Sie sind auf Seite 1von 122

Journal für

korporative
Kommunikation
Tecla Huth
Fridays for Future – Entstehung einer supranationalen europäischen Öffentlichkeit? ........................ 2
Guido Scholl & Mihir Ignatius Nayak
Erlebnis- und Experience Marketing als Konzept der Unternehmenskommunikation – eine
Profilierungschance für stationäre Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe im urbanen Umfeld .... 12

Mona Abdel Rahman


Machen Marken moralisch flexibel?....................................................................................................... 27
Katrin Angelbeck
Social Branding als digitale Herausforderung für eine konsumentenorientierte
Markeninszenierung im Web 2.0 ............................................................................................................. 36
Nicholas Gorny
Digitalität in der politischen Kommunikation ......................................................................................... 51
Anneke Hofmann
Künstliche Intelligenz oder echte Verdummung – Das Spiel mit der Glaubwürdigkeit ....................... 62
Lars Hoven
Legitimität als existenzielles Gut von Unternehmen .............................................................................. 72
Janik Keßel
Geschichtenerzähler mit Attitüde – Marken beziehen Haltung ............................................................ 79
Hannah Ve Nolte
Die Stärke der Eigenmarke ..................................................................................................................... 90
Franziska Oder
Investor Relations zwischen Renditen und Legitimität .......................................................................... 99
Benjamin Rustemeyer
Luxusmarken zwischen Tradition und Innovation ............................................................................... 112

Ausgabe 2/2019
journal-kk.de - ISSN: 2365-6662 - Herausgeber: Dr. Jan Rommerskirchen
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Journal für Hinweise für Autoren


Das Journal für korporative Kommunikation erscheint
korporative Kommunikation halbjährlich als Onlinezeitschrift auf www.journal-
Das Journal für korporative Kommunikation (JkK) ist kk.de. Manuskripte können in deutscher oder englischer
das Forum für alle Themen der Kommunikation korpo- Sprache als Microsoft Word-Dateien (.doc) eingereicht
rativer Akteure. Die fachwissenschaftliche und interdis- werden. Die Manuskripte unterliegen einer wissen-
ziplinäre Diskussion von Fragen und Thesen aus der schaftlichen und redaktionellen Überprüfung. Die Her-
Soziologie, der Ökonomie und der Psychologie sowie ausgeber oder die Vertreter des wissenschaftlichen Bei-
angrenzender Bereiche steht im Fokus des Journals. Es rates behalten sich das Recht auf Nichtveröffentlichung
wendet sich an Wissenschaftler, Studierende und fach- oder notwendig werdende Änderungen und Kürzungen
lich Interessierte, erscheint halbjährlich als Onlinepubli- vor. Mit der Einreichung des Manuskripts sichern die
kation und versteht sich als begutachtetes Open Access- Autoren dem Herausgeber zu, dass sie über alle Rechte
Forum zur Vermittlung und Besprechung wissenschaft- an der Veröffentlichung des Texts und aller Abbildun-
licher Erkenntnisse. gen frei verfügen können.
Zur Publikation eingereichte Fachartikel sollen einen Der Umfang der Beiträge soll 30.000 Zeichen inkl.
Beitrag zur theoretischen und/oder empirischen For- Leerzeichen nicht unter- und 40.000 Zeichen inkl. Leer-
schung bieten, eine Verknüpfung von Theorie und Pra- zeichen nicht überschreiten. Die Manuskriptseiten sol-
xis herstellen sowie den aktuellen Stand der wissen- len im A4-Format, einseitig, anderhalbzeilig mit der
schaftlichen Debatte reflektieren und erweitern. Einge- Schriftart Arial oder Calibri (11 pt) beschrieben und mit
reichte Manuskripte dürfen nicht anderweitig veröffent- ausreichenden Seitenrändern (oben, links, rechts 2,5 cm;
licht sein und bis zum Abschluss der Begutachtung unten 2 cm) versehen sein. Auf der Titelseite sollen der
keinen anderen Stellen zur Veröffentlichung angeboten Titel und der Untertitel des Beitrags, eine kurze Zu-
werden. Die Fachartikel werden in Form des Portable sammenfassung (Abstract, ca. 1.500 Zeichen) sowie
Document Format (pdf) veröffentlicht. Name(n) und Anschrift(en) des Autors/der Autoren
Manuskripte können von Wissenschaftlern, Dozieren- stehen. Zitationen im Text bitte nach Autor-Jahr-Seite-
den und Studierenden eingereicht werden. Ein Gutach- Zitierweise (Harvard-Zitation), im Literaturverzeichnis
terkreis bewertet die Qualität und die Relevanz der nach den Regeln der APA. Verlag und Redaktion haften
Fachartikel. Von Studentinnen und Studenten der Hoch- nicht für Manuskripte, die unverlangt eingereicht wer-
schule Fresenius können geeignete Fachartikel einge- den. Mit der Annahme eines Manuskripts erhält der
reicht werden, die auf der Grundlage von Masterarbei- Herausgeber von den Autorinnen und Autoren alle
ten erstellt und als überdurchschnittlich bewertet wur- Rechte, insbesondere auch das Recht der weiteren Ver-
den. vielfältigung zu gewerblichen Zwecken durch fotome-
Das Journal für korporative Kommunikation bietet chanische oder andere Verfahren.
damit auch einen Einblick in aktuelle Themen der Mas-
terstudiengänge der Hochschule Fresenius und soll die
konsekutive Fortführung von längerfristigen Hoch-
Impressum
Prof. Dr. Jan Rommerskirchen
schulprojekten ermöglichen. Studierenden und Interes-
Hochschule Fresenius
sierten werden somit Forschungsthemen nähergebracht,
Platz der Ideen 2
Dozierende und Forschende der Hochschule Fresenius
D – 40476 Düsseldorf
wird der interdisziplinäre und interregionale Austausch
E-Mail: info@journal-kk.de
ermöglicht. Zum Gutachterkreis und wissenschaftlichen
Beirat gehören:
Dr. Christoph Caesar
Prof. Dr. Jan-Dirk Kemming
Dr. Kerstin Kipper
Prof. Dr. Thomas Levermann
Prof. Dr. Jan Rommerskirchen (Herausgeber)
Dr. Michael Roslon
Prof. Dr. Verena Wölkhammer

journal-kk.de 1
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Tecla Huth:
Fridays for Future – Entstehung einer supranationalen euro-
päischen Öffentlichkeit?

Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Fridays For Future-Bewegung zu einer
idealen pan-europäischen Öffentlichkeit beiträgt. Diese Fragestellung ist sowohl für die Wissenschaft als auch
für die praktische europäische Politik relevant. Seit vielen Jahren wird nämlich ein Legitimitäts- und Demokra-
tiedefizit der EU beklagt, das vor allen Dingen auf das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit zurückgeführt
wird.

Grundsätzlich lassen sich zwei Formen europäischer Grenzen hinweg einen öffentlichen
Öffentlichkeit unterscheiden. Mit der ersten europapolitischen Diskurs anzuregen; der EU wird
Öffentlichkeitsform ist eine einheitliche, wieder mehr Bedeutung zugesprochen. Aus
supranationale europäische Öffentlichkeit gemeint. demokratie-theoretischer Sicht ist die junge
Grundvoraussetzung für die Entstehung dieser pan- Klimabewegung somit höchst relevant, da sie die
europäischen Öffentlichkeit ist eine kollektive Frage nach der Gültigkeit des viel beklagten
geteilte Identität, ein pan-europäisches Bewusstsein. Legitimitäts- und Demokratiedefizit der EU aufwirft.
Das zweite – weitergefasste – Öffentlichkeitskonzept
versteht europäische Öffentlichkeit im Sinne einer Einleitung und Fragestellung
Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten, die Fridays for Future oder kurz: FFF – so nennt sich
durch steigende Aufmerksamkeit und Synchronität die Schüler- und Studierendenbewegung, die sich
europäischer Themen in den nationalen Diskursen europaweit für mehr Klimaschutz einsetzt. Seit dem
entsteht. Sommer vergangen Jahres versammeln sich die
Der aktuelle Forschungsstand zeigt, dass ein jungen Menschen freitags während der Unterrichts-
europaweiter Kommunikationsraum gegenwärtig zeit auf den Straßen der europäischen Städte1 um
lediglich im Sinne einer Europäisierung nationaler eine schnellere Klimawende zu fordern. Nach dem
Öffentlichkeiten ausgeprägt ist. Die Herausbildung Vorbild der schwedischen Schülerin Greta Thunberg
einer pan-europäischen Öffentlichkeit, die durch demonstrieren die Schüler und Studierenden in ganz
kollektive europäische Identität entsteht, ist bislang Europa mit einer ‚Leidenschaft’, die man wohl seit
kaum nachweisbar. Mit den Fridays For Future- der 1968er Revolution nicht mehr kennt. Wurde
Klimaprotesten ergeben sich nun aber erste Hinweise doch seit Jahren eine „Politikverdrossenheit“ der
für die Existenz einer solchen supranationalen jungen Menschen in Europa beklagt, so interessiert
europäischen Öffentlichkeit. Das gemeinsame sich die jüngere Generation (endlich!) wieder für
europaweite Anliegen der Protestierenden löst eine Politik – und dies, über die nationalstaatlichen Gren-
starke europaweite Solidarisierung aus, die zu einer zen hinweg. Mit ihren Anliegen und Protesten betei-
pan-europäischen Identitätsbildung führt. Auch die ligen sich die jungen Menschen de facto an dem
nationalen Medien betrachten die Proteste nicht wie politischen EU-Entscheidungsprozess, ‚Europa’ wird
bisher durch die „nationale Brille“, vielmehr werden mehr Bedeutung zugesprochen. Auch die hohe Teil-
die medialen Diskurse in den unterschiedlichen EU- nahme der Erstwähler an der im Mai 2019 stattfin-
Ländern europäisch geführt, was das europäische denden Europawahl wäre ohne den Erfolg der FFF-
Kollektivbewusstsein ebenfalls fördert.
In dem vorliegenden Beitrag wird die These
vertreten, dass Fridays For Future als
1
Auch außerhalb Europas – wie z.B. in Australien,
Japan oder Mexico – nehmen viele junge Menschen
‚Geburtsstunde’ einer pan-europäischen
an den FFF-Demonstrationen teil. Für den Zweck
Öffentlichkeit gesehen werden kann. Studierende dieses Beitrags wird sich aber auf den europäischen
und Schüler gehen auf die Straßen, um über die Raum konzentriert.

2 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Demonstrationen nicht zustande gekommen, so der politischen Themen äußern“ (Gerhards 1998: 694).
allgemeine Konsens in Politik und Wissenschaft Mit „europäischer Öffentlichkeit“ ist also ein europä-
(Bukow 2019; The Economist 2019). Europaweit ischer Kommunikationsraum gemeint, in dem euro-
schenken die Medien den Klimaprotesten eine hohe päische Themen im öffentlichen Diskurs themati-
Aufmerksamkeit. Zudem stellen sich viele Wissen- siert, wahrgenommen und diskutiert werden (Brüg-
schaftler und Eltern an die Seite der Jugendlichen, gemann 2008: 42).
um die Forderungen der jungen Klimabewegung zu Wie soll eine Öffentlichkeit auf europäischer Ebene
unterstützen. aber konkret aussehen? Wie kann eine „Vermitt-
Mit der FFF-Bewegung scheint sich eine wirkliche lungsinstanz“ (Brüggemann 2008: 33) zwischen
pan-europäische Öffentlichkeit zu etablieren. In europäischem politischen Mehrebenen-System und
welchem Ausmaß die europaweiten Klimaproteste europäischen Bürgern existieren, wenn zum einen
aber genau zur einer idealen „pan-europäischen die politischen EU-Akteure in Brüssel als weit weg
Öffentlichkeit“ beitragen – das ist die Frage des und abstrakt erscheinen, zum anderen das EU-
vorliegenden Beitrags. Diese Fragestellung ist so- Publikum aus unterschiedlichen nationalen Teil-
wohl für die Wissenschaft als auch für die praktische Publiken besteht? Und welche Kriterien muss eine
europäische Politik relevant. Öffentlichkeit ist ein europäische Öffentlichkeit erfüllen, um überhaupt
zentrales Konzept der Demokratietheorie: Die Her- bestehen zu können? Diese Fragen sind in der Wis-
ausbildung demokratischer politischer Systeme ist senschaft immer wieder Gegenstand einer breiten
eng verbunden mit der Schaffung einer Öffentlich- Diskussion.
keit im Sinne einer „Vermittlerin zwischen Gesell- Grundsätzlich lassen sich zwei Formen europäi-
schaft und Politik, die die „klaffende Lücke zwi- scher Öffentlichkeit unterscheiden. Diese unter-
schen Herrschenden und eigentlichen Herrschafts- schiedlichen Modelle basieren auf unterschiedlichen
subjekten verkleinert“ (Brüggemann 2008:46). Auf normativen Konzeptionen europäischer Öffentlich-
EU-Ebene wird eine europäische Öffentlichkeit also keit, die wiederum aus verschiedenen Demokra-
gebraucht, um die Kluft zwischen EU-Institutionen tiemodellen resultieren.
und EU-Bürgern zu verringern und damit die EU- Mit der ersten Öffentlichkeitsform, die von der
Legitimität zu stärken, so der allgemeine Konsens. Theorieschule der „Partikularisten der Nationalen“
Seit den 1990er Jahren herrscht unter Politikern und (Kantner 2004: 93), insbesondere von dem deutschen
Wissenschaftlern aber eine breite Debatte über die Verfassungsrechtler Grimm, vertreten wird, ist eine
Frage nach der Existenz einer solchen europäischen einheitliche, supranationale europäische Öffentlich-
Öffentlichkeit – und damit verbunden auch über die keit gemeint, die die nationalstaatlichen Öffentlich-
Frage nach der „Demokratisierbarkeit“ der EU. keiten überlagert. Dieses Öffentlichkeitskonzept
beruht auf dem republikanischen Öffentlichkeitsver-
Europäische Öffentlichkeit – ständnis (eine gute Zusammenfassung dieses repub-
Begriffsklärung likanischen Konzepts liefert Kantner 2004: 33-42),
Im Rahmen des vorliegenden Beitrags wird Öffent- das davon ausgeht, dass eine Öffentlichkeit erst im
lichkeit als „intermediäres System“ Rahmen des Nationalstaats entstehen kann. Ein ge-
(Gerhards/Neidhardt 1990: 12) zwischen dem politi- meinsamer Debatten- und Kommunikationsraum
schen System und den Bürgern verstanden. Dieses wird demnach durch die aus dem Nationalstaat resul-
intermediäre System wird im Sinne eines „Kommu- tierenden kulturellen Gemeinsamkeiten zusammen-
nikationsnetzwerks“ (Habermas 1998) oder „Kom- gehalten: Eine Öffentlichkeit entsteht durch die kol-
munikationsforums“ (Neidhardt 1994) verstanden. lektive Identität des Volkes. Für Grimm ist das
Öffentlichkeit ist ein „Kommunikationsforum für „Demos“ die Kernvoraussetzung für die „demokrati-
alle, die etwas sagen, oder das, was andere sagen, sche Substanz“ (Grimm 1995: 37ff) und, damit ver-
hören wollen“ (Neidhardt 1994: 7). Gerhards spezi- bunden, für die Herausbildung einer Öffentlichkeit.
fiziert: „Öffentlichkeit besteht aus einer Vielzahl von Eine vorpolitische geteilte europäische Identität ist
Kommunikationsforen, deren Zugang prinzipiell somit eine Grundvoraussetzung für die Entstehung
offen ist [...] und in denen sich individuelle und eines solchen pan-europäischen Kommunikations-
kollektive Akteure vor einem breiten Publikum zu raums.

journal-kk.de 3
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Diesem ersten, nationalstaatlich idealisierten Öffent- kationsnetz einer europaweiten politischen Öffent-
lichkeitskonzept steht eine zweite Definition europä- lichkeit“ (Habermas 1996: 183). Sobald sich die
ischer Öffentlichkeit gegenüber. Dieses Öffentlich- zivilgesellschaftlichen Akteure über die Grenzen
keitsverständnis basiert auf dem normativen diskurs- hinaus an dem politischen Kommunikationsprozess
theoretischen Demokratiemodell und wird insbeson- beteiligen, entsteht eine „europäisierte“ Öffentlich-
dere von dem Philosophen Habermas propagiert. Ein keit (Habermas 1998 [1992]: 443-450; Kantner
wesentliches Kennzeichen dieses Konzepts ist der 2004: 100).
öffentliche Diskurs, die öffentliche politische Kom- Innerhalb dieses zweiten Öffentlichkeitsverständ-
munikation. Nach dieser Theorieschule entsteht ein nisses besteht überdies eine Debatte über die Defini-
öffentlicher Raum vornehmlich über „kommunikati- tion von „Europäisierung“ und insbesondere darüber,
ves Handeln“ (Habermas 1981; Habermas 1990 wie Europäisierung messbar gemacht werden soll.
[1962]; Habermas 2001b). Es ist dieses „Miteinan- Im Kern lassen sich zwei unterschiedliche Erklä-
der-Reden“ (Ottmann 2006: 316), dass eine Gesell- rungsansätze unterscheiden.
schaft zusammenhält und es ermöglicht, „mehr oder Zum einen verstehen Eder und Kantner unter der
weniger spontane Meinungsbildungsprozesse“ (Kö- Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten einen
nig 2012: 21f) zu bilden. Sprecher in öffentlichen Kommunikationsraum, in dem „zur gleichen Zeit die
Diskursen „sollen voneinander lernen und sich ar- gleichen europäischen Themen unter den gleichen
gumentativ annähern“ (Latzer/Saurwein 2006: 14); Relevanzgesichtspunkten“ diskutiert werden
aus diesen Diskussionen gehen dann politische Ent- (Eder/Kantner 2000: 306). Diese Operationalisierung
scheidungen hervor (Ottmann 2006: 316). Nur durch leitet sich direkt aus der Grundannahme ab, dass die
öffentliche politische Kommunikation kann die Teil- öffentliche politische Kommunikation nicht an die
nahme an dem politischen Prozess gewährleistet „kulturell oder sprachlich zu bestimmenden „logi-
sein, so die Grundannahme dieser Theorieschule sche[n] Räume des Begründens“ gebunden ist, son-
(Habermas 1990 [1962]; Habermas 1996). dern dann entsteht, „sobald Sprecher sich miteinan-
Die Herausbildung eines europäischen Debatten- der über etwas in der Welt streiten – über wie frag-
und Kommunikationsraums ist also trotz segmentier- mentierte mediale Formen dies auch immer vermit-
ten Publikums, Sprachenvielfalt und heterogener telt wird“ (Kantner 2004: 190). Mit „gleichen Rele-
Medienlandschaft möglich (Kantner 2004: 163). vanzgesichtspunkten“ sind „keine in einer europäi-
Europäische Öffentlichkeit ist folglich nicht als sup- schen kollektiven Identität gründende „europäische“
ranationales pan-europäisches Kommunikationsfo- Perspektive, sondern übereinstimmende Problembe-
rum zu denken, sondern als „Europäisierung der deutungen“ gemeint (Kantner 2004: 58). Kern dieses
jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten“ (Gerhards Konzeptes ist die „thematische Verschränkung“
1993: 100) zu verstehen. Habermas spezifiziert: Die (Kantner 2006: 146) der nationalen Öffentlichkeiten,
europäische Öffentlichkeit ist nicht „als die projekti- die dann gegeben ist, wenn über die nationalen
ve Vergrößerung einer solchen innerstaatlichen Öf- Grenzen hinweg zur gleichen Zeit die gleichen De-
fentlichkeit vor[zu]stellen. Sie kann nur so entstehen, batten oder Ereignisse in der nationalen Berichter-
dass sich die intakt bleibenden Kommunikations- stattung thematisiert werden. Je mehr europäische
kreisläufe der nationalen Arenen für einander öff- Themen auf den Agenden der nationalen Öffentlich-
nen“ (Habermas 2001: 120). keiten stehen und je mehr Ähnlichkeit diese Dis-
Im Gegensatz zu dem ersten Öffentlichkeitsver- kurskonstellationen, die in der Literatur auch als
ständnis wird in diesem Modell also nicht die vorpo- Frames bezeichnet werden (vgl. u.a. Kleinen-von
litische geteilte Identität des Demos, sondern der Königslöw 2010; Löblich 2011), aufweisen, desto
öffentliche politische Kommunikationsprozess ins europäisierter sind die nationalen Kommunikations-
Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt (für eine um- räume. Risse und van de Steeg greifen diesen Erklä-
fassende Darstellung dieses Konzepts vgl. Peters rungsansatz auf, setzen dabei aber nicht den Schwer-
1994; Habermas 1998 [1992]; Kantner 2004: 34-53). punkt auf die gemeinsamen Frames, sondern legen
„Die richtige Analogie liegt auf der Hand: der nächs- den Bezug der Kommunikation zwischen den Spre-
te Integrationsschub zur postnationalen Vergesell- chern in den Mittelpunkt. Für die Forscher entsteht
schaftung hängt nicht vom Substrat irgendeines bereits dann eine europäisierte Öffentlichkeit, wenn
‚europäischen Volkes‘ ab, sondern vom Kommuni- sich die Sprecher über die nationalen Grenzen hin-

4 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

weg aufeinander beziehen – es bedarf keiner ge- hingegen entsteht das Identitätsgefüge eines Demos
meinsamen Problemdeutungen: „It follows that a der politischen Selbstbestimmung erst als Resultat
European public sphere constitutes a social construc- einer verfestigten demokratischen Praxis“ (Trenz
tion in the strict sense of the word. It does not pre- 2004: 12). Die erste Form europäischer Öffentlich-
exist outside social and political discourse practices keit wird aufgrund ihres eher engen Öffentlichkeits-
creating […] a transnational community of commu- verständnisses von einigen Autoren auch als „strong
nication over issues that concern ‚us as European‘s form“ (Schulz-Forberg/Strath 2010: 61), oder „Un-
rather than British, French, Germans, or Dutch“ möglichkeitshypothese“ (Brüggemann 2008: 58),
(Risse/van de Steeg 2003: 2). bezeichnet. Das weitergefasste Öffentlichkeitskon-
Zum anderen schlagen Koopmans und Erbe vor, zept der „europäisierten“ Öffentlichkeit wird in der
den kommunikativen Austauschprozess zwischen Forschung demgegenüber mit Begriffen wie „soft
Sprechern als Indikator für die Entstehung eines form“ (Schulz-Forberg/Strath 2010: 61), „Light-
europäisierten Kommunikationsraums zu nehmen Version“ (Liebert/Trenz 2010: 7) oder „Möglich-
(Koopmans/Erbe 2004). Unter Europäisierung natio- keitshypothese“ (Brüggemann 2008: 59) gleichge-
naler Öffentlichkeiten verstehen die Autoren dem- setzt.
nach eine Verflechtung oder Vernetzung der nationa- Dennoch sind beide Modelle nicht als Modelle zu
len Öffentlichkeiten (Tobler 2010: 72). Koopmans verstehen, die sich gegenseitig ausschließen. Europä-
und Erbe unterscheiden dabei zwei Formen der Eu- isierung von nationalen Öffentlichkeiten bedingt die
ropäisierung: die vertikale Europäisierung im Sinne Entwicklung eines supranationalen europäischen
einer Zunahme der Interaktion zwischen EU-Ebene Debatten- und Kommunikationsraums. „Mit wach-
und nationalstaatlicher Ebene (z.B. wenn EU- senden Europäisierungsgraden der nationalen Öffent-
Akteure in der nationalen Berichterstattung zitiert lichkeiten nähert man sich an das Ideal einer länder-
werden oder in nationale Debatten eingreifen) sowie übergreifenden supranationalen Öffentlichkeit“, so
die horizontale Europäisierung als steigende Auf- Neidhardt (Neidhardt 2006: 54).
merksamkeit für die europäische Debatte zwischen
den Mitgliedsstaaten (z.B. wenn Medien aus einem Forschungsstand zur Existzenz europäi-
EU-Mitgliedstaat über ein anderes EU-Land berich- scher Öffentlichkeit
ten) (Koopmans/Erbe 2004: 101). Eine Europäisie- Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die Existenz einer
rung der nationalen Öffentlichkeiten ist dann er- supranationalen Form europäischer Öffentlichkeit
reicht, wenn sich die jeweiligen nationalen Kommu- empirisch kaum nachweisbar. Da es auf europäischer
nikationsräume wechselseitig „durchdringen, über- Ebene bislang keine gemeinsam geteilte kollektive
lappen oder verschränken“ (Tobler 2010: 72). Für Identität gibt, wird von den „Partikularisten des
die Autoren sind es diese Nationalen“ in Frage gestellt, dass die EU als politi-
Kommunikationsverknüpfungen zwischen den verti- sches System überhaupt die Form von paneuropäi-
kalen und horizontalen Ebenen, diese „communicati- scher Öffentlichkeit hervorbringen kann (Grimm
ve linkages“ (Koopmans/Erbe 2004: 103), die als 1995; Kielmansegg 1996; Schlesinger 1999). Unbe-
Faktoren für die stritten ist zudem, dass pan-europäische Medien zum
Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten herange- gegenwärtigen Zeitpunkt zwar existieren, aber bisher
zogen werden müssen. Die Forscher gehen dabei nur in dem Maße, dass sie in der Lage sind, eine
davon aus, dass sich der Europäisierungsprozess supranationale Experten- oder „Elitenöffentlichkeit“
entlang unterschiedlicher Europäisierungsgrade (Thomaß 2006: 320; Wimmel 2006: 47;
erstreckt. Brüggemann 2008: 59f) zu bilden. Transnationale,
Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die meist englischsprachige Medien richten sich entwe-
Öffentlichkeitsforschung gegenwärtig zwei Modelle der an ein „Policy-Zirkel“ (Brüggemann 2008: 34) in
europäischer Öffentlichkeit unterscheidet, die das Brüssel oder, wie beispielsweise die Financial Times
Ergebnis zweier unterschiedlicher demokratietheore- Europe, an politische „Eliten“ außerhalb von Brüs-
tischer Grundpositionen sind: „Für die einen gilt die sel, die sich bereits für EU Politik interessieren und
über kollektive Identität integrierte Bürgerschaft als sich aktiv über sie informieren. Supranationale Fern-
unabdingbare Voraussetzung dafür, in eine demokra- sehsender wie Euronews spielen europaweit nur eine
tische Praxis einsteigen zu können. Für die anderen

journal-kk.de 5
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

marginale Rolle. Generell erscheint das Angebot tenz hat, die Aufmerksamkeit zur europäischen Ebe-
supranationaler Medien angesichts heterogener Me- ne stark ausgeprägt ist: „We found that actors from
diennutzung als unrealistisch. „Die Zuschauer sind the European polity level were highly visible partici-
[...] im Hinblick auf ihre Sehgewohnheiten, ihre pants in public debates in those issue fields where
kulturell geprägten Wünsche, und vor allem im Hin- the European Union has gained strong supranational
blick auf ihre Sprachkompetenz zu heterogen, als competencies – monetary politics, agriculture, and
daß ein homogenes Programm die Nachfragepräfe- European integration“ (Koopmanns/Erbe/Meyer
renzen befriedigen könnte“ (Gerhards 1993: 102). 2010: 93). Andere ländervergleichende Studien zei-
Auch die Berichterstattung in den unterschiedlichen gen, dass die EU-Themen in den nationalen Diskur-
EU-Ländern bleibt national geprägt. Und da die sen nicht nur ansteigen, sondern auch dass eine De-
europäischen Themen in den jeweiligen nationalen batte über bestimmte europäische Ereignisse und
Öffentlichkeiten nicht aus einer gemeinsamen euro- Themen zunehmend über die nationalen Grenzen
päischen Sichtweise thematisiert und diskutiert wer- hinweg erfolgt. Ob es sich um Themen wie die Mig-
den, kann auch kein genuiner europäischer Kommu- rationspolitik (Eder/Hellmann/Trenz 1998), den
nikationsraum entstehen. Peters et al. spezifizieren: Korruptionsskandal der Santer-Kommission (Meyer
„If two groups of people deliberate in separate rooms 1999; Trenz 2000; Meyer 2001), die Haider-Debatte
on the same questions, they do not constitute a (Risse 2002; Risse/van de Steeg 2003), die Ost-
common public sphere. [...] A growing attention to Erweiterung (Eder/Kantner 2000; Steeg 2002), die
EU affairs and a convergence of national public Debatte zum EU-Beitritt der Türkei (Wimmel 2006),
discourses, a growing similarity of agendas and die Diskussion um die europäische Währungs- und
discussion frames alone is not enough. A search for Finanzpolitik (Koopmans 2015) sowie die humanitä-
common solutions on the European level requires the re und militärische Intervention europäischer Staaten
adoption of some kind of European perspective, handelt (Kantner 2015; Kantner 2016): Alle Studien
instead of merely national ones“ (Peters et al. 2005: kommen zu dem Ergebnis, dass in den nationalen
152). Grimm formuliert es so: „A Europeanised medialen Diskursen zur gleichen Zeit über die glei-
communication system ought not to be confused chen europäischen Themen debattiert wird. Eine
with increased reporting on European topics in na- Europäisierung im Sinne einer ‚Vernetzung‘ der
tional media. These are directed at a national public nationalen Diskurse findet, so die empirische ‚Bi-
and remain attached to national viewpoints and lanz‘, in Ansätzen also bereits statt.
communication habits. They cannot, accordingly, Zusammenfassend lässt sich somit sagen, dass die
create any European public nor establish any Euro- Herausbildung einer pan-europäischen Öffentlichkeit
pean discourse“ (Grimm 1995: 294f). nach dem eher engen Öffentlichkeitsverständnis der
Die erste Form europäischer Öffentlichkeit ist bis- „Partikularisten des Nationalen“ gegenwärtig empi-
lang also nicht nachweisbar. Stattdessen kommen risch kaum nachweisbar ist – allenfalls in Form einer
viele Studien zu dem Schluss, dass eine europäische europäischen Eliten-Öffentlichkeit. Demgegenüber
Öffentlichkeit in Form einer Europäisierung nationa- zeigen zahlreiche Studien, dass ein europaweiter
ler Öffentlichkeiten existiert. Koopmans und Kommunikations- und Debattenraum im Sinne einer
Statham belegen beispielsweise in ihrem 2010 veröf- Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten – durch
fentlichten Band „The Making of a European Public steigende Aufmerksamkeit und Synchronität europä-
Sphere“ (Koopmanns/Erbe/Meyer 2010), in dem sie ischer Themen in den nationalen Diskursen –
die nationale deutsche Presse von 1990 bis 2002 durchaus ausgeprägt ist.
untersuchen, dass die Sichtbarkeit der europäischen
Politik in dem medialen deutschen Diskurs stark Welche Form europäischer Öffentlichkeit
zugenommen hat (Koopmanns/Erbe/Meyer 2010). schafft die Fridays for Future-Bewegung?
Diese Beobachtung wird von weiteren Studien be- Welche Form europäischer Öffentlichkeit entsteht
stärkt (vgl. u.a Trenz 2004; EUROPUB 2005; Peters nun durch die europaweite Bewegung der FFF?
et al. 2005; Brüggemann/Sifft/Peters 2006; Koop- Lässt sich der bisherige Forschungsstand bestätigen,
manns/Erbe/Meyer 2010; Grande/Kriesi 2015; Ko- dass die europäische Öffentlichkeit lediglich im
opmans 2015). Die Forscher beobachten dabei, dass Sinne einer Europäisierung der nationalen Öffent-
insbesondere bei den Themen, in der die EU Kompe-

6 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

lichkeiten existiert oder ergeben sich neue Hinweise len Kommunikationsräume ‚verschmelzen’ in einem
für die Existenz einer eigenständigen, die national- europäischen Interaktionsraum.
staatlichen Öffentlichkeiten überlagernden europäi- Die FFF-Bewegung, die von den Medien an die
schen Öffentlichkeit? Öffentlichkeit gebracht werden, richten sich zudem
Um diese Frage zu beantworten, wird sich in die- nicht nur an eine „Elitenöffentlichkeit“, sondern an
sem Beitrag zunächst auf die Aufmerksamkeit der ein breites Publikum bestehend aus Bürgerinnen und
Medien konzentriert. Massenmedien haben eine Bürgern, die sich nicht zwangsläufig aktiv für euro-
zentrale Rolle für die Herausbildung einer europäi- päische Politik interessieren. So berichten nicht nur
schen Öffentlichkeit. Nur wenn die Medien Themen die Qualitätspresse, sondern auch die Boulevardzeit-
und Probleme in das europäische öffentliche Be- schriften wie die deutsche Bild-Zeitung (vgl. z.B.
wusstsein bringen, kann überhaupt ein europäischer Bild 2019) oder die britische The Sun (vgl. z.B.
Debatten- und Kommunikationsraum entstehen. Knox 2019) über den Klima-Protest der Jugend.
Wirft man einen Blick auf die Berichterstattung in Demnach richtet sich FFF also nicht nur an eine
den unterschiedlichen EU-Ländern, so lässt sich (Themen)- ‚Elite’: Auch ‚fachfremde’ Bürger neh-
Folgendes klar beobachten: FFF ist ein Ereignis, das men die Proteste wahr – und können am politischen
über die nationalen Grenzen hinweg eine große Diskurs teilnehmen. Es scheint sich somit eine euro-
Aufmerksamkeit der nationalen Medien genießt. Im päische Öffentlichkeit zu entwickeln, die allen Bür-
Zeitraum zwischen März und Juni 2019 beispiels- gen offensteht. Zudem befinden sich auch unter den
weise lassen sich eine hohe Anzahl an Artikeln in jungen Klimaaktivisten viele Schüler und Studieren-
der europäischen Presse finden. Die Proteste der de, die sich eingangs nicht unbedingt für die EU-
jungen „Aktivisten“ konstituieren europaweit ein Klimapolitik interessierten und erst mit der öffentli-
zentrales Thema in den nationalen Medienöffent- chen Auseinandersetzung des EU-Themas Hand-
lichkeiten und werden parallel geführt: Wirft man lungsdruck bei den europäischen politischen Ent-
z.B. einen Blick auf die Berichterstattung der Quali- scheidern ausüben (Hänel, 2019). Die Teilhabe an
tätszeitungen in den unterschiedlichen EU-Ländern, der Mitgestaltung der EU-Klimapolitik wird somit
so lässt sich eine ‚synchrone’ Berichterstattung be- für eine breite Öffentlichkeit gewährleistet.
obachten (u.a. in Deutschland (Süddeutsche Zeitung Unbestreitbar ist also, dass durch die FFF-
und Frankfurter Allgemeine Zeitung), Frankreich (Le Bewegung die zweite Öffentlichkeitsdefinition in
Monde und Libération), Belgien (Le Soir und La Form einer stark ausgeprägten Europäisierung natio-
Libre Belgique), Spanien (El Pais) und Italien (Cor- naler Öffentlichkeiten gegeben ist. Aber existieren
riere della Sera)2. Kollektive Meinungsbildungspro- darüber hinaus auch Hinweise für das erste Öffent-
zesse entstehen somit, da es den europäischen Bür- lichkeitskonzept im Sinne eines einheitlichen supra-
gern möglich ist, über die Grenzen hinweg, „zur nationalen Kommunikationsraums Europa?
gleichen Zeit, zu dem gleichen Thema von gleicher Das wesentliche Kriterium, das für das Entstehen
Relevanz“ (vgl. Kapitel 2) Stellung zu nehmen. dieser idealen pan-europäischen Öffentlichkeit erfüllt
Auch lässt sich eine „horizontale Verschränkung“ werden muss, ist die Existenz einer europäischen
der Berichterstattung, in der die nationalen Medien Identität, eines europäischen Bewusstseins (vgl.
Bezug auf FFF-Proteste in anderen EU-Ländern Kapitel 2). Durch die Prävalenz eines europäischen
nehmen, feststellen. So berichtet das französische Gemeinschaftsgefühls in den nationalen Diskursen
politische Wochenmagazin Le Point z.B. über FFF- soll sich eine geteilte europäische Identität heraus-
Proteste in Deutschland (vgl. Hugues 2019), der bilden, die – idealerweise – in einer Solidaritätsge-
deutsche Spiegel Online thematisiert die Lehrer- meinschaft, einer „Solidarität unter Fremden“ (Risse
Unterstützung der Klimabewegung in Frankreich 2013), endet, so der theoretische Ausgangspunkt.
(vgl. Göbel 2019). Eine wechselseitige ‚Öffnung’ der Risse und van de Steeg fassen es wie folgt zusam-
nationalen Diskursräume existiert somit; die nationa- men: „It follows that a European public sphere con-
stitutes [...] a common horizon of reference and, at
2
the same time, a transnational community of com-
Anlässlich der FFF-Demonstrationen am 15.
munication over issues that concern ‚us as Europe-
März 2019 haben diese Zeitungen zum gleichen
Zeitpunkt berichtet. ans’ rather than British, French, Germans, or Dutch“
(Risse/van de Steeg 2003: 2). Konkret muss es sich

journal-kk.de 7
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

also um einen transnationalen Debatten- und Kom- diese transnational-europäisch geführte Medienbe-
munikationsraum handeln, der in eine europäische richterstattung wird ein europäischer Handlungs-
kollektive Identität mündet. Nur wenn es ein europä- bzw. Sinnbezug thematisiert, der ein europäisches
isches Kollektivbewusstsein gibt, kann eine suprana- Kollektivbewusstsein schafft und so gesehen die
tionale europäische Öffentlichkeit existieren, in der Weichen für eine europäische Identitätsbildung stellt.
jeder Einzelne eine ausreichende Motivation hat, am Die Frage, ob die FFF-Bewegung zu der idealen
europäischen Diskurs teilzunehmen. Form europäischer Öffentlichkeit im Sinne eines
In Bezug auf die FFF-Bewegung lässt sich die einheitlichen supranationalen Kommunikationsraums
Herausbildung eines europäischen kollektiven Be- führt, kann somit mit ‚ja’ beantwortet werden. Der
wusstseins durchaus beobachten. Die jungen Men- bisherige Forschungsstand, der die europäische Öf-
schen gehen freitags auf die Straßen, um über die fentlichkeit lediglich im Sinne einer Europäisierung
Grenzen hinweg einen öffentlichen europapoliti- der nationalen Öffentlichkeiten nachweist, findet
schen Diskurs anzuregen und fordern von den politi- keine Gültigkeit mehr. Denn mit den FFF-Protesten
schen Entscheidern politisches Handeln. Es ist genau ergeben sich erstmals Hinweise für die Existenz
dieses stak ausgeprägte Bestreben nach einem einer eigenständigen, die nationalstaatlichen Öffent-
schnellen Klimawandel, dass die europäischen Stu- lichkeiten überlagernden europäischen Öffentlich-
dierenden und Schüler zusammenhält und vereint. keit.
Unter den Protestierenden existiert ein ernsthaftes
Anliegen. Dieser gemeinsame Protest löst eine starke Fridays for Future als Lösung zum EU-
europaweite Solidarisierung aus, die letztlich zu Demokratiedefizit?
einer europäischen Identitätsbildung führt. Aus demokratietheoretischer Sicht hat die FFF-
Auch tragen die Medien durch ihre europäisch Bewegung weitreichende Folgen. Das viel beklagte
geprägten Diskurse zur Stärkung eines europäischen Legitimitäts- und Demokratiedefizit der EU wird in
Bewusstseins bei. Denn es lässt sich feststellen, dass Wissenschaft und Politik hauptsächlich auf das Feh-
die FFF-Proteste von den Medien nicht wie bisher – len einer europäischen Öffentlichkeit zurückgeführt
so wie es z.B. hinsichtlich der EU-Finanz- und Wirt- (Strohmeier 2007: 24). Ein europäischer Debatten-
schaftskrise zu beobachten war3 – durch die „natio- raum wird gebraucht, um die Kluft zwischen EU-
nale Brille“ betrachtet werden. Vielmehr handelt es Institutionen und EU-Bürgern zu verringern und
sich bei der FFF-Berichterstattung um europäisch damit die EU-Legitimität zu stärken, so der allge-
geführte Diskurse, in denen ein pan-europäisches meine Konsens.
Problembewusstsein vermittelt wird. Die nationalen Mit den FFF-Protesten scheint – so die empirischen
Medien nehmen einen wirklich europäischen Blick- Hinweise – ein eigenständiger, supranationaler
winkel ein, ohne dass wir als Bürger „gefangen Kommunikationsraum erstmals erfolgreich etabliert.
[bleiben] in nationalen Filterblasen, in denen wir Durch die europäisch geführten Diskurse entsteht
europäische Themen [...] aus nationaler Sicht, mit über die nationalen Grenzen hinweg ein europäisches
nationalen Akteuren und Interessen aufarbeiten und Kollektivbewusstsein, das eine geteilte europäische
konsumieren“ (Wilkens/Rhomberg: 2017: 2). Durch Identität gewährleistet. Diese Erkenntnis bzw.
‚Trendwende’ ist sowohl für die Wissenschaft als
3
auch für die praktische europäische Politik höchst
Die Diskurse wurden rein national geführt. Der
relevant, da sie die Frage nach der Gültigkeit des viel
Tagespiegel kam folgerichtig zu folgendem Schluss:
beklagten Legitimitäts- und Demokratiedefizit der
„Da ist es kein Wunder, dass die Deutschen ein ganz
EU aufwirft.
anderes Bild von der Schuldenkrise haben als Grie-
Europa und den EU-Institutionen wird bei den
chen oder Franzosen. Und so verhindern nicht nur
jungen Menschen wieder mehr Bedeutung zugespro-
ganz konträre Ansätze eine Lösung der Krise, son-
chen. Während seit der letzten Direktwahl zum Eu-
dern vor allem die Unfähigkeit, die Perspektive der
ropäischen Parlament (EP) im Jahre 1979 die Wahl-
anderen Europäer zu verstehen“ (Wil-
beteiligung im EU-Durchschnitt stetig gesunken ist
kens/Rhomberg: 2017).
(und der „Tiefpunkt“ bei der Europawahl 2014 mit
nur knapp über 42% Wahlbeteiligung erreicht wur-

8 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

de), haben sich erstmals seit 20 Jahren wieder über EUROPUB (2005): The Transformation of Political Mobi-
lisation and Communication in European Public
die Hälfte der wahlberechtigten EU-Bürgerinnen und Spheres. Final Report. URL:
Bürger (50,62%) an der Europawahl im Mai 2019 https://wzb.eu/de/forschung/migrationund-
beteiligt (EU-Parlament 2019). Bildeten bei der diversitaet/migration-
integrationtransnationalisier-
Europawahl 2014 die 18- bis 24-Jährigen noch eine ung/projekte/thetransformation-of-political-
wichtige Gruppe der Nicht-Wähler, so war der Anteil mobilisation-and-communication-in-europeanpublic-
der jungen Wähler bei der letzten Europawahl 2019 spheres-europub (02.05.2016).
Gerhards, J. (1993): Westeuropäische Integration und die
sehr hoch. Diese hohe Wahlbeteiligung der jungen
Schwierigkeiten der Entstehung einer europäischen Öf-
Menschen wird in großen Teilen auf den Erfolg und fentlichkeit. Zeitschrift für Soziologie 22(2): 96-110.
der hohen öffentlichen Sichtbarkeit der FFF- Gerhards, J. (1998): Stichwort Öffentlichkeit. In: Jarren,
Bewegung zurückgeführt („Wir machen aus der O./Sarcinelli, U./Saxer, U. (Hrsg): Politische Kommu-
nikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Hand-
Europawahl eine Klimawahl“, so das Motto der buchh mit Lexikonteil. Wiesbaden: Westdeutscher Ver-
Klimaaktivisten im Vorfeld der Europawahl). lag: 694-695.
Es scheint also, dass die Legitimität der EU und der Gerhards, J./Neidhardt, F. (1990): Strukturen und Funktio-
EU-Institutionen durch die FFF-Bewegung gestiegen nen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und An-
sätze. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.
ist. Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Veröffentlichungsreihe der Abteilung „Öffentlichkeit
europäischen Politik zur Lösung von Problemen ist und soziale Bewegung“ des Forschungsschwerpunkts
da. Dies ist angesichts der steigenden EU-Skepsis Sozialer Wandel, Institutionen und Vermittlungsprozes-
se (FS III 90-101).
sowie des europaweit aufkommenden Rechtspopu-
Göbel, P. (2019): In Frankreich geben Lehrer ihren Schü-
lismus ein schöner Erfolg für Europa – und für die lern nur noch Bestnoten, um ihren Schulstreik zu unter-
Demokratie. stützen. Bento (Spiegel online). 26.02.2019. (URL:
https://www.bento.de/politik/frankreich-lehrer-geben-
Literaturverzeichnis schuelern-nur-noch-bestnoten-um-sie-bei-einem-
schulstreik-zu-unterstuetzen-a-410697cb-d833-4c6c-
Bild (2019): Sind Klimaschutz-Demos zu radikal? Pro & 8420-cc1a3919b170).
Contra aus dem neuen Politik-Magazin BILD Politik. Grande, E./Kriesi, H. (2015): The restructuring of political
05.07.2019. (URL: conflict in Europe and the politicization of European
https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/fridays- integration. In: Risse, T. (Hrsg.): European Public
for-future-bewegung-sind-klimaschutz-demos-zu- Spheres. Politics is back. Cambridge: Cambridge Uni-
radikal-63091800.bild.html). versity Press.
Brüggemann, M. (2008): Europäische Öffentlichkeit durch Grimm, D. (1995): Does Europe Need a Constitution?
Öffentlichkeitsarbeit? Die Informationspolitik der Euro- European Law Journal 1(3): 282-297.
päischen Kommission. Wiesbaden: Verlag für Sozial- Habermas, J. (1990 [1962]): Strukturwandel der Öffent-
wissenschaften. lichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürger-
Brüggemann, M./Sifft, S./Peters, B. (2006): Segmentierte lichen Gesellschaft. Frankfurt: Suhrkamp.
Europäisierung: Trends und Muster der Transnationali- Habermas, J. (1996): Die Einbeziehung des Anderen.
sierung von Öffentlichkeiten in Europa. In: Langenbu- Studien zur politischen Theorie. Frankfurt: Suhrkamp.
cher, W.R./Latzer,M. (Hrsg.): Europäische Öffentlich-
keit und medialer Wandel. Eine transdisziplinäre Per- Habermas, J. (1998 [1992]): Faktizität und Geltung. Bei-
spektive: 214-231. träge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokrati-
schen Rechtsstaats. Frankfurt: Suhrkamp.
Bukow, S. (2019): Europawahl in Deutschland 2019.
Ergebnisse und Analysen. Böll. Brief - Demokratie und Habermas, J. (2001): Zeit der Übergänge. Kleine politi-
Gesellschaft. Mai 2019. sche Schriften IX. Frankfurt: Suhrkamp.
(https://www.boell.de/sites/default/files/boell.brief_final Hänel, L. (2019): Deutschlands Jugend – politisch wie
_deutsch.pdf). nie? 07.06.2019. Deutsche Welle. (URL:
Eder, K./Hellmann, K.-U./Trenz, H.-J. (1998): Regieren in https://www.dw.com/de/deutschlands-jugend-politisch-
Europa jenseits öffentlicherLegitimation? Eine Untersu- wie-nie/a-49085767).
chung zur Rolle von politischer Öffentlichkeit in Europa. Hugues, P. (2019): Allemagne: école buissonnière ou
In: Kohler-Koch, B. (Hrsg.): Regieren in entgrenzten grève scolaire ? Le mouvement Fridays for Future pour
Räumen. Politische Vierteljahresschrift. Opladen: West- le climat fait débat outre-Rhin. Certains élus veulent
deutscher Verlag: 321-344. punir les écoliers qui sèchent les cours pour manifester.
Eder, K./Kantner, C. (2000): Transnationale Resonanz- Le Point. 08.04.2019 (URL:
strukturen in Europa. Eine Kritik der Rede vom Öffent- https://www.lepoint.fr/europe/allemagne-ecole-
lichkeitsdefizit. In: Bach, M. (Hrsg.): Die Europäisierung buissonniere-ou-greve-scolaire-08-04-2019-
nationaler Gesellschaften. Wiesbaden: Westdeutscher 2306331_2626.php (15.06.2019)
Verlag: 306-331. Kantner, C. (2004): Kein modernes Babel: Kommunikative
EU-Parlament (2019): 2019 European election results. Voraussetzungen europäischer Öffentlichkeit. Wiesba-
08.07.2019. (URL: https://election-results.eu). den: VS Verlag für Sozialwissenschaften

journal-kk.de 9
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Kantner, C. (2006): Die thematische Verschränkung natio- Mühlfeit/Raffel 2019: „Fridays For Future“- Proteste:
naler Öffentlichkeiten in Europa und die Qualität trans- „Gebt uns eine Zukunft“. SWR
nationaler politischer Kommunikation. In: Imhof. URL:https://www.swr.de/swraktuell/Fridays-for-Future-
K./Blum, R./Bonfadelli, H./Jarren, O. (Hrsg.): Demokra- Kundgebungen-in-120-Laendern-Schaeuble-begruesst-
tie in der Mediengesellschaft. Wiesbaden: VS Verlag für weltweite-Klimaproteste,fridays-for-future-160.html
Sozialwissenschaften: 145-160. (01.07.2019)
Kantner, C. (2015): National media as transnational dis- Neidhardt, F. (1994): Öffentlichkeit, öffentliche Meinung,
course arenas: the case of humanitarian military inter- soziale Bewegungen. Opladen: Westdeutscher Verlag
ventions. In: Risse, T. (Hrsg.): European Public Spheres. Ottmann, H. (2006): Liberale, republikanische, deliberati-
Politics is back. Cambridge: Cambridge University ve Demokratie. Synthesis Philosophica (42): 315-325.
Press: 84-107.
Peters, B./Sifft, S./Wimmel, A./Brüggemann, M./Kleinen-
Kantner, C. (2016): War and intervention in the transna- von Königslöw, K. (2005): 7National and transnational
tional public sphere: problem-solving and European public spheres: the case of the EU. European Re-
identity-formation. Abingdon: Routledge. view13(S1): 139.
Kielmansegg, P. (1996): Integration und Demokratie. In: Risse, T. (2002): Zur Debatte um die (Nicht-)Existenz
Jachtenfuchs, M./Kohler-Koch, B.(Hrsg.): Europäische einer europäischen Öffentlichkeit. Was wir wissen, und
Integration. Opladen: Leske+Budrich: 47-71. wie es zu interpretieren ist. Berliner Debatte Initial 13:
Kleinen-von Königslöw, K. (2010): Die Arenen- 15-23.
Integration nationaler Öffentlichkeiten. Der Fall der Risse, T. (2013): Solidarität unter Fremden? Europäische
wiedervereinigten deutschen Öffentlichkeit. Wiesbaden: Identität im Härtetest. Working paper "KFG The Trans-
VS Verlag für Sozialwissenschaften. formative Power of Europe“ 50: 1-21.
Knox, P. (2019): Youth Climate March. Thousands of Risse, T./van de Steeg, M. (2003): An Emerging European
student climate change protesters descend on central Public Sphere? Empirical Evidence and Theoretical
London in record-breaking turnout. Youngsters across Clarifications. Paper presented to the conference on the
the globe are on strike to demand their politicians save "Europeanisation of Public Spheres, Political Mobilisa-
the world from impending environmental catastrophe. tion, Public Communication and the European Union",
The Sun. 24.05.2019. (URL: Science Center Berlin, June 20-22-2003.
ttps://www.thesun.co.uk/news/9145737/fridays-for-
future-climate-change-protesters-110-countries/). Steeg, v. d. (2002): Eine europäische Öffentlichkeit? Die
Diskussion um die Osterweiterung der EU. Berliner De-
Koopmans, R./Erbe, J. (2004): Towards a European Pub- batte Initial 13: 57-66.
lic Sphere? Vertical and Horizontal Dimensions of Eu-
ropeanised Political Communication. Innovation: The Strohmeier, G (2007): Die EU zwischen Legitimität und
European Journal of Social Science Research 17(2): 97- Effektivität. Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ
118. 10/2007): Bundeszentrale für politische Bildung: 24- 30.
Koopmanns, R./Erbe, J./Meyer, M. F. (2010): The Euro- Schlesinger, P. (1999): Changing Spaces of Political
peanization of Public Spheres. Comparisons across Is- Communication: The Case of the European Union. Po-
sues, Time, and Countries. In: Koopmans, R./Statham, litical Communication 16(3): 279.
P. (Hrsg.): The Making of a European Public Sphere Schulz-Forberg, H./Strath, B. (2010): Soft and Strong
Cambridge: Cambridge UniversityPress: 63-96. European Public Spheres. In: Frank, R./Kaelbe,
Koopmans, R. (2015): How advanced is the Europeaniza- H./Lévy, M.-F./Passerini, L. (Hrsg.): Building a Europe-
tion of public spheres? Comparing German and Euro- an Public Sphere: From the 1950s to the Present. Un
pean structures of political communication. In: Risse, T. espace public européen en construction: Des années
(Hrsg.): European Public Spheres. Politics is back. 1950 à nos jours. Bruxelles: P.I.E. Peter Lang 55-76.
Cambridge: Cambridge University Press: 53-83. The Economist (2019): Why European voters are return-
Liebert, U./Trenz, H.-J. (2010): Europeanization of the ing to the polls. Higher stakes and greater choice are
Mass Media: Normative Assessment and Empirical encouraging more people to cast their ballots (URL:
Analysis. Prepared for Panel „The EU and the Member https://www.economist.com/europe/2019/05/29/why-
States”, chaired by Paolo R. Graziano and Maarten P. european-voters-are-returning-to-the-polls (15.06.2019)
Vink. ECPR Fifth Pan- European Conference on EU The New Federalist (2019): European Elections: Young
Politics (Porto), 24-26 June 2010. (URL: People chose Europe! 08.06.2019. (URL:
http://www.jhubc.it/ecpr- https://www.thenewfederalist.eu/european-elections-
porto/virtualpaperroom/113.pdf (05.05.2017)). young-people-chose-europe).
Löblich, M. (2011): Frames in der medienpolitischen Thomaß, B. (2006): Public Service Broadcasting und
Öffentlichkeit. Die Presseberichterstattung über den 12. europäische Öffentlichkeit. In: Langenbucher,
Rundfunkänderungsstaatsvertrag. Publizistik 56(4): W.R./Latzer, M. (Hrsg.): Europäische Öffentlichkeit und
423–439. medialer Wandel: Eine transdisziplinäre Perspektive.
Meyer, C. O. (1999): Political legitimacy and the invisibi- Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften: 318-
lity of politics: Exploring the European Union's commu- 329.
nication deficit. Journal of Common Market Studies 37: Tobler, S. (2010): Transnationalisierung nationaler Öf-
617-639. fentlichkeit. Konfliktinduzierte Kommunikationsverdich-
Meyer, C. O. (2001): Europäische Öffentlichkeit als tungen und kollektive Identitätsbildung in Europa.
Watchdog – Transnationaler Journalismus und der Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Rücktritt der EU-Kommission. Forschungsjournal Neue Trenz, H.-J. (2000): Korruption und politischer Skandal in
Soziale Bewegungen (15): 42-51. der EU. Auf dem Weg zu einer politischen Öffentlich-

10 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

keit? In: Bach, M. (Hrsg.): Die Europäisierung nationa-


ler Gesellschaften. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag:
332-359.
Trenz, H.-J. (2004): Media Coverage on European Gover-
nance. Exploring the European Public Sphere in Na-
tional Quality Newspapers. European Journal of Com-
munication 19(3): 291-319.
Wilkens, A./Rhomberg, M. (2017): Europa braucht einen
europäischen Medienfonds. Der Tagesspiegel (URL:
http://www.tagesspiegel.de/politik/demokratie-
undmedien-europa-braucht-einen-europaeischen-
medienfonds/12079454.html (08.08.2017)).
Wimmel, A. (2006): Transnationale Diskurse in Europa:
Der Streit um den Türkei-Beitritt in Deutschland,
Frankreich und Großbritannien. Frankfurt: Campus
Verlag.

journal-kk.de 11
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Guido Scholl & Mihir Ignatius Navak:


Erlebnis- und Experience Marketing als Konzept der Unter-
nehmenskommunikation – eine Profilierungschance für sta-
tionäre Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe im urbanen
Umfeld

Die aktuell gute Konjunktur und positive Umsatzentwicklung vieler Unternehmen können nicht darüber hinweg-
täuschen, dass stationäre Anbieter insbesondere in den Branchen Handel und Gastronomie einem erheblichen
Wettbewerbs- und Anpassungsdruck unterliegen, der auch Auswirkungen auf die Entwicklung der Städte als
gesellschaftlichem Lebensraum hat. Im Zusammenspiel verschiedener Faktoren bedroht vor allem das anhaltend
starke Wachstum onlinebasierter Vertriebskanäle die Existenz vieler lokaler Anbieter. Hinzu kommt, dass die
Effektivität klassischer Kommunikationsinstrumente unter der zunehmenden Medien- und Reizüberflutung der
Konsumenten leidet. Der vorliegende Beitrag befasst sich daher mit den Möglichkeiten, die Erlebnis- und Expe-
rience Marketing-Konzepte als Ansatz einer kundenzentrierten Unternehmenskommunikation zur Profilierung
stationärer Anbieter geben können. Neben einem kurzen Überblick über typologische Aspekte der Kommunikati-
onsformen und die Wirkungsbasis von Erlebnis- und Experience Marketing-Konzepten werden ihre methodi-
schen Anforderungen sowie einige Anwendungsbeispiele dargestellt und der Wert eines intakten Handels- und
Gastronomiebesatzes auf die Attraktivität von Städten beleuchtet.

Der Einzelhandel in Deutschland, wie auch in ande- Steuerzahler tragen Handel und Gastronomie wiede-
ren Industrieländern, sieht sich seit Jahren mit dyna- rum in erheblichem Maß zum ökonomischen Wohl-
mischen und sehr weitreichenden Veränderungen stand von Städten und Gemeinden bei. Darüber hin-
konfrontiert. Demografischer Wandel und Urbanisie- aus wächst mit zunehmendem Bevölkerungswohl-
rung, Strukturwandel und Digitalisierung, veränder- stand der Beitrag, den diese Branchen zur Freizeit-
tes Konsumentenverhalten und neue Geschäftsmo- und Erlebnisgestaltung der Konsumenten leisten.
delle sind dabei kennzeichnend für Herausforderun- Dies gilt besonders für das Gastronomiegewerbe,
gen, die jedoch nicht nur die ökonomische Zukunft dessen Betriebe als Orte sozialer Begegnung und
des tradierten stationären Handels betreffen, sondern Kommunikation wesentlich zur Strukturierung und
auch Einfluss auf die generelle Entwicklung und Attraktivitätssteigerung urbanen Lebens beitragen
Attraktivität städtischer Lebensräume nehmen (vgl. (vgl. BBSR, 2017, S. 14; DEHOGA, 2017, S. 4 ff.).
Hedde et al., 2019). In ähnlicher Weise, wenngleich Die derzeit gute Konjunkturlage und die stabile bis
mit anderen Gewichtungen, gelten die genannten positive Umsatzentwicklung vieler Einzelhandels-
Herausforderungen und die hieraus resultierenden und Gastronomiebetriebe dürfen indes nicht darüber
ökonomischen und gesellschaftlichen Wechselwir- hinwegtäuschen, dass die genannten Herausforde-
kungen auch für das Gastronomiegewerbe. rungen die Symbiose von Handel, Gastgewerbe und
Denn Stadt, Handel und Gastronomie weisen seit urbanem Raum nachhaltig beeinflussen. Besonders
jeher vielfältige Interdependenzen und Synergien stark wirkt sich dabei das durch Convenience-Trends
auf: als Zentren wirtschaftlicher, sozialer und kultu- und Digitalisierung forcierte Wachstum onlinebasier-
reller Aktivität bilden städtische Räume einen geo- ter Vertriebskanäle aus.
grafischen Fokus, dessen Anziehungskraft wesent-
lich durch die Vielfalt und Qualität der Versorgung
mit Waren und Dienstleistungen geprägt wird. Zu-
gleich bieten Städte den infrastrukturellen Rahmen,
der die wirtschaftliche Entfaltung der ansässigen
Unternehmen erst ermöglicht. Als Arbeitgeber und

12 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Abbildung 1: Umsatzentwicklung des Einzelhandels und des Onlineanteils am Einzelhandel in Deutschland


(eigene Darstellung; vgl. HDE, 2019a, S.8)

Bezieht man die Prognose des Handelsverbands dabei die Lieferung online bestellter und vorab in
Deutschland (HDE) für das Jahr 2019 ein, so ist im den Gastronomiebetrieben zubereiteter Speisen,
deutschen Einzelhandel ein weiterer Anstieg des wobei sich in der Praxis zwei im Hinblick auf die
Onlineanteils auf 10,8% (57,8 Mrd. EUR) zu erwar- Abwicklung des Bestell- und Auslieferungsvorgangs
ten (vgl. HDE, 2019a, S. 6). Damit hat sich die unterscheidbare Varianten (Platform-to-Consumer-
Wachstumsgeschwindigkeit des Onlinehandels zwar Delivery / Restaurant-to-Consumer-Delivery) finden.
auf ein Plus von 8,5% gg. Vorjahr verlangsamt, in Für die Betrachtung der Cityauswirkungen entschei-
Relation zum erwarteten Gesamtwachstum des Ein- dend ist, dass der Verzehr der Speisen und Getränke
zelhandels von 1,9% gg. Vorjahr zeigt sich jedoch durch die Kunden in beiden Varianten nicht vor Ort
eine ungebrochene Stärke des Onlinetrends. In der im Gastronomiebetrieb, sondern zu Hause oder am
branchen- und warengruppenbezogenen Betrachtung Arbeitsplatz stattfindet.
verzeichnen insbesondere die Bereiche Consumer
Electronics / Elektro, Bekleidung / Schuhe / Acces-
soires und Freizeit- / Hobbyartikel hohe (und mit
Raten in der Spannweite von 6 - 10% weiter wach-
sende) Onlineanteile von aktuell rd. 25 - 30% des
Umsatzes (vgl. HDE, 2019a, S. 12). Damit sind vom
Onlinetrend besonders die Branchen betroffen, deren
Betriebe einen wesentlichen Anteil am Branchenmix
der urbanen Handelslandschaft haben und die traditi-
onell als typische Frequenzbringer der Citys fungie-
ren (vgl. HDE, 2019a, S. 12).
Ähnlich stellt sich die Situation im Gastronomiebe-
reich dar: auch hier stellt das Aufkommen zahlrei-
cher Online-Liederdienste, wie z.B. Lieferando,
Deliveroo, Bringbutler, die klassische stationäre
Gastronomie vor neue wettbewerbliche Herausforde-
rungen. Der Begriff Online Food Delivery umfasst

journal-kk.de 13
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Abbildung 2: Umsatzentwicklung und -prognose des onlinebasierten gastronomischen Liefergeschäfts in Deutschland


(eigene Darstellung; vgl. Statista, 2019)

Wenngleich noch auf deutlich niedrigerem Niveau Betriebsaufgaben insbesondere kleinerer ortsansässi-
als im Einzelhandel, weist der Online Food Delivery- ger Unternehmen forcieren. Als Konsequenz ergibt
Markt in Deutschland ebenfalls deutliche Wachs- sich hieraus eine Zunahme der Immobilien-
tumsraten auf. Allein für den Zeitraum 2017 – 2019 Leerstände vor allem in kleineren und Mittelstädten,
(p) wird in diesem Marktsegment mit einem Um- die zu einem weiteren Attraktivitätsverlust der
satzzuwachs von rd. 31% (429 Mio. EUR) auf knapp Standorte führen und damit die Gefahr einer von
1,8 Mrd. EUR gerechnet; weiter reichende Progno- Einzelhandels- und Gastronomieverbänden ange-
sen erwarten einen Umsatzanstieg auf rd. 2,5 Mrd. mahnten ‚Verödung der Innenstädte’ begünstigen
EUR bis zum Jahr 2023 (Statista, 2019). (vgl. BBSR, 2017, S. 14; Waldeck, 2018).
Das Wachstum onlinebasierter Vertriebskanäle ist Die dargestellte Problemlage kann nicht allein
nicht der einzige Faktor mit kritischem Einfluss auf durch einzelbetriebliche Maßnahmen gelöst werden,
die Struktur und Entwicklung der Handels- und vielmehr erfordert dies ein enges und abgestimmtes
Gastronomiebranche. Als weitere Einflußgeber seien Zusammenwirken aller auf politischer, verbandlicher
exemplarisch die anhaltenden Konzentrationstenden- und unternehmerischer Seite beteiligten Akteure.
zen durch Vertikalisierung und Filialisierung im Deutlich ist jedoch, dass es auch auf unternehmeri-
Einzelhandel, das Vordringen der Systemgastrono- scher Basis besonderer Anstrengungen des stationä-
mie, Probleme der Unternehmensnachfolge im klas- ren Einzelhandels und der stationären Gastronomie
sischen Fachhandel sowie die seit Jahren zu ver- bedarf, um im Wettbewerb mit Online-
zeichnenden starken Mietpreissteigerungen in groß- Betriebsformen und Konzepten künftig bestehen zu
städtischen Citylagen genannt. Zweifellos jedoch hat können (vgl. BBSR, 2017, S. 77).
der Onlinetrend besonders starke Auswirkungen auf
die ökonomische und gesellschaftliche Symbiose Wachsende Bedeutung der Unterneh-
zwischen stationärem Handel, Gastronomie und menskommunikation im Wettbewerb
Städten. Perspektivisch führt der in vielen Städten Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sind daher geeig-
bereits seit Jahren zu verzeichnender Rückgang der nete strategische Konzepte erforderlich, die unter
Kundenfrequenzen (vgl. HDE, 2014, S. 10 f.; HDE, Anwendung entsprechender Marketing Mix-
2019b) zu ökonomischen Problemen, die (in Verbin- Instrumente zu einer Profilschärfung stationärer
dung mit anderen Faktoren) Anbieter beitragen. Dabei wird allerdings die Band-
breite der Profilierungsmöglichkeiten stationärer

14 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Anbieter durch die strukturbedingten Vorteile der eine mehr oder minder umfangreiche Aufzählung
(reinen) Onlineanbieter deutlich eingeschränkt: die verschiedener Kommunikationsinstrumente, wobei
nahezu unendliche Produktvielfalt, günstigere Kos- entsprechend ihrer Praxisbedeutung insbesondere
tenstrukturen und eine nicht durch Werktage, Laden- klassische Instrumente wie Mediawerbung, Direkt-
öffnungszeiten oder räumliche Erreichbarkeit be- marketing, Public Relations, Verkaufsförderung etc.
grenzte Ubiquität des Angebotes bilden Strukturvor- im Vordergrund der Betrachtung stehen (vgl. bei-
teile für den Onlinevertrieb, die für die stationären spielhaft: Freter, 2004; Homburg, 2017; Meffert et
Betriebsformen kaum Ansatzstellen für einen Wett- al., 2019).
bewerb auf produkt- oder preispolitischer Ebene Kommunikative Wirkungen entfaltet indes nicht
bieten. nur der Einsatz dezidierter kommunikationspoliti-
Aus diesem Grund kommt einer effektiven Markt- scher Instrumente. Fasst man den Kommunikations-
kommunikation der stationären Anbieter besonderes begriff im marketingspezifischen Kontext weiter, so
Gewicht bei der Profilbildung zu. In genereller Be- bedeutet Kommunikation „die Übermittlung von
trachtung beziehen sich die auf die Realisierung und Informationen und Bedeutungsinhalten zum Zweck
Sicherung von Wettbewerbsvorteilen ausgerichteten der Steuerung von Meinungen, Einstellungen, Er-
Ziele von Unternehmenskommunikation insbesonde- wartungen und Verhaltensweisen bestimmter Adres-
re auf die Ausschöpfung markterfolgsbezogener saten gemäß spezifischer Zielsetzungen“ (Bruhn,
Potenziale, wobei eine Erhöhung des Bekanntheits- 2019, S. 3). Dabei lassen sich Kommunikationsakti-
grades, die Formung eines positiven Unternehmen- vitäten in typologischer Weise verschiedenen Kom-
simages und die Beeinflussung unternehmens- und munikationsformen zuordnen, die als „’Urbausteine’
produktbezogener Einstellungen und Kaufabsichten der Kommunikation […] gedanklich isolierbare
der Nachfrager im Vordergrund stehen (vgl. Hom- Dimensionen dar[stellen], die jeden Kommunikati-
burg, 2017, S. 764). Übertragen auf die durch das onsvorgang charakterisieren“ (Bruhn, 2011, S. 15).
Onlinewachstum unter Druck stehenden stationären In diesem Sinne unterscheidet Steffenhagen (2008)
Betriebsformen der Handels- und Gastronomiebran- vier grundlegende, sich ergänzende Kommunikati-
che bedeutet dies, mit Hilfe kommunikativer Maß- onsformen, deren Ausprägungen sich jeweils bipolar
nahmen USP’s zu generieren, die Online Vertriebs- gegenüberstehen:
kanäle nicht aufweisen können.

