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Skript zur Vorlesung Financial Markets

Prof. Dr. Thorsten Hens


Universität Luzern

HS 2022

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Financial Markets

Inhaltsverzeichnis
1 Wirtschaftskreisläufe 9

2 Finanzmärkte 12
2.1 Funktion von Finanzmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.2 Bewertung von Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12
2.3 Nicht gehandelte Wertpapiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

3 Corporate Finance 22
3.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.2 Net Present Value . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
3.3 Return on Investment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24
3.4 Produktionsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25
3.5 Fisher-Separationstheorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27
3.6 Modigliani-Miller-Theorem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
3.7 Appendix . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4 Bewertung und Renditemessung 34


4.1 7-11 - Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
4.2 Perpetuities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
4.3 Renditemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

5 Renditeverteilung 41
5.1 Das Binominalmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41
5.2 Die Momente einer Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46
5.3 Test auf Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
5.4 Anwendung Effizienzmarkthypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
5.5 Anwendung: Spekulative Blasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

6 Behaviour Toward Risk 55


6.1 Erwartungsnutzen, Mean-Variance und Prospekt-Theorie . . . . . . . . . . 55
6.2 Definition Risikoaversion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

7 Diversification and Efficient Frontier 63


7.1 Efficient Frontier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
7.2 Two Fund Separation Theorem (grafisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

8 Capital Asset Pricing Model (CAPM) 67


8.1 Geometrische Herleitung der SML . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67
8.2 Kann man den Markt schlagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69
8.3 Wie schlägt man den Markt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
8.4 State Prices im CAPM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

1
Financial Markets

9 Empirie des CAPM 78


9.1 Kritik und Anomalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
9.2 Grossartige Investoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

10 Evolutionary Finance 82
10.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82
10.2 Ein Evolutionary Finance Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

11 Der Alternative Finanzmarkt 88

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Financial Markets

Begriffe
Anmerkung: Dies ist eine Kurzzusammenfassung verschiedener Begriffe, die
sich Studenten aus dem vorherigen Jahr wünschten und erfasst damit nicht
zwangsweise alle Begriffe des Skriptes.

Aktie: Eine Aktie ist ein Wertpapier, das einen Anteil am Grundkapital einer Akti-
engesellschaft verbrieft und dem Inhaber Vermögens- und Mitspracherechte sichert. Der
Kurs einer Aktie ergibt sich aus Angebot und Nachfrage an der Börse, er repräsentiert
den Wert des Unternehmens. Unternehmensgewinne, die an ihre Anteilseigner (die Akti-
enbesitzer) ausgeschüttet werden, heißen Dividende.

Beispiel: Man kann heute (1.10.2017) eine Volkswagen-Aktie für 143,26 Euro an der
Börse erwerben. Ist VW in den nächsten Monaten oder Jahren erfolgreich, so sollte der
Kurs der Aktie steigen. Läge der Kurs der Aktie in einem Jahr bei 160 Euro, so hätte man
einen Kursgewinn von knapp 17 Euro verzeichnet. VW kann sich entscheiden eine Divi-
dende auszuzahlen: Ob und in welcher Höhe eine Dividendenzahlung ausfällt, entscheidet
die Unternehmensführung. Angenommen, VW zahlt pro Aktie eine Dividende von 5 Eu-
ro aus. Dann erhält man als Aktionär diese 5 Euro, aber zeitgleich würde der Kurs der
VW-Aktie von den obigen 160 Euro auf 155 Euro fallen. Warum? VW hat ein Teil seines
Firmenvermögens ausgezahlt, deswegen ist die Firma weniger Wert und zwar genau um
die gezahlten 5 Euro pro Aktie.

Anleihe: Eine Anleihe oder Obligation, im Englischen bond, ist eine Schuldverschrei-
bung und bezeichnet in der Regel festverzinsliche Wertpapiere, d.h. die Höhe der Rückzahlungen
sind unabhängig von Ereignissen oder dem Erfolg des Herausgebers. Mann kann sich eine
Anleihe als eine Art Kredit vorstellen: Kauft eine Person sich (zum Beispiel) eine Schwei-
zer Staatsanleihe für 100 CHF, so erhält der Staat diese 100 CHF und verpflichtet sich im
Gegenzug das Geld gemäß einem vorher festgelegten Schema mit Zinsen zurückzuzahlen.
Jede Anleihe hat ein Fälligkeitsdatum (engl. Maturity oder Date of Maturity) bezie-
hungsweise eine Laufzeit. Übliche Laufzeiten liegen zwischen 1 und 10 Jahren, aber auch
mehr oder weniger sind möglich. So hat Österreich im Herbst 2017 eine Staatsanleihe mit
einer Laufzeit von 100 Jahren herausgegeben. Die Laufzeit einer Anleihe hat auch Ein-
fluss die Rückzahlungen. Im Normalfall bedeutet eine längere Laufzeit auch einen höheren
Zinssatz.
Die zwei verbreitetsten Formen der Anleihe sind die Kuponanleihe (engl. coupon bond)
und die Nullkuponanleihe (zero bond). Bei einer Kuponanleihe übergibt man dem Her-
ausgeber der Anleihe beim Kauf den Nominalwert (engl. face value) und dafür bekommt
man jährliche Zinszahlungen (den Kupon) und am Ende der Laufzeit außerdem den Nomi-
nalwert wieder zurück. Durch die Laufzeit und die Kuponhöhe wird implizit ein Zinssatz

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Financial Markets

festgelegt. Wie dies berechnet wird, wird in Kapitel 2 näher erläutert.


Beispiel: Der Schweizer Staat möchte eine Anleihe mit Nominalwert 100 CHF verkau-
fen. Diese hat eine Laufzeiten von 3 Jahren und jedes Jahr wird ein Kupon von 5 CHF
und am Ende der Laufzeit zusätzlich der Nominalwert von 100 CHF zurück gezahlt.
Bei der Nullkuponanleihe wird, wie der Name schon erahnen lässt, kein jährlicher Zins
ausgezahlt. Stattdessen wird bei Kauf der Nullkuponanleihe einmalig ein Betrag gezahlt,
den man nach Ablauf der Anleihe mit Zins und Zinseszins zurück erhält.
Beispiel: Der Schweizer Staat möchte eine dreijährige Nullkuponanleihe mit Nomi-
nalwert 100 ausgeben. Er verkauft diese heute für 86 und gibt dafür in 3 Jahren den
Nominalwert von 100 zurück. (Aus diesen Zahlungen folgt ein implizierter Zins von etwa
5%.)
Neben der Laufzeit spielt auch das Risiko des Zahlungsausfalls eine Rolle: Bei deut-
schen Staatsanleihen sind die Zinsen niedriger als bei griechischen. Dies liegt daran, dass
der Staatsbankrott Griechenlands wahrscheinlicher als der Deutschlands ist. Würde man
für deutsche und griechische Staatsanleihen die gleichen Zinsen bekommen, würden alle
Anleger ihr Geld in deutsche Anleihen investieren. Man erwirtschaftet den selben Gewinn,
aber es ist sicherer. Daher müssen die griechischen Staatsanleihen besser verzinst sein um
Investoren anzulocken. Anleihen werden nicht nur von Staaten herausgegeben, auch Un-
ternehmensanleihen sind weit verbreitet.

Arbitrage: Eine Arbitrage bezeichnet einen risikolosen Gewinn, der in der Regel durch
das zeitgleiche Kaufen und Verkaufen von Wertpapieren erzielt wird. Dies kann man auch
beschreiben als ”Heute muss nichts bezahlt werden, aber morgen verdient man Geld“ oder
als ”Heute verdient man Geld und morgen muss nichts bezahlt werden”. Dabei sollte eine
Arbitrage, zumindest theoretisch, beliebig oft wiederholbar sein. Die Finanzmärkte sind
(bis auf sehr wenige Ausnahmen) Arbitragefrei.
Ein einfaches Beispiel einer Arbitrage wäre der folgende Fall: Eine Aktie wird sowohl
in der Börse von New York als auch in der Börse von Frankfurt gehandelt. In New York
kostet sie 100 Euro, aber in Frankfurt nur 90 Euro. In diesem Fall würde man in Frankfurt
die Aktie kaufen und danach sofort in New York verkaufen. Dann macht man 10 Euro pro
Aktie Gewinn und durch den sofortigen Weiterverkauf entsteht auch kein Risiko für den
Händler.
Ebenfalls zu Arbitrage kann es führen, wenn ein neues Wertpapier am Finanzmarkt
angeboten wird, dieses aber zu “einem falschen Preis”verkauft wird.
Angenommen, es gäbe die zwei folgenden Nullkuponanleihen am Markt:
NKA 1: Heute zahlt man 10 und in einem Jahr bekommt man 11 zurück.
NKA 2: Heute Zahlt man 90 und in zwei Jahren bekommt man 110 zurück.
Zusätzlich wird eine neue Kuponanleihe an den Markt gebracht: Heute zahlt man 100,
jedes Jahr gibt es einen Kupon von 15 und am Ende erhält man den Nominalwert zurück.
Dann kann man folgendes Portfolio zusammen stellen: Man kauft einmal die neue Ku-

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Financial Markets

ponanleihe und verkauft je eine Anleihe NKA 1 und NKA 2. Dann bekommt man die
folgenden Zahlungsflüsse:
Heute zahlt man 100 und bekommt einmal 90 und einmal 10. Also muss heute nichts
bezahlt werden.
In einem Jahr bekommt man einen Kupon von 15 und muss NKA 1 zurückzahlen, also 11
Einheiten. Diese können aber mit dem Kupon von 15 bezahlt werden. Also bekommt man
in einem Jahr auf jeden Fall 4.
In zwei Jahren bekommt man von der Kuponanleihe 115 und muss NKA 2 zurückzahlen.
Dies kann man aber mit dem Geld von der Kuponanleihe bezahlen. Man bekommt also
auf jeden Fall 5.
Dies stellt aber eine Arbitrage da: Heute muss nichts bezahlt werden und morgen erhält
man Geld. Eine solche Kombination muss sich nicht nur auf Anleihen beschränken, son-
dern kann sich aus allen möglichen Wertpapierklassen zusammensetzen.

Arrow Prices: Auch State Prices genannt. Der State Price gibt an, wie viel Geld
man heute für eine Zahlung in Höhe von 1 für den Fall des entsprechenden Zustandes
in der Zukunft zahlen muss (siehe auch elementare Zahlungen). Ist ein Markt vollständig
und arbitragefrei, so existieren eindeutige State Prices für den gesamten Markt. State
πs
Prices werden mit 1+r , s ∈ {1, 2, ..., S} bezeichnet, wobei r der risikolose Zins und πs die
entsprechende risikoadjustierte Wahrscheinlichkeit ist.
Cash Flow: Ein Cashflow bezeichnet einen Zahlungsfluss. Dabei kann es sich sowohl
um einen Zustrom als auch einen Abfluss von Zahlungsmitteln handeln.
Derivate: Derivate (aus dem Lateinischen für “ableiten”) sind Wertpapiere, deren
Preis sich vom Preis eines anderen Wertpapiers ableitet. Das wahrscheinlich bekannteste
Beispiel dafür sind Optionen. Eine Option ist das Recht ein anderes, festgelegtes Wertpa-
pier zu einem späteren, festgelegten Zeitpunkt zu einem festgelegten Preis kaufen (Kaufs-
option) oder verkaufen (Verkaufsoption) zu können.
Beispiel: Wie oben erwähnt, kostet eine VW-Aktie heute (am 1.10.2017) 143,26 Euro.
Eine Kaufoption auf die VW-Aktie könnte wie folgt aussehen: Man bezahlt heute 5 Euro
um in einem Jahr (am 1.10.2018) eine VW-Aktie zum Preis von 150 Euro kaufen zu
dürfen. Erwirbt eine Person diese Kaufoption, so erwartet diese Person , dass der Preis
der VW-Aktie steigen wird und zwar über den Preis von 150 (am besten sogar noch über
155). Wird wie weiter oben angenommen, dass der Preis der VW-Aktie in einem Jahr bei
160 Euro liegt, so hat der Käufer einen Gewinn von insgesamt 5 Euro gemacht. Denn in
diesem Fall darf er eine Aktie im Wert von 160 Euro zum Preis von 150 Euro erwerben
und musste 5 Euro für die Option selbst bezahlen. Der Verkäufer dieser Option erwartet
natürlich, dass der Preis der VW-Aktie nicht über 150 Euro steigen wird. In diesem Fall
würde er 5 Euro (Kaufpreis der Option) Gewinn machen, da der Käufer der Option keine
Aktie im Wert von (zb.) 145 zum Preis von 150 kaufen wird. Der Käufer darf von seinem
Kaufrecht Gebrauch machen, muss aber nicht!

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Financial Markets

Man sagt, dass eine Option “in the money“ ist, wenn die Ausübung des Optionsrechts
dem Besitzer Geld einbringt. Ansonsten sagt man, sie ist “out of the money”.

Elementare Zahlung Es sei s ∈ {1, 2, ..., S} ein möglicher Zustand der Welt. Der
Cashflow, der in der Zukunft im Zustand s eine Einheit an Geld auszahlt und in allen
anderen Zuständen nichts, wird elementare Zahlung oder elementares Wertpapier (für den
Zustand s) genannt. Der Preis eines elementaren Wertpapiers ist gerade der State Price
des entsprechenden Zustandes.
Portfolio: Das Portfolio eines Investors besteht aus seinen erworbenen Wertpapieren.

Rendite Die Rendite gibt an, wie viel Geld man prozentual zum investierten Geld
verdient hat.

Strukturiertes Produkt: Ein strukturiertes Produkt ist ein Packet aus verschiedenen
Wertpapieren, häufig bestehend aus Aktien oder Anleihen mit dazugehörigen Derivaten.
Sie werden in der Regel von Banken an Privatanleger verkauft, die auf diese Weise in eine
bestimmte Anlagestrategie anstatt in einzelne Titel investieren können. Durch die vielen
Kombinationsmöglichkeiten von Aktien und Anleihen mit Derivaten gibt eine Vielzahl
unterschiedlicher strukturierter Produkte.
Die Derivate innerhalb eines strukturierten Produktes können das Risiko, die Kosten
und/oder der Ertrag von den zugrundeliegenden Wertpapieren verändern und auf diese
Weise auf die Bedürfnisse des Investors zugeschnitten werden.
Wie sähe ein Beispiel eines strukturierten Produktes aus? Dazu wird eine sogenannte
Aktienanleihe betrachtet.
Gegeben sei eine normale Anleihe der Firma XY, die 100 Euro kostet und für 5 Jahre
jährlich 5% ausschüttet und am Ende erhält man den Nominalpreis zurück. Außerdem
habe eine Aktie der Firma XY heute den Wert von 10 Euro. Bei einer Aktienanleihe der
Firma XY, die ebenfalls 100 kostet, würde man für 5 Jahre jährlich 8% erhalten, aber am
Ende der Laufzeit bekommt man entweder den Nominalwert zurück oder 11 Aktien. Wobei
die Entscheidung über die Art der Rückzahlung beim Herausgeber der Anleihe liegt.
Was bedeutet das? Man erhält zwar einen größeren Kupon jedes Jahr, aber am Ende der
Laufzeit gibt es ein Risiko: Liegt der Wert der Aktie nach 5 Jahren unter 9 Euro pro Stück
wird man als Käufer die Aktien erhalten anstelle des Nominalwertes. Wenn also die Aktie
deutlich fällt, sinkt der Wert der Rückzahlung nach Ende der Laufzeit!
Dieses strukturierte Produkt ist die Kombination einer Anleihe mit dem Verkauf einer
Verkaufsoption, die es dem Käufer erlaubt 11 Aktien zu je 9 Euro an den Besitzer des
strukturierten Produkts zu verkaufen.

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Financial Markets

Notationen
Im Folgenden wird kurz erklärt welche Bedeutung üblicherweise hinter welchem Symbol
innerhalb einer Gleichung steckt:

e - elementar Wird ein Zeichen (zb. der Preis) mit einem e indiziert, dann bezieht
sich das Zeichen auf eine elementare Zahlung (zb. der Preis einer elementaren Zahlung).
Da es in der Regel mehr als einen Zustand und damit auch mehr als eine elementare
Zahlung gibt, besitzen Zeichen mit einem e-Index meist auch noch einen zweiten Index.
CF - Cashflow
I - Investition Mit I wird das investierte Geld bezeichnet. Kann je nach Zeitpunkt
oder Projekt indiziert werden.
k - Laufindex Der Buchstabe k wird häufig als Zähl- bzw. Laufindex verwendet. Ein
Beispiel wäre eine Summe über k=1,...,K Wertpapiere.
p - der Preis Der Buchstabe p bezeichnet üblicherweise den Preis von einem Produkt.
Tauchen innerhalb eines Beispiels mehrere Preise auf, so werden diese entsprechend mit
p1 , p2 , ... indiziert.
p - die Wahrscheinlichkeit (probability) Im Zusammenhang mit dem Binomialm-
odel wird die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens eines (der beiden möglichen) Ereignisses
mit p bezeichnet. Die Eintreffwahrscheinlichkeit des anderen Ereignisses ist dann (1-p).
p.a. - per anno Die Abkürzung p.a. als Zusatz zu einem Zins bedeutet, dass dieser
Zins jährlich zu verstehen ist.
π - risikoadjustierte Wahrscheinlichkeiten Mit π1 , π2 , ... werden die risikoad-
justierten Wahrscheinlichkeiten bezeichnet. Dabei verweist der Index am π auf die Zu-
gehörigkeit zum Zustand. Wird eine risikoadjustierte Wahrscheinlichkeit mit dem risiko-
πs
losen Zins diskontiert, so erhält man den entsprechenden State Price ( 1+r ).
r - der Zinssatz Innerhalb einer Rechnung wird mit r in der Regel ein Zinssatz
bezeichnet, welcher in Prozent oder seinem entsprechenden Dezimalwert angegeben wird.
Tauchen innerhalb eines Beispiels mehrere Zinssätze auf, so werden diese entsprechend
mit r1 , r2 , ... indiziert.
R - Rendite Mit R wird in der Regel die Rendite bezeichnet. Taucht in einer Rechnung
mehr als eine Rendite auf, werden die R entsprechend indiziert.
RP - Risikoprämie Eine Risikoprämie wird mit RP abgekürzt.
s - der Zustand Mit s ∈ {1, 2, ..., S} werden in der Regel Zustände bezeichnet, die
eintreffen können.
t - die Zeit Der Buchstabe t ist in der Regel in einem Zusammenhang mit der Zeit. Sei
es ein Zeitpunkt oder als Laufindex einer Summe, die über Zahlungen aus verschiedenen
Zeiten gebildet wird.
θ - Das Portfolio Mit dem Buchstaben θ, der in der Regel ein Vektor ist, wird ein
Portfolio bezeichnet. Dabei geben seine Komponenten, θ1 , θ2 , ... den Betrag an, der in das

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Financial Markets

entsprechend nummerierte Wertpapier investiert wurde.


V - Der Wert (Value) Mit V kann der Wert von etwas, z.B. einem Portfolio, be-
zeichnet werden.

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Financial Markets

1 Wirtschaftskreisläufe
Die Darstellung der Weltwirtschaft kann auf folgende Abbildung reduziert werden, welche
den Güter- und Geldkreislauf modelliert.

Regulator
Konsumsektor

SNB Arbeitsmarkt
Gütermarkt P Bank B
W

Produktionssektor

Abbildung 1: Wirtschaftskreisläufe

Der grüne Kreislauf entspricht dem Güter-/Arbeitskreislauf. Der Konsumsektor bietet Ar-
beit LS am Arbeitsmarkt für einen Lohn W an. Davon fragt der Produktionssektor LD
auf dem Arbeitsmarkt nach und bietet Y − I auf dem Gütermarkt zum Preis P an, wobei
Y die Produktion und I die Investitionen sind. Der Konsumsektor konsumiert schliesslich
C zu P. Der gelbe Kreislauf entspricht dem Geldkreislauf. Für die entsprechenden Güter
muss Geld bezahlt werden. Die roten Pfeile, entsprechen dem Zahlungsverkehr respek-
tive repräsentieren Kredite. Die Bank B bezieht Geld von der Zentralbank (hier: SNB)
und speist damit die Wirtschaftskreisläufe. Geldschaffung entsteht schlussendlich durch
Geldschöpfung und Geldausgabe der Zentralbank sowie der Banken.
Bei den Banken entsteht die Geldschöpfung über die Vergabe von Krediten. Zahlt ein
Haushalt Geld auf seinem Bankkonto ein, so muss die Bank einen Anteil davon als Re-
serve einbehalten und darf den verbleibenden Teil als Kredit vergeben. Das Geld dieses
Kredites kann erneut in ein Bankkonto eingezahlt werden. Wieder muss die Bank einen
Anteil als Reserve einbehalten und darf den verbleibenden Teil als Kredit vergeben. Die-
ser Kreislauf kann sich beliebig fortsetzen. Auf diese Weise wird das von der Zentralbank
geschaffene Geld vervielfacht, wobei der Faktor von der Reserveanforderung abhängig ist.

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Schweizer National Bank

100 CHF

Haushalt

51,2 CHF 64 CHF 80 CHF 100 CHF 80 CHF 64 CHF

Bank
20 CHF
16 CHF
12,8 CHF

Abbildung 2: Prozess der Geldschöpfung für eine Reserveanforderung von 20%

Um welchen Faktor das Geld im Umlauf abhängig von der Reserveanforderung erhöht
wird, lässt sich mit Hilfe von geometrischen Reihen berechnen. Das sich im Umlauf be-
findliche Geld sieht wie folgt aus:

X ∞
X
i
100 + 80 + 64 + 51.2 + ... = 100 · (0.8) = 100 · (0.8)i .
i=0 i=0

Für die allgemeine geometrische Reihe mit |a| < 1 gilt die Lösungsformel

X 1
ai =
1−a
i=0

und damit ist insgesamt Geld in Höhe von



X 1
100 · (0.8)i = 100 · = 100 · 5 = 500
1 − 0.8
i=0

im Umlauf und der Multiplikator ist gleich 5.


Das ganze Konstrukt wird von einem Regulator überwacht. Er bestimmt die Spielre-
geln und sorgt dafür, dass die Kreisläufe funktionieren.

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Financial Markets

Akteure: Konsumsektor, Produktionssektor, Banken (Finanzintermediäre),


Zentralbank, Regulatoren
Märkte: real: Arbeits- und Gütermarkt
finanziell: Kredit (Geldmarkt, Bondmarkt), Aktienmarkt, Derivatenmarkt
Funktionen: Zahlungsverkehr, Kredit, Risikosteuerung (Aktien, Derivate)

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2 Finanzmärkte
2.1 Funktion von Finanzmärkten
Finanzmärkte spielen eine nicht unumstrittene Rolle in einer Volkswirtschaft. Während
aus historischer Sicht klar scheint, dass die enorme wirtschaftliche Entwicklung von der
Steinzeit bis jetzt nicht ohne Finanzmärkte möglich war, weisen kritische Autoren auf die
vielen Zusammenbrüche des Finanzsystems hin, die diese Entwicklung begleiteten. Das
Buch von Goetzman (2016) liefert anhand der Geschichte der wirtschaftlichen Entwick-
lung eine aktuelle Analyse dieser beiden Sichtweisen.

