertung  30, 374, 378, 402
Prüfstatus  458 Risikoklassifizierung  146
Prüfung Risikomanagement  3, 11, 68, 129, 150,
– Beanstandungen bei klinischer  497 165, 173, 321, 420
– klinische  72, 223, 225, 515 – Softwaresysteme  48
– sicherheitstechnische  196 – wissensbasiertes  47
Risikomanagementbericht  38
Risikomanagementmethoden  38, 42
Q
Risikomanagementprozess  11, 24, 100,
QM-System  1, 397 321
Qualifizierung  10, 266 Risikomanagementteam  39
Qualifizierungsabschlussbericht  276 Risikominderung  32
18 Index 553

Risiko-Nutzen-Analyse  34 Software  143


Risikoprioritätszahl (RPZ)  283 – Klassifizierung  145
Rückhaltemuster  370, 414 – Lebenszyklus  68
Rückruf  464 Softwareanforderung  155
Rückverfolgbarkeit  13, 369, 371, 376 Softwarearchitektur  156
Rückweisung  360, 373 Softwareentwicklung, agile  161
Softwareentwicklung, Grundsätze  153
Softwareentwicklungsplanung  155
S
Softwareintegration  158
Safety  166 Softwarekonfigurationsmanagement  160
Safety Level  152 Softwarelebenszyklus  144
Schaden  26 Softwarewartung  159
Schadensausmaß  30, 432 Sonderfreigabe  373, 374
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Schulung  138, 295, 326, 336, 361, 458 SOUP  152, 160
Schweizerisches Heilmittelinstitut Sperrlager  355, 360, 391
(­Swissmedic)  447 Stand der Technik  182
Schweregrad  26 Start-up  499
Scope, regulatorischer  501 Statistik
Scoping  207 – Grundlagen  359
Scrum  162, 163 – Methoden  322, 392
Security  166 Stichproben  365
For personal use only.

Security by Design  165 Stichprobenanzahl  322


Serienprodukt  507 Stichprobenprüfung  358, 359
serious adverse events; SAE  229 Stichprobenumfang  357, 359
Service  392 Stories  162
Shonin  87 STRIDE  165
Sicherheit  154, 179, 190, 242 Systemarchitektur  131
– hinweisende  192 Systemintegration  133
– mittelbare  192
– Normen  194
T
– unmittelbare  190
Sicherheitsanforderung  203 Team  503
Sicherheitsbeauftragter  461 Technische Dokumentation  13, 14, 396
Sicherheitsklasse  154 Teile, fehlerhafte  360, 365
Sicherheitsklassifizierung  148 testing into compliance  13
Sicherheitskonzept  180 Therapeutic Goods Administration
Sicherheitslevel  167 of ­Australia (TGA)  472
Sicherheitstechnik  179 Todokede  87
– Prüfungen  196 Transport  392
Sicherheitstechnische Kontrolle (STK)  Trends  341, 363
457 Trial and Error  525
SL-A (Security Level – Achieved)  166
SL-C (Security Level – Capability)  166
SL-T (Security Level – Target)  166
Sofortmaßnahmen  374
554 18 Index

U Vier-Augen-Prinzip  380
Vigilance Reporting  86, 90
Übergangsfrist  442
Vigilanz  14, 429, 433, 460
Überwachung durch Behörden/
V-Modell  105, 111, 174
Benannte Stellen  75
Vorbeugemaßnahmen  9, 341
UDI Device Identifier (UDI-DI)  388
Vorgabedokument  15
UDI Production Identifier (UDI-PI)  388
Vorkommnis  460
Umgebungsbedingungen  363
Unique Device Identification  14
Unique Device Identifier (UDI)  388 W
United States agent  81
Wareneingang  353, 397
United States Food and Drug
Wareneingangskontrolle (WEK)  12, 275,
­Administration (FDA)  472
354, 355, 371
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Units  148
Warngrenzen  363
Unverzüglichkeit  462
Warning Letter (WL)  14, 99, 395, 401,
Ursachenanalyse  374, 435
469
Usability  461
Wartbarkeit  154
User Requirement Specification (URS) 
Wartung  295
261, 279
Wasserfallmodell  105
US-Marktzugang  76
Weiterverwendung  373, 374
Well Established Technologies of low risk,
For personal use only.