Theoretische Ansätze zur Typologisie-


rung unternehmensrelevanter Kommu-
nikationsformen
In marketingbezogener Betrachtung stützen sich die
zur Erreichung der genannten Kommunikationsziele
unternehmensseitig betriebenen Aktivitäten typi-
scherweise auf die Kommunikationspolitik als In-
strumentalbereich des Marketing Mix. In theoreti-
scher Hinsicht problematisch ist hierbei, dass die
Dynamik und wachsende Vielfalt der in der Praxis
eingesetzten Kommunikationsmaßnahmen zwar
diverse Ansatzstellen für eine Gliederung und Grup-
pierung derselben bietet, jedoch eine generalisierte,
umfassende und eindeutige Systematisierung er-
schwert. Entsprechend vielfältig sind die in der be-
triebswirtschaftlichen und kommunikationswissen-
schaftlichen Literatur vorgenommenen Ansätze zur
Kategorisierung von Kommunikationsinstrumenten
(vgl. dazu beispielhaft Bruhn, 2011, S. 217 -224).
Speziell in der Marketingliteratur findet sich meist

journal-kk.de 15
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Abbildung 3: Abgrenzungsmöglichkeiten unterschiedlicher Kommunikationsformen (in Anlehnung an Steffenhagen, 2008, S.129)

Greift man die in Abb. 3 unter (3) genannte, auf von Kommunikationsformen vorgeschlagen. Dabei
den Typus des zur Übermittlung der Kommunikati- werden non-, para- und extraverbale Kommunikation
onsbotschaft eingesetzten Mediums abstellende unter dem Begriff nicht-verbaler Kommunikation
Kommunikationsform als Gliederungskriterium zusammengefaßt.
heraus, wird deutlich, dass Kommunikation, gene-
rell wie auch spezifisch unternehmensbezogen,
sowohl durch die in Medien verwendeten Zeichen
(im Sinne von sprachlichen symbolischen Zeichen,
Ikonen und Bildern), als auch durch „die reine
Präsenz gestalteter Gebilde (z.B. Produkte) oder
Personen“ (Steffenhagen, 2008, S. 130) erfolgen
kann. Letztere, auch als physische Kommunikation
bezeichnete Form, beinhaltet die nonverbale Kom-
munikation eines Menschen ebenso wie die Präsenz
oder Vorführung von Produkten und Exponaten am
oder außerhalb des Point-of-Sale (POS) eines Un-
ternehmens (vgl. Steffenhagen 2008, S. 130). In
diesem Zusammenhang ist allerdings auf die in der Abbildung 4: Gliederung der Kommunikationsformen unter

Literatur uneinheitlichen und teils unpräzisen Ab- dem Kriterium verbaler und nicht verbaler Kommunikation
grenzungen des Begriffes ‚nonverbale Kommunika- (eigene Darstellung)

tion’ hinzuweisen, unter der neben den körpersprach-


lichen Ausdrucksformen eines Menschen (z.B. Ges- Von den dargestellten Kommunikationsformen ist
tik, Mimik, Blickverhalten, Proxemität) teils auch für die erörterte Problemstellung dieses Beitrags der
sonstige sensuale Reize und materielle Artefakte Bereich der extraverbalen Kommunikation von be-
subsumiert werden (vgl. dazu Emrich, 2014, S. 156; sonderem Interesse. Im weit gefassten Sinne können
Krämer et al., 2014, S. 65; Ternes, 2008, S. 34 ff.; unter extraverbaler Kommunikation alle maßgebli-
Jäggi et al., 2010, S. 16 ff.; Müller / Gelbrich, 2014, chen kontextbezogenen und kontextunabhängigen
S. 97). kommunikationswirksamen Rahmenbedingungen
Im Hinblick auf eine klarere Trennung der unter- subsumiert werden, die den personellen Kommuni-
schiedlichen Kommunikationsformen und eine deut- kator, den Interaktionsprozess wie auch die Umwelt
lichere Einbeziehung umweltbezogener Kommuni- des Kommunikators betreffen. Damit zählen zum
kationselemente und -möglichkeiten wird daher in Beispiel Kleidung und Firmenwagen des Kommuni-
Anlehnung an Weinberg (1986, S. 85) und Becker et kators, im Verkaufsgespräch gereichte Getränke,
al. (2018, S. 34) die nachstehende Kategorisierung Warenproben und Give-aways ebenso wie gestalteri-

16 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

sche Elemente von Gebäuden und Ladeneinrichtung (vgl. ZAW, 2019). Ähnlich zeigt sich die Situation
oder die Beleuchtung und Beduftung von Verkaufs- im deutschen Handel: getrieben von hohem Wettbe-
räumen zu den (meist bewusst eingesetzten) Elemen- werbsdruck erhöhten sich die Werbeausgaben bis
ten extraverbaler Kommunikation (vgl. Weinberg, 2017 auf rd. 4,5 Mrd. EUR (vgl. EHI, o.J.), wobei
1986, S. 85). hier der Schwerpunkt des Werbeträgereinsatzes mit
Die nicht abschließende Aufzählung verdeutlicht, einem Anteil von rd. 44% traditionell noch im Be-
dass (Unternehmens-) Kommunikation nicht auf den reich der Printmedien in Form von Prospekten, Kun-
Einsatz klassischer Kommunikationsinstrumente denmagazinen, Anzeigen etc. lag (vgl. EHI, 2018, S.
beschränkt ist, sondern sich Kommunikationswir- 19).
kungen auch aus der Präsenz und dem Einsatz mate- Steigender Werbedruck, ein zunehmend unüber-
rieller Artefakte entfalten (vgl. auch Kroeber-Riel / sichtlicheres Produktangebot und die generell zu
Gröppel-Klein, 2013, S. 629, und den dort verwen- konstatierende mediale Reizüberflutung führen ins-
deten Begriff der Objektkommunikation). Zugleich gesamt jedoch zu einer nachlassenden Wirksamkeit
ergeben sich aus diesem Sachverhalt jedoch auch konventioneller werblicher Kundenansprache. Die
Abgrenzungsprobleme hinsichtlich einer überschnei- von Kroeber-Riel bereits in den 1980er Jahren in
dungsfreien Zuordnung kommunikationswirksamer Studien belegte, unter dem Schlagwort ‚Information
Aktivitäten zu den Marketing Mix-Instrumenten: so Overload’ vielfach kolportierte Informationsüberlas-
weist Steffenhagen darauf hin, dass das „Produkt als tung der Konsumenten beeinträchtigt die Informati-
Kommunikationsträger“ (2008, S. 134) dem Interes- onsaufnahme und -verarbeitung von Werbeimpulsen
senten durch visuelle, haptische, olfaktorische und und fördert letztlich ein Vermeidungs- und Reak-
andere Reize vielfältige Qualitätseindrücke vermit- tanzverhalten der Werbeadressaten, das die Errei-
telt, die Produktgestaltung jedoch dem Marketing chung der unternehmerischen Werbeziele erschwert
Mix-Instrument der Produktpolitik zuzurechnen ist. (vgl. Kroeber-Riel / Esch, 2015, S. 19 ff.); eine Ent-
Eine ähnliche Abgrenzungsproblematik ergibt sich wicklung, die durch das rapide Wachstum digitaler
beim Instrument der Verkaufsförderung, die klassi- Informations- und Kommunikationsangebote zusätz-
scherweise der Kommunikationspolitik zugerechnet lich forciert wird und damit auch Internet- und Social
wird, in der betrieblichen Umsetzung faktisch jedoch Media-gestützte Werbung betrifft (vgl. Rinne /
oft auch Elemente der Preispolitik (Sonderpreisakti- Rennhak, 2006, S. 12; 1&1 IONOS, 2018; IMAS
onen) und der Distributionspolitik (persönlicher International, 2018).
Verkauf) beinhaltet (vgl. Steffenhagen, 2008, S. 135 Für die Kommunikationspolitik der Unternehmen
f.). resultieren aus dieser Verschiebung der Reizschwelle
bei den Konsumenten im Sinne einer ‚Aktivierungs-
Erlebnis- und Experience Marketing als spirale’ vor allem zwei generelle Anforderungen:
konzeptioneller Profilierungsansatz der eine Emotionalisierung und bildlastigere Gestaltung
Unternehmenskommunikation von medialen Werbebotschaften (vgl. Kroeber-Riel /
Der generelle Bedeutungszuwachs der Kommunika- Gröppel-Klein, 2013, S. 655; Kroeber-Riel / Esch,
tionspolitik in Käufermärkten manifestiert sich in 2015, S. 23 f.) und die Fokussierung auf eine stärker
den nahezu kontinuierlich wachsenden Werbeetats interaktionsbasierte, zweiseitige Kommunikation mit
und Ausgaben der Unternehmen. So erhöhten sich den unternehmensrelevanten Zielgruppen.
allein in Deutschland die Bruttowerbeausgaben der Sowohl in Bezug auf Emotionalisierung und visu-
Werbetreibenden im Zeitraum von 2009 bis 2018 auf elle Reize, als auch auf interaktive Kundenkommu-
ein Volumen von rd. 31,9 Mrd. EUR, was einem nikation bieten sich für die stationären Betriebsfor-
Wachstum um rd. 42% (9,35 Mrd. EUR) entspricht men in Einzelhandel und Gastronomie gute Ansatz-
(vgl. W&V, 2019). In der Betrachtung der Werbeträ- punkte zur Profilierung außerhalb des Einsatzes
ger dominieren dabei unverändert – trotz wachsen- klassisch-medialer Kommunikationskanäle. Als
den Anteils von Online- und Social Media-Werbung Folge der Homogenisierung der Warensortimente
– klassische Above-the-line Medien wie TV und und zur Abwehr allgegenwärtiger Preiskämpfe hat
Zeitungen, auf die im Jahr 2018 in Summe rd. 64% sich in einigen Einzelhandelbranchen bereits in den
des Marktanteils im deutschen Werbemarkt entfielen 1980er Jahren eine sukzessive Entwicklung von der
Erfüllung reiner Versorgungsfunktionen zur Generie-

journal-kk.de 17
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

rung von emotionalen Einkaufserlebnissen vollzogen beispielhaft Müller-Hagedorn et al., 2012, S. 694 ff.;
(vgl. Heinemann, 1989); ein Trend, der sich mittler- Kroeber-Riel / Gröppel-Klein, 2013, S. 523 ff.).
weile auf nahezu alle B2C-bezogenen Handelsbran- Über die Ladengestaltungs- und Präsentationsas-
chen (einschließlich Teilen des Lebensmitteleinzel- pekte des Erlebnishandels im beschriebenen Sinne
handels) ausgedehnt hat. hinausgehend, greift Experience Marketing (oft auch
In marketingtheoretischer Hinsicht den Strategien als Experiential Marketing oder Engagement Marke-
einer Qualitätsführerschaft zuzuordnen, bedeutet ting bezeichnet) zusätzlich den Ansatz der interakti-
Erlebnisorientierung in diesem Zusammenhang „eine onsbasierten, zweiseitigen Kommunikation als Profi-
langfristige Positionierung, die für den Kunden v.a. lierungsinstrument auf. Kritisch anzumerken ist hier
durch die Ladengestaltung und die Produktpräsenta- allerdings die uneinheitliche, teils auch buzzword-
tion erlebbar wird […], sich an langfristigen Wer- artige Verwendung des Begriffes im marketingbezo-
tetrends der Konsumenten ausrichtet, beim Konsu- genen Kontext. Entsprechend der uneindeutigen
menten angenehme Empfindungen auslöst, die über wörtlichen Übersetzung des Begriffes ‚Experience’
die Befriedigung reiner Versorgungsbedürfnisse sowohl als ‚Erfahrung’ als auch als ‚Erlebnis’ ver-
hinausgehen, und einen Betrag zur Lebensqualität schwimmen auch in der Literatur- und Praxisver-
leistet“ (Swoboda et al., 2019, S. 171). Damit greift wendung des Begriffes die Grenzen zwischen Erleb-
die Erlebnisorientierung einen zentralen Trend mo- nis-Marketing und Experience Marketing. Konsta-
derner Wohlstandsgesellschaften auf: den Wunsch tiert werden kann jedoch, dass Experience Marketing
der Konsumenten nach emotionaler Selbstverwirkli- im Vergleich zu einem auf reine Erlebnisorientierung
chung und einem Zusatznutzen, nämlich des Erleb- abstellenden Marketing spezifischer und fokussierter
nisses, das mit dem eigentlichen Konsum einhergeht ausgerichtet ist. Diese Unterscheidung basiert in
(vgl. Diehl, 2009, S. 18). Zweifellos gelten diese für erster Linie auf der Abgrenzung der Begriffe ‚Erleb-
den Handel formulierten Aussagen daher auch für nis’ und ‚Erfahrung’: unter Erlebnis „wird ganz
die Gastronomiebranche, deren Leistung sich traditi- allgemein der ‚Inhalt des Erlebens’ verstanden.
onell nicht auf die Befriedigung physiologischer Hierunter fallen sämtliche bei einer Person ablaufen-
Grundbedürfnisse (im Sinne der Maslowschen Be- den psychischen Phänomene, wie z.B. Denken, Vor-
dürfnishierarchie) beschränkt, sondern Lebensgenuss stellen, Empfinden, Wahrnehmen und Fühlen […].
in einem sozial-kommunikativen Rahmen vermitteln Erlebnisse werden stets von emotionalen Reaktionen
will. begleitet. Die Erfahrung hingegen ist ein ‚verstande-
Wie in der Definition von Swoboda et al. betont, nes Erlebnis’ […]. Eine Erfahrung setzt eine Reflek-
stellen Ladengestaltung und Produktpräsentation als tion über vergangene Erlebnisse voraus“ (Bruhn /
Elemente extraverbaler Kommunikation (s. Abb. 4) Hadwich, 2012, S. 9). Kundenerfahrungen können
wesentliche Bausteine der Erlebnisqualität dar. Die somit als Teilmenge der Kundenerlebnisse aufgefasst
hierbei zu berücksichtigenden gestalterischen und werden.
präsentationsbezogenen Determinanten beschränken Gegenstand des Experience Marketing ist daher
sich jedoch nicht nur auf ästhetische (emotionale) nicht nur die Vermittlung positiver, emotionaler und
Dimensionen, sondern berücksichtigen auch funktio- nachhaltig wirkender Erlebnisse an Konsumenten,
nal wirksame (kognitive) Aspekte, die Struktur, sondern darüber hinaus eine konsequent produkt-
Komplexität und ‚Lesbarkeit’ der Verkaufs- und und markenfokussierte POS-nahe Kommunikation,
Kundenflächen betreffen. Die Auswirkung der Er- „um in einen Dialog mit potenziellen Kunden einzu-
lebnisorientierung und dabei einsetzbarer Instore- treten und deren Konsumverhalten zu verändern. Die
Stimuli nicht nur auf qualitative Positionierungsziele Herausforderung besteht darin, Verbraucher für
der Unternehmen, sondern auch auf konkrete Kau- Produkte und Marken zu gewinnen, mit denen sie
fentscheidungsprozesse der Konsumenten war in der bisher wenig vertraut und an denen sie möglicher-
Vergangenheit bereits Gegenstand zahlreicher Unter- weise zunächst nicht interessiert sind“ (Haller,
suchungen, die belegen, dass eine als angenehm und 2018). Die Grundidee des Experience Marketing
anregend empfundene Einkaufsatmosphäre positiven basiert darauf, „dass es bei diesem Ansatz nicht
Einfluss auf ökonomisch relevante Größen wie Ver- primär darum geht, etwas zu verkaufen, sondern zu
weildauer, Besuchshäufigkeit, Impulskaufverhalten zeigen, wie eine Marke das Leben des Kunden berei-
und Einkaufsbetrag der Kunden aufweist (vgl. dazu chern kann. Allgemein gesagt geht es um eine Art

18 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

kundenzentrierte Marketingaktivität in Form insze- mit Praxisbeispielen belegt wurde (vgl. Pine / Gil-
nierter, erlebnisorientierter Ereignisse und Berüh- more, 1999; Bruhn / Hadwich, 2012, S. 5 ff., dort
rungspunkte, über die eine multisensuale und emoti- unter dem personenzentrierten Begriff ‚Customer
onale Verbindung zur Zielgruppe hergestellt wird“ Experience’ behandelt), findet sich, wie bereits er-
(Haller, 2018). wähnt, in der Marketingliteratur keine formal-
Diese der Unternehmenspraxis entnommene Be- abstrakte, inhaltlich geschlossene Begriffsdefinition
schreibung verdeutlicht den konzeptionellen von Experience Marketing. Ebenso mangelt es auf-
Schwerpunkt des Experience Marketings im Sinne grund des eher holistischen Konzeptansatzes an einer
einer möglichst aktiven Einbindung und Interaktion systematischen und überschneidungsfreien Aufzäh-
mit dem Kunden, das heißt dem Aufbau einer dialo- lung der Maßnahmen und Instrumente, die in der
gischen Beziehung, die den Kunden in unmittelbaren Praxis als ‚Bedienungsanleitung’ zur Operationali-
Kontakt mit Produkten, Leistungen und dem spezifi- sierung eines Experience Marketing-Konzeptes die-
schen ‚Spirit’ der Marke bzw. des Unternehmens nen können. Exemplarisch hierfür seien die nachste-
bringt. Dies schließt vor allem auch sensuale Erfah- henden, eher vagen Beschreibungen und Definiti-
rungen durch das Ausprobieren und Testen von Pro- onsversuche aufgeführt, deren Reihe sich fortsetzen
dukten und Leistungen mit ein. Über die unspezifi- ließe:
schere allgemeine Erlebnisorientierung hinausge- „Experiential marketing is the process of identify-
hend, ist es somit Ziel des Experience Marketing, ing and satisfying customer needs and aspirations
den Kunden durch produkt- und markenbezogene profitably, engaging them through authentic two-way
Interaktion aus einer quasi-distanzierten Beobachter- communications that bring brand personalities to life
rolle in eine aktive Teilnehmer- und Teilhaberschaft and add value to the Target Audience“ (Smilansky,
an der Situation zu bewegen. In psychologischer 2018, S. 12).
Hinsicht zielt dies insbesondere auf eine Verstärkung „Experience marketing is a convergence of ele-
von Aktivierung, Involvement, Impulskaufverhalten ments specifically designed to make each and every
und der Gedächtniswirkung des (marken- und pro- consumer brand touch point a positive one, and it is
duktbezogenen) Erlebnisses bei den Adressaten – these micro experiences that ultimately drive brand
sowie deren Motivation, sich mit den Produkten und satisfaction, loyalty and emotional attachment. To do
insbesondere dem anbietenden Unternehmen intensi- this well, brands need to be fully cognizant of every
ver und auch (im Sinne von Zielkäufen) wiederholt moment of interaction with their consumers regard-
zu befassen. less of size or context, especially where brands can
Es ist offensichtlich, dass eine Umsetzung des have a direct impact on their consumers at a one-to-
Experience Marketing-Gedankens in stationären one level“ (Experience Marketing Association,
Handelsbetrieben durch deren strukturelle Vorteile 2019).
begünstigt wird: die unmittelbare physische Verfüg- „An advertising strategy that focuses on helping
und Erprobbarkeit der angebotenen Waren, die per- consumers experience a brand, experiential market-
sönliche Interaktion des Verkaufs- und Bedienungs- ing veers off course from traditional strategies that
personals und die vom Anbieter gestaltbare Kontakt- broadcast brand and product benefits to a wide audi-
situation und -umgebung schaffen im Grundsatz ence. Also referred to as engagement marketing,
ideale Voraussetzungen zur Anwendung entspre- experiential marketing may be comprised of a varie-
chender Konzepte und damit zur Profilschärfung und ty of marketing strategies geared toward immersing
Markenbildung der Unternehmen selbst. Mit leichten customers within the product by engaging them in as
Einschränkungen (bezüglich der Erprobbarkeit der many ways as possible. Ultimately, companies utiliz-
Ware in der Vorkaufphase) gelten diese Vorteile ing this strategy want to help customers form memo-
auch für den Gastronomiebereich. rable, emotional connections with a brand to foster
Obwohl die Bedeutung einer vom Kunden reflek- customer loyalty and improve customer lifetime
tierten, erfahrungsbezogenen und (positiv) bewerte- value (CLV)“ (Galetto, 2017).
ten Interaktion im Sinne des Experience Marketings Fasst man die dargestellten Inhalte zusammen und
für die Erreichung psychologischer und ökonomi- bezieht sie auf stationäre Handels- und Gastrono-
scher Marketingziele in der wissenschaftlichen Lite- mieunternehmen, kann Experience Marketing als
ratur bereits ab den 1980er Jahren thematisiert und eine ganzheitlich ausgerichtete Kombination unter-

journal-kk.de 19
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

schiedlicher kommunikationspolitischer Elemente


und Maßnahmen aus den Bereichen Ladengestal-
tung, interaktiver Produktpräsentation und personel-
ler Kommunikation in Verbindung mit Instrumenten
insbesondere des Eventmarketings und der Ver-
kaufsförderung angesehen werden, mit der Zielset-
zung, vorhandenen und potenziellen Kunden mittels
aktivierender und emotionalisierender Einflüsse
nachhaltige, positiv geprägte Marken- und Pro-
dukterfahrungen zu ermöglichen und damit die Pro-
filierung des Anbieters gegenüber Wettbewerbern zu
fördern. In definitorischer Hinsicht ist dabei die
Abgrenzung zwischen Konzept und Instrumentalein-
satz relevant. Wenngleich Experience Marketing
häufig auch auf die genannten kommunikationspoli-
tischen Instrumente Verkaufsförderung und Event-
marketing zurückgreift, geht sein konzeptioneller
Ansatz darüber hinaus: anders als diese beiden In- Abbildung 5: Erfolgsrelevante Kriterien zur Gestaltung von
strumente weist es keinen kurzfristig-operativen Experience Marketing-Konzepten (eigene Darstellung in
Charakter, sondern eine strategisch-langfristige Aus- Anlehnung an Smith / Hanover, 2016, S.64)
richtung auf. Des Weiteren unterscheidet es sich von
der klassischen Verkaufsförderung durch seine nicht Beim Versuch einer Klassifizierung erfolgsrele-
preispolitisch und unmittelbar abverkaufsorientierte vanter Merkmale von Experience Marketing-
Intention (vgl. Haller, 2018). Vom reinen Eventmar- Konzepten identifizierten Smith / Hanover (2016)
keting, dessen Wirkung primär auf einem Image- anhand von Untersuchungen meist US-
transfer des Events als emotional inszeniertem Er- amerikanischer Unternehmen elf generelle Kriterien
eignis auf das Kommunikationsobjekt basiert (vgl. und Postulate, die sich jedoch bei genauerer Betrach-
Meffert et al., 2019, S. 767), lässt es ferner sich tung im Hinblick auf ihren konstitutiven Charakter
durch seinen originären und konkreten Produkt- und inhaltlich verdichten lassen und im Folgenden skiz-
Verkaufsstättenbezug abgrenzen. ziert werden.
Vor dem Hintergrund des bereits erörterten Infor-
Anforderungen an die Gestaltung von mation Overload im Sinne einer Reizüberflutung der
Experience Marketing-Konzepten Konsumenten kommt dem Aspekt der Eindringlich-
Wie dargestellt, bietet der Grundansatz des Experi- keit und Erinnerbarkeit (‚Remarkable / Memorable’)
ence Marketing breite Spielräume zur Ausgestaltung des Kontakterlebnisses substanzielle Bedeutung zu.
einer erlebnis- und erfahrungsorientierten Kunden- Im Wettlauf um Aufmerksamkeit und Zuwendung
kommunikation. Unbeachtlich branchenspezifischer der Kunden müssen Experience Marketing-basierte
und betriebsindividueller Gegebenheiten erfordert Maßnahmen durch starke emotionale und kognitive
die Realisierung eines erfolgreichen Experience Reize über ein entsprechendes Aktivierungsvermö-
Marketing-Konzeptes jedoch die Berücksichtigung gen verfügen und eine Speicherung der Produkt- und
verschiedener Anforderungen, die nachfolgend dar- Markenerfahrung im Langzeitgedächtnis der Rezipi-
gestellt sind. enten begünstigen. Die den Kern des Experience
Marketings betreffende aktive und stimulierende
Einbeziehung der Konsumenten, die Überführung
derselben von der passiven Beobachter- in eine Teil-
nehmerrolle (‚Engageable’), zum Beispiel durch die
Erprobungsmöglichkeit der Produkte, zielt auf eine
Steigerung des Involvements und der damit verbun-
denen Nachhaltigkeit des Produkt- und Markener-
lebnisses. Zur Erzielung dieses Effektes sind das

20 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

betreffende Konzept und seine Maßnahmen ziel- Spannweite von Markenerlebniszentren der Auto-
gruppenrelevant und präzise zu konzipieren, das mobilhersteller mit angeleiteten Testfahrten (zum
heißt auf die Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte Beispiel in Land Rover Experience Centern) über
der Adressaten möglichst genau abzustimmen und Spielwarenhersteller, deren Produkte in unterneh-
entsprechend zu adressieren (‚Relatable / Targetab- menseigenen Markenzentren von Kindern und Er-
le’). Die von Smith / Hanover getroffene Aussage wachsenen als Kaufentscheidern durch ‚bespielen’
„the experience must emanate from the brand herita- interaktiv erlebt werden können (zum Beispiel bei
ge or the brand story“ (2016, S. 95) zielt ergänzend LEGO, Playmobil) bis zu FMCG-Produzenten von
darauf ab, dass alle entsprechenden Unternehmens- Körperpflegemitteln oder Süßwaren (zum Beispiel
aktivitäten unter dem Aspekt der Authentizität und Nivea, Ferrero), die bestimmte Artikel im Rahmen
Glaubwürdigkeit im Sinne eines Fits zwischen Kon- von händlerunterstützten Sonderaktionen anwen-
zept und Unternehmens- bzw. Produktimage dungsbezogen präsentieren.
(‚Believable’) zu konzipieren sind, um das Kunden- Die marketingspezifischen Ziele von Handels- und
vertrauen in die Anbieterkompetenz zu fördern. Die Gastronomiebetrieben liegen jedoch nicht primär in
Notwendigkeit, Experience Markting Konzepte da- der Förderung herstellerseitiger Markenimages,
bei nicht isoliert, sondern im Rahmen einer integrier- sondern in der Profilierung der eigenen Einkaufs-
ten Kommunikation mit dem Einsatz anderer Kom- und Konsumstätten. Daher werden im Folgenden
munikationsinstrumente (zum Beispiel klassischer exemplarisch einige markante Beispiele für den
Media- oder Direktwerbung) zwecks Wirkungsver- Einsatz von Erlebnis- und Experience-Konzepten
stärkung zu vernetzen, drückt sich im Merkmal durch Unternehmen der beiden Branchen aufgezeigt,
‚Connectable’ aus. Wesentlich ist hierbei, dass der die die Bandbreite der Optionen verdeutlichen.
integrative Aspekt auch eine konzeptionelle und
strategische Abstimmung mit den übrigen Marketing Beispiel 1: Sporthaus Lengermann & Trieschmann
Mix-Instrumenten, insbesondere der Produkt- und Der in der Stadt Osnabrück ansässige Mode- und
Preispolitik, beinhalten muss. Schließlich weisen Sportartikelhändler Lengermann & Trieschmann
Smith / Hanover darauf hin, dass die von Kunden (L&T) eröffnete im Frühjahr 2018 ein an das Haupt-
gemachten positiven Erlebnisse und Produkterfah- gebäude in der Innenstadt angrenzendes Sporthaus,
rungen von diesen an ihr soziales Umfeld weiterge- in dem sich neben einem Fitness-Studio auch ein
geben werden sollen; die hiermit verbundene Multi- Wellenbecken mit einer künstlich stehenden Welle
plikationswirkung ist jedoch in theoretischer Hin- zum Indoor-Surfen befindet. Abgedeckt dient das
sicht nicht an Experience Marketing-Konzepte ge- Wellenbecken als Spielfeld für diverse Ballsportar-
koppelt, sondern tritt beim Vorliegen von Kundenzu- ten. Neben der Erprobung der von L&T dazu pas-
friedenheit als genereller psychologischer Effekt auf. send verkauften Sportartikel bietet das Unternehmen
Tipps und Hilfestellungen durch Surflehrer als Un-
Anwendungsbeispiele für Experience terstützungsleistung an. Darüber hinaus können
Marketing in Einzelhandels- und Gastro- Interessenten das Wellenbecken kostenpflichtig zur
nomieunternehmen Einzel- oder Gruppennutzung mieten, womit von
Die dargestellten Charakteristika und Wirkungsde- L&T zusätzliche Erlöse generiert werden (vgl. L&T,
terminanten des Experience Marketing-Ansatzes o. J.). Die ‚Hasewelle’ benannte Anlage hat durch
lassen erkennen, dass der Einsatz entsprechender ihren einzigartigen Charakter bereits überregionale
Konzepte nicht auf einzelne Branchen oder Preisla- Bekanntheit und Anziehungskraft erlangt.
gen des Produktangebotes beschränkt ist. So zeigen
zahlreiche Beispiele aus der Unternehmenspraxis,
„wie man dem Verbraucher ermöglichen kann, ein
bisher unbekanntes Produkt über einzigartige Erfah-
rungen kennen und lieben zu lernen“ (Haller, 2018).
Bisher allerdings werden die Möglichkeiten einer
gesteuerten Markenerfahrung überwiegend von der
Konsumgüterindustrie genutzt. Dabei reicht die

journal-kk.de 21
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Abbildung 6: Wellenbecken bei L&T (Foto: L&T, 2018)

Beispiel 2: IKEA
Das schwedische Möbelhaus IKEA bietet Kunden an
verschiedenen Standorten in unregelmäßigen Ab-
ständen die Möglichkeit zur Übernachtung. Ur-
sprünglich von einigen Jugendlichen als (von IKEA
nicht legitimierte) ‚Mutprobe’ initiiert und in der
Folge von zahlreichen Nachahmern kopiert, griff das
Unternehmen die Idee auf und wandelte sie in eine
Experience Marketing-Maßnahme um. Im Rahmen
eines Gewinnspiels verlost IKEA mittlerweile län-
derübergreifend entsprechende Übernachtungen in
seinen Einrichtungshäusern, bei denen die Gewinner
in IKEA Betten schlafen (und damit reale Produkter-
fahrungen sammeln) und darüber hinaus in den Ge-
nuss weiterer ergänzender und kostenloser Produkte Abbildung 7: Restaurant Rheinalm als Beispiel eines erlebnisorien-
und Dienstleistungen kommen – vom restauranteige- tierten Gastronomiekonzeptes (Foto: KAMEHA GRAND Bonn,
nen Care-Paket bis zum Handtuch und der Schlafbe- 2017)
ratung durch die Mitarbeiter (vgl. Straub-Roeden,
2017). dabei von einer klassisch regional- oder landesbezo-
genen Spezialisierung bis zu spezifischen, auf Life-
Beispiel 3: KAMHA GRAND / Restaurant Rheinalm style-Typologien der Kunden zielenden Ausrichtun-
Im Vergleich zum Handel ist die Vermittlung inter- gen.
aktiver Produkterfahrungen an die Konsumenten vor Das von der Hotelkette KAMEHA GRAND am
dem Produktkauf in der Gastronomiebranche ten- Standort Bonn seit 2014 in unmittelbarer Hotelan-
denziell schwieriger zu realisieren, da die Leistungs- bindung betriebene Restaurant ‚Rheinalm’ kann als
erstellung einzelbestellungsbezogen und stärker Beispiel für regionalspezifische Konzepte dienen, die
individualisiert ist und die Produkte (Speisen und bei konsequenter Umsetzung auch außerhalb der
Getränke) nicht ge- sondern verbraucht werden. Aus originären Heimatregion erfolgreich sein können.
diesem Grund finden sich in der stationären Gastro- Wie erkennbar, liegt der Konzeptkern in der Wieder-
gabe eines alpenländischen Skihütten-Flairs, das
nomie bisher überwiegend rein erlebnisorientierte
konsequent von der Gebäudeherkunft und Bauweise
Konzepte, die auf einem zielgruppenspezifischen
(hergestellt in Kitzbühel im traditionellen Holzsteck-
Produktangebot in einem entsprechenden Ladenam-
verfahren) über Innenausstattung, Speisen- und Ge-
biente basieren. Die Bandbreite der Konzepte reicht
tränkeangebot bis zur regionaltypischen Arbeitsklei-

22 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

dung der Mitarbeiter umgesetzt wird (vgl. KA- Vordergrund stehenden ökonomischen Kenngrößen
MEHA GRAND Bonn, 2019). wie Kundenfrequenz, Umwandlungsrate, Einkaufs-
Über die Erlebnisvermittlung hinausgehend zeigen betrag und Wiederkaufraten.
sich, in unterschiedlichen Abstufungen, allerdings Eine Attraktivitätssteigerung der Betriebsstätten ist
auch in der Speisegastronomie mittlerweile Tenden- jedoch nicht nur für die ortsansässigen Handels- und
zen, Kunden im Sinne des Experience Marketings Gastronomiebetriebe im Kampf gegen den Online-
von der eher passiven Gastrolle in eine aktive Teil- Wettbewerb relevant. Wie einleitend erörtert, sind
nehmerrolle zu bewegen. Beispiele dafür finden sich Handel, Gastronomie und Städte traditionell nicht
vor allem bei kleineren, nicht systemgebundenen nur räumlich, sondern auch wirtschaftlich eng mitei-
oder filialisierten Restaurants, in denen Kunden, nander verflochten. Insofern trägt die Anziehungs-
meist jedoch beschränkt auf bestimmte Zeiträume, kraft lokaler Anbieter erheblich zur Attraktivität und
entweder individuelle Wunschgerichte beim Kü- Zentralität ihrer Standorte bei. Dies belegen unter
chenchef beauftragen oder sogar unter Anleitung der anderem die vom IFH Köln in regelmäßigen Abstän-
Mitarbeiter selbst zubereiten (vgl. Welt, 2008; Licht, den unter dem Titel ‚Vitale Innenstädte’ bundesweit
2017). In Reinkultur findet sich das Experience Mar- durchgeführten Erhebungen, in denen die Attraktivi-
keting-Konzept in den teils als Pop Up-Store betrie- tät von Städten und deren Einflussfaktoren aus Kon-
benen DIY-Restaurants, in denen die Gäste gegen sumentensicht untersucht wird (vgl. Hedde et al.,
Entrichtung eines Pauschalpreises unter vordefinier- 2019). Als zentrale Einflussgrößen wurden in diesem
ten Gerichten wählen, die sie unter Nutzung der Kontext neben Faktoren, die Ambiente, Flair und
vorhandenen Infrastruktur (Küchengeräte, Geschirr, Convenienceaspekte der Städte selbst betreffen (z.B.
Zutaten etc.) komplett selbst zubereiten. Hierbei Sehenswürdigkeiten, Gebäudeoptik, Sauberkeit,
steht die soziale Interaktion der Gäste meist stärker Sicherheit, Verkehr und Parkmöglichkeiten), vor
im Vordergrund steht als das kulinarische Angebot allem Qualität und Umfang des Einzelhandelsange-
(vgl. Medienhaus München Eisenack, 2018). botes identifiziert (vgl. Hedde et al., 2019, S. 11).
Die ausgewählten Beispiele verdeutlichen, dass die Interessant ist hierbei, dass beim Einzelhandelsange-
Grundidee des Experience Marketing auch bei Han- bot die Segmente Bekleidung / Schuhe den stärksten
dels- und Dienstleistungsunternehmen diverse An- Einfluss auf das Attraktivitätsempfinden der Konsu-
knüpfungspunkte zur Aktivierung und Vertiefung menten aufweisen – also die Branchen, die besonders
von Kundenbeziehungen durch interaktive, multi- stark vom Onlinetrend betroffen sind. Vergleichbare
sensuale Erlebnisse und Erfahrungen bietet. Grund- Ergebnisse im Hinblick auf die Attraktivitätswirkung
sätzlich sind entsprechende Maßnahmen auch nicht der Gastronomie liefern Befragungsergebnisse der
an bestimmte Mindestgrößen der durchführenden DEHOGA, nach denen Konsumenten ein reichhalti-
Unternehmen gekoppelt, wenngleich ihre Wirksam- ges lokales Gastronomieangebot vielfach mit erleb-
keit durch den Umfang der Maßnahmen (und damit nisorientierter Freizeit, Lebendigkeit, Kommunikati-
meist auch den Kapitaleinsatz) mitbestimmt wird. on und Tradition verbinden (DEHOGA, 2017, S.
57).
Wirkungseffekte von Erlebnis- und Expe- Die besondere Bedeutung, die neben Convenience
rience Marketing für Einzelhandel, Gats- vor allem den ‚Erlebniswerten’ für das Attraktivi-
ronomie und Städte tätsempfinden der Citybesucher zukommt, wird
anhand des nachstehenden Schaubildes deutlich.
Wie bereits dargestellt, belegen zahlreiche Untersu-
chungen den positiven Einfluss erlebnis- und
Customer Experience-basierter Marketingkonzepte
sowohl auf ökonomische als auch psychologische
Kommunikationsziele von Einzelhandelsunterneh-
men. Wenngleich analoge Untersuchungen für Gast-
ronomiebetriebe nicht vorliegen, können für diese
Branche aber unter Plausibilitätsaspekten ähnliche
Wirkungen unterstellt werden. Die beim Einsatz
entsprechender Konzepte erzielbare Profilierung der
Unternehmen fördert vorökonomische Größen wie
Bekanntheitsgrad, Image und Kundenloyalität eben-
so wie die aus betrieblicher Sicht naturgemäß im

journal-kk.de 23
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Abbildung 8: Bedeutung des Faktors Erlebniswert für die Attraktivität von Städten (Hedde et al., 2019, S. 13)

Wie die Untersuchungsergebnisse erkennen lassen, Fazit


existiert eine klare Korrelation zwischen den Fakto-
ren Erlebniswert / Convenience und der empfunde- Der Wettbewerb um Besucher und Kunden betrifft
nen Gesamtattraktivität von Städten: während die Unternehmen und Städte als Agglomerationsräume
Top-Performer bei beiden Faktoren überdurch- gleichermaßen. Für die stationären Anbieter insbe-
schnittliche Werte aufweisen, zeigen die Schlusslich- sondere der Handels- und Gastronomiebranche als
ter der Städte-Rangliste in beiden Kategorien unter- ‚Motoren’ der Innenstadt führen vor allem drei Ent-
durchschnittliche Werte. wicklungstrends zu einem erheblichen Anpassungs-
Es ist einleuchtend, dass die Erlebnisqualität von druck: die zunehmende Austauschbarkeit von Pro-
Städten nicht alleine durch unternehmerische Kon- dukten und Leistungen, das starke Wachstum onli-
zepte des Erlebnis- und Experiencemarketings ge- nebasierter Vertriebskanäle und der wachsende In-
steuert werden kann. Jedoch zeigen Initiativen wie formation Overload der Konsumenten, der die Wirk-
der von Ministerien des Bundeslandes Rheinland- samkeit eigener klassischer Werbeaktivitäten zu-
Pfalz in Zusammenarbeit mit dem HDE und weiteren nehmend mindert. In der Rückkopplung ergeben sich
Partnern initiierte Kreativwettbewerb ‚Interiordesign
aus den genannten Problemfeldern, insbesondere aus
und Handel’ einen Schulterschluss zwischen Öffent-
der anhaltenden Nachfrageverschiebung in Online-
licher Hand und Privatwirtschaft in dem Bestreben,
kanäle, auch negative Auswirkungen auf die Attrak-
drohende Erosions- und Verödungsprozesse der
tivität der städtischen Standorte selbst, die eng mit
Städte aufzuhalten (vgl. Reink, 2018, S. 2). So soll
der genannte Wettbewerb „stationären Händlern und der Anziehungskraft des lokalen Handels- und Gast-
innerstädtischen Akteuren einen Impuls geben, in ihr ronomiebesatzes verbunden ist.
Ladendesign und die Wertigkeit ihrer Immobilie zu Wenngleich die Sicherung der Standortattraktivität
investieren und damit die Aufenthaltsqualität in ihrer als Gemeinschaftsaufgabe von Städten und lokalen
Innenstadt zu stärken“ (Reink, 2018, S. 2). Die Si- Anbietern aufzufassen ist, sind vornehmlich aus
cherung der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Onli- unternehmerischer Sicht klare, profilstärkende Mar-
netrends wird damit zur Gemeinschaftsaufgabe von ketingansätze erforderlich, die die Vorteile der stati-
lokalen Anbietern und Städten. onären Präsenz ausspielen und damit ihre Wettbe-
werbsfähigkeit erhöhen. Im Kampf gegen onlineba-
sierte Vertriebsformen und den Wirksamkeitsverlust
klassischerAbove-the-line Kommunikationsmaß-
nahmen können Erlebnis- und Experience Marketing

24 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Konzepte durch einen authentischen, emotionalisie- Bruhn, M. / Hadwich, K. (2012): Customer Experience –
Eine Einführung in die theoretischen und praktischen
renden, interaktionsbasierten Kommunikationsansatz Problemstellungen. In: Bruhn, M. / Hadwich, K. (Hrsg.):
einen wichtigen Beitrag zu dieser Profilbildung leis- Customer Experience. Forum Dienstleistungsmanage-
ten. Dabei bauen beide Konzepte aufeinander auf: ment, S. 3-36. Wiesbaden: Springer Gabler.
während die in Einzelhandel und Gastronomie be- DEHOGA – Deutscher Hotel- und Gaststättenverband
(Hrsg.) (2017): Die Bedeutung des Hotel- und Gaststät-
reits seit längerem, jedoch bei weitem nicht flächen- tengewerbes. Berlin. Verfügbar unter:
deckend eingesetzten Erlebniskonzepte vor allem auf https://www.iwkoeln.de/fileadmin/publikationen/2017/3
61023/Gutachten_IW_Consult_2017_Bedeutung_des_G
der Schaffung eines zielgruppengerechten Ambientes
astgewerbes.pdf. (Abruf: 03.05.2019).
und einer emotionalisierenden Ladengestaltung und
Diehl, S. (2009): Reale und mediale Produkterfahrungen.
Produktpräsentation basieren, verfolgen Experience Analyse und Vergleich der Wirkungen von Experience-
Marketing-Konzepte darüber hinaus einen interakti- und Cross-Media-Marketingmaßnahmen. Wiesbaden:
Gabler.
onsbasierten, multisensualen Kommunikationsansatz
EHI (o.J.): Werbeausgaben des Handels in Deutschland
durch reale, angeleitete Produkterfahrungen, die den 2010 bis 2017. Köln. Verfügbar unter:
Konsumenten meist POS-nah geboten werden. https://www.handelsdaten.de/deutschsprachiger-
Wie erläutert, ist die exponierte Bedeutung, die die einzelhandel/werbeausgaben-von-
handelsorganisationen-deutschland-zeitreihe. (Abruf
Schaffung von Erlebniswerten und positiven Kun- 13.08.2019).
denerfahrungen nicht nur auf die Erreichung ökono- EHI (2018): Marketingmonitor Handel 2018 – 2021. Me-
mischer und psychologischer Unternehmensziele, diamixmodelle im Handel. Köln. Verfügbar unter:
https://www.ehi-
sondern auch auf die generelle Attraktivität städti-
shop.de/de/handelsthemen/marketing/studie-
scher Lebensräume hat, durch diverse empirische marketingmonitor-handel-2018-2021. (Abruf:
Untersuchungen zweifelsfrei belegt. Der Förderung 13.08.2019).
entsprechender Marketingkonzepte durch die Öffent- Emrich, C. (2014): Interkulturelles Marketing-
Management. Erfolgsstrategien – Konzepte – Analysen.
liche Hand, Fachverbände und kommunale Interes- Wiesbaden: Springer.
sensgemeinschaften kommt daher in Zukunft ein Experience Marketing Association (2019): What is Experi-
wachsender Stellenwert für den Erhalt des städti- ence Marketing? Verfügbar unter:
schen Waren- und Leistungsangebotes ebenso wie https://www.experiencemarketingassociation.org/what_i
s_experience_marketing.php. (Abruf: 05.05.2019).
für die Verbesserung urbaner Lebensqualität zu.
Freter, H. (2004): Marketing. Die Einführung mit Übun-
gen. München: Pearson Studium.
Galetto, M. (2017): What is Experiential Marketing? Best
Literaturverzeichnis Practices, Examples, and More. Verfügbar unter:
https://www.ngdata.com/what-is-experiential-
1&1 IONOS (2019): Informationsüberflutung in Zeiten der
marketing/. (Abruf: 05.05.2019).
Massenmedien. Montabaur. Verfügbar unter:
https://www.ionos.de/digitalguide/online- Haller, F. (2018): Erlebnis-Marketing: verhalten ändern
marketing/verkaufen-im- und neue Kundengruppen gewinnen. Verfügbar unter:
internet/informationsueberflutung-das-zuviel-an- https://serviceplan.blog/de/2018/08/erlebnis-marketing-
werbung/. (Abruf: 08.08.2019). verhalten-aendern-und-neue-kundengruppen-gewinnen/.
(Abruf 11.08.2019).
BBSR – Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumfor-
schung (Hrsg.) (2017):Online-Handel – Mögliche räum- HDE – Handelsverband Deutschland (Hrsg.) (2014):
liche Auswirkungen auf Innenstädte, Stadtteil- und Orts- Branchenreport Einzelhandel. Stadt und Handel. Berlin.
zentren. BBSR-Online-Publikation 08/2017, Bonn. Ver- Verfügbar unter:
fügbar unter: https://einzelhandel.de/images/publikationen/Branchenre
https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichung port_HDE_Stadt_Handel.pdf. (Abruf: 05.06.2019).
en/BBSROnline/2017/bbsr-online-08-2017.html. (Ab- HDE – Handelsverband Deutschland (Hrsg.) (2019a):
ruf: 30.04.2019). Online-Monitor 2019. Berlin. Verfügbar unter:
Becker, J. / Ebert, H. / Pastoors, S. (2018): Praxishand- https://einzelhandel.de/index.php?option=com_attachme
buch berufliche Schlüsselkompetenzen. 50 Handlungs- nts&task=download&id=10168. (Abruf: 30.07.2019).
kompetenzen für Ausbildung, Studium und Beruf. Berlin: HDE – Handelsverband Deutschland (Hrsg.) (2019b):
Springer. Jahresprognose Einzelhandel. Pressemitteilung v.
Bruhn, M. (2011): Unternehmens- und Marketingkommu- 31.01.2019. Berlin. Verfügbar unter:
nikation. Handbuch für ein integriertes Kommunikati- https://einzelhandel.de/images/presse/Pressekonferenz/2
onsmanagement. München: Vahlen. 019/Jahres-PK/HDE-Pressemeldung-JahresPK.pdf. (Ab-
ruf: 05.08.2019).
Bruhn, M. (2019): Kommunikationspolitik. Systematischer
Einsatz der Kommunikation für Unternehmen. Mün- Hedde, B. / Preißner, M. / Sondermann, N. / Brimmers, O.
chen: Vahlen. (2019): Vitale Innenstädte 2018. IFH Köln (Hrsg.).
Köln.

journal-kk.de 25
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Heinemann, G. (1989): Betriebstypenprofilierung und kehrspolitik v. 01.12.2018. Verfügbar unter:


Erlebnishandel: eine empirische Analyse am Beispiel https://einzelhandel.de/images/Stadt-
des textilen Fachhandels. Wiesbaden: Gabler. Handel/Info_Standortpolitik_04_2018.pdf. (Abruf:
Homburg, C. (2017): Marketingmanagement. Strategie – 06.08.2019).
Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung. Rinne, S. / Rennhak, C. (2006): Information Overload –
Wiesbaden: Springer. warum wir in der Kommunikation neue Wege gehen
IMAS International (2018): Anteil der Befragten, die die müssen. Munich Business School Working Paper 2006-
folgenden Werbeformen nervig, nützlich oder unterhalt- 05. München. Verfügbar unter:
sam finden (Grafik). Zitiert nach Statista GmbH. Ver- https://www.munich-business-
fügbar unter: school.de/fileadmin/mbs_daten/dateien/working_papers/
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/799683/umfr mbs-wp-2006-05.pdf. (Abruf: 10.08.2019).
age/akzeptanz-ausgewaehlter-werbeformen-in- Steffenhagen, H. (2008): Marketing. Eine Einführung.
deutschland/. (Abruf: 10.08.2019). Stuttgart: Kohlhammer.
Jäggi, S. / Portmann, C. / Pifko, C. (2010): Kommunikation Smilansky, S. (2018): Experiential Marketing. A practical
in Marketing und Verkauf. Grundlagen mit zahlreichen guide to interactive brand experiences. London: Kogan
Beispielen, Repetitionsfragen mit Antworten und Page Verlag.
Glossar. Zürich: Compendio Bildungsmedien. Smith, K. / Hanover, D. (2016): Experiential Marketing.
KAMEHA GRAND Bonn (2017): Restaurant Rheinalm Secrets, Strategies an Success Stories from the World’s
(Foto). (Zusendung von KAMEA GRAND Bonn: Greatest Brands. Hoboken, NJ: John Wiley & Sons.
29.08.2019). Statista (2019): Online Food Delivery Deutschland. Ver-
KAMEHA GRAND Bonn (2019): Rheinalm. Dein Bier- fügbar unter:
garten in Bonn. Verfügbar unter: https://de.statista.com/outlook/374/137/online-food-
https://www.kamehabonn.de/de/rheinalm-bonn.html. delivery/deutschland. (Abruf: 16.07.2019).
(Abruf: 28.08.2019). Straub-Roeden, V. (2017): Besondere Übernachtung bei
Krämer, N. / Sobieraj, S. / Grundnig, S. / Rösner, L. IKEA. Westdeutsche Zeitung v. 23.07.2017. Verfügbar
(2014): Nonverbale Kommunikation: Grundlagen, Funk- unter: https://www.wz.de/nrw/rhein-kreis-
tionen, Eigenschaften. In: Blanz, M. / Florack, A. / Pi- neuss/neuss/besondere-uebernachtung-bei-ikea_aid-
ontkowski, U. (Hrsg.): Kommunikation. Eine interdiszip- 26864677. (Abruf: 15.08.2019).
linäre Einführung, S. 65-75. Stuttgart: Kohlhammer. Swoboda, B. / Foscht, T. / Schramm-Klein, H. (2019):
Kroeber-Riel, W. / Esch, F.-R. (2015): Strategie und Tech- Handelsmanagement. Offline-, Online- und Omnichan-
nik der Werbung. Stuttgart: Kohlhammer. nel-Handel. München: Vahlen.
Kroeber-Riel, W. / Gröppel-Klein, A. (2013): Konsumen- Ternes, D. (2008): Kommunikation – eine Schlüsselqualifi-
tenverhalten. München: Vahlen. kation. Einführung zu wesentlichen Bereichen zwi-
L&T (o. J.): Surfen in der City von Osnabrück. Verfügbar schenmenschlicher Kommunikation. Paderborn: Junfer-
unter: https://www.l-t.de/hasewelle-0#regdl=kategorien. mann.
(Abruf: 10.08.2019). W&V (2019): Entwicklung der Bruttoinvestitionen in
L&T (2018): Wellenbecken bei L&T (Foto). (Zusendung Werbung in Deutschland in den Jahren 1995 bis 2018
von L&T: 28.08.2019). (Grafik). Zitiert nach Statista GmbH. Verfügbar unter:
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/4155/umfrag
Licht, R. (2017): Im Restaurant „Laurus Vital“ könnt ihr e/entwicklung-der-werbeinvestitionen-in-deutschland-
jetzt selber kochen. Tag24-News v. 23.09.2017. Verfüg- seit-2000/. (Abruf 12.08.2019).
bar unter:
https://www.tag24.de/nachrichten/hartmannsdorf-im- Waldeck, A. (2018): 1. Hessischer Innenstadtgipfel. Wirt-
restaurant-laurus-vital-norbert-hanussek-koennt-ihr- schaft und Land wollen gemeinsam Hessens Innenstädte
jetzt-selber-kochen-339340. (Abruf: 15.08.2019). stärken. Pressemitteilung der IHK v. 22.08.2018. Frank-
furt am Main. Verfügbar unter: https://www.frankfurt-
Medienhaus München Eisenack (2018): Selbstgekocht main.ihk.de/presse/meldungen/2018/21766/. (Abruf:
schmeckts halt am besten – DIY Restaurant. Verfügbar 26.07.2019).
unter: https://www.mucbook.de/selbstgekocht-
schmeckts-halt-am-besten-diy-restaurant/. (Abruf: Weinberg, P. (1986): Nonverbale Marktkommunikation.
15.08.2019). Heidelberg: Physika-Verlag.
Meffert, H. / Burmann, C. / Kirchgeorg, M. / Eisenbeiß, WELT (2008): Hier kocht der Gast noch selbst. Welt v.
M.(2019): Marketing. Grundlagen marktorientierter 15.12.2008. Verfügbar unter:
Unternehmensführung. Konzepte – Instrumente – Pra- https://www.welt.de/regionales/hamburg/article2881813
xisbeispiele. Wiesbaden: Springer. /Hier-kocht-der-Gast-noch-selbst.html. (Abruf:
15.08.2019).
Müller, S. / Gelbrich, K. (2014): Interkulturelle Kommuni-
kation. Wiesbaden: Springer. ZAW (2019): Marktanteile der einzelnen Werbemedien im
deutschen Bruttowerbemarkt im Jahr 2018.
Müller-Hagedorn, L. / Toporowski, W. / Zielke, S. (2012): Zitiert nach Statista GmbH. Verfügbar unter:
Der Handel. Grundlagen – Management – Strategien. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154767/umfr
Stuttgart: Kohlhammer. age/mediasplit-im-deutschen-werbemarkt/. (Abruf
Pine, B. / Gilmore, J. (1999): The Experience Economy. 12.08.2019).
Boston, MA: Harvard Business School Press.
Reink, M. (2018): Kreativwettbewerb „Interiordesign und
Handel“. Mitteilungen des HDE zur Standort- und Ver-

26 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Mona Abdel Rahman:


Machen Marken moralisch flexibel?

Moralische Aspekte werden in den letzten Jahren immer wichtiger und führen zu einer kritischeren Auseinander-
setzung mit Marken und ihren Produkten. Dabei kommen die Konsumenten zweifelsohne zu dem Ergebnis: Wir
müssen moralischer konsumieren! Gleichzeitig zeigt sich aber auch, dass es die Moral meist nur in die Köpfe,
aber nicht in den Warenkorb der Verbraucher schafft. Aber warum ist das so und was haben Marken eventuell
damit zu tun? Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich damit, ob das Image oder die Reputation einer Marke
dazu führen kann, dass Konsumenten weniger empfindlich auf moralische Verfehlungen von Unternehmen rea-
gieren. Die theoretische Basis zeigt sowohl für die Moral als auch für Marken ein eher paradoxes Bild. Wie
Studien zeigen, wird Moral immer wichtiger, trotzdem kommen die Konsumenten nicht so richtig aus ihrer un-
moralischen Haut. Marken sind hingegen weiterhin ein wichtiges Kaufkriterium und sind sogar schon fest in
unserem Kaufentscheidungsprozess verankert, auch wenn diese auch so ihre Probleme zu haben scheinen. Aus-
gehend von der Theorie wurde in Gruppendiskussionen untersucht, welche Faktoren wirklich dazu führen, dass
es die Moral nicht so richtig in unser Kaufverhalten schaffen will und inwieweit Markenimages an der Moral
der Konsumenten sägen. Die Ergebnisse der empirischen Forschung zeigen, dass moralischer Konsum vor allem
einen großen Druck zur Veränderung auslöst und sich die Befragten diesem heute noch gar nicht so richtig
gewachsen sehen. Und da kommen auch die Marken ins Spiel: diese haben sich schon so tief in den Lebensstilen
und den Kaufentscheidungen verankert, dass wir uns einfach darauf verlassen, dass die Marken das mit der
Moral schon für uns richten

Moral und Konsum – zwei Konstrukte, die sich bis- vielen Marken trotz gravierender Missstände unge-
her aufgrund eines fehlenden Bewusstseins oder brochen und auch das Vertrauen und die Beliebtheit
fehlender Relevanz nur schwer miteinander verein- solcher Marken scheint, wenn überhaupt nur kleine,
baren ließen, werden in den letzten Jahren zuneh- unerhebliche Kratzer abzubekommen. So wurden die
mend miteinander verbunden und die Konsumenten Marken Nike und Adidas, die immer wieder für
denken mehr und mehr über moralische Aspekte Skandale rund um ihre Arbeitsbedingungen sorgen
beim Kauf nach. Dies zeigen auch verschiedene im Jahr 2018 zu den beliebtesten Marken in Deutsch-
Studien wie die Otto Group Trendstudie aus dem land gewählt (vgl. Onpulson 2018: o.S.) und Nestlé
Jahr 2013. Laut Angaben der Befragten kaufen be- wurde trotz Palmöl-Skandalen erst dieses Jahr zur
reits 89 % mindestens gelegentlich ethisch herge- vertrauenswürdigsten Marke im Bereich Lebensmit-
stellte Produkte (vgl. Wippermann / Otto Group tel (vgl. Saal 2019: o.S.).
2013: S.13). Auch Unternehmen springen zumindest Auch eine Studie des GfK-Vereins zeigt auf, dass
mit angezogener Handbremse auf den Moralzug auf, Moral im tatsächlichen Konsumverhalten bisher trotz
indem sie Conscious Collections, Fair-Trade Le- steigendem Bewusstsein nur eine untergeordnete
bensmittel und Elektroautos auf den Markt bringen. Rolle spielt. Während 59 % der Befragten angeben,
Dies ist auch wenig überraschend, werden doch vor dass ihnen moralische Herstellungsbedingungen im
allem in den letzten Jahren viele Unternehmen im- Konsum wichtig seien, besitzen tatsächlich nur 25 %
mer wieder durch aufgedeckte Skandale mit ihrer mindestens ein Produkt, welches umweltverträglich
eigenen moralischen Inkompetenz konfrontiert. Die oder sozial fair hergestellt ist (vgl. Frank et al. 2015:
Liste der unmoralischen Unternehmen scheint dabei S. 8). Doch wie kann es sein, dass den Konsumenten
schier endlos zu sein und wird vor allem von großen auf der einen Seite moralische Aspekte immer wich-
Marken angeführt. Kommen diese Skandale ans tiger werden und auf der anderen Seite genau diesel-
Licht, lösen diese zumindest bei einigen Menschen ben Konsumenten häufig die Produkte der Marken
Empörung aus und die Unternehmen werden heute präferieren, die am unmoralischsten agieren? Fragt
vor allem in der digitalen Welt mit negativen Äuße- man die Konsumenten selbst, warum diese nur selten
rungen konfrontiert. Dies scheint den meisten Kon- oder gar nicht moralisch einwandfreie Produkte
zernen aber nicht oder zumindest nicht langfristig zu kaufen, sind die Gründe vielfältig: fehlende finanzi-
schaden, denn die Kauflust der Konsumenten ist bei elle Ressourcen, fehlende moralische Alternativen,

journal-kk.de 27
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Relevanz von modischer Aktualität und Misstrauen tätigen und Studenten die unterschiedlichen Hemm-
in Fair-Trade-Siegel sind nur einige Faktoren, die nisse für moralischen Konsum herausgearbeitet wer-
den moralischen Konsum scheinbar immer wieder den, wobei sich die Forschung insbesondere auf die
bremsen. Ein anderer Aspekt, den nur wenige Kon- Bedeutung von Marken im Zusammenhang mit Kon-
sumenten im Zusammenhang mit moralischem Kon- sum fokussiert. Durch die bisher für die Erforschung
sum erwähnen, ist die Relevanz von Marken, die sich noch nicht angewendete Forschungsmethodik der
nicht nur in den vorausgegangenen Ergebnissen über Gruppendiskussion sollen soziale Anpassungen der
Nike und Adidas zeigt, sondern auch durch die Mar- Befragten vermieden und durch die Interaktion even-
kenrelevanz-Studie von McKinsey & Company tuell nur unterbewusst vorhandene Markenpräferen-
bestärkt wird. Laut der Studie sind Marken weiterhin zen und deren Bedeutung für die Moral im Konsum
ein wichtiges Kaufkriterium, vor allem wenn es um herausgearbeitet werden.
Produkte geht, die in der Öffentlichkeit verwendet
oder konsumiert werden. Dabei steht bei den Befrag- Die Marke – das Schutzschild des Unter-
ten insbesondere der ideelle Nutzen von Marken bei nehmens?
der Kaufentscheidung im Vordergrund (vgl. Die Marke ist einer der wertvollsten Vermögensge-
McKinsey & Company 2016: o.S.). Auch der „Pro- genstände eines Unternehmens. Starke Marken be-
phet Brand Relevance Index“ aus dem Jahr 2016 einflussen das Verhalten der verschiedenen An-
zeigt, dass für 64 % der Befragten Marken existieren, spruchsgruppen eines Unternehmens und haben
auf die sie nicht verzichten können und ohne die sie somit auch eine maßgebliche Bedeutung für den
nicht leben wollen würden. 76 % der Befragten sind Unternehmenserfolg (vgl. Muth/ Immetsberger 2007:
außerdem bereit neue Produkte dieser Marken blind S.265). Eine Marke erfüllt dabei zahlreiche Funktio-
zu kaufen, da sie so stark auf die Marken vertrauen nen für ihr Unternehmen. Sie übernimmt einen Teil
(vgl. Prophet 2016: o.S.). Das Marken dabei schon der Recherche für den Konsumenten und trifft somit
sehr früh im Kaufentscheidungsprozess Einfluss auf eine Vorauswahl (vgl. Muth und Immetsberger 2007:
uns nehmen, zeigt unter anderem eine Studie von S. 268). Sie verringert die Unsicherheit einer Ent-
Quantcast. Laut Aussagen der Befragten haben be- scheidung und bietet den Konsumenten die Möglich-
reits 86 % in einer frühen Phase der Kaufentschei- keit sich selbst zu entfalten und die positiven Eigen-
dung eine Auswahlliste von Marken und 79 % haben schaften der Marke auf sich selbst zu übertragen
schon vor der eigentlichen Kaufentscheidung eine (vgl. Meffert und Bierwirth 2001: S.7). Dies führt,
bestimmte Marke im Kopf (vgl. Quantcast 2016: dazu, dass sie den Konsumenten Schritt für Schritt in
o.S.). ihren Bann zieht und diesen noch bevor er es be-
Wie es scheint haben Marken also doch mehr Ein- merkt nicht nur an sich, sondern auch an das Unter-
fluss auf uns als Konsumenten, als wir es uns selber nehmen bindet, welches während die Marke im Vor-
gerne eingestehen möchten. Haben Marken also dergrund ihre prunkvolle Show aufführt, leise und
tatsächlich eine so große unterbewusste Macht auf unauffällig im Hintergrund agiert. Es wird deutlich,
uns, dass wir unsere moralischen Ansprüche über dass die Marke eine enorme Wirkungskraft besitzt,
Bord werfen und die unmoralischen Verhaltenswei- welche sich auf viele Bereiche des Unternehmens
sen der Unternehmen in den Hintergrund drängen auswirkt und außerdem im Wesentlichen die Bezie-
oder konsumieren wir vielleicht sogar bewusst un- hung des Unternehmens zu seinen Stakeholdern
moralisch, weil uns die Marken mit ihren attraktiven bestimmt. Dabei scheint es sogar so zu sein, dass die
Images einfach wichtiger sind? Um der besonderen Marke das Unternehmen vor allem im Verhältnis zu
Rolle von Marken im Zusammenhang mit morali- den Konsumenten häufig überstrahlt und diese keine
schem Konsum einmal intensiver auf den Grund zu klare Trennung zwischen dem Unternehmen und der
gehen, beschäftigt sich der vorliegende Beitrag mit Marke vornehmen oder dies auch oftmals gar nicht
folgender Forschungsfrage: „Ist das Image / die können. Andererseits geht Schmidt (2002: o.S.)
Reputation der Marke konsumentscheidender als die davon aus, dass die Marke auch die Verhaltenswei-
Moral des Unternehmens und reagieren Konsumen- sen des Unternehmens in sich bündelt, was zur Folge
ten deshalb aufgrund positiver Markenimages weni- haben müsste, dass sich negative Verhaltensweisen
ger empfindlich auf moralische Verfehlungen?“ des Leistungsträgers - dem Unternehmen - auch auf
Dabei sollen durch Gruppendiskussionen mit Berufs-

28 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

die Marke auswirken, auch wenn dies in der Praxis übertragen haben, zeigt die Otto Group Trendstudie
häufig nicht so scheint. 2013. Dabei gaben 89 % der Befragten an ethisch
korrekt hergestellte Produkte zu mindestens gele-
Moral – Imagetreiber oder Imagevertrei- gentlich zu kaufen (vgl. Wippermann / Otto Group
ber? 2013: S. 13). Einen weiteren Beleg dafür, dass die
Die zahlreichen Unternehmensskandale in Bezug auf Verhaltensweisen des Unternehmens immer wichti-
moralische Verfehlungen haben dazu geführt, dass ger werden, erbringt eine Studie von Weber Shand-
die Einhaltung moralischer Aspekte immer stärker wick aus dem Jahr 2017. Im Rahmen der Studie wird
auch im Zusammenhang mit dem Image und der deutlich, dass bei den Konsumenten ein Shift von der
Reputation eines Unternehmens betrachtet wird. In Bedeutung von Reputation für Markenvertrauen hin
der Debatte um moralische Verantwortung wird zu den Verhaltensweisen des Unternehmens stattge-
grundsätzlich deutlich, dass diese sowohl Reputati- funden hat. Dabei geben 40 % der Befragten an, dass
onschancen als auch Reputationsrisiken birgt. Auf sie sich regelmäßig mit anderen Personen darüber
der Seite der Chancen kann die Einhaltung morali- austauschen, wie ehrlich und ethisch ein Unterneh-
scher Aspekte Reputationsverluste verringern, unter men agiert (vgl. Weber Shandwick 2017: S. 7 f.). Im
anderem aber auch durch die Differenzierung und Zusammenhang damit zeigt sich bei den Befragten
Profilierung mit Verantwortung zu einer besseren auch, dass sie auf Produkte verzichten, wenn sie dem
Reputation und höheren Kundenloyalität führen (vgl. produzierenden Unternehmen negativ gegenüberste-
Loew et al. 2004: S. 101). Reputationsrisiken sieht hen: 38 % haben sich obwohl sie bereits ein be-
Eisenegger beispielsweise darin, dass die zu offensi- stimmtes Produkt präferierten für ein anderes ent-
ve Darstellung als „Good Corporate Citizen“ zu schieden, da sie das Unternehmen nicht mochten
negativen Konsequenzen führen kann (vgl. Eiseneg- oder nicht mit dessen Verhaltensweisen überein-
ger 2005: S. 102), wenn die soziale Verantwortung stimmten (vgl. Weber Shandwick 2017: S. 13 ff.).
nur als PR-Zweck angesehen wird (vgl. Biedermann Trotz dieser Entwicklungen spiegelt sich dies bei
2008: S. 300) und vor allem die soziale Reputation vielen Konsumenten aber häufig noch nicht in ihrem
leiden kann, da ein Abweichen von moralischen konkreten Kaufverhalten wider oder ihre Beiträge
Standards sofort von den Medien aufgegriffen wird haben keinen wesentlichen Einfluss auf die Gesamt-
(vgl. Eisenegger 2008: o.S.). Auch wenn die Theorie bilanz, da diese ihre moralischen Bemühungen mit
neben vielen Chancen von „moralischer“ Verantwor- unmoralischem Verhalten kompensieren (vgl. Fi-
tung vor allem die Risiken bei Nicht-Einhaltung scher / Sommer 2011: S. 183). Die Differenz zwi-
betont, zeigt sich in der Realität doch häufig ein schen Einstellung und Konsum resultiert dabei unter
anderes Bild und gerade Unternehmen, die über ein anderem daraus, dass auch wenn die meisten Kon-
positives Image und eine gute Reputation verfügen, sumenten moralische einwandfreie Herstellungsbe-
setzen diese Risiken scheinbar außer Kraft und treten dingungen als wichtig erachten, häufig nicht über die
nach einer kurzen Phase der Demut wieder strahlend Bereitschaft verfügen mehr für soziale oder ökologi-
und häufig mit noch mehr Glaubwürdigkeit und sche Mehrleistungen auszugeben ( vgl. Auger et al.
größerer Loyalität aus dem moralischen Abgrund 2003: S. 284). Des Weiteren fehlen den Konsumen-
hervor als wäre nichts gewesen. ten oft Informationen über die Herstellungsbedin-
gungen und diese werden auch nur selten von den
Moral – zwischen Verantwortung und Konsumenten aktiv eingefordert ( vgl. Imug 2006
Gewohnheit zitiert nach Aßländer 2011: S. 66). Dies zeigt auf,
Das Thema Moral spielt in vielen Bereichen unseres dass die Konsumenten über eine große Verantwor-
Lebens eine große Rolle. Auch für unseren Konsum tung in Bezug auf moralischen Konsum verfügen,
und die Verantwortung von Unternehmen gewinnen dieser Verantwortung aufgrund von fehlender Infor-
moralische Aspekte wie gerechte Arbeitsbedingun- mationssuche und geringen Kapazitäten zur Auf-
gen, Nachhaltigkeit und Fair-Trade zunehmend an nahme solcher Informationen nicht gewachsen sind (
Relevanz. Das dabei bereits ein erheblicher Wandel vgl. Aßländer 2011: S. 68). Außerdem stellt der
in den Köpfen der Konsumenten stattgefunden hat Konsum einen wesentlichen Aspekt von Lebenssti-
und einige diesen auch schon auf ihr Kaufverhalten len dar, welcher wiederum maßgeblich für die
Kommunikation im sozialen Feld ist (vgl. Jackson

journal-kk.de 29
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

2008: S. 345 ff.). Das Konsumverhalten dient dabei Lebensstils an erster Stelle und die Moralisierung
zur Stilisierung und als Ausdruck der eigenen Per- durch Außenstehende ist zweitranging. Damit lässt
sönlichkeit und der Stellung in der Gesellschaft. sich auch die Differenz zwischen Einstellung und
Dabei profilieren sich die Konsumenten bisher lieber Verhalten erklären, die in Bezug auf moralischen
mit Marken als mit Moral. Konsum auftritt, da diese Art von Konsum in den
Das trotz einem erhöhten Bewusstsein noch nicht meisten Fällen nicht kompatibel mit dem im Lebens-
moralischer konsumiert wird und Konsumenten stil vorherrschenden Regelwerk ist (vgl. Hellmann
immer noch stark an bekannten Verhaltensmustern 2013: S. 43).
festhalten, lässt sich auch durch die Verhaltensöko-
nomie erklären. Beispielsweise geht die Erwartungs- Marken – zwischen Vertrauen und Indif-
theorie davon aus, dass Menschen die Verluste ihres ferenz
Verhaltens deutlich schwerer gewichten als die po- Täglich werden wir als Konsumenten mit einer un-
tentiellen Gewinne, weshalb häufig an den bisheri- endlichen Menge an Marken konfrontiert und wer-
gen Verhaltensweisen festgehalten wird (vgl. Heath den bewusst oder unbewusst von diesen beeinflusst.
et al. 1999: S. 79 f.). Dies zeigt sich unter anderem Auch wenn das Vertrauen in Marken dabei häufig
daran, dass die meisten Konsumenten über keine schwankt, dienen diese den Konsumenten in ihren
höhere Zahlungsbereitschaft für moralische einwand- Kaufentscheidungen trotzdem immer wieder als
freie Produkte verfügen, da diese den Verlust ihres wertvoller Orientierungspunkt. Das sich Marken
Geldes als gewichtiger empfinden als die Verbesse- trotz der zunehmenden Debatte um Herstellungsbe-
rung der Herstellungsbedingungen (vgl. Fischer / dingungen und Nachhaltigkeit noch an einer großen
Sommer 2011: S. 187 f.). Aufgrund dieser Aspekte Relevanz erfreuen können, bestätigt unter anderem
ist im Zusammenhang mit moralischem Konsum die Markenrelevanz – Studie von McKinsey &
auch immer wieder von der Notwendigkeit eines Company. Die Bedeutung der Marke stieg bei den
Wandels in den Köpfen der Konsumenten die Rede. Befragten der Studie im Vergleich zur letzten Erhe-
Dabei ist zu beachten, dass nicht das rationale Ab- bung im Jahr 2013 um 8 %. Eine Ursache dafür sieht
wägen von Vor- und Nachteilen bei einer Kaufent- die Studie in der Entwicklung der Reallöhne und den
scheidung im Vordergrund steht, sondern andere damit einhergehenden höheren finanziellen Ressour-
Einflüsse wie Entscheidungsheuristiken und Verhal- cen der Konsumenten, die diese auch gerne durch
tenstendenzen oft viel stärker sind (vgl. Reisch / den Konsum von Marken nach außen tragen möch-
Hagen 2011: S. 221) und diese den Konsumenten ten. Dies zeigt sich auch daran, dass besonders die
bisher nur selten zur Moral führen. Ein Problem in Bedeutung des ideellen Nutzens, also dem Beitrag
der Vereinbarkeit von Einstellungen und Verhalten einer Marke zum individuellen Imagegewinn und zur
erkennt auch Hellmann. Für ihn liegt die Schwierig- Selbstverwirklichung um 7,6 % angestiegen ist (vgl.
keit von moralischem Konsum vor allem darin, dass Mc Kinsey & Company 2016: o.S.). Dass die Mar-
eine Ausrichtung an diesem zur Folge hätte, das der kenrelevanz eine entscheidende Rolle im Kaufpro-
Konsument entweder alle Aspekte der Warenkunde zess spielt, zeigt auch der „Prophet Brand Relevance
und der Wertschöpfung eines Produktes oder einer Index“ aus dem Jahr 2016. 64 % geben dort an, dass
Dienstleistung hinsichtlich ihrer ökonomischen, Marken existieren, auf diese sie in ihrem Alltag nicht
ethischen, sozialen und ökologischen Güte untersu- verzichten können. Außerdem geben 76 % der Be-
chen müsste oder stets moralisch fragwürdig handelt, fragten an, dass diese über die Bereitschaft verfügen,
wenn er dies nicht tun würde (vgl. Hellmann 2013: neue Produkte dieser Marken aufgrund ihres starken
S. 21 ff.). Des Weiteren erkennt er, dass alle Konsu- Vertrauens blind zu kaufen (vgl. Prophet 2016: o.S).
menten lediglich den Regeln ihres Lebensstils folgen Eine Studie von Quantcast kommt darüber hinaus zu
und es somit keinen unmoralischen Konsum geben dem Ergebnis, dass 79 % der Deutschen bereits eine
kann (vgl. Hellmann 2013, S. 43). Insgesamt ist für bestimmte Marke im Kopf haben, bevor sie konsu-
Hellmann zu berücksichtigen, dass es eine Pluralität mieren (vgl. Quantcast 2017: o.S.). Gleichzeitig zeigt
von Konsumnormen gibt, die alle moralisch respek- sich aber auch eine zunehmende Indifferenz von
tiert werden sollten und somit auch die Verantwor- Marken: eine Studie der Havas Mediengruppe fand
tung im Konsum nur im Plural beantwortet werden heraus, dass 77 % der Marken verschwinden könn-
kann. Dabei steht aber immer die Verantwortung des

30 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

ten, ohne dass dies erheblichen Einfluss auf den nehmen repräsentiert. Dies kann zu Folge haben,
Konsum der Befragten hätte (vgl. Rentz 2019: o.S.). dass das positive Image einer Marke die moralischen
Die dargestellten Ergebnisse zeigen ein insgesamt Verhaltensweisen des Unternehmens in den Hinter-
eher paradoxes Bild für die Relevanz von Marken. grund treten lässt. Um dies zu prüfen, wurde diese
Auf der einen Seite besitzen diese nach Studien und letzte Hypothese aufgestellt: „Je weniger die Marke
auch nach ihren Absatzzahlen zu urteilen eine hohe und das dazugehörige Unternehmen in der Wahr-
Relevanz, andererseits scheinen sie vielen Konsu- nehmung der Konsumenten voneinander getrennt
menten zunehmend egal zu sein. Marken begegnen sind, desto eher konsumieren diese auch Produkte
diesem Umstand damit, dass sie immer wieder inno- von Unternehmen mit moralisch fragwürdigem Ver-
vative Produkte auf den Markt bringen, die neue halten“. Zur Überprüfung der Hypothesen und der
Bedürfnisse bei den Konsumenten wecken. Aber Beantwortung der Forschungsfrage wurden Grup-
reicht das wirklich aus oder müssen Marken sich pendiskussionen mit Studenten und Berufstätigen
eingestehen, dass heute Verantwortungsbewusstsein durchgeführt, die über unterschiedliche Einstellun-
gefragter ist als Innovativität? Für viele Marken gen zu moralischem Konsum sowie zu anderen Kau-
scheint zumindest heute die Antwort auf diese Frage faspekten aufweisen. Die Auswahl der Teilnehmer
noch „Nein“ zu lauten. Denn trotz der konträren erfolgte dabei auf Basis einer Konsumtypologie aus
Studienergebnisse zeigt sich, dass Marken immer der Studie „Ethischer Konsum: Nur eine Frage der
noch eine starke Wirkung entfalten und auch schon Selbstlosigkeit?“ des GfK-Vereins. Dafür wurde ein
dann wirken, bevor der Konsument überhaupt über Fragebogen erstellt, der die Zuordnung der Teilneh-
moralische Aspekte nachdenken kann. mer zu einem bestimmten Konsumtyp ermöglichen
sollte. Um sich in der Diskussion der Beantwortung
Ergebnisse der empirischen Forschung: der Forschungsfrage zu nähern, wurde ein Diskussi-
Gewohnheit und Marken schlagen Moral, onsleitfaden entwickelt, welcher Fragen zu den un-
Image schlägt Reputation terschiedlichen Themenblöcken „Kaufverhalten“,
„Image und Reputation“, „moralischer Konsum“ und
Ausgehend von der ausführlichen Betrachtung von „Verhältnis zwischen Unternehmen und Marke“
Marken, Moral und Konsum sowie deren Beziehung beinhaltet. Die Ergebnisse der Gruppendiskussion
zueinander, lassen sich drei Hypothesen ableiten, die wurden mit Hilfe der Grounded Theory ausgewertet.
im Rahmen des empirischen Teils überprüft werden Der Analysemodus wurde dabei zu einem dreistufi-
sollen. Da sich im Laufe des theoretischen Teils gen Prozess ausgebaut (vgl. Flick 2007: S. 387),
herauskristallisiert hat, dass der Einfluss von morali- welcher das offene, axiale und selektive Kodieren
schen Aspekten durchaus auch negativen Einfluss beinhaltet. Das offene Kodieren umfasst das Aufbre-
auf das Image oder die Reputation haben kann, dies chen der Daten, um einzelne Phänomene und ihre
aber häufig von großen Marken außer Kraft gesetzt Eigenschaften herauszuarbeiten (vgl. Strübing 2014:
wird, lautet die erste Hypothese „Je weiter die Mora- S. 16). Im Rahmen des axialen Kodierens wird ein
lisierung der Märkte voranschreitet, desto wichtiger phänomenbezogenes Zusammenhangmodell erarbei-
wird ein gutes Image/ eine gute Reputation einer tet, in dem Beziehungen zwischen Konzepten an-
Marke“. Des Weiteren wurde im Theorieteil der hand des Materials hergestellt und durch kontinuier-
Arbeit bereits der Konflikt von Konsumenten zwi- liches Vergleichen geprüft werden (vgl. Strübing
schen Marken und Moral genauer verdeutlicht, wo- 2014: S. 25 f.). In Abhängigkeit der Forschungsfrage
bei sich bisher eher eine stärkere Gewichtung in sowie den Fortschritten in den ersten beiden Kodier-
Richtung Marken zeigt. Daraus folgt die Hypothese: schritten werden ein bis zwei theoretische Konzepte
„Je attraktiver eine Marke für den Konsumenten, herausgearbeitet, welche zentral für die entstehende
desto weniger Einfluss hat die Moralität des dazuge- Theorie sein könnten. Diese theoretischen Konzepte
hörigen Unternehmens“. Es konnte außerdem festge- werden im letzten Schritt – der selektiven Kodierung
stellt werden, dass zwischen Marke und Unterneh- in Bezug auf die Kernkategorien integriert (vgl.
men ebenfalls eine besondere Beziehung besteht und Strübing 2014: S. 16 f.).
diese zahlreiche Funktionen für das Unternehmen In den Gruppendiskussionen konnte als eine selek-
übernimmt. Dabei wurde deutlich, dass meist die tive Achse ein von den Befragten wahrgenommener
Marke im Vordergrund steht und das gesamte Unter- Transformationsdruck herausgearbeitet werden, der

journal-kk.de 31
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

sich einerseits auf die Konsumenten, andererseits werden und diesen zugunsten der Marken zu verän-
aber auch auf die Unternehmen auswirkt. Des Weite- dern. Es wurde außerdem deutlich, dass fast alle
ren kristallisierten sich eine steigende Verantwortung Befragten einige Marken schon in ihr relevant set
und steigende Anforderungen an die Konsumenten, aufgenommen haben und über ein großes Marken-
eine höhere Gewichtung von Marken als von morali- vertrauen verfügen, was dazu führt, dass diese davon
schen Aspekten sowie die Notwendigkeit eines ausgehen, dass moralische Aspekte bei Markenpro-
Wandels im Kaufverhalten heraus. Der Transforma- dukten berücksichtigt werden. Gleichzeitig zeigte
tionsdruck resultiert für die Befragten unter anderem sich aber auch ein zunehmendes Misstrauen sowie
daraus, dass für moralischen Konsum zahlreiche eine Indifferenz bei Marken. Eine weitere spannende
Aspekte gleichzeitig beachtet werden müssen. Des Erkenntnis in Bezug auf die Bedeutung von Marken
Weiteren wird deutlich, dass die Befragten sich vor ist außerdem die Tatsache, dass keine getrennte
allem im Zusammenhang mit der Notwendigkeit Betrachtung von Marken und Unternehmen erfolgt,
eines Wandels im Kaufverhalten nicht ausreichend was dazu führt, dass sich das Image der Marke auch
von den Unternehmen durch die Bereitstellung von auf das Unternehmen auswirkt und bei einem positi-
moralischen Produkten unterstützt fühlen und sich ven Image der Marke somit weniger Bedenken ge-
die Befragten aufgrund ihrer Konsumgewohnheiten genüber dem Unternehmen bestehen. Die zuneh-
und der Relevanz von anderen Kaufkriterien einem mende Notwendigkeit eines Wandels im Kaufverhal-
Wandel im Konsum noch gar nicht gewachsen se- ten wird in den Augen der Befragten vor allem durch
hen. Der Transformationsdruck wird dabei vor allem die Medien vorangetrieben, da sie zunehmend auf
durch die Medien vermittelt, welcher trotz der gro- Skandale aufmerksam machen und die Konsumenten
ßen Überforderung schon zu partiellen Änderungen damit dazu auffordern, ihr eigenes Kaufverhalten zu
im Kaufverhalten führt. Den Transformationsdruck hinterfragen. Begrenzt werden die Befragten dabei
bekommen außerdem nicht nur die Konsumenten, allerdings von fehlenden finanziellen Ressourcen,
sondern auch die Unternehmen zu spüren. Dabei fehlendem Vertrauen in Siegel, der Relevanz von
befinden sie sich aufgrund der zunehmenden kriti- anderen Kaufkriterien und der schwierigen Umstel-
schen Auseinandersetzung der Konsumenten in ei- lung der bisherigen Konsumgewohnheiten sowie der
nem Konflikt zwischen Moral und Wettbewerbsfä- fehlenden Transparenz und gefühlten Distanz zu
higkeit. Die steigende Verantwortung der Konsu- moralischen Missständen. Dies führt dazu, dass sich
menten resultiert daraus, dass moralischer Konsum die Befragten selbst als machtlos ansehen und die
zunehmend ein Hinterfragen der eigenen Kaufge- Verantwortung für moralischen Konsum an die Un-
wohnheiten und der Verhaltensweisen von Unter- ternehmen abgeben. Daraus ergibt sich, dass die
nehmen erfordert. Es zeigte sich in den Gruppendis- Konsumgewohnheiten nicht zu sehr durch morali-
kussionen allerdings, dass sich die Befragten darin schen Konsum eingeschränkt werden dürfen und sich
durch die schwierige Informationssuche und die dieser in die bestehenden Lebensstile der Befragten
fehlende Transparenz von Unternehmen beschränkt integrieren muss.
sehen. Auf persönlicher Ebene stellten sich die Fak- Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der Grup-
toren „fehlende Zeit“ und „fehlende Motivation“ als pendiskussionen, dass eine massive Diskrepanz
die größten Hemmnisse heraus. Aufgrund der ge- zwischen Einstellungen und Verhalten in Bezug auf
nannten intervenierenden Variablen kommt es bei moralischen Konsum besteht. Dabei bestätigen sich
den Befragten zu einer fehlenden Informationssuche außerdem die hohe Relevanz von anderen Kaufkrite-
und somit auch zu fehlenden Veränderungen im rien sowie die Bedeutung von Konsumgewohnhei-
Kaufverhalten. Die Gruppendiskussionen konnten ten, die aus den Lebensstilen der Befragten resultie-
außerdem zeigen, dass Marken im Konsum der Be- ren. Darüber hinaus kann die zentrale Hypothese, das
fragten vor allem unterbewusst eine besonders große „Je attraktiver eine Marke für den Konsumenten,
Rolle einnehmen und moralische Aspekte somit in desto weniger Einfluss hat die Moral des dazugehö-
den Hintergrund treten. Als zentrale Ursache hat sich rigen Unternehmens“ bestätigt werden, da die Kon-
dabei die feste Verankerung von Marken im Lebens- sumenten bei Marken deren Produkte ihnen gefallen
stil herausgestellt. Darüber hinaus schaffen es Mar- und mit denen sie positive Attribute verbinden, we-
ken vor allem durch die Erzeugung von Trends in niger Bedenken in Bezug auf moralische Aspekte
den Lebensstil der Konsumenten aufgenommen zu haben und Marken im Gegensatz zu Moral bereits

