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Universität Wien

Katholisch-Theologische Fakultät

Theologie der Spiritualität

Prof. Dr. Marianne Schlosser

010013-1

Franz von Sales - Meister der Spiritualität

Seminarleiter:

Univ.-Prof. Dr. Marianne Schlosser

Berufung bei Franz von Sales

Vorgelegt von: Vidovic Mirko

Vorgelegt am: 1.3.2023

Matrikel Nr. : 01463790

Adresse: Meiselstraße 1, 1150 Wien

Email: mirkovidovic13@gmail.com
Inhalt
Einleitung ................................................................................................................................................. 3

1. Berufung in dem Kontext der Vorherbestimmung.......................................................................... 3

2. Theotimus und die Berufung ........................................................................................................... 4

2.1. Vorsehung ............................................................................................................................... 5

2.2. Gnade und Freiheit .................................................................................................................. 5

2.3. Berufung unter dem Kontext der Liebe der Gleichförmigkeit und Vereinigung der Willen ... 6

2.4. Der Wille Gottes in den Geboten ............................................................................................ 7

2.5. Der Wille Gottes in den Räten ................................................................................................. 8

2.6. Räte folgen können ................................................................................................................. 9

2.7. Einssein mit dem Willen Gottes ............................................................................................ 11

2.8. Die evangelischen Räte als universaler Ruf und hervorragender Weg zur Vereinigung der
Willen 11

2.9. Eingebungen .......................................................................................................................... 12

2.9.1. Kriterien für echten Eingebungen und Berufungen ...................................................... 13

3. Franz von Sales und Thomas von Aquin ........................................................................................ 15

3.1. Kontext der Berufungsgedanke beim Hl. Thomas von Aquin zusammengefasst ................. 16

4. Problemstellung zum Berufungsverständnis bei Hl. Franz von Sales und Thomas von Aquin ..... 17

4.1. Berufen oder Selbstberufen .................................................................................................. 17

4.2. Die Absicht............................................................................................................................. 17

4.3. Das Scheitern ......................................................................................................................... 18

4.4. Die Berufung und Heiligkeit................................................................................................... 18

Fazit ....................................................................................................................................................... 19

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................... 20
Einleitung
Hl. Franz von Sales ist bekannt für seine Abhandlungen über die Liebe zu Gott, die ihren Höhepunkt in
der Vereinigung mit dem Willen Gottes hat; oder auch für seine Rolle als geistlicher Begleiter vieler
Berufenen. Was ist aber der Wille Gottes und was ist eine Berufung? Was ist sie an sich, wie ist sie zu
erkennen? Sind alle oder nur manche zur engen Nachfolge berufen? In dieser Arbeit möchte ich in eine
Idee von dem, was Hl. Franz unter Berufung versteht herausbekommen. Da er darüber keinen
konkreten theologischen Traktat geschrieben hat, versuche ich aus ein Bild von dem, wie Franz die
Berufung versteht zu extrahieren. Da er das Thema am meisten in seinem Werk Theotimus anspricht,
werde ich mich darauf konzentrieren wobei seine andere Werke, wie Philothea oder Briefe auch
hineinbezogen werden.

1. Berufung in dem Kontext der Vorherbestimmung


Das Thema, dass auch die Auffassung der Berufung berührt ist die Prädestination. Ähnlich wie bei der
Diskussion über Prädestination, wo es ungefähr darum geht, ob die Rettung auf die Vorherbestimmung
oder auf die menschliche freie Entscheidung ankommt, ist es mit der Berufung, wo man sich in dieser
Hinsicht Fragen wie: Ist man zu einer Berufung von Gott vorherbestimmt, oder liegt es an einer rein
menschlicher Entscheidung? Sind alle Kleriker/Ordensleute berufen, bzw. haben alle, die es nicht sind
keine Berufung? Kann jemand einfach einem Orden oder Klerikerstand beitreten, weil er das wünscht?,
usw. stellen kann. Anders gesagt, das Verständnis der Berufung, sowie der Vorherbestimmung hängt
zu einem gewissen Grad mit der deterministischen oder indeterministischen theologischen
Ausgangspunkt zusammen, der an sich von dem theologischen Grundsatz aus nicht ganz straff
abgegrenzt ist, oder sein kann.

Angesichts dieser Gedanken hat die Angst von der Verwerfung den jungen Franz von Sales ernst
bewegt und eine gewisse Wende in seinem Leben hervorgerufen, die eine tragende Auswirkung auf
seinen theologischen Ansatz hatte. Das Thema der Prädestination, die ihn in eine gewisse
Glaubenskrise brachte, begegnete er durch Studium vom Thomas von Aquin und Augustinus, die er als
herausragende Theologen betrachtete und später immer wieder zitierte. Nach einer Zeit der
Erschütterung schaute er auf das Kreuz, das nicht verwirft, sondern rettet und begriff die Wichtigkeit
der Freiheit, die Gott einem gibt, zu lieben oder nicht zu lieben und Gottes Gnade, die einen in seiner
Freiheit unterstützt und erhebt dies zu können.1 Mit dieser Erfahrung entfernte sich der hl. Franz

1
Später nahm Hl. Franz eine konkrete Position zur Frage der Prädestination (Kontroversschriften), die aus seiner
Erfahrung und Übereinstimmung mit der Schrift und Tradition ausging. Diese fand ihren Einfluss auf die Ansicht
des Jesuiten Molina in seinem Buch Liberi arbitrii cum gratiae donis, divina praescientia, providentia,
praedestinatione et reprobatione concordia, was sich dann als Position der Jesuiten durchsetzte. Dies führte dann
zu berühmten Debatten um das Thema der Prädestination, zuerst zwischen Thomisten und Molinisten und dann
später zwischen Jesuiten und Dominikanern. Das Interessante ist, dass der Hl. Franz nicht die Position des Hl.
gewissermaßen von der Prädestinationslehre wie sie z. B. beim Thomas oder vor allem Augustinus zu
finden ist, und wurde in Überzeugung in Gottes Liebe und festem Wunsch Gott zu lieben so viel wie es
für ihn möglich ist befestigt. Dieses Ereignis gab seiner Denkweise einen Ansatz mit dem Akzent auf
der menschlichen Freiheit und Gottes Gnade. Diese Sichtweise prägte später deutlich seine Theologie,
deren praktischer Ziel die christliche Vollkommenheit ist, die ihren Höhepunkt in Vereinigung des
eigenen Willens mit dem Willen Gottes hat.2

Dies sei nur ein kurzer Gedanke um einen Kontext seiner Denkweise zum Thema zu geben. Nun
schauen wir, wie er das Thema an sich behandelt.

2. Theotimus und die Berufung


Über die Gottesliebe oder Theotimus ist das Buch in dem Franz den wichtigsten Ansatzpunkt der
Theologie zusammenfasst und entfaltet, und das ist die Liebe. Das Ganze der Theologie geht aus der
Liebe und auf die Liebe zu, wie er in Einleitung sagt: „Alles gehört der Liebe, alles liegt in der Liebe,
alles ist für die Liebe, alles ist aus Liebe in der heiligen Kirche.“3 In ihrem Dienst steht auch die Berufung.

Gleich im ersten Kapitel, sieht Franz den Willen als den eindeutig wichtigsten Akteur und König unter
den Menschenfähigkeiten.4 Der Wille regiert alle anderen geistigen Tätigkeiten, soll aber selbst von
der Liebe angezogen, geformt und regiert werden.5 Menschlicher Wille hat bestimmte Neigungen, die
den Willen anziehen, wie bekanntlich Leidenschaften etc. Zur höherer Natur gehören vier Neigungen:
die natürlichen (Gesundheit, Essen, Kleidung etc.), rationalen (Tugenden, Ehre, Kontemplation über
Ewigen etc.), die christlichen (entspringen aus der Offenbarung, und bringen uns dazu z.B. Armut und
Keuschheit zu wollen) und als letzten die göttlichen oder übernatürlichen (Gott selbst gibt sie in das
Herz hinein; sie streben nach Gott ohne Mittleres; diese wären drei: Liebe zu den Glaubensmysterien,
zum ewigen Leben und zur Güte Gottes).6 Dies ist nicht irrelevant, da die Berufung in sich eine

