Sie sind auf Seite 1von 51

Skript zur Vorlesungsreihe

Seminar: Musik und Gesundheit

Institut für Musiktherapie


Arbeitsstelle für Musik und Gesundheit
Prof. Karin Holzwarth (Leitung)
Prof. Dr. Dorothee von Moreau (Leitung)

Prof. Hans-Georg Spiegel


Instrumentaldidaktik (Leitung)

Hochschule für Musik und Theater – Hamburg

Institut für Allgemeinmedizin


Prof. Dr. Martin Scherer (Leitung)

David Baaß

Physiotherapie am UKE
Gesche Ketels (Leitung)
Julia Keyser

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Stand: Oktober 2021

Aus der Verwendung von Abbildungen und Texten lassen sich keine Urheberrechte ableiten. Aus diesem Grunde
dürfen weder die Skripte noch Auszüge dieses Skripts außerhalb der Hochschule für Musik und Theater Hamburg
verwendet werden. Der gesamte Inhalt ist urheberrechtsgeschützt und berührt auch die Urheberrechte Dritter

1
Inhaltsverzeichnis

SEMINAR: MUSIK UND GESUNDHEIT ................................................................................. 1

INHALTSVERZEICHNIS ........................................................................................................ 2

1. DAS MUSKULOSKELETTALE SYSTEM.............................................................. 5

Grundlagen des Bewegungsapparates ................................................................................................................. 5


Bewegung:........................................................................................................................................................................................... 5
Knochen und Gelenke: ................................................................................................................................................................. 5
Muskeln und Sehnen und Sehnenscheiden ...................................................................................................................... 6

Das Zwerchfell .................................................................................................................................................................. 6


Gefäß-Nerven-Straße ..................................................................................................................................................................10

Beschwerden des Bewegungsapparates ........................................................................................................... 10


Karpaltunnelsyndrom (CTS): ...................................................................................................................................................10
Tendovaginitis stenosans de Quervain ..............................................................................................................................10
Ganglien: ............................................................................................................................................................................................11
Hyperlaxizität ....................................................................................................................................................................................11
Thoracic outlet syndrome ..........................................................................................................................................................11
Cubitaltunnel-Syndrom ...............................................................................................................................................................11
Digitale Nervenkompressionssyndrome ............................................................................................................................12
Durchgespielter Finger ................................................................................................................................................................12
Überlastungssyndrom..................................................................................................................................................................12

Fallvorstellungen .......................................................................................................................................................... 14
Fall 1 .....................................................................................................................................................................................................14
Fall 2 .....................................................................................................................................................................................................15

2. SINNESORGANE ...................................................................................................15

Grundlagen der Sinnesorgane .................................................................................................................................. 15

Somatosensorik ............................................................................................................................................................ 16
Oberflächensensibilität................................................................................................................................................................16
Tiefensensibilität .............................................................................................................................................................................16
Propriozeption..................................................................................................................................................................................17
Zentrale Sinnesverarbeitung ....................................................................................................................................................17

Fallvorstellung ............................................................................................................................................................... 18
Fall 3 .....................................................................................................................................................................................................18

3. MUSKELPHYSIOLOGIE ........................................................................................19

Muskelanatomie ............................................................................................................................................................ 19
Muskeltypen......................................................................................................................................................................................19
Aufbau der Skelettmuskulatur .................................................................................................................................................19
Signalübertragung .........................................................................................................................................................................20
Muskelfasertypen ...........................................................................................................................................................................21

Trainingseffekte ............................................................................................................................................................ 21
Kraft .......................................................................................................................................................................................................21
Ausdauer ............................................................................................................................................................................................21
Geschwindigkeit .............................................................................................................................................................................22

2
4. GEHIRN, SINNE, SENSOMOTORIK ....................................................................22

Sensomotorik................................................................................................................................................................. 22

Anatomie des Gehirns................................................................................................................................................ 23


Hirnrinde (Cortex) ..........................................................................................................................................................................23
Kleinhirn ..............................................................................................................................................................................................25
Basalganglien ..................................................................................................................................................................................25
Hirnstamm .........................................................................................................................................................................................26
Gürtelwindung (Limbisches System, Gyrus cinguli) ....................................................................................................26

Neuronales Netzwerk im Gehirn von Musizierenden .................................................................................... 26

5. DAS OHR ................................................................................................................27

Schall ................................................................................................................................................................................. 27
Physikalische Grundlagen.........................................................................................................................................................27
Messung von Schall .....................................................................................................................................................................28
Beispiele für Lautstärken ...........................................................................................................................................................29
Arbeitsschutz ....................................................................................................................................................................................30

Der Weg des Schalls durch das Ohr .................................................................................................................... 30


Anatomische Grundlagen ..........................................................................................................................................................30

Gehörschäden und Gehörschutz........................................................................................................................... 31

Fallvorstellung ............................................................................................................................................................... 32
Fall 4 .....................................................................................................................................................................................................32

6. ÜBETECHNIKEN ....................................................................................................33

Warum üben?................................................................................................................................................................. 33

Auswirkungen auf den Körper ................................................................................................................................ 33

Verschiedene Fragestellungen des Übens ........................................................................................................ 34


Übedauer............................................................................................................................................................................................34
Steigerung des Übetempos ......................................................................................................................................................34
Mentales Üben ................................................................................................................................................................................35
Paralleles Üben mehrerer Stücke .........................................................................................................................................35
Variationen beim Üben ...............................................................................................................................................................35
Pausen ................................................................................................................................................................................................36
Feedback............................................................................................................................................................................................36
Gesetzmäßigkeiten des Übens nach Prof. Dr. E. Altenmüller: ..............................................................................37

7. FASZIEN.....................................................................................................................39

WAS SIND FASZIEN?..........................................................................................................39


Eigenschaften der Faszien: ......................................................................................................................................................39

Faszientraining: ............................................................................................................................................................. 40

Musiker und Faszien: ................................................................................................................................................... 42

8. PRAKTISCHE ÜBUNGEN .............................................................................................44

3
Fußsohle ausrollen: ...................................................................................................................................................... 45

............................................................................................................................................................................................. 45

Gesäß ausrollen, Rücken ausrollen :....................................................................................................................... 45

Ausrollen der Arme : .................................................................................................................................................... 46

Rücken ausrollen :......................................................................................................................................................... 47

Hüpfen, Federn, Springen: .......................................................................................................................................... 48

Langkettiges Dehnen: .................................................................................................................................................. 49

Stabilisation mit der Faszienrolle: .......................................................................................................................... 50

9. DANKSAGUNG...........................................................................................................51

4
1. Das Muskuloskelettale System

Grundlagen des Bewegungsapparates

Musizieren ist immer mit einer Bewegung verbunden – ob offensichtlich beim Streichen
einer Seite oder im Verborgenen beim Singen im Kehlkopf. Daher sind der Körper, die
Arme, die Hände, der Rücken, Rumpf, Becken, Nacken und Füße das unbedingte Mit-
tel zum Zweck, Musik zu machen!
All diese Körperteile bilden den Bewegungsapparat, dessen Gerüst die Knochen sind,
die über Gelenke beweglich miteinander verbunden sind und durch Muskeln bewegt
werden. Diese lassen sich im Allgemeinen in verschiedene Systeme einteilen.

Bewegung:
Bewegungen werden durch Muskeln vermittelt. Für jede Bewegung in eine Richtung
gibt es einen Gegenspieler, um die Gegenbewegung auszuführen. Diese werden A-
gonisten (Akteur) und Antagonisten (Gegenspieler) genannt.
Die wichtigsten Bewegungsgrade sind:
• Beugen und Strecken (Flexion und Extension)
• An- und Abwinkeln (Adduktion und Abduktion)
• Einwärts- und Auswärtsrollen (Innen- und Außenrotation)
Die Bewegungsgrade werden durch das Gelenk vorgegeben. Je nach dem kann ein
Gelenk mehrere Bewegungen ausführen. Während man z.B. im Finger „nur“ beugen
und strecken kann, kann man mit der Schulter oder der Hüfte alle drei o.g. Bewegungs-
formen ausführen.

Knochen und Gelenke:


Gelenke sind eine bewegliche Verbindung zwischen zwei Knochen. Es gibt verschie-
dene Sorten Gelenke, die bestimmte Bewegungen zulassen. Die einfachste Bewe-
gung ist Beugen und Strecken. Diese Gelenke werden Scharniergelenke genannt. Sie
befinden sich an den Fingern oder auch z.T. im Ellenbogen. Das Kniegelenk wird auch
überwiegend gebeugt und gestreckt, ist allerdings ein Dreh-Scharniergelenk. Daumen
und Handgelenke können zusätzlich an- und abwinkeln. Kugelgelenke haben die
meisten Freiheitsgrade. So können Schulter und Hüfte zusätzlich Drehbewegungen
(Rotationen) ausführen.

5
Ein Gelenk besteht in der Regel aus einem Gelenkkopf, der in einer Gelenkpfanne
sitzt. Dazwischen ist der Gelenkspalt, der mit Gelenkflüssigkeit ausgefüllt ist. Umge-
ben wird alles von einer Kapsel. Für weitere Stabilität sorgen Bänder und Muskeln. Die
Verhältnisse dieser Strukturen bestimmen die Beweglichkeit. Z.b. ist der Gelenkkopf
der Hüfte in einer sehr großen Gelenkpfanne, um das Körpergewicht zu tragenb. Die
Gelenkpfanne der Schulter ist hingegen sehr klein, wodurch sie besonders beweglich
ist. dafür aber auch leichter auskugeln kann.

Muskeln und Sehnen und Sehnenscheiden


Muskeln führen Bewegungen aus und sind mit einer dünnen Haut (Muskelfaszie) über-
zogen. Ein Muskel kann sich anspannen (zusammenziehen) oder entspannen (locker
lassen). Darum führt die Bewegung meist zum Muskel hin. Die Muskeln, die die Hand
strecken (Strecker), befinden sich z.B. auf der Oberseite des Unterarms, die Beuger
(Faust) sind an der Unterseite des Unterarms. Sie sind die Gegenspieler des Bewe-
gungsgrades Beugen-Strecken an der Hand und liegen sich am Arm gegenüber.
Sehnen sind die Verlängerungen der Muskeln und setzen am Knochen an. Manchmal
befindet sich der Muskel nicht direkt am Ort der Bewegung, z.B. bei den Fingern. Die
Muskeln befinden sich z.T. eher beim Ellenbogen, die Bewegung wird aber über Seh-
nen fortgeleitet. Das hat teilweise physikalische Gründe (Hebelwirkungen) und erhöht
die Beweglichkeit. Sehnen selber sind starr und unbeweglich. Sie laufen, gleich einem
Bowdenzug beim Fahrrad in einer Hülle, den Sehnenscheiden. Die Sehnenscheide ist
ein Gleitlager und schützt die Sehne vor Scherkräften. Außerdem wird die Sehne so
mit Nährstoffen versorgt.

Das Zwerchfell
Das Zwerchfell – Diaphragma abdominale – ist der Hauptatemmuskel des Menschen.
Es liegt transversal unterhalb der Lunge im Brustkorb (Thorax) und oberhalb des Bau-
ches (Abdomens) wie ein Trampolin. Senkt es sich ab, entsteht ein Unterdruck in der
Lunge, so dass die Luft in die Lunge gesogen wird = Einatmung (EA). Entspannt sich
das Zwerchfell, sorgen die Retraktionskräfte der Lunge dafür, dass die Luft wieder über
die Bronchien, die Luftröhre (Trachea) und die Nase oder den Mund ausströmt – Aus-
atmung (AA). Dieser Vorgang wird vom Atemzentrum im Hirnstamm, als zentralem
Rhythmusgeber gesteuert. Viele Einflüsse – Afferenzen – beeinflussen das Atemzent-
rum und damit die Atmung.

6
Abbildung 1: Einflüsse (Afferenzen) auf das Atemzentrum und Einflüsse vom Atemzentrum zur Musku-
latur (Efferenzen) nach ZAR (Zentrale Atem Regulation) eigene Darstellung Gesche Ketels et al.

Das Zwerchfell ist eine Muskel-Sehnenplatte. Die halbmondförmige Sehnenplatte


(Centrum tendineum) in der Mitte ist eine Struktur, die weder elastisch noch dehnbar
ist. Sie wird von den verschiedenen muskulären Anteilen, die an ihr ansetzen, wie ein
Knochen bewegt. Dadurch entsteht bei der EA eine Bewegung, die mit einem Kolben
im Thoraxzylinder zu vergleichen ist. Der muskuläre Anteil des Zwerchfells kann sich
während der EA bis zu 55% verkürzen. In Ruhe reicht die Aktivität des Zwerchfells zur
Sauerstoffversorgung und Kohlendioxid“entsorgung“ des gesamten Körpers aus. Bei
höherem Sauerstoffbedarf des Körpers bzw. zu hohem Kohlendioxydgehalt im Blut
wird das Zwerchfell durch die Atemhilfsmuskulatur unterstützt, so dass eine komplexe
Bewegung des Brustkorbs einschließlich der Rippen (Costae), des Schlüsselbeins
(Clavicula) und des Brustbeins (Sternum) entsteht.
Das Zwerchfell hat seinen Ursprung an den Rippen, dem Brustbein und den Lenden-
wirbeln. Der Ansatz ist das Centrum tendineum. Es ist 3-5 mm dick und besteht aus
drei Muskelfasertypen (schnell – 20% und langsam kontrahierende 50%).