32 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

einen erfolgreichen Weg in den Lebensstil und somit helfen den Konsumenten diesen nach außen zu tra-
auch in das Kaufverhalten der Konsumenten gefun- gen.
den haben. Des Weiteren kann auch bestätigt wer- Die für die Beantwortung der Forschungsfrage
den, dass die Marke und das Unternehmen häufig durchgeführte empirische Forschung konnte dabei
nicht getrennt voneinander betrachtet werden und einerseits den bisherigen Forschungsstand zu Moral
sich so das Image der Marke auch auf das Unter- und Marken im Konsum bestätigen, andererseits aber
nehmen überträgt. Interessanterweise wird durch die eine besondere Rolle von Marken für den morali-
Diskussionen aber auch deutlich, dass die Bedeutung schen Konsum herausarbeiten. Die Gruppendiskus-
des Images einer Marke wesentlich höher ist als die sionen zeigen einen zunehmenden Transformations-
der Reputation einer Marke im sozialen Umfeld. druck, der auf den Konsumenten lastet. Dieser führt
Somit kann die durchgeführte Forschung die höhere dabei zu Überforderung und somit zu einer Verant-
Relevanz von Marken bestätigen und aufzeigen, dass wortungsübergabe an die Unternehmen. Gleichzeitig
sich die Konsumenten aufgrund ihrer Konsumge- zeigt sich aber auch, dass viele Konsumenten sehr
wohnheiten und der hohen Unsicherheit bezüglich stark an ihren Kaufgewohnheiten und den darin
moralischen Konsums nur schwer auf diesen einlas- existierenden relevanten Kaufkriterien hängen,
sen können und Marken dabei unterbewusst als Ret- wodurch die Kaufentscheidungen meist schneller
tungsanker wirken. getroffen werden, als moralische Aspekte im Kopf
der Konsumenten berücksichtigt werden können.
Fazit Außerdem drängen sich die Befragten häufig selbst
in eine passive Rolle, wenn es um die Einhaltung
Ziel des vorliegenden Artikels war es herauszufin- von moralischen Aspekten geht, da sie in ihren Au-
den, ob positive Markenimages den eigentlichen gen von Politik und Unternehmen in ein Konsum-
Grund dafür darstellen, dass Konsumenten trotz muster gedrängt wurden, aus dem sie nicht ausbre-
steigendem Bewusstseins für moralischen Konsum chen können. Neben den in anderen Studien aufge-
immer noch regelmäßig unmoralisch konsumieren. zeigten intervenierenden Bedingungen wie finanziel-
Betrachtet man das Verhältnis zwischen Marken, le Ressourcen, modische Aktualität, schwierige In-
Moral und dem Konsumentenverhalten, zeigt sich in formationssuche sowie Misstrauen in Unternehmen
der Theorie für beide Konstrukte ein eher paradoxes und Fair-Trade-Siegel, zeigt sich aber auch ganz
Bild. In Bezug auf die Moral konnte festgestellt deutlich eine hohe Wirkungskraft von Marken, die
werden, dass die Konsumenten einerseits zunehmend vor allem unterbewusst die moralischen Vorsätze der
beginnen sich kritisch mit Unternehmen und ihren Befragten untergraben. Hierbei wird deutlich, dass
Produkten auseinanderzusetzen und zumindest gele- sich Marken schon stark in die Lebensstile der Kon-
gentlich moralische Alternativen nachfragen. Ande- sumenten integriert haben und diese vor allem durch
rerseits spiegelt sich die veränderte Einstellung zu die Erzeugung von Trends in der Lage sind diese
moralischen Aspekten im Konsum unter anderem Lebensstile auch erfolgreich zu verändern. Dabei ist
aufgrund von Misstrauen in Siegel, fehlenden finan- die Wirkung von Marken insofern besonders perfide,
ziellen Ressourcen oder der höheren Relevanz ande- scheinen die Befragten viele ihrer Präferenzen gar
rer Kaufkriterien aber häufig noch nicht im Kaufver- nicht bewusst mit der Marke zu verbinden, da die
halten wider. Für Marken konnte herausgearbeitet Produkte der Marken für die Befragten einfach nur
werden, dass sie vor allem durch ihren ideellen Nut- am besten die relevanten Kaufkriterien erfüllen.
zen weiterhin eine hohe Relevanz besitzen und dabei Entgegen der Annahmen der Theorie zeigt sich al-
vor allem unterbewusst schon sehr früh in unsere lerdings, dass die Reputation einer Marke im sozia-
Kaufentscheidung eingreifen. Gleichzeitig sehen sich len Feld eher eine untergeordnete Rolle spielt und
Marken aber auch zunehmend mit Misstrauen und nur in Bezug auf Skandale in den Medien ihre Wir-
Indifferenz konfrontiert. Darüber hinaus wurde deut- kung entfaltet.
lich, dass der Lebensstil eine zentrale Rolle ein- Die empirische Forschung konnte somit im Gegen-
nimmt, wenn es um den Konflikt zwischen Marken satz zu bisherigen Forschungsergebnissen eine un-
und Moral geht: während die Moral nicht so richtig terbewusste Wirkung von Marken im Zusammen-
in die Regeln des eigenen Lebensstils passen will, hang mit Moral im Konsum herausarbeiten. Dabei
sind Marken fester Bestandteil des Lebensstils und hat sich gezeigt, dass sich alle Befragten über die

journal-kk.de 33
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

moralischen Missstände empören, diese aber gleich- Biedermann, C. (2008). Corporate Citizenship als strategi-
sche Unternehmenskommunikation, in: Backhaus-Maul,
zeitig auch von Marken in den Bann gezogen wer- H. / Biedermann, C. / Näahrlich, S. / Polterauer, J.
den, da sie eine Entlastung bieten, wenn es um das (Hrsg.): Corporate Citizenship in Deutschland. Bilanz
sehr komplexe Thema der Moral im Konsum geht. und Perspektiven, Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwis-
senschaften, S. 291 – 306.
Außerdem konnte die bereits in der Theorie heraus-
Eberl, M. / Schwaiger, M. (2005). Corporate reputation:
gearbeitete Bedeutung des Lebensstils im Zusam- disentangling the effects on financial performance, in:
menhang mit moralischem Konsum empirisch bestä- European Journal of Marketing, Vol 39, No. 7-8, 838 –
854.
tigt werden, welche einerseits die Bevorzugung von
Eisenegger, M. (2005). Reputation in der Mediengesell-
Marken im Kaufverhalten erklärt und andererseits als
schaft. Konstitution – Issues Monitoring – Issue Man-
wichtiger Anknüpfungspunkt in die Diskussion um agement. Wiesbaden: VS- Verlag für Sozialwissenschaf-
die bessere Integration von moralischen Aspekten in ten.
den Konsum eingebracht werden kann. Eisenegger, M. (2008). Die Sozialreputation ist ein Minen-
feld, verfügbar unter:
Da es sich aufgrund des kurzen Bearbeitungs- und https://www.wiwo.de/erfolg/reputationsforscher-
Erhebungszeitraumes um eine eher kleine Stichprobe eisenegger-im-interview-die-sozialreputation-ist-ein-
handelte und das Thema darüber hinaus sehr kom- minenfeld/5349806.html (Datum des Abrufs:
10.05.2019)
plex ist, sollten weitere Forschungen zur Beziehung
Fischer, M. / Sommer, B. (2011). Mentale und soziale
zwischen Marken und Moral mit einer größeren Infrastrukturen – Voraussetzungen verantwortungsvol-
Stichprobe durchgeführt werden. Zusätzlich handelt len Konsums im Kontext der Nachhaltigkeit., in: Heid-
brink, L. / Schmidt, I. / Ahaus, B. (Hrsg.): Die Verant-
es sich bei der von mir genutzten Konsumententypo-
wortung des Konsumenten. Über das Verhältnis von
logie zur Auswahl der Teilnehmer um Ergebnisse Markt, Moral und Konsum, Frankfurt am Main: Campus
aus einer Forschung aus dem Jahr 2015 bei der au- Verlag, S. 183-202.
ßerdem nicht alle Aspekte innerhalb jedes Kon- Flick, U. (2007). Qualitative Forschung: Eine Einführung,
Reinbek b.H.: Rowohlt.
sumtyps erfasst wurden. Hier kann es ratsam sein
Frank, R. / Unfried, M./ Schreder, R./ Dieckmann, A.
eine neue vorgelagerte quantitative Forschung (2015). Ethischer Konsum: Nur eine Frage der Selbstlo-
durchzuführen, um eine aktuellere und einheitlichere sigkeit? Eine Studie des GfK-Vereins, verfügbar unter:
Typologie als Basis heraus zuarbeiten. Für die quali- https://www.nim.org/forschung/studien/studienuebersich
tative Erforschung hat sich die Forschungsmethode t/2016-ethischer-konsum-nur-eine-frage-der-
selbstlosigkeit ( Datum des Abrufs 17.04.2019)
der Gruppendiskussion als sehr hilfreich erwiesen,
Heath, C. / Larrick R. / Wu, G. (1999). Goals as Reference
da diese durch die Interaktion zwischen den Teil- Points, in: Cognitive Psychology, Vol. 38, S. 79 – 109.
nehmern vor allem die unterbewusste Wirkung von Hellmann, K.U. (2013).
Marken sowie deren Bedeutung für den Lebensstil Der Konsum der Gesellschaft. Studien zur Soziologie
herausarbeiten konnte. Um die wirkliche Relevanz des Konsums, Wiesbaden: Springer VS.
von Moral im heutigen Kaufverhalten noch genauer Jackson, T. (2008). Sustainable Consumption and Lifestyle
Change, in: Lewis, A. (Hrsg.): The Cambridge Hand-
untersuchen zu können, sollte gegebenenfalls in book of Psychology and Economic Behaviour, Cam-
zukünftige Forschungen auch eine Gruppe mit Ju- bridge: Cambridge University Press, S. 335-362.
gendlichen integriert werden, da sich vor allem bei Loew, T. / Ankele A. / Braun, S. / Clausen J. (2004). Be-
deutung der internationalen CSR-Diskussion für Nach-
diesen in Zeiten von Greta Thunberg und Co. aktuell
haltigkeit und die sich daraus ergebenden Anforderun-
ein erheblicher Wandel sowohl in den Einstellungen gen an Unternehmen mit Fokus Berichterstattung, ver-
als auch im Verhalten vollzieht. fügbar unter:
https://www.upj.de/fileadmin/user_upload/MAIN-
datei-
en/Themen/Einfuehrung/ioew_csr_diskussion_2004.p
Literaturverzeichnis df (Datum des Abrufs: 08.05.2019)
Auger, P. /Burke, P. / Devinney, T.M. / Louviere, J.J. McKinsey & Company (2016). Comeback der Marke als
(2003). Will Consumers Pay for Social Product Fea- Statussymbol, verfügbar unter:
tures, in: Journal of Business Ethics, Vol. 42, No. 3, S. https://www.mckinsey.com/de/news/presse/comeback-
281 – 304. der-marke-als-statussymbol (Datum des Abrufs:
Aßländer, M. S. (2011). Unternehmerische Verantwor- 10.05.2019)
tung und die Rolle des Konsumenten, in: Heidbrink, L. / Meffert, H. / Bierwirth A. (2001). Stellenwert und Funkti-
Schmidt, I. / Ahaus, B. (Hrsg.): Die Verantwortung des onen der Unternehmensmarke – Erklärungsansätze und
Konsumenten. Über das Verhältnis von Markt, Moral Implikationen für das Corporate Branding, in: Thexis,
und Konsum, Frankfurt am Main: Campus Verlag, S. Fachzeitschrift für Marketing, Nr. 4, S. 5-11.
57-74.

34 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Muth, C. / Immetsberger, D. (2007). Das Unternehmen als Studie zum ethischen Konsum, verfügbar unter:
Marke, in: Piwinger, M. / Zerfaß A. (Hrsg): Handbuch https://trendbuero.com/wp-content/uploads/
Unternehmenskommunikation, Wiesbaden: Gabler, S. 2013/12/Trendbuero_Otto_Group_Trendstudie_2013.pd
265 – 279. f (Datum des Abrufs: 02.05.2019)
Onpulson (2018). Das sind die beliebtesten Marken in
Deutschland, verfügbar unter:
https://www.onpulson.de/36940/das-sind-die-
beliebtesten-marken-der-deutschen/ (Datum des Ab-
rufs: 20.05.2019)
Prophet (2016). Umfrage: 'Markenrelevanz' spielt für
Bundesbürger eine entscheidende Rolle im Kaufprozess.
Für 64 Prozent der Befragten gibt es Marken, ohne die
sie nicht leben wollten, verfügbar unter:
https://www.presseportal.de/pm/112455/3466396 (Da-
tum des Abrufs: 15.05.2019)
Quantcast (2016). Kaufentscheidungsprozess von Verbrau-
chern ist hochindividuell, flexibel und wird durch Wer-
bung beeinflusst, verfügbar unter:
https://www.quantcast.com/de/about-us/press/press-
release/kaufentscheidungsprozess-von-verbrauchern-
ist-hochindividuell-flexibel-und-wird-durch-werbung-
beeinflusst/ (Datum des Abrufs: 15.05.2019)
Reisch, L.A. / Hagen, K. (2011). Kann der Konsumwandel
gelingen? Chancen und Grenzen einer verhaltensöko-
nomisch basierten sozialen Regulierung, in: Heidbrink,
L. / Schmidt, I. / Ahaus, B. (Hrsg.): Die Verantwortung
des Konsumenten. Über das Verhältnis von Markt, Mo-
ral und Konsum, Frankfurt am Main: Campus Verlag, S.
221-244.
Rentz, I. (2019). Meaningful Brands. So viele Marken wie
noch nie sind komplett verzichtbar, verfügbar unter:
https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/-
meaningful-brands-so-viele-marken-wie-noch-nie-
sind-komplett-verzichtbar-173100 (Datum des Ab-
rufs: 20.05.2019)
Saal, M. (2019). Trusted Brands Studie. Das sind die
vertrauenswürdigsten Marken und Medien in Deutsch-
land, verfügbar unter: https://www.hori-
zont.net/marketing/nachrichten/trusted-brands-studie-
das-sind-die-vertrauenswuerdigsten-marken-und-
medien-der-deutschen-173964 (Datum des Abrufs:
11.06.2019)
Schmidt, M. (2002). Marke und Unternehmen gehören
zusammen, verfügbar unter:
https://www.absatzwirtschaft.de/marke-und-
unternehmen-gehoeren-zusammen-56531/ (Datum des
Abrufs: 10.05.2019)
Schwaiger, M. (2004). Components and parameters of
corporate reputation – an empirical study, in:
Schmalenbach Business Review (SBR), Vol. 56, No.1,
S. 46 -71.
Strübing, J. (2015). Grounded Theory. Zur sozialtheoreti-
schen und epistemologischen Fundierung eines pragma-
tistischen Forschungsstils, 3. Aufl., Wiesbaden: Sprin-
ger VS.
Weber Shandwick (2017). The Company Behind The
Brand II: In Goodness We Trust, verfügbar unter:
https://www.webershandwick.com/uploads/news/files/c
ompany-behind-the-brand-in-goodness-we-trust.pdf
(Datum des Abrufs: 15.05.2019)
Wippermann, P. / Otto Group (2013). Lebensqualität.
Konsumethik zwischen persönlichem Vorteil und sozia-
ler Verantwortung, Otto Group Trendstudie 2013 4.

journal-kk.de 35
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Katrin Angelbeck:
Social Branding als digitale Herausforderung für eine kon-
sumentenorientierte Markeninszenierung im Web 2.0

Das Markenführungskonzept des Social Branding im Web 2.0 sowie die Dynamiken sozialer Netzwerke und
Online-Communities sind gegenwärtig eine große Herausforderung für Unternehmen. Durch die Prozesse der
Digitalisierung verändern sich Konsumenten-Marken-Beziehungen nachhaltig und stellen die traditionellen
Ansätze der Identitätskonstruktion und – inszenierung von Marken in Frage. Die potentiellen Erfolgsfaktoren für
eine konsumentenorientierte Markeninszenierung im Web 2.0 wurden im Rahmen einer Case Study untersucht.
Dazu wurden die Beiträge der Smoothie-Marken true fruits und innocent in dem sozialen Netzwerk Facebook
ausgewertet. Auf Grund der theoretischen und empirischen Ergebnisse kann festgestellt werden, dass die Ent-
scheidungen der Markenführung hinsichtlich der Markenidentität im Social Web niemals ohne den reflexiven
Rückbezug auf gesellschaftliche Aspekte getroffen werden können. Die Prozesse der Individualisierung und
Vergemeinschaftung bilden die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Inszenierung der Markenidentität.
Des Weiteren wird die Identität der Marke auf sozialen Plattformen in einem reziproken Dialog zwischen dem
Konsumenten als Ko-Kreateur, der Marke und der Community ausgehandelt. Partizipation, Interaktion, Insze-
nierung und der Aspekt der Identifikation stellen die Basis für eine konsumentenorientierte Markeninszenierung
dar und werden durch die Erfolgsfaktoren von Attraktivität, Authentizität, Flexibilität, Transparenz, Aktualität
sowie Einzigartigkeit der Marke gestützt. Diese Aspekte stellen gleichzeitig die Erwartungshaltung der Konsu-
menten bezüglich der Marke und ihrer Inszenierung dar. Es können somit keine spezifischen, jedoch allgemeine
und praxisorientierte Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden

Durch globale und gesättigte Märkte und eine voran- vgl. Kreutzer & Land, 2017, S. 24). Natürlich gibt es
schreitende Digitalisierung müssen sich Marken, die auch Gegenstimmen, die das Web 2.0 nur als einen
als wichtiger Werttreiber für Unternehmen gelten, Hype bezeichnen (vgl. Berners-Lee, 2006, o. S.),
immer neuen Herausforderungen stellen und unter- dennoch sollten Unternehmen den Netzwerkaspekt
liegen einem erhöhten Wettbewerbsdruck im Kampf und die damit verbundenen Chancen für die Insze-
um die Aufmerksamkeit der Konsumenten (vgl. Esch nierung der Markenidentität nicht unterschätzen (vgl.
& Langner, 2005, S. 429; vgl. Kasten & Lux, 2014, Heun, 2012, S. 2). Das soziale Netzwerk Facebook
S. 4). Besonders das Web 2.0 haben die interne und zählt zu den erfolgreichsten Plattformen in Deutsch-
externe Markenführung und die Lebensstile der land und hat insgesamt ca. 30 Millionen Mitglieder
Konsumenten in kürzester Zeit nachhaltig beeinflusst (vgl. Horizont.net, 2017, o. S.). Dieses Netzwerk
und die persönlichen Erfahrungen sozialer Akteure dient der persönlichen Selbstdarstellung, Informati-
hinsichtlich der eigenen Identität, dem Konsumver- onsbeschaffung, dem Teilen von Nachrichten sowie
halten und neuer Formen von sozialen Beziehungen der Bewertung von Gütern. Konsumenten und Mar-
geprägt (vgl. Burmann, Meffert & Koers, 2005, S. ken treffen ebenso in Online-Communities aufeinan-
12; vgl. Krotz 2007, S.38; vgl. Munziger, 2016, S. der, wie Konsumenten und gleichgesinnte Verbrau-
XI). Konsumenten sind global vernetzt und haben cher (vgl. Keller, 2011, S. 36ff.; vgl. Kempf, 2012,
Zugang zu unerschöpflichen Informationen und S. V). Die Markenführung steht in diesem Kontext
Gütern im Internet. Diese Multioptionalität und vor der zentralen Herausforderung, die wechselseiti-
Komplexität haben im Rahmen einer neuen Informa- ge Beziehung hinsichtlich ihrer Anspruchsgruppen
tions- und Konsumgesellschaft auch in Zukunft neu auszuloten, zu verstehen und sie in der Praxis zu
einen großen Einfluss in Hinblick auf die Marken- integrieren (vgl. Schulten, Mertens & Horx 2012, S.
führung und insbesondere die Markenidentität und - VII; vgl. Tomczak & Kernstock, 2014, S. 27; vgl.
inszenierung, da die digitalen Berührungspunkte Abbate, 2014, S. VII). Aufgrund der Relevanz der
zwischen Marke und Konsument immer weiter in Thematik, befasst sich dieser Artikel mit der Identi-
den Fokus rücken (vgl. Totz & Werg, 2014, S. 114; tätsinszenierung von Marken in Hinblick auf die

36 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Beziehung zu Konsumenten und dem Prinzip des schungsprojekte, wie die Studie von Azzouz Esse-
Social Branding. Dabei werden die Phänomene im mari, Sally MecKechnie und Heidi Winklhofer von
Kontext von Digitalisierung und Web 2.0 näher be- der Nottingham University Business School aus dem
leuchtet. Es notwendig, dass die bisherigen Ansätze Jahr 2018 konzentrieren sich auf die Perspektive der
und Modelle der Markenführung hinsichtlich der Manager und bieten im Rahmen der Ergebnisse
Konstruktion der Markenidentität überprüft werden verschiedene Implikationen für die zukünftige Aus-
und eventuell Anpassungen vorgenommen werden. gestaltung der Rolle von Marken-Managern im Kon-
Zahlreiche theoretische Überlegungen haben die text von sozialen Netzwerken (vgl. Essemari, Me-
strategischen Planungen bezüglich der klassischen cKechnie & Winklhofer, 2018, S. 372), ohne inten-
Kommunikationskanäle auf die sozialen Netzwerke siver auf die Dynamik der Netzwerke, die Rolle der
übertragen, ohne die Prozesse zwischen Konsument Konsumenten oder die triadische Beziehung einzu-
und Marke im Rahmen der neuen digitalen Infra- gehen. Des Weiteren wurden bisher mehrheitlich die
struktur zu berücksichtigen (vgl. Seidel, 2014, S. psychologischen Auswirkungen der Netzwerke auf
363f.). Fraglich ist, ob das starre Verhältnis zwischen den Konsumenten oder das Mediennutzungsverhal-
Konsument und Marke im Rahmen der traditionellen ten bezüglich digitaler Medien untersucht (vgl. Al-
Perspektive der Konstruktion der Markenidentität gesheimer & Hermann, 2005, S. 761; vgl. Pfaden-
weiter existieren kann oder ein Paradigmenwechsel hauer, 2008, S. 214; vgl. Harrer et al., 2008, S. 308;
stattfinden muss, um den dynamischen Prozessen im vgl. Skibicki & Mühlenbeck, 2011, S. 350). Da die
Rahmen des Web 2.0 gerecht zu werden und damit Forschung hier noch am Anfang steht und verschie-
den Konsumenten im Kontext der Markenführung dene Phänomene bisher nur separat voneinander
eine neue Rolle zugesprochen werden muss (vgl. betrachtet und untersucht wurden, versucht dieser
Hannemann, 2009, S. 50; vgl. Heun, 2012, S. 2f.; Artikel die Lücke zu schließen und will die Frage
vgl. Munziger, 2016, S. 143; vgl. Kirf, 2018, S. 4). beantworten, welche Erfolgspotenziale es für eine
konsumentenorientierte Markeninszenierung im Web
Konzeptionalisierung der Forschungsfra- 2.0 gibt und was diese Erkenntnisse für die Identi-
ge tätskonstruktion von Marken bedeutet. Durch die
Trotz zahlreicher internationaler Forschungsprojekte Beantwortung der Forschungsfrage trifft der Artikel
und Publikationen, gibt es kaum empirische Unter- den Zeitgeist gegenwärtiger Diskurse und berück-
suchungen, die sich konkret mit der Konsumenten- sichtigt aus diesem Grund interdisziplinäre Ansätze
Marken-Beziehung hinsichtlich der Konstruktion aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften,
von Markenidentität im Rahmen der dynamischen Psychologie, Kulturwissenschaften, Kommunikati-
Interaktionsprozesse von Online-Communities im onswissenschaften und Soziologie, um einen umfas-
Web 2.0 befassen und praxisorientierte Handlungs- senden Einblick in die Thematik gewährleisten zu
empfehlungen für die Identitätsinszenierung ausspre- können. Die Auswahl der theoretischen Ansätze
chen. In der Studie von Ian Black und Cleopatra bezieht sich dabei auf ihre Relevanz für die Beant-
Veloutsou von der Harriott Watt Unversity in Edin- wortung der Forschungsfrage und das Themenfeld.
burgh und der University of Glasgow im Jahr 2016 Ziel des Artikels ist es, theoretische Erkenntnisse mit
konnte die Autoren zwar die Hypothese bestätigen, aktuellen Studien und den Ergebnissen der durchge-
dass die Identitäten von Marken, Konsumenten und führten Case Study zu verknüpfen, um Handlungs-
der Marken-Community durch die Handlungen und empfehlungen für die Identitätsgestaltung und -
Aktivitäten der Individuen in Bezug auf die Marke inszenierung von Marken im Rahmen des Social
sowie der Nutzung von Symbolen beeinflusst und Branding zu formulieren. In einem qualitativen For-
konstruiert werden und eine triadische und wechsel- schungsprojekt wurden mit Hilfe der Grounded
seitige Beziehung zwischen den Akteuren besteht Theory die Community-Beiträge der Smoothie-
(vgl. Black & Veloutsou, 2016, S. 416), dennoch Marken innocent und true fruits auf der sozialen
mangelt es auch hier an konkreten Implikationen für Plattform Facebook ausgewertet. Der Artikel hat
die Praxis und der Entwicklung eines übertragbaren nicht die Aufgabe ein statistisch repräsentatives
Ansatzes, um bestehende Modelle der Markenfüh- Ergebnis zu erzielen, sondern den Perspektivwechsel
rung zu überarbeiten. Weitere qualitative For- zwischen Konsument, Marke und dem Konstrukt der
Identität weiter voranzutreiben. Dabei soll ein theo-

journal-kk.de 37
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

retischer Ansatz generiert werden, der dazu beitragen dies für das Marken-Management, dass eine strate-
kann, die gegenwärtigen Ansätze der Markenführung gisch geschickte Positionierung der Markenidentität
zu reflektieren und Implikationen für eine neue ausgearbeitet werden muss, die ein positives Image
Denkweise anzuregen. bei den Konsumenten erzeugt und eine Präferenz für
die Marke in den Köpfen verankert (vgl. Feddersen,
Identität und Inszenierung von Marken 2010, S. 29.; vgl. Meffert, Burmann & Kirchgeorg,
Im Rahmen der Sichtung relevanter Literatur rund 2015, S. 329ff.). Das Modell der identitätsbasierten
um die Thematik der Markenführung und Mar- Markenführung beruht auf den Ansatz der sozialen
kenidentität wird deutlich, dass sich über die Jahre Identität von George Herbert Mead und definiert
verschiedene Ansätze und Paradigmen herausgebil- Marken in diesem Beziehungsgeflecht als sozialen
det haben, die aus Sicht der Unternehmen besonders Akteur (vgl. Schmid & Lycek, 2008, S.15).
im Kontext des Social Branding eine Rolle spielen.
Ein Model mit maßgeblicher Relevanz stammt von
Christoph Burmann und Heribert Meffert. Der An-
satz der identitätsbasierten Markenführung versucht
die bisherigen Annahmen zu überwinden, dass Un-
ternehmen die Markenidentität managen und aufbau-
en und nur eine Outside-In-Perspektive existiert (vgl.
Meffert & Burmann, 2005a, S. 53). Es wird kritisiert,
dass dem Konsumenten oftmals nur eine passive
Rolle zugesprochen wird (vgl. Abbate, 2014, S. 3).
Der identitätsbasierte Ansatz fokussiert neben einer Abbildung 3: Das Grundkonzept der identitätsbasierten
Erweiterung der innengerichteten Kompetenzen auch Markenführung (Quelle: Meffert; Burmann, 1996, S.35,
die Wechselseitigkeit bezüglich des internen Selbst- zitiert nach Meffert/Burmann/Kirchgeorg [2012], S.36)
bildes und des externen Fremdbildes der Marke.
Dieses Fremdbild kann auch als Markenimage be- Ein weiterer Ansatz zur Erklärung der Identitäts-
zeichnet werden. Die Betonung liegt dabei auf der konstruktion- und inszenierung stammt von Erving
Entwicklung eines Verständnisses hinsichtlich der Goffman. Seine Überlegungen lassen sich neben
Vernetzung zwischen internen und externen Aktivi- Individuen auch auf Unternehmen als interaktiver
täten der Unternehmensmarke (vgl. Meffert & Bur- Akteur im Kontext der Konsumenten-Marken-
mann, 2005b, S. 31f.). Somit wird die Outside-In- Beziehung übertragen. Es besteht ein deutlicher
Perspektive, die sich bisher nur auf die Rezeption Zusammenhang zwischen Goffman’s Ansatz und
und Wahrnehmung der Konsumenten und weiterer den angewendeten Techniken und Strategien der
Anspruchsgruppen fokussierte, um eine Inside-Out- Selbstinszenierung und der Konstruktion der Identi-
Perspektive ergänzt (vgl. Meffert, Burmann & tät sowie dem Imageaufbau von Marken, um von den
Kirchgeorg, 2008, S. 359). An Hand von Abbildung Konsumenten Anerkennung zu erhalten (vgl. Zeplin,
1 kann das Grundmodell der identitätsbasierten Mar- 2006, S. 16). Goffman (2017, S. 15f., S. 76f.) nutzt
kenführung näher betrachtet und vier Dimensionen eine Theatermetapher, um soziale Prozesse zu erklä-
bezüglich der Beziehung zwischen Konsument und ren. Aus seiner Sicht ist die Gesellschaft wie ein
Marke herausgearbeitet werden. Alle Dimensionen Theaterstück aus performenden Schauspielern auf-
stehen in einem ständigen Austausch (vgl. Hofbauer gebaut, die die sozialen Akteure darstellen. Kollekti-
& Schmidt, 2007, S. 45). Das Zentrum der identi- ve treten als Ensemble auf, die kooperativ handeln
tätsbasierten Markenführung bildet die Marken- und sich durch eine hohe Solidarität in der Gruppe
Nachfrager-Beziehung (vgl. Blinda, 2007, S. 22). auszeichnen. Das Publikum beobachtet die Darstel-
Erst durch diese Beziehung kann sich eine erfolgrei- lung der Schauspieler (vgl. Goffman, 2017, S. 3, S.
che Markenidentität entwickeln (vgl. Baumgarth, 217f.). Weitere Elemente des Theaterstücks sind das
2014, S. 86ff.). Ziel des Models ist es, eine mög- Bühnenbild, die persönliche Fassade und eine sachli-
lichst hohe Übereinstimmung zwischen Selbst- und che Fassade. Dabei stellt das Bühnenbild die Gege-
Fremdbild zu erreichen. Im Umkehrschluss bedeutet benheiten von Zeit und Raum der Situation dar,

38 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

während die persönliche Fassade besondere Eigen- Wandlungsprozessen und müssen immer wieder neu
schaften und die soziale Fassade die verschiedenen ausgelotet werden (vgl. Giddens [2001], S. 12ff.).
gesellschaftlichen Rollen der Schauspieler bezie- Durch ihre individuelle Entscheidungsfreiheit, die
hungsweise sozialen Akteure darstellt (vgl. Goffman, sich im Rahmen der Digitalisierung und des Internets
2017, S. 15f., S. 76f.). Das Paradoxe an den Bedürf- verstärkt hat, ist es für Unternehmen daher immer
nissen im Rahmen des Schauspiels und der Interakti- schwieriger, das Konsumverhalten der Akteure ein-
on mit anderen Akteuren ist, dass sie ihre einzigarti- zuschätzen. Die wichtige Anspruchsgruppe der Un-
ge Identität einerseits inszenieren, um sich zu diffe- ternehmen ist gegenwärtig nicht nur mächtiger hin-
renzieren, andererseits den Erwartungshaltungen und sichtlich ihrer Konsumentscheidung, sondern kann
Identitätsnormen entsprechen wollen und in diesem auch als hybrid bezeichnet werden. Kennzeichnend
Kontext ihr Selbst geschönt darstellen. Das Ziel ist in diesem Zusammenhang, dass der Konsumstil
scheint hier nicht mehr nur die Identitätsinszenierung keinem eindeutigen Muster zuzuordnen ist, sondern
als solches, sondern die Anerkennung durch das heterogen erscheint. Der Konsument der Gegenwart
Publikum um jeden Preis (vgl. Abels, 2017, S. 278). geht nicht ausschließlich nur in Luxusrestaurants,
sondern besucht auch Fast-Food-Ketten oder kauft
Der Konsument 2.0 No-Name Produkte sowie Luxusmarken (vgl.
Gegenwärtig wird im Rahmen der fortschreitenden Baumann, 2009, S. 46; vgl. Kastens & Lux, 2014, S.
Digitalisierung deutlich, dass sich die Gesellschaft in 4.; vgl. Esch, Wicke & Rempel, 2005, S. 25; vgl.
einem Umbruch befindet. Es wird in Zukunft keinen Sazpin, Mertens & Rennhak, 2008, S. 1).
Konsumenten und auch kein Unternehmen mehr
geben, das nicht von technologischen und medialen
Die Dualität der Struktur
Veränderungen betroffen ist (vgl. Munziger, 2016, S. Der theoretische Ansatz der Strukturation von
XI). Die Markenführung stößt in diesem Zusammen- Anthony Giddens soll in diesem Artikel ergänzend
hang auf neue Herausforderungen bezüglich der genutzt werden, um die Dualität der gegenwärtigen
Ansprache ihrer Konsumenten, sodass die bisherigen Gesellschaft im Rahmen von Globalisierung und
Ansätze sowie bewährten Modelle und regelgeleite- Digitalisierung adäquat zu beleuchten und die Sub-
ten Prinzipien möglicherweise in Frage gestellt wer- jektivismus-Objektivismus-Debatte überwinden zu
den müssen (vgl. Munziger, 2016, S. XI; vgl. Han- können (siehe hierzu Giddens, 1997, S. 68ff.).
nemann, 2009, S. 50.; vgl. Munziger & Wehnert, Aktuelle Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeiten
2012, S. XIII). Auf Grund der digitalen Transforma- zeigen beispielsweise, dass die Individualisierungs-
tion und einer Globalisierung der Märkte hat sich these von Ulrich Beck gegenwärtig kaum noch halt-
eine neue Gesellschaftsform entwickelt, die auch als bar ist, da ausschließlich eine subjektzentrierte Be-
Informations- und Netzwerkgesellschaft bezeichnet trachtung des Individuums in der Rolle als Konsu-
werden kann (vgl. Baumann, 2009, S. 9.; vgl. Cas- ment erfolgt (vgl. Krings, 2016, S. 239). Beck ver-
tells, 2017, S. 1; vgl. Kreutzer & Land, 2017, S. 24). folgt den Ansatz, dass sich traditionelle Strukturen,
Im Zusammenhang mit dem Internet und sozialen Ordnungen und Sozialformen wie die Ehe, das Kon-
Plattformen haben besonders Konsumenten als wich- zept einer Familie oder klassische Geschlechterrollen
tigste Anspruchsgruppe einen großen Einfluss auf im Rahmen der voranschreitenden Globalisierung
den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen (vgl. und Digitalisierung vollständig auflösen und Institu-
Tomczak & Kernstock, 2014, S. 27). Dies beruht auf tionen keine Rolle für die Identitätskonstruktion des
der Entwicklung von Computern und Smartphones, Einzelnen spielen (vgl. Beck, 1986, S. 206; vgl.
die eine neue Möglichkeit der Informationsbeschaf- Hitzler, 1998, S. 6; vgl. Dahrendorf, 1998, S. 42; vgl.
fung und Kommunikation darstellen (vgl. Baumann, Gujahr, 2015, S. 115). Obwohl ein Paradigmen-
2009, S. 28; vgl. Munziger, 2016, S. 144ff.; vgl. wechsel zu Gunsten einer Individualisierung von
Ternés, Towers & Jerusel, 2015, S. 7; vgl. Abbate, sozialen Akteuren stattfindet, existiert weiterhin das
2014, S. 42). Außerdem bedingen die Prozesse der Konstrukt der Gemeinschaft. Die neue posttraditio-
Globalisierung und der Digitalisierung auch die nelle Gemeinschaft zeichnet sich jedoch dadurch
Lebensweisen und insbesondere die Konsumge- aus, dass die Entscheidung des Individuums, Teil
wohnheiten sozialer Akteure. Sie unterliegen stetigen dieser Gemeinschaft zu werden, auf dem Prinzip der

journal-kk.de 39
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Freiwilligkeit basiert und es sich somit um eine tem- dung basiert auf der sozialen Interaktion, die die
poräre Mitgliedschaft handelt (vgl. Hitzler, Honer & situativen Bedingungen der Gesellschaft und die
Pfadenhauer, 2008, S. 13). Reflexivität des Individuums im Rahmen der Ord-
Im Gegensatz zu Beck verfolgt Andreas Reckwitz nung von zeitlichen und räumlichen Kontexten bein-
eine objektzentrierte Perspektive und betont, dass haltet (vgl. Renn, 2010, S. 209f.). Ein sozialer Ak-
sich die Gesellschaft nach der industriellen Moderne teur besitzt nach Giddens die Fähigkeit, reflexiv zu
durch globale Märkte und einen rasanten technologi- handeln und somit auch seine eigene Identität refle-
schen Fortschritt zu einer Gesellschaft der Singulari- xiv zu betrachten. Das bedeutet, dass Akteure wäh-
täten entwickelt hat (vgl. Reckwitz, 2018, S. 15f.). rend ihrer Handlung nachvollziehen und verstehen
Diese neue Form der Vergesellschaftung von Indivi- können, auf Basis welcher Intention und in welchem
duen unterliegt einer Doppelstruktur. Zum einen Kontext sie handeln (vgl. Giddens, 1997, S. 35). Die
streben Subjekte weiterhin nach einer persönlichen Identitätskonstruktion kann also als reflexives Pro-
Selbstverwirklichung, andererseits findet dies stets jekt verstanden werden, das im Kontext von Globali-
im direkten Abgleich und Austausch mit dem Kol- sierung und Digitalisierung stattfindet und dem Ein-
lektiv statt (vgl. Reckwitz, 2018, S. 226ff., S. 342). zelnen den Aspekt der Handlungsmacht einräumt
Reckwitz bezieht sich hier auf die Habitus-Theorie (vgl. Giddens, 1997, S. 1, S. 5).
von Pierre Bourdieu, der davon ausgeht, dass der
Habitus des Subjekts das „Körper gewordene Sozia- Der Konsument als Ko-Kreatur
le“ (Bourdieu & Wacquant, 1996, S.161) darstellt. Auf Basis der These von Giddens kann gezeigt wer-
Im Zentrum seiner Theorie bezüglich der Spätmo- den, dass sich im Rahmen der Globalisierung und
derne und in Abgrenzung zur klassischen Moderne der Digitalisierung die Rolle des Konsumenten ver-
steht das Streben nach Einzigartigkeit, Außerge- ändert hat und somit auch die Konsumenten-Marken-
wöhnlichkeit, Attraktivität, Ästhetik sowie Authenti- Beziehung als zentraler Kern der Markenidentität
zität. Diese Komponenten stellen höchste Anforde- beeinflusst wird (vgl. Kreutzer & Land, 2017, S. 31).
rungen seitens der Gesellschaft an das einzelne Indi- Dem reflexiven Akteur wird in der Rolle des Kon-
viduum. Die Erwartungen gelten jedoch nicht nur für sumenten eine neue Form der Handlungsmacht zuge-
die einzelnen Subjekte, sondern auch für den Woh- sprochen, da er im sozialen Handlungskontext ein
nort, das Konsumverhalten und die Freizeitgestal- aktives Subjekt darstellt (vgl. Giddens, 1997, S.
tung oder den Freundeskreis. Singularisierung 56ff.). Auch andere Autoren schließen sich dieser
durchdringt also jegliche Bereiche der Gesellschaft Erkenntnis an und sprechen von einem maßgeblichen
und betrifft Güter, Subjekte und Objekte sowie ganze Wandlungsprozess und Umbruch in den letzten Jah-
Kollektive und beschreibt den Prozess der Transfor- ren hinsichtlich der Rollenverteilung auf Märkten.
mation vom Allgemeinen zum Besonderen, der stets Natürlich bleiben Kernaufgaben der Markenführung
in kollektive Prozesse eingebunden ist (vgl. Reck- auch aktuell erhalten, allerdings hat sich hier durch
witz, 2018, S. 7ff, S. 16f.). die digitalen Medien und das Internet ein Perspek-
Anthony Giddens (2001, S. 30ff.) versucht das tivwechsel angekündigt (vgl. Kreutzer & Land,
Spannungsfeld beider Ansätze zu überwinden und 2017, S. 31). Die Transformation der Beziehung
verdeutlicht, dass soziale Akteure im Rahmen der wird von Andreas Reckwitz als neue Konstellation
Globalisierung ihre Identitäten neu überdenken müs- zwischen Produzenten und Rezipienten definiert.
sen. Die Prozesse der Individualisierung führen aus Gegenwärtig lösen sich die traditionellen Definitio-
seiner Sicht dazu, dass alte Strukturen nicht mehr in nen der Rollenverteilung auf und es findet eine An-
ihrer traditionellen Form bestehen bleiben, sondern gleichung statt (vgl. Reckwitz, 2014, S. 40ff.). Be-
sich durch die Globalisierung, Digitalisierung und sonders in Hinblick auf das Internet zeigt sich, dass
Individualisierung neu anordnen (vgl. Giddens, aus wenigen Rezipienten viele aktive Nutzer gewor-
1994, S. 456). In diesem Zusammenhang fordert den sind, die einen gestaltenden Einfluss haben (vgl.
seine Theorie der Strukturation also beides: Es soll Thimm, 2011, S. 29ff.). Es wird deutlich, dass ein
eine Verbindung zwischen der individuellen Hand- Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der
lung des Akteurs und seiner Freiheit sowie den nor- Konsumenten stattfindet (vgl. Jones, 2012, S. 115
mativen Strukturen und Ordnungsprinzipien genera- ff.) und keine scharfe Trennung mehr zwischen bei-
lisierter Muster hergestellt werden. Diese Verbin-

40 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

den Rollen und ihren Charakteristika vorgenommen zum Dialog mit sich bringt (vgl. Heun, 2016, S. 82;
werden kann. Vielmehr werden sie flexibilisiert (vgl. vgl. Abbate, 2014, S.15; vgl. Baumüller, 2017, S.
Wallaschkowski & Niehus, 2017, S. 133; vgl. Reck- 54). Die ursprüngliche monologische Kommunikati-
witz, 2014, S. 40ff.). Hieraus ergeben sich aktuell on und der One-to-Many-Ansatz werden durch eine
immer mehr Fragen hinsichtlich des Umgangs be- neue Form der Partizipation abgelöst (vgl. Wille-
züglich der Integration und der Interaktion mit Kon- Baumkauff, 2015, S. 20). Der Fokus liegt nun viel-
sumenten (vgl. Groeger, 2011, S. 211). Betrachtet mehr auf dem Aspekt des Feedbacks und der Reakti-
man das neue Rollenverständnis des Konsumenten, on des Konsumenten (vgl. Heun, 2016, S. 82; vgl.
kann betont werden, dass er zunehmend an ko- Abbate, 2014, S. 15), da der Dialog meistens von
kreativen Prozessen in Bezug auf Marken beteiligt den Konsumenten ausgeht. Zuhören, Verständnis,
ist (vgl. Vargo & Lusch, 2004, S. 6). So entstehen Authentizität und Offenheit haben das stupide Sen-
auch für Unternehmen zahlreiche neue Möglichkei- den von Botschaften abgelöst (vgl. Abbate, 2014, S.
ten und wertvolles Potential durch eine veränderte 11). Gleichzeitig hat sich eine hohe Interaktivität
Kommunikation im Rahmen einer partizipativen zwischen verschiedenen Kommunikationspartnern
Beziehung zu den Konsumenten (vgl. Michelis, entwickelt, die gleichzeitig die Rolle des Senders
2012, S. 32f.). oder des Empfängers einnehmen können (vgl. Riedel
& Sonntag, 2012, S. 100). So hat sich die ursprüng-
Markenkommunikation im Wandel lich dyadische Beziehung zwischen Marke und Kon-
Besonders in Hinblick auf den Wandel der Kommu- sument zu einer Triade entwickelt (vgl. Muniz, Al-
nikationsstrukturen durch das Web 2.0 kann erklärt bert & O’Guinn, 2001, S. 430). Hieraus resultiert die
werden, warum die Partizipation der Konsumenten logische Konsequenz, dass die klassische Inside-Out-
aktuell einen maßgeblichen Einfluss auf das Konzept Perspektive sowie Outside-In-Perspektive (vgl. Mef-
der Markenführung hat (vgl. Tuten & Solomon, fert, Burmann & Kirchgeorg, 2008, S. 359) um eine
2013, S. 14). Blickt man dazu auf den klassischen neue Outside-Out-Perspektive im Kontext des Mo-
Ansatz der Kommunikation zwischen Unternehmen dells identitätsbasierten Markenführung ergänzt
und Konsumenten zurück, wird deutlich, dass eine werden muss, um der Interaktion der Konsumenten
monologische Kommunikation eingesetzt wurde, die untereinander und ihrer Macht als Kollektiv gerecht
eine klare Richtung und ein klares Machtgefälle zu werden (vgl. Bruhn, 2016, S. 458).
aufweist. Der Kunde ist in dieser dualen Beziehung
Soziale Netzwerke und Brand Communi-
ein passiver Rezipient, der über einen Kommunikati-
ties
onskanal Inhalte und Botschaften aufnimmt und
verarbeitet. Diese Kommunikation in Form einer Insbesondere in den Brand Communities in sozialen
Einbahnstraße hat aus Sicht der Unternehmensfüh- Netzwerken wie Facebook wird die triadische Form
rung besonders in den analogen Medien funktioniert der Kommunikation sichtbar (vgl. Haisch, 2011, S.
(vgl. Bruce & Jeromin, 2016, S. 40 f.). Marken- 82). Hierbei wird deutlich, dass auch Marken als
Manager beziehen sich in diesem Zusammenhang interaktiver und sozialer Akteur neben den Konsu-
auf das klassische Sender-Empfänger-Modell. Im menten ihre Identität im Social Web inszenieren (vgl.
Rahmen der Digitalisierung wurde deutlich, dass Markschläger & Werle [2012], S. 84f.), sodass es zu
dieser Ansatz nicht mehr haltbar ist und ein mehrdi- einer Identitätsverschmelzung des Community-
mensionales Kommunikationsmodell in der Marken- Mitglieds mit der Marke kommt (vgl. Lin & Sung,
führung und dem Bereich des Social Branding be- 2014, S. 57). Da die Mitglieder der Community auch
rücksichtigt werden muss (vgl. Hermes, 2011, S. 34; als Ko-Kreateure bezeichnet werden können, ent-
vgl. Löffler & Wittern, 2011, S. 350). Diese neue steht aus individuellen und gleichzeitig kollektiven
Dynamik und Rollenverteilung im Rahmen der Kon- Handlungen, Reproduktionsprozessen, einer hohen
sumenten-Marken-Beziehung spiegelt sich besonders Interaktivität sowie Aneignungsprozessen im Zu-
in sozialen Netzwerken und Brand Communities sammenhang mit der Marke ein maßgeblicher Ein-
wider. Hier begegnen sich Menschen und Marke auf fluss in Bezug auf die Konstruktion der Marken- und
einer Augenhöhe, sodass eine Umstrukturierung und Nutzeridentität (vgl. Heun, 2012, S. 124.; vgl. Wall-
Verschiebung des Machtgefälles auch einen Wandel pach, Hemetsberger & Espersen, 2017, S. 443). Die

journal-kk.de 41
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Herausforderungen für die Markenführung besteht in 2017, S. 31). Die Zugehörigkeit zur Markengemein-
Communities darin, dass die richtigen Anknüp- schaft wird damit zum Statussymbol und stärkt das
fungspunkte zum Konsumenten gefunden werden eigene Selbstwertgefühl der Mitglieder (vgl. Weis &
müssen und die Bedürfnisse und Motive nicht nur Huber, 2000, S. 15f.) Somit lässt sich feststellen,
akzeptiert, sondern auch verstanden und in die Mar- dass soziale Netzwerke und die darin eingebetteten
kenführung implementiert werden müssen (vgl. Online-Communities den Bedürfnissen des Konsu-
Aaker, Stahl & Stöckle, 2015, S. 99). Ziel ist es, die menten in der Spätmoderne gerecht werden. Einer-
zukünftige Kommunikation mit den einzelnen Kon- seits wird der Singularisierungswunsch des Einzel-
sumenten und der Brand Community als Kollektiv nen und das Streben nach Einzigartigkeit in Abgren-
besser gestalten zu können (vgl. Kreutzer/Merkle, zung zu den anderen Nutzern der Netzwerke berück-
2015, S. 21). Aus der Sicht von Fabian von Löwen- sichtigt. Andererseits sind soziale Akteure auf der
feld lässt sich auch in diesem Zusammenhang der Suche nach Gemeinschaft und dem sozialen Aus-
Ansatz der Neo-Tribes von Maffesoli auf Brand tausch (vgl. Reckwitz, 2018, S. 264f.), den die
Communities übertragen. Diese Phänomene in sozia- Community in Form gemeinsamer Interessen und
len Netzwerken können auch als Stämme bezeichnet des Zusammenhalts der Gruppe gewährleistet (vgl.
werden und stellen einen wichtigen Kontaktpunkt Maffesoli, 1990, S. 239ff.; vgl. Maffesoli, 1992, S.
zwischen Marken und Konsumenten dar (vgl. Von 245ff.). Es wird deutlich, dass Identitäten in Com-
Löwenfeld, 2006, S. 86). Das Kollektiv der Commu- munities zwei unterschiedliche Dimensionen haben
nity ist in seiner Summe singulär und somit einzigar- können. Zum einen steht die individuelle Identität im
tig. Die digitale Neogemeinschaft ist anders als eine Fokus (vgl. Döring, 2003, S. 356), auf der anderen
traditionelle Gemeinschaft dadurch gekennzeichnet, Seite wird die kollektive Identität der Gemeinschaft
dass man nicht in sie hineingeboren wird, sondern betont (vgl. Reckwitz, 2018, S. 264f.). So greift die
ihr wahlweise und freiwillig beitreten kann. Der Thematik der Brand Communities die Problematik
eigene Anspruch des Subjekts an die Einzigartig des der Dualität zwischen Individualisierung und Ver-
Selbst wird abgelegt, um die Besonderheit des Kol- gemeinschaftung auf, die sich in der These von der
lektivs zu teilen. Zu sozialen Akteuren, die nicht Teil Dualität der Struktur (siehe hierzu Giddens, 1997, S.
der Neogemeinschaft sind, grenzt sich das Kollektiv 68ff.) widerspiegelt.
bewusst ab. Des Weiteren basiert die Struktur auf
Partizipation und Interaktion statt auf der Suche nach Case Study
Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit. Es findet also An Hand der theoretischen Erkenntnisse wird deut-
kein Wettbewerb zwischen den Mitgliedern des lich, dass bislang keine konkreten Handlungsemp-
Kollektivs statt, vielmehr wird den einzelnen Subjek- fehlungen und Erfolgsindikatoren für eine konsum-
ten ein hoher Wert zugeschrieben, wenn sie aktiv an entenorientierte Markeninszenierung um Web 2.0
der Gemeinschaft teilnehmen. Anders als die eigent- ausgesprochen werden konnten. Aus diesem Grund
liche Kernstruktur sozialer Netzwerke vermuten wurde ergänzend zu den theoretischen Erkenntnissen
lässt, sieht die digitale Neogemeinschaft ihre Beson- eine Case Study durchgeführt, um die Forschungs-
derheit in der Homogenität des Kollektivs (vgl. frage adäquat beantworten zu können und den An-
Reckwitz, 2018, S. 264f.) Obwohl die Gemeinschaft satz der identitätsbasierten Markenführung in Bezug
und die Suche nach Gleichgesinnten im Zentrum des auf das Social Branding im Kontext von sozialen
Nutzens von Brand Communities stehen, erhalten Netzwerken überarbeiten zu können. Nur mit Hilfe
einzelne Individuen zusätzlich einen Raum der der empirischen Erkenntnisse der Case Study können
Selbstdarstellung und individuellen Entfaltung, da die theoretischen Fragmente beurteilt, verbunden und
sie sich gegenüber den anderen Nutzern inszenieren erweitert werden. Hierzu wurden mit Hilfe des Ver-
können (vgl. Esch & Köhler, 2016, S. 21ff.). Über- fahrens der Grounded Theory und des Theoretical
trägt man die erläuterten Erkenntnisse bezüglich der Sampling im Zeitraum von April bis Juni 2019 die
Identitätsinszenierung auf Brand Communities wird Community-Beiträge der Facebook-Profile der Mar-
deutlich, dass auch in der digitalen Gemeinschaft ein ken true fruits und innocent ausgewertet. true fruits
positives Bild der Identität von Marken und Konsu- ist ein deutsches Unternehmen mit Sitz in Bonn, das
menten inszeniert und aufrechterhalten werden soll im Jahr 2006 gegründet wurde (vgl. true fruits, 2019,
(vgl. Weis & Huber, 2000, S. 53.; vgl. Fröhling,

42 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

o. S.). Die Marke war bereits im Jahr 2016 Markt- Ergebnisse


führer in Deutschland im Bereich der Fruchtnektare
Es wurden insgesamt 20 Facebook-Beiträge mit
(vgl. LZ, 2016, o. S.). Bei der Marke innocent han-
relevanten Kommentaren der Marke true fruits und
delt es sich um ein englisches Unternehmen, das
20 Beiträge der Marke innocent auf den jeweiligen
bereits im Jahr 1998 gegründet wurde (vgl. innocent,
Facebook-Profilen erhoben und ausgewertet. Die
2019, o. S.). innocent belegt hinter true fruits den
Beiträge stammen aus den Jahren 2017 bis 2019.
zweiten Platz bezüglich des Marktanteils in Deutsch-
Insgesamt wurden im Rahmen des Theoretical
land (vgl. LZ, 2016, o. S.). In Bezug auf die For-
Sampling 848 Codes vergeben. Davon wurden den
schungsfrage dieser Arbeit wurden das soziale
Beiträgen von true fruits insgesamt 431 und den
Netzwerk Facebook für die zu analysierenden Daten
Beiträge von innocent 417 Codes zugeordnet. Das
ausgewählt. Die Plattform zählt zu den beliebtesten
Codesystem ist hierarchisch untergliedert. Das Phä-
Netzwerken in Deutschland und hat ca. 30 Millionen
nomen Reziproker Dialog beinhaltet folgende
Nutzer (vgl. Horizont.net, 2017, o. S.). Während der
Schlüsselkategorien mit ihren untergeordneten Kate-
Datenerhebung und -auswahl wurde nicht in die
gorien, die auf einer Achse gemäß ihrer Ausprägung
Kommunikation und den Verlauf der Dialoge auf
abgebildet werden:
den Unternehmensprofilen oder in der Community
Es lässt sich feststellen, dass die Schlüssel-
eingegriffen. Des Weiteren wird auf die Interpretati-
Kategorien Haltung Marke und Haltung Communi-
on von Emojis und Gefäll-Mir-Angaben verzichtet,
ty/Konsumenten in einer engen Verbindung stehen
da diese Kennwerte für die Beantwortung der For-
und im Kontext der Kategorie Interaktion – B2C
schungsfrage keine Relevanz haben und eine allge-
ausgehandelt werden. Im Fall der Marke innocent
mein gültige Interpretation der Symbole ein anderes
geht es in einem Beitrag vom 26.11.2018 um die
Forschungsfeld darstellt. Lediglich die Anzahl der
Verwendung von PET-Flaschen, in denen die
Gefällt-Mir-Angaben und die Anzahl der Kommen-
Smoothies abgefüllt werden. Hierzu äußert sich
tare in Bezug auf einen Beitrag der Marken wurden
Konsumentin Caro Keller und bewirkt dadurch eine
auf Grund der Anforderung einer Interaktionsdichte
negativ behaftete Interaktion (vgl. inno-
in quantitativer Form berücksichtigt. Es werden
cent/Facebook, 2018, o. S.). Sie betont: „Einweg-
keine Videos oder Bilder ausgewertet und interpre-
Plastikflaschen sind ziemlich scheiße. Schade“ (in-
tiert. Die Auswahl des Samplings basiert somit auf
nocent/Facebook, 2018, o. S.) und schreibt der Mar-
der Interaktionsdichte und den Aktivitäten der
ke eine nicht vorhandene Attraktivität zu. Die unter-
Community und Konsumenten unter einem Beitrag
schiedlichen Haltungen bezüglich der Authentizität,
der Marke (vgl. Steffen, 2014, S. 98).
der Attraktivität und der Aktualität der Marke treffen
im Verlauf der Interaktion aufeinander und wandeln
sich zu einer positiven Interaktion zwischen Konsu-
ment und Marke. So argumentiert innocent in Bezug
auf den Kommentar von Caro Keller, dass aus Sicht
der Marke PET-Flaschen nachhaltiger sind als Ein-
wegflaschen. Außerdem wurde Flaschenpfand einge-
führt (vgl. innocent/Facebook, 2018, o. S.). Lily
Lovelight antwortet: „(...) danke fürs Weiterdenken.
Gute Sache“ (innocent/Facebook, 2018, o. S.). Hier-
bei kann auch die Schlüsselkategorie Soziale Hand-
Abbildung 4: Codesystem basierend auf dem Verfahren lungen einbezogen werden. Die Community der
der Grounded Theory Marke innocent zeigt hier eine starke Partizipation
hinsichtlich markenrelevanter Inhalte, die in einer
direkten Interaktion an innocent kommuniziert wird
und die Marke somit Flaschenpfand in Rückbezug
auf die starke Partizipation der Konsumenten ein-
führt (vgl. innocent/Facebook, 2018, o. S.). Caro
Keller betont: „Danke für die Information. Schön,

journal-kk.de 43
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

dass nun [Sic] so ist, nach langer Zeit“ (inno- bei dir so lange überlebt hat“ (innocent/Facebook,
cent/Facebook, 2018, o. S.). Lea Fröhlich verdeut- 2017, o. S.). Die Verbindung zwischen der Kategorie
lich im weiteren ihren partizipativen Einfluss: „Wie Identifikation, Partizipation, Einzigartigkeit und
wäre es mit Mehrweg Glasflaschen?“ (inno- Individualisierung bezüglich der Marke wird an
cent/Facebook, 2018, o. S.). An diese Verbindung Hand des Kommentars von Nadine Warnecke belegt.
der verschiedenen Kategorien gliedert sich eine Sie schreibt: „mega Idee... ich hab noch eine Avoca-
Überlagerung der Kategorie Interaktion – B2C und do hier... das probier ich auch“ (innocent/Facebook,
Interaktion – C2C an. In diesem Zusammenhang 2017, o. S.).
entsteht eine erhöhte Dynamik, da sich die verschie- Aus der Verschmelzung der Kategorie Individuali-
denen Interaktionsebenen überlagern und die Hal- sierung und Gemeinschaft entwickelt sich die neue
tungen bezüglich der verschiedenen Kategorien wie Kategorie Spannungsfeld Individualisierung und
Wettbewerber, Einzigartigkeit, Aktualität, Attraktivi- Gemeinschaft. Hierbei kann festgestellt werden, dass
tät, Authentizität, Transparenz und Flexibilität mit Individualisierung eine neue Form der Gemeinschaft
einfließen und ausgehandelt werden. Durch die star- darstellt. Dies wird besonders im Kontext der Kate-
ke Ausprägung der Kategorie Partizipation werden gorie Interaktion – C2C im Beitrag der Marke true
die Ausprägungen im Rahmen der Schlüsselkatego- fruits vom 14.2.2019 deutlich. Konsumentin Katja
rie Haltung Marke angepasst. Steff eröffnet die Interaktion mit einem Kommentar
Die Kategorie Inszenierung steht immer in einem bezüglich der hohen Attraktivität und Einzigartigkeit
direkten Zusammenhang mit einer Ausprägung der der Marke. Sie äußert: „Ich feier euch einfach! (...)
Kategorie Interaktion – B2C und/oder Interaktion – ich feier eure „Werbeslogans“ jedes Mal und finde
C2C und den Schlüsselkategorien Haltung Marke euren Humor einfach einzigartig! Immer weiter ihr
und/oder Haltung Community/Konsumenten. Die Lieben!! Und an alle anderen: Zieht den Stock ausm
Haltungen werden im Rahmen der Interaktion durch Arsch und probierts mal mit Lachen“ (true
die Marken oder die Community beziehungsweise fruits/Facebook, 2019a, o. S.). Hier greift die Kate-
die Konsumenten inszeniert. In diesem Kontext gorie Individualisierung, da die Nutzerin eine starke
findet auch immer die Partizipation von Konsumen- Identifikation mit der Marke zeigt und sich gleich-
ten und die Identifikation mit der Marke statt. Durch zeitig durch die Anmerkung „Und an alle ande-
die Kategorie Haltung Community/Konsumenten ren(...)“ (true fruits/Facebook, 2019a, o. S.) von
wird gleichzeitig auch die Kategorie Identifikation in Kritikern innerhalb der Community abgrenzt. Diese
hoher oder niedriger Ausprägung abgebildet. Diese Identifikation und Individualisierung wird durch die
Zusammenhänge können exemplarisch an Hand des weiteren Kommentare anderer Nutzer bekräftigt. So
Beitrags der Marke innocent vom 19.9.2017 darge- erwidert Debbie Nemo: „Du sprichst mir aus der
stellt werden. Die Marke innocent inszeniert sich Seele“ (true fruits/Facebook, 2019a, o. S.) und Ron-
hier durch einen Beitrag zum Thema „Upcycling nie Maus ergänzt: „Katja Steff Genau so. Du be-
2.0“ (innocent/Facebook, 2017, o. S.) wodurch auch raubst mich oral. Äh, ich will sagen, du nimmst mir
die Kategorie Individualisierung (Schlüsselkategorie die Worte aus dem Mund“ (true fruits/Facebook,
Kontext/Prinzipien) und Partizipation codiert wer- 2019a, o. S.). Diese Bekräftigung der Abgrenzung
den kann. Konsument Marco Küpper kommentiert: von anderen Nutzern kann wiederum der Kategorie
„Wunderblätter habe schon in innocent-Flaschen Gemeinschaft zugeordnet werden und transformiert
gezogen (...)“ (innocent/Facebook, 2017, o. S.) und sich so zu der neuen Kategorie, die als Spannungs-
zeigt damit eine starke Partizipation und Inszenie- feld Individualisierung und Gemeinschaft bezeichnet
rung im Kontext der Kategorie Interaktion – B2C. wird und alle Beiträge beinhaltet, die die Transfor-
Dajana Lenk inszeniert sich im Rahmen der Katego- mation von einer Individualisierung zu einer neuen
rie Interaktion – C2C und Interaktion – B2C und Form der Gemeinschaft thematisieren. Zusammen-
berichtet von ihrer Pflanze, die „leider kränkelt (...)“ fassend wird deutlich, dass die Schlüsselkategorie
(innocent/Facebook, 2017, o. S.). innocent antwortet: Kontext/Prinzipien Prozesse darstellt, die jede der
„Vielleicht wollte die Pflanze lieber ein Einzelkind anderen Kategorien und Schlüsselkategorien im
sein?“ (innocent/Facebook, 2017, o. S.) und Com- hohen Maße ummanteln.
munity-Mitglied Rebecka Letz schreibt „Ich bin
sprachlos...Wie hast du es geschafft, dass das Ding

44 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Zusammenfassung der Kernergebnisse


Die Kernergebnisse zeigen, dass das Unterneh-
mensprofil von true fruits insgesamt mehr negative
Interaktionen zwischen Marke und Community
aufweist. Dennoch hat die Marke mehr Fans als
innocent und true fruits wird eine höhere Attraktivi-
tät und Authentizität zugesprochen. Dies beruht auf
der hohen Flexibilität der Marke, die bei innocent
eher niedrig ausfällt. Hier zeigt sich die Abhängig-
keit der wahrgenommenen Attraktivität der Marke
von den weiteren Kategorien die innerhalb der
Schlüsselkategorie Haltung Communi-
ty/Konsumenten gebildet werden konnten. Zudem
Abbildung 5: Modell des Phänomens Reziproker Dialog
weist die Marke innocent im direkten Vergleich eine
(Quelle: eigene Darstellung auf Basis der Daten in
geringere Transparenz auf. Auch die Verteilung der
MAXQDA/ Case Study_Innocent_True Fruits)
Kategorie Interaktion – C2C und der Kategorie In-
teraktion – B2C ist ein Anhaltspunkt für den Erfolg
Modell als hinfällig betrachtet werden kann. In Ab-
der Marke true fruits, da das Unternehmensprofil bei
bildung 3 sind die Kernergebnisse dargestellt.
Facebook über eine doppelt so hohe Interaktion
zwischen den Community-Mitgliedern verfügt. Da- Beantwortung der Forschungsfrage
gegen weist die Marke innocent eine doppelt so hohe
In Hinblick auf die Forschungsfrage kann aus theore-
positive Interaktion zwischen der Marke und den
tischer und empirischer Sicht festgestellt werden,
Konsumenten auf, die aber bezüglich der wahrge-
dass die Haltungen der Konsumenten und der Marke
nommen geringeren Attraktivität der Marke nicht ins
durch soziale Handlungen wie der Inszenierung,
Gewicht fällt. Durch eine höhere Partizipation und
Interaktion, Identifikation, Partizipation und Identifi-
größere Identifikation der Mitglieder sowie eines
kation in einer triadischen Beziehung ausgehandelt
größeren Auftretens der Kategorien Gemeinschaft,
werden. Dabei stellen die wahrgenommene Attrakti-
Individualisierung und Spannungsfeld Individuali-
vität hinsichtlich der Aktualität, Authentizität,
sierung und Gemeinschaft bei der Marke true fruits
Transparenz, Flexibilität sowie der Einzigartigkeit
kann der größere Erfolg der Marke mit Hilfe der
der Marke wichtige Komponenten für das Erfolgs-
Ergebnisse verstanden und erklärt werden. In Hin-
konzept des reziproken Dialogs dar, der die Basis für
blick auf die Forschungsfrage dieser Arbeit kann
eine konsumentenorientierte Markeninszenierung im
festgehalten werden, dass das Phänomen Reziproker
Web 2.0 darstellt. Auf Grund der Ergebnisse der
Dialog als umfassende Kernkategorie herausgearbei-
Case Study und der theoretischen Erkenntnisse wird
tet werden kann. Er stellt den Erfolgsfaktor für eine
deutlich, dass die Markenführung die Strategien
konsumentenorientierte Markeninszenierung in Be-
bezüglich der Markenidentität und ihrer Inszenierung
zug auf die Markenidentität dar. Aus der Verknüp-
niemals ohne den Rückbezug auf gesellschaftliche
fung der einzelnen Kategorien und Schlüsselkatego-
Prozesse entwickeln kann. Somit müssen auch die
rien ergibt sich eine Verdichtung der Ergebnisse zu
Prozesse der Individualisierung und Vergemein-
einem theoriegenerierenden Ansatz, in dessen Zent-
schaftung im Rahmen von sozialen Netzwerken und
rum das Phänomen des Reziproken Dialogs steht.
Brand Communities berücksichtigt werden (siehe
Unter diesem Phänomen stehen die Schlüsselkatego-
hierzu Maffesoli, 1990, S. 239ff.; Giddens, 2001, S.
rien Haltung Marke, Haltung Communi-
30ff.; Beck, 1986, S. 206; Reckwitz, 2018, S. 15f.).
ty/Konsumenten, Soziale Handlungen sowie Kon-
Diese Erkenntnisse haben einen großen Einfluss auf
text/Prinzipien in einem wechselseitigen Verhältnis.
das Markenführungsprinzip des Social Branding und
Anzumerken ist, dass die Kategorie Wettbewerber
in diesem Zusammenhang auf das Model der identi-
innerhalb des selektiven Kodierens nicht mit anderen
tätsbasierten Markenführung von Meffert und Bur-
Kategorien verbunden werden konnte und für das
mann (siehe hierzu Meffert, Burmann & Kirchgeorg,
2012, S. 360). Die Basis des Modells wird nicht in

journal-kk.de 45
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Frage gestellt, sondern muss im digitalen Zeitalter


um wesentliche Aspekte erweitert werden (siehe
hierzu Studie von Essemari, MecKechnie & Winkl-
hofer, 2018, S. 372). Bisher haben Marken-Manger
die Markenidentität systematisch gesteuert und teil-
weise an der Rolle des Konsumenten als Rezipient
festgehalten, der die dargebotenen Botschaften auf-
nimmt. Dies basiert auf der Lehre, dass die Mar-
kenidentität strategisch hergestellt werden kann und
gesteuert werden muss, um sich erfolgreich in den
Köpfen der Konsumenten zu platzieren und zu ver-
ankern (siehe hierzu Kapferer, 1992, S. 25). Diese
Perspektive kann auf Basis der Ergebnisse abgelehnt
werden. Somit wird in dem neu entwickelten Ansatz
dieses Artikels das Prinzip der Führung transformiert
und das verschobene Machtgefälle zwischen Kon-
sumenten, Community und Marke berücksichtigt.
Dafür wird die Outside-in-Perspektive und die Insi-
de-Out-Perspektive des Modells um eine Outside-
Abbildung 6: Überarbeitetes Modell der identitätsbasierten Mar-
out-Perspektive erweitert (siehe hierzu Meffert,
kenführung (Quelle: eigene Darstellung, in Anlehnung an Meffert/
Burmann & Kirchgeorg, 2008, S. 359.; Bruhn, 2016,
Burmann/ Kirchgeorg [2012], S.360)
S. 458), die die triadische Beziehung abbilden soll.
Diese Triade kann als neue C2C2B-Interaktion be-
zeichnet werden. Somit wird an dieser Stelle eine ressen nicht nur akzeptiert, sondern auch verstanden
werden. Dies betrifft besonders das reflexive Ver-
Unternehmensperspektive hinsichtlich der Befürwor-
ständnis von Ursachen, Bedingungen, Kontexten und
tung eines monologischen Dialogs abgelehnt. Das
Konsequenzen sozialer Handlungen. Es ist zu beach-
klassische Sender-Empfänger Modell gibt es, insbe-
ten, dass damit nicht nur ein einzelnes Individuum
sondere auf Facebook, nicht mehr (siehe hierzu
sondern die gesamte Dynamik einer Brand Commu-
Hermes, 2011, S. 34; Löffler & Wittern, 2011, S. nity gemeint ist. Es muss festgestellt werden, dass
350). Unternehmen bieten zwar immer noch Inhalte Konsumenten neben einer freien Entfaltung auch
an, diese werden jedoch durch die Konsumenten als nach Gemeinschaftsaspekten in den Netzwerken
reflexiver und handlungsmächtiger Ko-Kreateur suchen. Durch den Aufbau und die Stärkung spezifi-
(siehe hierzu Reckwitz, 2014, S. 40ff.) ergänzt, re- scher Communities, die markenrelevante Inhalte
produziert und nicht wie über einen analogen Kanal thematisieren, kann eine erhöhte Partizipation der
aufgenommen und verarbeitet. Die Entwicklung des Mitglieder angeregt, Kreativität gefördert und Indi-
Models hat nicht zum Ziel, eine weitere Gebrauchs- vidualität kommuniziert werden. Von Vorteil ist eine
anleitung für Marken im Social Web darzustellen, geschlossene Gruppe, in der sich Mitglieder austau-
sondern will den Paradigmenwechsel im Kontext der schen und inszenieren können. Die Marke kann hier
Markenführung vorantreiben. In der folgenden Ab- die Rolle eines passiven Administrators einnehmen
bildung wird die Überarbeitung des Modells darge- und bietet ein grundlegendes Regelwerk an, wobei
stellt. die Ausgestaltung der Inhalte von den Konsumenten
festgelegt wird. Auf dem offiziellen Profil einer
Implikationen für die Praxis Marke sollten den Nutzern Inhalte bereitgestellt
werden, die den Zeitgeist treffen, tagesaktuelle Ge-
Durch Online-Dienste wie Facebook ist es auch
schehnisse beinhalten und zur Interaktion zwischen
kleineren Marken möglich, eine große Anzahl von
der Marke und den Konsumenten und innerhalb der
potentiellen Konsumenten anzusprechen und eventu-
Community anregen. Negative Interaktionen oder
ell sogar global zu agieren. Hinsichtlich der heraus-
eine mangelnde Machtposition bezüglich der Inhalte
gearbeiteten Erfolgsfaktoren für eine konsumenten-
in den Kommentaren, sollten in diesem Zusammen-
orientierte Markeninszenierung im Web 2.0 muss der
hang nicht gefürchtet, sondern reflexiv in die Strate-
Konsument bezüglich seiner Bedürfnisse und Inte-

46 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

gien eingebunden werden. Hiermit soll betont wer- tisch reflektiert werden müssen. Neben der Gestal-
den, dass Marken-Manager ihre Position und ihre tung offizieller Unternehmensprofile und persönli-
Prinzipien nicht aufgeben sollten, sondern vielmehr cher Chroniken haben Nutzer theoretisch auch die
eine neue partizipative Perspektive entwickeln müs- Möglichkeit Fake-Profile anzulegen und Beiträge im
sen, um Potential für die Markenidentität aufzude- Netzwerk zu kommentieren, die nicht ihre persönli-
cken und die Marke so flexibler weiterentwickeln zu che Meinung abbilden und den Interaktionsverlauf
können. Für die Implementierung einer erfolgreichen verfälschend beeinflussen. Zusammenfassend lässt
Markenidentität im Rahmen des Social Branding sich sagen, dass es auch weiterhin einen großen
muss die Identität in einem reziproken Dialog stets Forschungsbedarf im Bereich der Markenidentität
neu ausgehandelt, überprüft und in Hinblick auf die und -inszenierung im Web 2.0 geben wird, da sich
Haltungen der Community angepasst werden. das digitale Rad der Markenführung zukünftig im-
mer schneller dreht. Neue Online-Plattformen wer-
Kritische Reflexion den entstehen und altbewährte wieder verschwinden.
Durch die Analyse verschiedener Textstellen konn- So wachsen die Herausforderungen und der Druck
ten Kategorien gebildet werden, die ein allgemein- auf Unternehmen, mit den rasanten Veränderungs-
gültiges Muster abbilden und durch die Transparenz prozessen Schritt zu halten.
des Vorgehens in einer weiteren Studie nochmals
erhoben werden können. Zu beachten ist, dass die
ausgewählten Marken im Rahmen der Case Study Literaturverzeichnis
Konsumgüter aus dem Lebensmittelbereich darstel- Aaker D., Stahl, F. & Stöckle, F. (2015). Marken erfolg-
len und so die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf reich gestalten. Die 20 wichtigsten
andere Marke einer genauen Prüfung und weiterer Grundsätze der Markenführung. Wiesbaden: Springer.
Forschung bedarf. Eine für die Forschungsfrage Abbate, S. (2014). Marken als Sinnstifter. Identitätsbasier-
hinreichende theoretische Sättigung wurde im Rah- te Markenführung als Antwort auf den Wandel. Wiesba-
den: Springer.
men der Datenerhebung erreicht. Die Forschungsfra-
Abels, H. (2017). Identität. Über die Entstehung des Ge-
ge dieser Arbeit kann mit den erhobenen Daten zu- dankens, dass der Mensch ein
friedenstellend beantwortet werden. Es wurde ein Individuum ist, den nicht leicht zu verwirklichenden An-
theoriegenerierender Ansatz erstellt, der sich auf die spruch auf Individualität und Kompetenzen, Identität in
Praxis übertragen lässt und mit den theoretischen einer riskanten Moderne zu finden und zu wahren.
Wiesbaden: Springer.
Erkenntnissen dieser Arbeit verknüpft werden kann.
Algesheimer, R. & Herrmann, A. (2005). Brand Commu-
Da es sich um eine qualitative Auswertung auf Basis
nities – Grundidee, Konzept und empirische Befunde. In
der Grounded Theory handelt, konnte während der Esch, F.-R. (Hrsg.). Moderne Markenführung. Grundla-
Erstellung des theoriegenerierenden Modells keine gen - Innovative Ansätze - Praktische Umsetzungen (S.
quantitative Gewichtung der einzelnen Schlüsselka- 747-764). Wiesbaden: Springer.
tegorien und untergeordneten Kategorien für die Berners-Lee, T. (2006). developerWorks Interviews. Tim
Berners-Lee. Verfügbar unter:
Beantwortung der Forschungsfrage vorgenommen https://www.ibm.com/developerworks/podcast/dwi/cm-
werden. Aus diesem Grund kann keine Rangfolge int082206txt.html (25.5.2019).
der Erfolgsfaktoren abgebildet werden. Somit wäre Baumann, Z. (2009). Leben als Konsum. Hamburg: Ham-
auf Grund der Dynamik sozialer Netzwerke eine burger Edition.
Kombination aus qualitativen und quantitativen Baumgarth, C. (2014). Markenpolitik. Wiesbaden: Sprin-
Verfahren für weitere Forschungsprojekte ratsam. ger.
Des Weiteren hat sich die Case Study des Artikels Baumüller, N. (2017). Die Markenpositionierung – Ein
zukunftsfähiges Element der
auf die soziale Plattform Facebook konzentriert. Ein
strategischen Markenführung. In Theobald, E. (Hrsg.).
intermedialer Vergleich konnte so nicht vorgenom- Brand Evolution. Moderne Markenführung im digitalen
men werden, welcher eventuelle Unterschiede zwi- Zeitalter (S. 45-64). Wiesbaden: Springer.
schen den Plattformen aufgedeckt hätte. Da beide Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine
Marken auch auf Plattformen wie Instagram vertre- andere Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
ten sind, könnte die Plattform ergänzend mit einge-
bunden werden, um nicht nur einen Vergleich zwi- Black, I. & Veloutsou, C. (2016). Working consumers: Co-
creation of brand identity, consumer identity and brand
schen den Marken, sondern auch zwischen den Platt-
community identity. Journal of Business Research, Vol.
formen zu gewährleisten. Aufgrund der Infrastruktur 70, S. 416-429.
von Facebook ergeben sich weitere Herausforderun- Blinda, L. (2007). Markenführungskompetenzen eines
gen für die Analyse von Online-Beiträgen, die kri- identitätsbasierten Markenmanagements: Konzeptuali-

journal-kk.de 47
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

sierung, Operationalisierung und Wirkungen. Wiesba- Goffman, E. (2017). Wir alle spielen Theater. Die Selbst-
den: Springer. darstellung im Alltag. München: Piper.
Bourdieu, P. & Wacquant, L. (1996). Reflexive Anthropo- Groeger, L. (2011). Markendifferenzierung ohne klassi-
logie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. sche Werbung? Zur Stimulation sozialer Interaktion
Bruce, A. & Jeromin, C. (2016). Agile Markenführung: zwischen Kunden. In Völckner, F., Willers, C. & Weber
Wie Sie Ihre Marke stark machen für dynamische Märk- T. Markendifferenzierung. Innovative Konzepte zur er-
te. Wiesbaden. Springer. folgreichen Markenprofilierung (S. 179-218). Wiesba-
den: Springer.
Bruhn, M. (2016). Einsatz von Social Media im Rahmen
der Dialogkommunikation. In Bruhn, M., Esch, F.-R. & Gujahr, G. (2015). Markenpsychologie. Wie Marken wir-
Langner, T. (Hrsg.). Handbuch Instrumente der Kom- ken – Was Marken stark macht. Wiesbaden: Springer.
munikation. Grundlagen – Innovative Ansätze – Prakti- Haisch, P.T. (2011). Bedeutung und Relevanz der Online-
sche Umsetzungen (S.453-480). Wiesbaden: Springer. medien in der Marketingkommunikation. In Theobald,
Burmann, C., Meffert, H. & Koers, M. (2005). Stellenwert E. & Haisch, P. T. (Hrsg.). Brand Evolution. Moderne
und Gegenstand des Markenmanagements. In Meffert, Markenführung im digitalen Zeitalter (S. 79-93). Wies-
H., Burmann, C. & Koers, M. (Hrsg.). Marken- baden: Springer.
Management: Identitätsorientierte Markenführung und Hannemann, P. (2009). Co-Creative: Zur Markenführung
praktische Umsetzung (S. 3-36). Wiesbaden: Springer. in der neuen Kommunikationsmatrix. In Sonnenburg, S.
Castells, M. (2017). Die Macht der Identität. (Das Infor- (Hrsg.). Swarm Branding. Markenführung im Zeitalter
mationszeitalter. Wirtschaft. Gesellschaft. Kultur, 2). von Web 2.0 (S. 50-71). Wiesbaden Springer.
Wiesbaden: Springer. Harrer, A., Krämer, N., Zeini, S. & Haferkamp, N. (2008).
Dahrendorf, R. (1998). Anmerkungen zu Globalisierung. Ergebnisse und Fragestellungen aus Psychologie und
In Beck, U. (Hrsg.). Perspektiven der Weltgesellschaft Informatik zur Analyse von Interaktionen in Online-
(S. 41-54). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Communities und Potenziale interdisziplinärer For-
schung. In Zerfaß, A., Welker, M. & Schmidt, J. (Hrsg.).
Döring, N. (2003). Sozialpsychologie des Internet. Die Kommunikation, Partizipation und Wirkungen im Social
Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Web. Grundlagen und Methoden: Von der Gesellschaft
Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. (Internet zum Individuum (S. 301-326). Köln: Halem.
und Psychologie: Neue Medien in der Psychologie, 2).
Göttingen: Hogrefe. Hermes, V. (2011). Wer führt die Marke? Titelstory digita-
le Markenführung. Absatzwirtschaft, Sonderausgabe
Esch, F.-R. & Langner, T. (2005). Aufbau und Steuerung zum Marken-Award 2011, S. 34-40.
von Marken in Wertschöpfungsnetzwerken. In Esch,
F.-R. (Hrsg.). Moderne Markenführung. Grundlagen - Heun, T. (2012) Marken im Social Web. Zur Bedeutung
Innovative Ansätze - Praktische Umsetzungen (S.427- von Marken in Online Diskursen. Wiesbaden: Springer.
453). Wiesbaden: Springer. Heun, T. (2016). Funktion, Emotion, Kommunikation. Der
Esch, F.-R. & Köhler, I. (2016). Brand Engagement – Wie Beitrag von digitalen Medien zum Nutzen von Marken
Marken versuchen, enge Kundenbeziehungen zu gene- für Konsumenten. In Regier, S., Schunk,H. & Könecke,
rieren. transfer Werbeforschung & Praxis, 62. Jg., S. 20- T. (Hrsg.). Marken und Medien. Führung von Medien-
28. marken und Markenführung mit neuen und klassischen
Medien (S. 79-96). Wiesbaden: Springer.
Esch, F.-R., Wicke, A. & Rempel J. (2005). Herausforde-
rungen und Aufgaben des Markenmanagements. In Hitzler, R. (1998). Posttraditionale Vergemeinschaftung.
Esch, F.-R. (Hrsg.). Moderne Markenführung. Grundla- Über neue Formen der Sozialbindung. Berliner Debatte
gen – Innovative Ansätze - Praktische Umsetzungen (S. Inital 9, Heft 1, S. 81-89.
3-55). Wiesbaden: Springer. Hitzler, R., Honer, A. & Pfadenhauer, M. (2008). Ärgerli-
Essemari, A,, MecKechnie, S. & Winklhofer, H. (2018). che Gesellungsgebilde?. In Hitzler, R., Honer, A. &
Co-creating corporate brand identity with online Pfadenhauer, M. (Hrsg.). Posttraditionale Gemeinschaf-
brand communities: A managerial perspective. Jour- ten: Theoretische und ethnographische Erkundungen (S.
nal of Business Research, Vol. 96, S. 366-375. 9-31). Wiesbaden: Springer.
Feddersen, C. (2010). Repositionierung von Marken – Ein Hofbauer, G. & Schmidt, J. (2007). Identitätsorientiertes
agentenbasiertes Simulationsmodell zur Prognose der Markenmanagement. Grundlagen und Methoden für
Wirkungen von Repositionierungsstrategien. Wiesba- bessere Verkaufserfolge. Berlin: Walhalla und Praetoria.
den: Springer. Horizont.net (2017). Anzahl der Nutzer von Facebook und
Fröhling, R. (2017). Markenliebe. Konzeption und empiri- Instagram in Deutschland im Jahr 2017 (in Millionen).
sche Untersuchung eines ganzheitlichen kausalanalyti- Verfügbar unter:
schen Modells. Wiesbaden: Springer. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/503046/umfr
age/anzahl-der-nutzer-von-f acebook-und-
Giddens, A. (1994). Beyond Left and Right: The Future of instagram-in-deutschland/ (25.05.2019).
Radical Politics. Cambridge: Stanford University Press.
innocent/Facebook (2017). innocent Deutschland Beitrag
Giddens, A. (1997). Die Konstitution der Gesellschaft. vom 19.9.2017, Facebook. Verfügbar unter:
Grundzüge einer Theorie der Strukturierung. Frank-
furt/New York: Campus Verlag. https://www.facebook.com/innocent/photos/a.2376725122
69/10155655518672210/ (25.6.2019).
Giddens, A. (2001). Entfesselte Welt. Wie die Globalisie-
rung unser Leben verändert. Frankfurt am Main: Suhr- innocent/Facebook (2018). innocent Deutschland Beitrag
kamp. vom 26.11.2018, Facebook. Verfügbar unter:
https://www.facebook.com/innocent/photos/a.23767251
2269/10156751695897270/n (10.6.2019).