Aus funktionaler Sicht ist die Aufgabe von Finanzmärkten, Vermögen von denjenigen,
die es vorübergehend nicht ausgeben wollen, zu denjenigen zu vermitteln, die es für In-
vestitionen oder für Konsum verwenden möchten. Wenn zum Beispiel jemand ein neues
Produkt entwickeln will, so kann er die Entwicklungskosten auf dem Finanzmarkt finan-
zieren. Und wenn jemand auch im Alter noch konsumieren möchte, so kann er im Laufe
seines Lebens in eine Pensionskasse einzahlen. Zudem kann es sein, dass jemand sich ge-
gen unvorhersehbare Ereignisse absichern möchte. Dann sollte er eine Versicherung auf
dem Finanzmarkt kaufen. Durch Sparen, Investieren und Versichern entstehen Rechtsan-
sprüche, die am Finanzmarkt zum Teil auch weiterverkauft werden können. Eine wichtige
Rolle des Finanzmarktes ist es, die richtigen Preise für diese Rechtsansprüche zu finden,
sodass die Teilnehmer an der Wirtschaft die richtigen Anreize für ihr Sparverhalten, ihr
Investitionsverhalten und ihre Versicherungsbereitschaft haben. So entstehen im Finanz-
markt drei Arten von Rechtsansprüchen: Ansprüche auf eine festgelegte Rückzahlung
von Vermögen über die Zeit, Ansprüche auf den Geschäftserfolg eines Kapitalnehmers und
Ansprüche, die auf das Eintreffen von gewissen Ereignissen bedingt sind. Die folgende Ta-
belle stellt diese übersichtlich dar:

Tabelle 1: Arten der Rechtsansprüche im Finanzmarkt

Gehandelt Nicht gehandelt


Feste Zahlungen Obligationen Loans, Pensions, Hypotheken
Erfolgsabhängige Zahlungen Aktien Private Equity, Venture Capital, ...
Ereignisabhängige Zahlungen Derivate Versicherungen

2.2 Bewertung von Wertpapieren


Eine Obligation ist ein heute festgelegtes Rückzahlungsversprechen (die Zahlungsreihe
der Coupons), das am Finanzmarkt gehandelt wird. Der Obligationenmarkt wird in der
Schweiz von Staatsobligationen dominiert. Aber auch Firmenobligationen werden gehan-
delt. Der Preis einer Obligation legt bei gegebenen Rückzahlungsversprechen implizit den
Zins fest. Zinsen unterscheiden sich nach Laufzeit der Obligationen und nach Bonität

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des Schuldners. Ratingagenturen kategorisieren die Bonität der Schuldner von sehr gut
(A), über gut (B) bis schlecht (C), wobei auch Tripple der Buchstaben möglich sind. Z.B.
ist AAA die höchste Bonitätsstufe. Folgendes Rechenbeispiel zeigt, wie man die Zinsen
verschiedener Laufzeiten aus den Rückzahlungsversprechen und den Preisen von Obliga-
tionen derselben Bonität ausrechnet:

Beispiel mit 3 Perioden und 3 Obligationen:

Obligation 1 kostet heute 100, läuft bis 1 und zahlt dann 103 zurück.
Obligation 2 kostet heute 98, läuft bis 2, zahlt in 1 Coupon 2 und in Periode 2 dann 99.9
zurück.
Obligation 3 kostet heute 102, läuft bis 3 und zahlt in jeder Periode 1, 2, 3 einen Coupon
von 3 sowie in 3 den Face Value von 102 zurück.
Dann rechnet man die Zinsen sukzessiv von den kurzen zur lange laufenden Obligation:
Aus Obligation 1 sehen wir, dass der Zins für ein Jahr 3% ist. Diskontiert man mit diesem
Zins den Coupon von Obligation 2 in Perdiode 1 ab, so ergibt sich der Zins für Periode
2 als 1, 98%. Nach demselben Verfahren ergibt sich schliesslich der Zins für 3 Jahre als
2, 96%.

Aktien sind gehandelte Anteile an Unternehmen. Sie verbriefen einen Rechtsanspruch


auf den Erfolg (ausgeschütteter Gewinn in Form von Dividenden) des Unternehmens. Der
Kurs der Aktie bestimmt zusammen mit den erwarteten Dividenden die Rendite der
Aktie. Da die Dividenden im Gegensatz zu den Couponzahlungen der Obligationen nicht
sicher sind, ist im Kurs der Aktie eine Risikoprämie enthalten. Die späteren Kapitel
zeigen, wie sich die Risikoprämie am Kapitalmarkt bestimmt. Hier zur Einstimmung ein
einfaches Beispiel:

Beispiel 2 Perioden Risikoprämie

Die Aktie kostet heute 50 und zahlt, falls der günstige Zustand u eintrifft eine Dividende
von 100. Im ungünstigen Zustand d gibt es nur eine Dividende von 10. Beide Zustände
sind gleichwahrscheinlich. Der risikolose Zins wird vom Beispiel 1 übernommen: 3%. Dann
kann man die Risikoprämie, RP, berechnen aus 50 = (1/(1+3%+RP ))∗(0.5∗100+0.5∗10).
Die Berechnung ergibt RP = 7%.

Beispiele für Derivate sind Kauf- oder Verkaufsoptionen von Aktien oder Obligationen.
Eine Kaufoption auf eine Aktie ist das Recht diese Aktie an einem späteren Zeitpunkt zu
einem heute festgelegten Kurs zu kaufen. Eine Kaufoption ist also eine Wette auf die Kur-
steigerung der Aktie. Im Gegensatz dazu ist eine Verkaufsoption das Recht, eine Aktie an
einem späteren Zeitpunkt zu einem heute festgelegten Kurs zu verkaufen. Der Käufer einer

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Financial Markets

Verkaufsoption kann also mit dieser sein Verlustrisiko auf seinen Aktien begrenzen. Man
nennt Optionen Derivate, da ihr Wert von dem Kurs anderer Wertpapiere abgeleitet wird.
Die Vielfalt der Derivate ist riesig. Neben  plain vanilla Kauf- und Verkaufsoptionen
gibt es allerhand Derivate mit komplizierten Zahlungskonditionen und illustren Namen,
wie zum Beispiel, Straddle, Strangle, Butterfly, etc.

Es ist eine interessante Frage, wie man bei der grossen Vielfalt von gehandelten Zah-
lungsansprüchen, die durch Obligationen, Aktien und Derivaten entstehen eine konsistente
Preisbildung bekommen kann. Die Asset Pricing Theorie hat eine sehr elegante Lösung
dieses Problems gefunden. Unter konsistent versteht sie, dass es nicht möglich sein soll,
gehandelte Zahlungsreihen so zu kombinieren, dass man ohne einen Verlust zu riskieren,
einen Gewinn machen kann. Man sagt, dass dann der Finanzmarkt arbitragefrei ist.
Nimmt man zudem an, dass der Finanzmarkt perfekt ist, d.h., dass jede beliebige Ein-
heit von Zahlungsreihen zu demselben Preis gekauft wie auch verkauft werden kann, so
ergibt sich, dass die Preise von Zahlungsreihen einer linearen Preisregel folgen müssen.
D.h. der Preis von der doppelten Zahlungsreihe muss doppelt so hoch sein und der Preis
einer Zahlungsreihe, die die Summer von zwei anderen Zahlungsreihen ist, muss gleich der
Summe dieser Preise sein. Ergibt sich zum Beispiel eine Kaufoption auf eine Aktie als
Kombination von der Aktien und einer Obligation, so muss ihr Preis derselben Kombina-
tion der Preise der Aktie und der Obligation entsprechen. Bevor dies an einem Beispiel
demonstriert wird, ist es sinnvoll zu verstehen welchen Einfluss die Forderung der Arbi-
tragefreiheit auf einen Finanzmarkt haben kann.

Ein simples Beispiel einer Arbitrage kann bei einem sogenannten ”Double Listing“ auf-
treten. In diesem Fall können Anteile an einem Unternehmen an zwei verschiedenen
Börsenplätzen gehandelt werden und die Preise sollten, aber müssen nicht übereinstimmen.

Ein Unternehmen ist sowohl an der Börse von Zürich, für 16 CHF pro Aktie, als auch
an der Börse von Frankfurt, für 14 Euro pro Aktie, gelistet. In diesem Fall spielt der
Wechselkurs eine entscheidende Rolle: Angenommen, man bekäme für einen Euro je 1.15
Schweizer Franken. Dann kann man in Zürich eine Aktie für 16 CHF kaufen und sie in
Frankfurt für 16.1 CHF verkaufen. In diesem Fall hat man eine Kombination von Wertpa-
pieren gefunden, die risikolose Gewinne ermöglicht, d.h. man hat eine Arbitrage gefunden.

In den voran gegangenen Beispielen wurde der Preis von Wertpapieren anhand ihrer
mit dem risikolosen Zins diskontierten Gewinne bewertet. Diese Beziehung folgt aus der
Arbitragefreiheit des Finanzmarktes.

Gegeben sei ein perfekter, arbitragefreier Markt mit einem risikolosen Zinssatz r, d.h.
man kann zu dem Zinssatz r beliebig viel Kapital aufnehmen oder anlegen. Ferner gebe es

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Financial Markets

eine einjährige Anleihe A, die in einem Jahr den Betrag CF1 ausschüttet. Dann muss für
den Preis p der Anleihe A die folgende Beziehung gelten:

CF1
p= .
1+r
CF1
Angenommen, dies wäre nicht der Fall und es würde p > 1+r gelten. In diesem Fall könnte
man die Anleihe A verkaufen und erhält Geld in Höhe des Preises p. Dieses Geld legt man
für den risikolosen Zins für ein Jahr an. In einem Jahr erhält man durch die Anlage im
risikolosen Zins Geld in Höhe von (1 + r) ∗ p zurück und muss wegen der verkauften An-
CF1
leihe CF1 bezahlen. Aus der Ungleichung p > 1+r folgt aber, dass (1 + r) ∗ p größer als
CF1 ist. Daher macht man durch diese Kombination einen risikolosen Gewinn, also eine
CF1
Arbitrage. Aber der Markt soll arbitragefrei sein. Daher kann p > 1+r nicht stimmen. Für
CF1
den Fall p < 1+r nimmt man einen Kredit mit dem risikolosen Zins auf und investiert in
CF1
die Anleihe um eine Arbitrage zu machen. Daher muss die Beziehung p = 1+r gelten und
die Vorgehensweise in den bisherigen Beispielen ist gerechtfertigt.

Wie würde man den Preis einer Aktie, die zu den erreignisabhängigen Wertpapieren
gehört, in einem Finanzmarkt arbitragefrei bewerten? Die Auszahlung einer Aktie hängt
vom Eintreffen eines Zustandes s aus 1, 2, ..., S möglichen Zuständen ab und es stellt sich
die Frage, wie viel Geld man heute investieren muss um morgen in dem Zustand s eine
Zahlung von 1 zu erhalten. Dazu führt man den Begriff des elementaren Wertpapiers,
auch Arrow Security genannt, ein. Das elementare Wertpapier W P e,k für den Zustand k,
k = 1, ..., S ist definiert durch

CFse,k = 1, s = k
W P e,k =
CFse,k = 0, s =
6 k

für alle s = 1, 2, ..., S. Dies bedeutet, wenn zum Beispiel s = 1 ist, dann zahlt das elemen-
tare Wertpapier W P e,1 im Zustand 1 einen Betrag von 1 und in jedem anderen Zustand
einen Betrag von 0 aus. Der Preis eines solchen elementaren Wertpapiers wird State Price
genannt und gibt an wie teuer heute eine Auszahlung in Höhe von 1 im entsprechenden
Zustand in der Zukunft ist. Dabei wird die folgende Notation gewählt:

1
p(W Pse ) = πs .
1+r

Welche Aussagen lassen sich über die πs , risikoadjustierte Wahrscheinlichkeiten genannt,


treffen? Zunächst sollten die πs , s = 1, .., S alle positiv sein. Ansonsten gibt es mindestens
ein elementares Wertpapier, dass den Investor dafür bezahlt, dass er morgen in einem
Zustand bezahlt wird. In diesem Fall könnte man durch den Kauf dieses elementaren
Wertpapiers einen risikofreien Gewinn erwirtschaften.
Außerdem gibt es den risikolosen Zins r, der, unabhängig vom Zustand, für einen

15
Financial Markets

investierten Betrag von 1 einen Gewinn von 1 + r ausschüttet. Um in einem Jahr einen
1
Betrag von 1 zu erhalten, muss heute also ein Betrag von 1+r investiert werden. Kauft
man von jedem elementaren Wertpapier genau ein Exemplar, so erhält man exakt das
gleiche Auszahlungsprofil. Da der Markt arbitragefrei ist, muss der Preis für die Summe
der elementaren Wertpapiere gleich dem Betrag entsprechen, der in den risikolosen Zins
investiert wurde. Daher muss
S S
1 X 1 X
= πs ⇔ 1 = πs
1+r 1+r
s=1 s=1

1 PS 1
gelten. Wäre dies nicht der Fall, sondern würde stattdessen 1+r > s=1 1+r πs gelten, so
könnte man wieder einen Arbitragegewinn machen. Dazu würde man zum Zins r einen
Kredit in Höhe von Ss=1 1+r
1
P
πs aufnehmen und jedes der elementaren Wertpapiere erwer-
ben. In einem Jahr erhält man durch die elementaren Wertpapiere eine Auszahlung von
1 und muss auf Grund des Kredites ( Ss=1 1+r1
P
πs ) ∗ (1 + r) zahlen. Da aber da aus der
PS 1
< Ss=1 1+r1
P
Annahme 1 > s=1 πs folgt, macht man eine Arbitrage. Im Falle von 1+r πs
geht man genau andersrum vor.
Möchte man ein allgemeines Wertpapier bewerten, das in einem Zustand s einen Be-
trag CFs ausschüttet, so muss es genauso viel kosten wie das Portfolio aus elementaren
Wertpapieren, welches die gleichen Zahlungsflüsse generiert. Daher gilt für allgemeine Wer-
tepapiere die Preisformel

S
1 X
p(W P ) = πs CFs .
1+r
s=1

Sollte der Preis eines Wertpapieres nicht dieser Gleichung entsprechen, kann man erneut
ein Arbitrageargument durchführen.
Bei allen bisherigen Betrachtungen wurde vorausgesetzt, dass die elementaren Wertpa-
piere am Markt erhältlich sind. Wie bewertet man Wertpapiere, wenn es keine oder nicht
alle elementaren Wertpapiere gibt? Kann man die πs trotzdem bestimmen?
Dazu soll ein (arbitragefreier) Markt mit k = 1, ..., K beliebigen Wertpapieren un-
tersucht werden. Das Portfolio eines Investors kann als ein Vektor θ betrachtet werden,
wobei die Einträge θk , k = 1, ..., K, des Vektors beschreiben wie viel Geld in das Wertpa-
pier mit der Nummer k investiert wurde. Dass heißt, θ1 ist der Betrag der in Wertpapier
1 investiert wurde, θ2 ist der Betrag der in Wertpapier 2 investiert wurde und so weiter.
Dabei entspricht ein positiver Eintrag dem Kauf des Wertpapiers in der entsprechenden
Höhe und ein negativer Eintrag dem Verkauf des Wertpapiers in der entsprechenden Höhe.
Außerdem entspricht der Cashflow des Portfolios im Zustand s der Summe der Produkte
der Cashflows der einzelnen Wertpapiere im Zustand s mit dem investierten Betrag, d.h.

16
Financial Markets

es gilt

K
X
CFsP = CFsk θk .
k=1

Dabei ist CFsk der Cashflow des Wertpapieres k im Zustand s. Schreibt man die Cashflows
des Portfolios in den Zuständen als Vektor, so erhält man folgende Matrixschreibweise:
    
CF1P CF11 . . . CF1k θ1
.   . .
 . 
    

    
= .
. .   . .
  
  
.   . .  . 
    

CFsP CFs1 . . . CFsK θK

Existieren genügend Wertpapiere, der Rank der Cashflowmatrix muss gleich S sein, so
kann jedes elementare Wertpapier aus den vorhandenen Wertpapieren kombiniert werden.
Um die Preise der elementaren Wertpapiere (die State Prices) zu berechnen, muss man
berücksichtigen, dass die Preise der vorhandenen Wertpapiere W P k , k = 1, ..., K, sich aus
der diskontierten Summe der Produkte aus State Price und Cashflow in diesem Zustand
zusammensetzen soll. Dass heißt, es soll

S
k 1 X
p(W P ) = πs CFsk , k = 1, ..., K
1+r
s=1

gelten. Dies ist ein Gleichungssystem aus K Gleichungen bei S Variablen, welches es zu
lösen gilt um die State Prices zu erhalten. Die Methodik zur Bestimmung der State Prices
soll am folgenden Beispiel demonstriert werden.

Es gibt wie in Beispiel 2 zwei Perioden und zwei gleichwahrscheinliche Zustände, u, d.


Die Aktie und die Obligation sind wie im Beispiel 1 bzw. 2. Zudem gibt es eine Kaufoption
auf die Aktie mit Ausübungspreis 20. Man beachte, dass in der zweiten Periode der Wert
der Aktie gleich dem Wert der Dividende ist, da wir zur Vereinfachung davon ausgehen,
dass die zweite die letzte Periode ist. Angenommen, der Preis der Kaufoption wäre der
mit den Eintreffwahrscheinlichkeiten abdiskontierte Erwartungswert ihrer Auszahlung 0.5∗
80/1.03 = 38.83. Wenn man zu diesem Preis die Option verkaufen könnte, könnte man
einen risikolosen Gewinn (eine Arbitrage machen): Die Auszahlung der Option kann durch
ein Portfolio aus Aktie und Obligation dupliziert werden: Ein Portfolio mit Long Position
von 8/9 Einheiten der Aktie und Short Position von −8/9∗10/103 Einheiten der Obligation
liefert dieselbe Ausszahlung wie die Option. Jedoch kostet dieses Portfolio nur 8/9 ∗ 50 −
8/9 ∗ 10/103 ∗ 100, was 35.81 ergibt. Dennoch gibt es Wahrscheinlichkeiten,π, sodass der
Wert der Option ein abdiskontierter Erwartungswert ist. Diese bestimmt man so, dass für
die Aktie gilt 50 = (1/1.03) ∗ (π100 + (1 − π)10). Mit diesen Wahrscheinlichkeiten lässt

17
Financial Markets

sich der Preis der Option schreiben als C = (1/1.03) ∗ ((π80 + (1 − π)0). Mittels des
so gefundene π = 0.46 kann man die Lineare Preisregel für beliebige Zahlungsansprüche
(z1 , z2 ) schreiben als Preis (z1 , z2 ) = (1/1.03) ∗ ((πz1 + (1 − π)z2 ). Die π unterscheiden sich
von den Wahrscheinlichkeiten des Eintreffens der Zustände der Welt dadurch, dass nur
sie zu arbitragefreien Preisen führen, wenn man sie als Grundlage der Bewertung nimmt.

2.3 Nicht gehandelte Wertpapiere


Neben den gehandelten Zahlungsansprüchen gibt es feste, erfolgsabhängige und ereigni-
sabhängige Zahlungsansprüche, die nicht am Finanzmarkt gehandelt werden. Schuldver-
schreibungen (Loans), Hypotheken und Pensionsansprüche sind typische Beispiel für nicht
gehandelte Zahlungsreihen mit festgelegten Zahlungen. Auch kann man sich am Erfolg ei-
nes Unternehmens beteiligen, ohne, dass die Beteiligung am Finanzmarkt gehandelt wird.
Bei Unternehmen in der Rechtsform der GmBH ist dies so und bei ganz jungen Unterneh-
men, werden Anteile in Form von Private Equity oder Venture Capital gehalten. Schliess-
lich gibt es auch nicht gehandelte ereignisabhängige Zahlungsansprüche, wie zum Beispiel
Leistungsansprüche von Kranken-, Hausrat- und anderen Versicherungen. Es besteht aber
eine Tendenz am Finanzmarkt immer mehr Zahlungsansprüche handeln zu wollen. So
wurden zum Beispiel vor der Finanzkrise 2007/08 Hypotheken gebündelt und diese Pakte
am Finanzmarkt als Mortgage Backed Securities verkauft. Man nennt diesen Prozess der
Verbriefung von nicht gehandelten Zahlungsansprüchen Securitization. Ebenso werden
zurzeit Student Loans und sogar Lebensversicherungen als Pakete gehandelt. Im letzteren
Fall bezahlt der Käufer eines Paketes von Lebensversicherungen die monatlichen Raten
und bekommt eine Rückzahlung, falls die Person, auf die die Lebensversicherung abge-
schlossen wurde stirbt.

18
Financial Markets

Abbildung 3: Übergänge von nichthandelbaren Produkten zu handelbaren.

Schliesslich sei darauf hingewiesen, dass es neben dem oben beschriebenen weissen
Finanzmarkt auch einen schwarzen oder Schattenfinanzmarkt gibt. Der Unterschied
zwischen Licht und Schatten ist dadurch bestimmt, ob der Regulator hilft, die Zahlungs-
ansprüche durchzusetzen. Um in den Genuss der Rechtssicherheit zu kommen, schränkt
der Regulator die Gestaltungsfreiheit der Verträge ein. Zum Beispiel erlaubt der Regula-
tor nicht beliebig hohe Zinsen, sogenannte Wucherzinsen, und im Aktienrecht gibt es sehr
viele Publizitätsvorschriften, die die Transparenz über die Geschäftsentwicklung fördern
sollen. Verstösse hiergegen können zum Ausschluss vom Aktienmarkt führen! Zudem er-
fordert der Handel mit Derivaten feste Regeln, die den Bankrott der Händler vermeiden
sollen. Man muss sogenannte Margin Accounts öffnen und bei adverser Preisentwick-
lung Geld nachschiessen (Margin Call). Dennoch entwickelt sich immer wieder ein grosser
Schattenfinanzmarkt. Zurzeit wird dieser durch das Internet ermöglicht. Auf Crowd Len-
ding Plattformen kann man feste Zahlungsversprechen in der Form von Loans vergeben
und auf Crowd Funding Plattformen kann man sich an dem Erfolg von Unternehmen be-
teiligen. Es gibt sogar analog zur IPO von Aktien im Internet ICOs. Bei einer IPO (initial
public offering) wagt eine Unternehmung den Schritt von nichtgehandelten Anteilen zu
gehandelten Anteilen, man sagt sie ist going public. Bei der ICO (initial coin offering)
emittiert ein Unternehmen oder eine Privatperson Schuldverschreibungen oder Unterneh-
mensanteile anhand einer eigens für den Zweck erfundenen Internetwährung (coin). Im
Moment ist dieser Bereich des Finanzmarktes klein und innovativ. Es bleibt spannend zu
beobachten, wie sich die Kräfteverhältnisse im Laufe der Zeit verschieben.