7
Abbildung 2: Zwerchfell – Quelle: Netter

Das Zwerchfell hat direkte und indirekte Verbindungen und Einflüsse auf Organe, Mus-
keln, Gefäße und Nerven.
Oberhalb des Zwerchfells liegen die Lunge, das Herz und die Thymusdrüse. Unterhalb
des Zwerchfells sind Leber, Magen, Milz, Dick- und Dünndarm über Bänder (Liga-
mente) verbunden. Diese Organe liegen in der Bauchhöhle (Mediastinum). Außerdem
sind die Nieren über Ligamente mit dem Zwerchfell verbunden und bewegen sich bis
zu 10 cm durch die Zwerchfellbewegung auf und ab.

Abbildung 3: Einflüsse des Zwerchfell nach ZAR (Zentrale Atem Regulation; eigene Darstellung Gesche
Ketels et al)

Das Zwerchfell hat muskuläre Verbindungen zur Wirbelsäule und über einen senkrecht
verlaufenden Muskel, den M. quadratus lumborum zur Beckenbodenmuskulatur. Der
Beckenboden bildet eine weitere transversale Trennung im Körper.

8
Das Zwerchfell als „Trennplatte“ zwischen Brust- und Bauchraum muss den Gefäßen
Durchtrittsstellen ermöglichen. Die Hauptvene (Vena Cava), die Aorta, die Speiseröhre
(Ösophagus) und die Nerven (Vagus) benötigen diese Durchtrittsstellen.
Die durch die Zwerchfellaktivität entstehende Druckschwankung intrathorakal bringt
gleichzeitig die Druckschwankung abdominal. Diese Druckschwankungen haben wich-
tige Wirkungen (wie eine Massage) auf die Organe und sind bedeutend für die Organ-
funktionen. Tritt das Zwerchfell nach unten entsteht ein Unterdruck in der Lunge und
dadurch ein Sog und gleichzeitig ein Überdruck im Bauchraum. Die Luft strömt in die
Lunge und die Bauchorgane werden zusammengedrückt.

Abbildung 4: Zwerchfell im Längsschnitt; aus PROMETHEUS Allgemeine Anatomie und Bewegungs-


system, Georg Thieme Verlag

Wegen der vielfältigen Verbindungen und der Funktion des Zwerchfells hat es nicht
nur die Aufgabe als Hauptatemmuskel, der Einatmung. Weitere Funktionen sind u.a.:

• Haltung
• Rumpfstabilität
• Sprechen, Sprache, Singen
• Druckaufbau in Zusammenarbeit mit den Bauchmuskeln fürs Husten, Lachen,
Gähnen, Pressen, Blasen, Pusten
• Bewegen der Organe
• Stimulierung des vegetativen Nervensystems
• Indirekte Beeinflussung des Muskeltonus
• Beeinflussung der psychischen Verfassung

9
Schon Goethe hat ein Gedicht geschrieben:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:


Die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.
Johann Wolfgang Goethe, West-östlicher Divan

Gefäß-Nerven-Straße
In einigen Körperregionen ziehen Blutgefäße (Adern und Schlagadern) gemeinsam
mit Nerven zu den Gliedmaßen. Besonders, wenn diese sogenannten Gefäßnerven-
straßen oberflächlich liegen oder durch eine Engstelle ziehen, können diese beein-
trächtigt werden.

Beschwerden des Bewegungsapparates

Karpaltunnelsyndrom (CTS):
Der Karpaltunnel ist eine Region an der Innenseite des Handgelenks und eine Eng-
stelle für den Nervus medianus (N. medianus) und die Beugesehnen der Hand. Kommt
es zu einer plötzlichen Mehrbelastung der Beugesehen oder zu einer chronischen
Überstreckung der Handgelenke, können die Sehnenscheiden gereizt werden und
dadurch anschwellen. Hierdurch wird der Nerv zusammengedrückt (komprimiert) und
kann das Karpaltunnelsyndrom auslösen.
Es handelt sich um das häufigste Nervenkompressionssyndrom, das typisch nächtli-
che und frühmorgendliche Schmerzen an den Handgelenken auslöst. Außerdem tre-
ten oft Kribbelgefühle des Zeige-, Mittel- und Ringfingers auf. Beim Musizieren führt
dies häufig zu Einbußen der Feinmotorik.
Anfällig sind hohe Streicher (linke Hand), tiefe Streicher bei plötzlicher Steigerung des
Übepensums und Gitarristen (linke Hand).
Zumeist reicht die Schonung der Hand bereits aus, um das CTS zu therapieren (=
konservative Therapie)

Tendovaginitis stenosans de Quervain


Hierbei handelt es sich um eine Sehnenscheidenentzündung der Strecksehne des
Daumens. Dabei kommt es zu einer erschwerten Abstützung des Daumens, was be-
sonders bei Streichern (schnelle Lagenwechsel) oder Pianisten (große Griffe, z.B.

10
Undezimen) das Spiel behindert. Zumeist wird eine Schonung empfohlen (= konser-
vative Therapie).

Ganglien:
Hierbei handelt es sich um gutartige Verdickungen der Sehnen, die durch Überlastun-
gen der Sehen oder altersbedingt (degenerativ) entstehen. Meistens muss keine The-
rapie erfolgen. Sollte die Verdickungen das Gleiten der Sehnen beeinflussen, kann im
Ausnahmefall eine operative Entfernung notwendig werden.

Hyperlaxizität
Hierbei handelt es sich im weitesten Sinne um eine „Bindegewebsschwäche“. Binde-
und Stützgewebe, z.B. Bänder und Kapseln sind lockerer. Dies muss nicht immer
nachteilig sein. Etwa wird Paganinis außergewöhnliche Virtuosität auf eine Hyperlaxi-
zität zurückgeführt. Diese Vermutung stützt sich allerdings nur auf dessen befreunde-
ten Arzt und konnte nicht bestätigt werden.
Typische Beschwerden sind Schmerzen und Kraftverlust, z.B. der linke Daumen, der
bei Streichern die restlichen Finger stabilisiert.

Thoracic outlet syndrome


Unter dem Schlüsselbein und zwischen den umliegenden Halsmuskeln (mittlerer und
vorderer Skalenus-Muskel) verlassen sowohl Nerven als auch Blutgefäße den Hals-
Brustkorb-Bereich und ziehen durch eine Engstelle (Skalenuslücke) zum Arm. Wenn
diese Gefäß-Nerven-Straße komprimiert wird, z.B. durch das Tragen eines einseitigen
Gurtes, können darunter liegende Nerven oder die Blutversorgung des Armes gestört
werden. Dies äußert sich in Kribbel- oder Taubheitsgefühlen, z.B. auf der Außenseite
des betroffenen Unterarms (N. radialis). Je nach Ausprägung kann eine physiothera-
peutische Versorgung ist angezeigt sein. Außerdem sollte die Ursache behoben wer-
den, z.B. eine Anpassung des Gurtes auf beide Schultern für eine bessere Gewichts-
verteilung.

Cubitaltunnel-Syndrom
Die Innenseite des Ellenbogens (Cubitus) wird im Volksmund auch als Musikanten-
knochen bezeichnet, da man bei einem Stoß in dieser Region einen elektrisierenden
Schmerz auslösen kann, der bis in Ring- und kleinen Finger zieht. Der Schmerz kann
sehr unangenehm sein, sodass man förmlich „die Englein singen“ hört. Ursache ist
eine direkte Reizung des Ellenbogennervens (N. ulnaris), der hier ziemlich

11
oberflächlich am Oberarmknochen verläuft. Anschließend gelangt er durch den soge-
nannten Cubitaltunnel, d.h. einer Lücke der Handgelenkbeugemuskels (M. flexor carpi
ulnaris) zum Unterarm.
Bei der Beugung des Armes gleitet der Nerv durch den Tunnel (wie beim Bowdenzug),
Klemmt der Nerv nun in der Lücke ein, z.B. an der umgebenden Muskelfaszie oder an
der Lücke (zwischen den Muskelköpfen), wird der Nerv beim Beugen des Armes in die
Länge gezogen, was zur Nervenreizung führt. Anzeichen dafür sind Kribbelgefühle,
später auch Schmerzen, Sensibilitätsverlust und Schwäche in Ring- und Kleinfinger,
was zu Unsicherheiten beim Spielen führen kann.
Betroffen sind vor allem Streicher mit starker Beugehaltung des Armes, z.B. Cellisten.
Ein gleichzeitiges starkes Beugen der Finger oder Vibratospiel kann den Effekt ver-
stärken. Vor allem die Änderung der Spielhaltung (Haltungsmodifikation) ist die The-
rapie der Wahl.

Digitale Nervenkompressionssyndrome
Nervenreizungen der Hände und Finger treten oft bei Holzbläsern auf. Hierbei kann es
durch das Halten des Instrumentes langfristig zu Beeinträchtigungen kommen. Da die
Hautnerven der Hände seitlich der Finger entlang verlaufen, können sie leicht durch
das Instrument (z.B. bei der Querflöte am Zeigefinger), oder durch Daumenhalterun-
gen (z.B. Klarinette) komprimiert werden. Meistens bieten Instrumentenbauer eine
Vielzahl an Spielhilfen zur Verbesserung der Ergonomie.

Durchgespielter Finger
Auch die Nervenfasern der Fingerspitze können durch chronische Kompression durch
Instrumentensaiten gereizt werden. Im akuten Fall sollten die Fingerspitzen durch
Schonung oder durch einen mechanischen Schutz (z.B. Fingerkappen) entlastet wer-
den. Ein sukzessiver Aufbau der Hornhaut stellt einen guten körpereigenen Schutz
dar. Der Einsatz betäubender Salben oder Koanalgetika (erweiterte Schmerzmittel)
kann zeitweise zur Kompensation der Beschwerden eingesetzt werden. Langfristig
sollte jedoch eine dauerhafte Lösung, etwa eine Anpassung der Spielweise, ange-
strebt werden.

Überlastungssyndrom
Das Überlastungssyndrom betrifft vor allem die Arme und die Schulter-Nacken-Region
und verläuft phasenweise. Zu Beginn steht eine akute oder subakute Überlastungssi-
tuation. Ursachen liegen vor allem in einer plötzlichen Steigerung der

12
Gesamtspieldauer aber auch unpassende Übegewohnheiten, Spiel- oder Gesangs-
techniken oder eine unpassende Körperhaltung, bzw. Körperbewegung. Als weitere
Ursachen kommen Veränderungen am Instrument, unzureichende Erholungsphasen
nach früheren Gesundheitsproblemen, belastende außermusikalische Aktivitäten oder
inadäquate körperliche Voraussetzungen in Betracht.

Die Beschwerden treten nur beim Musizieren auf, bilden sich aber zurück und sind auf
eine Körperregion begrenzt. Besteht die Überbelastung ungemindert fort, können sich
die Beschwerden verschlimmern:

Stadium 1 Akute Überlastung


Beschwerden nur beim Musizieren
Beschwerden bilden sich zurück bei Spielpausen
Beschwerden in einer Körperregion
Stadium 2 Beschwerden weiten sich auf andere Körperregionen auf
Koordinationsstörungen
Stadium 3 Beschwerden bestehen auch nach Spielpausen fort
Überempfindlichkeit der betroffenen Regionen
Stadium 4 Andere, alltägliche Aktivitäten lösen die Beschwerden aus
Ruhe- oder Nachtschmerzen
Stadium 5 Alle Tätigkeiten verursachen Schmerzen
Gebrauchsverlust des Arms
Tab 1: Stadien der Symptomentwicklung beim Überbelastungssyndrom (Fry, 1986)

Da es sich meistens um ein vielschichtiges Problem handelt, wird die Behandlung


ebenfalls in Phasen eingeteilt, die aufeinander aufbauen:

Am Anfang der Behandlung des Überlastungssyndroms stehen zunächst die Identifi-


kation des Problems und die Akzeptanz der Behandlungsbedürftigkeit. Anschließend
sollten die auslösenden Faktoren reduziert werden und die Schmerzfreiheit angestrebt
werden. Ist diese erreich, können ggf. weitere auslösende Faktoren reduziert werden.
Eine unpassende Spielhaltung kann unter Schmerzfreiheit z.B. deutlich besser korri-
giert werden, als unter Schmerzen. Im Verlauf sollte nun der Aufbau von Feinmotorik

13
und musikalischer Technik erfolgen (Retraining). Dazu sollten Präventionsmaßnah-
men ergriffen werden, um ein erneutes Auftreten der Überbelastung zu verhindern.