Thomas von Aquin, sondern von seinen Auslegern verwarf (vgl. E. M. Lajeunie, St Francois de Sales et l'esprit
salesien). In der Debatte zwischen Jesuiten und Dominikanern, stellte sich Franz auf keine von den beiden Seiten.
Als der Streit heftig wurde, wurde auch die Meinung des Hl. Franz in das päpstliche Unterscheidungsprozess
hineinbezogen, bevor das berühmte Verbot über die weitere Diskussion zum Thema hinausging. Vgl. Wendy M.
Wright and Joseph F. Power, “Introduction,” in Francis de Sales, Jane de Chantal: Letters of Spiritual Direction,
ed. John Farina, trans. Péronne Marie Thibert, The Classics of Western Spirituality (New York; Mahwah, NJ: Paulist
Press, 1988), 21–22.
2
Vgl. Francis de Sales and Jane de Chantal, Francis de Sales, Jane de Chantal: Letters of Spiritual Direction, ed.
John Farina, trans. Péronne Marie Thibert, The Classics of Western Spirituality (New York; Mahwah, NJ: Paulist
Press, 1988), 105.
3
Franz von Sales, Abhandlung über die Gottesliebe (Theotimus), I. Teil., Deutsche Ausgabe der Werke des Hl.
Franz von Sales, Band 3, Franz-Sales-Verlag, Eichstätt und Wien, 1957., 36.
4
Vgl. Ebd. 1. Teil, 50-54.; anders zu Thomas, der der Vernunft einen gewissen Vorrang gibt., vgl. Summa Theologie
I, q. 82., a. 3.
5
Vgl. Ebd., 59-63.
6
Vgl. Ebd., 63.
bestimmte Neigung schließt; und zwar sich auf etwas Unnatürliches (aus menschlicher Sicht)
lebenslang Gotteswegen einzulassen. Armut und vor allem Keuschheit zu wollen (oder zumindest
bereit sein sich lebenslang darauf einzulassen) gehören dazu. Somit würde die Berufung zur
christlichen Neigung gehören und so allen Christen offenstehen. Dieser Ansatz der Offenheit der
Berufung zu allen, die dadurch Gott vollkommenere Liebe erweisen wollen ist im Werk öfters so
dargestellt.

2.1. Vorsehung
Im zweiten Buch geht es um den Ursprung der göttlichen Liebe und die Vorsehung. Da kommt der
Aspekt eines souveränen Willen Gottes und der Auserwählung mehr zum Ausdruck, sie bleiben aber
in diesem Buch stehen und der Gedanke erstreckt sich nicht wirklich auf das Thema der Berufung aus;
wenn schon, dann auf die Auserwählung zum Christ sein und Berufung zur allgemeinen Heiligkeit.

Alles was ist und geschieht ist das Produkt des Willens Gottes, der ein einziger Akt ist, von uns aber als
vielfältig wahrgenommen wird. Das, was als Zufall scheint, ist nur in unseren Augen Zufall. In Wahrheit
aber ist es ein Teil der Gottes Vorsehung; auch z.B. der Fall des ersten Menschen, wo Franz den erlösten
Zustand als hundertmal besser als den Urzustand ansieht. So steht die ganze Geschichte und
Heilsgeschichte als ein ewiger Akt der grenzenlose Liebe Gottes.7 Gott plante seit Ewigkeit eine Vielfalt
der Geschöpfe zu erschaffen und sie auch mit verschiedenen und ungleichen Gaben zu beschenken,
hinsichtlich der Natürlichen als auch der Übernatürlichen, damit die Kirche in all ihrer Buntheit und
Schmuck erstrahle.8

2.2. Gnade und Freiheit


Angesichts unserer armseligen Situation des Verfangenseins in die Sünde und der Unfähigkeit Gott zu
lieben und heilig zu sein, das wozu Gott uns berufen und erschaffen hat; ist es Gott, der als erster
Akteur in uns den Anstoß zur Umkehr bewirkt, ohne irgendwelche Bewegung unsererseits. So liegt der
Anfang unserer Beziehung zu Gott, unserer Berufung Christ zu sein, an Gott. Wenn jemand aber diesen
Ruf verweigert, oder von Gott abfällt, liegt es an ihm und nicht an Mangel der Gnade Gottes. D.h. man
kann jemandes Untergang nicht als den Willen Gottes, sondern als Ausdruck seines eigenen Willens
betrachten.9 Gott respektiert den menschlichen Willen dermaßen, dass er in uns nichts ohne unsere
Zustimmung machen würde. Anderseits stellt Gott dem Menschen immer genug Gnade, um Heiligkeit
zu erreichen zur Verfügung. 10 Er tut das in sanfter Weise, in dem er uns anzieht und nicht zwingt, damit

7
Vgl. Ebd. 104-110.
8
Vgl. Ebd. 115-117.
9
So nimmt Franz Luzifer als Beispiel, der, obwohl er die meisten Gnade von Gott erhielt, durch seinen Eigenwillen
zum Fall kam. Die niederen Engeln schulden ihre Beständigkeit dem barmherzigen Willen Gottes, der Lucifer
seinen Fall dem eigenen Willen. Mit dem Menschen ist es genauso., Ebd. 121.
10
Vgl. Ebd. 120-125.
wir ihm so aus dem Entschluss des freien Willens folgen können.11 So könnte man sagen, dass das
endgültige Erreichen der Heiligkeit oder das Gegenteil ausschließlich an dem Menschen liegt. „Was
hindert uns daran, dass wir nicht so tief in die Liebe Gottes eingeweiht sind wie der heilige Augustinus,
der heilige Franziskus, die heilige Katharina von Genua oder der heilige Franziskus? Weil Gott uns diese
Gnade nicht gegeben hat. Aber warum hat er sie uns nicht gegeben? Weil wir seinen Eingebungen
nicht würdig entsprochen haben. Warum haben wir nicht so gehandelt? Weil wir, da wir frei sind,
unsere Freiheit missbraucht haben. Und warum? Nein, hier müssen wir innehalten; denn, wie der
heilige Augustinus sagt, kommt die Verderbtheit unseres Willens nur aus der Schuld der Ursache, die
die Sünde begeht. Und wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir einen Grund für den Fehler, der zur
Sünde führt, angeben können, denn der Fehler wäre keine Sünde, wenn er nicht ohne Grund wäre.“12

Dies alles eröffnet einen Einblick in das Verständnis über Gnade und Freiheit des Hl. Franz von Sales,
was mit dem Thema der Berufung direkt zu tun hat. Franz stellt einen starken Akzent auf der
menschlichen Freiheit und den Willen als der Hauptseelenkraft des Menschen. Dieses Denken
durchdringt auch seinen Berufungsgedanken. Es schaut so zu sein, dass die Berufung zum geweihten
Leben nicht unbedingt einer besonderen Erwählung oder persönlichen Einladung bedarf, sondern es
gebe eine Einladung zur Heiligkeit, die die Hauptberufung und Zweck des christlichen Lebens ist. Zu
dieser stellt Gott jedem genügend Gnade zur Verfügung, um es zu erreichen und dazu sind alle berufen.
In diesem Kontext stellt sich das religiöse Leben als dafür besonders geeignet dar, weil man dadurch
leichter zur Vollkommenheit gelangen kann.

2.3. Berufung unter dem Kontext der Liebe der Gleichförmigkeit und Vereinigung
der Willen
Im Buch VIII des Theotimus wird das Thema der Berufung etwas konkreter aufgegriffen, immer noch
aber im gleichen Ton. In diesem Buch geht es um das Vereinen unseres Willens mit dem Willen Gottes.
Das sieht Hl. Franz als den Höhepunkt der Heiligkeit. Diese uniformitas betrifft aber nur sekundär die
besondere Berufung, sondern in erster Linie die allgemeine Berufung zur Heiligkeit. In meisten Fällen
wo Franz von der Berufung spricht, bezieht er sich auf dieses Geschehen, in dem Gott uns zu sich
beruft, ihm nachzufolgen; in dem er uns diese erste Gnade gibt, uns zu ihm zu bekehren und heilig zu
werden. Er meint aber oft mit der Berufung einfach den Stand, in dem man sich gerade befindet
(Ehemann, Ehefrau, Jungfrau, Ordensmann, Priester, Handwerker, Diener u.Ä.). Verfolgt man die

11
Vgl. Ebd. 129.
12
Ebd. 127. Die Referenz auf Augustinus in De libero arbitrio betrifft den komplexen Gedanken, wie die Menschen
sündigen können, wenn sie aus Gott kommen und Gott nicht die Ursache der Sünde ist. Was ist die Ursache der
Sünde dann? Die Idee aber bleibt fest, dass es nicht an Gott liegen kann, sondern an den Menschen., vgl.
Augustine of Hippo, The Teacher; The Free Choice of the Will; Grace and Free Will, ed. Roy Joseph Deferrari, trans.
Robert P. Russell, vol. 59, The Fathers of the Church (Washington, DC: The Catholic University of America Press,
1968), 78.
Heiligkeit, die das Ziel der Berufung ist, in dieser oder jener Form, als Geweihter oder Laie, ist es nicht
das Wesentliche. Das Allerwichtigste ist, das man heilig sei.13