19
Financial Markets

Bevor wir zum nächsten Kapitel übergehen, muss noch erwähnt werden, dass der (weisse)
Finanzmarkt auf einem Währungssystem basiert. Alle Verträge können in Währungen
nominiert werden, deren Wert von Zentralbanken sichergestellt wird. Die Zentralbanken
bringen Geld via Geschäftsbanken in Umlauf. Letztere geben es an Firmen und Privat-
personen. Wegen dieses zweistufigen Prozesses sind die Geschäftsbanken indirekt auch an
der Geldschöpfung beteiligt. Die Geschäftsbanken können Geld bei der Zentralbank gegen
Hinterlegung von Sicherheiten leihen. Die Geschäftsbanken müssen einen gewissen Teil
zurückhalten und können den anderen Teil an Unternehmen und Privatpersonen verlei-
hen. Als Sicherheiten dienen die am Finanzmarkt gehandelten Zahlungsansprüche. Dabei
steuern die Zentralbanken die Geldmenge durch Änderungen der Konditionen, wie hoch
der Zins (der sogenannte Reposatz) für welche Sicherheiten ist – bzw. welche Zahlungs-
ansprüche überhaupt als Sicherheiten akzeptiert werden. Nach der Finanzkrise 2007/08
haben die Zentralbanken auch begonnen, im sogenannten Quantitative Easing, Geld di-
rekt durch Kauf von Finanzansprüchen (Obligationen, Aktien etc.) in Umlauf zu bringen.
Eine direkte Konsequenz des Quantitative Easing waren Negativzinsen und sehr hohe
Aktienkurse. Die indirekte Konsequenz war eine Stabilisierung der Wirtschaftsleistung.
Der Zusammenbruch des Finanzsystems 2007/08 mit der einhergehenden Wirtschaftskrise
2009 ff zeigt, wie wichtig ein gut funktionierendes Finanzsystem für eine Volkswirtschaft
ist.

Die in diesem Kapitel beschriebenen Funktionen des Finanzsystems werden von ver-
schiedenen Institutionen übernommen. Dabei ist es so, dass die meisten Institutionen in
der Regel mehrere Funktionen übernehmen. An einer Börse werden zum Beispiel Obligatio-
nen, Aktien und Derivate gehandelt. Banken vergeben Kredite (Loans) und Hypotheken,
helfen Personen, ihr Geld am Finanzmarkt anzulegen und führen für Unternehmen die
IPO durch. Versicherungen helfen Unternehmen und Haushalten, sich zu versichern und
bieten Hypotheken und Pensionskassen an etc. Im nächsten Kapitel gehen wir auf die
Besonderheiten von Firmen im Finanzmarkt ein. D.h. wir behandeln den wichtigen Be-
reich der Corporate Finance. Wegen der vielfältigen Überschneidungen der Tätigkeiten
von Institutionen am Finanzmarkt, ist es aber sinnvoller anstelle einer Institutionenlehre
die Funktionen des Finanzmarktes zu verstehen. Das Buch von Mishkin und Eakins (2016)
ist das Standardwerk, das nun schon in der 8. Auflage alle Details von Finanzmärkten und
deren Institutionen beschreibt. Ich empfehle es als fortführende Lektüre.

Referenzen:

Goetzman, William (2016):Money Changes Everything: How Finance Made Civilization


Possible, Princeton University Press.
Mishkin, Frederic S. and Stanley G. Eakins (2016): Financial Markets and Institutions,

20
Financial Markets

Pearson Education.

21
Financial Markets

3 Corporate Finance
3.1 Einleitung
In diesem Kapitel werden die wesentlichen finanziellen Entscheidungen von Firmen analy-
siert. Eine Firma muss zwischen alternativen Projekten auswählen, diese finanzieren und
die daraus entstehenden Gewinne an ihre Anteilseigner verteilen. A priori ist nicht klar,
nach welchen Kriterien sie dies tun sollte. Soll sie über die Projekte in ihrer Generalver-
sammlung abstimmen lassen oder soll sie einen Manager bestimmen, der diese Entschei-
dungen trifft? Kann die Firma durch aktive Finanzpolitik, d.h. durch Kreditaufnahme,
sogenannter Leverage, ihre Gewinne erhöhen? Und soll sie Gewinne für Investitionen ein-
behalten oder diese vollständig an die Anteilseigner ausschütten? Wir werden sehen, dass
all diese schwierigen Fragen in einem perfekten Finanzmarkt einfache Antworten haben.

3.2 Net Present Value


Um die Analyse handhabbar zu halten, nehmen wir an, es gäbe nur zwei Perioden. Im
Buch von Hens und Rieger (2016) wird der allgemeine Fall aufgezeigt. In der ersten Periode
kann die Firma Kapital in Projekte investieren, welche je nach Ereignis unterschiedlich viel
Gewinn abwerfen. Falls es j = 1, ..., J Projekte gibt, die durch die Anfangsinvestitionen
y0j und die Gewinne ysj in den Zuständen s = 1, ..., S beschrieben sind, dann stellt sich
die Frage, welche Projekte die Firma auswählen sollte. Sind solche Projekte vorteilhafter,
die heute wenig Investitionen erfordern oder solche, die morgen viel Gewinn abwerfen?
Und wie sollte zwischen Projekten ausgewählt werden, die morgen unterschiedlich siche-
ren Gewinn abwerfen? Die Antworten auf all diese Fragen sind erstaunlich einfach: Die
Firma muss all diejenigen Projekte realisieren, die gemäss der Marktpreise einen positiven
Gegenwartswert haben. Aber welche Marktpreise soll man nehmen? Da letztlich jedes Pro-
jekt eine Zahlungsreihe ist, können Projekte, wie im ersten Kapitel beschrieben, mittels
derjenigen Wahrscheinlichkeiten bewertet werden, die zu arbitrage-freien Preisen führen.
Für diese haben wir im ersten Kapitel die Notation πs , s = 1, . . . , S eingeführt. Somit
lautet das Entscheidungskriterium der Firma: Genau dann wenn

S
1
πs ysj ) − y0j > 0
X
NPV := ( )·(
1+r
s=1

ist, so sollte das Projekt realisiert werden. Dieses Kriterium nennt man das Net-
Present-Value (NPV) Kriterium.

Ein Beispiel:

Es gibt drei Projekte y 1 , y 2 , y 3 . Alle Projekte erfordern eine Anfangsinvestition von 100.
Das erste Projekt zahlt 105 in Zustand 1 und 102 in Zustand 2. Das zweite Projekt zahlt

22
Financial Markets

102 in Zustand 1 und 105 in Zustand 2. Das dritte Projekt zahlt 220 in Zustand 1 und
ist ein Totalverlust in Zustand 2. Der Zins ist weiterhin 3%. Mit den Wahrscheinlich-
keiten aus Kapitel 1, π1 = 0.46 und π2 = (1 − π1 ) = 0.54, ergeben sich folgende NPVs:
N P V 1 = 0.3689, N P V 2 = 0.6019, N P V 3 = −1.7476. D.h. nur das dritte Projekt sollte
nicht realisiert werden.

Net Present Value bei Finanzierung am Finanzmarkt

Hat eine Firma eine Projekt in Aussicht und sind die dafür notwendigen Geldmittel schon
vorhanden, zum Beispiel aus Reserven vergangener Gewinne, dann sagt das Net-Present-
Value Kriterium ob die Firma das Projekt umsetzen sollte oder nicht. Aber was passiert,
wenn das dafür notwendige Geld nicht bereit liegt sondern die Firma es erst am Finanz-
markt aufnehmen muss?

In diesem Fall gibt es für die Firma zwei Möglichkeiten: Geldaufnahme über Eigenka-
pital (Aktienausgabe) oder über Fremdkapital (Ausgabe von Firmenanleihen/Aufnahme
von Krediten). Im Falle von Fremdkapital bekommt die Firma zum Zeitpunkt t=0 Geld
zur Verfügung gestellt welches sie in jedem möglichen Zustand in t=1 wieder zurückzahlen
muss. Im Weiteren gehen wir davon aus, dass der risikolose Zinssatz r sowohl der Anlage-
als auch der Aufnahmezins ist. Dann hat das NPV für den Fall der Fremdfinanzierung in
Höhe des Betrages b für ein Projekt y = (y0 , y1 , ..., ys ) die Form

S
!
1 X
N P VFremdkapital = b−y + πs (ys − (1 + r)b) .
| {z }0
Cashflows zu t=0
|1 {z
+ r}
s=1
Diskontierung
| {z }
Cashflows zu t=1

Durch umformen erhält man


" S # " S
#!
1 X X
N P VFremdkapital = b − y0 + πs ys − πs (1 + r)b )
1+r
s=1 s=1
S
!
1 X 1+r
= b − y0 + πs ys − b
1+r 1+r
s=1
S
!
1 X
= πs ys − y0
1+r
s=1

= N P V,
PS
wobei der zweite Schritt aus s=1 πs = 1 folgt. Das NPV Kriterium ist also unabhängig
von Finanzierung durch Fremdkapital.

Was ist mit Finanzierung durch Eigenkapital? Aktien berechtigen den Besitzer zu
einem Anteil am Gewinn der Firma. Wir gehen in der folgenden Betrachtung davon aus,

23
Financial Markets

dass es von einer Firma V = 1 (Normierung) Aktien gibt, von denen die Firma den Anteil θ
am Markt zum Preis q verkaufen möchte um das Projekt y = (y0 , y1 , ..., ys ) durchzuführen.
Dann hat das NPV Kriterium die Form
S
!
1 X
N P VEigenkapital = qθ − y0 + πs ys (1 − θ)) ,
|1 {z
+ r}
| {z }
Cashflows zu t=0 s=1
Diskontierung
| {z }
Cashflows zu t=1

denn zusätzlich zu den Cashflows des Projektes bekommt man in t=0 den Gewinn der
Aktienverkäufe, erhält dafür aber in t=1 nur noch Projektgewinne gemäß den verbleiben-
den Anteilen. Wie hoch ist der Aktienpreis q? In einem vollkommenen Markt entspräche
der vollständige Wert der Firma (und damit der Aktie, da V = 1) den diskontierten,
zukünftigen Gewinnen der Firma, also gilt

S
1 X
q= πs ys .
1+r
s=1

Durch einsetzen und umformen sieht man


S
!
1 X
N P VEigenkapital = qθ − y0 + πs ys (1 − θ))
1+r
s=1
S S S
! ! !
1 X 1 X 1 X
= πs ys θ − y0 + πs ys ) − πs ys θ
1+r 1+r 1+r
s=1 s=1 s=1
S
!
1 X
= πs ys ) − y0
1+r
s=1

= N P V.

Demnach ist das NPV also auch unabhängig von der Finanzierung durch Eigenkapital. Hat
ein Projekt ein positives NPV, dann sollte es umgesetzt werden und dabei ist es einerlei
ob es durch Reserven, Fremd- oder Eigenkapital finanziert wird.

3.3 Return on Investment


In der Praxis werden noch andere Entscheidungskriterien, wie zum Beispiel die Maxi-
mierung des Return-on-Investment (RoI) betrachtet. Folgt man diesem Kriterium,
sollte nur dasjenige Projekt realisiert werden, das den höchsten Quotienten aus der er-
warteten Rückzahlung relativ zu der Anfangsinvestition hat. Das RoI für ein Projekt
y = (y0 , y1 , ..., ys ) ist formal definiert als
PS
s=1 πs ys
RoI :=
y0

24
Financial Markets

und es sollte gemäß Return-on-Investment (RoI) Kriterium umgesetzt werden, wenn

RoI > 1 + r

für den risikolosen Zinssatz r gilt. Man kann durch Umformungen zeigen, dass ein Projekt,
welches laut NPV-Kriterium umgesetzt werden sollte, auch laut RoI-Kriterium durch-
geführt werden sollte und umgekehrt. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden
Kriterien ist, dass das NPV einem den absoluten Mehrwert eines Projektes zeigt, während
das ROI einem den prozentualen Mehrwert gibt. Daher ist das RoI besser zum Vergleichen
der Rentabilität verschiedener Projekte geeignet. Sind einige Projekte beliebig häufig re-
plizierbar oder steht nur eine festgelegte Geldmenge zur Verfügung, sollte das RoI benutzt
werden um sich auf die besten Projekte zu beschränken. Anderenfalls sollte man alle Pro-
jekte mit positivem NPV realisieren.

Wir gehen im Folgenden von einem mittleren Fall aus. Nämlich, dass y0j die Kapazitäts-
obergrenze des Projektes j ist und, dass es unterhalb dieser in beliebiger Grösse durchführbar
ist. Falls zum Beispiel nur die Hälfte des Projektes realisiert wird, so ergibt sich auch nur
die Hälfte der Gewinne in den verschiedenen Zuständen.

3.4 Produktionsfunktion
Eine elegante Weise die verschiedenen Projekte zusammenzufassen ist die Produktions-
funktion. Sie ist eine Abbildung von der gesamten Anfangsinvestition, y0 , die die Firma
tätigt zu dem maximal möglichen Gewinn, den die Firma mit dieser Investition in den
verschiedenen Zuständen der Welt erzielen kann. Das folgende Beispiel illustriert die Kon-
struktion der Produktionsfunktion für den Fall der Sicherheit, d.h. für S = 1.

Ein Beispiel:

Es gibt 3 Projekte mit Obergrenzen y01 = 2, y02 = 1 und y03 = 2. Die Gewinne morgen,
die aus vollständiger Investition bis zur Kapazitätsobergrenze resultieren sind y11 = 2.1,
y12 = 1.03 und y13 = 2.04. Ordnen wir die Projekte nach RoI, d.h. ROI 1 = 1.05, ROI 2 =
1.03 und ROI 3 = 1.02 und wählen diese in der so entstehenden Reihenfolge aus, so er-
gibt sich die Produktionsfunktion. Unter der Annahme, dass nur ganzzahlige Investitionen
möglich sind, kann diese durch folgende Tabelle dargestellt werden:

Tabelle 2: Konstruktion der Produktionsfunktion

Y0 1 2 3 4 5 6
Y1 1.05 2.1 3.13 4.15 5.17 5.17

Bei einem Zins von 2.5% sollten nur 3 Einheiten investiert werden und zwar in das erste
und zweite Projekt.

25
Financial Markets

Abbildung 4: Produktionsfunktion

In der Abbildung 4 ist die Produktionsfunktion für den Fall K gleich 7 abgebildet. Der
Graph zeigt auf, wie die Firma ihr insgesamt am Kapitalmarkt verfügbare Kapital K durch
Investition in verschiedene Projekte zu Gewinn von Morgen umwandeln kann.
Für den Fall von beliebig vielen Projekten ergibt sich nach der oben beschriebenen
Methode eine stetige Produktionsfunktion. Abbildung 5 stellt diese für den Fall der Si-
cherheit dar. Außerdem sieht man in Abbildung 5 wie viele Projekte beim Zins r∗ realisiert
werden sollten. Dazu legt man die Kapitalgerade mit Steigung −(1 + r∗) als Tangente an
die Produktionsfunktion und es sollten so viele Projekte umgesetzt werden, dass man auf
der Produktionskurve den Schnittpunkte mit der Kapitalgeraden erreicht.

Abbildung 5: Fall der Sicherheit

26
Financial Markets

3.5 Fisher-Separationstheorem
Nun fragen wir, ob die Anteilseigner der Firma in der Tat mit deren Produktionsentschei-
dung einverstanden sind. Schliesslich hat ja jeder von ihnen seine eigene Zeitpräferenz und
möchte deshalb vielleicht mehr oder weniger Kapital von heute für Gewinne von morgen
aufgeben. Die Zeitpräferenz eines Anteilseigners wird durch seine Indifferenzkurvenschaar
in dem (y0 , y1 ) –Diagramm dargestellt. Die Indifferenzkurven sind fallend, da das Auf-
geben von Konsum heute durch steigenden Konsum morgen kompensiert werden muss.
Zudem kann man davon ausgehen, dass die Indifferenzkurven konvex sind, also die Kom-
pensation mit fallendem Konsum heute immer stärker ausfallen muss. Die Anteilseigner
können ihrerseits auch am Kapitalmarkt Geld aufnehmen oder verleihen. Sie machen dies
dann optimal, wenn die Steigung ihrer Indifferenzkurve der Steigung der Kapitalgeraden,
also –(1 + r∗) entspricht. D.h. obwohl jeder Anteilseigner verschiedene Zeitpräferenzen
hat, wird der Kapitalmarkt dafür sorgen, dass sie diese an den Zins anpassen. Somit be-
steht Einstimmigkeit darüber, dass die Firma Investitionsprojekte anhand des Marktzinses
auswählen soll, wie die folgende Abbildung 6 illustriert.

Abbildung 6

Man kann diesen Gedanken sogar noch ein Stück weiter treiben. Angenommen, es gäbe
keinen Kapitalmarkt und nur einen Anteilseigner, der die Investitionsprojekte nach seiner
Zeitpräferenz auswählt, dann würde er wie in der nächsten Abbildung dargestellt den-
jenigen Punkt auf der Produktionsfunktion auswählen, der tangential zu der höchsten
Indifferenzkurve ist, die gerade noch die Produktionsfunktion berührt. Diese Lösung kann
aber auch dadurch erreicht werden, dass sowohl die Firma als auch der Anteilseigner sich
an den Marktzins halten. Man sagt, die Entscheidung der Firma kann mit dem Markt von

27
Financial Markets

der Entscheidung des Anteilseigners separiert werden. Auf diesen Sachverhalt hat zunächst
Irvin Fisher hingewiesen, weshalb wir ihn das Fisher-Separationstheorem nennen.

Abbildung 7: Illustration des Fisher-Seperationstheorem

3.6 Modigliani-Miller-Theorem
Die Abbildung kann auch dazu benutzt werden, alternative Finanzierungsarten der Pro-
duktion sowie alternative Dividendenpolitiken zu diskutieren. In dieser Abbildung sind wir
davon ausgegangen, dass die Firma heute von den Anteilseignern das Kapital y0 vollständig
einbezahlt bekommt und ihnen morgen den Gewinn y1 vollständig ausschüttet. D.h. weder
die Firma noch die Anteilseigner tätigen Transaktionen am Kapitalmarkt. Was würde sich
ändern, wenn die Firma nicht alles Kapital von den Anteilseignern einfordert, sondern
dieses auf dem Kapitalmarkt aufnimmt?

28
Financial Markets

Abbildung 8

In Abbildung 8 nimmt die Firma so viel Geld auf dem Kapitalmarkt auf, dass den Anteils-
eignern heute mehr Geld zur Verfügung bleibt, während sie morgen dann weniger Gewinn
ausgeschüttet bekämen. Da die Firma das Kapital zum Marktzins r∗ aufnehmen muss, ver-
schiebt sich der Punkt der vollständigen Eigenkapitalfinanzierung, der Punkt A, zu dem
Punkt B mit Fremdkapitalfinanzierung. Das Ergebnis dieser Finanzierungspolitik (Levera-
ge gegen gekürzte Dividenden) ist aber vollkommen irrelevant. Es wird weder den Gewinn
der Firma ändern, noch die Zufriedenheit der Anteilseigner, da letztere die Auswirkung
auf ihr Budget durch eine gegenläufige Transaktion am Kapitalmarkt wieder zunichte-
machen. Die Irrelevanz der Finanzierungspolitik der Firma haben zuerst Modigliani und
Miller (1958) bewiesen. Deshalb heisst diese Tatsache das Modigliani-Miller-Theorem.

Wir haben das Fisher-Separationstheorem und das Modigliani-Miller-Theorem nur im Fall


von zwei Perioden und Sicherheit illustriert. Es gilt aber in einem perfekten Kapitalmarkt
auch mit beliebig vielen Perioden und bei Unsicherheit. Eine gute Referenz hierfür ist das
Kapitel 6 von Hens und Rieger (2016).

Schliesslich möchte ich erwähnen, dass wenn das CAPM gilt, die Berechnung der Prei-
se von Zahlungsreihen auch anhand der Security Market Line, SML, des CAPM ge-
macht werden kann. In späteren Kapiteln werden wir sehen, dass für jede Zahlungsreihe
x1 , . . . , xS mit dazugehörigen Renditen Rs = xs /q die SML gelten muss, also µ(R)–Rf =
β(R, RM ) ∗ (µ(R)–Rf ) ist.

Somit ergibt sich die Preisformel q = µ(x)/ Rf + β(R, RM )(µ(R)–Rf ) . D.h. im CAPM


ist die in Kapitel 1 erwähnte Risikoprämie β(R, RM )(µ(R)–Rf ). Das CAPM als spezielle
Lineare Preisregel wird in Kapitel 4 von Hens und Rieger (2016) hergeleitet.

29
Financial Markets

3.7 Appendix

Ein Modell für das Fisher-Separationstheorem und das Modigliani-Miller-


Theorem
Das Ziel dieses Abschnittes ist, ein einfaches mikrofundiertes Modell zu entwickeln, das
die Figuren 4 bis 6 erklärt. Das Modell besteht aus einer Firma und h = 1, ..., H Haus-
halten. Es gibt zwei Zeitpunkte, t=0 und t=1, und die Firma möchte ihren Gewinn über
beide Zeitpunkte maximieren, wobei die Firma zu jedem Zeitpunkt jeweils einen Cashflow
erhält. Dabei soll der Cashflow in der Zukunft unsicher sein. Dies soll durch die Zustände
s = 1, ..., S, die dazugehörigen risikoadjustierten Wahrscheinlichkeiten πs und die zustand-
sabhängigen Cashflows
PCFs dargestellt
 werden. Die Firma maximiert den erwarteten Ge-
1 S
winn, Π = CF0 + 1+r s=1 πs CFs , bestehend aus dem Gegenwartswert ihrer erwarteten
Cash Flows. Sie kann den CFs mittels Investitionen y0 gemäss der Produktionsfunktion
Fs herstellen. Dabei wird y0 gewählt bevor bekannt wird welcher Zustand und welches
Fs herrschen wird. Zudem kann sie auf dem Kapitalmarkt zum Zins r Fremdkapital d
aufnehmen. Das Entscheidungsproblem der Firma lautet

S
!
1 X
max Π = CF0 + πs CFs , wobei
1+r
s=1

CF0 = d − y0 und CFs = Fs (y0 ) − (1 + r)d ∀s = 1, ..., S gilt.

