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Prof. Dr.

Friedhelm Reichert Fachbereich I

Arbeitsblatt: AGB

Sachverhalt:

Der tunesische Student Kerim Haggui (K) studiert seit einem Jahr an der Beuth Hochschule, macht
einen Deutschkurs für Fortgeschrittene und will zur Förderung seines Sprach- und Studienerfolges
im Computerladen von Victor Verdrießlich (V) einen Laptop der Marke „Shitoba“ kaufen.

An das Kaufvertragsformular angetackert sind „Liefer- und Einkaufsbedingungen“ von V, die dieser
gegenüber seinen Kunden benutzt. Dort heißt es u. a.:

5.3 „Bei Mängeln der Kaufsache hat sich der Käufer ausschließlich an die Fa. Shitoba zu wenden.

6.2: „Für Mahnungen und Fristsetzungen des Verkäufers vereinbaren die Parteien folgendes: Ist die
Mahnung/Fristsetzung nachweislich von Seiten des Verkäufers postalisch abgesendet worden, gilt
die Mahnung/Fristsetzung als innerhalb von 5 Werktagen als zugegangen.“

K unterschreibt den Kaufvertrag und leistet auf einen Hinweis des V seine Unterschrift, dass der die
Liefer- und Einkaufsbedingungen zur Kenntnis genommen hat. Die Einzelheiten der Bedingungen sind
ihm aufgrund seiner noch lückenhaften Kenntnis der deutschen Rechtssprache völlig unklar.
Anschließend zahlt er eine Teilsumme von 50 % der Kaufsumme an V bittet ihn, den Rest innerhalb
von einer Woche nach Vertragsschluss gezahlt werden.

Nachdem K den Restkaufpreis nicht gezahlt hat, schickt ihm V zwei Wochen später eine Mahnung.
Diese geht auf dem Postweg verloren. V schaltet eine Woche nach der ersten (verlorengegangenen)
Mahnung ein Inkassobüro ein.

Als K vier Wochen nach Vertragsschluss ein Schreiben des Inkassobüros erhält, zahlt sofort den
vollständigen Kaufpreis. Einen Tag später stellt er fest, dass auf dem Display des Notebooks ständig
farbige Streifen auftauchen. Er bringt das Notebook zu V und bittet um Reparatur. V weist auf Ziff.
6.1 hin und ist ohnehin der Meinung, dass der Displayfehler durch eine von K verschuldete
Überlastung herbeigeführt wurde. Im Übrigen will er erst seine Verzugskosten in Höhe der Kosten
des eingeschalteten Inkassobüros erstattet bekommen und beruft sich auf Ziff. 6.2.

Wie ist die Rechtslage, wenn nicht festgestellt werden kann, worauf der Displayfehler
zurückzuführen ist?

Arbeitszeit: 20 min
Prof. Dr. Friedhelm Reichert Fachbereich I

Lösung:

(Vorüberlegung: Offenbar geht es um Ansprüche verschiedener Personen aus verschiedenen


Anspruchsgrundlagen. Diese sind bei der Bearbeitung nach dem Grundsatz „Wer will was von wem
woraus strikt zu trennen.)

A. Anspruch von V gegen K auf Zahlung der Gebühren des Inkassobüros

V könnte gegen K einen Anspruch auf Zahlung der entsprechenden Gebühren unter dem
Gesichtspunkt des Verzugs gem. §§ 280 I, II i. V. m. § 286 BGB haben.

Ein entsprechendes Schuldverhältnis liegt mit dem wirksamen Kaufvertrag vor. K hat den Kaufpreis
auch nicht gezahlt, obwohl dieser eine Woche nach Vertragsschluss fällig war; Hinweise gegen eine
fehlende Durchsetzbarkeit von V´s Forderung sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen.

Problematisch ist aber die Frage, ob seitens V gemahnt wurde oder die Mahnung ggf. entbehrlich
war. Zwar hat V eine Mahnung versendet, diese ist aber verlorengegangen, also aufgrund der
Empfangsbedürftigkeit der Mahnung wegen fehlendem Zugang an sich nicht wirksam geworden.
war. Möglicherweise kann sich V für den Zugang auf Ziff. 6.2 der Liefer- und Einkaufsbedingungen
berufen. 33V könnten sich dann auf die Klausel berufen, wenn Ziff. 6.2 wirksam vereinbart worden
wäre. Eine Unwirksamkeit der Klausel könnte sich aus den §§ 305 ff. BGB ergeben.