2.4. Der Wille Gottes in den Geboten


Er teilt den Willen Gottes auf einige Aspekte.14 Der erste ist der ausgesprochene Wille Gottes. Der stellt
uns die Wahrheiten vor Augen „von denen Gott will, dass wir sie glauben, die Güter, von denen er will,
dass wir sie erhoffen, die Strafen, von denen er will, dass wir sie fürchten sollen. Sie offenbart uns
Gottes Willen über das, was wir lieben, über die Gebote, die wir halten sollen, über die Räte, deren
Befolgung er wünscht. Alles das heißt der ‚ausgesprochene Wille Gottes‘, weil er seinen Willen
ausgesprochen und weil er geoffenbart hat, dass das alles geglaubt, gehofft, gefürchtet, geliebt und
getan werden soll“15. In dieser Hinsicht bringt Gott drei Akte seines Willens hervor: „er will, dass wir
widerstehen können, er verlangt, dass wir nicht widerstehen, lässt es aber zu, dass wir Widerstehen,
wenn wir es wollen. Dass wir widerstehen können, ist eine Folge unserer natürlichen Beschaffenheit
und Freiheit; wenn wir widerstehen, so ist dies eine Folge unserer Schlechtigkeit; widerstehen wir aber
nicht, dann handeln wir nach dem Verlangen der göttlichen Güte. Wenn wir also seinem göttlichen
Willen Widerstand leisten, so trägt Gott nichts zu unserem Ungehorsam bei, er überlässt es nur
unserem Willen, dass er sich frei entscheide (Eccl 15,14), und lässt es zu, dass er das Schlechte wähle.
Gehorchen wir aber, so trägt Gott durch seine Hilfe, seine Eingebung und Gnade dazu bei. Die
Zulassung ist ein Willensakt, der seiner Natur nach unfruchtbar, steril, ergebnislos ist, sozusagen eine
passive Handlung, die nichts tut, sondern nur tun lässt; das Verlangen ist dagegen eine aktive,
wirksame und fruchtbare Handlung, die aufmuntert, anspornt und drängt.“16 Gott verlangt, dass wir
seinen geoffenbarten Willen folgen. Er unterstütz uns mit seiner Gnade dies zu können. Leisten wir
aber Wiederstand, liegt es nicht an Mangel der Gnade, sondern in einfacher Zulassung Gottes, dass wir
das tun, was wir wollen. Hier sehen wir nochmals die Akzentlegung an dem an uns liegenden tragenden
Faktor, nämlich der menschlichen Freiheit. Gnade Gottes ist immer da, uns dabei zu helfen, das zu tun,
was von uns verlangt wird.

13
Zu diesem Zweck hat er das Buch Philothea geschrieben, in dem er die Unterweisungen zum Heiligen Leben an
Philothea (von Gott geliebte – jeder Leser) gibt, abgesehen vom Stand der betreffenden Person.
14
Der Wille Gottes manifestiert sich zu uns nur so und wird von uns so wahrgenommen. Hier und im ersten Buch
aber sagt Franz klar, dass der Wille Gottes ein einziger, einfacher Akt ist: „Und obwohl seine göttliche Majestät
nur einen einzigen und ganz einfachen Willen hat, so bezeichnen wir ihn doch mit verschiedenen Namen nach
der Verschiedenheit der Mittel, durch die wir ihn erkennen, - der zufolge wir auch in verschiedener Weise
verpflichtet sind, ihm gleichförmig zu werden.“, Ebd. II. Teil, 82.
15
Ebd. II. Teil, 83.
16
Ebd., 83.
Weitere Aspekte sind der Wille Gottes uns zu retten, der ein echter Wille ist, auch wenn nicht alle
gerettet werden17; und sein in Geboten ausgesprochener Wille, der zu uns in der Hl. Schrift geoffenbart
wurde und für den Gott verlangt, das er befolgt sei.18

2.5. Der Wille Gottes in den Räten


Der Aspekt des Willens Gottes, der die Berufung mehr betrifft, ist der in den Räten ausgesprochener
Wille Gottes. „Das Gebot offenbart einen ganz festen und drängenden Willen dessen, der anordnet.
Der Rat aber stellt uns nur einen Willen in Form eines Wunsches vor Augen. Das Gebot verpflichtet
uns, der Rat muntert uns nur auf. Der Übertreter eines Gebotes macht sich eines Vergehens schuldig;
wer aber einen Rat nicht befolgt, macht sich nur des Lobes weniger würdig. Übertreter der Gebote
verdienen, verdammt zu werden, jene, die Räte vernachlässigen, verdienen nur weniger verherrlicht
zu werden.“19 Das Gebot auferlegt eine Notwendigkeit, wobei der Rat uns zu etwas aufmuntern, was
von großem Nutzen ist. „Dem Gebot entspricht der Gehorsam, dem Rat das Vertrauen. Den Rat befolgt
man, um zu gefallen, und das Gebot, um nicht zu missfallen.“20 Der Rat wird einem gegeben, damit er
vollkommen sei: „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib ihn den Armen;
und du wirst einen Schatz im Himmel haben; und komm, folge mir nach!“ (Mt 19,21). Das liebende Herz
aber, nimmt sich die Räte nicht des Nutzes wegen, sondern weil es dem, der es gibt gefallen und ihm
gleichförmig werden will. Nun, nicht alle Räte sind für alle: „Und Gott will nicht, dass jeder alle Räte
befolge, sondern nur jene, die der Eigenheit der Personen, Zeiten, Umstände und den Kräften des
einzelnen Entsprechen, so wie die Liebe es verlangt. Wenn dein Vater oder deine Mutter wirklich
deines Beistandes bedürfen, um leben zu können, dann befolge nicht den Rat, dich in ein Kloster
zurückzuziehen... Bist du ein Fürst, durch dessen Nachkommenschaft die Untertanen deiner Krone im
Frieden bewahrt (…), dann verpflichtet dich die Rücksicht auf ein so wichtiges Gut, durch eine heilige
Ehe für legitime Nachkommen zu sorgen… Hast du eine schwache, unbeständige Gesundheit, die vieler
Pflege bedarf, dann belaste dich nicht freiwillig mit tatsächlicher Armut, denn die Liebe verbietet es
dir. Die Liebe verbietet nicht nur den Familienvätern, alles zu verkaufen und den Armen zu geben,
sondern sie befiehlt ihnen, auf ehrenhafte Weise das zusammenzulegen, was für die Erziehung und
den Unterhalt der Frau, der Kinder und Dienerschaft erforderlich ist. So sollen auch den Königen und
Fürsten die durch redliche Sparsamkeit, nicht durch tyrannische Schliche gehäuften Schätze als
heilsame Vorbeugungsmittel gegen ihre sichtbaren Feinde dienen.“21

17
Vgl. Ebd., 85-87.
18
Vgl. Ebd. 87-89.
19
Ebd. 90.
20
Ebd. 90.
21
Ebd. 90-91.
Zwei wichtigen Sachen fallen da auf. Die erste, dass die verschiedene Lebensstände als eine Art
Berufungen angesehen werden (Vater, Fürst, Sohn/Tochter, Klosterleben…), denen die Liebe eine
bestimmte Art vom Lebensführung anordnet. Die zweite ist, dass die Liebe jenen eine andere Berufung
zu befolgen verbietet, die als besonders und vollkommener erscheint, und das ist jene, die im Ruf Jesu
alles zu verlassen und ihm nachzufolgen enthaltene. Er sagt zwar weiter: „Die Räte sind alle zur
Vervollkommnung des christlichen Volkes gegeben.“, die Unterschied aber zwischen ‚gewöhnlichen‘
und ‚besonderen‘ Berufungen ist deutlich. Obwohl die Räte zur Vervollkommnung allen verschiedenen
Lebensständen gegeben sind, ist die enge Nachfolge Jesu ein Weg oder Berufung zur Vollkommenheit
an sich. Alle sind zur Vollkommenheit berufen und wenn sie es nicht erreichen, liegt es nicht an Gott,
sondern an der Person. Der Unterschied in dem Willen Gottes für verschiedene Personen liegt also
nicht an dem Grad der Vollkommenheit, zu der sie berufen sind, sondern nur auf der Art und Stand, in
dem sie diese Vollkommenheit zu erreichen haben. Auch dieser Unterschied, wegen genannten
Gründen, fällt bei Franz als nebensächlich auf. Angesichts des hier gesagten, und oben erwähnten
Hervorhebung der menschlichen Freiheit, schaut die besondere Berufung beim Franz von Sales sehr
stark auf der freien menschlichen Entscheidung und Lebensumständen zu liegen. Die Frage zu welcher
konkreten Berufung Gott einen beruft oder erwählt hat ist zweitrangig, soweit man nach
Vollkommenheit strebt. Die besondere Berufung ist insofern besser, da sie leichter zur
Vollkommenheit führt.