48 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

innocent (2019). Unsere Geschichte. Hallo wir sind inno- Meffert, H. & Burmann, C. (2005a). Theoretisches Grund-
cent. Verfügbar unter: konzept der identitätsorientierten Markenführung. In
https://www.innocentdrinks.de/ueber-uns/unsere- Meffert, H., Burmann, C. & Koers, M. (Hrsg.). Mar-
geschichte (17.4.2019). kenmanagement – Identitätsorientierte Markenführung
Jones, R. (2012). Five ways branding is changing. Journal und praktische Umsetzung (S. 37-72). Wiesbaden:
of Brand Management, Vol. 20, S. 77–79. Springer.
Kastens, I. & Lux, P. (2014). Das Aushandlungs- Meffert, H. & Burmann, C. (2005b). Wandel in der identi-
Paradigma der Marke. Den Bedeutungsreichtum der tätsorientierten Markenführung – vom instrumentellen
Marke nutzen. Wiesbaden: Springer. zum identitätsorientierten Markenverständnis. In Mef-
fert, H., Burmann, C., & Koers, M. (Hrsg.). Markenma-
Keller, K. L. (2011). How to navigate the future of brand nagement – Grundfragen der identitätsorientierten Mar-
management. Marketing Management, Vol. 20, No. 2, S. kenführung (S.19-36). Wiesbaden: Springer.
36-43.
Meffert, H., Burmann, C. & Kirchgeorg, M. (2008). Mar-
Kempf, D. (2012). Grußwort. In Matthias, S., Mertens, A. keting. Grundlagen marktorientierter Unternehmens-
& Horx, A. (Hrsg.). Social Branding. Strategien – Pra- führung – Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele.
xisbeispiele – Perspektiven (S. V-VI). Wiesbaden: Wiesbaden: Springer.
Springer.
Meffert, H., Burmann, C. & Kirchgeorg, M. (2012). Mar-
Kirf, B. (2018). Unternehmenskommunikation in Zeiten keting – Grundlagen Marktorientierter Unternehmens-
digitaler Transformation. In Kirf, B., Eicke, K.-N., führung – Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele.
Schömburg, S. & Eicke, K.-N. (Hrsg.). Unternehmens- Wiesbaden: Springer.
kommunikation im Zeitalter der digitalen Transformati-
on. Wie Unternehmen interne und externe Stakeholder Meffert, H., Burmann, C. & Kirchgeorg, M. (2015). Mar-
heute und in Zukunft erreichen (S.1-4). Wiesbaden: keting – Grundlagen Marktorientierter Unternehmens-
Springer. führung – Konzepte – Instrumente – Praxisbeispiele,
Wiesbaden: Springer.
Kreutzer, R.- T. & Land, K.-H. (2017). Digitale Marken-
führung. Digital Branding im Zeitalter des digitalen Michelis, D. (2012). Social Media Modell. In Michelis, D.
Darwinismus. Das Think!Book. Wiesbaden: Springer. & Schildhauer, T. (Hrsg.). Social Media Handbuch:
Theorien, Methoden, Modelle und Praxis (S. 19-30).
Kreutzer, R.-T. & Merkle, M. (2015). Ausgewählte Aspek- Baden-Baden: Nomos.
te des Digital Branding.Handlungskonzepte für die digi-
tale Markenführung. Wiesbaden: Springer. Muniz, Jr., Albert M. & O’Guinn, T. (2001). Brand Com-
munity. In Journal of ConsumerResearch, Volume 27, S.
Krings, B.-J. (2016). Strategien der Individualisierung. 412-432.
Neue Konzepte und Befunde der soziologischen Indivi-
dualisierungsthese. Bielefeld: transcript. Munziger, U. (2016). 11 Irrtümer über Marken. So gelin-
gen Markenaufbau und Markenführung. Wiesbaden:
Krotz, F. (2007). Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel Springer.
von Kommunikation. Wiesbaden: Springer.
Munziger, U. & Wenhart, C. (2012). Marken erleben im
Lin, J. & Sung, Y. (2014). Nothing Can Tear Us Apart: digitalen Zeitalter. Markenerleben messen, managen,
The Effect of Brand Identity Fusion in maximieren. Wiesbaden: Springer.
Consumer-Brand Relationships. Psychology & Marketing, Pfadenhauer, M. (2008). Markengemeinschaften. Das
Vol. 31, S. 54- 69. Brand als ‚Totem’ einer posttraditionalen Gemein-
schaft. In Hitzler, R., Honer, A. & Pfadenhauer, M.
Löffler, R. & Wittern, H. (2011). Markenwahrnehmung (Hrsg.). Posttraditionale Gemeinschaften (S. 214-227).
und Markendifferenzierung im Zeitalter des Web 2.0. In Wiesbaden: Springer.
Völckner F., Willers C. & Weber, T. (Hrsg.). Mar- Reckwitz, A. (2014). Die Erfindung der Kreativität. Zum
kendifferenzierung. Innovative Konzepte zur erfolgrei- Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung, Berlin: Suhr-
chen Markenprofilierung (S. 359-375). Wiesbaden: kamp.
Springer. Reckwitz, A. (2018). Die Gesellschaft der Singularitäten.
LZ (2016). Wertmäßiger Marktanteil von Smoothie- Berlin: Suhrkamp.
Marken in Deutschland von Januar bis April Riedel, J. & Sonntag, R. (2012). Kompetenzen für das
2016. Verfügbar unter: Online-Reputation-Management. In Schulten, M., Mer-
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/225977/umfr tens, A. & Horx, A. (Hrsg.). Social Branding. Strate-
age/marktanteile-der-anbieter-von-smoothies-in- gien-Praxisbeispiele-Perspektiven (S. 97-110). Wiesba-
deutschland/ (20.4.2019). den: Springer.
Maffesoli, M. (1990). Au creux des apparences. Paris: La Sazpin, J., Mertens, B. & Rennhak, C. (2008). Stirbt die
Table Ronde. Mitte? Konsumentenverhalten im 21. Jahrhundert. Her-
Maffesoli, M. (1992). La contemplation du monde. Paris: ausforderungen und Strategien für Marketing und Ma-
Grasset. nagement. (Reutlinger Schriften zu Marketing & Ma-
nagement, 2). Stuttgart: ibidem.
Markschläger, S. & Werle, E. (2012). Wie Social Branding
in der Praxis erfolgreich eingesetzt werden kann und Schmid, B. & Lycek, B. (2008). Die Rolle der Kommuni-
Verbraucher das Marketing von Unternehmen machen. kation in der Wertschöpfung derUnternehmen. In Me-
In Schulten, M., Mertens, A. & Horx, A. (Hrsg.). Social ckel, M. & Schmid, F. (Hrsg.). Unternehmenskommuni-
Branding. Strategien – Praxisbeispiele – Perspektiven kation. Kommunikationsmanagement aus Sicht der Un-
(S. 84-96). Wiesbaden: Springer. ternehmensführung (S. 3-150). Wiesbaden: Springer.

journal-kk.de 49
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Schulten, M., Mertens, A. & Horx, A. (2012). Vorwort. In Wallpach, S., Hemetsberger, A. & Espersen, P. (2017).
Schulten, M., Mertens, A. & Horx, A. (Hrsg.). Social Performing identities: Processes of brand and stakehold-
Branding. Strategien – Praxisbeispiele – Perspektiven er identity co-construction. Journal of Business Re-
(S. VII-VIII). Wiesbaden: Springer. search, Vol. 70, S. 443-452.
Seidel, É. (2014). Die Zukunft der Markenidentität – Zur Weis, M. & Huber, F. (2000). Der Wert der Markenper-
Kritik des Markenidentitätsmodells im digitalen Zeital- sönlichkeit. Das Phänomen der strategischen Positionie-
ter. In Dänzel, S. & Heun, T. (Hrsg.). Marken und digi- rung von Marken. Wiesbaden: Springer.
tale Medien. Der Wandel des Markenkonzepts im 21. Wille-Baumkauff, B. (2015). Onlinemarkenkommunikati-
Jahrhundert (S. 363-378). Wiesbaden: Springer. on und Markenloyalität im B2B-Segment. Dissertation.
Skibicki, K. & Mühlenbeck, F. (2011). Markendifferenzie- Wiesbaden: Springer.
rung in sozialen Netzwerken aus wahrnehmungsrelevan- Zeplin, S. (2006). Innengerichtetes idenitätsbasiertes Mar-
ter Perspektive. In Völckner,F., Willers, C. & Weber, T kenmanagement. Wiesbaden: Springer.
(Hrsg). Markendifferenzierung, Innovative Konzepte zur
erfolgreichen Markenprofilierung (S. 339-358). Wiesba-
den: Springer.
Steffen, D. (2014). Verknüpfung von Daten aus Sozialen
Medien mit klassischen Erhebungsmethoden. In König,
C., Stahl, M. & Wiegand, E. (Hrsg.). Soziale Medien.
Gegenstand und Instrument der Forschung (S. 97-110).
Wiesbaden: Springer.
Ternés, A., Towers, I. & Jerusel, M. (2015). Konsumen-
tenverhalten im Zeitalter der Digitalisierung. Trends: E-
Commerce, M-Commerce und Connected Retail. Wies-
baden: Springer.
Thimm, C. (2011). Ökosystem Internet – Zur Theorie
digitaler Sozialität, in: Anastasiadis, M.& Thimm, C.
(Hrsg.). Soziale Medien: Theorie und Praxis digitaler
Sozialität. Bonner Beiträge zur Medienwissenschaft (S.
16–35). Frankfurt am Main/New York: Internationaler
Verlag der Wissenschaften.
Tomczak, T. & Kernstock, J. (2014). Anspruchsgruppen
identifizieren und als Maßstab nutzen.
In Esch, F.-R., Tomczak, T., Kernstock, J., Langner, T. &
Redler, J. (Hrsg.). Corporate Brand Management. Mar-
ken als Anker strategischer Führung von Unternehmen
(S. 27-42). Wiesbaden: Springer.
Totz, C. & Werg, F. (2014). Interaktionen machen Marken
– wie du Digitalisierung
Interaktionen zum Kern der Markenführung macht. In
Dänzel, S. & Heun, T. (Hrsg.). Marken und digitale Me-
dien. Der Wandel des Markenkonzepts im 21. Jahrhun-
dert (S. 113-132). Wiesbaden: Springer.
true fruits (2019). Über uns. Geschichte. Verfügbar unter:
https://www.true-fruits.com/geschichte.html
(15.4.2019).
true fruits/Facebook (2019a) true fruits Deutschland Bei-
trag vom 14.2.2019, Facebook. Verfügbar unter:
https://www.facebook.com/true.fruits.no.tricks/photos/a.
157492230913/10156203682195914/ (1.6.2019).
Tuten, T. L. & Solomon, M. R. (2013). Social Media
Marketing. New Jersey: Prentice Hall.
Vargo, S. L. & Lusch, R. F. (2004). Evolving to a New
Dominant Logic for Marketing. Journal of Marketing,
Vol. 68, S. 1-17.
Von Löwenfeld, F. (2006). Brand Communities. Erfolgs-
faktoren und ökonomische Relevanzvon Markenge-
meinschaften. Wiesbaden: Springer.
Wallaschkowski, S. & Niehus, E. (2017). Digitaler Kon-
sum. In Stengel, O., Van Looy, A. & Wallaschkowski,
S. (Hrsg.). Digitalzeitalter – Digitalgesellschaft. Das
Ende des Industriezeitalters und der Beginn einer neuen
Epoche (S. 109-142). Wiesbaden: Springer.

50 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Nicholas Gorny:
Digitalität in der politischen Kommunikation

Die Demokratie stellt als Staatsform einen normativen Rahmen, vornehmlich für die Ausprägungen westlicher
Gesellschaften, dar. Die in diesen Gesellschaften lebenden Akteure sind als Individuen zu verstehen, welche sich
den sich stetig verändernden Umständen anpassen müssen, um im Sinne der Demokratie zu agieren. Dazu gehört
ebenfalls die Kommunikation. Sobald die Akteure einen Bezug zur Politik besitzen, kommunizieren sie politisch
und werden dadurch zu politischen Akteuren. Mit der Digitalisierung und damit der Digitalität gehen historisch,
in dieser Form nie dagewesene Veränderungen einher, mit denen sich die politischen Akteure dezidiert auseinan-
dersetzen müssen. Dabei stellt sich die Frage, wie Demokratie in einer derartig individualistisch geprägten Ge-
sellschaft funktionieren kann. Muss sich die politische Kommunikation lediglich den Gegebenheiten anpassen
oder steht diese vor einer wahrhaftigen Transformation? Besonders die politischen Parteien befinden sich in einer
Position, in der sich die Legitimität ihrer Kommunikation im digitalen Raum an demokratischen Maßstäben mes-
sen lassen muss. Sind die Parteien in der Lage, durch ihre politische Kommunikation die Demokratie zu stärken?
Sind die neuen Strukturen und Phänomene, die die Digitalität mit sich bringt, eine überwindbare Herausforde-
rung für die Kommunikation politischer Akteure? In diesem Kontext widmet sich der vorliegende Beitrag den
aufgeworfenen Fragen und zeichnet ein konkretes Bild digitaler politischer Kommunikation von Parteien inner-
halb eines demokratischen Rahmens.
Wenn wir Medien prägen seit jeher die Normen und Zerstörung der CDU.“ des Youtubers Rezo führte,
Regeln der gesellschaftlichen Information sowie eine Woche vor den Wahlen für das Europäische
Kommunikation und verkörpern daher einen Parlament, zu einem Erschrecken des politischen und
besonderen Stellenwert, besonders innerhalb medialen Raums. Die enorme Popularität und
westlich geprägter Demokratien (vgl. Jarren 2013, S. Reichweite, die das Video erzielen konnte, steht
53). Im Zuge gesellschaftlicher und politischer sinnbildlich für die politische Tragkraft, die durch
Entwicklungen verhalten sich diese Regeln und die digitalen Medien kommunikativ evoziert werden
Normen flexibel und unterliegen einem kann. In diesem Zusammenhang wird in diesem
kontinuierlichen Wandel, was sich nicht zuletzt auf Fachartikel untersucht, wie politische Parteien
die Kommunikationsprinzipien auswirkt. Einen kommunikativ auf die massiven Veränderungen des
gravierenden Wandel brachte das Internet und in digitalen Zeitalters einwirken können und das
diesem Kontext die Digitalität mit sich. Die besonders im Kontext der Demokratie. Dafür muss
Digitalität übt besonders massiven Einfluss auf die theoretisch zunächst das Konzept der westlichen
Politik und die ihr immanenten politischen Prozesse Demokratie erläutert und erörtert werden. Wie
aus (vgl. Jarren 2013, S. 53 f.). Dabei ist eine konstituiert sich eine Demokratie, was ist ihr Sinn
dominierende Determinante das Tempo, mit dem die und wie zeigen sich ihre elementaren Wesenszüge?
Digitalität und die damit einhergehende strukturelle Welche gesellschaftlichen Prozesse und
Transformation über sämtliche gesellschaftliche Entwicklungen können Einfluss auf eine Demokratie
Bereiche förmlich hinweg zu rollen scheint. Dieser nehmen? Hierfür werden die Konzepte von Alexis de
Einfluss schlägt sich besonders in kommunikativen Tocqueville und Colin Crouch untersucht und
Handlungen nieder. Die Resultate sind derartig additiv Beiträge von Chantal Mouffe, Andreas
einzigartig und präzedenzlos, dass von einem Reckwitz und Jürgen Habermas berücksichtigt. Im
gänzlich neuen Zeitalter der politischen Anschluss beleuchtet dieser Beitrag die komplexe
Kommunikation gesprochen werden muss (vgl. Thematik der politischen Kommunikation und
Oswald 2018, S. 22). Dass für politische Parteien fokussiert sich dabei besonders auf die digitale
und deren Kommunikation innerhalb einer politische Kommunikation und ihrer Kompatibilität
Demokratie die Digitalität noch immer eine große mit demokratischen Prinzipien. Darauf aufbauend
Herausforderung darstellt, lässt sich exemplarisch an werden exemplarisch die digitalen
einem medialen Beispiel aufzeigen. Das Video „Die Kommunikationsstrategien der politischen Parteien

journal-kk.de 51
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Bündnis 90/Die Grünen und der CDU untersucht. heit. Sie bedingen sich gegenseitig. In diesem Kon-
Hierbei soll geprüft werden, ob die digitale politische text entsteht ein weiterer demokratischer Wesenszug
Kommunikation in der Lage ist, die Demokratie zu - die Gleichheit. Der Begriff der Gleichheit fungiert
stärken. Abschließend werden die Stärken und als abgrenzender Wesenszug zu anderen Staatsfor-
Schwächen sowie die Chancen und Problematiken men wie der Aristokratie oder der Monarchie.
digitaler politischer Kommunikation beleuchtet und Gleichheit ist für Tocqueville dafür verantwortlich,
ein finales Fazit gezogen. dass sich die Menschen in einer Gesellschaft auf
einer Ebene begegnen, sich Macht und geistiges
Das demokratische Konzept nach Alexis Vermögen gleichmäßig verteilt und sich so demokra-
de Tocqueville tische Prinzipien durchsetzen können (vgl. Tocque-
Demokratien prägen seit jeher das moderne, westli- ville 1985, S. 23 f.). Der Gleichheit muss ein hoher
che Staatenbild. Dennoch kann der Demokratie aktu- Stellenwert beigemessen werden; sie ist als wesentli-
ell eine Art Schwächephase zugeschrieben werden, cher Beitrag zu seinem demokratischen Konzept zu
wenn man sich die Entwicklungen in Europa und den betrachten. Die Gleichheit ist jedoch nicht aus-
USA ansieht. Es stellt sich die Frage, wie eine De- schließlich positiv für die Demokratie zu beurteilen.
mokratie sich überhaupt konstituiert. Welche We- So ist die Gleichheit ein Förderer von Neid und dafür
senszüge, Ausprägungen und Eigenschaften können verantwortlich, dass Menschen bei dem Versuch,
einer Demokratie zugesprochen werden und welchen sich einander anzugleichen, zum Scheitern verurteilt
Sinn verfolgt die Demokratie als Staatsform? Der sind. Die Demokratie propagiert den Gleichheitsbe-
französische und liberale Aristokrat Alexis de Toc- griff, ohne ihn komplett verwirklichen zu können.
queville entwarf bereits im Jahr 1835 ein Demokra- Als weiteren Charakterzug der Demokratie nennt
tiekonzept, welches sich den elementaren Wesenszü- Tocqueville den Gemeinsinn, also die Einheitlichkeit
gen und dem Sinn einer Demokratie annahm. Dabei der Meinung und das übergeordnete Interesse der
wurde die Demokratie der Vereinigten Staaten von Gruppe. Der Gemeinsinn meint, dass eine Demokra-
Amerika untersucht. Die Vereinigten Staaten stellten tie darauf abzielt, Partikularinteressen und individu-
einen idealen, unbescholtenen Nährboden für die elle Bedürfnisse, dem einheitlichen Interesse der
demokratische Staatsform, da sie, westlich des At- Gesellschaft unterzuordnen (vgl. Tocqueville 1985,
lantiks, nicht zuletzt aufgrund der geographischen S. 137). Alle Interessen müssen denen der Mehrheit
Gegebenheiten, eine ideale Basis für eine natürlich entsprechen. Der Gemeinsinn führt die Menschen
gedeihende Demokratie verkörperten (vgl. Tocque- innerhalb einer Demokratie. Hier kann eine Verbin-
ville 1985, S. 111 f.). Zusätzlich zur geographischen dung zur Gleichheit gezogen werden – gleiche Inte-
Lage der Vereinigten Staaten, sah Tocqueville vor ressen bilden eine gleichartige Meinung. Dieser
allem die - damals noch junge – Geschichte Nord- Umstand korreliert mit einer Abgrenzung zum Indi-
amerikas, welche sich bisher frei von gravierenden viduum. Das Individuum funktioniert für Tocquevil-
Zäsuren präsentierte und auch anderweitig nicht le nur als Teil einer Gemeinschaft. Den Sinn einer
vorbelastet war, als entscheidenden Aspekt für die Demokratie begründet Tocqueville dadurch, dass sie
Beschaffenheit Amerikas als Ideal-Republik für das das Anwachsen des Staates begünstigt, Wohlstand
freiheitliche Gedeihen einer Demokratie. Für Tocqu- verbreitet und schafft und somit den einheitlichen
eville besitzt die westliche Demokratie essentielle Sinn der Gesellschaft stärkt (vgl. Tocqueville 1985,
Eigenschaften, die er als unverzichtbar erachtet. Hier S. 137 f.). Sie stiftet Sinn, indem sie das Volk in die
ist zunächst die Freiheit zu nennen. Sie ist mit sämt- Rolle des Herrschenden versetzt. Das Volk kann sich
lichen Wesenszügen fest verknüpft. Dabei ist sie in der Folge nur selbst bezwingen, funktioniert aber
jedoch an Bedingungen gebunden und kann nur im Gegenzug autonom. In der Demokratie liegt der
unter eben jenen umgesetzt werden. Gemeint sind Sinn, dass nur sie am Ende in der Lage ist, durch ihr
hier die engen Verknüpfungen mit Gemeinschaften Wesen Freiheit zu gewährleisten und zu konservie-
und Vereinigungen (vgl. Tocqueville 1985, S. 253). ren. So sieht Tocqueville in ihr letztlich den Sinn
Die Freiheit wird durch die Gemeinschaft oder auch eines Heilmittels, das in der Lage ist, sich den Prob-
die Vereinigungen verkörpert. Diese symbolisieren lemen einer Gesellschaft anzunehmen oder gar zu
freiheitliches Handeln und entstehen erst durch Frei- widersetzen (vgl. Tocqueville 1985, S. 197). Eine
Demokratie schafft es, dass die in dieser Staatsform

52 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

lebenden Menschen, „gemeinsam das Ziel ihres duktivität der Gesellschaft wird als essentieller We-
gemeinschaftlichen Begehrens“ (Tocqueville 1985, senszug der Demokratie betrachtet und ein Ausblei-
S. 249) anstreben. Final betrachtet, zeichnet Tocque- ben dieser ist folglich als Problematik für die Demo-
ville ein präzises Bild einer westlichen Demokratie, kratie zu betrachten. Dieser Sachverhalt zeigt sich
schreibt ihr klare Wesenszüge zu und erläutert ihren für Crouch etwa an der fehlenden Teilnahme an
Sinn sowie ihre Legitimität. Wahlen oder dem generellen politischen Informati-
onsdefizit der Gesellschaft. Die relevanten Merkmale
Das Konzept der Postdemokratie des postdemokratischen Konzepts zeigen sich also
Das normative Konzept der westlichen Demokratie, vor allem in dem Ungleichgewicht der Rolle der
nach Alexis de Tocqueville, findet nicht nur An- Unternehmensinteressen und auf der Gegenseite den
klang. Besonders auf die Gefahren, die in einem Rollen aller übrigen Gruppen der Gesellschaft, dem
demokratischen System drohen, verweisen seit den dadurch entstehenden „Legitimitätsverlust der politi-
Veröffentlichungen Tocquevilles einige Politikwis- schen Akteure und Institutionen“ (Öztürk 2010, o.
senschaftler. Der Brite Colin Crouch spricht in die- S.) und der Verdrossenheit der Bürger gegenüber der
sem Zusammenhang gar von einer Krise des demo- Politik und die daraus resultierende Passivität (vgl.
kratischen Referenzmodells, wie es Tocqueville Crouch 2008, S. 133). Crouch konstatiert also eine
konzipiert hat. In einem Begriff präzisiert er diese Krise der Demokratie oder unterstellt ihr zumindest
schwelende Krise als „Postdemokratie“. In der Phase eine schwächelnde Phase, die problematische Symp-
der Postdemokratie sind noch wesentliche Merkmale tome mit sich bringt. Es lässt sich ein normatives
der Demokratie vorhanden, aber der Einfluss von Konzept der Postdemokratie erstellen, welches un-
systemimmanenten Neuheiten hat zugenommen und mittelbar mit dem Konzept von Tocqueville in Ver-
die generelle Bedeutung des Gegenstands lässt nach bindung gebracht, aber gleichzeitig autonom ver-
(vgl. Crouch 2008, S. 31). Crouch skizziert die Post- wendet werden kann. Im folgenden Kapitel werden
demokratie als eine Art Gemeinwesen, welches zwar die konzeptuellen Ansätze gegenübergestellt und
wesentliche Eigenschaften einer Demokratie verkör- diskutiert.
pert, bei dem allerdings öffentliche Debatten – man
Diskussion der normativen Demokratie-
denke hier an Tocquevilles Gemeinsinn, etwa wäh-
konzepte
rend eines Wahlkampfes, nicht mehr vom Volk,
sondern von spezifischen Interessengruppen kontrol- Zunächst muss klargestellt werden, dass es sich bei
liert werden (vgl. Crouch 2008, S. 10). Folglich Tocquevilles Demokratiekonzept primär um ein
findet hierbei kein echter Diskurs unter der Wähler- idealistisches Konzept handelt, welches unter realen
schaft mehr statt. Der Großteil der Wählerschaft, Bedingungen nur schwerlich umzusetzen und auf die
also die Mehrheit, spielt dabei eine „passive, heutige Zeit zu übertragen ist. Dennoch geben seine
schweigende, ja sogar apathische Rolle“ (Crouch Erkenntnisse ein strukturelles Muster einer Demo-
20018, S. 10). Ein Faktor, der für ein demokratisches kratie vor, an der sich praktische Handlungen und
System undenkbar ist. Der teilnehmende Bürger Gedanken innerhalb einer Demokratie auch in der
muss eine essentielle Rolle in der westlichen Demo- heutigen Realität orientieren können. Das von Toc-
kratie einnehmen. In der Postdemokratie ist das nicht queville beschriebene, freiheitliche, auf der Gleich-
der Fall und zeigt umgehend ein Bild einer Art von heit basierende und an der Gemeinschaft orientierte
Demokratie im dystopischen Gewand. Die reale und Wesen einer Demokratie, dient noch immer als Maß-
praktizierte Politik wird nicht mehr durch das Ge- stab, an dem sich demokratische Staatsformen mes-
meinwesen bestimmt, sondern hinter dem Deckman- sen müssen, um als legitime Demokratie bewertet zu
tel der hochgejazzten und popularisierten Themen im werden. Betrachtet man Crouchs postdemokratisches
Wahlkampf, unter Ausschluss der Öffentlichkeit – Konzept, so fällt unmittelbar auf, dass eben diese
von der gewählten Regierung und den Eliten aus der Wesenszüge kaum noch Gewichtung finden. Die
Wirtschaft (vgl. Crouch 2008, S. 10). Als Kernele- Postdemokratie zeichnet das Bild einer Spätphase, in
ment der Postdemokratie verweist Crouch auf die der sich eine Gesellschaft befindet, bei der demokra-
zunehmende Verdrossenheit der Bürger und die tische Prinzipien immer mehr an Wertigkeit verlieren
dadurch ansteigende Passivität. Die politische Pro- und nur noch Kernelemente einer idealtypischen

journal-kk.de 53
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Demokratie zu finden sind. So lässt sich in der Post- besten. So entsteht ein angemessenes Konzept, das
demokratie kaum noch Gleichheit finden, was sich in sowohl demokratische Idealprinzipien als auch mo-
verschiedenen Aspekten zeigt. Es entstehen diverse derne gesellschaftliche Entwicklungen berücksich-
Interessensgruppen, die entweder eine politische tigt.
Agenda verfolgen oder solche, die zur politischen
Verdrossenheit tendieren und damit die Demokratie Rationalität, Konsens und Individualität
schwächen. Diese Diversität von Interessen wider- Nachdem nun die demokratischen Konzepte unter-
spricht zudem dem Gemeinschaftssinn oder auch sucht und erörtert wurden, müssen in der Folge ande-
dem einheitlichen Denken, welches Tocqueville als re Theorien berücksichtigt werden, um ein umfas-
unabdingbar betrachtet. Ebenso zeigt sich in der sendes Gesamtbild zeichnen zu können. Hierfür
Postdemokratie die Freiheit in einer veränderten dienen die Ansätze der Philosophen und Soziologen
Rolle. Sie ist deutlich unausgeprägter, spielt eher im Chantal Mouffe, Andreas Reckwitz und Jürgen Ha-
wirtschaftlichen Kontext eine Rolle und zeigt sich bermas. Chantal Mouffe kritisiert den Konsens, also,
weniger im gesellschaftlich-demokratischen Sinne frei nach Tocqueville, den Gemeinsinn, der in einer
gegenwärtig. Das rigorose Ausbleiben freiheitlicher Demokratie vorliegen muss. Sie bekräftigt das Vor-
Eigenschaften kann dem postdemokratischen Modell handensein von Alternativen zu den gängigen delibe-
jedoch nicht unterstellt werden. Die Problematik rativen und aggregativen Demokratiemodellen (vgl.
wird eher dadurch verkörpert, dass nur einige aus- Mouffe 2016a, S. 27). Sie konzipiert das agonale
gewählte Gruppen Freiheit in ihrer Reinform zeleb- Demokratiemodell, das auf den innergesellschaftli-
rieren können. Das Verfolgen der Interessen, deren chen Diskurs oder auch Konflikt abzielt. Dabei sol-
Umsetzung und die individuelle Gestaltung der wirt- len die Ergebnisse agonal erschlossen werden. Dies
schaftlichen, politischen und auch privaten Freiheit kann nur durch einen Dissens geschehen. Kernele-
ist in der Postdemokratie nicht dem Gemeinwesen ment des Modells ist die Forderung nach einem
vergönnt, sondern in dieser entwickelten Form ledig- gesellschaftlichen und politischen Konsens, dem ein
lich den Eliten vorbehalten. Die enorme Relevanz, Dissens vorausgeht. Unterstützt wird diese Forde-
welche die Postdemokratie den Eliten zuweist, ist im rung durch das Voraussetzen eines Diskurses und der
Allgemeinen als Widerspruch zum westlichen De- individuellen Interpretation, der von Tocqueville
mokratiekonzept zu betrachten. Privilegien und poli- postulierten demokratischen Wesenszüge, der
tischer Einfluss einer Gruppe dürfen, in einer idealen Gleichheit und der Freiheit (vgl. Mouffe 2016a, S.
Demokratie, keiner spezifischen Gruppe zugespro- 29). Die individuelle Interpretation ist hier ein
chen werden. Geschieht das dennoch, ist dieser Um- Merkmal, welches eine Distanz zu Tocquevilles
stand ein idealer Nährboden für eine Klassengesell- Ansatz offenbart. Aus diesen individuellen Interpre-
schaft und somit im Umkehrschluss höchst undemo- tationen entsteht der genannte Dissens, welcher für
kratisch. Generell ist eine Realität der Privilegierten Mouffe ganzheitlich eine Demokratie konstituiert.
und der gravierenden Unterschiede nur in einer Ge- Für sie benötigt eine demokratische Gesellschaft eine
sellschaft möglich, in der das Differenzieren zwi- Diskussion über mögliche Alternativen, da sonst die
schen öffentlichem und privatem Interesse nicht Gefahr besteht, dass sich extreme politische Positio-
mehr vorzufinden ist (vgl. Crouch 2008, S. 68). Man nen festigen. Das geschieht immer dann, wenn ein
denke in diesem Zusammenhang an die einheitliche Konsens ohne eindeutig zu differenzierende gemein-
Meinung, die Tocqueville für eine Demokratie vo- schaftliche und politische Identitäten dominiert (vgl.
raussetzt. Im westlichen Konzept gibt es keine Inte- Mouffe 2016b, S. 43). Das agonale Demokratiemo-
ressen, die nicht denen der Mehrheit entsprechen, dell zielt also auf eine klare Abgrenzung politischer
keine, die nicht im Sinne der allgemeinen Vernunft Positionen ab, kreiert Alternativen und lässt einen
stehen und gegen sie ankämpfen (vgl. Tocqueville Konsens zu, solange er vom Dissens begleitet wird.
1985, S. 168 f.). Je mehr Interessen divergieren, Mouffes Modell zeigt demnach sowohl Parallelen als
desto schwieriger wird das Bestehenbleiben einer auch Gegensätze zu den Konzepten von Tocqueville
Demokratie. Möchte man die aktuell in Europa und und Crouch auf, befindet sich aber in einer Position,
Amerika bestehende Demokratie möglichst authen- die für den Überblick über demokratische Ideen und
tisch skizzieren, eignet sich ein Hybrid aus den nor- Ausprägungen dieser Staatsform als hilfreich und
mativen Konzepten von Tocqueville und Crouch am

54 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

bereichernd zu betrachten ist. Andreas Reckwitz S. 368). Ein demokratischer Prozess muss also im
vertritt den Gedanken der Gesellschaft der Singulari- prozeduralen Sinne transparent gestaltet und durch-
täten, bei der die über die Individualisierung hinaus- geführt bzw. ausgeführt werden. Eingerahmt wird
gehende Singularisierung im Fokus steht. Er geht dieser Umstand von Aspekten des Modells, wie der
insofern über die Ansätze von etwa Ulrich Beck Akzeptanz von Individuen und dem Liberalismus,
hinaus, als dass er herausstellt, dass die Gesellschaft die Forderung nach gesellschaftlicher Partizipation
der Singularitäten, die die aktuelle, moderne Gesell- und des finalen Ziels des Kollektivs als gesellschaft-
schaft beschreibt, ihre individuelle Natur durch die liches Ganzes.
Kulturalisierung des Sozialen erweitert. Die Gesell- In der Gesamtbetrachtung zeigen die Ansätze von
schaft weist sämtlichen Praktiken einen, über die Mouffe, Reckwitz und Habermas, dass das idealde-
Funktionalität hinausgehenden, Wert zu (vgl. Reck- mokratische Modell nach Tocqueville Räume für
witz 2017, S. 17). Die Gesellschaft bewegt sich weg Optimierungen zulässt. Dabei ist besonders Reckwitz
vom Allgemeinen und hin zum Besonderen. Mit dem Gesellschaft der Singularitäten zu nennen, da hier die
Besonderen oder auch dem Einzigartigen beschreibt gesellschaftliche Entwicklung hin zum Individuellen
Reckwitz den zentralen Begriff seines Ansatzes: das oder eben Besonderen dargelegt wird, die im weite-
Singuläre (vgl. Reckwitz 2017, S. 7). Die Singulari- ren Verlauf dieses Beitrags als besonders relevant zu
sierung meint neben der Selbstständigkeit und betrachten ist.
Selbstoptimierung vor allem das Streben nach dem
Einzigartigen und der Außergewöhnlichkeit, das Politische Kommunikation
nicht mehr nur noch ein individuelles Bedürfnis Nach der Erschließung der Demokratie-Konzepte
darstellt, sondern inzwischen ein gesamtgesellschaft- und der Berücksichtigung ergänzender Ansätze muss
licher Anspruch geworden ist (vgl. Reckwitz 2017, nun das Feld der politischen Kommunikation be-
S. 9). Es hat, nach Reckwitz, eine Entwicklung von leuchtet werden. Bevor sich die den digitalen Ent-
einer rationalen Gesellschaft zu einer kulturalisierten wicklungen angenommen werden kann, muss zu-
Gesellschaft stattgefunden. Auch hier zeigt sich die nächst ein theoretisches Fundament für die politische
Tendenz zu einem Anspruch an individuelle Freiheit, Kommunikation erschlossen werden. Es gibt seit
die nicht im Sinne von Tocqueville steht. Abschlie- jeher unterschiedliche Ansätze, um die politische
ßend sind die Gedanken des Philosophen Jürgen Kommunikation zu definieren und ihre Besonderhei-
Habermas zu nennen. Habermas konstatiert, dass es ten, Eigenheiten und Unterschiede zu anderen
weder eine kollektive Einheit gibt, wie sie Tocque- Kommunikationsformen herauszustellen. Der Kom-
ville für eine Demokratie fordert, noch ein gemein- munikationsforscher Ulrich Sarcinelli nimmt sich der
schaftliches, übergeordnetes Ziel besteht, sondern politischen Kommunikation an, indem er einen Zu-
dass die Gesellschaft sich alleine aus Individuen sammenhang zwischen der Kommunikation, der
zusammensetzt. Nach Habermas Vorstellungen einer Politik und der Öffentlichkeit herstellt, sich dabei
Demokratie benötigt diese eine prozeduralistische aber insbesondere auf die Verknüpfung von Politik
Konzeption und den Anspruch an eine deliberative und Kommunikation fokussiert (vgl. Sarcinelli 2011,
Politik (vgl. Habermas 1992b, S. 277). Kern des S. 17). Die Politik als solche ist bereits in der – histo-
Modells ist die Institutionalisierung demokratischer risch betrachtet - ersten bürgerlichen Gesellschaft,
Verfahren, die Transparenz gewährleisten und die die griechische Polis, eng mit der Kommunikation
Vernünftigkeit dieses Verfahrens klar ersichtlich verbunden (vgl. Sarcinelli 2011,S. 17). Politische
machen (vgl. Habermas 1992a, S. 368). Habermas Kommunikation kann als durchsetzendes Instrument
stimuliert mit seinem deliberativen Modell Denkan- fungieren und besitzt, daraus schlussfolgernd, eine
sätze, die er mit seiner geschilderten Problematik der gewisse Form der Macht und übt gar eine Art Herr-
Neutralität demokratischer Prozesse ergänzt. Inner- schaft aus (vgl. Sarcinelli, S. 17). In der Politik dient
halb dieses Modells versteht sich der Kerngedanke die Kommunikation als orientierungsstiftendes Ele-
darin, dass ein demokratisches Verfahren Diskussio- ment:
nen und Abhandlungen „mit Hilfe von Kommunika- „Für die Demokratie als die auf Zustimmung an-
tionsformen institutionalisiert, die für alle verfah- gewiesene politische Ordnungsform und für Politik
renskonform erzielten Ergebnisse die Vermutung der als komplexes Regelungssystem für die Herstellung
Vernünftigkeit begründen sollen“(Habermas 1992a,

journal-kk.de 55
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

kollektiv verbindlicher Entscheidungen stellt Kom- politische Kommunikation auswirkt (vgl. Jarren
munikation ein universales Strukturelement 2013, S. 53). Die Veränderungen sind enorm. Die
dar“(Sarcinelli 2011, S. 18). Digitalität ist ein hauptverantwortlicher Förderer für
Es lässt sich schlussfolgern, dass politische Kom- das Entstehen eines neuen kommunikativen Systems,
munikation vor allem im öffentlichen Kontext statt- welches zu tiefgreifenden Umstrukturierungen, so-
findet und hieraus ihre zentrale Wichtigkeit für die wie der Bildung ganzheitlich neuer Strukturen in
Politik erlangt. Die Kommunikation wird dann do- Gesellschaft und Politik führt (vgl. Oswald 2018, S.
minant, sobald politische Prozesse oder die Politik 7). Die grundlegenden Regeln für die Kommunikati-
selbst, öffentlich werden (vgl. Sarcinelli 2011, S. on, sowohl öffentlich als auch privat, fangen an, sich
18). Um die politische Kommunikation präzise zu durch die Digitalisierung enorm zu verändern. Ein
definieren, dient diesem Beitrag der Ansatz von Grund dafür ist das Herausbilden von so genannten
Winfried Schulz. Für ihn ist politische Kommunika- „Digital Citizens“(Vowe 2013, S. 41), welche politi-
tion die Kommunikation, welche von „politischen sche Kommunikationsroutinen in einer Welt entwi-
Akteuren ausgeübt wird, die an sie gerichtet ist, oder ckelt haben, die von digitalen Medien dominiert
die sich auf politische Akteure und ihre Aktivitäten wird, und als Resultat einen strukturellen Wandel in
bezieht“(Schulz 2011, S. 16). Politische Akteure sind der politischen Kommunikation initiieren (vgl. Jarren
solche, die in einer politischen Rolle handeln, also 2013, S. 63). Die Folge ist ein Wandel, der sich
die mittelbar und unmittelbar an politischen Prozes- sowohl auf geltende Normen als auch Regeln in der
sen beteiligt sind und Entscheidungen mit bindender Kommunikation auswirkt. Das schlägt sich in einem
Wirkung treffen (vgl. Schulz 2011, S. 17). Die Defi- Institutionalisierungsprozess der Medien nieder, die
nition von Schulz ist im Kontext dieses Beitrags als nun nicht mehr zwingend nach dem klassischen
sinnvoll und zielführend zu betrachten. Schema und ihrer ursprünglichen Rolle funktionieren
und konstituiert sind (vgl. Jarren 2013, S. 58 f.). Das
Digitalität in der politischen Kommunika- Kommunikationsmonopol ist den ,alten‘ Medien
tion entglitten. Es beschränkt sich nunmehr auf kleinere
Nachdem das Fundament geschaffen wurde, kann und autonome Gruppen, die im Umkehrschluss in
sich nun dem Einfluss der Digitalisierung auf die der Lage sind, anarchische Strukturen zu entwickeln,
politische Kommunikation angenommen werden. wodurch die Glaubwürdigkeit der ,alten‘ Medien und
Die Digitalisierung und die sich daraus ergebende der politischen Kommunikation, die über sie stattfin-
Digitalität sind aus dem Alltag kaum noch wegzu- det, unterminiert wird, während sich gleichzeitig die
denken. Die Digitalität geht dabei über die bloße individuelle Kommunikation verstärkt (vgl. Oswald
Digitalisierung hinaus. Die Digitalität ist „jenes Set 2018, S. 13). Die digitalen Medien unterliegen kei-
von Relationen, das heute Basis der Infrastruktur nen Instanzen mehr und sind daher nicht institutiona-
digitaler Netzwerke in Produktion, Nutzung und lisiert, was in der Folge zu einer unkontrollierten
Transformation materieller und immaterieller Güter, Entwicklung führt. Die Dynamik politischer Kom-
sowie in der Konstitution und Koordination persön- munikation ist im Kontext der Digitalisierung so-
lichen und kollektiven Handelns realisiert wohl schwer zu kontrollieren als auch kollektivis-
wird“(Stalder 2016, S. 18). Es handelt sich also um tisch zu gestalten und tut sich schwer, in diesem
die Verbindungen zwischen dem menschlichen Or- Zusammenhang öffentliche Diskurse zu ermögli-
ganismus und der digitalen Technik. Digitalität fin- chen, da sich die Digitalisierung nicht zuletzt über
det somit im Zuge der Digitalisierung statt und kann ihren individualistischen Anspruch definiert. Der
dennoch als nächste Stufe begriffen werden. Durch Transfer des kommunikativen Raumes in das Digita-
den Umstand, dass die Digitalität inzwischen in den le sorgt für Separation. Mit der Digitalisierung sinkt
Alltag integriert ist, gehört zum Alltäglichen inzwi- die Schwelle für politische Partizipation, da mit dem
schen auch die politische Kommunikation. Diese so genannten Prosumer die Barriere zur selektiven
sieht sich in Verbindung mit der Digitalisierung mit politischen Teilhabe geringer ausfällt (vgl. Oswald
neuen Herausforderungen konfrontiert und sorgt vor 2018, S. 16). Die nachlassende Partizipation der
allem in Form der sozialen Medien für einen histori- Bürger an politischen Prozessen muss als demokra-
schen Umbruch, der sich in Vielerlei Hinsicht auf die tieschwächend bewertet werden. In der Folge wird
erschlossen, welche Rolle konkret die digitalen Me-

56 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

dien in Bezug auf ihren Einfluss auf die poltische und dadurch teils ihre Bedeutung verlieren, wäh-
Kommunikation ausüben. renddessen die Bedeutung von individuellen Interes-
sen, Identitäten und emotionalen Verbindungen
Soziale Medien in der politischen Kom- stetig wächst. Es lässt sich sagen, dass der Beitrag
munikation der sozialen Medien zur politischen Kommunikation
Die sozialen Medien kennzeichnen die Digitalisie- nicht alleinig negativ oder positiv zu bewerten ist.
rung wie wenig andere Aspekte. Sie üben im Zuge Zum einen dienen sie als neue Räume für den politi-
der politischen Kommunikation massiven Einfluss schen Diskurs, zum anderen sorgen sie durch die
aus. Die sozialen Medien zeichnen, neben der bereits zumeist qualitativ schwache Kommunikation, die
erwähnten mehrdimensionalen Konvergenz, vor immanente Individualisierung und die verwässerten
allem ihre technischen Merkmale und die entspre- politischen Ideologien für großes Störpotential.
chend verknüpften Funktionslogiken aus:
Der Einfluss der Digitalisierung
„Das technische Potenzial digitaler Medien birgt
neue Merkmale (Interaktivität,Echtzeit, Ortlosigkeit, Die Einflüsse der Digitalität auf die politische
Synchronizität, Multimodalität) und andersartige Kommunikation sind, wie bereits dargelegt wurde,
Handlungslogiken (Vernetzung, Transnationalität, eher negativ zu beurteilen. Wie jedoch verhält es
Konnektivität). Die Ortlosigkeit und Entgrenzung sich in diesem Kontext mit der Demokratie? Viele
ermöglicht Informationsverbreitung mit großer, der genannten Eigenschaften der Digitalisierung wie
nämlich potenziell globaler Reichweite.“(Kneuer der permanent mögliche Zugriff auf Inhalte oder das
2017, o. S.) Führen von Diskursen in Echtzeit sind im Grunde als
Die Echtzeit und die Dezentralisierung, die die so- förderlich für die Demokratie zu beurteilen, wenn
zialen Medien gewährleisten, sind neben der mul- man sich an dem hier zugrundeliegenden normativen
tidimensionalen Konvergenz also entscheidende Konzept orientiert. Auch das potentielle Digitalisie-
technische Aspekte der digitalen Medien. All diese ren von Wahlen kann durchaus als förderlich für eine
Eigenschaften können sich auf die politische Kom- Demokratie betrachtet werden (vgl. Hidalgo 2019, S.
munikation auswirken (vgl. Kneuer 2017, o. S.). 52). Es stellt sich implizit die Frage, ob Demokratie
Grundsätzlich wird die politische Kommunikation im Zuge der Digitalisierung gänzlich anders zu defi-
also vereinfacht, da sich die Kommunikation kosten- nieren ist. Eine konkrete Beantwortung dieser Frage
günstiger und schneller gestaltet, gleichzeitig aber ist im Rahmen dieses Beitrags nicht möglich, da der
mindestens ähnliche Reichweiten wie durch die Umfang und die Kernthematik dieses Beitrags sich
,alten‘ Medien generiert werden können (vgl. Kneuer hier nicht in Einklang bringen lassen. In der Theorie
2017, o. S.). Besonders essentiell ist allerdings das können technologische Funktionen der digitalen
Novum der jederzeit umsetzbaren Interaktion – in Medien wie die Kommunikation in Echtzeit, der
Echtzeit und dezentral. Soziale Medien ermöglichen leichte Zugang und die dadurch sinkenden Hemm-
über den rein kommunikativen Austausch hinaus schwellen zu Partizipation oder die Dezentralisation
Interaktionen zwischen den Nutzern. Es muss an der Kommunikation als demokratiestärkend betrach-
dieser Stelle klar betont werden, dass für die sozialen tet werden. Das gravierende Problem ist hierbei die
Medien das klassische Sender-Empfänger-Modell, nicht beachtete Realität in der digitalen Welt (vgl.
bei dem eine Nachricht vom Sender kommuniziert Hidalgo 2019, S. 54). Man denke an den geschilder-
und vom Empfänger rezipiert wird, nicht mehr zu- ten Qualitätsverlust der Kommunikation und den
treffend ist (vgl. Kneuer 2017, o. S.). Auch hier zeigt Hang zur Personalisierung bzw. Individualisierung.
sich eine Veränderung, welche bisher als präzedenz- Das sind alles Symptome der digitalen (politischen)
los zu betrachten ist. Ebenso präsentiert sich das Kommunikation, die aber, bei den theoretisch positi-
disruptive Potential der sozialen Medien in der sin- ven Eigenschaften, kaum mit einbezogen werden
kenden Qualität der Kommunikation. Diese zeigt und deren Legitimität in der Folge zumindest kritisch
sich dafür reich an Identitäts-Narrativen, aber auch erscheinen lassen. Die Digitalisierung ist kein bloßes
privater Zurschaustellung (vgl. Kneuer 2017, o. S.). Phänomen, auf das die Politik und der Gedanke von
Hieran ist zu erkennen, dass ideologische und politi- Demokratie mit spezifischen Reformen reagieren
sche Standpunkte nicht mehr klar formuliert werden könnten (vgl. Hidalgo 2019, S. 54). Viel mehr besitzt

journal-kk.de 57
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

die Digitalisierung eine Dimension, welche nur ge- nen zu verbinden, um eine digitale Demokratie zu
samtgesellschaftlich zu erfassen ist. Angelehnt an erzeugen (vgl. Hidalgo 2019, S. 56). Es stellt sich die
Tocqueville, muss hier nicht zuletzt der Gemeinsinn Frage, warum sich die Demokratie der Digitalität
der Bevölkerung greifen, um die von Crouch unter- anpassen soll und nicht umgekehrt. So sehr die Digi-
stellte Verdrossenheit der Bürger abzulegen und so talisierung eine gesamtgesellschaftlich neue Dimen-
im Anschluss produktiv an der Gestaltung einer sion mit sich bringt, so sehr muss sie sich an beste-
Demokratie im Zeitalter der Digitalisierung mitzu- hende Rahmen anpassen oder sich zumindest an
wirken. Aktuell findet ein Dissens statt, der von ihnen orientieren. Gleichsam sind auch demokrati-
Chantal Mouffe gefordert wird. Auf der einen Seite sche Prinzipien in der Pflicht, Anpassungen vorzu-
stehen Vertreter der Vorzüge der Digitalisierung und nehmen, um der Digitalität Herr werden zu können.
ihnen gegenüber die Skeptiker. Daraus entsteht ein Es scheint daher von Nöten, dass sich die normativen
Dissens, aber vor allem ein Diskurs, der sich vor- Demokratiekonzepte zumindest in Teilen anpassen
nehmlich auf die Chancen und Risiken der Digitali- und ihre Kernprämissen gegebenenfalls erweitern
sierung in Bezug auf die Demokratie beschränkt und in positive, demokratische wertvolle Ergänzun-
(vgl. Hidalgo 2019, S. 52 ff.). Die Verbindung zwi- gen umsetzen. Als Resultat ständen eventuell die
schen Digitalisierung und Demokratie evoziert gänz- Entstehung von neuen Möglichkeiten der Partizipati-
lich neue Formen und Räume von politischen Sphä- on und eine potentielle, positiv konnotierte, Form der
ren, was so zu verstehen ist, dass politisches Handeln Demokratie (vgl. Hidalgo 2019, S. 58). In der Folge
und Partizipieren im digitalen Zeitalter anderen Kon- wird nun der reale Einfluss der Digitalisierung auf
stitutionsbedingungen unterstellt sind (vgl. Hidalgo die politische Kommunikation in einer Demokratie
2019, S. 56). Die Anteilnahme an demokratischen anhand der digitalen Kommunikationsstrategien der
Prozessen ist in der digitalisierten Welt möglich, politischen Parteien Bündnis 90/Die Grünen und
ohne dass eine transparente, institutionell gestützte CDU untersucht. Dies ist als hinreichend zu betrach-
Organisation eine Bedingung darstellt. Das Resultat ten, um im Anschluss final diskutieren zu können, ob
ist einerseits betrachtet, die für eine Demokratie politische Kommunikation im Kontext der Digitali-
notwendige Freiheit, auf der anderen Seite ist diese sierung in der Lage ist, die Demokratie zu stärken.
Freiheit, aufgrund ihrer individuellen Natur, nicht als
demokratiestärkend zu betrachten. Durch das Aus- Digitale politische Kommunikation
bleiben von Organisationen, die Orientierung offerie- Es muss nun die digitale politische Kommunikation
ren, wird das Gedeihen von Teilgesellschaften, bei- in der Praxis darauf untersucht werden, inwiefern sie
spielsweise in Form von Echokammern, provoziert. sich demokratisch verhält. Wurde bisher die politi-
Der öffentliche Raum für den Diskurs gerät demnach sche Kommunikation aus verschiedenen Perspekti-
in den Hintergrund, was sowohl Crouch als auch ven beleuchtet, muss nun ein spezifischer, politischer
Tocqueville kritisch anmahnen. Der Diskurs geht Akteur anhand der Praxis untersucht werden – die
weg vom Allgemeinen und bewegt sich in eine un- politischen Parteien. Politische Parteien müssen bei
kontrollierte, individualisierte Richtung. Andreas ihrer Kommunikation strategisch vorgehen, um ihre
Reckwitz Ansatz der Singularisierung kommt hier Ziele erreichen zu können und entsprechende Auf-
zum vollen Tragen. Sie ist als Hemmnis der Demo- merksamkeit in der Öffentlichkeit zu erhalten (vgl.
kratie zu betrachten, findet aber in der Digitalität zu Jun 2015, o. S.). Dafür wurde die digitale Kommu-
voller Entfaltung. In der prädigitalen Zeit wurde das nikation der Parteien Bündnis 90/Die Grünen und
Bilden eines kollektivistischen Gemeinsinns oder das der CDU, im Zeitraum der Woche vor den Europa-
kollektive Handeln auf einer rationalen Motivations- parlamentswahlen 2019, untersucht (18.05.2019 bis
lage und ausgeprägten Wir-Identitäten bezogen (vgl. 25.05.2019). Dieser Zeitraum wurde gewählt, da er
Hidalgo 2019, S. 56). Problematisch ist für die Digi- exemplarisch betrachtet werden kann, um Parteien
talisierung schlussfolgernd das Schaffen von kol- auf ihre digitale Kommunikation in unmittelbarer
lektiven Motivationen und einem Gemeinsinn. Beide Nähe zu einem höchst demokratischen Prozess zu
Aspekte sind urdemokratisch. Es ist als wesentliche analysieren. Beide Parteien machen Gebrauch von
Aufgabe zu betrachten, partielle Interessen und indi- den funktionalen Eigenschaften der digitalen Medi-
viduell motivierte Klein-Partizipationen mit klassi- en, nutzen diese aber nicht zwingend in ausreichen-
schen demokratischen Mechanismen und Institutio-

58 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

dem Maße. Die CDU zeigt im Untersuchungszeit- in der Lage sein muss, die Demokratie und damit die
raum positive Ansätze. Durch angemessene Termi- in ihr lebende Gesellschaft zu stärken, verhält sich
nologie, den Aufruf zur Partizipation und das Bele- die digitale Kommunikation der CDU, bezogen auf
gen der eigenen Legitimität als politischer Akteur, die genannten Aspekte, förderlich. Selbiges kann aus
durch den Verweis auf eigene Produktivität, wird der digitalen politischen Kommunikation der Grünen
durchaus demokratiestärkend kommuniziert. Dabei abgeleitet werden. Vor allem die Forderung des für
wird aber das Potential der Digitalität nicht vollends eine Demokratie notwendigen Diskurses, wie ihn in
ausgenutzt, besonders die Möglichkeiten des zeitlich unterschiedlicher Form Crouch, Mouffe und auch
unmittelbar umsetzbaren Dialogs und das Eingehen Tocqueville artikulieren, wird von den Grünen er-
auf Kritik sowie die individuelle Ansprache werden füllt. Sie agieren in der Kommentarsektion unter
nur eingeschränkt umgesetzt. Oftmals steht eine ihren Beiträgen auf Facebook sowohl reaktiv als
bloße Mitteilung im Fokus, die in ähnlicher Form auch aktiv und zeigen in der Summe ein hohes Maß
auch über klassische Kommunikationskanäle reali- an Responsivität. Obwohl die geschilderten Aspekte
sierbar wäre. Das herausgestellte Naturell der sozia- der digitalen Kommunikation der CDU und der Grü-
len Medien ist in diesem Kontext eher als kontrapro- nen partiell als demokratiestärkend zu bewerten sind,
duktiv zu betrachten, findet doch vor allem undiffe- finden sich auf der Gegenseite Beispiele der Kom-
renzierte und unsachliche Kritik auf den Plattformen munikation, die als demokratiehemmend beurteilt
statt. Die CDU wäre in der Lage, ihre Position und werden müssen. Wie dargelegt, kommuniziert die
Ideologie weiter zu stärken und zu legitimieren, CDU durch ihren verwendeten Duktus in Teilen,
wenn sie vermehrt auf Diskurs setzen würde und sich dass sie als politische Partei in einer anderen (gesell-
in diesem Zusammenhang den digitalen Gegebenhei- schaftlichen) Klasse vorzufinden ist als die Bürger.
ten anpassen würde. Das Problem ist dabei weniger Dieser Umstand ist in Ansätzen korrekt, wenn man
ein inhaltliches, als vielmehr ein formales, nämlich die Definition politischer Akteure von Winfried
die gezielte Nutzung der technischen Möglichkeiten Schulz bedenkt. So ist die CDU als politische Partei
der digitalen Medien, als ein ausgeprägtes Ausüben in die Kategorie der Akteure mit unmittelbarem
der demokratiestärkenden Partizipation. Bei den Einfluss auf politische Prozesse einzuordnen und die
Grünen zeigen sich Ähnlichkeiten, trotz des politisch Bürger lediglich als Akteure mit mittelbarem Ein-
anders zu verortenden Zielpublikums. Die Grünen fluss. Dieser Umstand bekräftigt jedoch keine Klas-
sind, trotz ihrer im Vergleich bedeutend höheren sifizierung der Akteure im Sinne der Relevanz für
Anhängerschaft auf den sozialen Netzwerken, nicht eine Demokratie. Findet hier eine Kreation von Klas-
in der Lage, flächendeckend demokratiestärkend zu sen statt, muss das, nach den Erläuterungen von
kommunizieren. Lediglich auf der Plattform Face- Crouch, als Anzeichen für eine Postdemokratie ge-
book berücksichtigt die digitale Kommunikation der wertet werden, die viele demokratische Prinzipien
Partei die wesentlichen Merkmale einer Demokratie nicht mehr verkörpert. Generell muss einer Vielzahl
und macht zusätzlich Gebrauch der digitalen Gege- der von den Parteien erstellten Beiträge in den sozia-
benheiten und technischen Möglichkeiten. Bei der len Netzwerken eine Schwächung der Demokratie
Beurteilung der digitalen Kommunikation der beiden attestiert werden. Es wird in großen Teilen lediglich
Parteien, in Bezug auf die Stärkung der Demokratie, linear, im Stil einer einfachen Mitteilung oder Infor-
wurden die Stärken und Schwächen und die Poten- mation, kommuniziert und dabei weder in der Wort-
tiale sowie die Risiken kategorisch berücksichtigt. wahl noch in der Ausführung auf Partizipation oder
Bezieht man sich auf die Stärken, die die untersuch- Interaktion abgezielt. Zugespitzt kann diese Art von
ten digitalen Kommunikationsstrategien in Bezug Kommunikation gar als autoritär interpretiert wer-
auf eine Stärkung der Demokratie beinhalten, so den, da sie die Rezipienten lediglich vor vollendete
zeigt sich vor allem, dass Potential vorhanden ist, Tatsachen stellt und damit wenig demokratisch
dieses aber nur in Ansätzen realisiert wird. Auf der agiert. Es wird sich nicht den entscheidenden (tech-
Plattform Facebook ruft die CDU zur politischen nischen) Elementen der Digitalität angepasst, son-
Produktivität auf, zielt mit der verwendeten Termi- dern im Stile der ,alten‘, institutionellen Medien, also
nologie auf den Gemeinsinn ab und unterstützt das linear, kommuniziert. Ein wesentlicher Aspekt der
durch die Multimodalität der Inhalte. Unter der An- digitalen Medien, das Aufheben des klassischen
nahme, dass politische Kommunikation von Parteien Sender-Empfänger-Modells, wird in dieser Form gar

journal-kk.de 59
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

nicht berücksichtigt. Als weitere Schwächung der schen Prozessen, wird durch die Elemente der Digi-
Demokratie durch die digitale Kommunikation der talität Echtzeit, Ortlosigkeit und eben die Interaktion
Parteien ist zu werten, dass der Kanal, auf dem die potenziert. Somit ergeben sich gänzlich neue Dimen-
Kommunikation stattfindet, eine Plattform für popu- sionen für die Transparenz und für die praktische
listische Äußerungen verkörpert. In diesem Zusam- Umsetzbarkeit demokratischer Prozesse in der Öf-
menhang muss auch die Qualität der kommunizierten fentlichkeit der Gesellschaft. Der untersuchte Zeit-
Inhalte sowie die der Kommunikation der partizipie- raum der digitalen Kommunikation der CDU und der
renden Nutzer bedacht werden. Demokratische Pro- Grünen ist als exemplarisch zu betrachten, aber nicht
zesse dürfen in diesem Zuge nicht an ihrer teils be- in der Lage, eine unumstößliche und vor allem all-
nötigten inhaltlichen Komplexität verlieren, nur, um gemeingültige Aussage über das demokratiestärken-
der Plattform, auf der sie stattfindet, gerecht zu wer- de Potential digitaler Kommunikation politischer
den. Wird die Qualität massiv gesenkt, führt das Parteien zu treffen.
zwar, wie erläutert, zu einer erhöhten Bereitschaft
zur politischen Partizipation, erhöht aber parallel das Fazit
Risiko der Entstehung von Klassen innerhalb der Durch ihre technischen Merkmale ermöglichen die
Gesellschaft. Nach Crouchs postdemokratischem digitalen Medien es politischen Akteuren mit mittel-
Modell hätten dann nur noch Eliten das Wissen und barem und unmittelbarem Einfluss, den Grad ihrer
den Zugriff auf komplexe Inhalte und das Gros der politischen Partizipation zu steigern. So wird der, für
Gesellschaft würde lediglich mit den zumeist qualita- die Demokratie notwendige, produktive Bürger be-
tiv minderwertigen Inhalten im digitalen Raum kon- günstigt. Die für die Demokratie notwendige Pro-
frontiert. Die Folge dessen kann eine weitere Separa- duktivität der Bürger wird durch die, vor allem tech-
tion der Gesellschaft zwischen politisch gebildeten, nischen, Charakteristika der digitalen Medien extrem
intellektuellen Eliten und politikverdrossenen Bür- erleichtert. Als Problem erwies sich jedoch, dass sich
gern sein. Diese Art von Risiken der digitalen politi- die Realität im digitalen Raum kaum demokratisch
schen Kommunikation gilt es zu beachten. Neben verhält. Die Qualität der Kommunikation und der
den Risiken bringt die digitale politische Kommuni- politischen Anteilnahme präsentiert sich minderwer-
kation der Parteien aber auch Chancen mit sich, tig und die individuelle Ausrichtung der sozialen
welche in Zukunft die Demokratie stärken könnten. Plattformen erschwert das Entstehen kollektiver
Die AFD oder der italienische Rechtspopulist Matteo Öffentlichkeiten, also demokratischer Gemeinschaf-
Salvini erreichen im digitalen Raum enorme Respon- ten. Die individuelle Struktur der Digitalität entzieht
sivität und Anhängerschafften. Potentielle Reichwei- sich jeglicher institutioneller Einschränkungen und
te für digitale politische Kommunikation ist also ermöglicht dadurch den Bürgern politische Partizipa-
durchaus gegeben. An den Beispielen zeigt sich, dass tion ohne Einwirkungen von außen. Dieser Sachver-
Potential für eine großflächige und effektive Nut- halt verkörpert die Freiheit und damit einen elemen-
zung der digitalen Medien besteht. Dieses wird bis- taren Anspruch der Demokratie. Die problematische
her jedoch eben überwiegend manipulativ ausge- Umsetzung dieser Freiheit ist der Aspekt, der ange-
nutzt. Dennoch signalisiert diese Popularität, dass gangen werden muss, um die stattfindenden politi-
politische Anhänger und Interessierte durchaus im schen Prozesse demokratiefreundlicher zu gestalten.
digitalen Raum mobilisiert werden können. Als wei- Dabei zeigte sich erneut die Komplexität, die das
tere Chance können die technischen Merkmale und Herstellen von Kompatibilität demokratischer Pro-
Eigenschaften der digitalen Medien wie die Dezent- zesse und demokratischer Theorie aufweist. Es kann
ralisierung, Konnektivität und Transnationalität final geschlussfolgert werden, dass sich die bisher
allesamt Gebrauch in Bezug auf die Stärkung der existierenden Demokratiekonzepte den neuen digita-
Demokratie finden. Es kann durch eine dauerhaft len, individuell geprägten, Ansprüchen anpassen
mögliche Konnektivität, die zusätzlich dezentral müssen, um die Staatsform intakt und praktikabel zu
stattfinden kann, eine gänzlich neue, transnationale halten. Bei der Untersuchung der digitalen Kommu-
Öffentlichkeit konstituiert werden, welche auf den nikation der Parteien CDU und Bündnis 90/Die Grü-
freiheitlichen und gemeinschaftlichen Aspekten der nen ergaben sich gemeinsame, aber auch abweichen-
Demokratie fußt. Die Partizipation an einer Demo- de Stärken und vor allem Schwächen, die beide
kratie sowie Interaktion innerhalb von demokrati-

60 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

kommunikativen Auftritte im digitalen Raum vor- den Stand der Debatte, in: Information Philosophie, Nr.
1, 2019, S. 52 -58.
wiesen. Trotz der, in diesem Beitrag dargelegten,
Jarren, O. [2013]
enormen Relevanz der Digitalität für politische Ak- Neue Medien – neue Regeln! Publizistische Verantwor-
teure und dem Einfluss, den sie bereits jetzt ausübt, tungskultur durch Diskurse. Zum Zusammenhang zwi-
sowie der zu prognostizierenden, steigenden Bedeu- schen Medienpolitik und Politischer Kommunikation,
in: Czerwik, E. (Hrsg.): Politische Kommunikation in
tung, ist die digitale Affinität und Produktivität der der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik
Parteien auffallend gering. Die Kommunikation der Deutschland, Wiesbaden 2013. S. 53 -67.
untersuchten Parteien verläuft immer noch zu sehr Jun, U.[2015]
Parteien und Medien. Parteien und Parteisystem der
nach den Regeln, die die linearen und institutionali-
Bundesrepublik Deutschland, in: Informationen Zur Po-
sierten Medien vorgaben. Diese Strukturen sind litischen Bildung, Nr. 328, 2015, verfügbar unter:
jedoch nicht mehr zeitgemäß. Es ist ein großflächi- https://www.bpb.de/izpb/219193/parteien-und-medien
(03.06.2019).
ges Umdenken von Nöten, dass sich explizit in der
Kneuer, M.[2017]
kommunikativen Praxis niederschlägt. Die politische Politische Kommunikation und digitale Medien in der
Kommunikation muss vermehrt an die voranschrei- Demokratie. Medienkompetenz, in: Aus Politik und
tende Individualisierung der Gesellschaft und den Zeitgeschichte, Nr. 9-10, 2017, verfügbar unter:
https://www.bpb.de/lernen/digitale-
digitalen Medien angepasst werden, um die Demo- bildung/medienpaedagogik/medienkompetenz-
kratie weiterhin kommunikativ stärken zu können. schriftenreihe/257593/politische-kommunikation-und-
Es konnte gezeigt werden, dass gewissermaßen eine digitale-medien-in-der-demokratie (04.05.2019).
Mouffe, C. [2016a]
starke Reziprozität zwischen der individualistisch
Agonistik. Die Welt politisch Denken, Berlin 2016.
geprägten Gesellschaft und den digitalen Medien Mouffe, C. [2016b]
besteht. Diese führte erst dazu, dass die digitalen Über das Politische. Wider die kosmopolitische Illusion,
Medien eine derartige Relevanz innerhalb der Ge- Frankfurt am Main, 2016.
sellschaft und somit auch in der politischen Kommu- Oswald, M. [2018]
Strategische Politische Kommunikation im digitalen
nikation beanspruchen konnten. Es wurde deutlich, Wandel –ein disruptives Zeitalter?, in: Johann,
dass ein höheres Tempo bei der Transformation von M./Oswald, M. (Hrsg.): Strategische Politische Kom-
politischer Kommunikation in den digitalen Raum munikation im digitalen Wandel. Interdisziplinäre Per-
spektiven auf ein dynamisches Forschungsfeld, Wiesba-
nötig ist, damit die politische Kommunikation und den 2018. S. 7 – 34.
damit die demokratische Gestaltung des öffentlichen Öztürk, A.[2010]
Raums weiter erfolgreich, also demokratiestärkend, Editorial. Postdemokratie?, in: Aus Politik und Zeitge-
schichte, Nr. 1-2, 2011, verfügbar unter:
vollzogen werden kann. Potentiell ist die digitale
https://www.bpb.de/apuz/33562/postdemokratie
Kommunikation politischer Parteien in der Lage, die (24.04.2019).
Demokratie zu stärken. In Ansätzen tun das die Par- Reckwitz, A. [2017]
teien bereits. Die Hauptproblematik ist hierbei je- Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwan-
del der Moderne, Berlin 2017.
doch der Umfang und die zu wenig angepasste Pra-
Sarcinelli, U. [2011]
xis an die digitale Realität. Nicht nur der Fall Rezo Politische Kommunikation in Deutschland. Wiesbaden
hat indes gezeigt, dass in diesem Bereich weiterhin 2011.
großer Handlungsbedarf besteht. Schulz, W. [2011]
Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und
Ergebnisse empirischer Forschung, Wiesbaden 2011.