Phase 1 Identifikation der Ursache, Akzeptanz der Behandlungsbedürftigkeit


Phase 2 Reduktion der auslösenden Faktoren
Phase 3 Schmerzfreiheit erreichen
Phase 4 Erneute Reduktion auslösender Faktoren
Phase 5 Wiedererlangung von Feinmotorik und musikalischer Technik (Retraining)
Phase 6 Präventionsmaßnahmen
Tab 2: Behandlungsphasen beim Überbelastungssyndrom der oberen Extremität

Fallvorstellungen

Fall 1
Sie sind Gitarrenlehrer und aktuell sehr stolz über die Fortschritte ihres Schülers Den-
nis, der unlängst bei Jugend Musiziert den 1. Preis im Fach klassische Gitarre erlangt
hat. Dennis ist sehr engagiert und möchte nach der Schule mit dem Musikstudium
beginnen. Vor 3 Wochen hat er die schriftlichen Abiturprüfungen abgeschlossen. Nun
bereitet er sich gerade auf die Aufnahmeprüfung an der Hochschule für Musik und
Theater in Hamburg vor und spielt in jeder freien Minute. Außerdem hat er von den
Eltern eine neue Gitarre bekommen. Der Klang ist ausgesprochen stimmig, allerdings
ist das Griffbrett etwas größer und es erfordert Kraft, die Saiten so zu greifen, das ein
klarer Klangeindruck entsteht.

Seit einiger Zeit wacht Dennis gelegentlich früher auf als sonst. Dann spürt er manch-
mal sein linkes Handgelenk. Er misst diesen keine größere Bedeutung bei – schließlich
bilden sich die Missempfindungen immer wieder zurück. Es fühlt sich an wie ein Mus-
kelkater, er übt ja auch viel mehr. Das Gefühl ist zwar etwas lästig, aber immerhin
kommt der Körper wohl nun richtig ins Arbeiten. Wie beim Sport ist Muskelkater ja ein
gutes Zeichen! Im Verlauf kommt dann aber auch „Ameisenlaufen“ dazu. Jetzt fragt er
bei Ihnen nach.

Aufgaben:

• Fasse die wichtigsten Punkte von Dennis’ Übebeschwerden zusammen

14
• Suche das Gespräch mit Dennis und zeige ein paar Handlungsoptionen auf
• Erkläre den medizinischen Hintergrund von Dennis’ Fall

Fall 2
Sie sind ganzheitlich interessierte/r Musiker*in und sind seit 6 Jahren Mitglied in der
Gesellschaft für Musikermedizin (DGfMM). Gerne nehmen Sie das umfangreiche Kon-
gressangebot wahr, was von der Fachgesellschaft angeboten wird und waren nun
schon auf mehreren Vorträgen von Prof. Altenmüller, der als Neurologe leidenschaft-
lich gerne vom Gehirn und seinen Funktionen berichtet.
Nun erfahren Sie von einer befreundeten Cellistin von ihrer Kollegin, die sich bei einem
Fahrradunfall vor einem Monat eine schwere Wirbelsäulenverletzung zugezogen hat.
„Petra hat wirklich Glück im Unglück gehabt. Sie hätte jetzt auch querschnittsgelähmt
sein können. Dabei ist sie ganz unglücklich mit dem Nacken auf das Fahrrad gefallen.
Angeblich hat sich die Wirbelsäule insgesamt verschoben und das Rückenmark dabei
eingeklemmt. Gottseidank kann sie inzwischen schon wieder laufen. Auch die Ver-
schiebung konnte man wieder einrenken. Allerdings ist sie noch recht wackelig auf den
Beinen. Aber auch das ist komisch: wenn Petra nicht ihren Füßen beim Laufen zu-
guckt, wird der Gang gleich viel unsicherer. Sie beschreibt es, als ob sie kein Gefühl
mehr dafür hat. Dabei spürt sie aber alles auf der Haut. Das gleiche gilt auch für die
Hände. Das Cello fühle sich seit dem anders an. Sie hat große Schwierigkeiten, neue
Stücke zu lernen. Die Finger treffen irgendwie nicht so gut die richtigen Saiten. Wenn
sie aufs Griffbrett schaue, ginge es ganz gut. Aber so war es vor dem Unfall nicht.

Aufgaben:

• Fasse die wichtigsten Punkte von Petras Beschwerden zusammen


• Was sind Hintergründe für das vorliegende Problem?
• zeige die Bedeutung der Fähigkeit für das Üben auf, die Petra unfallbedingt
verloren hat

2. Sinnesorgane

Grundlagen der Sinnesorgane


Um Informationen aus der Umwelt wahrzunehmen, braucht der Körper Sensoren (Re-
zeptoren). Für alle Sinne des Menschen gibt es unterschiedliche Sensoren: um zu

15
sehen, befinden sich im Auge Lichtsensoren; um zu hören, befinden sich im Ohr Sen-
soren der Schallwahrnehmung. Die Fähigkeit, Reize der Körperoberfläche zu spüren
und zu tasten, wird durch Sensoren für Druck und Vibrationen vermittelt.
Alle Informationen von außen gelangen über Nerven in das zentrale Nervensystem
(ZNS), das die Informationen weiter verarbeitet.

Somatosensorik
Die Somatosensorik, der Sinn des Tastens und Fühlens liefert in besonderem Maße
Informationen über den Körper selbst. Nimmt der Seh- oder Hörsinn vor allem Infor-
mationen aus der Umwelt wahrt, bildet die Somatosensorik vorwiegend direkte Infor-
mationen von der Körperoberfläche ab. Man unterscheidet in eine oberflächliche Sen-
sibilität, die vor allem durch die Haut repräsentiert ist, von einer tiefen Sensibilität, de-
ren Sensoren in Muskeln, Sehnen und Gelenken lokalisiert sind.

Oberflächensensibilität
Die Oberflächensensibilität der Haut wird durch verschiedene Sensoren vermittelt, die
unter anderem Druck, Vibration und Beschleunigung wahrnehmen können. Außerdem
liegen dort Nervenfasern, die bei Verletzungen Schmerzreize auslösen. Die Gesamt-
heit dieser sensorischen Informationen bildet den Tastsinn. Dieser ist in bestimmen
Regionen, z.B. an den Fingern, den Füßen und an den Lippen deutlich stärker ausge-
prägt, als etwa auf den Oberschenkel oder am Rücken. Je höher die Rezeptordichte,
desto besser kann unser Tastsinn auflösen.

Tiefensensibilität
Die Fähigkeit zur Tiefensensibilität ist häufig deutlich unbewusster, wenn gleich sie bei
Musikern eine der wichtigsten Sinneswahrnehmungen darstellt. Die Rezeptoren in
Muskeln, Sehnen und Gelenken messen vor allem die Spannung von Muskeln und
Sehen oder die Stellung von Gelenken. Somit kann man auch bei geschlossenen Au-
gen die Position von Körperteilen wahrnehmen, ohne diese zu sehen. Außerdem spie-
len sie eine wichtige Rolle bei Reflexen. Einer reflektorischen Bewegung geht meistens
eine ungeplante Bewegung voraus: wenn man z.B. stolpert und der Fuß beim Gehen
zurückbleibt, wird der Oberschenkelmuskel gedehnt; die Rezeptoren messen die
plötzliche Dehnung und können die Reflexbewegung (das Nachziehen des Beines)
auslösen.

16
Propriozeption
Propriozeption beschreibt die Fähigkeit der Eigenwahrnehmung und basiert im We-
sentlichen auf der Tiefensensibilität und dem Gleichgewichtssinn. Auch die Oberflä-
chensensibilität ist bei der Haptik des Instrumentes wichtig.
Beim Musizieren spielt die Propriozeption unter Einbezug weiterer Sinne (z.B. Hörsinn)
eine entscheidende Rolle, z.B. beim Lernen von Bewegungsabläufen. So lassen sich
hochpräzise, schnelle Bewegungen lediglich durch das Gehör oder die Tiefensensibi-
lität kontrollieren. Auch das Fingergedächtnis basiert auf propriozeptiv gelernten Fin-
gerpositionen.

Zentrale Sinnesverarbeitung
Die Informationen aus Haut, Muskeln und Gelenken gelangen über Nervenfasern zum
zentralen Nervensystem (ZNS). Dieses besteht aus Gehirn und Rückenmark. Die ein-
treffenden Nervenfasern (Afferenzen) ziehen in das Rückenmark hinein und steigen
auf zum Gehirn. Hier durchlaufen die Nervenfasern verschiedene Schaltstationen, bis
sie letztendlich auf der Hirnrinde (Cortex) verarbeitet werden. Das zuständige Hirn-
areal heißt S1 (Somatosensorischer Cortex). Dabei entspricht die Oberfläche von S1
im Querschnitt in gewisser Weise der Körperoberfläche. Dieses Verhältnis wird auch
mit dem Begriff Homunculus beschrieben. Der Homunculus zeigt die Körperoberfläche
gemäß ihrer Repräsentation in S1. Die Regionen, die z.B. der Wahrnehmung von Hän-
den oder Lippen dienen, ist deutlich größer als etwas die Region für Rücken oder
Oberschenkel. Es zeigt sich, das Körperregionen mit einem guten Tastsinn größere
Bereiche in S1 haben.
Analog zu S1 ist auch M1 (motorischer Cortex) aufgebaut. M1 ist der Ursprung aller
willkürlichen Bewegungen und befindet sich direkt bei S1. Körperregionen, die beson-
ders differenzierte Bewegungen machen können, z.B. die Hände, haben eine größere
kortikale Repräsentation als grobmotorische Areale, z.B. die der Oberschenkelmus-
keln. Durch ständiges Trainieren der Körperwahrnehmung und feinmotorischen Bewe-
gungen können diese Hirnregionen verfeinert werden. Dieses Training erfolgt beim
Instrumentalspielen ganz automatisch: die Vernetzung zwischen Fühlen und Bewegen
(Sensomotorik) wird ständig verbessert und somit die zuständigen Hirnregionen erwei-
tert. Dieses Phänomen wird Neuroplastizität genannt.

17
Fallvorstellung
Fall 3
Sie sind ganzheitlich interessierte/r Musiker*in und sind seit 6 Jahren Mitglied in der
Gesellschaft für Musikermedizin (DGfMM). Gerne nehmen Sie das umfangreiche
Kongressangebot wahr, was von der Fachgesellschaft angeboten wird und waren
nun schon auf mehreren Vorträgen von Prof. Altenmüller, der als Neurologe leiden-
schaftlich gerne vom Gehirn und seinen Funktionen berichtet.
Nun erfahren Sie von einer befreundeten Cellistin ihrer Kollegin, die sich bei einem
Fahrradunfall vor einem Monat eine schwere Wirbelsäulenverletzung zugezogen hat.
„Petra hat wirklich Glück im Unglück gehabt. Sie hätte jetzt auch querschnittsgelähmt
sein können. Dabei ist sie ganz unglücklich mit dem Nacken auf das Fahrrad gefal-
len.
Angeblich hat sich die Wirbelsäule insgesamt verschoben und das Rückenmark da-
bei eingeklemmt. Gottseidank kann sie inzwischen schon wieder laufen. Auch die
Verschiebung konnte man wieder einrenken. Allerdings ist sie noch recht wackelig
auf den Beinen. Aber auch das ist komisch: wenn Petra nicht ihren Füßen beim Lau-
fen zuguckt, wird der Gang gleich viel unsicherer. Sie beschreibt es, als ob sie kein
Gefühl mehr dafür hat. Dabei spürt sie aber alles auf der Haut. Das gleiche gilt auch
für die Hände. Das Cello fühle sich seit dem anders an. Sie hat große Schwierigkei-
ten, die Stücke zu spielen. Die Finger treffen irgendwie nicht so gut die richtigen Sai-
ten. Wenn sie aufs Griffbrett schaue, ginge es ganz gut. Aber so war es vor dem Un-
fall nicht.“

Aufgaben:

• Fasse die wichtigsten Punkte von Petras Beschwerden zusammen


• Was sind Hintergründe für das vorliegende Problem?
• zeige die Bedeutung der Fähigkeit für das Üben auf, die Petra unfallbedingt
verloren hat

18
3. Muskelphysiologie

Muskelanatomie

Muskeltypen
Die Hauptaufgabe der Muskulatur ist das Ausführen von Bewegungen. Dabei kann der
Muskel entweder kontrahieren (anspannen) oder relaxieren (entspannen). Je komple-
xer die Bewegung ist, desto mehr Muskeln sind aktiv. Es gibt verschiedene Muskula-
turformen. Sogenannte „glatte Muskeln“ werden vom vegetativen Nervensystem
(Sympathikus und Parasympatikus) gesteuert und können nicht willkürlich bewegt wer-
den. Dazu zählt unter anderem die Muskulatur des Magen-Darm-Traktes oder der Blut-
gefäße. Die Willkürmuskulatur wird „quergestreifte Muskulatur“ genannt und entspricht
der Muskulatur des Bewegungsapparates. Sie zeigt sich unter dem Mikroskop mit ei-
ner feinen Querstreifung. Der Herzmuskel ist eine Sonderform der quergestreiften
Muskulatur, die sich aber nicht willkürlich bewegen lässt.