2.6. Räte folgen können


In diesem Kontext sagt Franz, dass diese Räte der Vollkommenheit manchmal unmöglich, unnütz,
gefährlich oder schädlich sein können. Zum einen ist es klar, dass damit das oben zitierte gemeint ist:
ein Vater soll nicht Armut leben, ein Fürst keine Keuschheit etc. Aber nicht nur wegen diesen
Offensichtlichen. Er zitiert den Herrn: „Wer es fassen kann, der fasse es.“ (Mt 19,21); und als Erklärung
zu dieser Stelle nimmt er das Zitat des Hl. Hieronymus: „Wer die Krone der Keuschheit als Ehrenpreis
erringen und davon tragen kann, der ergreife ihn, denn dieser Preis ist für solche ausgesetzt, die tapfer
um die Wette laufen.“22 Hier stellt er einen sehr starken Akzent auf das Können. Die Berufung zur
Vollkommenheit in der engen Nachfolge ist nicht allen gegeben und daher nicht ratsam, weil es, auf
menschliche Fähigkeiten schauend, nicht alle können. Die Berufung also steht in direkter Beziehung zu
und hängt von Können ab. Somit schiebt er wieder das Gewicht auf den Menschen und das
menschliche Vermögen. Sicherlich kann man daraus ableitend sagen, dass, wenn Gott jemanden

22
Ebd. 91-92.
beruft, er ihn so gestalten und ausstatten wird, dass derjenige das kann. 23 Hier aber entfaltet er diesen
Gedanken nicht weiter.24

Er stellt hingegen die Liebe als Rückgrat und Spitze, als Richtschnur und Maß der Berufung und Räte.
Liebe ist Gott und Gott Liebe und in der Liebe äußert sich sein Wille. Hier möchte ich ein paar Gedanken
zur Beziehung zwischen Liebe und den Willen Gottes vorbringen. Man muss bedenken, dass unser
Verständnis von Liebe auch irreführend sein kann. Es kann uns scheinen, dass etwas aus Liebe getan
werden muss, und somit sicherlich besser ist. Aber wer garantiert, dass das das Richtige ist. Und was,
wenn der Wille Gottes die Sklavin wegzuschicken ist? (Vgl. Gen 21,9-12). So erwähnt auch Franz hier
ein Beispiel, mit dem man irgendwie schwer zurechtkommt; nämlich, dass Mönche oder Ordensleute
aufgrund der Liebe (weil die Nächstenliebe sie auffordert) ihre Berufung verlassen und heiraten sollen.
Dies ist ein bisschen schwer zu verdauen. Man muss nicht starrsinnig sein, aber mit welcher Sicherheit
müsste man überzeugt sein, dass eine bestimmte Handlung der Wille Gottes sei, weil sie aus Liebe ist,
dass man deswegen ewigen Gelübden bricht? Die gute Absicht mag jemanden freisprechen, aber wer
garantiert die Richtigkeit solcher Entscheidung? Ist die Liebe oder der Wille Gottes die maßgebende
Richtschnur? Wenn der Wille Gottes die Liebe, und die Liebe der Wille Gottes ist, wie kann man mit
Sicherheit die Absicht der Liebe wissen? Da kann man aufgrund der Menschlichkeit etwas zu kurz
kommen. Der souveräne Wille Gottes hat eine Seite, die unausgesprochen ist und uns nicht immer
(oder besser gesagt selten) klar ist. Wäre er uns immer klar durch die Liebe, wir könnten vielleicht mit
Bestimmtheit in jeder Situation wissen, was Gott genau will. Dass wir es aber nicht immer wissen
können sagt Franz selber.25 Der Wille Gottes ist die Liebe und umgekehrt, aber in diesem Leben kann
man keine von den Beiden vollkommen erfassen. Zum Teil eben deswegen, weil sie eins sind.

23
Ein Paar Fragen dazu: Was heißt es „das zu können“? Kann man das im Menschen erkennen? Wenn schon,
vielleicht könnte man aufgrund der dies betreffenden Fähigkeiten von jemanden ein Zeichen seiner Berufung
oder Erwählung vom Gott sehen. Reicht das aber aus? Liegt die Berufung nur am Können? Nur am Wollen? Oder
sogar neben Können und Wollen am Sollen? Und wer entscheidet, wer was soll?
24
Im Briefen schon, wie es später erwähnt wird. Die Reihenfolge aber bleibt unklar, d.h. ob Gott jemanden die
natürliche Vermögen, die Berufung folgen zu können eingeboren gegeben hat; oder wird das notwendige
Vermögen später samt der angenommenen Eingebung und Gnade verleiht.
25
„Aber auch hier weiß ich nicht, was ich sagen soll, denn ich weiß nicht, was die Berufung des Himmels ist.“,
Francis de Sales, Letters to Persons in Religion, trans. Canon MacKey and John Cuthbert Hedley, Fourth Edition.,
Library of Francis de Sales (London; New York; Cincinnati; Chicago: Burns and Oates; Benziger Brothers, 1909),
auf Deutsch vom Verfasser übersetzt, 208.; „Hier aber, mein Theotimus, muss ich dich auf eine lästige
Versuchung aufmerksam machen. Sie überkommt häufig die Seelen, die ein Großes Verlangen haben, in allen
Dingen das zu wählen, was am meistens dem Willen Gottes entspricht. Denn bei jeder Gelegenheit lässt Sie der
Feind im Zweifel, ob das, was sie tun, der Wille Gottes ist, oder ob sie etwas anderes tun sollten… Damit verlieren
sie sehr viel Zeit. Während sie damit beschäftigt und bemüht sind, zu erkennen, was das Bessere sei, versäumen
sie unnütz die Zeit, in der sie manch Gutes tun könnten, dessen Ausführung mehr zur Ehre Gottes gereichte als
die Untersuchung darüber, was gut und was besser ist, wobei sie sich aufgehalten haben.“, Franz von Sales,
Theotimus, Band II., 116.
Trotzdem sind wir aufgefordert nicht nur dem Willen Gottes untertan zu sein, sondern durch die Liebe,
er selbst zu sein.

2.7. Einssein mit dem Willen Gottes


Jemand, der Gott liebt wird selbst zu seinem Willen: „So wird die Seele, die Gott liebt, so sehr in den
göttlichen Willen umgewandelt, dass man eher von ihr sagen kann, sie sei ‚Wille Gottes‘ zu nennen,
als nur, sie sei Gottes Willen gehorsam und untertan.“26 Also, man könnte etwas daraus ableiten, dass
wenn jemand Gott liebt, müsste er sich nicht fragen, was der Wille Gottes ist. Er erfüllt ihn schon durch
die Liebe, oder richtiger, es ist selbst der Wille Gottes. Die Christen also sollen diejenigen sein, in denen
der Wille Gottes, der ein einziger ewiger Akt ist anwesend ist: „außerhalb der Christenheit hat jeder
seinen eigenen Willen im Herzen. Die wahren Kinder des Erlösers aber werden alle ihren eigenen
Willen aufgeben und es wird nur ein alles beherrschender allgemeiner Wille sein, der alle Seelen, alle
Herzen und jeden Willen belebt, leitet und lenkt. Der Ehrenname der Christen wird kein anderer sein
als ‚Der Wille Gottes in ihnen‘, der Wille, der über jeden Willen herrschen und ihn in sich umwandeln
wird, so dass der Wille der Christen und der Wille unseres Herrn nur mehr ein Wille sein soll… das eine
Herz und die eine Seele des wahren Christen, die nichts anderes sind als der Wille Gottes.“27

2.8. Die evangelischen Räte als universaler Ruf und hervorragender Weg zur
Vereinigung der Willen
Diese ist eine starke Aussage. Das Ziel eines Christen ist mit dem Willen Gottes eins zu sein; ja selbst
der Wille Gottes zu sein. Dies wird man durch die Liebe. Der sicherste Weg zur vollkommenen Liebe
und somit zur Vereinigung mit seinem Willen ist der Weg der evangelischen Räten.

So scheint das Leben nach den evangelischen Räten als ein echter Rat, der keiner besonderen Berufung
bedarf. Er steht allen offen, die es befolgen wollen, und können. Woran kann man dann erkennen,
dass man diesen Rat befolgen soll, bzw. ob dieser Rat für jemanden konkret ist, an ihn ausgeht? Muss
man nicht. Der Rat geht an alle aus. Wenn du es willst und kannst, das genügt, um ein Zeichen dafür
zu sein, dass du es auch sollst. Dein Wollen und Können genügen, und das ist auf jedem Fall der Rat
des Herrn und der bessere Weg, daher soll man nicht zögern, den Herrn in dieser Weise nachzufolgen.