Die Haushalte maximieren ihren erwarteten intertemporalen Nutzen

S
!
h 1 X
U (C0h ) + ps U h
(Csh )
1 + ah
s=1

durch Wahl ihres Konsums Csh in der jeweiligen Periode beziehungsweise im jeweiligen
Zustand. Anders als die Firmen benutzen die Haushalte die physikalischen Wahrschein-
lichkeiten ps und nicht die risikoadjustierten πs . Der Parameter ah beschreibt die Zeit-
präferenz. Haushalt h besitzt den Anteil θh an der Firma sowie ein Anfangsvermögen W h .
Die Haushalte können ebenso am Kapitalmarkt handeln. bh beschreibt die Menge an Ka-
pital, die Haushalt h zum Zins r anlegen möchte. Somit bestimmt sich der Konsum eines
Haushaltes durch

C0h = W h − bh + θh CF0
Csh = (1 + r)bh + θh CFs ∀s = 1, ..., S.

30
Financial Markets

Der Kapitalmarkt ist im Gleichgewicht, wenn die Kapitalnachfrage der Firma dem Kapi-
talangebot der Haushalte entspricht:

H
X
d= bh .
h=1

Wir zeigen zuerst das Modigliani-Miller-Theorem der Irrelevanz der Finanzentscheidung


ˆ b̂h , h =
der Firmen. Eine präzise Formulierung ist in unserem Modell möglich: Falls d,
1, ..., H, ein Kapitalmarktgleichgewicht ist, so ist auch dˆ + ∆, b̂h + θh ∆, h = 1, ..., H, ein
Kapitalmarktgleichgewicht. Wir überzeugen uns zunächst davon, dass der Kapitalmarkt
immer noch ausgeglichen ist:

H H H
!
X X X
dˆ + ∆ = b̂h + θh ∆ = b̂h + θh ∆,
h=1 h=1 h=1

PH
weil die θh Anteile der Firma sind, d.h. es gilt h=1 θ
h = 1. Abschliessend müssen wir
zeigen, dass die Einführung von ∆ die Entscheidungen der Firma und der Haushalte nicht
ändert. Im Gleichgewicht ist der Gewinn der Firma

S
!
1 X
Π̂ = CF0 + πs CFs
1+r
s=1
" S #
1 X
= dˆ + ∆ − yˆ0 + πs (Fs (yˆ0 ) − (1 + r)(dˆ + ∆))
1+r
s=1
" S #
ˆ 1 X (1 + r) ˆ
= d + ∆ − yˆ0 + πs Fs (yˆ0 ) − (d + ∆),
1+r 1+r
s=1

was unabhängig von ∆ ist. Ebenso verhält es sich für die Budgetgleichungen der Haushalte:
 
Cˆ0h = W h − (b̂h + θh ∆) + θh dˆ + ∆ − yˆ0 ,
h  i
ˆ h h h h ˆ
Cs = (1 + r)(b̂ + θ ∆) + θ Fs (y0 ) − (1 + r) d + ∆ ∀s = 1, ..., S.

D.h., wenn die Firma ihre Finanzentscheidung dˆ um ∆ verschiebt, passen sich die Haus-
halte mittels θh ∆ an und die Situation ist wieder ein Kapitalmarktgleichgewicht.
Nun zeigen wir noch das Fisher-Separationstheorem: Obwohl die Haushalte unter-
schiedliche Zeitpräferenzen ah haben, genügt es, dass die Firma Ihren Gewinn gemäss des
Marktzines, r, maximiert. Wenn man die Zielfunktion der Firma
" S #
1 X
Π(y0 ) = d − y0 + πs (Fs (y0 ) − (1 + r)d)
1+r
s=1

31
Financial Markets

nach der Investitionshöhe y0 ableitet und dann gleich 0 setzt, erhält man
" S # S
0 1 X
0
X
Π (y0 ) = −1 + πs Fs (y0 ) = 0 ⇔ πs Fs0 (y0 ) = 1 + r.
1+r
s=1 s=1

Demnach erhöht die Firma solange das Investitionsvolumen y0 bis der erwartete Grenzer-
trag gleich dem Zins ist. Betrachten wir nun die Nutzenmaximierung der Haushalte als
Funktion des Kapitalangebots, bh , so erhält man das Maximierungsproblem
" S #
h h h h 1 X
h h h
max U (W − b + θ CF0 ) + ps U ((1 + r)b + θ CFs ) .
bh 1 + ah
s=1

Leitet man hier nach dem Kapitalangebot, bh , ab und setzt dann gleich 0, erhält man
" S # 0
h,0 1 + r X 0 U h, (C0h )
−U (C0h ) + p s U h,
(C h
s ) = 0 ⇔ (1 + ah h
) i = 1 + r,
1 + ah PS
p U h,0 (C h )
s=1 s=1 s s

d.h. obwohl alle Haushalte unterschiedliche Zeitpräferenzen ah haben, bestimmen sie den
Konsum so, dass die erwartete Grenzrate der intertemporalen Substitution gleich dem
Zins (1+r) ist. Die Grenzrate der intertemporalen Substitution gibt an, mit welcher Rate
der Haushalt Konsum zwischen heute und der Zukunft austauschen würde.

Schließlich möchten wir noch erklären, wie die Figuren 4-6 aus diesem Modell her-
geleitet wurden. Zur besseren Verständlichkeit und Übersicht werden für uns auf den
Fall mit einem einzigen zukünftigen Zustand (d.h. es gibt einen sicheren Cashflow in der
Zukunft) beschränken. Betrachten wir zunächst ein (CF0 , CF1 )-Diagramm zur Darstel-
lung der Firmenentscheidung. In diesen Diagramm können wir die Produktionsfunktion
F vom Punkt (K, 0) bis zum Punkt (0, F (K)) eintragen, wobei K = H h
P
h=1 w das ins-
gesamt in der Ökonomie in der Periode 0 vorhandene Vermögen ist. Die Gewinnfunktion
1
Π = CF0 + 1+r CF1 kann zu jeder Gewinnhöhe Π̄ wie folgt als Funktion von CF1 mit
Variable CF0 dargestellt werden:

 Π̄
CF1 = Π̄ − CF0 (1 + r) = − (1 + r)CF0 ,
1+r

d.h. eine Isogewinnlinie ist eine Gerade mit Steigung (1+r). Der Gewinn ist dort maximal,
wo die höchste Isogewinnlinie gerade noch die Produktionsfunktion berührt. Demnach gilt
die Tangentialbedingung F 0 (y0 ) = 1 + r. Das Pendant zur Isogewinnlinie der Firma ist die
Indifferenzkurve (Isonutzenkurve) des Haushaltes. Sie ist implizit durch die Gleichung

1
Ū h = U h (C0h ) + U h (C1h )
1 + ah

32
Financial Markets

dC1h
bestimmt. Die Steigung dieser impliziten Funktion, dC0h
, berechnet man durch totales
Differenzieren:
0
h,0 1 0 dC1h U h, (C0h )
U (C0h )dC0h + U h, (C1h )dC1h = 0 ⇔ = −(1 + a) .
1+a dC0h U h,0 (C1h )

Aber wie sieht die Budgetgleichung im (C0h , C1h )-Diagramm aus? Hierzu setzen wir bh =
W h − C0h + θh CF0 aus der ersten Periode in die zweite Periode C1h = (1 + r)bh + θh CF1
ein:
h i
C1h = −(1 + r)C0h + (1 + r) W h + θh CF0 + θh CF1 .

D.h. die Budgetgleichung ist auch wieder eine mit Steigung (1+r) fallende Gerade. Der
nutzenmaximale Punkt ist dort, wo die Indifferenzkurve die Budgetgerade tangiert:
0
h U h, (C h )
(1 + a ) h,0 0h = 1 + r.
U (C1 )

Fügt man diese Aspekte in einer Figur zusammen, so erhält man die Figuren 4-6.

Referenzen

Hens, Thorsten und Marc Oliver Rieger (2016):  Financial Economics: A concise in-
troduction to classical and behavioral finance, Springer Verlag.

33
Financial Markets

4 Bewertung und Renditemessung


Man darf 100 CHF die heute verfügbar sind, nicht gleich werten wie 100 CHF die erst in
der Zukunft verfügbar sind. Geld in der Zukunft ist weniger wert wie Geld heute.

Mittels Aufzinsung (compounding) kann der zukünftige Wert ermittelt werden

Vt = V0 · (1 + r)t

wobei V0 der Startwert, Vt der Wert nach t Perioden und r ein riskiogerechter Zinssatz ist.

4.1 7-11 - Rule


Wenn man von der 7-11 - Rule spricht, meint man eine Daumenregel, bei der T und
r jeweils die Werte 7 und 11 annehmen können und in beiden Fällen 2 heraus kommt
(entspricht einer Verdoppelung des CF)

(1 + 7%)11 ≈ 2 ≈ (1 + 11%)7

Mittels Diskontierung kann der heutige Wert (Present Value [PV]) eines zukünftigen Cas-
hflows ermittelt werden:
T T
!
X CF X CF
PV = respektive P V = E
(1 + r)t (1 + r)t
t=1 t=1

Der Erwartungswert wird dann gebildet, wenn die Cashflows [CF] unsicher sind. Das r
entspricht dann dem risikogerechten Zins.

Beim Zins muss darauf geachtet werden, ob er jährlich oder mehrmals jährlich gezahlt
wird. Aufgrund von Zinseszinsen ist ein Zins, der mehrmals jährlich gezahlt wird, ertrags-
reicher als ein Zins der nur einmal pro Jahr bezahlt wird. Die Effective Annual Rate [EAR]
kann mit folgender Formel berechnet werden

r m·T
(1 + EAR)T = (1 + )
m

Wir sehen sofort, indem wir die T’te Wurzel ziehen, dass die EAR unabhängig von T ist.

Bsp.: Zins r = 5%

jährlich: (1 + 0.05) ∼ 1.05


0.05 2
halbjährlich: (1 + 2 ) ∼ 1.050625
0.05 4
vierteljährlich: (1 + 4 ) ∼ 1.050945
0.05 365
täglich: (1 + 365 ) ∼ 1.051268

34
Financial Markets

erfolgt die Verzinsung stetig (continous compounding), erhalten wir die Definition der
Eulerschen Zahl
r m
lim (1 + ) = er
m→∞ m
in unserem Beispiel mit r = 5% und stetiger Verzinsung, entspricht der Jahreszins also
e0.05 ≈ 1.051271. Also steigt die EAR. Hat aber er als Obergrenze.

4.2 Perpetuities
4.2.1 Einfache Perpetuity

Eine weitere wichtige Anwendung sind Perpetuities. Wenn CFs immer und immer wieder
bis in die Unendlichkeit hereinfliessen, bedarf es einer speziellen Anwendung der Diskon-
tierung.
Wir betrachten die unendliche geometrische Reihe:

CF CF CF CF X CF
PV = + 2
+ 3
+ ··· + ∞
= .
(1 + r) (1 + r) (1 + r) (1 + r) (1 + r)t
t=1

Die Formel für den Grenzwert einer geometrischen Reihe, die im Zeitpunkt t = 0 startet
ist

X 1
at = (für a < 1)
1−a
t=0

. Startet die geometrische Reihe im Zeitpunkt t=1, so muss die Gleichung umgeschrieben
werden
∞ ∞ ∞
X
t
X
t
X 1 − (1 − a) a
a = a −1⇒ at = = .
1−a 1−a
t=1 t=0 t=1
1
Für a = 1+r (wir setzen als den Diskontfaktor in die soeben ermittelte Grenzwertformel
ein) ergibt sich nach einfachen Umformen 1r .

Der PV einer Perpetuity ist also



X CF CF
= .
(1 + r)t r
t=1

4.2.2 Finite Perpetuity

Ähnlich wie oben, können wir die Formel für die Finite Perpetuity oder Annuität herleiten.
Bei einer Annuität ist die Rente nicht ewig sondern dauert nur bis zum Zeitpunkt T an.

CF CF CF
PV = + 2
+ ... + .
1 + r (1 + r) (1 + r)T

35
Financial Markets

Der obige Ausdruck kann umgeschrieben werden als Differenz zweier Perpetuities:

CF CF CF CF CF CF
PV = + 2
+ ... + T
+ T +1
+ ... − [ T +1
+ + ...]
1 + r (1 + r) (1 + r) (1 + r) (1 + r) (1 + r)T +2

Dies kann vereinfacht werden zu:

CF CF CF 1 T
PV = − T
= [1 − ( ) ]
r r(1 + r) r 1+r

4.2.3 Growing Perpetuity

Neben der soeben disktuierten einfachen Perpetuity gibt es auch Growing Perpetuities.
Dabei werden konstant wachsende Cashflows der Form

CF, CF · (1 + g), CF · (1 + g)2 , CF · (1 + g)3 , CF · (1 + g)4 ...

berücksichtigt. Der PV entspricht dann


∞ 
1+g t

X CF
·
1+r 1+g
t=1

1+g
und gemäss der oben ermittelten Grenzwertformel, mit neuen a = 1+r ist der PV für
Growing Perpetuities
CF
PV =
r−g

4.2.4 Growing Finite Perpetuity

Ein Spezialfall der Growing Perpetuity ist die Growing Finite Perpetuity. Dabei wird
beachtet, dass die Cashflows nur für eine Zeit T hereinfliessen:

T 
1+g t

X CF
· .
1+r 1+g
t=1

Erneut kann die endliche Perpetuity durch die Summe zweier (unendlichen) Perpetuitys
dargestellt werden
∞  ∞
1+g t
  t+T
X CF X 1+g CF
· − · .
1+r 1+g 1+r 1+g
t=1 t=1

Mithilfe der Formel für geometrische Reihen erhalten wir


 T
CF 1+g CF
− ·
r−g 1+r r−g

36
Financial Markets

und somit beträgt der PV einer Growing Finite Perpetuity


 T !
CF 1+g
PV = · 1− .
r−g 1+r

4.3 Renditemessung
Die Bruttorendite [R] wird als eine Funktion von Cashflow, Capitalgain und Investition
[I] gemessen
CF + Capitalgain
R=
I
. Gibt es mehr als eine Periode, so kann die Rendite von der Periode t zur Periode t auf
die folgende Weise geschrieben werden:

CFt + (Vt − Vt−1 )


Rt−1,t = Rt = .
Vt−1

Da es sich hier nur um eine Periode handelt, wird der erste Index von Rt−1,t nicht mit-
geschrieben, so dass man verkürzt nur Rt schreibt. Dabei steht Vt für den Wert (Value)
der Investition zum Zeitpunkt t. Die Rendite kann entweder time-weighted (Time Weigh-
ted Return [TWR]) oder money-weighted (Money Weighted Return [MWR]) sein. Wir
betrachten dazu folgendes Beispiel:

heute: Kaufe 1 Aktie zu 100


später: Dividende 3.5
Der Preis pro Aktie steigt auf 105, Kaufe 3 neue Aktien
noch später: Dividende 3.5
Der Preis pro Aktie steigt auf 107, Verkauf aller Aktien

Auf einem Zeitstrahl aufgelistet sehen die Cash In- und Outlows wie folgt aus

Zeit t 0 1 2
CF out 100 315
CF in 3.5 4421

4.3.1 MWR (a.k.a. interner Zinsfuss IRR)

Um den MWR zu berechnen setzen wir CFout = CFin “. In unserem Beispiel ergibt sich

also
315 3.5 442
100 + = + .
1+r 1 + r (1 + r)2
Lösen wir die Gleichung nach r auf ergibt sich r = 5.895%.

1
4 · 107 + 4 · 3.5

37
Financial Markets

Allgemein betrachtet, ist der MWR R der Zinssatz r, der folgende Gleichung löst

T T
X CFt,out X CFt,in
t
= .
(1 + r) (1 + r)t
t=0 t=0

Da man in der Denkweise des MWR einfließendes Geld = ausfließendes Geld“ setzt, wurde

in der Aufgabenstellung gesagt, dass man am Ende der Periode alle Aktien wieder verkauft.
Dann fließt einem zum Schluß das Geld wieder zu und man vergisst die Zuordnung des
Aktienwertes am Ende nicht.

4.3.2 TWR

Für den TWR ziehen wir das geometrische Mittel aus den Bruttorenditen über die Zeit.
Wir berechnen die Bruttorenditen in den Zeitpunkten t=1 und t=2

3.5 + (105 − 100) 442 + (0 − 420)


R1 = = 8.5%, R2 = = 5.2%
100 420

In dieser Darstellung der Berechnung von R2 wurde wie in der Aufgabenstellung gefordert
davon ausgegangen, dass die 4 Aktien am Ende der Periode 2 für je 107 verkauft wurden
und einem diese Mittel zugeflossen sind. Man erhält also 442 als Geld auszahlung (Divi-
dende + Verkauf) und da man alle Aktien veräußert hat, ist der Restwert der Aktien in
Besitz gleich 0. Für den TWR kann man aber auch sagen, dass man die Aktien am Ende
der Betrachtung behält und ihre Kursänderung im Gewinn berücksichtigt. Dann sieht die
Berechnung leicht anders aus, aber man erhält die selben Renditen:

3.5 + (105 − 100) 14 + (428 − 420)


R1 = = 8.5%, R2 = = 5.2%
100 420

Das geometrische Mittel aus den beiden Bruttorenditen ist dann 6.84%.

Allgemein ist

CFt,in + (Vt − Vt−1 ) 1


Rt = und T W R = ((1 + R1 ) · (1 + R2 ) · ... · (1 + RT )) T − 1.
Vt−1

4.3.3 Bewertung von Managern

Im obigen Beispiel ist der MWR niedriger als der TWR, weil im MWR Renditen, die mit
einer großen Geldsumme erzielt wurden, stärker gewichtet werden als Renditen von gerin-
gen Summen. Der Grundgedanke: Auch wenn ich mit einer kleinen Summe eine sehr gute
Rendite einfahre, fällt der kleine Gewinn gegenüber ein großen Investition mit geringem
Gewinn (oder sogar Verlust) nur wenig ins Gewicht.
Der TWR ist um solche Volumeneffekte bereinigt. Er berechnet die Rendite, wenn man
einmal zu Beginn investiert und dann die Summe nicht mehr ändert.

38
Financial Markets

Hat ein Anleger/Manager Einfluss darauf, wann wie viel Geld investiert wird, dann wird
der MWR benutzt. Hat eine Person keinen Einfluss darauf, dann wird der TWR benutzt.

4.3.4 Mittelung der Renditen

Renditen können mit dem arithmetischen oder dem geometrischen Mittel berechnet wer-
den. Das (gleichgewichtete) arithmetische Mittel am Beispiel zweier Bruttorenditen ist

T
R1 + R2 1X
und allgemein: R̄arith. = Ri .
2 T
i=1

Man kann auch verschiedene Gewichte αi , i=1...T, für das arithmetische Mittel verwenden,
wichtig dabei ist, dass

T
X
0 ≤ αi ≤ 0, i = 1...T und αi = 1
i=1

erfüllt ist. In diesem Fall ist das gewichtete arithmetische Mittel

T
X
R̄arith. = αi Ri .
i=1

Das geometrische Mittel am Beispiel zweier Bruttorenditen ist

T
! T1
p Y
R= (1 + R1 ) · (1 + R2 ) − 1 und allgemein: R̄geom. = (1 + Ri ) −1
i=1

Erwähnenswert ist auch die folgende Berechnung des geometrischen Mittels (wiederum
zuerst am Beispiel zweier Renditen R1 und R2 .)

T
log(R1 ) + log(R2 ) 1X
log(Rgeom. ) = und allgemein: Rgeom. = exp( log(Rt ))
2 T
t=1

Es stellt sich nun die Frage, wann welche Methode der Renditemittelung angewendet wer-
den soll. Möchten wir die Portfoliorendite über alle Assets ermitteln, verwenden wird das
arithmetische Mittel.

60% Aktien Rendite 10% 0.6 · 10% = 6%


40% Obligationen Rendite 2% 0.4 · 2% = 0.8%

Das arithmetische Mittel, gewichtet nach Investition, aus dem Beispielportfolio ist also
6% + 0.8% = 6.8%.
Möchten wir jedoch die Rendite eines Assets über die Zeit betrachten, so verwenden wir

39
Financial Markets

das geometrische Mittel. Die Renditen sind sind multiplikativ verknüpft, weil man davon
ausgeht, dass die Renditen jeweils wieder reinvestiert werden (Zinseszinseffekt).

40
Financial Markets

5 Renditeverteilung
Im vorhergehenden Kapitel haben wir den zeitlichen Verlauf, die Kumulation von Renditen
betrachtet. Renditen auf Finanzmärkten sind aber auch ungewiss. Je nach Ereignis können
zum Beispiel Aktienmarktrenditen sehr hoch (Bullenmarkt) oder sehr niedrig (Crash)
sein. In diesem Kapitel werden Konzepte erklärt, wie man mit der Ungewissheit rechnen
kann. Am Ende des Kapitels betrachten wir eine sehr wichtige Anwendung, die Frage, ob
Finanzmärkte effizient sind.

5.1 Das Binominalmodell


Wir können den Kursverlauf eines Assets sehr vereinfacht mit einem Binominalmodell
darstellen. Bei einem Binomialmodell gibt es zwei mögliche Ereignisse, die mit den Wahr-
scheinlichkeiten p ∈ [0, 1] und (1 − p) ∈ [0, 1] eintreten können. Ein Münzwurf ist ein
typisches Beispiel eines Binomialmodells: Es gibt die Ereignisse Kopf“und Zahl“, die
” ”
jeweils mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% eintreten können. Ebenfalls kann man mit
einem Binomialmodell eine (vereinfachte) Kursentwicklung einer Aktie modellieren.

U à P1(U)

P0

(1-p)
D à P1(D)
t
0 1

Abbildung 9: binominales Modell über eine Periode

Entweder erhöht sich der Initialpreis P0 mit Wahrscheinlichkeit p auf P1 (U ) oder er fällt
mit Wahrscheinlichkeit (1 − p) auf P1 (D). Wir betrachten vorerst nur eine Periode. Der
Return auf unser Asset hängt von P1 und P0 ab:

P1 (s)
R1 (s) = wobei s = state und s ∈ {u, d}
P0

Die prozentuale Veränderung r1 (s) erhalten wir durch R1 (s) − 1.