Literaturverzeichnis Tocqueville, A. d. [1985a]


Über die Demokratie in Amerika. Reclam. Reclams-
B Crouch, C. [2008] Universalbibliothek Nr. 8077, Stuttgart 1985.
Postdemokratie. Frankfurt am Main 2008. Stalder, F. [2016]
Habermas, J. [1992a] Kultur der Digitalität. Berlin 2016.
Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Vowe, G. [2013]
Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Frankfurt Politische Kommunikation in der Online-Welt, in:
am Main 1992. Czerwik, E. (Hrsg.): Politische Kommunikation in der
Habermas, J. [1992b] repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik
Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Deutschland, Wiesbaden 2013. S. 87 – 103.
Theorie, Frankfurt am Main 1996.
Hidalgo, O. [2019]
Demokratie und Digitalisierung. Oliver Hidalgo über

journal-kk.de 61
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Anneke Hofmann:
Künstliche Intelligenz oder echte Verdummung – Das Spiel
mit der Glaubwürdigkeit

Der vorliegende Fachartikel untersucht die Relevanz von künstlicher Intelligenz (KI) und Algorithmen in der
Markenführung und deren Einfluss auf die Glaubwürdigkeit von Marken. Es wird sowohl die Perspektive des
Unternehmens, in Form von Markenführung, als auch die Kundenperspektive durch die Markenwahrnehmung
betrachtet, um einen ganzheitlichen Überblick liefern zu können. Ausgehend vom Kunden wird die Betrachtung
von Markenwahl und Einstellungsänderung weiter geschärft. Der Fokus bei der Untersuchung richtet sich auf
die Streaming Branche, da die Marke Netflix in der Studie analysiert wird. Ausgehend von dem thematischen
Kontext der künstlichen Intelligenz, wird diese durch verschiedene Begrifflichkeiten erklärt und mit der Marken-
führung sowie Glaubwürdigkeit verknüpft. In der Studie dieses Artikels wird die Wahrnehmung der Glaubwür-
digkeit von Markenbotschaften, die den Einsatz von KI thematisieren, untersucht. Darüber hinaus wird die
Wahrnehmung der Markenpersönlichkeit mithilfe der Markenbotschaften analysiert. Die Basis bildet ein Onli-
ne-Experiment. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Thematisierung von Algorithmen und KI in der Mar-
kenführung für die Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit eine Relevanz besitzt und von der Einstellung und dem
Involvement des Kunden abhängt. Dieses vorherrschende Bild prägt die Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit
einer Marke und damit einhergehend alle folgenden Handlungen der Markenwahl.

„In a dynamic business world shaken up by digital „Datenbeherrschung“ durch die Konvergenz von
disruption and dramatic shifts in consumer behav- Datenwissenschaften und Technologie, die die Ana-
iour, staying relevant is essential. […] Brands need lyse von Daten in ihrer Geschwindigkeit erheblich
to be proactive in targeting consumers with relevant vorantreibt (vgl. Keohane 2018). Des Weiteren stel-
communication and experiences – getting it wrong len Automatisierung und Maschinenintelligenz eine
can be as potentially damaging as doing nothing at weitreichende Entwicklung dar: „The rapid advance
all if customers feel the brand is out of step with of robotic process automation and augmented, as-
their needs. […] Businesses should be looking at sisted and artificial intelligence has been a game
their data, the digital channels available to them, the changer in brand marketing and communications
possibilities within AI and machine learning, and the […]“ (ebd.). Als letzte große Entwicklung nennt
appetite among consumers for personalised products Keohane die sozialen Medien und den bevollmäch-
and services – seeing all of this as an opportunity to tigten Verbraucher, der sich immer weiter dem Ein-
embed relevance into their business models today“ flussbereich der Unternehmen entzieht und somit
(Adobe Inc. 2018: 2). eine verstärkte Kundenorientierung seitens der Mar-
Die Digitalisierung hat in den letzten Jahren viele ken erfordert (vgl. ebd.). Ein Umdenken in der Mar-
disruptive Veränderungen mit sich gebracht, die sich kenführung wird durch diese Veränderungen unum-
auf die Markenführung vieler Unternehmen auswir- gänglich. Das wegweisende Licht des Leuchtturms
ken. Eine Datenflut überschwemmt den weltweiten lautet daher Personalisierung und Kundenorientie-
Markt und wer die Kunst der effizienten Datenverar- rung und somit die Erzeugung eines relevanten
beitung und der zielorientierten Datenverwendung Images im Kopf der Zielgruppe. In der Adobe-Studie
nicht beherrscht, verliert sich in den Tiefen des In- „Context is Everything“ wird dieser Fokus ebenfalls
formationschaos – und damit ist es nicht genug. deutlich, denn „89 Prozent [der Markenverantwortli-
Veränderte Nutzungsverhalten und Kompetenzen der chen in Großkonzernen ab 5.000 Mitarbeitern] sind
einzelnen Zielgruppen und ein wechselseitiger der Überzeugung, dass größtmögliche Personalisie-
Kommunikationsprozess erfordern ein agiles Mar- rung für den Erfolg ihres Unternehmens wichtig ist“
kenkonzept, um für die Zielgruppe relevant zu blei- (Pauker 2018). Allerdings wird in der Studie deut-
ben. Keohane spricht dabei von drei großen Entwick- lich, dass der Status Quo noch lange nicht den Vor-
lungen, die sich transformativ auf Marken auswir- stellungen der Unternehmen entspricht, denn nur 42
ken. Als ersten Punkt nennt er das Aufkommen einer Prozent der deutschen Unternehmen können derzeit

62 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

den richtigen Grad an Personalisierung (vgl. Adobe ein KI-Skeptiker schaut gerne Serien. Zumindest
Inc. 2018: 3). Zusätzlich dazu gaben mehr als die wenn er zu den 31 Prozent der Deutschen gehört, die
Hälfte der befragten Unternehmen an, dass sie zu ein Streaming-Abo besitzen. In diesem vollends
viele Daten von zu vielen Quellen sammeln (60 %) digitalen Umfeld mit Unmengen von Daten, bietet
und diese nicht schnell genug verarbeiten können (56 sich der Einsatz von Algorithmen und künstlicher
%) (vgl. A.a.O.: 5). Garrett Ilg, ehemaliger Chef von Intelligenz an. Daher schärft sich der Blick auf die
Adobe Europa, Asien und Afrika (EMEA), sieht Streaming Branche. Das Markenbeispiel dieser Ar-
daher den Fokus auf Daten und den Einsatz von beit liefert Netflix, als eine Marke, die kein Geheim-
künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning nis aus ihrem Einsatz von Algorithmen und künstli-
als Chance, um präzise und effektiv Konsistenz in cher Intelligenz in der Datenanalyse, Produkterstel-
das Datenchaos zu bringen (vgl. ebd.). Schon heute lung und -verwaltung macht. Für Netflix stellt diese
verwenden Großunternehmen KI unter anderem für Transparenz eine bewusste Maßnahme dar, mit der
die Datenanalyse, als Assistenzsysteme oder für das sich die Marke als innovativer Vorreiter positionie-
Wissensmanagement (vgl. Westerkamp 2019: 47). ren will. Wie schwer wiegt diese transparente Positi-
Ein Großteil der Marketingmanager testet den Ein- onierung in Bezug auf die Glaubwürdigkeit von
satz von KI, um personalisiertes Marketing oder Netflix? Die bereits gestellten Fragen manifestieren
Werbekampagnen zu betreiben, sowie personalisierte sich in einer übergeordneten Forschungsfrage und
Angebote für die Kunden zu identifizieren und zu entsprechenden Hypothesen. Durch diese versucht
verbessern (vgl. Adobe Inc. 2018: 7). Unter dem wird sich dem Thema anzunähern:
Einfluss dieser technischen Neuerungen verwandelt Welche Relevanz haben Algorithmen und künstliche
sich die klassische Markenführung in eine digitale, Intelligenz in der Markenführung für den Kunden
agile und intelligente Markenführung, indem kreati- und inwieweit hängt dies mit der Glaubwürdigkeit
ve Prozesse vom Menschen um digitale Programmie- einer Marke zusammen?
rungen ergänzt werden. Es kommt zu einer Art Sym- Dieser Artikel soll eine Grundlage für weitere Ana-
biose zwischen Mensch und Maschine. Dort wo der lysen liefern und die Forschungslücke, bezüglich der
Mensch die Maschine selbstständig handeln lässt, ist Relevanz von künstlicher Intelligenz und Algorith-
der Skeptiker nicht weit. Mit Blick auf die Gesell- men in der Markenführung und deren Einfluss auf
schaft ist ein Teil der deutschen Bevölkerung offen die Glaubwürdigkeit von Marken, schließen. In die-
für jegliche KI-Anwendungen und aufgeschlossen sem Zusammenhang wird sich auf die Streaming
gegenüber neuen Technologien, die der persönlichen Branche fokussiert.
Kommunikation dienen (vgl. Syzygy 2017: 2). 52
Prozent der Deutschen zeigen ein Interesse gegen- Die Marke
über KI, jedoch herrscht bei 45,1 Prozent Misstrauen Seitdem die Menschen begonnen haben Handel zu
vor (vgl. a.a.O.: 7). Umso wichtiger wird dadurch treiben, dient eine Marke der Markierung von Pro-
eine transparente Kommunikation von Unternehmen, dukten (vgl. Adjouri 2014: 28). Mit der Industriali-
die über KI aufklärt und Anwendungsbereiche dieser sierung im 19. Jahrhundert und dem Aufkommen der
verdeutlicht. „Marketingmaßnahmen sollten deshalb Massenfertigung vergrößert sich der Abstand zwi-
möglichst darauf abzielen, überzeugende und glaub- schen Hersteller und Kunde – die Marke gilt nun
würdige Belege für den praktischen und persönlichen nicht mehr als bloße Markierung, sondern muss
Nutzen der Technologie zu liefern“ (a.a.O.: 2), lautet „Verkaufsargumente vermitteln, Vertrauen aufbauen
es in der Syzygy-Studie von 2017 und bringt den und den Kunden überzeugen“ (A.a.O.: 194) und
nächsten wichtigen Aspekt auf den Plan – die nimmt ab diesem Zeitpunkt eine kommunikative
Glaubwürdigkeit. Sie beschreibt die Beurteilung von, Rolle ein. Meffert, Burmann und Keller definieren
zum Beispiel einer Marke in einer spezifischen Situ- eine Marke als „ein Bündel aus funktionalen und
ation der Kaufentscheidung. Dies geschieht auf der nicht-funktionalen Nutzen, deren Ausgestaltung sich
Grundlage von erhaltenen Informationen und der aus Sicht der Zielgruppen der Marke nachhaltig
Abgleichung mit bestehendem Wissen. Wie sehr gegenüber konkurrierenden Angeboten differenziert“
kann sich also der Skeptiker auf eine Marke einlas- (Burmann et al. 2018: 13). Der funktionale Nutzen
sen, die KI verwendet? Und welche Faktoren der einer Marke beschreibt Leistungen, zum Beispiel
Einstellungsänderung spielen dabei eine Rolle? Auch

journal-kk.de 63
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

einzelne Produkte, Services oder Dienstleistungen, wartungen seiner Stakeholder kennen und ein unver-
die unter der Marke geboten werden. Der nicht- gessliches Markenerlebnis schaffen. Auftreten und
funktionale Nutzen oder symbolische Nutzen be- Kommunikation orientieren sich dabei an der über-
schreibt Zeichen, die die Marke definieren, wie zum geordneten Vision, sowie festgeschriebenen und
Beispiel Logo, Name oder Jingle (vgl. Meffert et al. gelebten Werten, ausgefeilten Kompetenzen und
2013: 7). Daraus lässt sich schließen, dass eine Mar- einer einzigartigen Markenpersönlichkeit. Die ge-
ke somit einen Nutzen als Objekt, als auch einen nannten Faktoren werden dann durch die Wahrneh-
Nutzen als Bedeutung für den Kunden erfüllt. Zu- mung des Kunden in verschiedene Attribute katego-
sätzlich dazu bietet sie dem Kunden Orientierung risiert und lassen das Markennetzwerk entstehen,
und Produktinformationen, schafft Vertrauen, stiftet welches das Image im Kopf des Kunden bildet. Ein
Identität, Zugehörigkeit und Sinn (vgl. a.a.O.: 10 f). konsistentes Markenbild kann nur dann entstehen,
Dadurch definiert sie nicht nur die Identität ihrer wenn sich vermittelte Markenidentität und bestehen-
Kunden und hilft ihnen dabei diese in ihrem sozialen des Markenimage zu einem Großteil widerspruchs-
Umfeld zu kommunizieren, sondern vermittelt zu- frei ergänzen und die Marke Kontinuität und Indivi-
sätzlich eine vom Unternehmen kreierte Mar- dualität gegenüber Wettbewerbern kommuniziert.
kenidentität mit dem Ziel, ein positives und einzigar-
tiges Markenimage in der Psyche der Kunden zu Faszination Netflix
erzeugen und somit Wettbewerbsvorteile zu generie- Im Interbrand-Ranking der erfolgreichsten Marken
ren. 2018 befindet sich Netflix auf Platz 66, vor Marken
wie Cartier (Platz 67), Huawei (Platz 68) oder
Identitätsbasierte Markenführung PayPal (Platz 73), mit einem Markenwert von 8,111
Das explikative Modell der identitätsbasierten Mar- Millionen Dollar. Die Marke konnte in nur einem
kenführung von Burmann und Meffert (Burmann et Jahr den eigenen Markenwert um 45 Prozent steigern
al. 2015: 29) verdeutlicht den Zusammenhang zwi- und gehört dadurch zu den „Top-growing Brands“
schen Markenidentität und Markenimage, indem es (Interbrand 2019). Doch was macht die Marke so
das interne Markenbild mit dem externen Marken- erfolgreich? Besondere Stärken sieht die internatio-
bild verknüpft (Baumgarth 2014: 63 f). Die Mar- nale Markenberatung bei Netflix in dem internen
kenidentität beschreibt das Selbstbild der Marke, das Faktor „Responsiveness“ sowie der externen Fakto-
bei der internen Zielgruppe strategisch entwickelt ren „Differentiation“ und „Engagement“. Der hohe
wird. Bei der Bildung einer Markenidentität spielen Grad an „Responsiveness“ der Marke lässt auf ein
die Komponenten: Herkunft, Vision, Kompetenzen, agiles Markenkonzept schließen, das es dem Unter-
Werte und Markenpersönlichkeit eine wichtige Rol- nehmen ermöglicht, schnell und flexibel auf Markt-
le, denn diese haben direkten Einfluss auf das veränderungen und Wandlungen der Zielgruppen
Selbstbild und die Wahrnehmung der Marke bei der einzugehen. Dazu trägt ebenfalls der Einsatz von
Zielgruppe (Burmann et al. 2018: 33 ff). Der Fokus Algorithmen und künstlicher Intelligenz bei der
des Modells liegt auf der Integration einer internen Markenführung bei. Der Grad an „Differentiation“
Ursachen- und externen Wirkungsperspektive, durch verdeutlicht die Wahrnehmung der Marke als diffe-
die die Vermittlung eines intendierten Nutzenbün- renziertes Angebot und Markenerlebnis. Dies lenkt
dels über verschiedene Brand-Touch-Points zur den Fokus unter anderem auf die zahlreichen Eigen-
externen Zielgruppe erfolgt. Diese nimmt das Nut- produktionen mit denen Netflix jedes Jahr das Portfo-
zenbündel wahr und verknüpft es mit dem bereits lio erweitert. Dadurch können Inhalte für verschie-
existierenden Markenbild. Dieses Soll-Nutzenbündel denen Regionen und Interessen der Zielgruppe ge-
besteht aus dem Nutzenversprechen und dem Mar- schaffen und somit das Markenerlebnis für die Kun-
kenverhalten und vermittelt Markenidentität. Dem den noch stärker individualisiert werden.
gegenüber steht das Ist-Nutzenbündel bestehend aus
den Markenbedürfnissen der externen Zielgruppe
und dem erfahrbaren Markenerlebnis, die das Image
der Marke prägen (Burmann et al. 2015: 28 f). Das
Unternehmen muss daher die Bedürfnisse und Er-

64 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Strukturmodell der vorökonomischen gen und entwickelt sie mit neuen Informationen
Markenführung weiter (vgl. Puto 1987: 302 ff.). Die unterschiedli-
chen Rahmen helfen ihm dabei, im besten Fall, leich-
Bei der Markenwahrnehmung wirken viele verschie-
ter eine Entscheidung für oder gegen die Marke
dene Faktoren auf den Kunden ein. Aus seiner Um-
treffen zu können. Auch aus Sicht des Unternehmens
welt sammelt er Reize und Eindrücke und orientiert
werden Frames verwendet, um förderliche Attribute
sich dabei an unterschiedlichen Interessengruppen
der Marke hervorheben zu können. Diese entwickel-
und seinem sozialen Umfeld. Mit der Aneignung von
ten Markenframes können somit den Kauf des Kun-
Markenwissen und einer spezifischen Einstellung zu
den begünstigen (vgl. Herrmann 1999: 138).
einer Marke bildet sich ein subjektives Markennetz-
werk, was das Image im Kopf des Kunden darstellt Das Konstrukt der Glaubwürdigkeit
und immer wieder für das Abrufen von Wissen ver-
wendet wird (vgl. Burmann et al. 2015: 49). Um ein Beim Faktor Glaubwürdigkeit kann man ebenfalls
entsprechendes Markennetzwerk bilden zu können, die Perspektive des Unternehmens und die Perspek-
sammelt der Kunde Informationen. Dabei kann das tive des Kunden beschreiben. Bei der kommuni-
Vorwissen, das der Kunde bereits über die jeweilige katorzentrierten Perspektive steht die Glaubwürdig-
Marke besitzt, einen großen Einfluss nehmen (vgl. keit der vermittelten Botschaft (vgl. Köhnken 1990:
Simonson et al. 1988: 566 f). Priorisierung und Ka- 4) und bei der rezipientenzentrierten Sichtweise die
tegorisierung des Gesammelten hängen dabei von subjektive Wahrnehmung von Glaubwürdigkeit
diesem Vorwissen ab. Um eine größere Sicherheit durch den Kunden im Fokus (vgl. Bentele 1988:
beim Kauf eines Produktes zu erzielen und das Risi- 408). Ergänzend zu diesen beiden Strömungen wird
ko zu reduzieren, geht der Kunde erst einmal den die Glaubwürdigkeit der Quelle herangezogen und
Informationen auf den Grund, die ihn dahingehend dabei die Dimensionen Vertrauenswürdigkeit und
stärker verunsichern (vgl. a.a.O.: 575 f). Bei der Kompetenz definiert (vgl. Hovland et al. 1953: 21).
Informationsverarbeitung nimmt das Involvement Die Reaktionsgeschwindigkeit des Unternehmens, in
des Kunden Einfluss, denn je höher es beim Kunden Form von Dynamik (vgl. Eisend 2003: 37) und die
ist, desto mehr externe Informationen werden aufge- Merkmalsqualität vervollständigen das Konstrukt der
nommen und aktiv verarbeitet. Liegt ein eher gerin- Glaubwürdigkeit (vgl Unger 1986: 24). Diese Di-
ges Involvement beim Kunden vor, werden keine mensionen bilden die Grundlage für das Konstrukt,
externen Informationen aufgenommen und insgesamt da eine Quelle erst dann als glaubwürdig wahrge-
nur passiv verarbeitet (vgl. a.a.O.: 92). Bei der da- nommen wird, wenn sie, aus Sicht des Kunden, gül-
rauffolgenden Markenbeurteilung nutzt der Kunde tige Behauptungen tätigt (Kompetenz), wertvolle
die gewonnenen Eindrücke und vergleicht diese mit Informationen gewissenhaft vermittelt (Vertrauens-
bestehendem Wissen aus dem Consideration Set, das würdigkeit) und dabei aktiv auf die Wünsche des
„die Menge der in einer Entscheidungssituation zur Kunden eingeht (Dynamik). Die Arbeitsdefinition
Verfügung stehenden Markenalternativen kenn- von Eisend beschreibt Glaubwürdigkeit insofern, als
zeichnet“ (a.a.O.: 140) und erweitert sein assoziati- Beurteilung durch den Kunden auf der Grundlage
ves Markennetzwerk durch Lernprozesse. Liegt ein von erhaltenen Informationen und unter Abgleichung
hohes Involvement vor, nutzt der Kunde beispiels- mit bestehendem Wissen in einer spezifischen Situa-
weise Metawissen und Objektwissen bei seiner Ent- tion. Die Glaubwürdigkeit bestimmt in der Situation
scheidung für eine Marke. Dies geschieht allerdings darüber, inwieweit der Kunde die vermittelte Mar-
nur, wenn die Marke es geschafft hat, beim Kunden kenidentität in Form von Botschaften und der
einen hohen Grad an Markenvertrauen und - Merkmalsqualität in sich selbst aufnimmt und
authentizität zu bilden. dadurch sein subjektives Markenimage formt (vgl.
Eisend 2003: 64). Die Wirkung von Glaubwürdigkeit
Framing bei der Markenwahl mit Blick auf die Einstellungsänderung des Kunden,
wird durch Hovlands Quellenmodell genauer erläu-
Der Entscheidungsprozess kann in diesem Sinne als
tert. Dabei wird deutlich, dass die Glaubwürdigkeit
Framing der Kaufentscheidung bezeichnet werden.
der Quelle einen starken Einfluss auf die Einstel-
Der Kunde bildet dabei verschiedene Referenzpunk-
lungsänderung beim Kunden besitzt (vgl. Küster-
te, vergleicht diese mit seinen Zielen und Erwartun-

journal-kk.de 65
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Rohde 2010: 14). Die Cognitive-Response-Theorie biet eine wichtige Rolle. Der Deutsche möchte wis-
wird dabei ergänzend herangezogen, um die Vor- sen, wenn er es mit künstlicher Intelligenz zu tun hat
gänge der Beeinflussung noch genauer erklären zu und dass die Handlungen von KI klar geregelt sind
können (vgl. Eisend 2003: 67). (vgl. a.a.O.: 2). Die Marken müssen in der heutigen
Zeit ehrlich und aufrichtig kommunizieren und auf
Algorithmen und künstliche Intelligenz den Umgang mit KI aufmerksam machen, um so
Die immer weiter ansteigende Menge von Daten Vertrauenswürdigkeit zu schaffen. Durch den Ein-
ebnet den Weg für den Einsatz von KI in der Mar- satz von KI-Experten, einen sicheren Umgang mit KI
kenführung, um Daten schneller und effektiver ver- und die vollständige Integration dieser in die Unter-
arbeiten zu können. Diese Daten definieren sich nehmensstrategie, kann eine Marke als kompetenter
durch einen großen Umfang (Volume), unterschied- Partner agieren und somit Wettbewerbsvorteile
liche Datenstrukturen (Variety), Schnelllebigkeit schaffen. Durch ein Voranschreiten der Personalisie-
(Velocity), den Grad an Wahrheitsgehalt (Veracity) rung muss ebenfalls eine gewisse Dynamik gegeben
und den Mehrwert für das Unternehmen (Value) sein, indem die Marke gezielt auf Kundenwünsche
(vgl. Gentsch 2018: 9 f). Marken müssen die Ge- eingeht und sich an veränderte Umwelt- und Markt-
samtheit ihrer Kundendaten analysieren, um wettbe- bedingungen anpasst. Dadurch wird ein zeitgemäßes
werbsfähig zu bleiben. Denn eine Vielzahl der Daten agiles Markenkonzept gebildet.
kann genutzt werden, um viele Details über die Ziel-
Methodik
gruppen zu erfahren. Wichtig wird es in diesem
Kontext Zusammenhänge und Erkenntnisse inner- Die Pre-Post-Befragung wurde mithilfe eines Onli-
halb der Daten zu erforschen. Durch einen höheren ne-Fragebogens durchgeführt. Dieser bestand aus
Grad an Komplexität ist es der künstlichen Intelli- Fragenbatterien mit Aussagen zur Glaubwürdigkeit
genz möglich, selbstständiger als normale Algorith- und semantischen Differentialen, um die Markenper-
men zu handeln. Das künstliche neuronale Netzwerk sönlichkeit zu messen. Diese wurden vor und nach
einer KI ist umfangreicher und mit vielschichtigen einer Markenbotschaft abgefragt, um eine Einstel-
Ebenen konzipiert (vgl. Buxmann und Schmidt lungsänderung messen zu können. Der Proband
2019: 14). Damit eine KI ein solches neuronales erhielt eine von vier möglichen Markenbotschaften,
Netzwerk ausbilden kann, muss es trainiert werden. die entweder Netflix oder die fiktive Marke Wacht-
Dies geschieht mithilfe von maschinellem Lernen, dome (Kontrollgruppe), mit und ohne KI-Fokus,
das in drei verschiedenen Ausprägungen vorkommt. beschrieb. Verschiedene Schwerpunkte in der Bot-
Diese sind das überwachte, unüberwachte und be- schaft verdeutlichten die Markenidentität des Unter-
stärkende Lernen (vgl. Gentsch 2018: 39). Einen nehmens. Dabei wurde die Internationalität von
wichtigen Faktor stellt unter anderem die Customer Netflix unterstrichen (größte Internet-Entertainment-
Journey Intelligence dar. Diese beschreibt den voll- Dienst weltweit) und die Werte: Vielfalt (vielfältiges
ständig integrierten Einsatz von künstlicher Intelli- Angebot), Flexibilität (kann jederzeit überall ge-
genz in jeder Schnittstelle der „Journey“ des Kunden schaut werden), Expertise (langjährige Erfahrung)
bis zum Kauf und der Weiterempfehlung eines Pro- und Innovation (kontinuierliche Weiterentwicklung
duktes (vgl. a.a.O.: 64). Die Datenverarbeitung der von KI) bewusst hervorgehoben. Der Einsatz von
KI hilft dabei, dem Kunden an der richtigen Stelle künstlicher Intelligenz stand dabei in Zusammen-
das Richtige anzubieten. Netflix setzt bereits KI und hang mit Kundendaten und Markenführung. Für die
Algorithmen ein, um ihr Streaming Angebot zu per- Erstellung des Fragebogens war eine Operationali-
sonalisieren. Dabei wird viel Augenmerk auf die sierung des Konstrukts „Glaubwürdigkeit“ notwen-
gesammelten Daten gelegt und anhand dieser das dig, um relevante Items für den Fragebogen ableiten
jeweilige Konzept angepasst. Durch heterogene zu können. Dieses Konstrukt setzt sich aus den drei
Teams kann der Einsatz von KI von Beginn eines Dimensionen „Vertrauenswürdigkeit“, „Kompetenz“
Projektes integriert werden (WeAreNetflix 2018). Da und „Dynamik“ zusammen (Eisend 2003: 149). Die
dem Thema KI und Algorithmen in Deutschland eine semantischen Differentiale wurden mithilfe der Di-
gewisse Skepsis entgegenschlägt (vgl. Syzygy 2017: mensionen der Markenpersönlichkeit nach Aaker
7), spielt die Glaubwürdigkeit in diesem Themenge- erstellt (Aaker 1997: 348).

66 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Hypothesen Kommunikation eines Themas, nicht aber das Thema


„künstliche Intelligenz“ an sich, die Glaubwürdigkeit
Um die Relevanz von KI und Algorithmen in der
von Netflix beeinflussen kann. Dies hängt mit dem
Markenführung und deren Einfluss auf die Glaub-
Markenwissen und Involvement zusammen, das der
würdigkeit von Marken untersuchen zu können,
Proband Netflix gegenüber besitzt. Zusätzlich dazu
wurden folgende Hypothesen formuliert:
spielt die, durch die Markenbotschaft vermittelte,
H1: Die Transparenz der Kommunikation über
Markenidentität eine wichtige Rolle bei der Schaf-
den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Mar-
fung von Glaubwürdigkeit. Der Kunde liest die Mar-
kenführung hat einen Einfluss auf die Glaubwürdig-
kenbotschaft und vergleicht sie mit den eigenen
keit der Marke.
Erfahrungen, Assoziationen und dem bereits beste-
H1.1: Wenn Algorithmen in der Markenführung
henden Markenwissen. Die zweite Hypothese unter-
eingesetzt jedoch nicht transparent kommuniziert
sucht den Grad an Glaubwürdigkeit mit Bezug auf
werden, dann sinkt die Glaubwürdigkeit einer Mar-
die Bekanntheit einer Marke. Die Ergebnisse zeigen,
ke.
dass die unbekannte Marke Watchdome unglaub-
H1.2: Wenn der Einsatz von KI in Markenbot-
würdiger, als die bekannte Marke Netflix wahrge-
schaften transparent kommuniziert wird, dann steigt
nommen wird. In diesem Fall hat das Involvement
die Glaubwürdigkeit einer Marke.
einen großen Einfluss auf die Einschätzung der je-
H2: Wenn eine Marke bekannt ist, dann wird sie
weiligen Marke, da die Befragten Netflix bereits mit
insgesamt glaubwürdiger eingeschätzt, als eine un-
verschiedenen Markenerlebnissen verknüpfen und
bekannte Marke.
sich ein Markennetzwerk aus dem Markenwissen
H3: Wenn die Markenbotschaft den Einsatz von KI
gebildet hat. Wenn die Befragten die Marke Netflix
und Algorithmen in der Markenführung beschreibt,
kennen, fällt es ihnen leichter, die in der Markenbot-
dann wird die Marke als kompetenter und dynami-
schaft enthaltenen Informationen zu verarbeiten, da
scher eingeschätzt, als eine Marke, die den Einsatz
eine gesteigerte Motivation zur Verarbeitung vor-
von KI nicht beschreibt.
liegt. Darüber hinaus existiert bereits ein erster Refe-
H4: Wenn die Markenbotschaft den Einsatz von KI
renzpunkt im Kopf der Befragten, der dann durch die
und Algorithmen in der Markenführung beschreibt,
Informationen in der Markenbotschaft weiterentwi-
dann wird die Marke als vertrauenswürdiger einge-
ckelt wird. Bei der unbekannten Marke Watchdome
schätzt, als eine Marke, die den Einsatz von KI nicht
liegt weder ein Involvement, noch ein Markennetz-
beschreibt.
werk vor und dadurch keine Basis auf der Glaub-
H5: Wenn transparent kommuniziert wird, dass KI
würdigkeit gebildet werden kann. Der Befragte muss
und Algorithmen in der Markenführung eingesetzt
einzig und allein auf der Grundlage der präsentierten
werden, dann ist der Grad an wahrgenommener
Markenbotschaft den ersten Referenzpunkt bilden.
Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz und Dynamik
Die Markenbotschaft reicht in diesem Fall nicht aus,
einer Marke nach Erhalt der Markenbotschaft höher
um die Marke als glaubwürdig einzuschätzen und die
als vor der Präsentation der Markenbotschaft.
Motivation zur Verarbeitung der Informationen ist
Interpretation der Ergebnisse vergleichsweise gering, da kein Involvement vor-
liegt. Um die Auswirkungen der transparenten und
Im Folgenden werden zunächst die einzelnen Hypo-
intransparenten Markenbotschaft auf den Kunden
thesen betrachtet und anschließend die semantischen
genauer zu betrachten und zu vergleichen, werden
Differentiale verglichen. Ausgehend von der ersten
die Dimensionen von Glaubwürdigkeit in den Hypo-
Hypothese ergibt sich, dass eine intransparente
thesen drei und vier herangezogen. Allerdings liegt
Kommunikation der Marke Netflix, bezüglich des
dort ein zu hohes Signifikanzniveau vor. Es ergibt
Einsatzes von KI, keinen negativen Einfluss auf die
sich daher, dass hinsichtlich der Kompetenzzu-
wahrgenommene Glaubwürdigkeit beim Kunden
schreibung und der Wahrnehmung von Dynamik und
besitzt. Ein positiver Anstieg von Glaubwürdigkeit
Vertrauenswürdigkeit auf Grundlage der Markenbot-
findet sich bei der transparenten Markenbotschaft,
schaft keine eindeutigen Aussagen über Netflix und
die den Einsatz von KI in der Markenführung und
Watchdome getroffen werden können. Folglich wird
bei der Verarbeitung von Kundendaten beschreibt.
eine Marke nicht als kompetenter, dynamischer oder
Daraufhin lässt sich ableiten, dass die transparente
vertrauenswürdiger eingeschätzt, wenn sie eine Mar-

journal-kk.de 67
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

kenbotschaft verwendet, die transparent kommuni- Als Vergleich dazu wird die fiktive Marke Watch-
ziert, dass KI in der Markenführung eingesetzt wird. dome betrachtet. Die Gesamtbewertung aller Mar-
Um nicht nur die Wahrnehmung der präsentierten kenbotschaften fällt insgesamt schwächer aus als bei
Markenbotschaften vergleichen zu können, sondern Netflix. Dies verdeutlicht zusätzlich, dass kein vor-
die Einstellungsänderung bezüglich der Glaubwür- liegendes Markennetzwerk und Involvement dazu
digkeitsdimensionen von Netflix zu analysieren, wird führen, dass eine Marke, mit Bezug auf ihre Mar-
die fünfte Hypothese verwendet. Dabei wird die kenpersönlichkeit, schwächer eingeschätzt wird, als
Wahrnehmung der einzelnen Dimensionen vor und eine Marke, die bereits bekannt ist. Trotz dessen,
nach Erhalt der transparenten Markenbotschaft be- dass die Gesamtbewertung von Watchdome schwä-
trachtet. Es ergibt sich, dass der Grad an wahrge- cher ausfällt, da der Proband die Marke ohne jegli-
nommener Vertrauenswürdigkeit nach Erhalt der ches Involvement framed, wird die Marke bei der
Markenbotschaft, im Vergleich zur zu Beginn abge- Markenbotschaft mit KI-Fokus in allen Bereichen
fragten Wahrnehmung, ansteigt. Die Informationen, stärker eingeordnet, als bei der Markenbotschaft die
die der Kunde durch die Markenbotschaft erhält, KI nicht thematisiert. Daraus lässt sich schließen,
führen dazu, dass sich der erste Referenzpunkt zum dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz bei un-
zweiten Referenzpunkt wandelt und Netflix dadurch bekannten oder neuen Marken insgesamt als positiv
insgesamt als vertrauenswürdiger wahrgenommen bewertet wird. Wenn bereits ein Involvement und
wird. Bezüglich Kompetenz und Dynamik können Markenwissen vorliegen, gibt es keine starken Un-
keine klaren Aussagen vollzogen werden, da das terschiede bezüglich eines oder keines Einsatzes von
Signifikanzniveau zu hoch ausfällt. KI.
Um nicht nur die Wahrnehmung der Glaubwür- Der Einfluss von Markenwissen und Involvement
digkeit, sondern die wahrgenommene Markenper- wird im Vergleich der Wahrnehmung beider Mar-
sönlichkeit zu betrachten, spielen die konzipierten ken, bei Erhalt der Markenbotschaft mit KI-Fokus,
semantischen Differentiale eine Rolle. Die Items deutlich. Hier fällt die Wahrnehmung der Persön-
beschreiben dabei, abgeleitet von Aaker, unter ande- lichkeits-Items von Netflix deutlich stärker aus. Dies
rem Markenattribute, die der Kunde mit Netflix ver- ist bei der Markenbotschaft ohne KI-Thematisierung
binden könnte. Während des Prozesses der Marken- beider Marken ebenfalls der Fall. Der Vergleich von
wahl bedeutet das, dass der Kunde unterschiedliche Netflix und Watchdome unterstreicht die Ergebnisse
Slots eines Markenframes mit diesen Fillers füllt und der Syzygy-Studie, dass keine Einstellungsänderung
dadurch ein Markennetzwerk bildet. Der erste Ver- gegenüber der Lieblingsmarke, bei transparenter
gleich der Wahrnehmung von Netflix vor und nach Kommunikation über den Einsatz von KI, stattfindet.
Erhalt der Markenbotschaft mit KI-Fokus weist
keine deutlichen Veränderungen in der Wahrneh- Kritische Betrachtung der Ergebnisse
mung auf. Nach dem Erhalt der Markenbotschaft Aus der Analyse der Wahrnehmung der verschiede-
ohne KI-Fokus wird Netflix als ehrlicher, aufrichti- nen Markenbotschaften und der Vergleiche der se-
ger, freundlicher, zuverlässiger und sicherer, jedoch mantischen Differentiale lässt sich die Forschungs-
weniger echt, aufregend, cool und intelligent, vom frage dieser Arbeit „Welche Relevanz haben Algo-
Probanden geframed. Dies lässt darauf schließen, rithmen und künstliche Intelligenz in der Markenfüh-
dass die Informationen in der Markenbotschaft die rung für den Kunden und inwieweit hängt dies mit
Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit der Marke stärken. der Glaubwürdigkeit einer Marke zusammen“ wie
Der Verlust von Echtheit, Coolness und Intelligenz folgt beantworten:
kann mit der Darstellung der Markenbotschaft zu- Die Relevanz des Einsatzes von Algorithmen und
sammenhängen, da diese aus reinem Text besteht. KI in der Markenführung für den Kunden hängt zum
Aus dem Vergleich der Markenbotschaften mit und einen damit zusammen, ob der Kunde die Marke
ohne KI-Fokus ergibt sich, dass Netflix bei der Mar- kennt oder nicht. Wenn die Marke bekannt ist und
kenbotschaft ohne KI-Thematisierung als ehrlicher, somit bereits ein Involvement und Markenwissen
aufrichtiger, freundlicher, unabhängiger, zuverlässi- vorliegen, schreibt der Kunde dieser Marke positive-
ger, sicherer und erfolgreicher wahrgenommen wird, re Eigenschaften zu. Dadurch bildet sich ein entspre-
als bei der Markenbotschaft, die den Einsatz von KI chender Markenframe. Wenn diese bekannte Marke
in der Markenführung beschreibt.

68 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

transparente Kommunikation, über den Einsatz von Prozess konnte in der Studie nicht abgebildet werden
künstlicher Intelligenz und Algorithmen in der Mar- und bietet daher eine Forschungsgrundlage für weite-
kenführung, betreibt, findet darüber hinaus keine re Studien. Trotz dessen, dass der Kunde einer unbe-
tiefgreifende Einstellungsänderung, hinsichtlich der kannten Marke, die transparent den Einsatz von KI
Markenpersönlichkeit, beim Kunden statt. Das be- in der Markenführung kommuniziert, positivere
deutet, dass der Kunde eine bekannte Marke nicht Attribute zuschreibt als einer unbekannten Marke,
automatisch negativer wahrnimmt, weil sie transpa- die diesen Einsatz nicht beschreibt, fallen beide
rent kommuniziert, dass KI und Algorithmen in der Bewertungen schwächer aus als bei der bekannten
Markenführung eingesetzt werden. Zusätzlich dazu, Marke. Ein Grund für die schwächere Beurteilung
dass der Kunde die Markenpersönlichkeit positiver könnte unter anderem die Verunsicherung der Pro-
wahrnimmt, wird die Marke als glaubwürdiger banden sein, da sie die Marke Watchdome nicht
wahrgenommen, wenn sie transparente Kommunika- kannten. In einigen Fragebögen wurden diese Anga-
tion über das Thema betreibt. Unter Einbezug der ben der Verunsicherung bezüglich Watchdome getä-
einzelnen Dimensionen von Glaubwürdigkeit lässt tigt.
sich feststellen, dass die Marke außerdem als ver- Die Quintessenz der Ergebnisse dieser Studie lau-
trauenswürdiger wahrgenommen wird, was sich tet wie folgt: Die Relevanz der Thematisierung von
ebenfalls in der Wahrnehmung der Markenpersön- Algorithmen und KI in der Markenführung hängt
lichkeit wiederfindet. Somit zeigt sich, dass hinsicht- von dem vorherrschenden Bild im Kopf des Kunden
lich der Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit ab. Dieses vorherrschende Bild prägt zusätzlich die
eine positive Einstellungsänderung beim Kunden Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit einer Marke und
stattfindet, wenn dieser die Marke bereits kennt. damit einhergehend alle folgenden Handlungen der
Hinsichtlich der Wahrnehmung von Kompetenz und Markenwahl. Die Markenidentität muss dabei über
Dynamik einer bekannten Marke, die den Einsatz alle Brand-Touch-Points hinweg an den Kunden
von KI und Algorithmen thematisiert, kann keine getragen werden, um so eine nachhaltige Einstel-
Einstellungsänderung ermittelt werden, da keine lungsänderung beim Kunden bezüglich Glaubwür-
ausreichende Signifikanz der Mittelwerte besteht. digkeit zu bewirken. Diese Erkenntnis lässt sich
Um diese Dimensionen in Zukunft zu untersuchen, allerdings nur für die Branche der Streaming Anbie-
wird empfohlen die Stichprobengröße zu erhöhen, ter tätigen. Daher ist es für die Zukunft interessant
um somit Signifikanz zu schaffen. Einen zusätzli- andere Branchen, hinsichtlich des Einsatzes von KI
chen Faktor bezüglich der Glaubwürdigkeit einer und Algorithmen mit den Auswirkungen auf die
Marke spielt die Bekanntheit. Wenn der Kunde die Glaubwürdigkeit von Marken, zu untersuchen.
Marke noch nicht kennt, fällt es ihm schwerer diese
anhand einer Markenbotschaft, als glaubwürdig Die Rolle der Marke zwischen KI und der
einzuschätzen. Dies spiegelt sich ebenfalls in der Glaubwürdigkeit
Wahrnehmung der Markenattribute wider. Denn Durch die vorangegangene Studie konnte gezeigt
wenn weder Involvement, noch Markenwissen oder werden, dass Markenwissen und Involvement einen
ein Markennetzwerk im Kopf des Kunden vorliegen, Einfluss auf die Wahrnehmung der Glaubwürdigkeit
wird die Marke schwächer eingeschätzt. Bei dem einer Marke besitzen und dass transparente Kommu-
Vergleich der transparenten und intransparenten nikation dabei eine Rolle spielt. Wie sich zeigt, stellt,
Markenbotschaften wird deutlich, dass eine Marke zusätzlich zu den Faktoren „Personalisierung“ und
nicht aufgrund von einer transparenten Botschaft „Kundenorientierung“, die transparente Kommunika-
vertrauenswürdiger, dynamischer und kompetenter tion ein Garant für die Aufmerksamkeit des Kunden
eingeschätzt wird als eine Marke, die die Verwen- dar und somit für die Schaffung eines relevanten
dung von KI nicht thematisiert. Es wäre daher sinn- Images. Diese Transparenz wird in einem Zeitalter,
voll in weiteren Studien über einen längeren Zeit- geprägt durch digitale Disruption, immer wichtiger,
raum hinweg verschiedene Markenbotschaften mit denn Einstellungen und Ansprüche der Zielgruppen
unterschiedlichen Stimuli und Darstellungsformen zu an eine Marke verändern sich kontinuierlich und der
testen, da der Kunde im Normalfall nicht nur einer Kunde zieht sich auf seine persönlichen Plattformen
einzigen Markenbotschaft ausgesetzt wird, um In- zurück. Um dem Kunden als Marke nah zu sein,
volvement und Markennetzwerk zu bilden. Dieser

journal-kk.de 69
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

muss man ihn kennen. Im digitalen Umfeld geschieht ohne ihn. Denn diese ist nur so vielschichtig, wie die
dies durch Daten – in einem Umfang, den kein Basis der Codes, die der Mensch ihr gibt. Echte
Mensch analysieren und verarbeiten kann. Um dem Verdummung entsteht nur dann, wenn die Symbiose
Datenchaos her zu werden und den Weg zum Kun- zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz aus
den zu ebnen, setzen Marken wie Netflix KI und dem Gleichgewicht fällt, man den KI-Daten blind
Algorithmen ein. Ein Vorgehen, das Misstrauen in folgt und die Markenpersönlichkeit aus den Augen
der deutschen Bevölkerung hervorrufen kann, denn verliert. Die Rolle der Marke in diesem Spiel besteht
für manchen Deutschen stellt KI ein Buch mit sieben darin, das Grundgerüst für die Integration von KI-
Siegeln dar und dort wo es an Wissen mangelt, wird Prozessen in die eigene Markenstruktur zu schaffen.
Raum für Skepsis geschaffen. Solange diese Skepsis Mensch, Marke und KI müssen daher eine Einheit
bei jedem zweiten Deutschen vorherrscht, müssen bilden, um Daten effizient verarbeiten und gewinn-
Marken den KI-Einsatz transparent kommunizieren, bringend einsetzen zu können.
um Vertrauens- und Glaubwürdigkeit zu schaffen. Es Der Fokus auf die eigene Markenpersönlichkeit
zeigt sich, dass ein transparenter Einsatz von künstli- und die Integration von künstlicher Intelligenz im
cher Intelligenz und Algorithmen in der Markenfüh- Unternehmen wird auch in Zukunft wichtiger denn
rung dahingehend eine Relevanz besitzt, als dass je. Allerdings wird diese in einigen Jahren nicht
dieser den Grad der Vertrauenswürdigkeit erhöhen mehr „neu“ sein und dadurch keine Argumente mehr
und sich auf die wahrgenommene Markenpersön- für Wettbewerbsvorteile liefern. Die Marke muss für
lichkeit auswirken kann. Dies kann allerdings nicht sich selbst stehen und ein konsistentes und einzigar-
von heute auf morgen geschehen. Eine glaubwürdige tiges Bild abliefern, um beim Kunden bestehen zu
Marke zu schaffen, ist ein Prozess, bestehend aus der können. Das übergeordnete Ziel bleibt gleich, doch
Kombination von Transparenz und Wertschöpfung der Weg dahin verändert sich. Schon heute spricht
für den Kunden. Eine stabile und glaubwürdige Mar- man von „Algorithmic Marketing“, das KI und Algo-
kenidentität benötigt Zeit, denn nur durch die Konti- rithmen in sämtlichen Marketingprozessen integriert
nuität essenzieller Merkmale der Marke über einen und dadurch das Erkennen von Trends, Reaktionen
längeren Zeitraum hinweg kann sich Glaubwürdig- auf Veränderungen und die Analyse von Daten in
keit manifestieren. Das Grundgerüst für diese Mani- Echtzeit ermöglicht. Doch was wird in Zukunft mit
festation bildet die Einstellung des Kunden. Je stär- dem beständigen Gerüst „Marke“ geschehen, wenn
ker Einstellung und Involvement, desto unerschütter- Agilität gefordert wird? Zerstört der Fokus auf eine
licher ist die Glaubwürdigkeitswahrnehmung einer reine Personalisierung diese Beständigkeit und stel-
Marke, denn einen Marken-Fan bringt der Einsatz len „Fluid Brands“ die Marken von morgen dar?
von künstlicher Intelligenz nicht aus der Ruhe. Hin- Diese und weitere Fragen gilt es in Zukunft zu be-
sichtlich der vorangehenden Studie besitzt das KI- antworten. Um die Grundlage für die Marken der
Thema nicht die Kraft, ein Markenbild bezüglich Zukunft zu schaffen, müssen sich die Marken von
Glaubwürdigkeit zu schwächen. Bei Netflix wird dies heute künstlicher Intelligenz, Algorithmen und der
besonders deutlich, denn die Marke schafft es, sich gesamten digitalen Transformationen annehmen,
innovativ zu positionieren, indem sie KI und Algo- denn diese ist keine Modeerscheinung, sondern eine
rithmen in die gesamte Markenstrategie integriert weitreichende Entwicklung, welche sich auf den
und dies transparent kommuniziert. Trotz des Hypes gesamten Markt auswirken kann. Künstliche Intelli-
um KI darf man die eigene Marke nicht aus den genz ist gekommen, um zu bleiben.
Augen verlieren. Denn eine Positionierung als reine „Complete digital transformation is a journey with
KI-Marke reicht nicht aus. Der Einsatz von künstli- a North Star that guides us and also continuously
cher Intelligenz und Algorithmen kann dabei helfen moves as technology advances. By seizing the day
Marken stärker zu personalisieren, indem Daten and acting in the now, businesses will have begun
besser und schneller verarbeitet werden, allerdings the journey toward more personalised and more
müssen diese Daten auch richtig gedeutet werden. relevant experiences for customers“ (Adobe Inc.
Die Mischung aus menschlicher Kreativität und 2018: 2).
maschineller Rechenleistung macht dabei den Unter-
schied. Der Mensch kann, bezüglich der Datenverar-
beitung und Analyse, nicht ohne KI und KI nicht

70 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Literaturverzeichnis Unger, F. [1986]: Konsumentenpsychologie und Marken-


artikel. 1986 Heidelberg.
Adjouri, N. [2014]: Alles was Sie über Marken wissen WeAreNetflix [2018]: Netflix Research: Machine Learn-
müssen. Leitfaden für das erfolgreiche Management von ing Platform, verfügbar unter:
Marken, Wiesbaden 2014. https://www.youtube.com/watch?v=VvTYuQPINec
Adobe Inc. [2018]: Context is Everything. How the pursuit (09.06.2019).
of relevance and personalisation has spraked an AI gold Westerkamp, D. [2019]: Assistent KI, in: Next Industry, 1
rush, verfügbar unter: Jg., 2019, S. 46–51.
https://www.adobe.com/content/dam/acom/uk/modal-
offers/pdfs/Adobe_Research_Report-
Context_is_Everything-en.pdf (01.03.2019).
Baumgarth, C. [2014]: Markenpolitik. Markentheorien,
Markenwirkungen, Markenführung, Markencontrolling,
Markenkontexte. Wiesbaden 2014.
Bentele, G. [1988]: Der Faktor Glaubwürdigkeit. For-
schungsergebnisse und Fragen für die Sozialisationsper-
spektive, in: Publizistik, 33 Jg., 1988, S. 406–426.
Burmann, C./Halaszovich, T. F./Schade, M./Piehler, R.
[2018]: Identitätsbasierte Markenführung. Grundlagen -
Strategie - Umsetzung - Controlling. Wiesbaden 2018.
Buxmann, P./Schmidt, H. (Hg.) [2019]: Künstliche Intelli-
genz. Mit Algorithmen zum wirtschaftlichen Erfolg,
Berlin, Heidelberg 2019.
Eisend, M. [2003]: Glaubwürdigkeit in der Marketing-
kommunikation. Konzeption, Einflussfaktoren und Wir-
kungspotenzial. Gabler Edition Wissenschaft, Wiesba-
den 2003.
Gentsch, P. [2018]: Künstliche Intelligenz für Sales, Mar-
keting und Service. Mit AI und Bots zu einem Algo-
rithmic Business - Konzepte, Technologien und Best
Practices, Wiesbaden 2018.
Herrmann, C. [1999]: Die Zukunft der Marke. Mit effi-
zienten Führungsentscheidungen zum Markterfolg. 1.
Aufl. Frankfurt am Main 1999.
Hovland, C./Janis, I./Kelley, H. [1953]: Communication
and persuasion. Psychological studies of opinion
change, New Haven 1953.
Interbrand [2019]: Methodology, verfügbar unter:
https://www.interbrand.com/best-brands/best-global-
brands/methodology/ (11.03.2019).
Keohane, K. [2018]: The New Era Of Brand: Data, AI &
Consumer Control, verfügbar unter:
https://www.brandingstrategyinsider.com/2018/10/the-
new-era-of-brand-data-ai-consumer-
control.html#.XHuo-IhKhPa (03.03.2019).
Köhnken, G. [1990]: Glaubwürdigkeit. Untersuchungen zu
einem psychologischen Konstrukt, München 1990.
Küster-Rohde, F. [2010]: Die Wirkung von Glaubwürdig-
keit in der Marketingkommunikation. Eine Analyse der
kurz- und langfristigen Effekte. Zugl.: Berlin, Freie
Univ., Diss., 2009. 1. Aufl., 2010 Wiesbaden.
Pauker, M. [2018]: KI hilft bei der Personalisierung von
Marken, verfügbar unter:
https://www.wuv.de/digital/ki_hilft_bei_der_personalisi
erung_von_marken (01.03.2019).
Puto, C. P. [1987]: The Framing of Buying Decisions, in: J
CONSUM RES, 14 Jg., Nr. 3, 1987, S. 301.
Syzygy [2017]: Sex, lies and A.I. Wie Deutsche zu künst-
licher Intelligenz stehen: Implikationen für das Marke-
ting, verfügbar unter https://think.syzygy.net/ai-
report/de (06.06.2019).

journal-kk.de 71
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Lars Hoven:
Legitimität als existenzielles Gut von Unternehmen

Dieser Artikel nimmt einen Blick auf die elementaren Pfeiler des Konstruktes Unternehmen vor. Bei einer theo-
riegetriebenen Betrachtung wird das Gebilde Unternehmen losgelöst anhand seiner elementaren Grundeigen-
schaften betrachtet. Dieser Blickwinkel soll es ermöglichen die Konstruktion und Wirkungsweisen von Unter-
nehmen nachzuvollziehen, um die heute immer komplexer werdenden Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft
und Unternehmen abbilden zu können. Dies geschieht anhand der Theoriegrundlage der Organisationssoziolo-
gie, der das Konstrukt Unternehmen zuzuordnen ist. Zusätzlich zu den grundlegenden Mechanismen von Orga-
nisationen, wird der gewichtige Faktor Legitimität genauer betrachtet. Dabei wird herausgestellt warum Legiti-
mität ein für Unternehmen so wichtiges Gut darstellt, woraus Legitimität resultiert und wie Legitimität produ-
ziert und beeinflusst wird. Abschließend findet ein Praxisbezug statt, der den Umgang der Unternehmen mit
ihrer eigenen Legitimität zeigt, in dem einzelne Strategien hinsichtlich der Erwartungshaltung der Gesellschaft
gegenüber ihnen abgebildet werden. Das übergeordnete Ziel dieses Vorgehens veranschaulicht, inwieweit die
Gesinnung auf elementare Grundeigenschaften beim Umgang mit aktuellen komplexen Herausforderungen hilf-
reich sein kann.

In der heutigen Zeit sieht sich die Gesellschaft mit sen von Unternehmen nachzuvollziehen, um die
einer Vielzahl an Umbrüchen und Veränderungen heute immer komplexer werdenden Wechselwirkun-
konfrontiert. Nicht nur die Wege der Kommunikati- gen zwischen Gesellschaft und Unternehmen abbil-
on verändern sich durch die Digitalisierung rasant, den zu können. Dies geschieht anhand der Theo-
sondern auch die Themen, die die Menschen bewe- riegrundlage der Organisationssoziologie, der das
gen stellen immer höhere Ansprüche an die Gesell- Konstrukt Unternehmen zuzuordnen ist. Neben dem
schaft. Unsere Zeit ist geprägt von einer wachsenden Herausstellen der grundlegenden Mechanismen von
gesellschaftlichen Mündigkeit, bei der die Menschen Organisationen, wird der heute immer gewichtiger
verstärkt für die Bedürfnisse des Planeten und für werdende Faktor Legitimität genauer betrachtet
das gemeinsame Miteinander einstehen. Doch auch werden. Diesbezüglich ist es von Interesse zu identi-
die Rolle und der Einfluss von Unternehmen erhält fizieren warum Legitimität ein für Unternehmen so
eine immer zentraler werdende Position in der Ge- wichtiges Gut darstellt, woraus Legitimität resultiert
sellschaft. Durch den wachsenden Einfluss der Un- und wie Legitimität aus der Gesellschaft heraus
ternehmen werden diese auch zunehmend als gesell- produziert und beeinflusst wird.
schaftliche Akteure wahrgenommen, so dass sie Anschließend findet ein Praxisbezug statt, der den
ebenfalls Adressaten der Ansprüche der Öffentlich- Umgang der Unternehmen mit ihrer eigenen Legiti-
keit werden. Somit zeichnet sich die heutige Zeit für mität zeigt, in dem einzelne Strategien hinsichtlich
die Unternehmen durch ein Wetteifern um Legitimi- der Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber
tät aus. Doch welche Ursachen können diese Ent- ihnen abgebildet werden. Das übergeordnete Ziel
wicklungen zu Grunde gelegt werden? Was genau ist dieses Vorgehens soll veranschaulichen, inwieweit
ein Unternehmen, wodurch zeichnet es sich aus? die Gesinnung auf elementare Grundeigenschaften
Und wie kann der Faktor Legitimität in das Kon- beim Umgang mit aktuellen komplexen Herausfor-
strukt verortet werden? Um diese Frage zu beantwor- derungen hilfreich sein kann.
ten schlägt dieser Artikel einen Blick auf die elemen-
taren Pfeiler des Konstruktes Unternehmen vor. Die unternehmerische Organisation
Anhand einer Loslösung des komplexen Gebildes Um das Konstrukt Unternehmen jenseits des alltägli-
Unternehmen, sollen durch eine theoriegetriebene chen Verständnisses zu betrachten ist es hilfreich,
Betrachtung die Grundeigenschaften von Unterneh- dieses auf seine fundamentalen Eigenschaften zu
men herausgestellt werden. Dieser Blickwinkel soll reduzieren, um anschließend dessen Aktionen und
es ermöglichen die Konstruktion und Wirkungswei- Reaktionen innerhalb der Wirklichkeit neu bewerten

72 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

zu können. Dabei stellen sich die Fragen, was genau halb organisationsinterner Verantwortlichkeiten
ist ein Unternehmen, welche Eigenschaften machen liegen (vgl. Luhmann, 2000, S. 35). Folglich scheint
es aus und wie funktioniert es? Um die Beantwor- die Umwelt für Organisationen eine Voraussetzung
tung dieser Fragen zu gewährleisten, ist das Heraus- darzustellen, um auf von ihr getriebenen Handlungen
stellen einer theoretischen Grundlage notwendig, die überhaupt reagieren zu können. Gleichzeitig ermög-
in der Organisationssoziologie gefunden werden licht die Umwelt die Zuschreibung auf Sachverhalte,
kann. In dieser Theoriegrundlage wird der For- die sich außerhalb der Einflüsse von Organisationen
schungsgegenstand der Organisationen, als charak- befinden. Dabei kann von einer Zuschreibung dieser
terliches Merkmal und gleichzeitig gestaltendes Sachverhalte, sowohl von positiver als auch negati-
Element moderner Industrie- und Dienstleistungsge- ver Natur, ausgegangen werden. Außerdem zeichne-
sellschaften, untersucht. Die Bezeichnung der Verei- te sich im Rahmen vorherrschender Theoriekon-
nigungen von Personen, vor dem Hintergrund des strukte die Ansicht ab, Organisationen arbeiten rati-
Erreichens eines gemeinsamen Ziels, wie beispiels- onal und effizient, dabei könnten sie Entscheidungen
weise Betriebe, Behörden, Schulen um nur einige zu treffen wie ein Individuum und sind zudem hierar-
nennen, als Organisationen ist innerhalb unserer chisch von oben nach unten strukturiert (vgl. Bruns-
Alltagssprache überaus untypisch. In unserem tägli- son/Olsen, 1993, S. 60 ff.). Doch auch dieses Ver-
chen Umgang mit diesen Konstrukten geben wir ständnis von Organisationen stellt Luhmann als
anderen Begriffen, die uns vertrauter sind, den Vor- schwierig heraus, er identifiziert die Problemstellung
rang, demnach nutzen wir Begriffe wie Unterneh- in der Übertragung von Bedingungen in ein normati-
men, Institutionen oder öffentliche Einrichtungen ves Modell nach rationalen Kriterien, was in der
(vgl. Abraham/Büschges, 2004, S. 19-22). Für die Realität, also der operativen Umsetzung, nicht halt-
theoretische Untersuchung des Unternehmens- bar ist (vgl. Luhmann, 2000, S.44). Als Lösungsvor-
Begriff zeigt sich an dieser Stelle, im soziologischen schlag stellt Luhmann die alternative Definition,
Verständnis wird das Konstrukt des Unternehmens „eine Organisation ist ein System, das sich selbst als
als Organisation aufgefasst. Organisationen können Organisation erzeugt“ (Luhmann, 2000, S. 44 f.), in
eine Vielzahl von Ausprägungen aufzeigen und den Raum, wobei er die hier vorzufindenden Funkti-
vereinen in ihren Eigenschaften den Zusammen- onsweise mit Autopoiesis betitelt. Der Ursprung
schluss von Personen für das Erreichen eines ge- besagter Autopoiesis liegt nach Jan Rommerskirchen
meinsamen Ziels. in der Selbstreferenz sozialer Systeme, da diese ihre
Strukturen stets in Bezug auf die Elemente, die ihnen
Organisation als autopoietische Systeme zu Grunde liegen, unterscheiden und darstellen. Dies
Organisationen existieren allerdings nicht als losge- bedeutet wiederrum auch, dass Systeme ihre Be-
löste, isolierte Konstrukte, denn schließlich sind auch obachtungen und Handlungen ebenfalls immer auf
sie ein Teil vom großen Ganzen der Gesellschaft. sich selbst beziehen und auf Einflüsse der Umwelt
Nichtsdestotrotz wird oftmals im Rahmen von theo- nur mit ihrer innewohnenden Systemlogik reagieren
retischen Organisationsbetrachtungen, die Umwelt können. Um neue Eindrücke in die Systemprozesse
der Organisationen ausgeklammert. Dieses Ver- aufnehmen zu können ist eine Unterscheidung dieser
säumnis kritisiert Niklas Luhmann vehement, indem Prozesse von der Umwelt und eine Schlussfolgerung
er anmerkt, die Aussage, die Umwelt sei jener Teil bezüglich der Bedeutung dieser für sich selbst not-
einer Organisation, der nicht zu ihr gehöre, führe zu wendig (vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 200). Luh-
der Unterstellung, die Umwelt sei nicht existent (vgl. mann selbst nutzt eine andere Wortwahl: „Ein Sys-
Luhmann 2000, S. 34). Luhmann selbst bemisst die tem, das sich selbst erzeugt, muss sich selbst be-
Wichtigkeit von Umwelt auf die Existenz von Orga- obachten, das heißt: sich selbst von seiner Umwelt
nisationen als deutlich höher, da er davon ausgeht, unterscheiden können“ (Luhmann, 2000, S. 46 f.).
dass das Handeln der Organisation wie jedes Han- Dementsprechend definieren Systeme, beziehungs-
deln lediglich retrospektiv betrachtet werden könne. weise Organisationen, sich und die Differenz hin-
Nur mit Hilfe des Konzeptes Umwelt könne man sichtlich ihrer Umwelt selbst, zudem ist es auch das
einschätzen was man getan habe. Zudem ermögliche System selbst, welches entscheidet welche Elemente
die Umwelt Zurechnungen auf Ursachen, die außer- ein- oder ausgegrenzt werden (vgl. Rommerskirchen,
2017, S. 200).

journal-kk.de 73
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Retroperspektive der Selbstbetrachtung selbst dabei ebenfalls als Teilnehmer zu verstehen


(vgl. Luhmann, 2000a, S. 47-52). Dadurch wird
Die Organisation betrachtet sich selbst nicht als
deutlich, dass Unternehmen sehr wohl die Möglich-
feststehendes Objekt, sondern besitzt die eigene
keit besitzen auf Inhalte ihrer direkten Umwelt zu
Identität nur um ihre Strukturen, durch immer neue
zugreifen, die Möglichkeiten über Subsystem-
Bestimmungen, wandeln zu können. Diese Wandel-
Grenzen hinweg zu kommunizieren, macht die Un-
barkeit der als Bezugspunkt eingesetzten Identität
ternehmen allerdings zu gleichwertigen Akteuren
wird durch die Selbstbetrachtung der Organisation
innerhalb des Systemgeflechts. Diese Position kann
während des Beobachtens gewährleistet, sprich sie
allerdings, sowohl positive als auch negative Aspek-
ist in der Lage andere selbstbeobachtende Systeme
te mit sich bringen, worüber die Unternehmen sich
zu beobachten, um daraus unzugängliche Aspekte
noch nicht vollends im Klaren sind. Erschwert wird
für sich abbilden zu können und diese doch ihrem
diese Außensicht jedoch durch die, dem Unterneh-
Aufmerksamkeitsradius zu zuführen (vgl. Luhmann,
men als Organisationen zu Grunde liegende, retro-
2000, S. 47-52). Konkret gilt es sich an bereits einge-
spektive Betrachtungsweise ihrer Selbst und die
tretene Ereignisse zur orientieren, da Organisationen
Ungeübtheit hinsichtlich der Kommunikation über
ohnehin den Sinn ihres Handelns maßgeblich retro-
ihre Systemgrenzen hinweg.
spektiv betrachten. Dies führt zu einem möglicher-
weise problematischen Nebeneffekt, denn die retro- Paradigmenwechsel Neoinstitutionalis-
spektive Betrachtung ihrer Selbst hat das Vernach- mus
lässigen der Betrachtung der aktuellen Umwelt zur
Folge. Eine weitere Voraussetzung für die eigene Eine weitere einflussreiche Strömung hinsichtlich
Existenz ist das Rück- und Vorgreifen auf andere des theoretischen Erkenntnisinteresse von Organisa-
Organisationen des gleichen Systems, wodurch Ver- tionen ist der Neoinstitutionalismus. Dieser neue
knüpfungen herausgestellt und eine Abgrenzung zur Institutionalismus zeichnet sich, mit Blick auf Akti-
Umwelt produziert und reproduziert werden können. onen und Reaktionen von Unternehmen, vor allem
Aus der retrospektiven Betrachtung ihres Handeln, durch die Distanzierung des Verständnisses von
die aus der generell umständlichen Wechselwirkung Legitimität und Effizienz als deckungsgleiche Erfor-
zwischen dem System Unternehmen und dessen dernisse aus. Stattdessen wird der Standpunkt vertre-
Umwelt resultiert, können Einschränkungen abgelei- ten, Organisationen entwickeln formal-rationale
tet werden, die auf die Wirklichkeit der Aktionen Strukturen nicht um eine hohe Effizienz bezüglich
und Reaktionen von Unternehmen übertragen wer- ihrer Problembearbeitung zu generieren, sondern
den können. Demnach kann angenommen werden, zum Erlangen von Legitimität (vgl. Hasse/Krücken,
dass Organisationen nur langsam auf sich verändern- 1999, S. 13). So wurde von bisherigen Theorien,
de Umweltbedingungen reagieren können. Übertra- aufgrund der Fokussierung auf die Steuerung von
gen auf Unternehmen, dürfte es sich für diese komplexen Netzwerken durch Koordination und
schwierig gestalten zeitnah auf die kontinuierlich Kontrolle, eine Quelle für formelle Struktur außer
verändernden Ansprüche ihrer Umwelt und somit auf Acht gelassen. Bei dieser Quelle handelt es sich um
die ihrer Wettbewerber, ihrer Kunden oder schlicht die Legitimität rationalisierter formaler Strukturen.
auf die der Gesellschaft, einzustellen. Die Elemente dieser rationalisierten formalen Struk-
Jedoch weisen Organisationen noch weitere Ei- tur stellen eine Reflektion des allgemeinen Ver-
genheiten auf. So charakterisiert die operative Ge- ständnisses der sozialen Realität dar. Viele Positio-
schlossenheit von autopoietischen Systemen, diese nen und Richtlinien moderner Organisationen wer-
zu autonomen Systemen. Diese operative Schließung den durch die öffentliche Meinung, die Meinung
bedeutet allerdings nicht, dass das Organisationssys- wichtiger Mitgliedsgruppen oder dem sozialen An-
tem keine Kontakte zur innergesellschaftlichen Um- sehen, um nur einige Möglichkeiten zu nennen, be-
welt besitzen kann, da die Gesellschaft Möglichkei- einflusst (vgl. Meyer/Rowan, 1977, S. 43 f.). Der
ten zu eben jener Kommunikation über Subsystem- Neoinstitutionalismus markiert einen Paradigmen-
grenzen hinweg zur Verfügung stellt. Dies bedeutet wechsel bei der Betrachtung von Organisationsbe-
aber im Umkehrschluss, dass Organisationen nicht trachtungen, da nun Legitimität, anstatt Effizienz, als
an Kommunikation teilnehmen können ohne sich existenzieller Antrieb in den Mittelpunkt rückt.