Aufbau der Skelettmuskulatur


Ein Muskel ist ein Zusammenschluss vieler Muskelfasern, die wiederum aus Muskel-
fibrillen (Fiber = Faser, Fibrille = Fäserchen) bestehen. Jede dieser Muskelunterein-
heiten ist mit einer dünnen Haut, der Muskelfaszie umgeben. Sie sind Teil des Binde-
und Stützgewebes und halten die Fasern bei der Kontraktion in Form. Außerdem un-
terstützen sie die Bewegungen indirekt durch Vorspannung. Alle Muskelfasern sind
strangförmig angeordnet und in Bündel gegliedert.
Unter mikroskopischer Vergrößerung setzt sich die Untergliederung fort. Hier zeigen
die Muskelfasern Querstreifen. Es handelt sich dabei um die kleinen funktionellen Ein-
heiten eines Muskels, die sogenannten Sarkomere; die Querstreifung entsteht
dadurch, das sehr viele Sarkomere aneinander gereiht die Muskelfäserchen bilden.
Sarkomere haben zwei Bereiche. In dem einen Bereich kommt es zur Kontraktion (I-
Bande), im anderen Bereich wird die Bewegung ausgelöst (A-Bande). Ursachlich für
diese Phänomene sind zwei Muskelproteine (Protein = Eiweiß), Aktin und Myosin.
Myosin ist ein Protein, welches in seiner Form an einen Golfschläger erinnert. Es be-
steht aus einem Schwanz und einem Kopf. Wenn Myosin ein Signal bekommt, kippt
der Kopf näher an den Schwanz heran. Der Kopf von Myosin ist fest an ein zweites
Protein, das Aktin, gebunden.

19
Aktin ist ein nicht bewegliches, stangenförmiges Protein und ist die Verbindung zwi-
schen den Myosinproteinen. Es entstehen somit lange Ketten, in denen sich Myosin
und Aktin abwechseln. Kommt es zur Muskelaktivierung, nähern sich die Myosinköpfe
dem Schwanz. Da diese am unbeweglichen Aktin befestigt sind, wird nicht das Aktin
vom Myosinkopf angezogen, sondern der Myosinkopf zieht das ganze Myosinprotein
zum Aktin. Der gleiche Vorgang findet am anderen Ende des Aktins statt, sodass sich
die gegenüberliegenden Myosinproteine aufeinander zu bewegen: der Muskel zieht
sich zusammen.
Wenn dieser Vorgang gleichzeitig in den hintereinander gekoppelten Sarkomeren
(Querstreifen) und nebeneinander in sämtlichen Muskelfibrillen aktiviert wird, entsteht
in der Summe eine große und kräftige Bewegung.
Muskelfasern reagieren nicht alle gleich auf eine Aktivierung. Einige Fasern reagieren
schnell und sind schneller erschöpft (schnelle Bewegung). Andere Fasern reagieren
langsam und sind ausdauernder (ausdauernde Bewegung). Schnelle Fasern sind eher
im oberen Körperbereich zu finden. Die Muskulatur der unteren Extremität und die
vorwiegend für das Stehen und die Stabilität des Skelettes zuständig ist, gehört zu den
langsamen Fasern.

Signalübertragung
Das Signal für eine Kontraktion erhält der Muskel über Nervenfasern aus dem Motor-
kortex M1 des Gehirns. Der Nerv endet über Synapsen, die direkt der Muskelfaser
anliegen. Jede Nervenzelle ist für mehrere Muskelfasern zuständig. Je differenzierter
ein Muskel bewegt werden kann (z.B. komplexe, feine Handbewegungen), desto mehr
Nervenzellen sind für den entsprechenden Muskel zuständig. Umgekehrt sinkt somit
die Anzahl der Muskelfasern pro Nervenzelle. Dieser Zusammenhang wird im Ho-
munculus ausgedrückt (s. Kapitel Sinnesorgane à zentrale Sinnesverarbeitung):
Hände, Zunge und Lippen sind besonders groß dargestellt, da viele Nervenzellen für
die Muskeln zur Verfügung stehen. Feine Bewegungen, die etwa für die Handbeweg-
lichkeit oder feine Bewegungen beim Sprechen notwendig sind, können gezielt ge-
steuert werden, da bereits wenige Nervenfasern durch eine eigene Nervenzelle ge-
steuert werden.

20
Muskelfasertypen
Die Muskelfasern, die durch eine Nervenzelle gesteuert werden, werden „motorische
Einheit“ genannt. Eine motorische Einheit besteht immer aus einem Fasertyp. Man
unterscheidet zwei große Fasertypen: schnelle und langsame Muskelfasern.
Langsame Muskelfasern sind vor allem in Muskeln zu finden, die für die Fortbewegung
und Stabilisation dienen. Diese Muskeln müssen über den Tag ggf. permanent ange-
spannt sein und dürfen nicht schnell ermüden. Charakteristisch für langsame Muskel-
fasern ist der aerobe Zellstoffwechsel. Hierbei wird Zucker mit Sauerstoff zur Energie-
gewinnung eingesetzt. Damit viel Sauerstoff zur Verfügung steht, ist der Muskel gut
durchblutet (viele Blutgefäße) und weißt eine hohe Konzentration an Myoglobin (Pro-
tein für Sauerstoffspeicherung) auf. Zusätzlich ist die Dichte an Mitochondrien sehr
hoch. Mitochondrien sind die „Kraftwerke der Zellen“ und der Ort, an dem die Energie-
gewinnung abläuft. Je mehr Mitochondrien das Gewebe aufweist, desto mehr Energie
kann es generieren.
Schnelle Fasern befinden sich vorwiegend in der oberen Extremität. Sie erhalten ihre
Energie aus dem anaeroben Stoffwechsel, Hierbei entsteht neben Energie auch
Laktat. Laktat reichert sich im Muskelgewebe an. In hohen Konzentrationen übersäuert
der Muskel und ist schneller erschöpft. Die Durchblutung der schnellen Muskelfasern
ist geringer und der Myoglobingehalt ist niedriger.

Trainingseffekte
Mit der Kenntnis der Muskelfasertypen kann durch gezieltes Training auf verschiedene
Aspekte der Muskulatur eingegangen werden.

Kraft
Krafttraining erhöht die Muskelmasse. Es kommt zur Vergrößerung des Muskelgewe-
bes und zur Neubildung von einzelnen Muskellfasern. Der genaue Mechanismus ist
allerdings aktuell nicht geklärt. In der Folge wird der Muskel stärker.

Ausdauer
Beim Ausdauertraining wandeln sich schnelle Muskelfasern in langsame Muskelfasern
um. Es kommt zu einer Verbesserung der Durchblutung und zu einer Anreicherung
von Myoglobin. Außerdem erhöht sich die Dichte der Mitochondrien, sodass insgesamt
eine aerobe Energiegewinnung erfolgen kann.

21
Geschwindigkeit
Geschwindigkeitsverbesserung von Muskeln ist weniger ein Training des Muskels,
sondern vielmehr ein Training des Nervensystems. Hierbei entstehen durch Neuro-
plastizität eine verbesserte Vernetzung und dadurch eine verbesserte Steuerung der
Muskeln durch das Gehirn. Je mehr Bewegungsprogramme das Gehirn kennt, desto
besser gelingt die Muskelkoordination.

4. Gehirn, Sinne, Sensomotorik

Sensomotorik
Sensomotorik beschreibt das Phänomen, das Bewegungen (medizinisch: Motorik)
durch Sinneserleben (Sensorik) beeinflusst und gesteuert werden. Hierbei werden un-
terschiedliche Bewusstseinszustände unterschieden.
Auf der unbewussten Ebene stehen die Reflexe. Hierbei kommt es zu einem Reiz von
außen, z.B. ein Schlag des Reflexhammers des Arztes. Hierauf folgt unbewusst eine
Bewegung, z.B. eine schnelle Bewegung im Bein. Ein Sensor hat dabei den Schlag
wahrgenommen und eine Bewegung (Motorik) ausgelöst. Reflexbewegungen finden
im Rückenmark statt; deshalb ist die Bewegung nicht bewusst steuerbar. Meistens
wäre das Bewusstsein auch zu langsam: wenn man etwa stolpert, muss im Bruchteil
einer Sekunde ein reflektorisches Nachziehen des Beines erfolgen, um einen Sturz zu
verhindern.
Die nächst höhere Bewusstseinsebene findet im unteren Teil des Gehirns statt. Hierbei
kommt es zu komplexeren Bewegungen auf äußere Reize, beispielsweise eine Kopf-
drehung in Richtung eines plötzlichen Ereignisses. Diese Bewegungen sind keine Re-
flexe, aber entstehen immer noch unwillkürlich und spontan, lassen sich aber auch
unterdrücken und können erlernt werden.
Das nächst höhere Zentrum umfasst den oberen Teil des Gehirns und damit das Be-
wusstsein sowie alle willkürlichen Handlungen. Hier befinden sich Hirnareale, in denen
äußere Reize bewusst wahrgenommen werden (Geräusche, Bilder, Sinneserleben der
Körperoberfläche etc.) und in denen Bewegungen bewusst ausgeführt werden. Wenn
etwa die Dynamik oder der Anschlag eines Musikstückes geübt wird, wird zunächst
der Klang über den Hörsinn bewertet und anschließend ggf. die Bewegung angepasst.
Dieser Prozess ist zunächst ein sehr bewusster Vorgang. Je öfter man übt, desto
schneller erfolgt die Anpassung der Bewegung auf den Höreindruck. Bei erfahrenen

22
Musiker/-innen wird somit die Handbewegung vorwiegend durch den Gehörsinn ge-
steuert. Dieses Prinzip wird Sensomotorik genannt.

Anatomie des Gehirns


Das Gehirn ist wie auch das Rückenmark Teil des zentralen Nervensystems (ZNS).
Im Rahmen der Entwicklungsgeschichte des Menschen ist das Rückenmark der äl-
teste Teil des ZNS. Das Gehirn selbst ist eine Ausknospung des Rückenmarks und
hat sich ständig weiterentwickelt. Somit sind die äußersten Anteile (die Hirnrinde) die
jüngsten Hirnareale. An das Rückenmark schließt sich das verlängerte Mark (Medulla
oblongata) sowie die Brücke (Pons) an. Hier befindet sich eine große Nervenkreuzung
zum Kleinhirn. Über der Brücke schließt sich das Mittelhirn (Mesencephalon) und das
Zwischenhirn (Diencephalon) an. Dieses geht in die Hirnrinde über.

Hirnrinde (Cortex)
Die Hirnrinde ist der jüngste Teil des Gehirns und umfasst die Areale für unser Be-
wusstsein, unsere Willkür und das Handeln. Man unterscheidet in weitere 4 Hirnregi-
onen:

Übersicht
Stirn- oder Frontallappen: Areal für das Bewusstsein, Handeln,
Planen, Konsequenzen, Charakter
Schläfen- oder Temporallappen: Hören, Sprechen, Lernen
Scheitel- oder Parietallappen: Assoziieren, Benennen
Hinterhaupt- oder Occipitallappen: Sehen

In diesen Hirnregionen gibt es Areale mit verschiedenen Aufgaben:

Somatosensorische Cortex (S1): bewusste Wahrnehmung von Sinnes-


eindrücken der Körperoberfläche
Motorischer Cortex (M1) Ausführen von bewussten Bewe-gun-
gen
Supplementär-motorischer Cortex (SMA) Bereitstellung bekannter Bewegungs-
muster
Visueller Cortex (V1) Bewusste Wahrnehmung von Bildern
Auditiver Cortex (A1) Bewusste Wahrnehmung von Geräu-
schen

23
Fronto-temporo-parietaler Cortex (FTP) Assoziieren, Verbindung von Worten,
Sprache, Bildern, Geräuschen

Frontallappen
Der Frontallappen ist der Ort im Gehirn, an dem die Handlungen und Pläne entstehen.
Auch Charaktereigenschaften, soziale Interaktionskompetenzen, Moral und Aufmerk-
samkeit sind hier abgelegt. Ein wesentlicher Aspekt ist die Fähigkeit, eine Konsequenz
aus einem Handeln abzuleiten.

Somatosensorischer Cortex (S1)


Der somatosensorische Cortex (S1) ist ein Teil der Hirnrinde und für die bewusste
Wahrnehmung von Sinneseindrücken der Körperoberfläche, des Gelenk- und des La-
gesinnes verantwortlich. Dabei entspricht die Oberfläche von S1 im Querschnitt in ge-
wisser Weise der Körperoberfläche. Die Nervenzellen in S1 sind nicht gleichmäßig für
alle Körperregionen zuständig. Daher ist die Fähigkeit der Körperwahrnehmung in ei-
nigen Regionen viel besser. Hände und Lippen sind besser versorgt als etwa Rücken
und Oberschenkel. Dieses Verhältnis wird auch mit dem Begriff Homunculus beschrie-
ben. Der Homunculus zeigt die Körperoberfläche gemäß ihrer Repräsentation in S1.

Motorkortex (M1)
Der Motorkortex (M1) ist der Ursprung jeder willkürlichen Bewegung. Wie auch beim
somatosensorischen Cortex (S1) entspricht die Oberfläche von M1 der Körperoberflä-
che und die Menge an zuständigen Nervenzellen ist abhängig von der Region. Kör-
perregionen, die eine komplizierte Bewegungssteuerung erfordern, etwa Hände (kom-
plexe Bewegungsformen) oder der Mundraum (Sprechen) haben viele zugeteilte Ner-
venzellen. Die Zuständigkeit der Nervenzellen kann sich im Laufe des Lebens verän-
dern. Durch das Trainieren von Bewegungsabläufen verbessert sich die Vernetzung
der Nervenzellen untereinander und es können komplexe Bewegungsmuster ausge-
führt werden.