Auch wenn das Binomialmodell ein vereinfachtes Modell für die Preisentwicklung einer Ak-
tie darstellt, so ist ein Modell in dem nur eine einzige Zeitperiode berücksichtigt wird zu
stark vereinfacht. Wie kann man das Modell auf mehrere Perioden erweitern? Die grundle-
gende Idee ist, dass man das Experiment mehrmals wiederholt. Denkt man dabei an einen

41
Financial Markets

Münzwurf, so soll die Münze mehrfach geworfen werden. Das gleiche Prinzip lässt sich
zur Modellierung eines Aktienpreises anwenden: Führe das Experiment mehrmals aus um
eine Preisreihe über die Zeit zu erhalten. Dann stellt sich die Frage, wie genau man eine
Preisentwicklung in einem Binomialmodell modellieren möchte. Hierzu gibt es viele Wege.
In dem obigen Beispiel sind die Ereignisse Der Preis steigt auf den Wert P1 (U )“oder der
” ”
Preis fällt auf den Wert P0 (U )“. Führt man dieses Experiment mehrmals hintereinander
aus, dann nimmt der Preis immer einen der beiden Werte an. Eine alternative Variante
wären die Ereignisse Der Preis steigt um den Wert x “und Der Preis fällt um den Wert
” ”
y “. Man könnte auch sagen, dass der Preis um x% steigt oder fällt um y%; auf diese
Weise kann man verhindern, dass der Preis negativ werden kann.

Betrachten wir nun ein Binomialmodell über 2 Perioden. Dabei verwenden wir eine abkürzende
Schreibweise: Das eine Ereignis wird mit U “bezeichnet (man denke an einen steigenden

Aktienkurs - Up) und das andere Ereignis wird mit ”D”bezeichnet (man denke an einen
sinkenden Aktienkurs - Down).

UU
p

U
p (1-p)

UD = DU
p

(1-p)
D

(1-p)
DD
0 1 2 t

Abbildung 10: binominales Modell über zwei Periode

Während im 1-Perioden Modell die Wahrscheinlichkeiten für jedes Ereignis klar sind
(nämlich gerade p und 1 − p),stellt sich die Frage der Berechnung der Wahrscheinlich-
keiten im 2-Perioden-Modell. Dazu müssen zwei Dinge berücksichtigt werden:

1. Wie wahrscheinlich ist es über einen einzelnen Pfad in das gewünschte Zielereignis
zu kommen?
Hierfür werden die einzelnen Ereigniswahrscheinlichkeiten miteinander multipliziert.

2. Wie viele Pfade führen zu dem Zielereignis?


In kleinen Modellen kann dies ausgezählt werden, aber vor allem bei großen Model-
len ist der Binomialkoeffizient sehr hilfreich. Dieser wird im nächsten Unterkapitel
ausführlicher behandelt.

42
Financial Markets

Für das Verständnis ist es wieder hilfreich an einen Münzwurf zu denken: Die Wahrschein-
lichkeit zweimal Kopf zu werfen, ist die Wahrscheinlichkeit einmal Kopf zu werfen (50%)
multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit ein zweites Mal Kopf zu werfen (ebenfalls 50%).
Demnach ist die Wahrscheinlichkeit zwei Mal Kopf zu werfen gleich 25%. Da es nur einen
Pfad mit dem Ergebnis Zwei Mal Kopf“gibt, ist die Wahrscheinlichkeit bei dem zwei-

maligen Werfen einer Münze zweimal Kopf zu erhalten, gleich 25%. Genauso ist es, wenn
man zweimal Zahl werfen möchte.

Was ist mit dem gemischten Ergebnis, dass man einmal Kopf und einmal Zahl wirft?
Hierbei gibt es zwei mögliche Pfade: Entweder wirft man erst Kopf und dann Zahl oder erst
Zahl und dann Kopf. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, dass man nach dem zweimaligen
Werfen einer Münze das Endergebnis Einmal Kopf, einmal Zahl “erhalten hat

0.5 · 0.5 + 0.5 · 0.5 = 0.5 = 50%,

also die Wahrscheinlichkeit erst Kopf, dann Zahl zu werfen plus die Wahrscheinlichkeit erst
Zahl und dann Kopf zu werfen. Allgemeiner formuliert ist die Eintrittswahrscheinlichkeit
von Ergebnissen eines 2-Perioden Binomialmodells gegeben durch

Ereignis Wahrscheinlichkeit
UU p2
UD = DU 2p(1 − p)
DD (1 − p)2

5.1.1 Binominalkoeffizient

Realistischerweise hält man Assets jedoch nicht nur über eine oder zwei Perioden, sondern
über n Perioden. Um die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Endergebnisses (z.b. 5 Mal
Ereignis 1 und 7 mal Ereignis 2) zu berechnen benötigen wir den Binominalkoeffizienten.
Der Binomialkoeffizient ist definiert als
 
n n!
= .
j j! · (n − j)!

Man beachte bei der Definition der Fakultät, dass 0! = 1 gilt. Man liest den Binomialko-
effizent nj als n über j“, wobei n die Gesamtzahl der betrachteten Ereignisse ist (z.B.


n Münzwürfe) und j gibt an, wie häufig eins der beiden Einzel-Ereignisse (z.B. hat man
Kopf geworfen) eingetreten ist. Der Binomialkoeffizient gibt an, wie viele Möglichkeiten
(Pfade) existieren, so dass man bei n Perioden j-mal ein Einzel-Ereignis erhalten hat.
Damit können wir, bei bekanntem p, die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass in n Pe-
rioden j mal das Ereignis U eintritt (Erinnerung: Die Wahrscheinlichkeit, dass U in einer
Periode eintrifft, ist p):

43
Financial Markets

 
n
· pj · (1 − p)n−j .
j

Dabei gibt der Binomialkoeffizient wie gesagt an, wie wie viele Pfade in das Endereig-
nis existieren und das Produkt pj · (1 − p)n−j gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dieses
Endergebnis auf einem Pfad zu erreichen.

5.1.2 Pascal’sches Dreieck

Die Funktionsweise des Binominalkoeffizienten kann anhand des Pascal’schen Dreiecks


verdeutlicht werden.

Abbildung 11: Pascal’sches Dreieck

An jedem Wegpunkt finden wir einen Binominalkoeffizienten, der angibt, wieviele Pfade
zu diesem Punkt führen. Betrachten wir zum Beispiel in Abbildung 3 den Punkt ganz
links unten ( 30 ). Logischerweise gibt es genau einen Weg um vom Startpunkt ( 00 ) dahin
 

zu gelangen. Nämlich indem wir immer ganz links bleiben. Setzen wir die Zahlen in die
Formel für den Binominalkoeffizienten ein, erhalten wir
 
3 3·2·1
= =1
0 1 · (3 · 2 · 1)

Dasselbe Resultat erhalten wir auch beim Punkt ganz rechts in Abbildung 3. Weichen wir
jedoch von den Extremalstellen ganz links und ganz rechts ab, so gibt es neu mehr als einen
möglichen Pfad, der zum Ziel führt. Dementsprechend ergeben die Binominalkoeffizienten
auch höhere Werte. Betrachten wir den Wegpunkt 31 und rechnen aus


 
3 3·2·1
= =3
1 1 · (2 · 1)

es gibt also 3 mögliche Pfade, mit welchen dieser Punkt erreichbar ist. Äquivalent dazu
können sämtliche Möglichkeiten mithilfe des richtigen Binominalkoeffizienten berechnet

44
Financial Markets

werden.

5.1.3 Galton Brett - Die Normalverteilung

Das Galton Brett ist eine mechanische Darstellung mit deren Hilfe die Form der Normal-
verteilung approximiert werden kann. Dazu nahm Francis Galton ein Brett, in welches
er eine handvoll Nägel gemäss dem Binominalmodell schlug. Danach lies er Kugeln vom
Startpunkt aus das Brett herunterrollen und approximierte somit eine Normalverteilung.

Abbildung 12: Schematische Darstellung eines Galton Brettes

Die meisten Kugeln befanden sich in der Mitte und immer weniger sammelten sich an den
äusseren Enden.2 Die Dualität zum Pascal’schen Dreieck ist offensichtlich: Es gibt viel
mehr Wege die in die Mitte führen. Darum fanden auch mehr Kugeln den Weg dorthin.
In einem idealen Experiment mit n → ∞ ergibt sich die altbekannte Normalverteilung
N ∼ (µ, σ).
2
Unter https://www.youtube.com/watch?v=3m4bxse2JEQ ist eine Animation dazu zu finden.

45
Financial Markets

Abbildung 13: Normalverteilung

5.2 Die Momente einer Verteilung


Man kann eine Verteilung gemäß ihrer Momente charakterisieren. Kennt man alle Momen-
te, dann kennt man die genaue Verteilung. In der Praxis werden in der Regel die folgenden
Kennzahlen verwendet:

1. der Erwartungswert (auch Mittelwert, erstes Moment),

2. die Varianz (zweites, zentralisiertes Moment),

3. die Schiefe (drittes, normalisiertes Moment),

4. die Kurtosis (viertes, normalisiertes Moment).

Die folgenden Formeln können angewandt werden für eine Population, d.h. wenn die Wer-
te, die man analysiert, der Grundgesamtheit entsprechen und nicht von einer Stichprobe
auf die Population geschlossen werden soll (Inferenz).

Der Erwartungswert einer Stichprobe wird als mit den Eintreffwahrscheinlichkeiten


gewichteter arithmetischer Durchschnitt über alle Werte berechnet:
n
X
µ= pi xi ,
i=1

wobei pi die Wahrscheinlichkeit ist, dass xi als Wert eintrifft. Statt pi wird häufig auch die
Notation p(xi ) verwendet. Der Erwartungswert oder Mittelwert sagt aus, welcher Wert bei
der zugrundeliegenden Wahrscheinlichkeitsverteilung im Durchschnitt angenommen wird.

46
Financial Markets

Die Varianz stellt die quadratische Abweichung zum Erwartungswert dar. Die Varianz
wird mit σ 2 bezeichnet. σ ist die Standardabweichung und wird wie folgt berechnet:
v
u n
uX
σ=t p(xi )(xi − µ)2 .
i=1

Die Standardabweichung ist eine Kennzahl dafür, wie sehr die Werte der Wahrschein-
lichkeitsverteilung vom Mittelwert abweichen. In der Praxis wird in der Regel mit der
Standardabweichung anstatt der Varianz gearbeitet.
Die Schiefe gibt Auskunft darüber, wie unsymmetrisch eine Verteilung ist und wie sich
die Werte relativ zum Mittelwert verteilen. Um die Schiefe verschiedener Verteilungen
vergleichen zu können, wird die Schiefe mithilfe der Standardabweichung normiert. Die
Formel für die Schiefe lautet:
n  3
X xi − µ
ν= p(xi )
σ
i=1

Das normalisierte 4. Moment heisst Kurtosis und gibt Auskunft über die Wölbung der Ver-
teilung. Die Wölbung einer Normalverteilung hat den Wert 3. Die Formel für die Kurtosis
einer Wahrscheinlichkeitsverteilung ist
n  4
X xi − µ
ω= p(xi ) .
σ
i=1

Leider hat man in der Realität nicht immer das vollständige Wissen über exakte Be-
schaffenheit einer Verteilung und kann daher für die Berechnung der Momente nicht die
exakten Wahrscheinlichkeiten einfließen lassen. Oft hat man nur eine Stichprobe, z.B. der
Größe n, zur Verfügung und möchte von dieser Rückschlüsse auf die zugrunde liegende
Verteilung ziehen. Daher müssen die obigen Formeln angepasst werden. So ist der Mit-
telwert einer Stichporbe (auch geschätzter Mittelwert oder empirischer Mittelwert) mit
Größe n gegeben durch
n
1X
x̄ = xi .
n
i=1

Die empirische Standardabweichung s ist gegeben durch


v
u n
u1 X
s=t (xi − x̄)2 .
n
i=1

Wichtig: Je nach Author kann sich bei der empirischen Standardabweichung der Faktor
1 1
unterscheiden: Einige nehmen n, andere nehmen n−1 .

47
Financial Markets

Die empirische Schiefe wird wie folgt berechnet:


n  3
1X xi − x̄
ν̄ = .
n s
i=1

Die empirische Kurtosis ist als


n  4
1X xi − x̄
ω̄ =
n s
i=1

definiert.

5.3 Test auf Normalverteilung


Da bei finanzmathematischen Konstrukten oft eine Normalverteilung angenommen wird,
kann es entscheidend sein, zu prüfen, ob die vorliegenden Daten auch wirklich normalver-
teilt sind. Es gibt verschiedene Tests, um dies zu überprüfen. Wir werden im folgenden
auf zwei oft verwendete Tests eingehen.

5.3.1 Der Jarqué-Bera Test

Mithilfe der Momente kann getestet werden, ob die vorliegende Verteilung eine Normal-
verteilung ist oder nicht. Dafür verwendet man den Jarqué-Bera Test

n 2 (ω̄ − 3)2
J= (ν̄ + ).
6 4

Dabei ist ν̄ die geschätzte Schiefe und ω̄ die geschätzte Kurtosis. Ergibt der Jarqué-Bera
Test 0 (J = 0) so handelt es sich um eine Normalverteilung. Je extremer J von 0 abweicht,
desto weniger ähnelt die Verteilung einer Normalverteilung.

5.3.2 Der Q-Q Plot

Beim Q-Q Plot werden die Quantile einer theoretischen Normalverteilung mit denjenigen
der zu untersuchenden Verteilung verglichen. Stimmen die Punkte überein, so handelt es
sich tatsächlich um eine Normalverteilung. Abbildung 4 stellt einen solchen Q-Q Plot dar.

48
Financial Markets

Abbildung 14: Q-Q Plot

Auf der x-Achse sind die theoretischen Quantile einer Normalverteilung abgebildet. Auf
der y-Achse die Quantile des zu untersuchenden Datensatzes. In diesem Beispiel entspricht
die Verteilung der Daten approximativ einer Normalverteilung.

Abbildung 5 zeigt, wie der Q-Q Plot für eine andere (nicht-normale) Verteilung (hier
exponential) aussieht.

Abbildung 15: Q-Q Plot einer Exponentialverteilung

5.4 Anwendung Effizienzmarkthypothese


In Kapitel 2 haben wir das Konzept der Arbitragefreiheit kennengelernt. Eine Arbitrage
ist eine Handelsstrategie, die ohne Geldeinsatz Geld generiert Money for Nothing oder
ein Free Lunch. Die Effizienzmarkthypothese besagt, dass es am Finanzmarkt nicht nur
keine Arbitrage, sondern auch keine  Schnäpchen3 , auf English  bargains, gibt, also
3
Ein Schnäppchen ist zum Beispiel ein Kleidungsstück, das weit unter Marktpreis verkauft wird. In den
USA gibt es zum Beispiel den Retailer Ross Dress for Less, wo man viele Schnäppchen finden kann. In
Gross Britannien gibt es One Pound Shops, wo alle Artikel nur ein Pfund kosten und in Deutschland
gibt es sogenannte Havarieläden, wo Ware sehr preiswert verkauft wird, die aus missglückten Transporten
stammt. In er Schweiz scheint es sowas nicht zu geben: Hier ist alles (zu) teuer!

49
Financial Markets

keine sehr preiswerte Renditen. Die Vorstellung ist, dass Akteure am Finanzmarkt jedes
preiswerte Wertpapier aufspüren würden, sodass der Preis steigt. Da Wertpapierpreise
durch Informationen über deren Cash Flows getrieben werden, besagt die Effizienzmarkt-
hypothese, dass alle Informationen jederzeit antizipiert und somit eingepreist sind, wie
zuerst Cootner (1964) in seinem Buch  The random character of stock prices schrieb:
If any substantial group of buyers thought that prices were too low, their buying would

force up prices. The reverse would be true for sellers... The only price changes that would
occur are those that results from new information. Since there is no reason to expect in-
formation to be non-random in appearance, the period-to-period price changes of a stock
should be random movements, statistically independent of one another“. Falls Cootner
Recht hat, also das Antizipationsprinzip gilt, folgt hieraus die Behauptung von Fama,
dass kein Anleger den Markt schlagen kann. Eugene Fama hat sogar den Nobelpreis für
diese Behauptung bekommen. Er formuliert die Effizienzmarkthypothese so: Es ist nicht
möglich, mit öffentlich verfügbaren Informationen eine Rendite zu erwirtschaften, die sys-
tematisch höher als die Marktrendite ist 
4.

Die statistischen Konzepte dieses Kapitels erlauben, die Effizienzmarkthypothese zu


testen. Hier ist die Idee: langfristige Renditen sind das Produkt von kurzfristigen Rendi-
ten (Zinseszins). Um die Verteilung der Renditen nach längerer Zeit (Monat, Jahr, Jahr-
zehnt) zu modellieren, ist es deshalb sinnvoll das Produkt der Renditen zu logarithmieren.
Dann ist die langfristige log-Rendite die Summe der kurzfristigen log-Renditen. Nimmt
man nun an Cootner hätte Recht, so wären die period-to-period, d.h. kurzfristigen, pri-
ce changes, d.h. log-Renditen, statistically independent of one another, d.h. statistisch
unabhängig voneinander. Also müssten nach dem Zentralen Grenzwertsatz der Statistik,
den das Galton Brett so nett illustriert, die langfristigen log-Renditen normalverteilt sein.
Diese Schlussfolgerung kann man statistisch testen, wie zuvor beschrieben. Die folgende
Figur zeigt die log-Renditen des S&P 500 für verschiedene Zeithorizonte. Wir sehen, je
längerfristig man die Renditen betrachtet, desto grösser werden die Abweichungen von
der Normalverteilung. Insbesondere gibt es zu viele sehr schlechte Renditen (Crashes).
Die Verteilungen haben  fat tails, welche Nassim Taleb  Black Swans nennt.
4
Natürlich ist dies mit privaten Informationen (Insider Informationen) möglich. Nur ist es verboten,
danach zu handeln!

50
Financial Markets

Abbildung 16: Log-Renditen des S&P 500 für verschiedene Horizonte.

5.5 Anwendung: Spekulative Blasen


Eine mögliche Erklärung der beobachteten Abweichung von Renditeverteilungen zum Ide-
al der Normalverteilung sind Aufschaukelungsprozesse, wie sie zum Beispiel in spekulati-
ven Blasen vorkommen. Die Vorstellung der Vertreter dieser Hypothese (vor allem Shiller
(2000)) ist, dass Kursbewegungen nicht nur dadurch zu Stande kommen, dass alle Markt-
teilnehmer exogene Informationen antizipieren, sondern, dass diese auch endogen durch
die Interaktion der Marktteilnehmer begründet sind. Es gibt viele Marktteilnehmer, die
gar nicht überlegen, was der fundamentale Wert eines Wertpapieres ist, sondern es kau-
fen, wenn sein Preis steigt, wodurch der Preis weiter steigt und noch mehr kaufen etc.
Dieses Marktverhalten ist natürlich nicht nachhaltig, sodass früher oder später die Kurse
einbrechen. Eine Konsequenz dieser Sichtweise ist, dass Renditeverteilungen über längere
Sicht stärker von der Normalverteilung abweichen, weil es mehr Zeit gibt, dass sich Kurse
aufschaukeln! Die Liste der Spekulationsblasen beginnend mit der Tulpenmanie der Nie-
derlande im 17. Jahrhundert ist sehr lang. Es folgten die Spekulationen im Zuge der Aus-
beutung von Kolonien (Südseeblase, Mississippiblase, . . . ), dann kamen Technologieblasen
(Eisenbahn, Fliessband, Internet, Blogchain) und immer wieder gab es Spekulationsblasen
auf dem Real-Estate Markt (Schweiz und Japan 1980-1990, USA 2000-2006, ..). Letztere
sind besonders gefährlich, da in Immobilien der grösste Teil des Vermögens eine Volks-
wirtschaft gebunden ist, und sich an den Crash häufig eine Bankenkrise anschliesst. Die
folgende Figur zeigt den Kursverlauf auf dem NASDAQ während der Internetblase 1997
– 2001. Die Kurse schaukeln sich auf und brechen wieder zusammen.

51
Financial Markets

NASDAQ

5000
4500
4000
3500
3000
2500
2000
1500
1000
500
0
06.01.97

06.07.97

06.01.98

06.07.98

06.01.99

06.07.99

06.01.00

06.07.00

06.01.01

06.07.01
Kindleberger (1978) unterscheidet die folgende Phasen einer Spekulationsblase

1. Displacement (diffusion of new technology starts)

2. Take off (stock prices show abnormal increase)

3. Exuberance (stock prices grow at very high rate)

4. Critical Stage (stock price growth slows down)

5. Crash (stock prices start tumbling).

Entlang der Spekulationsblasen gibt es gemäss Lux (1995) folgende Populationsdynamik:

52
Financial Markets

Eine interessante Frage ist, woran man erkennt, ob man sich aktuell in einer Spekulati-
onsblase befindet. Ist Bitcoin solch eine Blase? Didier Sornette von der ETH nimmt super-
exponentielles Wachstum der Preise als Erkennungszeichen. D.h. wenn die Wachstumsrate
wächst, dann ist der Crash nahe. In der folgenden Figur sehen wir die log-Renditen des
S&P 500 von 1900 bis 2017. Superexponentielles Wachstum gab es in den Roaring Twen-
ties, zur Jahrtausendwende und wieder 2003-2006. Jedes Mal folgte ein Crash!

References:

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Kindleberger, C. (1978): “Manias, Panics, and Crashes”, Basic Books, New York, 2nd.
Edition (1989).

Lux, T. (1995): “Herd Behavior, Bubbles and Crashes”, Economic Journal 105, pp.
881-896.

Shiller, R. J., (2000): “Irrational Exuberance”, Princeton University Press, Princeton,


New Jersey, 2nd Edition (2005)
Abbildung 3: Pascal’sches Dreieck von der Website
https://upload.wikimedia.org/math/d/f/0/df00601c868d4ecbd1c6779cab0f06f1.png, 18.04.2016.

Abbildung 4: Normalverteilung von der Website


http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/stephen.berman/Statistik/normalcurve.png, 07.06.2016.

Abbildung 5: Q-Q Plot von der Website


https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/0/08/Normal normal qq.svg/300px-
Normal normal qq.svg.png, 18.04.2016.

Abbildung 6: Q-Q Plot einer Exponentialverteilung von der Website


https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/11/Normal exponential qq.svg/360px-
Normal exponential qq.svg.png, 18.04.2016.

54
Financial Markets

6 Behaviour Toward Risk


Nach welchen Kriterien wählen Individuen zwischen verschiedenen Renditeverteilungen
aus? Es gibt verschiedene Modelle die dazu verwendet werden, Antwort auf diese Frage
zu geben. Wir werden zuerst das Prinzip des Erwartungsnutzen genauer unter die Lupe
nehmen.

6.1 Erwartungsnutzen, Mean-Variance und Prospekt-Theorie


Betrachten wir folgende Lotterien, die heute beide nichts kosten sollen:

6 10

1/2 1/2

1/2 1/2
4 1
t t
0 1 0 1

Abbildung 17: Lotterie A Abbildung 18: Lotterie B

Nun stellt sich die Frage: Welche Lotterie ist besser und lässt sich diese Frage eindeutig be-
antworten? Dazu wurden im Laufe der Zeit mehrere Kriterien entwickelt. Eines der ersten
entworfenen Kriteria ist der Erwartungswert: Für Lotterie A ist dieser 5 und für Lotterie
B ist dieser 5.5. Also ist der erwartete Gewinn in Lotterie B höher und diese somit ”besser”.