V WET  213
Wellnessprodukt  501
Validierung  144, 152, 153, 169, 176, 264
Werkstoffe  187
Validierungsansatz  330
White Box  170
Validierungsbericht  336
Wiederaufbereitung  458
Validierungsfamilien  331
Wiederholbarkeit  143, 169
Validierungsplan  325, 333
Validierungsstrategie  332
Verbesserungsmaßnahmen  436 Z
Verbesserung, ständige  9
Zeit  505
Verfahrensanforderungen  485
Zertifikat  291, 356
Verfügbarkeit  164
Zertifizierung  5, 413
Verifizierung  133, 144, 154, 156, 157, 169,
Zuverlässigkeit  143, 154, 169
266, 328
Zweckbestimmung  501
Verpackung  387
– festgelegte  55
Vertraulichkeit  164
Verwechslungen  365
19 Die Autoren

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Christian Baumgartner, Jahrgang 1968


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Universitätsprofessor und Vorstand des Institutes für


Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medi-
zinprodukte an der Technischen Universität Graz. Dip-
lomstudium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Bio-
medizinische Technik, Promotion und Habilitation für
das Fachgebiet Biomedizinische Technik. Industrietätig-
keit bei Tecan Austria, Salzburg, Forschungsaufenthalt
For personal use only.

an der Northeastern University und Harvard Medical


School, Boston, danach Professor und Leiter des Institu-
tes für Elektrotechnik und Biomedizinische Technik an
der UMIT Tirol, Hall in Tirol. 2015 Berufung an die TU
Graz. Staatlich befugter und beeideter Ziviltechniker für Elektrotechnik und Bio-
medizinische Technik (derzeit ruhende Befugnis). Forschungs- und Lehrtätigkeit
in den Bereichen Elektrophysiologie & Computational Biology, biomedizinische
Sensorik und Messtechnik, Geräteentwicklung und Technologiebewertung, Medi-
zinprodukterecht und Regulatory Affairs. Mehr als 180 wissenschaftliche Publika-
tionen, Buchbeiträge und Patente.

Dr. Wolfgang Ecker, Jahrgang 1953


Studium der Humanmedizin an der Universität Wien
und Turnusausbildung zum Praktischen Arzt an meh­
reren Krankenanstalten in Wien. Ab 1985 im österrei-
chischen Gesundheitsministerium tätig, zuletzt als Ab-
teilungsleiter für Arzneimittel und Medizinprodukte.
War Mitglied in mehreren Arbeitsgruppen der EU für
Medizinprodukte, Arzneimittel und Health Technology
Assessment, u. a. in der Rats­arbeitsgruppe für Medizin-
produkte (Verhandlung der IVD-Richtlinie 98/79/EG,
der Novelle 2007/47/EG und der neuen Medizinpro-
556 19 Die Autoren

dukte- und IVD-Verordnung), als Vorsitzender der AG CIE (Clinical Investigation


and Evaluation) der Kommission und als Vertreter Europas in der GHTF Study
Group 5 Clinical Evidence. Seit Juli 2016 im Ruhestand.
Er unterrichtet Regulatory Affairs an der FH Technikum Wien und an der FH Linz
Medizintechnik, hält Seminare und arbeitet in der Normung für Medizinprodukte.

Dipl.-Ing. Dr. Brigitte Gübitz, Jahrgang 1968


Studium der Technischen Chemie an der TU Graz. Disser-
tation mit dem Titel „Risikomanagement in Quality by
Design“. Seit fast 25 Jahren in der Pharma- und Medi-
zintechnikindustrie tätig. Seit 20 Jahren bei VTU En­
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gineering GmbH, zuerst als Projektleiterin im Bereich


Qualifizierung/Validierung sowie GMP-Beratung, nun-
mehr verantwortlich für die Entwicklung und Imple-
mentierung des VTU Risikomanagement-Expertensys-
tems REXS sowie für den integrierten Commissioning &
Qualifizierungsansatz der VTU. Sie unterstützt natio-
nale und internationale Kunden bei der Einführung von
For personal use only.