I. Voraussetzung ist zunächst, dass es sich bei Ziff. 6.1 um eine „Allgemein Geschäftsbedingung
im Sinne der Definition handelt. Nach § 305 Abs. 1 S. 1 BGB sind Allgemein
Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten
Vertragsbedingungen, die eine Vertragspartei der anderen Vertragspartei bei Abschluss des
Vertrages stellt. „Für eine Vielzahl“ sind Vertragsbedingungen gestellt, wenn die
Vertragsbedingungen mindestens einmal tatsächlich verwendet werden und die Absicht der
mindestens dreifachen Verwendung besteht. Im vorliegenden Fall spricht bereits die
Überschrift dafür, dass es sich um Bedingungen handelt, die V nicht einmal verwendet,
sondern die in seinem Geschäftsverkehr ständig Vertragsbestandteil werden Im Übrigen
bestehen nach den Sachverhaltsangaben keine Zweifel, da V die Klausel gegenüber
sämtlichen Kunden verwendet. Die Aufnahme von Klausel 6.2 geht von V aus, so dass dieser
auch als Verwender gilt.
Hinweis: Nach § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB gelten die Vertragsbedingungen bei Verbraucherverträgen als vom
Unternehmer gestellt.

Im Ergebnis handelt es sich bei Ziff. 6.2 um eine AGB i. S. v. § 305 Abs. 2 BGB.

II. Um Vertragsbestandteil zu sein, müsste die Klausel auch in den Vertrag einbezogen worden
sein. Hier besteht bei Verbrauchern und Unternehmern ein unterschiedlicher
Prüfungsmaßstab, so dass zunächst zu klären ist, ob es sich bei K um einen Verbraucher oder
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einen Unternehmer handelt. Nach den Definitionen in §§ 13, 14 BGB sind Verbraucher alle
Personen, die das konkrete Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließen, das weder zu ihrer
gewerblichen noch zu ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zu rechnen ist. Im
vorliegenden Fall kaufte K den Laptop zu Studienzwecken, handelte also in seinem privaten
Bereich. Damit ist nach § 310 Abs. 1 BGB die Einbeziehungskontrolle von § 305 Abs. 2 BGB
maßgeblich.
V müsste zunächst gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB einen ausdrücklicher Hinweis auf die AGB
erteilt haben. Dies ist nach dem Sachverhalt der Fall, da K erst nach dem Hinweis des V auf
seine AGB den Vertrag unterschrieben hat.
Problematisch könnte sein, ob K auch die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte. Zwar hat er
dies unterschrieben; zudem wurde die Klausel an das Kaufvertragsformular angetackert, was
an sich für die Möglichkeit der Kenntnisnahme ausreicht. Allerdings hatte K nur
unzureichende Sprachkenntnisse der deutschen Sprache und daher keine Chance, den Inhalt
der Klausel zu verstehen. Auf eine tatsächliche Kenntnisnahem kommt es im Rahmen von §
305 Abs. 2 BGB aber nicht an; es reicht die „Möglichkeit“ aus, die jeweiligen AGB zur
Kenntnis zur nehmen. Im Übrigen ist als Maßstab auf einen durchschnittlichen Verbraucher
abzustellen (soweit nicht die angesprochenen Behinderungen vorliegen), also in Deutschland
auf einen deutschkundigen Verbraucher. Die AGB von V und damit auch Ziff. 6.2 wurden
somit auch nach den Maßstäben von § 305 Abs. 2 BGB wirksam einbezogen.
III. Die Frage, ob die Klausel wirksam oder unwirksam ist, richtet sich im Rahmen der sog.
„Inhaltskontrolle“ nach den §§ 307 ff. BGB. Da K – wie oben bereits ausgeführt – Verbraucher
ist, gilt auch im Rahmen der Inhaltskontrolle ein schärferer Maßstab nach den
Klauselkatalogen der §§ 308, 309 BGB.
Hinweis: Es wäre falsch, bei Verbraucherverträgen mi § 307 BGB zu beginnen, da diese Norm eine
allgemein gehaltene „Generalklausel“ ist. Nach der juristischen Methodenlehre ist immer mit der
spezielleren und konkreteren Norm zu beginnen; erst wenn diese Prüfung ergebnislos geblieben ist,
kann auch das allgemeine Gesetz zurückgegriffen werden. Das spezielle Gesetz verdrängt also das
allgemeine Gesetz. Zu beginnen ist mit § 309 BGB, da hier ein Wertung nicht notwendig ist.

In Betracht kommt zunächst eine Unwirksamkeit nach § 309 Nr. 4 BGB, nach der eine Bestimmung,
durch die der Verwender von der gesetzlichen Obliegenheit freigestellt wird, den anderen
Vertragsteil zu mahnen oder ihm eine Frist für die Leistung oder Nacherfüllung zu setzen. Die
Mahnung wird durch Klausel 6.2 jedenfalls deutlich erleichtert. Allerdings verzichten die Parteien
nach dem Wortlaut der Klausel nicht darauf, dass überhaupt eine Mahnung ausgesprochen wird,
sondern treffen nur Bestimmungen über den Zugang der Mahnung. Im Ergebnis greift § 309 Nr. 4
BGB nicht ein.