Allerdings hat dieser Ansatz auch seine Tücken. Man betrachte die folgende Lotterie, auch
als Sankt-Petersburg-Lotterie bekannt ist: Man wirft eine Münze solange bis man “Kopf
als Ergebnis erhält. Kam ”Kopf”beim ersten Wurf, erhält man einen Gewinn von 1; kam

”Kopf”beim zweiten Wurf, erhält man einen Gewinn von 2 und kam ”Kopf”beim n-ten
Wurf, n ∈ N, dann erhält man einen Gewinn von 2n−1 . Dann ist der Erwartungswert

1 2 4 8
+ + + + ...,
2 4 8 16

welcher unendlich ist. Aber wäre es sinnvoll, unendlich viel Geld zu bezahlen um diese Lot-
terie spielen zu dürfen? Ferner lässt der Erwartungswert keinen Spielraum für persönliche
Präferenzen. Unter dem Erwartungswert würde jeder immer unendlich viel Geld bezah-
len um die obige Lotterie zu spielen. Schon bei der Wahl zwischen den Lotterien in den
Abbildungen 17 und 18 werden viele Menschen auch die nach Erwartungswert schlechtere
Lotterie A bevorzugen. Ein weiterer Ansatz zur Bewertung von Lotterien ist es, den Nut-

55
Financial Markets

zen des Geldes zu betrachten, den man durch das gewonnene Geld erhält. Dazu wird davon
ausgegangen, dass jeder Mensch (unter geeigneten Voraussetzungen) eine Nutzenfunktion
u besitzt. Erhält ein Mensch eine Geldmenge x0 , so sagt einem die Nutzenfunktion wel-
chen Nutzen u(x0 ) dieser Mensch aus der Summe x0 zieht. Dabei kann die Nutzenfunktion
eines jeden Menschen unterschiedlich sein um seine persönlichen Präferenzen widerzuspie-
geln. Man kann Nutzenfunktionen auch auf anderen Dingen als auf Geldmengen definieren
(Kaffee am Morgen, Urlaub, verschiedene Musiksorten...), wir möchten uns hier allerdings
auf Geld beschränken.

Ein berühmtes Beispiel für eine solche Nutzenfunktion ist der Logarithmus Naturalis.
Das heißt, der Nutzen den man durch eine Geldsumme von x erhält, wäre der Wert ln(x).
Häufig wird eine konkave Funktion als Nutzenfunktion verwendet damit der Nutzen bei
steigenden Beträgen immer langsamer wächst (abnehmender Grenznutzen). Man denke
an einen Bettler und einen Millionär: Gibt man dem Bettler 100 CHF, dann ist dies für
den Bettler viel Geld; es hat einen großen Nutzen für ihn. Gibt man dem Millionär diese
100 CHF, dann wird es für den Millionär kaum einen Unterschied machen; das zusätzliche
Geld hat nur einen sehr kleinen Nutzen für ihn. Die folgende Abbildung zeigt, wie eine
solche Nutzenfunktion im Diagramm aussieht. Man sieht sofort, dass der Nutzenzuwachs
auf einen tiefen Niveau viel höher ist als auf einem hohen Niveau.

Abbildung 19: konkave Nutzenfunktion

Eine weitere wichtige Eigenschaft, welche die in Abbildung 19 dargestellte Nutzen-


funktion erfüllt, ist (strenge) Monotonie. Der Grundgedanke hinter strenger Monotonie
ist, dass auf jeden Fall für Geld ”mehr”besser ist als ”weniger”: Egal wie viel Nutzen je-
mand aus 1.000 Franken ziehen wird, aus 10.000 Franken wird er mehr Nutzen erhalten
können.

Anstatt nun den Erwartungswert der Lotterien zu berechnen, wird der erwartete Nutzen
berechnet und verglichen. Nimmt man den Logarithmus Naturalis als Nutzenfunktion,

56
Financial Markets

U (x) = ln(x), dann erhält man für die Lotterie A den erwarteten Nutzen

1 1
ln(6) + ln(4) = 1.58 (1)
2 2

und für die Lotterie B

1 1
ln(10) + ln(1) = 1.15. (2)
2 2

Wir sehen, dass Lotterie A nun besser ist, da sie einen höheren Erwartungsnutzen ergibt.
Dies kann man alternativ auch über die ”Willingsness to Pay”(WTP) vergleichen. Die
WTP ist die Geldsumme, die den selben Nutzen wie die Lotterie X generiert, also für den
gilt:

u(W T P ) = Erwartungswert(u(X)).

Für die Lotterie A wäre die WTP 4,85 und für die Lotterie B wäre die WTP 3,16. Betrach-
tet man den Erwartungsnutzen (bzgl. des Logarithmus Naturalis )der Sankt-Petersburg-
Lotterie, dann erhält man einen Nutzen von ca. 0,6931
Ein weiterer Ansatz ist es, das Risiko der Lotterien explizit mit zu berücksichtigen.
Dabei möchte man einen möglichst hohen Gewinn erzielen bei einem möglichst niedrigen
Risiko. Als Mass für den Gewinn kann man hier den Erwartungswert der Lotterie, µ,
wählen und als Mass für das Risiko die Varianz der Lotterie, σ 2 . Dies ist auch als Mean-

Variance“-Ansatz bekannt. Zusätzlich kann man einen Parameter für Risikoaversion, α
einführen, der die Risikoaversion des Lotteriespielers darstellt. Dann kann man die folgende
Nutzenfunktion für eine Lotterie C aufstellen:

µc − ασc2 ,

wobei µc der Erwartungswert der Lotterie C und σc2 die Varianz der Lotterie C ist. Man
sieht, je größer α hier ist, desto mehr scheut der Spieler das Risiko. Berechnet man für noch
nicht festgelegtes α den Nutzen der Lotterie A und B, dann erhält man für die Lotterie A

1 1
5 − α( (6 − 5)2 + (4 − 5)2 ) = 5 − α
2 2

und für die Lotterie B

1 1
5.5 − α( (10 − 5.5)2 + (1 − 5.5)2 ) = 5.5 − 20.25α.
2 2

Solange α grösser als etwa 0.026 ist, würde man die Lotterie A wählen, weil der höhere
Erwartungswert von B durch die deutlich höhere Varianz unattraktiv wird.

Ein weiterer Ansatz kommt aus der sogenannten ”prospect theorey”. Der Grundgedan-

57
Financial Markets

ke ist, dass viele Menschen einen Verlust in ihrer persönlichen Bewertung stärker bewerten
als einen entsprechenden Gewinn, jeweils bezogen auf einen Referenzpunkt. Die Wahl des
Referenzpunktes kann einen großen Unterschied machen, eine mögliche Wahl wäre der
Worst-Case“-Gewinn: Spielt man Lotterie A, gewinnt man in jedem Fall 4, spielt man

Lotterie B, so gewinnt man in jedem Fall 1. Demnach kann man 4 als Referenzpunkt RP
wählen, weil man sich diese Summe durch eine geeignete Wahl der Lotterien auf jeden
Fall sichern kann. An dieser Stelle berechnet man wieder den erwarteten Nutzen abhängig
vom Gewinn, wobei die Nutzenfunktion die folgende Gestalt hat:

x − RP , x ≥ RP
U (x) =
β(x − RP ) , x < RP,

wobei β der Parameter dafür ist, wie sehr der Spieler den Verlust relativ zum Referenz-
punkt gewertet. In diesem Fall erhält man für nicht festgelegtes β den erwarteten Nutzen
der Lotterie A als

1 1 1
U (6) + U (4) = (2 + 0) = 1
2 2 2

und den erwarteten Nutzen der Lotterie B als

1 1 1 3
U (10) + U (1) = (6 + β(1 − 4)) = 3 − β.
2 2 2 2

Demnach würde eine Spieler, der nach der Prospect Theory entscheidet, die Lotterie A
4
wählen, solange sein persönliches β grösser als 3 ist.

6.2 Definition Risikoaversion


Wir haben im vorherigen Abschnitt Beispiele für verschiedene Nutzenfunktionen gesehen
und in jeder Nutzenfunktion spielt das potentielle Risiko eine andere Rolle. Entspricht die
Nutzenfunktion dem Erwartungswert, so wird eine solche Person das Risiko der Lotterie
nicht berücksichtigen sondern sich bei seinen Entscheidungen allein nach dem erwarte-
ten/durchschnittlichen Gewinn richten. Die drei anderen Modelle können die Entscheidung
aufgrund ihrer Variante der Risikoeinbeziehung beeinflussen. Betrachtet man einen erwar-
teten Nutzen mit monotoner, konkaver Nutzenfunktion (z.B. den Logarithmus Naturalis),
dann werden extrem hohe Auszahlungen relativ schwächer bewertet als moderate oder
niedrige. Bei der Mean-Variance-Nutzenfunktion sucht man nach Lotterien, die möglichst
wenig um den möglichst hohen Erwartungswert schwanken. Entscheidet man nach der
Prospect Theory, dann möchte man Verluste zu einem Referenzpunkt vermeiden oder zu-
mindest minimieren. Diese drei letzten Varianten versuchen ihr jeweiliges Risiko gering zu
halten, was uns zum Konzept der Risikoaversion führt.

58
Financial Markets

Definition - Risikoaversion, Risikoneutralität, Risikoaffinität


Gegeben sei eine Person mit einer Nutzenfunktion u.
1. Gilt für eine mögliche Lotterie X, dass der Nutzen des Erwartungswert gleich dem
Erwartungsnutzen entspricht, in Formeln

u(Erwartungswert(X)) = Erwartungswert(u(X)),

dann bezeichnen wir diese Person als risikoneutral.

2. Gilt für eine mögliche Lotterie X, dass der Nutzen des Erwartungswert größer als
der Erwartungsnutzen ist, in Formeln

u(Erwartungswert(X)) > Erwartungswert(u(X)),

dann bezeichnen wir diese Person als risikoavers.

3. Gilt für eine mögliche Lotterie X, dass der Nutzen des Erwartungswert kleiner als
der Erwartungsnutzen ist, in Formeln

u(Erwartungswert(X)) < Erwartungswert(u(X)),

dann bezeichnen wir diese Person als risikoaffin.

Auch wenn dies eher abstrakte Definitionen sind, so kann man sich die Auswirkungen
anschaulich darstellen. Betrachten wir dazu nochmal eine der Lotterien vom Beginn des
Kapitels.

10

1/2

1/2
1
t
0 1

Abbildung 20: Lotterie B

Wir erinnern uns, dass der Erwartungswert gleich 5,5 ist. Dann
1. wäre eine risikoneutrale Person invariant (gleichgültig) gegenüber der Wahl der festen
Auszahlung von 5,5 (des Erwartungswertes) und dem Spielen der Lotterie (Erwar-
tungsnutzen= Erwartungswert =5,5).

59
Financial Markets

2. würde eine risikoaverse Person die feste Auszahlung von 5,5 (des Erwartungswertes)
einem Spiel in der Lotterie vorziehen. Sie möchte lieber den sicheren Geldwert und
das Risiko möglichst vermeiden.

3. würde eine risikoaffine Person die Lotterie der festen Auszahlung von 5,5 (des Erwar-
tungswertes) bevorzugen. Man kann sich eine risikoaffine Person wie einem Spieler
vorstellen: Den Erwartungswert sicher zu bekommen ist zwar eine gute Sache, aber
wenn man in der Lotterie ein bißchen Glück hat, kann man noch mehr bekommen!

6.2.1 Masse für die Risikoaversion

Im Rahmen der Erwartungsnutzen Theorie weitere Klasse von Nutzenfunktionen ist durch
die folgende Funktion definiert:

U (x) =
α
Der Verlauf der Nutzenkurve wird durch α spezifiziert:

Ist α≤1 so gibt es abnehmenden Grenznutzen und Risikoaversion.


Ist α = −1 so gilt U (x) = − x1
Ist α=0 so gilt U (x) = ln(x).

Je kleiner α, desto höher ist die Risikoaversion. Aber wie kann man das feststellen? Zu
diesem Zweck wurde das Ärrow-Pratt-Mass”für absolute Risikoaversion eingeführt. Für
eine gegebene Nutzenfunktion U (x) ist das Arrow-Pratt-Mass für absolute Risikoaversion
gegeben durch

u00 (x)
ARAu (x) = − .
u0 (x)

Das heißt, die Funktion ARAu sagt einem wie (absolut) risikoavers eine Person mit Nut-
zenfunktion u und Reichtum x ist. Man beachte, dass die selbe Person (also mit der selben
Nutzenfunktion) eine andere Risikoaversion haben kann wenn sie ein anderes Vermögen
besitzt (anderes x). Ein bekanntes Beispiel für eine Nutzenfunktion mit konstanter abso-
luter Risikoaversion ist

u(x) = 1 − e−cx c eine Konstante.

Dies können wir kurz überprüfen. Die erste und zweite Ableitung dieser Nutzenfunktion
sind durch

u0 (x) = ce−cx , u00 (x) = −c2 e−cx

60
Financial Markets

gegeben, wodurch

−c2 e−cx
ARA1−e−cx (x) = − = c.
ce−cx

Dies bedeutet, dass eine solche Person immer die selbe absolute Risikoaversion hat, ganz
gleich wie reich sie ist. Dies ist gleichbedeutend mit eine solche Person würde immer die

selbe Summe z in risikobehaftete Anlagen investieren, ganz gleich wie reich sie ist“. In
engem Zusammenhang dazu steht die relative Risikoaversion. Für eine gegebene Nutzen-
funktion u(x) ist das Arrow-Pratt-Mass für relative Risikoaversion gegeben durch

u00 (x)
RRAu (x) = − x.
u0 (x)

Das heißt, die Funktion ARAu sagt einem wie (relativ) risikoavers eine Person mit Nutzen-
funktion u und Reichtum x ist. Die zu Beginn des Kapitels eingeführte allgemeine Form
α
einer Nutzenfunktion ( wα ) hat eine konstante relative Risikoaversion. Wir kontrollieren:
α−1
U 0 (w) = α·w

α
und U 00 (w) = (α − 1) · wα−2 . Setzen wir die erste und die zweite Ableitung

in die Formel der relativen Risikoaversion ein, erhalten wir

−(α − 1) · wα−2
R(w) = · w = 1 − α (const.)
wα−1

Die relative Risikoaversion ist also konstant. Das bedeudet, dass der Prozentsatz des
Vermögens, den eine solche Person in risikoreiche Wertanlagen investiert, unabhängig vom
Vermögen ist.

Im Rahmen des Mean-Varianz Kriteriums ist die Varianzaversion ein Mass für die
Risikoaversion. Denn für µ − ασ 2 ist der Nutzen aus dem Erwartungswert µ und der
Erwartungsnutzen entspricht µ − ασ 2 .
Bei der Prospekt Theorie ist die Verlustaversion ein Mass für die Risikoaversion. Hierfür
betrachten wir eine Lotterie mit Auszahlungen über und unter dem Referenzpunkt, wobei
die erwartete Auszahlung über dem Referenzpunkt liegen soll; so wie es in den obigen
Beispiellotterien A und B der Fall ist. Dann ist der Nutzen aus dem Wartungswert µ − RP
und der Prospekt-Nutzen ist E[x|x > RP ] − βE[x|y ≤ RP ], wobei E der Erwartungswert
ist. Für ein β > 1 ist der zweite Ausdruck kleiner als der erste.

Appendix
Beweis CRRA und Asset Allocation

Es soll nun durch die Formulierung des Maximierungsproblems gezeigt werden, dass die
soeben getätigte Aussage bezüglich relativer Risikoaversion stimmt. Der Investor hat fol-

61
Financial Markets

gendes Maximierungsproblem:

n
X K
X K
X
max pi · U (wi ), wobei wi = Rik · λk · w und λk = 1
λ1 ,...λk
i=1 k=1 k=1


Wir definieren unsere Nutzenfunktion wieder als U (w) = α und setzen ein.

n n
wiα X ( K k k α
P
k=1 Ri · λ · w)
X
U (w) = pi · = pi ·
α α
i=1 i=1

Ziehen wir nun das w aus der Gleichung heraus, erhalten wir den folgenden Ausdruck:
n
( K k k α

P
k=1 Ri · λ )
X
U (w) = pi · ·( )
α α
i=1

. w ist unabhängig von k und wird daher die Lösung für λ1 , ..., λk nicht beeinflussen. Die
optimalen Portfolioanteile sind also unabhängig von w.

62
Financial Markets

7 Diversification and Efficient Frontier


7.1 Efficient Frontier
Angenommen unser Portfolio besteht aus zwei risikobehafteten Wertpapieren a und b. Wie
gewohnt ist der Erwartungswert µλ = λ · µa + (1 − λ) · µb . Bei der Varianz ist wiederum
zu beachten, dass die Kovarianz auch einen Einfluss hat. Gemäss der allgemeinen Formel
für die Varianz ist σλ2 = ni=1 pi · (λ · Xa,i + (1 − λ) · Xb,i − (λ · µa + (1 − λ) · µb ))2 . Durch
P

geschicktes Umformen können wir den Term in der Klammer umschreiben und erhalten
[λ · (Xa,i − µa ) + (1 − λ) · (Xb,i − µb )]2 . Nun wenden wir die binomische Formel an und
multiplizieren so den Ausdruck aus. Wir erhalten

λ2 · (Xa,i − µa )2 + (1 − λ)2 · (Xb,i − µb )2 + 2 · λ · (1 − λ) · (Xa,i − µa ) · (Xb,i − µb )

Wir summieren gemäss der ursprünglichen Formel alle Summanden auf und erhalten

σλ2 = λ2 · σa2 + (1 − λ)2 · σb2 + 2 · λ · (1 − λ) · cova,b

Betrachten wir nicht nur 2, sondern n risikobehaftete Wertpapiere, so ergibt sich die Port-
foliovarianz σλ2 als λT · COV · λ ⇒ ni=1 nj=1 λi · covi,j · λj Erinnern wir uns jetzt zurück
P P

an das Eins-mal-Eins der Statistik. Mit der Kovarianz und den Varianzen beider Zufalls-
variablen können wir eine neue Kennzahl berechnen. Die Korrelation ρ ist ein auf das
Intervall [-1, 1] normierter, einheitsfreier Wert

cova,b
aus ρa,b = folgt cova,b = ρa,b · σa · σb
σa · σb

→ Falls ρa,b = 1 ⇒ σλ2 = (λ · σa + (1 − λ) · σb )2


→ Falls ρa,b = −1 ⇒ σλ2 = (λ · σa − (1 − λ) · σb )2

Im Rendite - Risiko - Diagramm, kann die Wirkung der Kovarianz graphisch aufgezeigt
werden (vgl. dazu Abbildung 1). Im Diagramm zu sehen sind die Erwartungswerte und
die jeweiligen Standardabweichungen der beiden Wertpapiere a und b. Wertpapier a hat
einen höheren Erwartungswert, dafür muss man jedoch auch mehr Risiko (in Form von
Standardabweichung) in Kauf nehmen. Die beiden Punkte sind durch eine rote Linie ver-
bunden. Diese direkte, lineare Verbindung beider Assets stellt die Situation dar, in der die
Korrelation genau = 1 ist. Das bedeutet dass die Assets genau dieselben Schwankungen
aufweisen. Die grüne Linie beschreibt den Fall, dass die Korrelation genau = -1 ist. In
diesem Fall verändert sich das Rendite-Risiko-Bündel auch linear. Es existiert dabei ein
µ bei dem das Risiko = 0 ist. Dort hebeln sich die jeweiligen Schwankungen der Assets
genau aus.
Alle ρ ∈ [−1, 1] führen zu einer nichtlinearen, konkaven Verbindung beider Punkte. Wir
nennen diese Kurve die Efficiency-Frontier. Man sieht sofort dass sämtliche Punkte ober-

63
Financial Markets

halb des Assets b auf der Efficiency Frontier strikt besser sind als die dazugehörigen Punkte
auf der roten Linie. Für jede Einheit Risiko erhalten wir mittels ρ 6= 1 mehr Rendite. Dieser
Effekt nennen wir Diversifikation. Die Risikoreduktion ist grösser als die Renditereduktion.

μ
μa

μƛ
μb

σb σƛ σa σ

Abbildung 21: Die Efficieny-Frontier, eigene Darstellung

7.2 Two Fund Separation Theorem (grafisch)


”A theory stating that under conditions in which all investors borrow and lend at the ris-
kless rate, all investors will choose to possess a combination of a risk-free portfolio and the
market portfolio.”

Der Investor hat neu die Möglichkeit in ein risikoloses Wertpapier zu investieren. So kann
er Geld risikofrei ausleihen und Portfolios bilden, die besser als die auf der Efficient Fron-
tier sind. So kann schlussendlich das Tangentialportfolio gefunden werden. Untersuchen
wir diese Situation zunächst in einer Grafik

64
Financial Markets

μ
T
μa a

rf

σa σ

Abbildung 22: Tangentialportfolio

Die Suche nach dem optimalen Portfolio gestaltet sich nun deutlich einfacher. Wir wissen,
dass alle Portfolios auf der Efficient - Frontier für eine gegebene Standardabweichung die
maximale Rendite aufweisen. Ohne risikofreie Option werden die Individuen, je nach Ri-
sikopräferenz, ein Portfolio auf der Efficient -Frontier wählen. Was ändert sich durch sich
durch die risikofreie Anlage? Das Two Fund Separation Theorem von Tobin besagt, dass es
ein Tangential Portfolio T gibt, so dass alle Anleger in eine Mischung aus risikofreier Anla-
ge und dem Erwerb des Tangentialportfolios investieren. Dieses Tangentialportfolio findet
man geometrisch indem man im Mean-Variance-Diagramm die risikofreie Rendite einzeich-
net und dann die Tangente von dem risikofreien portfolio“an die Effizienzlinie konstruiert.

Der Schnittpunkt der Tangente mit der Efficient-Frontier ist das sogenannte Tangential-
portfolio. Das Tangentialportfolio ist damit gerade das Portfolio auf der Efficient-Frontier,
so dass die Verbindungsgerade zwischen der risikofreien Anlage und dem Portfolio auf der
Efficient-Frontier die maximale Steigung hat. Diese Steigung wird als die Sharpe Ratio
bezeichnet:

µ − rf
Sharpe - Ratio =
σ
.
Die Sharpe Ratio einer Portfolios sagt im Allgemeinen aus, wie viel Überrendite (”Mehr
Gewinn als der risikofreie”) eine Anlage in Relation zum Risiko erwirtschaftet.