Obwohl diese absolut offene Vorstellung der Berufung sein Werk durchdringt, gibt es Stellen, wo Hl.
Franz mehr Gott als den berufenden Autor der Berufung und die Berufung als etwas Übernatürliches
im Vordergrund stellt, wie z.B. in seinem Brief an M. de Brechard vom 24. Juli 1621: „Man könnte
meinen, dass die Errichtung der Ordenshäuser und die Berufung der Seelen durch die Erfindungen der
natürlichen Weisheit bewirkt werden; und ich bin bereit zu glauben, dass für den Bau der Wände und

26
Ebd. 93.
27
Ebd. 94.
des Holzwerkes die Natur ausreicht; aber die Berufung, die Vereinigung der berufenen Seelen, ihre
Vermehrung, ist entweder übernatürlich oder taugt zu nichts“28; oder in einem anderen Brief an Mlle.
De Frouville vom 31. Mai 1620.: „Glaubst du, dass Gott die Berufung zur Religion oder zur
vollkommenen Hingabe immer nach den natürlichen Eigenschaften und den Neigungen der Seelen, die
er ruft, erteilt? Gewiss nicht, meine Tochter, fürchte dich nicht davor. Das Ordensleben ist kein
natürliches Leben, es steht über der Natur, und es muss von der Gnade verleiht werden und die Seele
für dieses Lebens formen. Es ist wahr, dass die souveräne Vorsehung die Natur oft in den Dienst der
Gnade stellt, aber das ist bei weitem nicht immer oder fast immer der Fall.“29 Hier zeigt er klar, dass
die Berufung eine übernatürliche Sache ist. Sie kommt vom Gott und ist nicht von den natürlichen
Eigenschaften abhängig. Es ist Gott, der die Gnade zu Können verleiht, um der Berufungswillen. Der
Wunsch Gott auf der Art nachzufolgen und nachfolgen zu können muss von Gott kommen und kann
nicht ohne Gnade erfolgen. Ob die Berufung von Gott kommt oder nicht war aber nie in die Frage
gestellt. Die Frage, die aber bleibt ist, ob jedes Wollen und Können automatisch eine Berufung ist. Ist
das genug einer Berufung sicher zu sein, oder steht eine besondere Einladung von Gott aus? Die
Tatsache, dass die Berufung zu evangelischen Räten universal ist und allen offen steht, und dass die
Berufung eine übernatürliche Sache, die vom Gott kommt ist, widersprechen sich nicht. Der Inhalt
dieser Briefe wirft trotzdem einen Kontext zur Frage der engen Nachfolge auf und hütet von einer
Vorstellung, dass wenn die Berufung allen, die es wollen und können offensteht, sie eine
naturalistische Sache sei, die keiner besonderen Gnade bedarf.

Diese Universalität der Berufung zur engen Nachfolge bringt mit sich die Überlegung, wie einer wissen
kann, ob er sich tatsächlich für diesen Weg entscheiden soll. Zu diesem Thema bringt uns der Hl. Franz
den Aspekt der Eingebungen. Durch die Eingebungen spornt uns Gott für etwas Konkretes an, was sein
Wille ist; und verleiht uns dabei die nötige Gnade und Schub.

2.9. Eingebungen
Die Eingebungen betreffen nicht nur die Berufung oder Befolgung der Räte, sondern vielmehr alles was
zu unserem Heil dienstlich ist. Franz erklärt die Eingebungen im Buch Philothea folgendermaßen:
„Eingebungen nennen wir die inneren Antriebe, Regungen und Mahnungen, die Gewissensbisse, das
Licht und die Erkenntnisse, die Gott in uns bewirkt. Er kommt unserem Herzen in seiner väterlichen
Liebe und Sorge mit seinen Segnungen zuvor (Ps 21,3), um uns zu den heiligen Tugenden anzuspornen,
zur göttlichen Liebe, zu guten Entschlüssen anzuregen und zu drängen: mit einem Wort zu allem, was
unserem ewigen Heil frommt… Wenn Gott in uns, durch uns und mit uns ein großes Werk der Liebe

28
Francis de Sales, Letters to Persons in Religion, trans. Canon MacKey and John Cuthbert Hedley, Fourth Edition.,
Library of Francis de Sales (London; New York; Cincinnati; Chicago: Burns and Oates; Benziger Brothers, 1909),
auf Deutsch vom Verfasser übersetzt, 215.
29
Ebd. 323-324
vollbringen will, dann schlägt er es uns zuerst durch die Eingebung vor, wir heißen es gut und schließlich
stimmen wir zu. Wie wir zur Sünde auf drei Stufen hinabsteigen - durch die Versuchung, die Freude an
ihr und endlich die Zustimmung, - so steigen wir auch auf drei Stufen zur Tugend empor: durch die
Eingebung, die das Gegenstück zur Versuchung ist, durch die Freude an der Eingebung, das Gegenstück
zur Freude an der Versuchung, und schließlich durch die Zustimmung zur Eingebung, die das
Gegenstück zur Einwilligung in die Versuchung ist… Bevor du aber Eingebungen zustimmst, die wichtige
und außergewöhnliche Dinge enthalten, berate dich mit deinem Seelenführer, um nicht getäuscht zu
werden. Er soll prüfen, ob die Eingebung echt oder falsch ist… Hast du deine Zustimmung gegeben,
dann musst du mit großer Sorgfalt an die Verwirklichung und Ausführung der Eingebungen gehen; das
erst ist ja der Gipfel der echten Tugend.“30 Obwohl nicht ausschließlich, stehen die Eingebungen in
direkten Bezug zur besonderen Berufung.31

2.9.1. Kriterien für echten Eingebungen und Berufungen


Wie erkennt man aber diese Eingebungen? Wie kann man erkennen, dass Gott zu einer konkreten
Sache beruft? „Zahllos sind die Weisen Gottes, uns Eingebungen zu spenden.“.32 Für wie die
Eingebungen konkret ausschauen gibt es keine eindeutige Antwort, da Gott allerlei Weise findet
jemanden auf etwas zu inspirieren; jeden anders, in der Weise, wie dieser das am besten wahrnehmen
und darauf antworten könnte. Hl. Franz bringt nur einige Beispiele in Theotimus, die sehr
unterschiedlich sind.33 Was man auf jedem Fall nicht kann, ist eine feste, genaue Formel zu definieren,
wie eine Eingebung auszuschauen hat oder wie sie als echte festgestellt werden kann. Es gebe zwar
ein paar Kriterien, die uns bei der Unterscheidung helfen können, wie z.B. Friede und Ruhe des
Herzens, Gehorsam gegenüber der Kirche und Vorgesetzten und die Beharrlichkeit darin34. Das
Kriterium, das für den Hl. Franz besonders wichtig zu sein scheint und die er am meisten als ein
Kriterium echter Berufung vorbringt ist die Beharrlichkeit: „Eine gute Berufung ist einfach ein fester
und beständiger Wille des Berufenen, Gott auf die Art und Weise und an den Orten zu dienen, zu denen
der allmächtige Gott ihn berufen hat: das ist das beste Zeichen, das man haben kann, um zu wissen,
ob eine Berufung gut ist.“35; „Um das Zeichen einer guten Berufung zu haben, bedarf es also nicht einer
vernünftigen, sondern einer wirksamen Beständigkeit. Um zu wissen, ob Gott will, dass man ein
Ordensmann oder eine Ordensfrau wird, muss man nicht darauf warten, dass er sinnlich zu uns spricht

30
Franz von Sales, Anleitung zum frommen Leben (Philothea), Neobooks, (18. November 2020), Kindle Ausgabe,
125.
31
„Die Seelen, die sich nicht damit begnügen, das zu tun, was ihr göttlicher Bräutigam durch die Gebote und Räte
von ihnen verlangt, sondern die bereit sind, den heiligen Eingebungen zu folgen, sind es, die der ewige Vater
bereitet hat, Bräute seines vielgeliebten Sohnes zu sein.“, Franz von Sales, Theotimus, Band II., 105.
32
Ebd., 104.
33
Vgl. Ebd. 104-105.
34
Vgl. Ebd. 106-115.
35
Francis de Sales, Letters to Persons in Religion, 385.
oder uns einen Engel vom Himmel schickt, um uns seinen Willen zu signalisieren; es ist auch nicht nötig,
Offenbarungen darüber zu haben. Es bedarf auch keiner Prüfung durch zehn oder zwölf Doktoren der
Sorbonne, um festzustellen, ob die Eingebung gut oder schlecht ist, ob man ihr folgen soll oder nicht;
sondern man muss die erste Bewegung richtig kultivieren und ihr entsprechen, und sich dann nicht
beunruhigen, wenn Unmut oder Kälte auftritt.“36; „Wir sollen nicht auf die Tränen der Weinenden,
noch auf das Seufzen der Schwermütigen, noch auf die Gesten äußerer Zeremonien achten, um zu
erkennen, wer recht berufen ist; sondern wir sollen nach denen Ausschau halten, die einen festen und
beständigen Willen haben, gerettet zu werden, und die zu diesem Zweck treu an der geistigen
Gesundheit arbeiten.“37