Lebenszyklus-Risikomanagementprozessen und moderiert zahlreiche GxP-Risiko-


analysen nach dem FMEA-Modell. Zertifizierte GxP- und Medizinprodukte-Audi­
torin und erfahrene GxP-Trainerin.

Dipl.-Ing. Meinrad Guggenbichler, Jahrgang 1977


Meinrad Guggenbichler studierte Maschinenbau mit
Schwerpunkt Medizintechnik in Erlangen und an der
TU-München. Bereits während des Studiums erstellte er
Software zur Dokumentation von klinischen Prüfungen
(eCRF) und beschäftigte sich mit Werkstoffen für die
Medizintechnik.
Nach dem Studium startete er bei Fa. Ceramtec AG, ei-
nem deutschen Hersteller von Endoprothesen-Kompo-
nenten im Bereich Forschung und Entwicklung. Für
ca. 10 Jahre arbeitete er als Inspektor, Fachexperte und
Gruppenleiter für Medizinprodukte bei der österreichi-
schen Marktaufsichtsbehörde für Medizinprodukte (BASG/AGES). Im Anschluss
übernahm er die Aufgaben als Regulatory Affairs Manager bei Fa. nstim Services
GmbH, einer Tochter der Otto Bock AG und österreichischen Hersteller von aktiven
Implantaten, zuständig für die Zulassung der AIMDs für den europäischen und US-
amerikanischen Markt.
 19 Die Autoren 557

Seit 2016 ist er als leitender Auditor und Fachexperte – insbesondere im Bereich
aktive Produkte, Instrumente und Sterilisation – bei der Benannten Stelle mdc –
medical device certification GmbH tätig und hat 2020 die Leitung der Benannten
Stelle übernommen.
Daneben hält er Vorträge zum Thema Qualitätsmanagement, Einstufung und Klas-
sifizierung von Medizinprodukten, Zulassungsverfahren für Medizinprodukte,
­Risikomanagement bzw. Aufbereitung von Medizinprodukten. Auch war er für
10 Jahre an der FH Oberösterreich als Universitätslektor im Bereich Regulatory
Affairs im Master-Studiengang „Medical Engineering“ tätig.

Dipl.-Ing. Dr. Johann Harer, Jahrgang 1955


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Studium der Elektrotechnik an der Technischen Univer-


sität Graz und der Rechtswissenschaften an der Karl-
Franzens-Universität in Graz. 1980 erste Industrieer-
fahrung als Entwickler und Projektleiter bei einem
österreichischen Industrieunternehmen. 1986 Wechsel
zu einem deutschen Großkonzern im Bereich der Netz-
und Industrieautomation. Ab 1990 bei AVL Medical Sys-
For personal use only.

tems, verantwortlich für das Business Development, das


Produktmanagement sowie in weiterer Folge auch für
den globalen System Support für In-vitro-Diagnostika-
Systeme. Ab 2001 bei Roche Diagnostics, unter anderem
als globaler Leiter QM des Geschäftsbereiches Near Patient Testing sowie als Leiter
QM & Regulatory Affairs bei Roche Diagnostics Graz. Seit 2014 Geschäftsführer
des steirischen Humantechnologie-Clusters mit der Aufgabe, die regionalen For-
schung- und Wirtschaftspartner aus dem Medizintechnik- und Pharmabereich zu
vernetzen, zu unterstützen und international sichtbar zu machen. Regelmäßige
Schulungen und Vorträge auf Fachkonferenzen sowie Audittätigkeit und Firmen-
Assessments.
558 19 Die Autoren