Supplementär-motorischer Cortex (SMA)


Die supplementär-motorischer Cortex (SMA) unterstützt den Motorkortex (M1) bei der
Bewegungsausführung. Über die SMA werden bekannte Bewegungsmuster bereitge-
stellt und Bewegungsabläufe geplant. Es handelt sich dabei um eine Schaltstelle zwi-
schen dem Frontallappen (Bewusstsein, Handeln, Planen), dem Motorkortex

24
(Bewegungsausführung), der Basalganglienschleife (Speicher für automatisierte Be-
wegungen) und weiteren Hirnarealen.

Visueller Cortex (V1)


Der Visuelle Cortex (Sehrinde, V1) ist für die Bildverarbeitung zuständig und befindet
sich im Hinterhauptslappen des Gehirns. Er ist eng mit den anderen Gehirnbereichen
verbunden und hat somit indirekt Einfluss auf sensomotorische Phänomene.

Auditiver Cortex (A1)


Der Auditive Cortex (Hörrinde, A1) ist ein Teil des Schläfenlappens und für die be-
wusste Wahrnehmung von Tönen zuständig. Es bestehen enge Verbindungen zu an-
deren Hirnarealen, wodurch dieser indirekt Einfluss auf sensomotorische Phänomene
hat. Der Mensch hat das größte Gedächtnis für Geräusche und Töne

Fronto-temporo-parietaler Cortex (FTP)


Die fronto-temporo-parietale Hirnregion (FTP) befindet sich im Übergang der gleich-
namigen Hirnlappen. Er stellt dabei eine Verbindung zwischen diesen Sinnen dar. So
werden etwa Geräusche und dazu passende Seheindrücke richtig zugeordnet, oder
die Sinneseindrücke mit Sprache verknüpft.

Kleinhirn
Auf Höhe der Brücke teilt sich das Kleinhirn vom Hirnstamm ab und bildet die zentrale
Einheit für die Koordination des Menschen. Seine Informationen erhält es einerseits
über die Gleichgewichtsorgane im Innenohr, andererseits über Nervenfasern der Re-
zeptoren aus Muskeln und Gelenken, die eigenständige Bahnen im Rückenmark bil-
den. Das Kleinhirn verrechnet in einem komplexen Prozess die Bewegungsinformati-
onen und führt dann präzise und dosierte Bewegungen aus. Unter dem Einfluss von
Alkohol werden die Kleinhirnfunktionen gestört. Lallen ist etwa der Ausdruck fehlender
Präzision und Koordinationsfähigkeit der Zunge.

Basalganglien
Die Basalganglien sind zwei paarige Nervenkerne und befinden sich im Zwischenhirn,
welches sich unter der Hirnrinde befindet. Basalganglien sind ein älterer Teil des Ge-
hirns, der für automatisierte Bewegungen, etwa das Laufen, das Fahrrad fahren oder
das Sprechen, zuständig ist. Besonders an den Basalganglien ist die Fähigkeit, das
jede gespeicherte Bewegung nicht mehr vergessen werden kann (Beispiel: im Rah-
men eines Black outs kann das Bewegungsmuster „Laufen“ immer noch abgerufen

25
werden). Durch regelmäßiges Üben von Bewegungsabläufen können Bewegungen in
den Basalganglien gespeichert werden. Dabei kann das angelegte Bewegungsmuster
lediglich optimiert und angepasst werden, Daher ist ein ausreichendes Maß an Kon-
zentration beim Üben notwendig, um saubere Bewegungsabläufe zu verinnerlichen.
Die Basalganglien lernen immer und bei jeder Bewegung, unabhängig von der Auf-
merksamkeit.

Hirnstamm
Der Hirnstamm ist die Region, die sich an das Rückenmark anschließt. Hier befinden
sich neben Nervenkernen und basalen Körperfunktionen (u.a. Atmung, spezielle Re-
flexe, Parasympathikus) Kreuzungsstellen von Nervenbahnen.

Gürtelwindung (Limbisches System, Gyrus cinguli)


Die Gürtelwindung ist der Ort des emotionalen Erlebens im Gehirn. Es basiert auf ei-
nem Netzwerk verschiedener Hirnareale, die mit anderen Gehirnteilen verbunden sind.
Jede Handlung wird durch die Gürtelwindung bewertet und emotional gefärbt. Sie ver-
gleicht ständig zwischen dem, was das Gehirn macht und was es machen soll. Außer-
dem ist sie bei emotionalen Bewegungen involviert, etwa bei der Mimik und Gestik.
Der Einfluss der Gürtelwindung auf die Bewegungen ist so groß, das unter bestimmten
Umständen eine falsche Bewegung durch Antizipation gehemmt wird. So kann die
Gürtelwindung z.B. einen Fehler beim Musizieren versuchen zu hemmen.

Neuronales Netzwerk im Gehirn von Musizierenden


Beim Musizieren sind verschiedenste Bereiche des Gehirns aktiv. Dieser Vorgang soll
im folgenden anhand eines Beispiels beschrieben werden:
Ein Musikstück soll gespielt werden. Es kommt zunächst zur Idee und Planung der
Handlung. Diese findet im Frontalhirn statt. Menschen sind in der Lage, ihre Handlun-
gen in einem hohen Maße im voraus zu planen und deren Konsequenzen abzuschät-
zen. Daher werden alle vorbekannten Informationen im nächsten Schritt rekrutiert.
Das Wissen über Körperbewegungen und die Bewegungsabläufe werden über die
SMA bereitgestellt. Dafür bestehen auch Verbindungen in die Basalganglien und zum
Motorkortex. Informationen über die Körperhaltung, das Fingergedächtnis („inneres
Fühlen“) sind im somatosensorischen Cortex (S1) abgespeichert. Durch Verbindungen
in die Hörrinde (A1) und die Sehrinde (V1) können die Töne , bzw. die Noten bereits
mit dem „inneren Ohr“ und dem „inneren Auge“ wahrgenommen werden.

26
Nachdem diese Informationen bereitgestellt sind, startet der Impuls zur tatsächlichen
Bewegung. Dieser Impuls erreicht auch den Assoziationskortex (FTP), der eine Kopie
des Impulses an das Kleinhirn sendet. Dieser Vorgang wird Efferenzkopie genannt.
FTP schätzt hierbei im Vorfeld ab, wie die Bewegung ablaufen wird und welche Mus-
keln in welcher Dosierung aktiviert werden müssen. Die Informationen hierfür sind im
Rahmen stundenlangen Übens gesammelt worden und in den o.g. Hirnarealen abge-
speichert. Die Körperwahrnehmung über die Sensoren in den Muskeln und Gelenken
würde hierbei zu lange Dauern, da zuerst der Bewegungsimpuls vom Gehirn zum Mus-
kel und dann die Information über den Sensor wieder zurück ins Gehirn müsste.
Unter dem modulierenden Effekt des Kleinhirns kommt es in M1 dann zur tatsächlichen
Bewegung. Das Signal wird über verschiedene Mechanismen, u.a. das Kleinhirn und
die Gürtelwindung moduliert und dann zum Muskel übermittelt.
Anschließend werden die Ergebnisse über das Ohr, die Muskel- und Gelenksensoren
und auch das Auge wahrgenommen und an das Gehirn rückgemeldet mit der Effe-
renzkopie verglichen und durch die Gürtelwindung bewertet. Einerseits entstehen da-
bei Emotionen, vielleicht Freude über den schönen Klang oder Panik, weil das ge-
wünschte Ergebnis nicht eintritt. Andererseits kann nun die Bewegung an die erwartete
Klangvorstellung angepasst werden. Es gilt das Prinzip der Sensomotorik. Feine Spiel-
fehler können durch die Muskel- und Gelenksensoren nicht wahrgenommen oder ge-
steuert werden. Stattdessen werden andere Sinnesorgane, z.B. das Ohr einbezogen,
um anhand des Klanges Modifikationen der Bewegungen vorzunehmen.

5. Das Ohr

Schall

Physikalische Grundlagen

Schallwellen
Das Ohr ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Schall. Schall breitet sich in Form
von Schallwellen aus. Daher können sie mathematisch mit einer Funktion beschrieben
werden. Wichtige Parameter sind hierbei die Amplitude („Höhe der Welle“) und die
Frequenz („Länge der Welle“). Je höher die Schallwelle, desto lauter ist der Ton; je
kürzer die Welle, desto höher ist der Ton.

27
Man kann Schall in Töne, Klänge und Geräusche abgrenzen. Die reinste Form des
Tones ist dabei der Sinuston (z.B. das Freizeichen im Telefon), welcher wie eine Si-
nusfunktion gleichmäßig um die X-Achse onduliert. Musikinstrumente haben ein indi-
viduelles Wellenmuster, welches auch durch ein charakteristisches Spektrum an Ober-
tönen bestimmt ist.
Klänge sind Summationen von Tönen. Diese zeigen sich in der Schallfunktion als zu-
sätzliche Wellenmaxima.
Ein Geräusch ist immer eine Summe aus verschiedenen Wellen in unterschiedlichsten
Frequenzen, die in keinem geordneten Zusammenhang zueinander stehen.

Messung von Schall

Frequenz
Die Frequenz eines Tones entspricht der Tonhöhe und wird in der Regel in Hertz ge-
messen. Dabei entspricht 1 Schwingung pro Sekunde 1 Hertz (Hz). Der Kammerton a
hat 440 Hz und schwingt 440 Mal pro Sekunde. Ein menschliches Ohr kann Frequen-
zen von 16 – 16000 Hz wahrnehmen.

Amplitude
Die Amplitude eines Tones entspricht der Lautstärke. Schall wird im Ohr über das
Trommelfell weitergeleitet. Das Trommelfell ist eine membranartige Oberfläche, die
unter Schallwellen zu schwingen beginnt. Der Schall drückt somit wellenförmig gegen
diese Oberfläche. Je lauter der Schall, desto stärker schwingt die Membran, bis sie im
Extremfall reißt („Mir platzt das Trommelfell“). Dieser Zusammenhang von einer Kraft,
die auf das Trommelfell drückt wird physikalischen durch den Schalldruck beschrieben.
Schalldruck wird in Pascal (Pa) angegeben. 1 Pa beschreibt die Kraft von 1 Newton
pro Quadratmeter. Da 1 Newton etwa der Kraft entspricht eine Tafel Schokolade hoch-
zuheben, sind die Kraftmengen am Trommelfell deutlich kleiner. Das menschliche Ohr
kann einen Schalldruck von 0,000032 Pa wahrnehmen. Die Schmerzgrenze liegt bei
63 Pa. Da hierbei ein Schalldruckunterschied von über 2,5 Millionen zwischen den
Extrempunkten liegt, wurde der Schalldruck durch den Schalldruckpegel (DeziBell) in
ein handliches Maß umgerechnet. Da es sich um ein logarithmisches Maß handelt (der
20. dekadische Logarithmus) entsprechen 20dB einer Verzehnfachung des Schalldru-
ckes.

28
Beispiele für Lautstärken

130 dB Spielzeugpistole
120 dB Schmerzgrenze
105 dB Diskothek
95 dB Boeing 737 in 2000m über Grund
Ab 85 dB Hörschäden möglich
83 dB Rasenmäher mit Benzinmotor im Ab-
stand von 10 Metern
70 dB Radio, Fernsehen in „Zimmerlautstärke“
60 dB Normale Unterhaltung
40 dB Ruhige Großstadtwohnung bei Nacht
20 dB Vollkommende Stille
0 dB Hörschwelle für 1000 Hz
Tab 3: Lärmquellen und ihr Schalldruckpegel
Gemäß einer Untersuchung der Bundeszentrale für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
liegt der Wochenexpositionspegel im Orchester über 85 dB. Im Folgenden ist die
Schallbelastung der einzelnen Berufsmusiker’Innen dargestellt.

Quelle:
http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Laerm-und-Akustik/Orchestermusiker.html

29
Arbeitsschutz
In der EU-Richtlinie 2003/10/EG vom 06.02.2003 werden Mindestvorschriften zum
Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch
physikalische Einwirkungen (Lärm) geregelt. Diese sigelten in Deutschland seit dem
15.02.2008 und wurden per Verordnung umgesetzt.
Demnach muss ab einer Schallbelastung von 80dB über 8 Stunden ein persönlicher
Gehörschutz durch den Arbeitgeber bereitgestellt werden. Ab 85 dB sind die Arbeitge-
ber verpflichtet, ‚ein Programm mit technischen und organisatorischen Maßnahmen
zur Verringerung der Lärmexposition auszuarbeiten und durchzuführen’.

Der Weg des Schalls durch das Ohr

Anatomische Grundlagen
Das Ohr ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung des Schalls. Daneben ist es auch für
das Gleichgewicht zuständig.
Das Ohr gliedert sich in einen äußeren, mittleren und einen inneren Abschnitt:

Außenohr:
Der Schall wird durch die Ohrmuschel aufgefangen und in den Gehörgang weiterge-
leitet. Hier befindet sich das Trommelfell, das durch die Schallwellen in Schwingungen
versetzt wird.