74 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Das Streben nach Legitimität deutung der sozialen Einbettung von Unternehmen
hervor. Sprich die Betrachtung der Wirtschaft als
Organisationen streben also nicht in erster Linie nach
sozialer Sektor mit dem Merkmal der Produktion
einem maximalen Grad an Effizienz bezüglich ihrer
konkreter Erwartungszusammenhänge (vgl. Has-
technologischen oder organisatorischen Prozesse,
se/Krücken, 1999, S. 45).
sondern besitzen vielmehr die Absicht ihre Struktu-
ren und Handlungen gegenüber ihrer Umwelt zu Legitimität als gesellschaftlicher Zu-
legitimieren (vgl. Kirchner, 2012, S. 33 f.). Hervor- schreibungsprozess
gegangen ist dieses Umdenken durch die Beobach-
tung eines Phänomens des Wirtschaftslebens, wel- Die, anhand der theoretischen Grundlage herausge-
ches die Effizienz von Wirtschaftsunternehmen stellten Eigenschaften von Unternehmen, lassen die
grundlegend in Frage stellte: Wie gestaltet sich die These zu Unternehmen würden sich, bevor sie eine
Überlebensfähigkeit von Unternehmen die langfristig Handlung forcieren, an den Handlungen und Gege-
ihren Zweck, wirtschaftlichen Profit zu erwirtschaf- benheiten ihrer Umwelt orientieren. Damit rückt
ten, verfehlen? Als Antwort auf diese Frage konnte außerdem ein ständiger Aushandlungsprozess, hin-
die Forschung ein neues Konzept erarbeiten, dem- sichtlich Legitimität stiftenden Themen zwischen
nach ist es Organisationen möglich effektiv zu sein, den Unternehmen selbst, der Gesellschaft, der Politik
ohne dabei effizient sein zu müssen. Es ist diesen und allen weiteren beteiligten Akteuren, in den Fo-
Organisationen möglich auf Ressourcen zurückzu- kus. Eine ähnliche Schlussfolgerung nimmt Kon-
greifen, obwohl diese eine verhältnismäßig ineffizi- stanze Senge vor, da sie ebenfalls davon ausgeht,
ente Verwendung finden. Demzufolge muss es sich dass das Handeln von Organisationen „maßgeblich
um Organisationen handeln für die Legitimität einen durch die in der Gesellschaft geltenden allgemeinen
bedeutenderen Faktor darstellt als ihre Wirtschaft- Werte bestimmt wird – die natürlich immer auch in
lichkeit (vgl. Hasse/Krücken, 1999, S. 40). Als pra- Normen übersetzt und spezifiziert werden müssen –
xisorientiertes Beispiel für diese Erkenntnisse kann [so] wird der Einfluss kultureller Werte auf Organi-
der Harold Examiner genannt werden: Eine bis in die sationen deutlich“ (Senge, 2011, S. 120 f.). Infolge-
1960er Jahre erfolgreiche Tageszeitung. Im Verlauf dessen kann Legitimität als Ergebnis eines Zuschrei-
des darauffolgenden Jahrzehnts verschlechtert sich bungsprozesses, der nicht aus der Organisation
der Zustand radikal. Neben der sich halbierenden selbst, sondern anhand ihrer Umwelt also durch
Auflage nehmen auch die Anzeigenannahmen rapide verschiedene Stakeholder hervorgeht, verstanden
ab, so dass das Unternehmen einen Verlust von 10 werden. Die Wahrnehmung der Organisation ausge-
Millionen US-Dollar verzeichnen muss. Tatsächlich hend von Stakeholdern gründet einerseits auf den
wird der Harold Examiner als ehemaliges Aushänge- unmittelbaren Erfahrungen und Wechselwirkungen
schild des Hearst-Verlagshauses trotz der offensicht- mit der Organisation, andererseits, erheblich ein-
lichen Ineffizienz dauerhaft weitergeführt, ohne flussreicher, auf der medialen Vermittlung der jewei-
jedwedes Bestreben einer wirtschaftlichen Verbesse- ligen Organisation (vgl. Elsbach, 2003, S. 298 ff.).
rung. Zurückzuführen ist dieses Phänomen auf das Die Legitimität, nach der die Unternehmen streben,
Zerwürfnis der Eigentümer des Familienunterneh- konstruiert sich also durch die allgemein geltenden
mens, da auf der einen Seite zur Schließung des Werte der Gesellschaft und spiegelt somit eine Zu-
Unternehmens gedrängt und auf der anderen Seite sammenführung der Ansprüche aller Stakeholder
sich für den Erhalt der Tageszeitung, angesichts des wider. Damit ein Unternehmen als legitim betrachtet
symbolischen Gewichts für das Verlagshaus ausge- wird ist also eine Übereinstimmung der unterneh-
sprochen wurde (vgl. Meyer/Zucker, 1989, S. 31). menseigenen Werte mit den gesellschaftlichen Wer-
Dieses Beispiel zeigt, dass auch die Wirtschaft keine ten notwendig, dabei ist die mediale Vermittlung
gesellschaftsfreie Umwelt von Rationalität und Effi- dieser Werte wirksamer als die unmittelbaren Erfah-
zienzorientierung darstellt, wobei sich dies, sowohl rungen der Stakeholder. Folglich stellt die mediale
durch den Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen Vermittlung von möglicherweise nichtzutreffenden
als auch durch politische Regularien ausdrückt. Werten einen bequemeren und gleichzeitig effektive-
Dementsprechend hebt der Neoinstitutionalismus, ren Weg dar, um einen positiven Einfluss auf die
abseits der wirtschaftlichen Eigendynamik, die Be- Unternehmen zu nehmen.

journal-kk.de 75
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Einflussnahme auf den gesellschaftlichen andere von bestimmten Argumenten und Positionen
Diskurs überzeugen wollen und dementsprechend alle die
diese moralische Richtigkeit nicht aufweisen hart
Doch wie gestalten sich die von Werten getriebenen
angehen. Diese Gruppen, oftmals als aktivistische
Zuschreibungsprozesse innerhalb der Gesellschaft
Teilöffentlichkeit bezeichnet, erfassen ein gesell-
und vor allem welche Akteure sind in der Lage diese
schaftliches Problem und gehen organisiert dagegen
zu beeinflussen? Eine Herangehensweise hinsichtlich
vor. Dies geschieht indem ein Zusammenhang zwi-
der Erwartungshaltungen zwischen Unternehmen
schen Unternehmen und dem Problem hergestellt
und Gesellschaft liefert Juliana Raupp. Sie stellt die
wird, wodurch die Unternehmen als Problemverursa-
These, „neben politischen und ökonomischen Fakto-
cher festgelegt werden (vgl. Raupp, 2011, S. 101-
ren vermögen auch öffentliche, insbesondere mas-
108). Gerade die medienwirksame Inszenierung der
senmedial vermittelte Diskurse die Übernahme ge-
Themen von schwächer etablierten Akteuren ist
sellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen zu
symbolisch für unsere aktuelle Gesellschaft. Soziale
erklären“ (Raupp, 2011, S. 98), auf. Weiter identifi-
Bewegungen und die Anliegen von Protestgruppen
ziert Raupp Öffentlichkeit als Netzwerk von Dis-
finden heute deutlich einfacher eine medienwirksa-
kursverläufen, so ließen sich Prozesse der öffentli-
me Inszenierung, durch die von der Digitalisierung
chen Legitimierung von ökonomischen Akteuren
bereitgestellten Kommunikationskanäle. Durch das
bestimmen. Der hier thematisierte Diskurs wird
Verbreiten von Botschaften über Social Media-
jedoch nicht als verständigungsorientierte Kommu-
Kanäle kann schnell eine kritische Masse an Perso-
nikation verstanden, sondern als eine formale gesell-
nen erreicht werden. Diese Masse ist in der Lage aus
schaftliche Auseinandersetzung angesichts potentiell
ihrem Anliegen einen gesellschaftlichen Diskurs zu
konflikthaltiger Themen. Dabei ist laut Raupp zu
generieren und somit Druck auf die Unternehmen
beachten, die Austragung von Diskursen spielt sich
auszuüben. Diesbezüglich ist zu beachten, konflikt-
heute primär in und über Massenmedien vermittelt
haltige Themen vereinfachen den Zugang in die
ab, was wiederrum bedeutet, gesellschaftliche Dis-
mediale Öffentlichkeit. Zusätzlich gilt, dass Unter-
kurse werden durch die Strukturen und Prozesse der
nehmen nicht nur einseitig durch die Organisation-
massenmedialen Kommunikation geprägt. Demnach
sumwelt bestimmt werden, sondern Organisationen
sind öffentliche Diskurse strukturell durch die Rollen
als Teil der Gesellschaft diese Muster ebenfalls re-
und die Handlungslogiken von Öffentlichkeitsakteu-
produzieren und somit in der Lage sind die Diskurs-
ren zu veranschaulichen. Gesellschaftlicher Akteure
verläufe zu beeinflussen. Unter dieser Prämisse und
verfolgen dabei, in der Rolle von Sprechern, das
aus einer managementorientierten Perspektive kann
Ziel, den öffentlichen Diskurs für sich selbst positiv
dabei die Fokussierung der Unternehmen auf ihr
zu beeinflussen. Wobei dies in erster Linie durch das
kommunikatives Umfeld bestimmt werden, wodurch
Sichtbarmachen ihrer selbst, ihrer Position in der
Unternehmen durch dialogische Kommunikation mit
Öffentlichkeit und in den Massenmedien geschieht.
relevanten Gruppen versuchen Legitimität zu gene-
Als etablierte Sprecher können politische Organisa-
rieren (vgl. Raupp, 2011, S. 101-108).
tionen, wie Regierung, Parteien oder Behörden und
darüber hinaus politisches Führungspersonal genannt Legitimationsfassaden und Täuschung
werden. Außerdem sind Unternehmen und Wirt-
schaftsverbände, die über Routine im Zugang zu Doch als Gegenmaßnahme für die Festlegung der
Mediensystemen besitzen, ebenfalls anzumerken. Unternehmen als Problemverursacher wird leider nur
Abweichend zu den etablierten Sprechern, können selten eine aktive Fehlerkultur angewandt, denn
schwächer etablierte Sprecher, wie soziale Bewe- anstatt die kritisierten Praktiken einzustellen, ziehen
gungen oder Protestgruppen als Öffentlichkeitsakteu- sich die Unternehmen oftmals aus der Verantwor-
re nur dann Aufmerksamkeit generieren, indem eine tung. Dies geschieht beispielsweise indem die Mora-
medienwirksame Inszenierung ihrer Themen statt- lisierung des Diskurses skandalisierbare Markthand-
findet und diese somit in den öffentlichen Diskurs lungen aufgreift, einzelne Manager des unmorali-
eingespeist werden. Vor allem soziale Bewegungen schen Handelns anklagt und diese dafür sanktioniert
oder Protestgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass (vgl. Heinrich/Lobigs, 2004, S. 211-230). Ein Vor-
sie vor dem Hintergrund moralischen Richtigkeit, gehen, welches durchaus auch in jüngster Zeit von

76 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Unternehmen angewendet wurde, betrachtet man die onssoziologie zurückgegriffen. Dabei konnten durch
Ereignisse des Diesel-Skandal im Umfeld des VW- die Ausführungen Niklas Luhmanns, die Wichtigkeit
Konzerns, bei denen wie hier beschrieben einzelne der Organisations-Umwelt für die Unternehmen
hochrangige Manager als Verantwortliche kommu- herausgestellt werden. Denn erst durch die Betrach-
nikativ in den Mittelpunkt gestellt wurden. Passend tung der Umwelt sind die Organisationen, bezie-
zu diesem Phänomen beschreibt Günther Ortmann hungsweise Unternehmen, in der Lage äußere Sach-
ein Maß an Heuchelei welches mit Öffentlichkeits- verhalte aufzufangen. Dies ermöglicht den Organisa-
darstellungen und Legitimitätsbestrebungen einher- tionen Strömungen oder Veränderungen in ihren
geht. Er verweist auf den Sachverhalt, dass die Au- Aufmerksamkeitsradius aufzunehmen, die ihnen
tomobilindustrie, trotz Skandale, in der Lage ist sonst verborgen bleiben würden. Diese Eigenschaf-
ungestört ihr Tagesgeschäft weiter zu verfolgen, so ten schreibt Luhmann sich selbst erzeugenden, den
lange sie durch ihre Kommunikation genügend Auf- sogenannten autopoietischen, Systemen zu. Diese
merksamkeit auf nachhaltige Konzepte, wie Kataly- zeichnen sich außerdem durch die retrospektive
satoren, Recycling oder Hybrid-Motoren lenkt. Betrachtung ihres eigenen Handelns aus, wodurch
Demnach betont Ortmann, dass Legitimationsfassa- sie ihre Handlungen lediglich rückblickend bewerten
den und Heuchelei oftmals als Ersatz für Verant- können. Übertragen auf Unternehmen konnte die
wortlichkeit genutzt werden, wobei dies durchaus Schlussfolgerung getätigt werden, dass durch ihre
ohne eine willentliche Absicht der Täuschung statt- autopoietischen Eigenschaften eine angemessene
finden kann. Dies resultiert aus der räumlichen oder Reaktion auf sich verändernde Rahmenbedingungen
prozessualen Trennung, der Organisations- ihrer Umwelt, beziehungsweise des Marktes, er-
Abteilungen, die für die unterschiedlichen Aufgaben schwert wird.
wie Entscheidungen, Kommunikation oder Ähnli- Weitere gewichtige Erkenntnisse konnten aus der
ches verantwortlich sind, woraus sich die Schwierig- Theoriegrundlage des Neoinstitutionalismus gezogen
keit einer moralischen Zurechnungsfähigkeit ergibt werden, die einen Paradigmenwechsel hinsichtlich
(vgl. Ortmann, 2015, S. 192 f.). Die hier angespro- des Verständnisses der fundamentalen Bestrebungen
chene prozessuale Trennung unterstreicht erneut die von Organisationen darstellt. Im Rahmen dieses
typischen autopoietischen Charakteristika von Un- Theoriekonstruktes wurde sich hinsichtlich des Ver-
ternehmen, denn wie es scheint sind auch die einzel- ständnisses von Legitimität und Effizienz als de-
nen Subsysteme der Organisation Einschränkungen ckungsgleiche organisatorische Erzeugnisse weites
hinsichtlich ihrer Außensicht und Selbstbetrachtung gehend distanziert. Stattdessen fokussiert der Neoin-
unterworfen. Am Ende bleibt die Frage offen, ob stitutionalismus Legitimität als den existenziellen
Unternehmen Legitimitätsfassaden unwillentlich, Antrieb der Organisationen zu Grunde liegt. Die
durch die ihnen zu Grunde liegenden Strukturen und Unternehmen streben somit danach sich selbst und
Prozesse, anwenden, oder ob doch berechnende ihre Handlungen gegenüber ihrer Umwelt zu legiti-
Heuchelei aus Bequemlichkeit der Grund dafür ist. mieren. Am Beispiel des Harold Examiner konnte
Außer Frage steht jedoch, dass das Streben nach aufgezeigt werden, in welchen möglichen Formen
Legitimität existenziell für die Unternehmen ist. sich diese Eigenschaft in der Praxis manifestieren
Doch in Zeiten von digitaler Kommunikation und kann. An dieser Stelle war es möglich eine maßgeb-
wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen ist es für liche Erkenntnis festzuhalten, denn nicht der wirt-
die Unternehmen, nicht nur schwieriger geworden schaftliche Faktor ist für die Unternehmen rich-
der Vielzahl an Ansprüchen gerecht zu werden, tungsweisend, sondern der Faktor Legitimität über-
sondern auch mögliche Heucheleien zu verschleiern. wiegt. Diese Erkenntnis kann in der wirtschaftlichen
Sphäre, in der sich die Unternehmen befinden durch-
Fazit aus als paradox bezeichnet werden. Nachdem Legi-
Ausgehend von einer theoretischen Perspektive bei timität als ein existenzieller Antrieb von Unterneh-
der Betrachtung von Unternehmen sollten Ursachen men identifiziert werden konnte, war es notwendig
hinsichtlich der Handlungen und Eigenschaften die- die Konstruktion von Legitimität zu fokussieren.
ser in der Praxis aufgezeigt werden. Um dies vorzu- Legitimität zeigte sich als Zuschreibungsprozess, der
nehmen wurde auf die Erkenntnisse der Organisati- aus der Umwelt der Organisationen heraus stattfin-
det. Das Generieren von Legitimität seitens der Un-

journal-kk.de 77
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

ternehmen stellt somit ganz deutlich einen wechsel- hinsichtlich des organisatorischen Kerns von Unter-
seitigen Prozess zwischen dem Unternehmen und nehmen unverändert aktuell. Demnach soll abschlie-
seiner Umwelt, also seinen Anspruchsgruppen, dar. ßend darum angehalten werden von Zeit zu Zeit die
Folglich konstruiert sich Legitimität aus den allge- komplexen Wechselwirkungen von Unternehmen
mein gültigen Werten der Gesellschaft, wodurch die und ihrer Umwelt losgelöst in einem theoretischen
Unternehmen angehalten sind eine Übereinstimmung Kontext zu betrachten. Solch ein Vorgehen könnte
ihrer unternehmenseigenen Werten mit denen der durchaus in der Lage sein Lösungs- beziehungsweise
Gesellschaft zu erreichen. Optimierungsansätze für das Generieren von Legiti-
Doch neben den Unternehmen versuchen auch an- mität, vor dem Hintergrund wachsender gesellschaft-
dere Öffentlichkeitsakteure den gesellschaftlichen licher Ansprüche, hervorzubringen.
Diskurs in ihre Richtung positiv zu beeinflussen.
Dies ist am effizientesten mit Hilfe massenmedial
gesteuerter Diskurse möglich. Somit haben zu meist Literaturverzeichnis
die Akteure die besten Chancen den Diskurs positiv Abraham, M./Büschges, G. [2004]: Einführung in die
Organisationssoziologie, 3. Auflage, Wiesbaden 2004.
für sich zu beeinflussen, die einen routinierten Zu-
Brunsson, N./Olsen, J. P. [1993]: The Reforming Organi-
gang zu Massenmedien haben. Allerdings konnte
zation, London 1993.
außerdem herausgestellt werden, dass auch schwä- Elsbach, K. D. [2003]: Organizational perception man-
chere Akteure, vor allem in der heutigen digitalisier- agement, in: Research in Organizational Behavior, 1.
ten Zeit, durchaus die Möglichkeit besitzen ihre JG., Nr. 25, S. 297-332.
Themen so zu inszenieren, dass diese in der Lage Hasse, R./Krücken, G. [1999]: Neo-Institutionalismus.
Bielefeld 1999.
sind Druck auf die Unternehmen auszuüben. Dies
Heinrich, J./Lobigs, F. [2004]: Moralin fürs Volk. Gründe
geschieht indem eine aktivistische Teilöffentlichkeit und Auswirkungen der Moralisierung in der Politk- und
gesellschaftliche Probleme identifiziert und die Un- Wirtschaftsberichterstattung aus einer modernen öko-
nomischen Perspektive, in: Imhof, K./Blum,
ternehmen als Problemverursacher in die Verantwor-
R./Bonfadelli, H./Jarren, O. (Hrsg.): Mediengesellschaft:
tung zieht. Doch auch die Unternehmen sind in der Strukturen, Merkmale, Entwicklungsdynamiken, Wies-
Lage den gesellschaftlichen Diskurs in eine für sie baden 2004, S.211-230.
positive Richtung zu lenken, dafür stehen ihnen die Kirchner, S. [2012]: Wer sind wir als Organisation? Orga-
nisationsidentität zwischen Neo-Institutionalismus und
gleichen Mittel zur Verfügung, auf die auch alle Pfadabhängigkeit, Hamburg 2012.
anderen Öffentlichkeitsakteure zugreifen können. Luhmann, N. [2000]: Organisation und Entscheidung,
Für die Unternehmen resultiert im Rahmen des Legi- Wiesbaden 2000.
timitätszuschreibungsprozesses vor allem die Er- Meyer, J. W./Rowan, B. [1977]: Institutionalized Organi-
kenntnis über die Wichtigkeit der Ansprache aller für zations: Formal Structure as Myth and Ceremony, in:
Powell, W. W./DiMaggio, P. J. (Hrsg.): The New Insti-
sie relevanter Gruppen. In der Praxis wählen die tutionalism in Organizational Analysis, Chicago 1991,
Unternehmen jedoch oftmals andere Strategien um S. 41-62.
ihrem Streben nach Legitimität gerecht zu werden. Meyer, M. W./Zucker, L. G. [1989): Permanently Failing
Organizations. Newbury Park, 1989.
Entweder ziehen die Unternehmen sich aus der Ver-
Ortmann, G. [2015]: Organisation und Moral. Die dunkle
antwortung und statuieren ein Exempel an einzelnen Seite, 2. Aufl., Weilerswist 2015.
Mitarbeitern um die Schuld von sich zu weisen, oder Raupp, J. [2011]: Die Legitimation von Unternehmen in
greifen zu einer Legitimationsfassaden. Bei diesen öffentlichen Diskursen, in: Raupp, J./Jarolimek,
wird der Gesellschaft, zumeist massenmedial, die S./Schultz, F. (Hrsg.): Handbuch CSR. Kommunikati-
onswissenschaftliche Grundlagen, disziplinäre Zugänge
Übereinstimmung mit den geforderten Werten nur und methodische Herausforderungen Mit Glossar,
vorgetäuscht, in Wahrheit aber keine wirkliche Än- Wiesbaden 2011.
derung der kritisierten unternehmenseigenen Werte Rommerskirchen, J. [2017]: Soziologie & Kommunikati-
on. Theorien und Paradigmen von der Antike bis zur
vorgenommen.
Gegenwart, 2. Auflage, Wiesbaden 2017.
In einer sich schnell verändernden Welt, die ge- Senge, K. [2011]: Das Neue am Neo-Institutionalismus.
prägt ist von neuen Kommunikationsmöglichkeiten Der Neo-Institutionalismus im Kontext der Organisati-
und wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen, onswissenschaft, Wiesbaden 2011.
sehen sich die Unternehmen mit immer neuen Her-
ausforderungen konfrontiert. Doch trotz der schnell-
lebigen Zeit sind die elementaren Theoriegrundlagen

78 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Janik Keßel:
Geschichtenerzähler mit Attitüde – Marken beziehen Haltung

Menschen lieben Geschichten. Jede Fachliteratur im Storytelling predigt diesen Satz und unterstreicht die
heutige Allgegenwärtigkeit von Geschichten. Doch wer erzählt diese Geschichten überhaupt? Wer darf
Geschichten erzählen und mit welchem Ziel sind diese verbunden? Ein Phänomen, welches aktuell in der
Unternehmenskommunikation beleuchtet wird, ist das vermehrte Aufkommen des Storytellings zur Führung der
Marke. Das Erzählen hat eine besondere Wirkung auf den Rezipienten, da nicht nur eine Werbebotschaft
übertragen wird, sondern Emotionen vermittelt werden. Diese Vermittlung erfolgt auf ganz spezielle Weise.
Marken dienen zur Differenzierung in der Gesellschaft und sind ebenso weit verbreitet wie das Storytelling.
Aufgrund aufkommender Vielfalt und steigender Konkurrenz brauchen Marken ein einzigartiges Image, um
erfolgreich zu sein. Das Verfolgen ökonomischer Ziele steht für Unternehmen, welche die Marken steuern, als
eine der obersten Prioritäten vor, jedoch benötigen sie zum Handeln in der Gesellschaft Legitimität, welche
durch die Akteure der Gesellschaft kontrolliert wird. Der Effekt des Storytellings soll zu dieser Legitimität
helfen. Die Besonderheit in der heutigen Zeit, ist die Botschaft, welche mit der Geschichte vermittelt wird.
Können Marken durch die Übernahme politischer und gesellschaftlicher Haltung sich die Legitimität erarbeiten
und hat die vermittelte Botschaft einen Effekt auf das Image? Tatsächlich zeigen aktuell Marken die Initiative
durch kommunizierte Geschichten, um Probleme in der Gesellschaft anzusprechen. Anhand der Erläuterungen
von Markentheorien, der Wunderwaffe Storytelling, soziologischer Gesellschaftstheorien, der Politisierung der
Marke und inhaltlich analysierten Fallbeispielen sorgt die Kombination der theoretischen und praktischen
Befunde für ein aufkommendes Phänomen. Der Versuch aus pragmatischer und systemtheoretischer Sicht eine
Antwort zu finden, die in der Praxis relevant ist und das aktuelle Zeitgeschehen erklärt, ist in dem folgenden
Artikel aufgegriffen worden. Befeuert durch zurückliegende Cases in den Vereinigten Staaten, beispielsweise
Nike und Kaepernick, welcher zum Epos führte, wird vor allem das aufkommende Interesse in Deutschland und
die Frage nach Marken als Geschichtenerzähler mit Attitüde, geweckt.

„Believe in something, even if it means sacrificing möglich weiterhin ökonomisch zu handeln, ohne
everything“ (Kaepernick, 2018). Medial eine der boykottiert oder gehindert zu werden (vgl. Zerfaß,
wichtigsten Phrasen des letzten Jahres. Die damit 2014, S.25). Durch die Legitimität soll sichergestellt
verbundene Aufmerksamkeit ist ein Grund für den werden, dass die Handlungen eines Unternehmens in
Bezug zur Haltung aus der Perspektive von Marken. der Gesellschaft zu dem Wohl der Gesellschaft bei-
Doch neben der Aufmerksamkeit wollen Marken vor tragen. Der Begriff der Legitimität ist einer der
allem durch Geschichten mit Haltung einen positiven Gründe, wieso Marken auf einmal Haltung beziehen.
Effekt erreichen, welcher ausschlaggebend für deren Marken existieren aufgrund des Aufbaus sozialer
Image und die damit verbundene Erinnerungsleis- Potenziale zur Sicherung der Legitimität. Durch die
tung ist. Wie bereits dargestellt, zeigen immer mehr Positionierung dieser, sollen Werte geschaffen wer-
Marken eine solche Kommunikation. Verbunden ist den, sowohl immateriell als auch materiell (vgl.
dies mit dem Problem der Legitimität. Die Gesell- Zerfaß, 2014, S.26f.). Dass die Legitimität in der
schaft hat stets einen Einfluss auf das Handeln von Unternehmenskommunikation eine wichtige Rolle
Marken und Unternehmen, welche die Marken steu- spielt, ist jedoch bereits seit einigen Jahren bekannt.
ern. Die Gesellschaft verteilt die Legitimität an die Wieso ist das Phänomen der haltungsbezogenen
Unternehmen, wenn diese einen Beitrag für die Ge- Markenkommunikation dennoch so aktuell wie nie
sellschaft leisten. Erst durch diese Legitimität ist es zuvor? Bereits Beispiele aus der jüngsten Vergan-

journal-kk.de 79
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

genheit zeigen sowohl in den Vereinigten Staaten als gen Zeit (vgl. Labarthe, 2011, S.210). Es wird im
auch in Deutschland den aufkommenden Wandel in Laufe der Historie deutlich, dass gerade das Phäno-
der Kommunikation (vgl. Kemming/Mattias, 2019). men der Markenkommunikation mehrere Perspekti-
„Immer mehr Unternehmen propagieren moralische ven hat, die Betrachtung von Marken heute jedoch in
Positionen und positionieren sich damit in gesell- einem neuen Zeitalter steht, anstatt in welchem es
schaftlichen und politischen Diskussionen über sozi- begonnen hat. Die Markenführung betrachtet die
ale Normen und Werte“ (Rommerskirchen, 2018b, Definition der Marke aus verschiedenen Perspekti-
S.14). Dass das untersuchte Thema also an Relevanz ven, so wie sie beispielsweise Baumgarth zusam-
gewonnen hat, wird sowohl durch praktische Bei- menfasst (vgl. Baumgarth, 2014). Aus rechtlicher,
spiele, welche in der Vielzahl beleuchtet werden, als objektbezogener, anbieterorientierter, nachfrageori-
auch theoretische Erkenntnisse des aktuellen For- entierter und integrierter Sicht lässt sich eine Marke
schungsstandes deutlich. Bisherige theoretische und definieren. Jedoch gilt aus heutiger Sicht ein kombi-
empirische Befunde zeigen, dass eine Haltung von nierter Ansatz der Definition als Verständnis von
Marken in der Kommunikation erwünscht ist, wenn Marken (vgl. Baumgarth, 2014, S.5). Dass sich Mar-
es um gesellschaftliche Themen geht, aber dass die ken aufgrund des Zeitgeschehens und der Entwick-
Marke bzw. das Unternehmen einen Bezug zu dem lung immer weiter verändern müssen, ist der Tatsa-
angesprochenen Thema aufbauen muss, damit es che geschuldet, dass sowohl die Rahmenbedingun-
legitimiert wird (vgl. Lambertin, 2019). Doch wie gen als auch die aufkommende Relevanz von Mar-
transportieren Marken diese Haltung, welche auf- ken dynamisch betrachtet werden und sich stets
grund des Wunsches der Gesellschaft erfolgt? Ge- verändern. Das sind Zusammenhänge, die vor allem
schichten sollen hier zeigen, dass sie der Transpor- durch die Gesellschaft, in der die Marke agiert, aber
teur der Kommunikation sind, weshalb die For- auch durch die Umwelt verändert werden.
schungsfrage die Wirkung von Geschichten im Zu- Da sich diese Umstände stets verändern, bedarf es
sammenhang mit dem Markenimage betrachtet. eines Paradigmenwechsels in der Markenführung.
Genauer: Sorgt das Storytelling für eine Steigerung Der Paradigmenwechsel beschreibt die Veränderung
der Erinnerungsleistung von Markenimage und in- der Betrachtung von Marken, um diese nach dem
wiefern ist die Ausrichtung der Botschaft/des Plots Wertebild des Unternehmens bzw. der Gesellschaft
relevant für die Sicherung der Legitimität von Un- zu leiten und zu kommunizieren. Die Marke dient als
ternehmen? Durch den Fachartikel soll die For- Gegenstand der Markenführung, welche notwendig
schungsfrage annährend beantwortet werden und es ist, um sich gegen die Vielzahl von aufkommenden
soll gezeigt werden, inwiefern das Storytelling als Marken zu positionieren (vgl. Esch, 2018, S.25).
Transporteur der Kommunikation gilt. Storytelling Von der identitätsbasierten Markenführung (vgl.
als Instrument der Markenführung überträgt Bot- Burmann et al., 2015) über das Cultural Branding
schaften, welche eine Haltung haben, die Marken (vgl. Holt, 2004) bis hin zur Politisierung der Marke
immer mehr für sich beanspruchen. Die Untersu- (vgl. Kemming & Rommerskirchen, 2019, S.1 ff.)
chung zielt vor allem auf die Authentizität in der zeigt sich, dass Marken stets neue Rollen durch ihre
Vermittlung, denn dieser ist eine besondere Rolle Kommunikation einnehmen und durch die Führung
zugewiesen (vgl. Hilzensauer, 2014, S.87 f. & vgl. auf die Umstände der Gesellschaft reagieren müssen.
Huth/Croy, 2019, S.155 f.). Der strategische Fit Die identitätsbasierte Markenführung entsteht aus
zwischen Markenimage und authentischer Vermitt- der Kombination der Betrachtungen der Outside-In
lung der Geschichte birgt erst den wahren Effekt der und der Inside-out Perspektive, welche die Markt-
Glaubwürdigkeit (vgl. Neumann, 2009, S.168) und und Kompetenzperspektive widerspiegeln (vgl.
die damit zusammenhängende Sicherung der Legiti- Burmann et al., 2015). Durch die Betrachtung von
mität (vgl. Zerfaß, 2014, S.27). Innen- und Außensicht können sich Marken gegen-
über anderen Marken differenzieren. In diesen bei-
Der Paradigmenwechsel der Markenfüh- den Ansichten stehen sich die Resultate der Werte
rung und Wirkungen gegenüber. Während die Ausdrücke
Das Storytelling ist ein Instrument der Markenfüh- der Merkmale des Unternehmens aus der inneren
rung und erhält immer mehr Relevanz in der heuti- Sicht in der Markenidentität resultiert, steht demge-
genüber das Markenimage. Während die Mar-

80 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

kenidentität den Ausdruck beschreibt, ist das Mar- der Öffentlichkeit“ (Kloss, 2012, S.167f.). Der Para-
kenimage ein Resultat der subjektiven Dekodierung digmenwechsel ist durch die Bürgerpflicht der Mar-
der kommunizierten Signale durch die externen ken herbeigeführt, denn die Gesellschafft boykottiert
Akteure. Weshalb nicht nur die eigen kommunizierte Neutralität der Marken. Dieses Aufkommen der
Markenidentität zur Markenführung genügt, so wie Erfordernisse durch Marken entsteht durch die Her-
es in der Historie der Fall gewesen ist, ist dadurch ausforderungen, welche der Gesellschaft begegnen.
bedingt, dass in der Gesellschaft Marken benötigt Diese Herausforderungen spiegeln sich beispielswei-
werden, welche Vertrauen und Authentizität aus- se in extremistischen Vorfällen oder globalen Kata-
strahlen, weshalb auch das Image als entscheidender strophen wieder, die eine Steigerung der Nachfrage
Faktor gilt (vgl. Burmann et al., 2015, S.76). Die nach Haltung und Politisierung von Marken durch
identitätsbasierte Markenführung prägt eine Ära, in die Gesellschaft hervorruft (vgl. Kemming & Rom-
der Marken anhand eines Handbuches lernen eine merskirchen, 2019). Dass diese Nachfrage steigt,
Marke zu strukturieren und beispielsweise eine Ar- hängt vor allem mit der medialen Aufmerksamkeit
chitektur aufzubauen. Dem Gegenüber gilt Holt’s von Marken und der damit einhergehenden Kommu-
Theorie des Cultural Branding als der erste Schritt in nikationsmacht zusammen. Die Kommunikations-
Richtung eines Paradigmenwechsels in der Führung macht ist ein komplexes Thema und beschreibt die
von Marken. Gegenüber der identitätsbasierten Mar- Möglichkeiten, welche Nachfrager und Unternehmen
kenführung beschreibt das Phänomen des Cultural bzgl. des gegenseitigen Einflusses durch Bedeutun-
Branding, dass Marken neben der Identifikation und gen und Deutungen besitzen (vgl. Reichertz, 2009 &
Differenzierung auch weitere Bedeutungen erlangen Rommerskirchen, 2018a). Die Politisierung des
können. Diese Bedeutungen entspringen in der Er- Markenkonzepts beschreibt vor allem das Phänomen
schaffung von Symbolen einer Kultur, was im Laufe der Politisierung kommerzieller Marken. Bekannt als
der Historie immer mehr Marken anstreben, denn Deepening, gilt die Vertiefung von Marken durch die
durch eine symbolische Aufladung eines Produktes Markenführung seit einiger Zeit als Einbeziehung
oder einer Marke verankert sich die Bedeutung in gesellschaftlicher Aspekte (vgl. Kemming, 2019,
einer Generation oder einer Kultur der Gesellschaft. S.3). In der heutigen Zeit rückt die intensive Aus-
Die Bildung von kulturellen Identitäten soll das tauschbeziehung zwischen der Bedeutung der Marke
Leben der Gesellschaft verbessern und einen Mehr- und der kulturellen Strukturen und Prozesse der
wert schaffen. Schließlich zeigt das, dass eine Trans- Gesellschaft in das Zentrum der Politisierung der
formation des Marketings und somit der Markenfüh- Markenführung (vgl. Thompson, 2004, S.98). Die
rung stattfindet. Anstatt Aufmerksamkeit zur Identi- Markenführung profitiert hierbei von den kollektiv
fikation zu erzeugen, erzeugen symbolische Marken interpretierbaren Symbolen der Bedeutung, welche
einen Nutzen zur Identifikation, wodurch die Auf- kommuniziert werden (vgl. Holt et al., 2004, S.72).
merksamkeit im Kontext der Kultur generiert werden Es wird also deutlich, dass die Politisierung der
soll (vgl. Holt, 2004). Das Cultural Branding dient Markenführung von der Gesellschaft gefordert ist
als Brücke zwischen der in der Literatur bekannten und die Marken diese Forderung als Impuls empfin-
identitätsbasierten Markenführung und dem auf- den, wodurch auch die Relevanz bestätigt wird.
kommenden Phänomen der Politisierung der Marke. „Insgesamt deuten die zunehmenden Debatten und
„Das unternehmerische Bestehen am Markt (...) ist die Inhalte akademischer Studien an, dass sich eine
nicht primär von ökonomischer Effizienz abhängig politische Positionierung oder Artikulation eines (...)
und bedarf auch keiner moralischen Überzeugung. politischen Markenangebots (...) als opportune Opti-
Vielmehr ist die gesellschaftliche Legitimation un- on für Unternehmen erweist“ (Kemming, 2019,
ternehmerischen Handelns (...) von zunehmender S.15). Die genauen Zusammenhänge zum Storytel-
Bedeutung“ (Primosch, 2019, o.S.). ling als Instrument der Markenführung und soziolo-
Die Politisierung der Marke geht auf diesen As- gische Hintergründe des Paradigmenwechsels wer-
pekt ein und positioniert die Marke durch Ansprache den in folgenden Kapiteln deutlich.
von gesellschaftlichen und politischen Themen in der
Gesellschaft, um Legitimation zu erlangen. „Da
jedes Unternehmen in der Öffentlichkeit ‚lebt’, hat es
auch ein natürliches Interesse an einem Dialog mit

journal-kk.de 81
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Menschen lieben Geschichten – Marken deutlicher wird. Dadurch ist das Instrument heutzu-
auch! tage für viele Unternehmen essenziell, um nachhaltig
zu handeln, und sich auch so zu präsentieren (vgl.
Gründe für die Popularität von Geschichten liegen
Fordon, 2018, S.44f.). In Zusammenhang mit der
sowohl in der Art und Weise der Kommunikation,
Forschungsfrage wird ein starker Einfluss des Sto-
dem Effekt der Übertragung und der Vielfalt der
rytellings untersucht, welcher durch schnellere Ver-
Erzählungen. Die Kombination von Erzählen und
arbeitung und Narration begründet ist. Schnellerer
Zuhören vollendet den Prozess der Geschichte (vgl.
Aufnahmefluss und längere Erinnerungsleistung sind
Frenzel et al., 2006). Marken und Unternehmen
mit der Einstellungsänderung der Rezipienten der
nutzen Storytelling und Geschichten, um nach dem
Gesellschaft verbunden (vgl. Mühlmann et al., 2014,
Paradigma der politisierten Marke Haltung zu über-
S.27).
tragen und zu kommunizieren. „Geschichten sind der
Die Kernelemente des Storytellings sorgen für die
Ursprung von allem“ (Fordon, 2018, S.19), und
veränderte und verbesserte Aufnahme gegenüber
sorgen dafür, dass Marken sich mit ihrer Werbung
anderen Werbeinstrumenten. Vier Kernelemente
hinter der Geschichte verstecken können (vgl. Fren-
treten bei der Erstellung von Geschichten in den
zel et al., 2006). Geschichten dienen zur Übertra-
Vordergrund. Sinnlichkeit, Authentizität, Archetypus
gung von Emotionen aufgrund der Verbreitung von
und Relevanz sorgen für den heutigen Erfolg von
Bedeutung und Sinn, was im heutigen Paradigmen-
Geschichten. Weitere Elemente wie die Kultur, der
wechsel und der Übernahme der Verantwortung
Plot, die Botschaft und auch die Umsetzung der
essenziell ist, denn das Storytelling dient als Über-
Visualisierung sorgen für die Vollendung der Opera-
tragung und Kommunikator zwischen Unternehmen
tionalisierung einer Geschichte (vgl. Fordon, 2018,
und Gesellschaft. Durch die Eigenschaften von Ge-
S.48). Da die soziologischen Zusammenhänge der
schichten lässt sich die Gesellschaft mehr auf den
Markentheorien und der Gesellschaftstheorien in der
Inhalt und die Botschaft ein, als wenn Unternehmen
Politisierung im Vordergrund stehen, werden die
nicht in Geschichten erzählen. Denn durch die Über-
Kernelemente des Storytellings nur kurz beleuchtet
nahme von Verantwortung, Nachhaltigkeit und sozi-
und in der Wirkung niedergelegt. Die Sinnlichkeit
alem Denken, ist es mit Geschichten möglich die
beschreibt die sensorische Ansprache und wird somit
bereits beschriebene Haltung im Marketing zu bezie-
auch als Motor der Assoziationen benannt, da durch
hen. Deshalb lieben Marken Geschichten, da es ein
detailverliebte Ausarbeitung die Sinne sensorisch
Instrument der Markenführung zur Übertragung von
angesprochen werden, welche für Streuungseffekt
Botschaften ist (vgl. Fordon, 2018). Fordon be-
sorgen. Im Vordergrund steht die Visualisierung und
schreibt die aktuelle Relevanz von Geschichten wie
das Bewegt Bild, welches sich durch Merkmale der
folgt: „Geschichten sind wir. Wir sind Geschichten.
Darstellung differenziert (vgl. Fordon, 2018). Durch
Storys sind viel mehr (...). Sie sind mehr als ein
die sensorische Ansprache und stetige Konfrontation
Tool, das in unserem Gehirn wirkt und sich deswe-
sollen Geschichten auch in den Alltag integriert
gen idealerweise für die manipulative Natur des
werden und Assoziationen hervorrufen, welche die
Marketings anbietet. Geschichten sind nicht nur
Identität der Gesellschaft widerspiegeln (vgl. Lobin-
Zeitvertreib und Amüsement, kein Mittel zum
ger, 2012, S.22). Neben der angesprochenen Sinn-
Zweck, mehr als der letzte Schrei im Buzzword-
lichkeit ist die Authentizität ein ausschlaggebender
Bullshit-Content-Marketing-Bingo. Geschichten sind
Faktor von Geschichten. Die Authentizität wird
die Essenz unseres Daseins“ (Fordon, 2018, S.35).
ebenfalls bei der Betrachtung des strategischen Fits
Sie beschreibt somit die Allgegenwärtigkeit von
in den Fallbeispielen untersucht. Im Zusammenhang
Geschichten, sowohl in der Gesellschaft als auch in
mit dem Selbst-sein dient dieses Merkmal zur Gene-
Unternehmen und deren Kommunikation, da Sto-
rierung von Glaubwürdigkeit. Die Authentizität ist
rytelling sich auf den Fortschritt der Kommunikation
ein Werkzeug für das Erzählen von Geschichten,
anhand von Offerten und Dialogen fokussiert (vgl.
denn „Geschichten sind es, die Wissen und Sinn
Fordon, 2018 & vgl. Frenzel et al., 2006). Geschich-
vermitteln (Fordon, 2018, S.65). Wer authentisch
ten stehen zwischen Unterhaltung und Haltung, zwi-
eine Geschichte erzählt, dem wird es auch gelingen
schen Erfinden und ehrlichem Erzählen, wobei die
mit dieser Authentizität Geschichten, Emotionen in
Verantwortung für einen Strukturwandel immer
jeglicher Facette zu übertragen (vgl. Fordon, 2018).

82 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Als weiterer Bestandteil vermitteln Charaktere Sym- zusammen und repräsentiert das Unternehmen im
bole, welche interpretiert werden und zur Identifika- kognitiven System des Akteurs. Definierend lässt
tion dienen. Zuletzt steht über diesen Merkmalen der sich sagen, dass Image als Teilursache des Verhal-
Sinn von Geschichten, denn erst durch die Relevanz tens und als konsistente Einstellung gegenüber einem
von Geschichten entsteht ein Mehrwert in der Ge- Objekt, welche auf der Erfahrung basiert, gilt (vgl.
sellschaft, welcher mediale Auswirkungen als Resul- Rosentiel/Neumann, 2005, S.202ff.). Image ist ein
tat hervorruft. Geschichten haben einen Sinn. Die komplexes und dynamisches Vorstellungsbild, wel-
Frage, welchen Sinn die Geschichte hat, ist jedoch ches die Basis für das Verhalten eines Individuums
von der Relevanz abhängig (vgl. Fordon, 2018, darstellt, an denen es Entscheidungen und Handlun-
S.85). Weshalb Menschen also Geschichten lieben, gen ausrichtet (vgl. Schmid/Lyczek, 2008, S.81).
liegt in der Frage der Ausgestaltung der Geschichte, Stets im Zusammenhang mit der Sozialisation und
aber vor allem auch in der Relevanz, der Authentizi- anderen Akteuren ist das Image ein so zentraler
tät und der daraus resultierenden Salienz für die Punkt, da die Bildung von Images als soziale Kon-
Zielgruppe. Durch erleichterte Aufnahme dient die struktion gilt und eine persönliche, individuelle und
Reduktion von Komplexion zum Schaffen von Spiel- soziale Bedeutung für den Akteur gegenüber der
raum für Interpretation, weshalb Marken Geschich- Marke, Geschichte und dem Unternehmen entsteht.
ten in den richtigen Kontext einbetten müssen (vgl. Die soziale Komponente führt von der Bildung von
Fordon, 2018, S.84 ff.). Die Funktion der Wirkung Images zu der Reputation von Marken und Ge-
wird in folgenden Kapiteln aus neurologischer und schichten. Die Reputation ist die kumulierte Anzahl
theoretischer Sicht betrachtet. der Images der Gesellschaft gegenüber einem Objekt
bzw. Subjekt. Das bedeutet, dass jedes Image Ein-
Geschichten in der Markenführung – fluss auf die Reputation und den sogenannten Ruf
Image und Reputation hat. Wichtig ist hierbei, dass die Reputation selbst
Der Einfluss von Erzählungen ist nicht nur auf das die Bildung der Images beeinflusst, das Akteure sich
Image des Unternehmens und der Marke beschränkt, durch Reputation abgrenzen, differenzieren oder sich
sondern wirkt sich auch auf die Reputation aus. Die zugehörig fühlen. Da der Mensch als Gemeinwesen
theortischen Befunde der Systematik von Image und gilt, wird er durch die Reputation beeinflusst, was
Reputation zeigen, wie die beiden Konstrukte mitei- bedeutet, dass die Reputation als handlungslenkend
nander verstrickt sind. Die beiden Konstrukte sind gilt. Eine positive Reputation ist daher vom Indivi-
stets miteinander verbunden und Geschichten, wel- duum erwünscht, während eine negative Reputation
che die Markenführung als Instrument nutzt, beein- eher abschreckend ist. Das Bild der anderen Akteure
flussen stets das Image und somit auch die Reputati- hat einen Einfluss auf das eigene Vorstellungsbild
on der Marke. Ein Image beschreibt die innere Vor- anhand der Beobachtungen des Einzelnen. Schließ-
stellungswelt eines Akteurs und ist mit Wissen ver- lich bedeutet das, dass die Beziehung der Reputation
knüpft, welches das immaterielle Bild für den Rezi- zum individuellen Image zweifach und reflexiv ist.
pienten schafft (vgl. Schmid/Lyczek, 2008, S.50). Resutlierend daraus zeigt sich, dass bspw. Meinungs-
Aus Produkt- und Unternehmensimage setzt sich das führer eine zentrale Rolle der Reputation sind, da sie
umfassende Image zusammen. Sowohl die Meinung die Beobachtungen durch ihre Meinungsäußerungen
aus Erfahungen als auch die Erwartungen an das beeinflussen (vgl. Schmid/Lyczek, 2018). „Reputati-
Produkt sorgen für den Eindruck. Deshalb ist die on ist die aggregierte Wahrnehmung von Identität,
Wahrnehmung von Image auch stets individuell für und zwar jener Teile der Identität, die vom Wesen
jeden Akteur. Image dient als verfestigte Einstellung geprägt sind. Während das Image auf einem Ein-
gegenüber einer Marke, um ein konsistentes Bild druck basiert, geht es bei der Reputation um ein
aufrecht zu erhalten und so Dissonanzen zu vermei- Urteil“ (Fleischer, 2015, S.232). Image und Reputa-
den. Kommuniziert eine Marke neue Informationen, tion sind also folglich Konstrukte, welche Einfluss
so trifft die Kommunikation auf bereits vorhandene auf das Unternehmen haben, da es Handlungen der
Images. Verfestigte Images sollen die eigene Mei- Akteure bzgl. des Konsums beeinflusst. Geschichten
nung des Akteurs bestätigen. Image fasst alle kom- sollen hier Einfluss auf das Image bzw. die Reputati-
munikativen Eindrücke im Inneren des Konsumenten on nehmen, um die Marke zu positionieren.

journal-kk.de 83
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Das macht Storytelling mit Akteuren vierend wirken, wodurch die Akzeptanz der Bot-
schaft steigt. Zusammenfassend entsteht durch die
Die Wirkung von Geschichten, welche das Image
Geschichten ein vereinfachter Transport der Kom-
durch ihre Botschaften beeinflussen sollen, besteht
munikation im Vordergrund, wodurch die Inhalte
aus diversen Faktoren und ist vergleichbar mit Wir-
gegenüber anderen Werbemaßnahmen besser verar-
kungen der Werbeforschung, da Geschichten als
beitet werden (vgl. Fuchs, 2009). Informationen,
Instrument der Markenführung gelten. „Ohne Auf-
welche durch Geschichten dargestellt werden, wer-
merksamkeit stirbt die Kunst“ (Fordon, 2018, S.40),
den ebenfalls durch Reize verarbeitet, welche Emo-
heißt, dass auch Geschichten eine gewisse Aufmerk-
tionen hervorrufen und Ziele des Unternehmens auf
samkeit benötigen um ihre Wirkung zu entfalten. Der
psyschologischer Ebene erreichen, um bspw. das
Sinn der Wirkung von Storytelling liegt in der Stei-
Image zu beeinflussen. Der Transport von Geschich-
gerung der Erinnerungsleistung. Durch Schaffung
ten ist die Ursache für erleichterte Informationsauf-
von Aufmerksmakeit wird die Botschaft transpor-
nahme, sowohl bei realen, als auch bei fiktiven Ge-
tiert, welche mit Hilfe der Glaubwürdigkeit Authen-
schichten (vgl. Felser, 2015, S.290 ff.).
tizität und subtile Geschichten vermittelt (vgl. Kro-
eber-Riel/Esch, 2015, S.27). Neuronale Funktionen Systemtheoretische und pragmatische
beschreiben, wieso gerade Geschichten funktionie- Betrachtung
ren. „Storytelling geht davon aus, dass Menschen
nicht anders können, als durch Erzählen und Ver- Um zu verstehen, wer im Spiel der Kommunikation
gleichen von Geschichten herauszufinden, wer sie miteinander kommuniziert werden konkludierte
sind und wo ihr Platz auf der Welt ist“ (Fuchs, 2009, Betrachtungen zweier Paradigmen dargestellt, um
S.159). Das bedeutet, dass Akteure sich ahand der die Akteursspezifikation zu erläutern, denn nur ein
erzählten Geschichten in der Gesellschaft orientie- Akteur kann gegenüber anderen Akteuren der Ge-
ren. Das Gehrin gilt als Datenverarbeitungssystem, sellschaft kommunizieren. Wer hierbei Verantwor-
in welchen Synapsen durch Assoziationen verknüpft tung und Haltung vermitteln möchte, muss von der
werden. Diese Verknüpfungen sorgen für eine Art Gesellschaft aus pragmatischer oder systemtheoreti-
Puzzle, welches sich anhand der Assoziationen zu- scher Betrachtung als Akteur angesehen werden.
sammensetzt. Ein Akteur besitzt aufgrund seiner Nach Betrachtung des pragmatischen und sys-
Sozialisation einen gewissen Wissensvorrat, welchen temtheoritschen Theoriepfads nach Brandom bzw.
er mit einer gewissen Kultur teilt. Die Assoziationen Luhmann wird deutlich, dass diese sich voneinadner
basieren auf diesem Wissensvorrat und den Erfar- differenzieren. „Der Pragmatismus (...) tat sich mit
hungen des Individuums. Eine schnelle Verarbeitung der Beschäftigung mit moralphilosophischen The-
von Geschichten ist durch die Transformation der men (...) immer leichter (Rommerskirchen, 2018b,
Geschichten gewährleistet, denn das Gehirn arbeitet S.17). Im Gegensatz dazu, sind die ökonomischen
nach Mustern, welche Informationen ebenfalls als Prozesse von Unternehmen im Pragmatismus nicht
Geschichten abspeichert, wodurch die Verknüpfung so ausgereift, wie bei den Systemtheoretikern (vgl.
einzelner Symbole und Bedeutungen durch Ge- Rommerskirchen, 2018b). Doch weder der Pragma-
schichten schneller ist. Geschichten sind die Verbin- tismus, noch die Systemtheorie, kann Marken als
dung zwischen den Symbolen und Bedeutungen, da Akteure spezifizieren, sodass sie zum Handeln mit
diese einen Kontext bieten, in das die Symbole und Haltung legitimiert werden, denn die Erlaubnis wird
Bedeutungen hineininterpretiert werden können (vgl. zur Übernahme von Verantwortung aufgrund von
Fuchs, 2009). Diese Verarbeitung ist kohärent zu der Autorität benötigt. Lösungen für das Dilemma um
Betrachtung von Kahnemann. Die Aufnahme der die Akteursspezifikation liefern Dahrendorf, Hell-
Geschichte erfolgt über das System 1, während die mann und Reichertz. Dahrendorf sieht die Unter-
Verarbeitung der Botschaft über das System 2 nehmen als Teil der Gesellschaft, da wahre Men-
nochmal rekonsturiert wird (vgl. Kahnemann, 2012). schen dem Unternehmen angehören und somit eine
Die erfahrungsbasierte Verarbeitung von Geschich- Kontingenz zwischen Optionen und Ligaturen be-
ten lässt auf gemeinsame Vorlagen einer Gesell- wahrt werden kann. Auf Basis der pragmatischen
schaft scließen, die bei der Verarbeitung durch die Erkenntnisse der Autonomie und Festlegung nach
Entschlüsselung und emotionale Aufbereitung moti- Brandom (vgl. Brandom, 2015) Diese wahren Men-

84 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

schen treten als Akteure für das Unternehmen an. weitergehende Faktoren beeinflust wird (vgl. Rom-
Menschen in Unternehmen handeln aufgrund ihrer merskirchen, 2017).
Autonomität, also ihrer Möglichkeit zur Selbstver-
pflichtung bei subjektiven Entscheidungen. Das Das was politische und gesellschaftliche
bedeuet, dass Unternehmen bzw. Marken nicht direkt Haltung ausmacht
Akteure sein können, die Erwartungen an die Unter- Was überhaupt Haltung ist, erstreckt sich über ver-
nehmen hinter den Marken aber gestellt wird (vgl. schiedene Perspektiven, welche sowohl politische als
Rommerskirchen, 2018b). Deshalb ist „[d]ie soziale auch gesellschaftliche Betrachtungen berücksichti-
Rolle von Unternehmen (...) darauf beschränkt, zu gen. Unternehmensmarken übernehmen politische
diesen Fragen korporative Haltungen vorzuschla- Rollen und eröffnen dadurch gesellschaftliche Kon-
gen“(Rommerskirchen, 2018b, S.25). Hier ist noch texte aufgrund interner und externer Impulse, welche
anzuführen, dass Dahrendorf die Personalisierung zur Regulation führen und für normative Anschübe
einer Marke als notwendig betrachtet und sie mit sorgen. Dieser Kontext äußert sich in der ökologi-
einem Persona vergleicht, um als Akteur zu wirken. schen und sozialen Verantwortung der Marken (vgl.
Unterstützt wird diese Aussage durch Reichertz‘ Kemming, 2019). Durch die Übernahme von Hal-
Perspektive, der die Legitimierung der Akteursspezi- tung als Marke besteht das Risiko Widersprüche
fikation durch die Schließung einer Lücke in der anzunehmen, welche mit der eigenen Identität aber
Gesellschaft verargumentiert (vgl. Reichertz, 2019, auch mit der des Konsumenten zusammenhängen
S.75 ff.). (vgl. Lambertin, 2019). Der Bedarf nach Haltung
Ein weiterer Ansatz demgegenüber ist der von befürwortet die Positionierung von Marken, denn
Hellmann, welcher besagt, dass Unternehmen ein Unternehmen werden aufgrund von Aufmerksamkeit
Beziehungsverhältnis zu den Akteuren aufbauen, nach der Positionierung, sei es gewollt oder nicht
wodurch eine parasoziale Beziehung entsteht. Diese gewollt, von der Gesellschaft bewertet. Dabei muss
Aussage basiert auf systemtheoretischen Erkenntnis- ein Dialog zwischen den Akteuren stattfinden, um in
sen nach Luhmann (vgl. Luhmann, 1984). Es wird Bezug auf unabdingbare Themen eine Lösung zu
dadurch nicht selbst zum Akteur, aber erhält eine finden. Die Schwierigkeit der Authentzität zeigt,
Legitimierung des Handelns. Diese Betrachtung von dass sich politische und gesellschaftliche Haltung
Marken als Akteure ist auf die Zurechnungsweise aus der Marke selbst generieren muss, um akzeptiert
der Akteure zurückzuführen. Der Rezipient fühlt sich zu werden (vgl. Lambertin, 2019). Die Marke soll
durch die Kommunikation direkt angesprochen und also einen Zweck erhalten und diesen auch kommu-
wenn sich Kollektive angesprochen fühlen, kann die nizieren, damit die Akteure der Gesellschaft anhand
daraus resultierende Aufmerksamkeit als Reputation der zugewiesenen Bedeutungen Identitäten bilden
wirskam werden. Das was von dem Rezipienten als können (vgl. Reichertz, 2019). Das diese Möglich-
real wahrgenommen wird ist in der Folge auch real. keiten bestehen, ist ein Merkmal der politischen und
Durch parasoziales Verhandeln und das Betrachten gesellschaftlichen Haltung, jedoch eröffnet das eine
der Marke als Freund bzw. als Akteur sorgt dies für Zwiespaltung der Betrachtung, denn der Markt, auf
soziale Konsequenzen und spezielle Befriedigung in dem die Marken handeln hat mehrere Ziele, welche
der Betrachtung der Gesellschaft und ihrer Teilnah- nicht notwendig, aber hinreichend mit einander ver-
me als Akteure (vgl. Hellmann, 2019). einbar sind. Auf der einen Seite müssen die Marken
Aus beiden Betrachtungen resultiert, dass Unter- ökonomische Vorteile erwirtschaften, auf der ande-
nehmen in der Kommunikation nur Offerten anbieten ren Seite dient der von moralischen Grundsätzen
können, aus denen Interpretationen durch den Akteur geprägte Markt zu Förderung des Gemeinsinns und
entstehen können, die zu Symbolen und somit Be- dem damit verbundenen Gemeinwohl (vgl. Rom-
deutungen werden. Die Wirkung entsteht somit aus merskirchen, 2019). Damit Marken erfolgreich sind,
den Offerten, welche auf subjektive Basis von Akt- müssen diese Vertrauen erlangen, weshalb politische
euren an Wert gewinnen bzw. nicht gewinnen. Dar- und gesellschaftliche Haltung bezogen wird. Marken
aus resultierend wird deutlich, dass der Rezipient auf rücken in das Zentrum der Betrachtung bei Kommu-
Basis seines Konsums handelt, sondern auf Basis nikation mit Haltung, da diese dem Misstrauen ge-
seiner Interpretation, welche durch Festlegungen und genüberstehen soll. Das ist das, was politische und

journal-kk.de 85
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

gesellschaftliche Haltung ausmacht, weshalb Marken übertrumpft (vgl. Pitzke, 2018 & vgl. Saal, 2019).
die Übertragung zwischen Konstrukteuren und Inter- Dies unterstützt Lambertins Vermutung, dass gesell-
preten darstellen. Eine Kerncharakteristik der Hal- schaftliche Themen in Verbund mit Markenkommu-
tung in der Markenkommunikation ist die Moral, nikation stets für Aufmersamkeit sorgt (vgl. Lamber-
welche von der Gesellschaft durch ihren normativen tin, 2019). Die Methode der Erschließung der Er-
Rahmen vorgegeben ist, denn sie sorgt für die Rele- kenntnisse erfolgte über eine qualitative Inhaltsana-
vanz der Generierung von Bedeutungen (vgl. Rom- lyse. Es wurden anhand von Monitoring und prägen-
merskirchen, 2019). Wie bereits beschrieben, können den Merkmalen die verschiedenen Spots ausgewählt,
die Unternehmen jedoch nur Bedeutungen generie- welche eine Auffälligkeit aufwiesen, die sie mitei-
ren, indem sie der Gesellschaft Offerten anbieten, nander vergleichen lasssen. Anhand eines induktiven
welche interpretierbar sind. Die Interpretationen Codesystems wurden hermeneutische Merkmale
dienen als Festlegungen, welche als tiefe (Einstel- festgestellt, die in den verschiedenen visuellen Dar-
lung) und flache (situativ) Festlegungen differenziert stellungen inhaltlich vorkommen. Die Symbole deu-
werden können. Der positive Beitrag von Marken in ten auf diverse gesellschaftliche Probleme hin. Der
der Debatte um gesellschaftliche und politische Hal- Transport der Botschaft erfolgt über differente Emo-
tung ist folgender. Durch die Übernahme von Pflich- tionen. Es lässt sich feststellen, dass jede Marke
ten gelten Marken als Generatoren von Bedeutungen, versucht einen anderen Weg der Emotionen zu nut-
deren Verantwortung legitimiert werden muss. Das zen, jedoch der Erfolg nur bei einigen möglich war.
Problem der Akteursspezifikation zeigt, dass sie nur Dies hängt vor allem mit dem vorherigen Mar-
als Akteure Verantwortung übernehmen können. Die kenimage und der verwendeten Tonalität zusammen.
flachen Festlegungen der Akteure der Gesellschaft Es wird deutlich, dass die Authentizität im Storytel-
dienen als kontingente Bewertungsoptionen dieser ling als wichtiger Faktor gilt, weshalb die Erkennt-
offerierten Bedeutungen und werden stets mit den nisse aus der qualitativen Inhaltsanalyse deutlich
tiefen Festlegungen abgeglichen. Deshalb beruht der werden. Bei den ausgewählten Beispielen wird durch
Beitrag der Haltung auf der individuellen Konstruk- die qualitative Inhaltsanalyse deutlich, dass in jeder
tion der Gesellschaft (vgl. Rommerskirchen, 2019). Geschichte ähnliche Kategorien und Codes ange-
Die Marken beziehen mit ihren Offerten (Geschich- sprochen werden. Der Transport von Werten wird
ten) eine Position und kommunizieren diese, vor durch die Assoziationen von Inhalten miteinander
allem im sozialen und politischen Kontext (vgl. verbunden. Weshalb beispielsweise Nike mit der
Rommerskirchen, 2018b). Die praktische Ausgestal- Generierung von Bedeutungen erfolgreicher gewesen
tung der Übernahme zeigt sich in den inhaltich un- ist als Gillette, unterstreicht die Aussage von Ka-
tersuchten Fallbeispielen. raklis, denn „(m)it einem Bekenntnis zu Kaepernick
bietet die Marke Nike ihren Kunden damit mehr als
Geschichten aus dem wahren Leben Sportbekleidung. Sie bietet Werte. Nike-Schuhe
Eine empirische Forschung als qualitative Inhaltsan- wurden über Nacht zum Statement“ (Karkalis, 2018).
alyse zeigt Betrachtungen der realen Praxis, in der Das Geschichten, welche gesellschaftpolitische
Marken mit ihren Geschichten Haltungen beziehen. Themen behandeln, funktionieren, wird durch die
Der Vergleich zwischen den inhaltlichen Aussagen Inhaltsanalyse und dem Abgleich mit der Resonanz
im Abgleich mit dem Markenimage untersucht den deutlich, jedoch hängt der endgültige Erfolg, ergo
strategischen Fit der Authentizität und die Reaktion die Beantwortung der Forschungsfrage, ob es die
der Rezipienten im Zusammenhang mit der entse- Erinnerungsleistung bzgl. des Images steigert und
henden Aufmerksamkeit. Die Geschichten der Mar- die Ausrichtung der Botschaft einen Einfluss auf die
ken Nike, Gillette, Momondo und Edeka weisen alle Legitimität hat, von der Authentizität zwischen Mar-
einen inhaltlichen Bezug zu gesellschaftspolitischen kenimage und der Kommunikation ab. Sind Marken
Themen auf, wodurch die Rezipienten aufmerksam authentisch in ihrer haltungsbezogegenen Kommuni-
auf die jeweiligen Spots wurden. Die Aufmersamkeit kation, so steigert sich die Wahrscheinlichkeit der
war so groß, dass es teilweise die meist geklicktesten Legitmierung, sofern die Geschichte als salientes
Spots des Jahres waren und die mediale Aufruhr in Merkmal für die Zielgruppe der Marke gilt. Nike und
den sozialen Medien die anderer Werbemaßnahmen Momondo schaffen es gegenüber Edeka und Gillette
aufgrund ihrer glaubwürdigen Vermittlung der Iden-

86 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

tität und der damit verbunden Werte, Haltung zu neben der hohen Aufmerksamkeit bekommen. Viel-
beziehen. Marken müssen Geschichten sowohl mit leicht war die Aufmerksamkeit gerade wegen dieser
vorgelagerten Images, als auch mit Werten und ver- Kritik so gestiegen. Die Reputation hat für die Marke
triebenen Produkten auf eine symbolische Weise jedoch verherende Folgen, denn von dem handwerk-
kombinieren, damit die Gesellschaft diese und somit lich sehr gut gestalteten Werbespot, haben sich eini-
auch weiterhin die Marke akzeptiert. Doch es stellt ge Personen der Zielgruppe angegriffen gefühlt, weil
sich heraus, dass jede Art von Haltung polarisiert es erstens nicht jegliche Realität einiger Individuuen
und für Aufmerksamkeit sorgt. widerspiegelt und zweitens, weil die Geschichte
nicht jeglichen authentischen Bezug zu der Marke
Ende gut alles gut? aufweist. Natürlich gilt Feminismus nach der #metoo
Eine kritische Reflektion der angewandten Beispiele Bewegung zu den größten gesellschaftlichen The-
macht die Relevanz der dezeit vorhandenen Aufruhr menblöcken, doch die Kernzielgruppe der Marke
deutlich. Es gibt viele Unternehmen und Marken, wurde, auch wenn es in Teilen zutreffend ist, ange-
welche versuchen Geschichten zu erzählen. Auf griffen und dass die Marke zwar eine freie Mei-
handwerklicher Basis schaffen das die meisten Un- nungsäußerung hat, legitimiert sie nicht zu jeglicher
ternehmen dank der Digitalisierung äußerst gut, Stellungnahme bzgl. beliebiger Themen, was in der
jedoch wird die Platzierung der Geschichte zu einem Boykottierung durch die Gesellschaft resultiert.
wichtigen Faktor. Ein Rückblick auf die Beispiele Nach mehrfachen theoretischen Betrachtungen,
und deren Aufmerksamkeit zeigt, dass gerade die wie Marken funktionieren, welchen Wandel sie er-
Geschichten mit gesellschaflticher Haltung Resonanz lebt haben, wie Storytelling funktioniert, ob Marken
erhalten haben. In einigen Fällen positiv und in eini- überhaupt berechtigt sind als Akteur in der Gesell-
gen Fällen negativ. Doch in jedem Falle haben die schaft politisch zu agieren und welche Prämissen
Marken Aufmerksamkeit erhalten, wenn man die hierbei berücksichtigt werden müssen, wird deutlich,
Interaktionen in sozialen Netzwerken und das media- dass es in der Praxis ein spannendes Thema ist, wel-
le Aufsehen betrachtet. Das ist auch nicht verwun- ches auch in den kommenden Jahren an Bedeutung
derlich, denn wenn Marken durch emotionale Aufbe- gewinnen wird, wenn man den globalen Markt der
reitung Themen ansprechen, die in der Gesellschaft Unternehmenskommunikation betrachtet. Die genaue
aufgrund von Problemen stark diskutiert sind, dann Wirkung von Geschichten kann aufgrund noch feh-
unterhalten sich die Akteure dieser Gesellschaft über lender empirischer Erkenntnisse noch nicht bestimmt
das emotional aufgeladene Thema. Der Effekt, wel- werden, doch es gibt einen Effekt, was das weitere
chen sich Marken hiervon versprechen, ist, dass eine Aufkommen von Geschichten erklärt. Studien und
positive Konnotation mit der Wirkung der Geschich- Praxisbesipiele zeigen, dass die Ausrichtung des
te, anhand von ausgehandelten Symbolen, auch die Plots sowohl eine Auswirkung auf das Image, als
Marke zu einem gleichwertigen Symbol dieser Be- auch die Legitimität besitzt, weshalb immer mehr
wegung macht. Der Schlüsselfaktor, welcher durch Marken diesen Schritt wagen, doch Obacht, denn am
die Thesis deutlich geworden ist, ist nicht nur die Ende ist erst alles gut, wenn die Marken ihre Ge-
angesprochene Haltung, welche kommuniziert wird, schichten authentisch präsentieren und diese Haltung
sondern auch ob diese Haltung überhaupt mit der auch wirklich beziehen. So entstehen in der heutigen
Marke übereinstimmt. Das Zauberwort Authentizität Unternehmenskommunikation Geschichtenerzähler
verhilft den Marken bei der Aufmachung ihrer Ge- mit Attitüde.
schichte zu dem wahren Erfolg und einem positiven
Ende. Natürlich ist jede Presse, egal ob positiv oder
Literaturverzeichnis
negativ, eine Presse, doch in einer Gesellschaft, in
der die steigende Identität und das steigende Interes- Baumgarth, C. (2014): Markenpolitik. Markentheorien,
Markenwirkungen, Markenführung, Markencontrolling,
se der Akteure an den gesellschaftlichen Problemen Markenkontexte, 4., überarbeitete und erweiterte Aufla-
entscheidend ist, wird jegliche Aufmerksamkeit der ge, Wiesbaden: Springer Gabler.
Marke verbucht. Das bedeutet, dass auch Fauxpas Brandom, R. (2015): Wiedererinnerter Idealismus. Frank-
gespeichert werden und, siehe Nike, zum Boykott furt am Main: Suhrkamp.
Burmann, C./Halszovich, T. F./Schade, M./Piehler, R.
führen können. Gillette beispielsweise hat viel Kritik
(2015): Identitätsbasierte Markenführung. Grundlagen –

journal-kk.de 87
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Strategie – Umsetzung – Controlling, 2. vollst. überarb. Kemming, J.D./ Rommerskirchen, J. (2019): Marken als
u. erw. Auflage. Wiesbaden: Gabler. politische Akteure. Wiesbaden: Springer Gabler.
Esch F. (2018): Strategie und Technik der Markenführung, Kloss, I. (2012): Werbung. Handbuch für Studium und
9. vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Praxis, 5., vollständig überarbeitete Aufage, München:
München: Vahlen. Vahlen.
Felser , G. (2015): Werbe und Konsumentenpsychologie, Kroeber-Riel, W./Esch F. (2015): Strategie und Technik
4.erw und vollst. überab. Auflage. Berlin: Springer. der Werbung, 8. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer W.
Fleischer, A. (2015): Reputation und Wahrnehmung, Wie GmbH.
Unternehmensreputation entsteht und wie sie sich beein- Labarthe, J. (2011): Storytelling. Warum eine zeitlose
flussen lässt, Wiesbaden: Springer VS. Form der Kommunikation zeitgemäßer denn je ist. In A.
Frenzel, K./Müller, M./Sottong, H. (2006): Storytelling. Baetzgen. Brand Planning, Starke Strategien für Marken
Das Har in-al –Raschid-Prinzip. Die Kraft des Erzählens und Kampagnen (S.210-228), Stuttgart: Schäffer Po-
fürs Unternehmen nutzen, München: Carl Hanser Ver- eschel.
lag. Lambertin, J. (2019): Bestandsaufnahme 3:Empirische
Fordon, A. (2018): Die Storytelling-Methode. Schritt für Erkenntnisse zur Rezeption von Marken als politischen
Schritt zu einer überzeugenden, authentischen und nach- Akteuren in Deutschland. In J. D. Kemming & J. Rom-
haltigen Marketing-Kommunikation, Wiesbaden: Sprin- merskirchen, Marken als politische Akteure (S.49-66).
ger Gabler. Wiesbaden: Springer Gabler.
Fuchs, W.T. (2013): Warum das Gehirn Geschichten liebt. Lobinger, K. (2012): Visuelle Kommunikationsforschung.
Mit den Erkenntnissen der Neurowissenschaften zu ziel- Medienbilder als Herausforderung für die Kommunika-
gruppenorientiertem Marketing, Freiburg: Haufe- tions- und Medienwissenschaft, Wiesbaden: VS Verlag
Lexware. für Sozialwissenschaften.
Hellmann, K. U. (2019): Können Marken politisch han- Luhmann, N. (1984): Soziale Systeme. Grundriß einer
deln? Eine systemtheoretische Spekulation. In J. D. allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Kemming & J. Rommerskirchen, Marken als politische Mühlmann, K./Nagl, M./Schreder, G./Mayr, E. (2014):
Akteure (S.89-97). Wiesbaden: Springer Gabler. Von Helden und Schurken – Ein sozio-kognitives Mo-
Hilzensauer, A. (2014): Storytelling – Mit Geschichten dell zu Wirkungen von Narration in Organistaionen, In
Marken führen. In S. Ettl-Huber, Storytelling in der Or- Ettl-Huber S.: Stroytelling in der Organisationskommu-
ganisationskommunikation. Theoretische und empiri- nikation (S.27-40), Wiesbaden: Springer VS.
sche Befunde (S.87-102), Wiesbaden: Springer VS. Neumann R. (2009): Die Involvementtheorie und ihre
Holt, D. (2004): How brands become icons: the principle Bedeutung für das Lebensmittelmarketing, Bremen: Eu-
of cultural branding Boston: Harvard Business Review ropäischer Hochschulverlag.
Press. Pitzke, M. (2018.): Nike-Werbung mit Footballer Kaeper-
Holt, D./Quelch, J./Tayloe, E. (2004): How global brands nick, Kommerz und Kontroverse, Spiegel Online.
compete. 9(82), (S.68-79). Boston: Havard Business https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/colin-
Review Press. kaepernick-nike-setzt-mit-werbung-zeichen-und-
profitiert-davon-a-1226741-html. Abgerufen am
Huth, T./Croy, A. v. (2019): Muss Interessenvertretung 20.05.2019.
immer politisch sein? Lobbying und PA im Dienst der
öffentlichen Legitimität, in J. D. Kemming & J. Rom- Primosch, E. (2019): Wenn das Vertrauen Vernunft bebt,
merskirchen, Marken als politische Akteure (S.149- Retten Unternehmen und Medien unsere Demokratie?,
159). Wiesbaden: Springer Gabler. Horizont.
https://www.horizont.net/agenturen/kommentare/wenn-
Kaepernick, C. (2018). Twitter, @Kaepernick7. Believe in das-vertrauen-bebt-retten-unternehmen-und-medien-
something, even if it means sacrificing every- unsere-demokratie-172690. Abgerufen am 10.06.2019.
thing.#JustDoIt.
https://twitter.com/kaepernick7/status/10366955132514 Reichertz, J. (2009): Kommunikationsmacht, Was ist
34498?lang=de. Abgerufen am 30.05.2019. Kommunikation und was vermag sie? Und weshalb
vermag Sie das?. Wiesbaden: Springer Gabler.
Kahnemann, D. (2012): Schnelles Denken, Langsames
Denken, München: Siedler. Reichertz, J. (2019): Purpose-Marketing: Unternehmen als
Sinn- und Wertelieferanten, Zu einer neuen und alten
Karkalis, A. (2018): Die Kraft der Haltung, Horziont. Entwicklung im Marketing. In J. D. Kemming & J.
https://www.horizont.net/marketing/kommentare/nike- Rommerskirchen, Marken als politische Akteure (S.69-
kampagne-mit-colin-kaepernick-die-kraft-der-haltung- 87). Wiesbaden: Springer Gabler.
169457. Abgerufen am 12.04.2019.
Rommerskirchen, Jan (2017): Konstruktion und Interpreta-
Kemming, J.D. (2019): Bestandsaufnahme 1: Broadening tion. In: Journal für korporative Kommunikation, Aus-
und Deepening – die Politisierung des Markenkonzepts. gabe 1, S. 31 - 56. Unter PID: https://nbn-
In J. D. Kemming & J. Rommerskirchen, Marken als resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-60508-9
politische Akteure (S.3-20). Wiesbaden: Springer Gab-
ler. Rommerskirchen, Jan (2018a): Bedeutung und Sinn - oder
warum Menschen weiße Turnschuhe tragen. In: Journal
Kemming, J.D./ Mattias, C. (2019): Bestandsaufnahme 2: für korporative Kommunikation, Ausgabe 2, S. 11 - 25.
Fallbeispiele für Marken als politische Akteure. In J. D. Unter PID: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-
Kemming, J. D. & J. Rommerskirchen, Marken als poli- ssoar-60281-9
tische Akteure (S.21-48). Wiesbaden: Springer Gabler.
Rommerskirchen, Jan (2018b): Die soziale Rolle von
Unternehmen. In: Journal für korporative Kommunika-

88 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

tion, Ausgabe 1, S. 14 - 26. Unter PID: https://nbn-


resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-60282-4
Rommerskirchen, J. (2019): Markt und Moral – Was man
für Geld nicht kaufen kann, in J. D. Kemming & J.
Rommerskirchen, Marken als politische Akteure (S.99-
115). Wiesbaden: Springer Gabler.
Rosenstiel, L. v./Neumann, P. (2002): Marktpsychologie:
ein Handbuch für Studium und Praxi, Darmstadt: WBG.
Saal, M. (2019): Mega Debatte um „The Best Man Can
Be“, so antwortet Gillette den Kritikern, Horizont.
https://www.horizont.net/marketing/nachrichten/mega-
debatte-um—the-best-man-can-be-so-antwortet-gillette-
den-kritikern-172272. Aberufen am 28.05.2019.
Schmid, B. F./Lyczek B. (2008): Die Rolle in der Kom-
munikation in der Wertschöpfung der Unternehmung,
IN Schmid B. F. & Lyzcek B.: Unternehmenskommuni-
kation: Kommunikationsmanagement aus Sicht der Un-
ternehmensführung (S.2-146), Wiesbaden: Gabler.
Thompson, C. J. (2004): Special Session Summary Be-
yond Brand Image: Analyzing the Culture of Brands, in:
Kahn, B. E./Luce, M. F.: NA – Advances in Consumer
Research Volume 31, eds. Valdosta, GA(S.98-99), Mad-
ison: Association for Consumer Research.
Zerfaß, A. (2014): Unternehmenskommunikation und
Kommunikationsmanagement: Strategie, Management
und Controlling in Piwinger, M., Handbuch Unterneh-
menskommunikation Strategie, Management, Wert-
schöpfung, (S.21-78), Wiesbaden: Gabler.

journal-kk.de 89
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Hannah Ve Nolte
Die Stärke der Eigenmarke

Marken werden heute zunehmend mit einem Vertrauensverlust und sinkender Loyalität ihrer Konsumenten kon-
frontiert. Für Konsumenten ist der Kauf von Marken aufgrund symbolischer Bedeutungen dennoch relevant, da
diese der Identitätsdefinition und Positionierung im sozialen Feld dienen. Eigenmarken fungierten einst als
preiswerte, funktionale Alternative zur Marke. Mit dem Wachstum des FMCG-Eigenmarkenmarkts in den ver-
gangenen Jahren gewinnt allerdings das Segment der Mehrwert-Eigenmarke stetig an Bedeutung. Ziel dieses
Beitrags ist daher, relevante Faktoren des Eigenmarkenkaufs zu ermitteln und herauszufinden, inwiefern die
Relevanz der symbolischen Bedeutung von Marken einen Einfluss auf die wachsende Akzeptanz von Eigenmar-
ken hat. Um dies herauszustellen, wurden anhand theoretischer und empirischer Forschung psychologische und
soziale Faktoren identifiziert, die bei der Kaufentscheidung eine Rolle spielen. Zudem wurde die Verpackungs-
gestaltung der Eigenmarken als relevanter Faktor ausgemacht. Verpackungsgestaltungen können folglich sym-
bolische Werte kreieren und einen Indikator für die wachsende Akzeptanz von Mehrwert-Eigenmarken darstel-
len. Die Faktoren konnten unterschiedlich ausgeprägt an fünf ermittelten Konsumententypen beobachtet werden.
Der Artikel zeigt, dass symbolische Bedeutungen für Konsumenten stets hoch relevant sind, sich ihre Definition
im Rahmen der wachsenden Eigenmarkenakzeptanz aber gewandelt hat. So können Eigenmarken mit Mehrwer-
ten symbolische Bedeutungen für Konsumenten generieren, was impliziert, dass sie eher sozial akzeptiert werden
als Eigenmarken ohne Mehrwerte. Die Eigenmarke ist daher nicht mehr als ein einziges Konstrukt, sondern in
verschiedenen Eigenmarkensegmenten differenziert zu betrachten.