Dipl.-Ing. Udo Klinger, Jahrgang 1970


Studium der Telematik mit Schwerpunkt Medizintech-
nik an der Technischen Universität Graz. Acht Jahre
Teamleiter für Softwaretests und als Projektleiter für
Produktverifizierung und -validierung und weitere
sechs Jahre Leitung der Qualitätssicherung für den Be-
reich Neuproduktentwicklung bei Roche Diagnostics
Graz. Seit 2015 Qualitätsmanager bei EXIAS Medical.
Nebenberuflicher Lektor an der Fachhochschule Ober­
österreich. Spezialist für Entwicklungsprozesse im
­Medizinproduktesegment und die dafür anzuwenden-
den Normen, speziell Softwareentwicklung, Usability,
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Risiko-, Requirements- und Testmanagement. Zertifizierter Qualitätsmanager.

Dipl.-Ing. Peter Müllner, Jahrgang 1969


Nach seiner Maschinenbauausbildung in Linz Studium
der Elektrotechnik, mit dem Spezialgebiet Elektro- und
Biomedizinische Technik, Medizinische Informatik und
For personal use only.

Neuroinformatik an der Technischen Universität Graz.


Seit 2018 Master of Business Administration von der
­LIMAK – Johannes Kepler Universität Linz (JKU).
Fachexperte und Auditor in den Bereichen Qualitäts­
management und Regulatory Affairs sowie für die dabei
anwendbaren Normen bei aktiven Medizinprodukten
inkl. Software und In-vitro-Diagnostika. Umfangreiche
Erfahrungen aus Positionen und Funktionen bei GE
Healthcare, Roche Diagnostics Graz, nstim Services und OttoBock. Seit 2018 bei
OttoBock HealthCare Products GmbH in Wien.

Ing. Robert Neubauer, Jahrgang 1975


Nach Abschluss der Matura an der HTBLuVa Graz
­Gösting Ausbildungszweig Nachrichtentechnik, Arbeit in
Entwicklungs- und Qualitätsmanagement-Abteilungen
mehrerer elektromedizinischer Unternehmen. Wechselte
im Jahre 1998 als Testingenieur an die Prüfstelle für Me-
dizintechnik der TU-Graz. Seit 2014 stellvertretender Lei-
ter an der staatlich akkreditierten Europa­prüfstelle für
Medizinprodukte (PMG). Schwerpunkt Prüfung der Erfül-
lung von normativen Anforderungen von medizinischen
elektrischen Geräten und medizinischer Software.
 19 Die Autoren 559

Assoc.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Jörg Schröttner, Jahrgang 1975


Herrn Jörg Schröttner wurde nach Absolvierung des Di-
plomstudiums im Jahre 2003 der Titel Dr. techn. an der
Technischen Universität Graz verliehen. Gegenwärtig
ist er als Assoc.-Prof. an der TU Graz am Institut für
Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medi-
zinprodukte tätig. In seiner wissenschaftlichen Tätig-
keit befasst sich Herr Schröttner angesichts aktueller
soziodemographischer Entwicklungen mit der höchst
aktuellen Problematik einer Verbesserung der Effizienz
der einsetzbaren Mittel im Gesundheitswesen. Ziel ist
es, den Patienten effizient, ökonomisch, ohne vermeid-
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bare Risiken und qualitätsgesichert zur Heilung oder Linderung der Krankheit zu
verhelfen. Herr Schröttner ist auch seit über 20 Jahren im Bereich der Medizinpro-
duktezulassung an der staatlich akkreditierten Prüf- und Zertifizierstelle für Medi-
zinprodukte (kurz PMG) tätig. Er ist QM/GMP-Experte für Medizinprodukte Ent-
wicklung und Herstellung und Lead-Auditor für Qualitätsmanagementsysteme
nach EN ISO 13485 und 9001.
For personal use only.