Diese Kriterien sind von großer Bedeutung, da sie uns eine geprüfte Idee geben, woran man achten
soll, um eine Berufung zu prüfen. Sie geben aber trotzdem nur einen sicheren Rahmen; die Berufung
aber mit Bestimmtheit zu bestätigen oder definieren vermögen sie nicht. Was also nach Franz
anscheinend immer zu einer Berufung gehört ist das Wollen, Können und Beharrlichkeit darin. Dies
auch, wenn es nicht vom Anfang an in aller Vollkommenheit eintrifft. Man kann sich nämlich am Anfang
weigern und das gehört oft dazu: „Es ist nicht notwendig, dass eine solche Seele von Anfang an alles,
was sie in ihrer Berufung zu tun hat, mit so großer Festigkeit und Beständigkeit tut, dass sie von allem
Widerwillen, von allen Schwierigkeiten und von allem Ekel in der Sache ihrer Berufung befreit ist; noch
weniger, dass diese Festigkeit und Beständigkeit so beschaffen sein muss, dass sie von Fehlern befreit
ist; noch muss sie so fest sein, dass sie niemals ins Wanken gerät oder in ihrem Vorhaben schwankt,
die Mittel zu üben, die sie zur Vollkommenheit führen können: Denn alle Menschen sind solchen
Leidenschaften, Veränderungen und Wechselfällen unterworfen und dürfen nicht nach diesen
verschiedenen Bewegungen und Zufällen beurteilt werden, solange der Wille so fest bleibt, dass er das
Gute, das er ergriffen hat, nicht aufgibt, auch wenn er einige Unzufriedenheit und Kälte empfindet.“38

Zusammenfassend könnte man sagen, dass wenn Gott jemanden zum etwas beruft wird er ihn zuerst
eine Eingebung schenken39, damit dieser das will und kann. Die Echtheit dieser Eingebung oder
Berufung stellt sich am sichersten durch Wollen, Können und Beharrlichkeit darin fest. Im Grunde
kommt es wieder an das Wollen und Können an. Daher bleibt nichts übrig, als beharrliches Wollen und
Können selbst als Frucht der Eingebung oder Hauptkriterium zu einer echten Berufung zu sehen.

36
Ebd. 386.
37
Ebd. 389.
38
Francis de Sales, Letters to Persons in Religion, 385-386.
39
Jemand wird manchmal vielleicht ohne ‚besondere‘ Eingebung Wunsch nach Ordensleben haben. Dahinter
könnte aber eine Eingebung stecken, da die Eingebungen auf vielerlei Weise geschehen können. Aber selbst
wenn da keine besondere Eingebung ist, ist nach Franz der Wunsch selber als Frucht der Eingebung zu sehen. Sie
wird dann durch Können und Beharrlichkeit als echte bestätigt. Darin steckt auch das Problem, dass man schwer
das eine vom anderen unterscheiden kann, nämlich ob Wollen und Können nur das sind, was sie sind, oder sind
sie ein Zeichen echter Berufung.
Wenn also jemand einen echten Wunsch hat, z.B. in einen Orden einzutreten, und dies eben das Beste
ist, da es der Rat des Herrn ist, dann soll ihn nichts daran hindern und er soll dies schnell ausführen. So
sieht der Beschluss der ganzen Überlegung um die Berufung bei Franz von Sales. Dieser Zugang ist aber
nicht nur bei ihm der Fall, sondern auch z.B. beim Thomas von Aquin, den Franz hier als Referenz
nimmt.

3. Franz von Sales und Thomas von Aquin


Hl. Franz zitiert den Thomas und sagt, „dass es nicht vorteilhaft sei, sich viel zu beraten und lange hin
und her zu erwägen, wenn man geneigt ist, in einen guten, eifrigen Orden einzutreten.“ „Und er hat
recht“, sagt Franz, und fährt fort: „Denn da der Ordensstand einem Rat unseres Herrn im Evangelium
entspricht, wozu dann noch viele Ratschläge einholen? Es genügt, wenn man sich mit einigen wenigen
Menschen bespricht, die klug und erfahren sind und uns behilflich sein können, uns rasch und richtig
zu entscheiden. Haben wir es uns aber gut überlegt und eine Entscheidung getroffen, dann müssen wir
fest und unverrückbar dabei bleiben, ohne uns durch irgendeinen Anschein als sei etwas anderes noch
besser, davon abbringen lassen.“40

Thomas äußert sich dazu folgendermaßen: „Nun kann rücksichtlich des Eintritts in den Ordensstand
dreierlei berücksichtigt werden: 1. Der Eintritt selber; da liegt an und für sich ein besseres Gut vor, und
wer daran zweifelt, der fehlt gegen Christum selber, welcher diesen Rat gegeben... 2. Der Eintritt mit
Rücksicht auf die Kräfte des eintretenden; da aber vertrauen die Eintretenden nicht auf ihre Kräfte,
sondern auf den Beistand Gottes, nach Is. 40.: „Die auf den Herrn hoffen, wechseln ihre Stärke, sie
werden Flügel annehmen wie die Adler; fliegen werden sie und nicht schwach werden.“ Besteht jedoch
nach dieser Seite hin ein besonderes Hindernis, wie körperliche Schwäche, Schuldenlast etc.; darüber
muss man Rats pflegen mit verständigen Personen, die nicht gegen den Eintritt sind und selben hindern
wollen, nach Ekkli. 37, 12. Ein langes Beraten ist jedoch auch da nicht nötig; wie Hieronymus sagt (ad
Paulinum): „Eile, ich bitte dich, haue vielmehr das Seil durch, welches das Schifflein am Ufer festhält,
anstatt es zu lösen.“ 3. Der bestimmte Orden, in den man eintreten will und die Art und Weise des
Eintretens; darüber kann man ebenfalls Rats pflegen mit denen, die nicht hindern wollen.“41

Das alles haben wir auch beim Franz so oder ähnlich gesehen. Im Licht dessen schauen wir uns die drei
Punkte kurz wieder reformuliert an: 1. In einen Orden einzutreten ist sicherlich besser, weil es der Rat
des Herrn ist und man dadurch leichter zur Vollkommenheit gelangt. Daher soll man hier nicht lange
überlegen, sondern sich nach kurzer Beratung schnell entscheiden; 2. Das einzige Kriterium daher ist
das Können (und das Wollen; wobei das Wollen bei Thomas schon vorausgesetzt ist und außerdem in

40
Ebd., 107-108.
41
Thomas von Aquin, Summa Theologiae II–II, q. 189, a. 10.
1. als das Bessere und Erwünschenswerte zu sehen). Selbst wenn eine Schwäche das Können nicht
erheblich hindert, man muss sich auf Gottes Kraft stützen.; 3. Im anscheinend nebensächlicheren,
nämlich in was für ein Orden man eintreten soll, kann man sich ebenso mit jemanden beraten. Wichtig,
dass die Person, von der man sich den Rat holt (auch beim Punkt 2) nicht die Entscheidung hindern
will.

3.1. Kontext der Berufungsgedanke beim Hl. Thomas von Aquin zusammengefasst
Wie gesehen, haben da die beiden gleiche Ansicht. Nicht nur in den drei Punkten, sondern auch das
allgemeine Verständnis der Berufung schaut ziemlich gleich zu sein. Thomas meint auch, dass die erste
und wichtigste Berufung diejenige zur Heiligkeit ist. Die Initiative liegt bei Gott, der mit seiner Gnade
durch den Heiligen Geist den Menschen zu sich zieht. Zuerst kommt die Gottes Vorherbestimmung
und Vorsehung, dann Erwählung und Berufung, und schließlich Rechtfertigung und Heiligung die zur
Verherrlichung führen. Die Berufung kann in allerlei Weise erfolgen: Umstände, Neigungen, Einflüsse,
Eingebung, Liebe etc. Um sich für die besondere Berufung zu entscheiden, kann die Person auf das
Ziel schauen, nämlich die Liebe, die das Ziel jeder Berufung ist. Die lässt sich im Ordensleben am besten
nachfolgen. Oder kann man auf den inneren Beweggrund schauen, den Heiligen Geist. Ohne Gottes
Werk kann es einen solchen inneren Wunsch nicht geben; daher ist er an sich ein Zeichen der
Berufung.42 Eine Ungeeignetheit kann dann später festgestellt werden, z.B. im Noviziat.43 Bei Thomas
spielen zwar die Vorherbestimmung und Vorsehung etwas stärkere Rolle, kommen aber im Kontext
des konkreten Erkennens der Berufung nicht viel vor, da dies an sich der bessere Weg ist. Man könnte
sagen, dass Franz da etwas mehr die Freiheit in Vordergrund stellt;44 aber wenn es zur Frage der
besonderen Berufung im Konkreten kommt, sind sich Thomas und Franz hier sehr einig. Beide sehen
die Liebe, die das Ziel jeder Berufung ist als den tragenden Faktor. Wenn jemand einen Wunsch hat,
aus Liebe zu Gott, oder aus einer Eingebung einem Orden beizutreten, kann das nicht von einem selbst
kommen, sondern von Gott. Außerdem ist es immer eine bessere Entscheidung, da es dem Weg der
Liebe einen sicheren Weg bahnt. Daher soll man sich dabei nicht lange überlegen, sondern ohne
Zögern einem Orden beitreten.