„Marken waren einmal Institutionen, heute haben sie Marke (vgl. Rommerskirchen, 2019, S. 59). Im
es schwer“ (Gnirke, Kühn & Marquart, 2019, S. 67). Rahmen der Digitalisierung können sich Fehltritte
Früher hatten Marken es leichter, Vertrauen der deutlich schneller verbreiten, da Konsumenten nicht
Konsumenten zu gewinnen und sie zu loyalen Käu- mehr der klassischen one-to-many Kommunikation
fern zu machen. In Zeiten der Digitalisierung hat unterliegen, sondern in einer many-to-many Kom-
sich im Hinblick auf die Konstrukte Vertrauen und munikation aktive Gestaltungsmöglichkeiten besit-
Loyalität ein Wandel vollzogen. Dass heutzutage zen. Markenreputationen werden weniger von der
ohnehin eine geringe Bereitschaft der Konsumenten markeneigenen Unternehmenskommunikation defi-
besteht, sich mit Werbebotschaften von Marken niert, sondern immer stärker von Konsumenten de-
auseinanderzusetzen, da sie einem Information Over- terminiert (vgl. Gnirke, Kühn & Marquart, 2019, S.
load ausgesetzt sind, stellt nur eine Ebene der Prob- 68). Dementsprechend sind Marken einer höheren
lematik dar. Konsumenten streben nach Vielfalt und Transparenz ausgesetzt und stark anfällig für Reputa-
Abwechslung und sind durch hybrides Konsumver- tionsschäden. Nicht gehaltene Markenversprechen
halten immer schwieriger einzuschätzen (vgl. Dah- oder auch nur vermeintliche Inkonsistenzen führen
lem & Lönneker, 2005, S. 66 ff.). In einer Situation zu enttäuschten Erwartungen auf der Konsumenten-
legen sie Wert auf funktionale und finanzielle As- seite, woraus schließlich ein Vertrauensverlust in
pekte eines Produkts. In einer anderen Situation Marken resultiert (vgl. Rommerskirchen, 2019, S. 60
möchten sie sich mit emotionalen Werten der Marke f.). Die Vertrauenskrise spiegelt sich in aktuellen
identifizieren sowie vorteilhaft im sozialen Feld Zahlen wider: Während Konzerne führender Marken
positionieren und zeigen dabei eine hohe Preisbereit- wie Nestlé, Danone und Unilever im Jahr 2018 ein
schaft auf. Umsatzwachstum zwischen nur einem und drei Pro-
Daneben positionieren Marken sich immer komple- zent erzielten, konnten sie 2011 noch doppelt so
xer, wodurch die Erwartungen der Konsumenten in hohe Werte verzeichnen (vgl. Gnirke, Kühn & Mar-
vielerlei Hinsichten steigen. Es werden somit nicht quart, 2019, S. 67 ff.). Darüber hinaus ergab eine
mehr nur Ansprüche an die funktionale Leistung des Studie aus dem Jahr 2018, dass 80 Prozent der Deut-
Produkts gestellt, sondern ebenso an soziales Enga- schen kein Vertrauen in Großunternehmen haben
gement und gesellschaftliche Positionierungen der (vgl. Statista, 2018b). Aus diesem Grund erachten

90 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

PR-Experten den Aufbau und Erhalt von Vertrauen und diente einem rein funktionalen Konsum. In den
als wichtigstes Thema der Unternehmenskommuni- letzten Jahren hat sich allerdings ein Wandel vollzo-
kation für die kommenden Jahre (vgl. Statista, 2019). gen. In Zeiten des wachsenden Eigenmarkenmarkts
Hinzu kommt, dass Unterschiede von Marken und und insbesondere des erhöhten Konsumenteninteres-
Produkten längst nicht mehr auf ihre funktionalen ses an der Mehrwert-Eigenmarke gilt sie nicht mehr
Eigenschaften zurückzuführen sind, sondern ledig- nur als funktionales No-Name-Produkt im Sinne der
lich durch kommunikative Mehrwerte und Leis- Preiseinstiegs-Eigenmarke. Möglicherweise können
tungsversprechen kreiert werden. Produkte werden Mehrwert-Eigenmarken mit höheren Preisen auch
somit austauschbar, worunter die Loyalität der Kon- einen symbolischen Wert aufweisen und ähnlich wie
sumenten gegenüber Marken leidet (vgl. Gnirke, Marken dem symbolischen Konsum dienen.
Kühn & Marquart, 2019, S. 67). Besonders ausge- Eigenmarken positionieren sich im Vergleich zu
prägt ist dies in der Branche der Fast Moving Con- Marken vereinfachter und stellen einen Kontrast zu
sumer Goods (FMCG). komplexen Markenpositionierungen sowie viel-
Von diesen Gegebenheiten profitieren Händler, die schichtigen Markenversprechungen dar, die oft in
ihre Eigenmarkensortimente immer weiter ausbauen. nicht erfüllten Erwartungen auf der Konsumentensei-
Der Eigenmarken-Umsatzanteil im deutschen Ein- te resultieren. Angesichts des steigenden Misstrauens
zelhandel stieg in den letzten 30 Jahren rasant an. in Marken und dem hybridem Konsumentenverhal-
Lag dieser 1989 noch bei 18 Prozent, hat er sich im ten liegt es somit nahe, dass Mehrwert-Eigenmarken
Jahr 2017 mehr als verdoppelt (vgl. Statista, 2018a). womöglich nicht nur in funktionalen Aspekten eine
Die Produkte der Eigenmarken erstrecken sich im Alternative zu Marken darstellen, sondern auch im
Einzelhandel mittlerweile über alle Produktkatego- Hinblick auf symbolische Repräsentationen.
rien (vgl. Kumar & Steenkamp, 2007, S. 12). Ent- Aufgrund dieser Überlegungen zielt dieser Fachar-
sprechend zu diesen Entwicklungen scheint sich die tikel auf die Beantwortung der folgenden For-
Einstellung der Konsumenten gegenüber Eigenmar- schungsfrage ab: Welche Faktoren sind beim Eigen-
ken gewandelt zu haben. So stellt ein Großteil der markenkauf von Bedeutung und inwiefern hat die
Konsumenten gleiche Qualitätserwartungen an Ei- Relevanz der symbolischen Bedeutung von Marken
genmarken wie an Marken und sieht beide zudem als einen Einfluss auf die wachsende Akzeptanz von
qualitativ gleichwertig an (vgl. KPMG, 2016, S. 5). Eigenmarken?
Daneben sind Eigenmarken in ihrer Vertrauenswür- Anhand dieser Frage soll zum einen untersucht
digkeit im Vergleich zu Marken deutlich gestiegen werden, inwiefern sich die soziale Anerkennung des
(vgl. Ipsos, 2018, S. 7). Eigenmarkenkonsums verändert hat. Zum anderen
Neben preiswerten Eigenmarken führen Einzel- wird geprüft, ob die Definition der symbolischen
händler zudem vermehrt sogenannte Mehrwert- Bedeutung von Marken einem Wandel unterliegt
Eigenmarken auf höheren Preisniveaus. Darunter oder ob ihre symbolische Bedeutung in der FMCG-
fallen im Lebensmittelbereich unter anderem Premi- Branche an Relevanz verloren hat. So sollen ent-
um-, Bio- oder Convenience-Eigenmarken (vgl. scheidende Faktoren des Eigenmarkenkaufs ermittelt
Gnirke, Kühn & Marquart, 2019, S. 68). Beispiele und die Reputation von Eigenmarken sowie die Re-
dafür sind REWE Feine Welt, REWE Bio und RE- levanz symbolischer Bedeutungen beim Kauf unter-
WE to go (vgl. REWE, 2019). Dass ein erhöhtes sucht werden. Diese Thematik stellt insbesondere im
Konsumenteninteresse an Mehrwert-Eigenmarken Hinblick auf Mehrwert-Eigenmarken eine bislang
besteht und sie immer mehr an Bedeutung gewinnen, kaum untersuchte Forschungslücke dar. Der aktuelle
ist an kontinuierlich steigenden Marktanteilen dieses Forschungsstand liefert größtenteils lediglich Er-
Segments ersichtlich (vgl. GfK, 2017b, S. 3). kenntnisse über die funktionale Eigenmarke als No-
Marken werden in der Regel aufgrund symbolischer Name-Produkt.
Bedeutungen gekauft, die Menschen in Form von
fiktionalen Eigenschaften zuschreiben. Diese symbo- Die symbolische Bedeutung der Marke
lischen Bedeutungen dienen der Definition der eige- Eine grundlegende Funktion der Marke stellt ihre
nen Identität und der Positionierung im sozialen Feld symbolische Bedeutung dar. So entstehen Marken
(vgl. Beckert, 2018, S. 303 ff.). Die Eigenmarke für Beckert durch fiktionale Erwartungen, die Men-
stellte einst die preiswerte Alternative zur Marke dar

journal-kk.de 91
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

schen an Konsumgüter stellen. Diese Erwartungen Interpretation und Dynamik symbolischer Bedeutun-
fungieren einerseits als Hilfe, Ungewissheiten beim gen
Kauf zu überwinden und andererseits dienen sie der Die Annahme, dass Menschen anhand von Symbo-
symbolischen Repräsentation bestimmter Eigen- lik in einer jeweiligen Position im sozialen Raum
schaften. Konsumenten schreiben Produkten Bedeu- eingeordnet werden, geht auf Bourdieu zurück. Laut
tungen zu, die über einen symbolischen Wert verfü- ihm verfügt der Einzelne über ökonomisches, sozia-
gen. Demnach werden für Beckert auf Konsummärk- les und kulturelles Kapital, das seinen Lebensstil
ten nichts weiter als symbolische Bedeutungen ge- prägt. Das symbolische Kapital ordnet sich den drei
handelt. Laut ihm wären Märkte ohne fiktionale Kapitalien über und trägt diese nach außen. Sein
Erwartungen, die mit dem symbolischen Wert ver- Wert hängt davon ab, inwiefern er von einer sozialen
bunden werden, kaum verständlich und nachvoll- Gruppe anerkannt wird. Die Interpretation des sym-
ziehbar. Diese fiktionalen Erwartungen sind nicht in bolischen Kapitals durch Gruppenmitglieder be-
den materiellen Eigenschaften der Konsumgüter stimmt also dessen Bedeutung (vgl. Bourdieu, 2005,
verwurzelt, sondern liegen in der intersubjektiven S. 82). Dadurch, dass der Einzelne eine Verbindung
Wahrnehmung der symbolischen Eigenschaften (vgl. mit bestimmten Produkten bzw. Marken aufweist,
Beckert, 2018, S. 300 ff.). nehmen Gruppenmitglieder ihn entsprechend wahr
und kategorisieren ihn anhand einer Einordnung der
Imaginativer und positionaler Wert Produkte, die er konsumiert (vgl. Beckert, 2018, S.
Ein Produkt verfügt für Beckert grundlegend über 317). Die symbolische Bedeutung ist abhängig von
einen physischen Wert und einen symbolbasierten der jeweiligen Interpretationsgemeinschaft. Sie wird
Wert. Der physische Wert bezieht sich auf die Funk- durch soziale Interaktion zugeschrieben (vgl. Schmid
tionalität, die objektiv zu betrachten ist. Bei der & Lyczek, 2008, S. 47).
Kaufmotivation spielt dieser Wert eher eine zweit- Sowohl die fiktionalen Erwartungen an Produkte
rangige Rolle. Bedeutender ist der symbolbasierte als auch deren symbolische Bedeutungen verändern
Wert, der wiederum in den imaginativen und den sich im Laufe der Zeit (vgl. Beckert, 2018, S. 322).
positionalen Wert zu unterteilen ist (vgl. Beckert, Dies ist unter anderem eine mögliche Folge davon,
2018, S. 308). dass Konsumenten in ihren Erwartungen enttäuscht
Der imaginative Wert lässt sich als symbolischen werden. Diese Enttäuschungen können dadurch
Wert beschreiben, den der einzelne Konsument ei- entstehen, dass einem Produkt in der Vorstellung ein
nem Produkt zuordnet. Er steht im Zusammenhang höherer Wert beigemessen wird, als er in der Erfah-
mit Bildern und Vorstellungen, die der Konsument rung wirklich zu erleben ist. Somit kann durch den
mit dem Produkt assoziiert und basiert nur auf seinen Kauf eine Art Desillusionierung eintreten. Gerade
emotionalen und kognitiven Bewertungen. Darüber für Konsumgüter ist dieser Prozess typisch (vgl.
hinaus trägt er dazu bei, dass das Produkt transzen- Beckert, 2018, S. 327 ff.).
tente Ideale repräsentiert, die angestrebt werden und Zweck des Marketings in der heutigen Zeit ist es
durch den Kauf erreichbar scheinen. Folglich macht daher, die symbolische Bedeutung der Marken durch
der imaginative Wert ein Produkt zu einer symboli- verschiedenste Marketingmaßnahmen aufrechtzuer-
schen Repräsentation von etwas, das ansonsten nicht halten. Hersteller versuchen mit ihren Marken und
zu erreichen ist (vgl. Beckert, 2018, S. 307 ff.). Der Kommunikationsaktivitäten, Produkte mit Idealvor-
positionale Wert hingegen bezeichnet den symboli- stellungen der Konsumenten zu verknüpfen und
schen Wert, den andere Konsumenten einem Produkt somit ihre Werte zu lenken und zu festigen (vgl.
zuschreiben, wodurch der Besitzer dieses Produkts Beckert, 2018, S. 332).
entsprechend im sozialen Umfeld platziert wird. Die
Nachfrage nach dem positionalen Wert entsteht aus Die Entwicklung der Eigenmarke
dem Bedürfnis nach Status. Eine Voraussetzung für Eigenmarken umfassen Produkte, die explizit für
seine Existenz ist die einheitliche Vorstellung über Handelsunternehmen produziert und zugleich durch
den Wert der Güter in sozialen Gruppen (vgl. Be- diese vertrieben werden. Dabei stehen sie im unmit-
ckert, 2018, S. 306). telbaren Wettbewerb mit Herstellermarken (vgl.
Hellmann & Senge, 2005, S. 21). Ein entscheidender

92 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Unterschied der beiden Markenphänomene besteht gen, Konsumenten Qualitätsversprechen und eine
darin, dass Eigenmarken lediglich bei einem spezifi- emotionale Zufriedenheit zu liefern (vgl. Kumar &
schen Händler bzw. einer Händlergruppe verfügbar Steenkamp, 2007, S. 9). Eigenmarken weisen zu-
sind, während Herstellermarken bei verschiedenen nehmend Eigenschaften klassischer Marken auf,
Händlern gelistet sein können. Zudem zeichnen wodurch sie nicht mehr nur als No-Name-Produkt
Eigenmarken sich durch ihre Präsenz über sämtliche gelten, sondern ebenfalls unter den Begriff der Mar-
Produktkategorien bzw. Warengruppen aus, die kein ke gefasst werden können. Hellmann und Senge
Markenhersteller mit seinen Produkten derartig weit- sprechen dabei von einer Ausweitung der Markenzo-
reichend abdeckt (vgl. Fan, Qian & Huang, 2011, S. ne (vgl. Hellmann & Senge, 2005, S. 22).
408).
Psychologische und soziale Faktoren der
Verschiedene Eigenmarkensegmente Kaufentscheidung
Rückblickend auf die letzten 30 Jahre lässt sich ein Früher waren es hauptsächlich die einkommens-
starkes Wachstum des Eigenmarkenmarkts beobach- schwächeren Gesellschaftsschichten, die Eigenmar-
ten. Lag der Marktanteil der Eigenmarken von ken konsumierten. Mittlerweile lassen sich Eigen-
FMCG-Produkten im deutschen Einzelhandel 1985 markenkäufer über alle soziodemographisch katego-
noch bei 16 Prozent, hat sich dieser mit 37 Prozent risierten Schichten identifizieren (vgl. Kumar &
im Jahr 2017 mehr als verdoppelt (vgl. Statista, Steenkamp, 2005, S. 12). Da Konsumentenverhalten
2018a). Eingeführt wurde die Eigenmarke ursprüng- heute nur schwierig durch Soziodemographika er-
lich anhand preiswerter Produkte in einer weniger klärt werden kann, werden im Folgenden psycholo-
hochwertigen Qualität. Mit der Zeit entwickelte sich gische und soziale Faktoren des Konsumentenverhal-
daraus ein Portfolio aus verschiedenen Eigen- tens in Bezug auf Marken und Eigenmarken betrach-
markensegmenten, das Einzelhändler bis heute im- tet.
mer stärker ausweiten und differenzieren. Grundle-
gend für dieses Portfolio sind in der Regel die bereits Psychologische Faktoren
lange bestehende Preiseinstieg-Eigenmarke, eine In der Theorie existieren verschiedene Modelle,
mittelpreisige Basic-Eigenmarke und eine höherprei- die versuchen, Erklärungsansätze für menschliche
sige Premium-Eigenmarke. Darüber hinaus wird das Kaufentscheidungen abzubilden. Diese Theorien
Portfolio von den Einzelhändlern zunehmend um sind oft schwer mit der Wirklichkeit in Einklang zu
weitere, höherpreisige Mehrwehrt-Eigenmarken bringen. Das mikroökonomische Rational-Choice-
ergänzt (vgl. Baumgarth, 2014, S. 21). Beispielswei- Modell beruft sich bspw. auf die Annahme des ratio-
se führt REWE im Preiseinstiegs-Segment die Ei- nal denkenden und handelnden Individuums, das in
genmarke „ja!“, als Basic-Eigenmarke „REWE Beste seinen Entscheidungen stets nach Nutzenmaximie-
Wahl“, im Premiumbereich „REWE Feine Welt“ rung strebt. Aufgrund verschiedenster Restriktionen
und im Rahmen von Mehrwert-Eigenmarken unter sind Konsumenten allerdings nicht in der Lage, rein
anderem die Bio-Marke „REWE Bio“ und die Con- rationale Entscheidungen zu treffen und im Sinne
venience-Marke „REWE to go“. Insgesamt besteht des klassischen Homo Oeconomicus zu handeln (vgl.
das Eigenmarkenportfolio von REWE aus zwölf Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2013, S. 467 f).
unterschiedlichen Marken (vgl. REWE, 2019). Trotzdem sind Menschen dazu geneigt, für sie vor-
Mehrwert-Eigenmarken sind nicht mehr nur bei teilhafte Entscheidungen zu treffen, bei denen sie
Vollsortimentern, sondern auch mittlerweile bei Abwägungen zwischen Preis, Qualität und Risiko
jedem Discounter auffindbar. vornehmen. Daher ist es sinnvoll, anhand verhal-
Dass ein erhöhtes Konsumenteninteresse an tenswissenschaftlicher Sichtweisen psychologische
Mehrwert-Eigenmarken besteht und sie immer mehr Aspekte mit ökonomischen Theorien zu verknüpfen.
an Bedeutung gewinnen, ist an kontinuierlich stei- Preis und Qualität werden oft im Zusammenhang
genden Marktanteilen dieses Segments ersichtlich miteinander wahrgenommen und abhängig vonei-
(vgl. GfK, 2017b, S. 3). Demzufolge ist die Eigen- nander bewertet (vgl. Kroeber-Riel & Gröppel-
marke längst nicht mehr in dem Maße lediglich auf Klein, 2013, S. 474 ff.). So ist es naheliegend, dass
Funktionalität zurückzuführen wie zum Zeitpunkt herkömmlichen Eigenmarken mit einer niedrigen
ihrer Einführung. Auch Eigenmarken kann es gelin-

journal-kk.de 93
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Preispositionierung eine geringere Qualität zuge- Beantwortung der Forschungsfrage wurden zwei
schrieben wird. Eine Studie konnte nachweisen, dass Gruppendiskussionen mit jeweils vier Teilnehmern
Konsumenten Eigenmarken, trotz ihrer gestiegenen durchgeführt (Stichprobe: n = 8). Das Sampling
Akzeptanz, qualitativ positiver bewerten, wenn sie wurde anhand eines Stichprobenplans ausgewählt.
sich nicht darüber bewusst sind, dass es sich um Dafür wurden vorab bestimmte Kriterien festgelegt,
Eigenmarken handelt (vgl. Rossi, Borges & Bak- die sowohl die Auswahl als auch die Zusammenset-
payev, 2015, S. 77). zung der Untersuchungsgruppen determinierten. So
konnte sichergestellt werden, dass verschiedenartige
Soziale Faktoren Fälle erfasst werden. Um eine Heterogenität herzu-
Menschliches Verhalten wird in einem hohen Ma- stellen, erfolgte die Zusammensetzung jeder Gruppe
ße von der sozialen Umwelt gesteuert. Menschen durch zwei Typen des Homo Oeconomicus und des
streben nach Gruppenangehörigkeit und danach, ihr Homo Sociologicus sowie zwei Studenten und zwei
Selbstbild und das von der Gruppe wahrgenommene Berufstätigen. Zudem wurde eine geschlechterspezi-
Fremdbild möglichst idealisiert zu gestalten und zu fische Aufteilung vorgenommen, sodass jede Dis-
präsentieren. Eine Möglichkeit für den Ausdruck kussion aus zwei weiblichen und zwei männlichen
eines idealen Selbst innerhalb der sozialen Umwelt Personen bestand. Die Daten wurden anhand der
ist das Konsum- und Kaufverhalten des Menschen Grounded Theory ausgewertet, anhand welcher The-
(vgl. Kroeber-Riel & Gröppel-Klein, 2013, S. 640). orien für erforschte Gegenstandsbereiche gebildet
Individuen haben das Bedürfnis, ihre Zugehörigkeit werden können. Diese Theorien setzen sich aus der
von Gruppen nach außen zu präsentieren. Sie treffen Grundlage vernetzter Konzepte zusammen und ha-
ca. 60 Prozent ihrer Kaufentscheidungen abhängig ben die Intention, beleuchtete Phänomene zu kon-
von anderen Personen. Der soziale Druck löst bei struieren und zu erklären (vgl. Böhm, 2013, S. 476).
Individuen ein Bestreben nach Gruppenkonformität
aus, wodurch sie Urteile und Einschätzungen von Ergebnisse der empirischen Forschung
Produkten in starker Abhängigkeit von Gruppen Zusammenfassend konnten im Rahmen der Aus-
bilden. Sie orientieren sich dabei an spezifischen wertung fünf verschiedene Konsumententypen er-
Gruppennormen (vgl. Felser, 2015, S. 198 ff.). Dem- fasst werden. Dabei handelt es sich um den marken-
nach machen Konsumenten ihre Kaufentscheidung kritischen Eigenmarken-Fan, den rationalen Ge-
von Eigenmarken von der Verwendungssituation wohnheitskäufer, den qualitätsorientierten Mischtyp,
abhängig. Während 94 Prozent der Deutschen Ei- den eingeschränkten Markenenthusiasten und den
genmarken für ihren alltäglichen Konsum kaufen, überzeugten Mehrwertmarkenkäufer. Alle fünf Ty-
liegt der Anteil, der auch im Rahmen von Besuch pen haben ein spezifisches Verhältnis zu Eigenmar-
von Gästen zu Eigenmarken greift, lediglich bei 60 ken und Marken, verfügen aber teilweise über ähnli-
Prozent (vgl. KPMG, 2016, S. 4). Eine Studie, die che Motive hinsichtlich ihrer Kaufentscheidungen.
sich explizit auf die Kaufentscheidung von Mehr- So zeichnet sich der markenkritische Eigenmar-
wert-Eigenmarken bezieht, konnte allerdings keine ken-Fan durch eine starke Misstrauenshaltung ge-
Auswirkungen des Empfindens eines sozialen Risi- genüber Marken aus. Er verfügt über Hintergrund-
kos auf die Kaufbereitschaft von Premium- wissen in Bezug auf Marken- und Eigenmarkenpro-
Eigenmarken feststellen (vgl. Beneke, Greene, Lok duktionen, wodurch er Werbeversprechen kritisch
& Mallett, 2012, S. 5 ff.). So liegt es nahe, dass Kon- reflektiert. Somit präferiert er aufgrund persönlicher
sumenten in Premium- bzw. Mehrwert-Eigenmarken Überzeugungen und eines gewissen Aktivismus
symbolische Bedeutungen sehen. gegen Marken primär preiswerte Eigenmarken. Trotz
seiner Abwehrhaltung gegenüber Marken weicht er
Empirische Forschung aufgrund kollektiver Erwartungen in bestimmten
Im Hinblick auf Mehrwert-Eigenmarken wurden Situationen auf Marken oder mindestens Mehrwert-
Faktoren der Kaufentscheidung in der Fachliteratur Eigenmarken aus, da er diese eher als gesellschaft-
bisweilen kaum beleuchtet, sodass im Rahmen einer lich akzeptiert betrachtet.
qualitativen Forschung die Ermittlung weiterer und Der rationale Gewohnheitskäufer ist durch Preis-
umfangreicherer Erkenntnisse angestrebt wurde. Zur sensibilität und ein geringes Bedürfnis nach Status-
Konsum geprägt. Daher kauft und konsumiert er

94 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

ebenfalls oft preiswerte Eigenmarken. Aufgrund welche seine Präferenzen maßgeblich beeinflusst.
seines Markenvertrauens tendiert er bei ausgewähl- Dabei zeigt er sich offen und preisbereit gegenüber
ten Produkten zum Kauf der Marke, wobei er eine Mehrwert-Eigenmarken, da sie ihm einen optischen
ausgeprägte Markentreue aufweist. In seinem Kauf- Mehrwert bieten und wertet preiswerte Eigenmarken
verhalten differenziert er, wie beinahe jeder der ab. Auffällig ist seine Aufwertung des Selbst-
Konsumententypen, für sich selbst und andere. In Konzepts sowohl durch Mehrwert-Eigenmarken als
sozialen Situationen entscheidet er sich demnach auch Marken. Die Relevanz der Außenwirkung von
nicht für preiswerte Eigenmarken, sondern für Produkten spielt ebenfalls eine Rolle. Dementspre-
Mehrwert-Eigenmarken, die er selbst kaum konsu- chend sieht er Mehrwert-Eigenmarken ebenso wie
miert, oder für bevorzugte Marken. Marken als sozial anerkannt an, weist allerdings
Den qualitätsorientierten Mischtyp kennzeichnet keine Treue bei Mehrwert-Eigenmarken auf.
seine Gleichgültigkeit bezüglich der Markenzugehö-
rigkeit von Produkten. In seinem Kaufverhalten ist er Kritische Reflexion der Forschungsergebnisse
der flexibelste von allen Konsumententypen. So Da Konsumenten aufgrund ihres multioptionalen
erstrecken sich seine Käufe gleichmäßig über alle und beinahe paradoxen Konsums immer schwieriger
verschiedenen Eigenmarkenstufen bis hin zur Marke. zu typisieren sind, sind verallgemeinernde Motive
Primär relevant beim Kauf sind für ihn Geschmack kaum zu erfassen (vgl. Rennhak, 2014, S. 180 ff.).
und Qualität sowie Verpackungsgestaltungen, die er Trotzdem ist es gelungen, verschiedene Motive aus-
als Qualitätsindikator eines Produkts betrachtet. findig zu machen, die im Rahmen jedes Konsumen-
Auch bei diesem Konsumententyp stellt soziale tentyps anhand spezifischer Einstellungen festge-
Konformität einen bedeutsamen Faktor dar. So rich- macht wurden. Der rationale Gewohnheitskäufer und
tet er sich beim Produktkauf nach kollektiven Erwar- der eingeschränkte Markenthusiast tendieren über-
tungen, wenn er den sozialen Druck als hoch ein- wiegend aus Kosten-Nutzen-Überlegungen und
stuft. Dabei sieht er ebenfalls Mehrwert- Gewohnheiten zu Eigenmarken. Der überzeugte
Eigenmarken als sozial anerkannt an, weshalb es für Mehrwertmarkenkäufer und der qualitätsorientierte
ihn irrelevant ist, ob er im Rahmen sozialer Situatio- Mischtyp differenzieren stark zwischen den ver-
nen Mehrwert-Eigenmarken oder Marken kauft. schiedenen Eigenmarkenstufen, wobei der überzeug-
Der eingeschränkte Markenenthusiast zeichnet te Mehrwertmarkenkäufer Mehrwert-Eigenmarken
sich durch ein hohes Bedürfnis nach sozialer Aner- sowie Marken aus Motiven des symbolischen Kon-
kennung und starkes Markenvertrauen aus. Er ist sums kauft. Abschließend kann ebenso der Konsum
überzeugt von Markenqualität sowie Markenkompe- des markenkritischen Eigenmarken-Fans als symbo-
tenz und kauft Eigenmarken daher lediglich aufgrund lisch betrachtet werden, da dieser aus Überzeugung
finanzieller Einschränkungen und Gewohnheiten, überwiegend Preiseinstiegs-Eigenmarken präferiert.
wobei er stets ein niedriges Preissegment wählt. Konsumentenübergreifend konnten psychologi-
Anders als die anderen Konsumententypen differen- sche sowie soziale Faktoren festgehalten werden, die
ziert er stark zwischen Mehrwert-Eigenmarken und Konsumenten in ihrer Entscheidung beim Eigen-
Marken und assoziiert mit Eigenmarken, unabhängig markenkauf beeinflussen. Als psychologische Fakto-
von der Eigenmarkenstufe, mindere Qualität. Er ren wurden Qualitätswahrnehmung, Preisbewusst-
orientiert sich darüber hinaus stark am Kollektiv und sein, Risikowahrnehmung, Vertrauenswürdigkeit
nutzt die Marke in sozialen Situationen als Repräsen- und Komplexitätsreduktion durch Marken sowie
tationsgegenstand. Mehrwert-Eigenmarken stuft er Eigenmarken ausgemacht. Soziale Faktoren stellen
zwar als akzeptierter ein als Preiseinstiegs- das Selbstkonzept, soziale Konformität sowie damit
Eigenmarken, trotzdem sieht er einen großen Ab- zusammenhängende Verwendungssituationen dar.
stand von Mehrwert-Eigenmarken zu Marken. Sowohl bei den psychologischen als auch bei den
Eine kritische Einstellung gegenüber preiswerten sozialen Faktoren spielt das Involvement der Kon-
Eigenmarken und ebenso ein ausgeprägtes Marken- sumenten hinsichtlich der Kaufentscheidung eine
vertrauen weist der überzeugte Mehrwertmarkenkäu- Rolle.
fer auf. Er strebt ebenfalls stark nach sozialer Aner- Als weiterer Faktor konnte die Verpackungsgestal-
kennung. Ein relevanter Faktor beim Kauf stellt für tung identifiziert werden, der in der Fachliteratur
ihn die Verpackungsgestaltung der Produkte dar, dieses Untersuchungsgegenstandes bisher kaum

journal-kk.de 95
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

erforscht wurde. So ist zu beobachten, dass die Ver- werten Eigenmarken als deutlich stärker akzeptiert
packungsgestaltung maßgeblich die Wahrnehmung gelten. Maßgeblich ist dies auf den Aspekt der Ver-
und Beurteilung der Konsumenten von Eigen- packungsgestaltung zurückzuführen. Die Forschung
markenprodukten beeinflusst und damit ein weiteres zeigt, dass symbolische Bedeutungen von Marken
Motiv der Kaufentscheidung darstellt. Aufgrund nicht an Relevanz verloren haben. Sie haben sich
vereinfachter Positionierungen von Eigenmarken und durch die wachsende Eigenmarkenakzeptanz ledig-
einer geringeren Bandbreite an Kommunikationsak- lich verschoben, sodass nicht mehr nur in Marken,
tivitäten liegt bei diesen Produkten der Fokus folg- sondern auch in Mehrwert-Eigenmarken gesehen
lich umso stärker auf dem Verpackungsdesign. Die- werden.
ses trägt bei Eigenmarken somit deutlich stärker zur
Produktwahrnehmung der Konsumenten bei als bei Fazit
Marken, die durch ihre Kommunikationsaktivitäten Dieser Beitrag zielte darauf, Faktoren des Eigen-
eine Vielzahl an Assoziationen beim Konsumenten markenkaufs zu ermitteln und herauszufinden, inwie-
hervorrufen. Für den Großteil der Konsumententy- fern die Relevanz der symbolischen Bedeutung von
pen spielt die Verpackungsgestaltung eine Rolle. Marken einen Einfluss auf die Akzeptanz von Ei-
Besonders relevant ist sie für den überzeugten genmarken hat.
Mehrwertmarkenkäufer, bei dem Produktpräferenzen Um die Forschungsfrage zu beantworten, wurden
durch Verpackungsgestaltungen entstehen. Sie bieten in einer qualitativen Forschung fünf verschiedene
ihm einen optischen Mehrwert, der ein zentrales Konsumententypen ermittelt, die psychologische
Motiv seiner Kaufentscheidung bildet. Einerseits sowie soziale Faktoren der Kaufentscheidung unter-
bezieht er sich dabei auf sein subjektives Gefallen schiedlich ausgeprägt widerspiegeln und zu neuen
und andererseits auf die Außenwirkung der Produk- Erkenntnissen führen. Der markenkritische Eigen-
te. Daher zeigt er eine Offenheit und Preisbereit- marken-Fan zeichnet sich durch seine Misstrauens-
schaft in Bezug auf Mehrwert-Eigenmarken, wenn haltung und Abwehrhaltung gegenüber Marken aus
diese ansprechend gestaltet sind und lehnt Preisein- und präferiert aus Überzeugung preiswerte Eigen-
stiegs-Eigenmarken aufgrund ihrer simplifizierten marken. Der rationale Gewohnheitskäufer kauft aus
Gestaltung ab. Für den qualitätsorientierten Misch- nutzenmaximierenden Überlegungen ebenfalls oft
typ ist die Verpackungsgestaltung ebenfalls maßgeb- preiswerte Eigenmarken, tendiert allerdings aufgrund
lich für die Kaufentscheidung, da er sie, wie der seines Markenvertrauens bei bestimmten Produkten
überzeugte Mehrwertmarkenkäufer, als Indikator für zur Marke, wobei er eine hohe Treue aufweist. Der
Qualität und Geschmack betrachtet. Ebenso erachtet qualitätsorientierte Mischtyp legt Wert auf Qualität,
der eingeschränkte Markenenthusiast die Verpa- Geschmack und Verpackungsgestaltungen. Da es
ckungsgestaltung als relevant. Bei Marken wird er ihm nicht wichtig ist, ob es sich beim Produkt um
somit vom Branding überzeugt und bei Eigenmarken eine Marke oder Eigenmarke handelt, kauft er
durch die Vermittlung von Wertigkeit. Jedoch stellt gleichermaßen alle Eigenmarkenstufen sowie Mar-
die Verpackungsgestaltung kein ausschlaggebendes ken. Der eingeschränkte Markenenthusiast besitzt
Kriterium dar, anhand dessen er eine Eigenmarke ein starkes Markenvertrauen und kauft Eigenmarken
einer Marke vorzieht. Ähnlich sehen der rationale lediglich aufgrund finanzieller Einschränkungen und
Gewohnheitskäufer und der markenkritische Eigen- Gewohnheiten, wobei er stets ein niedriges Preis-
marken-Fan die Verpackungsgestaltung nicht als segment wählt. Er assoziiert mit Eigenmarken, unab-
primäres Kaufmotiv. Sie schließen allerdings von hängig von der Eigenmarkenstufe, eine mindere
einer ansprechenden Verpackungsgestaltung auf eine Qualität, weshalb er Mehrwert-Eigenmarken größ-
höhere Wertigkeit, was dazu führt, dass sie hochwer- tenteils meidet. Für den überzeugten Mehrwert-
tig gestaltete Eigenmarken in sozialen Situationen als markenkäufer ist die Außenwirkung der Produkte
akzeptierter ansehen. Folglich können Eigenmarken bedeutsam, wodurch er sich offen und preisbereit
sich anhand einer wertigen Verpackungsgestaltung gegenüber Mehrwert-Eigenmarken zeigt, da sie ihm
entsprechend positionieren und symbolische Bedeu- einen optischen Mehrwert bieten.
tungen vermitteln. Die Forschung stellt heraus, dass Eigenmarken
Zudem wurde durch die Forschung erkenntlich, nicht mehr nur dem funktionalen Konsum dienen,
dass Mehrwert-Eigenmarken im Vergleich zu preis-

96 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

sondern ebenso symbolische Bedeutungen für Kon- erzielen, ist eine weitere Prüfung der Ergebnisse
sumenten aufweisen können. In Abhängigkeit von durch eine quantitative Forschung hilfreich. Für eine
der Interpretation einer jeweiligen Gruppe können erste Untersuchung der kaum erforschten Thematik
sie Prestigewerte oder auch Symbolisierungen wie eignete sich die qualitative Forschung am besten,
Sparsamkeit oder Aktivismus gegen Marken reprä- anhand welcher aufschlussreiche Erkenntnisse auf-
sentieren. gezeigt werden konnten.
Bemerkenswert ist darüber hinaus die Bedeutung Die Erkenntnisse dieses Artikels und die Beant-
sozialer Faktoren bei der Kaufentscheidung zwi- wortung der Forschungsfrage bilden die Grundlage
schen Marken und Eigenmarken. Trotz teilweise für weitere Forschungsansätze. Angesichts der her-
hybrid wirkender Kaufverhalten spielt bei jedem ausgestellten These, dass Mehrwert-Eigenmarken
Konsumententyp die soziale Konformität eine große anhand ihrer Verpackungsgestaltung symbolische
Rolle. Daraus ist zu schließen, dass symbolische Werte aufweisen können, ist fraglich, ob sie Marken
Bedeutungen stets hoch relevant sind. Allerdings hat somit in der Zukunft noch stärker verdrängen wer-
sich die Definition symbolischer Bedeutungen im den. Die Forschung zeigt, dass Konsumenten in
Rahmen der wachsenden Akzeptanz von Eigenmar- Bezug auf Mehrwert-Eigenmarken eine geringere
ken gewandelt. So können Eigenmarken mit Mehr- Markentreue aufweisen als im Hinblick auf Marken.
werten ebenfalls symbolische Bedeutungen für Kon- Dies impliziert, dass Marken trotz der gestiegenen
sumenten generieren, was zur Folge hat, dass sie Akzeptanz von Eigenmarken für den Großteil der
eher sozial akzeptiert und teilweise als vertrauens- Konsumenten einen höheren Stellenwert aufweisen.
würdiger eingestuft werden als preiswerte Eigen- Kommunikative Maßnahmen scheinen demnach für
marken ohne Mehrwerte. die Bildung von Markenloyalität wirksamer zu sein
Zudem wurde die Verpackungsgestaltung der Pro- als vereinfachte Positionierungen der Mehrwert-
dukte als relevanter Faktor des Eigenmarkenkaufs Eigenmarken, auch wenn diese über Verpackungsge-
herausgestellt. Diese wurde in der Forschung zu staltungen verfügen, die als positiv empfunden wer-
Eigenmarken bisher kaum beleuchtet, obwohl die den. Aus diesem Grund eröffnen sich zwei verschie-
empirische Forschung ihre Bedeutsamkeit unter- dene Forschungsansätze. Einerseits ist zu überprü-
streicht. Mittels Verpackungsgestaltungen können fen, ob und inwiefern Eigenmarken loyale Konsu-
fiktionale Erwartungen geweckt und folglich symbo- menten generieren können. Andererseits ist zu erfor-
lische Werte kreiert werden. Demnach können sie als schen, inwiefern eine Marke sich vollständig gegen
Indikator der steigenden Akzeptanz von Mehrwert- eine zunehmende Verdrängung durch Eigenmarken
Eigenmarken betrachtet werden. immunisieren kann und ob dies angesichts der ver-
Die Ergebnisse des vorliegenden Fachartikels ver- gangenen Entwicklungen noch möglich ist.
deutlichen, dass eine Eigenmarke nicht mehr als ein
einziges Konstrukt betrachtet werden kann, sondern
aufgrund deutlich unterschiedlicher Positionierungen Literaturverzeichnis
und Wahrnehmungen zwischen den Eigenmarken- Baumgarth, C. (2014): Markenpolitik. Markentheorien,
segmenten differenziert werden muss. Markenwirkungen, Markenführung, Markencontrolling,
Markenkontexte, (4. Auflage). Wiesbaden: Springer
Gabler.
Kritische Diskussion und Ausblick
Beckert, J. (2018): Imaginierte Zukunft. Berlin: Suhrkamp.
In Bezug auf die Ergebnisse ist darauf hinzuweisen, Beneke, J., Greene, A., Lok, I. & Mallett, K. (2012): The
dass aufgrund der begrenzenden Rahmenbedingun- influence of perceived risk on purchase intent – the case
of premium grocery private label brands in South Africa.
gen anhand des gebildeten Samplings innerhalb der Journal of Product & Brand Management (21) 2, S. 4-
Forschung keine vollständige Repräsentation der 14.
sozialen Wirklichkeit abgebildet werden konnte. In Böhm, A. (2013): Theoretisches Codieren: Textanalyse in
einem erweiterten Rahmen hätten demnach genauere der Grounded Theory. In U. Flick, E. von Kardorff & I.
Steinke (Hrsg.), Qualitative Forschung, ein Handbuch,
Erkenntnisse erforscht werden können. Um statisti- (10. Auflage). (S. 475-485). Reinbek: Rowohlt.
sche Abhängigkeiten der Faktoren und ihren Aus- Bourdieu, P. (2005): Was heißt Sprechen. Wien: new
wirkungen zu ermitteln sowie eine ausführlichere academic press.
Darlegung von Ursachen und Zusammenhängen zu Dahlem, S. & Lönneker, J. (2005): Das Markenprinzip in
der Welt von Al(l)disierung und Hybridisierung. Marke-

journal-kk.de 97
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

ting und Kommunikation im Alltagserleben stagnieren- in Deutschland in den Jahren von 1985 bis 2017:
der Märkte. In K.-U. Hellmann & R. Pichler (Hrsg.), https://de.statista.com/statistik/daten/studie/734672/umfr
Ausweitung der Markenzone: Interdisziplinäre Zugänge age/umsatzanteil-der-handelsmarken-fmcg-im-
zur Erforschung des Markenwesens (S. 56-78). Wiesba- einzelhandel-in-deutschland/. Abgerufen am 12. April
den: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2019.
Fan, X., Qian, Y. & Huang, P. (2011): Factors influencing Statista (2018b): Vertrauen zu den Großunternehmen:
consumer behavior towards store brand. A meta- https://de.statista.com/statistik/daten/studie/756/umfrage
analysis. International Journal of Market Research (54) /vertrauen-zu-den-grossunternehmen/. Abgerufen am 19.
3, S. 407-430. April 2019.
Felser, G. (2015): Werbe- und Konsumentenpsychologie, Statista (2019): Umfrage zu den wichtigsten Themen für
(4. Auflage). Berlin, Heidelberg: Springer. die Unternehmenskommunikation in Europa 2019:
GfK (2017a): GfK Consumer Index 03/2017: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/471478/umfr
https://www.gfk.com/fileadmin/user_upload/dyna_conte age/wichtigste-themen-fuer-die-
nt/DE/documents/News/Consumer_Index/GfK_Consum unternehmenskommunikation-in-europa/. Abgerufen am
er_Index_03_2017.pdf. Abgerufen am 12. April 2019. 19. April 2019.
GfK (2017b): GfK Consumer Index 12/2017:
https://www.gfk.com/fileadmin/user_upload/dyna_conte
nt/DE/documents/GfK_Consumer_Index_12_2017.pdf.
Abgerufen am 12. April 2019.
Gnirke, K., Kühn, A. & Marquart, M. (2019): Die greisen
Riesen. Der Spiegel (24), S. 67-69.
Hellmann, K.-U. & Senge, K. (2005): Das Prinzip ALDI
und die Wal-Martization der Welt. Handelsmacht und
Händlermarken. In K.-U. Hellmann & R. Pichler
(Hrsg.), Ausweitung der Markenzone: Interdisziplinäre
Zugänge zur Erforschung des Markenwesens (S. 21-55).
Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Ipsos (2018): Handelsmarkenmonitor 2018:
https://www.lebensmittelzeitung.net/media/media/15/Ha
ndelsmarkenmonitor-2018-148387.pdf. Abgerufen am
15. Mai 2019.
KPMG (2016): Consumer Barometer 01/2016:
https://assets.kpmg/content/dam/kpmg/pdf/2016/03/kpm
g-consumer-barometer-handelsmarken-sec.pdf. Abgeru-
fen am 12. April 2019.
Kroeber-Riel, W. & Gröppel-Klein, A. (2013): Konsumen-
tenverhalten, (10. Auflage). München: Vahlen.
Kumar, N. & Steenkamp, J.-B. E. M. (2007): Private
Label Strategy: How to Meet the Store Brand Challenge.
Boston: Harvard Business Review Press.
Rennhak, C. (2014): Konsistent, hybrid, multioptional oder
paradox? – Einsichten über den Konsumenten von heu-
te. In: M. Halfmann (Hrsg.), Zielgruppen im Konsumen-
tenmarketing. Segmentierungsansätze – Trends – Um-
setzung (S. 177-186). Wiesbaden: Springer Gabler.
REWE (2019): REWE. Eigenmarken:
https://www.rewe.de/marken/eigenmarken. Abgerufen
am 13. April 2019.
Rommerskirchen, Jan (2019): Unternehmenskommunika-
tion in Zeiten der Digitalisierung. In: Journal für korpo-
rative Kommunikation, Ausgabe 1, S. 55 - 63. Unter
PID: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-
61973-1
Rossi, P., Borges, A., Bakpayev, M. (2015): Private label
versus national brands: The effects of branding on sen-
sory perceptions and purchase intentions. Journal of Re-
tailing and Consumer Services (27), S. 74-79.
Schmid, B. F. & Lyczek, B. (2008): Die Rolle der Kom-
munikation in der Wertschöpfung der Unternehmung. In
M. Meckel, & B. Schmid, Unternehmenskommunikation
(S. 3-152). Wiesbaden: Gabler.
Statista (2018a): Umsatzanteil der Handelsmarken von
Fast Moving Consumer Goods (FMCG) im Einzelhandel

98 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Franziska Oder:
Investor Relations zwischen Renditen und Legitimität

In einer Zeit, in welcher der Vertrauensverlust in bestehende Regierungen und Institutionen immer spürbarer
und die natürlichen Ressourcen immer begrenzter werden, wird der Anspruch der Gesellschaft an Unternehmen,
so scheint es, immer größer. Aspekte wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder die Sicherheit der Arbeitnehmer im
Ruhestand, sind nur einige der Themen, die aktuell in der Gesellschaft diskutiert werden und die Menschen
beschäftigen. Dabei fordert die Gesellschaft von Unternehmen verstärkt eine soziale Verantwortung ein, die
über das reine Wirtschaften hinausgeht. Die Übernahme einer sozialen Verantwortung meint dabei, dass Unter-
nehmen sich zunehmend den aktuellen Themen und Problemen innerhalb der Gesellschaft widmen müssen.
Die Grundlage des vorliegenden Fachartikels beruht auf den veröffentlichten Briefen des BlackRock CEOs Lar-
ry Fink. In seinen Briefen fordert er die Unternehmen auf, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten und als
Unternehmen somit eine Bedeutung zu schaffen. Dies erweckt den Eindruck, dass die Legitimität eines Unter-
nehmens in der heutigen Gesellschaft neben der Realisierung des wirtschaftlichen Erfolgs, ebenfalls auf der
Übernahme einer sozialen Verantwortung beruht. Diese aktuellen Entwicklungen und Diskussionen werfen die
Frage auf, inwieweit sich die Beziehung, innerhalb des Spannungsfeldes zwischen Markt und Gesellschaft, von
den Investoren zu den Unternehmen verändert hat. Der vorliegende Fachartikel thematisiert dahingehend be-
sonders die Sichtweise der privaten Investoren. Welche Rolle in der Gesellschaft fordern die privaten Investoren
von den Unternehmen und wodurch wird ihr Investitionsverhalten beeinflusst? Die Vielzahl an nachhaltigen
Investitionsmöglichkeiten, in denen beispielsweise die ESG-Kriterien eine Orientierungsfunktion für die Investo-
ren einnehmen, sowie der steigende Fokus von Unternehmen auf nachhaltige und soziale Themen, verstärken
den Eindruck, dass sich neben der Rendite, zunehmend auch gesellschaftlich relevante Faktoren zu einflussrei-
chen Investitionskriterien entwickelt haben. In diesem Kontext vergleicht der Fachartikel die theoretischen As-
pekte, mit der Sichtweise der privaten Investoren und leitet dadurch mögliche Herausforderungen sowie Hand-
lungsempfehlungen für die Investor Relations als Bindeglied zwischen Unternehmen und Investoren ab.

Die Rahmenbedingungen der Unternehmensführung andere Institutionen immer weiter schwindet, sieht
haben sich nach Ansger Zerfaß und Michael Piwin- die Gesellschaft die Verantwortung zunehmend bei
ger (2014) im Laufe der Zeit radikal verändert. Die den Unternehmen. Investoren fordern von Unter-
Gründe für diese veränderten Rahmenbedingungen nehmen die Übernahme einer sozialen Verantwor-
sehen sie in wachsenden Legitimitätsbedürfnissen tung und erwarten, dass diese sich verstärkt den
sowie globalen Informationsflüssen, einem zuneh- gesellschaftlichen Themen widmen. Zu diesen The-
menden Vertrauensverlust in etablierte Institutionen men gehören beispielsweise der Umweltschutz sowie
und die schwindende Unterstützung durch etablierte eine nachhaltige und faire Produktion und Unter-
Eliten innerhalb der Politik und der Gesellschaft nehmensführung, die Gleichberechtigung von Män-
(vgl. Zerfaß/Piwinger 2014: V). Zerfaß und Piwinger nern und Frauen oder auch das soziale Engagement.
(2014) beschreiben damit den möglichen Ursprung Diese Themen werden in dem vorliegenden Fachar-
aktuell umgehender Diskussionen und Entwicklun- tikel unter dem Begriff der weichen Faktoren zu-
gen innerhalb der Gesellschaft. Die veränderten sammengefasst.
Rahmenbedingungen stellen die Unternehmen zu- In diesem Zusammenhang betont Larry Fink, dass
nehmend vor neue Herausforderungen. neben der grundsätzlichen Wirtschaftlichkeit zuneh-
Neben den beiden Autoren beschreibt auch Larry mend auch der Beitrag, den ein Unternehmen für die
Fink, CEO des weltweit größten Vermögensverwal- Gesellschaft leistet, hinterfragt wird und an Bedeu-
ters BlackRock, die Veränderungen und Entwicklun- tung gewinnt (vgl. Fink 2019: o. S.). Ein Beitrag,
gen innerhalb der Gesellschaft sowie die daraus welcher über die reine Bedürfnisbefriedigung hin-
resultierenden Aufgaben für die Unternehmen (vgl. ausgeht. Dabei stellt sich die Frage, wieweit die
Fink 2019: o. S.). In einer Zeit, in der allem An- gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen
schein nach das Vertrauen in die Regierungen und reicht und ob diese sich auch auf die Beziehung

journal-kk.de 99
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

zwischen den Unternehmen und ihren Investoren tungserstellung und somit des wirtschaftlichen Er-
auswirkt. folgs, zum anderen jedoch durch die Übernahme von
sozialer Verantwortung und damit der Realisierung
Forschungslücke und eigener Ansatz von Lösungsansätzen für soziale Probleme innerhalb
Die beschriebenen Entwicklungen innerhalb der der Gesellschaft. Die Rolle der Unternehmen für und
Gesellschaft und somit des unmittelbaren Umfeldes in der Gesellschaft wird dadurch maßgeblich beein-
von Unternehmen bilden den Ausgangspunkt und flusst. Doch wie genau definieren die privaten Inves-
somit die Grundlage dieses Fachartikels. Dennoch toren die Rolle der Unternehmen?
gibt es vergleichsweise nur sehr wenige Studien und Als Bindeglied zwischen einem Unternehmen und
Veröffentlichungen, die den Einfluss dieser weichen den Anlegern werden besonders die Investor Relati-
Faktoren auf die Unternehmen und die Investor Re- ons von den aktuellen Entwicklungen geprägt. Um
lations thematisieren. Um die möglichen Auswir- die zentralen Forschungsfragen dieses Artikels zu
kungen für Unternehmen aus einem detaillierten beantworten, werden zunächst die Investor Relations
Blickwinkel heraus untersuchen zu können, dienen als klassisches Feld dargestellt sowie die aktuellen
die privaten Investoren als eine bedeutende An- Diskussionen und Entwicklungen innerhalb des
spruchsgruppe der Unternehmen in diesem Artikel Unternehmensumfeldes. Anschließend werden mit-
als Maßstab. Private Investoren wurden bewusst tels einer qualitativen Forschung die zuvor dargeleg-
gewählt, da bereits in den theoretischen Grundlagen ten Entwicklungen und Diskussionen im Hinblick
die Aussagen und Sichtweisen einflussreicher insti- auf die privaten Investoren untersucht und abschlie-
tutioneller Investoren vorgestellt werden. Demnach ßend mit den theoretischen Erkenntnissen abgegli-
wird im weiteren Verlauf dieses Artikels ein Ver- chen.
gleich beider Anspruchsgruppen ermöglicht. Ziel des
Grundlagen der Investor Relations
vorliegenden Fachartikels ist die Beantwortung der
folgenden Forschungsfrage: Welche Ansprüche stel- Grundsätzlich steht hinter dem Begriff der Investor
len private Investoren an die Unternehmen? Relations eine strategische Managementaufgabe, um
Wie haben sich, basierend auf dieser zentralen die Beziehungen zu bereits bestehenden, möglicher-
Forschungsfrage, die Beziehungen der privaten In- weise zukünftigen Eigen- und Fremdkapitalgebern
vestoren zu den Unternehmen verändert? Wodurch sowie zum Kapitalmarkt und weiteren Stakeholdern
werden diese Beziehungen geprägt und was bedeutet aufzubauen und zu pflegen (vgl. DIRK 2016: 2 f.).
das für die Arbeit der Investor Relations? Die Finanzmarktkommunikation hat zudem die Auf-
Feststeht, dass privaten Investoren in der heutigen gaben, das Unternehmen mit der jeweiligen Kapi-
Zeit eine Vielzahl an nachhaltigen Aktienfonds zur talmarkt Story gegenüber den Stakeholdern zu reprä-
Verfügung stehen. Die sogenannten ESG-Kriterien sentieren und die Außensicht aufzunehmen, zurück
dienen Investoren dabei als Orientierungsgrößen im in das Unternehmen zu tragen und darauf zu reagie-
Hinblick auf ihre Fondsauswahl. Dabei wird der ren. Die Investor Relations-Abteilungen in börsenno-
Eindruck erweckt, dass die Investitionsentscheidung tierten Unternehmen haben dabei die Möglichkeit,
der privaten Anleger heute nicht mehr nur von der sich vieler verschiedener Instrumente und Kommu-
reinen Rendite beeinflusst wird, sondern ebenfalls nikationskanäle zu bedienen und nehmen in der
von den persönlichen Wertvorstellungen. Durch die heutigen Zeit eine wesentliche Rolle in der strategi-
Vielzahl an nachhaltigen und somit alternativen schen Gesamtkommunikation von Unternehmen ein
Investitionsmöglichkeiten und den Aufforderungen (vgl. DIRK 2016: 3).
seitens einflussreicher institutioneller Investoren wie Der Begriff der Investor Relations geht auf das
BlackRock wird deutlich, dass die Unternehmen Jahr 1953 zurück, in dem das US-amerikanische
zunehmend den Druck verspüren, sowohl den An- Unternehmen General Electric, unter dem Aufsichts-
sprüchen des Marktes als auch denen der Gesell- ratsvorsitzenden Ralph J. Cordiner, ein Kommunika-
schaft sowie der Investoren nachzukommen. Die tionsprogramm mit dem Namen „investor relations“
Legitimität eines Unternehmens scheint sich somit entwickelte, welches sich speziell auf die privaten
auf zwei Säulen zu stützen: Zum einen wird sie ge- Investoren des börsennotierten Unternehmens kon-
prägt durch die klassische Realisierung der Leis- zentrieren sollte (vgl. Köhler 2015: 1; vgl. Dürr

100 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

1995: 2). Demnach liegt der Ursprung der Investor Aktie zu erzielen, wurde durch die Entwicklungen
Relations in Amerika. Ralph J. Cordiner und mit ihm der vergangenen Jahre auf eine globale Bühne über-
das Unternehmen General Electric, gelten als Vorrei- tragen. Dadurch richtet sich die Arbeit der Investor
ter der Investor Relations. Cordiner errichtete Relations in der heutigen Zeit an eine Vielzahl unter-
dadurch als Erster eine eigenständige Funktionsein- schiedlicher Investoren mit unterschiedlichen Natio-
heit für die Kommunikation mit den privaten Inves- nalitäten und Kulturen (vgl. Moll 2012: o. S.). Nicht
toren (vgl. Köhler 2015: 1). zuletzt, bedingt durch die Entwicklungen der Globa-
Rund vierzehn Jahre später erlangt das Thema der lisierung sowie der Digitalisierung, hat sich neben
Investor Relations in Deutschland in einer Disserta- der stark gestiegenen Zahl an neunen Wettbewerbern
tion unter dem Titel „Die große Publikumsgesell- auch die grundsätzliche Situation innerhalb der
schaft und ihre Investor Relations“ das erste Mal Märkte sowie die Anforderungen der Financial
Bedeutung (vgl. Dürr 1995: 2). Hanno Kurd Hart- Community verändert.
mann, der Autor dieser Dissertation, die durch ein Hinsichtlich der vergangenen Finanz- und Staats-
Promotionsstipendium des Automobilherstellers schuldenkrise wurde sowohl das rationale als auch
Volkswagen in Amerika zu Stande kam, fokussiert das emotionale Vertrauen seitens der Financial
sich dabei jedoch besonders auf die Verhältnisse Community in die Finanzmärkte und damit auch in
innerhalb des Kapitalmarktes in Amerika (vgl. Dürr die Unternehmen auf eine harte Probe gestellt und
1995: 2). zum Teil sehr stark erschüttert. Transparenz, Wer-
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich das The- torientierung oder auch Diversität sind nicht zuletzt
ma der Investor Relations als autonome Management deshalb zu entscheidenden Faktoren von Investor
Vorgehensweise in der Finanzkommunikation von Relations geworden. Die moderne Finanzkommuni-
Unternehmen, besonders in Amerika, erst rund 30 kation ist in der heutigen Gesellschaft ein Aufgaben-
Jahre später fest etablierte. Denn obwohl es die ers- feld, welches für die Positionierung des Unterneh-
ten Aktiengesellschaften bereits im 15. Jahrhundert mens, mit Blick auf den globalen Wettbewerb um
gab, waren sowohl die Vorgehensweise als auch der Investoren, eine entscheidende Rolle spielt (vgl.
eigentliche Mehrwert von Investor Relations für Moll 2012: o. S.).
viele Unternehmen Mitte der 1990er Jahre noch
nicht vollends nachvollziehbar (vgl. Köhler 2015: 1 Die Entwicklung der Investor Relations
f.). Trotz einschneidender Ereignisse und Entwicklungen
In Deutschland findet das Feld der Investor Relati- in den vergangenen Jahren befinden sich Investor
ons in den 80er Jahren seinen Anfang, wenn auch Relations auch heute noch in einem Spannungsfeld
nur sehr schwach vertreten. Erst in der darauffolgen- zwischen Unternehmen, dem internationalen Kapi-
den Dekade beginnt der Bereich der Investor Relati- talmarkt und den jeweiligen Zielgruppen (vgl. Nix
ons sich stärker auszubreiten. Über eine eigenständi- 2000: 35). Dennoch haben Ereignisse wie die soge-
ge Investor Relations-Abteilung verfügten im Jahr nannte Dotcom-Blase in den 90er Jahren oder die
1994 allerdings erst etwa zehn Prozent der Unter- Finanzkrise in den Jahren 2007 und 2008 für Verän-
nehmen in Deutschland (vgl. Streuer 2004: 9). Als derungen und ein Umdenken in den Köpfen der
Vorreiter im Bereich Investor Relations in Deutsch- Anleger gesorgt. So hat beispielsweise vor wenigen
land gilt die deutsche Aktiengesellschaft BASF AG, Jahren besonders der Aktienkurs für die Unterneh-
welche bereits 1988 die erste eigenständige Abtei- men in Zeiten einer Kapitalerhöhung oder einem
lung für die Betreuung und Pflege von Investoren Going Public eine ausschlaggebende Rolle gespielt.
errichtete (vgl. Calsow 2004: V). Dabei prägten die reinen Zahlen, Daten und Fakten
Für börsennotierte Unternehmen hat die reine Fi- wie der Umsatz, die Anzahl der Mitarbeiter, die
nanzkommunikation im Laufe der Zeit eine unaus- Unternehmensgröße oder auch die Höhe der Investi-
weichliche strategische Bedeutung dazugewonnen. tionen das Standing des Unternehmens in der Öffent-
Das eigentliche Ziel von Investor Relations, institu- lichkeit (vgl. Nix 2000: 35). Um die Performance
tionelle und private Anleger sowie sämtliche Multi- eines Unternehmens bewerten zu können, genügten
plikatoren mit den notwendigen und aktuellen Un- die traditionellen Kennzahlen aus der Gewinn- und
ternehmensinformationen und Daten zu versorgen, Verlustrechnung oder der Bilanz (vgl. Nix 2000: 35).
um somit eine angemessene und faire Bewertung der

journal-kk.de 101
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen der ver- walters BlackRock (vgl. BlackRock. Larry Fink o.J.:
gangenen Jahre, haben sich zunehmend auch die o. S.).
Kriterien für die Bewertung eines Unternehmens Insgesamt verwaltet das 1988 gegründete Unter-
verändert. Eine verständliche Unternehmensstrategie nehmen weltweit ein Vermögen von rund 6,44 Bio.
sowie eine transparente und glaubwürdige Kommu- US-Dollar und beschäftigt mehr als 13.500 Mitarbei-
nikation, zusammen mit einer leistungsorientierten ter in 34 verschiedenen Ländern (vgl. BlackRock.
Vergütung und einem aktiven Wertsteigerungsma- Wofür wir stehen o. J.: o. S.). Fink wird als der
nagement, bestimmen heute neben weiteren Kriterien mächtigste Mann der Wall Street gehandelt und berät
nicht nur die Entwicklung des Aktienkurses, sondern Finanzminister ebenso wie Notenbanken. In Anbe-
zu einem bedeutenden Anteil auch das Ansehen des tracht dieser Fakten, kann man den weltweiten und
Unternehmens in der Öffentlichkeit (vgl. Nix 2000: allgegenwärtigen Einfluss von Larry Fink und dem
35). Somit wurden die reinen rationalen Kennzahlen Vermögensverwalter BlackRock nur erahnen (vgl.
durch weitere Kriterien ergänzt und erweitert. HSBC o. J.: o. S.).
Grundsätzlich gilt in Anbetracht dieser veränderten In seiner Rolle als CEO von BlackRock veröffent-
Umstände jedoch auch, dass die Gruppen, welche licht er jedes Jahr einen Brief, in dem er sich an
den Aktienkurs maßgeblich beeinflussen, zuneh- andere CEOs richtet und über aktuelle Entwicklun-
mend in den Interessenfokus von Unternehmen ge- gen und Anforderungen schreibt. In seinen Briefen
rückt sind und somit zu den Kernzielgruppen von aus den Jahren 2018 und 2019 bezieht er sich immer
Investor Relations gehören. Dazu zählen beispiels- wieder auf den Begriff Purpose, zu Deutsch: der
weise freie institutionellen Investoren, ebenso wie Unternehmenszweck beziehungsweise die Bedeu-
Analysten und verstärkt auch privaten Investoren. tung eines Unternehmens (vgl. Fink 2018: o. S.; vgl.
Eine Konsequenz dieser Umstände ist, dass die Ar- Fink 2019: o. S.). 2018 schreibt er, dass trotz des
beit von Investor Relations innerhalb börsennotierter Aktienaufschwungs im Vorjahr, der in verschiedens-
Unternehmen mit der Zeit eine immer größere Be- ten Branchen Rekordhochs verzeichnen ließ, sich in
deutung bekommen hat (vgl. Nix 2000: 35). der Bevölkerung dennoch Zukunftsängste und Frust-
Eine weitere Entwicklung in Bezug auf die Ziel- rationen verbreiteten (vgl. Fink 2018: o. S.). Ein
gruppen ist, dass besonders institutionelle und pri- geringes Lohnwachstum sowie ein unsicheres Ren-
vate Anleger sowie Analysten, zu einem immer tensystem sind nur einige der Gründe, aus denen
professionelleren Publikum herangewachsen sind. diese Ängste seiner Meinung nach weltweit entste-
Das hat zur Folge, dass sie nicht nur ausgiebigere, hen. Dabei verzeichnet er, dass sich die Regierungen
sondern auch anspruchsvollere Informationen seitens nicht hinreichend genug den Herausforderungen der
der Unternehmen und somit der Investor Relations- Zukunft stellen. Dazu gehören Themen wie Alters-
Abteilungen erwarten. Verfolgt man diese Entwick- vorsorge, Umweltschutz oder Infrastruktur bis hin
lungen, so entsteht vermehrt der Eindruck, dass die zur Automatisierung und damit der Umschulung von
reinen ökonomischen Zahlen und Fakten immer Arbeitnehmern. Infolgedessen nehmen die Anforde-
weiter in den Hintergrund rücken und durch eine rungen der Gesellschaft an Unternehmen stetig zu.
wert- und zukunftsorientierte Strategie des Unter- Die Öffentlichkeit fordert dadurch von den Unter-
nehmens sowie einer umfassenden und kontinuierli- nehmen als nächste Instanz, auf die umfassenden
chen Kommunikation ergänzt werden (vgl. Nix gesellschaftlichen Entwicklungen und Herausforde-
2000: 35). rungen zu reagieren und sich mit diesen sensiblen
sozialen und politischen Themen zu befassen (vgl.
Der Unternehmenszweck als Legitimati- Fink 2018: o. S.; vgl. Fink 2019: o. S.). Dieser Ver-
on trauensverlust in politische Institutionen wird eben-
Dass es besonders bei börsennotierten Unternehmen falls in einer Studie der Bertelsmann Stiftung be-
längst nicht mehr nur um die reinen Zahlen geht, schrieben. Die Erkenntnisse dieser Studie fordern
unterstreichen ebenfalls die Briefe des BlackRock Lösungen für Sachfragen zu erarbeiten, welche die
CEOs Larry Fink. Laurence Douglas „Larry“ Fink ist Menschen tatsächlich beschäftigen und bewegen
Gründer, Aufsichtsratsvorsitzender und Vorstands- (vgl. Faus/Mannewitz/Storks/Unzicker/Vollmann
vorsitzender des weltweit größten Vermögensver- 2019: 8). Nach den Erkenntnissen der Bertelsmann
Studie sinkt besonders in Deutschland das Vertrauen

102 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

in die Bundesregierung (vgl. Faus/Mannewitz/ einer langfristigen finanziell erfolgreichen Rendite


Storks/Unzicker/Vollmann 2019: 7f.). Die Studie für die Aktionäre bei (vgl. Fink 2019: o. S.).
beruft sich dabei auf die vermehrt auftretenden poli- Mit einem weltweit zu verwalteten Vermögen von
tischen Krisenphänomene (vgl. Unzicker 2019: 12). rund 6,44 Bio. US-Dollar stellen Larry Fink und
Diese Umstände implizieren, dass je größer der Ver- damit der Vermögensverwalter BlackRock eine
trauensverlust von der Gesellschaft in die Regierun- einflussreiche Orientierung für die gesamte Financial
gen ist, desto größer die Erwartungen an die Unter- Community dar, wodurch die soeben vorgestellten
nehmen werden und damit auch das Vertrauen, das Äußerungen in ihrer Gewichtung deutlich stärker
diese der Gesellschaft geeignete Lösungen darlegen ausfallen und von ihnen eine erhebliche Signalwir-
können. Durch die steigenden Erwartungen wächst kung ausgeht.
schließlich auch die Verantwortung der Unterneh-
men gegenüber der Gesellschaft. Weiche Faktoren als neue Standards
Um langfristig wirtschaftlich erfolgreich zu sein, Angesichts dieser Sichtweise und den aktuell welt-
müssen Unternehmen neben den rein finanziellen weit diskutierten Aufgaben und Herausforderungen
Leistungen der Gesellschaft zusätzlich zeigen, wel- folgen besonders auch institutionelle Investoren
chen positiven Beitrag sie für diese erbringen. zunehmend dem Trend nachhaltiger Investments. Sie
Zusammenfassend wird daraus deutlich, dass es orientierten sich verstärkt an den drei wesentlichen
für Unternehmen in Zukunft immer wichtiger wird, Themen wie dem sozialen Verhalten und Engage-
auf die Ansprüche sowie das Feedback ihrer Ziel- ment von Unternehmen, einer fairen Unternehmens-
gruppen zu reagieren und dies in ihrer Unterneh- führung und dem Umweltschutz (vgl. Groth 2018: o.
mensstrategie zu implementieren. Der Wert bezie- S.). Diese sogenannten ESG-Kriterien spielen für
hungsweise der Zweck, den das Unternehmen für die Investoren eine immer prägnantere Rolle. ESG steht
Gesellschaft schafft und leistet muss, glaubwürdig dabei für Environmental, Social and Governance.
kommuniziert und in den Köpfen der Zielgruppen Ende 2017 steckten insgesamt etwa 280 Milliarden
verankert werden. Das intensivere Kommunizieren Euro allein in Deutschland, der Schweiz und Öster-
mit den Investoren kann dem Unternehmen dabei reich in nachhaltigen Investments. Rund 90 Prozent
helfen, den von der Gesellschaft geforderten Wert zu des Vermögens stammt in Deutschland von instituti-
identifizieren und umzusetzen. Larry Fink beschreibt onellen Investoren, wodurch deren Macht und finan-
den Zweck eines Unternehmens nicht als eine Mar- zielle Möglichkeiten auch in Deutschland noch ein-
ketingkampagne oder das alleinige Streben nach der mal verdeutlicht werden (vgl. Groth 2018: o. S.).
Gewinnmaximierung; der Zweck ist die treibende Auch der norwegische Staatsfonds entscheidet
Kraft, um diese Maximierung auch zu erreichen. Die nach festgelegten ethischen und moralischen Krite-
Gewinne sind daher untrennbar mit dem Zweck rien. Der norwegische Pensionsfonds soll dazu die-
verknüpft. Denn nur wenn ein Unternehmen auch nen, den Einwohnern Norwegens bei der Altersvor-
Gewinne erzielt ist es in der Lage, auf die Interessen sorge zu helfen. Bereits seit 1996 werden die Ge-
seiner Anspruchsgruppen zu reagieren und diese zu winne aus den Gas- und Ölgeschäften in den Fonds
bedienen (vgl. Fink 2019: o. S.). investiert. Aus den anfänglichen 450 Kronen pro
Die Bedeutung eines Unternehmens vereint laut Einwohner, umgerechnet etwa 50 Euro, sind 20
Fink Management, Mitarbeiter und Communities Jahre später mehr als 8,124 Billionen Kronen gewor-
gleichermaßen (vgl. Fink 2019: o. S.). Der Unter- den, was einem Wert von rund 160.000 Euro pro
nehmenszweck fördert nicht nur ethisches Verhalten, Einwohner entspricht. Diese Zahlen machen den
sondern schafft ebenso eine Kontrolle der wesentli- norwegischen Pensionsfonds heute zum größten
chen Handlungen eines Unternehmens, die den An- Staatsfonds der Welt (vgl. ARD Börse 2018: o. S.).
sprüchen der Interessensgruppen entsprechen. Der Der Fonds wird vom Norges Bank Investment Ma-
von ihm beschriebene Purpose bietet für das Unter- nagement, kurz NBIM, unter dem Dach der norwegi-
nehmen und das Handeln einen Rahmen, nimmt schen Zentralbank geleitet. Zu den Hauptkriterien
damit die Rolle einer Orientierungsgröße für konsis- zählen dabei vor allem die Langfristigkeit, Nachhal-
tente Entscheidungen ein und legt den Grundstein für tigkeit sowie eine diversifizierte Investition (vgl.
die Kultur des Unternehmens. Die Kombination all ARD Börse 2018: o. S.). Dabei setzt der norwegi-
dieser Faktoren trägt nach Larry Fink letztendlich zu

journal-kk.de 103
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

sche Staatsfonds besonders auf Green Finance. Hier- Der Einfluss von Geschichten
bei entscheidet der Ethikrat des Finanzministeriums,
Der US-amerikanische Ökonom Robert James Shil-
unter Berücksichtigung moralischer und ethischer
ler, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der
Vorgaben, ob in ein Unternehmen investiert werden
Yale University und Ökonomie-Nobelpreisträger,
darf oder nicht (vgl. ARD Börse 2018: o. S.). Auch
geht in seinem 2017 veröffentlichten Paper „Narrati-
an diesem Fall wird deutlich, dass die Legitimität
ve Economics“ auf das Konzept des Geschichtener-
von Unternehmen von deutlich mehr Faktoren ab-
zählens ein. In seiner Studie zu dem Thema narrative
hängig ist als den reinen Zahlen, Daten und Fakten.
Ökonomie erklärt er sowohl die Verbreitung als auch
Die Unternehmensbewertung wird dabei aus einer
die dabei entstehende Dynamik von populären Er-
neuen Perspektive betrachtet und durchgeführt. Das
zählungen und Geschichten. Es handelt sich dabei
Investitionsvolumen des norwegischen Staatsfonds
um Geschichten, die von menschlichem Interesse
verdeutlicht zudem noch einmal mehr, dass die be-
sind, Emotionen ansprechen und am Ende sogar zu
reits angesprochenen weichen Themen und Faktoren
wirtschaftlichen Schwankungen führen können (vgl.
für viele Investoren mehr als nur bloße Hintergrund-
Shiller 2017: 3). Unter dem Begriff der Narrative
informationen darstellen.
versteht er grundsätzlich eine einfache und verständ-
Unternehmen, welche die Menschenrechte verletz-
liche Erzählung von Ereignissen, die Menschen dazu
ten, Waffen oder Tabakwaren produzieren, Kinder-
benutzen, um das eigene Interesse zu stillen und die
arbeit ausnutzen, die Umwelt verschmutzen oder gar
Sorgen, Wünsche und Emotionen anderer Menschen
korrupt sind, werden von dem norwegischen Staats-
zu wecken (vgl. Shiller 2017: 4).
fonds ausgeschlossen. Dazu zählen ebenfalls Unter-
Diese Narrative können auf unterschiedlichen
nehmen, die mehr als 30 Prozent ihres Umsatzes
Graden der Wahrheit basieren und über ein anste-
durch Kohle erwirtschaften (vgl. ARD Börse 2018:
ckendes Kernelement verfügen, wodurch sie sich
o. S.; vgl. ARD Börse 2019: o. S.). Mit dem Aus-
verbreiten. Im Laufe dieser Verbreitung der Narrati-
schluss von Kohle-Aktien zählt Norwegen ebenfalls
ve können zufällige Mutationen auftreten und damit
zu den Pionieren in Bezug auf die Divestment-
unvorhersehbare Veränderungen bewirken (vgl.
Bewegung (vgl. ARD Börse 2019: o. S.). Die Di-
Shiller 2014: 4). Narrative durchlaufen nach Robert
vestment-Bewegung steht für den Kapitalabbau aus
Shiller demnach das Stille Post Prinzip. Frei übertra-
Branchen, die mit fossilen Energieträgern Gewinne
gen auf die aktuellen Diskussionen und die zuneh-
erwirtschaften. Dabei haben sich dieser Idee neben
mende Forderung nach der Offenlegung des Unter-
dem norwegischen Staatsfonds viele weitere Unter-
nehmenszwecks, wie beispielsweise durch den
stützer sowie diverse Stiftungen angeschlossen.
BlackRock CEO Larry Fink, kann der Purpose als
Unter den Unterstützern befindet sich auch die Deut-
Narrativ verstanden werden. Dabei wird der Unter-
sche Bundesstiftung für Umwelt (DBU), die in den
nehmenszweck, der Purpose, vom Unternehmen als
letzten Jahren etwa 90 Prozent ihrer Investitionen in
Geschichte an die unterschiedlichen Anspruchsgrup-
Kohle-Unternehmen abgebaut hat. Bereits im Jahr
pen kommuniziert und herausgetragen. Die Ge-
2015 hatte die Stiftung beschlossen, die Kohlewirt-
schichte, also das Narrativ, beinhaltet dabei zum
schaft nicht mehr zu unterstützen und das Anlagevo-
Beispiel Aspekte wie eine besonders nachhaltige
lumen von etwa 40 Millionen Euro nach und nach zu
Produktion, faire und transparente Arbeitsbedingun-
reduzieren (vgl. Bundesverband Deutscher Stiftun-
gen, die Gleichberechtigung von Männern und Frau-
gen 2018: o. S.). Die Verfechter der Divest-
en, Umweltschutz oder besonderes soziales Engage-
Bewegung stehen vor allem für den Rückzug aus
ment. Damit formt sie die Legitimitätsargumente der
Kohleinvestments, jedoch ziehen sich einige Anleger
Unternehmen. Durch die Veröffentlichung der Ge-
auch vermehrt aus der Öl- und Gasbranche zurück.
schichte thematisiert das Unternehmen die verschie-
Die Bewegung findet weltweit Unterstützer und
denen Faktoren und mit ihnen den Grund dafür,
erfährt aktuell einen stetigen Zulauf. So haben bei-
warum es in der Gesellschaft tätig ist und welchen
spielsweise bereits mehr als 800 institutionelle Inves-
Wert es für diese schafft. Durch das Narrativ bekräf-
toren angekündigt, ihr verwaltetes Kapital von insge-
tigen Unternehmen demnach ihre Legitimität in der
samt
heutigen Gesellschaft und letztlich warum man in sie
investieren sollte.