Mittelohr
Hinter dem Trommelfell beginnt das Mittelohr. Es besteht aus dem inneren Teil des
Gehörgangs, welcher in der Paukenhöhle endet. In der Paukenhöhle sind die Ge-
hörknöchelchen lokalisiert. Außerdem gibt es eine Verbindung in den Rachen, die Ohr-
trompete. Es handelt sich dabei um einen kleinen Kanal, der u.a. für den Druckaus-
gleich des Ohres zuständig ist. Wenn er im Rahmen einer Erkältung anschwillt, hat
man „Druck auf den Ohren“.
Das schwingende Trommelfell ist mit den Gehörknöchelchen verbunden. Diese über-
tragen die feinen Bewegungen auf das Innenohr. Dabei sind sie in einer Reihe hinter-
einander geschaltet: das Trommelfell bewegt den Hammer, der den Amboss bewegt,
der die Bewegung auf den Steigbügel übertragt. Der Steigbügel sitzt einer Membran
auf (ovales Fenster), die wie das Trommelfell in Schwingung versetzt wird und die
Schallinformationen ins Innenohr überträgt.

30
Impedanzanpassung
Die Sinneszellen im Innenohr (die „Schallsensoren“) sind von einer Flüssigkeit, der
Ohrlymphe, umgeben. Somit muss der Schall aus der Luft das Medium wechseln.
Wenn Schallwellen auf Wasser treffen, werden 98% davon reflektiert. Das liegt daran,
dass beide Medien einen unterschiedlichen Schallwiderstand haben (Impedanz).
Durch die Gehörknöchelchenkette wird die Übertragung deutlich verbessert, sodass
60% des eintreffenden Schalles auf das Innenohr übertragen werden. Dieser Vorgang
wird Impedanzanpassung genannt.

Innenohr
Das Innenohr ist der Ort der eigentlichen Schallwahrnehmung. Es ist wie eine Schne-
cke aufgebaut und mit einer Flüssigkeit, der Ohrlymphe gefüllt. Außerdem befinden
sich dort verschiedene Membranen, die für die Reizweiterleitung notwendig sind.
Nachdem der Schall auf das ovale Fester übertragen wurde, trifft er auf die Basal-
membran und erzeugt eine Wanderwelle. Die Basalmembran ist direkt hinter dem ova-
len Fenster schmal und starr, wird aber zur Spitze der Schnecke hin immer breiter und
flexibler. Es entsteht Eintreffender Schall setzt nun zuerst den starren Teil in Schwin-
gungen und wandert dann über die Basalmembran entlang, bis er zusammenbricht.
Der Ort der maximalen Schwingung ist abhängig von der Tonfrequenz. Hohe Töne
schwingen kurz hinter dem ovalen Fenster, tiefe Töne eher zur Spitze der Schnecke
hin.

Hörvorgang
Auf der Oberfläche der Basalmembran liegt das Corti-Organ. Es ist für die Signalüber-
tragung an den Hörnerv zuständig. Hier liegen die eigentlichen Sinneszellen des Hö-
rens, die Haarzellen, die in äußere und innere Haarzellen unterschieden werden.
Wenn die Basalmembran durch eine bestimmte Frequenz maximal in Schwingungen
gerät, entsteht ein Zug an den äußeren Haarzellen, der auf eine weitere Membran des
Cortiorgans übertragen wird. Hierdurch kommt es zu einem Strom der Ohrlymphe ent-
lang der inneren Haarzellen. Diese knicken in Flussrichtung des Stromes ab und sen-
den über den Hörnerv einen Impuls an das Gehirn, der als Ton wahrgenommen wird.

Gehörschäden und Gehörschutz


Wird der Zug an den Haarzellen des Innenohrs zu groß, können die äußeren Haarzel-
len irreversibel geschädigt werden. Ein wichtiger Faktor ist vor allem eine chronische
Lärmbelastung.

31
Gehörschutz bietet hier eine effektive Maßnahme zur Prävention.
Standard-Gehörschutz umfasst sowohl den Kapselgehörschutz als auch verschiedene
Ohrenstöpsel, ggf. mit Frequenzfiltern. Im Allgemeinen puffern sie hohe Frequenzen
besser als tiefe Frequenzen.
Individueller Gehörschutz im Sinne einer Otoplastik kann bei einem Hörgeräteakusti-
ker angefertigt werden und bietet oft über sämtliche Frequenzen einen guten Gehör-
schutz.
Neben dem primären Gehörschutz können auch andere Faktoren eine Reduktion der
Lärmbelastung bewirken. Diese können etwa in der Anpassung des Probenraumes
liegen. Eine Verdoppelung des Abstandes zu einer Schallquelle sinkt etwa den Schall-
druckpegel um den Faktor 4. Durch einen strukturierten Zeitplan mit regelmäßigen
Pausen kann sich das Gehör erholen. Außerdem kann erwogen werden, in geringerer
Lautstärke zu üben. Maßnahmen zur Reduktion von äußeren Lärmquellen (Umwelt-
lärm) sollten ergriffen werden, um einen Summationseffekt (lauteres Spielen bei lauter
Umgebung) zu vermeiden.

Fallvorstellung

Fall 4
Rainer F. ist Flötist in einem deutschen Symphonie-Orchester. Nach einem Konzert
besuchen Sie mit ihm eine Bar unweit der Musikhalle, um noch einen Absacker zu
trinken. Er macht einen sehr strapazierten Eindruck auf Sie. Nach einem Bier scheint
es ihm besser zu gehen. "Irgendwas ist in letzter Zeit mit meinen Ohren los. Ich muss
mich richtig anstrengen, um noch alles mitzubekommen. Wenn hier gerade alle
durcheinander reden, muss ich echt genau hinhören, um Dich zu verstehen.
So ein Ohr-Geräusch habe ich unter uns gesagt schon viele Jahre. So sehr hat es
mich eigentlich nicht gestört, aber auf einmal konnte ich letztens nicht mehr schlafen,
fühlte mich unwohl, das Geräusch beginnt immer mehr, mich zu nerven. Ich hatte im
letzten Jahr auch echt Stress in meiner Beziehung; meine Frau wollte sich von mir
trennen. Dies ist auch geschehen. Obwohl ich eine neue Partnerin habe, ist das Ge-
räusch immer noch da. Ich bemerke, wie ich selbst durch das Ohrgeräusch gereizter
und unzufriedener bin.
Auch das Musizieren macht immer weniger Spaß. Manchmal kann ich gar nicht mehr
meine Flöte im Gesamtklang wahrnehmen. Ich hab das Gefühl, ich kann nicht mehr
„scharf“ hören und spiele nur noch nach Dirigat. Ich könnte manchmal während der

32
Probe aus dem Raum laufen, weil mir das alles zu viel wird. Alles klingt blechern und
viel zu laut. Wenn dann die Blechbläser oder die Pauker loslegen, will ich am liebsten
einfach nur weg und meine Ruhe haben, aber soviel Pause kann ich gar nicht ma-
chen, um mich zu erholen.“
Aufgaben:

• Fasse die wichtigsten Punkte von Rainers Beschwerden zusammen


• Was sind Risikofaktoren für das vorliegende Problem?
• Erkläre den medizinischen Hintergrund von Rainers Fall und was man dage-
gen machen kann

6. Übetechniken

Warum üben?
Besonders am Anfang fällt das Üben oft schwer. Eine Untersuchung von Gary McPher-
son hat gezeigt, dass nicht nur Disziplin beim Erlernen eines Instrumentes eine Rolle
spielt, sondern auch Motivation, die Unterstützung der Eltern und eine gesunde Bezie-
hung zu den Instrumentalpädagog*innen.
Sobald der Schüler selbst die Erfahrung macht, durch das Üben Fortschritte zu ma-
chen, wird durch die erlebte Selbstwirksamkeit das Üben positiv verstärkt. Es entsteht
neue Motivation zum weiteren Üben.
Emotionales Interesse am Musizieren kann ebenfalls positive Auswirkungen auf das
Instrumentalspielen haben. Die Schüler, deren Eltern sich aktiv die Musik ihrer Kinder
anhören, üben eher als die Schüler, deren Eltern lediglich dafür sorgen, das die Übe-
zeiten eingehalten werden.
Instrumentalpädagog*innen, die Ihre Schüler korrigieren und gleichzeitig als auto-
nome, ernst zu nehmende Musizierende wahrnehmen, lassen der Entwicklung mehr
Raum. Der Schüler kann sich in einem behüteten Umfeld entwickeln, ohne in ein Ab-
hängigkeitsverhältnis oder eine Hierarchie zu geraten, an dessen erster Stelle z.B. ein
unerreichbarer Lehrer steht.

Auswirkungen auf den Körper


Üben ist ein umfangreicher Prozess und läuft auf verschiedensten Ebenen ab. Einer-
seits wirkt sich dies auf die feinmotorischen Fähigkeiten aus. Unnötige und unzeitige
33
Bewegungen werden dabei durch Basalganglien (bereits gelernte Bewegung), Fron-
talhirn (Planung) und Gürtelwindung (Bewertung) gehemmt. Die ursprünglich veran-
lagte Grobmotorik wird dadurch langsam überschrieben.
Andererseits hat Üben erhebliche Auswirkungen auf die Sinneswahrnehmung und das
Lernen: Hör- und der Tastsinn werden verbessert und lösen genauer die Sinnesein-
drücke auf. Unbewusst wird die Sensomotorik (siehe auch Sensomotorik) trainiert und
dadurch Bewegungsabläufe perfektioniert, die wiederum im prozeduralen Gedächtnis
abgespeichert werden. Dieses umfasst sämtliche gelernte Bewegungen, die unbe-
wusst abgerufen werden können.
Primäre Effekte sind somit die Verbesserung von Klang, Intonation und Koordination,
das Trainieren des Gedächtnisses und die geistliche Durchdringung des Stückes so-
wie das Training der Aufführungspraxis.
Sekundär wird dabei außerdem das Üben selbst geübt, Stücke werden schneller er-
schlossen und das Üben wird effektiver. Im weiteren verbessert sich die Körperwahr-
nehmung und die kritische Selbstbewertung. Wie auch das Musizieren selbst wird das
Üben zu einer Handlungsfertigkeit.

Verschiedene Fragestellungen des Übens

Übedauer
Die Frage nach der Dauer des Übens ist individuell sehr unterschiedlich. Die meisten
Musiker*innen haben hier ihre eigenen Erfahrungen und Einschätzungen. Aus medi-
zinischer Sicht braucht das Gehirn regelmäßige Pausen. Beim Training von Bewe-
gungsabläufen werden die Ausführungen bei vielen Wiederholungen besser. Ab einem
bestimmten Punkt sinkt die Konzentration und die Ausführung der Bewegungen wird
schlechter (Penelope-Effekt). Diese „schlechteren Bewegungen“ werden durch das
Gehirn allerdings trotzdem abgespeichert. Der Effekt des Übens kann dadurch ver-
schlechtert werden. Das Gehirn lernt auch während Entspannungsphasen und wäh-
rend des Schlafens.

Steigerung des Übetempos


Der menschliche Körper unterscheidet zwei Typen von Bewegungen. Langsame Be-
wegungen werden auch „geregelte Bewegungen“ genannt und können in jeder Phase
der Ausführung korrigiert werden. Dem gegenüber stehen ballistische Bewegungen.
Es handelt sich um schnelle Bewegungen, die während ihrer Ausführung nicht korri-
giert werden können. Die schnellen (ballistischen) Bewegungen sind in der

34
Basalganglienschleife gespeichert, während die langsamen (gerichteten) Bewegun-
gen in der SMA angesiedelt sind.
Das bedeutet im Umkehrschluss, das schnelle Passagen nicht durch langsames Üben
mit sukzessiver Steigerung des Übetempos geübt werden können, da der Speicherort
(die SMA) nicht mit dem Ort des Ausführens (der Basalganglien) übereinstimmt.
Eine Möglichkeit ist daher das Üben in Chunks; das Musikstück wird in kleine Teile
zerlegt, die dann schnell geübt werden.

Mentales Üben
Beim mentalen Üben werden die Hirnareale aktiviert, die auch beim Musizieren akti-
viert sind. Oft wird das mentale Üben als sehr anstrengend wahrgenommen, da die
Aktivierung der Hirnareale ohne die Einwirkung der Sinneseindrücke (Töne/Klang, Be-
wegungen, Körpergefühl) erfolgen muss. Stattdessen werden das strukturelle Ge-
dächtnis (Erinnerung des Stückes), das motorische und das taktile Gedächtnis (Be-
wegungsabläufe), das visuelle Gedächtnis (inneres Sehen) und das auditive Gedächt-
nis (inneres Hören) selbstständig aktiviert.
Hierdurch kommt es zur Schulung der Klang- und Bewegungsvorstellungen. In einem
besonderen Maße wird die Selbstkontrolle und Selbstkorrektur geschult. Mentales
Üben schützt vor Überbelastungen und vor dem Einprägen falscher Töne durch akti-
ves Spielen. Auch Lampenfieber kann durch mentales Üben effektiv abgebaut werden,
in dem man sich im Geiste in Aufführungssituationen versetzt. Zusätzlich ist ein siche-
rer Weg zum Auswendiglernen. Man kann zu jeder Zeit mental Üben – auch ohne
Instrument und ohne Probenraum.

Paralleles Üben mehrerer Stücke


Eine Team aus Forschern aus Kanada (Carter, Frontiers of Psychology) hat gezeigt,
dass das Üben verschiedener Stücke (von allem etwas) eine günstigere Auswirkung
auf das Üben hat als eine nach Stücken strukturierte Übewoche. Unterschiedliche Be-
wegungsmuster haben sprechen unterschiedliche Muskeln und Gehirnareale an und
erhöhen langfristig die Motivation.