Eine Unwirksamkeit könnte sich aber aus § 308 Nr. 6 BGB ergeben, wonach eine Bestimmung, die
festlegt, dass eine Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung als zugegangen gilt,
unwirksam ist. Eine solche Fiktion des Zugangs ist in Ziff. 6.2 für die Mahnung zugegangen, Geklärt
werden muss aber, ob eine Mahnung als Erklärung von „besonderer Bedeutung“ anzusehen ist.
„Besondere Bedeutung“ dürften insbesondere die Erklärungen haben, die bestimmte Rechtsfolgen
auslösen. Dies ist bei der Mahnung der Fall; die Mahnung ist eine Erklärung, die nach § 280 Abs. 1,
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Abs. 2 i. V. m. § 286 BGB Verzug auslösen kann. Die Klausel nach Ziff. 6.2 ist daher wegen Verstoßes
gegen § 308 Nr. 4 BGB unwirksam.

IV. V kann sich nicht auf Ziff. 6.2 berufen.

Anhaltspunkte für eine Entbehrlichkeit der Mahnung liegen nicht vor. Insbesondere kann nicht von
einer Entbehrlichkeit nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB ausgegangen werden, da die einwöchige
Zahlungsfrist keine vertragliche Frist, sondern eine einseitige Aufforderung seitens des Verkäufers
war. Somit sind die Voraussetzungen des Verzugsanspruchs nicht erfüllt.

B. Anspruch von K gegen V auf Reparatur des Laptops

I.

V könnte gegen K einen Anspruch auf Nachbesserung gem. §§ 437 Nr. 1 i. V. m. § 439 BGB haben.

1. Ein Kaufvertrag wurde – wie oben bereits dargelegt – zwischen den Parteien abgeschlossen.

2. Ferner müsste ein Mangel der Kaufsache vor Gefahrübergang vorliegen. Zwar hatten die Parteien
keine Vereinbarung über eine konkrete Beschaffenheit des Laptops abgeschlossen. Die Bildstörungen
des Displays stellen an sich unter dem Gesichtspunkt der „vorausgesetzten Beschaffenheit“ einen
Mangel dar, da die Funktion des Laptops hierdurch eingeschränkt wurde. Fraglich ist aber, ob der
Mangel – der an sich vom Anspruchsteller, also K – zu beweisen wäre, bereits zum Zeitpunkt des
Gefahrübergangs bestand. Gefahrübergang ist nach § 446 BGB der Zeitpunkt der Übergabe der
Kaufsache; nach dem Sachverhalt ist unklar, ob der Mangel zu diesem Zeitpunkt bereits bestand.

Ein anderes Ergebnis könnte sich aber nach der Beweislastregelung von § 476 BGB ergeben, wonach
vermutet wird, dass eine Sache bereits bei Übergabe mangelhaft war, wenn sich der Mangel
innerhalb von 6 Monaten nach Gefahrübergang zeigt und die Sache im Rahmen eines
Verbrauchsgüterkaufs erworben wurde.

Im vorliegenden Fall ist von einem Verbrauchsgüterkauft i. S. v. § 474 BGB auszugehen, da V


Unternehmer und K Verbraucher ist und es sich bei dem Laptop um eine bewegliche Sache handelt.
Somit liegt die Beweislast für die Mangelfreiheit bei V; von einem Mangel kann daher ausgegangen
werden.

II. Auch bei diesem Anspruch ist fraglich, ob das Gewährleistungsrechts der §§ 437 ff. nicht durch Ziff.
5.1 ausgeschlossen ist.

Ein Ausschluss gesetzlichen Regelungen durch Allgemeine Geschäftsbedingungen setzt jedoch


voraus, dass die entsprechenden gesetzlichen Regelungen über zu dem dispositiven Recht zählen,
also kein „zwingendes Recht“ sind. § 475 BGB erklärt jedoch das Mängelgewährleistungsrecht der §§
437 ff. BGB für den Verbrauchsgüterkauf zum zwingenden Recht. Regelungen, die von dem
gesetzlichen Mängelhaftungsrecht abweichen, sind also – nicht zulässig.
Prof. Dr. Friedhelm Reichert Fachbereich I

III. Im Ergebnis hat K daher die Nacherfüllungsanprüche nach den §§ 437 Nr. 1, 439 BGB.

Hinweis:

Falls § 475 BGB nicht gesehen wurde, wäre die AGB-Prüfung durchzuführen. Die Inhaltskontrolle
würde zu einer Unwirksamkeit der Klausel nach Ziff. 309 Ziff. Nr. 8 Ziff. B bb) BGB führen (so dass
beide Lösungswege zu einem identischen Ergebnis kämen).

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