104 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Ungewiss ist dabei jedoch, wie diese Geschichte Mit Hilfe dieser qualitativen Methode soll ein
am Ende gesehen beziehungsweise von den An- Blick hinter die Kulissen ermöglicht werden, um
spruchsgruppen bewertet wird. Das Phänomen der somit das Wesentliche, welches sich noch unter der
Mutation der Geschichte liegt außerhalb der Kontrol- Oberfläche befindet, hervorzuheben (vgl.
le von Unternehmen. Die Mutationen, bedingt durch Kühn/Koschel 2018: 38).
das Stille Post Prinzip innerhalb der Zielgruppen, Insgesamt werden vier Gruppendiskussionen ge-
prägen demnach die Bedeutung des Zwecks eines bildet, mit diversen Teilnehmerinnen und Teilneh-
Unternehmens. Der Purpose wird daher immer wie- mern in der Rolle der privaten Investoren. Die Grup-
der neu bewertet, verändert sich stetig und es findet pen umfassen dabei jeweils drei Männer oder drei
eine kontinuierliche moralische Valorisierung statt, Frauen unter 38 beziehungsweise über 38 Jahren.
so beispielsweise auch durch den norwegischen Die Altersgrenze von 38 Jahren wurde bewusst ge-
Staatsfonds, der durch seinen Kriterienkatalog das wählt, da ab dem Jahrgang 1981 die Generation Y
Narrativ ebenfalls prägt. Durch die Kriterien werden beginnt (vgl. Manzin 2016: o. S.). Diese Generation
Unternehmen im Hinblick auf ihr wirtschaftliches wird mit den vorherigen Generationen verglichen,
Handeln unter Berücksichtigung von nachhaltigen, um eine generationenbedingte Entwicklung der In-
ökologischen, sozialen und ethischen Aspekten be- vestitionsmotive zu hinterfragen. Zudem bildet die
wertet. Es findet also eine Valorisierung statt, die auf Generation Y eine der aktuell jüngsten Generationen
den ersten Blick nichts mit den ökonomischen Kenn- ab, für welche Investitionen bereits ein realistisches
zahlen zu tun hat, sondern einzig und allein mit dem Thema darstellen können. Um die Ergebnisse mög-
Narrativ, was ein Unternehmen für die Gesellschaft lichst detailliert zu gestalten, werden zudem Unter-
leistet. Durch die Bewertung der Geschichte und schiede zwischen Männern und Frauen durch die
damit des Purpose beziehungsweise des Unterneh- Gruppendiskussionen analysiert und miteinander
menszwecks entscheidet der norwegische Staats- verglichen.
fonds darüber, welche Unternehmen zu den Guten Die Auswertung der einzelnen Gruppendiskussio-
und welche zu den Schlechten gehören und sendet nen sowie der ganzheitliche Vergleich der Erhebung
als weltweit größter Staatsfonds eine deutliche Sig- erfolgt in grober Anlehnung an die Grounded Theo-
nalwirkung aus. Dieses Beispiel lässt nur erahnen, ry-Methode. Um die Inhalte der Diskussionen so
dass das Narrativ für die Financial Community und zielgerichtet wie möglich auszuwerten wurden ins-
die gesamte Gesellschaft von immer größerer Bedeu- gesamt vier Kategorien gebildet. Zu den Kategorien
tung zu sein scheint und Investitionsentscheidungen zählen zum einen Äußerungen über die eigenen
zu einem großen Teil mitbeeinflussen kann. Investitionsmotive und das Investitionsverhalten, die
Mit Blick auf die Diskussionen und Entwicklun- grundsätzliche Einstellung gegenüber den weichen
gen der vergangenen Zeit wird deutlich, dass unter Faktoren, Anforderungen und Einschätzungen über
anderem die einflussreichsten institutionellen Inves- die Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft sowie
toren und Persönlichkeiten der Finanzbranche, eben- die Einstellung gegenüber der Unternehmensge-
so wie die Gesellschaft als solche, die Unternehmen schichte und die Einschätzung in Bezug auf die
zunehmend auffordern, eine glaubwürdige Geschich- Themen Vertrauen und Transparenz.
te zu erzählen, die über die reinen Zahlen und Daten
hinausgeht. Auswertung und Vergleich der Ergebnis-
se
Untersuchungsmethode: Gruppendiskus- Angesichts der ersten Kategorie können besonders
sion Ähnlichkeiten im Hinblick auf das Alter ausgemacht
Um die Forschungsfragen so gezielt wie möglich werden. In Anbetracht des Alters wird deutlich, dass
beantworten zu können, werden die Daten im Rah- bei den jüngeren Teilnehmern insgesamt vier von
men einer qualitativen Methode gewonnen. Für die sechs Personen die weichen Faktoren in ihren Inves-
Datenerhebung werden dabei verschiedene Grup- titionsentscheidungen berücksichtigen. Auch bei den
pendiskussionen aufgestellt, die als Untersuchungs- Teilnehmern über 38 Jahren berücksichtigen vier der
methode für diese Arbeit gelten. sechs befragten Personen Aspekte wie Nachhaltig-
keit oder Umweltschutz in ihren Investitionsent-

journal-kk.de 105
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

scheidungen. In Bezug auf das Alter können somit Dabei sind sich wiederum alle Gruppen einig, dass
keine signifikanten Unterschiede herausgestellt wer- die Rolle der Unternehmen in der Gesellschaft, nicht
den. Sowohl bei der jüngeren als auch bei der älteren von den Unternehmen selbst bestimmt wird, sondern
Generation nehmen bei der Mehrheit der Befragten, verstärkt durch äußere Einflüsse geprägt wird.
die weichen Faktoren eine entscheidende Rolle ein. Damit kann in Bezug auf die dritte Kategorie fest-
Bei den Geschlechtern hingegen kann ein Unter- gestellt werden, dass sich die Gruppen unter der
schied festgestellt werden. Bei den befragten Män- Berücksichtigung der Merkmale des Alters und des
nern berücksichtigt jeder der Teilnehmer die weichen Geschlechts in ihren Kernaussagen und Einschät-
Faktoren und wird durch diese in seinem Investiti- zungen sehr ähnlich sind. Die Bedeutung der wei-
onsverhalten beeinflusst. Bei den Frauen hingegen chen Faktoren wird für alle Beteiligten dabei immer
legt die Mehrheit weniger Wert auf die so genannten wichtiger.
weichen Faktoren und dafür deutlich mehr Wert auf Aus allen vier Gruppendiskussionen konnten ähn-
die Rendite. Bei Investitionen spielen demnach be- liche Erkenntnisse hinsichtlich der Unternehmensge-
sonders für die Männer, Faktoren wie Nachhaltig- schichte, unter Berücksichtigung der Einstellungen
keit, eine gute Unternehmensführung, faire Löhne gegenüber den Themen Vertrauen und Transparenz,
oder auch Umweltschutz eine zunehmend wichtige gewonnen werden.
und ausschlaggebende Rolle. Insgesamt spielt die Unternehmensgeschichte für
Aus der Analyse geht hervor, dass sich alle zwölf acht der zwölf befragten Personen eine wichtige
Teilnehmer, egal ob männlich oder weiblich, jünger Rolle. Sie dient den Teilnehmerinnen und Teilneh-
oder älter, darin einig sind, dass sich die Rolle von mern als erste Informationsquelle und gibt Auf-
den Unternehmen in der heutigen Gesellschaft ver- schluss darüber, ob sich die Personen mit dem Un-
ändert hat und über die reine Wirtschaftlichkeit hin- ternehmen und den angestrebten Werten identifizie-
ausgeht. Unterschiede gibt es dabei hinsichtlich der ren können. Die von einem Unternehmen umgesetz-
Ansichten zum Thema der Legitimität von Unter- ten und kommunizierten Werte können demnach
nehmen. Die männlichen Teilnehmer sehen verstärkt Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der Per-
die wirtschaftliche Leistung der Unternehmen sowie sonen nehmen.
die Wirtschaftsordnung als Rahmen, als die zentralen Bei den Themen Vertrauen und Transparenz konn-
Aspekte hinsichtlich der Legitimität. Dennoch sind ten jedoch keine signifikanten Unterschiede festge-
sie sich einig, dass die weichen Faktoren die weitere stellt werden. Alle der zwölft befragten Personen
Rolle und Verantwortungsübernahme der Unterneh- misstrauen den Informationen, die von einem Unter-
men prägen werden. Nach Ansicht der weiblichen nehmen selbst kommuniziert werden. Besonders mit
Teilnehmerinnen erlangen Unternehmen ihre Legi- Hilfe unabhängiger Informationsquellen können die
timität zunehmend durch die Implementierung und notwendigen Beweise erbracht und das Vertrauen in
Berücksichtigung der weichen Faktoren. Grundsätz- ein Unternehmen erzeugt beziehungsweise gestärkt
lich kann jedoch anhand aller vier Diskussionen werden. Durch diese Umstände wird die Einfluss-
festgestellt werden, dass Themen wie Nachhaltigkeit, nahme, seitens weiterer kommunikativer Maßnah-
Umweltschutz oder eine faire Unternehmensführung men der Unternehmen, in Frage gestellt.
die gesellschaftlichen Erwartungen an Unternehmen
verstärkt beeinflussen. Beantwortung der Forschungsfrage
Generell sind sich die Personen aller vier Grup- Durch die Gegenüberstellung der theoretischen
pendiskussionen einig, dass ein Wandel im Hinblick Grundlagen der klassischen Investor Relations mit
auf die Rolle von Unternehmen stattgefunden hat. den aktuellen Entwicklungen und Diskussionen in
Auch hier ist wieder ein Unterschied zwischen den der Finanzbranche und dem Unternehmensumfeld
Geschlechtern zu erkennen. Nach Meinung der kristallisiert sich ein Wandel innerhalb der Bezie-
männlichen Teilnehmer beruht dieser Wandel auf hung zwischen Investoren und Unternehmen heraus.
dem zunehmenden gesellschaftlichen Druck und Wohingegen es bei dem klassischen Bild der Inves-
einer veränderten Erwartungshaltung. Für die weibli- tor Relations noch um die reinen wirtschaftlichen
chen Teilnehmerinnen beruht diese Veränderung Zahlen, Daten und Fakten ging, wird laut dem US-
vermehrt auf ganzheitlichen Massenphänomenen wie amerikanischen Ökonom Robert James Shiller, der
der Globalisierung oder auch der Digitalisierung.

106 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

zunehmende Einfluss der Geschichte nun deutlich men Megatrends wie etwa die Globalisierung und
(vgl. Shiller 2017: 3). Die Geschichte kann, unter die Digitalisierung, die nach Meinung der befragten
Berücksichtigung der theoretischen Erkenntnisse, als Personen Gründe dafür sind, weshalb sich die Rolle
ein Beitrag des Unternehmens an die Gesellschaft der Unternehmen innerhalb der Gesellschaft verän-
interpretiert werden, der über die reine Bedürfnisbe- dert hat. Eine weitere Ursache ist das zunehmende
friedigung hinausgeht. Verständnis der Bevölkerung hinsichtlich der be-
Damit geht auch der Anspruch einher, dass Unter- grenzten natürlichen und menschlichen Ressourcen.
nehmen nicht bloß von einer Gesellschaft leben, Dieses schafft ein weltweites Umdenken in den Köp-
sondern auch für sie bestehen und handeln. Dies fen der Menschen und damit auch der privaten Inves-
bestärken auch die Erkenntnisse der empirischen toren.
Forschung, die verdeutlicht haben, dass nach Ansicht
der privaten Investoren, die Verantwortung der Un- Weiche Faktoren als ein entscheidender Wettbe-
ternehmen gegenüber der Gesellschaft heute eine werbsvorteil
andere Relevanz hat als noch vor einigen Jahren. Die Sowohl die Aussagen von Larry Fink, als auch die
veröffentlichten Briefe des CEOs des weltweit größ- Erkenntnisse aus der durchgeführten qualitativen
ten Vermögensverwalters BlackRock, Larry Fink, Forschung weisen darauf hin, dass der Umgang von
bestätigen diese Erkenntnisse ebenfalls. In seinen Unternehmen mit Themen wie der Gleichberechti-
Briefen an die CEOs der Unternehmen, in die der gung von Geschlechtern oder dem Umweltschutz zu
Vermögensverwalter für seine Kunden investiert, einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden
betont er die zunehmende Relevanz der Bedeutung kann. Am Beispiel des norwegischen Pensionsfonds,
eines Unternehmens für die Gesellschaft (vgl. Fink dem größten Staatsfonds der Welt, wird die Bedeu-
2019: o. S.). tung dieser Verantwortungsübernahme und der Im-
Damit wird auch der Anspruch der Gesellschaft plementierung der weichen Faktoren verdeutlicht. In
gegenüber den Unternehmen immer größer. Auch Norwegen sind ethische und moralische Kriterien
die Erkenntnisse der qualitativen Forschung weisen entscheidend für die Verwaltung eines Vermögens
darauf hin, dass die Teilnehmerinnen und Teilneh- von mehr als 8,124 Billionen Kronen (vgl. ARD
mer sowohl in ihrer Rolle als Privatpersonen sowie Börse 2018: o. S.).
auch als private Investoren von den Unternehmen Die steigende Bedeutung von Themen wie der
erwarten, dass diese sich zunehmend den aktuellen Nachhaltigkeit oder dem sozialen Engagement von
gesellschaftlichen Problemen widmen. Dies bestätig- Unternehmen, unterstreichen ebenfalls die rund 280
ten besonders die männlichen Teilnehmer der For- Milliarden Euro, die im Jahr 2017 in Deutschland,
schung. Zu diesen Themen zählen beispielsweise der Schweiz und Österreich bereits in nachhaltige
eine nachhaltige Produktion sowie Umweltschutz, Investments flossen (vgl. Groth 2018: o. S.).
Gleichberechtigung von Männern und Frauen, eine Die sogenannten ESG-Kriterien bieten vor allem
faire Unternehmensführung, das soziale Engagement den privaten Investoren eine Orientierungshilfe im
von Unternehmen oder grundlegende Themen wie Hinblick auf zukünftige Investitionen. Dies zeigen
der Ruhestand. auch die Aussagen innerhalb der analysierten Grup-
Für Larry Fink liegt die Ursache des Wandels und pendiskussionen, in denen zunehmend auf diese
der veränderten Ansprüche der Gesellschaft gegen- Kriterien geachtet wird.
über den Unternehmen in einem immer größer wer- Für die privaten Anleger wird es zunehmend wich-
denden Vertrauensverlust in bestehende Institutio- tiger, sich mit den Werten, für die ein Unternehmen
nen. Dieser Vertrauensverlust beruht seiner Meinung steht und wofür es sich einsetzt, identifizieren zu
nach darauf, dass die Regierungen keine ausreichen- können. Die durchgeführte Forschung gibt Auf-
den Lösungen für Probleme bieten, welche die Men- schluss darüber, warum es den privaten Investoren
schen wirklich beschäftigen (vgl. Fink 2018: o. S.). immer wichtiger wird in Unternehmen zu investie-
Auch in den durchgeführten Gruppendiskussionen ren, die einen Beitrag für die Gesellschaft leisten und
wird der Vertrauensverlust in die Politik oder auch somit auch Verantwortung übernehmen. Die Mehr-
die Kirche als ein Grund für die veränderte Sichtwei- heit der befragten Personen sieht darin die Möglich-
se und die zunehmenden Ansprüche der Gesellschaft keit, Unternehmen dabei zu unterstützen, ihnen
gegenüber den Unternehmen genannt. Hinzu kom- wichtige Werte intensiver umsetzen zu können. In

journal-kk.de 107
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

ein Unternehmen zu investieren, welches sich mit dige Vertrauen seitens der Anleger dennoch aufbau-
den weichen Faktoren auseinandersetzt und diese in en können. Für viele der befragten Personen können
seiner Philosophie und Ausrichtung implementiert, einzig und allein unabhängige und neutrale Medien
gibt ihnen das Gefühl, selbst einen positiven Beitrag die zentralen Aspekte der Glaubwürdigkeit, Transpa-
für die Gesellschaft leisten zu können. renz und damit auch des Vertrauens bedienen. Diese
Dadurch werden die, in diesem Artikel themati- Aspekte sind jedoch besonders im Hinblick auf mög-
sierten weichen Faktoren, neben der klassischen liche Investitionsentscheidungen von Bedeutung.
Rendite, sowohl für institutionelle Anleger als auch Um als Unternehmen dennoch aktiv das Vertrauen
für private Investoren, zu einem ausschlaggebenden der Anleger zu erzeugen, sind Beweise unerlässlich.
Investitionskriterium. Die Erkenntnisse der durchge- Beweise zu erbringen bedeutet für die Teilnehmerin-
führten Gruppendiskussionen zeigen, dass diese nen und Teilnehmer der Studie, kontinuierlich dar-
weichen Faktoren in den meisten Fällen einen größe- über informiert zu werden, was ein Unternehmen für
ren Einfluss auf die Investitionsentscheidungen der die Gesellschaft und die Umwelt leistet. Für die
privaten Anleger haben als die Rendite. Viele private privaten Investoren innerhalb der Gruppendiskussio-
Investoren prüfen zunächst, ob ein Unternehmen nen spielt dahingehend die Kontinuität eine wesent-
ihren eigenen Prinzipien und Werten entspricht. Erst liche Rolle. Einmalige Aktionen und Engagements
dann vergleichen sie die daraus resultierenden Mög- verstärken auf der anderen Seite jedoch eher das
lichkeiten im Hinblick auf die Rendite. Ob ein Un- Misstrauen der Anleger. Die befragten Personen sind
ternehmen sich für die Umwelt und die Menschen sich einig, dass die Strategie des Unternehmens mit
einsetzt bestimmt darüber, ob es als mögliches In- Hilfe der Investor Relations-Abteilungen offen und
vestment für diese Anleger überhaupt in Frage deutlich präsentiert werden muss. Wenn ein Unter-
kommt. Dennoch verliert die Rendite für die Investo- nehmen sich für die Gesellschaft einsetzen will,
ren nicht an Aussagekraft, jedoch wird diese bei muss deutlich werden, dass es diese Themen konkret
einem Großteil der befragten Personen erst in einem anspricht und lösungsorientiert handelt. Dabei be-
zweiten Schritt berücksichtigt. Somit wird die Rendi- wegt sich die Kommunikation der Investor Relations
te durch die Befriedigung der eigenen Wertvorstel- auf einem schmalen Grat zwischen Glaubwürdigkeit
lungen der Investoren ergänzt. und Misstrauen.
Diese Umstände haben zur Folge, dass sich die Trotz des beschriebenen Vertrauensverlusts so-
klassischen Ziele und Inhalte der Investor Relations- wohl in der Theorie durch Larry Fink, als auch in-
Kommunikation in Anbetracht der aktuellen Diskus- nerhalb der durchgeführten Forschung, sehen die
sionen und Entwicklungen verändert haben. Wo befragten Personen die Politik ebenfalls in der Ver-
zuvor der Fokus noch auf einer kontinuierlichen antwortung, strengere und weitreichendere Gesetze
Berichterstattung mit Bezug auf aktuelle Zahlen und einzuführen, welche die Unternehmen zwangsläufig
Entwicklungen lag, wird nun die Geschichte, die ein dazu bewegen, einen größeren Beitrag für die Ge-
Unternehmen darstellt und damit die Rolle, die ein sellschaft und die Umwelt zu leisten.
Unternehmen in der Gesellschaft einnimmt, immer Demnach sind es vor allem äußere Faktoren, die
wichtiger. auf die Unternehmen einwirken und damit ihre Rolle
innerhalb und für die Gesellschaft beeinflussen und
Vertrauen als wichtiger Grundstein prägen. Die befragten Personen sehen dabei vor
In Anbetracht der theoretischen Grundlagen und allem auch die Investor Relations in der Verantwor-
der darin vorgestellten zentralen Ziele von Investor tung, gesellschaftsrelevante Themen aufzunehmen
Relations, spielt besonders der Aspekt des Vertrau- und an das Management des jeweiligen Unterneh-
ens eine prägnante Rolle. Vertrauen beutetet dem- mens heranzutragen.
nach für ein Unternehmen Sicherheit, besonders
auch in Krisenzeiten. Allerdings wurde innerhalb der Neue Herausforderungen für Unternehmen
durchgeführten Forschung deutlich, dass vor allem Die Erkenntnisse der qualitativen Forschung geben
die privaten Investoren den von Unternehmen veröf- jedoch ebenfalls Aufschluss darüber, dass sich die
fentlichten Informationen großes Misstrauen entge- befragten Personen in ihrer Rolle als private Investo-
genbringen. Hierdurch entsteht die Frage danach, ren durchaus auch über die Herausforderungen be-
wie die Investor Relations-Abteilungen das notwen- wusst sind, denen die Unternehmen dadurch gegen-

108 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

überstehen. Die Pflichtmaßnahmen für börsennotier- nicht mehr nur darin, Anleger mit Hilfe von Zahlen
te Unternehmen, wie etwa die quartalsweisen Be- zu überzeugen. Sie müssen ihnen die Perspektive
richte, in denen sie immer wieder aufs Neue Zahlen bieten, selbst aktiv daran teilhaben zu können, den
liefern müssen und der Marktmeinung ausgesetzt eigenen Anforderungen gerecht zu werden und einen
sind, schaden nach Meinung der privaten Investoren positiven Beitrag für die Gesellschaft leisten zu kön-
einer langfristigen Orientierung. Themen wie Nach- nen. Die Investor Relations müssen neben der quar-
haltigkeit oder eine faire Unternehmensführung, die talsweisen Berichterstattung in der Lage sein, den
wiederum eine langfristige Betrachtung und Orien- Investoren eine langfristige Strategie zu präsentieren,
tierung benötigen, treten somit in den Hintergrund. welche die Umsetzung der weichen Faktoren und
Gleichzeitig fordern jedoch einflussreiche institutio- damit verbundener konkreter Ziele umfasst. Um das
nelle sowie private Investoren von den Unternehmen Vertrauen der Investoren auch als Unternehmen
eine möglichst langfristige Orientierung und die aktiv gewinnen zu können, müssen die Investor
Auseinandersetzung mit den weichen Faktoren. Die Relations innerhalb dieser Strategie erreichte und
Unternehmen befinden sich somit in einem Span- umgesetzte Meilensteine kontinuierlich und glaub-
nungsfeld zwischen Markt und Gesellschaft. Auf der würdig nach außen kommunizieren. Um möglichst
einen Seite wird der Druck auf die Unternehmen viel Transparenz bieten zu können, müssen diese
bedingt durch den internationalen Wettbewerb im- Meilensteine in direkter und nachvollziehbarer Be-
mer größer. Auf der anderen Seite hingegen wird ziehung zu den gesetzten Zielen stehen. Die Interpre-
auch das Anlageuniversum für die Investoren deut- tation der Erkenntnisse unterstützt demnach die
lich größer. Diese Umstände spiegeln sich zwangs- Forderung von Larry Fink, die Investoren stärker in
läufig in der Rolle der Unternehmen und in ihrer das Unternehmen einzubinden. Nur durch das Einbe-
Kommunikation wider und führen so dazu, dass es ziehen der Investoren in das Unternehmen, können
für das Unternehmen im Laufe der Zeit deutlich relevante Themen identifiziert und die weitere Orien-
schwieriger wird, sowohl dem Markt als auch den tierung des Unternehmens möglichst effektiv daran
Anforderungen der Gesellschaft gerecht zu werden. angepasst werden.
Die eigentliche Frage, die demnach hinter den aktu-
ellen Diskussionen und Entwicklungen steht, ist die Implikationen für Unternehmen
nach der Rolle der Investoren und damit die zentrale Aus Sicht der privaten Investoren hat die Verant-
Frage dieses Fachartikels: Welche Ansprüche stellen wortung der Unternehmen gegenüber den Menschen
private Investoren an die Unternehmen und wie hat selbst, aber auch der Umwelt in den vergangenen
sich im Hinblick darauf, die Beziehung von privaten Jahren deutlich an Relevanz gewonnen und sollte
Investoren zu den Unternehmen im Laufe der Zeit somit von den Investor Relations in ihren Kommuni-
verändert? Wie reagieren die Investoren auf das kationsmaßnahmen stärker berücksichtig werden.
Spannungsfeld, in dem sich die Unternehmen in der Die Legitimität erhält ein Unternehmen demnach
heutigen Zeit befinden? heute nicht allein durch die Wirtschaftsordnung und
Vor dem Hintergrund der theoretischen Grundla- sein unternehmerisches Dasein, sondern auch durch
gen und den Ergebnissen der empirischen Forschung die Übernahme von sozialer Verantwortung.
wird deutlich, dass vor allem die privaten Investoren Dadurch wird das Aufgabenfeld der Investor Relati-
von den Unternehmen heute deutlich mehr erwarten, ons durch weitere wichtige Aspekte geprägt. Viele
als die reine wirtschaftliche Leistung. Gleichzeitig Unternehmen veröffentlichen bereits heute Berichte
hat der Begriff des Investierens eine neue Bedeutung zum Thema Nachhaltigkeit oder Umweltschutz. Wie
gewonnen. Zu investieren bedeutet für die Mehrzahl zuvor dargelegt wurde, blickt die Mehrheit der priva-
der befragten Personen, ein Unternehmen zu unter- ten Investoren den von einem Unternehmen selbst
stützen. Dabei sehen sie die Möglichkeit, selbst ei- veröffentlichten Informationen hingegen sehr skep-
nen Beitrag, jedoch in einer größeren Form, für die tisch entgegen. Hinsichtlich dieser Erkenntnisse
Gesellschaft leisten zu können. Wie aus den Er- empfiehlt es sich für die Investor Relations die Be-
kenntnissen ersichtlich wurde, steht für viele der ziehungen zu den Multiplikatoren deutlich zu inten-
befragten Anleger die Verantwortung der Unterneh- siveren und zu pflegen. Denn besonders die Medien
men für diese weichen Faktoren noch vor der Rendi- können den Unternehmen dabei helfen, das notwen-
te. Die Aufgabe der Investor Relations liegt demnach dige Vertrauen der privaten Investoren zu gewinnen.

journal-kk.de 109
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Die steigenden Ansprüche der Gesellschaft und BlackRock [o.J.]: Larry Fink, verfügbar unter:
https://www.blackrock.com/corporate/about-
damit auch der Investoren, vor dem Hintergrund des us/leadership/larry-fink (07.06.2019).
stark ausgeprägten Misstrauens verdeutlichen noch BlackRock [o.J.]: Wofür wir stehen, verfügbar unter:
einmal, dass die Unternehmen ihre Investoren deut- https://www.blackrock.com/de/privatanleger/uber-
lich intensiver in ihr unternehmerisches Dasein mit- blackrock (07.06.2019).
Bundesverband Deutscher Stiftungen [2018]: Divestment-
einbeziehen müssen. Nur durch ein gemeinsames
Bewegung: Keine Kohle mehr für die Kohle. Kapital
Vertreten der Interessen im Hinblick auf diese wei- und Wirkung, verfügbar unter:
chen Faktoren, können effektive Lösungen sowohl https://www.stiftungen.org/de/aktuelles/blog-
beitraege/divestmentbewegung-keine-kohle-mehr-fuer-
für das Unternehmen als auch für die Gesellschaft
die-kohle.html (11.06.2019).
geschaffen werden. Dennoch gilt, dass trotz der Calsow, I. [2004]: Vorwort, in: DIRK Deutscher Investor
zunehmenden Relevanz der weichen Faktoren, die Relations Kreis e.V. (Hrsg.): Handbuch Investor Relati-
Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens als Haupt- ons, Wiesbaden 2004, S. V -VI.
merkmal nicht außer Acht gelassen werden darf. DIRK – Deutscher Investor Relations Verband e.V.
[2016]: Wir gestalten die Zukunft der Investor Relations
Unternehmen müssen in Zukunft, so scheint es, ihre in Deutschland. Mehr Wert im Kapitalmarkt, verfügbar
gesellschaftliche Rolle für sich neu interpretieren unter:
und ihre Strukturen an die veränderten Umstände https://www.dirk.org/dirk_webseite/static/uploads/1609
21-DIRK_Imagebroschuere_2016_web.pdf
und Ansprüche anpassen. (24.04.2019).
Dürr, M. [1995]: Investor Relations. Handbuch für Fi-
Ansätze für weiterführende Forschungen nanzmarketing und Unternehmenskommunikation, 2.
Aufl., München/Wien 1995.
Im Hinblick auf zukünftige Forschungen wäre ein
Faus, R./Mannewitz, T./Storks, S./Unzicker, K./Vollmann,
weiterer Blickwinkel ebenfalls sehr interessant. E. [2019]: Schwindendes Vertrauen in Politik und Par-
Spiegelt die Sichtweise des relativ kleinen Samplings teien. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Zusam-
der privaten Investoren die der Gesellschaft wider? menhalt? Bertelsmann Stiftung.
Verfügbar unter:
Eine weitere Möglichkeit und für die Betrachtung https://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/Proj
dieses Themas relevante Ergänzung, wäre das Ein- ekte/Gesellschaftlicher_Zusammenhalt/ST-
beziehen von Investor Relations-Verantwortlichen. LW_Studie_Schwindendes_Vertrauen_in_Politik_und_
Parteien_2019.pdf (19.06.2019).
Wie nehmen diese die aktuellen Diskussionen und
Fink, Larry [2018]: Larry Fink’s 2018 Letter to Ceos. A
Entwicklungen wahr und welche Rolle nehmen für Sense of Purpose, verfügbar unter:
sie die weichen Faktoren ein? https://www.blackrock.com/corporate/investor-
relations/2018-larry-fink-ceo-letter (16.04.2019).
Daraus wird deutlich, dass das Thema der Investor
Fink, Larry [2019]: Larry Fink’s 2019 Letter to Ceos.
Relations und damit auch die Rolle der Unternehmen Purpose & Profit, verfügbar unter:
für die Gesellschaft, noch in vielen Aspekten be- https://www.blackrock.com/corporate/investor-
leuchtet werden muss, um endgültige Lösungen und relations/larry-fink-ceo-letter (16.04.2019).
Schlussfolgerungen formulieren zu können. Groth, J. [2018]: Umweltschutz und Ethik. Nachhaltige
Investments – Immer mehr Großanleger legen Wert auf
Der vorliegende Fachartikel soll dabei einen An- ESG-Kriterien, verfügbar unter:
reiz für weiterführende Forschungen geben und die https://www.handelsblatt.com/finanzen/anlagestrategie/n
zunehmende Relevanz der weichen Faktoren im achhaltigegeldanlage/umweltschutz-und-ethik-
nachhaltige-investments-immer-mehr-grossanleger-
Hinblick auf die Beziehung von privaten Investoren legen-wert-auf-esg-kriterien-/23246392.html?ticket=ST-
zu den Unternehmen verdeutlichen. 566066-gjXtlgqMqMt7A35S4MCO-ap5 (12.06.2019).
HSBC [o.J.]: Die Wegbereiter. Börsengurus der Neuzeit,
verfügbar unter: https://www.hsbc-
Literaturverzeichnis zertifikate.de/dam/jcr:b8a96197-e6ed-4545-9ed7-
d70b6243cb5d/larry_fink.pdf (07.06.2019).
ARD Börse [2019]: Opfer der volatilen Aktienmärkte. Köhler, K. [2015]: Investor Relations in Deutschland.
Norwegens Pensionsfonds verliert Milliarden, verfügbar Institutionalisierung – Professionalisierung – Kapital-
unter: https://boerse.ard.de/anlagestrategie/norwegens- marktentwicklung – Perspektiven, Wiesbaden 2015.
oelfonds-verliert-milliarden100.html (11.06.2019).
Kühn T./Koschel K.-V. [2018]: Gruppendiskussionen. Ein
ARD Börse [2018]: Reichtum genutzt. So investiert Nor- Praxis-Handbuch, 2. Aufl., Wiesbaden 2018.
wegens Staatsfonds, verfügbar unter:
Manzin, T. [2016]: Millennials. Generation X, Y oder Z?
https://boerse.ard.de/anlagestrategie/geldanlage/so-
Die az erklärt die Unterschiede, verfügbar unter:
investiert-norwegens-staatsfonds100.html (11.06.2019).
https://www.aargauerzeitung.ch/wirtschaft/generation-x-

110 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

y-oder-z-die-az-erklaert-die-unterschiede-130389714
(19.06.2019).
Moll, M. [2012]: IR-Wissen. Investor Relations-Strategien
in der heutigen Zeit – worauf kommt es an?, verfügbar
unter: https://www.dirk.org/ir-wissen/themen-und-
publikationen/idx/81 (31.05.2019).
Nix, P. [2000]: Die Zielgruppen von Investor Relations, in:
DIRK Deutscher Investor Relations Kreis e.V. (Hrsg.):
Investor Relations. Professionelle Kapitalmarktkommu-
nikation, Wiesbaden 2000, S. 35 -43.
Shiller, R. J. [2017]: Narrative Economics. Cowles Foun-
dation Discussion Paper No. 2069, Chicago 2017.
Streuer, O. [2004]: Teil 1. Grundlagen der Investor Relati-
ons, in: DIRK Deutscher Investor Relations Kreis e.V.
(Hrsg.): Handbuch Investor Relations, Wiesbaden 2004,
S. 3 -91.
Unzicker, K. [2019]: 1 Einleitung: Gesellschaftlicher
Zusammenhalt und das Vertrauen in politische Instituti-
onen im Zeitvergleich, in: Faus, R./Mannewitz,
T./Storks, S./Unzicker, K./Vollmann, E.:
Schwindendes Vertrauen in Politik und Parteien. Eine
Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?, Ber-
telsmann Stiftung, Gütersloh 2019, S. 12 -21.
Verfügbar unter:
https://www.bertelsmannstiftung.de/fileadmin/files/Proj
ekte/Gesellschaftlicher_Zusammenhalt/ST-
LW_Studie_Schwindendes_Vertrauen_in_Politik_und_
Parteien_2019.pdf (19.06.2019).
Zerfaß, A. (Hrsg.)/ Piwinger, M. [2014]: Handbuch Unter-
nehmenskommunikation. Strategie – Management –
Wertschöpfung, 2. Aufl., Wiesbaden 2014.

journal-kk.de 111
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Benjamin Rustemeyer:
Luxusmarken zwischen Tradition und Innovation

Ziel des Fachartikels „Luxusmarken zwischen Tradition und Innovation“ ist es, herauszufinden, wodurch Lu-
xusmarken ihre besondere Bedeutung erhalten und welche Rolle dabei die Unternehmenskommunikation, die
sozialen Medien, sowie das soziale Feld spielen. Von besonderem Interesse ist dabei, inwiefern sich die Kommu-
nikationsstrategien von Luxusmarken im digitalen Zeitalter verändern müssen, um potentielle Kunden anzuspre-
chen, ob die anvisierten Zielgruppen durch bezahlte Posts von Influencern erreicht werden und soziale Medien
somit den geeigneten Kommunikationsweg darstellen. Im Zuge dessen wurde eine eigene empirische Untersu-
chung angestrebt: Für die Klärung des Erkenntnisinteresses wurden Interviews mit sieben verschiedenen Lu-
xuskonsumententypen geführt. Dazu zählten unter anderem die Alles-Käufer, die Konservativen, die Neugierigen
und die Desillusionierten. Dabei konnte festgestellt werden, dass sowohl die Unternehmenskommunikation als
auch das soziale Feld relevante Rollen spielen, denn erst dadurch kann ein intersubjektives Verständnis für
ikonische Produkte und Luxusmarken erzeugt werden, wodurch Luxusmarken eine gewisse soziale Macht zuteil
wird. Dieser Artikel enthält Erkenntnisse, die sowohl für Brandmanager, PR- und Kommunikationsfachleute,
Digital Manager als auch Sozialforscher, Soziologen und Konsumentenforscher von Interesse sein können.

Im täglichen Leben werden wir permanent mit Lu- Stand der Forschung: Luxus – Von der
xusgütern konfrontiert – bewusst oder unbewusst, Antik bis zur Moderne
gewollt oder ungewollt, in Print-Anzeigen oder sozi-
In der Literatur gibt es bislang keine einheitliche
alen Medien. Aber warum sind vielen Konsumenten
Definition der Begriffe Luxus oder Luxusmarke.
Luxusgüter so wichtig und woher kommt ihre Faszi-
Bereits die Übersetzungen zeigen die geteilte Mei-
nation? Warum haben Luxusmarken augenscheinlich
nung über den Begriff: Die Silbe Lux, aus dem latei-
die Macht, Einfluss auf das soziale Miteinander zu
nischen übersetzt, bedeutet so viel wie Licht oder
nehmen? Um diese Fragen zu beantworten, wurden
Helligkeit, das verwandte Luxuria hingegen lässt
nicht nur aktuelle Studien zum Thema Luxus, son-
sich mit dem Wort Verschwendung übersetzen. Auf
dern auch sämtliche soziologische Theorien studiert,
der einen Seite scheint Luxus etwas Positives, An-
bevor Interviews mit mehreren Vertretern sieben
strebsames zu sein, auf der anderen wird dem Begriff
verschiedener Luxuskonsumententypen geführt und
ebenso häufig mit Verachtung begegnet (vgl. Wyr-
ausgewertet werden.
war 2003: 49).
Im Rahmen dieses Fachartikels ist von besonderem
Vereinfacht lässt sich der Begriff Luxus wie folgt
Erkenntnisinteresse, wodurch Luxusmarken ihre
beschreiben: er fängt dort an, wo das Notwendige
besondere Bedeutung bei ihren Zielgruppen erhalten.
endet – „luxury means everything that is more than
Ferner stellt sich der Autor die Frage, welche Rolle
what one needs“ (Dubois/Czellar 2001: 5). Luxus-
dabei die Unternehmenskommunikation, allen voran
marken werden letztlich durch ihre Nicht-
in den sozialen Medien, und das soziale Feld spielen.
Notwendigkeit charakterisiert. Funktionale Eigen-
Darüber hinaus soll aufgezeigt werden, wie die rele-
schaften sind für die Konsumenten nicht der Haupt-
vanten, kaufkräftigen Rezipienten von diesen presti-
nutzen eines Gutes aus diesem Segment, sondern
geträchtigen Produkten bzw. ihrer Bedeutung erfah-
vielmehr der Zusatznutzen oder Erbauungsnutzen –
ren. Darüber hinaus soll beantwortet werden, inwie-
die Symbolik einer solchen Marke (vgl. Prüne 2012:
fern Konsumenten durch die Unternehmenskommu-
169). Dafür muss jedoch das Notwendige oder viel
nikation dieser Konzerne angesprochen werden vor
mehr das Nicht-Notwendige definiert und zum ge-
dem Hintergrund, dass Marken in diesem Segment
sellschaftlichen Kontext in Relation gebracht wer-
immer mehr von klassischer Werbung absehen und
den. Historisch betrachtet kann Luxus als zeitlose
dafür immer häufiger Influencer-Marketing einset-
Erscheinungsform der menschlichen Kultur bezeich-
zen.
net werden, die nicht dem Überleben dient, sondern

112 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

über eine schwer greifbare Sozialfunktion verfügt. sum ist ebenfalls zurückzuführen auf Veblen, der
Aufgrund seiner kontinuierlichen Anwesenheit seit Prestige als Hauptmotivation des menschlichen Han-
der Antike, kann man Luxus auch als anthropologi- delns ansieht. Der US-Amerikaner bezieht den de-
sche Konstante betrachten: Im römischen Reich monstrativen Konsum jedoch nicht allein auf die
wurde er beispielsweise durch Bildungsreisen, selte- oberen Schichten, sondern auch auf die Unterschicht,
ne Stoffe und Farben, sowie Schmuck inszeniert und die versucht, der Oberschicht nach zu eifern (vgl.
diente somit der Festigung der Positionierung in der Veblen 2011: 9f.). Der Veblen’sche Konsument
Gesellschaft (vgl. Pietzcker 2018: 3ff). Neben der grenzt sich somit durch den Kauf kostspieliger Pro-
Darstellung des ökonomischen Reichtums und der dukte von unteren sozialen Schichten ab und ver-
Dazugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Grup- sucht dadurch, höheren Klassen (Bezugsgruppen, zu
pe gehörte damals auch politischer Einfluss und denen man aufblickt) anzugehören (vgl. Thieme
Macht zum Luxus (vgl. Pietzcker 2018: 6). Aufgrund 2017: 38).
seines hochkontroversen Charakters wurde der
übermäßige Konsum des Nicht-Notwendigen in der Influencer – Die neuen Vertriebler der
Vergangenheit kritisiert, zeitweise sogar verboten. In Luxusbranche?
China hingegen gab es während der Ming-Dynastie Obwohl Facebook nach wie vor die weltweit be-
gar ein Luxusgesetz, das einzig das Ziel verfolgte, kannteste und meist genutzte soziale Plattform ist, ist
bestehende Hierarchien beibehalten zu können (vgl. insbesondere Instagram für Influencer von hoher
Pietzcker 2018: 7). Bedeutung, denn dieses Portal lebt von aussagekräf-
tigen und ästhetischen Bildern – ein Vorteil für Lu-
Luxus im gesellschaftlichen Kontext xusmarken. Dennoch stellt die Identifizierung pas-
Aus soziologischer Perspektive beinhaltet Luxus sender Influencer eine der größten Herausforderun-
eine gesellschaftliche Funktion, die durch den Kon- gen für Werbetreibende dar. Hier bieten sich Unter-
sum bestimmter Marken erreicht wird. Dadurch sind nehmen zum einen quantitative Möglichkeiten wie
Konsumenten in der Lage, ihre eigene Identität nach die Anzahl der Posts, Interaktionsrate oder Reich-
außen präsentieren zu können, um sich damit be- weite, aber auch qualitative Faktoren wie das „Ress-
wusst von anderen sozialen Schichten abzugrenzen ort“, die Qualität der Posts, aber vor allem die
(vgl. Lasslop 2002: 328). Dies inkludiert den Glaubwürdigkeit (vgl. Armbruster/Bergmann 2018:
Wunsch, von anderen anerkannt zu werden, was als 272f.). Insbesondere im Luxussegment ist es daher
Sozialprestige bezeichnet wird und bei weitem kein sinnvoll, Influencern ein Produkt, wie beispielsweise
Phänomen der heutigen Zeit ist: Der amerikanische ein hochwertiges Fahrzeug, länger zur Verfügung zu
Ökonom Thorstein Veblen erkannte dieses Verlan- stellen, denn dies sorgt für Authentizität und kann so
gen nach Bewunderung bereits im Jahr 1899 und aufgrund der täglichen Verwendung häufiger in
bezeichnete es in seiner Theory of the Leisure Class Inhalte eingebunden werden. In anderen Marktseg-
als Antriebskraft des menschlichen Handelns, wes- menten gibt es sogenannte Barter-Deals, bei denen
halb er den Luxuskonsum als Werkzeug charakteri- Influencern beispielsweise Teile einer neuen Mode-
siert, um das Ziel der sozialen Anerkennung zu er- Kollektion überlassen werden, über die im Gegenzug
reichen (vgl. Veblen 1899: 45ff.). Thieme stellt je- Content generiert wird. Gerade bei Luxus-
doch heraus, dass die Gründe für den Kauf von Lu- Fahrzeugen ist jedoch davon auszugehen, dass diese
xusmarken in Abhängigkeit des Konsumenten variie- den Meinungsbildnern nur zeitweise zur Verfügung
ren können. Die einen stillen damit persönliche Be- gestellt werden und sie nicht in ihren Besitz überge-
dürfnisse, wie die Selbstbelohnung, andere hingegen hen. Insbesondere Social Blogger, die nur auf sozia-
befriedigen damit soziale Bedürfnisse. Sie wollen len Plattformen aktiv sind aber keine eigenen Blogs
durch den Konsum zu einer bestimmten sozialen betreiben, gewinnen zunehmend an Relevanz (vgl.
Gruppe gehören und ihr Ziel ist folglich die Distink- Armbruster/Bergmann 2018: 269). Obwohl der Be-
tion. Obgleich der Motivation des Luxuskonsums griff des Influencers erst in den vergangenen Jahren
ermöglicht der öffentliche Konsum von Luxusmar- an Relevanz gewonnen hat, ist das Phänomen aller-
ken das Senden von Signalen an die soziale Umwelt dings nicht neu: So gab die US-amerikanischen
(vgl. Thieme 2017: 36). Dieser demonstrative Kon- Schauspielerin und Sängerin Marilyn Monroe bereits

journal-kk.de 113
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

in den 1950er Jahren an, zum Schlafen lediglich den Die anspruchsvolle Kundschaft
Duft Chanel No. 5 des gleichnamigen französischen
Als Ergebnis ihrer weltweiten Studie zum Konsum-
Luxusunternehmens Chanel zu tragen, was nicht
verhalten von Luxusgütern konnte die international
zuletzt zur Ikonisierung des Parfüms beitrug (vgl.
agierende Unternehmensberatung Bain & Company
Steven 2018: 99). Obwohl also das Phänomen In-
sieben unterschiedliche Luxuskonsumenten-Typen
fluencer kein neues ist, kann dennoch davon ausge-
identifizieren. Diese werden im Folgenden erläutert,
gangen werden, dass das Thema nicht bloß als aktu-
da sie die Basis für die Fallauswahl der Inter-
eller Trend zu betrachten ist, sondern dass sich diese
viewpartner bildet.
Form der Kommunikation bereits nachhaltig etabliert
hat und das Influencer-Marketing aus den Strategien
Die Alles-Käufer & die Hedonisten
der großen Luxusmarken längst nicht mehr wegzu-
Die Alles-Käufer werden durch Markennamen und
denken ist.
dem damit verbundenen erwünschten Status zum
Luxusmarken im Spannungsfeld zwi- Kauf motiviert, weniger durch die Qualität oder
schen Tradition und Innovation Langlebigkeit von Produkten. Die Gruppe der Alles-
Käufer besteht zu ca. zwei Drittel aus Frauen und
Luxusmarken stehen in einem permanenten Span- bildet das jüngste Segment der sieben Konsumenten-
nungsfeld zwischen Tradition und Innovation, wobei typen, weshalb sie allein schon aufgrund ihres Alters
beide Strategien ihre Daseinsberechtigung zu haben neu im Luxussegment sind. Die Hedonisten werden
scheinen. In der Literatur und Konsumentenfor- durch den Status, den sie sich durch den Kauf von
schung wird das Thema Luxus zwar häufig aufge- Luxusgütern erhoffen, sowie einem sichtbaren Logo
griffen, ein einheitliches Verständnis, das langfristig auf den Gütern motiviert. Die Qualität und der Pro-
bestehen kann, scheint es jedoch, wie oben beschrie- dukt-Fit zur eigenen Person sind ihnen weniger
ben, nicht zu geben. Insbesondere nicht in Bezug auf wichtig. Es handelt sich nicht um Solo-Shopper,
die Symbolik und die soziale Bedeutung von Lu- denn sie brauchen während des Kauferlebnisses den
xusmarken. Vor allem hinsichtlich des Konsumen- Zuspruch anderer (vgl. D’Arpizio/Levato 2014:
tenverhaltens gibt es keine spezifischen Erklärungs- 16ff.).
ansätze oder -modelle für das Luxussegment. So
reichen bekannte Modelle, wie das des rational agie- Die Konservativen & die Investoren
renden Homo oeconomicus in der heutigen Welt der Die konservativen Luxuskonsumenten sehnen sich
Werbung, Versprechungen und Manipulationen nach Qualität und Langlebigkeit der Produkte und
längst nicht mehr aus, um Entscheidungen von Käu- interessieren sich weniger für deren Exklusivität. Zu
fern zu begründen. Herkömmliche Markenstrategien dieser Gruppe zählen Männer und Frauen mittleren
greifen bei Luxusmarken nicht, weshalb die Unter- Alters gleichermaßen. Mitglieder dieses Konsumen-
nehmen ihre spezifischen Strategien auf die Bedürf- tentypus sind reifere Kunden, die sich selbst nicht als
nisse ihrer bestehenden und potentiellen Kunden Trendsetter bezeichnen würden. Die Qualität und
anpassen müssen. Aber wie lauten diese Bedürfnisse Langlebigkeit besonders und die Exklusivität, der
in einer Branche, die sich im Umbruch befindet? Der Markenname, das Logo, der Produkt-Fit sowie der
Druck durch den Online-Handel auf die Hersteller Status sind gleichermaßen wichtig für die Investoren.
von Luxusgütern wächst, bedingt durch die Ansprü- Der Konsumententyp ist laut der Bain & Company
che der Millennials als künftige Käuferschaft. Lu- Studie mit 56 Prozent eher weiblich und zieht es vor,
xusunternehmen hingegen befürchten mit dem Go- alleine in Multi-Brand-Stores einzukaufen, allerdings
Live in der digitalen Welt ein Verlust ihrer Exklusi- nimmt auch der Online-Bereich als Kaufkanal zu
vität. Es bedarf somit eines Paradigmenwechsels in (vgl. D’Arpizio/Levato 2014: 16ff.).
der Strategie der Luxusmarken, in deren Zentrum die
diversen Zielgruppen stehen müssen. Die Überzeugten, die Desillusionierten & die
Neugierigen
Die Überzeugten schätzen neben der Exklusivität
besonders die Qualität und Langlebigkeit von Lu-
xusgütern, während ihnen der Markenname und der

114 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Status, den sie ggf. durch den Konsum erlangen Durchführung und Auswertung
könnten, weniger wichtig ist. Diese Gruppe ist eher Damit alle sieben Gespräche mit den insgesamt 13
weiblich, kann aber mit 45 Prozent dennoch einen Teilnehmern in ähnlicher Atmosphäre stattfinden
hohen Anteil der männlichen Befragten ausmachen. können, wurden die Interviews zwischen dem 24.
Bei der Gruppe der Überzeugten handelt es sich um April und 08. Mai 2019 in den Konferenzräumen
Luxuskenner, die über eine hohe Brand-Awareness seines Arbeitgebers in Düsseldorf geführt. Die Inter-
verfügen und Marken gegenüber loyal sind. Konsu- views wurden mit keiner der befragten Personen in
menten, die zur Gruppe der Desillusionierten zählen, der Höflichkeitsform geführt, da der Interviewer alle
fordern eine gute Qualität und Langlebigkeit von den Teilnehmer persönlich kennt. Diese Tatsache kommt
erworbenen Produkten und legen Wert darauf, dass dem Erkenntnisinteresse zugute, denn so kann die
sie zu ihnen passen. Der mit dem Kauf verbundene wahrgenommene Distanz zwischen den Gesprächs-
Status sowie sichtbare Logos sind ihnen hingegen partnern minimiert werden, weshalb diese freier und
nicht wichtig. Obwohl der Gruppe der Neugierigen losgelöster auf die Fragen antworten.
der Markenname, sowie ein sichtbares Logo weniger Entsprechend wissenschaftlicher Vorgaben und
wichtig sind, erhoffen sie sich durch den Kauf eines zum Zweck einer ungezwungenen Gesprächsat-
Luxusprodukts, ihren Status nach außen präsentieren mosphäre wurde den Befragten vor Beginn des In-
zu können. Diese Gruppe ist mit 75 Prozent weiblich terviews mitgeteilt, dass ihre Daten nur für den
und entstammt der Mittelschicht. Für sie sind Im- Zweck der Untersuchung erhoben werden und ledig-
pulskäufe durch Rabatte keine Seltenheit, da sie sehr lich in anonymisierter Form bei den Gutachtern
preissensibel sind (vgl. D’Arpizio/Levato 2014: eingereicht werden (vgl. Otto 2015: 46). Nach Ein-
16ff.). verständnis der Datenschutzgrundverordnung wer-
Ziel für die Durchführung der Empirie war es, Per- den die Gespräche aufgenommen, um sich auf den
sonen zu finden, die mit möglichst vielen Punkten Gesprächsverlauf zu konzentrieren und die Aufnah-
der Beschreibung der Konsumententypen überein- men als Basis für die Transkription zu verwenden.
stimmen. Vorab wurde mit 31 Personen ein Pretest Die Auswertung der Interviews erfolgt in grober
durchgeführt, aus denen der Verfasser letztlich 13 Anlehnung an die Grounded Theory-Methode. Dafür
Personen für seine Erhebung ausgewählt hat. wurden die verschriftlichten Gespräche zunächst
kodiert, um sie somit vergleichen zu können (vgl.
Empirische Untersuchung: Einblicke in Mey/Mruck 2010: 619ff.). Im Folgenden werden die
die Köpfe der Luxuskonsumenten verschiedenen Konsumententypen innerhalb der fünf
Da sich die Luxusindustrie mit ihrer Kommunikation codierten Kategorien miteinander verglichen, um so
vorrangig an die Menschen richtet, die finanziell Unterschiede und Gemeinsamkeiten festhalten zu
dazu in der Lage wären, sich diese Güter zu leisten, können.
erscheint die Durchführung einer quantitativen Erhe-
bung im Rahmen dieses Artikels aus Gründen des Äußerungen zum eigenen Konsumverhalten
Umfangs sowie mangelnder Zeit- und Kostenres- Während die beiden Alles-Käufer Jenny und
sourcen wenig sinnvoll. Darüber hinaus waren insbe- Deniska bevorzugt in Online-Shops einkaufen und
sondere persönliche Ansichten, sowie ein subjektives Lederwaren von Luxusmarken wie Hermès und
Empfinden für Luxusmarken und ihre Produkte der Chanel im Geschäft erstehen, gehen ihre Meinungen
Befragten von Interesse für den Autor, um damit beim Thema Kosmetik auseinander. Sinje, überzeug-
Rückschlüsse darauf ziehen zu können, wodurch te Luxuskonsumentin, plant ihre Einkäufe nicht und
Marken aus diesem Segment ihre starke symbolische kauft sowohl im Einzelhandel aus auch im Netz –
Bedeutung erhalten. Der Fokus der Interviews liegt Ricardo, ihr Gesprächspartner, bevorzugt hingegen
auf den Einschätzungen der befragten Personen, den Einzelhandel. Sowohl Sinje als auch Jenny
auch wenn diese für eine umfassende Betrachtung shoppen gerne im Urlaub, während Ricardo Geschäf-
der Thematik im Rahmen dieses Fachartikels nicht te in seiner gewohnten Umgebung bevorzugt. Bei
repräsentativ sein kann. den konservativen Luxuskonsumenten Rosi und
Hans ist auffällig, dass sie nur Dinge kaufen, die sie
selbst als notwendig erachten, was möglicherweise
mit dem relativ gesehen hohen Alter zusammenhän-

journal-kk.de 115
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

gen mag. Sie lassen sich in ihrem Konsumverhalten Maße über finanzielle Ressourcen oder haben even-
kaum beeinflussen. Ähnlich ist es bei den Investoren tuell andere Prioritäten als die Alles-Käufer: Sie
Hanne und Conni. Hans (Konservativer) und Hanne sehnen sich zwar nach Luxusgütern, kaufen diese
(Investorin) haben gemeinsam, dass sie sich vor dem auch gelegentlich und gerne, mischen sie aber mit
Kauf gerne Online informieren, aber im Geschäft erschwinglichen Produkten. Im Gespräch wird er-
konsumieren und können daher als Research-Online- sichtlich, dass sie, ohne die sieben Luxuskonsumen-
Purchase-Offline-Konsumenten eingeschätzt wer- tentypen zu kennen, auch gerne Alles-Käufer wären
den. Die Hedonisten Avelina und Riane hingegen und zu Leuten aufschauen und diese beneiden, die
lassen sich schnell durch ihr Umfeld, insbesondere Produkte haben, die sie sich auch wünschen. Die
die weitere soziale Umwelt – Instagram, beeinflus- Überzeugten setzen zwar auch auf Luxusprodukte,
sen und scheinen Güter, die ihnen vorgeschlagen kaufen diese aber mit Bedacht und achten statt auf
werden, ohne größeres Hinterfragen zu kaufen. Da- Quantität auf Qualität. Adriane, als desillusionierter
bei sind sie den Alles-Käufern ähnlich und bevorzu- Luxuskonsumentin, sind Luxusprodukte zwar wich-
gen bekannte Luxuslabels, stehen aber offener dazu. tig, kauft sie aber nur wenn sie ihr gefallen und nicht
Wie von den meisten Befragten genannt, ist auch weil andere sie haben. Sie verbindet damit stattdes-
Adriane als desillusionierte Luxuskonsumentin die sen eine Art Belohnung und arbeitet gern darauf hin,
Produktkategorie Mode bzw. Lederwaren wichtig. denn sie weiß, dass man sich den Luxus nicht unbe-
Dabei greift sie wie die Alles-Käufer und Hedonisten dingt immer leisten kann oder sollte. Sehr reflektiert
gerne auf die Möglichkeit zurück, in Online-Shops gehen die Neugierigen mit dem Thema Luxuskon-
zu bestellen und betritt Geschäfte lediglich gezielt sum um: Zunächst sind sie der Meinung, dass jeder
und lässt sich dabei nicht durch Schaufenster oder Mensch für sich selber definieren müsse, wo Luxus
Ähnliches beeinflussen. Vivien und Celina als neu- beginnt und endet, darüber hinaus bilden sie die
gierige Luxuskonsumenten nähern sich den großen Gruppe, die sich vermutlich am meisten Gedanken
Marken, weshalb sie erklären, dass sie sich vor dem darüber macht, ob sie sich etwas leisten können,
Kauf viele Gedanken machen und Preise verglei- wollen und müssen.
chen. Letztendlich kaufen sie Einstiegs-Produkte Die Konservativen stellen im Vergleich in dieser
namhafter Luxusmarken. Kategorie eine Besonderheit dar: Sie verfügen ohne
Somit lässt sich in puncto Konsumverhalten fest- Zweifel über die finanziellen Mittel, um sich Luxus
halten, dass das Kaufverhalten stets in hohem Maße in sämtlichen Kategorien leisten zu können, tun dies
vom jeweiligen Konsumenten und seiner Lebenssi- jedoch nur in Produktkategorien, die ihnen wichtig
tuation abhängig ist. sind. Dabei steht Qualität für sie an erster Stelle.
Grundsätzlich ist ihnen die Zurschaustellung ihres
Einstellungen und Wahrnehmung zu Luxusgü- Wohlstandes nicht wichtig und eher unangenehm.
tern Die Investoren sehen dies ähnlich und ergänzen
Die Alles-Käufer verfügen über ein großes Wissen diese Einstellung damit, dass sie gern Güter erstehen,
und einen gewissen Erfahrungsschatz, wenn es um die nicht jeder hat. Ansonsten fällt auf, dass die Kon-
Luxusmarken geht. Ihnen persönlich ist wichtig, servativen und Investoren grundsätzlich ähnliche
Handtaschen namhafter Designer zu besitzen und Ansichten vertreten.
nehmen dafür auch gerne längere Wartezeiten in
Kauf. Dabei scheinen den beiden Teilnehmerinnen in Einschätzung des symbolischen Charakters
puncto Handtaschen und Uhren Produkte unbekann- Für die Alles-Käuferin Jenny hängt die besondere
terer, Nicht-Luxusmarken nicht gut genug, weshalb Symbolik mit den Faktoren Preis und Zeit zusam-
sie diese für ihren nächsten Kauf mit hoher Wahr- men. Verbunden mit den hohen Preisen betrachtet sie
scheinlicht nicht in Betracht ziehen werden. Hierbei Luxusgüter als eine Art Investition, für die sie gerne
sollte erwähnt werden, dass die beiden Teilnehme- mehrjährige Wartezeiten in Kauf nimmt. Unterstri-
rinnen mit wohlhabenden Partnern liiert sind und chen wird die Symbolik in ihrer Wahrnehmung
sich somit um den finanziellen Aspekt beim Konsum durch die Strategie der künstlichen Verknappung und
von Luxusmarken vermutlich weniger Gedanken dass sie sich den Kauf des Produkts der Begierde
machen dürften. Die Hedonisten gehen zwar in eine durch kleinere Käufe erarbeiten muss. Für Deniska
ähnliche Richtung, verfügen jedoch nicht in dem ist der Faktor Historie darüber hinaus noch relevant.

116 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

So trägt sie beispielsweise die klassische gesteppte stellen lediglich fest, dass der Konsum für viele
Chanel-Tasche, weil ihr die Geschichte um Coco Menschen ein Status-Symbol darstellt und sie dafür
Chanel zusagt. Die hedonistischen Luxuskonsumen- sogar bereit sind, auf andere Dinge zu verzichten.
ten sind auch in dieser Kategorie in ihrer Einstellung Ähnlich sehen es Riane und Avelina, die nicht die
nahe bei den Alles-Käufern mit dem Zusatz, dass es Konflikte in der Gesellschaft sehen, die durch den
ihrer Meinung nach Erziehungssache ist, ob man demonstrativen Luxuskonsum entstehen könnten,
überhaupt bereit ist, so viel Geld für ein Produkt zu sondern viel mehr setzen sie voraus, jeder Mensch
zahlen. Auch hier scheint der Faktor Preis entschei- wünsche sich ein besseres Auto oder andere teure
dend zu sein. Dinge. Gleichzeitig betonen aber beide, dass es
Sinje, überzeugte Luxuskonsumentin, ist stattdes- ihnen nicht wichtig ist, ob ihr Umfeld sich ähnliche
sen der Meinung, dass die erhabene Symbolik mit Marken leisten kann, wie sie selbst.
der überragenden Qualität der Güter zusammenhängt Ricardo betrachtet dies reflektierter und stellt hin-
und bezieht sich dabei vor allem auf die Produkte, gegen fest, dass jeder Mensch in der Gesellschaft
die nicht plakativ mit dem Markennamen versehen versucht, sich so gut wie möglich darzustellen. Sinje
sind. Ihrem Gesprächspartner Ricardo ist der beson- geht sogar so weit zu behaupten, dass Menschen, die
dere Service und die Beratung wichtig und bildet Luxusgüter kaufen, auf denen die Markennamen
somit einen wesentlichen Aspekt, der die Symbolik plakativ zu erkennen sind, diese nur aus dem Grund
von Luxusmarken umspielt. Die Alles-Käufer schei- kaufen, um zu zeigen, was sie sich leisten können.
nen sehr Produkt-fokussiert und möchten mit dem Eine ähnliche Ansicht vertritt die desillusionierte
demonstrativen Konsum das ausstrahlen, was ihrer Luxuskonsumentin Adriane und erklärt, dass es
Meinung nach, mit der Marke verkörpert wird. Den Fälschungen lediglich aus dem Grund gebe, zu zei-
Überzeugten hingegen kommt es auf Dinge an, die gen was man vermeintlich hat, denn in der Regel
nicht direkt mit dem Produkt zusammenhängen. sind Fälschungen gewollt mit den Logos bekannter
Ein Punkt, der Jenny und Ricardo beeindruckt ist Hersteller versehen.
die Gestaltung der Geschäfte. Die konservativen Rosi und Hans betrachten den demonstrativen Lu-
Luxuskonsumenten, Hans und Rosi, erachten dies xuskonsum kritisch und sehen das Internet und die
hingegen als überflüssig und würden sich wünschen, sozialen Medien als Gefahrenherd für die Diskussion
die Beratung würde stattdessen ihren Erwartungen zwischen einkommensstärkeren und einkommens-
entsprechen. schwächeren Gruppen. Die Neugierigen vertreten
Für die neugierigen Luxuskonsumentinnen Celina eine ähnliche Einstellung und meinen, dass durch
und Vivien entsteht die Symbolik von Luxusmarken soziale Medien ein gewisser Druck entsteht, etwas
anhand von zwei Faktoren: Zum einen ist die Tradi- haben zu müssen, was ihnen auf digitalen Plattfor-
tion und Geschichte einer Marke essentiell für ihre men wie Instagram suggeriert wird. Hans stellt ferner
ikonische Wahrnehmung – zum anderen sind sie fest, dass es immer gutbetuchte Menschen geben
fasziniert vom Service, der einem in den Stores ge- wird, die ihren Wohlstand auch zeigen werden. Han-
boten wird, wie beispielsweise der Verpackung. ne, Investorin, kommt in dem Zusammenhang zu
Jede Luxuskonsumenten-Gruppe nimmt Luxus- dem Schluss, dass viele Menschen in der heutigen
marken letztlich anders wahr – die einen betrachten Gesellschaft von bestimmten Markenartikeln auf den
sie eher oberflächlich, die anderen denken reflektier- Lebensstandard oder Wohlstand ihrer Besitzer zu-
ter darüber nach. Aber auch innerhalb der Konsum- rückschließen.
ententypen spielten teilweise andere Faktoren eine
relevante Rolle, was nicht zuletzt daran liegt, dass Einstellung zu Luxusmarken in diversen Medien
jeder Mensch Luxusmarken anders einschätzt, be- Diese Kategorie ist mit Abstand die, bei der sich
trachtet oder etwas anderes mit ihnen in Verbindung die Meinungen am deutlichsten unterscheiden: Die
bringt. Probanden sind entweder eindeutig für die Zusam-
menarbeit von Luxusmarken mit Influencern oder
Einschätzungen der soziologischen Funktion dagegen. Im Vergleich dazu divergierten die Ansich-
Jenny und Deniska scheinen sich über die Rolle ten weniger stark bei eindeutigen Werbeformaten
von Luxusmarken im gesellschaftlichen Kontext wie Anzeigen in Print-Magazinen.
bislang wenig Gedanken gemacht zu haben. Sie

journal-kk.de 117
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Jenny berichtet, dass sie den sogenannten „Hype“ gleich sind, sondern stattdessen individuell und ab-
um die Influencer nicht verstehen könne – gibt je- hängig vom jeweiligen Käufer. Durch die Interviews
doch gleichzeitig zu, schon auf diese Art der Unter- konnte herausgestellt werden, dass tatsächlich zwi-
nehmenskommunikation hereingefallen zu sein. schen einer intrinsischen, gustatorischen und einer
Deniska vertritt hingegen eine weitaus kritischere sozialen, nach Anerkennung und Akzeptanz suchen-
Haltung und folgt Influencern auf den gängigen den Motivation unterschieden werden kann. Insbe-
Plattformen gar nicht erst. Ähnlich sehen es die kon- sondere älteren Konsumenten kommt es beispiels-
servativen Luxuskonsumenten, die Investoren und weise auf den Genuss beim Konsum der besonderen
die Desillusionierten, mit dem Unterschied, dass sie Güter an – für sie spielt im Vergleich zu jüngeren
auf den Plattformen nicht aktiv sind. Sie bemängeln Konsumenten im Luxussegment der mit dem Kon-
vor allem, dass insbesondere jüngere Rezipienten sum verbundene Status eine untergeordnetere Rolle.
durch diese subtilere Art der Werbung unterbewusst Für sie steht unter anderem das Erlebnis, das mit
beeinflusst würden. Conni merkt jedoch auch an, dem Kauf in Verbindung steht, sowie der Service vor
dass sie sich eventuell auch von ästhetisch anspre- Ort und im Nachgang im Fokus. Ebenfalls konnte
chenden Posts auf Instagram angesprochen fühlen bestätigt werden, dass insbesondere bei jüngeren
und dadurch beeinflusst werden könnte. Die Über- Konsumenten die soziale Umwelt eine relevante
zeugten Sinje und Ricardo einerseits und die Neugie- Rolle im Kontext des Konsums spielt, da ihnen
rigen Vivien und Celina andererseits lassen sich laut wichtig ist, was das eigene Umfeld und die Gesell-
eigenen Aussagen über Instagram inspirieren, auch schaft von ihnen halten. Ältere Konsumenten distan-
wenn sie sich darüber bewusst sind, dass die Posts zieren sich von dieser Einstellung hingegen.
bezahlt sind und sich die Influencer die Luxusartikel Die von Dubois, Laurent und Czellar im Jahr 2001
in der Regel nicht selber gekauft haben. Trotzdem aufgestellten Kriterien Qualität, Preis, Einzigartig-
finden sie die Posts auf Instagram ansprechend und keit, Ästhetik, Historie und Nicht-Notwendigkeit
ordnen ihnen eine gewisse Glaubwürdigkeit zu. Sinje können als relativ konstante Charakteristika von
stellt dabei sehr reflektiert fest, dass es gut sei, dass Luxusmarken verstanden werden. Dies lässt sich
es die verschiedenen Werbeformen gibt, da somit damit belegen, dass die sechs Kriterien unabhängig
jeweils andere Zielgruppen angesprochen werden voneinander, wenn auch nicht in jedem Interview in
können. Die beiden hedonistischen Befragten Aveli- voller Gänze, genannt wurden. Aus diesem Grund
na und Riane verbringen gerne Zeit in sozialen Me- können sie als zuverlässig betrachtet werden, insbe-
dien und sehen einen klaren Vorteil gegenüber Print- sondere wenn man bedenkt, dass in den 18 Jahren
Anzeigen – die Präsentation des Luxusguts in be- seit sie aufgestellt worden sind, die digitale Zeitwen-
wegten Bildern. de stattgefunden hat.
Eine weitere Konstante in der Luxusforschung ist
Fazit die soziale Funktion dieser Güter. Hierzu wurden die
Warum sind vielen Konsumenten Luxusgüter so Theorien von Thorstein Veblen, Pierre Bourdieu und
wichtig und woher kommt ihre Faszination? Warum Ulrich Beck betrachtet. Dabei stellte der Verfasser
haben Luxusmarken augenscheinlich die Macht, fest, dass zwar insbesondere Bourdieus Kapitalien
Einfluss auf das soziale Miteinander zu nehmen? nachvollziehbar, aber nicht mehr zeitgemäß sind,
Diese Fragen wurden zu Beginn aufgeworfen und denn Menschen versuchen, unabhängig ihrer sozia-
sollen nun in Anbetracht durchgeführten Empirie len Herkunft, im sozialen Gefüge aufzusteigen.
beantwortet werden. Durch die Interviews wurde in Hierbei muss jedoch stets zwischen Altreichen und
diesem Zusammenhang und im Kontext des Lu- Neureichen unterschieden werden, denn die einen
xuskonsums deutlich, dass es schwer ist, Konsumen- konsumieren subtil, die anderen demonstrativ – was
ten in verschiedene Tribes zu clustern. Selbst wenn auch anhand der Interviews herausgestellt werden
sie laut der Bain & Company-Studie zu den sieben konnte. Als solide erachtet der Autor hingegen Ul-
Luxuskonsumententypen in ähnliche Gruppen einge- rich Becks Typus des Parvenü. Diesen sozial auf-
teilt werden können, zeigt sich, dass die Präferenzen strebenden Typ, der die Distinktion zu unteren sozia-
im Konsum deutliche Unterschiede aufweisen und len Schichten verfolgt, erachtet er als sinnvolle Er-
die Beweggründe des Kaufs häufig nicht deckungs- gänzung zu Bourdieus Theorien.

118 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Im Hinblick auf die Symbolik von Luxusmarken nehmern auch festgestellt werden, dass Konsumen-
spielen die Unternehmenskommunikation der wer- ten zunehmend anspruchsvoller werden. Somit kann
benden Unternehmen ebenso wie das soziale Feld letztlich nur hochwertiger Content zum Erfolg führen
relevante Rollen. Erst durch die Kommunikation und ein nachhaltiges Markenimage in den Köpfen
kann etwas wie Symbolik oder Mythen aufgebaut der Rezipienten und Konsumenten verankern.
werden, beispielsweise durch die mit der Marke In diesem Sinne: „People do not buy goods and
verbundene Historie oder durch ihre Schöpfer – aber services. They buy relations, stories and magic.“ –
auch durch ikonische Produkte wie die Kelly-Bag Seth Godin
von Hèrmes oder den 911er von Porsche. Allerdings
funktioniert jene Kommunikation nur dann, wenn ein
intersubjektives Verständnis zwischen den Rezipien- Literaturverzeichnis
ten herrscht, die von allen Mitgliedern der angespro- Armbruster, N./Bergmann, M. [2018]: Wie Unternehmen
chenen Schichten geteilt wird. Wäre diese Wahr- im Fashion- und Luxury-Segment Blogger und In-
fluencer Relations erfolgreich für die Unternehmens-
nehmung nicht deckungsgleich, so kann die Kom- kommunikation nutzen. In: Pietzcker, D./Vaih-Baur, C.
munikation nicht konsistent sein oder aber sie spricht (Hrsg.): Luxus als Distinktionsstrategie. Kommunikati-
on in der internationalen Luxus- und Fashionindustrie,
zu viele diversifizierte Zielgruppen an. Hierzu konn-
Wiesbaden 2018. S. 267-278.
te gezeigt werden, dass zwar ältere Konsumenten D‘Arpizio, C./Levato, F. [2014]: Lens on the worldwide
bevorzugt analoge Medien nutzen, um sich zu infor- luxury consumer. Relevant segments, behaviors and
mieren, teilweise aber auch Postings auf bildstarken consumption patterns, Nationalities and generations
compared, verfügbar unter:
Plattformen wie Instagram ebenso ansprechend, http://recursos.anuncios.com/files/598/20.pdf
wenn auch weniger glaubwürdig finden. Allerdings (10.02.2019).
sind sie häufig nicht auf den Plattformen aktiv, wes- Dubois, B./Czellar, S. [2001]: Prestige Brands or Luxury
halb Marken jeglicher Art sie über diesen Weg wohl Brands? An Exploratory Inquiry on Consumer Percep-
tions. In: European Marketing Academy 31st Confer-
auch in Zukunft nur schwer erreichen können wer- ence Proceedings.
den. Aus diesem Grund müssen werbetreibende Lasslop, I. [2002]: Identitätsorientierte Führung von Lu-
Unternehmen aus dem Luxussegment ihre Strategien xusmarken. In: Meffert, H./Burmann, C./Koers, M.
(Hrsg.): Markenmanagement. Wiesbaden 2002, S. 328-
anpassen, um sowohl aktuelle, potentielle, als auch
351.
zukünftige, potentielle Kunden zu erreichen – dies Mey, G./Mruck, K. (Hrsg.) [2010]: Handbuch Qualitative
kann nur durch eine crossmediale Kommunikations- Forschung in der Psychologie. Wiesbaden 2010.
und Mediastrategie gelingen. Otto, H. O. [2013]: Interview und schriftliche Befragung.
Letztlich ist der Online-Bereich ein geeignetes Grundlagen und Methoden empirischer Sozialforschung,
6., überarbeitete Auflage, München 2013.
Tool, um die relevanten Zielgruppen zu erreichen –
Pietzcker, D. [2018]: Luxus jenseits ideologischer Kritik
allerdings nur dann, wenn es im Einklang mit ande- und affirmativer Haltungen. In: Pietzcker, D./Vaih-Baur,
ren, sowohl digitalen als auch analogen Werbefor- C. (Hrsg.): Luxus als Distinktionsstrategie. Kommunika-
tion in der internationalen Luxus- und Fashionindustrie,
men kombiniert wird. Eine weitere Komponente, die
Wiesbaden 2018, S. 3-19.
ihren Aufschwung jedoch erst in den vergangenen Pietzcker, D./Vaih-Baur, C. (Hrsg.) [2018]: Luxus als
Jahren erlebt hat, ist das Influencer-Marketing als Distinktionsstrategie. Kommunikation in der internatio-
fester Bestandteil der Kommunikationsstrategien nalen Luxus- und Fashionindustrie, Wiesbaden 2018.
werbetreibender Unternehmen. Dieses Phänomen hat Prüne, G. [2012]: Luxus und Nachhaltigkeit. Entwicklung
strategischer Handlungsempfehlungen für das Luxusgü-
sich inzwischen etabliert, was nicht zuletzt daran zu termarketing, Wiesbaden 2012.
sehen ist, dass selbst Luxusmarken inzwischen da- Steven, T. [2018]: Manipulation durch Influencer Market-
raufsetzen, mit dem Hintergrund, dass sie sonst eher ing. In: Journal für korporative Kommunikation, Ausga-
zögerlich auf Veränderungen dieser Art reagierten. be 1/2018, S. 97-106, verfügbar unter:
http://journal-kk.de/wp-content/uploads/2018/09/
Marken von heute, unabhängig davon, ob sie aus Jkk1802_Theresa_Steven_ Manipulation-durch-
dem Premium- oder Luxussegment stammen, müs- Influencer-Marketing.pdf (27.03.2019).
sen in die Alltagswelt potentieller Käufer integriert Thieme, W. M. (Hrsg.) [2017a]: Luxusmarkenmanage-
ment. Grundlagen, Strategien und praktische Umset-
werden. Insbesondere für jüngere Rezipienten, also zung, Wiesbaden 2017.
die Konsumenten von morgen, scheinen soziale Thieme, W. M. [2017b]: Luxusmarkenmanagement –
Medien somit der geeignete Weg zu sein. Allerdings Entscheidungsfelder und aktuelle Herausforderungen.
konnte durch die Interviews mit den jüngeren Teil- In: Thieme, W. M. (Hrsg.): Luxusmarkenmanagement.

journal-kk.de 119
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Grundlagen, Strategien und praktische Umsetzung,


Wiesbaden 2017, S. 36-134.
Veblen, T. [1899]: Theory of the Leisure Class. An Eco-
nomic Study in the Evolution of Institutions. New York
1899, S. 22-62.
Veblen, T. [2011]: Theorie der feinen Leute. Eine ökono-
mische Untersuchung der Institutionen, Frankfurt am
Main 2011.

120 journal-kk.de
Journal für korporative Kommunikation - Ausgabe 2/2019

Die Autorinnen und Autoren


Mona Abdel Rahman ist Absolventin des Masterstudien-
gangs Corporate Communication an der Hochschule
Fresenius Köln im Sommersemester 2019.
Katrin Angelbeck ist Absolvent des Masterstudiengangs
Corporate Communication an der Hochschule Fresenius
Köln im Sommersemester 2019.
Nicholas Gorny ist Absolvent des Masterstudiengangs
Corporate Communication an der Hochschule Fresenius
Düsseldorf im Sommersemester 2019.
Anneke Hofmann ist Absolventin des Masterstudiengangs
Corporate Communication an der Hochschule Fresenius
Köln im Sommersemester 2019.
Lars Hoven ist Absolvent des Masterstudiengangs Corpo-
rate Communication an der Hochschule Fresenius Köln
im Sommersemester 2019.
Tecla Huth, Dr, ist Dozentin an der Hochschule Fresenius
in Köln und Düsseldorf.
Janik Keßel ist Absolvent des Masterstudiengang Corpora-
te Communication an der Hochschule Fresneius Köln im
Sommersemester 2019.
Mihir Ihnatius Nayak, Dr. phil., ist Dozent an der Hoch-
schule Fresenius in Köln.
Hannah Ve Nolte ist Absolventin des Masterstudiengangs
Corporate Communication an der Hochschule Fresenius
Köln im Sommersemester 2019.
Franziska Oder ist Absolventin des Masterstudiengangs
Corporate Communication an der Hochschule Fresenius
Düsseldorf im Sommersemester 2019.
Benjamin Rustemeyer ist Absolvent des Masterstudien-
gangs Corporate Communication an der Hochschule
Fresenius Düsseldorf im Sommersemester 2019.
Guido Scholl, Dr. rer.pol. ist Dozent an der Hochschule
Fresenius in Köln.

Kontakt zu den Autorinnen und Autoren über den


Herausgeber des Journals.

journal-kk.de 121

Das könnte Ihnen auch gefallen