Dipl.-Ing. Sara Stoppacher, Jahrgang 1992


Seit 2020 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für
Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medi-
zinprodukte der Technischen Universität Graz. Promoti-
onsarbeit im Bereich der experimentellen Elektrophysio-
logie, Modellbildung und Simulation sowie Überführung
computergestützter Algorithmen und Software zu Medi-
zinprodukten. Bachelor- und Masterstudium Biomedical
Engineering an der TU Graz. Während des Studiums Mar-
keting Managerin bei der Up to Eleven Digital Solutions
GmbH sowie drei Jahre lang Assistentin im Qualitätsma-
nagement und der Qualitätssicherung in der Tyromotion
GmbH. Unterstützung der Auditvorbereitungen für die ISO 27001 Zertifizierung der
IKTMT Abteilung der Landeskrankenanstalten-Betriebsgesellschaft – KABEG.
560 19 Die Autoren

Dipl.-Ing. Tibor Zajki-Zechmeister, Jahrgang 1990


Studium der Medizintechnik an der Fachhochschule
Kärnten in Klagenfurt. Ab 2011 selbständige Tätigkeit in
der Medtech-Start-up-Szene mit eigener Projektgrün-
dung basierend auf einer patentierten Erfindung im
Fachgebiet Neurologie. Eigenständiger Aufbau eines Me-
dizintechnikunternehmens als Gründer und Geschäfts-
führer mit regulatorischen und nichtregulatorischen Tä-
tigkeitsfeldern. Zu diesen gehören unter anderem die
Entwicklung und Zulassung von Medizinprodukten mit
involvierten Benannten Stellen, in-house Assemblie-
rung, Einrichtung und Umsetzung eines QMS nach ISO
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13485, Risikomanagement, Vorbereitung und Umsetzung von klinischen Prüfun-


gen und PMS. Seit 2017 ein verstärkter Fokus auf Regulatory Affairs, insbeson-
dere MDD Übergangsperiode und MDR. Laufende akademische Fortbildung, unter
anderem am Massachusetts Institute of Technology und California Lutheran Uni-
versity sowie fachliche Fortbildung bei notifizierten Benannten Stellen. Seit 2019
Begleitung und Unterstützung von Medtech-Start-ups.
For personal use only.
Anforderungen
an Medizinprodukte
Alle relevanten Informationen und Anforderungen
rund um Medizinprodukte und in-vitro-Diagnostika!

Die EU-Verordnungen 2017/745 und 2017/746 haben die Anforderungen an die


Zulassung sowie die Kommerzialisierung von Medizinprodukten und in-vitro-
Diagnostika wesentlich verschärft. Als Hersteller und als deren Zulieferer müssen
Sie neben diesen EU-Verordnungen noch eine Vielzahl an weiteren gesetzlichen
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Vorgaben, Normen und Qualitätsanforderungen erfüllen.

Dieses Buch navigiert Sie durch diese vielschichtigen Anforderungen an Medizin-


produkte und in-vitro-Diagnostika. Die einzelnen Anforderungen werden dabei
praxisorientiert vorgestellt, wobei Sie einen konkreten Leitfaden zu deren Um-
setzung erhalten, unter besonderer Berücksichtigung der neuen EU-Verord-
nungen, der aktuellen ISO 13485 und der FDA cGMP. Die Neuauflage widmet sich
For personal use only.

insbesondere auch den neuen Anforderungen an Software als Medizinprodukt.


Zudem wird über die gängigsten Do’s und Dont’s eines Start-up aus der Medizin-
technikbranche berichtet. Viele Beispiele, Tipps und Hinweise auf Stolpersteine
erleichtern die Umsetzung in der Praxis.

Die Autoren
Dr. Johann Harer war über 25 Jahre in der Diagnostikindustrie tätig und ist
Geschäftsführer des Human.technology Styria Clusters.
Prof. Dr. Christian Baumgartner ist Professor und Vorstand des Institutes Institut
für Health Care Engineering mit Europaprüfstelle für Medizinprodukte.

www.hanser-fachbuch.de € 69,99 [D]  |  € 72,00 [A]


ISBN 978-3-446-46881-8

9 783446 468818

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