Variationen beim Üben


Das Variieren von Stücken bei Musizieren hat einen wesentlichen Effekt auf die Flexi-
bilität beim Spielen. Das Gehirn wird anders gefordert und muss sich auf kleine Stör-
variablen, z.B. einen leicht anderen Rhythmus, eine andere Tonart oder eine

35
veränderte Gestaltung anpassen. Dadurch fixiert sich das Gehirn nicht auf eine einzige
Lösung; vielmehr wird die Menge möglicher Lösungen erhöht.

Pausen
Die Neuverknüpfung von Synapsen geschieht vor allem nach dem Üben während der
Ruhephasen. So wird vor allem das Bewegungsgedächtnis im Schlaf konsolidiert. Eine
gute Schlafumgebung sollte eingerichtet werden: dazu zählen Stille, eine gute Raum-
temperatur, Bewegung vor dem Schlafen, Alkoholkarenz (zerstört die Non-REM-
Phase des Schlafens) und eine Karenz von Smartphones und sozialen Netzwerken.

Feedback
Das Feedback ist von Lehrenden an Studierende ist beim Instrumentalspiel essentiell.
Positives und Richtiges sollte ausdrücklich erwähnt und als solches hervorgehoben
werden. Verbesserungsbedürftige Leistungen sollten ebenso klar als solche benannt
werden (Authentisches Feedback).
Ein Schulnotensystem zur Bewertung gibt keinen konkreten Hinweis auf konkrete Feh-
ler. Daher sollte ein derartiges Bewertungssystem nur bei Schülern eingesetzt werden,
die die Fähigkeit haben, ihre Stärken und Schwächen einzuschätzen und selbstständig
daran zu arbeiten.
Oft kann auch die Selbsteinschätzung der Schüler sehr hilfreich sein. Die Reaktion
darauf sollte authentisch sein. Positives sollte verstärkt werden. Es wird nicht das Üben
gelobt (das kann der Lehrer in der Regel nicht bewerten, da er nicht dabei war).

36
Gesetzmäßigkeiten des Übens nach Prof. Dr. E. Altenmüller:

Regel 1
Üben wird durch Üben erlernt.
Üben erzeugt prozedurales Handlungswissen und beruht auf prozeduralem Hand-
lungswissen. Üben ist immer auch ein sich selbst organisierender Prozess, bei dem
Bewegungssteuerprogramme in Wechselwirkung mit Gehörsinn, Gesichtssinn, Kör-
perwahrnehmung und mit der Körperperipherie, den Muskeln, Gelenken und Sehnen,
nach und nach optimiert werden. Die Differenziertheit der Wahrnehmung und die
Schnelligkeit der auditiv-sensomotorischen Integration bestimmen wesentlich die
Lerngeschwindigkeit

Regel 2
Jede Übesitzung sollte bei Anzeichen von Ermüdung beendet werden. Für jede Auf-
gabe sollte die persönliche Lernkurve ermittelt werden, um so den Penelope-Effekt zu
vermeiden. Erfahrungsgemäß kann ein routinierter Instrumentalist die Anzeichen von
Ermüdung, beispielsweise ein Nachlassen der muskulären Kraft oder Kontrolle oder
ein Abschweifen der Gedanken, rasch erkennen. Als Faustregel sind 45 Minuten pro
Übeeinheit für den fortgeschrittenen Schüler häufig ein geeignetes Zeitmaß. Anfänger
können in der Regel die Aufmerksamkeit nicht so lange halten und benötigen entspre-
chend kürzere Übeeinheiten.

Regel 3
Pausen und Schlafen gehören zum Üben. Da die Konsolidierung der sensomotori-
schen Steuerprogramme vorwiegend in den Pausen geschieht, sind Pausen unab-
dingbarer Bestandteil jeder Übesitzung! Glücklicherweise geschieht die Konsolidie-
rung unbewusst. Der Übende kann sich in den Pausen mit gutem Gewissen mit ganz
anderen Dingen beschäftigen. Konzentriertes Arbeiten am Instrument macht naturge-
mäß müde. Ein ausreichender Nachtschlaf verbessert die Lernleistung.

Regel 4
Auch das Hören von Musik und das Beobachten von Musikern gehört zum Üben.
Durch das Spiegelneuronsystem werden beim Hören und Beobachten von Musikern
unsere eigenen sensomotorischen Steuerprogramme angesprochen. Für den

37
Pädagogen bedeutet dies, dass er beim Demonstrieren am Instrument auf sorgfältige
akustische und optische Wiedergabe achten, d.h., mit hoher Qualität vorspielen sollte.

Regel 5
Mentales Üben ist effektiv. Die neuronale Repräsentation von musikalischen Bewe-
gungen kann durch mentales Üben verfeinert werden. Mentales Üben ist somit eine
optimale Trainingsmöglichkeit, wenn kein Instrument zur Verfügung steht oder wenn
man – krankheitsbedingt – nicht am Instrument üben kann.

Regel 6
Zeitnahes Üben unterschiedlicher Werke ist wahrscheinlich langfristig effizienter. In
den Bewegungswissenschaften mehren sich die Hinweise, dass durch Üben unter-
schiedlicher Bewegungsformen schneller gelernt wird. Unklar ist allerdings noch, ob
die verteilt geübten Bewegungssteuerprogramme langfristig störanfälliger sind.

Regel 7
Die langsame und die schnelle Ausführung musikalischer Bewegungen beruht auf un-
terschiedlichen sensomotorischen Programmen

38
7. Faszien

Was sind Faszien?


Die Faszien sind unser Bindegewebe, welches sich schützend und stützend durch un-
seren gesamten Körper zieht. Je nach Ort und Funktion gestalten sie sich sehr unter-
schiedlich, mal sind es sehr dünne Häute, mal eher feste, derbe Strukturen, wie zum
Beispiel an Gelenken und Sehnenübergängen.
Sie halten Organe an Ort und Stelle und schützen sie, ihre Abgrenzung dient auch der
Infektionshemmung.
Erst in den letzten Jahren hat man, durch den Fortschritt in der Forschung, begonnen,
die Aufgaben und Wichtigkeit der Faszien zu begreifen.
Durch kleinste und hochauflösende Kameras, die mittlerweile während einer OP unter
der Haut und im Gelenk eingeführt werden können, weiß man, dass es sich bei diesem
Gewebe um ein gelartiges ,fein aufgefasertes, extrem flexibles, dreidimensionales
Netzwerk handelt, welches sich durch unseren gesamten Körper zieht.

Eigenschaften der Faszien:


Wenn man früher dachte, dass die Faszien, das Bindegewebe, nur stützendes Füll-
material seien, so weiß man heute, dass sie die Fähigkeit haben, sich zu kontrahieren,
wenn auch langsamer als Muskeln. Man weiß, dass sie viele Propriozeptoren (Wahr-
nehmungsrezeptoren) und freie Nervenenden (Mechanorezeptoren/Schmerzrezepto-
ren) enthalten. Demnach können sie auch Auslöser für Schmerzen sein. Sie sind unser
größtes Wahrnehmungsorgan und ihre Beschaffenheit ist dafür verantwortlich, wie
wohl und geschmeidig oder wie unbeweglich wir uns in unserem Körper fühlen. Sie
haben die Fähigkeit 6x mehr Energie als Muskeln zu speichern und geben diese als
Reboundeffekt ab. Sie sind Teil unseres Immunsystems, weil sich wichtige Zellorga-
nellen in ihnen befinden. Betrachtet man diese Faszien allerdings an einem präparier-
ten verstorbenen Körper, erscheinen sie eher weiß und fest und die Faszination, die
einem bei der lebenden Beobachtung zu Teil wird, lässt sich da nicht erahnen. Aus
dieser Sicht ist es durchaus verständlich, das man die Faszien lange als Füllmaterial
angesehen hat.
Bau der Faszien: Die Faszien bestehen zum einen aus der extrazellulären Matrix,
die wiederum aus der Grundsubstanz und Fasern besteht. Zum anderen aus Binde-
gewebszellen, von denen die Fibroblasten die bedeutendsten sind, sie sind für den
Kollagenaufbau verantwortlich. Die übrigen Zellen sind Mastzellen, die der

39
Immunabwehr zugehören sowie Nerven, Gefäße und sonstige Zellen. Den größten
Teil der Faszien macht das Wasser aus, welches in gebundener Form vorhanden ist.
Insgesamt kann man sie sich wie eine gelartige Masse vorstellen, die an Eiklar erin-
nert.

Faszientraining:
Wenn die Faszien auch an jeder Bewegung beteiligt sind, lassen sie sich durch be-
stimmte Reize jedoch gezielt trainieren. Dies im besonderen für das intermuskuläre
Fasziengewebe. Dieses ist, wenn es optimal trainiert und geschmeidig ist, scheren-
gitterartig angeordnet. Ihre Fähigkeit, Energie zu speichern und diese dann in einem
Katapulteffekt wieder abzugeben, kann man sich wie bei einer Sprungfeder vorstellen.
Diese Fähigkeit macht sich jeder Sportler zu Nutze, indem er vor seiner Bewegung
oder Aktivität in die Vorspannung geht, dann eine kurze Muskelanspannung macht
und für die restliche Bewegung den Katapulteffekt nutzt; man stelle sich hier etwa ei-
nen Speerwerfer vor. Dieser Mechanismus wurde erstmals bei Kängurus erforscht und
konnte dann beim Menschen, an der Achillessehne, beobachtet, bzw., nachgewiesen
werden. Die Faszien lieben abwechslungsreiche Bewegungen und mögen es daher
gedrückt, gezogen, gedreht und geknetet zu werden. Joggen zum Beispiel ist auch ein
gutes Faszientraining, dabei ist es empfehlenswert, immer wieder Variationen wie Seit-
galopp, Rückwärtslaufen oder kleine Sprünge einzubauen damit alle Bereiche trainiert
und abseits der eingefahrenen Bewegungsmuster neue Bewegungen eingebaut wer-
den, die die Faszien vielfältig fordern. Sind die Faszien gut trainiert und damit flexibel
und anpassungsfähig, ist die Kraftübertragung optimal. Dadurch werden Gelenke und
Muskulatur geschont und die Verletzungsgefahr reduziert sich. Durch variationsrei-
ches Bewegen und genaues Hin Spüren verbessert sich unsere Wahrnehmung und
wir erkennen unsere körperlichen Grenzen und Schwachstellen besser, so dass wir
gezielter pausieren oder mit entspannenden Maßnahmen für einen Ausgleich sorgen
können. Im Prinzip reichen 2-3x/Woche 10 Mi. Faszientraining aus, um den Körper auf
Dauer flexibler, geschmeidiger und kräftiger werden zu lassen.
Das Faszientraining setzt sich aus vier Bausteinen zusammen:
1. Variationsreiches Federn, Hüpfen, Springen, schwungvolle Bewegungen
mit schnellen Richtungswechseln:
Dadurch bekommen die Faszien an den Sehnen und Knochenübergängen (dort
sind sie eher parallel angeordnet) einen deutlichen Impuls, neues Gewebe auf-
und altes abzubauen. Für diesen Vorgang sind im Wesentlichen die

40
Fibroblasten verantwortlich. Ist diese Kollagensynthese einmal angeregt, arbei-
tet sie auch nach dem Training für uns weiter. Daher sollte auf ein Training eine
Trainingspause von 48-72 Stunden folgen, um Überlastungsschäden zu ver-
meiden. In dieser Zeit können dann eher zyklische Bewegungen wie Radfahren,
Schwimmen, langsames Rollen mit der Faszienrolle oder Krafttraining ausgeübt
werden.
2. Langkettiges Dehnen über mehrere Muskeln hinweg, in verschiedenen
Richtungen:
Dabei können am Bewegungsende kleine Federungen mit einem kleinen Be-
wegungsradius von wenigen cm eingebaut werden. Dachte man vor einiger Zeit
noch, dass diese federnden Bewegungen eine Verletzungsgefahr darstellen, so
weiß man heute aus der Faszienforschung, dass die Faszien darauf mit Erneu-
erung und Flexibilisierung des Gewebes reagieren.
3. Langsames Ausrollen des gesamten Körpers mit der Faszienrolle:
Dadurch wird die Rehydration im Gewebe verbessert, Abfallstoffe können ab-
transportiert werden und neues Gewebswasser wird im Blutplasma gebildet und
ins Fasziengewebe befördert. Die Durchfeuchtung des gesamten Gewebes ist
für die Beweglichkeit außerordentlich wichtig.
4. Kleine, feine Bewegungen in einzelnen Körperabschnitten:
Dies dient der Wahrnehmungsverbesserung und lässt uns unseren Körper bes-
ser spüren und seine Signale verstehen, so dass wir bei beginnenden Verspan-
nungen oder Schmerzen gezielter entgegen- wirken können.
5. Der aufrechte Sitz:
Für den aufrechten Sitz ist es hilfreich sich am vorderen Stuhlbereich zu positi-
onieren und die Füße am Boden aufzustellen.Nun kann man einen Moment inne
halten und nachspüren wie man auf den Sitzbeinhöckern sitzt, man kann diese
zwei Knochen gut erspüren, wenn man sich für einen Moment auf seine Hände
setzt. Beginnt man nun mit dem Becken etwas nach hinten und vorne zu rollen,
bzw. das Becken aufzurichten und zu kippen, verändern sich die Druckpunkte
auf die Sitzbeinhöcker. Rollt man das Becken nach hinten, sitzt man „hinter“
den Sitzbeinknochen, rollt man wieder ein Stück vor, sitzt man „auf“ den Sitz-
beinknochen und rollt man weiter nach vorne, sitzt man „vor“ den Sitzbeinkno-
chen. Ein aufgerichteter Sitz ergibt sich dann, wenn man „auf“ den Sitzknochen
,mit einer Nuance davor sitzt. So kann sich der Rumpf ideal über dem Becken

41
aufrichten. Manchmal hilft das Bild, dass ein goldener Faden am Kopf leicht
nach oben zieht. Im Idealfall fühlt sich der aufrechte Sitz entspannt an. Dazu
benötigt es ausdauernde und kräftige Bauch-und Rückenmuskeln, die gut ko-
ordiniert zusammenarbeiten. Im Lendenwirbelsäulenbereich findet oft eine
„Überaufrichtung“ (Hyperlordose) statt und in der Brustwirbelsäule sitzt man
häufig zu krumm (Kyphose) mit vorgeschobenem Kopf. Es lohnt sich im Sitz
immer wieder genau hinzuspüren und innerlich und äußerlich beweglich zu blei-
ben. Gut ist es das Sitzen immer wieder zu lockern, sich ein wenig zu recken
und zu strecken und die Sitzpositionen, wenn möglich, leicht zu verändern.
Zur Verdeutlichung ist anschließend eine Abbildung angefügt. Hier ist der Sitz
anhand von Zahnrädern aufgezeigt, diese ordnen sich beim geraden Sitz über-
einander ein. Insgesamt sollten immer die individuellen anatomischen Verhält-
nisse berücksichtigt werden.

