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Seenotrettung: Der Mythos Vom Pull-Faktor
Seenotrettung: Der Mythos Vom Pull-Faktor
Die neue Libyen-Mission der EU ist von der Angst bestimmt, noch mehr Menschen nach Europa zu
locken. Dieser Ansatz ist nicht nur unethisch, sondern auch unvernünftig.
Ein Gastbeitrag von Matteo Villa
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Matteo Villa
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Italian Institute for International Political Studies (ISPI). Er
arbeitet im Migrationsprogramm des ISPI, wo er sich hauptsächlich mit internationalen
Migrationsbewegungen und der europäischen Migrationspolitik befasst. Er hat die G20, das
italienische Parlament, das britische Unterhaus und die Stadt Mailand beraten.
Wie viel Angst die Staats- und Regierungschefs der EU vor einer Zunahme der
Migrationsbewegungen haben, zeigt sich auch in ihrer Ankündigung, die Operation sofort
auszusetzen, sobald es Anzeichen dafür gibt, dass sie als "Pull-Faktor" wirkt. Wie die Staatschefs
nachweisen wollen, dass diese Operation tatsächlich mehr Menschen dazu ermutigt, auf Boote
Richtung Italien zu steigen, erklärten sie nicht. So ein Ansatz schwächt die neue Operation und wird
sie anfällig machen für die politischen Launen einzelner Mitgliedsstaaten. Aber wie konnte es so
weit kommen?
Zwischen Mai 2015, als sie gestartet wurde, und Juli 2018, als sie ihren letzten Einsatz im zentralen
Mittelmeerraum hatte, rettete die Operation EUNAVFOR MED rund 43.000 Menschen. Die
Operation wurde Sophia genannt, nachdem eine gerettete Frau im August 2015 ein Mädchen an
Bord eines zur Operation entsandten, deutschen Schiffs zur Welt gebracht hatte. Das kleine
Mädchen war das erste Kind, das jemals an Bord eines deutschen Militärschiffs geboren wurde.
Die EU-Operation mit Sitz in Italien wurde nicht mit dem speziellen Auftrag gestartet, Migranten
auf See zu retten, sondern Schmuggel und Menschenhandel zu bekämpfen. Das internationale Recht
schreibt jedoch vor, dass Menschen, deren Boote in Seenot geraten sind, immer gerettet und an
einen sicheren Ort gebracht werden müssen. Darunter fallen in jedem Fall jene Menschen, die auf
klapprigen Booten, oft ohne funktionierenden Motor, im offenen Meer treiben. Die Operation
Sophia hat eben diese Menschen mehr als drei Jahre lang gerettet. Sophia sorgte auch dafür, dass
die von Migranten benutzten Boote von den Schmugglern nicht erneut verwendet werden konnten:
Im Laufe der Jahre wurden mehr als 550 Boote zerstört.