42
Vgl. Joseph Bolin, “‘The Will to Enter Religious Life Does Not Need to Be Tested to See Whether It Is from God’
(ST II-II 189:10): Can Aquinas’ Understanding of Vocation Still Work?,” in The Disciples’ Call: Theologies of
Vocation from Scripture to the Present Day, ed. Christopher Jamison (London; New York; New Delhi; Sydney:
Bloomsbury T&T Clark: An Imprint of Bloomsbury Publishing Plc, 2013), 67-71.
43
Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae II–II, q. 189, a. 4.
44
Obwohl auch Thomas hält, dass sich die Gottes Vorsehung neben ihrer Souveränität durch die natürliche
Neigungen, die Gott in einen jeden hineingelegt hat äußert. Daher muss man sich nicht viele Gedanken machen,
was für eine Form vom Leben einer genau führen soll, sondern man kann sich frei für das, was einem gefällt
entscheiden. Gott erfüllt dann seinen Plant trotz und durch den menschlichen freien Willen., Vgl. Summa Contra
Gentiles III, 134.
4. Problemstellung zum Berufungsverständnis bei Hl. Franz von
Sales und Thomas von Aquin
4.1. Berufen oder Selbstberufen
Bei dieser Ansicht zur Berufung des Heiligen Franz von Sales und des Thomas von Aquin, ergeben sich
manche Schwierigkeiten. Eine und die wichtigste ist, dass die besondere Berufung zu einer Sache der
freien Entscheidung werden kann. Jeder, der sich berufen fühlt, soweit er das kann und will, kann
einem Orden beitreten. Es stimmt zwar, dass die zwei Elemente, nämlich Wollen und Können als ein
Zeichen echter Berufung gesehen werden, aber die Frage bleibt, ob das genug ist sicher zu sein, dass
Gott jemanden für diese bestimmte Rolle in der Kirche berufen hat? Jemand könnte sich sogar
drängen, mit der Behauptung, er kann das und will es und ist daher dafür qualifiziert und berufen.
Schließlich könnte es zu einer Sache der Selbstbescheidung oder der Willkür werden. Dieser Meinung
steht die andere Meinung entgegen, dass man direkt von Gott für so etwas berufen werden muss und
einer das nicht einfach selber frei entscheiden kann, wie etwa bei Ignatius von Loyola45 oder Hans Urs
von Balthasar46. Diese Behauptung hat ihre rechte Geltung. Wie das nun nach ihrer Meinung geschieht,
dass einer persönlich für eine bestimmte Berufung von Gott berufen wird und wie dies zu erkennen
und zu beurteilen ist, ist ein Thema, das in einer eigenen Arbeit behandelt werden sollte. Hier bleiben
wir bei der Ansicht des Hl. Franz von Sales zur Thematik.

4.2. Die Absicht


Ein zweites Argument gegen diese Meinung wäre die Frage des Wollens. Laut Thomas und Franz ist
der Wille für so einen Lebensstand schon ein Zeichen der Berufung, der mit seiner Beständigkeit noch
bekräftigt wird. Das Problem liegt aber dabei, dass der Absicht oder Festigkeit des Willens nicht so
einfach festzustellen sind. Eine echte Absicht kann versteckt sein, sogar von einem selbst. Und die
Festigkeit mag daraus entspringen, dass einer das als den besseren Weg der Liebe annimmt, wie das
die beiden als eine richtige Motivation ansehen. Die betreffende Person könnte das aber unter Druck
machen. Sich selbst für das Gute oder Bessere zu zwingen ist nichts Ungewöhnliches im geistlichen
Leben. Es soll aber gut geprüft werden, ob das der Wille Gottes tatsächlich ist. Es könnte nämlich
passieren, dass einer sich das ganze Leben lang zwingt und plagt etwas zu tun, was er eigentlich nur
halbwegs will. So lebt er seinen Stand unter Mühsal und wäre vielleicht besser gewesen, ein guter

45
Ignatius sagt, dass es zwar möglich ist, die Personen, die für das Leben nach evangelischen Räten adäquat
scheinen dafür zu ermutigen; aber man soll sich von einer festen Ermutigung zu einem konkreten Lebenstand
fernhalten. Dies soll einer von Gott selbst eingegeben bekommen., Vgl. St. Ignatius of Loyola, The Spiritual
Exercises, Translated from the autograph by Father Elder Mullan, S.J., Ignatius Press, 2017., nr. 15.
46
Hans, in Bezug zu Ignatius bekräftigt nochmals stärker den Argument und rät davon ab, sich für das Leben nach
den evangelischen Räten einfach selber zu entscheiden. Man soll immer auf eine persönliche Einladung von Gott
warten., Vgl. Hans Urs Von Balthasar, Christlicher Stand, Johannes Verlag, II. Auflage Einsiedeln 1977., 42., 130-
131.
zufriedener Ehemann und Vater zu sein, als ein halbherziger Geistlicher. Man soll sich davon hüten,
die Berufung zu naturalisieren; sie auf das bloß Menschliche zu reduzieren. Die Gnade setzt zwar die
Natur voraus und vervollkommnet sie, aber sie ersetzt sie nicht. Die besondere Berufung setzt eine
Bestimmte natürliche Vorlage voraus, kann aber nicht von dieser abgeleitet werden.47

4.3. Das Scheitern


Es könnte noch einen weiteren Mangel an dieser Ansicht geben. Wenn jemand in Formationsphase im
Priesterseminar oder einem Ordern scheitert und schafft nicht zu Ende zu bringen, was er angefangen
hat, kann es passieren, dass er sich dadurch von Gott verurteilt fühlt, weil er nicht schafft Gott zu lieben
so, wie Gott es angeblich durch diese Berufung von ihm wollte. Und wenn dies, wie der Franz und
Thomas sagen, ein leichterer Weg zur Heiligkeit und Gott zu lieben ist; wie wird er dann erst recht Gott
in der Welt lieben, wenn er jetzt im religiösen Leben gescheitert ist. Dies kann zu einer schweren
Entmutigung führen, Gott nicht nur auf dem Weg der besonderen Berufung, sondern auch später in
der Welt nachzufolgen.

4.4. Die Berufung und Heiligkeit


In derselben Gedanke steckt noch eine andere Gefahr; und zwar zu meinen, dass die Personen, die
Gott berufen hat besser oder heiliger sind, als die Christen in der Welt. Im Grunde schaut es einfach
besser zu sein nicht zu heiraten.48 Dies kann zu einem gewissen Hochmut oder Klerikalismus bei den
Geistlichen führen, oder anderseits dazu, dass die Christen in der Welt für eine enge Nachfolge Christi
entmutigt bleiben, oder sich mit einer Mittelmäßigkeit zufrieden stellen. Als ob die Ordensleute oder