Betrachtet man die obige Abbildung, so wird jeder Investor gemäß seiner persönlichen
Risikopräferenz einen Punkt auf der Geraden von rf durch T wählen. Wählt er den Punkt
rf , legt er vollständig risikofrei an; wählt er den Punkt T investiert er vollständig im
Tangentialportfolio. Wählt er einen Punkt zwischen rf und T so, mischt er die risikofreie
Anlage und das Tangentialportfolio; wählt er einen Punkt rechts von T so nimmt er zum
risikofreien Zins ein Darlehen auf um mehr vom Tangentialportfolio zu erwerben.

65
Financial Markets

Geometrische Herleitung des Two Fund Separation Theorems


In einem ersten Schritt möchten wir Indifferenzkurven designen. Dafür nehmen wir eine
Mean-Variance Funktion V an, welche einen konstante Nutzen ergibt. Die einzige Stell-
schraube die bleibt, ist die Risikoaversion α. V (µ, σ) = µ − α · σ 2 = const. ⇔ µ =
const. + α · σ 2

μ
T

rf

Abbildung 23: Two Fund Separation Theorem, eigene Darstellung

Dargestellt sind Indifferenzkurven (gemäss der soeben ermittelten quadratischen Funktion


µ = const. + α · σ 2 ) von zwei Individuen mit unterschiedlichem α. Beide Individuen haben
dieselbe CML (Capital Market Line) und dieselbe Efficiency - Frontier. Die Tagentialpunk-
te sind aufgrund der unterschiedlichen α an verschiedenen Stellen. Die Risikoaversion des
grünen Individuums ist grösser als die des orangen. Darum ist der grüne Tangentialpunkt
mehr links gelegen.

66
Financial Markets

8 Capital Asset Pricing Model (CAPM)


”Was passiert, wenn das jeder macht?”

8.1 Geometrische Herleitung der SML

CML
μ EFF
T=M ƛRk + (1 – ƛ)RM

(μk, σk )

rf

Abbildung 24: SML, eigene Darstellung

In Abbildung 2 ist ein Portfolio mit (µk , σk ) zu sehen. Es hängt mit dem Tangential-
portfolio, mittels der im µ, σ Diagramm konkaven Verbindung, die sich aus dem Portfolio
λ · Rk + (1 − λ) · RM ergibt, zusammen. Je nachdem wieviele Anteil λ ins Marktportfolio in-
vestiert wird, desto näher kommen wir an eben dieses. Und im Punkt M muss die Steigung
dieser Kurve mit der der Effizienzmarktlinie übereinstimmen. Sonst würde es Portfolios
oberhalb der Effizienzmarktlinie geben!

Warum?Um diese Frage zu beantworten, werden wir uns anschauen, was passiert wenn
die Steigung NICHT dieselbe ist. Was passiert, wenn die Steigung größer ist? Dann ”kommt
die Kurve in einem steileren Winkel als die CML in dem Punkt des Tangentialportfoli-
osünd man würde direkt hinter dem Punkt des Tangentialportfolios oberhalb der CML
sein. Wählt man dann einen beliebigen Punkt von all jenen auf der Kurve, die oberhalb
der CML sind, dann wird man feststellen, dass dieser eine bessere Sharpe Ratio als das
Tangentialportfolio hat! Aber wir das haben Tangentialportfolio gerade so konstruiert,
dass es das Portfolio mit der besten Sharpe Ratio von allen möglichen Portfolios ist!

Eine beispielhafte geometrische Konstruktion dieser Überlegung ist zur Verdeutlichung in


der unteren Grafik gegeben:

67
Financial Markets

𝜇
Neue KML
KML

Neues
Tangentialportfolio

Tangentialportfolio Portfolio P

Risikoloser
Zins

Das heißt, wir haben eine Sharpe Ratio gefunden, die besser als die Beste ist. Dann kann
die Beste aber nicht mehr die Beste sein. Da etwas nicht zugleich das beste “und nicht
” ”
das beste “sein kann, ist dies ein Widerspruch! Die Steigung der Kurve kann also nicht
größer als die Steigung der CML sein.

Was passiert, wenn die Steigung niedriger als die der CML ist? Dann wäre die Kurve kurz
vor dem Punkt des Tangentialportfolios oberhalb der CML und man kann das gleiche
Argument durchführen.

(Folgende Berechnungen gemäss Hens & Rieger (2010), ”Financial Economics”) Die Stei-
gung der Capital Market Line im µ − σ - Diagramm ist

d
dλ µ(λ · Rf + (1 − λ) · RM )|λ=0 Rf − µM
d
=
dλ σ(λ · Rf + (1 − λ) · RM )|λ=0 −σM

Die Steigung der Kurve von der Anlage k zum Marktportfolio im Punkt des Marktport-
folios ist
d
dλ µ(λ · Rk + (1 − λ) · RM )|λ=0 µk − µ M
d
= 2 )/σ
dλ σ(λ · Rk + (1 − λ) · RM )|λ=0 (cov(Rk , RM ) − σM M

Die Steigungen stimmen im Punkt λM überein. Daraus folgt

(µk − µM ) · σM µM − Rf
2 =
cov(Rk , RM ) − σM σM

68
Financial Markets

und somit kann die SML geschrieben werden als

cov(Rk , RM )
µk − Rf = βk,M · (µM − Rf ) wobei βk,M = 2
σM

Es lassen sich folgende Aussagen mit beziehungsweise über die SML treffen:

1. Die Steigung der SML wird auch Equity Premium oder Aktien-Risiko-Prämie“genannt.
” ” ”
COV (Rk ,RM )
2. Mehr Rendite erfordert mehr Beta. Das Beta, β = 2
σM
, sagt im Wesentlichen
aus, wie sehr das Portfolio mit den Bewegungen des Marktes korreliert. Die Mark-
trendite (auch systematisches Risiko genannt) ist eine Risikoprämie, d.h. je mehr
man von diesem in Kauf nimmt, desto mehr Rendite kann man durchschnittlich
erwarten. Im Gegenzug dazu gibt es auch das unsystematische Risiko jedes Wertpa-
piers: Dies ist der Anteil der Volatilität, dass sich nicht durch die Marktbewegungen
erklären lässt. Das unsystematische Risiko ist keine Risikoprämie, d.h. mehr Risiko
bedeutet nicht mehr Gewinn, und es kann durch Diversifikation beseitigt werden.

3. Mehr Rendite kommt von unangenehmen Dingen.

4. µk ist der ”required Return”, also der benötigte Return. Dies ist gerade die Menge an
Rendite, die notwendig ist, damit ein Investor ein Investment in dieses Wertpapier
in Betracht zieht.

5. Man kann das Beta als ”prozentuale Änderung interpretieren: Hat man ein Portfolio

mit β p und der Markt bewegt sich um x%, dann ändert sich der Wert des Portfolios
um β p ∗ x%.

6. Die SML sagt nichts über die Marktrendite µM − rf aus. Diese Erkenntnis gewinnt
man, wenn man einmal das Marktportfolio in die Formel der SML einsetzt. Dann
ist Beta gleich 1, da die Covarianz mit sich selbst die Varianz ist und es folgt die
Formel

µM − Rf = µM − Rf .

Diese Aussage ist immer richtig, verhilft aber leider nicht zu weiteren Erkenntnissen.

8.2 Kann man den Markt schlagen?


Ein Sprichwort besagt ”Nobody beats the Market!”. Diese Aussage steht im direkten
Zusammenhang mit der Markteffizienzhypothese von Eugene Fama, für die er den Wirt-
schaftsnobelpreis erhalten hat. An dieser Stelle soll diese Aussage trotzdem näher unter-
sucht werden.

69
Financial Markets

Aber was ist damit gemeint, wenn man sagt, man möchte den Markt schlagen? Im
Folgenden bezeichnen wir mit RM die Rendite des Marktes und mit Ri , i = 1, .., I, die
Renditen der Anleger. Könnte damit für den Anleger i

Rsi > RsM , s = 1, ..., S

gemeint sein? Dann müsste man in jedem möglichen Zustand der Welt besser als der Markt
sein, dies wäre sehr unwahrscheinlich. Außerdem macht es keine Annahmen zur Zeit: Muss
man es in einem Monat schaffen? Jeden Monat?

Eine bessere Überlegung dazu wäre die folgende:

µ(Ri ) > µ(RM ),

also, dass der Anleger im Durchschnitt besser als der Markt ist. Dies würde sicherstellen,
dass der Anleger nicht in jedem Zustand besser als der Markt sein muss und ermöglicht
auch die Einbeziehung einer zeitlichen Komponente. Aber auch dies ist nicht die richtige
Überlegung. Die Entscheidende Frage in diesem Zusammenhang ist: Gibt es ein Alpha?

Bevor wir näher darauf eingehen, was dieses Alpha sein soll, sollte man sich nochmal
überlegen was im CAPM die Rendite treibt. Die Rendite steigt und fällt mit dem Beta:

SML

µ𝑀 − 𝑅𝑓

𝜇𝑀

𝑅𝑓

1 𝛽

Abbildung 25: SML, eigene Darstellung

Möchte ein Anleger eine höhere Rendite, dann muss er sein Beta erhöhen. So kann
ein Anleger durch Aufnahme eines Kredites (sogenannter Leverage) und Investition dieses
Kredites sein Rendite über das Niveau des Marktportfolios erhöhen. Aber auf diese Weise
kann er den Markt nicht schlagen, da er auch nur in den Markt investiert. Um den Markt
wirklich schlagen zu können, dürfte ein Investor nicht auf der SML investieren, sondern
müsste für ein gegebenes Beta eine höhere Rendite als der Markt schaffen; er müsste in der
Grafik oberhalb der SML liegen. Nehmen wir an, es gibt einen Anleger i, der dies schafft.

70
Financial Markets

SML

µ𝑀 − 𝑅𝑓
.i
𝛼

𝜇 𝛽
𝑅𝑓

1 𝛽

Abbildung 26: SML, eigene Darstellung

Betrachtet man das Portfolio vom Anleger i, dann kann man die Rendite bis zur SML
mit dem Beta des Portfolios erklären, aber jede weitere Rendite oberhalb der SML ist
nicht durch das Beta erklärbar. Diese unerklärliche Rendite“ ist das Alpha. Daher lautet

die richtige Frage, wenn man den Markt schlagen möchte: Gibt es ein Alpha? Gibt es ein
Portfolio i mit

µi > rf + β(µM − rf )?

Die Realität zeigt, dass es solche Alpha gibt. Da das Alpha bedeutet, dass man besser als
der Markt ist, möchte jeder ein solches (positives) Alpha! Aber kann jeder ein positives
Alpha haben?

Die Jagd nach dem Alpha ist ein Nullsummenspiel


Allerdings kann nicht jeder ein positives Alpha haben. Wenn jemand ein positives Al-
pha hat, muss jemand anderes ein negatives Alpha haben. Die Anzahl der Personen mit
positivem und negativen Alpha ist dabei nicht entscheidend, man muss die Menge an in-
vestiertem Geld berücksichtigen. Im Weiteren bezeichnen wir mit wi den Reichtum des
Anlegers i und mit

wi
ri = PI
i=1 wi

den relativen Reichtum des Investors i. Dann gilt

I
X
αi ri = 0, (3)
i=1

71
Financial Markets

wobei αi das Alpha des Anlegers i ist. Wie setzt sich dieses Alpha zusammen? Zunächst
ist das Alpha eines Wertpapiers k gegeben durch

αk = µk − (rf + β k (µM − rf )).

Aufbauend damit kann das Alpha eines Anlegers definiert werden. Wenn man mit λk,i den
Anteil des Vermögen von Investor i bezeichnet, der in das Wertpapier k investiert wird,
dann ist das Alpha des Investors i gegeben durch

K
X
αi = λi,k αk .
k=1

Nun soll die Behauptung (3) bewiesen werden. Zunächst setzt man die Definition des
Alphas für einen Investor ein und erhält

I
X I X
X K K
X I
X
i i i,k k i k
αr = λ α r = α λi,k ri . (4)
i=1 i=1 k=1 k=1 i=1

Da beide Summen endlich sind, darf hier die Addition vertauscht werden. Nun muss die
Beziehung

I
X
λi,k ri = λM,k
i=1

gezeigt werden, wobei λM,k die relative Marktkapitalisierung des Wertpapiers k ist. Um
diese Aussage zu zeigen, fängt man mit dem Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage
aus dem CAPM an. Bezeichnet man mit θi,k die Anteile von Investor i vom Wertpapier
k, dann gilt

I
X
θi,k = θ̄k für alle k
i=1

mit θ̄k der Gesamtheit der Anteile von Wertpapier k. Dies kann man nun mit dem jewei-
ligen Preis q k multiplizieren und erhält

I
X I
X
k i,k
q θ = λi,k wi = q k θ̄k für alle k.
i=1 i=1

Die Umformung q k θi,k = λi,k wi ist korrekt, weil der bezahlte Preis für die von Investor
i gehaltenen Wertpapiere gleich seinem in das jeweilige Wertpapier investierte Vermögen
ist. Da die obige Gleichung für alle k=1,...,K gilt, gilt sie insbesondere für die Summe und

72
Financial Markets

per Division der gesamten Gleichung erhält man


PI
λi,k wi q k θ̄k
PK i=1
PI = PK = λM,k für alle k,
i,k i k k
k=1 i=1 λ w k=1 q θ̄

q k θ̄k
denn PK ist gerade die relative Marktkapitalisierung. Ferner kann man wieder Rei-
k k
k=1 q θ̄
henfolge der Addition für die Summe K
P PI i,k i
k=1 i=1 λ w vertauschen und die Teilsumme
PK i,k summiert sich zu eins, da es die Gewichtung des Investors i bezüglich seiner
k=1 λ
Aktienaufteilung ist. Zieht man dann den Nenner in die Summe, erhält man

I I
M,k
X
i,k wi X
λ = λ PI = λi,k ri für alle k. (5)
i=1 i=1 wi i=1

Diese Aussage kann man nun in die Gleichung (4) einsetzen, dann folgt mit der Definition
vom Wertpapier-Alpha

I
X K
X I
X
αi r i = αk λi,k ri
i=1 k=1 i=1
XK
= αk λM,k
k=1
XK
= λM,k (µk − (rf + β k (µM − rf )))
k=1
K
X K
X K
X
M,k k M,k
= λ µ − λ rf − λM,k β k (µM − rf )))
k=1 k=1 k=1
K
X
= µM − rf − M,k
λ COV (Rk , RM )(µM − rf ))).
k=1

Die Kovarianz ist bilinear und daher kann die Summe mit in die Kovarianz gezogen werden
und man erhält
I
X K
X
αi ri = µM − rf − λM,k COV (Rk , RM )(µM − rf )))
i=1 k=1
XK
= µM − rf − COV ( λM,k Rk , RM )(µM − rf )))
k=1
M
=µ − rf − COV (Rm , RM )(µM − rf )))
= µM − rf − µM + rf
= 0.

Damit wäre bewiesen, dass die Jagd nach dem Alpha ein Nullsummenspiel ist.

73
Financial Markets

Kommen wir zurück zur Aussage ”Nobody beats the Market”. Wir werden zeigen, dass
die Rendite des Marktes aus einem gewichteten Durchschnitt der Renditen aller Anleger
besteht. Durch die Natur des Durchschnittes wird es also immer Anleger geben, die den
Markt schlagen und welche, die gegen den Markt verlieren. Um diese Aussage zu zeigen,
benötigt man erneut die Gleichung (5). Es gilt

K
X K
X I
X I X
X K I
X
RM = Rk · λM,k = Rk · λik · ri = Rk · λik · ri = Ri · r i
k=1 k=1 i=1 i=1 k=1 i=1

Es wird also immer solche geben, die schlechter performen als der Markt und solche die
besser sind.

8.3 Wie schlägt man den Markt?


Es gibt eine Reihe von sogenannten ”CAPM-Anomalien”. Dies bezeichnet Anlagestrate-
gien, die ein positives Alpha besitzen und so den Markt schlagen. Einige der bekanntesten
Anomalien sind:

1. Low Beta: Die Idee dieser Strategie ist es in Unternehmen mit einem niedrigen Beta
zu investieren. Solche Unternehmen werden vergleichsweise gering von allgemeinen
Marktbewegungen beeinflusst und sind daher meist Krisensicherer. Dafür können
diese Unternehmen nicht so stark von positiven Trends am Markt profitieren. Trotz-
dem erwirtschaften Low-Beta-Aktien im Schnitt mehr Gewinn als sie aufgrund ihres
Betas eigentlich sollten.

2. Value: Dies ist die Suche nach Unterbewerteten Aktien, also Unternehmen deren
Marktpreis zu niedrig für das gebotene ist. Ein gängiges Kriterium dafür ist ein
hohes Book-To-Market-Ratio: Dabei wird der Buchwert eines Unternehmens (also
Immobilien, Fahrzeuge, Arbeitsrüstung etc) mit dem Marktwert (Marktkapitalisie-
rung) verglichen. Liegt der Buchwert deutlich höher als der Marktwert, kauft man
die Aktie. Ein Book-To-Market-Ratio von z.B. 4 würde bedeuten, dass man für jeden
investierten Franken Anteile erwirbt, die eigentlich 4 Franken wert sind.

3. Size: Hierbei kauft man Unternehmen mit einer niedrigen Marktkapitalisierung. Die-
se werfen im Durchschnitt mehr Gewinne ab als die Aktien der großen Unternehmen.

4. Momentum: Hier ist der Gedanke, dass man Aktien kauft, die in der jüngsten Ver-
gangenheit gestiegen sind, da diese dazu neigen in den nächsten Monaten weiterhin
zu steigen. Häufig schaut man sich dabei die Entwicklung der Aktien über die letzten
12 Monate an und kauft die jeweiligen Aktien für einen Monat.

74
Financial Markets

8.4 State Prices im CAPM


Im vorherigen Abschnitt wurde gezeigt wie der VWL-Ansatz mit den risikoadjustierten
Wahrscheinlichkeiten, welche diskontiert mit dem risikolosen Zins die State Prices ergeben,
unter geeigneten Annahmen zum CAPM führt. Nun soll das Spiel umgedreht werden: Wir
gehen davon aus, dass das CAPM gilt und ziehen darauß Rückschlüsse auf die State
Prices und damit auch auf die risikoadjustierten Wahrscheinlichkeiten. Im CAPM gilt die
Gleichung

COV (R, RM ) M
µ − Rf = 2 (µ − Rf ) (6)
σM

für jedes Wertpapier, wobei R die Renditen und µ der Erwartungswert der Renditen des
betrachteten Wertpapieres sind. Insbesondere muss diese Gleichung für jedes elementare
Wertpapier W P e,k , k ∈ {1, ..., S}, gelten, dass im Zustand s = k eine Auszahlung von 1
und in jedem anderen Zustand keine Auszahlung liefert. Hier durch nehmen wir implizit die
Existenz und Handelbarkeit aller elementaren Wertpapiere an. Ferner hat jedes elementare
Wertpapier einen Preis qk ≥ 0, den wir bestimmen möchten. Für gegebenes k hat das
elementare Wertpapier dann das Renditeprofil

1, k=s
qk
Rk := RW P e,k =
0, k 6= s.

und den Erwartungswert

S
X pk
µk = ps Rk,s = .
qk
s=1

Hierbei sind ps erneut die physikalischen Wahrscheinlichkeiten. Auch die Kovarianz zwi-
schen dem Marktportfolio und dem elementaren Werpapier wird benötigt:

COV (Rk , RM ) = µRk ·RM − µRk µM


S
X pk M
= ps Rk,s RsM − µ
qk
s=1
pk M pk M
= R − µ
qk k qk
pk
RkM − µM .

=
qk

75
Financial Markets

Setzt man dies in die CAPM-Formel (6) ein, so erhält man für die State Prices
pk
RkM − µM

pk qk
− Rf = 2 (µM − Rf )
qk σM
pk RkM − µM

pk
− 2 (µM − Rf ) = Rf
qk qk σM
!
RkM − µM

pk
1− 2 (µM − Rf ) = Rf
qk σM
pk Rf
= 
qk M
(Rk −µ ) M
M
1− σ2
(µ − Rf )
M
!
RkM − µM

pk
qk = 1− 2 (µM − Rf )
Rf σM

und wenn man zusätzlich noch mit der Sharpe Ratio SRM M des Marktes vereinfacht,
folgt
! !
RkM − µM µM − RkM
 
pk M pk M
qk = 1− SR = 1+ SR . (7)
Rf σM Rf σM

Da dies für jedes beliebige Wertpapier gelten muss, gilt diese Formel für alle State Prices.
Hierzu wollen wir die komparativen Statistiken betrachten:

1. Ist µM = RkM , dass heißt befinden wir uns in einem Zustand mit exakt durchschnitt-
licher Marktrendite, dann gilt

pk
qk = .
Rf

Das heißt, der State Price entspricht der diskontierten physikalischen Wahrschein-
lichkeit.

2. Ist µM > RkM , dass heißt befinden wir uns in einem Zustand mit unterdurchschnitt-
licher Marktrendite, dann gilt
!
µM − RkM

pk pk
qk = 1+ SRM > .
Rf σM Rf
| {z }
>1

Das heißt, der State Price ist für einen Zustand mit unterdurchschnittlicher Mark-
trendite höher. Eine Zahlung in einem schlechten“ Zustand ist also teurer.

3. Ist µM < RkM , dass heißt befinden wir uns in einem Zustand mit überdurchschnittlicher

76
Financial Markets

Marktrendite, dann gilt


!
µM − RkM

pk pk
qk = 1+ SRM < .
Rf σM Rf
| {z }
<1

Das heißt, der State Price ist für einen Zustand mit überdurchschnittlicher Mark-
trendite ist niedriger. Eine Zahlung in einem guten“ Zustand ist also preiswerter.

4. Wird der Markt volatiler bei gleichem Erwartungs, das heißt σM wird größer, dann
wird der Absolutbetrag der Risikoadjustierungen kleiner. Die risikoadjustierten Wahr-
scheinlichkeiten sind dann näher an den physikalischen Wahrscheinlichkeiten.

Aus der Formel (7) kann man auch die risikoadjustierten Wahrscheinlichkeiten πk raus-
lesen und beobachten wie die Risikoadjustierung der physikalischen Wahrscheinlichkeiten
umgesetzt wird:
!
RkM − µM

πk = pk · 1− SRM .
|{z} σM
physikalische Wahrscheinlichkeit | {z }
Risikoadjustierung

Man erkennt außerdem, dass der Likelyhood-ratio Process eine affine Funktion des Markt-
portfolios ist.