Musiker und Faszien:


Nicht nur für Musiker ist es wichtig, für einen guten Bewegungsausgleich zum Alltag
mit seinen oft einseitigen Bewegungsmustern zu sorgen. Vielmehr muss man leider
mittlerweile sagen, dass sich zu viele Menschen zu wenig bewegen.
Der menschliche Körper ist auf Bewegung ausgelegt, insbesondere aufs Gehen! Doch
oft gehen wir nur vom Schreibtisch zum Auto/Bus, aufs Sofa, ins Bett....und sitzen zu

viel. Würden wir uns mehr bewegen, ließen sich viele Krankheiten vermeiden, nicht
nur solche, die den Bewegungsapparat betreffen, sondern auch Krankheiten wie

42
Bluthochdruck, Schlaganfall, Herzinfarkt, Diabetes oder Depressionen. Auch das
Herz- Kreislaufsystem braucht Reize, etwa den, dass wir gelegentlich richtig aus der
Puste kommen, sodass das Blut ordentlich zirkulieren kann oder die Lunge bis in ihre
Tiefen belüftet wird. Beginnende Zipperlein oder Schmerzen sollten wir nicht als
Schwächen ansehen sondern sie als Aufforderung nutzen, etwas zu ändern. Es sind
kleine Warnsignale unseres Körpers: Je länger wir sie übersehen, desto deutlicher
werden sie mit der Zeit, bis wir uns irgendwann in einem festgefahrenen Kreislauf von
Verspannungen oder Schmerzen befinden, aus dem man schwer wieder heraus-
kommt. Das muss nicht sein. Nehmen wir unsere Signale wahr und ändern was, das
ist Gesundheitskompetenz. Wenn wir lange und gesund in unserem Körper leben wol-
len, dann müssen wir ihn auch pflegen. Besonders Musiker müssen lange bestimmte
Haltungen oder Spielbewegungen lange „aushalten“, daher ist es nicht verwunderlich,
wenn der Körper bei Überlastung oder einseitigen Bewegungsmustern zwickt oder
schmerzt. Umso wichtiger ist es, lange Übe- Phasen immer wieder durch kleine Be-
wegungen zu unterbrechen oder sich einfach mal zwischendurch genüsslich in alle
Richtungen zu recken und zu strecken. Danach spielt es sich entspannter, der Kopf ist
freier, die Konzentration wieder besser. Und nicht zu unterschätzen ist die Endorphin-
Ausschüttung durch Bewegung, die unsere Stimmung hebt! Ebenso sinnvoll ist es,
sich vor dem Spielbeginn ein bisschen aufzuwärmen, 5- 10 Minuten genügen da
schon.
Kleine Bewegungseinheiten wie etwa Schulterkreisen, sanfte Kopfdrehungen, Recken
und Strecken in alle Richtungen, langsames Vorbeugen des Rumpfes, Federn und
Hüpfen auf der Stelle bieten sich hierfür an. Außerdem erleichtert ein aufgerichteter
und kräftiger Rumpf; mit guter Bauch- und Rückenmuskulatur das lange Halten der
Instrumente und verhindert schnelles Verspannen. Durch welchen Sport man zu einem
kräftigen und beweglichen Körper gelangt, ist ganz egal, sei es Yoga, Pilates, Fitness-
studio, Joggen, Tanzen...am besten ist es, das mit Freude zu tun! Da ist der Weg für
jede/n Einzelne/en ein ganz eigener.

43
8. Praktische Übungen
Mit der großen Faszienrolle und dem Faszienball können alle muskulären Bereiche
des Körpers ausgerollt werden. Das Ausrollen dient der Rehydration , also der Durch-
feuchtung des Gewebes, es fördert den Einbau von Nähr- und Baustoffen und ver-
stärkt den Abtransport von Abfallstoffen. Man kann sich vorstellen, dass beim langsa-
men Rollen das „alte“ Gewebswasser wie eine Bugwelle abtransportiert wird und im
Anschluss neues und „frisches“ Wasser wieder einströmt. Für eine gute und schmerz-
freie Beweglichkeit ist es wichtig, dass die Gewebe ( Faszien und Muskeln) geschmei-
dig aufeinander gleiten können, dazu müssen sie gut durchfeuchtet sein. Der mecha-
nische Druck beim Rollen fördert diese Verschiebung der Faszien- und Muskelschich-
ten gegeneinander, so dass es bei regelmäßiger Anwendung und zusätzlichem Trai-
ning, wieder besser gegeneinander gleiten kann und sich die Beweglichkeit verbes-
sert. Gelenke und der Bauchbereich werden beim Ausrollen ausgelassen, an der Wir-
belsäule sollte vorsichtig gerollt werden. Es sollte nicht über den „Wohlschmerz“ hin-
aus gearbeitet werden. Unter Wohlschmerz versteht man einen Schmerz, der noch
auszuhalten ist und einem das Gefühl gibt, dass dieser Druck gerade noch gut ist, um
verspannte Bereiche zu lösen. Man kann zwischen langsamen und schnellem Rollen
unterscheiden: Das langsame Rollen bietet sich nach dem Training oder nach einer
langen Spiel-Übe Einheit an. Beim langsamen Rollen werden z. B. zunächst die Arme
in mehreren Bahnen ausgerollt. Dabei ist wichtig, langsam zu rollen um das Ge-
webswasser langsam heraus zu befördern und gleichzeitig die Wahrnehmung für
schmerzhafte Bereiche zu schulen. Es sollte versucht werden, immer wieder eine neue
Rollbahn zu nehmen damit der gesamte Bereich bearbeitet wird. Das Gleiche kann an
den Beinen durchgeführt werden. Neben der Rehydration soll das langsame Rollen
die Regeneration des Körpers begünstigen. Das schnelle und robuste Rollen bietet
sich vor dem Training oder auch dem Üben am Instrument an. Dabei werden in glei-
cher Weise, nur mit hohem Tempo, mehrere verschiedene Bahnen in den Körperbe-
reichen ausgerollt. Es dient der Aufwärmung und Vorbereitung des Gewebes und
schult die Körperwahrnehmung.
Zum Einstieg in das Rollen sollte nicht zu intensiv gerollt werden, etwa 2-5 Bahnen
genügen. Am Tag danach kann sich, gerade am Anfang, Muskelkater bemerkbar ma-
chen. Später kann die Anzahl der Bahnen und auch die Zeit intensiviert werden. Wich-
tig zu erwähnen ist, dass es zum Tempo beim Rollen keine evidenzbasierten Studien

44
gibt, die nachweisen würden, dass die Wirkungen bei verschiedenen Tempi unter-
schiedlich ist. Es kann lediglich einen Anhaltspunkt darstellen.

Fußsohle ausrollen:
Mit einer kleinen Faszienrolle oder einem Tennisball wird die gesamte Fußsohle lang-
sam ausgerollt. Es schult die Körperwahrnehmung, fördert die Rehydration und ver-
bessert den Stand. Es bietet sich an, erst eine Seite auszurollen, dann nachzuspüren
und anschließend die andere Seite zu rollen.

Gesäß
ausrollen, Rücken ausrollen :
Mit dem Faszienball oder alternativ einem Tennisball kann zunächst der Gesäßbereich
ausgerollt werden, hierzu bietet sich der Stand an der Wand an (siehe Abbildungen).
Dabei wird langsam der gesamte Bereich ausgerollt; gibt es deutliche Schmerzpunkte,
kann auf diesen für 20- 30 Sek. verweilt werden, bis der Schmerz nachlässt, dann
kann zum nächsten Punkt weiter gerollt werden. Da der Gesäßbereich eng mit der
Rückenmuskulatur vernetzt ist lohnt es sich, das Gesäß bei Rückenschmerzen, insbe-
sondere im Lendenwirbelsäulenbereich, intensiv auszurollen. Wichtig ist es hierbei,
sich wieder an dem „Wohlschmerz“ zu orientieren. Diese Übung dient, wie auch bei
der Fußsohle, der Verbesserung der Durchfeuchtung des Gewebes. Sie schult die
Körperwahrnehmung, entspannt das Muskel-Fasziennetzwerk und führt bei regelmä-
ßiger Anwendung zur Verbesserung der Beweglichkeit und Reduzierung der Schmer-
zen.
Es kann auch im Sitz auf dem Fußboden gearbeitet werden.

45
In der gleichen Art und Weise kann auch am Rücken gearbeitet werden. Hierbei bear-
beitet man den Muskelbereich rechts und links parallel der Wirbelsäule.

Ausrollen der Arme :


Die Arme können ebenso ausgerollt werden. Dabei rollt man von der Schulter oder
Hand beginnend, erst den Unterarm oder Oberarm aus. Der Ellenbogenknochen wird
ausgespart, gerollt wird wieder in mehreren Bahnen, sodass der gesamte Bereich be-
arbeitet wird.
Gerade nach langem Üben bietet es sich an, diesen Bereichen etwas Entspannung
und Regeneration zukommen zu lassen.

46
Rücken ausrollen :
Der Rücken kann mit der großen Rolle ausgerollt werden. Dafür wird die Rolle quer
über dem Rücken platziert, der untere Lendenwirbelsäulenbereich wird ausgespart,
weil sich dort auch die Nieren befinden und dieser Bereich meist etwas empfindlich ist.
Also beginnt man ungefähr an der unteren Lendenwirbelsäule und rollt langsam Rich-
tung Kopf, wobei die Halswirbelsäule wieder ausgespart wird.
Der Kopf kann von den Händen gestützt werden, die Beine laufen langsam nach.
Sollte dies zu schmerzhaft sein, kann man gut an der Wand arbeiten, indem man sich
mit dem Rücken an die Wand lehnt, die Rolle dazwischen platziert und dann in die
Knie geht und langsam wieder hochkommt.

47
Hüpfen, Federn, Springen:
Ganz variationsreich kann gefedert, gehüft und gesprungen werden, auf der Stelle,
durch den Raum.

48
Langkettiges Dehnen:
Eine Dehnposition einnehmen, in der lange Muskelketten gedehnt werden, der Phan-
tasie sind keine Grenzen gesetzt.
Am Bewegungsende schmelzend dehnen oder kleine Federungen durchführen.

49
Stabilisation mit der Faszienrolle:
Zur Kräftigung des gesamten Körpers bietet die Faszienrolle eine gute Möglichkeit. Mit
beiden Händen auf der Rolle abstützen, die Rolle wird unter den Schultern positioniert.
Die Knie sind auf dem Boden unter den Hüftgelenken abgelegt, die Fußspitzen aufge-
stellt. Nun wird im Wechsel ein Knie vom Boden angehoben, jedes Knie 10x, kleine
Pause, insgesamt 3x 10. Zur Steigerung sind die Beine lang ausgestreckt, die Füße
auf den Zehen positioniert, hier wieder im Wechsel jedes Knie 10x zum Boden, Pause,
insgesamt 3x 10. Oder, in gleicher Postiotion den Körper 10-30 sec.halten, Pause,
insgesamt 3x. Dabei ist darauf zu achten, dass im Schultergürtel und der Lendenwir-
belsäule gut stabilisiert wird.

Probiert es aus- bewegt Euch und entdeckt den Bewegungsreichtum Eures Kör-
pers!

50
9. Danksagung
Wir bedanken uns herzlich bei Prof. Dr. Eckart Altenmüller, Institut für Musikphysiolo-
gie und Musiker-Medizin Hannover für die freundliche Unterstützung bei der Auswahl
und Zusammenstellung der Lehrinhalte.

51

Das könnte Ihnen auch gefallen