47
Wie dies Pius XI in Divini illius Magistri, 64 klar verurteilt.; Vgl. Joseph Bolin, “‘The Will to Enter Religious Life
Does Not Need to Be Tested to See Whether It Is from God’, in The Disciples’ Call: Theologies of Vocation from
Scripture to the Present Day, ed. Christopher Jamison (London; New York; New Delhi; Sydney: Bloomsbury T&T
Clark: An Imprint of Bloomsbury Publishing Plc, 2013), 77-81.
48
Hl. Franz zu Mlle. De Frouville am 31. Mai 1620: „Aber, meine liebe Tochter, es bedurfte keiner
außerordentlichen Durchdringung, um zu erkennen, zu welcher der beiden (Lebensstände) ich dir raten sollte;
denn, wie du mir deutlich schilderst, und wie du mir schon in der Zeit, in der ich das Vergnügen hatte, dich mit
Vertrauen von deiner Seele zu der meinen sprechen zu hören, wissen ließest, rührt das Gefühl, das du gegen die
Ehe hast, von zwei Ursachen her, von denen schon die eine ausreichen würde, um einen Menschen dazu zu
bestimmen, sie nicht anzunehmen - eine große Abneigung, ein ganzer Ekel, eine sehr starke Abneigung. O meine
Tochter, das ist genug, wir brauchen nicht mehr darüber zu sagen… Die Apostel hörten, wie ihr wisst, unseren
Herrn einmal von der Unauflöslichkeit des Ehebundes sprechen und sagten zu ihm: Herr, wenn das so ist, ist es
nicht gut, zu heiraten. Und Unser Herr, der ihre Meinung billigte, antwortete ihnen: nicht alle empfangen dieses
Wort; ... wer es aber empfangen kann, der empfange es. Meine liebe Tochter, auch ich, der ich deine Rede gehört
und deinen Brief zu diesem Thema gesehen habe, spreche kühn zu dir und sage dir: Ohne Zweifel, meine Tochter,
da es so ist, ist es gut für dich, dich nicht zu verheiraten; und wenn auch alle diesen Spruch nicht verstehen, d.h.
nicht annehmen, nicht annehmen, seine Vortrefflichkeit nicht verstehen, ihn nicht in die Tat umsetzen, so kannst
du doch, meine liebste Tochter, ihn leicht in die Tat umsetzen, du kannst leicht dieses Gute erlangen und diesen
Rat verstehen und genießen. So tue denn.“, Francis de Sales, Letters to Persons in Religion, trans. Canon MacKey
and John Cuthbert Hedley, Fourth Edition., Library of Francis de Sales (London; New York; Cincinnati; Chicago:
Burns and Oates; Benziger Brothers, 1909., ins Deutsche vom Verfasser übersetzt, 322-323.; Zu der gleichen
Evangeliumstelle sagt Ignatius von Loyola, dass man größere Zeichen bedarf um sich für die Ehe zu entscheiden
als für das Leben nach den Räten, weil Christus eines geraten und vom anderen abgeraten hat. So schaut es zu
sein, dass es dieser Fassung nach wirklich besser ist nicht zu heiraten.
die Geweihten automatisch einen höheren Grad an Heiligkeit erreichen können, zu der Weltchristen
gar keinen Zugang hätten. Die Wahrheit ist aber, dass Heiligkeit ohne Obergrenze jedem, abgesehen
vom Lebenstand offensteht. Da die Heiligkeit eine Eigenschaft, die in der Tat nur Gott gehört ist, Gott
aber seinem Wesen nach die Liebe, wie sie in seinem Sohn offenbart wurde ist, so liegt die Heiligkeit
des Menschen in seiner Ähnlichkeit zu Gott und Nachfolge Christi, und zwar durch und in der Liebe.
Der Kapazität zur Liebe hängt aber nicht von einem Lebenstand ab, sondern kann grenzenlos sein durch
den Heiligen Geist, der selbst Gott ist und in jedem Christen innewohnt. Diese Liebe nimmt nur andere
Formen und Dienste durch die verschiedene Lebensstände. Dies hat der II. Vatikanum betont.49

Fazit
Obwohl Hl. Franz seine Theologie nicht detailliert systematisch entwickelt und keinen Traktat über das
Thema der Berufung schreibt, taucht das Thema in seinen Werken immer wieder auf. Daher muss man
zum einen, um ein mehr oder weniger komplettes Bild zu bekommen von überall her suchen, und zum
zweiten sind seine Aussagen zum Thema, abhängig vom Kontext, manchmal etwas ambivalent. Jedoch,
im Großen und Ganzen, machen sie ein durchdachtes, komplettes Bild aus. Sein Gottes- als auch
Menschenbild sind positiv. Gott gibt jedem genug Gnade heilig zu sein. Sind wir es nicht, liegt es an
uns. Der menschlichen Freiheit wird sehr viel Raum gegeben. Ebenso was die Berufung anbelangt. Er
beschäftigt sich nicht mit den theoretischen Fragen, was eine Berufung an sich sei o.Ä.; die praktische
Seite hat deutlichen Vorrang. Er stützt sich auf die Heilige Schrift, auf den Rat Christi, alles zu verlassen
und ihn nachzufolgen. Daher steht dieser Ruf allen offen, die es wollen und können. Um uns zu helfen,
sich dafür zu entscheiden gibt uns Gott die Eingebungen, die in uns den Wunsch die besondere
Berufung Christi anzunehmen wecken und die Gnade befähigt einen darin auszuharren. Da es aber an
sich schon ein besserer Weg für die Liebe und die Heiligkeit ist, soll man nicht zögern in z.B. ein Orden
einzutreten. Die Berufung ist trotzdem kein Produkt menschlicher Fähigkeiten oder Willkür; sie ist
übernatürlich und kommt von Gott. Daher ist Gott, der in einem das Wollen, Können und Ausharren
bewirkt und an den drei erkennt man die Echtheit einer Berufung. Die große Erfahrung des Hl. Franz
gibt dem Ganzen ein Gewicht und die Direktheit und Einfachheit sind an sich die Stärken dieses
Denkmodells. Aber wie in dem letzten Kapitel beschrieben, erweisen sich dabei auch einige Mängel.
Trotzdem, zum Thema Berufung hat Hl. Franz von Sales einiges zu sagen und beizutragen, auch aus
heutiger Sicht.

Ein wichtiger Aspekt, den ich in dieser Recherche absichtlich ausgelassen habe, ist der Unterschied in
Thema Berufung zum Leben nach evangelischen Räten und Berufung zum Priestertum. Dies ist in der

49
Vgl. z.B. Paul VI, Sanctitatis Clarior, 19 März 1969, AAS 61 (1969), 149–150.; Johannes Paul II, Christifi deles
Laici, n. 16, und Homilie vom 9.5.1988.; Familaris consortio, n. 66, Tertio millenio adveniente, n. 37,
Generalaudienz, 23.7.1988.
Tat keine Kleinigkeit. Ich habe es aber deswegen ausgelassen, weil der Hl. Franz selber im Thema
Berufung keinen deutlichen Unterschied zwischen den beiden macht und außerdem, Hineinbeziehen
einer solchen Thematik würde das Rahmen der Arbeit deutlich überschreiten.

Literaturverzeichnis
BIBEL, Die neue Einheitsübersetzung, Herausg. von Bischöfe Deutschlands, Österreich, Schweiz
u.a., Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2016.

LEHRAMT

Pius XI., Divini Illius Magistri, 1. Jänner 1929.

Paul VI., Sanctitatis Clarior, 19. März 1969.

Johannes Paul II., Familiaris Consortio, 22. November 1981.

Johannes Paul II., Tertio Millenio Adveniente, 10. November 1994.

Johannes Paul II., Homilie von 9. Mai 1988, Salto, Uruguay.

Johannes Paul II., Generalaudienz 23. Juli 1988.

QUELLEN

Augustinus von Hippo, De libero arbitrio voluntatis, in: The Teacher; The Free Choice of the Will; Grace
and Free Will, ed. Roy Joseph Deferrari, trans. Robert P. Russell, vol. 59, The Fathers of the Church,
Washington, DC: The Catholic University of America Press, 1968.

Franz von Sales, Anleitung zum frommen Leben (Philothea), Neobooks, Kindle Ausgabe, 18. November
2020.

Francis de Sales, Letters to Persons in Religion, trans. Canon MacKey and John Cuthbert Hedley, Fourth
Edition., Library of Francis de Sales (London; New York; Cincinnati; Chicago: Burns and Oates; Benziger
Brothers, 1909.

Franics de Sales, Jane de Chantal: Letters of Spiritual Direction, ed. John Farina, trans. Péronne Marie
Thibert, The Classics of Western Spirituality, New York; Mahwah, NJ: Paulist Press, 1988.

Franz von Sales, Abhandlung über die Gottesliebe (Theotimus), I. Teil., Deutsche Ausgabe der Werke
des Hl. Franz von Sales, Band 3, Franz-Sales-Verlag, Eichstätt und Wien, 1957.,
Ignatius of Loyola, The Spiritual Exercises, Translated from the autograph by Father Elder Mullan, S.J.,
Ignatius Press, 2017.

Thomas von Aquin, Summe der Theologie, deutsch wiedergegeben durch Ceslaus Maria Schneider,
Verlagsanstalt von G. J. Manz, lateinische Text aus: Sancti Thomae de Aquino Summa Theologiae.
Textum Leoninum Romae 1888 editum ac automato translatum a Roberto Busa SJ in
taeniasmagneticas denuo recognovit Enrique Alarcón atque instruxit Regensburg 1886-1892.,
aus:https://bkv.unifr.ch/de/works/sth/versions/summe-der-theologie, 22.2.2023.

SEKUNDÄRLITERATUR

Hans Urs Von Balthasar, Christlicher Stand, Johannes Verlag, II. Auflage, Einsiedeln, 1977.

Joseph Bolin, “‘The Will to Enter Religious Life Does Not Need to Be Tested to See Whether It Is from
God’, in The Disciples’ Call: Theologies of Vocation from Scripture to the Present Day, ed. Christopher
Jamison, London; New York; New Delhi; Sydney: Bloomsbury T&T Clark: An Imprint of Bloomsbury
Publishing Plc, 2013.

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