77
Financial Markets

9 Empirie des CAPM


9.1 Kritik und Anomalien
Zunächst muss man fragen, ob das CAPM überhaupt anhand von Renditedaten getes-
tet werden kann. Es gibt zwei grundlegende Probleme: Roll (1977) kritisierte, dass λM
nicht bekannt sei, da das Marktportfolio nur schwer fassbar ist. Das Problem ist, dass
das gesamte CAPM von λM abhängt. Man hat sich schliesslich darauf geeinigt, dass man
sich auf die bekannten nationalen und internationalen Indizes wie beispielsweise den SMI
stützt. Je nachdem in welchem Bereich das CAPM angewandt wird, muss man sich für
das passende Marktportfolio entscheiden.
Ein weiteres Problem ist folgendes: Das Modell ist in Erwartungen ”gedacht”, das heisst,
jeder bildet beispielsweise Markterwartungen, jedoch sind die Daten schlussendlich Rea-
lisierungen und nicht Erwartungen. Dieses Problem hat man gelöst indem man rationale
Erwartungen annimmt. Die Frage bleibt jedoch, ob dies auch realitätsnah ist.
Wendet man dann das CAPM auf Daten an, so gibt es immer noch einige Widersprüche.
Die bedeutendsten sind

ˆ Low Beta Anomalie (Abbildung 1; die Ist-SML ist flacher als die Soll-SML)

ˆ Value Anomalie (Abbildung 2; Assets mit hohem Book-to-Market haben eine über-
durchschnittlich hohe Rendite)

ˆ Size Anomalie (systematische Investitionen in Assets mit kleiner Markt Kapitalisie-


rung λM
k bringen oft höhere Renditen)

ˆ Momentum Anomalie (Investitionen in Aktien, die zuvor gewonnen haben bringen


höhere Rendite)

Abbildung 27: Low Beta Anomalie; Fama, E. F., French, K. R., 2004. The capital asset
pricing model: theory and evidence. The Journal of Economic Perspectives 18 (3), 25-46.

78
Financial Markets

Abbildung 28: Value Anomalie; Fama, E. F., French, K. R., 2004. The capital asset pricing
model: theory and evidence. The Journal of Economic Perspectives 18 (3), 25-46.

A. Ang (2014) «Asset Management» Size = SMB, Value = HML, Momentum = WML

Abbildung 29: Value, Size & Momentum Anomalie

9.2 Grossartige Investoren


Gemäss der Effizientmarkt-Hypothese von Fama kann der Markt nicht geschlagen wer-
den. Trotzdem gibt es einige Investoren, die scheinbar mit ihrer Strategie systematisch
Überrenditen generieren. Fama schiebt dies auf den Zufall ab. Diese Behauptung steht

79
Financial Markets

jedoch auf wackligen Füssen. Offensichtlich performen die Investoren, die den Markt lang-
fristig zu schlagen scheinen, nicht nur zufällig so gut. Es müssen andere Faktoren dahinter
stehen.

Warren Buffett und Benjamin Graham beispielsweise, sind Valueinvestoren, sie achten
auf die Kursverläufe der Aktien und investieren gemäss Kriterien auf die wir später noch
eingehen. Überrenditen können natürlich nicht nur mit Aktien generiert werden. Ein gutes
Beispiel dafür ist George Soros, welcher in Währungen investiert und so in 35 Jahren
eine durchschnittliche jährliche Überrendite von rund 17% generiert hat. Daneben gibt es
natürlich noch viele weitere Strategien. Wir werden uns im Folgenden etwas genauer mit
der Value-Strategy beschäftigen.

9.2.1 Value Investing

Die Grundidee des Value Investings ist es, dass der Wert einer Aktie nicht dem Preis
derselben Aktie entspricht. Der Preis ergibt sich durch die Marktkapitalisierung, die wie-
derum gleich Aktienkurs × Anzahl Aktien ist. Es gibt verschiedene Kennzahlen die zur
Bestimmung des Wertes dienen können.

ˆ Kurs-Gewinn-Verhältnis (P/E)

ˆ Kurs-Buchwert-Verhältnis (B/M)

80
Financial Markets

ˆ Kurs-Umsatz-Verhältnis

ˆ Kurs-Cashflow-Verhältnis

ˆ Gesamtkapitalrendite

ˆ Eigenkapitalrendite

9.2.2 Buffetts Alpha

Warren Buffet hat in den letzten 60 Jahren in die Finanzmärkte investiert und dabei im
Durchschnitt eine Überrendite von 13% pro Jahr erzielt. Man kann Buffetts Alpha mit
einer Regression darstellen

rt − rtf = α + β1 · M KTt + β2 · SM Bt + β3 · HM Lt + β4 · U M Dt + β5 · BABt + β6 · QM Jt + t

wobei r − rf dem Alpha entspricht und MKT für Market, SMB (small minus big) für Size,
HML (high minus low) für Value, UMD für Momentum, BAB für Low Beta und QMJ für
Growth steht. Warren Buffet kauft Qualitätsaktien, wenn andere sie verkaufen und hält
diese relativ lange. Seine Strategie ernährt sich vom Hang zur Panik “crash-o-phobia”und
von der Ungeduld “present bias”der meisten Anleger.

9.2.3 Peter Pühringers ZZ-fund

Peter Pühringer generierte mit seinem ZZ-fund sensationelle ca. 18% Überrendite in den
vergangenen 20 Jahren. Er kauft High Yield Government Bonds, finanziert durch Kredit
in Low Yield Ländern. Seine Strategie ist fundamental, da sie sich an fundamentalen
Wechselkursen (REER) orientiert und da sie Cash-Flow (RR) basiert ist. Sie ist Contrarian
(also antizyklisch), da bei Verlusten nachgekauft wird. Auch sie ernährt sich von dem Hang
zur Panik der Anleger.

9.2.4 Hinweis auf Portfoliomanagement Programm:

Im PMP unter der Leitung von Thorsten Hens haben Studierende die Gelegenheit neue
Anlagestrategien zu entwickeln und mit realem Geld (6 Mio CHF) zu testen.

81
Financial Markets

10 Evolutionary Finance
10.1 Einführung

Analogie zur Biologie


Um die Finanzwelt besser verstehen zu können, kann man einleuchtende Analogien zur
Biologie machen. Was ist beispielsweise der Unterschied zwischen einer Pflanze und ei-
nem Tier? Währendem eine Pflanze, ohne dass sie anderen schadet überleben kann (mit
Photosynthese, etc.), muss ein Tier anderes Leben (ob Tier oder Pflanze) zerstören, um
überleben zu können. In der Anlagewelt entsprechen die passiven Anlegern den Pflanzen.
Sie schaden den anderen Anlegern nicht wirklich. Bei den Tieren (respektive aktiven An-
legern) ist dies anders. Das aus der Mikroökonomie bekannte Falken-Tauben Spiel, zeigt
auf, dass es nicht auf ein Individuum selber, sonder auf die relative Aufteilung ankommt.
Wenn es mehr Falken als Tauben hat, drohen die Tauben auszusterben, die Falken haben
jedoch dadurch weniger zu fressen und der relative Falken-Anteil nimmt ab. So können
sich die Tauben wieder vermehren und dadurch auch die Falken wieder. Schlussendlich, in
einem abstrakten Spiel, kann ein spieltheoretisches Gleichgewicht gefunden werden.
Ähnlich ist es in der Anlagewelt. Es kommt darauf an wieviel Vermögen auf welche Stra-
tegie aufgeteilt wird und wie somit die ”Gegenpartei” beeinflusst wird.

Biologie und Finance haben mehr miteinander zu tun als man auf den ersten Blick
glauben könnte. Speziell Darwin’s Evolutionstheorie ist ein gutes Paradigma für die Fi-
nanzwelt. Ganz nach dem Motto Survial of the Fittest on Wall Street können wir Faktoren
der Evolution auf die Finance übertragen.

Investoren
Strategien Mr. X Mrs. Y PK 1 PK 2 ... PK N Summe
PN
Buy and Hold w11 ... ... ... ... w1N n
n=1 w1

MVA ... ... ... ... ... ... ...


1/N ... ... ... ... ... ... ...
Value ... ... ... ... ... ... ...
Growth ... ... ... ... ... ...
Mom 1
wM ... ... ... ... ...
PM 1
PM N
PN PM n
Summe m=1 wm ... ... ... ... m=1 wm n=1 m=1 wm

Tabelle 3: Von Investoren zu Strategien

Beginnen wir mit den exogenen Bedigungen für Leben (Temperatur, Klima etc.). Sie
sind kurzfristig nicht beeinflussbar durch die Lebewesen dieser Welt. Am ehesten können
die Konditionen mit dem Wirtschaftswachstum verglichen werden. Solow hat das in sei-

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Financial Markets

nem Economic Growth Modell welches Wachstum als Funktion von Kapital und Arbeit
definiert, beschrieben. Wie die naturellen Konditionen, kann in der Finanzwelt das Wirt-
schaftswachstum auf kurze Sicht nicht beeinflusst werden. Es geschieht einfach. Trotzdem
muss sich jedes einzelne Individuum danach richten. Die natürlichen Ressourcen entspre-
chen dem Marktkapital. Sie sind verfügbar und können mit cleveren Methoden abgeschöpft
werden. Doch aufgepasst vor einer Übernutzung. Genau wie bei den natürlichen Ressour-
cen kann es auch beim Marktkapital zu Knappheit kommen. Die Individuen können dies
antizipieren und neue Methoden der Nutzung entwickeln.
Die verschiedenen Spezien sind die Investmentstrategien. Wir legen unseren Fokus nicht
auf einen einzelnen Investor sondern auf die Strategie. Tabelle 3 zeigt den Zusammenhang.
Die natürliche Selektion kann mit den Gewinnen und Verlusten aus den Investmentstra-
tegien verglichen werden.
Mutationen sind wie Innovationen. Es sind Anpassungen an die momentane Situation.
Innovationen sowie auch Mutationen sind ein Prozess der Evolution und können dazu
führen, dass Individuen sich einen neuen Platz im Gebilde ergattern.
In der Evolution, sowie auch in der Finanzwelt kann es von Zeit zu Zeit zu Katastrophen
kommen. Massenaussterben sind Finanzcrashs sehr ähnlich. Ganze Spezien können da-
durch eliminiert werden.

Betrachtet man die Interaktion von Anlagestrategien genauer, so kann man wieder Par-
allelen zur Biologie ziehen. So entsprechen die Interaktion von Momentum und Value
Strategie, der von Raub- und Beutetier. ETF und Mutual Funds stehen sich gegenüber im
Wettbewerb. Derivate und deren Underlyings haben eine Art Symbiose untereinander und
die Hochfrequenzstrategie Front Runing gegen Rebalancing von institutionellen Anlegern
ist dem Parasitismus gleich.

10.2 Ein Evolutionary Finance Modell


Grundsätzlich sind Strategien dadurch beschrieben wie viel Prozent des Vermögens durch
die Strategie i auf die Anlage k investiert wird. Dazu definieren wir eine Variable λ, welche
die relevanten Informationen enthält
λi,k
t

wobei i = 1, . . . , I den Strategien entsprechen, mittels derer investiert wird. k = 1, . . . , K


stellt die verschiedenen Assets dar. Der Anteil k = 0 entspricht dem was für Konsum
gebraucht wird.

Im folgenden Modell ist es zentral, dass alle Strategien möglich sein können, solange sie
keine zukünftigen Informationen benutzen. Das Problem mit zukünftigen Informationen
ist, dass wir sie weder kennen noch verlässlich schätzen können. Demnach sind Annahmen
wie rationale Erwartungen nicht zielführend.

83
Financial Markets

10.2.1 Die Entwicklung des Vermögens

Das Evstigneev-Hens-Schenk-Hoppe (EHSH) - Modell beschreibt die Entwicklung des rela-


tiven Vermögens, wenn gemäss vorbestimmten λi,k
t investiert wird. In einem ersten Schritt
soll die Entwicklung des Vermögens definiert werden. Diese ist offensichtlich abhängig
davon, was alles schon passiert ist. Verschiedene vergangene Informationen hatten unter-
schiedliche Auswirkungen auf die Zustandsvariablen des Modells. Wir definieren ωt ∈ Ω
als einen Zustand zum Zeitpunkt t. ω t ist ein Vektor mit einer endlichen Anzahl an vergan-
genen Zuständen (ω0 , . . . , ωt ). D.h. ω t beschreibt den Pfand, wie man in Periode t gelangt
ist.
Als Beispiel dient der Binomalprozess wie in Abbildung 30 gezeigt. Sei Ω = {k, z} wie
bei einem Münzwurf. Dann ergibt sich der abgebildete Binomialprozess. Es gibt also 4
Pfade nach 2 Perioden: (k, k), (k, z), (z, k), (z, z). Der Pfad (k, z) folgt auf den Pfad (k)
etc.


k


k
z
• •
k
z

z

t=0 t=1 t=2

Abbildung 30: Binomialprozess

PK i,k
Zudem gilt die Budgetrestriktion k=1 λt = 1, die angibt, wie das Vermögen wti auf
die K Wertpapiere aufgeteilt wird. Die Entwicklung des Vermögens ist
(K " # )
k (ω t+1 ) + q k (ω t+1 )
X Dt+1
i
wt+1 (ω t+1 ) = t+1
· λi,k t
t (ω ) · wti (ω t )
k=1
qtk (ω t )

Dabei ist Dk die Dividende für Aktie k und q k der Preis der Aktie k.
In Worten gefasst hängt also das zukünftige Vermögen von der Entwicklung des Portfolios
(geschwungene Klammer) und vom vergangenen Vermögen ab. D.h. Investieren führt zu
einem multiplikativen Prozess von Renditen.

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10.2.2 Interaktion im Markt

Das kurzfristige Gleichgewicht in Periode t kann (o.b.d.A.) wie gewohnt durch Nachfrage
= Angebot beschrieben werden. Dabei wird das Angebot auf 1 normiert

I
X λi,k (ω t ) · wi (ω t )
t
t
= θ̄tk = 1
i=1
qtk (ω t )

Wir können qtk als Marktkapitalisierung der Firma k interpretieren.

Die Gleichgewichtspreise sind dann

I
λi,k
X
qtk (ω t ) = t i t
t (ω ) · wt (ω )
i=1

Der Preis des Assets k ist der Vermögens-Durchschnitt des Portfolioanteils der Strategien
für Asset k.

10.2.3 Überrendite im Modell

Es hat sich herausgestellt, dass eine Strategie im Rahmen des Modells mit extrem positiven
Eigenschaften heraussticht. Die Rede ist von der Expected-Relative-Dividend-Strategie

λ∗,k = Ep dk(ω) ,

k
D(ω)
wobei dk(ω) = PK k die relative Dividende von Wertpapier k den Ereignissen ω ist.
k=1 D(ω)

Vorausgesetzt, dass die relativen Dividenden i.i.d. 5 und die Strategien stationär adaptiert
sind, kann die Wachstumsrate einer Strategie λi in einem Markt λM dargestellt werden
als
K
!
X λi,k
g(λi , λM ) = Ep ln dk(ω) · M,k
λ
k=1

Beachte, dass
I
X
λM,k = λi,k · ri
i=1

gilt wie weiter oben schon gezeigt wurde. Im i.i.d. Fall ist λ∗ die einzige Strategie, für
welche
5
Independant and identically distributed - unabhängig und identisch verteilt. Dies bedeutet, das alle
Ereignisse gleich wahrscheinlich sind und das es für die Wahrscheinlichkeiten einer Zeitperiode keinen
Einfluss hat welches Ereignis in der vorherigen Periode eingetreten ist. Klassische Beispiele wären das
Werfen einer Münze oder eines Würfels.

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Financial Markets

g(λi , λ∗) < 0 und


g(λ∗, λi ) > 0 für alle λi 6= λ∗

gilt. D.h. gegen λ∗ kann keine Strategie wachsen während λ∗ in jedem Markt wächst.
In diesem Sinne ist ein Markt, in dem λM = λ∗ ist, effizient. Man kann sagen, keine
Strategie schlägt λ∗ während diese alle anderen Strategien schlägt. Natürlich haben rea-
listische Märkte nicht i.i.d. relative Dividenden. Man kann jedoch zeigen, dass es für jeden
Dividendenprozess ein geeignet definiertes λ∗ mit ebendiesen Eigenschaften gibt.

10.2.4 Praktische Anwendung

Anhand der bisherigen Erkenntnissen können wir einige grundlegende Fragen beantworten.

ˆ Aktiv oder Passiv anlegen? → Semi Aktiv! (Rebalanzieren)

ˆ Fundamental oder Chartist? → Fundamental!

ˆ Konzentrieren oder Diversifizieren → Diversifizieren!

ˆ Nutzenmaximieren? → Heuristiken!

ˆ Wer bezahlt meine Renditen? → Kommt auf Style an!

Den letzten Punkt kann man auch so formulieren: “Who is on the other side?”. Wenn
meine Strategie den Markt schlagen soll, dann muss es andere Strategien geben, die hinter
den Markt zurück fallen. Denn die Marktrendite ist die durchschnittliche Rendite aller
Strategien: RM = Ii=1 Ri ri , wie schon gezeigt wurde.
P

Die drei Tests

Das evolutionäre Modell erlaubt es einem auch die Performance einer neu entwickelten
Strategie in einem Markt zu untersuchen. Der erste Test ist ein Back-Test. Dabei werden
Daten aus der Vergangenheit benutzt um die Strategie in der Vergangenheit zu simulieren
und so ihre Stärken und Schwächen herauszufinden. Die grundlegende Idee eines Backtests
ist weit verbreitet und wird auch außerhalb der evolutionären Finanzmarkttheorie benutzt.
Innerhalb des evolutionären Modells kann man den Backtest einer Strategie mittels der
folgenden Formel durchführen:

K Dk + qk
!
(ω) (ω)
X
i i,k
g(λ , q) = Ep ln k
λ .
k=1
q(ω −)

In diesem Fall kommen die Preise vollständig von außerhalb des Modells, man spricht auch
von exogeneous returns. Ein Backtest ist sehr hilfreich und empfohlen zur Untersuchung

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Financial Markets

einer Strategie, aber nur einen Backtest zu betrachten ist zu kurz gedacht. Ein weiterer
Test, den man durchführen sollte, ist ein sogenannter Impact Test: Was passiert, wenn
viele andere Investoren diese Strategie ebenfalls benutzen? Kann man dann damit immer
noch gute Gewinne machen oder wird der Markt durch die große Anzahl von Investoren
in der gleichen Strategie beeinflusst? Die Formel für den Impact Test ist

K D k + q k + ελi
!
(ω) (ω) (ω)
X
i i i,k
g(λ , q + ελ ) = Ep ln k i
λ .
k=1
q(ω − ) + ελ(ω − )

Das ε ist ein wählbarer Parameter, der aussagt wie viel Einfluss man der Strategie im
Markt zugestehen möchte. In diesem Fall kommen die Preise zunächst von außerhalb des
Modells werden aber vom Modell beeinflusst, man spricht auch von semi endogeneous
returns.
Der letzte Test ist der Reflexivity Test und untersucht die Frage ”Who is on the other
side?”. Wie schon erwähnt, wenn man eine Strategie findet, die den Markt schlägt, muss es
immer auch eine andere Strategie geben die dadurch relativ zum Markt verliert. Wie lange
ist die andere Seite bereit oder in der Lage deine Gewinne zu finanzieren? Einen Aufschluss
darüber gibt der Reflexivity Test. Dieser sagt dir wie sich deine Strategie relativ zum Markt
entwickelt, wenn andere Investoren auf deine Strategie reagieren können:
 
K D k + λM,k I
X (ω) (ω) i,k 
X
g(λi , λM ) = Ep ln  M,k
λ , wobei λM = λi w i .
k=1 λ −
(ω ) i=1

In diesem Fall kommen die Preise vollständig aus dem Modell, man spricht auch von fully
endogeneous returns.

87
Financial Markets

11 Der Alternative Finanzmarkt


Wir haben bisher hauptsächlich über den traditionellen Finanzmarkt gesprochen. Dieser
hat sich im Laufe der Zeit auf Basis der Realwirtschaft entwickelt und die verschiedenen
Staaten unserer Welt nehmen unter anderem als Regulatoren Einfluss darauf. Jedes Land
ist mit seiner eigenen Währung und auch mit seinem Rechtssystem auf die eine oder an-
dere Weise vertreten. Auch die Handelsplätze (Börsen) sind letztendlich an ihr jeweiliges
Land gebunden.

Mit dem Internet hat sich dabei einiges geändert. Zwar kann man auch traditionelle
Finanzprodukte im Internet handeln, allerdings haben sich durch das Internet auch ganz
neue, alternative Finanzprodukte gebildet. So ist es nicht mehr notwendig zur Kreditver-
gabe oder Aufnahme zu einer Bank zu gehen. Möchte oder kann man sich von einer Bank
kein Darlehen holen, so kann man im Internet auf Crowdlending Plattformen von einer
oder mehreren anderen Privatpersonen Geld leihen. Da hier der Schuldner in (mehr oder
weniger) direkten Kontakt mit dem Gläubiger treten kann ohne eine Mittelsbank dazwi-
schen, wird auch von Peer-to-Peer-lending gesprochen. Benötigt jemand Kapital für eine
junge Firma oder möchte eine neue gründen, so kann er dies mittels Crowdfunding einsam-
meln. Auch hierfür gibt es Plattformen im Internet, die Investoren mit den Innovatoren
verbinden. Dabei muss auch kein Großinvestor vertreten sein, es ist ebenfalls möglich dies
durch viele kleine Investoren zu finanzieren. Dabei kann die Art der Vergütung bei einem
Crowdfunding Projekt sehr stark variieren: Von Firmenanteilen bis hin zu Firmenproduk-
ten über Spenden ist alles möglich. Im Internet sind auch neue Währungen (sogenannte
Kryptowährungen) entstanden, wie z.B. Bitcoin. Für sehr viele traditionelle Finanzpro-
dukte gibt es mittlerweile Gegenstücke im alternativen Finanzmarkt:

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Financial Markets

Traditionelle und Alternative Finanzmärkte


gehandelt nicht gehandelt
CMO
Hypothek
Fixed Income Obligation Bitbond
Crowdlending
IPO
Private Equity
Erfolgsabhängig Aktie
ICO
Crowdfunding
ILS
Lebensversicherung
Ereignisabhängig Derivate Peer-to-Peer-
Insurance
Währung (CHF, Crypto)

Alle Produkte des alternativen Finanzmarktes haben die Eigenschaft, dass sie dezentral
über das Internet organisiert sind, anders als in den Traditionellen Finanzmärkten. In den
traditionellen Märkten spielen die einzelnen Staaten eine große Rolle. Sowohl durch ihre
Währungen, ihre lokale Realwirtschaft als auch durch ihr Rechtssystem. Die Staaten tre-
ten als Regulatoren in ihren jeweiligen Märkten auf und setzen grundlegende Regeln und
ihre entsprechenden Gesetze durch. Bei Streitfragen kann man sich an das Rechtssystem
des jeweiligen Staates wenden. Die Alternativen Finanzmärkte dagegen sind unreguliert,
es gibt keinen zuständigen Staat, der Gesetze durchsetzt. Dies macht die alternativen
Finanzmärkte im allgemeinen risikoreicher, erleichtert dafür aber im Gegenzug Innovatio-
nen.

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